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German Pages 885 [888] Year 1966
HANDBUCH DES DISZIPLINARRECHTS für Beamte und Richter in Bund und Ländern
ERSTER BAND Allgemeine Lehren Materielles Disziplinarrecht
Von
DR. ERICH L I N D G E N Abteilungspräsident
B E R L I N 1966
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Archiv-Nr. 2250661 Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlio 30. Alle Fechte, einschließlich des Rechts der Herstellung yon Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten
Vorwort Das Handbuch soll ausschließlich der Praxis dienen. Das Dis2iplinarrecht ist nur zu einem geringen Teil in den Disziplinargesetzen geregelt. Die Gerichtsorganisation und das Verfahrensrecht sind in der Bundesdisziplinarordnung und den Länderdisziplinargesetzen nur insoweit behandelt, als sie vom Gerichtsverfassungsgesetz und der Strafprozeßordnung abweichen. Das Disziplinar- und das Strafverfahren sind weitgehend wesensverwandt, so daß die Strafverfahrensvorschriften überwiegend im Disziplinarverfahren entsprechend Anwendung finden. Der Praktiker weiß daher mit einem Kommentar zur Bundesdisziplinarordnung bzw. den entsprechenden Ländergesetzen nicht viel anzufangen. Dies gilt noch mehr für das materielle Disziplinarrecht. In den Disziplinargesetzen ist hier lediglich eine Regelung der einzelnen Strafarten anzutreffen. Das allgemeine Beamtenrecht statuiert nur einige wesentliche Beamtenpflichten. Was sich darüber hinaus als Dienstvergehen darstellt, ergibt sich aus den allgemeinen strafrechtlichen Normen und den Gesetzen von Sitte und Moral. Eine kasuistische Regelung des Dienstvergehens ist wohl nicht möglich. Jedoch findet man bei der Durchsicht der disziplinarischen Erkenntnisse, daß eine Reihe von Dienstvergehen immer wieder anzutreffen sind, wobei die Straffolgen nur gering variieren. Wenn auch jedes Fehlverhalten eines Beamten nicht für sich allein betrachtet werden kann, sondern die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten eine Urteilsgrundlage bildet, so haben sich in der Disziplinarrechtspflege bestimmte Grundsätze herausgebildet, die auch bei der Strafzumessung eine wesentliche Rolle spielen. So muß die Einleitungsbehörde schon bei der Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge wissen, ob die Dienstpflichtverletzung sich als so schwerwiegend darstellt, daß der Beamte voraussichtlich mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen kann. Leider hat das materielle Disziplinarrecht, soweit es sich mit den Pflichtverletzungen des Beamten befaßt, überhaupt noch keine systematische Darstellung aufzuweisen. Der Praktiker muß auf zahlreiche Entscheidungssammlungen und Zeitschriften zurückgreifen, die ihm einmal gar nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen, die zudem das Disziplinarrecht nur am Rande behandeln. Aufgabe des vorliegenden Werkes soll es sein, sämtliche Bestimmungen, die dem Praktiker bei der Handhabung der Disziplinargewalt zur Verfügung stehen müssen, systematisch zusammenzufassen, so daß sich ein Zurückgreifen auf Entscheidungssammlungen, Zeitschriften oder Erläuterungsbücher zu verwandten Rechtsgebieten erübrigt. Aus diesem Grunde erscheint die Bezeichnung „Handbuch" als angebracht. Dabei ist das seit 1945 erschienene Schrifttum und die seit 1949 veröffentlichte Rechtsprechung der Bundes- und Länderdisziplinargerichte nahezu ausschließlich berücksichtigt. Ebenso ist auf Rechtsprechung und Schrifttum vor dem Zusammenbruch soweit eingegangen, als die damaligen Erkenntnisse auch heute noch von Bedeutung sind. Probleme, die noch einer Lösung entgegensehen, sind besonders eingehend erörtert worden. Soweit die Leitsätze der disziplinargerichtlichen Erkenntnisse nicht ohne weiteres verständlich sind, ist die Begründung möglichst im Wortlaut wiederIII
Vorwort
gegeben, damit sich für den Leser ein Nachschlagen in den zitierten Werken erübrigt. Dies gilt auch für die in Aufsätzen vertretenen Lehrmeinungen. Auch hier ist auf den Inhalt der Aufsätze mit einer kritischen Stellungnahme eingegangen. Soweit die Pflichtverletzung eine strafbare Handlung darstellt, erscheint es notwendig, den strafrechtlichen Tatbestand erschöpfend darzustellen. Einmal kommt nicht jede Straftat zur Anzeige, so daß das Disziplinarorgan sich allein auch mit dem strafrechtlichen Tatbestand befassen muß. Weiterhin ist es nicht an die strafrechtliche Würdigung des Strafgerichts gebunden. Schließlich kann der disziplinare Überhang nur erkannt werden, wenn man die strafrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen kennt. Als zweckmäßig erweist es sich, auf die geschichtlichen Zusammenhänge der einzelnen disziplinarrechtlichen Bestimmungen hinzuweisen, da nur so ein richtiges Verständnis für ein Rechtsgebiet geschaffen werden kann, das zahlreichen Angriffen ausgesetzt, aber allein geeignet ist, die Integrität des deutschen Beamtentums zu wahren. Die Darstellung beschränkt sich nicht allein auf das Bundesdisziplinarrecht, sondern erfaßt auch sämtliche elf Länderdisziplinargesetze. Hierbei wird hervorgehoben, inwieweit die Länderregelungen mit dem Bundesrecht übereinstimmen und inwieweit sie eigene Wege beschritten haben. Das Handbuch gliedert sich in zwei Bände, wobei im ersten Band die Grundlagen und das materielle Disziplinarrecht und im zweiten Band die Gerichtsorganisation und das Verfahren behandelt werden. Im Band 1 sind gleichfalls Rechtsmaterien behandelt, die überwiegend das materielle Recht betreffen, die aber auch verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten, wie ζ. B. die Entziehung des Unterhaltsbeitrages, oder Prozeßvoraussetzungen darstellen, wie der Status des Beschuldigten oder die Nichtbestrafung infolge Zeitablaufs. Da die Novelle zur BDO das materielle Disziplinarrecht nur in einem geringen Umfange berührt, erscheint die Herausgabe des Werkes schon vor deren Inkrafttreten angebracht. Die einzelnen Neuerungen, die die Novelle bringen soll, sind erörtert, so daß der 1. Band auch nach deren Erscheinen aktuell bleibt. Eine langjährige Erfahrung bei der Behandlung von Disziplinarsachen in der Mittelinstanz und eine zehnjährige Tätigkeit als Disziplinarreferent der obersten Bundesbehörde, der nahezu 300000 Beamte unterstellt sind, soll diesem Werk zugute kommen. Die Lösung der zahlreichen disziplinarrechtlichen Probleme verlangt, daß man auf den Traditionen des deutschen Berufsbeamtentums fußt und sich zu solchen Neuerungen bekennt, die einen Fortschritt für die gesellschaftliche Ordnung bedeuten. Nur so kann das Disziplinarrecht allen Anfechtungen wirksam Widerstand leisten. Im Band 1 sind die bis zum 30. November 1965 erschienenen Aufsätze und Entscheidungen disziplinarrechtlichen Inhalts, insbesondere die Entsoheidungssammlung des Bundesdisziplinarhofs bis zum Band 6 einschließlich und die „Dokumentarischen Berichte aus dem Bundesdisziplinarhof" bis zur Entscheidung Nr. 2000 berücksichtigt. Soweit eine Bestimmung der Bundesdisziplinarordnung in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 28.11. 52 von der Novelle zur BDO abweicht, ist, wie folgt, zitiert: „§ 13 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952". Falls eine Bestimmung der Bundesdisziplinarordnung in der Fassung des Gesetzes zur IV
Vorwort
Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung vom bisherigen Recht abweicht, wird, wie folgt, angeführt: „§ 1 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle". Stimmen beide Regelungen überein, wird, wie folgt, belegt „§ 8 BDO, BDO i. d. F. der Novelle". Hierbei kann der Leser übersehen, ob und inwieweit die Novelle von der bisherigen Regelung abweicht. Sollte die Bundesdisziplinarordnung mit Inkrafttreten der Novelle in neuer Paragraphenfolge erscheinen, so wird ein Übersichtsblatt mit einer Gegenüberstellung der alten und der neuen Paragraphenfolge nachgeliefert, so daß der Leser mit Leichtigkeit bei dem jeweiligen Paragraphen die richtige Ziffer einsetzen kann. Bonn, im März 1966 Erich Lindgen
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Inhaltsverzeichnis TEIL I Das Disziplinarrecht Seite
§ 1 Begriff des Disziplinarrechts und sein Verhältnis zum Strafrecht 1 I. Inhalt und Zweck des Disziplinarrechts 1 A. Materielles Disziplinarrecht 2 B. Formelles Disziplinarrecht 2 II. Abgrenzung des Disziplinarrechts vom Strafrecht 2 § 2 Geschichtliche Entwicklung des Disziplinarrechts 4 I. Preußen 4 II. Deutsches Reich 7 III. Vereinigtes Wirtschaftsgebiet 8 IV. Bundesrepublik 9 § 3 Geschichtliche Entwicklung des Landesdisziplinarrechts nach dem Zusammenbruch von 1945 14 I. Baden-Württemberg 14 II. Bayern 15 III. Berlin 15 IV. Bremen 16 V. Hamburg 17 VI. Hessen 18 VII. Niedersachsen 18 VIII. Nordrhein-Westfalen 19 IX. Rheinland-Pfalz 20 X. Saarland 20 XI. Schleswig-Holstein 21 § 4 Disziplinarrecht in Mitteldeutschland 22 § 5 Prinzipien des Disziplinarrechts 23 I. Allgemeines 23 II. Akkusationsprinzip und Offizialprinzip 24 A. Begriff und Entwicklung zum Akkusationsprinzip 24 B. Akkusationsprinzip im förmlichen Disziplinarverfahren 25 C. Offizialprinzip im Disziplinarverfügungsverfahren 25 III. Legalitätsprinzip und Opportunitätsprinzip 26 A. Begriff 26 B. Legalitätsprinzip im Strafrecht 27 C. Geschichtliche Entwicklung des Opportunitätsprinzips im Disziplinarrecht 28 D. Durchführung des Opportunitätsprinzips 29 E. Einschränkungen des Opportunitätsprinzips 33 IV. Instruktionsprinzip 35 V. Prinzip des rechtlichen Gehörs 36 VI. Prinzip der Mündlichkeit 39 A. Begriff 39 B. Die Mündlichkeit im Disziplinarrecht 39 C. Das schriftliche Verfahren im Disziplinarrecht 40 VII. Prinzip der Mittelbarkeit 41 A. Begriff 41
VI
Inhaltsverzeichnis Seite
Β. Geschichtliche Entwicklung 41 C. Prinzip der Mittelbarkeit im geltenden Disziplinarrecht 42 D. Ausnahmen vom Prinzip der Mittelbarkeit 43 VIII. Prinzip der Öffentlichkeit und das Prinzip der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung 45 A. Begriff 45 B. Geschichtliche Entwicklung 46 C. Die geltende Regelung in Bund und Ländern 47 I X . Prinzip der freien Beweiswürdigung 52 § 6 Geltungsbereich des Disziplinarrechts I. Allgemeines II. Persönlicher Geltungsbereich A. Unter das Bundesdisziplinarrecht fallende Personen B. Unter das Länderdisziplinarrecht fallende Personen C. Nicht unter das Bundesdisziplinarrecht fallende Personen D. Nicht unter das Länderdisziplinarrecht fallende Personen III. Sachlicher Geltungsbereich A. Bundesregelung B. Landesrechdiche Regelung IV. Zeitlicher Geltungsbereich V. Örtlicher Geltungsbereich
53 53 54 54 70 73 89 92 92 100 102 104
T E I L II S a s materielle Disziplinarrecht I. A b s c h n i t t Die disziplinare Einwirkung durch die Disziplinarstrafe 1. K a p i t e l Allgemeines § 7 Zweck der Disziplinarstrafe
105
§ 8 Geschichtliche Entwicklung der Disziplinarstrafen I. Preußen A. Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794 B. Gesetz betr. gerichtliche und Disziplinar-Strafverfahren gegen Beamte vom 29. 3.1844 C. Verordnung betr. Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 10. 7. 1849 und Verordnung betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 11. 7. 1849 D. Gesetz betr. die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 7.5.1851 E. Gesetz betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 21. 7.1852 F. Gesetz betr. Abänderungen des Gesetzes über die Dienstvergehen der Richter vom 26. 3. 1856 G. Gesetz betr. Aufhebung des Disziplinarmittels der Arreststrafe vom 25.3.17
106 106 106 107
108 110 111 112 112
VII
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H. Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. Dienstvergehen der Richter und Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 4. 8. 22 I. Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32 K. Dienststrafordnung für die richterlichen Beamten vom 27. 1. 32 . . . . L. Gesetz zur Änderung des Dienststrafrechts vom 18. 8. 34 II. Deutsches Reich A. Reichsbeamtengesetz vom 31. 3. 1873 B. Reichsratsentwurf vom 12. 11. 31 C. Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 III. Bund A. Fortgeltung der RDStO auf Grund des Bundespersonalgesetzes . . . . B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 28.11. 52 C. Änderungsgesetz zur Bundesdisziplinarordnung § 9 Nicht im geltenden Disziplinarrecht vorkommende Disziplinarstrafen I. Arreststrafe II. Strafversetzung III. Zwangsstrafen
112 112 113 114 114 114 115 115 116 116 116 117 118 118 118 119
§ 10 Dienstliche Mißbilligungen 119 I. Begriff 119 II. Rechtliche Grundlage und Voraussetzungen für die dienstlichen Mißbilligungen 120 III. Form für die dienstlichen Mißbilligungen 122 IV. Rechtsbehelfe gegen die dienstlichen Mißbilligungen 123 § 1 1 Strafzumessungsgründe 129 I. Schwere des Dienstvergehens und Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten als Maßstab für die disziplinare Bestrafung 129 II. Straferschwerende Umstände 132 III. Strafmildernde Umstände 132 § 12 Verbot der Verbindung mehrer Disziplinarstrafen
135
§ 13 Zuständigkeit der Disziplinargerichte und der Dienstvorgesetzten für die Verhängung von Disziplinarstrafen 136 2. K a p i t e l Die einzelnen Disziplinarstrafen § 14 Warnung und Verweis I. Begriff II. Zuständigkeit für die Bestrafung III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Landesrechtliche Regelung
138 138 139 139 140 140
§ 15 Geldbuße I. Begriff II. Zuständigkeit für die Bestrafung III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Abgrenzung der Geldbuße von der Gehaltskürzung VI. Landesrechtliche Regelung
140 140 143 144 144 145 145
§ 16 Gehaltskürzung I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung
147 147 147 148
VIII
Inhaltsverzeichnis Seite
IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Landesrechtliche Regelung § 17 Vetsagung des Aufsteigens im Gehalt I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Landesrechtliche Regelung
148 150 151 151 152 152 152 155
155 § 18 Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe I. Begriff 155 II. Anwendungsbereich 156 III. Verbindung der Disziplinarstrafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt mit der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe 156 IV. Straffestsetzung 157 V. Vollstreckung und Straffolgen 157 VI. Landesrechtliche Regelung 159 §19 Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. . . 1 6 1 I. Begriff 161 II. Anwendungsbereich 162 III. Straffestsetzung 163 IV. Vollstreckung und Straf folgen 164 V. Landesrechtliche Regelung 166 § 20 Entfernung aus dem Dienst I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Nachversicherung der aus dem Dienst entfernten Beamten A. Rechtslage bis zum Inkrafttreten des DBG B. Rechtslage nach dem Inkrafttreten des DBG C. Rechtslage nach Inkrafttreten des BBG bis zum Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze D. Rechtslage nach Inkrafttreten des Arbeitsversicherungs- und Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes E. Nachversicherungs-Härteverordnung vom 28. 7. 59 VI. Landesrechtliche Regelung
168 168 169 173 174 177 177 177
§ 21 Ruhegehaltskürzung I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straf folgen V. Landesrechtliche Regelung § 22 Herabsetzung des Ruhegehalts I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Landesrechtliche Regelung
183 183 184 185 185 186 186 186 187 187 188 188
§ 23 Aberkennung des Ruhegehalts I. Begriff II. Anwendungsbereich III. Straffestsetzung IV. Vollstreckung und Straffolgen V. Sozialversicherungsrechtliche Bedeutung VI. I andesrechtliche Regelung
188 188 189 189 190 191 192
178 178 180 182
IX
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§ 24 Besonderheiten der Regelung der Disziplinarstrafen in Schleswig-Holstein. . . . I. Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Bezügen II. Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem R u h e g e h a l t . . . III. Entlassung mit Ruhegehalt
192 193 194 194
3. K a p i t e l Der Unterhaltsbeitrag als Umstand, der die vermögensrechtlichen Folgen der Disziplinarstrafen der Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung des Ruhegehalts mildert § 25 Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil, in dem auf die Höchststrafe erkannt wird I. Zweck des Unterhaltsbeitrages II. Geschichtliche Entwicklung A. Regelung in Preußen B. Reichsbeamtengesetz C. Reichsdienststrafordnung D. Bundesdisziplinarordnung E. Einfluß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. 2. 57. . F. Novelle zur Bundesdisziplinarordnung III. Rechtliche Natur des Unterhaltsbeitrages IV. Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages A. Allgemeines B. Bedürftigkeit C. Nichtunwürdigkeit infolge milderer Beurteilung der Tat D. Sonstige Nichtunwürdigkeit V. Höhe des Unterhaltsbeitrages VI. Dauer des Unterhaltsbeitrages VII. Bewilligung des Unterhaltsbeitrages VIII. Zahlung des Unterhaltsbeitrages IX. Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrages A. Erlöschen des Unterhaltsbeitrages B. Entziehung des Unterhaltsbeitrages C. Ruhen des Unterhaltsbeitrages X. Länderregelung
195 195 197 197 197 197 197 198 199 200 203 203 204 213 216 217 220 221 224 225 225 227 227 232
§ 26 Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach Rechtskraft des Disziplinarurteils I. Allgemeines II. Anwendungsbereich III. Geschichtliche Entwicklung A. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. ÄndGes. 1952 B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. der Novelle IV. Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages A. Wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten nach Rechtskraft des Disziplinarurteils B. Keine Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages bei vom Verurteilten zu vertretender Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder bei Vorliegen von Unwürdigkeit V. Verfahren anläßlich der Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages A. Antrag B. Zuständigkeit des Disziplinargerichts C. Entscheidung des Disziplinargerichts D. Beschwerde E. Wirkung der Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle VI. Landesrechtliche Regelung
X
236 236 237 238 238 239 240 240 245 248 248 249 250 254 254 255
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§ 27 Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach Rechtskraft des Disziplinarurteils I. Allgemeines II. Geltungsbereich III. Geschichtliche Entwicklung A. Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. ÄndGes. 1952 C. Novelle zur Bundesdisziplinarordnung IV. Voraussetzungen für den Entzug oder die Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages A. Unwürdigkeit des Verurteilten zur Zeit des Erlasses des Disziplinarurteils B. Unwürdigkeit des Verurteilten nach Erlaß des Disziplinarurteils . . . . C. Mangelnde Bedürftigkeit des Verurteilte zur Zeit der Verkündung des Disziplinarurteils D. Wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages V. Verfahren anläßlich der Entziehung oder Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages A. Antrag B . Zuständigkeit des Disziplinargerichts C. Entscheidung des Disziplinargerichts D. Beschwerde E . Wirkung der Entscheidung des Disziplinargerichts IV. Landesrechtliche Regelung
255 255 256 259 259 259 260 260 260 261 263 263 268 268 269 269 270 271 271
4. K a p i t e l Außerhalb des Dienstvergehens liegende Umstände, die eine disziplinarische Bestrafung ausschließen § 28 Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs I. Allgemeines II. Geschichtliche Entwicklung III. Bestrafungsverbot A. Keine Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung auf Grund § 3 Abs. 2 B D O , § 3a BD O i. d. F. der Novelle B. Voraussetzungen für ein Bestrafungsverbot C. Auswirkungen des Bestrafungsverbots IV. Verjährung nach Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 V. Landesrechtliche Regelung § 29 Verwirkung und Verzicht I. Verwirkung II. Verzicht § 30 Amnestie und Abolition I. Amnestie A. Begriff und strafrechtliche Auswirkung der Amnestie B. Auswirkung der strafrechtlichen Amnestie auf das Disziplinarrecht II. Abolition
272 272 275 278 278 279 283 283 284 287 287 289
291 291 291 . . 292 294
5. K a p i t e l Umstände, die die Folgen einer disziplinarischen Bestrafung beseitigen § 31 Begnadigung I. Allgemeines II. Geschichtliche Entwicklung III. Gesetzliche Grundlagen im Bundesbeamtenrecht IV. Personenkreis V . Durch Gnadenerweis erfaßte Urteile und sonstige Maßnahmen
295 295 295 296 297 298
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VI. Gnadeninstanzen VII. Rechtsnatur des Gnadenaktes VIII. Widerruf des Gnadenaktes A. Allgemeines B. Widerruf von wiederkehrenden Leistungen IX. Die einzelnen Gnadenerweise und ihre Rechtsfolgen A. Allgemeines B. Bei Verfahrenskosten C. Bei Warnung, Verweis, Geldbuße, Gehalts- und Ruhegehaltskürzung sowie Herabsetzung des Ruhegehalts D. Bei Versagung des Aufsteigens im Geahlt und Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe E. Bei Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt F. Bei Entfernung aus dem Dienst und Verlust der Beamtenrechte auf Grund des § 48 BBG G. Bei Aberkennung des Ruhegehalts und Verlust der Versorgungsbezüge nach § 162 BBG X . Verfahren XI. Keine verwaltungsgerichtliche Anfechtung des Gnadenaktes XII. Landesrechtliche Regelung
299 299 301 301 301 303 303 303 303 304 304 305 311 311 312 313
§ 32 Tilgung von Disziplinarstrafen 321 I. Allgemeines 321 II. Geschichtliche Entwicklung 322 III. Tilgung der Eintragungen der Disziplinarstrafe und Entfernung der Disziplinarvorgânge aus den Personalakten im Bundesrecht 326 A. Vorraussetzungen 326 B. Lauf der Tilgungsfrist 327 C. Unterbrechung der Tilgungsfrist 328 D. Aufschub der Tilgungsfrist 328 E. Folgen einer einwandfreien Führung innerhalb der Tilgungsfrist . . . 329 IV. Landesrechtliche Regelung 339 2. A b s c h n i t t Das Dienstvergehen 1. K a p i t e l Die Handlung als Dienstvergehen § 33 Begriff des Dienstvergehens I. Allgemeine Begriffsbestimmung II. Dienstvergehen im engeren und weiteren Sinne III. Tatbestand des Dienstvergehens § 34 Beschränkte Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege im Disziplinarrecht
344
§ 35 Dienstvergehen, strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten als Dienstvergehen I. Die strafbare Handlung in der Bewertung als Dienstvergehen II. Der disziplinare Uberhang III. Die Ordnungswidrigkeiten in der Bewertung als Dienstvergehen
347 347 350 352
§ 36 Einheit des Dienstvergehens I. Die einzelnen pflichtwidrigen Handlungen als Einheit II. Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens bei Selbständigkeit der Pflichtverletzungen III. Disziplinarrechtliche Folgerungen aus der Einheitlichkeit des Dienstvergehens § 37 Keine Bestrafung wegen Verdachts eines Dienstvergehens
XII
339 339 341 343
354 354 355 356 361
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2. K a p i t e l Die Rechtfertigungsgründe § 38 Einwilligung I. Strafrechtliche Beurteilung II. Disziplinarrechtliche Beurteilung
362 362 363
§ 39 Notwehr und Notstand I. Notwehr II. Putativnotwehr III. Notstand IV. Putativnotstand V. Ubergesetzlicher Notstand
364 364 366 366 367 367
§ 40 Wahrnehmung berechtigter Interessen I. Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB im Disziplinarrecht in Literatur in Rechtsprechung A. Befürwortende Stellungnahmen B. Ablehnende Stellungnahmen II. Notwendigkeit der Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB im Disziplinarrecht bei Achtungsverletzungen, die sich als üble Nachrede i. S. des § 186 StGB darstellen III. Voraussetzungen für die Geltendmachung der Wahrnehmung berechtigter Interessen
368 368 368 370 371 376
3. K a p i t e l Die Zurechenbarkeit § 41 Unzurechnungsfähigkeit I. Allgemeines II. Begriff III. Strafrechtliche Beurteilung der Unzurechnungsfähigkeit IV. Disziplinarrechtliche Beurteilung der Unzurechnungsfähigkeit
381 381 381 383 383
§ 42 Verminderte Zurechnungsfähigkeit I. Begriff II. Strafrechtliche Beurteilung der verminderten Zurechnungsfähigkeit . . . III. Disziplinarrechtliche Beurteilung der verminderten Zurechnungsfähigkeit. § 43 Prüfung des Geisteszustandes des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt. I. Geschichtliche Entwicklung II. Voraussetzungen für die Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt. . A. Förmliches Disziplinarverfahren B. Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten ΠΙ. Verfahren IV. Landesrechtliche Regelung
384 384 385 386 388 388 389 389 391 393 396
4. K a p i t e l Die Schuldhaftigkeit § 44 Vorsatz I. Bestrafung nur bei schuldhaftem Tun II. Begriff ΠΙ. Berücksichtigung des Irrtums IV. Bewußtsein der Beamteneigenschaft § 45 Fahrlässigkeit I. Begriff II. Disziplinarrechtliche Beurteilung der Fahrlässigkeit
398 398 398 399 401 403 403 405
XIII
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5. K a p i t e l Die Täterschaft § 46 Formen der Teilnahme und ihre disziplinarrechtliche Beurteilung 408 I. Formen der Teilnahme 408 A. Mittäterschaft 408 B. Anstiftung 408 C. Beihilfe 409 II. Disziplinarrechtliche Folgen bei der Beteiligung mehrerer Beamter am Dienstvergehen 409 6. K a p i t e l Die einzelnen Dienstvergehen 1. Titel: Die Dientsvergehen in politischer Hinsicht § 47 Verstöße gegen die Wahrung der Verfassungstreue I. Rechtslage bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945 II. Rechtslage in der Bundesrepublik bis zum Inkrafttreten des BBG III. Rechtslage nach Inkrafttreten des BBG
410 410 411 411
§ 48 Verstöße bei politischer Betätigung, die im Einklang zur freiheidichen demokratischen Grundordnung steht I. Allgemeines II. Politische Betätigung im Dienst III. Politische Betätigung außerhalb des Dienstes IV. Landesrechtliche Regelung
417 417 418 422 424
2. Titel: Die Dienstvergehen im Amt § 49 Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit I. Allgemeines II. Strafrechtliche Tatbestände A. Allgemeines B. Einfacher Diebstahl C. Unterschlagung D. Amtsunterschlagung E. Schwere Amtsunterschlagung F. Unterdrückung von Postsendungen G. Betrug H. Ubermäßige Abgabenerhöhung I. Untreue III. Disziplinarrechtliche Beurteilung der Verletzungen gegen die Redlichkeitspflicht A. Allgemeines B. Diebstahl und Unterschlagung von Behördeneigentum und sonstigem Eigentum anläßlich der Ausübung von Dienstgeschäften C Rechtwidriger Zugriff an Beförderungsgut D. Kameradendiebstahl E. Fundunterschlagung F. Unterschlagung amtlicher Gelder G. Eigentumsvergehen außerhalb des Dienstes H. Betrügerische Verfehlungen I. Gebührenüberhebung K. Untreue L. Unredlichkeiten von Steuer- und Zollbeamten M. Mißbräuchliche Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen N. Verdacht der Unredlichkeit und Zugriff auf Fangsendungen
XIV
426 426 427 427 427 430 432 434 435 436 438 439 441 441 445 446 450 452 454 466 469 477 478 479 480 483
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§ 50 Verstöße gegen die Pflicht zu Uneigennützigkeit 485 I. Allgemeines 485 II. Strafrechtliche Tatbestände 487 A. Geschichtliche Entwicklung 487 B. Einfache Bestechung 487 C. Schwere passive Bestechung 494 III. Die unerlaubte Annahme von Belohnungen und Geschenken nach § 70 BBG 498 A. Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken 498 B. Zustimmung zur Annahme von Belohnungen und Geschenken . . . . 501 IV. Die disziplinarrechtlichen Folgen bei Verstößen gegen die Uneigennützigkeit 505 A. Die disziplinarrechtlichen Folgen bei Bestechungshandlungen im Sinne der § § 331 f. StGB und bei der unerlaubten Annahme von Belohnungen und Geschenken nach § 70 BBG 505 B. Die disziplinarrechtlichen Folgen bei sonstigen Verstößen gegen die Verpflichtung zur Uneigennützigkeit 515 § 51 Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrhaftigkeit und Auskunftserteilung I. Allgemeines II. Unwahre Angaben gegenüber Behörden und Gerichten A. Falsche Angaben gegenüber der eigenen Behörde B. Falsche Angaben und Aussagen gegenüber anderen Verwaltungsbehörden und Gerichten als Beschuldigter, Partei oder Zeuge III. Führung unrichtiger Amtsbezeichnungen und Amtsanmaßung A. Führung unrichtiger Amtsbezeichnungen B. Amtsanmaßung IV. Urkundenfälschungen und Urkundenunterdrückungen A. Strafrechtliche Tatbestände B. Disziplinarrechtliche Würdigung V. Verletzung der Auskunftspflicht A. Auskunftspflicht gegenüber der eigenen Dienstbehörde B. Auskunft gegenüber außenstehenden Dritten und der Presse
518 518 524 524
§ 52 Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht 1. Verletzung des Amtsgeheimnisses A. Allgemeines B. Inhalt des Amtsgeheimnisses C. Ausnahmen von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit D. Landesrechtliche Regelung E. Strafrechtliche Tatbestände der Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht F. Disziplinarrechtliche Folgen der Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht II. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses A. Allgemeines B. Verletzung des Postgeheimnisses C. Verletzung des Fernmeldegeheimnisses III. Verletzung des Steuergeheimnisses IV. Verletzung der Pflicht zur Herausgabe amtlicher Schriftstücke
563 563 563 563 563 572
575 577 577 577 581 584 585
§ 53 Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit I. Allgemeines II. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst A. Allgemeines B. Voraussetzungen für das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst C. Folgen des unberechtigten Fernbleibens vom Dienst D. Landesrechtliche Regelung
587 587 589 589 589 603 607
530 540 540 545 547 547 556 558 558 560
573
XV
Inhaltsverzeichnis Seite
III. IV. V. IV. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI.
Unpünktlichkeit und Nichteinhaltung der Dienststunden 609 Weigerung zur Ausführung unterfertiget Tätigkeit 614 Einordnung in den Dienstbetrieb 615 Beratung von Vorgesetzten 617 Minderleistungen und Arbeitsüberlastung 617 Nichtbeachtung von Dienstvorschriften und Unachtsamkeit im Dienst . . 619 Aufrechterhaltung der Dienstfähigkeit 624 Verhalten bei dauernder Dienstunfähigkeit 626 Trunksucht 627 Trunksucht im Dienst 631 Trunkenheit im Kraftfahrerdienst 635 Trunkenheit am Steuer bei Polizeibeamten 642 Sonstige Fälle von Trunkenheit 644 Rauschtaten 646 A. Strafrechtlicher Tatbestand 646 B. Disziplinarrechtliche Beurteilung 647
5 54 Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit und gegen das Verbot zur nicht genehmigten Ausübung einer Nebenbeschäftigung . . . . I. Allgemeines II. Verpflichtung zur Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst A. Arten der Nebentätigkeit B. Voraussetzungen für die Übernahme einer Nebentätigkeit C. Vergütung für die Nebentätigkeit D. Haftung aus der Nebentätigkeit III. Genehmigung für die Übernahme einer selbstgewählten Nebentätigkeit . . A. Allgemeines B. Die genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten C. Die nichtgenehmigungspflichtigen Tätigkeiten D. Voraussetzungen für die Genehmigung bzw. das Versagen der Genehmigung einer Nebentätigkeit E . Erteilung der Genehmigung F. Widerruf der Genehmigung G. Widerspruch und Klage bei Versagung und Widerruf der Genehmigung IV. Disziplinarrechtliche Folgen der Weigerung zur Übernahme einer Nebentätigkeit und der Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit . . . V. Landesrechtliche Regelung § 55 Verstöße gegen die Gehorsamspflicht I. Allgemeines II. Nachprüfung von dienstlichen Anordnungen auf ihre Rechtmäßigkeit. . . III. Nichtausführung des Dienstbefehls bei Strafbarkeit oder Verstoß gegen die Würde des Menschen IV. Nichtausführung des Dienstbefehls bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit . V. Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Beamten VI. Übergesetzlicher Notstand VII. Landesrechtliche Regelung VIII. Verbotsirrtum bei Gehorsamsverletzung I X . Berufung auf Dienstbefehl bei Dienstvergehen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 begangen worden sind X . Einfluß des Widerspruchs und der Klage vor den Verwaltungsgerichten auf die diensdiche Anordnung X I . Einzelne Verstöße gegen die Gehorsamspflicht A. Weigerung, den Diensteid zu leisten B. Arbeitsverweigerung C. Nichtbeachtung von Verboten D. Nichtbefolgung von Weisungen des Vorgesetzten E. Nichtbefolgung von Versetzungs- und Abordnungsverfügungen . . . F. Verweigerung von Sonderdienstleistungen
XVI
649 649 651 651 653 654 654 654 654 655 657 659 661 662 662 663 665 670 670 672 675 676 677 680 680 680 681 683 684 685 686 686 687 687 691
Inhaltsverzeichnis Seite
G. Verweigerung eines Dienstbefehls durch ein Personalratsmitglied . . . H. Nichtbefolgung der Residenzpflicht I. Nichtbefolgung von Weisungen des Dienstvorgesetzten, die sich auf den Privatverkehr des Beamten beziehen K. Nichtbefolgung einer Anordnung zur ärztlichen Untersuchung . . . . L. Weigerung, sich einer Operation zu unterziehen M. Weigerung, Dienstkleidung zu tragen N. Weigerung der Entgegennahme dienstlicher Verfügungen O. Verpflichtung zum Erscheinen in einem Vorermittlungs- und Untersuchungsverfahren § 56 Verstöße gegen die Achtungspflicht I. Allgemeines II. Strafrechtliche Tatbestände A. Beleidigung B. Üble Nachrede C. Verleumdung D. Wechselseitige Beleidigung E. Falsche Anschuldigung III. Abfällige und beleidigende Äußerungen über Dienstvorgesetzte und Vorgesetzte IV. Tätlichkeiten gegen Dienstvorgesetzte oder Vorgesetzte V. Verhalten bei Pflichtwidrigkeiten von Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten VI. Ausübung des Beschwerderechts nach § 171 BBG VII. Einhaltung des Dienstweges VIII. Ausübung des Klagerechts IX. Petitionsrecht X. Flucht in die Öffentlichkeit XI. Rechtsschutz durch Rechtsanwälte, Personalvertretungen und Berufsverbände XII. Verhalten des Beamten bei einer Betätigung als Mitglied des Personalrats . XIII. Verhalten des Beamten bei einer Betätigung für eine Beamtengewerkschaft .
692 692 694 695 696 697 698 699 699 699 702 702 703 704 704 704 706 708 709 711 714 715 717 718 720 724 725
§ 57 Verstöße gegen die Pflicht zur Kameradschaftlichkeit 728 § 58 Verstöße gegen die dem Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten obliegenden Pflichten 732 I. Verletzung der Fürsorgepflicht. . 732 II. Pflichtwidriges Verhalten gegenüber Nachgeordneten 733 III. Verletzung der Aufsichtspflicht 735 § 59 Verstöße gegen die Pflicht zu sittlich einwandfreiem Verhalten innerhalb des Dienstes 736 3. Titel: Die Dienstvergehen außerhalb des Amtes § 60 Allgemeines I. Notwendigkeit der Ahndung außerdienstlicher Verfehlungen II. Keine Verletzung des Grundsatzes ne bis idem bei gleichzeitiger Bestrafung auch von außerdienstlichen Verfehlungen durch die ordentlichen Strafgerichte und die Disziplinargerichte III. Kein Eingriff in die Intimssphäre durch das Disziplinarrecht IV. Umfang der außerdienstlichen Verpflichtungen V. Verantwortlichkeit für eine unehrenhafte Tätigkeit von Familienmitgliedern § 61 Verstöße gegen die Sittlichkeit und gegen die Aufrechterhaltung eines geordneten Familienlebens I. Allgemeines II. Ehebruch A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung des Ehebruchs
740 740 742 744 746 748 752 752 753 753 754
XVII
Inhaltsverzeichnis Seite
ΠΙ. Bigamie Α. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung IV. Sonstige eheliche Verfehlungen A. Sittliche Verfehlungen B. Sonstige Ehezerrüttungen im Bereich des Familienlebens C. Verletzung der Unterhalts- und Fürsorgepflicht V. Kuppelei A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung VI. Abtreibung A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung VII. Blutschande A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung VIII. Unzucht mit Abhängigen A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung IX. Notzucht A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung X. Schwere Unzucht A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung XI. Gleichgeschlechtliche Unzucht A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung XII. Erregung öffentlichen Ärgernisses A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung ΧΙΠ. Verbreitung unzüchtiger Schriften A. Strafrechtlicher Tatbestand B. Disziplinarrechtliche Beurteilung XIV. Umgang mit unehrenhaften Personen
762 762 762 763 763 765 766 768 768 769 770 770 771 773 773 774 774 774 776 777 777 778 778 778 780 783 783 784 786 786 787 788 788 788 788
§ 62 Verstöße gegen die Verpflichtung zu einer geordneten Wirtschaftsführung . . . 789 I. Unverschuldete Notlage 789 II. Leichtfertiges Schuldenmachen 790 III. Darlehensbetrug 795 IV. Leichtsinnige Wirtschaftsführung der Ehefrau des Beamten 797 § 63 Verstöße gegen die Straßenverkehrsvorschriften 797 I. Allgemeines 797 II. Einzelne Verkehrsverstöße 802 A. Trunkenheit am Steuer 802 B. Unfall mit Personen- und Sachschaden 806 C. Verkehrsunfallflucht 807 D. Sonstige Verkehrsdelikte, die einen erheblichen Persönlichkeitsmangel offenbaren 810 § 64 Sonstige außerdienstliche Pflichtverletzungen
812
Ergänzungen und Änderungen Stichwortverzeichnis
817 819
XVIII
Abkürzungsverzeichnis a. Α. a. a. O. AB abl. ABl. Abs. Abschn. abw. AcP a. D. ADA ADADB ADO ADV a. F. ÄndGes. ÄndGes. 1952 3. ÄndGes. ÄndVO AKG a. L. ALR AlsbE a. M. amtlBegr. Amtsbl. AmtsblBPM AmtsblRPM amZ Anm. Anschütz Anh. AnVNG AO AöR AP APF ArbG ArchöffRecht
anderer Ansicht am angegebenen Ort Ausführungsbestimmung ablehnend Amtsblatt Absatz Abschnitt abweichend Archiv für civilistische Praxis, Tübingen außer Dienst Allgemeine Dienstanweisung Allgemeine Dienstanweisung für die Deutsche Bundesbahn Allgemeine Dienstordnung Allgemeine Durchführungsverordnung alte Fassung Änderungsgesetz Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Dienststraf rechts vom 28.11. 1952 (BGBl. I S. 749) Drittes Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften Verordnung zur Änderung der Verordnung Allgemeines Kriegsfolgengesetz vom 5.11.1957 (BGBl. I S. 1747) auf Lebenszeit Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 5. 2. 1794 Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich, 1927 andere Meinung amtliche Begründung Amtsblatt Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen Amtsblatt des Reichspostministers amerikanische Zone Anmerkung Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 10. Aufl. (1929) Anhang Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23.2.1957 Anordnung oder Ausführungsanordnung Archiv für öffentliches Recht Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis, München Archiv für das Post- und Fernmeldewesen, Bonn Arbeitsgericht Archiv für das öffentliche Recht
XIX
Abkürzungsverzeichnis Art. AS
Artikel Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz in Koblenz und Saarland in Saarlouis ArVNG Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. 2.1957 ATO Allgemeine Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst, Fassung vom 1. 11. 1943 AusfAnw. Ausführungsanweisung AusfBest. Ausführungsbestimmungen AV Allgemeinverfügung oder Amtsvorsteher AVAV Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung AVG Angestelltenversicherungsgesetz i. d. F. vom 28. 5. 1924 (RGBl. I S.563) AVV Allgemeine Verwaltungsvorschriften Az. Aktenzeichen AZO Allgemeine Zollordnung BadWürttDStH Baden-Württembergische Dienststrafhof BÄK Mitteilungen des Betufsvereins der höheren Kommunalbeamten Deutschlands e. V. BAnz. Bundesanzeiger BArbG Bundesarbeitsgericht BAT Bundesangestelltentarif vom 23. 2.1961 (GMB1. S. 138) bayr. bayerisch BayrDStH Bayerischer Dienststrafhof BayrJMBI Bayerisches Justizministerialblatt BayrMABl. Ministerialblatt der bayerischen inneren Verwaltung BayrObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayrObLGSt. Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen BayrVBl. Bayerische Verwaltungsblatter BayrVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BayrVerwGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BB Der Betriebsberater, Heidelberg BBG Bundesbeamtengesetz i. d. F. vom 22. 10. 1965 (BGBl. I S. 1776) BBZ Bayerische Beamtenzeitung, München BBesG Bundesbesoldungsgesetz i. d. F. vom 18.12.1963 (BGBl. I S. 916) BBesO Bundesbesoldungsordnung Bd. Band BDA Bundesdisziplinaranwalt oder Besoldungsdienstalter BdF Bundesminister der Finanzen BDH Bundesdisziplinarhof BDHE Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofs, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesdisziplinarhofs, Berlin BDK Bundesdisziplinarkammer BdL Bank deutscher Länder BDO Bundesdisziplinarordnung i. d . F. ÄndGes. 1952 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 Bundesdisziplinarordnung in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 28. 11. 1952 (BGBl. S. 749). BDO i. d. F. der Novelle Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung in der Fassung des Bundesministeriums des Innern vom Dez. 1965 BeamtenjahrB Beamtenjahrbuch
XX
Abkürzungsverzeichnis BegnAO
Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes vom 5.10. 1965 (BGBl. S. 1573) Begr. Begründung Begr. AndGes. 1952 Begründung zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts — schriftlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht — Bundestagsdrucksache Nr. 3594 Behnke Bundesdisziplinarordnung, erläutert von Dr. Kurt Behnke, Stuttgart, 1954 Bek. Bekanntmachung bes. besonders BesG Besoldungsgesetz BesGr. Besoldungsgruppe BesO Besoldungsordnung bespr. besprochen betr. betreffend Betrieb Der Betrieb, Zeitschrift, Düsseldorf BFH Bundesfinanzhof BG Beamtengesetz BG Bayr. Bayerisches Beamtengesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 30.10. 1962 (GVB1. S. 291) BG Brm. Bremisches Landesbeamtengesetz, geändert durch das 2. Änderungsgesetz vom 21.5.1963(GesBl. S. 107), i. d. F. vom3.9.1963 (GVB1. S.166). BG Hmb. Hamburgisches Beamtengesetz vom 13. 3. 1961 (GVB1. S. 49), geändert durch das 1. Änderungsgesetz vom 30. 10. 1961 (GVB1. S. 33) und das 2. Änderungsgesetz vom 22. 6. 1962 (GVB1. S. 139) BG NW Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. 6.1954 (GVB1.S. 237) i.d.F. der Bekanntmachung vom 1.6.1962 (GVB1.S. 271) BG Saar Saarländisches Beamtengesetz vom 11. 7. 1962 (Amtsbl. des Saarlandes S. 505) BG Schl.-Hol. Beamtengesetz für das Land Schleswig-Holstein vom 19. 3.1956 (GVBl. S. 19) i. d. F. vom 9. 7.1962 (GVB1. S. 295) BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGBl. I Bundesgesetzblatt, Teil I BGH Bundesgerichtshof BGH LM Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier-Möhring, München BGHSt. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, Köln BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Köln BGr. Beihilfegrundsätze BGS Bundesgrenzschutz BhV Beihilfevorschriften vom 17. 3. 1959 (BAnz. Nr. 54 vom 19. 3.1959, S.l) BJM Bundesjustizminister Bln. Berlin BLV Bundeslaufbahnverordnung i. d. F. vom 2. 8.1961 (BGBl. I S. 1173) BMA Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung BMF Bundesminister der Finanzen BMI Bundesminister des Innern BMI-Slg. vom Bundesministerium des Innern zusammengestellte und an alle Versorgungsdienststellen verteilte Sammlung von Gerichtsentscheidungen
XXI
Abkürzungsverzeichnis BMV BMVtg. Bochalli BPA BPersG BPM BPolG BPräs. 3. BRÄG 4. BRÄG BRAGebO Brand BRD Breithaupt-Zoch BRH Breithaupt BRKG
BRRG brZ BSG BSGE BT Bt—Drucks. Buchst. BUKG
BV BVBl. BVerfG BVerfGE BVerfGG
BVerwG BVerwGE BVerwGO BVG BWGöD
XXII
Bundesminister für Verkehr Bundesminister für Verteidigung Bundesbeamtengesetz, Handkommentar von Alfred Bochalli, München 1958 Bundespersonalausschuß Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen vom 17. 5. 1950 (BGBl. S. 207) Bundesminister fur das Post- und Fernmeldwesen Bundespolizeibeamtengesetz vom 19. 7. 1960 (BGBl. I S. 569) Bundespräsident Drittes Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicherVorschriften vom31.8.1965 (BGB1.IS. 1007 = BGBl. III 2030-1-3) Viertes Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicherVorschriften vom31.8.1965 (BGBl. IS.1024 = BGBl. III2030-1-4) Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. 7.1957 (BGBl. I S. 907) Reichsdienststrafordnung, erläutert von Dr. Arthur Brand, Berlin 1937 Bundesrepublik Deutschland Kommentar zur Niedersächsischen Disziplinarordnung 1963, Bundesrechnungshof Reichsdienststrafordnung, Kommentar von Dr. Wolfgang Breithaupt, Berlin 1937 Gesetz über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten-Bundesreisekostengesetz vom 20.3.1965 (BGBl. I S. 133) Beamtenrechtsrahmengesetz i. d. F. vom 22. 10. 1965 (BGBl. I S. 1753) britische Zone Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestag Bundestagsdrucksache Buchstabe Gesetz über die Umzugskostenvergütung und Trennungsentschädigung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten — Bundesumzugskostengesetz — vom 8. 4. 1964 (BGBl. I S. 253) Besoldungsvorschriften zum Reichsbesoldungsgesetz vom 23. 12. 1953 (BGBl. I S. 1588) Bundesversorgungsblatt Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. 3. 1951 (BGB. I S. 243), geändert durch ÄndGes. vom 21. 7.1956 (BGBl. I S. 6612), 2. ÄndGes. vom 26. 9.1959 (BGBl. I S. 297) und durch DRiG vom 8. 9.1961 (BGBl. I S. 1665) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverwaltungsgerichtsordnung vom 21.1. 1960 (BGBl. I S. 17) Bundesversorgungsgesetz Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Un-
Abkürzungsverzeichnis rechts für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes vom 11. 5.1951 (BGBl. I S. 291). BW VB1. Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt DA BDH Dienstanweisung für die Beauftragten des Bundesdisziplinaranwalts DADV Dienstanweisung für das Disziplinarverfahren gegen Beamte der Deutschen Bundespost Dalcke Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. 1961 DAR Deutsches Autorecht, Zeitschrift, München DB Durchführungsbestimmungen DBB Der Deutsche Beamtenbund, Zeitschrift des Deutschen Beamtenbundes DBG Deutsches Beamtengesetz vom 26.1.1937 (RGBl. I S. 39) DDA Diätendienstalter DDB Der Deutsche Beamte, Zeitschrift des Deutschen Gewerkschaftsbundes DDP Die Deutsche Post, Zeitschrift für das Post- und Fernmeldewesen DDR Deutsche Demokratische Republik dgl. desgleichen DH VWG Dienststrafhof der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets Diss. Dissertation DiszSenat OVG Münster Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster DJ Deutsche Justiz, Zeitschrift DJZ Deutsche Juristenzeitung DK VWG Dienststrafkammer des Vereinigten Wirtschaftsgebiets DO Disziplinarordnung DO Hmb, Hamburgische Disziplinarordnung i. d. F. vom 25. 7. 1961 (GVB1. S. 249) DO NW Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 1. 6. 1962 (GVB1. S. 305) DöD Der öffentliche Dienst, Zeitschrift, Düsseldorf DOG Dienstordnungsgesetz DöV Die öffentliche Verwaltung, Zeitschrift, Stuttgart DokBer. Dokumentarische Berichte — Aus dem Bundesdisziplinarhof — herausgegeben von Kroesing und Hartmann, Berlin DR Deutsches Recht, Zeitschrift DRiZ Deutsche Richtetzeitung, Köln DRPfl. Deutsche Rechtspflege, Zeitschrift DRZ Deutsche Rechtszeitschrift, Tübingen, seit 1951 JZ DStH Dienststrafhof DStH Bayr. Bayerischer Dienststrafhof in München DStH Rh.-Pfalz Dienststrafhof Rheinland-Pfalz in Koblenz DStH VWG Dienststrafhof des Vereinigten Wirtschaftsgebiets DStK Dienststrafkammer DStO Dienststrafordnung DStO Bayr. Bayerische Dienststrafordnung i. d. F. vom 28. 5. 1955 (GVB1. S. 207) DStO Brm. Bremische Dienststrafordnung vom 25. 10. 1948 (GBl. S. 209) DStO Saar Reichsdienststrafordnung i. d. F. des Gesetzes vom 15. 7. 1948 (Amtsbl. S. 954), des Gesetzes vom 11. 2. 1949 (Amtsbl. S. 279), des Gesetzes vom 16. 3.1953 (Amtsbl. S. 185) und des Gesetzes vom 25. 11. 1958 (Amtsbl. S. 1531)
XXIII
Abkürzungsverz uchnis DStO Schl.-Hol. DStrZ DStSenat DurchfBest. DV DV 4 G 131 DVB1. DVO DVZ E EBD EG EheG EhrenGRA Einf. Einl. EKStG entspr. EOVGB Erl. ErstGes. ESVGH FAG FamRZ Feistkorn Festg. ff. FGG Fischbach Foerster Foerster-Simons frZ FTA FTZ Fuhrmann-Dalcke FVG G G 131
XXIV
Dienststrafordnung für Beamte für Schleswig-Holstein i. d. F. vom 14. 9. I960 (GVB1. S. 161) Deutsche Strafrechts-Zeitung Dienststrafsenat beim Reichsgericht Durchführungsbestimmungen Durchführungsverordnung Vierte Verordnung zur Durchführung des G 131 i. d. F. vom 4. 6.1962 (BGBl. I S. 553) Deutsches Verwaltungsblatt, Zeitschrift, Köln Durchführungsverordnung Deutsche Verkehrszeitung Entscheidung Eisenbahndirektion Errichtungsgesetz oder Einführungsgesetz Ehegesetz vom 20. 2. 1946 (KRABI. S. 77) i. d. F. des Familienenrechtsänderungsgesetzes vom 11. 8. 1961 (BGBl. I S. 1221) Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte Einführung Einleitung Einkommensteuergesetz entsprechend Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin Erläuterung oder Erlaß Erstattungsgesetz vom 18. 4.1937 (RGBl. I S. 461) Entscheidungssammlung des Hessischen und des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs Gesetz über die Fernmeldeanlagen i. d. F. vom 14. 1. 1928 (RGBl. I S.8) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift, Bethel bei Bielefeld Feistkorn, Taschenbuch für Untersuchungsbeamte, Amtsvorsteher, Aufsichts- und Verwaltungsbeamte der DRP, 3. Aufl. 1939 Festgabe folgende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. 5.1898 (RGBl. S. 189) Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, Köln Die Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs, herausgegeben von Foerster, 1933—1938, Berlin Die Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs, herausgegeben von Foerster und Simons, Berlin 1932 französische Zone Finanztechnische Anweisung Fernmeldetechnische Zentralamt Strafrecht und Strafverfahren 37. Aufl. 1961 Finanzverwaltungsgesetz Gesetz Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen i. d. F. vom 13. 10. 1965 (BGBl. I S. 1685)
Abkürzungsverzeichnis GA gem. GemRdErl. GemRdSchr. Ges. GesBl. GG GKG GMB1.
Goltdammers Archiv für Strafrecht, Zeitschrift, Hamburg gemäß Gemeinsamer Runderlaß Gemeinsames Rundschreiben Gesetz Gesetzblatt Grundgesetz Gerichtskostengesetz vom 26. 7. 1957 (BGBl. I S. 941) Gemeinsames Ministerialblatt, herausgegeben vom Bundesministerium des Innern GrDisS Großer Disziplinarsenat Gruchot Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot GS Preußische Gesetzessammlung G StA Generalstaatsanwalt GV Gemeinsame Verfügung GVB1. Gesetz- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz Hamann Kommentar zum Grundgesetz von Dr. Andreas Hamann, 1956 HanRpfl. Hannoversche Rechtspflege HBG Hessisches Beamtengesetz vom 21. 3. 1962 (GVB1. S. 173) HessVGH Hessischer Verwaltungsgerichtshof in Kassel HESt. Höchstrichterliche Entscheidungen, Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der deutschen obersten Gerichte in Strafsachen h. M. herrschende Meinung Hmb. Hamburg HmbRiG Hamburgisches Richtergesetz vom 15. 6. 1964 (GVB1. S. 109) HRiG Hessisches Richtergesetz vom 19. 10. 1962 (GVB1. S. 455) HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung, Entscheidungssammlung hrsg. herausgegeben HStAnz. Hessischer Staatsanzeiger i. d. F. in der Fassung i. d. R. in der Regel i. S. im Sinne i. V. m. in Verbindung mit Jahrg. Jahrgang JB1. Justizblatt JGG Jugendgerichtsgesetz JMB1NRW Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JR Juristische Rundschau, Zeitschrift, Berlin JW Juristische Wochenschrift, München JZ Juristenzeitung, Tübingen Kammer Bundesdisziplinarkammer oder Kammer beim Bundesdisziplinargericht Kfz. Kraftfahrzeug KG Kammergericht Kleinknecht-Müller Kommentar zur StPO und GVG, 4. Aufl. 1958 KO Konkursordnung Kohlrausch-Lange Strafgesetzbuch, Kommentar 43. Aufl. 1961 KR Kontrollrat
XXV
Abkürzungsverzeichnis KRABI. KRG KZ LAG LArbG LBesG LBG LBG BW
Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Kontrollratsgesetz Kinderzuschlag Lastenausgleichsgesetz Landesarbeitsgericht Landesbesoldungsgesetz Landesbeamtengesetz Landesbeamtengesetz von Baden-Württemberg vom 1. 8.1962 (GVB1. S. 89) LBG Bln. Berliner Landesbeamtengesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 1. 8. 1962 (GVB1. S. 925) Landesbeamtengesetz von Rheinland-Pfalz vom 11.7. 1962 (GVBl. LBG Rh.-Pf. S. 73) Landesdisziplinarordnung LDO Landesdisziplinarordnung von Baden-Württemberg vom 1. 8. 1962 LDO BW (GBl. S. 141) Landesdisziplinarordnung von Berlin vom 22.1.1963 (GVBl. S. 149) LDO Bln. LDO Rh, Pf. Landesdisziplinarordnung von Rheinland-Pfalz vom 14.1.1957 (GVBl. S. 3) LeipzKomm. Strafgesetzbuch, Kommentar, 8. Aufl. 1957/58 Lindgen Teil IV Bundesdisziplinarrecht von Dr. Erich Lindgen, Teil IV : Rechtsprechung Hamburg Loewe-Rosenberg Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 21. Auflage, Berlin 1963/64 LK NJW-Leitsatzkartei LM Nachschlagewerk des BGH, herausg. von Lindenmaier-Möhring LohnpfändungsVO Lohnpfändungsverordnung Lohns tDV Lohnsteuer-Durchführungsverordnung LPD Landespostdirektion LRiG Landesrichtergesetz LRiG BW Landesrichtergesetz von Baden-Württemberg vom 25. 2. 1964 (GVBl. S. 79) LRiG Rh.-Pf. Landesrichtergesetz von Rheinland-Pfalz vom 29. 10. 1962 (GVBl. S. 159) LS nur Leitsatz LSG Landessozialgericht LVG Landesverwaltungsgericht LZ Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht V. Mangoldt Das Bonner Grundgesetz, Kommentar 2. Aufl. 1957/58 Maßnahmeverordnung MaßnVO Maurach Deutsches Strafrecht, Allg. Teil 1958; Bes. Teil 1959 MB1. Ministerialblatt MB1BMI Ministerialblatt des Bundesministers des Innern MBliV Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung, später Ministerialblatt des Reichsministers des Innern Mdl Minister des Innern MdJ Minister der Justiz MDR Monatsschrift für Deutsches Recht, Hamburg Militärregierung MilReg.
XXVI
Abkürzungsverzeichnis MilRVO Militärregierungsverordnung MinBIFin. Ministerialblatt des Bundesministers für Finanzen MinG Bundesministergesetz vom 17. 6.1953 (BGBl. I S. 407) MinPräs. Ministerpräsident MRAB1. Amtsblatt der Militärregierung MRG Militärregierungsgesetz MStGB Militärstrafgesetzbuch MStGO Militärstrafgerichtsordnung MRVO Militärregierungsverordnung MuSchG Mutterschutzgesetz Nadler-Wittland-Ruppert Kommentar zum Deutschen Beamtengesetz, Berlin 1938 NBG Niedersächsisches Beamtengesetz vom 16. 7. 1960 (GVB1. S. 145) i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. 3. 1963 (GVB1. S. 95 NDBZ Neue Deutsche Beamtenzeitung NDO Niedersächsische Disziplinarordnung vom 13.12.1961 (GVB1. S.345) Nds. Niedersachsen oder niedersächsisch NdsMinBl. Niedersächsisches Ministerialblatt NdsRpfl. Niedersächsische Rechtspflege Nebentätigkeits-VO Nebentätigkeitsverordnung oder Verordnung über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit — Bundesnebentätigkeitsverordnung — vom 22. 4. 1964 (BGBl. 1 S. 299) n. F. neue Folge oder neue Fassung NHV Nachversicherungs-Härte-Verordnung vom 28. 7. 1959 (BGBl. I S.550) NJW Neue Juristische Wochenschrift, München Nov. Novelle Nr. Nummer NRiG Niedersächsisches Richtergesetz vom 14. 12. 1962 (GVB. S. 265) NRW Nordrhein-Westfalen NW Nordrhein-Westfalen ObLG Oberstes Landesgericht ÖD Der öffentliche Dienst, Zeitschrift, Düsseldorf OFD Oberfinanzdirektion öfF. öffentlich OG Oberster Gerichtshof OGH Oberster Gerichtshof für die britische Zone OGHSt. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Strafsachen OLG Oberlandesgericht Olshausen-Niethammer Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 1942. OPD Oberpostdirektion OrgRichtlPost Richtlinien über die Organisation der Postämter (V), gültig vom 1.1.1959 OStA Oberstaatsanwalt OVG Oberverwaltungsgericht OVGE Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land NordrheinWestfalen in Münster sowie die Länder Niedersachsen und SchleswigHolstein in Lüneburg OVGE (DiszS) Entscheidungen des Disziplinarsenats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, herausgegeben von Witaschek, Münster Gesetz über die Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3.1952 (BGBl. 1 S.177) OWiG
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
OZ PatG PersVG Perwo PG PostO pr. PrBDStO
PrBesBl. PrDStH PrDStH nichtrB PrGS PrOVG PrOVG Bd. PrRiDStO PrStMin. PrVerwBl. PTZ RAGebO RAO RArbG RBBl. RBesG RBG
RdA RdErl. RdF Rdl RDH RDHE RdSchr. RDStH RDStO RdVf. Recht RegBl. RegPräs.
XXVIII
i. d. F. der Gesetze vom 26. 7.1957 (BGBl. I S . 861) und vom 26. 7.1957 (BGBl. Il S. 713) Ortszuschlag Patentgesetz Personalvertretungsgesetz vom 5. 8. 1955 (BGBl. I S. 477) Entscheidungen des preußischen Oberverwaltungsgerichts, Kurzausgabe, Gruppe XII, Berlin-Köln 1960 Gesetz über das Postwesen vom 28. 10. 1871 (RGBl. S. 347) Postordnung preußisch Preußische Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 1932 (PrGS S. 57) i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Dienststrafrechts vom 18. 8.1934 (PrGS S. 353) Preußisches Besoldungsblatt Preußischer Dienststrafhof Rechtsprechung des Preußischen Dienststrafhofs nichtrichterlicher Beamter, zusammengestellt im März 1930, amtliche Sammlung Preußische Gesetzessammlung Preußisches Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichtshofs, Band Preußische Dienststrafordnung für die richterlichen Beamten vom 27.1. 1932 (PrGS S. 79) i. d. F. des Gesetzes vom 18. 8.1934 (PrGS S. 353) Preußisches Staatsministerium Preußisches Verwaltungsblatt Posttechnisches Zentralamt Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte i. d. F. vom 26. 7. 1957 (BGBl. I S. 907) Reichsabgabenordnung Reichsarbeitsgericht Reichsbesoldungsblatt Reichsbesoldungsgesetz vom 16. 12. 1927 (RGBl. I S. 349) Reichsbeamtengesetz vom 31.3.1873 (RGBl. S. 61) i. d. F. des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30.6.1933 (RGBl. I S. 433) Recht der Arbeit, Zeitschrift, München Runderlaß Reichsminister der Finanzen Reichsminister des Innern Reichsdisziplinarhof Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichtshofs, Bd. 1 bis 3, Berlin Rundschreiben Reichsdienststrafhof Reichsdienststrafordnung vom 26. 1.1937 (RGBl. I S. 71) Rundverfügung Zeitschrift „Das Recht" Regierungsblatt Regierungspräsident
Abkurzungsverzeichnis RFBJ. RG RGBl. RGBl. I RGR RGSt. RGZ RHO RiA RiGBayr RiGBrm RiGHmb RJMin. RKG RL RMBliV RMBl. RMdl RMGE RMI RMJ Roemer R-Pf. R-Pfalz RPfleger RPM RPMin. Rspr. RV RuPrVBl. RVA RVÄndG
RVBl. RVG RVGE RVL RVO S Saar SächsOVG SAP Schl-Hol. Schl.-HA
Reichsfinanzblatt Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgesetzblatt Teil I Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichshaushaltsordnung Das Recht im Amt, Zeitschrift, Neuwied Bayerisches Richtergesetz vom 26. 2. 1965 (GVB1. S. 13) Bremisches Richtergesetz vom 15. 12. 1964 (GVB1. S. 187) Hamburgisches Richtergesetz vom 15. 6. 1964 (GVB1. S. 109) Reichsminister der Justiz Gesetz über die Reisekostenvergütung der Beamten vom 15. 12. 1933 (RGBl. I S. 1067) in der jeweils geltenden Fassung Richtlinien Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern Reichsministerialblatt Reichsminister des Innern Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts, Entscheidungssammlung Reichsminister des Innern Reichsminister der Justiz Handkommentar zur Bundesdisziplinarordnung von Dr. Curt Roemer, München 1954 Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz Der Deutsche Rechtspfleger, Zeitschrift, Bielefeld-Bethel Reichspostministerium Reichspostminister Rechtsprechung Reichsverfassung Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt (bis zum 1. 1. 1928 Preußisches Verwaltungsblatt, seit 1. 1. 1934 Deutsches Verwaltungsblatt) Reichsversicherungsamt Gesetz zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften — Rentenversicherungsänderungsgesetz — vom 9. 6. 1965 (BGBl. I S. 476) Reichsverwaltungsblatt Reichsverwaltungsgericht Entscheidungen des Reichsverwaltungsgerichts Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28. 2. 1939 Reichsversicherungsordnung Seite Saarland Sächsisches Oberverwaltungsgericht Sozialamt der Deutschen Bundespost Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen
XXIX
Abkürzungsverzeichnis Schmidt, Eberh. Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, 1952, 1958, 1960. Schönke-Schröder Kommentar zum StGB, 11. Auflage, München 1963 Schütz Kommentar zur Dienststrafordnung von Nordrhein-Westfalen, 1957 Schütz, Dienststrafrecht Kommentar, Bielefeld 1964. Schulze Die Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs Schulze-Simons Die Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofs, herausgegeben von Schulze-Simons, Berlin 1926 Schwarz Strafprozeßordnung, Kurzkommentar, 22. Aufl. 1960 Schwarz-Dreher Strafgesetzbuch, 24. Aufl. 1962 Schwarz-Kleinknecht Strafprozeßordnung 23. Aufl. 1962 SJZ Süddeutsche Juristenzeitung, Heidelberg, seit 1951 JZ sog. sogenannte sowZ sowjetische Zone Sp. Spalte StA Staatsanwaltschaft oder Staatsanwalt StAnz. Staatsanzeiger StenBer. Stenographischer Bericht StGB Strafgesetzbuch vom 15. 5.1871 (RGBl. S. 127) i. d. F. vom 25. 8.1953 (BGBl. I S. 1083, ber. 1954 I S. 33) StPÀG Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfasssungsgesetzes vom 19. 12. 1964 (BGBl. I S. 1067) StPO Strafprozeßordnung vom 1. 2.1877 (RGBl. S. 253) i.d. F. der Bekanntmachung vom 17. 9.1965 (BGBl. I S. 1373) StrafAbhdBl. Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack 2. StraßenverkehrssichG Zweites Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) StrVG Straßenverkehrsgesetz vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 837) StT Der Städtetag, Zeitschrift StVO Straßenverkehrsordnung i. d. F. vom 29. 3.1956 (BGBl. I S. 327) und vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 780) StVZO Straßenverkehrszulassungsordnung i. d. F. vom 29. 3. 1956 und 25. 7. 1957 (BGBl. I S. 271, 777) TgbNr. Tagebuchnummer TO.A Tarifordnung A für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst (Angestellte) TO.B Tarifordnung Β für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst (Arbeiter) u. und UGr. Unterstützungsgrundsätze XJKG Gesetz über die Umzugskosten und Trennungsentschädigung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten — Bundesumzugskostengesetz — vom 8. 4.1964 (BGBl. 1 S. 253) u. U. unter Umständen VAE Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen, herausgegeben von Meyer und Müller, Berlin Verb. Verbindung VereinfVO Vereinfachungsverordnung auf dem Gebiete des Dienststrafrechts vom 17. 5.1940 (RGBl. I S. 781)
XXX
Abkürzungsverzeichnis Verf. VersR VerwArch. VerwGO VerwRspr. Vf. Vfn. VG vgl. VGH VGHE
V G H n. F. v. H. VO V O 165 VOB1. Vorbem. VR VRS VRspr. VV VVG VWG VwGO VwVG VwZG WDO WeimVerf. Wenzel WGZ WiGBL. WürttemBadDStO z. A. z. B. ZBR ZeugEntschG Ziff. ZPO z.T. 2USt.
2. Wv. ZZP z. Zt.
Verfassung Versicherungsrecht, Zeitschrift, Karlsruhe Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtsordnung vom 2 1 . 1 . 1 9 6 0 (BGBl. I S. 17) Verwaltungsrechtsprechung Verfügung Verfügungen Verwaltungsgericht vergleiche Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Kompetenzkonfliktsgerichtshofs, Entscheidungssammlung, München Entscheidungssammlung — neue Folge. vom Hundert Verordnung Militärregierungsverordnung Nr. 165 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone Verordnungsblatt Vorbemerkung Vorschußrichtlinien Verkehrsrechtssammlung, Zeitschrift, Berlin Verwaltungsrechtsprechung Verwaltungsvorschriften Versicherungsvertragsgesetz Vereinigtes Wirtschaftsgebiet Verwaltungsgerichtsordnung vom 2 1 . 1 . 1 9 6 0 (BGBl. I S. 17) Verwaltungsvollstreckungsgesetz vom 27. 4.1953 (BGBl. I S. 157) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. 7.1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung i. d. F. vom 9. 6.1961 (BGBl. I S. 697) Weimarer Verfassung Das Dienststrafrecht in Bayern, 2. Aufl. Wohnungsgeldzuschuß Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets Württemberg-Badischer-Dienststrafhof zur Anstellung zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht, Stuttgart Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) Ziffer Zivilprozeßordnung vom 30. 1.1877 (RGBl. S. 83) i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. 9. 1950 (BGBl. S. 533) nebst Änderungen zum Teil zuständig zur Wiederverwendung Zeitschrift für Zivilprozeß, Köln zur Zeit
XXXI
Teil I
D A S DISZIPLINARRECHT § 1. Begriff des Disziplinarrechts und sein Verhältnis zum Strafrecht I. INHALT UND ZWECK DES DISZIPLINARRECHTS1 Das Disziplinarrecht befaßt sich mit den Handlungen, die sich als dienstliche Verfehlungen darstellen, den Strafen, mit denen diese Verfehlungen zu ahnden sind, und mit dem Verfahren, in dem die Disziplinargewalt gegenüber den im öffentlichen Dienst stehenden Beamten, Ruhestandsbeamten und früheren Beamten ausgeübt wird. Es bezweckt die Reinerhaltung des Beamtentums und die Erhaltung der Pflichttreue und Unbescholtenheit derjenigen Personen, deren sich der Staat bei der Durchführung seiner Aufgaben bedient2. Mit seinen Strafen will es pflichtvergessene Beamte zu beamtenmäßigem Verhalten erziehen. Die Disziplinarbestrafung bezweckt nicht, eine pflichtwidrige Handlung zu sühnen. Deshalb ist nicht entscheidend, daß der Täter mit einem seiner Schuld entsprechenden Übel belegt wird. Vielmehr ist maßgebend, ob der Beamte nach der Art der Tat innerhalb des Beamtenkörpers noch tragbar ist und seiner Verwaltung wegen des Bruchs des Vertrauens in sein beamtenmäßiges Verhalten die weitere Verwendung zugemutet werden kann 3 . Der Staat leitet seine Disziplinarbefugnis aus seiner Diensthoheit her. Der Beamte ist durch ein besonderes Verhältnis mit dem Staat verbunden. Dieses öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis wird wohl durch die übergeordnete Rechtsstellung des Dienstherrn gekennzeichnet. Jedoch zeigt gerade das Disziplinarrecht, daß das Gewalt- zu einem Rechtsverhältnis umgewandelt ist. Der Beamte kann von seinem Dienstherrn nicht mehr willkürlich, sondern nur noch in einem gesetzlich geordneten Verfahren bestraft werden. An die Stelle der Willkür ist das pflichtgemäße Ermessen getreten. Dem Dienstherrn ist allein darum zu tun, die durch das Dienstvergehen gestörte innere Ordnung der Beamtenschaft in einem gesetzlich festgelegten Verfahren wiederherzustellen. Somit handelt es sich letzten Endes, soweit es sich um die Entfernung des schuldigen Beamten aus dem Dienst handelt, um ein mit besonderen Garantien ausgestattetes öffentlich-rechtliches Kündigungsverfahren, bei dem die besondere Natur des Beamtenverhältnisses und seine eigenartige 1 R e u ß , Die Bundesdisziplinarordnung in JR 1953 S. 8 1 ; R ö m e r , Bundesdisziplinarordnung in N J W 1953 S. 41 ; M a n n h e i m e r , Grundregeln des neuen Bundesdisziplinarrechts in J Z 1954 S. 114 und S. 184. 2 RDH 28. 11. 38 bei F o e r s t e r - S i m o n s S. 40. 3 Vgl. BDH 9. 2. 56 — 1 D 97/54 — in JZ 1956 S. 367 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 126.
1 L i n d g e i i , Disziplinarrecht I
ι
§1
Begriff des Disziplinarrechts und sein Verhältnis zum Strafrecht
Ausgestaltung durch das öffentliche Recht Berücksichtigung finden4. Das arbeitsrechtliche Kündigungsverfahren wird durch ein besonderes Verfahren ersetzt, weil der Beamte kein Arbeitnehmer ist und diesem auch im Hinblick auf die öffentlich-rechtliche Natur des Beamtenverhältnisses nicht gleichgestellt werden kann5. Das Disziplinarverfahren ist im Gegensatz zum arbeitsgerichtlichen Verfahren ein Ehrengerichtsverfahren, das den Beamten vor einer geistigen Überfremdung bewahren und diejenigen Beamten aus dem öffentlichen Dienst entfernen soll, die ihre Treuepflicht gegenüber dem Staat grundlegend zerstört haben. Die D i s z i p l i n a r s t r a f e s t e l l t eine r e i n v e r w a l t u n g s b e z o g e n e M a ß n a h m e dar. A. Materielles Disziplinarrecht Das Disziplinarrecht, das zum Beamtenrecht rechnet, gliedert sich in das materielle und formelle Disziplinarrecht. Das materielle Disziplinarrecht legt einmal fest, welche Handlungen oder Unterlassungen als Dienstvergehen zu betrachten sind. Die hierfür in Frage kommenden Bestimmungen sind im allgemeinen Beamtenrecht, insbesondere in den § § 5 2 bis 77 BBG, enthalten. Weiterhin werden im materiellen Disziplinarrecht die Strafen festgelegt, mit denen Dienstvergehen zu ahnden sind. Diese finden sich in der BDO, in der verstreut auch einige andere Bestimmungen des materiellen Disziplinarrechts, wie ζ. B. über Verjährung von Dienstvergehen, über Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten ζ. Z. der Aburteilung und über die Begnadigung, aufgenommen sind. Weitere materiellrechtliche Vorschriften sind im Allgemeinen Teil des StGB enthalten, das bei Beurteilung von Dienstvergehen hilfsweise heranzuziehen ist. B. Formelles Disziplinarrecht Das formelle Disziplinarrecht regelt zunächst einmal die Organisation, deren sich der Staat bei der Ausübung der Disziplinargewalt bedienen muß. Die Bestimmungen, die sich mit der hierfür in Frage kommenden Organisation befassen, bilden die Gerichtsverfassung. Sie sind im wesentlichen in der BDO zusammengefaßt. Zur Ergänzung sind die Bestimmungen des jeweils geltenden GVG heranzuziehen, soweit diese nicht der Eigenheit des Disziplinarverfahrens entgegenstehen. Schließlich enthält das formelle Disziplinarrecht die Bestimmungen, die sich mit der Durchführung des bei der Bestrafung von Dienstvergehen einzuhaltenden Verfahrens befassen. Die hierfür in Frage kommenden Vorschriften sind gleichfalls in der BDO enthalten, welche durch die allgemeinen Vorschriften der StPO zu ergänzen sind, soweit auch diese mit dem Wesen und Zweck des Disziplinarrechts in Einklang gebracht werden können. Π. ABGRENZUNG DES DISZIPLINARRECHTS VOM STRAFRECHT« Es liegt nahe, das Disziplinarrecht mit dem Strafrecht gleichzusetzen. Hierzu könnte man deshalb verleitet werden, weil einzelne Bestimmungen der K ö h l , Zur Frage des besonderen Gewaltverhältnisses in ZBR 1957 S. 122. T h i e l e , Disziplinarrecht ist kein Spezialstrafrecht fur Beamte in DóV 1958 S. 64 (65). 6 B e h n k e , Disziplinarrecht und Strafrecht —· Zur Reform des Disziplinarrechts in ZBR 1963 S. 257; M o l i t o r in BBZ 1956 S. 169; T h i e m e in RiA 1954 S. 69; F i s c h b a c h in J R 1956 S. 253; Z i e g l e r in ZBR 1958 S. 29; P o l a c z y , Die Anwendung des § 193 StGB 4
5
2
Abgrenzung des Disziplinarrechts vom Strafrecht
§1 StPO hilfsweise herangezogen und gewisse Verfehlungen gleichzeitig vom Straf- und vom Disziplinargericht verfolgt werden, wobei eine weitgehende Bindung an das Strafurteil eintritt. Trotzdem kann das Disziplinarrecht nicht mit dem Strafrecht gleichgesezt werden. Beiden Rechtsgebieten liegt schon ein anderer Zweck zugrunde. Eingangs ist darauf hingewiesen worden, daß das D i s z i p l i n a r r e c h t in e r s t e r L i n i e der R e i n e r h a l t u n g des B e a m t e n t u m s dient. Beamte, die ihre Pflichten bei der Ausübung der Staatsgewalt nicht erfüllen und durch ihr Verhalten das Ansehen der Beamtenschaft gefährden, sollen im Wege disziplinarer Bestrafung zur Verantwortung gezogen werden. In den Fällen eines schweren Vertrauensbruches muß es dem Staat ermöglicht werden, den pflichtvergessenen Beamten sogar aus dem Dienst zu entfernen oder dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen. Das Disziplinarrecht soll den Beamten zur getreuen Erfüllung seiner Pflichten anhalten. Überdies soll es das Ansehen der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit heben. Wohl dient auch das Strafrecht der Aufrechterhaltung der Ordnung der Gemeinschaft. Es bezweckt jedoch in erster Linie den Schutz des einzelnen Staatsbürgers vor dem Rechtsbrecher. Darüber hinaus soll aber der Übeltäter im Wege der Bestrafung für das begangene Unrecht Sühne leisten. Diese bemißt sich nach dem Grade des jeweiligen Verschuldens. Der Rechtsbrecher wird auch dann bestraft, wenn dies nicht nur im Interesse der Allgemeinheit liegt. Das Strafgesetz ist also nicht nur ein Schutzgesetz für die Gesamtheit, sondern es ist darüber hinaus auch vom Sühnegedanken beherrscht, was dem Disziplinarrecht jedoch völlig fernliegt. Verlangt das Strafrecht die Bestrafung jedes begangenen Unrechts (Legalitätsprinzip), so soll hingegen von der Disziplinargewalt nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn es die Aufrechterhaltung der Dienstzucht erfordert. Hieraus erklärt sich das im Disziplinarrecht vorherrschende Opportunitätsprinzip. Aus der Verschiedenheit des Wesensgehalts dieser beiden Rechtsgebiete erklärt sich überdies, daß der Grundsatz „ne bis in idem" nicht dadurch verletzt wird, daß der Beamte neben seiner Bestrafung im ordentlichen Strafverfahren außerdem noch im Wege des Disziplinarverfahrens zur Verantwortung gezogen werden kann. Weiterhin kann gegen einen geisteskranken oder verhandlungsunfähigen Beamten ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden. Schließlich muß der Beamte selbst dann mit einer disziplinarischen Bestrafung rechnen, wenn seine Pflichtwidrigkeit sich nicht als ein Verbrechen, Vergehen oder eine Übertretung im Sinne des StGB oder einer sonstigen strafrechtlichen Norm darstellt. Schon mit Rücksicht auf die verschiedenartige Stellung des Strafrechts und des Disziplinarrechts im allgemeinen Rechtsleben ist es erforderlich, daß letzteres eine besondere Regelung verdient. Wohl hatte das ALR keine Unterscheidung zwischen Strafrecht und Disziplinarrecht vorgenommen und letzteres als eine Unterart des allgemeinen Strafrechts betrachtet. Das gegen(Wahrnehmung berechtigter Interessen) im Β samtenrecht, Minchener Dissertation 1959; R e u ß in VerwArch. Bd. 42 S. 369; B l a n k in RiA 1962 S. 17 (19); P f e i f f e r , Zur Reform der Disziplinargesetzgebung in VerwArch. Bd. 27 (1919) S. 438; Labes, Die Disziplinargewalt des Staates über seine Beamten in Hirths Annalen 1889 S. 245; W i t t l a n d in D J Z 1934 Sp. 1 1 9 2 ; W i t t l a n d in Beamten-Jahrbuch 1935 S. 623; W i t t l a n d , RDStO S. 15ff.; vor allem S t o c k , Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen 1932. 1
3
§2
Geschichtliche Entwicklung des Disziplinarrechts
wärtige Recht hat aber in richtiger Erkenntnis, daß es sich um verschiedene Rechtsgebiete handelt, eine scharfe Trennung zwischen Strafrecht und Disziplinarrecht getroffen, obwohl auch heute noch in der Rechtslehre sich Stimmen dafür einsetzen, entweder die Bestrafung von Dienstvergehen den ordentlichen Gerichten zu übertragen7 oder den Disziplinargerichten die Befugnis zuzuerkennen, gegenüber den Beamten, die ein allgemeines Strafgesetz übertreten haben, die Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts anzuwenden8.
§ 2. Geschichtliche Entwicklung des Disziplinarrechts9 I. P R E U S S E N Solange die Entlassung des Beamten der Willkür seines Landesherrn überlassen war, konnte von einem Disziplinarrecht keine Rede sein. Die Bindung des Landesherrn zu seinem Beamten in Brandenburg-Preußen beruhte im 16. und 17. Jahrhundert auf einer tatsächlichen Übung, die nicht in Rechtsvorschriften begründet war. Das Beamtenverhältnis konnte jederzeit durch den Landesherrn frei aufgehoben werden. Eine Sicherung der Rechtsstellung des Beamten erfolgte zunächst im Wege des Gewohnheitsrechts oder auf Grund persönlich gewährter Zusicherungen, die in den meisten Fällen in den Bestallungsurkunden verbrieft worden waren. Im Laufe dieser Entwicklung wurde die Befugnis zur Entlassung an objektive Voraussetzungen geknüpft und einem geordneten Verfahren vorbehalten. Die einzelnen Pflichtverletzungen, die eine Entlassung und Bestrafung des Beamten bedingten, wurden seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Dienstvergehen betrachtet. Das Fehlen rechtsgelehrter Richter zwang u. a. die Kammergerichtsordnung für die Chur- und Mark Brandenburg vom 1. 3.1709 zu einer Versendung der Akten an eine Juristenfakultät oder einen rechtsgelehrten Schöffenstuhl, die um die Erstattung eines als Entscheidung abzufassenden und vom ersuchten Gericht als Urteil zu verkündenden Rechtsgutachtens ersucht wurden. Die Aktenverschickung wurde als Rechtsmittel in der Allgemeinen Ordnung, die Verbesserung des Justizwesens betreffend, vom 21. 6. 1713 für sämtliche in die Zuständigkeit der Amtskammern fallenden Sachen angeordnet. Es blieb also der Rechtslehre überlassen, den Begriff der Dienstvergehen festzulegen. Hierbei war zwischen den Amtsverbrechen, die tatbestandsmäßig festlagen und eine bestimmte Strafe vorgesehen hatten — den sog. delieta nominata —, und den nicht näher bestimmbaren Pflichtverletzungen ·— den sog. delieta innominata —·, bei denen auf das Dienstverhältnis und die sich hieraus ergebenden Pflichten abgestellt war, unterschieden. Vom Beginn eines Disziplinarrechts konnte erst von 1759 an gesprochen werden, als damals das Reichskammergericht feststellte, daß ein ReichsW i t t l a n d , RDStO S. 16; D J 1936 S. 1599; DJ1937 S. 238. E v e r l i n g in D J 1937 S. 116. B e h n k e , Entwicklung des Disziplinarrechts in Z B R 1954 S. 7 0 ; R ö m e r , Weiterentwicklung des Disziplinarrechts in Z B R 1954 S. 80; R o t h l ä n d e r , Disziplinarrecht im Zwielicht? in D D B 1963 S. 163; R o t h l ä n d e r , Disziplinarrechtsreform mit welchem Ziel? in D D B 1964 S. 131; B a u m a n n , Kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe, in J Z 1964 S. 612; L i n d g e n , Zur Reform des Disziplinarrechts in RiA 1963 S. 289; S t o c k , Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen, 1932. 7
8
9
4
Preußen
§2
beamter ohne „justa causa" nicht entlassen werden konnte. Trotzdem mußte sich der Beamte blind der Politik seines Landesherrn beugen, wobei straf-und disziplinarrechtliche Gründe für eine Entlassung keine Grundlage zu bilden brauchten; die Entlassung konnte vielmehr auch aus willkürlichen Gründen erfolgen. Überhaupt waren die Strafen überaus hart. Selbst zu Zeiten Friedrich des Großen konnte sogar noch die Todesstrafe verhängt werden. Eine eingehende gesetzliche Regelung fand das Rechtsverhältnis des Beamten zu seinem Landesherrn im Preußischen Allgemeinen Landrecht, das am 1. 6.1794 in Kraft getreten war und das in den § § 1 bis 3 und 68ff.Teil II Titel 10 „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates" handelte. Nunmehr war der Beamte vor einem willkürlichen Eingreifen des Landesherrn in seine Rechtsstellung geschützt; vor allem konnte er nicht mehr willkürlich entlassen werden. Eine Entlassung und sonstige Disziplinierung kamen nur unter den Voraussetzungen der §§86 und 103 Teil II Titel 10 und §§ 323 ff. Teil II Titel 20 in Frage. Die Verbrechen, die nur in der Eigenschaft eines Beamten begangen werden konnten, und die Verfehlungen rein disziplinarischer Art wurden zusammen behandelt. Trotzdem hielt auch das Preußische Allgemeine Landrecht an der Unterscheidung zwischen den delieta nominata und den delieta innominata fest. Letztere trugen keinen strafrechtlichen Charakter. Man unterschied vielmehr zwischen kriminellen und nichtkriminellen Pflichtverletzungen, wobei letztere in einem vom Kriminalprozeß unabhängigen Verfahren behandelt werden konnten. Reine Disziplinarstrafen konnten auf dem Verwaltungswege oder im ordentlichen Strafverfahren zuerkannt werden. Die Preußische Kabinettsordnung vom 17. 12. 1805 stellte fest, daß „über die Unfähigkeit, einem Amt vorzustehen, die Vernachlässigung der Geschäfte, diese und manche andere Dinge, die den größten Einfluß auf die Verwaltung haben", nur von den Vorgesetzten im Dienst beurteilt werden kann. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgestellte Richtlinien für das sogenannte disziplinarische Verfahren ordneten die Einleitung des Verfahrens durch eine fiskalische Untersuchung an. Nach Erstattung eines Gutachtens erfolgte die Ubersendung der Akten an des Staatsministerium. Dieses faßte dann über die Frage der Dienstentlassung oder Degradation Beschluß. Erst das Preußische Gesetz vom 29. 3. 1844, betreffend das gerichtliche und Disziplinar-Strafverfahren gegen die richterlichen und nichtrichterlichen Beamten (PrGS S. 77), traf eine Unterscheidung zwischen Disziplinarverfehlungen und gemeinen Verbrechen. Zu letzteren rechneten auch die Amtsvergehen. Disziplinarische Verfehlungen waren in einem besonderen Disziplinarverfahren, gemeine Verbrechen hingegen durch ordentliche Gerichte zu bestrafen. Wenn auch das Gesetz zwischen sog. Amtsverbrechen, die vom Strafgericht zu beurteilen sind, und den im Disziplinarwege zu ahndenden gegen die Disziplin verstoßenden Vergehen unterscheidet, so ist diese rein kasuistisch vorgenommene Unterscheidung willkürlich, und damit ist für die Herausarbeitung des allgemeinen Begriffs des Dienstvergehens nur wenig gewonnen. Die Revolutionen in der Mitte des 19. Jahrhunderts beseitigten im Disziplinarrecht die Bestimmungen, die absolutistischen Anschauungen entsprachen, zugunsten demokratischer Auffassungen. Die Preußische Verordnung vom 10. 7.1849 (PrGS S. 253) regelte das Disziplinarrecht der Richter. Das Disziplinarrecht der nichtrichterlichen Beamten hingegen wurde in der 5
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Preußischen Verordnung vom 11. 7. 1849 (PrGS S. 271) behandelt. Man schied diese beiden Beamtengruppen im Interesse der richterlichen Unabhängigkeit. In diesen beiden Verordnungen wurde zum ersten Male scharf zwischen dem Straf- und dem Disziplinarrecht unterschieden. In der klaren Erkenntnis, daß eine Verfehlung des Beamten ein Amtsverbrechen und ein Dienstvergehen darstellen kann, konnte nunmehr zugleich eine straf- und eine disziplinarrechtliche Ahndung erfolgen. Wesentlich ist noch, daß sowohl gegen die richterlichen als auch gegen die nichtrichterlichen Beamten ein zweistufiges Verfahren vorgesehen war. Diese beiden preußischen Verfügungen dienten dem Preußischen Gesetz vom 7. 5.1851, betreffend die Dienstvergehen der Richter (PrGS S. 218), und dem Gesetz vom 21. 7. 1852, betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten (PrGS S. 465), zum Vorbild. Das letztere Gesetz sah bei den einzelnen Regierungen besondere Disziplinarbehörden vor, die aus 7 Mitgliedern unter Vorsitz des Regierungspräsidenten gebildet wurden. Der Disziplinarhof in Berlin entschied in 1. Instanz gegen die vom Staatsministerium ernannten Beamten. Wenn auch nicht mehr die Dienstvorgesetzten allein, sondern ein Kollegium die Entscheidung fällte, so stellte dies doch noch kein unabhängiges Gericht dar. Der Vorsitzende war zugleich Richter und Ankläger, da er auch die Einleitung des Verfahrens verfügte. Überdies übte er auf Grund seiner Autorität über die Beisitzer einen maßgeblichen Einfluß aus. In materiellrechtlicher Hinsicht wurde der Begriff des Dienstvergehens allgemeiner herausgearbeitet. Dem Strafverfahren wurde gegenüber dem Disziplinarverfahren der Vorrang eingeräumt, indem das Disziplinarverfahren im Falle einer gleichzeitigen Eröffnung einer strafgerichtlichen Untersuchung ausgesetzt werden mußte und das Strafurteil gewisse Wirkungen auf die Disziplinarentscheidung auslöste. Wenn auch diese beiden preußischen Gesetze mehrfache Änderungen erfahren hatten, wie ζ. B. durch die Gesetze vom 9. 4.1879, 25. 3. 17, 13. 5.18, 25. 5. 26 und 23. 12. 27, so beanspruchten doch deren grundlegende Bestimmungen bis zum Jahre 32 Geltung. Beabsichtigte Reformen, die in einem Kommissionsbericht von 1879 erkennen ließen, daß sie für die Disziplinarrechtspflege rückläufig gewesen wären, unterblieben. Die Preußische Beamtendienststrafordnung vom 27.1. 32 (PrGS S. 59) und die Preußische Richterdienststrafordnung gleichen Tages (PrG S S. 79) berücksichtigten vollauf die demokratischen Auffassungen und sahen nunmehr unabhängige Dienststrafgerichte vor. An Neuerungen sind in diesen Dienststrafordnungen die Strafe der Gehaltskürzung, die an die Stelle der Strafversetzung getreten war, die Verjährung von Dienstvergehen, die Beseitigung der Bindungen an die tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil, das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf Stellung eines Antrags auf Einleitung eines förmlichen Dienststrafverfahrens gegen sich selbst, die Öffentlichkeit der Verhandlung vor den Dienststrafgerichten, die vorläufige Dienstenthebung auf besondere Anordnung hin und die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwähnen. Zahlreiche hier vorgesehene Neuerungen, wie ζ. B. die Verjährung von Dienstvergehen, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und die Anrufung der Dienststrafgerichte im Ordnungsstrafverfahren, standen mit der nationalsozialistischen Staatsauffassung nicht im Einklang. Sie wurden deshalb durch das Preußische Gesetz vom 18. 8. 34 (PrGS S. 353) wieder beseitigt. Dieses Gesetz sah weiter6
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hin die Einleitung eines Dienststrafverfahrens gegen Ruhegehaltsempfänger wegen solcher Handlungen vor, die sie vor Eintritt in den Ruhestand begangen hatten, wobei auf Freispruch mangels Beweises oder wegen Schuldlosigkeit, Einstellung insbesondere für den Fall, daß seit dem Eintritt in den Ruhestand mehr als fünf Jahre verstrichen waren, oder auf Verurteilung erkannt werden konnte (vgl. § l i a a. a. O.). Π. DEUTSCHES REICH Auch nach Errichtung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 blieb die Regelung des Beamtenrechts den einzelnen Ländern vorbehalten. Lediglich für die Reichsbeamten wurde das Reichsbeamtengesetz vom 31. 3. 1873 (RGBl. S. 61) geschaffen. Dieses regelte in den §§72 bis 133 auch das Disziplinarverfahren. Diese Bestimmungen weichen nur wenig von dem preußischen Gesetz vom 21. 7. 1852 ab. Bei der Disziplinargerichtsbarkeit interessiert hier, daß das entscheidende Gericht in den beiden Rechtsbezügen mit 5 bzw. 7 Richtern besetzt war, von denen 3 bzw. 4 Richter im Hauptamt waren. Das Reichsbeamtengesetz blieb, soweit es die disziplinarrechtlichen Bestimmungen betrifft, bis zum Jahre 1937 in Kraft, obgleich nach dem 1. Weltkrieg mehrere Entwürfe einer ReichsdienststrafOrdnung vorlagen. Das Disziplinarrecht der einzelnen Länder hingegen wurde im Laufe der Zeit wesentlich geändert. So ist es verständlich, daß nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs bereits 1919 das Streben dahin ging, ein einheitliches Beamtenrecht und somit auch ein einheitli .hes Disziplinarrecht zu schaffen. Erst nach der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus ließ sich dieser Wunsch verwirklichen. Die Reichsdienststrafordnung vom 26.1. 37 (RGBl. I S. 71) knüpfte im wesentlichen an den in Preußen bestehenden Rechtszustand an. Im übrigen wurden Neuerungen des sog. Reichsratentwurfs einer Reichsdienststrafordnung von 1931 berücksichtigt, wie ζ. B. die Möglichkeit der Nachprüfung der tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Dienststrafgerichts. An sonstigen Neuerungen brachte sie u. a. die weitgehende Gewährung des rechtlichen Gehörs des Beschuldigten, bestimmte Anforderungen bei der Fertigung der Anschuldigungsschrift, das Wiederaufnahmeverfahren und das Untersuchungsverfahren gegen Beamte auf Widerruf. Sonst regelte sie auf dem Gebiete des Disziplinarrechts lediglich das Verfahrensrecht und enthielt nur wenige materiell-rechtliche Bestimmungen. Sie erstreckte sich auf sämtliche unter das Deutsche Beamtengesetz vom 26. 1. 37 fallende Beamte, also auch auf Staatsund Gemeindebeamte. Dies war schon deshalb notwendig, weil ζ. B. für die Beamten der Reichsjustizverwaltung, die seit dem 1. 4. 35 unmittelbare Reichsbeamte geworden waren, die Disziplinargesetze der 16 Länder im wesentlichen weitergalten. Es ist verständlich, daß die Reichsdienststrafordnung in zahlreichen Vorschriften nationalsozialistisches Gedankengut berücksichtigte und bisher geltende von liberalen Anschauungen getragene Bestimmungen beseitigte. Das Ende der Disziplinargerichtsbarkeit stellte die Rede Hitlers und der Beschluß des Reichstags vom 26. 4. 42 dar. In dieser Rede erklärte Hitler die wohlerworbenen Rechte für beseitigt und maßte sich das Recht an, jeden zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, bzw. denjenigen, der nach seiner Auffassung seine Pflichten nicht erfüllte, entweder zur gemeinen Kassation zu 7
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verurteilen oder ihn aus Amt und Stellung zu entfernen, wobei er auf die Person und deren wohlerworbene Rechte keine Rücksicht nehmen wollte. In Ausführung dieser Rede wurde Hitler das Recht eingeräumt, u. a. Beamte und Richter mit allen ihm für geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten und bei Verletzung derselben mit der ihm gebührenden Sühne zu belegen, sie insbesondere ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus ihrem Amt und ihrer Stellung zu entfernen. Wenn damit auch noch nicht die Disziplinargerichtsbarkeit beseitigt war, so wurde sie jedoch durch die Machtvollkommenheit Hitlers illusorisch gemacht. ΠΙ. VEREINIGTES WIRTSCHAFTSGEBIET Nach dem Zusammenbruch mußten die Disziplinargerichte ihre Tätigkeit auf Grund des Art. 1 des Gesetzes Nr. 2 der Militärregierungen Deutschlands (MR Amtsblatt 1946 S. 8) einstellen. Auf Grund des Art. 5 Nr. 3 des Kontrollratsgesetzes Nr. 36 (KRAbl. S. 183) war überdies dem Reichsverwaltungsgericht und den bei ihm gebildeten Dienststrafsenaten die Rechtsgrundlage entzogen. Beamte, die ein schweres Dienstvergehen begangen hatten, konnten nur durch die jeweilige Militärregierung entlassen werden, wobei in vielen Fällen die deutschen Behörden gutachtlich zuvor gehört wurden. In der britischen Zone wurden die Länder durch die VO Nr. 154 (MRAbl. Nr. 24 S. 793) ermächtigt, gesetzliche Bestimmungen über Dienststrafgerichte und das Verfahren vor diesen zu erlassen. Von dieser Ermächtigung machten die einzelnen Länder im Wege von besonderen Errichtungsgesetzen oder eigenen Dienststrafordnungen Gebrauch. Im Vereinigten Wirtschaftsgebiet schuf erst das Gesetz über die Errichtung von Dienststrafkammern zur Durchführung schwebender Dienststrafverfahren gegen Verwaltungsangehörige des Vereinigten Wirtschaftsgebiets vom 5. 7. 48 (GuVOBl. S. 67) die Möglichkeit, die bis zum 14. 7. 48, dem Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes, eingeleiteten Verfahren durchzuführen. Auf Grund dieses Gesetzes erhielt der Beschluß Nr. 4 des Exekutivrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, der bis zur gesetzlichen Regelung des Disziplinarverfahrens Fragen der Disziplinargerichtsverfassung behandelte, Gesetzeskraft. Die Dienststrafgerichte nahmen im Vereinigten Wirtschaftsgebiet daraufhin im Herbst 1948 ihre Tätigkeit auf. Dem Wirtschaftsrat wurde Ende 1948 ein Entwurf einer DienststrafOrdnung vorgelegt, der jedoch nicht mehr beschlossen werden konnte. Wesentliche Änderungen des Disziplinarrechts waren durch das Militärregierungsgesetz Nr. 15 bedingt. Dieses bestimmte in § 42 Abs. 3, daß die Anordnung und Durchführung von Disziplinarmaßnahmen jeder obersten Dienstbehörde für die ihr unterstellten Beamten oblagen, wobei die Möglichkeit eingeräumt war, beim Personalamt Beschwerde einzulegen. An die Stelle von Disziplinargerichten waren also reine Verwaltungsstellen getreten. Hatte es zunächst den Anschein, als ob auf Grund dieser Vorschrift die Disziplinargerichtsbarkeit überhaupt beseitigt werden sollte, so gab die Militärregierung in Ziff. 16 der 1. Änderung des Gesetzes Nr. 15 zu erkennen, daß sie gegen die Fortsetzung der Disziplinargerichtsbarkeit im bisherigen Sinne keine Einwendungen zu erheben hatte. Daraufhin erließ der Wirtschaftsrat in seiner letzten Sitzung das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Dienststrafkammern 8
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vom 12. 8. 49 (GuVOBl. S. 253). Dieses Gesetz ermöglichte die Durchführung der nach dem 14. 7. 48 eingeleiteten Disziplinarverfahren. Im übrigen stellte es zwischen dem bisherigen Disziplinarrecht und dem Gesetz Nr. 15 eine Kompromißlösung dar, indem es bestimmte, daß die oberste Dienstbehörde und im Falle der Delegation die nachgeordneten Behörden berechtigt waren, jede Art von Disziplinarstrafen, also auch die Entfernung aus dem Dienst, Aberkennung oder Kürzung des Ruhegehalts und Gehaltskürzung, zu verhängen; gegen den Dienststrafbescheid konnten die Beschuldigten jedoch die Dienststrafkammern — in letzter Instanz den Dienststrafhof — anrufen. Das Änderungsgesetz brachte auch einige andere wesentliche Änderungen der Reichsdienststrafordnung, die sich aus der Außerkraftsetzung nationalsozialistischen Gedankengutes ergaben. IV. BUNDESREPUBLIK Für die Bundesbeamten fanden nach § 2 Buchstabe a—c des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen — Bundespersonalgesetz — vom 17. 5. 50 (BGBl. S. 207) wieder das Deutsche Beamtengesetz und die Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 — letztere in der Bekanntmachung vom 30. 6. 50 (BGBl. S. 306) — Anwendung. Diese beiden Gesetze waren jedoch für die Bundesrepublik nicht erst mit dem Bundespersonalgesetz, sondern bereits seit deren Bestehen in Kraft, weil das Reichsrecht ununterbrochen weiter bestand2. Die auf Grund des § 7 des Bundespersonalgesetzes erfolgte Bekanntmachung der Reichsdienststrafordnung in der Bundesfassung konnte nur den Sinn haben, aufzuzeigen, welche Vorschriften unter Berücksichtigung der heutigen Rechtsauffassung noch in Geltung waren. Lediglich die Vorschriften über das förmliche Dienststrafverfahren waren deshalb nicht anwendbar, weil diese Bundesdienststrafgerichte voraussetzten. Im Bereich des frühreren VWG waren weiterhin die daselbst gebildeten Dienststrafgerichte tätig. Bis zum Inkrafttreten der 2. DVO zum BPG vom 10. 10. 50 (BGBl. S. 726) unterlagen die Beamten des frühreen VWG auch weiterhin dem ÄndGes. vom 12. 8. 49. Nach IV A Ziff. 1 (3) a.a.O. waren Beamte, gegen die ein Disziplinarverfahren eingeleitet oder im Disziplinarverfahren eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung auf Gehaltskürzung oder Entfernung aus dem Dienst ergangen war, erst nach rechtskräftiger Beendigung dieses Verfahrens als Bundesbeamte zu übernehmen. Gegen solche Verwaltungsangehörige, gegen die nach ihrer Ernennung zu Bundesbeamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet war, konnte dieses nicht fortgesetzt werden. Insoweit war also ein Stillstand in der Disziplinarrechtspflege eingetreten. Auf Grund der Ermächtigung in Art. 96 Abs. 3 GG wurde das Gesetz über die Errichtung von Bundesdienststrafgerichten vom 12.11. 51 (BGBl. I S. 883) erlassen. Dieses Gesetz, das am 16. 11. 51 in Kraft getreten ist, befaßte sich im Hinblick auf die Errichtung von Bundesdienststrafgerichten im wesentlichen mit der Gerichtsverfassung. Die verfahrensrechtlichen Änderungen, die sich aus der Ausschaltung nationalsozialistischen Rechts und aus sonstigen heutigen Bedürfnissen er2 W i e h e r t , Deutsches Beamtengesetz, 1952/Einl. S.42; BDH 26.1. 55 — I I I D 24/54 — BDHE Bd. 2 S. 1 = Lindgen Teil IV Nr. 53.
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gaben, sind bewußt nicht in das Errichtungsgesetz aufgenommen. Hier war vielmehr eine durchgreifende Reform der Reichsdienststrafordnung vorgesehen, in der sämtliche sich aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 80 GG ergebenden zwangsläufigen Änderungen sowie sonstige Neuerungen, die sich auf Grund des Änderungsgesetzes vom 12. 8. 49 im Vereinigten Wirtschaftsgebiet bewährt hatten, Berücksichtigung finden sollten. Während die Regierungsvorlage vom 26. 7. 51 nur wenige Änderungen vorsah, hatte der Beamtenrechtsausschuß des Bundestages, dem die Vorlage in der 1. Lesung vom 26. 9. 51 zugewiesen worden war, unter Wahrung des Aufbaues der Reichsdienststrafordnung erhebliche Neuerungen im Disziplinarrecht vorgenommen. Nachdem der Entwurf am 10. 9. 52 in 2. Lesung beraten war, wurde er am 1. 10. 52 in 3. Lesung mit überwältigender Mehrheit angenommen. Er trägt die Bezeichnung „Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts", mit dem Datum vom 28. 11. 523. Das Gesetz ist am 1. 1. 53 in Kraft getreten. Auf Grund des Art. 2 dieses Gesetzes hat die RDStO in der Bundesfassung mit den aus Art. 1 ÄndGes. sich ergebenden Änderungen die Bezeichnung „Bundesdisziplinarordnung" (BDO) erhalten. Sie ist als Anlage zum ÄndGes. (BGBl. I S. 761) abgedruckt. Die BDO hält an der Numerierung der RDStO fest, um die Verwendung des Gesetzes, das noch in mehreren Ländern gilt, und den Gebrauch der Kommentare zu erleichtern. Die neu eingefügten Bestimmungen sind mit a) oder b) oder c) bezeichnet. Das Änderungsgesetz und die Bundesdisziplinarordnung wurden durch die §§ 197 und 198 des Bundesbeamtengesetzes vom 14. 7. 53 (BGBl. I S. 551) diesem Gesetz angepaßt und geändert. Weiterhin wurde § 9 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. 5. 51, der Grundlage für die disziplinarische Bestrafung der unter dieses Gesetz fallenden Personen bildet, durch § 192 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesbeamtengesetzes und Art. I Nr. 6 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes vom 19. 8. 53 (BGBl. I S. 980) neu gefaßt. Das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts vom 5. 8. 55 (BGBl. I S. 497) — sog. lex S c h ö r n e r —, wonach bei Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen eine unter das G 131 fallende Person wegen eines vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangenen Dienstvergehens oder einer vor Inkrafttreten des Gesetzes begangenen, als Dienstvergehen betrachteten Handlung die nach diesem zu zahlenden Bezüge in voller Höhe als einbehalten gelten, wobei die Einleitungsbehörde zur Vermeidung besonderer Härten die Einbehaltung jedoch anderweitig regeln kann, ist in Rechtslehre und Rechtsprechung äußerst umstritten. Auf Grund eines Vorlagebeschlusses hat jedoch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 16. 10. 57 — 1 Bvl. 13/56 u. 43/56 — entschieden, daß das Gesetz mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 4 GG nicht im Widerspruch steht und somit nicht verfassungswidrig ist. 3 R e u ß , Die Bundesdisziplinarordnung in JR 1953 S. 8 1 ; R ö m e r , Bundesdisziplinarordnung i n N J W 1953S.41 ; derselbe,Bemerkungen zurBundesdisziplinarordnung—Vergleiche mit der Reichsdienststrafordnung in NDBZ 1953 S. 1 ; M a n n h e i m e r , Grundregeln des neuen Bundesdisziplinarrechtes in J Z 1954 S. 114 und S. 184.
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Die Bundesdisziplinarordnung ist durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der in einzelnen Verwaltungszweigen des Landes Berlin beschäftigten Personen vom 26. 4. 57 (BGBl. I S. 397) auf die Rechtsverhältnisse der Beamten im Dienstbereich der Landespostdirektion Berlin und der Zoll- und Verbrauchsverwaltung einschließlich der Monopolverwaltung für Branntwein und des Devisenüberwachungsdienstes sowie der Sondervermögens- und Bauverwaltung des Landesfinanzamts Berlin sinngemäß anzuwenden, ohne daß sie in dem Gesetz ausdrücklich bezeichnet ist. Im förmlichen Disziplinarverfahren sind nach § 4 a.a.O. die Bundesdisziplinargerichte und der Bundesdisziplinaranwalt zuständig. Durch das Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts — Beamtenrechtsrahmengesetz — vom 1. 7. 57 (BGBl. I S. 523) ist u. a. der § 15 Abs. 2 der BDO geändert worden. Die Zuständigkeit der Bundesdisziplinargerichte in den Fällen der §§73 Abs. 2, 163 und 165 Abs. 3 BBG ist nach der Ansicht des Bundesdisziplinarliofs4 von der Vorschrift des § 126 BRRG unberührt geblieben, obgleich nach dem inzwischen außer Kraft gesetzten Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 8. 1. 58 — II 1 — 21 283 — 630/57 — (GMB1. S. 56 und MinBIFin. S. 214s) in den Fällen der §§73 Abs. 2, 163 und 165 Abs. 3 BBG nicht mehr die Disziplinargerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Soweit das Landesdisziplinarrecht nach Inkrafttreten des BRRG eine Neukodifizierung vorgenommen hat, verharrt es weiterhin bei dem vom Bundesdisziplinarhof eingenommenen Standpunkt, wonach in den oben genannten Fällen die Zuständigkeit der Disziplinargerichte begründet bleibt6. Durch das 2. Gesetz zur Änderung des G 131 vom 11. 9. 57 (BGBl. I S. 1275) hat § 9 G 131 wesentliche Änderungen erfahren. Durch Art. VI des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 21. 8. 61 (BGBl. I S. 1361) ist in die BDO der § 103 a eingefügt, wonach bei den Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße die Disziplinarstrafe aus den Personalakten des Beamten zu tilgen ist, wenn sich der Bestrafte nach Verhängung der Strafe ununterbrochen drei Jahre hindurch einwandfrei geführt hat. Die Neufassung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen vom 21. 8. 61 (BGBl. I S. 882) bedingte auch hinsichtlich der Disziplinarverfahren gegen die in diesem Gesetz genannten Personen Abweichungen gegenüber dem bisherigen Recht, indem ζ. B. der Begriff des Beamten zur Wiederverwendung weggefallen ist. Dies machte die Neufassung der 4. DVO zu diesem Gesetz vom 4. 6. 62 (BGBl. I S. 553) erforderlich. Das Deutsche Richtergesetz vom 8. 9. 61 (BGBl. I S. 1665)7 unterstellt die Richter, die Mitglieder des Bundesrechnungshofes und die Staatsanwälte, soweit sie im Bundesdienst stehen, im 2. Teil in den § § 6 1 bis 63 auch in disziplinarrechtlicher Hinsicht diesem Gesetz, so daß die §§ 108 und 110 BDO gegenstandslos geworden sind. BDH 12. 3. 58 — I DB 2/58 — Lindgen Teil IV Nr. 221. Abgedruckt in Lindgen Teil II Nr. 13 f. β Vgl. § 113 der DONW und § 119 Abs. 1 NDO. ' Abgedruckt in Lindgen Teil II Nr. 13 e.
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Durch das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 25.1. 62 — II A 1 21—263 — 352/61 (GMB1. 1962 S. 120)8 sind die in der Beamtenschaft auftauchenden Unklarheiten über die Annahme von Belohnungen und Geschenken weitgehend beseitigt worden. Durch Art. VI 3. BRÄG ist in § 1 Abs. 2 BDO der § 143 BBG gestrichen, weil er gegenstandslos geworden ist. Im Hinblick auf die versorgungsrechtlichen Änderungen ist § 64 Abs. 4 bis 6 BDO neugefaßt worden. In einer von der Bundesregierung am 11. 5. 65 dem Bundestag vorgelegten Novelle zur BDO — BT Drucks. IV/3386 — wird das bisherige Recht erheblich geändert. Den wichtigsten Anlaß für eine Novellierung stellen die geltenden Bestimmungen über den Unterhaltsbeitrag dar. Das Arbeiterversicherungs- und das Angestelltenversicherungsneuregelungsgesetz vom 23. 2. 57 (BGBl. I S. 45 uns S. 88) haben in § 1232 ArVNG und § 9 AnVNG das Recht der Nachversicherung für das Bundesgebiet einheitlich geregelt. Da nunmehr auch im Wege des Disziplinarverfahrens ausgeschiedene Beamte nachzuversichern sind, haben sich bei der Anwendung des § 64 BDO Unzuträglichkeiten ergeben, indem der Beamte, der mangels Würdigkeit keinen Unterhaltsbeitrag erhalten kann, infolge der Nachversicherung im allgemeinen wirtschaftlich besser gestellt war, als der Beamte, dessen dienstlichen Verfehlungen nicht so schwerwiegend waren und dessen sonstige Haltung immerhin so einwandfrei war, daß ihm die Würdigkeit nicht abgesprochen werden konnte, so daß ihm ein Unterhaltsbeitrag zu bewilligen war, dessen Höhe ihm aber nur einen notdürftigen Lebensunterhalt sichern konnte. Aus diesem Grunde erweist sich eine Reform des Disziplinarrechts zumindest insoweit als notwendig, als § 64 BDO im Interesse der Gerechtigkeit eine wesentliche Umgestaltung erfahren muß. Den Beschuldigten, bei denen auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen ist, soll unter der Voraussetzung der Würdigkeit und Bedürftigkeit nur ein zeitlich befristeter Unterhaltsbeitrag bewilligt werden, um ihnen die Nachversicherung, die bei der Bewilligung eines lebenslänglichen Unterhaltsbeitrages entfällt, nicht zu verschließen, die im allgemeinen dem Beschuldigten eine bessere Versorgung als ein Unterhaltsbeitrag ermöglicht. Wenn die mildere Beurteilung der Tat als Grundvoraussetzung in § 64 BDO i. d. F. der Novelle nicht mehr aufgenommen wird, so stellt dies keine Neuerung dar, weil dieselbe nur ein Unterfall der Nichtunwürdigkeit ist. Einen weiteren Anlaß zu einer Novellierung des seit dem Änderungsgesetz vom 28. 11. 52 geltenden Disziplinarrechts soll die teilweise Beseitigung der bisherigen Priorität des Strafverfahrens geben. In den Fällen, in denen die Aufklärung des Sachverhalts bereits zur Zeit der Anklageerhebung im Strafverfahren als gesichert erscheint, glaubt man es verantworten zu können, das Disziplinarverfahren trotz Erhebung der öffentlichen Anklage unter bestimmten Voraussetzungen fortsetzen zu können, was dazu führen muß, dem pflichtvergessenen Beamten Bezüge aus den öffentlichen Kassen nicht mehr über eine ungebührlich lange Zeit zu sichern. Aus diesem Grunde beabsichtigt man § 13 Abs. 1 BDO in dem Sinne zu ändern, daß das Disziplinarverfahren nunmehr auch bereits vor Abschluß des gegenstandsgleichen 8
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Disziplinarverfahrens durchgeführt werden kann (vgl. § 13 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Eine weitere Beeinträchtigung der Aufrechterhaltung der Dienstzucht sieht man in der in § 13 Abs. 2 BDO vorgesehenen Bindung der Disziplinarorgane an den strafgerichtlichen Freispruch ; hier hält man eine völlige Beseitigung dieser Bestimmung für notwendig. Neben einer Änderung des geltenden Disziplinarrechts in diesen beiden angeführten wichtigen Punkten sind weitere Neuerungen vorgesehen, die auf Grund gewonnener Erfahrungen notwendig oder zweckmäßig sind. Hierzu gehören a) eine Erweiterung des Bestrafungsverbots durch Einbeziehung der mittleren Disziplinarstrafen, die nur durch das Disziplinargericht verhängt werden können, b) eine Änderung des Strafenkatalogs durch die Einführung der neuen Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts, c) eine Änderung der Organisation der Disziplinargerichte und d) eine Verstärkung des Rechtsschutzes des Beschuldigten. An Stelle der bisher 14 selbständigen Bundesdisziplinarkammern soll ein Bundesdisziplinargericht errichtet werden, das mehrere Kammern mit örtlichem Zuständigkeitsbereich haben soll, die künftig nicht mehr selbständige Gerichte sind. Wenn auch nach § 41 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F.ÄndGes 1952 der Bundesdisziplinarhof beim Bundesverwaltungsgericht errichtet ist, besteht zwischen diesen beiden Gerichten tatsächlich weder eine sachliche noch eine organisatorische Verbindung. Vielmehr ist der Bundesdisziplinarhof bisher ein selbständiges letztinstanzliches Gericht des Bundes. Die bisher bestehenden Meinungsverschiedenheiten über seine rechtliche Stellung sollen nach der Novelle dadurch beseitigt werden, daß nach Art. I Nr. 49 und 50 der Novelle die §§41 und 42 BDO i.d.F. AndGes 1952 gestrichen und nach Art. II § 7 der Novelle §§10 und 11 VerwGO geändert und § I I a VerwGO neu eingefügt werden sollen. Hiernach wird der Bundesdisziplinarhof mit dem Bundesverwaltungsgericht zu einem Gericht zusammengelegt; beim Bundesverwaltungsgericht werden auf Grund der Novelle zur BDO Verwaltungsrechtssenate, Beamtendisziplinarsenate und Wehrdienstsenate gebildet (§ 10 Abs. 2 Satz 1 VerwGO i.d.F. der Novelle zur BDO). Für die Besetzung der Beamtendisziplinarsenate gilt § 43 Abs. 1 BDO i.d.F. der Novelle (§ 10 Abs. 3 Satz 2 VerwGO i.d.F. der Novelle zur BDO). Nach § 11 Abs. 1 VerwGO i.d.F. der Novelle zur BDO wird beim Bundesverwaltungsgericht neben einem Großen Senat für Verwaltungsrechtssachen ein Großer Senat für Disziplinar- und Wehrbeschwerdesachen gebildet. Im Hinblick auf die organisatorische Änderung des zweitinstanzlichen Gerichts wird im nachfolgenden Text, soweit von diesem Gericht die Rede ist, die Bezeichnung „Bundesdisziplinarhof-Bundesverwaltungsgericht" gebraucht. Von Rahmenvorschriften sieht die Novelle zur BDO ab ; falls sie sich auf Grund der weiteren Rechtsentwicklung einmal als notwendig erweisen sollten, sollen sie einem besonderen Gesetz vorbehalten bleiben. 13
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Geschichtliche Entwicklung des Landesdisziplinarrechts nach 1945
§ 3. Geschichtliche Entwicklung des Landesdisziplinarrechts nach dem Zusammenbruch von 1945 Die einzelnen Länder haben nach dem Zusammenbruch das Disziplinarrecht für ihren Geltungsbereich selbständig geregelt, zumal die Bundesdisziplinarordnung auf Bundesebene die Reichs dienststrafOrdnung ersetzt hatte 1 . Im Interesse der Rechtseinheit ist es zu begrüßen, daß sämtliche Länderregelungen auf den Grundprinzipien der RDStO fußen und sich zum großen Teil die in dem Änderungsgesetz vom 28.11. 52 (BGBl. I S. 749) getroffenen Abweichungen von der RDStO zueigen gemacht haben. Soweit die Länderregelungen von den Vorschriften der BDO abweichen, wird bei der Behandlung der einschlägigen bundesrechtlichen Bestimmungen hingewiesen, so daß nachfolgend lediglich die jeweils geltenden Bestimmungen angeführt werden. 1. BADEN-WÜRTTEMBERG Bis zum 31. 8. 62 war die Rechtslage in Baden-Württemberg nicht einheitlich, da für den Bereich der früheren Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden das bis zum Zusammenschluß dieser Länder bestehende Recht im wesentlichen weiter bestehen blieb. Für den Bereich des früheren Landes Baden galt das Landesgesetz vom 13. 3. 48 über die vorläufige Regelung des Dienststrafrechts (RgBl. S. 153) mit den sich aus dem Gesetz vom 15. 3. 50 (GVB1. S. 123) ergebenden Änderungen. Für das Gnadenrecht kamen die Verordnung vom 19. 7. 46 (Amtsbl. S. 54), das Gesetz vom 7. 7. 48 (GVB1. S. 45) mit dem Änderungsgesetz vom 15. 3. 50 (GVB1 S. 123) in Betracht. Mit dem baden-württembergischen Gesetz sind die beim Oberlandesgericht Freiburg errichteten Dienststrafgerichte dem Oberlandesgericht Karlsruhe angegliedert. Für den Bereich des früheren Landes Württemberg-Hohenzollern galt die Dienststrafordnung vom 16. 12. 49 (RegBl. S. 19), die Verordnung über die Zuständigkeit des Dienststrafsenats beim Oberlandesgericht Tübingen vom 21. 6. 49 (RegBl. S. 233) und für das Gnadenrecht die Rechtsanordnung vom 6. 9. 54 (Amtsbl. S. 276). Durch das baden-württembergische Gesetz vom 1. 3. 54 (GBl. S. 30) wurde an Stelle des Oberlandesgerichts Tübingen das Dienststrafgericht dem Oberlandesgericht Stuttgart angegliedert. Im Bereich des früheren Landes Württemberg-Baden galt das Gesetz Nr. 153 vom 16. 2. 49 (RegBl. S. 19), die Verordnung Nr. 253 vom 24. 3. 49 des württemberg-badischen Justizministers zur Ausführung der DStO vom 16. 2. 49 (RegBl. S. 55), die Verordnung Nr. 258 vom 28. 4. 49 des württemberg-badischen Innenministers zur Durchführung der DStO vom 16. 2. 49 (RegBl. S. 80) und das Gesetz zur Änderung der Dienststrafordnung vom 2. 8. 51 (RegBl. S. 62). Durch die Landesdisziplinarordnung — LDO BW vom 1. 8. 62 (GBl. S. 141)2 ist für das gesamte Land Baden-Württemberg ein einheitlicher Rechtszustand geschaffen. Hierzu sind die VO der Landesregierung zur • 1 R e c k , Die Organisation der Disziplinargerichtsbarkeit in den deutschen Ländern in RiA 1957 S. 308; L i n d g e n , Vorschläge zur Novellierung der Bundesdisziplinarordnung — unter besonderer Berücksichtigung der landesrechtlichen Regelungen in DVBI. 1963 S. 10. 2 R e i f f , Neues Disziplinarrecht in Baden-Württemberg in D o V 1962 S. 841 ; S c h u l e r , Das neue Disziplinarrecht Baden-Württembergs in D D B 1962 S. 181.
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Bayern-Berlin
§3
Durchführung der LDO vom 20. 10. 64 (GVB1. S. 319) und die VO des Innenministers vom 11.1. 65 (GVB1. S. 6) erlassen worden, Für die Richter gilt das Landesrichtergesetz von Baden-Württemberg vom 25. 2. 64 (GVB1. S. 79). Π. BAYERN 3 Die bayerische Dienststrafordnung vom 20. 4. 48 — DStO Bayr — (GVOB1. S. 67) trat an die Stelle der RDStO. Sie wurde durch das 1. Änderungsgesetz vom 28. 4. 53 (GVOB1. S. 48) und das 2. Änderungsgesetz vom 26. 9. 53 (GVOB1. S. 175) ergänzt. Da mehrere Abweichungen von der RDStO sich nicht bewährt hatten, wurden diese unbefriedigenden Bestimmungen durch das 3. Änderungsgesetz vom 16. 8. 55 (GVOB1. S. 173) fallengelassen und die Dienststrafordnung weitgehend der BDO angeglichen. Durch die Bekanntmachung vom 28. 9. 55 (GVOB1. S. 207) wurde die Dienststrafordnung neugefaßt. Mit ihr ergingen eine Allgemeine Durchführungsverordnung vom 28. 9. 55 (GVOB1. S. 222) und für mehrere Dienstbereiche besondere Durchführungsverordnungen (GVOB1. S. 226 ff.). Auf Grund des Gesetzes über die kommunalen Wahlbeamten vom 10. 7., 62 (GVOB1. S. 223) ist die Dienststrafordnung auf Landräte, ihre Stellvertreter und Bürgermeister entsprechend anzuwenden. Bei Kommunalbeamten und Beamten der inneren Verwaltung ist zu beachten die VO zur Änderung der VO über die Anwendung der Dienststrafordnung auf Kommunalbeamte und der VO über Einleitungsbehörden bei förmlichen Dienststrafverfahren in der bayerischen inneren Verwaltung vom 7. 8. 61 mit Neufassung vom gleichen Tage in der Anlage (GVB1. S. 211). Durch Art. 223 des Bayerischen Beamtengesetzes vom 18. 7. 60 (GVB1. S. 161) sind Art. 1, 7 Abs. 2,16 Abs. 2,10 Abs. 3 Satz 1, 31a Abs. 1, 34 Abs. 2, Art. 37, 41 Abs. 1 Nr. 2, 41 Abs. 1 Nr. 2, 53 Abs. 1 Nr. 3, 80 Abs. 3 u n d 107 der Dienststraf Ordnung ergänzt b z w . geändert w o r -
den. Nach Art. 12 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung — AGVwGO — vom 28. 11. 60 — (GVB1. S. 266) sind die Art. 32 Abs. 1, 33 und 42 Abs. 1 Satz 1 der DStO geändert worden. Durch Art. 162 des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte vom 16. 6. 64 (GVB1. S. 113) sind die Art. 1, 4, 6,12,13, 30, 38, 53, 64 und 80 DStO Bayr. geändert oder ergänzt sowie die Art. 112a und 112b DStO Bayr. neu eingeführt worden. Für die Richter gilt seit dem 1.7. 65 das Bayerische Richtergesetz vom 26. 2. 65 (GVB1. S. 13). ΠΙ. BERLIN Bis zum 28. 2 63 galt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die das Land Berlin zum Dienstherrn haben, nach § 193 Abs. 2 Ziff. 9 des Landesbeamtengesetzes vom 26. 4. 58 (GVB1. S. 421) die Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37. Das Gesetz zur Ergänzung des Dienststrafrechts für Beamte vom 24. 5. 56 (GVB1. S. 537) i.d.F. des Art. IX des Zweiten Landesbeamtenrechtsänderungsgesetzes vom 30. 1. 58 (GVB1. S. 130) befaßte sich mit der Wiederaufnahme politisch beeinflußter Dienststrafverfahren und der Anwendung der RDStO auf die Personen, die unter das G 131 fallen und 3 Wenzel, Die Geschichte des Dienststrafrechts — unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsentwicklung in Bayern; Wenzel, Änderungen des Dienststrafrechts in Bayern in ZBR 1956 S. 17; Wenzel, Das Dienststrafrecht in Bayern, Verlag Boorberg München.
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§3
Geschichtliche Entwicklung des Landesdisziplinarrechts nach 1945
zu deren Unterbringung und Versorgung das Land Berlin verpflichtet ist; außerdem paßte dieses Gesetz die RDStO in verschiedenen Punkten an die Bundesdisziplinarordnung -— BDO — an. Nach § 3 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. 3. 60 (GVB1. S. 269) werden die Aufgaben der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Beamten und Ruhestandsbeamten sowie die daselbst weiter aufgeführten Personen den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragen; in Dienststrafsachen regelten sich die Besetzung der Verwaltungsgerichte und das Verfahren nach der RDStO und Abschn. II des o.a. Ergänzungsgesetzes vom 24. 5. 56 in den jeweils geltenden Fassungen (§ 3 Satz 2 a.a.O.). An die Stellen der Dienststrafkammern trat das Verwaltungsgericht Berlin und an die Stelle des Dienststrafsenats das Oberverwaltungsgericht Berlin (§ 3 Satz 3 a.a.O.). Die RDStO i.d.F. der §§ 193 und 194 des o.a. Landesbeamtengesetzes und des § 7 des o. a. Gesetzes zur Ergänzung des Dienststrafrechts ist seit dem 1. 3. 63 durch die Landesdisziplinarordnung — LDO Bln. — vom 22.1. 63 (GVB1. S. 149) ersetzt (§§ 119, 121 LDO) 4 . Durch §116 LDO sind § 3 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 des o.a. Gesetzes zur Ergänzung des Dienststrafrechts geändert und § 3 Abs. 2 a.a.O. gestrichen worden. Durch § 117 LDO ist § 3 Satz 3 des o.a. Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung gestrichen worden, der nunmehr in § 35 Abs. 1 LDO enthalten ist. Die DVO vom 22. 8. 64 (GVB1. S. 940) stimmt weitgehend mit der DVO zur BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 überein; sie bringt eine eingehende Regelung der Tilgung der Disziplinarstrafen und sonstiger Maßnahmen aus den Personalakten. IV. BREMEN Für das Land Bremen gilt seit dem 8. 11. 48 die Bremische Dienststrafordnung vom 25. 10. 48 (GBl. S. 209). Durch das Gesetz vom 17. 1. 50 (GBl. S. 16) ist dem § 115 DStO Brm. ein Abs. 2 hinzugefügt worden. Durch das Gesetz vom 15. 5. 51 (GBl. S. 64) ist § 107 Satz 1 DStO Brm. dahingehend geändert worden, daß gegen einen Beamten auf Widerruf ein Dienststrafverfahren wohl nicht stattfindet, daß er aber gegen den Erlaß einer Dienstverfügung Antrag auf Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens stellen kann. Mit Gesetz vom 20. 12. 55 (GBl. S. 160) sind die §§ 19, 108 Abs. 1 und § 109 geändert worden. Weitere Änderungen bedingte das Bremer Beamtengesetz vom 16. 7. 57 (GBl. S. 91) i.d.F. vom 3. 9. 63 (GBl. S. 166). Durch Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 15. 3. 60 (GBl. S. 25) wurde festgelegt, daß die Dienststrafgerichte bei den Verwaltungsgerichten errichtet werden. Für die Besetzung der Disziplinargerichte und für das Veifahren vor diesen Gerichten gilt die Bremische Dienststrafordnung in der jeweils geltenden Fassung. Das Gnadenrecht ergibt sich aus Art. 121 Abs. 1 der Landesverfassung von Bremen vom 21.10. 47 (GBl. S. 251) und der Anordnung des Senats über die Ausübung des Begnadigungsrechts vom 4. 11. 58 (GBl. S. 87). Für die Richter und Staatsanwälte gilt das Bremische Richtergesetz vom 15.12.64 (GBl. S. 187), das am 1.1.65 in Kraft getreten ist. 4 L i n d g e n , Abweichungen der Berliner Landesdisziplinarordnung vom Bundesdisziplinarrecht in RiA 1963 S. 97.
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Hamburg
§3
V. HAMBURG Nach der Kapitulation vom 8. 5. 45 hob die britische Militärregierung die Dienststrafgerichte auf. Am 14. 9. 46 erließ der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts die VO über die Wiedereröffnung der Dienststrafkammer beim Oberlandesgericht. Durch die VO der Militärregierung Nr. 154 wurde die Möglichkeit für die Wiederingangsetzung der Disziplinargerichtsbarkeit auch für nichtrichterliche Beamte geschaffen. Auf Grund dieser Ermächtigung ergingen das Gesetz über die Wiederaufnahme der Dienststrafgerichtsbarkeit vom 17. 2. 49 und die DVO hierzu vom 25. 3. 49, wonach die bisherigen Bestimmungen der RDStO mit den hierzu erlassenen DVn und AVn in der Fassung in Kraft traten, die sich auf Grund der Neuregelung der staatsrechtlichen Verhältnisse ergab. Nach Inkrafttreten des ÄndGes. vom 28. 11. 52 für die Bundesbeamten war auch für die Hansestadt Hamburg der Zeitpunkt für den Erlaß einer Disziplinarordnung gekommen, die sich eng an das nunmehr geltende Bundesrecht anlehnte, zumal die hamburgischen Disziplinargerichte darauf drängten, durch dem Bund angepaßtes Disziplinarrecht in ihrer Rechtsprechung elastischer zu werden. Aus diesem Grunde wurde am 16. 10. 57 die Hamburger Disziplinarordnung einstimmig verabschiedet5. Die Hamburger Disziplinarordnung gilt nunmehr in der Fassung vom 25. 7. 61 (GVB1. S. 249). Sie lehnt sich eng an die BDO an. Durch die DVO vom 15. 4. 58 (GVB1. S. 123) wird bestimmt, wer die dem Dienstvorgesetzten zustehenden Befugnisse für die Ruhestandsbeamten bei der Landesversicherungsanstalt der Freien und Hansestadt Hamburg, der Hamburger Feuerkasse, der Handelskammer und der Handwerkskammer Hamburg auszuüben hat; in der gleichen DVO wird weiterhin festgelegt, wer die der obersten Dienstbehörde zustehenden Befugnisse für die Beamten und Ruhestandsbeamten ausübt und wer als der obersten Dienstbehörde nachgeordneter Dienstvorgesetzter für die Beamten der eben genannten Behörden in Frage kommt. Die V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n zur DO Hmb. v o m 15. 4. 58, die nicht veröffentlicht worden sind, legen u.a. fest, wer als Dienstvorgesetzter im Sinne des § 24 Abs. 1 DO Hmb. gilt; weiterhin werden die Disziplinarbefugnisse im Sinne des § 24 Abs. 2 Nr. 3 DO Hmb. abgestuft. Die E r l ä u t e r u n g e n des P e r s o n a l a m t s zur DO Hmb. die gleichfalls nicht veröffentlicht sind, bringen nähere Ausführungen zu §§ 1, 6, 7, 7 a, 7b, 7c, 15a, 16, 19—26, 28, 35, 4 0 ^ 4 , 46, 47, 51, 53, 57, 80a, 82, 97a, 100— 102, 104a, 108 und 122 DO Hmb. Für die Löschung von Disziplinarstrafen in den Personalakten gilt nach den Erläuterungen des Personalamts Nr. 23 Abs. 7 der B e s t i m m u n g e n ü b e r die F ü h r u n g u n d V e r w a l t u n g der P e r s o n a l a k t e n i.d.F. v o m 18. 3. 58 — MittVw. 1958 S. 53 —. Für die Berufsrichter des Landes Hamburg gilt seit dem 1. 7. 64 das Hamburgische Richtergesetz — HmbRiG — vom 15. 6. 64 (GVB1. S. 109). Die Errichtung und Zuständigkeit der Richterdienstgerichte sind in §§ 43 ff. a.a.O. und das Disziplinarverfahren in §§ 54ff. a.a.O. geregelt. 5 Pillat, Die Hamburgische Disziplinarordnung — unter Berücksichtigung der Abweichungen von der Bundesdisziplinarordnung in ZBR 1958 S. 167.
2 L i n d g e i l , Disziplinarrecht I
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Geschichtliche Entwicklung des Landesdisziplinarrechts nach 1945
§3
VI. HESSEN Nach dem Zusammenbruch galten in Hessen die RDStO in modifizierter Form und die Vorschriften des HBG von 1946. Nachdem man sich aber überzeugt hatte, daß Rahmenvorschriften des Bundes in Kürze nicht zu erwarten waren, schuf man ein eigenes Disziplinargesetz, nämlich die Hessische Disziplinarordnung vom 21. 3. 62 — GVB1. Nr. 6 vom 22. 3 62, S. 145 —6. Sie ist nach § 138 HDO am 1. 4. 62 in Kraft getreten. Hierzu sind die VO über die Wahrnehmung der Disziplinarbefugnisse des Dienstvorgesetzten, des höheren Dienstvorgesetzten, der Einleitungsbehörde, der obersten Dienstbehörde in der staatlichen Polizei und der Beschwerdeweg vom 23. 4. 63 (GVB1. S. 63), die DVO zu § 110 HDO vom 18. 7. 63 (GVB1. S. 109), die VO über die Wahrnehmung der Obliegenheiten der obersten Dienstbehörde, des Dienstvorgesetzten und der Einleitungsbehörde gegenüber den Bediensteten der Gemeinden, Landkreise und des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (DAVO) vom 12. 9. 63 (GVB1. S. 137) und die VO über Disziplinarverfahren gegen Beamte der Land- und Forstwirtschaftskammern vom 20. 6. 63 (GVB1. S. 63) erlassen worden. Für ihren Bereich haben Ausführungsvorschriften der Kultusminister (St. Anz. 63 S. 531) und der Minister der Justiz (St. Anz. 63 S. 868) erlassen. Für die Richter kommt das Hessische Richtergesetz vom 19. 10. 62 (GVB1. Nr. 34 vom 30.10. 62 S. 455), das am 1.1. 63 in Kraft getreten ist, in Frage. Die §§ 49ff. a.a.O. regeln die Richterdienstgerichte und die §§ 60ff. das Disziplinarverfahren gegen Richter. V n . NIEDERSACHSEN Für den Bereich des Landes Niedersachsen galten zunächst das Ges. über die Wiederaufnahme der Dienststrafgerichtsbarkeit vom 20. 4. 55 (GVB1. S. 183) und die VO vom 18. 5. 55 (GVB1. S. 196). Seit dem 1. 4.1962 gilt die Niedersächsische Disziplinarordnung vom 13. 12. 61 (GVB1. Nr. 35 v. 14. 12. 61, S. 345)'. Mit der 1. D V O v o m 25. 4. 62 (GVB1. S. 42) erließ der Minister des Innern auf Grund der ihm in § 140 NDO verliehenen Ermächtigung Durchführungsvorschiften über die als Dienst- und Versorgungsbezüge anzusehenden Bezüge, die Disziplinarstrafen der Versagung des Aufsteigens im Gehalt, der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt sowie über die Vollstreckung der Disziplinarstrafen. Wer die Befugnisse als Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und Einleitungsbehörde bei Nichtgebietskörperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts in Disziplinarsachen wahrzunehmen hat, bestimmt in der 2. D V O v o m 30. 4. 62 (GVB1. S. 46) der Sozialminister für die Beamten der Landesversicherungsanstalt Hannover und Braunschweig, in der 3. D V O v o m 30. 4. 62 (GVB1. S. 46) der Minister für S c h m i d t , Die Hessische Disziplinarordnung in ZBR 1963 S. 10. B ü n g e r - B e c k e r , Dienststrafrecht im Lande Niedersachsen, Textausgabe, Verlag Schwartz & Co. in Göttingen; S c h u l z - K o f f k a , Zum Regierungsentwurf einer Niedersächsischen Landesdisziplinarordnung in ZBR 1960 S. 47; B r e i t h a u p t - Z o c h , Kommentar zur Niedersachsischen Disziplinarordnung, Verlag Schwartz in Göttingen, 849 S.; M e y e r D u l h e u e r , Niedersächsisches Disziplinarrecht nach der Niedersächsischen Disziplinarordnung vom 13. 12. 1961, Braunschweig 1964, 78 S. β
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Nordrhein-Westfalen
§3
Wirtschaft und Verkehr für die Beamten der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammern und in der 4. D V O v o m 28. 9. 62 (GVB1. S. 196) der Minister der Finanzen für die Beamten der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute und Versicherungsunternehmungen. Die auf Grund des § 127 NDO beruhende 5. D V O v o m 1. 10. 62 (GVB1. S. 196), geändert durch die ÄndVO vom 8. 4. 64 (GVB1. S. 82), bestimmt, wer in Disziplinarangelegenheiten der Polizeivollzugsbeamten die Befugnisse des Dienstvorgesetzten und der Einleitungsbehörde ausübt, und regelt den Beschwerdezug. Die niedersächsische Regelung schließt sich eng an die BDO an. Für die Richter gilt seit dem 1 . 1 . 1962 das Niedersächsische Richtergesetz vom 14. 12. 62 (GVB1. S. 265). Die §§ 50ff. a.a.O. behandeln die Richterdienststrafgerichte und die §§ 66 ff. a.a.O. das Disziplinarverfahren gegen Richter. Durch das Niedersächsische Richtergesetz ist § 128 der Niedersächsischen Disziplinarordnung, der sich mit den Disziplinarverfahren gegen Richter befaßte, aufgehoben. VHI. NORDRHEIN-WESTFALEN Für das Land Nordrhein-Westfalen kommen die Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen für Beamte und Richter vom 8. 12. 53 (GVOB1. S. 415)8 in der Fassung des § 1 Nr. 21 des Ersten Vereinfachungsgesetzes vom 23. 7. 57 (GVOB1. S. 189), des § 6 Satz 2 Nr. 3 des Landeszustellgesetzes vom 23. 7. 1957 (GVOB1. S. 213) und des § 51 des Sparkassengesetzes vom 7. 1. 58 (GVOB1. S. 5) sowie die VO zur Durchführung der DO NW für Beamte und Richter vom 11. 5. 54 (GVOB1. S. 233), die VO des Kultusministers NW zur Durchführung des § 32 Abs. 1 Buchstabe a und des § 120 DO NW vom 21. 6. 54 (GVOB1. S. 415), die VO des Innenministers NW zur Bestimmung der Einleitungsbehörde gemäßt § 32 Abs. 2 DO NW für die nicht wieder beschäftigten ehemaligen Polizeibeamten des Reichs, des früheren Landes Preußen und des früheren Landes Lippe vom 27. 8.54 (GVOB1. S. 305), die VO zur Bestimmung der Einleitungsbehörde gemäß § 32 Abs. 1 Buchstabe f DO NW für die an nichtstaatlichen öffentlichen Schulen tätigen beamteten Lehrpersonen, die der staatlichen Bestätigung bedürfen, vom 15. 10. 54 (GVOB1. S. 327) und die VO zur Bestimmung der Einleitungsbehörde für die nicht wieder beschäftigten ehemaligen Beamten der kommunalen Vollzugspolizei vom 29. 12. 54 (GVOB1. 1955 S. 5) in Frage. Durch Art. II des Gesetzes zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und der Disziplinarordnung vom 10. 4. 62 (GVOB1. S. 187) sind die §§ 1 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2, 18 Abs. 2 und 110 DO NW geändert worden. Nach Art. III Ziff. 2 sind der Innenminister und der Finanzminister ermächtigt worden, die DO NW in neuer Fassung und unter neuem Datum bekanntzumachen, die Paragraphenfolge neu zu ordnen und dabei Unstimmigkeiten des Wortlauts zu beseitigen. Dies ist durch die Bekanntmachung der Neufassung der Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen für Beamte und Richter vom 1. 6. 62 (GVB1. S. 305) geschehen. β G örg, Die Neuordnung des Landesdisziplinarrechts in Nordrhein-Westfalen in ZBR 1954 S. 76; Schütz, Das Disziplinarrecht Nordrhein-Westfalens, Handkommentar zur Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen — Heimatverlag E. u. W. Gieseking, Bielefeld, 1964; J ü l i c h e r , Das Disziplinarrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, Grundriß, Verlag R. Müller Köln, 1959.
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§3
Geschichtliche Entwicklung des Landesdiziplinarrechts nach 1945
IX. RHEINLAND-PFALZ Für das Land Rheinland-Pfalz kommen die Landesdisziplinarordnung vom 14.1. 57 (GVOB1. S. 3)9 nebst DVOen vom 18. 4. 57 (GVOB1. S. 82), vom 6. 6. 57 (GVOB1. S. 83) und vom 13. 6. 57 (GVOB1. S. 79) zur Anwendung. Vorher galt die RDStO ohne ein Einführungs-, Änderungs- oder Mantelgesetz formell unverändert fort. Materielle Änderungen nahm die Disziplinarrechtsprechung vor. Am 1. 1. 1959 ist die Disziplinarordnung für Richter vom 22.12. 58 (GVOB1.1959, S. 9) in Kraft getreten; sie ist wiederum durch das a m i . 1.63 in Kraft getretene Landesrichtergesetz für Rheinland-Pfalz vom 29.10.62 (GVB1. S. 159)10 außer Kraft gesetzt worden, das in § § 40 ff. die Richterdienststrafgerichte und in §§ 53 if. das Disziplinarverfahren gegen Richter behandelt. Das Landesrichtergesetz ändert weiterhin die § § 4 3 Abs. 3 und § 129 Abs. 1 LDO und hebt § 128 LDO auf. Außerhalb eines förmlichen Disziplinarverfahrens kann gegen Richter durch Disziplinarverfügung nur Warnung und Verweis ausgesprochen werden. Für die Einleitung und Einstellung des förmlichen Verfahrens, die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge ist das Dienstgericht zuständig. Im übrigen aber gilt in Disziplinarverfahren gegen Richter gem. § 53 a.a.O. die Landesdisziplinarordnung vom 14. 1. 57 (GVB1. S. 3). Auch in dieser Angleichung an das allgemeine Beamtenrecht zeigt sich die enge Berührung der Rechtsverhältnisse der Richter und der übrigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes. X. SAARLAND Für das Saarland gilt die Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37. Sie ist ergänzt und geändert worden durch: a) Gesetz Nr. 30 zur Änderung der RDStO vom 15. 7. 48 (Amtsblatt des Saarlandes S. 954), b) Gesetz Nr. 76, betr. die vorläufige Regelung der Dienststrafgerichtsbarkeit, vom 11. 2. 49 (Amtsblatt des Saarlandes S. 279), c) Ausführungsbestimmungen zum Gesetz Nr. 76 vom 27. 9. 51 (Amtsblatt des Saarlandes S. 1252), d) Gesetz Nr. 363 zur Änderung des Gesetzes Nr. 76 betr. die vorläufige Regelung der Dienststrafgerichtsbarkeit vom 11. 2. 49 (Amtsblatt des Saarlandes S. 185), e) Ausführungsbestimmungen zum Gesetz Nr. 76 i. d. F. des Gesetzes Nr. 363 vom 27. 2. 54 (Amtsblatt des Saarlandes S. 253), f) Gesetz Nr. 651 zur Änderung der RDStO vom 25. 11. 58 (Amtsblatt des Saarlandes S. 1531), g) Erlaß des Ministerpräsidenten betr. Geschäftsstellen der Dienststrafgerichte vom 8. 1. 63 (Amtsblatt des Saarlandes S. 27). 9 M ü l l e r - F l e c k - L a h m , Landesdisziplinarordnung für Rheinland-Pfalz, Deutscher Fachschriftenverlag Braun & Co., Mainz-Gonsenheim, 1957; D e C l e r k , Die neue Landesdisziplinarordnung von Rheinland-Pfalz in RiA 1957 S. 81; G r a b e n d o r f f , Neues Disziplinarrecht in Rheinland-Pfalz in ZBR 1957 S. 33; H e n t s c h e l , Neue Disziplinarordnung in Rheinland-Pfalz in DDB 1958 S. 5. 1 0 W e s t e n b e r g e r , Das neue Richterrecht in Rheinland-Pfalz in D R Z 1962 S. 407.
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Schleswig-Holstein
§3
Art. I des Gesetzes zur Änderung der RDStO vom 25. 11. 1958 hat aus der BDO den Strafkatalog des § 4 BDO, die nähere Regelung und Vollstreckungsmöglichkeiten bei den neueingeführten Strafen in §§ 7a bis c, -§ 102 Abs. 2 und 3 BDO, die hierdurch bedingte Änderung des § 11 Abs. 1 BDO, die Möglichkeit, gegen eine Disziplinarverfügung bzw. Beschwerdeentscheidung eine disziplinargerichtliche Entscheidung zu beantragen ( § 2 6 Abs. 4 und 5 BDO) und die hierdurch bedingte Einfügung des § 27 Abs. 1 BDO sowie die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Untersuchungsführers über die Ablehnung des Schriftführers Beschwerde an die Dienststrafkammer zu beantragen ( § 4 5 Abs. 2 BDO), übernommen. Im übrigen bleibt es bei den Regelungen der RDStO, insbesondere bei der Aufrechterhaltung der Institutionen des Vertreters der Einleitungsbehörde und des Vertreters der obersten Dienstbehörde. XI. SCHLESWIG-HOLSTEIN Für das Land Schleswig-Holstein gilt die Dienststrafordnung für Beamte vom 4. 5. 48 (GVOB1. S. 129) mit 1. ÄndGes. vom 30. 5. 50 (GVOB1. S. 198), 2. ÄndGes. vom 10. 8. 54 (GVOB1. S. 120), 3. ÄndGes. vom 14. 9. 60 (GVOB1. S. 159) nebst Bekanntmachung der Neufassung der Dienststrafordnung vom 14. 9. 60 (GVOB1. S. 160). Die 1. DVO v o m 4. 7. 49 (GVOB1. S. 156) befaßt sich mit allgemeinen Regelungen. Die 2. DVO v o m 31. 10. 62 (GVB1. S. 377), ergänzt durch die VO vom 24. 4. 63 (GVB1. S. 66) legt u. a. fest, wer im Bereich der Polizeiverwaltung als Dienstvorgesetzter anzusehen ist und welche Besoldungsgruppen zu den jeweiligen Laufbahnen gehören. Sie wurde geändert durch die VO zur Änderung der 2. DVO vom 26. 4. 63 (GVB1. S. 66). In § 1 Abs. 3 a. a. O. wird festgelegt, wer oberste Dienstbehörde für Polizeibeamte i. S. des § 29 Abs. 2 Ziff. der DStO ist; in § 1 Abs. 4 a.a.O. wird bestimmt, wer Dienstvorgesetzter i.S. des § 29 Abs. 2 Ziff. 3 der DStO ist. Die 3. D V O v o m 29. 10. 61 (GVB1. S. 165) regelt das Präsidium beim Dienststrafhof, die Geschäftsverteilung zwischen den Dienststrafsenaten und die Geschäftsstelle des Dienststrafhofs. Durch die Ergänzung des § 248 Landesbeamtengesetz vom 2. 1. 58 wurden wesentliche Bestimmungen der Dienststrafordnung an das Bundesdisziplinarrecht angepaßt. Mit Fragen der Gerichtsorganisation befaßt sich das G e s e t z ü b e r den S t a a t s v e r t r a g z w i s c h e n den L ä n d e r n N i e d e r s a c h s e n und S c h l e s w i g - H o l s t e i n ü b e r das Gemeinschaftliche Oberverwaltungsgericht und den G e m e i n s c h a f t l i c h e n D i e n s t s t r a f h o f f ü r die L ä n d e r N i e d e r s a c h s e n und S c h l e s w i g - H o l s t e i n v o m 2.1.56 (GVOB1. S. 1). Mit dem Gesetz über den Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages vom 8./15 11. 55 zwischen den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein über das gemeinschaftliche Oberverwaltungsgericht und den gemeinschaftlichen Dienststrafhof für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 8. 1. 62 (SchlHGVBl. Nr. 5 v. 23.1. 62, S. 85) wird dem am 23.9. 61 in Göttingen und am 9. 10. 61 in Kiel unterzeichneten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages vom 8./15. 11. 55 zwischen den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein zugestimmt.
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Disziplinarrecht in Mitteldeutschland
§ 4. Disziplinarrecht in Mitteldeutschland Da in Mitteldeutschland die Institution des Berufsbeamtentums abgeschafft ist, kann demnach von einer Disziplinarrechtspflege im herkömmlichen Sinne keine Rede sein. Trotzdem ist man auch dort bestrebt, eine disziplinare Ordnung für die Staatsbediensteten zu schaffen, die die Bezeichnung „Mitarbeiter der staatlichen Verwaltungsorgane" tragen. Ansätze zum Erlaß einer Disziplinarordnung findet man bereis Ende 1952. Sie sind jedoch erst in der Disziplinarordnung vom 10. 3. 55 (GBl. S. 217) verwirklicht worden. Dieser Disziplinarordnung unterliegen die Staatsbediensteten, zu denen die Mitarbeiter der zentralen und örtlichen Organe der staatlichen Verwaltung, der mit Haushaltsmitteln ausgestatteten Institutionen und Einrichtungen sowie der Verwaltung Volkseigener Betriebe ( W B ) und in den volkseigenen Betrieben u.a. die Leiter und Direktoren, die technischen und kaufmännischen Direktoren bzw. Leiter, Hauptbuchhalter und die Kaderleiter gehören. Bei der Unterwerfung unter das Disziplinarrecht ist entscheidend, daß es sich um ein Dienstverhältnis öffentlich-rechtlichen Charakters handelt. Die der Disziplinarordnung unterworfenen Personen treffen zusätzliche Verpflichtungen, die über die Verpflichtung der übrigen Staatsbürger hinausgehen. Abgesehen von den Pflichten, die jedem Träger der Staatsgewalt obliegen, wie die Amtsverschwiegenheitspflicht, die Verpflichtung zur Redlichkeit oder die Pflicht, sich nicht bestechen zu lassen, haben die Bediensteten des Staatsapparates der Sowjetzone „die Interessen der Macht der Arbeiter und Bauern jederzeit zu vertreten, die Macht zu festigen und zu schützen". Daneben haben sie sich „innerhalb und außerhalb ihrer dienstlichen Tätigkeit aktiv für die Verwirklichung der Ziele der Deutschen Demokratischen Republik einzusetzen, sich am gesellschaftlichen Leben vorbildlich zu beteiligen, die demokratische Gesetzlichkeit zu wahren, das Volkseigentum zu schützen, Achtsamkeit zu üben und feindliche Auffassungen und Handlungen jederzeit zu bekämpfen". In leichteren Fällen ist mit Verweis, Rüge, strenger Rüge, Versetzung in andere Funktion oder Zuweisung einer geringer entlohnten Beschäftigung bis zu einem Zeitraum von 8 Monaten, in schwereren Fällen mit Entziehung der Funktion bzw. fristloser Entlassung zu strafen. Die Disziplinarbefugnis, die im allgemeinen vom Leiter eines staatlichen Organs für den Personenkreis, für den er das Recht zu Einstellung und Entlassung hat, ausgeübt wird, ist bei den beiden schwersten Strafen an die Zustimmung des Ministers, des Leiters des Zentralen Organs der Regierung oder des Vorsitzenden des Rats des Bezirkes oder des Kreises gebunden. Wohl ist der einer Pflichtverletzung Verdächtige vor der Bestrafung zu hören, oder ihm ist Gelegenheit zu geben, sich in angemessener Frist schriftlich zu äußern; ihm steht jedoch gegen eine Bestrafung nicht der Rechtsweg vor den Gerichten zur Verfügung. Die fristlose Entlassung kann weder von den in Arbeitsstreitigkeiten zuständigen Konfliktskommissionen noch von den Arbeitsgerichten einer Nachprüfung unterzogen werden, weil es sich bei diesen Maßnahmen des Disziplinarbefugten um einen nicht justiziablen Verwaltungsakt handelt. Die Beschwerde, die dem Staatsbediensteten zusteht, ist lediglich eine Dienstaufsichtsbeschwerde, über die der nächsthöhere Disziplinarbefugte entscheidet. Soweit ein höherer Dienstvorgesetzter nicht vorhanden ist, scheidet auch die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde aus. 22
Allgemeines
§5
Lediglich die Richter werden auf Grund der Disziplinarordnung für Richter vom 19. 3. 53 (GBl. S. 467) von einem Disziplinarausschuß, der beim Obersten Gericht und den Bezirksgerichten zu bilden ist, zur Verantwortung gezogen. Hierbei ist ein förmliches Verfahren (Einleitung des Verfahrens, fakultatives Ermittlungsverfahren, Disziplinarverhandlung) einzuhalten. Jedoch können die Richter auch in dem sog. Abberufungsverfahren von der Volkskammer bzw. den Landesregierungen unter bestimmten Voraussetzungen abberufen werden, wobei diesem Verfahren gegenüber dem Disziplinarverfahren der Vorzug zu geben ist. Im übrigen kommen bei Richtern als Disziplinarstrafen nur der Verweis, die Rüge und die strenge Rüge in Frage. Schließlich kommt den Hochschullehrern eine Sonderstellung zu, die unter eine besondere Anordnung über die disziplinarische Verantwortlichkeit der Hochschullehrer fallen, für die eine gesetzliche Grundlage nicht vorhanden ist. Bei Hochschullehrern kommen als Disziplinarstrafen der Verweis, die Rüge, die strenge Rüge und die fristlose Entlassung in Eetracht, die von den Disziplinarausschüssen bei den Universitäten beziehungsweise dem Disziplinarausschuß beim Staatssekretariat für Hochschulwesen verhängt werden können.
§ 5. Prinzipien des Disziplinarrechts I. A L L G E M E I N E S Das Disziplinarrecht bezweckt die Reinerhaltung des Beamtentums, indem es den pflichtvergessenen Beamten durch die Disziplinarstrafe in minder schweren Fällen zu einem beamtenmäßigen Verhalten erzieht und in schwerwiegenden Fällen, in denen der Beamte das Vertrauen zu seinem Dienstherrn für immer zerstört hat, aus der Beamtenschaft im Wege der Dienstentfernung ausstößt. Es dient somit ausschließlich dem öffentlichen Interesse. Insoweit gleicht es dem Strafrecht, das ebenfalls im öffentlichen Interesse eine Sühne für begangenes Unrecht verlangt und die Allgemeinheit vor dem Rechtsbrecher schützt. Im Hinblick darauf, daß Straf- und Disziplinarverfahren dem öffentlichen Interesse dienen, ähneln sie sich stark, was so weit geht, daß die Bestimmungen der StPO sinngemäß im Disziplinarrecht anzuwenden sind, soweit sie nicht der Eigenart des Disziplinarverfahrens entgegenstehen (vgl. § 20 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 23 LDO BW, Art. 21 StO Bayr, § 23 L D O Bln., § 20 DO Hmb., § 20 SDtO Brm., § 21 HDO, § 25 NDO, § 23 DO NW, § 23 L D O Rh.-Pf., § 20 DStO Saar und § 25 DStO Schl.-Hol.). Dies gilt vor allem für die Pflicht der Wahrheitserforschung, weil die Erforschung und Feststellung der materiellen Wahrheit im Gegensatz zum zivilrechtlichen Verfahren im öffentlichen Interesse nicht dem Beschuldigten oder dem Dienstvorgesetzten bzw. der Einleitungsbehörde oder dem Bundesdisziplinaranwalt überlassen werden kann, sondern allein durch das Gericht von Amts wegen geschehen muß. Trotz weitgehender Verwandtschaft zwischen Strafverfahrens- und dem Disziplinarrecht weichen beide Rechtsgebiete jedoch in grundsätzlichen Prinzipien voneinander ab, was sich zum Teil aus der geschichtlichen Entwicklung, wie beim Prinzip der Mittelbarkeit, zum Teil aus der Eigenart des Disziplinarverfahrens, wie z.B. beim Prinzip der NichtÖffentlichkeit der Haupt23
§5
Prinzipien des Disziplinarrechts
Verhandlung, erklärt. Gleichgelagerte Prinzipien ergeben sich aus allgemeinen rechtsstaatlichen Auffassungen, wie ζ. B. das Prinzip des rechtlichen Gehörs, wonach gemäß Art. 103 Abs. 1 G G vor Gericht jedermann Anspruch hat, gehört zu werden. Die Macht des verfolgenden Dienstherrn bei der Aufrechterhaltung der Dienstzucht und das Schutzbedürfnis des Beschuldigten bei der Verteidigung seiner Rechtsposition werden einen Ausgleich bei zwei widerstreitenden Prinzipien, wie z.B. beim Akkusations- und dem Offizialprinzip oder beim Legalitäts- und dem Opportunitätsprinzip, erheischen, so daß man im Disziplinarrecht in den meisten Fällen keine konsequente Durchführung eines bestimmten Prinzips, sondern eine Mischung zwischen zwei sich widersprechenden Prinzipien vorfindet, was in gleicher Weise auch für das Strafverfahrensrecht gilt. Die Bedürfnisse des täglichen Lebens können es sogar mit sich bringen, daß ein Prinzip, wie z.B. das im Disziplinarrecht bestehende Opportunitätsprinzip zugunsten des Legalitätsprinzips, weitgehend aufgegeben wird, wie andererseits im Strafverfahren über § 153 StPO die Rechtshandhabung eine weitgehende Auflockerung des Legalitätsprinzips herbeiführen kann. Andere Prinzipien, wie das Prinzip der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit des Verfahrens, können in den einzelnen Disziplinargesetzen eine verschiedenartige Ausgestaltung erfahren. II. AKKUSATIONSPRINZIP U N D OFFIZIALPRINZIP A. Begriff und Entwicklung zum Akkusationsprinzip Man unterscheidet im Verfahrensrecht zwischen Akkusationsprinzip, wonach der Richter nur auf eine Anklage hin einschreitet, und dem Offizialprinzip, auf Grund dessen das Gericht von Amts wegen einschreitet, indem es begangenes Unrecht verfolgt und zugleich darüber richtet. Das Disziplinarrecht folgte den im Laufe des 19. Jahrhunderts im reformierten Strafverfahrensrecht vorherrschenden Strömungen, die Aufgabe des Einschreitens und Ermitteins einem besonderen Organ übertrugen, nur sehr vorsichtig. Wenn auch im geltenden Recht die Trennung zwischen der verfolgenden und richterlichen Tätigkeit nur bei den schwereren Dienstvergehen durchgeführt ist, so hat man sich bis jetzt noch nicht dazu entschließen können, die verfolgende Tätigkeit einem besonderen, dem Staatsanwalt zu vergleichenden Organ zu übertragen, sondern überläßt die Verfolgung dem Dienstvorgesetzten bzw. der Einleitungsbehörde, der der Beschuldigte angehört. Andererseits ist im Disziplinarrecht die Trennung zwischen Akkusations- und Offizialprinzip ganz konsequent durchgeführt, indem die ermittelnde Tätigkeit im wesentlichen dem Dienstvorgesetzten bzw. dem von ihm beauftragten Ermittlungsführer und dem Untersuchungsführer, der von der Einleitungsbehörde ernannt wird und so der Dienstbehörde näher als dem Disziplinargericht steht, übertragen ist und das Disziplinargericht nur ergänzend Ermittlungen durchführt. Das Disziplinargericht ist aus der untersuchenden Tätigkeit im wesentlichen verdrängt und darauf beschränkt, die vom Bundesdisziplinaranwalt im Bundesrecht und von dem Vertreter der Einleitungsbehörde im Landesrecht herangetragenen Anschuldigungspunkte mit den vom Dienstvorgesetzten bzw. dem Untersuchungsführer erhobenen Beweisen zu beurteilen. Die Untersuchung des Disziplinarverfahrens geht weiter als 24
Akkusationsprinzip und Offizialprinzip
§5
die strafgerichtliche Voruntersuchung. Während nach letzterer die Sachaufklärung lediglich vorbereitet werden soll, wird in ersterer die Sachaufklärung abschließend getroffen, was sogar soweit geht, daß das Disziplinargericht die Anschuldigungsschrift an den Bundesdisziplinaranwalt bzw. den Vertreter der Einleitungsbehörde zurückgeben kann, wenn darin Tatsachen verwertet worden sind, zu denen sich der Beschuldigte weder in den Vorermittlungen noch in der Untersuchung äußern konnte. B. Akkusationsprinzip im förmlichen Disziplinarverfahren Im förmlichen Disziplinarverfahren gilt das Akkusationsprinzip. Das förmliche Disziplinarverfahren wird im Bundesbereich mit dem Eingang der Anschuldigungsschrift, deren Fertigung dem Bundesdisziplinaranwalt obliegt, beim Bundesdisziplinargericht anhängig (vgl. § 53 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 52a BDO i. d. F. der Novelle). Im Bundesdisziplinarrecht ist das Akkusationsprinzip am weitesten durchgeführt, indem hier die Fertigung der Anschuldigungsschrift einem Organ obliegt, das selbständig und von der Einleitungsbehörde unabhängig ist. Andererseits ist zu beachten, daß die Anschuldigungspunkte erst von der Einleitungsbehörde an den Bundesdisziplinaranwalt herangetragen werden und daß die Sachaufklärung dem Dienstvorgesetzten bzw. dem von ihm benannten Ermittlungsführer und erforderlichenfalls dem Untersuchungsführer obliegt, der nicht vom Bundesdisziplinaranwalt, sondern von der Einleitungsbehörde ernannt wird. Aufgabe des Bundesdisziplinaranwalts ist es lediglich, nach Übersendung des Untersuchungsergebnisses darüber zu befinden, ob die Anschuldigungspunkte vollzählig vorgetragen und darüber Beweise erhoben sind ; im übrigen beschränkt sich seine weitere Tätigkeit, darauf zu achten, ob im bisherigen Verfahren sämtliche notwendigen Formvorschriften eingehalten sind, da er andernfalls mit einer Rückgabe der Anschuldigungsschrift durch das Disziplinargericht zu rechnen hat. Im Länderdisziplinarrecht wird die Anschuldigungsschrift dem Disziplinargericht nicht durch den Bundesdisziplinaranwalt, sondern durch den Vertreter der Einleitungsbehörde vorgelegt (vgl. § 57 Abs. 1 LDO BW, Art. 54 DStO Bayr, § 53 Abs. 1 LDO Bln., § 53 Abs. 1 DStO Brm., § 53 Abs. 1 DO Hmb., § 58 Abs. 1 HDO, § 63 Abs. 1 NDO, § 59 Abs. 1 DO NW, § 61 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., § 53 Abs. 1 DStO-Saar und § 57 DStO Schl.-Hol.). Hier handelt es sich um ein Organ der Einleitungsbehörde; der Vertreter der Einleitungsbehörde ist nämlich verpflichtet, den Weisungen der Einleitungsbehörde nachzukommen, worauf in § 57 Abs. 1 LDO BW, Art. 54 Abs. 1 DStO Bayr., § 53 Abs. 1 DO Hmb., § 63 Abs. 1 NDO und § 57 Abs. 1 DStO Schl.Hol. sogar ausdrücklich hingewiesen wird. Auch hier ist das Akkusationsprinzip durchgeführt, obgleich die Fertigung der Anschuldigungsschrift nicht einem besonderen Organ übertragen ist. C. Offizialprinzip im Disziplinarverfügungsverfahren Im Disziplinarverfahren des Dienstvorgesetzten gilt das Offizialverfahren. Die Disziplinarverfügung wird nämlich vom Dienstvorgesetzten erlassen, ohne daß er erst auf eine Anklage hin einschreitet. Er vereinigt in sich die Verfolgung und die Ahndung eines Dienstvergehens. Bei hinreichendem Verdacht 25
§ 5
Prinzipien des Disziplinarrechts
eines Dienstvergehens leitet er die Vorermittlungen ein und erkennt nach deren Abschluß auf eine Disziplinarstrafe, sofern er nach den von ihm oder einem von ihm beauftragten Beamten vorgenommenen Ermittlungen den Beschuldigten eines Dienstvergehens als überführt ansieht. Das Disziplinarverfügungsverfahren, das die Verfolgung und Ahndung eines Dienstvergehens in einer Hand vorsieht, müßte reststaatlichen Bedenken begegnen, wenn der Dienstvorgesetzte, der nächsthöhere Dienstvorgesetzte und schließlich die oberste Dienstbehörde in letzter Instanz als Verwaltungsorgane über ein Dienstvergehen endgültig entscheiden könnten. Nach sämtlichen Disziplinargesetzen ist jedoch dem Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt, gegen die Entscheidung der obersten Dienstbehörde eine Entscheidung des Disziplinargerichts herbeizuführen, so daß hiermit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Forderungen auf Rechtsschutz vor einem Gericht im Falle einer Beeinträchtigung durch die öffentliche Gewalt Genüge getan ist (vgl. § 26 Abs. 4 u. 5 BDO, BDO i. d. F. der Novelle [hier Bundesdisziplinarkammer bzw. Bundesdisziplinargericht und Bundesdisziplinarhof bzw. Bundesverwaltungsgericht], § 29 Abs. 5 LDO BW [hier Disziplinarkammer], Art. 27 Abs. 3 u. 4 [hier Dienststrafkammer bzw. Dienststrafhof bei Dienststrafverfügungen und Beschwerdeentscheidungen der obersten Dienstbehörde], § 29 Abs. 3 LDO Bln. [hier die für Disziplinarsachen zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts], § 28 Abs. 4 u. 5 DO Hmb. [hier Disziplinarkammer bzw. Disziplinarhof bei Disziplinarverfügungen und Beschwerdeentscheidungen der obersten Dienstbehörde], § 27 Abs. 4 HDO [hier Disziplinarkammer], § 32 Abs. 3 NDO [hier Disziplinarkammer], § 29 Abs. 4 u. 5 DO NW [hier Disziplinarkammer bzw. Disziplinarsenat des OVG Münster bei Disziplinarverfügungen und Beschwerdeentscheidungen der obersten Dienstbehörde], § 29 Abs. 4 u. 5 LDO Rh.-Pf. [hier Disziplinarkammer bzw. Disziplinarhof bei Disziplinarverfügung oder Beschwerdeentscheidung der obersten Dienstbehörde], § 26 Abs. 4 u. 5 DStO Saar i. d. F. des Gesetzes Nr. 651 — ABl. S. 1531 — [hier Dienststrafkammer bzw. Dienststrafhof bei Disziplinarverfügung oder Beschwerdeentscheidung der obersten Dienstbehörde] und § 31 Abs. 3 DStO Schl.-Hol. [hier Dienststrafkammer]). ΠΙ. LEGALITÄTSPRINZIP UND OPPORTUNITÄTSPRINZIP A. Begriff Das Legalitätsprinzip bedeutet die Pflicht, begangenes Unrecht zu verfolgen, falls hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung bzw. ein Dienstvergehen vorliegen. Nach dem Opportunitätsprinzip1 steht es hingegen im Ermessen der Behörde, wegen einer strafbaren Handlung bzw. wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten. Das Einschreiten bedeutet zunächst einmal, daß bei einem hinreichenden Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines Dienstvergehens Ermittlungen angestellt werden; weiterhin ergibt sich hieraus die Verpflichtung, falls auf Grund der angestellten 1 S c h ü t z , Legalitätsprinzip-Opportunitätsprinzip — Strafanzeige(-antrag) in D ö D 1963 S. 105; G i l b e r t , Dienstvergehen und Opportunitätsprinzip in D D B I960 S. 123; T h i e l e , Legalitätsprinzip im Disziplinarrecht in DöV 19C0 S. 21.
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Legalitätsprinzip und Opportunitätsprinzip
§5
Ermittlungen eine strafbare Handlung bzw. eine dienstliche Verfehlung erwiesen ist, den Angeklagten bzw. Beschuldigten auch zu bestrafen. B. Legalitätsprinzip im Strafrecht Im Strafrecht herrscht das Legalitätsprinzip, indem nach § 152 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaft grundsätzlich verpflichtet ist, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten. Für die Polizei ergibt sich diese Verpflichtung aus § 163 StPO. Die Verpflichtung wegen einer strafbaren Handlung im Wege einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft einzuschreiten ergibt sich für den Dienstvorgesetzten nur dann, wenn er zum Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt ist. Im allgemeinen werden nicht der Vorgesetzte, sondern ein oder mehrere nachgeordnete Beamte, denen die Aufklärung strafbarer Handlungen innerhalb der Behörde obliegt, wie ζ. B. die Bezirkssicherungsbeamten der Deutschen Bundespost, zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt. Die Bestellung von Bundesbeamten zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft durch Landesbehörden ist nur zulässig, wenn der Bundesgesetzgeber die Ländesbehörden hierzu ausdrücklich ermächtigt, da § 152 GVG keine Ermächtigungsgrundlage darstellt. Deshalb kann nach § 29 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 52 die Bestellung von Verwaltungsangehörigen des Bundes zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft nur durch den Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister und dem zuständigen Landesjustizminister erfolgen 2 . Die Verpflichtung der ordnungsgemäß zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellten Beamten geht jedoch nur soweit, den Ermittlungsersuchen der Staatsanwaltschaft nachzukommen und im übrigen sämtliche ihnen im Dienst bekannt gewordenen strafbaren Handlungen aufzuklären. Falls ihnen durch allgemeine Dienstanweisung oder auf Grund eines besonderen Dienstbefehls des Dienstvorgesetzten aufgegeben ist, die strafbare Handlung dem Dienstvorgesetzten zu melden, damit die Strafanzeige von ihm erstattet werden kann, habert sie mit der Meldung ihrer Pflicht gegen eine strafbare Handlung einzuschreiten, Genüge getan. Ob der Dienstvorgesetzte nunmehr Strafanzeige erstattet, steht auch dann in seinem pflichtgemäßigen Ermessen, wenn ihm die Meldung einer strafbaren Handlung durch den nachgeordneten Beamten, der Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft ist, erstattet ist. Der Dienstvorgesetzte braucht die Meldung einer strafbaren Handlung durch einen nachgeordneten Beamten nicht allein unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten; würde man zu einer anderen Auffassung neigen, so würde er auch in seiner Ermessensfreiheit, wegen einer Pflichtwidrigkeit disziplinarisch einzuschreiten, eingeschränkt werden, da er nach Erstattung einer Strafanzeige kaum umhin kann, gegen den Beamten auch disziplinarisch einzuschreiten. Ganz allgemein ist es daher in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstvorgesetzten gestellt, wegen einer strafbaren Handlung eines Beamten, von der er dienstlich Kenntnis erhält, Strafanzeige zu erstatten3. Erstattet der Dienstvorgesetzte selbst dann keine Straf2 So auch F r a n z in NJW 1963 S. 1910; vgl. auch A d a m in NJW 1963 S. 1440 und H e r z i g in NJW 1963 S. 800. 3 S c h u t z a.a.O. S. 108; S c h ü t z in DöD 1959 S. 181; W e i m a r , Wann hat der Vorgesetzte Strafanzeige bei Straftaten Untergebener zu erstatten? in RiA 1964 S. 220; vgl. auch RGZ Bd. 134 S. 162.
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Prinzipien des Disziplinarrechts
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anzeige, wenn dies bei objektiver Würdigung des strafbaren Verhaltens des nachgeordneten Beamten das öffentliche Interesse erfordern würde, so macht er sich noch nicht allein deswegen wegen einer Begünstigung strafbar4. Anderes gilt nur dann, wenn die Abstandnahme von einer Strafanzeige sich als ein Ermessensmißbrauch des Dienstvorgesetzten darstellt, was z.B. dann der Fall ist, wenn er sich durch die Annahme eines Geschenks oder eines sonstigen Vorteils von der Erstattung einer Strafanzeige bei einer erheblichen strafbaren Handlung, die in gleichgelagerten Fällen stets zu einem strafrechtlichen Einschreiten geführt hat, abhalten läßt ; gleiches würde auch dann gelten, wenn der Dienstvorgesetzte gegen den nachgeordneten Beamten deshalb keine Strafanzeige erstattet, weil dieser ihn dadurch unter Druck gesetzt hat, daß er ihm angedroht hat, dienstliche Verfehlungen des Dienstvorgesetzten aufzudecken. Erst recht ergibt sich keine Verpflichtung zur Erstattung einer Strafanzeige für den Bundesdisziplinaranwalt und für das Disziplinargericht, da beide nur als Disziplinarorgane verpflichtet sind, für eine disziplinare Bestrafung des schuldigen Beamten zu sorgen5. An dieser Auffassung kann sich auch dadurch nichts ändern, daß dem Strafverfahren vor dem Disziplinarverfahren der Vorrang eingeräumt ist, weil sich dies im wesentlichen auf die Feststellung des Tatbestandes bezieht. Das Legalitätsprinzip der Staatsanwaltschaft ist durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen (vgl. z.B. § 152 Abs. 2,153 Abs. 3,153a Abs. 2,153b Abs. 3, 154, Abs. 2,154 Abs. 4 StPO). C. Geschichtliche Entwicklung des Opportunitätsprinzips im Disziplinarrecht Aus der Natur des Disziplinarrechts folgt, daß der Dienstvorgesetzte und die Einleitungsbehörde nur nach pflichtgemäßen Ermessen wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten haben. Dies ergibt sich vor allem daraus, daß es im Disziplinarrecht keine festumrissenen Tatbestände mit objektiven und subjektiven Merkmalen, sondern nur einen wandelbaren Würdigkeitsbegriff als sog. Generalklausel gibt und bei einem disziplinarischen Einschreiten auf die Gesamtpersönlichkeit des Beamten abzustellen ist. Es würde eine Überforderung der Disziplinargewalt des Dienstvorgesetzten bedeuten, wenn er schon bei den geringsten Verfehlungen, wie z.B. bei einem einmaligen Zuspätkommen zum Dienst, oder bei einem einmaligen Verstoß gegen eine unwesentliche Betriebsvorschrift einschreiten müßte. Überdies bezweckt das Disziplinarrecht nicht Sühne für begangenes Unrecht, sondern Aufrechterhaltung der Disziplin. Ob eine Disziplinarstrafe diesem Zweck dient, kann jedoch der Dienstvorgesetzte nur nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden. Bevor der Gesetzgeber erstmals in § 78 Abs. 2 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. 5. 1873 (RGBl. S. 61) das Opportunitätsprinzip gesetzlich verankert hatte, war dasselbe von den Dienstvorgesetzten bereits vorher gehandhabt worden. Nach § 78 Abs. 2 des Reichsbeamtengesetzes war dem Dienstvorgesetzten für den Fall einer strafgerichtlichen Verurteilung, die den Amtsverlust nicht automatisch herbeigeführt hatte, die Entscheidung vorbeS c h ü t z a.a. O. S. 109. S c h ü t z a. a. O. S. 1 0 9 ; R G Z B d . 134 S. 162 läßt die Beantwortung dieser Frage dahingestellt. 4
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halten, ob außer der Bestrafung durch das Strafgericht noch ein Disziplinarverfahren einzuleiten oder fortzuführen war. Auch nach § 14 des Entwurfs des Reichrats zur Reichsdienststrafordnung von 19316 sollte es sich nach dem dienstlichen Ermessen bestimmen, ob ein Dienststrafverfahren einzuleiten war, wobei auch auf das gesamte bisherige dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Beamten abgestellt werden sollte; dies sollte auf für den Fall gelten, daß ein Beamter wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden war. In Übereinstimmung mit den eben angeführten Entwürfen legte § 3 RDStO fest, daß die zuständige Behörde nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt, ob sie wegen eines Dienstvergehens nach diesem Gesetz einschreitet, wobei auch das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Beamten zu berücksichtigen ist. Dieser Ermessensgrundsatz galt bereits für die Erhebung von Vorermittlungen, die nur dann anzustellen waren, wenn der Dienstvorgesetzte ein Dienststrafverfahren für angezeigt hielt. In der amtlichen Begründung zu § 3 RDStO 7 wurde u.a. zum Ausdruck gebracht, daß die Entscheidung, ob wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten ist, in erster Linie von den Fragen abhängig ist, wie die pflichtwidrige Handlung bzw. das Unterlassen vom Gesichtspunkt der Erhaltung der Dienstzucht in der Beamtenschaft zu bewerten ist, ob ihre Nichtbefolgung innerhalb der Beamtenschaft selbst ungünstig wirkt und ob sie deren Ansehen nach außen schädigen kann. Zu prüfen ist auch, ob andere staatliche Rücksichten ein Einschreiten gebieten oder verbieten, wobei eine erschöpfende Aufzählung der für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte nicht möglich ist. Die nach dem Zusammenbruch von 1945 in Kraft getretenen Disziplinargesetze des Bundes und der Länder haben an dem Ermessensgrundsatz des § 3 RDStO hinsichtlich des disziplinarischen Einschreitens festgehalten. Es ist jedoch hinsichtlich der Einleitung von Vorermittlungen zugunsten des Legalitätsprinzips erstmals durch Ziff. 12a des ÄndGes. vom 28.11. 52 (BGBl. IS. 749) durchbrochen worden, indem nunmehr der Dienstvorgesetzte sogar verpflichtet ist, Ermittlungen zu veranlassen, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Die Begründung zu Nr. 21a ÄndGes.8 führt hierzu aus: „Die Änderung soll klarstellen, daß auf alle Fälle ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet werden muß und daß es nicht im Ermessen des Dienstvorgesetzten liegt, ob er ein Vorermittlungsverfahren einleiten will oder nicht." Die Novelle zur BDO hält am Ermessensgrundsatz im bisherigen Umfange fest, wobei lediglich § 3 Abs. 1 BDO zu § 3 BDO i. d. F. der Novelle wird. D. Durchführung des Opportunitätsprinzips Die zuständige Behörde bestimmt nach pflichtgemäßen Ermessen, ob wegen eines Dienstvergehens nach diesem Gesetz einzuschreiten ist ( § 3 Abs. 1 Satz 1 BDO § 3 BDO i.d.F. der Novelle). Sie hat dabei auch das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten zu berücksichtigen ( § 3 Abs. 1 Satz 2 β 7 8
Foerster-Simons 1932 S. 308. Reichsanzeiger 1937 Nr. 22. Bundestag-Drucksache Nr. 3594.
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Prinzipien des Disziplinarrechts
BDO § 3 BDO i.d.F. der Novelle). Der Bundesregelung schließen sich sämtliche Disziplinargesetze der Länder im vollen Umfange an, (so § 3 Abs. 1 LDO BW, Art. 3 Abs. 1 DStO Bayr., § 3 Abs. 1 LDO Bln., § 3 DStO Brm., § 3 Abs. 1 DO Hmb., § 3 Abs. 1 HDO, § 3 NDO, § 3 Abs. 1 DO NW, § 3 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., § 3 DStO Saar und § 3 DStO Schl.-HoL). Das im Disziplinarrecht verankerte Opportunitätsprinzip steht nicht im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Denken und ist daher auch nicht verfassungswidrig 9 . 1. G e l t u n g s b e r e i c h Der Ermessensgrundsatz der § § 3 Abs. 1 der jeweiligen oben angeführten Disziplinargesetze erstreckt sich nur auf die Dienstvorgesetzten, die nächsthöheren Dienstvorgesetzten, die oberste Dienstbehörde, die Einleitungsbehörde, den Bundesdisziplinaranwalt und im Bereich der DO NW den Vertreter des öffentlichen Interesses (§§ 34f. DO NW). Witaschek 10 hält es bereits im geltenden Recht für möglich, daß das Disziplinargericht das Disziplinarverfahren in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 3 StPO einstellen kann. Er bezieht sich auf § 12 des Entwurfs der RDStO von 1925, wonach das Dienststrafverfahren eingestellt werden kann, wenn das Dienstvergehen so unerheblich ist, daß nach dem gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhalten des Beschuldigten eine Dienststrafe nicht oder nicht mehr angebracht ist. Die sinngemäße Anwendung des § 153 Abs. 3 StPO bietet nach Witaschek nicht nur dem beschuldigten Beamten einen Vorteil, sondern befreit auch das Disziplinargericht von dem peinlichen Gefühl, den Beamten auch dann bestrafen zu müssen, wenn der Dienstvorgesetzte von seinem Ermessen nach § 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zugunsten des Beamten Gebrauch machen würde, entweder weil das Fehlverhalten des Beamten sich im gerichtlichen Verfahren als nur geringfügig herausgestellt hat oder weil die ursprüngliche Würdigung des von vornherein tatbeständlich an sich richtig erkannten Fehlverhaltens nunmehr als zu streng angesehen wird. Der Auffassung Witascheks kann nicht beigetreten werden. Zunächst sprechen § 3 Abs. 1 BDO, § 3 BDO i.d.F. der Novelle und die gleichlautenden Disziplinargesetze der Länder von „zuständigen Behörden", worunter nicht die Disziplinargerichte zu verstehen sind. Die Einstellungsmöglichkeiten, die sich den Disziplinargerichten eröffnen, sind in den jeweiligen Disziplinargesetzen abschließend geregelt, wie sich dies aus § 63 Abs. 3 BDO, BDO i.d.F. der Novelle ergibt 11 . Überdies verbietet es die Eigenart des Disziplinarrechts, daß auch dem Disziplinargericht die Befugnis verliehen wird, ein Disziplinarverfahren trotz Vorliegens eines Dienstvergehens, bei dem sämtliche objektiven und subjektiven Voraussetzungen erfüllt sind, einzustellen, weil dies einen E i n g r i f f in die Ä m t e r h o h e i t darstellt. § 153 Abs. 3 StPO setzt zudem voraus, daß die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung gibt. Eine der Staatsanwaltschaft vergleichbare Behörde kennt das Disziplinarrecht nicht. In der Regel kommt eine Einstellung beim Disziplinarverfügungsverfahren in Frage. Hier wäre nur an die Zustimmung des Dienstvorgesetzten zu 9
S. 513.
BVerfG 3 . 2 . 5 9 in NJW 1959 S. 931; BayrVerfGH 6 . 1 0 . 5 9 in VRspr. Bd. 12
1 0 Witaschek, Kann das Disziplinargericht das Verfahren gemäß § 153 III StPO einstellen? in ZBR 1959 S. 172. 1 1 So Schütz a. a. O. S. 106; siehe auch Haueisen in DöV 1951 S. 207 (209).
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denken; dieser nimmt jedoch im Disziplinarverfügungsverfahren nicht eine der Staatsanwaltschaft vergleichbare Stellung ein, da er ja in diesem Verfahren nicht als Verfolgungsbehörde, sondern selbst als Bestrafender auftritt. Schließlich ist im Disziplinarverfügungsverfahren den Disziplinargerichten anläßlich der Entscheidung über die Disziplinarverfügung ausdrücklich nur die Befugnis eingeräumt, über die Rechtmäßigkeit der Disziplinarverfügung zu entscheiden ; wenn ihnen noch nicht einmal zugestanden ist, eine Disziplinarstrafe zu mildern, so kann ihnen noch weniger das Recht zugestanden werden, das Disziplinarverfügungsverfahren einzustellen. Eine Einstellungsbefugnis im förmlichen Disziplinarverfahren kommt schon deshalb nicht in Frage, weil im allgemeinen nur solche Dienstvergehen zur Aburteilung heranstehen, die eine Ahndung mit einer schwereren Disziplinarstrafe rechtfertigen, so daß die Voraussetzungen für eine Einstellung im Sinne des § 153 Abs. 3 StPO, nämlich Geringfügigkeit der Schuld und fehlendes öffentliches Interesse, nicht gegeben sind. Demnach steht die gesamte Disziplinarrechtsprechung auf dem Standpunkt, daß eine Einstellung des Disziplinarverfahrens wegen einer Geringfügigkeit des Dienstvergehens nur durch den Dienstvorgesetzten oder die Einleitungsbehörde, jedoch nicht durch das Disziplinargericht in Frage kommt 12 . 2. U m f a n g Unter disziplinarisches Einschreiten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 3 BDO i. d. F. der Novelle und der gleichlautenden Disziplinargesetze der Länder versteht man in erster Linie die Bestrafung des schuldigen Beamten. Hierzu rechnen aber auch sämtliche Maßnahmen, die der Vorbereitung einer Bestrafung dienen, wie die Durchführung von Vorermittlungen, die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und die Anordnung einer Untersuchung. Soweit es sich um die Verfolgung eines Dienstvergehens im Sinne der Durchführung von Vorermittlungen handelt, ist im geltenden Disziplinarrecht, wie noch unter E gezeigt werden wird, das Ermessensprinzip zugunsten des Legalitätsprinzips durchbrochen worden. Ob wegen eines Dienstvergehens eingeschritten werden soll, liegt nicht in einem freien, sondern in einem gebundenen Ermessen. Der Dienstvorgesetzte, die oberste Dienstbehörde und der Bundesdisziplinaranwalt prüfen nämlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten ist. Sie dürfen sich also nicht von ermessensfremden Erwägungen leiten lassen. So darf z.B. der Dienstvorgesetzte von einer Bestrafung eines nachgeordneten Beamten nur deshalb nicht absehen, weil dieser der gleichen politischen Partei wie er selbst angehört. Die Gründe, die zu einer Bestrafung oder einer Nichtbestrafung des Beamten führen können, sind zahlreich und lassen sich im einzelnen nicht aufzählen. § 3 Abs. 1 BDO i d. F. ÄndGes. 1952, § 3 BDO i. d. F. der Novelle und die gleichlautenden Länderdiszipünargesetze sagen lediglich, daß bei der Frage, .ob gegen einen Beamten einzuschreiten ist, das g e s a m t e d i e n s t l i c h e u n d a u ß e r d i e n s t l i c h e V e r h a l t e n zu b e r ü c k s i c h t i g e n ist. So wird zunächst einmal zu prüfen sein, ob der Beamte durch besonders gute Leistungen aufgefallen ist und sich be1 2 BDH 25. 5. 53 — II D 12/53 — BDHE Bd. 1 S. 50; BDH 30. 5. 56 — I D 106/54 — BDHE Bd. 3 S. 162 = Lindgen Teil IV Nr.318(LS); BDH 18. 11. 6 0 — II D 27/60— BDHE Bd. 5 S. 14 = ZBR 1961 S. 400 = Lindgen Teil IV Nr. 586; DokBer. Nr. 660 und Nr. 1706; RDH in RVB1.1939 S. 108; RDHE Bd. 3 S. 155.
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sondere Verdienste bei seiner Amtstätigkeit erworben oder ob er durch sein beamtenunwürdiges Verhalten bereits Anlaß zu einer disziplinarischen Bestrafung gegeben hat. Weiterhin wird zu prüfen sein, ob durch eine disziplinarische Bestrafung der Zweck des Disziplinarrechts, nämlich die A u f r e c h t e r h a l t u n g der D i e n s t z u c h t , e r r e i c h t wird. So wird bei der erstmaligen Begehung eines Dienstvergehens oft schon die formlose dienstliche Mißbilligung des Verhaltens des Beamten vollauf genügen. Hat hingegen der Beamte durch sein Verhalten das Ansehen der Behörde nach außen geschädigt, so wird in den meisten Fällen ein disziplinarisches Einschreiten geboten erscheinen. Die Beantwortung der Frage, ob ein Beamter zu bestrafen ist, wird im wesentlichen auch davon abhängen, ob er gegen seine Hauptpflichten im Dienst oder gegen sog. außerdienstliche Pflichten verstoßen hat. Gelangt der Dienstvorgesetzte zur Auffassung, daß eine Disziplinarstrafe angebracht ist, so wird er es bei der Auswahl des Strafmaßes im wesentlichen auf die Person des Beamten abstellen. Während der eine Beamte schon auf Grund einer geringfügigen Bestrafung sich wieder in die durch sein Handeln untergrabene Disziplin fügt, kann dies bei einem gleichgelagerten Fall oder gar bei gemeinschaftlichen Tun bei einem anderen Beamten nur durch eine schwere Disziplinarstrafe geschehen. So würde es nicht gegen das pflichtgemäße Ermessen verstoßen, daß bei einer gemeinschaftlich ausgeführten Tat der eine Täter im Disziplinarverfügungsverfahren bestraft wird, während gegen den anderen Täter das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet wird; es ist sogar der Fall nicht ausgeschlossen, daß der eine Beschuldigte straffrei ausgeht, während gegen den anderen Beschuldigten das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet wird, ohne daß dies einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz bedeutet (vgl. § 46 S. 409 f.). Weiterhin wird es auch bei der Frage, ob disziplinarisch eingeschritten werden soll, auf den Bildungsgrad, den Dienstrang und auf die vom Beschuldigten ausgeübten Funktionen ankommen. Im allgemeinen schadet es der Dienstzucht, wenn der Vorgesetzte oder die Einleitungsbehörde es in Kauf nehmen, daß ein Beamter wiederholt und eine längere Zeit hindurch in einem erheblichen Maße gegen die Dienstzucht ungestraft verstößt, und erst dann gegen ihn disziplinarisch einschreitet, wenn er dem Dienstvorgesetzten aus nichtdisziplinären Gründen unbequem geworden ist. S c h l i e ß l i c h w i r d der Z e i t a b l a u f eine g e w i c h t i g e R o l l e spielen. Wohl kennt das geltende Bundesdisziplinarrecht keine Verjährung, jedoch wird der Zeitablauf dann heilend wirken können, wenn das Absehen einer Bestrafung der Aufrechterhaltung der Dienstzucht nicht zuwiederläuft. So wird ein ungetreuer Beamter in einer Verkehrsverwaltung auch dann nicht mehr tragbar erscheinen, wenn erst nach Jahren festgestellt wird, daß er gegen die grundlegende Pflicht der Redlichkeit schwer verstoßen hat. Hat die Einleitungsbehörde sich in Verkennung des Opportunitätsprinzips zur Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens leiten lassen und kommt sie später zur Erkenntnis, daß ein Einschreiten gegen den Beamten unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens nicht erforderlich ist, so kann sie das Verfahren nach § 52 Abs. 2 BDO, BDO i.d.F. der Novelle einstellen. Der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde können nicht auf Grund einer Anzeige eines anderen Beamten oder eines sonstigen Staatsbürgers gezwungen werden, gegen einen Beamten einzuschreiten. Auch hier ent32
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scheidet der Dienstvorgesetzte nach pflichtgemäßen Ermessen, ob er gegen den in der Anzeige benannten Beamten disziplinarisch einschreiten will. Der Anzeigende hat keinen im Verwaltungsrechtswege erzwingbaren Anspruch auf ein disziplinarisches Einschreiten des Dienstvorgesetzten oder der Einleitungsbehörde gegen den Beamten13. Die Befugnis, einen Beamten für sein Verhalten zur Verantwortung zu ziehen, ist dem Dienstvorgesetzten und der Einleitungsbehörde ausschließlich zur Erhaltung der Ordnung, der Sauberkeit und des Ansehens der Behörde, nicht aber zur Wahrung der Rechte des einzelnen Staatsbürgers gegeben. Wenn auch die Interessen des Dienstherrn und des anzeigenden Staatsbürgers an der Verfolgung des Dienstvergehens des Beamten übereinstimmen mögen, so steht dem Bürger auch dann ein Recht, ein Einschreiten gegen den Beamten zu verlangen, nicht zu. Trifft die Dienstbehörde trotz Kenntnis von dem Dienstvergehen zunächst keine disziplinarische Maßnahmen, so kann sie wegen der gleichen Tat später doch noch einschreiten. Dies wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Beamte trotz Ermahnungen durch seinen Dienstvorgesetzten keine Besserung gezeigt hat und erneut straffällig geworden ist. Ein Verzicht auf Bestrafung ist im Disziplinarrecht unbekannt, es sei denn, daß die allgemeinen Voraussetzungen hierfür — ζ. B. durch Ausscheiden des Beamten aus dem öffentlichen Dienst — entfallen sind. E. Einschränkungen des Opportunitätsprinzips Nicht immer ist gewährleistet, daß der Dienstvorgesetzte in unparteiischer, objektiver und sachgemäßer Weise prüft, ob gegen einen schuldigen Beamten einzuschreiten ist. Aus diesem Grunde werden im Schrifttum gegen das im Disziplinarrecht geltenden Opportunitätsprinzip erhebliche Bedenken geäußert. Bereits im geltenden Recht ist das Opportunitätsprinzip — zumindest auf Bundesebene — weitgehend zugunsten des Legalitätsprinzips durchbrochen. Keine Einschränkung erleidet das Opportunitätsprinzip dadurch, daß der höhere Dienstvorgesetzte unbeschadet der Einstellung des Verfahrens durch einen nachgeordneten Dienstvorgestzten wegen des gleichen Sachverhalts eine Disziplinarstrafe verhängen oder eine Disziplinarverfügung eines nachgeordneten — die oberste Dienstbehörde auch eine von ihr selbst erlassene Disziplinarverfügung — binnen einer im Disziplinargesetz bestimmten Frist aufheben und in der Sache anders entscheiden oder in beiden eben angeführten Fällen die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens veranlassen oder selbst verfügen kann, wenn er zugleich Einleitungsbehörde ist ; in diesen Fällen entscheidet der nächsthöhere Dienstvorgesetzte bzw. die oberste Dienstbehörde im eigenen pflichtgemäßer Ermessen, ohne daß der nachgeordnete Dienstvorgesetzte gezwungen wäre, von sich aus den Beamten zu bestrafen. Wenn die Ansicht14 vertreten wird, daß der Ermessensgrundsatz weiterhin dadurch eingeschränkt werden kann, daß dem Dienstvorgesetzten vom nächsthöheren Dienstvorgesetzten oder der obersten Dienstbehörde die Weisung erteilt werden kann, den Beamten zu bestrafen, so ist demgegenüber festzustellen, daß ein derartiges Weisungsrecht nicht besteht, weil es rechts1 3 HessVGH 2 5 . 5 . 5 1 in DöV 1952 S. 597; BayrVGH 1 7 . 1 . 1 9 5 2 in DVB1. 1952 S. 449; VG Minden 4. 3. 64 — 3 Κ 257/62 — in NDBZ 1964 S. 233. 1 1 So Schütz a. a. O. S. 107; a. M. Behnke, BDO S. 267.
3 L i a d g e n , Disziplinarrecht I
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staatlichen Grundsätzen widersprechen würde, jemanden zu einer Bestrafung zu zwingen, der von der Unschuld des Beamten überzeugt ist. Wie bereits unter C gezeigt worden ist, ist das Opportunitätsprinzip zugunsten des Legalitätsprinzips bei der Erhebung von Vorermittlungen durchbrochen, indem bis auf Art. 22 Abs. 1 DStO Bayr., § 21 Abs. 1 DStO Brni., § 21 Abs. 1 DStO Saar und § 26 Abs. 1 DStO Schl.-Hol., wo der Dienstvorgesetzte Ermittlungen nur dann einleitet, wenn er ein Dienststrafverfahren für angezeigt hält, in den übrigen disziplinarrechtlichen Bestimmungen ( § 2 1 Abs. 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 24 Abs. 1 LDO BW, § 24 Abs. 1 LDO Bln., § 21 Abs. 1 DO Hmb., § 22 Abs. 1 HDO und § 28 Abs. 1 NDO) die A u f k l ä r u n g des S a c h v e r h a l t s im W e g e d e r V o r e r m i t t l u n g e n o b l i g a t o r i s c h v o r g e s c h r i e b e n ist. Das Legalitätsprinzip ist hier einmal durch das Verlangen des Dienstherrn, die Frage zu klären, ob ein Beamter gegen die Dienstzucht gefehlt hat, gerechtfertigt. Aber auch der Beamte muß darauf Wert legen, daß gegen ihn erhobene Vorwürfe geklärt werden, da schon der Verdacht, ein Dienstvergehen begangen zu haben, sich auf seinen dienstlichen Werdegang allgemein ungünstig auswirken wird. Daß der Dienstvorgesetzte zur Einleitung von Vorermittlungen verpflichtet ist, geht ganz klar aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 NDO hervor, wonach der Dienstvorgesetzte die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen hat. Wenn dies in § 21 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle und den übrigen angeführten landesdisziplinarischen Regelungen nicht so klar zum Ausdruck gekommen ist, so zeigt zumindest die Begründung zu Nr. 12 a des ÄndGes. RDStO, durch das § 21 Abs. 1 RDStO geändert worden ist, daß es nicht mehr im Ermessen des Dienstvorgesetzten liegt, ob er ein Vorermittlungsverfahren einleiten will oder nicht. Nach Klärung des Sachverhalts im Wege der Vorermittlungen wird der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde von einem weiteren disziplinaren Einschreiten gegen die Beamten kaum noch auf Grund ermessensfremder Erwägungen absehen können. Das Opportunitätsprinzip wird im Bundesdisziplinarrecht erheblich durch die Institution des Bundesdisziplinaranwalt und im Disziplinarrecht des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Einrichtung des Vertreters des öffentlichen Interesses eingeschränkt. Wohl kann der Dienstvorgesetzte das Verfahren nach § 22 Abs. 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle bzw. nach § 25 Abs. 1 DO NW einstellen, wenn er trotz Vorliegens eines Dienstvergehens nach pflichtgemäßen Ermessen eine Bestrafung des Beschuldigten nicht für notwendig hält. Der B u n d e s d i s z i p l i n a r a n w a l t bzw. der Vertreter des öffentlichen Interesses kann jedoch die E i n l e i t u n g des f ö r m l i c h e n D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n s v e r l a n g e n (vgl. § 30d BDO, BDO i.d.F. der Novelle bzw. § 35 Nr. 3 DO NW). Sowohl der Bundesdisziplinaranwalt als auch der Vertreter des öffentlichen Interesses sind wohl nicht verpflichtet, einen solchen Antrag zu stellen. Sie entscheiden jedoch hierbei nach pflichtgemäßen Ermessen, wobei zu beachten ist, daß nach § 30 a BDO, BDO i.d.F. der Novelle die Aufgabe des Bundesdisziplinaranwalts u.a. in der Sicherung der einheitlichen Ausübung der Disziplinarrechtspflege besteht, so daß er im gleichen Umfange wie der Staatsanwalt im Strafverfahren an die Rechtsprechung der Disziplinargerichte gebunden ist, so daß sich hieraus für ihn die Pflicht ergeben wird, einen Antrag auf Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens zu stellen. Eine derartige Verpflichtung läßt sich für den Vertreter des öffent-
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liehen Interesses für Disziplinarsachen nicht unmittelbar aus § 34 DO NW herleiten, jedoch ergibt sie sich für den Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen schon aus der Bezeichnung dieser Institution; da die Sicherung der einheitlichen Handhabung der Disziplinarrechtspflege im „öffentlichen Interesse" liegt und dieses öffentliche Interesse durch die Disziplinarorgane zu vertreten ist, wird sich gerade bei der Amtsperson, die als „Vertreter des öffentlichen Interesses" bezeichnet wird, die Verpflichtung ergeben, den Antrag auf Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens zu stellen. Da dem Bundesdisziplinaranwalt und dem Vertreter des öffentlichen Interesses nur das Recht eingeräumt, nicht jedoch die Verpflichtung auferlegt ist, den Antrag auf Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens zu stellen ist, ist damit sichergestellt, daß das Opportunitätsprinzip nicht bei sog. Bagatell-Dienstvergehen aufgegeben wird; hier ist die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens, wo im wesentlichen nur die schwereren Disziplinarstrafen verhängt werden sollen, nicht gerechtfertigt. Völlig auf dem Boden des Legalitätsprinzips steht § 9 Abs. 1 Satz 1 G 131. Hiernach ist gegen einen Ruhestandsbeamten oder einen früheren Beamten, der vor oder nach dem 8. Mai 1945 ein Dienstvergehen oder eine als Dienstvergehen geltende Handlung begangen hat, deretwegen die Entfernung aus dem Dienst oder der Verlust des Ruhegehalts gerechtfertigt wäre, das förmliche Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Aberkennung der Rechte aus diesem Gesetz nach den Vorschriften der BDO einzuleiten und durchzuführen. IV. INSTRUKTIONSPRINZIP Im Gegensatz zum Zivilprozeß, wo die Verhandlungsmaxime gilt, indem die Parteien denProzeßstoff an dab Gericht herantragen, und dieses an den Vortrag der Parteien gebunden ist, besteht im Disziplinarrecht ebenso wie im Strafrecht das Instruktionsprinzip, nämlich die Pflicht zur Wahrheitserforschung. Sämtliche Disziplinarorgane — Dienstvorgesetzte, Einleitungsbehörde, Untersuchungsführer und Disziplinargericht — haben die Aufgabe, von Amts wegen die Wahrheit zu ermitteln, wobei sie an k e i n e r l e i A n t r ä g e g e b u n d e n sind. Das Disziplinargericht ist lediglich an die Anschuldigungsschrift und an ihre Nachträge gebunden. Sämtliche Disziplinarorgane müssen im Interesse der Wahrheitserforschung alle zumutbaren Mittel benutzen, die sich ihnen in der jeweiligen Lage des Verfahrens bieten. Hierbei ist jedes Beweismittel erlaubt, das zur Führung eines Beweises notwendig ist und das eine Aufklärung des Sachverhalts verspricht. Es besteht also grundsätzlich Freiheit in der Wahl der Mittel, die geeignet sind, die Wahrheit zu erforschen15. Jedoch müssen die gesetzlichen Verbote für eine Beweiserhebung und Beweisverwertung beachtet werden. Nicht zuletzt ist bei der Erforschung der Wahrheit die Menschenwürde des Beschuldigten und der Zeugen zu beachten (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Wahrheitserforschungspflicht beginnt mit der Erhebung der Vorermittlungen und endet mit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Das Disziplinargericht ist berechtigt, wenn der Ermittlungsführer und der Untersuchungsführer der Pflicht zur Erforschung der Wahrheit nicht nachgekommen sind, die Disziplinarsache an den Bundesdisziplinar15
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BGH in NJW 1960 S. 2156.
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anwalt zurückzugeben, damit dieser die weitere Aufklärung des Sachverhalts veranlaßt 16 . V. PRINZIP DES RECHTLICHEN GEHÖRS Die Verpflichtung, dem Prozeßbeteiligten — also im Disziplinarverfahren dem Beschuldigten — rechtliches Gehör zu gewähren, ist in Art. 103 Abs. 1 GG sogar verfassungsrechtlich garantiert. Wer behauptet, in diesem Recht verletzt zu sein, kann nach Erschöpfung des Rechtsweges Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben ( § 9 0 BVerfG). Durch die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll vermieden werden, daß jemand, ohne Gelegenheit zu seiner Verteidigung erhalten zu haben, durch eine benachteiligende Prozeßhandlung überrascht werden kann 17 . Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt ein Grundrecht dar, das aus dem allgemeinen Rechtsstaatsgedanken folgt 18 . Selbst wenn sich die Anhörung des Beschuldigten nicht aus dem Gesetzesrecht ergibt, muß sie immer dann erfolgen, wenn durch eine gerichtliche Maßnahme die Rechte des Beschuldigten nachteilig beeinflußt werden können. Im Disziplinarrecht ergibt sich die A n h ö r u n g n i c h t n u r bei den g e r i c h t l i c h e n M a ß n a h m e n , s o n d e r n auch bei den V e r f ü g u n g e n des D i e n s t v o r g e s e t z t e n und der Einleitungsbehörde, soweit eine Bestrafung des Beschuldigten ausgesprochen wird oder die Maßnahme der Durchführung des Disziplinarverfahrens dient. Im Bundes- und Länderdisziplinarrecht ist das Prinzip des rechtlichen Gehörs in sämtlichen Verfahrenslagen gewährleistet. Soweit in den gesetzlichen Bestimmungen hierauf nicht ausdrücklich hingewiesen ist, ergibt sich die Anhörung des Beschuldigten von selbst aus der Natur der Sache. Wenn also in einem Länderdisziplinargesetz bei einer Disziplinarmaßnahme zum Ausdruck gebracht ist, daß sie erst nach Anhörung des Beschuldigten erlassen werden kann, so ist damit noch nicht gesagt, daß eine solche unterbleiben könnte, wenn in der entsprechenden Bestimmung des Bundes- oder eines anderen Disziplinarrechts von der Anhörung des Beschuldigten keine Rede ist. Bereits im Vorermittlungsverfahren ist im Gegensatz zu den strafgerichtlichen Vorermittlungen, wo eine Vernehmung des Beschuldigten nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, es sei denn, daß er vorläufig festgenommen (§§ 127ff. StPO) oder auf Grund eines Haftbefehls ergriffen wird (§ 114a StPO),im Disziplinarrecht ausdrücklich angeordnet, daß das Ergebnis der Vorermittlungen dem Beschuldigten bekanntzumachen und er über die ihm zur Last gelegten Verfehlungen zu hören ist, es sei denn, daß er sich auf seinen Wunsch schriftlich äußern will (vgl. § 21 Abs. 2 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 24 Abs. 2 LDO BW, Art. 22 Abs. 2 DStO Bayr, § 24 Abs. 2 LDO Bln., § 21 Abs. 2DStO Brm., § 21 Abs. 2 DO Hmb., § 22 Abs. 2 HDO, § 26 Abs. 2 NDO, § 24 Abs. 2 DO NW, § 24 Abs. 2 LDO Rh.-Pf., § 21 Abs. 2 DStO Saar und § 26 Abs. 2 DStO Schi.-Hol.). Hiermit ist sichergestellt, daß der Beschuldigte vor einer Bestrafung durch den Dienstvorgesetzten im Disziplinarverfügungsverfahren bzw. der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens Gelegenheit zu seiner Verteidigung erhält. 16 17 18
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Vgl. RDHE Bd. 2 S. 80. Vgl. RGSt. Bd. 76 S. 82; BGHSt. Bd. 8 S. 92; J Z 1958 S. 284. BVerfGE Bd. 9 S. 95.
Prinzip des rechtlichen Gehörs
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Ist der Beschuldigte durch den Dienstrvorgesetzten bestraft worden und soll vom nächsthöheren Dienstvorgesetzten oder von der obersten Dienstbehörde die Strafe erhöht werden, so ist der Beschuldigte zuvor zu hören ( § 2 7 Abs. 2 Satz 2 BDO, § 27 Abs. 3 BDO i.d.F. der Novelle). Gleiches gilt auch für die vorläufige Dienstenthebung und die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge bzw. des Ruhegehalts, weil es sich hierbei um Maßnahmen handelt, die den Beschuldigten in seiner Rechtsstellung beeinträchtigen. Nach § 79 DStO Brm. ist hier die Anhörung des Beschuldigten sogar gesetzlich vorgeschrieben. Das rechtliche Gehör ist auch in der Untersuchung ausdrücklich gesetzlich gewährleistet. So ist der Beschuldigte zu Beginn der Untersuchung zu laden und bei seinem Erscheinen zu vernehmen (§47 Satz 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 51 Satz 1 LDO BW, Art. 48 Satz 1 DStO Bavr., § 47 Satz 1 LDO Bln., § 47 Satz 1 DStO Brm., § 47 Satz 1 DO Hmb., § 52 Satz 1 HDO, § 57 Satz 1 NDO, § 53 Satz 1 DO NW , § 55 Satz 1 LDO Rh.-Pf., § 47 Satz 1 DStO Saar und § 51 Satz 1 DStO Schl.-Hol.). Hält der Untersuchungsführer das Ziel der Untersuchung für erreicht, so hat er dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, sich abschließend zu äußern (§ 51 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 55 Abs. 1 Satz 1 LDO BW, Art. 52 Abs. 1 Satz 1 DStO Bayr., § 51 Abs. 1 Satz 1 LDO Bln., §51 Abs. 1 Satzl DStO Brm., §55 Abs. 1 Satz 1 DO Hmb., § 56 Abs. 1 Satz 1 HDO, § 61 Abs. 1 Satz 1 NDO, § 57 Abs. 1 Satz 1 DO NW, § 59 Abs. 1 Satz 1 LDO Rh.-Pf., § 51 Abs. 1 Satz 1 DStO Saar und § 55 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol.). Ist der Beschuldigte zur Hauptverhandlung erschienen, so wird er zur Person und Sache gehört; schließlich gebührt ihm das letzte Wort (§ 61 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 65 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 LDO BW, Art. 62 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 DStO Bayr., § 61 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 LDO Bln., § 61 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 DStO Brm., § 61 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 DO Hmb., § 66 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 3, Abs. 5 HDO, § 72 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 NDO, § 67 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 DO NW, § 69 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 LDO Rh.-Pf., § 61 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 DStO Saar und § 63 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 DStO Schl.-Hol). Hat der Bundesdisziplinaranwalt bzw die Einleitungsbehörde die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, so ist der Wiederaufnahmebeschluß dem Verurteilten bzw. Freigesprochenen zuzustellen und ihm dabei eine angemessene Frist zur Erklärung zu bestimmen (§ 90 Abs. 1 BDO, BDO i.d.F der Novelle, § 95 Abs. 1 LDO BW, Art. 91 Abs. 1 DStO Bayr., § 91 Abs. 1 LDO Bln., § 90 Abs. 1 DStO Brm., §90 Abs. 1 DO Hmb, § 95 Abs. 1 HDO, § 104 Abs. 1 NDO, §97 Abs. 1 DO NW, § 99 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., § 90 Abs. 1 DStO Saar und § 92 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.). Schließlich ist der Beschuldigte zu hören, bevor das Disziplinargericht auf Antrag der Einleitungsbehörde einen dem Beschuldigten bewilligten Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 107 Abs. 1 LDO BW, Art. 97 Abs. 1 DStO Bayr., §97 Abs. 1 LDO Bln., § 96 Abs. 1 DO Hmb., §101 Abs. 1 HDO, §103 DO NW, §105 Abs. 1 LDO Rh.-Pf. bzw. §98 DStO Schi.-Hol. entzieht oder herabgesetzt (§ 96 Abs. 3 Satz 2 BDO, § 96 Abs. 5 Satz 2 BDO i.d.F. der Novelle und die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen). Aus dem Prinzip des rechtlichen Gehörs ergibt sich, daß die Disziplinarorgane ihren Entscheidungen nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse 37
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zugrunde legen können, zu denen der Beschuldigte Stellung genommen hatte oder zumindest Stellung nehmen konnte19. Die Disziplinarorgane sind jedoch nicht verpflichtet, den Beschuldigten zur rechtlichen Würdigung des Sachverhalts zu hören, weil nach anerkannter Rechtsprechung die Gerichte mit den Parteien keine Rechtsgespräche zu führen brauchen 20 . Weiterhin sind dem Beschuldigten nur die entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnisse mitzuteilen. Allerdings müssen dem Beschuldigten auch gerichtskundige Tatsachen mitgeteilt werden 21 . Wird der Beschuldigte zu einer Disziplinarstrafe oder zu einer sonstigen Maßnahme, die die Disziplinarentscheidung zum Nachteil des Beschuldigten vorbereitet, nicht gehört, so stellt dies einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wobei es keine Rolle spielt, ob das Disziplinarorgan hierbei schuldhaft gehandelt hat. Die Disziplinarmaßnahme wird bei einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht unwirksam, letzterer berechtigt jedoch zur Einlegung des zulässigen Rechtsbehelfs gegen die ergangene Entscheidung 22 . Nach Erschöpfung des Rechtsmittels kann, wie bereits oben gezeigt worden ist, Verfassungsbeschwerde nach § 90 BVerfG erhoben werden; das Bundesverfassungsgericht hebt dann nach § 95 Abs. 2 BVerfG die Entscheidung, die auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, auf. Auf keinen Fall eröffnet aber die Verletzung des rechtlichen Gehörs einen vom Gesetzgeber grundsätzlich verschlossenen weiteren Rechtszug 23 . Handelt es sich um eine Beschwerdeentscheidung, bei der das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist, so wird es sich jedoch als zweckmäßig erweisen, einer Gegenvorstellung auf Änderung der Entscheidung entgegenzukommen, sofern es noch in der Hand des Disziplinarorgans liegt, die Maßnahme zu ändern oder aufzuheben24. Ist dem Beschuldigten kein rechtliches Gehör gewährt worden, so stellt dies im Disziplinarverfahren einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der u.U. zu einer Zurückgabe der Anschuldigungsschrift an den Bundesdisziplinaranwalt bzw. den Vertreter der Einleitungsbehörde und in der Berufungsinstanz zu einer Zurückweisung der Sache in die erste Instanz führt. Dieser Verfahrensmangel ist jedoch heilbar. Hatte der Beschuldigte in einem späteren Verfahrensabschnitt Gelgenheit gehabt, zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen Stellung zu nehmen, so ist damit der vorher aufgetretene Verfahrensmangel behoben25. Ist z.B. der Beschuldigte im Laufe der Vorermittlungen nicht gehört worden, hat er jedoch im Laufe der Untersuchung Gelegenheit gehabt, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vor dem Untersuchungsführer Stellung zu nehmen, so kommt eine Zurückgabe der Anschuldigungsschrift nicht mehr in Betracht. 19 BVerfGE Bd. 7 S. 278 = NJW 1958 S. 665; Bd. 9 S. 261 (267) = N J W 1 9 5 9 S. 1315; BVerfGE Bd. 9 S. 303 (305); BayrVerfGH in NJW 1960 S.1051. 2 0 BayrVerfGH in NJW 1960 S. 1051; Lesser in DRZ 1960 S. 421; a. M. A r n d t in NJW 1959 S. 6. 2 1 bVerfG in NJW 1960 S. 30. 22 Vgl. BGH in JZ 1958 S. 486. 2 3 BGH in NJW 1957 S. 713; OLG Köln in MDR 1957 S. 54; OLG Neustadt in NJW 1960 S. 257; OLG Frankfurt in NJW 1960 S. 736; Parsch in NJW 1960 S. 63; a. M. OLG Stuttgart in NJW 1959 S. 2080 und OLG Koblenz in J Z 1959 S. 31. 24 Vgl. Peters in J Z 1953 S. 641 ; W o e s n e r in NJW 1960 S. 2129. 2 5 Vgl. z. B. DH Rh.-Pfalz 25. 7. 60 — W 1/60 — Lindgen Teil IV Nr. 625; D i s z S e n a t OVGMünster 9. 8. 57. - W 8,55 - L i n d g e n Teil IV Nr. 240.
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VI. PRINZIP DER MÜNDLICHKEIT A. Begriff Im förmlichen Disziplinarverfahren gilt im allgemeinen das Prinzip der Mündlichkeit. Das Disziplinargericht schöpft seine Uberzeugung aus der Hauptverhandlung; es darf nur solche Tatsachen verwerten, die in der Hauptverhandlung vorgetragen worden sind: quod non est in mundo non est in actis. Das Urteil des Disziplinargerichts darf nichts verwerten, was nicht in der Hauptverhandlung vorgetragen ist. Im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß wurde die Urteilsfällung dritten Stellen, wie z.B. den Juristenfakultäten, überlassen, an die die Akten übersandt wurden. Das Prinzip der Mündlichkeit ergab sich aus der Erkenntnis, daß sich das Gericht nur im mündlichen Verkehr das beste Bild von den Tatsachen machen kann, die für die Entscheidung erheblich sind. Von der Persönlichkeit des Beschuldigten und der Glaubwürdigkeit der Zeugen kann sich das Gericht nur dann ein richtiges Bild machen, wenn es beide persönlich hört und sieht. Die Mündlichkeit des Verfahrens führt allerdings auch zu Unzuträglichkeiten, indem sich das Gericht nicht die Einzelheiten, die mündlich vorgetragen sind, insbesondere dann nicht behalten kann, wenn es sich um eine besonders umfangreiche Sache handelt. Hier kommt es darauf an, mit welcher Gründlichkeit das Protokoll geführt worden ist. Außerdem wird der Richter genötigt sein, sich in der Hauptverhandlung sog. Gedächtnisstützen anzufertigen. B. Die Mündlichkeit im Disziplinarrecht Eine Hauptverhandlung, die sich nur auf das mündlich Vorgetragene stützt, wird in der Tat kaum möglich sein. Einmal muß das Gericht auf Grund der in den Akten enthaltenen Protokolle über die Vernehmungen des Beschuldigten und der Zeugen sich darüber schlüssig werden, ob eine Hauptverhandlung anzuberaumen ist und wie diese sich gestalten läßt. In der Hauptverhandlung selbst trägt ein vom Vorsitzenden aus den Mitgliedern des Disziplinargerichts ernannter Berichterstatter das Ergebnis des bisherigen Verfahrens vor, wobei Niederschriften über Beweiserhebungen aus dem Disziplinarverfahren durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden können. Soweit die Personalakten des Beschuldigten Tatsachen enthalten, die für die Gesamtbeurteilung erheblich sein können, sind sie vorzutragen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 65 Abs. 1 Satz 1 bis 3 LDO BW, Art. 62 Abs. 1 Satz 1 bis 3 DStO Bayr., § 61 Abs. 1 Satz 1 bis 3 LDO Bln., §61 Abs. 1 Satz 1 bis 3DStO Brm., §61 Abs. 1 Satzl bis 3 DO Hmb., wonach Niederschriften aus anderen gesetzlich geordneten Verfahren nur dann durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden können, wenn der Beschuldigte damit einverstanden ist, § 66 Abs. 1 bis 3 HDO, wonach Niederschriften dann nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden können, wenn der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, die als Zeuge oder Sachverständiger geladen und erschienen ist, § 72 Abs. 1 Satz 1 bis 3 NDO, § 67 Abs. 1 Satzl bis 3 DO NW, §69 Abs. 1 Satz 1 bis 3 LDO Rh.-Pf., § 61 Abs. 1 Satz 1 bis 3 DStO Saar, § 63 Abs. 1 Satz 1 bis 3 DStO Schi.-Hol.). Ist der Beschuldigte erschienen, so ist er zu hören ( § 6 1 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 61 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle und die o. a. landes39
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rechtlichen Bestimmungen). Hat sich der Beschuldigte geäußert, so sind nicht die ihm vorgehaltenen Schriftstücke, sondern allein seine Antwort als Beweisgrundlage zu verwerten. Hat der Beschuldigte im Vorermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt, so kann dies nicht verlesen werden ; anders ist dies, wenn der Beschuldigte die Erklärung vor dem Untersuchungsführer abgegeben hat und sie in einer Niederschrift festgehalten ist, die dann zum Zwecke der Beweisaufnahme verlesen werden kann (vgl. § 254 Abs. 1 StPO). Wird der Verhörsbeamte über das Geständnis vernommen, so kann ihm das niederschriftlich festgehaltene Geständnis vorgelesen werden. Sollte über die frühere Vernehmung ein Tonband aufgenommen worden sein, so kann dies im Einverständnis mit dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung abgespielt werden26. Aber auch hier dient nur die in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung des Zeugen, der den Beschuldigten in einem früheren Verfahrensstadium verhört hatte, als Beweismittel. Macht der Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so kann trotz § 252 StPO das Disziplinargericht den Beamten, der die Vorermittlungen geführt hat, und den Untersuchungsführer über die frühere Aussage des Zeugen hören; auch in diesem Falle ist nur die in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung des Ermittlungsbeamten bzw. des Untersuchungsführers alleinige Beweisgrundlage. C. Das schriftliche Verfahren im Disziplinarrecht Im Gegensatz zum Prinzip der Mündlichkeit steht das Prinzip der Schriftlichkeit: Quod non est in actis non est in mundo. Dieses Prinzip gilt im Disziplinarrecht außer dem Beschlußverfahren in folgenden Fällen: 1. In den in § 73 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 77 LDO BW, Art. 74 DStOBayr., §73 LDO Bln., § 73 DStO Brm., §73 DO Hmb., §78 HDO, §83 NDO, § 79 DO NW, § 81 LDO Rh.-Pf., §73 DStO Saar und §75 DStO Schl.-Hol. angeführten Fällen entscheidet das Disziplinargericht der 2. Instanz durch Beschluß im schriftlichen Verfahren ; unter den in den o.a. gesetzlichen Vorschriften genannten Voraussetzungen kann die Berufung verworfen oder die Disziplinarsache an die 1. Instanz zurückverwiesen oder zur Hauptverhandlung verwiesen werden; 2. nach § 88 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 93 LDO BW, Art. 89 DStO Bayr., §89 LDO Bln., §88 DStO Brm., §88 DO Hmb., § 93 HDO, § 102 NDO, § 95 DO NW, § 97 LDO Rh.-Pf., § 88 DStO Saar und § 90 DStO Schl.-Hol. kann das Disziplinargericht den Antrag auf Wiederaufnahme im schriftlichen Verfahren durch Beschluß verwerfen, wenn es die gesetzlichen Vorausssetzungen nicht für gegeben oder den Antrag für offentsichtlich unbegründet hält ; 3. nach § 91 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 96 LDO BW, Art. 92 DStOBayr., §92 LDO Bln., §91 DStO Brm., §91 DO Hmb., §96 HDO, §105 NDO, § 98 DO NW, §100 LDO Rh.-Pf., §91 DStO Saar und § 93 DStO Schl.-Hol. kann das Disziplinargericht im Wiederaufnahmeverfahren auf Antrag der Einleitungsbehörde ohne neue mündliche Verhandlung die frühere Entscheidung aufheben und auf Freispruch erkennen, wobei diese Entscheidung endgültig ist. 2(1
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RGSt. Bd. 14 S. 339.
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VII. PRINZIP DER MITTELBARKEIT 2 ' A. Begriff Während nach dem Prinzip der Unmittelbarkeit der Beschuldigte in der Hauptverhandlung seine Erklärungen selbst abgibt, die Zeugen ihre Aussagen mündlich in der Hauptverhandlung machen, der Augenschein vom Gericht in der Hauptverhandlung eingenommen wird und die Erklärungen des Beschuldigten, die Aussagen der Zeugen und die sonstigen Beweise, die in einem früheren Stadium des Verfahrens oder in einem anderen Verfahren gemacht bzw. erhoben worden sind, in der Hauptverhandlung nur dann verwertet werden dürfen, wenn die Erbringung daselbst auf unverhältnismäßig große Schwierigkeiten stößt oder andere wichtige Gründe hierfür maßgebend sind, steht beim Prinzip der Mittelbarkeit nicht das gesprochene Wort im Mittelpunkt der Hauptverhandlung, sondern die Erklärungendes Beschuldigten und die Aussagen der Zeugen werden im Wege der Verlesung von Niederschriften aus einem früheren Verfahrensabschnitt oder aus einem anderen Verfahren zum Gegenstand des Verfahrens und damit zur Urteilsgrundlage gemacht. Daß allgemein das der Beweisfrage nähere Beweismittel den Vorzug vor dem ferneren verdient und daß der unmittelbare Zeuge den Vorrang vor dem mittelbaren Zeugen hat, ist eine Frage der Beweiswürdigung, hat jedoch nichts mit dem Prinzip der Mittelbarkeit zu tun. B. Geschichtliche Entwicklung Solange die Disziplinarentscheidung in den Händen der Dienstbehörde des Beamten lag und sich eine Hauptverhandlung erübrigte, stellte sich die Frage nicht, ob die Beweise unmittelbar erhoben werden mußten. Die Disziplinargesetze, die um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstanden, fußten auf dem Prinzip der Mittelbarkeit, das erst in § 106 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. 5. 1873 (RGBl. S. 61) eine Einschränkung insoweit erfuhr, als auf Antrag eines Prozeßbeteiligten die Beweisaufnahme unmittelbar stattzufinden hatte. Gleiches galt auch nach §§ 44, 42 Abs. 2 der Preuß. Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 59) und den früheren disziplinarrechtlichen Regelungen in Bayern und Baden. Erst durch das Preuß. Gesetz vom 18. 8. 34 (PrGS S. 353) und die RDStO wurde dem Beamten das Recht genommen, die erneute Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in der Hauptverhandlung zu erzwingen. An dieser Regelung hielten auch das ÄndGes. vom 28. 11. 52 (BGBl. I S. 749) und bis auf die Niedersächsische Disziplinarordnung vom 13. 12. 61 (GVB1. 345) sowie die Bayerische Disziplinarordnung vom 20. 4. 48 (GVOB1. S. 67) sämtliche Länderdisziplinarordnungen fest. Die niedersächsische Regelung (im einzelnen hierzu vgl. D S. 44 f.) konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß die Mittelbarkeit im Disziplinarrecht kaum zu rechtfertigen ist, weil der Untersuchungsführer, bei dem der Schwerpunkt der disziplinarischen Aufklärung des Sachverhalts liegt, im allgemeinen nicht über genügend forensische Erfahrung verfügt und keine r i c h t e r l i c h e Unabhängigkeit genießt. Im übrigen ist die Ermittlung der objektiven Wahrheit durch das erkennende Gericht im Ver27 H a r t m a n n , Mängel im Beweisrecht der BDO in N J W 1959 S. 1885; derselbe, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Niedersächsischen Disziplinarordnung vom 1 3 . 1 2 . 1 9 6 1 in ZBR 63 S. 77
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fahrensrecht ganz allgemein anerkannt (vgl. z.B. § 244 Abs. 2 StPO, § 138 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung). Wenn auch das Strafverfahren, das sich nach § 244 Abs. 2 StPO zum Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bekennt, in mancher Hinsicht vom Disziplinarrecht unterscheidet, so ist nicht einzusehen, daß gerade hinsichtlich des Prinzips der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beide Verfahren voneinander abweichen. C. Prinzip der Mittelbarkeit im geltenden Disziplinarrecht Im Disziplinarrecht gilt grundsätzlich das Prinzip der Mittelbarkeit. Ist im Strafverfahren eine Hauptverhandlung beim Ausbleiben des Angeklagten im allgemeinen ausgeschlossen (§ 230 StPO), weil eine Beurteilung desselben nur möglich ist, wenn sich das Strafgericht über ihn ein unmittelbares Bild machen kann, ist das Erscheinen des Beschuldigten in der Hauptverhandlung im Disziplinarrecht nicht notwendig. Die Hauptverhandlung findet vielmehr auch dann statt, wenn der Beschuldigte nicht erschienen ist. Er kann sich durch einen Verteidiger vertreten lassen (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 63 Abs. 1 LDO BW, Art. 60 Abs. 1 DStO Bayr., § 59 Abs. 1 Satz 1 LDO Bln., § 59 Abs. 1 Satz 1 DStOBrm., §59 Abs. 1 Satz 1 DO Hmb., § 64 Abs. 1 Satz 1 HDO, § 70 Abs. 1 Satz 1 NDO, § 65 Abs. 1 Satz 1 DO NW, § 67 Abs. 1 Satz 1 LDORh.-Pf., § 59 Abs. 1 Satz 1 DStO Saar und §§ 61 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol.). Das E r s c h e i n e n des B e s c h u l d i g t e n kann n i c h t e r z w u n g e n w e r d e n : Da dies auch für die Untersuchung gilt, muß also das Disziplinargericht über ihn ein Urteil fällen, ohne daß ein mit der Aufklärung des Sachverhalts und der Berurteilung des Dienstvergehens zuständiges Disziplinarorgan sich ein Bild von der Persönlichkeit des Beschuldigten machen kann. Muß nach § 250 StPO im Strafverfahren eine Person in der Hauptverhandlung vernommen werden, wenn der Beweis einer Tatsache auf deren Wahrnehmung beruht, und darf deren Vernehmung nicht durch Verlesen des Protokolls über eine frühere Vernehmung oder eine schriftliche Erklärung ersetzt werden, es sei denn, daß eine der in § 251 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen gegeben oder alle Prozeßbeteiligte damit einverstanden sind (§ 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO), und ist in diesem Verfahren eine weitere Ausnahme von dem Prinzip der Unmittelbarkeit nach §§ 225, 249 StPO nur bei der Augenscheineinnahme gegeben, so liegt im Disziplinarverfahren der Schwerpunkt der Beweisaufnahme grundsätzlich in der Untersuchung. Das Untersuchungsergebnis trägt der Berichterstatter in der Hauptverhandlung vor, wobei die Niederschriften über Beweiserhebungen aus den sonstigen Verfahrensabschnitten des Disziplinarverfahrens oder aus einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDO, § 61 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle, § 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 LDO BW, Art. 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 DStO Bayr., § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2 LDO Bln., § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2 DStO Brm., § 72 Abs. 1 Satz 1 und 2 NDO, § 67 Abs. 1 Satz 1 und 2 DO NW, § 69 Abs. 1 Satz 1 und 2 LDO Rh.-Pf., § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2 DStO Saar und § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 DStO Schl.-Hol.). N i e d e r s c h r i f t e n über Aussagen von Personen, die schon in e i n e m a n d e r e n gesetzlich geordneten V e r f a h r e n vernommen worden sind, k ö n n e n im D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n 42
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o h n e n o c h m a l i g e V e r n e h m u n g v e r w e r t e t w e r d e n , so daß selbst der Ermittlungsführer und der Untersuchungsführer von einer nochmaligen Vernehmung der in einem solchen Verfahren vernommenen Zeugen Abstand nehmen können (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 20 Abs. 1 Satz 2 LDO BW, wo allerdings die Zustimmung des Beschuldigten zur nochmaligen Verwertung notwendig ist, Art. 18 Abs. 1 Satz 2 DStO Bayr., § 20 Abs. 1 Satz 2 LDO Bln., § 17 Abs. 1 Satz 2 DStO Brm., § 17 Abs. 1 Satz 2 DO Hmb., wo gleichfalls die Zustimmung des Beschuldigten zur abermaligen Verwertung notwendig ist, § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 HDO, wo ebenfalls eine Verwertung ohne nochmalige Vernehmung nur mit Zustimmung des Beschuldigten zulässig ist, § 21 Abs. 1 Satz 2 NDO, § 20 Abs. 1 Satz 2 DO NW, §20 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LDO Rh.-Pf., § 17 Abs. 1 Satz 2 DStO Saar und § 22 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.). D. Ausnahmen von Prinzip der Mittelbarkeit Das Prinzip der Mittelbarkeit ist im Disziplinarrecht durch wenige Ausnahmen durchbrochen, die im Länderdiszipünarrecht häufiger als im Bundesdisziplinarrecht auftreten. Der Vorsitzende des Disziplinargerichts kann Zeugen und Sachverständige zur Hauptverhandlung laden, deren persönliches Erscheinen er für erforderlich hält; ihre Namen sollen in den Ladungen des Bundesdisziplinaranwalts, der Einleitungsbehörde und des Beschuldigten angegeben werden. Ebenso ordnet er die Herbeischaffung anderer Beweismittel an, die er für erforderlich hält (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 LDO BW, Art. 59 Abs. 1 Satz 2 und 3 DStO Bayr., § 58 Abs. 1 Satz 2 und 3 LDO Bln., § 58 Abs. 1 Satz 2 und 3 DStO Brm., § 58 Abs. 1 Satz 2 und 3 DO Hmb., § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 HDO, § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 NDO, wo auch noch die Zeugen zu laden sind, die auf Grund eines Antrages nach § 66 NDO zu vernehmen sind (siehe unten), § 64 Abs. 1 Satz 2 und 3 DO NW, § 66 Abs. 1 Satz 2 und 3 LDO Rh.-Pf., § 58 Abs. 1 Satz 2 und 3 DStO Saar und § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 DStO Schl.-Hol.). Ferner kann das Disziplinargericht neue Zeugen und Sachverständige vernehmen oder eines seiner Mitglieder damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen, wenn es weitere Beweiserhebungen für erforderlich hält (§ 61 Abs. 3 BDO, BDO i.d.F. der Novelle, § 65 Abs. 3 LDO BW, Art. 62 Abs. 3 DStO Bayr., § 61 Abs. 3 LDO Bln., § 61 Abs. 3 DStO Brm., § 61 Abs. 3 DO Hmb., §66 Abs. 3 HDO, § 72 Abs. 3 NDO, § 67 Abs. 3 DO NW, § 69 Abs.3LDORh.-Pf., § 61 Abs. 3 DStO Saar und § 63 Abs. 3 DStO Schl.-Hol.). Bereits unter C ist gezeigt worden, daß nach § 20 Abs. 1 Satz 2 LDO BW, § 17 Abs. 1 Satz 2 DO Hmb. und §18 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 HDO eine nochmalige Verwertung von Zeugenaussagen aus einem anderen Verfahren ohne erneute Vernehmung des Zeugen nur mit Zustimmung des Beschuldigten zulässig ist. Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 DO Hmb. können Niederschriften über Beweiserhebungen aus einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung nur dann gemacht werden, wenn der Beschuldigte damit einverstanden ist; die Aufnahme dieser Bestimmung erübrigt sich mit Rücksicht auf § 17 Abs. 1 Satz 2 DO Hmb. 43
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Nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HDO können Niederschriften über Beweiserhebungen aus dem Disziplinarverfahren oder einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren nicht durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, soweit der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, die als Zeuge oder Sachverständiger geladen und erschienen ist. Eine erhebliche Durchbrechung des Prinzips der Mittelbarkeit bedeutet § 66 NDO. Hiernach können der Vertreter der Einleitungsbehörde und der Beschuldigte beantragen, daß Zeugen, die in einem anderen gerichtlichen Verfahren oder in der Untersuchung vernommen worden sind, in der Hauptverhandlung nochmals vernommen werden (§ 66 Abs. 1 Satz 1 NDO). Hier handelt es sich um das Prinzip des Beweisantragsrechts des Beschuldigten (vgl. für das Strafverfahrensrecht § 244 Abs. 3 StPO), das eine Brücke zum Beweiserhebungsystem des anglo-amerikanischen Prozeßrechts schlägt, wo die Parteien über die Beibringung der Beweise entscheiden. Das Disziplinargericht soll durch § 66 NDO nur zur Beweiserhebung über Tatsachen gezwungen werden, die für das Urteil über Täterschaft und Schuld und die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen von Bedeutung sind ; es gilt demnach nicht für sonstige prozeßerhebliche Umstände, insbesondere nicht für die Feststellung von Verfahrensvoraussetzungen28. Der Antrag auf nochmalige Vernehmung ist in der Anschuldigungsschrift oder, wenn der Beschuldigte ihn stellen will, in seiner Äußerung dazu ( § 6 5 NDO) innerhalb der dafür bestimmten Frist zu stellen ( § 6 6 Abs. 1 Satz 2 NDO). Ein später gestellter Antrag ist unzulässig, wenn nicht triftige Gründe für die Verspätung glaubhaft gemacht werden ( § 6 6 Abs. 1 Satz 3 NDO). Einem zulässigen Antrag muß entsprochen werden, es sei denn, daß er offensichtlich unbegründet ist oder daß Gründe vorliegen, derentwegen nach § 223 Abs. 1 und 2 StPO Zeugen kommissarisch vernommen werden dürfen ( § 6 6 Abs. 1 Satz 4 NDO). Ein Antragsrecht nach § 66 Abs. 1 NDO besteht nicht, soweit die Disziplinarkammer nach § 17 Abs. 3 NDO an die tatsächlichen Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils gebunden ist (§ 66 Abs. 2 NDO). Will der Vorsitzende die in dem Antrag benannten Zeugen nicht laden, weil nach seiner Auffassung dem Antrag nicht entsprochen werden kann, so hat er das dem Antragsteller spätestens mit der Ladung zur Hauptverhandlung mitzuteilen ( § 6 6 Abs. 3 NDO). Ein Antrag nach § 66 NDO ist dann nicht offensichtlich unbegründet, wenn das Disziplinargericht eine vom Untersuchungsführer oder ersuchten Amtsgericht protokollierte Zeugenaussage trotz entgegenstehender Darstellung des Beschuldigten als offensichtlich überzeugend bzw. unglaubhaft oder widerlegt oder als erschöpfend ansieht und deshalb den Antrag auf nochmalige Vernehmung des Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung für offensichtlich unbegründet hält 29 . Würde man zu einer anderen Auffassung gelangen, so würde § 66 NDO jede Bedeutung genommen werden; die Ablehnung des Antrages nach § 66 NDO wegen offensichtlicher Unbegründetheit darf keine vorweggenommene Beweiswürdigung enthalten. Hat der Vorsitzende nach § 66 Abs. 3 NDO von der Ladung eines Zeugen abgesehen, so entscheidet die Disziplinarkammer, ob dem Antrag auf Vernehmung des Zeugen stattzugeben 28 29
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S c h ä f e r bei Löwe-Rosenberg Vorbem. Kap. 11 Β 5 zu StPO. Hartmann a. a. O. S. 78.
Prinzip der Öffentlichkeit und der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung
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ist (§ 72 Abs. 2 Satz 2 NDO). § 66 NDO bezieht sich im übrigen nicht nur auf vernommene Zeugen, sondern auch auf die schriftlichen dienstlichen Auskünfte von Behörden und Beamten i. S. des § 21 Abs. 2 NDO 30 . Ebenso erstreckt sich das Recht des § 66 NDO auch auf die aus den Personalakten vorgetragenen Tatsachen31. Nach Art. 61 Abs. 2 DStO Bayr. kann der Beschuldigte Zeugen und Sachverständige unmittelbar laden, die dann in der Hauptverhandlung nach Art. 62 Abs. DStO Bayr. zu vernehmen sind, soweit das Disziplinargericht die Vernehmung nicht durch begründeten Beschluß für unerheblich erklärt (vgl. Art. 62 Abs. 2 DStO Bayr.). Auch durch das in der DStO Bayr. vorgesehene Ladungsrecht des Beschuldigten wird das Prinzip der Mittelbarkeit durchbrochen. v n i . PRINZIP DER ÖFFENTLICHKEIT UND DER NICHTÖFFENTLICHKEIT DER HAUPTVERHANDLUNG A. Begriff Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung entspricht rechtsstaatlichen Forderungen 32 . Die Verhandlung ist dann öffentlich, wenn sie in einem Raum stattfindet, zu dem grundsätzlich jedermann Zutritt hat, wobei es nicht erforderlich ist, daß sämtliche Personen, die zur Verhandlung Zutritt begehren, auch Einlaß erhalten. Es genügt, wenn der Raum nur wenigen Personen zugänglich ist. Er darf nur nicht so eng sein, daß überhaupt keinem Zuhörer Zutritt gewährt werden kann 33 . Von mittelbarer Öffentlichkeit spricht man dann, wenn mittels Tonbandaufnahmen, Rundfunk oder Fernsehübertragungen auch solche Personen, die nicht im Sitzungssaal anwesend sind, Kenntnis von der Verhandlung alsbald oder später erhalten können. Sollte die mittelbare Öffentlichkeit nicht zugelassen sein, so verstößt dies nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung, die sich nur auf die Möglichkeit bezieht, als außenstehender Dritter der Verhandlung im Sitzungssaal beizuwohnen. Die mittelbare Öffentlichkeit widerspricht sogar der Prozeßökonomie, da z.B. ein Zeuge auf diese Weise von einer Aussage eines vor ihm vernommenen Zeugen Kenntnis erlangen könnte. Außerdem kann sich durch die Übertragung einer Gerichtsverhandlung durch Rundfunk oder Fernsehen der Beschuldigte bzw. Angeklagte gehemmt fühlen und so in seiner Verteidigung beeinträchtigt werden; schon aus diesem Grunde ist die Übertragung einer Verhandlung durch Rundfunk oder Fernsehen bei Widerspruch des Beschuldigten unzulässig. Dehnt sich die Hauptverhandlung auf mehrere Tage aus, so kann eine Rundfunk- oder Fernsehaufnahme, die oft nicht ohne Kommentar erfolgt, außerdem zu einer Voreingenommenheit der Beisitzer führen, so daß gerade deshalb der Vorsitzende des Gerichts selbst dann einer öffentlichen Übertragung widersprechen muß, wenn selbst der Beschuldigte bzw. Angeklagte hiermit einverstanden ist 34 . Nach H a r t m a n n a. a. O. S. 78. H a r t m a n n a. a. O. S. 79. T h i e l e - v o n Kalm, Soll die Hauptverhandlung im Disziplinarverfahren öffentlich oder nicht öffentlich sein? in Ri A 1954 S. 69. 3 3 Vgl. BGHSt. Bd. 9 S. 280. 3 1 BGHSt. Bd. 5 S. 75. 30
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Prinzipien des Disziplinarrechts
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§169 Satz 2 GVG sind daher Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung kann den Belangen der Allgemeinheit und des Beschuldigten bzw. Angeklagten nachteilig sein. Aus diesem Grunde kann die Öffentlichkeit im Strafverfahren ausgeschlossen werden, wenn Nachteile für die Belange des öffentlichen Wohles oder der privaten Beteiligten zu erwarten sind (vgl. §§ 170, 172 GVG). Ebenso verbietet es das Interesse der Erziehung Jugendlicher, daß die Verhandlung vor den Jugendgerichten öffentlich ist (vgl. § 48 JGG). Gleichfalls kommt die Öffentlichkeit bei den sog. Ehrengerichtsverfahren nicht in Frage, wie bei den Verfahren vor den Ärzte- und Anwaltskammern. B. Geschichtliche Entwicklung Die preußischen Disziplinargesetze vom 7. 5. 1851 und 21. 7. 1852 ließen die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zu, weil man der Auffassung war, daß die Behandlung von Verfehlungen vor der Öffentlichkeit das Ansehen der Beamtenschaft beeinträchtigen könnte. Das Reichsbeamtengesetz vom 31. 5. 1873 (RGBl. S. 61) führte im Disziplinarrecht die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ein. Hieran hielten auch die Preußische Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 59) und die Preußische Richterdienststrafordnung vom gleichen Tage (PrGS S. 79) fest. Die Novelle zu den preußischen Dienststrafgesetzen vom 18. 8. 34 (PrGS S. 353) beseitigte wiederum die Öffentlichkeit im Disziplinarverfahren, weil man es nicht für zuträglich hielt, die Verfehlungen der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit zu erörtern. Aus den eben angeführten Erwägungen war auch nach § 60 Abs. 1 RDStO die Hauptverhandlung nicht öffentlich. Nachdem durch Ziff. 14c des Beschlusses Nr. 4 des Exekutivrats vom 17. 2. 48 die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung wiederhergestellt war, haben die Disziplinargesetze Badens, Bremens, Hamburgs, Hessens, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und von Rheinland-Pfalz die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung auf Länderebene abgelehnt. Dagegen haben die Disziplinargesetze der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, Schleswig-Holsteins und Württemberg-Hohenzollerns das Prinzip der Öffentlichkeit im Disziplinarrecht wieder eingeführt, jedoch die Möglichkeit vorgesehen, die Öffentlichkeit in jeder Lage des Verfahrens auszuschließen, ohne daß die sonst erforderlichen Gründe wie in der StPO vorliegen müssen. Während der Regierungsentwurf zum Änderungsgesetz zur Reichsdienststrafordnung die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung vorsah, ging der Ausschuß für Beamtenrecht hiervon ab35. Hierzu stellte er folgendes fest39 : „ § 60 bestimmt im Gegensatz zur Regierungsvorlage, daß die Nichtöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens beibehalten wird. Der Ausschuß 35 36
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Vgl. Protokoll der 124., 128. und 135. Sitzung. Bundestags-Drucksache Nr. 3594.
Prinzip der Öffentlichkeit und der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung
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befaßte sich wiederholt eingehend mit dieser Frage. Er war sich einig, daß die Entscheidung, ob die Öffentlichkeit vom Disziplinarverfahren ausgeschlossen werden kann, davon abhängig ist, ob dieses Verfahren in seiner inneren Natur nach ein Gerichtsverfahren im Sinne der Grundsätze des Prozeßrechtes ist. Dem Ausschuß erschien es unstreitig, daß es sich beim Disziplinarverfahren um ein öffentlich-rechtliches Verfahren handelt, das sich zwischen dem Beschuldigten und der entsprechenden Behörde abspielt. Er kam zu der einhelligen Ansicht, daß es sich nicht so sehr um ein gerichtliches Verfahren als vielmehr um ein Verwaltungsverfahren handelt, dessen Zweck ein interner Reinigungsvorgang der Beamtenschaft ist. Aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis der Beamten ergeben sich besondere Pflichten für diese Gruppen von Menschen. Durch das Disziplinarverfahren soll derjenige, welcher diese besonderen Pflichten der Gruppe verletzt, gleichsam zur Ordnung gerufen, mehr oder minder eindringlich ermahnt oder gar in einer Art öffentlich-rechtlichen Kündigungsverfahren ausgestoßen werden. Das Disziplinarverfahren hat darum große Ähnlichkeit mit einer Ehrengerichtsbarkeit, welche auch sonst unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt zu werden pflegt. Bei diesen Reinigungsverfahren sind auch die Personalakten des Beamten Gegenstand des Verfahrens. Es liegt weder im Interesse der Öffentlichkeit noch des Beamten, diese meist rein persönlichen Dinge öffentlich bekanntzumachen. Auch ist darauf hinzuweisen, daß der Ruf des Beamten, auch im Falle eines Freispruchs, durch die Veröffentlichung solch persönlicher Dinge gefährdet wird. Insoweit ist die NichtÖffentlichkeit zum Schutze des Beamten erforderlich." Der bundesrechtlichen Regelung, wonach die Hauptverhandlung vor den Disziplinargerichten nicht öffentlich ist, haben sich die Disziplinargesetze von Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen und SchleswigHolstein angeschlossen. Während die Länder Bayern, Bremen und Niedersachsen grundsätzlich die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung wiederhergestellt haben, läßt das Rheinland-Pfalz, das wohl an der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung festhält, die Öffentlichkeit jedoch auf Antrag wieder zu. C. Die geltende Regelung in Bund und Ländern 1. N i c h t Ö f f e n t l i c h k e i t der H a u p t v e r h a n d l u n g Die Disziplinargesetze, die an der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung festhalten, lassen sich in erster Linie davon leiten, daß es das Ansehen des Dienstherrn erfordert, daß Interna der Beamtenschaft nicht in der Öffentlichkeit behandelt werden, zumal diese nach den bisher gezeigten Erfahrungen an den Disziplinarverfahren ohnehin nur ein geringes Interesse zeigt. Überdies liegt nach dieser Auffassung die N i c h t Ö f f e n t l i c h k e i t a u c h im I n t e r e s s e des Beamten, da bei der Erörterung seiner Gesamtpersönlichkeit in der Hauptverhandlung aus seinen Personalakten und sonstwie Vorgänge zur Sprache kommen, deren Kenntnisnahme in der Öffentlichkeit dem Beamten oft nachteilig werden kann. Da man in dem Disziplinarverfahren eine Art Ehrengerichtsverfahren sieht, und bei solchen Verfahren die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, sieht man auch im Disziplinarrecht keinen 47
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Anlaß, von der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung abzugehen. Sie stellt keinen Ausfluß nationalsozialistischen Rechts dar, zumal sie schon in verschiedenen Disziplinargesetzen vor 1933 anzutreffen war 37 . Die Nichtöffentlichkeit ist vorgesehen im a) Bund. Nach § 60 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist die Hauptverhandlung nicht öffentlich. Der Bundesminister des Innern und die von ihm ermächtigten Personen sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihm beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§60 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Der Vorsitzende des Gerichts kann andere Personen zulassen, wenn ein durch körperliches Gebrechen behinderter Beschuldigter ihrer zur Hilfeleistung bedarf (vgl. § 60 Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). b) B a d e n - W ü r t t e m b e r g Nach § 64 Satz 1 LDO BW ist die Hauptverhandlung nicht öffentlich. Die Mitglieder der Landesregierung und die von ihr ermächtigten Bediensteten sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§64 Satz 2 LDO BW). Der Vorsitzende der Disziplinarkammer kann andere Personen zulassen, wenn ein durch körperliche Gebrechen behinderter Beschuldigter ihrer zur Hilfeleistung bedarf (§ 64 Satz 3 LDO BW). c) B e r l i n § 60 Salz 1 und 3 LDO Bln. entspricht § 64 Satz 1 und 3 LDO BW. Der Senator für Inneres und die von ihm ermächtigten Personen sowie Dienstvorgesetzte des Beschuldigten oder von ihm beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§60 Satz 2 LDO Bln.). d) H a m b u r g § 60 Satz 1 und 4 DO Hmb. entspricht § 64 Satz 1 und 3 LDO BW. Die Mitglieder des Senats und der nach Art. 45 Abs. 2 und Art. 63 Abs. 1 der Hamburgischen Verfassung eingesetzten Ausschüsse können der Verhandlung beiwohnen (§60 Satz 2 DO Hmb.). Das gleiche gilt für vom Senat ermächtigte Personen (§60 Satz 3 DO Hmb.). e) H e s s e n Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich ( § 6 5 Satz 1 HDO). Der Ministerpräsident, der Minister des Innern, die von ihm ermächtigten Personen sowie Dienstvorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen schriftlich beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen ( § 6 5 Satz 2 HDO). Der Vorsitzende der Disziplinarkammer kann Amtsgehilfen und Bewachungspersonal hinzuziehen und Personen zulassen, deren ein durch körperliche Gebrechen behinderter Beschuldigter zur Hilfeleistung bedarf ( § 6 5 Satz 3 HDO). 37 OVG Hamburg in DVB1.1950 S. 475; vgl. auch DStH beim OVG Lüneburg in DVB1.1953 S. 406.
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Prinzip der Öffentlichkeit und der NichtÖffentlichkeit der Hauptverhandlung
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f) S a a r l a n d Hier gilt § 60 Abs. 1 RDStO, wobei nach Satz 2 der Minister des Innern, die von ihm ermächtigten Personen sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte der Hauptverhandlung beiwohnen können. g) S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 62 Satz 1 und 3 DStO Schl.-Hol. entspricht § 64 Satz 1 und 3 LDO BW. Die Einleitungsbehörde und die von ihr ermächtigten Personen sowie die Vorgesetzten des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§ 62 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). 2. Nicht ö f f e n t l i c h k e i t der Haupt Verhandlung, j e d o c h H e r s t e l l u n g der Ö f f e n t l i c h k e i t auf A n t r a g Ein berechtigtes Interesse der Einleitungsbehörde oder des Beschuldigten kann erfordern, daß das Disziplinargericht öffentlich verhandelt. Letzteres ist ζ. B. dann der Fall, wenn der Beschuldigte wegen zu Unrecht erhobener Vorwürfe in der Öffentlichkeit rehabilitiert sein will. In einem solchen Falle soll den Beteiligten die Möglichkeit eröffnet werden, die Herstellung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung zu beantragen. Ein solches Verfahren sehen die Länderregelungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor. a) N o r d r h e i n - W e s t f a l e n Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich (§66 Abs. 1 Satz 1 DO NW). Der Innenminister und die von ihm ermächtigten Personen sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§66 Abs. 1 Satz 2 DO NW). Der Vorsitzende der Disziplinarkammer kann andere Personen zulassen, wenn ein durch körperliche Gebrechen behinderter Beschuldigter ihrer zur Hilfeleistung bedarf (§ 66 Abs. 1 Satz 3 DO NW). Auf Antrag des Vertreters der Einleitungsbehörde oder des Beschuldigten ist die Öffentlichkeit herzustellen (§66 Abs. 2 Satz 1 DO NW). In diesen Fällen finden die Vorschriften der §§ 172 bis 174 GVG entsprechende Anwendung (§ 66 Abs. 2 Satz 2 DO NW). Nach § 172 GVG kann in allen Sachen durch das Gericht für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, eine Gefährdung der Sittlichkeit oder die Gefährdung eines wichtigen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses besorgen läßt. Hierbei ist zu beachten, daß „Staatssicherheit" i. S. des § 172 GVG nicht mit dem Begriff Staatswohl zusammenfällt38. Die öffentliche Ordnung wird insbesondere durch eine Störung der Verhandlung39 oder durch die Erschwerung der Wahrheitsermittlung gefährdet40. Dies gilt auch dann, wenn einem Zeugen bei einer wahrheitsgemäßen Aussage in öffentlicher Verhandlung durch eine andere Person eine Gefahr für Leib oder Leben droht41. Die Verkün38 39 40 41
GA 47 S. 383. RGSt. Bd. 30 S. 104. RGSt. Bd. 30 S. 224, Bd. 64 S. 386. BGHSt. Bd. 3 S. 344.
4 L i o d g e n , Disziplinarrecht I
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dung des Urteils erfolgt in jedem Falle öffentlich (§ 173 Abs. 1 GVG). Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann unter den Voraussetzungen des § 172 GVG auch für die Verkündung der Urteilsgründe oder eines Teiles davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden (§ 173 Abs. 2 GVG). Auf jeden Fall muß aber die F o r m e l des U r t e i l s ö f f e n t l i c h v e r k ü n d e t werden. Die Wiederherstellung der Öffentlichkeit muß in den Fällen der §§ 172, 173 GVG aus der Sitzungsniederschrift ersichtlich sein42. Ein unter Ausschluß der Öffentlichkeit verkündetes Urteil ist nicht ohne weiteres unwirksam. Über die Ausschließung der Öffentlichkeit ist in nichtöffentlicher Sitzung zu verhandeln, wenn ein Beteiligter es beantragt oder das Gericht es für angemessen erachtet (§ 174 Abs. 1 Satz 1 GVG). Der Beschluß, der die Öffentlichkeit ausschließt, muß öffentlich verkündet werden (§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG). Bei der Verkündung ist in den Fällen der §§ 172, 173 GVG anzugeben, aus welchem Grund die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist (§ 174 Abs. 1 Satz 3 GVG). Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit oder eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses ausgeschlossen, so kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung, durch die Anschuldigungsschrift oder durch andere amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen (§ 174 Abs. 2 Satz 1 GVG). Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen (§ 174 Abs. 2 Satz 2 GVG). Er ist anfechtbar (§ 174 Abs. 2 Satz 3 GVG). Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 174 Abs. 2 Satz 4 GVG). b) R h e i n l a n d - P f a l z § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 LDO Rh.-Pf. entspricht § 66 Abs. 1 Satz 1 und 3 DO NW. Der Ministerpräsident, der Minister des Innern, die von ihnen ermächtigten Personen sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte können der Verhandlung beiwohnen (§68 Abs. 1 Satz 2 LDO Rh.-Pf.). Auf Antrag des Vertreters der Einleitungsbehörde oder des Beschuldigten kann die Disziplinarkammer durch endgültigen Beschluß die Öffentlichkeit herstellen (§ 68 Abs. 2 Satz 1 LDO Rh.-Pf.). Die Vorschriften der §§ 172 bis 174 GVG finden Anwendung (§ 68 Abs. 2 Satz 2 LDO Rh.-Pf.). 3. Ö f f e n t l i c h k e i t der H a u p t v e r h a n d l u n g Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung kann im Interesse des Dienstherrn und des Beamten liegen. Eine Verhandlung hinter verschlossenen Türen dürfte nämlich Mißdeutungen und Argwohn ausgesetzt sein, womit den öffentlichen Belangen nicht gedient ist. Ob es innerhalb der Verwaltung zu Unregelmäßigkeiten kommt, dürfte jeden Staatsbürger interessieren. Durch seine Teilnahme an der Verhandlung kann er sich überzeugen, ob und wie der schuldige Beamte bestraft wird. Der Beschuldigte hat zudem die Gelegenheit, sich in aller Öffentlichkeit zu rechtfertigen; wenn Schäden infolge einer öffentlich durchgeführten Verhandlung zu erwarten sind, dürften die Bestimmungen der §§172 bis 174 GVG ausreichen, um die Öffentlichkeit auszuschließen. Sollten die Einleitungsbehörde und der Beschuldigte infolge der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine Gefährdung oder Beeinträchti42
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RGSt. Bd. 35, S. 103.
Prinzip der Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit Hauptverhandlung
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gung ihrer Interessen erblicken, so muß außerdem diesen am Verfahren beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden, den Ausschluß der Öffentlichkeit zu beantragen. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung sehen die disziplinarrechtlichen Regelungen von Bayern, Bremen und Niedersachsen vor. a) B a y e r n Die Hauptverhandlung ist öffentlich (Art. 61 Abs. 1 Satz 1 DStO Bayr.). Die Öffentlichkeit kann aus den in § 172 genannten Gründen ausgeschlossen werden (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 DStO Bayr.). Über die Voraussetzungen des § 172 GVG siehe 2a S. 49f. b) B r e m e n Die Hauptverhandlung ist öffentlich ( § 6 0 Abs. 1 Satz 1 DO Brm.). Die Öffentlichkeit kann aus besonderen Gründen auf Antrag des Beschuldigten oder des Vertreters der Einleitungsbehörde (Anklagevertreter) oder von Amts wegen durch Beschluß des Dienststrafkammer oder des Dienststrafhofs ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen beschränkt werden ( § 6 0 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.). Die Gründe des Ausschlusses oder der Beschränkung der Öffentlichkeit müssen aus dem Sitzungsprotokoll hervorgehen (§60 Abs. 1 Satz 3 a. a. O.). Die Urteilsverkündung hat in öffentlicher Sitzung stattzufinden (§60 Abs. 1 Satz 4 a. a. O.). Die Verhandlung über den Ausschluß oder die Beschränkung der Öffentlichkeit erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung, die Verkündung des darüber gefaßten Beschlusses jedoch in öffentlicher Sitzung (§60 Abs. 2 Satz 1 a. a. O.). Die Befolgung dieser Vorschrift muß aus dem Sitzungsprotokoll hervorgehen ( § 6 0 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). c) N i e d e r s a c h s e n Die Hauptverhandlung ist öffentlich ( § 7 1 Abs. 1 NDO). Die Disziplinarkammer kann die Öffentlichkeit ausschließen, wenn die Voraussetzungen des § 172 GVG vorliegen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 NDO). Darüber hinaus kann die Disziplinarkammer auf Antrag des Vertreters der Einleitungsbehörde oder auf Antrag des Beschuldigten die Öffentlichkeit ausschließen, wenn ein berechtigtes Interesse an einer Verhandlung unter Ausschluß der Öffentlichkeit besteht (§ 71 Abs. 2 Satz 2 NDO). Die Entscheidungen über den Ausschluß der Öffentlichkeit sind endgültig (§ 71 Abs. 2 Satz 3 NDO). Die §§ 173 bis 175 GVG sind entsprechend anzuwenden (§ 71 Abs. 3 Satz 1 NDO). Einer nicht öffentlichen Verhandlung können auch der Minister des Innern und die von ihm ermächtigten Personen sowie Vorgesetzte des Beschuldigten oder von ihnen beauftragte Beamte beiwohnen ( § 7 1 Abs. 3 Satz 2 NDO). Über die Voraussetzungen der §§ 172 bis 174 GVG siehe 2a S. 49f. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, die sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder die in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen (§ 175 Abs. 1 GVG). Zu nichtöffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelner Personen vom Gericht gestattet werden (§ 175 Abs. 2 Satz 1 GVG). Einer Anhörung der Beteiligten bedarf es nicht 4*
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Prinzipien des Disziplinarrechts
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(§ 175 Abs. 2 Satz 2 GVG). Die Ausschließung der Öffentlichkeit steht der Anwesenheit der die Dienstaufsicht führenden Beamten der Disziplinargerichtsbarkeit bei den Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht nicht entgegen (§ 175 Abs. 3 GVG). Die Entscheidung zu § 175 Abs. 2 GVG kann nur das Gericht, die Entscheidung nach § 175 Abs. 1 GVG auch der Gerichtswachtmeister treffen. § 175 GVG kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn der Zuhörer in einem angetrunkenen Zustand oder in verschmutzten Kleidern erscheint43. IX. PRINZIP DER FREIEN BEWEISWÜRDIGUNG Einen Ausfluß des Instruktionsprinzips ist das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Der Beschuldigte kann nur dann verurteilt werden, wenn seine Schuld bewiesen ist. Hierbei gilt das Prinzip der freien Beweiswürdigung: über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheiden nämlich die Disziplinargerichte nach ihrer freien Überzeugung (§62 Abs. 2 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, § 66 Abs. 2 Satz 2 LDO BW, Art. 63 Abs. 2 Satz 2 DStO Bayr., § 62 Abs. 2 Satz 2 LDO Bln., § 62 Abs. 2 Satz 2 DStO Brm., § 62 Abs. 2 Satz 2 DO Hmb., § 67 Abs. 2 Satz 2 HDO, § 73 Abs. 2 Satz 2 NDO, § 68 Abs. 2 Satz 2 DO NW, § 70 Abs. 2 Satz 2 LDO Rh.-Pf., §62 Abs. 2 Satz 2 DStO Saar und §64 Abs. 2 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). Hierbei ist es gleichgültig, ob es sich um die Feststellung des tatsächlichen Herganges, die Wertung des Herganges als Dienstvergehen, die Wertung des Grades des Verschuldens — Vorsatz oder grobe oder leichte Fahrlässigkeit — um schuld- und rechtswidrigkeits-ausschließende Umstände, die Bestrafung oder die Art und die Höhe der Disziplinarstrafe handelt. Bestehen nach Erschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten trotzdem noch Z w e i f e l , so m ü s s e n sie sich z u g u n s t e n des B e s c h u l d i g t e n a u s w i r k e n . Der aus § 261 StPO zu entnehmende Grundsatz in dubio pro reo gilt auch im Disziplinarrecht. Er umfaßt auch die für die Strafzumessung bedeutsamen Tatsachen, indem die eine höhere Bestrafung begründenden Tatsachen zur richterlichen Überzeugung bewiesen sein müssen, wogegen ein Zweifel, ob die Voraussetzungen für die Zubilligung mildernder Umstände oder für eine sonstige Milderung oder das Absehen von Strafe gegeben sind, sich zugunsten des Beschuldigten auswirkt 44 . Rechtsfragen können nicht „in dubio pro reo" dahingestellt bleiben, sondern müssen entschieden werden45. Das freie Beweiswürdigungsrecht findet seine Grenze in § 13 Abs. 3 BDO, § 14 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle, § 16 Abs. 4 LDO BW, § 16 Abs. 3 LDO Bln., § 13 Abs. 3 DStO Brm., § 13 Abs. 3 DO Hmb., § 14 Abs. 3 HDO, § 17 Abs. 3 NDO § 16 Abs. 3 DO NW und § 13 Abs. 3 DStO Saar. Hiernach sind für die Entscheidung im Disziplinarverfahren die t a t s ä c h l i c h e n F e s t s t e l l u n g e n des s t r a f g e r i c h t l i c h e n U r t e i l s b i n d e n d , welche die Entscheidung des Strafgerichts tragen, wenn nicht das Disziplinargericht übereinstimmend die nochmalige Nachprüfung der tatsächlichen Feststellungen beschließt; ist eine Ubereinstimmung nicht zu erzielen, so Schwarz, Anm. 1 zu § 175 GVG. BGH in MDR 1952 S. 407; OLG Hamm in HESt. Bd. 2 S. 254; a. M. Uibel in NJW 1960 S. 1898. 45 OLG Hamm 19. 6. 64 — 3 Ss 530/64 — in JMB1NRW1964 S. 203 43
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Allgemeines
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muß es bei den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts verbleiben. Nach Art. 14 Abs. 3 DStO Bayr. und § 18 Abs. 3 DStO Schl.-Hol. sind für das Dienststrafverfahren die tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils hingegen nicht bindend; sie können aber der Entscheidung im Dienststrafverfahren ohne erneute Nachprüfung zugrunde gelegt werden.
§ 6. Geltungsbereich des Disziplinarrechts I. ALLGEMEINES Hinsichtlich des Geltungsbereichs des Disziplinarrechts ist zunächst einmal darauf abzustellen, für welchen Personenkreis die jeweiligen Disziplinargesetze gelten. Hierbei ist zwischen der bundesrechtlichen Regelung und den einzelnen Länderdisziplinargesetzen zu unterscheiden. Ist die Frage nach dem persönlichen Geltungsbereich geklärt, so ist weiterhin zu prüfen, welche Pflichtverletzungen durch das jeweils geltende Disziplinarrecht erfaßt werden; hier handelt es sich um den persönlichen und zeitlichen Geltungsbereich. Der persönliche Geltungsbereich ergibt sich für das Bundesdisziplinarrecht aus § 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Darüber hinaus ist er durch andere Gesetze erweitert worden, nämlich durch Art. 3 Abs. 1 ÄndGes. 1952, § 9 Ges. 131 und § 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der in einzelnen Verwaltungszweigen des Landes Berlin beschäftigten Personen vom 26. 4. 57 (BGBl. I S. 397). Der Dienstvorgesetzte, die Einleitungsbehörde und das Disziplinargericht müssen von Amts wegen und in jeder Lage des Verfahrens prüfen, ob der Beschuldigte auf Grund der BDO verfolgt werden kann 1 . H i e r b e i h a n delt es sich um eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g . Eine Disziplinarverfügung des Dienstvorgesetzten, die sich gegen einen Beschuldigten richtet, der nicht von der BDO erfaßt wird, ist unwirksam. Das gleiche gilt von einem Disziplinarurteil, das gegen einen nicht durch die BDO erfaßten Beschuldigten ergeht. Einer ausdrücklichen Unwirksamkeitserklärung des erlassenen Urteils durch das Gericht bedarf es nicht. Wäre also einem Widerrufsbeamten ein Unterhaltsbeitrag gewährt worden, so kann er aus diesem Urteil keinerlei vermögensrechtliche Ansprüche herleiten. Ist ein förmliches Disziplinarverfahren gegen einen Beschuldigten eingeleitet worden, der nicht durch die BDO erfaßt ist, so ist das Verfahren vor Rechtshängigkeit durch die Einleitungsbehörde, nachher durch das Disziplinargericht, einzustellen. Das Disziplinargericht kann sich der Statusfrage nicht dadurch entziehen, daß es den Verwaltungsgerichten überläßt zu klären, welchen Status der Beschuldigte trägt. Die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Disziplinarverfahren ist dem Dienstvorgesetzten, der Einleitungsbehörde und vor allem dem Disziplinargericht übertragen. Dies gilt vor allem für die Statusfrage, obgleich die Entscheidung dieser Frage im Disziplinarverfahren incidenter ergeht und für andere Behörden und Gerichte keine bindende Wirkung hat. Das Disziplinargericht kann weder die Ansicht einer Verwaltungsbehörde über den Rechtsstatus eines Beschuldigten ohne eigene Prüfung für sich als verbindlich ansehen, noch die rechtskräftige Entscheidung eines Verwaltungs1 RÜHE Bd. 1 S. 129/30, Bd. 2 S. 1 und 7, Bd. 3 S. 100; PrOVG Bd. 92 S. 246; BDH 16. 6. 53 — I D 30/53 —; Behnke Anm. 4 zu § 1 BDO, W i t t l a n d Anm. 6 zu § 1 RDStO.
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gerichtes darüber erzwingen; es muß selbst nach der Sach- und Rechtslage des Einzelfalles den Status feststellen2. Für welche Taten der Beamte verfolgt werden kann (sachlicher Geltungsbereich), ergibt sich aus den allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften und aus § 2 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Außerdem regelt § 2 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Disziplinarverfolgung bei einem unterbrochenen Beamtenverhältnis; diese Bestimmung wird durch Art. 4 Satz 1 ÄndGes. 1952 vervollständigt, worin festgelegt ist, inwieweit das Bundesdisziplinarrecht auch auf solche Verfehlungen Anwendung findet, die vor Inkrafttreten der BDO begangen worden sind. Dienstvorgesetzter, Einleitungsbehörde und Disziplinargericht müssen auch hier von Amts wegen prüfen, ob die Tat verfolgbar ist. Die Verfolgbarkeit der Tat ist ebenfalls Prozeßvoraussetzung. Ist die Tat nicht verfolgbar, so ist der Beamte nicht freizusprechen, sondern das förmliche Disziplinarverfahren ist nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 63 Abs. 3 Satz 1 bzw. § 73 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle einzustellen3. Π. PERSÖNLICHER GELTUNGSBEREICH A. Unter das Bundesdisziplinarrecht fallende Personen Der persönliche Geltungsbereich der BDO ergibt sich aus § 1 i. d. F. 3. BRÄG. Er hat folgenden Wortlaut: „(1) Die Bundesdisziplinaranordnung gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem Bundesbeamtengesetz unterliegen. (2) Frühere Bundesbeamte, die Unterhaltsbeiträge nach den §§ 50, 120, 142, 143,162 oder 177 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes beziehen oder denen eine Abfindungsrente nach § 153 des Bundesbeamtengesetzes zugesichert ist oder gewährt wird, gelten bis zum Ende dieses Bezuges als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt. Das gleiche gilt für eine frühere Beamtin, die eine ihr nach § 152 des Bundesbeamtengesetzes zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten hat." Die Novelle zur BDO erweitert den Personenkreis, der durch das Bundesdisziplinarrecht erfaßt wird. Andererseits fallen die Personen fort, die Unterhaltsbeiträge nach §§50 und 162 BBG beziehen, weil diese im allgemeinen durch die Bewilligungsstellen im Wege des Widerrufs entzogen werden können, so daß sich der Disziplinarrechtsweg erübrigt. § 1 BDO i. d. F. der Novelle trägt folgenden Wortlaut: „(1) Die Bundesdisziplinarordnung gilt für Beamte und Ruhestandsbeamte, die dem Bundesbeamtengesetz unterliegen. (2) Frühere Beamte, die Unterhaltsbeiträge auf Lebenszeit nach den §§ 120 oder 177 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes, Ubergangsgebührnisse nach § 17 Abs. 1 des Bundespolizeibeamtengesetzes oder für die Dauer einer Erwerbsbeschränkung Unterhaltsbeiträge nach den § § 142 oder 177 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes oder nach den §§ 19 oder 20 des Bundespolizeibeamtengesetzes erhalten, gelten bis zum Ende dieses Bezuges als Ruhestandsbeamte; ihre Bezüge gelten als Ruhegehalt. Das gleiche gilt für frühere Beamtinnen, die 2 3
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DokBer. Nr. 1331. Behnke Anm. 4 zu § 2 BDO; RDHE Bd. 2 S. 10 und Bd. 3 S. 127.
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eine ihnen nach § 152 des Bundesbeamtengesetzes zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten haben oder denen eine Abfindungsrente nach § 153 des Bundesbeamtengesetzes zugesichert ist oder gewährt wird." 1. B u n d e s b e a m t e Die BDO, BDO i. d. F. der Novelle gilt zunächst einmal für Beamte, die dem Bundesbeamtengesetz unterliegen (vgl. § 1 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Sie erstreckt sich also nicht wie die RDStO auf alle deutsche Beamte. Für die Länderbeamten gilt das Landesdiszipünarrecht (vgl. hierzu Β S. 70). Unter die BDO, BDO i. d. F. der Novelle fallen zunächst sämtliche Beamte, die als Bundesbeamte ernannt worden sind. Ferner kommen die Beamten anderer Dienstherren in Frage, die k r a f t G e s e t z e s i n d e n B u n d e s d i e n s t g e t r e t e n sind. Hierzu gehören u. a. 1. die im Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen als Beamte im Dienst befindlichen Verwaltungsangehörigen nach Abschn. IV A Nr. 4 der 2. VO zur Durchführung des BPG vom 10. 10. 50 (BGBl. I S. 726), soweit nicht nach Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 4 Abs. 4 a. a. O. etwas anderes bestimmt ist; 2. sämtliche zur Zeit des Inkrafttretens des Finanzverwaltungsgesetzes vom 6. 9. 50 (BGBl. S. 448) in der Zoll- und Verbrauchssteuerverwaltung beschäftigten Beamten der Länder mit dem 1. 10. 50 (§ 36 a. a. O. und Erlaß des BdF vom 14. 9. 50 (MinBIFin. S. 511); 3. die bei den Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern beschäftigten Beamten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (§37 Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. 3. 52 (BGBl. I S. 123) ; 4. die im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst vom 1. 1. 52 (BGBl. I S. 738) bei den in § 2 a. a. O. genannten Wetterdiensten beschäftigten Beamten ( § 7 Abs. 4 a. a. O.); 5. die im Dienst der „Eisenbahnen des Saarlandes" und der Post- und Telegrafenverwaltung des Saarlandes stehenden Beamten (§13 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. 12. 56 (BGBl. I S. 1011); nach § 1 des Gesetzes zur Einführung des Beamtenrechts des Bundes im Saarland vom 30. 6. 59 in Verbindung mit der Bekanntmachung des Bundesministers des Auswärtigen über die Beendigung der Übergangszeit im Saarland vom 30. 6. 1959 (BGBl. I S. 332,401) gilt seit dem 6. 6. 1959 das Beamtenrecht des Bundes und damit die BDO auch im Saarland; 6. die Beamten der Bank deutscher Länder, der bisherigen Landeszentralbanken und der Berliner Zentralbank als Beamte der Deutschen Bundesbank ( § 4 0 Gesetz über die Deutsche Bundesbank v. 26.7. 56 (BGBl. I S. 745) ; 7. diejenigen Personen, die am 8. 5. 45 als Beamte bei einer im Bundesgebiet liegenden Dienststelle der Bahn, Post oder einer sonstigen früheren Reichsverwaltung, deren Aufgaben von Dienststellen bundeseigener Verwaltung übernommen worden sind, im Dienst standen und aus anderen als beamten55
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rechtlichen Gründen ausgeschieden sind, aber weder der NSDAP noch ihren Gliederungen angehört haben und durch rechtskräftigen Bescheid als von den Vorschriften zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" nicht betroffen erklärt worden sind (§ 63 Abs. 2 G 131). Fernerhin sind Bundesbeamte diejenigen Beamten anderer Dienstherren, die bei der Umbildung von Körperschaften auf Grund der gesetzlichen Verpflichtung in § 128 Abs. 2 bis 4 B R R G durch Übernahmeverfügung nach § 129 Abs. 1, 3 und 4 B R R G in den Dienst des Bundes oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts übernommen worden sind. Schließlich sind Bundesbeamte diejenigen Beamten anderer Dienstherrn, die nach Inkrafttreten des B R R G (1. 9. 57) mit ihrer Zustimmung in den Bundesdienst versetzt worden sind, wobei das Beamtenverhältnis mit dem Bund oder der betreffenden bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts fortgesetzt worden ist; in diesen Fällen bedarf es der Aushändigung einer neuen Ernennungsurkunde nicht (§§ 123, 18 BRRG). Für die Anwendung der B D O ist es gleichgültig, ob der Beamte in unmittelbaren oder im mittelbaren Bundesdienst steht. Im unmittelbaren Bundesdienst steht, wer den Bund unmittelbar zum Dienstherrn hat, wie ζ. B. die Beamten der bundeseigenen Verwaltungen, der obersten Bundesbehörden, der Bundesoberbehörden, die Bundesbahnbeamten ( § 1 9 Satz 2 des Bundesbahngesetzes vom 13. 12. 51 [BGBl. I S. 955]) und die Beamten der Deutschen Bundespost ( § 2 3 des Postverwaltungsgesetzes vom 24. 7. 53 [BGBl. I S. 676]). Zu den mittelbaren Bundesbeamten rechnen die Beamten, die eine bundesunmittelbare Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zum Dienstherrn haben (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BBG). Diese Einrichtungen sind kraft Gesetzes oder auf Grund gesetzlicher Ermächtigung eigene Rechtspersönlichkeiten und besitzen deshalb Dienstherrnfähigkeit; hierzu rechnen ζ. B. die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Die Beamten im Dienstbereich der Landespostdirektion Berlin und der Zoll- und Verbrauchsteuerverwaltung einschließlich der Monopolverwaltung für Branntwein und des Devisenüberwachungsdienstes sowie der Sondervermögens- und Bauverwaltung des Landesfinanzamtes Berlin sind wohl Landesbeamte; jedoch sind auf sie die für die entsprechenden Bundesverwaltungen jeweils geltenden Bestimmungen, also auch die BDO und das sonstige Bundesdisziplinarrecht, sinngemäß anzuwenden ( § 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der in einzelnen Verwaltungszweigen des Landes Berlin beschäftigten Personen vom 26. 4. 57 [BGBl. S. 397]). Die sinngemäße Anwendung von Bundesrecht auf diesen Personenkreis ergibt sich aus der Eigenart dieser Berliner Verwaltungen, die wohl de jure Landesverwaltungen geblieben sind, jedoch de facto schon mit Rücksicht auf ihre finanzielle Abhängigkeit vom Bund wie Bundesverwaltungen behandelt werden. Wer Beamter ist, ergibt sich aus § § 4 bis 6 BBG. Das Beamtenverhältnis wird durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde begründet, in der die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis" mit dem Zusatz „auf Lebenszeit", „auf Probe" oder „auf Widerruf" enthalten sind ( § 6 Abs. 2 BBG). 3a Der gesamte Wortlaut der Ernennungsurkunde ist in den Durchfüh3a
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Wemmer, Die Aushändigung einer beamtenrechtlichen Urkunde DöY 1964 S. 769.
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rungsbestimmungen zur Anordnung des Bundespräsidenten über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Bundesrichter vom 14. 10. 55 (BGBl. 1 S. 681) festgelegt. Sollte die Urkunde die im Gesetz zwingend vorgeschriebenen Angaben nicht enthalten, so handelt es sich selbst dann nicht um eine Ernennung im Sinne des § 6 BBG, wenn die Urkunde den vorgeschriebenen Wortlaut sinngemäß wiedergibt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 BBG). Wird jedoch im übrigen von dem in den o. a. Durchführungsbestimmungen vom 14. 10. 55 vorgeschriebenen Wortlaut abgewichen, so bleibt die Ernennung trotzdem wirksam. Gleiches gilt auch dann, wenn die Ernennungsurkunde die Worte „auf Lebenszeit", die Begleitverfügung jedoch im Widerspruch hierzu einen Widerrufsvorbehalt enthält, weil immer nur der Wortlaut der Ernennungsurkunde maßgebend ist4. Die zwingende und formstrenge Bestimmung, daß der Beamte auf Lebenszeit nur derjenige ist, der eine Urkunde erhalten hat, in der die Worte „auf Lebenszeit" enthalten sind, kann nicht unter Berufung auf das Versehen der Dienstbehörde dadurch umgangen werden, daß der Beamte im Disziplinarverfahren wie ein Beamter auf Lebenszeit behandelt wird 6 . Enthält die Ernennungsurkunde Unklarheiten, so gehen diese im übrigen zu Lasten des Dienstherrn6. Ist dem Beschuldigten in der Übergangszeit nach 1945 eine Ernennungsurkunde ausgehändigt worden, in der die in § 27 DBG geforderten Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit" zwar nicht in dieser wortgemäßen Reihenfolge, aber inhaltlich enthalten sind, so ist er trotzdem Beamter geworden 7 . So würde es genügen, wenn ζ. B. die Ernennungsurkunde folgendermaßen lauten würde: „Ich ernenne den Heinz Müller zum Postschaffner. Die Ernennung erfolgt auf Lebenszeit. Die Aushändigung dieser Urkunde hat rechtsbegründende Wirkung." Im übrigen kommt es nicht auf den Willen der Anstellungskörperschaft allein an, sondern es ist entscheidend, was in der Urkunde zum Ausdruck kommt. Die Ernennung bedarf der Einwilligung des zu Ernennenden, weil die Ernennung schon mit Rücksicht darauf, daß sie nicht nur Rechte verleiht, sondern auch Pflichten begründet, als mitwirkungsberechtigter Verwaltungsakt anzusehen ist. Daher ist eine Ernennung, die ohne Einwilligung des zu Ernennenden erfolgt ist, rechtsunwirksam8. Die Einwilligung kann jedoch stillschweigend vorgenommen werden, was ζ. B. dann der Fall ist, wenn der zu Ernennende die Ernennungsurkunde ohne Einwendungen entgegennimmt oder unmittelbar nach Aushändigung derselben seinen Dienst als Beamter aufnimmt9. Erst mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde wird die Ernennung wirksam. Sie muß mit Willen der zuständigen Behörde in die Hände des zu Ernennenden gelangt und von diesem ohne Vorbehalt angenommen sein. Mit der vorbehaltlosen Annahme der Ernennungsurkunde ist das Beamtenverhältnis begründet; die Weigerung der Eidesleistung führt lediglich zur Entlassung BDI! 20. 3. 56 — I D 90/54 — BDHE Bd. 3 S. 58 = Lindgen Teil IV Nr. 306. BDH 9.12. 53 — II D 99/53 — in ZBR 1954 S. 93. « VGH Kassel 19.1. 54 — in DVB1.1954 S. 607. 7 DStH Rh.-Pf. 26. 3. 52 — W 2/52 — BDHE Bd. 1 S. 195; vgl. auch Brand Anm.3 zu § 27 DBG; N a d l e r - W i t t l a n d Anm. 13 zu § 27 DBG; Fischbach Anm. 3 Abs. 2 zu § 27 DBG. 8 OVG Koblenz 25. 9. 51 in AS Bd. 1 S. 89. 9 Vgl. OVG Koblenz 17. 4. 56 in ZBR 1956 S. 262. 1
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aus dem Beamtenverhältnis9*. Da die Ernennung erst mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde wirksam wird, kann sie nicht mit rückwirkender Kraft angeordnet werden. Ebenso kann sie nicht unter einer Bedingung ausgesprochen werden 10 . Hat man es unterlassen, dem zu Ernennenden eine Urkunde auszuhändigen, so ist er selbst dann nicht Beamter geworden, wenn er nach besoldungsrechtlichen Grundsätzen Gehalt erhält. Durch die Aushändigung der Urkunde werden jedoch Mängel in der zugrunde liegenden Willensbildung geheilt. Ist die Ernennung jedoch nach § 11 BBG nichtig oder nach § 12 BBG zurückgenommen, so kann der einmal Ernannte selbst wegen solcher Pflichtwidrigkeiten nicht disziplinarisch belangt werden, die er bis zur Zurücknahme der Ernennung begangen hat, weil die Rücknahme rückwirkende Kraft hat. Eine inzwischen erlassene Disziplinarverfügung wird hinfällig 11 , so daß eine bereits gezahlte Geldbuße zurückzuzahlen ist. Nach der Zurücknahme der Ernennung ist eine disziplinare Verfolgung ganz allgemein unzulässig; ein anhängiges Disziplinarverfahren ist einzustellen. Soll ein Beamtenverhältnis umgewandelt werden, soll ζ. B. ein Beamter auf Probe zum Beamten auf Lebenszeit ernannt werden, so ist erforderlich, daß bereits ein formgültiges Beamtenverhältnis besteht. In der nunmehr auszuhändigenden Ernennungsurkunde, durch die das neue Beamtenverhältnis begründet werden soll, müssen die bestimmenden Worte, wie ζ. B. „auf Probe" oder „auf Lebenszeit" ausdrücklich aufgenommen werden. Fehlen diese Worte, so verbleibt es bei dem bisherigen Beamtenverhältnis. Allerdings bedarf es bei der Umwandlung des Beamtenverhältnisses nicht der Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis", die nur bei der ersten Ernennung zum Beamten in die Ernennungsurkunde aufgenommen werden müssen. Die Wiederbegründung früherer Beamtenverhältnisse kann in gewissen Fällen ohne Aushändigung einer Ernennungsurkunde erfolgen, so ζ. B. bei den früheren Wartestandsbeamten unter den Voraussetzungen des § 6 des 2. Überleitungsgesetzes vom 21. 8. 51 (BGBl. I S. 774) und bei auf Grund strafgerichtlicher (vgl. § 48 BBG) oder disziplinargerichtlicher ( § 8 BDO) Verurteilung ausgeschiedenen Beamten, wenn das Urteil durch ein anderes ohne die Rechtsfolgen des früheren ersetzt wird oder die Strafe im Gnadenwege beseitigt ist (vgl. §§ 50 und 51 BBG, §§ 94 und 104 BDO). Jedoch wird sich auch hier die Aushändigung einer Urkunde im Interesse der Schaffung klarer Rechtsverhältnisse empfehlen, es sei denn, daß die beamtenrechtlichen Folgen des Strafurteils rückwirkend beseitigt werden. Darauf kommt es nicht an, ob der Beamte seinen Diensteid geleistet hat. Der Diensteid begründet weder das Beamtenverhältnis noch die Beamtenpflichten. Er ist auch keine Voraussetzung für die Amtsausübung und das Disziplinarverfahren; er soll vielmehr nur die durch die Ernennung begründeten Pflichten des Beamten in feierlicher Form bekräftigen 12 . s»
OVG Lüneburg 5. 5. 64 — II OV C A 26 62 — in ZBR 196* S. 366. OVG Koblenz 22. 7. 52 — in AS Bd. 1 S. 37. 1 1 B e h n k e Anm. 10 zu § 1 ; N a d l e r - W i t t l a n d - R u p p e r t Anm. 9 zu § 34 DBG; a. M. S c h r ö c k er, Das fehlerhafte Beamtenverhältnis inDVBl. 1957 S. 668; nach der Auffassung von S c h r ö c k e r können die Kosten eines bei Beendigung des fehlerhaften Beamtenverhältnisses rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahrens beigetrieben und noch nicht vollstreckte Geldbußen noch weiter vollstreckt werden. 1 2 DiszSenat OVG Münster 6. 9. 57 — V 15/55 — L i n d g e n Teil IV Nr. 165 = DöD 1958 S. 93 = VRspr. Bd. 10 S. 466. 10
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Der staatsrechtliche Beamtenbegriff deckt sich nicht mit dem des StGB. Stellt es das B B G rein formal auf die Ernennung und Aushändigung einer Urkunde ab, so sind nach § 359 StGB alle Personen Beamte, die von einer nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stelle zu dienstlichen Verrichtungen berufen sind, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen. Hier wird es also allein auf die hoheitliche Tätigkeit abgestellt. Hiernach gilt auch derjenige als Beamter, der nicht formal in das Beamtenverhältnis berufen ist, jedoch hoheitliche Befugnisse wahrnimmt. Wird aber ζ. B. ein Postfacharbeiter wegen Amtsunterschlagung nach § 350 StGB verurteilt, so ist er im disziplinarrechtlichen Sinne auch weiterhin als Postfacharbeiter zu beurteilen, so daß die Bestimmungen der B D O auf ihn nicht zur Anwendung kommen 13 . Auch der Beamtenbegriff des Haftungsrechts deckt sich nicht mit dem des Staatsrechts. Wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, so trifft die Verantwortung nach Artikel 34 G G den Staat. Soll hier außerdem eine disziplinarische Bestrafung nach der BDO in Erwägung gezogen werden, so muß geprüft werden, ob der Betroffene ordnungsgemäß nach § 6 B B G in das Beamtenverhältnis berufen worden ist. Durch das Bundesdisziplinarrecht werden sämtliche Bundesbeamte erfaßt, also Lebenszeitbeamte, Beamte auf Probe und Beamte auf Widerruf. Das förmliche Disziplinarverfahren kommt jedoch nur bei Beamten auf Lebenszeit in Betracht. Die der Rechtssicherheit und Klarheit dienende formstrenge Bestimmung, daß Beamter auf Lebenszeit nur ist, wer eine Urkunde erhalten hat, in der die Worte „auf Lebenszeit" enthalten sind, ist zwingend. Die Behauptung, der Zusatz „auf Lebenszeit" sei infolge eines Versehens der Dienstbehörde unterblieben, läßt nicht zu, den Beamten im Disziplinarverfahren wie einen Beamten auf Lebenszeit zu behandeln14. Ist jedoch dem Beschuldigten in der Ubergangszeit nach 1945 eine Ernennungsurkunde ausgehändigt worden, in der die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit" zwar nicht in dieser wortgemäßen Reihenfolge, aber inhaltlich enthalten sind, ist er als Beamter auf Lebenszeit zu behandeln16. Beamte auf Probe (§ 5 Abs. 1 Ziff. 2 BBG), Beamte auf Widerruf (§ 5 Abs. 2 BBG) und Beamte auf Zeit (§ 5 Abs. 4 BBG) 1 6 unterliegen nur der Disziplinarbefugnis des Dienstvorgesetzten, indem sie im Wege des Disziplinarverfügungsverfahrens mit Warnung, Verweis oder Geldbuße bestraft werden können (vgl. § 4 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle, § 107 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Haben sie so schwer gegen die Dienstzucht gefehlt, daß eine schwerere Disziplinarstrafe gerechtfertigt wäre, die nur durch die Disziplinargerichte ausgesprochen werden kann, so können Beamte auf Probe unter den Voraussetzungen des § 31 B B G und Beamte auf Widerruf unter den Voraussetzungen des § 32 B B G entlassen werden. Ist ein Beamter auf Probe bzw. ein Beamter auf Widerruf entlassen worden und hat die Entlassungsbehörde die sofortige Vollziehung angeordnet, so tritt bei Einlegung eines Rechtsmittels Behnke Anm. 7 zu § 1 mit Angaben der Rechtsprechung. BDH 9.12. 53 — II D 99/53 — BDHE Bd. 1 S. 1. 16 DStH Rh.-Pf. 2 6 . 3 . 52 — W 2/52 — BDHE Bd. 1 S. 195. 14 Ζ. B. die Vorstandsmitglieder der Deutschen Bundesbahn auf Grund des § 8 Abs. 3 des Bundesbahngesetzes vom 13.12. 51 (BGBl. I S. 955). 13
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gegen die Entlassung die aufschiebende Wirkung trotzdem ein, obgleich es sich bei der Entlassung um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt handelt. Da bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verwaltungsstreitverfahrens der Status des Beamten unberührt bleibt, können gegen ihn zwischenzeitlich die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße verhängt werden. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn der Beschuldigte gegen die sofortige Vollziehung nicht deren Aussetzung beantragt hat. Ändert die Verwaltungsbehörde bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verwaltungsstreitverfahrens den Status des Beamten, indem sie ihn zum Beamten auf Lebenszeit ernennt, so ist in diesem Falle die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens möglich17. Dann können auch die Verfehlungen, die er als Beamter auf Probe begangen hat, in das Verfahren einbezogen werden 18 . Gegen einen Beamten auf Probe ist ein förmliches Disziplinarverfahren auch dann nicht zulässig, wenn er bei Ablauf der Frist des § 9 Abs. 2 BBG i. V. m. § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG nur noch aus solchen Gründen entlassen werden darf, die bei einem Beamten auf Lebenszeit dessen Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen würden; maßgebend bleibt immer die formale Rechtsstellung 19 . Ein Beamter auf Probe wird dadurch, daß er eine Planstelle mehr als sechs Jahre innehat, nicht automatisch Beamter auf Lebenszeit; dies ist auch dann nicht der Fall, wenn die Dienstbehörde zu Unrecht gegen ihn ein förmliches Disziplinarverfahren einleitet 20 . Ist es dennoch eingeleitet worden und ist ein Disziplinarurteil ergangen, so kann dies keinerlei Wirkung zeitigen. Wäre ζ. B. einem Beamten auf Probe, der zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt worden ist, ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden, so braucht dieser an ihn nicht gezahlt zu werden. Zweifel über den Status eines Beamten müssen vor Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens aus dem Wege geräumt werden. Ein Beamter auf Probe oder ein Beamter auf Widerruf, gegen den unzulässigerweise ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziele der Dienstentfernung eingeleitet worden ist, wird nicht dadurch wirksam Beamter auf Lebenszeit, daß die Einleitungsbehörde ihm die Eigenschaft eines solchen verleiht, um den Fortgang des Verfahrens nicht zu gefährden 21 . In diesem Falle kommt es nämlich der Dienstbehörde nicht auf die dauernde Weiterverwendung und auf eine lebenslängliche Bindung an den Beamten an. Durch die nachträglich erfolgte Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit würde dem Beamten auf Widerruf bzw. dem Beamten auf Probe die Möglichkeit genommen werden, den Verwaltungsrechtsweg, der ihnen bei einer Entlassung offen steht, zu beschreiten. Selbst wenn der Beamte auf Probe die Voraussetzungen einer Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfüllt hätte, ist es in einem solchen Falle auch dann nicht möglich, ihm im Laufe des förmlichen Disziplinarverfahrens die Stellung eines Beamten auf Lebenszeit einzuräumen. Wenn die Eigenschaft als Beamter auf Lebenszeit von vornherein nur bis zur BeDokBer. Nr. 1702. DokBer. Nr. 1714. 1 9 DiszSenat O V G Münster 21.10. 60 — V 22/60 — in NDBZ 1962 S. 18 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 88. 20 DiszSenat OVG Münster 21.10. 60 — V 22/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 88 = Lindgen Teil IV Nr. 474; BDH 9.12. 53 — II D 99/53 — BDHE Bd. 1 S. 1. 21 BDH 26. 4. 58 — I D 17/58 — BDHE Bd. 4 S. 14 = Lindgen Teil IV Nr. 381 (Abgrenzung zu BDHE Bd. 2 S. 94). 17 18
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endigung des schwebenden förmlichen Disziplinarverfahrens gewährt werden sollte, stellt dies einen Widerspruch in sich dar. Ebensowenig ist es zulässig, einen Beamten, der nur versehentlich noch nicht in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen ist, im förmlichen Disziplinarverfahren wie einen Beamten auf Lebenszeit zu behandeln22. Selbst wenn die Ernennung auf Lebenszeit beabsichtigt und die Aushändigung der Urkunde mit dem Zusatz „auf Lebenszeit" nur aus Versehen der Dienstbehörde unterblieben war, kann über die im Interesse der Rechtsklarheit geschaffene gesetzliche Bestimmung des § 6 des Abs. 2 BBG nicht hinweggegangen werden. Kommt es dagegen der Behörde nicht darauf an, mit der Ernennung des Beschuldigten zum Beamten auf Lebenszeit eine Prozeßvoraussetzung zu schaffen, sondern nur eine zweifelhafte Rechtslage, die durch den Zusammenbruch bedingt war, zu klären, ist eine Ernennung des Beschuldigten zum Beamten auf Lebenszeit noch im Laufe des förmlichen Disziplinarverfahrens möglich 23 . Ob es sich bei dem Beschuldigten um einen planmäßigen, nichtplanmäßigen oder außerplanmäßigen Beamten handelt, ist für die Prüfung der Frage, ob er der Disziplinargewalt unterworfen ist, gleichgültig. Auch die Ernennung zum nichtplanmäßigen Beamten begründet die Disziplinargewalt 24 . Da nichtplanmäßige Beamte nicht Beamte auf Lebenszeit sein können, kommt bei ihnen die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens nicht in Frage. Planmäßige Beamte brauchen nicht unbedingt Beamte auf Lebenszeit zu sein. Auch die Ehrenbeamten (vgl. § 177 BBG) fallen unter die BDO. Erforderlich ist, daß sie eine Ernennungsurkunde erhalten haben, in der die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis als Ehrenbeamter" aufgegenommen sind. Zum Wesen des Ehrenbeamten gehört, daß er die Beamtentätigkeit unentgeltlich neben einem Hauptberuf auf vorübergehende Zeit ausübt. Auch ein Beamter im Hauptamt kann eine Tätigkeit als Ehrenbeamter ausüben. Die Ehrenbeamten sind nicht mit den Personen zu verwechseln, die eine bestimmte Tätigkeit ehrenamtlich ausüben, ohne daß sie in das Beamtenverhältnis als Ehrenbeamter berufen sind. So handelt es sich bei dem Schöffen oder Geschworenen nur um eine ehrenamtüche Tätigkeit, die sich aus § § 31 bis 57, 77, 84 bis 90 GVG bestimmt. Grundsätzlich gelten für die Ehrenbeamten die Bestimmungen des BBG, soweit sich aus § 177 BBG keine Abweichungen ergeben. Ihnen obliegen insbesondere sämtliche Beamtenpflichten, so daß sie bei einem Verstoß gegen dieselben disziplinarisch bestraft werden können. Ein förmliches Disziplinarverfahren kommt bei ihnen jedoch nicht in Frage, weil dies die Beamteneigenschaft auf Lebenszeit zur Voraussetzung hat. Für die Anwendung der BDO ist es gleichgültig, ob der Beamte gegen seine Pflichten im Hauptamt oder im Nebenamt verstoßen hat. Der BDO unterliegen auch die nur kraft eines Nebenamtes zu den Beamten zählenden Personen. Soweit sich für den Fall der gleichzeitigen Wahrnehmung von Haupt- und Nebenamt disziplinarrechtliche Besonderheiten ergeben, wie ζ. B. bei der Bemessung einer Gehaltskürzung oder der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens, wird an den entsprechenden Stellen darauf hingewiesen. 22 23 24
BDH 9.12. 53 — II D 99/53 — BDHE Bd. 1 S. 1. BDH 1 1 . 1 1 . 55 — I D 19/54 — BDHE Bd. 2 S. 94. PrOVG in Deutsche Verwaltung 1936 S. 255.
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2. B e a m t e der in Art. 130 GG b e z e i c h n e t e n V e r w a l t u n g s o r g a n e u n d E i n r i c h t u n g e n , die n o c h n i c h t übernomm.en w o r d e n s i n d Die BDO findet auch Anwendung auf die Beamten der Verwaltungsorgane oder sonstigen der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege dienenden Einrichtungen, die nicht auf Landesrecht oder Staatsverträge zwischen den Ländern beruhten, sowie der Betriebsvereinigung der südwestdeutschen Eisenbahnen und des Verwaltungsrats für das Post- und Fernmeldewesen für das französische Besatzungsgebiet, solange sie noch nicht in den Dienst des Bundes oder eines anderen Dienstherrn übernommen worden sind (Art. 3 Abs. 1 Buchst, a ÄndGes. 1952 i. Vbdg. mit Art. 130 GG). Als oberster Disziplinarvorgesetzter kommt bei diesen Personen nach Art. 130 Abs. 2 GG der zuständige Bundesminister in Betracht. Nach Übernahme in den Bundesdienst werden diese Beamte als Bundesbeamte und nach Übernahme in den Landesdienst als Landesbeamte behandelt, denen gegenüber die Disziplinargewalt des Bundes erlischt. Die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst, a ÄndGes. 1952 hat kaum noch praktische Bedeutung. 3. R u h e s t a n d s b e a m t e Unter das Bundesdisziplinarrecht fallen nach § 1 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Ruhestandsbeamten, deren Versorgung der Bund zahlt. Für den Eintritt in den Ruhestand gelten die § § 3 6 bis 47 BBG ( § 3 5 Satz 1 BBG). Sind die Voraussetzungen des § 106 BBG nicht erfüllt (u. a. Dienstzeit von mindestens zehn Jahren), so endet das Beamtenverhältnis statt durch Eintritt in den Ruhestand durch Entlassung ( § 3 5 Satz 2 BBG). Die Beamten auf Lebenszeit treten mit dem Ende des Monats in den Ruhestand, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden (§41 Abs. 1 Satz 1 BBG). Ein am ersten Tage eines Kalendermonats geborener Beamter erreicht die Altersgrenze bereits mit dem Ablauf des letzten Tages des vorhergehenden Monats ( W Nr. 7 zu § 41 BBG). Erreicht der Beamte auf Lebenszeit die Altersgrenze, so tritt er kraft Gesetzes in den Ruhestand, wenn er die Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt oder § 181 Abs. 11 BBG Anwendung findet (VV Nr. 1 Satz 1 zu § 41 BBG). Uber den Eintritt in den Ruhestand erhält der Beamte eine Urkunde (vgl. die Durchführungsbestimmungen zur Anordnung des Bundespräsidenten über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Bundesrichter). Die Aushändigung der Urkunde ist auf den Eintritt in den Ruhestand ohne Einfluß (VV Nr. 1 Satz 3 zu § 41 BBG). Über das Hinausschieben der Altersgrenze über die Vollendung des 65. Lebensjahres siehe § 41 Abs. 2 BBG. Uber die Altersgrenze der Richter an den oberen Bundesgerichten und der Mitglieder des Bundesrechnungshofes — vollendetes 68. Lebensjahr — vgl. Art. 114 Abs. 2 GG, § 11 Abs. 2 des Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes vom 27. 11. 50 (BGBl. S. 765), drittes Altersgrenzengesetz vom 28. 11. 56 (BGBl. I S. 884). Über die Altersgrenze der Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes — vollendetes 60. Lebensjahr — siehe § 23 Bundespolizeibeamtengesetz. Über die Altersgrenze der Berufssoldaten der Bundeswehr — vollendetes 60. Lebensjahr — siehe § 45 Soldatengesetz (BGBl. I S. 114). 62
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Der Beamte auf Lebenszeit ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig — dienstunfähig — ist (§ 42 Abs. 1 Satz 1 BBG). Als dienstunfähig kann der Beamte auch dann angesehen werden, wenn er infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, daß er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird (§42 Abs. 1 Satz 2 BBG). Der Zeitraum von mehr als drei Monaten ist auch dann erfüllt, wenn der Beamte wegen derselben Krankheit innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mit Unterbrechungen mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat ( W Nr. 2 zu § 42 BBG). Bestehen Zweifel über die Dienstfähigkeit des Beamten, so ist er verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, auch beobachten zu lassen ( § 4 2 Abs. 1 Satz 3 BBG). Gesetzliche Vorschriften, die für einzelne Beamtengruppen andere Voraussetzungen für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit bestimmen, bleiben unberührt (§ 42 Abs. 2 BBG). Ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit kann ein Beamter auf Lebenszeit auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt werden, wenn er das 62. Lebensjahr vollendet hat ( § 4 2 Abs. 3 BBG). Der Antrag auf Versetzung in den Ruhestand ( § 4 2 Abs. 3 BBG) ist schriftlich zu stellen und darf nicht an Bedingungen geknüpft sein (VV Nr. 7 zu § 42 BBG). Die Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand nach § 42 Abs. 2 BBG ist ein zweiseitiger antrags- und zustimmungsbedürftiger Verwaltungsakt, der ohne den Antrag nicht rechtswirksam ergehen kann 85 . Der Ruhestand beginnt, falls antragsgemäß nicht ein früherer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem Ende der drei Monate, die auf den Monat folgen, in dem die Versetzungsverfügung zugestellt worden ist (§47 Abs. 2 BBG), jedoch nicht vor Ablauf des Monats, in dem das 62. Lebensjahr vollendet wird. Unzulässig ist eine rückwirkende Versetzungsverfügung. Bis zum Beginn des Ruhestandes kann die Versetzungsverfügung zurückgenommen werden. Der Beamte auf Probe ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn er infolge Erkrankung, Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden bei Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes zugezogen hat, dienstunfähig ( § 4 2 BBG) geworden ist ( § 4 6 Abs. 1 BBG). Eine Beschädigung im Sinne des § 46 Abs. 1 BBG ist auch eine Verletzung durch Dienstunfall ( W Nr. 1 zu § 46 BBG). Der Beamte auf Probe kann in den Ruhestand versetzt werden, wenn er aus anderen Gründen dienstunfähig geworden ist (§ 46 Abs. 2 Satz 1 BBG). Die Entscheidung trifft die oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen; sie kann ihre Befugnisse im Einvernehmen mit diesem Minister auf andere Behörden übertragen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 BBG). Von der Möglichkeit des § 46 Abs. 2 BBG kann nur Gebrauch gemacht werden, wenn der Beamte die Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Nr. 1 BBG erfüllt ( W Nr. 3 Satz 1 zu §46 BBG). Von einer Versetzung in den Ruhestand ist abzusehen, wenn der Beamte seine Dienstunfähigkeit durch eigenes grobes Verschulden herbeigeführt hat (VV Nr. 3 Satz 2 zu § 46 BBG). Wird der Beamte im Falle des § 46 Abs. 2 BBG nicht 25
VGH Freiburg 30. 7. 51 — in ZBR 1953 S. 122.
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in den Ruhestand versetzt, ist er nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG zu entlassen (VV Nr. 3 Satz 3 zu § 46 BBG). Im Falle der Zurruhesetzung eines Beamten auf Probe finden § § 4 3 bis 45 BBG entsprechende Anwendung (§46 Abs. 3 BBG). Die Versetzung in den Ruhestand wird, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, von der Stelle verfügt, die nach § 10 Abs. 1 BBG für die Ernennung des Beamten zuständig wäre (§47 Abs. 1 Satz 1 BBG). Die Verfügung ist dem Beamten schriftlich zuzustellen; sie kann bis zum Beginn des Ruhestandes zurückgenommen werden ( § 4 7 Abs. 1 Satz 2 BBG). Die Vorschrift des § 47 Abs. 1 BBG gilt nicht in den Fällen, in denen der Beamte kraft Gesetzes in den Ruhestand tritt, wie ζ. B. bei § 41 BBG, § § 99 Abs. 1 Nr. 1 und 101 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, § 18 Abs. 2 des Bunddesministergesetzes (VV Nr. 1 zu § 47 BBG). Der Ruhestand beginnt, abgesehen von den Fällen der § § 37, 41 und 44 Abs. 5 BBG, mit dem Ende der drei Monate, die auf den Monat folgen, in dem die Versetzung in den Ruhestand dem Beamten mitgeteilt worden ist ( § 4 7 Abs. 2 Satz 1 BBG). Bei der Mitteilung der Versetzung in den Ruhestand kann auf Antrag oder mit Zustimmung des Beamten ein früherer Zeitpunkt festgesetzt werden (§47 Abs. 2 Satz 2 BBG). Uber die Versetzung in den Ruhestand erhält der Beamte eine Urkunde (VV Nr. 3 Satz 1 zu § 47 BBG). Mit ihrer Zustellung an den Beamten wird die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 BBG in Lauf gesetzt (VV Nr. 3 Satz 2 zu § 47 BBG). Für den Beginn dieser Frist genügt es jedoch, wenn dem Beamten eine Mitteilung über den Inhalt der von der zuständigen Stelle vollzogenen Urkunde über die Versetzung in den Ruhestand zugestellt ist, sofern die Urkunde selbst noch vor Ablauf der Frist dem Beamten zugestellt wird ( W Nr. 3 Satz 3 zu § 47 BBG). Ist die Versetzung in den Ruhestand wirksam geworden, so kann sie — abgesehen von dem Falle des § 44 Abs. 5 Satz 4 BBG — nicht mehr zurückgenommen werden (VV Nr. 4 zu § 47 BBG). Der Ruhestandsbeamte erhält lebenslänglich Ruhegehalt nach den Vorschriften des Abschnittes V des BBG, in den Fällen des § 38 BBG nach Ablauf der Zeit, für die Dienstbezüge gewährt werden (§47 Abs. 3 BBG). Unter welchen Voraussetzungen ein Ruhestandsbeamter disziplinarisch verfolgt werden kann, vgl. III S. 95 f. Der Ruhestandsbeamte kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren mit den Disziplinarstrafen der Kürzung oder Herabsetzung oder Aberkennung des Ruhegehalts bestraft werden. Da diese Strafen nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden können, scheidet das Disziplinarverfügungsverfahren gegen Ruhestandsbeamte aus. 4. B e a m t e im e i n s t w e i l i g e n R u h e s t a n d Vom Bundesdisziplinarrecht werden nach§ 1 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle auch Beamte im einstweiligen Ruhestand erfaßt. Der Bundespräsident kann jederzeit in den einstweiligen Ruhstand versetzen 1. Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und Ministerialdirektoren, 2. sonstige Beamte des höheren Dienstes im auswärtigen Dienst von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts, 64
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3. Beamte des höheren Dienstes des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts, 4. den Bundespressechef und dessen Vertreter, 5. den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und den Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht, soweit sie Beamte auf Lebenszeit sind ( § 3 6 Abs. 1 BBG). Gesetzliche Vorschriften, nach denen andere Beamte in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, bleiben unberührt ( § 3 6 Abs. 2 BBG). Der in den einstweiligen Ruhestand versetzte Beamte ist Ruhestandsbeamter; auf ihn finden die besonderen Vorschriften der § § 3 7 bis 40, 41 Abs. 4, 47 Abs. 3, 118 Abs. 2 und 178 Nr. 3 BBG, im übrigen die für Ruhestandsbeamte allgemein geltenden Vorschriften Anwendung ( W Nr. 2 zu § 36 BBG). Der einstweilige Ruhestand beginnt, wenn nicht im Einzelfalle ausdrücklich ein späterer Zeitpunkt festgesetzt wird, mit dem Zeitpunkt, mit dem die Versetzung in den Ruhestand dem Beamten mitgeteilt wird, spätestens jedoch mit dem Ende der drei Monate, die auf den Monat der Mitteilung folgen (§37 Satz 1 BBG). Die Verfügung kann bis zum Beginn des Ruhestandes zurückgenommen werden ( § 3 7 Satz 2 BBG). Der einstweilige Ruhestand endet bei erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit (§40 BBG). Der in den einstweiligen Ruhestand versetzte Beamte gilt mit Vollendung des 65. Lebensjahres als dauernd in den Ruhestand versetzt (§41 Abs. 4 BBG). Dem in den einstweiligen Ruhestand versetzten Beamten, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, ist schriftlich mitzuteilen, daß er mit diesem Zeitpunkt als in den dauernden Ruhestand versetzt gilt; das gleiche gilt für einen Beamten, der kraft Gesetzes in den einstweiligen Ruhestand getreten ist — § 8 Abs. 5 des Bundesbahngesetzes i. d. F. des § 195 Nr. 2 BBG — (VV Nr. 6 zu § 41 BBG). Der im einstweiligen Ruhestand befindliche Beamte kann ebenso wie der Ruhestandsbeamte nur im förmlichen Disziplinarverfahren zur Verantwortung gezogen werden, weil er die Rechtsstellung eines Ruhestandsbeamten hat. Da er kein Amt innehat, kommt bei ihm die vorläufige Dienstenthebung nicht in Frage. Er kann weiterhin nur mit den Disziplinarstrafen der Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts und nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO auch noch mit der Herabsetzung des Ruhegehalts bestraft werden. Für welche Verfehlungen er belangt werden kann vgl. III S. 95f. 5. E n t l a s s e n e Beamte auf L e b e n s z e i t , die einen U n t e r h a l t s b e i t r a g nach § 120 BBG e r h a l t e n Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle werden von der BDO auch frühere Beamte erfaßt, die nach § 120 BBG einen Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit erhalten, wobei der Unterhaltsbeitrag als Ruhegehalt gilt. Einem Beamten auf Lebenszeit, der vor Ableistung einer Dienstzeit von 10 Jahren (§ 106 Abs. 1 Nr. 1 BBG) wegen Dienstunfähigkeit oder Erreichung der Altersgrenze nach § 35 Satz 2 BBG entlassen ist, kann ein Unterhaltsbeitrag bis zur Höhe des Ruhegehalts bewilligt werden (§ 120 Abs. 1 BBG). Das gleiche gilt nach § 120 Abs. 2 BBG für einen Beamten auf Probe, 5 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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der wegen Dienstunfähigkeit oder wegen Erreichung der Altersgrenze entlassen ist ( § 3 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 BBG). Auf Beamte auf Widerruf und Ehrenbeamte ist § 120 BBG nicht anwendbar; bei Unfallfolgen gelten hier die §§ 142, 143 und 177 Abs. 2 BBG (VV Nr. 1 zu § 120). Nach § 35 Satz 2 BBG endet das Beamtenverhältnis, falls die Voraussetzungen des § 106 BBG nicht vorliegen, also u. a. nach § 106 Abs. 1 Nr. 1 BBG eine Dienstzeit von mindestens 10 Jahren nicht abgeleistet ist, durch Entlassung. Die Entlassung tritt bei Erreichen der Altersgrenze kraft Gesetzes ein, und zwar mit dem Ende des Monats, in dem die Altersgrenze erreicht wird. Der Eintritt der Entlassung ist dem Beamten schriftlich mitzuteilen (VV Nr. 2 Abs. 1 a zu § 35 BBG). Die Entlassung des Beamten wegen Dienstunfähigkeit wird von der Stelle verfügt, die nach § 10 Abs. 1 BBG für die Ernennung des Beamten zuständig wäre. Sie ist erst zulässig, wenn dem Beamten oder seinem Pfleger mitgeteilt wird, daß der Beamte wegen Dienstunfähigkeit entlassen werden soll, und er oder der Pfleger hiergegen keine Einwendungen erhoben hat oder wenn die Dienstunfähigkeit des Beamten festgestellt ist — § 44 BBG —. Die Entlassung ist dem Beamten oder Pfleger schriftlich mitzuteilen. Die Entlassung wird bei einem Beamten auf Lebenszeit mit Ablauf der Frist wirksam, die nach § 47 Abs. 2 BBG für den Beginn des Ruhestandes bestimmt ist. Für die Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstunfähigkeit — § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG — gelten die in § 31 Abs. 3 BBG genannten Fristen ( W Nr. 2 Abs. l b zu § 35 BBG). Ein Beamter auf Probe kann u. a. entlassen werden, wenn Dienstunfähigkeit (§42 BBG) vorliegt, es sei denn, daß er nach § 46 BBG unter den dort genannten Voraussetzungen in den Ruhestand versetzt wird ( § 3 1 Abs. 1 Nr. 3 BBG). Erreicht der Beamte auf Probe die Altersgrenze ( § 4 1 Abs. 1 BBG), so ist er mit Ende des Monats, in den dieser Zeitpunkt fällt, entlassen (§ 31 Abs. 5 BBG). Bei der Bemessung des nach § 120 BBG zu gewährenden Unterhaltsbeitrages sind die Verhältnisse des Einzelfalles durch nur bruchteilweise Bewilligung des nach dem BBG zu berechnenden Ruhegehalts zu berücksichtigen; dabei kann auch der Mindestsatz nach § 118 Abs. 1 Satz 3 BBG unterschritten werden (RL Nr. 1 Abs. 2 zu § 120 BBG). In den Fällen des § 120 Abs. 1 BBG kann den entlassenen dienstunfähigen Beamten auf Lebenszeit, die bei Inkrafttreten des BBG bereits Beamte auf Lebenszeit waren und infolge des Wiedereinführung der zehnjährigen Wartezeit nicht ruhegehaltsberechtigt sind, zum Ausgleich von Härten in der Regel ein Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit bewilligt werden; einer Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse bedarf es hier nicht (vgl. RL Nr. 2 Abs. 2 zu § 120 BBG). Für die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages ist die oberste Dienstbehörde oder die von ihr ermächtigte Stelle zuständig (§ 155 Abs. 1 BBG). 6. D u r c h D i e n s t u n f a l l v e r l e t z t e f r ü h e r e B e a m t e , die n a c h § 142 BBG e i n e n U n t e r h a l t s b e i t r a g e r h a l t e n Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle fallen fernerhin unter das Bundesdiszipünarrecht frühere Beamte, die nach § 142 BBG einen Unterhaltsbeitrag für die Dauer ihrer Erwerbsbeschränkung erhalten, und zwar bis zum Ende dieses Bezuges, wobei der Unterhaltsbeitrag als Ruhegehalt gilt. Ein durch Dienstunfall verletzter früherer Beamter, dessen Beamtenver66
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hältnis nicht durch Eintritt in den Ruhestand geendet hat, erhält neben dem Heilverfahren (§§ 137,138 BBG) für die Dauer einer durch einen Dienstunfall verursachten Erwerbsbeschränkung einen Unterhaltsbeitrag (§ 142 Abs. 1 BBG i. d. F. 3. ÄndGes.). Nach § 30 BBG erfolgt die Entlassung auf Verlangen des Beamten. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG kann der Beamte auf Probe entlassen werden, wenn er dienstunfähig wird, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 46 BBG vorliegen, wonach der Beamte in den Ruhestand zu versetzen ist; Dienstunfähigkeit kann vor allem durch einen Dienstunfall bedingt sein. Nach § 32 BGG kann der Widerrufsbeamte jederzeit entlassen werden; nach pflichtgemäßen Ermessen kann auch die infolge eines Dienstunfalls bedingte Erwerbsunfähigkeit einen Grund für eine Entlassung nach § 32 BBG bilden. Ist ein Unfallverletzter Beamter auf Lebenszeit wegen Dienstunfähigkeit oder Erreichen der Altersgrenze nicht in den Ruhestand getreten, sondern nach § 35 Satz 2 BBG entlassen worden, so steht diese Entlassung für die Anwendung des § 142 BBG einer Entlassung nach § 31 BBG gleich (VV Nr. 1 zu § 142 BBG). 7. D u r c h D i e n s t u n f a l l v e r l e t z t e E h r e n b e a m t e , d i e e i n e n U n t e r h a l t s b e i t r a g n a c h § 177 A b s . 2 B B G e r h a l t e n Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens mit dem Ziele der Aberkennung oder Kürzung und nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO der Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages auch in dem Falle des § 177 Abs. 2 BBG in Frage. Erleidet ein Ehrenbeamter einen Dienstunfall (§ 134 BBG), so kann ihm nach § 177 Abs. 2 BBG außer dem Heilverfahren (§ 137 BBG) von der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen ein nach billigem Ermessen festzusetzender Unterhaltsbeitrag bewilligt werden (§ 177 Abs. 1 Satz 1 BBG). Das gleiche gilt für seine Hinterbliebenen (§ 177 Abs. 2 Satz 2 BBG). Für die Anwendung des § 1 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Nobelle ist es gleich, ob der Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit oder für die Dauer der Erwerbsbeschränkung bewilligt ist. Die Aberkennung des Unterhaltsbeitrages für die Hinterbliebenen im Wege des förmlichen Disziplinarverfahrens scheidet aus, weil sie sich einer als Dienstvergehen geltenden Handlung nicht schuldig machen können. 8. F r ü h e r e P o l i z e i v o l l z u g s b e a m t e , d i e n a c h § 17 Abs. 1 B u n d e s polizeibeamtengesetz Übergangsgebührnisse beziehen Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle fallen unter das Bundesdisziplinarrechtauch solche Polizeibeamte auf Widerruf, die nach ihrem Ausscheiden Übergangsgebührnisse beziehen, und zwar bis zum Ende dieser Bezüge, wobei die Ubergangsgebührnisse als Ruhegehalt gelten. Polizeivollzugsbeamte des Bundes sind die mit polizeilichen Aufgaben betrauten und zur Anwendung unmittelbaren Zwanges befugten Beamten im Bundesgrenzschutz, im Bundeskriminalamt und im Bundesministerium des Innern; welche der Beamtengruppen im einzelnen dazu gehören, bestimmt der Bundesminister des Innern durch Rechtsverordnung ( § 1 Abs. 1 Bundespolizeibeamtengesetz). Da nach § 2 a. a. O. auf sie die für Bundesbeamte allgemein geltenden Vorschriften Anwendung finden, soweit sich nicht aus dem Bundes5*
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polizeibeamtengesetz etwas anderes ergibt, fallen diese Personen, soweit sie aktiven Dienst leisten oder sich bereits im Ruhestand befinden, bereits nach § 1 Abs. 1 BDO, BD O i. d. F. der Novelle unter dieses Gesetz. Nach § 17 Abs. 1 Bundespolizeibeamtengesetz erhalten PolizeiVollzugs beamte auf Widerruf Übergangsgebührnisse, wenn sie wegen Ablaufs der Dienstzeit ausgeschieden oder nach einer Dienstzeit von mehr als einem Jahr wegen Polizeidienstunfähigkeit infolge einer Beschädigung im Sinne des § 46 Abs. 1 BBG entlassen worden sind. Die Einzelheiten über die Voraussetzung und Höhe der Übergangsgebührnisse sind in § 17 Abs. 2 bis 8 a. a. O. geregelt. Da das BBG Übergangsgebührnisse für Beamte auf Widerruf nicht kennt, muß erst in § 1 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle eine ausdrückliche Bestimmung dafür geschaffen werden, wonach im Falle eines Fehlverhaltens gegen den Empfänger solcher Übergangsgebührnisse ein förmliches Disziplinarverfahren in Frage kommt, wobei die Übergangsgebührnisse wie das Ruhegehalt bei einem Ruhestandsbeamten zu behandeln sind. Diese Regelung empfiehlt sich bereits im Hinblick auf die entsprechenden Vorschriften in § 1 Abs. 3, § 44 Abs. 2 und § 49 Abs. 2 bis 4 der Wehrdisziplinarordnung. 9. F r ü h e r e P o l i z e i v o l l z u g s b e a m t e , die n a c h § 19 des B u n d e s polizeibeamtengesetzes Unterhaltsbeiträge beziehen Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle fallen unter das Bundesdisziplinarrecht frühere Polizeivollzugsbeamte, die nach § 19 des Polizeibeamtengesetzes einen Unterhaltsbeitrag erhalten, und zwar für die Dauer der Erwerbsbeschränkung, wobei der Unterhaltsbeitrag als Ruhegehalt gilt. Ein Polizeivollzugsbeamter auf Widerruf, der wegen Polizeidienstunfähigkeit infolge einer Beschädigung im Sinne des § 46 Abs. 1 BBG entlassen worden ist, erhält für die Dauer einer durch die Beschädigung verursachten Erwerbsbeschränkung einen Unterhaltsbeitrag in voller Höhe a) bei völliger Erwerbsunfähigkeit in Höhe des sich nach den §§ 107, 108 Abs. 1, §§ 109 bis 119 BBG ergebenden Ruhegehalts, b) bei Minderung der Erwerbsunfähigkeit um wenigstens zwanzig vom Hundert in Höhe des der Minderung entsprechenden Teils des Unterhaltsbeitrages nach a) (vgl. § 19 Abs. 1 Bundespolizeibeamtengesetz). Die Versorgung der Hinterbliebenen richtet sich nach § 19 Abs. 2 a. a. O. 10. F r ü h e r e P o l i z e i v o l l z u g s b e a m t e , die nach § 20 des P o l i z e i beamtengesetzes Unterhaltsbeiträge beziehen Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle werden vom Bundesdisziplinarrecht frühere Polizeivollzugsbeamte erfaßt, die nach § 20 des Polizeibeamtengesetzes für die Dauer der Erwerbsbeschränkung einen Unterhaltsbeitrag erhalten, und zwar bis zum Ende dieses Bezuges, wobei der Unterhaltsbeitrag als Ruhegehalt gilt. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Bundespolizeibeamtengesetz erhält ein Polizeivollzugsbeamter auf Widerruf, der wegen Polizeidienstunfähigkeit infolge eines Dienstunfalls (§ 135 BBG) entlassen worden ist, Unfallfürsorge nach § 142 BBG mit der Maßgabe, daß der Unterhaltsbeitrag nach § 142 Abs. 2 Nr. 1 BBG nicht hinter 75 vom Hundert der jeweils ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der 68
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Besoldungsgruppe A 1 BBesG zurückbleibt. Für einen durch Dienstunfall verletzten früheren Polizeivollzugsbeamten auf Widerruf, auf den § 20 Abs. 1 a. a. O. nicht anzuwenden ist, gilt § 142 BBG ( § 2 0 Abs. 2 Bundespolizeibeamtengesetz i. d. F. 3. BRÄG). 11. F r ü h e r e B e a m t i n n e n , die eine A b f i n d u n g n a c h § 152 BBG erh a l t e n oder eine A b f i n d u n g s r e n t e n o c h n i c h t oder e r s t t e i l w e i s e e r h a l t e n h a b e n oder denen eine A b f i n d u n g s r e n t e nach § 153 BBG z u g e s i c h e r t ist oder g e w ä h r t w i r d Bei früheren Beamtinnen, denen nach § 152 BBG eine Abfindung zusteht, die diese aber noch nicht oder nur teilweise erhalten haben, gilt nach § 1 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 die Abfindung bzw. die Abfindungsrente gleichfalls als Ruhegehalt und diese Personen als Ruhestandsbeamten, so daß gegen sie die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens mit dem Ziele einer Aberkennung, Kürzung oder Herabsetzung der Abfindung bzw. der Abfindungsrente in Frage kommt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle fallen hierunter auch Beamtinnen, denen eine Abfindungsrente nach § 153 BBG zugesichert ist oder gewährt wird. Eine verheiratete Beamtin auf Lebenszeit oder auf Probe, die auf Antrag entlassen wird, erhält auf Antrag eine Abfindung (§152 Abs. 1 BBG). Erforderlich für den Anspruch auf Abfindung ist, daß die nach § 30 BBG entlassene Beamtin auf Lebenszeit oder auf Probe im Zeitpunkt der Entlassung verheiratet war, im letzten Monat vor der Entlassung einen Anspruch auf Dienstbezüge gehabt und eine Mindestdienstzeit von zwei Jahren zurückgelegt hat. Ob die Eheschließung vor oder nach der Begründung des Beamtenverhältnisses stattgefunden hat, ist ohne Bedeutung ( W Nr. 1 Satz 1—3 zu § 152 BBG). Die Höhe der Abfindung regelt sich nach § 152 Abs. 2 BBG, die Berechnung der Dienstzeit nach § 152 Abs. 3 BBG. Durch die Abfindung werden alle sonstigen Versorgungsbezüge abgegolten (§ 152 Abs. 4 Satz 1 BBG). Die Abfindung ist beim Ausscheiden in einer Summe zu zahlen (§ 152 Abs. 5 Satz 1 BBG). § 153 BBG bleibt unberührt (§ 152 Abs. 5 Satz 2 BBG). Besteht Grund zu der Annahme, daß die Beamtin ihre Entlassung beantragt hat, weil ihr der Verlust der Beamtenrechte oder die Entfernung aus dem Dienst drohte, so darf die Abfindung erst gezahlt werden, wenn innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung kein Verfahren eingeleitet oder nach der im Verfahren ergangenen rechtskräftigen Entscheidung kein Verlust der Versorgungsbezüge eingetreten ist (§ 152 Abs. 6 BBG). Auf Antrag wird die Abfindung in Form einer Rente (Abfindungsrente) gewährt. Hierfür gilt folgendes: a) Die Zusicherung der Abfindungsrente ist vor der Entlassung schriftlich zu beantragen und von der für die Entlassung zuständigen Behörde schriftlich zu bestätigen. b) Die Zahlung der Abfindungsrente beginnt mit dem Ersten des Monats, in dem die Berechtigte nach amtsärztlichen Gutachten dauernd arbeitsunfähig im Sinne der Reichsversicherungsordnung geworden ist oder das 65. Lebensjahr vollendet hat. Sie endet mit dem Ablauf des Monats, in dem die Berechtigte stirbt. 69
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c) Die Abfindungsrente beträgt jährlich 10 vom Hundert des Kapitals, zu dem die nach § 152 Abs. 2 BBG errechnete Abfindungssumme bei einer Verzinsung mit dreieinhalb vom Hundert vom Zeitpunkt der Entlassung an bis zum Beginn der Rentenzahlung angewachsen ist (§ 153 Abs. 1 BBG). Die entlassene Beamtin, der eine Abfindungsrente zugesichert worden ist, erhält auf Antrag an Stelle der Abfindungsrente nachträglich eine Abfindung— § 152 Abs. 2 BBG — (§ 153 Abs. 2 BBG). 12. U n t e r G 131 f a l l e n d e B e a m t e (siehe § 128 in Bd. 2). B. Unter das Länderdisziplinarrecht fallende Personen Entsprechend der Bundesregelung werden von den Länderdisziplinargesetzen die Beamten und Ruhestandsbeamten der Länder, Gemeinden und Landkreise und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts erfaßt. Im übrigen sehen auch die Länderregelungen vor, daß solche P e r s o n e n , die an S t e l l e des R u h e g e h a l t s s o n s t i g e B e z ü g e aus K a s s e n der L ä n d e r , der G e m e i n d e n oder L a n d k r e i s e e r h a l t e n , insoweit als Ruhestandsbeamte und die gewährten Bezüge als Ruhegehalt gelten, so daß auch gegen diesen Personenkreis die Einleitung eines Disziplinarverfahrens mit dem Ziel der Aberkennung oder Kürzung dieser Bezüge in Frage kommt. Welcher Personenkreis hierbei erfaßt wird, weicht in den einzelnen Länderregelungen, wie nachfolgend gezeigt wird, geringfügig ab. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g Die LDO BW gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten des Landes Baden-Württemberg, der Gemeinden, der Landkreise, die im Bereich des Landes liegen, und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 Abs. 1 LDO BW). Frühere Beamte im Sinne des Abs. 1 gelten, solange sie Unterhaltsbeiträge nach den §§ 62, 137, 160, 161, 178 oder nach § 210 Abs. 2 LBG BW oder Übergangsgeld nach den §§ 171, 189, 191 oder 193 LBG BW beziehen, als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 LDO BW). Das gleiche gilt für frühere Beamtinnen, die eine ihnen nach § 170 LBG BW zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten haben ( § 1 Abs. 2 Satz 2 LDO BW). 2. B a y e r n Die StDO Bayr. gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem BG Bayr. und dem Gesetz über kommunale Wahlbeamte unterliegen (Art. 1 Abs. 1 DStO Bayr.). Unter letzteres Gesetz fallen erste und weitere Bürgermeister, Landräte und ihre gewählten Stellvertreter sowie die berufsmäßigen Gemeinderatmitglieder. Frühere Beamte, die unwiderrufliche Unterhaltsbeiträge nach Art. 49, 133, 155, 156, Art. 185 Abs. 2 oder Art. 200 Abs. 2 BG Bayr. beziehen, gelten bis zum Ende dieses Bezuges als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 DStO Bayr.). Das gleiche gilt für eine frühere 70
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Beamtin, die eine ihr nach Art. 166 BG Bayr. zustehende Abfindung noch nicht erhalten hat (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 DStO Bayr.). Auf die Beamten des Landtags und des Senats ist die DStO Bayr. nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Landtages und Senats vom 25. 10. 50 (GVB1. S. 220) entsprechend anzuwenden § 1 ADVO zu DStO Bayr.). Gegen einen Ehrenbeamten können nach Art. 4 Abs. 4 DStO Bayr. nur die Dienststrafen der Warnung, des Verweises, der Geldbuße und der Entfernung aus dem Dienst verhängt werden. 3. B e r l i n Die LDO Bln. gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem LBG Bln. unterliegen (§ 1 Abs. 1 LDO Bln.). Frühere Beamte, die Unterhaltsbeiträge nach den beamtenrechtlichen Vorschriften beziehen, gelten bis zum Ende dieses Bezuges als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt ( § 2 Abs. 2 Satz 1 LDO Bln.). Das gleiche gilt für a) frühere Beamtinnen, aa) denen nach § 144 LBG Bln. eine Abfindungsrente zugesichert ist oder gewährt wird, oder bb) die die ihnen nach § 143 LBG Bln. zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten haben, b) frühere Polizeivollzugsbeamte, aa) denen nach § 172 LBG Bln. eine Abfindung gewährt wird, oder bb) die eine ihnen nach § 172 LBG Bln. zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten haben ( § 1 Abs. 2 Satz 2 LDO Bln.). § 1 DVO zu LDO Bln. entspricht DVO zu § 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 4. B r e m e n Die DStO Brm. findet Anwendung auf Dienstvergehen von Beamten des Landes Bremen und der Stadtgemeinde Bremen und Bremerhaven, auf die Beamten der öffentlichrechtlichen Körperschaften im Gebiet des Landes Bremen, die der Aufsicht des Landes unterstehen, mit Ausnahme der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Art. 1 § 2 DStO Brm.). Wenn auch die DStO Brm. nicht die Ruhestandsbeamten besonders erwähnt, so fallen sie dennoch darunter; so erwähnt z. B. § 4 a. a. O. als Disziplinarstrafen die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts, also Strafen, die nur gegen einen Ruhestandsbeamten in Betracht kommen (vgl. §§ 9 f. a.a.O.). 5. H a m b u r g Die DO Hmb. gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem BG Hmb. unterliegen (§ 1 Abs. 1 DO Hmb.). Frühere Beamte der Freien und Hansestadt Hamburg oder der landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die Unterhaltsbeiträge nach den §§ 53, 122, 144, 145, 163, 202 Abs. 2 BG Hmb. beziehen oder denen eine Abfindungsrente nach § 154 Abs. 2 BG 71
§6
Geltungsbereich des Disziplinarrechts
Hmb. zugesichert oder gewährt ist, gelten im Sinne der DO Hmb. bis Ende dieses Bezuges als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt ( § 1 Abs. 2 Satz 1 DO Hmb.). Das gleiche gilt für eine frühere Beamtin, die eine ihr nach § 154 Abs. 1 BG Hmb. zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten hat (§ 2 Abs. 2 DO Hmb.). 6. H e s s e n Die HDO gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten die dem HGB unterliegen (§ 1 Abs. 1 HDO). Frühere Beamte, die nach den Bestimmungen des HGB als Ruhegehalt geltende Bezüge erhalten oder denen eine Abfindungsrente zugesichert ist oder gewährt wird, gelten, solange sie diese Bezüge erhalten, als Ruhestandsbeamte ( § 1 Abs. 2 Satz 1 HDO). Das gleiche gilt für eine frühere Beamtin, die eine ihr nach den Vorschriften des HGB zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten hat (§ 1 Abs. 2 Satz 2 HDO). Als Ruhestandsbeamte gelten auch die nach § 76 der Hessischen Gemeindeordnung und § 49 der Hessischen Landkreisordnung abberufenen Wahlbeamten (§ 1 Abs. 3 HDO). 7. N i e d e r s a c h s e n Die NDO gilt, soweit darin nichts anderes bestimmt ist, für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem NBG unterliegen ( § 1 Abs. 1 NDO). Frühere Beamte, die nach den Vorschriften des NBG einen unwiderruflichen Unterhaltsbeitrag beziehen, gelten als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt ( § 2 Abs. 1 NDO). Das gleiche gilt für eine frühere Beamtin und einen früheren Beamten, die eine Abfindung oder ein Übergangsgehalt nach den §§ 171 oder 172 NBG noch nicht oder nur teilweise erhalten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 NDO). 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n Die DO NW gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen und für die Beamten und Ruhestandsbeamten der Gemeinden, der Gemeindeverbände und der der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts ( § 1 Abs. 1 DO NW). Sie findet nicht Anwendung auf die Kirchen und öffentlich rechtlichen Religionsgemeinschaften (§ 1 Abs. 2 DO NW). Wer Beamter und Ruhestandsbeamter im Sinne der DO NW ist, ergibt sich aus dem für das Land Nordrhein-Westfalen geltenden Beamtenrecht (DVO Nr. 1 zu § 1 DO NW). 9. R h e i n l a n d - P f a l z Die LDO Rh.-Pf. gilt für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem LBG Rh.-Pf. unterliegen (§ 1 Abs. 1 LDO Rh.-Pf.). Frühere Landesbeamte, die nach den Bestimmungen des LBG Rh.-Pf. als Ruhegehalt geltende Bezüge erhalten oder denen eine Abfindungsrente zugesichert ist oder gewährt wird, gelten, solange ihnen diese Bezüge gezahlt werden, als Ruhestandsbeamte (§ 1 Abs. 2 Satz 1 LDO Rh.-Pf.). Das gleiche gilt für eine frühere Beamtin, die eine ihr nach den Vorschriften des LBG 72
Persönlicher Geltungsbereich
§6
Rh.-Pf. zustehende Abfindung noch nicht oder nur teilweise erhalten hat ( § 1 Abs. 2 Satz 2 LDO Rh.-Pf.). DVO zu § 1 LDO Rh.-Pf. entspricht DVO Satz 1 zu § 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 10. S a a r l a n d Im Saarland gilt die RDStO mit den sich aus dem föderalistischen Staatsaufbau ergebenden Folgerungen. Hiernach gilt das Saarländische Disziplinarrecht für die Beamten und Ruhestandsbeamten, die dem Β G Saar unterliegen (vgl. § 1 DStO Saar). DVO zu § 1 DStO Saar entspricht DVO zu § 1 BDO i. d. F. AndGes. 1952. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n Die DO Schl.-Hol. gilt für alle Beamte und Ruhestandsbeamte im Sinne des Beamtenrechts mit Ausnahme der Beamten, die durch Gesetz entweder einer besonderen Dienststrafordnung unterstellt oder ausdrücklich von der DStO Schl.-Hol. ausgenommen sind (§ 1 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol.). Sie gilt nicht für Arbeiter und Angestellte, die im öffentlichen Dienst auf Grund eines Vertrages des bürgerlichen Rechts beschäftigt sind ( § 1 Abs. 1 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). Frühere Beamte, die nach den Bestimmungen des BG Schl.-Hol. Unterhaltsbeiträge, eine Abfindungsrente oder eine Abfindung beziehen oder noch zu erhalten haben, gelten als Ruhestandsbeamte, ihre Bezüge als Ruhegehalt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). Die DStO Schl.-Hol. gilt nur für Landesbeamte, Beamte der Kreise, Städte, Ämter und Gemeinden sowie der Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, die der Landesaufsicht unterstehen (DVO Nr. 1 Satz 1 zu § 1 DStO Schl.-Hol.). Solange die Beamten der Landespolizei nicht einer besonderen Dienststrafordnung unterstellt werden, gelten für sie gleichfalls die allgemeinen dienststrafrechtlichen Bestimmungen (DVO Nr. 1 Satz 2 zu § 1 DStO Schl.-Hol.). DVO Nr. 2 zu § 1 DStO Schl.-Hol. entspricht DVO zu § 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. C. Nicht unter das Bundesdisziplinarrecht fallende Personen 1. B e e n d i g u n g des B e a m t e n v e r h ä l t n i s s e s d u r c h T o d Die BDO, BDO i. d. F. der Novelle findet keine Anwendung, wenn das Beamtenverhältnis bzw. der Ruhestand durch Tod endet. Ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren ist in einem solchen Falle einzustellen, weil ebenso wie im ordentlichen Strafverfahren nach dem Tode des Beschuldigten eine Sachentscheidung nicht mehr getroffen werden kann. Eine Rechtsgrundlage für die Hinterbliebenen, das Verfahren weiter zu betreiben, besteht nicht 26 . Ebenso wird ein Wiedereinsetzungsantrag eines im Disziplinarverfahren rechtskräftig verurteilten Beamten durch seinen Tod gegenstandslos; die Hinterbliebenen können auch hier nicht in das Verfahren eintreten. 26 BDH20.7. 54 — I D B 21/53 — L i n d g e n Teil IV Nr. 84; vgl. auch Löwe-Rosenberg Vorbem. 20 a vor § 151 StPO; Henkel, Strafverfahrensrecht 1953 § 51 II.
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§6
Ist die disziplinargerichtliche Entscheidung nicht rechtskräftig geworden, so kann sie nicht mehr wirksam werden. Nimmt sich also ein durch ein Urteil des Disziplinargerichts zur Entfernung aus dem Dienst verurteilter Beschuldigter das Leben, bevor die Berufungsfrist abgelaufen ist, so sind den Hinterbliebenen Versorgungsbezüge zu zahlen. Ist die Entscheidung noch vor dem Tode des Beschuldigten rechtskräftig geworden, so kann sie nicht mehr vollstreckt werden, sofern sie einer besonderen Vollstreckungshandlung bedarf ; so kann ζ. B. eine Geldbuße nicht mehr eingezogen werden. Im Falle der Gehaltskürzung und der Kürzung des Ruhegehalts ist Witwenund Waisengeld im vollen Umfange zu zahlen (vgl. § § 8 Abs. 3, 13 Abs. 3 BDO). Trotz Todes des Verurteilten kommt die Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens in Frage, wobei in diesem Falle sein Ehegatte, seine Verwandten auf- und absteigender Linie und seine Geschwister antragsberechtigt sind (vgl. § 86 Abs. 1 Nr. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Dies gilt auch für die Wiederaufnahme politisch beeinflußter Disziplinarverfahren auf Grund der Art. 8 und 9 des Änderungsgesetzes vom 28. 11. 1952 (BGBl. I S. 749). Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 a. a. O. müssen ergänzend ausgelegt werden. Die Anwendung der Art. 8 und 9 a. a. O. ist also nicht davon abhängig, daß der in der Zeit vom 30. 1. 33 bis zum 8. 5. 45 aus politischen Gründen zu Unrecht mit einer Strafe belegte Beamte bei Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmungen oder gar noch zur Zeit des Wiederaufnahmeverfahrens noch am Leben war 27 . 2. E n t l a s s u n g i n f o l g e des V e r l u s t e s der E i g e n s c h a f t als D e u t s c h e r Ein Beamter ist zu entlassen, wenn er die Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG verliert (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BBG). War der zum Beamten Ernannte bereits anläßüch der Begründung des Beamtenverhältnis nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 GG und hat der BMI nach § 7 Abs. 2 BBG eine Ausnahme von § 7 Abs. 1 Nr. 1 BBG nicht zugelassen, so kommt in diesem Falle nur die Nichtigkeit der Ernennung nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 BBG in Frage. Nach Art. 116 GG ist Deutscher, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stande vom 31. 12. 37 Aufnahme gefunden hat. Die deutsche Staatsangehörigkeit ergibt sich aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. 7. 13 (RGBl. S. 583), geändert durch das Gesetz vom 5. 11. 23 (RGBl. I S. 1077), die VO vom 5. 2. 34 (RGBl. I S. 85) das Gesetz vom 15. 5. 35 (RGBl. I S. 593), die VO vom 20.1. 42 (RGBl. I S. 40), das Gesetz vom 19. 8. 57 (BGBl. I S. 1251) und das Gesetz vom 30. 8. 60 (BGBl. I S. 721). Nach dem 2. Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 17. 5. 56 (BGBl. I S. 431) haben alle früheren Österreicher mit dem 26. 4. 45 ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, jedoch das Recht, die deutsche Staatsangehörigkeit mit Rückwirkung auf den gleichen Zeitraum wieder zu erlangen, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt seit dem 26. 4. 45 im Gebiete des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31.12. 37 haben. Die Sudetendeutschen haben ihre deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Zusammenbruch vom 8. 5. 45 behalten. Aus dem Bundesvertriebenengesetz vom 19. 5. 53 27
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DiszSenat OVG Münster 22. 7. 60 — X 2/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 97.
Persönlicher Geltungsbereich
(BGBl. I S. 201) i. d. F. vom 23.10. 61 (BGBl. I S. 1883) ergibt sich, wer Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit ist. Ist der Verlust der Eigenschaft als Deutscher erst im Laufe des Disziplinarverfahrens eingetreten, so ist dasselbe einzustellen. 3. E n t l a s s u n g i n f o l g e der V e r l e g u n g des W o h n s i t z e s oder d a u e r n d e n A u f e n t h a l t s i n s A u s l a n d ohne Z u s t i m m u n g der o b e r s t e n Dienstbehörde Als Beamter ist weiterhin zu entlassen, wer ohne Zustimmung der obersten Dienstbehörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland nimmt ( § 2 9 Abs. 1 Nr. 2 BBG). Verlegt jemand seinen Wohnsitz nach Mitteldeutschland oder in das frühere Reichsgebiet östlich der OderNeiße-Linie, so kommt § 29 BBG nicht zur Anwendung, da als Ausland nur Gebiete außerhalb des Reichsgebiets nach dem Stande vom 31. 12. 37 anzusehen sind. Ebenso kann von einer Verlegung des Sitzes ins Ausland dann keine Rede sein, wenn sich jemand nur vorübergehend im Ausland aufhalten will. Hat der Beamte einen Wohnsitz im Inland und einen weiteren Wohnsitz im Ausland gewählt, was ohne weiteres zulässig ist, so kommt es darauf an, wo sich der Beamte persönlich aufhält. Die Begründung eines Wohnsitzes setzt volle Geschäftsfähigkeit voraus (vgl. § 8 BGB). Der „dauernde Aufenthalt" i. S. des § 29 Abs. 1 Nr. 2 BBG hingegen stellt ein Faktum dar, wobei es auf die Geschäftsfähigkeit nicht ankommt; jedoch ist auch hier erforderlich, daß der Beamte den Willen bekundet, dauernd, also nicht nur vorübergehend, im Ausland zu bleiben. Der Beamte kann nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 BBG entlassen werden, wenn er die Zustimmung der obersten Dienstbehörde zum Aufenthalt oder zur Wohnsitzverlegung ins Ausland erhalten hat. Die Zustimmung muß vor der Verlegung des Wohnsitzes bzw. der Aufenthaltsbegründung im Ausland vorliegen 28 . Schriftform ist für die Zustimmung nicht erforderlich. Der Beamte nimmt ohne Genehmigung dauernden Aufenthalt im Ausland, wenn er wohl mit Genehmigung der obersten Dienstbehörde seinen Aufenthalt vorübergehend in das Ausland verlegt hat, die Weisung zu Rückkehr aber nicht befolgt und auf absehbare Zeit auch nicht zu befolgen gedenkt. Für die Entscheidung über das Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis ist es unerheblich, ob die oberste Dienstbehörde dem Beamten die Genehmigung zu länger währendem Auslandsaufenthalt in richtig verstandenem öffentlichen Interesse hätte nicht erteilen dürfen. Die an den Beamten gerichtete Aufforderung zur Heimkehr ist nicht deshalb unzumutbar und somit nicht rechtswidrig, weil gegen den Beamten ein Haftbefehl vorliegt oder der Dienstherr das Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst betreibt oder betreiben will 29 . Ist der Beamte wegen der Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland bzw. wegen seines Aufenthalts im Ausland entlassen, so scheidet die Durchführung eines Disziplinarverfahren aus ; ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren ist einzustellen. Ein Disziplinarverfahren scheidet auch vor der Entlassung aus, sofern nur die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 BBG gegeben sind, weil die Entlassung obligatorisch auszusprechen ist. 28 28
So P l o g - W i e d o w Anm. 5 zu § 29 BBG; a. M. D i s t e l - S e l g e Anm. zu § 29 BBG. OVG Lüneburg 27.11. 57 — V A 36/56 — in OVGE Bd. 12 S. 401.
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Geltungsbereich des Disziplinarrechts
4. E n t l a s s u n g i n f o l g e E i n t r i t t s in ein ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e s D i e n s t - oder A m t s v e r h ä l t n i s zu e i n e m a n d e r e n D i e n s t h e r r n Der Beamte ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BBG zu entlassen, wenn er in ein öffentlich-rechtliches Dienst- oder Amtsverhältnis zu einem anderen Dienstherrn tritt, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist ; dies gilt j edoch nicht für den Eintritt in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf oder als Ehrenbeamter. Die Begründung des Dienst- und Amtsverhältnisses muß rechtlich wirksam sein, was sich nach den jeweiligen gesetzlichen Normen richtet, die für das betreffende Dienst- und Amtsverhältnis in Frage kommen. Ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis stellt auch ein Richterverhältnis dar. Als öffentlich-rechtliche Amtsverhältnisse kommen ζ. B. die Stellung als Minister, nicht jedoch die Abgeordnetenstellung in einem Parlament in Frage. Das Dienst- und Amtsverhältnis kann niemals privatrechtlicher Art sein. Die Begründung eines privatrechtlichen Dienstverhältnisses fällt nicht unter § 29 Abs. 1 Nr. 3 BBG. Die Begründung eines Dienstverhältnisses setzt weiterhin voraus, daß der Dienstherr nach deutschem Recht Dienstherreneigenschaft besitzt, was beim Dienst in einer internationalen oder supranationalen Organisation nicht der Fall ist, so daß eine Dienstleistung bei einer solchen Organisation nicht die Entlassung aus dem Bundesdienst nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BBG zur Folge hat. Auch im Falle des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BBG kommt die Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht in Frage, selbst wenn die Entlassung noch nicht ausgesprochen ist, weil sie ebenso wie bei § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBG nur deklaratorische Wirkung hat. Ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren ist einzustellen. 5. E n t l a s s u n g w e g e n Ü b e r s c h r e i t e n s der A l t e r s g r e n z e b e i der Ernennung Wer das 65. Lebensjahr vollendet hat, darf nicht zum Beamten ernannt werden; in den Fällen des § 65 Abs. 1 Satz 2 BBG, nämlich bei Beamtengruppen, bei denen eine andere Altersgrenze festgesetzt ist, wie ζ. B. bei Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes (vollendetes 60. Lebensjahr), tritt an die Stelle des 65. Lebensjahres die für die einzelne Beamtengruppe vorgesehene andere Altersgrenze (§ 41 Abs. 3 Satz 1 BBG). Ist der Beamte trotzdem ernannt worden, so ist er zu entlassen (§ 41 Abs. 3 Satz 2 BBG). Für die Entlassung gilt § 33 BBG (VV Nr. 4 zu § 41 BBG), d. h. sie ist von derjenigen Stelle zu verfügen, die für die Ernennung zuständig war, und wird mit Ende des Monats wirksam, der auf den Monat folgt, in dem die Entlassungsverfügung dem Beamten schriftlich zugestellt worden ist. Für das Disziplinarverfahren gilt hier gleiches wie in den Fällen zu 2 bis 4. Ist das Disziplinarverfahren eingeleitet, so ist es zumindest nach Wirksamwerden der Entlassung einzustellen. 6. E n t l a s s u n g statt E i n t r i t t in den R u h e s t a n d m a n g e l s V o r l i e g e n s der V o r a u s s e t z u n g e n des § 106 BBG Hat ein Beamter auf Lebenszeit, auf Zeit oder auf Probe die Voraussetzungen des § 106 BBG — u. a. die Ableistung einer Dienstzeit von mindestens 10 Jahren oder Eintritt der Dienstunfähigkeit — nicht erfüllt, so ist er nach 76
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§ 35 Satz 2 BBG zu entlassen. Die Entlassung tritt bei Erreichen der Altersgrenze kraft Gesetzes ein, und zwar mit dem Ende des Monats, in dem die Altersgrenze erreicht wird (VV Nr. 2 Satz 1 zu § 35 BBG). Die Entlassung des Beamten wegen Dienstunfähigkeit wird von der Stelle verfügt, die nach § 10 Abs. 1 BBG für die Ernennung des Beamten zuständig wäre ( § 3 3 BBG). Sie ist erst zulässig, wenn dem Beamten oder seinem Pfleger mitgeteilt worden ist, daß der Beamte wegen Dienstunfähigkeit entlassen werden soll, und er oder der Pfleger hiergegen keine Einwendungen erhoben hat, oder wenn die Dienstunfähigkeit des Beamten festgestellt worden ist (§ 44 BBG). Die Entlassung ist dem Beamten oder dem Pfleger schriftlich mitzuteilen. Die Entlassung wird bei einem Beamten auf Lebenszeit mit Ablauf der Frist wirksam, die nach § 47 Abs. 2 BBG für den Beginn des Ruhestands bestimmt ist. Für die Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstunfähigkeit ( § 3 1 Abs. 1 Nr. 3 BBG) gelten die in § 31 Abs. 3 BBG bestimmten Fristen (VV Nr. 2 Abs. 1 Buchst, b zu § 35 BBG). Wird der Beamten ohne Versorgung entlassen, so scheidet ein Disziplinarverfahren aus. Erhält er auf Grund eines Dienstfalls Versorgung nach § 142 BBG, so gilt A 6 S. 66. Ist gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, so ist dasselbe nach Wirksamwerden der Entlassung einzustellen. 7. E n t l a s s u n g bei V e r w e i g e r u n g des g e s e t z l i c h v o r g e s c h r i e b e n e n Eides Der Beamte ist zu entlassen, wenn er sich weigert, den gesetzlich vorgeschriebenen Diensteid zu leisten oder ein an dessen Stelle vorgeschriebenes Gelöbnis abzulegen ( § 2 8 Nr. 1 BBG). Auf den Grund für die Ablehnung kommt es nicht an. Da der entlassene Beamte nur Anspruch auf Nachversicherung hat, scheidet ein Disziplinarverfahren schon deshalb aus, weil ihm keine Versorgungsbezüge aberkannt oder gekürzt werden können. Da die Entlassung zwingend vorgeschrieben ist, kann der Beamte nicht wegen Verletzung der Gehorsamspflicht disziplinarisch bestraft werden. Anders wäre es, wenn er nach Ableistung seines mit der Begründung des Beamtenverhältnisses bedingten Eides im Verlaufe seiner dienstlichen Laufbahn nochmals einen Treueid leisten müßte, was ζ. B. nach § 4 DBG in Frage kam; dieser Treueid war erst nach Begründung des Beamtenverhältnisses zu leisten. Da die Eidesleistung auf Grund des § 4 DBG Inhalt der Amtspflichten eines jeden Beamten war, wurde es als schwere Amtspflichtverletzung betrachtet, wenn ein Beamter diesen Treueid nicht geleistet hatte 30 . 8. E n t l a s s u n g bei B e i b e h a l t u n g des M a n d a t s als B u n d e s t a g s abgeordneter Der Beamte ist nach § 28 Ziff. 2 BBG zu entlassen, wenn er zur Zeit der Ernennung Mitglied des Bundestages war und nicht innerhalb der von der obersten Dienstbehörde gesetzten angemessenen Frist sein Mandat niederlegt. Wird hingegen ein Beamter mit Dienstbezügen zum Abgeordneten des Deutschen Bundestages gewählt, und nimmt er die Wahl an, so tritt er nach § 57 BBG i. V. m. § 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung der in den Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes vom 4. 8. 53 30
Vgl. RDH in ZBR Bd. 7 S. 176; W i t t l a n d Anm. 182 Anhang zu § 1 RDStO. 77
§6
Geltungsbereich des Disziplinarrechts
(BGB I S. 772), geändert durch Art. V des 2. und Art. VIII des 3. ÄndGes. zum G 131 vom 11. 9. 57 (BGBl. I S. 1275) und vom 21. 8. 1961 (BGBl. I S. 1557), mit dem Tage der Annahme der Wahl kraft Gesetzes in den Ruhestand. § 28 Nr. 2 BBG regelt also den umgekehrten Fall, in dem ein Bundestagsabgeordneter zum Beamten ernannt wird. Innerhalb der Frist, die dem Beamten zur Niederlegung des Mandats als Bundestagsabgeordneter eingeräumt ist, kann ein Disziplinarverfahren gegen ihn durchgeführt werden. Mit Wirksamwerden der Entlassung ist ein anhängiges Disziplinarverfügungsverfahren bzw. ein förmliches Disziplinarverfahren einzustellen. § 28 Nr. 2 BBG gilt nicht für einen Abgeordneten eines Landtages oder einer kommunalen Vertretungskörperschaft. 9. E n t l a s s u n g auf e i g e n e n A n t r a g Der Beamte kann jederzeit seine Entlassung verlangen ( § 3 0 Abs. 1 Satz 1 BBG). Das Verlangen muß dem Dienstvorgesetzten schriftlich erklärt werden (§30 Abs. 1 Satz 2 BBG). Die Erklärung kann, solange die Entlassungsverfügung dem Beamten noch nicht zugegangen ist, innerhalb zweier Wochen nach Zugang bei dem Dienstvorgesetzten zurückgenommen werden, mit Zustimmung der Entlassungsbehörde nach Ablauf dieser Frist (§30 Abs. 1 Satz 3 BBG). Die Entlassung ist für den beantragten Zeitpunkt auszusprechen; sie kann jedoch solange h i n a u s g e s c h o b e n w e r d e n , bis der B e a m t e s e i n e A m t s g e s c h ä f t e o r d n u n g s g e m ä ß e r l e d i g t h a t , längstens drei Monate ( § 3 0 Abs. 2 BBG). Als Entlassungsbehörde gilt für die vom Bundespräsidenten zu entlassenden Beamten die Dienststelle, welche die Vorschlagsbefugnis ausübt, für die übrigen Beamten die zur Entlassung ermächtigte Dienststelle (DV Ziff. 4 zu § 60 DBG). Ein auf seinen Antrag aus dem Dienst des Bundes oder eines Landes entlassener Beamter darf im unmittelbaren oder mittelbaren Bundesdienst nur nach Einvernehmen beider Verwaltungen beschäftigt oder erneut zum Beamten ernannt werden (DV Nr. 3 zu § 60 DBG). Der Beamte kann jederzeit seine Entlassung begehren. Da der Antrag eine empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, muß der Beamte zur Zeit der Abgabe der Erklärung geschäfts- und zurechnungsfähig sein. Die Erklärung muß schriftlich abgegeben werden, kann also nicht durch konkludente Handlung, wie ζ. B. Verlassen des Bundesgebiets, abgegeben werden. Es ist darauf zu achten, daß der Antrag nicht in einem Zeitpunkt seelischer Erregung gestellt wird 31 . Ein Schreiben an die Dienstbehörde, in dem der Beamte um Entlassung ersucht, gleichfalls aber um eine Regelung seiner Pensionsangelegenheiten bittet, ist kein echter Entlassungsantrag nach § 30 BBG 32 . Der Entlassungsantrag kann nach rechtskräftigem Abschluß des Disziplinarverfahrens nicht mehr gestellt werden 33 . Der Antrag auf Entlassung ist nicht wegen widerrechtlicher Drohung anfechtbar, wenn der Beamte auf ein drohendes Disziplinarverfahren mit Nachdruck hingewiesen worden ist 34 . Der Antrag braucht nicht begründet zu werden. Ist er begründet, so ist trotzdem eine nachträgliche Anfechtung wegen Irrtums im Motiv unzulässig, da diese im gesam3 1 Hess. VGH 22. 6. 51 in DöV 1952 S. 285 = DVB1.1951 S. 738; OVG Münster 8 . 1 1 . 51 in DVB1.1952 S. 606. 3 2 BDH 29. 6. 55 — III D 74/54 — BDHE Bd. 2 S. 164 = L i n d g e n Teil IV Nr. 220. 33 RGZ Bd. 134 S. 162, Bd. 145 S. 182. 34 LVG Hannover 22. 10. 52 in DVB1. 1953 S. 116.
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Persönlicher Geltungsbereich
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ist 36 .
ten öffentlichen Recht unbekannt Eine Anfechtung, die sich im übrigen auf Drohung, Zwang oder arglistige Täuschung stützt, muß unverzüglich erfolgen. 36 Auf Grund der der Verwaltung obliegenden Fürsorgepflicht ergibt sich die Verpflichtung der Behörde, den Beamten über die Rechtsfolgen der Entlassung zu belehren. So wird der Beamte darauf hinzuweisen sein, daß er bei Durchführung des förmlichen Disziplinarverfahrens wohl aus dem Dienst entfernt werden kann, daß er aber u. U. mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages zu rechnen hat. Die Belehrungspflicht wird besonders bei jüngeren Beamten und Beamten im einfachen Dienst eingehend erfolgen müssen. Der Entlassungsantrag kann innerhalb 2 Wochen nach Zugang bei der Dienstbehörde zurückgenommen werden, später nur mit Zustimmung der Entlassungsbehörde37. Die Entlassung, die durch eine unzuständige Stelle und nicht in der vorgeschriebenen Form vorgenommen worden ist, ist unwirksam. Insbesondere bedarf sie der Zustellung 38 . Ist die Entlassungsverfügung in der Übergangszeit nach 1945 nicht ordnungsgemäß zugestellt, so ist sie trotzdem als ordnungsgemäß anzusehen.39. Bis zu seiner Entlassung können gegen den Beamten disziplinarische Maßnahmen getroffen werden 40 . Ein Hinausschieben der Entlassung kann aber nur unter der Voraussetzung erfolgen, daß der Beamte seine Dienstgeschäfte noch ordnungsgemäß zu erledigen hat; dies darf aber nicht zum Vorwand dienen, um gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren noch vor der Entlassung zum Abschluß zu bringen. Ist der Beamte entlassen, so ist ein schwebendes Disziplinarverfahren einzustellen. 10. E n t l a s s u n g e i n e s B e a m t e n auf P r o b e bzw. auf W i d e r r u f s i e h e § 123 Bd. 2. 11. B e e n d i g u n g des B e a m t e n v e r h ä l t n i s s e s i n f o l g e straf g e r i c h t licher V e r u r t e i l u n g 4 1 Das Beamtenverhältnis eines Beamten (Beamten auf Lebenszeit, auf Zeit, auf Probe, auf Widerruf, Ehrenbeamten), der im ordentlichen Strafverfahren durch Urteil eines deutschen Gerichts im Bundesgebiet oder im Land Berlin a) zu Zuchthaus oder b) wegen vorsätzlich begangener Tat zu Gefängnis von einem Jahr oder längerer Dauer oder c) wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis (ohne Rücksicht auf die Höhe) verurteilt wird, 35 34 37 38
S. 319.
RGZ Bd. 126 S. 243, Bd. 134 S. 162, S. 240, Bd. 148 S. 266. OVG Lüneburg 9. 4. 54 in ZBR 1954 S. 307. Fischbach Anm. 6 zu § 30 BBG. BGH 28. 6. 51 in Beamtenbund 1951 S. 151; OVG Rh.-Pf. 12. 1. 54 in ZBR 1954
BGH Freiburg 14.12. 49 in DVB1.1950 S. 436; BGH 26. 6. 52 in DVB1.1952 S.604. DStK Hannover 1. 4. 52 in DVB1.1952 S. 701. Vgl. DokBer. Nr. 1734 (war bereits ein Urteil des Bundesdisziplinargerichts ergangen, so ist es als gegenstandslos aufzuheben, so daß selbst eine Zurücknahme einer eingelegten Berufung gegenstandslos wird). 39
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Geltungsbereich des Disziplinarrechts
endet mit der Rechtskraft des Urteils (§48 Satz 1 BBG). Gleiches gilt, wenn dem Beamten a) die bürgerlichen Ehrenrechte oder b) die Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Amter aberkannt worden ist (§ 48 Satz 2 BBG). Die beamtenrechtliche Bestimmung, daß ein Beamter kraft Gesetzes seine Rechte verliert, wenn er wegen vorsätzlich begangener Straftat zu einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt ist, widerspricht nicht den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums42. Ist ein Beamter des VWG zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr oder längerer Dauer bestraft worden, so ist er aus dem Beamtenverhältnis nach § 69 MRG 15 nicht ausgeschieden. Wird er später in den Bundesdienst übernommen, so gilt er dann nicht nach § 53 DBG bzw. § 48 BBG als ausgeschieden, weil die Rechtsfolgen dieser Bestimmungen nur den Rechtsstand berühren, den der Beamte zur Zeit der Rechtskraft des Urteils innehatte. Deshalb ist gegen ihn das förmliche Disziplinarverfahren durchzuführen, wenn er wegen der Tat disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden soll, wegen der er bereits strafgerichtlich belangt worden ist43. § 48 BBG kommt weder bei Urteilen ausländischer Gerichte44 noch bei Urteilen von Besatzungsgerichten46 noch bei Urteilen der Spruchgerichte der britischen Zone4®, noch bei einem Urteil eines Strafgerichts in Mitteldeutschland zur Anwendung. Handelt es sich um ein Urteil eines sowjetzonalen Gerichts, das vor Inkrafttreten des BBG rechtskräftig geworden ist, so führt es dann nicht zu einem automatischen Ausscheiden des Beamten aus dem Beamtenverhältnis, wenn die Unzulässigkeit der Strafvollstreckung in entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die innerdeutsche Rechtsund Amtshilfe in Strafsachen vom 2. 5. 53 (BGBl. I S. 161) — DAG — und § 2 Abs. 1 des Straffreiheitsgesetzes von 1949 in einer Höhe unter einem Jahr Gefängnis festgestellt worden ist. Ist die Unzulässigkeit der Strafvollstreckung nach § 15 DAG ausgesprochen, so ist damit, wie aus § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 i. Vbdg. mit § 16 DAG zu entnehmen ist, bindend festgestellt, daß ein Urteil über diese Strafe hinaus keine formelle Rechtskraft hat. Da eine Verurteilung von weniger als einem Jahr Gefängnis keine Wirkung nach § 53 DBG auslösen konnte, hat der Betroffene seinen Beamtenstatus behalten47. Da die Jugendstrafe ein selbständiges und vom allgemeinen Strafrecht unabhängig ausgestaltetes Strafmittel ist, löst eine Jugendstrafe von einem Jahr und längerer Dauer nicht die Rechtsfolgen des § 48 Satz 1 BBG aus. 4 2 BGH 13. 5. 57 — III ZR 230/55 — in NJW 1957 S. 1189 =VRspr. Bd. 9 S. 705 = BGHZ Bd. 24 S. 230 = ZBR 1957 S. 189 = NDBZ 1957 S. 155; OVG Koblenz 21. 7. 59 — 2 C 6/59 — in ZBR 1961 S. 246 = Lindgen Teil IV Nr. 478; OLG Frankfurt (Main) 28.7. 49 in DöV 1950 S. 86; Hess. VGH 16. 3. 56 — OS 1153 — Y G H E Bd. 6 S. 51 = ZBR 1957 S. 171; Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit äußern Jellinek in Anm. zum Urteil Wiirtt.-Bad. VGH-Senat Karlsruhe — vom 16. 12. 1949 in Archiv des öffentlichen Rechts 1950 S. 108 (116 ff.) und G r a b e n d o r f f Erl. 4 zu § 48 BBG. 4 3 BDH 1. 6. 53 — I D 30/53 — in DokBer. Nr. 536. 4 4 RÜHE Bd. 3 S. 132 45 DStKVWG Bremen inDòV 1949 S. 339; OVG Lüneburg 22. 8. 5 1 — I I A 6 8 8 / 5 0 — in DVB1.1951 S. 675. 4 6 O V G Lüneburg 31. 3. 53 — VA 197/53 — in DVBI. 1953 S. 416 = MDR1953 S.506. 47 DokBer. Nr. 1331.
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Persönlicher Geltungsbereich
§6
Handelt es sich um einen jugendlichen Beamten auf Widerruf oder auf Probe, so muß gegebenenfalls ein Verfahren nach § 107 BDO, BDO i. d. F. der Novelle durchgeführt -werden. Eine Verurteilung wegen mehrerer Vergehen erfüllt die Voraussetzungen des § 48 BBG, auch wenn die Strafe gemäß § 73 StGB dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 entnommen ist, jedenfalls dann, wenn die Strafbestimmungen des Kontrollratsgesetzes bei der Bemessung der Höhe der Strafe keine entscheidende Rolle gespielt, haben48. Ist wegen mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten auf eine Gesamtgefängnisstrafe von einem Jahr und längerer Dauer erkannt, so treten die Folgen des § 48 BBG gleichfalls ein (vgl. DV Abs. 1 Satz 1 zu § 53 BBG). Dies gilt auch dann, wenn die Gesamtstrafe nachträglich gebildet ist49. Wird die Gesamtstrafe erst nachträglich gebildet (§ 79 StGB, § 460 StPO), so wird § 48 BBG erst mit der nachträglichen gerichtlichen Entscheidung, nicht jedoch zu dem Zeitpunkt, an dem die Bildung der Gesamtstrafe möglich war, wirksam. Der Verlust der Beamtenrechte tritt auch dann ein, wenn gegen einen Beamten auf eine Gesamtstrafe von einem Jahr Gefängnis erkannt worden ist, die Einzelstrafen aber unter diesem Strafmaß bleiben50. Der Beamte scheidet auch dann aus dem Beamtenverhältnis aus, wenn ein rechtskräftiges Straf urteil gegen ihn zwar hinsichtlich einer Einzelstrafe und der Gesamtstrafe auf Grund des § 357 StPO aufgehoben worden ist, aber die Einzelstrafen wegen vorsätzlich begangener Taten von mehr als ein Jahr Gefängnis hiervon unberührt geblieben sind, die in der Gesamtstrafe mit einbezogen waren 61 . Ist wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Handlungen auf eine Gesamtstrafe erkannt worden, so gelten nur die für den Vorsatz erkannten Einsatzstrafen (DV Abs. 1 Satz 2 zu § 53 DBG). Ist ein Beamter oder früherer Berufssoldat als Unterbringungsteilnehmer wegen eines fahrlässigen Vergehens in Tateinheit mit einem vorsätzlichen Vergehen zu Gefängnis von mindestens einem Jahr verurteilt worden, so hat er seine Beamtenrechte bzw. Rechte aus dem G 131 dann nicht nach § 48 Abs. 1 BBG verloren, wenn das Strafgericht gemäß § 73 StGB nur die Vorschrift angewendet hat, die das fahrlässige Vergehen mit Strafe bedroht ; dies gilt auch dann, wenn die Strafrahmen der beiden Vorschriften, die verletzt worden sind, gleich sind52. Ist keine Gesamtstrafe gebildet, so dürfen die in verschiedenen Urteilen verhängten Strafen nicht zusammengerechnet werden 53 . Mit Rechtskraft der strafgerichtlichen Entscheidung tritt der Amtsverlust nach § 48 BBG kraft Gesetzes ein. Stirbt der Beamte vor Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils, so kommt § 48 BBG nicht zur Anwendung. Auf Grund des § 6 Abs. 4 der AO des Bundespräsidenten über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Bundesrichter vom 17. 5. 50 (BGBl. S. 209) i. d. F. vom 13. 6. 53 (BGBl. I S. 383) erhält der Beamte wohl eine Mitteilung BGH 13. 5. 57 — III ZR 230/55 — in NDBZ 1957 S. 155. BDH 28. 3. 60 — I D 26/60 — L i n d g e n Teil IV Nr. 540. 50 OVG Lüneburg 27.10. 53 — V A 381/53 — OVGE Bd. 7 S. 342 = VRspr. Bd. 6 S. 537 = MDR 1954 S. 126; PrOVG 5. 3. 35 in JW 1935 S. 2462. 5 1 OVG Koblenz 21. 7. 59 — 2 C 6/59 — in NDBZ 1960 S. 42 = ZBR 1961 S. 246 = L i n d g e n Teil IV Nr. 478. 52 V G Berlin 31. 8. 61 — V G X I I A 6/59 —in ZBR 1962 S. 13. 53 Brand S. 171 Anm. 6. 48
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6 Lindgen, Disziplinarrecht I
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§6
Geltungsbereich des Disziplinarrechts
über den Grund und den Zeitpunkt der Entlassung, die jedoch keine konstitutive Wirkung hat, so daß sich eine Zustellung derselben erübrigt. Mit der Rechtskraft des strafgerichtlichen Erkenntnisses scheiden jegliche disziplinären Maßnahmen gegen den Beamten aus. War das förmliche Disziplinarverfahren gegen ihn bereits eröffnet, so ist es einzustellen. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn der frühere Beamte Feststellungs- oder Leistungsklage erhebt, weil er der Auffassung ist, daß eine Beendigung des Beamtenverhältnisses nicht eingetreten ist. Wird das strafgerichtliche Urteil im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens durch ein Urteil ersetzt, das diese Wirkung nicht hat, so gilt das Beamtenverhältnis als nicht unterbrochen. Der Beamte hat, falls er die Altersgrenze noch nicht überschritten hat und noch dienstfähig ist, Anspruch auf ein Amt derselben oder einer mindestens gleichwertigen Laufbahn wie sein bisheriges Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt, wie es seinem früheren Amt entspricht (§ 51 Abs. 1 BBG). Diese Rechtsfolgen treten jedoch nicht ein, wenn im Zeitpunkt der Rechtskraft des Wiederaufnahmeurteils die allgemeinen Voraussetzungen für das Beamtenverhältnis weggefallen sind, wenn ζ. B. der Beamte inzwischen wegen einer anderen Straftat zu Zuchthaus verurteilt worden war. Sind die Rechtsfolgen des § 51 BBG eingetreten, so ist der Beamte nicht wie früher als Wartestandsbeamter, sondern als aktiver Beamter zu behandeln und unterliegt damit der BDO. Insbesondere kann er auch wegen solcher Verfehlungen disziplinarisch belangt werden, die er in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Aufhebung des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren begangen hat. Die strafrechtlichen Wiedergutmachungsgesetze wirken sich auf die Rechtsstellung der auf Grund des § 53 DBG ausgeschiedenen Beamten unterschiedlich aus. Einfach ist die Rechtslage, wenn in den Wiedergutmachungsgesetzen ausdrücklich darauf hingewiesen ist, daß mit der Aufhebung des strafrechtlichen Urteils auch die beamtenrechtlichen Folgen beseitigt sind64. Auf keinen Fall sind die beamtenrechtlichen Folgen dann beseitigt, wenn die Herabsetzung der Strafe auf eine Änderung der Gefahrenlage oder der Anschauungen über die Strafwürdigkeit zurückzuführen ist, wenn also die Herabsetzung amnestieähnlichen Charakter hat55. Eine ausdrückliche Aufhebung der beamtenrechtlichen Folgen war ζ. B. in § 11 Abs. 1 des 1. Hessischen Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 13. 11. 46 (GVB1. S. 223) vorgesehen. Darüber hinaus beseitigt die Aufhebung eines Sondergerichtsurteils aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft auf Grund des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete 54 Vgl. BDH 21. 11. 53 — II DB 21/53 — BDHE Bd. 1 S. 7; DokBer. Nr. 669 und Nr. 1313; vgl. auch BVerwG 21. 2. 57 — II C 62/55 — in JR 1957 S. 354 = L i n d g e n Teil IV Nr. 155; BGH 31. 3. 52 — III ZR 150/50 — BGHZ Bd. 5 S. 326 = NJW 1952 S.1093; BDHE Bd. 2 S. 12; vgl. auch OVG Münster 24.10. 58 — VI Β 844/58 — in ZBR 1959 S. 194 = MDR 1959 S. 606 = L i n d g e n Teil IV Nr. 463 (LS) ; BVerwG 24. 2. 58 — VI C 236/57— L i n d g e n Teil IV Nr. 459 (LS); BGH 31. 3. 52 — III ZR 150/50 — in VRspr. Bd. 5 S. 50 = APF 1953 S. 53 mit Anm. von L i n d g e n = DöV 1952 S. 475 = NJW 1952 S. 1093; a. M. OVG Münster 8. 4. 52 — IV A 1639/51 — in DöV 1953 S. 29 und 13. 4. 50 — IV A 107/50 — OVGE Bd. 2 S. 82. 55 OVG Münster 24. 10. 58 — VI Β 844/58 — in ZBR 1959 S. 194 = L i n d g e n Teil IV Nr. 463 (LS) = MDR 1959 S. 606.
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Persönlicher Geltungsbereich
des Strafrechts vom 5 . 1 . 51 (GVB1. Berlin S. 31) die beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Strafurteils rückwirkend mit dem Tag der Rechtskraft des Urteils, wenn die Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage oder auf Grund formal zwar geltender, aber materiell ungerechter Gesetze erfolgt war66. Hierbei kann es gleichbleiben, ob die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren durch Urteil oder durch Beschluß ergeht; Voraussetzung bleibt nur, daß es sich um ein Verfahren nach den allgemeinen Vorschriften über die Wiederaufnahme handelt, das geeignet ist, zur Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen zu führen. Handelt es sich um Straffreiheitsgesetze mit Amnestiecharakter, so kommt ihnen nicht die Bedeutung zu, daß sie gleichzeitig die beamtenrechtlichen Nebenfolgen beseitigen. Einem Straffreiheitsgesetz kann allerdings in der Weise rückwirkende Kraft beigelegt werden, daß auch beamtenrechtliche Folgen einer kriminellen Strafe aufgehoben werden sollen. Derartige Wege einer „rückwirkenden Wiedergutmachung" beschritten aber die nach dem Zusammenbruch vom 8. 4. 45 erlassenen Straffreiheitsvorschriften nicht 67 . Dies gilt ζ. B. für die V e r o r d n u n g ü b e r die G e w ä h r u n g v o n S t r a f f r e i h e i t v o m 3 . 6. 47 (VOB1. B Z S. 68). Sie regelt Fälle, in denen — gnadenweise — verdiente oder doch im Zeitpunkt ihres Ausspruchs vertretbare Strafen gemildert oder erlassen werden, und solche, in denen materielles Unrecht, das durch Bestrafung ohne gesetzliche Grundlage oder auf Grund formal geltender, aber materiell ungerechter Gesetze zugefügt worden ist, beseitigt wird. Nur in Fällen letzterer Art hat, wie bereits gezeigt worden ist, die Aufhebung des Strafurteils auf Grund des § 7 a. a. O. dieselbe Wirkung wie die Aufhebung des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren, wobei § 51 B B G zumindest sinnentsprechend anzuwenden ist 68 . Liegt aber kein Fall einer nach rechtsstaatlichen Grundsätzen unerträglichen Strafe vor, so kann der Strafherabsetzung nach § 4 a. a. O. nur die Wirkung einer Milderung einer an sich verdienten Strafe beigemessen werden, die das Strafurteil und seine beamtenrechtlichen Nebenfolgen nicht rückwirkend, sondern lediglich für die Zukunft beseitigen59. Zu den gesetzlichen Nebenfolgen i. S. des § 2 Abs. 4 des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit vom 31. 12. 49 (BGBl. 1950 S. 37) gehören gleichfalls nicht die beamtenrechtlichen Rechts Wirkungen der §§ 48, 162, 164 Abs. 1 Nr. 3 BBG 6 0 . Ein nach § 53 D B G eingetretener Rechtsverlust wird im Wiederaufnahmeverfahren auch nach der s a a r l ä n d i s c h e n R e c h t s a n o r d n u n g zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 4. 7. 47 (Amtsbl. Saarland S. 271) nicht beseitigt, wenn das Strafverfahren zwar wiederaufgenommen, dann aber auf Grund eines Straffreiheitsgesetzes eingestellt wird, das eine Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen nicht vorBDH 27.11. 58 — I DW 6/54 — BDHE Bd. 5 S. 160 = L i n d g e n Teil IV Nr. 494. Vgl. BGH 31. 3. 52 — III ZR 150/50 — in NJW 1952 S. 1093 = DöV 1952 S. 475; BVerwG 24.2. 58 — VI C 236/57 — in DöD 1958 S. 76; a. M. OVG Lüneburg 2 4 . 6 . 58 — V A 123/55 — in NDBZ 1958 S. 249. 58 BGH 21. 5. 53 — III Ζ R 278/51 — in NJW 1953 S. 1587 = ZBR 1953 S. 170. 59 BVerwG 30. 8. 62 — II C 202/60 — in NJW 1962 S. 2367. OVG Münster 24.10. 58 — VI Β 844/58 — in ZBR 1959 S. 59 u. S. 194 = MDR 1959 S. 606. 6 0 BVerwG 21. 2. 57 — II C 62/55 — in NJW 1957 S. 1045 = DVB1.1957 S. 458 = DÖV 1957 S. 630 = J R 1957 S. 354 = NDBZ 1958 S. 22 = ZBR 1957 S. 199 = BVerwGE Bd. 4 S. 287. 5e
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Geltungsbereich des Disziplinarrechts
sieht 61 ; hier verfolgt das Wiederaufnahmeverfahren einen bestimmten Zweck und trägt damit Sondercharakter, der im gewissen Umfange dem einer Amnestie entspricht, wie z. B. dort, wo lediglich die Korrektur des Strafmaßes zugelassen und die Möglichkeit einer Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen nicht vorgesehen ist. Wenn die rechtskräftige Verurteilung eines Beamten zu Zuchthaus unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte im Wege der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts dahin geändert wird, daß sie auf eine Gefängnisstrafe von weniger als einem Jahr herabgesetzt wird, so bleibt der durch die Verurteilung eingetretene Amtsverlust vor allem dann bestehen, wenn die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte nicht geändert wird 62 . Wird die rechtskräftige Verurteilung eines Beamten zu einer Zuchthausstrafe und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Grund eines Straffreiheitsgesetzes in eine Gefängnisstrafe von weniger als einem Jahr und unter Fortfall der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte umgewandelt, ändert auch dies nichts an dem durch die Verurteilung eingetretenen Amtsverlust; er wird auch nicht dadurch beseitigt, daß dem Beamten von der Anstellungsbehörde in Verkennung der Rechtslage mitgeteilt wird, daß er wegen der Umwandlung der Strafe wieder eingestellt werde 63 . 12. N i c h t i g k e i t der E r n e n n u n g
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Disziplinare Maßnahmen kommen nicht in Frage, wenn die Ernennung des Beamten nichtig ist. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BBG ist sie dann nichtig, wenn sie von einer unzuständigen Behörde ausgesprochen wurde. Maßgebend sind hierfür die Rechtsvorschriften, die zur Zeit der Ernennung in Geltung waren. Die Ernennung kann jedoch von der sachlich zuständigen Behörde bestätigt werden ( § 1 1 Abs. 1 Satz 2 BBG); die Bestätigung hat dann rückwirkende Kraft. Bis zur Bestätigung jedoch ist die Ernenneng nicht schwebend unwirksam, sondern nichtig. Eine Bestätigung ist dann nicht erforderlich, wenn die Behörde lediglich örtlich unzuständig war; eine solche Ernennung ist nämlich nicht unwirksam. Eine Ernennung ist nach § 11 Abs. 2 BBG ferner nichtig, wenn der Ernannte im Zeitpunkt der Ernennung a) nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BBG nicht ernannt werden durfte, wenn er also nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 GG war und der BMI eine Ausnahme nicht zugelassen hatte, oder b) entmündigt war oder c) nicht die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter hatte, wenn er also entweder zu einer Zuchthausstrafe ( § 3 1 StGB) verurteilt war oder im Urteil auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (§§ 32, 34 Nr. 1 StGB) oder auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (§§ 35, 128 Abs. 2, 358 StGB) erkannt worden war. BDH 7. 6. 60 — I D 21/60 — in ZBR 1961 S. 383 = L i n d g e n Teil IV Nr. 558 (LS). BDH 28. 8. 53 — II D 103/53 — BDHE Bd. 1 S. 5. BDH 9. 3. 55 — I D 197/53 — BDHE Bd. 2 S. 12 = L i n d g e n Teil IV Nr. 182. 6 3 a O. M e y e r , Heilung nichtiger Ernennung durch Zeitablauf in ZBR 1965 S. 4. 61
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Persönlicher Geltungsbereich
§6
Unter Ernennung im Sinne der § § 11 f. BBG sind nicht nur die Begründung des Beamtenverhältnisses, sondern alle in § 6 Abs. 1 BBG aufgeführten Fälle, wie ζ. B. die Beförderung oder die Umwandlung eines Beamtenverhältnisses auf Probe in ein solches auf Lebenszeit oder die Beförderung, zu verstehen; auf andere Verwaltungsakte, wie ζ. B. die Entlassung oder die Versetzung in den Ruhestand, sind die § § 11 f. BBG nicht anzuwenden64. Da der Ernannte lediglich die Rechtsstellung, die er durch die nichtige Ernennung begründen sollte, einbüßt, verbleibt es bei dem früheren Status. Handelt es sich um die erste Ernennung, so scheiden Disziplinarmaßnahmen allgemein aus ; ist durch die Ernennung der bisherige Beamtenstatus nur geändert worden, ist ζ. B. der Beamte auf Probe zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden, so verbleibt es bei der früheren Rechtsstellung, so daß ζ. B. ein förmliches Disziplinarverfahren gegen einen Beschuldigten, dessen Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit unter § 11 BBG fällt, nunmehr einzustellen ist. Ist der Beschuldigte, dessen Berufung in das Beamtenverhältnis nach § 11 BBG nichtig ist, inzwischen disziplinarisch bestraft worden, so ist die Bestrafung unwirksam; wenn dem Beschuldigten auch die Dienst- und Versorgungsbezüge belassen werden können, so ist dennoch eine inzwischen eingezogene Geldbuße zurückzuzahlen. 13. Z u r ü c k n a h m e der E r n e n n u n g Eine Ernennung ist nach § 12 Abs. 1 BBG zurückzunehmen, a) wenn sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt wurde oder b) wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatte, das ihn der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen läßt, und er deswegen rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt war oder wird. Erforderlich ist, daß die Ernennung durch den Zwang herbeigeführt worden war. Wäre die Ernennung auch ohne Anwendung von Zwang ausgesprochen worden, so ist sie nicht durch Zwang herbeigeführt. Arglistige Täuschung bedeutet das Hervorrufen oder Aufrechterhalten eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen ; ein fahrlässiges Verhalten reicht nicht aus. Die Ernennung muß durch die arglistige Täuschung herbeigeführt sein; sie ist durch jede Täuschung „herbeigeführt", ohne die sie unterblieben wäre. Sie kann gegenüber der Ernennungsbehörde selbst oder gegenüber der Behörde herbeigeführt sein, die den Ernennungsvorschlag gemacht hat. Die Rücknahme wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Dienstherr den wahren Sachverhalt hätte erkennen müssen65. Bestechung bedeutet die Annahme, das Fordern oder das Sichversprechenlassen von Geschenken oder sonstigen Vorteilen, wobei es nicht entscheidend ist, ob 64 P l o g - W i e d o w Anm. 1 zu § 11 BBG; vgl. auch BDH 6. 12. 55 — I D 51/54 — BDHE Bd. 2 S. 5; Brand Anm. 3 zu §§ 32—34 DBG; N a d l e r - W i t t l a n d - R u p p e r t Anm. 7 zu § 32 DBG; F r e y t a g in ZBR 1953 S. 48; B o c h a l l i Anm. 3 b zu § 12 BBG; Heyland, Lehrbuch des Beamtenrechts, 1938 S. 101 ; Reuß in JW 1938 S. 3099; Fischbach Anm. VI zu § 32 DBG und Anm. IV zu § 12 BBG; a. M. OVG Koblenz in ZBR 1955 S. 28 und OVG Munster in AS Bd. 2 S. 77. 65 BVerwG 12. 9. 63 — BVerwG II C195/61 — in ZBR 1963 S. 383 = DöD 1964 S. 13.
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§6
Geltungsbeteich des Disziplinarrechts
die Ernennung sich als nichtpflichtwidrige Amtshandlung oder als eine Verletzung der Amts- oder Dienstpflichten darstellt. Nur solche Verbrechen und Vergehen begründen eine Zurücknahme der Ernennung, die den Ernannten der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen lassen. Während ein Verbrechen immer eine Unwürdigkeit begründet, scheiden solche Vergehen im allgemeinen aus, die keinen ehrenrührigen Charakter haben. Hierbei ist es vor allem auf die Belange der jeweiligen Verwaltung abzustellen; so kann einer Verkehrsverwaltung nicht zugemutet werden, einen Kraftfahrer einzustellen, der wiederholt wegen Körperverletzung im Straßenverkehr bestraft worden war, wobei die Taten in einem erheblichen Alkoholrausch ausgeführt waren. Eine Ernennung kann nach § 12 Abs. 2 BBG zurückgenommen werden, a) wenn bei einem nach seiner Ernennung Entmündigten die Voraussetzungen für die Entmündigung im Zeitpunkt der Ernennung vorlagen oder b) wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte in einem Disziplinarverfahren aus dem Dienst entfernt oder zum Verlust der Versorgungsbezüge verurteilt worden war. In den Fällen des § 12 BBG muß die Rücknahme innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgen, nachdem die oberste Dienstbehörde von der Ernennung und dem Grunde der Rücknahme Kenntnis erlangt hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BBG). Die Frist wegen arglistiger Täuschung beginnt erst dann zu laufen, wenn die Dienstbehörde sichere Kenntnis von der Täuschungshandlung in objektiver und subjektiver Hinsicht erlangt hat66. Die Rücknahme der Ernennung ist auch nach der Versetzung des Beamten in den Ruhestand möglich 87 . Vor der Rücknahme ist der Beamte zu hören (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BBG). Ist die Anhörung unterblieben, so ist die Rücknahmeerklärung als fehlerhaft aufzuheben. Eine Anhörung kommt nicht in Frage, wenn der Betroffene bereits verstorben ist oder sich der Anhörung durch die Flucht entzieht. Die Rücknahme wird von der obersten Dienstbehörde erklärt; die Erklärung ist dem Beamten zuzustellen (§13 Abs. 2 Satz 3 BBG). Wird die erstmalige Ernennung in das Beamtenverhältnis nach § 12 BBG zurückgenommen, so erfolgt die Zurücknahme mit rückwirkender Kraft, so daß ebenso wie im Falle der Nichtigkeit der Ernennung auf Grund des § 11 BBG ein disziplinarisches Einschreiten nicht in Frage kommt, bzw. ein anhängiges Disziplinarverfahren einzustellen ist. Auch hier sind inzwischen ausgesprochene Disziplinarstrafen aufzuheben und bereits eingezogene Geldbußen zurückzuzahlen. Handelt es sich um eine spätere Ernennung, ζ. B. um eine Ernennung eines Beamten auf Probe zum Lebenszeitbeamten, so verbleibt es bei dem früheren Rechtsstatus, so daß ζ. B. eine durch den Dienstvorgesetzten verhängte Geldbuße aufrechterhalten bleibt, während ein förmliches Disziplinarverfahren einzustellen ist. e« BVerwG 8.11. 61 — VI C 120/59 — in NJW 1962 S. 605 = RiA 1962 S. 253 = DöD 1962 S. 37 = BVerwGE Bd. 13 S. 156. 67 BVerwG 12. 9. 63 — BVerwG II C 14. 62 — in DöD 1963 S. 14 = DVB1.1964 S. 277.
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Persönlicher Geltungsbereich
14. S t r a f g e r i c h t l i c h e V e r u r t e i l u n g e i n e s R u h e s t a n d s b e a m t e n Der Ruhestandsbeamte verliert nach § 162 Abs. 1 BBG seine Rechte als Ruhestandsbeamter, wenn a) gegen ihn wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach § 48 BBG zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte, oder b) er wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat durch ein deutsches Gericht im Bundesgebiet oder im Lande Berlin im ordentlichen Strafverfahren aa) zu Zuchthaus oder bb) zu Gefängnis mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von mindestens drei Jahren oder cc) wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis verurteilt worden ist. Der Rechtsverlust tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. Im übrigen, insbesondere für die Wirkung der Aufhebung des Strafurteils im Wiederaufnahmeverfahren, gilt das unter 11 Gesagte entsprechend. Die §§50 und 51 BBG gelten hier sinnentsprechend (§ 162 Abs. 2 BBG). 15. V e r z i c h t auf die R e c h t e als R u h e s t a n d s b e a m t e r Der Beschuldigte kann als Ruhestandsbeamter auf seine Rechte als solcher der obersten Dienstbehörde gegenüber schriftlich verzichten ( § 5 2 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Durch einen solchen Verzicht erlöschen die Ansprüche auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen, sowie die Dienstkleidung zu tragen (§ 52 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Ist gegen den Ruhestandsbeamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, so ist dasselbe einzustellen. Ein mündlicher Verzicht ist wirkungslos. Ob die Dienstbehörde den Verzicht annimmt, ist gleichgültig. Die Verzichtserklärung wird wirksam, sobald sie der obersten Dienstbehörde zugeht; bis zu diesem Zeitpunkt kann die Verzichtserklärung zurückgenommen werden. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Verzichtserklärung erst im Verlaufe des Disziplinarverfahrens oder aus einem anderen Anlaß abgegeben worden ist. Ein Verzicht lediglich auf die Versorgungsbezüge ist unzulässig, wie auch ein aktiver Beamter nicht auf seine laufenden Dienstbezüge verzichten kann (vgl. § 83 Abs. 2 BBG). 16. E n t z i e h u n g der V e r s o r g u n g s b e z ü g e auf G r u n d des § 159 Abs. 2 BBG Die Versorgungsbezüge ruhen nach § 159 Abs. 1 BBG solange der Vers orgungsberechtigte a) nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 GG ist oder b) seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland hat. Haben die Versorgungsbezüge nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 BBG, also wegen Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts ins Ausland, länger
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als drei Jahre geruht, können sie dem Versorgungsberechtigten entzogen werden (§ 159 Abs. 2 Satz 1 BBG). Vor der Entziehung der Versorgungsbezüge soll der Versorgungsberechtigte gehört werden ( W Nr. 10 Satz 1 zu § 159 BBG). Die Entziehung bedeutet, daß die Ansprüche auf Versorgung einschließlich Hinterbliebenenversorgung erlöschen ( W Nr. 10 Satz 2 zu § 159 BBG). Die Durchführung disziplinärer Maßnahmen kommt nach der Entziehung der Versorgungsbezüge nicht mehr in Betracht. Ein schwebendes Disziplinarverfahren ist einzustellen. Beim Vorliegen besonderer Verhältnisse kann die Versorgung ganz oder teilweise wieder zuerkannt werden ( § 1 5 9 Abs. 2 Satz 2 BBG). Die Entscheidung trifft die oberste Dienstbehörde (§159 Abs. 2 Satz 3 BBG). Ist die Versorgung wieder zuerkannt, so kommen wiederum disziplinäre Maßnahmen gegen den Versorgungsempfänger in Frage. 17. E m p f ä n g e r v o n G n a d e n b e z ü g e n Während nach § 1 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 frühere Bundesbeamte, die Unterhaltsbeiträge nach § § 50,162 BBG beziehen, disziplinarisch verfolgt werden konnten, wobei der Unterhaltsbeitragsempfänger als Ruhestandsbeamter und der Gnadenunterhaltsbeitrag als Ruhegeld galt, ist nach § 1 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle eine disziplinarische Verfolgung von Empfängern von gnadenweise bewilligten Unterhaltsbeiträgen ganz allgemein nicht mehr zulässig. Eine Einbeziehung der §§ 50,162 BBG in § 1 Abs. 2 BDO ist schon jetzt nicht mehr erforderlich, weil der Bundespräsident Empfängern von Unterhaltsbeiträgen, die sich in einer Weise vergangen haben, die Anlaß zu einer Verhängung von Disziplinarstrafen wäre, den Unterhaltsbeitrag wegen erwiesener Unwürdigkeit entziehen kann. Dies gilt auch für Unterhaltsbeiträge, die auf Grund des § 104 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt sind. Im allgemeinen wird der Unterhaltsbeitrag im Gnadenwege widerruflich bewilligt, so daß ein Widerruf mangels Würdigkeit oder mangels Bedürftigkeit schon auf Grund der Widerrufsklausel in Betracht kommt. (Im einzelnen siehe über den Widerruf von Gnadenentscheidungen § 31 VIII S. 301 f.). 18. A n g e s t e l l t e u n d A r b e i t e r im ö f f e n t l i c h e n Dienst 6 8 Dem Bundesdisziplinarrecht sind nicht die im öffentlichen Dienst beschäftigten Angestellten und Arbeiter unterworfen. Anders verhält es sich bei solchen Angestellten, die als Beamte zur Wiederverwendung im Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst standen. Solange sie sich in diesem Status befanden, waren sie nach G 131 zu verfolgen. Sind sie später entsprechend ihrer früheren Rechtsstellung als Beamte wiederverwendet worden, so sind sie wegen der Verfehlungen, die sie im früheren Angestelltenverhältnis 6 8 P a e t z o l d , Zum Dienstrecht der DO-Angestellten, insbesondere für die Zulässigkeit disziplinarer Geldstrafen in D A O K 1959 S. 409; K u h f u ß , Anwendbarkeit des Disziplinarrechts auf nichtbeamtete Angehörige des öffentlichen Dienstes in Staats- und Kommunalverwaltung 1960 S. 143; G o l d m a n n , Sind noch Dienststrafen gegen Angestellte und Lohnempfänger des öffentlichen Dienstes zulässig? in D V B 1 . 1 9 5 9 S. 873; B a r i n g , Sind noch Dienststrafen gegen Angestellte und Lohnempfänger im öffentlichen Dienst zulässig? in D V B 1 . 1 9 6 0 S. 235; R e w o l l e , Dienststrafen gegen Angestellte und Lohnempfänger des öffentlichen Dienstes, in Ri A 1960 S. 81.
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begangen haben, in gleicher Weise verfolgbar wie bei den Verfehlungen, die sie nach der rechtsgleichen Übernahme begangen haben69. Im übrigen kommen auf die im öffentlichen Dienst stehenden Arbeiter und Angestellten in erster Linie die § § 611 ff. BGB zur Anwendung. Bei besonders schweren Verstößen wird von der fristlosen Entlassung Gebrauch zu machen sein. Hiergegen steht dem Angestellten und Arbeiter die Möglichkeit offen, vor den Arbeitsgerichten im Klagewege vorzugehen. Im übrigen sind die Tarifverträge zu beachten, die eine Art Privatdisziplinarrecht enthalten. Die Dienstzucht wird danach durch Vertragsstrafen — vor allem Geldbußen — aufrechtzuerhalten sein. 19. E h r e n b e a m t e , die n i c h t in das B e a m t e n v e r h ä l t n i s b e r u f e n sind Dem Bundesdisziplinarrecht unterliegen nicht die Personen, die, ohne in das Beamtenverhältnis berufen worden zu sein, ehrenamtlich tätig sind (DV zu § 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Ehrenbeamte, die in das Beamtenverhältnis berufen worden sind, unterliegen jedoch der BDO, BDO i. d. F. der Novelle, wobei sich ihr Pflichtenkreis aus § 177 BBG bestimmt. Da es sich bei ihnen entweder um Beamte auf Zeit oder Beamte auf Widerruf handelt, scheidet das förmliche Disziplinarverfahren aus. D. Nicht unter das Länderdisziplinarrecht fallende Personen Für das Länderdisziplinarrecht gilt hinsichtlich des Personenkreises, der durch die jeweiligen Disziplinargesetze nicht oder nicht mehr erfaßt wird, das unter C Gesagte entsprechend, wobei allerdings die Gründe für das Ausscheiden der Beamten durch Entlassung und die Voraussetzungen der Nichtigkeit bzw. Zurücknahme der Ernennung in unwesentlichen Punkten abweichen. Auch hier kommt eine Einstellung des Disziplinarverfahrens, sofern es zu Unrecht eingeleitet worden ist oder die Voraussetzungen für dessen Durchführung im Verlaufe des Verfahrens entfallen sind, in Frage. Die Länderdisziplinargerichte müssen gleichfalls in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen prüfen, ob der Beschuldigte auf Grund der jeweiligen landesdisziplinarrechtlichen Regelung verfolgt werden kann. Der Tod des Beschuldigten führt auch im Länderdisziplinarrecht zu einer Einstellung des Disziplinarverfahrens, da es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Straf- und Disziplinarrecht handelt, daß eine Sachentscheidung dann nicht mehr getroffen werden kann. Die Entlassung eines Beamten aus dem Landesdienst infolge Verlustes der Eigenschaft als Deutscher oder infolge Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts ins Ausland ohne Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder infolge Eintritts in eine öffentliches Dienst- oder Amtsverhältnis zu einem anderen Dienstherrn ergibt sich aus § 35 LBG BW, Art. 39 BG Bayr., § 64 LBG Bln., § 36 BG Brm., § 30 BG Hmb., § 39 HBG, § 36 NBG, § 32 BG NW, § 38 LBG Rh.-Pf., § 42 BG Saar und§ 41 BG Schl.-Hol. Die Entlassung eines Beamten, der bei der Ernennung die Altersgrenze überschritten hatte, folgt aus § 36 Abs. 1 Nr. 3 LBG BW, Art. 40 Abs. 1 Nr. 3 BG Bayr., § 65 Nr. 3 LBG Bln., § 35 Nr. 3 BG Brm., § 31 Nr. 3 BG Hmb., 69
BDH 5. 5. 60 — I D 33/59 — in ZBR 1961 S. 386 = L i n d g e n Teil IV Nr. 552.
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§ 40 Nr. 3 HBG, § 37 Nr. 4 NBG, § 44 Abs. 3 Satz 2 BG NW, § 39 Abs. 1 Nr. 3 LBG Rh.-Pf., § 42 Abs. 1 Nr. 4 BG Saar und § 40 Abs. 1 Nr. 4 BG Schl.-Hol. Der Beamte ist bei Verweigerung des gesetzlich vorgeschriebenen Eides zu entlassen nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 LBG BW, Art. 40 Abs. 1 Nr. 1 BG Bayr., § 65 Nr. 1 LBG Bln., § 35 Nr. 1 BG Brm., § 31 Nr. 1 BG Hmb., § 40 Nr. 1 HBO, § 37 Nr. 1 NBO, § 31 Nr. 1 BG NW, § 39 Abs. 1 Nr. 1 LBG Rh.-Pf., § 43 Abs. 1 Nr. 1 BG Saar und § 40 Abs. 1 Nr. 1 BG Schl.-Hol. Eine Entlassung bei Beibehaltung eines Mandats als Abgeordneter des Bundestages oder eines Länderparlaments kommt in Frage nach 36 Abs. 1 Nr. 4 LBG BW (auch bei Landtagsmandat), § 65 Nr. 2 LBG Bln., § 35 Nr. 4 BG Brm., § 31 Nr. 4 BG Hmb., § 37 Abs. 1 Nr. 5 NBG (auch Landtagsmandat und Mandat bei Vertretungskörperschaft des Dienstherrn), § 31 Nr. 3 BG NW (auch Landtagsmandat), § 39 Abs. 2 LBG Rh.-Pf. (auch Landtagsmandat und Mandat bei Vertretungskörperschaft des Dienstherrn), § 43 Abs. 2 BG Saar (ebenso wie bei LBG Rh.-Pf.) und § 40 Abs. 1 Nr. 2 (Bundestag) und Nr. 3 BG Schl.-Hol. (Vertretungskörperschaft des Dienstherrn). Die Entlassung auf eigenen Antrag ist zulässig nach § 37 LBG BW, Art. 41 BG Bayr., § 66 LBG Bln., § 37 BG Brm., § 32 BG Hmb., § 41 HBG, § 38 NBG, § 33 BG NW, § 39 LBG Rh.-Pf., § 44 BG Saar und § 42 BG Schl.-Hol. Eine Beendigung des Beamtenverhältnisses infolge strafgerichtlicher Verurteilung kommt unter den gleichen Voraussetzungen wie bei § 48 BBG in Frage nach § 60 LBG BW, Art. 46 BG Bayr., § 83 LBG Bln., § 49 BG Brm., § 51 BG Hmb., § 46 HBG, § 43 NBG, § 51 BG NW, § 45 LBG Rh.-Pf., § 61 BG Saar und § 60 BG Schl.-Hol. Für die Nichtigkeit der Ernennung (vgl. § 11 BBG) ergibt sich folgende landesrechtliche Regelung: § 13 Abs. 2 LBG BW regelt die Nichtigkeit der durch Wahl berufenen Beamten. § 13 Abs. 3 LBG BW entspricht dem § 11 Abs. 2 BBG. Die Nichtigkeit ist nach § 13 Abs. 4 LBG BW von der obersten Dienstbehörde festzustellen; der Ministerpräsident ist zuständig, wenn die Ernennung von ihm ausgesprochen worden ist. Die Verfügung, durch die die Nichtigkeit festgestellt wird, ist dem Beamten und im Falle seines Todes den versorgungsberechtigten Hinterbliebenen zuzustellen. Im bayerischen Beamtenrecht ergibt sich die Nichtigkeit der Beamtenernennung aus Art. 14 BG Bayr.; Art. 14 Abs. 1 a. a. O. entspricht § 11 Abs. 1 BBG; Art. 14 Abs. 2 a. a. O. regelt die Nichtigkeit bei anderen als den nach dem Gesetz usw. zuständigen Stellen von Gemeinden, Gemeindeverbänden usw.; nach Art. 14 Abs. 3 a. a. O. ist die Ernennung bei der unterbliebenen notwendigen Mitwirkung der Aufsichtsbehörde oder des Landespersonalausschusses nichtig, es sei denn daß die genannten Stellen nachträglich der Ernennung zustimmen; Art. 14 Abs. 4 a. a. O. entspricht § 11 Abs. 2 BBG. § 14 LBG Bln., entspricht weitgehend dem §11 BBG. §13BGBrm., § l l B G H m b . , § 13HBG,§ 18 NBG, § 11 BGNW entsprechen § 11 BBG. §14 Abs. 3 Rh.-Pf. regelt die Nichtigkeit der durch Wahl ernannten Beamten ; folgt die Nichtigkeit auf Grund einer Ernennung durch die sachlich unzuständige Behörde, ist das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 14 Abs. 4 Satz 2 LBG Rh.-Pf. erst dann auszusprechen, wenn die sachlich zuständige Behörde es abgelehnt hat, die Er90
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nennung zu bestätigen. § 15 BG Saar entspricht weitgehend dem § 11 BBG, jedoch gilt als Nichtigkeitsgrund nach § 15 Abs. 2 a. a. O. auch die Nichtanhörung des Landespersonalausschusses und der Aufsichtsbehörde. § 15 Abs. 4 Satz 2 a. a. O. entspricht dem § 14 Abs. 2 Satz 2 LBG Rh.-Pf. § 14 Abs. 1 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 11 BBG; nach § 14 Abs. 2 BG Schl.-Hol. ist eine Ernennung weiterhin nichtig, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde oder des Landesbeirats für Beamtenfragen bei der Ernennung nicht erfolgt ist. Für die Rücknahme der Ernennung ( § 1 2 BBG) ergibt sich folgende landesrechtliche Regelung: § 14 LBG BW entspricht dem § 12 BBG; nach § 14 Abs. 2 LBG BW kann die Ernennung auch dann zurückgenommen werden, wenn sie ohne die vorgeschriebene Entscheidung des Landespersonalausschusses oder einer Aufsichtsbehörde ausgesprochen worden ist, es sei denn, daß diese Stellen nachträglich zustimmen; Art. 15 BG Bayr., § 15 LBG Bln., § 14 BG Brm., § 12 BG Hmb., § 14 HBG, § 19 NBG, § 12 BG NW, § 16 BG Saar und § 15 BG Schl.-Hol. entsprechen dem § 12 BBG. § 15 LBG Rh.-Pf. ist dem § 12 BBG ähnlich, jedoch gilt entsprechend der Regelung in BadenWürttemberg als weiterer Grund für die Zurücknahme der Ernennung die unterbliebene Mitwirkung der Aufsichtsbehörde oder des Landespersonalausschusses, es sei denn daß diese Stellen nachträglich der Ernennung zugestimmt haben. Soweit die Länderbeamtengesetze ausdrücklich vorsehen, daß die Zurücknahme der Ernennung auch nach dem Tode des Ernannten zulässig ist, gilt dies als ungeschriebenes Recht auch im Bundesbeamtenrecht, da die Zurücknahme mit rückwirkender Kraft eintritt. Der Verlust des Rechts als Ruhestandsbeamter bei einer strafgerichtlichen Verurteilung unter den in § 162 BBG aufgeführten Voraussetzungen ergibt sich im Länderbeamtenrecht aus § 178 LBG BW, Art. 175 BG Bayr., § 152 LBG Bln., § 151 BG Brm., § 163 BG Hmb., § 174 HBG, § 182 NBG, § 171 BG NW, § 171 LBG Rh.-Pf., § 182 BG Saar und § 172 BG Schl.Hol. Der Verzicht der Rechte als Ruhestandsbeamter und die damit bedingte Einstellung des förmlichen Disziplinarverfahrens folgt aus § 56 Abs. 1 Nr. 5 LDO BW, Art. 53 Abs. 1 Nr. 5 DStO Bayr., § 52 Abs. 1 Nr. 5 LDO Bln., § 52 Abs. 1 Nr. 5 DStO Brm., § 52 Abs. 1 Nr. 5 DO Hmb., § 57 Abs. 1 Nr. 5 HDO, § 62 Abs. 1 Nr. 5 NDO, § 58 Abs. 1 Nr. 5 DO NW, § 60 Abs. 1 Nr. 5 LDO Rh.-Pf., § 52 Abs. 1 Nr. 5 DStO Saar und § 56 Abs. 1 Nr. 5 DStO Schl.-Hol. Die Entziehung der Versorgungsbezüge nach dreijährigem Ruhen der Versorgungsbezüge infolge Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts ins Ausland kann nach § 176 Abs. 2 LBG BW, Art. 172 Abs. 2 BG Bayr., § 150 Abs. 3 LBG Bln., § 149 BG Brm., § 161 Abs. 2 BG Hmb., § 180 Abs. 2 NBG, § 169 Abs. 2 BG NW, § 170 Abs. 2 LBG Rh.-Pf., § 179 Abs. 2 BG Saar und § 169 Abs. 2 BG Schl.-Hol. angeordnet werden. Schließlich scheidet im Landesdisziplinarrecht ein Disziplinarverfahren gegen Empfänger von im Gnadenwege bewilligten Unterhaltsbeiträgen, bei Angestellten und Arbeitern, die im öffentlichen Dienst beschäftigt werden, und bei Ehrenbeamten, die nicht in das Beamtenverhältnis berufen werden, aus. 91
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ΠΙ. SACHLICHER GELTUNGSBEREICH A. Bundesregelung Der sachliche Geltungsbereich der Bundesdisziplinarordnung ergibt sich aus § 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Nach § 2 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle kann verfolgt werden 1. ein Beamter wegen eines während seines Beamtenverhältnisses begangenen Dienstvergehens, 2. ein Ruhestandsbeamter a) wegen eines während seines Beamtenverhältnisses begangenen Dienstvergehens (vgl. § 77 Abs. 1 BBG) oder b) wegen einer nach Eintritt in den Ruhestand begangenen als Dienstvergehen geltenden Handlung (§ 77 Abs. 2 BBG). Ein Beamter oder Ruhestandsbeamter, der früher in einem anderen Dienstverhältnis als Beamter gestanden hat, kann nach der BDO auch wegen solcher Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltenden Handlungen verfolgt werden, die er in dem früheren Dienstverhältnis oder als Versorgungsberechtigter aus seinem solchen Verhältnis begangen hat (vgl. § 2 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle können Beamte und Ruhestandsbeamte, die sich früher in einem anderen Dienstverhältnis als Beamte, Richter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit gestanden haben, nach der BDO i. d. F. der Novelle auch wegen solcher Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltender Handlungen verfolgt werden, die sie in dem früheren Dienstverhältnis oder als Versorgungsberechtigte aus einem solchen Verhältnis begangen haben; nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle gelten auch bei einem aus einem früheren Beamtenverhältnis ausgeschiedenen und entlassenen Beamten hierbei die in § 77 Abs. 2 BBG bezeichneten Handlungen als Dienstvergehen. Ein Wechsel des Dienstherrn steht der disziplinargerichtlichen Verfolgung nicht entgegen (vgl. § 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). 1. D i e n s t v e r g e h e n , die w ä h r e n d der D a u e r des B e a m t e n v e r h ä l t nisses begangen werden Die BDO erfaßt zunächst die während eines Beamtenverhältnisses begangenen Dienstvergehen. Das Beamtenverhältnis beginnt, wie bereits unter II A 1 S. 56 gezeigt worden ist, mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde oder dem nachfolgenden Zeitpunkt, der in der Ernennungsurkunde angegeben ist. Eine rückwirkende Ernennung ist nicht möglich. Soweit nach früherem Recht eine rückwirkende Ernennung möglich war, können die Verfehlungen, die in der Zeit zwischen dem Wirksamwerden der Ernennung und der Aushändigung der Urkunde lagen, nicht disziplinarisch verfolgt werden 70 . Die Disziplinargewalt wegen des Verstoßes gegen eine aus dem Beamtenverhältnis erwachsene Pflicht kann ausgeübt werden 70
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PrOVG Bd. 53 S. 428.
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a) bis zur Beendigung des Beamtenverhältnisses, die ζ. B. durch Tod, Entlassung oder Verlust der Beamtenrechte auf Grund des § 48 BBG eintreten kann; b) nach Eintritt in den Ruhestand bis zur Beendigung der rechtlichen Stellung als Ruhestandsbeamter ζ. B. durch Tod oder Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter auf Grund des § 162 BBG (§12 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, a BDO i. d. F. der Novelle); c) nach einer auf Beendigung des Beamtenverhältnisses folgenden erneuten Ernennung zum Beamten bis zur Beendigung dieses Beamtenverhältnisses (siehe S. 96); d) nach dem an das neue Beamtenverhältnis sich anschließenden Eintritt in den Ruhestand bis zur Beendigung der hiermit verbundenen rechtlichen Stellung. Unter den nachfolgenden Voraussetzungen können dienstliche Verfehlungen nicht disziplinarisch verfolgt werden : a) Dienstliche Verfehlungen, die nach bisherigem Recht strafbar waren, nach derzeit geltendem Recht aber nicht mehr strafbar sind, können jetzt nicht mehr verfolgt werden. Ließ das Recht vor Inkrafttreten der BDO bzw. RDStO die Verfolgung vordienstlicher (so nach Art. 164 Abs. 2 des Württembergischen Beamtengesetzes, § 84 des Badischen Staatsbeamtengesetzes) oder nachdienstlicher Verfehlungen zu (so nach Art. 164 Abs. 6 des Württembergischen Beamtengesetzes), so kommt deren disziplinarische Verfolgung nicht in Betracht, weil das geltende Beamtenrecht hierfür keine disziplinarische Ahndung vorsieht. b) Vor Inkrafttreten der BDO bzw. RDStO begangene Dienstvergehen, die nach dem bis dahin geltenden Recht disziplinarisch nicht verfolgt werden konnten, können auch jetzt nicht mehr geahndet werden (vgl. Art. 4 Satz 1 ÄndGes. 1952). War also die Verfolgung eines Dienstvergehens nach § 15 der Preußischen BeamtendienststrafOrdnung oder nach § 8 der Preußischen RichterdienststrafOrdnung vom 27. 1. 32 bis zum Inkrafttreten der RDStO verjährt, so kommt eine Strafverfolgung auch nach der RDStO bzw. BDO nicht mehr in Betracht. c) Dienstvergehen, die vor dem 1. 10. 48 begangen worden sind und keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätten, können nicht mehr verfolgt werden (Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952). d) Der Ruhestandsbeamte kann nur für solche dienstliche Verfehlungen, die vor seinem Eintritt in den Ruhestand begangen worden sind, belangt werden, die zu einer Kürzung, Herabsetzung oder einer Aberkennung des Ruhegehalts führen, weil Warnung, Verweis, Geldbuße, Versagung des Aufsteigens im Gehalt, Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt gegen ihn nicht verhängt werden können. Deshalb scheidet bei ihm die Verfolgung von leichteren Dienstvergehen aus. Wird er wegen eines Dienstvergehens verfolgt, das er als aktiver Beamter begangen hat, so ist er deshalb nicht minder zu bestrafen, weil er inzwischen in den Ruhestand 93
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getreten ist; die Verfehlung muß nämlich so beurteilt werden, wie sie zu bewerten wäre, wenn sich der Beschuldigte noch im Dienst befunden hätte 71 . Nach seinem Eintritt in den Ruhestand kann der nunmehrige Ruhestandsbeamte kein Dienstvergehen mehr begehen, weil dies an das aktive Beamtenverhältnis anknüpft, das mit dem Eintritt in den Ruhestand beendet ist. Hier gelten die in § 77 Abs. 2 BBG genannten Handlungen als Dienstvergehen (sog. Quasidienstvergehen) Im einzelnen siehe S. 343. Wenn ein Ruhestandsbeamter sowohl vor als auch nach dem Übertritt in den Ruhestand Dienstvergehen begangen hat und gemäß § 12 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 1 Nr. 2 BDO i. d. F. der Novelle nur die in der aktiven Zeit begangenen Pflichtverletzungen zum Gegenstand eines Disziplinarverfahrens gemacht werden, so können bei der Strafzumessung auch die später begangenen Pflichtverletzungen berücksichtigt werden, sofern sie nicht auf äußeren oder inneren Zuständen von begrenzter Dauer beruhen, also nicht nur vorübergehende, zeitlich beschränkte Bedeutung haben, sondern das Persönlichkeitsbild des Beamten auch schon für die vorhergehende Zeit eindeutig kennzeichnen72. 2. V o r d i e n s t l i c h e V e r f e h l u n g e n Als Dienstvergehen gelten nicht solche Verfehlungen, die vor der ersten Anstellung als Beamter begangen worden sind73. Hier spricht man von sog. vordienstlichen Verfehlungen. Wegen einer vor der Aushändigung der Ernennungsurkunde begangenen Verfehlung kann der Beamte nicht disziplinarisch verfolgt werden; eine Bestrafung ist auch dann unzulässig, wenn der Beschuldigte vor der Aushändigung der Ernennungsurkunde als Angestellter oder Arbeiter Beamtendienste verrichtet hatte74. Will sich die Verwaltung von einem Beamten wegen vordienstlicher Verfehlungen trennen, so kann dies nur unter den Voraussetzungen der § § 1 1 f. BBG geschehen76. So kann sie nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BBG die Ernennung zurücknehmen, wenn ihr nicht bekannt war, daß der Ernannte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatte, das ihn der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen läßt, und er deswegen rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt war oder wird. Die vordienstlichen Verfehlungen dürfen weder disziplinarisch geahndet noch straferschwerend berücksichtigt werden76. Sie können aber h e r a n g e z o g e n w e r d e n , um d a r a u s mit g r ö ß t e r S i c h e r h e i t S c h l ü s s e 71
(LS).
BDH 2. 2. 60 — I D 30/58 — in ZBR 1961 S. 386 (LS) = L i n d g e n Teil IV Nr. 557
DiszSenat OVG Münster 29. 6. 62 — W 1/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS). PrOVG 30. 3. 1892 — Rep. D. S. 13/91 — in PrOVG Bd. 22 S. 423 = Perwo. S. 9; PrOVG in DVB1.1936 S. 255. 74 BDH 22. 2. 54 — I D 151/53 — L i n d g e n Teil IV Nr. 40. 75 Zur Frage der Nichtigkeitserklärung von Beamtenernennungen im engeren und weiteren Sinne mit Literaturangabe siehe BDH 6. 12. 55 — I D 51/54 — BDHE Bd. 2 S. 2 = L i n d g e n Teil IV Nr. 134. 76 Behnke Anm. 5 zu § 2 BDO; RDHE Bd. 3 S. 105; BDH 6.12. 55 — I D 96/54 — in JZ 1956 S. 366 (LS); BDH 1 1 . 1 2 . 58 — I D 14/57 — in NDBZ 1960 S. 199 = L i n d g e n Teil IV Nr. 386; DStH Rh.-Pf. 24. 11. 54 — W 1/54 — BDHE Bd. 2 S. 214 (224) = Lindgen Teil IV Nr. 278; DiszSenat OVG Münster 18. 5. 60 — Y 18/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 39. 72
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auf den. C h a r a k t e r des B e s c h u l d i g t e n zu ziehen 7 7 . Weiterhin schließt es nicht aus, die vordienstlichen Verfehlungen insoweit zu berücksichtigen, als sie dem Beschuldigten eindringlich vor Augen geführt haben, daß er eine Neigung zum Nichtbeachten seiner Amtspflichten hat, und ihm daher keinen Anlaß gegeben haben, der Beachtung dieser Pflichten in Zukunft erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden78. Ebenso können sie bei der Beweiswürdigung zur Klärung der Tat- und Schuldfrage herangezogen werden79, zumindest in dem Sinne, daß aus dem Vorliegen wiederholter einschlägiger Verfehlungen des Beschuldigten auf eine gewisse Disposition und Anfälligkeit in dieser Richtung geschlossen werden kann, die es ausschließt, die schuldvermindernden Momente überzubewerten. Handelt es sich um eine fortgesetzte Handlung, wobei ein Teil der Handlungen vor der erstmaligen Ernennung in das Beamtenverhältnis und ein weiterer Teil erst nachher begangen ist, so können bei der disziplinaren Beurteilung der in Fortsetzungszusammenhang begangenen Handlungen nur die nach dem Eintritt in das Beamtenverhältnis begangenen Teilhandlungen berücksichtigt werden 80 . Wird ein Beamter auf Lebenszeit wegen solcher dienstlicher Verfehlungen verfolgt, die er als Beamter auf Probe oder als Beamter auf Widerruf begangen hat, so handelt es sich hier nicht um sog. vordienstliche Verfehlungen, so daß in diesem Falle Disziplinarverfolgung auch dann in Betracht kommt, wenn die Verfehlungen so schwer waren, daß sie eine Entlassung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG gerechtfertigt hätten; hier kommt an Stelle der Entlassung eine der in § 11 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 vorgesehenen Disziplinarstrafen in Frage, obgleich eine derartige Bestrafung zur Zeit der Tat nicht zulässig war. Ebenso handelt es sich nicht um eine vordienstliche Verfehlung, wenn der Beamte zur Zeit der Begehung der Tat in einem Beamtenverhältnis bei einem anderen Dienstherrn stand; der Ahndung eines solchen Dienstvergehens steht der Wechsel des Dienstherrn nicht im Wege (vgl. 5 S. 98). 3. A l s D i e n s t v e r g e h e n g e l t e n d e H a n d l u n g e n Bereits unter 1 ist gezeigt worden, daß ein Ruhestandebeamter wegen eines während des Dienstes begangenen Dienstvergehens noch verfolgt werden kann (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, a BDO i. d. F. der Novelle, § 77 Abs. 1 BBG). Wegen Verfehlungen, die er nach dem Eintritt in den Ruhestand begangen hat, kann er nur dann disziplinarisch verfolgt werden, wenn sie als Dienstvergehen gelten ( § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, b BDO i. d. F. der Novelle, § 12 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Welche Handlungen als Dienstvergehen gelten, ergibt sich aus § 77 Abs. 2 BDO. Hiernach gilt bei einem Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen als Dienstvergehen, wenn er " BDH 6.12. 55 — I D 96/54 — in JZ 1956 S. 366: RDHII D 59.39 vom 30.11. 39. BDH 1 1 . 1 2 . 58 — I D 14/57 — in NDBZ 1960 S. 199 = L i n d g e n Teil IV Nr. 386. Behnke Anm. 5 zu § 2 BDO; PrOVG 5. 10. 22; DStH Rh.-Pf 24. 11. 54 — W 1/54 — BDHE Bd. 2 S. 214 (224) = L i n d g e n Teil IV Nr. 278. 8 0 RDH 30.11. 39 — II D 59. 39 —. 78 79
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1. sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigt oder 2. an Bestrebungen teilnimmt, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen, oder 3. gegen § 61 BBG (Verletzung der Amtsverschwiegenheit) oder gegen § 70 BBG (Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken) verstößt oder 4. entgegen § 39 BBG oder § 45 Abs. 1 BBG einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis schuldhaft nicht nachkommt. 4. D i s z i p l i n a r v e r f o l g u n g nach U n t e r b r e c h u n g des B e a m t e n v e r hältnisses Ein Beamter oder Ruhestandsbeamter, der früher in einem anderen Dienstverhältnis als Beamter gestanden hat, kann nach der BDO auch wegen solcher Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltenden Handlungen verfolgt werden, die er in dem früheren Dienstverhältnis oder als Versorgungsberechtigter aus einem solchen Verhältnis begangen hat ( § 2 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle fallen unter das Disziplinarrecht des Bundes auch solche Beamte, die früher in einem Dienstverhältnis als Beamte, Richter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit gestanden hatten. Zunächst einmal ist entscheidend, daß zur Zeit der Verfolgung und Bestrafung wegen eines im früheren Dienstverhältnis begangenen Dienstvergehens Beamteneigenschaft besteht. Ist der Beamte aus dem neuen Beamtenverhältnis in den Ruhestand getreten, so kommt wiederum nur eine Verfolgung wegen der als Dienstvergehen geltenden Handlungen i. S. des § 77 Abs. 2 BBG und wegen der während des Dienstverhältnisses begangenen Handlungen in Frage, die eine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße rechtfertigen. Wie noch unter 5 gezeigt werden wird, steht der disziplinarrechtlichen Verfolgung nicht entgegen, daß das frühere Dienstverhältnis bei einem anderen Dienstherrn begründet war. Entscheidend ist allein, daß das frühere Beamtenverhältnis bei irgendeinem Dienstherrn nach dem damals geltenden Beamtenrecht rechtswirksam begründet war. War das frühere Beamtenverhältnis nichtig (vgl. § 11 BBG), so liegt ein Beamtenverhältnis nicht vor, so daß auch eine disziplinare Verfolgung von Verfehlungen aus dem „Dienstverhältnis" der damaligen Zeit nicht in Frage kommt. Welche beamtenrechtliche Stellung der Beschuldigte in dem früheren Dienstverhältnis bekleidet hatte, ist gleichgültig. So kann er nunmehr auch wegen solcher Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen werden, die er in dem früheren Beamtenverhältnis auf Widerruf oder auf Probe begangen hatte. Voraussetzung für § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO und § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle ist fernerhin, daß das frühere Beamtenverhältnis unterbrochen war. Auf die Gründe für die Unterbrechung kommt es nicht an. Ebenso ist es nicht entscheidend, ob die Unterbrechung des Dienstverhältnisses rechtmäßig war. Schließlich kommt es nicht auf die Dauer der Unterbrechung des Dienstverhältnisses an. § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO, § 2 96
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Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Beamte unmittelbar nach Beendigung des früheren Dienstverhältnisses ein neues Dienstverhältnis begründet hat. Von einer Unterbrechung ist jedoch dann keine Rede, wenn das Dienstverhältnis beim bisherigen Dienstherrn nur eine rechtliche Neugestaltung gefunden hat, wenn ζ. B. ein Beamter in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist. Der Beamte kann wegen solcher Verfehlungen verfolgt werden, die er in einem anderen Dienstverhältnis begangen hat. Nach § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 kann nämlich der Beamte nur dann verfolgt werden, wenn er die Verfehlungen in einem früheren Beamtenverhältnis oder als Ruhestandsbeamter begangen hatte. Im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle die Verfolgbarkeit auch auf solche Dienstvergehen und als Dienstvergehen geltenden Handlungen ausgedehnt die der Beamte oder Ruhestandsbeamte in einem früheren Dienstverhältnis als Richter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit oder als Versorgungsempfänger aus einem solchen Verhältnis begangen hat. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle gelten auch bei einem aus einem früheren Beamtenverhältnis ausgeschiedenen oder entlassenen Beamten hierbei die in § 77 Abs. 2 BBG bezeichneten Handlungen als Dienstvergehen. Nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 des Soldatengesetzes vom 19.3.56 (BGBl. I S. 114) gilt es als ein Dienstvergehen, wenn ein Offizier oder Unteroffizier nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst u. a. durch unwürdiges Verhalten nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die für seine Wiederverwendung als Vorgesetzter erforderlich sind. Ein solches Verhalten ist keine als Dienstvergehen geltende Handlung eines Ruhestandsbeamten; wegen einer solchen Verfehlung kann deshalb ein Beamter oder Ruhestandsbeamter auch nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO nicht disziplinarisch verfolgt werden. Nach § 77 Abs. 2 BBG können die dort genannten Handlungen (siehe 3 S. 95) von Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen begangen werden. Gegen frühere Beamte, die aus einem Beamtenverhältnis ausgeschieden oder entlassen worden sind, ohne daß sie Versorgungsbezüge erhalten, ist ein Disziplinarverfahren nicht möglich, weil sie keine Rechte besitzen, die ihnen im Disziplinarrechtswege aberkannt werden können. Werden solche frühere Beamten erneut Beamte, so können sie auf Grund des § 77 Abs. 2 BBG nicht für solche Verfehlungen disziplinarisch bestraft werden, die sie während der Zeit begangen hatten, in der sie keinerlei Bezüge erhalten hatten. Uber § 77 Abs. 2 BBG hinaus sieht § 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle vor, daß solche früheren Beamten, wenn sie erneut Beamte werden, hierfür disziplinar verfolgt werden dürfen. Ist der Beschuldigte wegen eines Fehlverhaltens, das er sich in seinem früheren Dienstverhältnis oder als Ruhestandsbeamter hat zuschulden kommen lassen, bereits bestraft worden, so kommt nur eine Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens in Frage, wenn die Entscheidung, in der die frühere Bestrafung ausgesprochen worden ist, rechtskräftig geworden ist. Handelt es sich um eine Disziplinarverfügung des Dienstvorgesetzten, so steht die Unterbrechung des Beamtenverhältnisses dem Beschwerdeverfahren oder der Aufhebung der Disziplinarverfügung nach § 27 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht entgegen, wenn die Beschwerdefrist bzw. die Aufhebungs7 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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frist nocht nicht abgelaufen ist. Eine Unterbrechung oder Hemmung dieser Fristen tritt durch die Unterbrechung des Beamtenverhältnisses nicht ein. Ebenso k o m m t nach der U n t e r b r e c h u n g des B e a m t e n v e r h ä l t nisses die V o l l s t r e c k u n g e i n e r im f r ü h e r e n B e a m t e n v e r h ä l t n i s v e r h ä n g t e n D i s z i p l i n a r s t r a f e in F r a g e ; war der Beamte ζ. B. zu einer Gehaltskürzung verurteilt worden, so kann, wenn die im Urteil festgesetzte Dauer noch nicht abgelaufen ist, das dem Beamten in neuen Amt zustehende Gehalt zu dem im Urteil vorgesehenen Bruchteil gekürzt werden. Ein auf Grund der Unterbrechung des früheren Beamtenverhältnisses eingestelltes förmliches Disziplinarverfahren kann in der Lage des Verfahrens fortgesetzt werden, in der es sich ζ. Z. der Einstellung befunden hatte; soll der Beamte des Dienstes enthoben bzw. soll sein Gehalt teilweise einbehalten werden, so bedarf es einer neuen Anordnung, weil die früheren Anordnungen durch die Wiederberufung in das Beamtenverhältnis gegenstandslos geworden sind. Das neu aufgenommene Disziplinarverfahren richtet sich nach dem nunmehr geltenden Recht. Die Fortführung eines im früheren Beamtenverhältnis eingeleiteten Disziplinarverfahrens ist nur dann möglich, wenn die nunmehr für die Einleitung geltenden Vorschriften eine Einleitung des früheren Disziplinarverfahrens zugelassen hätten; ist dies nicht der Fall, so ist ein erneutes Disziplinarverfahren von der nunmehr zuständigen Einleitungsbehörde einzuleiten. Tritt der Beschuldigte aus dem erneuten Beamtenverhältnis in den Ruhestand, bevor das Disziplinarverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, das sich auf die dienstlichen Verfehlungen aus dem früheren Beamtenverhältnis bezieht, so steht der Fortsetzung des Disziplinarverfahrens der Eintritt in den Ruhestand nicht entgegen. Der Beamte kann aber nunmehr nur im förmlichen Disziplinarverfahren mit den in § 11 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 4 Abs. 3 BipO i. d. F. der Novelle vorgesehenen Disziplinarstrafen bestraft werden. War gegen den Beamten bis zum Eintritt in den Ruhestand aus dem neuen Beamtenverhältnis noch keine disziplinare Maßnahme ergangen, waren also ζ. B. noch keine Vorermittlungen eingeleitet worden, so kommt nunmehr nur noch die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens in Frage, da gegen ihn nur noch Kürzung, Herabsetzung oder die Aberkennung des Ruhegehalts verhängt werden kann, also Strafen, für die die alleinige Zuständigkeit der Disziplinargerichte gegeben ist. 5. D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n nach W e c h s e l des D i e n s t h e r r n Der Wechsel des Dienstherrn steht einer disziplinarrechtlichen Verfolgung nicht entgegen (§ 2 Satz 2 BDO, § 2 Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Der Wechsel des Dienstherrn kann ohne Unterbrechung des Beamtenverhältnisses stattfinden. Mit der Versetzung zu einem anderen Dienstherrn braucht nämlich nicht ein neues Dienstverhältnis begründet zu werden ; das Beamtenverhältnis wird in seinem durch das verliehene Amt bestimmten Inhalt von der Versetzung zum neuen Dienstherrn nicht berührt 81 . Der Wechsel des Dienstherrn kann aber auch mit oder ohne zeitlichen Abstand unter Unterbrechung des früheren Beamtenverhältnisses erfolgen. 8 1 So P l o g - W i e d o w Anm. 9 zu § 26 BBG, Neis in DöV 1953 S. 258 und DöV 1954 S. 207; a. M. Fischbach Anm. VI 2 a zu § 26 BBG.
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Nach dem Wechsel des Dienstherrn kann der neue Dienstherr den Beamten auch wegen solcher Dienstvergehen verfolgen, die er beim früheren Dienstherrn begangen hat. Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens ist jedoch auf die rechtliche Stellung beim früheren Dienstherrn abzustellen. War der Beschuldigte bei einer Verkehrsverwaltung, wie Bundesbahn oder Bundespost, tätig und hat er sich daselbst eines Eigentumsvergehens schuldig gemacht, so beurteilt sich auch nach Wechsel zu einem anderen Dienstherrn, wo Eigentumsvergehen mit Rücksicht auf den neuen Aufgabenkreis nicht so sehr ins Gewicht fallen, das Dienstvergehen nach den früher an den Beamten angelegten strengen Maßstab. Auch sonst bleibt das materielle Disziplinarrecht des früheren Dienstherrn maßgebend. War ζ. B. die Tat nach Landesrecht verjährt, als der Beschuldigte noch Landesbeamter war, so scheidet nach einem Übertritt in den Bundesdienst eine Strafverfolgung aus. Ist das Beamtenverhältnis beim neuen Dienstherrn durch Zurruhesetzung des Beamten beendet, so gilt auch hier das unter 4 Gesagte entsprechend, so daß der Beschuldigte wegen einer dienstlichen Verfehlung, die er beim früheren Dienstherrn begangen hat, nicht mehr im Disziplinarverfügungsverfahren bestraft werden kann. Ist der Beamte beim früheren Dienstherrn bereits disziplinarisch bestraft worden, so gilt das unter 4 Gesagte entsprechend. Ist also ζ. B. das gegen den Beschuldigten ergangene Urteil rechtskräftig geworden, so kann beim neuen Dienstherrn nur noch eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Frage kommen. Wenn auch die Disziplinarorgane des früheren Dienstherrn keine Disziplinarbefugnisse gegen den zum neuen Dienstherrn übergetretenen Beamten ausüben können, so entscheidet dennoch der Dienstvorgesetzte beim früheren Dienstherrn über eine gegen die Disziplinarverfügung eingelegte Beschwerde auch dann noch, wenn der Beamte inzwischen zu einem neuen Dienstherrn übergetreten ist. Ebenso kann der höhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde des früheren Dienstvorgesetzten die Disziplinarverfügung unter den Voraussetzungen des § 27 BDO, BDO i. d. F. der Novelle aufheben, wobei aber als Einleitungsbehörde nur die beim neuen Dienstherrn zuständige Behörde in Frage kommt; ebenso kann die neue Disziplinarstrafe im Falle des § 27 BDO, B D O i. d. F. der Novelle nur der Dienstvorgesetzte beim neuen Dienstherrn aus sprechen82, da es sich hier um die erneute Ausübung der Disziplinargewalt handelt, die in der Zuständigkeit der Behörde des neuen Dienstherrn liegt. Ist die Disziplinarstrafe beim früheren Dienstherrn verhängt, jedoch noch nicht vollstreckt worden, als sich der Beamte im Beamtenverhältnis bei ihm befunden hatte, so findet die Vollstreckung durch die Disziplinarorgane des früheren Dienstherrn auch nach dem Übertritt des Verurteilten zu einem neuen Dienstherrn statt. Eine Geldbuße ist an die Kasse des früheren Dienstherrn zu zahlen. Handelt es sich jedoch um die Vollstreckung einer Gehaltskürzung, so brauchen die eingehaltenen Gehaltsteile nicht an eine Kasse des früheren Dienstherrn abgeliefert zu werden. Sind die auf Grund des § 79 BDO, B D O i. d. F. der Novelle eingehaltenen Gehaltsteile nach § 82 BDO, B D O i. d. F. der Novelle nachzuzahlen, so hat dies durch den früheren Dienstherrn zu geschehen. 82
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W i t t l a n d Anm. 23 zu § 2 RDStO.
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Unterliegt der Beschuldigte innerhalb des Hoheitsbereichs eines Dienstherrn der Disziplinargewalt zweier verschiedener Ämter, so kommt § 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 2 Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle nicht zur Anwendung, weil hier kein Wechsel des Dienstherrn, sondern nur die Zuständigkeit zweier Behörden beim gleichen Dienstherrn begründet ist. In einem solchen Falle kann der Beschuldigte wegen des gleichen Sachverhalts in zwei Disziplinarverfahren bestraft werden. B. Landesrechtliche Regelung Die Regelung der Länder hinsichtlich des sachlichen Geltungsbereichs des jeweiligen Länderdisziplinarrechts entspricht dem § 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 2 Abs. 1 Satz 1 LDO BW entspricht dem § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO 1. d. F. ÄndGes. 1952. § 2 Abs. 1 Satz 2 LDO BW entspricht dem § 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, wobei auf den Beamten abgestellt wird, dessen früheres Beamtenverhältnis durch Entlassung, Verlust der Beamtenrechte oder Entfernung aus dem Dienst geendet hatte. § 2 Satz 3 LDO BW entspricht dem § 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 2 Abs. 1 LDO BW gilt nach § 2 Abs. 2 a. a. O. entsprechend bei Beamten, deren früheres Richterverhältnis durch Entlassung, Verlust der Richterrechte, Entfernung aus dem Dienst oder Eintritt in den Ruhestand geendet hatte. 2. B a y e r n Art. 2 Satz 1 DStO Bayr. entspricht dem § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Art. 2 Satz 2 DStO Bayr. entspricht § 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, wobei auf den Wechsel des Dienstherrn ganz allgemein abgestellt wird. 3. B e r l i n Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LDO Bln. kann ein Beamter, dessen früheres Beamten- oder Richterverhältnis durch strafgerichtliche oder disziplinargerichtliche Verurteilung, Entlassung oder Ruhestand beendet worden war, nach der LDO Bln. auch wegen solcher Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltender Handlungen (§ 41 Abs. 2 LBG Bln. = § 77 Abs. 2 BBG, § 43 Abs. 2 des Berliner Landesrichtergesetzes) verfolgt werden, die er in dem früheren Beamten- oder Richterverhältnis oder als Ruhestandsbeamter oder Richter im Ruhestand begangen hat ; auch bei einem Beamten, der seine Rechte aus einem früheren Beamten- oder Richterverhältnis auf Grund strafgerichtlicher oder disziplinargerichtlicher Verurteilung verloren hat oder aus einem solchen Dienstverhältnis entlassen worden ist, gelten hierbei die in § 41 Abs. 2 LBG Bln. ( = § 77 Abs. 2 BBG) bezeichneten Handlungen als Dienstvergehen. Ein Wechsel des Dienstherrn steht der disziplinarrechtlichen Verfolgung auch dann nicht entgegen, wenn das frühere Beamtenverhältnis zu einem anderen Dienstherrn bestanden hat ( § 2 Abs. 1 Satz 2 LDO Bln.). Ein Ruhestandsbeamter kann nur wegen eines vor Eintritt in den Ruhestand begangenen Dienstver100
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gehens oder wegen einer Handlung, die nach § 41 Abs. 2 LBG Bln. ( = § 77 Abs. 2 BBG) als Dienstvergehen gilt, verfolgt werden (§ 2 Abs. 2 LDO Bln.). 4. B r e m e n § 2 Abs. 1 DStO Brm. entspricht § 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, wobei in § 2 Abs. 1 Satz 2 DStO Brm. auf den Wechsel des Dienstherrn ganz allgemein abgestellt wird. Die Verfolgung ist ausgeschlossen, wenn die Verjährungsfrist (§ 3 Abs. 3 und 4 DStO Brm.) abgelaufen ist ( § 2 Abs. 2 DStO Brm.). 5. H a m b u r g § 2 DO Hmb. entspricht § 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, wobei in Satz 2 auf den Wechsel zu einem anderen Dienstherrn als der Freien und Hansestadt Hamburg oder einer landesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts hingewiesen wird. 6. H e s s e n § 2 Satz 1 Halbsatz 1 HDO entspricht dem § 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 2 Satz 1 Halbsatz 1 HDO gelten dabei Handlungen, die bei einem Ruhestandsbeamten als Dienstvergehen gelten, auch bei einem aus einem früheren Beamtenverhältnis ausgeschiedenen oder entlassenen Beamten als Dienstvergehen. Ein Wechsel des Dienstherrn steht nach § 2 Satz 2 HDO der disziplinarrechtlichen Verfolgung nicht entgegen. Nach § 2 Satz 3 HDO gilt dies auch dann, wenn das frühere Beamtenverhältnis zu einem Dienstherrn bestanden hat, auf den das HBG keine Anwendung findet. 7. N i e d e r s a c h s e n Ein Beamter, dessen früheres Dienstverhältnis als Beamter, Richter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit durch Entlassung, Verlust der Rechte, Entfernung aus dem Dienst oder Eintritt in den Ruhestand geendet hatte, kann nach der NDO auch wegen solcher Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltenden Handlungen (§ 85 Abs. 1 und 2 NBG = § 77 BBG) verfolgt werden, die er in dem früheren Dienstverhältnis oder im Ruhestand begangen hatte (§ 2 Satz 1 Halbsatz 1 NDO). § 2 Satz 1 Halbsatz 2 NDO entspricht § 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 und § 2 Satz 2 NDO § 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 19.52. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 2 DO NW entspricht dem § 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 2 LDO Rh.-Pf. entspricht dem § 2 HDO (siehe unter 6). 10. S a a r l a n d § 2 DStO Saar entspricht dem § 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 101
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Geltungsbereich des Disziplinarrechts
11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 2 DStO Schl.-Hol. stimmt wörtlich mit Art. 2 DStO Bayr. (siehe 2) überein. IV. ZEITLICHER GELTUNGSBEREICH Ebenso wie im allgemeinen Strafrecht gilt im Disziplinarrecht der Grundsatz nulla poena sine lege, dem allerdings mit Rücksicht auf das Fehlen festumrissener Tatbestände eine andere Bedeutung als im Strafrecht zukommt. Während dem Gesetzgeber im Strafrecht die Pflicht erwächst, die Tatbestände in den jeweiligen Strafrechtsnormen so zu formulieren, daß sie eine zuverlässige und feste Grundlage für die Rechtsprechung bilden, es also unzulässig ist, durch inhaltlose und unbestimmte Tatbestände die Ausformung der Strafrechtssätze der Rechtssprechung zu überlassen, erfordert es die Eigenart des Disziplinarrechts, daß das Verhalten des Beamten an dem allgemeinen Würdigkeitsbegriff, wie er z. B. in § 54 Satz 3 BBG umschrieben ist, zu messen ist. Das schließt nicht aus, daß, soweit es sich um die Befolgung strafrechtlicher Normen handelt, ein Verhalten eines Beamten als Dienstvergehen nur dann gewertet werden kann, wenn es zur Zeit der Begehung bereits strafbar war. Anders ist es, wenn der Verstoß gegen die Beamtenpflichten in einer Übertretung der allgemeinen Regeln der Sitte und des Anstandes besteht, da ihnen zu jeder Zeit die gleiche Bedeutung zukommt und lediglich ihre Bewertung veränderlich sein kann. Inwieweit ein Disziplinargesetz auch frühere Dienstvergehen erfassen soll, ist gleichfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes nulla poena sine lege zu werten, dem jedoch hier mehr eine formelle Bedeutung zukommt. Im allgemeinen wäre der Aufrechterhaltung der Beamtendisziplin nicht gedient, wenn mit Erlaß eines Disziplinargesetzes die vor dessen Inkrafttreten begangenen Dienstvergehen nicht erfaßt werden sollten, zumal das Disziplinargesetz im wesentlichen die Behördenorganisation und das Verfahren festlegt, in dem ein Dienstvergehen geahndet werden soll. Aus diesem Grunde bestimmt Art. 4 Satz 1 ÄndGes. 1952, daß die BDO auf die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begangenen Dienstvergehen Anwendung findet, falls diese auch nach dem zur Zeit der Begehung geltenden und nach dem bisherigen Recht als Dienstvergehen verfolgt werden konnten. Eine gleiche Regelung sehen auf Länderebene § 124 LDO BW, Art. 116 DStO Bayr., § 112 Abs. 1 LDO Bln., § 121 DO Hmb., § 129 HDO, § 131 Satz 1 NDO, § 135 DO NW und § 131 LDO Rh.-Pf. vor. Die §§115 Abs. 1 DStO Brm. und DStO Saar entsprechen dem § 115 Abs. 1 RDStO, wonach dieses Gesetz ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt, in dem das Dienstvergehen begangen worden ist, gilt, und lediglich solche Dienstvergehen nicht mehr verfolgt werden können, die nach den bisherigen Vorschriften beim Inkrafttreten dieses Gesetzes verjährt sind. Art. 4 Satz 1 ÄndGes. 1952 und die sonstigen gleichlautenden landesrechtlichen Bestimmungen enthalten einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG)83, so daß er auch im Landesdisziplinarrecht von Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein anzuwenden ist; auch hier ist eine Rück83
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BDH 29. 5. 56 — I D 37/55 — BDHE Bd. 2 S. 59 (76)
Zeitlicher Geltungsbereich
Wirkung hinsichtlich der Strafbarkeit und Verfolgbarkeit unzulässig, indem ein Handeln nicht als Dienstvergehen gewürdigt und ein Verfahren nicht durchgeführt werden kann84. Ein Tun und Unterlassen, das vor Inkrafttreten eines Disziplinargesetzes begangen war, kann also nur denn verfolgt werden, wenn es nach bisherigem Recht verfolgbar war 85 , was ζ. B. dann nicht mehr der Fall ist, wenn es nach dem bisherigen Recht verjährt war 86 . Die Disziplinarstrafe bestimmt sich auch nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt, wonach bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist87. Handelt es sich um im Fortsetzungszusammenhang stehende Pflichtverletzungen, die teils vor dem Inkrafttreten, teils nach dem Inkrafttreten eines straferhöhenden Disziplinargesetzes begangen worden sind, so ist in einem solchen Falle der Zeitpunkt der Verwirklichung des letzten Teilaktes maßgebend, was auch für die Frage der Verjährung gilt 88 . Der Grundsatz nulla poena sine lege schließt jedoch nicht aus, daß die inzwischen neu eingeführten Disziplinarstrafen auch für solche Dienstvergehen in Frage kommen, die vor Inkrafttreten des neuen Disziplinargesetzes begangen worden sind, weil das Handeln oder Unterlassen eines Beamten, das sich als pflichtwidrig darstellt, an keine bestimmte Straffolgen geknüpft ist89. Der Rechtsgedanke des § 2 StGB kann im Disziplinarrecht jedoch nur insoweit A n w e n d u n g f i n d e n , als d i e s mit der E i g e n a r t des D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n s n i c h t im W i d e r s p r u c h steht. So wird der Grundsatz nulla poena sine lege dann durchbrochen, wenn der Personenkreis, der durch ein Disziplinargesetz erfaßt wird, durch ein späteres Gesetz erweitert wird. Hier stellt eine Pflichtverletzung zumindest dann ein Dienstvergehen dar, wenn sie zugleich eine strafbare Handlung darstellt. Die Bestrafung des Beschuldigten richtet sich nach dem Status zum Zeitpunkt der Urteilsfällung. Hat dieser sich nach Begehung der Pflichtverletzung infolge einer Änderung der Gesetzgebung gewandelt, so ist dies unbeachtlich. So finden ζ. B. gegen einen Ruhestandsbeamten nach dem G 131 die Vorschriften der § § 4 und 9 G 131 uneingeschränkt Anwendung, wenn das Dienstvergehen oder die als Dienstvergehen geltende Handlung nach dem Inkrafttreten des BBG begangen worden ist. Auch wenn der Beschuldigte erst seit dem 1. 10. 61 auf Grund des 3. ÄndGes. zum G 131 den Rechtsstand eines vollversorgten Ruhestandsbeamten hat, steht dies der Bestrafung mit einer Kürzung der Versorgungsbezüge wegen einer vor diesem Zeitpunkt begangenen Verfehlung nicht entgegen, da für die Frage der Zulässigkeit einer Strafe allein der Rechtsstand im Zeitpunkt der Urteilsfällung maßgebend ist; der Grundsatz nulla poena sine lege wird hierdurch nicht verletzt 90 . 84 BayrDStH 23. 5. 56 in VFH n. F. 9 III 19 (22); vgl. auch RÜHE Bd. 1 S. 163 (167); RDStH 3. 12. 37 in RVB1. 1938 S. 386. 85 BayrDStH 23. 5. 56 in VGH n. F. 9 III 19 (24). 86 DiszSenat OVG Münster in OVGE Bd. 11 S. 222 = OVGE (DiszS) Bd. 1 S. 3; BayrDStH 23. 5. 56 in VGH n. F. 9 III 19/25. 87 DStH Lüneburg 22.10. 56 — A 6/56 — in VRspr. Bd. 9 S. 307. 8 8 DiszSenat OVG Munster 5. 7. 63 — V 15/63 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 89 BDH 29. 5. 56 — I D 37/55 — BDHE Bd. 2 S. 59 (78/79). 90 BDH 13.12. 61 — II D 75/61 —; BDH 8. 7. 60 — I D 77/59 —; BDH 17. 2. 61 — III D 62/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 313 (LS).
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Geltungsbereich des Disziplinarrechts
V. ÖRTLICHER GELTUNGSBEREICH Die Disziplinargewalt der Disziplinarorgane erstreckt sich nicht nur auf die im Bundesgebiet oder jeweiligen Land oder im Bereiche des Grundgesetzes begangenen Dienstvergehen, sondern auch auf im Ausland begangenen Pflichtwidrigkeiten. Die § § 3 und 4 StGB können im Disziplinarrecht auch keine sinngemäße Anwendung finden. Begeht ein Beamter während eines Auslandsaufenthaltes ein Dienstvergehen, so kann er hierfür disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden 91 . Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Pflichtverletzung des Beamten in dem Lande, in dem dieselbe begangen worden ist, eine strafbare Handlung darstellt. So kann ζ. B. der Beschuldigte, der sich wegen gleichgeschlechtlicher Verfehlungen disziplinarisch zu verantworten hat, die Höchststrafe nicht dadurch abwenden, daß er geltend macht, daß er die Tat in einem Lande, wie ζ. B. in den Niederlanden, begangen hat, wo sie nicht mit Strafe bedroht ist; denn hier handelt es sich nach deutscher Auffassung, auf die es allein ankommt, schlechthin um ein strafwürdiges Unrecht. Besondere Verhältnisse am Tatort rechtfertigen von der Auffassung, was als Dienstvergehen anzusehen ist, keine Abweichung. Wenn die Rechtsansichten im Ausland andere sind, so ist dies unerheblich92. Wird ein im Ausland begangenes Dienstvergehen daselbst öffentlich bekannt, so rechtfertigt dies eine besonders strenge disziplinarische Ahndung. Begeht ζ. B. ein Beamter einer deutschen Auslandsvertretung ein Dienstvergehen, so wiegt dies besonders schwer, weil er hierdurch nicht nur das Ansehen seiner Dienstbehörde, sondern auch das deutsche Ansehen im Ausland schlechthin gefährdet und schädigt 93 . 81 92 93
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RDH 5. 7.1897; Brand S. 44 Anm. 4. DokBer. Nr. 1231; S c h ö n k e - S c h r ö d e r Anm. II zu § 3 StGB. DokBer. Nr. 1617.
TeillI
DAS MATERIELLE DISZIPLINARRECHT 1. A b s c h n i t t
Die disziplinare Einwirkung durch die Disziplinarstrafe 1. K a p i t e l
Allgemeines § 7. Zweck der Disziplinarstrafe1 Bei der Frage, welche Disziplinarstrafen zu verhängen sind, müssen die Dienstvorgesetzten und die Disziplinargerichte von dem Zweck des Disziplinarrechts ausgehen. Dieser besteht in erster Linie in der Aufrechterhaltung der Dienstzucht und der Reinerhaltung des Beamtentums. Unwürdige Elemente sollen aus dem Staatsdienst ausgemerzt werden, wenn es das Ansehen des Staates verlangt oder wenn den Mitarbeitern eine Zusammenarbeit mit jenen nicht mehr zumutbar ist. Der Z w e c k der D i s z i p l i n a r s t r a f e b e s t e h t n i c h t darin, eine p f l i c h t w i d r i g e H a n d l u n g zu s ü h n e n . Sie soll den pflichtvergessenen Beamten zu beamtenmäßigem Verhalten erziehen, vor allem soll sie für die Integrität und Sauberhaltung des Beamtenkörpers sorgen2. Im Interesse der Reinerhaltung des Beamtentums verfolgt die Disziplinarstrafe vor allem den Zweck der Abschreckung 3 . Dies gilt besonders für die Arbeitsgebiete, auf denen die Verwaltungen über keine ausreichenden Überwachungsmöglichkeiten verfügen und mehr noch als sonst auf die Ehrlichkeit ihrer Beamten angewiesen sind. Bei geringeren Verfehlungen soll der Beamte durch vermögensrechtliche Nachteile fühlbar vor der Begehung neuen Unrechts gewarnt werden. Unter Umständen genügt sogar schon eine Mißbilligung oder ein Tadel. Die Disziplinarstrafe ist einmal für den Beamten eine Mahnung, sich in Zukunft einer einwandfreien dienstlichen Haltung zu befleißigen. Darüber hinaus soll sie denjenigen, der bisher in treuer Pflichterfüllung seine Aufgaben verrichtet hat, vor der Begehung von Dienstvergehen abschrecken. Im Vordergrund des Disziplinarrechts steht weniger der Täter als die Aufrechterhaltung der Dienstzucht. Diese kann es erforderlich machen, 1 2 3
Nr. 93.
Baumann, kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe in JZ 1964 S. 612. BDH 9. 2. 56 — I D 97/54 — in JZ 1956 S. 367 (LS) = L i n d g e n Teil IV Nr. 126. Vgl. BDH 23. 9. 54 — III D 22/54 — BDHE Bd. 2 Nr. 76 = L i n d g e n Teil IV
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den Täter trotz Vorliegens zahlreicher Milderungsgründe mit der härtesten Strafe zu belegen. Andererseits kann auch bei erheblichem Verschulden von einer Bestrafung überhaupt abgesehen werden, wenn dies mit der Dienstzucht vereinbar ist.
§ 8. Geschichtliche Entwicklung der Disziplinarstrafen I. PREUSSEN A. Preußisches Allgemeine Landrecht von 1794 Auch noch unter der Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts stand bei der Disziplinarstrafe der Vergeltungsgedanke im Vordergrund, also malum passionis quod infligitur propter malum actionis. Die Disziplinarstrafe unterschied sich von der echten Strafe nur quantitativ, wobei eine Kumulation von Kriminal- und Disziplinarstrafe nicht in Frage kam. Da das Preußische Allgemeine Landrecht noch keine strenge Scheidung zwischen Straf- und Disziplinarrecht vorgenommen hatte, hatte es noch keinen Strafenkatalog ausgearbeitet. Nach § 98 II a.a.O. durfte kein Vorgesetzter oder Departementschef einen Bediensteten wider seinen Willen einseitig entsetzen oder verabschieden. Nach § 99 a.a.O. mußte er, wenn die Verabschiedung für nötig befunden wurde, den Beamten mit seiner Erklärung oder Verantwortung darüber ordnungsmäßig hören und die Sache im Staatsrat zum Vortrage bringen lassen, der nach § 100 a.a.O. darüber mit Stimmenmehrheit beschloß. Sofern der Landesherr für die Bestallung des Beamten zuständig war, mußte der Beschluß des Staatrates dem Landesherrn zur unmittelbaren Prüfung und Bestätigung vorgelegt werden (§ 101 a.a.O.). Zu der Entlassung im Verwaltungsverfahren waren noch die Kabinetts order vom 17. 12. 1805, 11. 1. 1809 und 12. 4. 1822 (PrGS S. 105) und 21. 2. 1823 (PrGS S. 25) ergangen. Die gerichtliche Entlassung konnte unter den in § 34135 a.a.O. genannten Voraussetzungen im fiskalischen Untersuchungsverfahren oder sonst in der förmlichen „Kriminaluntersuchung" auf Grund der Preuß. Kriminalordnung erfolgen. Nach §§323ff. II 20 a.a.O. kamen als „Verbrechen der Diener des Staates" sowohl die eigentlichen Amtsdelikte, die sich als Straftaten darstellten und nur von Beamten begangen werden konnten, wie ζ. B. die Erschleichung eines Amtes auf Grund von Geschenken oder Versprechungen oder anderen Vorteilen (§ 325 II 20 a.a.O.), als auch die rein disziplinaren Verfehlungen, wie z.B. die grobfahrlässige Verletzung von Amtspflichten (§ 334 II 20 a.a.O.) oder die Darlehnsaufnähme von Vorgesetzten bei Untergebenen (§ 348 II 20 a.a.O.) in Frage. Die im 8. Abschnitt II 20 a.a.O. genannten Strafandrohungen sahen hierbei nicht nur die Entlassung, sondern auch die Todesstrafe, Freiheits- und Geldstrafen, Degradation sowie die Einziehung des Vermögens vor. Wurde der Beamte wegen eines Verstoßes gegen die im 8. Abschnitt II 20 a.a.O. genannten Verstöße im Gerichtsverfahren entlassen oder bestraft, so standen ihm die in der Preuß. Allgemeinen Gerichtsordnung genannten Rechtsbehelfe zur Seite. Handelte es sich um geringere Verstöße gegen die Amtspflichten, so kamen als Ordnungsstrafen Warnung, Verweise und geringe Geldstrafen nach § 335 II 20 a.a.O. in Frage, die auch im Verwaltungswege ohne ein förmliches Verfahren von den Vorgesetzten verhängt werden konnten. Nur dann, 106
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wenn diese Ordnungsstrafen keine Besserung bewirkt hatten, war der Beamte nach § 336 II a.a.O. „als Mensch anzusehen, der aus grober Fahrlässigkeit seinen Amtspflichten zuwider handelt", so daß er dann nach § 334 II 20 a.a.O. eine „verhältnismäßige Geldstrafe, Degradation oder Cassation verwirkt" hatte. B. Gesetz betr. gerichtliche und Disziplinar-Strafverfahren gegen Beamte vom 29.3.1844 Das Gesetz vom 29. 3. 1844 (PrGS S. 77) unterschied in § 14 zwischen Ordnungsstrafen und der Entfernung aus dem Amte. Nach § 15 kamen als Ordnungsstrafen in Betracht 1. Warnungen, 2. Verweise, 3. Geldbußen und 4. gegen untere Beamte auch Arreststrafen. Welche Beamte als untere zu rechnen waren, wurde durch das Staatsministerium näher bestimmt (§ 15 Satz 2 a.a.O.). Die Geldbußen durften, sofern nicht gesetzliche Vorschriften etwas anderes bestimmten, das Diensteinkommen eines Monats, bei unbesoldeten Beamten aber die Summe von 30 Talern nicht übersteigen (§16 Abs. 1 a.a.O.). Arreststrafen waren nur auf die Dauer von höchstens 8 Tagen zulässig (§16 Abs. 2 Satz 1 a.a. O.). Dieselben waren in Räumen, die den Verhältnissen der zu bestrafenden Beamten angemessen waren, zu vollstrecken ( § 1 6 Abs. 2 Satz 2 a.a.O.). Die Entfernung aus dem Amt konnte bestehen: 1. in gänzlicher Entlassung aus dem Dienst, 2. in Degradation, 3. in Strafversetzung ( § 1 7 a.a.O.). Mit der gänzlichen Entlassung aus dem Dienst trat zugleich der Verlust des Titels und des Ranges ein (§18 Abs. 1 Satz 1 a. a. O.). Sie hatte den Verlust des Anspruchs auf Pension jederzeit zur Folge; dem Angeschuldigten konnte jedoch, wenn er zu den Beamten gehörte, die verfassungsmäßig einen Anspruch auf Pension hatten, und besondere Umstände eine milde Berücksichtigung zuließen, ein Teil des regelmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung bewilligt werden ( § 1 8 Satz 2 a.a.O.). Degradation war nur gegen Beamte im unmittelbaren Staatsdienst anwendbar (§ 19 Satz 1 a.a.O.). Ihre Wirkung bestand darin, daß der Beamte sich der Versetzung in eine mit geringerem Einkommen verbundenen Stelle einer unteren Klasse unterwerfen mußte (§ 19 Satz 2 a.a. O.). Die Strafversetzung war gleichfalls nur gegen Beamte im unmittelbaren Staatsdienst anwendbar. Sie bestand in einer unfreiwilligen Versetzung in ein anderes Amt mit gleichem Rang, mit Verlust entweder eines Teils des mit dem bisherigen Amt verbundenen etatsmäßigen Einkommens oder des Anspruchs auf Umzugskosten oder von beiden zugleich (§ 20 Abs. 1 a. a. O.). Versetzungen, mit denen ein solcher Nachteil nicht verbunden war, waren kein Gegenstand des Strafverfahrens ( § 2 0 Abs.2 a.a.O.). Als eine Verkürzung des Einkommens war es nicht anzusehen, wenn durch die Versetzung die Gelegenheit, 107
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Nebenämter zu versehen, entzogen wurde, oder der Bezug der für Dienstunkosten besonders ausgesetzten Einnahmen fortfiel ( § 2 0 Abs. 3 a.a.O.). Welche der in §§ 14 bis 20 a.a.O. bestimmten Strafen in Anwendung zu bringen waren, war nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Vergehens und mit Rücksicht auf die persönlichen und amtlichen Verhältnisse des Angeschuldigten und dessen sonstige Führung zu bemessen (§21 Satz 1 a.a.O.). Die Entlassung aus dem Dienst sollte besonders dann eintreten, wenn der Beamte sich einer fortgesetzten mangelhaften Amtsführung schuldig oder durch seinen außeramtlichen Lebenswandel, namentlich durch Trunk, Verschwendung, leichtsinniges Schuldenmachen oder überhaupt durch „ein die Religion oder die Sittlichkeit verletzendes Betragen des zu dem Amt erforderlichen Ansehens oder Vertrauens verlustig gemacht hatte" ( § 2 1 Satz 2 a. a. O.). War für eine Art von Vergehen eine Strafe besonders bestimmt, so war diese anzuwenden; es war aber hierbei hinsichtlich der Freiheitsstrafen die in § 16 a.a.O. getroffene Beschränkung zu beachten; bei den Vergehen, die in § 2 a. a. O. von der gerichtlichen Untersuchung besonders ausgenommen waren, war anstatt der Kassation oder Amtsentsetzung die Entlassung aus dem Dienst auszusprechen ( § 2 2 Satz 2 a.a.O.). Zur Verhängung von Warnungen und Verweisen waren sämtliche Dienstvorgesetzten gegen ihre jeweiligen Untergebenen befugt (§23 Abs. 1 a. a. O.). Die Verhängung von Geldbußen und Arreststrafen war je nach der Stellung des Angeschuldigten verschieden gestaffelt (vgl. § 23 Abs. 2 bis 4 a. a. O). Die Einleitung des Verfahrens auf Entfernung aus dem Amt konnte nur von denjenigen Behörden verfügt werden, deren Genehmigung zur Einleitung der gerichtlichen Untersuchung nach § § 5 und 6 a. a. O. erforderlich war ( § 25 Abs. 1 Satz 1 a. a. O.). Die Entscheidung selbst stand nach § 28 Abs. 1 a. a. O. den Provinzialbehörden zu, wenn der Angeschuldigte zu den Beamten gehörte, die von einer Provinzial- oder unteren Behörde ernannt oder bestätigt worden waren. Bei anderen als in § § 28, 32 und 33 a. a. O. bezeichneten Beamten waren die Verhandlungen vom Verwaltungschef, wenn er nach Ausfall der Untersuchung die Entfernung des Angeschuldigten aus dem Amt für nötig hielt, mit einem gutachtlichen Votum dem Staatsministerium vorzulegen ( § 3 5 Abs. 1 a. a. O.), wo die Verhandlungen von zwei Mitgliedern desselben geführt wurden ( § 3 6 Satz 1 Halbsatz 1 a.a.O.). Die durch Ministerialräte ausgearbeitete Relation wurde dann im Staatsministerium verlesen und hierauf der Beschluß mit Stimmenmehrheit gefaßt ( § 3 6 Satz 2 a.a.O.). C. Verordnung betr. Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 10. 7. 1849 und Verordnung betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 11. 7.1849 Nach der Verordnung betr. Dienstvergehen der Richter vom 10. 7. 1849 (PrGS S. 253) kamen die gleichen Disziplinarstrafen wie bei dem Gesetz von 1844 in Frage. Ein Richter, der sich ohne vorschriftsmäßigen Urlaub von seinem Amt entfernte oder der den erteilten Urlaub überschritt, ging nach § 10 a.a.O. des Diensteinkommens für die Zeit der unerlaubten Entfernung verlustig. Dauerte die unerlaubte Entfernung länger als acht Wochen, so hatte 108
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der Richter die Dienstentlassung verwirkt (§ 11 Abs. 1 a.a.O.). Warder Richter dienstlich aufgefordert worden, zu seinem Amt zurückzukehren, so trat die Strafe der Dienstentlassung bereits nach fruchtlosen Ablauf von vier Wochen seit der ergangenen Aufforderung ein (§11 Abs. 2 a.a.O.). Im übrigen kamen als Disziplinarstrafen nach § 18 a.a.O. in Frage: 1. Warnung, 2. Verweis, der mit Geldbuße verbunden werden konnte, deren Betrag das Diensteinkommen eines Monats nicht übersteigen durfte, 3. zeitweise Entfernung von Dienstverrichtungen auf wenigstens drei Monate und höchstens ein Jahr, wobei diese Strafe den Verlust des Diensteinkommens für deren Dauer kraft Gesetzes nach sich zog ; hierbei war jedoch das Disziplinargericht ermächtigt, in dem Urteil zugleich zu erkennen, daß dem Verurteilten während der Dauer der Strafe ein bestimmter Teil seines Diensteinkommens, welcher die Hälfte desselben nicht übersteigen durfte, zu seinem notdürftigen Unterhalt zu verabreichen war, 4. Dienstentlassung, wobei diese Strafe den Verlust des Titels und Pensionsansprüche nach sich zog, ohne daß darauf besonders zu erkennen war. Neben den Disziplinarstrafen kamen beim Richter nach § 16 a.a.O. bei einem geringen Dienstvergehen auch eine Mahnung in Frage, indem er nach einer vorher von ihm erforderten Erklärung auf die Pflicht aufmerksam zu machen war, welche ihm sein Amt auferlegte. Die Mahnung konnte von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch den Präsidenten oder Direktor eines jeden Gerichts erlassen werden, wobei bei Anwesenheit des Richters ein Protokoll aufzunehmen und bei Entfernung desselben zum Zeitpunkt der Ermahnung ein Schreiben mit Gründen aufzusetzen war. War die Mahnung ohne Erfolg geblieben oder erschien sie dem zuständigen Disziplinargericht als nicht hinreichend, so trat nach § 17 a. a. O. die Disziplinarbestrafung ein. Welche von den in § 18 a.a.O. bestimmten Strafen anzuwenden war, war nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit Rücksicht auf die sonstige Führung des Angeschuldigten zu bemessen, unbeschadet der bereits oben erwähnten Bestimmungen der §§10 und 11 a.a.O. (§ 19 a.a.O.). Die § § 1 1 und 12 der Verordnung betr. Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 11. 7. 1849 (PrGS S. 271) entsprechen den §§10 und 11 der Verordnung vom 10. 7.1849. § 17 der Verordnung vom 11. 7.1849 unterschied bei den Disziplinarstrafen zwischen den Ordnungsstrafen und der Entfernung aus dem Amt. Als Ordnungsstrafen kamen nach § 18 a. a. O. in Frage Warnung, Verweis und Geldbuße. Die Entfernung aus dem Amt konnte nach § 19 a.a.O. bestehen: 1. in der Versetzung in ein anderes Amt mit gleichem Rang, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens und Verlust des Anspruchs auf Umzugskosten oder mit einem von beiden Nachteilen (diese Strafe konnte nur auf im unmittelbaren Staatsdienst beschäftigte Beamte Anwendung finden), 109
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2. in Dienstentlassung, die den Verlust des Titels und des Pensionsanspruchs von selbst nach sich zog, ohne daß darauf erst besonders erkannt zu werden brauchte. Welche der in §§17 bis 19 a. a. O. bestimmten Strafen anzuwenden war, war nach der größeren und geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit Rücksicht auf die sonstige Führung des Angeschuldigten zu bemessen (§20 Abs. 1 a. a. O.). Die Dienstentlassung mußte insbesondere dann ausgesprochen werden, wenn der Beamte die Pflicht der Treue verletzt oder den Mut, den sein Beruf erforderte, nicht betätigte oder sich einer feindseligen Parteinahme gegen die Staatsregierung schuldig gemacht hatte (§20 Abs. 2 a. a. O.). Die Abstufung der Disziplinarbefugnis entsprach der des Gesetzes vom 19. 3. 1844. Warnungen und Verweise konnte jeder Dienstvorgesetzte verhängen. Die Entfernung aus dem Amt kam nur im förmlichen Disziplinarverfahren in Betracht. Im förmlichen Disziplinarverfahren entschied entweder der Disziplinarhof in Berlin oder die Provinzialbehörden, je nachdem ob bei der Anstellung eine vom König oder von den Ministern ausgehende Ernennung, Bestätigung oder Genehmigung erforderlich war. Gegen die Entscheidung der 1. Instanz war Berufung an das Staatsministerium zulässig. D. Gesetz betr. die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 7. 5.1851 § 7 und 8 des Gesetzes vom 7. 5. 1851 (PrGS S. 218) entsprachen den §§ 10 und 11 der Verordnung vom 10. 7.1849. Als Disziplinarstrafen kamen nach § 15 a. a. O. in Frage: 1. Warnung, 2. Verweis, der mit einer Geldbuße verbunden werden konnte, deren Betrag das Diensteinkommen eines Monats nicht übersteigen durfte; 3. zeitweise Entfernung von den Dienstverrichtungen auf wenigstens drei Monate und höchstens ein Jahr, 4. die Dienstentlassung, die den Verlust des Titels und Pensionsanspruchs von selbst nach sich zog. Ließen besondere Umstände eine mildere Berücksichtigung zu, so war das Disziplinargericht ermächtigt, in dem Urteil zugleich zu erkennen, daß dem Angeschuldigten ein Teil des regelmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung zu verabreichen war. Nach § 13 a. a. O. kam ebenso wie nach § 16 des Gesetzes vom 10. 7.1849 an Stelle einer Disziplinarstrafe eine Mahnung in Frage, wobei jedoch in Abweichung von der bisherigen Regelung die Mahnung zu Protokoll oder durch ein die Gründe enthaltendes Schreiben, von welchem eine Urschrift aufzubewahren war, zu erteilen war. Erschien wegen der Schwere des Dienstvergehens dem zuständigen Disziplinargericht eine Mahnung nicht hinreichend, so kam nach § 14 a. a. O. die Disziplinarbestrafung in Frage. Welche der in § 15 a. a. O. genannten Strafen anzuwenden war, war nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit Rücksicht auf die sonstige Führung des Angeschuldigten zu bemessen, unbeschadet der §§ 7 und 8a, a. a. O. (§ 16 a. a. O.). 110
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Die Verhängung der Disziplinarstrafen kam nur nach einer mündlichen Verhandlung vor dem zuständigen Disziplinargericht in Frage. Zuständige Disziplinargerichte waren das Obertribunal, der Rheinische Revisions- und Kassationshof sowie die Appellationsgerichte. Έ. Gesetz betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 21. 7.1852 Die § § 8 und 9 des Gesetzes vom 21. 7. 1852 (PrGS S. 465) entsprachen den §§10 und 11 der Verordnung vom 10. 7. 1849. Nach § 14 a. a. O. wurden benso wie in dem Gesetz vom 7. 5.1851 die Disziplinarstrafen in Ordnungsstrafen und in die Entfernung aus dem Amt eingeteilt. Nach § 15 Abs. 1 a. a. O. kamen als Ordnungsstrafen Warnung, Verweis, Geldbuße und gegen untere Beamte auch die Arreststrafe auf die Dauer von höchstens acht Tagen in Frage, die jedoch nur in solchen Räumen vollstreckt werden durfte, die den Verhältnissen der zu bestrafenden Beamten angemessen waren; zu der Beamtenklasse, gegen die die Arreststrafe verhängt werden durfte, gehörten im allgemeinen Exekutoren, Boten, Kastellane, Diener und die zu ähnlichen, sowie die zu lediglich mechanischen Funktionen bestimmten Beamten (§15 Abs. 2 Satz 1 a. a. O.). Außerdem war das Staatsministerium ermächtigt, in der Steuer-, Post-, Polizei- und EisenbahnVerwaltung diejenigen Beamten-Kategorien speziell zu bezeichnen, gegen die Arreststrafen verhängt werden konnten (§ 15 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). Nach § 16 a.a.O. bestand die Entfernung aus dem Dienst: 1. in der Versetzung in ein anderes Amt von gleichen Rang, jedoch mit der Verminderung des Diensteinkommens und Verlust des Anspruchs auf Umzugskosten oder mit einem von beiden Nachteilen ; 2. in der Dienstentlassung; diese Strafe zog den Verlust des Titels und des Pensionsanspruches nach sich; gehörte der Angeschuldigte zu den Beamten, welche einen Anspruch auf Pension hatten, und ließen besondere Umstände eine mildere Beurteilung zu, so war die Disziplinarbehörde ermächtigt, in ihrer Entscheidung zugleich festzusetzen, daß dem Angeschuldigten ein Teil des regelmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung zu verabreichen war (§ 16 Nr. 2 a. a. O.). Für das zu verhängende Strafmaß und die Zuständigkeit bei der Verhängung von Ordnungsstrafen galt das gleiche wie beim Gesetz vom 7. 5.1851. Die Dienstentlassung konnte gleichfalls wie im Gesetz vom 7. 5. 1851 nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch den Disziplinarhof in Berlin bzw. durch die Provinzialbehörde, wie ζ. B. die Regierungen, Provinzialschulkollegien oder Generalkommissionen, auf Grund einer mündlichen Verhandrung verhängt werden, wobei der Disziplinarhof bei denjenigen Beamten zuständig war, zu deren Anstellung eine vom König oder von den Ministern ausgehende Ernennung, Bestätigung oder Genehmigung erforderlich war (vgl. §§ 22ff. insbes. § 24 a. a. O.).
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F. Gesetz betr. Abänderungen des Gesetzes über die Dienstvergehen der Richter vom 26. 3.1856 Durch § 1 des Gesetzes vom 26. 3.1856 (PrGS S. 201) war bei den Richter die in § 15 des Gesetzes vom 7. 5. 1851 aufgeführte Disziplinarstrafe der „zeitweisen Entfernung von den Dienstverrichtungen" aufgehoben und an ihre Stelle die Versetzung in ein anderes Richteramt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens und Verlust des Anspruchs auf Umzugskosten oder mit einem von beiden Nachteilen getreten. Erforderlichenfalls konnte nach § 1 Abs. 2 Satz 2 a. a. O. statt der Verminderung des Diensteinkommens eine Geldbuße verhängt werden, welche ein Drittel des Jahreseinkommens nicht übersteigen durfte. G. Gesetz betr. Aufhebung des Disziplinarmittels der Arreststrafe vom 25. 3 . 1 7 Nach § 1 des Gesetzes vom 25. 3. 17 (PrGS S. 49) wurden sämtliche Bestimmungen, die die Verhängung der Arreststrafe als zulässiges Disziplinarmittel gegen untere Beamte der Staats- und Gemeindebehörden vorsahen, mit Wirkung vom 25. 3. 17 aufgehoben, so daß von nun an keine Disziplinarmaßnahmen mehr in Frage kamen, die einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Beamten darstellten. H. Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. Dienstvergehen der Richter und Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 4. 8. 22 Nach Art. 1 des Gesetzes vom 31. 7. 22 (PrGS S. 207) und des Gesetzes vom 4. 8. 22 (PrGS S. 208) verletzte ein Richter bzw. ein Beamter seine Pflichten, wenn er Bestrebungen, die auf Wiederherstellung der Monarchie oder gegen den Bestand der Republik gerichtet waren, im Amt, durch Mißbrauch seiner Stellung oder aufreizend oder gehässig in der Öffentlichkeit förderte oder solche Bestrebungen durch Verleumdung, Beschimpfung oder Verächtlichmachung der Republik, des Reichspräsidenten oder von Mitgliedern der im Amt befindlichen oder einer früheren republikanisch-parlamentarischen Regierung des Reichs oder eines Landes unterstützte. Wenn ein Richter bzw. ein Beamter sich eines solchen Dienstvergehens im Rückfalle schuldig gemacht hatte, war nach Art. 2 a. a. O. auf Entlassung aus dem Amt zu erkennen. Hier handelte es sich also ebenso wie beim schuldhaften Fernbleiben vom Dienst um eine absolute Strafe. I. Beamtendienststrafordnung vom 27.1. 32 Nach § 9 der Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 59) kamen als Dienststrafen Ordnungsstrafen, Gehaltskürzung und Dienstentlassung in Frage. Nach § 10 a. a. O. stellten Ordnungsstrafen Warnung, Verweis und Geldbuße dar. Die Gehaltskürzung, die hiermit zum ersten Male in das Disziplinarrecht eingeführt wurde, bestand nach § 11 a . a . O . in der bruchteilsmäßigen Verminderung des jeweiligen Diensteinkommens um höchstens ein Fünftel und auf höchstens fünf Jahre, wobei Höhe und Dauer der Verminderung im Urteil festzustellen waren. 112
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Während nach dem bisherigen Recht gegen einen Ruhestandsbeamten eine Dienststrafe nicht verhängt werden konnte, konnte nach § 12 Abs. 2 a. a. O. gegen einen Beamten, der während der Rechtshändigkeit in den Ruhestand trat, das Dienststrafverfahren mit dem Ziele der Aberkennung des Ruhegehalts, der Hinterbliebenen vers orgung, der Amtsbezeichnung, der Titel, der Dienstkleidung und der Dienstabzeichen fortgeführt werden. Wenn besondere Umstände eine mildere Beurteilung zuließen, konnte das Dienststrafgericht nach § 13 Abs. 1 a. a. O. im Urteil auf Dienstentlassung dem Verurteilten auf Zeit oder lebenslänglich als Unterstützung einen Teil des Ruhegehalts bewilligen, das er im Zeitpunkt der Dienstentlassung erdient hätte, wobei die Unterstützung nach Hundertteilen des Ruhegehalts festzusetzen war. Nach § 13 Abs. 2 konnte das Urteil bestimmen, daß die Unterstützung statt dem Verurteilten seiner Ehefrau oder seinen Kindern ganz oder teilweise gezahlt wurde. Nachträglich konnte dies auch der Fachminister bestimmen. Art und Höhe der Dienststrafe richteten sich nach den Verfehlungen und der gesamten Führung des Beamten ( §14 Abs. 1 Halbsatz 1 a. a. O.). Als absolute Strafe kam die Dienstentlassung wie im bisherigen Recht bei Fernbleiben vom Dienst ohne Urlaub oder Urlaubsüberschreitung in Frage, wenn die Entfernung mehr als acht Wochen bzw. bei fruchtloser Aufforderung zum Erscheinen zum Dienst vier Wochen gedauert hatte (vgl. § 6 Abs. 1 a. a. O.). Für die im Gesetz vom 31. 5. 22 (vgl. H) als Pflichtverletzungen bezeichneten Handlungen war im Rückfall die Dienstentlassung nach § 14 Abs. 2 a. a. O. gleichfalls als absolute Strafe festgesetzt (vgl. § 2 Abs. 2 der Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32). Die Zuständigkeitsregelungen in der Dienststraf Ordnung v o m 27. 1. 32
anläßlich der Verhängung von Dienststrafen dienten den nunmehr folgenden Disziplinargesetzen als Vorläufer. Hierbei wurde zwischen Disziplinarverfügungs- und förmlichen Disziplinarverfahren unterschieden. Im förmlichen Dienststrafverfahren waren die Dienststrafen in erster Instanz durch Dienststrafkammern, die bei den Regierungen und für Berlin beim Oberpräsidium gebildet wurden, und in zweiter Instanz durch den Dienststrafhof zu verhängen. K. Dienststrafordnung für die richterlichen Beamten vom 27.1. 32 Bei Richtern kamen nach § 10 des Gesetzes vom 27. 1. 32 (PrGS S. 79) Warnung, Verweis, Geldbuße, Versetzung in ein anderes Richteramt von gleichem Range unter Gehaltskürzung und Dienstentlassung in Frage. Die Gehaltskürzung bestand nach § 13 Abs. 1 a. a. O. in der bruchteilsmäßigen Verminderung des jeweiligen Diensteinkommens um höchstens ein Fünftel und auf höchstens fünf Jahre. Für die Fortführung eines Dienststrafverfahrens nach der Zurruhesetzung des Richters galt nach § 14 Abs. 2 a. a. O. das gleiche wie bei den Beamten. Ebenso kam nach § 15 a. a. O. eine Unterstützung bei der Dienststrafe der Dienstentlassung in Frage, sofern besondere Umstände eine mildere Beurteilung zuließen. Ebenso entsprachen hinsichtlich der Auswahl der Dienststrafen die §§16 und 5 den §§14 und 6 der BeamtendienststrafOrdnung. Neben den eben genannten Dienststrafen kamen noch die Rüge und Ermahnung hinzu, indem nämlich in § 9 a. a. O. ausdrücklich festgestellt 8 L i n d g e n , Disziplinarrecht!
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Geschichtliche Entwicklung der Disziplinarstrafen
wurde, daß in dem Recht der Aufsicht die Befugnis lag, die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäftes zu rügen und zu dessen rechtzeitiger und sachgemäßer Erledigung zu ermahnen. Für die Verhängung von Rügen, Ermahnungen (vgl. § 9 a. a. O.) und Warnungen waren nach§ 17 a. a. O. der Justizminister, die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Landgerichtspräsidenten und bei den richterlichen Beamten der Arbeitsgerichtsbehörden die Beamten zuständig, denen die Dienstaufsicht über sie übertragen war. Die übrigen Dienststrafen konnte nur auf Grund einer mündlichen Verhandlung von den zuständigen Dienststrafgerichten verhängt werden, wobei in erster Instanz die Dienststrafsenate bei einem Oberlandesgericht für seinen Bezirk oder den Bezirk mehrerer Oberlandesgerichte und in zweiter Instanz der Große Dienststrafsenat beim Kammergericht in Betracht kamen (vgl. § 22 a. a. O.). L. Gesetz zur Änderung des Dienststrafrechts vom 18. 8. 34 Durch Art. I Ziff. 1 des Gesetzes zur Änderung des Dienststrafrechts vom 18. 8. 34 fiel u.a. § 2 Abs. 2 der Beamtendienststrafordnung fort, wonach die Verfehlungen gegen den Bestand der Republik (im einzelnen siehe H S. 112) als ein besonderes Dienstvergehen herausgehoben waren. Eine wesentliche Neuerung stellt Art. I ZifF. 3 a. a. O. dar, wonach nunmehr auch gegen Ruhestandsbeamte Dienststrafen verhängt werden konnten, wobei es gleich blieb, ob das Dienststrafverfahren vor oder nach Eintritt des Beschuldigten in den Ruhestand eingeleitet war. Nach Art. II Ziff. 1 und ZifF. 4 a. a. O. galt das für die Beamten Gesagte auch für die richterlichen Beamten, die unter die Dienststrafordnung für richterliche Beamte vom 27. 1. 32 fielen, entsprechend.
Π. DEUTSCHES R E I C H A. Reichsbeamtengesetz vom 31. 3.1873 Das Reichsbeamtengesetz vom 31. 3. 1873 (RGBl. S. 61) unterschied in § 63 entsprechend den preußischen Gesetzen von 1851 und 1852 zwischen Ordnungsstrafen und der Entfernung aus dem Amt. Als Ordnungsstrafen kamen nach § 74 a. a. O. Warnung, Verweis und Geldstrafe in Betracht, die bei besoldeten Beamten bis zum Betrage des einmonatlichen Diensteinkommens und bei unbesoldeten Beamten bis zu 90 Mark betragen konnte. Die Geldstrafe konnte nach § 74 Satz 2 R B G mit einem Verweis verbunden werden. Die Entfernung aus dem Amt konnte nach § 75 R B G bestehen in 1. Strafversetzung; diese erfolgte durch Versetzung in ein anderes Amt vom gleichen Rang, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens um höchstens ein Fünftel. Statt der Verminderung des Diensteinkommens konnte eine Geldstrafe verhängt werden, welche ein Drittel des Diensteinkommens eines Jahres nicht übersteigen durfte. Die Strafversetzung wurde durch die oberste Reichsbehörde in Ausführung gebracht; 114
Deutsches Reich
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2. Dienstentlassung; diese hatte den Verlust des Titels und Pensionsanspruchs von Rechts wegen zur Folge; hatte vor Beendigung des Disziplinarverfahrens das Amtsverhältnis bereits aufgehört, so wurde, falls nicht der Angeschuldigte unter Übernahme der Kosten freiwillig auf Titel und Pensionsanspruch verzichtet hatte, auf deren Verlust an Stelle der Dienstentlassung erkannt. Gehörte der Angeschuldigte zu den Beamten, welche einen Pensionsanspruch hatten, und ließen besondere Umstände eine mildere Beurteilung zu, so war die Disziplinarbehörde ermächtigt, in ihrer Entscheidung zugleich festzusetzen, daß dem Angeschuldigten ein Teil des gesetzlichen Pensionsanspruchs auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre zu belassen wäre ( § 7 5 Nr. 2 Abs. 2 RBG). Welche der in § § 73 bis 75 RBG bestimmte Strafen zu verhängen war, war nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens mit besonderer Rücksicht auf die gesamte Führung des Angeschuldigten zu ermessen (§ 76 a. a. O.). Warnungen und Verweise konnte jeder Dienstvorgesetzte verhängen ( § 8 0 RBG). Geldstrafen konnten von den obersten Reichsbehörden gegen alle Reichsbeamte bis zum höchstzulässigen Betrage, von den derselben unmittelbar untergeordneten Behörden und Vorsteher von Behörden bis zum Betrage von 30 Mark und von den letzteren untergeordneten Behörden und Vorstehern von Behörden bis zum Betrage von 9 Mark verhängt werden ( § 8 1 RBG). Der Entfernung aus dem Amt mußte ein förmliches Disziplinarverfahren vorhergehen, dessen Einleitung von der obersten Reichsbehörde verfügt wurde (§84 Abs. 1 RBG). Als entscheidende Disziplinarbehörden kamen im förmlichen Disziplinarverfahren in der ersten Instanz Disziplinarkammern und in der zweiten Instanz der Disziplinarhof in Frage ( § 8 6 RBG). Die Verhängung von Disziplinarstrafen gegen Ruhestandsbeamte kam auch nach dem Reichsbeamtengesetz vom 31. 3. 1873 nicht in Frage. Wohl hatte die Reichstagskommission von 1872 in § 56 des Entwurfs folgende Bestimmung vorgesehen : „Das Recht auf den Bezug der Pension erlischt durch rechtskräftige Verurteilung zu einer Strafe, welche, wenn sie während der Dienstzeit des Beamten verhängt worden wäre, den Verlust des Amtes kraft des Gesetzes nach sich gezogen hätte". Man hatte aber diese Bestimmung bewußt nicht in das Reichsbeamtengesetz aufgenommen. B. Reichsratsentwurf vom 1 2 . 1 1 . 3 1 Die §§ 2, 4 des Reichsratsentwurfs vom 12. 11. 31 1 sahen erstmals die Disziplinarstrafe der Gehaltskürzung vor. C. Reichsdienststrafordnung vom 26.1. 37 Die Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 (RGBl. I S. 71) sah in § 4 folgende Dienststrafen vor: 1. Warnung, 2. Verweis, 3. Geldbuße, 1
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Abgedruckt bei Foerster-Simons 1932 S. 308 ff.
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Geschichtliche Entwicklung der Disziplinarstrafen
4. Gehaltskürzung, 5. Entfernung aus dem Dienst, 6. Kürzung des Ruhegehalts und 7. Aberkennung des Ruhegehalts. Die Dienststrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße wurden also beibehalten. Den Sammelbegriff „Ordnungsstrafe" für diese drei Strafen wurde als irreführend fallen gelassen. Die „Strafversetzung" des §75 RBG hingegen wurde in die RDStO nicht aufgenommen. In der Begründung zur RDStO — Besonderer Teil, zu Abschnitt II, § 4 — heißt es hierzu: „Diese Strafart ist praktisch schwer durchführbar. Ihre Anwendung kann dazu führen, daß gewisse weniger beliebte Dienstorte, insbesondere in Grenzbezirken, sich zu einer Art von „Strafkolonien" herausbilden. In einzelnen Verwaltungen, die Beamten nur in wenigen Dienstorten haben (wie z.B. die Kriegsmarine), ist die Strafversetzung fast undurchführbar ; sie würde namentlich in der gesamten Kommunalverwaltung, trotz der an sich bestehenden Versetzungsmöglichkeit nach § 35 Abs. 2 DBG zu großen Unzuträglichkeiten führen. Gegen diese Strafart spricht auch, daß das Dienststrafgericht, das die Strafe verhängt, auf ihre Durchführung keinerlei Einfluß hat und infolgedessen gar nicht beurteilen kann, wie schwer sie sich für den bestraften Beamten auswirkt". Entsprechend dem preußischen Vorbild (§11 der Preuß. Dienststraf Ordnung vom 27. 1. 32) hatte man daher als zweitschärfste Strafe die Gehaltskürzung gewählt. In Übereinstimmung mit Art. 1 Ziff. 3 des Preuß. Gesetzes vom 18. 8. 34 sah die RDStO in § 9 nunmehr auch Disziplinarstrafen gegen Ruhestandsbeamte, und zwar die Aberkennung und Kürzung des Ruhegehalts, vor. Das Ruhegehalt konnte in der gleichen Höhe und auf die gleiche Dauer wie das Gehalt im Falle des § 7 a. a. O. gekürzt werden. Die Zuständigkeiten für die Bestrafung entsprachen dem geltenden Recht, das hierbei im wesentlichen die Regelungen der RDStO übernommen hat. m . BUND A. Fortgeltung der RDStO auf Grund des Bundespersonalgesetzes Auf Grund des § 2 Buchst, a und c des Bundespersonalgesetzes vom 17. 5. 50 (BGBl. S. 207) galten neben dem DBG vom 26. 1. 37 die sonstigen gesetzlichen Vorschriften, die ehemals für Reichsbeamte erlassen worden waren, in der Fassung, die sich auf Grund der Änderung der staatsrechtlichen Verhältnisse ergeben hatten. Nach 1. DVO Nr. 3 zu § 2 Buchst, c gehörte zu den gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 2 Buchst, c u.a. auch die Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37, so daß der daselbst in § 4 vorgesehene Strafenkatalog bei der disziplinarischen Bestrafung der Bundesbeamten zur Anwendung kam. B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 28.11.1952 Das a m i . 1. 53 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts vom 28. 11. 52 (BGBl. I S. 749), das auf Grund des 116
Bund
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Art. 2 a. a. O. zu einer Neufassung der RDStO in der Bundesfassung mit den sich aus Art. 1 ergebenden Änderungen unter der Bezeichnung „Bundesdisziplinarordnung" geführt hatte, hält an dem Strafenkatalog der RDStO fest und ergänzt ihn durch drei weitere Disziplinarstrafen, nämlich die Versagung des Aufsteigens im Gehalt (§ 7 a BDO), die Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe (§ 7b BDO) und die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (§ 7c BDO). Die Begründung zu Ziff. 6a stellte hierzu fest: „Ziff. 6 a § 4 (1) bringt als Ergänzung zu den bisherigen Disziplinarstrafen drei neue. Dadurch soll der bisherige Strafenkatalog aufgelockert werden. Dies hielt der Ausschuß für erforderlich, weil die Spanne zwischen den schon vorhandenen Strafen der Gehaltskürzung und der Entfernung aus dem Dienst so groß ist, daß man im einzelnen dem festgestellten Sachverhalt nicht gerecht werden konnte. Die Praxis hat gezeigt, daß in manchen Fällen die eine Strafe zu mild, die andere zu hart ist. Der Ausschuß hielt es darum auch nicht für tunlich, diese Änderungen bis zur Beratung des Beamtengesetzes zurückzustellen, sondern entschied sich dahin, die drei neuen Strafen einzufügen, welche etwas schärfer sind als die Gehaltskürzung, aber nicht so scharf wie die höchste Strafe der Entfernung aus dem Dienst. Gewissen Bedenken, daß durch diese Strafen das Arbeitsinteresse der Beamten schwinden werde, konnte sich der Ausschuß nicht anschließen, zumal auch in den Gesetzen der Länder bereits ähnliche Regelungen bestehen, welche sich durchaus bewährt haben."
Bis auf Bremen und Schleswig-Holstein schlossen sich sämtliche Länderdisziplinargesetze der Regelung der Bundesdisziplinarordnung hinsichtlich des Strafenkataloges und der gleichzeitigen Verhängung der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe an. C. Änderungsgesetz zur Bundesdisziplinarordnung Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung fügt der BDO in Ergänzung zu den in § 4 der Bundesdisziplinarordnung i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 18. 11. 52 genannten Disziplinarstrafen noch die Herabsetzung des Ruhegehalts als weitere Disziplinarstrafe hinzu, die als Zwischenstrafe zwischen der Aberkennung und Kürzung des Ruhegehalts vorgesehen ist. Die Strafe entspricht bei den gegen einen aktiven Beamten zu verhängenden Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bzw. der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. In der Begründung hierzu heiß es: „Für aktive Beamte gibt es seit 1952 zwischen der Gehaltskürzung und der Höchststrafe die Disziplinarstrafen der Versagung des Aufsteigens im Gehalt, der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. Gegen Ruhestandsbeamte sind dagegen nur die Strafen der Kürzung des Ruhegehalts und der Aberkennung des Ruhegehalts zulässig. Für Dienstvergehen, für die die Kürzung des Ruhegehalts keine angemessene Sühne, die Aberkennung des Ruhegehalts aber eine nicht gerechtfertigte Härte wäre, fehlt bislang eine entsprechende Strafe. Dies tritt besonders in Erscheinung, wenn gegen einen aktiven Beamten die Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe oder der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt verhängt werden und der verurteilte Beamte vor Rechtskraft des Urteils in den Ruhestand tritt. In diesem Falle ist die Vollstreckung dieser Strafen bislang nicht möglich. Durch die Umwandlung der Strafen der §§ 7 b und 7 c in die neue Strafe (vgl. § 102 Abs. 8 n. F.) wird die Vollstreckung ermöglicht. Die Einführung der Disziplinarstrafe der Herabsetzung des Ruhegehalts erscheint daher geboten. Für die WDO ist eine entsprechende Regelung durch das Gesetz zur Änderung der WDO vom 9. 6. 61 (BGBl. I S. 689) getroffen worden."
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Nicht im Disziplinarrecht vorkommende Disziplinarstrafen
§ 9. Nicht im geltenden Beamtendisziplinarrecht vorkommende Disziplinarstrafen I. ARKESTSTRAFE Das gegenwärtige Disziplinarrecht kennt nicht die Arreststrafe. Nach dem preußischen Disziplinargesetz vom 21. 7. 1852 konnte sie gegen bestimmte Beamte des unteren Dienstes verhängt werden. Durch das Gesetz vom 25.3.17 wurde sie beseitigt und tauchte in § 90 Abs. 1 der PrBDStO i. d. F. vom 18. 8. 1934 für Polizei-Vollzugsbeamte und in der Dienststrafordnung für die Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes vom 25.2. 36 wieder auf. Die RDStO und die BDO haben diese Strafen fallen gelassen, weil im Beamtenrecht — abgesehen von der zwangsweisen Unterbringung des Beschuldigten zwecks Untersuchung seines Geisteszustandes — ganz allgemein solche Maßnahmen abgelehnt werden, die einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Beamten darstellen. Π. STRAFVERSETZUNG § 17 des Preuß. Gesetzes vom 29. 3. 1844, § 16 des Preuß. Gesetzes vom 21. 7. 1852, § 1 des Preuß. Gesetzes vom 26. 3. 1856 und § 75 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. 3. 1873 ließen als Disziplinarstrafe die Strafversetzung zu, neben die eine Verminderung des Diensteinkommens oder der Verlust des Anspruchs auf Umzugskosten treten konnte. Wenn auch vereinzelt die Strafversetzung für den Beamten ein willkommener Anlaß sein konnte, aus einem ihm unangenehmen Dienstort fortzukommen, so stellte sie doch einen angemessenen Übergang von der Geldbuße zur Entfernung aus dem Dienst dar, da sie im allgemeinen empfindlich in die Rechtssphäre des Beamten eingriff. Die Versetzung nach § 26 BBG, die oft von dem von ihr betroffenen Beamten als Härte empfunden wird, wird leider auch heute noch von zahlreichen Beamten unberechtigterweise als Disziplinarstrafe betrachtet. So ist es erklärlich, daß sie der Auffassung sind, nur unter der Voraussetzung versetzt werden zu können, daß eine Pflichtverletzung vorliegen und ihnen ein Verschulden nach gewiesen werden muß. Sie übersehen, daß die Versetzung hiervon unabhängig ist und daß die Verwaltung lediglich im Streitfalle nachweisen muß, daß für die Versetzung ein dienstliches Bedürfnis vorgelegen hat. Das dienstliche Bedürfnis braucht nicht in der Person des Beamten begründet zu sein. Es kann sich auch aus der Änderung des Dienstbetriebs ergeben. Liegt es aber in der Person des Beamten begründet, so können hier nicht nur negative, sondern auch Gesichtspunkte mitsprechen, die für den Beamten positiv zu werten sind. So kann das dienstliche Bedürfnis zu bejahen sein, wenn der Beamte durch die Übertragung von Dienstgeschäften bei einer anderen Behörde seinen Gesichtskreis erweitern soll. Wird er aber aus Gründen versetzt, die für ihn negativ zu werten sind, braucht ihn keinerlei Verschulden zu treffen. So reicht es aus, daß der Betriebsfrieden innerhalb der Dienststelle, bei der er beschäftigt ist, durch seine Person gestört ist. Haben innerhalb einer Dienststelle zwei Beamte sich wechselseitig beleidigt, so ist der Dienstherr nicht verpflichtet, im Interesse der Erhaltung des Betriebsfriedens den Beamten zu ver118
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setzen, den das meiste Verschulden trifft. Selbst wenn die Versetzung als Folge eines Dienstvergehens neben einer Disziplinarstrafe verfügt worden ist, ist sie nicht als Disziplinarmaßnahme aufzufassen1. Eine Versetzung nach § 26 BBG, die anläßlich eines pflichtwidrigen Verhaltens eines Beamten angeordnet worden ist, steht deshalb einer späteren disziplinarischen Verfolgung nicht entgegen, weil hierdurch nicht der Grundsatz „ne bis in idem" verletzt wird 2 ; aus diesem Grunde bedeutet eine „Strafversetzung" auch keinen Verzicht auf eine spätere Ausübung der Disziplinargewalt. Die Disziplinarstrafe der Versetzung in ein anderes Richteramt mif: gleichem Endgrundgehalt ist jedoch im Länderdisziplinarrecht der Richter, das nach dem Deutschen Richtergesetz vom 8. 9. 61 (BGBl. I S. 1665) kodiziert worden ist, vorgesehen in § 58 Abs. LRiG Baden-Württemberg vom 25. 2. 64 (GVB1. S. 79), Art. 56 Abs. 3 LRiG Bayern vom 26. 2. 65 (GVB1. S. 13), § 57 Abs. 2 RiG Hamburg vom 15. 6. 64 (GVB1. S. 109), § 67 Abs. 2 RiG Niedersachsen vom 14. 12. 62 (GVB1. S. 265) und § 54 Abs. 2 LRiG Rheinland-Pfalz vom 29. 10. 62 (GVB1. S. 159). Diese Strafe folgt aus dem grundsätzlichen Verbot der Versetzung und Amtsenthebung eines Richters, wie sie in § 30 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes vom 8. 9. 61 verankert worden ist. m . ZWANGSSTRAFEN Mit den Disziplinarstrafen sind die sogenannten Zwangsstrafen nicht zu verwechseln. Durch diese soll der Beamte zur Befolgung einer dienstlichen Anordnung innerhalb einer bestimmten Frist gezwungen werden. Sie tragen keinen Strafcharakter. In § 82 Abs. 3 RBG und § 118 der PrBDStO waren sie erwähnt, der RDStO und der BDO sind sie jedoch unbekannt. Sollten sie aber wieder einmal im Beamtenrecht auftreten, so wäre die Zuerkennung einer Disziplinarstrafe neben der Anordnung einer Zwangsstrafe zulässig. Der Grund satz „ne bis in idem" wäre nicht verletzt, weil es sich hier um völlig verschiedene Maßnahmen handelt3. Dasselbe gilt auch von den sonstigen Zwangsmitteln, die nach geltendem Recht gegen einen Beamten verhängt werden können, z.B. dem Verbot der Führung weiterer Dienstgeschäfte nach § 60 BBG, der Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge bei unentschuldigtem Fernbleiben vom Dienst nach § 73 Abs. 2 BBG (wobei sogar ausdrücklich festgestellt wird, daß die disziplinarrechtliche Verfolgung dadurch nicht ausgeschlossen wird) und der Heranziehung des Beamten zur Haftung nach § 78 BBG.
§ 10. Dienstliche Mißbilligungen I. BEGRIFF1 Die mißbilligende Äußerung stellt eine allgemeine Erziehungsmaßnahme im Dienstaufsichtswege dar und bezweckt den Beamten zu einem beamtenmäßigen Verhalten zu erziehen. Sie enthält eine Mißkundgebung 1 2 3 1
S. 1 ff.
BDH 12. 3. 56 — II DV 2/56 —. DokBer. Nr. 865 und Nr. 1994. Brand S. 156 Nr. 6. Schütz, Hinweisende und mißbilligende Äußerungen im Beamtenrecht in DöD 1961
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Dienstliche Mißbilligungen
über ein Fehlverhalten des Beamten2. Selbst wenn sie für ihn eine Härte darstellt, trägt sie nicht den Charakter einer Disziplinarstrafe, die einen Eingriff in die Rechtssphäre des Beamten darstellt und somit die Möglichkeit von formellen Rechtsbehelfen zulassen muß. Da die dienstliche Mißbilligung keine Disziplinarstrafe darstellt, steht einer späteren disziplinarischen Bestrafung wegen des gleichen Sachverhalts auch nicht das Verbot der Doppelbestrafung entgegen 3 . Die dienstliche Mißbilligung stellt keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich einen Hoheitsakt des Dienstherrn dar. Der Verwaltungsakt stellt nämlich eine hoheitliche Betätigung dar, die eine Rechtswirkung auslöst. Das ist aber bei der dienstlichen Mißbilligung nicht der Fall, da sie lediglich eine erzieherische Wirkung auslösen soll, die allerdings von dem Beamten als Härte, wenn nicht gar als eine Umfreundüchkeit des Dienstvorgesetzten aufgefaßt wird. Sie stellt einen Hoheitsakt dar, durch den ein Fehlverhalten des Beamten abträglich bewertet wird; geschieht diese Abwertung fehlerhaft, so widerfährt dem Beamten Unrecht und verletzt ihn mithin in seinen Rechten, so daß die dienstliche Mißbilligung ohne eine Rechtswirkung auszulösen, mit Rücksicht auf den in ihr wohnenden Unrechtsgehalt rechtlich nicht irrelevant ist. In welcher Form und unter welcher Bezeichnung die mißbilligende Äußerung erlassen wird, ist gesetzlich nicht geregelt. Man spricht von einem Hinweis oder Vorhalt, wenn der Beamte darauf hingewiesen wird, daß sein Verhalten nicht ordnungsgemäß befunden worden ist4. Wird dieses Verhalten zudem noch mißbilligt, wird also auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens hingewiesen und dasselbe außerdem noch gerügt, so spricht man von einer Mißbilligung im engeren Sinne, die als Tadel oder als Rüge bezeichnet wird, wobei letztere die schärfste Form der Mißbilligung darstellt6. Die genaue Bezeichnung ist ohne rechtliche Bedeutung. Entscheidend ist allein, daß im Rahmen der Befugnis, die Erfüllung von dienstlichen Obliegenheiten zu überwachen und auf eine reibungslose und schleunige Erledigung von Dienstgeschäften hinzuwirken, das Verhalten eines Beamten als pflichtwidrig gekennzeichnet und zum Ausdruck gebracht wird, daß es nicht vertretbar ist, wobei die Form des Vorhalts lediglich einen Hinweis auf die Schwere des Fehlverhaltens geben soll. Π. RECHTLICHE GRUNDLAGE UND VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE DIENSTLICHEN MISSBILLIGUNGEN In § 8 ist unter I C S . 109 und D S. 110 darauf hingewiesen worden, daß bereits nach § 16 der Preuß. VO betr. Dienstvergehen der Richter vom 11. 7. 1859 (PrGS S. 253) auch Mahnungen gegen einen Richter in Frage kamen, indem er nach einer vorher von ihm erforderten Erklärung auf die Pflicht aufmerksam gemacht werden konnte, die ihm sein Amt auferlegte; hierbei war vorgeschrieben, daß diese Mahnung von Amts wegen oder auf 2 PrOVG Bd. 73 S. 425, Bd. 81 S. 433; RDH 6 . 1 1 . 40 in DVB1.1941 S. 335; Reichsdisziplinarhof 11. 4. 27; F o e r s t e r - S i m o n s 1932 S. 279. 3 BDH 4.10. 61 — I D 91/60 — bei Döring in ZBR 1963 S. 132. 4 PrOVG Bd. 73 S. 425, Bd. 81 S. 435. 6 Schütz a . a . O . S. 4.
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Rechtliche Grundlage und Voraussetzungen für die dienstlichen Mißbilligungen
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Antrag der Staatsanwaltschaft durch den Präsidenten oder Direktor eines Gerichts erlassen werden konnte, wobei bestimmte Förmlichkeiten einzuhalten waren. Eine ähnliche Regelung hatte auch das Preuß. Gesetz betr. Dienstvergehen der Richter vom 7. 5.1851 (PrGS S. 218) vorgesehen. § 9 der Preuß. RichterdienststrafOrdnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 79) bestimmte, daß in dem Recht der Aufsicht die Befugnis lag, die ordnungswidrige Ausführung eines Dienstgeschäfts zu rügen und zu dessen rechtzeitigen und sachgemäßen Erledigung zu ermahnen. Gleiches ergab sich schließlich aus § 16 Abs. 2 der Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20. 3. 35 (RGBl. I S. 403), wobei in § 17 a. a. O. ausdrücklich festgelegt wurde, daß Beschwerden in Angelegenheiten der Justizverwaltung im Dienstaufsichtswege zu erledigen seien. Aus der Tatsache allein, daß die Zulässigkeit von Mahnungen gegenüber Richtern ausdrücklich im Gesetz verankert worden ist, kann man nicht darauf schließen, daß derartige Maßnahmen bei den Beamten nicht in Frage kommen. Wenn in Richterdisziplinargesetzen ausdrücklich bestimmt wurde, daß Mahnungen gegen einen Richter zulässig und hierbei zuweilen Einzelheiten über die Voraussetzungen und die Form der dienstlichen Mißbilligungen genannt worden waren, ist dies mit Rücksicht auf die besondere Stellung des Richters geschehen, gegen den Maßnahmen mit strafähnlichem Charakter nur auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift getroffen werden können6. Gegenüber Beamten ergibt sich die Zulässigkeit von dienstlichen Mißbilligungen aus allgemeinen beamtenrechtlichen Erwägungen. So erfordert es die Aufrechterhaltung der Disziplin, daß Dienstvorgesetzter und Vorgesetzter mit geeigneten Mitteln, zu denen u. a. Vorhaltungen, Ermahnungen, Rügen und sonstige Mißbilligungen gehören, für einen reibungslosen und fehlerfreien Dienstablauf sorgen können. Deshalb geht § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle von der dienstlichen Mißbilligung als etwas Gegebenen aus, wobei lediglich hervorgehoben wird, daß sie keine Disziplinarstrafe darstellt, wenn sie nicht ausdrücklich die Bezeichnung „Warnung" oder „Verweis" trägt. Gleiches gilt auch für das Landesdisziplinarrecht; dem § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entsprechen § 5 Abs. 3 LDO BW, Art. 5 Abs. 3 DStO Bayr., § 5 Abs. 3 LDO Bln., § 5 Abs. 3 DStO Brm., § 5 Abs. 3 DO Hmb., § 5 Abs. 3 HDO, § 6 Abs. 3 NDO, § 5 Abs. 3 DO NW, § 5 Abs. 3 LDO Rh.Pf., § 5 Abs. 3 DStO Saar und § 6 Abs. 3 DStO Schl.-Hol. Die dienstliche Mißbilligung knüpft an ein Fehlverhalten des Beamten an. Wenn sie auch keine Disziplinarstrafe darstellt, die ein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten des Beamten voraussetzt, so wird sie, da sie für den Beamten eine Härte bedeutet, ein schuldhaftes Fehlverhalten desselben erfordern, wobei ihm irgendwelche Rechtfertigungsgründe nicht zur Seite stehen. Fraglich ist, ob das in § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle normierte Bestrafungsverbot dem Ausspruch einer dienstlichen Mißbilligung entgegensteht. Wenn die dienstliche Mißbilligung auch keine Disziplinarstrafe i. S. des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle darstellt, so wird man jedoch unter Anwendung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Grundgedankens zumindest eine schriftliche Mißbilligung nach Ablauf von fünf Jahren nach Begehung der Tat nicht mehr als statthaft er6
Vgl. von R h e i n b a b e n , Disziplinargesetze, S. 374; S c h ü t z a. a. O. S. 1.
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achten dürfen, da andernfalls der Beamte mit Rücksicht auf die im Gesetz nicht vorgesehene Zulässigkeit der Tilgung von mißbilligenden Äußerungen größere Nachteile erleiden würde, als dies bei einer disziplinarischen Bestrafung, wo eine Tilgung vorgesehen ist, der Fall wäre. Unter welchen Voraussetzungen der Dienstvorgesetzte bzw. Vorgesetzte von der dienstlichen Mißbilligung Gebrauch machen soll, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, sofern nur ein Fehlverhalten des Beamten vorliegt. Dies ergibt sich aus dem in § 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle verankerten Opportunitätsprinzip. Erachtet der Dienstvorgesetzte die Pflichtwidrigkeit nicht als so schwerwiegend, daß er von seiner Disziplinarbefugnis glaubt absehen zu können, wird er sich mit einer dienstlichen Mißbilligung begnügen. Sie wird im allgemeinen nur bei einem geringfügigen erstmaligen Fehlverhalten des Beamten in Frage kommen, wobei zu erwarten ist, daß sich der Beamte die Vorhaltung so zu Herzen nimmt, daß ein weiterer Verstoß gegen eine gleichgelagerte Dienstpflicht nicht mehr zu erwarten ist. m . FORM FÜR DIE DIENSTLICHE MISSBILLIGUNG Die dienstliche Mißbilligung ist an keine Form gebunden. Sie setzt keine Erhebung von Vorermittlungen voraus. Da sie für den Beamten einen Nachteil bedeutet, folgt jedoch, daß er vor Ausspruch der dienstlichen Mißbilligung Gelegenheit erhalten muß, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen, was schriftlich oder mündlich erfolgen kann. Lehnt er es ab sich zu äußern, so kann die Mißbilligung auch ohne seine Anhörung erfolgen. Die dienstliche Mißbilligung kann mündlich oder schriftlich erlassen werden. Hat der Dienstvorgesetzte statt der dienstlichen Mißbilligung eine Disziplinarstrafe aussprechen wollen, hat er jedoch die Bezeichnung „Warnung" oder „Verweis" versehentlich nicht gebraucht, so handelt es sich selbst dann nicht um eine Disziplinarstrafe, sondern um eine mißbilligende Äußerung, wenn im übrigen die für die Verhängung der Disziplinarstrafe vorgesehene Form eingehalten ist7. Wird die Schriftform gewählt, so ist keine Begründung für die dienstliche Mißbilligung vorgeschrieben. Im allgemeinen wird es sich jedoch empfehlen, eine kurze Sachdarstellung mit den Einlassungen des Beamten und deren Widerlegung zu geben, wobei die Umstände, die für eine Mißbilligung sprechen, besonders hervorzuheben sind. Wird die Mißbilligung mündlich erlassen, so ist hierzu der Dienstvorgesetzte und jeder sonstige Vorgesetzte befugt. Erfolgt die dienstliche Mißbilligung schriftlich, so kann dies nur durch den Dienstvorgesetzten, den nächsthöheren Dienstvorgesetzten oder die obersten Dienstbehörden geschehen, weil nämlich die Mißbilligung zu den Personalakten des Beamten genommen werden muß und diese Entscheidung nur der Dienstvorgesetzte treffen kann8. Die dienstliche Mißbilligung schließt es nicht aus, daß der Beamte wegen des gleichen Fehlverhaltens, das derselben zugrunde lag, später noch disziplinarisch bestraft wird. Einer späteren disziplinarrechtlichen Ahndung einer 7 8
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Brand S. 158. So auch Schütz a. a. O. S. 7 und in DöD 1958 S. 50.
Rechtsbehelfe gegen die dienstlichen Mißbilligungen
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dienstlichen Verfehlung, die durch eine dienstliche Mißbilligung bereits gerügt worden ist, steht nämlich das Verbot der Doppelbestrafung nicht entgegen 9 . IV. RECHTSBEHELFE GEGEN DIE DIENSTLICHEN MISSBILLIGUNGEN Gegen eine dienstliche Mißbilligung werden vom Beamten folgende Einwendungen erhoben : 1. Der vom Dienstvorgesetzten festgestellte Sachverhalt ist unzutreffend. Dem Beamten wird z. B. zum Vorwurf gemacht, daß er an einem Tage, an dem er bettlägerig krank geschrieben war, einen längeren Spaziergang gemacht hatte, was jedoch nicht zutraf. 2. Der festgestellte Sachverhalt ist zutreffend, stellt aber keine Pflichtverletzung dar. Dem Beamten wird ζ. B. vorgeworfen, daß er durch Fertigung von Schriftsätzen für seinen Berufsverband eine verbotene Nebentätigkeit ausgeübt hat, obgleich nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 BBG die Tätigkeit zur Wahrnehmung von Berufsinteressen in Gewerkschaften oder Berufsverbänden nicht genehmigungspflichtig ist. 3. Der vom Dienstvorgesetzten festgestellte Sachverhalt ist zutreffend und stellt unbestritten ein Dienstvergehen dar, der Beamte vertritt aber die Auffassung, daß der Dienstvorgesetzte das Fehlverhalten überbewertet habe. Der Beamte wird vom Dienstvorgesetzten gemaßregelt, weil er am 7. 1. 65 fünf Minuten zu spät zum Dienst erschienen ist, obgleich andere Beamte, die weit später zum Dienst erschienen sind, nicht gemaßregelt worden sind. Hier rügt also der Beamte eine Ermessensentscheidung, ohne dieselbe als fehlerhaft zu bezeichnen. 4. Der vom Dienstvorgesetzten festgestellte Sachverhalt ist zutreffend und stellt ein Dienstvergehen dar. Der Beamte macht jedoch geltend, daß der Dienstvorgesetzte eine fehlerhafte Ermessensentscheidung ausgeübt hat. Er macht ζ. B. geltend, daß der Dienstvorgesetzte ihm deshalb nicht gewogen sei, weil er eine Unregelmäßigkeit desselben aufgedeckt hätte und aus Rache ihm durch die Erteilung einer Rüge, die zu den Personalakten gebracht worden sei, seine weitere dienstliche Laufbahn ungünstig habe beeinflussen wollen. Hier würde es sich um einen Ermessensmißbrauch, mithin also um die Ausübung fehlerhaften Ermessens, handeln. Glaubt der Beamte, daß er zu Unrecht durch eine dienstliche Mißbilligung gerügt worden ist, so steht ihm der Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde offen, wobei es gleich bleibt, ob die Mißbilligung mündlich ausgesprochen oder schriftlich niedergelegt worden ist 10 . Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist an keine Frist und keine Form gebunden; sie kann also auch mündlich erhoben werden. » DokBer. Nr. 1496 und Nr. 1786. W i t t l a n d Anm. 4 zu § 5 RDStO und Brand Anm. 2 zu § 15 der Beamtendienststrafordnung lassen nur die Dienstaufsichtsbeschwerde zu. 10
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Dienstliche Mißbilligungen
Bloße hinweisende Äußerungen, die sich als ein Dienstbefehl darstellen, sind keine mißbilligende Äußerungen, so daß hier nur § 56 Abs. 2 und 3 BBG in Frage kommt, wonach der Beamte seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Anordnung bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend machen kann. Unabhängig hiervon ist die Frage, wie sich der Beamte, der wegen seiner Weigerung, eine unrechtmäßige Amtshandlung auszuführen, zu Unrecht von seinem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten gerügt worden ist, verhalten soll; in diesem Falle steht ihm die Dienstaufsichtsbeschwerde zur Seite. Fühlt sich der Beamte durch die dienstliche Mißbilligung beleidigt, so kann er gegen den Dienstvorgesetzten bzw. Vorgesetzten Strafanzeige wegen Beleidigung erstatten. Dies trifft auch dann zu, wenn die Mißbilligung wohl zu Recht ergangen ist, die Begründung jedoch Beleidigungen enthält oder eine üble Nachrede darstellt. Hierbei ist jedoch § 193 StGB zu beachten, wonach u. a. Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen Untergebene nur insoweit strafbar sind, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Ist die dienstliche Mißbilligung anläßlich eines belastenden Verwaltungsaktes, ζ. B. anläßlich einer gegen den Willen des Beamten ausgesprochenen Versetzung, erfolgt, so ergibt es sich von selbst, daß das Verwaltungsgericht anläßlich der Nachprüfung des Verwaltungsaktes auch auf das gerügte Verhalten des Beamten eingeht, sofern es mit dem belastenden Verwaltungsakt in irgendeinem Zusammenhange steht 11 . Die in der BDO vorgesehenen Rechtsbehelfe scheiden bei den dienstlichen Mißbilligungen aus, da sie nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 5 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 keine Disziplinarmaßnahmen darstellen. Damit kann die dienstliche Mißbilligung für den Beamten eine größere Härte als eine disziplinarische Bestrafung bedeuten, bei der er die Möglichkeit erhält, ein Disziplinargericht anzurufen, das über die Rechtmäßigkeit derselben entscheidet. Will sich der Beamte mit der dienstlichen Mißbilligung nicht abfinden, so bleibt ihm —- abgesehen von der Dienstaufsichtsbeschwerde — nichts andres übrig, als gegen sich die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nach §28 Abs. 2 BDO, §28a BDO i. d. F. der Novelle zu beantragen. Gibt die Einleitungsbehörde seinem Antrage nicht statt und hält sie die vom Dienstvorgesetzten ausgesprochene Rüge aufrecht, so stehen auch dann dem Beamten keine Rechtsbehelfe im Sinne der BDO zur Verfügung, da sich aus der begrenzten Regelung des Reinigungsverfahrens nach § 28 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 ergibt, daß dem Beamten auch hier kein Rechtsschutz vor dem Disziplinargericht gewährt wird 12 . Anders gestaltet sich die Rechtslage nach § 28 a BDO i. d. F. der Novelle. Stellt die Einleitungsbehörde in den Gründen der Entscheidung, mit der der Antrag auf Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens abgelehnt wird, ein Dienstvergehen fest oder läßt sie offen, ob ein Dienstvergehen vorliegt, kann der Beamte die Entscheidung des Disziplinargerichts beantragen, ob ein Dienstvergehen vorliegt (§ 28a Satz 4 BDO i. d. F. der Novelle). Stellt das Disziplinargericht kein 11 12
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HessVGH 22.10. 59 in ZBR 1960 S. 117. DokBer. Nr. 1333.
Rechtsbehelfe gegen die dienstlichen Mißbilligungen
§10
Dienstvergehen fest, so ist es ein nobile officium des Dienstvorgesetzten, dann auch die dienstliche Mißbilligung aufzuheben. Die dienstlichen Mißbilligungen können im übrigen selbst dann nicht im Disziplinarrechtswege nachgeprüft werden, wenn sie in den Gründen einer eine Disziplinarverfügung aufhebenden Beschwerdeentscheidung ausgesprochen worden sind 13 . Der Bundesdisziplinarhof 13a läßt neuerdings den Disziplinarrechtsweg auch bei dienstlichen Mißbilligungen zu, sofern sie nur vom Dienstvorgesetzten und nicht vom Vorgesetzten ausgesprochen worden sind. Im Rahmen des § 5 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erscheinen sie generell als disziplinare Maßnahmen, die ihre Grundlage in der Dienstzucht finden und nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG vom Dienstvorgesetzten zur Aufrechterhaltung der Dienstzucht getroffen werden. § 5 BDO, BDO i. d. F. der Novelle unterscheidet nach der Meinung des BDH zwischen Mißbilligungen „eines bestimmten Verhaltens (Handelns oder Unterlassens) des Beamten", die als Disziplinarstrafe" angesehen werden, und solchen, die keinen Strafcharakter haben. Die vom Dienstvorgesetzten gewählte Bezeichnung stellt hierbei das einzige Unterscheidungsmerkmal dar, unter der die Mitbilligung ausgesprochen wird. Sofern es sich um keine Warnung (§ 5 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) und keinen Verweis (§ 5 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) handelt, stellen die sonstigen mißbilligenden Äußerungen disziplinare Maßnahmen ohne Strafcharakter dar. Letztere sind auch ohne Strafcharakter nach der BDO echte disziplinare Maßnahmen der Dienstaufsicht, also disziplinarrechtliche Entscheidungen des Dienstvorgesetzten, die zumindest, wenn sie gegen den Beamten wegen schuldhaften pflichtwidrigen Verhaltens ergangen sind, Maßnahmen der Disziplinarverfolgung darstellen. Sie fallen daher auch unter die Vorschrift des § 119 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Das Verfahren nach § 26 BDO, BDO i. d. F. der Novelle und nicht das Verfahren nach § 105 Abs. 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist dann sinngemäß anzuwenden. Der Auffassung des Bundesdisziplinarhofs kann nicht gefolgt werden, da man ansonsten den Disziplinargerichten auch die Entscheidungen über die Entlassung von Probe- und Widerrufsbeamten zuweisen müßte, sofern diese sich auf ein disziplinares Fehlverhalten stützt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts 14 kann gegen eine Mißbilligung im Sinne des § 5 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 nicht 1 3 DiszSenat OVG Münster 14. 12. 60 — Y 33/60 — L i n d g e n Teil IV Nr. 635; vgl. auch PrOVG Bd. 73 S. 425, Bd. 81 S.433; RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s 1932 S. 279; PrDStH 14. 3. 34 in J W 1934 S. 1695; RDStH 6. 11. 40 in Deutsche Verwaltung 1941 S.335; OVG Münster 29. 7. 53 in ZBR 1954 S. 141; Hess. VGH 17. 1. 58 in DöV 1958 S. 785. BDH 10. 3. 64 — I DV 9/63 — BDHE Bd. 6 S. 13 u. 18. 6. 65 — III DV 7/64 — DVB1. 1965 S. 641 ; a. M. Hess. VGH in DöV 1958 S. 786; B o c h a l l i , BBG 2. Aufl. Anm. 4 zu § 172 BBG; BDH 19. 10. 60 — III DB 16/60 — in ZBR 1961 S. 388 Nr. 7. 1 4 BVerwG 8 . 1 1 . 61 — VI C 231/58 — in ZBR 1962 S. 84 = DVB1.1962 S. 522 = DöV 1962 S. 749 = BayrVBl. 1962 S. 210 = DöD 1962 S. 105 mit Anm. von Schütz = NDBZ 1962 S. 83 = JZ 1962 S. 453 = BVerwGE Bd. 13 S. 150 = VRspr. Bd. 14 S. 539 = RiA 1962 S. 111 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 679; der Auffassung des BVerwG schließt sich auch D ö r i n g in dem Aufsatz „Die Nachprüfung mißbilligender Äußerungen des Dienstvorgesetzten im Disziplinarrechtswege" in DVB1. 1962 S. 505 ff., an; HessVGH 17. 1. 58 in DöV 1958 S. 785; S c h w a r z in NJW 1954 S. 1301; nach B r e i t h a u p t Z o c h , Anm. 9 zu § 6 NDO und VGH Baden-Württemberg 17. 1. 62 — III 641/61 — legen die dienstlichen Mißbilligungen, auch wenn sie eine Kritik am Verhalten des Beamten darstellen, ihm keine neuen Pflichten auf und stellen somit innerbetriebliche Maßnahmen dar, die sich im Rahmen der Dienstaufsicht halten.
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§10
Dienstliche Mißbilligungen
der Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht angerufen werden. Der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten müßte schon deshalb entfallen, weil die dienstlichen Mißbilligungen im Sinne des § 5 Abs. 3 BBO i. d. F. ÄndGes. 1952 zum Bereich des Disziplinarrechts gehören. Sie könnten als Disziplinarstrafen im weiteren Sinne, jedenfalls aber als Verfügungen zumindest überwiegend disziplinarrechtlicher Art verwertet werden. Sie hätten vom Gesetzgeber, wenn er nicht die Wirkung des Grundsatzes „ne bis in idem" hätte ausschalten wollen, auch als Disziplinarstrafen im formellen Sinne behandelt werden können. Daß es sich dabei um Disziplinarsachen im eigentlichen Sinne handele, sei offenbar auch der Standpunkt des Gesetzgebers, weil er diese Mißbilligungen im Rahmen der BDO berücksichtigt habe. Jede Mißbilligung im Sinne des § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle falle daher schon hiernach unter § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Die Grundtendenz des Gesetzgebers gehe dahin, Rechtswegüberschneidungen auszuschließen. Fielen Mißbilligungen nicht unter § 119 BDO, dann würde es bei Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges gerade in Ansehung dieser Mißbilligungen leicht zu Überschneidungen in der Rechtsprechung der Verwaltungsund der Disziplinargerichte kommen. Einerseits könnte der Beamte nach § 28 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 wegen des mißbilligten Vorgangs die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen sich selbst mit dem Ziele der Beseitigung der Mißbilligung beantragen, woran er auch durch ein von ihm wegen dieser Mißbilligung anhängig gemachtes Verwaltungsstreitverfahren nicht gehindert wäre. Andererseits könnte der Dienstvorgesetzte, dessen Disziplinarbefugnis wegen der Regelung des § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle durch eine solche Mißbilligung nicht verbraucht würde, auch nach verwaltungsgerichtlicher Aufhebung der Mißbilligung denselben Sachverhalt zum Gegenstand einer Disziplinarstrafverfügung machen, gegen die dem Betroffenen lediglich der Rechtsschutz bei den Disziplinargerichten zur Verfügung stehen würde. Bei ihrer Entscheidung seien die Disziplinargerichte nicht an die verwaltungsgerichtliche Entscheidung gebunden. Sie könnten denselben Vorgang unter im wesentlich gleichen rechtlichen Gesichtspunkten abweichend beurteilen. Die Entscheidung der Disziplinargerichte über den mißbilligten Vorgang würde die verwaltungsgerichtliche Entscheidung in aller Regel praktisch entwerten. Der hiernach besonders bedeutsamen Grundtendenz des § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle als einer öffentlich-rechtlichen Spezialrechtswegregelung, „Überschneidungen in der Rechtsprechung nicht eintreten zu lassen", entspreche es aber, diese Vorschrift wie sich dies ohnehin aufdrängt, im Sinne ihrer Geltung für Mißbilligungen nach § 5 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 auszulegen, damit die gerade auf den Besonderheiten des Disziplinarrechts, nämlich dem § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, § 28 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 28a BDO i. d. F. der Novelle beruhende, naheliegende Gefahr von Überschneidungen in der Rechtsprechung beseitigt würde. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann nicht geteilt werden. Sein Hinweis auf § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle geht fehl, weil nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Mißbilligung nicht als eine Disziplinarmaßnahme anzusehen und demnach hinsichtlich der Voraussetzungen und Auswirkungen ihrer Verhängung nicht nach Disziplinarrecht, sondern nach dem allgemeinen Ver126
Rechtsbehelfe gegen die dienstlichen Mißbilligungen
§10
waltungsrecht zu beurteilen ist. Wollte man der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts folgen, so müßten nach § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Disziplinargerichte auch über die Entlassung eines Beamten auf Probe entscheiden, die sich auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG stützt, nämlich auf ein Verhalten, das bei einem Beamten auf Lebenszeit eine im förmlichen Disziplinarverfahren zu verhängende Disziplinarstrafe zur Folge hätte. Wenn auch die dienstliche Mißbilligung grundsätzlich keinen Verwaltungsakt darstellt, so kann sie im Einzelfalle dennoch für den Beamten in rechtlicher Hinsicht nachteilige Folgen haben. Sie kann ihn nämlich in seinem weiteren beruflichen Fortkommen behindern, indem sie ζ. B. anläßlich einer Beförderung bei der Bewertung seiner Persönlichkeit zu seinem Nachteil herangezogen wird. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, daß die Mißbilligung sich für den Beamten erst in Verbindung mit einer anderen Maßnahme, wie ζ. Β mit der Unterlassung seiner Beförderung, nachteilig auswirkt. Mit Rücksicht auf die potentielle Verschlechterung der Rechtsstellung des Beamten muß diesem die Möglichkeit eingeräumt werden, hiergegen im Verwaltungsrechtswege vorzugehen. Wenn auch eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage nicht in Frage kommt, weil es sich bei der dienstlichen Mißbilligung um keinen Verwaltungsakt handelt, so kann der Beamte vor dem Verwaltungsgericht eine Leistungsklage (vgl. §§43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 2 und 3 VerwGO) mit dem Ziel erheben, den Beklagten zur Zurücknahme der dienstlichen Mißbilligung und zur Entfernung des Vorganges aus den Personalakten zu verurteilen 15 . Letzteres kommt aber nur dann in Frage, wenn die dienstliche Mißbilligung sich auf unwahre Tatsachen bezieht; in den übrigen Fällen ist 16 S c h ü t z a. a. O. S. 6; OVG Münster 29. 7. 53 in ZBR 1954 S. 141, wonach eine „strenge Rüge" einen Verwaltungsakt darstellt; vgl. auch R e d e l b e r g e r in ZBR 1954 S. 140; B a c h o f , Verwaltungsakt und innerdienstliche Weisung in Festschrift für Laforet 1952 S. 303; O b e r m a y e r , Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956 S. 171; P o t r a w i a k in Deutsche Polizei 1959 S. 361 ; nach OVG Münster 29. 3. 53 — V i l i A 541/52 — in NJW 1954 S. 1015 ist der Verwaltungsrechtsweg zulässig, wobei Vorhaltungen und Rügen nur unter den Voraussetzungen des § 193 StGB nicht rechtswidrig sind, vgl. auch S c h ü t z , Der Rechtsweg gegen Mißbilligungen im Beamtenrecht in DöD 1962 S. 105; Z a p f , Welche Rechtsbehelfe sind zur Nachprüfung mißbilligender Äußerungen eines Dienstvorgesetzten gegeben in BBZ 1964 S. 5; Oswald, Der Rechtsschutz des Beamten gegen mißbilligende Äußerungen eines Vorgesetzten in ZBR 1961 S. 165 ff. (170) läßt die Leistungsklage im Verwaltungsrechtswege z u ; S c h ö t t l e r , S i n d mißbilligende Äußerungen von Dienstvorgesetzten gem. § 5 Abs. 3 BDO (§ 5 Abs. 3 DO NW) in jedem Falle durch die Verwaltungsgerichte nachprüfbar? in Ri A 1961 S. 340 läßt sogar die Anfechtungsklage gegen mißbilligende Äußerungen zu, da das Beamtenverhältnis als „besonderes Gewaltverhältnis" die Anfechtbarkeit von Maßnahmen nicht ausschließt, die nicht die dienstliche Tätigkeit des Beamten beträfen, sondern ihre Grundlage berühren würden, die also die Beziehungen, insbesondere die Rechte und Pflichten zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten und damit dessen rechtliche Stellung regeln würden. Die dienstliche Mißbilligung enthalte in Ubereinstimmung mit Bachof nicht nur eine innerdienstliche Weisung ; sie enthalte vielmehr auch einen Tadel, der als Strafmaßnahme anzusehen sei und als solcher in die Rechte des Beamten eingreife; aus diesem Grunde sieht S c h ö t t l e r in der dienstlichen Mißbilligung einen Verwaltungsakt, so daß er eine verwaltungsgerichtliche Klage hiergegen uneingeschränkt zuläßt, wobei er u. U. eine Unterscheidung zwischen allgemeinen Weisungen und Vorhaltungen des Dienstvorgesetzten einem untergebenen Beamten gegenüber und den in § 5 Abs. 3 BDO normierten mißbilligenden Äußerungen zuläßt, aber nicht wie Schütz bei den dienstlichen Mißbilligungen i. S. des § 5 Abs. 3 BDO eine Unterscheidung zwischen solchen Mißbilligungen zuläßt, die erkennbar nach Art und Weise der Erteilung Strafcharakter haben und solchen, die keinen Strafcharakter haben, trifft.
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§10
Dienstliche Mißbilligungen
der Beamte dadurch rehabilitiert, daß die dienstliche Mißbilligung im Zusammenhang mit dem Urteil ihn im richtigen Licht erscheinen läßt. Für die Leistungsklage ist ein Rechts schutzbedürfnis aber erst dann gegeben, nachdem der Beamte erfolglos Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben hat. Er kann nicht darauf verwiesen werden, daß er erst den Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst stellen muß, weil er hierdurch keine wirkliche Rehabilitierung erreichen kann; die Einleitungsbehörde kann von der Durchführung eines Disziplinarverfahrens trotz Vorliegens eines Dienstvergehens unter Berücksichtigung des sich aus § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Ermessensprinzips absehen. Ebenso kann der Beamte nicht auf die Erstattung einer Strafanzeige verweisen, weil die Zurücknahme einer dienstlichen Mißbilligung auch dann in Frage kommen kann, wenn sie keine Beleidigung nach § 185 StGB oder eine üble Nachrede nach § 186 StGB darstellt; hierbei sei nur der Fall erwähnt, daß der festgestellte Sachverhalt unrichtig ist oder das Verhalten des Beamten zu einer Rüge keinen Anlaß geben kann, weil es kein Dienstvergehen darstellt. Bei der Nachprüfung der dienstlichen Mißbilligung durch das Verwaltungsgericht ist zu beachten, daß dies zunächst einmal den der dienstlichen Mißbilligung zugrunde liegenden Sachverhalt daraufhin nachprüfen kann, ob er erweislich wahr ist und ob die der dienstlichen Mißbilligung zugrunde liegenden Tatsachen ein Fehlverhalten darstellen, das eine Rüge berechtigt. Die Rechtsprechung zur verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung von persönlichkeitsbedingten Werturteilen, wie ζ. B. „Eignung", „Befähigung" und „Bewährung", hält an dem Begriff des Bewertungsspielraums der Behörde fest16. Danach sind solche Beurteilungen grundsätzlich nur darauf nachprüfbar, ob bei ihnen das vorgeschriebene Verfahren eingehalten ist und ob sie etwa auf in Wirklichkeit nicht vorhandene Tatsachen oder auf Erwägungen beruhen, die von der Rechtsordnung mißbilligt werden. Die nähere Begründung eines solchen Werturteils ist im Interesse des notwendigen Rechtsschutzes des Betroffenen nicht unbedingt geboten. Im übrigen kann die sachgerechte Begründung einer beamtenrechtlichen Verfügung an das anknüpfen, was dem Betroffenen bekannt ist. Bei der P r ü f u n g der F r a g e , ob das f e s t g e s t e l l t e F e h l v e r h a l t e n eine d i e n s t l i c h e M i ß b i l l i g u n g r e c h t f e r t i g t , k a n n a l s o das V e r w a l t u n g s g e r i c h t n i c h t sein E r m e s s e n an d a s des D i e n s t v o r g e s e t z t e n setzen. Da sowohl die Verwaltungsgerichte als auch ein Teil der Disziplinargerichte eine Nachprüfung der dienstlichen Mißbilligung nur mit Rücksicht aus Zuständigkeitserwägungen ablehnen, wäre de lege ferenda eine gesetzliche Regelung zu befürworten, die die Nachprüfung schon mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG dem Verwaltungs- oder dem Disziplinargericht zuweist. Bereits in § 8 I C S. 109 war gezeigt worden, daß über eine gegen einen Richter ausgesprochene Mahnung das Disziplinargericht entscheiden 1 9 BVerwG 23.1. 61 — BVerwG II C 129/59 — BVerwGE Bd. 12 S. 20 = RiA 1961 S. 206 = VerwArch. Bd. 53 S. 76; Beyer in NJW 1961 S. 1321 ; BVerwG 8. 2. 61 — BVerwG VI C 55.59 — in ZBR 1961 S. 155 = DöV 1961 S. 547 = NJW 1961 S. 1942 = JR 1961 S. 435; der Auffassung des BVerwG schließt sich auch D ö r i n g in dem Aufsatz „Die Nachprüfung mißbilligender Äußerungen des Dienstvorgesetzten im Disziplinarrechtswege" in DVB1.1962 S. 505 ff. an; den Verwaltungsrechtsweg läßt zu das OVG Münster in der Entscheidung vom 29. 7. 53 in NJW 1954 S. 1015 = ZBR 1954 S. 141.
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Schwere des Dienstvergehens
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mußte, wenn er wegen des der Mahnung zugrunde liegenden Verhaltens das Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragte. Ebenso konnte der Richter nach der Preuß. RichterdienststrafOrdnung vom 11. 1. 32 gegen eine Rüge, die anläßlich der nichtordnungsmäßigen Ausführung eines Amtsgeschäfts erhoben war, entweder die Dienstaufsichtsbeschwerde erheben oder die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen sich beantragen. Einen hinreichenden Schutz gewährt § 28 a Satz 4 BDO i. d. F. der Novelle, indem das Bundesdisziplinargericht auf Antrag des Beamten, der nach Erlaß einer dienstlichen Mißbilligung die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen sich beantragt hat, darüber entscheidet, ob der Beamte ein Dienstvergehen begangen hat. Solange der Beamte diesen Weg nicht beschreitet, wird ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage beim Verwaltungsgericht nicht gegeben sein. E n t f e r n t die D i e n s t b e h ö r d e t r o t z der F e s t s t e l l u n g des D i s z i p l i n a r g e r i c h t s , daß ein D i e n s t v e r g e hen n i c h t v o r l i e g t , die zu den P e r s o n a l a k t e n g e b r a c h t e d i e n s t l i c h e M i ß b i l l i g u n g nicht, so kann der B e a m t e den R e c h t s w e g v o r den V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n mit dem Ziele auf E n t f e r n u n g des V o r g a n g e s aus den P e r s o n a l a k t e n a n r u f e n . Ein Dienstvorgesetzter, der in einem solchen Falle die dienstliche Mißbilligung aus den Personalakten des Beamten nicht entfernt, ist als voreingenommen anzusehen. Eine Stellungnahme eines Dienstvorgesetzten ist dann aus den Personalakten zu nehmen, wenn sie von Voreingenommenheit beeinflußt ist; diese kann sich aus der Beurteilung selbst oder den Begleitumständen ergeben. Kraft seines Rechts auf Fürsorge gegenüber dem Dienstherrn hat der Beamte einen im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Entfernung eines solchen Vorganges 17 .
§ 1 1 . Straf2umessungsgründe I. SCHWERE DES DIENSTVERGEHENS UND GESAMTPERSÖNLICHKEIT DES BESCHULDIGTEN ALS MASSSTAB FÜR DIE DISZIPLINARE BESTRAFUNG Das Disziplinarrecht des Bundes und der Länder kennt keine absoluten Disziplinarstrafen, wie sie ζ Β. im Preuß. Allgemeinen Landrecht oder bei Entfernung aus dem Amt nach § 11 der Preuß. VO vom 10. 7. 1849 (PrGS S. 253), § 8 des Preuß. Ges. vom 7. 5. 1851 (PrGS S. 218), § 9 des Preuß. Ges. vom 21. 7. 1852 (PrGS S. 465) oder bei Verstößen gegen die Republik nach Art. 1 des Preuß. Ges. vom 4. 8. 22 (PrGS S. 207) vorkamen. Dem geltenden Disziplinarrecht sind weiterhin keine im Gesetz verankerte Straftatbestände mit bestimmten Strafdrohungen bekannt, wie dies im ordentlichen Strafrecht der Fall ist. Da es im geltenden Disziplinarrecht keine festumrissenen Tatbestände mit bestimmten Strafdrohungen gibt, ist auch der strafrechtliche Grundsatz, daß bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit 17
OVG Lüneburg 15.11. 63 — V OVG A 92/61 — (rechtskräftig) in ZBR 1964 S.146.
9 L i n d g e n , Disziplinarrecht!
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§11
Strafzumessungsgründe
der begangenen Handlung bis zur Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist, gegenstandslos1. Das Strafmaß ergibt sich zunächst einmal aus dem Zweck, den die Disziplinarstrafe verrichtet, nämlich der Aufrechterhaltung der Dienstzucht. Weiterhin ist bei der Bemessung der Disziplinarstrafe das Gesamtverhalten des Beamten zu berücksichtigen, wobei es auf seine dienstliche und außerdienstliche Haltung ankommt (vgl. § 3 Abs. 1 BDO, § 3 BDO i. d. F. der Novelle). Schließlich ist die Erheblichkeit des Dienstvergehens entscheidend. Die vielseitige Strafenskala der jeweiligen Disziplinargesetze bietet den Disziplinarorganen die Möglichkeit, trotz der Vielzahl der möglichen dienstlichen Verfehlungen die Disziplinarstrafe herauszufinden, die den drei genannten Gesichtspunkten, die bei der Bestimmung der Disziplinarstrafe zu beachten sind, gerecht wird. Der Dienstvorgesetzte und das Disziplinargericht lassen sich bei der Festsetzung der Höhe der Strafe von dem Gedanken der Aufrechterhaltung der Dienstzucht leiten. Nach dem verschiedenen Zweck, der dem Straf- und dem Disziplinarrecht innewohnt, lassen sich Dienstvorgesetzter und Disziplinargerichte von ganz anderen Erwägungen leiten als das ordentliche Strafgericht. Wenn das Strafgericht mildernde Umstände annimmt, kann das Disziplinargericht, das über den gleichen Sachverhalt zu urteilen hat, trotzdem von der Höchststrafe Gebrauch machen. Ebenso glauben Beamte, daß immer dann von der Verhängung der Höchststrafe abgesehen werden müsse, wenn das Strafgericht eine Strafe ausgesprochen hat, die nicht den automatischen Verlust der Beamtenrechte nach § 48 BBG nach sich zieht. Die Vorschrift des § 48 BBG drückt aus, daß der verurteilte Beamte wegen der Art und der Höhe der Strafe oder wegen der Art seiner strafbaren Handlung im Staatsdienst untragbar ist und es daher keines Disziplinarverfahrens zu seiner Entfernung aus dem Dienst mehr bedarf. Eine mildere Beurteilung im Strafverfahren, die eine Strafe rechtfertigt, bei der § 48 BBG nicht zur Anwendung kommt, rechtfertigt nicht den Schluß, daß die Tat auch im Disziplinarverfahren milder angesehen werden müsse. Bei Straftaten, die mit Gefängnisstrafe von weniger als einem Jahr geahndet worden sind, ist es Aufgabe des Disziplinargerichts, je nach Lage des Einzelfalls, zu prüfen, ob der Beamte für die Verwaltung noch tragbar ist 2 . Umstände, die das Dienstvergehen schwerer oder milder erscheinen lassen, können nur neben den sonst zu berücksichtigenden Umständen bei der Strafbemessung nach der aufsteigenden Stufenfolge der Disziplinarstrafen nach § 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle größere oder geringere Bedeutung haben3. Zu berücksichtigen sind vor allem die Schwere, insbesondere die Bedeutung der verletzten Pflicht, der Grad des Verschuldens und der Beweggrund der Tat, ferner die Auswirkung der Tat für die Verwaltung, für das Ansehen des Beschuldigten selbst und der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit und schließlich die bisherige dienstliche und außerdienstliche Führung des Beschuldigten. Gerade durch die Einführung der in §§ 7a bis 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Zwischenstrafen soll dem pflichtgemäßen ErBDH 5. 5. 60 — I D 33/59 — in ZBR 1961 S. 384 = Lindgen Teil IV Nr. 552. BDH 9. 2. 56 — I D 75/54 — in JZ 1956 S. 367 und 18.10. 54 — I D 51/53 — BDHE Bd. 2 S. 192 = L i n d g e n Teil IV Nr. 50. 3 BDH 4 . 1 1 . 54 — I D 89/53 — BDHE Bd. 2 S. 194. 1
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Schwefe des Dienstvergehens
§11
messen (§3 Abs. 1 BDO, § 3 BDO i. d. F. der Novelle) ein weiter Spielraum geschaffen werden für die Fälle, in denen die Strafe der Gehaltskürzung zu gering und die Strafe der Entfernung aus dem Dienst als zu hart erscheint. Durch die Disziplinarstrafe soll eine dienstliche Verfehlung fühlbar geahndet werden. Handelt es sich um eine Disziplinarstrafe, die zu einer Kürzung der Dienstbezüge des Beamten führt, braucht sich das Disziplinargericht bei der Höhe und der Dauer der Strafe wohl im allgemeinen nicht von der Vermögenslage des Beschuldigten leiten zu lassen. So muß die Strafe nicht deshalb geringer bemessen werden, damit dem Beamten ermöglicht wird, seinen AbZahlungsverpflichtungen besser nachzukommen4. Andererseits soll jedoch die Strafe nicht so hoch bemessen werden, daß der Beamte hierdurch in eine Notlage versetzt wird, was ihm Anlaß geben kann, erneut gegen die grundlegende Pflicht der Redlichkeit zu verstoßen. Wird ein Beamter ζ. B. in eine niedrigere Dienstaltersstufe herabgestuft, so muß darauf Bedacht genommen werden, daß ihm und seiner Familie trotzdem ein ausreichender Lebensunterhalt verbleibt. Zunächst soll sich die Bestrafung nach der Art und Schwere des Dienstvergehens richten. Die Disziplinarstrafe muß in einem angemessenen Verhältnis zu dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen stehen6. Bestimmte Arten von Dienstvergehen werden grundsätzlich mit der Höchststrafe, nämlich mit der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts, bestraft. Hierzu gehören der rechtswidrige Zugriff an Beförderungsgut, Beteiligung von Zollbeamten am Schmuggel, Annahme von Schmuggelgut durch Zollbeamte, Verletzung des Postgeheimnisses, Unterschlagung von Kassengeldern. Der Zweck der durch die BDO neu eingeführten Strafstufen, nämlich der Versagung des Aufsteigens im Gehalt, der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, ist nicht der, mehr als bisher von der Höchststrafe, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, abzusehen®. Bei den eben genannten dienstlichen Verfehlungen kommt daher auch nach Einführung dieser Strafstufen grundsätzlich die Entfernung aus dem Dienst in Frage. Bestimmte Arten von Dienstvergehen sind unabhängig von ihrer Schwere verschieden nach der jeweiligen Stellung des Beschuldigten zu beurteilen. So werden ehewidrige Beziehungen eines Leiters eines Fernmeldeamtes schlimmer zu beurteilen sein als solche zwischen gleichgeordneten Beamten und Beamtinnen. Gleiches gilt von einem Beförderungszugriff eines im Überwachungsdienst eingesetzten Postbeamten. Neben der Art und Schwere des Dienstvergehens ist bei der Bemessung der Höhe der Strafe das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Beschuldigten zu berücksichtigen. Hierbei sind das Lebens- sowie das Dienstalter, die Stellung des Beamten und die gerichtlichen und die disziplinarischen Vorstrafen zu beachten. Disziplinarische Vorstrafen sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie vor einer disziplinargerichtlichen Bestrafung verhängt und bei dieser nicht unbeachtet geblieben sind7. 4 5 β 7
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Vgl. DokBer. Nr. 1514. Vgl. DokBer. Nr. 422. BDH 25. 5. 54 — II D 198/53 — BDHE Bd. 1 S. 41 = L i n d g e n Teil IV Nr. 51. BDH 1 2 . 1 . 61 — I D 5/60 — bei Döring in ZBR 1963 S. 315.
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§11
Strafzumessungsgründe
Bei wiederholter Begehung gleichartiger Verfehlungen muß — soweit möglich— durch jeweils härtere Strafen versucht werden, erzieherisch auf den Beschuldigten einzuwirken, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen 8 . Wenn auch die verminderte Zurechnungsfähigkeit bei Frage nach der Höhe der Strafe zu beachten ist, so kann trotzdem auf die höchste Strafe, die Entfernung aus dem Dienst, erkannt werden, wenn dies die Aufrechterhaltung der Dienstzucht erfordert9. Keine Rolle spielt es für die Strafbemessung, in welchem beamtenrechtlichen Status sich der Beschuldigte zur Zeit der Ausführung der Tat befand. Wenn auch die in § 11 Abs. 1 BDO genannten Disziplinarstrafen nur gegen Beamte auf Lebenszeit verhängt werden können, so kommt es lediglich für die Bestrafung im förmlichen Disziplinarverfahren darauf an, ob der Beamte den Status eines Lebenszeitbeamten hatte. Es ist jedoch nicht entscheidend, ob er die Tat als Beamter auf Probe oder auf Widerruf begangen hatte, was lediglich seine Entlassung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 32 BBG gerechtfertigt hätte 10 . II. STRAFERSCHWERENDE UMSTÄNDE Als straferschwerend ist allgemein zu berücksichtigen, wenn der Beschuldigte bei der Ausführung seiner Tat erhebliche Charaktermängel entfaltet hatte, wenn er ζ. B. hinterhältig vorgegangen war und nachher seine Tat geleugnet hatte, obgleich er einwandfrei überführt war. Weiterhin ist straferschwerend zu berücksichtigen, daß der Beschuldigte bereits einschlägig disziplinarisch bestraft ist und sich die vorangegangenen Bestrafungen nicht hat zur Lehre dienen lassen. Ebenso wiegt es besonders schwer, wenn der Täter eine Hemmungslosigkeit entfaltet und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat. Straferschwerend ist zu werten, wenn ein Beamter, der als Dienstvorgesetzter oder als Vorgesetzter seinen nachgeordneten Beamten zum Vorbild dienen soll, zusammen mit seinen Nachgeordneten gegen die Dienstzucht verstößt. Ebenso wiegt es besonders schwer, wenn ein Beamter, dem gegenüber Mitarbeitern Uberwachungsfunktionen zukommen, selbst sich ein Dienstvergehen zuschulden kommen läßt, dessen Begehung oder Aufklärung er bei anderen Beamten verhindern sollte. Ebenso ist strafschärfend zu berücksichtigen, wenn sich der Beschuldigte als Ranghöchster einer Arbeitsgruppe eines Dienstvergehens schuldig gemacht hat10a. Im Disziplinarverfahren ist nicht nur der Grad des Verschuldens des Beschuldigten, sondern in gleichem Maße auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen, die Pflichttreue und die Sauberkeit des Beamtenstandes aufrecht zu erhalten. Beamte, die sich ihrer Wesensart in die Erfordernisse des Beamtentums nicht hineinzufinden und ihnen nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit zu genügen vermögen, können auf die Dauer nicht in ihrer Stellung geduldet werden. Das gilt besonders für Polizeibeamte, die nach außen hin gegenüber der Öffentlichkeit eine geachtete Stellung behalten müssen. BDH 8 . 1 1 . 61 — I D 60/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315 (LS). BDH 21. 7. 54 — II D 162/53 —; BDH 7. 1. 55 — I D 164/53 —; vgl. auch DokBer. Nr. 229, Nr. 255 und Nr. 380. 1 0 BDH 5. 5. 60 — I D 33/59 — in ZBR 1961 S. 384 = L i n d g e n Teil IV Nr. 552; DokBer. Nr. 1714. DokBer Nr. 1903 8
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Strafmildernde Umstände
§11
Für die Strafzumessung ist daher die Erwartung entscheidend, ob der Beschuldigte die erforderliche Zuverlässigkeit und Pflichttreue gerade als Polizeibeamter gewährleisten wird 11 . Ebenso ist es eines Beamten besonders unwürdig, wenn er sich Pflichtwidrigkeiten in einem Milieu asozialer Elemente zuschulden kommen läßt und hierbei das Ansehen des Beamtenstandes erheblich schädigt. Gleiches gilt auch dann, wenn er sich dem Trünke hingibt und in diesem Zustand fortlaufend straffällig wird. Ebenso wiegt es besonders schwer, wenn aus der Begehung der Taten geschlossen werden kann, daß es sich bei ihm um ein asoziales Element handelt. Soweit es sich um die Verletzung der Redlichkeitspflicht handelt, haben die Disziplinargerichte als straferschwerend berücksichtigt, daß sich mehrere Täter bei der Beraubung von Beförderungsgut bandenmäßig zusammengeschlossen haben 12 , wenn ein Vorgesetzter seine nachgeordneten Beamten in seine Manipulationen hineingezogen 13 , wenn sich ein Beamter eines Kameradendiebstahls schuldig gemacht14, wenn der Beschuldigte zur Vertuschung seiner Verfehlungen unschuldige Mitarbeiter verdächtigt15, wenn er bei der Unterschlagung von Rentenbeträgen die Hilflosigkeit alter Menschen ausgenutzt 16 oder wenn er Arbeitskameraden zu bestechen versucht hat, um sie zu seinen Gunsten zu falschen Aussagen zu veranlassen oder von einer Anzeige gegen ihn Abstand zu nehmen17. Die erschwerenden Umstände werden im allgemeinen in der Tat selbst liegen. Es können aber auch die Begleitumstände oder die Vielzahl der Verfehlungen zu einer besonders strengen Beurteilung des Dienstvergehens führen. Es können auch solche vor einer früheren disziplinaren Bestrafung verhängten Disziplinarstrafen bei der Strafbemessung berücksichtigt werden, die bereits in der früheren Disziplinarentscheidung Berücksichtigung gefunden haben, was sich aus der Wertung der Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten ergibt 17 a . Im allgemeinen werden die straferschwerenden Umstände bei der Prüfung der Frage herangezogen, ob dem Beschuldigten, der mit Rücksicht auf die Schwere seines Dienstvergehens ohnehin zur Höchststrafe verurteilt werden muß, noch ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden kann, der ihm einen Übergang in einen neuen Beruf erleichtern soll. III. STRAFMILDERNDE UMSTÄNDE Als strafmildernd ist zu werten die sühnende Kraft des Zeitablaufs18, die Selbstanzeige, sofern sie nicht unter dem Eindruck bereits eingeleiteter oder unmittelbar bevorstehender Ermittlungen erstattet ist 19 , geschwächte BDH 15. 10. 53 — II D 11/53 — in JZ 1954 S. 287 = L i n d g e n Teil IV Nr. 45. DiszSenat OVG Münster 23. 10. 59 — Y 8/59 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 13 BDH 30. 3. 54 — I D 41/53 — in JZ 1954 S. 489 = Lindgen Teil IV Nr. 46. 1 4 BDH 26. 4. 55 — III D 75/54 — Lindgen Teil IV Nr. 112. 1 5 BDK X I 1 1 . 5. 56 — XI VL 42/55 —. 16 BDH 24. 6. 54 — II D 154/53 — Lindgen Teil IV Nr. 81. 17 BDH 7 . 1 1 . 56 — II D 131/55 —. BDH 12.1. 61 — I D 5/60 — BDHE Bd. 6 S. 107. 1 8 BDH 25. 6. 53 — II D 12/53 — BDHE Bd. 1 S. 153; BDH 12. 8. 53 — I D 58/53 — L i n d g e n Teil IV Nr. 10. 1 9 BDH 19. 7. 56 — I D 102/54 —. 11
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§11
Strafzumessungsgründe
Widerstandskraft infolge langjähriger russischer Kriegsgefangenschaft 20 oder Unfall 20 ", sog. Kurzschlußhandlungen, d. h. wenn der Täter auf Grund einer einmaligen, ungewöhnlichen und von ihm nicht vorgesehenen Gelegenheit sein Hemmungsvermögen verloren hat und die vorher von ihm nicht geplante Handlung sich als solche darstellt, die seiner Persönlichkeit fremd ist 21 , nachteilige Beeinflussung des beruflichen Werdegangs durch außergewöhnliche Umstände24 mangelnde Fürsorgepflicht des Dienstherrn 22 , geschwächte Widerstandskraft durch starke Raucherleidenschaft 23 , körperliche und seelische Erschöpfung 24 , das Leben in menschenunwürdigen Umständen als Flüchtling 26 , die totale Ausbombung während des let2ten Krieges 26 , die Erkrankung der Ehefrau, die Übernahme zusätzlicher Unterhaltsverpflichtungen27 oder die unzulängliche lasche Haltung der Dienstbehörde bei früheren gleichgelagerten dienstlichen Verfehlungen 28 . Ist der Beschuldigte durch die Situation des Augenblicks zu einer Verfehlung gelangt, die sich als einmalige persönlichkeitsfremde Entgleisung darstellt, so kann dieser Umstand auch dann zu einer milderen Beurteilung des Dienstvergehens führen, wenn die Situation für den Beschuldigten vermeidbar gewesen wäre; eine situationsbedingte Augenblickstat liegt jedoch nicht vor, wenn der Beschuldigte die Situation in der Absicht herbeigeführt hat, sie auszunutzen29. Die außergewöhnlichen Umstände, die für eine Strafmilderung sprechen, müssen grundsätzlich in der Tat selbst begründet sein oder doch auf irgendeinen Zusammenhang mit ihr schließen lassen30. Als disziplinarrechtliche Milderungsgründe werden hingegen nicht anerkannt die Gewährung einer Bewährungsfrist auf dem Gnadenwege im ordentlichen Strafverfahren 31 , die knappe Besoldung im einfachen Dienst nach dem Zusammenbruch 32 , die mangelnde Aufsichtspflicht des Vorgesetzten 33 , die dienstliche Überbeansprachung, ohne dieselbe rechtzeitig dem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten gemeldet zu haben 34 , das Nachlassen der geistigen Kräfte 36 , die schlechten Lebens Verhältnis se vor der Währungsreform 36 , ein Selbstmordversuch nach der Tat als Zeichen der Reue 37 , die im allgemeinen Strafrecht als Strafmilderungsgrund geltende Tatsache, daß die 20
BDK V 10. 6. 54 — V VL 102/53 —. 2»» DokBer. Nr. 1930. 21 BDH 14.12. 55 — II D 22/55 —; DokBer. Nr. 578; vgl. auch DokBer. Nr. 422; BDH 12.4. 56 — II D 81/55 —. 22 BDH 22. 9. 54 — I D 126/53 = L i n d g e n Teil IV Nr. 91. 23 BDH 23. 4. 54 — II D 193/53 — in JZ 1954 S. 668 — L i n d g e n Teil IV Nr. 43. 21 BDH 26.1. 56 — III D 120/54 —. 25 DokBer. Nr. 228. 26 DokBer. Nr. 193. 27 DokBer. Nr. 166 und Nr. 184. 28 BDH 5.1. 62 — I D 81/60 — L i n d g e n Teil IV Nr. 610. 29 BDH 6.12. 61 — I D 54/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315 (LS). 30 BDH 11. 6. 53 — II D 25/53 —; BDH 21.1. 54 — II D 159/53 —. 81 DokBer. Nr. 248. 32 BDH 30. 3. 54 — I D 99/53 — in JZ 1954 S. 489 = L i n d g e n Teil IV Nr. 42; vgl. auch DokBer. Nr. 191. 33 DokBer. Nr. 1725. 34 BDH 28. 9. 54 — I DV 8/53 — L i n d g e n Teil IV Nr. 54; DokBer. Nr. 567. 35 BDH 9. 9. 60 — I D 84/59 — in ZBR 1961 S. 386 (LS) = L i n d g e n Tei IV Nr. 579. 36 DokBer. Nr. 615 und Nr. 1390. 37 DokBer. Nr. 1858.
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Verbot der Verbindung mehrerer Disziplinarstrafen
§12
Tat im Versuchsstadium steckengeblieben ist 38 , oder eine Notlage, die durch eine leichtsinnige Wirtschaftsführung bedingt ist 39 . Für die Strafbemessung ist es ohne Bedeutung, ob der Beamte Hoheitsfunktionen in der Öffentlichkeit wahrzunehmen hat oder ob er im innerbetrieblichen Dienst verwendet wird 40 . Daß die Einleitungsbehörde von der vorläufigen Dienstenthebung abgesehen hat, kann sich auf die vom Disziplinargericht zu beurteilende Frage, ob der Beamte noch tragbar ist, nicht vorgreiflich auswirken 41 . Ist das Dienstvergehen von einer Beamtin begangen, so kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, daß Frauen in einer bestimmten Lage entsprechend ihrer Konstitution und Psyche gehandelt und dabei eine gewisse Anfälligkeit bei Dienstpflichtverletzungen gezeigt hätten; diesem Gedanken kann in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden, weil es immer nur auf die Begleitumstände des einzelnen Falles ankommt. Grundsätzlich muß an Dienstpflichtverletzungen bei Beamten und Beamtinnen der gleiche Maßstab angelegt werden 42 . Läßt sich ζ. B. eine Beamtin zu einem Betrug verleiten, weil sie offenbar ihr Liebhaber ausgenutzt hat und sie ihm verfallen ist, so kann dies nicht strafmildernd berücksichtigt werden. Strafmildernd kann auch nicht berücksichtigt werden, daß der Beschuldigte nach Begehung des Dienstvergehens in den Ruhestand getreten ist, weil es bei der Berurteilung eines Dienstvergehens allein auf den Zeitpunkt der Ausführung der Tat ankommt; dies gilt selbst dann, wenn die vorzeitige Zurruhesetzung auf die Aufregungen zurückzuführen ist, die das Disziplinarverfahren notwendigerweise mit sich bringen mußte43. Liegen strafmildernde Umstände vor, so kann der Dienstvorgesetzte bei einer Geringfügigkeit des Dienstvergehens überhaupt von einer Bestrafung absehen, da die Frage, ob eine Bestrafung erfolgen soll, in seinem pflichtgemäßen Ermessen liegt (vgl. § 3 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 3 BDO i. d. F. der Novelle)44. Dies gilt jedoch nicht für das Disziplinargericht (vgl. § 5 III D S. 30).
§ 12. Verbot der Verbindung mehrerer Disziplinarstrafen Der Beamte kann nur mit einer Disziplinarstrafe bestraft werden, selbst wenn in einem Verfahren mehrere dienstliche Verfehlungen zur Aburteilung heranstehen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Wie der Beamte nur ein Dienstvergehen begehen kann, so kann er auch nur mit einer Strafe belegt werden. Die Strafe ist kèine Gesamtstrafe, sondern nur eine einheitlich bemessene Strafe 1 . So kann also neben einer Geldbuße nicht noch ein Verweis ausgesprochen werden. DokBer. Nr. 618; vgl. jedoch DokBer. Nr. 1991. BDH. 1 1 . 1 0 . 56 — II D 128/55 — L i n d g e n Teil IV Nr. 174; vgl. auch DiszSenat OVG Münster 8. 5. 59 — V12/58 — OVGE (Disz.) Bd. 2 S . 166 = LindgenTeilIVNr.441. 4 0 BDH 8. 3. 62 — I D 46/61 — BDHE Bd. 6 S. 90. 4 1 DiszSenat OVG Münster 30. 3. 62 — V 4/62 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 42 DokBer. Nr. 1425. 43 BDH 2. 6. 60 — I D 30/58 — in ZBR 1961 S. 386 (LS) = L i n d g e n Teil IV Nr.557 (LS); DokBer. Nr. 1426. 44 DokBer. Nr. 660. 1 PrOVG Bd. 32 S. 429, Bd. 64 S. 561; PrVBl. 1924 S. 472; PrDH in RuPrVBl. 1933 S. 366. 38 39
135
§ \3
Zuständigkeit der Disziplinargerichte für die Verhängung von Disziplinarstrafen
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz insoweit vorgesehen, als die Verbindung der Disziplinarstrafen des Versagens des Aufsteigens im Gehalt mit der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe zulässig ist. Diese Bestimmung ist deshalb notwendig, um alle Fälle zu erfassen. So kann niemand zurückgestuft werden, der sich erst in der Eingangsstellung befindet, während das Aufsteigen im Gehalt dann nicht versagt werden kann, wenn der Verurteilte bereits die Endstufe erreicht hat. Die gleiche Regelung gilt auch im Länderdisziplinarrecht. Dem § 4 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entsprechen § 4 Abs. 2 LDO BW, Art. 4 Abs. 2 DStO Bayr. § 4 Abs. 2 LDO Bln., § 4 Abs. 2 DO Hmb., § 5 Abs. 2 NDO, § 4 Abs. 2 DO NW, § 4 Abs. 2 LDO Rh.-Pf. und § 4 Abs. 2 DStO Saar. Bei Ländern, die die Disziplinarstrafen der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nicht kennen, wie den Ländern Bremen, Hessen und Schleswig-Holstein, erübrigt sich eine dem § 4 Abs. 2 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entsprechende Bestimmung, so daß daselbst die Verhängung von zwei Disziplinarstrafen durch ein Disziplinarurteil ganz allgemein ausscheidet. Soweit die Länderrichtergesetze die Disziplinarstrafe der Versetzung in ein anderes Richteramt mit gleichem Endgrundgehalt zulassen, kann diese Strafe mit einer anderen Disziplinarstrafe verbunden werden. So kann diese Strafe nach § 58 Abs. 2 Satz 2 LRiG BW vom 25. 2. 64 (GVB1. S. 79) mit einer Gehaltskürzung oder der Versagung des Aufsteigens im Gehalt, nach § 57 Abs. 2 Satz 2 HmbRiG vom 15. 6. 64 (GVB1. S. 109) mit einer Geldbuße, Gehaltskürzung, der Versagung des Aufsteigens im Gehalt oder der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, nach § 67 Abs. 2 Satz 2 NRiG vom 14. 12. 62 (GVB1. S. 265) mit Gehaltskürzung, Versagung des Aufsteigens im Gehalt und Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, jedoch jeweils nur mit einer dieser zusätzlichen Strafen, und nach § 54 Abs. 2 Satz 2 LRiG Rh.-Pf. vom 29. 10. 62 (GVB1. S. 159) mit der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe oder mit einer dieser Disziplinarstufen verbunden werden.
§ 13. Zuständigkeit der Disziplinargerichte und des Dienstvorgesetzten für die Verhängung von Disziplinarstrafen Die Disziplinarbefugnisse werden von den zuständigen Behörden und Dienstvorgesetzten sowie den für die Entscheidung im förmlichen Disziplinarverfahren zuständigen Disziplinargerichten ausgeübt ( § 1 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Disziplinargerichte entscheiden im förmlichen Disziplinarverfahren. Hierbei können sie einmal die Disziplinarstrafen aussprechen, die lediglich im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden können, nämlich Gehaltskürzung, Versagung des Aufsteigens im Gehalt, Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, Entfernung aus dem Dienst, Kürzung und Aberkennung sowie nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO Herabsetzung des Ruhe136
Zuständigkeit der Disziplinargerichte fiir die Verhängung von Disziplinarstrafen
§ 13
gehalts. Daneben sind sie nicht gehindert, die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße zu verhängen, wenn sie glauben, daß die Dienstzucht sich durch eine dieser Strafen wiederherstellen läßt. Handelt es sich beim Beschuldigten um einen im Ruhestand befindlichen Beamten, so sind die Disziplinargerichte ausschließlich zuständig, da gegen einen Ruhestandsbeamten lediglich die Disziplinarstrafen der Kürzung und der Aberkennung sowie nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO Herabsetzung des Ruhegehalts verhängt werden können, die die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens voraussetzen. Auf Warnung, Verweis und Geldbuße kann auch durch Disziplinarverfügung erkannt werden (§ 11 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 24 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Diese Disziplinarstrafen werden dann nicht im Wege des förmlichen Disziplinarverfahrens, sondern im Disziplinarverfügungsverfahren verhängt, das sich nach § § 24fF. BDO, BDO i. d. F. der Novelle richtet. Zur Verhängung von Warnungen und Verweisen ist jeder Dienstvorgesetzte berechtigt, sofern ihm der Beamte nachgeordnet ist (vgl. § 24 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 24 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle). Bei der Verhängung von Geldbußen ist die Disziplinarbefugnis hinsichtlich der Höhe der zu verhängenden Disziplinarstrafe abgestuft. So können nach § 24 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 24 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle Geldbußen verhängen 1. die oberste Dienstbehörde bis zum zulässigen Höchstbetrage (vgl. § 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), 2. die der obersten Dienstbehörde unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten bis zur Hälfte des zulässigen Höchstbetrages, 3. die übrigen Dienstvorgesetzten bis zu einem Viertel des zulässigen Höchstbetrages. Die oberste Dienstbehörde kann für ihren Geschäftsbereich die Befugnis der in § 24 Abs. 2 Nr 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 24 Abs. 3 Nr. 3 BDO i. d. F. der Novelle bezeichneten Dienstvorgesetzten zur Verhängung von Geldbußen weiter abstufen oder ausschließen (§ 24 Abs. 3 BDO, § 24 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle). Die Regelung der Länder entspricht der Bundesregelung. Die sachliche Zuständigkeit für die Verhängung sämtlicher Disziplinarstrafen durch die Disziplinargerichte und die Zuständigkeit zur Verhängung der Disziplinarstrafen durch die Dienstvorgesetzten ergibt sich aus § 14 LDO BW, Art. 12 DStO Bayr., § 14 LDO Bln., § 11 DStO Brm., § 11 DO Hamb., § 12 HDO, § 15 NDO, § 14 DO NW, § 14 LDO Rh.-Pf. (die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße können sowohl durch Disziplinarverfügung des Dienstvorgesetzten als auch im förmlichen Disziplinarverfahren durch die Landesdisziplinargerichte [Abs. 1], die übrigen Disziplinarstrafen nur durch die Landesdisziplinargerichte im förmlichen Disziplinarverfahren [Abs. 2] verhängt werden), § 11 DStO Saar und § 16 DStO Schi.-Hol. Die Zuständigkeitsregelung bei der Verhängung von Geldbußen im Disziplinarverfügungsverfahren entsprechend § 24 Abs. 2 und 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 ergibt sich im Landesdisziplinarrecht aus § 27 Abs. 2 LDO BW, Art. 25 Abs. 2 und 3 DStO Bayr. (die Verhängung von Warnung, Verweis und Geldbuße durch den Dienstvorgesetzten scheidet bei Bürgermeistern, Landräten 137
Warnung und Verweis
und deren Stellvertretern aus), § 27 Abs. 2 LDO Bln. (hier können die oberste Dienstbehörde Geldbußen bis zum zulässigen Höchstbetrag und die übrigen Dienstbehörden ganz allgemein bis zur Hälfte des zulässigen Höchstbetrages verhängen), § 24 Abs. 2 und 3 DStO Brm., § 24 Abs. 2 und 3 DO Hmb., § 25 Abs. 2 HDO, wo eine dem § 24 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechende Bestimmung fehlt, § 30 Abs. 2 NDO, wo gleichfalls eine dem § 24 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechende Regelung fehlt, § 27 Abs. 2 und 3 DO NW, § 27 Abs. 2 und 3 LDO Rh.-Pf., § 24 Abs. 2 und 3 DStO Saar und § 29 Abs. 2 DStO Schl.-Hol., wo das gleiche wie in den Ländern Hessen und Niedersachsen gilt. Die Begründung der Zuständigkeit der Disziplinargerichte für die Verhängung der schwereren Disziplinarstrafen, die äußerst hart in die Rechtssphäre des Beschuldigten eingreifen, bietet hinreichenden Schutz gegen voreingenommene Entscheidungen durch Stellen, deren völlige Unabhängigkeit gesetzlich nicht gewährleistet ist. § 6 Abs. 2 des Änderungsgesetzes des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 12. 8. 49 sah hingegen vor, daß an Stelle der Disziplinargerichte die sonstigen Disziplinarbehörden auch auf Gehaltskürzung, Entfernung aus dem Dienst, Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts erkennen konnten. Gegen die Maßnahmen dieser Disziplinarbehörden war allerdings Antrag auf disziplinargerichtliche Entscheidung zulässig (§ 6 Abs. 5 a. a. O.). Das hier vorgesehene Verfahren, das gewissermaßen drei Instanzen vorsah, führte zu einer erheblichen Verschleppung der Disziplinarverfahren. Überdies widerspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn in erster Instanz die Trennung zwischen Exekutivgewalt und rechtsprechender Gewalt nicht vorgenommen ist. Die nachfolgend ergangenen Disziplinargesetze in Bund und Ländern sind deshalb auf die im deutschen Rechtsgebiet seit über hundert Jahren bestehende Regelung zurückgekommen, wonach allein unabhängige Disziplinargerichte solche Disziplinarstrafen verhängen können, die erheblich in die Rechtssphäre des Beamten eingreifen.
2. K a p i t e l
Die einzelnen Disziplinarstrafen § 14. Warnung und Verweis I. BEGRIFF Die mildesten Disziplinarstrafen, die die BDO kennt, sind Warnung und Verweis, die sich begrifflich kaum unterscheiden. Warnung ist die Mißbilligung eines bestimmten Verhaltens (Handelns oder Unterlassens) des Beamten mit der Aufforderung, dies künftig zu vermeiden ( § 5 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle); sie kommt bei geringfügigen Dienstvergehen vor, bei denen die Dienstzucht sich dadurch wiederherstellen läßt, daß der Beschuldigte auf die Folgen weiterer Verfehlungen aufmerksam gemacht wird. Der Verweis ist der Tadel eines bestimmten Verhaltens. Er unterscheidet sich von der Warnung dadurch, daß er nicht mit der Aufforderung verbunden wird, weitere Verfehlungen zu unterlassen, und daß er keine Miß138
Zuständigkeit fur die Bestrafung — Straffestsetzung
§14
billigung, sondern bereits einen Tadel des gerügten Verhaltens darstellt. Der Verweis stellt somit eine ernster zu bewertende Disziplinarstrafe dar, die bei der späteren Beurteilung des Beamten erheblich ins Gewicht fallen kann. II. ZUSTÄNDIGKEIT FÜR DIE BESTRAFUNG Warnung und Verweis können zunächst einmal der Dienstvorgesetzte, der nächsthöhere Dienstvorgesetzte und die oberste Dienstbehörde verhängen. Zuständig ist jeder Dienstvorgesetzte, sofern ihm der Beschuldigte nachgeordnet ist. Der nächsthöhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde können weder generell noch im Einzelfalle die Befugnis des Dienstvorgesetzten zur Verhängung der Disziplinarstrafen der Warnung oder des Verweises entziehen; hiervon bleibt unberührt, daß durch Dienstanweisung oder Einzelverfügung dem Dienstvorgesetzten aufgegeben werden kann, vor der Verhängung dieser Disziplinarstrafen an den nächsthöheren Dienstvorgesetzten bzw. die oberste Dienstbehörde zu berichten. Die Disziplinargerichte können gleichfalls die Disziplinarstrafen der Warnung und des Verweises verhängen, sofern sie der Auffassung sind, daß die gestörte Dienstzucht durch eine dieser Strafen wiederherzustellen ist. III. STRAFFESTSETZUNG Die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße müssen schriftlich verhängt werden. Sie haben ausdrücklich die Bezeichnung „Warnung" bzw. „Verweis" zu tragen, andernfalls gelten sie nicht als Disziplinarstrafen, sondern nur als dienstliche Mißbilligung (vgl. § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) ; dies gilt selbst dann, wenn der Wille des Dienstvorgesetzten dahin ging, den Beschuldigten mit einer der in § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Strafen zu bestrafen, und die Verfügung ansonsten der Form der Disziplinarverfügung gleicht 1 . Unerheblich ist, ob der Ausdruck „leichter Verweis" oder „strenger Verweis" gebraucht wird 2 . Die Disziplinarverfügung bedarf einer Begründung, aus der sich die Tatbestandsmerkmale ergeben und in der die Umstände angeführt sind, die für die Annahme eines pflichtwidrigen Verhaltens sprechen. Ebenso sind die Gründe anzuführen, die zugunsten bzw. zuungunsten des Beschuldigten sprechen. Die genaue Darstellung der Gründe soll es dem Beschuldigten im Falle der Einlegung der Beschwerde bzw. des Antrages auf disziplinargerichtliche Entscheidung ermöglichen, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eingehend Stellung zu nehmen. Dem Beschuldigten können die durch die Ermittlungen entstandenen Kosten auferlegt werden. Fehlt ein Ausspruch darüber, wer die Kosten zu tragen hat, so fallen sie dem Dienstherrn zur Last. Die Disziplinarverfügung bedarf einer Rechtsmittelbelehrung, aus der der Beschuldigte ersehen kann, in welcher Frist und bei welcher Stelle er einen Rechtsbehelf gegen die Disziplinarverfügung geltend machen kann (vgl. § 19a BDO i. d. F. der Novelle). 1 Brand S. 158; PrOVG Bd. 79 S. 421; vgl. auch RDH 6 . 1 1 . 40 in DVB1.1941 S.335; PreußDStH 14. 3. 34 in J W 1934 S. 1695. 2 W i t t l a n d Anm. 2 zu § 5 RDStO.
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§15
Geldbuße
IV. STRAFVOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Die Disziplinarstrafen der Warnung und des Verweises gelten, wenn sie durch Disziplinarverfügung verhängt worden sind, mit deren Zustellung, wenn sie durch Urteil verhängt werden, mit dessen Rechtskraft als vollstreckt, so daß es einer besonderen Vollstreckungshandlung nicht bedarf (§102 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle). Nach § 102 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 kam im ersten Falle daneben der Zeitpunkt der mündlichen Eröffnung in Frage. Die Disziplinarverfügungen der Warnung und des Verweises sind nach der Zustellung bzw. Eröffnung der Disziplinarverfügung bzw. nach Rechtskraft des Disziplinarurteils zu den Personalakten zu nehmen. Die Disziplinarstrafen sind außerdem im Personalbogen zu vermerken. Ist der Beschuldigte verurteilt worden, die durch die Ermittlungen entstandenen Kosten zutragen (vgl. § 97 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 97a BDO i. d. F. der Novelle) so gelten diese nicht als Strafe; sie sind von den Dienstbezügen abzuziehen (vgl. § 97 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle). Abgesehen vom Gnadenwege und der im Gesetz angeordneten Tilgung können die Disziplinarstrafen der Warnung und des Verweises nach deren Unanfechtbarkeit nur durch den nächsthöheren Dienstvorgesetzten oder die oberste Dienstbehörde unter den Voraussetzungen des § 27 BDO, BDO i. d. F. der Novelle oder im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens — im letzteren Falle aber nur mit dem Ziele einer höheren Bestrafung — beseitigt werden. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Sämtliche disziplinarrechtliche Regelungen der Länder halten sich wörtlich an § 5 Abs. 1 und 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, so § 5 Abs. 1 und 2 LDO BW, Art. 5 Abs. 1 und 2 DStO Bayr., § 5 Abs. 1 und 2 LDO Bln., § 5 Abs. 1 und 2 DStO Brm., § 5 Abs. 1 und 2 DO Hmb., § 5 Abs. 1 und 2 HDO, § 6 Abs. 1 und 2 NDO, § 5 Abs. 1 und 2 DO NW, § 5 Abs. 1 und 2 LDO Rh.-Pf., § 5 Abs. 1 und 2 DStO Saar und § 6 Abs. 1 und 2 DStO Schl.-Hol. Ebenso gelten diese Disziplinarstrafen mit der Zustellung bzw. verhandlungsschriftlichen Eröffnung als wirksam. (§ 108 Abs. 4 LDO BW, Art. 110 Abs. 4 DStO Bayr., § 104 Abs. 4 LDO Bln., § 102 Abs. 2 DStO Brm., § 102 Abs. 4 DO Hmb., § 108 Abs. 3 HDO, § 116 Abs. 4 NDO, wonach Warnung und Verweis ganz allgemein mit der Rechtskraft als vollstreckt gelten, § 110 Abs. 4 DO NW, § 112 Abs. 4 LDO Rh.-Pf., § 102 Abs. 2 DStO Saar und § 104 Abs. 2 DStO Schl.-Hol., wonach Warnung und Verweis mit der Rechtskraft als vollstreckt gelten, wenn sie durch Dienststrafverfügung verhängt worden sind).
I. BEGRIFF
§ 15. Geldbuße
Die Geldbuße besteht in der Verminderung der Bezüge. Sie darf die einmonatigen Dienstbezüge des Beamten nicht übersteigen (§ 6 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Als Dienstbezüge in diesem Sinne gelten nach Nr. 1 DVO zu § 6 das Grundgehalt — bei außerplanmäßigen Be140
Begriff
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amten die Diäten- oder die entsprechenden Bezüge, ruhegehaltsfähigen Zulagen und Zuschläge, ruhegehaltsfähige Gebühren oder Gebührenanteile, der örtliche Sonderzuschlag, der Ortszuschlag oder die entsprechenden Bezüge. Darunter fallen nicht Kinderzuschläge und Aufwandsentschädigungen im Auslandsdienst oder für Angehörige der Ministerien, weil es sich hier nicht um ruhegehaltsfähige Zulagen handelt; gleiches gilt auch für Prüfungsgebühren, Unterrichtsgelder und Einnahmen aus einer genehmigten Nebentätigkeit. Für die Berechnung der Höhe der Geldbuße sind die Dienstbezüge maßgebend, die der Beschuldigte im Zeitpunkt der Zustellung der Disziplinarverfügung bzw. der Rechtskraft des Urteils zu erhalten hat. Da die Disziplinarstrafe mit der Zustellung bzw. Eröffnung der Disziplinarverfügung als verhängt gilt, kommen die Beträge nicht mehr in Ansatz, um die sich die Dienstbezüge nach der Zustellung der Disziplinarverfügung bis zum Abschluß des Beschwerdeverfahrens oder des gerichtlichen Antragsverfahrens infolge Aufsteigens in eine höhere Dienstaltersstufe oder eine Aufbesserung des Besoldungsdienstalters oder eine allgemeine Besoldungsaufbesserung erhöhen. Wird die Disziplinarverfügung durch den höheren Dienstvorgesetzten oder die oberste Dienstbehörde nach § 27 BDO, BDO i. d. F. der Novelle geändert, so ist für die Berechnung der Höhe der Dienstbezüge der Zeitpunkt der Entscheidung des höheren Dienstvorgesetzten bzw. der obersten Dienstbehörde maßgebend, weil es sich hier um die Ausübung neuer Disziplinargewalt handelt. Hat der Beamte keine Dienstbezüge oder hat er sie nur während der Dauer des Beschäftigungsauftrages, so darf die Geldbuße den Betrag von dreihundert Deutsche Mark nicht übersteigen (§ 6 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Nach § 6 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle beträgt der Betrag fünfhundert Deutsche Mark. Als Beamten ohne Dienstbezüge kommen ζ. B. Inspektorenanwärter, Referendare oder Ehrenbeamten in Frage. Erhält dagegen der Beschuldigte als außerplanmäßiger Beamter feste Dienstbezüge oder Diäten, so handelt es sich bei ihm um einen besoldeten Beamten. Der Status des Beschuldigten bestimmt sich auch hier nach dem Zeitpunkt der Zustellung oder Eröffnung der Disziplinarverfügung bzw. der Rechtskraft der Entscheidung des Disziplinargerichts. Erhält also der Beamte im Laufe des Disziplinarverfahrens bis zur Zustellung des Disziplinarverfügung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts Dienstbezüge, so kann die Disziplinarstrafe bis zur Höhe der einmonatigen Dienstbezüge festgesetzt werden; dies setzt aber voraus, daß der Bundesdisziplinaranwalt Berufung eingelegt hat, weil im Falle der alleinigen Einlegung der Berufung durch den Beschuldigten eine Änderung der Entscheidung, die auf die nach § 6 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zulässige Höchststrafe lautet, in eine Disziplinarstrafe nach § 6 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die über den Betrag von 300 (in der Novelle 500) Deutsche Mark hinausgeht, einen Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius darstellt. Bei Beamten, die Gebühren beziehen, darf die Geldbuße höchstens eintausend Deutsche Mark betragen ( § 6 Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Diese Vorschrift gilt nur für Beamte, die ausschließlich Gebühren beziehen (Nr. 2 Satz 1 DVO zu § 6 BDO). Bei ihnen soll die Geldbuße die monatlichen Gesamtbezüge, die der Beamte im Durchschnitt der letzten sechs Monate vor Verhängung der Geldbuße oder, wenn sie im Urteil 141
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verhängt wird, vor Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens bezogen hat, nicht übersteigen (Nr. 2 Satz 2 DVO zu § 6 BDO); diese Bestimmung ergibt sich aus den Schwankungen des Einkommens der Gebührenbeamten. Erhält der Beamte feste Bezüge und Gebühren zugleich, so sind beide anläßlich der Feststellung der Höhe der Geldbuße zusammenzurechnen, sofern nur die Gebühren ruhegehaltsfähig sind; hierbei ist nicht entscheidend, ob die festen Bezüge und die ruhegehaltsfähigen Gebühren aus einer oder aus mehreren Kassen gezahlt werden. Der in § 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genennte Höchstbetrag bezieht sich auf die jeweilige Disziplinarverfügung bzw. das Disziplinarurteil. Mit Rücksicht auf die Einheit des Dienstvergehens kommt es nicht auf die Anzahl der begangenen Pflichtverletzungen an, die durch eine Disziplinarverfügung geahndet werden. Die Geldbuße darf für Dienstvergehen, die im gleichen Disziplinarverfahren — unter einheitlicher Beurteilung des gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens des Beschuldigten — verfolgt werden, nicht über das Höchstmaß derjenigen Geldbuße hinausgehen, zu deren Verhängung im Einzelfalle der jeweilige Dienstvorgesetzte oder das Disziplinargericht gesetzlich ermächtigt ist 1 . Wird der zu einer Geldbuße v e r u r t e i l t e B e a m t e später mit einer neuen Disziplinarverfügung a b e r m a l s b e s t r a f t , so k a n n in einer erneuten Disziplinarverfügung auf eine w e i t e r e G e l d b u ß e bis zu dem in § 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Höchstbetrage auch für solche Verfehlungen e r k a n n t w e r d e n , die vor dem Wirksamwerden der vorhergehenden Disziplinarstrafe begangen worden waren 2 . Dies gilt jedoch nicht für solche Taten, die im Fortsetzungszusammenhang stehen, es sei denn daß eine Teilhandlung erst nach dem Wirksamwerden der früheren Disziplinarstrafe begangen worden ist 3 . Wird der in § 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannte Höchstbetrag überschritten, so handelt es sich um eine ungesetzliche Strafe, die einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 83 Abs. 2 BDO, § 83 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle darstellt. Ebenso ist es unzulässig, wenn der Dienstvorgesetzte gleichgelagerte dienstliche Verfehlungen im Wege zweier Disziplinarverfügungen verfolgt, um so den in § 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Höchstbetrag der Geldbuße übersteigen zu können. Keine unzulässige Disziplinarstrafe stellt es hingegen dar, wenn die Geldbuße den in der Sollbestimmung der Nr. 2 Satz 2 DVO zu § 6 BDO genanntçn Durchschnittsbetrag der letzten sechs Monate übersteigt, sofern sie nur nicht über den Betrag von 1000 DM hinausgeht. Ist der H ö c h s t b e t r a g ü b e r s c h r i t t e n w o r d e n , so ist in e i n e r e r n e u t e n D i s z i p l i n a r v e r f ü g u n g die im G e s e t z v o r g e s e h e n e S t r a f e a u s z u s p r e c h e n . Ist die Höchstgrenze in einem Urteil eines Disziplinargerichts überschritten, so kommt, sofern das Urteil bereits rechtskräftig ist, nur noch ein Wiederaufnahmeverfahren in Betracht. War das Urteil noch nicht rechtskräftig, so hat das Berufungsgericht auf die zulässige Höchststrafe zu erkennen, selbst wenn der Bundesdisziplinaranwalt allein Berufung eingelegt hat4. PrOVG 2 . 1 1 . 1 8 9 7 — Rep. I A. 132/96 — PrOVG Bd. 32 S. 429 = Perwo S. 32. W i t t l a n d Anm. 2 zu § 6 RDStO; Brand, RDStO S. 161/162. PrOVG in PrVBl. 1922 S. 272. * Behnke Anm. 9 zu § 6 BDO; vgl. auch OLG Hamm in NJW 1953 S. 118. 1
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Zuständigkeit für die Bestrafung
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II. ZUSTÄNDIGKEIT FÜR DIE BESTRAFUNG Geldbußen, die sowohl in einem bestimmt bezifferten Betrag als auch ihrer Höhe nach durch das einmonatige Diensteinkommen oder einen Bruchteil desselben bezeichnet werden, können bis zum zulässigen Höchstbetrag nur die obersten Dienstbehörden, bis zur Hälfte des zulässigen Höchstbetrages die der obersten Dienstbehörde unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten und bis zu einem Viertel des zulässigen Höchstbetrages die übrigen Dienstvorgesetzten verhängen (§24 Abs. 2 BDO, § 24 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle). Die oberste Dienstbehörde kann die Befugnis der Dienstvorgesetzten im letzteren Fall noch weiter abstufen (§24 Abs. 3 BDO, § 24 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle). Im Bereich der Deutschen Bundespost ist die früher angeordnete Abstufung der Befugnis der unmittelbaren Dienstvorgesetzten durch die Anordnung zur Durchführung der Bundesdisziplinarordnung für die DBP und die Bundesdruckerei vom 20. 10. 59 weggefallen. Der höhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde kann dem nachgeordneten Dienstvorgesetzten nicht die Anweisung erteilen, bei der Verhängung der Geldbuße unter dem Betrage zu bleiben, der kraft Gesetzes dem jeweiligen Dienstvorgesetzten eingeräumt ist. Dem nachgeordneten Dienstvorgesetzten kann lediglich aufgegeben werden, der vorgesetzten Dienststelle vor Verhängung der Geldbuße zu berichten5. Glaubt der Dienstvorgesetzte mit der im Rahmen seiner Befugnis liegenden Geldbuße nicht auskommen zu können, so muß er die Disziplinarvorgänge dem nächsthöheren Dienstvorgesetzten vorlegen, damit dieser die Disziplinarstrafe verhängt. Dieser ist an die Vorschläge des nachgeordneten Dienstvorgesetzten nicht gebunden. Bekleidet der Beamte mehrere Ämter, so kann nach Nr. 3 DVO zu § 24 BDO der für jedes Amt zuständige Dienstvorgesetzte Disziplinarstrafen im Rahmen seiner Befugnis verhängen, Geldbußen jedoch nur nach Maßgabe der Dienstbezüge aus diesem Amt, wobei der bestrafende Dienstvorgesetzte dem anderen Dienstvorgesetzten die Bestrafung mitzuteilen hat. Bezieht also ζ. B. der Beamte aus seinem Hauptamt Dienstbezüge in Höhe von 700 Deutsche Mark und aus dem Nebenamt bei einem anderen Dienstvorgesetzten 100 Deutsche Mark, so können die oberste Dienstbehörde eine Geldbuße bis zur Höhe von 700 Deutsche Mark, die ihr nachgeordneten Dienstbehörden bis zur Höhe der in § 24 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Beträge verhängen, während der für das Nebenamt zuständige Dienstvorgesetzte eine Geldbuße bis zur Höhe von 100 DM bzw. bis zu dem in § 24 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Teilbetrag verhängen kann. Ist derselbe Dienstvorgesetzte für Haupt- und Nebenamt zuständig, so können die Dienstbezüge aus dem Haupt- und Nebenamt zusammengerechnet werden; dies gilt auch dann, wenn die vom Beamten bekleideten mehreren Ämter nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenamt stehen. Ist der Beamte in einem Amt besoldet und im anderen Amt unbesoldet, so können die Dienstvorgesetzten, die für das besoldete Amt zuständig sind, Geldbußen bis zu der für besoldete Beamte zulässigen Höchstgrenze aussprechen, während die für das unbesoldete Amt zuständigen Dienstvor5
W i t t l a n d Anm. 11 zu § 6 RDStO.
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Geldbuße
gesetzten Geldbußen bis zu dem in § 6 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Beträge von 300 (nach der Novelle 500) Deutsche Mark verhängen dürfen. Falls der Beschuldigte neben dem besoldeten Amt ein weiteres Amt bekleidet, in dem er ausschließlich Gebühren bezieht, kann die für dieses Amt zuständige oberste Dienstbehörde Geldbußen bis zu einer Höhe von 1000 Deutsche Mark verhängen, wobei die Strafgewalt der für das festbesoldete Amt zuständigen obersten Dienstbehörde und der nachgeordneten Dienstvorgesetzten sich nicht ändert. Die Disziplinargewalt des Disziplinargerichts erstreckt sich auf sämtliche Ämter, die der Beschuldigte zur Zeit der Urteilsfällung innehat, sofern sie noch nicht verbraucht ist. Bekleidet der Beschuldigte mehrere Ämter, die im Verhältnis von Haupt- und Nebenamt zueinander stehen, kann das förmliche Disziplinarverfahren nur durch die für das Hauptamt zuständige Einleitungsbehörde eingeleitet werden ; der für das Nebenamt zuständige Dienstvorgesetzte kann dann keine Disziplinarverfügung wegen eines Dienstvergehens erlassen, das bereits durch das förmliche Disziplinarverfahren erfaßt wird. Stehen beide Ämter nicht im Verhältnis von Haupt und Nebenamt, so kann nur durch eine Einleitungsbehörde ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden (vgl. § 30 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Das D i s z i p l i n a r g e r i c h t darf eine G e l d b u ß e bis zu der H ö h e v e r h ä n g e n , die der Summe der e i n m o n a t i g e n D i e n s t b e z ü g e aus allen v o m B e s c h u l digten b e k l e i d e t e n Ä m t e r n e n t s p r i c h t . Falls der Beschuldigte ein besoldetes und daneben noch ein unbesoldetes Amt bekleidet, so kann die Geldbuße bis zu den monatlichen Dienstbezügen zuzüglich der in § 6 Satz 2 B D O i. d. F. ÄndGes. 1952 genannten 300 (nach § 6 Satz BDO i. d. F. der Novelle 500) Deutsche Mark betragen. Bekleidet der Beamte mehrere unbesoldete Ämter, so darf die Geldbuße den Betrag von 300 (nach § 6 Satz B D O i. d. F. der Novelle 500) Deutsche Mark nicht übersteigen. Bezieht ein Beamter aus mehreren Ämtern Gebühren, so kann bei der Berechnung des zulässigen Höchstbetrages durch das Disziplinargericht der Betrag von 1000 Deutsche Mark mit den bekleideten Gebührenämtern vervielfältigt werden. ΠΙ. S T R A F F E S T S E T Z U N G Die Geldbuße wird durch den Dienstvorgesetzten im Wege der Disziplinarverfügung und durch das Disziplinargericht im förmlichen Disziplinarverfahren durch Urteil verhängt. Die Disziplinarverfügung bzw. das Disziplinarurteil drücken die Geldbuße im allgemeinen in einem bestimmten Betrage bis zur zulässigen Höchstgrenze aus. Zulässig ist es jedoch auch, im Tenor von den „monatlichen Dienstbezügen" oder einem bestimmten Bruchteil derselben zu sprechen; dann ist es Aufgabe der Vollstreckungsbehörde, den Höchstbetrag bzw. den im Tenor genannten Bruchteil zu errechnen. Für die Begründung der Entscheidung und die Rechtsmittelbelehrung gilt das unter § 14 III S. 139 Gesagte entsprechend. IV. VOLLSTRECKUNG UND S T R A F F O L G E N Die Geldbuße vollstreckt nach § 102 Abs. 5 BDO, § 102 Abs. 3 S. 1 B D O i. d. F . der Novelle der Dienstvorgesetzte, indem er den Betrag von den Dienst- und Versorgungsbezügen des Beamten abzieht. Um zu ver-
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Landesrechtliche Regelung
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meiden, daß der Beamte durch den einmaligen Ab2ug in Zahlungsschwierigkeiten gerät, kann der Dienstvorgesetzte die Geldbuße vom Gehalt in mehreren Raten abziehen. Bei den einzubehaltenden Gehaltsteilen braucht die pfändungsfreie Grenze der Dienstbezüge nicht eingehalten zu werden. Bei unbesoldeten Beamten ist die Geldbuße, falls der Verurteilte nicht freiwillig zahlt, im Verwaltungszwangsverfahren beizutreiben. Die Geldbuße wird auch nach Eintritt des Beamten in den Ruhestand eingezogen. Endet das Beamtenverhältnis auf andere Weise, so kann sie nicht mehr eingezogen werden (Nr. 7 DVO zu § 102 BDO). Die nicht fristgemäße Entrichtung einer Geldbuße kann auch dann nicht als Ungehorsam geahndet werden, wenn der Disziplinarvorgesetzte die Zahlungsaufforderung in die Form eines Dienstbefehls gekleidet hat®. Bekleidet der Beschuldigte mehrere Ämter, so wird die Geldbuße von jedem Dienstvorgesetzten hinsichtlich des Teiles vollstreckt, der auf das seinem Dienstbereich angehörige Amt entfällt, wobei jeder Dienstvorgesetzte für den auf ihn entfallenden Anteil Teilzahlungen bewilligen kann. Geldbußen, die der Dienstvorgesetzte verhängt, fließen dem unmittelbaren Dienstherrn des Beamten zu. Geldbußen, die durch Urteil verhängt werden, sind an den Bund abzuführen (§ 102 Abs. 7 BDO, § 102 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). V. ABGRENZUNG DER GELDBUSSE VON DER GEHALTSKÜRZUNG Die Geldbuße bedeutet wie die Gehaltskürzung einen Eingriff in das Vermögen des Beamten. Diese beiden Disziplinarstrafen unterscheiden sich im wesentlichen dadurch voneinander, daß bei der Geldbuße eine einmalig zu zahlende Summe festgesetzt wird, während bei der Gehaltskürzung die prozentuale Kürzung der Dienstbezüge für einen bestimmten Zeitraum ausgesprochen wird. Wird dem Beamten bei der Geldbuße eingeräumt, diese in Raten abzutragen, so ist der Unterschied gegenüber der Gehaltskürzung sogar völlig verwischt. VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die landesrechtliche Regelung entspricht bei der Geldbuße dem § 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Dies gilt für § 6 LDO BW, § 6 LDO Bln., § 6 DStO Brm., § 6 DO Hmb., § 6 HDO, § 7 NDO, wo in Satz 3 eine DVO Nr. 2 Satz 2 zu § 6 BDO entsprechende Bestimmung in das Gesetz aufgenommen ist, § 6 DO NW, § 6 LDO Rh.-Pf., § 6 DStO Saar und § 7 DStO Schl.-Hol. Hat der Beamte keine Dienstbezüge oder hat er sie nur während der Dauer eines Beschäftigungsauftrages, so darf die Geldbuße nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 DStO Bayr. den Betrag von 300 DM, bei Ehrenbeamten einen Monatsbetrag der Entschädigung nicht überstreigen. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 DStO Bayr. darf bei Beamten, die Gebühren beziehen, die Geldbuße den monatlichen Durchschnittsbetrag der Einkünfte der Gebühren nach der letzten rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagung nicht übersteigen; nach Art. 6 Abs. 2 DStO Bayr. dürfen, wenn gegen den Beamten bereits eine Geldbuße verhängt worden 6
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BDH — Wehrdienstsenat — 8. 11. 63 — W DB 24/63 — in DÖV 1964 S. 319.
Lindgen, Disziplinarrecht I
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ist, wegen eines davorliegenden Verhaltens weitere Geldbußen nur insoweit verhängt werden, als die in Art. 6 Abs. 1 a. a. O. festgeset2ten Höchstgrenzen nicht erreicht sind. Hinsichtlich der Zuständigkeit für die Verhängung von Geldbußen vgl. § 13 S. 137. § 6 DVO zu LDO Bln. entspricht inhaltlich DVO zu § 6 BDO, wobei entsprechend der bisherigen Verwaltungsübung Kinderzuschläge ausdrücklich als Dienstbezüge i. S. des § 6 LDO Bln. ausgeschlossen sind. § 2 ADVO zu DStO Bayr. entspricht DVO Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 BDO. Als Dienstbezüge i. S. der §§ 7, 8,10,11 und 92 NDO gelten nach § 1 Abs. 1 DVO zu NDO das Grundgehalt, der Ortszuschlag, der örtliche Sonderzuschlag, Stellenzulagen, Ausgleichszulagen, Zuschüsse zur Ergänzung des Grundgehalts bei ordentlichen und außerordentlichen Professoren an wissenschaftlichen Hochschulen sowie ruhegehaltsfähige Gebühren und Gebührenanteile; nach § 1 Abs. 2 1. DVO zur NDO sind Dienstbezüge i. S. des § 12 NDO alle Bezüge, die dem Beamten auf Grund seines Amtes zustehen. DVO zu § 6 DO NW entspricht DVO zu § 6 BDO. Gleiches gilt auch für die 1. DVO zu § 6 LDO Rh.-Pf., die DVO Nr. 1 und 3 zu § 6 DStO Saar und DVO zu § 7 DStO Schl.-Hol. Nach § 2 Abs. 1 DVO zur LDO BW gelten als Dienstbezüge im Sinne der §§ 6, 7, 9 und 10 LDO BW 1. das Grundgehalt, 2. der Ortszuschlag, 3. Stellenzulagen, 4. Ausgleichszulagen, 5. Zulagen nach § 22 Abs. 1 bis 5 und 33a Buchst, c LBesG, 6. der Erhöhungsbetrag in den einheitlichen Dienstbezügen der Oberlandesgerichtsräte, die zugleich das Amt eines ordentlichen oder außerordentlichen Professors an einer öffentlichen wissenschaftlichen Hochschule bekleiden, 7. Zuschüsse zum Grundgehalt bei Professoren an den Wissenschaftlichen Hochschulen, den Kunsthochschulen, den Pädagogischen Hochschulen und an der Berufspädagogischen Hochschule, 8. Zulagen, die auf Grund des § 71 e des G 131 gewährt werden. Nach § 2 Abs. 2 der DVO zur LDO BW sind Dienstbezüge im Sinne des § 11 LDO BW alle Bezüge, die dem Beamten auf Grund seines Amtes zustehen. Dienstbezüge im Sinne des § 83 LDO BW sind die in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 bis 8 a. a. O. genannten Bezüge, die in Nr. 8 a. a. O. genannten Bezüge jedoch nur insoweit, als sie nicht dem Ortszuschlag zuzurechnen sind ( § 2 Abs. 3 DVO zur LDO BW). Die Vollstreckung der Geldbuße regelt sich nach Landesdisziplinarrecht ebenso wie nach § 102 Abs. 5 bis 7 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit der Maßgabe, daß an die Stelle des Bundes das jeweilige Land tritt, so § 108 Abs. 5 bis 7 LDO BW, Art. 103 Abs. 5 bis 7 DStO Bayr., § 104 Abs. 5 bis 7 LDO Bln., § 102 Abs. 3 bis 5 DStO Brm., § 102 Abs. 5 bis 7 DO Hmb., § 108 Abs. 4 und 5 HDO, § 116 Abs. 5 bis 7 NDO, § 110 Abs. 5 bis 7 DO NW, § 112 Abs. 5 bis 7 LDO Rh.,-Pf. § 102 Abs. 3 bis 5 DStO Saar und § 104 Abs. 3 bis 5 DStO Schl.-Hol. Für die Beitreibung von Geldbeträgen, also somit auch für die Bei146
Anwendungsbereich
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treibung von Geldbußen, gelten § 109 LDO BW, Art. 104 DStO Bayr. § 105 LDO Bin, § 103 DStO Brm., § 103 DO Hmb., § 108 HDO, § 117 NDO, § 111 DO NW, § 113 LDO Rh.-Pf., § 103 DStO Saar und § 105 Schl.-Hol.; nach diesen Bestimmungen erfolgt die Beitreibung im Zwangsverwaltungsverfahren, oder sie ist in besonderen Durchführungsbestimmungen zu regeln. Nach § 3 Abs. 1 DVO zur LDO BW kann dem Beamten durch den Dienstvorgesetzten gestattet werden, die Geldbuße in Teilbeträgen zu entrichten, wobei sich die Tilgung nicht über den Zeitraum eines Jahres hinaus erstrecken soll. Die Vollstreckung der Geldbuße wird nach § 3 Abs. 2 DVO zur LDO BW nicht dadurch gehindert, daß der Beamte in den Ruhestand tritt.
§ 16. Gehaltskürzung I. BEGRIFF Die Gehaltskürzung besteht in der bruchteilmäßigen Verminderung der Dienstbezüge um höchstens ein Fünftel und längstens fünf Jahre (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Welche Dienstbezüge hierbei in Frage kommen, ergibt sich aus DVO Nr. 1 zu § 6 BDO (DVO Nr. 1 Satz 1 zu § 7 BDO). Die Gehaltskürzung erstreckt sich auf alle Ämter, die der Bestrafte bei Rechtskraft des Urteils bekleidet (DVO Nr. 1 Satz 2 zu § 7 BDO). Hat der Beamte aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis einen Versorgungsanspruch erworben, so bleibt bei dessen Regelung die Gehaltskürzung unberücksichtigt ( § 7 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Sie bedeutet für den Beamten ebenso wie die Geldbuße eine vermögensrechtliche Einbuße, wobei die Disziplinarstrafe nicht eine einmalige finanzielle Einbuße darstellt, sondern auf eine bruchteilmäßige Kürzung der Dienstbezüge auf eine bestimmte Dauer hinausläuft. Bei der Höhe und Dauer der Gehaltskürzung hat das Disziplinargericht auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse des Beamten Rücksicht zu nehmen. Auf keinen Fall darf die Disziplinarstrafe dazu führen, daß der Beamte infolge einer durch die Gehaltskürzung bedingten Beeinträchtigung seiner Lebenshaltung veranlaßt wird, seine Pflicht zur Redlichkeit zu verletzen oder einer verbotenen Nebenbeschäftigung nachzugehen. Allerdings können die Dienstbezüge des Beamten unter den pfändungsfreien Betrag gekürzt werden. II. ANWENDUNGSBEREICH Da die Disziplinarstrafe der Gehaltskürzung nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden kann, kommt sie also nur bei Beamten auf Lebenszeit, nicht jedoch bei Beamten auf Probe oder bei Beamten auf Widerruf in Betracht. Sie scheidet auch bei Beamten aus, die keinen Anspruch auf Dienstbezüge haben, da sie solche bereits nach dem Wortlaut des § 7 BDO, BDO i. d. F. der Novelle voraussetzt1. Bevor das Disziplinargericht diese Strafe ausspricht, muß es daher prüfen, ob dem Beamten ein Anspruch auf Dienstbezüge zusteht. 1 So auch B e h n k e Anm. 2 zu § 7 BDO; a. M. W i t t l a n d Anm. 2 zu § 7 RDStO, W i t t l a n d in Beamtenjahrbuch 1938 S. 218; vgl. für das frühere Recht auch PrDH in RuPrVB1.1929 S. 544; PrOVG in RVB1.1937 S. 362.
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Gehaltskürzung
ΙΠ. STRAFFESTSETZUNG Das Disziplinargericht hat im Urteil die Höhe und die Dauer der Gehaltskürzung zu beziffern. Bei der Höhe ist der Bruchteil der Dienstbezüge, für die das in § 15 I S. 145 Gesagte gilt, nicht jedoch ein ziffernmäßiger Betrag zu bestimmen, weil die Dienstbezüge sich im Laufe der Vollstreckung durch Aufsteigen in eine höhere Gehaltsstufe, eine Aufbesserung der Besoldung usw. verändern können 2 . Die Kürzung darf ein Fünftel der Dienstbezüge nicht überschreiten, andernfalls es sich um eine nicht in der BDO vorgesehene Disziplinarstrafe handelt, so daß die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens mit dem Ziel möglich ist, die Disziplinarstrafe auf das im Gesetz zulässige Höchstmaß zurückzuführen. Ebenso ist es nicht angängig, unter Zusammenrechnung der monatlich abzuziehenden Dienstbezüge einen einmaligen Betrag festzusetzen. Abgesehen davon, daß dies mit Rücksicht auf eine mögliche Änderung der Dienstbezüge nicht in Frage kommt, würde die Entrichtung eines einmaligen Betrages dem Zweck dieser Disziplinarstrafe widersprechen, die dem Beamten auf eine gewisse Dauer vor Augen halten soll, daß er gegen die Dienstzucht verstoßen hat. Das Disziplinargericht hat im Urteil weiterhin die Dauer der Kürzung der Dienstbezüge festzusetzen. Sie kann sich auf Jahre oder den Teil eines Jahres oder Monate erstrecken. Nur darf sie die Dauer von fünf Jahren nicht übersteigen. Wird sie auf einen längeren Zeitraum festgesetzt, so handelt es sich gleichfalls um die Verhängung einer nicht im Gesetz vorgesehenen Disziplinarstrafe, so daß auch hier die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens in Frage kommt. In einem solchen Falle kann in dem Wiederaufnahmeantrage lediglich die „Einhaltung des gesetzlichen Strafmaßes" begehrt werden; dann ist die Zulassung und Anordnung der Wiederaufnahme auf die Festsetzung und Bemessung der Strafe beschränkt, weil es sich insoweit um einen abtrennbaren, einer selbständigen Prüfung und Entscheidung fähigen Teil des angegriffenen Urteils handelt 3 . Die Höhe der Gehaltskürzung kann innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach einzelnen Zeitabschnitten verschieden festgesetzt werden. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Die Gehaltskürzung wird durch den Dienstvorgesetzten vollstreckt (§ 102 Abs. 5 BDO, § 102 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Sie beginnt im allgemeinen mit dem 1. des Monats, der auf den Monat folgt, in dem das Disziplinarurteil rechtskräftig geworden ist4, es sei denn, daß die Vollstrekkungsbehörde einen anderen Zeitpunkt, der nur nach der Rechtskraft des Urteils liegen muß, festgesetzt hat, was ζ. B. dann in Frage kommt, wenn der Verurteilte zum Zeiptunkt der Rechtskraft der disziplinargerichtlichen Entscheidung erhöhte Zahlungsverpflichtungen hat, die ζ. B. durch Krankheit oder einen Todesfall in der Familie bedingt sein können. Ebenso kann der Dienstvorgesetzte die bereits begonnene V o l l s t r e c k u n g u n t e r b r e Vgl. für das frühere Recht PrDH in PrVBl. 1924 S. 472. DiszSenat OVG Münster 15. 8. 59 — X 3/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 94 = Lindgen Teil IV Nr. 449. 1 Nach W i t t l a n d Anm. 7 zu § 7 RDStO kann die Gehaltskürzung bereits mit dem Tage angeordnet werden, der auf den Eintritt der Rechtskraft des Disziplinarurteils folgt. 2
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Vollstreckung und Straffolgen
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chen, wobei die Zeit der Unterbrechung auf die Dauer der Gehaltskürzung nicht angerechnet wird. Sind dem Verurteilten für den Monat, der der Rechtskraft der Entscheidung folgt, bereits die vollen Dienstbezüge gezahlt worden, so kann der einzubehaltende Teil der Dienstbezüge zurückverlangt oder beim nächsten Monatsgehalt einbehalten werden. Die dem Verurteilten nachzuzahlenden Gehaltsteile, auf die er nach § 82 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle einen Nachzahlungsanspruch hat, dürfen nicht mit der Gehaltskürzung verrechnet werden, sofern diese Beträge nicht bereits fällig sind. Die Gehaltskürzung erstreckt sich auf alle Ämter, die der Bestrafte bei Rechtskraft des Urteils bekleidet (Nr. 1 Satz 2 DVO zu § 7 BDO). Ist wegen der gleichen Verfehlung in einem Amt auf Gehaltskürzung, in einem anderen Amt auf eine Geldbuße erkannt worden, so ist die Disziplinarverfügung, durch die letztere Strafe verhängt worden ist, aufzuheben; ist die Geldbuße bereits gezahlt worden, so ist sie dem Beamten zurückzuzahlen oder auf die Gehaltskürzung anzurechnen. Hat der Bestrafte aus einem früheren öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis einen Versorgungsanspruch erworben, so bleibt bei dessen Regelung die Gehaltskürzung unberücksichtigt ( § 7 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), wobei es nicht darauf ankommt, ob der Versorgungsanspruch nach § 158 BBG ganz oder teilweise ruht oder ob es sich bei ihm um Ruhegehalt oder um einen Unterhaltsbeitrag handelt; entscheidend ist nur, daß der früher erworbene Versorgungsanspruch dem Grunde nach fortbesteht, was ζ. B. dann nicht der Fall ist, wenn ein Unterhaltsbeitrag widerrufen ist. Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist notwendig, weil ansonsten infolge Wiederauflebens des früheren Versorgungsanspruchs der Verurteilte den Unterschiedsbetrag, um den die Dienstbezüge durch die Gehaltskürzung vermindert werden, wieder gezahlt erhalten würde und somit die Gehaltskürzung gegenstandslos werden müßte. Erhält ζ. B. der Verurteilte, dem mit Rücksicht auf seine früheren Dienstbezüge von 1000 DM ein Ruhegehaltsanspruch in Höhe von 750 DM zusteht, aus dem derzeitigen Beamtenverhältnis 600 DM Dienstbezüge, die um 20 v. H. gekürzt werden, so sind an ihn unter Berücksichtigung des § 158 BBG 880 DM bestehend aus 400 DM Ruhegehalt und 480 DM gekürzten derzeitigen Dienstbezüge, also nicht insgesamt 1000 DM, zu zahlen. Um den im Disziplinarurteil festgesetzten Bruchteil sind die während der Dauer der Gehaltskürzung jeweils zustehenden Dienstbezüge zu kürzen, wobei es immer auf den Monat ankommt, in dem die Dienstbezüge zu zahlen sind. Veränderungen in der Besoldung durch Aufsteigen in eine höhere Dienstaltersstufe oder durch eine allgemeine Gehaltsanhebung sind von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie wirksam werden. Bei Beamten, die Gebühren beziehen, wird nach der Novelle zur BDO die Kürzung nach einem monatlichen Pauschbetrag berechnet, der sich aus dem Durchschnitt der Gesamtbezüge — Gebühren und sonstige Dienstbezüge — der letzten sechs Monate vor Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens ergibt (§ 7 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle). Die Kürzung ist in dieser Höhe auch dann vorzunehmen, wenn während der Dauer der Vollstreckung die zu zahlenden Gebühren den Kürzungsbetrag nicht übersteigen. Sollten sie hinter diesem Betrage zurückbleiben, so ist der Unterschiedsbetrag nach § 103 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle im Verwaltungs149
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Gehaltskürzung
Zwangsverfahren beizutreiben. Werden während eines Monats überhaupt keine Gebühren gezahlt, so ist der Betrag gleichfalls im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens beizutreiben. Bezieht der Beamte neben den Gebühren noch Dienstbezüge, so sind die Gesamtbezüge —· nämlich die Dienstbezüge und Gebühren — zu kürzen. Tritt der Beamte in den Ruhestand, so wird das aus den ungekürzten Dienstbezügen errechnete Ruhegehalt während der Dauer der Gehaltskürzung in demselben Verhältnis gekürzt wie die Dienstbezüge ( § 7 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Der Verurteilte wird also so behandelt, als wäre er zur Kürzung des Ruhegehalts bestraft worden. Waren die Dienstbezüge ζ. B. um 10 vom Hundert gekürzt, so wird von dem Tage an, in dem sich der Verurteilte im Ruhestand befindet, das Ruhegehalt gleichfalls um 10 vom Hundert gekürzt. Sofern der Verurteilte einen Versorgungsanspruch aus einem früheren BeamtenVerhältnis erworben hat, gilt auch hier § 7 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Stirbt der Bestrafte, so werden die Bezüge für den Sterbemonat und das Sterbegeld während der Dauer der Gehaltskürzung in demselben Verhältnis gekürzt wie die Dienstbezüge ( § 7 Abs. 3 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Das Witwen- und Waisengeld wird nicht gekürzt (§ 7 Abs. 3 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Nach § 7 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle wird bestimmt, daß das Sterbegeld sowie das Witwen- und Waisengeld nicht gekürzt werden. Eine dem § 7 Abs. 3 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechende Bestimmung ist nicht vorgesehen; dies ergibt sich aus § 122 BGG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 21. 8. 61 (BGBl. I S. 1361); da das Sterbegeld nicht mehr eine befristete Fortzahlung der Dienst- und Versorgungsbezüge darstellt, kann sich demnach die Disziplinarstrafe der Gehaltskürzung nicht mehr darauf auswirken. So können also nach Inkrafttreten der Novelle nur noch die Bezüge des Sterbemonats gekürzt werden. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die landesdisziplinarrechtliche Regelung entspricht überwiegend dem § 7 BDO i. d. F. des ÄndGes. 1952, so Art. 7 DStO Bayr., § 7 DStO Brm., § 7 LDO Rh.-Pf. und § 7 DStO Saar. Das Sterbegeld ist ebenso wie nach § 7 BDO i. d. F. der Novelle nicht zu kürzen nach § 7 LDO BW, § 7 DO Hmb., § 9 HDO, § 9 NDO, § 7 DO NW und § 8 DStO Schl.-Hol., wobei im übrigen auch diese landesrechtlichen Regelungen dem § 7 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 gleichen. Die Dienststrafe der Gehaltskürzung kann gegen einen Ehrenbeamten in Bayern nicht verhängt werden (vgl. Art. 4 Abs. 4 DStO Bayr.). § 3 DVO zu LDO Bln. entspricht DVO 1 Satz 2 und Nr. 2 zu § 7 BDO. Der DVO zu § 7 BDO entsprechen § 3 ADVO zu DStO Bayr., DVO Nr. 1 und 2 zu § 7 DO NW, 1. DVO zu § 7 LDO Rh.-Pf., DVO Nr. 1 und 3 zu § 7 DStO Saar und DVO zu § 8 DStO Schl.-Hol. Zu § 1 DVO zur LDO BW siehe § 15 VI S. 146. Die Gehaltskürzung vollstreckt auch nach der landesdisziplinarrechtlichen Regelung der Dientsvorgesetzte, so § 108 Abs. 5 LDO BW, Art. 103 Abs. 5 DStO Bayr., § 104 Abs. 5 LDO Bln., § 102 Abs. 3 DStO Brm., § 102 150
Begriff
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Abs. 5 DO Hmb., § 108 Abs. 4 HDO, § 116 Abs. 5 NDO, § 110 Abs. 5 DO NW, § 112 Abs. 5 LDO Rh.-Pf., § 102 Abs. 3 DStO Saar und § 104 Abs. 3 DStO Schl.-Hol. Mit der Vollstreckung der Kürzung des Gehalts ist bei der auf den Eintritt der Rechtskraft des Urteils folgenden Zahlung der Dienstund Versorgungsbezüge zu beginnen ( § 4 Satz 1 DVO zur LDO BW). Sind die Bezüge bereits zur Zahlung angewiesen, so ist von der nächsten Zahlung an zu vollstrecken. Die Beitreibung erfolgt auf Grund von besonderen Durchführungsvorschriften bzw. auf Grund ausdrücklicher Vorschrift im Verwaltungszwangsverfahren, so § 109 LDO BW, Art. 104 DStO Bayr., § 105 LDO Bln., § 103 DStO Brm., § 103 DO Hmb., § 105 HDO, § 117 Abs. 1 NDO, § 111 DO NW, § 113 LDO Rh.-Pf., § 103 DStO Saar und § 105 DStO Schl.-Hol.
§ 17. Versagung des Aufsteigens im Gehalt I. BEGRIFF Die Versagung des Aufsteigens im Gehalt besteht in dem Hinausschieben des Aufsteigens des Beamten in die im Besoldungsrecht vorgesehenen höheren Dienstaltersstufen (§ 7a BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Diese Disziplinarstrafe ist in das Disziplinarrecht erstmals durch Art. I Nr. 8 des Änderungsgesetzes vom 28. 11. 52 (BGBl. I S. 749) eingeführt worden. Nach § 21 DBG und § 40 Buchst, a MRG Nr. 15 stellte bisher die Versagung des Aufsteigens im Gehalt eine rein beamtenrechtliche Maßnahme ohne Strafcharakter dar und kam nur bei solchen Beamten zur Anwendung, die in ihren Leistungen hinter dem billigerweise von ihnen zu fordernden Maß zurückgeblieben waren, wobei es nicht auf die Frage des Verschuldens ankam. Nach § 5 Abs. 1 BBesG wird das Grundgehalt nach der Besoldungsordnung A — für aufsteigende Gehälter — und Β — für feste Gehälter — gewährt, wobei für Beamte, die nicht in eine Planstelle eingewiesen sind, die Eingangsgruppe ihrer Laufbahn maßgebend ist. Das Grundgehalt wird, soweit die Besoldungsordnung nicht feste Gehälter vorsieht, nach Dienstaltersstufen bemessen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 BBesG). Es s t e i g t v o n z w e i zu z w e i J a h r e n um die Dienstalterszulage bis zum Endgrundgehalt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BBesG). Der Tag, von dem an für das Aufsteigen in den Dienstaltersstufen auszugehen ist, bestimmt sich nach dem Besoldungsdienstalter ( § 5 Abs. 2 Satz 3 BBesG). Der Anspruch auf das Aufsteigen in den Dienstaltersstufen ruht, solange der Beamte vorläufig des Dienstes enthoben ist ( § 5 Abs. 3 Satz 1 BBesG). Führt ein Disziplinarverfahren zur Entfernung aus dem Dienst oder endet das Beamtenverhältnis infolge strafgerichtlicher Verurteilung, so erlischt der Anspruch auch für die Zeit des Ruhens (§ 5 Abs. 3 Satz 2 BBesG). Durch die Versagung des Aufsteigens im Gehalt wird nicht der bereits erworbene Anspruch auf Dienstalterszulagen berührt, vielmehr verliert der Beamte den ihm nach § 5 BBesG zustehenden Anspruch auf die Gewährung der weiteren Dienstalterszulagen seiner Besoldungsgruppe für die im Urteil bezeichnete Dauer; er erhält für diese Zeit die Dienstbezüge nach der von ihm zuletzt erreichten Dienstalterstufe (Satz 1 DVO zu § 7a BDO). 151
§17
Versagung des Aufsteigens im Gehalt
Nach Ablauf dieser Zeit steigt der Beamte in die nächsthöhere und in die weiteren Dienstaltersstufen nach den Vorschriften des BBesG auf (Satz 2 DVO zu § 7a BDO). Die Disziplinarstrafe führt notwendig zu einer Kürzung des Besoldungsdienstalters. Π. ANWENDUNGSBEREICH Die Disziplinarstrafe des Versagens des Aufsteigens im Gehalt kommt bei Beamten auf Lebenszeit in Betracht, die noch nicht die letzte Dienstaltersstufe ihrer Besoldungsgruppe erreicht haben. Da sie nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch die Disziplinargerichte verhängt werden kann, scheidet sie demnach bei Beamten auf Probe und bei Beamten auf Widerruf aus. Ebenso kommt sie nicht bei Ruhestandsbeamten und solchen Lebenszeitbeamten in Frage, die bereits die letzte Dienstaltersstufe erreicht haben. Weiterhin scheidet sie bei Beamten der Besoldungsordnung Β aus, weil es hier keine aufsteigenden Gehälter gibt. Schließlich kommt sie bei Beamten ohne Dienstbezüge, wie bei Ehrenbeamten und Gebührenbeamten, nicht zur Anwendung. Es stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege dar, wenn die Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt auch wegen solcher Pflichtverletzungen verhängt wird, die vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 28. 11. 52 begangen worden waren, weil mit diesem Gesetz allein eine neue Disziplinarstrafe eingeführt worden ist, ohne daß sie zu einer Pflichtverletzung als Strafdrohung hinzugetreten ist, die im früheren Recht mit einer geringeren Disziplinarstrafe bedroht war 1 . III. STRAFFESTSETZUNG Die Dauer der Versagung wird vom Disziplinargericht im Urteil bestimmt ( § 7 a Satz 2 Halbsatz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Sie ist nach v o l l e n J a h r e n zu b e m e s s e n (§ 7a Satz 2 Halbsatz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Die Mindestdauer beträgt ein Jahr, während das Höchstmaß unbeschränkt ist, das jedoch seine Begrenzung durch die Zurruhesetzung des Beamten findet, weil dann ein Aufsteigen in Dienstaltersstufen nicht mehr in Frage kommt. Da die Strafe unteilbar ist, kann der Urteilstenor nicht dahin lauten, daß der Beamte nach Ablauf einer gewissen Dauer in die nächsthöhere Dienstaltersstufe aufrücken und dann das Aufsteigen in der neuen Dienstaltersstufe auf eine weitere Dauer versagt sein soll. Der Ausspruch, daß das Aufsteigen sich auf die Dauer des gesamten Beamtenverhältnisses erstrecken soll, ist unzulässig, da die Dauer nach vollen Jahren bestimmt sein muß. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Bei der Disziplinarstrafe des Versagens des Aufsteigens im Gehalt bedarf es keiner besonderen Vollstreckungshandlung. Der Beamte wird in der Dienstaltersstufe zurückgehalten, in der er sich zur Zeit der Rechtskraft der disziplinargerichtlichen Entscheidung befand. Die Versagung des Aufsteigens im Gehalt wird erst v o n dem Z e i t p u n k t ab g e r e c h n e t , an dem 1 Behnke Anm. 1 zu § 7 a BDO; BDH 6. 6. 55 — I D 130/54 — und 26.1. 55 — III D 24/54 — in JZ 1955 S. 640 = Lindgen Teil IV Nr. 53.
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Vollstreckung und Straffolgen
§17
der B e a m t e nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften in die n ä c h s t h ö h e r e D i e n s t a l t e r s s t u f e aufsteigen würde oder aufgestiegen wäre, wenn der Anspruch auf das Aufsteigen in den Dienstaltersstufen nicht nach § 5 Abs. 3 BBesG infolge der vorläufigen Dienstenthebung geruht hätte (vgl. § 102 Abs. 3 Satz 1 BDO, § 102 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle), obgleich die Disziplinarstrafe mit der Rechtskraft des Urteils als verhängt gilt. Bei der Versagung des Aufsteigens im Gehalt wird das bisherige Besoldungsdienstalter des Beamten zu dem in § 102 Abs. 3 BDO, § 102 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle bestimmten Zeitraum um zwei Jahre und nach Ablauf von je zwei Jahren um je zwei weitere Jahre solange gekürzt, bis die Dauer der Kürzung dem Strafmaß entspricht (Nr. 4 Satz 1 DVO zu § 102 BDO). Lautet das Strafmaß auf eine ungerade Anzahl von Jahren, so wird das Besoldungsdienstalter des Beamten zuletzt um ein Jahr gekürzt (Nr. 4 Satz 2 DVO zu § 102 BDO). Glaubt der Verurteilte, daß das Besoldungsdienstalter, das nunmehr auf Grund des Disziplinarurteils, in dem auf Versagen des Aufsteigens im Gehalt erkannt worden ist, neu festzusetzen ist, unrichtig berechnet ist, so gehört ein Streit in einem solchen Falle nicht vor das Verwaltungsgericht, sondern vor das Disziplinargericht; hier ergibt sich nämlich die Festsetzung des Besoldungsdienstalters nicht allein aus dem Besoldungsgesetz. Das Disziplinargericht hat nicht über die richtige und unrichtige Berechnung des Besoldungsdienstalters als einen selbständigen Verwaltungsakt, sondern über die Auswirkungen des Disziplinarurteils auf die Neueinstufung des Verurteilten nach dem Besoldungsgesetz und damit nur mittelbar über die Berechnung des Besoldungsdienstalters zu entscheiden2. Über die Verbindung der Strafe des Aufsteigens im Gehalt mit der nächsthöheren Strafe, nämlich der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nach § 4 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle siehe § 18 III S. 156 f. Ist die Versagung des Aufsteigens im Gehalt neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verhängt worden, so wird nach § 102 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 die Versagung vom Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils ab gerechnet. Sind nach Rechtskraft des Urteils zwei Jahre vergangen, und würde der mit der Zurückstufung bestrafte Beamte in die nächsthöhere Dienstaltersstufe aufsteigen, so sind auch nach dem Inkrafttreten der Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt zwei Jahre vergangen; hiernach könnte sich die Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt nur dann auswirken, wenn sie mehr als drei Jahre betragen würde. Aus diesem Grunde wird nach Nr. 4 DVO zu § 102 BDO die Hemmung des Aufsteigens im Gehalt erst dann wirksam, wenn ein Aufsteigen möglich wird. Im Hinblick auf die nicht eindeutige Regelung sind voneinander abweichende Urteile der Disziplinargerichte ergangen. Um eine eindeutige Rechtslage zu schaffen, wird nach § 102 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle für den Fall, daß die Versagung des Aufsteigens im Gehalt neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verhängt wird, die Versagung von dem Zeitpunkt ab gerechnet, an dem der Beamte nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der l i v e l l e in die nächsthöhere Dienstaltersstufe aufgestiegen wäre. Nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der 2
DokBer. Nr. 1365.
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Versagung des Aufsteigens im Gehalt
Novelle steigt er in die nächsthöhere Dienstaltersstufe auf, zu der er ohne die Disziplinarstrafe nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften aufgestiegen wäre oder hätte aufsteigen können, wenn er das Endgrundgehalt noch nicht erreicht hätte. Da § 107 WDO eine dem § 102 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle entsprechende Bestimmung nicht kennt und ein unterschiedliches Ergebnis bei Soldaten und Beamten ausgeschlossen werden soll, wird nach Art. II § 4 der Novelle zur BDO § 10 WDO der Bundesregelung angeglichen. Die Versagung des Aufsteigens im Gehalt führt zu einer Kürzung des Besoldungsdienstalters um die entsprechende Zeit, für die diese Disziplinarstrafe angeordnet ist. Weiterhin werden durch die Strafe nach § 7 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Dienstalterszulagen und die hiermit verbundenen Zulagen sowie die Erhöhung des Ortszuschlages, nicht jedoch sonstige Zulagen, wie Kinderzuschläge oder Dienstaufwandsentschädigungen oder gesetzliche Änderungen des Ortszuschlages, berührt, sofern eine Erhöhung der Bezüge nur auf das Aufsteigen in eine höhere Dienstalterszulage zurückzuführen ist. Ebenso kommt der Bestrafte trotz einer Bestrafung nach § 7a BDO, BDO i. d. F. der Novelle in den Genuß einer Besoldungsaufbesserung, die durch eine allgemeine Gehaltsanhebung oder eine allgemeine Verbesserung des Besoldungsdienstalters bedingt ist, wie dies durch das Bundesbesoldungsgesetz vom 27. 7. 57 (BGBl. I S. 993) geschehen war, indem ζ. B. nunmehr Ausbildungszeiten auf das Besoldungsdienstalter angerechnet werden können. Mit der Strafe des Aufsteigens im Gehalt ist eine Beförderungssperre gekoppelt. Der V e r u r t e i l t e darf n ä m l i c h w ä h r e n d der D a u e r der V e r s a g u n g n i c h t b e f ö r d e r t w e r d e n (vgl. § 7a Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Die Beförderungssperre, die kraft Gesetzes eintritt, ist lediglich eine sich aus dem Gesetz ergebende Folge der Strafe des Aufsteigens im Gehalt und somit keine Nebenstrafe. Würde die Beförderungssperre nicht gesetzlich angeordnet, so ließe sich die Strafe nach § 7a BDO dadurch umgehen, daß man den Beamten bereits kurze Zeit nach Rechtskraft des Urteils befördert, und er somit u. U. sogar höhere Bezüge als zur Zeit des Urteilsausspruchs erhält. § 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über Laufbahnen der Bundesbeamten — Bundeslaufbahnverordnung (BLV) — i. d. F. vom 8. 8. 61 (BGBl. I S. 1174 und MinBIFin. S. 823) ist eine Beförderung eine Ernennung, durch die dem Beamten in ein anderes Amt mit höherem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung verliehen wird. Einer Beförderung steht es gleich, wenn dem Beamten, ohne daß sich die Amtsbezeichnung ändert, ein anderes Amt mit höherem Endgrundgehalt übertragen wird ( § 9 Abs. 1 Satz 2 BLV). Unwiderrufliche und ruhegehaltsfähige Stellenzulagen gelten als Bestandteile des Grundgehaltes ( § 9 Abs. 1 Satz 3 BLV). Eine bloße Änderung der Amtsbezeichnung ohne Einweisung in eine höhere Besoldungsgruppe bedeutet keine Beförderung. Wird der Beamte trotz des Beförderungsverbots des § 7 a Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dennoch befördert, so ist die Beförderung wirksam. Ist die Disziplinarstrafe des j 7 a BDO vor dem Inkrafttreten des BBesG rechtskräftig verhängt worden, so gilt für die Umstellung der Runderlaß des Bundesministers des Innern II A 3 23 — 3775/58 — U B I — BA 3100 — 158/58 vom 17. 9. 58. 154
Begriff
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v . LANDESRECHTLICHE REGELUNG Bis auf die Dienststrafordnungen Bremens, Hessens und SchleswigHolsteins haben die übrigen Länderdisziplinargesetze die Disziplinarstrafe des Versagens des Aufsteigens im Gehalt entsprechend der Bundesregelung übernommen, so § 8 LDO BW, Art. 8 DStO Bayr., § 8 LDO Bln., § 7a DO Hmb., § 9 NDO, wo nach Satz 4 außerdem bestimmt ist, daß eine Stellenzulage nach § 21 Abs. 2 des Landesbesoldungsgesetzes nicht gezahlt werden darf, solange eine Beförderung ausgeschlossen ist, § 8 DO NW, § 8 LDO Rh.-Pf. und § 7a DStO Saar. Nach Art. 4 Abs. 3 DStO Bayr. können die Dienststrafen der Versagung des Aufsteigens im Gehalt, der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt gegen kommunale Wahlbeamte nicht verhängt werden. Der DVO zu § 7a BDO entsprechen § 4 ADV DStO Bayr., § 4 DVO zu LDO Bln., DVO zu § 8 DO NW und 1. DVO zu § 8 LDO Rh.-Pf. Die Vollstreckung dieser Disziplinarstrafe entspricht im Disziplinarrecht der Länder dem § 102 Abs. 3 BDO, § 102 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle, so § 108 Abs. 3 LDO BW, Art. 103 Abs. 2 DStO Bayr., § 104 Abs. 3 LDO Bln., § 102 Abs. 3 DO Hmb., § 116 Abs. 3 NDO, § 110 Abs. 3 DO NW 3 , § 112 Abs. 3 LDO Rh.-Pf. und § 102 Abs. 3 DStO Saar. Nach § 5 Abs.l Satz 1 DVO zu LDO BW verbleibt der Beamte für die Dauer der Versagung des Auf steigens im Gehalt in der Dienstaltersstufe, die er im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils erreicht hat. Er erhält die entsprechenden Dienstbezüge und verliert für diese Zeit den ihm auf Grund des LBesG zustehenden Anspruch auf das Auf steigen in den Dienstaltersstufen (§5 Abs. 1 Satz 2 DVO zur LDO BW). Nach Ablauf des Zeitraums, für den dem Beamten das Aufsteigen im Gehalt versagt worden ist, steigt er nach den Vorschriften des LBesG in die nächsthöhere und dann in die weiteren Dienstaltersstufen auf ( § 5 Abs. 1 Satz 1 DVO zur LDO BW). Der Beginn des Besoldungsdienstalters des Beamten ist um die Zeit, für die ihm das Aufsteigen im Gehalt versagt worden ist, hinauszuschieben; die Festsetzung wird am Tage nach Ablauf dieser Zeit wirksam ( § 5 Abs. 2 Satz 2 DVO zur LDO BW).
§ 18. Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe I. BEGRIFF Durch die Einstufung in eine niedrigere Dienstalterstufe erhält der Beamte die Dienstbezüge nach der niedrigeren Dienstaltersstufe, die das Disziplinargericht im Urteil bestimmt (§ 7 b Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 7 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Er verliert zugleich den Anspruch auf die Dienstbezüge nach den von ihm erreichten höheren Dienstaltersstufen (§ 7b Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 7 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Hinsichtlich der Dienstaltersstufen gilt 3 Nach DiszSenat OVG Münster 22. 6. 62 — V 12/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS) ist die Versagung des Aufsteigens im Gehalt vom Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils an zu berechnen.
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§18
Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe
das in § 17 I S. 151 Gesagte. Der Beschuldigte verliert durch die Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe also bereits erworbene Dienstalterszulagen. Für die Angemessenheit der Disziplinarstrafe nach § 7 b BDO, § 7 b BDO i. d. F. der Novelle ist die Straf art als solche entscheidend. Die Wahl der Strafe richtet sich im wesentlichen nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschuldigten1. II. ANWENDUNGSBEREICH Da die Disziplinarstrafe des Versagens des Aufsteigens im Gehalt nur im förmlichen Disziplinarverfahren, also nur gegen Beamte auf Lebenszeit der Besoldungsordnung A verhängt werden kann, scheidet sie bei Beamten auf Probe und bei Beamten auf Widerruf aus. Ebenso kommt sie nicht bei Ehren -und Gebührenbeamten in Frage. Bei Beamten auf Lebenszeit scheiden die Beamten der Besoldungsordnung Β aus, weil sie feste Gehälter beziehen, die nicht in Dienstaltersstufen eingeteilt sind. Ebenso scheiden solche Lebenszeitbeamte aus, die sich noch in der Eingangsstufe ihrer Besoldungsgruppe befinden; dies kann das Disziplinargericht aus der nach Nr. 2 der DVO zu § 53 BDO vorgeschriebenen Mitteilung der Einleitungsbehörde erkennen. Hat das Disziplinargericht dennoch bei einem Beamten der Eingangsstufe auf die Disziplinarstrafe des § 7b BDO, § 7b BDO i. d. F. der Novelle erkannt, so kann die Strafe keinerlei Wirkung ausüben. Schließlich kommt die Disziplinarstrafe nach § 7b BDO, § 7b BDO i. d. F. der Novelle bei Ruhestandsbeamten nicht zur Anwendung. III.VERBINDUNG DER DISZIPLINARSTRAFE DER VERSAGUNG DES AUFSTEIGENS IM GEHALT MIT DER EINSTUFUNG IN EINE NIEDRIGERE DIENSTALTERSSTUFE Bereits in § 12 S. 136 ist darauf hingewiesen worden, daß nach §4 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle die Disziplinarstrafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt mit der der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verbunden werden kann. Die Verbindung dieser beiden Disziplinarstrafen kommt insbesondere dann in Frage, wenn der Beschuldigte sich in einer der ersten oder der letzten Dienstaltersstufen seiner Besoldungsgruppe befindet, weil ansonsten die Verhängung nur einer Disziplinarstrafe in einem derartigen Falle von geringerer Wirkung sein würde. Wird die Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verhängt, so muß sie, wenn sie sich auswirken soll, nach der Auffassung des DiszSenats des OVG Münster2 auf länger als zwei Jahre bemessen werden. Sie ist jedoch auch dann wirksam, wenn sie neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verhängt wird und nur auf zwei Jahre bemessen wird 3 . Die abweichende Meinung des DiszSenat OVG Münster mag für das Land Nordrhein-Westfalen zutreffen, weil die Fassung der DO NW in Nr. 4 Satz 3 der DVO zu § 110 DO NW von der entsprechenden Vorschrift der Nr. 4 Satz 3 der DVO BDH 15. 1. 57 — I D 39/55 — BDHE Bd. 3 S. 188 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 321. DiszSenat OVG Munster 30. 9. 60 — V 1/60 — in ZBR 1961 S. 390 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 456 = DöV 1961 S. 14 = OVGE Bd. 16 S. 98 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 108. 3 BDH 17. 5. 58 — I D 53/56 — in ZBR 1958 S. 320 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 291; BDH 10. 2. 61 — II D 87/60 — BDHE Bd. 6 S. 56. 1
2
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Vollstreckung und Straffolgen
§18
zu § 102 BDO abweicht. Nr. 4 Satz 3 DVO zu § 102 BDO bestimmt für den Fall, daß die Versagung des Aufsteigens im Gehalt neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe verhängt worden ist, daß das Besoldungsdienstalter zunächst nach Nr. 3 festgesetzt und sodann nach Satz 1 und 2 dieser Nummer gekürzt wird. Die Nr. 3 i. V. m. Nr. 2 sieht vor, daß mit der Rechtskraft des Urteils der Verurteilte die Dienstbezüge nach der in dem Urteil bestimmten Dienstaltersstufe erhält, in dieser sodann zwei Jahre von der Rechtskraft an gerechnet verbleibt und sein Besoldungsdienstalter entsprechend neu festzusetzen ist. Dieses neu festgesetzte Besoldungsdienstalter wird dann zwecks Vollstreckung der zusätzlichen Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt nach Nr. 4 Satz 1 DVO zu § 102 BDO gekürzt. Bei dieser Regelung wirkt sich eine zusätzlich zu einer Rückstufung ausgesprochene Versagung des Aufsteigens im Gehalt auch dann aus, wenn sie nur auf zwei Jahre bemessen wird. Ist neben der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe auf Versagung des Aufsteigens im Gehalt erkannt worden, so hat der Verurteilte zunächst die Dienstaltersstufe zu durchlaufen, in die er eingestuft worden ist; dann bleibt ihm das Aufsteigen im Gehalt um die im Urteil genannte Anzahl von Jahren versagt4. Die Vorschrift des § 102 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle ist nicht eine Ausnahmevorschrift von § 102 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle; beide Vorschriften regeln vielmehr etwas voneinander Verschiedenes. Während nämlich bei dem bloßen Versagen des Aufsteigens im Gehalt das Durchlaufen der Dienstaltersstufe, in der sich der Verurteilte bei Rechtskraft des Urteils befindet, nicht gehemmt wird, ist es bei Koppelung mit der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe anders. Da der Beamte nach § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle bei bloßer Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe mit der Rechtskraft des Urteils in diese Stufe eintritt, muß für die Auswirkung der gekoppelten Strafe ebenfalls der Zeitpunkt der Rechtskraft maßgebend sein. Dies bedeutet, daß der Verurteilte von der Rechtskraft des Urteils an zunächst die Dienstaltersstufe zu durchlaufen hat, in die er zurückgestuft worden ist, und daß nach Ablauf von zwei Jahren das dann an sich akut werdende Aufrücken in die nächsthöhere Dienstaltersstufe um die im Urteil bestimmte Anzahl von Jahren gehemmt wird. IV. STRAFFESTSETZUNG Die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe kann nur durch Urteil des Disziplinargerichts erfolgen. In dem Urteil ist die Dienstaltersstufe zu bezeichnen, in die der Beschuldigte eingestuft werden soll. Wird daneben noch auf die Versagung des Aufsteigens im Gehalt erkannt, so ist außerdem die Dauer des Verbleibens in der neuen Dienstaltersstufe anzugeben, wobei das in § 17 III Gesagte gilt. V. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe vollstreckt der Dienstvorgesetzte (§102 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). 4
BDH 27. 6. 60 — III DB 9/60 — BDHE Bd. 5 S. 188 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 563.
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§18
Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe
Bei der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe tritt der Beamte mit der Rechtskraft des Urteils in die Dienstaltersstufe ein, die in dem Urteil bestimmt ist (vgl. § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle geschieht dies erst mit dem Ersten des der Rechtskraft des Urteils folgenden Monats. Für die Beamten, die vor Inkrafttreten der Novelle rechtskräftig mit Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bestraft worden sind, ist eine Angleichung in Art. III § 6 der Novelle vorgesehen, indem sie gleichfalls als am Ersten des Monats, in dem das Urteil rechtskräftig geworden ist, in die Dienstaltersstufe zurücktreten, in die sie zurückgestuft worden sind. Die Regelung der Novelle bedeutet zunächst einmal für die Verwaltung eine Vereinfachung, da das Besoldungsdienstalter nunmehr nicht mehr im Widerspruch zur sonstigen Regelung auf einen anderen Tag als am Monatsersten festgesetzt wird, so daß die Dienstbezüge nicht mehr für jeden Monat, in dem ein Aufsteigen in eine höhere Dienstaltersstufe erfolgt, nach Tagen je für die niedrigere und die höhere Stufe berechnet werden müssen. Die Regelung bedeutet auch für den Beamten eine Verbesserung, da der Eintritt in die niedrigere Stufe nicht mit der Rechtskraft des Urteils, sondern erst mit dem Beginn des nächsten Monats erfolgt und durch eine Festsetzung des Besoldungsdienstalters auf einen anderen Tag als den Ersten eines Monats erkenntlich ist, daß der Beschuldigte mit der Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bestraft worden war, was nunmehr entfällt (vgl. Amtl. Begründung zu Art. I Nr. 112 der Novelle). Der Bestrafte steigt in die nächsthöhere Dienstaltersstufe zu demselben Zeitpunkt auf, zu dem er ohne die Disziplinarstrafe nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften aufgestiegen wäre oder hätte aufsteigen können, wenn er das Endgrundgehalt noch nicht erreicht hätte (§102 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Dagegen verbleibt er nach Nr. 2 Satz 3 DVO zu § 102 BDO zwei Jahre in der Dienstaltersstufe, in die er zurückgestuft worden ist, und steigt dann erst in die nächsthöhere Dienstaltersstufe auf. Die Regelung der Novelle bedeutet auch hierin eine Verbesserung für den Bestraften. Ist die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe mit der Strafe der Versagung des Aufsteigens im Gehalt verbunden, so gilt das unter § 17 IV S. 153f. Gesagte. Für die Tragweite eines auf Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe lautenden Urteils ist die vom Disziplinargericht bestimmte neue Dienstaltersstufe auch dann maßgebend, wenn das Disziplinargericht die Höhe der bisher vom Beamten erreichten Dienstaltersstufe unzutreffend beurteilt hat5. Da der Verurteilte die bereits erworbenen Dienstalterszulagen verliert, vermindern sich seine Bezüge um den Unterschiedsbetrag zwischen dem Gehalt aus der zuletzt erreichten Dienstaltersstufe und der Dienstaltersstufe, in die er nunmehr eingestuft worden ist. Der Verurteilte erhält nämlich die Dienstbezüge nach der Dienstaltersstufe, in die er nunmehr eingestuft worden ist (Nr. 2 Satz 1 DVO zu § 102 BDO). Er bleibt in dieser Dienstaltersstufe zwei Jahre von der Rechtskraft des Urteils ab gerechnet; nach Ablauf dieser Zeit steigt er in die nächsthöhere und die weiteren Dienstaltersstufen nach 6
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BDH 15.1. 57 — I D 39/55 — BDHE Bd. 3 S. 188 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 321.
Landesrechtliche Regelung
§18
den Bestimmungen des BBesG auf (Nr. 2 Satz 2 DVO zu § 102 BDO). Das B e s o l d u n g s d i e n s t a l t e r ist neu f e s t z u s e t z e n (Nr. 2 Satz 3 DVO zu § 102 BDO); hierfür gilt das unter § 17 IV Gesagte entsprechend. Der Wohnungsgeldzuschuß sowie Stellen- und andere Zulagen werden nach dem neuen Grundgehaltssatz gewährt (Nr. 2 Satz 4 DVO zu § 102 BDO). Zulagen, die auch bei der Dienstaltersstufe zu gewähren sind, in die der Verurteilte eingestuft worden ist, werden weiter gewährt; sie bleiben von der Vorschrift des § 7b BDO, BDO i. d. F. der Novelle unberührt. Der Bestrafte darf nach Nr. 2 DVO zu § 7b BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 7b Satz2 BDO i. d. F. der Novelle so lange nicht befördert werden, bis er die Dienstaltersstufe wieder erreicht hat, in die er vor seiner Verurteilung zuletzt aufgerückt war oder in die er aufgerückt wäre, wenn der Anspruch auf das Aufsteigen in den Dienstaltersstufen nicht infolge der vorläufigen Dienstenthebung geruht hätte (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 BBesG). Im übrigen gilt für die Beförderungssperre das unter § 17 IV Gesagte entsprechend. Ihre Dauer erhöht sich im Falle der Verbindung der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe mit der Versagung des Aufsteigens im Gehalt um die im Urteil genannte Dauer der Versagung des Aufsteigens im Gehalt. War der Beschuldigte vor Rechtskraft des Urteils in den Ruhestand getreten, so kann die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nicht vollstreckt werden®. Durch die Einführung der Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts auf Grund des § 9 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle, die im aktiven Beamtenverhältnis den Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bzw. der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt entspricht, ist künftig die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe durch das Berufungsgericht im Falle der Zurückweisung der Berufung in die Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts zu ändern, indem bei der Errechnung der Höhe des Ruhegehalts die Dienstaltersstufe zugrunde zu legen ist, in die der Beschuldigte von dem Gericht der 1. Instanz eingestuft worden ist. Die Disziplinarstrafen der Herabstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe, die vor Inkrafttreten des BBesG verhängt worden waren, sind in der Weise umzustellen, daß abstandsgleich um die gleiche Zahl der Dienstaltersstufen zurückzustufen ist7. Einzelheiten hierzu regelt der Runderlaß des Bundesministers des Innern vom 17. 9. 58 — II A 3 23 — 3775/58 — II Β 1 — BA 3100 — 158/58. VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die DStO Brm., die HDO und die DStO Schl.-Hol. kennen die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nicht. In den Disziplinargesetzen der übrigen Länder entsprechen dem § 7 b Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 9 Abs. 1 LDO BW, Art. 8a DStO Bayr., § 9 LDO Bln., § 7 b DO Hmb., § 9 Satz 1 und 2 NDO, § 9 DO NW, § 9 LDO Rh.-Pf. und § 7b DStO Saar. Daß der Verurteilte so lange nicht befördert werden darf, bis er die Dienstaltersstufe wieder erreicht hat, in die er vor seiner Verurteilung zuletzt aufgerückt war, ergibt sich aus § 9 Abs. 2 LDO BW und § 10 Abs. 2 NDO, im β 7
BDH5.4. 57 — ID57und65/55 — BDHEBd.3S. 251 = Lindgen, TeilIVNr.333. BDH 17. 5. 58 — I D 53/56 — in ZBR 1958 S. 320 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 291.
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§18
Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe
übrigen aus den Durchführungsvorschriften oder aus dem Grundsatz a maiore ad minus, weil bereits an die nächstniedrigere Disziplinarstrafe — die Versagung des Aufsteigens im Gehalt — eine Beförderungssperre geknüpft ist. Nach Art. 4 Abs. 3 DStO Bayr. kann gegen Beamte auf Zeit im Sinne des Bayr. Gesetzes über kommunale Wahlbeamte die Dienststrafe der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nicht verhängt werden. Der DYO zu § 7b BDO entsprechen § 5 Abs. 1 und 2 ADV DStO Bayr. (wegen des späteren Aufrückens in den Dienstaltersstufen vgl. ADV DStO Bayr. Nr. 3 i. V. m. Nr. 2 zu Art. 103 DStO Bayr.), DVO zu § 9 DO NW und § 9 der 1. DVO zur LDO Rh.-Pf. Ein Beamter, der mit der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bestraft worden ist, darf nach § 5 DVO zur LDO Bln. nur bei besonders hervorragenden Leistungen befördert werden, bevor er die Dienstaltersstufe wieder erreicht hat, in die er vor seiner Verurteilung zuletzt aufgerückt war oder, wenn der Beamte während des Verfahrens vorläufig des Dienstes enthoben war, ohne die in § 5 Abs. 4 Satz 1 LBesG Bln. bezeichnete Rechtsfolge aufgerückt wäre. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 1. DVO zur NDO erhält der Beamte die Dienstbezüge aus der niedrigeren Besoldungsgruppe, wenn die festgesetzte Dienstaltersstufe im Amt des Beamten einer niedrigeren Besoldungsgruppe angehört als diejenige, in der es sich im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils befunden hat. Muß der Beamte in seinem Amt eine mit derselben Zahl benannte Dienstaltersstufe zweimal in verschiedenen Besoldungsgruppen durchlaufen, so ist im Urteil auch die Besoldungsgruppe zu bestimmen, falls er in eine solche Dienstaltersstufe eingestuft werden soll ( § 5 Abs. 2 1. DVO zur NDO). Das Besoldungsdienstalter ist zu festzusetzen, wie es sich ergeben würde, wenn der Beamte im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils in die festgesetzte Dienstaltersstufe aufgestiegen wäre (§ 5 Abs. 2 Satz 1 1. DVO zur NDO). § 6 Abs. 4 LBesG gilt sinngemäß (§ 5 Abs. 2 Satz 2 1. DVO zur NDO). Ist im Urteil zusätzlich auf Versagung des Aufsteigens im Gehalt erkannt worden, so bleibt der Beamte unter Berücksichtigung des nach § 5 Abs. 2 1. DVO zur NDO festgesetzten Besoldungsdienstalters so lange in der niedrigeren Dienstaltersstufe, wie ihm das Aufsteigen versagt worden ist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 1. DVO zur NDO). Das nach § 5 Abs. 2 1. DVO zur NDO festgesetzte Besoldungsdienstalter des Beamten ist nach Ablauf dieser Zeit um den um zwei Jahre gekürzten Zeitraum hinauszuschieben, für den ihm das Aufsteigen im Gehalt versagt worden ist (§ 5 Abs. 3 Satz 2 1. DVO zur NDO). Hinsichtlich der Vollstreckung bestimmen die Länderdisziplinargesetze, daß im Falle der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe der Beamte mit der Rechtskraft des Urteils in die Dienstaltersstufe eintritt, in die er zurückgestuft worden ist ( so § 108 Abs. 2 LDO BW, Art. 103 Abs. 2 DStO Bayr., § 104 Abs. 2 LDO Bln., § 102 Abs. 2 DO Hmb., § 116 Abs. 2 NDO, § 110 Abs. 2 DO NW, § 112 Abs. 2 LDO Rh.-Pf. und § 102 Abs. 2 DStO Saar). Bei der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe ist das BDA so festzusetzen, wie es sich ergeben würde, wenn der Beamte im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils in die festgesetzte Dienstalterstufe aufgestiegen wäre ( § 6 Abs. 1 Satz 1 DVO zur LDO BW). § 6 Abs. 4 LBesG gilt entsprechend (§ 6 Abs. 1 Satz 2 DVO zur LDO BW). Gehört die festgesetzte Dienstaltersstufe im Amt eines Beamten einer niedrigeren Besoldungsgruppe an als diejenige, in der er sich im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils befunden hat, so erhält der 160
Begriff
§19
Beamte die Dienstbezüge aus der niedrigeren Besoldungsgruppe ( § 6 Abs. 2 DVO zur LDO BW). Ist im Urteil zusätzlich auf Versagung des Aufsteigens im Gehalt erkannt worden, so bleibt der Beamte unter Berücksichtigung des nach § 6 Abs. 1 DVO zur LDO BW festgesetzten Besoldungsdienstalters so lange in der niedrigeren Dienstaltersstufe, wie ihm das Aufsteigen versagt worden ist (§ 6 Abs. 3 Satz 1 LDO BW). Das nach § 6 Abs. 1 DVO zur LDO BW festgesetzte BDA des Beamten ist nach Ablauf dieser Zeit um den um zwei Jahre gekürzten Zeitraum hinauszuschieben, für den ihm das Aufsteigen im Gehalt versagt worden ist (§ 6 Abs. 3 Satz 2 DVO zur LDO BW).
§ 19. Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt I. BEGRIFF Durch die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt verliert der Beamte alle Rechte aus seinem bisherigen Amt einschließlich der damit verbundenen Dienstbezüge und der Befugnis, die bisherige Amtsbezeichnung zu führen (§ 7 c Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Während die Disziplinarstrafen nach § § 7 bis 7b BDO, BDO i. d. F. der Novelle rein vermögensrechtlicher Art sind, bedeutet die Bestrafung nach § 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle eine strafweise Entfernung aus dem bisherigen Amt, also eine nachteilige Regelung des Beamtenstatus, wobei die hiermit verbundenen vermögensrechtlichen Nachteile mitunter von untergeordneter Bedeutung sind. Welche Ämter zu einer Laufbahn gehören und welches Amt als Eingangsamt anzusehen ist, ergibt sich aus den allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen. Für den Bereich der Bundesbeamten gilt die Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamten — Bundeslaufbahnverordnung (BLV) — i. d. F. vom 14.4.65 (BGBl.) I S. 322. Nach § 2 Abs. 1 a. a. O. umfaßt eine Laufbahn alle Ämter derselben Fachrichtung, die eine gleiche Vorbildung und Ausbildung voraussetzen. Die Laufbahnen gehören zu den Laufbahngruppen des einfachen, des mittleren, des gehobenen und des höheren Dienstes ( § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 a. a. O.). Die Zugehörigkeit bestimmt sich nach dem Eingangsamt ( § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 a. a. O.) Laufbahnen gelten als einander gleichwertig, wenn sie zu derselben Laufbahngruppe gehören und wenn die Befähigung für diese Laufbahnen eine im wesentlichen gleiche Vorbildung und Ausbildung voraussetzt oder die Befähigung für die eine Laufbahn auch auf Grund der Vorbildung, Ausbildung und Tätigkeit in der anderen Laufbahn durch Unterweisung erworben werden kann ( § 2 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). Eingangsamt der Laufbahn ist im einfachen Dienst ein Amt in der Besoldungsgruppe 1, 2, oder 3, im mittleren Dienst ein Amt in der Besoldungsgruppe 5, im gehobenen Dienst ein Amt in der Besoldungsgruppe 9, im höheren Dienst ein Amt in der Besoldungsgruppe 13 der Besoldungsordnung A des Bundes oder ein Amt in den entsprechenden Besoldungsgruppen anderer Besoldungsordnungen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 a. a. O.). Der in § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle zugrunde gelegte Laufbahnbegriff ist kein anderer als der in den beamtenrechtlichen Bestimmungen ent11 L i n d g c n , Disziplinarrecht I
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§19
Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt
haltene. Durch die Disziplinarstrafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt kann ein Beamter nur in ein Amt der Laufbahngruppe — einfacher, mittlerer, gehobener oder höherer Dienst — versetzt werden, der er zur Zeit der Bestrafung angehört. Das gilt auch für einen Aufstiegsbeamten, der im Laufe seines dienstlichen Werdegangs aus einer niedrigeren in eine höhere Laufbahn aufgerückt ist 1 . Ein Beamter des gehobenen Dienstes, der in seiner Laufbahn ein Amt des Besoldungsgruppe A 13 oder A 14, ζ. Β. als Ministerialbürodirektor, bekleidet, kann in ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 versetzt werden, weil er sich auch als Ministerialbürodirektor in der gehobenen Laufbahn befindet. Um die Höhe des Endgrundgehalts aus dem letzten vom Beschuldigten innegehabten Amt mit der Höhe des Amtes zu vergleichen, in das der Beschuldigte versetzt werden soll, sind die ruhegehaltsfähigen und unwiderruflichen Stellenzulagen einzubeziehen, da sie nach Nr. 2 Satz 1 DVO zu § 11 BDO als Bestandteile des Grundgehalts gelten; hierzu rechnen nicht die widerruflichen Zulagen oder nichtruhegehaltsfähigen Zulagen, wie ζ. B. Ministerialzulagen. Der Begriff „Laufbahn" im Sinne des § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist — anders als in § 37 BDO, BDO i. d. F. der Novelle — nicht mit dem Oberbegriff „Laufbahngruppe" gleichzusetzen. Eine Laufbahn erstreckt sich nicht über mehrere Laufbahngruppen. Für die Zugehörigkeit zu einer Laufbahngruppe ist nicht die spätere Besoldungsgruppe des Beamten entscheidend, sondern das Eingangsamt seiner Laufbahn 2 . Nach § 2 Abs. 2 der Bundeslaufbahnverordnung gehören die Laufbahnen den Laufbahngruppen des einfachen, des mittleren, des gehobenen und des höheren Dienstes an; die Zugehörigkeit bestimmt sich nach dem Eingangsamt. Daraus ergibt sich zunächst, daß sich eine Laufbahn innerhalb einer Laufbahngruppe bewegen muß ; diese ist der Oberbegriff. Eine Laufbahn, die sich über mehrere Laufbahngruppen erstreckt, gibt es nicht. Weiter ergibt sich daraus; daß die Laufbahngruppe sich ausschließlich nach dem Eingangsamt bemißt, nicht aber nach der Endbesoldungsgruppe. Es ist zwar in vielen Verwaltungen die Regel, daß sich die letzte Besoldungsgruppe einer Laufbahn an die der vorhergehenden Laufbahngruppe anschließt, aber es muß nicht sein. Wird der Beschudigte in ein Amt einer anderen Laufbahn herabgestuft, so handelt es sich um eine nicht in der BDO vorgesehene Disziplinarstrafe, so daß dies einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens bildet. II. ANWENDUNGSBEREICH Da die Disziplinarstrafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden kann, kommt sie nur bei einem Lebenszeitbeamten in Frage, der sich nicht mehr in der Eingangsgruppe seiner Laufbahn befindet. Sie scheidet also gegenüber Beamten auf Probe und auf Widerruf aus. Ebenso kommt die Strafe bei Ehrenbeamten, die nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 BBG nicht versetzt werden können, nicht in Frage. Weiterhin entfällt sie bei solchen BeBDH 18.10. 54 — I D 179/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 100. BDH 17.10. 56 — I D 28/55 — BDHE Bd. 3 S. 187 = NDBZ 1957 S. 89; DiszSenat OVG Münster 2. 9. 60 — V 3/60 —. 1
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Straffestsetzung
§19
amten, die sich noch in der Eingangsgruppe ihrer Laufbahn befinden, weil sie bei diesem Personenkreis wirkungslos wäre. Schließlich scheidet sie bei Ruhestandsbeamten aus, bei denen jedoch nach § 9 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle auf Herabsetzung des Ruhegehalts erkannt werden kann ; tritt der Beschuldigte, der in der ersten Instanz zu der Strafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt bestraft wird, im Laufe des Berufungsverfahrens in den Ruhestand, so gilt das Urteil auf Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt als Urteil auf Herabsetzung des Ruhegehalts ( vgl. § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle). Bis zur Einführung der Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts ist eine Vollstreckung der Strafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt in einem solchen Falle nicht möglich 3 . Wenn auch die Disziplinarstrafen der §§ 7a bis 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle durch das Änderungsgesetz vom 28. 11. 52 als Zwischenstrafen zwischen der Gehaltskürzung und der Entfernung aus dem Dienst geschaffen worden sind, so hat dies nicht die Bedeutung, daß nunmehr in einem geringeren Umfange als früher auf die Höchststrafe erkannt werden soll4. Die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt soll bei solchen Dienstvergehen zur Anwendung kommen, wo der Beamte das Vertrauen zu seinem Dienstherrn wohl noch nicht endgültig, aber in einem sehr erheblichen Umfange zerstört hat. Wenn auch bei der Strafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt die Straftat als solche entscheidend ist, so kann bei der Auswahl des Amtes, in das der Beschuldigte herabgestuft werden soll, auch auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten Rücksicht genommen werden6, wobei allerdings die Schwere der Verfehlung nicht ganz außer Ansatz zu bleiben hat6. ΙΠ. STRAFFESTSETZUNG Die Strafe der Versetzung in ein" Amt derselben Laufbahn kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch ein Urteil eines Disziplinargerichts ausgesprochen werden. Das Disziplinargericht bestimmt im Urteil zunächst einmal das Amt, in das der Beschuldigte herabgestuft wird. Hierbei wird das Amt nur allgemein, nicht jedoch konkret nach einer bestimmten Planstelle der Besoldungsgruppe bezeichnet. Mit Rücksicht auf die Zusammenfassung der Ämter in Gruppen kann das n e u e A m t nur d u r c h die mit i h m v e r b u n d e n e A m t s b e z e i c h n u n g n ä h e r b e s t i m m t w e r d e n . Falls das Amt in mehreren Besoldungsgruppen erscheint, muß die Besoldungsgruppe dem neuen Amt hinzugefügt werden (Nr. 1 Satz 3 DVO zu § 7c BDO). Eine bloße Herabstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe ist unzulässig und als eine in der BDO nicht vorgesehene Strafe im Sinne des § 83 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 83 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle anzusehen7. 3 4 5 6 7
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BDH 5. 4. 57 — I D 57 und65/55 —BDHEBd. 3 S. 251 = L i n d g e n , TeillVNr. 333. Behnke, Anm. 1 Abs. 2 zu § 7 c BDO. BDHE Bd. 3 S. 188. DokBer. Nr. 1562. BDH 18. 2. 54 — II D 136/53 — BDHE Bd. 1 S. 45.
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§19
Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt
Weiterhin benennt das Disziplinargericht die Dienstaltersstufe, nach der sich die Dienstbezüge des Beamten in der neuen Besoldungsgruppe bestimmen (§ 7 c Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Das Disziplinargericht kann den Beschuldigten in der Dienstaltersstufe belassen, die er in seinem früheren Amt innehatte. Es kann ihn jedoch auch in eine niedrigere Dienstaltersstufe einstufen, was sich nicht als eine weitere Disziplinarstrafe oder als eine Nebenstrafe, sondern nur als eine gesetzliche Folge aus der Verurteilung zu einer Disziplinarstrafe nach § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle darstellt. Bei der Einstufung in eine andere Dienstaltersstufe ist vor allem darauf Bedacht zu nehmen, daß die Dienstbezüge nach der Bestrafung nach § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle geringer als vorher sind, weil ansonsten der Strafzweck verloren gehen würde 8 . Das Disziplinargericht kann im Urteil bestimmen, daß der Beamte nicht in eine Planstelle eingewiesen werden darf, mit der ruhegehaltsfähige und unwiderrufliche Stellenzulagen verbunden sind (Nr. 2 Satz 2 DVO zu § 7c BDO). Da diese Bestimmung nicht im Gesetz, sondern in der DVO aufgenommen ist, ist sie rechtsunwirksam; sie stellt eine Straffolge fest, die nur in einem Gesetz angeordnet werden kann9. Betrachtet man Nr. 2 Satz 2 BDO zu § 7c BDO jedoch als rechtswirksam, so kann diese Bestimmung im Urteilstenor selbst dann getroffen werden, wenn der Beamte aus dem bisher innegehabten Amt keine Stellenzulagen bezogen hatte. Durch die Aufnahme einer solchen Bestimmung in den Urteilstenor kann verhindert werden, daß die Dienstbehörde den Verurteilten in ein Amt mit ruhegehaltsfähigen Zulagen einweist und so dem disziplinargerichtlichen Erkenntnis jede Wirkung nimmt. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Das Urteil, durch das der Beschuldigte in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden ist, hat rechtsgestaltenden Charakter, so daß es in diesem Falle keiner besonderen Vollstreckungshandlung bedarf. Die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt wird mit der Rechtskraft des Disziplinarurteils wirksam (Nr. 2 Satz 1 DVO zu § 102 BDO). Mit der Rechtskraft des Urteils verliert der Verurteilte kraft Gesetzes die Dienstbezüge aus dem bisherigen Amt, seine bisherige Amtsbezeichnung, die er selbst nicht mit dem Zusatz „a. D." führen darf, und die Nebenämter und Nebenbeschäftigungen, die mit dem bisherigen Amt verbunden waren oder die er auf Anordnung, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstherrn übernommen hatte (Nr. 3 DV zu § 7c BDO). Der Verurteilte ist so zu behandeln, als wenn er das vor seiner Verurteilung bekleidete Amt niemals inngehabt hätte. Nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle tritt der Beamte im Falle der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt erst mit dem Ersten des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats in die Dienstaltersstufe der nunmehrigen Besoldungsgruppe ein, 8 9
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Vgl. Behnke, Anm. 9 zu § 7 c BDO. So auch Schütz in DöD 1961 S. 226.
Vollstreckung und Straffolgen
§19
die in dem Urteil bestimmt ist; ist der Beamte vor Inkrafttreten der Novelle hierzu rechtskräftig bestraft worden, so gilt er nach Art. III § 6 der Novelle am Ersten des Monats, in dem das Urteil rechtskräftig geworden ist, in die Dienstaltersstufe zurückgetreten, in die er zurückgestuft worden ist. Über die Vorteile der Regelung für die Verwaltung und den Bestraften siehe § 18 V S. 158. Der Beamte erhält die Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe, die dem neuen Amt entspricht, und nach der im Urteil bestimmten Dienstaltersstufe (Nr. 2 Satz 2 DVO zu § 102 BDO). Er bleibt in dieser Dienstaltersstufe zwei Jahre von der Rechtskraft des Urteils ab gerechnet; nach Ablauf dieser Zeit steigt er in die nächsthöhere oder die weiteren Dienstaltersstufen nach den Bestimmungen des BBesG auf (Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 DVO zu § 102 BDO). Nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle steigt er in die nächsthöhere Dienstaltersstufe zu demselben Zeitpunkt auf, zu dem er ohne die Disziplinarstrafe nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften aufgestiegen wäre oder hätte aufsteigen können, wenn er das Endgrundgehalt noch nicht erreicht hätte; die Regelung der Novelle stellt auch hier eine Verbesserung für den Bestraften dar. Das Besoldungsdienstalter des Beamten ist entsprechend festzusetzen (Nr. 2 Satz 4 DVO zu § 102 BDO). Bezüglich der Festsetzung des Besoldungsdienstalters gilt das zu § 17 IV S. 153 Gesagte. Der Wohnungsgeldzuschuß sowie Stellen- und andere Zulagen werden nach dem neuen Grundgehaltssatz gewährt (Nr. 2 Satz 5 DVO zu § 102 BDO). Mit der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn ist eine Beförderungssperre verbunden. Nach Nr. 4 DVO zu § 7c BDO, darf der Bestrafte nur bei besonderer Bewährung und frühestens sieben Jahre nach Rechtskraft des Urteils wieder befördert werden. Nach § 7c Satz 3 BDO i. d. F. der Novelle beträgt die Beförderungssperre nur fünf Jahre; sie beginnt mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils. Da eine derartige Regelung, die eine weitere Strafmaßnahme darstellt und somit in einer Ausführungsanweisung zu § 7 c BDO keine Rechtswirksamkeit erlangen kann, muß sie deshalb als § 7 Satz 3 in der Novelle zur BDO verankert werden 10 . Für die Beförderung gilt das in § 17 IV S. 154. Gesagte. Da die Beförderung eine Ernennung unter Einweisung in eine neue Planstelle mit höherem Endgrundgehalt darstellt, scheiden hierbei die bloßen Änderungen der Amtsbezeichnungen in derselben Besoldungsgruppe aus. Es würde also nicht § 7c Satz 3 BDO i. d. F. der Novelle widersprechen, wenn ein Postinspektor zum Postmeister oder ein Abteilungspräsident zum Ministerialrat ernannt würde. Würde der Beamte trotz der Beförderungssperre befördert werden, so bliebe diese Ernennung dennoch wirksam; sie wäre weder nichtig noch anfechtbar. Dem Beamten, der in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden ist, ist für das neue Amt keine Ernennungsurkunde auszuhändigen, da das Urteil an die Stelle der Versetzungsurkunde tritt. Dies gilt selbst dann, wenn der Beschuldigte im Verlaufe seines dienstlichen Werdeganges das Amt nicht bekleidet hatte, was ζ. B. dann der Fall ist, wenn der Verurteilte vom Oberregierungsrat unmittelbar zum Ministerialrat 10
Vgl. Schütz in DöD 1961 S. 226.
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Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt
ernannt worden war und nunmehr auf Grund des § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle zum Regierungsdirektor herabgestuft worden ist. Die Einweisung in die neue Planstelle wird im Verwaltungswege vorgenommen (Nr. 2 Satz 3 DVO zu § 7c BDO). Hierbei muß das neue Amt in allen Einzelheiten bezeichnet werden. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsbestimmungen zur Anordnung des Bundespräsidenten über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Bundesrichter vom 14.10. 55 (BGBl. I S. 681) ist dem Beamten, dem u. a. ein anderes Amt mit anderem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung verliehen ist, zu dem Zeitpunkt, wo die Ernennung wirksam ist — im Falle des § 2 Nr. 2 Satz 1 DVO zu § 102 BDO ist dies der Tag der Rechtskraft des Urteils und nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle der Erste des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats — ein Amt bei einer bestimmten Behörde unter gleichzeitiger Einweisung in eine Planstelle zu übertragen. Die Übertragung des Amtes und die Einweisung in die Planstelle sind dem Beamten schriftlich mitzuteilen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.). In der Einweisungsverfügung ist dem Beamten der Tag der Rechtskraft des Urteils mitzuteilen. Er ist in eine freie Planstelle einzuweisen; ist keine Planstelle frei, so ist er aus seiner früheren Planstelle zu bezahlen, bis eine Planstelle aus dem Amt, in das er zurückversetzt worden ist, frei wird oder auf Anforderung neu zugewiesen wird. Mit der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit ger ingerem Endgrundgehalt ist noch nicht eine Versetzung zu einer anderen Dienststelle verbunden. Soll der Beschuldigte zu einer anderen Dienststelle oder gar zu einem anderen Dienstherm versetzt werden, so regelt sich die Versetzung nach den allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen, im Bereich des Bundes nach § 26 BBG. Für die Beamten, die vor dem Inkrafttreten des BBesG rechtskräftig zur Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt bestraft worden sind, gilt für die Berechnung des Besoldungsdienstalters der Runderlaß des Bundesministers des Innern vom 17. 9. 58 II A 3 23 — 3775/58 — II Β 1 — BH 3100 — 158/58. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Bis auf die Länder Bremen, das eine dem § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle entsprechende Bestimmung überhaupt nicht kennt, und SchleswigHolstein, wo nach § 5 Abs. 1 i. V. m. 9 DStO Schi.-Hol. eine Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Bezügen zulässig ist, so daß der Beamte auch in ein Amt einer niedrigeren Laufbahn, also ζ. B. ein Regierungsinspektor zum Regierungssekretär versetzt werden kann, entspricht die übrige landesrechtliche Regelung dem § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Nach Art. 4 Abs. 3 DStO Bayr. kann gegen Beamte auf Zeit im Sinne des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte die Strafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt nicht verhängt werden. Soweit das Beförderungsverbot sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus einer Durchführungsbestimmung, wie ζ. B. aus DV zu § 10 DO NW oder § 6 Abs. 5 ADV DStO Bayr. ergibt, ist die Verhängung einer solchen Beförderungssperre unwirksam, da sie als Strafmaßnahme aus dem Gesetz selbst folgen muß. Im einzelnen gilt folgendes : 166
Landesrechtliche Regelung
§19
1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 9 Abs. 1 L D O BW entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 9 Abs. 2 LDO BW darf einem Beamten, der mit Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bestraft worden ist, solange ein Amt mit höherem Endgrundgehalt nicht verliehen werden, bis er die Dienstaltersstufe wieder erreicht hat, in die er vor seiner Verurteilung zuletzt aufgerückt war oder ohne die in § 5 Abs. 4 des Landesbesoldungsgesetzes bezeichnete Rechtsfolge aufgerückt wäre. § 108 Abs. 2 LDO BW entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Der Beamte erhält von der Rechtskraft des Urteils an die Dienstbezüge nach der im Urteil festgesetzten Besoldungsgruppe und Dienstaltersstufe und führt die mit dem neuen Amt verbundene Amtsbezeichnung (§7 Abs. 1 DVO zur L D O BW). Das Besoldungsdienstalter ist so festzusetzen, wie es sich ergeben würde, wenn der Beamte im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils in die festgesetzte Dienstaltersstufe aufgestiegen wäre (§ 7 Abs. 2 Satz 1 DVO zur L D O BW). § 6 Abs. 4 LBesG gilt entsprechend (§ 7 Abs. 2 Satz 2 D V O zur L D O BW.) 2. B a y e r n Art. 8b Satz 1 und 2 DStO Bayr. entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 6 Abs. 1 ADV DStO entspricht Nr. 1 DVO zu § 7c BDO, § 6 Abs. 2 ADV DStO inhaltlich Nr. 2 DVO zu § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 und § 6 Abs. 4 ADV DStO Nr. 3 DVO zu § 7c BDO. Nach § 6 Abs. 3 ADV DStO hat die Einweisung die auch sonst hierfür zuständige Stelle vorzunehmen. Die Einweisung erfolgt mit Wirkung von dem Tage der Rechtskraft des Urteils. Nach § 6 Abs. 5 ADV DStO darf dem Beamten nur ausnahmsweise bei besonderer Bewährung und frühestens sieben Jahre nach Rechtskraft des Urteils ein Amt übertragen werden, das einer höheren Besoldungsgruppe angehört als das neue Amt. Art. 103 Abs. 2 DStO Bayr. entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952; § 26 Abs. 2 ADV DStO stimmt mit Nr. 2 DVO zu § 102 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 überein. 3. B e r l i n § 10 L D O Bln. entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 104 Abs. 2 L D O Bln. entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 6 DVO zur L D O Bln. entspricht inhaltlich DVO zu § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 4. H a m b u r g § 7c DO Hmb. entspricht § 7c Satz 1 und 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 102 Abs. 2 DO Hmb. entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 5. H e s s e n § 8 HDO entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 108 Abs. 2 HDO entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 6. N i e d e r s a c h s e n § 10 Abs. 1 NDO entspricht § 7c Satz 1 und 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 10 Abs. 2 Satz 1 entspricht § 9 Abs. 2 L D O BW (siehe 1). Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 9 Satz 4 NDO darf eine Stellenzulage nach § 21 Abs. 2 des Landesbesoldungsgesetzes nicht gezahlt werden, solange eine 167
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Entfernung aus dem Dienst
Beförderung ausgeschlossen ist. § 116 Abs. 2 NDO entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 6 Abs. 1 1. DVO zur NDO entspricht DVO Nr. 1 Satz 2 und 3 zu § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Das Besoldungsdienstalter ist so festzusetzen, wie es sich ergeben würde, wenn der Beamte im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils in die festgesetzte Dienstaltersstufe aufgestiegen wäre ( § 6 Abs. 2 Satz 1 1. DVO zur NDO). § 6 Abs. 4 LBesG gilt sinngemäß (§ 6 Abs. 2 Satz 2 1. DVO zur NDO). 7. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 10 DO NW entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 110 Abs. 2 DO NW entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. DVO zu § 10 DO NW entspricht DVO zu § 7 c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 8. R h e i n l a n d - P f a l z § 10 LDO Rh.-Pf. entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 112 Abs. 2 LDO Rh.-Pf. entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 1. DVO Nr. 1 bis 3 zu § 10 LDO Rh.-Pf. entspricht DVO Nr. 1, Nr. 2 Satz 1 und Nr. 3 zu § 7 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Eine spätere Beförderung bei hervorragender Bewährung ist nicht ausgeschlossen, jedoch ist besonders gewissenhaft zu prüfen, ob durch die Beförderung nicht der mit der Strafe verfolgte Zweck vereitelt wird (1. DVO Nr. 4 Satz 1 zu § 10 LDO Rh.-Pf.). Gleiches gilt für die Einweisung in eine Planstelle, mit der ruhegehaltsfähige und unwiderrufliche Stellenzulagen verbunden sind (1. DVO Nr. 4 Satz 2 zu § 10 LDO Rh.-Pf.). 9. S a a r l a n d § 7c DStO Saar entspricht § 7c BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. § 102 Abs. 2 DStO Saar entspricht § 102 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 10. S c h l e s w i g - H o l s t e i n Nach § 9 DStO Schl.-Hol. bewirkt die Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen den Verlust des Anspruchs auf die mit dem bisherigen Amt verbundenen Dienstbezüge sowie der Befugnis, die Amtsbezeichnung des bisherigen Amts zu führen. Der Beamte erhält die Dienstbezüge der Stelle in die er versetzt wird, und führt die Amtsbezeichnung dieser Stelle (§ 9 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). Unter diese Bestimmung fällt auch ein Beamter des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes, der sich noch in der Eingangsgruppe seiner Laufbahn befindet, weil er dann in eine Besoldungsgruppe einer niedrigeren Laufbahn versetzt werden kann. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol. ist die Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen mit der Rechtskraft des Urteils wirksam.
§ 20. Entfernung aus dem Dienst I. BEGRIFF Die schwerste Strafe des geltenden Disziplinarrechts stellt die Entfernung aus dem Dienst dar, die in § 8 BDO, BDO i. d. F. der Novelle geregelt ist. Sie 168
Anwendungsbereich
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bewirkt neben der Beendigung des Beamtenverhältnisses den Verlust des Anspruchs auf Dienstbezüge und Versorgung sowie der Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen sowie die Dienstkleidung zu tragen (vgl. § 8 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Die Entfernung aus dem Dienst und ihre Rechtsfolgen e r s t r e c k e n sich auf alle Ä m t e r , die der Bestrafte im unmittelbaren oder mittelbaren Bundesdienst bei Rechtskraft des Urteils bekleidet ( § 8 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Wird gegen einen Beamten, der früher in einem anderen Dienstverhältnis als Bundesbeamter, Richter des Bundes, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit gestanden hat, auf Entfernung aus dem Dienst erkannt, so verliert er auch die Ansprüche aus dem früheren Dienstverhältnis (Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung sowie die anderen Befugnisse nach § 9 Abs. 3 Satz 2 und 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), wenn er wegen eines in dem früheren Dienstverhältnis begangenen Dienstvergehens oder wegen einer als Dienstvergehen geltenden Handlung — gleichgültig, wann er diese begangen hat — verurteilt wird (§10 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst ist nicht nur Strafe, sondern auch die in einem rechtlich geordneten Verfahren durch Gerichtsurteil ausgesprochene Auflösung des Beamtenverhältnisses wegen Nichterfüllung der Beamtenpflichten1. Sie kommt somit der fristlosen Entlassung im allgemeinen Arbeitsrecht sehr nahe, nur daß sich hier die Rechtsbeziehungen nach öffentlichem Recht unter besonderer Berücksichtigung des öffentlichrechtlichen Beamtenverhältnisses gestalten. Π. ANWENDUNGSBEREICH Die Disziplinarstrafe der Entfernung kommt bei aktiven Lebenszeitbeamten in Betracht, weil sie nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch die Disziplinargerichte verhängt werden kann. Ob die Betroffenen einen Anspruch auf Dienstbezüge haben, ist für die Verhängung der Strafe nach § 8 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gleichgültig. Begeht ein Beamter auf Probe ein Dienstvergehen, das ihn für den öffentlichen Dienst untragbar erscheinen läßt, so kann er nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG entlassen werden. Der Beamte auf Widerruf ist nach § 32 Abs. 1 BBG zu entlassen. Bei Ruhestandsbeamten kommt die Disziplinarstrafe der Aberkennung des Ruhegehalts nach § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle in Frage. Tritt der Beschuldigte, der in erster Instanz zur Entfernung aus dem Dienst bestraft worden ist, im Laufe des Berufungsverfahrens in den Ruhestand, so gilt nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle ein auf Entfernung aus dem Dienst lautendes Urteil als Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts. Bei Beamten, die unter das G 131 fallen, kann nur auf Aberkennung der Rechte aus diesem Gesetz erkannt werden, falls die Pflichtverletzung so schwer ist, daß sie bei einem aktiven Beamten zur Entfernung aus dem Dienst führen würde. Die Strafe der Entfernung aus dem Dienst kommt dann in Betracht, wenn der Beamte das Vertrauen seiner Behörde zu ihr so grundlegend zerstört hat, daß eine Weiterbeschäftigung nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Sie ist bei der Verletzung der Hauptpflichten, wie ζ. B. der Verpflichtung zur 1 DiszSenat OVG Münster 9. 9. 60 — V 5/60 — OYGE (DiszS) Bd. 2 S. 121 = ZBR 1961 S.401 == NDBZ 1961 S. 159 = OVGE Bd. 16 S. 71 = VRspr. Bd. 13 S. 668 = L i n d gen, Teil IV Nr. 481.
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Entfernung aus dem Dienst
Redlichkeit oder Uneigennützigkeit, angebracht, wenn keine besonderen in der Tat selbst liegenden Umstände ausnahmsweise eine mildere Beurteilung zulassen. Zur Rechtfertigung der ausgesprochenen Höchststrafe kann im Disziplinarurteil auch der Abschreckungsgesichtspunkt herangezogen werden 2 . Dieser Gesichtspunkt liegt im Wesen der Disziplinargerichtsbarkeit als einer Einrichtung begründet, die im Interesse der Gesamtheit der Reinerhaltung des Beamtentums dienen soll. Hierdurch soll nicht erwa eine im Einzelfall verdiente Strafe verschärft werden, sondern es soll das Gesetz streng, aber gerecht auf die begangene Tat und den in ihr liegenden Vertrauensbruch, der grundsätzlich die Fortsetzung des Dienstverhältnisses für die betroffene Verwaltung untragbar erscheinen läßt, angewendet werden. Dies gilt vor allen in den Fällen, in denen die Verwaltung mangels hinreichender Überwachungsmöglichkeiten in besonderem Maß auf die Redlichkeit der damit betrauten Beamten angewiesen ist und daher jede eigensüchtige Unredlichkeit einen besonders schweren Vertrauensbruch darstellt. So muß ein Beamter der Deutschen Bundespost, der sich am Beförderungsgut vergreift, schon unter Berücksichtigung des Abschreckungsgesichtspunkts zur Höchststrafe verurteilt werden, selbst wenn die Tat vom ordentlichen Strafgericht äußerst milde beurteilt worden ist. Ob gegen den Beschuldigten die Höchststrafe verhängt werden soll, ist seine Gesamtpersönlichkeit zu berücksichtigen. Wenn auch eine einzelne Pflichtverletzung nicht die Höchststrafe rechtfertigt, so ist der Beamte dann nicht mehr für den öffentlichen Dienst tragbar, wenn er wegen einer an sich nicht so schwerwiegenden Pflichtwidrigkeit einschlägig bestraft, insbesondere wenn gegen ihn deshalb bereits die zweithöchste Disziplinarstrafe verhängt worden war 3 . Würde bei mehreren dem Beschuldigten zur Last gelegten Verfehlungen, wie ζ. B. bei häufiger Trunkenheit in und außerhalb der Dienstzeit, dadurch bedingter Vernachlässigung der Dienstpflichten, Schädigung des Ansehens der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit sowie wiederholten Schuldenmachen, jede einzelne Verfehlung für sich allein die Entfernung aus dem Dienst nicht rechtfertigen, so ist die s c h w e r s t e D i s z i p l i n a r s t r a f e d e n n o c h a n g e b r a c h t , w e n n die sich i m m e r w i e d e r h o l e n d e n E i n z e l v e r f e h l u n g e n in i h r e r Z u s a m m e n f a s s u n g ein n u r d u r c h sie a u s r e i c h e n d s ü h n b a r e s G e w i c h t h a b e n ; dies gilt insbesondere dann, wenn der Beschuldigte durch frühere Disziplinarstrafen und wiederholte Mahnungen sich nicht von seinem pflichtwidrigen Verhalten hat abhalten lassen1. Gleiches gilt, wenn der Verstoß gegen die gleichen Dienstpflichten auf den Zuspruch zu reichlichen Alkohols zurückzuführen ist; hier kommt es gar nicht darauf an, ob der Beschuldigte nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Willensschwäche die Dienstverfehlung begangen hat. Ist der Beamte bereits mehrere Male disziplinarisch bestraft worden, so rechtfertigt dieser Umstand jedoch allein noch nicht die Höchststrafe, wenn es sich bei der schwersten Vorstrafe nur um eine geringfügige Geldbuße handelt; bei einer solch geringfügigen Bestrafung, insbesondere wenn sie wegen eines geringfügigen Dienstvergehens, wie ζ. B. wegen eines wiederholten verspäteten Dienstantritts, ausgesprochen worden ist, muß der Beschuldigte noch nicht damit rechnen, daß er bei einem abermaligen 2 3 4
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BDH 23. 9. 54 — III D 22/54 — BDHE Bd. 2 S. 196. DokBer. Nt. 1618. BayrDStH 25.1. 60 — Nr. 26 DS I 59 — in BBZ 1963 S. 6 (LS).
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Fehlverhalten, durch das er das Vertrauen zu seinem Dienstherrn noch nicht grundlegend zerstört hat, mit der Höchststrafe zu bestrafen wäre 6 . Auch eine einmalige, aus Unbesonnenheit begangene Dienstverfehlung kann ihres objektiven Unrechtsgehaltes wegen durchaus so schwer wiegen, daß die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt erscheint, auch wenn ein künftiges Wohlverhalten des Beamten erwartet werden kann®. Entscheidend bleibt auch bei einer einmalig begangenen Pflichtwidrigkeit, ob der Beamte hierdurch das Vertrauen seines Dienstherrn für dauernd verwirkt hat. Die Höchststrafe ist auch bei einer einmaligen Pflichtverletzung dann am Platze, wenn der Beamte gegen eine seiner Hauptpflichten verstoßen hat oder wenn er selbst bei einem Verstoß gegen seine außerdienstlichen Pflichten zu einer Gefängnisstrafe von längerer Dauer bestraft worden ist. Aus der Bestimmung des § 48 BBG, wonach ein Beamter automatisch aus dem Dienst ausscheidet, wenn er u. a. im ordentlichen Strafverfahren wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu Gefängnis von einem Jahr und längerer Dauer bestraft worden ist, schließt Molitor 7 , daß eine Entfernung aus dem Dienst nur bei solchen Verfehlungen erfolgen darf, die in ihrem Unrechtsgehalt sich einem Vergehen, das zu einer Strafe von einem Jahr Gefängnis geführt hätte, nähern, so daß also nur die Dienstvergehen zur Entfernung aus dem Dienst führen dürften, für die im Strafverfahren eine mehrmonatige Gefängnisstrafe verhängt worden ist. Der Auffassung Molitors kann nicht gefolgt werden, weil sich solche Erwägungen mit dem Wesen und Zweck des Disziplinarverfahrens nicht vereinbaren lassen8. Der gesetzliche Beendigungsgrund nach § 48 BBG hat zu der Frage, wie ein Dienstvergehen zu ahnden ist, keine Beziehung9. Daraus, daß ein Beamtenverhältnis bei Verurteilung eines Beamten wegen vorsätzlich begangener Tat zu Gefängnis von einem Jahr und längerer Dauer mit der Rechtskraft des Strafurteils ohne weiteres endet, kann noch nicht gefolgert werden, daß bei einer Verurteilung zu einer geringeren Freiheitsstrafe im Disziplinarverfahren die Entfernung aus dem Dienst nur ausnahmsweise ausgesprochen werden kann. Die Disziplinarstrafe ist nämlich ohne Rücksicht auf die Höhe der Bestrafung durch das ordentliche Strafgericht auszuwählen, wobei es allein auf die Schwere der dienstlichen Verfehlung und die Gesamtumstände des Falles ankommt 10 ; sie soll erzieherisch wirken und den Beamtenstand von Beamten reinigen, die nach der Schwere der Verfehlung und nach ihrer gesamten Persönlichkeit als Beamte nicht mehr tragbar sind. Ist ein Beamter durch ein Strafgericht zu einer erheblichen Gefängnisstrafe verurteilt, ist ihm jedoch nach § 23 StGB Strafaussetzung 2ur Bewährung gewährt worden, so ist auch dies in disziplinarrechtlicher Hinsicht im allgemeinen ohne Bedeutung, so daß auch dann auf die Höchststrafe erkannt werden kann, wenn das Fehlverhalten als solches das Vertrauen des Dienstherrn zu seinem Beamten grundlegend zerstört hat 11 . Das öffentliche BayrDStH 12. 3. 60 — Nr. 22 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 7 (LS). DokBer. Nr. 1592. 7 M o l i t o r , Ist das Beamtendienststrafrecht reformbedürftig? in BBZ 1956 S. 170. 8 Vgl. Sellmann, Ist das Disziplinarrecht reformbedürftig? in ZBR 1958 S. 124 (127). 9 BayrDStH 7. 8. 61 — Nr. 2 DS II 61 — in BBZ 1963 S. 9 (LS). 1 0 BDH 18.10. 54 — I D 51/53 — BDHE Bd. 2 S. 192 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 50; vgl. auch DokBer. Nr. 1682 und Nr. 1705. 1 1 DiszSenat OVG Münster 14. 7. 61 — V 15/61 — Lindgen, Teil IV Nr. 653, DokBer. Nr. 1792; DokBer. Nr. 1940. s
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Entfernung aus dem Dienst
Interesse ist in den einzelnen Lebensbereichen und bei Erfüllung der vielseitigen Staatsaufgaben jeweils für den einzelnen Bereich gesondert zu beurteilen. So dient das in § 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB erwähnte öffentliche Interesse an einer Strafvollstreckung im wesentlichen generalpräventiven Gesichtspunkten in bezug auf die staatliche Ordnung und ist allein vom Standpunkt des Strafrechts aus zu beurteilen. Danach kann die Strafvollstreckung ausgesetzt werden, wenn der Schutz der Allgemeinheit vor dem Rechtsbrecher eine Vollstreckung der Strafe nicht mehr erfordert. Ist dieser Rechtsbrecher aber ein Beamter, so kann es durchaus erforderlich sein, ihn aus seinem Amt zu entfernen. Die hierbei entscheidenden öffentlichen Interessen sind mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zur Erreichung der Staatszwecke bereits hinreichend gekennzeichnet. Das öffentliche Interesse ist kein einheitliches ; es ist im Gegenteil äußerst vielseitig. Daher besagt eine Entscheidung des Strafrichters gemäß § 23 StGB nichts darüber, ob der Beamte weiterhin im Amt belassen werden kann. Da das Disziplinarrecht keine absoluten Dienstentlassungsgründe kennt, ist es daher angängig, von der Strafe der Entfernung aus dem Dienst selbst dann abzusehen, wenn der Beschuldigte in einem voraufgehenden Strafverfahren wegen eines Eigentumsvergehens mit Gefängnis bestraft worden ist, wenn jedoch ganz besondere Umstände für eine mildere Beurteilung der Tat sprechen12. Die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst ist nicht nur b e l kriminellen Verfehlungen zu verhängen, da Beamte aus dem öffentlichen Dien st auszuschalten sind, die wohl nicht gegen ein Strafgesetz verstoßen, jedoch durch einen Verstoß gegen Sitte und Anstand oder bei Nichtbeachtung von Hauptdienstpflichten die Dienstzucht erheblich untergraben und so das Vertrauen des Dienstherrn in sie unheilbar zerstört haben 13 . Die Prüfung der Frage, ob der eines Dienstvergehens schuldige Beamte für seine Behörde noch tragbar ist, hat sich auf das Amt als Ganzes und nicht nur auf einen begrenzten Tätigkeitskreis zu beziehen. Das Disziplinargericht kann der Verwaltung nicht eine eingeschränkte Verwendung oder die Beschäftigung des Beamten auf einem Dienstposten vorschreiben, auf dem eine Wiederholung der Pflichtverletzung nicht möglich ist 14 . Hat sich ζ. B. ein Postbeamter auf seinem Zustellgang an einem Kinde sittlich vergangen, so kann das Disziplinargericht nicht aus dem Grunde von der Höchststrafe absehen, weil es die Auffassung vertritt, daß der Beamte bei einer späteren Verwendung im Innendienst nicht mehr in die Versuchung kommen kann, sich an Minderjährigen zu vergehen. Würde sich das Disziplinargericht von derartigen Erwägungen leiten lassen, so würde es unzulässigerweise in die Dienstgestaltung einer Behörde eingreifen. Bei der Frage, ob die Höchststrafe am Platze ist, kommt es allein darauf an, ob der Beamte für den öffentlichen Dienst mit Rücksicht auf seine Verfehlungen noch tragbar ist. Die in einer kleinen Verwaltung fehlende Möglichkeit, einen Beamten an anderer Stelle zu verwenden, rechtfertigt es noch nicht, PrOVG 2. 5. 30 — D. U. 66/29 — PrOVG Bd. 86 S. 479 = Perwo. S. 272. DiszSenat OVG Münster 1. 7. 60 — V 44/59 — L i n d g e n , TeilIV Nr. 468 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 87. 1 4 BDH 3.12. 57 — I D 83/55 — BDHE Bd. 4 S. 74 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 372; DokBer. Nr. 1725. 12
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einen an sich tragbaren Beamten aus dem Dienst zu entfernen15. Bloße Unzuträglichkeiten, die nach der Auffassung der Einleitungsbehörde durch die Weiterbeschäftigung eines solchen Beamten entstehen können, reichen keinesfalls dazu aus, um auf Entfernung aus dem Dienst zu erkennen. Wenn auch die Höchststrafe dahin zielt, einen aktiven Beamten, der für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar ist, aus den Reihen der Beamtenschaft auszuschließen, so kann die Fürsorgepflicht des Staates keinesfalls so weit gehen, daß bei einem Beschuldigten von der an sich verwirkten Höchststrafe deshalb abgesehen wird, weil er kurz vor der Erreichung der Altersgrenze steht16. Andernfalls würde sich die Strafe des Aberkennung des Ruhegehalts erübrigen. Wenn auch der Beamte nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem aktiven Beamtenverhältnis ausscheidet, so soll doch die Disziplinarstrafe auch den Zweck der Abschreckung verfolgen; sie soll den übrigen Beamten zeigen, daß sie bei einem gleichartigen Dienstvergehen nicht mehr im Dienst verbleiben können. Ohne Belang ist es, ob der Beschuldigte noch eine gewisse Zeit lang nach Aufdeckung der Tat Dienst getan hat 17 . Es kommt bei der Beurteilung der Tat nicht auf das Verhalten der Dienstbehörde des Beschuldigten, sondern allein auf die Betrachtungsweise des Disziplinargerichts an. Selbst dann ist auf die Höchststrafe zu erkennen, wenn die Dienstbehörde die Pflichtverletzungen des Beschuldigten als so geringfügig angesehen hat, daß sie ihn noch nicht einmal vorläufig des Dienstes enthoben hat17". Die Einführung der Zwischenstrafen zwischen der Gehaltskürzung und der Höchststrafe durch das Änderungsgesetz vom 28. 11. 52 hat nicht den Sinn, mehr als früher von der Verhängung der Höchststrafe abzusehen. Die Disziplinarstrafen nach §§ 7 a bis 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle sollen vielmehr dazu dienen, in denjenigen Fällen, in denen die Strafe der Entfernung aus dem Dienst als zu hart, die der Gehaltskürzung als zu gering erscheint, eine angemessen erscheinende Strafe zu finden; sie sollen also lediglich die zwischen den beiden bisherigen Höchststrafen bestehende Spanne lockern 18 . ΙΠ. STRAFFESTSETZUNG Das Disziplinargericht erkennt lediglich auf die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst, ohne hierbei die Rechtsfolgen zu umschreiben. Ist dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden, so ist dies gleichfalls im Urteilstenor aufzunehmen (im einzelnen vgl. § 25 VII S. 221 ff.). Hierbei handelt es sich jedoch um keinen Teil des Strafausspruchs. Wird dem Beschuldigten kein Unterhaltsbeitrag bewilligt, so wird dies neben dem Anspruch der Entfernung aus dem Dienst nicht besonders zum Ausdruck gebracht. Lediglich im Falle der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages sind in den 1 5 DiszSenat OVG Münster 25.10. 60 — W 8/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 189 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 475; vgl. auch BayrDStH 21. 5. 54 — VGH n. F. Bd. 7 Teil III S. 9 und 10. 16 DokBer. Nr. 713; jedoch OVG Münster, 20. 11. 64 in ZBR 1965 S. 186. 1 7 DokBer. Nr. 1676; vgl. auch DokBer. Nr. 1792 und Nr. 1997. 1 7 a DiszSenat OVG Münster 30. 3. 62 — V 4/62 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 1 8 BDH 25. 5. 54 — II D 198/53 — BDHE Bd. 1 S. 41 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 41.
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Urteilsgründen die Umstände, die für eine solche Bewilligung sprechen, anzugeben (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Wird gegen einen früheren Ruhestandsbeamten, der wieder zum Beamten ernannt worden ist, auf die Entfernung aus dem Dienst erkannt und wird in die Bestrafung ein in dem früheren Dienstverhältnis begangenes Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltende Handlung einbezogen (vgl. § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), so hat das Disziplinargericht in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringen, ob die Pflichtverletzung nach § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle für sich allein die Höchststrafe gerechtfertigt hätte. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Zur Vollziehung der Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst bedarf es keiner besonderen Vollstreckungshandlung. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 7 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle wird die Strafe mit der Rechtskraft des Disziplinarurteils wirksam, ohne daß hierauf noch besonders erkannt zu werden braucht19. Die Entfernung aus dem Dienst beendet das Beamtenverhältnis mit sämtlichen sich hieraus ergebenden Rechten. Vor allem verliert der Verurteilte den Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Die Zahlung der Dienstbezüge wird mit Ende des Monats eingestellt, in dem das Urteil rechtskräftig wird (Nr. 1 Satz 2 DVO zu § 102 BDO, § 102 Abs. 7 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Bezüge, die für die folgenden Monate bereits gezahlt worden sind, sind wieder einzuziehen oder auf einen etwaigen Unterhaltsbeitrag anzurechnen ( Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 DVO zu § 102 BDO). Dienstbezüge im Sinne des § 8 BDO, BDO i. d. F. der Novelle sind alle dem Beamten auf Grund seines Amtes zustehenden Bezüge (Nr. 1 DVO zu § 8 BDO). Demnach fallen u. a. hierunter Beihilfen und Unterstützungen. Andererseits sind dem Beschuldigten solche Zahlungen zu leisten, auf die er bis zur Rechtskraft des Urteils einen Anspruch hatte, wie ζ. B. Gehaltsnachzahlungen oder Reisekosten. Ferner werden Gebühren für eine vor Eintritt der Rechtskraft ausgeübte Tätigkeit gezahlt. Die auf Grund der vorläufigen Gehaltseinbehaltung oder wegen des Ruhens des Anspruchs auf Dienstalterszulagen ( § 5 Abs. 3 BBesG) einbehaltenen Gehaltsteile verfallen und sind deshalb dem Verurteilten nicht nachzuzahlen (vgl. § 82 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Ebenso wie der Verurteilte haben auch seine Angehörigen keine Ansprüche auf die Dienstbezüge oder Hinterbliebenenversorgung. Die vermögensrechtlichen Auswirkungen der Entfernung aus dem Dienst können durch die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages gemildert werden (vgl. § 25 S. 195ff.). Der Verlust des Anspruchs auf Dienstbezüge und Versorgung, der die wichtigste Folge der Strafe der Entfernung aus dem Dienst ist, verstößt nicht gegen Art. 14 GG, wonach das Eigentum gewährleistet ist 20 . Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG auf erPrOVG Bd. 83 S. 425. BDH 18.10. 54 — I D 51/53 — BDHE Bd. 2 S. 192 (193) = L i n d g « n , Teil IV Nr. 50 = JZ 1955 S. 379 (LS). 19
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Vollstreckung und Straffolgen
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worbene Ansprüche bezieht. Das Ruhegehalt stellt kein einbehaltenes Gehalt dar. Ein Anspruch hierauf ist an die Bedingung der ordnungsmäßigen Beendigung des Beamtenverhältnisses geknüpft und somit erst dann erwachsen. Der Verurteilte darf die frühere Amtsbezeichnung auch nicht mit dem Zusatz „a. D." oder „früherer" führen. Ebenso ist die Führung von Titeln untersagt, die ihm im Zusammenhang mit dem Amt verliehen worden sind (vgl. § 8 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Unberührt hiervon sind akademische Titel, wie der Doktortitel, wobei es gleichbleibt, ob er sie vor seinem Eintritt in das Beamtenverhältnis oder nachher erworben hat. Schließlich verliert der Beschuldigte die Befugnis, die Dienstkleidung zu tragen (vgl. § 8 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Dies bezieht sich nur auf die Dienstkleidung des Amtes, dessen Inhaber der Verurteilte war. Über das Recht zur Tragung von Dienstkleidung siehe § 55 X M S. 647. Der Beamte hat aber noch nicht seine Amtsfähigkeit verloren 21 . Er kann also ohne weiteres wieder zum Beamten ernannt werden. Allerdings könnte hierdurch ein Urteil des Disziplinargerichts gegenstandslos werden, was dem Ansehen des Staates jedoch abträglich wäre 22 . Deshalb soll ein mit Entfernung aus dem Dienst Bestrafter im Bundesdienst als Beamter, Angestellter oder Arbeiter tunlichst nicht verwendet werden (Nr. 2 DV zu § 8 BDO). Wird eine derartige Verwendung in besonderen Fällen erwogen, so entscheidet darüber im Bereich der DBP der BPMin. Wird der zur Entfernung aus dem Dienst Verurteilte später doch noch Beamter, so wird in die ruhegehaltsfähige Dienstzeit nicht die vor dem strafweisen Ausscheiden liegende Dienstzeit und die Dienstzeit aus sonstigen früheren Beamtenverhältnissen eingerechnet (§111 Abs. 2 Satz 1 BBG). Die Strafen der Entfernung aus dem Dienst und ihre Rechtsfolgen erstrecken sich auf alle Ämter, die der Bestrafte im unmittelbaren oder mittelbaren Bundesdienst bei Rechtskraft des Urteils bekleidet ( § 8 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Diese Bestimmung ist aus der Einheit des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses heraus zu verstehen. Selbst wenn der Beamte wegen eines Dienstvergehens im Nebenamt zur Entfernung aus dem Dienst bestraft worden ist, verliert er das Hauptamt. Hier kann aber nur die für das Hauptamt zuständige Einleitungsbehörde das Disziplinarverfahren einleiten (§ 30 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Standen dem Beamten aus einem früher bekleideten Amt bereits Ruhegehaltsbezüge zu, so geht er dieses Anspruchs nicht verlustig. Die Folgen der Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst bewirken nämlich nur ein Erlöschen der Ämter, die der Verurteilte bei Rechtskraft des Disziplinarurteils bekleidet hat. Die aus dem f r ü h e r e n B e a m t e n v e r h ä l t n i s e r w o r b e n e n R u h e g e h a l t s a n s p r ü c h e l e b e n w i e d e r auf. Ebenso kann der Verurteilte die Amtsbezeichnung aus dem früheren Amt mit dem Zusatz „a. D." führen 23 . 21 Dagegen hat die Verurteilung zu Zuchthaus nach § 34 Nr. 1 StGB die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge. Gemäß § 34 Nr. 1 StGB bewirkt die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Unfähigkeit, während der im Urteil bestimmten Zeit u. a. öffentliche Ämter zu erlangen. Die Amtsunfähigkeit bewirkt nach § 35 StGB die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren. Weiterhin ist damit der dauernde Verlust der bekleideten Ämter verbunden. 22 Brand, S. 169 Anm. 5; W i t t l a n d , Anm. 6 zu § 8 RDStO. 23 W i t t l a n d , Anm. 8 zu § 8 RDStO; Brand, Anm. 5 zu § 8 RDStO; B r e i t h a u p t , Anm. 5 zu § 5 RDStO.
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Er verliert jedoch den Anspruch auf das frühere Ruhegehalt und die Hinterbliebenenversorgung sowie die anderen Befugnisse nach § 9 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, wenn er wegen eines in dem früheren Beamtenverhältnis begangenen Dienstvergehens oder wegen einer im § 77 Abs. 2 BBG genannten Handlung —• Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Amtsverschwiegenheit und das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken — bestraft wird, wo es bei den in § 77 Abs. 2 BBG genannten Fällen gleichbleibt, ob der Verstoß sich auf das letzte oder das frühere Beamtenverhältnis bezieht ( § 8 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Sofern die früheren Versorgungsansprüche sich nicht gegen den Bund, sondern einen anderen Dienstherrn richten, kommt § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht zur Anwendung. Ebenso fallen nicht hierunter frühere Beamte, die im Disziplinarrechtswege aus dem Dienst entfernt worden sind und einen Unterhaltsbeitrag erhalten haben, da dieser mit der Wiederernennung zum Beamten erloschen ist (vgl. § 64 Abs. 4 BDO, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle). Sofern die Versorgungsansprüche auf dem G 131 beruhen, gilt Art. 11 des ÄndGes. 1952 (siehe nächsten Absatz). Handelt es sich um mehrere Pflichtverletzungen, die sich ζ. T. auf das frühere und ζ. T. auf das letzte Beamtenverhältnis beziehen, so kommt § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zur Anwendung, wenn auch nur ein Verstoß während des früheren Beamtenverhältnisses begangen worden ist, falls allein er für die Verhängung der Höchststrafe maßgebend war. Um Zweifel für die Strafvollstreckung auszuschließen, hat nach DVO zu § 10 BDO das Disziplinargericht in dem Falle, daß der Verurteilung mehrere Pflichtverletzungen zugrunde liegen, eine dieser Pflichtverletzungen ein Dienstvergehen oder eine Handlung nach § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle darstellt, in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringen, ob die Pflichtverletzung nach § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle für sich allein die Höchststrafe gerechtfertigt hätte. Die Folgen aus § 10 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergeben sich kraft Gesetzes, so daß im Urteil nicht besonders auf sie hingewiesen werden muß; ebenso bedarf es auch hier keiner besonderen Vollstreckungsfyandlung. Der D i e n s t v o r g e setzte s t e l l t auf G r u n d des D i s z i p l i n a r u r t e i l s f e s t , ob die V o r a u s s e t z u n g e n des §10 Abs. 1 BDO, B D O i. d. F. der Novelle v o r l i e g e n . Der Verurteilte kann gegen diese Feststellung die Entscheidung des Disziplinargerichts nach § 105 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 105a Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle anrufen, da es sich um eine Auslegung einer disziplinargerichtlichen Entscheidung handelt ; der Verwaltungsgerichtsweg scheidet aus diesem Grunde aus. Falls ein Beamter des Bundes oder eines anderen Dienstherrn zu den unter Kap. 1 G 131 (mit Ausnahmen der §§ 52ff. G 131) oder § 62 G 131 aufgeführten Personen gehört, bewirkt die von einem Disziplinargericht des Bundes oder eines Landes rechtskräftig erkannte Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst auch den Verlust der Rechte, die sich aus G 131 ergeben (Art. 11 Abs. 2 ÄndGes. 1952). Dies gilt auch für Entscheidungen, die vor dem Inkrafttreten des G 131 ergangen sind; war die Entscheidung bereits vor Inkrafttreten des G 131 ergangen, so hat der Verurteilte Rechte aus diesem Gesetz nicht erworben. Hat er bereits Bezüge aus dem G131 erhalten, so werden diese jedoch nicht zurückgefordert (Art. 11 Abs. 2 ÄndGes. 1952). 176
Nachversicherung der aus dem Dienst entfernten Beamten
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V. NACHVERSICHERUNG DER AUS DEM DIENST ENTFERNTEN BEAMTEN A. Rechtslage bis zum Inkrafttreten des DBG Der Beamte ist während der Dauer des Beamtenverhältnisses aus einem der in §§ 11, 12 Abs. 1 Nr. 1—3, 17 AVG in §§ 1234, 1235 Nr. 1 und 2, 1242 RVO genannten Gründen versicherungsfrei. Wird er auf Grund eines disziplinarrechtlichen Erkenntnisses aus dem Dienst entfernt, so stellt dies ein Ausscheiden aus einer nach diesen Bestimmungen versicherungsfreien Beschäftigung dar. Bis zum Inkrafttreten des DGB war der Dienstherr verpflichtet, bei Verurteilung eines Beamten zur Dienstentlassung Beiträge zur Angestelltenoder Invalidenversicherung nachzuentrichten ( § 1 8 AVG, § 1242a RVO, § 29 RKnappschaftsGes.). Nach § 7 Abs. 1 Buchstabe a der VO vom 4. 10. 30 (RGBl. I S. 459) wurde die Nachversicherung aufgehoben, solange dem Verurteilten eine zeitliche Versorgung in Form eines Unterhaltsbeitrages gewährt wurde. Sofern das Urteil vor dem Inkrafttreten des DBG (1. 7. 37) rechtskräftig geworden war, hatte die Nachversicherung nach Maßgabe dieser Bestimmungen zu erfolgen. B. Rechtslage nach dem Inkrafttreten des DBG Sofern das Urteil nach dem 30. 6. 1937 rechtskräftig geworden war, galt für die Nachversicherung § 141 Abs. 2 DBG. Hiernach unterblieb die Nachversicherung bei Nichtigkeit der Ernennung, Entfernung aus dem Dienst durch Dienststrafurteil, Verlust der Reichsangehörigkeit, nichtgenehmigter Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland, Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis infolge strafgerichtlicher Verurteilung auf Grund des § 53 DBG und Entlassung einer verheirateten Beamtin infolge Verheiratung nach § 63 DBG. In sämtlichen Fällen handelte es sich um Gründe, die ausschließlich in der Person des Beamten lagen. Nach der Auffassung des damaligen Gesetzgebers erschien eine Nachversicherung in diesen Fällen als unbillig. Der völlige Ausschluß der Nachversicherung widerspricht jedoch rechtsstaatlichen Prinzipien, wonach keine Familie ohne Versorgung im Alter oder bei Berufsunfähigkeit sein soll. Überdies widerspricht es dem Gleichbehandlungsgrundsatz, den ausgeschiedenen Beamten schlechter als den Arbeitnehmer zu stellen, der bei einem unehrenhaften Ausscheiden Versorgungsleistungen erhält. Im übrigen stellt es eine Art Sippenhaft dar, wenn die Angehörigen des ausgeschiedenen Beamten für dessen getanes Unrecht gleichfalls in eine erhebliche Notlage geraten sollten. Auch nach dem Zusammenbruch galt § 141 DBG fort. In der Bundesfassung vom 30. 6. 50 (BGBl. S. 279) wurde lediglich der Grund des Verlustes der Reichsangehörigkeit fortgelassen. In den Ländern der amerikanischen und französischen Zone unterblieb die Nachversicherung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG. Über die Einschränkung des § 141 Abs. 2 DBG hinaus unterblieb die Nachversicherung in der britischen Zone, Bremen und Berlin bei „unehrenhaftem" Ausscheiden (§ 1245a RVO 12 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Entfernung aus dem Dienst
i. d. F. der VO vom 17. 3. 45). Auf Grund der Sozialversicherungsanordnung Nr. 14 vom 19. 7. 47 waren in der britischen Zone darüber hinaus auch die im Zuge eines Entnazifizierungsverfahrens aus ihren Ämtern entfernten und nicht wieder zum öffentlichen Dienst zugelassenen sowie die auf eigenen Antrag aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschiedenen Personen von der Nachversicherung ausgeschlossen; dabei galt auch das freiwillige Ausscheiden als Ausschließungsgrund. C. Rechtslage nach Inkrafttreten des BBG bis zum Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze Das Bundesbeamtengesetz, das am 1. 9. 53 in Kraft trat, sah die in § 141 Abs. 2 DBG genannten Ausschließungsgründe für die Nachversicherung nicht mehr vor. Nr. 2 der VV zu § 170 BBG bestimmte ausdrücklich, daß beim Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung nach dem 31. 8. 53 die Gründe des Ausscheidens (Nichtigkeit der Ernennung, Entfernung aus dem Dienst usw.) für die Nachversicherung ohne Bedeutung sind. Nach § 170 Abs. 2 BBG unterbleibt die Nachversicherung, wenn eine lebenslängliche Versorgung oder eine Abfindung nach BBG gewährt wird. Wird ein Unterhaltsbeitrag auf Zeit bewilligt, so wird nach § 170 Abs. 3 BBG die Nachentrichtung der Beiträge zur Rentenversicherung bis zum Ablauf dieser Zeit aufgeschoben. Werden diese Beiträge nach Wegfall des Unterhaltsbeitrages nachentrichtet, so gilt die Zeit seiner Bewilligung als Ersatzzeit für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft (§ 170 Abs. 3 Satz 2 BBG). Die Durchführung der Nachversicherung ist einer Regelung des BMI und BMF im Einvernehmen mit dem BMA durch Rechtsverordnung vorbehalten. D. Rechtslage nach Inkrafttreten des Arbeitersversicherungs- und Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes Das Arbeitsversicherungs- und das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNGu. AnVNG) vom 23. 2. 57 (BGBl. I S. 45 u. 88), die mit Wirkung vom 1. 3. 57 an in Kraft getreten sind, haben in § 1322 ArVNG und § 9 AnVNG das Recht der Nachversicherung für das gesamte Bundesgebiet einheitlich geregelt. § 170 BBG ist im Grundsatz übernommen worden. Beitragsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht dann, wenn ein Anspruch auf Beamtenvers orgung vorhanden ist. Andererseits sind Beiträge dann zu entrichten, wenn sonst keinerlei Versorgungsanspruch besteht oder nicht mehr besteht oder wenn eine Abfindung nach dem BBG nicht gewährt ist. Nachzuversichern sind also Personen, die bisher in abhängiger Stellung versichrungsfrei waren und nach ihrem Ausscheiden keine lebenslängliche Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder an deren Stelle keine Abfindung oder als Hinterbliebene keine entsprechende Versorgung auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses erhalten. Die Ausgeschiedenen sind so nachzuversichern, als wenn sie pflichtversichert gewesen wären. Dies gilt bei Beamten auch während des Vorbereitungsdienstes, selbst wenn während dieser Zeit kein Entgelt gezahlt worden wäre. Die Nachversicherung entfällt bzw. unterbleibt, wenn a) beim Ausscheiden des Beschäftigten durch Tod keine Hinterbliebenen vorhanden sind oder 178
Nachversicherung der aus dem Dienst entfernten Beamten
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b) auch bei Durchführung der Nachversicherung keine Hinterbliebenenrenten nach den Rentenneuregelungsgesetzen zu zahlen wären. Aufgeschoben wird die Nachversicherung, wenn a) die versicherungsfreie Beschäftigung nur vorübergehend unterbrochen wird, b) sich eine neue versicherungsfreie Beschäftigung der alten anschließt, c) der aus versicherungsfreier Beschäftigung ausscheidenden Person oder ihren Hinterbliebenen ein Unterhaltsbeitrag auf Zeit gewährt wird oder lebenslängliche Versorgung zugesichert bleibt. Werden die Beitrage nach Wegfall des Unterhaltsbeitrages nachentrichtet, so gilt die Zeit der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages als Ersatzzeit für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft (§ 170 Abs. 3 Satz 2 BBG), d) die ausscheidende Person nicht unmittelbar, aber spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden in eine andere versicherungsfreie Beschäftigung oder in eine probeweise Beschäftigung übertritt, die spätestens 2 Jahre nach dem Ausscheiden in versicherungsfreie Beschäftigung übergeht. Wird die Nachversicherung abgelehnt oder aufgeschoben, so können der ausgeschiedene Beamte und der Versicherungsträger diese Entscheidung nach § 54 des Sozialversicherungsgesetzes vom 3. 9. 53 vor den Sozialgerichten24 anfechten. Ist die Nachentrichtung von Beiträgen aufgeschoben, so ist dem Beschäftigten und dem für ihn zuständigen Versicherungsträger eine Bescheinigung über die Nachversicherungszeiten und das gewährte Entgelt zu erteilen (§ 125 AnVNG, § 1403 ArVNG). Wird die Nachversicherung durchgeführt, so trägt der Dienstherr allein die Beiträge, wobei zu beachten ist, daß die Beiträge im Währungsverhältnis 1:1 für Personen, die nach dem 21. 6. 48 ausgeschieden sind, und im Verhältnis 10:1 für Personen, die vor dem 20. 6. 48 ausgeschieden sind, zu entrichten sind. Letzteres gilt auch dann, wenn die Personen wohl vor der Währungsreform ausgeschieden sind, wenn bei ihnen aber die Nachentrichtung der Beiträge über die Währungsreform aufgeschoben war oder ihnen bei besonderen Härtefällen Nachversicherung zugebilligt ist, obwohl sie unter § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG fallen. Sind in der Zwischenzeit freiwillige Beiträge geleistet worden, so gelten sie als Beiträge zur Höherversicherung im Rahmen der Rentenversicherung. Nachentrichtete Beiträge gelten als rechtzeitig nachentrichtet, wenn der Versicherungsfall, der Leistungen aus der Rentenversicherung auslöst, bereits eingetreten ist. Die Regelung nach dem ArVNG und dem AnVNG gilt ab 1. 3. 57 uneingeschränkt. Für die Zeit vorher ergibt sich nach den Übergangsvorschriften Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG und Art 2 § 4 Abs. 2 AnVNG folgende Rechtslage : a) Die Nachversicherung ist ohne Rücksicht auf die Gründe des Ausscheidens auch in den Fällen durchzuführen, in denen bisher in den Ländern der früheren britischen Zone, Berlin und Bremen die Nachversicherung über 24 Die Klage vor den Verwaltungsgerichten ist als unzulässig abzuweisen (so LVG Köln 17.1. 57 — 7 Κ 328/56 —).
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die Ausschließungsgründe des § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG hinaus wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens ausgeschlossen war. b) Ist der Beamte vor dem 1. 3. 57 ausgeschieden, so ist die Nachversicherung ausgeschlossen, soweit die Ausschließungsgründe des § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG vorgelegen haben. In Fällen besonderer Härte ist die Nachversicherung abweichend von § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG durchzuführen (vgl. Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 3 ArVNG und Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 3 AnVNG). Durch diese Härteklausel ist § 141 DBG stark durchlöchert. c) Ist der Bundesbeamte nach dem 31. 8. 53 aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden, so gilt bis zum 1. 3. 57 § 170 BBG ausschließlich, weil diese beamtenrechtliche Vorschrift den Übergangsvorschriften zu ArVNG und AnVNG vorgeht. Durch die Rentenregelungsgesetze sind auch sämtliche landesrechtlichen Vorschriften ab 1.3. 57 gegenstandslos, da Bundesrecht Landesrecht vorgeht 25 . Etwaige Ausschließungsgründe, die noch nach dem 1. 3. 57 bestanden, wie ζ. B. in Art. 156 Abs. 2 BG Bayr. vom 28. 10. 46, — in den geltenden Landesbeamtengesetzen finden sich solche Ausschließungsgründe nicht mehr, — standen einer Nachversicherung ausscheidender Beamter aus der versicherungsfreien Beschäftigung auch für den Bereich des Landesdienstes vom 1.3. 57 an nicht mehr entgegen. E. Nachversicherungs-Härte-Verordnung vom 28. 7. 59 26 Um unbillige Härten, die aus dem Ausschluß der Nachversicherung vor dem 1. 3. 57 entstanden waren, zu beseitigen, bezeichnete die Verordnung über die Durchführung der Nachversicherung in Härtefällen (NachversicherungsHärte-Verordnung — NHV) vom 28. 7. 59 (BGBl. I S. 550) das Verfahren und die Voraussetzungen, unter denen eine Nachversicherung in den Fällen durchgeführt werden sollte, in denen das Ausscheiden vor dem 1. 3. 57 erfolgt war (vgl. Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 3 ArVNG und Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 3 AnVNG). Die NHV ist nach § 6 a. a. O. rückwirkend vom 1. 3. 57, also zusammen mit dem ArVNG und dem AnVNG in Kraft getreten und gilt nach § 4 NHV auch im Lande Berlin. Ihre Bestimmungen gelten auch in den Fällen, in denen die Nachversicherung innerhalb und außerhalb des Geltungsbereichs der VO vom 17. 3. 45 (RGBl. I S. 41) wegen § 141 Abs. 2 Satz 1 BBG unter Berücksichtigung der Bundesfassung (BGBl. 1950 S. 279) oder entsprechender anderer Regelungen unterblieben ist. Nach § 2 Abs. 1 NHV liegt eine Härte, insbesondere vor, wenn 1. die Zeit der Beschäftigung, für welche die Nachversicherung durchzuführen wäre, mindestens fünf Jahre beträgt oder 2. der Ausgeschiedene berufs- und erwerbsunfähig ist und die Wartezeit für die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder für die Hinterbliebenenrente nur mit den Zeiten der Nachversicherung erfüllt werden kann oder 25
Geßlera.a. O. S. 177.
G e ß l e r , Die Nachversicherung unehrenhaft ausgeschiedener Beamter — zum Entwurf einer Nachversicherungs-Härte-Verordnung in ZBR 1959 S. 176; D ö r i n g , Disziplinarrechtlicher Unterhaltsbeitrag und Nachversicherung in ZBR 1960 S. 214. 26
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Nachversicherung der aus dem Dienst entfernten Beamten
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3. die Wartezeit für das Altersruhegeld bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nur mit den Zeiten der Nachversicherung erfüllt werden kann oder 4. die Nachversicherung zum Zwecke der freiwilligen Weiterversicherung beantragt wird und die gesetzlichen Voraussetzungen nur bei Durchführung der Nachversicherung vorliegen. In anderen als den in § 2 Abs. 1 NHV genannten Fällen ist der Umfang des Verlustes, den der Ausgeschiedene und seine Hinterbliebenen durch den Wegfall der Versorgungsanwartschaften erleiden, sowie eine anderweitige für den Fall der Berufsunfähigkeit und des Alters und für die Hinterbliebenen vorhandene Sicherung entscheidend ( § 2 Abs. 2 NHV). Der ausgeschiedene Beamte bzw. seine Hinterbliebenen haben einen Antrag auf Entscheidung, daß ein Härtefall vorliegt, bei ihrem früheren Dienstherrn zu stellen; in den Fällen des § 2 Abs. 2 NHV kann ein Antrag erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt werden (vgl. § 3 Abs. 1 NHV). Ob ein Fall besonderer Härte im Sinne des Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 2 ArVNG und des Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 3 AnVNG vorliegt, entscheidet der Dienstherr, der für die Gewährung einer Versorgung zuständig wäre, wenn dem Beschäftigten beim Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung ein Anspruch auf Gewährung von Versorgungsbezügen zugestanden hätte ( § 1 Abs. 1 Satz 1 NHV). Die zuständigen obersten Bundesbehörden können ihre Befugnis auf nachgeordnete Stellen übertragen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 NHV). Die Übertragung der Zuständigkeit auf nachgeordnete Behörden sind im Bundesanzeiger zu verkünden ( § 1 Abs. 1 Satz 3 NHV). Die Zulässigkeit der Übertragung der Befugnis der obersten Landesbehörden richtet sich nach Landesrecht (§ 1 Abs. 1 Satz 4 NHV). Durch Zusatz zur Amtsbl. Vf. Nr. 476/ 1959 des BPM ist für den Bereich der Deutschen Bundespost die Oberpostdirektion als zuständig bezeichnet worden, in deren Dienststelle der Antragsteller seinen Wohnsitz hat; Anträge, die an das PTZ, FTZ und SAP eingereicht sind, haben diese Dienststellen an die zuständige Oberpostdirektion weiterzuleiten. Ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NHV die Zuständigkeit mehrerer Arbeitgeber bzw Dienstherrn begründet, so entscheidet der Arbeitgeber bzw. der Dienstherr, in dessen Dienst der Beschäftigte zuletzt eine versicherungsfreie Beschäftigung ausgeübt hat, nach Zustimmung der übrigen mit Wirkung auch für diese (§ 1 Abs. 1 Satz 5 NHV). Die Zustimmung ist vor der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 NHV einzuholen (vgl. UmdruckVf. BPM I l l a Κ 3 8654-0 vom 15. 9. 59 unter I Nr. 3). Liegen die Voraussetzungen für die Feststellung einer besonderen Härte noch nicht vor, so ist dem Ausgeschiedenen auf Antrag eine Bescheinigung über die für die Nachversicherung in Betracht kommenden Zeiten und über das gewährte Entgelt zu erteilen ( § 3 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 NHV). Die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 NHV ist mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Dem zuständigen Versicherungsträger und, sofern vor der Entscheidung die Zustimmung anderer Dienstherrn einzuholen war, auch diesem, ist je eine Abschrift der Entscheidung zu übersenden ; außerdem sind dem Versicherungsträger die Daten der Person des Antragstellers mitzuteilen (vgl. UmdruckVf. BPM I l l a Κ 3 8654-0 vom 15. 9. 59 unter I Nr. 4 und Nr. 5). Ist dem Antragsteller eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 3 NHV ausgestellt worden, 181
§20
Entfernung aus dem Dienst
so ist eine Zweitschrift dem zuständigen Versicherungsträger zu übersenden (§ 3 Abs. 2 Halbsatz 2 NHV). Als Beschäftigungszeiten im Sinne des § 2 NHV gilt auch die Zeit des Vorbereitungsdienstes für den Beamtenberuf ohne Rücksicht darauf, ob während dieser Zeit Entgelt bezogen worden ist (§ 1232 Abs. 2 ArVNG, § 9 Abs. 2 AnVNG) ; die Frage, ob der Unterhaltszuschuß Entgelt darstellt, spielt in diesen Fällen somit keine Rolle (UmdruckVf. BPM I l l a Κ 3 8654-0 vom 15.9.59 unter I Nr. 2). Welcher Arbeitsentgelt im übrigen der Berechnung der Beiträge zugrunde zu legen ist, richtet sich nach § 1402 ArVNG bzw. § 124 AnVNG. Die Nachversicherung, die nach § § 2 und 3 NHV geleistet wird, umfaßt nur die de facto Nachversicherung, nicht jedoch die fiktive Nachversicherung des § 72 G 131 oder des § 99 AKG. Nach § 1402 Abs. 1 ArVNG bzw. § 124 Abs. 1 AnVNG hat der Dienstherr in den Fällen des § 1232 ArVNG bzw. § 9 AnVNG Beiträge in der Höhe nachzuentrichten, wie sie im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung für die Berechnung der Beiträge für versicherungspflichtige Personen maßgebend gewesen sind. In den für eine Nachversicherung nach der NHV in Betracht kommenden Zeitabschnitten betrug der Betrag für die versicherungspflichtige Person in der Rentenversicherung für die Zeit vom 1. 6. 45 bis zum 31. 5. 49 gleich 5,6 ν. H. und für die Zeit vom 1. 6. 49 bis zum 31. 8. 53 gleich 10 ν. H. der Bruttobezüge. Die Beiträge sind vom Arbeitgeber bzw. Dienstherrn nur für die Zeiten zu entrichten, in denen der Nachzuversichernde bei ihm versicherungsfrei beschäftigt war. VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die landesrechtlichen Regelungen entsprechen dem § 8 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, wobei unter Berücksichtigung des föderalistischen Staatsaufbaues die Entfernung aus dem Dienst und ihre Rechtsfolgen sich auf alle Ämter erstrecken, die der Bestrafte im Dienst des Landes, der Gemeinden, der Landkreise und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts bei Rechtskraft des Urteils bekleidet; so § 11 LDO BW, Art. 9 DStO Bayr., wo in Abs. 2 die Ämter genannt sind, die der Bestrafte im unmittelbaren und mittelbaren Staatsdienst bekleidet, § 11 LDO Bln., wo in Abs. 2 die Ämter genannt sind, die der Bestrafte im unmittelbaren und mittelbaren Landesdienst bekleidet, § 8 Abs. 2 DStO Brm., wo in Abs. 2 die Ämter genannt sind, die der Bestrafte im Dienst des Landes Bremen oder der Stadtgemeinde Bremen oder Bremerhaven oder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft daselbst bekleidet, § 8 DO Hmb., § 9 HDO, § 12 NDO — entsprechend der Regelung der LDO Bln. —, § 11 DO NW, § 11 LDO Rh.-Pf. — entsprechend der Regelung der LDO Bln. —, § 8 DStO Saar und § 11 DStO Schi.-Hol., wo in Abs. 2 ganz allgemein vom Verlust sämtlicher Ämter als Folge der Entfernung aus dem Dienst die Rede ist. Nach Art. 4 Abs. 4 DStO Bayr. können gegen einen Ehrenbeamten nur die Dienststrafen der Warnung, des Verweises, der Geldbuße und der Entfernung aus dem Dienst verhängt werden. Nach Art. 112 Abs. 4 DStO Bayr. und § 65 182
Begriff
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Abs. 3 DStO Schl.-Hol. kann bei Ehrenbeamten die Entfernung aus dem Dienst auf das gemeindliche Ehrenamt und die hiermit verbundenen Ehrenämter beschränkt werden, falls das förmliche Disziplinarverfahren nur wegen eines in einem derartigen Ehrenamt begangenen Dienstvergehens eingeleitet worden ist. Der DVO zu § 8 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechen § 7 ADV DStO Bayr., § 7 DVO zur LDO Bln. und DVO zu § 11 DO NW. DVO zu § 9 und 11 Abs. 1 DStO Schl.-Hol. entspricht DVO Nr. 1 zu § 8 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die Folgen der Entfernung aus dem Dienst auf einen Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung aus einem früheren Beamtenverhältnis stimmen in den Disziplinargesetzen der Länder mit § 10 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 überein. Abgesehen davon, daß an die Stelle des § 77 Abs. 1 BBG die gleichlautenden Bestimmungen der jeweiligen Beamtengesetze der Länder treten, entsprechen dem § 10 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 13 Abs. 1 LDO BW (wobei hier auch Beamte einbezogen sind, die früher Richter im Ruhestand waren und wegen eines in einem früheren Richterverhältnis begangenen Dienstvergehens oder wegen einer Handlung verurteilt worden sind, die bei einem Richter im.Ruhestand als Dienstvergehen gilt), Art. 11 Abs. 1 DStO Bayr., § 13 Abs. 1 LDO Bln., § 10 Abs. 1 DStO Brm., § 10 Abs. 1 DO Hmb., § 11 Abs. 1 HDO, § 14 Abs. 1 NDO, § 13 Abs. 1 DO NW, § 13 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., § 10 Abs. 1 DStO Saar und § 13 Abs. 1 DStO Schl.-Hol. Die landesrechtliche Regelung der Vollstreckung der Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst entspricht dem § 102 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 7 und 8 BDO i. d. F. der Novelle (so § 108 Abs. 1 LDO BW, Art. 103 Abs. 1 DStO Bayr., § 104 Abs. 1 LDO Bln., § 102 Abs. 1 DStO Brm., § 102 Abs. 1 DO Hmb., § 108 Abs. 1 HDO, § 116 Abs. 1 NDO, § 110 Abs. 1 DO NW, § 112 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., S 102 Abs. 1 DStO Saar und § 104 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.).
§ 21. Ruhegehaltskürzung I. BEGRIFF Die mildeste Disziplinarstrafe, die gegen einen Ruhestandsbeamten verhängt werden kann, ist die Ruhegehaltskürzung. Für die Kürzung des Ruhegehalts gilt § 7 Abs. 1 und 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, entsprechend (§ 9 Abs. 3 Halbsatz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Die Kürzung des Ruhegehalts wird an Stelle der Gehaltskürzung verhängt. Demnach besteht sie in der bruchteilmäßigen Verminderung des jeweiligen Ruhegehalts um höchstens ein Fünftel auf längstens fünf Jahre ( § 7 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 9 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Das in § 16 I S. 147 Ausgeführte gilt entsprechend. Bei der Höhe der Strafe soll auf die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten Rücksicht genommen werden. Der Betrag, der dem Verurteilten verbleibt, kann unter der Pfändungsfreigrenze oder unter einer Rente der 183
§21
Ruhegehaltskürzung
Sozialversicherung liegen, die der Bestrafte erhalten hätte, wenn er sich in einer entsprechenden Stellung im freien Wirtschaftsleben befunden hätte. II. ANWENDUNGSBEREICH Die Strafe nach § 9 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt zunächst einmal gegenüber Ruhestandsbeamten in Frage. Uber den Begriff des Ruhestandsbeamten siehe § 6 II 3 S. 62 ff. Entscheidend für den Status des Ruhestandsbeamten ist die Rechtskraft des Urteils. Ist das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Beschuldigten noch als aktiven Beamten eingeleitet worden, und ist er im Laufe desselben in den Ruhestand getreten, so ist gegen ihn auf die Strafe nach § 9 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu erkennen; ein auf Gehaltskürzung lautendes Urteil gilt als Urteil auf entsprechende Kürzung des Ruhegehalts (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 BDO, § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle). Ist der Ruhestandsbeamte reaktiviert worden, so kommen gegen ihn die Strafen des § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, nicht zur Anwendung. Ist er als Beamter auf Widerruf reaktiviert worden, so darf er nur nach § 32 Abs. 1 BBG entlassen, und dann kann gegen ihn das Disziplinarverfahren als Ruhestandsbeamter eingeleitet werden, wobei gegen ihn eine der in § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Disziplinarstrafen verhängt werden kann. Unter die Strafbestimmung des § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle fallen ferner die Beamten im einstweiligen Ruhestand. Im einzelnen siehe § 6 II 4 S. 64f. Der Beschuldigte, der nach § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bestraft werden soll, muß einen Anspruch auf Ruhegehalt haben. Die Bestimmung des § 9 i. V. m. § 7 Abs. 1 und 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt fernerhin zur Anwendung bei entlassenen Beamten auf Lebenszeit, die einen Unterhaltsbeitrag nach § 120 BBG erhalten (im einzelnen siehe § 6 II 5 S. 65 f.), bei durch einen Dienstunfall verletzten Beamten, S. 66f.), bei durch Dienstunfall verletzten Ehrenbeamten, die einen Unterhaltsbeitrag nach § 177 Abs. 2 BBG erhalten (im einzelnen siehe § 6 II A 7 S. 67), nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO bei früheren Polizeivollzugsbeamten, die nach § 17 Bundespolizeibeamtengesetz Übergangsgebührnisse beziehen (im einzelnen siehe § 6 II A 8 S. 67), bei früheren Polizeivollzugsbeamten, die einen Unterhaltsbeitrag nach § 19 Bundespolizeibeamtengesetz erhalten (im einzelnen siehe § 6 II A 9 S. 68), bei früheren Polizeivollzugsbeamten, die einen Unterhaltsbeitrag nach § 20 Polizeibeamtengesetz beziehen (im einzelnen siehe § 6 II A 10 S. 68f.) und bei früheren Beamtinnen, die eine Abfindung nach § 152 BBG erhalten oder eine Abfindungsrente noch nicht oder erst teilweise erhalten haben oder denen eine Abfindungsrente nach § 153 BBG zugesichert ist oder gewährt wird (im einzelnen siehe § 6 II A 11 S. 69). Hier gelten der Unterhaltsbeitrag, die Abfindung bzw. die Abfindungsrente als Ruhegehalt, so daß dann auf Kürzung dieser Bezüge im Rahmen des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erkannt werden kann. Die unter das G 131 fallenden Personen gelten nicht als Ruhestandsbeamte i. S. des § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Die gegen sie zu verhängenden Strafen richten sich allein nach § 9 G 131. 184
Vollstreckung und Straffolgen
§21
III. STRAFFESTSETZUNG Auf Kürzung des Ruhegehalts kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch ein Disziplinargericht erkannt werden. Die Kürzung des Ruhegehalts wird an die Stelle der Gehaltskürzung verhängt (§ 9 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Im Urteil sind der Bruchteil und die Dauer der Kürzung des Ruhegehalts festzusetzen, wobei das unter § 16 III S. 148 Gesagte entsprechend gilt. Steht die Zurruhesetzung erst bevor, so ist nicht auf Kürzung des Ruhegehalts, sondern auf Gehaltskürzung selbst dann zu erkennen, wenn die Verfügung über die Zurruhesetzung dem Beschuldigten bereits zugegangen, jedoch der darin festgesetzte Zeitpunkt für den Beginn des Ruhestandes zur Zeit der Urteilsverkündung noch nicht eingetreten ist; tritt der Vollzug der Strafe erst nach der Zurruhesetzung ein, so gilt das Urteil, das auf Gehaltskürzung lautet, als Urteil auf entsprechende Kürzung des Ruhegehalts (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle). Bezieht der Beschuldigte einen Unterhaltsbeitrag, eine Abfindung, eine Abfindungsrente oder Übergangsgebührnisse, so ist im Urteil auf eine Kürzung dieser Bezüge zu erkennen, die sich in Höhe und Dauer nach § 7 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 3 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle richtet. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Die Disziplinarstrafe der Kürzung des Ruhegehalts ist von der obersten Dienstbehörde oder von der von ihr ermächtigten Stelle, das ist im allgemeinen der Dienstvorgesetzte, der für den Verurteilten zur Zeit der Zurruhesetzung zuständig war, zu vollstrecken (vgl. § 102 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Kürzung des Ruhegehalts tritt nicht mit Rechtskraft des Urteils, sondern auf Grund einer ausdrücklichen Anordnung der Vollstreckungsbehörde ein. Im allgemeinen wird mit der Kürzung des Ruhegehalts mit dem Monat begonnen, der auf den Monat folgt, in dem die Disziplinarentscheidung rechtskräftig geworden ist. Die Dienstbehörde kann jedoch einen späteren Monat bestimmen oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen, die insbesondere dann in Frage kommt, wenn der Beschuldigte infolge einer unverschuldeten Notlage vorübergehend in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist. Für die Folgen der Ruhegehaltskürzung gilt das in § 16 IV S. 149f. Gesagte entsprechend. Besoldungsrechtliche Verbesserungen üben einen Einfluß nicht auf den Vomhundertsatz der Kürzung des Ruhegehalts, sondern nur auf den auszubezahlenden B e t r a g a u s . S t i r b t der V e r u r t e i l t e , so w e r d e n das W i t w e n - u n d W a i s e n g e l d n i c h t g e k ü r z t (§ 7 Abs. 3 i. V. m. § 9 Abs. 3 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Nach § 7 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle wird auch das Sterbegeld nicht gekürzt. Wird der zur Kürzung des Ruhegehalts bestrafte Ruhestandsbeamte wieder aktiver Beamter, so werden die Bezüge ohne Rücksicht darauf, ob sie nur in Dienstbezügen bestehen oder ob das Ruhegehalt neben den Dienstbezügen weitergezahlt wird, um den Nennbetrag gekürzt, um den das Ruhe185
§22
Herabsetzung des Ruhegehalts
gehalt zu kürzen war; hierbei werden aber nicht die Dienstbezüge, sondern nur das Ruhegehalt gekürzt 1 . Hatte der zur Kürzung des Ruhegehalts Verurteilte bereits in einem früheren öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis einen Anspruch auf Ruhegehalt erworben, so wird der frühere Ruhegehaltsanspruch nicht durch die Strafe der Kürzung des Ruhegehalts aus dem späteren Beamtenverhältnis berührt; der frühere Versorgungsanspruch kann nicht zugunsten des Verurteilten geregelt werden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Um denselben Betrag, um den das Ruhegehalt aus der zweiten Beschäftigung gekürzt worden ist, lebt der frühere Versorgungsanspruch nicht auf, weil ansonsten die Bestrafung nach § 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle wirkungslos wäre; im übrigen gilt hier das in § 16 IV S. 149 Gesagte entsprechend. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die Länderdiszijplinargesetze stimmen inhaltlich mit § 9 Abs. 1 und 3 BDO i. d. F. AndGes. 1952 überein, so § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 LDO BW, Art. 10 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DStO Bayr., § 12 Abs. 1 und 2 LDO Bln., § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DStO Brm., § 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DO Hmb., § 10 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 HDO, § 13 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 NDO, § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DO NW, § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 LDO Rh.-Pf., § 9 Abs. 1 Sate 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DStO Saar und § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 DStO Schi.-Hol. Daß die Kürzung des Ruhegehalts die letzte oberste Dienstbehörde bzw. die von ihr beauftragte Stelle vollstreckt, folgt aus § 108 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 24 Abs. 4 LDO BW, Art. 103 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Art. 22 Abs. 4 DStO Bayr., § 104 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 24 Abs. 4 LDO Bln., § 102 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 4 DStO Brm., § 102 Abs. 5 i. V. m. § 21 Abs.4 DO Hmb., § 108 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 22 Abs. 4 HDO, § 116 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 26 Abs. 4 NDO, § 110 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 24 Abs. 4 DO NW, § 112 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 24 Abs. 4 LDO Rh.-Pf., § 102 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 4 DStO Saar und § 104 Abs. 3 Satz 1 DStO Schl.-Hol.
§ 22. Herabsetzung des Ruhegehalts I. BEGRIFF Die Disziplinarstrafe der Herabsetzung des Ruhegehalts wird durch die Novelle zur BDO im Bundesdisziplinarrecht neu eingeführt. Der Ruhestandsbeamte erhält dann die Versorgungsbezüge nach einer niedrigeren Dienstaltersstufe oder nach einem Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Herabstufung des Ruhegehalts entspricht den Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und der Versetzung in 1
186
So auch W i t t l a n d , Anm. 7 zu § 9 RDStO.
Straffestsetzung
§22
ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt: wie bei diesen beiden Strafen die Dienstbezüge des aktiven Beamten auf Grund einer Herabsetzung der Dienstaltersstufen bzw der Besoldungsgruppe gemindert werden, so zielt auch die Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts in gleicher Weise auf eine Minderung des Ruhegehalts. Sie setzt voraus, daß die Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe oder die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt gerechtfertigt wäre, falls der Beschuldigte sich noch im Dienst befände ( § 9 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Im übrigen finden auf die Disziplinarstrafe der Herabstufung des Ruhegehalts die Bestimmungen der §§ 7 b und 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle sinngemäß Anwendung ( § 9 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Während der aktive Beamte im Laufe seines dienstlichen Werdeganges in den meisten Fällen die Gelegenheit hat, wieder in seine frühere Dienstaltersstufe oder wieder in ein Amt mit einem höheren Endgrundgehalt aufzurücken, erhält der Ruhestandsbeamte, der zur Herabstufung des Ruhegehalts bestraft worden ist, die verminderten Bezüge bis zu seinem Lebensende, die lediglich infolge allgemeiner Besoldungsanhebungen aufgebessert werden. Insofern stellt diese Strafe für den Ruhestandsbeamten eine größere Härte als für den aktiven Beamten die Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe oder die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt dar. Andererseits erweist sich die Einführung dieser Strafe aus praktischen Erwägungen als notwendig. Für Dienstvergehen, für die die Kürzung des Ruhegehalts keine angemessene Sühne, die Aberkennung des Ruhegehalts aber eine nicht gerechtfertigte Härte wäre, muß auch für den Ruhestandsbeamten eine Zwischenstrafe geschaffen werden, wie dies das ÄndGes. von 1952 mit den Disziplinarstrafen der §§ 7 a bis 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle getan hatte. Die Notwendigkeit der Zwischenstrafe der Herabsetzung des Ruhegehalts ergibt sich auch aus der Erwägung, daß, wenn gegen einen aktiven Beamten die Disziplinarstrafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe oder der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt verhängt werden und der Beschuldigte vor Rechtskraft des Urteils in den Ruhestand versetzt wird, diese beiden Strafen nicht mehr vollstreckt werden können1. Durch die Umwandlung der Strafen der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt in die Disziplinarstrafe der Herabsetzung des Ruhegehalts auf Grund des § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle ist dies nunmehr möglich. Π. ANWENDUNGSBEREICH Für den Anwendungsbereich der Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts gilt das gleiche wie bei der Kürzung des Ruhegehalts, so daß das in § 21 II S. 184f. Gesagte entsprechend zu beachten ist. III. STRAFFESTSETZUNG Die Strafe der Herabsetzung des Ruhegehalts kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch Urteil des Disziplinargerichts verhängt werden. 1
BDH 5.4. 57 — I D 57 und 65/55 BDHE Bd. 3 S. 251 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 333.
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§23
Aberkennung des Ruhegehalts
Hierbei wird nicht der Betrag, der dem Beschuldigten nunmehr als Ruhegehalt zu zahlen ist, sondern die Besoldungsgruppe und die Dienstaltersstufe benannt, aus der sich das Ruhegehalt bemißt. Die Berechnung des Ruhegehalts nimmt dann die oberste Dienstbehörde bzw. die von ihr beauftragte Dienststelle vor. Im übrigen gilt für die Straffestsetzung das in § 18 IV S. 157 und § 19 III S. 163f. Gesagte entsprechend. IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Die Herabsetzung des Ruhegehalts ist mit der Rechtskraft des Disziplinarurteils, das auf diese Strafe erkennt, wirksam. Bei der Disziplinarstrafe der Herabsetzung erhält der Verurteilte von dem Ersten des der Rechtskraft des Urteils folgenden Monats ab die nach der im Urteil genannten niedrigeren Dienstaltersstufe oder Besoldungsgruppe zu berechnenden Versorgungsbezüge (§ 102 Abs. 6 BDO i. d. F. der Novelle.) Tritt der zur Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe bzw. zur Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Entgrundgehalt Verurteilte vor Eintritt der Rechtskraft eines Urteils in den Ruhestand, so gilt das Urteil auf Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt bzw. auf Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe als Urteil auf Herabsetzung des Ruhegehalts mit einer entsprechenden Minderung der Versorgungsbezüge (vgl. § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle). Die Straffolgen des Urteils, das auf Herabsetzung des Ruhegehalts erkennt, bestimmen sich verschieden, je nachdem ob die Versorgungsbezüge aus einer niedrigeren Dienstaltersstufe oder nach einer niedrigeren Besoldungsgruppe gezahlt werden sollen; hierbei gilt das in § 18 V S. 158f. und § 19 IV S. 164ff. Gesagte entsprechend. Der Ruhestandsbeamte verliert ebenso wie der aktive Beamte, der in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden ist, bei einer Zahlung der Versorgungsbezüge aus einer niedrigeren Besoldungsgruppe seine frühere Amtsbezeichnung, weil § 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle sinngemäß anzuwenden ist (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle. ) Er darf nur noch die A m t s b e z e i c h n u n g mit dem Z u s a t z „a. D." aus dem Amt f ü h r e n , aus dem er n u n m e h r seine V e r s o r g u n g s b e z ü g e e r h ä l t . V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die Disziplinarstrafe der Herabsetzung des Ruhegehalts wird erstmals mit der Novelle zur BDO in das deutsche Disziplinarrecht eingeführt. Eine entsprechende Regelung kennt das Ländesdisziplinarrecht noch nicht.
§ 23. Aberkennung des Ruhegehalts I. BEGRIFF Die Aberkennung des Ruhegehalts stellt die schwerste Disziplinarstrafe für den Ruhestandsbeamten dar. Sie setzt voraus, daß die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt wäre, falls der Beschuldigte sich noch im Dienst befunden hätte (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Durch diese Strafe wird die rechtliche Stellung des Ver188
Straffestsetzung
§23
urteilten als Ruhestandsbeamter beendet. Hieraus folgt der Verlust des Anspruchs auf Versorgung, Hinterbliebenenversorgung, der Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen sowie die Dienstkleidung zu tragen (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). II. ANWENDUNGSBEREICH Für den Personenkreis, auf den diese Strafe angewendet werden kann, gilt das in § 21 II S. 184 Gesagte entsprechend. Bei Personen, die unter § 1 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle fallen und Unterhaltsbeiträge, Übergangsgebührnisse, Abfindungen oder Abfindungsrenten beziehen, wird auf Aberkennung dieser Bezüge erkannt. Die Aberkennung des Ruhegehalts kann als schwerste Disziplinarstrafe nur bei solchen Dienstvergehen verhängt werden, die beim aktiven Beamten mit der Höchststrafe geahndet werden können, so daß bei Pflichtverletzungen, die der Beschuldigte als aktiver Beamter begangen hat, das in § 20 II S. 169 ff. Gesagte entsprechend gilt. Die Tat kann deshalb nicht milder beurteilt werden, weil der Beschuldigte zur Zeit der Ausführung der Tat kurz vor Erreichung der Altersgrenze stand, da sich andernfalls die Disziplinarstrafe der Aberkennung des Ruhegehalts erübrigen würde 1 . Ebenso gilt nicht als Strafmilderungsgrund, der die Anwendung der Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts verbietet, daß der Beschuldigte sich zur Zeit der Aburteilungen im Ruhestand befand; die Tat ist vielmehr nach dem Zeitpunkt der Ausführung der Tat zu werten2. Die als Dienstvergehen geltenden Handlungen (vgl. § 77 Abs. 2 BBG) stellen so schwere Pflichtverletzungen dar, daß sie grundsätzlich die Höchststrafe für den Ruhestandsbeamten nach sich ziehen; dies gilt vor allem, wenn sich der Ruhestandsbeamte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des GG betätigt oder wenn er an Bestrebungen teilgenommen hat, die darauf abgezielt haben, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen, oder wenn er infolge des Bruches der Amtsverschwiegenheit seiner früheren Dienstbehörde einen erheblichen Nachteil zugefügt oder wenn er durch die Annahme von Belohnungen oder Geschenken im Zusammenhang mit seiner früheren Diensttätigkeit das Ansehen des Beamtenstandes in der Öffentlichkeit erheblich geschädigt hat. III. STRAFFESTSETZUNG Auf Aberkennung des Ruhegehalts kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren durch ein Disziplinargericht erkannt werden. Im Urteilstenor ist lediglich anzugeben, daß der Beschuldigte zur Aberkennung des Ruhegehalts bestraft wird. Die einzelnen Folgen, die sich aus dieser Disziplinarstrafe ergeben, folgen aus dem Gesetz und sind deshalb im Urteil nicht näher zu bezeichnen. Falls dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag bewilligt wird, wird dies im Urteilstenor zum Ausdruck gebracht, wobei die Höhe und zeitliche Dauer desselben genau zu bezeichnen sind (vgl. § 25 VII S. 221 ff.). Wird die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages abgelehnt, so ist dies im Urteilstenor nicht zum Ausdruck zu bringen; lediglich in den Urteils gründen sind die 1 2
DokBer. Nr. 713. BDH 2. 6. 60 — I D 30/58 — in ZBR1961 S. 386 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 557.
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§23
Aberkennung des Ruhegehalts
Gründe, die für eine Ablehnung des Unterhaltsbeitrages sprechen, im einzelnen anzugeben (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). IV. VOLLSTRECKUNG UND STRAFFOLGEN Bei der Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts bedarf es keiner besonderen Vollstreckungshandlung. Die Aberkennung des Ruhegehalts wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 7 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Zahlung der Versorgungsbezüge wird mit dem Ende des Monats eingestellt, in dem das Urteil rechtskräftig wird (Nr. 1 Satz 2 DVO zu § 102 BDO, § 102 Abs. 7 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Die Zahlung der Versorgungsbezüge ist jedoch erst mit Ablauf des Monats einzustellen, in dem das auf Aberkennung des Ruhegehalts lautende Urteil rechtskräftig wird (Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 DVO zu § 102 BDO). Bezüge, die für den folgenden Monat gezahlt sind, sind wieder einzuziehen oder auf einen Unterhaltsbeitrag anzurechnen (Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 DVO zu § 102 BDO). Tritt der zur Entfernung aus dem Dienst Verurteilte vor Eintritt der Rechtskraft in den Ruhestand, so gilt ein auf Entfernung aus dem Dienst lautendes Urteil als Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 102 Abs. 8 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Folgen der Aberkennung des Ruhegehalts sind die gleichen wie bei der Entfernung aus dem Dienst, nur daß hier der Ruhestandsbeamte nicht seiner Dienst-, sondern seiner Versorgungsbezüge verlustig geht. Die vermögensrechtlichen Folgen können dadurch abgeschwächt werden, daß dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden kann (im einzelnen siehe §25 S. 195ff).Weiterhin verliert er die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen sowie die Dienstkleidung zu tragen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Im übrigen ist mit der Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts ebenso wie bei der Entfernung aus dem Dienst die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht verbunden (Einzelheiten siehe § 20 IV S. 175f.). Die Wirkungen der Aberkennung des Ruhegehalts beziehen sich auf alle Ämter, die der Beschuldigte bei Eintritt in den Ruhestand bekleidet hat ( § 9 Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 3 Satz 3 BDO i. d. F. der Novelle). Dagegen werden die aus einem früheren Eintritt in den Ruhestand erworbenen Versorgungsansprüche aus einem anderen Dienstverhältnis als Bundesbeamter, Richter des Bundes, Berufssoldat oder als Soldat auf Zeit und die sonstigen damit verbundenen Befugnisse durch die Aberkennung des zuletzt erworbenen Ruhegehalts nicht berührt. D i e s g i l t j e d o c h d a n n n i c h t , w e n n der B e s c h u l d i g t e w e g e n e i n e s in dem f r ü h e r e n D i e n s t v e r h ä l t n i s b e g a n g e n e n D i e n s t v e r g e h e n s oder w e g e n e i n e r als D i e n s t v e r g e h e n g e l t e n d e n H a n d l u n g — g l e i c h g ü l t i g , w a n n er d i e s e beg a n g e n hat — v e r u r t e i l t w i r d (§ 10 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle i. V. m. Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Wird der Beschuldigte ζ. B. wegen Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des GG zur Aberkennung des Ruhegehalts verurteilt, geht er auch eines früheren 190
Sozialversicherungsrechtliche Bedeutung
§23
Versorgungsanspruches verlustig, der sich auf ein Dienst-, Richter- oder Soldatenverhältnis des Bundes bezieht. Stützen sich dagegen die Versorgungsansprüche aus einem früheren Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstherrn, ζ. B. auf ein Beamtenverhältnis zu einem Land, so treten die Folgen des § 10 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht ein. Im einzelnen hierzu siehe § 20 IV S. 175f. Die Verurteilung zur Aberkennung des Ruhegehalts hat nicht ohne weiteres den Verlust der Rechte aus dem G 131 zur Folge, weil Art. 11 ÄndGes. 1952 nur bei der Verurteilung zur Entfernung aus dem Dienst gilt. Wird der Beschuldigte zur Aberkennung des Ruhegehalts wegen eines nach dem 1. 9. 53 begangenen Dienstvergehens verurteilt, so geht der Anspruch auf Ruhegehalt ganz allgemein verloren, sofern er gegenüber dem Bund bestanden hatte. V. S O Z I A L V E R S I C H E R U N G S R E C H T L I C H E B E D E U T U N G Die Disziplinarstrafe der Aberkennung des Ruhegehalts stellt kein A u s s c h e i d e n aus einer v e r s i c h e r u n g s f r e i e n B e s c h ä f t i g u n g im Sinne der s o z i a l v e r s i c h e r u n g s r e c h t l i c h e n B e s t i m m u n g e n dar. Der Verurteilte ist nämlich bereits mit seinem Eintritt in den Ruhestand aus der Beschäftigung ausgeschieden. Eine Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestellten- oder Invalidenversicherung unterbleibt deshalb. Dieses Ergebnis ist unbillig. Ist der Beamte vom Disziplinargericht zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt worden, ist er aber nach Berufungseinlegung in den Ruhestand getreten und hat der Bundesdisziplinarhof die Berufung zurückgewiesen, so gilt nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BDO, § 102 Abs. 8 BDO i. d. F. der Novelle das auf Entfernung aus dem Dienst lautende Urteil des Disziplinargerichts als Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts. Der Verurteilte ist in diesem Falle nicht nachzuversichern. Obgleich der Beamte sich in den wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Berufung verschlechtert, liegt trotzdem hier kein Fall der reformatio in peius vor, weil die Disziplinarstrafen der Entfernung aus dem Dienst und Aberkennung des Ruhegehalts gleichartig sind. Durch das RVÄndG vom 9. 6. 65 (BGBl. I S. 476) wird die unterschiedliche Behandlung zwischen den Personen, die zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt worden sind, und den Personen, bei denen auf die Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts erkannt worden ist, beseitigt. Nach § 9 Abs. 4 AVG i. d. F. Art. 1 § 2 Nr. 8 b RVÄndG sind die Abs. 1 bis 3 a. a. O. u. a. auch bei den Personen anzuwenden, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 oder § 8 Abs. 1 oder den jeweils geltenden, den § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 oder § 8 Abs. 1 a. a. O. sinngemäß entsprechenden Vorschriften versicherungsfrei waren und nach beamten- oder soldatenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine lebenslängliche Versorgung beziehen, die diesen Anspruch aber ganz und auf die Dauer verlieren. Durch die Neuregelung wird die Nachversicherung auch auf die nach § 1229 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 RVO versicherungsfreien Personen erstreckt, die vom 1.7. 65 ab aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind und ihre Versorgungsbezüge verloren haben. Hierbei handelt es sich vor allem um solche Fälle, in denen einem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt durch disziplinarrechtliches oder strafrechtliches Urteil aberkannt oder ein auf Lebenszeit bewilligter Unterhaltsbeitrag ( § 9 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) oder nach § § 56, 58 des Soldatenversorgungsgesetzes die Versorgung entzogen wird. 191
Besonderheiten der Regelung der Disziplinarstrafen in Schleswig-Holstein
VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die landesrechtlichen Regelungen entsprechen hinsichtlich der Voraussetzungen und Folgen der Disziplinarstrafe der Aberkennung des Ruhegehalts inhaltlich dem § 9 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Dem § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz* 1, Satz 2 Halbsatz 1 und Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechen § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 3, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 LDO BW, Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 DStO Bayr., § 12 Abs. 1, Abs. 3 LDO Bln., § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 DStO Brm., § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1 Abs. 2 DO Hmb., ξ 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1 Abs. 2 HDO, § 13 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 NDO, § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 DO NW, § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 LDO Rh.-Pf., § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 DStO Saar und § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 2 DStO Schl.-Hol. Bei der Regelung der Auswirkungen, die ein Urteil, das auf Aberkennung des Ruhegehalts lautet, auf ein Ruhestandsverhältnis aus einem früheren Beamtenverhältnis hat, halten sich die Disziplinargesetze der Länder an § 10 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Indem an die Stelle des § 77 Abs. 2 BBG die gleichlautenden Bestimmungen der jeweiligen Beamtengesetze der Länder treten, entsprechen dem § 10 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 13 Abs. 2 LDO BW, wobei auch die bei einem Richter im Ruhestand als Dienstvergehen geltenden Handlungen einbezogen sind, Art. 11 Abs. 2 DStO Bayr., § 13 Abs. 2 LDO Bln., § 10 Abs. 2 DStO Brm., § 10 Abs. 2 DO Hmb., § 11 Abs. 2 HDO, § 14 Abs. 2 NDO, § 13 Abs. 2 DO NW, § 13 Abs. 2 LDO Rh.-Pf., § 10 Abs. 2 DStO Saar und § 13 Abs. 2 DStO Schl.-Hol. Der DVO zu § 10 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entsprechen § 8 ADV DStO Bayr., § 8 DVO zur LDO Bln., DVO zu § 13 DO NW und DVO zu § 13 LDO Rh.-Pf. Auch nach Landesdisziplinarrecht wird die Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. Ein auf Entfernung aus dem Dienst lautendes Urteil gilt, wenn der Verurteilte vor Eintritt der Rechtskraft in den Ruhestand getreten ist, als Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts; so § 108 Abs. 1 LDO BW, Art. 103 Abs. 1 DStO Bayr., § 104 Abs. 1 LDO Bln., § 102 Abs. 1 DStO Brm., § 102 Abs. 1 DO Hmb., § 108 Abs. 1 HDO, § 116 Abs. 1 NDO, § 110 Abs. 1 DO NW, § 112 Abs. 1 LDO Rh.-Pf., § 102 Abs. 1 DStO Saar und § 104 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.
§ 24. Besonderheiten der Regelung der Disziplinarstrafen in Schleswig-Holstein Die Dienststrafordnung von Schleswig-Holstein vom 4. 5. 48 i. d. F. vom 14.9. 60 (GVB1. S. 161) weicht bei der Festlegung der Disziplinarstrafen von der Regelung des Bundes und der übrigen Länder erheblich ab. Bei aktiven Beamten kennt sie hinter der Gehaltskürzung als nächstschwerere Disziplinarstrafe die Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen. Dieser Disziplinarstrafe folgen die Versetzung in den Ruhestand mit vollem 192
Versetzung in ein Amt mit geringeren Dienstbezügen
§24
oder gekürztem Ruhegehalt und die Entlassung mit Ruhegehalt. Als schwerste Disziplinarstrafe kennt die DStO Schl.-Hol. ebenso wie die BDO und die Disziplinargesetze der übrigen Länder die Entfernung aus dem Dienst (vgl. § 5 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.). I. VERSETZUNG IN EIN AMT MIT GERINGEREN PLANMÄSSIGEN DIENSTBEZÜGEN Die Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen bewirkt den Verlust des Anspruchs auf die mit dem bisherigen Amt verbundenen Dienstbezüge sowie der Befugnis, die Amtsbezeichnung des bisherigen Amtes zu führen ( § 9 Satz 1 DStO Schl.-Hol). Der Beamte erhält die Dienstbezüge der Stelle, in die er versetzt wird, und führt die Amtsbezeichnung dieser Stelle (§ 9 Satz 2 DStO Schl.-Hol.). Die Strafe ähnelt dem § 7c BDO, nur daß hier der Beamte auch in die Besoldungsgruppe einer anderen Laufbahn eingestuft werden kann. Es wäre also denkbar, daß ein Oberregierungsrat bis zum Amtsboten herabgestuft werden könnte. Da die Möglichkeit der Versetzung in eine andere Laufbahn besteht, kann demnach die Strafe auch bei solchen Beamten zur Anwendung kommen, die sich in einer Eingangsbesoldungsgruppe des höheren, gehobenen oder mittleren Dienstes befinden. Die Zulässigkeit, einen Beamten strafweise in eine Besoldungsgruppe einer anderen Laufbahn zu versetzen, widerspricht den Grundsätzen des Laufbahnrechts. Die Zugehörigkeit zu einer Laufbahn bestimmt sich nämlich nach der Vor- und Ausbildung (vgl. § 2 Abs. 1 BLV). Ebenso wie ein Beamter einer niedrigeren Laufbahn nicht in eine höhere Laufbahn aufrücken kann, weil er nicht die entsprechende Vor- und Ausbildung besitzt, so hat auch ein Beamter einer höheren Laufbahn — abgesehen von den Aufstiegsbeamten — mangels einer entsprechenden Ausbildung nicht die Eignung, in einer niedrigeren Laufbahn Dienst zu verrichten. So wird ein Beamter mit juristischer Vorbildung nicht zuzumuten sein, jegliche Kassengeschäfte zu verrichten, weil er im Verlauf seiner juristischen Ausbildung keine kassentechnische Ausbildung erhalten hat; ebenso wird der juristisch ausgebildete Bundesbahnrat nicht die Fähigkeit besitzen, eine Lokomotive zu fahren. Aus diesen Erwägungen heraus ist eine Disziplinarstrafe abzulehnen, die die Möglichkeit schafft, einen Beamten in eine Laufbahn zu versetzen, für die er keine entsprechende Ausbildung erhalten hat. Die Strafe der Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen unterscheidet sich von der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt fernerhin dadurch, daß nicht die Möglichkeit geschaffen ist, gleichzeitig mit dem Urteil, das diese Strafe ausspricht eine anderweitige Dienstaltersstufe zu bestimmen (vgl. § 7c Satz 2 BDO). Würde eine solche Maßnahme auf Grund von Durchführungsvorschriften ermöglicht, so wäre sie wirkungslos, da es sich hier um eine Straffolge handelt, die nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden kann. Wird also ein Beamter in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen versetzt, so verbleibt der Verurteilte in der seinem früheren Amt entsprechenden Dienstaltersstufe. Die Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam (§ 104 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol.). 13 L i n d g e n , Disziplinarrecht!
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§ 24
Besonderheiten der Regelung der Disziplinarstrafen in Schleswig-Holstein
Π. VERSETZUNG IN D E N RUHESTAND MIT VOLLEM ODER GEKÜRZTEM RUHEGEHALT Die in § 5 DStO Schl.-Hol. erwähnte Strafe der Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem Ruhegehalt ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Der Verurteilte behält mit der Rechtskraft des Urteils sämtliche Rechte als Ruhestandsbeamter. Er behält seine Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „a. D.". Die Ruhegehaltsbezüge erhält er entweder in voller Höhe oder um den Bruchteil gekürzt, der im Disziplinarurteil genannt ist. Weiterhin behält er die Befugnis, die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen und die Uniform zu tragen. Seine Hinterbliebenen erhalten Hinterbliebenenversorgung, die nach Maßgabe des Ruhegehalts gezahlt wird. Um den Bruchteil, um den das Ruhegehalt gekürzt wird, werden auch die Hinterbliebenenbezüge entsprechend gekürzt gezahlt. Die Strafe der Versetzung in den Ruhestand setzt voraus, daß dem Beschuldigten Versorgungsbezüge zustehen. Sie kommt im allgemeinen bei solchen Beschuldigten in Frage, die eine längere Dienstzeit zurückgelegt haben und ohnehin in Kürze in den Ruhestand treten würden. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit, bei der derzeitigen Vollbeschäftigung eine anderweitige Verdienstmöglichkeit zufinden,auf die die versorgungsrechtlichen Ruhensvorschriften keine Anwendung finden, würde die Verhängung dieser Strafe für einen noch voll arbeitsfähigen Beschuldigten einen Vorteil bedeuten, so daß dann der Strafcharakter völlig verloren ginge. Überdies dürfte es eine Beeinträchtigung der Stellung der Ruhestandsbeamten bedeuten, wenn der Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. der Dienstunfähigkeit eine Pflichtwidrigkeit des Beamten gleichgesetzt wird, die so erheblich ist, daß er nicht mehr im öffentlichen Dienst belassen werden kann. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß es bedauerlicherweise eine Verwaltungsübung geworden ist, einen Beamten, der in einem erheblichen Maße gegen die Dienstzucht verstoßen hat, in den Ruhestand zu versetzen; diese rein beamtenrechtliche Maßnahme kommt vor allem dann zur Anwendung, wenn durch die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens das Ansehen der Dienstbehörde in der Öffentlichkeit — besonders vor den Augen der Disziplinargerichte — erheblich beeinträchtigt werden würde, was vor allem dann zutrifft, wenn es sich um einen Beamten in leitender Stellung handelt. Hier wäre der Ausspruch eines Disziplinargerichts, der auf eine Zurruhesetzung erkennt, einer rein beamtenrechtlichen Maßnahme, die dem gleichen Zwecke dient, schon deshalb vorzuziehen, weil die Zurruhesetzung in diesem Falle Strafcharakter trägt und das Disziplinargericht die Möglichkeit erhält, das Ruhegehalt in angemessener Weise zu kürzen. Die Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem Ruhegehalt wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam (§ 104 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol). Die Zahlung der gekürzten Dienstbezüge kommt jedoch erst nach Ablauf des Monats in Frage, in dem das auf Zurruhesetzung lautende Urteil rechtskräftig geworden ist. Die vollen Dienstbezüge, die für den folgenden Monat bereits ausgezahlt sind, sind vom Ruhegehalt in der Höhe abzuziehen, wie sie dasselbe übersteigen. ΠΙ. ENTLASSUNG MIT RUHEGEHALT Die zweitschwerste Strafe stellt die Entlassung mit Ruhegehalt dar. Die Entlassung mit Ruhegehalt hat die Entfernung des Beamten aus seinem Amt 194
Zweck des Unterhaltsbeitrages
§25
mit der Wirkung zur Folge, daß ihm der gleiche Anspruch auf Ruhegehalt erwächst, den er durch eine Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit erlangt hätte (§ 10 Abs. 1 DStO Schl.-Hol.). Eine Kürzung der dem Ruhegehalt entsprechenden Bezüge kommt hier nicht in Frage. Andererseits wiegt aber die Strafe der Entlassung insofern schwerer als die Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem Ruhegehalt, als ein Verlust der mit dem Amte verbundenen sonstigen Rechte und Anwartschaften eintritt. So erhält der Verurteilte keine Beihilfe oder Unterstützungen. Weiterhin verliert er die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen sowie die Dienstkleidung zu tragen, wobei sich diese Wirkungen auf alle Ämter beziehen, die der Verurteilte beim Eintritt in den Ruhestand innehatte. Erhält der Verurteilte Ruhensbezüge aus einem früheren Beamtenverhältnis, so bleiben diese durch die Strafe der Entlassung mit Ruhegehalt unberührt, weil § 13 DStO Schl.Hol. sich nur auf die Strafen der Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung des Ruhegehalts bezieht. Über die Voraussetzungen, unter denen die Entlassung mit Ruhegehalt in Frage kommt, gilt hier das Gleiche wie bei der Strafe der Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem Ruhegehalt; insbesondere kommt diese Strafe bei noch voll arbeitsfähigen Beamten nicht in Frage. Auch diese Strafe stellt eine Beeinträchtigung der Personen dar, die Ruhegehalt erhalten, weil auch hier die Erreichung der Altersgrenze bzw. die Dienstunfähigkeit mit einer erheblichen Pflichtverletzung gleichgesetzt wird. Die Entlassung mit Ruhegehalt wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam (vgl. § 104 Abs. 1 Satz 1 DStO Schl.-Hol.).
3. K a p i t e l
Der Unterhaltsbeitrag als Umstand, der die vermögensrechtlichen Folgen dsr Disziplinarstrafen dsr Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung des Ruhegehalts mildert § 25. Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil, in dem auf die Höchststrafe erkannt wird. I. ZWECK DES UNTERHALTSBEITRAGES 1 Mit den Disziplinarstrafen der Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung des Ruhegehalts ist eng die Frage der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages verquickt. Der Beamte verliert durch die Entfernung aus dem Dienst den Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung. Wenn auch diese Strafe im Interesse der Aufrechterhaltung der Dienstzucht liegt, so ist es trotzdem unbillig, den Beamten, der eine längere Dienstzeit zurückgelegt hat, verelenden zu lassen. Ebenso verhält es sich mit dem Ruhestandsbeamten, 1 J ü l i c h e r , Der Unterhaltsbeitrag bei Entfernung aus dem Dienst in D'jD 195 0 S. 1 ; Schütz, Der disziplinarrechtliche Unterhaltsbeitrag in DöD 1960 S. 24 ff.; Mannhe i m e r , Der Unterhaltsbeitrag im Bundesdisziplinarrecht in RiA 1956 S. 273.
13·
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§25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
dem das Ruhegehalt auf Grund eines Disziplinarurteils aberkannt -wird. Auftretende Härten lassen sich dadurch beseitigen, daß dem Verurteilten in einem auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts lautenden Urteil ein Unterhaltsbeitrag auf Zeit bewilligt wird. Hierbei ist zu beachten, daß die Altersversorgung des Beamten nicht auf einer Art Rentenversicherung, sondern auf einem besonderen Alimentationsprinzip beruht, das seine Grundlage in dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis hat. Einem zur Entfernung aus dem Dienst verurteilten Beamten steht daher nicht schon deswegen ein Unterhaltsbeitrag zu, weil er lange Jahre hindurch seine Arbeitskraft in den öffentlichen Dienst gestellt hat 2 . Das Beamtenverhältnis ist nämlich ganz allgemein auf dem Alimentationsprinzip aufgebaut. Wenn das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis grundlegend zerstört ist, so muß der Beamte die Folgen tragen, die aus der Auflösung des Beamtenverhältnisses entstanden sind. Eine dieser Folgen ist das Aufhören der Alimentation, d. h. der Verlust der Dienst- und Versorgungsbezüge. Bewilligt das Disziplinargericht dem Beschuldigten einen Unterhaltsbeitrag, so muß es dabei beachten, daß die Disziplinarstrafen der Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung des Ruhegehalts für den Beschuldigten fühlbar sein müssen und durch die Alimentierung im Wege der Unterhaltsbeitrages illusorisch werden können, was vor allem dann der Fall ist, wenn der Beschuldigte noch arbeitsfähig und in der Lage ist, einem Erwerb nachzugehen; für einen solchen Beschuldigten würde ein Unterhaltsbeitrag eine zusätzliche Dauerrente darstellen3. Insbesondere ist er nicht dazu bestimmt, dem früheren Lebensbeamten eine Lebenshaltung und damit verbunden eine Berufsausbildung seiner Kinder zu ermöglichen, die der Stellung eines aktiven oder ehrenvoll in den Ruhestand getretenen Beamten entspricht4. Der Unterhaltsbeitrag soll dem früheren Beamten vielmehr nur den Übergang in eine neue Lebensstellung erleichtern6. Bis zur Erlangung eines neuen Berufs oder eines anderweitigen Erwerbs soll der Verurteilte lediglich vor Not geschützt werden®. Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, daß der Unterhaltsbeitrag einem zur Entfernung aus dem Dienst Verurteilten nach der Novelle zur BDO nur noch auf Zeit bewilligt werden kann. Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auf Lebenszeit ist auch bei der Disziplinarstrafe der Aberkennung des Ruhegehalts dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn nach Inkrafttreten der Härtenovelle die Nachversicherung auch in diesem Falle gewährleistet ist7. Die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages ist an im Gesetz genau umschriebene Voraussetzungen geknüpft, an die das Disziplinargericht gebunden ist. Somit stellt er keine Gnadenentscheidung dar, wie dies bei dem durch den Bundespräsidenten bewilligten Unterhaltsbeitrag im Falle des § 104 BDH 2.12. 57 — I D 15/56 — BDHE Bd. 4 S. 76 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 371. PrOVG Bd. 83 S. 449; RDStH 24.11. 37 — I D 46/37 —. 4 DiszSenat OVG Münster 12. 7. 60 — W 16/59 — in ZBR 1962 S. 78 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 632. 8 RDStH 14.10. 39 — V D 18/38 —. « BDH 1 . 1 2 . 5 3 — I D 35/53 — Lindgen, Teil IV Nr. 26; RDHB bei F o e r s t e r Si mons, S. 212; REH F o e r s t e r , 1933 S. 123. 7 Vgl. für den früheren Rechtszustand RDH bei F o e r s t e r , 1933 S. 123; 1934 S. 121; 1935 S. 112 und 123; 1933 S. 123. 2
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Geschichtliche Entwicklung
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BDO, BDO i. d. F. der Novelle der Fall ist, bei dem „Gnade vor Recht waltet" und der der Ergänzung des Rechts im Interesse der Gerechtigkeit dient, wobei der Akt des Verzeihens nicht an gesetzlich festgelegte Voraussetzungen geknüpft ist8. Der nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligte Unterhaltsbeitrag bezweckt also nicht, dem Beschuldigten unter dem Gesichtspunkt des Verzeihens die Härte der Höchststrafe weniger fühlen zu lassen. Π. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG A. Preußen Bereits in § 8 1 Β S. 107 ist gezeigt worden, daß nach § 18 Satz 2 des Preuß. Gesetzes betr. gerichtliche und Strafverfahren gegen Beamte vom 29. 3.1844 (PrGS S. 77) die Entlassung aus dem Dienst wohl den Verlust des Anspruchs auf Pension zur Folge hatte, daß dem Angeschuldigten jedoch, wenn er zu den Beamten gehörte, die verfassungsmäßig einen Anspruch auf Pension hatten, und besondere Umstände eine mildere Berücksichtigung zuließen, ein Teil des regelmäßigen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre als Unterstützung bewilligt werden konnte. Eine entsprechende Regelung sahen § 16 Nr. 2 des Preuß. Gesetzes betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21. 7. 1852 (PrGS S. 465), § 13 Abs. 1 der Preuß. Beamtendienststrafordnung vom 27.1.32 (PrGS S. 59) und § 15 der Preuß. Richterdienststrafordnung vom 27.1. 32 (PrGS S. 79) vor. B. Reichsbeamtengesetz vom 31. 3.1873 § 75 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. 3. 1873 (RGBl. S. 61) übernahm die Regelung Preußens und ermächtigte demnach die Disziplinarbehörde, in ihrer Entscheidung sogleich festzusetzen, daß dem Angeschuldigten ein Teil des gesetzlichen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre zu belassen sei, falls er zu den Beamten gehörte, die einen Anspruch auf Pension hatten, und besondere Umstände eine mildere Beurteilung zuließen. Während nach der preußischen Regelung dem Ausgeschiedenen tin Teil der Pension als Unterstützung zu belassen war, sprach § 73 RBG nur von der Belassung eines Teils des gesetzlichen Pensionsbetrages. C. Reichsdienststrafordnung vom 26.1. 1937 Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages als Rechtsanspruch eigener Art, der vom versorgungsrechtlichen Denken völlig losgelöst ist, kommt erstmalig in § 64 der Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 (RGBl. I S. 71) vor. Er konnte auf Lebenszeit oder auf Zeit bewilligt werden. Für längstens fünf Jahre konnte er im Höchstfalle 75 v. H. und über diesen Zeitraum hinaus höchstens 50 v. H. betragen. Die Bewilligung setzte voraus, daß besondere Umstände eine mildere Beurteilung der Tat zuließen sowie der Verurteilte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig erschien. D. Bundesdisziplinarordnung Die Regelung der Reichsdienststrafordnung ist durch Art. 1 Ziff. 41 des Änderungsgesetzes zur Reichsdienststrafordnung vom 28. 11. 52 (BGBl. I 8
Vgl. RDHE Bd. 2 S. 147 (149) und RVB1. Bd. 59 S. 561.
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
S. 749) erheblich geändert worden. Zunächst einmal konnte nach § 64 B D O der Unterhaltsbeitrag nicht nur auf die Dauer von fünf Jahren, sondern auf Lebenszeit bis zur Höhe von 75 v. H. bewilligt werden. Weiterhin war in § 64 Abs. 4 B D O die Möglichkeit vorgesehen, bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auf Lebenszeit für den Fall des Todes des Verurteilten den Hinterbliebenen einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen; diese Einfügung in das Gesetz hielt der Beamtenrechtsausschuß aus sozialen Gründen für notwendig. Schließlich hielt es der Beamtenrechtsausschuß des Bundestages für angebracht, die Nr. 2 der DVO zu § 64 RDStO als § 64 Abs. 6 B D O in das Gesetz selbst zu übernehmen, da es zweifelhaft erschien, eine solche Regelung, die nicht der Durchführung des § 64 RDStO dient, sondern darüber hinaus neues Recht geschaffen hatte, in einer Durchführungsverordnung zu belassen. Die Regelung des § 64 B D O i. d. F. ÄndGes. 1952 hatten die nachher in Kraft getretenen Disziplinargesetze der Länder mit geringen Abweichungen übernommen (vgl. im einzelnen VIII). E . Einfluß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23.2. 57. Eine erhebliche Änderung der Bestimmungen, die sich mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages befaßten, wird durch die Neuregelung der Nachversicherung auf Grund der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23.3.57 — BGBl. I S. 45 und S. 88 — (im einzelnen siehe § 20 V S. 178 ff.) erforderlich, weil sie bei der Anwendung des § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 zu völlig untragbaren Konsequenzen führen9. Nunmehr ist der Beschuldigte, bei dem die Voraussetzungen des § 64 B D O i. d. F. ÄndGes. 1952, insbesondere Würdigkeit und eine mildere Beurteilung der Tat, nicht vorliegen, nachzuversichern und erhält auf diese Weise eine Rente, die im allgemeinen eine auskömmliche Lebenshaltung sichert. Der Beschuldigte hingegen, dessen Tat milder zu beurteilen ist und der sich auch als würdig erwiesen hat, erhält einen Unterhaltsbeitrag, der nur seinen notdürftigen Lebensunterhalt sichert. Die Voraussetzungen der Nachversicherung waren lediglich bei dem Beschuldigten nicht gegeben, der zur Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts verurteilt worden war. Ein Wahlrecht für die finanziell günstigere Lösung stand dem Beschuldigten leider nicht zu 10 . Wurde der Unterhaltsbeitrag auf Zeit gewährt, so entfiel wohl die Nachversicherung, jedoch wurde sie für diese Zeit aufgeschoben (vgl. § 125 Abs. 1 Buchst, c AVG, § 1403 Abs. 1 Buchst, c RVO). Der Auffassung Dörings 11 , daß bei einem auf Zeit gewährten Unterhaltsbeitrag die Nachversicherung dann nicht aufgeschoben wird, wenn der Unterhaltsbeitrag niedriger ist als die fiktive Sozialversicherungsrente, kann nicht gefolgt werden, weil sie sich nicht aus dem Gesetz ergibt 12 . Der zuweilen vom Bundesdisziplinarhof13 eingeschlagene Weg, dem Beschuldigten nur einen Unterhaltsbeitrag auf Zeit zu bewilligen, falls ihm 9 D ö r i n g , Disziplinarrechtlicher Unterhaltsbeitrag und Nachversicherung in ZBR 1960 S. 214. 10 DokBer. Nr. 1116. 11 A. a. O. S. 216. 12 So auch BDH 17. 1. 59 — II DB 41/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 501; vgl. auch B e h n k e , Anm. 9 zu § 64 B D O und R o l l i n g e r , Das Nachversicherungsrecht im Gefiige des sozialen Sicherungssystems in ZBR 1959 S. 313. 1 3 Vgl. DokBer. Nr. 1129 und Nr. 1428.
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Geschichtliche Entwicklung
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ein Rechtsanspruch auf Invaliden- oder Angestelltenversicherung zusteht, müßte auf rechtliche Bedenken stoßen, weil nach der herrschenden Rechtsprechung die Anwartschaft auf eine Invalidenrente bei der Frage der Bedürftigkeit außer Ansatz zu bleiben hat, wenn die Rente zeitlich und betragsmäßig noch nicht feststeht. F. Novelle zur Bundesdisziplinarordnung Der durch das Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze veränderten Lage trägt das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung weitgehend Rechnung. Um den früheren Beamten, der zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt worden ist, in den Genuß der Rente aus der Sozialversicherung kommen zu lassen, die ihm nicht nur einen notdürftigen, sondern einen angemessenen Lebensunterhalt sichert, ist nunmehr nur noch die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auf Zeit zulässig, der im wesentlichen dazu dient, dem Verurteilten den Übergang in das Berufsleben zu erleichtern. Die Streichung der Grundvoraussetzung der milderen Beurteilung des Dienstvergehens erweist sich als zweckmäßig, weil deren Bestimmung Schwierigkeiten bereitet und die Rechtsprechung richtig erkannt hat, daß die Prüfung der Würdigkeit die Tatumstände der jeweiligen Pflichtverletzung einschließt. Daß dem Unterhaltsbeitragsempfänger auch Kinderzuschläge zu zahlen sind, stellt gegenüber der früheren Rechtslage keine Neuerung dar, da nach der herrschenden Verwaltungspraxis die Kinderzuschläge immer in voller Höhe gezahlt werden. Die Härte, die bei zur Aberkennung des Ruhegehalts Verurteilten dadurch entsteht, daß sie auch weiterhin auf einen Unterhaltsbeitrag angewiesen sind, der ihnen nur einen notdürftigen Unterhaltsbeitrag sichert, läßt sich nur durch die Gesetzgebung zur Sozialversicherung, nämlich durch § 20 V der angeführten Härtenovelle, beseitigen. Daß nunmehr Renten auf den Unterhaltsbeitrag angerechnet werden können, stellt eine Verwaltungsvereinfachung dar, da nach derzeitigem Recht erst die Disziplinargerichte nur in einer erneuten Entscheidung nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle den bereits bewilligten Unterhaltsbeitrag entziehen oder herabsetzen konnten. Die weiterhin in der Novelle vorgesehene Möglichkeit, daß Rentennachzahlungen vom Versicherungsträger an den Dienstherrn zu leisten sind, ist deshalb notwendig, weil bis jetzt dem Verurteilten die Rente und der Unterhaltsbeitrag zusammen verbleiben und somit letzterer als zusätzliche Einnahme nicht mehr seinen Zweck versieht, dem Verurteilten nur einen notdürftigen Lebensunterhalt zu sichern. § 64 BDO i. d. F. der Novelle hat folgenden Wortlaut: „(1) Das Gericht kann dem Verurteilten in einem auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts lautenden Urteil einen Unterhaltsbeitrag auf bestimmte Zeit bewilligen, wenn der Verurteilte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig erscheint. Der Unterhaltsbeitrag darf höchstens fünfundsiebzig vom Hundert des Ruhegehalts betragen, das der Verurteilte in dem Zeitpunkt, in dem das Urteil gefällt wird, erdient hätte oder erdient hatte ; er ist nach Hundertteilen dieses Ruhegehalts zu bemessen. Neben dem 199
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
Unterhaltsbeitrag werden Kinderzuschläge nach den für die Beamten geltenden Vorschriften des Besoldungsrechts gewährt. (2) Auf den Unterhaltsbeitrag sind Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, die für den gleichen Zeitraum gezahlt werden, anzurechnen. Die Rentennachzahlungen sind vom Versicherungsträger im Umfange des gezahlten Unterhaltsbeitrages an den Dienstherrn zu leisten. (3) Das Gericht kann bestimmen,, daß der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise an Personen gezahlt wird, zu deren Unterhalt der Verurteilte gesetzlich verpflichtet ist; nach Rechtskraft des Urteils kann dies die oberste Dienstbehörde bestimmen. (4) Die Zahlung des Unterhaltsbeitrages beginnt im Zeitpunkt des Verlustes der Dienst- und Versorgungsbezüge. (5) Der Unterhaltsbeitrag erlischt, wenn der Verurteilte wieder zum Beamten ernannt wird. Im übrigen gelten die Vorschriften der §§158 bis 160a, 162 und 165 des Bundesbeamtengesetzes sinngemäß; der Verurteilte gilt dabei als Ruhestandsbeamter, der Unterhaltsbeitrag als Ruhegehalt. (6) Bei Anwendung der §§ 158, 160 und 160 a des Bundesbeamtengesetzes nach Abs. 5 Satz 2 sind die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge (§§ 158 Abs. 1 und 2), der unter Zugrundelegung der gesamten ruhegehaltsfähigen Dienstzeit sich ergebende Betrag (§ 160) und der sich nach § 160a Abs. 2 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes ergebende Betrag um den Betrag zu kürzen, um den der Unterhaltsbeitrag hinter dem Ruhegehalt, aus dem er errechnet ist, zurückbleibt." m . RECHTLICHE NATUR DES UNTERHALTSBEITRAGES Wenn auch der Unterhaltsbeitrag zusammen mit der Bestrafung der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts ausgesprochen wird, so stellt er noch keinen Teil des Strafausspruches dar. Dies galt in gleicher Weise bereits für die „Unterstützung" nach § 16 Abs. 2 des Preuß. Gesetzes betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21. 7. 1852 und das Teilruhegehalt nach § 75 Abs. 3 RBG 14 . Somit stellt also die Verurteilung der Entfernung aus dem Dienst bzw. der Aberkennung des Ruhegehalts, die mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages verbunden ist, keine Milderung der Höchststrafe dar. Der Unterhaltsbeitrag mildert vielmehr nur die wirtschaftlichen Auswirkungen der Strafe15. Ebenso stellt die Versagung eines Unterhaltsbeitrages keinen Strafausspruch dar, obgleich sie von dem Verurteilten als eine empfindliche Härte betrachtet wird. Hieran ändert auch nichts, daß die Schwere der Tat bei der Frage der Bewilligung eine erhebliche Rolle spielt. Gerade die Aufstellung des völlig außerhalb des Rahmens 11 RDH in RVB1. Bd. 59 S. 561; PrOVG Bd. 83 S.449; Behnke, RDStO 2. Aufl. Anm. II zu § 64 RDStO u. JW 1939 S. 732 Fußnote 65; BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 (75) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35. 16 Behnke, Anm. 3 zu § 64 BDO; PrOVG Bd. 83 S. 449; BDH 20.3. 56 — III D 84 und 85/55 — BDHE Bd. 3 Nr. 5 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 328; BDH 20.11. 53 — I DB 37/53 — BDHE Bd. 1 S. 71; BDH 15.4. 54 — I D 7/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 35; BDH 29.11. 54 — I D 165/53 — BDHE Bd. 3 S. 208; BDH 23.11. 55 — III D 163/43 — B D H E Bd. 2 S. 125 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 190.
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Rechtliche Natur des Unterhaltungsbeitrages
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der Tat und ihrer disziplinarrechtlichen. Würdigung liegenden Erfordernisse der Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages charakterisiert diesen Verwaltungsakt als Maßnahme außerhalb der Strafe1®. In gleicher Weise ist die Stellung zu würdigen, die der § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle im Aufbau des Gesetzes gefunden hat. So wurden auch im früheren Recht die „Unterstützung", die nach § 16 Abs. 2 des Preuß. Gesetzes betr. die Dienstvergehen nichtrichterlicher Beamter vom 21. 7. 1852 (GS S. 465 ff.) und das „Teilruhegehalt", das nach § 75 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. 3. 1873 (RGBl. S. 61) gewährt wurden, nicht als Teil des Strafausspruches, sondern als eine den Disziplinarbehörden übertragene Verwaltungsmaßnahme angesehen. In sämtlichen Fällen sollten gleichfalls nur die wirtschaftlichen Auswirkungen, die durch die Entfernung aus dem Dienst bedingt waren, gemildert werden 17 . Weil der Unterhaltsbeitrag kein Teil des Strafausspruchs ist, ist es kein Verstoß gegen die Prinzipien des Rechtsstaats, daß nach § 67 Abs. 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle unter den dort genannten Voraussetzungen das Urteil hinsichtlich der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages zuungunsten des Beschuldigten auch dann geändert werden darf, wenn nur er Berufung eingelegt hat. § 331 StPO gilt also hier nicht. Der Unterhaltsbeitrag fällt nicht unter den Begriff der Strafe, vielmehr stellt er eine Verwaltungsmaßnahme dar, die lediglich aus praktischen Erwägungen den Disziplinargerichten übertragen ist 18 . Der Unterhaltsbeitrag hat nicht die Rechtsnatur eines Ruhegehalts. Er stellt nämlich keine lebenslängliche Versorgung nach beamtenrechtlichen Gesichtspunkten dar, da er nicht einen angemessenen Unterhalt gewähren, sondern nur einen Notbedarf sicherstellen soll. Er ist kein geminderter Ruhegehaltsanspruch; auch durch die rechtstechnische Verweisung in § 64 Abs. 4 und 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, bzw. § 64 Abs. 5 und 6 BDO i. d. F. der Novelle erhält er nicht die Rechtsnatur einer Alimentation, sondern ist nur eine reine Fürsorgeunterstützung, deren Höhe sich ausschließlich nach der Bedürftigkeit des Betroffenen richtet. Da der Unterhaltsbeitrag kein Ruhegehalt darstellt, hat der Verurteilte auch keinen Anspruch auf Beihilfe oder Unterstützungen. Mit der Rechtskraft des Disziplinarurteils ist jeglicher Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung erloschen (vgl. § § 8 Abs. 1, 9 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), der mit dem Unterhaltsbeitrag weder fortbesteht noch wieder auflebt. Der Anspruch des Beamten auf Altersversorgung besteht nicht, weil dafür von seinem Gehalt laufend Beträge erspart werden, sondern weil er in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis steht19. Hat der Beamte dieses Treueverhältnis zerstört, so muß er als Folge dieser Zerstörung es hinnehmen, daß die Alimentation aufhört und damit der Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung verloren geht; somit kann auch deswegen der Unterhaltsbeitrag nicht dem Ruhegehalt gleichgestellt werden 20 . Wenn der Unterhaltsbeitrag auch nach Hundertteilen des erdienten Ruhegehalts bemessen wird, so wird er damit noch nicht ein auf bestimmte Bruchteile beschränktes Ruhegehalt. Das " DokBer. Nr. 111. 1 7 BDH 25. 5. 54 — II D 126/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 144. 1 8 Vgl. RDH in RVB1. Bd. 59 S. 561; PrOVG Bd. 83 S. 449. 1 9 DokBer. Nr. 1677; vgl. auch D ö r i n g , a. a. O. S. 214 ff. 20 DokBer. Nr. 922.
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
Ruhegehalt soll hier nur eine Berechnungs- und Bemessungsgrundlage überwiegend technischer Art sein. Der Unterhaltsbeitrag tritt, namentlich wenn er auf Lebenszeit gewährt wird, ähnlich wie ein Unterhaltsbeitrag nach dem Bundesbeamtengesetz (z. B. §§ 120 und 142 BBG) mit den besonderen sich aus § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Beschränkungen an die Stelle der beamtenrechtlichen Versorgung. Der Unterhaltsbeitrag ist auch deshalb kein Ruhegehalt, weil nach § 64 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle die Vorschriften der §§158 bis 160, 162 und 165 BBG über das Ruhen, Erlöschen und Zusammentreffen mit anderen Versorgungsansprüchen sinngemäß anzuwenden sind 21 . So kann gegen den Verurteilten, dem ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden ist und der sich dessen später unwürdig erweist, kein Disziplinarverfahren mit dem Ziele der Aberkennung des Unterhaltsbeitrages durchgeführt werden. Hierfür mußte vielmehr die Sonderbestimmung des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle 22 geschaffen werden, wonach dem Verurteilten der Unterhaltsbeitrag unter den dort aufgeführten Voraussetzungen entzogen werden kann. E b e n so steht der Witwe u n d den Waisen kein Witwen- o d e r Waisengeld zu. Lediglich das Sterbegeld ist zu zahlen, wenn der Verurteilte innerhalb des Zeitraums stirbt, für den ihm der Unterhaltsbeitrag bewilligt worden ist (§ 122 Abs. 1 Satz 3 BBG). Der Unterhaltsbeitrag ist vielmehr ein Rentenanspruch besonderer Art, der sich auf die Entscheidung des Disziplinargerichts stützt. Er wurzelt in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die in dem gesetzlichen Rahmen auch noch zugunsten des aus dem Dienst entfernten Beamten fortwirkt 23 . Hierbei ist aber zu beachten, daß die Altersversorgung des Beamten nicht auf einer Art Rentenversicherung, sondern auf einem besonderen Alimentationsprinzip beruht, das seine Grundlage in dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis hat. Dem Beschuldigten kann der Unterhaltsbeitrag nicht schon deswillen gewährt werden, weil er lange Jahre hindurch seine Arbeitskraft in den öffentlichen Dienst gestellt hat; dadurch, daß er ein schweres Dienstvergehen begangen hat, hat er das Dienst- und Treueverhältnis, das schließlich zu einer Versorgung des Beamten geführt hätte, zerstört, so daß die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages nur unter den in § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle aufgeführten Voraussetzungen in Frage kommt 24 . Wohl ist der Unterhaltsbeitrag nach Hundertteilen des Ruhegehalts zu bemessen. Jedoch steht die Entscheidung des Disziplinargerichts über den Unterhaltsbeitrag unter dem gesetzlichen Vorbehalt, daß der Beschuldigte bereits ein Ruhegehalt erdient hat. Z u s t ä n d i g f ü r die N a c h p r ü f u n g , ob ein R u h e g e h a l t erdient i s t , ist nicht das D i s z i p l i n a r g e r i c h t , 21 PrOVG 16. 1. 35 in RVB1. Bd. 56 S. 380; B e h n k e , Anm. 8 zu § 64 B D O ; d e r s e l b e in Beamtenjahrbuch 1935 S. 212; B r a n d , RDStO S. 338; vgl. auch BDH 6. 8. 58 — I DB 14/58 — in DVB1.1959 S. 70 = DöV 1959 S. 24 = ZBR 1958 S. 383 = RiA 1958 S. 363 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 255. 2 2 Vgl. § 27 S. 225 ff. 23 BDH 4.10. 55 — I D 20/54 — in J Z 1956 S. 368; BDH 26. 8. 54 — III D 6/54 —; B D H 29. 9. 54 — III D 4/54 —; BDH 6. 9. 58 — I DB 14/58 — B D H E Bd. 5 S. 121 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 255; PrOVG 16.1. 35 — VI D. 14/34 — PrOVG Bd. 94 S. 255 = P e r w o , S. 345. 24 BDH 2.12. 57 — I D 15/56 — B D H E Bd. 4 S. 76 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 371.
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Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages
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sondern nur der Dienstherr 2 5 . Hat das Disziplinargericht dem Verurteilten einen Unterhaltsbeitrag zuerkannt, ohne daß ihm ein Ruhegehalt zusteht, so ist ihm von der Behörde ein Unterhaltsbeitrag nicht zu zahlen. Das Urteil, durch das unzulässigerweise ein Unterhaltsbeitrag zuerkannt ist, ist nur insoweit unwirksam26. Es ist zulässig, daß das Disziplinargericht, wenn es zweifelhaft ist, ob dem Verurteilten ein Ruhegehalt zusteht, einen Unterhaltsbeitrag unter der Bedingung gewährt, daß dem Verurteilten ein Ruhegehalt zusteht27. Andererseits rechtfertigt die alleinige Annahme, daß der Beschuldigte noch kein Ruhegehalt erdient hat, nicht die Versagung eines Unterhaltsbeitrages28. Da die Entscheidung des Disziplinargerichts über die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages insoweit keine konstitutive Wirkung in dem Sinne hat, daß dadurch dem Beschuldigten ein Ruhegehaltsanspruch zuerkannt wird, ist das Verwaltungsgericht nicht nach § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gebunden. Versagt der frühere Dienstherr die Auszahlung des Unterhaltsbeitrages, weil er ζ. B. der Auffassung ist, daß dem Verurteilten ein Ruhegehalt an sich nicht zustand, so ist dieser vermögensrechtliche Anspruch nach § 172 BBG i. V. m. § 126 des BRRG vor dem Verwaltungsgericht einzuklagen, das auch u. a. dann zuständig ist, wenn die Höhe streitig ist oder wenn Zweifel darüber besteht, ob die Ruhensvoraussetzungen gegeben sind* IV. V O R A U S S E T Z U N G E N F Ü R DIE BEWILLIGUNG E I N E S UNTERHALTSBEITRAGES A. Allgemeines Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages setzt zunächst einmal voraus» daß das Disziplinargericht auf Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts erkannt hat. Die durch den Verlust der Beamteneigenschaft infolge strafgerichtlicher Verurteilung nach § 48 BBG bedingte Einstellung des förmlichen Disziplinarverfahrens schließt die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle aus29. Hier käme nur die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages im Gnadenwege durch den Bundespräsidenten in Frage. Liegt ein Urteil vor, in dem auf Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts erkannt wird, so ist die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 an folgende weiteren Voraussetzungen geknüpft: 1. besondere Umstände müssen eine mildere Beurteilung der Tat zulassen, 2. der Verurteilte muß seiner wirtschaftlichen Lage nach der Unterstützung bedürftig sein, 3. der Verurteilte darf der Unterstützung nicht unwürdig erscheinen. 26 BDH 26. 4. 55 — ΠΙ D 75/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 112; BDH 9. 2. 56 — I D 85/54 — ; vgl. auch DokBer. Nr. 444, Nr. 523 und Nr. 632. 26 B e h n k e , Anm. 12 zu § 64 BDO. 27 B e h n k e in Beamtenjahrbuch 1936 S. 491 und Anm. 12 zu § 64 BDO. 28 BDH 28. 2. 57 — III D 141/55 —. 2 9 DiszSenat OVG Münster 11. 2. 57 — V 11/56 — O V G E (DiszS) Bd. 1 S. 133 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 629.
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§25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
Die Novelle zur BDO betrachtet die besonderen. Umstände, die eine mildere Beurteilung det Tat zulassen, als einen Unterfall der Nichtunwürdigkeit. Nach § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle ist die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages an folgende Voraussetzungen geknüpft: 1. der Beschuldigte, der zur Entfernung aus dem Dienst verurteilt wird, muß nach seiner wirtschaftlichen Lage einer Unterstützung bedürftig und 2. ihrer nicht unwürdig erscheinen ( § 6 4 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle) Ob die unter 1 und 2 genannten Voraussetzungen gegeben sind, hat das Disziplinargericht unter Berücksichtigung des Einzelfalles und der Gesamtpersönlichkeit zu prüfen 30 . Sind sie nicht nebeneinander gegeben, so ist dem Verurteilten eine Unterstützung zu versagen, selbst wenn seine schuldlosen Familienmitglieder bedürftig sind 31 . V e r n e i n t das D i s z i p l i n a r g e r i c h t eine der V o r a u s s e t z u n g e n , ζ. B. die Bedürftigkeit des Beschuldigten, so muß es t r o t z d e m noch p r ü f e n , ob die ü b r i g e n V o r a u s s e t z u n g e n g e g e b e n sind. War nämlich der Beschuldigte zur Zeit der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages nicht bedürftig, ist er jedoch später in Not geraten, so kann er vom Disziplinargericht einen Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle neubewilligt erhalten 32 . Diese Neubewilligung setzt aber voraus, daß zur Zeit des Erlasses des Urteils, in dem auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts erkannt worden ist, der Beschuldigte nicht unwürdig war und die Tat in einem milderen Licht gesehen werden konnte. Das läßt sich aber nur aus den Urteilsgründen ersehen. Deshalb schreibt DV zu § 64 BDO vor, daß sich die Urteilsgründe über alle Umstände aussprechen sollen, die für die Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag erheblich sind 33 . B. Bedürftigkeit Sowohl bei der Strafe der Entfernung aus dem Dienst als auch bei der Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts ist Voraussetzung für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages, daß der Beschuldigte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig ist (vgl. § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Der Unterhaltsbeitrag soll den Beschuldigten lediglich vor unmittelbarer Not schützen. Hierbei ist nicht erforderlich, daß der Beschuldigte im Falle der Nichtbewilligung in eine außerordentliche Notlage versetzt sein muß 34 . Da sich der Unterhaltsbeitrag allein nach der Bedürftigkeit richtet, wobei auf die frühere Stellung des Beamten keine Rücksicht zu nehmen ist, ist der Vomhundertsatz des zu bewilligenden Unterhaltsbeitrages um so niedriger zu bemessen, je höher der Betrag des erdienten Ruhegehalts liegt 35 . Für einen Unterhaltsbeitrag ist insbesondere dann kein Raum, wenn er zusammen mit dem übrigen Einkommen des Verurteilten sich auf einen dem Einkommen als 30 BDH 2 . 1 2 . 53 — I D 39/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 322; BDH 28.10. 53 — II DB 14/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 17. 3 1 BDH 16.10. 53 — II D 42/53 —. 32 Vgl. § 26 S. 236 ff. 33 BDH 9 . 1 1 . 55 — I D 76/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 325 = J Z 1956 S. 386. 34 DokBer. Nr. 747. 35 BDH 13. 9. 58 — I DB 31/58 — BDHE Bd. 5 S. 125 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 257.
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Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages
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Beamter nahekommenden Betrag erhöhen würde 38 . Ebenso greift der Hinweis des Beschuldigten auf seine schlechte wirtschaftliche Lage dann nicht durch, wenn der derzeitige Arbeitsverdienst aus einer Beschäftigung, die er während der vorläufigen Dienstenthebung aufgenommen hat, höher liegt als die zuletzt gezahlten Dienstbezüge37. Bei der Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag ist von der wirtschaftlichen Lage der Beschuldigten zur Zeit der Urteilsfällung auszugehen. Der künftige Geschehensablauf kann nur dann mit einbezogen werden, wenn sich feststellen läßt, daß sich die gegenwärtigen Verhältnisse mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ändern werden 38 . Eine künftig drohende Bedürftigkeit genügt im allgemeinen nicht. Etwaige später eingetretene Arbeitslosigkeit wegen Kündigung und ein etwaiges Absinken des Einkommens infolge altersbedingter Verminderung der Arbeitskraft sind zunächst nicht zu berücksichtigen 39 ; wegen einer etwaigen künftigen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten ist dadurch Vorsorge getroffen worden, daß auf seinen Antrag hin der Unterhaltsbeitrag beim Nachweis später eintretender Bedürftigkeit nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle neubewilligt oder erhöht werden kann 40 . Eine in der allernächsten Zeit mit Sicherheit zu erwartende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie ζ. B. die bevorstehende Aufgabe des Arbeitsverhältnisses der mitverdienenden Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen, kann jedoch berücksichtigt werden 41 . Es ist nicht Zweck eines Unterhaltsbeitrages, einem Beamten eine auskömmliche Lebenshaltung zu ermöglichen, wie derjenige Beamte sie genießen soll, der nach einer ehrenvollen Dienstlaufbahn in den Ruhestand versetzt ist. Die wirtschaftlichen Nachteile, die der Verurteilte künftig zu tragen hat, sind ausschließlich von ihm verschuldet, so daß er eine Einbuße in seine Lebenshaltung berechtigterweise hinnehmen muß 42 . Ein Unterhaltsbeitrag soll den zur Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts Verurteilten nur vor äußerster Not schützen43. In der Großstadt wird ein Ehepaar mit einem Betrag von monatlich 400 DM einen notdürftigen Lebensunterhalt bestreiten können44. Im allgemeinen muß man erwarten, daß der Verurteilte seine BayrDStH 25. 8. 60 — Nr. 16 DS II 60 — in BBZ 1963 S. 9 (LS). DStK Düsseldorf 17.1. 51 in APF 1951 S. 298. 8 8 BDH 5.11. 54 — I D 158/53 — BDHE Bd. 3 S. 194 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 103; BDH 29. 1. 57 — II DB 3/57 — in NDBZ 1957 S. I l l ; DokBer. Nr. 1918. 89 BDH 5 . 1 1 . 54 — I D 158/53 — BDHE Bd. 3 S. 195 = L i n d g e n , Teil V Nr. 103. 1 0 Vgl. § 27 S. 255 ff. 4 1 DokBer. Nr. 1685. « DH V W G — BH 11/49 — in DVB1.1952 S. 139. « DH V W G BH 56/50 — in DVB1.1952 S. 139. " In den Beschlüssen vom 29. 8. 55 — II DB 26 — und vom 19. 1. 56 — II DB 1/56 — sah der Bundesdisziplinarhof einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 200 DM und in dem Beschluß vom 15. 5. 57 — III DB 15/57 — einen solchen in Höhe von 220 DM als ausreichend an. Die seitdem eingetretene Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten ist dabei zu berücksichtigen. Dieser Betrag ist nur ein ganz allgemeiner Maßstab. Hierbei sind die besonderen Verhältnisse, wie ζ. B. das Wohnen im eigenen Hause, in ländlicher Gegend, wo die Möglichkeit besteht, selbst Gemüse anzubauen usw., zu berücksichtigen. Wohnt der Beamte auf eigenem Grundstück, so kann die Tatsache, daß er mietfrei wohnt, je nach Lage des Einzelfalles durch die Aufwendungen für das Grundstück nicht mindernd berücksichtigt werden. Falls die Aufwendungen eine angemessene Miete übersteigen, so kann die Tatsache, daß der Beschuldigte ein eigenes Haus bewohnt, bei der Prüfung der Frage der Bedürftigkeit nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden (BDH 10. 7. 57 — III DB 24/57 —); vgl. auch O V G Münster 20.2. 64 — W 5/63 — in ZBR. 1965 S. 79. M
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Ausgaben darauf abstellt, daß er über den notdürftigen Lebensunterhalt hinaus mit einer Unterstützung seines Dienstherrn nicht mehr rechnen kann. So wird er ζ. B. seine Mietausgaben seinen durch die Entfernung aus dem Dienst bzw, der Aberkennung des Ruhegehalts verschlechterten Einkommensverhältnissen weitgehend anpassen müssen45. Der Unterhaltsbeitrag kann nicht den Zweck haben, die Ausbildung und Ausstattung der Kinder zu gewährleisten45». Er dient auch nicht dazu, daß erst auf Grund seiner Bewilligung dem Verurteilten ermöglicht wird, Konzerte oder Theater zu besuchen46. Andererseits kann aber Bedürftigkeit des Verurteilten trotz Haltens eines Personenkraftwagens gegeben sein, wenn dieser die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses — ζ. B. als Reisender ·— ermöglichen soll oder für die Beförderung zur neuen Arbeitsstelle notwendig ist47. Hat der Beschuldigte eine anderweitige gewinnbringende Beschäftigung gefunden oder steht ihm sonst ein Einkommen zur Verfügung, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, so kommt die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages mangels Bedürftigkeit nicht in Frage. Im allgemeinen wird man erwarten können, daß ein Verurteilter bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres einer gewinnbringenden Beschäftigung nachgehen kann. Hat das Disziplinargericht dem Beschuldigten, der bereits das 65. Lebensjahr vollendet hatte, einen Unterhaltsbeitrag gewährt oder hat es einen gering bemessenen Unterhaltsbeitrag zu dem Zeitpunkt erhöht, an dem der Verurteilte das 65. Lebensjahr vollendet hat, so kommt ein Entzug oder eine Verminderung des Unterhaltsbeitrages in Frage, wenn der Beamte entgegen den Erwartungen des Disziplinargerichts dennoch über die Vollendung des 65. Lebensjahres arbeitet48. Bedürftigkeit liegt insbesondere dann nicht vor, wenn der Verurteilte in der Privatindustrie einen höheren Betrag verdient als denjenigen, den er als Unterhaltsbeitrag im günstigsten Falle erhalten hätte49. Der Verurteilte kann sich nicht darauf berufen, daß sein gegenwärtiges Einkommen geringer ist als seine früheren Dienstbezüge oder daß er nur vorübergehend Beschäftigung gefunden hat50. Ebenso kann sich der Beschuldigte, wenn er eine neue Lebensbasis in einem freien Berufe gefunden hat, nicht darauf berufen, daß er in seiner freiberuflichen Tätigkeit eher als in einem Lohnverhältnis Rückschläge zu erwarten hat61. Muß der Beschuldigte später seine freiberufliche Tätigkeit aufgeben oder sollte er trotz Aufrechterhaltung dieser Tätigkeit in eine wirtschaftliche Notlage geraten, so kann er dann eine Neubewilligung oder die Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle beantragen. Ebenso darf der Unterhaltsbeitrag nicht zu dem Zweck gewährt werden, dem Beschuldigten, der ein sozialversichungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gefunden hat und in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu beDokBer. Nr. 718. « » DiszSenat OVG Münster 6.10. 64 — W 17/64 — in Zbr. 1965 S. 79. « DokBer. Nr. 778. 4 7 DokBer. Nr. 765. 4 8 Vgl. DokBer. Nr. 1507. 4 9 DH V W G — BH 46/50 — in DVB1.1952 S. 139. 50 RDH 1 1 . 1 1 . 32 in DJZ 1932 S. 1554; RDH 8. 2. 32 in J W 1933 S. 1221. 5 1 BDH 7. 3. 56 — I D 84/54 — BDHE Bd. 3 Nr. 35 (insbes. S. 119 f.) ; vgl. auch DokBer. Nr. 718 und Nr. 1506. 45
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streiten, zu ermöglichen, sich durch zusätzliche Höherversicherung eine bessere Versorgung für das Alter oder die Erwerbsunfähigkeit zu sichern52. Bei der Feststellung, ob Bedürftigkeit im Sinne des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegt, sind nicht nur das eigene regelmäßige Einkommen des Verurteilten, sondern auch die Unterhaltsansprüche in Rechnung zu stellen, die er gemäß §§ 1601 ff. BGB gegenüber Verwandten hat; erst wenn die Unterhaltsleistungen auf Grund dieser Bestimmungen zusammen mit dem eigenen Einkommen nicht für den Lebensunterhalt ausreichen, kann ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden 53 . Deshalb muß geprüft werden, ob der Verurteilte unterhaltspflichtige Familienangehörige hat, die in der Lage sind, für seinen Unterhalt ganz oder teilweise aufzukommen. So k ö n n e n K i n d e r des B e s c h u l d i g t e n , die e i n e n e i g e n e n V e r d i e n s t h a b e n , zu dessen U n t e r h a l t h e r a n g e z o g e n w e r d e n . Dies wird insbesondere dann gelten, wenn die Kinder noch nicht verheiratet sind und im Haushalt des Beschuldigten leben. Lebt ein verheiratetes Kind im Hause des Beschuldigten, so kann ihm zugemutet werden, an den Beschuldigten einen angemessenen Mietzins zu zahlen54. Die Unterhaltspflicht der Kinder ist allerdings nach § 1603 Abs. 1 BGB beschränkt, wenn diese bei Berücksichtigung der sonst bestehenden Verpflichtungen außerstande wären, ohne Gefährdung ihres standesgemäßen Unterhalts einen Zuschuß zum Unterhalt des Verurteilten zu gewähren. Lebt ein unverheiratetes Kind im Haushalt des Verurteilten und hat dies einen Nettoverdienst von 700 DM, so kann ihm jedoch zugemutet werden, zum Unterhalt des Verurteilten beizutragen 55 . Bis zu welchem Einkommen die Kinder des Verurteilten zu dessen Unterhalt herangezogen werden können, läßt sich nicht allgemeinverbindlich feststellen. So wurde ζ. B. eine Unterhaltsverpflichtung der beiden Söhne des Verurteilten in dem Falle bejaht, in dem ein Sohn etwa 500 DM und ein weiterer Sohn etwa 400 DM verdienen, obgleich sie auswärts am Arbeitsort untergebracht sind und nur zum Wochenende in das Elternhaus zurückkehren56. Der Verdienst der Kinder kann insoweit nicht angerechnet werden, als er als R ü c k l a g e f ü r ein S t u d i u m oder eine B e r u f s a u s b i l d u n g dient57. So scheidet ζ. B. der Verdienst einer Tochter des Beschuldigten aus, wenn sie den nicht zum Leben notwendigen Teil des Einkommens für ein Musikstudium zurücklegt. Schließlich muß Töchtern des Verurteilten zugestanden werden, einen angemessenen Betrag für die B e s c h a f f u n g e i n e s e i g e n e n H a u s s t a n d e s zu belassen, zumal wenn sie bereits verlobt sind 58 ; in einem gewissen Umfange gilt dies auch für die Söhne des Bestraften. Handelt es sich um Stiefkinder des Beschuldigten, so können sie ebenso wie eigene Kinder mit zur Bestreitung des Mietzinses herangezogen werden, wenn sie im Haushalt des Beschuldigten leben. Ebenso haben sie zum Lebensunterhalt der Ehefrau des Beschuldigten beizutragen, so daß sie insoweit 52 BayrDStH 6. 6. 56 — Nr. 19 DS I 56 — BDHE Bd. 3 Anhang Nr. 9 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 262. 63 BDH 6. 2. 59 — III D 3/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 263. 64 DokBer. Nr. 835 u. Nr. 1393. 66 DokBer. Nr. 1535. » DokBer. Nr. 1671. 8 7 DokBer. Nr. 1685. 5 8 DokBer. Nr. 1393.
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den Beschuldigten zum Teil entlasten59. Sorgt für den Unterhalt minderjähriger Kinder des Beschuldigten die geschiedene Ehefrau, so können sie von ihm keinen Unterhalt verlangen (vgl. § § 1606 Abs. 3,1360), was bei der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages zu beachten ist80. Auch das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der unterhaltspflichtigen Ehefrau ist zu berücksichtigen, ohne daß hierbei dessen „angemessener" Unterhalt gewährleistet sein muß el . Verdient die Ehefrau, so kann sie von ihrem Ehemann keinen Unterhalt verlangen®2; sie hat vielmehr dem Manne den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbstätigkeit zu gewähren, wenn der Ehemann außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (vgl. § 1360 Abs. 2 BGB). Hierbei ist es nicht angängig, daß sie von ihrem Einkommen zunächst den Betrag für sich beansprucht, der für ihren angemessenen Unterhalt erforderlich ist. Allerdings müssen von ihrem Einkommen die besonderen Ausgaben, die ihr Beruf erfordert, wie ζ. B. die Fahrkosten sowie erhöhter Aufwand für Kleidung und Essen, bei der Feststellung des Betrages, der dem Ehepaar zum gemeinsamen Lebensaufwand verbleiben darf, abgezogen werden. Nach der ständigen Rechtssprechung des Bundesdisziplinarhofes sind einer erwerbstätigen Ehefrau 20 v. H. ihrer Nettoeinkünfte hierfür zu belassen62 a . Der Betrag, der nunmehr übrigbleibt, soll nur so hoch bemessen werden, daß das Ehepaar vor Not geschützt ist. Besondere Aufwendungen für Kleidung, Fahrkosten oder Beschäftigung einer Hilfskraft sind bei Errechnung des notdürftigen Lebensunterhalts abzuziehen. Verrichtet die Ehefrau Heimarbeit, so wird hierfür nur ein Betrag von 30 DM monatlich abzuziehen sein63. Im übrigen kommt es bei der Heranziehung des Verdienstes der Ehefrau nicht darauf an, ob sie mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand überhaupt noch in der Lage ist, einer Beschäftigung nachzugehen, sofern sie sich — unter ganz gleich wie gearteten Umständen — in einem Arbeitsverhältnis befindet oder sonst sich einen Erwerb geschaffen hat64. Der Verdienst der jetzigen Ehefrau kann jedoch nicht zum Unterhalt der geschiedenen Ehefrau und der Kinder aus erster Ehe des Beschuldigten herangezogen werden65. Andererseits kann der Bestrafte auch von seiner getrennt lebenden Ehefrau verlangen, daß sie zum Unterhalt der Familie in angemessener Weise beiträgt66. Anders ist es, wenn die Einkünfte nur zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts ausreichen67. Dem Beschuldigten ist ein Unterhaltsbeitrag auch dann nicht zu bewilligen, wenn er noch arbeitsfähig ist, es aber unterläßt, seine Arbeitskraft gewinnbringend irgendwo einzusetzen 67 a . Gleiches gilt auch dann, wenn 5 9 DokBer. Nr. 1738 (der BDH brauchte hierüber nicht zu befinden, weil der Lebensunterhalt des Verurteilten bereits anderweit gesichert war). DokBer. Nr. 1791. « BDH 26. 3. 58 — I DB 6/58 — BDHE Bd. 4 S. 27 = Lindgen.Teil IV Nr. 379; DokBer. Nr. 1837, Nr. 1874 und Nr. 1904. 62» DokBer. Nr. 1866. 82 DokBer. Nr. 1810 63 DokBer. Nr. 1729 und Nr. 1837. M DokBer. Nr. 1729. 8 5 DokBer. Nr. 1693, vgl. auch DokBer. Nr. 1770. 68 DokBer. Nr. 1549. 87 DokBer. Nr. 1810. ·'» DokBer. Nr. 1873.
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der Beschuldigte eine Beschäftigung aufgegeben hat 67b . Der Unterhaltsbeitrag kann jedoch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Beschuldigte sich bei Erlaß des Urteils im Amt befunden und volle Bezüge erhalten hätte 68 . Denn der Unterhaltsbeitrag wird ja gerade mit Rücksicht auf den Umstand gewährt, daß der Beschuldigte infolge der Entfernung aus dem Dienst seine Bezüge verliert. Der Beschuldigte muß sich allerdings rechtzeitig — bei einer erheblichen Pflichtverletzung, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Höchststrafe erwarten läßt —, u. U. sogar bereits während des laufenden Disziplinarverfahrens beim Arbeitsamt als Arbeitssuchender melden. Es genügt nicht, wenn er sich nur bei verschiedenen Stellen, die er selbst wählt, bewirbt. Die M e l d u n g b e i m A r b e i t s a m t als der amtlichen Dienststelle, bei der Angebot und Nachfrage zentral erfaßt werden, ist der unerläßliche erste Schritt, den ein Arbeitssuchender tun muß, wenn seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sein sollen 69 . Auch Körperbehinderte haben eine gewisse Aussicht auf eine Berufstätigkeit 70 . Erst wenn ein Arbeitsplatz ermittelt ist, kann notfalls nach ärztlicher Untersuchung beurteilt werden, ob ein Arbeitssuchender bei seinem Alter und Gesundheitszustand den Anforderungen der nachgewiesenen Arbeitsstelle gewachsen ist. Die bloße Behauptung des Beschuldigten, er könne wegen seines Gesundheitszustandes keine schwere Arbeit mehr leisten, reicht jedenfalls nicht aus. Er darf sich weiterhin nicht darauf beschränken, nur an seinem Wohnort Arbeit zu suchen 71 . Weiterhin muß ihm zugemutet werden, auch eine Arbeit aufzunehmen, die seiner bisherigen Beschäftigung oder seiner Vorbildung nicht entspricht. Ist der Beschuldigte bereits über 55 Jahre alt, handwerklich nicht vorgebildet und kommt hinzu, daß er wegen seiner Verfehlungen überdies vom ordentlichen Strafgericht bestraft worden ist, so ist seine Bedürftigkeit zu bejahen. Nach den allgemeinen Lebenserfahrungen ist auch im Zeitalter der Vollbeschäftigung mit einer beruflichen Unterbringung eines solchen Beschuldigten nur sehr schwer zu rechnen. Seine Verfehlungen und die Gefängnisstrafe belasten auf lange Sicht sein Strafregister. Darüber hinaus wird auch in der freien Wirtschaft nur eine geringe Neigung bestehen, einen Menschen, der bei einer Behörde auf Grund eines disziplinargerichtlichen Erkenntnisses aus dem Dienst entfernt worden ist, wieder zu beschäftigen. Überdies hat ein früherer Beamter, der in seiner Verwaltung eine Spezialausbildung erhalten hat, nur sehr schlecht eine Möglichkeit, sich insbesondere im hohen Lebensalter noch umschulen zu lassen. Sollte es dem Beschuldigten nicht gelingen, eine lohnende Beschäftigung zu finden, so würde er der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen; hatte er sich jedoch jahrelang gut geführt, so sollte er durch die Gewährung eines angemessenen Unterhaltsbeitrages hiervor bewahrt werden. Hat der Beschuldigte während der Dienstenthebung wohl keine Beschäftigung aufgenommen, hat er jedoch an seinem noch unfertigen Hause notwendige ergänzende Bauarbeiten ausgeführt, im übrigen bereits bestimmte Vorstellungen gehabt, wie er künftig seinen Lebensunterhalt bestreiten wird, so kann ein Unterhaltsbeitrag für eine Ubergangszeit von sechs Monaten gewährt werden 71 a . «'b DokBer. Nr. 1874. 6 8 DokBer. Nr. 1821. 6 9 DokBer. Nr. 1535. 7 0 Vgl. DokBer. Nr. 705. 7 1 BDH 23. 3. 56 — II D 105/55 —; DokBer. Nr. 1821. 71® DokBer. Nr. 1873. 14 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Auch der Ehefrau eines Beschuldigten kann zugemutet werden, im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit einer gewinnbringenden Beschäftigung nachzugehen. Das scheidet jedoch dann aus, wenn sie noch für schulpflichtige Kinder zu sorgen hat. Ebenso kommt eine Mitarbeit der Ehefrau nicht in Frage, wenn sie arbeitsunfähig oder bereits betagt ist 72 . Wandert derBestrafte insAuslandaus, so gibt er damit zu erkennen,daß er auf einen Unterhaltsbeitrag nicht angewiesen und eines solchen nicht bedürftig ist 73 . Einkommen, das auf den Bezug einer Rente zurückzuführen ist, ist gleichfalls anzurechnen, wobei sich die Höhe des anrechnungsfähigen Betrages nach der Art und dem Zweck der Rente bestimmt. Der Unterhaltsbeitrag trägt nur subsidiären Charakter; somit geht der Anspruch auf eine gesetzliche Rente vor. Die Anwartschaft des Bestraften auf eine Rente scheidet aus, wenn sie zeitlich oder betragsmäßig noch nicht feststeht74. Steht der Rentenbetrag voraussichtlich fest, so ist der Unterhaltsbeitrag nur für eine Übergangszeit zu bewilligen; die Übergangszeit ist solange zu bemessen, wie die Durchführung der Nachversicherung voraussichtlich in Anspruch nehmen wird 75 . Wird dem Bestraften bis zur Entscheidung über den Rentenantrag ein laufender V o r s c h u ß auf die zu e r w a r t e n d e R e n t e gegen Abtretungserklärung nach § 119 RVO in einer Höhe gezahlt, daß damit ein notdürftiger Lebensunterhalt sichergestellt wird, entfällt die Bedürftigkeit für die Bewilligung bzw. Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrages. Dies gilt vor allem dann, wenn die Dienstbehörde eine Erklärung abgibt, daß sie im Falle der Nichtbewilligung einer Rente dafür Sorge tragen wird, daß dem Bestraften im Gnadenwege rückwirkend ein Unterhaltsbeitrag zumindest in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Rente und dem jetzt gezahlten Vorschuß gewährt wird, und dieser Unterhaltsbeitrag in gleichbleibender Höhe solange weitergezahlt werden wird, als in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Bestraften keine Änderung zu seinen Gunsten eintreten wird 76 . Renten aus gesetzlichen Rentenversicherungen, die für den gleichen Zeitraum gezahlt werden, sind nach § 64 Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle 77 auf den bewilligten Unterhaltsbeitrag anzurechnen. Die Anrechnung von Leistungen aus der Rentenversicherung kann auch dann angeordnet werden, wenn diese Leistungen nach Grund und Höhe noch nicht feststehen77». Die Rentenzahlungen sind vom Versicherungsträger im Umfange des gezahlten Unterhaltsbeitrages an den Dienstherrn zu leisten (§ 64 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). Ohne eine solche Anrechnungsklausel und RückZahlungsverpflichtung an den Dienstherrn stellt sich der Verurteilte infolge eines Doppelbezuges von Rente und Unterhaltsbeitrag in finanzieller Hinsicht u. U. noch besser als im aktiven Dienst, so daß sich die disziplinarische Bestrafung, die mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages gekoppelt ist, gewissermaßen Vgl. DokBer. Nr. 1642 (hier war die Ehefrau bereits 67 Jahre alt). BDH 6. 3. 56 — I D 54/54 —. 74 BDH 23.12. 54 — I DB 7/54 — BDHE Bd. 3 S. 197. 7 5 BDH 10. 4. 59 — I D 73/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 353; BDH 1 7 . 1 . 59 — II DB 41/58 — BDHE Bd. 5 S. 127 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 501 (LS). 76 DokBer. Nr. 1796. 7 7 S c h l e w e , Doppelversorgung trotz Dienstentfernung? in DöD 1961 S. 1 4 1 ; Schütz, Rentenanrechnungsklausel bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages in DöD 1961 S. 143; DokBer. Nr. 1771. 77 » DiszSenat OVG Münster 25. 9. 64 — W 16/64 — ZBR 65 S. 79 = NDBZ 65 S. 162. 72
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zum Vorteil auswirken würde, sofern man von den übrigen Folgen absieht, die die Höchststrafe nach sich zieht. Eine Anrechnung von Renten kam bereits vor Inkrafttreten der RDStO in Frage. So hatte der Reichsdisziplinarhof78 entschieden, daß eine dem Dienstentlassenen etwa zustehende Sozialversicherungsrente auf den zunächst ohne Rücksicht auf diese Rente nach § 75 RBG bestimmten Teilpensionsbetrag anzurechnen ist. Die gleiche Auffassung teilte auch der Preuß. Dienststrafhof79. Das Preuß. Oberverwaltungsgericht 80 ließ den Ausspruch über die Anrechnung einer aus einem früheren Zivil- oder Militärverhältnis dem Angeschuldigten zustehenden und verdienten Pension oder Rente auf den als Unterstützung zu belassenden Pensionsbetrag dann zu, wenn es sich dabei um im voraus bestimmbare Beträge handelte, über die der Disziplinarrichter sich von vornherein bei seiner Entscheidung ein zutreffendes Bild machen konnte. Der Reichsdienststrafhof81 dagegen hatte in einem solchen Falle die Anrechnung als unzulässig abgelehnt. Bezieht der Verurteilte eine Kriegsbeschädigtenrente, so soll diese bei der Feststellung der Höhe des Einkommens grundsätzlich nicht in Ansatz gebracht werden, da diese als Ausgleich für die Kriegsbeschädigung dient82. Auch eine Unfallrente kann nicht voll auf den Unterhaltsbeitrag angerechnet werden, weil sie ebenso wie die Kriegsbeschädigtenrente zum teilweisen Ausgleich der Folgen einer Beschädigung aus dem Unfall dient. Soweit die Unfallrente dem Ausgleich der verminderten Erwerbsfähigkeit dient und damit zu einem Teil das Einkommen ersetzt, das der Beschuldigte bei voller Gesundheit sonst an sich durch Arbeit hätte erwerben können, ist sie bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages als Einkommen anzurechnen83. Die Höhe der Anrechnung wird von Fall zu Fall verschieden zu bemessen sein. Im gleichen Umfange kann auch die Zahlung eines Vorschusses auf eine Invalidenrente berücksichtigt werden 84 . Auch die Arbeitslosenhilfe kann in einem gewissen Umfange berücksichtigt werden 86 . Sie ist durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 4. 56 (BGBl. I S. 243) bundeseinheitlich geregelt worden. Hierbei hat die bisherige Arbeitslosenfürsorgeunterstützung die neue Bezeichnung „Arbeitslosenhilfe" erhalten. Hiermit soll der Unterschied gegenüber der öffentlichen Fürsorge betont werden. Die Arbeitslosenhilfe unterscheidet sich von der Arbeitslosenfürsorge insbesondere dadurch, daß sie keine Rückzahlungspflicht kennt. Sie wird vielmehr als Lohnersatz gewährt und steht damit dem Prinzip der Versorgung näher als dem der Fürsorge. Schließlich besteht auf die Arbeitslosenhilfe eine Rechtsanspruch, falls die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. 7 8 RDH 12.1. 32 —F149/31 —bei Foerster-Simons-, 1933 S. 119; F o e r s t e r , 1934 S. 88, S. 107 und S. 124. 79 PrDStH 14. 3. 34 — D 127/33 — in JW 1934 S. 1695. 80 PrOVG 1 1 . 1 . 29 — D. U. 2/28 — PrOVG Bd. 83 S. 445 (447). 8 1 RDStH I D 11/38 —; VD 30/39 —; RDStH 16. 6. 39 — V D 18.39 —. 82 DStK V W G Hamburg 25.10. 51 — II BK 12/51 —. 83 BDH 11. 7. 57 — II DB 18/57 — BDHE Bd. 4 S. 80 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 362; DokBer. Nr. 704, Nr. 855 und Nr. 876. 8 1 DokBer. Nr. 1447. 8S BDH 17. 8. 56 — II DB 24/56 — BDHE Bd. 3 Nr. 47 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 323; DokBer. Nr. 704 und Nr. 855.
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Die dem verurteilten Beamten gezahlte Arbeitslosenhilfe ist daher bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages als ein die Bedürftigkeit ausschließendes anderweitiges Einkommen zu berücksichtigen. Man muß bei der Gewährung der Arbeitslosenhilfe jedoch berücksichtigen, daß der Mindestbedarf eines Unterstützungsbedürftigen für sich uns seine Ehefrau bei etwa 400 DM monatlich liegt. Sollte die Arbeitslosenhilfe unter diesem Betrage liegen, so wird es geboten erscheinen, den Unterschiedsbetrag zwischen der Arbeitslosenhilfe und diesem Mindestbedarf als Unterhaltsbeitrag zu zahlen. Alleidings wird nach Art. I § 141 f. Abs. 1 Ziff. 1 a. a. O. auf die Arbeitslosenhilfe ein anderweitiges Einkommen des Arbeitslosen angerechnet, soweit es insgesamt 39 DM im Monat übersteigt. Würde der Unterhaltsbeitrag den Betrag von 39 DM übersteigen, so würde insoweit die Arbeitslosenhilfe gekürzt werden. Bei der Festsetzung der Höhe des Unterhaltsbeitrages ist hierauf Bedacht zu nehmen, weil andernfalls die Verwaltung zu einem gewissen Teile Unterstützungsleistungen übernehmen würde. Der Unterhaltsbeitrag geht jedoch als Füisorgeleistung aus dem erloschenen Beamtenverhältnis der Arbeitslosenhilfe als eine Unterstützung aus dem später begründeten Arbeitnehmerverhältnis nach Art. I § 141 f. Abs. 3 Ziff. 4 a. a. O., wonach auf die Arbeitslosenhilfe nicht Leistungen anzurechnen sind, die dem Arbeitslosen unter Anrechnung der Unterstützung von anderen Leistungsträgern gewährt werden, nicht vor. Der Unterhaltsbeitrag erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil weder auf ihn nach gesetzlicher Bestimmung die Arbeitslosenhilfe angerechnet wird noch die frühere Dienstbehörde Leistungsträger im Sinne des Sozialrechts ist. Fällt die Arbeitslosenhilfe später fort, so bleibt es dem Verurteilten überlassen, einen Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle auf Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrags zu stellen. Auf die Möglichkeit der Sozialunterstützung kann der Beschuldigte nicht verwiesen werden. Nach Fortfall der Arbeitslosenhilfe kannte der dienstentfernte Beamte auf Grund der VO über die Fürsorgepflicht vom 12. 12. 2.4 (RGBl. S. 100) vom Sozialamt Unterstützung erhalten. Die Leistungen der Sozialfürsorge sind jedoch nach § 25 a. a. O. zurückzuzahlen; sie stellen also kein endgültiges Einkommen dar, das geeignet wäre, die Bedürftigkeit für ein und allemal auszuschließen 86 . Ebenso kann der Beschuldigte nicht darauf verwiesen werden, zunächst karitative Einrichtungen oder einen Gnadenerweis des Bundespräsidenten in Anspruch zu nehmen; auf derartige Zuwendungen hat der Beschuldigte keinen Rechtsanspruch 87 . Wenn auch der Beschuldigte eine Beschäftigung gefunden hat oder eine Rente bezieht, so können diese Einnahmen u. U. nicht für einen notdürftigen Lebensunterhalt ausreichen. Hierbei sind sonstige ihm erwachsene Verpflichtungen zu berücksichtigen, die zu einer Notlage beitragen. 1st der Bestrafte z. B. auswärts beschäftigt, so muß ein Mehraufwand für Kost und Unterkunft vom Arbeitseinkommen in Abzug gebracht werden; jedoch muß andererseits auch die Haushaltsersparnis, die durch die Abwesenheit des Bestraften von der Familie bedingt ist, gebührend berücksichtigt werden 88 . Schulden 89 , die der Bestrafte leichtsinnigerweise aufgenommen hat, können 88 87 88 89
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DokBer. DokBer. DokBer. DokBer.
Nr. Nr. Nr. Nr.
727. 705. 1671. 1671 und Nr. 1825.
Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages
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bei der Frage der Bedürftigkeit ebensowenig wie eine zu hohe Wohnungsmiete90 berücksichtigt werden, wobei im letzteren Falle jedoch zu beachten ist, daß die Bemühungen, eine billigere Wohnung zu erlangen, oft recht lange dauern und dem Betroffenen im allgemeinen erst nach Rechtskraft des Urteils zugemutet werden kann, sich nach einer preiswerteren Wohnung umzusehen. Ist der Beschuldigte zur Zeit der Urteilsfällung nicht bedürftig, so daß ihm allein mangels Bedürftigkeit kein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden konnte, so kann ihm, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse nach Rechtskraft des Urteils wesentlich verschlechtert haben, ein Unterhaltsbeitrag gemäß § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle neubewilligt und ein bereits bewilligter Unterhaltsbeitrag erhöht werden. Andererseits kann ein bereits bewilligter Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen oder herabgesetzt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Beschuldigte nicht bedürftig war oder sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich gebessert haben 91 . C. Nichtunwürdigkeit infolge milderer Beurteilung der Tat Eine weitere Voraussetzung für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages bildet die mildere Beurteilung der Tat. Nach § 64 Art. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 müssen besondere Umstände eine mildere Beurteilung der Tat zulassen. Liegen solche Umstände vor, so wird damit zugleich die dritte Voraussetzung, nämlich die Nichtunwürdigkeit des Verurteilten vorliegen. Allerdings können gegen die Nichtunwürdigkeit auch außerhalb der Tat liegende Umstände sprechen. Liegen hingegen keine Umstände vor, die für eine mildere Beurteilung der Tat sprechen, so wird im allgemeinen die Nichtunwürdigkeit zu verneinen sein. Aus diesem Grunde setzt beieits nach der derzeitigen Rechtsprechung die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages neben der Bedürftigkeit voraus, daß das Dienstvergehen als solches milder beurteilt werden kann und der Beschuldigte eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig erscheint. Soweit nach dieser Rechtsprechung die Würdigkeit für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages bejaht wird, handelt es sich mehr um die Bejahung von Umständen, die für eine mildere Beurteilung sprechen; gerade hier wird es offensichtlich, daß sich die P r ü f u n g der b e s o n d e r e n U m s t ä n d e der Tat k a u m von der B e u r t e i l u n g der W ü r d i g k e i t t r e n n e n läßt 92 . Aus diesem Grunde wird es nach der Novelle zur BDO nur auf die Prüfung der Frage der Nichtunwürdigkeit abgestellt, wobei die in der Tat liegenden Umstände nur eine der zahlreichen Voraussetzungen bilden, aus denen zu schließen ist, ob der Beschuldigte eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig erscheint. Dem Beschuldigten ist ein Unterhaltsbeitrag zu gewähren, wenn u. a. besondere Umstände eine mildere Beurteilung der Tat zu lassen, wobei das Disziplinargericht nicht an die Beurteilung der Tat durch das Strafgericht gebunden ist 93 . DokBer. Nr. 1643. Im einzelnen siehe § 26 S. 235 ff. und § 27 S. 255 ff. 92 Vgl. Behnke, Anm. 13 letzter Abs. zu § 64 BDO; PrDStH in J W 1933 S. 1221; RDStH Bd. 1 S. 24 (33), S. 66 (67) und S. 68 (70); RDH bei F o e r s t e r , 1934 S. 215. 93 BDH 26. 4. 55 — III D 93/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 113; BDH 15.10. 59 — II D 39/59 — BDHE Bd. 5 S. 134 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 518 (LS); BDH 5 . 1 1 . 54 — I D 140/53 — ; Behnke, Anm. 13 zu § 64 BDO. 93
91
213
§ 25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
Ein Unterhaltsbeitrag wird nicht zu bewilligen sein, wenn der Beamte sich aus verwerflichen Beweggründen zur Tat hat hinreißen lassen, die Folgen der Tat besonders schwer sind, wenn zahlreiche Verfehlungen vorliegen oder wenn die Tat besonders hinterhältig ausgeführt, der Verdacht auf andere Mitarbeiter abgewältzt worden ist oder wenn der Beschuldigte nach Begehung der Tat keine Reue gezeigt hat. Wohl kann die Wiedergutmachung eines Schadens allgemein als Milderungsgrund Berücksichtigung finden94, es sei denn, daß der Schaden sehr hoch war 95 ; sie kann jedoch gegenüber dem Tatbestand einer der Höhe nach nicht unerheblichen Unterschlagung amtlich anvertrauter Gelder keine wesentliche Bedeutung erlangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beschuldigte seine Bereitschaft zur Wiedergutmachung erst nach Aufdeckung seiner Verfehlungen bekundet hat96. Im allgemeinen können solche U m s t ä n de n i c h t zu e i n e r m i l d e r e n B e u r t e i l u n g h e r a n g e z o g e n w e r d e n , die g a n z a l l g e m e i n bei j e d e m B e a m t e n g e g e b e n s i n d , wie ζ. B. die geringe Kaufkraft des Geldes vor der Währungsreform. Hier müssen vielmehr noch solche Umstände hinzutreten, die in der Person des Beamten liegen. Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 weiterhin zu verneinen, wenn der Beschuldigte bei der Begehung der Tat eine kriminelle Veranlagung offenbart hat97, durch den Umfang seiner Verfehlungen in besonderem Maße Gewinnsucht und ehrlose Gesinnung zeigt98, Briefe unterschlägt und die aus diesen Sendungen entnommenen Geldbeträge in leichtsinniger Weise für Freundinnen, Trinken und Rauchen vergeudet99, arme und hilflose Sozialrentner infolge seiner Betrügereien um ihre Rente bringt, wobei besonders erschwerend ins Gewicht fällt, wenn der Beschuldigte selbst durch eine Kriegsdienstbeschädigung teilweise erwerbsbeschränkt ist und sich so in die Lage derjenigen hineinversetzen kann, die durch schwerste Kriegsverstümmelung oder hochgradige Kränklichkeit hilflos geworden sind 100 , mit Aufsichtsaufgaben betraut ist und bei einem bandenmäßigen Handeln mitwirkt 101 , monatelang mit einem hochgradigen verbrecherischen Willen Gelder unterschlägt und die von ihm zu führenden Bücher und Abrechnungen in einer überaus raffinierten Weise fälscht, um dadurch die Entdeckung seiner Unterschlagungen zu verhindern 102 , oder wenn er die unterschlagenen Gelder vertrinkt 103 , sich durch seine Neigung zum Trunk zu dem Dienstvergehen hinreißen läßt, vor allem, wenn er bis zuletzt leugnet und damit in hartnäckiger Weise seine Unwahrhaftigkeit fortsetzt104, als Aufsichtsbeamter gegen die Verpflichtung zur Redlichkeit verstößt104®, Behnke, Anm. 13 Abs. 2 zu § 64 BDO. DStH Rh.-Pf. 15. 2. 54 — V 1/53 — BDHE Bd. 1 S. 198 (201). Wie Anm. 87. 9 7 BDH 30.10. 53 — II D 77/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 18. 9 8 Wie Fußnote 89. 9 9 BDH 1 1 . 1 2 . 53 — II D 74/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 28. 1 0 0 BDH 5 . 1 . 56 — I D 99/54 —; BDH 29.11. 56 — III D 76/55; DokBer. Nr. 235. 1 0 1 DokBer. Nr. 128. 1 0 2 DokBer. Nr. 269. "8 DokBer. Nr. 1750. 1 0 4 DokBer. Nr. 299 und Nr. 555; BDH 13. 6. 56 — ΙΠ D 127/54 —. im» DokBer. Nr. 1903. 94
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Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages
§25
sich zu einem Bankraub hinreißen läßt, ohne in Not zu sein, und mit der Beute aus seinem Raubzug Spielschulden zurückzahlt105, als haltloser Trinker im trunkenen Zustand eine Unterschlagung begeht 106 , trotz entgegenstehender Bewährungsauflage sich in das für ihn verderbliche außerdienstliche Milieu zurückbegibt, aus dem heraus er straffällig geworden ist 107 , sich als Dienstvorgesetzter oder in einer Arbeitsgruppe als Ranghöchster des Zugriffs an Beförderungsgut schuldig macht107®, Unzucht mit Kindern treibt, insbesondere, wenn es sich nicht um eine einmalige Tat handelt108, sich eines Sittlichkeitsverbrechens schuldig macht und insbesondere, wenn er das mißbrauchte Kind noch schlechtzumachen sucht109, sich fortgesetzt der Blutschande schuldig macht 110 , sich fortgesetzt in einem Milieu asozialer Elemente (hier Straßenmädchen) bewegt 111 , Arbeitskameraden wissentlich um ihre Bezüge benachteiligt, die ihnen dienstlich gebühren 112 , sich der schweren Kuppelei schuldig macht 113 und im Telegraphenbaudienst Privatwohnungen zur Prüfung und Ausbesserung von Wohnungen betritt und bei dieser Gelegenheit einen Diebstahl begeht 114 . Dagegen ist es als mildernder Umstand anzusehen, wenn sich der Beschuldigte zu seiner Tat aus nicht ehrenrührigen Gründen, wie ζ. B. aus Not oder wegen Erkrankung von Familienangehörigen, hat hinreißen lassen 116 . Mangelnde Dienstaufsicht116, mitwirkendes Verschulden von Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten, Unordnung und Schlamperei, die zu einer Begünstigung einer Veruntreuung geführt hatten117, Selbstanzeige118 und ein freiwilliges Geständnis können wohl nicht als Milderungsgründe bei der Prüfung der Frage gelten, ob gegen den Beschuldigten die Höchststrafe zu verhängen ist; trotzdem können diese Umstände dafür herangezogen werden, um die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages zu rechtfertigen. Gleiches gilt auch dann, wenn es sich bei einem Diebstahl oder einer Unterschlagung um einen geringfügigen Betrag handelt oder nur eine geringe kriminelle Intensität zu erkennen ist118». DokBer. Nr. 312. BDH 8. 2. 56 — I D 63/54 —. 1 0 7 BDH 14.3. 58 — I D 43/56 — BDHE Bd. 4 S. 77 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 377. 107 » DokBer. Nr. 1903. 1 0 8 BDH 31.10. 56 — III D 7/55 —; BDH 12. 5. 55 — I D 174/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 59; BDH 27.1. 56 — III D 3/55 —; BDH 6. 3. 56 — I D 116/54 —. 1 0 9 BDisK 27.1. 56 — II VL 36/55 —. 1 1 0 BDH 4. 9. 56 — I D 19/55 —. 1 1 1 BDH 27. 2. 57 — III D 126/55 —. 1 1 2 BDH 17. 5. 56 — II D 58/55 —. 1 1 8 DokBer. Nr. 570. 1 1 4 BDH 28. 9. 56 — III D 46/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 212. 1 1 5 RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 220; DokBer. Nr. 1904. 1 1 8 W i t t l a n d , RDStO S. 167; RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 305 (306). 1 1 7 DokBer. Nr. 820. 1 1 8 DStH Rh.-Pf. 15. 2. 54 — V 1/53 — BDHE Bd. 1 S. 198. "»» DokBer. Nr. 1904. 108
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§25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
D. Sonstige Nichtunwürdigkeit Ist auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden, ist bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages neben der Bedürftigkeit und milderen Beurteilung der Tat zu prüfen, ob der Beschuldigte eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig erscheint. Es entspricht nicht dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, es auf die Voraussetzung der Unwürdigkeit abzustellen, wobei einem Beschuldigten dann kein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden kann, der einer solchen Maßnahme nicht würdig ist. Der Beschuldigte muß vielmehr eines Unterhaltsbeitrages „nicht unwürdig" erscheinen. A n d e n p o s i t i v e n Maßstab der „ W ü r d i g k e i t " müßte ein strengerer M a ß stab a n g e l e g t w e r d e n als an den nur n e g a t i v e n Begriff der „ U n würdigkeit"119. Ob ein zur Entfernung aus dem Dienst verurteilter Beamter eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig erscheint, beurteilt sich (1) nach der Art und Weise der begangenen Pflichtverletzung und (2) nach außerhalb der Tat liegenden Umständen, die vor Ausübung der Tat begründet sein oder sich erst nach Begehung der Tat — u. U. als Folgeerscheinungen der Tat — ergeben haben können. Die Voraussetzungen unter (1) sind nach § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. des ÄndGes. 1952 bereits unter den Umständen zu prüfen, die eine mildere Beurteilung der Tat zulassen (vgl. C S. 213). Nach §64 Abs. 1 BDO i.d. F. der Novelle sind die in der Tat begründeten milderen Umstände als ein Unterfall der Nichtunwürdigkeit zu betrachten, so daß sie nicht mehr als eine besondere Voraussetzung für die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages aufgeführt zu werden brauchen. Die Umstände, bei denen die Nichtunwürdigkeit zu bejahen ist, liegen vor allem außerhalb der Tat. Bei der Beurteilung des Dienstvergehens und somit bei der Frage, ob die vermögensrechtlichen Folgen der Entfernung aus dem Dienst durch die Bewilligung einer Unterhaltsbeitrages gemildert werden können, muß man es auf die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten abstellen. So gelter als Gründe, die den Beschuldigten der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht unwürdig erscheinen lassen, u. a. eine einwandfreie Dienstzeit, bisherige Unbescholtenheit, schlechte wirtschaftliche Verhältnisse, Krankheit in der Familie, Unerfahrenheit, mangelnde Urteilsfähigkeit, Ausschaltung von Hemmungen infolge Erkrankung oder längerer Kriegsgefangenschaft, verminderte Zurechnungsfähigkeit und Bewährung i m Kriege. Dagegen ist ein Beschuldigter eines Unterhaltsbeitrages unwürdig, wenn er sich wiederholte disziplinarische Bestrafungen nicht zu Herzen genommen, sondern sein pflichtwidriges Verhalten ungehemmt fortgesetzt hat, wenn er zur Trunksucht neigt und zu erwarten ist, daß er den Unterhaltsbeitrag lediglich zur Beschaffung alkoholischer Getränke ausgeben wird, wenn er durch seine dienstliche und außerdienstliche Haltung in der Öffentlichkeit schwerstes Ärgernis erregt oder wenn er in raffinierter Art seine Tat zu leugnen versucht und Zeugen zu einem Meineid verleitet hat. 119
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BDH 2. 7. 57 — I D 27/57 —.
Höhe des Unterhaltsbeitrages
§25
Eine Staffelung nach der Würdigkeit kommt bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht in Betracht. Der abweichenden Meinung des RDStH 120 ist der BDH 121 nicht beigetreten. Bei mangelnder Nichtunwürdigkeit kommt also eine Kürzung des Unterhaltsbeitrages nicht in Frage. Bestehen Zweifel an der Würdigkeit des Beschuldigten, so rechtfertigen sie nicht die Versagung des Unterhaltsbeitrages, weil es nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vielmehr der Festeilung der Unwürdigkeit bedarf 122 . V. HÖHE DES UNTERHALTSBEITRAGES Der Unterhaltsbeitrag darf bei der Strafe der Entfernung aus dem Dienst höchstens 75 v. H. des Ruhegehalts betragen, das der Verurteilte in dem Zeitpunkt, in dem das Urteil gefällt wird, erdient hätte ( § 6 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Hat der zur Entfernung aus dem Dienst Verurteilte einen Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit nach §§64, 96 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 erhalten, und hat er nach dem Inkrafttreten der Novelle zur BDO das 65. Lebensjahr vollendet oder ist er arbeits- oder berufsunfähig, so ist auf seinen Antrag der Unterhaltsbeitrag durch das Disziplinargericht angemessen zu erhöhen, falls er offensichtlich hinter dem Betrage zurückbleibt, den der Verurteilte als Rente erhalten würde, wenn er für die Zeiten nachversichert worden wäre, in denen er wegen der Beschäftigung im öffentlichen Dienst nach den Vorschriften der Rentenversicherungsgesetze in den gesetzlichen Rentenversicherungen versicherungsfrei war oder der Versicherungspflicht nicht unterlag (Art. III § 7 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Novelle zur BDO). Der Unterhaltsbeitrag darf das Ruhegehalt nicht übersteigen, das der Verurteilte in dem Zeitpunkt, in dem das Urteil gefällt wurde, erdient gehabt hätte; der Unterhaltsbeitrag ist nach Hundertteilen dieses Ruhegehalts zu bemessen (Art. III § 7 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Novelle zur BDO). War der Unterhaltsbeitrag dem Verurteilten entzogen worden, so ist er auf seinen Antrag nach den vorstehenden Vorschriften neu zu bewilligen (Art. III § 7 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 Novelle zur BDO) 123 . Nach Art. III § 7 Abs. 2 der Novelle zur BDO ist Abs. 1 a. a. O. auf Ruhestandsbeamte, die vor Inkrafttreten der Novelle zur BDO zur Aberkennung des Ruhegehalts verurteilt worden sind, und auf ihre Hinterbliebenen mit der Maßgabe anzuwenden, daß ein Unterhaltsbeitrag auch zu bewilligen ist, wenn er dem Verurteilten durch Urteil oder durch Beschluß nach § 96 BDO nicht bewilligt worden war. Der Unterhaltsbeitrag ist nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nach Hundertteilen des Ruhegehalts zu berechnen; die Festsetzung einer bestimmten Summe ist unzulässig 124 . Die Berechnung der Summe nimmt nicht das Disziplinargericht, sondern die Behörde vor, die den Unterhaltsbeitrag zahlt. Die Kapitalisierung eines Unterhaltsbeitrages ist gesetzlich unzulässig, sie würde auch dem Zweck des Unterhaltsbeitrages widersprechen 126 . 12i>
RDH 17.1. 39 in RDStH Bd. 2 Nr. 49. BDH 2. 12. 53 — I D 39/53 — BDHE Bd. 3 S. 192 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 322; BDH I D 69/53,1 D 96/53 und III D 5/54. 122 BDH 16.10. 56 — I D 17/55 —. 1 2 3 Siehe Begründung in BT Drucks. IV/3386 S. 45. 1 2 4 BDH 6. 9. 54 — II DB 8/54 — Lindgen, Teil IV Nr. 87. 1 2 6 BDH 15. 5. 54 — 1 D 103/53 —; RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 213. 121
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§25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil,
Bei einem Ruhestandsbeamten ist von dem Ruhegehalt auszugehen, das er erdient hat, und bei einem aktiven Beamten von dem Ruhegehalt, das er erdient hätte. Maßgebend ist hierfür der Zeitpunkt, an dem das Disziplinarurteil, das den Unterhaltsbeitrag zuerkannt hat, erlassen worden ist ( § 6 4 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Auf die Rechtskraft kommt es nicht an. Bei Urteilen der Kammer, die nicht mit der Berufung angefochten werden, ist dies der Tag der Verkündung, bei Urteilen des Bundesdisziplinarhofes — Bundesverwaltungsgerichts — gleichfalls der Tag der Verkündung oder im Fall des § 73 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle der Tag der Zustellung des Beschlusses, sofern der Bundesdisziplinarhof — Bundesverwaltungsgericht — den Unterhaltsbeitrag erst selbst bewilligt oder die Höhe oder Dauer anders festsetzt als die Kammer. Bei Zurückweisung oder Verwerfung der Berufung ist wieder der Tag der Fällung des Urteils durch die Kammer maßgebend. Die Länge der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit ergibt sich aus §§ 111 ff. BBG. Wenn der Beschuldigte auch erst mit der Rechtskraft des Urteils aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, rechnet die Zeit zwischen Fällung des Urteils und Rechtskraft des Urteils nicht mit. Zu beachten ist auch § 5 Abs. 3 BBesG, wonach der Anspruch auf das Aufsteigen in den Dienstaltersstufen ruht, solange der Beamte des Dienstes vorläufig enthoben ist, und im Falle der Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren der Anspruch auch für die Zeit des Ruhens erlischt. Das Disziplinargericht kann auch für eine bestimmte Zeit einen höheren Satz, für einen anderen Zeitraum einen niedrigeren Satz willigen. Es kann sogar für einen späteren Zeitraum einen höheren Satz bewilligen. Ebenso kann das Disziplinargericht im Urteil bestimmen, daß auf den Unterhaltsbeitrag Renten, wie Sozial- und Schwerbeschädigtenrenten, anzurechnen sind (vgl. § 64 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Hiermit wird eine bisher zweifelhafte Rechtslage gesetzlich geklärt 126 . Bei der Bemessung der Höhe ist zu berücksichtigen, daß der Unterhaltsbeitrag nur bezweckt, dem Verurteilten einen notdürftigen Lebensunterhalt zu sichern. Er soll nicht dazu dienen, den aus dem Dienst entfernten Beamten wirtschaftlich so zu stellen, wie wenn er statt aus dem Dienst entfernt in den Ruhestand getreten wäre 127 . Bei einem verheirateten Ehepaar ist ein Betrag von monatlich 400 DM für die Bestreitung eines notdürftigen Lebensunterhalts als ausreichend anzusehen128. Die in der Rechtsprechung entwickelten Normalsätze schließen jedoch die Bewilligung höherer Beträge nicht aus 128 ; man muß vielmehr von den Besonderheiten des einzelnen Falles ausgehen. Je höher das erdiente Ruhegehalt ist, desto geringer ist bei gleicher Bedürftigkeit der als Unterhaltsbeitrag zu bewilligende Vomhundertsatz 130 . Der Verurteilte kann nicht verlangen, daß ihm ein Unterhaltsbeitrag in Höhe der Rente 126 Für das frühere Recht vgl. PrOVG Bd. 83 S. 445; RDH bei F o e r s t e r , 1934 S. 88, S. 107 und S. 124; RDStH 16. 6. 39 — V D 18/39; RDStH 12. 5. 39 — V D 30/39; W i t t l a n d , Anm. 17 zu § 64 RDStO; Behnke, Anm. 17 zu § 64 BDO; a. M. RDH bei F o e r s t e r S i m o n s , S. 231. 1 2 ' DokBer. Nr. 544. 1 2 8 BDH 22.12. 61 — I DB 23/61 — in ZBR 1963 S. 315 (hier 280—300 DM). 12 » DokBer. Nr. 745. 1 3 0 BDH 13. 9. 58 — I DB 31/58 — in RiA 1958 S. 365 = L i n d g e n , TeilIV Nr. 257 = BDHE Bd. 5 S. 125; BDH 30.1. 63 — III DB 2/63 — BDHE Bd. 6 S. 113; a. M. OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein 24. 5. 58 in RiA 1958 S. 221.
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Höhe des Unterhaltsbeitrages
§25
bewilligt wird, die er erhalten würde, wenn er im Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis verblieben oder wenn er nachversichert worden wäre 131 . Würde die Rente auf Grund einer Nachversicherung höher liegen, so kann von dem Zweck des Unterhaltsbeitrages, nur einen notdürftigen Lebensunterhalt zu sichern, nicht abgegangen werden; der Unterhaltsbeitrag kann nicht so manipuliert werden 132 . Bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages ist von der wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten zur Zeit der Urteilsfällung auszugehen. Eine eventuell später eintretende Arbeitslosigkeit infolge Kündigung oder ein etwaiges Absinken des Einkommens infolge altersbedingter Verminderung der Arbeitskraft sind bei der Festsetzung der Höhe des Unterhaltsbeitrages nicht zu berücksichtigen 133 . In einem derartigen Falle kann der Verurteilte eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle beantragen134. Bei der Bemessung der Höhe der Unterhaltsbeitrages bleibt weiterhin außer Betracht, daß der Beschuldigte aus einer moralischen Verpflichtung heraus Dritten Unterstützungen gewährt 135 . Ebenso spielt es für die Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages keine Rolle, wenn der Beschuldigte geltend macht, daß er infolge der Aufgabe seines Haushalts östlich der Oder-Neiße-Linie oder in Mitteldeutschland oder infolge Ausbombung noch Nachholbedarf hat, wenn die Notwendigkeit der Wiederbeschaffung nicht ins einzelne beschrieben ist 136 . Ebenso ist bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages nicht darauf Bedacht zu nehmen, daß der Verurteilte Ersparnisse machen kann 137 . Daß es für die Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages nicht auf den Grad der „Würdigkeit" ankommt, ist bereits unter IV S. 217 dargestellt 138 . Wenn auch nur ein Mindestgrad an Würdigkeit festgestellt ist, so liegen auch dann die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages vor, der sich aber in der Höhe allein nach dem Grad der Bedürftigkeit bemißt 139 . Ebenso richtet sich die Höhe des Unterhaltsbeitrages nicht nach der Schwere der Tat 140 . Für den Bewilligungszeitraum braucht der Vomhundertsatz des bewilligten Unterhaltsbeitrages nicht fortdauernd die gleiche Höhe aufzuweisen, sondern er kann für einzelne Zeiträume verschieden hoch bemessen werden 141 . Stellt sich ζ. B. das Disziplinargericht auf den Standpunkt, daß der Beschuldigte als früherer Ostzonenflüchtling noch einen Nachholbedarf hat, der nach einer gewissen Zeit befriedigt ist, so kann es ihm für diesen Zeitraum einen höheren und nachher einen niedrigeren Unterhaltsbeitrag bewilligen. Anderseits kann es einem zur Aberkennung des Ruhegehalts Bestraften, den es noch einige Jahre lang als arbeitsfähig betrachtet, für diesen Zeitraum einen niedrigeren 1 3 1 BDH 23.1. 61 — II DB 1/61 und BDH 22.12. 61 — I DB 23/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315. 1 3 2 DokBer. Nr. 1677. 1 3 3 BDH 5 . 1 1 . 54 — I D 158/54 — BDHE Bd. 3 Nr. 45 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 103. 1 3 4 Im einzelnen siehe § 26 S. 236 ff. 1 3 4 BDH 6. 4. 54 — II D 3/54 —. l a e DokBer. Nr. 265. 1 3 ' BDH 30. 8. 55 — I DB 9/55 —. 1 8 8 A. M. RDStH 17.1. 39 — RDHE Bd. 2 Nr. 49. 1 3 9 DokBer. Nr. 185. 1 4 0 BDH 6. 3. 56 — I D 94/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 127. 1 4 1 W i t t l a n d , Anm. 18 zu § 64 RDStO; a. M. PrOVG Bd. 83 S. 445.
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§25
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
und von dem Zeitpunkt an, an dem voraussichtlich Arbeitsunfähigkeit anzunehmen ist, einen höheren Unterhaltsbeitrag bewilligen. VI. D A U E R DES U N T E R H A L T S B E I T R A G E S Das Disziplinargericht kann einen Unterhaltsbeitrag nach § 64 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 auf Zeit oder auf Lebenszeit bewilligen. Entscheidend kommt es hierbei darauf an, ob der Beschuldigte nur vorübergehend oder auf Dauer als bedürftig anzusehen ist. Ein Unterhaltsbeitrag wird grundsätzlich nur auf Zeit zu bewilligen sein; der Unterhaltsbeitrag soll dem Verurteilten nur den Übergang in einen Beruf sichern. Im allgemeinen wird es einem Verurteilten binnen Jahresfrist seit Rechtskraft des Urteils möglich sein, einen anderweitigen Lebenserwerb zu finden. Sollte dies bis dahin nicht der Fall sein, so kann das Disziplinargericht nach Ablauf dieser Zeit die Zeitdauer nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle angemessen verlängern. Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auf Lebenszeit wird im allgemeinen nur bei solchen Verurteilten in Frage kommen, die dauernd als arbeitsunfähig anzusehen sind oder die das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben, es sei denn, daß sie trotz ihres Alters dennoch eine Beschäftigung gefunden haben, die ihnen einen wenn auch nur notdürftigen Lebensunterhalt sichert. Die Novelle zur BDO läßt die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nur auf Zeit zu (vgl. § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Neuregelung liegt im Interesse des Beschuldigten, der nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nachversichert werden muß, während bei einer Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auf Lebenszeit die Nachversicherung entfällt, so daß er nur auf eine notdürftige Versorgung aus dem Unterhaltsbeitrag angewiesen ist. Die Festsetzung der Dauer der Unterhaltsbeitrages erfolgt ebenso wie die Festsetzung der Höhe nicht durch die Verwaltungsbehörde, sondern durch das Disziplinargericht 142 . Die Verwaltungsbehörde stellt lediglich auf Grund des vom Disziplinargericht festgestellten Zeitraums und Vomhundertsatzes fest, in welcher Höhe und für welche Zeit der Unterhaltsbeitrag zu zahlen ist, wobei die Festsetzung des erdienten oder an sich erdienten Ruhegehalts, nach dem sich der Unterhaltsbeitrag bemißt, von ihr erfolgt. Ohne Rücksicht darauf, ob der Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit oder nur auf Zeit gewährt werden kann, muß sich das Disziplinargericht von dem Gesichtspunkt leiten lassen, daß ein Unterhaltsbeitrag nicht bezweckt, einem in Unehren ausgeschiedenen Beamten oder einem früheren Ruhestandsbeamten eine Dauerrente zu sichern143. Auch bei einem Beschuldigten, dem das Ruhegehalt aberkannt wird, wird ein Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit nur dann bewilligt werden, wenn er infolge hohen Alters oder Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, einer Beschäftigung nachzugehen ; hierbei ist zu beachten, daß der Begriff der Dienstunfähigkeit i. S. der §§ 42 ff. B B G sich nicht mit dem der Arbeitsunfähigkeit i. S. der Rentenversicherungsgesetze deckt, so daß die Dienstunfähigkeit, die zur vorzeitigen Zurruhesetzung des Beschuldigten geführt hatte, keinen Anhaltspunkt für die Dauer und Höhe des Unterhaltsbeitrages abgibt, sofern der Betroffene noch arbeitsfähig ist. Ebenso kommt nur ein kurzfristig bemessener Unterhaltsbeitrag in Frage, wenn wohl der Bestrafte 142 143
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RDH bei S c h u l z e - S i m o n s . S. 324. Vgl. PrOVG Bd. 83 S. 449; RDStH 21.1. 38 — V D 63.37; DokBer. Nr. 508.
Bewilligung des Unterhaltsbeitrages
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arbeitsunfähig, jedoch seine Frau einem Erwerb nachgeht oder in der Lage ist, eine gewinnbringende Beschäftigung aufzunehmen144. Insbesondere ist bei einem Beschuldigten, der zur Aberkennung des Ruhegehalts bestraft wird, kein Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit zu gewähren, wenn er oder seine Ehefrau noch nicht 65 Jahre alt sind und voraussichtlich noch in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können146. Dem zur Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts Bestraften kann nach der Novelle zur BDO ohnehin ein Unterhaltsbeitrag nur auf Zeit bewilligt werden. Der Höchst- und Mindestzeitraum, für den ein solcher Unterhaltsbeitrag bewilligt werden kann, ist im Gesetz nicht genannt. Er kann nach Jahren oder Monaten bemessen sein. Die Dauer richtet sich nach der Zeit, in der der Verurteilte voraussichtlich in den Arbeitsprozeß eingegliedert sein wird, so daß er für sich und seine Angehörigen zumindest einen notdürftigen Lebensunterhalt bestreiten kann. Handelt es sich noch um einen jüngeren Beschuldigten, so kann bei der Bemessung der Dauer des Unterhaltsbeitrages darauf Rücksicht genommen werden, daß er eine gewisse Zeit für eine Berufsumschulung benötigt; er kann jedoch nicht unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht geltend machen, daß ihm ein Unterhaltsbeitrag für die voraussichtliche Dauer einer Umschulung gewährt werden muß, da mit Rechtskraft des Urteils, das auf die Höchststrafe erkennt, die sich aus § 79 BBG ergebende Fürsorgepflicht gegenüber dem Verurteilten nicht mehr besteht. Hat der Bestrafte einen Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit oder für einen längeren Zeitraum erhalten und findet er entgegen der Annahme des Disziplinargerichts dcch in einer weit kürzeren Zeit eine Beschäftigung, so kann ihm der Unterhaltsbeitrag unter den in § 96 Abs. 1 BDO genannten Voraussetzungen gekürzt oder gar ganz entzogen werden 146 . Je kürzer das Disziplinargericht den Bemessungszeitraum wählt, um so schneller kann es eine Uberprüfung auf eine unverschuldete Bedürftigkeit vornehmen147. Auch die Bemessung der Dauer eines Unterhaltsbeitrages richtet sich allein nach dem Grad der Bedürftigkeit, nicht aber nach der Würdigkeit des Beschuldigten oder der Schwere der Tat 148 . VIL BEWILLIGUNG DES UNTERHALTSBEITRAGES Der Unterhaltsbeitrag wird dem Beschuldigten in dem Urteil, auf Grund dessen er aus dem Dienst entfernt oder ihm das Ruhegehalt aberkannt wird, bewilligt. Mit der Entscheidung des Disziplinargerichts wird dieser Unterstützungsanspruch konstitutiv begründet, der mit den sich aus § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Beschränkungen an die Stelle einer beamtenrechtlichen Versorgung tritt. Dies setzt allerdings voraus, daß der Beschuldigte zur Zeit der Rechtskraft des Disziplinarurteils ein Ruhegehalt erdient hat. Es ist nicht Aufgabe des Disziplinargerichts darüber zu befinden, ob der Beschuldigte bisher Ruhegehalt erdient hat oder erdient hätte ; diese FestBDH 9. 7. 53 — II D 43/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 4. BDH 15. 12. 54 — II D 30/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 104 (in diesem Falle stand der Beschuldigte erst im 54. Lebensjahr). 146 Im einzelnen siehe § 27 S. 255 ff. 1 4 7 DokBer. Nr. 745. 1 4 8 BDH 2.12. 53 — I D 39/53 — BDHE Bd. 3 S. 192 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 322; a. M. RDH Bd. 2 S. 144. 144
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Stellung obliegt allein der früheren Dienstbehörde des Beschuldigten149. Die Gründe, die für die Bewilligung sprechen, sind in den Urteilsgründen anzugeben (§ 65 Abs. 1 Satz 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages vor, so muß das Disziplinargericht denselben gewähren. Wenn es auch in § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle heißt, daß das Disziplinargericht den Unterhaltsbeitrag bewilligen kann, so bezieht sich dies nur auf die Frage, in welcher Höhe und — bei zeitlicher Begrenzung — für welche Zeit der Beschuldigte den Unterhaltsbeitrag erhalten soll160. Diese Feststellung ist deshalb bedeutsam, weil das Disziplinargericht, falls die Voraussetzungen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegeben sind, von der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages auch dann nicht absehen kann, wenn hierdurch die Voraussetzungen für eine Nachversicherung geschaffen werden sollen, bei der sich der Verurteilte wirtschaftlich weit besser stünde, als wenn ihm ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden würde. Das Disziplinargericht spricht im Urteilstenor aus, ob, in welcher Höhe und für welche Zeit der Unterhaltsbeitrag bewilligt wird. Trotz fehlender Bedürftigkeit hat das Disziplinargericht im Hinblick auf § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen 151 . Verneint nämlich das Disziplinargericht im Urteil die Nichtunwürdigkeit, so kann dem Beschuldigten nach § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle später dann kein Unterhaltsbeitrag gewährt werden, wenn inzwischen die Voraussetzungen der Bedürftigkeit erfüllt sein sollten. Hat nur der Beschuldigte Berufung eingelegt und der Bundesdisziplinaranwalt bis zum Schluß der Hauptverhandlung nicht nach § 67 Abs. 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle den Antrag gestellt, den Unterhaltsbeitrag zum Nachteil des Beschuldigten zu ändern, so kann ein dem Beschuldigten im ersten Rechtszuge bewilligter Unterhaltsbeitrag auch dann nicht in der Höhe gemindert werden, wenn anderseits die Dauer verlängert wird 152 . Es ist nämlich nicht abzusehen, ob der Beschuldigte so lange leben wird, daß er in den Genuß des Unterhaltsbeitrages für die im Urteil bestimmte Zeit kommen wird. Hat die Kammer, ohne sich zu den übrigen Voraussetzungen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu äußern, dem Verurteilten einen Unterhaltsbeitrag versagt, weil er dessen nicht bedürftig ist, so kann das Berufungsgericht auch bei alleiniger Berufung des Beschuldigten die anderen Voraussetzungen prüfen und darüber gegebenenfalls zum Nachteil des Beschuldigten entscheiden. Hierdurch kann für den Beschuldigten insofern eine tatsächliche Verschlechterung eintreten, weil er, wenn das Berufungsgericht die Nichtunwürdigkeit nicht als gegeben ansieht, später einmal im Falle der Bedürftigkeit mit seinem Antrage nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle abgewiesen werden muß; bei der Prüfung der Frage der Würdigkeit im Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist nämlich das Gericht an die Feststellungen des Urteils, in dem der Unterhaltsbeitrag versagt 149 150 181 152
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DokBer. Nr. 1701. BDH 13. 9. 58 in ZBR 1958 S. 386. BDH 9. 11. 55 — I D 76/54 — BDHE Bd. 3 S. 210 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 325. BDH 19. 4. 55 — I D 185/53 — BDHE Bd. 3 S. 204.
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worden ist, gebunden. Bereits unter III. ist gezeigt worden, daß die Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag kein Teil des Strafausspruchs, sondern eine den Disziplinargerichten übertragene Verwaltungsmaßnahme ist, so daß die Grundsätze über das Verbot der reformatio in peius nicht zur Anwendung kommen 153 . Wohl vertrat der Beamtenrechtsausschuß in seinem Bericht vom 8. 7. 52 die Ansicht, daß mit § 67 Abs. 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, der erst durch das Änderungsgesetz vom 28. 11. 52 in die Bundesdisziplinarordnung eingeführt worden ist, zum Nachteil des Beschuldigten ein im 1. Rechtszug bewilligter Unterhaltsbeitrag im 2. Rechtszuge zuungunsten des Beschuldigten entzogen oder gekürzt werden kann. Doch ist diese Bestimmung mehr im Interesse des Beschuldigten erlassen worden. Da es sich bei dem Ausspruch über den Unterhaltsbeitrag um keinen Teil des Strafausspruchs handelt, wäre das Berufungsgericht ohne weiteres — also auch in dem Falle, wo der Beschuldigte allein Berufung eingelegt hat — in der Lage, die Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag zuungunsten des Beschuldigten zu ändern. Durch § 67 Abs. 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist jedoch sichergestellt, daß dies nur dann geschehen darf, wenn der Bundesdisziplinaranwalt bis zum Schluß der Hauptverhandlung einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Nachprüfung braucht sich aber dann nicht auf die Voraussetzungen zu beschränken, die von der Vorinstanz festgestellt worden sind. Kommt also das Berufungsgericht zur Feststellung, daß im Gegensatz zur Vorinstanz der Beschuldigte eines Unterhaltsbeitrages bedürftig ist, so kann es von der Bewilligung trotzdem absehen, wenn es ζ. B. die in der Vorinstanz festgestellte mildere Beurteilung der Tat ablehnt154. Der Unterhaltsbeitrag kann im Rahmen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nur vom ersten Tage des Kalendermonats an bewilligt werden, der dem Tage des Erlasses der bewilligenden Entscheidung folgt. Eine Bewilligung für einen zurückliegenden Zeitraum ist unzulässig 155 . Bewilligt das Disziplinargericht einen Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit, so kann es gleichzeitig für den Fall des Todes des Verurteilten den Hinterbliebenen 156 einen Unterhaltsbeitrag bis zur Höhe von 75 v. H. der gesetzlichen Hinterbliebenenversorgung bewilligen, die sie erhalten hätten, wenn der Verurteilte bei Eintritt der Rechtskraft des Urteils verstorben wäre ( § 6 4 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG). Ob die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen, braucht aber nur bei der Person des Beschuldigten, nicht jedoch bei den Hinterbliebenen geprüft zu werden 157 . Die Bewilligung ist nur im Disziplinarurteil möglich 158 . Wird dem Beschuldigten der Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen, so wird damit auch die Bewilligung für die Hinterbliebenen hinfällig, 1 6 3 BDH 23.11. 55 — III D 163/54 — BDHE Bd. 2 S. 126 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 190; BDH 29.11. 54 — I D 165/53 — BDHE Bd. 3 S. 208; BDH 20.11. 53 — I D 37/53; BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35; Reuß in JW 1938 S. 1772 Anm. 138; E v e r l i n g in RVB1. 1938 S. 460. 164 BDH 20. 3. 56 — III D 84 und 85 — BDHE Bd. 3 Nr. 58 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 328. 165 BDH 14. 7. 54 — I D 114/53 —. 15S Hierbei kommt auch der Ehemann in Frage, wenn es sich bei der Verurteilten um eine frühere Beamtin handelt (vgl. § 132 BBG). 1 , 5 Vgl § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 1 5 8 Behnke Anm. 27 zu § 64 BDO.
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
weil der Unterhaltsbeitrag bei diesem Personenkreis daran geknüpft ist, daß er auf Lebenszeit gewährt ist. Ist jedoch der Unterhaltsbeitrag des früheren Beamten nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle heruntergesetzt, so bedeutet das noch nicht, daß damit auch der der Ehefrau bewilligte Unterhaltsbeitrag herabgesetzt ist, es sei denn, daß dies von der obersten Dienstbehörde beantragt ist 159 . Nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO kann ein Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach dem Tode des Verurteilten von den Hinterbliebenen gestellt werden (Art. III § 7 Nr. 3 Satz 1 Novelle zur BDO) Art. III § 7 Nr. 1 Satz 2 bis 4 a. a. O. finden dann Anwendung (Art. III § 7 Nr. 3 Satz 2 a. a. O.). Im einzelnen siehe S. 217. Ansonsten gelten die §§ 158 bis 160a, 164 und 165 B B G sinngemäß; der Unterhaltsbeitrag gilt dabei als Witwen- und Waisengeld (Art. III § 7 Nr. 3 Satz 3 Novelle zur BDO). VIII. Z A H L U N G DES U N T E R H A L T S B E I T R A G E S Die Zahlung des Unterhaltsbeitrages beginnt mit dem Zeitpunkt des Verlustes der Dienst- und Versorgungsbezüge, also erst nach Rechtskraft des Urteils des Disziplinargerichts (§§ 64 Abs. 3, BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle, § 76 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Bis dahin sind die Dienst- und Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der nach § 79 BDO, BDO i. d. F. der Novelle angeordneten teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge zu zahlen160. Der Unterhaltsbeitrag ist vom früheren Dienstherrn an den Verurteilten Zu zahlen. Neben dem Unterhaltsbeitrag sind die Kindelzuschläge nach §§ 18ff. BBesG in voller Höhe zu zahlen161 (vgl. § 64 Abs. 1 Satz 3 B D O i. d. F. der Novelle). Grundsätzlich ist der Unterhaltsbeitrag an den Verurteilten zu zahlen. Das Disziplinargericht kann jedoch bestimmen, daß der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise an Personen gezahlt wird, zu deren Unterhalt der Verurteilte gesetzlich verpflichtet ist; nach Rechtskraft des Urteils kann dies die oberste Dienstbehörde bestimmen (§ 64 Abs. 3 Halbsatz 2 BDO, B D O i. d. F. der Novelle). Wer unterhaltsberechtigt ist, ergibt sich aus dem bürgerlichen Recht. Hierzu rechnen z. B. der Ehegatte, der schuldlos geschiedene Gatte, Kinder, Enkel, Eltern, Großeltern, für ehelich erklärte, an Kindes Statt angenommene und uneheliche Kinder, nicht jedoch Geschwister und Stiefkinder, weil diesen gegenüber eine gesetzliche Unterhaltspflicht nicht besteht. Von der Möglichkeit des § 64 Abs. 3 BDO, B D O i. d. F. der Novelle ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn der Verurteilte wegen Trunksucht oder verschwenderischen Lebenswandels aus dem Dienst entfernt worden ist. So ist der Unterhaltsbeitrag an die Ehefrau zu zahlen, wenn bei der Neigung des Beschuldigten zu Alkoholmißbrauch keine Gewähr besteht, daß der Unterhaltsbeitrag der gesamten Familie zugute kommt 162 . Es kann auch angeordnet werden, daß der Unterhaltsbeitrag an mehrere Unterhaltsberechtigte zu zahlen ist. BD H 27. 6. 57 — III DB 22/57 —. BDH 7. 2. 56 — I D 48/54 —. 161 Nach Schütz (DöD 1960 S. 24) kommt eine Zahlung von Kinderzuschlägen nicht in Frage. 15D 160
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Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrages
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Wenn auch der Unterhaltsbeitrag an die Frau oder Kinder zu zahlen ist, so ist hiermit noch kein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung verbunden. Der Unterhaltsbeitrag fällt vielmehr auch hier mit dem Tode des Verurteilten fort; vgl. jedoch § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. 3. BRÄG. Der Anspruch auf Zahlung des Unterhaltsbeitrages kann im Klagewege vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht -werden, wobei die Entscheidung des Disziplinargerichts über die Höhe und Dauer des Unterhaltsbeitrages für die Verwaltungsgerichte gemäß § 119 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bindend ist. Einer Prüfung durch die Verwaltungsgerichte sind vor allem die Fragen unterworfen, ob das Ruhegehalt, nach dessen Vomhundertsatz der Unterhaltsbeitrag errechnet wird, richtig errechnet ist oder ob ζ. B. die Voraussetzungen der Ruhensvorschriften der §§ 158ff. BBG, die je nach § 64 Abs. 4 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle sinngemäß anzuwenden sind, gegeben sind. Verpfänden und abtreten kann der Unterhaltsbeitragsempfänger den Unterhaltsbeitrag nur insoweit, als er der Pfändung unterliegt (vgl. §§ 850a bis i ZPO in der Fassung der Nr. 11 und 12 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der ZPO vom 20. 8.53—BGBl. I S. 952—und des Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 26.2.59 — BGBl. I S. 49 —). Ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht kann der Dienstherr nur insoweit geltend machen, als der Unterhaltsbeitrag nicht pfändbar ist. Die Aufrechnung mit einem vollstreckbaren Ersatzanspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung und mit den Kosten des Disziplinarverfahrens ist auch nur innerhalb der Pfändungsgrenze möglich. Mit den vorläufig einbehaltenen Gehaltsteilen kann nicht aufgerechnet werden, da diese verfallen. Nach Nr. 1 DV zu § 103 BDO können wohl die Kosten des Disziplinarverfahrens von einem nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligten Unterhaltsbeitrag abgezogen werden. Jedoch ist im Gegensatz zum bisherigen Recht auch hier die Pfändungsgrenze zu beachten. Innerhalb dieses Rahmens können auch zuviel gezahlte Dienst- und Versorgungsbezüge vom Unterhaltsbeitrag abgezogen werden. IX. E I N S T E L L U N G D E R Z A H L U N G D E S U N T E R H A L T S BEITRAGES Die Zahlung des Unterhaltsbeitrages ist einzustellen, wenn der Unterhaltsbeitrag erlischt, entzogen wird oder ruht. A. Erlöschen des Unterhaltsbeitrages Der Unterhaltsbeitrag erlischt, 1. wenn der Verurteilte während der Bewilligungsfrist stirbt. Nach Nr. 2 DV zu § 93 DBG ist jedoch den Hinterbliebenen für die auf den Sterbemonat folgenden drei Monate der Unterhaltsbeitrag als Sterbegeld zu zahlen, 2. wenn der Verurteilte wieder zum Beamten ernannt wird (§64 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle), «2 DokBer. Nr. 236. 15 L i n d g c n , DisziplinarrechtI
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
3. wenn die im Urteil genannte Frist abgelaufen ist, wobei die Möglichkeit eingeräumt ist, daß der Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle unter den dort genannten Voraussetzungen wieder neu bewilligt wird. Erst wenn das Disziplinargericht einem Antrag des Verurteilten auf Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht stattgegeben hat, hat der Verurteilte die Möglichkeit, einen Unterhaltsbeitrag im Gnadenwege durch den Bundespräsidenten zu beantragen 163 , 4. wenn der Verurteilte nachversichert wird; nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO erlischt dann der Unterhaltsbeitrag zu dem Zeitpunkt, von dem ab laufende Rentenleistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen gewährt werden (Art. III § 7 Nr. 2 Satz 1 Novelle zur BDO). § 64 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle gilt mit der Maßgabe, daß Rentennachzahlungen nur soweit an den früheren Dienstherrn zu leisten sind, als sie auf der Nachversicherung beruhen (Art. III § 7 Nr. 2 Satz 2 Novelle zur BDO) ; 5. wenn die Witwe oder die Waise, die einen Unterhaltsbeitrag nach § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 bewilligt erhalten hatte, a) stirbt (§ 164 Abs. 1 Nr. 1 BBG); b) heiratet ( § 1 6 4 Abs. 1 Nr. 1 BBG). Die Witwe bzw. Waise hat ihre Wiederverheiratung nach § 165 Abs. 2 Nr. 3 BBG unverzüglich der Kasse, die den Unterhaltsbeitrag zahlt, anzuzeigen. Kommt die Witwe bzw. Waise dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, so kann ihr der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise auf Zeit oder Dauer entzogen werden (§ 165 Abs. 3 Satz 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Beim Vorliegen besonderer Verhältnisse kann der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise wieder zuerkannt werden (§165 Abs. 3 Satz 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Entscheidung nach § 165 Abs. 3 Satz 1 und 2 BBG trifft die oberste Dienstbehörde (§ 165 Abs. 3 Satz 3 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle) ; c) die Waise das 18. Lebensjahr vollendet (§ 164 Abs. 1 Nr. 2 BBG), wobei zu beachten ist, daß der Unterhaltsbeitrag über das 18. Lebensjahr gezahlt wird, wenn die ledige Waise sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) oder wenn sie infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (auch über das 27. Lebensjahr hinaus) (§ 164 Abs. 2 BBG) ; entscheidend ist nicht, daß bis zum 18. Lebensjahr bereits Waisengeld zustand; ist die Berufs- oder Schulausbildung über das 27. Lebensjahr hinaus verzögert worden, wird der Unterhaltsbeitrag auch über diesen Zeitpunkt hinaus gewährt, wenn die Verzögerung durch Wehr183
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Im einzelnen siehe § 31 IX F S. 305 ff.
Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrages
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dienstpflicht in der Bundeswehr verzögert worden ist, und zwar für den Zeitpunkt der Verzögerung (vgl. § 164 Abs. 2 Satz 3 BBG); rechnet auch die Zeit des verlängerten Grundwhrdienstes (vgl. § 5 des Wehrpflichtgesetzes i. d. F. vom 14. 1. 61 (BGBl. I S. 29) ; d) durch ein deutsches Gericht im Bundesgebiet oder im Lande Berlin im ordentlichen Strafverfahren zu Zuchthaus oder wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis verurteilt worden ist, mit der Rechtskraft des Urteils (§ 164 Abs. 1 Nr. 3 BBG). B. Entziehung des Unterhaltsbeitrages Der Unterhaltsbeitrag kann entzogen oder herabgesetzt werden, 1. wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Verurteilte eines Unterhaltsbeitrages unwürdig oder nicht bedürftig war oder wenn er sich dessen als unwürdig erweist oder wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich gebessert haben (§ 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) 164. Die Entscheidung trifft das Disziplinargericht, 2. wenn der Verurteilte die ihm auf Grund des § 165 Abs. 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle obliegende Anzeigepflicht verletzt hat. Beim Vorliegen besonderer Umstände kann ihm jedoch der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise wieder zuerkannt werden ( § 6 4 Abs. 4 Satz 2 BDO i. V. m. § 165 Abs. 3 Satz 2 BBG). Die Entscheidung über den Entzug des Unterhaltsbeitrages und eine evtl. Wiederzuerkennung trifft die oberste Dienstbehörde (§ 165 Abs. 3 Satz 3 BBG). C. Ruhen des Unterhaltsbeitrages 1. R u h e n bei W i e d e r v e r w e n d u n g im ö f f e n t l i c h e n D i e n s t Der Unterhaltsbeitrag ruht, wenn der Verurteilte aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst ein Einkommen bezieht (§ 158 Abs. 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle). Wird er zum Beamten ernannt, erlischt der Unterhaltsbeitrag bereits nach § 64 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle. Verwendung im öffentlichen Dienst ist jede Beschäftigung im Dienst des Bundes oder anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder der Verbände von solchen (§ 158 Abs. 5 Satz 1 BBG). Nach § 158 Abs. 5 Satz 2 BBG steht der Verwendung im öffentlichen Dienst die Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gleich, an der eine Körperschaft oder ein Verband im Sinne des Satzes 1 durch Zahlung von Beiträgen oder Zuschüssen in anderer Weise beteiligt ist. 164
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Im einzelnen siehe § 27 S. 255ff.
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Bezieht der Unterhaltsbeitragsempfänger aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst ein Einkommen, so erhält er daneben den Unterhaltsbeitrag nur bis zum Erreichen der in § 158 Abs. 2 BBG bezeichneten Höchstgrenze (§ 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle i. V. m. § 158 Abs. 1 BBG). Die Höchstgrenze ergibt sich aus § 158 Abs. 2 BBG i. d. F. 3. BRÄG. Bei der Ruhensberechnung nach § 158 Abs. 1 und 2 BBG sind der Ortszuschlag mit dem für den Ort der Verwendung maßgebenden Satze und der Kinderzuschlag nach dem Familienstand und den Sätzen zur Zeit der Wiederverwendung zu berücksichtigen (§158 Abs. 3 Satz 1 BBG). Unfallausgleich (§138 BBG) und Dienstaufwandsgelder sind außer Betracht zu lassen (§158 Abs. 3 Satz 2 BBG). Welche Einkommensteile als Dienstaufwandsgelder anzusehen sind, entscheidet auf Antrag der Behörde oder des Versorgungsberechtigten der Bundesminister des Innern (§ 158 Abs. 3 Satz 3 BBG). Die Beschäftigungsstelle hat der den Unterhaltsbeitrag zahlenden Kasse jede Verwendung eines Unterhaltsbeitragsempfängers unter Angabe der gewährten Bezüge, ebenso jede spätere Änderung oder das Aufhören der Bezüge sowie die Gewährung einer Versorgung unverzüglich anzuzeigen ( § 165 Abs. 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Außerdem ist der Unterhaltsbeitragsempfänger nach § 165 Abs. 2 Nr. 3 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle verpflichtet, den Bezug eines Einkommens der Behörde, die den Unterhaltsbeitrag zahlt, anzuzeigen ; kommt er dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, so kann ihm der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise auf Zeit oder Dauer entzogen werden (§165 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Beim Vorliegen besonderer Verhältnisse kann der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise zuerkannt werden, wobei die Entscheidung durch die oberste Dienstbehörde getroffen wird (§165 Abs. 3 Satz 2 und 3 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Was als Verwendung im öffentlichen Dienst anzusehen und wie die Ruhensberechnung vorzunehmen ist, wird in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu den Abschnitten V und IX des BBG i. d. F. vom 19. 9. 62 erläutert, wobei nach § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle der Unterhaltsbeitrag an die Stelle des Ruhegehalts tritt. 2. R u h e n , s o l a n g e der V e r u r t e i l t e n i c h t mehr D e u t s c h e r i. S. Art. 116 GG ist Der Unterhaltsbeitrag ruht, solange der Berechtigte nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 GG ist (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 BBG, § 64 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. 3. BRÄG § 64 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Deutscher nach Art. 116 GG ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Ab228
Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrages
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kömmling in dem Gebiete des Deutschen Reichs nach dem Stande vom 31.12.37 Aufnahme gefunden hat (VV Nr. 1 zu § 159 BBG). Die Anerkennung als „Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit" richtet sich nach den geltenden besonderen gesetzlichen Vorschriften, wie ζ. B. dem Bundesvertriebenengesetz (VV Nr. 2 zu § 159 BBG). Ob der Unterhaltsberechtigte Deutscher i. S. des Art. 116 GG ist, hat er im Zweifel durch Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachzuweisen ( W Nr. 3 zu § 159 BBG). Der Unterhaltsbeitragsempfänger ist verpflichtet, der Kasse, die den Unterhaltsbeitrag zahlt, den Verlust der Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG unverzüglich mitzuteilen (§165 Abs. 2 Nr. 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die oberste Dienstbehörde kann es zulassen, daß der Unterhaltsbeitrag auch dann weitergezahlt wird, wenn an sich die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 1 BBG gegeben sind (§ 159 Abs. 1 Satz 3 BBG). Ausnahmen sind zuzulassen a) beim Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in Auswirkung zwischenstaatlichen Rechts, b) bei früheren Beamtinnen, die einen Unterhaltsbeitrag erhalten, wenn der Verlust der Staatsangehörigkeit durch eine vor dem 1. 4. 53 erfolgte Eheschließung mit einem Ausländer eingetreten ist (VV Nr. 7 zu § 159 BBG). 3. Ruhen, solange der Berechtigte seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland hat Der Unterhaltsbeitrag ruht schließlich, solange der Berechtigte seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland hat (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die oberste Dienstbehörde entscheidet darüber, ob die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 BBG vorliegen und von welchem Tage an der Unterhaltsbeitrag zu ruhen hat (§159 Abs. 1 Satz 2 BBG). Sie kann Ausnahmen von § 159 Abs. 1 Nr. 2 BBG zulassen (§ 159 Abs. 1 Satz 3 BBG). Der Unterhaltsbeitragsempfänger hat die Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts nach einem Ort im Ausland unverzüglich der Kasse, die den Unterhaltsbeitrag zahlt, anzuzeigen (§165 Abs. 2 Nr. 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). 4. Zusammentreffen mit Versorgungsbezügen Erhält der Unterhaltsbeitragsempfänger aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst, die vor oder nach dem rechtskräftigen Abschluß des Disziplinarverfahrens liegt, Ruhegehalt oder eine ruhegehaltsähnliche Versorgung, so ist der Unterhaltsbeitrag nur bis zur Erreichung der in § 160 Abs. 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 6 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle bezeichneten Höchstgrenze zu zahlen (vgl. § 160 Abs. 1 BBG 229
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
i. V. m. § 64 Abs. 6 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle). Die Beschäftigungsstelle, bei der der Unterhaltsbeitragsempfänger nunmehr eine Versorgung erhält, hat dies der den Unterhaltsbeitrag zahlenden Kasse anzuzeigen (vgl. § 165 Abs. 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 65 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Außerdem hat der Unterhaltsbeitragsempfänger der den Unterhaltsbeitrag zahlenden Kasse den Bezug der Versorgung unverzüglich anzuzeigen (§165 Abs. 1 Nr. 3 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Kommt der Unterhaltsbeitragsempfänger dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, so kann ihm der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise auf Zeit oder Dauer entzogen werden (§165 Abs. 3 Satz 1 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Beim Vorliegen besonderer Verhältnisse kann der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise wieder zuerkannt werden (§165 Abs. 3 Satz 2 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Die Entscheidung nach § 165 Abs. 3 Satz 1 und 2 trifft die oberste Dienstbehörde (§ 165 Abs. 3 Satz 3 BBG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). 5. Z u s a m m e n t r e f f e n m i t R e n t e n aus der g e s e t z l i c h e n R e n t e n v e r s i c h e r u n g oder aus e i n e r z u s ä t z l i c h e n A l t e r s - u n d H i n t e r b l i e b e n e n v e r s o r g u n g f ü r A n g e h ö r i g e des ö f f e n t l i c h e n D i e n s t e s Erhält ein Unterhaltsbeitragsempfänger, dessen Beamtenverhältnis nach dem 31. 12. 1965 begründet worden ist, Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aus einer zusätzlichen Alters- oder Hinterbliebenenenversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes, so ist neben den Renten der Unterhaltsbeitrag nur bis zum Erreichen der in § 160 a Abs. 2 BBG bezeichneten Höchstgrenze zu zahlen (vgl. im einzelnen § 160 a BBG i. d. F. 3. BRÄG i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BDO i. d. F. 3. BRÄG, § 64 Abs. 5 Satz 2 Hablsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Im übrigen ist § 64 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle zu beachten. § 160a BBG ist für die nächsten Jahre ohne Bedeutung. 6. K ü r z u n g der B e z ü g e bei A n w e n d u n g d e r R u h e n s v o r s c h r i f t e n Bei Anwendung der §§ 158, 160 und 160a BBG nach § 64 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. 3. BRÄG, bzw. § 64 Abs. 5 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle sind die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge (§ 158 Abs. 1 und 2 BBG), der unter Zugrundelegung der gesamten ruhegehaltsfähigen Dienstzeit sich ergebende Betrag (§ 160 BBG) und der sich nach § 160a Abs. 2 Nr. 1 BBG ergebende Betrag um den Betrag zu kürzen, um den der Unterhaltsbeitrag hinter dem Ruhegehalt, aus dem er errechnet ist, zurückbleibt ( § 6 4 Abs. 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Ohne die Bestimmung des § 64 Abs. 6 BDO, BDO i. d. F. der Novelle würden der aus dem Dienst entfernte Beamte und der zur Aberkennung des Ruhegehalts Verurteilte, denen ein Unterhaltsbeitrag bewilligt ist und die daneben Dienst- oder Versorgungsbezüge erhalten, die Höchststrafe überhaupt nicht zu spüren bekommen. Hat ζ. B. der Verurteilte, der bereits ein Ruhegehalt von 75 v. H. erdient hätte, vor 230
Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrages
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der Entfernung aus dem Dienst Dienstbezüge in Höhe von 800 DM und auf Grund eines Disziplinarurteils einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v. H. erhalten, so war vor Inkrafttreten des 3. BRÄG folgende Kürzung vorzunehmen : frühere Dienstbezüge 800,—• DM Ruhegehalt 600— DM Unterhaltsbeitrag 300,— DM Unterschied zwischen Ruhegehalt und Unterhaltsbeitrag . . . . 300,—· DM gekürzte Dienstbezüge 500,— DM Einkommen im öffentlichen Dienst 400,— DM Unterhaltsbeitrag und Einkommen 700,— DM gekürzte Dienstbezüge werden von Unterhaltsbeitrag und Einkommen überstiegen um 200,— DM als Unterhaltsbeitrag sind zu zahlen 100,— DM Nach Inkrafttreten des 3. BRÄG errechnet sich der auszuzahlende Unterhaltsbeitrag wie folgt: frühere Dienstbezüge 800,— DM Ruhegehalt 600,— DM Unterhaltsbeitrag 300,— DM Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe 850,— DM Unterschied zwischen Ruhegehalt und Unterhaltsbeitrag . . . . 300,— DM gekürzte Dienstbezüge (aus der Endstufe der Besoldungsgruppe). 550,— DM Einkommen im öffentlichen Dienst 400,— DM Einkommen und Unterhaltsbeitrag 700,— DM a) Höchstgrenze § 158 Abs. 2 Nr. 1 des 3. BRÄG in Verbindung mit § 64 Abs. 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 5 und 6 BDO i. d. F. der Novelle (d. h. für UB-Empfänger bis zum 65 Lebensjahr) 550,— DM Einkommen und Unterhaltsbeitrag übersteigen die Höchstgrenze um 150,— DM als Unterhaltsbeitrag sind zu zahlen 150,— DM b) Höchstgrenze § 158 Abs. 2 Nr. 2 des 3. BRÄG in Verbindung mit § 64 Abs. 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 5 und 6 BDO i. d. F. der Novelle (d. h. für UB-Empfänger nach Vollendung des 65 Lebensjahres) 50,— DM + (60 v. H. von 150 =) 90 = 640,— DM Einkommen und Unterhaltsbeitrag übersteigen die Höchstgrenze um 60,— DM als Unterhaltsbeitrag sind zu zahlen 240,—• DM Das Einkommen aus der neuen Verwendung im öffentlichen Dienst wird voll ausgezahlt. Fällt das Einkommen aus der Verwendung im öffentlichen Dienst fort, so ist der Unterhaltsbeitrag wieder in voller Höhe zu zahlen. Die Dauer des Unterhaltsbeitrages verlängert sich nicht um die Zeit des Ruhens. Ob die Voraussetzungen für das Ruhen gegeben sind, prüft die Dienstbehörde, die den Unterhaltsbeitrag zahlt. Ergibt sich Streit über die Voraussetzungen für das Ruhen des Unterhaltsbeitrages oder die Höhe der Kürzung, so entscheiden hierüber nicht die Disziplinargerichte, sondern die allgemeinen 231
Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
Verwaltungsgerichte, weil es sich hier nicht um einen Streit um die Auslegung einer Disziplinarentscheidung, sondern um eine allgemeine beamtenrechtliche Maßnahme handelt. X. LÄNDERREGELUNG Die Länderdisziplinargesetze folgen bei der Regelung des Unterhaltsbeitrages überwiegend dem § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die versorgungsrechtlichen Bestimmungen der §§158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung, die im Falle einer Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages im Disziplinarrecht sinngemäß Anwendung finden, entsprechen dem Landesbeamtenrecht mit den sich aus dem föderalistischen Staatsaufbau ergebenden Sonderheiten. § 160 a BBG entspricht § 85 a BRRG. Im einzelnen gilt folgendes : 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 LDO BW ist dem zur Aberkennung des Ruhegehalts Bestraften und seinen Hinterbliebenen ein Unterhaltsbeitrag in Höhe der Rente zu zahlen, die sich ergeben würde, wenn der Bestrafte bei seinem Eintritt in den Ruhestand in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert worden wäre, höchstens jedoch bis zu dem Betrag der Versorgungsbezüge, die ohne die Aberkennung des Ruhegehalts dem Bestraften oder seinen Hinterbliebenen zustehen würden, wobei § 68 Abs. 3 und 4, Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 LDO BW entsprechend gelten. § 68 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 LDO BW entspricht § 64 Abs. 1 BDO 1. d. F. ÄndGes. 1952. § 68 Abs. 1 Satz 1 LDO BW gilt nach § 68 Abs. 1 Satz 2 LDO BW auch dann, wenn der Verurteilte einen Unterhaltsbeitrag nach § 12 Abs. 3 LDO BW erhält. § 68 Abs. 2 bis 6 LDO BW entspricht § 64 Abs. 2 bis 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 68 Abs. 7 LDO BW wird neben dem Unterhaltsbeitrag Kinderzuschlag entsprechend § 28 des Landesbesoldungsgesetzes vom 27. 1. 58 (GesBl. S. 17) gewährt. Die §§158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen den §§ 175 bis 177, 178, 180 und 181 LBG BW. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 2. B a y e r n Art. 65 Abs. 1 DStO Bayr. entspricht § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit dem Unterschied, daß der Unterhaltsbeitrag nach einem Zeitraum von fünf Jahren 50 v. H. nicht übersteigen darf. Art. 65 Abs. 2 bis Abs. 6 DStO Bayr. entspricht § 64 Abs. 2 bis 6 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die §§ 158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen den Art. 171 bis 173, 175, 177 und 178 BG Bayr. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 3. B e r l i n § 64 LDO Bln. entspricht § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die §§ 158 bis 160, 162,164 und 165 BBG entsprechen den §§ 149 bis 152, 154 und 155 LBG Bln. § 160a BBG entspricht § 85a BRRG. 232
Länderregelung
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4. B r e m e n § 64 DStO Brm. entspricht § 64 RDStO (siehe II C S. 197). Die §§ 158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen §§ 148 bis 150,151, 153 und 154 BG Brm. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 5. H a m b u r g § 64 DO Hmb. entspricht § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die §§158 bis 160, 162,164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen §§ 160 bis 162,163,165 und 166 BG Hmb. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 6. H e s s e n Die Dienststrafkammer kann in einem auf Entfernung aus dem Dienst lautenden Urteil dem Verurteilten einen Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit oder auf Zeit bewilligen, wenn besondere Umstände eine mildere Beurteilung zulassen, der Verurteilte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig erscheint ( § 6 9 Abs. 1 Satz 1 HDO). Der Unterhaltsbeitrag darf höchstens fünfundsiebzig vom Hundert der zuletzt erhaltenen Dienstbezüge betragen ( § 6 9 Abs. 1 Satz 2 HDO). Lautet das Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts, so ist dem Verurteilten ein Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit in Höhe von mindestens fünfunddreizig vom Hundert und höchstens fünfundsiebzig vom Hundert seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge zu bewilligen ( § 6 9 Abs. 2 HDO). § 69 Abs. 3 bis 6 HDO entspricht § 64 Abs. 2 bis 5 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Erhält der Verurteilte eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so ist vom Zeitpunkt der Bewilligung ab nur der die Rente übersteigende Teil des Unterhaltsbeitrages zu zahlen ( § 6 9 Abs. 7 Satz 1 HDO). Im übrigen erlischt der Unterhaltsbeitrag (§69 Abs. 7 Satz 2 HDO). Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen ( § 6 9 Abs. 7 Satz 3 HDO). Die §§ 158, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen §§ 173,174,176 und 177 HBG. § 160a BBG entspricht § 85a BRRG. 7. N i e d e r s a c h s e n § 88 Abs. 1 NDO entspricht § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 88 Abs. 2 NDO soll der Unterhaltsbeitrag auf Zeit dem Verurteilten den Übergang in einen anderen Beruf erleichtern. Er darf höchstens für ein Jahr gewährt werden ( § 8 8 Abs. 2 Satz 2 NDO). Hat der Verurteilte in dieser Zeit aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen noch keinen Arbeitsplatz gefunden, der ihm eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, so kann das Gericht den Unterhaltsbeitrag für höchstens sechs Monate weiterbewilligen (§ 88 Abs. 2 Satz 3 NDO). Der Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit darf dem Beschuldigten nach § 88 Abs. 3 NDO ausnahmsweise gewährt werden, (1) wenn ihm das Ruhegehalt aberkannt worden ist oder 233
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Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch Disziplinarurteil
(2) wenn er bei Vollendung des 65. Lebensjahres oder bei Erwerbsunfähigkeit keine Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält oder (3) zur Ergänzung eines Altersruhegehalts oder einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn und soweit diese Leistungen hinter fünfundsiebzig vom Hundert des im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils erdienten Ruhegehalts zurückbleiben. Der Unterhaltsbeitrag darf nicht bewilligt werden, wenn der Verurteilte nach Rechtskraft des Urteils unterlassen hat, für das Alter oder für den Fall der Erwerbsunfähigkeit Vorsorge zu treffen, obwohl dies für ihn zumutbar gewesen wäre (§ 88 Abs. 3 Satz 2 NDO). § 88 Abs. 4 NDO entspricht § 64 Abs. 5 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Hinsichtlich der Zahlung des Unterhaltsbeitrages trifft § 89 NDO folgende Regelung: a) Die Zahlung eines Unterhaltsbeitrages beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung der Dienstbezüge eingestellt wird. Die Zahlung eines Unterhaltsbeitrages auf Lebenszeit beginnt aa) im Falle des § 88 Abs. 3 Nr. 1 NDO in dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung der Versorgungsbezüge eingestellt wird, bb) im Fall des § 88 Abs. 3 Nr. 2 NDO mit dem Ersten des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Verurteilte das 65. Lebensjahr vollendet oder erwerbsunfähig wird, cc) im Fall des § 88 Abs. 3 Nr. 3 NDO in dem Zeitpunkt, von dem an eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird. Die Zahlung eines an Hinterbliebene bewilligten Unterhaltsbeitrages beginnt mit dem Ersten des Monats, der auf den Sterbemonat folgt (§89 Abs. 1 NDO). b) Das Disziplinargericht kann bestimmen, daß der Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise an Personen gezahlt wird, zu deren Unterhalt der Verurteilte gesetzlich verpflichtet ist; nach Rechtskraft der Entscheidung über die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages kann dies auch die oberste Dienstbehörde bestimmen (§ 89 Abs. 2 NDO). c) Für die Zahlung von Unterhaltsbeiträgen gelten die § § 179 bis 182 und 185 NBG sinngemäß. Der Unterhaltsbeitrag gilt dabei als Ruhegehalt oder als Witwen- oder Waisengeld. Bei Anwendung der §§ 179 und 181 NBG sind die ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 179 NBG) und der Betrag, der sich unter Zugrundelegung der gesamten ruhegehaltfähigen Dienstzeit ergibt (§ 181 NBG), um den Betrag zu kürzen, um den der Unterhaltsbeitrag hinter dem Ruhegehalt, aus dem er errechnet ist, zurückbleibt (§ 89 Abs. 3 NDO). d) Wenn der Verurteilte infolge einer Nachversicherung auf Grund der Rentenversicherungsgesetze eine Rente erhält, so ist vom Zeitpunkt der Bewilligung der Rente ab nur der die Rente übersteigende Teil des Unterhaltsbeitrages zu zahlen. Im übrigen entfällt der Unterhaltsbeitrag; überzahlte Beträge sind zurückzuerstatten ( § 8 9 Abs. 4 NDO). 234
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e) Der Anspruch auf den Unterhaltsbeitrag erlischt nach § 89 Abs. 5 NDO 1. bei einem Verurteilten, wenn er wieder zum Beamten ernannt wird, 2. bei Hinterbliebenen, wenn der Anspruch auf Versorgungsbezüge erlöschen würde. f) Über die Entscheidung anläßlich des Unterhaltsbeitrages trifft § 90 NDO folgende Regelung: aa) Wenn eine abschließende Entscheidung möglich ist, entscheidet das Disziplinargericht über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages im Urteil. Andernfalls stellt es im Urteil fest, ob die in § § 8 8 Abs. 1 Satz 1 unter Nr. 1 und 3 NDO genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Gründe für die Bewilligung oder die Feststellung sind im Urteil anzugeben ( § 9 0 Abs. 1 NDO). bb) Die weiteren Entscheidungen über den Unterhaltsbeitrag trifft die Disziplinarkammer auf Antrag durch Beschluß. Gegen die Beschlüsse der Disziplinarkammer ist die Beschwerde nach § 76 NDO zulässig ( § 9 0 Abs. 2 NDO). cc) Die Disziplinarkammer kann auch im Verfahren nach § 90 Abs. 2, wenn sie Beweiserhebungen für erforderlich hält, eines ihrer Mitglieder damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen. Dem Verurteilten und der Einleitungsbehörde, im Verfahren nach Absatz 4 Satz 1 der obersten Dienstbehörde, ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Wegen der Kosten gelten die Vorschriften des Abschnitts der NDO sinngemäß. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 70 DO NW entspricht § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die §§ 158 bis 160,162,164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechend den §§ 168 bis 171,173 und 174 BG NW. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 72 LDO Rh.-Pf. entspricht § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Die §§158 bis 160, 162,164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen §§ 168 bis 171, 174 und 175 LBG Rh.-Pf. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG. 10. S a a r l a n d § 64 DStO Saar entspricht § 64 RDStO (vgl. II C S. 197). Die §§ 158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen §§178 bis 180, 182, 184 und 185 BG Saar. § 160 a BBG entspricht § 85 a BRRG. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 66 Abs. 1 DStO Schl.-Hol. entspricht § 64 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit dem Unterschied, daß der Unterhaltsbeitrag für längstens fünf Jahre 235
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Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
fünfundsiebzig vom Hundert und über diesen Zeitraum hinaus höchstens fünfzig vom Hundert des Ruhegehalts betragen darf. § 66 Abs. 2 und 3 DStO Schl.-Hol. entspricht § 64 Abs. 2 und 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 66 Abs. 4 Satz 1 DStO Schl.-Hol. erlischt der Unterhaltsbeitrag, wenn der Verurteilte wieder zum Beamten ernannt wird. Nach § 66 Abs. 4 Satz 2 DStO Schl.-Hol. finden die Vorschriften über das Ruhen und Zusammentreffen von Versorgungsbezügen entsprechend Anwendung. Den §§ 158 bis 160, 162, 164 und 165 BBG in der ursprünglichen Fassung entsprechen die §§ 168 bis 170, 172, 174 und 175 BG Schl.-Hol. § 160a BBG entspricht § 85 a BRRG.
§ 26. Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach Rechtskraft des Disziplinarurteils L ALLGEMEINES Eine Grundvoraussetzung für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages bildet die Bedürftigkeit des Beschuldigten zur Zeit der Hauptverhandlung, in der über das Dienstvergehen durch das Disziplinargericht entschieden wird. Die wirtschaftliche Lage des Beschuldigten kann sich jedoch nach Rechtskraft des Disziplinarurteils zu seinen Ungunsten ändern, so daß die Bewilligung bzw. die Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages mit Rücksicht auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse gerechtfertigt erscheint. Aus diesem Grunde ist die Aufnahme einer Bestimmung im Disziplinarrecht notwendig, auf Grund deren es dem Disziplinargericht ermöglicht wird, dem Beschuldigten, dessen wirtschaftliche Verhältnisse sich verschlechtert haben, einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen oder einen bereits bewilligten Unterhaltsbeitrag zu erhöhen, damit er vor einer Notlage ständig gesichert ist. Eine N e u b e w i l l i g u n g oder E r h ö h u n g eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages s c h e i d e t jedoch einmal dann a u s , w e n n die V e r s c h l e c h t e r u n g der wirtschaftlichen Lage des Verurteilten nur u n w e s e n t lich ist. Überdies bedarf der Verurteilte dann keiner Hilfe, wenn er die Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse selbst zu v e r t r e t e n hat, wenn er ζ. B. eine ihm angebotene Beschäftigung ablehnt oder durch einen ausschweifenden Lebenswandel zu einem vorzeitigen Abbau seiner Arbeitskraft beiträgt. Schließlich kann eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dann nicht zugunsten des Verurteilten Beachtung finden, wenn er sich eines U n t e r h a l t s b e i t r a g e s n i c h t w ü r d i g e r w i e s e n hat. Diesen Erfordernissen trägt die BDO Rechnung. Dem § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle diente die Abänderungsklage des § 323 ZPO zum Vorbild, wonach bei einer Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen eine wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die Verurteilung zur Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen oder der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren, jeden Teil berechtigt, im Wege der Klage eine entsprechende Abänderung des Urteils zu verlangen. Auf k e i n e n Fall 236
Anwendungsbereich
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ist das Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle mit e i n e m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n zu v e r g l e i c h e n , auf das die Bestimmungen der § § 83 bis 95 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zumindest sinnentsprechend Anwendung finden könnten, da die Änderung der Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag nicht von unrichtigen Tatsachen bei der Urteilsfällung ausgeht, die unter den in § 83 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Voraussetzungen zu einer Änderung des bereits rechtskräftig gewordenen Disziplinarurteils führen müssen1; die dem Disziplinarurteil zu Grunde liegenden Tatsachen sind vielmehr richtig festgestellt und richtig beurteilt, so daß sie in einem Wiederaufnahmeverfahren nicht mehr angegriffen werden können. Aus diesem Grunde ist die Bestimmung des § 96 BDO in der Novelle nicht mehr im Abschnitt IV, der sich mit der Wiederaufnahme des Verfahrens befaßt, sondern in einem besonderen Abschnitt V aufgenommen, der die Überschrift „Entziehung und Neubewilligung des Unterhaltsbeitrages" trägt. Die in der Bewilligung liegende Verlängerung des dem Verurteilten gewährten Unterhaltsbeitrages ist als eine „Erhöhung'' im Sinne des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle anzusehen. So stellt es eine „Erhöhung" dar, wenn ein auf Zeit bewilligter Unterhaltsbeitrag eine weitere Zeitlang oder gar auf Lebenszeit verlängert wird. Ebenso stellt es eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages dar, wenn ein Unterhaltsbeitrag an die Hinterbliebenen für den Fall des Todes des Verurteilten bewilligt wird 2 . Eine „Erhöhung" stellt aber vor allem die quotenmäßige Erhöhung des bisher bewilligten Unterhaltsbeitrages dar. Π. ANWENDUNGSBEREICH Die Erhöhung bzw. Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt auch dann in Frage, wenn das Disziplinarurteil, auf Grund dessen ein Unterhaltsbeitrag bewilligt oder abgelehnt worden ist, vor Inkrafttreten der BDO ergangen ist, (vgl. Art. 7 Abs. 3 ÄndGes. 1952). Dies gilt u. a. für das auf Grund des § 75 RBG bewilligte „Teilruhegehalt" und die nach § 64 RDStO bewilligten Unterhaltsbeiträge 3 . Eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt nicht nur bei solchen Unterhaltsbeiträgen, die auf Grund eines Disziplinarurteils nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt sind, sondern auch bei solchen Unterhaltsbeiträgen in Frage, die erstmals nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt oder bereits einmal nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erhöht worden waren. Ebenso kommt eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dann in Frage, wenn dem Verurteilten auf Grund eines Disziplinarurteils ein Unterhaltsbeitrag nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt, dieser ihm jedoch wegen wesentlicher Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach EEH 4. 2. 54 — II DB 28/53 — EEHE Ed. 1 S. 84 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 33. EEH 17. 2. 59 — I DB 40/58 — BDHE Bd. 5 S. 128 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 505 = DokBer. Nr. 1083; DokBer. Nr. 1868. s Vgl. BayrDStH 1. 6. 60 — Nr. 11 DS II 60 — in BBZ 1963 S. 9 (LS); DokBer. Nr. 1860. 1
2
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§ 26
Neubewilligung und Ethöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
§ 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen worden war, sofern sich nur seit der letzten Entscheidung die wirtschaftlichen Verhältnisse wiederum wesentlich verschlechtert haben. Eine Neubewilligung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist jedoch dann nicht mehr zulässig, wenn der Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen worden ist, weil sich der Bedachte eines solchen als unwürdig erwiesen hat. Eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erübrigt sich dann, wenn der Unterhaltsbeitrag erlischt (im einzelnen siehe § 25 IX A S. 225ff.) oder ruht (im einzelnen siehe § 25 IX C S. 227ff.). Schließlich kommt eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dann nicht in Frage, wenn gegen den Verurteilten eine Entscheidung nach Art. I § 6 des Änderungsgesetzes vom 12. 8. 49 ergangen oder wenn er durch die Militärregierung entlassen worden ist, selbst wenn im letzten Falle der Entlassung disziplinare Beweggründe zugrunde gelegen haben sollten. § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle befaßt sich nämlich nur mit disziplinargerichtlichen Entscheidungen, jedoch nicht mit sonstigen behördlichen Maßnahmen; in diesen Fällen bleibt es jedoch dem Entlassenen überlassen, beim Bundespräsidenten einen Unterhaltsbeitrag im Gnadenwege zu beantragen. Schließlich kommt eine Erhöhung eines vom Bundespräsidenten bewilligten Unterhaltsbeitrages nicht nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle in Frage. Hier muß der Bedachte eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages ebenfalls im Gnadenwege beantragen. Hat der Verurteilte die Erhöhung eines vom Disziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrages sowohl nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle als auch im Gnadenwege beim Bundespräsidenten beantragt, so gebührt der Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle der Vorrang, da ein Gnadenerweis erst dann in Betracht kommt, nachdem die Möglichkeiten des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erschöpft sind.
ΠΙ. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG A. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. ÄndGes. 1952 Die nachträgliche Bewilligung oder Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages kam erstmals auf Grund des Art. I Ziff. 59 des Änderungsgesetzes vom 28.11. 52 (BGBl. I S. 779) in Betracht. § 96 Abs. 2 BDO erhielt folgenden Wortlaut: „Auf Antrag des Verurteilten kann die Bundesdisziplinarkammer beschließen, daß ein nach § 64 bewilligter Unterhaltsbeitrag im gesetzlichen Rahmen erhöht wird, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten sich wesentlich verschlechtert haben ; eine von dem Verurteilten zu vertretende oder eine nur vorübergehende Verschlechterung bleibt hierbei außer Betracht. Unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Unterhaltsbeitrag neu bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen des § 64 vorliegen." 238
Geschichtliche Entwicklung
§26
Nach § 96 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 kann die Bundesdisziplinarkammer, wenn sie Beweiserhebungen für erforderlich hält, eines ihrer Mitglieder damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen. Dem Verurteilten und dem Bundesdisziplinaranwalt ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 96 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Wegen der Kosten finden die Vorschriften des Abschnitts V sinngemäß Anwendung (§96 Abs. 3 Satz 3 BDO). Die Bundesdisziplinarkammer ist auch zuständig, wenn der Bundesdisziplinarhof über den Unterhaltsbeitrag enschieden hatte (§96 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Gegen ihren Beschluß ist Beschwerde nach § 66 BDO zulässig (§ 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Die Regelung des § 96 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 wurde von den Länderdisziplinargesetzen übernommen, soweit sie nach dem ÄndGes. vom 28.11. 52 erlassen worden waren. B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. der Novelle Das Änderungsgesetz zur BDO hält hinsichtlich der Voraussetzungen in § 96 Abs. 1 an dem Wortlaut des § 96 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 fest, wobei an die Stelle des Wortes „Bundesdisziplinarkammer" das Wort „Bundesdisziplinargericht" getreten ist. § 96 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle ermöglicht im Interesse des Verurteilten und seiner Hinterbliebenen die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages mit Rückwirkung vom Antragsmonat ab, weil die Ermittlungen über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen wohl selten längere Zeit in Anspruch nehmen und der Antragsteller die dadurch bedingte Verzögerung der Entscheidung nicht zu vertreten hat. § 96 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle erhält folgenden Wortlaut: „Unterhaltsbeiträge nach Absatz 2 können von dem Ersten des Monats ab, in dem der Antrag gestellt worden ist, bewilligt werden." § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle läßt es nicht mehr zu, daß Beweiserhebungen durch Beamtenbeisitzer stattfinden können. Neben dem Vorsitzenden kann eine Behörde im Wege des Rechtshilfeersuchens die Beweiserhebung vornehmen. Die Kostenvorschrift des § 96 Abs. 3 Satz 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 wird gestrichen, weil sämtliche Kostenbestimmungen nunmehr im Abschnitt VI der BDO zusammengefaßt werden, wobei im Falle der Entscheidungen nach § 96 Abs. 5 BDO die §§98 Abs. 2 Nr. 2, 99 Abs. 3 und 100 Abs. 3 BDO gelten. § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle erhält folgenden Wortlaut: „Das Bundesdisziplinargericht kann, wenn es Beweiserhebungen für erforderlich hält, den Vorsitzenden der Kammer damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen. Dem Verurteilten und dem Bundesdisziplinaranwalt ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben." Der § 96 Abs. 4 i. d. F. ÄndGes. 1952 wird in zwei Absätze aufgeteilt, wobei § 96 Abs. 4 Satz 1 i. d. F. ÄndGes. 1952 nunmehr § 96 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle und § 96 Abs. 4 Satz 2 i. d. F. ÄndGes. 1952 jetzt § 96 Abs. 6 BDO i. d. F. der Novelle wird. Durch die Aufteilung wird klargestellt, daß § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 sich nicht nur auf die Fälle des § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 bezieht. 239
§ 26
Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
IV. V O R A U S S E T Z U N G E N F Ü R DEE N A C H T R Ä G L I C H E B E WILLIGUNG O D E R E R H Ö H U N G E I N E S U N T E R H A L T S B E I TRAGES A. Wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten nach der Rechtskraft des Disziplinarurteils Auf Antrag des Verurteilten kann das Disziplinargericht beschließen, daß ein nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligter Unterhaltsbeitrag im gesetzlichen Rahmen erhöht wird, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten sich wesentlich verschlechtert haben ( § 9 6 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Der Verurteilte hat darzulegen, daß die Verschlechterung gegenüber den bei der Entscheidung zugrunde gelegten und in den Urteilsgründen dargestellten Verhältnissen eingetreten ist. Es sind also die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e des Antragstellers, die nach den Feststellungen des Disziplinargerichts, das den Unterhaltsbeitrag nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt hat, zur Z e i t der Bew i l l i g u n g des U n t e r h a l t s b e i t r a g e s v o r l a g e n , d e n j e n i g e n g e g e n ü b e r z u s t e l l e n , die zur Zeit der E r h ö h u n g g e g e b e n sind 4 . Maßgebend ist hierbei das Urteil in, welchem der Unterhaltsbeitrag rechtskräftig bewilligt worden ist5. Es kommt nicht auf den Zeitpunkt an, an dem der Verurteilte zuletzt den Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gestellt hat6. Handelt es sich um die Weiterbewilligung eines bereits abgelaufenen Unterhaltsbeitrages, so kommt es — trotz des anscheinend entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes — nicht darauf an, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse inzwischen wesentlich verschlechtert haben; maßgebend ist hier vielmehr, ob der Antragsteller ohne die Weiterbe willigung des Unterhaltsbeitrages unverschuldet einer unmittelbaren Not ausgesetzt wäre7. Das Disziplinargericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Verurteilten eingetreten ist, hat von der Beurteilung des Disziplinargerichts auszugehen, das im Disziplinarurteil einen Unterhaltsbeitrag abgelehnt oder bewilligt hat. Wenn das Disziplinargericht, das über einen Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu entscheiden hat, eine gegenüber dem Disziplinarurteil unveränderte wirtschaftliche Lage des Verurteilten vorfindet, es jedoch im Gegensatz zum Disziplinargericht, das das Urteil gefällt hatte, die wirtschaftliche Lage als so schlecht ansieht, daß es die Voraussetzungen für die Bedürftigkeit als vorliegend erachtet, so kommt eine Neubewilligung oder Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages dennoch nicht in Frage. Ein Irrtum des Disziplinargerichts, das sich mit der Frage der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle befaßt hatte, über die Bedürftigkeit und ihren Grad kann mittels eines Antrages nach § 96 Abs. 2 1 RDStH 13. 2. 40 — RDHE Bd. 3 S. 173; BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71; DiszSenat OVG Münster 30. 1. 58 — W 10/57 —; DiszSenat OVG Münster 29. 5. 61 — W 1/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 650. 6 BDH 16.11. 53 — I DB 11/53 — BDHE Bd. 1 S. 80. ' BDH 17. 2. 59 — I DB 40/58 — BDHE Bd. 5 S. 128 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 504. 7 DiszSenat OVG Münster 12. 7. 60 — W 16/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 632; BDH 31. 7. 57 — 11 DB 2/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 300 = N D B Z 1958 S. 109; Schütz in DöD 1960 S. 24 (28); DokBer. Nr. 841 und Nr. 1117.
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Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung
§26
BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht behoben werden8. Beim Vergleich der wirtschaftlichen Verhältnisse von damals und von jetzt kommt es nicht darauf an, ob heute nach den in der derzeitigen Rechtsprechung beachteten Grundsätzen die damalige Bedürftigkeit festzustellen wäre 9 . Ob eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist, beurteilt sich verschieden, je nachdem, ob der Verurteilte oder ob seine Hinterbliebenen den Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gestellt haben. Haben letztere den Antrag gestellt, so kommt es entscheidend darauf an, ob sich unter Berücksichtigung des Todes des Verurteilten die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verschlechtert haben 10 . Die Frage, ob eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist, ist als Tatfrage vom Disziplinargericht nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. So ist es als eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse anzusehen, wenn der Verurteilte seine bisherige Beschäftigungsstelle wegen Erreichens der Altersgrenze verloren hat 11 . Dies gilt vor allem dann, wenn der Verdienst aus dieser Beschäftigung bei der Ablehnung eines Unterhaltsbeitrages zur Zeit der Urteilsfällung eine entscheidende Rolle gespielt hatte. War der Verurteilte mehrere Monate infolge Aufgabe seines Arbeitsplatzes ohne Einkommen, hat er aber zu dem Zeitpunkt, in dem über seinen Antrag eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu fällen ist, wieder eine auskömmliche Beschäftigung gefunden, so kommt eine Neu- oder Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht in Frage, weil der Verurteilte sich nun nicht mehr in einer Notlage befindet12. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann andererseits auch dadurch eintreten, daß sich die Arbeitseinkünfte des Verurteilten infolge Verkürzung der Arbeitszeit verringert haben 13 . Als eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann es gelten, daß die dem Urteil zugrunde gelegte Erwartung, der Verurteilte werde in der Zeit, für die ihm nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden ist, Arbeit finden und dann nicht mehr bedürftig sein, sich nicht erfüllt hat14. Selbst wenn der Verurteilte seine Beschäftigung aufgeben muß und nunmehr eine Rente erhält, die wesentlich unter dem früheren Arbeitsverdienst liegt, kommt eine Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages dann nicht in Frage, wenn die Rente zur Bestreitung eines notdürftigen Lebensunterhalts ausreicht 16 . Verliert der Verurteilte seinen Arbeitsplatz, der es ihm ermöglichte, einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu bestreiten, und findet er eine anderweitige Beschäftigung, die ihn noch nicht einmal in die Lage versetzt, einen notdürftigen Lebensunterhalt zu bestreiten, so tritt eine wesentliche Ver8 DStH Hamburg 2. 8. 55 — F 7/55 — BDHE Bd. 3 S. 329 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 350 (LS). 9 DokBer. Nr. 810. 1 0 DokBer. Nr. 1690. 1 1 DokBer. Nr. 539. 1 2 DokBer. Nr. 1324. 1 8 DokBer. Nr. 1156. 1 4 DokBer. Nr. 941; BDH 10. 4. 58 — I DB 11/58 —; BDH 28.1. 63 — III DB 3/63 — BDHE Bd. 6 S. 112. 1 5 DokBer. Nr. 1739 und Nr. 1967.
16 Lindgen, DiïziplinarrcchtI
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§ 26
Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
schlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse i. S. des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle selbst dann ein, wenn die Einnahmen aus dieser Beschäftigung höher liegen als der Betrag, den der Bestrafte im günstigen Falle als Unterhaltsbeitrag erhalten hätte16. Das Ruhegehalt ist nämlich nur eine Berechnungsgrundlage für den Unterhaltsbeitrag; die Vorschrift des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, daß der Unterhaltsbeitrag im Falle der Entfernung aus dem Dienst höchstens 75 vom Hundert des erdienten Ruhegehalts betragen soll, dient lediglich dem Zweck, daß ein aus dem Dienst entfernter Beamter ungünstiger dastehen soll als ein Ruhestandsbeamter. Sorgt der Verurteilte durch eigene Arbeitsleistung für ein Einkommen, und wird hierdurch die Familiennot nicht beseitigt, kann in den Grenzen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ein ergänzender Unterhaltsbeitrag bewilligt werden; allerdings ist in der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages Rücksicht darauf zu nehmen, daß der Verurteilte insgesamt nicht mehr erhält, als er an Gehalt als aktiver Beamter bezogen hätte, wenn er im Dienst verblieben wäre. Eine Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrages ist auch dann noch möglich, wenn der Beschuldigte mehrere Jahre hindurch einen Unterhaltsbeitrag bezogen, während dieser Zeit einen eigenen Geschäftsbetrieb einzurichten und gewinnbringend zu gestalten vergeblich versucht hat und nunmehr im Begriffe steht, ein Angestelltenverhältnis bei einer Firma einzugehen17. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann auch dadurch eintreten, daß eine Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleichgesetz, die dem Verurteilten einen notdürftigen Lebensunterhalt ermöglichte, in Fortfall gekommen ist 18 . Das fortgeschrittene Lebensalter allein ist noch kein Grund, um eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse anzunehmen19. Hier müssen vielmehr besondere Umstände dargetan werden, die auf eine Verschlechterung schließen lassen. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn der Verurteilte infolge durch das Alter bedingter Gebrechlichkeit eine Beschäftigung nicht mehr fortsetzen kann und infolge der fehlenden Einnahmen hieraus in eine Notlage gerät 20 . Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann auch dadurch eintreten, daß dem Verurteilten infolge hohen Alters e r h e b l i c h e K o s t e n d u r c h d a u e r n d e W a r t u n g und P f l e g e entstehen 21 . Der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages wegen Aufgabe des Arbeitsplatzes infolge hohen Alters steht der Umstand nicht entgegen, daß der Verurteilte eine Anwartschaft auf eine Invalidenrente besitzt, falls diese zeitlich und betragsmäßig noch nicht feststeht22. Dagegen ist bei der Prüfung der Frage der Bedürftigkeit ein Einkommen des Verurteilten aus der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen; besitzt er einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, so kann ihm ein Unterhaltsbeitrag bis zu der Höhe neubewilligt oder erhöht werden, der auf die Arbeitslosenhilfe nicht angerechnet werden kann 23 . 18 17 18 19 20 21 22 23
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DokBer. Nr. 1015. DiszSenat OVG Münster 11. 12. 62 — W 10/62 — in ZBR 1963 S. 321 (LS). DokBer. Nr. 1707. DokBer. Nr. 527. DokBer. Nr. 557, Nr. 582 und Nr. 703. Do kBer. Nr. 626. BDH 23.12. 54 — I DB 7/54 — BDHE Bd. 3 S. 197. BDH 17. 8. 56 — II DB 24/56 — BDHE Bd. 3 S. 201 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 323.
Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung
§26
Eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann dadurch eintreten, daß der Verurteilte oder seine Familienangehörigen infolge chronischer Erkrankung erhöhte Ausgaben haben. Mehraufwendungen entstehen für den Verurteilten auch dadurch, daß er infolge einer Erkrankung Schonkost einnehmen muß. Die Mehraufwendungen infolge Erkrankung können jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie der Verurteilte an Hand von Belegen nachweisen kann23". Erhält der Verurteilte Krankengeld, so vermindert dieser Umstand die Bedürftigkeit 24 . Führt die Krankheit des Verurteilten zu einer Unterbringung in einer Heilstätte, und wird er dort voll versorgt, so kann von einer Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gesprochen werden 25 . Ein Unterhaltsbeitrag kann auch nicht gewährt werden, um dem Verurteilten hierdurch eine Kur zu ermöglichen, selbst wenn die Notwendigkeit derselben amtsärztlich bestätigt wird 26 . Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann dadurch eintreten, daß der Verurteilte unverschuldet eine preisgünstige Wohnung aufgeben und dafür eine weit teurere Wohnung beziehen muß 27 . Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann dadurch eintreten, daß ein Kind des Verurteilten, das für dessen Unterhalt mitaufkommen mußte, infolge Heirat nicht mehr im Haushalt der Verurteilten verbleibt. Ebenso können sich die wirtschaftlichen Verhältnisse dadurch verschlechtern, daß dem Verurteilten erhöhte oder neue Unterhaltsverpflichtungen erwachsen28. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn der Verurteilte in seinen Hausstand ein Enkelkind aufgenommen hat, da in erster Linie die Eltern des Kindes unterhaltspflichtig sind (vgl. §§ 1601, 1606 Abs. 2 und 3 BGB) 29 . Ebenso tritt eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht dadurch ein, daß der Verurteilte seiner Tochter anläßlich deren Heirat eine Aussteuer mitgibt, da auf Grund Art. 1 Nr. 21 des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. 6. 57 (BGBl. I S. 609) der § 1620 BGB aufgehoben worden ist 30 . Der Hinweis des Verurteilten, daß sich die allgemeinen Lebensverhältnisse seit der Urteilsfällung durch eine allgemeine Preissteigerung wesentlich verschlechtert hätten, ist unbeachtlich, weil die allgemeine Verteuerung durch eine Erhöhung der Ruhegehaltsbezüge, aus denen sich der Unterhaltsbeitrag errechnet, aufgefangen wird 31 . Dies gilt auch dann, wenn der Verurteilte seinen Lebensunterhalt aus dem Bezüge einer Invalidenrente bestreitet, weil die Verteuerung der Lebenshaltungskosten durch die Erhöhung der Renten gleichfalls ausgeglichen wird82. Ebenso liegt keine Bedürftigkeit vor, wenn der Verurteilte im Falle der Nachversicherung Altersruhegeld für die Zeit der versicherungsfreien Beschäftigung als Beamter gemäß § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes bezieht32 a . DokBer. Nr. 1868. DokBer. Nr. 1822. 26 DokBer. Nr. 1338. 2» DokBer. Nr. 1014. 27 DokBer. Nr. 1751. 2 8 DokBer. Nr. 524. 29 DokBer. Nr. 1324. 30 DokBer. Nr. 1155. 8 1 BDH 16.11.53 — I DB 9/53 —; BDH 26.10. 54 — I DB 13/54 —; DokBer. Nr. 1011. 82 BDH 27.11. 58 — II DB 34/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 293. 32a DokBer. Nr. 1860. 23a 24
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§ 26
Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
Als eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann noch nicht die Veränderung der gesetzlichen Bestimmungen angesehen werden, die die Möglichkeit vorsehen, einen höheren Vomhundertsatz des an sich erdienten Ruhegehalts zu bewilligen, um nachträglich den früher bewilligten Unterhaltsbeitrag im Rahmen des jetzt zulässigen Höchstsatzes zu erhöhen33. Die Tatsache, daß der Unterhaltsbeitrag auf Grund des § 64 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 über die Dauer von fünf Jahren hinaus bis zu 75 vom Hundert bewilligt werden kann, reicht als solche bei unverändert gebliebener wirtschaftlicher Lage nicht aus, einem Beamten einen Unterhaltsbeitrag über eine Höhe von 75 vom Hundert hinaus, die zur Zeit der Bewilligung die Höchstgrenze darstellte, zu bewilligen, selbst wenn der Unterhaltsbeitrag in der damaligen Höchstgrenze nicht ausreicht, einen notdürftigen Lebensunterhalt sicherzustellen, und wenn voraussichtlich das Disziplinargericht zur Zeit des Erlasses des Urteils einen höheren Unterhaltsbeitrag bewilligt hätte, sofern die damaligen gesetzlichen Bestimmungen dies zugelassen hätten. Hier bleibt dem Verurteilten nichts anderes übrig, als eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages im Gnadenwege anzustreben. Mit der Zusicherung der Dienstbehörde, dem Antragsteller auf die zu erwartende Invalidenrente einen Vorschuß in Höhe des bisherigen Unterhaltsbeitrages und für den Fall der Ablehnung des Rentenantrages einen rückwirkenden Gnadenunterhaltsbeitrag in gleicher Höhe zu gewähren, ist der notdürftige Unterhalt des Antragstellers gesichert. Die Zusicherung stellt für ihn einen begünstigenden Verwaltungsakt dar und bietet ihm eine sichere Rechtsgrundlage für seinen Anspruch auf Fortgewährung von Bezügen in Höhe des bisherigen Unterhaltsbeitrages34. Dies gilt vor allem dann, wenn die frühere Dienstbehörde erklärt, daß sie dem Verurteilten für den Fall, daß die ihm zugebilligte Rente geringer als der ihm bisher zugebilligte Unterhaltsbeitrag sein sollte, im Gnadenwege rückwirkend einen Unterhaltsbeitrag in Höhe des entsprechenden Unterschiedsbetrages anweisen werde24*. Ein im Gnadenweg gebilligter Unterhaltsbeitrag ist bei der Frage der Bedürftigkeit gleichfalls zu berücksichtigen; hierbei ist es gleich, ob der Unterhaltsbeitrag ohne Rechtsanspruch und widerruflich bewilligt worden ist34". Erhält ein tuberkulöser früherer Beamter Krankengeld und eine Versorgungsrente, die einen angemessenen Lebensunterhalt gewährleisten, so liegt eine Bedürftigkeit für eine Neu- und Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht vor35. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse tritt nicht ein, wenn der Verurteilte, der ein Mietshaus besitzt, infolge Instandhaltung Mehrausgaben hat; der Unterhaltsbeitrag dient nämlich grundsätzlich nicht dazu, vorhandenes Grundeigentum zu erhalten, die darauf ruhenden Lasten zu begleichen und Hausreparaturen zufinanzieren3®.Aus dem gleichen Grunde kann dem Verurteilten kein Unterhaltsbeitrag neubewilligt oder erhöht werDokBer. Nr. 583. DokBer. Nr. 1737, Nr. 1868, Nr. 1872 und Nr. 1917. " » DokBer. Nr. 1872. M » DokBer. Nr. 1868. 8 5 DokBer. Nr. 1738. a« DokBer. Nr. 1380. 33
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Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung
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den, wenn er ein Eigenheim errichtet und hierdurch erhebliche Belastungen eingeht, da ein Unterhaltsbeitrag auch nicht dazu dient, einem Verurteilten die Erhaltung eines Eigenheims zu sichern37. Nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist es für eine Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages erforderlich, daß es sich um eine dauernde, also nicht nur um eine vorübergehende Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse handelt (vgl. § 96 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Ist der Verurteilte ζ. B. nur vorübergehend erkrankt und sind ihm auf Grund einer solchen Krankheit besondere Aufwendungen erwachsen, so scheidet eine NeubewiJligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus, wenn mit einer Beendigung der Krankheit in absehbarer Zeit zu rechnen ist. B. Keine Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages bei vom Verurteilten zu vertretender Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder bei Vorliegen von Unwiirdigkeit 1. V o m V e r u r t e i l t e n zu v e r t r e t e n d e V e r s c h l e c h t e r u n g der w i r t schaftlichen Verhältnisse Abgesehen von einer nur vorübergehenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse scheidet eine Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages auch dann aus, wenn die Verschlechterung vom Verurteilten zu vertreten ist (vgl. § 96 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). So kann auch ein durch Zeitablauf erloschener Unterhaltsbeitrag nur dann weiterbewilligt werden, wenn bei dem Verurteilten eine Bedürftigkeit vorliegt, die von ihm nicht zu vertreten ist 38 . Ist einem zur Höchststrafe Verurteilten ein zeitlich begrenzter Unterhaltsbeitrag bewilligt worden, um ihm den Übergang in einen anderen Beruf zu erleichtern und ihn zunächst vor unmittelbarer Not zu schützen, so kann eine Fortgewährung nach Fristablauf nur dann in Frage kommen, wenn der frühere Beamte alles getan hat, um eine lohnende Beschäftigung zu finden39. Erst wenn der Arbeitsplatz ermittelt ist, kann — notfalls durch eine amtsärztliche Untersuchung — beurteilt werden, ob der Verurteilte bei seinem Alter und bei seinem Gesundheitszustand den Anforderungen der nachgewiesenen Arbeit gewachsen ist. Eine solche Prüfung setzt aber voraus, daß vorher eine Registrierung als Arbeitssuchender vorgenommen worden ist 40 . Notwendig ist, daß sich der Verurteilte beim Arbeitsamt nicht nur um eine Gelegenheitsbeschäftigung, sondern um eine ständige, hinreichend entlohnte Arbeit bemüht41. Dem Verurteilten muß zugemutet werden, jede beliebige Beschäftigung — also nicht nur einen Angestelltenposten — anzunehmen. Er kann nicht beanspruchen, nur eine seinen körperlichen Fähigkeiten zumutbar erscheinende neue Beschäftigung anzunehmen. Ein demonstratives Geltendmachen gesundheitlicher Leiden, ohne daß ein ärztliches Attest beigebracht wird, genügt für den Nachweis, daß die anDokBer. Nr. 1014. BDHE Bd. 3 S. 216. 3 9 DokBer. Nr. 877 und Nr. 1154. 40 DokBer. Nr. 1084. 4 1 BDH 3 1 . 1 . 57 — II DB 2/57 — in NDBZ 1958 S. 109 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 300; DokBer. Nr. 914. 37
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gebotene Beschäftigung unzumutbar ist, nicht 42 . Die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz kann auch nicht auf den Wohnort des Verurteilten beschränkt werden 13 . Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Verurteilte gleichfalls zu vertreten, wenn ihm die Arbeitslosenhilfe lediglich wegen seiner Weigerung entzogen wird, sich einer Eignungsuntersuchung durch den psychologischen Dienst des Arbeitsamtes zu unterziehen; etwas anderes würde dann gelten, wenn der Verurteilte triftige Gründe für die Ablehnung der Eignungsuntersuchung vorbringen könnte, daß das Verlangen einer solchen Eignungsuntersuchung und die Entziehung der Arbeitslosenhilfe nach seiner Weigerung jeder gesetzlichen Grundlage entbehren würde 44 . Nach § 176 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 27 kann nämlich die Arbeitsbehörde zur Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld vorliegen, den Arbeitslosen auch ärztlich untersuchen lassen; nach § 99 a. a. O. kann dem Arbeitslosen das Arbeitslosengeld ganz oder teilweise versagt werden, wenn er durch sein Verhalten Ermittlungen der Arbeitsbehörde vereitelt hat. Ebenso unterliegt der Antrag auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages der Abweisung, wenn der Antragsteller es ablehnt, den „Vertrauensarzt", auf den er sich zum Beweise seiner Arbeitsunfähigkeit berufen hat, namentlich zu benennen und von der Schweigepflicht zu entbinden45. Hat der Verurteilte einen Arbeitsplatz wohl gefunden, bietet er ihm jedoch keinen ausreichenden Verdienst oder ist vorauszusehen, daß die Beschäftigung ausläuft, so muß er sich nach einer anderen Beschäftigung umsehen; er kann sich nicht darauf verlassen, daß ihm der Unterhaltsbeitrag auf Zeit, der einen Ausgleich für die bisherigen geringen Einkünfte darstellt, ihm nach Zeitablauf auf Grund des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle weiterbewilligt wird. Sieht sich der Verurteilte hier nicht rechtzeitig nach einer anderweitigen Beschäftigung um, so ist seine Notlage von ihm zu vertreten46. Eine wirtschaftliche Verschlechterung ist vom Verurteilten auch dann zu vertreten, wenn er seinen Arbeitsplatz wegen in seiner Person liegenden Gründen, z. B. wegen einer strafbaren Handlung oder aus Arbeitsunwillen, aufgegeben hat47. Ist der Verurteilte durch zu starken Zuspruch zum Alkohol arbeitsunfähig geworden und hat er dies durch sein eigenes Verschulden zu vertreten, so kommt wohl eine Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nicht in Frage; beruht jedoch die Trunksucht, die zu einer Aufgabe des Arbeitsplatzes geführt hatte, auf einer ungünstigen erblichen Anlage, so braucht sie nicht als Grund für die Arbeitsunfähigkeit vertreten zu werden48. Ist der Verurteilte nicht mehr in der Lage, einer lohnenden Beschäftigung nachzugehen, so muß geprüft werden, ob dessen Ehefrau, die arbeitsfähig ist, 42
S. 315.
DokBer. Nr. 1550; BDH 1 1 . 1 2 . 61 — II DB 28/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963
BDH 18. 7. 61 — II DB 19/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315. DokBer. Nr. 556. 4 5 DiszSenat OYG Münster 27. 7. 61 — W 18/60 — in ZBR 1963 S. 312 (LS). « DokBer. Nr. 1402. 4 7 DokBer. Nr. 763. 4 8 DokBer. Nr. 917. 43
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Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung
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sich ernstlich um eine Arbeit bemüht hat, zumal wenn sie keine Kinder zu versorgen hat49. Der Verurteilte muß auch sonst das Verhalten seiner Familienmitglieder vertreten, sofern ihm hier die Abstellung von Mängeln zugemutet werden kann. Ist ζ. B. die schlechte wirtschaftliche Lage durch leichtsinniges Schuldenmachen der Ehefrau des Verurteilten zurückzuführen, so kommt eine Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nicht in Frage. 2. U n w ü r d i g k e i t des V e r u r t e i l t e n Ein Unterhaltsbeitrag kann nach § 96 Abs. 2 BDO, B D O i. d. F. der Novelle nur dann neubewilligt werden, wenn im Disziplinarurteil die Nichtunwürdigkeit im Sinne des § 64 BDO, B D O i. d. F. der Novelle bejaht ist. Deshalb hat auch bei fehlender Bedürftigkeit das Disziplinargericht im Hinblick auf § 96 BDO, B D O i. d. F. der Novelle i. V. m. § 64 BDO, B D O i. d. F. der Novelle zu entscheiden, ob die Voraussetzung der Nichtunwürdigkeit vorliegt50. Hat das Disziplinargericht es unterlassen, im Disziplinarurteil Feststellungen über die Nichtunwürdigkeit zu treffen, sondern den Unterhaltsbeitrag ohne jede Begründung oder nur mit der Begründung abgelehnt, daß der Verurteilte eines solchen nicht bedürftig sei, so kann nicht unterstellt werden, daß der Verurteilte eines Unterhaltsbeitrages unwürdig ist61. Hat das Disziplinargericht in dem Urteil, in dem es auf die Höchststrafe erkannte, die Nichtunwürdigkeit verneint, so scheidet eine Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages auch dann aus, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Verurteilten seit dem Erlaß des Disziplinarurteils erheblich verschlechtert hat. Handelt es sich um eine Weiterbewilligung oder Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages, so darf das Disziplinargericht, das hierüber zu entscheiden hat, bei Prüfung der Nichtunwürdigkeit nur Umstände berücksichtigen, die nachträglich bekanntgeworden oder eingetreten sind 62 . Ebenso darf bei einer Entscheidung über die Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages eine etwaige nachträglich eingetretene Unwürdigkeit nicht von Amts wegen berücksichtigt werden63. Eine Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, B D O i. d. F. der Novelle scheidet grundsätzlich auch dann aus, wenn im vorausgegangenen Disziplinarurteil gerade mit Rücksicht auf die besondere Verwerflichkeit des Dienstvergehens ein Unterhaltsbeitrag von einer nur kurzen Dauer bewilligt worden ist54. Ist es in diesem Falle dem Verurteilten nicht gelungen, innerhalb der Zeit, in der ihm der Unterhaltsbeitrag gezahlt worden ist, einen Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft zu finden, so kann ihm der Unterhaltsbeitrag nicht weiterbewilligt werden. Hier ist es seine eigene Angelegenheit, mit den wirtschaftlichen Nachteilen fertig zu werden, die ihn etwa als Folge seiner Entfernung aus dem Dienst treffen. 49 80 61 52 63
Nr. 367. M
DokBer. Nr. 1064. BDH 9.11. 55 — I D 76/54 — BDHE Bd. 3 S. 210 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 325. BDH 19. 10. 54 — III DB 1 7 / 5 4 — BDHE Bd. 3 S. 220 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 101. BDH 15. 7. 55 — 11 DB 20/55 — B D H E Bd. 3 S. 221 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 347. BDH 17. 10. 57 — II DB 30 /57 — in NDBZ 1959 S. 244 = L i n d g e n , Teil IV BDH 28.10. 53 — II DB 14/53 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 17.
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V. VERFAHREN ANLÄSSLICH DER NEUBEWILLIGUNG ODER ERHÖHUNG EINES UNTERHALTSBEITRAGES A. Antrag Den Antrag auf Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages kann zunächst einmal der Verurteilte stellen. Er kann hiermit auch einen Verteidiger beauftragen65. Ebenso ist der gesetzliche Vertreter des Verurteilten befugt, den Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu stellen. War dem Verurteilten im Disziplinarverfahren ein Pfleger bestellt und bestehen die Voraussetzungen für eine Pflegschaft auch weiterhin, so kann der Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nur von einem Pfleger gestellt werden55». Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 15 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erst nach Rechtskraft des Disziplinarverfahrens gegeben sind. Bis zum Inkrafttreten der Novelle zur BDO steht den Hinterbliebenen ein Antragsrecht auf Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nur dann zu, wenn ihnen im Disziplinarurteil ein Unterhaltsbeitrag nach § 64 BDO i. dr. F. ÄndGes. 1952 für den Fall des Todes des Verurteilten bewilligt war oder wenn eine Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO mit der Maßgabe des § 64 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 bereits früher in Frage gekommen war 56 ; in den sonstigen Fällen bleibt den Hinterbliebenen nichts anderes übrig, als einen Unterhaltsbeitrag im Gnadenwege zu beantragen. Stirbt der Verurteilte vor der Zustellung des Beschlusses, wonach ihm ein Unterhaltsbeitrag neubewilligt oder ein bereits bewilligter Unterhaltsbeitrag erhöht ist, so ist nach bisherigem Recht der Beschluß aufzuheben und das Antragsverfahren in sinngemäßer Anwendung der §§73 Abs. 1, 63 Abs. 1 Ziff. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 einzustellen57. Da nach der Novelle zur BDO ein Unterhaltsbeitrag nur auf Zeit bewilligt werden kann, kommt ein Antragsrecht für die Hinterbliebenen schlechthin nicht in Frage. Ein Antragsrecht des Bundesdisziplinaranwalts scheidet aus; § 296 Abs. 2 StPO kann deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil es sich bei dem Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle um kein Rechtsmittel, sondern lediglich um einen Rechtsbehelf handelt. Der Antrag muß schriftlich gestellt werden. Er braucht keine eindeutige Bezeichnung zu tragen. Selbst wenn der Antragsteller z. B. von einer „Wiederaufnahme des Verfahrens" sprechen sollte, so ist dies unschädlich, wenn nur aus der Begründung zu erkennen ist, daß er auf eine Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages hinausläuft. Aus dem Antrag muß nur zu erkennen sein, welche Änderungen der Antragsteller begehrt, weil das Disziplinargericht an seinen Antrag gebunden ist. Hat der Verurteilte seinen Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht nâhèr bezeichnet, so ist zu unterstellen, daß er den höchstzulässigen Unterhaltsbeitrag begehrt. RDStH 18.10. 38 — III ER 23/38 —. DokBer. Nr. 1902. 58 BDH 15.1. 54 — I DB 17/53 — BDHE Bd. 1 S. 79; vgl. auch DiszSenat O V G Münster 13. 3. 56 — X 12/55 — AS Bd. 11 S. 14 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 432 = OVGE (DiszS) Bd. 1 S. 134; Behnke, Anm. 16 zu § 96 BDO; Schütz, Anm. 5 zu § 103 DO NW; M a n n h e i m e r in J Z 1955 S. 640 III 4; DokBer. Nr. 809; vgl. auch DokBer. Nr. 1670, wo auf die Möglichkeit eines Gnadengesuches an den Bundespräsidenten hingewiesen wurde, 67 DokBer. Nr. 1440. 55
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Verfahren anläßlich der Neubewilligung
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Aus der Begründung muß zu erkennen sein, inwieweit die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegeben sind. Insbesondere muß zu ersehen sein, inwieweit eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist58. Eine Bezugnahme auf die im früheren Verfahren vorgebrachten Tatsachen genügt nicht. Der Antrag des Verurteilten muß genau erkennen lassen, wie seine Vermögenslage sich gestaltet hat. Gibt die Begründung seines Antrages Anlaß, seine Vermögenslage zu bezweifeln, sind insbesondere die Angaben undurchsichtig, so müssen sich etwaige Zweifel zuungunsten des Verurteilten auswirken. Wenn er die Neubewilligung oder die Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages begehrt, so muß er im einzelnen nachweisen, wie sich seine Einkommensverhältnisse geändert haben ; er hat etwaige Anfragen der obersten Dienstbehörde oder des Disziplinargerichts zu beantworten, die auf eine Klärung des Sachverhalts hinzielen59. Lehnt es der Verurteilte ab, eine Verdienstbescheinigung seines derzeitigen Arbeitgebers beizubringen oder kommt er nicht der Aufforderung nach, eine Bescheinigung des Gemeindebürgermeisters beizubringen, ob sich der nichtkapitalisierte Teil seiner Versorgungsrente erhöht und ob er in einem von ihm bewohnten Hause Dritte gegen Entrichtung eines Mietzinses aufgenommen hat, so hat er es zu vertreten, daß seine weitere Unterstützungsbedürftigkeit nicht festzustellen ist. Hat der Verurteilte es schuldhaft an einer Aufklärung fehlen lassen, so muß er es hinnehmen, daß die Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigt wird 60 . Bereits oben ist gezeigt worden, daß der Verurteilte bis zum Inkrafttreten der Novelle zur BDO auch beantragen kann, für den Fall seines Todes einen Unterhaltsbeitrag seinen Hinterbliebenen zu bewilligen. Er kann den Antrag auch dann noch stellen, wenn ihm zuvor auf seinen Antrag eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages für sich selbst bewilligt worden war 61 . In dem Antrag, auch der Ehefrau einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren, liegt ein Antrag auf „Erhöhung" des Unterhaltsbeitrages; ob eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten eingetreten ist, ist danach zu bemessen, ob unter den Lebensumständen des Verurteilten, die dem Unterhaltsbeitrag zugrunde gelegt wurden, die notwendige spätere Versorgung der Hinterbliebenen nicht oder nur unbedeutend gefährdet erschien, und ob sich die genannten Umstände so geändert haben, daß hierdurch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, daß eine notdürftige Versorgung der Hinterbliebenen nach dem Tode des Verurteilten nicht gesichert ist. B. Zuständigkeit des Disziplinargerichts Für die Entscheidung über den Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist das erstinstanzliche Gericht — also die Kammer — ganz allgemein auch dann zuständig, wenn der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — über den Unterhaltsbeitrag entschieden hat (§96 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 96 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle). BDH 1 6 . 1 1 . 53 — I DB 11/53 —. DokBer. Nr. 1392; vgl. auch DokBer. Nr. 900. ·» DokBer. Nr. 1415. 61 BDH 17. 2. 59 — I DB 40/58 — BDHE Bd. 5 S. 128; BDH 26. 3. 57 — I DB 4/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 326. 68
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Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
Besteht das frühere Disziplinargericht nicht mehr, so ist nach Art. 7 Abs. 3 und Abs. 2 Satz 1 ÄndGes. 1952 der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — zur Entscheidung über den Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zuständig; um jedoch dem Antragsteller auch die 2. Instanz zu sichern, macht der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — von der ihm nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 ÄndGes. 1952 zustehenden Befugnis Gebrauch, die Sache an die Bundes disziplinarkammer — das Bundesdisziplinargericht — zu verweisen 62 . Hat der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — von seinem Verweisungsrecht Gebrauch gemacht, so ist ein entsprechender Beschluß auch für sämtliche weitere Anträge nach § 96 BDO, BDO i. d. F. in der Novelle maßgebend 63 . Sollte die Kammer ohne einen solchen Überweisungsbeschluß des Bundesdisziplinarhof s — Bundesverwaltungsgerichts —entscheiden, so handelt es sich hierbei lediglich um einen unwesentlichen Verfahrensmangel, zumal hierdurch die Rechte des Antragstellers nicht beeinträchtigt werden. Zuständig ist das Disziplinargericht, das in dem früheren Verfahren das Urteil gefällt hat. Auf den Wohnsitz des Verurteilten zur Zeit der Antragstellung kommt es also nicht an. Wenn der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — von der ihm nach Art. 7 Abs. 2 ÄndGes. 1952 zustehenden Verweisungsbefugnis Gebrauch macht, ist das Verfahren zweckmäßigerweise an die Kammer zu verweisen, die für den Wohnsitz des Verurteilten zuständig ist. C. Entscheidung des Disziplinargerichts 1. Die bei der E n t s c h e i d u n g m i t w i r k e n d e n D i s z i p l i n a r r i c h t e r Bereits unter I ist darauf hingewiesen worden, daß es sich bei den Entscheidungen nach §96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle um ein Verfahren handelt, das mit Abänderungsklage nach § 323 ZPO, nicht jedoch mit einem Wiederaufnahmeverfahren zu vergleichen ist, so daß § 93 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, wonach ein Disziplinarrichter, der in einem früheren Verfahren an der abschließenden Entscheidung mitgewirkt hat, von der Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen ist, nicht einmal sinngemäß Anwendung finden kann64. Ist ein Richter in dem früheren Disziplinarverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist er auch in dem späteren Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Beantragt nämlich der Verurteilte die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, so ist das Disziplinargericht an die Auffassung des Urteils über die Bewilligungsvoraussetzung der Nichtunwürdigkeit gebunden, so daß man bei dem Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht von einem neuen Verfahren mit selbständigem Charakter sprechen kann ; es stellt vielmehr eine Fortsetzung und Ergänzung des vorangegangenen Disziplinarverfahrens dar, bei dem nur die Frage nach der Bedürftigkeit für einen Unterhaltsbeitrag erneut geprüft werden muß. Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß das Verfahren Vgl. RÜHE Bd. 1 S. 169 und Bd. 2 S. 147. DokBer. Nr. 1368; vgl. auch BDH 22. 8. 56 — I DB 21/56 — BDHE Bd. 3 S. 190 und BDH 20. 9. 54 — III DB 22/54 — BDHE Bd. 3 S. 218 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 327. 64 BDH 4. 2. 54 — II DB 28/53 — BDHE Bd. 1 S. 84. 62
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Verfahren anläßlich der Neubewilligung
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nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erst auf einen Antrag des Verurteilten hin ausgelöst wird. Darum muß sich eine im Disziplinarverfahren mit Erfolg erklärte Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit auch auf das spätere Annex-Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle auswirken. Somit ist ein solcher Richter, der abgelehnt worden ist, einem kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richter gleichzustellen und darf auch nicht in dem Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle mitwirken, ohne daß es der Anbringung eines neuen Ablehnungsgesuches bedarf. Hat ein bereits wegen Befangenheit abgelehnter Richter dennoch eine Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gefällt, so hat dies wohl nicht die Unwirksamkeit des Beschlusses zur Folge, sondern begründet nur dessen Anfechtbarkeit mit einem Rechtsmittel65. Da eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn ein mit Erfolg abgelehnter Richter mitgewirkt hat, leidet der Beschluß an einem Verfahrensmangel und macht seine Aufhebung erforderlich86. 2. P r ü f u n g des A n t r a g e s Zunächst prüft das Disziplinargericht die Zulässigkeit des Antrages. Hat ein Hinterbliebener des Verurteilten den Antrag gestellt, so ist er zurückzuweisen, soweit dessen Antragsrecht ausscheidet. Bejaht das Disziplinargericht die Zulässigkeit des Antrages, so prüft es weiterhin, ob die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen. Erforderlichenfalls kann es Beweise erheben. Hält es Beweiserhebungen für erforderlich, so kann es den Vorsitzenden der Kammer damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen ( § 96 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Nach derzeitigem Recht kann das Disziplinargericht auch eines seiner Mitglieder, insbesondere den rechtskundigen Beisitzer, mit der Beweiserhebung beauftragen. Dies soll jedoch nicht mehr in Frage kommen, damit die Beamten als ehrenamtliche Richter ihrem Hauptamt nicht über Gebühr entzogen werden. Die Befugnis, Beweise zu erheben, soweit keine andere Behörde darum ersucht ist, soll künftig durch den hauptamtlichen Disziplinarrichter erfolgen. Die Behörde, die nach § 96 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle um die Beweiserhebung ersucht werden kann, braucht kein Gericht zu sein. Im allgemeinen wird die B e i z i e h u n g v o n A k t e n a n d e r e r V e r f a h r e n oder die E r t e i l u n g e i n e r s c h r i f t l i c h e n A u s k u n f t e i n e r a n d e r e n B e h ö r d e oder des derzeitigen Arbeitgebers des Verurteilten genügen. So kann zu den Ermittlungen auch die frühere Dienstbehörde des Antragstellers herangezogen werden 67 . Die Vorschriften, die für das sonstige Disziplinarverfahren gelten, wie ζ. B. die Bindung an strafgerichtliche Urteile, sind auch im Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu beachten68. 68 Vgl. E b e r h a r d S c h m i d t , StPO, Vorbem. zum 3. Abschnitt Anm. 9; S c h w a r z , Vorbem. zu §§ 22 bis 32 StPO Anm. 2 A ; K l e i n k n e c h t - M i ü l e r , StPO, Anm. 2 zu § 22 und Anm. 4 zu § 29; R o s e n b e r g , StPO, Anm. 13 zu § 27 . ββ BDH 2 1 . 1 1 . 60 — II DB 22/60 — BDHE Bd. 5 S. 92 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 588 = ZBR 1961 S. 397. " DokBer. Nr. 1836. « BDH 22. 9. 59 — II D 26/59 — in ZBR 1960 S. 166 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 396.
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Dem Verurteilten und dem Bundesdisziplinaranwalt hat das Disziplinargericht Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ( § 9 6 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Beiden steht das Recht zu, die Akten des früheren Verfahrens einzusehen, die nach rechtskräftigem Abschluß des früheren Verfahrens Bestandteil der Personalakten geworden sind. Ob der Bundesdisziplinaranwalt und der Beschuldigte sich schriftlich äußern sollen oder ob das Disziplinargericht sie mündlich hören will, steht in letzterem Ermessen. Werden die Beteiligten schriftlich zu einer Stellungnahme aufgefordert, so wird ihnen im allgemeinen eine angemessene Frist für eine etwaige Äußerung gesetzt. Äußert sich der Beschuldigte oder der Bundesdisziplinaranwalt erst nach Ablauf der Frist, so ist auch das verspätete Vorbringen zu beachten, wenn es vom Disziplinargericht als zweckdienlich angesehen wird. 3. E n t s c h e i d u n g des D i s z i p l i n a r g e r i c h t s Das Disziplinargericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen. Hierbei hat es von den Verhältnissen auszugehen, die das Disziplinarurteil der Entscheidung über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages zugrunde gelegt hat, also nicht von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über einen zuvor gestellten Erhöhungsantrag®9. Die Kannvorschrift des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bedeutet nicht, daß die beantragte Entscheidung in das freie Ermessen des Disziplinargerichts gestellt ist 70 . Es muß vielmehr den Unterhaltsbeitrag neubewilligen oder einen bereits bewilligten Unterhaltsbeitrag erhöhen, wenn die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen. Eine Entscheidung mit der Maßgabe, daß die Neubewilligung oder Erhöhung des Unterhaltsbeitrages nur solange gelten soll, wie die veränderten Umstände vorliegen, ist unzulässig; sind die Voraussetzungen für eine Neubewilligung oder Erhöhung fortgefallen, so muß die oberste Dienstbehörde vielmehr einen Antrag auf Entzug oder Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle stellen (vgl. § 27 S. 255 ff.). Eine Prüfung der Frage, ob der Verurteilte einer Unterstützung nicht unwürdig erscheint, ist in dem Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nur dann möglich und erforderlich, wenn das früher erkennende Disziplinargericht hierzu keine Stellung genommen hat, vielmehr einen Unterhaltsbeitrag ohne jede Begründung oder nur mit der Begründung abgelehnt hat, daß der Verurteilte eines solchen nicht bedürftig sei71. Auf Antrag des Verurteilten kann bis zum Inkrafttreten der Novelle zur BDO ein Unterhaltsbeitrag bei Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse für den Fall des Todes des Verurteilten den Hinterbliebenen auch dann bewilligt werden, wenn der schon für seine Lebenszeit laufende Unterhaltsbeitrag nicht verbessert wird 72 . Für die Hinterbliebenen kann ein Unterhaltsbeitrag auch dann bewilligt werden, wenn er in dem früheren Urteil aus gesetzlichen Gründen nicht bewilligt werden konnte73. Die Unterhaltsbeiträge, die vor Inkraft·· BDH 17. 2. 59 — I DB 40/58 — BDHE Bd. 5 S. 128. BDH 13. 9. 58 — I DB 31/58 — BDHE Bd. 5 S. 125 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 257. 71 BDH 19.10. 54 —III DB 17/54 — BDHE Bd. 3 S. 220 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 101. 72 BDH 26. 3. 57 — I DB 4/57 — BDHE Bd. 3 S. 213 = Lindgen, Teil IV Nr. 326. 73 BDH 20. 9. 54 — III DB 22/54 — BDHE Bd. 3 S. 218 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 327 70
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Verfahren anläßlich der Neubewilligung
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treten des § 96 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 bewilligt waren, werden auf Grund der nach dem 1. 1. 53 veränderten Gesetzeslage auf eine neue Grundlage gestellt, und zwar gleichzeitig für den Verurteilten und seine von den genannten Änderungen betroffenen Hinterbliebenen. Das Disziplinargericht kann den neubewilligten oder erhöhten Unterhaltsbeitrag für eine vorübergehende Zeit höher bemessen als für die darauffolgende Zeit74. Dies kann ζ. B. der Fall sein, wenn der Verurteilte, einen unabweisbaren Nachholbedarf hat, zu dessen Befriedigung er in der Vergangenheit wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Lage Geldmittel nicht bereitstellen konnte, dieser Nachholbedarf nach einer gewissen Zeit jedoch befriedigt ist. Die Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergeht durch Beschluß. Sie kann ohne mündliche Verhandlung erlassen werden76. Es genügt daher, wenn der Vorsitzende den Beschluß entwirft und ihn den anderen Mitgliedern des Disziplinargerichts zur Prüfung und Unterzeichnung im Falle des Einverständnisses übersendet; sind die anderen Mitglieder mit der vorgeschlagenen Entscheidung nicht einverstanden, so können sie ihre Bedenken geltend machen. Der Beschluß muß eine Kostenentscheidung tragen. Dem Verurteilten sind die Kosten aufzuerlegen, wenn im Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dem Antrag auf Erhöhung oder erstmalige Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht stattgegeben wird (vgl. § 98 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle). Hat der Verurteilte teilweise Erfolg, so kann das Disziplinargericht die Kosten teilweise dem Verurteilten und dem Bund auferlegen (§ 99 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle). Die dem Verurteilten erwachsenen notwendigen Auslagen, einschließlich der Vergütung eines Verteidigers, können dem Bund ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn dem Antrag des Verurteilten stattgegeben wird (vgl. § 100 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle)76. Eine Auferlegung der Kosten auf die Hinterbliebenen scheidet in der Novelle zur BDO aus. Der auf Grund des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergehende Beschluß ist dem Verurteilten bzw. seinen Hinterbliebenen zuzustellen. Wenn auch die Mitteilung an den Prozeßbevollmächtigten bzw. die Hinterbliebenen üblich ist, so ist sie jedoch hier nicht obligatorisch. Die BDO und die Vorschriften der StPO, die nach § 20 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zur Ergänzung heranzuziehen sind, sehen eine Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten nicht vor. Zwar gelten gemäß § 37 ZPO für das Verfahren bei Zustellung die Vorschriften der ZPO entsprechend. Rechtslehre und Rechtsprechung sind sich jedoch darin einig, daß § 176 ZPO, der die Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten vorsieht, im Strafprozeß und damit auch im Disziplinarverfahren keine Anwendung findet, weil er für diese Verfahrensarten nicht paßt". 7 1 DiszSenat OVG Münster 13.4. 56 — W 14/55 — OYGE (DiszS) Bd. 1 S. 135 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 140. 74 DokBer. Nr. 581. 76 Vgl. BDH 3.12. 59 — II DB 43/57 — BDHE Bd. 4 S. 91 = NDBZ 1959 S. 245 = DVB1.1960 S. 743 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 400. 77 BDH 25.11. 60 — I DB 26/60 — in ZBR 1961 S. 387 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 590 (LS); DokBer. Nr. 1347; S c h w a r z , 21. Aufl. Anm. 2 C zu § 37 StPO; RGSt. Bd.6 S. 93; OLG Kiel in HESt. Bd. 2 S. 74.
253
§ 26
Neubewilligung und Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
D. Beschwerde Gegen den Beschluß der Bundesdisziplinarkammer — des Bundesdisziplinargerichts — ist die Beschwerde nach § 66 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zulässig (§ 96 Abs. 4 Satz 2 BDO, § 96 Abs. 6 BDO i. d. F. der Novelle). ImFalle der gänzlichen oder teilweisen Ablehnung des Antrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle steht die Beschwerde dem Verurteilten und nach dessen Tode den Hinterbliebenen zu. Da der Bundesdisziplinaranwalt nach § 96 Abs 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle als Beteiligter in Frage kommt, steht das Recht der Beschwerde neben der obersten Dienstbehörde auch ihm zu78. Die Beschwerde kann auch durch Telegramm eingelegt werden 79 . Wenn die Ausfertigung des Telegramms erkennen läßt, daß die Urschrift des Telegramms vom Beschwerdeführer herrührt und dessen Namen trägt, braucht die Telegrammurschrift nicht vom Aufgabepostamt angefordert zu werden. Die Beschwerde braucht nicht begründet zu werden 80 . Über die Beschwerde entscheidet der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht. Für die Entscheidung gilt das unter C Gesagte entsprechend. E. Wirkung der Entscheidung nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle Im allgemeinen wird die Neubewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages mit der Rechtskraft des Beschlusses des Disziplinargerichts wirksam. Nach § 96 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle kann jedoch der Unterhaltsbeitrag auch von dem Ersten des Monats ab, in dem der Verurteilte oder der Hinterbliebene den Antrag gestellt hat, neubewilligt oder erhöht werden. Nach derzeitigem Recht kann die Wirksamkeit des Beschlusses nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht auf die Zeit des Eingangs des Antrages oder auf einen späteren Zeitpunkt zurückverlegt werden, sofern er vor der Rechtskraft der Entscheidung liegt 81 . Im Interesse des Verurteilten und seiner Hinterbliebenen kann nach der Novelle nunmehr die Bewilligung des Unterhaltsbeitrages mit Rückwirkung vom Antragsmonat an bewilligt werden, weil die Ermittlungen über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen wohl selten längere Zeit in Anspruch nehmen und der Antragsteller die dadurch bedingte Verzögerung der Entscheidung nicht zu vertreten hat. Ist im Beschluß kein Zeitpunkt für den Beginn der Zahlung des Unterhaltsbeitrages genannt, so erhält der Verurteilte bzw. der Hinterbliebene einen Anspruch auf Zahlung des neubewilligten oder erhöhten Unterhaltsbeitrages bereits mit der Rechtskraft des Beschlusses, also nicht erst mit dem Beginn des nächsten Monatsersten, wie dies bei § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle der Fall ist. BDH 29. 3. 56 — III DB 8/55 —; a. M. B e h n k e , Anm. 21 Abs. 2 zu § % BDO. '» DokBer. Nr. 1708. 80 DokBer. Nr. 1816. 8 1 BDH 23.12. 54 — I DB 7/54 — BDHE Bd. 3 S. 197; DokBer. Nr. 1324, Nr. 1686 u. Nr. 1791 ; BDH 28.11. 53 — I DB 6/53 — BDHE Bd. 1 S. 83; BDH 1 7 . 1 1 . 53 — I DB 8/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 21 ; Behnke, Anm. 23 zu § 96 BDO; a. M. DiszSenat O V G Münster 13. 4. 56 — W 14/55 — OVGE (DiszSenat) Bd. 1 S. 135 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 140; Römer S.313. 78
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Landesrechtliche Regelung
§27
Der Beschluß nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle behält solange Wirksamkeit, bis er auf Grund einer erneuten Entscheidung nach § 96 Abs. 1 oder Abs. 2 bzw. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle eine Änderung erfährt. So kann ein auf Grund des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erhöhter oder neubewilligter Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle abermals erhöht oder nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle herabgesetzt oder gar ganz entzogen werden. Ist einem zur Aberkennung des Ruhegehalts Verurteilten ein Unterhaltsbeitrag nach § 96 Abs. 2 BDO nicht bewilligt worden, so ist ihm nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO ein solcher nach Maßgabe des Art. III § 7 Abs. 1 der Novelle zur BDO zu bewilligen (Art. III § 7 Abs. 2 a. a. O.) (vgl. S. 217). VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die bundesrechtliche Regelung anläßlich der Neubewilligung oder Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages kennen die Diszipünargesetzte von Bremen, des Saarlandes und von Schleswig-Holstein nicht. Bis auf Baden-Württemberg entspricht in den übrigen Ländern die Regelung dem § 96 Abs. 2 bis 4 BDO i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 28.11. 52; dies gilt für Art. 103 Abs. 2 bis 4 DStO Bayr., § 97 Abs. 2 bis 4 LDO Bln., § 96 Abs. 2 bis 4 NDO Hmb., § 101 Abs. 2 bis 4 HDO, § 90 Abs. 5, 3 und 2 NDO, § 103 Abs. 2 bis 4 DO NW und § 105 Abs. 2 bis 4 LDO Rh.-Pf. Nach § 101 Abs. 2 LDO BW kann die Disziplinarkammer nicht nur auf Antrag des Verurteilten, sondern auch auf Antrag der Personen, an die ein Unterhaltsbeitrag nach § 68 Abs. 2 LDO BW gezahlt wird, beschließen, daß ein nach § 68 LDO BW bewilligter Unterhaltsbeitrag im gesetzlichen Rahmen erhöht oder neugezahlt wird; im übrigen entspricht § 101 Abs. 2 bis 4 LDO BW dem § 96 Abs. 2 bis 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, nur daß in Abs. 4 noch ausdrücklich erwähnt wird, daß die Beschwerde innerhalb zweier Wochen nach Zustellung des Beschlusses einzulegen ist.
§ 27. Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach Rechtskraft des Disziplinarurteils L ALLGEMEINES In § 25 IV S. 203ff.ist dargestellt worden, daß die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages voraussetzt, daß der Beschuldigte bedürftig und sich einer Unterstützung nicht unwürdig erweist. Die Weiterzahlung eines Unterhaltsbeitrages ist dann nicht gerechtfertigt, wenn 1. sich nachträglich herausstellt, daß der Verurteilte bereits zur Zeit des Urteilsspruchs nicht bedürftig oder nicht würdig war oder 2. der Verurteilte erst nach der Urteilsfällung nicht mehr bedürftig oder ist sich eines Unterhaltsbeitrages als unwürdig erweist. 255
§ 27
Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
Diesen Umständen trägt § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle Rechnung, indem er der obersten Dienstbehörde die Möglichkeit einräumt, bei der Kammer einen Antrag auf Entziehung oder Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages zu stellen, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Verurteilte des Unterhaltsbeitrages unwürdig oder nicht bedürftig war, oder wenn er sich dessen als unwürdig erweist, oder wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich gebessert haben. Auch in den Fällen des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle handelt es sich um kein Wiederaufnahmeverfahren, sondern um ein Verfahren, das der Änderungsklage des § 323 ZPO gleicht1. Wenn es sich auch beim Entzug bzw. der Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages für den Fall, daß sich nachträglich herausstellt, daß der Verurteilte des Unterhaltsbeitrages bereits zur Zeit des Urteilsspruchs unwürdig oder nicht bedürftig war, um eine Richtigstellung des früheren Urteils, das auf falschen Tatsachen beruht, handelt, so wird dennoch durch § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle das frühere Disziplinarurteil nicht hinsichtlich einer Straffolge, sondern lediglich hinsichtlich der vermögensrechtlichen Auswirkungen der Höchststrafe berichtigt, so daß von einer Wiederaufnahme des Verfahrens, das auf eine Beseitigung des Strafausspruchs hinzielt, keine Rede sein kann. Der Verurteilte kann nicht einwenden, daß ein Disziplinarurteil, wonach ein Unterhaltsbeitrag bewilligt worden ist, normative Kraft enthalte und eine Aufhebung bzw. Kürzung des Unterhaltsbeitrages nicht zulässig sei; § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle sieht nämlich ausdrücklich vor, daß ein durch Urteil bewilligter Unterhaltsbeitrag wegen nachträglich veränderter Umstände zu Ungunsten des Verurteilten geändert werden kann2. Π. GELTUNGSBEREICH Wenn auch, wie noch unter III gezeigt werden wird, eine Entziehung bzw. eine Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages erst seit dem Inkrafttreten der Reichsdienststraf Ordnung vom 26. 1. 37 möglich ist, so schließt dies nicht aus, daß sich diese Bestimmung auch auf laufende Versorgungsleistungen (Teilruhegehälter und Unterstützungen) bezieht, die in einem Disziplinarverfahren bei Entfernung aus dem Dienst nach früherem Recht bewilligt worden sind3. Dadurch wird noch nicht gegen Art. 103 G G und § 2 StGB verstoßen, weil die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht Teil des Strafausspruches, sondern eine reine Verwaltungsmaßnahme darstellt, die lediglich den Disziplinargerichten übertragen worden ist4. Diese Auslegung gebietet bereits die Stellung des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, der im Abschnitt III untergebracht worden ist. Sollte die Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag eine Strafmaßnahme darstellen, so hätten die Bestimmungen, die sich mit der BDH 4. 2. 54 — II DB 28/53 — BDHE Bd. 1 S. 84 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 33. DokBer. Nr. 1325. 8 RÜHE Bd. 1 S. 169, Bd. 2 S. 147 und S. 150; RVB1. 1938 S. 559; Deutsche Verwaltung, 1940 S. 268; B e h n k e , 2. Aufl. RDStO S. 624; W i t t l a n d , Vorbem. zu § 96 RDStO; BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35; DokBer. Nr. 1481 und Nr. 1672; BDH 26. 3. 57 — I DB 4/57 — BDHE Bd. 3 S. 213 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 326 ; vgl. für Bayern BayrDStH 25.10. 61 — Nr. 6 DS II 61 in BBZ 1963 S. 9 (LS). 4 BDH 15.4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 (75) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35; DokBer. Nr. 111. 1
2
256
Geltungsbereich
§27
Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages befassen, im Abschnitt II (Disziplinarstrafen) aufgenommen werden müssen. Dies gilt für die in § 16 Abs. 2 des Preuß. Gesetzes betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21. 7. 1852 vorgesehenen „Unterstützungen", für das „Teilruhegehalt" nach § 75 Abs. 3 des RBG vom 31. 3. 1873 und die nach § 64 RDStO bewilligten Unterhaltsbeiträge. Ist gegen einen Beamten des Landes Berlin durch Urteil eines Disziplinargerichts des Landes Berlin auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden, so regelt sich die Entziehung bzw. Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, falls auf den Beamten das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der in einzelnen Verwaltungszweigen des Landes Berlin beschäftigten Personen vom 26. 4. 57 (BGBl. I S. 397) Anwendung findet5. Hiermit ist die Zuständigkeit der Disziplinargerichte des Bundes begründet. Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 a. a. O. ergibt sich nämlich nur, daß es lediglich für die förmlichen Disziplinarverfahren, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet waren, bei der bisherigen Zuständigkeit verbleibt. Ist dem Verurteilten ein Unterhaltsbeitrag durch ein Dienststrafgericht des Saarlandes bewilligt worden und wäre er in dem Falle, daß er im Dienst verblieben wäre, auf Grund des Gesetzes vom 23. 12. 56 (BGBl. I S. 1011) Bundesbeamter geworden, so kann § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle auf ihn nicht unmittelbar angewandt werden, weil er als Landesbeamter des Saarlandes ausgeschieden ist. Er gehört jedoch zu dem Personenkreis des Art. 9 b des ÄndGes. 1952; denn er ist als früherer Beamter eines anderen deutschen Dienstherrn als des Bundes, nämlich des Saarlandes, bei einer Dienststelle tätig gewesen, deren Aufgaben von einer bundeseigenen Verwaltung nach § 12 des Eingliederungsgesetzes übernommen worden sind. Ein Antrag auf Entzug bzw. Herabsetzung eines Unterhaltsbeitrages ist auf Grund des Art. 9 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 ÄndGes. 1952 nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu behandeln. Nach Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 ÄndGes. 1952 ist in diesem Falle zur Entscheidung der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — zuständig; wenn auch die Dienststrafgerichte des Saarlandes nicht fortfallen, sondern als Landesgerichte weiterbestehen, so gilt die Regelung des Art. 7 Abs. 2 ÄndGes. 1952 jedoch auch in den Fällen, in denen die früheren Gerichte zwar nicht fortgefallen, aber für den in Frage kommenden Personenkreis nicht mehr zuständig sind6. Die Entziehung bzw. Herabsetzung kommt auch bei solchen Unterhaltsbeiträgen in Frage, die erstmals auf Grund des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt oder erhöht worden sind. Hat das Disziplinargericht ζ. B. einen Unterhaltsbeitrag, der auf Grund eines Disziplinarurteils auf 30 vom Hundert festgesetzt war, später nach § 96 Abs. 2 BDO auf 60 vom Hundert festgesetzt, so kann auf einer darauffolgenden Entscheidung nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dieser Unterhaltsbeitrag wieder herabgesetzt oder gar ganz entzogen werden, sofern die in § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannten Voraussetzungen gegeben sind. 6 β
17
BDH 19. 8. 57 — III DB 27/57 — BDHE Bd. 4 S. 88 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 363. DokBer. Nr. 1339; vgl. auch Behnke, Anm. 18 Abs. 2 zu § 96 BDO.
L i n d g e n . Disziplinarrecht I
257
§ 27
Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
Die Entziehung oder Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages kommt nicht nur beim Verurteilten, sondern nach dessen Tode auch gegenüber der Witwe und den sonstigen Hinterbliebenen eines zur Höchststrafe Verurteilten in Betracht7 ; hierbei ist es gleichgültig, ob der Unterhaltsbeitrag bereits zu Lebzeiten des Verurteilten für den Fall seines Todes oder erst nach seinem Tode auf Antrag der Hinterbliebenen bewilligt war. Entscheidend ist allein, ob die Voraussetzungen der Nichtbedürftigkeit und Unwürdigkeit zur Zeit der Urteilsfällung beim Verurteilten selbst und nach der Urteilsfällung bei irgendeinem Bedachten vorgelegen haben. § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt dann nicht zur Anwendung, wenn dem Verurteilten ein Unterhaltsbeitrag auf Grund einer Gnadenentscheidung des Bundespräsidenten oder einer delegierten Stelle nach § 104 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt worden ist (vgl. imeinzelnen § 31 IX F. S. 308 und G S. 311). Sollte sich nach der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages durch die Gnadeninstanz herausstellen, daß der Gnadenempfänger des weiteren Bezuges des Unterhaltsbeitrages nicht bedürftig oder desselben unwürdig ist, so kommt nur ein Widerruf des Unterhaltsbeitrages durch die Stelle in Frage, die den Gnadenerweis gewährt hat (im einzelnen siehe § 31 VIII Β S. 301 f.). Eine Entscheidung nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erübrigt sich auch dann, wenn der Unterhaltsbeitrag kraft Gesetzes erlischt (vgl. § 25 IX A S. 225f.) oder ruht (vgl. § 25 IX C S. 227ff.). Der Fortfall oder die Minderung beim Zusammentreffen mit anderem Einkommen aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst (§ 158 f. BBG) oder beim Zusammentreffen mit anderen Versorgungsbezügen (§160 BBG) oder ein Erlöschen des Unterhaltsbeitrages im Falle der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 165 Abs. 3 BBG tritt automatisch ein, so daß hier eine Entscheidung nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ausgeschlossen ist. Eine entsprechende Anwendung des § 165 Abs. 3 BBG auf andere Fälle der Unterlassung einer Anzeige ist jedoch nicht möglich 7 ; hier scheidet auch § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle aus, sofern nicht im übrigen die daselbst genannten Voraussetzungen gegeben sind8. Schließlich entfällt § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, wenn gegen den Verurteilten eine Entscheidung nach Art. I § 6 ÄndGes. vom 12.8.49 ergangen oder wenn er durch die Militärregierung entlassen worden ist, selbst wenn es sich bei der Entlassung um Gründe disziplinärer Art gehandelt hatte. § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle befaßt sich nämlich ganz allgemein nur mit disziplinargerichtlichen Entscheidungen, jedoch nicht mit sonstigenVerwaltungsmaßnahmen, wie sie die eben erwähnten Entscheidungen darstellen. Nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO darf ein auf Grund der § § 64, 96 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 auf Lebenszeit bewilligter Unterhaltsbeitrag nicht entzogen werden, sofern der Verurteilte das 65. Lebensjahr vollendet hat oder arbeits- oder berufsunfähig wird (vgl. Art. III § 7 Nr. 1 Novelle zur BDO). 7 BDH — Gr. Disziplinarsenat — 7. 3. 57 — DB 1/58 — BDHE Bd. 5 S. 151 = L i n d gen, Teil IV Nr. 507 = DokBer. Nr. 1380; vgl. auch DokBer. Nr. 1135; BDH 21. 4. 60 — I DB 7/60 —. 8 BDH 2.12. 53 — I D 39/53 — BDHE Bd. 3 S. 192 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 322; abweichend RDHE Bd. 2 S. 144.
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Geschichtliche Entwicklung
§27
ΙΠ. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG A. Reichsdienststrafordnung vom 26.1. 37 Die Entziehung bzw. Herabsetzung eines bewilligten Unterhaltsbeitrages oder einer einem Unterhaltsbeitrag entsprechenden Leistung, die die Auswirkung der Höchststrafe mildern soll, sah erstmals § 96 RDStO vom 26. 1. 37 vor. § 96 RDStO trug folgenden Wortlaut: „Auf Antrag der obersten Dienstbehörde kann die Dienststrafkammer beschließen, daß ein nach § 64 bewilligter Unterhaltsbeitrag herabgesetzt oder ganz entzogen wird, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Bedachte des Unterhaltsbeitrages unwürdig war, oder wenn er sich dessen als unwürdig erweist, oder wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich gebessert haben. Die Dienststrafkammer kann, wenn sie Beweiserhebungen für erforderlich hält, eines ihrer Mitglieder damit beauftragen oder eine Behörde darum ersuchen. Dem Bedachten ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Wegen der Kosten gelten die § § 98, 100 und 101 sinngemäß." Dem § 96 RDStO entsprechen von den geltenden Landesdisziplinargesetzen § 96 DStO Brm., § 96 DStO Saar und § 98 DStO Schl.-Hol. B. Bundesdisziplinarordnung i. d. F. ÄndGes. 1952 Durch Art. I Ziff. 59 des ÄndGes. 1952 wurde die bisherige Möglichkeit» den Unterhaltsbeitrag wieder zu entziehen, auch auf den Fall erweitert, daß sich nachträglich die Nichtbedürftigkeit herausstellt, während — abgesehen von der Unwürdigkeit — bisher nur eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die erst nach der Urteilsfällung eingetreten war, eine Voraussetzung für den Entzug bzw. die Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages bildete. § 96 Abs. 1 der BDO i. d. F. des ÄndGes. 1952 erhielt nunmehr folgenden Wortlaut: „Auf Antrag der obersten Dienstbehörde kann die Bundesdisziplinarkammer beschließen, daß ein nach § 64 bewilligter Unterhaltsbeitrag herabgesetzt oder ganz entzogen wird, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Verurteilte des Unterhaltsbeitrages unwürdig oder nicht bedürftig war, oder wenn er sich dessen unwürdig erweist, oder wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich gebessert haben." § 96 Satz 2 RDStO wurde nunmehr § 96 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 und § 96 Satz 3 RDStO wurde § 96 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit der Maßgabe, daß neben dem Verurteilten auch der Bundesdisziplinaranwalt Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten sollte. Während nach § 96 Satz 4 RDStO hinsichtlich der Kostenfolge auf die §§ 98, 100 und 101 RDStO hingewiesen wurde, stellt hierzu § 96 Abs. 3 Satz 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 folgendes fest: „Wegen der Kosten gelten die Vorschriften des Abschnitts V sinngemäß." Nach § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, der bisher als DV zu § 96 RDStO galt, war die Bundesdisziplinarkammer auch zuständig, wenn der Bundesdisziplinarhof über den Unterhaltsbeitrag entschieden hatte; außerdem war die Beschwerde gegen die Beschlüsse der Bundesdisziplinarkammer nach § 66 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 zulässig. 17·
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§ 27
Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
C. Novelle zur Bundesdisziplinarordnung Die Novelle zur BDO läßt § 96 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 unberührt, wenn man davon absieht, daß das Wort „Bundesdisziplinarkammer" durch das Wort „Bundesdisziplinargericht" ersetzt wird, was jedoch keine inhaltliche Änderung bedeutet. Bereits in § 26 V S. 251 ist darauf hingewiesen worden, daß nach § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. der Novelle nur noch der Vorsitzende jedoch nicht der Beamtenbeisitzer mit den Beweiserhebungen beauftragt werden kann ; im übrigen können nach wie vor Behörden ersucht werden Beweise zu erheben. Ebenfalls in §26 V S. 253 ist dargestellt worden, daß nach der Novelle § 96 Abs. 3 Satz 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 (Kostenentscheidung) wegfällt, § 96 Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 96 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle und § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 nunmehr § 96 Abs. 6 BDO i. d. F. der Novelle werden. IV. VORAUSSETZUNGEN FÜR DEN ENTZUG ODER DIE HERABSETZUNG DES UNTERHALTSBEITRAGES A. Unwürdigkeit des Verurteilten zur Zeit des Erlasses des Disziplinarurteils In § 251V C, D S. 213ff. ist gezeigt worden, daß dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag nur dann bewilligt werden kann, wenn er sich einer Unterstützung nicht unwürdig erweist, wobei die Gründe hierfür sowohl in der Tat selbst als auch in der Person des Beschuldigten liegen können. Stellt sich erst nachträglich heraus, daß der Verurteilte eines Unterhaltsbeitrages unwürdig war, so kann ihm derselbe nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen, jedoch nicht gekürzt werden, da, wie bereits in § 25 IV C S. 217 gezeigt worden ist, eine Staffelung des Unterhaltsbeitrages nach dem Grade der Würdigkeit nicht in Frage kommt8. Entscheidend für die Anwendung des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ist, daß sich erst nach der Urteilsfällung Umstände herausstellen, die den Verurteilten eines Unterhaltsbeitrages unwürdig erscheinen lassen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das früher mit der Disziplinarsache befaßte Disziplinargericht den Bedachten als unwürdig angesehen hätte, wenn ihm die neuen Umstände bekannt gewesen wären9. Hat das Disziplinargericht in dem Urteil, in dem es dem Bedachten einen Unterhaltsbeitrag bewilligt hatte, die Nichtunwürdigkeit bejaht, so kann in dem Verfahren nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle das nunmehr entscheidende Disziplinargericht nicht allein aus einer anderen Haltung heraus die Unwürdigkeit bejahen, wenn nach der Urteilsfällung nicht Umstände bekannt geworden sind, die gegen eine Würdigkeit sprechen würden ; das Disziplinargericht darf in dem Verfahren nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vielmehr nur solche Umstände berücksichtigen, die erst nach der Unrteilsfällung bekanntgeworden oder, wie unter Β noch gezeigt wird, erst nachträglich eingetreten sind 10 . Es scheiden demnach solche Gründe aus, die dem Disziplinargericht oder einem sonstigen Beteiligten — abgesehen vom Beschuldigten — 9 10
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Dienststrafsenat beim Reichsgericht 21. 9. 40 — FB 2.40 —. BDH 15. 7. 55 — II DB 20 — BDHE Bd. 3 S. 221 = L i n d g e n , Teil Ν IV r.347.
Votaussetzungen für den Entzug des Unterhaltsbeitrages
§27
bereits bei der Urteilsfällung bekannt waren 11 ; auch die Tatsachen, die für eine Unwürdigkeit des Verurteilten sprechen, scheiden aus, die der Einleitungsbehörde und dem Bundesdisziplinaranwalt bekannt waren, die sie jedoch bis zur Verkündung des Urteils der 2. Instanz nicht geltend gemacht hatten. Es würde ein venire contra factum proprium darstellen, wenn die Einleitungsbehörde einen Antrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle mit einer Begründung stellt, die sie bereits im vorangegangenen erkennenden Verfahren hätte vorbringen können. B. Unwürdigkeit des Verurteilten nach Erlaß des Disziplinarurteils Der Unterhaltsbeitrag ist ebenfalls zu entziehen — nicht herabzusetzen —, wenn sich herausstellt, daß der Verurteilte aus irgendwelchen Umständen, die erst nach der Urteilsfällung entstanden sind, sich eines Unterhaltsbeitrages als unwürdig erweist (vgl. § 96 Abs! 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) 12 . Bei der Prüfung der Frage der Würdigkeit sind bei einem dienstentfernten oder zur Aberkennung des Ruhegehalts verurteilten früheren Beamten nicht solche strengen Maßstäbe wie bei einem aktiven Beamten oder einem Ruhestandsempfänger anzulegen, da die Bindungen des Unterhaltsempfängers zu seinem früheren Dienstherrn wohl nicht völlig weggefallen, jedoch loser geworden sind 13 . Insbesondere rechtfertigen einen Antrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle wegen nachträglicher Unwürdigkeit solche erheblichen Umstände, die bei einem aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst und bei einem Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts gerechtfertigt hätten14. Dies dürfte der Fall sein, wenn der Verurteilte nach der Urteilsfällung ein Verbrechen oder ein Vergehen begangen hat, das eine ehrlose Gesinnung offenbart. So läßt die Verurteilung wegen Diebstahls den Unterhaltsbeitragsempfänger nachträglich unwürdig erscheinen15. Gleichfalls ist ein ehemaliger Beamter unwürdig, wenn er in der Zwischenzeit mehrfach wegen Betruges, Unterschlagung und Untreue, wegen versuchter Nötigung und falscher Versicherung an Eides Statt verurteilt worden ist 16 . Es b r a u c h t n i c h t u n b e d i n g t ein s t r a f b a r e s V e r h a l t e n des B e d a c h t e n v o r z u l i e g e n , um ein b e a m t e n u n w ü r d i g e s V e r h a l t e n nach § 54 BBG u n d § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der N o v e l l e a n z u n e h m e n . Stellt ζ. B. das Verhalten des Unterhaltsbeitragsempfängers einen — bei § 175 StGB nicht strafbaren — Versuch dar, so kann trotzdem nicht mehr von einer Nichtunwürdigkeit gesprochen werden, vor allem wenn der Betroffene wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht aus dem Dienst entfernt worden war 17 . Ein zur Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts Verurteilter erweist sich des ihm bewilligten Unterhaltsbeitrages insbesondere dann als unwürdig, wenn er die frühere Dienstbehörde, die den Unterhaltsbeitrag an ihn auszahlt, oder das Disziplinargericht, das über die Erhöhung, die Neubewilligung, den Entzug oder die Herabsetzung eines Unterhaltsbeitrages 11 12 13 14 15 16 17
BDH 18. 9. 57 — III DB 29/57 — BDHE Bd. 4 S. 86 = L i n d g e n , Teil IV Nr.365. Vgl. DokBer. Nr. 874. W i t t l a n d , Anm. 6 zu § 96 RDStO. Vgl. RDStH 18.10. 38 — III ER 23/38 —; BDH 28.11. 53 — I DB 6/53 —. DokBer. Nr. 1394. DiszSenat OVG Münster 30. 12. 59 — X 6/59 — in ZBR 1963 S. 321. DokBer. Nr. 1403.
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Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
zu entscheiden hat, über den wahren Sachverhalt, der für die Frage der Bedürftigkeit bzw. Nichtbedürftigkeit maßgebend ist, täuscht. Denn die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages ist eine Vergünstigung, die es dem Bedachten zur Pflicht macht, seine wirtschaftlichen Verhältnisse wahrheitsgemäß zu offenbaren und sich aller die objektive Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag hindernden unrichtigen Angaben zu enthalten18. Zeigt also der Unterhaltsbeitragsempfänger pflichtwidrig seine wirtschaftlichen Verhältnisse oder seine sonstige wirtschaftliche Lage nicht an oder macht er unrichtige, zum mindesten den wirklichen Sachverhalt verschleiernde Angaben, so erweist er sich der Weiterzahlung eines Unterhaltsbeitrages als unwürdig 19 . Das gilt auch dann, wenn er eine nur kurzfristige Beschäftigung nicht seiner früheren Dienstbehörde anzeigt 20 . Ist der Verurteilte, der nach seiner Entfernung aus dem Dienst wegen einer ehrenrührigen Handlung, ζ. B. wegen eines Verbrechens der Unzucht mit Kindern, bestraft worden und hat er trotz dieser Bestrafung in einem ihm von der Behörde im Zusammenhang mit der Gewährung des Unterhaltsbeitrages vorgelegten Fragebogen die Frage nach gerichtlichen Strafen verneint, erweist er sich die Weitergewährung eines Unterhaltsbeitrages als unwürdig 21 . Eine Unwürdigkeit wird dann zu verneinen sein, wenn der Verurteilte durch sein Verhalten, das bei einem aktiven Beamten als außerdienstliches Dienstvergehen gewertet werden würde, in der Öffentlichkeit kein Ärgernis hervorgerufen hat, oder wenn sein Verhalten außenstehenden Dritten nicht bekannt geworden ist. Erweist sich nicht der Verurteilte, sondern eines seiner Familienmitglieder als unwürdig, an das der Unterhaltsbeitrag bereits zu Lebzeiten des Verurteilten nach § 64 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 64 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle auf Grund einer disziplinargerichtlichen Anordnung oder im Falle des § 64 Abs. 3 Halbsatz 2 BDO auf Weisung der obersten Dienstbehörde zu zahlen ist, so kann das Disziplinargericht in seiner Entscheidung, die sich auf § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle stützt, bestimmen, daß der Unterhaltsbeitrag nunmehr an andere unterhaltsberechtigte Personen oder an den Verurteilten selbst zu zahlen ist ; im übrigen kann die Anordnung nach § 64 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, daß der Unterhaltsbeitrag im Falle des Todes des Verurteilten an seine Hinterbliebenen zu zahlen ist, aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle bei den in Betracht kommenden Hinterbliebenen vorliegen. Ob der Verurteilte eines Unterhaltsbeitrages sich infolge Umständen, die erst nach der Urteilsfällung eingetreten sind, als unwürdig erweist, hat das nunmehrige Disziplinargericht nach seinem eigenen freien Ermessen zu entscheiden ; hierbei kommt es nicht darauf an, ob auch das Disziplinargericht, das den Unterhaltsbeitrag bewilligt hatte, den Verurteilten bei Kenntnis der nachträglich aufgetretenen Umstände eines Unterhaltsbeitrages für unwürdig angesehen hätte22. BayrDStH 8. 8. 60 — Nr. 3 DS II 60 — in BBZ 1963 S. 9 (LS). BDH 25. 5. 56 — I DB 8/56 — BDHE Bd. 3 S. 227 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 130; DokBer. Nr. 625 und Nr. 1416. 20 DokBer. Nr. 842. 2 1 BDH 23. 2. 61 — I DB 2/61 — in ZBR 1963 S. 315 (LS). 22 Dienststrafsenat des Reichsgerichts 21. 9. 40 — FB 2/40 —. 18
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Voraussetzungen für den Entzug des Unterhaltsbeitrages
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C. Mangelnde Bedürftigkeit des Verurteilten zur Zeit der Verkündung des Disziplinarurteils In § 25 IV Β S. 204 ff. ist dargestellt worden, daß die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages die Bedürftigkeit des Verurteilten voraussetzt. Stellt sich nachträglich heraus, daß der Verurteilte zur Zeit der Urteilsfällung überhaupt nicht bedürftig war, so kann der Unterhaltsbeitrag entzogen oder herabgesetzt werden (vgl. § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Auch hier dürfen die Umstände, die für den Entzug oder die Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages sprechen, dem Disziplinargericht, dem Bundesdisziplinaranwalt bzw. der Einleitungsbehörde nicht bekannt gewesen sein, da es andernfalls ein venire contra factum proprium darstellen würde, wenn man der Einleitungsbehörde die Möglichkeit einräumen wollte, trotzdem noch später einen Antrag auf § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu stützen. Selbst ein Irrtum des erkennenden Gerichts über die Bedürftigkeit und ihren Grund anläßüch der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kann nicht mittels eines Antrages nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle behoben werden 23 . D. Wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages Der Unterhaltsbeitrag kann schließlich nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entzogen oder herabgesetzt werden, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten seit der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages wesentlich gebessert haben. Bei der E n t s c h e i d u n g nach § 96 A b s . l BDO, B D O i. d.F. d e r N o v e l l e ist von den w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e n des V e r u r t e i l t e n bei der U r t e i l s f ä l l u n g auszugehen 2 4 . Es sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten, die nach den Feststellungen des den Unterhaltsbeitrag bewilligenden Gerichts zur Zeit der Bewilligung des Unterhaltsbeitrages vorlagen, denen gegenüberzustellen, die zur Zeit des Entziehungs- bzw. Herabsetzungsantrages festgestellt sind. Dabei muß die in der früheren Entscheidung angegebene Erwartung über die künftige Entwicklung berücksichtigt werden 25 . Der künftige Geschehensablauf kann sonst nur mit einbezogen werden, wenn sich feststellen läßt, daß sich auch die derzeitigen Verhältnisse mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ändern werden 26 . Beim Vergleich der wirtschaftlichen Verhältnisse von damals und jetzt kommt es auch nicht darauf an, ob jetzt nach den in der heutigen Rechtsprechung beachteten Grundsätzen die damals angenommene Bedürftigkeit festzustellen wäre. Ob eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist, hat das Disziplinargericht von Fall zu Fall nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen. Dies hängt nicht allein von der absoluten Höhe des Mehreinkommens, sondern vielmehr auch davon ab, in welchem Verhältnis DokBer. Nr. 810 und Nr. 916. RDStH 13. 2. 40 in RDHE Bd. 3 S. 173; BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35; DiszSenat OVG Münster 30. 1. 58 — W 10/57 —; DiszSenat OVG Münster 29. 5. 61 — W 1/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 650. 25 BDH 15. 4. 54 — I DB 7/53 — BDHE Bd. 1 S. 71 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 35. 26 BDH 5. 11. 54 — I D 158/53 — BDHE Bd. 3 S. 194 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 103; DokBer. Nr. 963 und Nr. 1919. 23
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das Mehreinkommen zu den bisherigen Einnahmen steht; auch ein geringer Einkommenszuwachs kann u. U. eine Besserung begründen, da andernfalls eine Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages kaum in Frage kommt 27 . Von einer finanziellen Verbesserung kann auch dann keine Rede sein, wenn ihr Umstände entgegenstehen, die diese Verbesserung zum Teil wieder aufheben273·. Man kann ebenso wie bei der Feststellung der Bedürftigkeit anläßlich einer Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle davon ausgehen, daß im allgemeinen ein Einkommen in Höhe von 400 DM für die Bestreitung eines notdürftigen Lebensunterhalts eines älteren Ehepaares ausreicht, falls keine besonderen Belastungen durch Krankheit, Unglücksfälle usw. hinzutreten28. Dieser Betrag erhöht sich, wenn der Verurteilte oder seine Ehefrau auf Grund ärztlicher Bescheinigungen genötigt sind, Diät einzuhalten; durch eine ärztlich bestimmte Diät kann bei einer Person ein monatlicher Mehraufwand gegenüber der normalen Kost von etwa 100 DM und bei einer Diätkost für zwei Personen ein Mehraufwand von etwa 160 DM erwachsen29. Einem früheren Beamten, der ein anderweitiges Arbeitsverhältnis mit einem zur Sicherung seines Lebensunterhalts ausreichenden Verdienst gefunden hat, ist der Unterhaltsbeitrag wegen wesentlicher Besserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu entziehen29". Auf jeden Fall sind die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegeben, wenn es dem Verurteilten ermöglicht ist, auf Grund seines Nebenverdienstes einen Personenkraftwagen zu unterhalten 30 . Der frühere Beamte kann nach der Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung nicht damit gehört werden, daß er hierdurch erhöhte Aufwendungen—insbesondere solche für Bekleidung — hat, sofern der Verdienst zur Bestreitung eines notdürftigen Lebensunterhalts ausreicht 31 . Die Einlassung des Verurteilten, daß er bei Arbeitsmangel jederzeit entlassen werden könne, greift nicht durch, wenn er in seinem derzeitigen Beschäftigungsverhältnis gesetzlichen Kündigungsschutz genießt 32 . Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle sind auch gegeben, wenn der Beschuldigte trotz Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung gefunden hat, die ihm einen notdürftigen Unterhalt sichert. Hat das Disziplinargericht im Urteil erklärt, daß es einer späteren ärztlichen Prüfung überlassen bleiben müsse, ob der Verurteilte noch einer gewinnbringenden Beschäftigung werde nachgehen können, konnte es wegen der gesetzlichen Grenzen des § 64 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle damit nicht zum Ausdruck bringen, daß der Unterhaltsbeitrag sogar ohne Rücksicht auf spätere BDH 17. 9. 58 — III DB 27/58 —. DokBer. Nr. 1919. 2 8 Vgl. auch BDH 27. 11. 58 — II DB 34/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 213; nach BDH 22. 12. 61 — I DB 23/61 — in ZBR 1963 S. 315 reicht bei einem älteren Ehepaar in der Regel ein Betrag von 280 bis 300 D M aus, um einen notdürftigen Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn nicht besondere Belastungen durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder ähnliche Zustände hinzutreten; infolge der inzwischen eingetretenen Preissteigerungen gerade auf den Gebieten des täglichen Lebensbedarfs dürfte derzeitig ein Nettobetrag von 400 DM als angemessen zu bezeichnen sein, ohne von dem vom BDH aufgestellten Grundsatz abzugehen. 2 9 DokBer. Nr. 1482. 2S"> DokBer. Nr. 1918. 3 0 DokBer. Nr. 1659 (hier unterhielt der Betroffene einen Mercedes-Pkw. 180 D). 3 1 DokBer. Nr. 1660. 3 2 BDH 1 4 . 1 1 . 53 — II DB 15/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 20. 27
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Renteneinkünfte 'weiterbewilligt werden oder beibehalten werden könne, wenn der Verurteilte nur arbeitsunfähig sei und kein Arbeitseinkommen habe 33 . Gleiches gilt auch dann, wenn der Verurteilte trotz hohen Alters noch einen ständigen Verdienst in ausreichender Höhe gefunden hat; die Unsicherheit für die künftige wirtschaftliche Lage des Verurteilten wird durch die Zusicherung der obersten Dienstbehörde ausgeglichen, daß sie im Falle des Eintritts der Arbeitslosigkeit den Unterhaltsbeitrag wieder bewilligen werde 34 . Ein auf Lebenszeit bewilligter Unterhaltsbeitrag, der dem Verurteilten wegen seiner langen Dienstzeit gewährt worden ist, der Höhe nach aber zu einem notdürftigen Lebensunterhalt allein nicht ausreicht, wird jedoch dann nicht entzogen werden können, wenn der Verurteilte entgegen der ursprünglichen Erwartung des Disziplinargerichts noch über die Altersgrenze einer normalen Zurruhesetzung hinaus in einem dauernden Arbeitsverhältnis bleibt35. Ebenso kann einem früheren Beamten, der sich über das 65. Lebensjahr hinaus in einem Arbeitsverhältnis befindet, in Anerkennung seines Fleißes ein früher bewilligter Unterhaltsbeitrag belassen bleiben, soweit er zusammen mit dem anderweitigen Verdienst das Ruhegehalt nicht übersteigt, das der Verurteilte bei Erreichung der Altersgrenze erdient hätte36. Stirbt ein Angehöriger des Verurteilten für dessen Lebensunterhalt er zu sorgen hatte, so kann dies eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse darstellen37. Die Eheschließung eines dien stentfernten Beamten mit einem wirtschaftlich gesicherten Ehepartner stellt eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse dar. Der gesetzlich zum Unterhalt verpflichtete Ehepartner eines dienstentfernten Beamten braucht sich aber in diesem Falle nicht auf den eigenen notdürftigen Unterhalt beschränken zu lassen. Er kann den Teil seiner Einkünfte für sich verwenden, der für einen angemessenen Unterhalt erforderlich ist 38 . Ebenso kann nicht der gesetzlich zum Unterhalt verpflichtete Ehemann einer unter Gewährung eines Unterhaltsbeitrages mit der Entfernung aus dem Dienst bestraften Beamtin auf den eigenen notdürftigen Unterhalt beschränkt werden 39 . Eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann dadurch eintreten, daß Vordienstzeiten angerechnet und die Besoldungsvorschriften zugunsten des Verurteilten geändert worden sind40. Soweit durch Erhöhung der Besoldung und damit der Unterhaltsbeiträge die allgemeine Teuerung aufgefangen werden soll, kommt eine Entziehung des Unterhaltsbeitrages nicht in Frage. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten können sich dadurch wesentlich bessern, daß er eine Invaliden- oder Angestelltenrente41 oder sonst eine Rente auf Grund einer Nachversicherung42 erhält oder wenn eine DokBer. Nr. 1815. BDH 17. 11. 53 — I DB 8/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 21. 36 BDH 10. 10. 53 — I DB 3/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 15. 36 BDH 6. 9. 54 — III DB 25/54 — Lindgen, Teil IV Nr. 86. 37 BDH 20. 5. 55 — I DB 4/55 — Lindgen, Teil IV Nr. 115; DokBer. Nr. 1837. 39 BDH 14. 12. 57 — I DB 36/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 179 = DokBer. Nr. 955; vgl. auch DokBer. Nr. 1020 und Nr. 1837. 39 DokBer. Nr. 962. 40 DokBer. Nr. 1752. 41 DokBer. Nr. 1672. 42 DokBer. Nr. 1548 und Nr. 1816. 33
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bereits bewilligte Rente erhöht wird 43 . Die Erhöhung der Sozialversicherungsrenten auf Grund der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. 2. 57 erschöpfte sich nicht in einer Angleichung der gestiegenen Lebenshaltungskosten, sondern wirkte sich auch auf eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse aus. Dadurch, daß bei der Festsetzung der Rente das Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten während der zurückgelegten Beitragszeiten in Beziehung zu der allgemeinen Bemessungsgrundlage gebracht und so die persönliche Bemessungsgrundlage ermittelt wird (§ 1255 Abs. 1 und 3 RVO), nimmt der Rentner an der zwischenzeitlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Arbeitenden teil. Diese „Aktualisierung" der Renten war zusammen mit deren individuellen Berechnungen das Ziel der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. 2. 57. Da die Löhne stärker gestiegen sind als die Preise, findet mithin auch die Erhöhung der Kaufkraft bei der Festsetzung der Rente Berücksichtigung. Das gleiche gilt auch für die Rentenanpassung, die durch Veränderungen in der Lohnentwicklung während der Laufzeit der Renten notwendig geworden ist und gemäß § 1272 RVO nur durch Gesetz erfolgen kann. Nach § 1272 Abs. 2 RVO ist ferner bestimmt, daß die Anpassung der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigkeiten Rechnung zu tragen hat. Die Herabsetzung oder gar der Entzug eines Unterhaltsbeitrages ist auch dann zulässig, wenn in der früheren Disziplinarentscheidung eine Anrechnungsklausel nicht enthalten war44. Die Anwartschaft auf eine Invalidenrente reicht noch nicht aus, um dem Verurteilten einen bewilligten Unterhaltsbeitrag zu entziehen oder zu kürzen. Dies gilt vor allem dann, wenn es streitig ist, ob dem Verurteilten überhaupt eine Rente zusteht ; in einem solchen Falle kann der Verurteilte nicht darauf verwiesen werden, sich die künftigen Rentenzahlungen vom Fürsorgeamt bevorschussen zu lassen45. Wird dagegen einen Rentenvorschuß gewährt, so ist er bei der Feststellung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen 46 . Wen auch eine nach der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages gewährte Angestellten- oder Invalidenrente eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des früheren Beamten darstellt, so kann jedoch trotz eines Renteneinkommens von 400 bis 500 DM bei einem vorhandenen Bedarf an Pflege, Betreuung und Hilfeleistungen eine Bedürftigkeit bestehen bleiben47. Eine Unfallrente darf nicht voll angerechnet werden; sie darf nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie dem Ausgleich der geminderten Erwerbsfähigkeit dient, aber nicht insoweit, als sie einen Ausgleich für die Aufwendungen wegen der Unfallsfolgen darstellt48. Ebenso darf eine Kriegsbeschädigtenrente nicht voll angerechnet werden49. 43 DokBer. Nr. 1376 und Nr. 965; DiszSenat OVG Münster 29. 5. 61 — W 1/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 650. 44 BDH 4. 8. 58 — I DB 19/58 — in ZBR 1958 S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 261. 4 5 DokBer. Nr. 1330. 4e DokBer. Nr. 1447. 4 7 DiszSenat OVG Münster 29. 5. 61 — W 1/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 650; DokBer. Nr. 1482. 4 8 BDH 11.7. 57 — II DB 18/57 — inNDBZ1960 S. 266 = L i n d g e n , TeilIVNr. 362. 4 9 BDH Gr. Disziplinarsenat 7. 3. 57 — DB 1/58 — BDHE Bd. 5 S. 131 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 507 = DokBer. Nr. 1380.
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Erhält eine Witwe einen Unterhaltsbeitrag, so kann der Unterhaltsbeitrag herabgesetzt werden, wenn sie aus einer Invalidenrente des inzwischen verstorbenen Verurteilten eine Witwenrente bezieht50. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Verurteilte zu Lebzeiten ohne Wissen seiner früheren Behörde eine Invalidenrente bezogen hatte, die eine Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages gerechtfertigt hätte. Sind die Aufwendungen der Witwe infolge Krankheit und Gebrechlichkeit gestiegen, so ist nur ein Teil der Witwenrente bei der Errechnung des Betrages zu berücksichtigen, der für eine notdürftige Lebensführung ausreicht. Eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann auch dadurch eintreten, daß der Verurteilte neben der Aufbesserung einer Angestelltenrente von ζ. B. 100 DM auf 250 DM außerdem noch eine Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleichsgesetz von ungefähr 150 DM erhält 61 . Die wirtschaftlichen Verhältnisse können sich auch dadurch bessern, daß der Verurteilte gemäßt §§ 74ff. AVAVG Arbeitslosenentgelt bezieht52; diese Einkünfte verbleiben nämlich dem Verurteilten im Gegensatz zu den Leistungen der Sozialfürsorge, die von dem Unterstützungsempfänger wieder zurückzuzahlen sind. Erhält der Verurteilte Krankengeld, so vermindert dieser Umstand gleichfalls die Bedürftigkeit 63 . Zu einer wesentlichen Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann es beitragen, wenn der Unterhaltsbeitragsempfänger, der aus einer Rente zusätzliche Einnahmen bezieht, von der Großstadt in eine ländliche Gemeinde verzieht, weil das Leben in ländlichen Verhältnissen kostensparend zu berücksichtigen ist 64 . Eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann auch dadurch eintreten, daß der Verurteilte Vermögenswerte, wie ζ. B. ein ihm gehörendes Grundstück, veräußert und er hierfür einen erheblichen Erlös erhält. Wenn demgegenüber der Umstand fortfällt, daß er bisher mietfrei gewohnt hat, so ist dies jedoch dann nicht zu berücksichtigen, wenn die nunmehr vom Verurteilten zu zahlende Miete nur geringfügig ist. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn der Erlös aus dem Grundstück 15000 DM beträgt und der Verurteilte nunmehr etwa 40 DM monatlich Miete zu zahlen hat66. Eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist zu unterstellen, wenn der Verurteilte sich der Nachprüfung seiner Bedürftigkeit entzieht, wenn er ζ. B. seinen Wohnsitz verlegt und seinen neuen Wohnsitz seiner früheren Dienstbehörde nicht meldet, so daß es ihr nicht möglich ist, nachzuprüfen, ob er inzwischen eine Beschäftigung gefunden hat66. Die Bedürftigkeit des Verurteilten fällt insbesondere dann fort, wenn er ins Ausland auswandert57. Hierbei kann unterstellt werden, daß er im AusDokBer. Nr. 1363. DokBer. 1700. DokBer. Nr. 1022. 53 DokBer. Nr. 1822. 64 DokBer. Nr. 1700. 56 BDH 23.1. 61 — III DB 1/61 — bei D ö r i n g , in ZBR 1963 S. 315 (LS); DokBer. Nr. 1376. 56 DokBer. Nr. 950. 57 DokBer. Nr. 595. 60 51
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land eine Beschäftigung aufnimmt, oder daß Angehörige, zu denen er hinzieht, ihn zumindest soweit unterstützen, daß er einen notdürftigen Lebensunterhalt bestreiten kann. V. VERFAHREN ANLÄSSLICH DER ENTZIEHUNG ODER HERABSETZUNG DES UNTERHALTSBEITRAGES A. Antrag Der Unterhaltsbeitrag kann nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nur auf Antrag der obersten Dienstbehörde entzogen oder gekürzt werden. Antragsberechtigt ist die oberste Dienstbehörde, die beim rechtskräftigen Abschluß des Disziplinarverfahrens zuständig war. Eine Delegation des Antragsrechts auf eine nachgeordnete Behörde ist nicht vorgesehen 68 . Die Einleitungsbehörde kann den Antrag nur dann stellen, wenn sie gleichzeitig oberste Dienstbehörde ist. Bei Verurteilten der in der Anlage zu den § § 4 und 5 des 2. Überleitungsgesetzes genannten Dienststellen sind die obersten Dienstbehörden in dem gemeins. Rundschreiben des Bundesministers des Innern und des Bundesministers für Finanzen vom 1. 10. 52 (GMB1. 1952 S. 303) i. d. F. des Rundschreibens vom 15. 2. 52 (GMB1.1953 S. 13) bestimmt. Ein Antragsrecht des Bundesdis2iplinaranwalts ist bei § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu verneinen. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, daß ihm in § 96 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle ein Beteiligungsrecht eingeräumt ist. Jedenfalls ist der Antrag des Bundesdisziplinaranwalts in einem Verfahren nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle insoweit unzulässig, als er über den Antrag der obersten Dienstbehörde hinausgeht59. Nimmt die oberste Dienstbehörde den Antrag zurück, so kann er nicht vom Bundesdisziplinaranwalt weiterverfolgt werden. Der Antrag muß schriftlich gestellt werden. Es genügt hierzu eine mit Schreibmaschine geschriebene und unter Beifügung des amtlichen Stempels beglaubigte Unterschrift60. Aus dem Antrag muß zu erkennen sein, ob der völlige Entzug in Frage kommen bzw. um welchen Vomhundertsatz der Unterhaltsbeitrag gekürzt werden soll. Wird der Antrag auf U n w ü r d i g k e i t des Verurteilten gestützt, so kommt nur der v ö l l i g e E n t z u g des Unterhaltsbeitrages in Frage, weil eine Staffelung desselben nach dem Grade der Würdigkeit nicht möglich ist. Haben später bekannt gewordene Umstände ergeben, daß der Verurteilte bereits zur Zeit der Urteilsfällung nicht bedürftig war, oder haben sich nachher seine w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e w e s e n t l i c h g e b e s s e r t , so kann die oberste Dienstbehörde den E n t z u g oder die H e r a b s e t z u n g des b e w i l l i g t e n U n t e r h a l t s b e i t r a g e s b e a n t r a g e n ; welchen Antrag hier die oberste Dienstbehörde stellen soll, hängt von deren pflichtgemäßen Ermessen ab, wobei die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Selbst wenn eine völlige Entziehung des Unterhaltsbeitrages gerechtVgl. RDHE Bd. 3 S. 170 (171). BDH 23.1. 58 — I DB 41/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 213; BDH 24. 2. 58 — II DB 31/57—. 60 BDH 21. 12. 55 — II DB 35/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 125. 68
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Verfahren anläßlich der Entziehung des Unterhaltsbeitrages
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fertigt wäre, kann die oberste Dienstbehörde trot2dem einen Antrag nur auf Herabsetzung stellen. Im allgemeinen kommt ein völliger Entzug des Unterhaltsbeitrages dann in Frage, wenn das anderweitige Einkommen für die Bestreitung eines notdürftigen Lebensunterhalts voll ausreicht. Trotz hinreichender Sicherung des Lebensunterhalts durch ein sonstiges Arbeitseinkommen hatten die obersten Dienstbehörden oft einen Antrag gestellt, den Unterhaltsbeitrag bis auf einen sehr geringen Vomhundertsatz zu kürzen, um der Verpflichtung einer Nachversicherung zu entgehen, die beim völligen Entzug des Unterhaltsbeitrages bei einem zur Entfernung aus dem Dienst Bestrafen in Betracht kommen würde. Die Stellung eines derartigen allein auf fiskalische Erwägungen gestützten Antrages dürfte als unzulässig zu erachten sein. Die Begründung des Antrages muß erkennen lassen, inwieweit die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegeben sind. Eine alleinige Bezugnahme auf die im früheren Verfahren vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel ist unzulässig. Wird der Antrag darauf gestützt, daß der Verurteilte ein anderweitiges Arbeitseinkommen gefunden hat, wird es zweckmäßig sein, entsprechende Arbeits- und Lohnbescheinigungen dem Antrag beizufügen. B. Zuständigkeit des Disziplinargerichts Für die Zuständigkeit des Gerichts gilt das in § 261V Β S. 249f. Gesagte entsprechend. Hiernach ist also die Bundesdisziplinarkammer — das Bundesdisziplinargericht — auch bei einem Antrag nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ganz allgemein auch dann zuständig, wenn der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — über den Unterhaltsbeitrag entschieden hatte (vgl. § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 96 Abs. 5 BDO i. d. F. der Novelle). Falls das frühere Disziplinargericht nicht mehr besteht, gilt Art. 7 Abs. 3 und Abs. 2 Satz 1 ÄndGes. 1952 (im einzelnen siehe S. 250). C. Entscheidung des Disziplinargerichts Auch hier gilt das in § 26 IV C Gesagte entsprechend. In dem Verfahren nach § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kann der Verurteilte mit Einwendungen gegen die disziplinargerichtlichen Feststellungen zum Tatbestand des Dienstvergehens oder gegen das Strafmaß nicht gehört werden®0a. Die Kannvorschrift des § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bedeutet nicht, daß die von der obersten Dienstbehörde beantragte Entscheidung in das freie Ermessen des Disziplinargerichts gestellt ist61. Es ist hinsichtlich der Höhe des zu kürzenden Unterhaltsbeitrages an den Antrag der obersten Dienstbehörde gebunden 62 ; sollte es nach Prüfung der Sachlage auf dem Standpunkt stehen, daß der völlige Entzug oder eine erheblichere Kürzung des Unterhaltsbeitrages gerechtfertigt wäre, als sie die oberste Dienstbehörde beantragt hat, so kann es trotzdem
61 62
DokBer. Nr. 1918. BDH 13. 9. 58 — I DB 31/58 — BDHE Bd. 5 S. 125 = L i n d g e n , TeilIV Nr. 257. BDH Bd. 3 S. 212.
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§ 27
Entziehung und Herabsetzung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages
nicht unter den von der obersten Dienstbehörde gestellten Antrag gehen 63 . Hat der Bundesdisziplinaranwalt gegen die Entscheidung des Bundesdisziplinargerichts Beschwerde eingelegt, so kann auch er bei seinem vor dem Bundesdisziplinarhof — Bundesverwaltungsgericht — gestellten Antrag nicht über den von der obersten Dienstbehörde gestellten Antrag hinausgehen. Eine Entscheidung, daß der Entzug oder die Kürzung nur solange gelten soll, wie Besserung der wirtschaftlichen Lage — ζ. B. die anderweitige Beschäftigung — andauert, ist unzulässig. Ist der Antrag der obersten Dienstbehörde sowohl auf Unwürdigkeit als auch auf die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt, muß in erster Linie der Entziehungsgrund der Unwürdigkeit als der mit der größeren rechtlichen Tragweite geprüft werden. Ist das im ersten Rechtszuge unterlassen und der Unterhaltsbeitrag mangels Bedürftigkeit des Bestraften entzogen bzw. herabgesetzt worden, so kann selbst auf die Beschwerde des Verurteilten in der zweiten Instanz die Entziehung auch auf die Unwürdigkeit des Verurteilten gestützt werden, ohne gegen das Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers zu verstoßen; die Entscheidung über den Unterhaltsbeitrag ist nämlich kein Teil des Strafausspruchs®4. Hat allerdings die oberste Dienstbehörde einen Antrag nur auf Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages gestellt, so kommt hier trotz mangelnder Würdigkeit nicht der Entzug des Unterhaltsbeitrages in Frage; das Disziplinargericht wird jedoch die oberste Dienstbehörde darauf hinweisen, daß sie ihren Antrag auf Entzug des Unterhaltsbeitrages zu erweitern hat, weil bei Unwürdigkeit des Verurteilten keine Herabsetzung, sondern nur der Entzug des Unterhaltsbeitrages in Frage kommen kann. Bezüglich der Kostenentscheidung und der Zustellung des Beschlusses des Disziplinargerichts siehe § 26 IV C 3 S. 253 f. D. Beschwerde Gegen den Beschluß ist die Beschwerde nach § 66 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zulässig (vgl. § 96 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 96 Abs. 6 BDO i. d. F. der Novelle). Hat das Gericht dem Antrag der obersten Dienstbehörde nicht stattgegeben, so sind die oberste Dienstbehörde und daneben der Bundesdisziplinaranwalt beschwerdeberechtigt, da dieser nach § 96 Abs. 3 Satz 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 66 Abs. 4 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle als Verfahrensbeteiligter in Frage kommt. Der Bundesdisziplinaranwalt kann jedoch nicht über den von der obersten Dienstbehörde gestellten Antrag hinausgehen. Hat das Gericht dem Antrag der obersten Dienstbehörde ganz oder teilweise stattgegeben, so ist der Verurteilte bzw. der Hinterbliebene, der bisher einen Unterhaltsbeitrag bezogen hatte, beschwerdeberechtigt. Die Beschwerde braucht nicht begründet zu werden66. Über die Beschwerde entscheidet der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht. Wenn der Verurteilte bzw. der Hinterbliebene 63 BDH6. 9. 54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 8 6 ; B D H 2 1 . 1 2 . 55—II DB 35/55 — L i n d gen Teil IV Nr. 125; BDH 23. 1. 58 — I DB 41/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 213. 64 BDH 23.11. 59 — I DB 31/59 — BDHE Bd. 5 S. 135 = L i n d g e n , TeilIV Nr. 521 (LS). 65 DokBer. Nr. 1816.
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Landesrechtliche Regelung
§27
allein Beschwerde eingelegt hat, kann der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — zuungunsten des Beschwerdeführers den Unterhaltsbeitrag im Rahmen des von der obersten Dienstbehörde gestellten Antrages nicht weiter kürzen oder gar ganz entziehen, weil es sich bei dem Verfahren nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle um ein dem § 323 ZPO vergleichbares Verfahren handelt, so daß hier § 536 ZPO und somit der Grundsatz der reformatio in peius sinngemäß Anwendung finden. E. Wirkung der Entscheidung des Disziplinargerichts Für die Wirkungen, die die Entscheidung des Disziplinargerichts, die auf Grund eines nach § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gestellten Antrags erlassen ist, auslöst, gilt das in § 26 IV E Gesagte entsprechend. Die Herabsetzung bzw. der Fortfall des Unterhaltsbeitrages kommt mit Beginn des auf die Rechtskraft der Entscheidung folgenden Monats in Betracht68. Sofern das Disziplinargericht den Unterhaltsbeitrag wegen Unwiirdigkeit des Verurteilten entzogen hat, kann der Verurteilte späterhin keinen Antrag auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitragse stellen. Hierbei ist es gleichgültig, ob die Unwürdigkeit bereits zur Zeit der Urteilsfällung gegeben war oder die Umstände, auf die sich die Unwürdigkeit stützt, erst später aufgetreten sind. Hat dagegen das Disziplinargericht den Unterhaltsbeitrag wegen mangelnder Bedürftigkeit des Verurteilten entzogen oder gekürzt, so kann der Verurteilte später einen Antrag nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle stellen, sofern sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verschlechtern sollten. War der Unterhaltsbeitrag nach § 96 BDO entzogen worden, so ist er nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO auf Antrag u. U. bis zur Höhe der Rente aus einer Nachversicherung neuzubewilligen und angemessen zu erhöhen, falls der Verurteilte das 65. Lebensjahr vollendet oder arbeits- oder berufsunfähig wird (Art. III § 7 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 Novelle zur BDO). VI. LANDESRECHTLICHE REGELUNG § 96 DStO Brm., § 96 DStO Saar und § 98 DStO Schl.-Hol. entsprechen dem § 96 RDStO (vgl. III S. 259). Die übrigen landesrechtlichen Regelungen stimmen hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen ein Unterhaltsbeitrag entzogen oder herabgesetzt werden kann, mit § 96 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 bzw. § 96 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle und hinsichtlich der Beweiserhebungen, des Verfahrens und der Kosten mit § 96 Abs. 3 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 sowie hinsichtlich der Zuständigkeit der jeweiligen Disziplinarkammern mit § 96 Abs. 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 überein; so § 68 Abs. 1, 3 und 4 LDO BW, Art. 103 Abs. 1, 3 und 4 DStO Bavr., § 97 Abs. 1, 3 und 4 LDO Bln., § 96 Abs. 1, 3 und 4 DO Hmb., § 101 Abs.'l, 3 und 4 HDO, § 90 Abs. 4,3 und 2 NDO, § 103 Abs. 1, 3 und 4 DO NW und § 105 Abs. 1, 3 und 4 LDO Rh.-Pf. M
BDH 28.11. 53 — I DB 6/53 — BDHE Bd. 1 S. 83.
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§28
Veifolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs
4. K a p i t e l
Außerhalb des Dienstvergehens liegende Umstände, die eine dis2iplinarische Bestrafung ausschließen § 28. Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs1 I. A L L G E M E I N E S Ein öffentliches Interesse an einer Bestrafung im ordentlichen Strafverfahren oder Disziplinarverfahren entfällt nach Ablauf einer gewissen Zeit. Außerdem ist nach einem längeren Zeitablauf seit Begehung der Straftat oder des Dienstvergehens die Beweisführung wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Der Zeitablauf kann unabhängig vom Willen der Organe der Straf- oder Disziplinarrechtspflege kraft Gesetzes die Straf- bzw. die Disziplinargewalt beeinflussen; hierzu gehören die Verjährungsbestimmungen, wie z. B. im Strafrecht die §§ 66 ff. StGB, wonach die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach dem im Gesetz angegebenen Zeitraum nicht mehr möglich ist, ganz gleich, ob die Strafverfolgungsbehörde erst später von der Straftat Kenntnis erlangt hat oder trotz Kenntnis von der Verfehlung bewußt von einer Strafverfolgung abgesehen hat, wobei die Beweggründe hierfür keine Rolle spielen. Im letzteren Falle kann eine Bestrafung ausscheiden, weil man früher auf eine solche ausdrücklich verzichtet hat oder eine Bestrafung nach dem bisher gezeigten Verhalten des Straf- oder Disziplinarrechtspflegeorgans einen Verstoß gegen das gesunde Rechtsgefühl darstellen würde. Im Strafrecht, das von dem Sühnegedanken beherrscht ist, erscheint eine Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsverjährung durchaus angebracht; das daselbst vorherrschende Legalitätsprinzip bürgt dafür, daß im allgemeinen jedes Unrecht, das die Rechtsordnung nicht nur geringfügig gestört hat, gesühnt wird. Die Wirkung, die eine Bestrafung nach einem längeren Zeitraum nach Begehung der Tat beim Täter, dem Verletzten und allen sonstigen Staatsbürgern erzielen könnte, würde außer allem Verhältnis zu den Unsicherheiten und Schwierigkeiten stehen, die die Feststellung des Sachverhalts bietet2. Das sich aus § 152 Abs. 2 StPO ergebende Legalitätsprinzip bedingt, daß die Frage der Verwirkung oder des Verzichts im Strafrecht nicht auftaucht. Anders verhält es sich jedoch im Disziplinarrecht, das in erster Linie die Reinerhaltung des Berufsbeamtentums und die Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes bezweckt. Das in § 3 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 3 BDO i. d. F. der Novelle verankerte Opportunitätsprinzip läßt wohl zu, von einer disziplinarischen Bestrafung abzusehen, andererseits kann es das Ansehen des Beamtentums verlangen, daß ein Beamter, der erheblich gegen, die Dienstzucht verstoßen hat, disziplinarisch auch dann noch gemaßregelt werden muß, wenn seit der Begehung eines Dienstvergehens bereits ein 1 L i n d g e n , Zeitablauf, Verwirkung und Verzicht im Disziplinarrecht in DöD 1963 S. 41; Schütz, Bestrafungsverbot-Verjährung, Tilgung (Löschung)- Nichtberücksichtigung von Strafen im Disziplinar-(Dienststraf-)recht in DöD 1963 S. 81; W e i m a r , Ist die Verjährung ein Fremdkörper im Disziplinarrecht? in RiA 1962 S. 100; Steinbach, Für und wider die Verjährung im Disziplinarrecht in ZBR 1964 S. 103. 2 Vgl. L i s z t , Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 290.
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Allgemeines
§28
längerer Zeitraum verstrichen ist. Deshalb entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Disziplinargerichte, daß unter dem Gesichtspunkt der sühnenden Kraft des Zeitablaufs die Verfolgung eines Dienstvergehens nicht verneint werden darf3. Überdies liegt es nicht nur im Interesse der Dienstbehörde, sondern noch mehr in dem des Beamten, daß gegen ihn erhobene Vorwürfe auch dann noch geklärt werden, wenn sie erst nach Jahren erhoben werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Beamte nach Begehung des Dienstvergehens lange Zeit seinem Dienstherrn treu gedient hat und er wegen der gegenstandsgleichen Tat, wie ζ. B. wegen einer Bestechung nach § 331 StGB, nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden kann. Die von Weimar4 und Steinbach5 vorgetragenen Gründe, die für eine Verfolgungsverjährung sprechen sollen, sind nicht stichhaltig; sie vermengen hierbei das Reinhaltungs- mit dem Vergeltungsbedürfnis, wobei doch letzteres nur im Strafrecht anerkannt wird. Bei einem erheblichen Dienstvergehen kann das Ansehen der Beamtenschaft auch dann noch geschädigt sein, wenn die Tat erst nach mehreren Jahren bekannt geworden ist, was sich ζ. B. bei zahlreichen Verfehlungen gezeigt hat, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 begangen und erst jetzt aufgedeckt worden sind. Wenn auch bei solchen Dienstvergehen geringeren Umfanges heute kein Bedürfnis nach einer disziplinaren Ahndung besteht, so wird es jedoch im allseitigen Interesse liegen, daß die nunmehr gegen den Beamten vorgebrachten Vorwürfe, die zuweilen durch Veröffentlichung in der Presse maßlos übertrieben werden, zumindest RDH Bd. 3 S. 155, BDH 25. 6. 53 — II D 12/53 — BDHE Bd. 1, S. 50. A. a. O. S. 100. W e i m a r befürwortet die Verjährung aus folgenden Gründen: „Das Bedürfnis nach Reinerhaltung des Berufsbeamtentums wird nicht dadurch geschmälert, daß eine verjährte Beamtenbestechung auch im Disziplinarwege nicht verfolgt werden kann. Der Beamte hat in der Zwischenzeit seinem Dienstherrn und dem Volke auch ohne disziplinarrechtliche Ahndung weiter gedient. Infolge des nicht durchgeführten Disziplinarverfahrens hat der Dienstbetrieb nicht gelitten. Dem Ansehen des Berufsbeamtentums ist nicht geschadet worden. Der Zeitablauf erscheint daher als gerechtfertigte Tatsache, die nicht nur der Strafrichter, sondern auch der Disziplinarrichter zu berücksichtigen hat. Das Reinhaltungs- und Vergeltungsbedürfnis für eine bestimmte Tat als reale physische Gegebenheit verringert sich und erlischt mit einem gewissen Zeitabstand gänzlich. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden verlangen gerade, daß solche überwundenen Störungen nicht wieder aufgeführt werden. Hinzu kommt, daß nach einem Zeitablauf nach Begehung des angeblichen Dienstvergehens die Beweisführung wesentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht ist. Erfolgt die Verhängung der Disziplinarstrafe erst nach Jahren, so wird damit auch dem Zweck des Disziplinarrechts nicht mehr gedient. Die Disziplinarstrafe verliert ihren Charakter als Sühne für den Treuebruch des Beamten." 5 A. A. O. S. 104. S t e i n b a c h führt hierzu u. a. folgendes aus : „Eine Analyse des Disziplinarverfahrens zeigt, daß es den gleichen, aus den unabänderlichen Gegebenheiten der Umwelt herrührenden Einflüssen ausgesetzt ist. Auch hier bestehen gegen die Zuverlässigkeit der für die Tataufklärung wesentlichen Beweiserhebungen die gleichen nach Ablauf längerer Zeit aus der Beweisvergänglichkeit stammenden Bedenken. Die Disziplinarstrafe kann dann ebenfalls nur schwer den Zeitumständen der Tat gerecht werden. Weiter müssen auch im Disziplinarverfahren die „allgemeinen Verfassungsprinzipien" der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit Geltung besitzen. Wenn auch der Beamte auf Grund des besonderen Gewaltverhältnisses unter Umständen eine Einschränkung bestimmter Grundrechte hinnehmen muß, so kann das niemals für allgemeine Verfassungsprinzipien gelten, deren Einschränkung schlechthin unzulässig ist." S t e i n b a c h verneint einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Verjährung und Legalitätsprinzip, da die Verjährung auch bei Übertretungen durchgreift, wo das Opportunitätsprinzip anerkannt ist. S t e i n b a c h schlägt allgemein eine fünfjährige Verjährung vor; er sieht jedoch ein, daß diese Lösung nicht ideal ist. Bei solchen Dienstvergehen, die zugleich Straftaten darstellen, will er die strafrechtlichen Verjährungsvorschriften gelten lassen. 3 4
18
L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs
§28
insoweit aufgeklärt werden, als eine Beweisführung noch möglich ist. Es w i d e r s p r i c h t demnach dem Z w e c k des D i s z i p l i n a r r e c h t s , d a s e l b s t eine S t r a f v e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g z u z u l a s s e n , die die Aufklärung eines gegen den Beamten erhobenen Vorwurfes nicht mehr zuläßt, was weder im Interesse des Dienstherrn noch in dem des Beamten selbst liegen kann. Der Zeitablauf kann sich daher nur auf die Bestrafung auswirken. Trotzdem lassen, wie noch unter IV gezeigt werden wird, mehrere Länderdisziplinarordnungen eine Strafverfolgungs ver jährung zu. Im Disziplinarrecht stoßen Verjährungsbestimmungen schon deshalb auf Schwierigkeiten, weil das Disziplinarrecht festumrissene Tatbestände mit Strafdrohungen nicht kennt, so daß die Verjährungsfrist bei jeglicher Art von Dienstvergehen nur einheitlich sein kann. Aus diesem Grunde könnte eine Verjährungsfrist, die nur für leichtere Dienstvergehen gelten sollte, sich nicht nach einer Strafdrohung, sondern allein nach der an sich zu verhängenden Disziplinarstrafe richten. Da die Verhängung derselben beim Dienstvorgesetzten bzw. beim Disziplinargericht liegt, läßt es sich bei Beginn der disziplinarischen Verfolgung eines Dienstvergehens noch nicht voraussehen, ob eine Verjährung in Frage kommen kann. Ihrer rechtlichen Natur nach stellt sich die Verjährung als ein Prozeßhindernis dar, das auch nach dem Übertritt des Beamten in den Bundesdienst zu berücksichtigen ist6. Sie hat deshalb allein prozessualen Charakter'. Es wäre falsch, sie als Strafaufhebungsgrund zu beachten und sie deshalb dem materiellen Straf- bzw. Disziplinarrecht zuzuweisen8. Durch Zeitablauf kann aus Strafbarkeit niemals Straflosigkeit werden, was mit der Gerechtigkeit und Logik in Widerspruch stehen würde. Dem Begriff der Verfolgbarkeit steht der der Strafbarkeit gegenüber 9 . Bei der Strafbarkeit wird das Verhalten des Täters strafrechtlich gewertet, während es sich bei der Verfolgbarkeit um die Durchführung des der Entscheidung über die Strafbarkeit dienenden Verfahrens handelt. Da die Verjährung prozessualen Charakter trägt, kann bei einem verjährten Dienstvergehen der Beschuldigte nicht freigesprochen, sondern das Verfahren nur eingestellt werden 10 . Aus der prozeßrechtlichen Natur der Verjährung folgt vor allem, daß eine vom Gesetzgeber vorgesehene Verlängerung der Verjährungsfrist auch für die bereits laufenden Fristen gilt. Ist aber beim Inkrafttreten des neuen Rechts die bisher geltende Verjährungsfrist abgelaufen, so ist auch die Verfolgung der bereits verjährten Taten nicht mehr möglich11. Diese Frage hatte insbesondere nach dem Zusammenbruch Bedeutung, als nach verschiedenen Ländergesetzen Taten, deren Verfolgung in der Zeit zwischen 1933 und 1945 aus politischen Gründen unterblieben war, trotz inzwischen eingetretener Verjährung verfolgt werden konnten. Schon unter dem Gesichtspunkt des Stillstands der Rechtspflege war in materiell-rechtlicher Hinsicht gegen die DokBer. Nr. 1077; vgl. Schönke-Schröder Anm. II zu § 66 StGB. RGSt. Bd. 76 S. 160; BGHSt Bd. 2 S. 306 u. Bd. 8 S. 270; BGH in NJW 1952 S. 712. 8 L i s z t - S c h m i d t , S . 4 5 1 ; S c h w a r z , Anm. 1 zu §66 StGB und F r a n k , Anm. II zu § 66 StGB betrachten die Verjährung als gemischtes Rechtsinstitut, das dem materiellen Strafrecht und dem Prozeßrecht zuzuweisen ist. 9 Vgl. S c h w a r z , EinlBest. 1 Β vor § 1 StGB; Behnke, Anm. 2 zu § 2 BDO; RÜHE Bd. 1 S. 163. 1 0 Vgl. RGSt. Bd. 32 S. 251, Bd. 53 S. 276, Bd. 63 S. 321, Bd. 66 S. 328, Bd. 76 S.160. 1 1 RGSt. Bd. 76 S. 159 und S. 327; vgl. auch S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II zu § 66 StGB ; Leipziger Kommentar, Anm. 1 zu § 66 StGB. 6
7
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Geschichtliche Entwicklung
§28
Rechtsgültigkeit dieser Gesetze nichts einzuwenden 12 . Bekennt man sich zur prozessualen Natur der Verjährungsvorschriften, so bestehen schlechthin hinsichtlich solcher Vorschriften, die eine Verjährung beseitigen oder die Fristen verlängern, überhaupt keine Bedenken, daß eine Erstreckung derselben auf Straftaten, bei denen die Verjährungsfrist läuft, nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt 13 . Gegen diese Auffassung werden neuerdings Bedenken vorgebracht, weil sie zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen müsse 14 ; so verschloß sich der Bundestag im Jahre 1960, noch laufende Verjährungsfristen für die vor dem 8. Mai 1945 begangenen Straftaten zu verlängern 15 . Auf jeden Fall ist die Verjährung von Amts wegen zu beachten. Die Verjährung läuft auch nach Verkündung des Urteils weiter, solange nicht eine in vollem Umfange rechtskräftige und vollstreckbare Entscheidung vorliegt 16 . Auch das Rechtsmittelgericht hat demnach eine Verjährung zu berücksichtigen, die erst nach Verkündung des angefochtenen Urteils eingetreten ist 17 . II. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG Ob eine Verjährung von Dienstvergehen im Disziplinarrecht zweckmäßig und vertretbar ist, ist im Laufe der Zeit verschieden beantwortet worden. Vor Inkrafttreten der Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 37 kam eine Verjährung von Dienstvergehen in folgenden Ländern in Frage : 1. P r e u ß e n Nach § 15 Preuß. Beamtendienststrafordnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 59) und § 8 Preuß. RichterdienststrafOrdnung vom 27. 1. 32 (PrGS S. 79) war eine fünfjährige Verjährung vorgesehen, die mit dem Tage zu laufen begann, an dem die Verfehlung begangen war. Die Verjährung war während der Durchführung des förmlichen Disziplinarverfahrens und der Beurlaubung des Beamten aus dem Staatsdienst unterbrochen. Bei Handlungen, die nach dem allgemeinen Strafgesetz strafbar waren, konnte die disziplinarrechtliche Verjährung nicht vor Ablauf der im StGB vorgesehenen Verjährung erfolgen. Nach der Novelle zur Preuß. Beamtendienststrafordnung und Preuß. Richterdienststrafordnung vom 18. 8. 34 (PrGS S. 353) war die Verjährung von Dienstvergehen in Preußen nicht mehr zulässig. Nach Art. V a. a. O. durften jedoch Dienstvergehen, die bis zum 1.10. 34 verjährt waren, die aber vor dem 1.10. 29 begangen waren, nicht mehr verfolgt werden. Eine Verjährung sonstiger Verfehlungen über den 1. 10. 34 hinaus konnte nicht mehr eintreten. 2. B a y e r n Die Verjährungsfrist betrug bei den vor dem 1. 7. 32 begangenen Dienstvergehen nach Art. 113 des Bayrischen Beamtengesetzes vom 16. 8. 08 i. d. F. des Gesetzes vom 10. 7. 27 (GVB1. S. 227) und Art. 2 des Disziplinargesetzes für Beamte fünf Jahre. Bei Straftaten lief die Verjährung nicht vor der Verjährung der strafbaren Handlung ab. Sie wurde unterbrochen durch jede gegen 12 13 14 15 16
S. 1248. 17
18«
BGHSt. Bd. 2 S. 305. BGHSt. Bd. 4 S. 382. Vgl. amtl. Begründung zu § 127 des StGB-Entwurfs 1960. Vgl. A r n d t in NJW 1961 S. 15. RG in DRZ 1931 Nr. 39; BGH in NJW 1958 S. 1307; OLG Bremen in NJW 1956 RGSt. Bd. 23 S. 188; K G in DJZ 1926 S. 458; BayrObLG in NJW 1953 S. 1402.
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§28
Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs
den Täter gerichtete Handlung des Strafrichters, Dienststrafrichters, Untersuchungsführers und ersuchten Gerichts. 3. S a c h s e n Nach § 11 der Landesdienststrafordnung vom 19. 6. 33 waren die vor dem 1.7.27 begangenen Dienstvergehen in zehn Jahren verjährt. Bei Straftaten konnte die Verjährung nicht vor Ablauf der Verjährung der Straftat erfolgen und ruhte, wenn das Disziplinarverfahren eingeleitet war oder der Einleitung ein rechtliches Hindernis im Wege stand. 4. T h ü r i n g e n Nach § 79 des Staatsbeamtengesetzes i. d. F. der Verordnung vom 2. 5 33 trat die Verjährung der vor dem 1. 7. 27 begangenen Dienstvergehen in zehn Jahren seit Begehung der Tat oder in drei Jahren seit Kenntnis der Tat durch den Dienstvorgesetzten ein. Handelte es sich um eine strafbare Handlung, so trat die Verjährungsfrist des StGB an die Stelle der o. a. Verjährungsfrist. War die disziplinarische Verfolgung auf Grund gesetzlicher Vorschriften nicht möglich, so ruhte die Verjährungsfrist. Eine Unterbrechung der Verjährung trat ein bei jeder Handlung im förmlichen Disziplinarverfahren oder jeder richterlichen Handlung im Strafverfahren, die gegen den Täter wegen der begangenen Tat gerichtet war. 5. B r a u n s c h w e i g Nach § 31 des Staatsbeamtengesetzes vom 30. 11. 30 (GVB1. S. 205) trat die Verjährung bei den vor dem 30. 11. 30 begangenen Dienstvergehen in zehn Jahren, wenn die Verfolgung auf Dienstentlassung gerichtet war, sonst in fünf Jahren ein. Im übrigen galt die gleiche Regelung wie in Thüringen. 6. R e i c h § 16 des Reichsratsentwurfs vom 12. 11. 31 sah eine Verfolgungsverjährung von fünf Jahren vor. Die Verjährung sollte mit dem Tage beginnen, an dem die Verfehlung begangen war, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Erfolges. Solange das förmliche Dienststrafverfahren wegen der Verfehlung gegen den Beamten anhängig war, sollte die Verjährung ruhen. Verstieß die Verfehlung gegen ein Strafgesetz, so sollte die Verfolgung des Dienstvergehens nicht früher als die Straftat verjähren. Die Reichsdienststrafordnung vom 26.1. 37 (RGBl. I S. 71) ließ grundsätzlich eine Verjährung von Dienstvergehen nicht zu. Lediglich in § 115 Abs. 1 RDStO war eine Ausnahme für Dienstvergehen vorgesehen, die bei Inkrafttreten der RDStO, also am 1. 7. 37, bereits verjährt waren. Noch nicht abgelaufene Verjährungsfristen konnten nach Inkrafttreten der RDStO jedoch nicht mehr vollendet werden. In den Fällen, wo eine Verjährung nicht mehr in Betracht kam oder die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war, konnte der Zeitablauf nur strafmildernd berücksichtigt werden. 7. V e r e i n i g t e s W i r t s c h a f t s g e b i e t Nach § 15 Abs. 1 des Gesetzes des Wirtschaftsrats vom 12. 8. 49 (WiGBl. S. 253), das für Beamte des Vereinigten Wirtschaftsgebietes galt, war eine Ver276
Geschichtliche Entwicklung
§28
folgung eines Dienstvergehens nach Ablauf von fünf Jahren seit Begehung nur dann zulässig, wenn dieses eine Entfernung aus dem Dienst, eine Aberkennung des Ruhegehaltes oder eine Kürzung des Gehalts oder des Ruhegehalts gerechtfertigt hätte. Nach dieser Bestimmung handelte es sich bei den sog. Bagatell-Dienstvergehen um eine echte StrafverfolgungenVerjährung, weil hier bereits die Erhebung von Vorermittlungen ausschied. 8. L ä n d e r Auf landesrechtlicher Ebene sah das Dienstordnungsgesetz von Nordrhein-Westfalen vom 23. 3. 50 (GVB1. S. 52) in § 4 vor, daß Dienstordnungsmittel nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr angewandt werden konnten, wobei die Verjährung mit dem Tage begann, an dem die Verfehlung begangen worden war. Durch die Einleitung einer förmlichen Untersuchung wurde die Verjährung unterbrochen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 a. a. O.). Verstieß die Dienstpflichtverletzung auch gegen ein Strafgesetz, so verjährte die Verfolgung der Dienstpflichtverletzung nicht früher als die Straftat ( § 4 Abs. 2 a. a. O.). Hiernach handelt es sich also um eine Verfolgungsverjährung. 9. B u n d Durch das ÄndGes. vom 28. 11. 52 (BGBl. I S. 749, 761) wird in § 3 Abs. 2 BDO bestimmt, daß eine Bestrafung nicht mehr zulässig ist, wenn seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Hierbei handelt es sich um keine Verjährungsvorschrift, sondern lediglich um ein Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs. Mit der tilgenden Kraft des Zeitablauf befasste sich auch Art. 4 Satz 2 des ÄndGes. 1952. Hiernach können Dienstvergehen, die vor dem 1. 10. 48 begangen worden sind und keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätten, nicht mehr verfolgt werden. Bei dieser Bestimmung handelte es sich ebenso wie bei § 67 StGB um eine echte VerjährungsVorschrift, bei der bereits die Strafverfolgung unzulässig ist. Durch die Novelle zur BDO wird auch die Bestimmung, die ein Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs vorsieht, insofern geändert, als nunmehr auch solche Dienstvergehen darunter fallen, die eine Ahndung — abgesehen von der Höchststrafe oder der für den Beschuldigten nächstniedrigeren Disziplinarstrafe — mit jeder sonstigen Disziplinarstrafe rechtfertigen würden. § 3 a BDO i. d. F. der Novelle hat folgenden Wortlaut: 1. Sind seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nicht mehr zulässig. 2. Sind seit einem Dienstvergehen oder einer als Dienstvergehen geltenden Handlung, die eine schwerere Disziplinarstrafe als Geldbuße, aber die nicht die Höchststrafe oder die für den Beschuldigten nächstniedrigere Diszipli- narstrafe rechtfertigen, mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nur zulässig, wenn bei Ablauf der Frist ein förmliches Disziplinarverfahren wegen der Dienstpflichtverletzung eingeleitet ist. Ist bei Ablauf der Frist wegen derselben Tat ein Strafverfahren eingeleitet, so ist die Frist für die Dauer des Strafverfahrens gehemmt.
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i n . BESTRAFUNGSVERBOT Sind seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nicht mehr zulässig ( § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). Eine Erweiterung des Bestrafungsverbots enthält § 3a BDO i. d. F. ι er Novelle, indem nunmehr auch bei schwereren Dienstvergehen eine Bestrafung nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr zulässig sein soll. Ist keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt und sind seit dem Dienstvergehen mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung schlechthin unzulässig (§ 3 a Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle). Handelt es sich um sonstige Strafe — abgesehen von der Höchststrafe und der nächstniedrigeren Disziplinarstrafe —, ist eine Bestrafung bei einem Dienstvergehen oder einer als Dienstvergehen geltenden Handlung nur dann unzulässig, wenn mehr als fünf Jahre verstrichen sind und bei Ablauf der Frist ein förmliches Disziplinarverfahren nicht eingeleitet ist, oder wegen derselben Tat ein Strafverfahren nicht schwebt. Lediglich sehr schwere Dienstvergehen, die die Höchststrafe oder die nächstniedrigere Disziplinarstrafe rechtfertigen, sollen nicht unter das Bestrafungsverbot fallen. 1. Sind seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nicht zulässig. 2. Sind seit einem Dienstvergehen oder als Dienstvergehen geltenden Handlung, die eine schwerere Disziplinarstrafe als Geldbuße, nicht aber die Höchststrafe oder die für den Beschuldigten nächstniedrigere Disziplinarstrafe rechtfertigt, mehr als fünf Jahre verstrichen, so ist eine Bestrafung nur zulässig, wenn bei Ablauf der Frist ein förmliches Disziplinarverfahren wegen der Dienstpflichtverletzung eingeleitet ist. Schwebt ein Strafverfahren, so ist die Frist gehemmt. A. Keine Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung auf Grund § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle sehen nur ein Bestrafungsverbot — nicht jedoch eine Verfolgungs verjährung — vor. Aus diesem Grunde sind beim Verdacht eines Dienstvergehens ohne Rücksicht auf die voraussichtliche Bestrafung in jedem Falle V o r e r m i t t l u n g e n d u r c h z u f ü h r e n . Erst nach Abschluß der Vorermittlungen kann das Disziplinarorgan darüber entscheiden, ob mit Rücksicht auf die voraussichtliche Bestrafung von einer weiteren Durchführung des Disziplinarverfahrens abgesehen werden kann. Der Dienstvorgesetzte kann, sofern er nicht selbst Einleitungsbehörde ist, trotz des Bestrafungsverbots des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle die Akten an die Einleitungsbehörde zur Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens übersenden, die wiederum eine Untersuchung anordnen kann 18 . Hält die Einleitungsbehörde nach Abschluß der Untersuchung eine Bestrafung mit einer nur im förmlichen Disziplinarverfahren zu verhängenden 18
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Schütz in DöD 1961 S. 181 und DöD 1963 S. 83.
Bestrafungsverbot
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Disziplinarstrafe und nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO mit der Höchststrafe oder der nächstniederen Disziplinarstrafe nicht für gerechtfertigt, so hat sie das Verfahren unter Beachtung des Bestrafungsverbots des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle einzustellen; andernfalls übersendet sie die Akten dem Bundesdisziplinaranwalt. Dem Disziplinargericht bleibt es dann trotzdem unbenommen, das Verfahren unter Beachtung des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle einzustellen, wenn es die eben genannten Strafen nicht für angebracht hält und seit Begehung der Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind. Ebenso ist trotz des Bestrafungsverbots des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle dem Antrag des Beamten auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst näherzutreten19. Weiterhin sieht § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle keine Strafvollstreckungsverjährung entsprechend dem § 70 StGB vor. Eine Strafvollstreckungsverjährung scheidet im Disziplinarrecht ganz allgemein aus 20 . B. Voraussetzungen für ein Bestrafungsverbot Eine Bestrafung kommt nicht in Frage, wenn es sich nach einem Zeitablauf von fünf Jahren um ein Dienstvergehen handelt, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte (vgl. § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952). § 3 a Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle erweitert den Kreis der Dienstvergehen, indem eine Bestrafung ausscheidet, wenn es sich um ein Dienstvergehen oder eine als Dienstvergehen geltende Handlung handelt, die eine schwerere Disziplinarstrafe als Geldbuße, aber nicht die Höchststrafe oder die für den Beschuldigten nächstniedrigere Disziplinarstrafe rechtfertigen würde. Für den aktiven Beamten ist die Höchststrafe die Entfernung aus dem Dienst und die nächstniedrigere Disziplinarstrafe die Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. Für den Ruhestandsbeamten sind die Höchststrafe die Aberkennung des Ruhegehaltes und nach der Novelle zur BDO die nächstniedrigere Disziplinarstrafe die Herabsetzung des Ruhegehalts, sofern es sich aus einem Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt errechnet. Sind mit Rücksicht auf die Schwere des Dienstvergehens die eben genannten Disziplinarstrafen gerechtfertigt, so entfällt eine Bestrafung auch nach der in § 3 a BDO i. d. F. der Novelle genannten Frist nicht. Mit Rücksicht auf die negative Fassung des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle soll ausgeschlossen werden, daß eine geringere Disziplinarstrafe auch dann als gerechtfertigt angesehen wird, wenn eine schwerere angemessen wäre 21 . Die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises, der Geldbuße und nach der Novelle zur BDO auch der Gehaltskürzung, der Kürzung des Ruhegehalts, der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe müssen nicht nur gerechtfertigt, sondern 1 9 DiszSenat OVG Münster 30.12. 60 — Y 1/60 — in DöD 1961 S. 195 = OVGE Bd. 16 S. 143 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 638; Schütz in DöD 1963 S. 83; a. M. D ö r i n g in DVB1.1962 S. 505. 20 BDH 11. 9. 59 — I DV 6/59 — ZBR 1960 S. 206 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 395 = DöD 60 S. 77. 2 1 Behnke, Anm. 12 Abs. 2 zu § 3 BDO.
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auch ausreichend erscheinen, wenn von einer Bestrafung abgesehen werden soü. Wenn auch bei solchen Dienstvergehen, die so schwerwiegend sind, daß nach § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 eine Strafe verhängt werden muß, die nur im förmlichen Disziplinarverfahren ausgesprochen werden muß, und nach § 3 a Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle nur die Höchststrafe oder die nächstniedrigere Disziplinarstrafe verhängt werden kann, das Bestrafungsverbot ausscheidet, so können solche Verfehlungen aus weit zurückliegender Zeit, selbst wenn sie nach ihrer Begehung die eben genannten Strafen zur Folge gehabt haben würden, in einem viel später zum Abschluß gelangten Disziplinarverfahren im allgemeinen nicht mehr mit der gleichen Schärfe ins Gewicht fallen 22 . Hat allerdings ein Beamter gegen die elementarsten Pflichten schwerstem gefehlt, hat ζ. B. ein Post- oder Eisenbahnbeamter sich am Beförderungsgut vergriffen, so gilt die sühnende Kraft des Zeitablaufs nur bedingt 23 ; in einem solchen Falle kann die lange Dauer des Disziplinarverfahrens nicht strafmildernd berücksichtigt werden24. Gleiches gilt auch dann, wenn das Dienstvergehen ein Verbrechen darstellt. So kann ζ. B. bei wiederholten Unzuchtshandlungen gegenüber einer minderjährigen Stieftochter des Beschuldigten keine Strafmilderung eintreten, selbst wenn die Handlungen mehr als zehn Jahre zurückliegen24». Nach § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle kommt eine Bestrafung bei den Bagatelldienstvergehen dann nicht in Frage, wenn seit dem Dienstvergehen füjif Jahre verstrichen sind. Von wann ab die Frist rechnet, ist in der BDO nicht gesagt. Einen Anhaltspunkt gibt hier § 67 Abs. 4 StGB. Hiernach b e g i n n t die F r i s t f ü r das B e s t r a f u n g s v e r b o t mit dem T a g e , an welchem die H a n d l u n g b e g a n gen ist ohne R ü c k s i c h t auf den Z e i t p u n k t des e i n g e t r e t e n e n E r f o l g e s 2 5 . Würde zum Dienstvergehen der Eintritt eines bestimmten Erfolges gehören, wie ζ. B. bei einer betrügerischen Handlung der Eintritt des Vermögensschadens, so würde die Frist erst vom Zeitpunkt dieses Erfolges an zu laufen beginnen26. Handelt es sich um ein Unterlassungsdelikt, so ist der Tag maßgebend, der für die Vornahme der Handlung durch Gesetz oder Anordnung als Frist gesetzt war. War keine Frist gesetzt, so muß festgestellt werden, an welchem Tage der Beamte spätestens handeln mußte, ohne sich dem Vorwurf der Begehung eines Dienstvergehens auszusetzen. So besteht ζ. B. die Verpflichtung eines Beamten, seiner vorgesetzten Dienststelle Anzeige über einen Vorgang zu machen, so lange fort, bis die Dienststelle Kenntnis von dem Vorfall erlangt hat; hier beginnt die Frist des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle erst von diesem Zeitpunkt ab zu laufen27. Bei im Fort22 PrOVG 23.11. 28 — D. U. 26/28 — PrOVG Bd. 83 S. 442 = P e r w o , S. 225 (226): hier handelt es sich um ein bereits 25 Jahre zurückliegendes Dienstvergehen ; vgl. auch ODOG Münster 15. 2. 53 — IV 12/52 — OVGE Bd. 7 S. 57. 23 BDH 25. 6. 53 — II D 12/53 — B D H E Bd. 1 S. 50; BDH 12. 8. 53 — I D 58/53 — B D H E Bd. 1 S. 48 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 10; BDH 12. 2. 60 — I D 57/58 — ZBR 1960 S. 361 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 403. 24 BDH 21. 12. 55 — III D 37—38/54 —. 2 4 " DokBer. Nr. 1851. 26 PrOVG 4. 10. 32 — I. D. 60/30 PrOVG Bd. 90 S. 421 = P e r w o , S. 300. 28 Vgl. RGSt. Bd. 42 S. 173. 2 7 BDH 29.12. 58 — III DV 9/55 — BDHE Bd. 5 S. 64 = L i n d g e n , a. a. O. Nr. 498 (LS).
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setzungszusammenhang begangenen Handlungen beginnt die Fünfjahresfrist erst von dem Augenblick an zu laufen, an dem die letzte Teilhandlung begangen ist, da, wie bereits gezeigt ist, Teilhandlungen nicht selbständig verjähren können28. Stellt ζ. B. das Dienstvergehen eine Bestechung dar, so würde die Frist erst mit der letzten Vorteilsnahme beginnen. Ist nicht feststellbar, wann die Tat begangen ist, so schlägt der Zweifel, ob sie wegen Zeitablaufs nicht mehr geahndet werden kann, zugunsten des Beschuldigten aus 29 . Bei mehreren dienstlichen Verfehlungen rechnet die Frist bei den einzelnen Verfehlungen getrennt, wenn sie eine gewisse Selbständigkeit aufweisen 30 . Insoweit wird der Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens durchbrochen, da ansonsten § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novellein zahlreichen Fällen bedeutungslos würden. Hat sich ζ. B. der Beschuldigte einer Amtsunterschlagung schuldig gemacht und hat er außerdem gegen die Dienstzucht dadurch verstoßen, daß er einen Kollegen beleidigt und hierdurch den Betriebsfrieden gestört hat, so erlangt letztere Verfehlung gegenüber der Amtsunterschlagung eine Selbständigkeit, so daß hier eine Bestrafung ausscheidet, wenn mehr als fünf Jahre seit ihrer Begehung zurückliegen und deswegen nicht die Höchststrafe oder die nächstniedrigere Strafe gerechtfertigt wäre. Handelt es sich um ein in Fortsetzungszusammenhang begangenes Dienstvergehen, wie ζ. B. um ein ehebrecherisches Verhältnis, so können Teilhandlungen nicht selbständig verjähren 31 . Dieser sich aus der Natur der fortgesetzten Handlung für die Verjährung ergebende Grundsatz gilt auch für das Bestrafungsverbot des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle 32 . Erscheint nur die Bestrafung mit einer Warnung, einem Verweis oder einer Geldbuße gerechtfertigt, so ist es gleichgültig, ob bei Ablauf der Frist ein förmliches Disziplinarverfahren wegen der Pflichtverletzung eingeleitet ist oder ein Strafverfahren schwebt. Ist hingegen eine höhere Strafe als eine Geldbuße gerechtfertigt, so ist eine Bestrafung zulässig, wenn bei Fristablauf ein förmliches Disziplinarverfahren wegen der Dienstpflichtverletzung eingeleitet ist oder ein Strafverfahren schwebt und eine Bestrafung bei einem aktiven Beamten mit einer Gehaltskürzung, der Versagung des Aufsteigens im Gehalt oder der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe und bei einem Ruhestandsbeamten mit einer Kürzung des Ruhegehalts in Frage kommen soll (vgl. § 3 a Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle). Ob durch die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens die Fünfjahresfrist unterbrochen oder nur aufgeschoben wird, ist unbeachtlich, da das förmliche Disziplinarverfahren nur mit einer Verurteilung, einem Freispruch oder einer Einstellung enden kann und demnach die Frage nach einer erneuten Strafverfolgung nach rechtskräftigem Abschluß des förmlichen Disziplinarverfahrens ohne Bedeutung ist. Handelt es sich um eine unwirksame Einleitung des Disziplinarverfahrens, hat ζ. B. die unzuständige Einleitungsbehörde das förmliche DisziplinarverRDH Bd. 1 S. 140; vgl. auch BGHSt. Bd. 1 S. 84 (91). BGH 19. 2. 63 — 1 StR 318/62 — in NJW 1963 S. 1209. 30 BDH 12.10. 60 — II D 15/60 — in ZBR 1961 S. 386; BDH 18.11. 55 — I D 42/54 — BDHE Bd. 3 S. 180 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 319. 3 1 RDH Bd. 1 S. 140 (142); BGHSt. Bd. 1 S. 84 (91). 32 BDH 21. 8. 53 — II D 15/53 — BDHE Bd. 1 S. 32; Behnke, Anm. 13 zu § 3 BDO, Anm. 9 zu § 2 BDO. 28
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fahren eingeleitet, so läuft die Fünfjahresfrist des § 3 a Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle weiter33. Abgesehen vom förmlichen Disziplinarverfahren gibt es sonst keine anderen Umstände, wie etwa das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ( § 6 0 BBG) oder die Durchführung von Vorermittlungen, die die Fünfjahresfrist unterbrechen könnten. Ein eingeleitetes Strafverfahren hemmt hingegen die Frist (vgl. § 3a Abs. 2 B D O i. d. F. der Novelle). Die Fünfjahresfrist des § 3 Abs.2 BDO, § 3a Abs.l BDO i.d.F. der Novelle darf bei Zustellung der Disziplinarverfügung noch nicht abgelaufen sein. Da die Disziplinarverfügung mit ihrer Zustellung wirksam wird und im Falle der Einlegung einer Beschwerde hiergegen die Beschwerdeentscheidung keine Ausübung der Disziplinargewalt darstellt, hat die Frist des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a Abs.l B D O i.d.F. der Novelle für das Beschwerdeverfahren keine Bedeutung34. Dies gilt auch für die Vollstreckung der Disziplinarstrafe, die auch noch nach Ablauf der Fünfjahresfrist durchgeführt werden kann34. Wird dagegen die Disziplinarverfügung durch den höheren Dienstvorgesetzten oder die oberste Dienstbehörde nach Ablauf der Fünfjahresfrist nach § 27 Abs. 2 BDO, BDO i.d.F. der Novelle verschärft, so ist dies unzulässig, weil es sich hier um die erneute Ausübung der Disziplinargewalt handelt35. Auch jede sonstige Änderung der Disziplinarverfügung im Beschwerdeverfahren stellt die Ausübung erneuter Disziplinargewalt dar und ist deshalb nach Ablauf der Frist des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a B D O i. d. F. der Novelle unzulässig. Der Dienstvorgesetzte übt selbst dann neue Disziplinargewalt aus, wenn er eine Geldbuße nur ermäßigt oder in eine Warnung oder einen Verweis umwandelt; denn auch in diesen Fällen beschränkt er sich nicht auf die Nachprüfung, ob die ursprüngliche Verfügung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens, d. h. bei Zustellung an den Beschuldigten, rechtmäßig gewesen ist, sondern macht von seinem Ermessen Gebrauch36. Dürfen einzelne der noch bewerteten Pflichtverletzungen wegen Zeitablauf nicht geahndet werden, so muß die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung aufgehoben werden, wenn die verbleibenden Verfehlungen die Strafe nicht mehr rechtfertigen37. War die Disziplinarverfügung noch vor Ablauf der Fünfjahresfrist zugestellt, so muß das Disziplinargericht im Antiagsverfahren die Disziplinarverfügung hinsichtlich der restlichen Verfehlungen, die nicht unter das Bestrafungsverbot des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a B D O i. d. F. der Novelle fallen, aufrechterhalten, wenn diese die festgesetzte Disziplinarstrafe rechtfertigen und nicht erkennbar ist, daß der Dienstvorgesetzte bei Wegfall der unter das Bestrafungsverbot fallenden dienstlichen Verfehlungen von einer Disziplinarstrafe ganz abgesehen oder nur eine geringere verhängt hätte38. Sonst muß die Disziplinarverfügung aufgehoben werden39. BavrDStH 16. 8. 59 in VGHnF 12 III 13. BDH 26. 6. 58 — II DV 1/58 — BDHE Bd. 4 S. 124 = L i n d g e n , Teil IV Nr.382; BDH 11. 9. 59 — I DV 6/59 — ZBR 1960 S. 206 = L i n d g e n , TeilIV Nr. 395 = DöD 1960 S. 77; B e h n k e , Anm. 12 Abs. 2 zu § 3 BDO. 3 6 DiszSenat beim OVG Münster 28. 9. 56 — X 7/55 — OVGE (DiszSenat) Bd. 1 S. 3 L i n d g e n , Teil IV Nr. 628; Behnke, Anm. 12 Abs. 2 zu § 3 BDO. 38 Α. M. Schütz, Anm. 5 Abs. 3 zu § 29 DONW. 37 DiszSenat beim OVG Münster 2. 10. 61 — Y 8/61 — L i n d g e n . T e i l l V Nr. 659 (LS). 3 8 DiszSenat OVG Münster 8. 8. 61 in ZBR 1961 S. 254; a. M. DH Rheinland-Pfalz 13. 3. 59 in AS Bd. 7 S. 175. 39 DiszSenat OVG Münster 2.10. 61 — Y 8/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 659 (LS). 33
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Verjährung nach Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952
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C. Auswirkungen des Bestrafungsverbots Das Bestrafungsverbot des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle ist von sämtlichen Disziplinarorganen, also von Dienstvorgesetzten, Einleitungsbehörde, Bundesdisziplinaranwalt und den Disziplinargerichten, in jeder Lage des Verfahrens unabhängig von der Bewertung des Dienstvergehens in der Vorinstanz zu beachten40. Hat das Gericht der 1. Instanz eine Pflichtverletzung festgestellt, diese aber unberücksichtigt gelassen, weil der wegen Zeitablaufs nach § 3 Abs. 2 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle beschränkte Strafrahmen eine Bestrafung nicht zuließ, so kann im Falle der Berufungseinlegung durch den Bundesdisziplinaranwalt der Bundesdisziplinarhof — das Bundesverwaltungsgericht — zu einer strengeren Bewertung des Dienstvergehens gelangen und bei § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 eine der in § 11 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 genannten Strafen und bei § 3a BDO i.d.F. der Novelle die Höchststrafe oder die nächstniedrigere Strafe verhängen. Ist in einem Urteil der Kammer zu einem von mehreren Anschuldigungspunkten zwar eine Pflichtverletzung festgestellt worden, diese aber bei der Festsetzung des Strafmaßes unberücksichtigt geblieben, weil der wegen Zeitablaufs nach § 3 Abs.2 BDO, § 3a BDO i.d.F. der Novelle beschränkte Strafrahmen eine Bestrafung nicht zuläßt, erstreckt sich bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung des Beschuldigten die Überprüfung des Strafmaßes durch das Berufungsgericht auf alle in erster Instanz festgestellten Pflichtverletzungen41. Da es sich bei § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle um eine Vorschrift mit rein prozessualen Charakter handelt, ist, wie bereits unter I gezeigt ist, der Beschuldigte nicht freizusprechen, sondern das Verfahren lediglich einzustellen. Aber selbst wenn das Disziplinarverfahren wegen Zeitablaufs eingestellt ist, kann das nicht mehr verfolgbare Dienstvergehen bei der Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten bei der Strafzumessung anläßlich der Aburteilung eines anderen Dienstvergehens herangezogen werden 42 . IV. VERJÄHRUNG NACH ART. 4 SATZ 2 ÄNDGES. 1952 Nach Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 kann ein Dienstvergehen, das vor dem 1. 10. 48 begangen worden ist und keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, nicht mehr verfolgt werden. Bei Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 handelt es sich um eine e c h t e V e r j ä h r u n g s v o r s c h r i f t , da hiernach nicht nur eine Bestrafung, sondern bereits eine Verfolgung unzulässig ist42». Die Bestimmung dürfte nahezu gegenstandslos sein, weil sie nur die ausgesprochenen Bagatell-Dienstvergehen erfaßt, nämlich solche Pflichtverletzungen, die nur eine Bestrafung mit einer Warnung, einem Verweis oder einer Geldbuße rechtfertigen, die also im wesentlichen im Disziplinarverfügungsverfahren geahndet werden können. Nach einem Zeitablauf von mehr als 19 Jahren dürfte die Ausübung der Disziplinargewalt Schütz in DóD 1959 S. 181 (186), 1961 S. 87 (91) und 1963 S. 83. BDH 30. 5. 56 — I D 133/54 — BDHE Bd. 3 S. 243. 42 Behnke, Anm. 13 zu § 3 BDO. 42 » A. M. BDH in DokBer. Nr. 1889 und BDHE Bd. 3 S. 243 (246), wonach es sich bei Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 nur um ein Bestrafungsverbot handelt. 40
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Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs
bei solchen Bagatell-Pflichtverletzungen kaum noch in Erwägung gezogen werden, so daß es einer gesetzlichen Bestimmung, die eine Verfolgung solcher Verstöße nunmehr verbietet, kaum noch bedarf. Die Frage der Anwendung des Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 wird im allgemeinen nur dann von Bedeutung sein, wenn sich der Beamte mehrere Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lassen und eine derselben unter diese Verjährungsbestimmung fällt. Hierbei ist der Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens zu beachten. Hat die zu bewertende Verfehlung keine gewisse Selbständigkeit, hat ζ. B. der Beschuldigte falsche Angaben über die frühere politische Zugehörigkeit zu einer Partei in einem im Jahre 1947 ausgefüllten Meldebogen gemacht und später gleichfalls die Wahrheitspflicht verletzt, wobei also die Verfehlungen auf der gleichen Linie liegen, so kommt Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 nicht zur Anwendung 42 ». Bezüglich der Beachtung des Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 durch die Disziplinarorgane gilt das unter A Gesagte entsprechend. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Das Länderdisziplinarrecht weicht bei der Regelung der Dienstvergehen, die bereits längere Zeit seit ihrer Begehung zurückliegen, vom Bundesdiszipünarrecht erheblich ab. An die Regelung des § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. des ÄndGes. 1952 hält sich im vollen Umfange lediglich § 3 Abs. 2 DO NW. Bei der Berechnung der in § 3 Abs. 2 DO NW genannten Frist ist der Tag, an dem die Handlung begangen ist, nach DVO zu § 3 DO NW einzurechnen. § 3 Abs. 2 LDO Rh.-Pf. unterscheidet sich von § 3 Abs. 2 BDO i.d F. des ÄndGes. 1952 nur insoweit, als die Frist lediglich drei Jahre beträgt. Nur ein Bestrafungsverbot kennt ferner § 3 Abs. 2 Satz 1 HDO. Hiernach ist eine disziplinarische Bestrafung nach Ablauf von fünf Jahren bei sämtlichen Dienstvergehen unzulässig, es sei denn, daß auf die Höchststrafe, nämlich auf Entfernung aus dem Dienst oder auf Aberkennung des Ruhegehaltes, zu erkennen wäre. ( § 3 Abs. 2 Satz 2 HDO). Diese FünfJahresfrist ruht jedoch, solange das förmliche Disziplinarverfahren anhängig, auf eine Beschwerde nach § 27 HDO noch nicht entschieden oder die Frist des § 28 HDO noch nicht abgelaufen ist; der Beginn der Frist wird also in den genannten Fällen hinausgeschoben oder der Weiterlauf einer bereits begonnenen Frist gehemmt, wobei nach Aufhören des Ruhens die Frist weiterläuft, so daß der bereits abgelaufene Teil der Frist nicht seine Bedeutung verliert. Verstößt die Verfehlung gegen ein Strafgesetz, so endet die Fünfjahresfrist nicht vor der Verjährung der Straftat ( § 3 Abs. 2 Satz 3 HDO). Letztere Bestimmung, die keine Verjährung nach sich zieht, sondern die Frist für das Bestrafungsverbot in Einklang mit den strafrechtlichen Verjährungsfristen bringt, dürfte nicht erforderlich sein, da die Strafverfolgung von Vergehen, die im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatigen Gefängnisstrafe bedroht sind, ohnehin gleichfalls in fünf Jahren verjährt, wobei auch hier die Verjährung mit dem Tage beginnt, an welchem die Handlung begangen worden ist( vgl. § 67 Abs. 2 und 4 StGB). Handelt es sich um ein Verbrechen, wo die Verjährungsfrist je nach der Strafandrohung zwischen 10 und 20 Jahren beträgt, wird grundsätzlich bei einem Beamten, sofern er nicht wegen Verurteilung zu einer Zucht42b
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DokBer. Nr. 1889.
Landesrechtliche Regelung
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hausstrafe ohnehin automatisch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet (vgl. § 48 BBG), im Disziplinarverfahren auf die Höchststrafe erkannt werden, da ein Beamter infolge Begehens einer strafbaren Handlung, die an sich mit Zuchthaus bedroht wird, sich als so ehrlos erweist, daß seinen Arbeits kameraden nicht mehr zugemutet werden kann, auch fernerhin mit ihm zusammenzuarbeiten. Die strafrechtliche Verjährung wird durch jede Handlung des Strafrichters unterbrochen, die gegen den Täter wegen der begangenen Straftat gerichtet ist; danach beginnt die strafrechtliche Verjährungsfrist neu zu laufen. Ruht die Verjährung, so ist der Beginn oder der Weiterlauf der Frist für die Ruhensdauer gehemmt. Mit der Rechtskraft des Strafurteils endet die Frist für die strafrechtliche Verfolgung, so daß die für die Verfolgungs verjährung der Straftat maßgebende Frist von nun an die Verjährung des Dienstvergehens nicht mehr beeinflussen kann 43 . Die disziplinarrechtliche Bestrafung kann nun nur noch dann erfolgen, wenn die im Disziplinargesetz genannte Frist noch nicht abgelaufen ist44. Gleichfalls nur ein Bestrafungsverbot kennt ferner § 3 Abs. 2 Satz 1 LDO Bln. Eine Bestrafung ist nicht mehr zulässig, wenn seit einem Dienstvergehen, das 1. keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als fünf Jahre 2. eine schwerere als die in Nr. 1 genannten Disziplinarstrafen mit Ausnahme der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts gerechtfertigt hätte, mehr als zehn Jahre, verstrichen sind. Der Lauf der Frist ist nach § 3 Abs. 2 Satz 2 a. a. O. gehemmt, solange das Verfahren nach den §§16 oder 17 a. a. O. ausgesetzt ist. Eine echte Verfolgungs Verjährung kennen die Disziplinargesetze von Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in einem beschränkten Ausmaß auch Baden-Württemberg. § 3 Abs. 3 DStO Brm., § 3 Abs. 2 DO Hmb. und § 15 Abs. 1 DStO Schi.-Hol kennen eine Verfolgungs verjährung bei sämtlichen Dienstvergehen. Die Verjährungsfrist beträgt einheitlich fünf Jahre. Der Beginn der Verjährung ist verschieden geregelt. Nach der Bremer und Schleswig-Holsteinschen Regelung beginnt die Verjährung mit dem Tage, an dem die Verfehlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. Nach der Hamburger Disziplinarordnung beginnt die Verjährung a) bei Dienstvergehen, die keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße rechtfertigen, mit dem Tage, an dem die Verfehlung begangen worden ist, b) bei anderen Dienstvergehen mit dem Tage, an dem die Einleitungsbehörde Kenntnis von der Verfehlung erlangt hat. Verstößt die Verfehlung gegen ein Strafgesetz, so verjährt nach diesen drei Disziplinarordnungen die Verfolgung des Dienstvergehens nicht früher als die Straftat. Hier gibt das für die Hessische Disziplinarordnung Gesagte gleichfalls. Solange das förmliche Disziplinarverfahren wegen der Verfehlung gegen den Beamten anhängig oder solange der Beamte aus dem öffentlichen Dienst 43 44
BayrDStH 16. 8. 59 in VGHnF 12 III 13. W i t t l a n d , RVB1.1932 S. 625; Schütz in DöD 1963 S. 84.
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§28
Verfolgungs- und Bestrafungsverbot infolge Zeitablaufs
beurlaubt ist, ruht nach der Bremer und Schleswig-Holsteinschen Regelung die Verjährung. Durch die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wird nach der Hamburger Disziplinarordnung die Verjährung unterbrochen, d. h. der bisher abgelaufene Teil der Verjährungsfrist wird bedeutungslos, und es beginnt nach der Einstellung oder sonstigen Beendigung des Disziplinarverfahrens eine neue Verjährung, sofern dann nicht die materielle Rechtskraft der disziplinargerichtlichen Entscheidung einer erneuten Verfolgung des Dienstvergehens entgegensteht. Sind an dem Dienstvergehen mehrere beteiligt, so richtet sich die Unterbrechung nur gegen denjenigen, gegen den das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet ist45. In sachlicher Hinsicht erstreckt sich die Unterbrechung bei einer Mehrheit von Handlungen nur auf solche, die miteinander in einem engen Zusammenhange stehen, also auf fortgesetzte Handlungen, wie ζ. B. auf die einzelnen ehelichen Verfehlungen46. Erlangen die Handlungen jedoch eine gewisse Selbständigkeit, so erstreckt sich die Unterbrechun g nur auf die Handlung, derentwegen das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. § 4 Abs. 1 NDO kennt eine fünfjährige Verjährungsfrist lediglich bei solchen Dienstvergehen nicht, die mit der Höchststrafe, nämlich der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts, zu ahnden sind. Die Verjährung ruht, solange ein wegen der Verfehlung gegen den Beamten eingeleitetes förmliches Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen oder der Beamte aus dem öffentlichen Dienst beurlaubt ist oder solange ihm die Führung seiner Dienstgeschäfte wegen der Verfehlung verboten ist (§ 4 Abs. 2 a. a. O.). Verstößt die Verfehlung auch gegen ein Strafgesetz, so verjährt die Verfolgung des Dienstvergehens nicht früher als die der Straftat ( § 4 Abs. 3 a. a. O.). Hinsichtlich der Verjährungsvorschriften weisen die landesrechtlichen Bestimmungen von Baden-Württemberg und Bayern gegenüber dem übrigen Landesrecht eine Eigenwilligkeit insofern auf, als sie in einem gewissen Umfange das Rechtsinstitut des Verzichts anerkennen. So kann nach § 3 Abs. 2 LDO BW ein Dienstvergehen nicht mehr verfolgt werden, wenn die zuständige Dienstbehörde innerhalb von zwei Jahren, nachdem sie Kenntnis von dem Dienstvergehen erlangt hat, weder eine Disziplinarverfügung erlassen noch ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet hat. Art. 3 DStO Bayr. stellt es hinsichtlich der Erlangung der Kenntnis durch die Dienstbehörde auf eine Frist von drei Jahren ab, wobei bis dahin ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet sein muß. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis des zuständigen Dienstvorgesetzten ist im übrigen nach der Regelung von Bayern eine Strafverfolgung unzulässig, wenn a) seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Strafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße rechtfertigt, mehr als drei Jahre verstrichen sind oder b) seit einem Dienstvergehen, das eine schwerere Strafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße, aber nicht die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, mehr als zehn Jahre verstrichen sind. 45 Vgl. RGSt. Bd. 41 S. 18; RG in JW 1938 S. 1584; RG in HRR 1938 Nr. 486; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV, 1 zu § 68 StGB; Jagusch in Leipziger Kommentar Anm. II 1 zu § 68 StGB. 46 Vgl. RGSt. Bd. 59 S. 291.
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Verwirkung
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Sind seit der Begehung eines Dienstvergehens, das eine schwerere Disziplinarstrafe als Geldbuße — aber nicht die Entfernung aus dem Dienst — rechtfertigt, mehr als zehn Jahre verstrichen, so kennt die Landesdisziplinarordnung von Baden-Württemberg keine Strafverfolgungsverjährung, sondern nur ein Bestrafungsverbot. Bei solchen Dienstvergehen, bei denen nur eine Warnung, ein Verweis oder eine Geldbuße gerechtfertigt wäre, beläßt es die Dienststrafordnung von Baden-Württemberg ebenso wie Art. 3 Abs. 2 BDO bei der Fünfjahresfrist. Nach Art. 3 Abs. 2 DStO Bayr. ruht die Verjährung, solange das förmliche Disziplinarverfahren wegen der Verfehlung gegen den Beamten anhängig ist; verstößt die Verfehlung gegen ein Strafgesetz, so verjährt die Verfolgung des Dienstvergehens nicht früher als die der Straftat. Die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DStO Bayr. zu ruhen beginnt, ist umstritten. Nach Wenzel47 bedeutet der Begriff „anhängig" im Sinne dieser Bestimmung „rechtshängig" i. S. des Art. 54 Abs. 3 DStO Bayr. mit der Folge, daß das Ruhen des Verfahrens erst beginnen kann, wenn die Anschuldigungsschrift bei der Dienststrafkammer eingegangen ist. Nach der richtigen Auffassung von Hartinger 48 ist es auf die Einleitungsverfügung abzustellen. Andernfalls würde der Beschuldigte bevorzugt, der wegen zahlreicher Pflichtverletzungen sich zu verantworten hat und der es geschickt versteht, unter Ausnutzung sämtlicher Rechtsbehelfe die Untersuchung in die Länge zu ziehen, so daß das Verfahren vor der Dienststrafkammer erst nach längerer Zeit rechtshängig werden kann. Offenbar hat der Gesetzgeber unter dem Begriff „anhängig" i. S. des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DStO Bayr. „eingeleitet" gemeint; andernfalls hätte er das Wort „gerichtshängig" gebracht oder entsprechend Art. 53 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 54 Abs. 3 und 55 Abs. 1 und 2 DStO Bayr. hinter das Wort „anhängig" die Worte „vor der Dienststrafkammer" gesetzt. Die Auslegung Hartingers wird allein den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht, zumal ansonsten der Beschuldigte begünstigt werden würde, dessen Disziplinarverfahren infolge der Anklageerhebung im gegenstandsgleichen Strafverfahren u. U. auf Jahre ausgesetzt werden muß.
§ 29. Verwirkung und Verzicht I. VERWIRKUNG Das Rechtsinstitut der Verwirkung findet im Disziplinarrecht keine Anwendung, da es mit den Grundprinzipien des Disziplinarrechts nicht in Einklang steht. V o n e i n e r „ V e r w i r k u n g " ist im a l l g e m e i n e n dann die R e d e , w e n n eine v e r s p ä t e t e G e l t e n d m a c h u n g v o n R e c h t e n e i n e n V e r s t o ß g e g e n T r e u u n d G l a u b e n d a r s t e l l e n w ü r d e . Sie beruht auf § 242 BGB. Wohl ist der Grundsatz von Treu und Glauben auch im 4 7 W e n z e l , Das Dienststrafrecht in Bayern, 2. Aufl., Anm. 4 zu Art. 3; derselbe, Nochmals: Das Ruhen der Verjährung im Dienststrafverfahren — Erwiderung zum Beitrag Hartinger —, BayrVBl. 1964 S. 288. 4 8 H a r t i n g e r , Das Ruhen der Verjährung im Dienststrafverfahren in BayrVBl. 1964 S. 148; vgl. auch BayrDStH 10. 8. 59 in VGH n. F. 12 III 13; Preuß. DStSenat 4. 10. 32 in PrOVG Bd. 90 S. 421; Behnke, Anm. 9 zu § 2 BDO.
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§29
Verwirkung und Verzicht
öffentlichen Recht von Bedeutung1, wobei auch die Frage der Verwirkung wegen Zettablaufs zu bejahen ist 2 . Insbesondere ist sie im Verwaltungsstreitverfahren anerkannt, wonach ζ. B. Klagen nach einem unangemessenen Zeitablauf unzulässig sind. Die Verwirkung setzt im allgemeinen ein doloses Verhalten voraus. Hiervon kann aber hinsichtlich der Ausübung der Disziplinargewalt nach einem längeren Zeitraum keine Rede sein. Der Fürsorgepflicht des Dienstherrn steht die Treuepflicht des Beamten gegenüber, wobei die Grundsätze von Treu und Glauben ohne Belang sind. Wie auf der einen Seite beamtenrechtliche Ansprüche nur in besonderen Ausnahmefällen verwirken können3, ist auf der anderen Seite eine Verwirkung der Disziplinargewalt bei einer Verletzung der dem Beamten obliegenden Treuepflicht begrifflich überhaupt nicht möglich. Der Anspruch auf Ausübung der Disziplinargewalt ist an sich unabdingbar und kann nur durch gesetzliche Bestimmungen oder durch auf Gesetz beruhende Ereignisse oder Institutionen, wie ζ. B. durch die Verjährung oder die Ausübung des Gnadenrechts durch Niederschlagung des Verfahrens, ermöglicht werden. Andere Möglichkeiten für die Verwirkung des Disziplinaranspruchs des Staates sind nicht gegeben; insbesondere ist also angesichts des Mangels einer dahingehenden gesetzlichen Bestimmung dem die Disziplinargewalt ausübenden Beamten nicht die Möglichkeit eingeräumt, von sich aus auf den Strafanspruch des Staates mit der Rechtsfolge der Verwirkung zu verzichten. Ob und wann der Dienstvorgesetzte bei einer Verletzung der dem Beamten obliegenden Verpflichtung einschreiten will, bestimmt sich allein nach den Erfordernissen der Dienstzucht, die sich nicht mit den Maßstäben von Treu und Glauben messen läßt. So kann der Dienstvorgesetzte gegen den Beamten disziplinarisch auch dann noch einschreiten, nachdem er zuvor in Kenntnis des Dienstvergehens ihn trotzdem zum Lebenszeitbeamten ernannt4 oder gar noch befördert hat6. Hatte der Dienstvorgesetzte von der Verfolgung einer Verfehlung vorerst abgesehen, so steht dies der späteren Ausübung der Disziplinargewalt wegen desselben Sachverhalts selbst dann nicht entgegen, wenn das Disziplinargericht mit Rücksicht auf die Länge der Zeit und das bisher gezeigte Verhalten des Dienstvorgesetzten nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen von einer Bestrafung des Beschuldigten absehen würde, da das Disziplinargericht im Gegensatz zum Dienstvorgesetzten bei Feststellung eines Dienstvergehens in jedem Fall zu einer Bestrafung des Täters gelangen muß®. Das Disziplinargericht ist bei der Frage der Strafzumessung nicht an die Auffassung der Einleitungsbehörde gebunden, sofern diese erst nach einem längeren Zeitablauf nach Kenntnis von dem Dienstvergehen gegen den Be1 Vgl. N e b i n g e r , Verwaltungsrecht, S. 88 ff.; F o r s t h o f f , Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl. S. 157 ff. 2 Vgl. Entscheidungen des Bundesamts für Heimatwesen 80 S. 26, 88 S. 188; siehe auch BayrVGH 49 S. 149 und 52 S. 83; OVG Münster 15. 10. 52 in OVGE Bd. 6 S. 112; OVG Münster 25. 2. 57 in DVB1. 1957 S. 797; OVG Berlin 16. 4. 53 in Entscheidungen des OVG Berlin Bd. 2 S. 89; VGH Kassel 11. 7. 55 in DöV 1956 S. 123; BVerwG 10. 1. 57 in BB 1957 S. 161; BVerwG 27. 6. 57 in BVerwGE Bd. 5 S. 136. 3 Vgl. P l o g - W i e d o w , Anm. 21 zu § 2 BBG und die dort genannte Rechtsprechung. 4 DokBer. Nr. 926. 8 Behnke, Anm. 10 zu § 3 BDO. • BDH 1 8 . 1 1 . 60 — II D 27/60 — BDHE Bd. 5 S. 14 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 586 = ZBR 1961 S. 386 (LS).
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Verzicht
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schuldigten einschreitet7. Es ist nicht gehindert, für den Fall, daß das Dienstvergehen sich als so schwerwiegend herausstellt, daß der Beamte nicht mehr im Dienst belassen werden kann, die Höchststrafe auch dann zu verhängen, wenn die Dienstbehörde das förmliche Disziplinarverfahren fehlerhafterweise infolge rechtsirriger Beurteilung der Tat des Beamten nicht alsbald eingeleitet und die vorläufige Dienstenthebung des Beamten nicht verfügt, sondern den Ausgang eines länger dauernden Strafverfahrens abgewartet hat, obwohl ihr der Sachverhalt im vollen Umfange seit langem bekannt war und das Disziplinarverfahren ζ. B. erst nach zwei Jahren nach Begehung des Dienstvergehens eingeleitet hat. Bei der Beurteilung eines Dienstvergehens kommt es nämlich nicht auf die Auffassung des Dienstvorgesetzten bzw. der Einleitungsbehörde, sondern ausschließlich auf die des Disziplinargerichts an, wobei die Prüfung der Frage, ob der Beschuldigte noch im Dienst belassen werden kann, allein von objektiven Gesichtspunkten aus zu prüfen ist. Π. V E R Z I C H T Es ist fraglich, ob die gleichen Erwägungen, aus denen heraus das Rechtsinstitut der Verwirkung im Disziplinarrecht nicht anerkannt werden kann, auch für den Verzicht auf Ausübung der Disziplinargewalt gelten8. Von dem unabdingbaren Disziplinaranspruch des Staates ist streng das Recht des die Dienststrafgewalt des Staates ausübenden Beamten, den Strafanspruch des Staates geltend zu machen, zu scheiden; wird dieses Recht nicht ausgeübt, so wird der Strafanspruch des Staates als solcher nicht beseitigt, sondern er wird nur solange zurückgestellt, wie er von dem zuständigen Dienstvorgesetzten nicht geltend gemacht wird. Wird der Disziplinaranspruch überhaupt nicht erhoben, solange der Beamte, der ein Dienstvergehen begangen hat, dem Disziplinarrecht untersteht, so kann allerdings der endgültige Zustand eintreten, daß dieser Beamte der Strafverfolgung und damit dem Strafanspruch des Staates entzogen ist. Mit Rücksicht darauf, daß das Disziplinarrecht vom Opportunitätsprinzip und nicht vom Legalitätsprinzip beherrscht wird, ist in der Rechtsprechung zuweilen der Verzicht auf die Ausübung der Disziplinargewalt bejaht worden9. Jedoch handelt es sich auch hier um keinen endgültigen, der Niederschlagung — Abolition — gleichzusetzenden Verzicht; es bleibt nämlich nach § 27 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, dem nächsthöheren Dienstvorgesetzten und der obersten Dienstbehörde unbenommen, auch nach dem Verzicht des nachgeordneten Dienstvorgesetzten Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Hieraus ergibt sich also, daß ein Verzicht auf die disziplinare Verfolgung von dienstlichen Verfehlungen seitens des der höheren Instanz nachgeordneten Dienstvorgesetzten mit der Rechtsfolge einer Verwirkung des Strafanspruchs nicht in Frage kommt, sondern daß es sich hierbei nur um einen auf dem freien 7 BDH 12. 2. 60 — I D 57/58 — in ZBR 1960 S. 361 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 403; vgl. jedoch DStH Lüneburg 9. 2. 59 — DSt. A 13/58 — in NDBZ 1959 S. 90 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 344. 8 Vgl. B e b n k e , Anm. 10 zu § 3 BDO; PrOVG 9. 3. 06 — Rep. D. S. 17/05 — PrOVG Bd. 49 S. 415 = P e r w o , S. 50; PrOVG Bd. 93 S. 242, Bd. 95 S. 251; B e h n k e in BeamtenJahrbuch 1935 S. 44; E n d e r in RVB1.1936 S. 528. 9 RuPrVBl. Bd. 53 S. 753; PrOVG 3. 5. 34 — IX. D. 26/33 — PrOVG Bd. 93 S. 242 = P e r w o , S. 324.
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L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Verwirkung und Verzicht
Ermessensrecht beruhenden Verzicht persönlicher Art handelt10, da er jederzeit durch den nächsthöheren Dienstvorgesetzten wieder beseitigt werden kann11. A u ß e r d e m k a n n sich der V e r z i c h t nur auf die B e s t r a f u n g , j e d o c h n i c h t auf die S t r a f v e r f o l g u n g e r s t r e c k e n , da letztere nach der nunmehr geltenden Fassung des § 21 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle obligatorisch angeordnet ist. Schließlich darf der Dienstvorgesetzte vor einer Bestrafung nur nach pflichtgemäßen Ermessen Abstand nehmen (vgl. § 3 Abs. 1 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle). Hat der Dienstvorgesetzte sich bei der Einstellung des Verfahrens von pflichtwidrigem Ermessen leiten lassen, und machen der nächsthöhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde von ihrer Disziplinargewalt keinen Gebrauch, so wird der Bundesdisziplinaranwalt sein Recht geltend machen, nach § 30 e BDO, BDO i. d. F. der Novelle Antrag auf Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens zu stellen; durch letztere Bestimmung wird das Rechtsinstitut des Verzichts, soweit es überhaupt im Disziplinarrecht anerkannt werden kann, wesentlich eingeschränkt. Auch bei der obersten Dienstbehörde ist die Ausübung der Disziplinargewalt nur persönlicher Art; eine andere Schlußfolgerung würde dem freien Ermessensrecht des Dienstvorgesetzten widersprechen. Das freie Ermessen des auf die Ausübung seiner Strafbefugnis verzichtenden Dienstvorgesetzten kann nach den das Disziplinarrecht beherrschenden Rechtsgrundsätzen nicht das freie Ermessensrecht eines anderen, etwa an seine Stelle tretenden Dienstvorgesetzten beschränken oder beseitigen. Andernfalls könnte dem Mißbrauch des Opportunitätsprinzips in der Richtung Vorschub geleistet werden, daß unsachliche, die Dienstzucht zerstörende Gesichtspunkte bei einem Verzicht auf Ausübung des staatlichen Strafanspruchs den Ausschlag geben könnten. Aus diesem Grunde ist der Leiter der obersten Dienstbehörde bei der Entscheidung der Frage, ob wegen eines Dienstvergehens einzuschreiten ist, nicht an die Auffassung seines Amtsvorgängers gebunden. Wenn auch ein Verzicht auf Ausübung der Disziplinargewalt im Disziplinarrecht nicht anzuerkennen ist, so wird es jedoch als unstatthaft anzusehen sein, einen Beamten, der sich längere Zeit einwandfrei geführt hat, disziplinarisch grundlos wegen solcher Verfehlungen zu verfolgen, die dem Dienstvorgesetzten bzw. der Einleitungsbehörde seit einer Reihe von Jahren bekannt waren. Ausschlaggebend bleibt immer, ob eine spätere Verfolgung solcher dienstlicher Verfehlungen aus Gründen der Dienstzucht notwendig ist. Dies wäre z. B. dann zu verneinen, wenn sich der Dienstvorgesetzte veranlaßt fühlt, auf längere Zeit zurückliegende Verfehlungen zurückzugreifen, weil er sich durch eine Kritik des Nachgeordneten, die durchaus berechtigt sein kann, bloßgestellt fühlt. Auf k e i n e n F a l l darf ein l ä n g e r e Zeit z u r ü c k l i e g e n d e s D i e n s t v e r g e h e n als D r u c k m i t t e l g e g e n e i n e n n a c h g e o r d n e t e n B e a m t e n a n g e w e n d e t w e r d e n . Ein Dienstvorgesetzter, der eine Mitarbeit von solchen Beamten bevorzugt, die er auf Grund begangener dienstlicher Verfehlungen immer „in seiner Hand" haben will, damit sie seinen Anordnungen blindlings folgen müssen, und die es aus diesem Grunde nicht wagen können, selbst eine sachliche Kritik an den Maßnahmen des Dienstvorgesetzten zu üben, handelt nicht in Ausübung der Dienstzucht, wenn er einen solchen Mitarbeiter, der nicht mehr geneigt ist, sich seinen oft recht angreif10 11
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PrDStH 24. 6. 32 in RVB1. Bd. 53 S. 876. PrOVG 28. 3. 35 — IX. D. 96/34 — PrOVG Bd. 95 S. 251 = P e r w o , S. 348.
Amnestie
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baren Maßnahmen zu unterwerfen, daraufhin disziplinarisch wegen solcher dienstlichen Verfehlungen verfolgt, die ihm bereits längere Zeit bekannt waren. Ebenso ist es als unstatthaft zu erachten, einem Beschuldigten, der sich lange Zeit einwandfrei geführt hat und nunmehr in einem geringeren Umfange eine Pflichtwidrigkeit begangen hat, die nicht zur Höchststrafe führen kann, wegen solcher dem Dienstvorgesetzten bekannten Verfehlungen „nachzujagen", die mehrere Jahre zurückliegen und die für sich genommen zu einer geringfügigen Bestrafung hätten führen müssen. Dies gilt insbesondere für solche Verfehlungen, die bereits einmal im Wege von Vorermittlungen aufgeklärt worden waren, bei denen sich aber der Dienstvorgesetzte trotz Bejahung der Schuld zu einer Einstellung entschlossen hatte. Dann sollte es selbst der obersten Dienstbehörde untersagt sein, solche Verfehlungen nochmals aufzugreifen. So kann nach § 25 Abs. 1 LDO Bln. die oberste Dienstbehörde wegen desselben Sachverhalts nur innerhalb von drei Monaten seit der Einstellung das Verfahren nochmals aufnehmen. Nach § 23 Abs. 2 HDO, § 27 Abs. 2 Satz 1 NDO und § 27 Abs. 2 DStO Schl.-Hol. kann ungeachtet der Einstellung der höhere Dienstvorgesetzte wegen desselben Sachverhalts nur innerhalb von drei Monaten nach der Zustellung bzw. Mitteilung der Einleitungsverfügung eine Disziplinarstrafe verhängen oder die Einleitungsbehörde das förmliche Disziplinarverfahren einleiten. Dieser Grundsatz darf nicht nur für solche Verfehlungen gelten, die im Wege der Vorermittlungen aufgeklärt waren, sondern auch für solche Dienstvergehen, die der Dienstvorgesetzte trotz Kenntnis derselben noch nicht einmal aufgeklärt hat, zumal § 21 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle und nahezu sämtliche Länderdisziplinargesetze eine Verpflichtung auferlegen, Vorermittlungen einzuleiten, sofern Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Ein Beamter, bei dem der Dienstvorgesetzte pflichtwidrig es unterlassen hat, Vorermittlungen einzuleiten, kann nicht schlechter als ein Beamter gestellt werden, bei dem der Dienstvorgesetzte seinen sich aus § 21 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Verpflichtungen nachgekommen ist.
§ 30. Amnestie und Abolition I. AMNESTIE A. Begriff und strafrechtliche Auswirkung der Amnestie Amnestie ist eine bundesgesetzliche Anordnung, durch die eine strafgerichtliche Verfolgung von Verfehlungen unter generellen bestimmten Voraussetzungen untersagt wird. Ebenso kann der Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Gnadenzuständigkeit und im Rahmen des Landesverfassungsrechts durch ein Landesgesetz Strafverfahren unter generell bestimmten Voraussetzungen niederschlagen. Materiellrechtlich bedeutet die Amnestie einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, während sie verfahrensrechtlich ein Verfahrenshindernis darstellt, das von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachten 19*
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Amnestie und Abolition
ist 1 . Im allgemeinen sieht ein Amnestiegesetz, wie ζ. B. das Straffreiheitsgesetz vom 17. 7. 54 (BGBl. I S. 403), vor, daß schon im vorbereiteten Verfahren, aber auch später bis zum Eröffnungsbeschluß durch einen gerichtlichen Beschluß, der mit befristeten Rechtsmitteln angefochten werden kann, über das Vorliegen der Amnestievoraussetzungen zu entscheiden ist. Ist der Einstellungsbeschluß unanfechtbar geworden, so kann wegen der Tat nur noch auf Grund neuer Tatsachen und Beweismittel Anklage erhoben werden (vgl. § 16 Abs. 3 Ges. v. 17. 7 54). Ebenso verbraucht ein Einstellungsurteil, das die Voraussetzungen für die Amnestie bejaht, den Strafanspruch entsprechend einem Urteil, das das Verfahren wegen eines endgültigen, unbehebbaren Verfahrenshindernisses einstellt2. Sind dagegen durch einen Einstellungsbeschluß die Amnestievoraussetzungen verneint worden, so ist trotz dessen Unanfechtbarkeit das erkennende Gericht nicht gebunden, sondern muß von Amts wegen selbständig prüfen, ob die Voraussetzungen für die Amnestie gegeben sind, wobei es sämtliche Erkenntnis quellen nach den Grundsätzen des Freibeweises selbständig zu prüfen hat 3 . Befindet sich das Verfahren bereits im Stadium der Hauptverhandlung, so ist auch nunmehr zu prüfen, ob die Amnestievoraussetzungen gegeben sind; werden diese bejaht, so darf keine Schuldfeststellung getroffen werden, sondern in den Gründen ist der Sachverhalt nur insoweit darzulegen, als es zur Beurteilung der Straffreiheit erforderlich ist 4 . Die Einstellung durch Urteil entfällt, falls nach der durchgeführten Hauptverhandlung die Voraussetzungen eines Freispruches gegeben sind6. Sollte der Beschuldigte sich durch die Amnestie belastet fühlen, was dann der Fall ist, wenn er unschuldig ist und damit rechnen muß, daß er durch außenstehende Dritte wegen seiner angeblichen Schuld beleidigt oder gar verleumdet werden sollte, so hat er nach den neueren Amnestiegesetzen im allgemeinen das Recht, auf eine Fortsetzung des Verfahrens zu bestehen. Dies wird insbesondere bei einem Beamten in Frage kommen, weil er mit einer disziplinarischen Verfolgung auch nach einer strafgerichtlichen Niederschlagung des Verfahrens rechnen muß; die Amnestie zeitigt, wie gleich gezeigt werden wird, grundsätzlich keine disziplinarrechtliche Wirkung. B. Auswirkung der strafrechtlichen Amnestie auf das Disziplinarrecht Die auf dem Gebiet des allgemeinen Strafrechts erlassenen Amnestien, wie ζ. B. das Bundesgesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 31.12.49 äußern auf das Disziplinarverfahren keinerlei Wirkungen. Bereits der Große Disziplinarsenat des Reichsdisziplinarhofs stellte in den grundlegenden Urteilen vom 29. 11. 22e und 3. 10. 287 fest, daß eine Amnestie in Strafsachen nicht ohne weiteres auch die Dienstvergehen umfaßt. Dieser Auffassung haben sich auch der Reichsdienststrafhof8, der Dienststrafhof der Verwaltung des 1 2 3 4 6 8 7 8
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RGSt. Bd. 69 S. 126; BGHSt. Bd. 3 S. 136 und Bd. 4 S. 289. BGHSt. Bd. 10 S. 115. L ö w e - R o s e n b e r g , 21. Aufl. S. 99. BGHSt. Bd. 10 S. 113. RGSt. Bd. 70 S. 193; BGHSt. Bd. 13 S. 272. GrDisSenat S. 99. Gr DisSenat S. 205. RDH bei F o e r s t e r , S. 17; RDHE Bd. 1 S. 6 und S. 180, Bd. 3 S. 14.
Amnestie
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Vereinigten Wirtschaftsgebietes9, der Bundesdisziplinarhof10 und der Disziplinarsenat des OVG Münster 11 angeschlossen. Wohl ist der in einem auf Grund eines Straffreiheitsgesetzes durchgeführten sogenannten Reinigungsverfahren strafgerichtlich festgestellte Sachverhalt für das Disziplinargericht bindend 12 . Jedoch hat das Straffreiheitsgesetz nicht die Wirkung, daß es schlechthin auch eine disziplinarrechtliche Verfolgung des Beamten ausschließt, der wegen der gleichliegenden Tat nicht strafgerichtlich verfolgt werden kann. Anders wäre es nur dann, wenn das Straffreiheitsgesetz ausdrücklich anordnen würde, daß auch eine disziplinarische Verfolgung des Täters zu unterbleiben hat. Natürlich bleibt es den Disziplinargerichten unbenommen, die Verfehlungen, die durch ein Strafgericht amnestiert sind, milder zu bestrafen. Die Bestrebungen, auch auf dem Gebiet des Disziplinarrechts eine Amnestie herbeizuführen, müssen zurückgewiesen werden. Im allgemeinen Strafrecht, das im wesentlichen vom Sühnegedanken beherrscht ist und deshalb den Täter in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, kann bei geringeren Vergehen eine Amnestie zu befürworten sein. Im Disziplinarrecht hingegen, das eine Sauberhaltung des Beamtentums bezweckt, muß man eine Amnestie ablehnen. Es müßte nämlich zum Absinken der Moral der Beamtenschaft führen, wenn sie im Falle der Begehung von Dienstvergehen damit rechnen kann, daß die Verfehlungen auf Grund einer zu erwartenden Amnestie überhaupt nicht oder nur milde bestraft werden dürfen. Der Gesetzgeber hat aus diesem Grunde äußerst selten von dem Recht Gebrauch gemacht, Straffreiheitsgesetze auf disziplinarrechtlichem Gebiet zu erlassen. Hierzu gehört auch der Gnadenerlaß für Beamte vom 21. 10. 39 (RGBl. I S. 2103), der für Dienstvergehen, die vor dem 28. 10. 39 begangen worden sind, auch heute noch Bedeutung hat 13 . Ist die Einleitungsbehörde oder die oberste Dienstbehörde der Auffassung, daß ein eingeleitetes Disziplinarverfahren voraussichtlich nicht zur Verhängung der Höchststrafe (Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts) führen wird, so hat sie nach § 4 a. a. O. a) wenn das Verfahren bei einem Disziplinargericht noch nicht anhängig ist, das Verfahren einzustellen; b) wenn das Verfahren bereits anhängig ist, die Einstellung bei dem Disziplinargericht, bei dem das Verfahren schwebt, zu beantragen. Das Disziplinargericht muß einem gestellten Antrag entsprechen. Es kann auch ohne einen solchen Antrag auf Einstellung erkennen, wenn es die Höchststrafe nicht für gerechtfertigt hält. Keinen Amnestiecharakter trägt Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952. Hiernach können lediglich die kleineren Dienstvergehen, die vor dem 1.10. 48 begangen 9 DStHVWG — BH 13/51 Β 484/50 — in DVB1.1952 S. 138; BDH 12.1. 54 — I D 78/53 —. 1 0 BDH 12.1. 54 — I D 78/53 — und I D 93/53 — BDHE Bd. 1 S. 46; BDH 25. 3. 54 — I DV 2/54 — BDHE Bd. 2 S. 97 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 65; vgl. auch BDHE Bd. 2 S. 121. 1 1 DiszSenat OVG Münster 21. 8. 57 — Y 4/57 — OVGE (DiszSenat) Bd. 1 S. 131 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 241. 1 2 BDHE Bd. 1 S. 127. 1 3 BDHE Bd. 2 S. 121.
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Amnestie und Abolition
worden sind und die keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt hätten, nicht mehr verfolgt werden. Der Bundesdisziplinarhof14 nimmt zu der Frage, ob Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 52 Amnestiecharakter hat, wie folgt Stellung: „Bei der Feststellung von Verfehlungen handelt es sich auch hier um eine echte, den Beschuldigten belastende Sachentscheidung. In den Fällen, in denen nach Art. 4 ÄndGes. 52 eine Bestrafung infolge Ablaufs einer gewissen Zeit seit dem Begehen der Tat nicht mehr zulässig ist, hat nämlich das Disziplinargericht die Sache in jeder Hinsicht aufzuklären, es hat auch Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage zu treffen. Das Strafverbot — um ein solches handelt es sich auch im Falle des Art. 4 Satz 2 ÄndGes. 1952 trotz des Wortlautes ,nicht mehr verfolgt werden' — gewinnt erst in dem Augenblick Bedeutung, in dem an die Frage der Strafbemessung herangetreten wird und sich im Rahmen der Prüfung hierbei herausstellt, daß keine schwerere Strafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt sein würde. Bejaht das Disziplinargericht diese Voraussetzungen in einem Verfahren, das ein weit zurückliegendes Dienstvergehen allein zum Gegenstande hat, so hat das Gericht das Verfahren einzustellen. Diese Einstellungsentscheidung ist in § 63 Abs. 3 Satz 2 BDO in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Satz 4 BDO behandelt; es handelt sich dabei um ein echtes Sachurteil mit der Bedeutung eines Schuldausspruchs." II. ABOLITION Während eine Amnestie den Verzicht einer Strafverfolgung in genereller Hinsicht bedeutet und somit sämtliche Dienstvergehen umfaßt, zielt die Abolition auf die Niederschlagung eines einzelnen anhängigen Verfahrens oder einer genau bestimmbaren Zahl von Disziplinarverfahren. Sie könnte nur auf Grund eines Gesetzes ergehen 16 . Von einer Abolition ist deshalb keine Rede, wenn der Dienstvorgesetzte es unterläßt, nach §§ 21 ff. BDO, BDO i. d. F. der Novelle, Vorermittlungen zu führen, oder wenn er in Übereinstimmung mit § 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nach dem Abschluß von Vorermittlungen von einer Bestrafung des schuldigen Beamten absieht oder wenn die Einleitungsbehörde nach § 52 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, das eingeleitete Verfahren einstellt. Die Abolition — ganz gleich, ob es sich um eine General- oder Spezialabolition handelt — würde dem Wesen des Disziplinarrechts zuwiderlaufen. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus hatte sich das Staatsoberhaupt die Abolition selber vorbehalten. Sie führte dazu, daß Disziplinarverfahren aus rein politischen Erwägungen heraus eingestellt wurden, was zu einer erheblichen Schädigung des Ansehens der Verwaltungen geführt hatte. Überdies bedeutet die Abolition einen schweren Eingriff in die Rechtspflege und steht zur Lehre der Gewaltenteilung in Widerspruch. Im allgemeinen sollte das im Disziplinarrecht verankerte Opportunitätsprinzip ausreichen, um in einem Einzelfall von der disziplinarischen Verfolgung eines Dienstvergehens abzusehen. BDHE Bd. 1 S. 245/246. B e h n k e , Anm. 4 zu § 104 BDO; A n s c h ü t z , WeimVerf. 12. Aufl. S. 262 ff; M a n g o l d t , Bonner Grundgesetz, S. 325. 14
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Geschichtliche Entwicklung
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Ebenso ist eine Petition der Dienstzucht abträglich. Es wäre denkbar, daß der Beschuldigte durch Eingabe einer Petition versucht, daß der Petitionsausschuß seinen Einfluß dahin geltend macht, daß der Dienstvorgeset2te von einer disziplinarischen Verfolgung Abstand nimmt oder ein bereits eingeleitetes Verfahren einstellt. Die Ausschüsse der Parlamente, in denen die Petitionen zur Verhandlung kommen, setzen sich ausschließlich aus Angehörigen politischer Parteien zusammen, während die Disziplinarbefugnis eine reine Verwaltungsangelegenheit ist, mit der die gesetzgebenden Organe schon unter dem Gesichtspunkt der Gewalttrennung keine Befassung haben sollten.
5. K a p i t e l
Umstände, die die Folgen einer disziplinarischen Bestrafung beseitigen § 31. Begnadigung I. ALLGEMEINES 1 Das Gnadenrecht umfaßt den Straferlaß oder die Strafmilderung in Einzelfällen (Begnadigung im engeren Sinne) bzw. für eine generell umschriebene Vielzahl von Fällen (Amnestie), die Niederschlagung schwebender Verfahren im Einzelfall (Spezialabolition) bzw. in einer Vielzahl von Fällen (Generalabolition) und die Gewährung von Straffreiheit im Sinne der bedingten Außerkraftsetzung eines Gesetzes. Begnadigungen im engeren Sinne werden von den hierfür gesetzlich bestimmten Gnadeninstanzen angeordnet. Für den Bund ist dies der Bundespräsident. In den Ländern liegt die Gnadengewalt, wie unter XII gezeigt wird, bei den Ministerpräsidenten, den Landesregierungen oder den Senaten. Die durch die Länderorgane ausgeübte Begnadigung erstreckt sich vor allem auf das Gebiet des allgemeinen Strafrechts und des Steuerstrafrechts. Amnestien, Abolitionen und Gewährung von Straffreiheit können für den Bereich des Bundes nur durch ein Bundesgesetz angeordnet werden. Dadurch soll vermieden werden, daß hier — wie unter der Herrschaft des Nationalsozialismus —• das Staatsoberhaupt eine Einwirkungsmöglichkeit erhält, die in den meisten Fällen politisch motiviert sein dürfte. Daß der Bundespräsident zur Gewährung von Amnestien und Abolitionen nicht befugt ist, ergibt sich aus den Materialien zu Art. 60 GG 2 . Π. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG In Preußen bildete zunächst § 9 II 13 ALR die gesetzliche Grundlage für die Begnadigung. Hiernach konnte „das Recht, aus erheblichen Gründen Verbrechen zu verzeihen, Untersuchungen niederzuschlagen, Verbrecher ganz oder teilweise zu begnadigen, Zuchthaus-, Festungs- oder andere härtere Leibes1 2
S c h ü t z , Gnadenerweise im Beamtenrecht in DöD 1960 S. 105. Bonner Kommentar zum GG Anm. 16 zu Art. 60.
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Begnadigung
strafen in gelindere zu verwandeln", nur vom Staatsoberhaupt ausgeübt werden, soweit dieses es nicht auf eine untergeordnete Behörde übertragen konnte. Durch verschiedene Kabinet-Orders wurde von der Delegationsbefugnis Gebrauch gemacht. Nach Art. 49 der Preuß. Verfassung von 1850 stand das Recht der Begnadigung dem König zu, ohne daß eine Möglichkeit der Delegation vorgesehen war; trotzdem wurden weitere Übertragungen der Gnadenbefugnis vorgenommen. Die Reichsverfassung von 1871 enthielt über das Gnadenrecht keine Bestimmungen. Nach § 484 StPO stand dem Kaiser das Gnadenrecht für die Fälle erstinstanzlicher Entscheidungen des Reichsgerichts zu. Nach Art. 49 WeimVerf. stand das Gnadenrecht für das Reich dem Reichspräsidenten zu. Wenn auch eine Delegationsmöglichkeit nicht vorgesehen war, so sahen jedoch die Erlasse vom 4. 12. 10; 1., 21. und 24. 4. 21, die Ermächtigung des Generalkommandos des 6. Armeekorps vom 24. 4. 21, die Ermächtigung des Reichspostministers vom 10. 1. 21 und die Ermächtigung des Reichsministers des Innern vom 24. 4. 21 eine Delegation vor. Unter der Weimarer Republik stand in den Ländern das Gnadenrecht im allgemeinen dem jeweiligen Ministerpräsidenten und nach Art. 54 der preuß. Verfassung dem Staatsministerium zu. Nach § 138 des Reichsratsentwurfs zu einer ReichsdienststrafOrdnung vom 12. 11. 31 sollte der Reichspräsident das Recht erhalten, eine rechtskräftig erkannte Dienststrafe im Gnadenwege zu mildern oder zu erlassen. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Gnadenrecht auf Grund des Art. 2 des Neuaufbaugesetzes vom 30. 1. 34 i. V. m. § 1 des Staatsoberhauptgesetzes vom 1. 8. 34 vom „Führer" ausgeübt. Soweit dieser das Begnadigungsrecht sich nicht selbst vorbehalten hatte, entschieden in den Ländern die Reichssta* thalter und in Preußen der Ministerpräsident. Die VO über das Verfahren in Gnadensachen vom 6. 2. 35 (DJ S. 203) behielt grundsätzlich das Begnadigungsrecht dem Reichsminister der Justiz vor. Nach § 104 RDStO stand das Gnadenrecht in Dienststrafsachen für alle Beamte dem „Führer und Reichskanzler" zu, der es auf andere Stellen übertragen konnte. ΠΙ. GESETZLICHE GRUNDLAGEN IM BUNDESBEAMTENRECHT Gesetzliche Grundlage für die Begnadigung im Bereich des Bundesbeamtenrechts ist zunächst einmal Art. 60 GG. Hiernach übt der Bundespräsident das Gnadenrecht in Einzelfällen aus (Art. 60 Abs. 2 GG). Er kann es auf andere Stellen übertragen (Art. 60 Abs. 3 GG). Weitere Gnadenbestimmungen enthalten § § 50, 162 und 164 BBG, § 104 BDO, § 104 BDO i. d. F. der Novelle und Art. 12 ÄndGes. 1952. Der Bundespräsident übt hinsichtlich des Verlustes der Beamtenrechte (§§48, 49 BBG) das Begnadigungsrecht bei Beamten nach § 50 BBG und hinsichtlich des Verlustes der Versorgungsbezüge bei Ruhestandsbeamten nach § 162 Abs. 2 BBG und bei Witwen und Waisen nach § 164 Abs. 1 BBG aus. In Disziplinarsachen übt er das Begnadigungsrecht nach § 104 BDO, BDO i. d. F. der Novelle aus. Nach Art. 12 ÄndGes. 1952 wird das Gnadenrecht des Bundespräsidenten auf die in Art. 9 a. a. O. bezeichneten Personen sowie auf Berufssoldaten der früheren Wehrmacht 296
Gesetzliche Grundlagen im Bundesbeamtenrecht
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und die berufsmäßigen Angehörigen des früheren Reichsarbeitsdienstes erweitert. Auf Grund der Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes vom 5. 10. 65 (BGBl. I S.1573)3 werden der Umfang sowie die Ausübung der Gnadenbefugnisse durch den Bundespräsidenten und die von ihm hiermit beauftragten Personen festgelegt. Über die gesetzlichen Grundlagen im Länderbeamtenrecht siehe XII. IV. PERSONENKREIS Das Gnadenrecht des Bundespräsidenten erstreckt sich auf: a) im Amt befindliche und ehemalige Bundesbeamte ; b) über § 46 DRiG Richter im Bundesdienst; c) Beamte, Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte des Reiches oder eines anderen deutschen Dienstherrn, Berufssoldaten der früheren Wehrmacht und berufsmäßige Angehörige des früheren Reichsarbeitsdienstes, die nach Kap. I oder § 62 des G 131 Rechte geltend machen können oder könnten, falls sie am 8. 5. 45 im Dienst oder versorgungsberechtigt gewesen wärer ; bei den Personen, die hierunter fallen, müssen die besonderen Voraussetzungen des G 131, wie ζ. B. die Stichtagsvoraussetzung des § 4 a. a. O. und die Erfüllung der Meldefrist nach § 81 a. a. O., erfüllt sein, vgl. hierzu Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 3.10. 52 (GMB1. S. 97); d) frühere Beamte eines anderen deutschen Dienstherrn als des Bundes, die bei einer Dienststelle tätig gewesen sind, deren Aufgaben von einer bundeseigenen Verwaltung oder Einrichtung übernommen worden sind; e) Beamte, Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte der im Art. 130 GG bezeichneten Verwaltungsorgane und Einrichtungen, solange sie noch nicht in den Dienst des Bundes oder eines anderen Dienstherrn übernommen worden sind. Sie fallen auch dann unter das Gnadenrecht, falls sie im Dienst oder versorgungsberechtigt geblieben wären. Für ehemalige Beamte des VWG hätte es einer besonderen bundesgesetzlichen Regelung nicht bedurft. Auf Grund des § 104 der RDStO i. d. F. des ÄndGes. vom 12. 8. 49 übte der Vorsitzende des Verwaltungsrats in Disziplinarsachen das Gnadenrecht aus, soweit er es nicht auf andere Stellen delegiert hatte. Der Verwaltungsrat ist durch das MRG Nr. 25 mit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts aufgelöst worden. Mit diesem Zeitpunkt (21. 9. 49) konnte der Vorsitzer des Verwaltungsrats das Begnadigungsrecht nicht mehr ausüben. Seine Befugnisse sind gemäß Art. 2 Ziff. 2 b MRG Nr. 25 auf den Bund übergegangen. Deshalb konnte hier der Bundespräsident bereits vor Inkrafttreten des ÄndGes. 1952 das Gnadenrecht ausüben; f) Ruhestandsbeamte und frühere Beamte, die nicht Bundesbeamte gewesen sind, solange sie Versorgungsbezüge vom Bund erhalten oder erhalten hätten, falls sie im Dienst oder versorgungsberechtigt geblieben wären ; 3
Abgedruckt L i n d g e n , Teil II Nr. 19.
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Begnadigung
g) Witwen und Waisen, deren Versorgungsbezüge nach § 164 BBG erloschen sind; h) Hinterbliebene der zu a—f genannten Personen sind in der Gnadenordnung nicht genannt; sie rechnen jedoch auch dann hierzu, wenn dem früheren Beamten usw. überhaupt noch kein Gnadenerweis gewährt war. Es handelt sich dabei um eine Art Weiterbewilligung von Unterhaltsbeiträgen unter Änderung des Empfangsberechtigten (vgl. Erlaß des Bundesministers des Innern II S Β 5428/38 vom 30. 12. 58). Es können auch der schuldlos geschiedenen Ehefrau eines verstorbenen Beamten Gnadenbezüge in Anlehnung an § 125 Abs. 2 BBG insoweit gezahlt werden, als ihr der Verstorbene zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte. Witwen, die erst nach der Dienstentfernung des Ehemannes geheiratet haben, kann ein Gnadenerweis nicht gewährt werden. V. DURCH GNADENERWEIS ERFASSTE URTEILE UND SONSTIGE MASSNAHMEN Das Begnadigungsrecht des Bundes beschränkt sich in disziplinarrechtlicher und sonstiger beamtenrechtlicher Hinsicht auf die Fälle, in denen a) ein Gericht, ein Ehrengericht oder eine Behörde des Bundes, b) ein ehemaliges Gericht oder eine ehemalige Behörde im Sinne des Art. 130 GG, soweit nicht bereits eine andere gesetzliche Regelung getroffen ist, c) das frühere Reichsgericht, der frühere Volksgerichtshof, ein früheres Wehrmachtsgericht oder ein Gericht einer früheren wehrmachtsähnlichen Formation, d) ein Gericht oder Ehrengericht, an dessen Sitz deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wird, oder eine Behörde des Reiches, die nach dem 8. 5. 45 nicht endgültig von einem Lande übernommen worden ist, im ersten Rechtszuge eine rechtskräftige Entscheidung oder eine sonstige disziplinarrechtliche Maßnahme, wie ζ. B. eine Disziplinarverfügung oder eine Entscheidung nach § 6 ÄndGes. vom 12. 8. 49, getroffen hat. Für Straftaten, die im ersten Rechtszuge von einem Gericht eines Landes abgeurteilt worden sind, kommt eine Begnadigung nach Art. 60 Abs. 2 GG selbst dann nicht in Frage, wenn das Verfahren in der Revisionsinstanz vor ein Bundesgericht gelangt ist4. Weiterhin erstreckt sich das Begnadigungsrecht auf die Beseitigung von beamten- oder versorgungsrechtlichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung (Art. 1 Nr. 2 Gnadenanordnung). Entlassungsverfügungen nach §§ 31, 32 BBG, Bescheide über die Rücknahme oder die Nichtigkeit einer Beamtenernennung nach §§ 11, 12 BBG oder dienstliche Mißbilligungen nach § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, sind nicht gnadenfahig. Ebenso kann im Gnadenwege nicht die versäumte Stichtagsvoraussetzung nach § 4 G 131 oder die Meldefristvoraussetzung nachgeholt werden. Ist die Meldefrist nach § 81 G 131 oder die Gleichstellungsfrist nach § 4 G 131 versäumt, kommt ein Gnadenerweis ebenso wie bei einem außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes wohnenden Bittsteller nicht in Frage. 4
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M a u n z - D ü r i g , Anm. 2 zu Art. 60 GG.
Rechtsnatur des Gnadenaktes
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VI. GNADENINSTANZEN Der Bundespräsident hat sich nach Art. 1 der Gnadenanordnung die Ausübung des Gnadenrechts, das ihm in disziplinarrechtlicher Hinsicht nach § 104 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zusteht, selbst vorbehalten, wenn im Gnadenwege u. a. beantragt wird : 1. die Beseitigung der dienst- oder versorgungsrechtlichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung; 2. die Aufhebung der nachstehend bezeichneten Disziplinarstrafen: a) Entfernung aus dem Dienst oder dem Dienstverhältnis b) Aberkennung des Ruhegehalts oder Aberkennung der Rechte aus dem G 131, 3. die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages. In Ausführungen des Art. 60 Abs. 3 GG, § 104 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO 1. d. F. der Novelle hat der Bundespräsident die ihm zustehende Ausübung des Begnadigungsrechts sofern er es sich nicht selbst vorbehalten hat oder es sich nicht um Fälle von außerordentlicher Bedeutung handelt, nach Art. 2 der Gnadenordnung weiterübertragen u. a. in Disziplinarsachen dem jeweils fachlich zuständigen Bundesminister sowie dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, des Bundesrats, des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesrechnungshofes und der Deutschen Bundesbank in Disziplinarsachen der Beamten und Ruhestandsbeamten ihres Geschäftsbereichs. In Disziplinarsachen der Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder Versorgungsberechtigten i. S. des G 131 ist das Gnadenrecht auf den Bundesminister des Innern oder den Bundesminister delegiert, dem die Befugnisse als Einleitungsbehörde übertragen worden sind. Die Zuständigkeit der in Art. 1 und 2 der Gnadenordnung genannten Gnadeninstanzen ist auch dann gegeben, wenn die disziplinarrechtliche Gnadenentscheidung des früheren Reichspräsidenten oder eines Landesministers, dessen Befugnisse auf Grund des Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30. 1. 34 (RGBl. I S. 75) auf das Reich übertragen ist, geändert werden soll. VIL RECHTSNATUR DES GNADENAKTES Der Gnadenakt ist ein einseitiger, nicht der Zustimmung des Begnadigten bedürftiger Hoheitsakt, der einer obersten, sich selbst begrenzenden Entscheidungssphäre angehört5. Im Rechtssinne stellt er die Freistellung eines Einzelnen von der durch rechtskräftiges Urteil festgestellte Strafe und deren Nebenfolgen dar®. Er gehört einer anderen Ebene als das Recht an; er 5 B a c h o f , Die verwaltungsgerichtliche Klage bei Vornahme einer Amtshandlung, 1951 S. 26; S c h n e i d e r , Gerichtsfreie Hoheitsakte, 1951 S. 40; O b e r m e y e r , Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 91/92. 6 M ü l l e r , Zur Anfechtbarkeit von Gnadenentscheidungen in DVB1. 1963 S. 18; vgl. auch S p r e n g - B i r n - F i c h t e , Verfassung von Baden-Württemberg, Anm. 3 zu Art. 52; G e l l e r - K l e i n r a h m , Anm. 2 zu Art. 59 Verfassung von Nordrhein-Westfalen; Hamann, 2. Aufl. Anm. Β 4 zu Art. 60 GG; Giese, Anm. 4 zu Art. 60 GG; OVG Münster in OVGE Bd. 7 S. 146; S e i t t e r , Die Rechtsnatur des Gnadenakts, S. 11 ff.
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Begnadigung
d i e n t mehr der E r g ä n z u n g des R e c h t s im I n t e r e s s e der G e r e c h t i g keit. Seinem Wesen nach ist er nur ein Akt des Verzeihens; er kann sich als Ausfluß des Wohlwollens oder als Barmherzigkeit erweisen. Hierbei ersetzt er ganz oder teilweise die Auswirkungen eines Rechtsaktes. Durch die Gnadenentscheidung ergeht nämlich „Gnade vor Recht", so daß also hier das Recht ausgeschlossen ist7. Handelt es sich um einen ablehnenden Gnadenakt, so kann er aus Rechtsgründen ergehen, wenn ζ. B. die jeweilige Rechtsmaterie kein Gnadenrecht vorsieht; hier stellt der Gnadenakt anerkanntermaßen einen Rechtsakt dar. Wenn der Gnadenakt aus Billigkeitserwägungen abgelehnt wird, wenn also ein Beweis von Milde und Nachsicht nicht angenommen wird, handelt es sich bei der Entscheidung um keinen rechtsgestaltenden Rechtsakt, da die Folge der Strafe auf Grund der Ablehnung sich aus der strafgerichtlichen Verurteilung ergibt. Bei Gnadenentscheidungen enthält einen Rechtssatz nur die gesetzliche Bestimmung, auf der das Gnadenrecht fußt. Diese gesetzlichen Bestimmungen, wie z. B. Art. 60 Abs. 2 GG, enthalten im allgemeinen Kompetenznormen, ohne daß sie Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Inhalt des Gnadenaktes enthalten. Der einzelne Gnadenakt enthält eine Entscheidung darüber, ob im jeweiligen Falle vom staatlichen Begnadigungsrecht Gebrauch gemacht werden soll oder nicht; da er insoweit einen Rechtswert verwirklicht, ist er insoweit auch als Rechtsakt anzusehen8. Die Gnadenentscheidung stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 42 VwGO dar. Sie ist vielmehr ein Regierungsakt der keine konkreten Regelungsfunktionen besitzt. Als Regierungsakt stellt der Gnadenakt im Beamtenrecht eine Regierungstätigkeit von Regierungsorganen dar. Auch wenn in Strafsachen die Gnadenbefugnisse weitgehend den den Justizministern nachgeordneten Stellen übertragen ist, die als Justizverwaltungsbehörden tätig werden, und im übrigen ins einzelne gehende Bestimmungen über die geschäftliche Behandlung von Gnadensachen und das hierbei zu beachtende Verfahren getroffen sind, kann in diesen Fällen kaum der Gnadenentscheid als ein Verwaltungsakt angesehen werden. Dies muß auch für die Gnadenentscheidungen in disziplinarrechtlicher Hinsicht gelten, die im Wege der Delegation von Verwaltungsorganen erlassen werden. Die Gnadenentscheidung ist in das freie Ermessen des Trägers des Gnadenrechts gestellt. So hängt ζ. B. die Bewilligung eines Gnadenunterhaltsbeitrages nicht davon ab, ob die Voraussetzungen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle erfüllt sind. Dies schließt allerdings nicht aus, daß sich die Gnadeninstanz bei ihrer Entscheidung an gesetzliche Vorschriften verwandter Rechtsgebiete anlehnt. Der Inhaber des Gnadenrechts kann zudem gesetzlich festgelegte Grenzen nicht überschreiten. So könnte er ζ. B. nicht einen Unterhaltsbeitrag bewilligen, der über dem gesetzlichen Höchstbetrag liegen würde, den der Verurteilte erhalten hätte, wenn er nicht bestraft worden wäre. Aller7 Vgl. L o e n i n g in DVB1. 1951 S. 233; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 149; Tietgen in NJW 1956 S. 1129; Ule, Anm. IV 6 b zu § 42 VwGO; K ö h l e r , Anm. A III 19 zu § 42 VwGO; K l i n g e r , Anm. Ε I 2 e zu § 42 VwGO; B a c h o f , Vornahmeklage, S. 26; K a i s e r in NJW 1961 S. 200; G u g g u m o s i n NJW 1953 S. 1540; OVG Koblenz in AS Bd. 4 S. 25; F r i e d r i c h J u l i u s Stahl, Rechtsphilosophie, II S. 554; a. M. S t a m m l e r , Rechtsphilosophie, S. 311; Sauer, Gerechtigkeit, S. 138; S c h u n c k - D e C l e r c k , Anm. 2 a ee zu § 42 VwGO; E y e r m a n n - F r ö h l e r , Randnote 37 zu § 42 V w G O ; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, II S. 574. 8 M ü l l e r , a. a. O. S. 20: - c eitter, a. a. O. S. 19.
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Widerruf des Gnadenaktes
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dings könnte er eine Disziplinarstrafe durch eine andere Art ersetzen, sofern diese der Art und der Höhe nach im Disziplinarrecht zulässig ist9. V m . WIDERRUF DES GNADENAKTES A. Allgemeines Da der Gnadenakt keinen Verwaltungsakt darstellt, können die Grundsätze, die im Verwaltungsrecht hinsichtlich des Widerrufs von Verwaltungsakten herausgearbeitet worden sind, hier nicht herangezogen werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Gnadenentscheidung widerruflich ist, muß daher auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie ζ,. B. den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und des Vertrauensschutzes, zurückgegriffen werden. Grundsätzlich sind Gnadenerweise unwiderruflich, selbst wenn sie einen Widerrufsvorbehalt enthalten. Hierzu gehören die Gnadenerweise, durch die eine Disziplinarstrafe erlassen oder gemildert worden ist. Wird ζ. B. eine Warnung, ein Verweis oder eine Geldbuße aufgehoben, so kann der Gnadenerweis, durch den die Aufhebung dieser Disziplinarstrafen ausgesprochen worden ist, später nicht mehr geändert werden, weil sich ζ. B. herausgestellt hat, daß der Begnadigte sich eines solchen Erweises nicht würdig erwiesen hat. Hierzu rechnen vor allem die Gnadenerweise, die sich statusgestaltend auswirken, wie ζ. B. die Aufhebung der beamtenrechtlichen Folgen eines Strafurteils nach § 50 BBG. Die Aufhebung eines solchen Gnadenerweises würde einer erneuten Bestrafung wegen des bereits abgeurteilten Tatbestandes gleichkommen 10 . Dies würde dann einen Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit darstellen. B. Widerruf von wiederkehrenden Leistungen Wird dem früheren Beamten oder seinen Hinterbliebenen ein Gnadenerweis gewährt, der eine wiederkehrende Leistung zum Gegenstand hat, wie dies bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages der Fall ist, so kann ein Widerruf ex nunc unter bestimmten Voraussetzungen in Frage kommen. Hierbei ist nicht zu verkennen, daß bei Empfängern von Gnadenbezügen bei Durchführung der Gnadenversorgung eine Doppelversorgung eintritt, indem ihnen für den gleichen Zeitraum der ausgezahlte Unterhaltsbeitrag verbleibt. Dies hat verschiedene Bundesressorts veranlaßt, beim Bundespräsidenten einen rückwirkenden Widerruf zu beantragen, um eine Doppelversorgung zu vermeiden. Trotz dieser fiskalischen Erwägungen hat sich der Bundespräsident nicht dazu entschließen können, einen Widerruf ex tunk auszusprechen, da derartiges dem Grundsatz der Rechtssicherheit widersprechen würde und die Zahlung eines Unterhaltsbeitrages nicht an die Voraussetzungen der Bedürftigkeit geknüpft ist. Da im Falle der Zahlung eines Unterhaltsbeitrages gleichfalls „Gnade vor Recht waltet", ist gegen eine Doppelversorgung nichts einzuwenden10·1. W i t t l a n d , Anm. 7 zu § 104 RDStO; Behnke, Anm. 6 zu § 104 BDO. G e r l a n d in Festgabe für Reinhard von Frank 1930 Bd. 2 S. 215. 10 » Vgl. UmdruckVf. BPM III R 8323—0 vom 23.10. 64 und UmdruckVf. BPM III Κ 2 8654—0 vom 26. 8. 64. 9
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Begnadigung
Grundsätzlich wird ein Unterhaltsbeitrag dann bewillgt werden, wenn der Bittsteller bedürftig und eines Gnadenerweises würdig ist. Bessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Begnadigten wesentlich oder erweist er sich eines Gnadenerweises später als unwürdig, so wird zu erwägen sein, den Unterhaltsbeitrag zu widerrufen. Ist in dem Gnadenerweis von vornherein zum Ausdruck gebracht, daß er dem Bittsteller widerruflich gewährt worden ist, so dürften gegen einen Widerruf bei Wegfall der Voraussetzungen, unter denen er gewährt worden ist, keine Bedenken bestehen. Ein Widerruf dürfte jedoch auch bei einem Gnadenakt mit Widerrufsvorbehalt ausscheiden, wenn hierfür keine sachlichen Gründe vorliegen. Dann würde sich der Widerruf als Willkürakt erweisen. Umstritten ist, ob ein Gnadenakt auch widerrufen werden kann, der keinen Widerrufsvorbehalt enthält. Dies kommt ohne weiteres dann in Frage, wenn der Unterhaltsbeitragsempfänger sich eines Dienstvergehens im Sinne des § 77 Abs. 2 BBG schuldig gemacht hat. Darüber hinaus vertrat der Bundesdisziplinarhof in einer Stellungnahme an das Bundespräsidialamt11 die Auffassung, daß Gnadenerweise ohne Widerrufsvorbehalt allgemein widerrufen werden können, wenn die Voraussetzungen für eine staatliche Fürsorge nicht gegeben sind. Hierbei stützt er sich auf Sommer 12 . Unter Beachtung der Lehre der clausula rebus sie stantibus müßte hier ein Widerruf unter Anlegung von strengsten Maßstäben als zulässig erachtet werden. Der Widerruf des Verwaltungsaktes dürfte dann nicht als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden, wenn ein Festhalten an ihm zu ungerechten sowie Treu und Glauben widersprechenden Ergebnissen führen würde 13 . Die Auffassung des Bundesdisziplinarhofs wird von den Bundesressorts, die mit der Ausübung des Begnadigungsrechtes Befassung haben, nicht uneingeschränkt geteilt. So wird bei einem Gnadenerweis, der ohne Widerrufsvorbehalt erlassen worden ist, ein Widerruf nur anerkannt, wenn eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Begnadigten in einem Maßstabe eingetreten ist, daß die Allgemeinheit die Weitergewährung des Unterhaltsbeitrages nicht verstehen würde. Voraussetzung ist dabei, daß der Unterhaltsbeitrag ausschließlich wegen Bedürftigkeit gewährt worden ist. Der Begriff der wesentlichen Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht aus der sich aus § 96 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entwickelten Rechtsprechung zu entlehnen. Anerkannt wird ζ. B. eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse infolge eines hohen Toto- oder Lottogewinns oder einer größeren Erbschaft. Ein Widerruf wäre auch dann gerechtfertigt, wenn der Unterhaltsbeitrag arglistig erschlichen ist, oder der Begnadigte sich später des Gnadenerweises als unwürdig erwiesen hat. Darüber hinaus ist ein Widerruf eines Unterhaltsbeitrages, der ohne Widerrufsvorbehalt bewilligt war, abzulehnen, weil unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes sich der Verurteilte darauf verlassen kann, daß ihm der Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit gewährt worden ist. Außerdem würde das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Unerschütterlichkeit der aus einer höheren Sphäre stammenden Gnadenentscheidung zerstört und die Autorität des Gnadenträgers untergraben werden. 11 12 13
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Siehe BDH 10. 4. 56 — II DB 29/55 —. S o m m e r , Widerruf von Verwaltungsakten in DòV 1954 S. 655, 685, 717 und 744. NJW 1948 S. 521; MDR 1949 S. 353 und 1951 S. 361.
Die einzelnen Gnadenerweise und ihre Rechtsfolgen
§31
IX. DIE EINZELNEN GNADENERWEISE UND IHRE RECHTSFOLGEN A. Allgemeines Durch einen Gnadenerweis bleibt der rechtliche Bestand der beschwerenden Entscheidung unberührt; die Tatsache einer Verurteilung kann durch den Gnadenerweis nicht ungeschehen gemacht werden. Denn der Gnadenerweis kann nicht die beschwerende Entscheidung selbst, sondern nur die in ihr ausgesprochene Strafe bzw. Folgen einer Strafe aufheben oder mildern. Dies kann, sofern es die Eigenart des jeweiligen Gnadenaktes zuläßt, von der Rechtskraft der Entscheidung (ex tunc) oder vom Zeitpunkt der Gnadenschließung (ex nunc) geschehen. Der Gnadenerweis kann, wenn es sein Inhalt zuläßt (ζ. B. bei Unterhaltsbeiträgen) von Bedingungen abhängig gemacht, zeitlich befristet oder unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gewährt werden. Überhaupt sind alle Abstufungen der Milderung bis zur völligen Aufhebung der Strafe im gesetzlichen Rahmen als Gnadenerweis möglich. B. Bei Verfahrenskosten In jeder Disziplinarentscheidung muß angegeben sein, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Soweit dem Bestraften die Kosten auferlegt werden, kann der Träger der Gnadengewalt bestimmen, daß die Kosten ganz oder teilweise niedergeschlagen werden. Dieser Gnadenerweis kommt im allgemeinen nur bei den vom Bestraften noch nicht gezahlten Kosten in Betracht. C. Bei Warnung, Verweis, Geldbuße, Gehalts- und Ruhegehaltskürzung sowie Herabsetzung des Ruhegehalts Ein Gnadenerweis kann bei einer Bestrafung mit einer Warnung oder einem Verweis nur darin bestehen, daß die Strafen ganz erlassen werden. Hierbei ist gleichgültig, ob die Strafe durch den Dienstvorgesetzten oder das Disziplinargericht verhängt war. Der Begnadigung steht bei der Warnung und dem Verweis der Umstand nicht entgegen, daß diese Disziplinarstrafen mit der Zustellung bzw. Eröffnung als vollstreckt gelten. Ist eine Geldbuße verhängt, so kann durch den Gnadenakt bestimmt werden, daß die Strafe ganz erlassen, auf einen niedrigen Betrag festgesetzt oder daß dem Bestraften eine Ratenzahlung eingeräumt wird. Letzteres kann auch verwaltungsseitig angeordnet werden. Bei Erlaß oder Milderung der Strafe hat der Dienstvorgesetzte die bereits eingezogene Geldbuße oder Teile davon im Rahmen des Gnadenerweises an den Beamten zurückzuzahlen. Gehaltskürzungen, Kürzungen des Ruhegehalts und die Herabsetzung des Ruhegehalts (§§7, 9 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) können im Gnadenwege rückwirkend oder vom Zeitpunkt des Gnadenerweises an aufgehoben oder gemildert werden. Die Aufhebung der Kürzung ex tunc hat die Nachzahlung der in der Vergangenheit einbehaltenen Kürzungsbeträge zur Folge. Die Aufhebung der Strafe ex nunc bedeutet eine Einstellung der Vollstrekkung von dem in dem Gnadenerweis bezeichneten Zeitpunkt an. Die Milderung der Strafe der Gehaltskürzung oder der Kürzung bzw. Herabsetzung des Ruhegehalts könnte in einer Verkürzung des im Disziplinarurteil angegebenen Kürzungszeitraums oder in der Festsetzung eines niedrigeren Kürzungsbetrages 303
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Begnadigung
oder in der Zahlung von Ruhebezügen nach einer höheren Dienstaltersstufe oder nach dem Amt einer Laufbahn mit höherem Endgrundgehalt bestehen. D. Bei Versagung des Aufsteigens im Gehalt und Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe Die Disziplinarstrafen der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe können rückwirkend oder vom Zeitpunkt des Gnadenerweises ab aufgehoben oder gemildert werden. Mit der rückwirkenden Aufhebung dieser Strafen ist die Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge verbunden. Eine Milderung dieser Strafen kann darin bestehen, daß der Versagungszeitraum herabgesetzt bzw. die Zahl der Dienstaltersstufen, um die der Verurteilte zurückgestuft ist, vermindert wird. Für den mit der Disziplinarstrafe nach § 7b BDO, BDO i. d. F. der Novelle belegten Beamten kann die Aufhebung dieser Strafe im Gnadenwege wegen der damit verbundenen Beförderungssperre besonders bedeutungsvoll sein; denn nach der Nr. 2 DVO zu § 7b BDO darf ein solchermaßen bestrafter Beamter solange nicht befördert werden, bis er die Dienstaltersstufe wieder erreicht hat, in die er vor seiner Verurteilung zuletzt aufgerückt war. Bei Gnadenerweisen der vorstehenden Art ist eine Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters erforderlich. E. Bei Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt Die Strafe nach § 7 c BDO, BDO i d. F. der Novelle kann im Gnadenwege dadurch gemildert werden, daß der Verurteilte in ein Amt eingestuft wird, das zwischen dem ursprünglich innegehabten und dem im Urteil angegebenen Amt liegt. Dem vom Obersekretär zum Assistenten zurückversetzten Beamten könnte beispielsweise im Gnadenwege das Amt eines Sekretärs zuerkannt werden. Bei der Ausübung der Gnadengewalt hinsichtlich der Disziplinarstrafen nach § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle dürfte zu beachten sein, daß einem Beamten frühestens nach sieben (nach der Novelle zur BDO fünf) Jahren seit Rechtskraft des Urteils ein Amt übertragen werden kann, das einer höheren Besoldungsgruppe angehört als das bisherige. Die Gnadeninstanz wird unter Berücksichtigung des sich aus dieser Vorschrift ergebenden Grundgedankens erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes seit Rechtskraft des Disziplinarurteils die Aufhebung einer Strafe nach § 7 c BDO, BDO i. d. F. der Novelle, erwägen können. Der Gnadenerweis kann sich andererseits darauf beschränken daß die mit dieser Strafe verbundene Beförderungssperre aufgehoben oder verkürzt wird. Durch die Strafe der Versetzung eines Beamten in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt wird das bisherige Beamtenverhältnis nicht beendet und ein neues nicht begründet. Hieraus kann gefolgert werden, daß bei der gnadenweisen Aufhebung einer Disziplinarstrafe nach § 7c BDO, BDO i. d. F. der Novelle eine beamtenrechtliche Ernennung ( § 6 BBG) nicht erforderlich ist. Wie bei der Einstufung in ein Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt auf Grund des Disziplinarurteils keine Ernennung vorzunehmen ist, so bedarf es ebenfalls keiner Ernennung, wenn die Folgen des 304
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Disziplinarurteils auf Grund eines Gnadenerweises wieder beseitigt werden. Wollte man dagegen die Ernennung bei Erteilung dieses Gnadenaktes zwingend voraussetzen, würden Schwierigkeiten bei einer rückwirkenden Aufhebung der Strafe entstehen ; denn in diesem Falle müßte auch die Ernennung ex tunc ausgesprochen werden. Einer rückwirkenden Ernennung steht aber § 10 Abs. 2 BBG entgegen. F. Bei Entfernung aus dem Dienst und Verlust der Beamtenrechte auf Grund des § 48 BBG Bei der Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst und bei Verlust der Beamtenrechte auf Grund strafgerichtlicher Verurteilung nach § 48 BBG kann der Gnadenerweis entweder die beamten- oder nur die vermögensrechtlichen Straffolgen beseitigen. 1. B e s e i t i g u n g der b e a m t e n r e c h t l i c h e n S t r a f f o l g e n Wird die Strafe der Entfernung aus dem Dienst aufgehoben, so gilt § 50 Abs. 2 BBG sinngemäß (§ 104 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Hiernach kann im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte in vollem Umfange beseitigt werden; die beamtenrechtlichen Folgen eines derartigen Gnadenerweises ergeben sich aus § 51 BBG ( § 5 0 Abs. 2 BBG). Das Beamtenverhältnis gilt dann nicht als unterbrochen ( § 5 1 Abs. 1 Satz 1 BBG). Der Begnadigte hat, sofern er die Altersgrenze noch nicht erreicht hat und noch dienstfähig ist, Anspruch auf Übertragung eines Amtes derselben oder einer mindestens gleichwertigen Laufbahn wie sein bisheriges Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt; bis zur Übertragung des neuen Amts erhält er die Dienstbezüge, die ihn in seinem bisherigen Amt zugestanden hätten ( § 5 1 Abs. 1 Satz 2 BBG). Der Begnadigte muß sich auf die ihm nach § 51 Abs. 1 BBG zustehenden Dienstbezüge ein anderes Arbeitseinkommen oder einen Unterhaltsbeitrag, den er nach § § 64, 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, oder nach § 104 BDO, BDO i. d. F. der Novelle im Gnadenwege erhalten hat, anrechnen lassen; er ist zur Auskunft über sein anderweitiges Arbeitseinkommen verpflichtet ( § 5 1 Abs. 4 BBG). Entscheidend ist, daß die beamtenrechtlichen Folgen im vollen Umfange beseitigt sind. Das kann auch dann der Fall sein, wenn der Gnadenerweis nicht ex tunc, sondern ex nunc gewährt wird, da letzteres keine Einschränkung bedeutet, sondern nur den Zeitpunkt betrifft, von dem ab der Gnadenerweis in vollem Umfang wirksam werden soll. Wird der Begnadigte zum Beamten wiederernannt, so bedarf es keiner neuen Ernennung14. Soll ein Gnadenerweis, mit dem die Folgen des Disziplinarurteils oder die Folgen, die sich aus §§ 48, 49 BBG ergeben, im vollen Umfange, also mit rückwirkender Kraft, beseitigt werden, so würde die Ausstellung einer neuen Ernennungsurkunde auf Schwierigkeiten stoßen. Da das Beamtenverhältnis nicht als unterbrochen gilt, wäre zudem die Aushändigung einer neuen Ernennungsurkunde überflüssig. Nach W Nr. 8 zu § 111 BBG ist bei der Aufhebung der Strafe der Entfernung aus dem Dienst oder bei der Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen eines Strafurteils im vollen Umfange die in dem früheren Beamtenver1 4 P l o g - W i e d o w , Anm. 13 zu § 50 BBG; B o c h a l l i , Anm. 4 zu § 50 BBG; B r a n d , Anm. 3 zu § 54 DBG.
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L i a d g e n , Disziplinarrecht I
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hältnis zurückgelegte Dienstzeit ruhegehaltsfähig. Ob und in welchem Umfange die Zeit von der Rechtskraft des Urteils, in dem die Entfernung aus dem Dienst oder die Strafe ausgesprochen ist, die zum Verlust der Beamtenrechte nach § 48 BBG geführt hatte, bis zum Wirksamwerden der Gnadenentscheidung als ruhegehaltsfähig zu berücksichtigen ist, ist umstritten. Soll der Gnadenerweis rückwirkend im vollen Umfange beseitigt werden, so ist diese Zeit in die ruhegehaltsfähige Dienstzeit anzurechnen. Was für die Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit gilt, gilt entsprechend auch für die Berechnung des Besoldungsdienstalters. Die Zeit zwischen Amtsverlust und Wirksamwerden eines vollen Gnadenerweises ex nunc ist ebenfalls auf das Besoldungsdienstalter anzurechnen. Wird ein Gnadenerweis im vollen Umfange ex tunc erteilt, sind außerdem die Bezüge für die rückliegende Zeit nachzuzahlen (vgl. die im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern erlassene Umdruckverfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen III R 2 8323 — O vom 8. 6. 64). Ein derartig umfassender Gnadenerweis, der den Verlust der Beamtenrechte im vollen Umfange rückwirkend beseitigt, wird kaum in Frage kommen. Er wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Verurteilte unschuldig bestraft worden wäre. In diesem Falle würde eine Beseitigung des Unrechts im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens in Frage kommen. Eine Begnadigung eines schuldigen Täters in diesem Umfange würde gewissermaßen eine Belohnung bedeuten. Würde ihm die Zeit zwischen seiner Verurteilung und der Begnadigung in die ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet werden, so würde in den Fällen der Begnadigte, in denen er in der Zwischenzeit einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist, nach seiner Zurruhesetzung eine Doppelversorgung erhalten. Wenn schon der Gnadenerweis bei einem aus dem Dienst entfernten Beamten zu seiner Reaktivierung führen soll, so wird im allgemeinen seine Wiedereinstellung mit der Maßgabe in Frage kommen, daß die Zeit der Nicht beschäftigung nicht in die ruhegehaltsfähige Dienstzeit eingerechnet wird. In diesem Falle kann der Begnadigte Rechte erst von seiner Wiedereinstellung an geltend machen. Inwieweit seine frühere Beschäftigung als ruhegehaltsfähig anzusehen ist, wird im allgemeinen im Gnadenakt selbst bestimmt werden. Fehlt ein entsprechender Hinweis, so verbleibt es bei Nr. 8 VV zu § 111 BBG. Die Zeit der Nichtbeschäftigung wird jedoch hier nicht zu berücksichtigen sein15. Das gleiche gilt für die Festsetzung des Besoldungsdienstalters. Auch hier wird der Gnadenerweis eine Regelung enthalten müssen, ob die Zeit der früheren Beschäftigung und die Zeit der Nichtbeschäftigung in das Besoldungsdienstalter anzurechnen sind. Fehlt hier eine entsprechende Regelung, so ist im Gegensatz zu Nr. 8 VV zu § 111 BBG jedoch die Dienstzeit in einem öffentlichen rechtlichen Dienstverhältnis, das durch eine Entscheidung der in § 48 BBG bezeichneten Art oder durch Disziplinarurteil beendet worden ist, nicht anzurechnen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes). Bevor die Gnadeninstanz die Folgen eines Disziplinarurteils oder eines Strafurteils in dem Sinne aufhebt, daß der Begnadigte seine Beamtenrechte wiedererlangen soll, wird sie der früheren Beschäftigungsbehörde anheimstellen, den Verurteilten zunächst im Angestellten- oder Arbeiterverhältnis 15
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D i s t e l - S e l g e , Anm. 3 zu § 50 BBG.
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zu beschäftigen, um hierbei festzustellen, ob er sich eines so weitgehenden Gnadenerweises als würdig erweisen wird. Diese Wiederbeschäftigung im Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis stellt keinen Gnadenakt dar. Das Gnadenrecht kann nur zur Wiederherstellung der früheren Beamtenrechte führen. Die Gnadeninstanz besitzt die Möglichkeit, die Begnadigung mit der Maßgabe auszusprechen, daß der Beschuldigte in der Eingangsstelle seiner Laufbahn oder in eine Planstelle mit einem geringeren Endgrundgehalt eingewiesen wird, als er sie vor seiner Entfernung aus dem Dienst oder der strafgerichtlichen Verurteilung innegehabt hatte, was allerdings die Aushändigung einer neuen Ernennungsurkunde voraussetzt. Auf keinen Fall kann aber ein Gnadenerweis in dem Sinne gewährt werden, daß der frühere Beamte in ein Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis überführt werden kann. Hat die Gnadeninstanz die Absicht, den früheren Beamten erst nach einer gewissen Bewährung als Angestellter oder Arbeiter im öffentlichen Dienst zu reaktivieren, so wird sie der früheren Beschäftigungsbehörde empfehlen, den Bittsteller erst im Angestellten- oder Arbeiterverhältnis auf längere Zeit zu erproben. Die frühere Beschäftigungsbehörde braucht der Bitte der Gnadeninstanz nicht nachzukommen, weil es in ihrem Ermessen steht, ob sie den Bittsteller in das Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis überführen will. Der Gnadeninstanz bleibt es dann unbenommen, gleich den Verlust der Beamtenrechte ex nunc oder gar ex tunc zu beseitigen. 2. V e r m ö g e n s r e c h t l i c h e F o l g e n a) G e w ä h r u n g v o n V e r s o r g u n g s b e z ü g e n Ein Gnadenerweis, durch den die beamtenrechtlichen Folgen eines Disziplinarurteils, das auf Entfernung aus dem Dienst lautet, oder eines Strafurteils, das zur Beendigung des Beamtenverhältnisses nach § 48 BBG geführt hatte, durch Wiedereinstellung des Verurteilten beseitigt werden sollen, wird nur in sehr wenigen Fällen zur Anwendung kommen. Er wird vor allem dort ausscheiden, wo der Verurteilte gegen seine Hauptdienstpflichten verstoßen hat oder mit einer erheblichen Freiheitsstrafe beim ordentlichen Strafgericht bestraft worden ist. So wird man ζ. B. den Verkehrsverwaltungen, wie der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost, nicht zumuten können, einen Beamten, der sich eines Zugriffs am Beförderungsgut schuldig gemacht hat, wieder als Beamten zu beschäftigen. Jedoch kann auch ein erheblich bestrafter Beamter sich nach langjähriger guter Führung eines Gnadenerweises würdig erweisen. Wenn auch seine Wiederbeschäftigung nicht mehr in Frage kommt, so kann es geboten erscheinen, die vermögensrechtlichen Auswirkungen, die der Amtsverlust nach § 48 BBG oder die disziplinargerichtliche Verurteilung zur Entfernung aus dem Dienst nach sich gezogen hatte, zu mildern. Hier kann zunächst einmal in Frage kommen, dem Verurteilten die vollen Versorgungsbezüge zu gewähren. Dies setzt aber immer seine Dienstunfähigkeit voraus. Der Gnadenerweis kann sich nicht über die Voraussetzungen der § § 41 ff. BBG hinwegsetzen. Ein Gnadenerweis, durch den dem Beamten die Rechtsstellung eines Ruhestandsbeamten eingeräumt wird, setzt also voraus daß der Bittsteller entweder das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 41 BBG) oder daß er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Disziplinarpflichten, 20»
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Begnadigung
die ihm im Falle einer Wiederbeschäftigung obliegen würden, dauernd unfähig ist ( § 4 2 BBG). Ob die Voraussetzungen des § 42 BBG vorliegen, wird im allgemeinen nur durch eine amtsärztliche Untersuchung und, falls dies ein Amtsarzt für notwendig hält, durch eine Anstaltsbeobachtung festgestellt werden können. Hat der Bittsteller das 62. Lebensjahr vollendet, so braucht der Nachweis der Dienstunfähigkeit nicht mehr geführt zu werden ( § 4 2 Abs. 3 BBG). Das Ruhegehalt ist, wenn ein Gnadenerweis im vollen Umfange gewährt werden soll, so zu berechnen, daß die Zeit zwischen der Verurteilung und dem Gnadenerweis als ruhegehaltsfähig anzurechnen ist. Ein solch weitgehender Gnadenerweis, der diese Folgen in seinem Tenor zum Ausdruck bringen muß, wird jedoch nicht in Frage kommen, da, wie bereits unter 1) ausgeführt ist, der Bittsteller bei einer anderweitigen versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Zwischenzeit eine Doppelversorgung erhalten würde. Aus diesem Grunde wird dem Bittsteller nur das Ruhegehalt gewährt, das er zur Zeit der strafgerichtlichen oder disziplinargerichtlichen Verurteilung erdient hatte. In jedem Falle erhält der Bittsteller die Berechtigung, seine frühere Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „a. D." zu führen. b) B e w i l l i g u n g e i n e s U n t e r h a l t s b e i t r a g e s aa) Allgemeines In den meisten Fällen wird die vermögensrechtliche Auswirkung des Disziplinar· bzw. des Strafurteils dadurch gemildert, daß dem Verurteilten ein Unterhaltsbeitrag gewährt wird. Die gnadenweise Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages ist nicht an die Voraussetzungen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle — Vorliegen von Bedürftigkeit und Nichtunwürdigkeit — gebunden, da der Gnadenerweis in das freie Ermessen des Trägers der Gnadengewalt gestellt ist und somit einer anderen Ebene als das Recht angehört. Jedoch wird die gnadenweise Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages im allgemeinen dann ausscheiden, wenn der Bittsteller eines solchen sich zum Zeitpunkt des Antragstellung unwürdig erweist oder wenn er eine anderweitige gewinnbringende Beschäftigung gefunden hat, die eine Notlage ausschließt. Wenn bei der Bewilligung eines gnadenweisen Unterhaltsbeitrages die Bedürftigkeit eine wesentliche Rolle gespielt hat, so dürften gegen den Widerruf eines solchen Unterhaltsbeitrages keine Bedenken bestehen, sofern es sich später herausstellen sollte, daß der Bittsteller nicht bedürftig ist oder sich eines Unterhaltsbeitrages unwürdig erwiesen hatte oder nunmehr erweist. Dies setzt allerdings voraus, daß der Gnadenerweis einen Widerrufsvorbehalt enthalten hatte. Ist dem Bittsteller ein Unterhaltsbeitrag ohne Rücksicht auf seine Bedürftigkeit erteilt worden, so kommt ein Widerruf dann nicht in Frage, wenn der Unterhaltsbeitragsempfänger sich später in einer wirtschaftlich gesicherten Lage befinden sollte. bb) Gewährung des Unterhaltsbeitrages in Höhe des Ruhegehalts Der Unterhaltsbeitrag kann bis zur vollen Höhe des Ruhegehalts gewährt werden, das der Bittsteller zur Zeit der Entfernung aus dem Dienst oder des Verlustes der Beamtenrechte erdient hatte, wobei die Nichtbeschäftigung grundsätzlich nicht als ruhegehaltsfähig anzurechnen ist. Selbst wenn der Unterhaltsbeitrag in voller Höhe des Ruhegehalts gewährt wird, verliert er 308
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dadurch noch nicht den Charakter eines Rentenanspruchs besonderer Art. Der B i t t s t e l l e r e r l a n g t selbst dann nicht die R e c h t s s t e l l u n g eines R u h e s t a n d s b e a m t e n , wenn ihm neben dem Unterhaltsbeitrag die Genehmigung erteilt werden sollte, im Gnadenwege seine frühere Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „a. D . " zu führen. Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil nach dem Ableben des Bittstellers seine Hinterbliebenen keine Versorgung erhalten, sofern nicht in dem Gnadenerweis sich ein ausdrücklicher Zusatz befindet, daß nach dem Ableben des früheren Beamten seine Witwe und Waisen den Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwen- oder Waisengeldes weiterhin erhalten sollten. Schließlich kann ein Unterhaltsbeitragsempfänger, selbst wenn der Unterhaltsbeitrag in voller Höhe des Ruhegehalts gezahlt werden sollte, nach den geltenden Unterstützungsrichtlinien Unterstützungen oder Beihilfen nicht erhalten. Im Bereich der Deutschen Bundespost kann ein Unterhaltsbeitragsempfänger nicht mehr Mitglied der Postbeamtenkrankenkasse werden. cc) Gewährung des Unterhaltsbeitrages in teilweiser Höhe des Ruhegehalts Wird der Unterhaltsbeitrag nicht in voller, sondern nur in einer geringeren Höhe des Ruhegehalts gewährt, so wird er nicht ziffernmäßig festgesetzt, sondern er bemißt sich wie der durch das Disziplinargericht bewilligte Unterhaltsbeitrag nach dem Hundertsatz des an sich erdienten Ruhegehalts oder der Hinterbliebenenbezüge. Bei der Bemessung des Vomhundertsatzes des Unterhaltsbeitrages ist zu berücksichtigen, daß er grundsätzlich nur dazu dienen soll, dem Bittsteller und seiner Familie einen notdürftigen Lebensunterhalt zu sichern. Wollte jedoch die Gnadeninstanz sich der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages weniger von wirtschaftlichen Erwägungen, sondern mehr von dem Grundsatz „Gnade geht vor Recht" leiten lassen, so brauchen bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsbeitrages derart strenge Maßstäbe nicht angelegt zu werden. Im allgemeinen wird bei einer Familie von zwei Personen ein Unterhaltsbeitrag von 400,— DM als angemessen erachtet. Der Bittsteller wird sich ein anderweitiges Arbeitseinkommen und Renten aus der Sozialversicherung anrechnen lassen müssen. Das gleiche gilt auch, wenn der Bittsteller Kinder hat, die sich in einer wirtschaftlich gesicherten Stellung befinden und denen zugemutet werden kann, zu dem Lebensunterhalt des Bittstellers beizutragen. Renten aus der Kriegsopferversorgung sind jedoch nicht anzurechnen, weil sie einen Ausgleich für die durch das Kriegsleiden bedingten Mehrausgaben darstellen. Ist der Bittsteller bereits betagt, oder hat er infolge ständiger Erkrankung Mehrausgaben, so wird der Unterhaltsbeitrag entsprechend heraufgesetzt werden können. Ein Unterhaltsbeitrag wird ausnahmsweise in einem festen Betrag gewährt, wenn andere staatliche anrechenbare Leistungen (Arbeitslosenhilfe, Unterstützungshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz oder Ausgleichsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz) an den Bittsteller gezahlt werden und vermieden werden soll, daß bei etwaigen Neufestsetzungen der Versorgungsbezüge die jeweiligen anrechnungsfreien Grenzen überschritten werden. Ist der Unterhaltsbeitrag in einem festen Betrag bewilligt, so werden Veränderungen, die sich aus einer Neuregelung der versorgungsrechtlichen Bestimmungen ergeben, nicht berücksichtigt. 309
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dd) Grundsätze für die Bewilligung und Zahlung eines Unterhaltsbeitrages Im allgemeinen wird der Unterhaltsbeitrag nur im Rahmen des § 64 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bewilligt. Hat der Bittsteller das 65. Lebensjahr vollendet oder ist er nicht mehr arbeitsfähig, so wird der Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit, andernfalls auf Zeit gewährt werden. Für den Fall seines Ablebens wird im Gnadenerweis ausdrücklich angeordnet werden, daß den Hinterbliebenen ein Unterhaltsbeitrag in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu zahlen ist, die sich aus dem Vomhundertsatz des Unterhaltsbeitrages errechnen. Ist der Unterhaltsbeitrag ohne einen solchen Zusatz gewährt, so wird nach dem Tode des Bittstellers der Unterhaltsbeitrag den Hinterbliebenen für das Sterbevierteljahr als Sterbegeld weitergezahlt; die §§ 121,122 BBG werden hier sinnentsprechend angewendet. Dies schließt nicht aus, daß die Hinterbliebenen des früheren Beamten nunmehr von sich aus einen Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages in voller oder teilweiser Höhe des Witwen- und Waisengeldes stellen können. Da Gnadenunterhaltsbeiträge abgewandelte beamtenrechtliche Versorgungsbezüge darstellen, die sich von den Versorgungsbezügen im engeren Sinne nur dadurch unterscheiden, daß ihre Höhe durch die Gnadenentscheidung festgelegt ist, sind die versorgungsrechtlichen Bestimmungen des BBG sinngemäß anzuwenden. Die Unterhaltsbeiträge unterliegen nach § 166 Nr. 5 BBG den gleichen Zahlungs-, Ruhens- und Erlöschungsvorschriften wie die übrigen Versorgungsbezüge. Im Sinne des § 267 Abs. 2 Nr. 4 des Lastenausgleichsgesetzes i. d. F. des 8. Änderungsgesetzes vom 26. 7. 57 (BGBl. I S. 809) sind Gnadenunterhaltsbeiträge keine „staatlichen Gratiale" oder „freiwilligen Leistungen". Sie sind als „sonstige Versorgungsbezüge" nach § 267 Abs. 2 Nr. 6 a. a. O. zu behandeln. Neben den Unterhaltsbeiträgen sind die gesetzlichen Kinderzuschläge voll zu zahlen, sofern die Voraussetzungen des § 18 des BBesG vorliegen (vgl. §§ 156 Abs. 2, 166 Nr. 5, 50 BBG). ee) Einfluß der Nachversicherung auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages16 Nachdem auf Grund der Neuregelung der Sozialversicherung17 in den meisten Fällen eine Nachversicherung der in Unehren ohne lebenslängliche Versorgung ausgeschiedenen früheren Beamten durchgeführt werden muß, wird eine Bewilligung von Unterhaltsbeiträgen im Gnadenwege nicht mehr im bisherigen Umfange in Frage kommen, zumal die Leistungen aus der Sozialversicherung in den meisten Fällen höher liegen als die günstigstenfalls zahlbaren Unterhaltsbeiträge. Während eines schwebenden Rentenverfahrens werden statt der Bewilligung eines Gnadenunterhaltsbeitrages Vorschüsse auf die zu erwartende Rente gegen eine Abtretungserklärung zu zahlen sein. Sollte der Bittsteller ausnahmsweise keine Rente aus der Sozialversicherung erhalten, so wird die Gnadeninstanz die gezahlten Vorschüsse in einen Unterhaltsbeitrag umwandeln können. 1 6 D ö r i n g , Disziplinarrechtlicher Unterhaltsbeitrag und Nachversicherung in ZBR 1960 S. 214. 1 7 Vgl. § 20 V S. 177 ff.
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Verfahren
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Nach Inkrafttreten der Novelle zur BDO sind Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen auf Unterhaltsbeiträge, die vor Inkrafttreten der Novelle im Gnadenwege bewilligt worden sind, anzurechnen, soweit sie auf einer Nachversicherung beruhen und für den gleichen Zeitraum wie die Unterhaltsbeiträge zu zahlen sind. Rentennachzahlungen hat der Versicherungsträger an den früheren Dienstherrn zu leisten, soweit nach dem vorhergehenden Satz Renten auf Unterhaltsbeiträge anzurechnen wären (Art. III § 8 Novelle zur BDO). G. Bei Aberkennung des Ruhegehalts und Verlust der Versorgungsbezüge nach § 162 BBG Einem Bittsteller, der durch das Urteil eines Disziplinargerichts mit der Aberkennung des Ruhegehalts bestraft worden ist, oder dem die Rechte als Ruhestandsbeamter nach § 162 BBG aberkannt worden sind, wird ein Gnadenerweis nach § 104 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, § 50 Abs. 2 BBG in dem Sinne zu gewähren sein, daß seine Rechtsstellung als Ruhestandsbeamter wiederhergestellt wird. Nach § 104 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle gilt § 50 Abs. 2 BBG, wenn u. a. die Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts aufgehoben wird. Der Gnadenerweis kann in dem Sinne gewährt werden, daß der Bittsteller rückwirkend von der Rechtskraft des Urteils an, auf Grund dessen ihm das Ruhegehalt aberkannt worden ist, die Rechtsstellung eines Ruhestandsbeamten erhält. Dann müßten ihm die Versorgungsbezüge rückwirkend nachgezahlt werden. Mit einem derartig umfangreichen Gnadenerweis dürfte nur dann zu rechnen sein, wenn der Bittsteller zu Unrecht bestraft worden ist. In diesem Falle würde der frühere Status sich jedoch auf Grund eines Wiederaufnahmeverfahrens herstellen lassen. Im allgemeinen wird im Gnadenwege die Rechtsstellung als Ruhestandsbeamter mit Wirkung vom Tage des Gnadenerweises in Frage kommen, wenn eine völlige Rehabilitierung des Bittstellers beabsichtigt ist. Das Ruhegehalt wird ihm dann in der Höhe zu gewähren sein, wie es dem Bittsteller zur Zeit der Verurteilung zustand. Inzwischen eingetretene Aufbesserungen auf Grund einer besoldungsrechtlichen Regelung sind hierbei zu berücksichtigen. Auch bei der Strafe der Aberkennung des Ruhegehalts wird dem Bittsteller nur ein Unterhaltsbeitrag zu gewähren sein. Hier gilt das unter F 2 Gesagte entsprechend. Der Unterhaltsbeitrag wird im allgemeinen auf Lebenszeit des Bittstellers gezahlt. Den Hinterbliebenen bleibt es unbenommen, nach dem Ableben des früheren Versorgungsberechtigten einen Antrag auf Weitergewährung eines Unterhaltsbeitrages in voller oder teilweiser Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu stellen. X. VERFAHREN Der Bittsteller, der die völlige oder teilweise Aufhebung einer Disziplinarstrafe oder der beamtenrechtlichen Folgen, die sich aus § § 48,162,164 BBG ergeben, begehrt, wird seinen Antrag bei der Stelle, die über sein Gnadengesuch entscheidet oder bei seiner derzeitigen bzw. früheren Beschäftigungsstelle stellen. Der Antrag kann trotz Ablehnung erneut gestellt werden. Trägt der Bittsteller in dem erneuten Gesuch keine neuen Tatsachen vor, so kann sein Antrag bereits von der obersten Dienstbehörde, falls er bei ihr oder der nachgeordneten Behörde gestellt ist, zurückgewiesen werden. 311
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Begnadigung
Wird der Antrag bei der Gnadeninstanz oder der obersten Dienstbehörde gestellt, so wird er der Mittelbehörde zur Stellungnahme übersandt. Diese ermittelt im Einvernehmen mit der derzeitigen bzw. früheren Beschäftigungsstelle des Bittstellers die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse desselben. U. U. kann im Laufe der Ermittlungen die Polizeibehörde im Wege der Amtshilfe in Anspruch genommen werden. Die Mittelbehörde legt das Ermittlungsergebnis nebst den Personal-, Straf- und Disziplinarakten des Bittstellers der obersten Dienstbehörde mit einer Stellungnahme vor. In dem Ermittlungsergebnis müssen Angaben zur Person des früheren Beamten (Geburtstag und -ort, auch Todestag, Familienstand, Tag der Eheschließung, Geburtstag der Ehefrau, Zahl und Alter der Kinder), zum beruflichen Werdegang und Wehrdienst, über die Straftat bzw. das Dienstvergehen, das Straf- und Disziplinarverfahren, bereits bewilligte Gnadenerweise, sonstige Straftaten und Dienstvergehen, das Ziel und die Begründung des Gnadengesuches sowie die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bittstellers und seiner Familie (Gesundheitszustand, Arbeitsunfähigkeit, Beschäftigung seit der Bestrafung, Vermögen, Arbeits- und sonstige Einkommen, evtl. Nachversicherung, Wohnverhältnisse, Mietausgaben und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kinder) enthalten sein. Vor der Entscheidung ist zu prüfen, ob der Bittsteller zuvor Neubewilligung oder Erhöhung eines bereits bewilligten Unterhaltsbeitrages nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bzw. nach § 120a BBG oder nach § 130a BBG oder nach § 162a BBG beantragt hat. Sind die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegeben, so wird dem Bittsteller zu eröffnen sein, daß seinem Gnadengesuch erst dann Fortgang gegeben werden kann, nachdem ein Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle durchgeführt ist. Auf keinen Fall darf die Stelle, der eine Gnadenbefugnis nicht eingeräumt ist, von sich aus das Gnadengesuch ablehnen, weil der Bittsteller ein Verfahren nach § 96 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle noch nicht durchgeführt hat oder das Gnadengesuch offensichtlich unbegründet ist. Die Ablehnung eines Gnadengesuches durch eine Stelle, die nicht Gnadeninstanz ist, wird nur dort zulässig sein, wenn der Bittsteller ein erneutes Gesuch vorlegt, das keine neuen Angaben enthält. Ist das Gnadenrecht auf den jeweiligen Bundesminister delegiert, so entscheidet er auf das Gnadengesuch. Andernfalls legt er das Gnadengesuch dem Bundespräsidialamt mit seiner Stellungnahme vor. Handelt es sich um einen grundsätzlichen Fall, der an sich delegiert ist und nach Art. 2 Abs. 3 der Gnadenanordnung dem Bundespräsidenten vorzulegen ist, so kann er, falls er nicht selbst entscheiden will, das Gesuch dem Ressortminister zur Entscheidung zurücksenden. In den sonstigen Fällen, die in Art. 1 der Gnadenordnung genannt sind, entscheidet der Bundespräsident über das Gnadengesuch. Die Entscheidung wird nicht begründet. Soweit der Bundespräsident entschieden hat, teilt er seine Entschließung dem zuständigen Ressortminister mit, der wiederum den Bittsteller verständigt. XI. KEINE VERWALTUNGSGERICHTLICHE ANFECHTUNG DES GNADENAKTES Gegen die Entscheidung, durch die eine Begnadigung ganz oder teilweise abgelehnt wird, gibt es keine Klage vor den Verwaltungsgerichten, weil es 312
Landesrechtliche Regelung
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sich hier um einen regierungsfreien Hoheitsakt handelt18. Die Entscheidung der Gnadeninstanz, daß sie von dem ihr verliehenen Gnadenbefugnis keinen Gebrauch machen, sie also den bisherigen Rechtszustand, der durch die Verurteilung geschaffen ist, nicht ändern will, enthält keine Regelungsfunktion. Die unterbliebene Regelungsfunktion könnte aber nur dann einen Anlaß zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtung bieten, wenn der Gnadengesuchsteller einen Rechtsanspruch auf eine Änderung seiner Rechtsposition hätte, was jedoch im Gnadenrecht nicht der Fall ist. Abgesehen davon, daß ein normierter Anspruch auf einen Gnadenerweis nicht besteht, kann eine Rechtsverletzung bei einem abgelehnten Gnadenerweis auch nicht auf das in Art. 3 Abs. 1 G G verankerte Willkürverbot gestützt werden. Da eben „Gnade vor Recht" ergeht, handelt es sich hier um einen Ermessensspielraum der Gnadeninstanz, der keiner verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standzuhalten braucht19. Hierbei kann es gleichblieben, ob die im Gesetz genannte Gnadeninstanz, wie ζ. B. der Bundespräsident, oder eine Behörde die Entscheidung gefallt hat, auf die die Ausübung des Gnadenrechts delegiert worden ist. Der Ressortminister und im Bereich der landesdisziplinarrechtlichen Regelungen der Ministerpräsident treffen Gnadenentscheidungen nicht als Verwaltungsbehörden, sondern als Verfassungsorgane. Wenn sie auch in der Ausübung verfassungsmäßiger Befugnisse an Verfassung und Gesetz gebunden sind, so sind doch die Rechte, die sie als Gnadeninstanzen ausüben, nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterworfen, sondern unterliegen bei der Ausübung verfassungsmäßiger Rechte lediglich der in der Verfassung selbst vorgesehenen Kontrolle. Diese Kontrolle ist lediglich der gesetzgebenden Körperschaft und den jeweiligen Verfassungsgerichten als den für Verfassungsangelegenheiten zuständigen Gerichten anvertraut. Der Verwaltungsrechtsweg läßt sich auch nicht über Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffnen, weil diese Vorschrift den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Befugnis verleiht, auf Betreiben des Einzelnen in das Verfassungsgefüge des Bundes oder der Länder einzugreifen; in deren Verfassungsgefüge würde jedoch eingegriffen, wenn durch Erlaß eines Aufhebungsurteils die Ausübung der verfassungsmäßigen Befugnisse eines obersten Bundes- bzw. Landesorgans verhindert oder durch Erlaß eines Verpflichtungsurteils die Ausübung solcher Befugnisse erzwungen oder durch Erlaß eines Feststellungsurteils der Umfang solcher Befugnisse abgegrenzt würde. Aus den gleichen Erwägungen ist auch nicht durch Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten eröffnet, da auch diese Gerichte nicht in das Verfassungsgefüge des Bundes bzw. eines Landes eingreifen können. ΧΠ. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Sämtliche Länderbeamtengesetze und Landesdisziplinarordnungen sehen entsprechend §§ 50, 162, 164 BBG und § 104 BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegenüber dem automatischen Ausscheiden aus dem Dienst infolge strafge1 8 WürttemBadVGH 29. 6. 54 in ZBR 1954 S. 279; vgl. auch OVG Münster 21. 4. 52 ni DöV 1953 S. 768 = OVGE Bd. 7 S. 146; BVerwG 8. 3. 62 — VII C 185/60 — in DöV 1962 S. 502 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 680; OVG Rheinland-Pfalz in ZBR 1954 S. 279; OVG Hamburg in JZ 1961 S. 165; Leise in NJW 1953 S. 1088; Härtung in FR 1955 S. 530; Testegen in FR 1955 S. 514. 1 9 M ü l l e r , a. a. O. S. 23 vgl. jedoch Summer in ZBR 1965 S. 106.
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§31
Begnadigung
richtlicher Verurteilung und gegenüber jeglichen Disziplinarstrafen die Möglichkeit der Begnadigung vor, die in ihrem Umfange gleichfalls der bundesrechtlichen Regelung entspricht. Bezüglich des Personenkreises, der erfaßten Urteile und sonstigen Maßnahmen, der Rechtsnatur des Widerrufs des Gnadenaktes, der einzelnen Gnadenerweise und deren Rechtsfolgen, des Verfahrens und der Unzulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung gilt das unter IV bis XI Gesagte entsprechend. Im wesentlichen fallen unter das Begnadigungsrecht die unmittelbaren und mittelbaren Länderbeamten, sowie die Versorgungsempfänger, die aus einer Landeskasse Versorgungsbezüge erhalten oder erhalten haben. Das Verfahren richtet sich nach den jeweiligen Verwaltungsvorschriften und stimmt im Grundsatz mit der Bundesregelung überein; der Bittsteller kann den Gnadenerweis bei der Gnadeninstanz oder bei seinem früheren Dienstvorgesetzten bzw. der obersten Dienstbehörde beantragen. Im einzelnen gilt für die Ausübung des Gnadenrechts folgendes : 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g Nach Art. 52 Abs. 1 Verf. BW, § 62 Abs. 1 LBG BW und nach § 63 Abs. 1 LBG BW gilt als G n a d e n i n s t a n z der M i n i s t e r p r ä s i d e n t . Nach § 1 Abs. 1 der Anordnung des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts vom 18. 6. 54 (GVB1. S. 81) behält sich dieser die Ausübung des Gnadenrechts selbst vor: 1 2 3 4. bei Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung und 5. bei Aufhebung der in einer Disziplinarentscheidung ausgesprochenen Strafe der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung eines in einer Disziplinarentscheidung nicht vorgesehenen Unterhaltsbeitrages. § 1 Abs. 1 Ziff. 4 a. a. O. gilt auch in den Fällen, in denen auf Grund von Dienstordnungen die beamtenrechtlichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes wirksam werden, die nicht Beamte sind ( § 1 Abs. 2 a. a. O.). Die zur Ausübung von Gnadenbefugnissen ermächtigten Behörden haben die Fälle von besonderer Bedeutung vor ihrer Entscheidung dem Ministerpräsidenten vorzulegen, der sich dann vorbehält, selbst zu entscheiden (vgl. § 3 a. a. O.). Im übrigen hat der Ministerpräsident in Diszplinarsachen dem j e w e i l s f a c h l i c h z u s t ä n d i g e n M i n i s t e r die A u s ü b u n g des B e g n a d i g u n g s r e c h t s m i t dem R e c h t der W e i t e r ü b e r t r a g u n g ü b e r t r a g e n (§ 4 a. a. O.). Soweit das Gnadenrecht nicht übertragen ist, können die Minister Gesuche vorläufig ablehen ( § 5 Satz 1 a. a. O.). Der Gesuchsteller ist zu belehren, daß er den Ministerpräsidenten anrufen kann ( § 5 Satz 2 a. a. O.). Die V o r b e r e i t u n g der dem Ministerpräsidenten vorbehaltenen G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n obliegt dem nach § 4 a. a. O. zuständigen Ministerium (§ 6 a. a. O.). 314
Landesrechtliche Regelung
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Nach § 62 Abs. 2 LBG BW und § 110 Abs. 2 LDO BW gilt § 63 LBG entsprechend, falls der Verlust der Beamtenrechte im vollen Umfange beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 2. B a y e r n Nach Art. 47 Abs. 4 Verf. Bayr., § 49 Abs. 1 BG Bayr. und Art. 105 Abs. 1 DStO Bayr. kommt als G n a d e n i n s t a n z der M i n i s t e r p r ä s i d e n t in Frage, der nach letzterer Bestimmung das Begnadigungsrecht auf andere Stellen delegieren kann. Der Umfang und die Ausübung des Begnadigungsrechts ergibt sich aus der Bekanntmachung des Bayerischen Ministerpräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts vom 22.12. 56 (GVB1. S. 438) und der ÄndVO hierzu vom 18. 9. 57 (GVB1. S. 211). Nach § 1 a. a. O. fallen unter das Begnadigungsrecht u. a. Entscheidungen in Dienststrafsachen, die durch ein Dienststrafgericht oder eine Behörde ergangen sind. Nach § 2 a. a. O. hat sich der Ministerpräsident die Ausübung des Begnadigungsrechts vorbehalten, wenn durch die Gnadenentschließung das Beamtenverhältnis eines früheren Beamten wiederhergestellt werden soll, der infolge Strafurteils aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden oder durch Dienststrafentscheidung aus dem Dienst entfernt worden ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 a. a. O. ist die Entscheidung in Gnadensachen mit dem Recht der Weiterübertragung bezüglich der beamtenrechtlichen Folgen eines Strafurteils und der Folgen einer Disziplinarentscheidung übertragen worden : 1. auf das zuständige Staatsministerium bzw. die oberste Dienstbehörde für die Beamten des Freistaates Bayern, 2. auf das Staatsministerium des Innern für die Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände, 3. auf das die Aufsicht führende Staatsministerium für die Beamten der übrigen der Aufsicht des Freistaates Bayern unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die V o r b e r e i t u n g der dem Ministerpräsidenten vorbehaltenen Entschließungen obliegt dem jeweils zuständigen Staatsministerium bzw. der obersten Dienstbehörde ( § 4 Satz 1 a. a. O.). Diese legen alle Gesuche, in welchen ein dem Ministerpräsidenten vorbehaltener Gnadenerweis erbeten wird, mit einer Stellungnahme, einem Entwurf für die zu erlassene Entschließung und den vorhandenen Personalunterlagen dem Ministerpräsidenten vor (§ 4 Satz 2 a. a. O.). Nach Art. 49 Abs. 2 BG Bayr. und Art. 105 Abs. 2 DStO Bayr. gilt Art. 48 BG Bayr. entsprechend, falls der Verlust der Beamtenrechte im vollen Umfange beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 3. B e r l i n Nach Art. 68 Verf. Bin, § 85 Abs. 1 LBG Bin und § 106 Abs. 1 LDO Bin kommt als G n a d e n i n s t a n z der Senat in Betracht. Eine Delegation der Gnadenbefugnis auf nachgeordnete Stellen ist nicht vorgesehen. 315
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Begnadigung
Nach § 85 Abs. 2 LBG Bin und § 106 Abs. 2 LDO Bin gilt § 85 Abs.2 LBG Bin entsprechend, falls der Verlust der Beamtenrechte im vollen Umfange im Gnadenwege beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 4. B r e m e n Nach Art. 121 Abs. 1 Verf. Brm., § 51 Abs. 1 BG Brm. und § 104 Abs. 1 DStO Brm. i. V. m. Art. 121 Abs. 1 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. 10. 47 (GVB1. S. 251) ist der S e n a t G n a d e n i n s t a n z . Nach § 1 der Anordnung des Senats über die Ausübung des Begnadigungsrechts vom 4.11. 58 (GVB1. S. 87) hat sich der Senat das Begnadigungsrecht u. a. vorbehalten : 1. bei Verlust der Beamtenrechte auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung, 2. bei Dienststrafsachen der Beamten und Richter a) soweit es sich um Beamte und Richter des Landes oder der Stadtgemeinde Bremen handelt, hinsichtlich aller Strafen. b) soweit es sich um Beamte der Stadtgemeinde Bremerhaven oder um Beamte sonstiger der Stadtgemeinde unterstehenden öffentlichrechtlichen Körperschaften handelt, hinsichtlich der Dienststrafen, die in einem förmlichen Dienststrafverfahren verhängt worden sind. Im übrigen überträgt er die Ausübung des Begnadigungsrechts mit dem Recht der Weiterübertragung nach § 2 Ziff. 5 a. a. O. für Dienststrafen, die ohne förmliches Dienststrafverfahren gegen Beamte der Stadtgemeinde Bremerhaven oder gegen Beamte sonstiger öffentlichrechtlicher Körperschaften verhängt worden sind, a) bei Beamten der Stadtgemeinde Bremerhaven und bei Beamten der öffentlichrechtlichen Körperschaften, die der Stadtgemeinde Bremerhaven unterstehen, dem Magistrat der Stadt Bremerhaven, b) bei Beamten sonstiger öffentlichrechtlicher Körperschaften dem Senator, der die Aufsicht über die Körperschaft führt. Die V o r b e r e i t u n g u n d A u s f ü h r u n g der dem Senat vorbehaltenen G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n obliegt nach § 3 a. a. O. 1. in den Fällen des § 1 Ziff. 1 der nach § 2 a. a. O. zuständigen Stelle, 2. in den Fällen des § 1 Ziff. 2 und 3 der Senatskommission für das Personalwesen im Benehmen mit dem für die Aufsicht über den Bediensteten zuständigen Senator. Nach § 51 Abs. 2 BG Brm. und § 104 Abs. 2 DStO Brm. gilt § 52 BG Brm. entsprechend, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte völlig beseitigt wird. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 5. H a m b u r g Nach Art. 44 Abs. 1 Verf. Hmb., § 53 Abs. 1 BG Hmb. und § 104 Abs. 2 LDO Hmb. ist der Senat G n a d e n i n s t a n z . Hierbei entscheidet die Vollversammlung. 316
Landesrechtliche Regelung
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Nach Abschn. II (1) der Anordnung der Vollversammlung des Senats über die Ausübung des Begnadigungsrechts vom 30.10. 62 (abgedruckt in den Mitteilungen für die Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg 1962, S. 238) entscheidet die Vollversammlung des Senats über 1. den Erlaß von Disziplinarstrafen gegen Beamte und Berufsrichter sowie über die Beseitigung der Folgen von Disziplinarstrafen gegenüber Hinterbliebenen, wenn a) auf Entfernung aus dem Dienst, Aberkennung des Ruhegehalts oder b) auf Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, bei Mitgliedern des Rechnungshofs und bei Berufsrichtern auch auf Versetzung in ein anderes Amt oder ein anderes Richteramt mit gleichem Endgrundgehalt erkannt worden ist, und 2. die Beseitigung des Verlustes der Beamtenrechte, der Rechte aus dem Richterverhältnis sowie der Rechte als Ruhestandsbeamter oder als Richter im Ruhestand und über die Wiederherstellung der Ansprüche der Witwen und Waisen auf Versorgungsbezüge, wenn die Rechte oder Ansprüche infolge strafgerichtlicher Verurteilung oder infolge Verwirkung eines Grundrechtes auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 18 GG verlustig gegangen sind, im Wege der Begnadigung, sofern die Wiederherstellung der verloren gegangenen Rechte in vollem Umfange begehrt wird oder dem Beamten oder Richter nunmehr eine Rechtsstellung verliehen werden soll, die sonst einer Ernennung durch den Senat nach Art. 45 oder der Hamburger Verfassung bedürfte. Nach Abschn. II (2) gilt Abschn. II (1) Abs. 1 Nr. 2 a. a. O. für die in § 124 DO Hmb. bezeichneten Personen. Die Vollversammlung des Senats entscheidet ferner über Anträge auf Erlaß von Disziplinarstrafen, die von ihr selbst verhängt worden sind (Abschn. II (3) a. a. O.). Nach Abschn. IV (1) a. a. O. werden nach Nr. 16 Abs. 1 Buchst, b) der Geschäftsordnung des Senats Senatsbeschlüsse im Verfügungswege in Gnadenangelegenheiten erlassen durch 2. den für das Personalamt zuständigen Senator und den für das Personalamt zuständigen Senatssyndicus, sofern die Gnadensache das bestehende oder frühere Beamten- oder Richterverhältnis oder Versorgungsverhältnis betrifft und die Entscheidung nicht der Vollversammlung des Senats nach Abschn. II vorbehalten ist. In den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 a. a. O. kann die S e n a t s k o m m i s s i o n f ü r den V e r w a l t u n g s d i e n s t b e t e i l i g t werden. Ihr wird insoweit die Beschlußfassung nach Abschn. IV Abs. 3 der Geschäftsordnung des Senats übertragen (Abschn. IV (2) a. a. O.. Nach § 53 Abs. 2 BG Hmb. und § 104 Abs. 2 LDO Hmb. gilt § 54 BG Hmb. entsprechend, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte völlig beseitigt wird. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 317
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Begnadigung
6. H e s s e n Als G n a d e n i n s t a n z kommt nach Art. 109 Abs. 1 Verf. Hess., §48 Abs. 1 HBG und § 111 Abs. 1 HDO der M i n i s t e r p r ä s i d e n t in Betracht, der dieses Recht nach letzterer Bestimmung delegieren kann. Von dieser Befugnis hat er keinen Gebrauch gemacht, soweit es sich um Disziplinarstrafen und den Verlust der Beamtenrechte auf Grund strafgerichtlicher Verurteilung handelt. Nach § 48 Abs. 2 HBG und § 111 Abs. 2 HDO gilt § 49 HDO entsprechend, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte völlig beseitigt wird. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 7. N i e d e r s a c h s e n Als G n a d e n i n s t a n z kommt nach Art. 27 Abs. 1 Verf. Nds., § 45 Abs. 1 NBG und § 118 Abs. 2 NDO der M i n i s t e r p r ä s i d e n t in Frage, der die Ausübung des Gnadenrechts delegieren kann. Nach Ziff. I Abs. 1 Buchst, c und d des Erlasses des Niedersächsischen Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts vom 2.9.52 (Nds. MinBl. 1952 S. 482) behält sich der Ministerpräsident die Ausübung des Gnadenrechts u. a. vor, wenn es sich um beamten- amts- und versorgungsrechtliche Folgen eines strafgerichtlichen Urteils oder um Disziplinarstrafen, soweit auf Entfernung aus dem Dienst oder aus dem Amt oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt ist, oder um die Zuerkennung eines im Disziplinarurteil nicht vorgesehenen Unterhaltsbeitrages oder um die Erhöhung oder Verlängerung eines durch Dienststrafurteil bewilligten Unterhaltsbeitrages handelt. Nach Ziff. I Abs. 2 a. a. O. verbleibt dem Ministerpräsidenten die Entscheidung über die Ausübung des Gnadenrechts in anderen Fällen, wenn er sich die Entscheidung allein vorbehalten hat. Nach Ziff. II a. a. O. hat der Ministerpräsident die Befugnis zur Entscheidung über die Ausübung des Gnadenrechts mit dem Recht der Weiterübertragung übertragen für Dienststrafen der jeweils fachlich zuständigen obersten Landesbehörde (vgl. Ziff. II Buchst, d a. a. O.). Die V o r b e r e i t u n g der dem Ministerpräsidenten vorbehaltenen E n t s c h e i d u n g e n obliegt nach Ziff. III a. a. O. in den Fällen des Ziff. II Buchst.d der jeweils fachlich zuständigen obersten Landesbehörde und im Falle Ziff. I Abs. 2 a. a. O. den in Ziff. II bestimmten Stellen (Ziff. III a. a. O.). Nach § 45 Abs. 2 NBG und § 118 Abs. 2 NDO ist in dem Falle, daß der Verlust der Beamtenrechte im Gnadenwege im vollen Umfange beseitigt wird, der Begnadigte von diesem Zeitpunkt an so zu stellen, wie wenn das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren durch ein Urteil ersetzt worden wäre, das keinen Verlust der Beamtenrechte zur Folge hat (§ 46 NBG). Die Zeit von der rechtskräftigen Verurteilung bis zum Erlaß des Gnadenaktes gilt nicht als Dienstzeit (§ 45 Abs. 2 Satz 2 NBG). Im einzelnen s. § 112 X Bd. 2. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n Als G n a d e n i n s t a n z kommt nach Art. 59 Abs. 1 Verf. NW, § 53 Abs. 1 BG NW und § 112 Abs. 1 DO NW der M i n i s t e r p r ä s i d e n t in Frage, der das Recht in beiden Fällen delegieren kann. 318
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Auf Grund des Art. 1 des Erlasses des Ministerpräsidenten vom 12.11. 51 (GVB1. S. 569) hat sich, soweit auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts erkannt worden war, der Ministerpräsident die Gnadenbefugnis selbst vorbehalten. Nach Art. 2 a. a. O. ist im übrigen die Gnadenbefugnis weiter übertragen worden 1. bei dem Beamten des Landtages dem Präsidenten des Landtages, 2. bei den Beamten des Landesrechnungshofes dem Präsidenten des Landesrechnungshofes, 3. bei allen übrigen unmittelbaren Landesbeamten dem für die Dienstaufsicht über den Beamten zuständigen Minister, 4. bei den Beamten der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts dem für die staatliche Aufsicht zuständigen Minister. Nach Art. 4 a. a. O. ist das Recht, ehemaligen Beamten und ihren Hinterbliebenen einen Unterhaltsbeitrag oder eine Unterstützung weiter zu gewähren, die der Ministerpräsident durch eine Gnadenentscheidung auf Zeit gewährt hat, den in Art. 2 Ziff. 4 a. a. O. bestimmten Stellen übertragen worden. Die V o r b e r e i t u n g der dem Ministerpräsidenten vorbehaltenen E n t s c h l i e ß u n g e n u n d die A u s f ü h r u n g s e i n e r G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n obliegt den in Art. 2 a. a. O. bestimmten Stellen (Art. 6 a. a. O.). Nach § 53 Abs. 2 BD NW und § 112 Abs. 2 DO NW gilt § 54 BG NW entsprechend, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte völlig beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 9. R h e i n l a n d - P f a l z Als G n a d e n i n s t a n z kommt nach Art. 103 Abs. 1 Verf. Rh.-Pf., §47 Abs. 1 LBG Rh.-Pf. und § 114 Abs. 1 LDO Rh.-Pf. der M i n i s t e r p r ä s i d e n t in Frage, der nach letzterer Vorschrift das Recht delegieren kann. Nach § 2 Abs. 1 des Landesgesetzes über die Neuregelung des Gnadenrechts vom 15. 4. 48 (GVB1. S. 246) i. d. F. der Bekanntmachung vom 30. 8. 57 (GVB1. S. 185) steht das Gnadenrecht der Regierung des deutschen Landes zu, in dessen Bereich die Strafe verhängt worden ist. Strafen, die u. a. vom Reichsdienststrafhof verhängt worden sind, unterliegen dem Gnadenrecht des Landes, in dem nach dem 8. 5. 1945 die erste Vollstreckungshandlung gegen den Verurteilten stattgefunden hat oder stattfinden soll (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 a. a. O.). Nach § 3 a. a. O. übt der Ministerpräsident das Gnadenrecht u. a. aus 1. bei Disziplinarstrafen, die a) auf Entfernung aus dem Dienst, b) auf Aberkennung des Ruhegehalts oder c) auf Einstufung in ein Amt der Laufbahn des höheren Dienstes mit geringerem Endgrundgehalt lauten, 2. bei der Beseitigung beamtenrechtlicher Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung. Der Ministerpräsident entscheidet über den Erlaß oder die Herabsetzung der Strafen und über die Bewilligung oder Erhöhung eines Unterhaltsbeitrages. 319
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Begnadigung
Im übrigen wird nach § 4 Abs. 1 a. a. O. hinsichtlich aller Strafen und Nebenfolgen durch die ordentlichen Gerichte jedem Minister die Gnadenbefugnis für seinen Geschäftsbereich übertragen. Die Minister können das Recht, bedingte Strafaussetzung, Strafausstand und Ratenzahlungen zu gewähren sowie Kosten nachzulassen oder zu stunden, auch auf nachgeordnete Behörden weiter übertragen (§ 4 Abs. 2 a. a. O.). Sie können das Verfahren in Gnadensachen für ihren Geschäftsbereich im Verwaltungswege regeln ( § 4 Abs. 3 a. a. O.). Nach § 47 Abs. 2 LBG Rh.-Pf. und § 114 LDO Rh.-Pf. gilt § 48 LDO Rh.-Pf. sinngemäß, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte völlig beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2). 10. S a a r l a n d Nach Art. 95 Abs. 2 Verf. Saar, § 63 Abs. 1 BG Saar und § 104 Abs. 1 DStO Saar kommt als G n a d e n i n s t a n z die L a n d e s r e g i e r u n g in Frage Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 der Saarländischen Verordnung über die Ausübung des Gnadenrechts vom 2. 3. 48 (Amtsbl. 1948, S. 447) bleibt der Regierung im Saarland die Aufhebung eines auf Dienstentlassung lautenden Dienststrafurteils und die Beseitigung der beamtenrechtlichen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung vorbehalten. Nach § 2 Nr. 6 a. a. O. wird im übrigen die Ausübung des Gnadenrechts für die Dienststrafen mit der in § 1 Abs. 2 Nr. 2 a. a. O. bestimmten Ausnahme den zuständigen Ministern übertragen. Nach § 3 a. a. O. treffen die Regierung und die Minister ihre Entscheidung über die Ausübung des Gnadenrechts nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Kommission für Gnadensachen, die sich aus dem Ministerpräsidenten, dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz zusammensetzt. Nach § 63 Abs. 2 BG Saar und § 104 DStO Saar gilt § 64 BG Saar entsprechend, falls im Gnadenwege der Verlust der Beamtenrechte beseitigt ist. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n G n a d e n i n s t a n z ist nach Art. 27 Abs. 1 Verf. Schl.-Hol., § 62 Abs. 1 BG Schl.-Hol. und § 106 Abs. 1 DStO Schl.-Hol. der M i n i s t e r p r ä s i d e n t . Dieser hat nach Nr. I des Erlasses des Ministerpräsidenten betr. Ausübung des Begnadigungsrechts vom 5. 5. 52 (Amtsbl. Schl.-Hol. 1952 S. 182) die Entschließung über die Ausübung des Begnadigungsrechts sich selbst vorbehalten u. a. 1. wegen beamtenrechtlicher Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung, 2. bei den Dienststrafen der Entfernung aus dem Dienst, der Entlassung oder Versetzung in den Ruhestand mit gekürztem Ruhegehalt gegen Beamte und der Aberkennung oder Kürzung des Ruhegehalts gegen Ruhestandsbeamte, 3. bei anderen Dienststrafen, wenn er den Vorbehalt allgemein oder im Einzelfall ausspricht. Nach Nr. II überträgt er die Befugnis zur Begnadigung mit dem Recht der Weiterübertragung für Dienststrafen gegenüber Landesbeamten dem für die Dienstauf sicht zuständigen Minister im Einvernehmen mit dem Innenminister, gegenüber Beamten der Landesrechnungskammer dem Präsidenten im Ein320
Allgemeines
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vernehmen mit dem Innenminister, gegenüber den Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände dem Innenminister, gegenüber Beamten der übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts dem für die Aufsicht zuständigen Minister im Einvernehmen mit dem Innenminister, für Dienststrafen gegenüber den an nichtstaatlichen öffentlichen Schulen tätigen beamteten Lehrpersonen, die der staatlichen Bestätigung bedürfen, dem Kultusminister im Einvernehmen mit dem Innenminister. Die V o r b e r e i t u n g der dem Ministerpräsidenten vorbehaltenen Ents c h l i e ß u n g e n u n d die A u s f ü h r u n g s e i n e r G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n obliegen nach Nr. III a. a. O. den in Nr. II a. a. O. bestimmten Stellen. Nach § 62 Abs. 2 BG Schl.-Hol. gilt im Falle der Beseitigung des Verlustes der Beamtenrechte im vollen Umfange § 63 BG Schl.-Hol. entsprechend. Im einzelnen siehe § 112 X Bd. 2. Werden die Strafen der Versetzung in ein Amt mit geringeren planmäßigen Dienstbezügen, Versetzung in den Ruhestand mit vollem oder gekürztem Ruhegehalt, Entlassung mit Ruhegehalt, der Entfernung aus dem Dienst oder die beamtenrechtlichen Folgen eines Strafurteils, dem zufolge ein Beamter aus dem Dienst ausgeschlossen ist, im Gnadenwege aufgehoben, so kann gleichzeitig angeordnet werden, daß dieselben Folgen ganz oder teilweise eintreten, wie wenn ein solches Urteil im Wiederaufnahmeverfahren (§ 85ff. DStO Schl.-Hol.) durch ein Urteil ersetzt wird, das diese Folge nicht hat (§106 Abs. 2 DStO Schl.-Hol.).
§ 32. Tilgung von Disziplinarstrafen LALLGEMEINES 1 Ist der Beamte wegen eines leichteren Dienstvergehens nur mit einer Disziplinarstrafe bestraft worden, die nach § 11 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vom Dienstvorgesetzten im Wege der Disziplinarverfügung verhängt werden kann, so sollte ihn dies in seiner weiteren dienstlichen Laufbahn nicht mehr beeinträchtigen, wenn er sich seit der Bestrafung eine längere Zeit einwandfrei geführt hat. Hier liegt es nahe, die im Straftilgungsgesetz vom 9. 4. 20 (RGBl. S. 507) i. d. F. vom 17.11. 39 (RGBl. I S. 2254) und vom 30. 3. 57 (BGBl. I S. 306) niedergelegten Grundsätze anzuwenden. Das Verhältnis des Staatsbürgers, der gegen die allgemeinen Strafgesetze verstößt, ist jedoch von dem Beamtenverhältnis zu trennen, das den Träger der Staatsgewalt befähigt, obrigkeitliche Tätigkeit auszuüben und somit als Repräsentant des Staates in der Öffentlichkeit aufzutreten. Dieses Treueverhältnis 1 L i n d g e n , Löschung von Disziplinarstrafen in DöD 1962 S. 9; S c h n u p p , Löschung von Disziplinarstrafen in DöD 1962 S. 181; T e i c h m a n n , Löschung von Disziplinarstrafvermerken in DöD 1962 S. 186; L i n d g e n , Entgegnungen zu den Bemerkungen Teichmanns und Schnupps in DöD 1962 S. 188; Schütz, Bestrafungsverbot-Verjährung, Tilgung (Löschung)-Nichtberücksichtigung von Strafen im Disziplinar-(Dienststraf)recht in DöD 1963 S. 81 (86); S c h n u p p , Fragen aus der Personalaktenführung — Behandlung von Mitteilungen in Strafsachen sowie von Vorgängen über Gerichts- und Disziplinarstrafen in ZBR 1959 S. 386; Schnupp, Löschung von Disziplinarstrafen in ZBR 1962 S. 70; Claussen, Tilgung von Disziplinarstrafen in ZBR 1961 S. 370; S c h n u p p , Die Löschung von Disziplinarstrafen in DöD 1963 S. 161; Claussen, Noch einmal Tilgung von Disziplinarstrafen in DöD 1963 S. 163; Schütz, Tilgung (Löschung) von Disziplinarstrafen — eine Erwiderung in DöD 1963 S. 167.
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L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Tilgung von Disziplinarstrafen
wirkt im Gegensatz zu dem des Staatsbürgers, dessen Pflichten in dem Augenblick erlöschen, in dem er endgültig aus dem Staatsverband heraustritt, über die Beendigung des Beamtenverhältnisses fort; so obliegt dem Beamten auch dann noch die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit sowie die Verpflichtung, Geschenke und Belohnungen in bezug auf das frühere Amt nicht anzunehmen. Da das Beamtenverhältnis die gesamte Persönlichkeit des Beamten erfaßt, ist es selbstverständlich, daß sich der Dienstherr von dem Beamten ein lückenloses Bild während seiner gesamten Laufbahn verschaffen muß. Dies läßt es nicht zu, daß aus den Personalakten solche Vorgänge vernichtet werden, die sich für den weiteren dienstlichen Werdegang des Beamten günstig auswirken können, oder solche Vorgänge getilgt werden, die auf den Beamten ein ungünstiges Licht werfen. Hier würde es allein genügen, daß die Dienstvorgesetzten verpflichtet werden, dem Beamten eine solch einscheidende Maßnahme, wie sie die disziplinarische Bestrafung darstellt, nach Ablauf einer gewissen Zeit nicht mehr nachzutragen, wie dies z. B. in § 111 LDO BW geschehen ist. Π. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG Mit der Löschung von Disziplinarstrafen befaßten sich erstmals die Grundsätze des Preußischen Staatsministeriums vom 18. 8.17 (MB1 21. S. 253). Danach kam eine Löschung von Disziplinarstrafen in Frage, wenn die Strafe dem Beamten durch Gnadenakt erlassen war, oder wenn er sich während einer Bewährungsfrist von fünf Jahren bei einer Ordnungsstrafe, von zehn Jahren bei sonstigen Strafen bewährt hatte. Die Vermerke waren in den Personalakten mit einem Löschungsvermerk zu versehen. Die auf Grund eines Gnadenaktes erlassenen oder die sonst gelöschten Strafen sollten dem Beamten nicht zum Vorwurf gereichen und in Berichten an Dienstvorgesetzte, vorgesetzte Dienststellen sowie bei der Auskunftserteilung nicht mehr erwähnt werden. Auch bei Beurteilungen des Beamten waren sie nicht mehr zu berücksichtigen. Die Grundsätze, die für die unmittelbaren Staatsbeamten galten, wurden mit Runderlaß vom 23. 7. 21 (PrMBlV Sp. 253) auch auf die Kommunal- und Körperschaftsbeamten erstreckt. Für die Reichsbeamten kamen die Erlasse vom 23.1. und 2.10. 32 in Frage, wonach entsprechend der Regelung in Preußen Eintragungen über die Disziplinarstrafen unter Anbringung eines Löschungsvermerks zu tilgen waren. In Anlehnung an diese Erlasse setzte die Deutsche Reichspost als Reichsverwaltung die Amtsbl.Vfn. 115/1923 und 468/1924 in Kraft, die die Regelung Preußens und des Reichs für ihre Beamten übernahmen; die Bewährungsfrist betrug bei Warnung, Verweis und Geldbuße bis zu einem Viertel des höchstzulässigen Betrages fünf Jahre und bei sonstigen Strafen zehn Jahre. Nach dem Runderlaß des Preußischen Staatsministeriums vom 28. 4. 28 (PrBesBl. S. 82) war bei Beurteilungen von Beamten niemals auf gelöschte Disziplinarstrafen zurückzugreifen. Durch Runderlaß des Preußischen Staatsministeriums vom 17. 4. 28 (PrMBliV Sp. 444) wurde für die preußischen Polizeivollzugsbeamten angeordnet, daß die Disziplinarvorgänge nach deren Löschung in den Sammel322
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akten der Dienstbehörde niederzulegen waren. Dieser Runderlaß wurde durch den Erlaß des gleichen Ministeriums vom 20.12. 29 (PrMBliV 1930 Sp. 4) dahingehend ergänzt, daß auch die Gerichtsstrafen und die disziplinarrechtlichen Vorgänge zu tilgen waren, die zu keiner disziplinarischen Bestrafung geführt hatten. Nach dem Runderlaß vom 6. 10. 30 (PrMBliV Sp. 912) war die Löschungsfrist bei straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen gehemmt und bei einer erneuten Bestrafung unterbrochen; sie begann nach Rechtskraft der Bestrafung erneut zu laufen. Nach § 121 Abs. 3 RDStO traten alle bisherigen Vorschriften außer Kraft, die das Disziplinarrecht gegenüber Beamten betrafen, auf die die Reichsdienststrafordnung Anwendung fand. Die RDStO enthielt selbst keine Bestimmungen, die eine Löschung von Disziplinarstrafen vorsahen. Man beließ es daher hinsichtlich der Tilgung derselben bei den o. a. Runderlassen. Sämtliche derartige Bestimmungen wurden jedoch mit dem Runderlaß des RMdl betr. Übergangsfälle in Dienststrafverfahren II S Β 2456/38—6611 — vom 11. 6. 38 (RMBliV S. 993) außer Kraft gesetzt. Die einzelnen Reichsverwaltungen, wie die Deutsche Reichspost, ordneten daraufhin durch besondere Zusatzbestimmungen zu § 121 RDStO an, daß eine Löschung von Disziplinarstrafen nicht mehr in Frage kam. Für den Bereich der Deutschen Reichspost wurde in einer besonderen Dienstanweisung für das Disziplinarverfahren bestimmt, daß Disziplinarstrafen in Personalbögen auch nach Ablauf eines längeren Zeitraumes nicht mehr zu löschen waren. Nach dem Zusammenbruch ordnete erstmals das Land NordrheinWestfalen mit Runderlaß vom 17. 6. 49 i. d. F. vom 12. 3. 53 i. V. m. Runderlaß vom 6. 2. 1958 — IV Β 2/20. 50—55/57 — an, daß die Disziplinarstrafen in den Personalakten im Falle einer Begnadigung oder nach Ablauf einer daselbst genannten Frist zu löschen waren (im einzelnen siehe VIS. 338). Der Runderlaß des Innenministers des Landes Niedersachsen vom 7. 10. 50 (Nds. PolNBl. 1951 S. 49) befaßte sich mit der Löschung von Dienststrafen der Polizeibeamten. Dem gleichen Zwecke diente der Runderlaß des Minister des Innern des Landes Rheinland-Pfalz vom 22.11.51 — Az. 400 — 61/2, der jedoch inzwischen aufgehoben worden ist; die spätere Regelung brachte wiederum eine Verschlechterung. Mit der Eintragung und Löschung von Strafen für Polizeibeamte befaßte sich schließlich der Runderlaß des Ministers des Innern des Landes Schleswig-Holstein vom 5. 8. 52 (ABl. S. 317). Der Runderlaß des Saarländischen Ministers des Innern vom 1. 6. 49 betr. Bearbeitung von Disziplinarvorgängen sah gleichfalls eine Löschung von Disziplinarstrafen vor. Wohl keine vollständige Löschung, jedoch eine Milderung des Runderlasses des RMdl vom 11. 6. 38 sahen vor die Bekanntmachung des Bayr. Staatsministers der Finanzen vom 29. 12. 55 — Ρ 1060 2 A — III 705, betr. Behandlung von Dienststrafen mit geringerer Bedeutung, der Erlaß des Bremer Innensenators vom 29. 4. 54 — Az. II (1) § 80/84 betr. Behandlung von Dienststrafvorgängen — und der Runderlaß des Hessischen Minister des Innern vom 20. 12. 55 — U l f 81 02 — TgbNr. 112/55 betr. Berücksichtigung von Dienststrafen im Bereich der staatlichen und kommunalen Polizei —. Trotz vielfacher Bestrebungen hielt der Bundesgesetzgeber zunächst an dem seit dem 11. 6. 38 bestehenden Rechtszustand fest. Anläßlich der Beratungen des ÄndGes. 1952 hatte man sich eingehend mit der Frage be21·
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faßt, ob eine Löschung von Disziplinarstrafen zu rechtfertigen sei. Hierzu stellte der Ausschuß für Beamtenrecht — Bundesdrucksache Nr. 3594 — fest: „Der Ausschuß prüfte darüber hinaus auch die Frage, inwieweit verhängte nichtförmliche Disziplinarstrafen nach gewisser Zeit getilgt werden sollen. Dagegen wurde geltend gemacht, daß man. im Disziplinarrecht kein Strafregister und keine Auskunftspflicht kennt, umgekehrt aber der Personalakt ein Bild über die guten und schwachen Seiten des Beamten geben soll. Dieses Bild wird zu einem Zerrbild, wenn man alles Negative tilgt. Die Anregung wurde dann nicht mehr weiter verfolgt." Bei der 3. Lesung des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften am 29. 6. 61 stellte die SPD-Fraktion den Antrag, der BDO in § 103 a eine Bestimmung beizufügen, wonach die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße aus den Akten des Beamten zu tilgen sind, wenn der Bestrafte nach Verhängung dieser Strafen drei Jahre hindurch weder strafrechtlich noch disziplinar bestraft noch gegen ihn auf eine strafrechtliche Maßnahme anderer Art erkannt worden ist. Dieser Antrag wurde vom Bundestag einstimmig angenommen und nach Art. VI des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 21. 8. 61 (BGBl. I S. 1361) der BDO der § 103a neu beigefügt. Da in diesen Bestimmungen keine näheren Einzelheiten aufgenommen waren, in welcher Form die Löschung vorzunehmen sei, und weiterhin keine Bestimmungen über eine Unterbrechung oder einen Aufschub der Bewährungsfrist im Falle einer erneuten Bestrafung bzw. der Einleitung von straf- oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen enthalten waren, konnte § 103a i. d. F. des Gesetzes vom 21. 8. 61 nicht zur Ausführung kommen. Erst die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 103 a BDO vom 4. 3. 63 (GemMinBl. 1963 S. 104) brachten hierzu nähere Ausführungen, die eine Handhabung des § 103 a BDO im Bereich der einzelnen Bundesverwaltungen ermöglichten. Im einzelnen wurde hierzu folgendes angeordnet: 1. Die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße sind zu tilgen, gleichviel, ob sie im förmlichen oder nichtförmlichen Verfahren verhängt worden sind. Das gleiche gilt für sonstige Disziplinarstrafen, die nach früher geltendem Recht durch Disziplinarverfügung eines Dienstvorgesetzten verhängt werden konnten. 2. Die Tilgungsfrist von drei Jahren beginnt im Falle der Bestrafung durch ein Disziplinargericht mit der Rechtskraft des Urteils, im Falle der Bestrafung durch Disziplinarverfügung, sobald diese für den bestraften Beamten unanfechtbar geworden ist. Wird von dem höheren Dienstvorgesetzten oder der obersten Dienstbehörde die Disziplinarverfügung innerhalb eines Jahres aufgehoben und erneut eine Disziplinarstrafe verhängt ( § 2 7 Abs. 2 BDO), so beginnt die Tilgungsfrist, sobald die neue Disziplinarverfügung unanfechtbar geworden ist. 3. Wird der Beamte innerhalb der Tilgungsfrist disziplinarisch oder strafrechtlich bestraft oder gegen ihn auf eine strafrechtliche Maßnahme anderer Art erkannt, so beginnt die Tilgungsfrist von der Rechtskraft (Unanfechtbarkeit) der Entscheidung ab erneut zu laufen. 324
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4. Nach Ablauf der Tilgungsfrist sind alle Vorgänge, die die zu tilgende Disziplinarstrafe betreffen (ζ. B. Anzeigen, Niederschriften über Zeugenvernehmungen, Disziplinarurteil, Disziplinarverfügung), aus den Personalakten zu entfernen und zu vernichten. 5. Hinweise auf getilgte Disziplinarstrafen in Beurteilungen und an anderen Stellen der Personalakten sollen unkenntlich gemacht werden. 6. Abgeschlossene Disziplinarvorgänge werden künftig zweckmäßig in besonderen bei den Personalakten befindlichen Unterordnern geführt. 7. Um eine spätere wirksame Tilgung zu ermöglichen, sollen Disziplinarstrafen, die der Tilgung unterliegen, nicht in den Beurteilungen angeführt werden. Wenn in der Beurteilung eines Beamten ein Hinweis wegen des Dienstvergehens sowie der hieraus sich ergebenden Rückschlüsse auf Charakter und Gesamtverhalten des Beamten geboten erscheint, soll nur das der Strafe zugrunde liegende Verhalten des Beamten gekennzeichnet werden. Im Bereich der Deutschen Bundespost sind mit der UmdruckVf. III R 1 8050—0 vom 2. 5. 63 hierzu nähere Durchführungsanweisungen ergangen, die vor allem bestimmen, daß sonstige Vorgänge, wie dienstliche Mißbilligungen, Strafurteile, Strafbefehle, Ehescheidungsurteile, Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse und Vorgänge über Disziplinarverfahren, die durch den Dienstvorgesetzten oder das Disziplinargericht eingestellt worden sind, nicht zu tilgen, sondern weiterhin bei den Personalakten zu behalten sind. Mit der UmdruckVf. BPMin. III A 1 8011—0 vom 21. 9. 63 sind die Tilgungsvorschriften für Disziplinarstrafen sinngemäß auf Ordnungsstrafen von früheren Arbeitern und Angestellten anzuwenden, die in das Beamtenverhältnis berufen worden sind. Unter Berücksichtigung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom 4. 3. 63 ist § 103a BDO in der Novelle zur BDO, wie folgt gefaßt worden: 1. Eintragungen in den Personalakten eines Beamten über die Bestrafung mit einer Verwarnung, Verweis oder einer Geldbuße sind nach Ablauf einer Frist von drei Jahren zu tilgen. Die über die Bestrafung entstandenen Vorgänge sind aus den Personalakten zu entfernen. 2. Die Tilgungsfrist beginnt mit der Unanfechtbarkeit der Disziplinarstrafe; sie wird durch eine neue Disziplinarstrafe oder durch eine gerichtliche Bestrafung wegen eines Verbrechens oder. Vergehens unterbrochen und beginnt mit deren Unanfechtbarkeit von neuem zu laufen. Wird die neue Disziplinarstrafe oder die gerichtliche Strafe aufgehoben, so gilt die Tilgungsfrist als nicht unterbrochen. 3. Die Tilgung wird aufgeschoben, solange gegen den Beamten strafrechtliche Ermittlungen wegen eines Verbrechens oder Vergehens oder disziplinarisch Vorermittlungen geführt werden ; sie wird ferner aufgeschoben, wenn gegen den Beamten die öffentliche Klage erhoben oder ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, bis zum Abschluß des Straf- oder Disziplinarverfahrens. 325
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Tilgung von Disziplinarstrafen
4. Ist die Tilgungsfrist abgelaufen, so darf der Bestrafte jede Auskunft über die Tat und über die Strafe verweigern und sich insoweit als disziplinar unbestraft bezeichnen. Bereits vor der Novelle zur BDO hatte sich § 104 a der Hamburger Disziplinarordnung i. d. F. vom 18. 10. 57 mit der Löschung von Disziplinarstrafen befaßt, wobei im Gegensatz zum § 103 a BDO i. d. F. des Gesetzes vom 21. 8. 61 nähere Bestimmungen über die Unterbrechung und den Aufschub der Bewährungsfrist getroffen waren (Näheres siehe VI). Während die Hessische Disziplinarordnung in § 110 die Bundesregelung i. d. F. des Gesetzes vom 21. 8. 61 übernommen hatte, hatte die Landesdisziplinarordnung von Baden-Württemberg vom 1. 8. 1962 in § 111 wiederum Bestimmungen getroffen, die sich allgemein mit der Nichtberücksichtigung von Disziplinarstrafen bei Personalmaßnahmen befassen (Näheres siehe VI). Nach § 30 der DVO zur LDO Bin sind Ausführungsbestimmungen zu § 107 LDO Bin getroffen, die in einzelnen Punkten von der Bundesregelung abweichen. (Näheres siehe VI). ΠΙ. TILGUNG DER EINTRAGUNGEN DER DISZIPLINARSTRAFE UND ENTFERNUNG DER DISZIPLINARVORGÄNGE AUS DEN PERSONALAKTEN IM BUNDESRECHT Nach § 103a BDO, § 103a Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle sind die Eintragungen in den Personalakten eines Beamten über die Bestrafung mit einer Warnung, Verweis oder Geldbuße nach Ablauf einer Frist von drei Jahren zu tilgen. Nach AVV Nr. 4, § 103 a Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle sind die über die Bestrafung entstandenen Vorgänge aus den Personalakten zu entfernen. A. Voraussetzungen 1. T i l g u n g von W a r n u n g , V e r w e i s und G e l d b u ß e Es muß sich um die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises oder der Geldbuße handeln. Ob diese Disziplinarstrafen durch den Dienstvorgesetzten oder durch das Disziplinargericht verhängt worden sind, bleibt gleich. § 103a BDO, BDO i. d. F. der Novelle erfaßt auch die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften ausgesprochenen Bestrafungen (vgl. A W Nr. 1). Auf den Grund der Bestrafung kommt es nicht an. Erscheint der Beschuldigte wegen seiner Verfehlungen nicht mehr für den Kassendienst tragbar, so muß die Löschung trotzdem erfolgen. Es bleibt aber dem Dienstvorgesetzten unbenommen, in den Personalakten an sichtbarer Stelle einen Vermerk aufzunehmen, daß der Beamte wegen kassenmäßig unkorrekten Verhaltens für die Führung einer Kasse nicht mehr in Frage kommt. Sollte eine in § 11 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorgesehene Disziplinarstrafe im Gnadenwege in eine in § 11 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle genannte Strafe umgewandelt worden sein, so findet auf die umgewandelte Strafe § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle keine Anwendung. 326
Tilgung der Eintragungen der Disziplinarstrafe
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§ 103 a BDO, B D O i. d. F. der Novelle bezieht sich nicht auf mißbilligende Äußerungen (Zurechtweisungen, Ermahnungen, Rügen) i. S. des § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle. Derartige Dienstaufsichtsmaßnahmen werden nach herrschender Auffassung von der Tilgungsvorschrift des § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht erfaßt. Trotzdem ist sicherzustellen, daß die durch eine Dienstaufsichtsmaßnahme zurechtgewiesenen Beamten in ihrem dienstlichen Werdegang gegenüber den mit einer Disziplinarstrafe bestraften nicht benachteiligt werden. Nach allgemeiner Verwaltungsübung sind dienstliche Mißbilligungen im Sinne des § 5 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht mehr nachteilig zu werten, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 103a BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorliegen1». 2. S t r a f f r e i e F ü h r u n g auf die D a u e r v o n drei J a h r e n Der Beamte darf nach Verhängung der Strafe ununterbrochen drei Jahre nicht aa) strafgerichtlich oder bb) disziplinar bestraft sein. Ob die Bestrafung wegen eines Verbrechens, eines Vergehens oder einer Übertretung erfolgt ist, ist unbeachtlich. Nach § 103 a Abs. 2 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle kommt nur eine gerichtliche Bestrafung wegen eines Verbrechens oder Vergehens in Betracht. Im allgemeinen muß jedoch gefordert werden, daß die Bestrafung in einem gesetzlich geordneten Gerichtsverfahren ausgesprochen ist. Es ist nicht erforderlich, daß ein Strafgericht die Strafe ausgesprochen hat. Es kann auch ein sonstiges Gericht, wie ζ. B. ein Finanzgericht, in Frage kommen, sofern es nur befugt ist, eine Strafe zu verhängen. Ob die Bestrafung auf Grund einer mündlichen Verhandlung oder durch Strafbefehl erfolgt, ist gleich. Nicht hierher gehören die polizeilichen gebührenpflichtigen Verwarnungen, obgleich die Grundlage für die Ahndung gleichfalls Übertretungen bilden. Die Warnung im Sinne des § 22 des Straßenverkehrsgesetzes vom 19. 12. 52 (BGBl. I S. 709 und 710) ist keine kriminelle Strafe, sondern eine Verwaltungsmaßnahme, für die eine Gebühr erhoben wird. B. Lauf der Tilgungsfrist Die Tilgungsfrist von drei Jahren beginnt im Falle der Bestrafung durch ein Disziplinargericht mit der Rechtskraft des Urteils, im Falle der Bestrafung durch Disziplinarverfügung, sobald diese für den bestraften Beamten unanfechtbar geworden ist (AVV Nr. 2 Satz 1, vgl. auch § 103a Abs.2 Satz 1 Halbsatz 1 BDO i.d.F. der Novelle). Die Disziplinarverfügung genießt nur einen rechtskraftähnlichen Schutz; sie wird unanfechtbar, wenn der Beschuldigte innerhalb der Rechtsmittelfrist von seinem Beschwerderecht bzw. dem Recht, Antrag auf disziplinargerichtliche Entscheidung zu stellen, keinen Gebrauch macht. Sie wird vorher unanfechtbar, wenn der Beschuldigte auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs verzichtet, mit Ablauf des Tages, an dem die Verzichtserklärung bei der zuständigen Stelle eingeht, oder, wenn er den eingelegten Rechtsbehelf zurücknimmt, mit Ablauf des Tages, an dem la
Vgl. BPM-Umdruck — Vf. III R 1 8050—0 vom 25. 2. 65.
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§32
Tilgung yon Disziplinarstrafen
die Zurücknahmeerklärung bei der Stelle eingeht, die über den Rechtsbehelf zu entscheiden hat. Hat das Disziplinargericht auf den Antrag auf disziplinargerichtliche Entscheidung nach § 26 Abs. 3 bzw. 4 BDO, § 26 Abs. 3 BDO i. d. F. der Novelle entschieden, so wird die Entscheidung mit der Verkündung rechtskräftig und damit unanfechtbar. Wird von dem höheren Dienstvorgesetzten oder der obersten Dienstbehörde die Disziplinarverfügung innerhalb eines Jahres aufgehoben und erneut eine Disziplinarstrafe verhängt (§ 27 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle), so beginnt die Tilgungsfrist, sobald die neue Disziplinarverfügung unanfechtbar geworden ist ( A W Nr. 2 Satz 2). Innerhalb der Frist von drei Jahren darf der Beamte nicht bestraft worden sein. Nach § 103 a Abs. 2 Satz 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle kommen Disziplinarstrafen und gerichtliche Strafen wegen Verbrechen oder Vergehen in Frage. Hierbei ist nicht entscheidend, ob die neue Strafe innerhalb der Frist bereits rechtskräftig verhängt ist. Tritt die Unanfechtbarkeit der erneuten Bestrafung erst nach Ablauf von drei Jahren ein, so kommt auch dann eine Tilgung der früheren Strafe nicht in Frage; es genügt nämlich die Verhängung der Strafe. Die Bestrafung muß sich immer auf den Täter beziehen. Hat z. B. der Beamte mit einem Dritten zusammen eine Straftat begangen und ist nur der Dritte in einem getrennten Verfahren wegen der Tat innerhalb der Dreijahresfrist des § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle bestraft werden, so ist die früher verhängte Disziplinarstrafe zu tilgen. C. Unterbrechung der Tilgungsfrist Wird der Beamte innerhalb der Dreijahresfrist erneut gerichtlich oder disziplinarisch bestraft, so wird die Frist unterbrochen und beginnt mit der Unanfechtbarkeit der neuen Disziplinarstrafe oder der gerichtlichen Bestrafung an von neuem zu laufen (AVV Nr. 3). Hat also der Beschuldigte gegen eine erneute disziplinarische Bestrafung durch das Disziplinargericht mit einer Geldbuße Berufung eingelegt, so läuft die Drei-Jahres-Frist für die frühere Strafe nicht von dem Tage des Erlasses des erneuten disziplinarischen Erkenntnisses, sondern von dem Tage der Rechtskraft desselben. Hierbei ist der Unterbrechungstag schon ein Tag der neuen Frist: war er z. B. der 20. 2. 66, so ist die Löschungsfrist mit dem Schluß des 19. 2. 69 abgelaufen. Nach § 103 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle wird die Tilgungsfrist durch eine neue Disziplinarstrafe oder durch eine gerichtliche Bestrafung wegen eines Verbrechens oder Vergehens unterbrochen und beginnt mit deren Unanfechtbarkeit von neuen zu laufen. Wird die neue Disziplinarstrafe oder die gerichtliche Strafe aufgehoben, so gilt nach § 103 a Abs. 2 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle die Tilgungsfrist als nicht unterbrochen. D. Aufschub der Tilgungsfrist Schweben gegen den Beamten strafrechtliche Ermittlungen wegen eines Verbrechens oder Vergehens, oder werden gegen ihn disziplinarische Vorermittlungen geführt, so wird nach der Novelle zur BDO die Tilgungsfrist aufgeschoben (vgl. § 103 a Abs. 3 Halbsatz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Dies gilt auch dann, wenn gegen den Beamten die öffentliche Klage erhoben oder ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, bis zum 328
Tilgung der Eintragungen der Disziplinarstrafe
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Abschluß des Straf- oder Disziplinarverfahrens (vgl. § 103 Abs. 3 Halbsatz 2 BDO i. d. F. der Novelle). Die Tilgungsfrist wird ohne Rücksicht auf die Mitteilung der Ermittlungen oder Vorermittlungen an den Dienstvorgesetzten aufgeschoben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Dienstvorgesetzte von den Ermittlungen, Vorermittlungen, der Anklage oder Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens erst nach Ablauf der Frist Kenntnis erhalten sollte; in einem solchen Falle wäre die Tilgung des Strafvermerks rückgängig zu machen und die Disziplinarakten wieder zu den Personalakten des Beamten zu bringen. Die Frist beginnt weiter zu laufen, wenn die Ermittlungen bzw. Vorermittlungen eingestellt oder der Angeklagte im Strafverfahren freigesprochen oder das Strafverfahren eingestellt bzw. der Beschuldigte im förmlichen Disziplinarverfahren freigesprochen oder dieses Verfahren eingestellt wird. Gleiches gilt, wenn die Schuld des Täters wohl erwiesen ist, die staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen bzw. das Strafverfahren nach § 153 StPO nur mit Rücksicht darauf eingestellt werden, weil die Schuld des Täters gering und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Dies gilt auch dann, wenn der Dienstvorgesetzte bzw. die Einleitungsbehörde unter Berücksichtigung des sich aus § 3 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Ermessensprinzips von einer Bestrafung absieht und das Verfahren einstellt, obgleich der Beschuldigte erwiesenermaßen ein Dienstvergehen begangen hat. Überhaupt spielen die Gründe für die Einstellung keinerlei Rolle. Wird der Beschuldigte im gerichtlichen Verfahren oder sonst disziplinarisch bestraft, so wird die Frist unterbrochen. E. Folgen einer einwandfreien Führung innerhalb der Tilgungsfrist 1. V e r n i c h t u n g der E i n t r a g u n g ü b e r die B e s t r a f u n g Ist der Beamte innerhalb der Dreijahresfrist seit Unanfechtbarkeit der Disziplinarstrafe nicht mit einer neuen Disziplinarstrafe oder in einem gerichtlichen Verfahren erneut bestraft worden, oder ist die Frist nicht infolge von Ermittlungen, Vorermittlungen Anklageerhebung oder Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens aufgeschoben worden, so sind die Eintragungen über die Bestrafung mit einer Warnung, Verweis oder Geldbuße zu tilgen und die über die Bestrafung entstandenen Vorgänge aus den Personalakten zu entfernen (vgl. AVV Nr.4, § 103a Abs.l Satz 2 BDO i.d.F. der Novelle). Der Sinn des § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle geht dahin, daß dem Beamten aus der Bestrafung keinerlei nachteilige Folgen entstehen sollen, daß dies aber nur dann ermöglicht ist, wenn aus seinen Personalakten eine Bestrafung nicht ersichtlich ist. Dieser Erfolg tritt nicht ein, wenn die Disziplinarstrafe nur gelöscht wird, so daß man trotz des Löschungsvermerks bei genauer Durchsicht der Personalakten dennoch erkennen kann, daß wohl eine disziplinarische Bestrafung stattgefunden hat, wobei lediglich nicht die Art, der Zeitpunkt und der Grund für die Bestrafung erkenntlich sind. Demnach geht § 103a BDO, BDO i. d. F. der Novelle weiter, als die unter II angeführten Erlasse, die lediglich eine Löschung des Strafvermerks vorsahen. Ein Eintragung „tilgen" bedeutet dieselbe vernichten. Wird eine Eintragung gelöscht, so bleibt sie bei den Akten; sie wird lediglich unkenntlich gemacht. 329
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Tilgung von Disziplinarstrafen
Abgeschlossene Disziplinarvorgänge werden künftig zweckmäßig in besonderen bei den Personalakten befindlichen Unterordnern geführt (AYV Nr.6). Wie die Eintragungen aus den Personalakten zu tilgen sind, ist im Gesetz nicht gesagt. Aus dem Sinn des § 103 a BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 103 a Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle geht jedoch hervor, daß die Eintragung in den Personalakten zu vernichten ist. Ist die Strafe in eine Strafliste eingetragen, so ist die Strafliste zu vernichten und erforderlichenfalls eine neue Strafliste anzulegen, in die die nicht getilgten Strafen einzutragen sind. Gleiches gilt auch dann, wenn die Strafe in einen Personalbogen eingetragen ist; dann ist auch dieser Personalbogen zu vernichten und ein neuer Personalbogen anzulegen, in den nur noch die nichtgelöschten Strafen einzutragen sind. Befinden sich in den Personalakten sonstige Vorgänge, in denen auf die disziplinarische Bestrafung mit Warnung, Verweis oder Geldbuße hingewiesen ist, so sind auch diese Vorgänge aus den Akten zu nehmen. Hinweise auf getilgte Disziplinarstrafen in Beurteilungen und an anderen Stellen der Personalakten sollen unkenntlich gemacht werden ( A W Nr. 5). Um eine spätere Tilgung zu ermöglichen, sollen Disziplinarstrafen, die der Tilgung unterliegen, daher nicht in den Beurteilungen aufgeführt werden (AVV Nr. 7 Satz 1). Wenn in der Beurteilung eines Beamten ein Hinweis wegen des Dienstvergehens sowie der hieraus sich ergebenden Rückschlüsse auf Charakter und Gesamtverhalten geboten erscheint, soll nur das der Strafe zugrunde liegende Verhalten des Beamten gekennzeichnet werden ( A W Nr.7 Satz 2). Ansonsten könnte die Dienstbehörde die Wirkung des § 103 a BDO, 1. d. F. ÄndGes. 1952, § 103a Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle dadurch illusorisch machen, daß sie in einem Befähigungsbericht auf die Disziplinarstrafe hinweist. Ist dies geschehen, so ist auch dieser Befähigungsbericht aus den Personalakten zu entfernen. Wenn die Entfernung dieser Vorgänge der Vollständigkeit den Personalakten schadet, was ζ. B. bei einem Befähigungsbericht des Beamten immer der Fall ist, ist der Text insoweit zu vernichten, als er sich auf die Strafe bezieht. U. U. ist der Befähigungsbericht ohne Hinweis auf die Bestrafung neu abzufassen. Jedoch bestehen d a g e g e n k e i n e B e d e n k e n , auf das F e h l v e r h a l t e n des B e a m t e n , das zu e i n e r B e s t r a f u n g A n l a ß g e g e b e n hat, h i n z u w e i s e n , w e n n ohne e i n e n s o l c h e n H i n w e i s e i n e e i n w a n d f r e i e B e u r t e i l u n g des B e a m t e n n i c h t m ö g l i c h ist. Ist z.B. ein Beamter wegen schlechter Führung von Kassen- und Rechnungsbüchern disziplinarisch bestraft worden, so kann im erneut anzufertigenden Befähigungsbericht darauf hingewiesen werden, daß der Beamte bei der Führung von Kassen und Rechnungsbüchern nicht die notwendige Sorgfalt obwalten läßt, damit ein späterer Dienstvorgesetzter beim Einsatz dieses Beamten entsprechende Vorkehrungen treffen kann. Dies würde ζ. B. auch dann gelten, wenn ein Beamter wegen herrischen Auftretens gegenüber nachgeordneten Beamten bestraft worden ist, weil ein Hinweis auf seine mangelnde Eignung, mit Nachgeordneten dienstlich zu verkehren, die Verwaltung später davor bewahren kann, sich bei einem Einsatz des Beamten als Dienstvorgesetzter Unannehmlichkeiten zu verschaffen. 2. E n t f e r n u n g der D i s z i p l i n a r v o r g ä n g e aus den P e r s o n a l a k t e n Die über die Bestrafung entstandenen Vorgänge sind aus den Personalakten zu entfernen (AVV Nr. 4, § 103a Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der No330
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velie) 2 . „Entfernen" bedeutet nicht „Vernichten". Demnach ist den Anforderungen des § 103 a BDO, § 103 a BDO i. d. F. der Novelle schon dann Genüge getan, wenn die Dis2iplinarvorgänge aus den Personalakten herausgenommen und in Sammelakten untergebracht werden. Diese Akten können z. B. für eine Amtshaftungsklage, die sich über den Ablauf der Tilgungsfrist hinauszieht, oder sonstwie von Bedeutung sein. Es muß nur sichergestellt sein, daß die aus den Personalakten entfernten Vorgänge dem Beamten nicht mehr nachteilig werden können. Gegen deren Unterbringung in Sammelakten können deshalb Bedenken bestehen, weil Nebenakten nicht mehr geführt werden dürfen 3 . Abgesehen davon, daß z. B. Prüfungsakten als Nebenakten geführt werden, in die der Beamte sogar keinen Einblick erhält, können auch die aus den Personalakten entnommenen Disziplinarvorgänge als Nebenakten geführt werden. Überdies handelt es sich bei Sammelakten um keine Nebenakten zu den Personalakten. Wenn die Entfernung der Disziplinarvorgänge der Vollständigkeit der Personalakte schadet, so sind die Vorgänge insoweit bei den Akten zu belassen, als sie sich nicht auf die disziplinarische Bestrafung beziehen. Wäre z. B. anläßlich der Vorermittlungen eine Auskunft des Dienstvorgesetzten über den Beamten bei seiner früheren Beschäftigungsbehörde eingeholt, so kann diese Auskunft bei den Personalakten des Beamten belassen werden, wenn sie sich nicht auf den Disziplinarvorgang selbst bezieht und auf denselben nicht Bezug nimmt. Heißt es in dem Eingang der Auskunft „Betr. Disziplinarverfahren gegen den Amtsgehilfen Meyer", so muß auszugsweise eine Abschrift der Auskunft gefertigt werden, in der der Betreff fehlt. Ferner muß sichergestellt sein, daß aus den Disziplinarvorgängen sämtliche Eintragungen über die Bestrafung getilgt werden, da § 103 a Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle dem § 103 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle untergeordnet ist. Andernfalls könnte § 103a Abs. 1 BDO, § 103a BDO i. d. F. der Novelle dadurch gegenstandslos werden, daß der spätere Dienstvorgesetzte Einblick in die Sammelakte nimmt, um sich von der früheren Bestrafung des Beamten zu überzeugen. Weiterhin darf niemanden Einblick in die bei den Sammelakten befindlichen Disziplinarvorgänge gewährt werden, wenn er kein rechtliches Interesse nachweisen kann; dies wäre z. B. bei der Einsicht der Disziplinarvorgänge durch ein Verwaltungsgericht gegeben, wenn es über eine Regreßforderung des Dienstherrn zu entscheiden hat, der das disziplinare Verhalten des Beamten zugrunde liegt, sofern das Gericht nicht auf andere Weise in der Lage ist, sich hierüber Beweisgrundlagen zu verschaffen. D e m B e a m t e n ist E i n b l i c k in die bei den S a m m e l a k t e n b e f i n d l i c h e n D i s z i p l i n a r v o r g ä n g e zu g e w ä h r e n , da sie einmal Bestandteil seiner Personalakten waren; er kann z. B. ein berechtigtes Interesse in den Einblick haben, um sich zu vergewissern, ob und inwieweit die Disziplinarvorgänge in die Sammelakte Aufnahme gefunden haben. Sind die Disziplinarvorgänge in die Personalakten aufgenommen und laufend durchnumeriert, so kann ein aufmerksamer Leser der Personalakte aus den fehlenden Blattnummern erkennen, daß es sich bei den entnommenen Vorgängen höchstwahrscheinlich um Disziplinarvorgänge handelt. Aus diesem Anders für § 103 a BDO A V V Nr. 4. Vgl. S c h n u p p in DöD 1962 S. 184; Bank, Zum Recht des Beamten auf Einsicht in seine Personalakte in RiA 1961 S. 17. 2 3
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Grunde wird es sich mit Rücksicht auf die eventuelle Entfernung der Disziplinarvorgänge aus den Personalakten empfehlen, sie nicht durchzunumerieren oder sie als besondere Anlage zu den Personalakten aufzunehmen, wie dies ζ. B. bei den Personalakten der im Bereich der Oberpostdirektionen München, Nürnberg und Regensburg beschäftigten Beamten der Deutschen Bundespost geschieht, wo die Disziplinarvorgänge in den Personalakten des Beamten lose als Unterakt III — Strafvorgänge — aufgenommen werden. Nach AVV Nr. 6 ist die Unterbringung abgeschlossener Disziplinarvorgänge in besondere bei den Personalakten befindliche Unterordner deshalb als zweckmäßig bezeichnet. 3. V e r w e i g e r u n g der A u s k u n f t über die Tat und S t r a f e Ist die Tilgungsfrist abgelaufen, so darf der Bestrafte jede Auskunft über die Tat und über die Strafe verweigern (§ 103a Abs. 4 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle). Darauf kommt es nicht an, ob die Disziplinarstrafe auch tatsächlich getilgt ist. Macht der Beamte eine Auskunft über die Tat oder die Art und Höhe der Strafe, so muß sie wahrheitsgemäß sein; andernfalls kann er wegen Verletzung der Wahrheitspflicht disziplinar belangt werden. Dies ist nicht der Fall, wenn er in einem Fragebogen die Spalte, in der nach Vorstrafen gefragt wird, mit einem Strich versieht oder das Wort „entfällt" einsetzt. 4. B e r ü c k s i c h t i g u n g g e t i l g t e r e i n s c h l ä g i g e r V o r s t r a f e n bei späteren B e s t r a f u n g e n im S t r a f v e r f a h r e n und d i s z i p l i n a r g e r i c h t lichen Verfahren Einschlägige Vorstrafen können bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens auch dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sie nach § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu tilgen sind4. Wenn auch nach § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle gewisse Disziplinarstrafen nach einer bestimmter Zeit gelöscht werden sollen, so steht die Tilgungsvorschrift der Verwertung solcher tilgungsfähiger oder getilgter Vorstrafen nicht entgegen, die zur Kenntnis des erkennenden Gerichts gelangen. Da die Disziplinarorgane nach § 3 Abs. 1 BDO, § 3 a BDO i. d. F. der Novelle verpflichtet sind, die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten zu berücksichtigen, können sie nicht die getilgten Strafen, die bei der Aburteilung eines Dienstvergehens bekannt geworden sind, unerwähnt lassen. Hat ζ. B. die Verwaltung bei einem Beamten, der wiederholt wegen des Genusses zu reichlicher Mengen Alkohols bestraft worden ist, alles Mögliche getan, um ihn von diesem Laster zu befreien, so wäre es falsch, bei erneuter Straffälligkeit dieses Beamten an den früheren Besserungsversuchen, die sich ζ. B. in einer disziplinaren Bestrafung und in der Einweisung in eine Trinkerheilanstalt offenbarten, vorüberzugehen und sie nicht bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Getilgte Disziplinarstrafen können zum Nachteil des Beamten nur dann berücksichtigt werden, wenn Personalakten in ungekürzter Form noch vorhanden sind und die Vorkommnisse zumindest teilweise in geeigneter Form 4 BDH 5. 12. 61 — I D 72/61 — in ZBR 1962 S. 195 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 605; BDH 19. 12. 61 — III D 25/61 —; BDH 11. 7. 62 — II D 25/62 —; BDH 25. 1. 62 — I DV 9/61 — in ZBR 1963 S. 29; vgl. auch DokBer. Nr. 1537, 1621, 1625 1699 und 1762; vgl. für das Strafverfahren K l e i n k n e c h t - M ü l l e r , 4. Aufl. Anm. 9 Β zu § 267 StPO; RGSt. Bd. 60 S. 288 und Bd. 74 S. 177; BGH in MDR 1952 S. 18 und 1955 S. 501; NJW 1955 5. 998; BVerwG in JR 1961 S. 392; DokBer. Nr. 1996.
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ihren Niederschlag in Beurteilungen gefunden haben. Im Falle einer Bereinigung der Personalakten fehlt es aber an Beweismitteln, die dem Disziplinargericht eine zuverlässige Kenntnis von den Vorstrafen, ihrer zeitlichen Lage und von ihren sachlichen Hintergründen und deren wahren Kern vermitteln. Wird in der Einleitungsverfügung und in der Anschuldigungsschrift nur schlagwortartig auf die Vorstrafen hingewiesen, so stellt dies allein kein zu Lasten des Beschuldigten verwertbares Beweismittel, sondern nur eine Behauptung dar, die durch das Disziplinargericht nachgeprüft werden muß 5 . Eine nochmalige Ermittlung der Vorgänge, die zu der früheren Bestrafung geführt haben, scheitert oft an dem Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten, dem Zeitablauf und der Trübung des Erinnerungsvermögens. Die zu den Sonderakten genommenen Unterlagen aus dem früheren Beweisverfahren dürfen ohne Zustimmung des Beschuldigten nicht in dem erneuten Verfahren herangezogen werden, da ansonsten § 103 a BDO, BDO i. d. F. der Novelle gegenstandslos werden würde. IV. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Wenn man von den unter I. angeführten Runderlassen der Innenminister der Länder Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Bayern absieht, ist außer den Ländern Berlin, Hamburg und Hessen die Löschung von Disziplinarstrafen in keinem anderen Lande entsprechend dem § 103a BDO i. d. F. des Gesetzes vom 21. 8. 61 und dem § 103a BDO i. d. F. der Novelle gesetzlich geregelt. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 111 der Landesdisziplinarordnung von Baden-Württemberg sieht keine Löschung, jedoch eine Nichtberücksichtigung von Disziplinarstrafen bei Personalmaßnahmen vor. § 111 LDO BW lautet wie folgt: 1. Wurde ein Beamter mit einer Warnung, einem Verweis oder einer Geldbuße ( § § 5 und 6) bestraft, so dürfen diese Disziplinarstrafen bei Personalmaßnahmen nach Ablauf einer Bewährungsfrist nicht mehr berücksichtigt werden. 2. Die Bewährungsfrist beträgt bei einer Warnung zwei Jahre, bei einem Verweis drei Jahre, bei einer Geldbuße fünf Jahre. Sie beginnt mit dem Tag der Verhängung der Disziplinarstrafe, bei späterer Abänderung mit dem Tage der Verhängung der ursprünglichen Disziplinarstrafe. 3. Der Lauf der Bewährungsfrist wird durch die Verhängung einer neuen Disziplinarstrafe unterbrochen. Die Bewährungszeit beginnt mit dem Tage, an dem die Verhängung der Disziplinarstrafe rechtskräftig geworden ist. In diesem Falle endet die Bewährungszeit erst mit dem Zeitpunkt, an dem für alle Disziplinarstrafen die Voraussetzungen der Nichtberücksichtigung vorliegen. 4. Die Bewährungszeit verlängert sich, wenn im Zeitpunkt ihres Ablaufs eine Verurteilung durch die allgemeinen Strafgerichte vorliegt oder neue 6
BDH 16. 4. 64 — II D 7/64 — in ZBR 1964 S. 283; DokBer. Nr. 1996.
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disziplinar- oder strafrechtliche Ermittlungen schweben. Soweit die strafgerichtliche Verurteilung oder die schwebenden Ermittlungen zu einer neuen Disziplinarstrafe führen, gilt Abs. 3 entsprechend. 5. Über den Ablauf der Bewährungszeit ist in die Personalakten ein Vermerk aufzunehmen. 2. B e r l i n § 107 LDO Bin entspricht § 103 a BDO i. d. F. des Gesetzes vom 21. 8. 61 (BGBl. I S. 1361). § 30 DVO zur LDO Bin, der sich mit der näheren Ausgestaltung der Tilgung von Eintragungen in den Personalakten befaßt, bestimmt hierzu folgendes : 1. Die D i s z i p l i n a r s t r a f e n der Warnung, des Verweises und der Geldbuße sind zu t i l g e n , gleichviel, ob sie durch Disziplinarverfügung oder im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt worden sind. Die Tilgungsfristen von drei Jahren beginnt im Falle der Bestrafung durch ein Disziplinargericht mit der Verurteilung, im Falle der Bestrafung durch Disziplinarverfügung mit der Zustellung. Wird die Disziplinarverfügung von der obersten Dienstbehörde aufgehoben und erneut eine Disziplinarstrafe verhängt (§ 30 Abs. 2 LDO Bin), so beginnt die Frist mit der Zustellung der neuen Disziplinarverfügung. 2. Wird der Beamte i n n e r h a l b der F r i s t von drei Jahren (Abs. 1 Satz 2 und3) d i s z i p l i n a r i s c h oder s t r a f r e c h t l i c h b e s t r a f t , oderwird gegen ihn auf eine strafrechtliche Maßnahme anderer Art erkannt, so beginnt die Frist von drei Jahren von der Entscheidung an zu laufen. 3. Nach Ablauf der Tilgungsfrist ist die zu tilgende D i s z i p l i n a r v e r f ü g u n g oder das zu tilgende D i s z i p l i n a r u r t e i l aus den P e r s o n a l a k t e n zu e n t f e r n e n u n d zu v e r n i c h t e n . Das gleiche gilt für alle Vorgänge, die die zu tilgende Disziplinarstrafe betreffen (ζ. B. Anzeigen, Niederschriften über Zeugenvernehmungen). Dem Beamten ist die Tilgung schriftlich mitzuteilen. 4. D i s z i p l i n a r v o r g ä n g e sind in b e s o n d e r e n U n t e r o r d n e r n zu f ü h r e n . Solange diese Vorgänge nicht gemäß Abs. 3 vernichtet sind, bleiben sie Bestandteile der Personalakten, in die der Beamte das Recht auf Einsicht hat (§ 56 Abs. 1 Satz 1 LBG Bin). 5. Um eine spätere wirksame Tilgung zu ermöglichen, dürfen verhängte D i s z i p l i n a r s t r a f e n , die der Tilgung unterliegen, n i c h t i n B e u r t e i l u n g e n oder a n d e r e n V o r g ä n g e n als den Disziplinarvorgängen (Abs. 4) e r w ä h n t werden. Soweit die Erwähnung einer der Tilgung unterliegenden Strafe in der Beurteilung eines Beamten wegen der Art des Dienstvergehens oder wegen der hieraus sich ergebenden Rückschlüsse auf Charakter und Gesamtverhalten des Beamten geboten erscheint, darf nicht die Strafe als solche erwähnt, sondern nur das ihr zugrunde liegende Verhalten des Beamten gekennzeichnet werden. Befinden sich in den Personalakten der Beamten aus der Zeit v o r dem I n k r a f t t r e t e n d i e s e r V e r o r d n u n g n o c h H i n w e i s e auf D i s z i p l i n a r s t r a f e n , die der T i l g u n g u n t e r l i e g e n , ist nach Ablauf der Tilgungsfrist wie folgt zu verfahren: 334
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a) Ist der Vorgang in den Personalakten entbehrlich, so ist er zu entfernen und zu vernichten. b) Kann der Vorgang in den Personalakten nicht entbehrt werden, so sind die Hinweise auf die getilgte Disziplinarstrafe unkenntlich zu machen. 3. H a m b u r g Die erste gesetzliche Regelung auf Landesebene nahm die Hamburger Disziplinarordnung i. d. F. vom 18.10. 57 in § 104a HmbDO, wie folgt, vor: 1. Die Eintragungen in der Personalakte des Beamten über eine Verwarnung einen Verweis oder eine Geldbuße ( § § 5 und 6) sind nach Ablauf der in Abs.2 bestimmten Bewährungsfrist (Löschungsfrist) v o n A m t s w e g e n zu l ö s c h e n . 2. Die L ö s c h u n g s f r i s t b e t r ä g t fünf J a h r e . Sie beginnt mit dem Tage der Verhängung der Disziplinarstrafe, bei späterer Abänderung des Strafmaßes mit dem Tage der Verhängung der ursprünglichen Disziplinarstrafe. 3. Der Lauf der Löschungsfrist einer Disziplinarstrafe wird d u r c h die Verh ä n g u n g e i n e r e r n e u t e n D i s z i p l i n a r s t r a f e u n t e r b r o c h e n . Sie beginnt mit dem Tage, an dem die Verhängung der Disziplinarstrafe rechtskräftig geworden ist, von neuem. In diesem Falle erfolgt die Löschung erst zu dem Zeitpunkt, an dem für alle Disziplinarstrafen die Voraussetzungen der Löschung vorliegen. 4. Die Löschung ist a u f z u s c h i e b e n , wenn im Zeitpunkt des Ablaufs der Löschungsfrist eine Verurteilung durch die allgemeinen Strafgerichte vorliegt oder neue disziplinare oder strafrechtliche Ermittlungen schweben. Soweit die strafgerichtliche Verurteilung oder die schwebenden Ermittlungen zu einer neuen Disziplinarstrafe führen, gilt Abs. 3 entsprechend. In Durchführung dieser Bestimmung wird in den V e r w a l t u n g s m i t t e i l u n g e n 1958 Seite 53 unter anderem folgendes angeordnet: 5. Die in der S t r a f l i s t e e i n g e t r a g e n e n D i s z i p l i n a r s t r a f e n (Verwarnung, Verweis, Geldbuße) sind v o n A m t s w e g e n zu l ö s c h e n , wenn die Voraussetzungen des § 104 a der DO Hmb. vorliegen. 6 7. Die Löschung ist in der Weise vorzunehmen, daß a) die Eintragung der Strafe in den Straflisten mit e i n e m L ö s c h u n g s v e r m e r k v e r s e h e n w i r d , der von dem Leiter der Personalstelle zu unterschreiben ist; diese Strafliste ist aus der Personalakte zu entfernen und zu einer Sammelakte über gelöschte Strafen zu nehmen; die der Löschung nicht unterliegenden Eintragungen sind in eine neue der Personalakte wieder beizufügende Strafliste zu übertragen, b) die sich auf die zu löschende Strafe beziehenden V o r g ä n g e aus dem TeilC der Personalakte e n t f e r n t u n d g l e i c h f a l l s in die S a m m e l a k t e ü b e r n o m m e n werden. Wenn die Entfernung dieser Vorgänge der Vollständigkeit der Personalakte schadet, ist der Text insoweit zu löschen, als er sich auf die Strafe bezieht. 335
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8. Dienstaufsichtsbeschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art (Nr. 20) sind nach fünf Jahren aus der Personalakte zu entfernen und in eine Sammelakte Nr. 20 Abs. 2 zu nehmen, wenn sich der Beamte während dieser Zeit vorwurfsfrei geführt hat. Das gleiche gilt auch für Vorgänge, die auf Grund von Yorermittlungen, Mitteilungen von gerichtlichen Verfahren usw. entstanden sind und nicht zu einer disziplinaren Bestrafung oder zu einer Ordnungsstrafe geführt haben. Die Hamburgische Durchführungsanweisung ist insoweit gesetzwidrig, als sie die Löschung von Mißbilligungen, Dienstaufsichtsbeschwerden, Behauptungen tatsächlicher Art, die Mitteilung von gerichtlichen Verfahren usw. vorsieht, weil § 94 L B G Hmb. die Führung vollständiger Personalakten vorsieht6. 4. Hessen Die Hessische Disziplinarordnung hat in § 110 HDO den § 103a BDO i. d. F. vom 21. 8. 61 übernommen. § 110 HDO lautet wie folgt: „Die Disziplinarstrafen der Warnung, des Verweises und der Geldbuße sind aus den Personalakten des Beamten zu tilgen, wenn der Bestrafte nach Verhängung dieser Strafe ununterbrochen drei Jahre hindurch weder strafrechtlich oder disziplinar bestraft, noch gegen ihn auf eine strafrechtliche Maßnahme anderer Art erkannt worden ist." Zu § 110 H D O ist die DVO vom 18. 7. 63 (GVB1. S. 109) erlassen worden. Hiernach sind Disziplinarvorgänge in Beiakten zu den Personalakten zu führen ( § 1 Abs. 1 Satz 1 a. a. O.). Sie bleiben Bestandteile der Personalakten, solange sie nicht nach §6 a . a . O . entfernt sind (§1 Abs. 1 Satz2 a.a.O.). Für jeden D i s z i p l i n a r v o r g a n g ist eine b e s o n d e r e Beiakte zu führen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 a. a. O.). Über die Beiakten, die Anzahl der in ihnen enthaltenen Blätter und die Art des Dienstvergehens ist ein Verzeichnis anzufertigen und zu der ersten Beiakte zu nehmen ( § 1 Abs. 2 Satz 1 a. a. O.). Nach Entfernung einer Beiakte (§ 6 a. a. O.) ist ein neues Verzeichnis anzufertigen, das keine Hinweise auf die entfernten Vorgänge enthalten darf (§ 1 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). Bei der Behörde, die die Personalakten führt, ist für jeden der Tilgung nach dieser Vorschrift unterliegenden Vorgang eine K a r t e i k a r t e anzulegen ( § 2 Satz 1 a. a. O.). Im Falle der Tilgung ist die Karteikarte zu vernichten ( § 2 Satz 2 a. a. O.). In Beurteilungen und in allen anderen Vorgängen der Personalakten des Beamten sollen Hinweise auf D i s z i p l i n a r s t r a f e n , die der Tilgung unterliegen, nicht a u f g e n o m m e n werden (§ 3 Satz 1 a. a. O.). Erscheint ein Hinweis wegen der sich aus dem Dienstvergehen vergebenden Rückschlüsse auf Charakter und Gesamtverhalten des Beamten geboten, so ist nicht die Strafe, sondern nur das ihr zugrunde liegende Verhalten des Beamten zu kennzeichnen (§3 Satz 2 a. a. O.). Die F r i s t von drei J a h r e n beginnt im Falle der Bestrafung durch ein Disziplinargericht mit der Rechtskraft des Urteils, im Falle der Bestrafung 6 L i n d g e n in DöD 1962 S. 120; S c h ü t z in D6D 1963 S. 88; a. M. S c h n u p p in DöD 1962 S. 184.
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durch Dis2iplinarverfügung, sobald diese für den Beamten unanfechtbar geworden ist ( § 4 Satz 1 a. a. O.). Hebt der höhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde die Disziplinarverfügung auf und verhängt eine Disziplinarstrafe ( § 28 Satz 2 HDO), so beginnt die Frist, sobald die neue Disziplinarverfügung unanfechtbar geworden ist ( § 4 Satz 3 a. a. O.). Wird der Beamte innerhalb der Frist von drei Jahren (§ 4 a. a. O.) strafrechtlich oder disziplinar bestraft oder wird auf eine strafrechtliche Maßnahme anderer Art gegen ihn erkannt, so b e g i n n t die Frist von drei Jahren von der Rechtskraft der Entscheidung ab erneut zu l a u f e n ( § 5 Abs. 1 a. a. O.). Vor der Tilgung einer Disziplinàrstrafe ist eine Auskunft aus dem Strafregister einzuholen ( § 5 Abs. 2 a. a. O.). Alle Vorgänge, die die zu tilgende Disziplinarstrafe betreffen, sind nach dem Ablauf der Frist von drei Jahren (§ 4 a. a. O.) aus den P e r s o n a l a k t e n zu entfernen. Waren sie nach § 1 a. a. O. in einer Beiakte zusammengefaßt, so sind die gesamte Beiakte und das Verzeichnis ( § 1 Abs. 2 a. a. O.) zu entfernen ( § 6 Satz 1 a. a. O.). An Stelle früher entstandener Disziplinarvorgänge, die nicht in einer Beiakte zusammengefaßt worden sind, ist ein Leerblatt in die Personalakte einzufügen ( § 6 Satz 2 a. a. O.). Darauf ist zu vermerken : „Blatt (Angabe der Blatt-Nr.) entfernt. Ort/Datum Unterschrift." ( § 6 Satz 3 a. a. O.). Der Vermerk ist vom Leiter der Behörde oder einem von ihm hierzu besonders ermächtigten Beamten zu unterschreiben ( § 6 Satz 4 a. a. O.). Die T i l g u n g ist v o n A m t s w e g e n v o r z u n e h m e n und dem Beamten schriftlich mitzuteilen ( § 7 Satz 1 a.a.O.). Der Entwurf der Mitteilung ist entsprechend § 8 a. a. O. zu behandeln ( § 7 Satz 2 a. a. O.). Die nach § 6 a. a. O. entfernten V o r g ä n g e sind zu v e r n i c h t e n (§ 8 Abs. 1 a. a. O.). Auf A n t r a g des Beamten sind die entfernten Disziplinarvorgänge in b e s o n d e r e n S a m m e l a k t e n aufzubewahren (§ 8 Abs. 2 Satz 1 a. a. O.). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung (§ 7 a. a. O.) zu stellen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 a. a. O.). In den Fällen des Abs. 2 hat der Leiter der Behörde, bei der die entfernten Vorgänge entstanden sind, dem Beamten die Einsichtnahme zu gestatten ( § 8 Abs. 3 a. a. O.). Hinweise auf getilgte Disziplinarstrafen in Personalbogen, Beurteilungen, Formblättern für Ernennungs- und Beförderungsvorschläge und an anderen Stellen der Personalakten enthalten den Vermerk: „Getilgt nach § 110 HDO. Datum . . . . Unterschrift." (§ 9 a. a. O.). Ist dem Beamten eine mißbilligende Äußerung ( § 5 Abs. 3 HDO) schriftlich mitgeteilt oder eine solche Maßnahme aktenkundig gemacht worden, so ist e n t s p r e c h e n d §§ 1, 3, 5, Abs. 2 und § § 6 bis 9 a . a . O . zu v e r f a h r e n (§ 10 a. a. O.). Die entstandenenVorgänge sind nach § 11 Satz 1 a. a. O. sofort aus den Personalakten zu e n t f e r n e n , wenn 22
L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Tilgung von Disziplinarstrafen
1. Vorermittlungen nach §§23 und 24 HDO endgültig eingestellt worden sind, 2. die Disziplinarverfügung durch den nächsthöheren Dienstvorgesetzten aufgehoben worden ist, ohne daß erneut eine Disziplinarstrafe verhängt worden ist, 3. die Disziplinarverfügung durch Entscheidung eines Disziplinargerichts aufgehoben worden ist (§§ 27 Abs. 4 und 28 Abs. 1 HDO), ohne daß erneut eine Disziplinarstrafe verhängt worden ist. 4. die Disziplinarverfügung durch den höheren Dienstvorgesetzten oder die oberste Dienstbehörde innerhalb von drei Monaten aufgehoben worden ist, ohne daß erneut eine Disziplinarstrafe verhängt worden ist (§28 Abs. 2 HDO), 5. das förmliche Disziplinarverfahren endgültig eingestellt worden ist (§ 57 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 5 HDO), 6. der Beschuldigte freigesprochen worden ist. §§ 1 und 3, § 6 Satz 2 bis 5 und § § 7 bis 9 gelten entsprechend ( § 1 1 Satz 2 a. a. O.). Vorgänge über gerichtliche Strafen oder strafrechtliche Maßnahmen anderer Art des Beamten sind aus den Personalakten zu entfernen, wenn die Strafe im Strafregister getilgt ist, es sei denn, daß wegen der der Strafe zugrunde liegenden Tat eine höhere Disziplinarstrafe als Geldbuße verhängt worden ist (§12 Satz 1 a. a. O.). Ist die Strafe nicht im Strafregister vermerkt, so ist die Tilgung drei Jahre nach Rechtskraft vorzunehmen ( § 1 2 Satz 2 a. a. O.). Im übrigen sind die § § 1 , 5 Abs. 2 und §§ 6 bis 9 a. a. O., im Falle des Satzes 2 auch § 5 Abs. 1 a. a. O. entsprechend anzuwenden ( § 1 2 Satz 2 a. a. O.). Endet das Beamtenverhältnis, bevor die Voraussetzungen für die Entfernung der Vorgänge aus der Personalakte des Beamten erfüllt sind, so findet eine Tilgung von Amts wegen nicht mehr statt (§ 13 Satz 1 a. a. O.). Die Vorgänge sind jedoch auf Antrag in sinngemäßer Anwendung der § § 6 bis 12 a. a. O. zu entfernen (§13 Satz 2 a. a. O.). Der Nachweis einwandfreier Führung (§ 5 a. a. O.) kann durch ein polizeiliches Führungszeugnis erbracht werden (§13 Satz 3 a. a. O.). Für Disziplinarvorgänge und sonstige Vorgänge im Sinne der o. a. VO über Angestellte gelten die Vorschriften der § § 2 bis 13 entsprechend (§ 14 a. a. O.). Für die Tilgung solcher Vorgänge, die keine Disziplinarstrafen betreffen, gilt für die hessische Regelung das für die Hamburger Durchführungsanweisung Gesagte entsprechend. 5. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n Das Land Nordrhein-Westfalen befaßt sich in dem R u n d e r l a ß i. d. F. v o m 12. 3. 53 unter IV mit der Löschung von Disziplinarstrafen. Hierbei wird folgendes angeordnet. 1 338
Allgemeine Begriffsbestimmung
§33
2. Eintragungen über Disziplinarstrafen in den Personalakten sind zu löschen, wenn die Löschung durch Gnadenakt angeordnet ist oder der Beamte seit dem Tage der Festsetzung der Strafe während einer Bewährungsfrist die Pflicht seines Amtes zufriedenstellend erfüllt hat. 3. Die Bewährungsfrist für die Löschung der Disziplinarstrafen betragen in der Regel: a) bei Warnungen, Verweisen und Geldbußen ( § § 5 und 6 DO NW) 5 Jahre, b) bei sonstigen Disziplinarstrafen 10 Jahre. 4. Die betreffenden Eintragungen (Verhandlungen usw.) sind dadurch zu löschen, daß diese a) grundsätzlich aus den Personalnachweisen entfernt und vernichtet werden, b) in den Fällen dauerhaft unkenntlich gemacht werden, in denen die Eintragungen in einem engen Zusammenhang mit anderen Personalvorgängen in den betreffenden Personalakten erwähnt sind und eine Trennung der Vorgänge nicht möglich ist. An Stelle der entfernten bzw. unkenntlich gemachten Eintragung wird der Vermerk: „Entfernt und vernichtet — unkenntlich gemacht — gemäß Runderlaß des Innenministers vom 12. 3. 53 (MB1. S. 404)" aufgenommen. Soweit der o. a. Runderlaß eine Löschung von Disziplinarstrafen vorsieht, ist er gesetzwidrig, weil nach § 102 Abs. 1 LBG NW vollständige Personalakten zu führen sind und Ausnahmen hiervon nur in einem Gesetz getroffen werden können7.
2. A b s c h n i t t
Das Dienstvergehen 1. K a p i t e l
Die Handlung als Dienstvergehen § 33. Begriff des Dienstvergehens1 I. ALLGEMEINE BEGRIFFSBESTIMMUNG Das Strafrecht bestimmt die gesetzlichen Merkmale, die die strafbare Verfehlung von der strafrechtlich irrelevanten Handlung unterscheiden. Es zählt die Merkmale auf, die jede einzelne Straftat zu eigen hat; es bildet also keinen allgemeinen Begriff. Schütz in DöD 1963 S. 88. Schütz, Das Dienstvergehen in DöD 1962 S. 21; Prechtel, Die dienststrafrechtliche Beurteilung von Dienstvergehen in BBZ 1955 S. 33; Reuß in Verwaltungsarchiv Bd.42 S. 369/385; Behnke, BDO S. 91; D e r n e d d e in DVB1.1952 S. 707; E v e r l i n g in RVB1. Bd. 55 S.' 985 und Bd. 56 S. 665; Bank, Beamtenethos und Beamtenehre in ZBR 1958 S. 153; K l e i n d i e n s t , Stellung und Pflichten des Berufsbeamten in unserer Zeit in NDBZ 1958 S. 229; Meyer-Henschel, Das Berufsbild des Beamten in der Rechtsprechung des Bundesdisziplinarhofs — zugleich ein Beitrag zur Problematik des § 13 Abs. 2 BDO — in ZBR 1963 S. 277; F i n g e r , Dienstvergehen, Straftat und Ordnungswidrigkeit in ZBR 1964 S. 8; B a n k , Amtsehre und Beamtenehre in DöV 1964 S. 757. 7
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§33
Begriff des Dienstvergehens
Im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht kennt das Disziplinarrecht keine Einzelstraftatsbestände mit festumrissenen objektiven und subjektiven Merkmalen, an die bestimmte Strafandrohungen geknüpft sind. Zuweilen wird das Fehlen von einzelnen Straftatsbeständen im Disziplinarrecht bemängelt 2 . Auf den ersten Blick hin könnte man es als erstrebenswert ansehen, auch im Disziplinarrecht tatbestandsmäßig festzulegen, unter welchen Voraussetzungen der Beamte disziplinarisch belangt werden kann. Einmal wäre dem Beamten dann von vornherein klar, unter welchen Voraussetzungen er sich disziplinarisch strafbar macht; eine kasuistische Darstellung der einzelnen dienstlichen Verfehlungen würde dem Vertrauensschutz dienen. Überdies könnte die Forderung auf eine Darstellung der einzelnen dienstlichen Verfehlungen sich u. U. aus Art. 103 Abs. 2 GG ergeben, wonach die Strafbarkeit vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt sein muß. Dem Art. 103 Abs. 2 GG ist jedoch im Disziplinarrecht dann Genüge getan, wenn der Begriff des Dienstvergehens allgemein definiert ist, zumal auch das allgemeine Strafrecht in den §§ 240 und 253 StGB den allgemeinen Begriff der Rechtswidrigkeit kennt. Während das Strafrecht mit Rücksicht auf seine Abgrenzung zu den Regeln der Ethik und Moral eine tatbestandsmäßige Festlegung des Unrechts erheischt, das strafbar ist, geht es im Disziplinarrecht allein um die disziplinarische Ahndung einer V e r l e t z u n g der e r h ö h t e n T r e u e p f l i c h t des Beamten. Diese ist durch die seit dem Preuß. Disziplinargesetz vom 21. 7.1852 sogar gesetzlich verankerte sog. Würdigkeitsklausel umschrieben, wonach der Beamte sich in und außer Amt jederzeit der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens würdig zu zeigen hat, die sein Beruf erfordert. Der Begriff der „Würdigkeit" läßt sich nicht unabänderlich für alle Zeiten gleichmäßig bestimmen. Zu einer Umwertung dieses Begriffs tragen u. a. auch der d u r c h die ä u ß e r e n Z e i t u m s t ä n d e b e d i n g t e W e c h s e l der A u f f a s s u n g e n ü b e r das B e r u f s b e a m t e n t u m bei. Schon deshalb verbietet sich eine Kasuistik der disziplinar strafbaren Tatbestände im Disziplinarrecht. Jeder derartige Versuch, wie er ζ. B. im Allgemeinen Landrecht vom 5. 2.1794 erkennbar ist, ist zum Scheitern verurteilt. Abgesehen von dem Wechsel, dem der Würdigkeitsbegriff unterworfen ist, ist der Umfang der Verfehlungen, die disziplinarrechtlich zu ahnden sind, zu groß, da sie sich nicht allein in den strafbaren Handlungen erschöpfen. Außerdem würde es verlangen, daß der Gesetzgeber für die einzelnen Pflichtverletzungen bestimmte Strafdrohungen vorsieht; zumindest müßte er die „leichten" Dienstvergehen von den „schweren" Dienstvergehen unterscheiden. Bei ersteren würde es genügen, daß der Beamte durch eine Disziplinarstrafe, die nicht auf seine Entfernung aus dem Dienst hinzielt, zur Ordnung gerufen wird, während bei den schweren dienstlichen Verfehlungen, bei denen der Beamte sich als unwürdig erwiesen hat, fernerhin als Träger staatlichen Willens aufzutreten, die Entfernung aus dem Dienst und beim Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts in Frage kommen. Mit Rücksicht auf die Umwertung des Würdigkeitsbegriffes läßt es sich aber nicht von vornherein bestimmen, welches Fehlverhalten als schwer und welches als minderschwer anzusehen ist. Im Disziplinarrecht geht es im Gegensatz zum Strafrecht weniger darum, den Beamten wegen einer bestimmten Unrechtshandlung sühnen zu lassen, 2
S. 135.
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M o l i t o r in BBZ 1956 S. 169; hierzu Erwiderung von H i t z e i b e r g e r in BBZ 1957
Dienstvergehen im engeren und weiteren Sinne
§33
sondern darum, festzustellen, ob der Beamte nach seinem Gesamtverhalten noch in dem Kreis seiner Kollegen verbleiben kann. Sofern es sich um die Verhängung geringerer Strafen handelt, soll der Beamte durch sie eindringlich ermahnt werden, nicht erneut gegen seine allgemeinen Beamtenpflichten zu verstoßen. Die übrigen Beamten sollen jedoch infolge der nachhaltigen Bestrafung des pflichtvergessenen Beamten davor gewarnt werden, gleichfalls gegen die berufsethische Treuepflicht zu verstoßen. Mit Rücksicht auf die mannigfachen Dienstzweige und den verschiedenen Bildungsgrad der Beamten würde eine kasuistische Aufzählung der einzelnen dem Beamten obliegenden Pflichten nahezu unmöglich sein. Die Höhe der Strafe wird schon je nach den einzelnen Dienstzweigen und der Stellung des Beamten verschieden zu bemessen sein. Hatte das Reichsbeamtengesetz den Begriff des Dienstvergehens in dem Abschnitt festgelegt, der sich mit dem Disziplinarrecht befaßte, so traf man in dem späteren Recht die Kennzeichnung nicht in der RDStO, sondern im DBG ( § 22) an. Hieran hält auch das geltende Bundesbeamtenrecht fest. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Die gleiche Bestimmung findet sich in sämtlichen Beamtengesetzen der Länder, so in § 88 LBG BW, Art. 84 BG Bayr., § 41 LBG Bln., § 76 BGBrm., § 79 BG Hmb., § 90 HBG, § 85 NBG, § 83 BG NW, § 85 LBG Rh.-Pf., § 90 BG Saar und § 93 BG Schl.-Hol. II. DIENSTVERGEHEN IM ENGEREN UND WEITEREN SINNE Als Dienstvergehen im engeren Sinne bezeichnet man die Pflichtverletzungen, die während des Bestehens des Beamtenverhältnisses begangen werden. Hierbei ist es gleichgültig, ob der Beamte seine Pflichten im oder außer Dienst verletzt hat. Nach § 54 BBG muß nämlich das Verhalten des Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Ebenso spielt es keine Rolle, ob der Beschuldigte wegen dieser Pflichtverletzung noch während des Bestehens seines Dienstverhältnisses oder als Ruhestandsbeamter oder nach der Wiederbegründung eines Beamtenverhältnisses wegen einer im früheren Beamtenverhältnis begangenen Verfehlung verfolgt wird. Immer handelt es sich um eine Pflichtverletzung, die während des Bestehens eines Beamtenverhältnisses begangen worden ist. Die Pflichten eines Beamten bei der Ausübung seines Dienstes ergeben sich, soweit sie nicht bereits im Bundesbeamtengesetz oder durch besondere Anordnungen im einzelnen festgelegt sind, von selbst aus der Natur der ihm zugewiesenen Obliegenheiten3. Neben den in den Beamtengesetzen aufgezählten Pflichten ergeben sich die Beamtenpflichten unmittelbar oder mittelbar auch aus anderen Gesetzen, Rechts- und Verwaltungsvorschriften, allgemeinen und besonderen Dienstanweisungen, Dienstbefehlen im Einzelfalle 3 BDH 25. 7. 61 — IDV10/60 — in NDBZ 1961 S. 262 = L i n d g e n , TeilIV Nr. 601 ; vgl. auch DiszSenat OVG Münster 11. 2. 59 — Y 18/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 137 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 352.
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§33
Begriff des Dienstvergehens
sowie aus der Übung einer geordneten Verwaltung 4 . Hier2u stellt das Preuß. O V G 6 folgendes fest: „Der Pflichtenkreis eines Beamten wird nicht lediglich durch ausdrückliche Anordnungen und Anweisungen bestimmt. Daneben kommt die ungeschriebene Dienstpragmatik in Betracht, ohne die nirgends der Behörden- oder Beamtenkörper bestehen kann, und für die zumal bei einem Beamten in der Stellung des Klägers entsprechendes Verständnis unbedingt verlangt werden muß. Auf ihr beruhen die Gepflogenheiten des dienstlichen Verkehrs der Behörden und der Beamten untereinander, welche die Sicherungen der dienstlichen Interessen auch da gewährleisten, wo es an einer ausdrücklichen Anordnung oder Anweisung fehlt." Für die Frage, ob es sich um ein Dienstvergehen im engeren Sinne handelt, kann es gleichbleiben, ob der Beamte in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit oder in privatrechtlicher Verrichtung gehandelt hat. Dies hat selbst für die Frage des Strafmaßes keine Bedeutung. Handelt es sich ζ. B. um einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Redlichkeit, so ist es für das Strafmaß sogar unbeachtlich, ob sich der Beamte an dienstlich oder außerdienstlich anvertrautem Gut vergangen hat. Würde sich ein Beamter der Deutschen Bundesbahn an Geldern der Hausbrandversorgung der Deutschen Bundesbahn — einer Einrichtung privatrechtlichen Charakters —vergehen, so würde es sich um eine Unterschlagung von Eigentum handeln, das der Beamte nicht in amtlicher Eigenschaft erhalten hat. Da der Beamte mit den Verteilergeschäften in seiner Eigenschaft als Beamter der Deutschen Bundesbahn betraut worden ist, liegt die Wahrnehmung dieser Geschäfte immerhin noch im Rahmen der Beamtentätigkeit. Demnach handelt es sich auch hier um ein Dienstvergehen im engeren Sinne®. Es geht nicht an, bei den Pflichten des Beamten allgemein eine ausdrückliche Klasseneinteilung in „Hauptpflichten" und „andere Pflichten" vorzunehmen und schon hiernach das Strafmaß auszurichten7. Im dienstlichen, aber auch im außerdienstlichen Verhalten des Beamten gibt es, ohne daß dies der Festlegung durch Dienstvorschriften bedarf, Pflichten, die für das Vertrauens- und Achtungsverhältnis von so grundlegender Art sind, daß ihre Verletzung die weitere Verwendung des Beamten ausschließt. Auch kann die in einer Dienstanweisung nur als Nebenaufgabe oder überhaupt nicht behandelte Pflicht zu einem bestimmten Verhalten, die als „Nebenpflicht" behandelt werden könnte, durchaus nicht nebensächlich, sondern von solcher Bedeutung sein, daß ihre Verletzung zu schärfsten Folgen führen muß. Andererseits gibt es Verstöße gegen die einem Beamten in seiner Haupttätigkeit obliegenden Dienstpflichten, die als nicht so schwer angesehen werden können, daß sie seiner weiteren Tätigkeit als Beamter entgegenstehen. Eine Klasseneinteilung führt zu der Gefahr, daß aus ihr in einer zu schematischen Weise gewisse Richtsätze für das Strafmaß gewonnen werden. Das Strafmaß hat sich jedoch nach den Einzelumständen des jeweiligen Falles zu richten. 4 DiszSenat OVG Münster 11. 2. 59 — Y 18/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 137 (138) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 352; BGH 21. 12. 54 in ZBR 1955 S. 150 (152); Schütz, DONW S 82 4 PrOVG Bd. 66 S. 447. « DokBer. Nr. 930. 7 BDH 9. 8. 56 — I D 8/55 — BDHE Bd. 3 S. 183 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 320.
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Tatbestand des Dienstvergehens
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Neben den Dienstvergehen im engeren Sinne zählt § 77 Abs. 2 BBG Verfehlungen auf, die von einem Ruhestandsbeamten oder einem früheren Beamten mit Versorgungsbezügen begangen und trotzdem noch disziplinarisch verfolgt werden können, obgleich zur Zeit ihrer Begehung das Beamtenverhältnis nicht mehr bestanden hat. Hier handelt es sich um Dienstvergehen im weiteren Sinne. Hierzu rechnen: 1. die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, 2. die Teilnahme an Bestrebungen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen, 3. die Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht, 4. die Annahme von Belohnungen oder Geschenken. Bereits unter I ist gezeigt worden, daß die Beamtengesetze der Länder mit § 77 BBG gleichlautend sind. Lediglich in § 93 Abs. 3 Satz 2 LBG Schl.-Hol. wird zusätzlich bestimmt, daß die Folgen aus § 233 Abs. 3 dieses Gesetzes unberührt bleiben, wonach im Falle der Ablehnung einer Wiederverwendung durch einen Ruhestands- oder Wartestandsbeamten der Anspruch auf Ruhegehalt vom 1. auf die Ablehnung folgenden Monats bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, längstens bis zum Eintritt der Dienstunfähigkeit, ruht. Hat der Beschuldigte ein Dienstvergehen im engeren Sinne begangen und ist er nach Begehung der Tat in den Ruhestand getreten, so ändert sich hierdurch an der Beurteilung des Dienstvergehens nichts. So ist der Eintritt des Beschuldigten in den Ruhestand auch kein Grund für eine mildere Beurteilung desselben. Die Verfehlung muß so bewertet werden, wie sie zu bewerten wäre, wenn sich der Beschuldigte noch im Dienst befunden hätte8. III. TATBESTAND DES DIENSTVERGEHENS 9 Das Disziplinarrecht zählt die einzelnen Handlungen, die als Dienstvergehen in Betracht kommen, nicht abschließend auf. Die Feststellung, welche Handlungen als Dienstvergehen anzusehen sind, ist der Rechtsprechung und Rechtslehre überlassen. Hier wird als Dienstvergehen die Verletzung einer der drei Hauptpflichten des Beamten bezeichnet. Hierzu gehören: 1. das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung ( § 5 2 Abs. 2 BBG, § 64 Abs. 2 LBG BW, Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Bayr. BG, § 18 Abs. 2 LBG Bln., § 53 Abs. 2 BG Brm., § 55 Abs. 2 BG Hmb., § 67 Abs. 2 HBG, § 61 Abs. 2 NBG, § 55 Abs. 2 BG NW, § 63 LBG Rh.-Pf., § 66 Abs. 2 BG Saar und § 65 Abs. 2 BG Schl.-Hol.), 2. ein Verhalten im Amt, das der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die der Beruf erfordert (§ 54 Satz 3 BBG, § 67 Satz 3 LBG BW, Art. 64 Abs. 1 Satz 3 BG Bayr., § 20 Satz 3 LBG Bln., § 55 Satz 3 BG Brm., § 57 Satz 3 Hmb., § 69 Satz 3 HBG, § 62 Satz 3 NBG, § 57 Satz 3 BG NW, § 64 BDH 2. 6 . 6 0 — I D 30/58 — in ZBR 1%1 S. 386. H i t z e i b e r g e r , Empfiehlt sich die Schaffung von Disziplinartatbeständen? in BBZ 1957 S. 135; W e n z e l , Über Begriff und Tatbestand des Dienstvergehens in BayrVBl. 1964 5. 174. 8
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§ 34 Beschränkte Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege im Disziplinarrecht
Abs. 1 Satz 3 LBG Rh.-Pf., § 68 Satz 3 BG Saar und § 66 Satz 3 BG Schl.-Hol.), 3. ein entsprechendes Auftreten außerhalb des Dienstes ( § 5 4 Satz 3 BBG und die unter 2 angeführten landesrechtlichen Bestimmungen). Dazu kommen die Dienstvergehen im weiteren Sinne (vgl. II). Sie erklären sich daraus, daß das Beamtenverhältnis dem einzelnen Pflichten auferlegt, die eine über die Dauer des Beamtenverhältnisses hinausgehende Wirkung entfalten. Die Pflichtverletzung kann sowohl in einem Handeln als auch in einem Unterlassen begründet sein. Ein Unterlassen ist dann disziplinarisch verfolgbar, wenn der Beschuldigte auf Grund seiner ihm als Beamten obliegenden Pflichten zu einem Tätigwerden verpflichtet ist 10 . Ist der Beamte infolge Unfähigkeit nicht in der Lage, seinen dienstlichen Verpflichtungen nachzukommen, so sind Unterlassungen, die der mangelnden Eignung entspringen, disziplinarisch nicht verfolgbar; die mangelnde Eignung eines Beamten für seinen Beruf oder für eine besondere Sparte seines Berufes kann nach im Disziplinarrecht von jeher herrschender Auffassung nicht als Dienstvergehen angesehen werden 11 . Ebenso kann der Beamte wegen einer inneren Einstellung disziplinarisch nicht verfolgt werden 12 . So kann ein Beamter, der auf Grund seiner politischen Haltung erwarten läßt, daß er sich für die Erhaltung der demokratischen Grundordnung nicht einsetzt, deswegen allein nicht disziplinarisch bestraft werden. Es muß vielmehr ein Verhalten hinzutreten, durch das der Beamte gegen seine ihm obliegenden Pflichten verstoßen hat.
§ 34. Beschränkte Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege im Disziplinarrecht Auch im Disziplinarrecht herrscht der Rechtsgedanke des § 2 StGB, wonach sich die Strafe nach dem Gesetz richtet, das ζ. Z. der Tat gilt, und wonach bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist 1 . Allerdings kann dieser G r u n d s a t z n u r i n s o w e i t A n w e n d u n g f i n d e n , als d i e s 10 11 12
RDH Bd. 1 S. 1 ; BDH 20. 3. 53 — I D 76/53 —. PrOVG Bd. 84 S. 441 ; BDH 14.12. 55 — II D 104/54 —. RDH Bd. 1 S. 1 und S. 8/9.
1 Vgl. BDH 29. 5. 56 — I D 37/55 — BDHE Bd. 2 S. 59 (74) = ZBR 1957 S. 17; BDH 5 . 1 1 . 57 — BDHE Bd. 3 S. 32 (43) = ZBR 1958 S. 55 (59); BDHE Bd. 3 S. 142 (144); BayrDStH 10. 1. 56 — in BDHE Bd. 3 S. 291 (294); DiszSenat OVG Münster 9. 9. 60 — Y 5/60 — in ZBR 1961 S. 400 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 481 ; DStH Lüneburg 20. 10. 56 — A 6/56 — in VRspr. Bd. 9 S. 307; OVG Rheinland-Pfalz in AS Bd. 5 S. 168 (172) = DÖV 1957 S. 53 = MDR 1957 S. 60; A n s c h ü t z , RV 14. Aufl. Anm. 2 zu Art. 116; Poetsch, RV 1921 S. 176; Sax bei Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte Bd. 3 Lfg. 2 (1959) S. 999 Anm. 280; D ü r i g , Kommentar zum GG Art. 103 Abs. 2 Randnummern 115, 116 mit weiteren Angaben; M a n g o l d , GG 1953 Anm. 3 zu Art. 103; H o l t k o t t e n in Bonner Kommentar zum G G Anm. II 3 b zu Art. 103; Giese, 3. Aufl. Anm. 2 zu Art. 103; a. M. BayrVerfGH 10. 3. 51 in BVGH n. F. Bd. 4 II 30 (45/6); derselbe 20. 7. 51 in BVGH n. F. Bd. 4 II 150 (171/2) und 20. 2. 58 in BVGH n. F. 11 II 11 (19).
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Beschränkte Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege im Disziplinarrecht § 3 4
mit der E i g e n a r t des D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n s n i c h t im W i d e r s p r u c h steht. Einmal kennt das Disziplinarrecht keine normierten Tatbestände, wie dies im ordentlichen Strafrecht der Fall ist. Der Begriff der Pflichtverletzung ergibt sich nicht nur aus im allgemeinen Beamtenrecht und in sonstigen Dienstvorschriften festgelegten Pflichten, sondern auch aus ungeschriebenen sittlichen Maßstäben der sozialen Gemeinschaft, wie dies gerade bei den außerdienstlichen Verfehlungen besonders hervortritt. Gesetzlicher Tatbestand ist allein der allgemeine Begriff des Dienstvergehens, für das grundsätzlich jede der Strafarten des einheitlichen gesetzlichen Strafrahmens im § 4 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nach Art und Schwere der Pflichtverletzung und der Persönlichkeit des Beschuldigten nach Maßgabe seines beamtenrechtlichen Status bei Ahndung seiner Tat zulässig ist 2 . Für das Disziplinarrecht ist allein entscheidend, ob der Beamte unter Beachtung der sich aus der Generalklausel des § 54 Satz 3 BBG ergebenden Verpflichtungen noch für seine Verwaltung tragbar ist. Hier handelt es sich, soweit es die Entfernung des Beamten aus dem Dienst betrifft, um ein mit besonderen Garantien ausgestattetes öffentlich-rechtliches Kündigungsverfahren, wie dies bereits in § 1 I (S. 1) gezeigt worden ist. Unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen ein Lebenszeitbeamter im Wege des förmlichen Disziplinarverfahrens aus dem Dienst entfernt wird, kann ein Widerrufsbeamter im Wege des Widerrufs entlassen werden, über dessen Rechtsgültigkeit die allgemeinen Verwaltungsgerichte entscheiden, ohne daß sie hierbei strafrechtliche Gesichtspunkte obwalten lassen. Warum die Disziplinargerichte sich von anderen Gesichtspunkten leiten lassen sollen, wenn sie mit der Entfernung des Beamten aus dem Dienst den gleichen Zweck erreichen wollen wie der Dienstvorgesetzte, der von seinem Recht der Entlassung nach § § 31 f. BBG Gebrauch macht, ist nicht einzusehen. Darum kann ein Beamter, der zur Zeit seiner Verfehlung seiner Rechtsstellung nach noch ein Beamter auf Widerruf oder auf Probe war und als solcher lediglich den im nichtförmlichen Verfahren zulässigen Strafen unterlag (§§ 107, 24 BDO), nach der Ernennung zum Lebenszeitbeamten mit allen Strafarten belegt werden 3 . Gegen einen Ruhestandsbeamten nach dem G 131 findet die Vorschrift des § 9 G 131 uneingeschränkt Anwendung, wenn das Dienstvergehen oder die als Dienstvergehen geltende Handlung nach dem Inkrafttreten des BBG begangen worden ist. Auch wenn der Beschuldigte erst seit dem 1. 10. 61 auf Grund des 3. ÄndGes. zum G 131 den Rechtsstand eines vollversorgten Ruhestandsbeamten hat, steht dies der Bestrafung mit einer Kürzung der Versorgungsbezüge wegen einer vor diesem Zeitpunkt begangenen Verfehlung nicht entgegen, da für die Frage der Zulässigkeit einer Strafe allein der Rechtsstand im Zeitpunkt der Urteilsfällung maßgebend ist; der Grundsatz nulla poena sine lege wird hierdurch nicht verletzt4. Wohl gilt der Grundsatz nulla poena sine lege insoweit, als der Beamte für ein Handeln nicht bestraft werden kann, das sich zur Zeit der Ausführung nicht als Pflichtverletzung darstellte. Aus dem gleichen Grunde müßte auch der Widerruf eines Beamtenverhältnisses auf Probe, der sich auf BDH 24. 9. 57 — II D 70/56 — BDHE Bd. 2 S. 59 (78). BDH 5. 5. 60 — I D 33/59 — BDHE Bd. 5 S. 49 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 552. 4 BDH 13.12. 61 — II D 75/61 —; BDH 8. 7. 60 — I D 77/59 ; BDH 17. 2. 61 — III D 62/60 — in ZBR 1963 S. 313 (LS); DokBer. Nr. 1999. 2
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§ 34 Beschränkte Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege im Disziplinarrecht
§ 31 Abs. 1 Ziffer 1 BBG stützt, aufgehoben werden, wenn sich das Handeln des Beamten auf Probe zur Zeit der Tat nicht als Pflichtverletzung darstellte. Würde sich ζ. B. die Residenzpflicht eines Beamten erst auf Grund eines Gesetzes oder einer Dienstanweisung ergeben, so kann er nicht bestraft werden, wenn er die Residenzpflicht vor Inkrafttreten dieses Gesetzes oder dieser Dienstanweisung verletzt hat. Hat der Beamte fortgesetzt handelnd ständig gegen dieselben Dienstpflichten verstoßen, so ist er nach einem inzwischen verschärften Disziplinargesetz abzuurteilen, sofern er auch nach dem Inkrafttreten des strengeren Gesetzes dieselben Dienstpflichten abermals schuldhaft verletzt hat5. Für die Frage der Verjährung und der Frage der Anwendung des Strafrahmens kommt es nämlich bei zwischenzeitlicher Gesetzesverschärfung einheitlich auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des letzten Teilaktes an. Hat der Beamte ein Dienstvergehen begangen, das sich zeitlich auf die Geltung mehrerer Disziplinargesetze erstreckt, die einen verschiedenen Strafrahmen vorsehen, so ist der Strafrahmen des Gesetzes anzuwenden, der in dem Zeitraum gegolten hat, in dem der Schwerpunkt des Dienstvergehens liegt. Ein Abstellen auf den Schwerpunkt ist jedoch dann nicht zulässig, wenn der Beamte ein stets in gleicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßendes Verhalten nach dem Tag, an dem das neue Gesetz in Kraft getreten ist, fortgesetzt hat. Es kommt dann — entsprechend den im Strafrecht zur Fortsetzungstat und zum Dauerdelikt entwickelten Grundsätzen — auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des letzten Tataktes an®. Eine Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine lege kommt nicht in Betracht, wenn der Personenkreis, der von einer Pflichtennorm erfaßt wird, durch ein späteres Gesetz erweitert wird. Dies käme ζ. B. bei den unter das G 131 fallenden Berufssoldaten in Betracht. Selbst wenn gegen diese Personen vor dem 8. 5. 45 die Strafe der Entfernung aus dem Dienst nicht verhängt werden konnte, so kann nunmehr gegen sie die Strafe der Aberkennung der Rechte aus dem G 131 verhängt werden, die der Strafe der Entfernung aus dem Dienst gleichkommt. Hier ist nur entscheidend, daß das Tun der vom G 131 erfaß ten Personen sich als eine Pflichtverletzung darstellte, die bei einem Beamten auf Lebenszeit vor dem 8. 5. 45 mit der Strafe der Entfernung aus dem Dienst geahndet werden konnte. Stellte die Pflicht Verletzung des früheren Berufs Soldaten gleichzeitig zumindest eine strafbare Handlung dar, so steht einer disziplinarrechtlichen Ahndung dieser Tat nicht der Grundsatz nulla poena sine lege entgegen, weil auch zur Zeit der Tat die Verfehlung des Beamten kriminelles Unrecht darstellte7. Handelt es sich um die gesetzliche Beschränkung eines disziplinarrechtlichen Strafrahmens, wie dies ζ. B. beim Ruhestandsbeamten der Fall ist, so steht diese Beschränkung in keiner Beziehung zur Tat, sondern nur zum Status des Beamten. Wenn es sich um die Bestimmung der zu erkennenden s DiszSenet OVG Münster 9. 9. 60 — V 5/60 — in ZBR 1961 S. 390 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 481; RDH 15. 3. 38 in RDHE Bd. 1 S. 140 und RDH 29. 3. 39 in RYB1.1939 S. 546; BDH 16.10. 56 — BDHE Bd. 3 S. 165; BayrDStH 30. 3. 57 — 11 DS I 57 — L i n d gen, TeilIV Nr. 270; DokBer. Nr. 1898; Behnke, BDO S. 82 und 285; Schütz, Disziplinarrecht des Landes Nordrhein-Westfalen S. 84ff., 120. 6 DiszSenat OVG Münster 16. 6. 61 — V 4/61 — in ZBR 1962 S. 78 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 651. 7 BDH 9. 9. 55 — II DB 27/55 —.
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Die strafbare Handlung in der Bewertung als Dienstvergehen
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Disziplinarstrafe handelt, so ist der Strafrahmen, der durch den Status des Beschuldigten bestimmt ist, bedeutungslos ; insoweit ist der im Strafrecht anerkannte Grundsatz nulla poena sine lege eingeschränkt8.
§ 35. Strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten als Dienstvergehen1 I. DIE STRAFBAREN HANDLUNGEN IN DER BEWERTUNG ALS DIENSTVERGEHEN Wohl mit Rücksicht darauf, daß strafbare Handlungen in den meisten Fällen zugleich ein Dienstvergehen darstellen und über das gleiche Fehlverhalten Straf- und Disziplinarorgane entscheiden, wobei die Entscheidung der Strafgerichte im allgemeienn zumindest schon in zeitlicher Hinsicht den disziplinargerichtlichen Erkenntnissen vorangehen, sind Dienstvorgesetzte und Einleitungsbehörden vielfach geneigt, solche Dienstvergehen, die zugleich strafbare Handlungen darstellen oder an strafbare rechtliche Tatbestände grenzen, allein einer strafgerichtlichen Wertung zu unterziehen11. Dies gilt vor allem für solche Verfehlungen, durch die der Beamte gegen die Pflicht zur Redlichkeit und Uneigennützigkeit verstößt. Diese Betrachtungsweise wird durch die im allgemeinen Strafrecht vorhandenen festumrissenen Tatbestände begünstigt. Doch diese Auffassung ist falsch, da, wie bereits in § 1 II gezeigt ist, Straf- und Disziplinarrecht von völlig verschiedenen Zielsetzungen getragen sind. Erfüllt die Verletzung der dem Beamten obliegenden Pflichten zugleich eine Strafnorm des allgemeinen Strafrechts, so macht sich der Beamte auch disziplinarrechtlich verantwortlich. Die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens eines Beamten ist unerheblich für die Beantwortung der Frage, ob ein Dienstvergehen vorliegt111. Wenn auch ein Verstoß gegen die allgemeinen Strafgesetze im allgemeinen zugleich eine Pflichtverletzung darstellt2, so erschöpft sich diese allerdings keineswegs zugleich in der rechtswidrigen Straftat. Der Unrechtsbegiff im Sinne des Strafrechts bestimmt sich weitgehend nach den allgemeinen Pflichten des Staatsbürgers und einer in ihrem Verhältnis untereinander und zum Staat vorzunehmenden Interessenabwägung. Auf Grund des besonderen Pflichtenverhältnisses des Beamten kann eine solche Interessenabwägung und Interessenkollision durchaus ein anderes Ansehen erhalten und zu anderen Folgerungen führen als im Strafrecht3. So ist es verständlich, daß der im ordentlichen Strafverfahren festgestellte Tatbestand im Disziplinarverfahren abweichend beurteilt und daß der Beamte, der im ordentlichen Strafverfahren freigesprochen worden ist, im Disziplinarverfahren dennoch verurteilt werden kann. Kann sich der Beamte im Strafverfahren ζ. B. BDH 21.12. 54 — I D 178/53 — BDHE Bd. 1 S. 55. F i n g e r , Dienstvergehen, Straftat und Ordnungswidrigkeit in ZBR 1964 S. 8; Baumann, Kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe, in JZ 1964 S. 612. 1 a Vgl. Baumann a. a. O S. 612. 1 ·> OVG Münster 22. 8. 63 — Y 4/63 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 2 BDH 2 1 . 1 2 . 54 — I D 178/53 — BDHE Bd. 1 S. 55 —; BDH 29. 5. 56 — I D 37/55 — BDHE Bd. 2 S. 60 —; DokBer. Nr. 1914. 3 BDH 4. 6. 57 — I D 30/55 — BDHE Bd. 3 S. 125 (128). 8
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Strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten als Dienstvergehen
auf den Schutz des § 193 StGB berufen, so findet diese Bestimmung im Disziplinarrecht nur mit Einschränkungen Anwendung 4 . Ebenso übt die vom ordentlichen Strafgericht verhängte Strafe keinen Einfluß auf die vom Disziplinargericht zu verhängende Strafe aus. Wenn es die Integrität des Beamtentums erfordert, so kann das Disziplinargericht die Höchststrafe verhängen, obgleich das Strafgericht die Pflichtverletzung, die zugleich den Tatbestand des allgemeinen Strafrechts erfüllt, äußerst milde, vielleicht gar nur mit einer Geldstrafe, geahndet hat. So sind Einsichtslosigkeit oder Leugnen im allgemeinen Strafprozeß nicht als Straferhöhungsumstände zu werten 6 ; dies gilt aber nicht im Disziplinarverfahren. Da der Beamte ganz allgemein gehalten ist, die Wahrheit zu sagen, so macht er sich dadurch, daß er zu Unrecht leugnet, sogar eines weiteren Dienstvergehens schuldig; mit seinen allgemeinen Beamtenpflichten ist es nicht vereinbar, den Tatbestand zu verwischen und Dienstbehörden sowie Disziplinargerichte irrezuführen 6 . Ob ein Beamter durch eine pflichtwidrige Handlung zugleich gegen ein Strafgesetz verstoßen hat, ist für die Beurteilung der Schwere eines Dienstvergehens maßgebend. Handelt es sich um ein Dienstvergehen im engeren Sinne, so wird der Beamte bei einem Verbrechen mit einer Zuchthausstrafe zu rechnen haben, so daß er dann bereits nach § 48 BBG automatisch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet; ist er bei Bejahung mildernder Umstände mit einer Gefängnisstrafe bestraft worden, so ist seine Pflichtwidrigkeit so schwerwiegend, daß seine Entfernung aus dem Dienst die erforderliche Strafe ist. Hat der Beamte durch sein Dienstvergehen gleichzeitig ein Vergehen im Sinne des StGB begangen, so wird er grundsätzlich nicht im Dienst belassen bleiben können; dies gilt insbesondere, wenn er mit einer längeren Gefängnisstrafe im gegenstandsgleichen Strafverfahren bestraft worden ist. Es wäre falsch, aus der Tatsache, daß die ordentlichen Strafgerichte eine Gefängisstrafe von weniger als einem Jahr verhängt haben, so daß der Beamte damit noch nicht nach § 48 BBG automatisch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, zu schließen, daß die Disziplinargerichte den Schluß ziehen müßten, den Beamten nicht mit der Höchsstrafe, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, zu bestrafen. Bei Dienstvergehen außerhalb des Amtes gilt bei Verbrechen das gleiche wie bei den Dienstvergehen im engeren Sinne; handelt es sich um ein Vergehen, das auf den Beamten auch in dienstlicher Hinsicht ein ungünstiges Licht wirft, ζ. B. um einen außerdienstlichen Diebstahl eines Beamten, der mit Beförderungsgut Befassung hat, so wird auch hier grundsätzlich die Strafe der Entfernung aus dem Dienst am Platze sein. Bei sonstigen Vergehen, wie ζ. B. Ehebruch, bestimmt sich das Strafmaß nach dem Einzelfall. Eine Verfehlung, die zugleich den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, wiegt nicht erst dann besonders schwer, wenn der Beamte wegen dieser Tat durch das Strafgericht bestraft worden ist; es genügt vielmehr die Tatsache allein, daß die Voraussetzungen für eine Bestrafung bestehen. Die Beurteilung der Schwere eines Dienstvergehens hat nach objektiven Maßstäben allein durch das Disziplinargericht zu geschehen. Für die Bewertung des Dienstvergehens ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Tat maßgebend. Wohl Näheres in § 40 S. 368 ff. BGHSt. Bd. 3 S. 199; BGH in NJW 1952 S. 434; BGH in MDR 1955 S. 689; BGH in NJW 1955 S. 1158. 6 RDHE Bd. 1 S. 24 (32) und S. 140 (144); BDH Bd. 3 S. 115. 4
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Die strafbaren Handlungen in der Bewertung als Dienstvergehen
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kann der Zeitablauf seit Begehung der Tat und Aburteilung heilend wirken. Ebenso kann die Beurteilung eines Dienstvergehens, wie ζ. B. der Fragebogenfälschung, sich durch die Zeitumstände wandeln. Ob der Beamte aber durch sein Tun gleichzeitig gegen ein Strafgesetz verstoßen hat, beantwortet sich für alle Zeiten gleichbleibend. Der Dienstvorgesetzte und die Einleitungsbehörde können der Bewertung eines Dienstvergehens nicht dadurch vorgreifen, daß sie bei Verfehlungen, die gleichzeitig strafbare Handlungen darstellen, von einer Strafanzeige Abstand nehmen oder eine solche erstatten. Ebenso kann die Höhe des Strafmaßes nicht davon abhängig gemacht werden, ob bei der gleichen Tat die Staatsanwaltschaft A das Verfahren einstellt, während die Staatsanwaltschaft Β öffentliche Anklage erhebt. Ebenso ist grundsätzlich unbeachtlich, welche Strafe das Strafgericht verhängt hat. Stellt die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht das Verfahren nach § 153 Abs. 2 bzw. Abs. 3 StPO ein, weil die Schuld des Täters ζ. B. mit Rücksicht auf seine verminderte Zurechnungsfähigkeit gering und die Folgen der Tat unbedeutend sind, so hat dies auf die disziplinäre Beurteilung der Tat keinerlei Einfluß. Während ζ. B. verminderte Zurechnungsfähigkeit für die Staatsanwaltschaft Anlaß zur Einstellung des Verfahrens geben kann, schützt sie im disziplinarrechtlichen Sinne u. U. nicht vor der schwersten Disziplinarstrafe. Auf keinen Fall kann eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 2 StPO dazu führen, daß von der Durchführung von Vorermittlungen nach § 21 BDO, BDO i. d. F. der Novelle abgesehen wird, so daß sich eine Einstellung des Verfahrens und eine Anzeige derselben an den Bundesdisziplinaranwalt, die nach § 22 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle geboten ist, erübrigt. Weiterhin ist es für die Beurteilung eines Dienstvergehens unmaßgeblich, ob der Beamte im ordentlichen Strafverfahren aus formellen Gründen nicht verfolgt werden kann. Ist ζ. B. ein wegen versuchter Notzucht mit Abhängigen in Tateinheit mit Beleidigung angeklagter Beamter freigesprochen worden, weil die Unzucht nicht bewiesen und der Strafantrag wegen Beleidigung nicht wirksam gestellt war und wegen Fristablaufs auch nicht mehr gestellt werden konnte, so kann der Beamte wegen der Beleidigung disziplinarisch verfolgt werden7 ; hier steht der Freispruch rechtlich einer Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO gleich. Die Tatsache, daß der Beamte sich einer Beleidigung schuldig gemacht hat, wiegt gleich schwer, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Beamte deshalb verfolgt werden kann oder nicht. Schließlich schließt die Straflosigkeit gewisser Straftaten gegen Verwandte absteigender Linie oder gegen den anderen Ehegatten (Diebstahl und Unterschlagung, Notentwendung, Notbetrug, Pfandkehr, §§ 247 Abs. 2, 248a Abs. 3, 289 Abs. 5 StGB) die Feststellung und disziplinare Ahndung eines durch eine solche Handlung verwirkten Dienstvergehens nicht aus8. So kann ein Beamter, der dienstlich mit Beförderungsgut Befassung hat, u. U. mit seiner Entfernung aus dem Dienst rechnen, wenn er sich der Wegnahme eines seiner Ehefrau gehörenden Gegenstandes schuldig macht; auch durch eine solche Tat zerstört er das Vertrauen zur Redlichkeit, das sein Dienstherr in ihn gesetzt hat. 7 DiszSenat OVG Münster 25.10. 60 — W 8/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr.475 = BDHE Bd. 4 S. 219 = VGHE (DiszS) Bd. 1 S. 102.
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Strafbare Handlungen und Ordnungswidrigheiten als Dienstvergehen
Ist wegen der gleichen Verfehlung neben der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens Anklage im ordentlichen Strafverfahren erhoben, so ergeben sich hieraus nach § 13 BDO, BDO i. d. F. der Novelle verschiedene Folgerungen, die in § 80 dargestellt sind; sie sind jedoch nur von prozessualer Bedeutung. Π. DER DISZIPLINARE ÜBERHANG Das Dienstvergehen erschöpft sich nicht in der strafbaren Handlung. Der Beamte verletzt nämlich seine Pflichten nicht nur, wenn er gegen ein Strafgesetz verstößt, sondern bereits dann, wenn er den allgemeinen Regeln von Sitte, Anstand und Moral zuwiderhandelt. Ebenso begeht er ein Dienstvergehen, wenn er gegen allgemeine Dienstvorschriften oder einzelne dienstliche Anordnungen verstößt. So ist das Disziplinarorgan — ganz gleich ob es sich um das Disziplinargericht oder den Dienstvorgesetzten handelt — verpflichtet, trotz eines strafgerichtlichen Freispruchs und unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine strafbare Handlung vorliegt, nachzuprüfen, ob das Verhalten des Beamten einen Verstoß gegen Dienstvorschriften, Anweisungen oder Regeln von Sitte und Anstand darstellt. Selbst wenn nach der Novelle zur BDO § 13 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 entfällt, also der strafgerichtliche Freispruch unberücksichtigt bleibt, ist die Frage nach dem disziplinaren Übergang dennoch weiterhin von Bedeutung, weil, wie noch unter § 80 gezeigt werden wird, nach § 14 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der abgeurteilten Straftat auch bei einem Freispruch nur bei Ubereinstimmung sämtlicher Mitglieder des Gerichts erneut nachgeprüft werden kann, während die Feststellung der Tatbestandsmerkmale des disziplinaren Überhangs keinen übereinstimmenden Beschluß des Gerichts erfordert. Grenzt die dienstliche Verfehlung eines Beamten an eine strafbare Handlung, ohne diesselbe aus materiellen oder formellen Gründen zu erfüllen, so spricht man von einem sog. disziplinaren Überhang8. Hier ist die Tat unabhängig von ihrer strafrechtlichen Wertung zu verfolgen, weil sie auf jeden Fall infolge eines Verstoßes gegen die Dienstzucht oder gegen die allgemeinen Regeln der Sitte oder des Anstandes ein Dienstvergehen darstellt. Dies gilt nicht nur für die Dienstvergehen im engeren Sinne, sondern in gleicher Weise auch für die außerdienstlichen Verfehlungen, wie Ehebruch und leichtfertiges Schuldenmachen. Ist also der Täter wegen Bestechung (§§ 331 ff. StGB) freigesprochen, so kann er dennoch wegen unerlaubter Annahme von Geschenken disziplinarisch bestraft werden. Hier lehrt aber die Praxis, daß der Beamte im allgemeinen nur dann disziplinarisch belangt wird, wenn er durch sein Handeln den Tatbestand der §§ 331 ff. StGB erfüllt hat. Nach 331 ff. StGB macht sich der Beamte wegen passiver Bestechung nur unter den dort genannten engen Voraussetzungen strafbar, während er nach § 60 BBG schon dann gegen seine Beamten pflichten verstößt, wenn er unerlaubt in bezug auf sein Amt Belohnungen und Geschenke annimmt. Erfüllt er hierbei die Voraussetzungen der §§ 331 ff. StGB, so handelt es sich um besonders schwere Verstöße gegen 8
S. 182.
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DiszSenat OVG Münster V 17/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 356. — NDBZ 1959
Der disziplinare Überhang
§35
§ 60 BBG, die grundsätzlich mit Entfernung aus dem Dienst zu ahnden sind. Hat ζ. B. ein Personalsachbearbeiter von Kollegen niedrigeren Ranges, mit denen er dienstlich Befassung hatte, Geschenke angenommen, bestanden aber zwischen Schenker und Beschenktem außer dienstlichen auch persönliche Beziehungen mit gegenseitigen Gefälligkeiten, und läßt sich zwischen der Amtshandlung und der Annahme des Geschenkes ein beiden Teilen bewußter Zusammenhang nicht feststellen, so scheidet wohl eine Bestrafung des Beschenkten wegen passiver Bestechung nach §§ 331 fF. StGB aus; er macht sich jedoch disziplinarisch strafbar, weil er sich leichtfertig in den Verdacht gebracht hat, als sei er für Geschenke allgemein empfänglich, was oft zu Gerüchten um den Beschenkten Anließ bietet und damit die Dienstbehörde in Mißkredit bringt 9 . In diesem Falle ist der Beamte nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordern, und hat somit gegen die Hauptpflicht des § 54 BBG verstoßen. Darüber hinaus hat er auch gegen § 60 BBG verstoßen, wenn er die Geschenke wohl nicht für eine Amtshandlung, jedoch in bezug auf sein Amt angenommen hat. Ist der Beschuldigte ζ. B. wegen Sachbeschädigung freigesprochen, weil das Strafgericht zu der Überzeugung gelangt ist, daß dem Täter nur Fahrlässigkeit zum Vorwurf gemacht werden kann, so kann er disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Disziplinargericht zur Überzeugung gelangt, daß der Beamte auch nicht fahrlässig dienstliches Eigentum beschädigen darf und er sich damit eines Dienstvergehens schuldig macht. Das gleiche würde aber auch dann gelten, wenn der Beschuldigte lediglich versucht hat, sich nur wenige rohe Kartoffeln zuzueignen, und das Strafgericht ihn freigesprochen hat, weil eine Bestrafung bei einer Übertretung (§ 370 Nr. 5 StGB) dann ausscheidet wenn die Tat im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Im disziplinaren Sinne würde dies unbeachtlich sein, weil ein Beamter auch dann, wenn er versucht, sich an Sachen von unbedeutendem Wert zu vergreifen, für den öffentlichen Dienst nicht tragbar ist. Hat der Beschuldigte einen Diebstahl in sinnloser Betrunkenheit ausgeführt, so kann er, wenn er auch wegen Diebstahls freigesprochen worden ist, wegen sinnloser Trunkenheit disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen werden, weil Trunkenheit bei einem Beamten grundsätzlich ein Dienstvergehen darstellt 10 . Ist der Beschuldigte wegen Bestechung freigesprochen, so kann er wegen Annahme eines Darlehns disziplinarisch bestraft werden 11 . Wenn ein Kassenbeamter wegen Unterschlagung nicht bestraft worden ist, so kann er disziplinarisch belangt werden, weil er die Kassengelder nicht rechtzeitig abgeliefert hat 12 . Ein Beamter, der anläßlich eines Streiks wegen Hausfriedensbruchs und versuchter Nötigung freigesprochen ist, kann wegen seiner Teilnahme am Streik disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen werden, weil es einem Beamten untersagt ist Arbeitskampfmittel anzuwenden 13 . Ist der Beamte wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung freigesprochen, so kann er dennoch wegen vor9 BDH 2.10. 53 — II D 72/53 — BDHE Bd. 1 S. 119 —; DiszSenat OVG Münster 12. 7. 57 — V 33/55 —; RHRh.-Pfalz 21. 2. 59 — in AS Bd. 7 S. 170 = ZBR 1959 S. 272; RDH 19. 2. 39 in RDHE Bd. 2 S. 83; Behnke, Anm. 14 und 15 zu § 13 BDO; S c h ü t z , Anm. 4 zu § 16 DONW; W i t t l a n d , Anm. 21 ff. zu § 13 RDStO; D öge in ZBR 1959 S.325; L i n d g e n , Der disziplinare Überhang bei §§ 331 ff. StGB in ZBR 1962 S. 318. 1 0 RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 399. 1 1 RDG bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 78; DokBer. Nr. 859. 1 2 RDH bei F o e r s t e r , 1935 S. 129 (131). 1 3 RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 404.
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Strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten als Dienstvergehen
schriftswidriger Buch- und Kassenführung disziplinarisch belangt werden 14 . Wird der Beschuldigte wegen Notzucht freigesprochen, weil die Frauensperson ihm keinen ernsthaften Widerstand geleistet hat, so kann er wegen der eines Beamten unwürdigen Ausübung außerehelichen Geschlechtsverkehrs vom Disziplinargericht verurteilt werden 15 . Gleiches gilt auch dann, wenn ein Beamter nicht wegen Ehebruchs bestraft werden kann, da ζ. B. seine deshalb von ihm geschiedene Ehefrau keinen Strafantrag gestellt hat, weil der Verkehr eines verheirateten Beamten mit anderen Frauen in der Öffentlichkeit als solcher bereits eines Beamten unwürdig ist und somit ein Dienstvergehen darstellt16. Ist der Beamte wegen Betruges freigesprochen, so kann er disziplinarisch belangt werden, wenn ζ. B. der dem Strafurteil zugrunde liegende Sachverhalt ergibt, daß der Beamte bei seinen Eingaben zur Erlangung des Armenrechts die Verpflichtung zur Wahrheit außer acht gelassen17, oder daß er die Ausübung seines Nebengewerbes, bei der er sich eine an den Betrugstatbestand grenzende Handlungsweise hat zuschulden kommen lassen, ohne Genehmigung seiner vorgesetzten Dienststelle ausgeübt hat. Beim disziplinären Überhang ist jedoch zu beachten, daß der Beschuldigte, dem eine strafbare Handlung, wie ζ. B. Diebstahl oder Betrug oder Amtsunterscblagung, zur Last gelegt wird und der wegen dieses Fehlverhaltens vom Strafgericht freigesprochen worden ist und der trotzdem wegen des sog. disziplinaren Überhanges disziplinarisch verfolgt werden soll, auf die Änderung der disziplinarischen Anschuldigung hinzuweisen ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der Sachverhalt bisher nur unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt war. Geht ζ. B. aus der Anschuldigungsschrift hervor, daß der Tatbestand nur als Amtsunterschlagung, jedoch nicht unter dem Gesichtspunkt der ordnungswidrigen Buch- und Kassenführung gewürdigt war, so ist der Beschuldigte auf die Änderung der Rechtslage hinzuweisen. Dem Beschuldigten muß klar erkennbar sein, wie nunmehr sein Verhalten gewertet wird, damit er seine Verteidigung darauf einstellen kann. Eine Anschuldigungsschrift, die sich nach wörtlicher Wiedergabe des gesamten Tatbestandes eines freisprechenden Strafurteils auf den allgemeinen Vorwurf beschränkt, der Beschuldigte habe „durch sein Verhalten" ein Dienstvergehen begangen, ist unzureichend und muß zur Beseitigung der Mängel auch dann dem Bundesdisziplinaranwalt zurückgegeben werden, wenn infolge des Verbots der reformatio in peius eine höhere Strafe als eine Geldbuße nicht mehr verhängt werden kann 18 . ΠΙ. DIE ORDNUNGSWIDRIGKEITEN IN DER BEWERTUNG ALS DIENSTVERGEHEN Ist eine Handlung ausschließlich mit Geldbuße bestraft, so ist sie eine Ordnungswidrigkeit ( § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten — OWiG — vom 25. 3. 52 (BGBl. I S. 177) i. d. F. vom 26. 7. 57 (BGBl. I S. 713 und S. 861). Ist eine Handlung ausschließlich mit Strafe bedroht, so ist PrOVG in RVB1.1936 S. 925. RDH 29. 8. 39 — III D 12/39 —. 16 Vgl. ζ. B. DokBer. Nr. 1129, Nr. 1075 und Nr. 1093; BDH 23. 8. 56 — II D 68/55 — BDHE Bd. 3 Nr. 55 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 210. " PrOVG in RVB1. Bd. 57 S. 925. 1 8 BDHE Bd. 3 S. 110. 14
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Die Ordnungswidrigkeiten in der Bewertung als Dienstvergehen
§35
sie eine Straftat ( § 1 Abs. 2 OWiG). Ist eine Handlung entweder mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht, so ist sie im Einzelfall eine Straftat, wenn sie mit Strafe, eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie mit Geldbuße zu ahnden ist (§ 1 Abs. 3 OWiG). Die in § 1 Abs. 1 und 3 bezeichneten Handlungen sind Zuwiderhandlungen im Sinne dieses Gesetzes ( § 1 Abs. 4 Satz 1 OWiG). Auf die in Abs. 2 bezeichneten Handlungen ist das Gesetz nicht anwendbar ( § 1 Abs. 4 Satz 2 OWiG). Ob eine in § 1 Abs. 3 OWiG bezeichnete Handlung mit Strafe oder mit Geldbuße zu ahnden ist, richtet sich nach der auf diese Handlung anwendbaren Vorschrift über die Abgrenzung von Straftat und Ordnungswidrigkeit ( § 2 OWiG). Stellt dieselbe Handlung eine Ordnungswidrigkeit und eine Straftat dar, so ist nur das Strafgesetz anzuwenden ( § 4 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Wird eine Strafe nicht verhängt, so kann von der Verwaltungsbehörde wegen der Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festgesetzt werden, soweit nicht die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen entgegenstehen (§ 4 Abs. 2 OWiG). Ob eine Ordnungswidrigkeit ein Dienstvergehen darstellt, beurteilt sich nicht danach, daß sie sich nicht wie eine Straftat gegen ethische Grundwerte, sondern lediglich gegen eine Norm richtet, die der reibungslosen Verwirklichung von Verwaltungsaufgaben dient. Entscheidend für die Bewertung einer Ordnungswidrigkeit als Dienstvergehen ist, ob der Beamte hierdurch gegen die Achtungspflicht verstößt, die von ihm innerhalb und außerhalb des Dienstes gefordert wird (vgl. § 54 BBG). Wird eine Ordnungswidrigkeit anläßlich der Dienstausübung begangen, so stellt diese u. a. einen Verstoß gegen die dem Beamten obliegende Sorgfaltspflicht und somit auch ein Dienstvergehen dar, wobei die Geringfügigkeit den Dienstvorgesetzten unter Beachtung des Ermessensgrundsatzes des § 3 Abs. 2 BDO, § 3 BDO i. d. F. der Novelle dennoch von einer disziplinaren Bestrafung absehen lassen kann. Anders verhält es sich bei solchen Ordnungswidrigkeiten, die in den privaten Bereich des Beamten fallen ; hier ist entscheidend, ob sie in der Öffentlichkeit das Ansehen des Beamten geschädigt haben. Da es sich bei Ordnungswidrigkeiten weniger um Verstöße gegen ethische Grundwerte handelt, dürfte eine Schädigung des Ansehens des Beamtenstandes bei Ordnungswidrigkeiten im Privatbereich des Beamten weniger in Frage kommen. Anders wäre es nur dann, wenn der Beamte sich wiederholt die gleichen Ordnungswidrigkeiten zuschulden kommen läßt und hierbei einen Hang der Mißachtung gesetzlicher Bestimmungen offenbart19. Soll gegen den Beamten neben einer Verhängung einer Geldbuße auf Grund des Ordnungswidrigkeitengesetzes weiterhin eine Disziplinarstrafe verhängt werden, so soll diese nur dann in Frage kommen, wenn sie auf den Beschuldigten eine erzieherische Wirkung auszulösen geeignet ist; auf keinen Fall darf sie eine Sühnemaßnahme darstellen, weil dann der Zweck der Disziplinarstrafe verfehlt wird. Die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens erscheint bei Zuwiderhandlungen, die sich als Ordnungswidrigkeiten im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes darstellen, nicht angebracht, es sei denn, daß sie als Anschuldigungspunkte neben anderen schweren dienstlichen Verfehlungen in Frage kommen, die für sich allein eine Disziplinarstrafe rechtfertigen, die nur von einem Disziplinargericht verhängt werden kann. 19
Vgl. F i n g e r , a. a. O. S. 10/11.
23 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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§36
Einheit des Dienstvergehens
§ 36. Einheit des Dienstvergehens I. DIE EINZELNEN PFLICHTWIDRIGEN HANDLUNGEN ALS EINHEIT Im Disziplinarverfahren wird das Gesamtverhalten des Beamten einer einheitlichen Betrachtung unterzogen. Da das Dienstvergehen an keinen festumrissenen Tatbestand anknüpft, ist das Verhalten des Beschuldigten in beamtenmäßiger Hinsicht einheitlich zu würdigen. Der Beamte hat in jeder Hinsicht die ihm obliegenden Pflichten zu erfüllen. Er wird w e g e n e i n e s beamtenunwürdigen Verhaltens im allgemeinen, nicht jedoch w e g e n e i n e s e i n z e l n e n V e r s t o ß e s g e g e n seine P f l i c h t e n b e s t r a f t . Verschiedene Tatbestände, die für sich allein alle Merkmale eines Dienstvergehens aufweisen, sind bei der Beurteilung des Beschuldigten in ihrer Gesamtheit zu würdigen 1 . Auch wenn der Beamte die ihm obliegenden Pflichten in mehreren Einzelfällen in verschiedenartiger Weise und zu verschiedenen Zeiten schuldhaft verletzt hat und diese mehreren Pflichtverletzungen Gegenstand eines Disziplinarverfahrens bilden, so liegt dennoch nur ein einheitliches Dienstvergehen vor 2 . Hat der Beamte durch mehrere voneinander unabhängige Handlungen mehrere Dienstpflichten oder die gleiche Dienstpflicht mehrfach verletzt, so wird im Disziplinarverfahren nicht jede einzelne pflichtwidrige Handlung für sich abgeurteilt und nicht aus Einzelstrafen eine Gesamtstrafe gebildet. Das Disziplinargericht prüft wohl die einzelne Handlung, spricht aber im Urteil nicht aus, daß der Beschuldigte bezüglich der einzelnen Pflichtverletzung schuldig befunden und verurteilt oder freigesprochen wird; vielmehr ergeht das Urteil nur über das gesamte, sich möglicherweise aus mehreren Pflichtverletzungen zusammensetzende Verhalten des Beschuldigten 3 . Gleiches gilt auch für die Bestrafung durch den Dienstvorgesetzten. Besteht ein der disziplinarrechtlichen Beurteilung unterstellter Sachverhalt aus mehreren Anschuldigungspunkten, von denen jeder für sich allein die Merkmale eines Dienstvergehens enthält, so liegt trotzdem nur ein Dienstvergehen vor 4 . Deshalb wird im Urteilstenor oder in der Disziplinarverfügung nicht die jeweils begangene Pflichtverletzung, wie ζ. B. die unerlaubte Annahme von Geschenken oder die Unterschlagung von amtlichen Geldern, genannt; hier ist vielmehr vom „Dienstvergehen" schlechthin die Rede. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn nur eine einzelne Pflichtverletzung zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens gemacht worden ist, während bezüglich weiterer Pflichtverletzungen von der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens abgesehen worden ist. Ebenso kommt es bei der einheitlichen Bestrafung mehrerer Pflichtverletzungen nicht darauf an, ob sie in einem zeitlichen oder räumlichen Zusammenhange stehen5. Der Sachverhalt kann sich vielmehr aus mehreren AnBayrDStH 12. 5. 53 — Nr. 2 DS II 52 — BDHE Bd. 1 S. 168. BayrDStH 22.12. 53 — Nr. 7 DS I 53 — BDHE Bd. 1 S. 169. 3 BayrDStH 17. 2. 58 — Nr. 2 DS I 58 — BDHE Bd. 4 S. 208 (209) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 267. 4 BayrDStH 12. 5. 53 — Nr. 2 DS II 52 — BDHE Bd. 1 S. 168. 6 Vgl. W i t t l a n d , RDStO S. 69; BayrDStH 28. 10. 55 — Nr. 6 DS I 54 — BDHE Bd. 3 S. 268 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 338. 1
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Durchbrechung des Grundsatzes bei Selbständigkeit der Pflichtverletzungen
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schuldigungspunkten zusammensetzen, die keinerlei inneren Zusammenhang aufweisen®. Wenn auch das gesamte schuldhafte pflichtwidrige Verhalten des Beamten zu einem einheitlichen Dienstvergehen zusammengefaßt wird, so müssen jedoch trotzdem die einzelnen Geschehnisse als Sachverhalt des Dienstvergehens festgestellt werden; denn sie bilden die Grundlage für die rechtliche Würdigung und besitzen verfahrensrechtlich eine gewisse Selbständigkeit ζ. B. hinsichtlich der Verjährung oder der Möglichkeit der bereits erfolgten rechtskräftigen Aburteilung. Dieselbe natürliche Handlung des Beschuldigten kann aber nicht in rechtliche Gesichtspunkte zerlegt und der Beschuldigte kann ζ. B. nicht von einem Vorwurf der Trunkenheit „freigesprochen", aber unter einem anderen Gesichtspunkt, ζ. B. dem des Durchzechens von Nächten in schlechter Gesellschaft, verurteilt werden. Der gleiche natürliche Vorgang läßt sich auch nicht in mehrere Einzelverfehlungen zergliedern; eine Dienstverfehlung kann durch ihre besondere Begehungsweise zwar nach mehreren Richtungen hin den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllen; so kann ζ. B. ein Beamter, der sich eines Betruges schuldig macht, gegen die Verpflichtung zur Redlichkeit und außerdem noch gegen die Wahrheitspflicht verstoßen. Das Verhalten ist hier aber im ganzen als dienstwidrig zu betrachten und kann nur als eine einheitliche Dienstverfehlung angesehen werden. Zu einer einheitlichen Bestrafung sind das Disziplinargericht und der Dienstvorgesetzte nur insoweit verpflichtet, als ihnen mehrere Pflichtverletzungen bekannt sind und sie dieselben pflichtgemäß für entscheidungsreif halten6». II. DURCHBRECHUNG DES GRUNDSATZES DER EINHEIT DES DIENSTVERGEHENS BEI SELBSTÄNDIGKEIT DER PFLICHTVERLETZUNGEN Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens erfährt bei der Anwendung des Strafverbots wegen Zeitablaufs (vgl. § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle) eine gewisse Durchbrechung. Das Straf verbot ist nämlich für jede Einzelverfehlung selbständig zu prüfen 7 . Das gesetzliche Strafverbot des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle würde bei einer starren Anwendung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Dienstvergehens in zahlreichen Fällen sonst bedeutungslos. Nach der Rechtsprechung des BDH8 können jedoch nur solche Einzelverfehlungen hinsichtlich der Prüfung der Frage, ob bei ihnen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle gegeben sind, verfahrensrechtlich getrennt beurteilt werden, bei denen eine gewisse Selbständigkeit gegeben ist. Das wäre ζ. B. der Fall, wenn der Beschuldigte am 3. 1. 60 sich ohne Erlaubnis seines Vorgesetzten vorzeitig vom Dienst entfernt und am 5. 4. 65 sich einer weiteren Dienstverletzung schuldig gemacht hat, indem er von einer Firma, mit der seine Behörde RDH 6.10. 37 — I D 7/37 — u. 21. 6. 39 — IV D 20/39 —; PrOVG Bd. 32S. 431. «a BDH — Wehrdienstsenat — 28. 11. 61 — WDB 26/61 — BDHE Bd. 6 S. 132. 7 BayrDStH 8. 8. 60 — Nr. 7 DS I 60 in BBZ 1963 S. 11 (LS); BDH 24. 2. 56 — III D 81/54 — u. BDH 30. 5. 56 — I D 135/54 —; DokBer. Nr. 573; DiszSenat OVG Münster 21.10. 60 — V 10/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 633; DiszH Rh.-Pfalz 13. 3. 59 — AS Bd. 7 S. 175 (178). 8 BDH 1 8 . 1 1 . 55 — I D 42/54 — BDHE Bd. 3 S. 180 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 319; DokBer. Nr. 1634. β
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in Geschäftsverbindung steht, unerlaubt Geschenke in einem Wert von DM 15,— angenommen hat; in diesem Falle würde eine Bestrafung wegen der zuerst genannten Pflichtverletzung mit Rücksicht auf ihre Geringfügigkeit ausscheiden. Anders wäre es, wenn der Beschuldigte seit mehreren Jahren seine dienstlichen Obliegenheiten liederlich verrichtet; hier besteht zwischen den einzelnen Verfehlungen ein innerer Zusammenhang, so daß bei der Prüfung, ob der Beschuldigte wegen eines Dienstvergehens zu bestrafen ist, nicht solche Verfehlungen ausscheiden, die mehr als fünf Jahre zurückliegen. Gleiches würde auch dann gelten, wenn der Beamte im Jahre 1947 einen Meldebogen falsch ausgefüllt und in ähnlich gelagerten Fällen die Wahrheitspflicht verletzt hat8®. Einzelne Pflichtverletzungen können auch sonst trotz des Grundsatzes der Einheit eines Dienstvergehens eine gewisse rechtliche Selbständigkeit haben, wenn sie mit anderen gleichzeitig angeschuldigten Verfehlungen nicht im Zusammenhang stehen. Solche Pflichtverletzungen sind aus dem Gegenstand der Aburteilung auszuscheiden, wenn ihretwegen ζ. B. keine Laufbahnstrafe verwirkt ist; dies hindert jedoch nicht, sie bei der Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten zu berücksichtigen9. ΠΙ. DISZIPLINARRECHTLICHE FOLGERUNGEN AUS DER EINHEITLICHKEIT DES DIENSTVERGEHENS Aus der Einheitlichkeit des Dienstvergehens folgt in disziplinarrechtlicher Hinsicht folgendes : 1. Sämtliche Pflichtverletzungen eines Beamten können nur in einem Disziplinarverfahren verfolgt werden. Sie können nur zusammen gewertet und — gegebenenfalls — geahndet werden10. Werden weitere Dienstvergehen des Beschuldigten im Laufe eines anhängigen Verfahrens bekannt, so sieht das Disziplinarrecht die Möglichkeit vor, die Untersuchung auf die neuen Anschuldigungspunkte auszudehnen bzw. Nachträge zur Anschuldigungsschrift einzureichen. Ist der Beschuldigte vom Dienstvorgesetzten bestraft, so kann der höhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde, wenn inzwischen neue Verstöße gegen die Dienstzucht bekannt geworden sind, u. U. die Disziplinarverfügung aufheben und in der Sache anders entscheiden oder die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens veranlassen. Werden nach Eintritt der Rechtskraft einer disziplinargerichtlichen Entscheidung weitere dienstliche Verfehlungen bekannt, so steht der Einheitlichkeit des Dienstvergehens nicht entgegen, gegen den Schuldigen erneut einzuschreiten, weil sich die Rechtskraft nur auf den tatsächlichen Hergang erstreckt, der durch die Anschuldigungsschrift und ihre Nachträge Gegenstand des Disziplinarverfahrens war. Die Verfolgung weiterer dienstlicher Verfehlungen, die vor der Rechtskraft der disziplinargerichtlichen Entscheidungen begangen worden sind, ist also zulässig. 2. An sich ist bei der Feststellung, ob ein einheitliches Dienstvergehen vorliegt belanglos, ob die Tat im Fortsetzungszusammenhang begangen 8» 9
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DokBer. Nr. 1898. BDH — Wehrdienstsenat — 16. 6. 59 — W DB 15/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 391 Diirschke, Die fortgesetzte Handlung im Disziplinarrecht in ZBR 1960 S. 45.
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ist 10 . Im strafrechtlichen Sinne versteht man unter „fortgesetzter Handlung" mehrere auf Grund eines einheitlichen Vorsatzes ausgeführte Handlungen, die aus rechtlichen Gründen zu einer juristischen Handlungseinheit zusammengefaßt werden. In subjektiver Hinsicht muß der Täter einen Vorsatz gefaßt haben, der auf die Verübung einer einzigen Straftat gerichtet ist, von deren konkreten Gestaltung er sich eine feste Vorstellung macht, obgleich die Tat in mehrere Teilhandlungen zerfällt 11 ; es genügt auch, daß der Täter mit zwei Taten dasselbe Ziel erreichen will, wobei bei jeder Tat die Willensbildung selbständig ist 12 . In objektiver Hinsicht muß der Täter gegen dasselbe Strafgesetz verstoßen, wobei es bei demselben Grundtatbestand nichts ausmacht, daß mit Rücksicht auf Erschwerungs- oder Erleichterungsgründe verschiedene Bestimmungen des Strafgesetzes zur Anwendung kommen, wie ζ. B. einfacher und schwerer Diebstahl 13 oder Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung 14 , jedoch nicht bei Diebstahl und Unterschlagung, weil es sich hier um ungleiche Begehungsformen handelt16. Da es sich bei der fortgesetzten Handlung nur um eine Tat handelt, kann auch nur auf eine Strafe erkannt werden. Die Rechtskraft des Urteils erfaßt auch solche im Fortsetzungszusammenhang stehenden Einzelhandlungen, die dem Gericht zur Zeit der Urteilsfällung nicht bekannt waren. In disziplinarrechtlicher Hinsicht braucht nicht geprüft zu werden, ob die einzelnen Tätigkeitsakte — zeitlich und örtlich fest umrissen — sich bei natürlicher Betrachtung als unselbständige Ausführungshandlungen nur einer Dienstverpflichtverletzung, wie ζ. B. der Wahrheitspflicht, darstellen. Ebenso ist es gleichgültig, ob der Beschuldigte mit zwei Taten bei jeweils selbständiger Willensbildung dasselbe Ziel erreichen will. Schließlich kann es dahingestellt bleiben, ob die Pflichtverletzungen auf eine bestimmte Gruppe von Beamtenpflichten hinzielen, wobei es ζ. B. beim Verstoß gegen die Pflicht zur Redlichkeit gleichbleiben kann, ob der Beschuldigte sich eines Diebstahls und einer Amtsunterschlagung schuldig gemacht hat; im ordentlichen Strafrecht wird ζ. B. wie oben gezeigt ist, zwischen Diebstahl und Unterschlagung kein Fortsetzungszusammenhang angenommen16. Ob Fortsetzungszusammenhang17 angenommen werden kann, erlangt jedoch für die Fragen Bedeutung, ob Freispruch wegen einzelner Tatteile der fortgesetzten Handlung ausgeschlossen ist, ob die Rechtskraft des Urteils alle im Fortsetzungszusammenhang begangenen Taten erfaßt, wobei es gleich bleiben kann, ob dem Gericht alle Einzelhandlungen zum Zeitpunkt der Urteilsfällung bekannt waren oder nicht18 und ob die fortgesetzte Tat mit Abschluß des letzten Teilaktes vollendet ist 19 und somit erst dann die Verjährung zu laufen beginnt. Da die fortgesetzte Handlung eine einzige ist, hat dies zur Folge, daß die Rechtskraft des wegen der fortgesetzten Handlung ergebenden Urteils alle 11 12 13 14 16 1β 17 18 19
RG in J W 1936 S. 1913. RG in J W 1936 S. 2807. RGSt Bd. 53 S. 263. RG in J W 1934 S. 1728. RGSt. Bd. 58 S. 229. RGSt. Bd. 58 S. 229. Vgl. D ü r s c h k e , Die fortgesetzte Handlung im Disziplinarrecht in ZBR 1960 S.45. RGSt. Bd. 66 S. 50, Bd. 73 S. 41. RGSt. Bd. 66 S. 48.
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vor der Verkündung begangenen, in den Fortsetzungszusammenhang gehörenden Einzelakte deckt, gleichviel ob sie das Gericht berücksichtigt, ob es sie gekannt und ob es Gelegenheit gehabt hat, sich Kenntnis von ihnen zu verschaffen oder nicht 20 . Dies gilt ζ. B. dann, wenn der Beamte fortgesetzt leichtfertig Schulden aufnimmt; ist der Beamte einmal deswegen bestraft,so kann ihm in einem erneuten Disziplinarverfahren nicht mehr die Aufnahme solcher Schulden zum Vorwurf gemacht werden, die vor der ersten Verurteilung liegt, die aber dem Disziplinargericht nicht bekannt war. Eine nochmalige Verfolgung und Bestrafung wegen solcher zeitlich vor der letzten Aburteilung liegenden Verfehlungen ist daher unzulässig, wobei diese Unzulässigkeit das Fehlen einer Prozeßvoraussetzung betrifft21. Dieser Mangel ist auch bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung zu berücksichtigen 22 . Andererseits können Einzeltatbestände, die Teile einer fortgesetzten Handlung sind, zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, ohne daß sie in der Anschuldigungsschrift in Erscheinung treten23. Es macht auch keinen Unterschied, ob solche Einzelhandlungen in der Hauptverhandlung vor dem Gericht der ersten Instanz oder erstmals vor dem Berufungsgericht bekannt und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden sind ; denn die durch die Tatumstände begründete Einheitlichkeit der fortgesetzten Handlung kann mindestens insoweit, als diese vor dem letzten tatrichterlichen Urteil liegt, nicht durch die Verfahrenslage aufgehoben werden. Soweit die dem Beschuldigten vorzuwerfenden dienstlichen Verfehlungen im Fortsetzungszusammenhang stehen, können auch bisher unbekannt gebliebene Einzelakte der Tat im Verfahren vor dem Gericht der 2. Instanz Berücksichtigung finden, ohne daß es einer erneuten Anschuldigungsschrift bedarf. Soweit sie diesem Gericht bekannt werden, müssen sie zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, weil die Unteilbarkeit der Fortsetzungstat, nachdem diese einmal zum Gegenstand der Anschuldigung gemacht ist, zu ihrer erschöpfenden Behandlung und Würdigung zwingt (vgl. § 264 StPO)24. Bei Dienstvergehen, die sich im strafrechtlichen Sinne als Straftaten im Fortsetzungszusammenhang darstellen, ist es bei der Auswahl der Art und Höhe der Disziplinarstrafe jedoch wesentlich, daß der Beschuldigte immer erneut sich ihm aufdrängende moralische Hemmungen überwinden mußte und daher eine sehr starke rechtsbrecherische Intensität entwickelte. Die im Strafrecht entwickelte Lehre über den Fortsetzungszusammenhang kann somit auch im Disziplinarrecht von Bedeutung sein, obgleich man hier von der Einheitlichkeit des Dienstvergehens ausgehen muß. Der Begriff des einheitlichen Dienstvergehens, der die rechtliche Einheit bezeichnet, 20 BayrDStH 30. 3. 57 — Nr. 11 DS I 57 — VGH n. F. 10 III 5 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 270; RGSt. Bd. 72 S. 212; N a d l e r - W i t t l a n d , Anm. 6 zu § 22 DBG; Dienststrafsenat des RG 2. 4. 36 in DJ 1936 S. 1195; RDStH 15. 3. 38 in JW 1938 S. 2310; PrOVG Bd. 93 S. 232; RDHE Bd. 2 S. 22 (24); Behnke, Anm. 14 und 15 zu § 27 BDO; D ü r s c h k e , a. a. O. S. 45; W i t t l a n d , Anm. 6 Anhang zu § 1 RDStO;a. M. RDH i n F o e r s t e r - S i m o n s , 1932 S. 30 und Reuß in J W 1938 S. 2310. 2 1 L ö w e - R o s e n b e r g , Vorbem. 23 e vor § 151 StPO; DokBer. Nr. 1406; BDH 20.1. 61 — II D 4/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 313 (LS). 22 BDHE Bd. 1 S. 112 (115); RDHE Bd. 1 S. 129; PrDStH in D J Z 1932 S. 1427; Behnke, Anm. 21 zu § 69 BDO; K l e i n k n e c h t - M ü l l e r , Anm. 2 d zu § 327 StPO. 23 Vgl. Behnke, Anm. 12 zu § 53 BDO; RDHE Bd. 2 S. 114. 24 BayrDStH 30. 3. 57 — Nr. 11 DS I 57 — BDHE 4 S. 203 (207) = Lindgen, Teil IV Nr. 270.
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ist nämlich streng von der fortgesetzten Handlung zu unterscheiden, die einen tatsächlichen Zusammenhang zum Ausdruck bringt, wobei mehrere Einzelhandlungen, die aus einem einheitlichen Vorsatz begangen sind, zusammengefaßt werden 25 . a) Beruhen die Pflichtverletzungen auf einem einheitlichen Vorsatz und liegt ein Teil derselben länger als fünfJahre zurück, so kann der Dienstvorgesetzte bzw. das Disziplinargericht den Beschuldigten auch wegen solcher Teilhandlungen verfolgen, für die die Fünfjahresfrist des § 3 Abs. 2 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle abgelaufen ist, weil die Verjährung bei einer fortgesetzten Handlung erst mit dem Abschluß der letzten Teilhandlung beginnt 26 . b) Bei einem im Fortsetzungszusammenhang begangenen Dienstvergehen wird derselbe durch den Erlaß einer Disziplinarverfügung bzw. durch die Verurteilung im förmlichen Disziplinarverfahren unterbrochen. Spätere Teilhandlungen sind einer erneuten selbständigen disziplinarischen Ahndung fähig 27 . c) Hat der Beschuldigte die fortgesetzte Handlung teilweise im Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit, teilweise im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen, so kann er wegen der ersten Teilhandlungen auch dann bestraft werden, wenn der genaue Zeitpunkt der Unzurechnungsfähigkeit sich nicht mit Sicherheit feststellen läßt 28 . Hat dagegen der Beschuldigte bei einer fortgesetzten Handlung die ersten Teilhandlungen vor seinem Eintritt in das Beamtenverhältnis und die späteren Teilhandlungen erst nach seiner Übernahme in dasselbe begangen, so kann er nur wegen der Teilhandlungen verfolgt werden, die zeitlich nach der Übernahme in das Beamtenverhältnis liegen; eine andere Frage ist es, ob nicht die Berufung in das Beamtenverhältnis wegen der ersten Teilhandlungen nach § 12 BBG zurückgenommen werden kann, was wiederum eine disziplinarische Verfolgung der späteren Teilhandlungen ausschließt. 3. Der Beschuldigte kann auch wegen mehrerer dienstlicher Verfehlungen nur mit einer Disziplinarstrafe bestraft werden, weil er sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht hat. Die in § 4 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle vorgesehene mehrfache Bestrafung beruht nicht darauf, daß sich der Beschuldigte mehrerer dienstlicher Verfehlungen schuldig gemacht hat, sondern ist auch dann zulässig, wenn nur ein einmaliges Fehlverhalten zur Aburteilung ansteht. 4. Die Bestrafung wegen eines versuchten Dienstvergehens ist nicht möglich, weil dieses nur in einer vollendeten Handlung bestehen kann 29 . Die strafrechtliche Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung ist für das 2 5 B e h n k e , BDO S. 92; Reuß in JW 1938 S. 2310 u. in ZBR 1938 S. 184 (188); D ü r s c h k e , a. a. O S. 47. 26 DiszSenat OVG Münster 3 . 3 . 6 1 — V 24/60 — OYGE (DiszS) Bd. 2 S. 104; DokBer. Nr. 1898. 27 BDH 26.10. 55 — III D 91/54 — BDHE Bd. 2 S. 156 = L i η d g e η Teil IV Nr. 193. 28 BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. 29 BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — BDHE Bd. 4 S. 59 (63) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 222; BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — in ZBR 1956 S. 298 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143; DokBer. Nr. 618; DiszSenat OVG Münster 28. 9. 56 — Y 9/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 238.
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Einheit des Dienstvergehens
Disziplinarrecht nicht von entscheidender Bedeutung 30 . Es kommt lediglich darauf an, ob das Verhalten des Beamten zu einem bestimmten Erfolg geführt hat. Das Disziplinarrecht kennt nicht die strafrechtlichen Begriffe des Versuchs und des Rücktritts vom Versuch. Eine Pflichtverletzung stellt sich immer als ein vollendetes Dienstvergehen dar. Dieses ergibt sich aus dem Fehlen von Einzeltatbeständen im Disziplinarrecht 31 . Da die strafrechtliche Abgrenzung zwischen Vollendung und Versuch für das Disziplinarrecht nicht von entscheidender Bedeutung ist, braucht eine Strafmilderung im disziplinarrechtlichen Sinne dann nicht einzutreten, wenn das Dienstvergehen sich als Versuch einer strafrechtlichen Handlung darstellt 32 . Hat ζ. B. ein Beamter auf Grund falscher Angaben in seiner Umzugskostenrechnung versucht, Gelder zu erhalten, auf die er keinen rechtlichen Anspruch hatte, und hat er dies seiner vorgesetzten Dienststelle gemeldet, bevor seine Tat aufgedeckt worden ist, so rechtfertigt dies noch nicht seinen Freispruch im Disziplinarstrafverfahren. Mit Rücksicht auf die rechtzeitige Meldung seiner Verfehlung kann diese aber im disziplinarrechtlichen Sinne milder beurteilt werden. 5. Da der Beamte nur wegen eines Dienstvergehens bestraft werden kann, scheidet eine Prüfung aus, ob Real- oder Idealkonkurrenz im strafrechtlichen Sinne vorliegt. Dies käme nur dann in Frage, wenn das Dienstvergehen — ebenso wie das Verbrechen, das Vergehen oder die Übertretung im strafrechtlichen Sinne — sich aus Einzelstraftatrechtsbeständen mit festumrissenen objektiven und subjektiven Merkmalen zusammensetzen würde. 6. Das Disziplinargericht muß sämtliche Punkte der Anschuldigungsschrift erschöpfend würdigen, da sie in ihrer Gesamtheit ein Dienstvergehen darstellen. Es geht nicht an, daß schon auf Grund eines einzelnen Anschuldigungspunktes auf Entfernung aus dem Dienst unter Versagung eines Unterhaltsbeitrages erkannt und mit Rücksicht auf dieses Erkenntnis die Würdigung der übrigen Anschuldigungspunkte nicht mehr für erforderlich gehalten wird 33 . Die Rechtsprechung erklärt es lediglich im Berufungsverfahren für statthaft, daß sich in dem Falle, in dem sich einzelne Anschuldigungspunkte als so schwer erweisen, daß auf eine Entfernung aus dem Dienst ohne Zubilligung eines Unterhaltsbeitrages erkannt werden kann, die Nachprüfung weiterer Anschuldigungspunkte ausnahmsweise erübrigt, insbesondere wenn sie sich als unwesentlich herausstellen34. 7. Verfehlungen, die für sich allein betrachtet die Höchststrafe nicht rechtfertigen würden, können jedoch unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens, insbesondere früherer Bestrafungen, zur Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts führen, da die einheitliche Betrachtungsweise des Dienstvergehens das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Beamten zu berücksichtigen hat35. 30 DiszSenat OVG Münster 30. 12. 60 — Y 1/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 163 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 638. 3 1 BDH 8. 4. 60 — I D 21/59 — in ZBR1961 S. 383 ; vgl. auch DiszSenat O V G Münster 30.12. 60 — Y 1/60 — in ZBR 1961 S. 390. 32 DokBer. Nr. 1442. 33 RDHE Bd. 1 S. 104; PrOVG Bd. 84 S. 437; BDH 30. 7. 53 — I D 5/53 —. 34 RDH 29. 6. 38 — IV D 19/38 —; vgl. auch Behnke, Beamtenjahrbuch 1936 S. 222. 3 5 DokBer. Nr. 1442.
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Keine Bestrafung wegen Verdachts eines Dienstvergehens
§ 37
8. Die Einlegung der Berufung darf sich nicht auf einzelne unter mehreren Anschuldigungspunkten erstrecken.
§ 37. Keine Bestrafung wegen Verdachts eines Dienstvergehens Ebenso wie im ordentlichen Strafrecht kann auch im Disziplinarrecht der Beschuldigte nicht auf Grund des bloßen Verdachtes einer Pflichtwidrigkeit bestraft werden1. Die Bestrafung setzt immer eine nachgewiesene pflichtwidrige Handlung oder das Unterlassen einer nachgewiesenen pflichtgemäß gebotenen Handlung voraus. Nur für die Frage, ob eine Einbehaltung von Dienstbezügen geboten erscheint, reicht ein hinreichender Tatverdacht aus, da sich diese Anordnung nicht als Strafmaßnahme darstellt2. Man könnte auf Grund von Leitsätzen verschiedener disziplinarrechtlicher Entscheidungen zur Auffassung gelangen, daß bereits ein Tatverdacht zu einer disziplinarischen Bestrafung ausreicht. So heißt es ζ. B. in dem Urteil des Bundesdisziplinarhofs vom 2. 7. 54 — H D 86/533, daß ein Beamter, der sich leichtfertig in den Verdacht bringt, er sei für Geschenke allgemein empfänglich, ein Dienstvergehen begeht. Man spricht ganz allgemein von einer Bestrafung bei Verdacht einer Bestechung, einer Unterschlagung, ehewidriger Verfehlungen4 usw. Hierbei ist beachtlich, daß der Beamte nicht nur dann bestraft werden kann, wenn er sich einer Bestechung, einer Unterschlagung oder eines Ehebruches schuldig macht, sondern daß sich hier bereits ein Verhalten als pflichtwidrig darstellt, das den Beamten nach außen hin in den Verdacht dieser auch im ordentlichen Strafrecht verfolgbaren Handlung kommen läßt5. Der Verdacht einer strafbaren Handlung reicht zur disziplinarischen Bestrafung eines Beamten aus, wenn er durch ein schuldhaftes Verhalten des Beamten, wie pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen, entstanden ist. Ein Beamter muß alles unterlassen, was den Verdacht entstehen lassen könnte, er habe eine strafbare Handlung begangen, wobei er nicht nur sein Ansehen, sondern auch das seiner Behörde schädigen könnte®. Er verletzt dann durch ein solches Verhalten seine Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes einwandfrei zu führen. Bei erschwerenden Umständen kann hierbei sogar auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden7. Der Beamte, der auf Grund einer unordentlichen Führung der Kassenbücher in den Verdacht kommt, auch Unterschlagungen begangen zu haben, kann bereits wegen der unordentlichen Kassenbuchführung disziplinarisch be1 BDH 20.11. 53 — I D 76/53 — BDHE Bd. 1 S. 99 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 23; BDH 18. 4. 54 — I D 92/53 — ; 27. 4. 54 — H D 86/53 —. 2 BDHE Bd. 3 S. 324 (326). 3 BDH 2. 7. 54 — II D 86/53 — BDHE Bd. 2 S. 160 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 51. 4 BDH 23. 8. 56 — II D 68/55 — BDHE Bd. 3 Nr. 33 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 210. 6 BDH 21. 5. 60 — II D 91/59 — in ZBR 1961 S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 556 (hier wird ausdrücklich hervorgehoben, daß der Vorwurf, sich schuldhaft in den Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung gebracht zu haben, voraussetzt, daß die Handlung, die den Verdacht auslöst, als solche bereits pflichtwidrig ist). 6 DiszSenat OVG Münster 30. 3. 62 — V 2/62 — in ZBR 1963 S. 319, 7 BDH 28.5. 54 — I D 92/53 — ; BDH 2. 7. 5 4 — H D 8 6 / 5 3 — L i n d g e n , T e i l I V N r . 51.
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§38
Einwilligung
straft werden. Dies gilt auch für einen Beamten, der sich mit einer anrüchigen Frauensperson einläßt und diese in seinen Haushalt aufnimmt. Er wird nicht erst dann bestraft, nachdem ihm ehewidrige Verfehlungen nachgewiesen sind, sondern hier stellt bereits die Aufnahme der anrüchigen Frauensperson in den Haushalt des Beamten ein Dienstvergehen dar, weil er sich damit in der Öffentlichkeit dem Verdacht eines ehewidrigen Verhaltens aussetzt; so macht sich der Beamte bereits dann eines Dienstvergehens schuldig, wenn er sich nach außen erkennbar in familiärer Hinsicht unwürdig verhält8. Gleiches gilt auch für die Bestrafung des sog. Verdachtes der Bestechlichkeit; hier schädigt bereits die Annahme eines Geschenkes, ohne den Tatbestand der § § 331 ff. StGB zu erfüllen, nicht nur das Ansehen des betreffenden Beamten, sondern das der Beamtenschaft überhaupt. Es gehört zu den Hauptpflichten eines Beamten, sich durch ein Verhalten auszuzeichnen, das noch nicht einmal den Verdacht der Bestechlichkeit aufkommen läßt. Das Dienstvergehen besteht hier nicht, wie bei der Bestechung selbst, in der Verletzung des Grundsatzes der Unkäuflichkeit, sondern in der Verletzung der Pflicht des Beamten, auf das Dekorum zu achten9. Dabei handelt es sich um die Ahndung des erwiesenen Dienstvergehens der Erregung des Verdachtes der Bestechlichkeit10. Es muß also ein Verhalten des Beamten hinzutreten, das als solches eine Pflichtverletzung darstellt. Leider hat in der Praxis die Bezeichnung „Bestrafung wegen des Verdachtes der Bestechlichkeit" allzuhäufig zu der irrigen Luffas sung verleitet, daß der Beamte bei der Annahme von Geschenken nur dann bestraft werden kann, wenn die Voraussetzungen der §§ 331 ff. StGB gegeben sind. Ist dem Beschuldigten in der Anschuldigungsschrift ein bestimmtes Dienstvergehen zur Last gelegt, dieses aber in der Hauptverhandlung nicht ausreichend bewiesen, so kann das Disziplinargericht den Beschuldigten deswegen, weil er einen entsprechenden Verdacht hervorgerufen und dadurch seinen Ruf und den seiner Behörde beeinträchtigt hat, nur dann bestrafen, wenn die Anschuldigungsschrift ausdrücklich oder sinngemäß das Hervorrufen des Verdachtes •— zumindest hilfsweise — zum Gegenstand der Anschuldigung gemacht hat 11 . 2. K a p i t e l
Rechtfertigungsgründe § 38. Einwilligung I. STRAFRECHTLICHE BEURTEILUNG Die Einwilligung des Verletzten ist unter Beachtung des Grundsatzes volenti non fit injuria in zahlreichen Fällen geeignet, die Rechtswidrigkeit Wie Anm. 4. RDH 22.10. 35 — I D 51/35 —. 1 0 BayrDStH 21. 5. 54 — Nr. 21 D S I 53 — BDHE Bd. 1 S. 180 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 135. 1 1 DiszSenat OVG Münster 27. 4. 62 — V 9/62 — in ZBR 1962 S. 279 (LS) = Lindgen, Teil IV Nr. 676 (LS) — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 193. 8 9
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Disziplinarrechtliche Beurteilung
§38
der Tat auszuschließen1. Dies setzt allerdings voraus, daß der Einwilligende Inhaber des verletzten Rechtsgutes ist und über dasselbe verfügen kann. So wird ζ. B. bei § 242 StBG das Eigentum und der Gewahrsam geschützt, über die der Eigentümer frei verfügen kann; willigt also der Eigentümer in die Wegnahme seiner ihm gehörenden Sache ein, so ist eine Bestrafung wegen Diebstahls mangels Rechtswidrigkeit nicht möglich 2 . Dies gilt in gleicher Weise für Unterschlagung (§ 246 StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Da bei Beleidigung die Ehre des einzelnen geschütztes Rechtsgut ist, ist auch hier eine Bestrafung nicht möglich, wenn der Verletzte in die Beleidigung einwilligt. Kann der Verletzte über das Rechtsgut nicht verfügen, so ist seine Einwilligung in die Tat bedeutungslos. Dies gilt ζ. B. für die Rechtsgüter des Lebens, des keimenden Lebens oder der Ehe. So ist die Einwilligung zu einer Tötung oder zur Abtreibung oder zum Ehebruch nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit auszuschließen3. Dies gilt auch für die falsche Anschuldigung, da nach § 164 StGB ein Angriff auf die Rechtspflege abgewehrt werden soll. Handelt es sich um eine Körperverletzung, so gilt § 226 a StGB, wonach derjenige, der eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, nur dann rechtswidrig handelt, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt 4 ; hierbei ist die Sittenwidrigkeit der Tat selbst maßgebend, nicht die der Einwilligung. Der Grundgedanke des § 226 a StGB findet auch im sonstigen Rechtsleben sinngemäße Anwendung. Die Einwilligung muß ernstlich gemeint und mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt sein5. Insbesondere muß der Einwilligende die Einsichtsfähigkeit besitzen. Die Einwilligung muß erklärt und damit dem Täter bekannt sein. U. U. kann aber auch die mutmaßliche Einwilligung des Verletzten einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Im allgemeinen wird sie unter den Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB in Frage kommen. II. DISZIPLINARRECHTLICHE BEURTEILUNG Im Disziplinarrecht spielt die Einwilligung bei den Dienstvergehen im engeren Sinne als Rechtfertigungsgrund grundsätzlich keine Rolle, da die Aufrechterhaltung der Dienstzucht, die den Anlaß zur disziplinarischen Bestrafung gibt, im öffentlichen Interesse liegt, auf die der Verletzte oder der Vorgesetzte keinerlei Einfluß ausüben kann. Vergreift sich der Post- oder Eisenbahnbeamte am Beförderungsgut, so entfällt eine disziplinarische Bestrafung nicht deshalb, weil der geschädigte Eigentümer der geraubten Sendung seine Einwilligung erteilt hat oder damit einverstanden ist, daß der schuldige Beamte nicht bestraft werden soll; der Beamte, der durch die Veruntreuung von 1 H a e f l i g e r , Uber die Einwilligung des Verletzten im Straf recht in Schweizer Zeitschrift fur Strafrecht Bd. 67 S. 92; H o n i g , Die Einwilligung des Verletzten, 1919; N o l l , Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besonderen die Einwilligung des Verletzten, 1955, S c h l o s k y , Die Einwilligung des Verletzten in Deutsches Strafrecht 1943 S. 19; S c h r e y , Der Gegenstand der Einwilligung des Verletzten, 1928; T r a e g e r , Die Einwilligung des Verletzten und andere Unrechtsausschließungsgründe im zukünftigen Strafrecht in Der Gerichtssaal Bd. 94 S. 192. 2 RGSt. Bd. 44 S. 42. 3 RGSt Bd. 14 S. 202; RG in GA Bd. 54 S. 303. 4 Vgl. BGHSt. Bd. 4 S. 91. 6 RGSt Bd. 41 S. 394; Bd. 71 S. 349; BGHSt. Bd. 4 S. 90; BGH in NJW 1956 S. 1107.
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§39
Notweht und Notstand
Beförderungsgut gegen die Redlichkeitspflicht verstoßen hat, hat mit einer disziplinarischen Bestrafung vor allem deshalb zu rechnen, weil er die Sicherheit und Zuverlässigkeit im Betrieb der Deutschen Bundespost oder der Deutschen Bundesbahn verletzt und das Vertrauen seiner Verwaltung in ihn grundlegend zerstört hat. Ebenso wird die Rechtswidrigkeit einer Unterschlagung von amtlichen Geldern oder behördlichen Eigentums nicht dadurch beseitigt, daß der Dienstvorgesetzte seine Einwilligung gegeben hat. Diese Frage tritt insbesondere bei der Bildung sog. Schwarzer Kassen auf, bei deren disziplinären Ahndung sich die Beschuldigten immer wieder darauf berufen, daß dem Dienstvorgesetzten die Bildung „Schwarzer Kassen" bekannt war und in seinem Nichteinschreiten eine Einwilligung gesehen werden konnte. Ein Vorgesetzter kann niemals seine Einwilligung zu einer Abweichung von Vorschriften des Haushalts-, Rechnungs- und Kassenwesens, somit also auch nicht zur Bildung schwarzer Kassen, erteilen®. Ein Beamter, der seinen Vorgesetzten oder einen Arbeitskameraden beleidigt hat, kann sich zu seiner Entlastung nicht darauf berufen, daß dieser nachträglich seine Einwilligung hierzu gegeben hat und auf eine Bestrafung des Beschuldigten keinen Wert legt. Ein Beamter, der seinen Vorgesetzten beleidigt, verstößt gegen die im öffentlichen Interesse liegende Achtungspflicht, wie ein Beamter, der einen Kollegen beleidigt, gegen die Verpflichtung zur Kameradschaftlichkeit verstößt. Handelt es sich um außerdienstliche Verfehlungen, so scheidet eine Einwilligung des Verletzten schon bei den strafbaren Handlungen aus, die nicht zum Schutz des einzelnen, sondern im öffentlichen Interesse erlassen sind, wie dies ζ. B. bei der falschen Anschuldigung, wo die Rechtspflege geschützt werden soll, und beim Ehebruch der Fall ist, wo nach § 172 StGB das Institut der Ehe als Grundlage der Familienordnung geschützt werden soll. Bei den übrigen außerdienstlichen Verfehlungen schließt die Einwilligung grundsätzlich die Rechtswidrigkeit auch in disziplinarrechtlicher Hinsicht aus. Anders ist es jedoch, wenn die Einwilligung nach der Vollendung des Dienstvergehens erteilt wird. Da das Dienstvergehen mit Abschluß der Handlung vollendet und ein Rücktritt vom Versuch nicht möglich ist, da dieser begrifflich beim Dienstvergehen nicht in Frage kommt, ist eine nachträgliche Einwilligung des Verletzten disziplinarrechtlich irrelevant.
§ 39. Notwehr und Notstand I. NOTWEHR Ein Dienstvergehen liegt nicht vor, wenn der Beamte in Notwehr gehandelt hat. Die Notwehr stellt einen allgemeinen Rechtsbegriff dar, der auch im Disziplinarrecht zur Anwendung kommt. Insbesondere ist bei solchen Dienstvergehen, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, zu prüfen, ob der Beamte in Notwehr gehandelt hat. 8
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DiszSenat OVG Münstet 26.11. 56 — V 9/55 — OVGE (DiszS) Bd. 1 S. 90.
Notwehr
§39
Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (vgl. § 53 Abs. 2 StGB, § 227 Abs. 2 BGB). Einen Angriff stellt jede drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen durch einen Menschen dar. Als Angriffsgut kommen u. a. Sittlichkeit, Leib, Leben, Ehre, Besitz und andere Güter in Frage. Gehört das angegriffene Gut einer dritten Person, so spricht man von Nothilfe. Von einem Angriff kann keine Rede sein, wenn der Täter eine Schlägerei provoziert1. Der Angriff muß rechtswidrig sein, wobei objektive Rechtswidrigkeit genügt 11 . Notwehr ist auch gegenüber Personen zulässig, die nicht schuldhaft handeln, wie Zurechnungsunfähige und Geisteskranke. Wird der andere zum Angriff provoziert, so ist der Angriff nicht rechtswidrig2. Ist die Maßnahme von einer Dienststelle des Staates rechtsmäßig getroffen, so ist hiergegen keine Notwehr zulässig. Ist ein Verwaltungsakt nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, so ist hiergegen Notwehr nicht zulässig3. Gegen rechtswidrige Staats- und Amtshandlungen hingegen ist Notwehr zulässig4. Der Angriff muß gegenwärtig sein, d. h. er muß gerade stattfinden oder unmittelbar bevorstehen. Der Beginn des Angriffs braucht nicht abgewartet zu werden5. Der Angriff darf nicht in der Einbildung des „Angegriffenen" bestehen. Über die Vollendung der eigentlichen Angriffstat dauert der Angriff noch solange fort, als der Angriffserfolg noch vergrößert wird®; so ist Notwehr noch denkbar, wenn dem flüchtenden Dieb die Beute noch abgenommen werden soll. Beim Dauerdelikt endet der Angriff erst mit der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes. Auch gegenüber Angriffen gegen den Staat und seiner Verfassung ist Notwehr zulässig7. Fälle dieser Art werden äußerst selten sein; dies gilt vor allem erst dann, wenn der Staat in seinem Bestände bedroht ist8. Die Notwehrhandlung besteht in der Abwehr und u. U. in dem Gegenangriff, sofern dieser zur Abwendung des Angriffs erforderlich ist9. Die Verteidigung muß sich gegen den Angreifer richten; Rechte Dritter dürfen anläßlich der Verteidigung nicht verletzt werden10. Die Notwehrhandlung muß zur Abwehr des Angriffs erforderlich sein. Es darf kein anderes, milderes, mit Gewissheit wirksames Mittel vorhanden sein11. Die Flucht oder die Anrufung der Obrigkeit ist nicht erforderlich12. Eine Güterabwägung findet nicht statt 13 . Uber den Umfang der Abwehr entscheidet die Stärke des Angriffs14. Um ein 1 DokBer. Nr. 1893; Schwarz — Dreher Anm. 2 zu § 53 StGB. ^ OGHSt. Bd. 1 S. 273. 2 R G in DR 1939 S. 364 Nr. 11 ; BGH 5 StR 47/54 in MDR 1954 S. 335. 3 O L G Braunschweig in MDR 1951 S. 629. 4 Vgl. OLG Schleswig in SchlHA 1949 S. 217. 5 RGSt. Bd. 53 S. 132, Bd. 61 S. 217; vgl. auch RGSt. Bd. 64 S. 102. * RGSt. Bd. 55 S. 82, Bd. 60 S. 277. 7 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III zu § 53 StGB; vgl. auch H. Mayer in Strafrecht, Allgemeiner Teil S. 182; F r a n k , Anm. I zu § 53 StGB; J a g u s c h in L K Anm. 4 zu § 53 StGB; M a u r a c h , Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil S. 252. 8 Vgl. RGSt. Bd. 63 S. 220; M a u r a c h , Deutsches Strafrecht S. 252. 9 Vgl. RGSt. Bd. 16 S. 71. 1 0 RGSt. Bd. 58 S. 29; BGHSt. Bd. 5 S. 245. 1 1 BGH in GA 1956 S. 49; RGSt. Bd. 72 S. 58. 12 BGH in MDR 1958 S. 13; RGSt. Bd. 71 S. 134. 13 B G H in NJW 1953 S. 997. 14 S c h w a r z , Anm. 2 C zu § 53 StGB.
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§39
Notwehr und Notstand
minderwertiges Vermögensgut zu retten, darf kein Menschenleben vernichtet werden 15 . Handelt es sich um eine Ehrverletzung durch Worte, so wird eine tätliche Abwehr nach Art und Maß noch nicht erforderlich sein16. Sind die Voraussetzungen der Notwehr gegeben, so ist die Handlung nicht rechtswidrig. Die Notwehr ist demnach ein Rechtfertigungsgrund. Notwehr gegen Notwehr ist ausgeschlossen17. Hat der in Notwehr Handelnde die Grenzen der Notwehr überschritten, so spricht man von einem Notwehrexzess. Entweder tut der Täter mehr, als zur Abwehr notwendig ist 18 , oder er verteidigt sich gegenüber einem Angriff, der nicht vorhanden ist oder nicht mehr besteht. Notwehrexzess ist rechtswidrig und ihm gegenüber wiederum Notwehr denkbar. Ist der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Notwehr hinausgegangen, so ist im Strafrecht nach § 53 Abs. 3 StGB die Tat nicht strafbar, selbst wenn die Erregung verschuldet ist 19 . Hier handelt es sich um einen Schuldausschließungsgrund 20 . Handelt der Täter aus sonstigen Erregungsgründen, wie ζ. B. aus Zorn, so macht er sich strafbar. II. PUTATIVNOTWEHR Glaubt der Täter irrtümlich, daß die Voraussetzungen der Notwehr gegeben sind, so spricht man von Putativnotwehr 21 . Hierdurch wird Vorsatz ausgeschlossen, so daß der Beschuldigte nur wegen Fahrlässigkeit bestraft werden kann, sofern der Irrtum hierauf beruht. Hat der Täter in vermeintlicher Notwehr gehandelt, so muß sich das Disziplinargericht zur Feststellung, ob der Täter in fahrlässig verschuldetem oder unverschuldetem Irrtum gehandelt hat, mit den Vorstellungen auseinandersetzen, die der Täter sich über die vermeintliche Notwehrsituation und Art und Maß der nach seiner Meinung erforderlichen Verteidigung gemacht hat 21a . m . NOTSTAND Ein Dienstvergehen liegt nicht vor, wenn die Handlung in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen ist. Da der Notstandsbegriff des § 54 StGB einen Ausfluß eines allgemeinen Rechtsgedankens darstellt (vgl. § § 228, 904 BGB), sind die im Strafrecht verankerten Grundsätze auch im Disziplinarrecht zumindest dort anwendbar, wo das Dienstvergehen zugleich eine strafbare Handlung darstellt. Hierbei handelt es sich um einen Schuldausschließungsgrund. Notstand setzt zunächst einmal eine gegenwärtige Gefahr voraus. Auch ein Dauerzustand kann eine gegenwärtige Gefahr darstellen, wie ζ. B. die GeOLG Stuttgart in DRZ 1949 S. 42; a. M. RGSt Bd. 55 S. 86. BGHSt. Bd. 3 S. 217. 1 7 RGSt. Bd. 67 S. 337. 1 8 BayrObLG Bd. 1 S. 363. 1 9 RGSt. Bd. 21 S. 189; RG in J W 1935 S. 431; BayrObLG in JR 1952 S. 113. 20 RGSt. Bd. 56 S. 33. 2 1 RGSt Bd. 54 S. 37. 21 » OLG Hamburg 7. 2. 64 — 1 Ss 159/63 — in GA 1964 S. 380. 15 16
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Ubergesetzlicher Notstand
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fährlichkeit eines gewalttätigen Menschen22. Unerheblich ist die Quelle der Gefahr. Sogar infolge behördlicher Anordnungen können sich solche ungewollte Mißstände herausbilden, die einen Eingriff in dieselben unter dem Gesichtspunkt des Notstandes entschuldigen können 23 . Die Gefahr muß nach § 54 StGB für Leib und Leben des Täters oder eines Angehörigen bestehen. Bei bestimmten Beamtengruppen, wie ζ. B. Beamten des Polizeivollzugsdienstes, scheidet hier eine Berufung auf Notstand aus 23a . Der Notstand muß unverschuldet sein. Nur eigenes Verschulden schadet dem Täter; die Schuld sonstiger Beteiligter ist belanglos. Beim zivilrechtlichen Notstand spielt das Verschulden keinerlei Rolle. Die Schuld muß in dem Herbeiführen der Notwendigkeit bestehen, in fremde Rechtsgüter einzugreifen 24 . Die Notstandshandlung muß das letzte Mittel zur Rettung aus der Gefahr sein. Zwischen der Schwere der Gefahr und der Schwere der durch die Abwehrhandlung begangenen Rechtsgüterverletzung muß eine gewisse Verhältnismäßigkeit bestehen. Der Grundsatz, daß das höherwertige Gut dem minderwertigen Gut vorzuziehen ist, besteht nicht. Die Notstandshandlung muß zudem erforderlich sein. Auch bei der Durchführung verbrecherischer Befehle, wie ζ. B. bei Massenerschießungen, gelten die allgemeinen Notstandsbestimmungen uneingeschränkt25. IV. PUTATIVNOTSTAND Nimmt der Täter irrigerweise Tatumstände an, bei deren Vorliegen die gesetzliche Merkmale des Notstandes gegeben sind, so spricht man vom vermeintlichen oder Putativnotstand. Er schließt ebenso wie die Putativnotwehr den Vorsatz aus, so daß nur eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit in Betracht kommt. V. ÜBERGESETZLICHER NOTSTAND Von einem übergesetzlichen Notstand spricht man, wenn jemand in die Lage kommt, zwischen der Verletzung eines hoch- und eines minderwertigen Gutes zu wählen, und er hierbei berechtigt ist, das hochwertige Gut durch Vernichtung des minderwertigen zu retten, falls sich dies als das einzige Mittel zum Schutze eines Rechtsgutes darstellt26. Übergesetzlicher Notstand liegt nicht nur bei dem Träger des bedrohten Rechtsgutes, sondern auch bei demjenigen vor, der verpflichtet ist, sich des gefährdeten Rechtsgutes anzunehmen27. Die Gefahr muß einer einzelnen Person oder einer Personengruppe drohen. Droht die Gefahr dem gesamten Volke, so ist übergesetzlicher Notstand nur in ganz besonderen Fällen begründet28. Die Notlage kann auch vom 22 RGSt. Bd. 59 S. 70, Bd. 60 S. 320, Bd. 66 S. 100 u. 225; RG in J W 1934 S. 422; a.M. OLCelle in HannRpfl. 1947 S. 15. 23 RGSt. Bd. 41 S. 215; OLG Neustadt in NJW 1951 S. 852. 2 3 1 Weimar, Verpflichtet das Beamtenverhältnis den Beamten zum Einsatz seines Lebens? in RiA 1965 S. 131. 24 RGSt. Bd. 36 S. 340. 26 BGH 1 4 . 1 . 64 — I StR 498/63 — in NJW 1964 S. 730. 2,1 BGH in GA 1955 S. 178; BGH in NJW 1951 S. 770. 2 7 BGH in NJW 1951 S. 769. 28 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Vorbem. 9 zu § 51 StGB; a.M. OLG Celle HESt. Bd. 1 S. 139.
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§40
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Täter verschuldet sein29; sie darf nur nicht absichtlich herbeigeführt sein. Die Verletzung der weniger wertvollen Güter muß vor allem das einzige Mittel sein, um das höherwertige Rechtsgut zu erhalten30. Weiterhin muß der Täter gewissenhaft prüfen, ob ein Widerstreit rechtlich geschützter Güter vorliegt, der nur durch die Verletzung des einen Gutes gelöst werden kann31. Ubergesetzlicher Notstand scheidet aus, wenn es sich um gleichwertige höchstpersönliche Rechtsgüter in verschiedener Zahl handelt — sog. quantitativer Notstand —. Schließlich ist der Wille erforderlich, zur Rettung des höherwertigen zu handeln32.
§ 40. Wahrnehmung berechtigter Interessen I. ANWENDUNG DES RECHTSGEDANKENS DES § 193 STGB IM DISZIPLINARRECHT IN LITERATUR UND RECHTSPRECHUNG 1 Die Frage, ob der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB, wonach u. a. Äußerungen, die zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen getan werden, sowie dienstliche Anzeigen oder Urteile von selten eines Beamten und ähnliche Fälle nur insoweit strafbar sind, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht, im Disziplinarrecht zumindest sinnentsprechend gilt, ist in Literatur und Rechtsprechung äußerst umstritten. A. Befürwortende Stellungnahmen Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB im Disziplinarrecht wird befürwortet von Fischbach2, Polaczy3, Schreiber4, Thieme 6 , Ziegler®, dem I. Dienststrafsenat des Bayerischen Dienststrafhofs im Urteil vom 6. 6. 577 und vom 20./21. 3. 588 sowie vom Reichsdisziplinarhof in RGSt. Bd. 61 S. 242. RGSt. d. 61 S. 254, Bd. 77 S. 113; BGH in NJW 1951 S. 770. 3 1 RGSt. Bd. 62 S. 138, Bd. 64 S. 104; RG in JW 1935 S. 2670; BGH in NJW 1951 S. 770; Β GH St. Bd. 2 S. 114; Bd. 3 S. 9. 32 BGHSt. Bd. 2 S. 114. 1 L i n d g e n , Kann sich der Beamte auf § 193 StGB auch im Disziplinarverfahren berufen in ZBR 1963 S. 292. 2 F i s c h b a c h , Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Disziplinarverfahren in J R 1956 S. 253. 3 P o l a c z y , Die Anwendung des § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) im Beamtendisziplinarrecht, Inauguraldissertation der Juristischen Fakultät der Universität München, 1959. 4 S c h r e i b e r , Ist § 193 im Disziplinarrecht der Beamten und Soldaten anwendbar? in NDBZ 1961 S. 203. 6 T h i e m e , Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Disziplinarrecht in RiA 1954 S. 69. 6 Anm. zum Urteil des Bayerischen Dienststrafhofs vom 6. 6. 1957 in ZBR 1958 S. 29. 7 BayrDStH 6. 6. 57 — Nr. 21 D S I 54 — VGHE n. F. 10 III 35 = B D H E Bd. 4 S. 212 = ZBR 1958 S. 29 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 201. 8 Das Urteil ist nicht veröffentlicht, jedoch von A d a m , Die Wahrung berechtigter Interessen im Dienststrafverfahren in J Z 1959 S. 12 (13) erwähnt. 29
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Anwendung des Rechtsgedankens in Literatur und Rechtsprechung
§40
den Urteilen vom 4.11. 12 und vom 5. 2.17 9 . Auf dem dem Disziplinarrecht verwandten Rechtsgebiet der Militärstrafgerichtsbarkeit wird die sinnentsprechende Anwendung des § 193 StGB vom Reichsmilitärgericht in den Urteilen vom 10. 6. Ol10, 14. 5. 0211, 2. 6. Ol12 und vom 14. 3. 03 13 und zahlreichen späteren Entscheidungen befürwortet. Nach den Befürwortern des Rechtsgedankens des § 193 StGB im Disziplinar- bzw. Militärstrafrecht ist § 193 StGB auf die typischen Ehrverletzungen im Bereiche des Beamten- und Militärstrafrechts zugeschnitten14. Der Beamte hat sein Verhalten nicht jeweils nach dem konkreten Willen der ihm übergeordneten Organe seines Dienstherrn, sondern nach dem Interesse seines Dienstherrn — hier des Staates — auszurichten. Werden durch die Rechtsordnung gewährleistete Rechte Dritter oder der Allgemeinheit beeinträchtigt, so hat die Allgemeinheit ein Interesse an der Aufklärung und gegebenenfalls an der Abstellung der Mängel, auch wenn das Ansehen der Verwaltung gemindert erscheint. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn von einem ehrenrührigen Verhalten ein im Rang niedriger stehender Beamte betroffen ist. Auch er muß sich für sein eigenes Recht einsetzen können. Deckt er ein rechts- und dienstwidriges Verhalten eines Vorgesetzten auf, so muß man auch ehrenrührige Tatsachenbekundungen oder auf Tatsachen gestützte Werturteile in Kauf nehmen, die sich später als nicht erweislich wahr oder sogar als unrichtig herausstellen. Die Beweisführung ist dem Beamten in den meisten Fällen geradezu unmöglich gemacht. Die Pflicht zur Achtung, die dem Beamten insbesondere gegenüber seinen Vorgesetzten obliegt, ist keine Grenze, vor der er haltmachen muß; die Pflicht zur Achtung findet vielmehr dort ihre Grenze, wo es um Werte geht, die die Rechtsordnung als schutzwürdig anerkennt und deren Wahrung damit jedem Beamten zur Pflicht gemacht ist, wobei die Grenze auch für das Disziplinarrecht durch den Rechtsgedanken des § 193 StGB abgegrenzt ist 14a . Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB gebietet sich schon aus dem Grundgedanken der Unteilbarkeit des Rechts16. Die Fragen der Rechtswidrigkeit und Schuld können auf verschiedenen Rechtsgebieten nur gleichmäßig beantwortet werden. Allerdings kann sich die Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB nur auf Beleidigungen im Sinne der §§ 185 ff. StGB, jedoch nicht auf andere disziplinäre Beurteilungen des Tatbestandes, wie ζ. B. die Nichteinhaltung des Rechtsweges, beziehen. Am klarsten wird die Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB auf dem Gebiete des Militärstrafrechts in der Entscheidung des Reichsmilitärgerichts vom 14. 3. 031β ausgedrückt: „Gerade die vom Vorgesetzten begangenen strafbaren Handlungen schädigen nicht nur die dienstliche Autorität des Täters, sondern gefährden und verletzen darüber hinaus die Gesamtheit der militärischen Interessen. Und an dem Schutze und der Aufrechterhaltung der letzteren ist auch jeder einzelne Soldat — als Angehöriger des großen Ganzen — für seine RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 177 und 451. RMGE Bd. 1 S. 178. 1 1 RMGE Bd. 3 S. 36 (38). " RMGE Bd. 3 S. 84 (87). 1 3 RMGE Bd. 4 S. 260. 1 4 Insbesondere Polaczy a. a. O. S. 67. 1 4 a Sehr eingehende Begründung bei Polaczy a. a. O. S. 119ff. 1 5 Siehe Thieme, a. a. O. S. 69. l e Siehe Fußnote 13; im einzelnen siehe Polaczy a. a. O. S. 89ff. 9
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Wahrnehmung berechtigtet Interessen
Person interessiert. Hinsichtlich der vom Vorgesetzten begangenen Delikte kommt das besondere militärische Interesse hinzu, daß nicht die Unterlassung einer strafbaren Verfolgung derselben in den Untergebenen das Gefühl einer ungleichen Behandlung erzeugt und daß jeder Auffassung der Boden entzogen wird, als wenn zwar ihre eigenen strafbaren Handlungen, nicht aber die ihrer Vorgesetzten, zur Verantwortung gezogen würden. . . . Beruht ζ. B. der Beweis der Tat lediglich auf den eigenen Wahrnehmungen des Anzeigenden, so würde, ohne den besonderen Schutz der Anzeige, beim Leugnen des Täters der Anzeigende sich in jedem Falle einer Bestrafung aussetzen. Auch bei sonst ausreichenden Beweismitteln entzieht es sich völlig der Beurteilung des Anzeigenden, welche Erfordernisse an den Beweis der Wahrheit die zur Entscheidung über das Vorliegen derselben zuständigen Stellen verlangen. . . . Es kann auch einem Beschwerdeführer oder Anzeigenden nicht zugemutet werden, und fehlt ihm andererseits auch vielfach die Möglichkeit, ehe er den Weg der Beschwerde oder Anzeige beschreitet, die derselben zugrunde liegenden Tatsachen durch eine Art Privatbeweisaufnahme, die auch, von einem Untergebenen vorgenommen, den Anforderungen der militärischen Disziplin widersprechen würde, zu ermitteln und festzustellen. Und schließlich ist die Wahrheit nicht immer mit Sicherheit zu ermitteln, da jedermann dem Irrtum unterworfen ist. Zweifellos liegt daher ein allgemein öffentliches wie auch spezifisch militärisches Interesse vor, daß gutgläubige Anzeiger nicht wegen Gefahr einer Bestrafung aus dem Gesichtspunkt des § 186 StGB zurückgehalten werden."
B. Ablehnende Stellungnahmen Selbst die Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB im Bereich des Disziplinarrechts wird abgelehnt von Behnke 17 , Grabendorff 18 , Heyland 19 , Schütz20, dem Reichsdisziplinarhof in den Entscheidungen vom 9.7.00 21 und 1.7.24 22 , dem Preußischen Oberverwaltungsgericht in den Entscheidungen vom8.6.25 2 3 und vom 7.12.28 24 , vom Bundesdisziplinarhof mit eingehender Begründung u. a. in der Entscheidung vom 4. 6. 5726, dem Disziplinarsenat beim Oberverwaltungsgericht Münster28 und dem II. Dienststrafsenat des Bayerischen Dienststrafhofs in der Entscheidung vom 10. 8. 6027. Auf dem Gebiete des Militär strafrechts verneinte die Anwendung des § 193 StGB das Reichsmilitärgericht nur anfangs in der Entscheidung vom 14. 10. Ol28. Die ablehnende Haltung wird darauf gestützt, daß der Begriff der Pflichtwidrigkeit weiter zu spannen ist als der Begriff der RechtswidrigB e h n k e , Vorbem. 9 Abs. 2 zu § 1 BDO, S. 97. G r a b e n d o r f f , Anm. 3 b zu § 77 BBG. H e y l a n d , Das Recht der Beamten, S. 72. 20 S c h ü t z , DO NW S. 92; S c h ü t z , Disziplinarrecht, S. 93. 21 RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 65 (66). In den Entscheidungen vom 5. 7. 1897 bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 175 (176), vom 28.4.30 bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 110 (113) und vom 24. 1.13 bei F o e r s t e r , S. 58 (62) = ZBR Bd. 6 S. 90 ließ der RDH die Frage, ob § 193 StGB sinngemäß im Disziplinarrecht angewendet werden kann, offen. 22 RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 207 (210). 23 RDH in PrVBl. Bd. 47 S. 69 = Amtl. Sammlung S. 24 = JR 1925 S. 2026 = DJZ 1925 S. 1812 = DRZ 1927 Rspr. S. 31; vgl. auch PrOVG Bd. 83 S. 400; PrOVG 26. 9. 29 in RVB1. Bd. 51 S. 278; Ehrengerichtshof Bd. 11 S. 24, Bd. 15 S. 82. S. 255 und S. 282; RG in D J 1936 S. 825. 24 PrOVG Bd. 83 S. 398 = P e r w o , S. 225 (226). 26 BDH 4. 6. 57 — I D 30/55 — BDHE Bd. 3 S. 125 = ZBR 1957 S. 338 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 200; vgl. auch BDH 21. 8. 53 — II D 15/53 — BDHE Bd. 1 S. 32 —; BDH 20.12. 55 — III D 147/54 — BDHE Bd. 2 S. 170; BDH 21. 2. 58 — I DV 7/57 — BDHE Bd. 4 S. 69 (72) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 202. 26 Vgl. Entscheidungen DiszSenat OVG Münster 13. 5. 55 — V 20/53 —; 21. 8. 57 — Y 4/57 — in RiA 1958 S. 353 = ZBR 1957 S. 338 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 241; 17. 7. 59 — V 21/58 — in ZBR 1962 S. 231 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 631 ; 22. 8. 63 — Y 4/63 — in ZBR 1964 S. 270 (LS); vgl. auch 8. 5. 64 — Y 15/64 — DöD 1965 S. 18. 27 BayrDStH 10.8.60 —Nr. 3 DS II 59 — in ZBR 1962 S. 396. 28 RMGE Bd. 2 S. 34. 17
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keit. Die Rechtswidrigkeit hat engste Beziehungen zur Tatbestandsmäßigkeit der Handlung. Da das D i s z i p l i n a r r e c h t k e i n e g e s e t z l i c h n o r m i e r ten T a t b e s t ä n d e als D i e n s t v e r g e h e n k e n n t , v e r b i e t e t sich d i e A n w e n d u n g e i n e s G e s i c h t s p u n k t e s , der im S t r a f r e c h t seine Bed e u t u n g f ü r den e n g e r e n A u s s c h n i t t e i n e s t a t b e s t a n d s b e z o g e n e n V e r h a l t e n s hat. Auf Grund des besonderen Pflichtenverhältnisses des Beamten kann eine Interessenabwägung und Interessenkollision durchaus ein anderes Aussehen erhalten und zu anderen Folgerungen führen als im Strafrecht. Demnach kann die Pflichtwidrigkeit einer üblen Nachrede zum Nachteil insbesondere von Dienstvorgesetzten wegen der besonderen Pflichten grundsätzlich nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der Beamte die Tat begeht, um seine eigenen Interessen wahrzunehmen. II. NOTWENDIGKEIT DER ANWENDUNG DES RECHTSGEDANKENS DES § 193 STGB IM DISZIPLINARRECHT BEI ACHTUNGSVERLETZUNGEN, DIE SICH ALS ÜBLE NACHREDE I. S. DES § 186 STGB DARSTELLEN Eine Anwendung des § 193 StGB im Disziplinarrecht kann nicht mit dem Hinweis abgelehnt werden, daß sich im Beamten- und speziell im Disziplinarrecht eine entsprechende Norm nicht findet. Dies würde voraussetzen, daß sich im Beamtenrecht die Verpflichtung zur Achtung gegenüber Vorgesetzten und Kameradschaftlichkeit gegenüber Kollegen aus einer ausdrücklichen Vorschrift ergibt, wie ζ. B. die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit aus § 61 BBG folgt. In einem solchen Falle würde sich die ergänzende Heranziehung des § 193 StGB im Disziplinarrecht verbieten. Nun folgt aber die Verpflichtung zur Achtung von Vorgesetzten und zur Kameradschaftlichkeit nicht unmittelbar aus dem Beamtenrecht, sondern ergibt sich aus außerhalb des Beamtenrechts liegenden Normen und den allgemeinen Sittengesetzen. Soweit der Beamte im disziplinarrechtlichen Sinne zur Bestrafung herangezogen werden kann, weil er die das Gemeinschaftsleben regelnden und sichernden allgemeinen Rechtsnormen nicht respektiert hat, müssen ihm auch die dort geltenden Rechtfertigungsgründe, wie ζ. B. die Berücksichtigung der Wahrnehmung berechtigter Interessen, zur Seite stehen. Macht sich also der Beamte einer Achtungsverletzung i. S. des § 186 StGB schuldig, so ist in einem solchen Falle zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 193 StGB vorliegen, so daß bejahendenfalls eine disziplinarische Bestrafung nicht in Frage kommen kann. Auch eine an sich pflichtwidrige Handlung kann ihre Rechtfertigung gerade dadurch erhalten, daß sie in Wahrung berechtigter Interessen begangen ist. Ob ein Beamter gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat, kann nur dann bejaht werden, wenn er in subjektiver Hinsicht verantwortlich ist und für sein Handeln keine Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Ebenso wie im ordentlichen Strafverfahren kann der Beschuldigte im Disziplinarverfahren nur bestraft werden, wenn er u. a. rechtswidrig gehandelt hat. Die Rechtswidrigkeit ist jedoch dann nicht gegeben, wenn dem Beschuldigten Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Bei der Prüfung der Frage, was mit den Dienstpflichten nicht vereinbar ist, muß auch auf die Frage eingegangen werden, ob die Handlung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit durch Rechtfertigungsgründe nicht ausgeschlossen wird. 24·
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Für die Lösung der Frage, ob § 193 StGB nicht sinnentsprechend im Disziplinarrecht Anwendung findet, ist noch nichts aus dem Hinweis des Bundesdis2iplinarhofs und des 2. Dienststrafsenats des Bayerischen Dienststrafhofs gewonnen, daß sich bei der disziplinarrechtlichen Würdigung der Achtungsverletzung nicht zwei bestimmte, an sich schutzwürdige Rechtsgüter gegenübertreten und daß das Disziplinarrecht nicht den Schutz der Ehre des Dienstvorgesetzten als eines höchstpersönlichen Rechtsgutes, sondern vielmehr den Schutz der öffentlichen Belange, im Falle der Achtungsverletzung gegenüber einem Dienstvorgesetzten insbesondere das Allgemeininteresse an der Erhaltung des Ansehens und der Autorität der Verwaltung und an einer reibungslosen dienstfreundlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der staatlichen Organe, bezweckt28». Wenn sich auf der einen Seite der Beamte der Ehrerbietung und Achtung vor seinen Vorgesetzten befleißigen soll, so muß er andererseits wiederum von seinen Vorgesetzten verlangen, daß sie sie ihn schon unter Berücksichtigung der sich aus § 79 BBG ergebenden Fürsorgepflicht wohlwollend, unvoreingenommen und gerecht behandeln. Ebenso kann eine Achtung vor der Autorität der Verwaltung nur vorhanden sein, wenn diese sich im Rahmen der Legalität bewegt. Wenn also der Beamte durch Voreingenommenheit seines Vorgesetzten sich beeinträchtigt glaubt, oder wenn die Autorität seiner Vorgesetzten oder seiner Mitarbeiter infolge Abweichens von der Legalität untergraben wäre, so würden sich bei einer hierbei begangenen Achtungsverletzung zwei schutzwidrige Rechtsgüter gegenüberstehen: auf der einen Seite das Interesse an einer reibungslosen dienstfreudigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der staatlichen Organe, auf der anderen Seite das Interesse an der sich aus der Fürsorgepflicht ergebenden unvoreingenommenen Behandlung des Beamten und der Aufrechterhaltung der Autorität, die durch das Abweichen von der Legalität nicht beeinträchtigt werden darf. Bei der Beurteilung des Verhältnisses des Dienstvorgesetzten zum nachgeordneten Beamten und umgekehrt hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob es von gegenseitiger Achtung und Wohlwollen getragen ist, spielt ebenfalls die Ehre beiderseits als auch durch das Disziplinarrecht geschütztes Rechtsgut eine erhebliche Rolle. Ebenso ist dies bei einem Streit zwischen Kollegen der Fall, wobei es entscheidend darauf ankommt, daß sie keinen Angriff auf die Ehre des anderen durch die Kundgabe der Nichtachtung oder Mißachtung ausüben, wobei die Störung des Arbeitsfriedens nur einen Ausfluß dieses Streites darstellt. Stellt die Achtungsverletzung eines Vorgesetzten oder die Schmälerung des Ansehens eines Kollegen zugleich eine Beleidigung im Sinne der §§ 185 ff. StGB dar und wird ein gegenstandsgleiches Strafverfahren durchgeführt, so hat das Strafgericht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 193 StGB vorliegen. Sind diese gegeben und liegt ein Rechtfertigungsgrund vor, so wird das Strafverfahren durch einen Freispruch abgeschlossen. Schon im Interesse der allgemeinen Rechtssicherheit wird sich in einem solchen Falle das Disziplinargericht über den strafgerichtlichen Freispruch nicht hinwegsetzen können. Liegt ein Schuldausschließungsgrund, wie ihn § 51 Abs. 1 StGB darstellt, vor, so schließt dieser auch eine disziplinarische Bestrafung 28a 29
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Siehe Fußnoten 25 und 27. Vgl. RGSt. Bd. 64 S. 23; RG in J W 1939 S. 400.
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aus. Abgesehen davon, daß in Rechtsprechung29 und Schrifttum 30 die Auffassung vertreten wird, daß es sich bei § 193 StGB um einen Schuldausschließungsgrund handelt, ist nicht einzusehen, warum hinsichtlich der disziplinarrechtlichen Beurteilung eines Freispruchs zwischen Rechtfertigungsund Schuldausschließungsgründen unterschieden werden sollte. Der Hinweis des Bundesdisziplinarhofs auf § 51 Abs. 2 StGB, der für das Disziplinarrecht keine eigene Bedeutung hat, geht fehl. Hier handelt es sich um keine Vorschrift, die die Bestrafung ausschließt, sondern die lediglich zu einer Milderung der Strafe führt. Daß verminderte Zurechnungsfähigkeit trotzdem zur Höchststrafe führen kann und demnach die in dieser Hinsicht getroffenen Feststellungen des Strafgerichts für das Disziplinargericht nicht bindend sind, ist allgemein anerkannt 31 . Hier handelt es sich lediglich um eine Strafzumessungsregel, während es sich bei § 51 Abs. 1 StGB und § 193 StGB um Umstände handelt, die eine Bestrafung schlechthin ausschließen, so daß ein Freispruch ergehen muß. Eine disziplinarische Bestrafung kann trotz eines strafgerichtlichen Freispruchs bei einem sog. disziplinaren Überhang erfolgen. Ein Beamter, der wegen übler Nachrede nach § 186 StGB nicht zu bestrafen war, weil die Voraussetzungen des § 193 StGB erfüllt waren, kann dennoch disziplinarisch belangt werden, wenn er seine Eingabe, die die angeblichen beleidigenden Äußerungen enthielt, nicht im Dienstaufsichtswege eingereicht, sondern sich sofort an die Öffentlichkeit gewandt oder wenn er im letzten Falle bei der Darstellung eines dienstlichen Vorkommnisses die Amtsverschwiegenheitspflicht verletzt oder wenn er durch seine vor den Kollegen geäußerten Behauptungen den Arbeitsfrieden gestört hat. § 193 StGB kann nur ein Rechtfertigungsgrund für die Beleidigung, jedoch nicht für den disziplinaren Übergang, wie ζ. B. für die anläßlich der beleidigenden Eingabe begangene Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht, darstellen. Hier könnte aber geprüft werden, ob der Beamte aus einem Notstand heraus gehandelt hat. Es fragt sich nun, ob trotz eines strafgerichtlichen Freispruchs infolge Vorliegens des § 193 StGB ein disziplinarer Überhang vorliegt, weil das Verhalten des Beamten eine Achtungsverletzung darstellt. Eine Beleidigung im Sinne der §§ 185 ff. StGB ist einer Achtungsverletzung nicht gleichzusetzen. Die Beleidigung stellt den Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe der Nichtachtung oder Mißachtung dar 32 . Eine Achtungsverletzung im disziplinarrechtlichen Sinne stellt jeglichen Mangel an Ehrerbietung oder Achtung eines Vorgesetzten dar, ohne daß dies einen Angriff auf die Ehre des Vorgesetzten oder Mitarbeiters darzustellen braucht; so kann ζ. B. schon das nachlässige Grüßen eine Nichtachtung darstellen, für die sich der Beamte disziplinarisch zu verantworten hat. Nun stellt aber jede Beleidigung im Sinne der §§185 ff. StGB eine Achtungspflichtverletzung dar; sie ist gewissermaßen ein erschwerender Fall der Achtungsverletzung, wie ζ. B. der Diebstahl von Beförderungsgut eines Postbeamten einen schweren Fall der Verletzung der Pflicht zur Redlichkeit darstellt. Wie ein Beamter 30 Vgl. Z a r t m a n n . Die Wahrnehmung berechtigter Interessen als Schuldausschließungsgrund, StrafAbhd. Heft 330 S. 73; K e r n , Die Beleidigung, FestgFrank Bd. 2 S. 353. 3 1 Vgl. 2. B. BDH 19.10. 55 — II D 31/55 —, 25. 4. 56 — I D 63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. 32 RGSt. Bd. 71 S. 160; BGHSt. Bd. 1 S. 289.
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disziplinarisch nicht wegen Verletzung der Redlichkeitspflicht bestraft werden kann, wenn er ζ. B. vom ordentlichen Strafgericht vom Vorwurf, gegen § 242 StGB verstoßen zu haben, deshalb freigesprochen ist, weil die Rechtswidrigkeit infolge Einwilligung des Verletzten entfällt, so kann er auch nicht wegen Verletzung der Achtungspflicht bestraft werden, wenn er strafgerichtlich freigesprochen ist, weil Rechtswidrigkeit bei dem Vorwurf der üblen Nachrede — eines erschwerten Falles der Achtungsverletzung — mit Rücksicht auf § 193 StGB entfallen ist. Soweit es sich um Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe handelt, können diese, wie Thieme 33 mit Recht feststellt, nur einheitlich beurteilt werden. Der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB ist in disziplinarrechtlicher Hinsicht nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn der Beamte durch das ordentliche Strafgericht wegen der Beleidigung, die zugleich eine Achtungsverletzung darstellt, auf Grund einer erhobenen öffentlichen Anklage freigesprochen ist, sondern auch dann, wenn der Freispruch in einem Privatklageverfahren (§§374ff. StPO) erfolgt oder überhaupt kein strafgerichtliches Verfahren durchgeführt worden ist. Es genügt zur Anwendung des § 193 StGB allein, daß die AchtungsVerletzung zugleich eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne darstellt, was wohl fast immer der Fall sein wird. Andernfalls würde der Beamte, der sich in einem gegenstandsgleichen Strafverfahren verantworten muß, besser als derjenige Beamte gestellt sein, bei dem man von einer Strafanzeige Abstand genommen hat. Der Rechtsgedanke des § 193 StGB wird aber auch bei solchen Achtungsverletzungen in Frage kommen, die gegenüber der strafrechtlichen Beleidigung ein Weniger darstellen. Es ist verständlich, daß § 193 StGB nur den Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe der Nichtachtung oder Mißachtung erfassen kann. W e n n der R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d schon g e g e n ü b e r e i n e r B e l e i d i g u n g i m S i n n e der § § 1 8 5 f f . S t G B d u r c h g r e i f t , so m u ß dies erst r e c h t der F a l l s e i n , w e n n die A c h t u n g s v e r l e t z u n g n o c h n i c h t e i n m a l eine strafbare Handlung darstellt. Die Anwendung des § 193 StGB auch im Disziplinarrecht ist auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen notwendig. Selbst die Rechtsprechung, die selbst eine sinnentsprechende Anwendung dieser Bestimmung im Disziplinarrecht ablehnt, gibt in Übereinstimmung mit Fischbach34 zu, daß sich das öffentlich-rechtliche Treueverhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn geändert hat. Abgesehen von der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche konnte der Beamte bei Verletzung seiner Rechte nicht klagen. Dies hat sich zumindest nach Inkrafttreten der Generalklausel des Art. 19 Abs. 4 GG grundlegend geändert. Auch jetzt noch ist der Beamte im Falle einer Klage gegenüber seinem Dienstherrn in mannigfacher Hinsicht im Nachteil. Einmal kann letzterer schon mit Rücksicht auf sein finanzielles Standvermögen den Prozeß als Beklagter durch sämtliche Instanzen ziehen, so daß mit einem rechtskräftigen Urteil in den meisten Fällen erst nach vielen Jahren zu rechnen ist. Außerdem genießt der Dienstvorgesetzte selbst durch § 193 StGB insofern einen hinreichenden Schutz, als Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen sowie Urteile von Seiten eines Beamten insofern straffrei sind, als das Vorhandensein einer Beleidigung nicht aus der Form der Äuße33 84
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A. a. O. S. 69. A. a. O. S. 254; siehe vor allem Polaczy in DDB 1963 Nr. 8 und 1964 Nr. 5.
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rung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Klagt der Beamte ζ. B. auf Aufhebung einer Versetzungsverfügung, so kann sich der Dienstherr ohne Bedenken auf einen Befähigungsbericht des Dienstvorgesetzten stützen, wonach der Beamte für sein bisheriges Amt als unqualifiziert bezeichnet wurde, was die Versetzung bedingte. Außerdem muß der Beamte bei seinem Vorbringen anläßlich der Begründung seiner Klage berücksichtigen, daß die von ihm benannten Zeugen zwecks Vermeidung dienstlicher Nachteile oft nicht mehr bei ihren Angaben bleiben, die sie dem Kläger früher gemacht haben. Außerdem wird in den Verwaltungsstreitfragen kaum von dem Recht der Vereidigung — insbesondere von Dienstvorgesetzten — Gebrauch gemacht, die vor allem dann entfällt, wenn die Gefahr besteht, daß die Aussage für den Zeugen sich nachteilig auswirken kann. Führt der Beamte gegen seine Verwaltung einen Rechtsstreit, so erkennen auch die Disziplinargerichte ihm zu, daß er bei der Verfolgung seiner Rechte gegenüber seiner vorgesetzten Dienstbehörde unbefangen auftreten kann. So stellt der Bundesdiszipünarhof in seinem Urteil II DV 7/59 — vom 5. 3. 6035 folgendes fest: „Ein Beamter, der einen Rechtsstreit mit seiner vorgesetzten Behörde hat, soll wissen und merken, daß er in dem Rechtsstreit gleichberechtigte Prozeßpartei ist; er muß im Interesse der Wahrheitsfindung die Möglichkeit haben, unbefangen vor Gericht auftreten zu können. Mit diesem Zweck wäre es unvereinbar, wenn er in der mündlichen Verhandlung, zumal wenn er keinen Anwalt hat, bei jedem Wort genau überlegen müßte, ob er damit nicht etwa zu weit geht und sich eines Dienstvergehens schuldig macht. Er hat das Recht, mit Nachdruck und mit einer gewissen Leidenschaft für seine Sache einzutreten. Wenn er dabei auch harte Worte gebraucht, wird das noch nicht als pflichtwidrig anzusehen sein; es sei denn, daß er sich zu groben Taktlosigkeiten oder zur unverhüllten Mißachtung des Gegners hinreißen läßt."
In dem Leitsatz zum Urteil des Disziplinarsenats beim Oberverwaltungsgericht Münster V 21/58 — vom 17. 7. 593e wiederum heißt es: „Wirft ein Beamter seiner vorgesetzten Behörde in einem Rechtsstreit 'Willkür und Ermessensmißbrauch' vor, so liegt darin noch keine Pflichtverletzung, weil es sich um Worte der Gesetzes- und Verfahrenssprache handelt, die eine bestimmte Art von Ermessungsfehlern kennzeichnen sollten, und die auch ein Beamter verwenden darf."
Wenn man schon so weit geht, so muß man dem Beamten auch zugestehen, daß er die Tatsachen vorträgt, auf die sich der Ermessensmißbrauch stützen soll. Ermessenswillkür liegt u. a. vor, wenn es sich um einen Verstoß gegen das selbstverständliche Gebot der gleichmäßigen Behandlung gleichgelagerter Fälle handelt oder wenn die mit der Klage angegriffene Maßnahme auf Grund unzulässiger, insbesondere unsachlicher oder zweck- und sachfremder Beweggründe erlassen worden ist. Wie soll nun der Beamte ζ. B. den Nachweis führen, daß sich sein Vorgesetzter von unsachlichen Beweggründen hat leiten lassen? Oft wird es auf dessen Vernehmung ankommen, wobei er jegliche unsachliche Beweggründe leugnen wird. Weiterhin ist zu beachten, daß dem Beamten überhaupt nicht die Möglichkeit eingeräumt ist, sich zuverlässige Informationsquellen zu verschaffen. Hat er ζ. B. von einem Beamten, der ihm zuverlässig und glaubwürdig erscheint, eine Information erhalten, so muß er sich mit derselben begnügen. Er läuft aber immer Gefahr, daß dieser Zeuge nicht mehr zu seinen Angaben steht, weil sie ihm ζ. B. infolge der Länge der Zeit nicht mehr erinnerlich sind. So würde also jeder Beamte, der 35 38
ZBR 1961 S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 537 (LS). ZBR 1962 S. 231 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 631 (LS).
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gegen seinen Dienstherrn einen Rechtsstreit führt, von vornherein in Kauf nehmen müssen, daß er sich schließlich einmal wegen Achtungsverletzung gegenüber seiner vorgesetzten Dienststelle disziplinarisch zu verantworten hat. Billigt man hier nicht dem Beamten den Schutz des § 193 StGB zu, so dürfte die in Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte Generalklausel völlig gegenstandslos bleiben, sofern ein Beamter einen Rechtsstreit gegen seine Dienstbehörde führt. Gesteht man dem Beamten das Klagerecht zu, so muß man ihm aber auch in jeder Hinsicht die gleiche rechtliche Stellung wie der beklagten Behörde einräumen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Beamte sogar verpflichtet ist, Vorgänge seiner vorgesetzten Dienstbehörde zu melden. So hat er ζ. B. nach § 52 Abs. 2 BBG für die Erhaltung der demokratischen Grundordnung einzutreten. Das kann ihm ζ. B. bei Kenntnisnahme von links- oder rechtsradikalen Bestrebungen die Verpflichtung auferlegen, derartige Gerüchte seiner vorgesetzten Dienststelle zu melden. Da es gerade hier äußerst schwierig ist, den Wahrheitsbeweis anzutreten, müßte ein Beamter, der aus einem aufrechten Verantwortungsbewußtsein ihm zu Ohren gekommene Gerüchte über eine verfassungsfeindliche Betätigung meldet, in den meisten Fällen mit einer disziplinarischen Bestrafung rechnen. Eine Gefahr, daß durch die Anwendung des § 193 StGB im Disziplinarrecht die Dienstzucht untergraben werden könnte, besteht bei einer vernünftigen Auslegung dieser Bestimmung nicht. ΠΙ. VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE GELTENDMACHUNG DER WAHRNEHMUNG BERECHTIGTER INTERESSEN 1. Wenn auch die Wahrnehmung berechtigter Interessen eine erhöhte Bedeutung für das Recht schlechthin gewonnen hat, seit sie als Rechtfertigungsgrund aus dem Strafrecht auch in das bürgerliche Recht z. B. in §§ 823 Abs. 2, 824 Abs. 2 BGB und § 14 Abs. 2 UnlWG eingeführt worden ist, kann eine Prüfung, ob ihre Voraussetzungen vorliegen nur erfolgen, wenn es darum geht, ob das dem Beamten zum Vorwurf gemachte Verhalten eine Beleidigung und somit eine Achtungsverletzung eines Vorgesetzten oder eines Mitarbeiters darstellt. Hat sich z. B. der Beamte infolge der Unterbreitung eines geheimzuhaltenden Vorganges in der Öffentlichkeit oder bei einer unzuständigen Stelle wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses oder wegen Nichteinhaltung des Dienstweges schuldig gemacht, so versagt insoweit eine Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen. 2. Von einer Wahrnehmung berechtigter Interessen kann nur bei einer Achtungsverletzung die Rede sein, die zugleich eine üble Nachrede i. S. des § 1 8 6 StGB darstellt. Enthält die Äußerung eine Formalbeleidigung i. S. § 185 StGB, so bildet sie für die Wahrnehmung berechtigter Interessen keinen Rechtfertigungsgrund, gleichviel ob die beleidigende Äußerung wahr oder nicht wahr ist. Dies geht schon aus dem Wortlaut des § 193 StGB selbst hervor. So sind die daselbst angeführten Fälle dann nicht straffrei, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter denen sie geschah, hervorgeht; die übrigbleibende Beleidigung, die ja zugleich eine Achtungsverletzung darstellt, beurteilt sich hier allein nach § 185 StGB. Immer muß die Absicht zu beleidigen, festgestellt werden, die aus der Form der Äußerung oder den Umständen, unter denen 376
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sie geschah, allein festzustellen ist37. Die Form der Äußerung ist dann beleidigend, wenn sie der Interessenwahrung nicht dienlich und wenn sich der Beamte dessen auch bewußt war und sich von der Absicht leiten ließ, dem Vorgesetzten oder Mitarbeiter eine Ehrenkränkung zuzufügen; die beleidigende Form kann sich ζ. B. aus der gehässigen Ausdrucksweise, wie ζ. B. „Rechtsbrecher" oder „Leuteschinder" oder aus dem Tonfall der Äußerung ergeben 38 . Die Umstände, unter denen eine Äußerung sich als strafbare Beleidigung oder Achtungsverletzung beurteilen kann, müssen mit ihr räumlich und zeitlich in so naher Beziehung stehen, daß sie gleichzeitig mit der Äußerung auf den Hörer oder Leser einwirken und dadurch den Eindruck beeinflussen können, den dieser von dem Sinn und Inhalt der Äußerung empfängt 39 . Zu den begleitenden Umständen im Sinne des § 193 StGB gehören nicht das gespannte Verhältnis zwischen dem Beamten und seinem Vorgesetzten oder Mitarbeiter oder die feindliche Gesinnung40. Erst recht ist der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB bei Verleumdungen i. S. des § 187 StGB ausgeschlossen, da diese eine bewußte Lüge darstellen41. Der Schutz des § 193 StGB kann nur demjenigen zugute kommen, dessen Äußerung im „Dienst an der Wahrheit" steht. Der Beamte muß also an die Wahrheit seiner Angaben glauben. Wenn er schon den Beweis der Wahrheit nicht zu führen vermag, so muß er dennoch genügend Anhaltspunkte für die Wahrheit gehabt haben. Es wird lediglich das Recht anerkannt, die tatsächliche und die vermeintliche, aber kraft gut begründeter Vermutung angenommene Wahrheit zu sagen 42 . Wenn der Beamte über seine Vorgesetzten oder Mitarbeiter nur so leichtfertig dahinschwätzt, kann er sich nicht auf § 193 StGB berufen. Ebenso scheidet § 193 StGB bei einer falschen Anschuldigung gemäß § 164 StGB 43 aus. 3. Der Beamte muß sich bei der Aufstellung einer Tatsache, die nicht erweislich wahr ist, von einem „berechtigten Interesse" leiten lassen. Ein berechtigtes Interesse kann in der Durchsetzung oder Verteidigung von Rechten liegen, wobei zu beachten ist, daß zur Ausführung von Rechten nicht nur die eigentliche Rechtsausübung, wie Klage oder die Beschwerde, sondern auch sonstige Handlungen gehören, die der Vorbereitung oder Sicherung der Geltendmachung von Rechten dienen44. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen können nur solche vom Beamten vertretene Interessen berücksichtigt werden, die mit den Anforde3 7 Vgl. RGSt Bd. 40 S. 318; Bd. 41 S. 255; RG in DR 1943 S. 189; S c h ö n k e - S c h r ö der, Anm. IV 1 zu § 193 StGB; K o h l r a u s c h - L a n g e , Anm. IX zu § 193 StGB; S c h w a r z , Anm. 8 A zu § 193 StGB. 3 8 Vgl. RGSt. Bd. 54 S. 289; vgl. auch RG in J W 1934 S. 1852 und K G in J W 1936 S. 2657. 3 9 RGSt. Bd. 34 S. 80; RG in HRR 1931 Nr. 1988; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV 3 zu § 193 StGB. 4 0 RG in HRR 1927 Nr. 324. 4 1 RG in D J 1936 S. 825; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Kommentar zum StGB Anm. II 3 zu § 193 StGB. 42 K l e e , Das Recht auf Wahrheit als Grundprinzip des § 193 StGB in Festg. f. Frank Bd. 2 S. 378. 43 RGSt. Bd. 72 S. 98; Bd. 74 S. 261; RG in J W 1939 S. 400; G e r l a n d in J W 1931 S. 199. 44 BayrObLG in MDR 1956 S. 53; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 2 zu § 193 StGB.
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Wahrnehmung berechtigter Interessen
rungen des Rechts und der guten Sitten nicht in Widerspruch stehen48. Da es sich bei § 193 StGB um einen Fall der Güter- und Pflichtenabwägung handelt, ist das Interesse des Beamten an der Aufdeckung der von ihm behaupteten Tatsachen gegen das des Beleidigten am Schutz seiner Ehre abzuwägen 46 . Mit Rücksicht auf das Unterwerfungsverhältnis, wie es das Beamtenverhältnis darstellt, ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen denen des Dienstherrn der Vorzug zu geben, falls sie höherwertig sind. Die Interessen sind als „berechtigt" anzusehen, deren Vertretung im Einklang mit denen der Allgemeinheit an der Ausübung des Rechts, die Wahrheit zu sagen, steht. Der Beamte darf grundsätzlich nur private eigene Interessen wahrnehmen, die ihn selbst berühren. Freundschaft oder Verwandtschaft zu einem Kollegen reicht noch nicht aus, um dessen Interessen zu vertreten47. Ist der Beamte für eine Gewerkschaft oder für einen Berufsverband tätig, so kann er auch die Interessen der in diesem Verband zusammengeschlossenen Mitglieder wahrnehmen. Gleiches gilt auch für den Beamten, der Mitglied einer Personalvertretung ist; soweit es sich hier nicht um ein Allgemeininteresse, sondern um ein solches eines einzelnen Beamten handelt, muß jedoch ein ausdrücklicher Auftrag des betroffenen Beamten vorliegen. Darüber hinaus kann jeder Beamte auf Grund seiner dienstlichen Stellung, ζ. B. als Disziplinardezernent, oder auf Grund seiner sich aus § 52 Abs. 2 BBG ergebenden Pflicht, sich für die Aufrechterhaltung der demokratischen Grundordnung einzusetzen, oder auf Grund seiner sich als Staatsbürger ergebenden Verpflichtungen solche I n t e r e s s e n w a h r n e h m e n , die i h n n i c h t p e r s ö n l i c h , s o n d e r n als v e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t e n B e a m t e n u n d S t a a t s b ü r g e r b e r ü h r e n und somit in den Bereich der öffentlichen Interessen fallen. Es handelt in Wahrnehmung berechtigter Interessen auch derjenige, der sich dagegen wendet, daß bei seiner Behörde rechtsstaatliche Grundsätze untergraben werden48. So hat auch der Beamte wie jeder andere Staatsbürger das Recht, strafbare Handlungen, von denen er Kenntnis erhält und die er als strafbar ansieht, der zuständigen Behörde anzuzeigen, auch wenn er den Nachweis der Wahrheit nicht führen kann; er darf nur nicht leichtfertig handeln49. Dem Beamten steht es auch dann frei, Strafanzeige zu erstatten, wenn er durch die vermeintliche strafbare Handlung nicht unmittelbar berührt ist, da jedermann an dem unversehrten Bestände der Rechtsordnung interessiert sein muß 60 . Ob der Beamte sich hierbei dadurch disziplinarisch strafbar macht, daß er die Strafanzeige erstattet hat, bevor er entsprechend einer internen Dienstvorschrift zunächst den Vorgang seiner vorgesetzten Dienststelle gemeldet hat, beurteilt sich unabhängig von der Frage, ob sich der Beamte durch die Unterbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen einer Achtungsverletzung schuldig gemacht hat. Handelt es sich um Mißstände in der Verwaltung, so kann sie der Beamte nur dann vorbringen, wenn sie K l e e , a. a. O. S. 367. RGSt. Bd. 62 S. 93, Bd. 64 S. 13, Bd. 65 S. 47, Bd. 66 S. 2; OLG Braunschweig in SJZ 1948 Sp. 768; OLG Tübingen in DRZ 1948 S. 497; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. ΙΠ 3 zu § 193 StGB. 4 7 Für das Strafrecht a. M. OLG Braunschweig in SJZ 1948 Sp. 768 und OLG Düsseldorf in J R 1 9 4 8 S. 350 und Bayr. OLG 25. 9. 64 — RReg. 3 b St. 102/64 — in N J W 1 9 6 5 S.58. 4 8 Vgl. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 3 b zu § 193 StGB. 4 9 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 3 b zu § 193 StGB; RG in D J 1936 S. 1126. 50 K l e e , a. a. O. S. 381; vgl. auch K G in GA Bd. 69 S. 477 = HRR 1928 S. 2063. 48 48
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Notwendigkeit det Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 StGB
§ 40
seinen Aufgabenkreis berühren oder für den Ausgang für einen von ihm geführten Rechtsstreit von Bedeutung sind oder wenn sie von einem solchen Gewicht sind, daß durch sie das Ansehen der Verwaltung erheblich erschüttert wird, wie dies z. B. bei Korruptionsfällen gegeben ist, zumal wenn sie in der Dienststelle allgemein bekannt geworden sind. Das berechtigte Interesse braucht nicht von der Rechtsordnung ausdrücklich anerkannt zu sein. Es genügt, wenn das Interesse vom Standpunkt verständiger, billiger Beurteilung der Verhältnisse und Anforderungen des Lebens gerechtfertigt erscheint. Dies läßt sich nur nach objektiven Gesichtspunkten beurteilen; der Beamte wird sich nämlich immer darauf berufen, daß er nach seiner Ansicht ein berechtigtes Interesse an der Äußerung hatte, für die er sich wegen Verletzung der Achtungspflicht zu verantworten hat. 4. Auf die Beweggründe, die der Interessenswahrnehmung dienen, kommt es im allgemeinen nicht an 51 . Führt der Beamte einen Rechtsstreit gegen seine Behörde, um hiermit lediglich zu erreichen, daß die gegen ihn getroffenen Maßnahmen in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden, oder erstattet er gegen einen Beamten aus einem Rachegefühl heraus eine Anzeige, so ist dies für die Wahrnehmung von berechtigten Interessen ohne Belang. Entscheidend ist nur das Ziel der InteressenWahrnehmung; ob der Beweggrund, der der Interessenwahrnehmung zugrunde liegt, sittlich zu billigen ist, ist belanglos. Würde sich der Beamte jedoch zu einer Äußerung verleiten lassen, um lediglich den Betriebsfrieden zu stören, so könnte er deshalb disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen werden, weil er hier nicht gegen die Achtungspflicht, sondern gegen die Verpflichtung verstoßen hat, innerhalb seiner Dienststelle für Ruhe und Ordnung zu sorgen. 5. Der Beamte muß nicht nur ein berechtigtes Interesse haben, sondern die Wahrnehmung des Interesses muß auch berechtigt sein. Das Handeln des Beamten muß ein angemessenes Mittel zur Erreichung eines billigenswerten Zweckes sein 62 . Der Beamte muß das schonendste Mittel anwenden. Er darf nicht „mit Kanonen nach Spatzen schießen". Die Äußerung muß zur Interessenwahrnehmung „erforderlich" sein 53 . Im Entwurf § 178 StGB wird in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich festgelegt, daß derjenige, der sich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen beruft, sich nur eines „angemessenen Mittels" bedienen darf, um den angestrebten Erfolg zu erreichen. D e r B e a m t e h a n d e l t r e c h t s w i d r i g , w e n n er d i e G r e n z e n d e r A n g e m e s s e n h e i t u n d N o t w e n d i g k e i t ü b e r s c h r e i t e t . So steht es ihm ζ. B. frei, gegen ihn benachteiligende Maßnahmen seiner Dienstbehörde den Weg der Beschwerde, der Klage oder der Petition zu beschreiten. Wählt er jedoch zuvor den Weg der Öffentlichkeit, wie Presse oder Rundfunk, so stellt dies kein angemessenes Mittel zur Wahrnehmung seiner Interessen dar, so daß die Anwendung des § 193 StGB schon aus diesem Grunde ausscheidet 64 . Dagegen kann es dem Beamten nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er seine Äußerungen 61 62 63 64
L o b e , Die Wahrnehmung berechtigter Interessen in Festg. f. R. Schmidt S. 88 ff. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 3 a Abs. 2 zu § 193 StGB; L o b e , a. a. O. S . 8 8 f f . Vgl. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 3 a zu § 193 StGB. Vgl. OLG Braunschweig in MDR 1948 S. 186.
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§40
Wahrnehmung berechtigter Interessen
gegenüber einem Rechtsanwalt tut, den er mit der Wahrnehmung seiner Belange in einem Rechtsstreit beauftragt hat55. Wird die Äußerung oder Mitteilung lediglich bei der Gelegenheit einer Intere ssenwahrnehmung vorgenommen, so liegt für sie kein Rechtfertigungsgrund vor 56 . Die Äußerung braucht jedoch nicht ausschließlich der Interessenwahrnehmung 2u dienen; sie kann vielmehr auch andere Ziele einschließen. § 193 StGB deckt aber nur insoweit, als die Äußerung den dort genannten Zwecken zumindest teilweise dient. Dient die Äußerung auch anderen Zwecken, so wird ihre Rechtswidrigkeit, falls eine solche vorliegt, insoweit nicht aufgehoben57. 6. Bevor ein Beamter eine Äußerung macht, obliegt ihm eine Informationspflicht58. An diesem in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Erfordernis hält ausdrücklich der Entwurf § 178 StGB fest. Anders verhält es sich, wenn die Voraussetzungen des Notstandes gegeben sind, wo die Prüfungspflicht nicht zu den Elementen der Rechtfertigung gehört. In w e l c h e m U m f a n g e dem B e a m t e n eine I n f o r m a t i o n s p f l i c h t o b l i e g t , w i r d i m a l l g e m e i n e n von der S c h w e r e des V o r w u r f s , der Q u e l l e der N a c h r i c h t , der P e r s o n des E m p f ä n g e r s u n d dem I n t e r e s s e a b h ä n g e n , das der B e a m t e w a h r n i m m t . Der Beamte darf z. B. nicht auf jedes in seiner Dienststelle aufgekommene Geschwätz vertrauen. Er kann sich aber auf eine Auskunft verlassen, die ihm eine Stelle erteilt hat, die mit der Angelegenheit Befassung hatte. Überspitzte Anforderungen an die Informationspflicht können schon deshalb nicht gestellt werden, weil der Beamte im Gegensatz zu seiner Behörde, die eine erforderliche Auskunft u. U. im Wege der Amtshilfe erlangen kann, keinen Rechtsanspruch hat, daß eine von ihm gestellte Anfrage auch beantwortet wird. Hier wird der Nachweis genügen, daß der Beamte bestrebt war, die erforderliche Auskunft zu erlangen. 7. Die Äußerung braucht sich nicht gegen denjenigen zu richten, gegen den das Recht wahrgenommen wird. Erhebt z. B. der Beamte in einem Rechtsstreit gegen seine Behörde den Vorwurf des Ermessensmißbrauchs, der sich darin offenbart, daß sie gegen das selbstverständliche Gebot der gleichmäßigen Behandlung gleichgelagerter Fälle verstoßen hat, so kann er hierbei auch auf Vorfälle zurückkommen, die sich für denjenigen Beamten kompromittierend auswirken, zu dessen Gunsten sich die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgewirkt hat. 8. Der Beamte muß die Absicht gehabt haben, mit der Äußerung einem berechtigten Interesse zu dienen59. Ohne solche Absicht liegt kein Rechtfertigungsgrund vor. Soll der Irrtum über das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes die Anwendung des § 193 StGB nicht ausschließen, so muß der Irrtum nach § 59 Abs. 1 StGB beachtlich sein60. Die Wahl eines an sich ungeeigneten Mittels OLG Köln in NJW 1958 S. 802. RGSt. Bd. 59 S. 172. 6 7 RGSt. Bd. 29 S. 57. 5 8 Vgl. RGSt. Bd. 62 S. 93, Bd. 63 S. 204; RG in J W 1932 S. 1743; RG in HRR 1941 Nr. 840; BGH in NJW 1953 S. 1722; OLG Hamm in HESt. Bd. 2. S. 274. 69 BGH 1 StR 584/52 bei D a l i i n g e r , in MDR 1953 S. 401. 60 RGSt. Bd. 25 S. 357. 55 56
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Allgemeines
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Zur Wahrnehmung der berechtigten Interessen schließt die Anwendung des § 193 StGB nicht aus, wenn der Wahrnehmende das Mittel für geeignet hielt 61 . Ebenso stellt ein Irrtum über die Geeignetheit zur Interessenwahrnehmung einen Tatbestandsirrtum dar, der den Vorsatz ausschließt62. Ein Irrtum über die rechtlichen Grenzen des § 193 StGB hingegen stellt einen Verbotsirrtum dar. Ein verwerfbarer Irrtum über Tatsachen, der durch Einholung von Informationen behebbar wäre, ist unbeachtlich, weil den Beamten infolge der schuldhaften Verletzung seiner Prüfungspflicht stets ein Vorwurf auch im Hinblick auf den Irrtum trifft63. Ebenso ist der Irrtum eines Beamten über seine gesetzliche Pflicht, gegen seinen Vorgesetzten oder über Mitarbeiter eine Strafanzeige zu erstatten, unbeachtlich, da es sich allein nach objektiven Gesichtspunkten richtet, ob eine Äußerung zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht geschehen ist64. 3. K a p i t e l
Die Zurechenbarkeit § 41. Unzurechnungsfähigkeit I. ALLGEMEINES Der aktive Beamte und der Ruhestandsbeamte können ebenso wie im allgemeinen Strafrecht auch im Disziplinarrecht nur bestraft werden, wenn sie für ihr Tun verantwortlich sind1. Zunächst wird einmal Zurechnungsfähigkeit vorausgesetzt. § 51 StGB und § 105 BGB finden im Disziplinarrecht entsprechende Anwendung. Der Beamte muß fähig sein, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Π. BEGRIFF Unzurechnungsfähigkeit liegt vor, wenn jemand unfähig ist, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie wird durch biologische Zustände bestimmt, die genau umrissene Wirkungen auf das Seelenleben äußern. Diese Art der Bestimmung der Unzurechnungsfähigkeit bezeichnet man als biologisch-psychologische Methode. Folgende drei biologischen Gründe können die Zurechnungsfähigkeit ausschließen: 1. B e w u ß t s e i n s s t ö r u n g Hierbei handelt es sich um eine Bewußtseinstrübung oder Bewußtseinsbeeinträchtigung, bei der der Einfluß des normalen Bewußtseins des Täters in starkem Maße ausgeschaltet ist 2 . Der Zustand kann sowohl krankhafter als auch nicht krankhafter Natur sein. Zu letzterem rechnen Schlaf, Ohnmacht, u. U. Übermüdung, Hypnose und Trunkenheit. Letztere liegt beRGSt. Bd. 24 S. 223. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 3 c Abs. 2 zu § 193 StGB. 63 V g l . B u n d e s t a g s d r u c k s a c h e IV 650 Erläuterungen zu § 178 Entwurf zum StGB. 64 Vgl. B u n d e s t a g s d r u c k s a c h e IV/650 Erläuterungen zu § 178 Entwurf zum StGB. 1 RÜHE Bd. 1 S. 13; RDH in F o e r s t e r , 1937 S. 28. 2 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II 1 a zu § 51 StGB.
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Unzurechnungsfähigkeit
reits dann vor, wenn das Bewußtsein erheblich getrübt und hierdurch das Geistesleben stark beeinträchtigt ist 3 . Unzurechnungsfähigkeit kann auch auf ein Zusammenwirken von den Folgen des Alkoholgenusses und einer Affektsteigerung zurückzuführen sein4. 2. K r a n k h a f t e S t ö r u n g der G e i s t e s t ä t i g k e i t § 51 Abs. 1 StGB umfaßt über den Kreis der Geisteskrankheiten im Sinne der medizinischen Wissenschaften hinaus alle Störungen, welche bei einem normalen und geistig reifen Menschen die vorhandenen, zur Willensbildung befähigten Vorstellungen und Gefühle beeinträchtigen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Beeinträchtigungen der Verstandestätigkeit oder um solche des Willens-, Gefühls- oder Trieblebens handelt5. Hierbei handelt es sich um alle krankhaften (pathologischen) Störungen. Ob sie dauernd oder nur vorübergehend vorhanden sind, ist gleichgültig. Hierzu rechnen die Geisteskrankheiten im psychiatrischen Sinne, geistige Entartungszustände und körperliche Krankheiten, die mit geistigen Störungen verbunden sind. Zu den krankhaften Störungen der Geistestätigkeit rechnen auch gewisse Formen des Schwachsinns. Auch die durch den körperlichen Verfall bedingte Umbildung der Organe kann zu einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit führen, die zu einer Entartung der Vorstellungen und geschlechtlichen Regungen führen kann. 3. G e i s t e s s c h w ä c h e Sie unterscheidet sich von der krankhaften Störung der Geistestätigkeit nur dem Grade, nicht jedoch der Art nach. Oft wird die Geistesschwäche auf Verkalkung zurückzuführen sein®. Die Geistesschwäche kann auch auf Störungen des Gefühlslebens und der Willenstätigkeit zurückgehen. Liegen die biologischen Voraussetzungen der Unzurechnungsfähigkeit vor, so muß weiterhin geprüft werden, ob der Täter fähig ist, 1. das Unerlaubte der Tat einzusehen. Das „Unerlaubte" umfaßt das geschriebene und ungeschriebene Recht sowie das Sittengesetz. Wenn diese Fähigkeit fehlt, ist der Täter als unzurechnungsfähig zu betrachten. Die Erinnerungsfähigkeit läßt nicht ohne weiteres einen Schluß auf das Einsichtsvermögen zu 7 ; 2. oder nach dieser Einsicht zu handeln. Hier wird die Bestimmbarkeit des Willens des Täters durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen8. Ist er hierzu unfähig, so ist er als unzurechnungsfähig anzusehen. Bei einem einfachen Alkoholrausch eines gesunden Menschen ist ein äußerst strenger Maßstab anzulegen9. Führt ein Angetrunkener einen Kraftwagen unsicher, so ist damit allein noch nicht bewiesen, daß er unfähig ist, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln 10 . RG in J W 1938 S. 2270 und S. 2947; RG in DJ 1938 S. 1760. RG in HRR 1939 Nr. 1316. 5 DiszSenat OVG Münster 11. 4. 58 — V 10/55 — in ZBR 1958 S. 372 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 249 (LS). β RGSt. Bd. 73 S. 122. 7 BGH bei D a l l i n g e r in MDR 1953 S. 596. 8 RGSt. Bd. 63 S. 48. 9 RGSt. Bd. 67 S. 150; RG in J W 1936 S. 1975. 1 0 RGSt. Bd. 69 S. 365. 3
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Disziplinarrechtliche Beurteilung der Unzurechnungsfähigkeit
ΠΙ. STRAFRECHTLICHE NUNGSFÄHIGKEIT
BEURTEILUNG
DER
UNZURECH-
Hat der Täter, die Tat im Zustande der Un2urechnungsfähigkeit begangen, so liegt eine strafbare Handlung nicht vor, weil die Voraussetzung für die Schuld fehlt. Es hat dann ein Freispruch zu ergehen 11 . Um jedoch die Öffentlichkeit vor dem Unzurechnungsfähigen zu schützen, ist seine Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt anzuordnen, wenn dies die öffentliche Sicherheit erfordert (vgl. § 42b Abs. 1 StGB). IV. DISZIPLINARRECHTLICHE BEURTEILUNG DER UNZURECHNUNGSFÄHIGKEIT Der Dienstvorgesetzte und die Disziplinargerichte müssen in eine Prüfung der Unzurechnungsfähigkeit nur dann eintreten, wenn hierfür irgendwelche Anzeichen vorhanden sind. Die Disziplinarorgane dürfen es nicht dem Sachverständigen überlassen, die Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit endgültig festzustellen. Sie müssen vielmehr selbst hierzu Stellung nehmen, wobei allerdings das Sachverständigengutachen eine Grundlage bilden muß 12 . Ergeben sich aus dem Vortrag des Beschuldigten oder sonstwie irgendwelche Zweifel an seiner Schuldfähigkeit und beantragt er die Zuziehung eines ärztlichen Sachverständigen über die Frage der Schuldfähigkeit, so kann ein solcher Beweisantrag nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, daß es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht, daß der Beschuldigte ζ. B. nicht in solchen Mengen alkoholische Getränke zu sich genommen hat, daß dadurch seine Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen oder ernstlich gemindert war; die Ablehnung eines solchen Beweisantrages würde § 244 StPO widersprechen und außerdem einen Verstoß gegen die dem Gericht obliegende Aufklärungspflicht darstellen; die Sachkunde des Gerichts kann ζ. B. nicht ausreichen, die hierbei auftauchende schwierige Frage der Alkoholtoleranz und der Alkoholeinwirkung zu beantworten 13 . Kommt der Dienstvorgesetzte oder das Disziplinargericht auf Grund des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen und nach eigener Überzeugung zu dem Schluß, daß die Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit gegeben sind, ist das Disziplinarverfahren einzustellen. Neben der Einstellung ist jedoch die Einleitung des ΖwangszurruhesetzungsVerfahrens nach § 44 BBG zu verbinden, sofern es noch nicht anhängig sein sollte ; hierbei handelt es sich aber um eine rein beamtenrechtliche Maßnahme, die von dem Disziplinarverfahren getrennt zu behandeln ist. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 StGB kann ein Beamter disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden, wenn er durch sein Verhalten schuldhaft die krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder die Geistesschwäche, wie ζ. B. durch Trunksucht oder ausschweifenden Lebenswandel, verursacht haben sollte14. Hier wird also der Beamte nicht wegen der Taten, die er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen hat, sondern Vgl. RGSt. Bd. 21 S. 131. BGHSt. Bd. 7 S. 238, Bd. 8 S. 113; OLG Celle in JR 1948 S. 345; OLG Hamm in VRS Bd. 10 S. 356. 1 3 Vgl. DokBer. Nr. 1616. 1 4 RDStH GrDiszS in RDHE Bd. 1 S. 213 ff. 11
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§ 42
Verminderte Zurechnungsfähigkeit
allein wegen seines Verhaltens, das zu der Unzurechnungsfähigkeit geführt hat, bestraft. Über die Bestrafung wegen Vollrausches siehe § 53 XVI S. 647 ff. Wenn auch im Disziplinarverfahren Unzurechnungsfähigkeit eine Bestrafung ausschließt, so kann doch, wenn der Beschuldigte, der ein fortgesetztes Dienstvergehen zunächst im Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen hat, disziplinarisch wegen der ersten Ausführungshandlungen auch dann bestraft werden, wenn der Zeitpunkt, wann die Unzurechnungsfähigkeit eingetreten ist, nicht genau bestimmt werden kann16. Hierdurch wird an dem Grundsatz, daß eine Bestrafung wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht ausgesprochen werden kann, nichts geändert. Die Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit sind hier nicht restlos ausgeräumt. Sind die Voraussetzungen für die verminderte Zurechnungsfähigkeit für den Zeitpunkt des Beginns der strafbaren Handlung nachgewiesen, so müssen die Wirkungen der später festgestellten Unzurechnungsfähigkeit deshalb nicht vorverlegt werden, weil sich bei den weiteren Taten eine klare zeitliche Grenze nicht treffen läßt.
§ 42. Verminderte Zurechnungsfähigkeit I. BEGRIFF Verminderte Zurechnungsfähigkeit bedeutet eine erhebliche Verminderung der Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Hierbei darf der Täter ebenso wie bei der Unzurechnungsfähigkeit nicht das Unrechtsbewußtsein haben. Die biologischen Voraussetzungen für die verminderte Zurechnungsfähigkeit sind die gleichen wie bei der Zurechnungsunfähigkeit, nämlich Bewußtseinsstörung, krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche. Die Zurechnungsunfähigkeit unterscheidet sich von der verminderten Zurechnungsfähigkeit hinsichtlich ihrer psychologischen Folgeerscheinungen. Der Täter darf auch hier nicht das Unrechtsbewußtsein gehabt haben. Die erhebliche Verminderung der Einsichtsfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit, die Einsicht in das Unrecht der Tat zu gewinnen. Ein Kraftfahrer ist nicht schon deshalb vermindert zurechnungsfähig, weil er infolge Alkoholgenusses fahruntüchtig ist 1 ; hier müssen besondere Umstände hinzukommen, wie ζ. B. der Genuß von Alkohol in großen Mengen; bei 2,3 °/00 ist Anlaß gegeben, die Frage der verminderten Zurechnungsfähigkeit zu prüfen2. Als vermindert zurechnungsfähig können Psychopathen mit asozialem Einschlag3 oder Gewohnheitsverbrecher angesehen werden. Die Zahl der geistig Anormalen, bei denen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 StGB geBDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — in ZBR 1956 S. 289 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. BGH in VRS Bd. 5 S. 359; RGSt. Bd. 69 S. 365. KG in VRS Bd. 14 S. 288. 3 OLG Nürnberg HESt. Bd. 2 S. 199; Mezger und B e r i n g e r in Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform 1939 S. 190 S. 319 und S. 322; M e z g e r in L K Anm. 13 b aa zu § 51 StGB; BGH in NJW 1958 S. 2123; BGH 5 StR 733/52 bei D a l i i n g e r in MDR 1953 S. 147. 15
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Strafrechtliche Beurteilung der verminderten Zurechnungsfähigkett
§42
geben ist, ist verhältnismäßig groß; dies trifft vor allem für Sittlichkeitsverbrecher zu. So sind nach einer Untersuchung von Aschaffenburg hierbei 22% zurechnungsunfähig und 28,5% vermindert zurechnungsfähig. Π. STRAFRECHTLICHE BEURTEILUNG DER VERMINDERTEN ZURECHNUNGSFÄHIGKEIT In der Strafrechtlehre und Strafrechtsrechtsprechung ist es bestritten, ob verminderte Zurechnungsfähigkeit eine verminderte Schuld bedeutet oder ob es sich bei § 51 Abs. 2 StGB lediglich um einen besonderen Strafzumessungsgrund handelt. Nach Schönke-Schröder4 und Maurach 5 handelt es sich um einen Schuldminderungsgrund; bei § 51 Abs. 2 StGB handelt es sich also um eine Frage der Intensität des Schuldvorwurfs. Unabhängig hiervon ist die rein prozessuale Frage, ob die Anwendung des § 52 Abs. 2 StGB zur Schuldoder Straffrage gehört. Nach Schwarz6, Mezger7 und Kohlrausch-Lange8 hat § 51 Abs. 2 StGB nur für die Strafzumessung Bedeutung, weil die Anwendung dieser Bestimmung zur Straffrage gehört. Der Bundesgerichtshof vertritt in seinem Urteil vom 10. 11. 549 die Auffassung, daß es sich bei § 51 Abs. 2 StGB grundsätzlich um eine Frage des Schuldgehalts handelt und daß hierdurch die Strafwürdigkeit der Tat gemindert wird. Das Reichsgericht 10 hat jedoch bereits kurze Zeit nach der Neufassung des § 51 StGB durch das Gesetz vom 24. 11. 33 (RGBl. S. 995) die Auffassung vertreten, daß § 51 Abs. 2 StGB außerhalb der Schuldfeststellung liegt und nur die Strafe betrifft. Bei § 51 Abs. 2 StGB handelt es sich hiernach um solche Umstände, die außerhalb des gesetzlichen Tatbestandes der einzelnen strafbaren Handlung liegen. Allerdings rührt dieser Strafermäßigungsgrund erheblich an der Schuldfrage. Nach der Auffassung des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone 11 berührt § 51 Abs. 2 StGB die Straf- und die Schuldfrage. Dagegen stellt das Oberlandesgericht Köln 12 klar heraus, daß § 52 Abs. 2 StGB nur als eine den Strafermäßigungsgrund betreffende Strafzumessungsregel zu betrachten ist. Diese Frage hat insofern Bedeutung, als bei Beschränkung des Rechtsmittels auf die Straffrage die Prüfung des § 51 Abs. 2 StGB zulässig ist und das Urteil wegen Nichtanwendung des § 51 Abs. 2 StGB isoliert angefochten werden kann. Die verminderte Zurechnungsfähigkeit ist kein zwingender Strafmilderungsgrund. Sie kann vielmehr nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zugunsten des Täters berücksichtigt werden. Die Strafe kann nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden. Entscheidend für die zu verhängende Strafe sind die gesamten Umstände. Die Höchststrafe des vollendeten Delikts ist nur im Ausnahmefalle am Platze13. Beim Unterlassen Anm. III, 3 zu § 51 StGB. Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil § 38 III A 2. 6 Anm. 3 Β zu § 51 StGB. 7 Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage S. 144. 8 StGB S. 124. 9 BGHSt. Bd. 7 S. 28 = NJW 1955 S. 190 = JZ 1955 S. 504 mit Anm. von Schneidew i e n ; der BGH schließt sich hier RGSt. Bd. 69 S. 314 an. 1 0 RGSt. Bd. 69 S. 110; hieran hält auch RGSt. Bd. 70 S. 127 fest. I I OGHSt. Bd. 1 S. 369. 1 2 Urteil v. 16. 8. 55 in MDR 1956 S. 53. 1 3 RGSt. Bd. 69 S. 317. I
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Verminderte Zurechnungsfáhigkeit
der Milderung muß aus dem Urteil ersichtlich sein, daß der Richter ihre Zulassung pflichtgemäß erwogen hat14. III. DISZIPLINARRECHTLICHE BEURTEILUNG DER VERMINDERTEN ZURECHNUNGSFÄHIGKEIT Auch im Disziplinarrecht ist es bestritten, ob es sich bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit um eine Schuld- oder um eine Straffrage handelt. Die Beantwortung derselben beeinflußt vor allem die Frage, ob die strafgerichtlichen Feststellungen insoweit für die Disziplinarorgane bindend sind. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit um einen Schuldminderungsgrund handelt. Nach Wittland 15 und Römer 16 handelt es sich bei der Frage der verminderten Zurechnungsfähigkeit um einen Schuldminderungsgrund. Nach Behnke 17 berührt die Feststellung der verminderten Zurechnungsfähigkeit die Schuldfrage und damit den subjektiven Tatbestand des Dienstvergehens nicht; sie ist vielmehr ein Strafmilderungsgrund. Die Disziplinarrechtsprechung sieht in der verminderten Zurechnungsfähigkeit eine Frage der Strafzumessung, deren Feststellung durch das Strafgericht für das Disziplinargericht nicht bindend ist 18 Die V o r a u s s e t z u n g e n der v e r m i n d e r t e n Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t k ö n n e n d a h e r u n a b h ä n g i g v o n den straf g e r i c h t l i c h e n F e s t s t e l l u n g e n v o m D i s z i p l i n a r g e r i c h t s e l b s t ä n d i g g e p r ü f t werden 1 9 . Der Bundesdisziplinarhof führt in seiner Entscheidung vom 25. 4. 56 20 hierzu aus: „Mag auch, je nachdem, von welchem Strafsystem ausgegangen wird, die Anwendung der rechtsdogmatisch umstrittenen21 Kann-Bestimmung des § 51 Abs. 2 zu Folgen führen, die mit anderen systematischen Auffassungen in Widerspruch geraten, wobei aber neuerdings der Gedanke von der Mehrdeutigkeit des Strafmaßes wieder stark betont wird 22 , so weist gerade die Einfuhrung dieser Kann-Bestimmung mit der fakulativen Ermächtigung an den Richter, die Strafe zu mildern, auf die Bedeutung der Vorschrift als Strafzumessungsregel hin. Selbst wenn man je nach Deutung, die man dem Begriff Schuld zuteil werden laßt, die verminderte Zurechnungsfähigkeit als das Schuldgebiet berührend oder in dieses eingreifend ansieht, so kann bei der disziplinarrechtlichen Betrachtung folgendes nicht außer acht gelassen werden: Nach § 13 Abs. 3 BDO sind für die Entscheidung im Disziplinarverfahren nur ,die tatsächlichen Feststellungen' des strafgerichtlichen Urteils bindend, auf welchen die Entscheidung des Strafgerichts beruht. In ständiger Rechtsprechung der Disziplinargerichte ist dies dahin ausgelegt worden, daß es sich hierbei nur um F e s t s t e l l u n g e n h a n d e l t , die zu den g e s e t z l i c h e n T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n der j e w e i l i g e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g geh ö r e n , und z w a r die F e s t s t e l l u n g e n zum ä u ß e r e n und i n n e r e n Tatbestand 2 3 . Wie das Reichsgericht 24 bereits ausgeführt hat, trifft die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit die Schuldfrage nicht in ihrem Kern und liegt außerhalb der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung. Unter den Feststellungen des inneren Tatbestandes, die nach § 13 Abs. 3 BDO für die Disziplinargerichte bindend sind, können nur diejenigen verstanden werden, welche die Schuld in ihrem innersten Wesen und Kern berühren oder auf das engste mit ihr verknüpft sind : wie Vorsatz, Fahrlässigkeit, Bewußtsein der Rechts14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
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JW 1935 S. 3380. W i t t l a n d , Anm. 42 zu § 13 RDStO. R ö m e r , Anm. III 3 zu § 13 BDO. B e h n k e , Anm. 16 zu § 4 BDO und Anm. 30 zu § 13 BDO. BDH 19.10. 55 — II D 31/55 —. DiszSenat OVG Münster 17. 4. 59 — V 14/58 —. BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. M a u r a c h , § 38 III Β 1 a, b. Siehe hierüber S p e n d e i in NJW 1956 S. 775. RDStHE Bd. 3 S. 83; BDH 11. 11. 55 — I D 22/55 — BDHE Bd. 2 S. 111. RGSt. Bd. 69 S. 110.
Disziplinarrechtliche Beurteilung der verminderten Zurechnungsfähigkeit
§ 42
Widrigkeit. Hierzu gehören auch weitere den gesetzlichen Tatbestand betreffende seelische Beziehungen des Täters zur Tat und der auf einen bestimmten Erfolg der Tat gerichtete Wille, wie die Absicht der Zueignung (§ 242 StGB), die Absicht, sich einen Vermógensvorteil zu verschaffen (§§ 263, 272 StGB), die staatsgefahrdende Absicht (§ 94 StGB), die gewinnsüchtige Absicht (§ 133 Abs. 2 StGB), Handeln wider besseres Wissen (§§ 164, 187 StGB), aus Arglist (§ 170 StGB), aus Eigennutz (§ 180 StGB), die als subjektives Element bei der Verleitung zur Unzucht (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB) uberwiegend geforderte wollüstige Absicht. Nicht dagegen gehört dazu die verminderte Zurechnungsfähigkeit, wenn sie auch den Grad der Schuld mindert. Hierbei verhalt es sich ebenso wie bei den graduellen Unterschieden der Fahrlässigkeit (bewußte, unbewußte, grobe, leichte Fahrlässigkeit), die allein für das Strafmaß von Bedeutung sind. Den Feststellungen des Strafgerichts zu den für das Strafmaß bedeutsamen Umständen erkennt aber das Disziplinarrecht keine bindende Wirkung zu25. Der innere Grund ist der, daß der Strafzweck bei der kriminellen Strafe ein anderer ist als bei der Disziplinarstrafe. Eine Anwendung der Strafmaßregel des § 51 Abs. 2 StGB im Disziplinarrecht scheitert überdies daran, daß es hierin gesetzlich festgelegte Einzeltatbestände und feste Strafrahmen nicht gibt und die strafrechtlichen Grundsätze von Strafbarkeit des Versuchs (§§ 43 ff. StGB) für das Disziplinarrecht nicht anwendbar sind, weil eine Pflichtverletzung stehts ein vollendetes Dienstvergehen ist."
Die Feststellung des Disziplinargerichts, daß der Beschuldigte zu Beginn eines fortgesetzten Dienstvergehens vermindert zurechnungsfähig, bei der weiteren Begehung unzurechnungsfähig gewesen sei, steht einer Bestrafung wegen der ersten Ausführungshandlungen auch dann nicht entgegen, wenn eine klare zeitliche Grenze nicht gezogen werden kann 26 . Eine Unzurechnungsfähigkeit kann hier nicht für den gesamten Tatzeitraum angenommen werden. Wohl muß Freispruch erfolgen, wenn Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit bestehen oder wenn zweifelhaft ist, ob der Täter voll unzurechnungsfähig oder nur vermindert zurechnungsfähig war. Es bedarf also nicht des Nachweises der Unzurechnungsfähigkeit oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit, sondern es genügt, daß begründete Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit nicht ausgeräumt werden können oder daß die Voraussetzungen als möglicherweise gegeben angesehen werden 27 . Dies bedeutet jedoch nicht, daß, wenn die Voraussetzungen für die verminderte Zurechnungsfähigkeit für den Zeitpunkt des Beginns der Straftaten nachgewiesen sind, die Wirkung der für später festgestellten Unzurechnungsfähigkeit deshalb vorverlegt werden muß, weil sich bei den weiteren Taten eine klare zeitliche Grenze nicht treffen läßt. Wenn auch die verminderte Zurechnungsfähigkeit im Strafrecht allgemein als Strafmilderungsgrund gilt, so kann sie im Disziplinarrecht trotzdem zur Höchststrafe führen, da die Disziplinarstrafe nicht Sühne für die Tat, sondern die Reinerhaltung des Beamtentums bezweckt28. Die verminderte Zurechnungsfähigkeit ist im Disziplinarrecht nur einer der Umstände, die bei der Prüfung der Frage, mit welcher Strafe das Dienstvergehen zu ahnden ist, ins Gewicht BDH 19. 11. 53 — I D 21/53 —. BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. 27 RGSt. Bd. 70S. 128; Bd. 73 S. 44;OGHSt.Bd. 1 S. 369; BGH in NJW 1952 S. 1344; RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 372 (374); RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 277; RDH bei F o e r s t e r , 1937 S. 28. 28 BDH 21. 7. 54 — II D 162/53 —; BDH 7.1. 55 — I D 164/53 — BDHE Bd. 2 S. 190; BDH 9.2.56 — I; D 97/54 — BDHE Bd. 3 S. 167 (171) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 126; BDH 29. 5. 56 — I D 54/55 —; BDH 25. 4. 56 — I D63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 (178); BDH 5. 12. 56 — II D 9/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 211 ; BDH 3. 5. 60 — I D 35) 59 —; DokBer. Nr. 175, 229, 255, 380, 1031, 1426, 1625; 1736, 1827 und 1869; DStH Rh.-Pfalz 24. 11. 54 — W 1/54 — AS Bd. 4 S. 33 = BDHE Bd. 2 S. 214 (223) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 278; DiszSenat OVG Munster 9. 9. 60 — V 5/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 121 = NDBZ 1961 25 26
25·
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Prüfung des Geisteszustandes des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt
fällt. Wenn auch die Disziplinarstrafe den Beschuldigten zu einem beamtenmäßigen Verhalten erziehen soll, so hat sie daneben vor allem für die Integrität und Sauberhaltung des Beamtentums zu sorgen. Bei der Disziplinarstrafe ist daher neben dem Schuldgehalt die Frage von erheblicher Bedeutung, ob nach der Art der Tat der Beamte innerhalb des Beamtenkörpers noch tragbar ist und seiner Verwaltung wegen des Bruches des Vertrauens in sein beamtenmäßiges Verhalten die weitere Verwendung zugemutet werden kann. Dem Schuldgehalt kommt insoweit demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung zu 29 . So schützt v e r m i n d e r t e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t insbesondere d a n n n i c h t v o r der H ö c h s t s t r a f e , w e n n der B e a m t e eine der H a u p t p f l i c h t e n v e r l e t z t h a t , wenn ζ. B. ein Bahn- oder Postbeamter Beförderungsgut entwendet oder wenn ein Kassenbeamter sich an Kassenbeständen vergangen hat. Ebenso wird verminderte Zurechnungsfähigkeit dann nicht als mildernder Umstand gewertet, wenn der Beschuldigte sich schuldhaft durch Alkcholmißbrauch in diesen Zustand versetzt hat 30 . Hat aber wiederum der Beschuldigte die Gelegenheit, während des Dienstes dem Alkohol zuzusprechen, sich dabei zu betrinken und in diesem Zustand ein schweres Dienstvergehen zu verüben, überhaupt erst dadurch erhalten, daß sein Vorgesetzter unter gröblicher Verletzung seiner Dienstaufsichtspflicht die Gelegenheit zu diesem Alkoholmißbrauch geschaffen hatte, so kann zur Verhinderung einer Ungerechtigkeit auf eine mildere Strafe als auf Entfernung aus dem Dienst erkann werden 31 . Wenn auch trotz verminderter Zurechnungsfähigkeit auf die Höchststrafe erkannt werden kann, wird sie dennoch bei der Frage, ob dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag gewährt werden kann, zu dessen Gunsten gewertet werden 32 . Hat der Beamte nicht gegen eine Hauptdienstpflicht verstoßen, so kann verminderter Zurechnungsfähigkeit zu einer milderen Beurteilung der Tat führen und daher für das Strafmaß von Bedeutung sein33.
§ 43. Prüfung des Geisteszustandes des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt I. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG Die Feststellung, ob ein Beamter auf Grund seines Geisteszustandes für seine Tat verantwortlich ist und deshalb disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden kann, können der Dienstvorgesetzte, die Einleitungsbehörde S. 159 = DiszSenat Münster 17. 4. 59 — V 15/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 438; L i n d g e n , Teil IV Nr. 481; DiszSenat OVG Münster 20. 5. 60 — V 34/59 — in ZBR 1963 S. 319 (LS); PrOVG Bd. 99 S. 255 = RVB1. Bd. 58 S. 206; RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , 1932 S. 122 und bei F o e r s t e r , S. 80; RDHE Bd. 1 S. 176 (180); DokBer. Nr. 1950. 29 BDH 19. 10. 55 — II D 31/55 —; BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 (178); DokBer. Nr. 1950. 30 BDH 7 . 1 . 55 — I D 164/53 — BDHE Bd. 2 S. 190. 3 1 DiszSenat OVG Münster 19. 6. 59 — V 9/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 185. 32 Vgl. BDH 25. 4. 56 — I D 63/55 — BDHE Bd. 3 S. 172 (178) = ZBR 1956 S. 298 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 143. 33 BDH 7 . 1 . 55 — I D 164/53 — BDHE Bd. 2 S. 190; W i t t l a n d , RDStO S. 75; R ö m e r , BDO S. 66.
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Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt
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und das Disziplinargericht oft nicht auf Grund eigener Feststellungen treffen. Hierzu bedarf es im allgemeinen eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Der Beschuldigte wird es aber als einen schweren Eingriff in seine persönlichen Rechte auffassen, wenn er sich einer Untersuchung durch einen Nervenarzt unterziehen soll. Würde er sich einer solchen Untersuchung nicht freiwillig stellen, so würde dies einer Fortsetzung des Disziplinarverfahrens im Wege stehen, was schon mit Rücksicht darauf, daß dem Beamten die Bezüge auf unabsehbare Zeit gezahlt werden müßten, nicht zu verantworten wäre. Bereits vor dem Inkrafttreten der RDStO hatten die Disziplinarorgane sich damit beholfen, daß sie den § 81 StPO entsprechend angewendet hatten, der die Unterbringung und Beobachtung des Beschuldigten in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt zur Vorbereitung eines Gutachtens über dessen Geisteszustand vorsieht 1 . Mit § 48 RDStO wurde eine allein für das Disziplinarrecht geltende Bestimmung getroffen, wonach der Beschuldigte zur Vorbereitung eines Gutachtens über seinen Geisteszustand in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt untergebracht werden kann. Durch Art. I Nr. 29 ÄndGes. 1952 wurde bestimmt, daß der Vorsitzende der Disziplinarkammer von Amts wegen für das hierfür vorgesehene Verfahren einen Verteidiger, der auch ein geeigneter Beamte sein kann, bestellt, sofern der Beschuldigte nicht schon selbst einen Verteidiger hinzugezogen hat. § 48 BDO ist in der Fassung des ÄndGes. 1952 bestehen geblieben. Die Streichung des § 48 Abs. 1 Satz 4 BDO durch die Novelle zur BDO stellt keine Neuerung dar, weil nach § 30 Abs. 2 Satz 1 BDO Beamte ohnehin als Verteidiger auftreten können. Die Ersetzung des Wortes „Untersuchungsverfahrens" in § 48 Abs. 1 Satz 3 BDO i. d. F. der Novelle durch das Wort „Unterbringungsverfahren" stellt nur klar, daß es sich hierbei um ein vom Untersuchungsverfahren im Sinne der §§ 44ff. BDO losgelöstes Verfahren handelt. Π. VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE UNTERBRINGUNG IN EINE HEIL- ODER PFLEGEANSTALT Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten kann die Kammer auf Antrag des Untersuchungsführers anordnen, daß der Beschuldigte in eine öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt gebracht und dort verwahrt und untersucht wird ( § 4 8 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). A. Förmliches Disziplinarverfahren Die Unterbringung des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt kann nur im förmlichen Disziplinarverfahren angeordnet werden. Dies folgt daraus, daß nur der Untersuchungsführer, der erst mit oder nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens bestellt werden kann, den Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten bei der Kammer stellen kann. Treten also 1 So RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 277; a. M. PrDH in RuPrVBl. 1929 S. 96 und PrOVG Bd. 89 S. 407. Nach BDH 19.12. 61 — III D 48/61 — BDHE Bd. 6 S. 110 ist in einem nichtförmlichen Disziplinarverfahren die Dienstbehörde nicht berechtigt, die Untersuchung des Beschuldigten auf seinen Geisteszustand anzuordnen.
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bereits im Laufe der Vorermittlungen beim Dienstvorgesetzten Zweifel über den Geisteszustand des Beschuldigten auf, so kann er die Vorermittlungen nicht weiter fortsetzen, sondern muß, sofern er die zuständige Einleitungsbehörde ist, das förmliche Disziplinarverfahren selbst einleiten oder andernfalls die Disziplinarakten der zuständigen Einleitungsbehörde weiterleiten 1 . Treten die Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten bereits im Vorermittlungs- oder im Disziplinarverfiigungsverfahren auf, so kommt die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und damit die Durchführung des Unterbringungsverfahrens nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht in Frage, wenn Dienstvorgesetzter und Einleitungsbehörde nicht die gleiche Stelle sind, sondern der Dienstvorgesetzte, der nicht in der Lage ist, eine Disziplinarstrafe zu verhängen, weil er an dem Geisteszustand des Beschuldigten Zweifel hegt, die Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens der zuständigen Einleitungsbehörde herbeiführen muß und diese die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens deshalb ablehnt, weil sie nach ihrer Überzeugung keine Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten hegt, andererseits aber die Schuld des Täters nicht so schwerwiegend ansieht, daß die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens in Frage kommen müßte. Da in einem solchen Falle der unmittelbare Dienstvorgesetzte nicht in der Lage ist, den Beschuldigten zu bestrafen, weil dies eine klare Überzeugung von der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten voraussetzt, bleibt nichts anderes übrig, als die Bestrafung dem nächsthöheren Dienstvorgesetzten zu überlassen. Lehnt dieser eine Geltendmachung seiner Disziplinarbefugnis ab, so ist das Disziplinarverfahren einzustellen. Handelt es sich um einen Beamten auf Probe oder um einen Beamten auf Widerruf, so kommt das Unterbringungsverfahren nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle nicht in Frage, weil gegen diese Beamten kein förmliches Disziplinarverfahren und damit auch keine Durchführung des Unterbringungsverfahrens möglich ist. Wenn auch gegen diese Beamte eine Untersuchung nach § 107 BDO, BDO i. d. F. der Novelle geführt werden kann, so handelt es sich jedoch bei dem Beamten, der diese Untersuchungshandlungen durchführt, um keinen Untersuchungsführer i. S. des § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ; vielmehr hat dieser Beamte nur die Stellung eines Untersuchungsführers 2 . Das Ergebnis ist wenig befriedigend, da den Beamten auf Probe und den Beamten auf Widerruf lediglich aufgegeben werden kann, sich einer fachärztlichen Untersuchung zu stellen, ohne daß durch sie eine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt erzwungen werden kann. Eine allgemeine Pflicht des Beamten, sich in einem gegen ihn gerichteten Disziplinarverfahren zwecks Ermittlung seines Geisteszustandes ärztlich untersuchen zu lassen, besteht nämlich nicht ; sie läßt sich auch nicht durch den Hinweis auf § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG begründen 3 . Danach kann ein Beamter, der im nichtförmlichen Disziplinarverfahren der Aufforderung seines Dienstvorgesetzten nicht nachkommt, sich auf seinen Geisteszustand ärztlich untersuchen zu lassen, auch nicht disziplinarisch bestraft werden; andernfalls würde so ein mittelbarer Zwang auf den Beamten ausgeübt werden, wodurch der Grundsatz des § 18 B e h n k e , Anm. 2 zu § 48 BDO; RDHE Bd. 1 S. 143. BDH 19. 12. 61 — III D 48/61 — in N J W 1962 S. 512 = L i n d g e n , ' Teil IV Nr. 607; vgl. auch BDH-Wehrdienstsenat — 7. 8. 58 — W D B 5/58 — in ZBR 1960 S. 55, wobei zu beachten ist, daß die W D O eine dem § 48 BDO entsprechende Bestimmung nicht enthalt. 2
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BDO, BDO i. d. F. der Novelle verletzt werden würde. Nach § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG ist der Beamte wohl verpflichtet, sich nach den Weisungen seiner Behörde ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel hinsichtlich seiner Dienstfähigkeit bestehen. Darüber hinaus kann eine Verpflichtung selbst dann nicht angenommen werden, wenn die Untersuchung durch einen Amtsarzt durchgeführt werden soll. Ist das förmliche Disziplinarverfahren bereits beim Disziplinargericht anhängig, so kann dieses die Unterbringung des Beschuldigten von sich aus ohne Antrag des Untersuchungsführers anordnen. Ebenso kommt die Unterbringung auf Anordnung des Disziplinargerichts im Antragsverfahren nach § 26 Abs. 4 und 5 BDO, BDO i. d. F. der Novelle, im Wiederaufnahmeverfahren nach §§83 ff. BDO, BDO i. d. F. der Novelle, im Verfahren über den nachträglichen Entzug oder die nachträgliche Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 96 BDO, BDO i. d. F. der Novelle und im Verfahren über die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge in den Fällen des § 105 BDO, BDO i. d. F. der Novelle in Betracht. In sämtlichen derartigen Verfahren bedarf es keiner Bestellung eines Untersuchungsführers, weil das Disziplinargericht von sich aus die Unterbringung anordnen kann. B. Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten § 48 Abs. 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle läßt die Unterbringung des Beschuldigten ir einer Heil- und Pflegeanstalt nur dann zu, wenn Zweifel am Geisteszustand des Beschuldigten bestehen4. Unter „Geisteszustand" Ì3t hier die Zurechnungsfähigkeit zu verstehen. Bestehen Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit bereits zur Zeit der Tat, so ist dies für die Frage der Bestrafung von Bedeutung, weil auch die disziplinarische Ahndung eines Fehlverhaltens an die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten anknüpft. Ist der Beschuldigte hingegen erst später unzurechnungsfähig geworden, so schließt dies wohl eine Bestrafung desselben nicV.t aus; die Unzurechnungsfähigkeit wird jedoch für die Auswahl des Strafmaßes wesentlich von Bedeutung sein, so daß das Disziplinarorgan auch dann nicht ohne ein Gutachten über den Geisteszustand auskommen kann. Überdies ist in einem solchen Falle dem Beschuldigten ein Pfleger nach § 15 BDO, BDO i. d. F. der Novelle zu bestellen. Ein Schluß auf eine gestörte Geistestätigkeit kann noch nicht allein daraus gezogen werden, daß es schwierig ist, mit dem Beschuldigten zu verhandeln, insbesondere wenn er seine Gedankengänge in seinen Schriftsätzen, Eingaben oder Beschwerden nicht geordnet darstellt. Anders wäre es jedoch, wenn aus seinen Schriftsätzen zu erkennen ist, daß der Beschuldigte überhaupt nicht weiß, worauf es in dem gegen ihn durchgeführten Disziplinarverfahren ankommt5. Die subjektiven Eindrücke des Untersuchungsführers und solche von Zeugen sowie eigene Erklärungen des Beschuldigten genügen nicht, um eine Maßnahme nach § 48 BDO zu rechtfertigen6. Die Voraussetzung für die Einweisung ist jedoch dann gegeben, wenn der Beschuldigte, bei dem die Ärzte seit mehreren Jahren schwere Nervenstörungen festgestellt haben, sich einer 4 5 6
BDH 1. 9. 55 — I DB 21/54 — BDHE Bd. 2 S. 138. DokBer. Nr. 873 und Nr. 1615. DokBer. Nr. 1692.
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angeordneten ärztlichen Untersuchung entzieht7. Begründete Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit liegen wiederum nicht vor, wenn diese durch eine nervenärztliche Untersuchung geklärt werden kann. Wird der Beschuldigte lediglich charakterlich für schwierig gehalten, ohne daß darüber hinaus paranoide Reaktionen vorliegen, und haben die nervenärztlichen Gutachten im früheren Disziplinarverfahren genügt, um über den Beschuldigten Klarheit über seinen Geisteszustand zu erlangen, so reichen sie auch für das erneute Disziplinarverfahren aus, wenn keine Änderungen inzwischen eingetreten sind. Wenn Vorgesetzte und Mitarbeiter des Beschuldigten diesen für unzurechnungsfähig oder zumindest vermindert zurechnungsfähig halten, so ist eine solche Auffassung dann ohne wesentlichen Beweiswert, wenn andere im Untersuchungsverfahren gehörte Mitarbeiter denselben nur als schwierig im Umgang bezeichnen, ihn aber sonst positiv bewerten. Querulatorische Neigungen lassen prima facie ohne Anhörung eines Sachverständigen nicht mit genügender Sicherheit auf das Vorhandensein einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche schließen7». An der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten müssen Zweifel bestehen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn für das Disziplinargericht oder den Dienstvorgesetzten bindende strafgerichtliche Feststellungen über den Geisteszustand getroffen sind8. Kann der ärztliche Sachverständige ein Gutachten über den Geisteszustand des Beschuldigten ohne dessen Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt erstatten, so kommt diese nicht in Frage, weil sich die Zweifel durch einen minder schweren Eingriff in die Rechte des Beschuldigten beseitigen lassen8». Dem Vorschlag des Beschuldigten, sich ohne Einweisung in eine Anstalt einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, muß vor der Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt entsprochen werden9. Eine gegen den Willen des Beschuldigten ausgesprochene zwangsweise Anstaltsunterbringung stellt einen sehr schweren Eingriff in seine persönliche Freiheit dar, der seinen psychischen Zustand in einer verhängnisvollen Weise belasten kann. Daher muß die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt das letzte Mittel sein, um Zweifel über den Geisteszustand des Beschuldigten zu klären. D a h e r kann auch die n o t w e n d i g e A n s t a l t s b e o b a c h t u n g g r u n d s ä t z l i c h nur d u r c h ein ä r z t l i c h e s A t t e s t b e s c h e i n i g t werden 1 0 . Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn der Beschuldigte sich einer solchen vorbereitenden Untersuchung nicht unterzieht. Im allgemeinen wird die Anstaltsbeobachtung nur auf Grund eines Gutachtens eines Nervenfacharztes, nicht jedoch eines sonstigen Arztes, wie ζ. B. eines Facharztes für innere Medizin, angeordnet werden können 11 . Hat der Facharzt den DokBer. Nr. 691. DokBer. Nr. 1864. Behnke, Anm. 4 zu § 48 BDO. 8» DokBer. Nr. 1864. 9 BDH 10. 7. 57 — II DB 5/57 — BDHE Bd. 4 S. 38 L i n d g e n , Teil IV Nr. 361 (LS); vgl. auch BDH-Wehrdienstsenat — 7. 8. 58 — WDB 5/58 — BDHE Bd. 4 S. 137 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 385; K l e i n k n e c h t - M ü l l e r , Anm. 1 b zu § 81 StPO; E b e r h . Schmidt, Anm. 5 zu § 81 StPO. 1 0 BDH 10. 7. 57 — II DB 5/57 — BDHE Bd. 4 S. 38 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 361; BDH-Wehrdienstsenat — WDB 5/58 — BDHE Bd. 4 S. 137 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 385; BDH 28. 7. 58 — III DB 19/58 — BDHE Bd. 5 S. 111 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 490; DokBer. Nr. 1692 und Nr. 1864. 1 1 DokBer. Nr. 1028 und Nr. 1864. 7
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Verfahren
Beschuldigten in einem früheren Verfahrensabschnitt, wie ζ. B. in den Vorermittlungen, für voll zurechnungsfähig erklärt, so kann er ohne nochmalige Untersuchung des Beschuldigten in einem anderen Verfahren>abschnitt nicht zu dem Schluß kommen, daß nunmehr Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 51 Abs. 1 StGB vorliegt. Das Verfahren nach § 48 BDO kommt schließlich dann nicht in Betracht, wenn der Beschuldigte sich freiwillig einer Untersuchung in einer Heiloder Pflegeanstalt unterzieht12. In dem Verfahren nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle handelt es sich nämlich nur um die zwangsweise Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt. Das Disziplinargericht muß deshalb prüfen, ob der Beschuldigte sich nicht freiwillig in einer Anstalt untersuchen lassen will. ΠΙ. VERFAHREN Sofern nicht das förmliche Disziplinarverfahren beim Disziplinargericht anhängig ist, muß die Einleitungsbehörde zunächst eine Untersuchung anordnen und einen Untersuchungsführer bestellen. Das gilt auch dann, wenn die Einleitungsbehörde den Sachverhalt als aufgeklärt ansieht, so daß sie an sich von einer Untersuchung nach § 44 Abs. 1 Halbsatz 1 BDO, § 44 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle absehen könnte. Der Untersuchungsführer ist im Hinblick auf die ihm zustehende richterliche Unabhängigkeit nicht gezwungen, den Antrag auf Einweisung des Beschuldigten in eine Heil- oder Pflegeanstalt zu stellen. Zunächst prüft der Untersuchungsführer die formellen Voraussetzungen, wie ζ. B. die Einleitung durch die zuständige Einleitungsbehörde und den Beamtenstatus des Beschuldigten. In sachlicher Hinsi .ht prüft er nach pflichtgemäßen Ermessen, ob begründete Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten bestehen. Verneint er diese, so darf er einen Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten nicht stellen, sondern hat dem Disziplinarverfahren Fortgang zu geben, indem er die notwendigen anderweitigen Untersuchungshandlungen vornimmt. Der Untersuchungsführer ist nicht berechtigt, den Antrag auf Unterbringung deshalb abzulehnen, weil nach seiner Auffassung tatbestandsmäßig kein Dienstvergehen vorliegt, weil auf Grund des Beweisergebnisses die gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe unberechtigt sind oder weil sie kein Dienstvergehen darstellen. Der Untersuchungsführer muß die Unterbringung des Beschuldigten in eine öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt beim zuständigen Disziplinargericht (Bundesdisziplinarkammer — Bundesdisziplinargericht) beantragen. Er kann den Antrag auch ohne Zustimmung der Einleitungsbehörde stellen, wenn nicht diese, sondern er erst auf Grund der von ihm durchgeführten Beweiserhebungen Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten hegt. Dadurch, daß der Untersuchungsführer die Befähigung zum Richteramt haben muß, ist hinreichende Vorbeuge gegen einen Mißbrauch bei der Anwendung einer solch einschneidenden Maßnahme, wie sie die Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt darstellt, getroffen. Ist das Disziplinarverfahren bereits beim Disziplinargericht anhängig, so entscheidet es ohne Antrag des Untersuchungsführers über die Unterbringung des Beschuldigten in eine Hsil- oder Pflegeanstalt. 12
RDHE Bd. 3 S. 164; PrOVG Bd. 97 S. 238.
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§ 43
Prüfung des Geisteszustandes des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt
Der Antrag des Untersuchungsführers muß klar erkennen lassen, daß er die Unterbringung des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt begehrt. Den Nachweis, daß an dem Geisteszustand des Beschuldigten Zweifel bestehen, wird er, wie bereits unter II gezeigt ist, durch ein ärztliches Gutachten erhärten. Bei der Würdigung ist er an das ärztliche Gutachten nicht gebunden. Weiterhin ist es zweckmäßig, eine Erklärung des Beschuldigten beizufügen, daß er nicht bereit ist, sich freiwillig in eine solche Anstalt einweisen zu lassen. Von dem Antrag auf Unterbringung hat der Untersuchungsführer den Beschuldigten in Kenntnis zu setzen ( § 4 8 Abs. 1 Satz 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Ist bereits ein Pfleger nach § 15 BDO, BDO i. d. F. der Novelle bestellt, so ist diesem Mitteilung von dem Antrag auf Unterbringung zu machen, was formlos geschehen kann. Falls der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat, ist ihm ein solcher vom Vorsitzenden der Kammer von Amts wegen für das Unterbringungsverfahren zu bestellen und ihm der Beschluß zuzustellen (§48 Abs. 1 Satz 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Hat der Beschuldigte einen Pfleger, so ist es zweckmäßig, diesen als Verteidiger zu bestellen. Ansonsten hat der Pfleger nicht die Stellung eines Verteidigers 13 . Ist kein Pfleger vorhanden, so wird im allgemeinen ein Beamter zum Verteidiger zu bestellen sein. Einer besonderen Hervorhebung, daß auch ein Beamter zum Verteidiger bestellt werden kann, bedarf es nicht, weil sich bereits aus § 30 e Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ergibt, daß auch ein Beamter als Verteidiger im Disziplinarverfahren auftreten kann, so daß sich § 48 Abs. 1 Satz 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 erübrigt. Im allgemeinen ist ein lebens- und diensterfahrener Beamter zum Verteidiger auszuwählen. Die Tatsache, daß es sich beim Verteidiger um einen dienstjüngeren Beamten handelt, läßt einen Schluß auf dessen Befangenheit noch nicht ohne weiteres zu14. Ist ein Beamter zum Verteidiger bestellt, so hat er keinen Anspruch auf Vergütung, jedoch auf Ersatz der notwendigen Auslagen. Ist hingegen ein Rechtsanwalt zum Verteidiger bestellt, so steht ihm eine Vergütung auf Grund der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zu. Der V e r t e i d i g e r ist im ü b r i g e n n u r f ü r d i e s e s V e r f a h r e n b e s t e l l t ; sein Amt erlischt, nachdem der Beschuldigte aus der Anstalt entlassen ist. Anders ist es natürlich, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger bestellt hat, der u. a. seine Rechte nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle wahrnimmt. Das Disziplinargericht entscheidet nach freiem Ermessen über den Antrag des Untersuchungsführers in einer Besetzung mit drei Mitgliedern. Es kann vor der Entscheidung u. U. weitere ärztliche Gutachten erfordern oder sonstige Beweise erheben. U. U. ist der Beschuldigte vorzuladen. An die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zur Zurechnungsfähigkeit ist das Disziplinargericht nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BDO, § 14 Abs. 1 Satz 1 BDO i. d. F. der Novelle gebunden; es kann jedoch übereinstimmend eine nochmalige Prüfung der Feststellungen des Strafgerichts beschließen. Soweit nach den jeweiligen Disziplinargesetzen, wie z. B. in § 13 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BDO, § 14 Abs. 1 Satz 2 BDO i. d. F. der Novelle davon die Rede ist, daß in den Urteilsgründen festzustellen ist, daß eine übereinstimmende Prüfung stattgefunden hat, so geht jedoch die ratio legis dahin, die Nachprüfung der strafgerichtlichen Feststellungen den Disziplinargerichten auch in solchen Ver13 14
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B e h n k e , Anm. 5 zu § 15 BDO. DokBer. Nr. 1864.
Verfahren
fahren zu ermöglichen, die nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß abgeschlossen werden 15 . Über den Antrag auf Unterbringung entscheidet das Disziplinargericht nicht in mündlicher Verhandlung. Der Beschluß wird mit einfacher Mehrheit gefaßt. In ihm muß die Anstalt, in die der Beschuldigte untergebracht werden soll, bezeichnet werden. Über die Dauer der Unterbringung wird nicht entschieden. Sie wird vielmehr den Anstaltsärzten anheimgestellt. Der Beschluß ist gemäß § 19 BDO, BDO i. d. F. der Novelle dem Beschuldigten, dem Verteidiger und dem Untersuchungsführer zuzustellen. War nach § 15 BDO, BDO i. d. F. der Novelle ein Pfleger bestellt, so findet die Zustellung statt an den Beschuldigten an den Pfleger statt. Gegen den Beschluß ist nach § 48 Abs. 2 Halbsatz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle Beschwerde zulässig. Ist der Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten in eine Anstalt abgelehnt, so ist der Üntersuchungsführer, jedoch nicht die Einleitungsbehörde beschwerdeberechtigt. Ist dem Antrag hingegen stattgegeben, so sind der Beschuldigte, bzw. sein Pfleger und sein Verteidiger beschwerdeberechtigt. Die Einlegung der Beschwerde hat in einer Ausschlußfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Beschlusses an den Beschwerderberechtigten zu erfolgen. Die B e s c h w e r d e hat a u f s c h i e b e n d e W i r k u n g . Überhaupt darf der Beschluß mit Rücksicht hierauf erst nach Ablauf der Beschwerdefrist bzw. nach Rechtsmittelverzicht ausgeführt werden, d. h. also nach Rechtskraft desselben. Der Beschuldigte kann sich nach Zustellung des Beschlusses freiwillig in eine Anstalt begeben. Kommt er dem Beschlüsse nicht freiwillig nach, so kann er zwangsweise in eine öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt eingewiesen werden (vgl. § 18 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Private Heil- oder Pflegeanstalten scheiden aus. Die öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt braucht jedoch nicht staatlich zu sein. Befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungs- oder Strafhaft, so kann die Unterbringung in die Irrenabteilung der Strafanstalt erfolgen. Die zwangsweise Einweisung veranlaßt entweder die Einleitungsbehörde oder der Untersuchungsführer oder das Disziplinargericht. Sie wird zweckmäßigerweise im Wege der Amtshilfe durch die Polizeibehörde ausgeführt. In der Anstalt kann der Beschuldigte durch Zwang zu allen notwendig erscheinenden Untersuchungshandlungen angehalten werden. Im Gegensatz zu § 81 Abs. 1 StPO, wo der Beschuldigte in der Anstalt nur beobachtet werden darf, kann der Beschuldigte im Disziplinarverfahren nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle neben der Beobachtung auch „untersucht" werden. Soweit hierbei körperliche Eingriffe notwendig werden, sind diese statthaft. In sinnentsprechender Anwendung des § 81a StPO sind die körperlichen Eingriffe dann unzulässig, wenn hierdurch ein Nachteil für die Gesundheit des Beschuldigten zu erwarten ist. So dürfte die Enzephalographie als ein unzulässiger Eingriff angesehen werden, da sie nach den derzeitigen ärztlichen Erkenntnissen eine Gefährdung der Gesundheit des Beschuldigten nicht ausschließt16. 15 16
Α. M. Behnke, Anm. 7 Abs. 2 zu § 48 BDO. Vgl. BGHSt. Bd. 8. S. 144.
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§ 43
Prüfung des Geisteszustandes des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt
Die Verwahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen (§ 48 Abs. 3 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Eine Wiederholung der Untersuchung nach sechs Wochen ist unzulässig 17 . Die Kosten der zwangsweisen Unterbringung sind Verfahrenskosten und von dem zu tragen, der zu den Kosten des Verfahrens verurteilt worden ist. Ist der Beschuldigte freiwillig ohne Verfahren nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle in einer Heil- oder Pflegeanstalt untersucht worden, so stellen diese Kosten keine Verfahrenskosten dar und sind vom Beschuldigten selbst zu tragen, es sei denn, daß sie als notwendige Auslagen nach § 100 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 § 100 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle dem Bund ganz oder teilweise auferlegt werden. IV. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die landesrechtliche Regelung entspricht im wesentlichen dem § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Hierbei ist es unwesentlich, ob im Gesetz ausdrücklich hervorgehoben ist, daß auch ein Beamter zum Verteidiger bestellt werden kann oder ob, wie in Art. 49 DStO Bayr. und in § 52 DStO Schl.-Hol., eine entsprechende Bestimmung fehlt, da wie oben gezeigt worden ist, bereits nach den landesrechtlichen Bestimmungen, die dem § 30 e Abs. 2 Satz 1 BDO, BDO i. d. F. der Novelle entsprechen, ein Beamter ohnehin zum Verteidiger bestellt werden kann. Abgesehen von diesen unwesentlichen Abweichungen ergibt sich auf Länderebene folgende Regelung: 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 LDO BW ist die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in eine Heil- oder Pflegeanstalt erst nach Anhörung eines Sachverständigen und des Verteidigers zulässig. Der Beschuldigte kann in einer gemäß § 8 des Gesetzes über die Unterbringung von Geisteskranken und Suchtkranken vom 16. 5. 55 (BWGesBl. S. 87) zugelassenen Krankenanstalt verwahrt und untersucht werden (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 LDO BW). Von der Entscheidung der Disziplinarkammer ist unverzüglich ein Angehöriger des Beschuldigten oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen (§ 52 Abs. 1 Satz 4 LDO BW). Durch die Vorschrift des § 52 Abs. 1 LDO BW wird das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG) eingeschränkt (§ 52 Abs. 4 LDO BW). Im übrigen entspricht die Regelung in der LDO BW dem § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 2. B a y e r n Nach Art. 49 DStO Bayr. kann zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten die Dienststrafkammer auf Antrag des Untersuchungsführers, des Beschuldigten oder seines Verteidigers nach Anhörung des Sachverständigen anordnen, daß der Beschuldigte in eine öffentliche Heil- oder Pflegeanstalt gebracht, dort verwahrt und untersucht wird. Im übrigen entspricht Art. 49 DStO Bayr. dem § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 3. B e r l i n § 48 LDO Bln. entspricht § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 17
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BGHSt. Bd. 8. S. 121; OLG Hamm in NJW 1953 S. 1237.
Landesrechtliche Regelung
4. B r e m e n § 48 DStO Brm. entspricht § 48 RDStO, der -von § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 insofern abweicht, als hiernach nur ein Beamter zum Verteidiger bestellt werden kann. 5. H a m b u r g § 48 Abs. 1 bis 3 DO Hmb. entspricht § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 48 Abs. 4 DO Hmb. wird durch § 48 Abs. 1 bis 3 DO Hmb. das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) eingeschränkt. 6. H e s s e n § 53 HDO entspricht § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit der Abweichung, daß der Beschuldigte in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und untersucht werden kann. 7. N i e d e r s a c h s e n Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 NDO kann zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten die Disziplinarkammer auf Antrag des Untersuchungsführers nach Anhörung eines Sachverständigen anordnen, daß der Beschuldigte in ein Landeskrankenhaus oder in eine entsprechende Fachklinik gebracht und dort verwahrt und untersucht wird. Nach § 58 Abs. 4 NDO wird durch § 58 Abs. 1 bis 3 NDO das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG) eingeschränkt. Im übrigen entspricht § 58 NDO dem § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 54 DO NW entspricht dem § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. Nach § 54 Abs. 1 Satz 4 DO NW darf der Verteidiger kein Beamter sein, während nach § 48 Abs. 1 Satz 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 die Bestellung eines Beamten zum Verteidiger möglich ist. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 56 LDO Rh.-Pf. entspricht § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952. 10. S a a r l a n d Hier gilt § 48 RDStO (vgl. Nr. 4). 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 52 DStO Schl.-Hol. entspricht § 48 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 mit der Abweichung, daß der Antrag außer vom Untersuchungsführer auch vom Verteidiger gestellt werden kann und der Untersuchungsführer den Beschuldigten oder den Verteidiger von dem Antrag in Kenntnis zu setzen hat. Während nach § 48 Abs. 1 Satz 4 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952 als Verteidiger auch Beamte bestellt werden können, ist die Bestellung von Beamten nach § 48 Abs. 1 Satz 4 DStO Schl.-Hol. obligatorisch. 397
§44
Vorsatz
4. K a p i t e l
Die Schuldhaftigkeit § 44. Vorsatz I. B E S T R A F U N G N U R B E I S C H U L D H A F T E M T U N Der Beamte muß für sein Handeln nicht nur verantwortlich sein, sondern ihm muß auch nachgewiesen werden, daß er schuldhaft gegen seine Pflichten als Beamter verstoßen hat. Nach anerkannter Rechtsprechung1 unterliegen nämlich Pflichtverletzungen nur dann einer disziplinarischen Ahndung, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sind. Hierbei muß klar zum Ausdruck gebracht werden, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt. Wird in einer Disziplinarverfügung oder einem erstinstanzlichen Urteil bei der Strafbemessung von einem vorsätzlichen Handeln ausgegangen, während die Schuldfeststellung dahin geht, daß der Beschuldigte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, so ist die Disziplinarverfügung bzw. das Disziplinarverfahren im Falle der Anfechtung wegen dieses Widerspruchs aufzuheben1». Hat die Vorinstanz Fahrlässigkeit angenommen, gelangt die zweite Instanz jedoch zur Feststellung, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat, so ist die angegriffene Entscheidung dann nicht aufzuheben, wenn nicht zwingend darauf geschlossen werden kann, daß sie den Beschuldigten in diesem Falle härter bestraft hätte 1 ". Dies gilt vor allem für das Antragsverfahren nach § 26 Abs. 4 BDO, BD O i. d. F. der Novelle, da es lediglich zum Schutze des Beschuldigten getroffen ist. II. BEGRIFF Vorsätzlich handelt, wer das Dienstvergehen mit Wissen und Willen begeht und sich dabei bewußt ist, gegen eine Dienstpflicht oder gegen eine strafrechtliche Norm oder gegen ein Sittengesetz der sozialen Gemeinschaft zu verstoßen oder sonst Unrecht zu tun2. Zum Vorsatz gehört also auch das Bewußtsein der Dienstwidrigkeit3. Beim Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit kommt es auf die Fähigkeit zu rechtstechnischen Überlegungen nicht an, vielmehr genügt die Kenntnis, gegen Dienstvorschriften zu verstoßen, oder das Bewußtsein, das Verhalten sei mit der allgemeinen Moralauffassung unvereinbar4. Wenn zum Beispiel der Beamte nicht ausgezahlte Rentenbeträge an sich abführen läßt, sie in seinem Schreibtisch verwahrt, später sie sogar mit nach Hause nimmt und für sich verwendet, so kann er sich nicht damit entschuldigen, daß er sich der rechtlichen Tragweite seines Vergehens nicht bewußt sei. Hier reicht es zu seiner Bestrafung vielmehr aus, daß er sich bewußt war, daß seine PrOVG 3. 7. 28 — D. U. 15/28 — PrOVG Bd. 83 S. 404 = P e r w o , S. 229. ^ BDH 30. 3. 61 — II DV 7/60 — BDHE Bd. 6 S. 109. l b DokBer. Nr. 1805. (DiszS) BDH 7 BDH 2 BDH 1 2 RGSt. Bd. 61 S. 258. 3 Vgl. W i t t l a n d , Anm. 12 bis 14 zu Einl. zu RDStO; W i t t l a n d , Anm. 138 zu § 22 DBG. 4 BDH 25. 5. 54 — II D 126/53 — BDHE Bd. 1 S. 67 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 144. 1
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Berücksichtigung des Irrtums
§44
Handlungsweise gegen Kassenbestimmungen verstieß. Wie das Verhalten strafrechtlich zu würdigen ist, braucht ihm nicht bekannt zu sein. Beim Vorsatz unterscheidet man zwischen dem direkten und dem bedingten Vorsatz. Bei ersterem sind zwei Formen möglich, nämlich die Absicht, d. h. ein Wille, der auf einen direkten Erfolg hinzielt, und das sichere Wissen, daß die Handlung eine Rechtsverletzung darstellt, wobei der nichtbeabsichtigte Erfolg als notwendige Nebenfolge des Handels vorausgesehen wird. Bedingter Vorsatz hingegen liegt vor, wenn der Täter den Erfolg wohl nur für möglich hält, es aber trotzdem in Kauf nimmt, daß er den Tatbestand einer Pflichtwidrigkeit verwirklicht. Die Ungewißheit kann sich auf den Erfolg, das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein eines Tatumstandes oder auf das Verbotensein der Tat überhaupt beziehen. Von bedingtem Vorsatz ist auch dann die Rede, wenn der Täter mit der M ö g l i c h k e i t r e c h n e t , daß ein R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d n i c h t g e g e b e n sei 5 . Der Wille zum Handeln muß aber unbedingt sein. So ist ein Beamter wegen eines vorsätzlichen Dienstvergehens zu bestrafen, wenn er sich dem Alkoholgenuß hingegeben und hierbei eine Straftat begangen hat, die er wohl vor der Einnahme des Alkohols nicht beabsichtigt, von der er aber die Vorstellung hatte, daß er sie im Alkoholrausch begehen könnte. Weiß der Täter, daß im Alkoholrausch seine Willenskraft geschwächt ist, und begeht er in diesem Zustand ein Dienstvergehen, so ist er hierfür disziplinarisch verantwortlich6. Dem Beamten braucht nicht nachgewiesen zu werden, daß er in dem Rausch mit der Begehung eines Dienstvergehens rechnete. Weicht der tatsächliche Verlauf der Tat wesentlich von den Vorstellungen ab, so liegt im strafrechtlichen Sinne nur Versuch vor 7 . Der bedingte Vorsatz kann wegen seines geringeren Schuldgehalts gegenüber dem bestimmten Vorsatz im Disziplinarverfahren strafmildernd berücksichtigt werden. Enthält ein strafgerichtliches Urteil keine Feststellung, ob der verurteilte Beamte mit bestimmten oder nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, so muß im Disziplinarverfahren zu Gunsten des Beamten als möglich angenommen werden, daß er nur mit bedingtem Vorsatz gehandet hat8. III. BERÜCKSICHTIGUNG DES IRRTUMS Kennt der Täter bei einer strafbaren Handlung Tatumstände nicht, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, so beseitigt dieser Irrtum den Vorsatz. Handelt es sich um ein Fahrlässigkeitsdelikt, so erfolgt Bestrafung, wenn die Entstehung des Irrtums auf Fahrlässigkeit fußt. Diese betrifft nur Tatsachen, wie ζ. B. einen verschlossenen Brief. Außer dem Wissen und Wollen der Tatumstände ist das Bewußtsein des Täters erforderlich, dem Recht zuwider zu handeln. Das Unrechtsbewußtsein bildet eine wesentliche Voraussetzung für den Schuldvorwurf. Allerdings handelt es sich bei dem Unrechtsbewußtsein nur um ein quantitatives Schuldelement9. Der Schuldvorwurf wird gemindert, wenn dem Täter das Unrechtsbewußtsein fehlt. Bei schuldloser Unkenntnis des Unrechts entfällt der BGH in NJW 1951 S. 412; KG in NJW 1958 S. 922. • Vgl. RVG Bd. 2 S. 209; PrOVG Bd. 55 S. 467; RDH bei F o e r s t e r , 1937 S. 80. ' RGSt Bd. 70 S. 258. 8 DiszSenat OVG Münster 16. 12. 60 — V 40/59 — in ZBR 1961 S. 390 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 637. 9 Vgl. BDH Bd. 2 S. 208; OLG Oldenburg in SJZ 1950 Sp. 834. 5
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Vorsatz
Schuldvorwurf völlig. Dieser Erkenntnis verschließt sich neuerdings auch der Gesetzgeber nicht, indem ζ. B. nach § 6 Abs. 1 des Wirtschaftsstrafgesetzes derjenige straffrei bleibt, wer bei unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer rechtlichen Bestimmung seine Tat für erlaubt gehalten hat, während nach § 6 Abs. 2 a. a. O. die Strafe gemildert werden kann, wenn dieser Irrtum verschuldet war (vgl. auch § 395 RAbgO). Demnach stellt unverschuldeter Verbotsirrtum einen Schuldausschließ u n g s g r u n d dar, der zur Straffreiheit führt, während der verschuldete Verbotsirrtum den Vorsatz des Täters unberührt läßt, obgleich der Irrtum als solcher fahrlässig war. Nimmt der Täter entsprechend der bisherigen herrschenden Strafrechtslehre irrtümlich an, daß ein objektiv gegebenes Tatbestandsmerkmal vorhanden sei, so kommt im Strafrecht eine Bestrafung wegen Versuchs in Betracht. Nimmt dagegen der Täter irrtümlich an, daß er gegen eine in Wahrheit gar nicht bestehende Rechtsnorm verstößt, so handelt es sich um ein strafloses sog. Wahndelikt. Ist der Täter der Annahme, daß eine objektiv gegebene rechtfertigende Situation nicht vorliegt, ist er wiederum wegen Versuchs zu bestrafen. Glaubt der Täter an einen Rechtfertigungsgrund, den aber die Rechtsordnung nicht kennt, so liegt ein sog. Verbotsirrtum vor, der grundsätzlich den Vorsatz unberührt läßt. Entscheidend ist aber auch hier die Kenntnis oder Nichtkenntnis von Tatsachen, aus denen sich jener Rechtfertigungsgrund ergibt. Wenn sich also der Täter irrtümlich einen die Notwehr rechtfertigenden Sachverhalt vorstellt, so ist dieser Irrtum beachtlich. Ein Irrtum ist im disziplinarrechtlichen Sinne dann entschuldbar, wenn der Täter zur Abwendung desselben alles getan hat, was billigerweise von ihm erwartet werden kann, insbesondere wenn er alle möglichen Erkundigungen eingezogen hat, oder wenn er einen falschen Bescheid erhalten hat 10 , oder wenn er durch seinen Vorgesetzten falsch belehrt worden ist 11 . Ein R e c h t s i r r t u m ist ebenso wie ein Irrtum über Tatumstände auch im D i s z i p l i n a r r e c h t b e a c h t l i c h 1 2 . Er ist ein Schuldausschließungsgrund und führt zur Straffreiheit 13 . Der Mangel des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit kann auf einem Irrtum über Tatsachen oder auf einem entschuldbaren Rechtsirrtum beruhen. Nur m u ß der I r r t u m im D i s z i p l i n a r r e c h t f r e i v o n F a h r l ä s s i g k e i t ü b e r b e s t e h e n d e R e c h t s v o r s c h r i f t e n sein 1 4 . Hat z. B. die Behörde einen Beamten abgeordnet und dabei die sofortige Vollziehung der Abordnungsverfügung angeordnet und kommt der Beamte der Abordnung nicht nach, weil ihn sein Anwalt dahingehend belehrt hat, daß der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung aufschiebende Wirkung hat, so kann er nicht bestraft werden, wenn ihm mit Rücksicht auf seinen Bildungsgang nicht zugemutet werden kann, den Rat seines Prozeßbevollmächtigten einer rechtlichen Nachprüfung zu unterziehen. So wäre einem Beamten des 1 0 OLG München in DStR 1936 S. 59 und 1937 S. 438; OLG Dusseldorf in JMB1NRW 1950 S. 82; K G in VRS Bd. 13 S. 148. 1 1 BGH in VRS Bd. 10 S. 359. 1 2 RDH 27. 6. 33 bei F o e r s t e r , 1934 S. 21; Thüring. Dienststrafgericht in J W 1928 S. 2748; R ö m e r , BDO S. 65; a. M. RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , 1926 S. 283; PrOVG 2 1 . 1 1 . 24 in PrOVG Bd. 79 S. 434. 1 3 Vgl. BGH — Großer Strafsenat — BGHSt. Bd. 2 S. 194. 14 DStH — Dienststrafsenat Stuttgart 16. 7. 54 — PL — DH I 1 /54 — BDHE Bd. 1 S. 186.
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Bewußtsein der Beamteneigenschaft
§44
einfachen Dienstes nicht die Kenntnis des Rechtssatzes zuzumuten, daß die aufschiebende Wirkung der Klage oder des Einspruchs dann entfällt, wenn die Verwaltung die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Wenn ein solcher Beamte einen Rechtskundigen wegen eines solchen Ratschlages angegangen hat, so hat er das Erforderliche getan und kann dessen Auskunft vertrauen. IV. BEWUSSTSEIN DER BEAMTENEIGENSCHAFT In Rechtsprechung und Schrifttum ist es umstritten, ob es zur disziplinarischen Bestrafung erforderlich ist, daß der Täter sich der Beamteneigenschaft bei Begehung der Tat bewußt gewesen sein muß 15 . Grundsätzlich muß man davon ausgehen, daß sich der Täter bei Begehung eines Dienstvergehens bewußt sein muß, in einem besonderen Pflichtverhältnis zu einem öffentlichen Dienstherrn zu stehen1®. Allerdings ist mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde der Beamte sich schlechthin bewußt, daß er gegenüber dem sonstigen Staatsbürger erhöhte Pflichten auf sich genommen hat. Ob er sich bei der Ausführung der Tat dessen bewußt war, daß er in allen Lebenslagen erhöhte Pflichten übernommen hat, ist belanglos. So kann er sich bei einem Vergehen außerhalb des Dienstes nicht damit entschuldigen, daß er sich hierbei nicht als Beamter, sondern als beliebiger Privatmann gefühlt hat 17 . So ist auch die Rechtsprechung des Reichsdienststrafhofes zu verstehen, die von der Nachprüfung des Bewußtseins der Beamteneigenschaft abgesehen hat, weil man davon ausgehen muß, daß der Beamte sich immer darüber klar sein muß, daß sein Pflichtenkreis über den des sonstigen Staatsbürgers hinausgeht 18 . Bei Verfehlungen von Beschuldigten, die nach dem Zusammenbruch von 1945 aus politischen Gründen entlassen oder infolge Flucht von ihrem bisherigen Amt verdrängt worden sind, wird das Bewußtsein der Beamteneigenschaft bei solchen Verfehlungen schwer nachzuweisen sein, die vor der Wiederbeschäftigung im öffentlichen Dienst begangen worden sind. Beamte aus dem Personenkreis des G 131, denen nach 1945 die „Entlassung" ausgesprochen war, konnten und mußten im Regelfall davon ausgehen, daß dadurch ihr Beamtenverhältnis beendet worden war. Von ihnen kann daher, soweit nicht besondere Gegebenheiten im Einzelfalle eine andere Beurteilung rechtfertigen, nicht gefordert werden, daß sie gleichwohl hätten wissen müssen, daß ihr Beamtenverhältnis fortbestand und sie zur Erhaltung ihrer Beamtenpflichten verpflichtet waren19. Zumindest brauchte ein im Jahr 1945 15 Bejaht wird diese Frage von W i t t l a n d , Anm. 11 a zu § 22 DBG, F i s c h b a c h , 1951, Anm. II 3 zu § 22, mit Einschränkungen von F r e y t a g in ZBR 1953, 33. Nach den Urteilen der Dienststrafkammer Stuttgart v. 5. 9. 52 (ZBR 53, 69) und des Niedersächsischen Dienststrafhofs Lüneburg v. 11. 5. 53 (DVB1. 53, 514) muß sich der Beamte bei seiner Tat seines besonderen Dienst- und Treueverhältnisses und seiner über die Pflichten des Staatsburgers hinausreichenden Verpflichtungen bewußt gewesen sein. Verneint wird die Frage von RDH 23.3.27 ( F o e r s t e r - S i m o n s , 1932 S. 1), B e h n k e , 2. Aufl., S. 71; B r a n d , S. 63 und DiszSenat OVG Munster 24. 11. 58 — W 14/58 — OVGE (DiszS) Bd. 1 S. 110. " Niedersächsischer DStH 11. 5. 53 — D St. A 2/52 — BDHE Bd. 1 S. 210 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 74. 17 PrOVG Bd. 55 S. 467. 18 PrOVG Bd. 77 S. 512, Bd. 85 S. 451, Bd. 86 S. 452, Bd. 89 S. 414. RDH 23. 3. 27 bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 1; B r a n d , RDStO S. 38; B r a n d , DBG 2. Aufl. S. 226; B e h n k e , RDStO 2. Aufl. S. 71. 19 DStH Rh.-Pfalz 20. 12. 54 — V 6/54 — in ZBR 1955 S. 118 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 78.
26
L i n d g e n , Disziplinarrecht I
401
§44
Vorsatz
wegen seiner Mitgliedschaft zur NSDAP entlassener und in Kategorie III einrgereihter Beamter im Jahre 1946 noch nicht mit einem Fortbestand seiner Beamtenrechte und -pflichten zu rechnen20. Das Bewußtsein der Beamteneigenschaft ist aber bei einem aus seinem Amt entfernten Beamten dann zu bejahen, wenn er gegen Lohnzahlung weiter Beamtendienst verrichtet und um die Erhaltung seiner Beamtenrechte kämpft 21 . Wenn der wegen seiner politischen Haltung „entlassene" Beamte um seine Rechte kämpft, so muß er sich auch der Pflicht bewußt sein, durch beamtenwürdiges Verhalten sich der von ihm für sich weiter in Anspruch genommenen Beamtenrechten wertzuerweisen. Zumindest ist mit dem Erlaß des G 131 die Rechtslage für sämtliche verdrängten und entnazifizierten Beamten geklärt, so daß sich kein Beschuldigter, der erst nach dem 1. 4. 51 eine Pflichtverletzung begangen hat, darauf berufen kann, daß ihm das Bewußtsein der Beamteneigenschaft gefehlt hat. Hieran ändert auch das sog. Beamtenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 12 53 — I BvR 147/52 — 22 nichts, wonach die deutschen Beamtenverhältnisse mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches erloschen sind. Ein automatisches Erlöschen der Beamtenrechtsverhältnisse mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs kann weder für die am 8. 5. 45 noch im Dienst gewesenen Beamten noch für diejenigen Personen angenommen werden, die in diesem Zeitpunkt bereits beamtenrechtliche Versorgungsempfänger waren 23 . Ginge man nicht von der Kontinuität der Beamtenrechtsverhältnisse aus, so hätte G 131 nur wenig Sinn. Die auf Anordnung der Militärregierung aus politischen Gründen entfernten Beamten sind nicht aus dem Beamtenverhältnis entlassen, sondern durch eine vorläufige summarische Maßnahme vom Amt suspendiert worden 24 . Die Disziplinargerichte sind an die rechtliche Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts in den Gründen der Urteile vom 17. 12. 53 — I BvR 147/52 — und vom 14. 1. 54 — I BvR 409/53 — über das Erlöschen sämtlicher Beamtenverhältnisse mit dem 8. 5. 45 und die Neubegründung des Beamtenverhältnisses eines früheren Beamten, der am 8. 5. 45 seine Rechtsstellung verloren hatte, durch Einweisung und Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Planstelle ohne Aushändigung einer neuen Ernennungsurkunde nicht gebunden 25 . Bei den unter § 9 G 131 fallenden Pflichtwidrigkeiten kommt es auf das Bewußtsein der Beamteneigenschaft zur Zeit der Tat für die Feststellung eines Dienstvergehens oder einer als Dienstvergehen geltenden Handlung nicht an. Hier genügt es vielmehr, daß der Beschuldigte sich der allgemeinen Ordnungswidrigkeit der Tat bewußt war 26 . Das G 131 hat dem von ihm erfaßten Personenkreis rückwirkend fiktiv den besonderen Rechtsstand von Beamten zur Wiederverwendung verliehen und dieses Rechtsver20 Niedersächsischer DStH 11. 5. 53 — DSt. A 2/52 — in DVB1.1953 S. 514 = BDHE Bd. 1 S. 210 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 74. 2 1 BDH 12.11. 53 — II D 54/53 — in ZBR 1954 S. 88 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 79. 22 In NJW 1954 S. 21 = BVerfGE Bd. 3 S. 58; vgl. auch Beschluß BVerfG 19. 2. 57— I BvR 357/52 — in DöV 1957 S. 530. 23 BGH 20. 5. 54 — GZS 6/53 — in NJW 1954 S. 1073 = JZ 1954 S. 489 = ZBR 1954 S. 242. 24 BGH Gutachten 6. 10. 52. 1 VRG. 10 52 - in N J W 1954 S. 225. 25 BDH 24. 2. 55 — I D 153/53 — BDHE Bd. 2 Nr. 19. 20 BDH 21.12. 54 — I D 139/53 — BDHE Bd. 1 S. 55 (66) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 106; BDK III 26. 6. 53 — III VL 6/53 — L i n d g e n , TeilIV Nr. 2; DokBer. Nr. 1999.
402
Begriff
§45
hältnis unter Beschneiden der früheren Beamtenrechte gestaltet. Eine Verletzung der allgemeinen Dienstpflichten, die fortbestehen blieben, kann nur unter den sich aus § 9 G 131 ergebenden Einschränkungen disziplinarisch geahndet werden. Bei dem Verfahren nach § 9 G 131 geht es darum, ob den Beamten, die an sich unter dieses Gesetz fallen, die in diesem Gesetz gewährten Rechte verbleiben sollen oder ob sie dessen unwürdig erscheinen. So wie dem Personenkreis des G 131 fiktiv der besondere Rechtsstand von Beamten zur Wiederverwendung verliehen ist, so handelt es sich bei den Pflichtverletzungen des § 9 G 131 auch um Ordnungswidrigkeiten, die fiktiv als Dienstvergehen gelten. Wenn dem Beamten auf Grund seiner früheren Rechtsstellung als Beamter Bezüge gewährt werden, so muß er sich bei der Frage, ob ihm diese Bezüge wieder entzogen werden können, auch so behandeln lassen, als wenn er ununterbrochen Beamter gewesen wäre. Das „Dienstvergehen" im Sinne des § 9 G 131 ist eine Pflichtverletzung, die bei einem aktiven Beamten als Dienstvergehen gilt. Dabei wird an die Beamteneigenschaft angeknüpft, ohne sie zur inneren Voraussetzung zu machen. Durch die Bezeichnung „Dienstvergehen" i. S. § 9 G 131 soll nur zum Ausdruck gebracht werden, daß nicht jede Pflichtverletzung schlechthin, sondern nur solche Handlungen verfolgt werden sollen, die bei einem Beamten geahndet werden können.
§ 45. Fahrlässigkeit I. BEGRIFF Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter das Dienstvergehen zwar nicht will, jedoch verwirklicht und pflichtwidrig nicht erkennt, daß er damit unrecht handelt. Er macht sich strafbar, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande war, außer acht gelassen und infolgedessen entweder den Erfolg, den er bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt hätte voraussehen können, nicht vorausgesehen hat oder den Eintritt des Erfolges zwar für möglich gehalten, aber darauf vertraut hat, daß er nicht eintreten würde 1 . Die eingetretenen Folgen einer pflichtwidrigen Handlung dürfen nicht so außerhalb der Lebenserfahrung liegen, daß sie vom Beamten auch bei Anwendung der ihm zuzumutenden Überlegung nicht in Rechnung gestellt zu werden brauchten2. Die Erfahrungen des täglichen Lebens und der gewöhnliche Ablauf der Dinge innerhalb der Grenzen der allgemeinen Erfahrung bilden hier einen objektiven Maßstab 3 . Fahrlässigkeit liegt auch dann vor, wenn die Unkenntnis des Täters hinsichtlich der bestehenden Rechtsvorschriften auf einen Mangel an Sorgfalt und Überlegung, für dessen Behebung er hätte Sorge tragen können, zurückzuführen ist4. Man unterscheidet zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit. Von grober Fahrlässigkeit spricht man, wenn der Täter pflichtwidrig den Tatbestand erfüllt, auch diese Möglichkeit erkennt, aber pflichtwidrig darauf 1 2 3 4
26·
RGSt. Bd. 56 S. RG in DR 1939 RGSt. Bd. 56 S. Vgl. W i t t l a n d ,
349, Bd. 67 S. 18. S. 1148. 349. Anm. 14 zu § 22 DBG.
403
§45
Fahrlässigkeit
vertraut, daß sein Handeln keinen widerrechtlichen Erfolg herbeiführen werde 6 . Ebenso spricht man dann von grober Fahrlässigkeit, wenn der Täter nicht die einfachsten Überlegungen anstellt. Entscheidend wird es auch auf den Pflichtenkreis des Täters ankommen. Ein Schrankenwärter, der sich während der Dienststunden dem Kartenspiel oder der Lektüre von Zeitungen oder Zeitschriften hingibt, wird immer grob fahrlässig handeln, da die Überwachung der ihm anvertrauten Bahnschranken ihn zu einer besonderen Achtsamkeit veranlassen muß. Schließlich ist für die Bestimmung der groben Fahrlässigkeit auch ein vorheriges Handeln des Täters maßgebend. Ein Lokomotivführer, der morgens frühzeitig zum Dienst zu erscheinen und der die ganze Nacht hindurch gezecht hat und deshalb übermüdet zum Dienst erscheint, handelt bereits bei dem geringsten Versehen im Betriebsdienst grob fahrlässig, weil er sich durch sein vorhergehendes Verhalten — nämlich infolge des Zechens während der gesamten Nacht — in eine Lage versetzt hat, die eine sorgfältige Beachtung der Betriebsvorschriften ausschließt. Von leichter Fahrlässigkeit ist dann die Rede, wenn der Täter einer nur entfernt in Betracht kommenden Möglichkeit keine Beachtung schenkt. Mit Rücksicht darauf, daß die Unterscheidung zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit im Haftungsrecht eine erhebliche Rolle spielt, indem ζ. B. der Beamte, der seine Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes verletzt hatte, dem Dienstherrn den Schaden nur insoweit zu ersetzen hat, als ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu Last fällt (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 2 BBG), hat man in der Rechtslehre im Gegensatz zur Rechtsprechung auch in das Beamtenrecht die im Arbeitsrecht entwickelte Lehre von der gefahrgeneigten Tätigkeit übernommen®. Hiervon spricht man, wenn die Aufbürdung des ganzen Schadens im Falle schuldhafter Schlechtleistung für den Arbeitnehmer dann eine unbillige Härte darstellen würde, wenn die von ihm geleistete Arbeit infolge ihrer Eigenart eine besonders große Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, daß dem Arbeitsnehmer gelegentlich einmal ein Versehen unterläuft, auch wenn er bei seiner Arbeit die erforderliche Sorgfalt anwendet7. Man läßt dies dann gelten, wenn zugleich die Gefahr besteht, daß der durch ein solches Versehen verursachte Schaden sehr groß ist und außer Verhältnis zu dem Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers steht. Die Fälle der gefahrgeneigten Arbeit spielen im Arbeitsrecht in erster Linie beim Kraftwagenfahrer eine Rolle; darüber hinaus wendet man sie auch auf jede andere Arbeit an, die diese Voraussetzungen erfüllt. Wenn auch mit der Lehre von der gefahrgeneigten Arbeit kein besonderer arbeitsrechtlicher Fahrlässigkeitsbegriff aufgestellt werden soll, so hat die Übernahme dieser Lehre ins Beamtenrecht im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 2 BBG dazu geführt, daß die gefahrgeneigte Arbeit hier als ein besonderer Grad der Fahrlässigkeit betrachtet wird, der eine Haftung des Beamten ausschließt, während im allgemeinen Arbeitsrecht unter den Voraussetzungen der gefahrgeneigten Arbeit bei leichter Fahr5 RGSt. Bd. 56 S. 349, Bd. 58 S. 134, Bd. 67 S. 18; M e z g e r in L K Anm. 22 zu § 59 StGB; B a n k , Grobe Fahrlässigkeit als Verschulden des Verwaltungsbeamten in DöD 1963. 8 F i s c h e r , Beamtenrecht und innerbetrieblicher Schadensausgleich bei besonders gefahrbehafteter Tätigkeit in ZBR 1960 S. 148 und in Die Bundesbahn, 1960 S. 429; S t i c h , Die Bedeutung des Verschuldensgrades fur die Schadenshaftung gefahrbehafteter Tätigkeit in ZBR 1960 S. 103; O s t l e r , Unfallursache und IHfallschuld bei gefahrgeneigter Arbeit in N J W 1962 S. 1229; a. M. BVerwG 17. 9. 64 — BVerwG 114/61 — ZBR 1965 S. 87. 7 H u e c k - N i p p e r d e y , Lehrbuch des Arbeitsrechts Teil I S. 212 ff.
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Disziplinarrechtliche Beurteilung der Fahrlässigkeit
lässigkeit der Schaden lediglich zwischen Arbeitgebet und Arbeitnehmer zu verteilen ist, während bei grober Fahrlässigkeit der Arbeitnehmer den Schaden ganz zu tragen hat8. Π. DISZIPLINARRECHTLICHE BEURTEILUNG DER FAHRLÄSSIGKEIT Der Beamte macht sich grundsätzlich auch dann disziplinarisch strafbar, wenn er fahrlässig gegen seine Dienstpflichten verstößt. Wenn auch nicht jede fahrlässige Verhaltensweise ein Dienstvergehen darstellt, so muß doch an dem Grundsatz festgehalten werden, daß jedes kriminelle strafbare Verhalten eines Beamten regelmäßig auch ein Dienstvergehen ist. Demnach macht sich der Beamte disziplinarisch nicht nur dann strafbar, wenn er seine Dienstpflichten im engeren Sinne verletzt, sondern auch dann, wenn er sich eine fahrlässig begangene Straftat, die in keiner Beziehung zu seinem Dienst steht, hat zuschulden kommen lassen9. Auch der Beamte, der fahrlässig gegen die für jeden Bürger geltenden Gebote verstößt, büßt durch seine Handlungsweise im allgemeinen an Achtung in der Bevölkerung ein, weil die Öffentlichkeit von ihm gerade insoweit ein besonders korrektes Verhalten erwartet. Ansonsten wäre eine Verfolgung des größten Teiles der Straßenverkehrsdelikte im Disziplinarwege nicht möglich 10 . Bei einem fahrlässig begangenen Unterlassungsdelikt braucht dem Beschuldigten nicht nachgewiesen zu werden, was im einzelnen zur Verletzung seiner Sorgfaltspflicht geführt hat, wenn die in Betracht kommenden Gründe im Sinne eines allgemeinen schuldhaften Unterlassens gleichwertig sind 11 . Für das Disziplinarrecht ist bedeutungslos, daß die Pflichtverletzung, wie ζ. B. fahrlässige Sachbeschädigung, für die sich der Beschuldigte zu rechtfertigen hat, im Strafrecht als Fahrlässigkeitsdelikt nicht verfolgt werden kann. Fahrlässiges Verhalten als Dienstvergehen wird in der Disziplinarrechtsprechung vor allem bejaht bei fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung, sei es im Straßenverkehr 12 , sei es im Umgang mit gefährlichen Geräten 13 oder in sonstiger Weise14. Fahrlässigkeit ist vor allem auch bei der Verwaltung oder der sonstigen Handhabung öffentlichen Eigentums denkbar. Eine kasuistische Aufzählung der Fahrlässigkeitsdelikte verbietet sich mit Rücksicht auf die Vielseitigkeit der Dienstvergehen. 8 BArbG — Großer Senat — 1 0 . 1 . 5 5 in N J W 1 9 5 5 S. 458; BArbGE Bd. 5 S. 7; BArbG in NJW 1959 S. 1796; vgl. auch LAG Hamburg in RdA 1948 S. 106; LAG Dusseldorf in AP 1951 S. 255; LAG Stuttgart in AP Nr. 2 zu § 611; LAG Frankfurt in BB 1952 S. 858; BGHZ Bd. 16 S. 111 = NJW 1955 S. 458. 9 BDH 3. 1. 62 — I D 68/61 — in ZBR 1962 S. 194 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 609. 1 0 Vgl. DokBer. Nr. 1706. 1 1 BDH 13. 7. 60 — II D 123/59 — BDHE Bd. 5 S. 25 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 572. 1 2 Vgl. ζ. B. BDH 17. 12. 58 — II D 30/58 —, 24. 6. 59 — III D 31/58. 12. 1. 60 — II D 79/59 —, 3.10. 61 — I D 25/61 —, 3 . 1 . 62 — I D 68/61 —. 1 3 BDH 7. 3. 62 — I D 93/61 —, 23. 5. 62 — III D 14/62 —. 1 4 BDH 27. 2. 58 — III D 128/55 —, 22. 5. 58 — II D 46/57 —, 13.1. 60 — II D 75/59 —, 13. 7. 60 — II D 123/59 —, 6. 4. 62 — I D 47/61 —.
405
§45
Fahrlässigkeit
Beim Strafmaß kommt es im wesentlichen auf den Grad der Fahrlässigkeit und die Begleitumstände der Tat an15. Doch kann im Disziplinarrecht Fahrlässigkeit auch bei gleicher Straftat mehr Gewicht haben als Vorsatz 16 . Es wäre irrig, wenn man annehmen wollte, daß Fahrlässigkeit immer ein milderer Schuldgrad sei. Abgesehen davon, daß Fahrlässigkeit schon nach der verschiedenen Art der Straftat schwerer als Vorsatz wiegen kann, also bei einer Straftat, die gegen Leben und Gesundheit gerichtet ist, schwerer wiegt als etwa Vorsatz bei einer Übertretung im strafrechtlichen Sinne, kann Fahrlässigkeit auch bei gleichartiger Straftat mehr Gewicht haben als Vorsatz, je nachdem, ob bei der einen oder anderen Schuldform die persönlichkeitsfremden, situationsbedingten Elemente überwiegen. So läßt ζ. B. bewußte Fahrlässigkeit beim Umgang mit lebensgefährdenden Waffen bereits — unabhängig von den besonderen Entlastungsgründen im Einzelfalle — ganz allgemein bedenkliche Schlüsse auf die persönliche Zuverlässigkeit des betreffenden Beamten zu und ist seinem Ansehen abträglicher als eine vorsätzliche, kurzschlußartige Augenblickstat von geringerer Bedeutung. Der Grad der Fahrlässigkeit bemißt sich im Disziplinarrecht nicht danach, ob es sich um eine bewußte oder unbewußte Fahrlässigkeit im Sinne der von der strafrechtlichen Rechtsprechung getroffenen Unterscheidung handelt17. Selbst im Strafrecht ist es umstritten, ob die begriffliche Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Fahrlässigkeiten überhaupt von Bedeutung für den Grad derselben ist 18 . Im Disziplinarrecht kommt es auf die Unterscheidung deshalb nicht an, weil nicht der eingetretene Erfolg zu sühnen ist, sondern die Verletzung von Dienstpflichten und ihre Auswirkung auf das Ansehen des Beamtentums und auf das Vertrauen des Dienstherrn und der Öffentlichkeit entscheidend sind. Die im Arbeitsrecht herausgearbeitete Lehre von der Beschränkung der Haftung bei gefahrgeneigter Tätigkeit ist nicht geeignet, die Fahrlässigkeit des Beamten in dem Sinne disziplinarrechtlich zu beachten, daß der Beamte auch hier nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Wohl kann der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer, dem Fahrlässigkeit zum Vorwurf zu machen ist, keinen vollen Schadensersatz verlangen, wenn wegen der Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem typischen Abirren der Dienstleistung zu rechnen ist. Wenn auch — wie bereits unter I gezeigt ist — diese Lehre im Beamtenrecht Eingang gefunden hat, soweit es sich um § 78 B B G handelt, so bestehen schon gegen deren Anwendung im Beamtenrecht ganz allgemein die stärksten Bedenken. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung hat von der grundsätzlich unbeschränkten Haftung des § 276 BGB auszugehen, während § 78 BBG, 16 BDH 10. 1. 63 — II D 52/63 — B D H E Bd. 6 S. 58; BDH 4. 6. 58 — I D 1103/56—, 16.5. 62 — H D 4/62—. 16 DokBer. Nr. 1649. 17 BDH 11. 12. 58 — I D 14/57 — in NDBZ 1960 S. 199 = L i n d g e n , Teil IV Nr.386 = DokBer. Nr. 1131; vgl. auch RGSt. Bd. 56 S. 349; Bd. 58 S. 134, Bd. 67 S. 18; PrOVG Bd. 77 S. 512, Bd. 85 S. 451, Bd. 86 S. 452, Bd. 89 S. 414; RDH 23. 3. 27 bei F o e r s t e r S i m o n s , S. 1; B r a n d , RDStO S. 38; B r a n d , D G B 2. Aufl. S. 226. 18 Vgl. M e z g e r , Strafrecht 3. Aufl. S. 362; M a u r a c h , Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil § 44 Anm. II A 2; siehe auch S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. X 4 zu § 59 StGB, der die begriffliche Unterscheidung zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit ganz allgemein nicht anerkennt.
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Disziplinarrechtliche Beurteilung der Fahrlässigkeit
§45
der die vermögensrechtliche Haftung des Beamten regelt, schon insofern eine Haftungsbeschränkung enthält, als er in Übereinstimmung mit Art. 34 GG in den Fällen, in denen der Beamte in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einen Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verlet2t, die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Hiermit ist die Haftungsbeschränkung im Beamtenrecht abschließend geregelt 19 . Wenn also der Beamte grundsätzlich auch bei leichter Fahrlässigkeit im haftungsrechtlichen Sinne zur Verantwortung gezogen werden kann (§78 Abs. 1 Satz 1 BBG), muß er auch in den Fällen disziplinarisch bestraft werden, in denen der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Ausübung gefahrgeneigter Arbeit nicht haften würde. Auf keinen Fall geht es an, diese Lehre auch auf das Disziplinarrecht auszuweiten, weil hier die Bestrafung ein Verschulden des Beamten schlechthin voraussetzt. Denn die Disziplinarstrafe ist nicht eine Schadensersatzleistung für einen angerichteten Schaden, sondern bezweckt in schweren Fällen das Dienstverhältnis zu lösen und im übrigen den Beamten wegen seines Mißverhaltens zur Ordnung zu rufen und erzieherisch auf ihn einzuwirken. Wird in der Rechtsordnung eine bestimmte Verhaltensweise auch bei fahrlässiger Begehungsform für strafbar erklärt, wie ζ. B. fahrlässige Körperverletzung, so kann man auch bei einer gefahrgeneigten Tätigkeit der beruflich mit besonderer Verantwortung bedachten Personen, wie ζ. B. eines Fahrdienstleiters der Deutschen Bundesbahn, eine disziplinarische Verantwortlichkeit für die Dienstausübung nicht mit der Begründung verneinen, daß es sich hierbei um eine berufstypische Fehlleistung handelte20. Die fortschreitende Technisierung vieler Lebensvorgänge und die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr verbieten es, von der Verhängung von Strafen für leicht fahrlässige Vergehen, die sich vor allem gegen Verkehrs- und Unfallverhütungsvorschriften richten, abzusehen, zumal dem Beamten sogar völlig außerhalb der Strafgesetze nach einem verfeinerten Maßstab besondere moralische Verpflichtungen auferlegt werden. Der Beamte, der wegen einfacher Fahrlässigkeit im haftungsrechtlichen Sinne nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, hat sich also dennoch disziplinarisch zu verantworten. Soll der Beschuldigte wegen der fahrlässigen Begehung eines Dienstvergehens bestraft werden, so müssen im Urteil die Tatsachen, die auf ein fahrlässiges Verhalten schließen lassen, im einzelnen angeführt werden 21 . Hat sich ζ. B. ein Beamter durch alkoholischen Mißbrauch gesundheitlich geschädigt, so genügt nicht der Hinweis im Urteil, daß die Schuld des Beamten in einem „gewissen Umfange" zu bejahen sei. In einem solchen Falle muß 19
S. 87.
DokBer. Nr. 1360; vgl. auch BVerwG 17. 9. 64 — BVerwG 114/61 — in ZBR 1965
2» BDH 10.1. 63 — II D 52/62 — in NJW 1963 S. 1271 ; vgl. auch DokBer. Nr. 1706. und BDH 10. 1. 63 — II D 52/63 — BDHE Bd. 6 S. 58, wonach die fahrlässige Verursachung eines Eisenbahnunglücks ein Dienstvergehen darstellt, wenn bei Schadensersatz Haftpflichterleichterungen aus dem Gesichtspunkt gefahrgeneigter Tätigkeit gewahrt wird; a. M. O s t l e r in NJW 1962 S. 129 (1231), der bei gefahrgeneigter Arbeit auch in disziplinarrechtlicher Hinsicht das Vorliegen eines Dienstvergehens verneint, wenn einem sonst sorgfältigen Beamten bei leichtem Verschulden Fehler unterlaufen, die als typisches erfahrungsgemäßes Abirren in der Dienstleistung auf Grund menschlicher Unzulänglichkeit anzusehen sind. O s t l e r ist einzuräumen, daß es fahrlässige Verhaltensweisen gibt, bei denen ein Dienstvergehen zu verneinen ist (vgl. BDH 16. 1. 62 — II D 12/61 — und 4 . 1 0 . 62 — 21 DokBer. Nr. 1709. I D 7/62 —).
407
§46
Formen der Teilnahme und ihre disziplinarrechtliche Beurteilung
aufgezeigt werden, inwieweit dem Beschuldigten bewußt war, daß er durch den Alkoholmißbrauch seine Dienstfähigkeit beeinträchtigen mußte; die Voraussehbarkeit der Folgen des Alkoholmißbrauchs muß dem Beamten hier nachgewiesen werden, was dann nicht der Fall ist, wenn der ständige Alkoholgenuß zu einer echten Gewöhnung geführt hat, so daß der Beschuldigte gar nicht mehr in der Lage war, den Alkoholabusus zu bremsen. 5. K a p i t e l
Die Täterschaft § 46. Formen der Teilnahme und ihre disziplinarrechtliche Beurteilung I. FORMEN DER TEILNAHME Der Beamte kann das Dienstvergehen allein oder in Gemeinschaft mit anderen begehen. Als Teilnahmeformen kommen ebenso wie im Strafrecht Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe in Frage. A. Mittäterschaft Mittäterschaft liegt vor, wenn mehrere in der Art bewußt und gewollt zusammenwirken, daß jeder die Gesamttat unter Mitwirkung des anderen als eigene verwirklichen will. Der Täter führt die Handlung selbst und zugleich dadurch aus, daß er einen anderen für sich handeln läßt1. Mittäterschaft kommt auch dann in Frage, wenn jeder nur ein Teilstück der Tatbestandsvoraussetzungen verwirklicht. Entscheidend ist für die Annahme der Mittäterschaft der g e m e i n s a m e E n t s c h l u ß , ein D i e n s t v e r g e h e n d u r c h g e m e i n s a m e s H a n d e l n zu b e g e h e n , und die gemeinsame Vornahme der Handlung. Der Mittäter braucht kein Tatbestandsmerkmal zu verwirklichen oder sich an der Ausführung selbst zu beteiligen; es genügt vielmehr bereits eine Beihilfe- oder gar nur eine Vorbereitungshandlung. Der Mittäter ist für das Handeln des anderen Täters nur im Rahmen seines Vorsatzes verantwortlich. Hinsichtlich des Irrtums eines Mittäters und seine Rückwirkung auf die übrigen Täter gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. §44111 S.399ff). B. Anstiftung Anstiftung bedeutet vorsätzliche Bestimmung eines anderen zur Begehung eines Dienstvergehens. Mittel, durch die der Anstifter den anderen bestimmt, können Geschenke, Versprechungen, Drohungen, Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt oder die Herbeiführung eines Irrtums sein. Die Bestimmung des anderen muß vorsätzlich geschehen. Der Vorsatz muß auf die Begehung einer bestimmten dienstlichen Verfehlung gerichtet sein. Der Anstifter muß die Umstände kennen, die die Strafbarkeit des Dienstvergehens begründen. Das vom Angestifteten ausgeführte Dienstvergehen muß dem Vorsatz des Anstifters in seinen wesentlichen Merkmalen entsprechen. 1
408
Vgl. RGSt. Bd. 63 S. 101, Bd. 66 S. 240, Bd. 71 S. 24.
Disziplinarrechtliche Folgen bei der Beteiligung mehrerer Beamter am Dienstvergehen § 4 6
C. Beihilfe Beihilfe ist die dem Täter vorsätzlich geleistete Hilfe zur Begehung eines Dienstvergehens. Derjenige, der Beihilfe leistet, will im Gegensatz zum Mittäter nicht die Tat als eigene. Die Hilfe ist auch geleistet, wenn die Tat für den Erfolg der Haupttat nicht ursprünglich ist, wobei nicht notwendig ist, daß die Haupttat ohne die Beihilfe unterblieben wäre 2 . Die Beihilfe braucht nicht zur unmittelbaren Ausführung der Haupttat geleistet zu werden. Ebenso ist bedeutungslos, ob und welche Merkmale d?s Dienstvergehens bereits verwirklicht waren, als die Beihilfe einsetzte. Die Beihilfe kann durch Rat und Tat erfolgen. Schon die Stärkung des Entschlusses des Haupttäters kann Beihilfe bedeuten 3 . Beihilfe durch Unterlassen bedeutet nur dann ein Dienstvergehen, wenn dem Beamten eine Rechtspflicht zum Tätigwerden oblag. II. DISZIPLINARRECHTLICHE FOLGEN BEI DER BETEILIGUNG MEHRERER BEAMTER AM DIENSTVERGEHEN Haben sich Mehrere an einem Dienstvergehen gemeinsam beteiligt, so ist bei jedem Beamten selbständig zu prüfen, ob er disziplinarisch bestraft werden soll. Nach § 3 Abs. 1 BDO, § 3a BDO i. d. F. der Novelle ist es nämlich in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde gestellt, ob wegen eines Dienstvergehens eingeschritten werden soll. Daher hat jeder Beamte für die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner dienstlichen Obliegenheiten einzustehen, ohne daß er sich bei Nichterfüllung seiner Pflichten auf ein gleiches Fehlverhalten seiner Kollegen berufen kann 4 . Es ist deshalb rechtlich zulässig, daß der eine Teilnehmer disziplinarisch verfolgt wird, weil er sich bereits mehrfach vergangen hat, während der andere Mittäter nicht bestraft wird, weil er noch unerfahren ist und zum ersten Mal gefehlt hat. Die verschiedene Beurteilung von Dienstvergehen stellt keinen Verstoß gegen den in Art. 3 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz dar 6 . Art. 3 GG besagt nämlich nur, daß das bestehende Recht unter Ausschluß von Willkür rückhaltlos und ohne Ansehung der Person anzuwenden ist, in der Anwendung jedoch Ausnahmen gemacht werden können, so daß gleichliegende Fälle verschieden beurteilt und entschieden werden können. Das Strafmaß kann sich im einzelnen Falle nach den näheren Umständen der Tat und ihren Beweggründen richten. Bei der Beurteilung eines Dienstvergehens kommt es u. a. auf die Persönlichkeit des Täters, seine bisherige Führung, seine wirtschaftlichen Verhältnisse und sonstige ihn betreffenden Umstände an. Weiterhin kann der Grad des Verschuldens bei gleichem Erfolg der Tat so verschieden sein, daß schon deshalb das Strafmaß unterschiedlich ausfallen muß. So können sich bei objektiv gleichartigen Taten Unterschiede ergeben, die die Gerichte zu berücksichtigen haben, ohne daß dadurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird®. 2 Vgl. RGSt. Bd. 58 S. 113, Bd. 67 S. 193, Bd. 71 S. 178, Bd. 73 S. 54; BGH in VRS Bd. 8 S. 199. 3 RGSt. Bd. 73 S. 53; OLG Stuttgart in NJW 1950 S. 118. 4 BDH 25. 7. 61 — I DV 10/60 — NDBZ 1961 S. 262 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 601. 6 BDH 9. 9. 55 — II DB 27/55 —; BDH 18. 6. 53 — I DW 1/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 67. « DokBer. Nr. 1760; vgl. auch DokBer. Nr. 1932.
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Verstöße gegen die Wahrung der Verfassungstreue
Werden sämtliche Beamte, die sich gemeinsam an einer Unrechtshandlung beteiligt hatten, in gleicher Weise verfolgt, so folgt daraus noch nicht, daß sie mit der gleich hohen Strafe bestraft werden. Das pflichtwidrige Verhalten ist vielmehr bei jedem Beschuldigten selbständig zu prüfen und kann demgemäß auch zu einer verschieden hohen Bestrafung führen. Ein Grundsatz, daß Mittäter — ohne Rücksicht auf ihre Persönlichkeit — bei gleicher Tatbeteiligung gleich schwer zu bestrafen sind, besteht im Disziplinarrecht nicht7, wie auch im Strafrecht kein Grundsatz besteht, daß Mittäter — ohne Rücksicht auf ihre Persönlichkeit — bei gleicher Tatbeteiligung gleich hoch zu bestrafen sind8. 6. K a p i t e l
Die einzelnen Dienstvergehen 1. T i t e l Die Dienstvergehen in politischer
Hinsicht
§ 47. Verstöße gegen die Wahrung der Verfassungstreue I. RECHTSLAGE BIS ZUM ZUSAMMENBRUCH IM JAHRE 1945 Die Stellung des Beamten zu seinem Dienstherrn, dem Staat, richtet sich nach der jeweiligen politischen Ordnung. Der Gesetzgeber sah ζ. Z. der Weimarer Republik, die von durchaus liberalen Auffassungen getragen war, bewußt davon ab, den Beamten an den Staat zu binden. Die politischen Rechte erhielten den Vorzug vor den dienstlichen Pflichten. Obwohl Art. 130 Abs. 2 WeimVerf. den Beamten die Freiheit der politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet hatt;, so hatten jedoch die Disziplinargerichte schon in den Jahren vor 1933 festgestellt, daß der politischen Betätigung der Beamten Grenzen gezogen seien, die sich aus dem Beamtengesetzen ergäben. Diese verlangten von dem Beamten Mäßigung und Zurückhaltung, die durch seine Stellung als Diener der Gesamtheit und das Ansehen des Amts bedingt waren. Die Rechtsprechung der Disziplinargerichte vermochte es trotzdem nicht zu verhindern, daß ein Teil der Beamtenschaft infolge staatsfeindlicher Betätigung zur Beseitigung der Demokratie beitrug. Die Gefahren, die sich aus Art. 130 Abs. 2 Wein Verf. ergaben, hatte der Nationalsozialismus klar erkannt. Er suchte nunmehr den Beamten an den Staat zu binden und drückte ihn wieder zum Staatsdiener herab. Der nationalsozialistische Staat forderte von seinen Beamten völliges Aufgehen im Dienst und in der Treue zum „Führer" und Reich 1 . So war es nicht verwunderlich, daß staatsfeindliche Äußerungen 2 , die Verbreitung illegaler kommunistischer Zeitschriften3, die Erziehung des Sohnes eines Beamten im 7 BDH 21.12. 54 — I D 178/53 — BDHE Bd. 1 S. 164; BDH 16. 6. 53 — I D W 1/53— L i n d g e n , Teil IV Nr. 153 = ZBR 1955 S. 150. 8 Vgl. OLG Hamburg in NJW 1954 S. 1737. 1 W i t t l a n d , Anra. 36 zu § 22 DBG. 2 RDH 1. 4. 37 in DVB1.1937 S. 653. 3 RDH 6. 1. 36 bei Foerster 1936 S. 33.
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Ausland „im volkfremden Sinne" 4 , die Beleidigung von führenden Persönlichkeiten des Staates5 oder die Nichtbeteiligung an der Reichstagswahl 6 oder der Volksabstimmung 7 , Abgabe einer Neinstimme zur Politik und damit Versagung der Zustimmung zur Politik des „Führers" 8 , Verweigerung des sog. deutschen Grußes9 oder die Mitgliedschaft in der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung 10 mit Entfernung aus dem Dienst bestraft worden waren 11 . Π. RECHTSLAGE IN DER BUNDESREPUBLIK BIS ZUM INKRAFTTRETEN DES BBG Die Bundesrepublik Deutschland lehnt diese überspitzte Treupflicht ab. Sie hat aber aus den Fehlern der Weimarer Republik, die jegliche Bindung des Beamten an den Staat abgelehnt hatte, ihre Lehren gezogen. Das heutige Beamtenrecht verlangt, daß der Beamte als Vollstrecker staatlichen Willens zum Staat positiv eingestellt sein muß. Die zunehmende Tätigkeit von Bundes- und Landesbeamten in politischen Organisationen, die auf eine Untergrabung der Demokratie hinzielten, veranlaßte die Bundesregierung zu dem Kabinettsbeschluß vom 19. 9. 50. Hier wurde klargestellt, daß die Teilnahme von Beamten, Angestellten und Arbeitern im mittelbaren und unmittelbaren Staatsdienst an Bestrebungen und Organisationen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, mit der Treupflicht gegen die Bundesrepublik nicht vereinbar war. Darunter fielen gleicherweise links- und rechtsradikale Bestrebungen oder Organisationen. Hiernach war jede Teilnahme, Betätigung und Unterstützung untersagt. Damit wäre auch die Mitgliedschaft verboten, da bereits die geldliche Stärkung einer Organisation durch Beiträge eine Unterstützung darstellt. Die Dienstvorgesetzten waren nunmehr verpflichtet, gegen die Beamten einzuschreiten, die ihre Treuepflicht gegenüber der Bundesrepublik verletzt hatten. Soweit es sich allein um die Mitgliedschaft in einer solchen Partei handelt, muß berücksichtigt werden, daß diese nur den Ausdruck einer Gesinnung darstellt, die als solche nicht strafbar ist. Dem Beamten muß vielmehr eine aktive Betätigung nachgewiesen werden, die auf eine Untergrabung der demokratischen Grundordnung hinzielt. Würde ein Beamter in einer solchen Partei sich nur mit Fragen der sozialen Betreuung befassen, so dürfte er sich damit noch nicht strafbar machen. ΠΪ. RECHTSLAGE NACH INKRAFTTRETEN DES BBG Das BBG stellt in § 2 Abs. 1 fest, daß der Beamte in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Die Treupflicht geht auf Hingabe des Beamten an seinen Dienstherrn. Hierbei handelt es sich um eine sittliche Verpflichtung12. Durch die Treupflicht ist der Beamte an seinen RDH 19. 3. 35 bei Foerster 1936 S. 87. RDH 18. 12. 37 in DDP 1938 S. 381. RDH 15. 2. 37 in DVZ 1937 S. 634. 7 RDH 29. 5. 40 — I D 46/40 —. 8 RDH 25.11. 38 — V D 12/39 —. 9 RDH bei Foerster 1936 S. 30; RDH bei Foerster 1937 S. 7. 1 0 RDH 26. 4. 39 — I D 32/39 —. 1 1 Vgl. W i t t l a n d , Anm. 56—58 zu § 1 RDStO. 1 2 Fischbach, Anm. VII 2 zu § 2 BBG.
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Dienstherrn gebunden und verpflichtet, sich mit seiner ganzen Persönlichkeit in seinen Dienst zu stellen. Aus dieser Treupflicht ergibt sich vor allem eine positive Einstellung zur demokratischen Grundordnung und der Wille, auf das Wohl der Gesamtheit bedacht zu sein, wobei der Beamte nicht einer Partei, sondern dem gesamten Volke dienen muß. Der Beamte muß sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten (§52 Abs. 2 BBG, inhaltlich gleichlautend § 64 Abs. 2 LBG BW, Art. 62 Abs. 2 LBG Bayr., § 18 Abs. 2 LBG Bln., § 53 Abs. 2 BG Brm., § 55 Abs. 2 BG Hmb., § 67 Abs. 2 HG, § 61 Abs. 2 NBG, § 55 Abs. 2 BG NW, § 63 Abs. 1 LBG Rh.-Pf., § 66 Abs. 2 BG Saar, und § 65 Abs. 2 LBG Schl.-Hol.)13. Ein nur passives Verhalten reicht nicht aus. Schon die Berufung in das Beamtenverhältnis setzt voraus, daß der Bewerber dafür Gewähr bietet, daß er jederzeit für diese Grundordnung eintritt ( § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG und die gleichlautenden Bestimmungen des Landesbeamtenrechts). Das Bundesverfassungsgericht umreißt in seiner Entscheidung vom 23. 10. 52 M die freiheitliche demokratische Grundordnung wie folgt: „Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition". Diese Begriffsbestimmung stimmt inhaltlich mit den im § 88 Abs. 2 StGB enthaltenen Verfassungsgrundsätzen überein. Es muß also die Freiheit des einzelnen, allerdings in den Grenzen der Art. 1—9 GG, gesichert sein. Darüber hinaus muß das Mehrparteiensystem das staatliche Leben in dem Sinne beherrschen, daß der Wahlberechtigte unbehindert in freier, gleicher und geheimer Wahl die Vertreter der Volksvertretung wählen kann. Der Beamte muß sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht nur bekennen, sondern er hat sich für deren Erhaltung auch einzusetzen. Wieweit er sich einsetzen muß, wird von Fall zu Fall verschieden zu beantworten sein. In dem Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht16 heißt es: „Der Beamte muß mindestens aus Protest eine Versammlung verlassen, in der Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes erfolgen; er muß unter Umständen das Wort zu ihrer Verteidigung ergreifen; er muß für eine Unterrichtung der zuständigen Behörde über solche Angriffe oder über entstehende Gefahren sorgen. Er muß bei drohender Gefahr Schritte für ihre Beseitigung einleiten." 1 3 B ö t t c h e r , Zur Auslegung der Begriffe „Bekennen" und „Eintreten" in § 52 BBG, § 8 SoldG in BBZ 1960 S. 82. 14 BVerfGE Bd. 2 S. 1 = NJW 1952 S. 1407 = DöV 1953 S. 83. 1 6 Drucksache Nr. 4296 S. 8.
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Das „Bekenntnis" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bedeutet also nicht nur ihre Bejahung, sondern auch ihre Unterstützung. Der Beamte bekennt sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung u. a. dadurch, daß er ihre Symbole achtet, seiner Wahlpflicht nachkommt und den Eid auf die Verfassung leistet. Die Wahlpflicht bedeutet jedoch noch nicht ein Bekenntnis zu einer der kandidierenden Parteien. Die Ablehnung der Beantwortung der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Partei würde noch kein Dienstvergehen darstellen, sofern es sich nicht um eine verfassungsfeindliche Partei handelt1®. Ebenso kann der sog. politische Beamte nach einer verfassungsmäßig anerkannten Partei befragt werden 17 . Das „Eintreten" für die demokratische Grundordnung verlangt ein positives Handeln, das allerdings voraussetzt, daß die zu schützende Grundordnung in Gefahr gerät. Würde der Beamte ζ. B. Kenntnis erlangen, daß in seiner Dienststelle eine verfassungsfeindliche Betriebszellengruppe besteht, so ist er verpflichtet, hiervon seiner vorgesetzten Behörde Anzeige zu erstatten. Die Anzeigepflicht besteht jedoch nur dann, wenn dem Beamten Einzelheiten über die Tätigkeit einer solchen verfassungsfeindlichen Organisation bekannt geworden sind; auf ein allgemeines Gerede in seiner Dienststelle braucht er noch nichts zu geben. Das „Eintreten" für die verfassungsmäßige demokratische Grundordnung kann nicht so weit gehen, daß der Beamte Gefahr läuft, sich u. U. einer Bestrafung wegen falscher Anschuldigung auszusetzen. Ob die Gefährdung der demokratischen Grundordnung von einer Personenmehrheit oder von einer Einzelperson ausgeht, ist gleichgültig. Besucht der Beamte eine politische Versammlung, in der Angriffe auf die demokratische Grundordnung erhoben werden, so ist er u. U. zu einer Entgegnung verpflichtet, weil der Beamte durch den Besuch dieser Veranstaltung gewisse Verpflichtungen eingegangen ist. Anders wäre es, wenn er in der Tageszeitung einen verfassungsfeindlichen Artikel liest; hier ist er nicht verpflichtet, einen Gegenartikel zu schreiben, zumal wenn ihm das Geschick und die journalistische Erfahrung fehlt. Überdies haben es die Regierung und sonstige politische Stellen in der Hand, von sich aus die öffentliche Meinung zu beeinflussen und auf verfassungsfeindliche Artikel zu erwidern 18 . Die verfassungsmäßige Grundordnung braucht nicht allein durch verfassungsfeindliche Organisationen oder Einzelpersonen gefährdet zu sein. U. U. kann eine Gefährdung auch durch politische Stellen geschehen, die an sich auf dem Boden der verfassungsmäßigen Grundordnung stehen, die aber durch ihr Handeln dem Anwachsen verfassungsfeindlicher Bestrebungen, wie ζ. B. durch korruptive Maßnahmen, Vorschub leisten. Nimmt der Beamte derartiges wahr, so kann für ihn eine Verpflichtung entstehen, die die demokratische Grundordnung schädigenden Erscheinungen anzuzeigen, wobei er sich allerdings des Dienstweges bedienen muß. In sämtlichen Fällen ist der Beamte zu einem Einschreiten erst dann verpflichtet, wenn keine berufenere Stelle vorhanden ist. Stellt der Beamte ζ. B. in einer politischen Versammlung fest, daß ein Regierungsvertreter anwesend ist, so ist er nicht verpflichtet, an dessen Stelle sich in eine Diskussion einzulassen, aus der sich verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen 16 17 18
Vgl. Thiele in DöD 1956 S. 148. P e r w o in ZBR 1956 S. 110. So auch B ö t t c h e r , a. a. O. S. 84.
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lassen. Schließlich verpflichtet das „Eintreten" den Beamten nur zu einem gewaltlosen Handeln. Würde also zwischen Anhängern der Regierung und verfassungsfeindlichen Kräften eine Schlägerei entstehen, so ist der Beamte in diesem Falle nicht verpflichtet, ersteren zu Hilfe zu kommen ; insbesondere kann und braucht der Beamte nicht polizeiliche Aufgaben zu übernehmen. Der Beamte ist u. U. verpflichtet, verfassungsfeindliche Bestrebungen anzuzeigen. Stellt er fest, daß seine Ehefrau an solchen Bestrebungen teilnimmt, so ist hierbei zu beachten, daß die durch die Ehe begründete Lebensgemeinschaft es dem Beamten verbietet, gegen seinen Ehegatten etwas zu unternehmen, was zu dessen Strafverfolgung führen könnte. Deshalb besteht selbst für einen Polizeibeamten keine Meldepflicht bei staatsfeindlicher Betätigung seines Ehegatten19. Das Eintreten für die demokratische Grundordnung obliegt dem Beamten im und außer Dienst. Da es sich hierbei um ein Dienstvergehen im weiteren Sinne handelt (§77 Abs. Nr. 2 BBG), machen sich nicht nur der aktive Beamte, sondern auch der Ruhestandsbeamte und der frühere Beamte, der von seinem früheren Dienstherrn noch Bezüge erhält, eines Dienstvergehens schuldig, wenn sie sich nicht zur demokratischen Grundordnung bekennen und sich nicht für sie einsetzen. Vor allem darf der Beamte, Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte nicht für eine Partei oder eine sonstige Organisation tätig sein, die nicht auf dem Boden der demokratischen Grundordnung steht20. Die Mitgliedschaft allein reicht noch nicht aus, da sie nur einen Ausdruck der Gesinnung darstellt, das Disziplinarrecht jedoch ebenso wie das allgemeine Straf recht ein Gesinnungsstrafrecht nicht kennt. Hat das Bundesverfassungsgericht nach § 46 BVerGG festgestellt, daß eine politische Partei verfassungswidrig ist, so wird nach § 47 i. V. m. § 42 BVerfGG eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder gegen die im Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen mit Gefängnis nicht unter sechs Monate bestraft. Ein hiernach bestrafter Beamter kann nicht mehr im Dienst belassen werden 21 . Keinen Verstoß gegen § § 42, 47 BVerfG stellt es dar, wenn der Beamte nach Mitteldeutschland reist, dort auch mit Funktionären der SED oder der von ihnen gelenkten Organisationen, und zwar auch über politische Fragen spricht und an gegen die Bundesrepublik gerichteten politischen Versammlungen teilnimmt 22 . Er macht sich erst dann strafbar, wenn er die gegen die Grundordnung der Bundesrepublik gerichtete Wühlarbeit fördert. Dies ist nach Auffassung des Bundesdisziplinarhofs23 ζ. B. dann der Fall, wenn der Beamte einen Funktionär der SED, der die Bundesrepublik zwecks Kontaktnahme mit früheren KPD-Mitgliedern bereist, beherbergt, ihn zu Treffs mit früheren KPD-Mitgliedern führt und Aufträge ausführt; damit verletzt der Beamte die politische Treupflicht, weil er wissen muß, daß er nicht einen Agenten dieser Partei in seiner Untergrundarbeit für die verbotene 1 9 DiszSenat OVG Münster 28. 9. 62 — V 10/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS) = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 115. 20 Vgl. Urteil des BVerfG 17. 8. 56 — I BO Β 2 /5t— in DöV 1956 S. 532 = DVB1.1956 S. 646 = NJW 1956 S. 1393 = JZ 1956 S. 596 = BVerfGE Bd. 5 S. 5. 2 1 BDH 20. 1. 65 — II D 9/64 —. 22 BGH 18. 2. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung in NJW 1964 S. 1082. 23 Wie Fußnote 20.
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Partei unterstützen darf. Ein solches Verhalten stellt eine Fortsetzung des mit der Verbotsentscheidung getroffenen staatsfeindlichen Verhaltens und die Bekundung einer staatsfeindlichen Gesinnung dar. Vorsatz i. S. der § § 42, 47 BVerfG bedeutet schon die Kenntnis der Entscheidung des Bundesverfassungsge richts24. Ein Beamter, der wegen seiner politischen Haltung disziplinarisch gemaßregelt wird, kann sich nicht darauf berufen, daß nach Art. 3 Abs. 3 GG niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt werden darf. Eine Benachteiligung liegt nämlich nur dann vor, wenn ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes wegen einer an sich gesetzlich zulässigen politischen Betätigung gemaßregelt oder benachteiligt wird. Ebenso kann sich der gemaßregelte Beamte nicht auf Art. 21 GG berufen, wonach über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Ist die Verfassungswidrigkeit einer Partei vom Bundesverfassungsgericht noch nicht ausgesprochen und die Betätigung demnach für den einzelnen Staatsbürger noch zulässig, so kann sie dennoch dem Beamten untersagt werden. Entscheidend ist hier nur, daß sie mit der Verpflichtung zur Verfassungstreue unvereinbar ist. Auch ein Verfahren nach Art. 18 GG kommt nicht in Frage, wenn gegen einen Beamten, der gegen § 52 Abs. 2 BBG verstößt, disziplinarisch vorgegangen wird, da hier nicht ein Mißbrauch von Grundrechten, sondern lediglich eine Verletzung von Dienstpflichten Anlaß zum Einschreiten gibt. Die Vorschrift des Art. 18 richtet sich gegen den Staatsbürger, der ihm zustehende Grundrechte mißbraucht, während die Pflichtverletzung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes sich dann ergibt, wenn sie ihre Treupflicht verletzen und die durch § 52 Ans. 2 BBG gezogenen Grenzen überschreiten. Es ist Aufgabe des Disziplinargerichts, die Verletzung einer Dienstpflicht festzustellen. Diese Aufgabe ist aber eine andere als die des Bundesverfassungsgerichts, das nach Art. 18 GG die Verwirkung bestimmter Grundrechte auf Grund einer Verletzung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten ausspricht. Maßnahmen gegen Angehörige des öffentlichen Dienstes wegen Verletzung der Treupflicht sind daher an die Voraussetzungen einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Grund des Art. 18 GG nicht gebunden. Wird ein Beamter im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts im Bundesgebiet oder im Land Berlin wegen hochverräterischer, staatgefährdender oder landesverräterischer Handlung zu Zuchthaus oder Gefängnis von sechs Monaten oder längerer Dauer bestraft, so scheidet er nach § 48 Nr. 1 bzw. 3 BBG automatisch aus dem Beamtenverhältnis aus. Unter den gleichen Voraussetzungen verliert ein Ruhestandsbeamter nach § 162 BBG mit Rechtskraft der Entscheidung seine Rechte als Ruhestandsbeamter, wobei es gleichbleibt, ob die Tat vor oder nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangen worden ist. Gleiches gilt nach §§48, 162 BBG auch dann, wenn der Beamte bzw. Ruhestandsbeamte auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 18 GG ein Grundrecht verwirkt hat. Zu den hochverräterischen Handlungen rechnen ein Unternehmen gegen die Verfassung des 24
L e c h n e r Anm. 3 zu § 42 BVerfGG.
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Bundes oder der Länder oder gegen das Gebiet des Bundes oder der Länder (§§80, 82 StGB), die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§§ 81, 82 StGB), ein hochverräterischer Anschlag auf den Bundespräsidenten ( § 8 3 StGB) und hochverräterische Publikationen (§84 StGB). Eine Staatsgefährdung i. S. der §§ 89 ff. StGB ist nach § 88 Abs. 1 StGB eine Handlung auf die Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland dann, wenn sie darauf abzielt, die Bundesrepublik Deutschland ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit zu bringen, ihre Selbständigkeit zu beseitigen oder einen Teil des Bundesgebietes loszulösen. Als Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland i. S. der §§89 ff. StGB gilt nach § 88 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht die Teilnahme an einer Staatengemeinschaft oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsrechte überträgt oder zu deren Gunsten sie Hoheitsrechte beschränkt. Die Verfassungsgrundsätze i. S. der §§89 ff. StGB sind in § 88 Abs. 2 StGB umrissen, der mit dem o. a. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. 10. 52 weitgehend übereinstimmt. Als staatsgefährdende Handlungen kommen in Frage Verfassungsverrat ( § 8 9 StGB), staatsgefährdende Störungen (§90 StGB), verfassungsverräterische Vereinigungen (§ 90 a StGB), verfassungsverräterische Zersetzung (§91 StGB), verfassungsverräterisches Sammeln von Nachrichten oder Betreiben eines Nachrichtendienstes oder ein Anwerben für eine solche Tätigkeit oder eine Unterstützung derselben ( § 9 2 StGB), verfassungsverräterische Publikationen (§93 StGB), Beeinträchtigung der Bundesrepublik Deutschland oder Beseitigung der in § 88 StGB bezeichneten Verfassungsgrundsätze durch in § 94 StGB genannte strafbare Handlungen, wie ζ. B. Widerstand gegen die Staatsgewalt (§§ 110 bis 122b StGB), Körperverletzung (§§ 223 bis 229 StGB) oder Sachbeschädigung (§§303 bis 305 StGB), Verunglimpfung des Bundespräsidenten ( § 9 5 StGB), Beschimpfung der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder, ihrer Farben, ihrer Flagge, ihrer Wappen oder ihrer Hymne (§96 StGB), die Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen (§ 96 a StGB) und die Verunglimpfung von Organen des Bundes oder der Länder ( § 97 StGB). Landesverrat im Sinne der §§ 100 ff. StGB begeht, wer vorsätzlich ein Staatsgeheimnis an einen Unbefugten gelangen läßt oder es öffentlich bekanntmacht und dadurch das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet (§ 99 Abs. 2 StGB). Was ein Staatsgeheimnis ist, ist in § 99 Abs. 1 StGB näher umschrieben. Als landesverräterische Handlungen kommen vorsätzlicher Landesverrat (§§ 100, 100a, 100b StGB), fahrlässiger Landesverrat (§ 100c StGB), landesverräterische Beziehungen (§ lOOd StGB), landesverräterischer Nachrichtendienst (§ 100 e StGB) und die pflichtwidrige Führung von Staatsgeschäften (§ lOOf StGB) in Betracht. Da in den o. a. Fällen durchweg eine Zuchthausstrafe oder eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten oder längerer Dauer zu erwarten ist, so daß der Beschuldigte automatisch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet bzw. die Rechte als Ruhestandsbeamter verliert, erübrigt es sich hier, auf die angeführten Strafbestimmungen näher einzugehen. Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung eines Teils der Dienst- bzw. Versorgungsbezüge nach §§78, 79 BDO, BDO i. d. F. der Novelle sind zumindest nach Erhebung der öffentlichen Klage geboten, was allerdings die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nach § 28 BDO, BDO i. d. F. der Novelle voraussetzt. 416
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§ 48. Verstöße bei politischer Betätigung, die im Einklang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht I.
ALLGEMEINES1
A u s d e m in A r t . 5 A b s . 1 Satz 1 G G statiuerten G r u n d r e c h t der freien M e i n u n g s ä u ß e r u n g m u ß auch d e m B e a m t e n z u g e s t a n d e n werden, s i c h i m E i n k l a n g zur freiheitlichen demokratischen G r u n d o r d n u n g politisch zu b e t ä t i g e n 2 . A l l e r d i n g s kann dieses G r u n d r e c h t der freien M e i n u n g s ä u ß e r u n g nach A r t . 5 A b s . 2 G G durch die allgemeinen G e s e t z e eingeschränkt werden. H i e r z u rechnen auch die Beamtengesetze, w o b e i A r t . 33 A b s . 5 G G die Richtlinie f ü r die A u s l e g u n g dieser G e s e t z e bildet. Bereits das Preußische O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t 3 führte hierzu aus : „Aber das Recht der freien Meinungsäußerung ist kein unbegrenztes, sondern findet seine Schranken für jeden Staatsbürger in den allgemeinen Gesetzen, fiir den Beamten noch weitgehend in den Pflichten, die ihm sein Ant auferlegt, vorzüglich in der Treue- und Gehorsamspflicht, die es ihm verbietet, von diesen Rechten einen gleich weitgehenden Gebrauch zu machen, wie es anderen Staatsbürgern gestattet ist, die nicht unter dem Zwange der im allgemeinen öffentlichen Interesse unerläßlichen Dienstzucht stehen. Das Amt erfaßt die gesamte Persönlichkeit des Beamten. Er ist niemals nur Privatmann : in allen seinen Handlungen, auch außerhalb des Dienstes im engsten Wortsinne, muß er sich dessen bewußt sein und bleiben, daß das Amt ihn bindet." Inwieweit sich für den Beamten E i n s c h r ä n k u n g e n b e i d e r Ausü b u n g seiner p o l i t i s c h e n B e t ä t i g u n g ergeben, läßt sich nicht gener e l l b e a n t w o r t e n . Vielmehr ist hierbei auf die S t e l l u n g d e s B e a m t e n u n d die v o n i h m a u s g e ü b t e n F u n k t i o n e n abzustellen. S o w i r d m a n d e m s o g . politischen B e a m t e n f ü r seine politische B e t ä t i g u n g ein weiteres F e l d einr ä u m e n als d e m s o n s t i g e n Beamten, ohne daß er sich d e m V o r w u r f aussetzen müßte, daß er seine A r b e i t s k r a f t durch die v o n i h m a u s g e ü b t e politische B e t ä t i g u n g verzettelt. Andererseits wird m a n den B e a m t e n , der F u n k t i o n e n w a h r z u n e h m e n hat, die nicht i m rein Fachlichen liegen, anders beurteilen m ü s s e n als einen B e a m t e n , der ζ. B . auf d e m G e b i e t e des V e r k e h r s w e s e n s t ä t i g ist. Schließlich m u ß m a n zwischen einer politischen B e t ä t i g u n g i m u n d 1 O t t o , Von den politischen Pflichten der Beamten in DDB 1960 S. 19; D i s t e l , Die Meinungsfreiheit der Beamten in DDB 1958 S. 83; T h i e l e , Der Beamte und die Mitwirkung am Politischen, DöD 1959 S. 145 ; T h i e l e , Wo liegen die dem Beamten gezogenen Schranken der Meinungsfreiheit? in DöD 1959 S. 101; Wilhelm, Die literarische Meinungsfreiheit des Beamten in ZBR 1963 S. 367; K r ö g e r , Verfassungsrechtliche Grundfragen des Rechts der Beamten auf „parteipolitische Meinungsäußerungen" in Archiv des öffentlichen Rechts 1963 S. 121—159; S c h ü t t e , Beamteneid und freie Meinungsäußerung in DöD 1956 S. 394; B i s c h o f f , Die unreale These vom unpolitischen Beamten in ZBR 1959 S. 377; P e r w o , Das Recht der Beamten auf Mitgliedschaft und Tätigkeit in einer demokratischen Partei in ZBR 1956 S. 110; G r a b e n d o r f f und A r n d t , Nochmals: Das Recht des Beamten auf Mitgliedschaft und Tätigkeit in einer demokratischen Partei in ZBR 1956 S. 139 und 142; Neeße, Der politische Streik in BBZ 1958 S. 145; S c h e u n e r - v . M e r k a t z , Die politischen Pflichten und Rechte des Deutschen Beamten, Baden-Baden, Bonn 1962; BDH 1. 10. 53 — I D V 6/53 — B D H E Bd. 1 S. 24/25 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 12. 2 V G H Kassel 12. 11. 52 — DH 3/52 — HStAnz. 1952 S. 750; vgl. auch Wilhelm, Die literarische Meinungsfreiheit des Beamten in ZBR 1963 S. 367; Neeße in BBZ 1956 S. 65; B e r g e r in BBZ 1956 S. 69; von Münch in ZBR 1959 S. 305; T h i e l e inDöD 1959 S. 101 ; R. Weimar in ZBR 1961 S. 70; W. Weimar in RiA 1956 S. 8 und RiA 1963 S. 230; U l e , Öffentlicher Dienst i n B e t t e r m a n n - N i p p e r d e y . D i e Grundrechte, Bd. I V 2 S. 631 ff.; BayrDStH 25. 4. 56 — V G H n. F. 9 III 27 —; Bei amtslosen Beamten: DokBer. Nr. 1977. 8 PrOVG 20. 5. 27 in JW 1927 S. 2867.
27 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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§48
Verstöße bei politischer Betätigung
außerhalb des Dienstes unterscheiden, da der Pflichtenkreis des Beamten bei der Ausübung seiner Dienstgeschäfte weiter als in seinem Privatleben gesteckt ist. Nach der Wertordnung des Grundgesetzes schränken die Amtspflichten die Freiheitsrechte des Beamten nicht schlechthin ein. Hierzu stellt Wilhelm 4 fest: „Die Grundrechtsordnung und die mit Art. 33 Abs. 5 G G bezweckte Kontinuität des Beamtentums stehen nicht bezugslos nebeneinander. A n der höheren Rangordnung der Grundrechte bricht sich die Kontinuität des Beamtenrechts mindestens dann, wenn es sich um überstaatliche und der gesetzgeberischen Einschränkung entzogene Menschenrechte handelt, die gemäß Art. 1 Abs. 2 G G „unveräußerlich" und daher auch im besonderen Gewaltverhältnis nicht verzichtbar sind. Art. 19 Abs. 2 G G ist auch für Art. 33 Abs. 5 G G eine unüberbrückbare Schranke. Der aus dem G G ableitbare Satz, daß die Vermutung für die Freiheit des Grundrechtsträgers spricht, büßt im Beamtenrecht dem Grundsatz nach nichts ein."
Der Beamte kann auch jetzt im privaten Kreise und selbst in der Öffentlichkeit seine Überzeugung zum Ausdruck bringen. Er kann Anträge und Beschwerden — allerdings im Dienstwege —, daneben Petitionen einlegen und sich an den Bundespersonalausschuß unmittelbar wenden. Einschränkungen ergeben sich jedoch für den Beamten aus seinen allgemeinen Beamtenpflichten, wie ζ. B. aus der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit oder zum achtungswürdigem Verhalten gegenüber Vorgesetzten. Der Beamte muß sich unter Beachtung der ihm obliegenden Pflichten immer bewußt sein, daß er bei der Ausübung seiner politischen Rechte nicht den Staat gefährden darf, dessen Brot er ißt (vgl. im einzelnen Art. 10 Abs. 2 der Menschenkonvention vom 7. 8. 52 [BGBl. II S. 686], §§ 35 Abs. 2, 36 Satz 3 und 39 BRRG). Nach dem geltenden Beamtenrecht muß sich der Beamte bewußt sein, daß er dem ganzen Volke, nicht einer Partei dient (§ 52 Abs. 1 Satz 1 BBG) und daß er seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen hat ( § 5 2 Abs. 1 Satz 2 BBG). Nach § 53 BBG hat er bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben. Während nach DV Nr. 1 zu § 3 DBG dem Beamten schlechthin verboten war, in der Öffentlichkeit als aktiver Anhänger einer bestimmten politischen Partei oder eines bestimmten politischen Programms aufzutreten, ist ihm nunmehr die Freiheit der politischen Gesinnung und Bestätigung garantiert. Somit ist der Rechtszustand wiederhergestellt, der nach Art. 130 Abs. 2 WeimVerf. galt. Π. POLITISCHE BETÄTIGUNG IM DIENST Der Rahmen, in dem sich der Beamte innerhalb des Dienstes politisch betätigen kann, ist sehr eng gezogen. Nach der Auffassung v. Merkatz 5 sollten sich die Beamten jeglicher parteipolitischen Betätigung enthalten und keiner politischen Partei beitreten, wobei er auf England hinweist, wo sich das von politischen Meinungsstreit und den parteipolitischen Machtkämpfen ferngehaltene Beamtentum durchaus bewährt hat. Ebenso trat Eschenburg 6 für die „Ineligibilität in Verbindung mit dem Verbot der parteipolitischen Betätigung für alle öffentlichen Bediensteten ohne Unterschied" ein. Ule 4 6 6
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W i l h e l m , Die literarische Meinungsfreiheit des Beamten in ZBR 1960 S. 367. In Deutsches Berufsbeamtentum — Beamtenpolitische Schriftenreihe, Heft 4 S. 62. Der Beamte in Partei und Parlament, 1952 S. 186.
Politische Betätigung im Dienst
§48
sprach sich gleichfalls für eine „kategorische parteipolitische Enthaltsamkeit jedes einzelnen Beamten" aus7. Unter Berücksichtigung der Forderung, daß der Beamte nach § 52 Abs. 1 Satz 1 B B G und den entsprechenden unter I V angeführten landesrechtlichen Bestimmungen dem ganzen Volke und nicht einer Partei dienen soll, wäre eine p a r t e i p o l i t i s c h e N e u t r a l i s i e r u n g des B e a m t e n t u m s zu b e g r ü ß e n , ohne daß damit eine Entpolitisierung des einzelnen Beamten die Folge 'wäre. Thiele8 führt mit Recht an, daß der Beamte sich insoweit nicht „im Bannkreis der Politik" bewegen sollte, als er dadurch in ständige Versuchung käme, etwa die Pflichten gegenüber einer politischen Partei über die Pflichten zu stellen, die ihm gegenüber dem Staat und dem Volksganzen obliegen. Andererseits muß berücksichtigt werden, daß die Selbständigkeit des Berufsbeamtentums gefährdet würde, wenn der Beamte nur Vollzugsorgan wäre, ohne daß man ihm die Möglichkeit gewährt, bei der Gestaltung der Gesetze mitzuwirken9. Hierbei muß sich der Beamte aber von dem Grundgedanken des § 53 B B G und der unter I V angeführten entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen leiten lassen, wonach er bei der politischen Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren hat, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben 10 . Es kann dem Beamten wohl nicht verwehrt werden, seine politische Auffassung zu Tagesfragen im Kreise von Kollegen und Untergebenen zu äußern11. Seine Äußerungen dürfen jedoch nicht die Form einer Werbung für eine bestimmte Partei sein oder gar in Widerspruch zu seiner Pflicht stehen, sich durch sein Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Weiterhin ist zu beachten, daß der Beamte durch seine politische Betätigung im Dienst seine Arbeitsleistungspflicht nicht verletzt. Wenn sich der Beamte während der Dienststunden mit seinem Arbeitskollegen in seinem Dienstzimmer über politische Tagesfragen unterhält, wird hiergegen nichts einzuwenden sein. Anders wäre es nur dann, wenn durch seine politische Agitation seine Arbeitskraft leiden oder wenn er durch seine Reden seine Arbeitskameraden von der Arbeit abhalten würde. Schließlich muß der Beamte darauf Bedacht nehmen, daß durch seine politische Agitation der Arbeitsfriede nicht gestört wird; auf keinen Fall darf das Betriebsklima durch die politische Betätigung leiden. Für den Beamten ist hier stärkste Zurückhaltung geboten. Insbesondere soll sich der Vorgesetzte politischer Bemerkungen persönlicher Art im Dienst enthalten; es ist nicht angebracht, seine Untergebenen für oder gegen eine politische Meinung zu beeinflussen. Das politische Gespräch darf nicht zur Zerstörung des Vertrauens und der kollegialen Zusammenarbeit führen. Eine Werbung für eine bestimmte Parteipolitik ist im Dienst nicht zulässig12. Der Beamte kann sich nicht darauf berufen, daß er einen Arbeitskameraden, der sich zur jeweiligen politischen Opposition bekennt, zu einer regierungsfreundlichen Haltung beeinflussen will. In RiA 1958 S. 81 (S. 84). T h i e l e , Der Beamte und die Mitwirkung am Politischen in DöD 1959 S. 146. 9 Siehe K r ö g e r , a. a. O S. 151 ff. 1 0 Wie Fußnote 28; vgl. auch DiszSenat OVG Münster 14. 6. 64 — Y 2/64 — in ZBR 1965 S. 134. 11 DokBer. Nr. 1741. 12 So Scheuner in Deutsches Berufsbeamtentum — beamtenpolitische Schriftenreihe, Heft 4 S. 29. 7
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Verstöße bei politischer Betätigung
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Andererseits braucht sich die politische Betätigung nicht auf eine sog. regierungsfreundliche Haltung festzulegen. Der Beamte kann sich auch im Sinne der Regierungsopposition betätigen, was allerdings für den politischen Beamten nicht gilt 13 . In jedem Falle muß er die durch die Dienstzucht gebotene Form einhalten14. Wohl kann er auch an der Politik der Bundesregierung Kritik üben, jedoch muß er sich hierbei jedes gehässigen und agitatorischen Tons enthalten18. Anläßlich politischer Auseinandersetzungen mit seinen Arbeitskameraden muß sich der Beamte, selbst wenn er nicht eine regierungsfreundliche Haltung einzunehmen braucht, der Beschimpfung von Regierungsmitgliedern enthalten. Eine Beleidigung des Regierungschefs, ζ. B. die Behauptung, daß er ein Kriegsverbrecher sei, stellt nicht nur ein politisches Schlagwort dar, sondern zeugt von einem Mangel an Mäßigung und Zurückhaltung und erweist sich als eine grobe Taktlosigkeit 16 . Der Ausdruck „Machtergreifung" für den Wechsel der Bundes- oder einer Landesregierung ist zwar unpassend, aber keine Dienstpflichtverletzung 16a . Aber selbst, wenn die Kritik sachlich ist, so muß sich der Beamte derselben dennoch enthalten, wenn er damit den Unwillen seiner Arbeitskameraden bewußt hervorruft und den Arbeitsfrieden stört17. Allerdings wird hier eine Engherzigkeit nicht am Platz sein, da auf einem Arbeitsplatz wohl immer mehrere politische Meinungen geteilt werden und mit einem gewissen Widerspruch zu einer vorgetragenen politischen Meinung zu rechnen ist. Nur dann, wenn der Beamte feststellt, daß seine politische Meinung den Arbeitsfrieden ernstlich gestört hat, muß er sich jeder weiteren Meinungsäußerung enthalten Gehört es zu den dienstlichen Obliegenheiten des Beamten, auf Schüler oder Dienstanfänger u. a. auch in staatsbürgerlicher Hinsicht erzieherisch einzuwirken, so ist bei der Beurteilung politischer Persönlichkeiten und ihrer Maßnahmen eine besondere Zurückhaltung angebracht17®. So kann sich eine Lehrerin in einer höheren Lehranstalt nicht auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen, wenn sie im zeitgeschichtlichen Unterricht ihre Ansicht über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und zu Fragen des Zeitgeschehens in gehässiger und das Empfinden Andersdenkender verletzender Form zum Ausdruck bringt. Sie darf zwar ihre eigene Ansicht äußern. Ihre Stellung als Lehrerin und Erzieherin gebietet aber hinsichtlich der Art ihrer Kundgabe die Einhaltung gewisser Grenzen. Eine Überschreitung dieser Grenzen ist deshalb eine Dienstverfehlung 18 . Die Teilnahme eines Beamten am Streik ist mit der politischen Treuepflicht des Beamten unvereinbar und widerspricht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums19. Wohl ist der Streik ein erlaubtes Mittel im Arbeitskampf. Er gehört jedoch nicht zu den Grundrechten, so Siehe K r ö g e r , a. a. O. S. 158. RDH bei F o e r s t e r - S i m o n s , S. 124. 1 5 Vgl. RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 217 und S. 225; F o e r s t e r - S i m o n s , S. 128. » DokBer. Nr. 104. lç * DiszSenat OVG Münster 14. 9. 64 — Y 2/62 — in ZBR 1965 S. 77 (LS). 17 Vgl. P l o g - W i e d o w , Anm. 8 zu § 54 BBG; DokBer. Nr. 589 und Nr. 1070. 1 7 a DiszH Rh.-Pf. 15. 11. 63 — W 1/63 — in RWS m. Anm. Schreckenberger. 1 8 BayrDStH 24. 5. 60 — Nr. 13 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 7 (LS). 1 9 Neeße, Der politische Streik — eine notwendige Auseinandersetzung zu dem Problem des Streikrechts und der Streikpflicht der Beamten in BBZ 1958 S. 145; R e u t e r , Beamte und Streik in DDB 1958 S. 99. 13 14
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Politische Betätigung im Dienst
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daß er durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden kann. Ganz allgemein ist der Streik bereits dann als rechtswidrig anzusehen, wenn er sich gegen die Verfassung oder ein Gesetz oder gegen tarifrechtliche Bindungen weitester Art richtet oder wenn er gegen die Gewerkschaftssatzungen verstößt oder wenn er eine unerlaubte Handlung darstellt oder auf eine solche abzielt. Darüber hinaus ist dem Beamten das Streikrecht ganz allgemein untersagt, wobei dies im Gesetz nicht ausdrücklich hervorgehoben zu werden braucht, wie dies in Art. 63 Abs. 2 LBG Bayern, wonach dem Beamten ein Streikrecht gegen die verfassungsmäßige Staatsgewalt nicht zusteht, und in § 64 Abs. 2 LBG Rheinland-Pfalz, wonach Dienstverweigerung oder Arbeitsniederlegung zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen mit der Stellung eines Beamten nicht vereinbar ist, geschehen ist. Selbst jede Vorbereitungshandlung zu einem Streik ist dem Beamten untersagt. Da der Streik schlechthin mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums unvereinbar ist, scheidet auch eine Beteiligung eines Beamten an einem Streik, der sich gegen eine andere Behörde oder gegen einen anderen Dienstherrn richtet, aus. Fernerhin sind sämtliche Protestdemonstrationen, die auf eine Niederlegung der Arbeit oder eine Schlechtleistung, wie ζ. B. ein sog. Bummelstreik oder ein „Arbeiten nach Dienstvorschrift", hinauslaufen, als rechtswidrig und damit als ein Dienstvergehen anzusehen. Ebenso wie der sozialpolitische Streik ist auch der sog. politische Streik untersagt, der darauf hinausläuft, die politische Entscheidung des Dienstherrn, wie ζ. B. den Beitritt zu einem internationalen Abkommen, zu beeinflussen. Die staatsgefährdende Sabotage ist bereits nach § 90 StGB unter Strafe gestellt. Hiernach wird mit Gefängnis bestraft, wer in der Absicht, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, einen der in § 88 StGB bezeichneten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben oder eine solche Bestrebung zu fördern, 1. eine Eisenbahn, die Post oder dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen oder Anlagen, 2. eine öffentlichen Zwecken dienende Fernmeldeanlage, 3. eine der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienende Anlage oder einen für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen Betrieb oder 4. der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienende Dienststelle, Einrichtungen, Anlagen oder Gegenstände durch Aussperrung, Streik, Störmaßnahmen oder sonstige Handlungen, die nach den §§ 316b, 317 StGB strafbar sind, ganz oder teilweise außer Tätigkeit setzt oder den bestimmungsmäßigen Zwecken entzieht. E i n e T e i l n a h m e an e i n e m p o l i t i s c h e n S t r e i k w ä r e n u r d a n n z u l ä s s i g , w e n n d a d u r c h die v e r f a s s u n g s m ä ß i g e i n g e s e t z t e n O r g a n e der S t a a t s g e w a l t g e g e n eine B e d r o h u n g des S t a a t e s d u r c h a u ß e n s t e h e n d e K r ä f t e u n t e r s t ü t z t w e r d e n s o l l t e n , wie dies ζ. B. bei der Arbeitsverweigerung im Ruhrkampf nach dem ersten Weltkrieg der Fall war. Außerdem wäre der politische Streik dann zu bejahen, wenn er sich gegen eine verfassungsfeindliche Maßnahme der eigenen Träger der Staatsgewalt, durch die der Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gefährdet wer421
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Verstöße bei politischer Betätigung
den würde, richten würde. In der politischen Wirklichkeit ist aber ein Streik in einem solchen Falle nicht denkbar, da keine Instanz vorhanden ist, die darüber entscheiden könnte, ob die demokratische Grundordnung auch tatsächlich bedroht ist, zumal selbst das Bundesverfassungsgericht keine generelle Ermächtigung besitzt, ohne Antrag von sich aus über die Verfassungswidrigkeit zu entscheiden. Uber das Wideistandsrecht und die Widerstandspflicht des Beamten siehe § 55 V S. 677 ff. Bei seinen dienstlichen Handlungen darf sich der Beamte auf keinen Fall von seiner politischen Haltung beeinflussen lassen, da dies im Widerspruch zu § 52 Abs. 1 BBG und den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen stände, wonach der Beamte dem ganzen Volke und nicht einer Partei dient, er seine Aufgaben unparteiisch sowie gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen hat. Der Beamte darf sich nicht in den Verdacht politischer Voreingenommenheit bringen 20 . Andernfalls müßte das Vertrauen des Staatsbürgers und darüber hinaus des durch eine einseitig getroffene politische Maßnahme betroffenen Beamten in den Staatsapparat schwinden. Hat sich ζ. B. der Beamte mit der Einstellung von Beamtenbewerbern zu befassen, so ist es nicht statthaft, daß er hierbei nur solche Bewerber unsachlich bevorzugt, die einer bestimmten politischen Partei als Mitglied beigetreten sind. Ebenso wäre es unsachlich, wenn der Beschaffungsbeamte unter gleichen Voraussetzungen einen Auftrag einer Firma nur deshalb erteilt, weil der Firmeninhaber der gleichen Partei wie der Beamte angehört. Ob und inwieweit sich der Beamte bei seinem Handeln von politischen Erwägungen leiten läßt, wird allerdings nur schwer nachzuweisen sein. Daß der Beamte hierbei nicht parteiisch sein darf, ist nicht nur im engeren politischen Sinne zu verstehen; so darf sich der Beamte auch nicht von religiösen oder ständischen Interessen leiten lassen. ΙΠ. POLITISCHE BETÄTIGUNG AUSSERHALB DES DIENSTES Der Rahmen, in dem sich der Beamte außerhalb seines Dienstes politisch betätigen kann, wird viel weiter gezogen sein als bei einer politischen Betätigung innerhalb des Dienstes, weil er hierbei nicht auf eine Störung des Arbeitsfriedens und auf ein Absinken seiner Arbeitsleistung Bedacht zu nehmen braucht. Man kann einem Beamten eine politische Betätigung nicht deshalb untersagen, weil er bei seiner außerdienstlichen Haltung darauf Bedacht nehmen muß, daß er gewissermaßen immer „im Dienst" ist. So stellt wohl der Bundesdisziplinarhof 21 fest, daß der Beamte niemals Privatmann, sondern auch außer dem Dienst Beamter ist, der auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen hat. Dies kann sich aber nur auf ein achtungswürdiges Auftreten des Beamten beziehen. Eine politische Betätigung des Beamten wird sich aber niemals als eine Achtungsverletzung darstellen, sofern sie das Maß des Gebotenen nicht überschreitet. Denn ein Beamter hat sich auch außerdienstlich der Ausübung der ihm durch die Verfassung gewährleisteten Rechte z.B. bei öffentlichen Veranstaltungen, sobald die Möglichkeit besteht, daß sie in das politische Gebiet — gleichgültig welcher Richtung — hinüberspielen können, weitest20 21
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Vgl. A n d e r s , BBG, Anm. 1 zu § 53. BDH 1.10. 53 — I DV 6/53 — BDHE Bd. 1 S. 24 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 12.
Politische Betätigung außerhalb des Dienstes
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gehender Zurückhaltung zu befleißigen und auf die Anschauungen politisch Andersdenkender Rücksicht zu nehmen22. Betätigt sich aber der Beamte unter Beachtung dieses Grundsatzes politisch, so k a n n es g l e i c h b l e i b e n , ob er e i n e T ä t i g k e i t im S i n n e der j e w e i l i g e n B u n d e s r e g i e r u n g e n t f a l t e t . Sie muß sich nur im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung halten und darf nicht gegen die allgemeinen Strafgesetze verstoßen. Die Bezeichnung der verfassungsmäßigen Bundesfarben „schwarz-rot-gold" mit „schwarz-rot-gelb" stellt ein Dienstvergehen dar, wenn diese Bezeichnung in der Absicht der Achtungsminderung gebraucht wird 23 Überdies darf die Kritik an Maßnahmen der jeweiligen Regierung nicht gehässig sein, wobei sich der Beamte j edes agitatorischen Tones enthalten muß ; hierbei kann es gleich sein, ob er seine Meinung bei einer Versammlung oder in der Presse kundtut 24 . Ebenso darf der Beamte durch seine Meinungsäußerung den Staat nicht schädigen, wobei der Begriff der Schädigung nicht allein materiell, sondern auch ideell aufzufassen ist. Auch darf die Meinungsäußerung nicht überspitzt oder töricht vorgetragen werden 25 . So hat der Bundesdisziplinarhof 26 eine Disziplinarverfügung gegen einen Beamten aufrechterhalten, der durch eine Eintragung in ein Gästebuch eines ausländischen Hotels auf Gegensätze deutscher Stämme angespielt hatte. Einen strengen Maßstab wird man auch bei solchen politischen Äußerungen anlegen müssen, die sich auf Angelegenheiten der eigenen Dienststelle des Beamten beziehen. Dann wird vor allem zu prüfen sein, ob der Beamte hierbei nicht das Amtsgeheimnis verletzt hat. Überdies muß sich der Beamte bei seiner vorgetragenen politischen Meinung an § 53 BBG halten, wonach er Mäßigung und Zurückhaltung obwalten lassen muß. So wäre es nicht angängig, daß ein Beamter, der bei beamtenpolitischen Maßnahmen entscheidend mitwirkt, über seine politischen Gegner in einer ungehörigen Form in der Öffentlichkeit herfällt, so daß hieraus der Schluß gezogen werden könnte, daß er auch in seiner dienstlichen Tätigkeit den Beamten, die nicht seine politische Auffassung teilen, voreingenommen gegenübertritt. Daß der Beamte bei seinen vorgetragenen politischen Meinungen auf dem Boden der Tatsachen bleiben muß, ergibt sich nicht allein aus § 53 BBG, sondern noch mehr aus der dem Beamten obliegenden Wahrheitspflicht. Der Beamte würde sich also nicht nur dann strafbar machen, wenn er gegen besseres Wissen vorträgt, daß bei seiner Behörde nur Personen einer bestimmten politischen Gruppe tätig sind, sondern er würde sich ebenso strafbar machen, wenn er der Wahrheit zuwider behauptet, daß Personen einer bestimmten Konfession eine außergewöhnliche Bevorzugung genießen. Gerade bei der politischen Betätigung außerhalb des Dienstes ist auf die Stellung des Beamten Bedacht zu nehmen. Handelt es sich um einen Beamten, der außerdem noch Mitglied einer Gemeinderats oder eines Landtages ist, so wird er bei einer Wahlversammlung weiter gehen können als ein sonstiger Beamter. Gegen die Aufstellung eines Beamten als Bewerber für die Wahl eines Landtages oder sonstigen politischen Gremiums bestehen keinerlei Bedenken. Nimmt jedoch der Beamte die Aufstellung als Bewerber für die Wahl zum Ab22 23 24 25 26
PrOVG 10.1. 30 — D. U. 64/29 — PrOVG Bd. 85 S. 451 = P e r w o , S. 265. PrOVG 24. 10. 29 — IX. O. 12/29 — PrOVG Bd. 85 S. 458 = P e r w o , S. 269. RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 217. Münch, Freie Meinungsäußerung des Beamten in ZBR 1959 S. 305 (307). DokBer. Nr. 456.
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Verstöße bei politischer Betätigung
geordneten des Bundestages an, so muß er nach § 57 BBG aus dem Amt ausscheiden. Dies bedeutet für ihn jedoch keine Beendigung des Beamtenverhältnisses, sondern lediglich die Aufgabe des bisher bekleideten Amtes und für die Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag Verzicht auf die Übertragung eines neuen Amtes (vgl. Gesetz über die Rechtsstellung der in den Bundestag gewählten Abgeordneten des öffentlichen Dienstes vom 4. 8. 53 [BGBl. I S. 777]). IV. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die Beamtengesetze der Länder entsprechen hinsichtlich der Zulässigkeit der politischen Betätigung des Beamten durchweg dem BBG, soweit es sich um die ausdrückliche Feststellung handelt, daß der Beamte dem ganzen Volke dient (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 BBG) und er bei politischen Betätigungen diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren hat, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben. Verschiedentlich wird die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der politischen Betätigung nur noch näher umschrieben, wobei es sich aber durchweg um in Rechtsprechung und Rechtslehre festgestellte allgemeingültige Erkenntnisse handelt. § 57 BBG, der nur für die Bundesebene Bedeutung hat, hat in den Ländergesetzen keine Aufnahme gefunden. Bisweilen wird in den Ländergesetzen entsprechend § 57 BBG untersagt, in einer gesetzgebenden Körperschaft eines Landes tätig zu werden, was aus der Lehre der Gewaltenteilung folgt. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 64 LBG BW entspricht dem § 52 BBG. § 66 LBG BW entspricht dem § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im LBG BW. 2. B a y e r n Art. 62 BG Bayr. entspricht § 52 BBG. Art. 62 Abs. 1 Satz 2 a. a. O. stellt fest, daß der Beamte die Gesetze zu achten und seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen hat. Art. 63 Abs. 1 BG Bayr. entspricht § 53 BBG. Nach Art. 63 Abs. 2 steht dem Beamten ein Streikrecht gegen die verfassungsmäßige Staatsgewalt nicht zu. § 57 BBG entfällt im BG Bayr. 3. B e r l i n § 18 LBG Bln. entspricht dem § 52 BBG. § 19 LBG Bln. entspricht dem § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im LBG Bln. 4. B r e m e n § 53 BG Brm. entspricht dem § 52 BBG. § 54 Abs. 1 BG Brm. entspricht dem § 53 BBG. Nach § 54 Abs. 2 BG Brm. dürfen Beamte sich unbeschadet der Ausübung des aktiven Wahlrechts in Dienstkleidung nicht in der Öffentlichkeit politisch be424
Landesrechtlichc Regelung
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tätigen. Nach § 54 Abs. 3 BG Brm. gilt die Mitgliedschaft in einer Partei nicht als Betätigung in diesem Sinne. § 57 BBG enfällt im BG Brm. 5. H a m b u r g § 55 BG Hmb. entspricht inhaltlich § 52 BBG. In § 55 Abs. 1 BG Hmb. wird außerdem noch zum Ausdruck gebracht, daß der Beamte seine Aufgaben ohne Rücksicht auf seine Person nur nach sachlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen hat. § 56 BG Hmb. entspricht § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im BG Hmb. 6. H e s s e n § 67 HBG entspricht dem § 52 BBG. § 68 HBG entspricht dem § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im HBG. 7. N i e d e r s a c h s e n § 61 Abs. 1 und 2 NBG entspricht dem § 52 BBG. § 61 Abs. 3 NBG entspricht dem § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im NBG. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 55 BG NW entspricht dem § 52 BBG. § 56 BG NW entspricht dem § 53 BBG. § 60 BG NW behält die beamtenrechtlichen Folgen bei Annahme eines Mandats im Bundestag, Landtag und einer Vertreterkörperschaft der Gemeinden einer besonderen gesetzlichen Regelung vor. Hiernach gelten Art. 137 GG, Art. 46 LVerf. NW, § 4 DRiG, § 36 DRiG, das Bundesgesetz über die Rechtsstellung der in den Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes vom 4. 8. 53 i. d. F. vom 11. 9. 57 (BGBl. I S. 1275), das Landesgesetz von NordrheinWestfalen über die Rechtsstellung der in den Landtag gewählten Beamten und Richter vom 18. 5. 54 (GS S. 250) und seine Verwaltungsverordnung vom 9. 6. 54 (MB1. S. 927), § 13 des Kommunalwahlgesetzes für Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 24. 11. 60 (GVB S. 449), § 18 des Bundesministergesetzes vom 17. 6. 53 (BGBl. I S. 40) und § 14 des Landesministergesetzes von Nordrhein-Westfalen vom 5. 5. 53 (GVB1. S. 19.). 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 63 Abs. 1 LBG Rh.-Pf. entspricht § 52 BBG. § 63 Abs. 2 LBG Rh.-Pf. entspricht § 53 BBG. § 57 BBG entfällt im LBG Rh.-Pf. 10. S a a r l a n d § 66 Abs. 1 und 2 BG Saar entspricht § 52 BBG. § 66 Abs. 3 BG Saar entspricht § 53 BBG. 425
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Verstöße gegen die Pflicht zut Redlichkeit
§ 70 BG Saar überläßt die Regelung der beamtenrechtlichen Folgen bei Annahme eines Mandats bei Bund und Länderparlamenten einem besonderen Gesetz. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 65 Abs. 1 und 2 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 52 BBG. § 65 Abs. 3 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 53 BBG. § 69 BG Schl.-Hol. stellt fest, daß der Beamte aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, wenn er ein Mandat bei einer Vertreterkörperschaft seines Dienstherrn annimmt; dies gilt jedoch nicht bei Lehrern an Schulen oder Hochschulen und bei Ehrenbeamten.
2. T i t e l Die Dienstvergehen im Amt
§ 49. Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit I. ALLGEMEINES Zu den obersten Pflichten eines Beamten gehört es, sich in und außer Dienst als ehrlich und redlich zu erweisen. Ein Beamter, ganz gleich welcher Verwaltung, der fremdes Eigentum nicht zu achten weiß, ist als Sachwalter öffentlicher Belange nicht geeignet, weil er hinsichtlich seiner Redlichkeit und Uneigennützigkeit über jeden Zweifel erhaben sein muß1. Dies gilt vor allem für solche Verwaltungen, wie Bundesbahn und Bundespost, zu deren Hauptaufgaben es gehört, fremdes Eigentum zu befördern. Gerade Verwaltungen, denen fremdes Eigentum anvertraut ist, müssen sich auf die Redlichkeit der Beamten in einem besonderen Maße verlassen können. Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit stellen im allgemeinen zugleich strafbare Handlungen dar. Der Beamte verstößt gegen die Verpflichtung zur Redlichkeit nicht nur, wenn er sich im Sinne der Strafvorschriften strafbar gemacht hat, sondern auch dann, wenn er ganz allgemein ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das ihn nicht als ehrlich erscheinen läßt. Hierzu gehören sämtliche Handlungen, die auf eine Unehrlichkeit des Beamten hindeuten oder die geeignet sind, das Eigentum der Behörde oder dritter Personen, die ihr Eigentum der Verwaltung anvertraut haben, zu schädigen oder gar nur zu gefährden. So macht sich ein Kassenbeamter bereits dann strafbar, wenn er seine Kassenbücher unrichtig führt, was schon den Verdacht aufkommen läßt, daß er von ihm zu verwaltende Gelder unterschlägt. Ebenso würde es zu einer Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen die Redlichkeit ausreichen, wenn die unordentliche Führung von Kassenbüchern dazu führt, daß die Aufklärung einer Unterschlagung hierdurch erschwert wird. 1
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RJDH 1. 7. 38 - V D 7/38 —.
Strafrechtliche Tatbestände
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II. STRAFRECHTLICHE TATBESTÄNDE A. Allgemeines Bereits unter I ist darauf hingewiesen worden, daß der Beamte bei einem Verstoß gegen die Redlichkeitspflicht zugleich gegen eine strafrechtliche Norm verstößt. Hierbei kommen einfacher Diebstahl (§ 242 StGB), schwerer Diebstahl (§ 243 StGB), Diebstahl im zweiten Rückfalle (§ 244 StGB), Haus- und Familiendiebstahl (§ 247 StGB), Not-Entwendung (§ 248 a StGB), unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen (§ 248 b StGB), Stromentnahme (§ 248 c StGB), Raub (§§ 249 ff. StGB), Unterschlagung (§ 246 StGB), Amtsunterschlagung (§ 350 StGB), schwere Amtsunterschlagung (§ 351 StGB), Mundraub (§ 370 Nr. 5 StGB), Hehlerei (§ 259 StGB), Unterdrückung von Postsendungen (§ 354 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Betrug im zweiten Rückfalle (§ 264 StGB), Notbetrug (§ 264 a StGB), Erschleichen von Leistungen oder Zutritt (§ 265 a StGB), übermäßige Abgabenerhöhung (§ 353 StGB) und Untreue (§ 266 StGB) in Frage. Nachfolgend geht es darum, nur die strafrechtlichen Tatbestände der Grunddelikte darzustellen, gegen die Beamte immer wieder verstoßen. Es scheiden bei der Betrachtung die qualifizierten Delikte und die Verfehlungen aus, die nur vereinzelt vorkommen oder bei denen der Täter voraussichtlich mit Zuchthaus oder mit einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr rechnen muß, so daß eine disziplinare Bestrafung entfällt.
B. Einfacher Diebstahl Der Beamte verstößt gegen die Verpflichtung zur Redlichkeit, wenn er sich bei Ausübung seiner Dienstgeschafte eines Diebstahls i. S. der §§ 242 ff. StGB schuldig macht. Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Diebstahls mit Gefängnis bestraft (§ 242 Abs. 1 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 242 Abs. 2 StGB). Zunächst einmal muß es sich um eine bewegliche Sache handeln. Es kommen nur körperliche Gegenstände in Frage, wozu aber auch Urkunden rechnen, die Forderungen oder sonstige Rechte verkörpern, wie ζ. B. Sparkassenbücher und Wechsel2. Auf den wirtschaftlichen Wert der Sache kommt es nicht an3. Es muß sich um eine fremde Sache handeln. Ob eine Sache fremd ist, beurteilt sich nach bürgerlichem Recht. Eine Sache, die im ausschließlichen Eigentum des Täters steht, kann nicht gestohlen werden. Steht die Sache in Miteigentum, so ist sie fur den Miteigentumer fremd, so daß er an ihr einen Diebstahl begehen kann4. Durch Verpfandung und Beschlagnahme geht das Eigentum an der Sache nicht verloren, so daß hier keine Bestrafung wegen Diebstahls in Frage kommt. Gleiches gilt auch fur unter Eigentumsvorbehalt veräußerte Sachen. Ebenso können herrenlose Sachen, nämlich solche Sachen die ihrer Natur nach niemandem gehören, ζ. B. in Freiheit befindliche Tiere, oder bei denen der Berechtigte das Eigentum aufgegeben hat, ζ. B. Speisereste im Mulleimer, nicht gestohlen werden. Eine verlorene, verlegte oder vergessene Sache ist jedoch nicht herrenlos5. Die Sache muß im Gewahrsam eines anderen stehen6. Gewahrsam ist das tatsächliche Herrschaftsverhältnis, kraft dessen der unmittelbaren natürlichen Herrschaftseinwirkung auf die Sache unter Ausschluß anderer keine Hindernisse entgegenstehen7. Dies ist nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens zu beurteilen8. Insbesondere ist fur den Gewahrsam der Herrschaftswille entscheidend9. Der Verlust des Gewahrsams tritt mit dem Aufhören der Möglichkeit ein, die Sache zu beherrschen, wobei es auf das Verlegen oder Verstecken in einem bekannten Raum nicht ankommt. Wer eine Sache im Eisenbahnabteil oder in einem Omnibus der Deutschen Bundespost liegen laßt und dieselbe sofort telegrafisch oder fern2 RGSt. Bd.52 S. 296; Bd. 61 S. 127; Bd. 75 S. 186; RG in GA Bd. 64 S. 126; RG in DRZ 1941 S. 629. 3 RGSt. Bd. 44 S. 210; Bd. 50 S. 255; Bd. 51 S. 98. 1 RGSt. Bd. 7 S. 20; Bd. 21 S. 273. 6 RGSt. Bd. 49 S. 194. « RGSt. Bd. 4 S. 348; Bd. 77 S. 329. 7 RGSt. Bd. 60 S. 272. 8 RGSt. Bd. 50 S. 183. 9 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IX zu § 242 StGB; F r a n k , Anm. IV zu § 242 StGB; G e r l a n d , S. 570; J a g u s c h in Leipziger Kommentar 1 C II 2 vor § 242 StGB; S c h w a r z , Anm. 1 D b zu § 242 StGB.
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§ 49
Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit
mündlich anfordert, gibt seinen Gewahrsam an der Sache noch nicht auf. Ist eine Sache verloren gegangen, so fehlt es an der Herrschaftsmöglichkeit des bisherigen Gewahrsaminhabers. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß bei verlorengegangenen Sachen der Gewahrsam auf jemanden anderes übergehen kann, was ζ. B. bei solchen Sachen der Fall ist, die im Bereich öffentlicher Behörden, wie ζ. B. in Wartesälen oder öffentlichen Verkehrsmitteln, verloren gegangen sind. Die Bundesbahn hat deshalb Gewahrsam an Sachen, die von Reisenden auf dem Bahnsteig liegengelassen werden 10 . Auf die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams kommt es nicht an; so hat auch der Dieb Gewahrsam erlangt 11 . Der „Gewahrsam" darf nicht mit „Besitz" im Sinne des B G B verwechselt werden12. So kann ζ. B. auch der Besitzdiener (vgl. § 855 BGB) u. U. Gewahrsam erlangen, während der Erbe wohl Besitzer einer Sache sein kann, ohne einen Gewahrsam hieran erlangt zu haben. Gleichgültig ist es weiterhin, ob es sich um Allein- oder um Mitgewahrsam handelt; gegen einen Mitgewahrsamsinhaber kann man einem Gewahrsamsbruch begehen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der Untergeordnete gegenüber dem Ubergeordneten einen Gewahrsamsbruch begeht. Häufig kann es zweifelhaft sein, ob Allein- oder Mitgewahrsam vorliegt. So hat der Packmeister Alleingewahrsam am Bahngut 13 . Gleiches gilt auch für den Bahnpostschaffner an der Paketpost und für den Postschalterbeamten an dem ihm übergebenen, von den Zustellern eingezogenen Nachnahmebeträgen11. Der Bruch des untergeordneten Mitgewahrsams durch den Inhaber des übergeordneten Gewahrsams ist keine Wegnahme i. S. des § 242 StGB 1 4 ". Die Sache muß aus fremdem Gewahrsam weggenommen werden, d. h. der fremde Gewahrsam muß gebrochen und neuer Gewahrsam hergestellt werden16. Hat der Gewahrsamsinhaber zum Bruch des Gewahrsams sein Einverständnis gegeben, so liegt keine Wegnahme vor 16 . Ob eine neuer Gewahrsam für sich oder einen anderen begründet ist, entscheidet sich nach den tatsächlichen Umstanden des einzelnen Falles. Er erfolgt durch Zueignung. Hierunter ist jede auf Dauer gewollte „Enteignung" einer Sache oder des in ihr verkörperten Sachwerts zu verstehen, wenn sie zur Begründung einer eigentumsähnlichen Sachherrschaft und zu dem Zweck erfolgt, das Enteignete fur sich zu behalten oder zumindest für sich zu nutzen, fur sich zu verwerten17. Es ist nicht erforderlich, daß die Sache vom Tatort bereits fortgeschafft ist. So braucht der Postbeamte, der im Postamt ein Päckchen weggenommen hat, dasselbe noch nicht aus dem Postamtsgebäude weggeschafft zu haben, um wegen vollendeten Diebstahls bestraft zu werden ; die Wegnahme ist bereits dann vollendet, wenn der Postbeamte die Sache in den Räumen des-Postamts versteckt oder unter seinen Kleidern verborgen hat. Der Diebstahl ist auch dann vollendet, wenn der Dieb bei dem Diebstahl beobachtet und sofort festgenommen worden ist 18 . Wenn der Täter trotz Beobachtung seines Tuns durch die Weg- und Ansichnahme der fremden Sache nicht nur den Gewahrsam des Eigentümers bzw. Besitzers gebrochen, sondern auch schon eigenen Gewahrsam begründet hat, der ihm die Möglichkeit verschafft, unter Ausschluß des bisherigen Gewahrsamsinhabers wie ein Eigentümer mit der Sache zu verfahren, so ist Vollendung der Wegnahme gegeben. Das Beiseitelegen einer Sache kann dann Begründung neuen Gewahrsams trotz Anwesenheit des bisherigen Inhabers sein, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, die Verfügung des Täters über die Sache zu verhindern, was ζ. B. dann der Fall ist, wenn der frühere Tater niedergeschlagen ist 19 . Der neue Gewahrsam ist ζ. B. auch dann erlangt, wenn der Bahnpostschaffner die Sache aus dem Zug herauswirft, um sie später wegzuholen2®. Dies gilt auch dann, wenn der Vorsteher der G üterabfertigung einen Güterwagen durch Ausstellung eines falschen Frachtbriefes RGSt. Bd. 54 S. 232. DRiZ 1924 S. 393; B G H in N J W 1953 S. 1358. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. I V 3 zu § 242 StGB; B i n d i n g , Lehrbuch, Bd. 1 S. 243; F r a n k , Anm. I V zu § 242 StGB; RGSt. Bd. 50 S. 184 und Bd. 52 S. 145. 1 3 RGSt. Bd. 46 S. 376. 1 4 RGSt. Bd. 26 S. 43. 14 » O L G Hamm 12.10. 64 — 4 Ss 943/63 — in JMB1. NRW 1965 S. 10. 1 5 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. V z u § 242 StGB; vgl. auch zum Begriff der Wegnahme und zur Vollendung der Tat BGH 2. 4. 63 — 5 StR 86/63 in J R 1963 — S. 466. 1 8 RGSt. Bd. 53 S. 337. 1 7 O L G Celle 17.10. 63 — 1 Ss 354/63 — in NdsRpfl. 1964 S. 72. 1 8 BGH in MDR 1957 S. 141 ; RGS Bd. 52 S. 76. 1 8 BGH 30. 11. 62 — 4 StR 421/62 — in GA 1963 S. 147; RGSt. Bd. 52 S. 75, Bd. 66 S. 394; B G H LM Nr. 9 zu § 243 Abs. 1 Ziff. 2 StGB; BGHSt. Bd. 16 S. 271. 1 9 RGSt. Bd. 66 S. 395. 2 0 Vgl. R G 11. 12. 22 — 6 D 949/22 —. 10
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Strafrechtliche Tatbestände aus dem regelmäßigen Beförderungswege herausnimmt und nach seinem Willen auf einen anderen Beförderungweg schickt21. Von einem Versuch, neuen Gewahrsam zu begründen, ist dann die Rede, wenn die Fortschaffung erst nach besonderen Vorbereitungen oder nach Beseitigung erheblicher Schwierigkeiten möglich ist. Wird mit der Wegnahme begonnen, so liegt strafbarer Versuch vor. Wird die Wegnahme aber erst vorbereitet, so liegt eine Vorbereitungshandlung vor. Nimmt der Tater die Sache bereits in die Hand, so liegt bereits ein Diebstahlsversuch vor.22. Entscheidend für den Versuch ist es, daß der Täter den fremden Gewahrsam bereits beeinträchtigt und ernstlich gefährdet hat, selbst wenn er seinen Willen noch nicht auf die Wegnahme der bestimmten Sache gerichtet hat23. Die Zueignungsabsicht muß nach außen erkennbar sein24. Eine Zueignung liegt nur dann vor, wenn der andere von dem Genuß der Sache ausgeschlossen ist. Will der Tater die Sache lediglich benutzen, so liegt noch kein Diebstahl vor. Hat der Täter den wirtschaftlichen Wert dem anderen entzogen, und gibt er ihm später die Sache wieder zurück, so liegt darin bereits eine Zueignung vor, die durch die Rückgabe der Sache nicht aufgehoben wird 25 . Ebenso liegt eine Zueignung dann vor, wenn der Täter die Sache einem Dritten zuwendet26. Dies gilt auch dann, wenn der Täter die Sache dem Dritten unentgeltlich zukommen laßt 27 . Anders ist es jedoch, wenn der Tater über die Sache nicht im eigenen Namen, sondern namens eines Dritten und zu dessen Nutzen verfügt; in diesem Falle nützt der Täter die Sache nicht für sich wirtschaftlich aus 28 . Wird die Sache für den wahren Eigentümer entwendet, so liegt kein Diebstahl vor 29 . Diebstahl liegt nur dann vor, wenn die Sache rechtswidrig weggenommen ist. Rechtswidrigkeit liegt dann nicht vor, wenn der Eigentümer seine Einwilligung zur Wegnahme erteilt hat oder wenn die Aneignung gesetzlich gestattet ist. Die Einwilligung setzt volle Geschäftsfähigkeit voraus. Ebenso muß sie vor oder bei der Wegnahme erteilt sein. Hat der Täter einen Anspruch auf Übereignung, so liegt gleichfalls keine Rechtswidrigkeit vor 30 . Der innere Tatbestand verlangt bei § 242 StGB Vorsatz und die Absicht rechtswidriger Zueignung. Der Vorsatz muß beim Diebstahl auf Verletzung fremden Gewahrsams oder Eigentums gerichtet sein. Ebenso muß der Täter sich der Rechtswidrigkeit seines Handelns bewußt sein. Nimmt er Tatumstände an, die bei ihrem Vorliegen die Annahme rechtfertigen würden, daß er Eigentümer sei, so liegt kein Vorsatz vor 31 . Ebenso handelt der Täter nicht vorsätzlich, wenn er glaubt, daß der Eigentümer mit der Wegnahme einverstanden sei. Dem Täter muß weiterhin die Absicht rechtswidriger Zueignung nachgewiesen wer" den31®. Liegt die Absicht erst später vor, so handelt es sich dann nur um Unterschlagung32. Der Täter will sich die Sache zueignen, wenn er sie selbst oder doch den in ihr verkörperten Sachwert dem eigenen Vermögen einverleiben will 33 . Wird ein Sparkassenbuch weggenommen, um darauf den Betrag zu erheben, so kann die Zueignung auch dann vorliegen, wenn der Wegnehmende die Absicht hatte, das Buch dem rechtmäßigen Eigentümer wieder zukommen zu lassen34. In Zueignungsabsicht handelt, wer den Gegenwert der weggenommenen Sache dadurch seinem Vermögen einverleibt oder einzuverleiben beabsichtigt, daß er sie als angeblicher Bote des Eigentümers ihrem Käufer überbringt und den vereinbarten Kaufpreis für sich behält341. Keine Zueignung liegt bei der Absicht vor, die Sache lediglich zu gebrauchen, so daß der Eigentümer nur zeitweilig von ihrer Verwertung ausgeschlossen sein RG 2. 6. 24 — 2 D 484/24 —. RGSt. Bd. 55 S. 244. 23 RGSt. Bd. 70 S. 201. 24 RGSt. Bd. 67 S. 335. 25 RGSt. Bd. 40 S. 12, Bd. 57 S. 199. 23 RGSt. Bd. 35 S. 356. 27 RGSt. Bd. 47 S. 325; Bd. 62 S. 17. 28 RGSt. Bd. 67 S. 266, Bd. 64 S. 407. 29 GA Bd. 52 S. 397. 30 RGSt. Bd. 64 S. 212. 31 RGSt. Bd. 14 S. 112. 31 » Vgl. BayrObLG 12. 5. 64 — RReg. 2 St. 213/53 — in MDR 1964 S. 776 = JR 1965 S. 26 32 RGSt. Bd. 52 S. 147. 33 RGSt. Bd. 61 S. 233, Bd. 64 S. 415. 34 RGSt. Bd. 43 S. 17, Bd. 61 S. 127. a4 » BayrObLG 12. 5. 64 — Rg 2 St. 213/63 — in MDR 1964 S. 776. 21 22
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Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit soll 36 . Nimmt jemand Akten nur zu dem Zweck weg, um sie einzusehen, handelt er nicht in Zueignungsabsicht36. So liegt auch bei der bloßen Benutzung eines fremden Kraftfahrzeuges noch keine Zueignungsabsicht hinsichtlich des Verbrauchs des Benzins vor, wenn der Täter den Kraftwagen nur für eine Schwarzfahrt verwenden und ihn dann an die Stelle hinstellen will, von wo er ihn fortgenommen hat; hier macht sich der Täter aber nach § 248 b StGB (Unbefugter Gebrauch von Kraftfahrzeugen usw.) strafbar. Zueignungsabsicht liegt jedoch dann vor, wenn jemand einen Kraftwagen nicht dauernd für sich behalten will und sich schon von vornherein mit dem Gedanken trägt, sich des Wagens, wenn er ihn nicht mehr benötigt, zu entäußern, aber in einer Weise, daß er dem Zugriff Dritter preisgegeben ist und es dem Zufall überlassen bleibt, ob ihn der Eigentümer wieder bekommt37. Keine Zueignungsabsicht liegt vor, wenn der Täter die Sache lediglich zerstören will 38 . Auf die Bereicherungsabsicht kommt es nicht an. So liegt Diebstahl auch dann vor, wenn der Täter eine Sache wegnimmt und den entsprechenden Gegenwert zurücklaßt 39 .
C. Unterschlagung Wer eine fremde bewegliche Sache, die er im Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet, wird wegen Unterschlagung mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Sache ihm anvertraut ist, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft (§ 246 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe erkannt werden (§ 246 Abs. 2 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 246 Abs. 3 StGB). § 246 StGB unterscheidet sich von § 242 StGB dadurch, daß die Zueignung ohne Gewahrsamsbruch erfolgt. Im übrigen ist ebenso wie beim Diebstahl Objekt der Unterschlagung eine fremde bewegliche Sache. Im einzelnen gilt das unter Β S. 427 ff. Gesagte. Die Begriffe „Besitz" und „Gewahrsam" sind bei § 246 StGB gleichbedeutend: es ist das tatsächliche Herrschaftsverhältnis. Besitz i. S. des BGB ist nicht erforderlich. So kann auch der mittelbare Besitzer (§ 868 BGB) u. U. Gewahrsam i. S. des § 246 StGB haben. Wie der Täter den Gewahrsam erlangt hat, ist unbedeutend. Hat jemand die Sache durch eine Straftat erlangt, durch die er zugleich die Absicht rechtswidriger Zueignung bestätigte, so kommt eine Unterschlagung hier nicht mehr in Frage 40 . Eine Unterschlagung kann auch gegen einen Dieb begangen werden41. Ist der Gewahrsam auf rechtwidrige, aber nicht strafbare Weise erlangt, so ist nicht Diebstahl, sondern Unterschlagung gegeben42. Bei der Fundunterschlagung fällt die Erlangung des Gewahrsams mit der Zueignung zusammen. Es kommt nicht darauf an, ob der Täter zunächst Gewahrsam erlangt und sich die Sache dann zugeeignet hat, da § 246 StGB einen allgemeinen Tatbestand der Zueignung fremder Sachen enthält. Demnach liegt also auch Unterschlagung vor, wo Erlangung des Gewahrsams und Zueignung zusammenfallen43. Die Zueignung besteht in der Einverleibung der Sache selbst oder des in ihr verkörperten Sachwerts in das Vermögen des Täters44. Sie muß durch eine nach außen erkennbare Handlung erfolgen 45 . Sie kann bestehen in : a) im Verbrauchen oder Verzehren der Sache. Durch den Verbrauch wird die wirtschaftliche Bestimmung der Sache verändert; RGSt. Bd. 35 S. 356. RG in JW 1922 S. 293. RG in JW 1935 S. 3387; RG in HRR 1942 S. 423; BGHSt. Bd. 5 S. 206; BGH in VRS Bd. 13 S. 41, Bd. 14 S. 363; OLG Celle in NdsRpfl. 1955 S. 18. 38 RGSt. Bd. 64 S. 250; RG in HRR 1927 Nr. 193. 39 RG 13.1. 27 — 3 D 537/21 . 40 RGSt. Bd. 61 S. 38 und Bd. 62 S. 62. 41 RGSt. Bd. 70 S. 8. 42 BGH 3 StR 744/53 bei D a l l i n g e r in MDR 1954 S. 398. 43 BGH LM Nr. 3 § 246 StGB; BGHSt. Bd. 4 S. 77; OLG Bremen in MDR 1948 S. 260; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV 3 zu § 246 StGB; B i n d i n g , Lehrbuch Bd. 1 S.275; v. H i p p e l , Lehrbuch S. 249; J a g u s c h in LK Anm. 3 zu § 246 StGB; M a u r a c h , Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil S. 208. 44 RGSt. Bd. 67 S. 335; BGHSt Bd. 1 S. 264. « RGSt. Bd. 65 S. 147 und Bd. 67 S. 73; OLG B r a u n s c h w e i g in NJW 1950 S. 158. 35
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b) im Abschluß von Verträgen über die Sache. So stellt schon das Verkaufsangebot eine Zueignung dar46. Verpfändet der Täter die Sache, so stellt es eine Zueignung dar, wenn er davon ausgeht, die Pfandsache nicht wieder einlösen zu können; dagegen handelt es sich um eine bloße Gebrauchsanmaßung, wenn der Täter die Sache wieder rechtzeitig einlösen will und sich hierzu in der Lage fühlt 47 ; c) in der Pfändung, wenn der Täter dem Gerichtsvollzieher die Sache zur Vertagung stellt 48 ; d) im Ableugnen des Besitzes49 ; e) in der Verweigerung der Herausgabe an den Berechtigten 60 ; f) in der Erklärung gegenüber dem Berechtigten, die Sache sei Eigentum des Erklärenden51 ; g) in der Verarbeitung und Umbildung der Sache, wenn hierdurch Eigentum erworben wird 62 ; h) u. U. in der Vermischung fremden Geldes mit eigenem Geld 63 ; i) u. U. in dem Beiseitelegen an einem an sich ordnungsgemäßen Platze64; k) in der Verwendung von Kassengeldern zur Deckung eines Fehlbetrages66; 1) in der Verabfolgung eines abgefahrenen Fahrscheines an einen Fahrgast, wobei das empfangene Geld durch den Schaffner in die amtliche Geldtasche in der Absicht gelegt wird, später einen entsprechenden Betrag zurückzubehalten63 ; m)u.U. in einer unentgeltlichen Verfügung über die Sache zugunsten Dritter ohne Rücksicht darauf, in welchen Beziehungen der Täter zum Beschenkten steht67 ; verfügt der Tater nicht im eigenen Namen, so liegt eine Zueignung nur vor, wenn er durch die Verfugung unmittelbar oder auch nur mittelbar einen Vorteil erstrebt oder erlangt 68 . Die Rechtswidrigkeit wird bei der Unterschlagung ebenso wie beim Diebstahl durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen. Gleichs gilt, wenn die gesetzliche Befugnis besteht, die Sache zu verwerten, oder wenn ein fälliger Anspruch auf Übereignung der Sache besteht. Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß sich bewußt sein daß die Sache eine fremde ist und er eigenen Gewahrsam hat. Um einen Fall des Tatbestandsirrtums handelt es sich, wenn der Täter irrtümlich annimmt, daß der Eigentümer einwillige oder daß ein fälliger Anspruch auf Ubereignung der Sache bestehen würde 69 . Gleiches gilt, wenn der Täter auf Grund seiner jederzeitigen Ersatzbereitschaft bei vertretbaren Sachen — insbesondere bei Geld — mit dem Einverständnis des Eigentümers rechnet60. Handelt es sich um öffentliche Gelder, so kann der Täter nie mit einem Einverständnis seiner Behörde rechnen, weil ein solches nicht in Frage kommen kann. Die Unterschlagung ist mit der vollzogenen Zueignungshandlung vollendet. Eine Bereicherung des Täters ist nicht erforderlich. Das Kaufangebot kann bereits eine vollendete Zueignung sein61. 46 RGSt. Bd. 73 S. 254; BGBH 1 StR 284/53 — in MDR 1954 S. 398; OLG Braunschweig in NJW 1957 S. 109. 47 RGSt. Bd. 66 S. 156; RG in HRR 1934 Nr. 1328; RG in JW 1937 S. 2391 ; J a g u s c h in LK Anm. D V 2 c vor §§ 242 ff. StGB. 48 OLG Schleswig in SchlHA 1953 S. 216. 49 RGSt. Bd. 72 S. 382; BayObLG in JR 1955 S. 271. 60 RG in JW 1928 S. 410. 6 1 RG in JW 1931 S. 1037. 62 RGSt. Bd. 55 S. 49. 63 RGSt. Bd. 71 S. 96; RG in HRR 1937 Nr. 533. 64 RGSt. Bd. 63 S. 378. 66 RG in LZ 1928 Sp. 910. 66 RG in JW 1935 S. 3626; vgl. auch RG in HRR 1936 Nr. 502 und 852. 67 BGHSt. Bd. 4 S. 238; OLG Braunschweig in JB1. Braunschweig 1947 Sp. 270; a. M. OLG Bremen in MDR 1948 S. 200. 68 BGH in NJW 1954 S. 1295. 69 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. VII zu § 246 StGB. 60 RGSt. Bd. 21 S. 366; RG in HRR 1937 Nr. 1562. 6 1 RGSt. Bd. 73 S. 254; a. M. F r a n k , Anm. V zu § 246 StGB.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit
§49
Wer eine Unterschlagung gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher begeht, oder wer einer Person, zu der er im Lehrlingsverhältnis steht, oder in deren häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet, Sachen von unbedeutendem Wert unterschlägt, ist nur auf Antrag zu verfolgen. Die Zurücknahme des Antrages ist zulassig (§ 247 Abs. 1 StGB). Die Unterschlagung, welche von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder von einem Ehegatten gegen den anderen begangen worden ist, bleibt straflos (S 247 Abs. 2 StGB).
D. Amtsunterschlagung Ein Beamter, welcher Gelder oder andere Sachen, die er in amtlicher Eigenschaft empfangen oder in Gewahrsam hat, unterschlagt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (§ 350 Abs. 1 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 350 Abs. 2 StGB). Bei § 350 StGB handelt es sich um ein sog. unechtes Amtsdelikt. Zum äußeren und inneren Tatbestand der Unterschlagung muß hinzutreten, daß der Täter Beamter ist und die zugeeigneten Sachen in amtlicher Eigenschaft empfangen oder im Gewahrsam hat62. Tater kann jeder Beamte sein, wobei es unbeachtlich ist, ob er des Amtes enthoben ist63. Als Gegenstände kommen Gelder und andere Sachen in Betracht. Wenn die „Gelder" in § 350 StGB ausdrucklich erwähnt werden, so soll damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden, daß der Beamte an amtlichen Geldern niemals Eigentum erwerben kann. Die in § 350 StGB erwähnten Sachen müssen in amtlicher Eigenschaft empfangen sein. Dies ist dann der Fall, wenn ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erlangung des Gewahrsams und der Amtstätigkeit des Beamten besteht64. Ob der Beamte die Sache im Bereiche seiner amtlichen Zuständigkeit empfangen hat, ist nicht entscheidend; es genügt, wenn derjenige, der die Sache dem Beamten ausgehändigt hat, diesen für zuständig hielt66. Selbst wenn beiden Teilen bewußt war, daß der Beamte nicht zuständig war, so genügt es jedoch fur die Anwendung des § 350 StGB, wenn sie sich darüber einig waren, daß die Sache in amtliche Obhut zu weiterer amtlicher Behandlung gelangen soll66. Der Beamte hat die Sache insbesondere dann in amtlicher Eigenschaft empfangen, wenn er in Ausübung des Dienstes die Verfügungsgewalt über die Sache erlangt. So hat der Bahnpostschaffner die Verfügung über den Inhalt des Bahnpostwagens67 ; der Postbeamte, der nur das Umpacken, Ordnen und Schichten der Pakete zu besorgen hat, hat dagegen keinen amtlichen Gewahrsam68. Der Postbeamte, der Einschreibsendungen annimmt, hat Gewahrsam an den Einschreibpäckchen69. Im übrigen wird der amtliche Gewahrsam nicht schon dadurch begründet, daß die Sachen dem Beamten amtlich zugänglich sind 70 . Die Fortdauer des Gewahrsams ist nicht davon abhängig, daß der Beamte die Sache vorschriftsmäßig verwahrt; er kann auch dann noch fortbestehen, wenn der Beamte die Sache vorschriftswidrig in einen Raum verbringt, der seiner privaten Verfugung untersteht71. Liegt Mitgewahrsam vor, so macht sich der Beamte nicht nach § 350 StGB, sondern nach § 242 StGB schuldig72. Der Beamte hat keinen Alleingewahrsam, wenn neben ihm auch dem Vorgesetzten eine tatsächliche und unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit eingeräumt ist73. Nicht in amtlicher Eigenschaft ist die Sache empfangen, die der Beamte bei Gelegenheit einer Amtshandlung nur aus Veranlassung der Ausübung des Amtes erhält, weil der Aushändigende den Beamten mit Rücksicht auf seine Beamteneigenschaft für RGSt. Bd. 75 S. 290. RGSt. Bd. 72 S. 234. 64 Vgl. OGHSt. Bd. 1 S. 258. 66 RGSt. Bd. 71 S. 107; BGH in JW 1952 S. 191. 66 RG in HRR 1928 Nr. 1538. 67 RG in Recht 1922 Nr. 147. 68 RG in DJZ 1950 S. 409. 69 OLG Oldenburg in JR 1950 S. 409. 70 RGSt. Bd. 54 S. 228. 71 RG in LZ 1917 S. 463. 72 OGHSt. Bd. 1 S. 256; BGH in MDR 1954 S. 118; GA 1956 S. 318; RGSt. Bd. 58 S. 49; RG in HRR 1925 Nr. 1297; OLG Oldenburg in NdsRpfl. 1947 S. 133; OLG Kiel in SchlHA 1949 S. 170; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV 3 zu § 350 StGB; B r a n d in NJW 1948 S. 548; D a l c k e , Anm. 3 zu § 350 StGB; a. M. KG in DRiZ 1947 S. 380 und in JR 1950 S. 631; OLG Karlsruhe in NJW 1950 S. 197; K o h l r a u s c h - L a n g e , Anm. IV 1 zu § 350 StGB; M a u r a c h , Strafrecht, Besonderer Teil S. 634; T h e i s in SJZ 1947 Sp. 254. 73 OLG Bremen 14. 2. 62 —Ss 123/61 — in NJW 1962 S. 1455. 62
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Strafrechtliche Tatbestände
§49
besonders vertrauenswürdig hält 74 ; hier ist der Beamte nur privater Mittler des Dritten75. Auch dann liegt kein amtlicher Gewahrsam vor, wenn Ubertragender und Empfänger einig sind, daß kein amtlicher Gewahrsam begründet werden soll76. Bei der Amtsunterschlagung muß sich der Täter die Sache rechtswidrig zueignen. Er muß sie selbst oder den verkörperten Sachwert dem eigenen Vermögen einverleiben 77 . Die Zueignung kann nicht allein durch den Willen, die Sache zu behalten, sondern nur durch eine nach außen erkennbare Handlung betätigt werden 78 . Der primitivste Fall der Zueignung besteht darin, daß der Täter sich die Sache in seine Tasche steckt und dann für sich verbraucht. Eine Zueignung kann im Verbrauchen oder Verzehren oder im Abschluß von Verträgen über die Sache liegen, wobei im letzteren Falle ein bloßes Kaufangebot genügt 79 . Im übrigen gilt für die Zueignung das unter C Gesagte. Das bloße Vermischen amtlicher und eigener Gelder stellt nicht ohne weiteres eine Zueignung der amtlichen Gelder dar 80 . Dies ist aber der Fall, wenn sich bereits mit der Vermischung die Absicht des Täters verbindet, den Mischbestand für eigene Zwecke zu verwenden 81 . Ebenso reicht die Verwendung von Kassenbeständen zur Deckung eines Fehlbetrages aus82. Es genügt, daß der Täter den Betrag nur vorübergehend für sich verwenden will 83 . Der Geldbetrag braucht nicht aus der Kasse entnommen zu werden; die Zueignung kann auch durch die Art der Buchung oder der Nichtbuchung erfolgen, welche die Deckung des Fehlbetrages zum Ziele hat84. Das öffnen eines Briefes in der Absicht, sich den Inhalt desselben anzueignen, stellt bereits einen Versuch der Amtsunterschlagung dar 85 . Dagegen ist es nur als straflose Vorbereitungshandlung anzusehen, wenn der Beamte den Brief an sich nimmt, um zu prüfen, ob sich eine Öffnung lohnt 86 . Gleiches gilt, wenn ein Bundesbahngehilfe, der eine Fahrkartenschnelldruckmaschine bedient, Fahrkarten druckt, deren Erlös er behalten will, diesen Entschluß aber aufgibt, bevor er auch nur eine der Karten verkauft hat 87 . Gibt der Beamte Behördeneigentum unentgeltlich weg, so eignet eressich damit zu ; tut er dies nicht im eigenen Namen, so liegt eine Zueignung dann vor, wenn er dadurch einen eigenen Vorteil erstrebt88. A u c h in der B i l d u n g einer „ s c h w a r z e n K a s s e " k a n n eine Z u e i g n u n g g e f u n d e n werden 8 9 . Dies gilt auch dann, wenn der Täter mit dem amtlichen Geld Fehlbeträge in der von ihm geführten Kasse deckt, und zwar selbst dann, wenn er nicht zum Ersatz des fehlenden Geldes verpflichtet ist 90 . Legt ζ. B. der Beamte das unterschlagene Geld in eine Federschale auf seinem Arbeitspult, so bringt er durch diese Art der Aufbewahrung des Geldes zum Ausdruck, daß es es für sich, d. h. fur die Deckung der von ihm zu ersetzenden Fehlbeträge, verwenden will. Die Amtsunterschlagung ist nur dann strafbar, wenn sie rechtswidrig ist. Wenn auch die Einwilligung des Berechtigten die Rechtswidrigkeit ausschließt, so ist jedoch hierbei zu beachten, daß der Dienstvorgesetzte oder Vorgesetzte niemals dem Beamten eine Einwilligung selbst zu einer vorübergehenden Entnahme amtlicher Gelder aus öffentlichen Kassen erteilen kann 91 . Auch dann liegt Rechtswidrigkeit vor, wenn der Täter willens und in der Lage ist, Ersatz zu leisten92. Ebenso kann der Beamte nicht mit eigenen Forderungen gegen solche seiner Dienststelle aufrechnen93. RG in JW 1936 S. 3004. RGSt. Bd. 71 S. 106.. ' 6 OLG Hamburg in HESt. Bd. 2 S. 357. 7 ' RGSt. Bd. 67 S. 335; BGHSt. Bd. 1 S. 267. 78 RGSt. Bd. 65 S. 145 und Bd. 67 S. 73; OLG Braunschweig in NJW 1950 S. 158. 79 RGSt. Bd. 73 S. 254; BGH in MDR 1954 S. 398. 80 RGSt. Bd. 26 S. 437. 81 RG in HRR 1937 Nr. 533. 82 RG in LZ 1928 Sp. 918; RG in HRR 1940 Nr. 711. 83 BGHSt. Bd. 9 S. 348; a. M. RG in HRR 1940 Nr. 711. 84 RG in JW 1932 S. 950; OLG Braunschweig in NJW 1950 S. 158. 85 RGSt. Bd. 65 S. 148. 86 RG in JW 1932 S. 3087. 87 RG in HRR 1940 Nr. 264. 88 BGH LM Nr. 6 u. 9 zu § 350 StGB., 89 BayOLG in GA 1958 S. 390. 90 RGSt. Bd. 64 S. 414; DokBer. Nr. 844; S c h w a r z , Anm. 1 Β zu § 350 StGB. 91 RG in HRR 1937 Nr. 533. 92 RG in JW 1930 S. 1217. 93 RG in DStR 1934 S. 255; RG in JW 1939 S. 994. 74
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§ W)
Verstöße gegen die Pflicht zur Redlichkeit
Der Täter kann nur dann bestraft werden, wenn er vorsätzlich gehandelt hat94. Glaubt er, daß zur Zueignung eine Einwilligung des Berechtigten vorliegt, so kann das Unrechtsbewußtsein entfallen95.
E. Schwere Amtsunterschlagung Hat der Beamte in Beziehung auf die Unterschlagung die zur Eintragung oder Kontrolle der Einnahmen oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt, oder unrichtige Abschlüsse oder Auszüge aus diesen Rechnungen, Registern oder Büchern, oder unrichtige Belege zu denselben vorgelegt, oder ist in Beziehung auf die Unterschlagung auf Fassem, Beuteln oder Paketen der Geldinhalt falschlich bezeichnet, so ist auf Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren zu erkennen (§ 351 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein (§ 351 Abs. 2 StGB). Zunächst einmal fällt unter § 351 StGB die unrichtige Führung, Verfälschung oder Unterdrückung von Rechnungen, Registern oder Büchern, die zur Eintragung oder Kontrolle der Einnahmen oder Ausgaben bestimmt sind. Register i. S. des § 351 StGB sind geordnete Verzeichnisse über das Vorhandene, vor allem zum Zwecke der leichten Übersicht und Auffindung, wie ζ. B. die Überweisungskarten der Postagenturen96. Die Führung der Bücher und Register muß auf amtlicher Anordnung beruhen, ohne daß sie öffentlich i. S. des § 348 Abs. 1 sein müssen97. Die Bücher und Register brauchen also ζ. B. nur für den inneren Dienstbetrieb bestimmt zu sein. Unter Einnahmen und Ausgaben, zu deren Eintragung oder Kontrolle die Bücher usw. bestimmt sein müssen, ist jegliche Empfangnahme und Wiederablieferung von Geldern und Sachen zu verstehen98. Unter § 351 StGB fallen z. B. Rundfunkstammkarten 99 , das Annahmebuch einer Poststelle100, Quittungskarten der Invalidenversicherung 101 und das für Einschreibsendungen bestimmte Zuschreibebuch102. Auch das Unterlassen einer gebotenen Eintragung oder das Unterlassen einer Berichtigung stellt sich als eine unrichtige Führung eines Buches dar 103 . Dagegen fällt es nicht unter § 351 StGB, wenn unterlassen wird, ein vorgeschriebenes Buch überhaupt anzulegen104. Dagegen fällt unter § 351 StGB die Nichteintragung vereinnahmter, unterschlagener Gelder, wenn die Eintragung die Unterschlagung offenbaren würde 105 . Die Nichtverbuchung eines der Kasse entnommenen und unterschlagenen Betrages fällt nicht unter § 351 StGB. Fernerhin fällt unter § 351 StGB die Vorlegung unrichtiger Abschlüsse oder Auszüge aus diesen Rechnungen, Registern oder Büchern oder unrichtiger Belege zu diesen. Abschlüsse sind das Gesamtergebnis, das sich aus der Eintragung von Einnahmen und Ausgaben in einem bestimmten Zeitraum ergibt 106 . Auszuge stellen eine unvollständige Wiedergabe von eingetragenen Einnahmen oder Ausgaben in abgekürzter Form dar. Belege sind Urkunden, die zur Rechtfertigung der Eintragungen in den Büchern usw. dienen 107 . Vom Täter angefertigte Aktenvermerke, die rechnerisch wichtige schriftliche Erklärungen darstellen, gehören zu den Belegen i. S. des § 351 StGB108. Die Abschlüsse, Auszüge und Belege sind nicht nur dann unrichtig, wenn sie fälschlich angefertigt oder verfälscht sind, sondern auch dann, wenn sie nur unwahr sind109. Ein Beleg wird ferner auch unrichtig, wenn er wohl rechnerisch richtig ist, aber ein falsches Datum eingesetzt wird. Die Abschlüsse usw. brauchen Vgl. RG in JW 1924 S. 1531. RG in JW 1930 S. 1217,1931 S. 3668 und 1936 S. 3391 : RG in DR 1941 S 492. 9β RGSt. Bd. 60 S. 11. 97 RGSt. Bd. 43 S. 209. 98 RGSt. Bd. 45 S. 295; RG in DR 1941 S. 2291. 99 RGSt. Bd. 74 S. 342. 100 RGSt. Bd. 72 S. 196. 101 RGSt. Bd. 71 S. 108; RG in DR 1941 S. 585. 102 OLG Karlsruhe in NJW 1950 S. 197. 103 RGSt. Bd. 60 S. 12 und Bd. 72 S. 196; RG in DR 1941 S. 2291; BGH — 3 S t R 135/55 — in MDR 1955 S. 658. 104 BGH in NJW 1958 S. 229. 105 RG in DJ 1937 S. 1886; RG in HRR 1939 Nr. 171. 108 RGSt. Bd. 55 S. 280; RGSt. Bd. 76 S. 258. 107 RGSt. Bd. 58 S. 238; Bd. 69 S. 186. 108 RGSt. Bd. 69 S. 300. 109 Vgl. RGSt. Bd. 60 S. 65 und Bd. 69 S. 300; OLG Nürnberg in MDR 1950 S. 754. 94
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nicht unbedingt einem Kontrollbeamten vorgelegt zu werden; es genügt vielmehr, daß der Tater die unrichtigen Belege usw. derart zu den Akten und somit in den Geschäftsgang bringt, daß sie jederzeit zur Prüfung herangezogen werden können110. Unter § 351 StGB fällt schließlich auch die fälschliche Bezeichnung des Geldinhalts auf Fässern, Beuteln oder Paketen, wobei Geld wortlich zu nehmen ist 111 ; Marken rechnen nicht hierzu. Die in § 351 StGB genannten Handlungen müssen in irgendeinem beabsichtigten Zusammenhang mit der Unterschlagung stehen. Sie können der Unterschlagung vorausgehen, nachfolgen oder gleichzeitig mit ihr vorgenommen werden112. Dienen die Buchungen ausschließlich dem Zweck, dem Täter die unauffällige Zuführung des unterschlagenen Betrages an die öffentliche Kasse zu ermöglichen, so kommt § 351 StGB nicht zur Anwendung 113 . Jeder Beamter, also nicht nur der Kassenbeamte, kann unter § 351 StGB fallen114. Nur muß der Beamte die Rechnung, das Register oder das Buch selbst fuhren oder mitführen115. Das Vorlegen unrichtiger Belege über die Ausführung eigener Dienstgeschäfte genügt auch dann, wenn ein anderer Beamter die Register oder Bücher zu führen hat, zu denen die Belege zu nehmen sind116. Unrichtige Buchführung in mittelbarer Täterschaft setzt voraus, daß die Führung oder zumindest die Mitführung der Bucher zu den dienstlichen Obliegenheiten auch des mittelbaren Täters gehört 117 .
F. Unterdrückung von Postsendungen Ein Postbeamter, welcher die der Post anvertrauten Briefe oder Pakete in anderen als den im Gesetz vorgesehenen Fällen eröffnet oder unterdrückt oder einem anderen wissentlich eine solche Handlung gestattet oder ihm dabei wissentlich Hilfe leistet, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft (§ 354 StGB). Wenn § 354 StGB auch nur die Verletzung des Postgeheimnisses und der postalischen Beförderungspflicht betrifft, so interessiert diese Bestimmung bei der Behandlung der Verstöße gegen die Redlichkeit jedoch insoweit, als die Briefunterdrückung bezweckt, den unterdrückten Gegenstand für sich zu behalten, also § 354 StGB mit §§ 242 und 243 StGB in Idealkonkurrenz steht. Als Objekt der Tat kommen bei § 354 StGB nur Briefe und Pakete in Betracht, die der Post zur amtlichen Beförderung anvertraut sind. Bei Briefen muß es sich um Mitteilungen von Person zu Person handeln, so daß durch § 354 StGB nicht Zeitungen erfaßt sind, selbst wenn sie unter Kreuzband verschickt werden118. Als Briefe im Sinne des § 354 StGB gelten jedoch Postanweisungen, Zahlkarten 119 , Paketkarten, Nachnahmepostanweisungen und Empfängerabschnitte der Nachnahmekarten vor der Zustellung 120 . Die Briefe und Pakete müssen auf vorschriftsmäßige Weise in den Post verkehr gelangt sein; es genügt bereits das Einwerfen des Briefes in den Briefkasten121. Der Post anvertraut sind auch Briefe, die das Postamt selbst abgesandt hat122. Deshalb gehören auch Fangbriefe zu den Postsendungen i. S. des § 354 StGB123. Die Handlung besteht in dem Eröffnen oder dem Unterdrücken der Sendung. Die Sendung ist auch dann unterdrückt, wenn sie nur vorübergehend dem Postverkehr entzogen werden sollte124. Kein Unterdrücken stellen untergeordnete Verstöße gegen Vorschriften rein innerdienstlichen Charakters dar125. Gleiches gilt auch dann, wenn der Postbeamte SenRGSt. Bd. 58 S. 238; RG in HRR 1936 Nr. 375. RG in HRR 1927 Nr. 1486. 112 RGSt. Bd. 6 S. 295; RG in JW 1932 S. 509; RG in HRR 1938 Nr. 1337. 113 RGSt. Bd. 10 S. 6. 114 RGSt. Bd. 45 S. 295. 115 RG in JW 1935 S. 1984 und 1936 S. 2236; RGSt. Bd. 67 S. 178. l l e RGSt. Bd. 67 S. 196 und Bd. 70 S. 14. 117 RG in DJ 1939 S. 228; RG in HRR 1941 Nr. 574. 118 F r a n k , Anm. II 1 zu § 354 StGB; K o h l r a u s c h - L a n g e , Anm. III zu §354 StGB; O l s h a u s e n , Anm. 2 c α zu § 354 StGB; S c h w a r z , Anm. 2 A zu § 354 StGB ; a. M. S c h ö n k e S c h r ö d e r , Anm. II 1 zu § 354 StGB; B i n d i n g , Lehrbuch Bd. 2 S. 945; M a u r a c h , Lehrbuch, Besonderer Teil S. 639; OLG Dresden in LZ 1918 Sp. 183. 119 RGSt. Bd. 72 S. 193. 120 RGSt. Bd. 73 S. 236. 121 RGSt. Bd. 22 S. 395. 122 RG in DR 1939 S. 924. 123 RGSt. Bd. 65 S. 146 und Bd. 69 S. 271. 124 RGSt. Bd. 72 S. 197; OLG Celle in NJW 1957 S. 1290. 125 RG in JW 1936 S. 513/4. 110
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düngen an sich nimmt und zustellt, ohne daß sie ihm zugeschrieben waren126. Von einer Unterdrückung ist auch dann nicht die Rede, wenn nur ein Teil der Sendung entwendet worden ist127. Gleiches gilt, wenn ein Postbeamter eine Nachnahmesendung aushändigt, ohne daß er sich den Nachnahmebetrag auszahlen läßt 128 . Die Handlung kann weiterhin in einem Gestatten des Eróffnens oder Unterdrückens oder in der Hilfeleistung dazu bestehen, wobei das Gestatten auch stillschweigend erfolgen kann. Wenn derjenige, der die Sendung eröffnet oder unterdrückt, nicht Postbeamter ist, so ist er u. U. nach §§ 113, 242, 246, 274, 299, 303 StGB zu bestrafen. Täter kann bei § 354 StGB nur ein Postbeamter sein, wobei nicht erforderlich ist, daß er gerade mit der unterdrückten Sendung Befassung hat129. Das Öffnen oder die Unterdrückung der Postsendung kann unter den Voraussetzungen der § 32 PostG, § § 6 1 Abs. 4 PostO, § 99 StPO, § 121 KO rechtmäßig sein. Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich. Nimmt der Täter irrtümlich die Voraussetzungen rechtfertigender Umstände an, so liegt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor; bei der Annahme weiterer nicht anerkannter Rechtfertigungsgrunde handelt es sich um Verbotsirrtum130.
G. Betrug Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird wegen Betrugs mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann (§ 263 Abs. 1 S Wie Fußnote 104 a. iole wie Fußnote 104a. 1 0 5 DokBer. Nr. 1747. 1 0 8 BDK I 15. 3. 61 — I VL 65/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 615. 1 0 ' RDH Bd. 1 S. 87. 104
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Verstöße gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit
Handelt es sich bei dem entgegengenommenen Geschenk um einen erheblichen Geldbetrag und ist der Beamte auf die Entgegennahme des Geschenks aktiv hingesteuert, so kommt die Höchststrafe auch dann in Frage, wenn der Geldgeber nachweislich infolge der Hergabe des Geschenks nicht unsachlich bevorzugt werden sollte und dem Dienstherrn kein materieller Schaden zugefügt worden ist 108 . Die Nichtunwürdigkeit ist bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages zu bejahen, wenn ein Festhalten an den unverbrüchlichen Grundsätzen des Beamtentums durch den plötzlichen Wirtschaftsaufschwung gerade bei der jüngeren Generation erschwert worden und der Verwaltung ein materieller Schaden nicht entstanden ist 108a . Bei der Entgegennahme von Belohnungen und Geschenken, die tatbestandsmäßig § 331 StGB erfüllen, müssen schon außergewöhnliche Milderungsgründe vorliegen, wenn von der Höchststrafe abgesehen werden soll 109 . Eine mildere Beurteilung der Bestechungshandlung kann durchgreifen, wenn der Beamte vom Geschenkgeber gewissermaßen überrumpelt worden ist 109a oder wenn er nur in einem geringen Umfange Gelder angenommen und sich bei seinen Amtshandlungen von den empfangenen Vorteilen nicht hat leiten lassen; hier muß aber noch hinzukommen, daß sich der Beamte ansonsten als außerordentlich tüchtig erwiesen und völlig einwandfrei geführt hat 110 . Hat sich der Beschuldigte neben der Bestechung auch noch andere dienstliche Verfehlungen, wie ζ. B. eine Falschbeurkundung in Tateinheit mit Vertrauensbruch, zuschulden kommen lassen und ist er zu einer längeren Gefängnisstrafe bestraft worden, so sind Milderungsgründe selbst dann zu verneinen, wenn eine erhebliche Verminderung seiner Zurechnungsfähigkeit infolge einer Kriegsverletzung und von Arteriosklerose vorliegt 110 ». 4. V e r s t ö ß e g e g e n §70 BBG Der Beamte macht sich auch dann disziplinarisch strafbar, wenn er durch die Annahme von Geschenken, die ihm in bezug auf sein Amt gewährt werden, nicht gegen die §§331 f. StGB verstößt 111 . Es genügt vielmehr, wenn das Verhalten des Beamten zu § 70 BBG im Widerspruch steht ; hier handelt es sich also um einen sog. disziplinaren Übergang. Leider wird in der Verwaltungspraxis nach Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen oder nach einem Freispruch im ordentlichen Strafverfahren oft nicht mehr geprüft, ob der Beamte, dem eine strafbare Handlung nach § 331 f. StGB nicht nachzuweisen ist, dennoch gegen § 70 BBG verstoßen hat. In den meisten Fällen spricht man hier von dem „Verdacht der Bestechlichkeit", obgleich es sich nicht um die Bestrafung eines verdächtigen Beamten, sondern allein um die Ahndung einer vollendeten Tat handelt, die nur nicht unter § § 331 f. StGB, sondern bereits unter § 70 BBG fällt. Ein Beamter, der nicht nur anläßlich einer Amtshandlung, sondern auf Grund seiner dienstlichen Stellung Geschenke oder sonstige Vorteile oder Gefälligkeiten entgegennimmt, setzt sich dem Verdacht aus, nicht nur gegen § 70 BBG, DokBer. Nr. 1788. DokBer. Nr. 1912. 1 0 9 DokBer. Nr. 1373. DokBer. Nr. 1944. 1 1 0 Vgl. DokBer. Nr. 1465. 1 1 0 » DiszSenat OVG Münster 21. 2. 64 — V 26/63 — in ZBR 1965 S. 79 (LS). 1 1 1 L i n d g e n , Der disziplinare Überhang bei §§ 331 ff. StGB in ZBR 1962 S. 318. 108
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sondern auch gegen § § 331 f. StGB zu verstoßen. Der Beamte muß sich bereits von dem Verdacht der Bestechlichkeit freihalten. Ζ. B. durch die Annahme von Darlehen oder die unentgeltliche Benutzung von Kraftfahrzeugen einer Firma, die mit der Behörde des Beamten in Geschäftsverbindung steht oder erst solche Verbindungen anbahnen will, verletzt der Beamte seine Dienstpflichten, weil er sich — selbst wenn er durch die pflichtwidrige Handlung noch nicht in Erscheinung getreten ist — damit in die Abhängigkeit des Darlehensgebers oder des Kraftfahrzeugbesitzers begibt 112 ; ein solcher Beamter setzt sich in der Öffentlichkeit dem Verdacht aus, daß er nicht mehr objektiv und unparteiisch seine Amtsgeschäfte wahrnimmt 113 . Hierbei ist nicht erforderlich, daß diese Abhängigkeit schon irgendwie, etwa durch eine Pflichtwidrigkeit, in Erscheinung getreten ist; denn der Beamte ist im Interesse des Ansehens und der Sauberkeit des Berufsbeamtentums und im Interesse seiner Unabhängigkeit verpflichtet, ein Verhalten einzuschlagen, bei dem selbst der Verdacht der Bestechlichkeit oder Unlauterkeit ausscheidet. Eine unerlaubte Annahme von Geschenken liegt im weitesten Sinne schon dann vor, wenn sich ein Beamter für Handlungen, die in irgendeiner Beziehung zu seinen dienstlichen Aufgaben stehen, belohnen läßt 114 . Das wäre ζ. B. der Fall, wenn ein Zollbeamter gemeinschaftliche mit dem Zolldeklaranten einer Firma Waren, von denen er weiß, daß sie unverzollt und unversteuert sowie von einem Firmenangestellten rechtswidrig an sich gebracht sind, unter Ausnutzung seiner Eigenschaft als Zollbeamter ohne Entrichtung der Eingangsabgaben vom Amtsplatz des Zollamtes an eine andere Stelle bringt und dort mit dem Zolldeklaranten teilt; in einem solchen Falle wäre der Zollbeamte für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar. Ebenso würde sich ein Zollbeamter, der bei Personen, deren Zollangelegenheiten er dienstlich zu erledigen hat, Geld borgt, in der Verdacht der Bestechlichkeit bringen und ein schweres Dienstvergehen begehen 115 . In disziplinarrechtlicher Hinsicht stellt es einen Grenzfall dar, wenn ein Beamter von Personen Geschenke oder Gefälligkeiten annimmt, mit denen er persönliche Beziehungen aufrechterhält und mit denen er überdies dienstlich in Berührung kommt. Wohl ist es einem Beamten nicht verwehrt, persönliche Beziehungen mit Personen aufrechtzuerhalten oder fortzusetzen, mit denen er auch dienstlich in Berührung kommt. Hierbei muß er jedoch mit größter Korrektheit verfahren. Dies kommt vor allem dann in Frage, wenn die Beziehungen auch die Gewährung von Leistungen mit sich bringen, die einen Vermögenswert darstellen. Der Beamte muß in einem solchen Falle, in dem ihm ein Geschenk gemacht wird, darauf achten, daß dasselbe auch abgegolten wird, damit auch nicht der Schatten eines Verdachtes aufkommen kann, der Beamte nehme irgendwelche Vorteile von einer Person entgegen, mit der er dienstlich Befassung hatte. Er muß in jedem Falle, wo er mit einer Person in dienstliche Berührung kommt, zu der er freundschaftliche Beziehungen aufrechterhält, sich die gebotene Zurückhaltung auferlegen 116 . Zu 1 1 2 DiszSenat OVG Münster 2. 5. 58 — V 7/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 251 (LS); BayDStH 21. 5. 54 — Nr. 21 DS I 53 — Lindgen, Teil IV Nr. 135. 1 1 3 BayDStH 21. 5. 54 — Nr. 21 DS I 55 — BDHE Bd. 1 S. 180. 1 1 4 DokBer. Nr. 1224. 1 1 5 BDH 1 . 1 1 . 60 — I D 44/60 — in ZBR 1961 S. 384. 1 1 6 BDH 11.11.59 — I D V 9/59 — BDHE Bd. 5 S. 48 = L i η d g en, Teil IV Nr. 519 (LS).
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der Frage ob die Annahme von Geschenken, die ohne Be2iehung auf das Amt aus Freundschaft oder Erkenntlichkeit gemacht werden, disziplinarisch geahndet werden kann, hat das Preußische Oberverwaltungsgericht in dem grundlegenden Urteil vom 22. 10. 35 117 , wie folgt, Stellung genommen: *,Geschenke, die ohne Beziehung auf das Amt aus Freundschaft oder Erkenntlichkeit einem Beamten gemacht werden, sind zwar nicht genehmigungspflichtig, doch kann ihre Annahme disziplinarisch strafbar sein, wenn das Geschenk seiner Höhe oder Art nach mit der W ü r d e eines Beamten nicht v e r e i n b a r ist oder wenn durch die A n n a h m e des Geschenks ein Beamter den Verdacht der B e s t e c h l i c h k e i t auf sich lenkt 1 1 8 . Schon das Entstehen eines solchen Verdachts schädigt nicht nur das Ansehen des betreifenden Beamten, sondern das der Beamtenschaft überhaupt. Zu den überlieferten Vorzügen des altpreußischen Beamtentums gehört, daß es sich frei fühlen durfte auch von dem Verdacht jeglicher Bestechlichkeit. Das Dienstvergehen besteht nicht, wie bei der Bestechung selbst, in der Verletzung des Grundsatzes der Unkäuflichkeit, sondern in der Verletzung der Pflicht des Beamten, auf das Dekorum zu achten. Es handelt sich dabei nicht um eine sogenannte „Verdachtsstrafe", bei der schon der Verdacht eines Dienstvergehens bestraft würde, denn eine solche wäre unzulässig119, sondern um die Bestrafung des erwiesenen Dienstvergehens der Erregung des Verdachts der Bestechlichkeit".
An dieser Rechtsprechung hielt auch der Bundesdisziplinarhof fest 120 . So begeht ein Beamter, der sich durch die Entgegennahme von Gefälligkeiten in den Verdacht bringt, er sei für Geschenke allgemein empfänglich, ein Dienstvergehen, auch wenn ihm eine strafbare Handlung nicht nachgewiesen werden kann, da er sich dem Verdacht der Bestechlichkeit durch seine Handlungsweise aussetzt. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Beamter, der eine Personalstelle leitet, von Kollegen dieser Dienststelle Gefälligkeiten oder Geschenke entgegennimmt, weil er sich mit Rücksicht auf seine Amtsstellung dem Verdacht aussetzt, daß er die Personalangelegenheiten der Geschenkgeber nicht unvoreingenommen bearbeitet. Selbst wenn der Beamte Vorteile für an sich nicht pflichtwidrige Handlungen entgegennimmt, setzt er sich einem untragbaren Verdacht sowie der Gefahr der Erpressung und der späteren Inanspruchnahme zu pflichtwidrigen Handlungen aus 121 . Erhält der Beamte von dem Inhaber einer Firma, die mit seiner Behörde in dienstlichen Beziehungen steht, deren Regelung dem beschenkten Beamten obliegt, ein Geschenk, so wird hiergegen dann nichts einzuwenden sein, wenn der Beamte dasselbe mit einem gleichwertigen Geschenk abgilt. Die Grenze zwischen einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeit und einer verbotenen Geschenkannahme wird jedoch dann überschritten, wenn es sich um das Schenken von barem Geld 122 oder die Entgegennahme eines Darlehns 123 handelt; hierbei bleibt es gleichgültig, ob sich der Beamte durch die Annahme des Geldes oder die Darlehnsgewährung zu einer unkorrekten Amtsführung veranlaßt fühlt oder nicht, da die Pflichtwidrigkeit und das vom Beamten begangene Dienstvergehen schon darin besteht, daß er verbotswidrige Vorteile annimmt und sich dem Verdacht der Bestechlichkeit aussetzt. 117 PrOVG Bd. 96 S. 242 = Perwo, S.353; vgl. auch PrOVG Bd. 57 S. 944 und DokBer. Nr. 859. 118 RDH 30. 3. 33 bei Foerster, 1934 S. 36/39. lis p t o v G Bd. 37 S. 201. 120 BDH 2. 7. 54 — II D 86/53 — BDHE Bd. 2 S. 160 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 51. 121 DokBer. Nr. 499. 122 DokBer. Nr. 959. 123 DokBer. Nr. 1254.
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Die Abgrenzung des Vorteils bei Gefälligkeitsverrichtungen, die ein Lehrer von Schülern annimmt, ist äußerst schwer. Im Einzelfall kann die Annahme gelegentlicher Gefälligkeitsverrichtungen von Schülern sinnvollen oder doch vertretbaren pädagogischen Gesichtspunkten entsprechen. Der Lehrer wird sich dann von seiner pädagogischen Verantwortung und seinem Taktgefühl leiten lassen, wie er sich in solchen Fällen zu verhalten hat. Die Grenze zulässiger Gefälligkeitsverrichtungen, die der Lehrer von seinen Schülern annehmen darf, wird dann überschritten, wenn vertretbare pädagogische Gründe nicht vorliegen können124. So stellt die Heranziehung von Schülern zu häuslichen Arbeiten eine unbefugte Vorteilsnahme dar. Liegen keine pädagogischen Gründe für die Annahme von Vorteilen vor, so muß bei Schülern, die erfahrungsgemäß ein feines und ausgeprägtes Empfinden für Gerechtigkeit haben, der Eindruck entstehen, daß die erwiesenen Gefälligkeiten durch ein Entgegenkommen des Lehrers in der Notengebung oder in anderer pflichtwidriger Weise belohnt werden. Für eine disziplinarische Bestrafung reicht schon der Anschein einer Bevorzugung aus, zumal jede Erziehung zur staatsbürgerlichen Verantwortung und zur rechtlichen Gesinnung in das Gegenteil verkehrt wird, wenn ein Lehrer persönliche Belange mit seiner dienstlichen Tätigkeit verknüpft. Der Beamte macht sich disziplinarisch nicht strafbar, wenn er geringwertige Werbegeschenke mit Firmenaufdruck entgegennimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beamte die Werbegeschenke, wie ζ. B. einen Kugelschreiber, im Dienst benutzt. Nimmt der Beamte jedoch Werbegeschenke, die für ihn einen gewissen Wert auf weisen, ohne Zustimmung der vorgesetzten Dienstbehörde entgegen, so macht er sich disziplinarisch strafbar125. Denn selbst bei kleinen Geschenken und Gefälligkeiten soll der Beamte den Anschein vermeiden, daß seine dienstliche Verrichtungen in einem dem Zuwender günstigen Sinne beeinflußt werden könnten126. Auf jeden Fall verstößt es gegen das Dekorum, wenn ein Beamter, dessen Einkommensverhältnisse als durchaus gesichert angesehen werden können, Werbegeschenke des täglichen Gebrauchs von einer Firma, die mit seiner Behörde in Geschäftsverbindungen steht oder solche Verbindungen erst anknüpfen will, nicht nur entgegennimmt, sonder diese zur Hergabe erst ausdrücklich auffordert. Grenzfälle für eine disziplinarische Bestrafung stellen die sog. Firmenbewirtungen und sonstige Entgegennahme von Speisen und Getränken dar. Es kann zwar nicht immer als ein Dienstvergehen angesehen werden, wenn sich ein Beamter in privater Gesellschaft zu geringen Mengen von Getränken oder zu einem Mittagessen einfacher Art in einer Firmenkantine einladen läßt. Bereits unter III (S. 504) ist darauf hingewiesen worden, daß Bewirtungen ihren Grund in den Regeln des Verkehrs und der Höflichkeit haben können, denen sich der Beamte nicht entziehen kann, ohne gegen gesellschaftliche Formen zu verstoßen. Die Voraussetzungen, unter denen sich ein Beamter disziplinarisch strafbar macht, werden von Fall zu Fall verschieden sein. So ist die Annahme eines Glases Wein durch einen Behördenleiter anläßlich der Besichtigung einer Firma kaum geeignet, ihn in seinen dienstlichen Entschlüssen zu beeinflussen. 1 U DH Rh.-Pfalz 1.10. 62 —W 4/62 — in ZBR 1963 S. 191 ; vgl. Weimar, Wann stellt sich die Annahme von Geschenken durch Lehrer als Bestechung dar? in: RiA 1965 170. 126 BDH 29. 7. 60 — III D 30/59 — BDHE Bd. 5 S. 57 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 576. 126 B D K I Frankfurt (Main) 15. 3. 62 — I VL 65/61 — in L i n d g e n , Teil IV Nr. 615.
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Eine Dienstverfehlung Hegt jedoch dann vor, wenn in der Öffentlichkeit auch nur der Verdacht erweckt werden kann, der Beamte lasse sich in seiner Unparteilichkeit durch die Annahme des Getränkes oder der Einladung zu einem Mittagessen beeinflussen. Läßt sich ζ. B. ein Polizeibeamter in Uniform von einem ihm nur flüchtig bekannten Manne in einer öffentlichen Gastwirtschaft zu Schnapsrunden einladen, macht er sich disziplinarisch strafbar; denn die Notwendigkeit, mit diesem Manne einmal dienstlich in Berührung zu kommen, ist nicht ausgeschlossen127. Ebenso ist es unzulässig, wenn ein Polizeibeamter, der bestimmte Wohnungen auf die Anwesenheit unangemeldeter Personen überprüfen soll, sich von unangemeldeten Frauen mit einer Tasse Kaffee und belegten Brötchen bewirten läßt und einige Zigaretten annimmt 128 . Schon die geschenkweise Annahme eines Glases Weins kann gegen die Dienstpflichten verstoßen129, wie auch bereits die Einladung zum Essen und Trinken nicht im Einklang mit den Pflichten eines Beamten stehen kann 130 . Ein Beamter darf sich auch nicht von Personen, mit denen er dienstlich in Berührung kommt, nach der Erledigung der dienstlichen Angelegenheiten bewirten lassen 131 ; selbst wenn der Beamte sich hier nicht im Sinne der §§ 331 f. StGB strafbar macht 132 , kann eine disziplinare Bestrafung in Frage kommen 133 . 5. F ä l l e der a k t i v e n B e s t e c h u n g Ein Beamter macht sich strafbar, wenn er einem anderen Beamten in bezug auf sein Amt ein Geschenk oder sonstigen Vorteil gewährt. Auch hier ist entscheidend, ob er durch die Gewährung eines Geschenks das Dekorum als Beamter verletzt. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn ein Beamter in Erwartung einer Beförderung seinem Dienstvorgesetzten, Vorgesetzten oder Personalstellenleiter alljährlich unentgeltlich eine Weihnachtsgans zukommen läßt. Verstößt der Beamte durch die Hingabe des Geschenks gegen § 333 StGB, d. h. will er den Beschenkten zu einer Handlung bestimmen, die eine Verletzung einer Amts- und Dienstpflicht enthält, so muß er mit der Dienstentfernung rechnen. So ist ein Lehrer, der für eine aktive Bestechung eines Finanzamtsangestellten und eine Steuerhinterziehung zu sechs Monaten Gefängnis bestraft worden ist, für den öffentlichen Dienst als untragbar bezeichnet worden 133 ". 6. K e i n e E i n z i e h u n g der G e s c h e n k e Eine Einziehung der durch die Bestechungshandlung erlangten Geschenke ist im Disziplinarverfahren nicht vorgesehen. Handelt es sich BayDStH 13. 2. 61 — Nr. 21 DS I 60 — in BBZ 1963 S. 8 (LS). DokBer. Nr. 1196 (hier Aberkennung der Rechte aus G 131). 1 2 9 RDH 16. 8. 38 — III D 104/37 —; vgl. auch RDHE Bd. 1 S. 87 und F o e r s t e r , 1936 S. 2415. 1 3 0 DokBer. Nr. 1178 (hier Entfernung aus dem Dienst, weil sich der Beschuldigte von zwei betrügerischen Kohlengroßhändlem dafür gewinnen ließ, einen Lastzug nebst Anhänger, die mit Kohle beladen waren, um einige Tonnen falsch zu verwiegen, wofür er zum Essen und Trinken in zwei Gaststätten eingeladen worden war und außerdem noch 20 DM erhalten hatte.) 131 Vgl. Erlaß des Reichsfinanzministers vom 23. 1. 39. 132 Vgl. BGH in NJW 1961 S. 467. 133 DokBer. Nr. 1639 (hier 10 DM Geldbuße, weil der Beamte u. a. nach Beendigung des Dienstgeschäfts [Gasölprüfung bei Motorschiff] sich vom Schiffseigener zu 2 Schnäpsen einladen ließ.) 133 » DiszSenat OVG Münster 1 8 . 1 . 63 — V 39/62 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 127
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jedoch um den Fall der leichten oder schweren passiven Bestechung, so wird die Einziehung in einem gegenstandsgleichen Strafverfahren nach § 335 StGB geschehen. Ist dies nicht möglich, weil die Tat ζ. B. verjährt ist, so kann der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde dem Beschuldigten das Geschenk nicht abverlangen; es wird sich jedoch als zweckmäßig erweisen, trotzdem den Beschuldigten aufzufordern, das durch das Dienstvergehen Erlangte oder den Wert desselben einer Wohlfahrtseinrichtung der Behörde weiterzuleiten oder zumindest an den Vorteilsgeber zurückzugeben. Sollte der Beschuldigte trotzdem auf den Vorteil beharren, so kann dies strafschärfend berücksichtigt werden. B. Die disziplinarrechtlichen Folgen bei sonstigen Verstößen gegen die Verpflichtung zur Uneigennützigkeit Im öffentlichen Recht herrscht auch jetzt noch der Grundsatz, daß ein Beamter in allen Fällen, in denen er ein besonderes, von dem allgemeinen öffentlichen Interesse unter Umständen abweichendes persönliches Interesse hat, insbesondere aber bei allen dienstlichen Anlässen, welche seine eigenen vermögensrechtlichen Belange berühren, sich jeder eigenen amtlichen Tätigkeit enthalten und die amtlichen Entschließungen den sonst berufenen oder zu bestellenden Organen überlassen muß 134 . Dies gilt selbst dann, wenn der Beamte mit Einverständnis seines Dienstvorgesetzten handelt. Jeder Verwaltungsakt, der auf einem Verstoß gegen diesen Grundsatz beruht, ist fehlerhaft und auf Anfechtung aufzuheben. Jede Verquickung von Amtshandlungen mit privaten Interessen ist unzulässig und disziplinarisch verfolgbar 135 . Wohl kann ein Beamter, wenn er ohne sein Verschulden in den Verdacht unlauterer Handlungsweise gerät, nicht bestraft werden; dagegen liegt aber eine disziplinar zu ahndende Verfehlung vor, wenn er seine Pflicht, das Ansehen des Beamtenstandes zu wahren, schuldhaft durch ein Verhalten verletzt, welches geeignet ist, nicht nur bei Böswilligen, sondern auch bei Unbefangenen den Eindruck unlauterer Handlungsweise hervorzurufen 138 . So muß sich der Beamte schlechthin jeder Tätigkeit enthalten, durch die er sich selbst oder einer ihm familienrechtlich nahestehenden Person einen Vorteil verschafft. In § 5 Abs. 1 DBG war ausdrücklich bestimmt, daß ein Beamter ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten keine Amtshandlung vornehmen darf, durch die er sich selbst oder einer Person, zu deren Gunsten ihm wegen familienrechtlicher Beziehungen im Strafverfahren das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, einen Vorteil verschaffen würde. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 DBG enthält eine so elementare, bereits in den § § 52 ff. BBG verankerte gesetzliche Pflicht, daß sie in letzterem Gesetz nicht nochmals genannt zu werden brauchte. So kann nach dem derzeitigen Rechtszustand eine solche Amtshandlung noch nicht einmal mit Genehmigung des Dienstvorgesetzten vorgenommen werden 137 . § 59 Abs. 1 BBG bestimmt vielmehr, daß der Beamte ganz allgemein von solchen Amtshandlungen zu befreien ist, die sich OYG Münster 5. 7. 63 — VI Β 304/63 — (rechtskräftig) in DöD 1963 S. 235. DiszSenat OVG Münster 20. 2. 59 — V 3/58 — Lindgen, Teil IV Nr. 437; DiszSenat OVG Münster 19.12. 58 — V 31/57 —; Behnke, S. 1007; Schütz, DO NW S. 97. is« PjOVG 22. 4.36 — VI D 100/35 — PrOVG Bd. 97 S. 245 = P e r w o , S. 369. 137 Fischbach, Anm. 1 zu § 59 BBG; BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — BDHE Bd. 4 S. 59 (63) = Lindgen, Teil IV Nr. 222. 134
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gegen ihn selbst oder einen Angehörigen richten würden, wobei es gleichbleibt, ob sich die Amtshandlung zugunsten oder zuungunsten des Beamten auswirken kann. Als Angehörige im Sinne des § 59 Abs. 1 BBG gelten Personen, zu deren Gunsten dem Beamten wegen familienrechtlicher Beziehungen im Strafverfahren das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht ( § 5 9 Abs. 2 BBG), also der Verlobte, der Ehegatte — auch wenn die Ehe nicht mehr besteht —, wer mit dem Beamten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht. Darüber hinaus bleiben gesetzliche Vorschriften, nach denen der Beamte von einzelnen Amtshandlungen ausgeschlossen ist, unberührt ( § 5 9 Abs. 3 BBG). Dem § 59 BBG entsprechen im Landesbeamtenrecht § 71 LBG BW, Art. 67 BG Bayr., § 24 LBG Bln., § 59 BG Brm., § 61 BG Hmb., § 73 HBG, § 66 NBG, § 62 BG NW, § 72 BG Saar und § 75 BG Schl.-Hol. § 68 Abs. 1 LBG Rh.-Pf. stellt sogar ausdrücklich fest, daß der Beamte ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten keine Amtshandlungen vornehmen darf, durch die er sich selbst oder einer Person, zu deren Gunsten ihm wegen familienrechtlicher Beziehungen im Strafverfahren das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, einen Vorteil verschafft, während § 68 Abs. 2 und 3 LBG Rh.-Pf. dem § 59 Abs. 1 und 2 BBG entspricht. Eine Amtshandlung verschafft dem Beamten oder seinen Angehörigen einen Vorteil, wenn sie die rechtliche, wirtschaftliche oder soziale Stellung unmittelbar oder mittelbar verbessert oder verbessern könnte138. Hierbei kann es gleichbleiben, ob ein Rechtsanspruch auf den Vorteil besteht oder nicht oder ob die Amtshandlung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. So würde ein Sachbearbeiter, der Beihilfen für Verwaltungsfremde zu bearbeiten hat, schwerstens gegen die Verpflichtung zur Uneigennützigkeit verstoßen, wenn er sich selbst aus dem von ihm zu verwaltenden Fonds eine Beihilfe bewilligt 139 . Gleiches würde auch dann gelten, wenn ein Bauverwaltungsachbearbeiter anläßlich der Errichtung eines Eigenheims sich ein Baudarlehn verschafft, auf das er überhaupt keinen oder keinen Anspruch in der bewilligten Höhe hat. Darüber hinaus muß aber auch der Sachbearbeiter, der Unterstützungen für Beamte seiner eigenen Behörde bearbeitet, die Bearbeitung eines eigenen Unterstützunggesuchs seinem Vertreter oder einem erst zu bestellenden Vertreter überlassen, wie auch der Sachbearbeiter für Wohnungsbauangelegenheiten die Bearbeitung eines Gesuchs um Bewilligung eines Baudarlehns, selbst wenn er darauf in der beantragten Höhe einen Rechtsanspruch hat, seinem Vertreter überlassen muß. Kommt die Amtshandlung der Allgemeinheit und damit auch dem Beamten oder seinen Angehörigen zugute, so kann der Beamte dieselbe ausführen. Hat der Beamte dem Verbot des § 59 Abs. 1 BBG zuwider eine Amtshandlung trotzdem ausgeführt, so ist diese nach außen dennoch in der Regel gültig. Er macht sich einem Dienstherrn gegenüber jedoch u. a. disziplinarisch verantwortlich. Bei Amtshandlungen, die das persönliche Interesse des Beamten berühren können, darf der Beamte auch nicht den Eindruck einer 138 139
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P l o g - W i e d o w , Anm. 3 zu § 59 BBG. Vgl. DokBer. Nr. 985.
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unlauteren Handlungsweise hervorrufen 140 . Er macht sich disziplinarisch auch dann strafbar, wenn er von der Vornahme der Amtshandlung seinem Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten Kenntnis gegeben und dieser dieselbe genehmigt hat 141 ; allerdings kann das Dienstvergehen in einem solchen Falle milder beurteilt werden 142 . Ein Beamter verstößt auch dann gegen das Gebot der Uneigenniitzigkeit, wenn er eine Amtshandlung, durch die er begünstigt wird, nicht selbst ausübt, sondern sie vorbereitet und deren Vorteile ausschöpft, obgleich ihm bekannt ist, daß er hierauf keinen Anspruch hat. So ist ein Stadtoberinspektor, der in einer kleinen Stadt Leiter des Haupt- und Personalamtes sowie allgemeiner Vertreter des — fachlich nicht geschulten — Stadtdirektors war, disziplinarisch bestraft worden, weil er die Urkunde seiner Ernennung zum Amtmann entgegengenommen hatte, obwohl er wußte, daß die laufbahnmäßigen Voraussetzungen für seine Beförderung nicht erfüllt waren und die deshalb erforderliche Ausnahmegenehmigung noch kurz vorher ausdrücklich abgelehnt worden war 142a . Hier war der Beamte verpflichtet, Gegenvorstellungen und Verhinderungsversuche zu unternehmen ; er durfte bei der Ausführung der Beförderung nicht noch sogar mitwirken, zumal wenn die Beförderung einen Verstoß gegen eine zwingende Rechtsvorschrift darstellte. Macht sich der Beamte zum Sachbearbeiter in eigener Sache, so muß er insbesondere in den Fällen, in denen er sich einen von der Rechtsordnung nicht gebilligten Vorteil verschafft, mit einer strengen Bestrafung, unter Umständen sogar mit der Höchststrafe, rechnen143. Der Beamte macht sich auch dann strafbar, wenn er bei einer Amtshandlung, die ihm einen Vorteil bringt, nicht selbst in Erscheinung tritt, sondern Dritte vorschickt. So hat ein Beamter, der über die Bewilligung von unverzinslichen Vorschüssen zu entscheiden hat und Untergebene veranlaßt, Anträge auf Vorschüsse zu stellen, und der dann die erlangten Vorschüsse für sich verbraucht, durch den eigennützigen Mißbrauch seiner Amtsstellung, noch dazu unter Einschaltung von Untergebenen, seine Beamtenstellung verwirkt, wobei es gar nicht mehr darauf entscheidend ankommt, ob er durch das Strafgericht wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Ein völliger Vertrauensverlust ist dadurch eingetreten, wenn er sich einer solchen Pflichtverletzung nicht in einem, sondern in mehreren Fällen schuldig gemacht hat. Besonders schwer wiegt es, wenn sich der Beamte schon früher in Gelddingen als unzuverlässig erwiesen hat, wenn er ζ. B. unbefugte Trennungsentschädigung bezogen hat oder in Kassenangelegenheiten unkorrekt gewesen ist 144 . 140 p r o v G Bd. 97 S. 245. 1 4 1 P l o g - W i e d o w , Anm. 4 zu § 59 BBG. 142 DStK beim LVG Hannover 1. 7. 52 — D. A. 4/51 — in DVB1. 1953 S. 409. 142a DiszSenat OVG Münster 26. 3. 64 — Y 3/63 — in ZBR 1964 S. 285 = DöD 1964 S. 176. 1 4 3 DokBer. Nr. 958 (in diesem Falle wurde der Beschuldigte zur Entfernung aus dem Dienst unter Aberkennung eines Unterhaltsbeitrages mangels Würdigkeit verurteilt, weil er skrupellos zur Erzielung eigener Vorteile gehandelt hatte, obwohl er wußte, daß der Beihilfenteil des Unterstützungsfonds nur für besonders bedürftige Außenstehende, nicht aber für Amtsangehörige bestimmt war; dabei hatte er sich auf Manipulationen eingelassen, die ihm nur dadurch möglich waren, daß er sich zum Sachbearbeiter in eigener Sache gemacht hatte). 144 DokBer. Nr. 1798.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
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Ein Beamter wird zu eigennützigen Handlungen oft dann verleitet, wenn er in einem Dienstgebäude eine Dienstwohnung bezieht oder wenn er als Hausverwalter seine Wohnung teilweise dienstlichen Zwecken zur Verfügung stellt oder wenn ihm hierbei die Verwaltung öffentlichen Gutes, wie ζ. B. Bettwäsche, anvertraut ist. Beheizt ζ. B. ein Hausmeister eines Übernachtungsheimes seine in dem Gebäude des Übernachtungsheims liegende Privat wohnung mit Dienstkohle, wenn schon in dem Privatzimmer Dienstgeschäfte abgewickelt werden, und benutzt er Dienstwäsche für private Zwecke, so wiegt ersteres nicht so schlimm, wenn ihm auch zuzumuten ist, die Beheizungsfrage in einem solchen zweifelhaften Falle mit seiner Behörde zu klären. Schlimmer wiegt es, wenn er in seiner Wohnung dienstliche Aufgaben lediglich nach Dienstschluß erledigen mußte, wobei strafmildernd zu berücksichtigen ist, wenn er für die Benutzung der Privatwohnung zu dienstlichen Zwecken keinen Mietzins erhalten hatte und somit der durch die Benutzung der Dienstkohle entstandene vermögensrechtliche Schaden in etwa ausgeglichen wurde. Bei der Benutzung von Bettwäsche ist strafmildernd zu berücksichtigen, wenn hierdurch nur ein geringfügiger Substanzverlust eingetreten ist 145 . Der Beamte macht sich nicht nur dann disziplinarisch strafbar, wenn er bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Dritte oder eine Firma begünstigt, zu denen er besondere Beziehungen aufrechterhält, weil er ζ. B. früher einmal bei ihnen tätig war. So wird er vor allem bei der Vergabe öffentlicher Aufträge peinlich darauf achten müssen, daß diese unter genauester Beachtung der Verdingungsordnung vergeben werden und insbesondere hier nicht der Verdacht aufkommen kann, daß im Wege der sog. „Vetternwirtschaft" nur solche Personen und Firmen berücksichtigt werden, zu denen er sich auf Grund irgendwelcher Bindungen hingezogen fühlt. Gerade im Bereich der Verdingungsordnung soll eine Günstlingswirtschaft verhindert werden. Deren strenge Vorschriften sollen nämlich sicherstellen, daß Behördenaufträge nach rein sachlichen Gesichtspunkten vergeben werden. Sie dienen in einem erheblichen Maße der Sauberkeit der Verwaltung und dadurch auch dem Ansehen derselben in den Augen der Öffentlichkeit. Ein Beamter, der diesen Vorschriften zuwiderhandelt, um zu erreichen, daß eine von ihm bevorzugte Firma den zu vergebenden Behördenauftrag erhält, verstößt daher gegen einen der tragenden Grundsätze des Berufsbeamtentums, nämlich die Unbestechlichkeit und Redlichkeit, und schädigt sein Ansehen und das der Verwaltung in einem so starken Maße, daß grundsätzlich die Verhängung der Höchststrafe in Frage kommt 148 .
§ 51. Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung I. ALLGEMEINES 1 Zu den wesentlichen Treuepflichten des Beamten gegenüber seiner Verwaltung gehört die Pflicht zu uneingeschränkter Wahrheit und Offenheit. Berichte, Vorgänge und sonstige dienstliche Äußerungen müssen der Wahrheit entsprechen. Hierzu gehört, daß der Beamte Tatsachen, auf deren DokBer. Nr. 1807. "« DokBer. Nr. 1589. 1 W i n d s c h e i d , Zur Frage der beamtenrechtlichen Wahrheitspflicht in ZBR 1955 S. 47; G r a b e n d o r f f , Ist die Frage nach der Parteizugehörigkeit eines Beamten zulässig? in 145
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Allgemeines
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Kenntnisnahme es der Behörde wesentlich ankommt, nicht verschweigen oder entstellen darf. Die Aufrichtigkeit gegenüber Dienstvorgesetzten bzw. Vorgesetzten ist die unerläßliche Voraussetzung für das zwischen beiden bestehende Vertrauensverhältnis2. Die Verpflichtung zur Wahrheit ergibt sich nicht nur gegenüber der eigenen Behörde, sondern auch gegenüber anderen Verwaltungen, mit denen der Beamte dienstlich und außerdienstlich in Berührung kommt 3 . Macht der Beamte gegenüber einer anderen Behörde außerdienstlich falsche Angaben, so stellt dies vor allem dann ein sehr schweres Dienstvergehen dar, wenn dies, wie ζ. B. im Falle des § 98 des Bundesvertriebenengesetzes, eine strafbare Handlung darstellt. Macht er in einer außerdienstlichen Angelegenheit vor Gerichten oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle eine falsche Aussage, die er u. U. sogar beeidet, so handelt es sich hierbei wohl um kein Dienstvergehen im engeren Sinne, jedoch ist eine solche V e r f e h l u n g mit R ü c k s i c h t auf die G e f ä h r d u n g der R e c h t s p f l e g e , die i m ö f f e n t l i c h e n I n t e r e s s e l i e g t , e i n e m D i e n s t v e r g e h e n im e n g e ren S i n n e d u r c h a u s g l e i c h z u s t e l l e n . Aus diesem Grunde gebietet es sich, die falsche Aussage eines Beamten vor Gericht ganz allgemein bereits in diesem Abschnitt darzustellen. Der Beamte macht sich auch dann disziplinarisch strafbar, wenn er anläßlich Auskünften gegenüber verwaltungsfremden Personen, mit denen er dienstlich in Berührung kommt, nicht bei der Wahrheit bleibt; hierbei ist im einzelnen zu prüfen, ob und in welchen Fällen er sich disziplinarisch verantworten muß, in denen er es fremden Behörden und außenstehenden Dritten gegenüber ablehnt, eine seine Dienstgeschäfte betreffende Auskunft zu erteilen. Die Verpflichtung zur Wahrheit ergibt sich bereits anläßüch der Bewerbung für den öffentlichen Dienst. Schon hier muß der Bewerber über seinen bisherigen Werdegang und ganz allgemein über seine Person betreffende Angelegenheiten wahrheitsgemäße und vollständige Angaben machen. Jede Behörde muß über die persönlichen Verhältnisse der Beamtenbewerber zuverlässige Kenntnis erlangen, um schon bei ihrer Einstellung eine richtige Personalpolitik treiben zu können. Hierzu gehören vor allem die Angaben über Examensnoten; wenn diese auch bei fortschreitender Dienstzeit an Bedeutung verlieren, da sich im Verlaufe des beruflichen Werdeganges andere Möglichkeiten zur Beurteilung ergeben, können sie jedoch auch nach längerer guter Bewährung einen wertvollen Anhaltspunkt für die Verwendungsmöglichkeit eines Beamten bieten4. Hatte der Beamte anläßüch der Einstellung als Beamter falsche Angaben gemacht, so kann er allerdings nicht disziplinarisch verfolgt werden, obgleich die Verletzung der Wahrheitspflicht im engsten Zusammenhange zur dienstlichen Stellung des Beamten steht; hier handelt es sich vielmehr um eine sog. vordienstliche Verfehlung, die kein Dienstvergehen darstellt. U. U. wäre zu prüfen, ob sich nicht eine Verpflichtung des Beamten im Verlaufe seiner Dienstzeit ergibt, auf unrichtige Angaben anläßlich der BeZBR 1955 S. 48; A r n d t , Muß der Beamte seine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei offenbaren? in J Z 1956 S. 80; R e n g i e r , Die Pflicht zur Wahrhaftigkeit im Beamtenrecht in DöD 1956 S. 223. 2 DokBer. Nr. 1679. 3 DokBer. Nr. 1717. 4 Vgl. DokBer. Nr. 1614.
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Werbung hinzuweisen. Das Unterlassen einer Berichtigung setzt voraus, daß eine Verpflichtung hierzu besteht. Im allgemeinen fehlt es dann am inneren Tatbestand, weil sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen läßt, ob sich der Beamte bewußt war oder hätte bewußt sein müssen, daß er in dem fraglichen Punkt seine Angaben hätte berichtigen müssen. Hat der Beamte ein falsches Reifezeugnis anläßlich der Einstellung vorgelegt, so muß eine Verpflichtung zur Berichtigung angenommen werden. Daraus, daß der Beschuldigte als Angestellter demselben Dienstherrn gegenüber, den er später als Beamter hatte, unrichtige Angaben über grundlegende Voraussetzungen zur Herstellung eines Beamtenverhältnisses gemacht, mithin einen Irrtum über wesentliche Eigenschaften seiner Laufbahn bewußt herbeigeführt hatte, ergibt sich unter dem Gesichtspunkt gegenseitiger Treue, wie sie das Beamtenverhältnis verlangt, für den Beschuldigten die Pflicht, diese falschen Grundlagen zu berichtigen, sobald er Beamter ist. Dies bezieht sich vor allem auf die Schulausbildung. Dabei kommt es für die Frage der Berichtigungspflicht nicht entscheidend darauf an, ob der Beschuldigte als Beamter dann eingestellt worden wäre, wenn er das echte Abiturzeugnis vorgelegt hätte, und auch nicht darauf, ob es für die Ernennungsbehörde überhaupt einen Unterschied gemacht hätte, ob der Beschuldigte das normale Abitur oder nur die Anerkennung der Reife mit Rücksicht auf seine Kriegseinberufung besaß. Durch die Vortäuschung einer besseren Schulausbildung erlangt der Beamtenbewerber gegenüber anderen Mitbewerbern einen Vorteil, so daß er später als Beamter verpflichtet ist, seinen Dienstherm auf die Vorspiegelung von falschen Tatsachen anläßlich seiner Bewerbung hinzuweisen43·. Würde einem Beamten bewußt sein, daß er als Rechtsbeistand einer Behörde auf einem besonders hoch bewerteten Dienstposten nur deshalb eingesetzt werden soll, weil er seine juristischen Staatsexamen nach seinen durch Urkunden nicht nachgewiesenen falschen Angaben mit einer vorzüglichen Note bestanden hat, so würde sich für ihn die Verpflichtung ergeben, nunmehr auf seine unwahren Angaben bei der Einstellung als Beamter hinzuweisen, so daß die Aufrechterhaltung des Irrtums bei seiner Behörde in einer entscheidenden Personalangelegenheit sich als Dienstvergehen darstellt. Es ergibt sich jedoch für die Verwaltung ein Recht —• u.U. sogar eine Verpflichtung —, die Ernennung nach §§ 11 f. BBG zurückzunehmen. Nach § 12 Abs. 1 BBG ist die Ernennung zurückzunehmen, wenn sie u. a. durch arglistige Täuschung herbeigeführt sein sollte oder wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatte, das ihn der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen ließ, und er deswegen rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt war oder wird. Da die arglistige Täuschung in dem Hervorrufen oder in der Aufrechterhaltung eines Irrtums bei einer an der Ernennung beteiligten Stelle in dem Bewußtsein geschieht, diese hierdurch zu einer Entschließung zu beeinflussen, stellen unrichtige Angaben eine Täuschung im Sinne des § 12 Abs. 1 Ziff. 1 BBG dar. Der Beamtenanwärter ist verpflichtet, wahre Angaben auf solche Fragen zu machen, die ihm ausdrücklich gestellt werden, oder wenn ihm erkennbar ist, daß es auf eine Beantwortung für die Einstellung wesentlich ankommt, wozu u. a. die Angaben über die Vorbildung, besondere Kenntnisse, Gesundheitszustand und solche Strafen DokBer. Nr. 1850.
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gehören, die im Strafregister noch nicht getilgt sind (vgl. § 4 Abs. 4 des Straftilgungsgesetzes vom 9. 4. 20 — RBG1.1 S. 507 — i. d. F. vom 17.11.19 — RBG1.1 S. 2254 — und vom 30. 3. 57 — BGBl. I S. 306 —). Welche Verbrechen oder Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 1 Z i f f . 2 BBG als so schwerwiegend angesehen werden, daß sie den Ernannten der Berufung in das Beamtenverhältnis als unwürdig erscheinen lassen, ist von der Einstellungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, wobei es einmal solche Delikte, wie ζ. B. Hoch- und Landesverrat, Sittlichkeitsdelikte oder Raub, gibt, die den Beamten schlechthin unwürdig erscheinen lassen, während andere Delikte, wie ζ. B. Eigentumsvergehen, bei Verkehrsverwaltungen, wie Bundesbahn und Bundespost, denen fremde Güter zur Beförderung übergeben und damit einer besonderen Obhut anvertraut werden, den Bewerber im konkreten Falle als unwürdig erscheinen lassen, so daß ζ. B. die Ernennung eines Bewerbers für den Betriebsdienst der Deutschen Bundespost nach § 12 Abs. 1 Ziff. 2 BBG zurückzunehmen ist, wenn er eine erhebliche Bestrafung wegen Diebstahls, selbst wenn sie bereits im Strafregister getilgt ist, anzugeben unterlassen hat. In den Fällen des § 12 BBG ist die Ernennung wohl gültig, sie wird jedoch durch die Rücknahme rückwirkend aufgehoben. Die Möglichkeit der Behörde, eine Ernennung nach § 12 BBG zurückzunehmen, schließt ein Disziplinarverfahren nicht aus. § 12 BBG regelt nämlich lediglich die Voraussetzungen, unter denen eine Ernennung zurückzunehmen ist. Über die disziplinarrechtliche Beurteilung der Täuschung eines Beamten besagt die Vorschrift nichts ; diese Beurteilung hat das Disziplinargericht vorzunehmen, wenn die Zurücknahme ζ. B. sachlich nicht in Frage kommt oder die Frist hierzu verstrichen ist. Ein Disziplinarverfahren kommt insbesondere dann in Frage, wenn der Beschuldigte nach seiner Ernennung zum Beamten auf nochmalige Aufforderung abermals falsche Angaben macht und hierbei ζ. B. nochmals ein gefälschtes Zeugnis vorlegt, so daß dann hier ein positives Tun hinzutritt 4b . Liegen die Voraussetzungen des § 12 BBG nicht vor, so kommt weder eine Rücknahme noch eine disziplinarische Bestrafung in Frage, wenn die unwahren Angaben vor der erstmaligen Ernennung in das Beamtenverhältnis gemacht worden sind. Nicht nur im Disziplinarverfahren, sondern ganz allgemein ist der Beamte seiner Behörde nicht zur Auskunft über solche Fragen verpflichtet, durch deren wahrheitsgemäße Beantwortung er sich der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würde 5 . Dies beruht auf dem in jedem Rechtsstaat geltenden Grundsatz, daß niemand gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszusagen — nemo tenetur se accusare —. Durch diesen nach Ablösung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses zum Ausdruck gelangten Verfahrensgrundsatz soll der Schutz und die Freiheit der Einzelpersönlichkeit Anerkennung finden®. Dieser Grundsatz muß aber auch dann gelten, wenn eine 4 6 DokBer. Nr. 1850 (hier: Versagung des Aufsteigens im Gehalt auf die Dauer von 2 Jahren). 5 BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — BDHE Bd. 4 S. 59 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 222. 6 DiszSenat für Richter in Essen 20. 2. 57 — W Y 2/56 — in J Z 1957 S. 761 = Lindgen, Teil IV Nr. 170; vgl. auch Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, 1941 S. 276 ff.; Eb. Schmidt in J Z 1949 S. 450; Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, 1951 S. 192; W ü r t t e m b e r g e r in J Z 1951 S. 772; BGHSt. Bd. 1 S. 39 = JZ 1951 S. 275; Han, Die gesamten Materialien zur StPO; 1. Abt., 2. Aufl. 1885 S. 701 ff.; Amtl. Entwurf des Reichsjustizamtes für eine StPO, Sonderbeilage zur DJZ 1908, Begründung zu § 109.
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wahrheitsgemäße Aussage eines Beamten lediglich seine disziplinarrechtliche Verfolgung nach sich ziehen würde, da man sich nicht nur vor einem ordentlichen Strafgericht, sondern auch nicht vor einer Stelle anzuklagen braucht, die eine Disziplinarentscheidung fällt, wobei es gleichbleiben kann, ob hierfür das Disziplinargericht oder in minder schweren Fällen der Dienstvorgesetzte in Frage kommt. Der im allgemeinen Rechtsleben verankerte Grundsatz hat in § 55 StPO seinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden und bezieht sich über § 20 BDO auch auf das Disziplinarrecht. Daß er nicht nur für den Bereich der strafgerichtlichen, sondern auch für den der disziplinargerichtliche Verfolgung zu gelten hat, ergibt sich aus dem Grundgedanken des § 59 BBG, wonach der Beamte zur Ersparung von Gewissenskonflikten von Amtshandlungen zu befreien ist, die sich gegen ihn selbst richten würden 7 . Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i. d. F. StPÄG vom 19. 12. 64 (BGBl. I S. 107) ist der Beschuldigte in jeder Lage des straf- und disziplinargerichtlichen Verfahrens (vgl. § 20 BDO, BDO i. d. F. der Novelle) auf sein Recht, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, hinzuweisen. Sagt der Beamte aber aus, so ist er gehalten, die Wahrheit zu sagen8; er darf dann nichts verschleiern oder verschweigen9. Im Strafprozeß wird es im allgemeinen für unzulässig gehalten, Uneinsichtigkeit und Leugnen als Straferhöhungsgrund zu werten; diese Ansicht ist jedoch nicht ohne weiteres auf das Disziplinarrecht übertragbar, weil der Beamte auf Grund seiner besonderen Rechtsstellung hinsichtlich der Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit besonderen Bindungen unterliegt, mit denen es keinesfalls vereinbar ist, auch in eigenen Angelegenheiten, die belastend wirken, eine falsche Darstellung zu geben 10 . So hatten die Disziplinargerichte einen Beamten infolge seines Leugnens bei der Prüfung der Frage der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages als unterstützungsunwürdig angesehen 11 und in einem anderen Falle dem Verurteilten wegen falscher Angaben anläßlich der Darstellung seiner Vermögensverhältnisse den Unterhaltsbeitrag entzogen 12 . An der Strafbarkeit des Beamten ändert sich auch dann nichts, wenn er spater seine falschen Darstellungen berichtigt, da im Disziplinarrecht der im Strafrecht für die Straflosigkeit des Versuchs geltende Grundsatz der „tätigen Reue" nicht in Frage kommt. Wenn sich auch infolge Berichtigung einer unwahren Aussage in der Beurteilung der Tat als ein Dienstvergehen nichts ändert, so kann sie jedoch bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden, es sei denn daß der Beschuldigte erst Vgl. DiszSenat für Richter in Essen in JZ 1957 S. 761 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 170. RDH b e i F o e r s t e r , 1935 S. 42 (43) und 1937 S. 7; RDHE Bd. 1 S. 144; PrOVG in RVB1.1936 S. 1146; BDH 9. 5. 55 — II D 77/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 118; BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — in NDBZ 1958 S. 202 = BDHE Bd. 4 S. 59 (62) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 222; BayrDStH 25.5. 59 — Nr. 7 DS Π 58 — BDHE Bd. 4 S. 215 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 117; DiszSenat für Richter in Essen in J Z 1957 S. 761 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 170; Behnke, Anm. 11 zu § 21 BDO; W i t t l a n d , Anm. 9 zu § 21 RDStO; R o e m e r , BDO S. 76; DokBer. Nr. 19, Nr. 975, Nr. 1100 und Nr. 1853. 9 RDHE Bd. 1 S. 144; Dienststrafsenat beim RG in ZBR 1942 S. 86; BDH 11.11.55— I D 22/55 — BDHE Bd. 2 S. 111 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 219; DokBer. Nr. 1679. 1 0 BDH 1 1 . 1 1 . 55 — I D 22/54 — BDHE Bd. 2 S. 111 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 219; siehe auch M a n n h e i m e r , Zur Wahrheitspflicht des beschuldigten Beamten im Disziplinarverfahren in RiA 1955 S. 337; DokBer. Nr. 1809; RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S.131 (132). 1 1 BDH 13. 6. 56 — III D 127/54 —; DokBer. Nr. 555. 12 Vgl. DokBer. Nr. 1086. 7 8
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unter dem Druck einer voraussichtlichen Überprüfung sich zu einer Berichtigung seiner falschen Angaben veranlaßt gesehen hat 13 . Strafmildernd ist auch zu berücksichtigen, wenn sich der Beschuldigte in einer Zwangslage befand13 a . Von einer Verletzung der Wahrheitspflicht kann dann nicht gesprochen werden, wenn der Beschuldigte seine Angaben vor Abschluß der Vernehmung berichtigt, weil die Aussage als Ganzes zu werten ist und es im Disziplinarrecht einen Versuch nicht gibt 13b . Da das Vorermittlungs- und Untersuchungsverfahren keine Einheit bilden, kann die Berichtigung unwahrer Angaben, die während der Vorermittlungen gemacht worden sind, erst im Laufe der Untersuchung oder in der Hauptverhandlung nicht als Rücktritt gewertet werden. Selbst wenn im Laufe der Untersuchung erst geleugnet und später die Wahrheit gesagt wird, stellt dies ein Dienstvergehen dar, wenn die unwahren Angaben nicht im gleichen Vernehmungsprotokoll berichtigt werden, sondern die Vernehmung in zwei Teile zerfällt. Dies gilt sowohl für die verantwortliche Vernehmung als Beschuldigten als auch für die Zeugenvernehmung 130 . Für die Strafbarkeit spielt es auch keine Rolle, ob der Beschuldigte über sein Recht, die Aussage zu verweigern, belehrt worden ist, selbst wenn eine derartige Belehrungspflicht gesetzlich verankert ist 14 . Im übrigen ist der B e a m t e g e h a l t e n , die W a h r h e i t n i c h t nur v o r den D i s z i p l i n a r b e h ö r d e n , s o n d e r n auch v o r den S t r a f v e r f o l g u n g s b e h ö r d e n zu s a g e n , sofern er von seinem Recht auf Verweigerung der Aussage keinen Gebrauch macht. So begeht ζ. B. ein Beamter, der in einem wegen einer Straftat gegen ihn geführten polizeilichen Ermittlungsverfahren von seinem Aussageverweigerungsrecht keinen Gebrauch macht, ein Dienstvergehen, wenn er durch unrichtige Angaben den Tatverdacht von sich ablenken will 15 . Bei der Bestrafung eines Beamten wegen Verletzung der Wahrheitspflicht kommt es nicht darauf an, ob der Beamte durch die Verletzung der Wahrheitspflicht seine Behörde geschädigt hat. Gibt ζ. B. ein Beamter bei einer Hausarbeit anläßlich einer Uberprüfung die hierfür benutzte Literatur nicht vollständig an, so macht er sich selbst dann strafbar, wenn er das nichtangeführte Schrifttum in einer nur untergeordneten Weise benutzt hat und er sein Examen auch bei Anführung des Schrifttums bestanden hätte16. J e d o c h r i c h t e t sich das S t r a f m a ß im a l l g e m e i n e n n a c h den F o l g e n , die d u r c h die V e r l e t z u n g d e r W a h r h e i t s p f l i c h t e n t s t a n d e n sind. Einmal ist entscheidend, ob der Behörde, der gegenüber der Beamte unaufrichtig gewesen ist, ein Schaden entstanden ist; ferner ist es auf die Vorteile abzustellen, die der Beamte infolge seiner Unaufrichtigkeit erschlichen hat17. So wiegt es schwer, wenn der Beamte infolge falscher Darstellung seines bisherigen beruflichen Werdeganges ζ. B. die Verbesserung seines allgemeinen 1 3 BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — BDHE Bd. 4 S. 59 (63) = L i n d g e n , Teil IV Nr.222; DokBer. Nr. 1809 und Nr. 1853. 13 » DokBer. Nr. 1853; BDHE Bd. 4 S. 59 (62). 1 3 b BDH-Wehrdienstsenat 13. 6. 62 — WD 23/62 — BDHE Bd. 6 S. 152; a. M. BDH 16. 4. 58 — I D 83/57 — BDHE Bd. 4 S. 62. 13c DokBer. Nr. 1842. 1 4 BayDStH 25. 5. 59 — Nr. 7 DS II 58 — VGH n. F. 12 III 9 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 417. 1 5 DiszSenat OVG Münster 23. 10. 59 — V 3/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 452 (LS). 16 Vgl. DokBer. Nr. 1538. 1 7 Vgl. DokBer. Nr. 589.
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Dienstalters oder des Besoldungsdienstalters zu erreichen gesucht hatte. Verschweigt der Beamte seine frühere disziplinarische Bestrafung, so kann dies gleichfalls für ihn günstige dienstliche Auswirkungen haben, wobei zu beachten ist, daß dies nur für das Verschweigen von solchen Disziplinarstrafen gilt, die noch nicht gelöscht sind oder noch nicht zu löschen waren. In zahlreichen Fällen verstößt der Beamte durch sein pflichtwidriges Handeln nicht nur gegen die Wahrheitspflicht, sondern zugleich'gegen eine andere Hauptpflicht, wie ζ. B. die Verpflichtung zur Redlichkeit. Im Falle eines unredlichen Verhaltens, wie es bei betrügerischen Handlungen in Erscheinung tritt, ist die Verletzung der Wahrheitspflicht nur ein Mittel, um sich einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen; hier tritt die Verletzung der Redlichkeit in den Vordergrund, so daß die disziplinarrechtlichen Folgen der betrügerischen Handlungen bereits unter § 49 S. 469 ff. dargestellt sind. Bei den Verstößen gegen die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit ist zwischen solchen Verfehlungen zu unterscheiden, bei denen der Beamte gegenüber seiner eigenen Behörde oder anderen Behörden und Gerichten unwahre Angaben macht, und solchen Verstößen, durch die im Rechtsverkehr der Mißbrauch einer Beurkundung in Erscheinung tritt. In jedem Falle soll durch die Verpflichtung des Beamten zur Wahrhaftigkeit in erster Linie die Sicherheit nud Reinheit im Rechtsverkehr der öffentlichen Verwaltung und im Falle der §§ 153ff. StGB sogar die Rechtspflege geschützt werden. Werden die unwahren Angaben vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle gemacht, so verstößt der Beamte in strafrechtlicher Hinsicht gegen §§ 153 StGB. Die strafrechtlichen Bestimmungen erschöpfen keineswegs die disziplinarrechtlichen Tatbestände, die sich als eine Verletzung der Pflicht zur Wahrhaftigkeit darstellen. Der Beamte hat nicht nur im Interesse der Rechtspflege, sondern ganz allgemein die Wahrheit zu sagen, sofern er in Ausübung seiner Dienstgeschäfte handelt. Handelte es sich um die Verletzung der Pflicht zur Wahrhaftigkeit im Wege des Mißbrauchs der Beurkundung im Rechtsverkehr, verletzt der Beamte in strafrechtlicher Hinsicht im Falle der Falschbeurkundung im Amt § 348 StGB und in den sonstigen Fällen der Urkundenfälschung d ; e § § 267ff. StGB. II. UNWAHRE ANGABEN GERICHTEN
GEGENÜBER
BEHÖRDEN
UND
A. Falsche Angaben gegenüber der eigenen Behörde In erster Linie ist der Beamte verpflichtet, gegenüber seinen Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten die Wahrheit zu sagen. Hat ζ. B. ein Kraftfahrer mit seinem Dienstfahrzeug einen Unfall verursacht, so darf er über die Unfallursache keine falschen Angaben machen. Soweit der Beamte durch falsche Angaben einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, wie ζ. B. die Verbesserung seines Besoldungsdienstalters, zu erreichen sucht, macht er sich nach § 263 StGB und darüber hinaus auch disziplinarrechtlich strafbar. Die Fälle ein betrügererischen Handlungsweise sind bereits unter § 49 III S. 469 ff. dargestellt, weil hierbei mehr die Verletzung der Pflicht zur Redlichkeit als der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht in Erscheinung tritt. 524
Unwahre Angaben gegenüber Behörden und Gerichten
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Selbst wenn die Verletzung der Pflicht zur Wahrheit keinen Verstoß gegen die Redlichkeit darstellt, handelt es sich um ein schweres Dienstvergehen18, da es ein Ausfluß der Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn ist, daß der Beamte in Berichten, Vorgängen und sonstigen dienstlichen Äußerungen gegenüber seiner Behörde auch dann offen ist, wenn es nicht auf die Wahrung eines vermögensrechtlichen Vorteils oder die Abwehr eines finanziellen Schadens ankommt. Anderes gilt dann, wenn die verschwiegenen Angaben für das Beamtenverhältnis unwesentlich sind. So ist ein Beamter, der ein Examen erst nach Wiederholung bestanden hat, regelmäßig nicht verpflichtet, den früheren Mißerfolg anzugeben, wenn er nicht ausdrücklich danach gefragt worden ist 19 . Eine besondere Behandlung verdienen die sog. Fragebogenfälschungen, die insbesondere nach der nationalsozialistischen Machtergreifung nach 1933 und nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs in den ersten Nachkriegsjahren nach 1945 in Erscheinung getreten waren. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung machten zahlreiche Beamte hinsichtlich ihrer früheren Zugehörigkeit zu den politischen Parteien, die dem Nationalsozialismus feindlich gesonnen waren, und über ihre rassische Zugehörigkeit falsche Angaben, weil sie andernfalls mit dienstlichen Nachteilen rechnen mußten. In gleicher Weise erging es nach 1945 den Beamten, die früher der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört hatten. Infolge des Verlustes zahlreicher Personalunterlagen, die insbesondere in den nunmehr unter polnischer und russischer Verwaltung stehenden deutschen Gebieten geführt oder dorthin verlagert worden waren, kamen bei der Niederlegung des früheren dienstlichen Werdeganges in neuangelegten Personalakten oder anläßlich der Wiedereinstellung in den Dienst einer im Bereich des Bundesgebietes liegenden Verwaltung zahlreiche Beamte in die Versuchung, bezüglich ihres früheren Werdeganges falsche Angaben zu machen, um hierdurch eine Verbesserung ihrer dienstlichen Stellung zu erlangen oder gar nur, um ungehindert ihre frühere Rechtsstellung wieder zu erreichen, wobei sie — zum Teil mit Recht — der Auffassung waren, daß ihre „politische Belastung" sie in ihrer früheren Rechtsstellung nicht beeinträchtigen durfte. Strittig ist, ob in der Zeit zwischen 1933 und 1945 die Fragestellung nach der früheren oder gegenwärtigen Zugehörigkeit zu einer politischen Partei rechtlich zulässig war und die unzutreffende Beantwortung solcher Fragen heute noch als Dienstvergehen anzusehen ist. Vor dem Zusammenbruch bejahten die Disziplinargerichte in diesen Fällen die Frage nach einer disziplinarischen Ahndung solcher unrichtigen Angaben gegenüber der Dienstbehörde20. Der Bundesdisziplinarhof21 hielt es mit Art. 130 Abs. 2 der Weimarer Verfassung für vereinbar, wenn in Ziff. 3 der 1 DVO vom 11. 4. 33 zu § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bestimmt war, daß jeder Beamte der obersten Reichs- oder Landesbehörde auf Verlangen BDH 5.10. 55 — I D 4/54 — BDHE Bd. 2 S. 180 = NDBZ 1957 S. 21. BDH 5. 5. 61 — I D 47/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315 (LS). Vgl. PrOVG 5.12. 34 — VI D 10/34 — in PrOVG Bd. 94 S. 250 = P e r w o , S.340. 2 1 BDH 28. 9. 54 — I D 37/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 97 (der BDH bezeichnete hier das Verhalten des Beamten als pflichtwidrig, weil er in der Zeit zwischen 1933 und 1945 falsche Angaben über seine früheren politischen Mitgliedschaften gemacht hatte. Er hielt jedoch die wegen dieses Dienstvergehen^ verhängte Höchststrafe für zu hart und deshalb als nationalsozialistisch bedingt, so daß er das frühere Disziplinarurteil aufhob und das Verfahren unter Hinweis auf Art. 4 ÄndGes. 52 einstellte). 18
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Auskunft über seine politischen Mitgliedschaften 2u geben hatte. Die Auffassung des Bundesdisziplinarhofs löste eine heftige Kritk aus 22 . Trotzdem hielt er an seinem Standpunkt fest. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Beamte ganz allgemein verpflichtet ist, seine frühere oder derzeitige politische Einstellung zu bekennen, ist zu berücksichtigen, daß es weder vor Inkrafttreten der Weimarer Verfassung noch während ihrer Geltungsdauer noch nach dem Zusammenbruch von 1945 verfassungs- und beamtenrechtlich verboten war, Fragen über die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei zu stellen. Zu den Merkmalen des Berufsbeamten gehört es nämlich, daß sich der Beamte einem besonderen Gewaltverhältnis unterwirft, das erhöhte Pflichten abverlangt. Hierzu gehört die Einschränkung gewisser Grundrechte und die wahrheitsgemäße Beantwortung nach der Zugehörigkeit zu einer Partei2211. Der Eingriff darf in jedem Falle aber nur so weit gehen, wie es der Zweck des Beamtenverhältnisses erfordert 23 . Wird der Beamte nach der Zugehörigkeit zu einer verfassungswidrigen Partei gefragt, so ist er zu einer wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet, weil er sich nach § 54 Abs. 2 B B G durch sein Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß; aus diesem Grunde hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse, seine Beamten nach der Zugehörigkeit einer verfassungswidrigen Partei zu befragen, um entsprechende Folgerungen aus der wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Fragen zu ziehen. W i r d der B e a m t e j e d o c h nach der Z u g e h ö r i g k e i t e i n e r P a r t e i g e f r a g t , die auf dem B o d e n der v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n G r u n d o r d n u n g s t e h t , so b r a u c h t er sie n i c h t zu b e a n t w o r t e n . Handelt es sich um die Beantwortung der Frage nach der Zugehörigkeit einer Partei, die vor der nationalsozialistischen Machtergreifung zugelassen, jedoch den nationalsozialistischen Machthabern nicht genehm war, so brauchte der Beamte diese Frage überhaupt nicht oder konnte sie falsch beantworten, sofern diese Partei auf dem Boden des Rechtsstaates gestanden hatte, was ζ. B. bei der Sozialdemokratischen Partei23®, der Zentrumspartei oder der Demokratischen Partei ohne weiteres zu bejahen war. Es würde einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten, wenn in einem Fragebogen von einem Beamten eine Begründung verlangt werden würde, ob und weshalb er einer solchen Partei angehört hatte oder weshalb er in einer solchen Partei nicht tätig war ; eine solche Fragestellung wäre mit rechtsstaatlichem Denken nicht vereinbar24. Zumindest ist die Ahndung einer unrichtigen Beantwortung einer solchen Frage im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 ÄndGes. 1952 insofern politisch beeinflußt, als eine Disziplinarstrafe verhängt worden ist, die als übermäßig hart und deshalb als 2 2 Vgl. A r n d t , Muß der Beamte seine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei offenbaren? in J Z 1956 S. 80; G r a b e n d o r f f , Ist die Frage nach der Parteizugehörigkeit eines Beamten zulässig? in ZBR 1955 S. 48; G r a b e n d o r f f , Nochmals: Das Recht des Beamten auf Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei in ZBR 1956 S. 139; Per w o , Das Recht des Beamten auf Mitgliedschaft und Tätigkeit in einer demokratischen Partei in ZBR 1956 S. 110. 2 2 a BDH 26.11. 53 — II D 47/53 in ZBR 1954 S. 94; BDH 28. 9. 54 — I D 37/54 in ZBR 1954 S. 343; DokBer. Nr. 171, Nr. 272, Nr. 282, Nr. 363 und Nr. 1882. 2 3 Vgl. BDH 21. 7. 55 — II DW 2/55 — BDHE Bd. 2 S. 174 (177); BDH 26.11. 53 — H D 47/53 — in ZBR 1954 S. 94 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 62; BDH 5. 10. 55 — I D 4/54 — BDHE Bd. 2 S. 180; F i s c h b a c h , Anm. VI 1 zu § 2 BBG. 2 3 a DokBer. Nr. 1882. 2 1 BDH 21. 7. 55 — II DW 2/55 — BDHE Bd. 2 S. 174.
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nationalsozialistisch anzusehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Verurteilte bisher ein untadeliges Leben geführt und nicht aus Neigung zur Unwahrhaftigkeit, sondern aus einer dadurch bedingten Scheu sich zu offenbaren gehandelt hat, daß er es für möglich hielt, er könne im Falle wahrer Angaben auf rechtlich nicht vertretbare Weise durch den nationalsozialistischen Staat in seinem Werdegang als Beamter Schaden leiden24®. Wurde der Beamte befragt, welche Partei er gewählt hatte, so kann er im Falle einer unrichtigen Beantwortung auch hier nicht bestraft werden, weil eine solche Frage einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis darstellt26. Handelt es sich jedoch um eine Partei, die nicht auf dem Boden des Rechtsstaats steht, so kann der Beamte wohl eine Beantwortung der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer solchen Partei ablehnen, sofern er straf- oder disziplinarrechtliche Nachteile im Falle einer wahrheitsgemäßen Beantwortung zu erwarten hat, da der Grundsatz des Verbots der Selbstanklage schlechthin gilt. Hat der Beamte jedoch infolge einer wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage zur Zugehörigkeit zu einer Partei keine straf- oder disziplinarrechtliche Verfolgung zu erwarten, so ist er zu einer Beantwortung der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer verfassungswidrigen politischen Partei verpflichtet. War die Fragestellung im politischen Fragebogen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zulässig und beantwortete der Beamte dieselbe, so war er verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Der Beamte war zu wahrheitsgemäßen Angaben im politischen Fragebogen sogar dann verpflichtet, wenn er bezüglich seiner früheren politischen Anschauung nunmehr geläutert ist; seine Dienstbehörde kann von ihm auch sonst die Angabe solcher Umstände aus seiner politischen Vergangenheit verlangen, die ihm selbst jetzt unerfreulich und lästig erscheinen und die er lieber schamhaft verschweigen wollte2®. Jedoch gilt auch bei der Fragestellung nach einer Partei, die nicht auf den Grundsätzen des Rechtsstaates aufgebaut ist, der Grundsatz, daß der Beamte nicht solche Fragen zu beantworten braucht, die ihn der Gefahr einer strafgerichtlichen oder disziplinarischen Verfolgung aussetzen. Wissentlich falsche Angaben eines Beamten in einem in der Zeit von 1933 bis 1945 von ihm abverlangten Abstammungsnachweis waren eindeutig politisch bedingt 27 ; es widerspricht nämlich den allgemeingültigen Grundsätzen eines Rechtsstaates, an den Beamten Fragen nach seiner Abstammung zu richten und ihn dann auf Grund dieser Angaben in seiner dienstlichen Laufbahn zu schädigen. Ebenso ist es unzulässig, einen Beamten nach seiner Konfession — vor allem in der Zeit zwischen 1933 und 1945 — zu fragen, da er vor allem unter der nationalsozialistischen Herrschaft u. U. mit dienstlichen Nachteilen rechnen mußte, wenn er sich offen zu einer Konfession bekannt hatte28. Was die sog. Fragebogenfälschungen in den Jahren nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 betrifft, hatte der Dienststrafhof des VWGin ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß ein Beamter, der hier gefehlt hatte, mit der Höchststrafe zu bestrafen sei, es sei denn, daß er nurun»» DokBer. Nr. 1882. 28 BDH 4.10. 54 — 1 DW 1/54 —. 28 DokBer. Nr. 1614. 2 7 BDH 6.3. 54 — I D 14/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 32. 2 8 BDH 6. 3. 54 — I D 14/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 32.
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wesentliche Tatsachen verschwiegen hatte, wie ζ. B. die Zugehörigkeit zur NSV oder den Eintrittstag zur NSDAP, sofern dieser nach dem 30. 1. 33 gelegen hatte29. Der Bundesdisziplinarhof hielt auch bezüglich der nach dem Zusammenbruch von 1945 ausgefüllten Fragebogen den Standpunkt aufrecht, daß an den Beamten Fragen bezüglich der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei •— vor allem hinsichtlich der Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen — gestellt werden konnten, wobei die Fünfjahresfrist nach § 3 Abs. 2 BDO erst in dem Augenblick zu laufen beginnt, nachdem das Dienstvergehen aufgedeckt ist 30 . H i n s i c h t l i c h des S t r a f m a ß e s s t e l l t e es aber der B u n d e s d i s z i p l i n a r h o f auf die U m s t ä n d e des E i n z e l f a l l e s ab 3 1 . Die unwahren Angaben über die Zugehörigkeit zur NSDAP und deren Gliederungen werden in der gleichen Weise wie sonstige unwahre Angaben zur Person und über den bisherigen dienstlichen Werdegang des Beamten beurteilt, da sämtliche Angaben für den weiteren dienstlichen Verlauf des Beamten in gleicher Weise von Bedeutung sind. So erscheint die Höchststrafe dann gerechtfertigt, wenn der Beamte infolge einer Fragebogenfälschung eine bessere Unterbringung und vor allem höhere Bezüge erschleichen wollte, weil in den meisten Fällen der Beamte hierdurch gleichzeitig gegen § 263 StGB verstieß und die Verletzung der Redlichkeitspflicht in den Vordergrund trat 32 . Die Entfernung aus dem Dienst kommt vor allem dann in Frage, wenn es sich bei der sog. Fragebogenfälschung um eigensüchtige Unwahrhaftigkeit und Unlauterkeit handelt 33 . Entscheidend ist nämlich, ob der Beamte durch seine unwahren Angaben ausschließlich seine Wiedereinstellung entsprechend seinem vor dem Zusammenbruch eingenommenen Dienstgrad erreichen oder sich unter Ausnutzung der Wirrnisse der Zeit nach 1945 außer seiner Wiedereinstellung zusätzliche Vorteile erschleichen wollte ; im letzteren Falle hat er das Vertrauensverhältnis zu seiner Behörde endgültig zerstört, so daß er nicht mehr im Dienst belassen werden kann 34 . Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beamte durch die falschen Angaben die Einstufung in eine höhere Besoldungsgruppe erreichen wollte 38 . Dagegen ist eine mildere Beurteilung möglich, wenn für die unrichtigen Angaben keine materiellen, sondern menschlich verständliche Gründe maßgebend waren36. Bei der disziplinären Ahndung der unterbliebenen oder 29 Vgl. DHVWG 24. 1. 50 — BH 38/49 —; siehe auch R o e m e r , Die Rechtsprechung des Dienststrafhofs 1948—1951 in DVB1.1952 S. 137. 30 Vgl. DokBer. Nr. 1036. 3 1 BDH 26.11. 53 — II D 47/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 52; BDH 30. 7. 53 — I D 48/53 — BDHE Bd. 1 S. 37 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 6; BDH 9. 8. 55 — II D 162/54 —; BDH 25. 6. 54 — II D 17/54 —; BDH 13.1. 56 — II D 64/55 —; DokBer. Nr. 639 und Nr. 1513. 52 BDH 10. 5. 61 — I D 64/60 — in ZBR 1963 S. 317 (LS). 33 DokBer. Nr. 539 und Nr. 1698; vgl. auch DokBer. Nr. 1716 und Nr. 1826. 34 DokBer. Nr. 572 und Nr. 639 (der BDH führte hierzu aus, daß einem sog. verdrängten Beamten, der aus Not und einer Zwangslage heraus, um wieder entsprechend seiner früheren Rechtsstellung verwendet zu werden, gewisse ihm vorübergehend schädliche Angaben zu seiner Person, ζ. B. über seine politische Vergangenheit, verschwiegen hatte, u. U. Verständnis entgegengebracht werden könne, aber nicht einem Beamten, der sich einen höheren Posten als den ihm zustehenden zu erschleichen versucht hatte) ; vgl. auch DokBer. Nr. 861, Nr.1267, Nr. 1432 und Nr. 1437. 36 BDH 1. 4. 60 — II D 64/59 — in ZBR 1961 S. 384 = L i n d g e n , Teil 4 Nr. 543. 3« DokBer. Nr. 1513 und Nr. 1981.
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unrichtigen Angaben über die Zugehörigkeit zur NSDAP oder deren Gliederungen sind vor allem die Vorteile zu berücksichtigen, die der Beamte im Vergleich zu den politisch gleich belasteten, aber bei der Wahrheit verbliebenen Kollegen tatsächlich erreicht hatte37. Beim Vorliegen von Milderungsgründen kann ein Beamter selbst dann im Dienst belassen werden, wenn er seine Eigenschaft als „Alter Kämpfer" vorsätzlich verschwiegen hatte 38 ; hierbei ist entscheidend, ob er als „Alter Kämpfer" in der Zeit zwischen 1933 und 1945 unberechtigte dienstliche Vorteile erlangt hatte, so daß die Voraussetzungen des § 7 G 131 vorliegen, und er durch Verschweigen oder die falsche Darstellung seines Beitritts zur NSDAP erreichen wollte, daß § 7 G 131 bei ihm keine Anwendung finden sollte. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist seine Tat milder zu beurteilen. Dagegen kann sich der Beamte nicht auf die allgemeinen Wirrnisse der Nachkriegszeit berufen; denn nur in solchen Zeiten kann es vorkommen, daß eine Verwaltung bei der Feststellung der beamtenrechtlichen Verhältnisse ihrer Bediensteten lediglich auf deren Angaben angewiesen ist, so daß der Wahrheitspflicht dann besondere Bedeutung zukommt39. Ein Beamter des einfachen Dienstes, der über seinen dienstlichen Werdegang unwahre Angaben gemacht hatte, ist nur mit einer Gehaltskürzung bestraft worden, weil er aus Gewissensnot später seine der Wahrheit nicht entsprechenden Darstellungen bei seiner Behörde zu berichtigen suchte, ohne daß ihm bekannt war, daß in dieser Angelegenheit bereits Ermittlungen angestellt waren; die weitere Beschäftigung des Beschuldigten in einer untergeordneten Stellung erschien dem Bundesdisziplinarhof hier noch als tragbar40. Ging es dem Beamten bei der Ausfüllung eines Fragebogens, in dem die frühere politische Vergangenheit verschleiert worden war, nur um seine einfache Existenz, hatte er keine besonderen Vorteile angestrebt und hatte er durch seine unwahren Angaben keine unehrenhaften Handlungen zu verdecken versucht, so kann auch in diesem Falle von der Höchststrafe abgesehen werden. Hat ζ. B. ein Beamter, der nicht auf Grund seiner politischen Vergangenheit, sondern allein auf Grund seiner dienstlichen Fachkenntnisse zur Gestapo versetzt worden war und der sich dort keine Straftaten hatte zuschulden kommen lassen, bald nach dem Zusammenbruch die Zugehörigkeit zur Gestapo verschwiegen, und war zu dieser Zeit noch nicht vorauszusehen, wie sich der beamtenrechtliche Status dieses Beamten entwickeln würde, so kann hier die Verletzung der Wahrheitspflicht dieses amtlos gewordenen Beamten milder beurteilt werden41. Hat sich der Beamte aus einer Notstandslage heraus zu einer Fragebogenfälschung hinreißen lassen, so kann es mangels Verschulden überhaupt zu keiner Bestrafung kommen. Hat ζ. B. ein Beamter während seiner Kriegsgefangenschaft oder Internierung verschwiegen, daß er während seines Einsatzes im Kriege in einem Konzentrationslager tätig war und mußte er bei wahrheitsgemäßer Angabe mit einer Auslieferung an einen Ostblockstaat rechnen, was voraussichtlich mit einem Todesurteil geendet hätte, so liegt hier DokBer. Nr. 934 und Nr. 1460. DokBer. Nr. 639 (als strafmildernd berücksichtigte der BDH, daß der Beschuldigte zwar „Alter Kämpfer" gewesen war, aber keine Funktionen in der NSDAP ausgeübt hatte, anscheinend also zu den sog. Mitläufern gehört hatte, die an die Versprechungen dieser Partei geglaubt hatten); vgl. auch DokBer. Nr. 861 und Nr. 898. 3 9 BDH 6. 3. 56 — I D 94/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 127. 40 BDH 30. 7. 53 — I D 48/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 6. 4 1 DokBer. Nr. 1379. 37
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kein Dienstvergehen vor. Wenn aber dieser Beamte seine frühere Tätigkeit im Konzentrationslager nach 1950 bei seiner Behörde verschweigt, so handelt er nicht mehr in einer Notstandslage, weil zu dieser Zeit mit einer Auslieferung an eine frühere Feindmacht nicht mehr zu rechnen war. Insbesondere stellt es in einem solchen Falle ein Dienstvergehen dar, wenn der Beamte diese unrichtigen Angaben in einem Antrage auf Überbrückungshilfe und in einem Meldebogen für das G 131 macht; in letzterem Falle kann sich der Beamte nicht damit entschuldigen, daß er diese Angaben nicht seiner früheren Dienstbehörde, sondern einer anderen Behörde gegenüber gemacht hat42. Der Beamte ist nämlich, wie bereits unter I gezeigt ist, verpflichtet, nicht nur seiner eigenen Behörde, sondern auch anderen Dienststellen gegenüber wahrheitsgemäße Angaben zu machen. So verliert eine Fragebogenfälschung ihren Charakter als Dienstvergehen selbst dadurch nicht, daß sie nicht gegenüber einer Dienststelle der Bundesrepublik, sondern gegenüber einer Dienststelle in Mitteldeutschland gemacht worden ist 43 . Wird ein Beamter anläßlich seiner Neu- oder Wiedereinstellung bei einer Dienststelle in der Bundesrepublik nach seiner politischen Betätigung in Mitteldeutschland, insbesondere zu seiner Zugehörigkeit zur SED, befragt, so muß er nach der Rechtsprechung der Disziplinargerichte auch hier wahrheitsgemäße Angaben machen. Gegenüber der Zugehörigkeit zur SED tritt nach Ansicht des Bundesdisziplinarhofes die Verletzung der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Darlegung der politischen Vergangenheit zurück 44 . Auch hier ist aber zu beachten, daß der Beamte nicht verpflichtet ist, im Falle der Gefahr einer strafgerichtlichen oder disziplinarischen Verfolgung die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten. Den Beamten trifft bei Ablösung von seinem Dienstposten gegenüber seinem Nachfolger mangels eines Untergebenenverhältnisses keine Wahrheitspflicht. Er ist aber verpflichtet, alles zu unterlassen, was die dienstliche Tätigkeit des Nachfolgers behindern oder erschweren könnte. Er muß daher zur Vermeidung eines Dienstvergehens seinem Nachfolger Auskunft darüber geben, welche Vorgänge noch in seinem Besitze sind und ob er solche Vorgänge noch in seinem Besitz hat. Davon entbindet ihn nicht die Absicht, solche Sachen selbst noch zu erledigen45. B. Falsche Angaben und Aussagen gegenüber anderen VerwaltungsBehörden und Gerichten als Beschuldigter, Partei oder Zeuge 1. F a l s c h e A n g a b e n als B e s c h u l d i g t e r Sagt der Beamte vor Gericht oder Ermittlungsbehörden aus, so ist zu unterscheiden, ob er als Zeuge oder als Partei oder als Beschuldigter vernommen wird. Bereits unter I S. 521 ist dargestellt worden, daß der Beamte als Beschuldigter berechtigt ist, seine Aussage zu verweigern. Wird er als Beschuldigter vernommen, so hat er das Recht, vor Straf- und Disziplinargerichten sowie vor dem Ermittlungsführer und dem Untersuchungsführer die Aussage zu verweigern insbesondere dann, wenn er sich oder seinen Verlobten oder 42 43 44 46
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DokBer. Nr. 1513. DokBer. Nr. 640. DokBer. Nr. 1412. DiszSenat OVG Münster 17. 8. 62 — V 19/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS).
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seinen Ehegatten •— auch wenn die Ehe nicht mehr besteht — oder Person, mit denen er in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes statt verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist — auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht — (vgl. §§55 i. V. m. § 52 Abs. 1 StPO) der Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen würde4®. Selbst wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, kommt beim Beschuldigten ein Recht zur Aussageverweigerung in Betracht. Hierbei kann es gleichbleiben, ob der Beschuldigte erst im Laufe des Disziplinarverfahrens oder bereits vorher aussagen sollte. Die früher herrschende Auffassung47, daß der Beamte außerhalb des Disziplinarverfahrens gehalten ist, auch dann auszusagen, wenn er sich hierdurch der Gefahr einer strafoder disziplinargerichtlichen Verfolgung aussetzt, ist falsch. Würde man den Beamten verpflichten, im Vorermittlungsverfahren auszusagen, so würde ein später eingeräumtes Recht auf Aussageverweigerung illusorisch werden. Es muß in jeder Lage eines disziplinargerichtlichen Verfahrens der Grundsatz gelten, daß niemand sich selbst anzuklagen braucht48. Der Beamte brauchte nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt zu werden49. Eine solche Belehrungspflicht war weder im Beamtenrecht noch in der StPO vorgesehen. Die Belehrungspflicht konnte auch nicht aus einer allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn oder der besonderen Treuepflicht des Staates gegenüber dem Beamten hergeleitet werden. Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i. d. F. StPÄG vom 19. 12. 64 (BGBl. I S. 1067) ist der Beschuldigte über sein Recht, nicht zur Sache auszusagen, zu belehren. Über § 20 BDO, BDO i. d. F. der Novelle kommt diese Belehrungspflicht auch in jeder Lage des Disziplinarverfahrens — also im Vorermittlungs-, im Untersuchungsverfahren und in der Hauptverhandlung — in Frage. Die Tatsache, daß der Beschuldigte nicht belehrt worden ist, begründet nicht ein Verbot, die trotzdem erfolgten wahren Angaben zuungunsten zu werten und unwahre Angaben als Verletzung der Wahrheitspflicht disziplinarrechtlich zu würdigen. Will der Beamte im Vorermittlungsverfahren nach § 21 BDO, BDO i. d. F. der Novelle oder in der Untersuchung nach §§ 44 ff. BDO, BDO i. d. F. der Novelle seine Aussagen verweigern, so ist er nicht verpflichtet, einer Vorladung zur Vernehmung Folge zu leisten, selbst wenn diese im Vorermittlungsverfahren durch den Dienstvorgesetzten oder einen sonstigen Vorgesetzten der Beamten erfolgen soll. Der Beamte ist jedoch zumindest im Vorermittlungsverfahren verpflichtet, von seinem Nichterscheinen Mitteilung zu machen49». Wird der Beschuldigte wegen falscher Angaben, die er im Laufe des Disziplinarverfahrens gemacht hatte, disziplinarisch verfolgt, so bringt er zuweilen vor, daß ihm nicht bekannt war, daß er nicht ebenso wie im ordentlichen 46 BDH 16.4. 58 — I D 83/57 — inNDBZ 1958 S. 212 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 229; DokBer. Nr. 1100; Behnke, Anm. 11 zu § 21 BDO. 47 Beschluß des PrStMin. v. 8 . 1 1 . 2 7 in PrVBl. S. 402; PrDH in RPrVBl. Bd. 9 S. 433; RDHE Bd. 1 S. 24 (32); DStSenat beim RG in ZBR 1939 S. 194; PrOVG Bd. 42 S. 429; F i s c h b a c h , 2. Aufl. Anm. I X zu § 54 BBG. 4 8 BGH in NJW 1958 S. 557. 4 9 BayDStH 25. 5. 59 — Nr. 7 DS II 58 — BDHE Bd. 4 S. 215 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 417. 4 9 a BDH 26. 2. 63 — III D 52/62 — BDHE Bd. 6 S. 18.
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Strafverfahren vor den mit der Disziplinarrechtspflege betrauten Stellen die Unwahrheit sagen darf ; er beruft sich also darauf, daß er sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden hatte. Nach herrschender Auffassung stellt der unverschuldete Rechtsirrtum im Strafrecht einen Schuldausschließungsgrund dar 50 . Dieser Grundsatz gilt auch im Disziplinarrecht. Der Beamte muß jedoch bei gehöriger Gewissensanspannung erkennen, daß er verpflichtet ist, auch als Beschuldigter die Wahrheit zu sagen; als Beamter muß er wissen, daß er schon mit Rücksicht auf die Achtungs- und Gehorsamspflicht nicht lügen darf und er durch lügenhafte Angaben das Vertrauen seiner Vorgesetzten verscherzt. Aus diesem Grunde kann er mit seiner Schutzbehauptung, daß er sich in einem Rechtsirrtum befunden hatte, nicht gehört werden 51 . Der Beamte ist auch gehalten, trotz seines Aussageverweigerungsrechts im ordentlichen Strafverfahren die Wahrheit zu sagen: dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verurteilung des Beamten auch disziplinarrechtliche Auswirkungen zeigt, weil das dem Beamten zum Strafgericht vom Vorwurf gemachte Verhalten zugleich ein Dienstvergehen im engeren oder auch im weiteren Sinne darstellt. Ein Beamter, der selbst in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren von seinem Aussageverweigerungsrecht keinen Gebrauch macht, begeht ein Dienstvergehen, wenn er durch unrichtige Angaben den Tatverdacht von sich abzulenken versucht52. Besonders wiegt es schwer, wenn der Beschuldigte in einem behördlichen Ermittlungsverfahren versucht, die vernehmenden Stellen durch falsche Angaben irrezuführen, und so vermeidbare Arbeit verursacht sowie die Aufklärung seiner Verfehlungen bewußt erschwert63. Besonders schwer würde es wiegen, wenn der Beamte in einem gegen ihn schwebenden Straf- oder Disziplinarverfahren nicht nur falsche und irreführende Angaben macht, sondern wenn er zudem versucht, Zeugen, die in dem Straf- oder Disziplinarverfahren vernommen werden sollen, zu seinen Gunsten zu falschen Aussagen zu bewegen54. 2. F a l s c h e A n g a b e n als P a r t e i in e i n e m Z i v i l p r o z e ß oder in e i n e m Ver w a i t u n g s st reit v e r f a h r e n Macht der Beamte in einem Verfahren, in dem die Parteimaxime herrscht, wie z. B. in einem Zivilprozeß, falsche Angaben, so macht er sich dann nicht nach § 153 StGB strafbar, wenn er als Partei die Unwahrheit sagt. Wird er jedoch eidlich vernommen, so ist er gehalten, die Wahrheit zu sagen, wenn er sich nicht einer Bestrafung nach § 154 StGB aussetzen will. Im letzteren Falle macht sich der Beamte nicht nur nach § 154 StGB strafbar, sondern sein Verhalten stellt zugleich ein Dienstvergehen dar. Abgesehen von einer eidlichen Vernehmung ist ein Beamter im übrigen in dem von der Parteimaxime beherrschten Verfahren nicht gehalten, in seinem schriftlichen oder mündlichen Vorbringen vor Gericht in jedem Falle BGH Gr. Strafsenat in BGHSt. Bd. 2 S. 194. BayrDStH 28. 10. 55 — Nr. 6 DS I 54 — BGHE Bd. 3 S. 28 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 338; BagDStH 16. 4. 58 — Nr. 30 DS I 57 — in VGH n. F. Bd. 11 III 15 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 274; DokBer. Nr. 1679 u. 1773. 52 DiszSenat OVG Münster 23. 10. 59 —V3/59 — L i n d g e n , TeilIV Nr. 452 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 158. 63 DokBer. Nr. 1773. 64 BDH 15. 3. 56 — II D 143/55 —. 60
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die Wahrheit zu offenbaren. Er würde sich aber dann disziplinarisch strafbar machen, wenn er durch sein Verhalten gegen eine strafrechtliche Norm verstößt, was ζ. B. beim Prozeßbetrug der Fall ist, oder wenn er durch seine falschen Angaben nicht nur sein eigenes Ansehen, sondern auch das der Beamtenschaft und der Behörde schädigt sowie der Öffentlichkeit sein Verhalten bekannt wird. Hierzu könnte eine gewissenlose Prozeßführung gehören, bei der der Beamte selbst feststehende und durch zuverlässige Zeugen erhärtete Tatsachen bestreitet. Tritt der Beamte in einem Prozeß gegen seinen Dienstherrn als Partei auf — ganz gleich ob er sich in der Rolle des Klägers bzw. Anfechtungsklägers oder Beklagten befindet — so ist er schlechthin gehalten, wahrheitsgemäße Angaben zu machen66. Hierbei bleibt es gleich, ob er ζ. B. in den Fällen des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG vor den ordentlichen Gerichten oder ζ. B. im Falle der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die sich auf § 79 BBG stützen, vor den Verwaltungsgerichten klagt oder verklagt wird. Selbst wenn vor den ordentlichen Gerichten die Parteimaxime gilt, ist der Beamte gehalten, in Rechtsstreitigkeiten, bei denen er seinen Dienstherrn zum Prozeßgegner hat, die Wahrheit zu sagen. Verletzt er in einem Rechtsstreit gegen seine Verwaltung die Wahrheitspflicht, so handelt es sich immer um ein schweres Dienstvergehen. Das Strafmaß wird sich nach den Folgen richten, die die unwahren Angaben des Beamten nach sich ziehen. 3. F a l s c h e A u s s a g e n als Z e u g e o d e r S a c h v e r s t ä n d i g e r v o r Gerichten a) S t r a f r e c h t l i c h e T a t b e s t ä n d e aa) Falsche uneidliche Aussagen Wer vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen Stelle als Zeuge oder als Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird nach § 153 StGB mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, in schweren Fallen mit Zuchthaus bestraft66. Die falsche Aussage muß vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständigen Stelle abgegeben sein ; hierzu rechnen z. B. Zivil-,Straf-,Arbeits- und Verwaltungsgerichte, Untersuchungsrichter (§ 66 StPO), Untersuchungsführer ( § 4 4 BDO) und das Patentamt ( § 3 3 PatG), nicht jedoch private Schiedsgerichte i. S. der §§ 1025 ff. ZPO, Polizeibehörden, die Staatsanwaltschaft und die Notariate, weil letztere Stellen nicht zur Abnahme von Eiden berechtigt sind. Der Täter muß als Zeuge oder Sachverständiger, nicht jedoch als Partei vernommen sein. Die Aussage muß falsch sein. Es kommt hierbei darauf an, ob die Aussage objektiv den Tatsachen entspricht, wobei es auf die Vorstellung des Täters über die Unwahrheit nicht ankommt 6 '. Die Aussage muß sich auf äußere oder innere Tatsachen beziehen, zu denen auch 66 DokBer. Nr. 1716 (hier Aberkennung der Rechte aus G 131, weil der Beschuldigte in einem Verwaltungsstreitverfahren seine Zugehörigkeit zur NSDAP vor 1933 verschwiegen hatte. 68 B u s c h , Zum Verhältnis von uneidlicher Falschaussage und Meineid in GA 1955 S. 257; G a l l a s , Zum Begriff der „Falschheit" der eidlichen und uneidlichen Aussage in GA 1957 S. 315; R i e t z s c h , Die vorgetäuschte Straftat und die falsche Aussage in §§ 153, 154 StGB in GA 1956 S. 337. 57 RG in JW 1936 S. 881 ; RGSt. Bd. 76 S. 96; vgl. auch BG LM Nr. 5 und Nr. 6 zu § 153 StGB; BGHSt. Bd. 7 S. 148; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV zu § 154 StGB; F r a n k , Anm. III 2 zu § 154 StGB; K o h l r a u s c h - L a n g e , Anm. IV vor § 153 StGB; v. LisztS c h m i d t , Lehrbuch S. 833; M e z g e r , LK Anm. 2 b zu § 153 StGB; a. M. B i n d i n g , Lehrbuch, Bd. 2 S. 134.
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allgemein bekannte Rechtsbegriffe und einfache Urteile gehören58. Kommt es bei der Aussage auf die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit an, dann sind die Voraussetzungen der §§ 153 ff. StGB gegeben, wenn der Schwörende nicht die Uberzeugung hat, über die er aussagt 59 . Verschweigt der Zeuge oder Sachverstandige etwas, so ist die Aussage gleichfalls falsch; er muß nämlich lückenlos alles angeben, was mit dem Beweisthema in erkennbaren Zusammenhang steht und für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich ist. Auch einzelne Fragen sind vollständig und ohne Verschweigung wesentlicher Umstände zu beantworten60. Ist die Aussage mehrdeutig, so ist der maßgebliche objektive Sinn durch Auslegung zu ermitteln61. Ist die Aussage objektiv richtig, glaubt aber der Zeuge eine falsche Aussage zu machen, so liegt nur ein Versuch einer falschen Aussage vor, der aber nach § 153 StGB nicht strafbar ist; wird die Aussage beeidet, so liegt ein strafbarer Versuch nach § 154 StGB vor62. Der Zeuge ist nach § 153 StGB nur strafbar, wenn er vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz genügt. bb) Meineid Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle vorsätzlich falsch schwört, wird mit Zuchthaus bestraft (§ 154 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten (§ 154 Abs. 2 StGB)63. Ist die Tat aus Fahrlässigkeit begangen, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein (vgl. § 163 Abs. 1 StGB). Der Tatbestand des Meineids stellt lediglich eine qualifizierte Falschaussage dar, so daß das unter aa) Gesagte auch hier gilt. Dann ist jedoch auch der Täter, der nicht als Zeuge oder Sachverständiger, sondern als Partei auftritt, strafbar, sofern er im Verlaufe der Parteivernehmung vereidigt wird. Der Eid ist die Beteuerung der Wahrheit in einer feierlichen, gesetzlich festgelegten Form, die sich aus dem Gesetz ergibt. Ein Meineid nach § 154 StGB kann nur vorsätzlich geleistet werden, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Der Täter muß sich bewußt sein, daß er etwa objektiv Falsches vor einer zuständigen Stelle mit dem Eid zu bekräftigen hat, wobei das Beschworene unter das Beweisthema fällt64. Bei Fahrlässigkeit richtet sich die Strafe nach § 163 Abs. 1 StGB (Gefängnis bis zu einem Jahr). Vollendet ist der Meineid, wenn der ganze Eid einschließlich der Beteuerungsforme geleistet ist. Ist mit der Eidesleistung der Anfang gemacht, so liegt strafbarer Versuch vor 65 . cc) Falsche Versicherung an Eides Statt Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung wissentlich falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung wissentlich falsch aussagt, wird nach § 156 StGB mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft66. Wird die Tat aus Fahrlässigkeit begangen, so tritt Gefängnis bis zu einem Jahr ein (vgl. § 163 Abs. 1 StGB). Zunächst einmal ist erforderlich, daß eine falsche Erklärung abgegeben wird. Die Erklärung ist auch dann falsch, wenn etwas Wesentliches verschwiegen wird 67 . OLG Braunschweig in JB1. Braunschweig 1947 Sp.218. RGSt. Bd. 12 S. 60. 60 RG in J W 1936 S. 880. 61 RGSt. Bd. 63 S. 51; RG in J W 1938 S. 2196. 62 RGSt. Bd. 76 S. 96; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV 8 zu § 154 StGB. 63 K u t t n e r , Die juristische Natur der falschen Beweisaussage, in Abhandlungen des Berliner Kriminal. Instituts, 1931; N i e t h a m m e r , Uber das Wesen des Meineides und die rechtliche Möglichkeit eines fahrlässigen Falscheids in DStR 1940 S. 161; P e t e r s , Zeugenlüge und Prozeßausgang, 1939; S c h r ö d e r , Unwahrer und unwahrhaftiger Eid, 1939. 64 RGSt. Bd. 65 S. 208; vgl. BGHSt. Bd. 1 S. 150; BGHSt. Bd. 3 S. 253. 65 Vgl. RGSt. Bd. 54 S. 120; OGHSt. Bd. 2 S. 162; BGHSt. Bd. 1 S. 243 und Bd. 4 S. 176. 64 M a r t e n s , Eidesstattliche Versicherungen in der Sozialversicherung, Versorgung und Sozialgerichtsbarkeit in NJW 1957 S. 1663; O s w a l d , Die eidesstattliche Versicherung in JR 1956 S. 292. 67 RGSt. Bd. 63 S. 232. 58
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Die Erklärung muß vor einer zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Behörde abgegeben werden, wobei zu beachten ist, daß die Zuständigkeit der Behörde Tatbestandsmerkmal ist 68 . Die Behörde muß allgemein zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständig sein, was sich aus Gesetz oder Verordnung ergibt. Die Tat ist vollendet, wenn die eidesstattliche Erklärung der Behörde zugegangen ist; es kommt dann nicht darauf an, ob die Behörde von dem Inhalt der eidesstattlichen Erklärung Kenntnis erlangt hat69. Als Begehungsform kommt nach § 156 StGB ferner in Frage, daß jemand unter Berufung auf eine eidesstattliche Versicherung vor einer zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Behörde falsch aussagt. Hierbei genügt nicht, daß der Täter eine gewöhnliche, nicht eidliche Zeugenaussage abgibt und hierbei nur den Tatsachengehalt einer eidesstattlichen Versicherung zum Inhalt der Aussage macht 70 ; der Täter muß vielmehr seine neue Aussage unter der Beteuerung an Eides Statt stellen. Eine Bestrafung nach § 156 StGB kommt nur bei vorsätzlichem Handeln in Frage, wobei bedingter Vorsatz genügt 71 . Der Vorsatz muß sich auch auf die Zuständigkeit erstrecken, weil sie Tatbestandsmerkmal ist72. Ist die Tat fahrlässig begangen, so richtet sich die Strafe nach § 163 Abs. 1 StGB (Gefängnis bis zu einem Jahr). dd) Strafmilderung und Absehen von Strafe bei Eidesdelikten α) E i d e s n o t s t a n d Hat der Zeuge oder Sachverständige sich eines Meineids, einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht, so kann der Richter die Strafe nach pflichtgemäßem Ermessen mildern und im Falle uneidlicher Aussage auch ganz von Strafe absehen, wenn der Täter die Unwahrheit gesagt hat, um von einem Angehörigen oder von sich selbst die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung abzuwenden (§ 157 Abs. 1 StGB). Es handelt sich hier um den sog. Aussagenotstand. Die Selbstbegünstigung wird unabhängig von einem etwaigen Aussageverweigerungsrecht berücksichtigt73. Es muß die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung bestehen, wobei auch die Gefahr einer disziplinarrechtlichen Ahndung — jedoch nicht die Gefahr der Verfolgung vor einer Behörde mit Ordnungsstrafgewalt — genügt. Ebenso reicht die Gefahr einer disziplinarischen Bestrafung durch den Dienstvorgesetzten nicht aus74. Die Tat muß vor der Aussage begangen worden sein; sie darf nicht erst durch die unwahre Aussage begründet sein75. Die Gefahr der Bestrafung muß durch die Angabe der Wahrheit hervorgerufen werden. Befindet sich der Täter in keiner Gefahr, weil die Tat nicht mehr bestraft werden kann, weil sie ζ. B. verjährt ist oder sie unter ein Amnestiegesetz fällt, so kommt § 157 StGB nicht mehr zur Anwendung 76 . Mit einer gerichtlichen Bestrafung muß nach den Erfahrungen des Lebens gerechnet werden, wobei auch eine entfernte Möglichkeit ausreicht. Ist ein Strafverfahren bereits eingeleitet, so kann dann die Ermäßigung eintreten, wenn der Schwörende mit der Weiterführung desselben infolge der Angabe der Wahrheit rechnen kann 77 . Nicht ist entscheidend, ob die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung objektiv bestand; es kommt vielmehr darauf an, daß der Schwörende beabsichtigt hatte, durch sein Verhalten dieser Gefahr zu entgehen 78 . Es reicht für eine Strafmilderung aus, wenn der Täter nur irrtümlich eine Gefahr angenommen hatte 79 . Im Falle einer uneidlichen Aussage kann der Richter die Strafe mildern oder von ihr ganz absehen; in den übrigen Fällen kann er die Strafe nur mildern. BGHSt. Bd. 1 S. 13 und Bd. 2 S. 383. RGSt. Bd. 49 S. 49. 70 RG in D J 1937 S. 1005. 71 RGSt. Bd. 70 S. 267; RG in HRR 1939 Nr. 655. 72 BGHSt. Bd. 1 S. 16. 73 RGSt. Bd. 61 S. 202; BGHSt. Bd. 1 S. 28, Bd. 2 S. 379 und Bd. 3 S. 321; BGH in NJW 1952 S. 229; OGHSt. Bd. 2 S. 164; OLG Düsseldorf in JMB1NRW 1955 S. 43. 71 RG in JW 1930 S. 2134. 75 RG in JW 1938 S. 657. 76 RG in HRR 1927 Nr. 542. 77 RG in DJ 1935 S. 1497; RG in JW 1935 S. 2960. 78 OLG Hamm in HESt. Bd. 2 S. 254; OLG Frankfurt in NJW 1950 S. 615. 79 RGSt. Bd. 77 S. 222; OLG Hamm in HESt. Bd. 2 S. 254; OLG Hamburg in NJW 1952 S. 634; BayObLG in N J W 1956 S. 559. 68
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ß) B e r i c h t i g u n g Der Richter kann die Strafe wegen Meineides, falscher Versicherung an Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem pflichtgemäßen Ermessen mildern oder von der Strafe absehen, wenn der Täter die falschen Angaben rechtzeitig berichtigt (§ 158 Abs. 1 StGB). Handelt es sich hierbei um eine aus Fahrlässigkeit begangene Handlung, so tritt Straflosigkeit ein (vgl. § 163 Abs. 2 StGB). Im Gegensatz zu § 157 StGB kann hier nicht nur einem Zeugen oder Sachverständigen, sondern auch einer Partei der Vorteil einer Strafmilderung oder der Abstandnahme von einer Strafe zugutekommen 80 . Die Berichtigung verlangt eine eindeutige und in aller Regel ausdrückliche Erklärung; die bloße Verweigerung der Auskunft auf die Frage, ob eine frühere Aussage richtig sei, genügt regelmäßig nicht81. Für die Berichtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgesehen; sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Sie ist auch dann zu berücksichtigen, wenn sie durch die Gefahr der Entdeckung oder durch die mit Sicherheit drohende Anzeige veranlaßt wird. 82 . Die Berichtigung braucht nicht unbedingt bei der Stelle zu erfolgen, vor der die falsche Aussage gemacht worden ist; sie kann auch vor jedem anderen Gericht, der Staatsanwaltschaft oder der Polizeibehörde abgegeben werden (§158 Abs. 3 StGB). Die Berichtigung ist verspätet, wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder aus der Tat ein Nachteil fur einen anderen entstanden ist oder wenn gegen den Täter schon eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist (§ 158 Abs. 2 StGB). Unter Nachteil ist jede Beeinträchtigung eines anderen in einem ihm zustehenden Recht oder in seiner Rechtsstellung zu verstehen83. Es genügt auch eine ideelle Benachteiligung 84 . Zwischen der Aussage und dem Nachteil muß ein Kausalzusammenhang bestehen86. ee) Verleitung zum Falscheid Wer einen anderen Zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann; wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage verleitet, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§ 160 Abs. 1 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 160 Abs. 2 StGB). Das Verleiten stellt die Einwirkung auf den Willen eines anderen dar, die diesen bestimmt, die vom Verleiter gewollte Tat zu verwirklichen 86 . Handelt es sich um eine eidesstattliche Versicherung, so liegen die Voraussetzungen des § 160 StGB auch vor, wenn jemand verleitet wird, ein Schriftstück zu unterzeichnen, von dem er nicht weiß, daß es eine Versicherung an Eides Statt enthält87. Handelt es sich um eine Anstiftung zu einem Meineid, einer falschen uneidlichen Aussage oder einet eidesstattlichenVersicherung, so erfolgt eine Bestrafung wegen Anstiftung aus § 154 StGB usw. § 160 StGB kommt nämlich nur dann zur Anwendung, wenn der Verleitende die Vorstellung hat, daß derjenige, der die falsche Aussage macht, nicht vorsätzlich oder nicht schuldhaft handelt. Strafbar ist nur die vorsätzliche Tat, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Der Täter muß das Bewußtsein und den Willen haben, daß der Verleitete eine bestimmte Tatsache falsch schwört ; weiterhin muß er wissen, daß die Tatsache unwahr ist; schließlich muß er annehmen, daß der Verleitete das, was er beschwört, für wahr hält, oder sonst nicht verantwortlich ist 88 .
b) D i s z i p l i n a r r e c h t l i c h e W ü r d i g u n g der falschen A u s s a g e Der Beamte ist als Diener der Rechtspflege in stärkeren Maße als jeder andere Staatsbürger gehalten, die staatliche Rechtspflege bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen und insbesondere unter Eid die reine Wahrheit zu sagen. Er schädigt durch eine vorsätzlich falsche eidliche Aussage regelmäßig 80 81 82 83 81 85 88 87 88
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RG in HRR 1938 Nr. 343. BGH 14. 5. 63 — 1 StR 148/63 — in NJW 1963 S. 1461. BGHSt. Bd. 4 S. 175; RGSt. Bd. 58 S. 184 und Bd. 62 S. 304. RGSt. Bd. 45 S. 302. RGSt. Bd. 36 S. 241. RG in HRR 1928 Nr. 2236. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II 2 zu § 160 StGB. RGSt. Bd. 34 S. 298. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III zu § 160 StGB.
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das in ihn gesetzte Vertrauen seines Dienstherrn sowie sein Ansehen und das der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit, so daß sich schon darauf die Frage nach seiner Tragfähigkeit als Beamter stellt89. Für das Strafmaß ist es gleichgültig, ob der Beamte sich einer vorsätzlichen falschen Aussage als Zeuge oder Sachverständiger in einer dienstlichen oder einer außerdienstlichen Angelegenheit schuldig macht, wie es auch nicht darauf ankommt, ob er in einem Rechtsstreit aussagt, in dem seine Behörde Partei ist, oder ob er in einem Rechtsstreit aussagt, an dessen Ausgang seine Verwaltung uninteressiert ist. Schon mit Rücksicht darauf, daß es sich bei einem Meineid nach § 154 StGB um ein Verbrechen handelt, erscheint hier grundsätzlich die Höchststrafe am Platze90. Es wirkt sich nicht strafmildernd aus, daß durch den Meineid kein Schaden entstanden ist oder der Beamte nicht aus Eigennützigkeit gehandelt hat oder daß er sich beim Meineid aus politischen Leidenschaften hat leiten lassen 91 oder die Tatsache der Leistung des Meineids keinem größeren Personenkreis bekannt geworden ist. Da sich der Staat im Interesse der Allgemeinheit unter allen Umständen auf die Aussagen und Angaben seiner Bediensteten verlassen muß, ist es bei einer falschen eidlichen Aussage k e i n E n t l a s t u n g s g r u n d , w e n n es sich in dem Verfahren, in dem der Meineid geleistet worden ist, um k e i n e n S a c h v e r h a l t v o n e r h e b l i c h e r T r a g w e i t e g e h a n d e l t hat. Auch in einem nicht übermäßig bedeutsamen Verfahren ist es Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit zu finden und den Sachverhalt richtig aufzuklären. Deshalb müssen an die auch in einem Bagatellverfahren vernommenen Zeugen dieselben Anforderungen hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit gestellt werden wie in jedem anderen Gerichtsverfahren. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob sich die Gerichte von der falschen eidlichen Aussage haben leiten lassen oder ob sie die Unwahrheit der Angaben rechtzeitig erkannt haben92. Der Beamte ist auch dann mit der Höchststrafe zu bestrafen, wenn er in einem Prozeß, in dem er als Partei auftritt, oder in einem gegen ihn laufenden Straf- oder Disziplinarverfahren nicht verhindert, daß ein Zeuge einen Meineid leistet. So macht sich ζ. B. ein Polizeibeamter eines besonders schweren Verstoßes gegen die Beamtenpflichten schuldig, wenn er nicht verhindert, daß eine Frau, zu der er ehebrecherische Beziehungen gehabt hat, vor dem Untersuchungsführer unter Eid diese Beziehungen zu ihm ableugnet und wenn sie deshalb wegen Meineids zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird; denn seine Befugnis, sich einer Äußerung über sein ehebrecherisches Verhalten zu enthalten, tritt in einem solchen Falle hinter die sittliche Pflicht zurück, zu verhindern, daß die Frau, zu der er das ehebrecherische Verhältnis gehabt hat, einen Meineid leistet und sich dadurch Ans Unglück .stürzt93. Ebenso wiegt es schwer, wenn jemand einen anderen Zu einem Meineid anstiftet oder auffordert. Sö ist ein Beamter, der sich eines Verbrechens der erfolglosen Aufforderung zu einem Meineid in Tateinheit mit einem Vergehen der Anstiftung zu einem Vergehen der falschen uneidlichen Aussage DokBer. Nr. 1445. DokBer. Nr. 853. 91 DokBer. Nr. 1727. 92 DokBer. Nr. 1620; BDH 1. 10. 57 — II D 10/57 — BDHE Bd. 4 S. 54 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 209. 93 BayDStH 12.12. 60 — Nr. 15 DS I 59 — in BBZ 1963 S. 8 (LS). 89
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schuldig macht, mit der Höchststrafe zu bestrafen, was insbesondere dann gilt, wenn sich einer solchen Verfehlung ein unmittelbar im Dienste der Rechtspflege stehender Polizeibeamter schuldig macht94. Der Meineid ist auch bei Vorliegen eines sog. Eidesnotstandes (§157 StGB) grundsätzlich ein mit Zuchthaus bedrohtes Verbrechen; durch die Belehrung des Gerichts ist jeder Zeuge sich des Risikos bewußt, das er mit einem Meineid eingeht. Der Beamte verliert das Vertrauen seiner Behörde und das nötige Ansehen vor seinen Kollegen und der Allgemeinheit auch dann, wenn er im Eidesnotstand gehandelt hat95. Im allgemeinen wird der Eidesnotstand lediglich bei der Frage der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages als strafmildernder Umstand berücksichtigt96. Ausnahmsweise kann jedoch bei einem Eidesnotstand von der Höchststrafe abgesehen werden. So ist bei einem Oberforstwart bei dem von ihm geleisteten und strafgerichtlich mit 10 Monaten Gefängnis geahndeten Meineid von der Höchststrafe abgesehen worden, weil er sich in einem Eidesnotstand nach § 157 StGB befunden hatte, er bei der gerichtlichen Vernehmung nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO hingewiesen worden war, er gemäß § 60 Nr. 3 StPO überhaupt nicht hätte vereidigt werden dürfen und weil es sich bei der Eidesleistung um eine einmalige, mit der Amtstätigkeit in keinem Zusammenhange stehende Verfehlung gehandelt hatte; in diesem Falle ist der Beschuldigte mit der Disziplinarstrafe der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt bestraft worden 97 . Grundsätzlich wird von der Höchststrafe auch dann nicht abgesehen, wenn der Beamte die Unwahrheit gesagt hat, um von einem Angehörigen die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung abzuwenden98. Für eine Strafmilderung reicht es nicht aus, wenn der Beschuldigte allein geltend machen kann, daß er über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt worden ist99. Handelt es sich um eine fahrlässig begangene Eidespflichtverletzung, so bedarf es bei der disziplinaren Strafbemessung der näheren Feststellung, ob diese Dienstpflichtverletzung so schwer wiegt, daß weder dem Beamten noch der Öffentlichkeit die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses zugemutet werden kann 100 . Hierbei ist auf den Schaden abzustellen, der durch die fahrlässige Eidesleistung angerichtet worden ist. Ebenso wird hierbei strafmildernd zu berücksichtigen sein, wenn es sich um ein Bagatellverfahren gehandelt hat oder wenn der Zeuge nicht über sein Eidesverweigerungsrecht belehrt worden ist oder wenn er im Eidesnotstand des § 157 StGB gehandelt hat. Ebenso wie der Meineid oder eine uneidliche falsche Aussage gefährdet die falsche Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung das ordentliche BayDStH 24.10. 60 — Nr. 33 DS I 59 — in BBZ 1963 S. 8 (LS). BayDStH 8. 2. 60 — Nr. 9 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 6 (LS); DokBer. Nr. 1727. BDH 29. 6. 61 — III D 98/60 — bei Döring in ZBR 1963 S. 316. 94 BDH 1.10. 57 — II D 10/57 — BDHE Bd. 4 S. 54 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 209; DokBer. Nr. 1152. 8 7 BayDStH 8. 2. 60 — Nr. 9 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 6 (LS) = ZBR 1963 S. 321. 9 8 DokBer Nr. 1026. 9 9 DokBer. Nr. 1727. 1 0 0 DokBer. Nr. 1445 (hier ist der Beschuldigte, der fahrlässig einen Falscheid geleistet hatte, aus der 11. in die 9. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 7 zurückgestuft worden). M
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Funktionieren der Rechtspflege101. Ein Beamter, der durch die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung der Wahrheitsfindung des Gerichts entgegenwirkt oder sie erschwert, macht sich nicht nur nach § 156 StGB strafbar, sondern schadet zugleich dem Ansehen seines Berufes sehr schwer, so daß er Anlaß gibt, an seiner allgemeinen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln. Für den Unrechtsgehalt der Verfehlung kommt es entscheidend mit darauf an, auf was für Vorgänge sich die eidesstattliche Versicherung erstreckt und welche Bedeutung ihnen zukommen; diese lassen erst die Tragweite erkennen, ob der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung als Dienstvergehen beizumessen ist102. Für das Strafmaß spielt es jedoch keine Rolle, ob der Beamte durch die falsche eidesstattliche Versicherung die Behörde, der gegenüber er die eidesstattliche Erklärung abgegeben hatte, in betrügerischer Absicht schädigen wollte oder geschädigt hat. Strafmildernd kann dagegen berücksichtigt werden, wenn der Beamte durch die Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung sich keinen Vermögensvorteil verschaffen wollte oder wenn er die Erklärung nur zugunsten eines Dritten abgegeben hatte. In zahlreichen Fällen hatten sich die Beamten einer falschen eidesstattlichen Versicherung anläßlich der Erlangung der Rechte aus dem G 131 schuldig gemacht. Selbst wenn zur Zeit der Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung gegen den unter das G 131 fallenden Beamten nur die Höchsstrafe erkannt werden konnte, kann dessenungeachtet das Disziplinargericht nach der Übernahme des Beschuldigten in das aktive Beamtenverhältnis denselben mit sämtlichen in der BDO vorgesehenen Disziplinarstrafen belegen. Von der Höchststrafe kann bei besonderen Milderungsgründen abgesehen werden, wenn sich ζ. B. der Beamte bei der Erlangung seiner Rechte aus dem G 131 in einer echten Konfliktsituation befand, indem er bei Abgabe einer richtigen eidesstattlichen Versicherung sich einer Dienstpflichtverletzung hätte bezichtigen müssen. Der Beamte macht sich nicht nur dann disziplinarisch strafbar, wenn er eine eidesstattliche Versicherung vorsätzlich falsch abgegeben hat, sondern auch dann, wenn ihm lediglich Fahrlässigkeit zum Vorwurf gemacht werden kann. Es gereicht nämlich dem Beamten zum Vorwurf, wenn er seine Angaben über wichtige Vorkommnisse, die sich vor allem auf seinen dienstlichen Werdegang beziehen, leichtfertig und sorglos gemacht hat, ohne sich Gedanken über ihre Richtigkeit zu machen und sich durch geeignete Rückfragen zu vergewissern, ob seine Angaben im einzelnen zutrafen103. Kann der Beamte seine Angaben nicht mehr mit Sicherheit machen, so muß er dies in seiner Erklärung zum Ausdruck bringen. Wenn seine Angaben über seine Laufbahnentwicklung für wichtige Entscheidungen der Behörde, wie ζ. B. für seine Beförderung, von Bedeutung sind, so muß er besonders sorgfältig vorgehen, zumal wenn er sie eidesstattlich erhärtet; macht er seine Angaben gar vorsätzlich falsch, so muß er grundsätzlich mit der Höchststrafe rechnen. ι»» DokBer. Nr. 1527. 102 DokBer. Nr. 1595 (hier Strafe: Herabstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe nebst Versagen des Aufsteigens im Gehalt auf die Dauer von 4 Jahren, weil es sich nicht um eine überlegt ausgeführte Tat, sondern um eine wenig überlegte Augenblickshandlung gehandelt und der Beschuldigte sich dienstlich und außerdienstlich bisher gut geführt hatte), 103 DokBer. Nr. 1555.
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Auch eine vorsätzliche uneidliche Zeugenaussage ist ein sehr schwerer Verstoß gegen die Beamtenpflichten. Für die Höhe der Strafe kommt es auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an. Ein solcher Verstoß führt zur Höchststrafe bei einem Beamten, zu dessen besonderen Beamtenpflichten es gehört, für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung zu sorgen. So ist ein wegen vorsätzlicher falscher uneidlicher Zeugenaussage zu einer Gefängnisstrafe verurteilter Polizeibeamter in seinem Berufe untragbar 104 . Hat der Beamte als Beschuldigter, Zeuge oder als Partei in einem Rechtsstreit oder in einem gegen ihn durchgeführten Disziplinarverfahren die Unwahrheit gesagt und somit die Wahrheitspflicht verletzt, so wird im allgemeinen die Verletzung dieser Dienstpflicht auch nicht dadurch ausgeräumt, daß er seine unwahre Aussage später wieder berichtigt105. Der im Strafrecht für die Straflosigkeit des Versuchs geltende Gesichtspunkt der „tätigen Reue" (§46 Nr. 2 StGB) gilt im Disziplinarrecht nicht. Jedoch kann der Beamte dann nicht bestraft werden, wenn er seine unwahren Angaben noch vor Abschluß der Vernehmung berichtigt. Die Vernehmung ist nämlich als etwas Ganzes zu werten; wenn eine unrichtige Angabe noch vor Abschluß der Aussage berichtigt wird, kommt es für die disziplinare Würdigung auf das richtige Ergebnis an. Der Vernommene kann deshalb nicht disziplinär zur Verantwortung gezogen werden, weil er erst nach anfänglichem Leugnen oder nach vorausgegangenen unrichtigen Angaben sich zur Wahrheit bekennt. Insoweit hat man der strafrechtlichen Rechtsprechung 108 zu den Eidesdelikten zu folgen, ohne daß damit der im Disziplinarrecht anerkannte Grundsatz aufgegeben wird, daß eine „tätige Reue" auf diesem Rechtsgebiet nicht denkbar ist ; diesem Grundsatz ist nämlich der Gesichtspunkt übergeordnet, daß es auf die Aussage als Ganzes ankommt und der im § 158 StGB zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke allgemein herrschend ist, daß einem Täter, der Falsches ausgesagt hat, der Weg zur Wahrheit möglichst erleichtert werden soll 107 . III. FÜHRUNG UNRICHTIGER AMTSBEZEICHNUNGEN UND AMTSANMASSUNG 107 » A. Führung unrichtiger Amtsbezeichnungen Der Bundespräsident setzt die Amtsbezeichnung der Beamten fest, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder er die Ausübung dieser Befugnis nicht anderen Stellen überträgt (§81 Abs. 1 BBG). Der Beamte führt im Dienst die Amtsbezeichnung des ihm übertragenen Amtes; er darf sie auch außerhalb des Dienstes führen (§81 Abs. 2 Satz 1 BBG). Neben der Amtsbezeichnung darf der Beamte nur staatlich verliehene Titel und akademische Grade, dagegen keine Berufsbezeichnung führen (§81 Abs. 2 Satz 2 BBG). Nach dem Übertritt in ein anderes Amt darf der Beamte die bisherige 1 0 4 DiszSenat OYG Münster 17. 2. 61 — V 20/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 159 = ZBR 1964 S. 270 (LS). 1 0 5 BDH 16. 4. 58 — I D 88/57 — in NDBZ 1958 S. 202 = L i n d g e n , TeilIV Nr.222. 1 0 6 DokBer. Nr. 1842; BGH in NJW 1953 S. 1192. 1 0 7 BDH-Wehrdienstsenat — 13. 6. 62 — WD 23/62 — in RiA 1963. 1 0 7 a Schütz, Berechtigung und Verpflichtung zur Verwendung der Amtsbezeichnung in DöD 1965 S. 1.
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Führung unrichtiger Amtsbezeichnungen und Amtsanmaßung
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Amtsbezeichnung nicht mehr führen 108 ; in den Fällen der Versetzung in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt (§26 Abs. 2 BBG) gilt § 81 Abs. 3 Satz 2 und 3 BBG entsprechend (§ 81 Abs. 2 Satz 3 BBG). Ruhestandsbeamte dürfen die ihnen bei der Versetzung in den Ruhestand zustehende Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)" und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel weiterführen (§ 81 Abs. 3 Satz 1 BBG). Wird ihnen ein neues Amt übertragen, so erhalten sie die Amtsbezeichnung des neuen Amtes; gehört dieses Amt nicht einer Besoldungsgruppe mit mindestens demselben Endgrundgehalt ( § 2 6 Abs. 1 Satz 2 BBG) an wie das bisherige Amt, so dürfen sie neben der neuen Amtsbezeichnung die des früheren Amtes mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)" führen (§81 Abs. 3 Satz 3 BBG). Ändert sich die Bezeichnung des früheren Amtes, so darf die geänderte Amtsbezeichnung geführt werden (§ 81 Abs. 3 Satz 4 BBG). Einem entlassenen Beamten kann die oberste Dienstbehörde die Erlaubnis erteilen, die Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)" sowie die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen ( § 8 1 Abs. 4 Satz 1 BBG). Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden, wenn der frühere Beamte sich ihrer als nicht würdig erweist ( § 8 1 Abs. 4 Satz 2 BBG). Auf landesrechtlicher Ebene entsprechen dem § 81 BBG § § 97, 98 LBG BW, Art. 89 BG Bayr., § 44 LBG Bln., § 82 BG Brm., § 85 BG Hmb., § 97 HBG, § 89 NBG, § 92 BG NW, § 91 LBG Rh.-Pf., § 97 BG Saar und § 97 BG Schl.-Hol. Die Festsetzung der Amtsbezeichnung ist dem Ministerpräsidenten, (so § 97 Abs.2 LBG BW, § 91 LBG Rh.-Pf., § 97 BG Schl.-Hol.) oder der Landesregierung (so § 89 Abs. 2 BG Bayr., § 92 BG NW) oder dem Senat (so § 44 Abs. 1 Satz 2 LBG Bln.) oder dem Direktor des Landespersonalamts (so § 97 Abs. 1 HBG) übertragen oder einer besonderen gesetzl. Regelung vorbehalten (so § 97 Abs. 1 BG Saar) Nach § 98 Abs. 1 BG BW hat der Beamte das Recht, jedoch nicht die Pflicht, im Dienst seine Amtsbezeichnung zu führen. Die Amtsbezeichnung stellt einen beamtenrechtlichen Begriff dar, indem sie als Sach- und als Personenbezeichnung geführt wird. Im ersteren Falle kennzeichnet sie ein Amt, während sie im letzteren Falle den Amtsinhaber bezeichnet109. Bei § 81 BGG handelt es sich um die Personenbezeichnung. Während die Amtsbezeichnung nur den Beamten und Richtern vorbehalten ist, führen die in freien Berufen tätigen Personen Berufsbezeichnungen, wie ζ. B. „Rechtsanwalt" oder „Industriekaufmann". Mit der Bezeichnung „Assessor" wird nur darauf hingewiesen, daß der Inhaber derselben eine bestimmte Prüfung, wie die große juristische Staatsprüfung, bestanden hat; hierbei handelt es sich also nicht um eine Amtsbezeichnung. Hat der Beamte noch kein Amt inne, so führt er keine Amts- sondern nur eine Dienstbezeichnung, wobei die Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes die Dienstbezeichnung „Anwärter" und diejenigen des höheren Dienstes die Dienstbezeichnung „Refe1 0 8 Uber die Änderung von Amtsbezeichnungen vgl. BVerwG 29. 8. 53 — BVerwG II C 210/61 — in DöD 1963 S. 238. 1 0 9 P l o g - W i e d o w , Anm. 2 zu § 81 BBG.
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rendar" führen. Von den Amtsbezeichnungen sind schließlich die Funktionsbezeichnungen zu unterscheiden, die auf die Funktion des Beamten, wie z. B. die des Abteilungsleiters, Dezernenten, Referenten oder Sachbearbeiters, hinweisen sollen. Während der aktive Beamte zur Führung der Amtsbezeichnung im Dienst verpflichtet ist, sind der Ruhestandsbeamte und der entlassene Beamte, dem die Erlaubnis hierzu erteilt ist, hierzu lediglich berechtigt. Der Beamte ist zur Führung der Amtsbezeichnung jedoch nur dort verpflichtet, wo ihm dies ausdrücklich aufgegeben ist; so muß er bei amtlichen Vordrukken, in denen die Angabe der Amtsbezeichnung verlangt wird, seine Amtsbezeichnung angeben 110 . Er hat keinen Anspruch darauf, daß er von nachgeordneten Beamten mit seiner Amtsbezeichnung angesprochen wird 110 ". Im allgemeinen entscheidet bei den einzelnen Verwaltungen die jeweilige Übung; außerdem kommt es hierbei auf das Taktgefühl an. Ein Beamter, der seinen Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten nicht mit der Amtsbezeichnung anredet, kann nicht disziplinarisch bestraft werden. Der Dienstherr hingegen ist verpflichtet, im schriftlichen Verkehr mit dem Beamten und dem Ruhestandsbeamten deren Amtsbezeichnung — im letzteren Falle mit dem Zusatz „a. D." — zu verwenden 111 . Der Beamte muß die Amtsbezeichnung führen, die in seiner Ernennungsurkunde (siehe § 6 Abs. 1 Nr. 3, 4 und Abs. 2 Nr. 3 BBG) und in der Mitteilung nach § 5 Abs. 2 der DB zur AO des Bundespräsidenten enthalten oder in einer Mitteilung nach § 6 Abs. 1, 2 oder 3 DB a. a. O. aufgeführt ist. Selbst wenn er die Obliegenheiten eines Amtes einer höheren Besoldungsgruppe wahrnimmt, darf er nur die Amtsbezeichnung führen, die in der Ernennungsurkunde angeführt ist; dies gilt selbst dann, wenn er nach § 21 Abs. 2 BBesG eine Stellenzulage erhält. Der Beamte führt seine Amtsbezeichnung auch während der vorläufigen Dienstenthebung (§ 78 BDO), der Abordnung (§ 27 BBG), des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte (§60 BBG) und während der Beurlaubung (§ 89 BBG). Ein Wechsel der Amtsbezeichnung tritt zunächst einmal durch eine Änderung der Amtsbezeichnungen des bisherigen Amtes ein, ohne daß der Beamte ein neues Amt übertragen erhält (vgl. § 6 Abs. 3 DB zur AO des Bundespräsidenten und § 37 Abs. 1 BBesG). Weiterhin tritt eine Änderung der Amtsbezeichnung ein, wenn dem Beamten ein anderes Amt mit einer anderen Amtsbezeichnung übertragen wird. Die Übertragung des neuen Amtes erfolgt durch eine Mitteilung nach § 5 Abs. 2 DB zur AO des Bundespräsidenten gleichzeitig mit der Ernennung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 BBG oder durch Mitteilung nach § 6 Abs. 2 DB, wenn dem Beamten ein anderes Amt mit gleichem Endgrundgehalt, aber anderer Amtsbezeichnung übertragen werden soll. Bleibt der Beamte Inhaber seines bisherigen Amtes und erhält er zusätzlich ein neues Amt mit einer anderen Amtsbezeichnung übertragen, so führt er die Amtsbezeichnung dieser Ämter nebeneinander. P l o g - W i e d o w , Anm. 10 zu § 81 BBG. lio» Niederschrift über die 267. Sitzung des Bundestages — 1 . Wahlperiode— 1 3 1 2 6 D ; so auch Schütz a. a. O. S. 1 ; a. M. Bochalli in NDBZ 1964 S. 99. 1 1 1 So auch S c h ü t z a. a. O. S. 1. 110
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Zu den Pflichten eines Beamten gehört es, daß er im dienstlichen Verkehr die seiner gegenwärtigen Beschäftigung entsprechende Amtsbezeichnung führt 112 . Bis zur rechtmäßigen Übertragung eines anderen Amtes ist er befugt, die seiner bisherigen Dienststellung entsprechende Amtsbezeichnung zu führen. Er macht sich jedoch disziplinarisch strafbar, wenn er dienstliche Schreiben, welche mit einer unrichtigen Amtsbezeichnung versehen sind, nicht entgegennimmt, vorausgesetzt, daß Zweifel an der Identität des Adressaten nicht obwalten und daß die Wahl der Aufschrift überhaupt auf sachlichen Erwägungen beruht 113 . Der Ruhestandsbeamte führt die Bezeichnung des ihm zuletzt übertragenen Amts mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)", wobei es gleich bleibt, ob er in den endgültigen oder in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist. Waren dem Beamten mehrere Ämter mit verschiedenen Bezeichnungen übertragen, darf er nur die Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst" führen, aus deren Amt er in den Ruhestand getreten ist. Falls sich die Amtsbezeichnung ändern sollte, darf der Ruhestandsbeamte nur die geänderte Amtsbezeichnung mit dem entsprechenden Zusatz führen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn das vom Ruhestandsbeamten früher wahrgenommene Amt gehoben und hierdurch die Amtsbezeichnung sich verändert hat; hier führt der Ruhestandsbeamte die Amtsbezeichnung weiter, die er ζ. Z. des Eintritts in den Ruhestand führen durfte. Verliert der Ruhestandsbeamte seine Rechte als Ruhestandsbeamter nach § 9 Abs. 2 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 9 Abs. 2 BDO i. d. F. der Novelle oder nach § 162 BBG, so darf er auch nicht mehr seine frühere Amtsbezeichnung führen, es sei denn, daß ihm die Befugnis hierzu im Gnadenwege verliehen ist. Dagegen bleibt dem Ruhestandsbeamten seine frühere Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)" erhalten, wenn seine Versorgungsbezüge nach § 158 BBG ruhen oder ein Verlust der Versorgungsbezüge nach § 163 BBG oder ein Entzug der Versorgungsbezüge nach § 165 Abs. 3 BBG eingetreten ist. Der aktive Beamte darf neben der Amtsbezeichnung nur staatlich verliehene Titel und akademische Grade führen (vgl. § 81 Abs. 2 BBG) ; außerhalb des Dienstes kann der Beamte auch sonstige Bezeichnungen führen. Zu den staatlich verliehenen Titeln gehören die Titel, die dem Beamten unter Weimarer Verfassung verliehen worden sind, wie ζ. B. der Titel „Geheimer Regierungsrat". Weiterhin kommen die auf Grund des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 1.7. 37 (RGBl. I S. 725) verliehenen Titel in Betracht. Im Bereich der Bundesrepublik kommt nunmehr das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. 7. 57 (BGBl. I S. 844) in Frage. Die Befugnis, einen im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen staatlichen Titel zu führen, erlischt unter denselben Voraussetzungen wie die Befugnis zur Führung der Amtsbezeichnung. Demnach kann die einem entlassenen Beamten erteilte Erlaubnis, die Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst (a. D.)" zu führen, zurückgenommen werden (vgl. § 81 Abs. 4 BBG). Sind staatliche Titel nicht im Zusammenhang mit dem Amt verliehen worden, so können sie auch nach Entlassung aus dem Beamtenverhältnis geführt 112 prOVG 28.1. 08 — J. Ν. I. 155 Rep. I. A. 118/07 — in PrOVG Bd. 52 S. 432 = P e r w o , S. 62. na prOVG 28. 4. 08 — J. N. D. 230 — Rep. D. S. 33/07 — in PrOVG Bd. 52 S. 436 = P e r w o , S. 64.
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werden. Sind die Titel von einem ausländischen Staatsoberhaupt, einer ausländischen Regierung oder von einer Stelle außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes verliehen worden, so darf sie der Beamte nur außerhalb des Dienstes führen, weil es sich hier um keine staatlich verliehenen Titel handelt. Handelt es sich um akademische Grade, wie ζ. B. den Doktor-Titel, so kann sie der Beamte neben seiner Amtsbezeichnung führen (vgl. Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. 6. 39 (RGBl. I S. 985) und die DVOn vom 21. 7. 39 (RGBl. I S. 1326) und vom 29. 3. 43 (RGBl. I S. 168). Die akademischen Grade können auch nach der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis geführt werden. B e r u f s b e z e i c h n u n g e n darf der Beamte n i c h t neben der A m t s b e z e i c h n u n g f ü h r e n . Gleiches gilt auch für die Bezeichnung als Inhaber eines Zeugnisses oder Mitgliedes einer Vereinigung, wie ζ. B. für die Bezeichnung „Diplomverwaltungsinhaber". Wenn eine Funktionsbezeichnung gebraucht werden sollte, wie ζ. B. „Abteilungsleiter", so ist gegen eine solche Übung innerhalb einer Behörde nichts einzuwenden, weil es sich hier nicht um eine Amtsbezeichnung handelt. Führt der Beamte eine Amtsbezeichnung oder einen Titel zu Unrecht, so macht er sich nach § 132 a Abs. 1 StGB strafbar. Hiernach wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft, wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, Titel oder Würden führt, 2. inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt oder 3. eine Berufstracht oder Berufsabzeichen für Betätigung in der Kranken- oder Wohlfahrtspflege trägt, die im Inland staatlich anerkannt oder genehmigt sind. Den in § 132 Abs. 1 StGB genannten Bezeichnungen, Titeln, Würden, Uniformen, Kleidungen, Trachten oder Abzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. Nach § 132 a Abs. 3 StGB gelten die Vorschriften der Abs. 1 und 2 auch für Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie für Berufstrachten und Berufsabzeichen der von ihnen anerkannten religiösen Vereinigungen oder religiösen Genossenschaften. Die Amtsbezeichnung wird dann berechtigt oder unberechtigt geführt, wenn der Täter sie für sich in Anspruch nimmt, wobei es gleich bleibt, ob er sie im Dienst oder privat gebraucht114. Duldet es der Beamte lediglich, daß er mit einer unrichtigen Amtsbezeichnung angeredet wird, so macht er sich nicht strafbar115. Eine „Führung" einer unrichtigen Amtsbezeichnung liegt bereits dann vor, wenn nur ein einmaliger Gebrauch gemacht wird 116 . Legt der Täter eine Uniform unberechtigt an, so macht er sich nur strafbar, wenn er sich in der Öffentlichkeit hiermit zeigt; ebenso macht er sich nicht strafbar, wenn er ζ. B. anläßlich eines Kostümfestes nicht den Eindruck erwecken kann, daß er der betreffenden Organisation angehört117. Der Täter macht sich nach § 132 a StGB nur dann strafbar, wenn er vorsätzlich handelt. Bedingter Vorsatz reicht aus. Ein Irrtum über die Befugnis zum Tragen der Uniform oder der Beilegung der Amtsbezeichnung ist entweder Tatbestands- oder Verbotsirrtum.
Ein Beamter, der unbefugt eine Amtsbezeichnung führt oder unbefugt eine Uniform, Amtskleidung oder ein Amtsabzeichen trägt, macht sich auch disziplinarisch strafbar, weil er hierdurch gegen die Wahrheitspflicht verstößt. Er macht sich auch dann disziplinarisch strafbar, wenn er sich durch die falsche Amtsbezeichnung keinen vermögensrechtlichen Vorteil verschafft, sondern wenn allein Prahlsucht das Motiv seines Handels ist 118 . Der durch die Kriegsverhältnisse bedingte Verlust zahlreicher Personalakten und die 114 116 116 117 118
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RG in DR 1939 S. 370; RG in JW 1937 S. 2900. RGSt. Bd. 33 S. 305. OLG Hamburg in DStR 1938 S. 140. RGSt. Bd. 61 S. 8. DokBer. Nr. 1820.
Führung unrichtiger Amtsbezeichnungen und Amtsanmaßung
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erzwungene Dienstaufgabe bei den Beamten, die ihre letzte Dienststelle in den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie hatten, führten zuweilen dazu, daß sich Beamte Dienststellungen und damit verbundene Amtsbezeichnungen zulegten, die ihnen überhaupt nicht zustanden. Hat der Beamte auf Grund der falschen Amtsbezeichnung die Voraussetzung für eine höhere Besoldungsgruppe geschaffen und sich hierdurch einen Betrug nach § 263 StGB zuschulden kommen lassen, so hat er in erster Linie die Verpflichtung zur Redlichkeit verletzt, so daß er schon deshalb seine Beamtenstellung verwirkt hat. Hat der Beamte hierbei die durch den Zusammenbruch entstandenen Verhältnisse, insbesondere den kriegsbedingten Verlust der Personalakten, ausgenutzt, so handelt es sich um einen ganz besonderen Vertrauensbruch. Die Tatsache, daß es sich hierbei in den meisten Fällen um typische Nachkriegsdelikte gehandelt hatte, für welche, soweit sie strafrechtlichen Charakter hatten, der Gesetzgeber deshalb eine Amnestie erlassen hat, rechtfertigt noch nicht, daß von der Höchststrafe abgesehen werden darf 119 ; denn die Masse der Beamten hat sich trotz der fehlenden Urkunden bei den Angaben in den von ihnen auszufüllenden Fragebogen korrekt verhalten. Führt der Beamte eine Amtsbezeichnung zu Unrecht, ohne daß er hierbei finanzielle Vorteile erzielt, was ζ. B. der Fall ist, wenn ein aus dem Ministerium zur Außenverwaltung versetzter Amtsrat, der an sich die Amtsbezeichnung „Oberamtmann" zu führen hat, weiterhin die Amtsbezeichnung „Amtsrat" gebraucht, so kann eine solche Verfehlung im Wege der Disziplinarverfügung durch den Dienstvorgesetzten geahndet werden. Gleiches würde auch dann gelten, wenn der Beamte sich weigert, eine Amtsbezeichnung zu führen. Anders wäre es nur dann, wenn der Beamte trotz wiederholter Aufforderung durch seinen Dienstvorgesetzten sich weigert, die neue Amtsbezeichnung zu gebrauchen; in einem solchen Falle käme nämlich erschwerend hinzu, daß der Beamte zudem gegen die Gehorsamspflicht als eine der grundlegenden Beamtenpflichten verstößt. B. Amtsanmaßung Zuweilen nimmt ein Beamter Handlungen vor, zu denen er auf Grund seiner Dienststellung nicht befugt ist. Hierbei geht es ihm weniger darum zu tun, in dem Dritten einen Irrtum über seine Befugnisse hervorzurufen. Die Verletzung der Wahrheitspflicht tritt bei diesen Verfehlungen in den Hintergrund. Er will vielmehr durch Mißbrauch seiner dienstlichen Stellung entweder seine Eitelkeit befriedigen oder sich irgendwelche Vorteile verschaffen, die ihm eine vorgespielte amtliche Befugnis einzuräumen vermag. Für denjenigen, dem gegenüber die angebliche Amtshandlung vorgenommen wird, tritt hierbei die Vorspiegelung einer unberechtigten amtlichen Befugnis in den Vordergrund, so daß es zweckmäßig erscheint, die Fälle der Amtsanmaßung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Wahrheitspflicht zu behandeln. Die Amtsanmaßung ist nach § 132 StGB unter Strafe gestellt. Hiernach wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amts befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffent119
DokBer. Nr. 1401.
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liehen Amtes vorgenommen werden darf. Durch § 132 StGB soll in erster Linie die staatliche Autorität und Organisationsgewalt gewahrt werden; weniger kommt es hierbei darauf an, den Staatsbürger vor Übergriffen ungetreuer Beamter zu schützen120. Das öffentliche Amt bezeichnet die Stellung, durch die jemand berufen ist, im unmittelbaren Dienste des Bundes oder eines Landes für die Zwecke des Staates als dessen Organ tätig zu sein121. Hierunter versteht man das Amt im statusrechtlichen Sinne; dabei wird ausschließlich die Rechtsstellung des Beamten bestimmt, wobei die besoldungsrechtliche Bewertung von besonderer Bedeutung ist. Daneben tritt das Amt im funktionellen Sinne, indem es mit den dienstlichen Aufgaben in einen engen Zusammenhang tritt; es bezeichnet den Aufgabenkreis bei einer bestimmten Behörde. Die spezielle dem Beamten übertragene Funktion bezeichnet man als konkretes Amt. während das abstrakte Amt ein der Rechtsstellung des Beamten entsprechender Aufgabenkreis bei einer bestimmten Behörde, ζ. B. den Aufgabenkreis eines Abteilungspräsidenten einer Bundesbahndirektion, darstellt. Die Amtsanmaßung stellt die Wahrnehmung eines konkreten Amtes durch eine Person dar, die weder durch eine allgemeine Organisationsanweisung noch durch einen konkreten Dienstbefehl befugt ist, das jeweilige Dienstgeschäft auszuüben. Die Tat wird in erster Linie von einem Nichtbeamten begangen. Allerdings kann auch ein Beamter beide in § 132 StGB genannten Tatbestände verwirklichen, indem er sich einmal ein Amt anmaßt, das er gar nicht inne hat oder indem er sich amtliche Befugnisse beilegt, die mit seinem Amt nicht verbunden sind122. Von einer Amtsanmaßung kann jedoch bei einem Beamten dann keine Rede sein, wenn der Beamte seine formale Legitimation als Amtsinhaber im Widerspruch zu den Interessen seiner Behörde ausübt123; das gleiche gilt auch dann, wenn der Beamte wohl generell zur Vornahme bestimmter Handlungen zuständig ist, wenn er aber im konkreten Fall von der Vornahme auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, Dienstanweisung oder auf Anweisung seines Dienstvorgesetzten oder sonstiger Vorgesetzten hiervon ausgeschlossen ist124. Wenn sich der Beamte in diesen Fällen nicht nach § 132 StGB strafbar macht, so kann er dennoch disziplinarisch wegen Schädigung der Interessen seiner Behörde oder wegen Ungehorsams herangezogen werden. Gleiches gilt auch dann, wenn der Beamte unberechtigt keine hoheitlichen Befugnisse, sondern eine rein fiskalische Tätigkeit ausubt, wenn er ζ. B. bei der Bestellung von Waren für eigenen Gebrauch beim Verkäufer vorgibt, daß er als Beschaffungsbeamter die Gegenstände für den Dienstgebrauch erwirbt; hier macht er sich eines Verstoßes nicht nur gegen die Wahrheitspflicht, sondern auch gegen die Uneigennützigkeit schuldig, so daß seine Tat nicht in einem milderen Licht gesehen werden kann. Der Täter befaßt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes, wenn er sich als Inhaber eines öffentlichen Amtes ausgibt, das er in Wirklichkeit nicht bekleidet, und er vermöge dieser Vortäuschung eine dem angemaßten oder einem anderen Amt entsprechende Handlung vornimmt125. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn ein Zugschaffner sich als Beamter der Bahnpolizei ausgibt und hierbei eine Beschlagnahme eines Gegenstandes bewirkt. Hierbei kann es gleichbleiben, ob das vorgetäuschte Amt überhaupt besteht12®. Es genügt jedoch nicht allein, daß der Täter sich Beamteneigenschaft anmaßt, ohne daß er eine Ämtshandlung ausübt 127 ; würde also der Zugschaffner in dem eben genannten Falle gegenüber einem Reisenden lediglich erklären, daß er ein Beamter der Bahnpolizei sei, ohne deren Funktionen auszuüben, so würde er sich noch nicht nach § 132 StGB strafbar machen. Ebenso würde eine Bestrafung nach § 132 StGB ausscheiden, wenn der Amtsinhaber die Amtsstellung durch eine strafbare Handlung, ζ. B. durch Anstellungsbetrug, erlangt hat; wenn auch durch die Zurücknahme die Ernennung zum Beamten ex tunc unwirksam wird, so berührt dies nur das Innenverhältnis128. 120
S. 245.
Vgl. BGHSt. Bd. 3 S. 242; RGSt. Bd. 58 S. 136; a. M. OLG Hamm in NJW 1951
RGSt. Bd. 36 S. 434. RGSt. Bd. 76 S. 62; BGHSt. Bd. 3 S. 244. 123 BGHSt. Bd. 3 S. 242; a. M. OLG Hamm in NJW 1951 S. 245. 124 RGSt. Bd. 56 S. 234, Bd. 58 S. 176. 125 Vgl. RGSt. Bd. 68 S. 78, Bd. 76 S. 25; RG in JW 1935 S. 2960. 126 Leipziger Kommentar, Anm. V 1 zu § 132 StGB. 1 2 ' RGSt. Bd. 58 S. 175; RG in HRR 1940 Nr. 327. 128 OLG Braunschweig in NdsRpf. 1950 S. 127; LG Wiesbaden in JR 1949 S. 514; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV zu § 132 StGB; a. M. OLG Freiburg in DRZ 1948 S. 66 und M a u r a c h , Lehrbuch, Besonderer Teil S. 529. 121
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Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
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Nach § 132 StGB macht sich der Beamte auch dann strafbar, wenn er sich amtliche Befugnisse beilegt, die ihm gar nicht zustehen. Dies sind in erster Linie die Fälle der sog. Amtsüberschreitung. Der Täter darf hier nicht durch seine amtliche Stellung oder eine Erlaubnis zur Vornahme der betreffenden Amtshandlung befugt sein. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn ein Sicherungsbeamter der Deutschen Bundespost gegen einen Beamten, den er bei einem Diebstahl von einem Gegenstand mit einem geringfügigen Wert ertappt hat, von sich aus mit einer Geldbuße bestrafen würde, wobei er dem Bestraften vorgibt, zu dieser Maßnahme befugt zu sein. Ubertritt der Beamte Vorschriften, die nur nach innen gelten, so macht er sich nur disziplinarisch, jedoch nicht nach § 132 StGB strafbar129. Der Täter macht sich strafbar, wenn er vorsätzlich den Amtsmißbrauch begangen hat. Er muß sich bewußt sein, daß er unbefugt ein Amt ausübt oder eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf 130 .
Ein Beamter, der seine Amtsstellung mißbraucht oder der sich Amtsbefugnisse anmaßt, die ihm auf Grund seiner dienstlichen Stellung überhaupt nicht zustehen, macht sich in jedem Falle disziplinarisch strafbar, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 132 StGB vorliegen. Hat der Beamte zugleich gegen § 132 StGB verstoßen, so liegt ein sehr ernst zu nehmendes Dienstvergehen vor, das grundsätzlich die Entfernung des Beamten aus dem Dienst rechtfertigen dürfte. Besonders schwer wiegt es, wenn der Beamte in Uniform auftritt, was vor allem bei Polizeibeamten in Frage kommt; in einem solchen Falle erscheint die Höchststrafe am Platze, wobei es gleich bleibt, ob sich der Beamte nach § 132 StGB strafbar gemacht hat. So ist ein Polizeibeamter, der anläßlich eines Rechtsstreits, in dem er als Beteiligter aufgetreten war, unter Mißbrauch seines Amtes Zeugen vernommen hatte, deren Vernehmung allein dem Richter zustand, mit der Entfernung aus dem Dienst bestraft worden 131 . In einem solchen Falle hat der Beamte das Ansehen des Staates in der Öffentlichkeit schwerstens geschädigt und den Glauben an die staatliche Autorität und Organisationsgewalt untergraben, für deren Aufrechterhaltung er in einem besonderen Maße sorgen muß. In den sonstigen Fällen, in denen der Beamte nicht zugleich gegen eine strafrechtliche Norm verstoßen hat, wird es bei der Höhe des Strafmaßes auf die Folgen der Tat und die Untergrabung des Ansehens des Staates ankommen. IV. URKUNDENFÄLSCHUNG UND URKUNDENUNTERDRÜCKUNG A. Strafrechtliche Tatbestände132 Der Beamte kann sich durch Täuschung des Rechtsverkehrs strafbar machen, wenn er sich der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), der mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) der schweren mittelbaren Falschbeurkundung (§ 272 StGB), des Gebrauchmachens einer falschen Beurkundung (§ 273 StGB), der Urkundenvernichtung (§ 274 Nr. 1 StGB), der Grenzverrückung (§ 274 Nr. 2 StGB), der Wertzeichenfälschung (§ 275 StGB), der Wiederverwendung von Wertzeichen ( § 276 StGB), der Fälschung von Gesundheitszeugnissen ( § 277 StGB), des Gebrauchmachens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 279 StGB), desMißbrauchs von Ausweispapieren (§ 281 StGB) und der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) RGSt. Bd. 58 S. 175; BGHSt. Bd. 3 S. 244; BGH in MDR 1953 S. 19. Vgl. RGSt. Bd. 59 S. 297. 181 Vgl. DokBer. Nr. 1490. 132 K o h l r a u s c h , Urkunden verbrechen in Handwörterbuch der Rechtswissenschaften Bd. VI S. 334; B r o d m a n n , Uber den Begriff der Urkunde in Der Gerichtssaal, Bd. 47 S. 401; M e r k e l , Die Urkunde im deutschen Strafrecht, 1902; S c h ö n k e , Die Umgestaltung der Urkundsdelikte in DStR 1943 S. 137. 129
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schuldig macht. Nachfolgend sollen trotz der Häufigkeit und Mannigfaltigkeit der Täuschungen im Rechtsverkehr nur das Grunddelikt der Urkundenfälschung und die häufig in Erscheinung tretenden Delikte der mittelbaren Falschbeurkundung, der UrkundenVernichtung, des Gebrauchmachens unrichtiger Gesundheitszeugnisse und der Falschbeurkundung im Amt dargestellt werden, soweit sie mit Rücksicht auf die Erkenntnis des disziplinaren Überhanges von Bedeutung sind.
1. U r k u n d e n f ä l s c h u n g Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird wegen Urkundenfälschung mit Gefängnis bestraft (§ 267 Abs. 1 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 267 Abs. 2 StGB). In schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus (§ 267 Abs. 3 StGB).
a) B e g r i f f d e r U r k u n d e Eine Urkunde ist die verkörperte, ihrem Inhalt nach für das Rechtsleben bestimmte Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, Beweis zu erbringen133. Zunächst einmal muß sie die Erklärung eines menschlichen Gedankens enthalten, wodurch sie sich von den Augenscheinsobjekten unterscheidet131. Der Gedankeninhalt muß für die Beteiligten allgemein verständlich sein, wobei Gesetz, Verkehrssitte und Vereinbarungen der Beteiligten herangezogen werden können136. Bloße Kenn- und Unterscheidungszeichen, wie ζ. B. Biermarken, Bierdeckel oder Garderobennummern, stellen keine Urkunden im Sinne des § 267 StGB dar136. Jedoch braucht die Erklärung nicht in Schriftzeichen verkörpert zu sein 137 ; so stellen auch Plombenverschlusse138 und Siegelabdrücke139 Urkunden dar. Wertzeichen, wie Post-, Beitrags- und Steuermarken, sind dagegen keine Urkunden, da sie nur Zahlungsmittel darstellen, ohne Beweiskraft zu besitzen140. Die Urkunde muß geeignet und bestimmt sein, i m Rechtsverkehr eine außerhalb ihrer selbst liegende Tatsache zu beweisen 141 . Hierfür kommt Gesetz, Herkommen oder eine Vereinbarung der Beteiligten in Frage. Die Urkunde kann zum Beweis von vornherein dienen; der Beweiswert kann jedoch auch erst später eintreten; im ersten Falle spricht man von einer Absichts-, im letzteren Falle von einer Zufallsurkunde. Die Tatsachen, die durch eine Urkunde bewiesen werden sollen, müssen rechtserheblich sein; es genügt die Eigenschaft, auf die Bildung einer Uberzeugung überhaupt mitbestimmend einzuwirken142. Zu den Urkunden rechnen die sog. Beweiszeichen, wie ζ. B. Typenschilder, Motor- und Fahrgestellnummern bei Kraftfahrzeugen143, Künstlerzeichen auf einem Gemälde, nicht jedoch Autogramme, da letztere nichts außerhalb ihrer selbst Liegendes beweisen sollen. Bloße Entwürfe stellen noch keine Urkunden dar, da der Aussteller die in ihr aufzunehmenden Erklärungen erst abgeben will; dagegen ist die Unterschrift unter ein Schriftstück noch nicht erforderlich, um demselben Urkundscharakter zu verleihen. Dagegen stellt die bloße Abschrift keine Urkunde dar, da sie die Erklärung nicht selbst enthält 144 ; dagegen stellt eine Durchschrift wiederum eine Urkunde dar, sofern sie das Original vertreten soll 145 . Gibt der Täter jedoch ein Schriftstück als eine Abschrift aus, ohne daß dies der Fall ist, so liegt noch keine Urkundenfälschung vor146, es sei denn, daß die Abschrift als Original ausgegeben wird. Gibt der Aussteller die Abschrift RGSt. Bd. 62 S. 205, Bd. 64 S. 49, Bd. 77 S. 277; RG in JW 1939 S. 624. RGSt. Bd. 17 S. 106, Bd. 53 S. 141. RGSt. Bd. 64 S. 49; RG in JW 1939 S. 624; J a g u s c h , LK Anm. 3 zu § 267; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 1 b zu § 267 StGB. 138 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. III 1 c zu § 267 StGB; vgl. auch BGH in MDR 1958 S. 140; RGSt. Bd. 39 S. 147. 137 F r a n k , Anm. III 3 zu §267 StGB; J a g u s c h , LKAnm.3zu §267 StGB; S c h ö n k e S c h r ö d e r , Anm. III 1 d zu § 267 StGB. 138 RGSt. Bd. 34 S. 435. 139 RGSt. Bd. 41 S. 316. 140 RGSt. Bd. 62 S. 205; RG in GA Bd. 77 S. 200. 141 RGSt. Bd. 67 S. 91, 233 und 433, Bd. 68 S. 97 und 243; RG in HRR 1939 Nr. 398. 142 RGSt. Bd. 34 S. 54. 143 RGSt. Bd. 58 S. 17, Bd. 68 S. 95; RG in HRR 1940 Nr. 191; BGHSt. Bd. 9 S.237. 144 RGSt. Bd. 24 S. 281; BGHSt. Bd. 1 S. 17. 145 RG in JW 1937 S. 2902. 148 RGSt. Bd. 26 S. 271. 133 134
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an Stelle des Originals in den Verkehr, so hat die Abschrift in diesem Falle Urkundencharakter147. Eine Fotokopie stellt im allgemeinen noch keine Urkunde dar148. Ist die Abschrift oder Fotokopie beglaubigt, oder wird die Unterschrift des Yertragsgegners unter die Abschrift gesetzt, so handelt es sich wiederum um eine Urkunde 149 . Eine Gesamturkunde enthält die Zusammenfassung mehrerer Schriftstücke zu einem sinnvollen und geordneten Ganzen, wie ζ. B. die Sparkassenbücher150, die Handelsbücher des Kaufmanns151 oder das Posteinlieferungsbuch152. Die Schriftstücke müssen rein äußerlich ein Ganzes darstellen, was dann nicht der Fall ist, wenn mehrere Schriftstücke in einen Umschlag hineingesteckt werden. Ebenso stellen Postanweisungen153, Handakten des Rechtsanwalts154 oder Lohnkarten155 keine Gesamturkunden dar. Man unterscheidet bei Urkunden zwischen öffentlichen und Privaturkunden. Eine öffentliche Urkunde muß durch eine öffentliche Behörde innerhalb ihrer Amtsbefugnisse zum öffentlichen Glauben für und gegen jedermann aufgenommen sein. Privatrechtliche Erklärungen einer Behörde stellen keine öffentliche Urkunde dar. Der Kraftfahrzeugbrief stellt keine öffentliche Urkunde dar, weil er als verwaltungsmäßige Urkunde keinen öffentlichen Glauben für oder gegen jedermann begründet; dagegen stellt der Kraftfahrzeugschein eine öffentliche Urkunde dar158. Ebenso handelt es sich um öffentliche Urkunden bei Fahrscheinen der Deutschen Bundesbahn157, Gepäckscheinen158, Sparkassenbücher der öffentlichen Sparkassen159 und bei der polizeilichen Beglaubigung einer Unterschrift160. Die öffentliche Urkunde muß in der vorgeschriebenen Form ausgestellt sein161. Die Unterschrift kann auch mechanisch hergestellt sein 162 ; ebenso braucht ein Stempel nicht beigefügt zu sein163. Bei Posteinlieferungsbüchern muß der Postbeamte unterschreiben164. Wird eine Privaturkunde öffentlich beglaubigt, so erlangt nur der Beglaubigungsvermerk den Charakter einer öffentlichen Urkunde 165 . Öffentliche Urkunden sind fernerhin das Kennzeichen eines Kraftfahrzeuges166; Urteile und Sitzungsprotokolle167, Frachtbriefe, Postzahlkartenabschnitte mit dem Tagesstempel des Postamtes168, Unterschrift des Postbeamten bei Posteinlieferungsbüchern169, für den Postscheckkunden bestimmte Zahlungsabschnitte170, eine ausgefüllte und gestempelte Postanweisung, soweit ihr öffentlicher Glaube reicht171, die Steuerkarte172, der Steuerbescheid173, Reisepässe174, Personalausweise175 und die auf eine Telegrammausfertigung gesetzten amt147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 176
RGSt. Bd. 59 S. 16. RGSt. Bd. 69 S. 231. RG in JW 1934 S. 1238; RGSt. Bd. 40 S. 179. RG in JW 1927 S. 1376. RGSt. Bd. 69 S. 398. RGSt. Bd. 63 S. 259. BGHSt. Bd. 4 S. 60. BGH in JR 1954 S. 308. RGSt. Bd. 52 S. 66 BayObstLG in NJW 1958 S. 1983; BGH in VRS Bd. 5 S. 135. RGSt. Bd. 59 S. 384; Bd. 60 S. 139. RGSt. Bd. 37 S. 318. RGSt. Bd. 71 S. 102, Bd. 61 S. 126. RGSt. Bd. 71 S. 193. RGSt. Bd. 46 S. 290, Bd. 24 S. 281. RGSt. Bd. 57 S. 69. RGSt. Bd. 61 S. 161. RGSt. Bd. 30 S. 369. RGSt. Bd. 46 S. 286. BGHSt. Bd. 11 S. 167. RGSt. Bd. 59 S. 18. RGSt. Bd. 67 S. 90. RGSt. Bd. 30 S. 369. RGSt. Bd. 67 S. 90. RG in HRR 1940 Nr. 711. RGSt. Bd. 60 S. 162; RG in JW 1938 S. 275; OLG Kiel in SchlHA 1947 S. 15. RGSt. Bd. 72 S. 378. RGSt. Bd. 60 S. 105. OLG Freiburg in NJW 1955 S. 839.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
liehen Vermerke 176 . D i e n t die U r k u n d e nur dem i n n e r e n D i e n s t b e t r i e b , so h a n delt es sich um k e i n e ö f f e n t l i c h e U r k u n d e , wie ζ. B. beim Zustellvermerk des Zustellers auf Paketkarten177 oder auf Post- und Zahlungsanweisungen178, Aufgabe- und Ankunftstempel auf Postsendungen 179 , bei Expreßstammkarten der Bundesbahn 180 und Monatsabrechnungen öffentlicher Kassen über die Gehaltsbezüge der Gehaltsempfänger181. Die nichtöffentlichen amtlichen Urkunden werden zuweilen als schlichte amtliche Urkunden bezeichnet 182 . Zu den öffentlichen Urkunden rechnen die Bücher und Register, die öffentlichen Glauben haben und Beweis fur und gegen jedermann begründen, wie ζ. B. die Annahmebücher der Postanstalten über Wertsendungen183 und der erste Teil der Familien-Geburts- und Sterbebücher (vgl. §§ 1, 60 Personenstandsgesetz).
b) G e g e n s t a n d der U r k u n d e n f ä l s c h u n g Gegenstand der Urkundenfälschung im Sinne des § 267 StGB können Privaturkunden und öffentliche Urkunden sein. Ebenso kommen neben den inländischen auch ausländische Urkunden in Frage. Zu den Urkunden rechnen u. a. Absendervermerke auf Briefen 184 oder Zahlkartenabschnitten185 oder Paketanschriften186, Briefumschläge mit Aufschrift und Stempel 187 , Kontoauszüge des Postscheckamts 188 , der Nachsendeantrag bei der Post 189 , der polizeiliche Meldeschein 190 , die Strafanzeige191, der Fahrschein der Straßenbahn192 nebst den unter a) als Urkunden aufgeführten Schriftzeichen. Zu den Urkunden im Sinne des § 267 StGB rechnen dagegen nicht die losgeloste Briefmarke 193 , der Vermerk des Ausstellers eines Postschecks auf dem Lastschriftzettel194, Autogramme 195 und Wahlzettel196.
c) H a n d l u n g e n aa) Fälschungshandlung Nach § 267 StGB ist es zunächst einmal strafbar, wenn eine unechte Urkunde hergestellt oder eine echte Urkunde verfälscht wird. Wird in einer echten Urkunde eine unwahre Angabe gemacht, so stellt sich dies lediglich als Lüge dar, die nicht nach § 267 StGB, sondern bei öffentlichen Urkunden nur unter den Voraussetzungen der § § 271 und 348 StGB strafbar ist. Bei der Verfälschung einer Urkunde kommt es auf die Wahrheit des Inhalts nicht an 197 . Entscheidend ist vielmehr allein die Echtheit der Urkunde, d. h. sie muß von demjenigen herrühren, der sich in ihr als Aussteller bezeichnet hat. Hat ein anderer die Urkunde ausgestellt, so ist erforderlich, daß er von der Person, die befugt ist, die Unterschrift zu leisten, hierzu ermächtigt ist 198 . In manchen Fällen ist es gesetzlich unzulässig, daß ein anderer die Urkunde herstellt, wie z. B. beim Testament 199 oder der eidesstattlichen Versicherung 200 . RGSt. Bd. 46 S. 286. RGSt. Bd. 53 S. 224. 1 7 8 RGSt. Bd. 67 S. 256. 1 7 9 RGSt. Bd. 30 S. 381. 1 8 0 R G in HRR 1936 Nr. 311. 1 8 1 R G in D J 1937 S. 200. isa V g I . RGSt. Bd. 49 S. 33. 1 8 3 RGSt. Bd. 21 S. 311, Bd. 67 S. 271. 1 8 4 R G in GA Bd. 51 S.185. 1 8 5 R G in D J 1935 S. 1193. 1 8 6 RGSt. Bd. 55 S. 269. 1 8 7 RGSt. Bd. 50 S. 214. 1 8 8 R G in D J 1938 S. 78. 1 M R G in LZ 1920 Sp.773. 1 9 0 R G in J W 1939 S. 275; RGSt. Bd. 74 S. 292. W 1 RGSt. Bd. 53 S. 268. ] 9 S BayObLG in J W 1928 S. 2328. 1 9 8 RGSt. Bd. 58 S. 136. ' M RGSt. Bd. 67 S. 433. 1 9 5 RGSt. Bd. 76 S. 30. 1 9 6 B G H in N J W 1959 S. 158; a. M. RGSt. Bd. 22 S. 184 und O L G Stuttgart in Ν TW 1154 S. 486. 1 9 7 BGHSt. Bd. 9 S. 44. 1 9 8 RGSt. Bd. 29 S. 359. 1 8 9 RGSt. Bd. 57 S. 235. 2 0 0 RHSt. Bd. 69 S. 119. 176
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Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
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Die Verfälschung erfordert die Veränderung der gedanklichen Erklärung der Urkunde in eine andere201. Wird die gedankliche Erklärung nicht geändert, so liegt keine Urkundenfälschung vor 202 . Auch der Aussteller einer Urkunde selbst kann diese verfälschen, sobald sie von ihm dem Rechtsverkehr zugänglich gemacht worden war 203 . Dies gilt ζ. B. bei einem Kaufmann für Bücher, die amtlich geprüft und mit einem entsprechenden Vermerk versehen sind204. Die Urkunde ist auch dann verfälscht, wenn durch spàtere Änderungen der Eindruck hervorgerufen werden soll, die Urkunde sei mit Wissen und Willen des Ausstellers zu einem Zeitpunkt geändert worden, als sie seiner Verfügungs- und Änderungsgewalt noch nicht entzogen war 205 . Eine echte Urkunde kann mit dem Schein ausgestellt werden, als sei sie von einer anderen Person ausgestellt. Hier will der Aussteller nur über die Person des Herstellers der Urkunde täuschen206. Der angebliche Aussteller der Urkunde braucht gar nicht zu existieren207. Ebenso kommt es nicht auf die Unterschrift an, wenn aus dem Inhalt ersichtlich ist, von wem sie herrührt 208 . Das Gleiche gilt, wenn die Unterschrift unleserlich ist. Nicht fallt aber unter § 267 StGB das anonyme Schreiben. Um eine Blankettfälschung handelt es sich, wenn der Täter ein mit der Unterschrift eines anderen versehenes Papier gegen dessen Willen ausfüllt. Der Täter muß von der gefälschten Urkunde Gebrauch machen wollen, falls eine Bestrafung nach § 267 StGB erfolgen soll. Falls er nur eine Abschrift von der gefälschten Urkunde verschicken will, kommt § 267 StGB nicht zur Anwendung 209 . bb) Gebrauchmachen einer gefälschten Urkunde Das Gebrauchmachen einer gefälschten Urkunde ist dem Verfälschen einer echten oder dem Herstellen einer unechten Urkunde gleichgestellt. Wer die Urkunde gefälscht oder die unechte Urkunde hergestellt hat, ist gleichgültig. Sobald die Urkunde der zu täuschenden Person zugänglich gemacht ist und diese die Möglichkeit der Kenntnisnahme erlangt hat, ist die Urkunde gebraucht. Es genügt, daß die Urkunde nur bereitgelegt ist, falls der Zugriff auf sie ohne weiteres offensteht210. Von der Urkunde wird auch dann Gebrauch gemacht, wenn sie nicht freiwillig, sondern in Erfüllung einer Rechtspflicht weitergegeben wird 211 . Die Urkunde muß demjenigen gegenüber gebraucht werden, der durch die Täuschung zu einem rechtserheblichen Verhalten bestimmt werden soll212. Das von vornherein beabsichtigte Gebrauchmachen von einer falschen Urkunde ist strafrechtlich nicht straflose Nachtat zum Fälschen der Urkunde; vielmehr liegt ein einheitliches Delikt vor, das erst durch das Gebrauchmachen beendet wird. Beruht das Gebrauchmachen auf einem neuen und anderen Entschluß, so kann strafrechtlich Realkonkurrenz vorliegen213. Für die Vollendung des Delikts ist nicht erforderlich, daß die geplante Täuschung auch erreicht wird 214 . Die Urkundenfälschung kann nur vorsätzlich begangen werden. Bedingter Vorsatz genügt 216 . Der Täter muß die äußeren Tatbestandsmerkmale kennen. Hält er trotz Kenntnis aller Merkmale einen Irrtum nicht für gegeben, so liegt ein Verbotsirrtum vor216. Der Täter muß zudem wissen, daß er verfälscht, fälschlich anfertigt oder von einer gefälschten Urkunde Gebrauch macht. Außerdem muß der Täter die Absicht haben, zum Zwecke der Täuschung eine Falschurkunde herzustellen oder von der Urkunde Gebrauch zu machen; der Erfolg der Täuschung muß gewollt sein. Der Täter muß zur Täuschung im Rechtsverkehr handeln217. RGSt. Bd. 62 S. 12. RGSt. Bd. 62 S. 12; Bd. 56 S. 120. »o® RGSt. Bd. 64 S. 397. e " 4 RGSt. Bd. 37 S. 193. BGH 5.12. 6 1 — 1 StR 373/61 — in GA 1963 S. 16 BGHSt. Bd. 1 S. 121; RGSt. Bd. 23 S. 249; RG in JW 1936 S. 659. 507 RGSt. Bd. 46 S. 298. «"o RGSt. Bd. 4 S. 4. 200 BGHSt. Bd. 2 S. 52. 210 RGSt. Bd. 66 S. 313; RG in HRR 1939 Nr. 1492. 211 RGSt. Bd. 70 S. 16. 212 RGSt. Bd. 59 S. 395. 218 DiszSenat OVG Münster 16. 6. 61 — V 4/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 651; BGH in GA Bd. 55 S. 245; BGHSt. Bd. 5 S. 291 = NJW 1954 S. 608 = LM Nr. 16 zu § 167 StGB. 214 RGSt. Bd. 2 S. 42, Bd. 59 S. 395. 216 RG in GA Bd. 42 S. 42; RGSt. Bd. 64 S. 95. 21« RG in GA Bd. 65 S. 366. 217 RGSt. Bd. 64 S. 96. 101 202
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
Will der Täter den Getäuschten zu einem anderen als einem rechtserheblichen Verhalten veranlassen, so liegt eine Urkundenfälschung im Sinne des § 267 StGB nicht vor. Durch die Einwilligung des Namensträgers wird die Rechtswidrigkeit nicht ausgeschlossen; geschütztes Rechtsgut ist nämlich die Reinheit und Unversehrtheit des Rechtsverkehrs, über die der Einzelne nicht verfügen kann. Ebenso wird die Rechtswidrigkeit nicht ausgeschlossen, wenn dem Täter das Recht zusteht, das er durch den Gebrauch der Urkunde verfolgt.
d) M i t t e l b a r e F a l s c h b e u r k u n d u n g Wer vorsätzlich bewirkt, daß Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, welche für Rechte und Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, in öffentlichen Urkunden, Büchern oder Registern als gegeben oder geschehen beurkundet werden, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen sind, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft (§271 StGB). Wird die vorbezeichnete Tat in der Absicht begangen, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, neben welchem auf Geldstrafe erkannt werden kann ( § 272 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein, neben welcher auf Geldstrafe erkannt werden kann (§ 272 Abs. 2 StGB). Wer wissentlich von einer falschen Beurkundung der in § 271 StGB bezeichneten Art zum Zwecke der Täuschung Gebrauch macht, wird nach Vorschrift jenes Paragraphen und wenn die Absicht dahin gerichtet war, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen, nach Vorschrift des § 272 StGB bestraft (§ 273 StGB). Nach § 271 StGB handelt es sich im Gegensatz zu § 267 StGB um die Herstellung einer echten Urkunde, die lediglich sachlich unrichtig ist. Es werden zudem im Gegensatz zu § 267 StGB nur öffentliche Urkunden erfaßt. Die Handlung besteht in einer Eintragung unrichtigen Inhalts. Handelt neben dem Täter auch der Beamte vorsätzlich, so macht er sich nach § 348 StGB strafbar (siehe 5 S. 553), während der Täter als Anstifter oder Gehilfe strafbar ist, so daß dann § 271 StGB nicht zur Anwendung kommt. Eine Bestrafung nach § 271 StGB setzt ein Bewirken einer inhaltlich unrichtigen Beurkundung bestimmter Art in einer öffentlichen Urkunde, Büchern oder Registern, die für Rechte oder Rechtsverhältnisse erheblich sind, voraus. Die öffentlichen Urkunden, Bücher oder Register müssen bestimmt sein, hinsichtlich der Erklärung, Verhandlung oder Tatsache Beweis für und gegen jedermann zu erbringen218. Zudem ist erforderlich, daß die Wahrheit der Erklärung, Verhandlung oder Tatsache beurkundet wird ; wenn nur bezeugt werden soll, daß jemand eine Erklärung abgegeben hat, so kommt § 271 StGB nicht zur Anwendung. Die Beurkundung muß materiell unrichtig sein. „Bewirken" im Sinne des § 271 StGB bedeutet jede Verursachung der unwahren Beurkundung. Dies kann vor allem durch eine Täuschung des Beamten geschehen, was auch schriftlich oder durch eine Mittelsperson erfolgen kann219. Zur Bestrafung nach §§ 271 f. StGB ist Vorsatz erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muß sich bewußt sein, daß seine Handlung eine falsche Beurkundung nach sich zieht und daß die Tatsache, deren unrichtige Beurkundung er bewirkt hat, für irgendwelche Rechte oder Rechtsverhältnisse erheblich ist 220 . Vollendet ist die Tat mit dem Abschluß der Beurkundung durch den Beurkundenden, wobei das Gebrauchmachen von der Urkunde zur Vollendung nicht erforderlich ist221.
3. U r k u n d e n v e r n i c h t u n g Mit Gefängnis, neben welchem auf Geldstrafe erkannt werden kann, wird nach § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft, wer eine Urkunde, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt. Der Versuch ist strafbar (§ 274 Abs. 2 StGB). Der Urkundsbegriff geht hier über den des § 271 StGB insoweit hinaus, als auch solche Urkunden erfaßt werden, die nicht zum Beweise von Rechten und Rechtsverhältnissen erheb218 219 220 221
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RGSt. RGSt. RGSt. RGSt.
Bd. 59 Bd. 13 Bd. 66 Bd. 58
S. 19; Bd. 66 S. 408; BGHSt. Bd. 6 S. 380. S. 370, Bd. 55 S. 282. S. 358. S. 34.
Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
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lieh sind222. Entwürfe und bloße Kennzeichen fallen nicht unter § 274 StGB. Die Urkunde darf dem Täter überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehören. Hierdurch werden auch solche Urkunden erfaßt, die dem Tater wohl gehören, über die er jedoch nicht allein verfügen kann, was ζ. B. dann der Fall ist, wenn er herausgabe- oder vorlegungspflichtig ist 223 ; es kommt also nicht ausschließlich auf die Eigentumsverhältnisse an. Über Pässe oder Personalausweise hat der Inhaber ein ausschließliches Verfügungsrecht224. Die Tat besteht in dem Wegnehmen, Vernichten, Unkenntlichmachen, Beschädigen oder Unterdrücken. Es genügt schon das Unleserlichmachen einer Unterschrift226. Beschädigt ist die Urkunde, wenn sie so verändert wird, daß sie in ihrem Wert als Beweismittel beeinträchtigt wird, selbst wenn die Beschädigung wieder rückgängig gemacht werden kann226. Das Loslösen einer Kosten- oder Briefmarke beschädigt noch nicht die Urkunde, auf die sie geklebt war 227 . Unterdrückt ist eine Urkunde, wenn sie der Benutzung eines anderen entzogen ist, wobei auch eine vorübergehende Entziehung ausreicht228. Schon das Vorenthalten eines Briefes stellt eine Unterdrückung dar229. Zum Vorsatz gehört die Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen, d. h. es muß das Bewußtsein vorhanden sein, daß der Nachteil sich aus der Tat ergibt 230 . D er Nachteil braucht nicht vermögensrechtlicher Art zu sein231. Ebenso setzt § 274 StGB nicht voraus, daß der Nachteil eingetreten ist.
4. G e b r a u c h v o n u n r i c h t i g e n G e s u n d h e i t s z e u g n i s s e n Wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnis der in den §§ 277 u n d 278 StGB bezeichneten Ait Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft (§ 279 StGB). Hier reicht es aus, daß das Zeugnis objektiv unrichtig ist; es ist nicht nötig, daß es wider besseres Wissen ausgestellt ist232. Der Täter muß jedoch wissen, daß das Ζ eugnis unrichtig ist, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Nicht ist erforderlich, daß das Zeugnis von vornherein zur Vorlage bei einer Behörde ausgestellt ist 233 .
5. F a l s c h b e u r k u n d u n g im A m t Ein Beamter, welcher zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit vorsätzlich eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet oder in öffentliche Register oder Bücher falsch einträgt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft (§ 348 Abs. 1 StGB). Dieselbe Strafe trifft einen Beamten, welcher eine ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Urkunde vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft, beschädigt oder verfälscht (§ 348 Abs. 2 StGB). Der Versuch ist strafbar (§ 348 Abs. 3 StGB). In schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus (§ 348 Abs. 4 StGB). Hat der Beamte in Beziehung auf eine Unterschlagung die zur Eintragung oder Kontrolle der Einnahmen oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt, oder unrichtige Abschlüsse oder Auszüge aus diesen Rechnungen, Registern oder Büchern, oder unrichtige Belege zu denselben vorgelegt, oder ist in Beziehung auf eine Unterschlagung auf Fässern, Beuteln oder Paketen der Geldinhalt fälschlich bezeichnet, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen (vgl. § 351 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter sechs Monaten ein (§ 351 Abs. 2 StGB). RGSt. Bd. 9 S. 141. RGSt. Bd. 38 S. 37; J a g u s c h , L K Anm. 2 b zu § 274 StGB; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II 1 b zu § 274 StGB. 224 O L G Köln in JMB1NRW 1958 S. 114. 2 2 5 RGSt. Bd. 34 S. 114. 228 RGSt. Bd. 10 S. 43. 227 RGSt. Bd. 59 S. 322. 228 RGSt. Bd. 57 S. 312. 2 2 9 RGSt. Bd. 10 S. 391, Bd. 49 S. 144. 230 RGSt. Bd. 50 S. 55; B G H in NJW 1953 S. 1924. 2 3 1 RGSt. Bd. 55 S. 75; vgl. auch RGSt. Bd. 50 S. 213. 232 RGSt. Bd. 32 S. 296; BGHSt. Bd. 5 S. 84; O L G Bremen in GA 1955 S. 278. 233 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. I zu § 279 StGB; J a g u s c h , L K Anm. 2 zu § 279 StGB; vgl. auch O L G Bremen in GA 1955 S. 278. 222 223
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
§ 348 Abs. 1 StGB behandelt die Falschbeurkundung im Amt. Die Tat kann nur ein Beamter im strafrechtlichen Sinne (vgl. § 359 StGB) ausführen. In den Fállen des § 348 Abs. 1 StGB muß er sachlich und örtlich befugt sein, Erklärungen oder Tatsachen mit voller Beweiskraft zu beurkunden; hierzu rechnen z. B. Richter, Urkundsbeamte der Geschäftsstelle eines Gerichts, Standesbeamte, Notare, Gerichtsvollzieher und Postzusteller. Nichtbeamte können lediglich als Anstifter oder Gehilfen bestraft werden; ansonsten kommt bei ihnen § 271 StGB zur Anwendung. Nach § 348 Abs. 1 StGB muß der Beamte innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkunden oder in öffentliche Bücher oder Register falsch eintragen, wobei ein Gebrauchmachen der Urkunde nicht erforderlich ist234. Feststellungen für den inneren Dienstbetrieb fallen nicht hierunter235. Als öffentliche Urkunden sind anzusehen Posteinlieferungsscheine236, Zahlkartenabschnitte nach der Stempelung 23 ' und die Gebührenberechnungen für Zeugen und Sachverstandige durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle238, nicht jedoch Zustell vermerke des Postzustellers239, Vermerke von Aufgabennummern auf Posteinlieferungsscheinen240, die Ermittlungsberichte der Sicherungsbeamten der Deutschen Bundespost oder der Polizei an die Staatsanwaltschaft142. Der Ablieferungsschein (Rückschein) wird erst mit der Unterzeichnung durch den Empfänger zu einer Urkunde, die dann geeignet ist, die Tatsache der Ablieferung der Sendung an den Empfänger zu beweisen242. Die öffentlichen Bücher oder Register stehen den Urkunden gleich; sie müssen nur öffentlichen Glauben haben und Beweis für und gegen jedermann begründen können. Hierzu rechnen das Briefzuschreibebuch, das für Einschreib- und sonstige Wertsendungen bei der Deutschen Bundespost geführt wird 243 , Quittungsbücher der Invalidenversicherung244; nicht jedoch Eisenbahnversandbücher246, Zustellbücher der Deutschen Bundespost246 und Dienstregister der Gerichtsvollzieher, weil sie nur für den inneren Dienstbetrieb bestimmt sind. Eine Tatsache ist im Sinne des § 348 Abs. 1 StGB dann falsch beurkundet, wenn sie überhaupt nicht oder in anderer Weise geschehen ist247. Die beurkundete Tatsache muß jedoch rechtlich erheblich sein. Außerdem muß sie beweiserheblich sein248. Die Tat ist mit der Beurkundung oder Eintragung beendet. Es ist nicht erforderlich, daß die Urkunde der Benutzung im Rechtsverkehr zugänglich gemacht ist249 ; jedoch muß der Täter die Urkunde weitergegeben haben250. Für eine Bestrafung nach § 348 Abs. 1 ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muß Kenntnis von den Tatsachen haben, aus denen sich ergibt, daß die von ihm angefertigte Urkunde eine öffentliche261, der Inhalt unrichtig 252 und daß die beurkundete Tatsache rechtserheblich ist. § 348 Abs. 2 StGB behandelt die Urkundenverfälschung und Urkundenunterdrückung. Als Täter kommt bei § 348 Abs. 2 StGB jeder Beamte in Frage. Er braucht also mit der Urkunde keine amtliche Befassung gehabt zu haben253. Gegenstand der Verfälschung oder Unterdrückung kann jede Urkunde—also auch eine Privaturkunde — sein, sofern sie nur für den Dienstbetrieb bestimmt ist264. Die in der RG in HRR 1940 Nr. 334. RGSt. Bd. 71 S. 46. 238 RG in HRR 1940 Nr. 334. 237 RGSt. Bd. 67 S. 91 und 247. 238 RGSt. Bd. 71 S. 144. 239 RGSt. Bd. 67 S. 256. 240 RG in JW 1933 S. 1594. 241 OLG Stuttgart in NJW 1956 S. 1082. 242 OLG Bremen 14. 2. 62 — Ss 123/61 — in NJW 1962 S. 1455. 243 RGSt. Bd. 21 S. 311, Bd. 67 S. 271; OLG Bremen in NJW 1962 S. 1455. 244 RG in HRR 1939 Nr. 536. 246 BGHSt. Bd. 7 S. 94. 248 RGSt. Bd. 68 S. 201. 247 Vgl. RGSt. Bd. 64 S. 249, Bd. 71 S. 226; RG in HRR 1940 Nr. 263; RG in JW 1938 S.1861. 248 BGH in NJW 1958 S. 1932. 249 RGSt. Bd. 9 S. 214. 260 BGH in NJW 1952 S. 1064. 261 RGSt. Bd. 64 S. 334. 262 RGSt. Bd. 13 S. 123. 253 RG in DR 1940 S. 75. 264 RG in JW 1927 S. 1155· 234
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Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
§51
Urkunde bekundete Tatsache braucht ebenso nicht rechtserheblich zu sein265; sie muß vielmehr nur beweiserheblich sein. Als Urkunden im Sinne des § 348 Abs. 2 StGB kommen in Betracht Paketkarten256, Paketumhullungen267, Päckchenumhüllungen268, Plombenverschliisse an Briefbeuteln269, abgestempelte Briefumschläge260, Fangbriefe der Deutschen Bundespost261, Anschriften von Expreßgutkarten262, Bestimmungszettel der Güterwagen263, Eisenbahnfahrkarten264, entwertete Kostenmarken in Prozeßakten265 und Eintragungen im Grundbuch266. Da der Quittungsvermerk des Empfängers einer Postanweisung eine von ihm ausgefertigte Urkunde ist, verstößt der Beamte, der mit dem Namen des Empfängers unterschreibt, nicht gegen § 348 Abs. 2 StGB, sondern gegen § 267 StGB267, öffentliche Bucher und Register fallen unter § 348 Abs. 2 StGB, auch wenn sie keinen öffentlichen Glauben haben, wie ζ. B. das Strafprozeßregister268 oder die Meldekartei des Einwohnermeldeamtes269. Die Urkunde muß dem Beamten amtlich anvertraut oder zugänglich sein, d. h. die auf amtliche Anordnung beruhende Herstellung der Verfügungsmacht über sie muß ihren Grund in dem Beamtenverhaltnis haben, das den Beamten verpflichtet, für die Erhaltung des Bestandes, der Gebrauchsfähigkeit und der Richtigkeit der Urkunde zu sorgen 270 . Die Urkunde ist dem Beamten amtlich zugänglich, wenn er vermöge seiner amtlichen Eigenschaft die tatsächliche Möglichkeit hat, zu der Urkunde zu gelangen 271 . Die Urkunde ist nicht amtlich zugänglich, wenn sie sich in einem Räume befindet, den der Beamte entgegen den Dienstvorschriften betreten hat272. Die Handlung besteht nach § 348 Abs. 2 StGB in dem Vernichten, Beschädigen oder Verfälschen der Urkunde. So stellt das Ablösen gestempelter Briefmarken272" oder das Durchschneiden und Beseitigen von Bindfäden nebst Plomben an einem Postbeutel273 ein Vernichten der Urkunde dar. Die Urkunde ist beiseitegeschafft, wenn sie von ihrem bestimmungsgemäßen Aufbewahrungsort unberechtigt selbst nur vorübergehend entfernt und somit der Verfügung des Berechtigten entzogen wird 274 . Ein bloßes Verheimlichen ohne Entfernung vom üblichen Aufbewahrungsort reicht jedoch nicht aus 275 . Andererseits ist ein Fortschaffen aus dem Raum, der für die Aufbewahrung bestimmt ist, nicht notwendig 276 . Ein Beiseiteschaffen einer Urkunde kommt in Frage, wenn ein Beamter ein Aktenstück beim Ausscheiden aus seiner Dienststelle nicht zurückgibt 277 oder wenn er anläßlich einer vorschriftswidrigen Aufbewahrung einer Sache den Besitz derselben ableugnet 278 . Kein Beiseiteschaffen amtlich anvertrauter Urkunden (§ 348 Abs. 2 StGB) liegt vor, wenn ein von seinem Dienstposten abgelöster Beamter unerledigte Akten (Rückstände), die er trotz der Ablösung selbst erledigen will, offen und sofort auffindbar in einem Aktenschrank seines behördlichen Arbeitsbereiches niederlegt, der für diese Aufbewahrung zwar nicht vorgesehen ist, aber vom RGSt. Bd. 17 S. 169. RG in HRR 1933 Nr. 1385. 267 OGHSt. Bd. 1 S. 255. 258 RG in JW 1932 S. 3087. 259 RGSt. Bd. 67 S. 232. 260 RGSt. Bd. 72 S. 194; OLG Karlsruhe in NJW 1950 S. 197. 261 RGSt. Bd. 70 S. 312. 262 RGSt. Bd. 76 S. 385. 263 OLG Hamburg in HESt. Bd. 2 S. 22. 264 RGSt. Bd. 8 S. 410, Bd. 59 S. 385. 265 RG in DJ 1936 S. 1812. 266 RG in DR 1944 S. 155. 267 BGHSt. Bd. 4 S. 61. 268 RG in HRR 1940 Nr. 650. 269 RGSt. Bd. 60 S. 157. 270 RGSt. Bd. 64 S. 3; RG in HRR 1940 Nr. 264. 271 OGHSt. Bd. 1 S. 255. 272 RG in HRR 1927 Nr. 440. 272 » RG in HRR 1937 Nr. 211. 273 RGSt. Bd. 67 S. 232. 274 RG in JW 1939 S. 34; RG in HRR 1941 Nr. 102. 276 RGSt. Bd. 72S. 197; RG in JW 1939 S. 624; BGH in MDR 1958 S. 141. 276 RGSt. Bd. 22 S. 242. 277 RG in HRR 1940 Br. 1158. 278 RG in DStR 1936 S. 51. 256 266
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
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Nachfolger mit seinem eigenen Schlüssel geöffnet werden kann 279 . Die Verfälschung besteht in einer Änderung des Inhalts, wobei es unerheblich ist, ob derselbe erst durch die Fälschung richtig wird. Eine selbst ausgestellte Urkunde kann von dem Augenblick an gefälscht werden, in dem ein fremder Anspruch auf die Unversehrtheit besteht280. Der Täter muß auch nach § 348 Abs. 2 StGB vorsätzlich handeln. Er muß u. a. den Willen haben, gerade die amtliche Aufbewahrung der Urkunde als solche und die davon unabhängige jederzeitige Gebrauchsbereitschaft derselben auszuschließen281. Es stellt einen Verbotsirrtum dar, wenn der Täter sich über seine Befugnis, eine amtlich anvertraute Urkunde zu vernichten oder zu verändern, irrt.
B. Disziplinarrechtliche Würdigung Als Dienstvergehen im engeren Sinne stellen sich nicht nur die Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung im Rahmen der §§348, 351 StGB, sondern auch die Urkundsdelikte nach § § 267 ff. StGB dar. Geschütztes Rechtsgut des § 267 StGB ist die Sicherheit und Reinheit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs. Da bei den Urkundsdelikten als Verletzter nicht derjenige in Erscheinung tritt, dem gegenüber die Verfehlung begangen ist, sondern die Sicherheit und Reinheit des Rechtsverkehrs und somit ein öffentliches Interesse verletzt wird, ist derjenige, der als Staatsdiener an der Aufrechterhaltung des Rechtsverkehrs in einer erheblichen Weise bedacht sein muß, streng zu bestrafen, wenn er gegen die elementarsten Grundlagen des Rechtsverkehrs verstoßen hat. Ganz gleich, ob der Beamte sich einer Urkundenfälschung im Sinne der §§267 if. StGB oder Falschbeurkundung im Amt nach §§348, 351 StGB schuldig gemacht hat, ist die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens und die vorläufige Dienstenthebung auf jeden Fall erforderlich. Handelt es sich um eine Urkundenfälschung oder Urkundenunterdrückung bei solchen Urkunden, die dem Beamten amtlich anvertraut sind, so erscheint grundsätzlich die Höchststrafe am Platze. Dies gilt vor allem dann, wenn der Täter vermittels der Urkundenfälschung oder Urkundenbeseitigung irgendwelche persönlichen Vorteile erreichen will 282 . Selbst wenn der Beamte durch das Fälschen von Abschlüssen nur Fehlbeträge verschleiern will, handelt es sich um ein so schweres Dienstvergehen, so daß er nicht mehr länger im Dienst belassen werden kann 283 . Selbst wenn die Urkundenfälschung nur gegen die § § 267 ff. StGB verstößt, ist im allgemeinen die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Disziplinarstrafe283". Auch hier kommt es darauf an, ob der Beamte durch die Tat einen unberechtigten Vorteil in seinem Dienstverhältnis erstrebt. So ist ζ. B. die Fälschung von Prüfungszeugnissen, die nach der Ernennung zum Beamten der Dienstbehörde vorgelegt worden sind, mit der Höchststrafe geahndet worden 284 . Ein Beamter, der seine Personalakten in raffinierter Weise gefälscht hat und deshalb zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, ist für den Staatsdienst als untragbar bezeichnet worden, DiszSenat OVG Münster 17. 8. 62 — V 19/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS). RGSt. Bd. 74 S. 343. 281 RG in HRR 1940 Nr. 1158. 282 RDH 8.11. 37 — IV D 6/37 — und 14. 4. 39 — V D 3/39 —; DStSenat 13.10.37 — FD 12/37 —. 283 DokBer. Nr. 833. 288 " DokBer. Nr. 1914. 284 DokBer. Nr. 839 (hier:Aberkennung der Rechte aus dem G 131). 279
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Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
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wobei die Höchststrafe im Interesse der Reinerhaltung des Beamtentums als eine unumgängliche Notwendigkeit bezeichnet worden ist 286 . Hat sich ein Beamter einer Urkundenfälschung schuldig gemacht, die mit seinem Dienstverhältnis in keinerlei Zusammenhang stand, so ist er auch dann für den öffentlichen Dienst grundsätzlich nicht mehr tragbar. Hierbei kommt es im allgemeinen jedoch darauf an, ob er das Ansehen der Beamtenschaft durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit geschädigt hat, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ihn ein ordentliches Strafgericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt hat; z.B. ist ein Beamter, der im Zusammenwirken mit seiner Ehefrau, die in einem Lichtspieltheater als Kassiererin tätig war, Eintrittskarten gefälscht hatte, die dann an Besucher des Lichtspieltheaters durch seine Frau verkauft worden waren, schon mit Rücksicht darauf, daß er sich im Zusammenwirken mit seiner Frau einen erheblichen Vermögensvorteil verschafft hatte, aus dem Dienst entfernt worden 286 . Hat sich ein Postbeamter eines Urkundendelikts schuldig gemacht, so ist seine Vertrauenswürdigkeit ganz erheblich schon deshalb in Frage gestellt, weil der Umgang mit Urkunden zu den wesentlichen Aufgaben der Bediensteten der Deutschen Bundespost gehört und weil die Zuverlässigkeit der Postbediensteten hinsichtlich der Sicherheit und Reinheit des Rechtsverkehrs im öffentlichen Interesse liegt. Bei der Bewertung eines Urkundendelikts darf jedoch auch hier nicht das Gewicht der Fälschung selbst und die Bedeutung des erstrebten Mieles außer Acht gelassen werden. Es kommt ζ. B. darauf an, ob eine falsch beurkundete Quittung in ihrem Beweiswert nur sehr wenig betroffen worden ist. Auch kommt es auf das Verhältnis zwischen dem Beamten und seiner Verwaltung an. Ergibt sich aus der Urkundenfälschung kein Vermögensschaden, sondern soll eine falsch ausgestellte Quittung nur eine strafbare Handlung des Beschuldigten verdecken, so können solche Umstände dazu führen, daß von der Höchststrafe abgesehen werden kann 287 . Ein Bundesbahnbeamter, der sich anläßlich der Ausstellung von Freifahrtscheinen einer fortgesetzten Urkundenfälschung schuldig macht, hat seine Beamtenstellung verwirkt, weil die Gewährung von Freifahrtscheinen eine besondere Vergünstigung darstellt, die in der Öffentlichkeit erheblich angegriffen wird, so daß schon deshalb von den Bundesbahnbeamten bei der Handhabung derselben äußerste Korrektheit verlangt werden muß 288 . Allgemein kann bei Beurteilung der Tat strafmildernd beurteilt werden, daß der Beamte durch dieselbe keinen unrechtmäßigen Vermögensvorteil erstrebt hat289. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn der Vermögensvorteil nicht dem Beamten unmittelbar, sondern einem Familienangehörigen oder einem sonstigen Dritten, zu dem der Beamte in einem engeren Verhältnis steht, zukommen soll. Strafmildernd kann berücksichtigt werden, wenn der Beamte bei einer Urkundenunterdrückung sich nicht von eigennützigen BDH 26.1. 55 — III D 24/54 — BDHE Bd. 2 S. 1 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 53. DokBer. Nr. 1257; vgl. auch DokBer. Nr. 1654. DokBer. Nr. 1588. 28» DokBer. Nr. 1781. 2 8 9 Vgl. BDK XII 7. 8. 58 — XII VL 10/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 224. 285
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
Motiven leiten ließ, sondern seine Verfehlung auf einer Art dienstlichen Übereifers beruhte289® oder eine Kurzschlußhandlung darstellte28911. V. VERLETZUNG DER AUSKUNFTSPFLICHT A. Auskunftspflicht gegenüber der eigenen Dienstbehörde Der Beamte muß seinem Dienstvorgesetzten auf .Aufforderung über sämtliche dienstlichen Vorgänge und u. U. sogar über außerdienstliche Vorkommnisse durch eine schriftliche oder mündliche Erklärung Auskunft erteilen; im letzteren Falle kommt eine Auskunftspflicht nur dann in Frage, wenn die Behörde ein Interesse an der Offenbarung hat 290 . So ist der Beamte nicht verpflichtet, über interne Familienangelegenheiten Auskunft zu erteilen. Würde aber seiner Dienstbehörde angezeigt werden, daß er im Gewerbebetrieb seiner Ehefrau außerhalb seiner Dienststunden in einem erheblichen Umfange tätig ist, so wäre er verpflichtet, auf Verlangen seines Dienstvorgesetzten hierüber Einzelheiten anzugeben, weil die Nebenbeschäftigung außerhalb des Dienstes dennoch mit Rücksicht auf § 65 BBG auch in dienstlicher Hinsicht von Bedeutung ist. Der Beamte braucht allgemein dann keine Auskunft zu erteilen, wenn er in Ausübung richterlicher Gewalt gehandelt hat. War er ζ. B. als Beisitzer in einer Disziplinarverhandlung tätig, so ist er mit Rücksicht auf die Wahrung des Beratungsgeheimnisses nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, über die Beratung in einer Disziplinarverhandlung zu schweigen. Ebenso braucht der Beamte dann nicht auszusagen, wenn er die Schweigepflicht, die ihm auf Grund sonstiger gesetzlicher Bestimmungen auferlegt ist, wie ζ. B. die ärztliche Schweigepflicht, verletzen würde. Wohl macht sich ein P e r s o n a l r a t s m i t g l i e d nach §75 PersVG strafbar, wenn er nach § 60 a. a. O. die Schweigepflicht verletzt; jedoch k a n n es sich n i c h t u n t e r B e r u f u n g auf einen P e r s o n a l r a t s b e s c h l u ß v o n e i n e r b e a m t e n r e c h t l i c h g e b o t e n e n A u s s a g e befreien 2 9 1 . Würde einem Personalratsmitglied zugestanden werden, eine beamtenrechtlich gebotene Aussage zu verweigern, so würde damit dem Personalrat eine über dem allgemeinen Beamtenrecht stehende Befugnis eingeräumt werden, die ihm jedoch nicht zusteht und ansonsten praktisch dazu führen könnte, daß einem beamteten Mitglied eines Personalrats für ein Dienstvergehen Immunität durch einen Personalratsbeschluß gewährt werden würde. Eine Auskunftspflicht scheidet dann aus, wenn der Beamte sich infolge einer wahrheitsgemäßen Aussage einer straf- oder einer disziplinargerichtlichen Verfolgung aussetzen würde; hierbei kann es gleich bleiben, ob sich die Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung auf seine Person oder eine ihm nahestehende Person beziehen würde (vgl. §§ 55, 52 Abs. 1 StPO, §§ 257 Abs. 2, 247 StGB). 289» Y g i DokBer. Nr. 1946; vgl. auch DokBer. Nr. 1944, wonach der Beschuldigte u. a. wegen der Unterdrückung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nur mit einer Gehaltskürzung bestraft worden ist. 28»b DokBer. Nr. 1951. 290 DiszSenat OVG Münster 2. 8. 59 — Y 8/59 — OVGE Bd. 15 S. 147 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 127; PrDiszH 19.12. 27 in RuPrVBl. 1928 S. 433;PrOVG in RVB1. Bd. 56 S. 483; PrOVG 8. 7. 02 — Rep. I. A. 43/02 — in PrOVG Bd. 42 S. 429 = P e r w o , S. 35. 2 9 1 DokBer. Nr. 446.
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Verletzung der Auskunftspflicht
§51
Ebenso braucht der Beamte dann nicht auszusagen, wenn das Auskunftsverlangen den Bereich eines genehmigten Nebenamtes des Beamten unter einem anderen Dienstherrn berührt und der Beamte hierdurch gegen die Geheimhaltungspflicht (vgl. § 61 BBG) verstoßen würde 292 . Schließlich braucht der Beamte nicht Fragen zu beantworten, die sich auf seine innere Überzeugung beziehen293. Macht der Beamte von seinem Aussageverweigerungsrecht keinen Gebrauch oder macht er dennoch eine Aussage, obgleich er ein berechtigtes Interesse hat, zu dem Gegenstand der Befragung keine Auskunft zu geben, so ist er in jedem Falle gehalten, die Wahrheit zu sagen294. So muß ζ. B. ein Zusteller der Deutschen Bundespost, der mit seinem Zustellfahrzeug verunglückt ist, den Unfallhergang wahrheitsgemäß melden2948·. Selbst unter dem Gesichtspunkt der Selbstbegünstigung scheidet hierbei Straffreiheit aus, weil die strafrechtliche Beurteilung derselben anerkanntermaßen für das Disziplinarrecht unerheblich ist 2946 . Die Ausgestaltung der Auskunftspflicht hängt im übrigen von der Abwägung der berechtigten Interessen ab. Ihr Zweck geht dahin, dem Dienstvorgesetzten eine für ihn sachlich gebotene Information zu verschaffen, nicht aber dahin, den Beamten einer Erprobung seines Gedächtnisses oder seiner Wahrheitsliebe zu unterziehen. An der Erteilung der Auskunft muß ein dienstliches Interesse bestehen295. Hat der Dienstvorgesetzte die Information bereits von einer anderen Stelle erlangt, so wird er von der Einholung weiterer Informationen dann absehen, wenn die bisher eingeholten Auskünfte sich als zuverlässig erwiesen haben. Holt der Dienstvorgesetzte die Auskunft ein, weil er ein dienstliches Interesse bejaht, so muß er die Lebens- und Pflichtenkreise, in denen der Beamte steht, prüfen und dann die von dem Auskunftsverlangen berührten Güter und Pflichten gegen das dienstliche Interesse abwägen, wobei letzterem allerdings der Vorrang zu geben ist. Da die Behörde ein dienstliches Interesse hat, daß ihre Beamten nicht verschulden, ist sie berechtigt, sich von einem Beamten, von dem sie in Kenntnis gebracht hat, daß seine V e r m ö g e n s l a g e in U n o r d n u n g g e r a t e n i s t , ü b e r seine S c h u l d e n A u s k ü n f t e einzuholen 2 9 6 . Hat der Beamte ζ. B. mehrfach falsche Angaben über seine Schulden gemacht und war er deshalb bereits einmal wegen Verletzung der Wahrheitspflicht disziplinarisch bestraft, so muß er im Wiederholungsfalle mit seiner Entfernung aus dem Dienst rechnen297 ; beruhen die unwahren Angaben nicht auf einem Hang zur Unwahrhaftigkeit, sondern auf der Scham, einen 282 DiszSenat OVG Münster 2 8 . 8 . 5 9 — Y 8/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 450; Behnke, S. 115. 293 DiszSenat für Richter in Essen 20. 2. 57 — W Y 2/56 — in J Z 1957 S. 761 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 170. 294 DiszSenat für Richter, Essen 20. 2. 57 — W Y 2/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 170; Bochalli, Anm. 1 zu § 55 BBG; v. B r a u c h i t s c h - D r e w s - L a s s a r , Verwaltungsgesetze für Preußen, 1930, Bd. VIII S. 91; Fischbach, Anm. IX 1 zu § 54 BBG; B e h n k e , Einf. zu BDO S. 114; Behnke, Anm. 11 zu § 21 BDO; Gülland, Die Dienstaufsicht über Richter und die Unabhängigkeit der Gerichte, 1932, lfd. Nr. 203 auf S. 81. 2M » DokBer. Nr. 1932. 2M » DiszSenat OVG Münster 22. 8. 63 — Y 4/63 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 295 DiszSenat OVG Münster 28. 8. 59 — Y 8/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 450; PrDH in RuPrVB. 1928 S. 433. 29β prOVG 14.10. 36 — in RVB1. Bd. 57 S. 1146; DokBer. Nr. 1307. 297 RDH 18. 3 . 3 1 in DJZ 1931 S.1183.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
vorübergehenden unsoliden Lebenswandel zu offenbaren, so kann auf eine mildere Strafe erkannt werden298. Der Beamte soll die Richtigkeit und Vollständigkeit des von ihm aufgestellten Schuldnerverzeichnisses pflichtgemäß versichern; hierbei ist er darauf hinzuweisen, daß er bei falschen Angaben u. U. mit der Entfernung aus dem Dienst rechnen muß 299 . Wird der Beamte über seine Vermögenslage befragt, so muß er auch seine neuerdings aufgenommenen Schulden angeben, selbst wenn er hiernach nicht gefragt worden ist 300 . B. Auskunft gegenüber außenstehenden Dritten und der Presse 1. A u s k ü n f t e g e g e n ü b e r der P r e s s e Gegenüber außenstehenden Dritten, mit denen der Beamte dienstlich Befassung hat, und gegenüber der Presse ist der Beamte nur dann zur Auskunft verpflichtet, wenn dies zu seinen dienstlichen Obliegenheiten gehört. Auskünfte an die Presse erteilt der Vorstand der Behörde oder der von ihm bestimmte Beamte ( § 6 3 BBG). Eine besondere Bedeutung erlangen solche Auskünfte. Hierzu stellt der Beamtenrechtsausschuß des Deutschen Bundestages folgendes fest: „Im freiheitlichen demokratischen Staat hat die Presse einen Anspruch auf Unterrichtung durch die Verwaltung und diese ein Interesse an der Teilnahme der Öffentlichkeit an ihrer Arbeit und an ihrem Verhalten. Um das Interesse der Presse und das Bedürfnis nach öffentlichen Mitteilungen mit dem Amtsgeheimnis in das angemessene Verhältnis zu bringen und eine geordnete und eine verantwortliche Unterrichtung der Presse sicherzustellen, sieht der neue § 21 a vor (jetzt § 63 BBG), daß die Erteilung von Auskünften an sie Angelegenheit des Vorstan des der Behörde oder des von ihm bestimmten Beamten ist."
Der Umfang der Auskunftspflicht ergibt sich nicht aus dem Beamten-, sondern aus dem Presserecht. Dem Auskunftsverlangen durch die Presse geht die Wahrung der Amtsverschwiegenheitspflicht vor (vgl. § 52 S. 576). Der Vorstand einer Behörde kann einen Beamten allgemein zur Auskunftserteilung gegenüber der Presse ermächtigen, wie dies ζ. B. bei den Bundesministerien geschieht, die ein besonderes Pressereferat eingerichtet haben; die Auskunfterteilung kann in einem solchen Einzelfalle einem besonders hierfür bestimmten Beamten erteilt werden. Sonstige Beamte dürfen über dienstliche Angelegenheiten der Presse keine Mitteilungen machen; andernfalls begehen sie ein Dienstvergehen. Der Umstand, daß die Auskunft der Presse gegenüber gegeben wird, begründet nicht eine weitergehende der Presse gegenüber obliegende Amtspflicht auf sachgemäße, also auch auf wahrheitsgemäße Auskunft. Wohl sind alle staatlichen Dienststellen im Interesse der Sauberkeit der Staatsverwaltung verpflichtet, den zur Wahrung dieser Interessen berufenen Stellen wahrheitsgemäße Auskünfte zu erteilen. Selbst wenn die Presse mit zur Überwachung der Sauberkeit der Staatsverwaltung sorgen sollte, ergibt sich damit noch nicht eine der Presse gegenüber bestehende Amtspflicht zur sachgemäßen Auskunft. In haftungsrechtlicher Hinsicht verletzt der Beamte hier noch nicht BDH 8. 3. 57 — I D 43/55 —. RDH 11. 4. 32 — in JW 1933 S. 1207; RDH 1 7 . 1 0 . 3 2 in F o e r s t e r , 1933, S. 14; RDH 12. 6. 33 in D J Z 1933 S. 285. 300 p r o V G 14.10. 36 in RVB1. Bd. 57 S. 1146. 298
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Verletzung der Auskunftspflicht
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eine einem Dritten gegenüber bestehende Amtspflicht. Ist nämlich eine Amtspflicht den Beamten nicht im Interesse ein2elner Personen auferlegt, sondern ist der Zweck der Amtspflicht das Interesse des Staates an einer ordentlichen Amtsführung der Beamten, so handelt es sich nicht um eine den Beamten einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht. Die Pflicht zur sachgerechten Auskunft ist den Beamten nicht im Interesse der überwachenden Stellen, sondern ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit auferlegt. Aus der Stellung der Presse ergibt sich daher nicht eine dem Beamten ihm gegenüber obliegende Amtspflicht i. S. des § 839 BBG auf sachgerechte und wahrheitsgemäße Auskunft. Unabhängig davon, ob dem Beamten einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht zur Erteilung einer wahrheitsgemäßen Auskunft obliegt oder nicht, hat er in jedem Falle, in dem er als Verwaltungshandlung eine Auskunft erteilt, die ihm jedem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, nicht unnötig in dessen Rechte einzugreifen. Wird durch die Abgabe einer falschen Erklärung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise der Presse vorsätzlich ein Schaden zugefügt, so ergibt sich ein Haftungsanspruch aus § 826 BBG. In dem gleichen Umfange, wie eine Amtshaftung aus einer falschen Auskunft gegeben ist, macht sich auch der die falsche Auskunft erteilende Beamte im disziplinarrechtlichen Sinne verantwortlich. Darüber hinaus wird er nur dann disziplinarrechtlich verantwortlich sein, wenn er die Presse bewußt irreführt, ohne daß ihm eine Schädigungsabsicht nachzuweisen ist. VGH Kassel301 stellt hierzu fest:
„Eine allgemeine Auskunftspflicht kann auch nicht aus den Vorschriften des GG abgeleitet werden. Nach Art. 17 GG hat zwar jedermann das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen zu wenden; er hat auch Anspruch auf sachgemäße Erledigung und auf Erteilung eines Bescheides (BVerfGE Bd. 2 S. 320). Das Petitionsrecht umfaßt jedoch nicht das Recht auf Erteilung bestimmter Auskünfte. Auch aus Art. 19 Abs. 1 und 2 GG ist nichts herzuleiten, was den Anspruch des Klägers rechtfertigen könnte. Insbesondere wird durch die Versagung der Auskunftserteilung der Wesensgehalt von Grundrechten nicht angetastet. Dies gilt insbesondere von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 GG. Ob aus der Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 G G zu schließen ist, daß die Grundrechte nur für inländische, nicht aber für ausländische juristische Personen Geltung haben sollen, bedarf hier keiner Erörterung, da nicht ersichtlich ist, daß Vorschriften des GG durch den angefochtenen Verwaltungsakt verletzt worden sind. Somit ist festzustellen, daß weder durch das G G noch durch einfaches Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht eine allgemeine Auskunftspflicht der Behörden gegenüber Privatpersonen besteht."
2. A u s k ü n f t e g e g e n ü b e r s o n s t i g e n Personen Gegenüber außenstehenden Personen, mit denen der Beamte dienstlich in Berührung tritt, besteht eine Auskunftspflicht nur dann, wenn sich dies aus der Natur des Dienstgeschäfts ergibt. Der 44. Deutsche Juristentag stellte zur Auskunftspflicht der Behörden folgende Grundsätze auf: a) Es gibt keine allgeme ine Auskunftspflicht außerhalb von anhängigenVerwaltungsverfahren. b) Im Rahmen anhängiger Verwaltungsverfahren sind die Behörden verpflichtet, auf Antrag sachdienliche Auskünfte zu erteilen. c) Welche Behörden und welcher Beamte für die Auskunftserteilung zuständig ist, richtet sich nach dem Gegenstand der Auskunft und nach dem Organisationsrecht. d) Soweit ein Rechtsanspruch auf Auskunft besteht, kann dieser im Wege der Verpflichtungsklage vor den Verwaltungsgerichten erzwungen werden. 301
36
In DVB1.1962 S. 641.
L i n d g e n , Disziplinarrecht!
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Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrheit und Auskunftserteilung
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Im sozialen Rechtsstaat gehört es zu den Amtspflichten der mit der Betreuung der sozial schwachen Volkskreise betrauten Beamten, diesen zur Erlangung und Wahrung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte und Vorteile nach Kräften beizustehen302. Hierzu gehört es auch, daß der Beamte ihnen die Auskünfte erteilt, die erforderlich sind, daß gerade der sozial schwache Staatsbürger die ihm zugedachten Rechte und Ansprüche erlangt. Dies gilt auch dann, wenn der Staatsbürger an den Beamten wegen einer Auskunft herantritt, um hierdurch lediglich den Weg zum Rechtsanwalt und die hiermit verbundenen Kosten zu ersparen 303 . Nur wenn sich die Verpflichtung zur Auskunftserteilung aus dem Treue- und Fürsorgeverhältnis ergibt, ist der Beamte zu einer Auskunftserteilung verpflichtet 304 . Der Beamte braucht dann keine Auskunft zu erteilen, wenn er hiergegen dienstliche Bedenken hat. Ebenso braucht der Beamte keine Auskunft über solche Angelegenheiten zu geben, die sich als Obliegenheiten privater Art darstellen. Erteilt der Beamte gegenüber einem außenstehenden Dritten eine Auskunft, so müssen seine Angaben richtig, sachgerecht, unmißverständlich304" und vollständig sein, gleichgültig, ob eine Pflicht zur Auskunftserteilung besteht oder nicht 305 ; ansonsten kann er disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. Für die Frage des Verschuldens bei Erteilung einer unrichtigen oder unvollständigen amtlichen Auskunft kommt es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes erforderlich sind, nicht auf diejenigen, über die der Beamte tatsächlich verfügt 305 ». Kann der Beamte für die Richtigkeit einer Auskunft nicht einstehen, so muß er den Dritten darauf hinweisen oder von der Erteilung einer Auskunft absehen. Ist dem Dritten durch die Erteilung einer falschen Auskunft ein Schaden entstanden und ist der Dienstherr hierfür haftbar gemacht worden, so ist der Beamte regreßpflichtig 306 und ist daneben disziplinarisch zur Verantwortung zu ziehen. Der Dritte kann die Herstellung des Zustandes verlangen, der vor Abgabe der unrichtigen Auskunft bestand307. Hierbei ist aber zu beachten, daß eine bindende Auskunft nur dann vorliegt, wenn der Behörde ein lückenloser Sachverhalt unterbreitet ist, so daß sie sich ein umfassendes Bild über den Tatbestand machen kann und zudem die Auskunft nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage von dem zuständigen Beamten erteilt worden ist 308 . Im Falle einer Auskunftserteilung muß der Beamte sich hierbei irgendwelcher herabsetzender Äußerungen gegenüber demjenigen enthalten, der die Auskunft begehrt, wie der Beamte schlechthin verpflichtet ist, jedem ratsuchenden Bürger gebührend gegenüberzutreten 309 . BGH 20. 9. 57 — III ZR 65/56 — in NJW 1957 S. 1873 = DöV 1957 S. 868. A d a m , Auskunftspflicht der Behörden in RiA 1963 S. 229. 304 RGZ Bd. 146 S. 40; siehe auch Reinhardt in DöV 1965 S. 480. 304 » BGH 24. 2. 64 — III ZR 39/63 — in VersR 1964 S. 923. 305 Vgl. BGH 28.11. 63 — III ZR 163/62 — in VersR 1964 S. 433. 305a BGH 23. 1. 64 — III ZR 12/63 — in VersR 1964 S. 919. 306 Vgl. RGZ Bd. 162 S. 130/54; Beyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Amtshaftung für behördliche Auskunft, DVB1. 1962 S. 613; vgl. auch Bundesfinanzhof in NJW 1957 S. 1855 3 0 7 Vgl. BGH 28. 11. 63 — III ZR 163/62 — in VersR 1964 S. 433. 308 O V G Rheinland-Pfalz 19. 12. 61 — 2 A 178/61 — (rechtskräftig). 3 0 9 DiszSenat OVG Münster 27. 3. 61 — Y 31/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 648 (LS). 302
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Verletzung des Amtsgeheimnisses
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§ 52. Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht I. VERLETZUNG DES AMTSGEHEIMNISSES A. Allgemeines 1 Sowohl der Staat als auch der einzelne Staatsbürger haben ein Interesse daran, daß gewisse Vorgänge des inneren Dienstbetriebes und Angelegenheiten, die außerhalb des Bereichs der öffentlichen Verwaltung liegen, dieser aber zur Kenntnis kommen, der Öffentlichkeit nicht preisgegeben werden. Der Staat würde sonst in zahlreichen Fällen seiner Schlagkraft beraubt werden. Ihrer Aufrechterhaltung dient die jedem Träger der Staatsgewalt obliegende Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Ursprung und Grundlage der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit ist das besondere Treueverhältnis, das jeden Beamten — in abgewandelter Form auch jeden im öffentlichen Dienst tätigen Angestellten und Arbeiter — mit dem Staat verbindet. Die Amtsverschwiegenheit obliegt allen Beamten, einschließlich der Ehrenbeamten und der noch im Vorbereitungsdienst stehenden Beamten sowie der zeitweilig des Dienstes enthobenen Beamten. Sie folgt also nicht aus dem Amt, sondern aus dem Beamtenverhältnis2. Schon aus der Fortdauer der Treupflicht ergibt sich, daß der Beamte auch nach der Beendigung des Beamtenverhältnisses zum Stillschweigen verpflichtet ist. Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit ist durch §§ 61 ff. BBG gesetzlich geregelt. Sie kann auf die Anordnung eines Vorgesetzten zurückgehen oder sich aus der Natur der Sache ergeben. B. Inhalt des Amtsgeheimnisses Der Beamte darf auf Grund der Amtsverschwiegenheitspflicht keinem Außenstehenden Kenntnis von dienstlichen Vorgängen oder sonstigen geheimzuhaltenden Angelegenheiten verschaffen. Bei der amtlichen Tätigkeit bekanntgewordene Angelegenheiten bedürfen „ihrer Bedeutung nach" immer dann der Geheimhaltung, wenn sie unter irgend einem Gesichtspunkt aus irgend einem Grunde jetzt oder später Bedeutung gewinnen können, also nicht völlig unbedeutend sind3. Dienstliche Angelegenheiten betreffen demnach Vorlagen, Angaben und Auskünfte, die der Beamte im dienstlichen Verkehr erhält oder sonstwie wahrnimmt. Sie betreffen den internen Verkehr im Bereich der Verwaltung und Angelegenheiten des Publikumsverkehrs. Der Verschwiegenheitspflicht unterliegen ζ. B. vermögensrechtliche Angelegenheiten, die entweder die Verwaltung oder einen Dritten betreffen, der mit der Behörde Befassung hat, oder solche Vorkommnisse, die für den Ausgang eines anhängigen Gerichtsverfahrens insofern von Bedeutung sein können, als sie bei 1 G r o ß , Verschwiegenheitspflicht des Beamten und Auskunftspflicht der Behörden in ZBR 1962 S. 185; Fischbach, Verschwiegenheitspflicht und Zeugnisverweigerungsrecht in NDBZ 1956 S. 203; L e i ß , Beschäftigte des öffentlichen Dienstes als Zeugen über dienstliche Vorgänge in DöV 1956 S. 396; A h r e n d , Die Verschwiegenheitspflicht in Staats- und Kommunalverwaltung, 1957 S. 103; Schütz, Dienstverschwiegenheit, Aussagegenehmigungsrecht der Beamten in DöD 1957 S. 868; Düwel, Das Amtsgeheimnis, Bd. 23 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Verlag Duncker u. Humblot, Berlin 1965. 2 Vgl. Schütz in DöD 1957 S. 135. 3 DiszSenat OVG Münster 5. 8.60 — V 49/59 —in NDBZ 1961 S. 42 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 128 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 455.
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
Bekanntgabe dem Prozeßgegner eine Prozeßhilfe leisten könnten. Ein Irrtum über die Geheimhaltungspflicht entschuldigt nicht, wenn er auf Fahrlässigkeit beruht 4 . Die Geheimhaltungspflicht ergibt sich für den Beamten nicht nur für die ihm bei seiner dienstlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen; sie besteht auch dann, wenn er von geheimzuhaltenden Angelegenheiten durch Mitteilungen seiner Kollegen Kenntnis erhalten hat, ebenso auch hinsichtlich dienstlicher Vorgänge (ζ. B. Beförderung oder Versetzung), die ihn selbst betreffen5. Schon das Weitertragen von Vorkommnissen und dienstlichen Angelegenheiten bei einer Dienststelle an Verwaltungsfremde stellt in der Regel einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht dar®. Der Beamte darf über geheimzuhaltende Angelegenheiten zu Dritten weder sprechen noch Fremden Einblick in geheimzuhaltende Akten gewähren. Eine Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht stellt es u. U. schon dar, wenn der Beamte geheimzuhaltende Akten bei Verlassen seines Dienstzimmers oder nach Dienstschluß offen auf seinem Schreibtisch liegen läßt oder wenn er erledigte Verfügungsentwürfe achtlos wegwirft. Wird er über Vorgänge befragt, die unter die Amtsverschwiegenheit fallen, so darf er keine Andeutungen machen, aus denen auf den Stand der Sache geschlossen werden kann. Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch gegenüber anderen Behörden, anderen Dienststellen der eigenen Verwaltung und sogar gegenüber Mitarbeitern, deren dienstliche Tätigkeit die Kenntnis der geheimzuhaltenden Tatsache nicht verlangt. Lediglich bei Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten kann sich der Beamte nicht auf die Amtsverschwiegenheitspflicht berufen. Der Beamte kann sich nicht darauf berufen, daß er mit der Weitergabe an sich geheimzuhaltender Tatsachen den Belangen seiner Behörde dienen will. Wenn auch die Öffentlichkeit —· und hier insbesondere die Presse — ein Bedürfnis hat, über die Tätigkeit auch der Behörden unterrichtet zu werden, so muß jedoch die öffentliche Verwaltung darin interessiert sein, daß sie vor unzeitiger, sachfremder und übermäßiger Publizität geschützt wird. Nicht der Presse und der Öffentlichkeit allgemein, sonder der Exekutive und den parlamentarischen Repräsentanten sind nach der Verfassung die besonderen Aufgaben der Verwaltung und der Gesetzgebung zugewiesen, die sie zunächst im eigenen Bereich zu lösen haben 7 . So werden es auch nicht uneigennützige Motive sein, die einen Beamten veranlassen, Interna der Verwaltung nach außen bekannt zu geben. Einmal wird er Vorteile von der Stelle erstreben, der er seine Informationen mitteilt ; andererseits wird er das Bestreben haben, seiner Verwaltung Schwierigkeiten durch Verbreitung geheimzuhaltender Tatsachen zu bereiten. 4 DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — in NDBZ 1961 S. 42 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 129 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 455; vgl. auch W e l z e l , Das Deutsche Strafrecht, 6. Aufl. S. 147; M a u r a c h , Deutsches Strafrecht — Allgemeiner Teil, S. 375 ff.; Schütz, DO NW S. 90; PrOVG 8 . 1 . 29 in PrOVG Bd. 88 S. 418; ODOG Münster 6. 6.52 — I/V 22/51 —; DiszSenat OVG Münster 12. 7. 57 — V 22/55 —; DStH Bad.-Württ. 16. 7. 54 — BDHE Bd. 1 S. 186; BayrDStH 28. 10. 55 — BayrDStHE Bd. 3 S. 285. 5 Behnke, S. 111. o Vgl. BDH 21. 8. 53 — II D 13/53 — BDHE Bd. 1 S. 32. 7 BDH 25.10. 61 — III D 20/61 — in ZBR 1962 S. 225 = L i n d g e n , Teil IV Nr.603; DokBer. Nr. 1553; DiszSenat OVG Münster 6. 8. 60 — V 49/59 — in JMB1NW 1961 S.48.
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C. Ausnahmen von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit 1. O f f e n k u n d i g e T a t s a c h e n Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gilt nicht für solche Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Offenkundig sind solche Tatsachen, von denen regelmäßig jeder vernünftige Mensch Kenntnis hat, oder über die er sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkenntnis unterrichten kann, d. h. Tatsachen, die jedermann weiß, die allgemein bekannt oder jederzeit feststellbar sind8. Die Frage, welche Tatsachen als offenkundig zu bezeichnen sind, ist in der Regel nach dem Einzelfall zu beurteilen und läßt sich nicht erschöpfend darstellen. Der Begriff der „offenkundigen Tatsachen" ist eng auszulegen, weil das Gesetz erst einmal als Grundsatz die Verschwiegenheitspflicht feststellt und zum anderen für Ausnahmen von dieser Pflicht — abgesehen von den gesetzlich festgelegten Fällen — ausdrücklich die Einholung einer Genehmigung vorgesehen hat, die nach dem Ermessen des Dienstvorgesetzten erteilt werden kann. Offenkundig ist eine Tatsache dann, wenn sie die Verwaltung in einer Weise veröffentlicht hat, daß jedermann von dem Vorgang Kenntnis erhalten konnte; die Veröffentlichung im Wege einer sog. Umdruckverfügung reicht noch nicht aus, weil diese im allgemeinen nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist. Die Tatsache, daß die Verwaltung einen Vorgang bewußt nicht veröffentlicht, stellt einen Anhaltspunkt dafür dar, daß derselbe nicht offenkundig ist, selbst wenn er von allgemeinem Interesse sein sollte9. Für die Öffentlichkeit genügt es nicht, daß die geheimzuhaltende Tatsache offensichtlich einem größeren Kreis von Beteiligten bereits bekannt geworden ist, wenn sie also ein „offenes Geheimnis" darstellt 10 . Auch die Weitergabe offenkundiger Tatsachen kann durch die Art der Weiterverbreitung nach allgemeinen Grundsätzen eine Pflichtverletzung darstellen. So würde es eine Pflichtverletzung darstellen, wenn ein Beamter eine offenkundige Tatsache, die die Verwaltung in einem ungünstigen Lichte erscheinen läßt, in der Presse oder durch Rundfunk veröffentlicht, um seiner Dienststelle nach außen Schwierigkeiten zu bereiten. Ebenso kann die Form der Weiterverbreitung eine Achtungsverletzung gegenüber dem Dienstvorgesetzten darstellen, so daß eine Bestrafung dann aus diesem Grunde gerechtfertigt ist. 2. N i c h t g e h e i m h a l t u n g s b e d ü r f t i g e T a t s a c h e n Handelt es sich um unbedeutende Vorkommnisse, deren Verbreitung der Behörde oder einem ihrer Bediensteten oder einem Dritten, der mit der Behörde in Verbindung steht, nicht nachteilig sein kann, so handelt es sich hier um nicht geheimhaltungsbedürftige Tatsachen. Der Beamte muß jedoch im Zweifelsfalle davon ausgehen, daß dort, wo die Mitteilung dienstlicher Vor8 BDH 14. 7. 54 — I D 82/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 83; BGHSt. Bd. 6 S. 292; BGH in NJW 1954 S. 1656; BVerfG 3. 11. 59 in NJW 1960 S. 31; Schütz in DöD 1957 S. 135, 138; DiszSenat OVG Münster 20.12. 60 — Y 21/59 — O V G E (DisS) Bd. 2 S. 132 = OVGE Bd. 16 S. 134 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 482; DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 455; vgl. auch BGH 14. 7. 54 in BGHSt. Bd. 6 S. 292 = NJW 1954 S. 1656; BVerfG 3 . 1 1 . 59 in NJW 1960 S. 31. 8 Vgl. P l o g - W i e d o w , Anm. 6 zu § 61 BBG. 1 0 Behnke, S. 111.
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
gänge die Belange der Verwaltung beeinträchtigen oder deren Ansehen schädigen könnte, nach der Natur der Sache immer eine Amtsverschwiegenheitspflicht bestehen muß. Der Beamte handelt auf eigene Gefahr, wenn er annimmt, daß die Angelegenheit offenkundig sei und somit nicht unter die Amtsverschwiegenheitspflicht falle. Er muß unterstellen, daß bei der amtlichen Tätigkeit bekanntgewordene Tatsachen „ihrer Bedeutung nach" immer dann unter die Geheimhaltungspflicht fallen, wenn sie unter irgend einem Gesichtspunkt aus irgend einem Grunde jetzt oder später Bedeutung gewinnen können, also wenn sie nicht ganz unbedeutend sind 11 . 3. T a t s a c h e n , die die f r e i h e i t l i c h e d e m o k r a t i s c h e G r u n d o r d n u n g gefährden Unberührt von der Amtsverschwiegenheitspflicht bleibt die gesetzlich begründete Pflicht, bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für deren Erhalten einzutreten (vgl. § 61 Abs. 4 BBG). Nach § 52 Abs. 2 BBG muß der Beamte sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Werden dem Beamten innerhalb seiner Verwaltung Bestrebungen bekannt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, wie ζ. B. die Zellenbildung von verfassungsfeindlichen Parteien, so hat er dieselben anzuzeigen, wobei im allgemeinen eine Meldung an die dienstvorgesetzte Behörde genügt. Schafft die Dienstbehörde keine Abhilfe, so ist der Beamte berechtigt, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen u. U. an das jeweilige Landesverfassungsschutzamt oder an das Bundesverfassungsschutzamt zu melden. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in der Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 23. 10. 52 12 u. a. dahin umrissen, daß sie eine Ordnung darstellt, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und Gleichheit darstellt, und daß zu ihren Prinzipien u. a. die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehört. Verletzt die Verwaltung die Gesetzmäßigkeit in einem Einzelfalle, so ist damit noch nicht die Grundordnung gestört, so daß der Beamte nicht berechtigt ist, Vorgänge seiner Behörde, die mit der jeweiligen Rechtsordnung nicht im Einklang stehen, der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Hierzu müßte er den Nachweis führen, daß die jeweilige Rechtsordnung bewußt verletzt wird, was ihm jedoch kaum gelingen wird. Verletzt aber die Behörde fortlaufend bewußt die Rechtsordnung in schwerster Weise, so daß dies bei den Verwaltungsangehörigen erhebliche berechtigte Kritik auslöst, so ist der Beamte berechtigt, die Vorfälle den Stellen zu melden, die Abhilfe zu schaffen geeignet sind. Dies würde ζ. B. für alle Fälle gelten, die im Bereich einer Verwaltung eine schleichende und erhebliche Korruption erkennen lassen, weil die demokratische Grundordnung gerade durch korrupte Erscheinungen ausgehöhlt wird und nach den geschichtlichen Erfahrungen diktatorische Bestrebungen fördert. Dies gibt jedoch dem Beamten noch nicht das Recht, korrupte Erscheinungen seiner Verwaltung durch Presse oder Rundfunk der 11 DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — in NDBZ 1961 S. 42 = Lindgen, Teil IV Nr. 461 = O V G E (DiszS) Bd. 2 S. 128. 12 BVerfGE Bd. 2 S. 1 = NJW 1952 S. 1407 = DöV 1953 S. 83.
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Öffentlichkeit zu unterbreiten, zumal wenn er hierbei aus eigensüchtigen Motiven handelt. Er muß seine Beschwerden usw. im Dienstwege vorbringen. Hat er diesen erschöpft oder lehnt es die oberste Dienstbehörde ab, ihn anzuhören, so kann er sich an die Volksvertretung wenden, sofern diese die vorgebrachten Mißstände wirksam beseitigen kann. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n Unberührt von der Verschwiegenheitspflicht bleibt die gesetzlich begründete Pflicht des Beamten, strafbare Handlungen anzuzeigen (vgl. § 61 Abs. 4 BBG). Diese Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht folgt aus dem im Strafrecht herrschenden Legalitätsprinzip, das eine schwere Einbuße dadurch erleiden müßte, wenn der zur Strafanzeige verpflichtete Beamte die Amtsverschwiegenheitspflicht beachten müßte. Die im § 61 Abs. 1 BBG verankerte Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit wird durch Abs. 4 a. a. O. jedoch nur z u g u n s t e n des B e a m t e n b e s e i t i g t , der zur E r s t a t t u n g v o n S t r a f a n z e i g e n v e r p f l i c h t e t ist. Ist der Beamte auf Grund seiner dienstlichen Stellung oder auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift nicht zu Erstattung einer Strafanzeige verpflichtet, so kann er sich nicht auf den Schutz des § 61 Abs. 4 BBG berufen, sofern er bei der Strafanzeige Tatsachen anführt, die der Geheimhaltung obliegen. Wenn er jedoch keine geheimzuhaltenden Tatsachen offenbart, muß es ihm unbenommen bleiben, Strafanzeige gegen Vorgesetzte oder Kollegen zu erstatten ; anders ist es,wenn ihm durch besondere innerdienstliche Bestimmungen aufgegeben ist, den strafbaren Vorfall vor der Anzeigeerstattung seiner Dienstbehörde zu melden, damit diese sich um eine außergerichtliche Beilegung der Angelegenheit bemüht. 5. A u s s a g e g e n e h m i g u n g 1 3 Der Beamte kann über geheimzuhaltende Tatsachen berichten, sofern ihm hierfür Aussagegenehmigung erteilt worden ist. Ohne Genehmigung darf der Beamte über solche Angelegenheiten weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben (vgl. § 61 Abs. 2 Satz 1 BBG). Es kommt nicht darauf an, wo und in welcher Eigenschaft der Beamte über an sich geheimzuhaltende Angelegenheiten aussagen will. So bedarf er ζ. B. einer Genehmigung, wenn er vor einem Zivil-, Arbeits-, Verwaltungs-, Straf- oder Disziplinargericht, vor dem Ermittlungsführer, dem Untersuchungsführer, einem Beamten der Staatsanwaltschaft, einem Beamten der Polizei oder vor einem Schiedsgericht aussagen will. Er bedarf einer Aussagegenehmigung, wenn er als Zeuge, Sachverständiger, Kläger, Beklagter, Angeklagter oder Beschuldigter aussagen will. Selbst wenn dem Beamten eine Aussagegenehmigung erteilt ist, darf er jedoch nicht über Tatsachen aussagen, durch deren Verbreitung er das durch eine besondere gesetzliche Vorschrift oder einen allgemeinen Rechtsgrundsatz verankerte Berufsgeheimnis verletzen würde. So kann ζ. B. ein Postbeamter trotz Erteilung der Aussagegenehmigung nicht aussagen, wenn er hierdurch das Postgeheimnis verletzen würde (vgl. § § 354, 355 StGB) ; gleiches gilt für 13 K r ü g e r , Aktenvorlage und Aussagegenehmigung in DDB 1957 S. 2; E. Menzel, Die Aussagegenehmigung für Beamte und Soldaten vor Gericht — Zur Verwirklichung der Rechtsstaatlichkeit im Verfahrensrecht — in DöV 1965 S. 1.
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das Beratungsgeheimnis der Richter (vgl. für Schöffen und Geschworene § 198 GVG) und das Steuergeheimnis (§ 21 RAO). Ob die Angelegenheit unter die Amtsverschwiegenheitspflicht fällt, entscheidet nicht der Beamte, sondern allein die für die Genehmigung zuständige Stelle14. Unabhängig von der Verpflichtung eines Beamten, ohne Aussagegenehmigung nicht auszusagen, kann ihm als Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht z. B. nach §§ 52, 53, 55 und 56 StPO oder nach §§ 383 ff. ZPO zustehen. Wenn auch eine Genehmigung zur Aussage vorliegt, so bleiben nämlich die Vorschriften der Prozeßgesetze, nach denen bestimmten Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, oder sonstige Bestimmungen, auf Grund deren eine besondere Schweigepflicht besteht, unberührt. So sind z. B. nach § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO Personen zur Verweigerung des Zeugnisses hinsichtlich solcher Tatsachen berechtigt, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist. Schöffen und Geschworene müssen nach § 198 GVG über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung Stillschweigen bewahren. Ist also dem Beamten Aussagegenehmigung erteilt, so kann er, wenn ihm ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, dennoch seine Aussage verweigern, ohne daß er sich etwa einer Verletzung der Gehorsamspflicht schuldig macht, wenn ihm seine Dienstbehörde aufgegeben hat, vor Gericht in einer dienstlichen Angelegenheit auszusagen. Legt das Gesetz dem Beamten eine Schweigepflicht auf, so darf er sogar nicht aussagen. So kann z. B. ein Richter trotz erteilter Aussagegenehmigung nicht über die Beratung aussagen 15 . Versagt werden darf die Aussagegenehmigung 16 , wenn sie dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes einen Nachteil bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erschweren würde (§62 Abs. 1 BBG). Dies kann bei außen-, wehr-, finanz- oder wirtschaftspolitischen Angelegenheiten in Frage kommen, sofern bei ihrem Bekanntwerden in der Öffentlichkeit erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit zu erwarten sind 17 . Hat ein Behördenleiter die Geheimhaltung eines Namens zugesagt, so wird in der Regel die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährdet, wenn er durch Erteilung der Aussagegenehmigung zu einer Preisgabe des Namens veranlaßt wird 18 . Sonst liegt kein ernstlicher Grund für die Versagung der Aussagegenehmigung vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß durch die Aussage die Namen von Gewährspersonen bekannt werden, es sei denn, daß Vertrauensleute aus staatswichtigen Gründen nicht in Erscheinung treten dürfen 19 . Die in § 62 Abs. 1 BBG angeführten Gründe für eine Verweigerung der Aussagegenehmigung sind ausschließlicher Art; so kann z. B. die Aussagegenehmigung deshalb nicht versagt werden, weil die Aussage nur einem Vorgesetzten zum Nachteil gereichen würde. Die für die Genehmigung zuBGH in MDR 1952 S. 659. Vgl. bezüglich Geheimhaltung der Beratung und Abstimmung des Gerichts RGSt. Bd. 26 S. 202, Bd. 36 S. 373 und Bd. 61 S. 218; vgl. jedoch B r a u n , Richterhaftung und Berufsgeheimnis in J W 1927 S. 132. 1 8 B a r i n g , Die Ablehnung der Aussagegenehmigung in ZBR 1956 S. 37 und S. 71; S c h w e i t z e r , Die Versagung der Aussagegenehmigung in ZBR 1956 S. 201. 1 7 W e i m a r , Der Beamte als Zeuge in RiA 1962 S. 115; P l o g - W i e d o w , Anm. 4 zu § 62 BBG. 1 8 OVG Münster 26. 3. 57 — VII A 1090/56 — in MDR 1959 S. 1041. 1 8 V G Freiburg 27. 6. 56 — I VS 142/56 — in NJW 1956 S. 1941. 11
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ständige Stelle prüft nach pflichtgemäßem Ermessen, ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BBGvorliegen. Die gesetzlich normierten Versagungsgründe enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe, die nach den -Um ständen des Einzelfalles abzugrenzen sind. Wesensähnliche Einzelfälle können typenmäßig zusammengefaßt und einheitlich behandelt werden, wie ζ. B. die Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen. Handelt es sich ζ. B. bei der Erstattung einer Strafanzeige um einen geringfügigen Ordnungsverstoß, bei dem die Aussage des Polizeibeamten und der Name des Anzeigenden vertraulich behandelt werden soll, so kann die Aussagegenehmigung deshalb nicht versagt werden20. Selbst wenn die Aussagegenehmigung nicht erteilt ist, muß der Beamte als Zeuge oder Sachverständiger vor dem Bundesverfassungsgericht aussagen, wenn dieses Gericht mit Zweidrittelmehrheit die Verweigerung der Aussagegenehmigung für unbegründet hält (§ 28 Abs. 2 BVerfGG vom 12. 3. 51 (BGBl. I S. 243). Die Genehmigung, ein Gutachten zu erstatten, kann versagt werden, wenn die Erstattung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde (§ 62 Abs. 2 BBG). Hierbei ist es gleichgültig, ob das Gutachten für ein Gericht, eine andere Behörde oder gar nur für Privatpersonen erstattet werden soll. Selbst wenn der Beamte als Sachverständiger zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voráussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausübt oder wenn er sich zur Erstattung von Gutachten vor Gericht bereiterklärt hat (vgl. § 75 StPO, § 407 ZPO), so muß er wohl der Aufforderung, ein Gutachten vor Gericht zu erstatten, nachkommen, bedarf aber trotzdem der Aussagegenehmigung, sofern er in seinem Sachverständigengutachten dienstliche Angelegenheiten berührt, die unter die Geheimhaltungspflicht fallen, weil § 62 Abs. 2 BBG den prozeßrechtlichen Bestimmungen, wie § 75 StPO und § 407 ZPO, vorgeht. Einen dienstlichen Nachteil, der zur Verweigerung der Genehmigung zur Erstattung des Gutachtens berechtigt, kann es bedeuten, wenn durch die Erstattung des Gutachtens die dienstlichen Leistungen oder die Unparteiüchkeit des Beamten beeinträchtigt werden würden. § 62 Abs. 2 BBG geht also weiter als § 62 Abs. 1 BBG. Der Beamte bedarf nicht nur dann der Aussagegenehmigung, wenn er als Zeuge oder als Sachverständiger über geheimzuhaltende Angelegenheiten aussagen soll, sondern ist vor Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden auch dann verpflichtet, das Amtsgeheimnis zu wahren, wenn er als Beschuldigter, Angeklagter, Kläger oder Beklagter aussagen soll. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein strafgerichtliches oder ein sonstiges Verfahren, wie z. B. einen Zivilprozeß oder ein VerWaltungsstreitverfahren, handelt. Ist der Beamte Partei oder Beschuldigter in einem gerichtlichen Verfahren oder soll sein Vorbringen der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen dienen, so darf die Genehmigung auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BBG, wenn also die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteil bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde, nur versagt werden, wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern ( § 6 2 Abs. 3 20 OVG Münster 20.7.62 — VI A 33/62 — (rechtskräftig) in NDBZ 1963 S. 34 = DöD 1962 S. 216 = MDR 1962 S. 250.
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
Satz 1 BBG). Wird sie versagt, so hat der Dienstvorgesetzte dem Beamten den Schutz zu gewähren, den die dienstlichen Rücksichten zulassen ( § 6 2 Abs. 3 Satz 2 BBG). Konnte der Beamte ζ. B. infolge der Aussagegenehmigung entlastende Angaben nicht machen, so daß er im Disziplinarverfügungsverfahren an sich bestraft werden müßte, so wird es geboten erscheinen, von einer Bestrafung nach § 3 Abs. 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 3 BDO i. d. f . der Novelle abzusehen. Ist er im förmlichen Disziplinarverfahren bestraft worden, so wird sich für die oberste Dienstbehörde die Verpflichtung ergeben, den Beamten zu begnadigen oder einen Antrag auf Begnadigung beim Bundespräsidenten zu stellen, sofern sie zur Auffassung gelangen muß, daß der Beamte bei seinem Verteidigungsvorbringen, für das ihm keine Aussagegenehmigung erteilt worden ist, freigesprochen worden wäre. Ist der Beamte in einem bürgerlichen Rechtsstreit zur Zahlung einer bestimmten Summe verurteilt worden, was ausschließlich durch die Verweigerung der Aussagegenehmigung bedingt ist, so wird ihm die Dienstbehörde diesen Betrag nebst Gerichts- und Anwaltskosten zu erstatten haben. Soll der Beamte durch eine Behörde oder ein Gericht vernommen werden, so ist die Genehmigung von der vernehmenden Stelle unter Bezeichnung der Fragen, auf die sich die Vernehmung erstrecken soll, einzuholen, soweit sie nicht schon durch den Beamten beigebracht ist (Satz 1 DV zu § 8 DBG). Der Beamte ist verpflichtet, selbst zu prüfen, ob er die Aussage zu verweigern hat, bis die Genehmigung zur Aussage erteilt ist; in Zweifelsfällen hat er die Entscheidung des Dienstvorgesetzten einzuholen (Satz 2 DV zu § 8 DBG). Will der Beamte in sonstigen Fällen von Angelegenheiten, die unter die Amtsverschwiegenheitspflicht fallen, anderen Personen, Presse oder Rundfunk Kenntnis geben, so muß er von sich aus die Aussagegenehmigung einholen. Entstehen vor Gericht Zweifel, ob die von einem Beamten verlangte Auskunft der Amtsverschwiegenheitspflicht unterliegt, und ist eine Aussagegenehmigung nicht erteilt, so muß das Gericht trotz Aussagewilligkeit des Beamten die Vernehmung unterlassen, bis der Dienstvorgesetzte die Genehmigung erteilt oder erklärt hat, daß eine Genehmigung nicht erforderlich ist 21 ; im übrigen hat sich der Beamte vor seiner Aussage zu vergewissern, ob um die Genehmigung nachgesucht und dieselbe erteilt worden ist ; ist dies nicht der Fall, so hat er von einer Aussage Abstand zu nehmen. Die Genehmigung zur Aussage erteilt der Dienstvorgesetzte oder, wenn das BeamtenVerhältnis beendet ist, der letzte Dienstvorgesetzte ( § 6 1 Abs. 2 Satz 2 BBG). Der dem Dienstvorgesetzten übergeordnete Vorgesetzte kann die gesetzlich begründete Zuständigkeit nur dann an sich ziehen, wenn Gefahr im Verzuge ist; es bleibt ihm aber unbenommen, innerdienstlich dem für die Erteilung der Aussagegenehmigung in Frage kommenden Dienstvorgesetzten allgemeine Weisungen oder Weisungen im Einzelfalle zu erteilen22. Der derzeitige Dienstvorgesetzte ist zur Erteilung der Aussagegenehmigung selbst dann zuständig, wenn der Beamte früher im Dienst eines anderen Dienstherrn gestanden hatte und er über eine Angelegenheit aussagen soll, die sich zu der Zeit zugetragen hatte, als er sich im Dienste des anderen Dienstherrn befunden hatte; der derzeitige Dienstherr darf aber die Aussagegenehmigung 21 22
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Vgl. Schütz in DöD 1957 S. 135 unter Β II. Vgl. Schutz in DöD 1957 S. 135 unter C 1.
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nur mit Zustimmung des früheren Dienstherrn erteilen (§§ 124, 39 Abs. 2 BRRG). Über die Versagung der Aussagegenehmigung in den Fällen des § 62 Abs. 1—3 BBG entscheidet die oberste Dienstbehörde (§ 62 Abs. 4 BBG). Handelt es sich um bundesunmittelbare Beamte, so ist der jeweilige Ressortminister zuständig. Für die Verweigerung der Aussagegenehmigung bei mittelbaren Bundesbeamten kommt die Zuständigkeit des Bundesminister des Innern in Frage. Die Aussagegenehmigung kann schriftlich oder mündlich erteilt werden. Eine Begründung ist nicht notwendig 23 . Die Ablehnung der Aussagegenehmigung ist mit Rücksicht auf ihre verwaltungsgerichtliche Anfechtbarkeit zweckmäßigerweise schriftlich zu erteilen ; ebenso wird sich eine Begründung empfehlen, damit der Beamte seinen Widerspruch bzw. seine Klage hinreichend begründen kann. Hat der Beamte um die Aussagegenehmigung nachgesucht, so ist die Genehmigung bzw. Verweigerung ihm bekanntzugeben; hat ein Gericht oder eine sonstige Stelle um die Aussagegenehmigung nachgesucht, so ist die Entscheidung über die Genehmigung der betreffenden Stelle und zweckmäßigerweise auch dem Beamten bekanntzugeben. Der Beamte kann gegen die Verweigerung der Aussagegenehmigung Widerspruch einlegen und im Falle seiner Ablehnung oder Nichtbescheidung die Klage vor den Verwaltungsgerichten erheben24. Die Verweigerung der Aussagegenehmigung stellt nämlich einen justiziablen Verwaltungsakt dar 25 . Der B e a m t e darf in der K l a g e auf E r t e i l u n g der A u s s a g e g e n e h m i g u n g nur das T h e m a , ü b e r das er a u s s a g e n w i l l , n i c h t j e d o c h die A u s s a g e i n h a l t l i c h a n g e b e n , da er in diesem Falle wiederum gegen die Amtsverschwiegenheitspflicht verstoßen würde. Das Verwaltungsgericht kann die Entscheidung der obersten Dienstbehörde jedoch nur dann aufheben, wenn die gesetzlich normierten Ermessensgrundsätze verletzt sind 26 . Bereits oben ist gezeigt worden, daß es sich bei den in § 62 BBG genannten Gründen, die eine Verweigerung der Aussage rechtfertigen, um unbestimmte RechtsbegrifTe handelt, die einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhalten müssen. Ist die Genehmigung versagt worden, so hat das Gericht von einer Vernehmung des Beamten Abstand zu nehmen; es hat nicht das Recht nachzu prüfen, ob die oberste Dienstbehörde die Aussagegenehmigung zu Recht versagt hat. Dieses Recht steht allein dem Verwaltungsgericht zu, bei dem der Beamte Klage auf Aufhebung der Aussageverweigerung bzw. auf Erteilung der Aussagegenehmigung erhoben hat. Hat eine unzuständige Behörde, wie ζ. B. die der obersten Dienstbehörde nachgeordnete Behörde oder der frühere Dienstherr, die Entscheidung über die Versagung der Aussagegenehmigung getroffen, so ist der Beamte noch nicht berechtigt, über die geheimzuhaltenden Angelegenheiten Aussagen zu machen, da die Genehmigung von der zu23
S. 115.
OVG Münster 26.1. 60 — V i l i A 458/59 — in NJW 1960 S. 2116 = ZBR 1960
24 VGH Freiburg 27. 6. 56 in NJW 1956 S. 1941; OVG Berlin 30. 3. 55 in ZBR 1955 S. 247; V G Wiesbaden 24. 2. 50 in NJW 1950 S. 799; S c h w e i t z e r in ZBR 1956 S. 201; OVG Münster 26.1. 60 — VII A 458/59 — in NJW 1960 S. 2116 = ZBR 1960 a. S. 115 M. B a r i n g in ZBR 1956 S. 37 und 71. 26 OVG Berlin 30. 3. 55 — I Β 102/54 — OVGE Bd. 4 S. 32. 26 OVG Münster 2 6 . 1 . 60 — VII A 458/59 — in ZBR 1960 S. 115.
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ständigen Stelle getroffen werden muß ; der Beamte oder das Gericht müssen in einem solchen Falle bestrebt sein, eine Entscheidung der zuständigen obersten Dienstbehörde herbeizuführen. D. Landesrechtliche Regelung Die landesrechtlichen Bestimmungen über die Aussagegenehmigung entsprechen im wesentlichen den § § 61 if. BBG. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 73 LBG BW entspricht dem § 61 BBG. § 74 LBG BW enstspricht dem § 62 Abs. 1—3 BBG; § 62 Abs. 4 BBG entfällt im LBG. § 75 LBG BW entspricht dem § 63 BBG. 2. B a y e r n Art. 69 BG Bayr. entspricht im wesentlichen § 61 Abs. 1, 2 und 4 BBG; nach Art. 69 Abs. 2 Satz 2 bedarf die Genehmigung zur Aussage, wenn sich der Vorgang, den die Äußerung betrifft, bei einem früheren Dienstherrn ereignet hat, dessen Zustimmung. Art. 70 BG Bayr. entspricht § 62 BBG. Art. 71 BG Bayr. entspricht § 61 Abs. 3 BBG; in Art. 71 Satz 2 LBG wird darüber hinaus klargestellt, daß die Herausgabe auch von privaten Aufzeichnungen über dienstliche Vorgänge verlangt werden kann, wenn ein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung besteht, und daß die Erben des Beamten gegen eine angemessene Entschädigung herausgabepflichtig sind. 3. B e r l i n § 26 LBG Bln. entspricht dem § 61 BBG. § 27 LBG Bln. entspricht dem § 62 BBG. § 63 BBG Bln. entfällt im LBG. 4. B r e m e n § 61 BG Brm. entspricht dem § 61 BBG. § 62 BG Brm. entspricht dem § 62 BBG. § 63 BBG entfällt im BG Brm. 5. H a m b u r g § 63 BG Hmb. entspricht dem § 61 BBG. § 64 BG Hmb. entspricht dem § 62 BBG. § 65 BG Hmb. bestimmt, daß Auskünfte an die Presse durch die Senatoren der Senatsämter und Fachbehörden, den Präsidenten des Rechnungshofes sowie die Leiter der landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts erteilt werden, und diese das Recht hierzu auf andere Personen übertragen können. 6. H e s s e n § 75 HBG entspricht dem § 61 BBG. § 76 HBG entspricht dem § 62 BBG. § 77 HBG entspricht dem § 63 BBG. 572
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7. N i e d e r s a c h s e n § 68 NBG entspricht dem § 61 Abs. 1, 2 und 4 BBG. § 69 NBG entspricht § 62 Abs. 1 bis 3 BBG. § 70 NBG ersetzt § 62 Abs. 4 BBG. § 70 Abs 1 NBG lautet: „Die Verweigerung der Genehmigung nach § 68 Abs. 2 ist der obersten Dienstbehörde vorbehalten, wenn es sich um die Aussage vor Gericht handelt oder das Vorbringen des Beamten der Wahrung seiner berechtigten Interessen dienen soll. Nach Beendigung des Beamtenverhältnisses entscheidet in diesen Fällen die letzte oberste Dienstbehörde, wenn diese ersatzlos wegfällt, eine vom Landesministerium zu bestimmende Stelle. Die Befugnis zur Entscheidung kann auf andere Behörden übertragen werden." § 70 Abs. 2 NBG lautet: „Hat sich der Vorgang, der den Gegenstand der Äußerung bildet, bei einem früheren Dienstherrn ereignet, so darf die Genehmigung nur mit dessen Zustimmung erteilt werden." § 71 NBG entspricht dem § 61 Abs. 3 BBG. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 64 BG NW entspricht dem § 61 BBG. § 65 BG NW entspricht dem § 62 BBG. § 66 BG NW entspricht dem § 63 BBG. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 70 LBG Rh.-Pf. entspricht inhaltlich den § § 6 1 Abs. 1, 2 und 4, 62 BBG. § 71 LBG Rh.-Pf. entspricht dem § 61 Abs. 3 BBG. § 63 BBG fehlt im LBG. 10. S a a r l a n d § 74 BG Saar entspricht dem § 61 BBG. § 75 BG Saar entspricht dem § 62 BBG. § 76 BG Saar entspricht dem § 63 BBG. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 77 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 61 BBG. § 78 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 62 BBG. § 79 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 63 BBG. E. Strafrechtliche Tatbestände der Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht 1. V e r l e t z u n g der A m t s v e r s c h w i e g e n h e i t s p f l i c h t ( § 353b S t G B ) Ein Beamter oder früherer Beamter, der unbefugt ein ihm bei der Ausübung seines Amtes anvertrautes oder zugänglich gewordenes Geheimnis offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Gefängnis, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; hat der Täter mit der eingetretenen Gefährdung fahrlässig nicht gerechnet, so ist auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen (§ 353 b Abs. 1 StGB). Unter die Strafbestimmung des § 353 b StGB fallen zunächst einmal sämtliche Beamte und frühere Beamte im staatsrechtlichen Sinne. Ob die früheren Beamten im Wege der Versetzung in den Ruhestand oder freiwillig ausgeschieden oder ohne ihren Willen entlassen sind, ist gleichgültig. Sonstige im öffentlichen Dienst beschäftigte Personen fallen unter
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§ 353 b StGB jedoch nur dann, wenn sie auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Dienstpflicht durch Handschlag oder zur Verschwiegenheit besonders verpflichtet worden sind (vgl. § 353 b Abs. 2 StGB). Letzteres kann auch nach Beendigung des Beschaftigungsverhältnisses erfolgen. Der Beamte macht sich strafbar, wenn er ein Geheimnis, das ihm bei Ausübung seines Amtes anvertraut oder zugänglich geworden ist, unbefugt offenbart. Geheimnisse sind Angelegenheiten, deren Geheimhaltung durch Gesetz oder dienstliche Anordnung vorgeschrieben oder ihrer Natur nach erforderlich ist; die Kenntnis der Angelegenheit darf nicht über einen bestimmten Personenkreis hinausgehen, was u. a. bei den Amtsgeheimnissen immer der Fall ist27. Der Beamte muß auf Grund seines Amtsverhältnisses in der Lage sein, an das Geheimnis heranzukommen28. Das Geheimnis ist dem Beamten anvertraut, wenn es auf Anordnung seines Dienstvorgesetzten oder auch nur im gewöhnlichen Verlauf des Dienstbetriebes absichtlich und wissentlich zur Kenntnis des Beamten gelangt ist. Der Beamte macht sich strafbar, wenn er das Geheimnis unbefugt einem Dritten offenbart und hierdurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet. Es reicht aus, wenn die Gefährdung nur die mittelbare Folge der Tat ist29. Die Gefährdung des Ansehens der Behörde reicht jedoch für sich allein noch nicht aus, wenn sich einer ihrer Beamten als unzuverlässig erweist®0. Besteht also die ^Gefahr, daß ein Beamter auf Grund der unbefugten Mitteilung von Amtsdelikten, die er sich während der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit hat zuschulden kommen lassen, bestraft werden kann, so ist damit noch kein öffentliches Interesse gefährdet, da im Gegenteil die Öffentlichkeit darauf bedacht sein muß, daß ein Beamter, der in einem erheblichen Maße gegen strafrechtliche Normen verstößt, der gerechten Strafe zugeführt wird. Die Zustimmung zur Strafverfolgung durch die vorgesetzte Behörde bildet kein Indiz dafür, daß ein öffentliches Interesse verletzt worden ist31. Der Täter muß das Amtsgeheimnis vorsätzlich offenbaren, wobei bedingter Vorsatz genügt. Bezüglich der Gefährdung öffentlicher Interessen genügt bereits Fahrlässigkeit; die Strafandrohung ist jedoch milder als bei Vorsatz (vgl. § 353 b Abs. 1 Satz 2 StGB). Bereits der Versuch ist strafbar (§ 353 b Abs. 3 StGB). Die Tat wird nur mit Zustimmung der dem Täter vorgesetzten Behörde, und — wenn er nicht mehr in seinem Amt oder seiner Stellung ist — mit Zustimmung der letzten vorgesetzten Behörde verfolgt (§ 353 b Abs. 4 Satz 1 StGB). Zuständig ist die dem Täter unmittelbar vorgesetzte Behörde32. Die Verfolgung von Personen, die zur Verschwiegenheit besonders verpflichtet worden sind, tritt nur auf Antrag des Bundesministers der Justiz, soweit es sich um Bundesbeamte handelt, im übrigen der obersten Justizverwaltung der Länder, ein.
2. M i t t e i l u n g a m t l i c h e r S c h r i f t s t ü c k e (§ 353 c S t G B ) Wer, abgesehen von dem Fall des § 353 b StGB, unbefugt ein amtliches Schriftstück, das als geheim oder vertraulich bezeichnet worden ist, oder dessen wesentlichen Inhalt ganz oder zum Teil einem anderen mitteilt und dadurch -wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft (§ 353 c Abs. 1 StGB). Das Schriftstück braucht nicht den Vermerk „geheim" oder „vertraulich" zu enthalten, wenn der Beamte mündlich darauf hingewiesen worden ist, daß der Vorgang diesen Charakter trägt. Der Täter braucht das Schriftstück selbst nicht weiterzugeben; es genügt vielmehr, wenn er Abschriften fertigt oder wenn er den Inhalt des Schriftstücks einem Dritten unbefugt mitteilt. Ebenso braucht der Täter mit dem Schriftstück keine amtliche Befassung gehabt zu haben ; es reicht vielmehr, wenn er auf irgend eine Weise von dem Inhalt des Schriftstücks erfahren hat. Entscheidend ist auch bei § 353 c Abs. 1 StGB, daß der Täter öffentliche Interessen gefährdet hat. Gleichfalls mit Gefängnis wird bestraft, wer unbefugt einem anderen eine Mitteilung weitergibt, zu deren Geheimhaltung er von einer zuständigen Stelle besonders verpflichtet worden ist, und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet (§ 353 c Abs. 2 StGB). Hier kann jedermann, also auch eine Person Täter sein, die nicht Beamter oder sonstwie im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Es reicht aus, daß die Behörde dem Täter eine Geheim27 28 29 30 31 32
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RGSt. Bd. 74 S. 111. RGSt. Bd. 74 S. 112. BGHSt. Bd. 11 S. 401. RG in Deutsches Strafrecht, 1938 S. 321. BGHSt. Bd. 10 S. 276; a. M. RGSt. Bd. 74 S. 111. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. VIII zu § 353 b StGB.
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haltungspflicht auferlegt hat. Der Dritte, dem eine geheimhaltungspflichtige Tatsache mitgeteilt worden ist, kann bei Weitergabe derselben auch nur dann bestraft werden, wenn ihn die zuständige Behörde und nicht etwa allein derjenige, der die Mitteilung an den Dritten weitergegeben hat, zur besonderen Geheimhaltung verpflichtet33. Uberhaupt muß der Tater zur Geheimhaltung verpflichtet sein; die Kenntnis allein, daß die Angelegenheit geheimzuhalten ist, reicht nicht aus. Allerdings kann die Verpflichtung noch nach der Mitteilung auferlegt sein. Auch im Falle des § 353 c Abs. 2 StGB tritt Strafbarkeit nur dann ein, wenn durch die Weitergabe der mündlichen Mitteilung wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Die Tat setzt bei § 353 c Abs. 1 und 2 StGB bezüglich der Offenbarung bzw. Weitergabe der Mitteilung oder des amtlichen Schriftstuckes Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. Hat der Täter hinsichtlich der eingetretenen Gefährdung nur fahrlässig gehandelt, so ist auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen § 353 c Abs. 4 StGB). Bereits der Versuch ist bei § 353 c Abs. 1 und 2 StGB strafbar (§ 353 c Abs. 5). Die Tat wird nur auf Anordnung des Bundesministers der Justiz verfolgt, wenn der Täter Bundesbeamter ist oder wichtige öffentlichen Interessen des Bundes verletzt werden; im übrigen kommt die Anordnung der obersten Justizbehörden der Länder in Frage (vgl. § 353 c Abs. 6 StGB).
F. Disziplinarrechtliche Folgen der Verletzung der Amtsverschwiegenheits pflicht Ein Beamter, der gegen das Gebot der Amtsverschwiegenheitspflicht verstößt, verletzt eine der grundlegenden Beamtenpflichten, so daß eine solche Verfehlung streng zu ahnden ist. Auch der Ruhestandsbeamte kann wegen Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht disziplinarisch belangt werden (vgl. § 77 Abs. 2 Nr. 3 BBG). Hierbei ist es gleich, ob die Amts Verschwiegenheitspflicht vor oder nach Eintritt in den Ruhestand verletzt worden ist. Die disziplinarische Ahndung der Amtsverschwiegenheitspflicht gegenüber ausgeschiedenen Beamten ist nicht möglich, weil deren Dienstverhältnis aufgelöst ist. Jedoch können sie nach Wiederbegründung des Beamtenverhältnisses disziplinarisch wegen solcher Taten zur Verantwortung gezogen werden, die sie im früheren Beamtenverhältnis begangen haben. Für das Strafmaß ist zunächst einmal entscheidend, ob der Täter durch die Offenbarung eines dienstlichen Vorganges, der unter die Amtsverschwiegenheitspflicht fällt, gleichzeitig gegen §§ 353 b, 353 c StGB verstoßen hat. Mit Rücksicht darauf, daß der Beamte im strafrechtlichen Sinne ein Vergehen und u. U. sogar ein Verbrechen begangen hat, gebietet sich hier die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens, weil der Beamte in einem solchen Falle das Vertrauen, das seine Behörde in ihn gesetzt hat, so grundlegend zerstört hat, daß im allgemeinen die Höchststrafe am Platze ist. Der Geheimnisbruch stellt zu allen Zeiten ein so erhebliches Dienstvergehen dar, daß die Höchststrafe immer gerechtfertigt ist; anderes konnte unter der Herrschaft des Nationalsozialismus dann gelten, wenn die Tat aus politischen Beweggründen begangen worden war, wenn ζ. B. ein Beamter ein früheres SPD-Mitglied von einer Postüberwachung informierte, um es dem Zugriff der Gestapo zu entziehen34. Im übrigen kommt es bei der Bestimmung des Strafmaßes auf den Grad des Verschuldens des Beamten und auf die durch die Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht hervorgerufenen Folgen entscheidend an 35 . 33 34 35
Amtl. Begründung DJ 1936 S. 998. DokBer. Nr. 1720. Vgl. RDH i n F o e r s t e r - S i m o n s , S. 120—125.
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
Der Beamte handelt im disziplinarrechtlichen Sinn,e schuldhaft, wenn er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, daß der Natur der Sache nach die Geheimhaltung geboten war. Er kann sich nicht darauf berufen, daß ihm die Notwendigkeit der Geheimhaltung nicht bewußt oder daß ihm die Vorschrift, durch die die Geheimhaltung der Angelegenheit angeordnet war, nicht bekannt war. Hegt der Beamte Zweifel, ob er über dienstliche Angelegenheiten aussagen darf, so hat er seinen Dienstvorgesetzten oder seinen Vorgesetzten um Rat zu fragen. Fahrlässigkeit ist dann zu verneinen, wenn er trotz sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, daß es sich bei der Offenbarung eines Vorganges nicht um die Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht gehandelt hat. Ein Beamter, der nur aus Unachtsamkeit seinen Familienangehörigen über Vorkommnisse Mitteilung macht, die der Amtsverschwiegenheitspflicht unterliegen, wird milder zu bestrafen zu sein, als ein Beamter, der unter Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht dienstliche Vorgänge der Öffentlichkeit unterbreitet. Der Beamte verletzt seine Verschwiegenheitspflicht auch dann, wenn er einer Gewerkschaft, der er angehört und in der er mitarbeitet, ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten Vorgänge, die ihm aus seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, unter Angabe von Einzelheiten und Namensnennungen mitteilt; wenn er dies auch auf Wunsch der Gewerkschaft getan hat, so kann er sich damit nicht entlasten36. Strafverschärfend ist zu berücksichtigen, wenn sich der Täter bei der unbefugten Mitteilung dienstlicher Vorkommnisse von unehrenhaften Beweggründen leiten läßt. So ist eine Disziplinarstrafe, die nur durch ein Disziplinargericht verhängt werden kann, angebracht, wenn der Täter dienstliche Angelegenheiten der Öffentlichkeit unterbreitet, um damit seiner Verwaltung Schwierigkeiten zu bereiten. Schwer wiegt es, wenn sich der Beamte zur Verbreitung geheimzuhaltender Vorgänge der Presse oder des Rundfunks bedient. Ein besonders schwerwiegender Fall wäre es, wenn der Beamte jemandem Mitteilung macht, damit es ihm ermöglicht wird, staatlichen Maßnahmen zuvorzukommen oder sich ihnen ganz oder teilweise zu entziehen37. Dies wäre der Fall, wenn ein Polizeibeamter einen Beschuldigten davon verständigt, daß gegen ihn der Erlaß eines Haftbefehls beantragt ist. Einen besonders schweren Fall der Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht stellt es dar, wenn der Beamte durch die Weitergabe von geheimzuhaltenden Vorgängen irgendwelche Vorteile, insbesondere Geldzuwendungen, erhält. So kann ein Beamter nicht mehr im Dienst belassen werden, der fortgesetzt amtliches Material, das vertraulichen Inhalt aufweist, unbefugt, ζ. B. an einen privaten Informationsdienst weitergibt und dafür Belohnungen annimmt; er kann sich in einem solchen Falle nicht darauf berufen, daß die Information im öffentlichen Interesse gelegen hätte38. 36 DiszSenat OVG Münster 20.12. 60 — Y 21/59 — in ZBR 1961 S. 391 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 482 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 132. 37 RDH b e i F o e r s t e r , 1936 S. 16; G r o ß , Verschwiegenheitspflicht der Bediensteten und Informationsrecht der Presse, Göttingen 1964. 3 8 BDH 25. 10. 61 — III D 20/61 — in ZBR 1962 S. 225 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 606 = DokBer. Nr 1553 = BDHE Bd. 6 S. 94 DRiZ = 1964 S. 412.
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Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses
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Der Beamte kann sich zu seiner Verteidigung auf die Wahrung berechtigter Interessen nur unter den in § 40 III S. 376 £. angeführten Voraussetzungen berufen. Läuft gegen einen Beamten ein Disziplinarverfahren, so kann ihm nicht verwehrt werden, sich an Außenstehende zu wenden, um sich das zu seiner Verteidigung erforderliche Material zu beschaffen, solange er dabei seine Mitteilungen über den Gegenstand des Verfahrens auf das notwendige Maß beschränkt und keine Umstände offenbart, die einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterliegen 39 . Wenn auch die Presse ein Interesse daran haben kann, sich den freien Zugang zu allen Informationsquellen auch innerhalb der öffentlichen Verwaltungen zu verschaffen, so stehen diesem Bedürfnis im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zahlreiche Schranken entgegen, abgesehen davon, daß sich die Presse oft von eigennützigen Einzel- und Gruppeninteressen leiten läßt. Der interne vertrauliche Bereich der Verwaltung muß vor unzeitiger, sachfremder und übermäßiger Publizität geschützt werden, da andernfalls die ungestörte, geordnete Arbeit der staatlichen Organe gefährdet wird. Der Beamte darf nicht die Interessen eines einzelnen, wenn auch noch so angesehenen Pressedienstes wahrnehmen, sondern hat vor allem auf die legitimen Interessen seiner Verwaltung loyal zu achten40. Uber die Verletzung der Amtsverschwiegenheit gegenüber einem Personalratsmitglied siehe § 56 XI S. 721 f. und gegenüber einem Vertreter einer Gewerkschaft bzw. eines Berufsverbandes siehe § 56 XI S. 722 ff. und anläßlich einer Betätigung für eine Gewerkschaft bzw. einen Berufsverband siehe § 56 XII S. 728. II. VERLETZUNG DES POSTUND FERNMELDEGEHEIMNISSES 41 A. Allgemeines Während das Amtsgeheimnis dem Staat und der Allgemeinheit dient, soll das Post- und Fernmeldegeheimnis die persönliche Sphäre des einzelnen Bürgers vor jedem Eingriff des Staates oder eines Beamten schützen. Die Verpflichtung zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses geht dabei noch weiter als die Amtsverschwiegenheitspflicht. So darf ein Postbeamter über Vorgänge, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, selbst dann nicht aussagen, wenn ihm von seinem Dienstvorgesetzten Aussagegenehmigung erteilt worden ist. Nur der einzelne Absender oder Empfänger einer Sendung oder Nachricht kann den Postbeamten insoweit von der Geheimhaltungspflicht entbinden. B. Verletzung des Postgeheimnisses 1. Das P o s t g e h e i m n i s Die Pflicht zur Wahrung des Postgeheimnisses ergibt sich für den Postbeamten aus § 5 des Postgesetzes und Art. 10 des Grundgesetzes. Nach Art. 10 39
(LS). 40 41
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BDH 11. 11. 59 — I DV 9/59 — BDHE Bd. 5 S. 48 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 519 BDH 25.10. 61 — III D 20/61 — in ZBR 1961 S. 225 = L i n d g e n , Teil IV Nr.603. L e n g l i n g , Post- und Fernmeldegeheimnis, 2. Aufl. Kiel 1963.
L i n d g e n , Disziplinarrecht 1
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
GG sind das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Nach § 5 Satz 1 des Postgesetzes ist das Briefgeheimnis unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Konkurs- und Zivilprozeßfällen notwendigen Ausnahmen sind durch ein Bundesgesetz festzustellen (vgl. § 5 Satz 2 Postgesetz). Das Postgeheimnis erstreckt sich auf alle innerdienstlichen Vorgänge von der Einlieferung einer Sendung bis zur Aushändigung an den Empfänger. Es schützt nicht nur vor einer Öffnung oder Unterdrückung von Postsendungen durch Unberechtigte, sondern auch schon vor einem Bekanntwerden der Tatsache, daß überhaupt ein Postverkehr stattgefunden hat. Das Postgeheimnis wird auch dann verletzt, wenn der Postbeamte Sendungen aus dem Verkehr zieht oder ohne dienstlichen Auftrag Absender oder Empfänger von Sendungen feststellt42. Als geschütztes Objekt kommen Briefe und Pakete in Betracht. Bei Briefen muß es sich um Mitteilungen von Person zu Person handeln. Durch § 354 StGB werden deshalb nicht Zeitungen erfaßt, auch wenn sie unter Kreuzband verschickt werden 43 . Als Briefe im Sinne des § 354 StGB gelten jedoch Postanweisungen sowie Zahlkarten44, Paketkarten, Nachnahmepostanweisungen und Empfängerabschnitte der Nachnahmekarten vor der Zustellung45. Die Briefe und Pakete müssen auf vorschriftsmäßige Weise in den Postverkehr gelangt sein; es genügt bereits das Einwerfen des Briefes in den Briefkasten46. Auch Fangbriefe gehören zu den der Post übergebenen Briefen47. Eine Schweigepflicht besteht nicht a) hinsichtlich offenkundiger Tatsachen, d. h. solcher Tatsachen, die jedermann bekannt sind oder die ihrer Natur nach für die Kenntnis der Öffentlichkeit bestimmt sind; b) gegenüber den dienstlichen Vorgesetzten, denen der Postbeamte unterstellt ist und gegenüber den von der Postverwaltung eingesetzten Kontroll- und Betriebsprüfungsstellen; c) soweit im Strafverfahren eine Postbeschlagnahme und eine Auskunftserteilung zulässig ist. Nach § 99 StPO ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Briefe und Sendungen auf der Post sowie der an ihn gerichteten Telegramme auf den Telegraphenanstalten zulässig; ebenso ist zulässig an den bezeichneten Orten die Beschlagnahme solcher Briefe, Sendungen und Telegramme, bei denen Tatsachen vorliegen, aus welchen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind, und ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung hat. Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 StPO ist zu der Beschlagnahme nur der Richter, bei Gefahr im Verzug und, wenn die Untersuchung nicht nur eine Übertretung betrifft, auch die BDK V 12. 6. 56 — V VL 2/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 225. RGSt. Bd. 36 S. 269. 44 RGSt. Bd. 72 S. 193. 45 RGSt. Bd. 73 S. 236. « RGSt. Bd. 22 S. 395. 4 7 RGSt. Bd. 69 S.,271. 42
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Staatsanwaltschaft befugt. Die letztere muß jedoch den ihr ausgelieferten Gegenstand sofort — und zwar Briefe und andere Postsendungen uneröffnet — dem Richter vorlegen (§100 Abs. 1 Satz 2 StPO). Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme tritt, auch wenn sie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird (§ 100 Abs. 2 StPO). Über eine von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme sowie über die Eröffnung eines ausgelieferten Briefes oder einer anderen Postsendung entscheidet der zuständige Richter (§ 100 Abs. 3 StPO). Von den getroffenen Maßregeln (§§99, 100 StPO) sind die Beteiligten zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks erfolgen kann (§ 101 Abs. 1 StPO). Sendungen, deren Eröffnung nicht angeordnet ist, sind den Beteiligten sofort auszuhändigen. Dasselbe gilt, soweit nach der Eröffnung die Zurückbehaltung nicht erforderlich ist (§ 101 Abs. 2 StGB). Der Teil eines zurückbehaltenen Briefes, dessen Vorenthaltung nicht durch die Rücksicht auf die Untersuchung geboten erscheint, ist dem Empfangsberechtigten abschriftlich mitzuteilen (§ 101 Abs. 3 StPO). Ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen, durch die die Deutsche Bundespost berechtigt ist, bei straf g e r i c h t l i c h e n U n t e r s u c h u n g e n A u s k u n f t ü b e r T a t s a c h e n zu e r t e i l e n , die u n t e r das P o s t g e h e i m n i s f a l l e n , sind nicht vorhanden. Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Postbeschlagnahme vor, so ist die Deutsche Bundespost zur Auskunft berechtigt. Daher ist den Gerichten Auskunft über den Postverkehr zu geben; der Staatsanwaltschaft ist die Auskunft erst nach Bestätigung durch das Gericht zu erteilen. Sonstigen Organen, wie Polizeibehörden, ist keine Auskunft zu erteilen. Für das Ersuchen ausländischer Justizbehörden um Beschlagnahme und Auskunftserteilung gelten § § 34, 37, 39 und 40 des Auslieferungsgesetzes vom 23. 12. 29 (RGBl. I S. 239); d) bei den in der Konkursordnung vom 28. 5.1898 (RGBl. S. 612) vorgesehenen Fällen. Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 KO sind die Post- und Telegraphenanstalten verpflichtet, auf Anordnung des Konkursgerichts alle für den Gemeinschuldner eingehenden Sendungen, Briefe und Telegramme dem Verwalter auszuhändigen. Dieser ist zur Eröffnung berechtigt (§121 Abs. 1 Satz 2 KO). Der Gemeinschuldner kann die Einsicht und, wenn ihr Inhalt die Masse nicht betrifft, die Herausgabe derselben verlangen (§ 121 Abs. 1 Satz 3 KO). Das Gericht kann die Anordnung auf Antrag des Gemeinschuldners nach Anhörung des Verwalters aufheben oder beschränken (§ 121 Abs. 2 KO); e) auf Grund von zoll- und devisenrechtlichen Bestimmungen. Nach § 46 des Außenwirtschaftsgesetzes vom 28. 4. 61 (BGBl. I S. 481) können Sachen, die ausgeführt, eingeführt oder durchgeführt werden, auf Verlangen dargelegt und einer Beschau und einer Untersuchung unterworfen werden. Zur Erleichterung des Post-, Fracht- und Reiseverkehrs können durch Rechtsverordnung Ausnahmen zugelassen werden, soweit hierdurch der Überwachungszweck nicht gefährdet wird ( § 4 6 Abs. 3 Satz 3 a. a. O.). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Zollgesetzes vom 14. 6. 61 (BGBl. I Nr. 42) wird der Warenverkehr über die Grenze zollamtlich überwacht. Nach § 6 Abs. 1 a. a. O. ist eingeführtes Zollgut unverzüglich und unverändert der zuständigen Zollstelle oder den von ihr beauftragten Zollbediensteten zu gestellen 37»
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(§ 6 Abs. 1 Satz 1 a. a. O.). Zur Gestellung ist verpflichtet, wer das Zollgut in das Zollgebiet gebracht hat (§ 6 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.). Soweit die Deutsche Bundespost zur Gestellung verpflichtet ist, wird das Brief- und Postgeheimnis nach der Maßgabe der Bestimmungen des Zollgesetzes über die Gestellung und Zollbehandlung von Waren eingeschränkt (vgl. § 6 Abs. 7 a. a. O.). Für den Devisenverkehr gelten die §§ 51—54 des Außenwirtschaftsgesetzes. Den mit der Nachschau im Postverkehr beauftragten Zollbeamten ist die Kenntnisnahme von persönlichen Mitteilungen des Absenders einer Briefsendung durch Dienstvorschriften untersagt; f) bei den im Strafrecht vorgesehenen Fällen, wie in den Fällen des § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Delikte), des § 93 StGB (Herstellen staatsgefährdender Schriften), § 13 des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9.6.1884 (RGBl. I S. 61) und §§ 1 bis 4, 11 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. 5. 61 (BGBl. I S. 607). Nach § 1 des letztgenannten Gesetzes stellen Behörden, die das Verbringen von Gegenständen in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes zu überwachen haben, sicher, daß nicht Gegenstände unter Verstoß gegen ein Strafgesetz, das ihre Einfuhr oder Verbreitung aus Gründen des Staatsschutzes verbietet, in diesen Bereich verbracht werden. Die Behörden der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn legen die in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes beförderten Sendungen, bei deren dienstlicher Behandlung sich tatsächliche Anhaltspunkte für den in § 1 bezeichneten Verdacht ergeben, der zuständigen Zolldienststelle vor (§ 2 a. a. O.). Das Brief- und Fernmeldegeheimnis wird nach Maßgabe der § § 2 und 3 des Gesetzes vom 24. 5. 61 eingeschränkt ( § 4 a. a. O.) ; g) nach § 23 des Pressegesetzes. Hiernach findet eine Beschlagnahme von Druckschriften ohne richterliche Anordnung nur statt: aa) wenn eine Druckschrift den Vorschriften der § § 6 und 7 a. a. O. nicht entspricht und bb) wenn der Inhalt einer Druckschrift den Tatbestand einer der in den § § 84 (fahrlässige Verbreitung hochverräterischer Schriften), 95 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 111 (Aufforderung zu strafbaren Handlungen) und 130 StGB (Anreizung zum Klassenkampf) genannten Handlungen erfüllt, jedoch nur dann, wenn dringende Gefahr besteht, daß bei Verzögerung der Beschlagnahme die Aufforderung oder Anreizung ein Verbrechen oder Vergehen unmittelbar zur Folge haben würde. 2. S t r a f r e c h t l i c h e F o l g e n der V e r l e t z u n g des P o s t g e h e i m n i s s e s Beamte, die das Postgeheimnis verletzen, indem sie Sendungen rechtswidrig eröffnen oder aus dem Verkehr ziehen, werden nach § 354 StGB mit Gefängnis von mindestens 3 Monaten bestraft. Die Handlung besteht im Eröffnen, Unterdrücken oder in der Gestattung solcher Handlungen durch Dritte. Unterdrückung liegt vor, wenn die Sendung widerrechtlich dem Postverkehr entzogen ist. Auch eine vorübergehende Entziehung genügt48. Der Postbeamte wird nach § 354 StGB bereits dann bestraft, wenn 48
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er es duldet, daß ein Dritter die Sendung eröffnet oder unterdrückt. Führt ein Nichtpostbeamter die Tat aus, so kann er evtl. nach §§ 133, 242, 246, 247 Nr. 1, 289, 299 oder 303 StGB bestraft werden. Die Rechtswidrigkeit wird ausgeschlossen, wenn die Eröffnung kraft Gesetzes oder kraft einer Rechtsverordnung gestattet ist. Nimmt der Postbeamte an, daß der von ihm geöffnete Brief eine ihn beleidigende Kundgebung enthält, so ist er nicht unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zur Eröffnung des Briefes befugt 49 . 3. D i s z i p l i n a r r e c h t l i c h e F o l g e n der V e r l e t z u n g des P o s t g e h e i m nisses Ein Postbeamter, der gegen das Postgeheimnis verstößt und sich nach § 354 StGB strafbar macht, verletzt eine der grundlegenden Pflichten, was seine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt50. Der Bundesdisziplinarhof 51 führte hierzu folgendes aus : „Die Postverwaltung als Monopolbetrieb muß auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten, deren sie sich zur Erfüllung ihrer Beamten bedient, vertrauen. Ein unredlicher Postbeamter zerstört diese unbedingt notwendige Vertrauensgrundlage und muß daher in aller Regel aus dem Dienst entfernt werden. Das gilt nicht nur für denjenigen, der sich als Postmarder an dem anvertrauten Gut vergreift, um es für sich zu behalten, sondern auch für den, der das in Art. 10 G G besonders geschützte Brief geheimnis verletzt. Hier wird nicht nur das Ansehen der Post in der Öffentlichkeit und das Vertrauen der Postkunden in die Zuverlässigkeit der Postverwaltung schwer verletzt, sondern die Post gerät auch in die Gefahr von Regressen bei Verzögerung oder Verlust der Postsendungen, die bei dem Öffnen, Lesen und Verschließen der Briefe eintreten kann. Die Postverwaltung und die Postkunden müssen sich aber unbedingt auf die Zuverlässigkeit der Postbediensteten verlassen können."
Von der Höchststrafe kann auch dann nicht abgesehen werden, wenn der Beschuldigte ζ. B. als labiler Psychopath auf der Sucht nach Liebesbriefen war, durch deren Inhalt er sich geschlechtlich erregen wollte. Gegenüber der Verletzung des Briefgeheimnisses ist nicht von entscheidender Bedeutung, daß der Beschuldigte die Briefe sofort wieder verschließt und weiterleitet sowie kein meßbarer Schaden entsteht82. C. Verletzung des Fernmeldegeheimnisses 1. Das F e r n m e l d e g e h e i m n i s Das Fernmeldegeheimnis wird durch Art. 10 GG und §§ 10—14 des Fernmeldeanlagengesetzes vom 14. 1. 28 (RGBl. I S. 8) geschützt. Nach Art. 10 GG ist das Fernmeldegeheimnis unverletzlich; Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 des Fernmeldeanlagengesetzes sind die im Dienste der Deutschen Bundespost stehenden Personen, vorbehaltlich der durch Reichs- bzw. Bundesgesetz festgestellten Ausnahmen, zur Wahrung des Telegraphengeheimnisses und des Fernsprechgeheimnisses verpflichtet. Das Fernmeldegeheimnis erfaßt die der Deutschen Bundespost anvertrauten Telegramme, d. h. Nachrichten des Drahtverkehrs, worunter auch Bilder und Zeichen fallen, und die durch eine zu öffentlichen Zwecken dienende Fernsprechanlage übermittelten Nachrichten, also die Ferngespräche. 49 50 51 52
R G in J W 1928 S. 662. B D K V 12. 6. 56 — V V L 2/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 225. DokBer. Nr. 1498. BDH 6. 10. 61 — I D 95/60 — in ZBR 1963 S. 316 (LS) = DokBer. Nr. 1498.
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Unter dem Schutz des Telegraphengeheimnisses und des Fernsprechgeheimnisses stehen auch die Mitteilungen, die auf den für den öffentlichen Verkehr bestimmten Funkanlagen der Deutschen Bundespost befördert oder zur Beförderung auf ihnen aufgegeben worden sind ( § 10 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.). Der Schutz erstreckt sich auch auf die näheren Umstände des Fernmeldeverkehrs, insbesondere darauf, ob und zwischen welchen Personen ein Fernmeldeverkehr stattgefunden hat (§10 Abs. 1 Satz 3 a. a. O.). Befindet sich die Fernmeldeanlage an Bord eines Fahrzeuges für Seefahrt oder Luftfahrt, so besteht die Pflicht zur Wahrnehmung des Geheimnisses nicht gegenüber dem Führer des Fahrzeugs oder seinem Stellvertreter (§ 10 Abs. 3 a. a. O.). Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis bestehen a) hinsichtlich offenkundiger Tatsachen (siehe Β 1) ; b) gegenüber den dienstlichen Vorgesetzten, denen der Postbeamte unterstellt ist, und gegenüber den von der Postverwaltung eingesetzten Kontroll- und Betriebsprüfungsstellen; c) i m Strafverfahren. Es gelten zunächst einmal die §§ 99—101 StPO (siehe B). In strafgerichtlichen Untersuchungen kann der Richter bei Gefahr im Verzuge, falls die Untersuchung nicht ausschließlich Übertretungen betrifft, auch die Staatsanwaltschaft Auskunft über den Fernmeldeverkehr verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von dem Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren und daß die Auskunft für die Untersuchung von Bedeutung ist (§12 Fernmeldeanlagengesetz). Die Bestimmungen über Beschlagnahme von Telegrammen auf der Deutschen Bundespost (§§ 99—101 StPO) gelten entsprechend für Telegramme im Gewahrsam einer nicht der Deutschen Bundespost gehörenden deutschen Telegraphenanstalt, die mit der Deutschen Bundespost unmittelbar oder durch Vermittlung eines Dritten über beförderte Telegramme abrechnet. Das gleiche gilt für Telegramme im Gewahrsam des Dritten, der die Abrechnung vermittelt (§13 Fernmeldeanlagengesetz). Die Deutsche Bundespost hat, wenn die Voraussetzungen der §§99 StPO, 12 FAG gegeben sind, über jede Art von Fernsprechverkehr Auskunft zu erteilen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von ihm herrührten oder für ihn bestimmt waren, und die Auskunft für die Untersuchung Bedeutung hat. Die Auskunft kann sich nur auf den in der Vergangenheit liegenden Fernmeldeverkehr beziehen63. Die Überwachung von Fernsprechanschlüssen kann auf Grund des § 12 FAG nicht verlangt werden. Die Auskunft wird sich im allgemeinen auf die in den Gesprächsblättern der Fernmeldeämter enthaltenen Angaben erstrecken, die nach § 10 Abs. 1 Satz 3 des Fernmeldeanlagengesetzes unter den Schutz des Fernmeldegeheimnisses fallen und demnach geheimhaltungspflichtig sind. Für das Ersuchen ausländischer Justizbehörden um die Auskunftserteilung über den Fernmeldeverkehr gelten die § § 34ff. des Auslieferungsgesetzes vom 23.12.29 (RGBl. I S. 239); 63
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L e n g l i n g , a.a.O. S. 49.
Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses
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d) im Konkursrecht, indem nach § 121 KO Abs. 1 Satz 1 die Post- und Telegraphenanstalten verpflichtet sind, auf Anordnung des Konkursgerichts alle für den Gemeinschuldner eingehenden Telegramme dem Verwalter auszuhändigen. Im übrigen gilt auch hier das unter B i d Gesagte entsprechend. Streitig ist, ob Telefongespräche innerhalb von Dienststellen und Betrieben unter das Fernmeldegeheimnis fallen. Fallen sie nicht hierunter, so sind Dienststellenleiter, Betriebsinhaber und von ihnen beauftragte Personen berechtigt, die innerhalb der Dienststelle oder dem Arbeitsplatz und die von der Dienststelle oder dem Arbeitsplatz nach außen geführten Ferngespräche vermittels von Abhöranlagen mitzuhören. Das Abhören von in Dienststellen und Betrieben geführten Ferngesprächen wird als zulässig anzusehen sein. Nach der Auffassung von Kretzschmar64 sind Mithöreinrichtungen postalisch zulässig, seit vielen Jahren verkehrsüblich und geben dem Inhaber der Telefonanlage die Möglichkeit, sich unbemerkt auf Gespräche, die über die Nebenstellenanlage geführt werden, einzuschalten. Die Verwendung derartiger Mithöreinrichtungen verletzt weder das Persönlichkeitsrecht des Beamten oder Arbeitnehmers noch das seines Gesprächspartners, wenn es sich um dienstliche Gespräche handelt. Der Inhalt derartiger Gespräche darf vom Dienstvorgesetzten auch verwertet werden. Die Benutzung der Mithöreinrichtung ist auch bei Gesprächen privaten Inhalts gerechtfertigt, wenn sie lediglich dem Kontrollzweck dient, daß private Gespräche eingeschränkt oder vermieden werden. Der Dienstvorgesetzte darf jedoch von dem Inhalt des Privatgesprächs, soweit er davon Kenntnis erhält, Dritten keine Kenntnis geben. Sind die privaten Gespräche erlaubt, so besteht kein Mithörrecht. Dies gilt auch dann, wenn die privaten Wohnungsdienstanschlüsse über die Nebenstellenanlage geleitet sind. Zumindest muß der Beamte in einem solchen Falle von der Abhörmöglichkeit in Kenntnis gesetzt werden. Bei einem eigentlichen Dienstanschluß wird die Kenntnis einer solchen Abhörmöglichkeit unterstellt, was jedoch beim Wohnungsdienstanschluß nicht anzunehmen ist. 2. S t r a f r e c h t l i c h e F o l g e n der V e r l e t z u n g des F e r n m e l d e g e h e i m nisses Postbeamten oder mit der Beaufsichtigung und Bedienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt betraute Personen, welche die einer Telegraphenanstalt anvertrauten Telegramme verfälschen oder in anderen als in den im Gesetz vorgesehenen Fällen eröffnen oder unterdrücken oder von ihrem Inhalt Dritte rechtswidrig benachrichtigen oder einem andern wissentlich Hilfe leisten, werden mit Gefängnis bestraft (§ 355 Abs. 1 StGB). Den einer Telegraphenanstalt anvertrauten Telegrammen werden Nachrichten gleichgeachtet, die durch eine zu öffentlichen Zwekken dienende Fernsprechanlage vermittelt werden (§ 355 Abs. 2 StGB). Die mit der Beaufsichtigung oder Bedienung einer zu öffentlichen Zwekken dienenden Telegraphenanstalt von berufener Seite betrauten Personen brauchen nicht Beamte zu sein. Eine Bestrafung nach § 355 StGB setzt nicht voraus, daß der Täter mit dem Telegramm oder dem Ferngespräch dienstlich Befassung hatte66. 54 55
K r e t z s c h m a r , Das Mithören von Telefongesprächen im Betrieb, in BB1959 S. 1068. RGSt. Bd. 49 S. 213.
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Die dienstliche Befassung mit Telegrammen ist von der Abgabe des Unterschriftstelegramms bzw. der Durchsage des Telegramms durch Fernsprecher an das Fernmeldeamt bis zur Aushändigung des Ankunftstelegramms gegeben. Der Täter macht sich auch noch nachher strafbar, wenn er über den Inhalt des Telegramms oder des Ferngesprächs oder über Absender, Empfänger, Ort, Zeit und Dauer des Fernmeldeverkehrs unbefugt anderen Personen Mitteilung macht56. 3. D i s z i p l i n a r r e c h t l i c h e F o l g e n der V e r l e t z u n g des F e r n m e l d e geheimnisses Ein Beamter der Deutschen Bundespost, der gegen das Fernmeldegeheimnis verstößt, verletzt eine seiner grundlegenden Dienstpflichten. Es kommt hinzu, daß er das Vertrauen derjenigen, die bei der Deutschen Bundespost Telegramme aufgeben oder Ferngespräche führen, und die sich auf die Geheimhaltungspflicht gerade bei einem gesprochenen Wort verlassen müssen, grundlegend zerstört. Eine vorsätzliche Verletzung des Fernmeldegeheimnisses legt daher regelmäßig die Prüfung der Frage nahe, ob dem schuldigen Postbeamten noch das Vertrauen entgegengebracht werden kann, das für den Beamtenberuf erforderlich ist57. Aus diesem Grunde ist bei einem Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens geboten. Bei der Bestimmung des Strafmaßes kommt es entscheidend darauf an, ob es sich um eine einmalige Tat oder um ein planmäßiges Abhören von Ferngesprächen handelt. Weiterhin ist entscheidend, ob und welcher Schaden dem Postbenutzer durch die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses entstanden ist und in welchem Umfange der Beamte das Ansehen der Deutschen Bundespost nach außen geschädigt hat. Hat der Beamte zudem durch die unbefugte Weitergabe des Inhalts eines abgehörten Gespräches oder eines Telegramms sich oder einer ihm nahestehenden Person einen Vorteil verschaffen wollen oder konnte durch die unbefugte Weitergabe des Inhalts eines Telegramms oder eines Ferngesprächs ein Dritter sich einer drohenden staatlichen Zwangsmaßnahme, wie ζ. B. einem Haftbefehl, entziehen, so wird im allgemeinen die Höchststrafe in Frage kommen. Ist kein materieller Schaden entstanden und ist der immaterielle Schaden unerheblich, so kann ausnahmsweise von der Höchststrafe abgesehen werden; hierbei darf es sich jedoch nur um ein einmaliges Versagen handeln und die Persönlichkeit des Beschuldigten sonst zu keinen Bedenken Anlaß geben. Ebenso kann von der Höchststrafe abgesehen werden, wenn der Beamte unüberlegt und impulsiv gehandelt hat, was ζ. B. der Fall wäre, wenn er sofort nach dem Abhören des Gesprächs dasselbe einem Dritten mitteilt, und der Schaden, der durch die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses angerichtet wird, nicht groß ist68. III. VERLETZUNG DES STEUERGEHEIMNISSES Anläßlich der Steuerveranlagung muß der Staatsbürger den Finanzbehörden Tatsachen mitteilen, deren Kenntnis in der Öffentlichkeit dem Steuer56 67 58
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RGSt. Bd. 42 S. 412. BDK V 12. 6. 56 — V VL 2/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 225. DokBer. Nr. 678.
Verletzung der Pflicht zur Herausgabe amtlicher Schriftstücke
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Pflichtigen Nachteile bereiten könnte. Schon aus diesem Grunde muß der Staatsbürger gegen die unbefugte Bekanntgabe von irgendwelchen Tatsachen, die mit der Besteuerung zusammenhängen, geschützt werden. Diesem Schutz dient das Steuergeheimnis, das den Steuerbeamten verpflichtet, gegenüber außenstehenden Dritten hinsichtlich solcher Tatsachen und Vorkommnisse Stillschweigen zu wahren, die mit der Erhebung von Steuern irgendwie zusammenhängen. Steuerbeamte, die das Steuergeheimnis verletzten, machen sich nach § 412 Abgabenordnung strafbar. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses liegt vor, wenn ein Beamter a) Verhältnisse eines Steuerpflichtigen, die ihm im Besteuerungsverfahren, im Steuerstrafverfahren oder auf Grund einer Mitteilung einer Steuerbehörde in einem anderen Verfahren bekanntgeworden sind, unbefugt offenbart, b) den Inhalt von Verhandlungen in Steuersachen, an denen er als Amtstràger beteiligt war, unbefugt offenbart oder c) ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das ihm im Besteuerungsverfahren oder im Steuerstrafverfahren anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, unbefugt verwertet. Wer das Steuergeheimnis verletzt, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§ 412 Abs. 1 Abgabenordnung). Ist die Handlung aus Eigennutz oder in der Absicht begangen worden, den Steuerpflichtigen zu schädigen, so kann statt der Geldstrafe oder neben ihr auf Gefängnis sowie auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden (§ 412 Abs. 2 Abgabenordnung). Im Falle des § 412 Abs. 1 Abgabenordnung handelt es sich um ein A n t r a g s d e l i k t , wobei antragberechtigt das Landesfinanzamt oder der Steuerpflichtige ist, dessen Interessen verletzt worden sind (§ 412 Abs. 3 Abgabenordnung).
Hinsichtlich der dis2iplinarrechtlichen Beurteilung eines Verstoßes gegen die Verpflichtung, das Steuergeheimnis zu wahren, gilt das gleiche wie bei der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Bei der Auswahl des Strafmaßes ist entscheidend, ob es sich um eine einmalige Verfehlung oder um ein fortgesetztes planmäßiges Vorgehen handelt. Ebenso kommt es entscheidend auf den Nachteil, der durch die Verletzung des Steuergeheimnisses dem Steuerpflichtigen entstanden ist, und die Beeinträchtigung des Ansehens des Staates an. Hat der Beamte das Steuergeheimnis aus eigennützigen Motiven verletzt, so wird die Verhängung der Höchststrafe geboten sein. IV. VERLETZUNG DER PFLICHT ZUR HERAUSGABE AMTLICHER SCHRIFTSTÜCKE Es ist selbstverständlich, daß amtliche Schriftstücke und sonstige Aufzeichnungen, mit denen der Beamte amtlich Befassung hat, dort verbleiben müssen, wo der Beamte seine dienstliche Tätigkeit verrichtet. Die Eigenart des Dienstes kann es mit sich bringen, daß der Beamte seine Tätigkeit teilweise zu Hause versieht, um so Überstunden bei seiner Dienststelle zu vermeiden. Weiterhin ist der Beamte zuweilen geneigt, insbesondere von Verfügungsentwürfen Durchschläge zurückzubehalten, die er nicht zum Vorgang nimmt, sondern den von ihm geführten und in seinem Alleinbesitz befindlichen Handakten beifügt. Tritt der Beamte in den Ruhestand oder wird er zu einer anderen Dienststelle versetzt, kommt es häufig vor, daß er amtliche Schriftstücke oder Durchschläge amtlicher Vorgänge in seine Wohnung oder zu seiner neuen Dienststelle mitnimmt, weil er der Ansicht ist, daß sie nach seiner abschließenden Behandlung nicht mehr benötigt werden. Hiergegen ist solange nichts einzuwenden, als der Vorgang voraussichtlich nicht 585
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Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht
mehr dienstlich benötigt wird und der Beamte mit den in seinem Besitz befindlichen amtlichen Schriftstücken oder Aufzeichnungen keinen Mißbrauch treibt. Da die Gefahr besteht, daß durch die im Besitz des Beamten befindlichen Schriftstücke und sonstigen Aufzeichnungen amtliche Vorkommnisse außenstehenden Dritten unbefugt zur Kenntnis gebracht werden können, wird durch § 61 Abs. 3 BBG sichergestellt, daß auf Verlangen der Dienstbehörde der Beamte solche amtlichen Schriftstücke und sonstige Aufzeichnungen, die er in seinem Besitze hat, wieder herausgibt. Dem § 61 Abs. 3 BBG entsprechen im Landesbeamtenrecht § 73 Abs. 3 LBG BW, Art. 71 Satz 1 und 3 BG Bayr., § 26 Abs. 3 LBG Bln., § 61 Abs. 3 BG Brm., § 63 Abs. 3 BG Hmb., § 75 Abs. 3 HBG, § 68 Abs. 3 NBG, § 64 Abs. 3 BG NW, § 71 LBG Rh.-Pf., § 74 Abs. 3 BG Saar und § 77 Abs. 3 BG Schl.-Hol. Über die Besonderheiten der Bayerischen Regelung siehe unten. Die Regelung des § 61 Abs. 3 BBG und der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen trägt vor allem dazu bei, daß nicht unter Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht in amtlicher Tätigkeit bekanntgewordene Angelegenheiten zum Nachteil der Verwaltung oder eines Dritten der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Im übrigen dient sie einer ordnungsgemäßen Aktenführung, die dann nicht mehr gewährleistet ist, wenn der Beamte dienstliche Schriftstücke dadurch den behördlichen Akteien entzieht, daß er sie in seinem Besitz behält. Nach § 61 Abs. 3 Satz 1 BBG hat der Beamte, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, auf Verlangen des Dienstvorgesetzten oder des letzten Dienstvorgesetzten amtliche Schriftstücke, Zeichnungen, bildliche Darstellungen sowie Aufzeichnungen jeder Art über dienstliche Vorgänge, auch soweit es sich um Wiedergaben handelt, herauszugeben. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es bei der Herausgabepflicht nicht an. Hat der Beamte einen Entwurf zu einer Verfügung auf Papier gefertigt, das in seinem Eigentum steht, so kann er deshalb nicht die Herausgabe verweigern. Der Beamte braucht aber solche amtlichen Schriftstücke und sonstigen Aufzeichnungen, die er rechtmäßig außerhalb seiner Diensträume in privater Verwahrung oder nach einer Versetzung zu einer anderen Dienststelle in den derzeitigen Diensträumen behält, erst dann herauszugeben, wenn er von seinem derzeitigen oder seinem letzten Dienstvorgesetzten hierzu aufgefordert worden ist. Ob der Dienstvorgesetzte den Beamten oder früheren Beamten zur Herausgabe amtlicher Aufzeichnungen usw. auffordern soll, liegt in seinem freien Ermessen. Weigert sich der Beamte, die Schriftstücke herauszugeben, so kann die Verwaltung nach § 172 BBG den Klageweg vor den Verwaltungsgerichten beschreiten oder den Weg des Erstattungsverfahrens wählen. Die Herausgabepflicht trifft nach dem Tode des Beamten oder Ruhestandsbeamten auch seine Hinterbliebenen und seine Erben (§61 Abs. 3 Satz 2 BBG). Nach Art. 71 Satz 3 BG Bayr. trifft die Verpflichtung zur Herausgabe die Hinterbliebenen und die Erben des Beamten nur gegen eine angemessene Entschädigung. Nach Art. 71 Satz 2 BG Bayr. kann eine Herausgabe privater Aufzeichnungen über dienstliche Vorgänge nur verlangt werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung dieser Vorgänge besteht. Der Dienstvorgesetzte verliert die Disziplinargewalt über den Beamten mit dem Ablauf der Dienstzeit nicht sofort, wenn der Beamte die ihm obliegende Übergabe der Dienstgeschäfte, Dienstutensilien, dienstlichen Schriftstücke 586
Allgemeines
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usw. unterlassen oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat; daher können dienstliche Verfehlungen, deren sich der Beamte in bezug auf die Übergabe der dienstlichen Schriftstücke usw. schuldig macht, ohne Verzug disziplinarisch noch nach Stellung eines Entlassungsantrages geahndet werden59. Hat ein Beamter seine Entlassung nach § 30 BBG beantragt, so kann diese solange versagt werden, bis der Beamte die amtlichen Schriftstücke und sonstigen Aufzeichnungen herausgegeben hat ; ob der Beamte mit der Versagung der Entlassung einverstanden ist, ist für eine Bestrafung wegen der unterbliebenen Herausgabe der Schriftstücke usw. unbeachtlich. Die Weigerung zur Herausgabe der amtlichen Schriftstücke stellt im allgemeinen eine Verletzung der Gehorsamspflicht dar. Der Beamte kann die Herausgabe eines zurückgehaltenen Schriftstücks auch nicht mit der Begründung verweigern, daß es für ihn in einem gegen ihn anhängigen Disziplinarverfahren oder in einem Verwaltungsstreitverfahren als Beweismittel in Betracht kommen kann.60. Macht der Beamte zudem von den in seinem Besitz befindlichen Schriftstücken und Aufzeichnungen unbefugten Gebrauch, indem er die in diesen Schriftstücken enthaltenen amtlichen Vorgänge an Dritte mitteilt, oder erhalten diese die Möglichkeit, selbst ohne Willen des Beamten in die amtliche Vorgänge enthaltenden Aufzeichnungen Einblick zu nehmen, so macht sich der Beamte zudem einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht schuldig. Das Strafmaß richtet sich nach dem Nachteil, der der Verwaltung dadurch entstanden ist, daß der Beamte die Schriftstücke nicht herausgegeben hat. Weiterhin kommt es entscheidend darauf an, ob der Beamte die widerrechtlich zurückbehaltenen Schriftstücke dazu ausnützen will, um sich Vorteile zu verschaffen.
§ 53. Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit I. ALLGEMEINES Eine der Hauptflichten des Beamten besteht in der gewissenhaften Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten. Dies ergibt sich aus § 54 BBG. Hiernach hat sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§54 Satz 1 BBG) und sein Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten (§54 Satz 2 BBG). Die gleichen Pflichten sind auch in den Beamtengesetzen der Länder niedergelegt, so in § 67 Satz 1 und 2 LBG BW, Art. 64 Satz 1 und 2 BG Bayr., § 20 Satz 1 und 2 LBG Bln., § 55 Satz 1 und 2 BG Brm., § 57 Satz 1 und 2 BG Hmb., § 69 Satz 1 und 2 HBG, § 62 Satz 1 und 2 NBG, § 57 Satz 1 und 2 BG NW, § 64 Satz 1 und 2 LBG Rh.-Pf., § 68 Satz 1 und 2 BG Saar und § 66 Satz 1 und 2 BG Schl.-Hol. Der Beamte muß sich bewußt sein, daß er sich mit seiner ganzen Person in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen hat. Die sich bei der Ausübung seines Amtes ergebenden Pflichten folgen im einzelnen aus allgemeinen Anordnungen oder aus der Natur der ihm zugewiesenen Aufgaben. Nachfolgend lassen sich nur solche Verstöße gegen die dem Beamten obliegenden Verpflichtungen umschreiben, die immer wieder vorkommen. Eine Behandlung der einzelnen 6 9 PrOVG 22.11. 07 — J. Ν. I. 1502 — Rep. Α. A. 6/07 — PrOVG Bd. 51 S. 438 = P e r w o , S. 62. 8 0 BDH 13. 3. 62 — II D 31/61 — BDHE Bd. 6 S. 51 = NDBZ 1963 S. 80.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
Verstöße gegen spezielle Dienstpflichten verbietet die Aufgabe des Werks, das sich nur mit den allgemein verbindlichen Regeln des Disziplinarrechts befaßt. Die Verpflichtung zur Gewissenhaftigkeit verlangt zunächst einmal, daß der Beamte zu den vorgeschriebenen Dienststunden auf seinem Arbeitsplatz erscheint. Grundsätzlich darf er nur während des Urlaubs oder während einer Erkrankung dem Dienst fernbleiben. Überdies muß er pünktlich seinen Dienst antreten. Der Beamte muß weiterhin bestrebt sein, die ihm zugeteilten Dienstgeschäfte ordnungsgemäß zu erledigen. Im allgemeinen wird er zu solchen Beschäftigungen herangezogen werden, die seiner Vorbildung und seiner Befähigung entsprechen. Übt er seine Tätigkeit nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten aus, so kann er nur dann disziplinarisch bestraft werden, wenn sein U n v e r m ö g e n s c h u l d h a f t v e r u r s a c h t ist. Der Beamte kann dann nicht bestraft werden, wenn seine Minderleistungsfähigkeit nicht von ihm zu vertreten ist. Er muß aber auch nach Abschluß seiner Examina bestrebt sein, seine Kenntnisse so zu vervollkommnen, daß er den an ihn gestellten Anforderungen gerecht wird. Die Spezialisierung und die zahlreichen Neuerungen, die die Technik und die Vervollkommnung der einzelnen Lebensvorgänge mit sich bringen, lassen oft schon nach kurzer Zeit die vor den jeweiligen Examina erworbenen Kenntnisse nur unzureichend erscheinen. Der Beamte muß zudem bestrebt sein, seine Arbeitskraft vollauf zu erhalten. Hierbei wird auch sein Leben außerhalb des Dienstes berührt. So macht sich der Beamte nicht nur dann disziplinarisch strafbar, wenn er während seiner Dienststunden alkoholische Getränke genießt und infolgedessen nicht in der Lage ist, den jeweiligen Dienstgeschäften nachzugehen, sondern er muß sich disziplinarisch auch dann verantworten, wenn er sich außerhalb des Dienstes dem Trünke in einer solchen Weise hingibt, daß er seinen Gesundheitszustand und damit seine Dienstfähigkeit erheblich beeinträchtigt; hier greift also die außerdienstliche Haltung so erheblich in das Beamtenverhältnis ein, daß ein Beamter, der durch einen liederlichen Lebenswandel seine Gesundheit schädigt, ein Dienstvergehen im engeren Sinne begeht. Dies bezieht sich nicht allein auf den Genuß von Alkohol, sondern sogar auf die Erhaltung der Dienstfähigkeit im Wege einer Operation; allerdings müssen hierbei die beiderseitigen Interessen gegenseitig abgewogen werden, wobei dem Beamten nicht zugemutet werden kann, sich auch dann einer lebensgefährlichen Operation zu unterziehen, sofern nur ein geringer Erfolg die Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit verspricht. Welchen Umfang die Verpflichtung zur gewissenhaften Erfüllung der dienstlichen Obliegenheiten einnimmt, läßt sich im einzelnen nicht beschreiben. Hierbei kommt es wesentlich auf die dienstliche Stellung des Beamten und den Verwaltungszweig, in dem er beschäftigt ist, an. So wird ζ. B. von einem Hauptwachtmeister bei einer Justiz-Vollzugsanstalt eine besonders gewissenhafte Pflichterfüllung und einwandfreie Führung und Leistung verlangt; macht er sich hierbei einer strafbaren Handlung schuldig, so daß er selbst eine Freiheitsstrafe verbüßen muß, so hat er das Vertrauen seines Dienstherrn in schwerwiegender Weise enttäuscht, wobei er mit Rücksicht auf seine beschränkte Verwendbarkeit mit einer nach außen sichtbaren 588
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Disziplinarstrafe bestraft werden muß 1 . Vor allem ist hierbei nicht die einzelne Fehlleistung, sondern das Gesamtverhalten des Beamten zu berücksichtigen. Gerade hier wirkt sich der im Disziplinarrecht herrschende Grundsatz der Ermessensfreiheit bei der Ausübung der Disziplinargewalt aus. Der Dienstvorgesetzte wird, bevor er disziplinarisch einschreitet, bestrebt sein, mit anderen Mitteln die Dienstzucht aufrechtzuerhalten. So wird noch nicht jede Verfehlung des Beamten zu einer disziplinarischen Ahndung führen. Bezüglich der Auswahl des Strafmaßes lassen sich gerade bei der Beurteilung solcher Dienstvergehen, die einen Verstoß gegen die Gewissenhaftigkeit darstellen, keine allgemeingültigen Regeln aufstellen, zumal der Beamte hierbei meistens nicht zugleich gegen strafrechtliche Normen verstößt, bei denen aus der Strafdrohung gleichzeitig die Intensität des Dienstvergehens zu erkennen wäre. Bei Gleichgültigkeit gegenüber Dienstpflichten, die immer wiederkehrt, muß zunächst durch stufenweise Steigerung der Disziplinarstrafen versucht werden, eine Besserung des Beschuldigten herbeizuführen1®. Selbst wenn mehrmals nur Geldbußen verhängt worden sind, reicht dies nicht für die Höchststrafe aus, weil hierin keine Steigerung der Strafen zu erblicken ist. II. UNERLAUBTES FERNBLEIBEN VOM DIENST A. Allgemeines111 Der Beamte ist verpflichtet, dem Dienstherrn seine Arbeitskraft im vollen Umfange zur Verfügung zu stellen. Hierbei muß er den Obliegenheiten, die ihm durch Gesetz, Dienstvorschrift oder Befehl eines Vorgesetzten übertragen sind, nachkommen, andernfalls er sich wegen Verletzung der Gehorsamspflicht, die unter § 55 S. 670 ff. behandelt ist, disziplinarisch strafbar macht. Er muß die ihm übertragenen Aufgaben persönlich wahrnehmen, es sei denn, daß sie nach dem Geschäftsplan oder ausdrückliche Anweisung seiner Vorgesetzten durch seinen Vertreter oder einen anderen Bediensteten wahrzunehmen sind10. Um seinen dienstlichen Obliegenheiten nachkommen zu können, muß der Beamte zu den festgesetzten Dienststunden auf seinem Arbeitsplatz erscheinen. Ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten darf er dem Dienst nicht fernbleiben (§73 Abs. 1 Satz 1 BBG). Dienstunfähigkeit infolge Krankheit ist auf Verlangen nachzuweisen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 BBG). Bleibt der Beamte ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fern, so verliert er für die Zeit seines Fernbleibens seine Dienstbezüge (§73 Abs. 2 Satz 1 BBG). Der Dienstvorgesetzte stellt den Verlust der Dienstbezüge fest und teilt dies dem Beamten mit (§73 Abs. 2 Satz 2 BBG). Eine disziplinarische Verfolgung wird dadurch nicht ausgeschlossen (§ 73 Abs. 2 Satz 3 BBG). B. Voraussetzungen für das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst Der Beamte bleibt dem Dienst unerlaubt fern, wenn er ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten nicht an der Stelle erscheint, wo er -
DiszSenat OVG Münster 1. 2. 63 — V 27/62 — in ZBR 1965 S. 270 (LS). DokBer. Nr. 1852; vgl. auch DokBer. Nr. 1516. 1 6 Bochalli, Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst in ZBR 1956 S. 323; Thiele, Schuldhaftes unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst in DöD 1956 S. 204; W e i m a r , Fernbleiben vom Dienst in RiA 1964 S. 284. < ! = BDH 25. 7. 61 — IDV10/60 — in ZBR 1961 S. 392. 1
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seine dienstlichen Obliegenheiten zu verrichten hat. Das unerlaubte Fernbleiben- vom Dienst bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten, während bei den Folgen, die sich aus dem Verhalten des Beamten ergeben, auch die subjektiven Auffassungen und Annahmen des Beamten zu berücksichtigen sind2. Das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst ist an folgende drei Voraussetzungen geknüpft: 1. Verpflichtung zur Wahrnehmung eines dem Beamten übertragenen Amtes Dem Beamten muß ein bestimmtes Amt übertragen sein, dessen Obliegenheiten er zu verrichten hat. Er bleibt dem Dienst dann fern, wenn die Verpflichtung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten nicht nachträglich ganz oder teilweise aufgehoben ist3. Dienst ist nicht nur, was im Dienstplan steht. Wird der Beamte neben seinem Dienst zum Unterricht herangezogen, stellt sich auch der Unterricht als Dienst dar. So wird ζ. B. bei der Deutschen Bundesbahn in § 33 Abs. 8 der seit 1940 gültigen Dienstvorschrift für das Unterrichtswesen — DV 128 — bestimmt, daß der Unterricht als Dienst gilt. Darüber hinaus ist alles Dienst, was die vorgesetzte Dienstbehörde als Dienst bezeichnet4. Glaubt der Beamte, daß er durch eine zusätzliche Dienstleistung zu sehr in Anspruch genommen sei, so steht ihm das Recht der Dienstaufsichtsbeschwerde zu; sofern diese überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig eingelegt wird, hat der Beamte der Aufforderung seines Dienstvorgesetzten, zusätzlich neben dem Dienstplan Dienst zu leisten, nachzukommen. Ist dem Beamten die Führung der Dienstgeschäfte nach § 60 BBG untersagt oder ist er nach § 78 BDO votläuflig des Dienstes enthoben8, so entfällt ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst. Doch darf der amtsenthobene Beamte, wenn er auch keine Dienstbereitschaft zum Ausdruck zu bringen braucht, niemals die Grundlagen für eine Rückkehrbereitschaft, also die Rückkehrmöglichkeit in sein Amt, durch eine Entfernung vom dienstlichen Wohnsitz, wie ζ. B. durch die Flucht ins Ausland, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, auf die Dauer oder auf längere Zeit beseitigen; hierbei handelt es sich jedoch um eine Verletzung der Residenzpflicht, die vom unerlaubten Fernbleiben vom Dienst scharf zu trennen ist®. Der Beamte bleibt dem Dienst nicht unentschuldigt fern, wenn er sich weigert, eine Tätigkeit auszuüben, die mit seinen Beamtendienstpflichten in keinerlei Zusammenhange steht. So macht sich ζ. B. ein nach der Kapitulation von 1945 aus politischen Gründen entlassener Reichsbeamter, der die Aufforderung seiner Dienstbehörde, als Arbeiter einer Rotte wieder bei der Bahn tätig zu werden, nicht befolgte, eines schuldhaften Fernbleibens vom Dienst nicht schuldig7; dem deutschen Beamtenrecht ist die Zumutung einer unterwertigen Tätigkeit als Arbeiter und die Aufforderung, einen solchen Dienst zu verrichten, fremd. 2 3
S. 403. 4 s 6 7
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P l o g - W i e d o w , Anm. 2 zu § 73 BBG. PrOVG 14.4. 05 — Rep. D. S. 38/04, Bd. 47 S. 418; PrOYG Bd. 73 S. 429, Bd. 90 DokBer. Nr. 1435. PrOVG Bd. 90 S. 409. PrOVG 27.10. 36 — I D 76/36 — PrOVG Bd. 99 S. 250 = P e r w o , S. 375. BDH 29. 6. 55 — III D 74/54 — BDHE Bd. 2 S. 165 = L i n d g e n , Teil IV Nr.220.
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Ein Fachbeamter kann jedoch bei einem außergewöhnlichen Arbeitsanfall zu einem Sondereinsatz, wie er ζ. B. im Bereich der Deutschen Bundespost im Weihnachts- und Neujahrsverkehr auftritt, auch zu Leistungen über seinen eigentlichen Tätigkeitsbereich hinaus herangezogen werden 8 . Wohl müssen die dienstlichen Anordnungen, um nach § 55 BBG wirksam zu sein, in den Amtsbereich eines Beamten fallen; seine Grenzen werden auch durch generelle Regelungen gezogen, die im allgemeinen bestimmte sachliche oder organisatorische Merkmale zum Gegenstand haben ; sie werden sich jedoch hierauf keineswegs beschränken. Die sich aus § 54 Satz 1 BBG ergebende Verpflichtung, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, schließt ein, daß der Beamte für Obliegenheiten eingesetzt werden kann, die von seinem regelmäßigen Aufgabenbereich abweichen können, wobei allerdings die Wahrnehmung andersartiger Aufgaben sachlich geboten und persönlich vertretbar sein muß. Die Verpflichtung, unter Umständen auch artfremde Tätigkeiten zu verrichten, ergibt sich schon daraus, daß es nur einen einheitlichen BeamtenbegrifF gibt, der jedermann verpflichtet, der Allgemeinheit zu dienen. Ein starres Spezialistentum ist nicht geeignet, den Anforderungen einer ausgedehnten staatlichen Verwaltung in einer modernen Gesellschaft zu genügen. Eine weitgehende Bindungslosigkeit eines Fachbeamten würde auch im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen eines nicht nur freiheitlichen, sondern auch sozialen Rechtsstaats liegen. Der Dienstherr muß auch von einem Fachbeamten erwarten, daß er bei dringenden dienstlichen Bedürfnissen seine persönlichen Interessen zurückstellt. Wenn es der reibungslose Ablauf der hoheitlichen Aufgaben, die die jeweilige Verwaltung wahrzunehmen hat, erfordert, muß jeder Beamte es hinnehmen, daß er ohne Rücksicht auf seine bisher ausgeübte Tätigkeit zu einem Sondereinsatz herangezogen wird. Der Beamte bleibt dem Dienst nicht unerlaubt fern, wenn er um seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nachsucht und diese ihm auch gewährt worden ist. Das Recht auf freiwilliges Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis gehört zu den fundamentalen Grundsätzen des Beamtenrechts9. Die Entlassung kann jedoch solange hinausgeschoben werden, bis der Beamte seine Dienstgeschäfte ordnungsgemäß abgewickelt hat 10 . Hat der unmittelbare Dienstvorgesetzte die Dienstunfähigkeit eines Beamten im Zusammenhang mit einem Antrag auf Versetzung in den Ruhestand festgestellt und diese Feststellung nicht widerrufen, so bleibt der Beamte, der daraufhin keinen Dienst verrichtet, nicht schuldhaft dem Dienst fern 11 . Wenn auch die über die Versetzung in den Ruhestand entscheidende Behörde nach § 43 Abs. 2 BBG an die Erklärung des unmittelbaren Dienstvorgesetzten nicht gebunden ist, so ist die Mitteilung dieser Behörde an den unmittelbaren Dienstvorgesetzten, daß sie das ärztliche Gutachten für die Zurruhesetzung noch nicht für ausreichend ansehe, noch nicht als Widerruf seiner Erklärung nach § 43 Abs. 1 BBG anzusehen. Ist der Beamte zu einer anderen Dienststelle versetzt oder abgeordnet, so braucht er wegen der aufschiebenden Wirkung der Versetzung- und AbBDH 15. 5. 62 — III DV 2/62 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 614. Fischbach, Anm. 1 Abs. 1 zu § ¿ 0 BBG. 1 0 DokBer. Nr. 1634. 1 1 BDH 16. 5. 57 — II D 129/55 — BDHE Bd. 3 S. 135 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 316. 8 9
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Ordnungsverfügung dieser keine Folge zu leisten, wenn er gegen die Anordnungen Widerspruch eingelegt bzw. Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten erhoben und die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VerwGO noch nicht angeordnet hat11». Die Vollziehungsanordnung kann sich nicht rückwirkende Kraft für die seit dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung bereits vergangene Zeit beilegen. Der Schutzzweck des Suspensiveffektes, während einer streitigen Rechtslage endgültige einseitige Maßnahmen zu hindern, kann sich auch nicht je nach dem Ausgang des Verwaltungsstreitverfahrens rückwirkend erledigen. T r o t z d e m k a n n die A u s n u t z u n g einer an sich u n a n f e c h t b a r e n f o r m a l e n R e c h t s s t e l l u n g g l e i c h w o h l m i ß b i l l i g t w e r d e n . Der Bundesdisziplinarhof11» führte hierzu folgendes aus: „Wenn der Beschuldigte positiv wußte, daß er keine vertretbaren Gründe hatte, durch einen Widerspruch die Vollziehbarkeit der Abordnung zu hemmen, dann ist sein Verhalten rechtsmißbräuchlich und disziplinarrechtlich gesehen treuewidrig. Allerdings genügt nicht jedes Verschulden; fahrlässige Verkennung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse reicht allein nicht aus. Denn es muß in einem Rechtsstreit jedem Bürger und auch dem Beamten gegenüber seinem Dienstherrn freistehen, sich gegen Verwaltungsakte zu wehren, wenn sie rechtlich in irgendeiner Beziehung zweifelhaft sein können. Dabei wird man nicht nur den verschiedenartigsten Abstufungen subjektiver Einstellungen weiten Raum geben, sondern auch die notwendig unzulänglichen Rechtskenntnisse der meisten Betroffenen berücksichtigen müssen. Auch einem Beamten steht es im Prinzip frei, sich seine Rechtserläuterungen nicht vom Vorgesetzten, sondern von einem Gericht zu holen. Der Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt, der grundsätzlich gewährleistet ist (Art. 19 Ab. 4 GG), kann aber nur bis zur Grenze des Rechtsmißbrauchs gehen. Diese Grenze kann schon dann erreicht sein, wenn der Widersprechende aus einer grundsätzlich verfehlten Einstellung heraus rechts- und tatsachenblind ist, wenn er sich also auf Gründe beruft, auf die sich kein vernünftiger Mensch in gleicher Lage berufen würde".
Der Beamte hat für die Schwebezeit, um den Verlust der Dienstbezüge nach § 73 BBG zu vermeiden, seinem b i s h e r i g e n D i e n s t v o r g e s e t z t e n zum i n d e s t seine D i e n s t e a n z u b i e t e n ; er darf das nur dann unterlassen, wenn es ihm wegen der Bestimmtheit der zu erwartenden Ablehnung nicht zuzumuten ist 12 . Hat der Beamte keinen Widerspruch eingelegt oder keine Anfechtungsklage erhoben, so kann von einem entschuldigten Fernbleiben vom Dienst nur dann die Rede sein, wenn ihm beim Nichtantreten seines Dienstes bei der neuen Dienststelle das Bewußtsein der Dienstwidrigkeit gemangelt hat. Der Mangel dieses Bewußtseins kann auf einem Rechtsirrtum beruhen, der aber frei von Fahrlässigkeit über bestehende Rechtsvorschriften sein muß 13 . Ist der Beamte zu einer auswärtigen Dienststelle versetzt, so muß er die Dienstreise zum neuen Dienstort rechtzeitig antreten. U. U. muß er seine Reisevorbereitungen am dienstfreien Samstag oder gar am Sonntag treffen13». Ob der Beamte vorsätzlich oder fahrlässig dem Dienst fernbleibt, ist für die Anwendung des § 73 Abs. 2 BBG und für die Frage, ob der Beamte sich disziplinarisch strafbar gemacht hat, unbeachtlich. l l a DokBer. Nr. 1913 (für Abordnungsverfügung, die infolge eines Eingriffs in das beamtenrechtliche Grundverhältnis einer Versetzung gleichsteht). l l b wie Fußnote 10a. 1 2 DiszSenat O V G Münster 30. 5. 58 — Y 16/58 — in ZBR 1958 S. 387 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 234. 1 3 DStH Stuttgart — Dienststrafsenat Stuttgart — 16. 7. 54 — PL-DH11/54 — BDHE Bd. 1 S. 186 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 131. 1 3 a Vgl. DokBer. Nr. 1901.
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2. F e r n b l e i b e n vom Dienst ohne E r l a u b n i s Die Folgen des § 73 Abs. 2 BBG bzw. die Voraussetzungen für eine disziplinarische Bestrafung treten nur dann ein, wenn der Beamte dem Dienst unerlaubt ferngeblieben ist. Die Verpflichtung zur Dienstleistung kann aus zahlreichen Gründen entfallen. Hierfür kommen vor allem folgende Gründe in Betracht: a) E r h o l u n g s u r l a u b Während des Erholungsurlaubs hat der Beamte keine dienstlichen Obliegenheiten zu verrichten. Ihm steht alljährlich ein Erholungsurlaub unter Fortgewährung der Dienstbezüge zu (§89 Abs. 1 Satz 1 BBG). Die Erteilung und Dauer des Erholungsurlaubs regelt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (§89 Abs. 1 Satz 2 BBG). Hierfür kommen die Verordnung über den Erholungsurlaub der Bundesbeamten und Bundesrichter i. d. F. vom 15. 6. 65 (BGBl. I S. 519) und die Verordnung über den Erholungsund Heimaturlaub der im Ausland tätigen Bundesbeamten i. d. F. vom 20. 12. 63 (BGBl. I S. 1022) in Betracht. Die Urlaubsregelung entspricht in den Ländern weitgehend der Bundesgesetzgebung. Die entsprechenden Bestimmungen finden sich in § 105 LBG BW, Art. 99 BG Bayr., § 55 LBG Bln., § 90 BG Brm., § 93 BG Hmb., § 106 HBG. § 99 NBG, § 101 BG NW, § 101 LBG Rh.-Pf., § 108 BG Saar und § 105 BG Schl.-Hol. Hinzu kommen folgende Urlaubsverordnungen: in BadenWürttemberg die VO vom 16. 12. 63 (GBl. S. 215), in Bayern die VO vom 29. 4. 63 (GVB1. S. 109), in Berlin die VO vom 3. 9. 63 (GVB1. S. 916), in Bremen die VO vom 4. 6. 63 (GBl. S. 137), in Hamburg die VO vom 14.11. 61 (GVB1. S. 357), in Hessen die VO vom 17. 1. 64 (GVB1. S. 5), in NordrheinWestfalen die VO vom 2. 1. 64 (GVB1. S. 5) nebst VO vom 24. 11. 64 (GVB1. S. 338), in Niedersachsen die VO vom 12. 6. 63 (GVB1. S. 285), in RheinlandPfalz die VO vom 14. 4. 56 (GVB1. S. 45) i. d. F. vom 26. 9. 60 (GVB1. S. 239), im Saarland die VO vom 11. 2. 64 (ABI. S. 95) und in Schleswig-Holstein die VO vom 14. 2. 63 (GVB1. S. 14). Der Beamte hat seinen Urlaub rechtzeitig zu beantragen und dafür zu sorgen, daß ihm Mitteilungen seiner Dienstbehörde jederzeit zugeleitet werden können (Nr. 1 Satz 1 DV zu § 17 DBG.) Das Urlaubsgesuch ist im Dienstweg einzureichen. In ihm sind die Gründe, die den Urlaub rechtfertigen sollen, darzulegen. Nur in einem solchen Falle kann die Dienstbehörde die für die Urlaubserteilung notwendige Nachprüfung anstellen. Beantragt der Beamte lediglich Erholungsurlaub, so genügt der kurze Hinweis „Erholungsurlaub". In dem Urlaubsgesuch ist fernerhin die Zeit, für die der Urlaub genehmigt werden soll, und der Ort anzugeben, an dem sich der Beurlaubte während des Urlaubs aufzuhalten gedenkt; letzteres ist vor allem im Hinblick auf Nr. 1 Satz 1 DV zu § 17 DBG notwendig, vor allem um eine Verfügung, wonach der Beamte zum Dienst vorzeitig zurückberufen werden soll, rechtzeitig zustellen zu können. Den Urlaub und auch sonstige Dienstbefreiung kann der Beamte nur vom Dienstvorgesetzten erhalten14. Die Urlaubsbewilligung kann jederzeit Zurückgenommen werden, wenn dienstliche Rücksichten dies erfordern (Nr. 1 14 DiszSenat OVG Munster 8. 3. 61 — Y 22/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 36 = ZBR 1964 S. 269 (LS).
38 L i n d g e n , Disziplinarrecht!
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Satz 2 DV zu § 17 DBG). Die oberste Dienstbehörde bestimmt, ob und für welche Zeit der Leiter einer Behörde sich selbst beurlauben kann (Nr. 4 DV zu § 17 DBG). Der Beamte hat einen Rechtsanspruch auf Urlaub, was ihn aber noch nicht ermächtigt, im Falle der Ablehnung seines Gesuchs den Urlaub eigenmächtig anzutreten15. Glaubt er, daß der Urlaub zu Unrecht abgelehnt ist, so bleibt ihm die Dienstaufsichtsbeschwerde oder der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten eröffnet, wobei die letzteren nicht ihr Ermessen an das der für die Urlaubserteilung zuständigen Stelle setzen dürfen. Zu beachten ist, daß das Allgemeininteresse auch hier gegenüber dem Individualinteresse des Beamten den Vorzug verdient. Der Beamte muß seinem Urlaubsvertreter seine noch abzuwickelnden Dienstgeschäfte übergeben, bevor er seinen Urlaub antritt. Er verstößt schwer gegen seine Dienstpflichten, wenn er seine zu erledigenden dienstlichen Aufgaben vernachlässigt und damit rechnet, daß sein Urlaubsvertreter seine Rückstände aufarbeitet. Der Beamte kann grundsätzlich und vorbehaltlich allgemeiner Beschränkungen im dienstlichen Interesse seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Dies gilt auch für Soldaten151. Ist dem Beamten der Zeitpunkt des erteilten Urlaubs nicht genehm, so kann er dessen Verlegung beantragen. In der Regel kann der Beamte den Urlaub freiwillig abbrechen und den Dienst wieder aufnehmen16. Auch kann der Dienstvorgesetzte dem Beamten aufgeben, den Urlaub abzubrechen, wenn dies aus dienstlichen Gründen erforderlich ist. Kommt der Beamte der Aufforderung, den Urlaub abzubrechen, nicht nach, so stellt dies einen Verstoß gegen seine Dienstpflichten dar. Gleiches gilt auch dann, wenn er nach Ablauf seines Urlaubs seinen Dienst nicht sofort antritt. Ist der Beamte im Urlaub erkrankt, so muß er dies seinem Dienstvorgesetzten unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung melden; erforderlichenfalls ist er verpflichtet, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Glaubt er seinen Dienst nach Ablauf des Urlaubs aus anderen triftigen Gründen nicht antreten zu können, so muß er rechtzeitig um Urlaubsverlängerung einkommen. Wird ihm diese nicht gewährt und tritt er den Dienst trotzdem nicht an, so bleibt er nach Ablauf des Urlaubs dem Dienst unerlaubt fern. Der Beamte kann nicht zu seiner Entschuldigung vorbringen, daß sein Dienstvorgesetzter ihm den Urlaub aus Schikane nicht verlängert hätte; dies könnte nur für die Frage bedeutsam sein, ob das Fernbleiben vom Dienst strafmildernd beurteilt werden kann. b) U r l a u b aus a n d e r e n A n l ä s s e n Abgesehen vom Erholungsurlaub kann dem Beamten aus besonderen Anlässen Urlaub gewährt werden. Die Bundesregierung regelt die Bewilligung des Urlaubs aus besonderen Anlässen und bestimmt, ob und inwieweit die Dienstbezüge während eines solchen Urlaubs zu belassen sind ( § 8 9 Abs. 2 BBG und die entsprechenden unter a) angeführten landesrechtlichen 15 Vgl. RDH 4. 2. 1884 in S c h u l z e - S i m o n s , S. 72; vgl. auch LArbG Düsseldorf 3. 11. 64 — 8 Sa 402/64 — (rechtskräftig) in BB 1965 S. 456. 15a BDH — Wehrdienstsenat 13. 6. 62 — WD 23/62 — BDHE Bd. 6 S. 152. 18 F r i e d r i c h s in BÄK 1927 S. 106.
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Bestimmungen). Der Sonderurlaub ist in der VO über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Bundesrichter im Bundesdienst v. 18. 8. 65 (BGBl. I S. 902) geregelt. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Urlaubs aus besonderem Anlaß muß sich aus der Vorschrift, die die Erteilung des Urlaubs regelt, ausdrücklich ergeben. Darüber hinaus kann einer Klage vor den Verwaltungsgerichten nur dann stattgegeben werden, wenn der Kläger nachweist, daß ihm der Sonderurlaub aus ermessensfremden Erwägungen nicht erteilt worden ist. Hat der Beamte keinen Rechtsanspruch auf Erteilung des Sonderurlaubs, so kann der erteilte Urlaub aus besonderen Anlässen wieder zurückgenommen werden. Begehrt der Beamte Sonderurlaub, so muß er einen begründeten Antrag stellen. Macht er hierbei unwahre Angaben, so macht er sich schon wegen Verletzung der Wahrheitspflicht disziplinarisch strafbar; der erteilte Urlaub ist im allgemeinen wieder zurückzunehmen oder auf den Erholungsurlaub anzurechnen. Tritt die Beurlaubung kraft Gesetzes ein, so muß der Beamte trotzdem das Ereignis, das die Beurlaubung auslöst, wie ζ. B. die Einberufung zum Wehrdienst, dem Dienstvorgesetzten anzeigen. Unterläßt er dies, so kann er nicht wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst, sondern lediglich wegen Unterlassens der Anzeige und erforderlichenfalls wegen unterbliebener Abwicklung seiner Dienstgeschäfte disziplinarisch bestraft werden. Urlaub aus besonderen Anlässen kann unter folgenden Voraussetzungen gewährt werden : aa) Wiederherstellung der Gesundheit Urlaub zur Wiederherstellung der Gesundheit erteilt der Dienstvorgesetzte, wenn die oberste Dienstbehörde nicht etwas anderes bestimmt (Nr. 3 Satz 1 DV zu § 17 DBG). Dem Antrag auf Urlaubsbewilligung ist eine ärztliche Bescheinigung beizufügen, wenn der Dienstvorgesetzte dies nicht ausnahmsweise erläßt (Nr. 3 Satz 2 DV zu §17 DBG). Der Dienstvorgesetzte bestimmt, ob und inwieweit der Urlaub auf den Erholungsurlaub anzurechnen ist (Nr. 3 Satz 3 DV zu § 17 DBG). Der Urlaub kann sowohl auf das laufende als auch auf das kommende Urlaubsjahr angerechnet werden. Wird dem Beamten Urlaub für eine notwendige Badekur bewilligt, so kommt keine Anrechnung auf den Erholungsurlaub in Frage [vgl. § 10 der ÄndVO vom 4. 10. 62 (BGB1.I S. 661)]. Einen Urlaub, der zur Durchführung einer auf Grund des § 11 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes vom 20.12. 50 (BGBl. I S. 791) versorgungsärztlich verordneten Badekur gewährt worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.) ist gleichfalls nicht anzurechnen. bb) Wichtige persönliche Anlässe Über den Erholungsurlaub hinaus kann der Dienstvorgesetzte in besonderen Fällen den erforderlichen Urlaub gewähren (§ 12 Abs. 2 VO v. 18. 8. 65). Als besondere Ereignisse kommen ζ. B. Eheschließung, Wohnungswechsel, Geburtsfälle, schwere Erkrankungen oder Todesfalle, von Familienangehörigen in Betracht. Der Urlaub wird nur auf wenige Tage zu bemessen sein. Er wird nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet. Ebenso werden die Dienstbezüge nicht gekürzt, cc) Heimaturlaub Beamten an Dienstorten außerhalb Europas und außerhalb von Marokko, Algerien, Tunesien, Israel, Syrien, Libanon und der asiatischen'Türkei 38·
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wird auf Antrag Heimaturlaub gewährt [ § 4 Satz 1 der VO über den Erholungs- und Heimaturlaub der im Ausland tätigen Bundesbeamten i. d. F. vom 20.12.63 (BGBl. I S. 1022)]. Der Heimaturlaub schließt den Erholungsurlaub des Urlaubsjahrs ein, in das der Heimaturlaub überwiegend fällt ( § 4 Satz 2 a. a. O.). dd) Urlaub anläßlich Schwangerschaft und Niederkunft einer Beamtin Der Frau wird während der Zeit vor und nach der Niederkunft auf Grund des Mutterschutzgesetzes i. d. F. v. 9.11.65 (BGBl. I S. 1821) ein besonderer Schutz auch hinsichtlich der Freistellung von Arbeit gewährt. Für Beamtinnen gilt dieVOüber den Mutterschutz der Beamtinnen vom 19.7.54 (BGB1.I S. 214). So dürfen werdende Mütter nicht in den letzten sechs Wochen vor der Niederkunft beschäftigt werden, es sei denn, daß sie sich zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklären; diese Erklärung kann jedoch jederzeit widerrufen werden (vgl. § 1 der VO über den Mutterschutz der Beamtin). Nach der Niederkunft ist die Beschäftigung auf die Dauer von sechs Wochen und über diese Zeit hinaus um weitere zwei Wochen verboten, wenn und solange die Mutter stillt (vgl. § 3 Abs. 1 a. a. O.). Stillenden Müttern ist auf Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit freizugeben ( § 6 Abs. 1 Satz 1 a. a. O.). ee) Hausarbeitstag Die Anordnung des Reichsarbeitsministers über Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerbeschädigte und minderleistungsfähige Personen vom 22. 10. 43 (RAGB1. 1954 III S. 325) — Freizeitanordnung — entfällt für den Bereich der Bundesverwaltungen, da sie eine wöchentliche Beschäftigung von 48 Stunden voraussetzt, für Bundesbeamte die wöchentliche Arbeitszeit jedoch auf Grund der ÄndVO zur VO über die Arbeitszeit der Bundesbeamten vom 18. 3. 64 (BGBl. I S. 214) auf 44 Stunden herabgesetzt worden ist. Soweit das Landesrecht, wie ζ. B. das nordrhein-westfälische Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand vom 27. 7. 48 (GVB1. 1949 S. 6) die Gewährung eines Hausarbeitstages an weibliche Arbeitnehmer und Beamtinnen vorsieht, gilt diese Regelung nicht für Bundesbeamtinnen, selbst wenn man in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht17 die Von den Ländern erlassenen Hausarbeitstagsgesetze als partielles Bundesrecht ansehen wollte, weil die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete der Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen nach Art. 73 Nr. 8 GG ausschließlich beim Bunde liegt. ff) Urlaub für gewerkschaftliche, wissenschaftliche oder sonstige fachliche Zwecke Auf Grund des § 6 der VO vom 18. 8. 65 kann für gewerkschaftliche und nach § 7 a. a. O. für fachliche, staatspolitische, kirchliche und sportliche Zwecke Urlaub bis zu sechs Arbeitstagen — durch die oberste Dienstbehörde bis zu zwölf Arbeitstagen •—· im Urlaubsjahr ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub gewährt werden. Im einzelnen siehe §§ 6, 7, insbes. § 8 a. a. O. 17
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BArbG 14. 7. 54 in N J W 1954 S. 1303.
Unerlaubtes Fembleiben vom Dienst
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gg) Urlaub anläßlich der Ausübung der Tätigkeit als Personalratsmitglied Mitglieder des Personalrates sind von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§43 Abs. 2 PersVG). hh) Urlaub zur Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten Der Beamte ist nach § 1 der VO vom 18. 8. 65 zu beurlauben, wenn er seinen staatsbürgerlichen Pflichten als Wähler, Schöffe, Geschworener, Beisitzer eines Disziplinargerichts, Zeuge, Sachverständiger und sonstiger Inhaber eines Ehrenamtes nachkommen muß18. In solchen Fällen muß er aber seinen Dienstvorgesetzten rechtzeitig um Urlaub bitten, damit dieser die Möglichkeit, den Grund und die Dauer der Beurlaubung nachprüfen und für eine Vertretung des Beamten sorgen kann. Unterläßt der Beamte eine solche Anzeige, so kann er disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden19. ii) Urlaub zur Vorbereitung der Wahl in eine Volksvertretung Nimmt ein Beamter die Aufstellung als Bewerber für die Wahl zum Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder einer gesetzgebenden Körperschaft eines Landes ein, ist ihm nach § 2 der VO vom 18. 8. 65 innerhalb der letzten 2 Monate vor dem Wahltag der zur Vorbereitung seiner Wahl erforderliche Urlaub unter Fortzahlung der Dienstbezüge zu gewähren. Der Urlaubsanspruch ist erfüllt, sobald der Antragsteller glaubhaft macht, daß er in den Wahlvorschlag einer Partei oder einer Wählergruppe aufgenommen ist. kk) Urlaub zur Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres und für eine Ausbildung als Schwesterhelferin Der Urlaub zur Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres ist in § 3 der VO vom 18. 8. 65 und für die Ausbildung als Schwesternhelferin in § 4 a. a. O. geregelt. Nur im ersteren Falle fallen die Dienstbezüge fort. 11) Urlaub zur Ausübung einer Tätigkeit in öffentlichen zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtungen oder zur Wahrnehmung von Aufgaben der Entwicklungshilfe In diesen Fällen ist nach § 9 der VO vom 18. 8. 65 Urlaub unter Wegfall der Dienstbezüge zu gewähren. mm) Urlaub für Zwecke der zivilen Verteidigung und entsprechender Einrichtungen Für die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen und Organisationen der zivilen Verteidigung sowie im Falle des Einsatzes durch eine dieser Organisationen soll Urlaub unter Fortzahlung der Dienstbezüge gewährt werden, wenn dienstliche Gründe nicht entgegenstehen ( § 5 Satz 1 der VO vom 18. 8. 65). Das gleiche gilt nach Satz 2 a. a. O. bei Heranziehung zum 18 19
Behnke, S. 108. Vgl. PrOVG Bd. 16 S. 398.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
Feuerlöschdienst einschließlich der von den örtlichen Wehrleitungen angeordneten Übungen sowie bei Heranziehung zum Bergwachtdienst zwecks Rçttung von Menschenleben und zum freiwilligen Sanitätsdienst bei Vorliegen eines dringenden öffentlichen Interesses. Nach Satz 3 a. a. O. richtet sich die Dauer des Urlaubs nach § 8 a. a. O. nn) Urlaub für Familienheimfahrten Hierfür gilt § 11 der VO vom 18. 8. 65. oo) Urlaub für fremdsprachliche Aus- oder Fortbildung Hierfür gilt § 10 der V O vom 18. 8. 65. c) E r k r a n k u n g Der Beamte bleibt dem Dienst nicht unberechtigt fern, wenn er erkrankt. Im Falle der Erkrankung ist die Erteilung von Urlaub nicht notwendig. Hier genügt es, wenn der Beamte von seiner Erkrankung und der voraussichtlichen Dauer der Dienstunfähigkeit am folgenden Tage nach einer Erkrankung seiner Dienststelle Mitteilung macht. Für die Beamten der Deutschen Bundesbahn vgl. § 15 Abs. 1 AD AB, wonach die Dienstunfähigkeit so schnell als möglich anzuzeigen ist. Ist der Beamte länger als drei Tage wegen Erkrankung dienstunfähig, so muß er die Erkrankung durch ein ärztliches Attest nachweisen (für die Beamten der Deutschen Bundesbahn so § 15 Abs. 2 AD AB) ; hierbei reicht es aus, wenn er ein Attest seines behandelnden Arztes vorlegt. Handelt es sich beim vierten Tage der Dienstunfähigkeit, die voraussichtlich von längerer Dauer sein wird, um einen Samstag oder Sonntag, so muß sich der Beamte bereits am Freitag um ein ärztliches Zeugnis bemühen19®. Legt er auf Aufforderung seiner Beschäftigungsdienststelle keine ärztliche Bescheinigung über seine Dienstunfähigkeit vor, so macht er sich eines Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht schuldig20. Wenn auch der Beamte seine Dienstunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erst dann nachzuweisen braucht, wenn sie länger als drei Tage dauert, so kann der Dienstvorgesetzte dem Beamten aufgeben, eine solche Bescheinigung, insbesondere wenn Zweifel an der Dienstunfähigkeit bestehen, schon unmittelbar mit der Krankmeldung vorzulegen (vgl. z. B. für den Bereich der Deutschen Bundesbahn § 15 Abs. 2 Ziff. 2c ADAB) 21 . Dèm Beamten kann n i c h t a u f g e g e b e n w e r d e n , sich auf dem ä r z t l i c h e n A t t e s t die Art der E r k r a n k u n g b e s c h e i n i g e n zu lassen 2 2 . Es wird jedoch allgemein im Interesse des Beamten liegen, die Art seiner Erkrankung der Dienststelle mitzuteilen, weil diese nur so in die Lage versetzt werden kann, die im Einzelfall notwendigen dienstlichen Maßnahmen, wie z. B. die Bestellung eines Urlaubsvertreters, einzuleiten. Wenn der Arzt bescheinigt, daß der Beamte „voraussichtlich" für einen bestimmten Zeitraum dienstunfähig ist, so ist damit noch nicht bewiesen, daß der Beamte nach Ablauf dieses Zeitraums wieder dienstfähig ist 23 . Wenn 19 » 20 21 22 23
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Vgl. DokBer. Nr. 1945. Vgl. DokBer. Nr. 1631. DokBer. Nr. 1678. Vgl. Fink in DöV 1957 S. 447. DokBer. Nr. 1591.
Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst
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der Arzt die Beendigung der Dienstunfähigkeit bindend festlegen will, so muß er den Beginn der Dienstfähigkeit im Attest genau bezeichnen. Ist der Beamte länger erkrankt, so kann die Dienstbehörde ein erneutes ärztliches Attest vom Beamten anfordern. Setzt der Dienstvorgesetzte Zweifel in die vom Privatarzt bescheinigte Dienstunfähigkeit des Beamten, so kann er eine amtsärztliche Untersuchung veranlassen. Die Pflicht, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, besteht nicht nur dann, wenn die Dienstbehörde den Beamten für dienstfähig erklärt, sondern auch dann, wenn sie ihn für dienstunfähig hält. Der Beamte kann nicht einwenden, daß er sich erst in einem Zwangszurruhesetzungsverfahren nach § 44 BBG zu einer Untersuchung bereiterklären muß, wo diese Verpflichtung sich aus § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG unmittelbar ergibt. Der Dienstvorgesetzte kann oft erst auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens feststellen, ob die Anordnung des oft recht komplizierten Zwangszurruhesetzungsverfahrens Erfolg verspricht24. Der Beamte hat nicht das Recht, sich bis zur Anordnung des Zwangszurruhesetzungsverfahrens einer amtsärztlichen Untersuchung zu entziehen. Er ist nicht nur verpflichtet, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sondern sich auch in einer A n s t a l t b e o b a c h t e n zu lassen. Wie lange die Beobachtung durchzuführen ist, entscheidet der behandelnde Arzt. Der Beamte ist nur dann nicht verpflichtet, der Anordnung auf amtsärztliche Untersuchung Folge zu leisten, wenn er gegen die Anordnung Widerspruch eingelegt hat und die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit anerkannt sind26. Der Beamte ist verpflichtet, der Anordnung des Dienstvorgesetzten, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, nachzukommen, selbst wenn er sich weiterhin für krank hält28. Die Einholung eines amtsärztlichen Zeugnisses kommt insbesondere dann in Frage, wenn sich der Beamte längere Zeit krank gemeldet hat und eine begründete Annahme besteht, daß er sich durch Flucht in die Krankheit seiner Dienstleistung entziehen will. Kommt der Beamte der Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen nicht nach, so kann er hierzu nicht gezwungen werden, es sei denn, daß es sich um einen Fall des § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle handelt. Unberührt hiervon bleibt aber seine Verpflichtung, sich auch außerhalb des förmlichen Disziplinarverfahrens auf Anweisung seines Dienstvorgesetzten von beamteten Ärzten untersuchen zu lassen und sich einer Beobachtung durch solche Ärzte in einer Krankenanstalt während eines ärztlich für erforderlich gehaltenen Zeitraums zu unterwerfen, wenn dienstliche Belange diese Maßnahmen erheischen27. Der Beamte, der eine solche Anordnung nicht ausführt, macht sich selbst dann strafbar, wenn sich später herausstellen sollte, daß er wirklich ernstlich krank war 28 . Hat der Beamte seine Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen, so ist sein Fernbleiben vom Dienst soPrOVG Bd. 89 S. 410 (413); vgl. auch DokBer.Nr. 1993. DiszSenat OVG Münster 29.12. 61 — W 11/61 — in ZBR 1962 S. 148 = DöV 1962 S. 98 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 664 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 148. 28 Vgl. BDH 25. 3. 56 — II D 133/55 — BDHE Bd. 2 S. 14 = J Z 1956 S. 366. 2 7 PrOVG 28.1. 32 — IX. O. 38/31 — PrOVG Bd. 89 S. 410 = P e r w o , S. 290. 2 8 RDH in RVB1. Bd. 89 S. 410; vgl. auch amtl. Begründung zu § 73 Abs. 1 letzter Satz DBG; N a d l e r - W i t t l a n d - R u p p e r t , 1938 S. 1121 RdNr. 21 zu § 73 DBG; PlogW i e d o w , Anm. 11 zu § 42 BBG; A m b r o s i u s , Beamtengesetz für das Land NordrheinWestfalen, 2. Aufl. Anm. 4 zu § 51 ; Brand, DBG, 3. Aufl. S. 537. 21
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lange kein Dienstvergehen, als nicht der Dienstvorgesetzte auf Grund einer erneuten Untersuchung durch einen beamteten Arzt die Wiederaufnahme des Dienstes angeordnet hat oder der Beamte selbst bei der stets notwendigen pflichtgemäßen Prüfung seines Zustandes seine Dienstfähigkeit erkennen mußte29. Ein Irrtum eines Beamten über seine Dienstunfähigkeit kann entschuldbar sein, wenn er sich trotz bestehender Dienstfähigkeit bei verständiger Würdigung des Falles noch für dienstunfähig halten durfte30. In subjektiver Hinsicht bleibt ein Beamter dem Dienst dann nicht schuldhaft fem, wenn er berechtigterweise der Überzeugung sein konnte, dienstunfähig zu sein31. Von dem Grad des Verschuldens wird auch die Höhe der Strafe abhängen. Meldet sich der Beamte trotz Festellung seiner Dienstfähigkeit durch den Vertrauensarzt fortgesetzt krank, so muß er u. U. mit der Höchststrafe rechnen32. Der Beamte bedarf im Gegensatz zum bisherigen Recht (§17 Abs. 1 Satz 2 DBG) im Falle der Dienstunfähigkeit keiner Genehmigung des Dienstvorgesetzten zum Verlassen des Wohnortes33. Er muß im Falle der Erkrankung jedoch alles tun, um baldmöglichst seine Dienstfähigkeit wiederherzustellen. Daher begeht er ein Dienstvergehen, wenn er ohne Benachrichtigung seiner Dienststelle während seiner Erkrankung eine Reise unternimmt, die nicht eindeutig der Wiederherstellung seiner Gesundheit dient34 oder Gästwirtschaften aufsucht34®. Ist z.B. ein Beamter wegen nervöser Erschöpfungszustände erkrankt, so kann die Reise eines solchen Beamten zu einer Ausstellung oder einer Industriemesse nicht als Erholung angesehen werden. Ein Beamter begeht ganz allgemein ein Dienstvergehen, wenn er im Falle der Erkrankung sich Strapazen und sonstigen Aufregungen aussetzt, die der Wiederherstellung seiner Gesundheit wesentlich im Wege stehen. Andererseits kann das Grundrecht der Freizügigkeit für den Beamten nur dann eingeschränkt werden, wenn dies im dienstlichen Interesse Hegt. So unterliegt ein mehrstündiger Ausflug eines erkrankten, aber ausgefähig geschriebenen Beamten an einem Tage nicht der Anzeigepilicht35. Die Anzeigepflicht eines dienstunfähigen, aber ausgefähig krankgeschriebenen Bahnbeamten im Sinne des § 15 Abs. 4 ADAB besteht nur, wenn die Ortsabwesenheit länger als einen Tag dauert35®. 2 9 DiszSenat OVG Münster 3. 2. 61 — V 19/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 143 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 644; vgl. auch P l o g - W i e d o w , Anm. II 1 a zu §73 BBG; Schütz, in DöD 1958 S. 141 (147); RDStH. 11.11. 41 in RVGE Bd. 1 S. 342 (343); DiszSenat OVG Münster 19. 10. 62 — V 16/62 — in 2 B R 1963 S. 319 (LS) — hiernach bleibt der Beamte trotz einer lückenlosen Vorlage von privatärztl. Attesten dem Dienst unentschuldigt fern, wenn er weiß oder wissen muß, daß er tatsächlich dienstfähig ist —. 3 0 RDStH 2 7 . 1 0 . 3 7 — I D 15/37 — ; vgl. auch BDH 16. 5. 57 — II D 129/55 — BDHE Bd. 3 S. 135 (140) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 316. 31 DokBer. Nr. 1244. 32 BDH 22. 7. 55 — III D 49/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 185. 3 3 D i s t e l - S e l g e , Anm. 1 zu § 73 BBG; DokBer. Nr. 1993. 34 Dienststrafsenat beim OVG Berlin 21. 6. 58 — I D 25/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 229 = DDB 1958 S. 140. o4» DokBer. Nr. 1961. 35 DokBer. Nr. 1719. 3 5 a BDH 8 . 5 . 6 3 — I D 13/62 und 66/62-BDHE Bd. 6 S. 100.
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Der Beamte bleibt dem Dienst auch dann nicht unentschuldigt fern, wenn er für eine bestimmte Tätigkeit, wie ζ. B. für den Zustelldienst, dienstunfähig geschrieben ist und feststeht, daß er beim Erscheinen zum Dienst gerade zu dieser Tätigkeit herangezogen werden wird 38 . d) U n t e r s u c h u n g s h a f t und V e r b ü ß e n e i n e r F r e i h e i t s s t r a f e Der Beamte bleibt dem Dienst nicht schuldhaft fern, wenn er in Untersuchungshaft einsitzt oder eine Freiheitsstrafe verbüßt 37 . Das Verschulden des Beamten, das zur vorläufigen Festnahme oder den Erlaß eines Haftbefehls oder zu einer Bestrafung und einem hiermit verbundenen Freiheitsentzug infolge des Einsitzens in einem Gefängnis geführt hat, ist nicht kausal im Sinne des § 73 BBG38. Dies gilt auch dann, wenn die Straftat, wegen der der Beamte in Haft genommen ist oder wegen der er eine Freiheitsstrafe verbüßen muß, zugleich ein Dienstvergehen im engeren Sinne darstellt. Sobald aber der Beamte aus der Haft entlassen ist, hat er sich umgehend zum Dienstantritt zu melden. Selbst wenn dem Beamten die unter a)—d) genannten Rechtfertigungsgründe nicht zur Seite stehen, so treten die in § 73 Abs. 2 BBG genannten Folgen nur dann ein, wenn er dem Dienst schuldhaft ferngeblieben ist. Hierzu reicht bereits Fahrlässigkeit aus. Der Irrtum eines Beamten ist nur dann schuldbefreiend, wenn man von ihm die Einsicht in seinen Irrtum nicht verlangen kann39. Es kommt dabei wesentlich auf die Stellung und den Bildungsgrad des Beschuldigten an. Das Bewußtsein, nicht pflichtwidrig gehandelt zu haben, kann auch auf einem Rechtsirrtum beruhen, der allerdings frei von Fahrlässigkeit über bestehende Rechtsvorschriften sein muß 40 . Ist sich der Beamte der Tragweite einer gesetzlichen Bestimmung oder Anordnung nicht im Klaren, so muß ihm zugemutet werden, bei seinem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten Rat einzuholen, zumal wenn es sich um die Auslegung von Rechtsvorschriften handelt. Als besonderer Entschuldigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst kann es gelten, wenn der aus einem Amt in ein anderes Amt versetzte Beamte berechtigten Grund für die Annahme zu haben glaubt, daß das neue Amt von geringerem Range als das früher von ihm bekleidete Amt sei41. Ebenso kann ein Irrtum des Beamten dann entschuldbar sein, wenn er trotz objektiv bestehender Dienstunfähigkeit bei verständiger Würdigung des Falles sich noch für dienstunfähig halten konnte42. Von dem Grad des Verschulden hängt auch die Art und Höhe der Strafe wesentlich ab. BDH 21. 5. 59 — II D 91/57 —. N a d l e r - W i t t l a n d - R u p p e r t , Anm. 9 zu § 17 DBG; Brand, Anm. 12 b zu § 17 DBG; Fischbach, Anm. II 1 d zu § 73 BBG; Fleischmann, in ZBR 1956 S. 216; W i t t land, Anm. 136 zu Anhang zu § 1 RDStO; BDH 21. 1. 55 — III DB 1/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 110; BDK I 2.9. 55 — I BK 8/55 —; BDH 27. 9. 57 — III DB 4/56 — BDHE Bd. 4 S. 117 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 366; a. M. OLG Bamberg 15. 1. 53 — 53 — 2 U 148/52 — in DVB1.1953 S. 407 und Bochalli, Anm. 2 zu § 73 BBG S. 276; derselbe wie Fußnote 1. 3 8 Vgl. P l o g - W i e d o w , Anm. 6 zu § 73 BBG. 39 BDH 26. 5. 57 — II D 129/55 — BDHE Bd. 3 S. 140 = L i n d g e n , Teil IV Nr.316. 40 DStH Stuttgart — Dienststrafsenat Stuttgart — 16. 7. 54 — PL-DH — I 1/54 — BDHE Bd. 1 S. 186 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 131. 4 1 PrOVG 29. 9. 08 — D 428 — D S. 3/08 — PrOVG Bd. 53 S. 438 = P e r w o , S.68. 42 RDStH 27.10. 37 — I D 15/37 —; vgl. auch BDH 16. 5. 57 — II D 129/55 — BDHE Bd. 3 S. 140 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 316. 38
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
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3. F e r n b l e i b e n Der Beamte muß sich vom Dienst fernhalten. Dies ist der Fall, wenn er während der gesamten Tageszeit, während der er nach der allgemeinen Dienstordnung oder auf Grund besonderer Verfügung Dienst zu verrichten hat, auf der Dienststelle oder an dem Ort, wo er einen dienstlichen Auftrag auszuführen hat, nicht erscheint43. Es bleibt gleich, ob der Beamte von vornherein oder erst nach Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte von der Dienststelle fernbleibt; er bleibt ζ. B. dann vom Dienst fern, wenn er nach Ablauf des Urlaubs oder nach Beendigung einer Erkrankung, die seine Dienstunfähigkeit bedingte, nicht mehr zum Dienst erscheint44. Von einem Fernbleiben ist vor allem dann die Rede, wenn der Beamte in seiner Dienststelle nicht erscheint. Ebenso bleibt er dem Dienst fern, wenn er eine Dienstreise antreten soll und statt dessen sich an seinem Dienstort aufhält. Ist er an einen anderen Ort versetzt oder abgeordnet, so bleibt er dem Dienst fern, wenn er den Dienst an dem neuen Dienstort nicht antritt, sondern bei seiner früheren Beschäftigungsstelle erscheint. Dies setzt aber voraus, daß die Versetzung oder Abordnung nicht nichtig ist. Hat der Beamte gegen die Versetzung Widerspruch bzw. Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, so braucht er an dem neuen Dienstort solange nicht zu erscheinen, bis die Behörde, die die Versetzung verfügt hat, die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 VerwGO angeordnet hat. Allerdings hat dann der Beamte seiner bisherigen Dienststelle seine Dienste anzubieten. Über den Mißbrauch der Ausnutzung der Widerspruchs- und der Klagemöglichkeit siehe II Β 1 S. 592. Von einem Fernbleiben vom Dienst, das die sich aus § 73 Abs. 2 BBG ergebenden Folgen auslöst, kann dann nicht die Rede sein, wenn der Beamte zum Dienst erscheint, jedoch vorübergehend seinen Arbeitsplatz verläßt; hier macht sich der Beamte lediglich disziplinarisch strafbar, wenn er hierzu nicht die Genehmigung seines Dienstvorgesetzten oder unmittelbaren Vorgesetzten eingeholt hat 45 ; eine disziplinarische Bestrafung würde hier jedoch dann ausscheiden, wenn es dem Beamten nicht möglich ist, die Genehmigung einzuholen, was ζ. B. dann der Fall wäre, wenn er an das Sterbebett eines nahen Familienangehörigen gerufen wird und sein Vorgesetzter nicht sofort zu erreichen ist. Auf jeden Fall muß der Beamte, der vorübergehend seinen Dienst verläßt, dies zumindest seinen Mitarbeitern anzeigen und den Ort, wo er sich voraussichtlich aufhalten wird, angeben. Erscheint der Beamte an seinem Arbeitsplatz, verweigert er aber seine Dienstleistung, so ist gleichfalls nicht von einem unentschuldigten Fernbleiben vom Dienst im Sinne des § 73 Abs. 2 BBG die Rede; in diesem Fall kann der Beamte jedoch wegen passiver Resistenz bestraft werden, ohne daß dann aber der Verlust der Dienstbezüge festgestellt werden kann. Gleiches gilt auch dann, wenn der Beamte zum Dienst erscheint, jedoch in der D i e n s t z e i t p r i v a t e A n g e l e g e n h e i t e n e r l e d i g t ; auch hier liegt ein Dienstvergehen vor, das allerdings dann besonders schwer wiegt, wenn zur Dienstleistung des Beamten Wachdienst gehört oder wenn ein Beamter einen Streifengang dazu ausnutzt, um sich vorübergehend vom Dienst zu entfernen und private Einkäufe zu machen. 43 44 45
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Siehe W i t t l a n d Anm. 130 zu Anh. zu § 1 RDStO. BDH 23. 11. 57 — III DV 5/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 215. DokBer. Nr. 1629 (hier Bestrafung mit einem Verweis).
Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst
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C. Folgen des unberechtigten Fernbleibens vom Dienst 1. D i s z i p l i n a r r e c h t l i c h e F o l g e n 4 6 Ein Beamter, der schuldhaft dem Dienst fernbleibt, begeht ein Dienstvergehen. Die Rechtsstellung des Beamten bringt es mit sich, daß er gewissenhaft und pünktlich seinen Dienst versieht und seine Arbeitskraft vorbehaltslos in den Dienst des Staates und der Öffentlichkeit stellt (vgl. § 54 Satz 1 BBG). Daß ein Beamter überhaupt zum Dienst erscheint, ist das mindeste, was als Pflichterfüllung von ihm verlangt werden kann47. Wenn er dienstfähig ist und trotz Aufforderung seines Dienstvorgesetzten seinen Dienst nicht aufnimmt begeht er eine erhebliche Pflichtverletzung48. Hat der Dienstvorgesetzte den Verlust der Dienstbezüge nach § 73 Abs. 2 BBG wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst festgestellt (siehe C 2), so ist die Maßnahme, selbst wenn sie vom Disziplinargericht bestätigt worden ist, keine Disziplinarstrafe, die wegen des Verbotes der Doppelbestrafung einer disziplinaren Ahndung des Fernbleibens entgegensteht49. Bei der Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge handelt es sich nämlich nur um eine deklaratorische Bestätigung des gesetzlichen Tatbestandes ; diese Feststellung stellt keine Disziplinarbestrafung dar. Falls eine solche erforderlich ist, muß auf sie, wie sich eindeutig aus § 73 Abs. 2 Satz 3 BBG ergibt, in einem besonderen Verfahren erkannt werden 50 . Beharrliches unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst rechtfertigt die Höchststrafe61. Dies kommt vor allem dann in Frage, wenn der Beschuldigte bereits einschlägig vorbestraft ist 52 . Besonders schwer wiegt es, wenn ein im Betriebsdienst eingesetzter Beamter dem Dienst fernbleibt 53 . So hat ζ. B. der Betrieb der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost öffentliche Verkauf saufgaben zu erfüllen, dessen Ablauf nur dann gesichert ist, wenn jeder Bedienstete zuverlässig und pünktlich seinen Dienst erfüllt; ansonsten werden der Betriebsablauf und somit die Sicherheit erheblich gefährdet. Ein im Betriebsdienst der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost eingesetzter Beamter muß zumindest während der Dienstzeit in seiner Wohnung anzutreffen sein, um die an ihn gerichtete Post entgegenzunehmen, durch die er zum Dienstantritt aufgefordert wird; ist ein solcher Beamter nicht zu erreichen, so wiegt das Fernbleiben besonders schwer53». Bleibt der Beschuldigte infolge von Alkoholmißbrauch einige Tage vom Dienst fern, so braucht dies noch nicht zur Höchststrafe zu führen, wenn 4β Schütz, Arbeitszeit, Residenzpflicht, Urlaub und unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Beamtenrecht in DöD 1958 S. 141. 17 DokBer. Nr. 1753. 4 8 DokBer. Nr. 730. 4 9 BDH 1 3 . 1 1 . 57 — II D 30/55 und 37/57 — BDHE Bd. 4 S. 40 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 368 (LS). 50 DokBer. Nr. 1359. 50 RDH 21. 1. 35 in DVZ 1936 S. 679; RDH 27. 10. 37 in DDP 1938 S. 153; DokBer. Nr. 153, Nr. 647 und Nr. 1711 (im letzteren Falle war der Beschuldigte zwei Jahre dem Dienst ferngeblieben, indem er sich in das Ausland abgesetzt hatte, um dort ein neues Leben zu beginnen). 62 DokBer. Nr. 1753. 83 DokBer. Nr. 1511 (der Beschuldigte ist aus dem Dienst entfernt worden, wobei auch die Grundvoraussetzungen für einen Unterhaltsbeitrag abgelehnt worden waren) ; vgl. auch DokBer. Nr. 1699. 5 3 a DokBer. Nr. 1911.
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erwiesen ist, daß er bereits beim Genuß von fünf bis sieben Glas Bier in einen Dämmerzustand verfällt und dann nicht weiß, was er tut und so seinen dienstlichen Verpflichtungen nicht nachkommt. Ein solcher Beamter handelt aber grobfahrlässig, wenn er hiervon weiß und trotzdem sich dem Genuß von Alkohol hingibt. Er bleibt dann für den Eintritt dieses Zustandes und seiner Auswirkungen beamten- und disziplinarrechtlich verantwortlich. Er muß mit der Höchststrafe bestraft werden, wenn er deswegen bereits disziplinarisch — vor allem bereits im förmlichen Disziplinarverfahren — bestraft worden ist; er bietet dann das Bild eines charakterschwachen und haltlosen Beamten, der für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar ist. Dann können ihn selbst nicht einmal häusliche Unstimmigkeiten entlasten, die für ihn einen Vorwand bildeten, sich dem Alkoholgenuß hinzugeben. Haftet ihm die Charakterschwäche schicksalsmäßig an und ist seine Widerstandskraft durch Entbehrungen in der Kriegsgefangenschaft geschwächt worden, so können sich solche Umstände für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages mildernd auswirken 54 . Die Höchststrafe kommt vor allem dann in Frage, wenn der Beschuldigte aus einem querulatorischen Hang heraus dem Dienst fernbleibt. Ist die Kritik- und Hemmungslosigkeit des Beschuldigten auf Grund seiner charakterlichen Veranlagung in einer Weise vermindert, daß immerhin im Ergebnis eine Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit vorliegt, so daß von einer Böswilligkeit des Beamten nicht gesprochen werden kann, so ist wohl auch dann die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt ; die Tat kann aber dann in einem milderen Lichte gesehen und dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden56. Von der Entfernung aus dem Dienst kann nämlich auch bei v e r m i n d e r t e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t nicht abgesehen werden, da die Belange des öffentlichen Interesses jedem anderen Gesichtspunkt voranzugehen haben und weil ein infolge pflichtwidrige Verhaltens objektiv untragbar gewordener Beamter unbehindert seiner verminderten Zurechnungsfähigkeit aus dem Dienst zu entlassen ist 56 . Die Dienstentfernung ist auch dann am Platze, wenn der Beamte mit seiner Dienstversäumnis zu erkennen gibt, daß er den eigenen wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor seinen Berufspflichten gibt 67 . Das ist ζ. B. der Fall, wenn der Beamte während seines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst einer Nebentätigkeit nachgeht. Offenbart der Beamte durch sein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst, daß er nicht die mindeste Achtung vor seinen Dienstpflichten hat, daß er dem Dienst fernbleibt, wie es ihm paßt, und läßt er die mündlichen und schriftlichen Aufforderungen seines Dienstvorgesetzten ungeachtet, weil sie ihm nicht passen, so zeigt er damit ein solches Maß an UnZuverlässigkeit, daß er für den öffentlichen Dienst untragbar ist. Sollten ungewöhnliche häusliche Schwierigkeiten den Anlaß für die Dienstversäumnis bilden, so können diese nicht zu einer milderen Beurteilung des Dienstvergehens herangezogen werden58 Die Höchststrafe ist selbst dann am Platze, wenn das Fernbleiben vom DokBer. Nr. 1775. DokBer. Nr. 1336. 66 Dienststrafhof Stuttgart — Dienststrafsenat Stuttgart — 16. 7. 54 — PL-DH 11/54— BDHE 1 S. 186 (190) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 131. 67 DokBer. Nr. 1172. 6 8 DokBer. Nr. 1300. 64
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Dienst auf seelische Depressionen zurückzuführen ist, die ohne das Verschulden des Beschuldigten durch das Verhalten seiner Ehefrau entstanden waren58». Die Disziplinargerichte haben diese Umstände nur bei der Frage, ob dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag zu bewilligen ist, gelten lassen. Ebenso kann für einen Unterhaltsbeitrag mildernd berücksichtigt werden, wenn der Beamte sich der Folgen seines Verhaltens nicht im vollen Umfange klar geworden ist59. Ebenso kann sich der Beamte, der sich durch die Flucht kriminalpolizeilichen Ermittlungen und einer drohenden Verhaftung entziehen wollte, nicht mit der Begründung seiner Verantwortung entziehen, daß er voraussichtlich mit seinem Erscheinen bei der Kriminalpolizei verhaftet worden und somit nicht in der Lage gewesen wäre, seinen Dienst zu verrichten. Die Pflicht eines Beamten, den ihm übertragenen Dienst zu leisten, kann nämlich nicht von Erwägungen und Überlegungen abhängen, die allein in seinem privaten Bereich liegen59®. Keinerlei mildere Beurteilung verdient das Fernbleiben vom Dienst, wenn es der Beamte dazu ausnutzt, einen anstößigen Lebenswandel zu führen 60 . Gleiches gilt auch dann, wenn der Beamte wegen einer laxen Dienstauffassung bereits einschlägig vorbestraft ist 61 . Ebenso schwer wiegt es, wenn der Beschuldigte wegen anhaltender Trunksucht dem Dienst fernbleibt und sich auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens einsichts- und haltlos erweist 62 . Ein Beamter, der sich wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst disziplinarisch zu verantworten hat, kann sich zu seiner Entschuldigung nicht darauf berufen, daß er wegen einer angeblichen Benachteiligung durch seinen Dienstvorgesetzten seine Dienstleistungen verweigert hat63. Betrachtete sich ζ. B. ein Beamter auf Grund des § 7 G 131 als zu Unrecht heruntergestuft und demnach als Mensch zweiter Klasse behandelt, so stand es ihm frei, gegen die Verwaltungsmaßnahmen den Klageweg vor den Verwaltungsgerichten zu beschreiten; auf keinen Fall konnte er seinen Unwillen dadurch kundtun, daß er dem Dienst fernbliebt. Ein solches Verhalten offenbart, daß der Beamte unwürdig ist, weiterhin im Beamtenstand zu verbleiben. Ist ein Beamter zu einer anderen Dienststelle versetzt, glaubt er, daß die Versetzung unberechtigt sei, und nimmt er den Dienst deshalb nicht bei der neuen Dienststelle auf, so muß er auch dann im allgemeinen mit der Höchststrafe rechnen64. Selbst wenn die Versetzung in der Zeit vor dem 8. 5. 45 ausschließlich aus nicht gerechtfertigten politischen Gründen, nämlich wegen der aufrechten religiösen und politischen Überzeugung des Beamten, angeordnet worden war, durfte sie nicht mit einer Dienstverweigerung beantwortet werden; in diesem Falle kann aber von der bei Dienstverweigerung normalerweise gebotenen Höchststrafe abgesehen werden65. Der Beamte muß seine 58 »
DokBer. Nr. 1911. DokBer. Nr. 1413. DokBer. Nr. 1939. «» Vgl. DokBer. Nr. 1159. 6 1 DokBer. Nr. 1171. 62 Vgl. DokBer. Nr. 730. 63 DokBer. Nr. 1216. M RDH 29. 6. 58 — in DDP 1939 S. 106. 6 5 BDH 29. 9. 55 — III D 165/54—, 69
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Reisevorbereitungen u. U. sogar am Sonntag treffen65». Für die Abordnung gelten die gleichen Gesichtspunkte wie für die Versetzung66. Der Beamte darf auch nicht im Verlaufe eines Streiks dem Dienst fernbleiben. Ein Streikrecht steht nämlich den Beamten nicht zu67. Hierzu stellte das Reichsgericht fest 68 : „Ohne eine derartige feste Gebundenheit des Beamten an den Staat, der auf der anderen Seite die Gewähr ung einer gesicherten, auf die Dauer berechneten Stellung und eines besonderen Schutzes des Amtes entspricht, vermag der Staat seine Aufgaben nicht zu erfüllen. Er muß sich daher darauf verlassen können, daß seine Beamten ihm zur Wahrnehmung seiner Geschäfte dauernd zur Verfugung stehen. Mit dieser rechtlichen Eigenart der Beamtenstellung ist eine in das Belieben des einzelnen Beamten oder einer Beamtenvereinigung gestellte Arbeitsverweigerung oder Arbeitseinstellung völlig unvereinbar. Die Streikfreiheit würde im Widerspruch stehen mit ihrer durch die Anstellung begründeten Verpflichtung, nach Maßgabe des ihnen übertragenen Amtes ihre Dienste zum Wohle der Allgemeinheit fortlaufend zu leisten."
Besonders schwer würde es wiegen, wenn der Beamte nicht nur an einem wirtschaftlichen Streik zur Erlangung besserer Lebensbedingungen, sondern an einem politischen Generalstreik teilnehmen würde; in einem solchen Falle würde er seine Beamtenstellung verwirken. Die unmittelbare Beteiligung an Handlungen, die politische Parteiziele auf ungesetzlichen Wegen zu erreichen suchen, ist mit der Bekleidung eines öffentlichen Amtes unvereinbar®9. Von der Höchststrafe kann abgesehen werden, wenn das Fernbleiben vom Dienst Ausdruck einer Kurzschlußhandlung darstellt. Hiervon kann aber keine Rede sein, wenn ein Beschuldigter, der in einem erheblichen Maße Schulden aufgenommen hat, einen Ausweg nur darin findet, daß er sich auf mehrere Monate ins Ausland absetzt69». Ein einmaliges Fernbleiben vom Dienst rechtfertigt im allgemeinen noch nicht die Dienstentfernung. Ist ζ. B. ein Beamter sonst unbescholten und ζ. B. am Rosenmontag dem Dienst ferngeblieben, weil er sich den Rosenmontagumzug ansehen wollte, so dürfte er damit noch nicht seine Beamtenstellung verwirkt haben70. Von einer Bestrafung wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst ist abzusehen, wenn die Ärzte dem Beschuldigten gegenüber die Frage der Dienstunfähigkeit offen lassen; hat ein hypochondrischer Beamter, der lange krank geschrieben war, seine seelisch bedingten Beschwerden infolge falscher DokBer. Nr. 1901. Vgl. DStH Stuttgart 16. 7. 54 — PL-DH I 1/54 — L i n d g e n , Teil I V Nr. 131; vgl. auch DokBer. Nr. 1913. •7 B e h n k e , S. 109; W. Κ. , Dürfen Beamte streiken? — Sollen sie streiken dürfen? in N D B Z 1962 S. 190; F i n g e r , Dienst nach Vorschrift in Bundesbahn 1956 S. 1; F i n g e r , Dürfen Beamte streiken? in Bundesbahn 1962 S. 657; N e e ß e , Der politische Streik in B B Z 1958 S. 145; für das früher geltende Recht: L o h m e i e r in PrVBl. 41 S. 97; M e h l i ß in D J Z 1922 S. 408; K u l e m a n n in SAS S. 137; G r o h in ArchöffRecht 1923 S. 369; ferner Entsch. d. Preuß. Staatsregierung in PrVBl. Bd. 41 S. 131 ; RDH 14.12. 23 — R. D. 91/1922; PrOVG 17.1. 24 — D. U. 7/22 — PrOVG Bd. 78 S. 448 = P e r w o , S. 174; RGSt. Bd. 56 S. 422; N e u m a n n - D u e s b e r g , Streik—Streikbegriff/Streikarten in Betriebsberater 1963 S. 1442. 6 8 RGSt. Bd. 56 S. 422. 6 9 Vgl. PrOVG 17.10. 21 — in PrVBl. Bd. 43 S. 167; PrOVG 17.1. 24 — D. U. 7/22 — PrOVG Bd. 78 S. 448 = P e r w o , S. 174. e 9 a DokBer. Nr. 1879. 70 DokBer. Nr. 1359. 66
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ärztlicher Maßnahmen überbewertet, so ist dies zumindest strafmildernd zu berücksichtigen 701 . 2. B e s o l d u n g s r e c h t l i c h e F o l g e n Bleibt der Beamte ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fern, so verliert er für die Zeit des Fernbleibens seine Dienstbezüge ( § 7 3 Abs. 1 Satz 1 BBG). Als „Dienstbezüge" i. S. des § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG gelten auch die 'Unterhaltszuschüsse (vgl. § 6 der VO über den Unterhaltszuschuß für Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst vom 22. 2. 63 (BGBl. I S. 137)70l>. § 73 Abs. 1 BBG setzt voraus, daß der Beamte schuldhaft ohne Genehmigung dem Dienst fernbleibt, indem er in der fraglichen Zeit dienstfähig war und dies erkannt hatte oder hätte erkennen können, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt 700 . Die irrige Annahme des Beamten, er sei dienstunfähig, entschuldigt ihn also nur, wenn er diesen Irrtum auch bei gehöriger Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Ob der Beamte objektiv unfähig war, seine Dienstobliegenheiten wahrzunehmen, und ob er doch subjektiv annehmen durfte, er sei hierzu nicht fähig, sind überwiegend nicht Fragen der Auslegung und Anwendung des Rechts, sondern der tatsächlichen Würdigung des Einzelfalles, die vom Revisionsgericht nur auf Verstöße gegen ihre Grundlagen, insbesondere Verletzung der Denkgesetze und Verkennung allgemeiner Erfahrungssätze, geprüft werden kann 70d . Der Dienstvorgesetzte stellt den Verlust der Dienstbezüge fest und teilt dies dem Beamten mit ( § 7 3 Abs. 2 Satz 2 BBG). Eine disziplinare Verfolgung wird dadurch nicht ausgeschlossen ( § 7 3 Abs. 2 Satz 3 BBG). Der Dienstvorgesetzte ist verpflichtet, die Feststellung zu treffen, die im übrigen nur eine deklaratorische Bedeutung hat. Mit der Zustellung des Feststellungsbescheides sind dem Beamten keine Dienstbezüge mehr zu zahlen. Das Besoldungsdienstalter wird um die Zeit des Fernbleibens hinausgeschoben ( § 9 Abs. 4 BBesG). Ebenso ist die Zeit des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst nicht ruhegehaltsfähig (VV Nr. 4 Abs. 1 zu § 111 BBG). Gegen die Entscheidung des Dienstvorgesetzten, durch die der Verlust der Dienstbezüge festgestellt ist, kann der Beamte disziplinargerichtliche Entscheidung beantragen (vgl. § 105 BDO). Verhängt der Dienstvorgesetzte zugleich eine Disziplinarstrafe oder leitet die Einleitungsbehörde das förmliche Disziplinarverfahren ein, so kann das Disziplinargericht das Disziplinarverfahren mit dem Antragsverfahren nach § 105 Abs. 1 BDO verbinden (§ 105 Abs. 3 BDO). Die Einzelheiten über die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge und über das Antragsverfahren vor dem Disziplinargericht sind unter § 122 Bd. 2 geschildert. D. Landesrechtliche Regelung Die landesrechtlichen Regelungen, die sich mit dem Fernbleiben des Beamten vom Dienst befassen, schließen sich im wesentlichen dem § 73 DokBer. Nr. 1875. DokBer. Nr. 1939. 7 0 0 B e h n k e , Einf. III C 12 Abs. 2 BDO, P l o g - W i e d o w , Anm. 10 zu § 73 BBG, H e f e l e - S c h m i d t , Anm. 4 zu Art. 81 BayrBG. '»o BVerwG 28. 8. 64 — VBerwG VI C 59. 62 — in DöD 1965 S. 98. 70a
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BBG an. Vereinzelt werden zu § 73 Abs. 1 Satz 2 BBG nähere Bestimmungen getroffen, die in das Beamtenrecht bereits im Wege der Rechtsprechung Eingang gefunden haben. 1. Baden-Württemberg § 84 LBG BW entspricht inhaltlich dem § 73 BBG. § 84 Abs. 1 Satz 3 LBG BW stellt zusätzlich fest, daß für den Fall, daß der Dienstvorgesetzte die Untersuchung durch einen beamteten Arzt angeordnet hat, der Dienstherr die Kosten derselben zu tragen hat. 2. Bayern Art. 81 BG Bayr. entspricht im wesentlichen dem § 73 BBG. Nach Art. 81 Abs. 1 Satz 3 BG Bayr. hat der Beamte, wenn er während seiner Krankheit seinen Wohnort verlassen will, dies vorher seinem Dienstvorgesetzten anzuzeigen und seinen Aufenthaltsort anzugeben. 3. Berlin § 37 Abs. 1 und 2 LBG Bln. entspricht dem § 73 BBG. Nach § 37 Abs. 3 LBG Bln. ist in allen übrigen Fällen, in denen der Beamte keinen Dienst geleistet hat, ein anderes Arbeitseinkommen oder ein beamtenrechtlicher Unterhaltsbeitrag, den der Beamte für denselben Zeitraum erzielt hat, auf die Dienstbezüge anzurechnen; der Beamte ist zur Auskunft hierüber verpflichtet. 4. Bremen § 72 Β G Brm. entspricht dem § 73 BBG. 5. Hamburg § 75 Abs. 1 BG Hmb. entspricht dem § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG. § 75 Abs. 2 Satz 1 BG Hmb. entspricht § 73 Abs. 1 Satz 2 BBG. § 75 Abs. 2 Satz 2 BG Hmb. gibt dem Beamten, wenn er während seiner Krankheit seinen Wohnort verlassen will, auf, dies vorher seinem Dienstvorgesetzten anzuzeigen und seinen Aufenthaltsort anzugeben. 6. Hessen § 86 HBG entspricht inhaltlich dem § 73 BBG, wählt aber eine andere Formulierung. Hiernach darf der Beamte nicht dem Dienst fernbleiben, es sei denn, daß er wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen unfähig oder auf Grund einer vorgehenden gesetzlichen Verpflichtung gehindert ist, seine Dienstpflichten zu erfüllen. Der Beamte hat unverzüglich seinen Dienstvorgesetzten von seiner Verhinderung zu unterrichten. Die auf Krankheit beruhende Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten ist auf Verlangen nachzuweisen. 7. Niedersachsen § 81 NB G führt als Gründe für das Fernbleiben vom Dienst neben Krankheit noch „andere Gründe" und „vorgehende gesetzliche Verpflichtung" an. Nach § 81 Abs. 2 NBG hat der Beamte bei Krankheit das Verlassen des Wohnortes anzuzeigen. In § 81 Abs. 3 Satz 3 NBG wird im Einklang zur herrschenden Rechtsprechung ausdrücklich fest608
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gestellt, daß die Zuständigkeit der Disziplinarkammer auch für die Entscheidung über die Feststellung des Dienstvorgesetzten auf Verlust der Dienstbezüge begründet ist. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 79 BG NW entspricht dem § 73 BBG. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 81 LBG Rh.-Pf. entspricht dem § 81 BBG. 10. S a a r l a n d § 86 Abs. 1 BG Saar entspricht dem § 73 Abs. 1 LBG. § 86 Abs. 2BG Saar gibt dem Beamten auf, wenn er im Falle der Krankheit seinen Wohnort verlassen will, hiervon seinem Vorgesetzten Mitteilung zu machen. § 86 Abs. 3 BG Saar entspricht dem § 73 Abs. 2 BBG. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 89 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 73 BBG. Auf die landesrechtiche Urlaubsregelung ist bereits unter II B1 2a S. 593 hingewiesen worden. ΙΠ. UNPÜNKTLICHKEIT UND NICHTEINHALTUNG DER ARBEITSSTUNDEN 71 Der Beamte ist verpflichtet, den Dienst täglich pünktlich anzutreten und die Dienststunden einzuhalten. Die regelmäßige Arbeitszeit darf wöchentlich im Durchschnitt 44 Stunden nicht überschreiten ( § 7 2 Abs. 1 BBG). Die Arbeitszeit ist im einzelnen in der auf Grund des § 72 Abs. 4 BBG erlassenen Verordnung über die Arbeitszeit des Bundesbeamten vom 15. 6. 54 (BGBl. I S. 149) in der Fassung vom 27. 4. 65 (BGBl. I S. 348) geregelt, wie sie sich aus den Änderungsverordnungen vom 29. 10. 58 (BGBl. I S. 737), 25. 3. 59 (BGBl. I S. 166), 18. 3. 64 (BGBl. I S. 214) und vom 27. 4. 65 (BGBl. I S. 347) ergibt. Auf Grund der ÄndVO vom 29.10. 58 i. V. m. der ÄndVO vom 18. 3. 64 (BGBl. I S. 214) ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf durchschnittlich 44 Stunden herabgesetzt worden. Wird der Dienst nicht in Wechselschichten geleistet, darf die tägliche Arbeitszeit neun Stunden nicht überschreiten; der Sonnabend ist dienstfrei ( § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitszeit-VO). Als Arbeitstag kommt grundsätzlich der Werktag in Frage ; wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern, kann es auch ein Sonn- und Feiertag sein ( § 2 ArbeitszeitVO). Der Beamte ist verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Gründe dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt (§ 72 Abs. 2 Satz 1 BBG). Wird der Beamte durch die Überstunden erheblich 7 1 Schütz, Arbeitszeit, Residenzpflicht, Urlaub und unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Beamtenrecht in DöD 1958 S. 141.
39 Lindgen, Dìsziplinalrecht I
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mehr beansprucht, so ist ihm entsprechende Dienstbefreiung innerhalb von 3 Monaten, bei schwierigen dienstlichen Verhältnissen innerhalb von 6 Monaten zu gewähren (§72 Abs. 2 Satz 2 BBG). Die Mehrarbeit darf nicht zur Regel werden, weil dies sonst einen Verstoß gegen die ArbeitszeitVO darstellen würde. Der Beamte kann seinen Anspruch auf Dienstbefreiung im Klagewege vor den Verwaltungsgerichten geltend machen, wenn er ihm unbegründet abgelehnt wird. Soweit der Dienst in Bereitschaft besteht, kann die Arbeitszeit entsprechend den dienstlichen Bedürfnissen verlängert werden; im wöchentlichen Zeitraum dürfen jedoch 54 Stunden nicht überschritten werden ( § 7 2 Abs. 3 BBG). Das Landesbeamtenrecht hält sich im wesentlichen an die Bundesregelung in § 72 BBG, wobei das Nähere durch eine Rechtsverordnung der entsprechenden Landesregierung geregelt wird. Mit der Regelung der Arbeitszeit befassen sich § 83 LBG BW und die Anordnung über die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst vom 17. 3. 64 (Staatsanzeiger Nr. 23 S. 5), Art. 80 BG Bayr. und VO über die Arbeitszeit der Beamten i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. 4. 64 (GVB1. S. 48) und Entschl. vom 5. 8. 64 (MAB1. S. 427), § 36 LBG Bln., (Rechtsverordnung hierzu liegt erst im Entwurf vor; bis dahin gilt der Beschluß des Senats vom 20. 3. 64 [GBl. I S. 100]), § 71 BG Brm. und VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 28. 9. 59 (GBl. S. 138) i. V. m. ÄndVO vom 17. 3. 64 (GBl. S. 38), § 74 BG Hmb. und die Verwaltungsanordnung über die Arbeits- und Dienstzeit i. d. F. vom 1. 4. 63 (Mitteilungen für die Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg S. 54), § 85 HBG und VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 24. 3. 64 (GVB1. S. 43), § 80 NBG und VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 29. 6. 64 (GVB1. S. 305) i. V. m. ÄndVO vom 23. 9. 64 (GVB1. S. 78), § 78 BG NW und VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 2. 10. 62 (GVB1. S. 555) i. V. m. ÄndVO vom 18. 3. 64 (GVB1. S. 69), § 80 LBG Rh.-Pf. und die Landes-VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 30. 10. 58 (GVB1. S. 179), geändert durch VO vom 12. 6. 61 (GVB1. S. 143) und VO vom 24. 3. 64 (GVB1. S. 57), § 85 BG Saar und die VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 19. 11. 62 (Amtsbl. S. 787) i. V. m. ÄndVO vom 3.4. 64 (Amtsbl. S. 257) sowie § 88 BG Schl.-Hol. und die VO über die Arbeitszeit der Landesbeamten i. d. Bekanntmachung vom 27. 10. 58 (GVB1. S. 297) i. V. m. der 4. ÄndVO vom 24. 1. 63 (GVB1. S. 10), vom 24. 2. 63 (GVB1. S. 14) und vom 21. 3. 64 (GVB1. S. 32). Nach § 80 Abs. 2 NBG kann die Arbeitszeit bei Beamtinnen, die als Frau und Mutter durch die Sorge für die Familie besonders belastet sind, auf Antrag herabgesetzt werden. Während die Arbeitszeit in § 72 BBG und der ArbeitszeitVO geregelt ist, werden die Dienststunden der Behörde vom Dienstvorgesetzten festgesetzt, wobei die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu berücksichtigen sind. Schichtwechsel muß durchgeführt werden, wenn die Dienststunden so festgesetzt werden, daß die regelmäßige Arbeitszeit des einzelnen Beamten überschritten wird (vgl. § 6 ArbeitszeitVO ). Der Beamte hat die Dienststunden einzuhalten. Dies setzt zunächst einmal voraus, daß er den Dienst pünktlich antritt. Das regelmäßige und pünktliche Erscheinen zum Dienst gehört nämlich zu den elementaren Pflichten 610
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eines jeden Beamten. Daher kann er disziplinarisch bestraft werden, wenn er seinen Dienst unpünktlich beginnt 72 . Er kann sich nicht damit entschuldigen, daß er das Verkehrsmittel verpaßt hat. Er ist verpflichtet, sich so einzurichten, daß er dasselbe sicher erreicht. Er hat das Zuspätkommen zum Dienst insbesondere dann zu vertreten, wenn er infolge ungenügender Nachtruhe und der Auswirkungen des Alkoholgenusses verschlafen hat oder sein morgentlicher Lebensrhythmus langsamer abgelaufen ist, als es sonst üblich ist73. Im allgemeinen führt ein einmaliger verspäteter Dienstantritt nicht zu einer disziplinarischen Bestrafung ; der Dienstvorgesetzte wird dann erst von der Möglichkeit der dienstlichen Mißbilligung Gebrauch machen. Ein Verschlafen kann ein- oder zweimal vorkommen, ohne daß von einem Verschulden gesprochen werden kann. Ist dem Beamten bekannt, daß er schwer aufwacht, so kann unter Umständen das Aufstellen eines zweiten Weckers nicht genügen. Es muß ihm dann zugemutet werden daß er das Wecken durch den telefonischen Auftragsdienst oder in anderer Weise sicherstellt74. Die Auffassung von Weimar74" und Wolff71", daß die Festsetzung von Dienststunden für Beamte des höheren Dienstes grundgesetzwidrig ist, kann nicht geteilt werden71c. Aus der Tatsache, daß der höhere Beamte erfahrungsgemäß außerhalb der Dienststunden wertvolle und schöpferische Arbeit verrichtet, läßt sich nicht der Schluß ziehen, daß es den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums entspricht, daß der höhere Beamte an die Einhaltung von Dienststunden nicht gebunden ist. Die Leistung von schöpferischer Tätigkeit zu Hause ist nicht an die Laufbahn gebunden. Entscheidend ist schlechthin, daß der Beamte die ihm zugewiesenen Dienstaufgaben im Dienst erledigt. Behördenvorständen und Vorstehern größerer Ämter, die schon mit Rücksicht auf die ihnen obliegenden Überwachungsfunktionen und die Repräsentationsverpflichtungen gewissermaßen „immer im Dienst" sind, können an die genaue Einhaltung von Dienststunden nicht gebunden werden. Hat ein Beamter fortlaufend Überstunden zu verrichten, so kann es als stillschweigendes Einverständnis seines Dienstvorgesetzten angesehen werden, wenn er es in Kauf nimmt, daß der Beamte seinen Dienst dafür später antritt. Tritt ein Beamter ständig seinen Dienst verspätet an, ohne daß dies auf vorher abgeleistete Überstunden zurückzuführen ist, so gilt dies als ein Zeichen, daß er entweder seine Arbeit auf die nachgeordneten Beamten abwälzt oder eine falsche Personalbemessung bei seinem Dienstposten vorgenommen ist. Bei der Frage, ob ein Beamter, der seinen Dienst ständig verspätet antritt, disziplinarisch bestraft werden soll, kommt es entscheidend auf die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens an, wobei in Übereinstimmung mit Weimar der Satz gilt, daß als Bewährungsmaßstab für einen Beamten •— insbesondere des DokBer. Nr. 1631. DokBer. Nr. 1782. DokBer. Nr. 1694. W e i m a r , Sind Dienststunden für Beamte des höheren Dienstes grundgesetzwidrig? in DöD 1964 S. 165. 74b W o l f f , Verwaltungsgericht II § 114 III a Nr. 1. 7 4 c L i n d g e n , Sind Dienststunden für Beamte des höheren Dienstes grundgesetzwidrig? — Eine Entgegnung zu dem Aufsatz von W e i m a r in DöD 1964 S. 165 ff. — in DöD 1964 S. 221; M e y e r , Sind Dienststunden für Beamte des höheren Dienstes grundgesetzwidrig? — Erwiderung auf die Ausführungen von Dr. W. W e i m a r in DöD 1964 S. 165 — in DöD 1964 S. 223. 72
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höheren Dienstes — die erbrachten Leistungen, nicht aber die Zahl der abgesessenen Dienststunden gilt. Tritt der Beamte wiederholt ohne triftige Gründe den Dienst zu spät an, so kommt eine disziplinarische Bestrafung in Frage. Der verspätete Dienstantritt ist auch dann pflichtwidrig, wenn der Beamte nicht vorsätzlich gehandelt hat. So handelt er grobfahrlässig, wenn er im Bewußtsein, daß seine Arbeitszeit ζ. B. um 6 Uhr beginnt, am Tage zuvor sich einem erheblichen alkoholischen Exzess hingibt und infolgedessen das Gefühl für „Raum und Zeit verliert" und deshalb den Dienst verschläft76. Er muß selbst alle Vorkehrungen treffen, daß er seinen Dienst pünktlich antreten kann. So ist er verpflichtet, den Wecker selbst zu stellen ; er darf sich hierbei nicht auf seine Familienangehörigen verlassen, insbesondere wenn er weiß, daß sie unzuverlässig sind76. Er kann sich gegenüber dem Vorwurf, den Dienst verspätet angetreten zu haben, nicht damit entschuldigen, daß er Überstunden gemacht hat. Ebenso kann er sich nicht darauf berufen, daß er den Wecker infolge Einnehmens von Schlaftabletten, was durch ein Kriegsleiden bedingt war, überhört hat. Gleichfalls kann er sich nicht darauf berufen, daß er infolge Verspätung der Straßenbahn zum Dienst zu spät gekommen ist, wenn er jeweils die für ein pünktliches Erscheinen letztmögliche Straßenbahn benutzt; hier muß dem Beamten zugemutet werden, eine frühere Straßenbahn zu benutzen. Meldet der Beamte sein Zuspätkommen zum Dienst nicht vorschriftsmäßig seinem Vorgesetzten, so macht er sich außerdem noch der Verletzung der Pflicht zur Befolgung einer Anordnung eines Dienstvorgesetzten schuldig 77 . Kommt ein Beamter wiederholt zum Dienst zu spät,* so kann bereits dies allein genügen, um gegen ihn die Höchststrafe zu verhängen78. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Beamte bereits einschlägig bestraft worden ist. Ein offenbar unausrottbarer Hang zur Unpünktlichkeit und die offenbar hiermit verbundene Unzuverlässigkeit läßt einen solchen Beamten nicht mehr für den öffentlichen Dienst tragbar erscheinen79. Unpünktlichkeit wiegt auch dann schwer, wenn durch sie die Sicherheit des Betriebes gefährdet wird, wie dies ζ. B. bei einem Lokomotivführer oder dem Kraftfahrer eines Linienomnibusses der Deutschen Bundespost der Fall ist. ,Der Bundesdisziplinarhof80 führte hierzu aus : »Ein Beamter, der ein solches Verhalten zeigt, kann grundsatzlich nicht mehr im Dienst der Bundesbahn belassen werden. Die Bundesbahn ist ein Verkehrsbetrieb, dem täglich Millionen von Menschen sich und ihr Leben anvertrauen. Die schnelle und sichere Abwicklung des Bahnbetriebes und damit die Erfüllung der der Bundesbahn gestellten Aufgaben ist nur möglich, wenn dieser Betrieb mit äußerster Pünktlichkeit abläuft. Unpünktlichkeit im Bahnbetrieb bringt nicht nur Unannehmlichkeiten für die Reisenden mit sich, sie gefährden vor allem die Sicherheit des Bahnverkehrs. Deshalb muß die Bundesbahn von allen Bediensteten mit besonderer Strenge die pünktliche Einhaltung der Dienstzeit fordern. Bedienstete, die durch wiederholtes Verhalten zeigen, daß sie diese Grundregel des Bahnbediensteten nicht einhalten können, sind fur den Dienst der Bundesbahn nicht tragbar."
Der Beamte macht sich nicht nur dann disziplinarisch strafbar, wenn er dem Dienst fernbleibt oder denselben verspätet antritt, sondern auch dann, 75 76 77 78 79 80
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DokBer. Nr. DokBer. Nr. DokBer. Nr. DokBer. Nr. DokBer. Nr. DokBer. Nr.
1249; vgl. auch DokBer. Nr. 1578 und Nr. 1853. 1327; vgl. auch DokBer. Nr. 666. 1611. 1611. 1790. 1255.
Unpùnktlichkeit und Nichteinhaltung der Arbeitsstunden
§53
wenn er wohl zum Dienst erscheint, sich jedoch von ihm unerlaubt entfernt, um z. B. persönliche Angelegenheiten zu erledigen 81 . Nur mit Erlaubnis seines Vorgesetzten — im Falle der Abwesenheit desselben seines Vertreters — darf er sich von seiner Dienststelle entfernen. Bei einem Widerstreit zwischen persönlichen und dienstlichen Interessen haben letztere mit Rücksicht auf einen zügigen Ablauf einer geordneten und leistungsfähigen Verwaltung den unbedingten Vorrang 82 . Daß der Beamte seinen Arbeitsplatz nur mit Genehmigung durch seinen Vorgesetzten oder dessen Vertreter verlassen darf, ist in den meisten Fällen durch eine Dienstanweisung, wie z. B. bei der Deutschen Bundesbahn durch § 13 Abs. 1 Satz 2 ADAB, geregelt. Selbst wenn der Beamte aus unvorhergesehenen und zwingenden Gründen seinen Dienst vorzeitig beenden will, muß er die Genehmigung seines Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten einholen83. Er kann sich anläßlich des vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes nicht damit entschuldigen, daß er zahlreiche Überstunden geleistet hatte, die ihm nicht durch entsprechende Freizeit vergütet worden sind. Selbst wenn der Vorgesetzte dem Beamten die Erlaubnis zur vorübergehenden Entfernung aus der Dienststelle erteilt hat, darf dieser trotzdem seinen Arbeitsplatz nicht verlassen, wenn er nicht für die Zeit seiner voraussichtlichen Abwesenheit für eine geeignete Vertretung gesorgt hat; dies gilt vor allem für solche Beamte, die im Betriebsdienst eingesetzt sind oder mit Publikumsabfertigung zu tun haben. Vor allem im Interesse der Verkehrssicherheit muß der Betriebsbeamte darauf bedacht sein, daß sein Vertreter für die Wahrnehmung der ihm übertragenen Dienstgeschäfte geeignet ist; er kann sich nicht damit entschuldigen, daß der Vorgesetzte mit der vertretungsweisen Überlassung der Dienstgeschäfte durch einen ungeeigneten Beamten einverstanden war. Bedeutet die Vertretung durch einen ungeeigneten Beamten ein Risiko nicht nur für Menschen oder Güter, sondern auch für den vertretenden Beamten und seinen Vertreter, so ist dieser Umstand strafschärfend zu berücksichtigen. Belastend würde es zudem für einen Beamten sein, wenn er während seiner Abwesenheit einen noch im Anfang der Ausbildung stehenden Dienstanfänger die Vertretung seiner Dienstgeschäfte überläßt und hierdurch ein schlechtes Vorbild gibt84. Der Beamte kann sich nicht zu seiner Entschuldigung darauf berufen, daß in seiner Dienststelle die Unsitte eingerissen ist, den Dienst ohne Genehmigung des Vorgesetzten und ohne Vorkehr für einen geeigneten Vertreter zu verlassen. Die Höhe der Disziplinarstrafe wird sich nach der Ursache für das unbefugte Verlassen der Dienststelle und dem Schaden richten, der der Verwaltung durch die Nichtbesetzung des Dienstpostens während der Abwesenheit des Beamten entstanden ist oder hätte entstehen können. Erschwerend fällt ins Gewicht, wenn ein Aufsichtsbeamter seinen Dienst ohne Genehmigung vorzeitig verläßt, weil es gerade zu seinen Aufgaben gehört, die pünktliche Dienstverrichtung seiner Untergebenen zu kontrollieren85. 81 82 83 84 85
DokBer. Nr. 1629, DokBer. Nr. 1849 und DokBer. Nr. 1986. DokBer. Nr. 1631. DokBer. Nr. 1673. Vgl. DokBer. Nr. 1504. DokBer. Nr. 1673.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
IV. WEIGERUNG ZUR AUSFÜHRUNG UNTERWERTIGER TÄTIGKEIT Der Beamte muß sämtliche ihm übertragenen Dienstgeschäfte ordnungsgemäß ausführen. Wohl braucht er eine Arbeitertätigkeit nicht zu übernehmen. Der Aufforderung, eine unterwertige Tätigkeit im Arbeiterdienst auszuführen, braucht der Beamte nicht nachzukommen, so daß er nicht wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst bestraft werden kann86. Wenn der Beamte auch eine Arbeitertätigkeit nicht anzunehmen braucht, so muß er sich dennoch zum Dienst melden und bestrebt sein, mit seiner Dienstbehörde eine Regelung seines Dienstverhältnisses zu treffen; wenn er der Aufforderung seiner Behörde überhaupt keine Folge leistet, so läßt er es an der seiner Dienstbehörde schuldigen Achtung erheblich vermissen und macht sich deshalb disziplinarisch strafbar. Wird dem Beamten eine unterwertige Beamtentätigkeit zugewiesen, so kann er sich nicht darauf berufen, daß die Tätigkeit nicht von Inhabern gleichwertiger Ämter ausgeübt wird87. Die Gehorsamspflicht geht nämlich den persönlichen Belangen vor. Nach § 55 Satz 2 BBG ist der Beamte verpflichtet, die Anordnungen seiner Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen. Werden dem Beamten im Rahmen einer allgemeinen Geschäftsverteilungsverfügung unterwertige Dienstgeschäfte zugewiesen, so muß sie der Beamte zunächst verrichten88. Sucht sich der Beamte zu entschuldigen, daß er sich über den Umfang seiner Dienstpflicht geirrt hat, so kann er sich mit diesem Einwand nicht entlasten. Es bleibt ihm unbenommen, wenn die Zuweisung einer unterwertigen Tätigkeit auf Grund eines Verwaltungsaktes zurückzuführen ist, diesen im Vewaltungsrechtswege anzufechten. Da die Zuweisung unterwertiger — der Rechtsstellung eines Beamten nicht entsprechender — Dienstgeschäfte durch eine Geschäftsverteilungsverfügung des Behördenleiters einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt89, hat sie im Falle des Widerspruchs bzw. der Erhebung der Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung ; ordnet der Behördenleiter allerdings die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 VwGO an, so muß sie der Beamte befolgen. Die Anordnung eines Vorgesetzten, eine Arbeit' zu leisten, die der Vorbildung und der Bedeutung der dem Beamten übertragenen Planstelle nicht angemessen ist und die dem Beamten in seiner sozialen Stellung herabmindert, ist im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtung aufzuheben. Innerhalb der Grenzen der dem Beamten übertragenen Planstelle und der sozialen 8 e B D H 29. 6. 55 — III D 74/54 — B D H E Bd. 2 S. 164 = L i n d g e n , Teil I V Nr. 220 = DokBer. Nr. 500 (in diesem Falle war dem Beschuldigten im Juli 1945 von seiner Behörde mitgeteilt worden, er habe sich zur Beschäftigung im Arbeiterdienst zu melden. Er verweigerte die Dienstaufnahme, weil er sich als Beamter auf Lebenszeit nicht für verpflichtet hielt, als Arbeiter in einer Rotte Dienst zu tun. Er war aber bereit, als Beamter sogleich seinen Dienst anzutreten. Der B D H hielt seine Einlassung für begründet und wertete sein Verhalten nicht als schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst). 8 7 W i t t l a n d , S. 91. 8 8 DiszSenat O V G Münster 30. 11. 56 — W 23/56 — A S Bd. 12 S. 36 = Lindgen, Teil I V Nr. 243. 8 9 B a c h o f in Festschrift für Laforet 1952 S. 290 ff.; U l e , Gerichtlicher Rechtsschutz im Beamtenrecht, 1951 S. 27 f.; V G H Bebenhausen in J Z 1953 S. 87; H. J . W o l f f , Verwaltungsrecht, Bd. 1 S. 199; J e l l i n e k in DVB1. 1956 S. 417; O b e r m a y e r , Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 148 ff., 159 ff., 163; O V G Lüneburg 19. 5. 53 in A S Bd. 6 S. 482 (484) = VRspr. Bd. 6 S. 192.
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Einordnung in den Dienstbetrieb
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Stellung des Beamten kann jedoch eine neue Geschäfts Verteilung die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Beamten beeinträchtigen, sofern nur das Gesamtbild des Amtes bestehen bleibt und den Anstellungsbedingungen entspricht90. Aus der allgemeinen Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, ergibt sich für ihn sogar die Verpflichtung zu einem vom regelmäßigen Aufgabenbereich abweichenden Einsatz, soweit dieser im gegebenen Falle sachlich geboten und persönlich vertretbar ist 91 . Bei dringenden dienstlichen Bedürfnissen, wie sie sich ζ. B. aus der Bewältigung des Weihnachtsverkehrs bei der Deutschen Bundespost ergeben, muß der Beamte seine persönlichen Interessen zurückstellen und sich zur Ausführung einer Tätigkeit bereiterklären, die nicht zu seinen eigentlichen Aufgabengebieten gehört. So muß ζ. B. ein technischer Postinspektor der Aufforderung seines Vorgesetzten nachkommen, im Rahmen des Weihnachts- und Neujahrsverkehrs bei einem Postamt Postsendungen zu sortieren. V. EINORDNUNG IN DEN DIENSTBETRIEB Zum Beamten ist nur derjenige geeignet, der sich ein- und unterordnen kann und sozial denkt. Selbstherrliche und eigennützige Naturen sind zum Beamten nicht geeignet. Deshalb ist ein Beamter nicht mehr für den öffentlichen Dienst tragbar, wenn er überheblich ist und seine Interessen über die dienstlichen Erfordernisse stellt92. Es schließt dies allerdings nicht aus, daß der Beamte Mißstände in gebührender Form zur Sprache bringen kann, ohne aber hierbei die gebührende Achtung zu verletzen. Bei der Ausübung seines Beschwerderechts darf er sich nicht in Herabsetzungen und Beleidigungen ergehen und nicht unter Verquickung von beleidigenden Ausdrücken mit Tatsachenbehauptungen seinem Unmut freien Lauf lassen sowie nicht aus bloßem Argwohn heraus schwere Verdächtigungen aussprechen93. Ein Beamter ist untragbar, der durch fortgesetzte UnZuverlässigkeit oder durch Einsichtslosigkeit gegenüber Mahnungen und Bestrafungen einen völligen Mangel an Pflichtbewußtsein offenbart94. Aufgabe einer Verwaltung ist es vielmehr, mit arbeitseifrigen und pflichtbewußten Beamten zusammenzuarbeiten; ihr kann nicht zugemutet werden, einen arbeitsunwilligen Psychopathen mit durchzuschleppen96. Der Beamte muß auch gegenüber außenstehenden Dritten, mit denen er dienstlich Befassung hat, Zurückhaltung wahren. Es ist eines Beamten unwürdig, wenn er gegenüber Staatsbürgern anmaßend auftritt, weil er so das 90 DiszSenat OVG Münster 30. 11. 56 — W 23/54 — AS Bd. 12 S. 36 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 243; OVG Münster 21. 6. 56 — V i l i A 585/54 — VGH Bebenhausen in J Z 1953 S. 87; PrOVG Bd. 49 S. 408 (418), Bd. 52 S. 434, Bd. 61 S. 433, 477, Bd. 77 S. 525; OVG Lüneburg 14. 8. 53 — V OVG A 247/53 — und 13.10. 53 — V OVG A 223/54 —; OVG Koblenz 10. 8. 54 — in ZBR 1954 S. 353 (354). 9 1 BDH 15. 5. 62 — III DV 2/62 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 614 = DokBer. Nr. 1577. = BDHE Bd. 6 S. 92. 92 DokBer. Nr. 721 (Dem Beschuldigten wurden im vorliegenden Falle folgende Verfehlungen zur Last gelegt: ständiges Zuspätkommen zum Dienst, wiederholte eigenmächtige Überschreitung der Mittagspause, Belügen des Vorgesetzten bei Antragen auf Dienstbefreiung, häufiges Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern während der Dienststunden unter Versäumung von Dienstpflichten.) 93 DokBer. Nr. 1774. 94 BDH 25. 7. 56 — III D 54/55 —. 9 5 BDH 20. 6. 56 — II D 31/56 —.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
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Ansehen seiner Verwaltung schwerstens schädigt. Die Ausübung von Hoheitsgewalt offenbart sich nicht in einem Machtdünkel und einem Auftreten im Kasernenhofton. So darf sich ζ. B. ein Polizeibeamter auch durch das ungebührliche und herausfordernde Verhalten eines jugendlichen Mopedfahrers ihm gegenüber (Heranfahren in stark beschleunigtem Tempo bis dicht an den kontrollierenden Beamten) nicht zur Verabfolgung einer Ohrfeige hinreißen lassen; durch eine solche Handlung begeht er eine nicht leicht zu nehmende Pflichtverletzung95". Kann jedoch in einem Disziplinarverfahren, das gegen einen Lehrer wegen unerlaubter Züchtigung geführt wird, nach den Ermittlungen lediglich festgestellt werden, daß es in wenigen Einzelfällen zu einer besonders leichten Züchtigung (Versuch einer Ohrfeige, wobei nur der zum Schutze erhobene Arm des Schülers getroffen wurde) gekommen ist, so kann ein Dienstvergehen nur angenommen werden, wenn alle wesentlichen Tatumstände (Anlaß der Züchtigung, äußere Lage und innere Verfassung des Lehrers, verständliche Erregung) in der Hauptsache geklärt sind95b. Erteilt ein Beamter eine Auskunft, so muß er sich irgendwelcher herabsetzender Äußerungen gegenüber demjenigen enthalten, der die Auskunft begehrt, wie jeder Beamte schlechthin verpflichtet ist, ratsuchenden Bürgern gebührend gegenüberzutreten9®. Ein Beamter kann nicht mehr im öffentlichen Dienst belassen werden, der aus Unwillen über seine Arbeitskameraden diesen eineri Streich spielt und hierbei in Kauf nimmt, daß hierunter der Dienstbetrieb leidet. So ist ζ. B. ein Beamter der Deutschen Bundesbahn aus dem Dienst entfernt worden, der eine technische Einrichtung beschädigt hatte, wobei das elektrische Signalsystem auf einem Bahnhof gestört worden war, um hierdurch einem Arbeitskameraden, gegen den er aufgebracht war, einen üblen Streich zu spielen; hierbei wog es besonders schwer, daß die Sicherung dieser Einrichtung zu seinen besonderen Obliegenheiten gehörte97. Nach der Auffassung des Bundesdisziplinarhofs ist ein Beamter, der einen derartigen Mangel an Verantwortungsbewußtsein offenbart und seine primitivsten Dienstpflichten außer acht läßt, untragbar, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob die Beschädigung der dienstlichen Einrichtung Selbstzweck war oder nur als Mittel zum Zweck in Kauf genommen wurde. Eine Nichteinordnung in den Dienstbetrieb stellt es dar, wenn der Beamte zum Dienst in einem verwahrlosten Zustande erscheint98. So stellt es ein Dienstvergehen dar, wenn der Beamte den Dienst unrasiert in einem unordentlichen, fleckigen und unsauberen Anzüge und u. U. — infolge eines vorherigen Biergenusses — nach Alkohol riechend antritt, so daß es den Mitarbeitern nicht zuzumuten ist, mit ihm zusammen zu arbeiten. Hat der Beamte unterwegs einen Unfall erlitten, so darf er nicht mit blutverkrusteten Wunden auf seiner Dienststelle erscheinen, sondern es ist seine Pflicht, diese vorher auszuwaschen und zu verbinden bzw. zu verkleben. Der Beamte muß sich nämlich durch sein Verhalten achtungswürdig erweisen, was erfordert, daß er zum Dienst in körperlich sauberem Zustande und in ordentlicher Kleidung erscheint. Ein Be96®
9511 M 97 88
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DiszSenat OVG Münster 18. 1. 63 — V 36/62 — in 2BR 1964 S. 271 (LS). DiszSenat OVG Münster 25. 6. 64 — Y 10/63 — in ZBR 1965 S. 78 (LS). DiszSenat OVG Münster 27. 3. 61 — Y 31/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 648 (LS). DokBer. Nr. 890. DokBer. Nr. 1357.
Minderleistungen und Arbeitsüberlastung
§53
amter, der in schmutzigem, unrasiertem und verwahrlostem Zustande mit einer Alkoholfahne den Dienst antritt, schädigt das Ansehen seiner Behörde in der Öffentlichkeit und verletzt seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf seine Mitarbeiter und stört somit den Dienstbetrieb. VI. BERATUNG VON VORGESETZTEN Zu einer gewissenhaften Dienstausübung gehört es, daß der Beamte seine Vorgesetzten nach bestem Wissen berät und unterstützt. Dies ist ausdrücklich hervorgehoben in § 55 Satz 1 BBG, § 68 Satz 1 LBG BW, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BG Bayr., § 22 Satz LBG Bln., § 56 Satz 1 BG Brm., § 58 Satz 1 BG Hmb., § 70 Satz 1 HBG, § 63 Satz 1 NBG, § 58 Satz 1 BG NW, § 65 Satz 1 LBG Rh.-Pf., § 69 Satz 1 BG Saar und § 67 Satz 1 BG Schl.-Hol. Unterläßt er es, den Vorgesetzten auf die für eine dienstliche Entscheidung zu beachtenden Vorschriften hinzuweisen oder unterrichtet er den Vorgesetzten bewußt fehlerhaft, um ihn zu einer falschen Entscheidung zu veranlassen, so begeht er dadurch eine schwere Pflichtverletzung". Vn. MINDERLEISTUNGEN UND ARBEITSÜBERLASTUNG Der Beamte muß den an ihn gestellten Anforderungen gerecht werden. Hierbei muß er die ihm gestellten Aufgaben gewissenhaft erfüllen. Das Vorhandensein von Rückständen allein ist disziplinarisch unbeachtlich100». Hier bedarf es einer ausreichenden Substantiierung des Anschuldigungsvorbringens. Ist der Beamte infolge Unfähigkeit nicht in der Lage, seinen dienstlichen Verpflichtungen nachzukommen, so sind Unterlassungen, die der mangelnden Eignung entspringen, disziplinarisch nicht verfolgbar; die mangelnde Eignung eines Beamten für seinen Beruf oder für eine besondere Sparte seines Berufs kann nach im Disziplinarrecht von jeher herrschenden Auffassung nicht als Dienstvergehen verfolgt werden 100 . Gegen minderleistungsfähige Beamte sah § 75 Abs. 1 des Entwurfs zum BBG folgende Maßnahmen vor: Versagen des Aufsteigens im Gehalt in jeder Dienstaltersstufe bis zu zwei Jahren oder die Zurückstufung innerhalb der Besoldungsgruppe seines Amtes in niedrigere Dienstaltersstufe. Der Bundestag hat jedoch diese Bestimmungen fallengelassen. Die Gründe, die für ein Nachlassen der Arbeitskraft sprechen, bedürfen einer eingehenden Nachprüfung. Sie können in einer Arbeitsüberlastung, in häuslichen Sorgen, körperlicher Beeinträchtigung oder in einem Kriegsleiden zu suchen sein; in den meisten dieser Fälle kann von einem Verschulden keine Rede sein. Beruht die Minderleistungsfähigkeit auf einer mangelnden Ausbildung und Erfahrung, so kann strafmildernd berücksichtigt werden, wenn der Beamte solche Vorschriften verletzt hat, in denen er mangelhaft ausgebildet worden ist. Verletzt der Beamte jedoch grundlegende selbstverständliche Vorschriften, für deren Kenntnis es keiner besonderen Ausbildung oder prakti99 Behnke, S. 113. 100 prOVG Bd. 84 S. 441; BDH 14.12. 55 — II D 104/54 —; DokBer. Nr. 1955. 1 0 0 a DokBer. Nr. 1955.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
sehen Erfahrung bedarf, so kann er sich nicht auf mangelhafte Ausbildung und zu geringe dienstliche Erfahrung berufen 101 . Der Beamte macht sich disziplinarisch strafbar, wenn er infolge eines ausgedehnten Zechgelages am nächsten Tage nicht in der Lage ist, seinen Dienst vollwertig zu verrichten, wenn er ζ. B. für einen Arbeitsvorgang, der normalerweise in ein bis zwei Stunden zu erledigen ist, einen ganzen Tag benötigt ; eine derartig unzulängliche Arbeitsleistung stellt einen Verstoß gegen die Pflichten dar, seine Dienstgeschäfte einwandfrei zu erledigen, gleichgültig, ob die Fehlleistung auf mangelnden Eifer beruht oder darauf, daß die Arbeitskraft durch übermäßigen Alkoholgenuß beeinträchtigt war 102 . Hat ein Beamter eine als Bereitschaftsdienst zu wertende Wartezeit, so muß er darauf bedacht sein, daß er einen nachfolgenden Dienst in ausgeruhtem und nüchternem Zustand antreten kann 102a . Ist hier dem Beamten durch Dienstvorschrift aufgegeben, sich jedes Genusses von alkoholischen Getränken zu enthalten, so verstößt er bei Übertretung einer solchen Vorschrift erheblich gegen seine Dienstpflichten. Der Beamte verstößt schon dann gegen die Dienstzucht, wenn er eine solche Wartezeit zum Ausgehen benutzt und seinen nachfolgenden Dienst in einem völlig unausgeschlafenen Zustande antritt 103 . Oft werden bei älteren Beamten die geistigen Kräfte nachlassen, ohne daß dies von ihnen zu vertreten ist. Ist eine Pflichtverletzung im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Beamte ζ. Z. der Tat infolge Nachlassens seiner geistigen Kräfte den Anforderungen seines Amtes nicht mehr gewachsen ist, so kann die Tat milder beurteilt werden; dies gilt vor allem auch für die hierdurch bedingten Minderleistungen 104 . Falls der Beamte wegen Minderleistung disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wird, beruft er sich in solchen Fällen auf Arbeitsüberlastung. In der Regel kann er sich jedoch hiermit nicht entlasten105. Gleiches gilt auch dann, wenn der Beamte behauptet, daß er die ihm übertragenen Aufgaben unter den gegebenen Bedingungen einfach nicht erfolgversprechend verrichten kann. So kann ζ. B. ein Lehrer sich nicht darauf berufen, daß er trotz erfolglos gebliebener Gegenvorstellung den Unterricht in einer Klasse nicht aufnehmen kann, deren Schülerzahl er für zu groß hält, so daß ein geordneter Unterricht ihm unmöglich erscheint106. Glaubt der Beamte, daß er dienstlich über Gebühr in Anspruch genommen ist oder daß ihm unter den obwaltenden Umständen ein erfolgversprechendes Arbeiten nicht möglich ist, so hat er dies auf dem Dienstweg zu melden und sich um Beseitigung der angeblichen Mißstände zu bemühen. Ist er dienstlich überlastet und ist es ihm nicht möglich, die ihm zugewiesenen Aufgaben fristgemäß zufriedenstellend zu erledigen, so daß hierdurch der Verwaltung und dem Staatsbürger, dessen Anträge er zu bearbeiten hat, Nachteile drohen, so ist er sogar verpflichtet, die dienstliche Überlastung seinem VorDokBer. Nr. 869. DokBer. Nr. 1357. 1 0 2 a DokBer. Nr. 1853. 1 0 3 Vgl. DokBer. Nr. 492. 1 0 4 BDH 9. 9. 60 — I D 84/59 — ZBR 1961 S. 386 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 579. 1 0 5 Vgl. BGH 24. 6. 63 — III ZR 195/61 — in VersR 1963 S. 1080. l o e DiszSenat OVG Münster 10. 10. 59 — Y 29/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 118. 101
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Nichtbeachtung von Dienstvorschriften und Unachtsamkeit im Dienst
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gesetzten oder seinem Dienstvorgesetzten anzuzeigen107. Es kann allerdings entschuldbar sein, wenn der Beamte, um überhaupt mit seiner Arbeit durch2ukommen, sich bei dafür geeigneter Arbeit statt genauer Einzelprüfung auf Stichproben beschränkt 108 . Strafmildernd kann es angesehen werden, wenn sich der Beamte auf einen sonst besonders erprobten und zuverlässigen Beamten verlassen hatte 109 . Dagegen ist erschwerend zu bewerten, wenn der Beamte trotz Überlastung und Überarbeitung Zeit findet, auf Anfragen und Mahnungen inhaltlich falsche Antworten zu erteilen, und zwar unter Behauptung von Tatsachen, die er der Wahrheit zuwider erfunden hat 110 . Droht hingegen dem Dienstherrn kein Schaden, hat jedoch der Beamte durch die Arbeitsüberlastung gesundheitliche Schäden erlitten, so macht er sich in diesem Falle nicht disziplinarisch verantwortlich, wenn er die Arbeitsüberlastung nicht gemeldet hat 111 . Ebenso kann er bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung der Fürsorgepflicht nicht auf § 254 BGB verwiesen werden, wenn der Dienstvorgesetzte bei sorgfältiger Wahrnehmung der Fürsorgepflicht die Arbeitsüberlastung seiner Untergebenen selbst hätte feststellen können. Wenn es sich als notwendig erweist, muß einer mündlichen Vorstellung, daß das vorgeschriebene Arbeitspensum wegen Überlastung nicht geschafft werden kann, durch eine schriftliche Meldung Nachdruck verliehen werden 112 . Nur wenn ein Beamter trotz pflichtgemäßer Meldung in unnormaler Weise beansprucht wird, kann eine von ihm unter diesem Umständen fahrlässig begangene Pflichtverletzung milder beurteilt werden 113 . Hat der Beamte seine Arbeitsüberlastung gemeldet und hat der Dienstvorgesetzte keine Abhilfe geschaffen, so ist eine Klage vor den Verwaltungsgerichten auf Abstellung dieses Mangels unzulässig. Ebenso scheidet eine Feststellungsklage aus, weil sie nicht auf die Konkretisierung eines Rechtsbegriffes gerichtet ist 114 . Familiäre Schwierigkeiten können nicht als Entschuldigung für eine anhaltende Nachlässigkeit in den dienstlichen Verrichtungen des Beamten angesehen werden 115 . VIII. NICHTBEACHTUNG VON DIENSTVORSCHRIFTEN UND UNACHTSAMKEIT IM DIENST Der Beamte ist verpflichtet, die für ihn in seinem Amt geltenden Dienstund Rechtsvorschriften gewissenhaft zu beachten. Er darf sich bei seiner Tätigkeit nicht auf andere verlassen 116 . So stellt es schon ein Dienstvergehen dar, wenn ein Schalterbeamter entgegen der dienstlichen Anweisung EinVgl. RGZ Bd. 96 S. 143; DokBer. Nr. 1955. So Bank in RiA 1963 S. 273 (277). 1 0 9 Vgl. RGZ Bd. 77 S. 423. 1 1 0 Vgl. BGH 23. 3. 59 in RiA 1959 S. 188. m Vgl. Bank, Uber Pflichtenkollisionen im Beamtenverhältnis in NDBZ 1962 S.45. 1 1 2 BDH 26.1. 56 — II D 150 und 151/54 —. 1 1 3 BDH 30. 5. 56 — I D 133/54 —. 1 1 4 L A G Düsseldorf 19. 5. 61 in RiA 1962 S. 112 (hier ist die Klage auf Feststellung einer übermäßigen Belastung eines Orchestermitgliedes abgewiesen worden). 1 1 6 DiszSenat OVG Münster 1. 4. 60 — V 25/59 — in ZBR 1963 S. 319; DokBer. Nr. 1853. 1 1 6 Vgl. DokBer. Nr. 1295. 107
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
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lieferungsformulare und Dienststempel in fahrlässiger Weise an seinem Arbeitsplatzaufbewahrt, so daß diese Gegenstände dem ZugriffDritter ausgesetzt sind117. Auch unfallverhütende Vorschriften müssen genau eingehalten werden 118 . Der Beamte macht sich disziplinarisch dann strafbar, wenn die fehlerhafte Amtshandlung infolge einer absichtlichen oder grobfahrlässigen Nichtbeachtung dienstlicher Vorschriften von ihm zu vertreten ist 119 . So wiegt es ζ. B. schwer, wenn ein im Zustelldienst der Deutschen Bundespost beschäftigter Beamter Postsendungen von der rechtzeitigen Zustellung ausschließt und somit u. a. vorsätzlich gegen die Vorschrift des § 60 Abs. 1 der Postordnung betr. die unverzügliche Rücksendung unzustellbarer Postsendungen verstößt und die Bestimmung der ADA V 2 § 110 Abs. 7 nicht beachtet. Wenn hiernach auch im Einzelfalle zur Entlastung Drucksachen weniger eiliger Art von einem Zustellgang auf unmittelbar folgende verschoben werden darf, so müssen diese Sendungen jedoch von Fall zu Fall vom Amtsvorsteher selbst ausgewählt werden. Bei der Strafzumessung liegt hier der Schwerpunkt der Vorwürfe bei dem schuldhaften Verzögern der Rücksendung nicht zustellbarer Postsendungen; eine derartige Verzögerung darf angesichts des ohnehin eingetretenen Zeitverlustes nicht bagatellisiert werden und kann in eilbedürftigen Fällen sogar schwerer wiegen als eine Verzögerung im Falle der Zustellbarkeit. Je länger die Zustellung durch einen solchen säumigen Zusteller verzögert wird, um so höher ist die Disziplinarstrafe auszusprechen. Beim Strafmaß muß berücksichtigt werden, daß durch ein solches Verhalten das Ansehen der Deutschen Bundespost vor den Postbenutzern schwer geschädigt wird. In einem solchen Falle erscheint eine Disziplinarstrafe am Platze, die nur durch ein Disziplinargericht verhängt werden kann 119a . Der Beamte muß fortlaufend bestrebt bleiben, sich die für die Obliegenheiten seines Amtes erforderlichen Dienstvorschriften anzueignen. Auch von juristisch oder verwaltungsmäßig nicht vorgebildeten Beamten, die in eine amtliche und verantwortliche Stellung gelangen, muß verlangt werden, daß sie sich die für die ihnen obliegenden Pflichten und Befugnisse notwendigen Kenntnisse verschaffen120. G e s e t z e s u n k e n n t n i s u n d m a n g e l n d e b e amtenmäßige Vorbildung schützen nicht vor Disziplinarstrafe; ein Unterschied besteht nach dieser Richtung zwischen besonders vorgebildeten Beamten nicht. Verkennung der Rechtslage und Rechtsirrtümer können einem juristisch oder verwaltungsmäßig nicht vorgebildeten Beamten strafmildernd nur insoweit angerechnet werden, als dies bei auch geschulten Beamten geschehen würde 121 . Falsche Auslegung schwieriger Rechtsvorschriften kann im Einzelfall auch bei einem juristisch vorgebildeten Beamten entschuldbar sein 122 . Das Fehlgreifen in einer schwierigen und noch klärungsbedürftigen Rechtsfrage kann einem Beamten — auch auf Ministerialebene — grundsätzBDK VIII 30.11. 55 — VIII VL 43/55 —. BDK V 13. 1. 56 — V VL 25—26/55 (der Beschuldigte hatte als Bautruppführer nicht für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften gesorgt und so den durch Starkstrom eingetretenen Tod eines Bauhandwerkers mitverschuldet; der Beschuldigte ist nur ausnahmsweise im Dienst belassen worden). na prOVG 9. 7. 26 — O. 27. 24 — PrOVG Bd. 81 S. 444 = P e r w o , S. 199. 119 * BDH 29. 7. 64 — III D 1/64 — (nicht veröffentlicht). 1 2 0 DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 455. 1 2 1 PrOVG 8 . 1 . 29 — D. U. 25/25 — PrOVG Bd. 83 S. 418 = P e r w o , S. 235. 122 Ygi, PrOVG Bd. 23 S. 233. 117
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Nichtbeachtung von Dienstvorschriften und Unachtsamkeit im Dienst
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lieh nicht als Verschulden angerechnet werden 123 . Verstößt ein Beamter gegen den Sinn einer u n v o l l s t ä n d i g e n d i e n s t l i c h e n A n o r d n u n g , so ist sein Verhalten dann eine fahrlässige Dienstpflichtverletzung, wenn er bei Auslegung der Anordnung die Sorgfaltspflicht außer acht gelassen hat, zu der er nach den Umständen des Falles und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet war 123 ". Ein höherer Beamter des Justizdienstes war auch im nationalsozialistischen Staat der Rechtsidee verpflichtet und hatte den Bestand grundlegender Rechte zu hüten. Eine zu jener Zeit erklärte Zustimmung zu einem Entwurf eines Gesetzes, das die Verschärfung einer Strafe rückwirkend vorsah — Verletzung des Grundsatzes nulla poena sine lege — kann nicht als Dienstvergehen angesehen werden. Es stellt jedoch ein Dienstvergehen dar, wenn sich der Beamte im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassenlehre für eine rechtliche Regelung einsetzte, welche die jugendlichen Zigeuner und Zigeunermischlinge dem Erwachsenenstrafrecht unterwarf. Ebenso ist ein Ministerialbeamter, der in justizlenkenden „Sonderbriefen" Richter bei bestimmten Arten von Delikten zur Verhängung höherer Strafen aufforderte, wegen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit disziplinarisch zur Verantwortung zu ziehen1231». Bei der Frage, ob der Beamte wegen Nichtbeachtung der Dienst- und Rechtsvorschriften bestraft werden kann, ist es unbeachtlich, ob sich der Kreis der Dienstpflichtigen aus etwaigen hoheitlichen Befugnissen ergibt oder nicht. Auch bei der Ausübung privatrechtlicher Verrichtungen hat der Beamte seine Dienstpflichten zu beachten124. Auf Grund des zwischen der Behörde und dem Beamten begründeten Vertrauens- und Treueverhältnisses ist jeder Beamte verpflichtet, innerhalb der ihm gegebenen Möglichkeiten jede seiner Behörde drohende Schädigung zu verhindern. Insbesondere macht er sich dann disziplinarisch strafbar, wenn er entgegen klaren gesetzlichen Bestimmungen einem Dritten eine Leistung zuspricht, auf die dieser keinerlei rechtlichen Anspruch hat. So ist ζ. B. ein Beamter der Deutschen Bundesbahn mit einer Kürzung des Ruhegehalts um ein Fünftel auf die Dauer eines Jahres bestraft worden, weil er als Personaldezernent einem anderen Beamten durch eine von ihm vollzogene Verfügung ohne Mitwirkung des Abteilungsleiters und des Präsidenten im Wege der Wiedergutmachung eine Rechtsstellung eingeräumt hatte, auf die dieser keinen rechtlichen Anspruch hatte 126 . Hat ein Beamter eine sonst von ihm stets angewandte Vorschrift bei der Bearbeitung eines zu seinem Sachgebiet gehörenden Antrages in einem Einzelfall außer acht gelassen, so genügt das allein noch nicht zum Beweise für eine vorsätzliche Pflichtverletzung; es kann vielmehr dem Beamten auch hier eine Fahrlässigkeit unterlaufen sein128. Aus der Zugehörigkeit eines Beamten zum Personalrat lassen sich keine besonderen Dienstpflichten herleiten127. Der Personalrat ist nämlich BGH 28. 11. 63 — III ZR 174/62 — in VersR 1964 S. 195. DiszSenat OVG Münster 28. 6. 63 — Y 12/26 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). i23b B D H 27. 9. 62 — II D 107/59 — BDHE Bd. 6 S. 64. 124 DokBer. Nr. 920. 125 DokBer. Nr. 1234. 128 DiszSenat OVG Münster 19. 10. 62 — V 16/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS). 1 2 ' BDH 5. 7. 61 — I D 78/60 — in ZBR 1961 S. 393 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 600. = BDHE Bd. 6 S. 97. 123
123a
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
kein Organ des Dienstherrn, sondern stellt lediglich eine Vertretung der Bediensteten dar. Er ist nicht befugt, dienstliche Anordnungen des Dienstherrn durchzuführen oder deren Durchführung zu überwachen. Wenn auch nach § 55 Abs. 1 PersVG die Dienststelle und der Personalrat im Rahmen der Gesetze und Tarifverträge zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und zum Wohle der Bediensteten vertrauensvoll zusammenarbeiten müssen, so erfüllt hierbei der Personalrat keinerlei Funktionen gegenüber den Bediensteten. Dem Personalrat obliegen lediglich die Belange der Bediensteten, wenn er die ihm nach § § 56 und 57 PersVG gestehen Aufgaben wahrnimmt. Verletzt der Personalrat lediglich solche Pflichten, die ihm als Personalrat obliegen, so stellt dies als solches noch kein Dienstvergehen dar. Es muß eine Verletzung solcher Pflichten hinzukommen, die gegenüber dem Dienstherrn als solchen obliegen. Versäumt ζ. B. der Beamte, der Mitglied einer Personalvertretung ist, wiederholt die Sitzungen des Personalrats, ohne daß er hierfür eine triftige Entschuldigung vorbringen kann, so kann er deshalb noch nicht disziplinarisch bestraft werden. Das gleiche würde auch dann gelten, wenn er sich bei der Ausübung seiner Pflichten als Personalratsmitglied einseitig von den Belangen eines Berufsverbandes leiten ließe. Anderes würde nur dann gelten, wenn er als Personalratsmitglied gegen seine allgemeinen Beamtenpflichten verstößt, wenn er z. B. anläßüch einer Zusammenkunft der Personalratsmitglieder seine Vorgesetzten beleidigt oder wenn er während einer Personalratssitzung dem Alkohol so sehr zuspricht, daß er sich anschließend in einem fahruntüchtigen Zustande an das Steuer seines Kraftwagens setzt. Gehört es zu den speziellen Dienstpflichten eines Beamten, Arbeitskollegen zu beaufsichtigen, daß sie die Dienststunden pünktlich einhalten, ihre Dienstgeschäfte gewissenhaft verrichten und sich hierbei keine strafbaren Handlungen zuschulden kommen lassen, so wiegt es besonders schwer, wenn der Beamte gerade gegen solche Dienstpflichten verstößt, zu deren Überwachung er eingesetzt ist. Gleiches gilt auch dann, wenn ein Beamter zur Verhütung und Bekämpfung strafbarer Handlungen eingesetzt und im Gegenteil zur Vertuschung derselben Vorschub leistet. So ist ein Überwachungsbeamter der Deutschen Bundespost selbst bei einer einmaligen Verfehlung mit der Höchststrafe zu bestrafen, wenn er sich eines Verbrechens der Begünstigung im Amt (§ 346 StGB) zuschulden kommen läßt, sofern nicht besondere Milderungsgründe vorliegen 128 . Ein besonders schweres Dienstvergehen stellt es dar, wenn ein Beamter, zu dessen besonderen Pflichten die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gehört, wobei ihm die Entgegennahme und Weiterleitung von Anzeigen obliegt, seinen Hauptpflichten nicht nachkommt, um hierdurch einen Staatsbürger der gerechten Bestrafung zu entziehen. Grundsätzlich kann ein Polizeibeamter oder ein sonstiger Beamter der Strafrechtspflege, der sich einer Begünstigung schuldig macht, nicht im öffentlichen Dienst belassen werden. Hält ζ. B. ein Polizeibeamter eine Strafanzeige durch Einschließen in dem nur ihm zugänglichen Dienstschreibtisch zurück, so verletzt er seine Hauptpflicht. Die strafrechtliche Würdigung der Tat, geringfügige Bestrafung und der Umstand, daß der Angezeigte ein Anverwandter des Polizeibeamten ist, sind für die disziplinarrechtliche Würdigung als schwe128
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BayrDStH 31. 7. 61 — Nr. 28 D S I 60 — in B B Z 1963 S. 9.
Nichtbeachtung von Dienstvorschriften und Unachtsamkeit im Dienst
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res Dienstvergehen ohne entscheidende Bedeutung 129 . Ebenso schwer würde es wiegen, wenn ein Staatsanwalt es pflichtwidrig unterlassen würde, Anklage zu erheben. Dies gilt auch dann, wenn er strafbare Handlungen nicht verfolgt, von denen er privat Kenntnis erlangt hat. Hierbei spielt es keine Rolle, wenn er durch ein solches Unterlassen nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 346 StGB erfüllt 129 ». Auch ein Kriminalbeamter begeht ein sehr schweres Dienstvergehen, wenn er einen Gesetzesverletzer begünstigt 129b . Ein Beamter, der bei der Ausübung seines Dienstes Umgang mit Schußwaffen hat, hat die besondere Verpflichtung, mit denselben besonders sorgsam umzugehen und eine unbefugte Benützung durch Dritte zu verhindern. Daher ist ζ. B. der leichtfertige Umgang eines Polizisten mit einer geladenen Pistole selbst im inneren Dienst ein Dienstvergehen 130 . Hierbei spielt es keine Rolle, ob er durch seinen leichtsinnigen Umgang anderen oder sich selbst einen Schaden zugefügt hat. Oft schädigt der Beamte durch Unachtsamkeit im Dienst das Vermögen seiner Verwaltung oder das Eigentum oder das Leben oder die Gesundheit Dritter. Insbesondere tritt im Bereich der Verkehrsverwaltungen, wie Bundesbahn und Bundespost, infolge der Nichtbeachtung von Betriebsvorschriften eine erhebliche Schädigung der Verwaltung oder Dritter ein. Falls sich Betriebsbeamte der Bundesbahn eine fahrlässige Transportgefährdung zuschulden kommen lassen, die die fahrlässige Tötung oder Körperverletzung von Personen zur Folge hat, ist die Frage, welche Disziplinarstrafe am Platze ist, äußerst schwer zu beantworten. Es liegt nahe, in solchen Fällen die schweren Folgen, die derartige Pflichtverletzungen im Eisenbahn- oder Postbetrieb zur Folge haben, bei der Strafzumessung entscheidend zu berücksichtigen, obgleich ansonsten im Disziplinarrecht nicht der Erfolg der Tat, sondern der Umfang der Schuld und die Offenbarung von Persönlichkeitsmängeln entscheidend ins Gewicht fallen. Es besteht jedoch keinerlei Veranlassung, bei solchen Dienstvergehen, die, wie die Transportgefährdung, oft zwangsläufig einen erheblichen Schaden an Leben und Eigentum Dritter nach sich ziehen, einen anderen Standpunkt einzunehmen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß bei Beamten der Betriebsverwaltungen die Einhaltung von Fahrdienst- und sonstigen Betriebsvorschriften zu den wesentlichsten Beamtenpflichten gehört, da gerade hiervon die Sicherheit des Betriebs der Eisenbahn und Post wesentlich abhängen. Aus diesem Grunde ist die N i c h t b e a c h t u n g v o n F a h r d i e n s t - u n d B e t r i e b s v o r s c h r i f t e n ein sehr e r n s t zu n e h m e n d e s D i e n s t v e r g e h e n 1 3 1 . So muß ζ. B. im Rangierdienst auf Sicht gefahren werden; die Geschwindigkeit der Lokomotive ist dabei so einzurichten, daß der Lokomotivführer jederzeit vor einem Hindernis halten kann. Handelt es sich um ein kurzes Gleis, so ist besonders vorsichtig zu fahren (§84 Abs. 1 FV der DiszSenat OVG Münster 17. 8. 62 — V 11/62 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). So K r a u s e , Erfüllt die Nichtverfolgung durch den Staatsanwalt bei privat erlangter Kenntnis einer strafbaren Handlung den Tatbestand des § 346 StGB ? in GA 1964 S. 110. 1 2 9 b DiszSenat OVG Münster 8. 11. 63 — V 18/63 — in ZBR 1965 S. 78 (LS). 1 3 0 DiszSenat OVG Münster 31. 1. 61 — Y 36/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 125. 131 DokBer. Nr. 1652 (hier ist ein Oberlokomotivführer von der 13. Dienstaltersstufe in die 11. Dienstaltersstufe seiner Besoldungsgruppe herabgestuft worden, weil er ein Haltesignal übersehen hatte, so daß eine Lokomotive auf einen Personenzug aufgefahren ist, der Führer der Personenlokomotive getötet und 44 Reisende verletzt worden sind, und ein erheblicher Sachschaden eingetreten ist). 129
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
DB). Sind die Bewegungen der Lokomotive so unvorsichtig ausgeführt worden, daß hierdurch Fahrzeuge und Rampen beschädigt worden sind, so hat sich der Lokomotivführer auch disziplinarisch zu verantworten 131 ». Insbesondere sind Verstöße eines Schrankenwärters gegen die Bahnbewachungsvorschriften wegen der sich daraus ergebenden Gefahren für die Sicherheit des Bahnbetriebes und der Möglichkeit schwerer Unfälle nicht leicht zu nehmen; entscheidend kommt es aber trotz der schweren. Unfallsfolgen für das Strafmaß auf den Grad des Verschuldens an 132 . Hierbei ist zu prüfen, ob irgendwelche außergewöhnliche Vorkommnisse betrieblicher oder maschinen-technischer Art die Beachtung der Dienstvorschriften erschwert haben. Ebenso ist zu prüfen, ob durch ein Mitverschulden dritter Personen, insbesondere der Geschädigten, der Schaden erst eingetreten oder gar vergrößert worden ist; das Mitverschulden darf sich aber nur auf ein vom Täter nicht vorhersehbares Ereignis erstrecken. Der Beamte muß bei der Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht nur darauf bedacht sein, die Interessen seiner Verwaltung wahrzunehmen, sondern auch den Belangen der Allgemeinheit zu dienen. Hierbei kommt es im wesentlichen auf seinen Aufgabenbereich an. Gehört es zu den dienstlichen Obliegenheiten, dem Staatsbürger Rechte und Vorteile zu verschaffen; so darf er nichts tun, was diesen bei der Durchsetzung seiner Ansprüche behindern könnte. Der Beamte ist dann sogar verpflichtet, gegenüber dem Benutzer staatlicher Einrichtungen Offenheit obwalten zu lassen und aufklärend zu wirken. Dies gilt vor allem gegenüber dem Staatsbürger, der schon auf Grund seiner Vorbildung keine Gewandheit bei der Durchsetzung seiner Rechtsposition besitzt. Ebenso gehört es im sozialen Rechtsstaat zu den besonderen Amtspflichten der mit der Betreuung der sozial schwachen Volkskreise betrauten Beamten, diesen zur Erlangung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte und Vorteile nach Kräften beizustehen 133 . IX. AUFRECHTERHALTUNG DER DIENSTFÄHIGKEIT Um seine dienstlichen Obliegenheiten ordnungsgemäß zu erfüllen, muß ein Beamter bestrebt bleiben, seine Dienstfähigkeit zu erhalten und in dem Falle, daß sie beeinträchtigt oder aufgehoben ist, sie wiederherzustellen. Allerdings darf die Pflicht des Beamten, seine Dienstfähigkeit zu erhalten, nicht überspitzt werden. So kann ζ. B. ein Beamter, der gallenkrank ist, nicht verpflichtet werden, Diätkost zu essen; dies gilt vor allem dann, wenn dem Beamten Tabletten zur Verfügung stehen, mit denen er einen Diätfehler korrigieren kann 134 . Ebenso kann dem Beamten nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er eine Überdosis von Tabletten zu sich nimmt, was zu einem Unwohlsein führt, zumal wenn der Beamte glaubt, daß durch eine vermehrte Einnahme von Tabletten die Schmerzen schneller nachlassen würden; hierbei ist vor allem auf den Bildungsstand des Beamten abzustellen. Ebenso verstößt ein zuckerkranker Beamter nicht gegen seine Dienstpflichten, wenn er ein Glas Süßwein trinkt. 131 »
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DokBer. Nr. 1933. BDH 8. 3. 61 — I D 30/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 315 (LS). BGH 26. 9. 57 — III ZR 65/56 — in NJW 1957 S. 1873; DöV 1957 S. 868. DokBer. Nr. 1074.
Aufrechterhaltung der Dienstfähigkeit
§53
Schädigt ein Beamter durch einen ausschweifenden Lebenswandel seine Dienstfähigkeit erheblich, so liegt darin ein schweres Dienstvergehen. Gibt er sich ζ. B. der Trunksucht hin, die zu einer Minderung seiner dienstlichen Leistungen und zu einer laschen Dienstauffassung, wie ζ. B. zu Unpünktlichkeit oder Fernbleiben vom Dienst, führt, so kann er u. U. sogar mit der Höchststrafe bestraft werden. Nimmt der Beamte an einem Zechgelage teil oder spielt er bis Mitternacht Karten und überanstrengt er sich hierbei, so ist er nur dann disziplinarisch zu bestrafen, wenn er voraussehen konnte, daß sein Verhalten zu seiner Dienstunfähigkeit führen mußte; bei einem einmaligen Fehlverhalten sollte der Dienstvorgesetzte unter Beachtung des sich aus § 3 Abs. 1 BDO, § 3 BDO i. d. F. der Novelle ergebenden Opportunitätsprinzips von einer Bestrafung absehen. Sollte jedoch die Teilnahme an Trinkgelagen wiederholt in kurzen Zeitabständen zu einer Beeinträchtigung der Dienstfähigkeit führen, so dürfte eine disziplinarische Bestrafung am Platze sein; sie ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Beamte auf die Ermahnung seines Dienstvorgesetzten oder seiner Vorgesetzten nicht gehört hat 136 . Ist der Beamte ernstlich erkrankt, so hat er sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen, falls diese voraussichtlich zu einer gänzlichen oder teilweisen Ausheilung führt. Hält sich der Beamte für unheilbar krank oder zeigt er in die Heilbehandlung des Arztes oder in die verordneten Medikamente kein Vertrauen, so wird eine Bestrafung aus subjektiven Erwägungen heraus ausscheiden, wenn er es unterläßt, einen Arzt aufzusuchen oder die verordneten Medikamente einzunehmen. Unterläßt der Beamte die Inanspruchnahme eines Arztes oder die Einnahme von Medikamenten, um hierdurch seine Dienstunfähigkeit zu verlängern, so macht er sich eines schweren Dienstvergehens schuldig. U. U. kann von ihm v e r l a n g t w e r d e n , daß er sich einer K u r b e h a n d l u n g u n t e r z i e h t . Mit einem Hinweis, daß eine Arzt- oder Kurbehandlung nicht in Frage kommen kann, weil ihm hierdurch zu hohe Kosten entstehen, kann er nicht gehört werden, weil ihm die Kosten in einem angemessenen Verhältnis durch die Gewährung einer Beihilfe erstattet werden. Erforderlichenfalls muß sich der Beamte sogar einer Operation unterziehen, falls sich hierdurch seine Dienstfähigkeit wiederherstellen läßt. (vgl. § 55 XI L S. 696 f.). Will der Beamte durch einen ausschweifenden Lebenswandel seine vorzeitige Zurruhesetzung erreichen, so stellt dies ein sehr schweres Dienstvergehen dar, das zur Höchststrafe führen muß. Gleiches wird auch dann gelten, wenn der Beamte eine erhebliche Erkrankung oder ein chronisches Leiden deshalb nicht ausheilt, weil er seine Dienstunfähigkeit verlängern oder seine vorzeitige Zurruhesetzung er-wirken will. Im Urlaub muß der Beamte darauf bedacht sein, seine Arbeitskraft wiederherzustellen. Dies bedingt einmal, daß er im Urlaub keine erholungswidrige Tätigkeit ausüben darf 136 (vgl. z. B. § 8 des Bundesurlaubsgesetzes vom 12. 1. 63 —GVB1.1 S. 2 — der sinnentsprechend auch im Beamtenrecht herangezogen werden kann). Die Erholungspflicht des Arbeitnehmers und des Beamten ist eine Folge der allgemein bestehenden Treuepflicht. Es wird 136 vgl. D ö g e , Die Verletzung der Pflicht zur Erhaltung und Wiederherstellung der Dienstfähigkeit als Dienstvergehen in ZBR 1961 S. 367. 136 H e c k l i n g e r , Urlaubszweckwidrige Tätigkeiten während des Erholungsurlaubs in BB 1963 S.868; K l e i n , Urlaubsarbeit und Urlaubszweck in BB 1965 S. 712. 40 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
natürlich schwer festzustellen sein, ob sich der Beamte im Urlaub erholungswidrig verhalten hat. So macht er sich noch nicht disziplinarisch strafbar, wenn er sich im Urlaub erheblichen Strapazen unterzieht, indem er ζ. B. in einem vierzehntägigen Urlaub einen Kraftwagen bis nach Süditalien steuert. Ander es würde dann gelten, wenn er hierzu einen Urlaub ausnutzt, der ihm anläßlich einer Nachkur bewilligt worden ist. Auf keinen Fall darf der Beamte im Urlaub eine Nebentätigkeit, die anstrengende körperliche Leistungen e r f o r d e r t , ausführen. So darf ζ. B. ein beamteter Kraftfahrer der DBP nicht während seines Urlaubs Omnibusse für ein Reiseunternehmen steuern. Dies gilt natürlich nur für den Erholungsurlaub ; nimmt ein Beamter unbezahlten Urlaub, so kann er einer Nebentätigkeit nachgehen, wobei er nur beachten muß, daß er die hierzu erforderliche Genehmigung nach § 65 BBG einholt. Schwer wiegt es, wenn ein Beamter zu der Zeit, in der er wegen Dienstunfähigkeit krankgeschrieben ist, einer Nebentätigkeit nachgeht; in einem solchen Falle muß er alles ihm Zumutbare tun, um eine rasche Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit herbeizuführen137. Hierbei würde es besonders verwerflich erscheinen, wenn sich ein Beamter einer solchen Pflichtwidrigkeit zuschulden kommen läßt, der eine Vorgesetztenstellung bekleidet und hierdurch seinen nachgeordneten Beamten ein schlechtes Beispiel gibt. X. V E R H A L T E N BEI D A U E R N D E R DIENSTUNFÄHIGKEIT Der Beamte hat seine Arbeitskraft seinem Dienstherrn solange zur Verfügung zu stellen, wie er hierzu imstande ist. Ist er infolge körperlicher Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig, ist er also dienstunfähig, so ist er nach § 42 Abs. 1 BBG in den Ruhestand zu versetzen. Die Dienstunfähigkeit ist ein typisch beamtenrechtlicher Begriff138; sie kann nicht mit der Erwerbsunfähigkeit gleichgesetzt werden, wonach die bisher gegebene Möglichkeit, durch Arbeit Geld oder Geldeswerte zu gewinnen, genommen ist. Die Dienstunfähigkeit muß als unbestimmter Rechtsbegriff einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhalten139. Die Dienstunfähigkeit ist auf die Bedürfnisse des Dienstherrn abzustellen. Der Beamte ist dann als dienstunfähig zu bezeichnen, wenn er nach seinem Gesamtbefinden außerstande ist, die ihm obliegenden Pflichten zu erfüllen, oder wenn er wohl hierzu subjektiv noch imstande ist, wenn aber seine weitere Tätigkeit eine Gefährdung der Gesundheit von Mitarbeitern bedeutet oder diesen nicht zugemutet werden kann, mit ihm weiterhin zusammenzuarbeiten140. Bei der Dienstunfähigkeit ist jedoch nicht auf das konkrete Amt des Beamten, sondern darauf abzustellen, ob er weder das bisher von ihm innegehabte Amt noch ein diesem nach Rang, Vor- und Ausbildungserfordernissen, Laufbahn und Endgrundgehalt gleichzuerachtendes Amt wahrnehmen kann141. Im örtlichen Bereich darf für den Beamten keine Verwendungsmöglichkeit mehr bestehen. Die DokBer. Nr. 1762; vgl. auch D ö g e in ZBR 1961 S. 367 und S. 369. iss vgl. S c h ü t z , Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht, Begriff und Folgen in DöD 1957 137
S. 2.
iss
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Baden-Württemberg 20.1. 50 in VRspr. 1951 S. 70 = DBB 1951 S. 87. Vgl. P l o g W i e d o w , Anm. 3 a zu § 42 BBG. So BVerwG 21.10. 55 in ZRB 1956 S. 24; HessVGH 25. 2. 56 in ZBR 1957 S.149.
V G H
Trunksucht
§ 53
Behörde hat im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht zu prüfen, ob ein Einsatz in einem gleichwertigen, notfalls sogar in einem geringerwertigen Amt noch möglich ist 142 . Ist die dauernde Dienstunfähigkeit zweifelhaft, so ist der Beamte verpflichtet, sich nach Weisung seiner Behörde amtsärztlich untersuchen zu lassen, wobei im allgemeinen ein Amtsarzt oder ein Vertrauensarzt in Frage kommt. Leistet der Beamte der Aufforderung seiner Behörde, sich von einem Amts- oder Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, keine Folge, so verletzt er seine Gehorsamspflicht143. Ebenso muß er der Aufforderung seiner Behörde Folge leisten, sich einer Anstaltsbeobachtung zu unterziehen, wenn der Amtsarzt sie für die Feststellung der Dienstunfähigkeit für erforderlich hält. XI. TRUNKSUCHT Der Alkoholgenuß allein ist noch kein Dienstvergehen. Spricht jedoch der Beamte übermäßig dem Alkohol zu, so schwächt er seine Gesundheit und damit seine Leistungsfähigkeit; in einem solchen Falle stellt der Genuß von Alkohol ein Dienstvergehen dar. Hierbei handelt es sich um die Fälle der Trunksucht, wobei es gleichbleibt, ob der Beamte den Alkohol im Dienst oder außerhalb des Dienstes eingenommen hat. Der Einwand, daß dem Alkohol in der Wohnung zugesprochen und damit kein öffentliches Ärgernis erregt ist, erscheint gegenüber dem durch den Alkohol bedingten Abbau der Leistungsfähigkeit unbeachtlich. Entscheidend ist allein, daß durch den übermäßigen Genuß von Alkohol die Leistungsfähigkeit des Beamten erheblich beeinträchtigt ist, so daß er den an ihn gestellten Anforderungen nicht mehr gerecht werden kann. Wenn sich ein Beamter schuldhaft in einen dienstunfähigen Zustand versetzt, zeugt das von einer geradezu unglaublichen Pflichtvergessenheit und Verantwortungslosigkeit 143 » Der Persönlichkeitsabbau durch ständigen Alkoholgenuß wird im allgemeinen strafschärfend zu berücksichtigen sein, zumal dem Beamten bekannt sein muß, daß chronischer Alkoholismus ihn in seiner Führung und Leistung beeinträchtigt, zu einer charakterlichen Änderung im Sinne einer vermehrten Selbstsucht sowie eines verringerten Gemeinsinnes führt und mit Rücksicht auf die Bewertung des allgemeinen Persönlichkeitsbildes dieser Aspekt nur ungünstig ins Gewicht fällt. Der Beamte macht sich selbst dann disziplinarisch strafbar, wenn er nur hin und wieder oder gar nur in einem Falle sich schuldhaft durch einen zu starken Zuspruch an Alkohol in einen solchen Zustand versetzt, daß er nicht mehr in der Lage ist, seinen Dienstgeschäften nachzukommen. Der Beamte ist disziplinarisch dann nicht verantwortlich, wenn er infolge einer krankhaften körperlichen oder geistigen Veranlagung sich in den Zustand des chronischen Alkoholismus versetzt hat. Ist er durch schwere Schicksalsschläge dem Alkohol verfallen, so kann dies die Strafbarkeit u. U. ausschließen oder mindern. Liegen derartige Entschuldigungsgründe nicht vor, so hat sich der Beamte disziplinarisch zu verantworten, wobei es unbeBDH 25. 2. 55 — I D 43/54 — BDHE Bd. 2 S. 8 (10) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 181. P l o g - W i e d o w , Anm. 11 zu § 42 BBG. 143a DokBer. Nr. 1866. 142
143
40«
Vgl-
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
achtlich ist, ob er in einzelnen Fällen wegen Dienstvernachlässigung oder wegen einer anderen Pflichtwidrigkeit zur Verantwortung gezogen werden kann oder ob dies deshalb nicht möglich ist, weil er durch den Alkoholgenuß seiner Zurechnungsfähigkeit beraubt ist144. Fortgesetzter hemmungsloser Alkoholgenuß stellt eine erhebliche Pflichtverletzung dar und rechtfertigt die Höchststrafe, weil für haltlose Trinker in der Beamtenschaft kein Platz ist145. Ein haltloser Alkoholiker ist aus dem Dienst zu entfernen, wenn er in einem Entlassungsbericht nach einer Alkoholentziehungskur als sensibler, geltungsbedürftiger Psychopath beurteilt wird, der sich im Alkohol abzureagieren versucht und dabei zuletzt jedes Maß verliert 146 . Die Höchststrafe ist insbesondere dann am Platze, wenn der Beamte im Verlaufe der Zeit infolge des übermäßigen Alkoholgenusses sowohl in seiner dienstlichen Führung als auch in seinen dienstlichen Leistungen völlig abgeglitten ist und bei ihm weder Ermahnungen noch empfindliche Disziplinarstrafen zu einer Änderung seines Verhaltens geführt haben147 oder wenn er im Laufe des Disziplinarverfahrens keine Einsicht gezeigt und seine Haltlosigkeit fortgesetzt hat, indem er auch weiterhin dem Trünke zuspricht148. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte sich ärztlichen Anordnungen zur Einnahme von Tabletten, wie ζ. B. Antabustabletten, widersetzt hat149. Die Entfernung aus dem Dienst wird insbesondere dann in Frage kommen, wenn vorausgegangene Erziehungsmaßnahmen wegen gleicher Verfehlungen ihren Zweck nicht erreicht haben 150 oder wenn der Beamte wiederholt ermahnt und wegen Trunksucht von der Beförderung zurückgestellt worden ist 180 ». Gerade bei der disziplinaren Ahndung von Trunkenheitsdelikten soll die Strafe in erster Linie eine erzieherische Wirkung auf den Beamten ausüben; es ist ein alter Grundsatz, daß bei Beamten, die wiederholt gleichartige Verfehlungen begehen, mit nach Art und Höhe jeweils höheren Strafen versucht werden muß, abschreckend einzuwirken und sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Die Steigerung ist deshalb geboten, weil die Wiederholung gleichartiger Verfehlungen zeigt, daß die bisherigen Bestrafungen nicht die erhoffte Besserung bewirkt haben. Zieht ein Beamter, der wegen Trunksucht mehrfach in diesem Sinne bestraft worden ist, hieraus keine Lehre, so ist er für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar. Die Strafenskala der BDO muß jedoch nicht völlig erschöpft sein, bevor auf die Höchststrafe erkannt wird; so stellt es keinen Milderungsgrund dar, daß der Beschuldigte nicht erst im förmlichen Disziplinarverfahren vorbestraft worden ist 161 . Ist der Beamte wegen Trunksucht bereits wiederholt disziplinarisch bestraft, so reichen gute dienstliche Leistungen nicht aus, um von der Höchstm PrOVG 17.11. 08 — D. 506 — D. S. 36/08 — in PrOVG Bd. 53 S. 436 = Perwo, S. 66. 145 BDH 27. 7. 56 — III D 71/55 — Lindgen, Teil IV Nr. 92; vgl. auch DokBer. Nr. 868, 919, 1108 und 1817; DisSenat OVG Münster 28. 9. 62 — V 10/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS). i « DokBer. Nr. 1322. 147 BDH 20. 4. 61 — II D 102/60 — bei Döring in ZBR 1963 S. 316 (LS). 1 4 8 DokBer. Nr. 610 und 1008. 149 DokBer. Nr. 1455. 150 BDH 5. 4. 60 — I D 20/59 — in ZBR 1961 S. 384 = Lindgen, Teil IV Nr. 541; DokBer. Nr. 1817. I60a DokBer. Nr. 1866. "i DokBer. Nr. 1576 und Nr. 1866.
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Trunksucht
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strafe abzusehen; ein Beamter, der wiederholt trotz wiederholter Bestrafung immer wieder von neuem gegen seine Dienstpflichten verstößt, erweist sich für den öffentlichen Dienst als unzuverlässig, so daß selbst die tüchtigste Fachkraft für ihren Dienstherrn ihren Wert verliert, wenn dieser sich nicht auf sie verlassen kann. Deshalb können gute dienstliche Leistungen eine durch Trunksucht bedingte UnZuverlässigkeit nicht wettmachen162. Ist der Beamte der Trunksucht verfallen, so kann er nicht strafmildernd geltend machen, daß seine Neigung zum Alkohol auf ein kriegsbedingtes Leiden zurückzuführen sei. In einem solchen Falle muß von ihm erwartet werden, daß er einer Organisation von Antialkoholikern beitritt und sich in Zeiten ruhiger Überlegung entschließt, sich psychotherapeutisch behandeln zu lassen, zumal wenn ihm die die Verletzungsfolgen steigernde Wirkung des Alkoholgenusses aus seinen Erfahrungen bekannt war 163 . Der Umstand der Kriegsbeschädigung kann nur bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages strafmildernd berücksichtigt werden. Hat der Beamte infolge seines Hanges zum Alkohol seine vorzeitige Zurruhesetzung erreicht, so ist die Aberkennung des Ruhegehalts die angemessene Bestrafung hierfür 164 . Die Behörde wird einen dem Alkohol ergebenen Beamten zwar immer und immer wieder mit allen Mitteln dazu anhalten sein Laster aufzugeben. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn geht jedoch nicht soweit, den Beamten in seiner außerdienstlichen Lebensweise ständig zu kontrollieren und den rechten Zeitpunkt abzupassen, um eine Entziehungskur durchführen zu lassen. Der Beamte kann deshalb nicht zu seiner Strafmilderung vorbringen, daß die Behörde nicht zuvor alles versucht hat, eine Kur gegen Trunksucht durchführen zu lassen. Die Fürsorgepflicht bei Gesundheitsschäden erstreckt sich in erster Linie auf solche Schäden, die im Zusammenhang mit dem Dienst eingetreten sind. Bei sonstigen Gesundheitsschäden hat der Beamte lediglich ein Recht auf Regelbeihilfe. Es würde eine Überspannung der Fürsorgepflicht bedeuten, wenn man der Dienstbehörde aufgeben wollte, vor einem disziplinarischen Einschreiten den Beamten zunächst einer Entziehungskur zuzuführen166. Besonders schwer wiegt Trunksucht bei Post- und Eisenbahnbeamten, die im Betriebsdienst eingesetzt sind. Bei solchen Beamten führt sie zur Dienstentfernung, selbst wenn sie kein allzu hohes Maß von Verschulden an ihrer Trunksucht trifft168 oder wenn der zur Aburteilung heranstehende Einzelfall nicht besonders schwer wiegt 166 ». Die Höchststrafe ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die Trunksucht trotz wiederholter Verwarnungen zu Dienstversäumnissen geführt hat167. Der Bundesdisziplinarhof führte hierzu aus: „Es gibt keine feste Norm für die disziplinarische Ahndung von Trunkenheit, dazu sind die Erscheinungsformen dieses Dienstvergehens zu vielfältig 158 . Trunkenheit und Trunksucht w» DokBer. Nr. 1576 und Nr. 1866. 163 DokBer. Nr. 1817. DokBer. Nr. 651. 166 BDH 20.12. 56 — III D 99/55 —; 5. 9. 57 — I D 91/55 — BDHE 4 S. 47 = L i n d gen, Teil IV Nr. 364. 164 DokBer. Nr. 756. 1 5 6 a DokBer. Nr. 1910. 1 5 7 BDH 18.12. 53 — II D 151/53 —; 5. 4. 60 — I D 20/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 541; DokBer. Nr. 1272 und Nr. 1 1352. 164
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müssen aber bei-Beamten grundsätzlich streng geahndet werden, wenn die Disziplin innerhalb der Behörde und das Ansehen der Beamtenschaft nach außen gewahrt werden sollen. Sie machen einen Beamten insbesondere dann untragbar, wenn er den Gefahren des Alkohols wiederholt und trotz Abmahnung und Bestrafung verfallen ist und wenn er seine Dienstpflichten zufolge Alkoholgenusses grob vernachlässigt hat. Dabei wiegen besonders schwer die Verletzungen solcher Dienstpflichten, die der eigentlichen Aufgabe und der Wesensart des einzelnen Verwaltungszweigs entspringen. So ist bei dem auf Pünktlichkeit und Sicherheit abgestellten Betrieb der Bundesbahn ein Beamter nicht tragbar, der zufolge seiner Neigung unpünktlich ist oder seinen Dienst versäumt. Dementsprechend ist für den Postbetrieb ein Beamter nicht tragbar, der durch Trunkenheit und Trunksucht die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Post, nämlich die Beförderung von Briefen und sonstigen Sendungen, vereitelt. Die Post hat Postregale. Sie allein darf Briefsendungen und dergleichen befördern. Diesem Monopol entspringt ihre unbedingte Verpflichtung, die ihr übergebenen Sendungen zuverlässig und auf schnellstem Wege dem Empfänger zuzustellen. Die Erfüllung dieser wichtigen Pflicht wird unmöglich gemacht, wenn Postbedienstete ihren Dienst vernachlässigen oder versuchen, die ihnen zur Zustellung übergebenen Postsendungen zu verbergen. Der Schaden, der durch ein solches Verhalten für Absender und Empfänger, gegebenenfalls aber auch für die Post, entstehen kann, ist nicht abzuschätzen."
So ist ein Bahnbeamter, der wegen Trunkenheit einen Dienst nicht antreten konnte, der wegen gleicher und ähnlicher Verfehlungen schon mehrfach disziplinarisch bestraft und unterwertig beschäftigt werden mußte und der sich durch diese Maßnahmen aber seiner verhängnisvollen Neigung zu übermäßigem Alkoholgenuß nicht hat abbringen lassen, für die Verwaltung nicht mehr tragbar169. Ein Postzusteller, der an einem hellen Tage völlig alkoholisiert auf der Straße hin und her taumelt, schadet dem Ansehen der Beamtenschaft in einer ganz erheblichen Weise169" Von der Höchststrafe kann bei Trunksucht abgesehen werden, wenn eine Besserung des Verhaltens des Beamten zu erwarten und eine gewisse Bewährung schon während des Laufes des Disziplinarverfahrens eingetreten ist160. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn eine Entziehungskur von Erfolg war, so daß man zur Überzeugung kommen kann, daß der Beamte besserungsfähig, eine Besserung eingetreten ist und der Beamte eine Bewährung durchgemacht hat; hier kann u. U. eine Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe die angemessene Strafe sein. Auch sonst kann dauernde Enthaltsamkeit und Wohlverhalten nach dem Dienstvergehen eine mildere Strafe rechtfertigen161. Dagegen stellt ein Beamter, der erst unter dem Druck eines förmlichen Disziplinarverfahrens sich zur Mäßigkeit im Trinken entschließt, trotzdem eine ständige Gefahr für die Behörde dar, der man nicht zumuten kann, zu riskieren, daß er nach Wegfall des durch das Disziplinarverfahrens ausgeübten Druckes erneut rückfällig wird.161® Von der Höchststrafe kann dann abgesehen werden, wenn der Beschuldigte keinen unausrottbaren Hang zum A l k o h o l offenbart, wenn er ζ. B. nicht bei jeder Gelegenheit, sondern vornehmlich nur dann zum Alkohol greift, wenn ihn häusliche Sorgen bedrücken162. Handelt es sich hingegen um einen Fall von ausgesprochener Trunksucht, so Behnke, Anm. 13 zu § 4 BDO; BDHE Bd. 3 S. 160. BDH 3. 5. 60 — I D 40/59 — in ZBR 1961 S. 385 = Lindgen, Teil IV Nr. 549. is»» DokBer. Nr. 1866. 160 DokBer. Nr. 1162; vgl. jedoch DokBer. Nr. 681 und 793, wonach eine spätere Besserung nicht vor der Höchststrafe schützt, da sich der Beamte im Disziplinarverfahren für das verantworten muß, was er getan hat. 181 DiszSenat OVG Münster 28. 9. 62 — V 10/62 — in ZBR 1963 S. 319 (LS), "i® DokBer. Nr. 1858. 162 DokBer. Nr. 1767. 158 169
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Trunkenheit im Dienst
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kann sich der Beschuldigte auf die Erschütterung seiner Ehe als Grund für sein Trinken insbesondere dann nicht als strafmildernden Umstand berufen, wenn er die Zerrüttung der Ehe selbst schuldhaft herbeigeführt hat1®2". Mißliche Familienverhältnisse können lediglich bei der Frage, ob dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag zu bewilligen ist, als mildernder Umstand berücksichtigt werden 162 ». Von der Dienstentfernung kann dagegen bei einem bereits einschlägig bestraften Beamten abgesehen werden, wenn die bisherigen Disziplinarstrafen nur im Disziplinarverfügungsverfahren ausgesprochen waren. ΧΠ. TRUNKENHEIT IM DIENST Der Beamte hat seinen Dienst im nüchternen Zustand zu verrichten. Grundsätzlich darf er im Dienst keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen. Das Verbot, im Dienst Alkohol zu sich zu nehmen, wird sich zuweilen aus den Dienstanweisungen oder auf Grund ausdrücklicher Anordnungen der Dienstvorgesetzten ergeben. So darf ζ. B. nach § 27 Abs. 1 Satz 3 der Allgemeinen Dienstanweisung für die Bundesbahnbeamten — ADAB — ein Beamter der Bundesbahn, der unter Alkoholeinwirkungen steht, seinen Dienst nicht anzutreten. Ein unter Alkoholeinwirkung stehender Betriebsbeamter kann der in § 54 BBG normierten Pflicht, sich seinem Beruf mit voller Hingabe zu widmen, nicht nachkommen. Auch für den Bürobeamten gilt § 27 Abs. 2 der Allgemeinen Dienstanweisung für die Bundesbahnbeamten, wonach der Genuß geistiger Getränke während der Arbeitszeit schlechthin verboten ist 183 . Aber selbst wenn für die jeweilige Verwaltung keine allgemeine Anordnung besteht, während der Dienstzeit keinen Alkohol zu sich zu nehmen, so obliegt dennoch dem Beamten die allgemeine Verpflichtung, sich b e i m G e n u ß g e i s t i g e r G e t r ä n k e die g r ö ß t e M ä ß i g u n g aufzuerlegen 1 ® 3 ". Der Beamte macht sich strafbar, wenn der Alkoholgenuß die Grenze des dienstlich Vertretbaren überschreitet1®3". Er hat sich nach § 54 Satz 1 BBG mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, d. h. mit allen geistigen und körperlichen Kräften; diese Kräfte werden aber durch den Alkoholgenuß während des Dienstes beeinträchtigt, selbst wenn dies nach außen nicht in Erscheinung tritt1®4. Für die Frage, ob eine Pflichtverletzung vorliegt kommt es nicht entscheidend an, wie hoch der Blutalkoholgehalt des Beamten vor Dienstantritt gewesen ist. Würde der Blutalkoholgehalt ζ. B. nur 0,9 pro Mille betragen, so würde der Beamte trotzdem „unter Alkoholeinwirkung" stehen, wenn auch dieser Alkoholgehalt unter der offenbar dem Straßenverkehrsrecht entnommenen Nüchternheitsgrenze liegen würde. Die Nüchternheitsgrenze von 1,5 pro Mille für die Teilnahme am Straßenverkehr ist für die Frage, ob ζ. B. ein B e t r i e b s b e a m t e r der D e u t s c h e n B u n d e s b a h n oder D e u t s c h e n B u n d e s p o s t noch Dienst machen darf oder nicht, angesichts der Verschiedenartigkeit der Pflichten der Straßenverkehrsteilnehmer einerseits und der 162 *
DokBer. Ni. 1866. DokBer. Nr. 1910. DokBer. Nr. 1813. 163 * BDH 7. 2. 62 — I D 18/61 — BDHE Bd. 6 S. 91. 163·> DokBer. Nr. 1849. 1 6 4 BDH 7. 2. 62 — I D 18/61 — in ZBR 1962 S. 195 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 611 = DokBer. Nr. 1612. 1621>
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Betriebsbeamten der Deutschen Bundesbahn oder Bundespost andererseits, unbrauchbar166. Die Frage, ob der Betriebsbeamte bei der Menge des von ihm genossenen Alkohols noch dienstfähig gewesen ist, ist für die disziplinare Beurteilung der Tat unerheblich. Auch bei bloßen Zweifeln hinsichtlich der Dienstfähigkeit infolge Alkoholgenusses ist die Verwaltung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost angesichts des Risikos, daß ein solcher Beamter eine Betriebsgefahr verursacht, nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dem betreffenden Beamten die Dienstausübung zu untersagen. Eine Bestrafung kann dann ausscheiden, wenn der Beamte infolge des Alkoholgenusses sich in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustande befindet. Hierbei ist zu beachten, daß bei einem erwachsenen Manne die Zurechnungsfähigkeit bei einem Blutalkoholgehalt von 2°/00 noch nicht so herabgesetzt ist, daß in diesem Falle § 51 Abs. 1 StGB anzunehmen ist 16Sa . Selbst bei fehlender Zurechnungsfähigkeit kann jedoch eine Bestrafung wegen des sich in einen Rausch versetzenden Zustandes in Frage kommen, insbesondere, wenn die Voraussetzungen des § 330 a StGB vorliegen (vgl. XVI S. 646 ff.). Eine „Alkoholfahne" ist zwar ein Beweis für einen vorangegangenen Alkoholgenuß, nicht aber für sich allein ein Beweis für Angetrunkensein 168 . Man muß hierbei berücksichtigen, daß ζ. B. bei Magenkranken eine „Fahne" erfahrungsgemäß ungewöhnlich lange und intensiv auftritt. Spricht ζ. B. der Beschuldigte trotz erheblicher „Fahne" einwandfrei und verrichtet er seinen Dienst ordnungsgemäß, so wird hiermit widerlegt, daß er im Dienst unter Alkoholeinfluß stand. Bei der Frage, ob die Dienstfähigkeit des Beamten beeinträchtigt ist, muß man es auf die jeweilige Alkoholtoleranz des Beamten abstellen. Befindet er sich in einem angegriffenen Gesundheitszustand und ist die Alkoholtoleranz gering, so macht er sich selbst bei der Einnahme von nur geringen Mengen Alkohols disziplinarisch strafbar167. Dem Beamten kann es nicht verwehrt werden, wenn er trotz eines ausdrücklichen Verbots seines Vorgesetzten dennoch ein Gläschen Alkohol zu sich nimmt, um eine Magenverstimmung zu überwinden, da Verdauungsstörungen erfahrungsgemäß durch einen Schnaps am wirksamsten behoben werden 168 . Nicht schon jede Einladung von Mitarbeitern zum Alkoholgenuß ist strafbar. Doch liegt die Gefährlichkeit des „Lagenspendierens" bei einer größeren Verwaltung, innerhalb der ständig besondere Anlässe für Einladungen dieser Art gegeben sind, auf der Hand. Vor allem macht sich der Beamte dann strafbar, wenn er einen Mitarbeiter zu einem stärkeren Alkoholgenuß anregt168". Bei Geburtstagsfeiern und anläßlich von Beförderungen ist es im allgemeinen gestattet, auch in Dienstzimmern in Maßen alkoholische Getränke zu sich zu nehmen; dies gilt aber nur, wenn die Beamten, die dem Alkohol zuDokBer. Nr. 1655. DiszSenat OVG Münster 8. 10. 63 — Y 14/61 — in ZBR 1964 S. 270. 1ββ DokBer. Nr. 1601. 167 DokBer. Nr. 1515. 1 6 8 DokBer. Nr. 1074. 16e » DokBer. Nr. 1849. 165
1β5 »
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Trunkenheit im Dienst
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sprechen, nicht mit dem Publikum in Berührung kommen oder wenn sie nicht Dienstleistungen zu verrichten haben, die unbedingte Nüchternheit erfordern. Hat ζ. B. ein Kraftfahrer in seinem Dienstfahrzeug noch Fahrten auszuführen, so darf er sich an einer Geburtstagsfeier, bei der alkoholische Getränke genossen werden, nicht beteiligen. Ebenso darf ein Beamter, der mit seinem eigenen Kraftfahrzeug zum Dienst erschienen ist, anläßlich einer Geburtstagsfeier oder einer Beförderung Alkohol nur in solchen Mengen zu sich nehmen, daß er noch fahrtüchtig ist; anderes gilt dann, wenn er rechtzeitig Vorsorge getroffen hat, daß ein anderer Kollege oder ein Familienmitglied das Fahrzeug ungefährdet nach Hause schafft. Der Beamte darf auch nicht während des Dienstes aus privaten Gründen Gaststätten aufsuchen 189 . Selbst in den Dienstpausen darf er weder in den Diensträumen noch in Gaststätten Alkohol zu sich nehmen, sofern er hierdurch dienstunfähig wird oder seine Dienstfähigkeit hierunter erheblich leidet170. Ein Beamter, der mit Publikum in Berührung kommt, wie ζ. B. ein Schalterbeamter der Deutschen Bundespost oder der Deutschen Bundesbahn, darf ganz allgemein im Dienst keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen, weil dies das Ansehen der Verwaltung in der Öffentlichkeit schädigt 171 . Ebenso würde ein Beamter das Ansehen der Verwaltung schwer schädigen, wenn er sich mit F i r m e n v e r t r e t e r n in ein T r i n k g e l a g e einläßt; er würde bei ihnen den Eindruck hinterlassen, daß die Dienstzeit statt zur Erfüllung der Dienstaufgaben zum Alkoholtrinken benutzt wird und daß es im Interesse der vertretenen Firmen hegt, sich durch gelegentliches Spendieren von Alkohol bei den Referenten und Sachbearbeitern beliebt zu machen172. Die in verschiedenen Dienstzweigen bestehenden besonderen Sicherheitserfordernisse lassen es nicht zu, daß ein in diesem Dienstzweig beschäftigter Beamter den Dienst unter Einwirkung alkoholischer Getränke antritt oder im Dienst auch nur die geringste Menge von Alkohol zu sich nimmt 173 . Dies gilt vor allem für die im Fahrdienst eingesetzten Beamten 174 . Eine Gefährdung besteht nicht nur bei Beamten, die unmittelbar am Fahr- und Betriebsdienst teilnehmen, wie Lokomotiv-, Zug- und Kraftwagenführern, sondern auch bei solchen Beamten, die nur mittelbar im Fahrdienst eingesetzt sind, wie ζ. B. bei Zugschaffnern oder Fahrladeschaffnern176. Sie müssen allgemein ihren Dienst nüchtern antreten und sind auch verpflichtet, sich im Verlaufe des Dienstes im nüchternen Zustand zu erhalten. „Nüchtern" bedeutet für diese Beamte, daß sie überhaupt keinen Alkohol zu sich genommen haben176. Bei einem im Fahrdienst eingesetzten Beamten stellt demnach auch eine geringe Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses ein Dienstvergehen dar 177 . Es kommt hierbei nämlich nicht darauf an, ob der im Fahrdienst eingesetzte BeDokBer. Nr. 1639. DokBer. Nr. 1515 und Nr. 1932. 1 7 1 BDH 23. 9. 54 — III D 24/54 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 92. 1 7 2 DokBer. Nr. 1612. 1 7 3 RDH 17. 2. 36 bei F o e r s t e r , 1937 S. 11 (12) (der RDH vertrat hier die Auffassung, daß Trunkenheit besonders bei Beamten der Verkehrsverwaltungen schwer zu bestrafen ist, wenn durch sie das Leben der Benutzer der Verkehrseinrichtungen gefährdet wird); vgl. DokBer. Nr. 1794. 174 Vgl. BPM-Vf. I C 3 2430 — 3 K p vom 18.11. 60 (abgedruckt unter Fußnote 185). 1 7 5 DokBer. Nr. 1613. 1 7 8 DokBer. Nr. 919. 1 7 7 DokBer. Nr. 1018. 169
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
amte noch als „fahrtüchtig" im Sinne des Kraftfahrzeugrechts oder der Betriebsvorschriften angesehen werden kann. E b e n s o k o m m t es nicht darauf an, ob der B a h n b e t r i e b o d e r s o n s t i g e V e r k e h r d u r c h den A l k o h o l g e n u ß des B e a m t e n t a t s ä c h l i c h g e f ä h r d e t w o r d e n ist. Eine Gefährdung des Bahnbetriebs oder Straßenverkehrs liegt schon darin, daß ζ. B. jede durch den Alkoholgenuß bedingte Dienstverspätung den Dienstplan durcheinanderbringt und damit die Unfallgefahr erhöht. Die Gefährdung des Eisenbahnbetriebes trifft nicht nur bei Alkoholgenuß vor Dienstantritt, wenn er so reichlich ist, daß der Beamte überhaupt keinen Dienst verrichten kann, sondern auch dann ein, wenn der Alkoholgenuß zu Zweifeln an der Dienstfähigkeit des Beamten führt, so daß er aus Sicherheitsgründen nicht mehr zum Dienst zugelassen werden kann178. So gefährdet ein Beamter, der im Betriebsdienst der Deutschen Bundesbahn oder der Deutschen Bundespost unter Alkoholeinwirkung seinen Dienst antritt, ganz allgemein die ordnungsgemäße Durchführung des Betriebes. Das Publikum kann kein Vertrauen zur Deutschen Bundesbahn oder Deutschen Bundespost haben, wenn es sieht, daß Beamte, die bei der Abwicklung des Eisenbahnverkehrs oder der Beförderung der Post eingesetzt sind, unter Alkoholeinfluß stehen. Beamte, die auf diese Weise gegen ihre Pflicht verstoßen, machen sich eines schweren Dienstvergehens schuldig. So ist ein Bahnbeamter, der wegen Trunkenheit seinen Dienst nicht antreten kann, der wegen der gleichen oder ähnlicher Verfehlungen schon mehrfach disziplinarisch bestraft und unterwertig beschäftigt werden mußte und der sich durch diese Maßnahmen aber von seiner verhängnisvollen Neigung zu übermäßigem Alkoholgenuß nicht hat abbringen lassen, für die Verwaltung nicht mehr tragbar 179 . Sehr streng ist es zu ahnden, wenn sich Beamte betrinken, zu deren dienstlichen Obliegenheiten es gehört, daß sie Schußwaffen tragen. So betrachtete der Bundesdisziplinarhof einen Zollbeamten, der im Zustand der Trunkenheit von der Schußwaffe rechtswidrig Gebrauch gemacht und hierbei einen Menschen verletzt hat, für die Zollverwaltung nicht mehr als tragbar 180 . Die Frage des Waffengebrauchs für Zollbeamte ist eine der heikelsten und schwierigsten, vor allem in Grenznähe. Wenn Menschen durch Zollorgane angeschossen oder gar getötet werden, gibt es regelmäßig in der Öffentlichkeit erregte Debatten, selbst dann, wenn der Waffengebrauch im Einklang mit den Bestimmungen gestanden hat. Ein Zollbeamter, der ohne jeden Grund mit einer Dienstpistole leichtfertig auf einen Menschen schießt und ihn dabei verletzt, kann für den öffentlichen Dienst nicht mehr als tragbar bezeichnet werden. Erst recht gilt dies für Beamte der Polizei, ganz gleich, ob sie Uniform tragen oder nicht. Ebenso wirkt es straf erschwerend, wenn der Beamte in seiner Dienstuniform in der Öffentlichkeit betrunken angetroffen worden ist und so das Ansehen seiner Behörde schwerstens geschädigt hat. Hierbei kann es gleichbleiben, ob er die Uniform im oder außerhalb des Dienstes getragen hat. Wird der Beamte wiederholt angetrunken in der Uniform angetroffen, so ist er für DokBer. Nr. 1613. BDH 4. 5. 60 — I D 45/59 und I D 81/59 — in ZBR1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , TeilIV Nr. 551 (LS); vgl. auch BDH 4. 5. 60 — I D 52/59 — ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 550 (LS). 1 8 0 B D H 26.10. 55 — III D 110/54 — B D H E Bd. 2 S. 168. 179
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Trunkenheit im Kraftfahrdienst
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seine Verwaltung kaum tragbar. Dies gilt vor allem dann, wenn er im trunkenen Zustande öffentliches Ärgernis erregt hat. Besonders schwer wiegt es, wenn ein Vorgesetzter seine Untergebenen häufiger zu gemeinsamem Alkoholtrinken im Dienstzimmer während der Dienstzeit animiert; hierdurch untergräbt er die Dienstzucht und verstößt damit gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb des Dienstes ( § 5 4 Satz 3 BBG). Die Behauptung eines solchen Beschuldigten, daß das häufige Alkoholtrinken mit Untergebenen ein erfreuliches Betriebsklima schaffe und damit dem Interesse der Verwaltung diene, geht fehl, weil im Gegenteil das häufige Alkoholtrinken mit Untergebenen die Autorität des Vorgesetzten erheblich schädigt und die Untergebenen von der Erfüllung ihrer Dienstpflichten abhält, was wiederum zu einer nachlässigen Dienstauffassung bei den betreffenden Untergebenen führen muß, und der Vorgesetzte sich hierdurch gegenüber seinen Nachgeordneten die Hände bindet 181 . Gerade Beamte der Deutschen Bundesbahn, die im Betriebsdienst Aufsichtsdienst verrichten, müssen sich als absolut zuverlässig erweisen und ihren Dienst nüchtern verrichten. Wenn ein Beamter des Rangierdienstes während der Nachtschicht Alkohol zu sich nimmt, so wirkt sich dies noch nicht allzu stark belastend aus. Verletzt er aber die Aufsichtspflicht gegenüber den Rangierern seiner Rangiergruppe und läßt er zu, daß sie zu wiederholten Malen Bier in den Aufenthaltsraum holen und während der Arbeitszeit trinken, so daß er u. a. einen Rangierer wegen Trunkenheit außer Dienst setzen muß, so schafft er damit eine potentielle Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Kollegen und Reisenden. Ein solcher Beamter fehlt sehr schwer gegen seine Dienstpflichten. Hier erscheint nur eine Laufbahnstrafe angemessen, wenn er sich bisher einwandfrei geführt hatte, der Rangierbetrieb nur schwach war und zu erwarten ist, daß er sich diese Strafe als eine heilsame Lehre dienen läßt 182 . ΧΠΙ. TRUNKENHEIT IM KRAFTFAHRDIENST 183 Zu besonderer Gewissenhaftigkeit sind die im Kraftfahrdienst eingesetzten Beamten verpflichtet. Dies gilt vor allem für die im Linienverkehr eingesetzten Beamten der Deutschen Bundespost und Deutschen Bundesbahn, weil sie die Verantwortung für die von ihnen beförderten Personen in einem besonderen Maße tragen. Mit der Zunahme des Straßenverkehrs erhöht sich auch die Unfallgefahr. Die fahrlässige Verursachung eines Verkehrsunfalles wird nicht nur nach den allgemeinen Strafgesetzen verfolgt, sondern stellt zugleich ein Dienstvergehen dar. An die Verkehrsdisziplin eines Beamten, der dienstlich ein Kraftfahrzeug benutzt, sind über das normal bürgerliche Verhalten hinaus besonders hohe Anforderungen zu stellen. Besonders häufen sich die Fälle, in denen der Beamte als Fahrer eines Linienbusses oder eines Dienstkraftwagens sich im trunkenen Zustande an das Lenkrad setzt. Im Be1 8 1 BDH 7. 2. 62 — I D 18/61 — in ZBR 1962 S. 195 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 6 1 1 ; = BDHE Bd. 6 S. 91. DokBer. Nr. 1612. 182 DokBer. Nr. 1776. 1 8 3 L i n d g e n , Die disziplinare Ahndung von Verkehrsdelikten, in ZBR 1962 S. 137. P o n s o l d , Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 2. Aufl. S. 247 ff., 261; Hosse, Der neue Ursachenkatalog zur Straßenverkehrsunfallstatistik in Deutsche Polizei 1962 S. 88; B i c h t e l e r Trunkenheit am Steuer aus der Sicht der ärztlichen Sachverständigen in Ärztliche Mitteilungen 1962 S. 1452.
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Verstöße gegen die Pflicht der Gewissenhaftigkeit
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reich der Deutschen Bundespost muß nach § 33 Abs. 5 der Dienstanweisung f ü r das Postkraftfahrwesen der Beamte im Genuß von alkoholischen Getränken ganz besonders mäßig, eine angemessene Zeit v o r Dienstantritt und während des Dienstes aber völlig enthaltsam sein 184 . Schon nach allgemeinen Grundsätzen darf ein Beamter einen Kraftwagen nicht führen, wenn er infolge des Genusses von geistigen Getränken nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen 1 8 5 . Diese Voraussetzungen — die im Einzelfall auch nach dem Genuß einer verhältnismäßig geringen Menge geistiger Getränke gegeben sein können — müssen beim Beschuldigten festgestellt werden, falls ein Verhalten als Dienstvergehen gewertet werden soll. DokBer. Nr. 1834. BDH 18. 4. 61 — I DO 1/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 316 (LS). — Da mit der Führung eines Dienstkraftfahrzeuges betraute Postbedienstete wiederholt trunken am Steuer angetroffen worden sind, hat sich für den Bereich der Deutschen Bundespost das BPM zur nachfolgenden Vf. I C 3 2430—3 Kp vom 18. 11. 60 veranlaßt gesehen: „Betr.: Dienstliches und außerdienstliches Verhalten; hier Trunkenheit am Steuer. — Soweit ich feststellen konnte, werden die den mit der Führung eines Dienst-Kfz. betrauten Postbediensteten verhandlungsschriftlich (Vf. I C 3 2430—3 Kp vom 8. 3. 55) angedrohten disziplinaren Maßnahmen bei Trunkenheit am Steuer oder Fahrerflucht (Unfallflucht) von den OPDn nicht einheitlich durchgeführt. Nachstehende Richtlinien sollen daher eine gleichmäßige Verfahrensweise ermöglichen. 1. Volltrunkenheit am Steuer (auch ohne Verbindung mit einem Verkehrsunfall): Nach den insbesondere vom Bundesgerichtshof festgestellten Grenzwerten liegt eine absolute Fahruntüchtigkeit für Kraftfahrer bei 1,5%,, und mehr Blutalkoholgehalt und für Kradfahrer bei 1,3°/,^ und mehr Blutalkoholgehalt vor. Bei Volltrunkenheit am Steuer—auch wenn keinVerkehrsunfall damit verbunden ist- sind a) gegen Beamte auf Lebenszeit förmliche Disziplinarverfahren nach § 28 BDO einzuleiten, b) Beamte auf Probe und Beamte auf Widerruf nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 und 2 oder § 32 BBG zu entlassen und c) Angestellte und Arbeiter nach § 17 ATO bzw. § 27 TVArb. fristlos zu entlassen. 2. Trunkenheit am Steuer in Verbindung mit einem Verkehrsunfall : Auch bei einem Blutalkoholgehalt unter 1,5 bzw. l,3°/00 wird vielfach ein Kausalzusammenhang zwischen dem Alkoholgenuß und dem Unfall zu unterstellen sein, da bereits nach mäßigem Alkoholgenuß u. a. eine Verminderung der Reaktionsfähigkeit eintritt. Daher kann bei einem Verkehrsunfall, der offensichtlich auf ein fehlerhaftes Verhalten, des Unfallgegners zurückzuführen ist, ein Kausalzusammenhang zwischen dem Alkoholgenuß des Postkraftwagenfahrers und dem Unfall dann bestehen, wenn der Unfall von dem Postkraftwagenführer bei normaler Reaktionsfähigkeit hätte vermieden werden können. Bei einem Verkehrsunfall infolge Trunkenheit am Steuer ist nach 1. a) bis c) zu verfahren. 3. Trunkenheit am Steuer ohne Verbindung mit einem Verkehrsunfall: Wird bei einem Postkraftwagenführer während des Fahrdienstes ein Blutalkoholgehalt unter 1,5 bzw. 1,3%,, festgestellt, so können die OPDn in eigener Zuständigkeit unter Anlegung eines strengen Maßstabes in Ausnahmefällen von der Einleitung der Verfahren nach 1. a) bis c) absehen und entsprechend der Schwere des Dienstvergehens andere disziplinare Maßnahmen ergreifen. Die unterschiedliche Behandlung der Fälle von Volltrunkenheit und Trunkenheit am Steuer setzt voraus, daß bei jedem unter Alkoholeinfluß am Steuer eines Dienst-Kfz. angetroffenen Postbediensteten der Blutalkoholgehalt bestimmt wird. Fahrerflucht (Unfallflucht) und sonstige Verstöße gegen die Aufklärungspflicht sind in allen Fällen als straferschwerend zu bewerten. In den Fällen zu 1. und 2. kann nur mit einer Genehmigung von den nach 1. a) bis c) vorgesehenen Maßnahmen abgewichen werden, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (vgl. Vf. I C 3 2430—3 Kp vom 30. 5. 59). Bei Volltrunkenheit (Fall 1.) können dienstliche oder personalwirtschaftliche Gründe für sich allein im Interesse des Ansehens der DBP in der Öffentlichkeit keineswegs als außergewöhnliche Umstände im Sinne der vorstehend genannten Vf. angesehen werden." 185
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Trunkenheit im Kraftfahrdienst
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Die Frage, welcher Blutalkoholgehalt ausreicht, um einen Kraftfahrer als fahruntüchtig anzusehen, läßt sich nur von Fall zu Fall beantworten. Grobe für einen langjährigen Fahrer ungewöhnliche Fahrfehler sind oft die kennzeichnende Folge vorausgegangenen Alkoholgenusses und der dadurch verursachten Fahruntüchtigkeit 186 . Unberechenbares und unverantwortliches Fahrverhalten, wie sehr schnelles Fahren mit gesenktem Kopf und unmotiviertes Überwechseln auf die äußerste linke Fahrbahnseite, ist für einen sehr unter Alkoholeinfluß stehenden Kraftwagenfahrer typisch und daher ein gewisses Beweisanzeichen für das Vorliegen von Fahruntüchtigkeit 187 . Bei der Prüfung der Frage, ob durch den verkehrsuntüchtigen Zustand des Kraftfahrers eine Gemeingefahr herbeigeführt worden ist, kommt es nicht darauf an, ob ein nüchterner Fahrer die Möglichkeit gehabt hätte, sich richtig zu verhalten, sondern darauf, ob bei einem nüchternen Fahrer die Vermeidung der Gemeingefahr weniger wahrscheinlich gewesen wäre als das Gegenteil188. Die Grenzwerte des Blutalkoholgehalts, der zu einer absoluten Fahruntüchtigkeit führt, liegen zwischen 0,5°/^ und l,5°/oo189· So kann ein Blutalkoholgehalt von l^/oo für eine absolute Fahruntüchtigkeit ausreichen 190 . Die Ansicht, daß ein Kraftfahrer, der mit einem Blutalkoholgehalt von 1,3%,, gefahren ist, u. a. deshalb fahruntüchtig gewesen ist, weil er nach der Lebenserfahrung bei diesem Blutalkoholgehalt eine Reaktionsverzögerung von 100% gehabt habe, ist rechtsfehlerhaft; bei der allgemeinen Folge einerAlkoholbeeinflussung handelt es sich nicht um einen Umstand, der neben dem festgestellten Blutalkoholgehalt als Beweisanzeichen für eine Fahruntüchtigkeit in Frage kommen kann; es entspricht außerdem nicht wissenschaftlicher Erfahrung, daß bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3°/oo in jedem Falle eine Reaktionsverzögerung von 100% eintritt191. Bei einem Blutalkoholgehalt unter l,5°/oo kann auch ohne Feststellung äußerer Anzeichen der Fahruntüchtigkeit aus bestimmten persönlichen Umständen des Fahrers, wie ζ. B. Alkoholunverträglichkeit, Ausfallerscheinungen oder Übermüdung, der Schluß auf eine vorhandene relative Fahruntüchtigkeit gezogen werden 192 . Bei einem Blutalkoholgehalt von 1,47 "/„o sind die meisten Menschen fahruntüchtig. Ein Mensch mit einem derart hohen Blutalkoholgehalt muß sich sagen, daß er möglicherweise oder sogar wahrscheinlich fahruntüchtig sein werde; der allgemeinen Lebenserfahrung nach pflegt er die bei ihm eingetretene Enthemmung auch zu erfassen 193 . Ι,δ 0 /^ Blutalkoholgehalt bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stets Fahruntüchtigkeit 194 . Ein Kraftradfahrer ist BGHSt. 6. 5. 60 — 4 StR 76/60 — in V R S 1960 S. 29. BGHSt. 15. 7. 60 — 4 StR 156/60 — in VRS 1960 S. 19 und 296. 1 8 8 O L G Saarbrücken 10. 5. 62 — Ss 16/62 — in D A R 1963 S. 22. iss v g l . BGHSt. 3. 6. 58 in VRS 1953 S. 550; BGHSt. 1 0 . 1 1 . 55 in D A R 1956 S. 78; BGHSt. 18. 11. 54 in Verkehrsrechtliche Mitteilungen 1955 S. 1 ; BGHSt. 7. 6. 51 in D A R 1952 S. 43; BGHSt. 4. 8. 55 in V R S 1955 S. 350. 1 9 0 Vgl. O L G Hamm 17. 3. 60 — 2 Ss 161/60 — in D A R 1960 S. 215. 1 9 1 O L G Hamm 2 3 . 1 1 . 61 — Ss 245/61 — in D A R 1962 S. 27. 1 9 2 O L G Hamm 1 1 . 1 0 . 62 — 2 Ss 90/62 — in N J W 1963 S. 405. 1 9 3 O L G Celle 6. 6. 63 — 1 Ss 104/63 — in N J W 1963 S. 2385. 1 9 4 Vgl. O L G Düsseldorf 7. 8. 57 in Verkehrsrechtliche Mitteilungen 1958 S. 1 2 ; O V G Koblenz 8 . 1 1 . 56 in D A R 1957 S. 242; v o n M ö h l in D A R 1957 S. 307; BGH, Beschl. 26. 2. 64 — 4 StR 496/63 in N J W 1964 S. 733; zur Bedeutung des allgemeinen Grenzwertes v o n 1,5%„ BGH 3. 7. 64 — 4 StR 186/64 — in VRS 1964 S. 192. 188
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schon bei einem Blutalkoholgehalt von Ί,30/οο absolut, d. h. unabhängig von sonstigen Beweiszeichen, als fahruntüchtig anzusehen195. Auch Mopedfahrer sind bereits bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3°/00 absolut fahruntüchtig 196 . Die Volltrunkenheit und die damit verbundene Unzurechnungsfähigkeit, mit denen erst bei einem Blutalkoholgehalt von 3°/00 zu rechnen ist, bedarf bei niedrigerem Alkoholwert der besonderen Begründung durch Tatsachen 197 . Es ist eine Erfahrungstatsache, daß Bewußtseinsklarheit und Zurechnungsfähigkeit eines erwachsenen Mannes bei einem Blutalkoholgehalt von 2°/00 noch nicht erheblich herabgesetzt zu sein brauchen198. Es ist ausgeschlossen, daß ein Kraftfahrer, der mit einem Blutalkoholgehalt von 2,4 °/00 im Zustand allenfalls verminderter Zurechnungsfähigkeit gefahren ist, einen Teil des Alkohols in einem durch Zusammenwirken von Barbituren und Alkohol hervorgerufenen Zustand der Zurechnungsunfähigkeit zu sich genommen hat198". Ist ein Röhrchentest vorgenommen, so können Abweichungen bis zu 0,3 °/00 auftreten 198b . Ob die grob verkehrswidrige Fahrweise eines Kraftfahrers — mit einem Blutalkoholgehalt von 0,85°¡m — Ausfluß seines vorausgegangenen Alkoholgenusses und dadurch verursachter Fahruntüchtigkeit war oder ob der Kraftfahrer im nüchternen Zustand ebenso verkehrswidrig gefahren wäre, ist in freier Beweis Würdigung zu entscheiden; die Überzeugung ist rechtlich nur dann zu beanstanden, wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstößt 199 . Die Alkoholaufnahmegeschwindigkeit beträgt ohne unmittelbar voraufgegangene oder gleichzeitige Nahrungsaufnahme nur wenige Minuten 200 . Die Resorption des Alkohols, d. h. der Zeitraum zwischen dem Einnehmen des Alkohols und dem Erreichen des Verteilungsausgleichgewichts, ist in der Regel innerhalb von 60 Minuten, spätestens eineinhalb Stunden nach Trinkende abgeschlossen. In der Resorptionsphase kann bereits eine nicht wesentliche unter 1,5 "¡¡^ liegende Blutalkoholkonzentration die Feststellung absoluter Fahruntüchtigkeit rechtfertigen, wenn der Fahrer noch unmittelbar vor der Tatzeit auf leeren Magen eine größere Menge Alkohol schnell getrunken hatte 201 . In der Resorptionsphase hat der Alkohol eine größere Wirkung als in. der Abbauphase. Ein Blutalkoholgehalt von 1,3 °/00 in der Resorptionsphase ist generell nicht einem solchen von über 1,5 °/00 gleichzusetzen201". Hat der Kraftfahrer kurz vor Fahrtantritt noch soviel Alkohol getrunken, daß sein Blutalkohol den Wert von 1,5 °/00 erst nach Fahrtende erreicht, so ist er dennoch als absolut fahruntüchtig anzusehen202. Daß ein infolge Alkoholgenusses fahruntüchtiger Kraftfahrer die Fahrt in der Resorptionsphase durchgeführt hat,. 1 8 6 Bundessozialgericht 30.6.60 — 2 RU 86/56 — in NJW 1960 S. 1636; BGH, Besch!. 26. 2. 64 — 4 StR 496/63 — in Pressemitteilungen höchster Bundesgerichte. 1 9 6 OLG Hamm 17.3. 60 — 2 Ss 161/60 — in DAR 1960 S. 215. 1 9 7 K G 27.10. 60 — 1 Ss 281/60 — in VRS 1961 S. 50. 1 9 8 BGH 14. 6. 63 — 4 StR 175/63 — in VRS 1963 S. 115. "«» OLG Hamburg 11. 8. 64 — 2 Ws 245/64 — in DAR 1965 S. 27. 198b vgl. DokBer. Nr. 1896. 1 9 9 BGH 6. 5. 60 — 4 StR 76/60 — in VRS 1961 S. 29. 200 BGH 15. 4. 59 — 4 StR 162/59 in DAR 1960 S. 340. 2 0 1 OLG Hamm 11.10. 62 — 2 Ss 906/62 — in NJW 1963 S. 405. OLG Celle 29.10. 64 — 1 Ss 354/64 — in DAR 1965 S. 83. 202 OLG Hamm 27.10. 61 — 3 Ss 555/61 — in VRS 1962 S. 152.
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darf nicht straferschwerend verwertet werden202». Der Abbauwert kann im allgemeinen mit 15% je Stunde angenommen werden, jedoch besteht hierfür kein allgemeiner Erfahrenssatz203. Ob sich der Kraftwagenfahrer infolge Alkoholgenusses oder Einnahme von Drogen in einen fahruntüchtigen Zustand versetzt hat, ist gleichgültig; so wird ζ. B. auch Phanodorm als berauschendes Mittel angesehen204. Außerdem können Tabletten, wie ζ. B. Paracodin, die Wirkung von Alkohol erhöhen204». Ein Verschulden eines Kraftfahrzeugführers liegt schon darin, daß er einen erkennbar Angeheiterten neben sich Platz nehmen läßt und mit hoher Geschwindigkeit fährt205. Hat der infolge Alkoholgenusses fahruntüchtige Halter einem geeigneten Fahrer das Steuer überlassen, so ist er im allgemeinen nicht verpflichtet, dessen Fahrweise zu beobachten, muß aber eine von ihm erkannte unvorsichtige Fahrweise unterbinden20®. Die Sicherheitserfordernisse verlangen, daß die im Fahrdienst eingesetzten Beamten sich jedes Alkoholgenusses enthalten, der ihre Fahrtüchtigkeit herabmindert. Ein trunkener Omnibusfahrer der Deutschen Bundespost kann hier nicht anders beurteilt werden als ein Lokomotivführer der Deutschen Bundesbahn, der sich im trunkenen Zustand zum Dienst begibt. Hier genügt die Tatsache der Trunkenheit für eine unnachsichtige Bestrafung. So hatte bereits der Reichsdisziplinarhof in seinem Urteil vom 17. 2. 36207 entschieden, daß Trunkenheit besonders bei Beamten der Verkehrsverwaltungen schwer zu bestrafen ist, wenn durch sie das Leben der Benutzer der Verkehrseinrichtungen gefährdet wurde. Bei der disziplinaren Beurteilung von Trunkenheitsdelikten durch beamtete Kraftfahrer unterscheidet die Deutsche Bundespost208 zwischen Volltrunkenheit am Steuer (auch ohne Verbindung mit einem Verkehrsunfall) bei 1,5 °/00 Blutalkoholgehalt und mehr und Trunkenheit am Steuer (in Verbindung mit einem Verkehrsunfall) mit weniger als 1,5 °/00 Blutalkoholgehalt. Im ersten Falle ist gegen einen Lebenszeitbeamten immer das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten und ein Beamter auf Probe oder auf Widerruf zu entlassen; im letzteren Falle ist nur bei Verursachung eines Verkehrsunfalls in gleicher Weise zu verfahren, während in den übrigen Fällen von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bzw. der Entlassung abgesehen werden kann. Verursacht ein Kraftwagenfahrer im Dienst einen Verkehrsunfall im angetrunkenen Zustande, so stellt dies ein schweres Dienstvergehen dar208. Ein derartig leichtfertiges Verhalten stellt die dienstliche Zuverlässigkeit eines Be202 »
BayrObLG 8. 7. 64 — 1 St 223/64 — in VHS 1965 S. 31. OLG Frankfurt 21. 12. 60 — 1 Ss 987/60 — in NJW 1961 S. 283. 2 0 4 K G 28. 3. 60 — 1 Ss 462/59 — in VRS 1960 S. 111. 204» vgl. DokBer. Nr. 1896. 205 BGH 19. 8. 60 — 4 StR 266/58 —. 206 OLG Hamm 6. 2. 61 — 2 Ss 1579/60 — in VRS 1961 S. 470. 207 RDH bei F o e r s t e r , 1937 S. 11 (12). 2 0 8 Siehe Fußnote 185. 2 0 9 BDK XII 6.12. 56 — X I I V L 39/56 —; DokBer. Nr. 1434 (in diesem Falle wurde der Beschuldigte nur deshalb mit einer Gehaltskürzung bestraft, weil er im Urlaub eine Vertretung übernommen hatte und es noch nicht feststand, ob er zu einer Fahrt herangezogen werden würde); DokBer. Nr. 1834; vgl. auch DokBer. Nr. 1956. 203
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amten in jedem Falle ernsthaft in Frage. Es ist kaum zu entschuldigen, weil jeder, insbesondere jeder beamtete Kraftfahrer, immer wieder durch Presseveröffentlichungen und durch dienstliche Hinweise über die Wirkungen selbst kleiner Mengen von Alkohol und die möglichen Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes in dieser Richtung belehrt worden ist 210 . Ein beamteter Kraftwagenfahrer, der sich im betrunkenen Zustand an das Lenkrad setzt und einen Verkehrsunfall verursacht, begeht ein schweres Dienstvergehen auch dann, wenn der Verkehrsunfall nicht die Folge eines Rauschzustandes, sondern des verkehrswidrigen Verhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers ist 211 . Für eine Strafverschärfung spricht es, wenn dem Beschuldigten der Führerschein entzogen wird, die seine Verwendbarkeit im Dienst einschränkt 2111 . Wer nach einer durchzechten Nacht einen schweren Verkehrsunfall verursacht, kann u. U. damit rechnen, daß er zur Höchststrafe verurteilt wird, wobei er eines Unterhaltsbeitrages für unwürdig angesehen werden kann 212 . Dies kommt selbst dann in Frage, wenn die Schuld und die Folgen sonst nicht zum Persönlichkeitsbild des Beamten passen. Bei einem Beamten, der als Berufskraftwagenfahrer einen schweren Verkehrsunfall verursacht, wobei Menschenleben zu beklagen sind, und deshalb durch ein Strafgericht wegen seiner Tat erheblich bestraft worden ist, bleibt der Erfolg seiner Tat nicht ganz unberücksichtigt; jedoch steht auch hier im Vordergrund die Frage, ob der Beamte derartige Persönlichkeitsmängel offenbart, daß das Vertrauen seines Dienstherrn zu ihm erheblich erschüttert ist 213 . Im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Würdigung eines Verkehrsunfalls eines beamteten Kraftwagenfahrers kann es nämlich nicht so sehr auf den Umfang des verursachten Schadens abgestellt werden; e n t s c h e i d e n d sind v i e l m e h r der G r a d der F a h r l ä s s i g k e i t u n d die B e g l e i t u m s t ä n d e der V e r f e h l u n g , so daß für das Strafmaß der Schuldgehalt maßgebend ist, der sich aus der Tat ergibt. Handelt es sich um den Fahrer eines Omnibusses, dem also zahlreiche Menschen anvertraut sind, und der aus der bisher gewonnenen Erfahrung weiß, daß die Strecke, die er zu befahren hat, teilweise oder ganz sehr gefährlich ist, so handelt er immer sehr schuldhaft, wenn er sich trotzdem verleiten läßt, vor Antritt seiner Dienstfahrt dem Alkohol zuzusprechen. Besonders schwer wiegt es, wenn er in den letzten Jahren vor Verursachung des Unfalles wiederholt wegen Übertretung der Verkehrsvorschriften bestraft worden ist. Hat er sich diese Bestrafungen nicht zur Lehre angedeihen lassen, und tritt er die Dienstfahrt in einem angetrunkenen Zustande an, so hat er das Vertrauen der Verwaltung in seine Zuverlässigkeit endgültig zerstört214. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es den Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel nicht zugemutet werden kann, ein Fahrzeug zu besteigen, das ein Beamter steuert, der derartig schwer gefehlt hat. Kann ein Kraftfahrer nicht mehr im Fahrdienst eingesetzt werden, so wird sich mit Rücksicht auf mangelnde sonstige dienstliche Verwendungsmöglichkeiten für die Verwaltung die unbedingte Notwendigkeit ergeben, sich endgültig von ihm zu trennen. DokBer. Nr. 1235. BDH 23. 9. 54 — III D 14/54 — BDHE Bd. 2 S. 163 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 194. 2 1 1 a DokBer. Nr. 1885, (hier Gehaltskürzung um 1 j i 0 auf die Dauer von 8 Monaten). 212 DokBer. Nr. 1269. 2 1 3 BDHE Bd. 3 S. 243 (245); DokBer. Nr. 1144. 2 1 4 DokBer. Nr. 1144 und Nr. 1018. 210 211
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Trunkenheit im Kraftfahrdienst
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Besonders schwer wiegt es, wenn der Fahrer im angetrunkenen Zustand einen Verkehrsunfall verursacht und hierbei Unfallflucht begeht215. Unternimmt ein Beamter in einem Dienstwagen eine Schwarzfahrt und verursacht er im angetrunkenen Zustand einen Verkehrsunfall, wobei er sich durch Fahrerflucht u. a. einer Blutprobe entzieht, die möglicherweise ein die Tat verschärfendes Element zu Tage gefördert hätte, so ist eine Disziplinarstrafe angebracht, die allein im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden kann216. Bei alkoholbedingten Verkehrsverstößen anläßlich dienstlicher Fahrten oder anläßlich der Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen wird oft eine Gehaltskürzung als ausreichend erachtet. Die Höchststrafe kommt vor allem dann nicht in Frage, wenn es sich um ein einmaliges, in den Folgen unbedeutendes Versagen handelt, mit dem nach dem Vorleben und der Persönlichkeit des Beschuldigten nicht wieder zu rechnen ist, so daß von einer Vertrauensunwürdigkeit des Beschuldigten nicht gesprochen werden kann217. War der Dienst zur Zeit des Unfalles bereits beendet, bestand die Dienstverrichtung nur noch in der Uberführung das Fahrzeuges zum Abstellplatz, zeigt der Beschuldigte keine Neigung zum Alkohol, war trotz hohen Alkoholwertes (ζ. B. 2,20 °/00) die Orientierung auf Zeit und Raum gut und das Benehmen beherrscht, zeigt der Unfall, daß die Fahrtüchtigkeit noch nicht stark behindert war, indem der Blechschaden nur gering war, war die Verkehrsgefährdung allgemeine Verkehrsgefährdung, die besondere Gefährdung des dienstlichen Bereichs ebenfalls nur gering und rechtfertigt die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten eine mildere Beurteilung, so kann von einer Laufbahnstrafe abgesehen und eine Gehaltskürzung als ausreichend angesehen werden. Führt der beamtete Kraftwagenfahrer im angetrunkenen Zustand ein Dienstkraftfahrzeug, so macht er sich selbst dann disziplinarisch strafbar, wenn er in diesem Zustand keinen Verkehrsunfall verursacht. Besonders schwer wiegt es hierbei, wenn der Beschuldigte den Alkohol in der Dienstzeit genossen hat oder wenn er wegen seines Verhaltens mit einer Haftstrafe oder gar noch mit Entzug der Fahrerlaubnis bestraft worden ist 218 . Zu einer d i s z i p l i n a r i s c h e n A h n d u n g reicht bereits eine V e r k e h r s g e f ä h r d u n g inf o l g e der durch den A l k o h o l b e d i n g t e n F a h r u n t ü c h t i g k e i t aus. Ist der Fahrer infolge Alkoholgenusses fahruntüchtig, so kann er sich nicht damit entschuldigen, daß seine Fahrgäste darauf bestanden hätten, den Kraftwagen weiter zu fahren. Auch bei nur geringer Fahruntüchtigkeit ist hier eine Disziplinarstrafe gerechtfertigt, die allein von einem Disziplinargericht verhängt werden kann219. Nicht nur der Kraftwagenfahrer, sondern auch derjenige macht sich disziplinarisch strafbar, der mit demselben zecht und für den die Dienstfahrt durchgeführt wird. Ein Beamter, der es zuläßt, daß ein Angehöriger seiner Verwaltung entgegen den dienstlichen Anordnungen nach vorausgegangenem BDK IX 6.12. 55 — IX VL 34/55; siehe auch DokBer. Nr. 1232. DokBer. Nr. 1608 (hier Versagen des Aufsteigens im Gehalt um ein Jahr). 2 1 7 DokBer. Nr. 1146, Nr. 1799 und Nr. 1965. 2 1 8 DokBer. Nr. 1730 (hier Herabstufung in die 10. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 3). 2 1 9 DokBer. Nr. 1018. 215
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Alkoholgenuß ein Dienstkraftfahrzeug führt, macht sich zumindest dann eines Dienstvergehens schuldig, wenn er sich an dem Alkoholgenuß beteiligt hatte und die Fahrt in seinem Interesse durchgeführt wurde220. XIV. T R U N K E N H E I T AM S T E U E R BEI P O L I Z E I B E A M T E N Ein Polizeibeamter, der nach Alkoholgenuß in fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug führt, muß strenger beurteilt werden als ein anderer nichtuniformierter Beamter. Wenn auch die Vollzugspolizei keine militärische Einrichtung ist, so muß doch im Interesse eines schnellen und nachhaltigen Einsatzes der Polizei die Dienstzucht strenger als bei anderen Beamtengruppen gehandhabt werden221. Es gehört zu den besonderen Dienstpflichten des Polizeivollzugsbeamten, die Einhaltung von Verkehrsvorschriften zu überwachen und Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung festzustellen und zum Zweck der Strafverfolgung anzuzeigen. Die Trunksucht am Steuer, auf die ein wesentlicher Teil der schweren Verkehrsunfälle zurückzuführen ist, kann wirksam nur durch ein entschlossenes Eingreifen der Polizei bekämpft werden. Polizeivollzugsbeamte, die in Nordrhein-Westfalen trotz des sog. Trunkenheitserlasses des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19. 6. 58 — IV Β 2 — 2065 — 69/57 — im alkoholbeeinflußten Zustande ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen führen, vereiteln die von ihrem Dienstherrn zur Herabminderung der Verkehrsunfälle verfolgten Ziele. Sie wirken gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern unglaubwürdig und schädigen das Ansehen ihres Berufsstandes. Sie erschweren den im Dienst befindlichen Vollzugsbeamten die Erfüllung ihrer Aufgaben. Daher muß der Ungehorsam gegenüber dem Trunkenheitserlaß als eine sehr ernst zu nehmende Dienstpflichtverletzung streng bestraft werden222. Der Erlaß vom 19. 8. 58 ist durch den Erlaß vom 17. 7. 61 IV Β 2/20.20 — 253/61 nicht aufgehoben worden; er erfaßt vielmehr nicht nur die Verkehrspolizisten, sondern alle Polizisten. Soweit in den übrigen Ländern nicht inhaltlich gleichlautende Erlasse für die Polizeibeamten bestehen, gilt die Regelung von Nordrhein-Westfalen sinngemäß auch daselbst. Nach dem Erlaß des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7.10. 57 betr. Trunkenheit am Steuer innerhalb der Polizei — IV Β 2/20. 65—69/57 — ist den Polizeibeamten der Genuß von ganz geringfügigen Alkoholmengen nicht verboten; sie dürfen nur nicht „unter Alkoholeinwirkung", d. h. unter einer durch Untersuchung feststellbaren Beeinflussung durch den genossenen Alkohol stehen. Das Führen eines Kraftfahrzeuges ist unter geringfügiger Alkoholeinwirkung verboten, also auch dann, wenn die Fahrtüchtigkeit noch bejaht werden kann. Auch nach dem Erlaß vom 19.6.58, nach dem den Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen die Führung von Kraftfahrzeugen „unter Alkoholeinwirkung" untersagt ist, ist das Zusichnehmen von derartig geringfügigen Alkoholmengen gestattet, die nicht wahrnehmbar oder bei einer Blutuntersuchung nicht feststellbar sind. Andererseits setzt aber der Begriff der Alkoholeinwirkung nicht den Genuß derart erheblicher Mengen 220 BDH 5. 7. 61 — I D 78/60 — in ZBR 1961 S. 393 = NDBZ 1962 S. 18 = RiA 1962 S. 73 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 600 = BDHE Bd. 6 S. 97. 221 DiszSenat OVG Münster 3. 6. 60 — V 42/59 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 222 DiszSenat OVG Münster 16.11. 62 — V 32/62 — in ZBR 1963 S. 321; vgl. auch BayrDStH 25.1. 60 — Nr. 26 DS I 59 — in ZBR 1963 S. 321.
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Trunkenheit am Steuer bei Polizeibeamten
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von Alkohol voraus, wie sie für den Nachweis der Fahruntüchtigkeit erforderlich sind. Es ist auch gleichgültig, ob Spirituosen einem nichtalkoholischen Getränk, wie ζ. B. Coca-Cola, beigemischt werden, wie es auch nicht entscheidend ist, ob sich der Polizeibeamte selbst noch fahrtüchtig gefühlt hat. Der Begriff der Alkoholeinwirkung ist weiter als der der Fahruntüchtigkeit. Bereits bei Ο,δ'/οο beginnt eine derartige Alkoholbeeinträchtigung eines Kraftfahrers, daß er den Anforderungen des heutigen Verkehrs als nicht mehr gewachsen anzusehen ist. Bei Ungewohnten setzen sogar schon bei 0,5 °/00 die ersten erkennbaren Anzeichen der alkoholischen Beeinträchtigung ein. Die feineren psychischen Reaktionen, vor allem bei plötzlich auftauchenden Schwierigkeiten, sind aber bei Alkoholgewohnten gleichermaßen wie bei Ungewohnten 223 . Daher hat ein Polizeibeamter, der unter Alkoholeinwirkung ein Kraftfahrzeug geführt hat, ein Dienstvergehen durch einen Verstoß gegen die o. a. Erlasses des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen begangen, auch wenn er im gerichtlichen Strafverfahren mangels ausreichenden Beweises nicht wegen Trunkenheit am Steuer, sondern nur wegen Übertretung der Straßenverkehrsverordnung bestraft worden ist223®. Ein Polizeibeamter, der, mit einem Blutalkoholgehalt von l,92°/00 sein Moped auf dunkler, abschüssiger Straße schiebend gestolpert ist und dadurch einen anderen Fußgänger erheblich verletzt, kann trotz Freispruch mangels Beweises im Strafverfahren wegen Dienstvergehens disziplinar bestraft werden, wenn er infolge früherer Maßregelungen (Mißbilligung, Geldbuße) zur Zurückhaltung im Alkoholgenuß besonders verpflichtet ist 224 . Ein Polizeibeamter, der wiederholt eine starke Neigung zum Alkoholgenuß in und außerhalb des Dienstes offenbart und schließlich wiederholt unter erheblichen Alkoholgenuß einen Verkehrsunfall verursacht hat, ist im Dienst nicht mehr tragbar 224 ». Bei einem Polizeibeamten, der wegen fahrlässiger Körperverletzung — verhältnismäßig geringfügiger Art — in Tateinheit riiit fahrlässiger Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit am Steuer zu zwei Monaten Gefängnis unter Bewilligung einer Bewährungsfrist verurteilt worden ist, kann ausnahmsweise von der Entfernung aus dem Dienst und auch von der Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt abgesehen werden, wenn das Disziplinargericht die Auffassung des Dienstvorgesetzten zu teilen vermag, daß der bis dahin unbestrafte und stets sehr gut beurteilte, inzwischen nach Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung in der verantwortungsvollen Stellung eines Funkstreifenführers sich bewährende Beschuldigte sich ernstlich bemühen wird, durch dauernden vorbildlichen Einsatz seine einmalige Dienstverfehlung wiedergutzumachen 225 . Die Verweigerung eines Alkoholtest (Alcotest) ist auch bei einem Polizeibeamten kein Dienstvergehen 226 . Es gibt weder eine gesetzliche Vor223 DiszSenat OVG Münster 15. 9. 61 — Y 9/61 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 176; vgl. auch DiszSenat OVG Münster 16. 11. 62 — V 32/62 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 179; DiszSenat OVG Münster 15. 5. 62 — Y 16/61 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 223a DiszSenat OVG Münster 29. 5. 64 — V 23/63 — in ZBR 1964 S. 384 = DöD 1965 S. 38. 224 DiszSenat OVG Münster 12. 1. 62 — V 30/61 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 224a DiszSenat OVG Münster 14. 12. 62 — V 35/62 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 225 DiszSenat OVG Münster 2. 3. 62 — V 31/61 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 226 DiszSenat OVG Münster 10.12. 59 — V 25/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 175.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
schrift, welche die Pflicht zur Mitwirkung beim Alcotest begründet, noch eine entsprechende Dienstanweisung für Polizeibeamte227. Läßt sich ein Polizeibeamter von einem nach Genuß von mehreren Glas Bier und einem Schnaps unter Alkoholeinwirkung stehenden Polizeibeamten in dessen Kraftwagen mitnehmen, so ist eine gegen ihn verhängte Geldbuße im Disziplinarverfügungsverfahren nicht als rechtswidrig anzusehen 227 ». XV. SONSTIGE FÄLLE VON TRUNKENHEIT Der Alkoholgenuß stellt außerhalb des Dienstes grundsätzlich kein Dienstvergehen dar. Insbesondere kann der Beamte in seiner Wohnung oder im Urlaub Alkohol in solchen Mengen trinken, die ihn in einen angetrunkenen Zustand versetzen, sofern er hierdurch nur nicht seine Dienstfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Anders ist es jedoch, wenn der Beamte sich infolge des Alkoholgenusses zu strafbaren Handlungen oder sonstigen Pflichtwidrigkeiten hinreißen läßt. Weiterhin macht sich der Beamte infolge zu reichlichen Alkoholgenusses dann strafbar, wenn er sich in der Öffentlichkeit nicht so benimmt, wie man es von ihm als Beamten erwarten darf und so sein Ansehen und das seines Standes schädigt 2276 . So stellt es ein Dienstvergehen dar, wenn der Beamte in der Trunkenheit seine Familienangehörigen oder Dritte in einem Trunkenheitsexzeß mit einer strafbaren Handlung bedroht. Ebenso verletzt er seine Würde als Beamter, wenn infolge seiner Trunkenheit Polizeibeamte hinzugezogen werden und der Beamte dieselben beleidigt oder wenn er gegen deren Anordnungen Widerstand leistet 228 . Mit einem solchen Verhalten schädigt er das Ansehen der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit, die von einem Beamten erwarten darf, daß er sich auch in seinem Familienkreise und insbesondere gegenüber den zur Wahrung der öffentlichen Ordnung berufenen Beamten korrekt verhält. Gibt sich der Beamte dem Alkoholgenuß in einer Art und Weise hin, daß er hierdurch gegen seine Dienstpflichten oder sonst gegen eine strafrechtliche Norm verstößt, so ist bei einer derartigen Verfehlung neben dem disziplinaren Eigengewicht der Pflichtwidrigkeit die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten für das Strafmaß besonders bedeutsam. Handelt es sich bei durch übermäßigen Alkoholgenuß bedingten Verfehlungen um gelegentliche situationsbedingte Entgleisungen eines sonst tadelfreien Beamten, so wird hierdurch das Vertrauensverhältnis zwischen Behörde und Beamten in der Regel selbst dann nicht unheilbar zerstört, wenn die unter Alkoholeinfluß begangenen Verfehlungen als solche nicht leicht zu nehmen sind. Auf der anderen Seite aber kann die Tragbarkeit eines Beamten wegen erheblicher Mängel seiner Gesamtpersönlichkeit auch dann ernstlich in Frage gestellt werden, wenn die alkoholbedingten Verfehlungen bei isolierter Betrachtungsweise nicht besonders schwer wiegen 229 . Handelt es sich bei den V e r f e h l u n g e n nicht um gelegentliche Entgleisungen, sondern sind sie vielmehr als A u s d r u c k e i n e s ü b e r 227 Vgl. S c h e r e r , Zur Frage der Verbindlichkeit eines Befehls, sich bei der Polizei einem Alkoholtest zu unterziehen in NZWehrR 1959 S. 130 ff. 227 » DiszSenat OVG Münster 23.12. 63 — Y 12/63 — in ZBR 1965 S. 78 (LS). 22"> DiszSenat OVG Münster 8.10. 63 — Y 14/61 in ZBR 1964 S. 270 (LS). 228 DokBer. Nr. 1505. 229 DokBer. Nr. 1606.
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Sonstige Fálle von Trunkenheit
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mäßigen Hanges zum Alkohol zu werten, und haben mehrere einschlägige Disziplinarstrafen keinerlei positives Ergebnis gezeitigt, so ist ein Beamter nicht mehr für den öffentlichen Dienst tragbar, so daß in einem solchen Falle die Höchststrafe als gerechtfertigt erscheint230. Hierbei spielt es keine Rolle, daß der Beamte nicht strafgerichtlich wegen einer im Zustand der Trunkenheit begangenen Verfehlung durch ein Strafgericht bestraft worden ist 231 . Einen besonders schweren Fall der Trunkenheit stellt es dar, wenn ein Beamter sich in Uniform betrinkt und so das Ansehen seiner Behörde in der Öffentlichkeit schädigt. Dann kann es gleich bleiben, ob sich der Beamte im Dienst oder in seiner dienstfreien Zeit betrinkt, da er in der Öffentlichkeit durch sein Erscheinen in Uniform den Eindruck erweckt, daß er sich im Dienst befindet. So kann z. B. ein Polizeibeamter, der bereits mehrere Disziplinarstrafen erlitten hat, weil er unter Alkoholeinwirkung in Uniform das Ansehen der Polizei schwer geschädigt hatte, nicht länger im Dienst belassen werden, wenn er wiederum in Dienstkleidung infolge Alkoholmißbrauchs in einer Gastwirtschaft ohne jeden Anlaß einen Gast belästigt, ein Bierglas nach ihm wirft, gegen den einschreitenden Gastwirt tätlich wird, ihn in gemeiner Weise beschimpft und mit Erschießen bedroht sowie beim Abtransport durch einen Funkstreifenwagen durch sein Verhalten einen großen Menschenauflauf verursacht232. Strafmildernd kann berücksichtigt werden, daß der Beschuldigte wegen dienstlicher Verfehlungen, die er unter Alkoholeinfluß begangen hat, nicht bestraft worden ist, sondern der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde diese Verfehlungen, die bereits längere Zeit zurückliegen, erst anläßüch einer erneuten Straffälligkeit des Beschuldigten verfolgte233. Hat ein Beamter die Gelegenheit und den Anreiz, dem Alkohol zuzusprechen, sich dabei zu betrinken und in diesem Zustand ein Dienstvergehen zu verüben, überhaupt erst dadurch erhalten, daß sein Dienstvorgesetzter oder Vorgesetzter unter gröblicher Verletzung seiner Dienstpflichten die Gelegenheit zu diesem Alkoholmißbrauch geschaffen hatte, dann kann zur Verhinderung einer Ungerechtigkeit auf eine mildere Strafe als die Entfernung aus dem Dienst erkannt werden234. Der Beamte muß sich disziplinarisch auch dann verantworten, wenn er außerhalb des Dienstes sich betrinkt und hierbei sich einer Verkehrsübertretung schuldig macht. Die Trunkenheit am Steuer ist in § 63 II A S. 802ff. behandelt. Der Beamte macht sich eines Dienstvergehens auch dann schuldig, wenn er infolge der Trunkenheit als Fußgänger einen Verkehrsunfall verursacht. Auch der Fußgänger muß sich sicher im Verkehr bewegen, wie es § 2 StVZO für Teilnehmer im Verkehr allgemein fordert. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn er sich mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,00°/00 in den Verkehr begibt und auch andere Beweisanzeichen, wie z. B. Dahintaumeln oder die unzulängliche Abschätzung der Entfernung zu einem Kraftfahrzeug, für eine Unfähigkeit, sich sicher im Verkehr zu bewegen, sprechen. 230 231 232 233 234
BDH 5. 9. 57 — I D 91/55 — B D H E Bd. 4 S. 47; DokBer. Nr. 1606. DokBer. Nr. 1618. DiszSenat OVG Münster 22. 6. 62 — V 17/62 — in ZBR 1963 S. 321 (LS). DokBer. Nr. 976. DiszSenat OVG Münster 19. 6. 59 — V 9/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 444.
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
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Bei dem ständig wachsenden. Straßenverkehr erwartet die Bevölkerung, daß jedenfalls Beamte nicht in alkoholbedingter Verkehrsuntüchtigkeit am Verkehr teilnehmen, diesen dadurch gefährden oder gar Verkehrsunfälle heraufbeschwören. Dies gilt auch f ü r die Teilnahme eines durch Alkoholgenuß in seinem Bewußtsein gestörten Fußgänger. Auch ein solcher Beamter verliert an Achtung in der Öffentlichkeit. Ist er bereits wiederholt im Disziplinarwege einschlägig bestraft, so muß er im förmlichen Disziplinarverfahren mit einer Laufbahnstrafe oder Gehaltskürzung rechnen 2 3 5 .
XVI. RAUSCHTATEN236 A. Strafrechtlicher Tatbestand Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in einen die Zurechnungsfähigkeit ( § 5 1 Abs. 1 StGB) ausschließenden Rausch versetzt hat, wird nach § 330 a StGB mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht; die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht schwerer sein als die für die vorsätzliche Begehung der Handlung angedrohte Strafe. Ist die Zurechnungsfähigkeit noch vorhanden, so ist der Täter wegen der jeweiligen Straftat zu bestrafen, die er im trunkenen Zustande begangen hat, wobei u. U. § 51 Abs. 2 StGB zur Anwendung kommen kann. Läßt es sich nicht nachweisen, ob der Täter die Tat im Zustande der Unzurechnungsfähigkeit oder in einem solchen der verminderten Zurechnungsfähigkeit begangen hat, so ist er nach § 330 a StGB zu bestrafen, selbst wenn es sich bei dem Grunddelikt um eine Übertretung handelt237. Selbst wenn der Täter die Tat im Zustande der Volltrunkenheit begeht, ist er wegen der Straftat zu bestrafen, wenn er sich bei Antrinken dessen bewußt war, daß er im Rausch die Straftat begeht. Dies wäre der Fall, wenn er sich nur Mut antrinkt 238 . Konnte der Täter beim Betrinken damit rechnen, daß er im Rausch eine Straftat begeht, so ist er wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen. Dies ist der Fall beim Kraftfahrer, der Alkohol zu sich nimmt, obgleich er weiß, daß er nach dem Trinkgelage noch eine Fahrt in seinem Kraftwagen auszuführen hat. Ein Autofahrer, der Alkohol zu sich nimmt, muß sich dessen immer bewußt sein, daß er im trunkenen Zustande den Verkehr gefährdet und sich hierbei einer Tötung oder Körperverletzung oder einer Sachbeschädigung schuldig machen kann239. Begeht jemand im Zustand der Volltrunkenheit mehrere mit Strafe bedrohte Handlungen, die er ζ. T. unter dem Gesichtspunkt des § 330 a StGB, im übrigen deshalb zu verantworten hat, weil er den Geschehensablauf im verantwortlichen Zustand in Gang gesetzt hat — sog. actio in libera causa — so stehen diese Handlungen zueinander in Tateinheit 240 . Der Täter macht sich nach § 330 a StGB nur dann strafbar, wenn der Rausch die alleinige Ursache für die Begehung der Straftat bildet 241 . Wie der einzelne auf Alkohol reagiert, ist hierbei unbeachtlich. Deshalb kommt es auf die Bestimmung der Blutprobe nicht an. Ist der Täter auf Alkohol überempfindlich, so kann dies lediglich strafmildernd berücksichtigt werden242. Sinnlose Trunkenheit im Sinne des Fehlens einer natürlichen Willens ist bei einem Blutalkoholgehalt von 2,18°/0 in der Regel nicht anzunehmen243. Für eine Bestrafung nach § 330 a StGB ist bei der Feststellung der Schuld allein maßgebend, ob den Täter für das Hineingeraten in Volltrunkenheit ein Verschulden trifft, DokBer. Nr. 1794 u. Nr. 1996; vgl. BDH Bd. 2 S. 163, Bd. 4 S. 162, Bd. 5 S. 198. K a u f m a n n , Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit in JZ 1963 S. 425 — 433; H a r d w i g , Der Vollrauschtatbestand in GA 1964 S. 140. 237 BGHSt (Gr. Senat) Bd. 9 S. 390; OLG Hamburg in NJW 1958 S. 1246; vgl. auch KG 27.10. 60 — 1 Ss 281/60 — VRS 1961 S. 50; OLG Hamburg 29. 8. 63 — 1 Ss 310/61 — VRS 1963 S. 121. 238 RGSt. Bd. 73 S. 182. 239 F GSt. Bd. 22 S. 413. 240 BGH 1. 6. 62 — 4 StR 88/62 — in DAR 1962 S. 301 im Anschluß an BGHSt. Bd. 2 S 15 Leitsatz 3 241 RG in HRR 1939 Nr. 1561; RGSt. Bd. 70 S. 87 BGH in J Z 1952 S. 153. 242 RGSt. Bd. 73 S. 12; BGH in MDR 1951 S. 463. 243 OLG Celle 29. 4. 63 — 2 Ss 123/63 — in VRS 1963 S. 347. 235
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Rauschtaten
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wobei zu beachten ist, daß bereits Fahrlässigkeit ausreicht. Wird der Täter dadurch in einen Rauschzustand versetzt, daß ihm ein Dritter unbemerkt eine Droge in das geistige Getränk mengt, und ist der Rauschzustand im wesentlichen auf diese Droge zurückzuführen, so scheidet eine Bestrafung nach § 330 a StGB aus. Der Täter kann sich im übrigen nicht damit entlasten, daß er vorgibt, daß ihm nicht bewußt war, daß er im Vollrausch zu der Ausübung von strafbaren Handlungen neigt244. Ebenso kann der Täter nicht einwenden, daß das Delikt, das er im Rauschzustand begangen hat, nur bei Vorsatz strafbar ist und daß ihm bei Hineingeraten in den Rauschzustand nur Fahrlässigkeit zur Last fallt 245 . § 330 a StGB ist nämlich ein selbständiger Straftatbestand245". Hat er sich jedoch vorsätzlich in einen Rauschzustand versetzt und hat er fahrlässig eine Straftat begangen, die nur dann strafbar ist, wenn sie vorsätzlich begangen ist, so kann der Täter nicht nach § 330 a StGG bestraft werden. Der Täter ist nach § 330 a StGB zu bestrafen, wenn er im Vollrausch ein Verbrechen, Vergehen oder eine Übertretung begangen hat. Im letzteren Falle kann er nur mit Geldstrafe oder Haft bestraft werden. Hat der Täter in einer Rauschhandlung mehrere Straftaten begangen, so kann er nur wegen einer Handlung, nämlich wegen des Sich-in-einen-RauschVersetzens, bestraft werden. Nur die Zurechnungsfähigkeit bleibt hier außer Ansatz246. War der Täter bereits vorher unzurechnungsfähig, so kann er auch nicht nach § 330 a StGB bestraft werden 247 . Die Anwendung des § 330a StGB ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß zweifelhaft bleibt, ob die Tat im Zustand völliger Unzurechnungsfähigkeit oder noch verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen worden ist24'8·. Auch beim Tatbestand der Volltrunkenheit ist der Verbotsirrtum zu berücksichtigen und dann erheblich, wenn der Täter auch im nüchternen Zustand dem gleichen Irrtum erlegen wäre; auch insoweit ist das Unrechtsbewußtsein teilbar248.
B. Disziplinarrechtliche Beurteilung Der Beamte, der sich unter den Voraussetzungen des § 330a StGB in einen Zustand der Volltrunkenheit versetzt, ist auch disziplinarisch zur Rechenschaft zu ziehen. Er macht sich im disziplinarrechtlichen Sinne nicht nur dann strafbar, wenn er im Rausch eine allgemeine strafrechtliche Norm verletzt, sondern auch, wenn er ein Dienstvergehen begeht, das nicht im Sinne des Strafrechts strafbar ist. Versetzt sich der Täter wiederholt in einen Vollrausch, so kann er auch dann disziplinarisch bestraft werden, wenn er nicht ein Dienstvergehen begeht. Voraussetzung ist dann, daß er zur Trunksucht neigt und die unter XI geschilderten Voraussetzungen gegeben sind. Die Rauschtat unterscheidet sich von anderen im Zustand der Zurechnungsfähigkeit begangenen Dienstvergehen dadurch, daß der Rauschtäter seine Zurechnungsunfähigkeit verschuldet hat; gerade darauf beruht seine Verantwortlichkeit 249 . Pflichtverletzungen im Vollrausch sind für einen Beamten besonders belastend, weil sie Gefährdungsdelikte sind und einen Eingriff in den Rechtsfrieden enthalten. Wenn es auch auf das durch die Rauschtat verletzte Rechtsgut nicht ankommt, so muß die Verletzung dieses Rechtsgutes, für die der Rauschtäter zwar strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, bei der Bemessung der Disziplinarstrafe berücksichtigt werden, weil BGHSt. Bd. 1 S. 124. G e r l a n d in Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 55 S. 784ff.; vgl. auch JW 1936 S. 1911. 245 » OLG Celle 6. 4. 24 — 2 Ss 97/64 — in NdsRPfl. 1964 S. 232. 248 JW 1936 S. 3003. 247 Deutsches Strafrecht 1936 S. 55. M 7 » OLG Schleswig 22.10. 64 — 2 Ss 411/64 — in DAR 1965 S. 136. 248 OLG Stuttgart 22.11. 63 — 1 Ss 753/63 — in NJW 1964 S. 413. 249 BayrDStH 14.1. 57 — Nr. 5 DS I 54 — und 24 DS I 56 — in BBZ 1957 S. 111 = BDHE Bd. 4 S. 209 (211) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 156. 244
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Verstöße gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit
zwischen der Person des Täters als Beamten und seinem Handeln eine für Außenstehende erkennbare Verbindung besteht und weil je nach der Schwere der Tatfolgen und der Art des verletzten Rechtsgutes das Ansehen des Beamtenstandes mehr oder weniger leidet260. Welche Disziplinarstrafe angemessen ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Bei einer Rauschtat ist für die Strafzumessung einmal auf den Grad des Verschuldens abzustellen, der für die Entstehung des Rauschzustandes maßgebend ist261. Weiterhin ist zu prüfen, bei welcher Gelegenheit der Beamte sich in einen Rauschzustand versetzt hat. So ist es milder zu beurteilen, wenn er dem Alkohol anläßlich einer Familienfeier oder im Karneval oder zu Silvester252 oder anläßlich einer Beförderung oder eines Dienstjubiläums oder aus Kummer zugesprochen hat. War dem Täter auf Grund früherer Vorkommnisse bewußt, daß er im Rauschzustand labil ist und zur Begehung von Straftaten oder Dienstvergehen neigt, so ist er strenger zu bestrafen. Gleiches gilt, wenn er sich im Dienst oder außerhalb des Dienstes in seiner Uniform in einen Rauschzustand versetzt hat. Ist der Beschuldigte wegen der Rauschtat vom Strafgericht nach § 330 a StGB verurteilt worden, so kann auch im Disziplinarverfahren nur das schuldhafte Sichversetzen in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch, nicht aber die in diesem Zustand begangene mit Strafe bedrohte Handlung als Dienstvergehen gewertet werden. Bei der Strafbemessung für das Dienstvergehen sind jedoch Art und Auswirkungen der Rauschtat mitzuberücksichtigen, weil zwischen der Person des Täters als Beamten und seinem Handeln eine für außenstehende erkennbare Verbindung besteht und weil je nach Schwere der Tatfolgen und der Art des verletzten Rechtsguts das Ansehen des Beamtenstandes mehr oder weniger leidet 253 . Der Bundesdisziplinarhof führte hierzu grundlegend aus : "Wegen des Wesensunterschiedes zwischen krimineller und disziplinarer Strafe254 wird die Strafzumessung im Disziplinarrecht grundsätzlich von anderen Gesichtspunkten bestimmt als im Strafrecht. Die schärfsten disziplinarischen Folgerungen sind bei einem Beamten dann erforderlich, wenn er infolge seiner Verfehlung in allgemeiner Achtung so sehr verloren hat und infolge seiner Integrität so beeinträchtigt ist, daß er als für den Dienst für untragbar angesehen werden muß. Auch im Disziplinarrecht gilt der Verschuldensgrundsatz. Einem Beamten kann daher nicht ein Tatbestand als Dienstvergehen zur Last gelegt werden, dessen Eintritt er nicht mindestens fahrlässig herbeigeführt hat. Da aber das Disziplinarrecht viel stärker persönlichkeitsbezogen ist als das Strafrecht255, kann auch bei dienstlichen Verfehlungen, bei denen der Grad des Verschuldens gering ist, die Beeinträchtigung der Integrität so stark sein, daß dies einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses entgegensteht. So entspricht es standiger Rechtsprechung der Disziplinargerichte, daß in äußerlich schweren Fällen trotz erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit i. S. des § 51 Abs. 2 StGB die Höchststrafe dann zu verhängen ist, wenn sich der Beamte über die grundlegendsten und einfachsten Dienstpflichten hinweggesetzt hat 256 . Maßgebend hierfür ist der Ansehens- und Vertrauens250 DiszSenat OVG Münster 24. 6. 60 — V 26/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 467 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 173. 261 DokBer. Nr. 1596. 262 DokBer. Nr. 1223. 253 BDH 15.10. 59 — II D 53/58 — BDHE Bd. 5 S. 20 = RiA 1960 S. 89 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 397; vgl. auch DStH Rheinland-Pfalz 6.12. 58 — V 8/58 — AS Bd. 7 S. 159 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 423 und DiszSenat OVG Münster 24. 6. 60 — V 26/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 467. 261 U. a. BDH 11.11. 55 — I D 22/55 — BDHE Bd. 2 S. 111 und BDH 7 . 1 . 55 — I D 164/53 — BDHE Bd. 2 S. 190; R e u ß in JR 1959 S. 129 (131). 265 S c h m i d t - L e o n h a r d in Handbuch des Deutschen Staatsrechts 1932 Bd. 2 S.50/51. 266 BDH 7.1. 55 — I D 164/53 — BDHE Bd. 2 S. 190; BDHE Bd. 3 S. 262 (264).
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Allgemeines
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Verlust, der mit einer auch unter solchen Umständen begangenen, immerhin noch schuldhaften Tat verbunden ist, oder der Schaden, den der Beamte hinsichtlich seiner integrativen Eignung genommen hat und der die integrative Funktion des Berufsbeamtentums gefährdet. Die sitdiche Haltung bezeichnet Reuß zutreffend als wichtigstes Bindeglied der staatlichen Gemeinschaft. Ähnlich wie bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit verhält es sich disziplinarrechtlich bei Dienstvergehen oder Volltrunkenheit. Wenn auch die im Vollrausch begangene Tat selbst mangels Zurechnungsfähigkeit ein Dienstvergehen nicht darstellen kann, so ist sie doch von der Persönlichkeit des Beschuldigten nicht zu lösen. Hat sich dieser schuldhaft dem Trünke hingegeben und aus dem Rausch heraus eine Handlung begangen, die normalerweise ein Verbrechen ist, so genügt das schuldhafte Sichbetrinken und die hierbei herbeigeführte starke Hemmungslosigkeit, wodurch die schlimme Tat entstanden ist, um die sittliche Einstufung und Wertschätzung, die der Beamte in der sozialen Gemeinschaft genießt, entscheidend zu erschüttern. Die Rauschtat wird hierbei als Ausfluß des Persönlichkeitsmangels empfungen, da sie nicht unter dem Einfluß sittlich neutraler, vielmehr abwegiger und böser innerer Regungen, Willens- und Gefühlsaufwallungen des Täters zustandekommt. Dieser ethischen Bewertung des zusammenhängenden Tuns muß in der Strafbemessung des Dienstvergehen der Volltrunkenheit Rechnung getragen werden. Die Rauschtat kann hierbei nach ihrem Erscheinungsbild und ihren Auswirkungen mit angerechnet werden, weil der Täter den aus seiner Person heraus vemeidlichen Gefahrenzustand und die Möglichkeit, daß schwere Folgen entstehen konnten, schuldhaft, sei es auch nur fahrlässig eröffnet hat. Dies trägt dem Umstand Rechnung, daß der Schuldgehalt der Tat im Disziplinarrecht allgemein nicht die gleiche hervorragende Bedeutung hat wie im Strafrecht."
Bei einer Rauschtat nach § 330a StGB bezieht sich das Verschulden lediglich auf das Sichversetzen in den Rauschzustand, nicht aber auf die im Rausch begangene Tat oder darauf, daß der Täter seine Neigung, im Rausch Straftaten zu begehen, kannte oder kennen mußte. Die Feststellungen des Strafgerichts, der Täter habe auf Grund einer früheren Rauschtat gewußt, daß er im betrunkenen Zustand erheblich enthemmt sei, gehört demnach nicht zu den gesetzlichen Merkmalen der Straftat und ist daher für das Disziplinargericht nicht bindend im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 BDO i. d. F. ÄndGes. 1952, § 14 Abs. 1 BDO i. d. F. der Novelle257.
§ 54. Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit und gegen das Verbot zur nichtgenehmigten Ausübung einer Nebenbeschäftigung I. ALLGEMEINES 1 Der Beamte hat seine ganze Arbeitskraft seinem Beruf zu widmen. Er kann seine Dienstgeschäfte nur dann ordnungsgemäß wahrnehmen, wenn er seine Arbeitskraft nicht durch die Ausübung einer Nebenbeschäftigung verzettelt. Aus diesem Grunde hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse, daß er die Ausübung einer Nebenbeschäftigung grundsätzlich an eine GeBDH 20.12. 61 — III D 63/61 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 313 (LS). G ö r g , Nebentätigkeit und Verfassungsrecht in ZBR 1962 S. 317; Z w e r e n s , Genehmigungs- und Ablieferungspflicht bei einer Nebentätigkeit im kommunalen Bereich in BWVB1.1961 S. 177; E i n w a g , Die Rechte der Bundesbeamten auf Ausübung und Genehmigung von Nebentätigkeiten in ZBR 1957 S. 159; S c h ü t z , Nebentätigkeit im Beamtenrecht in DöD 1959 S. 121 ; H o v e n , Nebentätigkeit der Beamten in DDB, 1957 S. 78; L i n d g e n . Übernahmepflichtige und genehmigungsbedürftige Nebentätigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Bundesnebentätigkeitsverordnung vom 22. 4. 1964 in RiA 1964 S. 177; D ü m i c h e n , Nebentätigkeit der Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst in DöD 1964 S. 167. 257 1
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§ 54
Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit
nehmigung knüpft, die insbesondere dann zu versagen ist, wenn die Tätigkeit des Beamten außerhalb seiner Dienstzeit seine Schaffenskraft erheblich beeinträchtigt oder wenn die Nebenbeschäftigung mit den Berufspflichten des Beamten nicht in Einklang zu bringen ist. Andererseits kann der Beamte verpflichtet sein, neben seinem Hauptamt eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst zu übernehmen, sofern sie ihn nicht über Gebühr in Anspruch nimmt. Weigert sich der Beamte, eine solche ihm angetragene Nebentätigkeit zu übernehmen, so verstößt er ganz allgemein gegen die Gehorsamspflicht, die hinsichtlich des Verlangens auf Übernahme eines Nebenamtes oder einer Nebenbeschäftigung in § 64 BBG eine Konkretisierung gefunden hat. Während sich die §§ 64—68 BBG mit der Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst und der Genehmigung einer Nebenbeschäftigung, dem Regreßanspruch für die Haftung aus angeordneter Nebentätigkeit und der Beendigung von Nebenämtern und Nebenbeschäftigungen in grundsätzlicher Hinsicht befassen, kann die zur Ausführung der §§ 64 ff. BBG notwendigen Vorschriften die Bundesregierung nach § 69 BBG durch Rechtsverordnung erlassen, wobei bestimmt werden kann, 1. welche Tätigkeiten als öffentlicher Dienst im Sinne der §§ 64ff. BBG anzusehen sind oder gleichstehen, 2. ob und inwieweit der Beamte für eine im öffentlichen Dienst ausgeübte oder auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommene Tätigkeit eine Vergütung erhält oder eine erhaltene Vergütung abzuführen hat, 3. welche Beamtengruppen auch zu einer der in § 66 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BBG bezeichneten Nebentätigkeiten der Genehmigung bedürfen, soweit es nach der Natur des Dienstverhältnisses erforderlich ist. Nach § 199 Abs. 2 BBG galten noch die Verordnung über die Nebentätigkeit der Beamten vom 6. 7. 37 (RGBl. I S. 753) — NebentätigkeitsVO — i. d. F. der Änderungs-VO vom 26. 8. 53 (BGBl. I S. 1034) und die VO über die Nebentätikgeit beamteter Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte vom 3. 5. 38 (RGBl. I S. 501). Da einzelne Bestimmungen der Nebentätigkeits-VO von 1937 durch das BBG außer Kraft getreten waren, sie nunmehr keine in sich geschlossene Regelung enthielt und über die Fortgeltung weiter Teile derselben keine volle Klarheit bestand, entschloß sich die Bundesregierung schon aus Gründen der Rechtssicherheit zu einer Neufassung der einschlägigen Bestimmungen. Die daraufhin erlassene Verordnung über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit — Bundesnebentätigkeitsverordnung — vom 22. 4. 64 (BGBl. I S. 299) ist am 1. 1. 64 in Kraft getreten. Sie gilt gleichfalls für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (§ 11 a. a. O.). Mit Ablauf des 31.12. 63 sind die Nebentätigkeitsverordnung vom 6. 7. 37 (RGBl. I. S. 753) i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. 1. 51 (BGBl. I S. 87, 94) und der VO vom 26. 8. 53 (BGBl. I S. 1034) sowie die VO über die Nebentätigkeit der beamteten Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte vom 3. 5. 38 (RGBl. I S. 501) i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. 1. 51 (RGBl. I S. 87, 97) außer Kraft getreten (§ 13 a. a. O.). Sind für Nebentätigkeiten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der Bundesnebentätigkeitsverordnung vom 22. 4. 64 noch Vergütungen zu gewähren oder erhaltene 650
Verpflichtung zur Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst
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Vergütungen abzuführen, so sind insoweit die bisher geltenden Vorschriften anzuwenden (§10 Satz 1 a. a. O.); dies gilt nicht in den Fällen des § 7 Abs. 2 a. a. O. (§ 10 Satz 2 a. a. O.). Die Vorschriften über die Nebentätigkeit und Nebenbeschäftigung gelten nur für die aktiven Beamten, nicht jedoch für Ruhestandsbeamte und im einstweiligen Ruhestand befindliche Beamte; in letzteren Fällen gilt lediglich § 158 BBG über die Höchstgrenzen der Versorgungsbezüge bei weiterem Einkommen im öffentlichen Dienst. Π. VERPFLICHTUNG ZUR NEBENTÄTIGKEIT IM ÖFFENTLICHEN DIENST Der Beamte ist verpflichtet, auf Verlangen seiner obersten Dienstbehörde eine Nebentätigkeit (Nebenamt, Nebenbeschäftigung) im öffentlichen Dienst zu übernehmen und fortzuführen, sofern diese Tätigkeit seiner Vorbildung oder Berufsausbildung entspricht und ihn nicht über Gebühr in Anspruch nimmt ( § 6 4 Satz 1 BBG). Die oberste Dienstbehörde kann die Befugnis auf nachgeordnete Behörden übertragen ( § 6 4 Satz 2 BBG). A. Arten der Nebentätigkeit Der Beamte ist zunächst einmal nur dann zur Übernahme einer Nebentätigkeit verpflichtet, wenn sie im öffentlichen Dienst geleistet werden soll. Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst ist jede für den Bund, ein Land oder andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Bundesgebiet ·—• einschließlich des Landes Berlin — oder für Verbände von solchen ausgeübte Nebentätigkeit; ausgenommen ist eine Nebentätigkeit für öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften oder deren Verbände ( § 2 Abs. 1 Bundesnebentätigkeits-VO). Durch die Formulierung „für den Bund. . ." in § 2 Abs. 1 Satz 1 a. a. O. soll zum Ausdruck gebracht werden, daß nicht nur die Tätigkeiten im Rahmen eines Dienstverhältnisses als öffentlicher Dienst im Sinne des Nebentätigkeitsrechts anzusehen sind, sondern auch selbständige Tätigkeiten, wie z. B. im Rahmen eines Werkvertrages. Einer Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst steht nach § 2 Abs. 2 Bundesnebentätigkeits-VO gleich eine Nebentätigkeit für 1. Vereinigungen, Einrichtungen oder Unternehmen, deren gesamtes Kapital (Grundkapital, Stammkapital) sich in öffentlicher Hand befindet oder die gänzlich aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden. Entscheidend ist hierbei, daß sich das g e s a m t e Kapitel des Privatunternehmens in öffentlicher Hand befindet, weil es sich nur dann um eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst handelt; andernfalls ist der Beamte auf Grund seines Beamtenverhältnisses nicht zur Nebentätigkeit in einem Privatunternehmen verpflichtet 1 »; 2. zwischenstaatliche oder überstaatliche Einrichtungen, an denen eine juristische Person oder ein Verband im Sinne des § 2 Abs. 1 Halbsatz 1 a. a. O. durch Zahlung von Beiträgen oder Zuschüssen oder in anderer Weise beteiligt ist; ** VGH Mannheim 27. 3. 63 — IV 927/61 — in ZBR 1964 S. 83.
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3. natürliche oder juristische Personen, die der Wahrung von Belangen einer juristischen Person oder eines Verbandes im Sinne des § 2 Abs. 1 Halbsatz 1 a. a. O. dienen. Durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 a. a. O. soll vor allem die Tätigkeit, der in Aufsichtsräten von Unternehmen entsandten Beamten erfaßt werden. Aufgaben, die für den Bund oder bundesunmittelbare Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts wahrgenommen werden, sind grundsätzlich in ein Hauptamt einzuordnen ( § 3 Satz 1 a. a. O.). Sie sollen nicht als Nebentätigkeit zugelassen werden, wenn sie mit dem Hauptamt im Zusammenhang stehen ( § 3 Satz 2 a. a. O.). Von einer näheren Regelung ist Abstand genommen worden, weil die Verhältnisse in der Praxis zu verschieden sind. Die Nebentätigkeits-VO ermöglicht keine 2weifelsfreie Abgrenzung
der Begriffe Hauptamt und Nebentätigkeit; sie setzt deren Gehalt vielmehr voraus. Der Sinngehalt des § 3 Bundesnebentätigkeits-VO erschöpft sich in der Verpflichtung der zuständigen Dienstbehörde, vor der Übertragung einer Nebentätigkeit zu prüfen, ob die in Betracht kommende Tätigkeit von dem Beamten nicht im Rahmen seines Hauptamts, notfalls durch Entlastung in diesem Amt ausgeübt werden kann. Da die Bundesnebentätigkeits-VO keine Begriffsbestimmung von Hauptamt und Nebentätigkeit gibt, ist von der im Rahmen der Organisationsgewalt der Obersten Dienstbehörde liegenden formalen Zuweisung der dienstlichen Aufgaben an den einzelnen Beamten — der Geschäftsverteilung — auszugehen. Der Begriff des Amts im funktionellen Sinne knüpft auch nur an die dienstliche Aufgabe des Beamten an. Es ist weder nach dem Sinnzusammenhang der Nebentätigkeitsbestimmungen noch begrifflich ausgeschlossen, daß einem Beamten eine im Rahmen der Gesamtaufgaben seiner Anstellungskörperschaft oder Behörde liegende Aufgabe als Nebenbeschäftigung übertragen werden kann 2 . Von einer Nebentätigkeit kann daher nicht gesprochen werden, wenn der Beamte abgeordnet oder sein Aufgabenkreis erweitert wird oder wenn er einen Beschäftigungsauftrag erhält oder wenn er nicht nur vorübergehend zur Ausübung einer anderen Tätigkeit beurlaubt wird. Die Nebentätigkeit kann ein Nebenamt oder eine Nebenbeschäftigung darstellen ( § 1 Abs. 1 a. a. O.). Nebenamt ist ein nicht zum Hauptamt gehörender Kreis von Aufgaben, der auf Grund des öffentlich-rechtlichen Dienstoder Amtsverhältnisses wahrgenommen wird. Hier handelt es sich um einen abgegrenzten Kreis hoheitsrechtlicher oder solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherheit des Staates oder des öffentlichen Lebens von einem Beamten wahrgenommen werden müssen3. So stellt ζ. B. die Tätigkeit als Mitglied eines Prüfungsausschusses für die Abnahme der Prüfung für den höheren Dienst oder die Tätigkeit als Beauftragter des Bundesdisziplinaranwalts ein Nebenamt dar. Soweit der Beamte das Nebenamt ausübt, ist er an die Weisungen des Vorgesetzten des Amtes gebunden, der die Dienststellen leitet, bei dem die Obliegenheiten des Nebenamtes wahrzunehmen sind. Handelt es sich ζ. B. um die Ausübung der Rechte und Pflichten des Beauftragten des Bundesdisziplinaranwalts durch einen Beamten der Deutschen Bundes2 BVerwG 26.1. 61 — II C 108/59 — in NJW 1961 S. 2081 = DVB1.1961 S. 377 = RiA 1961 S. 191 = ZBR 1961 S. 181 = NDBZ 1961 S. 219 = BVerwGE Bd. 12 S. 34. 3 P l o g - W i e d o w , Anm. 6 zu § 64 BBG.
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post, so hat dieser Beamte zwei verschiedene Vorgesetzte, die dem Beamten Anweisungen nur für das Amt geben können, für das er tätig werden soll. Im Disziplinarverfügungsverfahren kann der Beamte von dem Dienstvorgesetzten disziplinarisch belangt werden, in dessen Amt er sich vergangen hat. Dagegen kann das förmliche Disziplinarverfahren nur von der für das Hauptamt zuständigen Einleitungsbehörde eingeleitet werden (vgl. § 30 Abs. 2 BDO, BDO i. d. F. der Novelle). Während nach § 1 Abs. 3 a. a. O. als Nebenbeschäftigung jede sonstige, nicht zu einem Hauptamt gehörende Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes in Frage kommt, handelt es sich bei der Nebenbeschäftigung im öffentlichen Dienst i. S. des § 2 a. a. O. um die bei den dort genannten Einrichtungen verrichteten Tätigkeiten, deren Wahrnehmung keine Beamteneigenschaft erfordert4. So kommt als Nebenbeschäftigung ζ. B. die Tätigkeit als Rechtsbeistand bei einer Gesellschaft in Frage, deren Kapital sich in öffentlicher Hand befindet. B. Voraussetzungen für die Übernahme einer Nebentätigkeit Die Nebentätigkeit muß der Vorbildung oder Berufsausbildung des Beamten entsprechen. Hierbei kommt es auf die für die Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Berufsausbildung an6. So kann ζ. B. ein Postinspektor nicht die Tätigkeit als Beisitzer einer Bundesdisziplinarkammer ablehnen, weil er nur die Ausbildung für den Postbetrieb erhalten hat. Die Nebentätigkeit darf den Beamten nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Es würde einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht bedeuten, wenn der Dienstvorgesetzte einem Beamten, der bereits bei der Ausübung des Hauptamtes dienstlich überlastet ist, außerdem noch ein Nebenamt, das mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden ist, übertragen würde. Der Dienstherr darf nämlich von seinen Beamten keine Leistungen verlangen, deren Größe und Umfang eine pflichtgemäße Geschäftsführung nicht zulassen, die an normale Kraft und Arbeitsfähigkeit zu stellende Anforderungen bei weitem übersteigen und die körperliche und geistige Spannkraft des Beamten hemmen und lähmen6. Würde die Übernahme eines Nebenamtes für den Beamten nur eine vorübergehende Belastung bedeuten, so kann dieser die Übernahme des Nebenamtes oder der Nebenbeschäftigung nicht ablehnen. Das Verlangen der obersten Dienstbehörde auf Übernahme eines Nebenamtes oder einer Nebenbeschäftigung kann schriftlich oder mündlich gestellt werden, wobei es einer Ernennung nicht bedarf. Glaubt der Beamte, daß die Voraussetzungen des § 64 BBG für die Übernahme einer Nebentätigkeit nicht vorliegen, so kann er gegen die Anordnung Widerspruch und nach Ablehnung desselben Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten erheben. Solange über den Widerspruch bzw. über die Anfechtungsklage nicht endgültig entschieden ist, braucht der Beamte der Anordnung auf Übernahme der Nebentätigkeit keine Folge zu leisten, es sei denn, daß die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist. P l o g - W i e d o w , Anm. 7 zu § 64 BBG. HessVGH 30. 5. 60 — OS V 167/57 — in NDBZ 1961 S. 134 = ESVGH Bd. 11 S. 56. « R G Z Bd. 126 S. 364. 4
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Endet das Beamtenverhältnis, so enden, wenn im Einzelfalle nichts anderes bestimmt ist, auch die Nebenämter und Nebenbeschäftigungen, die dem Beamten im Zusammenhang mit seinem Hauptamt übertragen worden sind oder die er auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommen hat (§68 BBG). Die Weiterdauer dieser Nebenämter und Nebenbeschäftigungen kann nur bei Beendigung des Beamtenverhältnisses bestimmt werden. Frühere Zusagen oder Vereinbarungen sind wirkungslos. Die Beendigung tritt in allen ihren rechtlichen Wirkungen ein. Ein Beamter scheidet aus dem Aufsichtsrat oder Vorstand einer Aktiengesellschaft und aus ähnlichen Stellungen ohne weiteres aus. Der Dienstvorgesetzte hat die Beendigung des Beamtenverhältnisses und der Nebentätigkeiten den beteiligten Stellen unverzüglich mitzuteilen (DV Nr. 2 zu § 13 DBG). C. Vergütung für die Nebentätigkeit Die Vergütungen für Nebentätigkeiten sind in §§4, 6, 7 und 8 der Bundesnebentätigkeits-VO geregelt. Die Beamten haben nach Ablauf eines jeden Kalenderjahres ihrem Dienstvorgesetzten eine Abrechnung über die ihnen zugeflossenen Vergütungen im Sinne der §§6 und 8 a. a. O. vorzulegen ( § 9 Satz 1 a. a. O.). In den Fällen des § 6 Abs. 5 a. a. O. sind auch Ruhestandsbeamte und frühere Beamte hierzu verpflichtet ( § 9 Satz 2 a. a. O.). D. Haftung aus der Nebentätigkeit Der Beamte, der aus einer auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommenen Tätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in einem sonstigen Organ einer Gesellschaft, Genossenschaft oder einem in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmen haftbar gemacht wird, hat gegen den Dienstherrn Anspruch auf den Ersatz des ihm entstandenen Schadens. Ist der Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt, so ist der Dienstherr nur dann ersatzpflichtig, wenn der Beamte auf Verlangen eines Vorgesetzten gehandelt hat (§67 BBG). Gegenüber der Gesellschaft usw. und einem Dritten haftet der Beamte nach den allgemeinen Bestimmungen des BGB oder HGB als Organ der Gesellschaft, wobei sich die Ersatzpflicht nicht nach § 839 BGB oder 34 GG bestimmt. Der Beamte tritt hier nicht als Vertreter seiner Behörde in Erscheinung. ΠΙ. GENEHMIGUNG FÜR DIE ÜBERNAHME EINER SELBSTGEWÄHLTEN NEBENTÄTIGKEIT A. Allgemeines Der Beamte bedarf, soweit er nicht nach § 64 BBG zur Übernahme verpflichtet ist, nach § 65 Abs. 1 BBG der vorherigen Genehmigung 1. zur Übernahme eines Nebenamtes, einer Vormundschaft, Pflegschaft oder Testamentsvollstreckung, 654
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2. zur Übernahme einer Nebenbeschäftigung gegen Vergütung, zu einer gewerblichen Tätigkeit, zur Mitarbeit in einem Gewerbebetrieb oder zur Ausübung eines freien Berufs, 3. zum Eintritt in den Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in ein sonstiges Organ einer Gesellschaft, einer Genossenschaft oder eines in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmens sowie zur Übernahme einer Treuhänderschaft. B. Die genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten Was als Nebenamt i. S. des § 65 BBG anzusehen ist, ist bereits unter II erläutert. Auch ein unentgeltlich ausgeübtes Nebenamt bedarf der Genehmigung, weil es nicht auf den Gewinn aus dieser Tätigkeit, sondern allein auf die Verzettelung der Arbeitskraft des Beamten ankommt. Die Nebenbeschäftigung gegen Vergütung kann im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft ausgeübt werden. Die Vergütung kann in Geld oder in geldeswerten Vorteilen erbracht werden ( § 4 Satz 1 Bundesnebentätigkeits-VO). Als Entgelt ist also auch der Empfang von Speisen und Getränken anzusehen. Nach allgemeinen Gepflogenheiten hat man in Gastwirtschaften Speisen und Getränke zu bezahlen, selbst wenn man zu dem Gaststätteninhaber in einem freundschaftlichen Verhältnis steht. Wird Nachtquartier gewährt, so stellt dies für den Beamten keinen Vorteil dar, wenn er in seiner in der Nähe der Gastwirtschaft befindlichen Wohnung hätte schlafen können. Als Vergütungen gelten nach § 4 Abs. 2 a. a. O. nicht 1. der Ersatz von Fahrkosten sowie Tage- und Übernachtungsgeldern, soweit sie die nach vergleichbaren Reisekostenvorschriften für den Beamten geltenden Sätze bei Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmen, die nicht die Reisekostenvorschriften für Beamte anwenden, insgesamt 50 DM je Reisetag, nicht übersteigen, 2. der Ersatz sonstiger barer Auslagen, wenn keine Pauschalierung vorgenommen wird. Pauschalierte Aufwandsentschädigungen sind im vollem Umfange, Tageund Übernachtungsgelder insoweit, als sie die Beträge nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 a. a. O. übersteigen, als Vergütung anzusehen (§ 4 Abs. 3 a. a. O.). Die Mitarbeit in einem Gewerbebetrieb ist von dem Begriff Nebenbeschäftigung mitumfaßt. Nach § 10 DBG war eine unentgeltliche Mitarbeit in einem Gewerbebetrieb nicht genehmigungspflichtig. § 65 BBG bringt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nur insofern eine Änderung, als ein Gewerbebetrieb einer Ehefrau eines Beamten nicht mehr genehmigungspflichtig ist7. Für den Beamten jedoch ist die gewerbliche Tätigkeit, die Mitarbeit in einem Gewerbebetrieb und die Ausübung eines freien Berufes genehmigungspflichtig, selbst wenn er hierfür kein Geld oder einen geldeswerten Vorteil erhält. Dies gilt auch für die Tätigkeit des Beamten im Gewerbebetrieb seiner Ehefrau. Ganz allgemein liegt eine gewerbliche Tätigkeit vor, wenn es sich um eine auf Erwerb gerichtete entgeltliche Beschäftigung handelt und die Dienste einem unbestimmten Personenkreis angeboten wer7
BDH 17. 9. 58 — III DV 5/58 — BDHE Bd. 5 S. 29 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 492.
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den. „Mitarbeit" in einem Gewerbebetrieb setzt nicht notwendig eine nach Zeit und Umfang erhebliche Tätigkeit voraus. Es kann auch genügen, daß der Beamte einzelne, besonders wichtige Maßnahmen für den Gewerbebetrieb trifft, ζ. B. für diesen Geschäftsbriefe mit rechtsverbindlichen Erklärungen und Anträge an Behörden derart unterzeichnet, daß der Eindruck entsteht, er sei für den Betrieb vertretungsberechtigt8. Bei den Freundschaftsdiensten muß es sich um typische Augenblicksgefälligkeiten handeln, die den Begriff einer Mitarbeit nicht erfüllen. Eine Mitarbeit im Sinne des § 65 Abs. 1 Ziff. 2 BBG kann auch dann vorliegen, wenn sie auf einer freundschaftlichen Basis beruht; entscheidend ist hierbei, daß für die Mitarbeit eine Vergütung gewährt wird 9 . Ob der Beamte die Nebenbeschäftigung freiwillig oder auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung ausübt, ist für die Anwendung des § 65 Abs. 1 Nr. 2 BBG ohne Bedeutung. Die Nebenbeschäftigung kann einmalig oder fortlaufend ausgeübt werden. Ebenso setzt sie kein festes Vertragsverhältnis voraus 10 . Es genügt, wenn einmalige Vergütungen gewährt werden 11 . Schließlich braucht der Beamte nicht als Träger der Nebenbeschäftigung nach außen hin in Erscheinung zu treten. Schiebt er als Inhaber des Gewerbebetriebs eine andere Person vor, während er selbst Gewinn und Verlust des Geschäfts trägt, so sind die Voraussetzungen für § 65 Abs. 1 Nr. 2 BBG gegeben 12 . Nach § 66 Abs. 1 Nr. 2 BBG sind demnach u. a. genehmigungspflichtig die Gutachter- und Schiedsrichtertätigkeit, die Ausübung eines freien Berufs, wie die Tätigkeit eines Architekten, Ingenieurs oder Arztes, die Beratung in Steuersachen13, die Übernahme einer Hausverwaltung 14 , die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften sowie das Halten von Vorlesungen an Universitäten oder sonstigen Lehranstalten. Der Beamte bedarf der Genehmigung zum Eintritt in den Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in ein sonstiges Organ einer Gesellschaft, einer Genossenschaft oder eines in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmens sowie zur Übernahme einer Treuhänderschaft ( § 6 5 Abs. 1 Nr. 3 BBG), selbst dann, wenn eine Vergütung hierfür nicht gewährt wird. Unter die Bestimmung des § 65 Abs. 1 Nr. 3 BBG fallen nur Unternehmen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen. Die Bestimmung gilt daher nicht für Gesellschaften, Genossenschaften oder in anderer Rechtsform betriebene Unternehmen, die ihrer Natur nach nicht auf Erwerb gerichtet, sondern gemeinnützig sind, wie gemeinnützige Wohnungsvereine, sowie Vereinigungen, deren Aufgabe es ist, Belange der Staatsbürger auf kulturellem, gesundheitlichem, künstlerischem und sportlichem Gebiet zu fördern, ferner nicht für solche Treuhänder, die in Gesetzen zur Wahrnehmung von Belangen der Allgemeinheit vorgesehen sind. DiszSenat OVG Münster 19. 10. 62 — V 16/62 — in ZBR 1963 S. 319. Vgl. DokBer. Nr. 1075. 1 0 RDH 19. 6 . 1 1 bei Schulze, S. 133; vgl. BVerwG 24. 2. 61 —BVerwG II Β 18/60 —. 1 1 RDH 26.1. 27 in DRZ 1927 Rspr. Sp. 190. 1 2 Vgl. W o h l m a c h e r in DDB 1963 S. 37. 1 8 RDH 23. 6. 31 in F o e r s t e r - S i m o n s , S. 158. 1 4 RDH 23. 6. 31 in F o e r s t e r - S i m o n s , S. 158. 8 9
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C. Die nicht genehmigungspflichtigen Tätigkeiten Nicht genehmigungspflichtig sind nach § 66 Abs. 1 BBG 1. die Verwaltung eigenen oder der Nutznießung des Beamten unterliegenden Vermögens, 2. eine schriftstellerische, wissenschaftliche, künstlerische oder Vortragstätigkeit des Beamten16, 3. die mit Lehr- oder Forschungsaufgaben zusammenhängende, selbständige Gutachtertätigkeit von Beamten an wissenschaftlichen Instituten und Anstalten, 4. die Tätigkeit zur Wahrung der Berufsinteressen in Gewerkschaften oder Berufsverbänden oder in Selbsthilfeeinrichtungen der Beamten als Folgerung der im § 91 BBG garantierten Vereinigungsfreiheit, 5. die unentgeltliche Tätigkeit in Organen von Genossenschaften, wobei es sich um Verrichtungen handelt, die im öffentlichen Interesse liegen. Handelt es sich um die Verwaltung eigenen oder eines der Nutznießung des Beamten unterliegenden Vermögens, so ist nur die Tätigkeit genehmigungsfrei, die sich auf die Vermögensverwaltung bezieht. Die Betriebsführung hingegen ist nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 BBG genehmigungspflichtig ; gleiches gilt auch für die Übernahme der Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Mitglied des Aufsichtsrats und Geschäftsführer eines solchen Unternehmens. Der Beamte kann eine schriftstellerische, wissenschaftliche, künstlerische oder Vortragstätigkeit auch hinsichtlich solcher Gegenstände ausüben, die sich auf seine dienstliche Tätigkeit beziehen. Dadurch, daß der Beamte hier keiner Genehmigung bedarf, soll das kulturelle Leben gefördert und der Beamte vor einer Erstarrung in bürokratischen Denkformen bewahrt bleiben16. Der Beamte kann sich auf schriftstellerischem Gebiet fachwissenschaftlich betätigen; er kann sich aber auch der schöngeistigen Literatur hingeben. Ebenso bedarf er keiner Genehmigung, wenn er Manuskripte für Rundfunkanstalten schreibt, die dann dort gesendet werden17. Gleiches gilt auch für das Besprechen von Tonbändern und Schallplatten, die der Öffentlichkeit ζ. B. für Sprachlehrgänge zur Verfügung gestellt werden18. Nur muß der Beamte darauf bedacht sein, das Amtsgeheimnis zu wahren und sich keines Verstoßes der Achtungspflicht schuldig zu machen. So darf er ζ. B. nicht seine Dienstbehörde in einem Zeitungsartikel verächtlich machen. Ebenso darf der Beamte der Meinung seines Dienstvorgesetzten nicht in einem 1 5 W e i m a r , Zum Bereich der genehmigungsfreien wissenschaftlichen Vortragstätigkeit des Beamten in ZBR 1961 S. 70; Thiele, Wann ist eine künstlerische Tätigkeit des Beamten nicht genehmigungsbedürftig? in DöD 1959 S. 121; B e r g e r , Können bayerische Beamte angewiesen werden, private Veröffentlichungen ihrem Vorgesetzten zur Genehmigung vorzulegen? in BBZ 1956 S. 69; Thiele, Schriftstellerische Privatarbeiten des Beamten in DöD 1958 S. 186; derselbe, Sind dem Beamten bei einer schriftstellerischen Tätigkeit Grenzen gezogen? in DöD 1963 S. 230, W i l h e l m , Die literarische Meinungsfreiheit des Beamten in ZBR 1963 S. 367. " Fischbach, A II 1 zu § 11 DBG. 1 7 W e i m a r , in DöD 1963 S. 231. 1 8 BDH 24.11. 55 — II D 69/55 — BDHE Bd. 2 S. 18; PrOVG in PrVBl.1928 S.22; Behnke, Anm. 10 zu § 78 BDO S. 541; W i t t l a n d , Anm. 16 zu § 78 RDStO.
42 L i n d g e n , Disziplinarrecht 1
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Zeitungsartikel entgegentreten. Anders ist es, wenn er zu einem Rechtsproblem Stellung nimmt, das von seiner vorgesetzten Behörde anders beurteilt wird. Zu Gesetzentwürfen, bei denen er dienstlich mitgewirkt hat, kann er Kommentare schreiben, darf aber hierbei nicht das Amtsgeheimnis verletzen. Andererseits muß er bei der Veröffentlichung auf die Würde seines Berufsstandes bedacht sein, so daß eine schriftstellerische Tätigkeit in einem Skandalblatt nicht in Frage kommen dürfte. Der Beamte bedarf der Genehmigung, wenn er Tagesereignisse oder Gerichtsverhandlungen in der Presse darstellen will, weil es sich hierbei um keine schriftstellerische Tätigkeit handelt. Das gleiche gilt für die Herausgabe und den Vertrieb von Zeitschriften und Büchern. Zu? wissenschaftlichen Tätigkeit rechnet nicht nur eigene schöpferische Leistung, sondern auch die methodische Anwendung fremder Erkenntnisse auf konkrete Vorgänge. Hierzu rechnet auch Kritik an anderen Auffassungen und Lehrmeinungen. Von einer wissenschaftlichen Tätigkeit ist dann keine Rede, wenn lediglich fremde Erkenntnisse wiedergegeben werden. Bei der Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeit 19 kommt es entscheidend darauf an, daß sie der Beamte selbständig und unabhängig ausübt. So bedarf er zur Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an einer Universität oder einer sonstigen Hochschule der Genehmigung, da er hierbei weisungsgebunden ist. Bei der Ausübung der künstlerischen Tätigkeit muß der Beamte schöpferisch tätig sein, was jedoch auch dann noch der Fall sein kann, wenn der Beamte die künstlerische Tätigkeit zu Erwerbszwecken ausnutzt. Dagegen ist der gewerbsmäßige Absatz von eigenen künstlerischen Erzeugnissen, wie ζ. B. von Gemälden, genehmigungspflichtig. Bei der Vortragstätigkeit ist eine Genehmigung nur dann nicht erforderlich, wenn der Beamte lediglich einzelne Vorträge hält. Dagegen ist eine entgeltliche Lehr- und Unterrichtstätigkeit, wobei der Beamte in wiederholten Vorträgen den Hörern insbesondere zur Vorbereitung von Prüfungen einen Überblick über ein bestimmtes Wissensgebiet gibt, genehmigungspflichtig. Bei der mit Lehr- und Forschungsaufgaben zusammenhängenden Gutachtertätigkeit von Beamten an wissenschaftlichen Instituten und Anstalten muß es sich um eine selbständige Tätigkeit handeln, was dann entfällt, wenn an das Institut oder die Anstalt wegen eines Gutachtens herangetreten worden ist, und der Beamte in deren Auftrag die Gutachtertätigkeit ausübt. Bei den in § 66 BBG genannten Tätigkeiten ist es belanglos, ob der Beamte hierfür ein Entgelt erhält. Da § 66 BBG zwingendes Recht darstellt, kann der Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde die daselbst genannten Tätigkeiten nicht durch eine Einzelanweisung dennoch genehmigungspflichtig machen, wenn man etwa die Befürchtung hegt, daß der Beamte die Tätigkeit mißbräuchlich ausübt, wobei seine dienstliche Tätigkeit infolge zu starker Beanspruchung in Mitleidenschaft gezogen wird. Nach § 66 Abs. 2 BBG bleibt jedoch die dienstliche Verantwortlichkeit trotz der Genehmigungsfreiheit der in § 66 Abs. 1 BBG genannten Tätigkeiten unberührt, wobei es Pflicht des Dienstvorgesetzten ist, Mißbräu19
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W i l h e l m , Die literarische Meinungsfreiheit des Beamten in ZBR 1963 S. 368.
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chen entgegenzutreten. Aus diesem Grunde hat der Dienstvorgesetzte darauf zu achten, daß die Amtsführung des Beamten nicht durch die Ausübung der in § 66 Abs. 1 BBG genannten Tätigkeiten leidet oder das Ansehen des Beamten geschädigt wird. Um festzustellen, ob durch die Ausübung einer nicht genehmigungspflichtigen Tätigkeit die Amtsführung leidet, kann d e r D i e n s t v o r g e s e t z t e von dem B e a m t e n v e r l a n g e n , daß er A u s k u n f t ü b e r A r t u n d U m f a n g e i n e r in § 66 BBG g e n a n n t e n T ä t i g k e i t e r t e i l t , sofern die begründete Annahme besteht, daß die dienstlichen Interessen durch die Tätigkeit des Beamten leiden; stellt der Dienstvorgesetzte dies fest, so kann er dem Beamten u. U. s o g a r die g e s a m t e A u s ü b u n g der T ä t i g k e i t u n t e r s a g e n ; leistet der Beamte der Anordnung keine Folge, so macht er sich wegen Verletzung der Gehorsamspflicht disziplinarisch strafbar. Glaubt er, daß der Dienstvorgesetzte ihn in Ausübung seiner Tätigkeit zu Unrecht beeinträchtigt, so kann er gegen die einschränkenden Anordnungen Widerspruch einlegen und nach erfolglosem Widerspruch die Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Soweit es sich um die Veröffentlichungen von Bundesbeamten und Soldaten handelt, gilt für die Ausübung dieser Tätigkeit und für die Pflicht des Dienstvorgesetzten, Mißbräuchen entgegenzutreten, das Rundschreiben des Bundesministers des Innern — II A 1—21 263—606/58 — und des Bundesministers der Finanzen — 1276—7808/58 —. D. Voraussetzungen für die Genehmigung bzw. das Versagen der Genehmigung einer Nebentätigkeit Der Beamte bedarf einer Genehmigung für eine der unter § 64 BBG aufgeführten Nebentätigkeiten. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn zu besorgen ist, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen beeinträchtigen würde (§ 65 Abs. 2 Satz 1 BBG). Ergibt sich eine solche Beeinträchtigung nach Erteilung der Genehmigung, so ist diese zu widerrufen (§65 Abs. 2 Satz 2 BBG). Die Genehmigung erteilt die oberste Dienstbehörde ( § 6 5 Abs. 3 Satz 1 BBG). Sie kann diese Befugnis auf nachgeordnete Behörden übertragen (§ 65 Abs. 3 Satz 2 BBG). § 65 gilt nur für die aktiven Beamten, nicht jedoch für die Ruhestandsbeamten oder die im einstweiligen Ruhestand befindlichen Beamten. Der Beamte bedarf auch dann der Genehmigung, wenn er zwangsbeurlaubt oder des Dienstes vorläufig enthoben ist, obgleich der eigentliche Grund für die Genehmigung, nämlich die Vermeidung der Beeinträchtigung der dienstlichen Tätigkeit durch eine Verzettelung der Arbeitskraft, hier nicht vorliegt 20 . Die zuständige Stelle muß sich bei der Prüfung der Frage, ob eine Genehmigung für eine Nebentätigkeit erteilt werden soll, von dem Sinn des § 65 BBG leiten lassen. Hiernach soll vermieden werden, daß der Beamte zunächst einmal seine Arbeitskraft, die ihn befähigen soll, sich seinen eigentlichen dienstlichen Aufgaben zu widmen, verzettelt und daß er fernerhin mit der Ausübung seiner Nebentätigkeit nicht mit seinen dienstlichen Aufgaben und seiner Pflicht zur Unparteilichkeit in Widerspruch gelangt, indem er ζ. B. als Baudezernent, zu dessen Aufgabengebiet die Genehmigung 20
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Wie Fußnote 18.
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von Bauplänen gehört, selbst ein Baubüro eröffnet und hierbei Baupläne für Firmen fertigt, die mit seiner Behörde in Geschäftsverbindung stehen. Schließlich muß bei der Genehmigung darauf geachtet werden, daß die Nebentätigkeit mit der Würde und der konkreten dienstlichen Stellung des Beamten vereinbar ist; so wäre es nicht angängig, daß ein gehobener Beamter in seiner Freizeit als Musiker in einem Tanzorchester tätig ist, das in einem Lokal zweifelhaften Rufes musiziert. Der Beamte befindet sich bezüglich der Ausübung der Nebentätigkeit nicht in einer grundrechtlich vor Einschränkungen gesicherten Rechtsposition21. Wenn es das dienstliche Interesse gebietet, daß der Beamte eine Nebentätigkeit nicht ausübt, so kann er sich nicht auf Art. 2 Abs. 1 oder gar auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Zu den dienstlichen Interessen, die gegen die Ausübung einer Nebentätigkeit sprechen, sind auch die öffentlichen Interessen zu verstehen, welche durch die Verpflichtung des Beamten gegenüber dem Wohle der Allgemeinheit berührt werden. Es genügt schon eine objektive, wenn auch nicht pflichtwidrige Beeinträchtigung; sie ist allerdings nicht ohne weiteres dadurch gegeben, daß die Nebentätigkeit zu einer Minderung der Einnahmen freiberuflich tätiger Personen führt22. Abgesehen von den eben genannten Einschränkungen muß man davon ausgehen, daß der Beamte einen Rechtsanspruch auf die Genehmigung der beabsichtigten Nebentätigkeit hat und demnach dieselbe grundsätzlich zu erteilen ist23. Deshalb bestimmt § 65 Abs. 2 Satz 1 BBG, daß die Genehmigung nur versagt werden darf, wenn zu besorgen ist, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen beeinträchtigen würde. Wenn die Vorschriften der Beamtengesetze des Bundes und der Länder über die Nebenbeschäftigung dem Beamten gestatten, seine Arbeitskraft in seiner Freizeit mit Genehmigung seiner vorgesetzten Dienststelle einem anderen privaten oder öffentlichen Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen, so muß dasselbe bei Berücksichtigung desUmfangs und des Inhalts der dem Beamten obliegenden Verpflichtungen auch gegenüber dem eigenen Dienstherrn gelten, sofern es sich um eine Tätigkeit handelt, die in keinerlei tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang mit den durch das Beamtenverhältnis begründeten Pflichten steht24. Die Genehmigung für eine Nebentätigkeit ist zu versagen, wenn ein gesetzlicher Versagungsgrund vorliegt ( § 5 Abs. 2 Satz 1 BundesnebentätigkeitsVO). Dies gilt nach § 5 Abs. 2 Satz 2 a. a. O. insbesondere, wenn die Nebentätigkeit 1. mit dem Ansehen der Beamtenschaft oder dem Wohl der Allgemeinheit nicht vereinbar ist oder 2. die Arbeitskraft des Beamten so stark in Anspruch nimmt, daß die ordnungsmäßige Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten beeinflußt wird, oder 3. den Beamten in einen Widerstreit zu seinen dienstlichen Pflichten bringen kann. BVerwG 24. 2. 61 — BVerwG II Β 18.60 —. BVerwG 26.1. 61 — BVerwG II C 108.59 — BVerwGE Bd. 12 S. 34 = RiA 1961 S. 191; vgl. auch BArbG in NJW 1961 S. 2177 = RiA 1961 S. 364. 23 OVG Bremen 9. 7. 63 — I A 1/63, b BA 22/63 — in DVB1.1963 S. 350. 24 BArbG 21. 8. 61 — 5 AZR 263/59 — in JZ 1962 S. 316. 21
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Genehmigung für die Übernahme einer selbstgewählten Nebentätigkeit
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Da man von der grundsätzlichen Berechtigung des Beamten, sich außerhalb seiner eigentlichen dienstlichen Aufgaben anderweitig zu betätigen, ausgehen kann, darf die Genehmigung nicht wegen Besorgnis der Beeinträchtigung der dienstlichen Leistungen versagt werden, wenn eine ihrer Art und ihrem Umfange nach beschränkbare genehmigungspflichtige Nebentätigkeit mit der ordnungsmäßigen Erledigung der Dienstaufgaben eines Beamten wenigstens in beschränktem Umfange vereinbar ist26. Eine Versagung der Genehmigung kommt in Frage, wenn die Vergütung, die für die Nebentätigkeit gewährt werden soll, der Höhe nach zu beanstanden ist oder wenn der Beamte durch die Tätigkeit in einen den Handel, das Gewerbe, den Arbeitsmarkt oder die freien Berufe nachteilig beeinflussenden Wettbewerb mit anderen geeigneten Personen treten würde28. Ein Vertrauensarzt hat keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung zur Ausübung von Nebentätigkeiten in der Diensträumen und während der Dienstzeit. Eine dahingehende Verwaltungsübung schränkt zwar den Ermessensspielraum der Behörde ein, hindert sie aber nicht, ihr Verwaltungshandeln über den Einzelfall hinaus auf Grund von inzwischen gesammelten Erfahrungen oder aus anderen sachlichen Erwägungen auf eine neue Grundlage zu stellen27. E. Erteilung der Genehmigung Im allgemeinen wird die Genehmigung einer genehmigungspflichtigen Nebentätigkeit ausdrücklich erteilt. Sie kann aber auch stillschweigend erteilt werden. Letzteres gilt vor allem dann, wenn der Beamte die Nebenbeschäftigung als Mitglied des Vorstands, Aufsichtsrats usw. auf Veranlassung oder Vorschlag seiner obersten Dienstbehörde oder der nachgeordneten Behörde übernimmt. Fernerhin gilt die Genehmigung zur Übernahme einer oder mehrerer Nebenbeschäftigungen gegen Vergütung allgemein als erteilt, wenn die Nebenbeschäftigungen insgesamt g e r i n g e n Umfang haben, außerhalb der Dienstzeit ausgeübt werden und kein gesetzlicher Versagungsgrund vorliegt ( § 5 Abs. 1 Satz 1 Nebentätigkeits-VO). Der Umfang einer oder mehrerer Nebenbeschäftigungen ist als gering anzusehen, wenn die V e r g ü t u n g h i e r f ü r insgesamt 100 Deutsche Mark nicht übersteigt (§5 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.). In diesen Fällen ist die Nebenbeschäftigung dem Dienstherrn anzuzeigen, es sei denn, daß es sich um eine einmalige gelegentliche Nebenbeschäftigung handelt ( § 5 Abs. 1 Satz 3 a. a. O.). Die Genehmigung ist vor Aufnahme der Nebentätigkeit zu erteilen. Die nachträgliche Genehmigung macht den Verstoß gegen die Pflicht zur vorherigen Einholung nicht hinfällig28. Die Vorschrift des § 65 BBG will erreichen, daß die Behörde schon vor der Aufnahme einer Nebentätigkeit durch einen Beamten Kenntnis erhält, damit sie prüfen kann, ob sich die Ausübung der Nebentätigkeit mit dem Amt vereinbaren läßt. 25 BayrVGH 13. 7. 62 — Nr. 1 III 62 — in ZBR 1962 S. 326 = BBZ 1962 S. 195 = RiA 1962 S. 347. 26 P l o g - W i e d o w , Anm. 11 zu § 65 BBG. 2 ' OVG Münster 21. 7. 60 — V i l i A 811/57 — in DöV 1961 S. 193 = VRspr. Bd. 13 S. 424. 2 8 DokBer. Nr. 1811.
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Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit
Die Genehmigung kann nicht befristet oder bedingt erteilt werden 29 . Dagegen kann sie teilweise erteilt werden. Beantragt der Beamte ζ. B. die Genehmigung für die Übernahme mehrerer Testamentsvollstreckungen, so kann ihm die Genehmigung für einen Teil derselben versagt werden, wenn die für die Genehmigung zuständige Stelle der Ansicht ist, daß bei der Wahrnehmung sämtlicher beantragter Testamentsvollstreckungen der Beamte seinen dienstlichen Obliegenheiten nicht mehr im vollen Umfange nachkommen kann. Die Genehmigung wird im allgemeinen schriftlich erteilt. Es genügt auch eine mündliche Genehmigung. Wird die Genehmigung versagt, so muß dies schriftlich erfolgen, wobei die Ablehnung zweckmäßigerweise zu begründen ist. Die Schriftform ist schon deshalb erforderlich, weil es sich bei der Ablehnung um einen justiziablen Verwaltungsakt handelt, der mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen ist. Im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtung muß der Beamte aus der Ablehnung die Ansatzpunkte für eine Begründung seiner Klage erkennen. Die Genehmigung erteilt die oberste Dienstbehörde (§65 Abs. 3 Satz 1 BBG). Sie kann die Befugnis auf nachgeordnete Behörden übertragen (§65 Abs. 3 Satz 2 BBG). Ist der Beamte abgeordnet, so ist für die Erteilung die oberste Dienstbehörde bzw. die delegierte Dienstbehörde zuständig, in deren Bereich der Beamte abgeordnet ist, die jedoch wiederum die Zustimmung der abordnenden Dienststelle einholt. Tritt der Beamte zu seiner Heimatdienststelle zurück, so muß er eine erneute Genehmigung bei dieser Dienststelle einholen, weil sich die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung durch das neue Tätigkeitsfeld geändert haben können. F. Widerruf der Genehmigung Die Genehmigung kann widerrufen werden. Sie ist zu widerrufen, wenn sich eine Beeinträchtigung der dienstlichen Leistungen, der Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Beamten ergibt (vgl. § 65 Abs. 2 Satz 2 BBG). Eine als genehmigt geltende Nebenbeschäftigung ist zu untersagen, wenn sich infolge ihrer Ausübung eine Beeinträchtigung der dienstlichen Leistungen, der Unparteilichkeit oder der Unbefangenheit des Beamten oder anderer dienstlichen Interessen ergibt ( § 5 Abs. 3 Bundesnebentätigkeits-VO). Eine Gefahr der Beeinträchtigung reicht nicht aus. Die Beeinträchtigung braucht nicht erst nach der Erteilung der Genehmigung entstanden zu sein. Es reicht aus, wenn der für die Genehmigung zuständigen Stelle die durch die Nebenbeschäftigung herbeigeführte Beeinträchtigung dienstlicher Belange zur Zeit der Erteilung der Genehmigung nicht bekannt war. Wird eine Genehmigung widerrufen oder eine als genehmigt geltende Nebenbeschäftigung untersagt, so soll dem Beamten eine angemessene Frist zur Abwicklung der Nebentätigkeit eingeräumt werden, soweit die dienstlichen Interessen dies gestatten ( § 5 Abs. 4 Bundesnebentätigkeits-VO). G. Widerspruch und Klage bei Versagung und Widerruf der Genehmigung Versagung und Widerruf einer Genehmigung für eine Nebenbeschäftigung stellen justiziable Verwaltungsakte dar. Ob die dienstlichen Interessen 29
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Anders nach § 10 Abs. 3 DBG.
Disziplinarrechtliche Folgen der Weigerung zur Übernahme einer Nebentätigkeit § 5 4
durch die beabsichtigte Nebentätigkeit im Sinne des § 65 Abs. 2 BBG beeinträchtigt werden können, hat die Behörde nicht nach ihrem Ermessen oder im Rahmen eines nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraums zu entscheiden; hierbei handelt es sich vielmehr um eine vom Verwaltungsgericht voll nachprüfbare Tatbestandsvoraussetzung30. Gegen die Versagung und den Widerruf der Genehmigung kann der Beamte Widerspruch und nach dessen Zurückweisung bzw. Nichtbescheidung Klage vor den Verwaltungsgerichten erheben. Hat er Widerspruch eingelegt bzw. Klage vor den Verwaltungsgerichten erhoben, so kann er, solange die sofortigen Vollziehungen nach § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO nicht angeordnet ist, die früher genehmigte und nunmehr widerrufene Nebentätigkeit bis zur Unanfechtbarkeit des Widerspruchsbescheids bzw. der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils fortsetzen31. Ist die Erteilung der Genehmigung hingegen versagt worden, so berechtigen Widerspruch und Erhebung der Anfechtungsklage noch nicht dazu, die beantragte Nebentätigkeit aufzunehmen; hier müßte der Beamte eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO beantragen. Im Falle einer Klageerhebung vor den Verwaltungsgerichten ist die Dienstbehörde dafür beweispfiichtig, daß Voraussetzungen für eine Versagung oder einen Widerruf der erteilten Genehmigung vorliegen. Da die Versagung und der Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit in das pflichtgemäße Ermessen der Dienstbehörde gestellt sind, kommt eine Aufhebung der behördlichen Maßnahme nur dann in Betracht, wenn ein Ermessensmißbrauch vorliegt. Hierfür trägt wiederum der Beamte die Beweislast. IV. DISZIPLINARRECHTLICHE FOLGEN DER WEIGERUNG ZUR ÜBERNAHME EINER NEBENTÄTIGKEIT UND DER AUSÜBUNG EINER NICHT GENEHMIGTEN NEBENTÄTIGKEIT Lehnt der Beamte eine ihm übertragene Nebentätigkeit ab, obgleich die Voraussetzungen des § 64 BBG vorliegen, so macht er sich wegen Verletzung der Gehorsamspflicht disziplinarisch strafbar. Das Strafmaß richtet sich nach dem Grade des Verschuldens, der Bedeutung des übertragenen Amtes und den Schaden, der durch die Ablehnung der übertragenen Tätigkeit entstanden ist. Der Beamte, der eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ohne Genehmigung der zuständigen Stelle ausübt, begeht gleichfalls ein Dienstvergehen. Ihm steht keine Befugnis zur Nachprüfung der Ablehnung eines Antrages auf Genehmigung einer Nebenbeschäftigung zu 32 . Er kann wohl die Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung einer Nebenbeschäftigung anfechten. Tut er dies nicht, so kann er nicht eigenmächtig ohne jeden Rechtsgrund die Entscheidung der vorgesetzten Dienstbehörde außer acht lassen. OVG Bremen 9. 7. 63 — I A 1/63, b BA 22/63 — in DVB1. 1963 S. 350. Zur Aussetzung der Vollziehung des Widerrufs der Erlaubnis einer Nebentätigkeit siehe BVerwG 26. 3. 62 — II C 175/61 — VRspr. Bd. 14 S. 887. 32 DokBer. Nr. 1691. 30
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Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit
Bei der Auswahl des Strafmaßes kommt es darauf an, inwieweit der Beamte durch die Ausübung der Nebentätigkeit in seinen dienstlichen Leistungen beeinträchtigt worden ist und inwieweit sich die Nebenbeschäftigung ungünstig auf seine Unparteilichkeit und Unbefangenheit ausgewirkt hat. Für eine Bestrafung ist die Einlassung des Beschuldigten unbeachtlich, daß er sich über die Verpflichtung zur Einholung einer Genehmigung zur Nebenbeschäftigung geirrt hat. Der Beamte kann nämlich nur dann nicht bestraft werden, wenn er sich in einem unverschuldeten Irrtum befindet. Er hat jedoch die Pflicht, sich die Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen, zu denen u. a. die Vorschriften über die Genehmigung einer Nebentätigkeit gehören, zu verschaffen. Wenn er dies unterläßt, liegt ein fahrlässiges Dienstvergehen vor. Sollten die Dienstvorschriften keine klare Auskunft geben, ob eine Genehmigung für die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung einzuholen ist, muß der Beamte den Rat seines Dienstvorgesetzten einholen 33 . Die Strafbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beamte die Nebentätigkeit im Urlaub ausübt, wenn ζ. B. ein Kraftfahrer eines Linienbusses der Deutschen Bundespost während seines Urlaubs Omnibusse für ein Reisebüro steuert34. Der Urlaub eines Beamten dient nämlich dazu, daß der Beamte sich von den Strapazen des Dienstes erholt; hiervon kann jedoch keine Rede sein, wenn er die gleiche Tätigkeit, die er während seiner Dienstzeit ausgeführt hat, im Urlaub für einen Privatunternehmer ausübt. Verkauft ein Beamter während der Dienststunden in den Diensträumen Eßwaren, so kann er sich nicht damit entschuldigen, daß er die Tätigkeit während seiner Dienstzeit im Interesse seiner Arbeitskameraden ausgeübt hat und infolge des Verkaufs in den Arbeitspausen keine Beeinträchtigung seiner dienstlichen Tätigkeit entstanden ist. Wird jedoch der Verkauf der Waren in den Diensträumen vom Dienstvorgesetzten geduldet, so liegt hierin eine stillschweigende Genehmigung, so der Beamte nicht wegen Ausübung eines verbotenen Nebengewerbes bestraft werden kann 38 . Im allgemeinen wird es genügen, daß in einem geringfügigen Falle der Dienstvorgesetzte den Beamten im Disziplinarverfügungsverfahren bestraft. Das wäre ζ. B. der Fall, wenn ein Beamter des einfachen Dienstes in seiner Freizeit gelegentlich in einer Gaststätte Aushilfe leistet3®. Hat der Beamte infolge der Ausübung einer nichtgenehmigten Nebentätigkeit wiederholt seinen Dienst versäumt, so ist in einem solchen Falle die Bestrafung im förmlichen Disziplinarverfahren geboten37. Bei jahrelang fortgesetzter Nebentätigkeit kann sogar auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden 38 . Vgl. DokBer. Nr. 757. DokBer. Nr. 757. 86 DokBer. Nr. 1019. 88 DokBer. Nr. 1075. 8 7 DokBer. Nr. 1280. 8 8 RDH 19.2.35 bei F o e r s t e r , 1936 S. 42; RDH 5. 3. 34 bei F o e r s t e r , 1935 S. 103 (Hier hatte der Beamte sich ohne Genehmigung seiner vorgesetzten Dienststelle als Teilhaber einer Firma, die für seine Behörde Leistungen und Lieferungen ausgeführt hatte, im eigenen geldlichen Interesse betätigt, später die Genehmigung zur Nebenbeschäftigung erschlichen, nach Zurückziehung der Genehmigung die Teilhaberschaft aufrechterhalten und zuletzt sogar die alleinige Inhaberschaft der Firma erworben. Ferner hatte er dieser Firma auffallend viel Aufträge zugeschoben, Dienstgeschäfte mit eigenen Geschäften verquickt, in dienstlichen Vergebungsangelegenheiten privaten Schriftwechsel mit Lieferfirmen geführt und sich von ihnen Sachen für private Zwecke beschaffen lassen). 88 84
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Strafschärfend ist zu berücksichtigen, wenn der Beschuldigte wegen der Ausübung einer nichtgenehmigten Nebentätigkeit bereits einschlägig bestraft ist und trotzdem an dieser Beschäftigung festhält, oder wenn die Nebentätigkeit in einem solchen Umfange ausgeübt wird, daß sie zu außergewöhnlichen Einnahmen führt, oder wenn durch die Nebenbeschäftigung eine Überbeanspruchung des Beamten eintritt, die zu einer Leistungsminderung im Dienst führen muß39. Ebenso ist es nicht leicht zu nehmen, wenn der Beamte einer Nebenbeschäftigung zu einer Zeit nachgeht, in der er wegen Dienstunfähigkeit krank geschrieben ist, weil er hierbei auch die Pflicht verletzt hat, alles ihm Zumutbare zu tun, um eine rasche Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit herbeizuführen 40 . Für das Strafmaß ist es auch entscheidend, ob die Ausübung der Nebentätigkeit mit der Würde und dem Ansehen des Beamten vereinbar ist. Verbreitet ζ. B. ein gehobener Beamter unzüchtige Schriften, um sich so einen Nebenerwerb zu verschaffen, so ist die Verhängung der Höchststrafe gerechtfertigt 41 . Wenn auch der Beamte zum Betrieb eines Gewerbes seiner Ehefrau nicht mehr der Genehmigung bedarf42, so kann die Dienstbehörde ihm u. U. dennoch aufgeben, die gewerbliche und berufliche Tätigkeit der Ehefrau seiner vorgesetzten Dienststelle zu melden. Ergibt die Meldung, daß die Ehefrau einer unehrenhaften Tätigkeit nachgeht, so ist der Dienstvorgesetzte berechtigt, dem Beamten aufzugeben, daß dieser seine Ehefrau zur Aufgabe des unehrenhaften Gewerbes veranlaßt 43 . Kommt der Beamte der Aufforderung seines Dienstvorgesetzten nicht nach, so muß er u. U. sogar mit der Entfernung aus dem Dienst rechnen44. V. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Die beamtenrechtlichen Vorschriften der Länder, die sich mit der Nebentätigkeit der Beamten befassen, entsprechen durchweg den § § 64 ff. BBG und der Bundesnebentätigkeits-VO. Ζ. T. sind vereinzelte Vorschriften der Nebentätigkeits-VO in die jeweiligen Landesbeamtengesetze selbst aufgenommen worden. 1. B a d e n - W ü r t t e m b e r g § 76 LBG BW entspricht dem § 64 BBG. § 77 LBG BW entspricht dem § 65 BBG. § 78 LBG BW entspricht dem § 66 BBG insoweit, als Abs. 2 Nr. 2 ff. LBG BW mit dem Abs. 2 Nr. 1 ff. BBG gleichlautend ist, während nach Abs.l Nr. 1 LBG BW als nichtgenehmigungspflichtig auch die ehrenamtliche Tätigkeit in der Vertreterkörperschaft und in den Ausschüssen einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts bezeichnet wird. Vgl. DokBer. Nr. 1654. DokBer. Nr. 1762 und Nr. 1812. 4 1 DokBer. Nr. 641. 42 Nach § 10 Nr. 4 DBG war die Genehmigung hierzu erforderlich. 43 PrOVG Bd. 58 S. 444; H e l f r i t z in JW 1925 S. 2825. 44 DHVWG 1. 12. 50 — I VL 112/50 — in APF 1951 S. 301; PrOVG Bd. 58 S. 446; PrOVG in DJZ 1922 S. 454; BayrVGH 4. 6. 24 in JW 1925 S. 2825. 39
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Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit
§ 79 LBG BW entspricht dem § 67 BBG. § 80 LBG BW entspricht dem § 68 BBG. § 81 LBG BW entspricht unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG. 3. Bayern Art. 73 Art. 74 Art. 75 Art. 76 Art. 77 Art. 78
BG Bayr. entspricht dem § 64 BBG. BG Bayr. entspricht dem § 65 BBG. BG Bayr. entspricht dem § 66 BBG. BG Bayr. entspricht dem § 67 BBG. BG Bayr. entspricht dem § 68 BBG. BG Bayr. ist unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG ähnlich.
3. Berlin § 28 LBG Bln. entspricht dem § 64 Satz 1 BBG, während eine dem § 64 Satz 2 BBG entsprechende Bestimmung im LBG fehlt. § 29 LBG Bln. entspricht dem § 65 BBG. § 30 LBG Bln. entspricht dem § 66 BBG. § 31 LBG Bln. entspricht dem § 67 BBG. § 32 LBG Bln. entspricht dem § 68 BBG. § 33 LBG Bln. entspricht unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsgewalt Berlins dem § 69 BBG. 4. Bremen § 63 BG § 64 BG § 65 BG § 66 BG § 67 BG § 68 BG
Brm. entspricht dem § 64 BBG. Brm. entspricht dem § 65 BBG. Brm. entspricht dem § 66 BBG. Brm. entspricht dem § 67 BBG. Brm. entspricht dem § 68 BBG. Brm. entspricht unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG.
5. Hamburg § 66 BG Hmb. entspricht dem § 64 Satz 1 BBG, während eine dem § 64 Satz 2 BBG entsprechende Bestimmung im BG Hmb. fehlt. § 67 BG Hmb. entspricht dem § 65 Abs. 1 und 2 BBG, während eine dem § 65 Abs. 3 BBG entsprechende Bestimmung im BG Hmb. fehlt. § 68 BG Hmb. entspricht dem § 66 BBG. § 69 BG Hmb. entspricht dem § 67 BBG. § 70 BG Hmb. entspricht dem § 68 BBG. § 71 Nr. 1—2 BG Hmb. entspricht unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 Nr. 1 und 2 BBG. Nach § 71 Nr. 3 BG Hmb. kann durch Rechtsverordnung bestimmt werden, ob und wann ein Beamter bei der Ausübung einer Nebentätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes Einrichtungen oder Material seines Dienstherrn oder die Arbeitskraft anderer Angehöriger des 666
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öffentlichen Dienstes in Anspruch nehmen kann und in welcher Höhe hierfür ein Entgelt zu entrichten ist. Nach § 71 Nr. 4 LBG kann schließlich bestimmt werden, ob und inwieweit der Beamte verpflichtet ist, die Übernahme von Nebentätigkeiten, die nach § 68 Abs. 1 LBG nicht genehmigungspflichtig sind, anzuzeigen. 6 Hessen § 78 Satz 1 und 2 HBG entspricht dem § 64 Satz 1 und 2 BBG. Eine dem § 64 Satz 3 BBG entsprechende Bestimmung fehlt im HBG. Nach § 78 Satz 3 HBG dürfen nicht Gegenstand einer Nebentätigkeit solche Tätigkeiten sein, die auch im Rahmen eines Hauptamtes ausgeübt werden können. § 78 Abs. 2 HBG bestimmt, daß grundsätzlich für eine Nebentätigkeit keine Vergütung gewährt werden darf ; Ausnahmen sind in Nr. 1 bis 7 aufgeführt, wozu u. a. die Lehrtätigkeit, die Fertigung von Gutachten und die Teilnahme an Prüfungen gehören. § 78 Abs. 3 HBG legt fest, was als öffentlicher Dienst zu bezeichnen ist. § 79 HBG ähnelt dem § 65 BBG. Nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 bedarf der Beamte u. a. der Genehmigung zur Übernahme einer Nebenbeschäftigung gegen Vergütung, insbesondere einer Tätigkeit als Schiedsrichter oder Preisrichter und zur Erstattung von Gutachten. § 80 HBG ähnelt dem § 66 BBG. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 LBG ist nicht genehmigungspflichtig die ehrenamtliche Tätigkeit in der Vertreterkörperschaft und in einem sonstigen obersten Organ, deren Ausschüssen sowie den Kommissionen (Deputationen) einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. § 80 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 HBG entspricht im übrigen § 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BBG. § 81 Abs. 1 HBG legt fest, inwieweit Einrichtungen und Material des Dienstes und die Arbeitskraft anderer Bediensteter für die Ausübung der Nebentätigkeit in Anspruch genommen werden können. Nach § 81 Abs. 2 LBG wird durch Rechtsverordnung bestimmt, ob und inwieweit ein Beamter eine Vergütung abzuführen hat, die er für eine auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommene Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes oder für eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst ( § 8 1 HBG) erhalten hat. § 82 HBG entspricht dem § 67 LBG. § 83 HBG entspricht dem § 68 LBG. § 69 BBG entfällt im LBG, da die Nebentätigkeit der Beamten im Gesetz selbst abschließend geregelt ist. 7. N i e d e r s a c h s e n § 72 NBG ähnelt dem § 64 BBG, wobei die in § 64 Satz 1 BBG enthaltenen Worte „und nicht über Gebühr in Anspruch nimmt" fehlen. Ebenso fehlt § 64 Satz 2 BBG. Dafür ist in § 72 Satz 2 NBG zusätzlich aufgenommen, daß das in Satz 1 Gesagte auch für eine Nebentätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder ein sonstiges Organ einer Gesellschaft usw. gilt, sofern das Kapitel sich nur teilweise in öffentlicher Hand befindet. 667
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Verstöße gegen die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit
§ 73 NBG entspricht weitgehend dem § 65 BBG. Nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 NBG ist auch die Übernahme eines Nebenamtes genehmigungspflichtig. § 73 Abs. 1 Nr. 3ff. NBG entspricht dem § 65 Abs. 1 Nr. 2 ff. BBG. § 74 NBG entspricht dem § 66 BBG mit der Maßgabe, daß nach § 74 Abs. 1 Nr. 1 NBG nicht genehmigungspflichtig auch die ehrenamtliche Tätigkeit in der Vertreterkörperschaft und den Ausschüssen einer Gebietskörperschaft ist. § 74 Abs. 1 Nr. 2ff. NBG entspricht dem § 66 Abs. 1 Nr. Iff. BBG. § 75 NBG regelt die Annahme von Vergütungen auf Grund einer ausgeübten Nebentätigkeit. § 76 NBG entspricht dem § 67 BBG. § 77 NBG entspricht dem § 68 BBG. § 69 BBG fehlt im NBG. 8. N o r d r h e i n - W e s t f a l e n § 66 BG NW entspricht § 64 BBG. § 67 BG NW entspricht dem § 65 BBG mit der Maßgabe, daß auch die Übernahme eines Nebenamtes genehmigungspflichtig ist. § 69 BG NW entspricht dem § 66 Abs. 1 BBG. § 70 Abs. 1 BG NW bestimmt, daß die dienstliche Verantwortlichkeit des Beamten bei Ausübung des Nebenamtes unberührt bleibt, daß bei Ausübung einer Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen nicht berührt werden dürfen und es Pflicht des Dienstvorgesetzten ist, einzuschreiten, wenn die Nebentätigkeit die dienstlichen Interessen beeinträchtigt. Nach § 70 Abs. 2 BG NW ist der Beamte auf Verlangen des Dienstvorgesetzten verpflichtet, über Art und Umfang der von ihm ausgeführten Nebentätigkeit und die Höhe der dafür empfangenen Vergütung Auskunft zu geben. § 71 BG NW stellt die Verpflichtung zur Aufstellung über die Einnahmen aus der Nebentätigkeit am Ende des Rechnungsjahres auf. § 72 BG NW legt fest, daß bei Ausübung eines Nebenamtes Einrichtungen, Personal oder Material des Dienstherrn nur mit Genehmigung in Anspruch genommen werden dürfen und daß der Beamte hierfür ein angemessenes Entgelt zu entrichten hat, das auch nach einem Hundertsatz der für die Nebeneinnahmen bezogenen Vergütung bemessen werden kann. § 73 BG NW entspricht dem § 67 BBG. § 74 BG NW entspricht dem § 68 BBG. § 75 BG NW entspricht abgesehen von der Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG mit der Maßgabe, daß nach § 76 Nr. 3 durch Rechtsverordnung bestimmt werden kann, unter welchen Voraussetzungen der Beamte zur Ausübung von Nebentätigkeiten Einrichtungen, Personal und Material des Dienstherrn in Anspruch nehmen darf und in welcher Höhe hierfür ein Entgelt an den Dienstherrn zu entrichten ist. 9. R h e i n l a n d - P f a l z § 72 LBG Rh.-Pf. entspricht dem § 64 BBG. 668
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§ 73 L B G Rh.-Pf. entspricht dem § 65 BBG. § 74 LBG Rh.-Pf. entspricht dem § 66 BBG. Nach § 74 Nr. 1 L B G Rh.-Pf. ist nicht genehmigungspflichtig die Ausübung öffentlicher Ehrenämter durch den Beamten; § 74 Nr. 2 ff. L B G Rh.-Pf. entspricht dem § 66 Nr. Iff. BBG. § 75 L B G Rh.-Pf. entspricht dem § 67 BBG. § 76 L B G Rh.-Pf. entspricht dem § 68 BBG. § 77 L B G Rh.-Pf. ähnelt abgesehen von der Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG. Nach § 77 Nr. 3 L B G kann durch Rechtsverordnung bestimmt werden, ob und in welcher Höhe der Beamte ein Entgelt für die vom Dienstherrn gestattete Inanspruchnahme von Einrichtungen, Personal und Material beim Ausüben einer Nebentätigkeit an den Dienstherrn zu entrichten hat; hierbei kann bestimmt werden, daß das Entgelt auch nach einem Hundertsatz der aus der Nebentätigkeit gezogenen Vergütung bemessen werden kann. Nach § 77 Nr. 4 L B G Rh.-Pf. kann schließlich durch Rechtsverordnung bestimmt werden, in welchen Fällen der Beamte Auskunft über seine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit zu erteilen und Vergütungen hierfür anzuzeigen hat. 10. Saarland § 77 Satz 1 B G Saar entspricht dem § 64 Satz 1 BBG. § 64 Satz 2 B B G fehlt im B G Saar. Dafür bestimmt § 77 Satz 2 B G Saar, daß das in Satz 1 Gesagte für eine Nebentätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in einem anderen Organ einer Gesellschaft, einer Genossenschaft oder eines Unternehmens anderer Rechtsform gilt, wenn sich das Kapital teilweise in öffentlicher Hand befindet. § 78 B G Saar entspricht dem § 65 BBG. § 79 B G Saar entspricht dem § 66 B B G mit der Maßgabe, daß nach § 79 Nr. 6 B G Saar nicht genehmigungspflichtig auch die Übernahme eines Amtes eines ehrenamtlichen Amtsvorstehers, Bürgermeisters oder Beigeordneten sowie die Wahrnehmung eines Mandats in den Vertreterkörperschaften ist. § 80 B G Saar entspricht dem § 67 BBG. § 81 Abs. 1 B G Saar entspricht dem § 68 BBG. Nach § 81 Abs. 2 B G Saar gelten mit dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 15 Abs. 4 B G Saar oder § 73 B G Saar oder nach den Vorschriften der Disziplinarordnung die Nebentätigkeiten im Sinne des § 81 Abs. 1 B G Saar sowie die Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst als beendet. § 82 B G Saar entspricht unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 69 BBG. 11. S c h l e s w i g - H o l s t e i n § 80 Nr. 1 B G Schl.-Hol. entspricht dem § 64 Satz 1 BBG. Nach § 80 Nr. 2 B G Schl.-Hol. ist der Beamte auch verpflichtet, eine Tätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in einem sonstigen Organ einer Gesellschaft, Genossenschaft oder eines in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmens zu übernehmen oder fortzuführen.
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Verstöße gegen die Gehorsamspflicht
§ 81 BG Schl.-Hol. entspricht § 65 BBG. § 82 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 66 BBG mit dem Zusatz, daß nach § 82 Nr. 1 BG Schl.-Hol. nicht genehmigungspflichtig auch die ehrenamtliche Tätigkeit in der Vertreterkörperschaft und den Ausschüssen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. § 83 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 67 BBG. § 84 BG Schl.-Hol. entspricht dem § 68 BBG. § 85 BG Schl.-Hol. ist auf Grund des 2. Gesetzes zur Änderung des BG Schl.-Hol. vom 9. 7. 62 (GVB1. S. 287) hinsichtlich der Ermächtigung der Landesregierung zum Erlaß einer Rechtsverordnung über die Nebentätigkeit der Beamten unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Gesetzgebungsgewalt dem § 68 BBG angeglichen worden.
§ 55. Verstöße gegen die Gehorsamspflicht I. ALLGEMEINES 1 Eine der vornehmsten Pflichten des Beamten ist die Pflicht zum Gehorsam. Im weitesten Sinne ergibt sich die Gehorsamspflicht aus der Staatsautorität, wonach sich der Staat gegenüber der Umwelt, insbesondere gegenüber den eigenen Staatsuntertanen Geltung und Ansehen verschaffen muß. Aus der Staatsautorität ergibt sich die Beamtenautorität, wonach sich der Staat insbesondere gegenüber den Trägern der Staatsgewalt Achtung verschaffen muß, wenn er nicht seiner Schlagkraft beraubt werden soll. Will sich der Staat im Gefahrenfalle nicht in eine Anarchie auflösen, so muß er sich auf ein allzeit gehorsames Beamtentum verlassen können. Deshalb bestimmt § 55 BBG, daß der B e a m t e seine V o r g e s e t z t e n n i c h t n u r zu b e r a t e n u n d z u u n t e r s t ü t z e n hat, s o n d e r n daß er a u c h v e r p f l i c h t e t i s t , d i e v o n i h n e n e r l a s s e n e n A n o r d n u n g e n a u s z u f ü h r e n und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen, sofern es sich nicht um Fälle handelt, in denen er nach besonderer gesetzlicher Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen ist. Die Länderregelung ist mit § 55 BBG gleichlautend, so § 68 LBG BW, Art. 64 Abs. 2 BG Bayr., § 22 LBG Bln., § 56 BG Brm., § 58 BG Hamb., § 70 HBG, § 63 NBG, § 58 BG NW, § 65 LBG Rh.-Pf., § 69 BG Saar und § 67 BG Schl.-Hol. Die Beamtenautorität ist nur dann gewährleistet, wenn der einzelne Beamte als Dienstvorgesetzte oder Vorgesetzte Personen hat, die ethisch fundiert sind, Personen, die sich nicht auf die Amtsmacht in ihrem Verwaltungsbereich, sondern auf Persönlichkeitswerte stützen, die ihre Grundlage in den unabänderlich geltenden Sittengesetzen haben. Der Beamte wird nur einen Dienstvorgesetzten respektieren können, vor dem er auch Achtung hat. Dies, setzt vor allem voraus, daß D i e n s t v o r g e s e t z t e r u n d V o r g e s e t z t e r das R e c h t in j e d e r H i n s i c h t zu a c h t e n w i s s e n u n d sich bei i h r e n E n t s c h l i e ß u n g e n n i c h t v o n V o r u r t e i l e n o d e r p o l i t i s c h e n oder sons t i g e n E r w ä g u n g e n l e i t e n l a s s e n , die einer Ermessenswillkür Tür und 1 Bank, Uber Pflichtenkollisionen im Beamtenverhältnis in NDBZ 1962 S.45; B a n k , Beamtenautorität und Beamtengehorsam in ZBR 1963 S. 161; W a x , Die Gehorsamspflicht der bayerischen Beamten, München 1961; S c h e r e r , Gehorsam und Verantwortung im. Bundesbeamtenrecht in NDBZ 1957 S. 25.
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Allgemeines
§55
Tor öffnen. Der Dienstvorgesetzte muß den geistig moralischen Werten den Vorrang vor jedem äußeren Glanz, der sich lediglich in der Repräsentation widerspiegelt, einräumen2. Da der Beamte durch seinen Eintritt in den öffentlichen Dienst sich einem besonderen Gewaltverhältnis unterwirft, legt er sich auch hinsichtlich seiner Pflicht zum Gehorsam besondere Bindungen auf. Gegenüber sonstigen Staatsbürgern ist er bei der Ausübung seiner Rechte gewissen Einschränkungen unterworfen. Diese Beschränkungen wirken sich sogar auf die im Grundgesetz verankerten Grundrechte aus und ergeben sich aus den Funktionen des öffentlichen Dienstes. Der Staat darf seiner Schlagkraft nicht durch ungehorsame und aufsässige Elemente in der Beamtenschaft beraubt werden. Den Verpflichtungen der Staatsbürger stehen Rechte gegenüber, auf deren schnellste Durchsetzung der Staat bedacht sein muß. So g e h ö r t die G e h o r s a m s p f l i c h t der Beamten zu den h e r g e b r a c h t e n G r u n d s ä t z e n des Bea m t e n t u m s im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Der Beamte unterwirft sich mit seinem Eintritt in den Staatsdienst dem Zwang der im öffentlichen Interesse erlassenen Disziplin und kann sich, um sich der Gehorsamspflicht zu entziehen, nicht auf das Grundrecht der Handlungsfreiheit berufen3. Durch das Beamtenverhältnis legt er sich besondere Bindungen auf, so daß er sich nicht auf Grundrechte berufen kann, wenn sie mit der Erfüllung der in dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis wurzelnden Pflichten unvereinbar sind4. Das gilt vor allem für das — von vornherein nur „innerhalb der Schranken der Gesetze" — gewährleistete Recht der Handlungsfreiheit5. Ebenso kann sich der Beamte für den Fall, daß er der Ansicht ist, daß die Durchführung der dienstlichen Anordnung gegen sein Gewissen verstößt, nicht auf Art. 4 GG berufen, weil von dieser Vorschrift nur die Bekenntnisfreiheit erfaßt wird®. Der Beamte hat dienstliche Anordnungen sogar dann auszuführen, wenn sie in seine persönliche Interessenssphäre eingreifen7. Wenn auch eine zu geringe Autorität und eine zu stark gelockerte Beamtendisziplin zur Unordnung und Anarchie führen, so darf andererseits ein Übermaß an Autorität und Gehorsam nicht zu einer Servilität des Beamten, zu einer Entmenschlichung und Mechanisierung der gesamten Bürokratie und damit zu einer Freiheitsgefährdung des Staatsganzen führen. Vielmehr muß das Freiheits- und Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen Beamten, sein Mitsprache- und Entscheidungswille und damit seine Zivilcourage aufgerufen und gestärkt werden8. Es muß gewährleistet werden, daß ihm keinerlei Nachteile dadurch erwachsen, daß er gegen die Ausführung eines rechtswidrigen Dienstbefehls bei seinem Vorgesetzten vorstellig wird. Auf jeden Vgl. Bank, a. a. O. S. 162. BayrVerfGH 7 . 1 1 . 60 — Vf. 33 — VI — 60 — in RiA 1961 S. 76 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 464. 4 BayrVGH n.F. 11 II 52/59 mit Nachweisen; vgl. auch BayrVGH n.F. 10 I 105/59; Bachof in W D S R L Bd. 12 S. 60 f. 5 BVerwG in VerwRspr. Bd. 7 S. 528 (530); v o n M a n g o l d t - K l e i n , Anm. IX 1 e zu Art. 5 GG; BayrVGH in VGH n. F. 4 II 30/37, 39 = DöV 1951 S. 669; Fischbach, Einl. D V zu § 7 BBG. " V o n M a n g o l d t - K l e i n , Anm. II 3 zu Art. 4 GG. 7 P l o g - W i e d o w , Anm. ΙΠ 1 zu § 55 BBG. 8 Bank, a. a. O. S. 168. 2
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Verstöße gegen die Gehorsamspflicht
Fall sollte der Beamte davor gesichert sein, daß er aus familiären Existenzgründen sich einer rechtswidrigen Anordnung beugt. Das geltende Beamtenrecht geht davon aus, daß Gehorsam nicht willenlose Unterwerfung, sondern Ausführung gesetzlicher Vorschriften und Dienstbefehle im Bewußtsein der Notwendigkeit der Gemeinschaft darstellt9. Der Beamte ist nicht zu „blindem" Gehorsam verpflichtet. Er braucht nämlich nicht einen Befehl auszuführen, zu dessen Erlaß der Vorgesetzte nicht berechtigt ist, und darf ihn nicht ausführen, wenn seine Ausführung für ihn erkennbar strafbar ist oder das aufgetragene Verhalten die Würde der Menschheit verletzt (vgl. § 57 Abs. 2 BBG). Darüber hinaus kann der Beamte gegen einen dienstlichen Befehl bei seinen Vorgesetzten Bedenken anmelden. Wird aber der Befehl trotz der erhobenen Vorstellungen trotzdem aufrechterhalten, so muß ihn der Beamte vollziehen, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 3 BBG vorliegen. II. NACHPRÜFUNG VON DIENSTLICHEN ANORDNUNGEN AUF IHRE RECHTMÄSSIGKEIT Der Beamte hat die Anordnungen seiner Vorgesetzten auszuführen. Die Anordnung muß erkennen lassen, daß sie vom zuständigen Vorgesetzten ausgeht; die Nichtbefolgung derselben ist zudem nur dann disziplinarisch strafbar, wenn die Pflicht zum Handeln oder Unterlassen in ihr klar zum Ausdruck gebracht ist 10 . Die Anordnung des höheren Dienstvorgesetzten geht der des nachgeordneten Dienstvorgesetzten vor. Befaßt sich eine Regelung des höheren Vorgesetzten jedoch nur mit Grundsatzfragen, während der nachgeordnete Dienstvorgesetzte eine Spezialregelung trifft, so ist letztere für den Beamten verbindlich. Erläßt ζ. B. der Präsident einer Oberpostdirektion eine Verfügung, die darauf hinzielt, aus einem größeren Kreis von Beamten Meldungen über die Bereitschaft zu freiwilligen Uberstunden anläßlich des Weihnacht- und Neujahrsverkehrs zu erhalten, und verlangt der Amtsvorsteher von seinen nachgeordneten Beamten, daß sie seine Genehmigung zur Leistung von Uberstunden einholen müssen, so stehen beide Verfügungen in keinem Widerspruch, so daß der Beamte der Anordnung des Amtsvorstehers nachkommen muß10*. Für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen trägt der Beamte die volle dienstliche Verantwortung (vgl. § 56 Abs. 1 BBG). Die Ausführung eines Befehls, die einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt, ist dann gerechtfertigt, wenn der Befehl selbst rechtmäßig ist. Selbst wenn objektive Gesetzwidrigkeit vorliegt, ist der Befehl dann rechtmäßig, wenn der Vorgesetzte innerhalb seiner Befehlsgewalt gehandelt hat und trotz pflichtgemäßer Prüfung irrtümlich annimmt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Eingriffs in eine fremde Rechtssphäre gegeben seien. In einem solchen Falle ist auch der Beamte gerechtfertigt, der einen solchen Befehl ausführt. Anders wäre es für den Nachgeordneten nur dann, wenn er den Irrtum des Vorgesetzten, der den Befehl erteilt hat, gekannt hat; dann ist sein 9 Vgl. BayrStDH 8. 7. 57 — Nr. 40 DS I 56 — VGH n. F. 10 III 23 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 272. 1 0 DiszSenat OVG Münster 30. 7. 60 — Y 18/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 470. 10 » DokBer. Nr. 1897.
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Nachprüfung von dienstlichen Anordnungen auf ihre Rechtmäßigkeit
§ 55
Handeln rechtswidrig 11 . Ist der Befehl selbst rechtswidrig, so bildet er für den Beamten, der ihn ausführt, keinen Rechtfertigungsgrund, wobei es gleich bleibt, ob der Beamte die Rechtswidrigkeit erkannt hat, so daß gegen einen solchen Befehl immer Notwehr zulässig ist. F ü h r t der B e a m t e eine r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g aus, so kann er also n u r dann d i s z i p l i n a r i s c h b e s t r a f t w e r d e n , w e n n er sich der R e c h t s w i d r i g k e i t s e i n e r H a n d l u n g s w e i s e b e w u ß t w a r oder w e n n er bei g e w i s s e n h a f t e r P r ü f u n g die R e c h t s w i d r i g k e i t h ä t t e e r k e n n e n können. Zu den Pflichten eines Beamten gehört es auch, sich über die auf seinem Sachgebiet einschlägige Rechtsprechung auf dem laufenden zu halten 12 . Tut er dies nicht und setzt er sich infolgedessen bei seinen Entscheidungen mit der Rechtsprechung in Widerspruch, so verletzt er schuldhaft seine Pflichten. Bei der Frage, welche Rechtskenntnisse der Beamte haben muß, wird es entscheidend auf seine dienstliche Stellung und seinen Bildungsstand ankommen. Es muß von jedem Beamten — selbst wenn er nicht Jurist ist — erwartet werden, daß er sich eine gediegene Kenntnis der Rechts- und Verwaltungsvorschriften verschafft, die in sein Arbeitsgebiet einschlagen13. Bei einem Juristen wird von einem Verschulden nicht die Rede sein können, wenn eine bestimmte Rechtsfrage in der Rechtsprechung nicht einheitlich entschieden ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Auffassung des höheren Gerichts den Vorzug verdient. Bestehen zwischen Rechtslehre und Rechtsprechung verschiedene Meinungen, so ist der Rechtsprechung der Vorzug zu geben, sofern nicht zu erwarten ist, daß das Gericht in einer erneut zu erwartenden Entscheidung seine bisherige Auffassung aufheben oder modifizieren wird. Der Beamte muß vor allem nach einer gründlichen Klärung des Sachverhalts prüfen, ob der Tatbestand sich einem Leitsatz einer höchstrichterlichen Entscheidung unterordnen läßt. Hat der Beamte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von ihm auszuführenden Anordnung, so wird er zunächst bei dem Rechtsbeistand seiner Verwaltung Rat suchen, bevor er eine Entscheidung seines unmittelbaren Vorgesetzten herbeiführt. Weicht der Beamte von der Meinung des Rechtsbeistandes ab und ist zwischen beiden keine einheitliche Meinung zu erzielen, so ist der Beamte verpflichtet, seinen unmittelbaren Vorgesetzten auch von der Meinung des Rechtsbeistandes zu unterrichten. Erforderlichenfalls tragen beide Beamte ihre Meinung dem Dienstvorgesetzten vor. Handelt es sich um eine zweifelhafte Rechtslage, so handelt der Beamte nicht schuldhaft, wenn er dann seiner eigenen Rechtsauffassung folgt, selbst wenn sie später von der vorgesetzten Behörde oder dem Gericht mißbilligt wird 14 . Anders wäre es nur dann, wenn dem Beamten die abweichende Rechtsauffassung der vorgesetzten Behörde bekannt war 15 . Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen hat der Beamte unverzüglich bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend 1 1 Vgl. Arndt,Wehrstrafrecht, S. 70 und 100; Mezger in LK Bern. 10 i bb α vor § 51 StGB; M a u r a c h , Strafrecht — Allgemeiner Teil, S. 274. 1 2 Vgl. für die Amtshaftung BGH 24. 6. 63 — III ZR 195/61 — in VersR 1963 S.1080 (der BGH äußert sich hier eingehend zur Frage des Verschuldens, wenn eine Amtspflichtverletzung darin besteht, daß eine Gesetzesbestimmung unrichtig ausgelegt worden ist). 1 3 DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 455. 1 4 RGZ Bd. 42 S. 346. 1 6 DokBer. Nr. 831; Fischbach, Anm. ΙΠ Abs. 2 zu § 56 BBG.
43 Lindgen, Disziplinarrecht I
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Verstöße gegen die Gehorsamspflicht
zu machen (§56 Abs. 2 Satz 1 BBG). Mit dem Begriff der Rechtmäßigkeit, der nicht nur das geschriebene Gesetz, sondern auch das Natur- und Gewohnheitsrecht umfaßt, geht das geltende Recht über § 7 Abs. 1 DBG hinaus, wonach der Beamte nur bei Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit bei seinem Vorgesetzten remonstrieren durfte. Die Befugnis des unterstellten Beamten, eine Anordnung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, ergibt sich aus der Beratungs- und Unterstützungspflicht gegenüber dem Vorgesetzten, die als hergebrachter Grundsatz des Beamtentums gilt. Die dienstlichen Anordnungen haben allerdings die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich, wenn sie von der zuständigen Stelle erlassen sind und nicht erkennbar gegen ein Gesetz oder die Würde des Menschen verstoßen. Der Beamte kann nur dann nach § 56 Abs. 2 Satz 1 BBG remonstrieren, wenn er die dienstliche Anordnung nicht für rechtmäßig hält. Ihm ist es jedoch nicht überlassen, eine Anordnung auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen 16 . Wohl kann er Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit bei seinem Vorgesetzten vorbringen. Teilt dieser jedoch nicht seine Bedenken, so muß sie der Beamte ausführen. Es muß nämlich dem freien und pflichtgemäßen Ermessen jedes Vorgesetzten überlassen bleiben, in welcher Weise er die für die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes erforderlichen Maßnahmen durchsetzen will 17 . Rechtliche Bedenken im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 BBG können jedoch dann vorliegen, wenn die Anordnung einen Ermessensmißbrauch darstellt, der im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung zu einer Aufhebung der Maßnahmen führen würde 18 . Gleiches gilt auch dann, wenn ein „unbestimmter Rechtsbegriff" nach der Ansicht des Beamten nicht richtig ausgelegt ist; um einen solchen handelt es sich, wenn im Gesetz ζ. B. von einem „Bedürfnis", der „Zuverlässigkeit" oder dem „öffentlichen Interesse" die Rede ist, es sich also um Begriffe handelt, die im Einzelfall einer bestimmten Auslegung bedürfen19. Handelt es sich um Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung, so muß sie der Beamte unverzüglich seinem unmittelbaren Vorgesetzten vortragen. Selbst wenn die Anordnung von dem nächsthöheren Vorgesetzten oder gar von der obersten Dienstbehörde getroffen ist, muß der Beamte seine Bedenken bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten vortragen. Gäbe ζ. B. die oberste Dienstbehörde der nachgeordneten Behörde auf, einen Beamten zu bestrafen, was im gegebenen Falle nach Auffassung des Disziplinarreferenten der nachgeordneten Behörde einen Verstoß gegen § 344 StGB darstellen würde, so muß der Disziplinarreferent auch dann seine Bedenken bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten vortragen. Es bleibt gleich, ob der Beamte seine Bedenken mündlich oder schriftlich vorträgt. Trägt er sie mündlich vor, so wird es notwendig erscheinen, über die Rücksprache bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten einen schriftlichen Vermerk in den Akten anzubringen. Der Beamte wird entweder auf einem besonderen Blatt oder eingangs DokBer. Nr. 1774. RG in JW 1916 S. 201. 1 8 Vgl. DokBer. Nr. 1092. 1 9 Vgl. F o r s t h o f f , Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1 S. 76; N e b i n g e r , Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 228; N e u m a n n - D u e s b e r g in JZ 1952 S. 705; Peters, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 11 und 92; L o e n i n g in DVB1.1952 S. 200; OVG Berlin 13.2. 52 in DVB1. 1952 S. 770; LVG Rheinland-Pfalz 19. 5. 53 in MDR 1954 S. 188. 16
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Nichtausführung des Dienstbefehls bei Strafbarkeit
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des Verfügungsentwurfs seine abweichende Ansicht schriftlich begründen oder bei der Mitzeichnung neben seinen Namenszug den Zusatz beifügen „Auf Anordnung entworfen und mitgezeichnet". Der Dienstvorgesetzte ist nicht berechtigt, dem Beamten aufzugeben, von der Anbringung eines Aktenvermerks Abstand zu nehmen. Schließt sich der unmittelbare Vorgesetzte der Auffassung des Beamten an, so nimmt er die Anordnung zurück. Teilt der Vorgesetzte die Bedenken nicht, so hat sich der Beamte an den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden. Dies kommt nur dann in Frage, wenn seine Bedenken gegen die Anordnung noch weiterbestehen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 BBG). Teilt auch der nächsthöhere Dienstvorgesetzte die Bedenken des Beamten nicht und bestätigt er die beanstandete Anordnung, so hat der Beamte sie auszuführen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 BBG). Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen ( § 5 6 Abs. 2 Satz 4 BBG). Verlangte der unmittelbare Vorgesetzte die sofortige Ausführung der Anordnung, weil Gefahr im Verzuge besteht und die Entscheidung des nächsthöheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, so gilt § 56 Abs. 2 Satz 3 und 4 BBG. Der Beamte kann nach Bestätigung der Anordnung für ihre Unrechtsmäßigkeit nicht in Anspruch genommen werden (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BBG). Demnach scheiden die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und die disziplinarische Verfolgung des Beamten aus. m . NICHTAUSFÜHRUNG DES DIENSTBEFEHLS BEI STRAFBARKEIT ODER VERSTOSS GEGEN DIE WÜRDE DES MENSCHEN Der Beamte ist trotz Ablehnung der Bedenken durch den nächsthöheren Vorgesetzten dann nicht berechtigt, die Anordnung auszuführen, wenn das ihm aufgetragene Verhalten strafbar und die Strafbarkeit für ihn erkennbar ist oder das ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BBG). Das dem Beamten aufgetragene Verhalten muß ein Verbrechen, Vergehen oder eine Übertretung im Sinne des allgemeinen Strafrechts sein. Ob eine Norm des Strafgesetzbuches oder eines strafrechtlichen Nebengesetzes verletzt wird, ist gleichgültig. Handelt es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit, so muß der Beamte die Anordnung ausführen 20 . Darauf kommt es nicht an, ob dem Beamten ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stehen oder ihn kein Verschulden treffen würde. Entscheidend ist nur der objektive Tatbestand der strafrechtlichen Bestimmung Liegt eine Verletzung einer strafrechtlichen Norm vor, und hat der Beamte bei der ihm zumutbaren Sorgfalt die Strafbarkeit nicht erkennen können, so kann er wegen der Ausführung der Anordnung nicht disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden; es wird dann an einem Verschulden fehlen. Es stehen dem Beamten nämlich die allgemeinen Entschuldigungsgründe, wie Notstand (§ 54 StGB) und Irrtum (§ 59 StGB), zur Seite 21 . Hat der Untergebene die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkannt, so finden die allgemeinen Regeln über den Irrtum Anwendung. Im militärischen Bereich handelt nach § 5 WStG der auf Befehl Handelnde nur dann schuldhaft, wenn es sich hierbei um ein Verbrechen oder Vergehen 20
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P l o g - W i e d o w , Anm. 12 zu § 56 BBG.
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Verstöße gegen die Gehorsamspflicht
händelt und der Befehlsempfänger dies erkennt oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Dagegen handelt er nicht schuldhaft, wenn die aufgetragene Tat nur eine Übertretung oder Ordnungswidrigkeit darstellt. Diese Regelung gilt nur für den militärischen Bereich. § 69 Abs. 4 LBG BW hat diese Regelung auch für Beamte des Vollzugsdienstes übernommen. Der Beamte braucht auch dann eine Anordnung nicht auszuführen, wenn sein Verhalten die Würde des Menschen verletzen würde. Diese Bestimmung ist erst durch § 139 Abs. 1 Nr. 12 BRRG in das Bundesbeamtengesetz aufgenommen worden. Der Begriff der Würde des Menschen ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Der Begriff der Würde ist noch nicht hinreichend geklärt. Die „Würde" des Menschen umfaßt den Inbegriff aller Eigenschaften, die den Inhalt und eigenen Wert der einzelnen Persönlichkeit ausmachen; sie enthält einmal das Moment der Freiheit des Willens und damit die A b l e h n u n g j e d e r D e g r a d i e r u n g des M e n s c h e n z u m „ k o l l e k t i v e n B e f e h l s e m p f ä n g e r " und weiterhin einen stark individualistischen, auf den einzelnen bezogenen Akzent 22 . Die Würde des Menschen kann sowohl in der Person des unterstellten Beamten selbst "wie in der Person eines von der Anordnung etwa betroffenen außenstehenden Dritten verletzt sein. Letzteres wäre ζ. B. der Fall, wenn einem Beamten aufgegeben werden würde, durch eine behördliche Maßnahme einen Staatsbürger wegen seiner rassischen Zugehörigkeit zu benachteiligen. Die sehr weit gefaßte Bestimmung des § 56 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BBG kann einem Beamten eine willkommene Handhabe dafür gegen, bei Nichtb efolgung eines Dienstbefehls sich hierauf zu berufen, um zumindest in subjektiver Hinsicht das Vorliegen eines Dienstvergehens wegen Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht zu verneinen. IV. NICHTAUSFÜHRUNG DES DIENSTBEFEHLS BEI OFFENSICHTLICHER RECHTSWIDRIGKEIT Der Wortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 3 BBG könnte dazu verleiten, die Ansicht zu teilen, daß, soweit die Anordnung wohl rechtswidrig, jedoch lediglich nicht gegen einen strafrechtliche Norm oder gegen die Würde des Menschen verstößt, immer zu befolgen ist 23 . De lege ferenda wäre im Beamtenrecht eine Norm zu begrüßen, daß der Beamte ganz allgemein solche Anordnungen nicht zu befolgen braucht, die sich als Rechtswidrigkeiten oder als Willkürakte darstellen, zumal nach den grundlegenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil vom 23.10. 5224 die Gesetzmäßigkeit derVerwaltung zu den wesentlichen Bestandteilen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört. Die Gehorsamspflicht dürfte schon nach dem derzeitigen Rechtszustand entfallen, wenn die Rechtswidrigkeit ganz offensichtlich ist, insbesondere wenn die dienstliche Anordnung gegen ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht verstößt. 2 1 OGHSt. Bd. 1 S. 312, Bd. 2 S. 275; BayrObLG in NJW 1949 S. 760; OLG Stuttgart in HESt. Bd. 2 S. 223; OLG Bremen in NJW 1949 S. 437. 22 Hamann, Anm. C 1 zu Art. 1 GG. 23 Vgl. S traten w e r t h , Verantwortung und Gehorsam, Habilitationsschrift, 1958 S. 197/8. 2 1 Abgedr. in BVerfGE Bd. 2 S. 1 = NJW 1952 S. 1407 = DöV 1953 S. 83.
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Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Beamten
§55
V. WIDERSTANDSRECHT UND WIDERSTANDSPFLICHT DES BEAMTEN Die Frage, ob dem Beamten ein allgemeines Widerstandsrecht, wenn nicht gar eine Widerstandspflicht zukommt, ist äußerst umstritten. Nach Gärtner26 gibt es kein eindeutiges Widerstandsrecht für den Beamten, dessen Dienstherr den Boden des Rechts verläßt. Schon der Versuch des Beamten, ein solches Recht auch nur zu behaupten, ist in der totalitäten Diktatur sogar ein Staatsverbrechen. Selbst in der liberalen Demokratie kann ein Widerstandsrecht keinen politisch eindeutigen und juristisch einwandfreien Platz mehr haben. Es hieße, den Beamten von Amts wegen zum Helden oder Märtyrer zu machen. Das Widerstandsrecht bewegt sich nach G ä r t n e r im Rahmen der Theologie, des menschlichen, insbesondere des christlichen Gewissens; es ist jedenfalls keine juristische Institution mehr. Nach Scheuner 2 8 kann man vom Beamten nicht verlangen, daß er sich über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze genaue Vorstellungen macht. Es würde die Schlagkraft der Verwaltung lähmen, wenn der Beamte aus Sorge vor derartigen Konsequenzen nicht handeln dürfte. In extremen Fällen jedoch, in denen ohne weiteres ersichtlich ist, daß ein Gesetz die Grenzen des Rechts verletzt oder sogar die Grenzen des von allen zivilisierten Völkern zu allen Zeiten anerkannten Rechts verletzt — wenn etwa das Gesetz einen Mord befiehlt — wird man vom Beamten erwarten können, daß er in der Lage ist, derartige Dinge zu erkennen. Die heutige Gesetzgebung bekennt sich ausdrücklich zur Pflicht des Beamten, klar gesetzwidrige und klar rechtswidrige Befehle nicht zu befolgen. Hierbei muß man im Auge behalten, daß ein Widerstandsrecht immer zugleich eine Widerstandspflicht sein kann; im Hinblick hierauf sollte man mit der Bej a h u n g des W i d e r s t a n d s r e c h t e s z u r ü c k h a l t e n d sein. Zum mindesten wird dem Beamten in einer späteren Zeit die Unterlassung der Ausübung des Widerstandsrechts vielleicht als eine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen. Nach G r a b e n d o r f f 2 7 beginnt gerade hier für die reale Lebenswirklichkeit des Beamten die Problematik, nämlich das Problem der Abwägung, wieviel er an Sicherheiten seiner persönlichen Existenz und der seiner Familie aufzugeben bereit ist gegenüber der Erkenntnis — vielleicht auch nur gegenüber dem Bewußtsein einer an sich noch umstrittenen Frage —, daß das, was man ihm abfordert, was ihm, sei es von Gesetzes wegen, sei es durch eine Weisung, aufgegeben wird, mit der Rechtsordnung, insbesondere der Verfassungsordnung, nicht vereinbar ist. Claussen 2 8 betrachtet die W i d e r s t a n d s p f l i c h t als ein s i t t l i c h e s P o s t u l a t . Zu einer Zeit, wie etwa im Jahre 1936, als die Beamtenschaft sich zum Widerstand verpflichtet fühlte, konnte sie ihn nicht praktizieren, weil sie sich wirtschaftlich zu schwach fühlte. Solange die Beamten über ihre Dienstbezüge hinaus nicht wirtschaftlich unabhängig sein können, wird nach Claussen die Pflicht zum Widerstand nur eine geringe Zahl von Persönlichkeiten ausüben können. W o d t k e 2 9 sieht in der Ausübung des Widerstandsrechts 25 S c h e u n e r - v . M e r k a t z , Die politischen Pflichten und Rechte des deutschen Beamten, Verlag Lutzeyer, Baden 1962 S. 13. 26 Wie Fußnote 25 S. 27. 2 7 Wie Fußnote 25 S. 36. 2 8 Wie Fußnote 25 S. 80. 2 9 Wie Fußnote 25 S. 80.
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§55
Verstöße gegen die Gehorsamspflicht
große Schwierigkeiten. Dem einzelnen Beamten wird es schwer erkenntlich sein, ob im Einzelfall Recht und Sitte überschritten sind. Ein hochgestellter Berufsbeamter, wie etwa ein Staatssekretär, hat einen größeren Überblick und wird es leichter als etwa ein Polizeiobersekretär oder gar ein Hauptwachtmeister erkennen können, inwieweit die Rechtsordnung verletzt ist. V o n M e r k a t z 3 0 sieht das Problem von ministerieller Ebene aus. Dem Minister, dem die politische Führungsaufgabe zukommt und der im allgemeinen kein Verwaltungspraktiker ist, müssen seine Beamten sagen, was nicht geht; man muß ihn so vor Irrwegen bewahren. Gegen Verstiegenheit, Rechtsirrtümer und andere Fehler besteht ein „Widerstandsrecht", wobei ein Minister wenig Verständnis für seine Aufgaben zeigen würde, wenn er sich den Einwendungen seiner Beamten verschließen würde. Die Ausübung des Widerstandsrechts setzt nach Schneider 3 0 » die Möglichkeit der Diskrepanz zwischen Staat und Recht voraus. Das, was „rechtens" ist, unterliegt keiner subjektiven Wertung, sondern bestimmt sich nach den Grundsätzen des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats, wie sie in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. 10. 5230t> umrissen sind (vgl. § 47 III S. 412). Soweit der Beamte der staatlichen Willensentfaltung die auf Grund spezieller Gesetze eingeräumten Widerspruchsmöglichkeiten, wie ζ. B. die Klage vor den Verwaltungsgerichten, ausnutzen kann, scheidet ein Widerstandsrecht aus. Hierzu bemerkt das Bundesverfassungsgericht 300 : „Berücksichtigt man die Abwehr von Verfassungsverletzungen, die schon im System der gegenseitigen Hemmung und des Gleichgewichts staatlicher Gewalten gegeben ist, und den wirksamen Rechtsschutz, der in der Bundesrepublik gegen Verfassungsverstöße und -Verfälschungen
von Staatsorganen durch den weiteren Ausbau der Gerichtsbarkeit, vor allem der Verfassungsgerichtsbarkeit besteht, so fragt sich, ob überhaupt noch ein Bedürfnis für ein Widerstandsrecht anzuerkennen ist." Unter welchen Voraussetzungen ein Widerstandsrecht ausgeübt werden kann, ist in Art. 19 der Verfassung von Bremen, Art. 23 Abs. 3 der Verfassung von Berlin und in Art. 147 Abs. 1 der Verfassung von Hessen festgelegt. Im Grunde genommen geht es um die verfassungswidrige Ausübung der Staatsgewalt (so in Hessen) oder um die Verletzung von Menschen- und Grundrechten (so in Bremen und Berlin). Hierbei kann es nicht darauf ankommen, daß erst die rechtsstaatliche Verfassungsordnung zerstört ist, sondern es reicht schon aus, wenn Zustände geschaffen werden, die auf eine sichere Zerstörung hinauslaufen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. 10. 52 gehört zu den tragenden Pfeilern der demokratischen Grundordnung auch die G e s e t z m ä ß i g k e i t der V e r w a l t u n g . Hier berechtigen zunächst einmal nicht solche Verstöße zum Widerstand, in denen dem Träger die Möglichkeit des Rechtsweges eingeräumt ist. Überdies kann nicht schon ein einmaliger Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit ein Widerstandsrecht begründen, wenn vor allem der Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hierdurch nicht erschüttert wird. Falsch wäre es, den Widerstand nur dort als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen, wo es sich Wie Fußnote 25 S. 83. S c h n e i d e r , Widerstandsrecht und Rechtsstaat in AöR 1964, S. 9. 3«b BVerfGE Bd. 2 S. 1 = NJW 1952 S. 1407. 30c BVerfGE Bd. 5 S. 377. 30
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um einen „Unrechtsstaat" in dem Sinne handelt, daß er sich als selbstgerecht betrachtet und grundsätzlich ins Recht setzt30"1. Ebenso wäre das Widerstandsrecht nicht nur dort anzuerkennen, wo sich ein Regime ganz und gar ins Unrecht setzt 30e . Es genügen vielmehr eine Vielzahl von Handlungen, die die Voraussetzungen für ein Unrechtsregime schaffen. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn bewußt solche Kräfte gefördert würden, die sich zu einem System bekennen, das die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will. Ebenso würde hierher ein ausgesprochenes korruptes System gehören, das den Grundsatz der Gleichbehandlung beseitigt und somit totalitären Kräften einen Vorschub leistet, eine „freiheitliche demokratische Grundordnung" die schon gar nicht mehr vorhanden ist, zu beseitigen. Zum Widerstand ist dann nicht nur der Beamte berechtigt, der durch das Unrecht verletzt ist, sondern auch derjenige, in dessen Aufgabengebiet die Aufrechterhaltung der demokratischen Grundordnung gehört. Hierbei ist zu beachten, daß der Beamte schlechthin nicht nur an staatsfeindlichen Bestrebungen nicht teilnehmen darf, sondern von sich aus alles zu tun hat, was zur Aufrechterhaltung der demokratischen Grundordnung dienlich ist, so daß nicht nur ein Widerstandsrecht, sondern noch mehr eine Widerstandspflicht zu bejahen ist. Bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfange ein Widerstandsrecht und eine Widerstandspflicht zu bejahen sind, kommt es allein darauf an, daß die Widerstandshandlung nach ihren Beweggründen und Erfolgsaussichten als sinnvoller Versuch gewertet werden kann, das Übel zu beseitigen, das die freiheitliche demokratische Grundordnung zerstört oder geeignet ist, dieselbe zu zerstören30'. Die Mittel des Widerstandes werden also von Fall zu Fall verschieden sein; sie müssen nur geeignet sein, die konkrete Unrechtshandlung zu beseitigen. Soweit es sich um die Ausübung des Widerstandsrechts des Beamten handelt, kommt zunächst in Frage, daß er seinen Vorgesetzten wegen Beseitigung des Unrechtszustandes angeht. Gelingt ihm dies nicht, so muß er zunächst den Dienstweg bis zur obersten Dienstbehörde ausschöpfen. Ist dieser erfolglos geblieben, so wird eine isolierte Einzelaktion solange noch zu verneinen sein, als der Beamte keine Hilfe bei den Organen der Gesetzgebung gefunden hat. Dem Beamten kann nicht zugestanden oder er sogar verpflichtet werden, das Unrechtsregime als solches zu beseitigen, sondern er kann nur die Verhinderung oder die Annullierung des Unrechtszustandes im Einzelfalle erstreben. Auf keinen Fall kann er Unrecht an die Stelle von Unrecht setzen. Mit den geringsten Mitteln muß er den größtmöglichen Erfolg anstreben. Vor allem dürfen die angewandten Mittel die demokratische Grundordnung nicht noch mehr schädigen, was ζ. B. durch eine Veröffentlichung eines Zeitungsartikels in einer obskuren Zeitschrift geschehen könnte. Schließlich darf durch das angewandte Mittel kein Dritter Schaden leiden 30 *; insbesondere darf durch die Widerstandshandlung nicht das Leben anderer gefährdet oder gar zerstört werden. Soweit es sich um die Widerstandspflicht des Beamten handelt, so kann von ihm nicht verlangt werden, daß er hierfür sein Leben einsetzt30". S c h n e i d e r , a.a.O. S. 17. S c h n e i d e r , a.a.O. S118. 3 0 r BVerfG in NJW 1962 S. 195. 30 * BGH in J Z 1959. S. 770 und S. 771; S c h n e i d e r , a. a. O. S. 21. 3011 S c h n e i d e r , a. a. O. S. 23. 30d 30e
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VI. ÜBERGESETZLICHER NOTSTAND Ob dem Beamten — abgesehen von dem Fall, daß die Anordnung strafbar ist oder die Würde des Menschen verletzt — ein übergesetzliches Widerstandsrecht eingeräumt werden kann, ist bei einem einwandfreien Funktionieren des Staatsapparates, der sich an die Bestimmungen des Grundgesetzes hält, abzulehnen31. Nur dann, wenn die Rechtsordnung im Widerspruch zu den grundrechtlichen Bestimmungen verletzt wird, wird dem Beamten ein Widerstandsrecht zuzugestehen sein. Hierzu ist aber erforderlich, daß er zuvor sämtliche ihm zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat. Ein derartiger Fall ist mit Rücksicht auf die nach Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsgarantien kaum denkbar. Vn. LANDESRECHTLICHE REGELUNG Dem § 56 BBG entsprechen inhaltlich Art. 65 BG Bayr., § 57 BG Brm., § 58 BG Hmb., § 71 HBG, § 59 NBG, § 59 BG NW, § 66 LBG Rh.-Pf. und § 68 BG Schl.-Hol. § 69 Abs. 1 bis 3 LBG BW entspricht wohl dem § 56 BBG, sieht jedoch in Abs.4 für Vollzugsbeamte mit Rücksicht auf die Eigenart dieses Dienstzweiges folgende Regelung vor: „Vollzugsbeamte sind verpflichtet, unmittelbaren Zwang anzuwenden, der im Vollzugsdienst von ihren Vorgesetzten angeordnet wird, sofern die Anordnung nicht die Menschenwürde verletzt. Die Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen würde. Befolgt der Vollzugsbeamte die Anordnung trotzdem, so trägt er die Verantwortung für sein Handeln nur, wenn er erkennt oder wenn es für ihn ohne weiteres erkennbar ist, daß dadurch ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung hat der Vollzugsbeamte unverzüglich seinem Vorgesetzten gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist. Die Absätze 2 und 3 sind nicht anzuwenden. Vollzugsbeamte im Sinne dieses Absatzes sind Beamte, die unmittelbaren Zwang anzuwenden haben." Nach § 64 Abs. 2 NBG hat die Weitergabe der Bedenken des unmittelbar unterstellten Beamten, die der Vorgesetzte nicht teilt, an den nächsthöheren Vorgesetzten unmittelbar durch den Vorgesetzten zu erfolgen. V m . VERBOTSIRRTUM BEI GEHORSAMSVERLETZUNG Oft wird der Beamte, der wegen Nichtbefolgung eines Dienstbefehls disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen wird, einwenden, daß er sich über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung in einem Rechtsirrtum befunden hätte. Es stimmt, daß ein Beamter nur bestraft werden kann, wenn die allgemeinen Schuldvoraussetzungen gegeben sind, zu denen auch Vorsatz oder Fahrlässigkeit rechnet. Zum Vorsatz gehört das Bewußtsein der Dienstwidrigkeit. Durch das mangelnde Bewußtsein der Dienstwidrigkeit wird der Vorsatz ausgeschlossen. Wohl ist der Rechtsirrtum ebenso wie im Strafrecht auch im Disziplinarrecht beachtlich32. Ob der Beamte sich auf den sog. Verbotsirrtum berufen 31 Vgl. P l o g - W i e d o w , Anm. 14 zu §56 BBG; K e r n in ZBR 1955 S. 33; v o n W i n t e r f e l d in NJW 1956 S. 1417; v o n B o r c h , Obrigkeit und Widerstand in ZBR 1955 S. 33; Fischbach in JR 1956 S. 253; BVerfG 17. 8. 56 in NJW 1956 S. 1393; BGH 9. 7. 53 in NJW 1953 S. 1639. 32 PrOVG 8. 1. 29; PrOVG Bd. 88 S. 418.
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Berufung auf Dienstbefehl bei Dienstvergehen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 § 5 5
kann, ist jedoch sehr einschränkend auszulegen. Im allgemeinen ist der Beamte verpflichtet, sich mit den für seine Tätigkeit notwendigen Vorschriften des Verwaltungs- und insbesondere des Beamtenrechts vertraut zu machen33. In Zweifelsfällen hat er den Rat seiner Vorgesetzten einzuholen. Es ist eingehend zu prüfen, ob bei Vorliegen eines Verbotsirrtums die Nichtkenntnis auf einer Fahrlässigkeit des Beamten beruht34. Hat sich der Beamte statt an seinen Vorgesetzten an einen Rechtsanwalt gewandt, der ihn in einem Verwaltungsstreitverfahren gegen seine Verwaltung vertritt, so kann dies eine Fahrlässigkeit des Beamten ausschließen. Der Beamte kann annehmen, daß sein Prozeßvertreter ihm in rechtlicher Hinsicht eine einwandfreie erschöpfende Auskunft erteilt. Anders wäre es nur dann, wenn der Beamte bei der von seinem Prozeßvertreter erteilten Auskunft begründete Zweifel an deren Richtigkeit hegen kann. Stellt der Beamte bei der Unterredung mit seinem Rechtsbeistand fest, daß er auf dem einschlägigen Rechtsgebiet nicht bewandert ist, so obliegt es ihm, die Auskunft kritisch zu würdigen. Steht die Auskunft des Rechtsbeistandes zu den dem Beamten bekannten Vorschriften im klaren Widerspruch, so darf letzterer auf die Auskunft nicht blindlings vertrauen. Ist dem Beamten anläßlich der dienstlichen Anordnung eine Rechtsmittelbelehrung erteilt und ist diese klar verständlich, so darf er nicht auf eine entgegenstehende Auskunft seines Rechtsbeistandes vertrauen. Ist aber der Rechtsirrtum frei von Fahrlässigkeit, so liegt ein vorsätzliches Dienstvergehen nicht vor, und der Beamte ist freizusprechen35. IX. BERUFUNG AUF DIENSTBEFEHL BEI DIENSTVERGEHEN, DIE IN DER ZEIT ZWISCHEN 1933 UND 1945 BEGANGEN WORDEN SIND Wird der Beamte für ein Dienstvergehen zur Rechenschaft gezogen, das in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft begangen wurde, so wird er im allgemeinen einwenden, daß sein Verhalten mit der damaligen Rechtsordnung im Einklang stand und daß er bei einer Nichtbefolgung der heute als Unrecht erkannten Handlung Nachteile für Leib und Leben erwarten mußte. In fast allen Fällen fehlte dem Beamten das Unrechtsbewußtsein nicht; bei Nichtbefolgung hatte er Nachteile für Leib und Leben nicht zu erwarten; er hätte lediglich das W o h l w o l l e n seiner Vorgesetzten v e r s p i e l t , was seiner Karriere abträglich gewesen wäre. In einem derartigen Falle ist weder ein Freispruch noch eine S t r a f m i l d e r u n g am Platze, weil der Beamte sich zu allen Zeiten bewußt sein muß, daß die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung den unbedingten Vorzug vor der Karriere des Beamten verdient. Ein Beamter, der einen von ihm als ungesetzlich erkannten Befehl nur deshalb ausführt, um damit seinem Vorgesetzten zu gefallen, ist unwürdig, weiterhin Vollstrecker staatlichen Willens zu sein. Wer selbst in einem von jedermann erkannten Unrechtsstaat, wie es das sog. Dritte Reich darstellte, seine Karriere vorzieht und selbst Unrecht begeht, um seinen Vorgesetzten zu gefallen, muß damit rechnen, DiszSenat OVG Münster 5. 8. 60 — V 49/59 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 455. PrOVG 8. 1. 29; PrOVG Bd. 88 S. 418; DiszSenat OVG Münster 12. 7. 57 — V 22/55 —. 86 DStH Bad.-Württemberg 16. 7. 54 — PL DH11/54 — BDHE 1 S. 186 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 131. 33
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daß er nach Eintritt geordneter Verhältnisse für die Taten zur Rechenschaft gezogen wird, die auch im damaligen Unrechtsstaat als Unrecht einwandfrei erkannt, jedoch nur aus opportunistischen Gründen nicht verfolgt wurden. So ist ζ. B. die Teilnahme an der Erschießung kriegsgefangener Flieger während des 2. Weltkrieges für einen Beamten auch dann ein schweres Dienstvergehen, wenn die Tat auf Befehl geschah, welchem der Beamte ohne zwingenden Grund Folge leistete36. Das Unrecht wurde auch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht dadurch beseitigt, daß ihm die Anordnung eines Vorgesetzten oder der Befehl einer höheren Stelle zugrunde lag. Der auf B e f e h l H a n d e l n d e ist nach dem g e l t e n d e n R e c h t n i c h t u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n zum G e h o r s a m v e r p f l i c h t e t , s o n d e r n mit e i n e m g e w i s s e n M a ß an E i g e n v e r a n t w o r t u n g b e l a s t e t , indem er, wie unter III. gezeigt wurde, bei erkennbarer Strafbarkeit die Tat nicht ausüben durfte. Wenn der Beamte während der Ausführung seines Befehls sich in einem Soldatenverhältnis befand, so kann er sich ζ. B. bei der Erschießung kriegsgefangener Flieger nicht auf § 47 des damaligen Militärstrafgesetzbuches berufen. Trotz dieser Vorschrift durfte er nur solange gehorchen, als ihm nicht die Unverbindlichkeit des Befehls wegen seines verbrecherischen Zwecks bewußt war ; stellte sich der Befehl offenkundig für jedermann, also auch für den Gehorchenden, als verbrecherisch dar, so traf den Beamten auch die Verantwortung 37 . Der Beamte könnte sich höchstens auf eine Nötigungs- oder Notstandslage berufen, zumal die Grundsätze der § § 52, 54 StGB auch im Disziplinarrecht sinngemäß Anwendung finden. Sollte der Beamte einwenden, daß er im Falle der Nichtausführung des Befehls hohe Strafen oder sonstige Nachteile zu erwarten gehabt hätte, so kann das schon deshalb nicht der Fall sein, weil der Beamte im allgemeinen auch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus bei der Nichtausführung eines rechtswidrigen Befehls nicht bestraft werden konnte. Hätte der Beamte ernstliche Bedenken gegen einen Befehl gehabt, so hätte er nach § 7 DBG Gegenvorstellungen erheben können. Die Anwendung der §§ 52, 54 StGB setzt aber eine Gefahrenlage voraus, in der sich der Täter in dem Bewußtsein der ihm selbst drohenden Gefahr und dem Bestreben, ihr auszuweichen, zu der befohlenen Handlung entschlossen hat38. Im Fall des § 52 StGB muß der Wille durch Drohung gebeugt sein. Im allgemeinen haben aber die Beamten, die wegen der Ausführung von strafbaren Befehlen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zur Verantwortung gezogen werden, noch nicht einmal den Versuch unternommen, Gegenvorstellungen zu erheben39. Ein Täter, der alles getan hat, um einer Gefahrenlage aus dem Wege zu gehen, kann deshalb heute nicht milder bestraft werden, weil das s. Z. ausgeübte Dienstvergehen auf Befehl geschah. Die Zeitumstände können nicht im wesentlichen Maße strafmildernd wirken. Wenn auch infolge des Krieges das Gefühl für Recht und Unrecht weitgehend erschüttert war, so sind jedoch Beteiligungen an Erschießungen von feindlichen Fliegern oder die Ausübung der Lynchjustiz an Kriegsgefangenen nach allgemeinen moralischen Anschauungen so verwerflich, daß ein 36 37 38 39
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BDH 5. 11. 57 — I D 26/57 — BDHE Bd. 3 Nr. 32 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 259. OLG Stuttgart in HESt. Bd. 1 S. 21. BGHSt. Bd. 3 S. 271. OLG Stuttgart in HESt. Bd. 1 S. 21.
Einfluß des Widerspruchs und der Klage vor den Verwaltungsgerichten
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Beamter, der an solchen Handlungen auch außerhalb des Dienstes teilgenommen hatte, für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar ist 40 . X. EINFLUSS DES WIDERSPRUCHS UND DER KLAGE VOR DEN VERWALTUNGSGERICHTEN AUF DIE DIENSTLICHE ANORDNUNG Bei den dienstlichen Anordnungen muß man zwischen solchen Maßnahmen, die sich als justiziable Verwaltungsakte im Sinne des § 42 VwGO darstellen, und den eigentlichen Dienstbefehlen bzw. dienstlichen Weisungen unterscheiden. Handelt es sich um eine Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Recht erlassen ist, so spricht man von einem Verwaltungsakt; hierbei ist entscheidend, daß von der Maßnahme rechtliche Wirkungen ausgehen. Sie muß bestimmen, was für den Betroffenen Rechtens ist, oder mit verbindlicher Kraft ein bestimmtes Tun oder Unterlassen auferlegen. Dagegen handelt es sich bei Weisungen für die dienstliche Tätigkeit des Beamten im innerdienstlichen Betrieb, die auch von einem Vorgesetzten, der nicht Dienstvorgesetzter ist, erteilt werden können, um Dienstbefehle. Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil dem Beamten gegen einen Dienstbefehl nur der Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde im Sinne des § 171 BBG offensteht. Erhebt er die Dienstaufsichtsbeschwerde, so entbindet ihn dies nicht davon, die Anordnung des Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten umgehend zu befolgen, weil die Dienstaufsichtsbeschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Allerdings kann der Vorgesetzte oder Dienstvorgesetzte im Falle der Einlegung der Auf sichtsbeschwerde seine Anordnung solange aussetzen, bis über die eingelegte Beschwerde entschieden ist. Dagegen kann eine dienstliche Anordnung, die sich als klagefähiger Verwaltungsakt darstellt, neben der Dienstaufsichtsbeschwerde im Wege des Widerspruchs und nach dessen Ablehnung im Klagewege vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden (vgl. §§ 126, 127, 136 BRRG). Hierbei ist zu beachten, daß Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO 21. 1. 60 (BGBl. I S. 171 aufschiebende Wirkung haben. Der Beamte braucht also einer dienstlichen Anordnung, die einen Verwaltungsakt darstellt, im Falle des Widerspruchs und der Klage vor den Verwaltungsgerichten keine Folge zu leisten. Bis zur Einlegung des Widerspruchs oder der Erhebung der Klage vor den Verwaltungsgerichten muß er aber die Anordnung befolgen; zu seiner Behauptung, daß er willens war, innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen Frist Widerspruch einzulegen, kann er nicht gehört werden, wenn er vorher der Anordnung keine Folge geleistet hat. Zu der Frage der mißbräuchlichen Ausnutzung des Widerspruchs- und Klagerechts vgl. § 53 II Β 1 S. 592. Die Behörde kann ihm Falle der Einlegung des Widerspruchs oder der Erhebung der Klage vor den Verwaltungsgerichten die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnen, was zu einer Aufhebung der aufschiebenden Wirkung führt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Die sofortige Vollziehung kann erlassen werden, wenn sie im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegt. Ansonsten könnte der Staat bei der Anordnung seiner Entscheidungen seiner Schlagkraft beraubt werden. Glaubt 40
DokBer. Nr. 1350.
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der Beamte, daß ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht besteht, so muß er der Anordnung trotzdem Folge leisten. Ihm steht lediglich das Recht zu, beim Verwaltungsgericht, das in der Angelegenheit zuständig ist, Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Setzt des Verwaltungsgericht die sofortige Vollziehung aus, und legt hiergegen die Behörde Beschwerde ein, so muß der Beamte erst die Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts abwarten, bevor er der Anordnung keine Folge leisten will. Handelt es sich nicht um einen anfechtbaren Verwaltungsakt, sondern einen Dienstbefehl, bei dem eine Anfechtung vor den Verwaltungsgerichten unzulässig ist, so muß der Beamte immer Folge leisten. Oft ist es schwierig, die dienstlichen Anordnungen, die im Verwaltungsgerichtswege angefochten werden können, von den internen Dienstbefehlen und Weisungen zu unterscheiden, gegen die nur die Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben werden kann. Als justiziale dienstliche Anordnungen stellen sich die Versetzung — nicht dagegen die Übertragung anderer Dienstgeschäfte bei derselben Behörde —, die Abordnung, das Verbot der politischen Betätigung in bestimmten Organisationen, das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 60 BBG, die Versagung der Genehmigung zur Übernahme eines Nebenamtes oder einer Nebenbeschäftigung und die Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit nach § 64 BBG dar. Einen Dienstbefehl stellt ζ. B. die Weisung des Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten an den Beamten dar, eine bestimmte Tätigkeit innerhalb der Dienststelle zu verrichten. An sich sind die Bundesbehörden nach § 59 VwGO verpflichtet, eine dienstliche Anordnung, die der Anfechtung vor den Verwaltungsgerichten unterlegt, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen, aus der der Beteiligte den Rechtsbehelf ersehen kann, der gegen die dienstliche Anordnung gegeben ist. Ob es sich um einen justiziablen Verwaltungsakt handelt, beurteilt sich jedoch nicht nach der beigefügten Rechtsmittelbelehrung. So würde ein Dienstbefehl dadurch nicht zu einem anfechtbaren Verwaltungsakt werden, daß ihm unzulässigerweise eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt wird. Legt gegen eine solche Maßnahme der Beamte Widerspruch nach § 136 BRRG ein und führt er die Anordnung nicht alsbald aus, so kann er, sofern er nicht über genügend Rechtskenntnisse verfügt, einen Verbotsirrtum geltend machen. Andererseits ist zu beachten, daß in zahlreichen Fällen, in denen es sich bei den dienstlichen Anordnungen um anfechtbare Verwaltungsakte, wie ζ. B. die Versetzung oder Abordnung, handelt, die Behörde trotz des ausdrücklichen Gebots in § 59 der Bundesverwaltungsgerichtsordnung keine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Legt der Beamte auch ohne erteilte Rechtsmittelbelehrung Widerspruch ein und befolgt er vor Anordnung der sofortigen Vollziehung die dienstliche Maßnahme nicht, so kann er auch hier nicht disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. I r r t er sich und glaubt er, daß es sich bei der Anordnung, die tatsächlich einen nichtjustiziablen Dienstbefehl darstellt, um einen klagefähigen Verwaltungsakt handelt, so liegt hier ein R e c h t s irrtum vor, so daß das unter VIII. Gesagte gilt. XI. E I N Z E L N E VERSTÖSSE GEGEN DIE GEHORSAMSPFLICHT Die Möglichkeiten, unter denen sich der Beamte wegen Verletzung der Gehorsamspflicht strafbar macht, sind äußerst vielfältig. Nur einige wenige Verstöße, die häufig wiederkehren, sollen kurz erwähnt werden. 684
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A. Weigerung, den Diensteid zu leisten Nach § 58 Abs. 1 BBG hat der Beamte folgenden Diensteid 41 zu leisten: „Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe." Der Eid kann auch ohne die Worte „so wahr mit Gott helfe" geleist etwerden ( § 5 8 Abs. 2 BBG). Gestattet ein Gesetz den Mitgliedern einer Religionsgesellschaft, an Stelle der Worte „Ich schwöre" andere Beteuerungsformeln zu gebrauchen, so kann der Beamte, der Mitglied einer solchen Religionsgemeinschaft ist, diese Beteuerungsformel sprechen ( § 5 8 Abs. 3 BBG). In den Fällen, in denen eine Ausnahme nach § 7 Abs. 2 BBG zugelassen worden ist, kann von einer Eidesleistung abgesehen werden; der Beamte hat, sofern nichts anderes bestimmt ist, zu geloben, daß er seine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen wird ( § 5 8 Abs. 4 BBG). Entsprechend der Eigenart des Landesbeamtendienstes befassen sich auf landesrechtlicher Ebene mit der Leistung des Diensteides § 65 LBG BW, Art. 66 BG Bayr., § 23 LBG Bln., § 58 BG Brm., § 60 BG Hmb., § 72 HBG, § 58 NBG, § 61 BG NW, § 67 LBG Rh.-Pf., § 71 BG Saar und § 74 BG Schl.-Hol. Nach § 28 Nr. 1 BBG ist der Beamte zu entlassen, wenn er sich weigert, den vorgeschriebenen Diensteid zu leisten. D i e R e c h t s p r e c h u n g d e r D i s z i p l i n a r g e r i c h t e h a t s i c h n u r m i t s o l c h e n F ä l l e n zu b e f a s sen, b e i d e n e n d e r b e r e i t s e r n a n n t e B e a m t e n o c h m a l s e i n e n D i e n s t e i d l e i s t e n m u ß t e und sich dann aus Gewissensgründen weigerte, den Eid zu leisten. Der Staat kann von seinen Beamten die Leistung eines Eides in der Form verlangen, die er für zweckmäßig hält. Dies gilt auch für die Beamten, die bereits einen Eid in einer anderen Form geleistet haben. Wird die Verpflichtung dieser Person, einen neuen Eid zu leisten, durch ein ordnungsgemäß erlassenes Gesetz bestimmt, so besteht für jeden Angehörigen dieser Personengruppe eine Pflicht zur Leistung des Eides. Nur muß der Eid mit dem Inhalt des Grundgesetzes vereinbar sein. Dagegen kann nicht die Leistung eines verfassungswidrigen Eides verlangt werden. So konnte auch die nationalsozialistische Führung in dem Gesetz vom 20. August 1934 bestimmen, daß die Beamten beim Eintritt in den Dienst einen Diensteid zu leisten hätten und daß auch die im Dienst befindlichen Beamten unverzüglich gemäß § 2 Z i f f . 1 a. a. O. zu vereidigen seien (§ 3 a. a. O.). Leistete jedoch ein Angehöriger der Internationalen Vereinigung der Bibelforscher diesen Eid nicht, so handelte er aus politischen Motiven. Denn der Beamte hatte wegen seiner aus religiöser Überzeugung gewonnenen politischen Gegnerschaft zur damaligen Staatsführung den seinerzeit von ihm verlangten Eid verweigert und damit eine an sich aus seinem Beamtenverhältnis sich ergebende Pflicht verletzt. Da diese Pflichtverletzung sich nicht aus Böswilligkeit gegen seine Beamtenpflichten, sondern aus dem politischen Motiv eines Protestes gegen das damalige nationalsozialistische Regime ergab, sind somit die Voraussetzungen des Artikels 8 Nr. 1 des Dienststrafrechtsänderungsgesetzes vom 28. 11. 52 erfüllt 42 . 4 1 T h i e l e , Die Bedeutung des Diensteides in DöD 1959 S. 66; Schütz, Diensteid und allgemeine Dienstpflichten der Beamten in DöD 1957 S. 105. 42 BDH 30. 9. 55 — I D 93/54 — BDHE Bd. 2 S. 157; BDH 3. 2. 54 — II D 34/54 —.
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B. Arbeitsverweigerung Weigert sich der Beamte grundlos, zur vorgeschriebenen Zeit, an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz und in der vorgeschriebenen Weise seinen Dienst zu verrichten, so macht er sich eines schweren Dienstvergehens schuldig und wird disziplinarisch zur Verantwortung gezogen. Er macht sich nicht strafbar, wenn er eine Beschäftigung ablehnt, die seiner Befähigung und Vorbildung nicht entspricht und an Bedeutung unter der seines früheren Amtes steht 43 . Andererseits ist der Beamte verpflichtet, neben der ihm durch Geschäftsplan zugewiesenen Arbeit besondere Arbeitsleistungen zu verrichten. So kann ζ. B. ein Bahnbeamter, der sich ohne triftigen Grund hartnäckig weigert, an jeweils drei Tagen in zwei Wochen den anfallenden Dienst am Güterschalter zu leisten, sich infolge der hartnäckigen Weigerung, aufgetragene Dienstpflichten zu verrichten, ein so schweres Dienstvergehen begehen, daß nur bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe von der Entfernung aus dem Dienst abgesehen werden kann44. Zur Teilnahme an einen in seine dienstfreien Zeit fallenden Sonderdienst ist aber der Beamte nur auf Grund einer ihn betreffenden bindenden Anordnung seines Dienstvorgesetzten verpflichtet, weil es sich hier um eine den Beamten betreffende persönliche Entscheidung handelt, so daß eine Anordnung eines Vorgesetzten noch nicht ausreicht45. Der Beamte kann seiner Dienstleistungspflicht sich nicht dadurch entzeihen, daß er vorgibt, unter den ihm zugemuteten Bedingungen nicht erfolgversprechend arbeiten zu können. So verletzt ein Lehrer seine Gehorsamspflicht, wenn er sich nach erfolgloser Gegenvorstellung weigert, den Unterricht in einer Klasse aufzunehmen, deren Schülerzahl er für zu groß hält 46 . Für den Beamten kann sich eine Dienstleistungspflicht auch dann ergeben, wenn er an sich dienstfrei hat. So kann ein Polizeibeamter in Uniform unter Umständen auch während seiner dienstfreien Zeit verpflichtet sein, zur Behebung von Verkehrsstockungen helfend einzugreifen47. Es ist nämlich Aufgabe insbesondere der uniformierten Polizeibeamten, für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung zu sorgen, wozu auch der leichte Ablauf des Verkehrs gehört (vgl. §§ 14, 41 Preuß. Polizeiverwaltungsgesetz i. d. F. vom 27. 11. 53 (GVB1. NW S. 403). Der Beamte hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, wozu u. U. gehört, daß er selbst in der Freizeit seine dienstliche Tätigkeit aufnimmt, wenn es die Aufgaben erfordern, denen er sich hauptberuflich zu widmen hat. C. Nichtbeachtung von Verboten Der Beamte muß allgemeine Verbote, die im Interesse der einwandfreien Abwicklung des Dienstbetriebes erlassen sind, beachten. Ihm steht es nicht zu, von sich aus die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit des jeweiligen Verbotes zu überprüfen. Nur dann, wenn das Verbot eine offensichtliche Schikane bedeuten und es mit der Aufrechterhaltung des Dienstbe43 41 45 46 47
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PrOVG 5. 4. 07 — PrOVG Bd. 51 S. 413 = P e r w o , S. 53. BDH 25. 7. 61 — III D 22/61 — in ZBR 1963 S. 316 (LS). DiszSenat OVG Münster 30. 7. 60 — Y 18/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 113. DiszSenat OVG Munster 10. 10. 59 — Y 29/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 118. DiszSenat OVG Münster 12. 4. 60 — Y 17/59 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 160.
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triebes in keinerlei Zusammenhang stehen würde, braucht es der Beamte nicht zu beachten. Dies setzt aber voraus, daß er zuvor bei seiner vorgesetzten Dienststelle Gegenvorstellung und nach deren erfolgloser Abweisung bei der nächsthöheren Dienststelle Beschwerde erhebt. Es würde kein schikanöses Verhalten des Dienstvorgesetzten oder der Dienstbehörde allgemein darstellen, wenn sie einem Kraftfahrer im Dienstkraftwagen das Rauchen verbietet. Eine allgemeine Dienstanweisung, die den Kraftfahrern das Rauchen im Dienstkraftwagen untersagt, ist rechtmäßig und verletzt nicht das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG«. D. Nichtbefolgung von Anweisungen des Vorgesetzten Einen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht stellt es dar, wenn der Beamte eine Anweisung seines Vorgesetzten über das Verfahren, das er bei der Behandlung eines dienstlichen Vorganges einschlagen soll, nicht befolgt 49 . Der Dienstvorgesetzte ist nämlich nicht nur berechtigt, dem Beamten im Rahmen des § 56 BBG hinsichtlich der materiellen Behandlung eines dienstlichen Vorgangs Anweisungen zu geben, sondern kann auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht Anordnungen erteilen, die der Beamte selbst dann befolgen muß, wenn er sie nicht für zweckmäßig oder gar nicht für erforderlich hält. Gibt z.B. der Betriebssicherungsreferent dem Sachbearbeiter auf, anläßlich der Aufdeckung eines Straffalles noch einen Zeugen zu hören, bevor der Vorgang an die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Anklage weitergegeben werden soll, so muß der Sachbearbeiter den Zeugen hören, selbst wenn er die Anhörung nicht für erforderlich hält. E. Nichtbefolgung von Versetzungs- und Abordnungsverfügungen Häufig verstoßen die Beamten gegen die Gehorsamspflicht, indem sie Versetzungs- und Abordnungsverfügungen keine Folge leisten. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BBG kann der Beamte, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, innerhalb des Dienstbereichs seines Dienstherrn versetzt werden, wenn er es beantragt, oder ein dienstliches Bedürfnis besteht60. Ohne seine Zustimmung ist eine Versetzung in ein anderes Amt nur zulässig, wenn das neue Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehört wie das bisherige Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist; ruhegehaltsfähige und unwiderrufliche Stellenzulagen gelten hierbei als Bestandteile des Grundgehaltes (§26 Abs. 1 Satz 2 BBG). Beim Wechsel der Verwaltung ist der Beamte zu hören (§26 Abs. 1 Satz 3 BBG). Die Versetzung eines Beamten in den Dienstbereich eines anderen Dienstherrn ist nur mit Einverständnis des Beamten zulässig (§26 Abs. 3 BBG). Der bundesrechtlichen Regelung des § 26 Abs. 1 und 3 BBG entsprechen im wesentlichen BDH 28. 2. 61 — II DV 4/60 — in ZBR 1963 S. 316 (LS). BDH 13. 9. 55 — I DV 4/55 —. S c h i l l e n , Versetzung und versetzungsähnliche Maßnahmen im Beamtenrecht in ZBR 1956 S. 105; L i n d g e n , Versetzung, Abordnung und ähnliche Maßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung in Jahrbuch des Postwesens, Bd. 9 S. 190; Ule, Gerichtlicher Rechtsschutz im Beamtenrecht, 1952; M a n g e l s , Versetzung und Abordnung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Bayern in ZBR 1960 S. 141; Schütz, Zum Begriff der Versetzung in ZBR 1959 S. 65. 48 49
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die Landesgesetze, so § 31 LBG BW, Art. 34 BG Bayr., § 61 LBG Bln., § 27 BG Brm., § 26 BG Hmb., § 29 HBG § 32 NBG, § 28 BG NW, § 33 LBG Rh.-Pf., § 31 BG Saar und § 32 BG Schl.-Hol. Das Wesensmerkmal einer Versetzung besteht in der Übertragung eines anderen Amtes im Rahmen eines fortbestehenden Beamtenverhältnisses51. Sie wird erst mit der Bekanntgabe der Versetzungsverfügung, die einen Verwaltungsakt darstellt, wirksam52. Werden einem Beamten bei derselben Dienstbehörde lediglich andere Dienstgeschäfte zugeteilt, so handelt es sich selbst dann um keine Versetzung und somit auch um keinen Verwaltungsakt, wenn diese Maßnahme als „Versetzung" bezeichnet worden ist53. Ebenso handelt es sich nicht um einen anfechtbaren Verwaltungsakt, wenn dem Beamten ein anderer Dienstposten ohne Amtswechsel übertragen wird, wenn diese Maßnahme gleichfalls als „Versetzung" bezeichnet wird und wenn sie dazu führt, daß der Beamte entweder getrennt von seiner Familie wohnen oder seinen Wohnsitz verlegen muß, wobei jedoch eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung dann in Frage kommen kann, wenn eine solche Maßnahme als Willkürakt zu bezeichnen ist54. Soweit der Beamte ohne einen von ihm gestellten Antrag versetzt wird, muß hierfür ein dienstliches Bedürfnis vorliegen. Nach herrschender Auffassung55 ist das „dienstliche Bedürfnis" für die Versetzung eines Beamten kein sog. „unbestimmter Rechtsbegriff", dessen tatbestandlichen Voraussetzungen die Verwaltungsgerichte in eigener Zuständigkeit zu prüfen verpflichtet sind; vielmehr handelt es sich bei einer hierauf gestützten Versetzung um eine Ermessensentscheidung, deren verwaltungsgerichtliche Nachprüfung auf Ermessensfehler beschränkt ist5®. Allerdings vertritt die Verwaltungsrechtsprechung vereinzelt neuerdings den Standpunkt, daß es sich bei dem „dienstlichen Bedürfnis" für eine Versetzung um eine Tat- und Rechtsfrage handelt, die die Verwaltungsgerichte im vollen Umfang nachzuprüfen haben57. Als ermessensfehlerhaft ist eine Versetzung auf Grund einer von dem Beamten nicht verschuldeten, von anderer Seite provozierten Störung der dienstlichen Zusammenarbeit zu bezeichnen58. Gleiches gilt von einer Versetzung, die wichtige persönlich Belange des Beamten — wie ζ. B. den Wunsch der Beibehaltung eines Kreistagsmandates — trotz gegebener dienstlicher Möglichkeiten nicht berücksichtigt69. Ebenso ist eine Versetzung ermessensfehler61
S. 152.
VGH München 3. 11. 54 — 281 ΙΠ 53 — VRspr. Bd. 7 S. 664 = VGHE n. F. Bd. 7
BDH 16. 3. 56 — II D 24/55 — BDHE Bd. 2 S. 19; DokBer. Nr. 1088. VGH Kassel 17. 2. 56 — OS I 90/54 — in DöV 1957 S. 372 = ZBR 1957 S. 136 = DVB1.1957 S. 431 = ESVGH Bd. 6 S. 40; VG Freiburg 23. 7. 56 — VS 122/56 — in BWVB1.1957 S. 41. 54 OVG Hamburg 24. 7. 58 — II 32/58 — in DöV 1959 S. 310 mit ablehnender Anm. O b e r m a y e r in ZBR 1959 S. 81. 55 OVG Münster 9. 8. 52 — IV Β 581/52 — in NJW 1953 S. 160. 68 Zum Ermessensrahmen bei der Versetzung eines Beamten vgl. BVerwG 15. 8. 60 — VI C 9/59 — in DVB1.1960 S. 891 = RiA 1961 S. 28 = ZBR 1961 S. 48 = NDBZ 1961 S. 177 = DöD 1961 S. 14 = J R 1961 S. 192 = VRspr. Bd. 13 S. 420; zur Anfechtung einer beamtenrechtlichen Versetzung und Abordnung vgl. auch OVG Lüneburg 10. 2. 59 — V A 43/58 — VRspr. Bd. 12 S. 36. 67 VGH Baden-Württemberg 9. 5. 60 — 2 S 394/59 — in ZBR 1961 S. 282. 6 8 BayrVGH 12. 6. 59 — 125 III 58 — in BayrVBl. 1959 S. 351. 6 9 BayrVGH 12. 6. 59 — 125 III 58 —in BayrVBl. 1959 S. 351. 52 53
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haft, wenn sie verfügt wird, um den Beamten in seinem beruflichen Fortkommen zu benachteiligen oder ihn zu bestrafen60. Bei der Versetzung haben die dienstlichen Belange grundsätzlich Vorrang auch vor an sich schutzwürdigen privaten Interessen des Beamten. Eine sachgemäß verfahrende Behörde wird bemüht bleiben, bei einer Versetzung etwaigen berechtigten und persönlichen Wünschen eines Beamten über die Art seines neuen dienstlichen Einsatzes nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Sie wird es jedoch keineswegs in unbeschränktem Umfange tun können, wenn sie nicht das Gefüge ihrer Organisation gefährden will. Außerdem wird die Behörde aus Gründen der ihr obliegenden Fürsorgepflicht oft jüngeren und ledigen Beamten zumuten müssen, daß sie an kleineren und entlegenen Orten beschäftigt werden und daß ihr Beschäftigungsort häufig gewechselt wird 61 . Aus der Fürsorgepflicht kann sich jedoch eine Berücksichtigung von schwerwiegenden persönlichen Gründen des Beamten gegen die Versetzung ergeben62. Die Abordnung ähnelt der Versetzung. Sie ist in §27 BBG geregelt. Hiernach kann der Beamte, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht, vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle abgeordnet werden (§27 Abs. 1 Satz 1 BBG). Die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn bedarf der Zustimmung des Beamten, wenn sie die Dauer eines Jahres, während der Probezeit die Dauer von zwei Jahren, übersteigt (§27 Abs. 1 Satz 2 BBG). Die landesrechtliche Regelung entspricht weitgehend dem § 27 BBG. Für die Abordnung kommen in Betracht § 32 LBG BW, Art. 35 BG Bayr., § 62 LBG Bln., § 28 BG Brm., § 28 BG Hmb., § 28 HBG, § 31 NBG, § 29 BG NW, § 32 LBG Rh.-Pf., § 32 BG Saar und § 33 BG Schi.-Hol. § 28 BG Hmb., § 33 BG Saar und § 34 BG Schl.-Hol. bestimmen noch, daß das Einverständnis der aufnehmenden Stelle vorliegen muß, wenn mit der Abordnung bzw. Versetzung der Wechsel der Verwaltung oder des Dienstherrn verbunden ist, wobei das Einverständnis schriftlich zu erklären und in der Verfügung zum Ausdruck zu bringen ist. Im Gegensatz zur Versetzung behält der Beamte bei der Abordnung sein bisheriges Amt, während er lediglich vorübergehend bei einer anderen Dienststelle tätig wird. Er behält seine bisherige Amtsbezeichnung und seine Dienstbezüge. Oft bereitet eine Abordnung nur eine Versetzung vor und wird nach einem gewissen Zeitablauf in eine solche geändert. Die Abordnung ist eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn, die sich nach den dienstlichen Bedürfnissen richtet63. Ob es sich bei der Abordnung ebenso wie bei der Versetzung um einen justiziablen Verwaltungsakt handelt, ist bestritten, zumal dem Beamten sein bisheriges Amt verbleibt und so der Anschein entsteht, daß in seine Rechtssphäre nicht eingegriffen wird. Hiernach könnte die Abordnung ebenso wie die Zuweisung anderer Dienstgeschäfte bei derselben Behörde lediglich einen Dienstbefehl darstellen, der einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhält. Deshalb wird bisweilen in der Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, daß die Abordnung keinen anfechtbaren Verwaltungsakt, sondern nur eine nichtjustiziable DienstanweiV G Freiburg 23. 7. 56 — VS II 122/56 — in BWVB1.1957 S. 41. DokBer. Nr. 693. 62 OYG Lüneburg 5. 10. 62 — II A 29/62 — in Recht und Wirtschaft der Schule, 1962 S. 374 mit Anm. von S c h r e c k e n b e r g e r . 63 OVG Lüneburg 27.11. 56 — II Β 47/56 — VRspr. Bd. 9 S. 816. 60
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sung darstellt64; an dieser rechtlichen QualifÌ2Ìerung solle sich auch dann nichts ändern, wenn die Abordnung an einem Rechtsmangel leidet; eine Anfechtung könnte allenfalls dann bejaht werden, wenn von dem Beamten etwas Unzumutbares verlangt wird, das mit den Obliegenheiten des Beamtenverhältnisses im allgemeinen oder im konkreten Falle schlechthin unvereinbar ist. Nach dieser Rechtsprechung ändert sich an der Qualifizierung als interner Dienstbefehl auch dann nichts, wenn sie einen Behördenwechsel mit einem örtlichen Wechsel herbeiführt und der Beamte nicht mehr im Weisungsbereich der bisherigen Behörde verbleibt. Nach herrschender Rechtsprechung65 jedoch ist die Abordnung zumindest dann ein justiziabler Verwaltungsakt, wenn sie hinsichtlich ihrer Auswirkungen einer Versetzung gleichzusetzen ist. Wenn also eine als „Abordnung" bezeichnete Verfügung offenbar auf eine definitive Entfernung des betroffenen Beamten aus den Funktionen des von ihm bekleideten Amtes abzielt, so ist sie, da sie insoweit der Versetzung gleichzuachten ist, verwaltungsgerichtlich nachprüfbar66. Die Versetzungsverfügung ist mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Das gleiche gilt auch für die Abordnungsverfügung, wenn sie einer Versetzung gleichkommt. Der Beamte kann gegen beide Maßnahmen Widerspruch einlegen und im Falle seiner Ablehnung oder Nichtbescheidung die Klage vor den Verwaltungsgerichten erheben; in diesen Fällen67 braucht der Beamte der Versetzung und Abordnung wegen der aufschiebenden Wirkung der von ihm eingelegten Rechtsmittel keine Folge zu leisten. Zu der Frage der mißbräuchlichen Ausnutzung des Widerspruchs- und Klagerechts vgl. § 53 II Β 1 S. 592. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse angeordnet hat (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Bei einer Abwägung der Interessen an der sofortigen Vollziehung einer Versetzungsverfügung geht das öffentliche Interesse vor, wenn der feeamte nicht schwerwiegende Gründe geltend machen kann68. Sobald die sofortige Vollziehung durch die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet ist, muß der Beamte mit der Zustellung dieser Anordnung seine Beschäftigung bei der Dienststelle aufnehmen, zu der er versetzt bzw. abgordnet ist. In der Zeit zwischen der Einlegung eines Rechtsmittels und der Zustellung der Verfügung, durch die sofortige Vollziehung der Versetzung bzw. Abordnung angeordnet ist, muß der Beamte, um den Verlust seiner Dienstbezüge gemäß § 73 Abs. 2 BBG und eine disziplinarische Bestrafung wegen Ungehorsams zu vermeiden, seinem bisherigen Dienstvorgesetzten zumindest seine Dienste anzubieten; er darf das nur dann unterlassen, wenn es ihm wegen der mit Bestimmtheit zu erwartenden Ablehnung nicht zuzumuten ist69. Auf Antrag des Beamten kann das Gericht der Hauptsache V G Freiburg 8. 5. 53 — VS 412/52 — in DYB1.1954 S. 550 (LS) = ZBR1954 S. 154. OVG Lüneburg 25. 6. 57 — II Β 35/37 — VRspr. Bd. 9 S. 817. 68 OVG Koblenz 15.12. 53 — 2 C 80/53 — VRspr. Bd. 8 S. 744 = AS Bd. 4 S. 57; BDH in DokBer. Nr. 1913. 67 Vgl. BayrDStH 16. 7. 54 — PL-DH I 1/54 — BDHE Bd. 1 S. 186; OVG Koblenz in ZBR 1954 S. 188; V G Stuttgart 13. 2. 53. 6 8 Ule, a. a. O. S. 29; B a r i n g in DVB1. 1952 S. 395; OVG Munster in NJW 1953 S. 160; V G Freiburg in ZBR 1954 S. 154; a. M. F i s c h b a c h , Einl. S. 24 ff. und Anm. 1 zu § 26 BBG, der nur bei Ermessensmißbrauch die Klage zuläßt; völlig ablehnend V G Freiburg in ZBR 1954 S. 154. 89 OVG Lüneburg 10. 9. 59 — II Β 35/59 — in DöD 1959 S. 216 = NDBZ 1959 S. 269 = ZBR 1959 S. 393. 64
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die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherstellen; der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ( § 8 0 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die Versetzung bzw. Abordnung im Zeitpunkt der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bereits vollzogen, so kann das Verwaltungsgericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen ( § 8 0 Abs. 5 Satz 3 VwGO). Die Nichtbefolgung einer Versetzungsanordnung bzw. einer Abordnungsverfügung stellt ein schweres Dienstvergehen dar 70 . Ein Beamter, der sich trotz wiederholter eindringlicher Hinweise auf die für ihn daraus entstehenden Folgen hartnäckig weigert, einer Versetzungs- bzw. Abordnungsverfügung nachzukommen, und der den Dienst bei der neuen Dienststelle nicht antritt, macht sich eines schweren Dienstvergehens schuldig, das grundsätzlich die Höchststrafe rechtfertigen wird 71 . Der Hinweis eines Beamten, daß er durch seine Abordnung in seiner Tätigkeit als Personalratsmitglied behindert wird, schlägt bei einer kurzfristigen, unumgänglich notwendigen Abordnung nicht durch. Die Weiterarbeit des Personalrats ist in derartigen Fällen durch die Einschaltung von Vertretern gewährleistet 72 . Soll der Beamte bei der Nichtbefolgung einer Versetzungs- und Abordnungsverfügung bestraft werden, so muß ihm das Bewußtsein der Dienstwidrigkeit nachgewiesen werden, wobei auch bedingter Vorsatz genügt. Der Mangel dieses Bewußtseins kann auch auf einem Rechtsirrtum beruhen, der aber frei von Fahrlässigkeit über bestehende Rechtsvorschriften sein muß 73 . Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn die Unkenntnis des Beamten hinsichtlich der bestehenden Vorschriften über die Befolgung einer Versetzungs- oder Abordnungsverfügung und deren Anfechtungsmöglichkeiten auf einen Mangel an Sorgfalt und Überlegung, für dessen Behebung er hätte Sorge tragen müssen, zurückzuführen ist74. Der Beamte darf dem Rat seines Rechtsbeistandes, die Aufnahme des Dienstes an der neuen Beschäftigungsstelle zu verweigern, nicht blindlings vertrauen, sondern muß ihn um eine Begründung seines Rates angehen und notfalls dessen Ratschlag nachprüfen lassen. Auf keinen Fall kann aber dem Beamten aufgegeben werden, hier den Rat eines weiteren Anwalts in Anspruch zu nehmen, zumal ihm hierdurch weitere Kosten entstehen würden. F. Verweigerung von Sonderdienstleistungen Eine Bestrafung wegen Verweigerung eines Dienstbefehls kommt auch dann in Frage, wenn sich derselbe nicht auf die eigentliche Amtstätigkeit des Beamten bezieht. Entscheidend ist allein, daß der Beamte zu einem Handeln oder Unterlassen auf Grund einer allgemeinen organisatorischen Anordnung oder auf Grund der allgemeinen Beamtenpflichten verpflichtet ist. Einen völlig außerhalb seines Geschäftskreises liegenden Auftrag braucht er nicht auszuführen76. Andererseits kann er jedoch zu Sonderdiensten über seine 70 OVG Münster 30. 5. 58 — Y 16/58 — in ZBR 1958 S. 387 = DöD 1958 S. 187; DokBer. Nr. 327. 71 BDH 28. 2. 61 — II DV 4/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 316. 72 BDH 21. 8. 56 — II D 80/55 —. 73 BayrDStH 29. 2. 60 — Nr. 23 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 6 (LS). 74 DStH — Dienststrafsenat Stuttgart 16. 7. 54 — DH I 1/54 —. 78 PrOVG 24.1.1894 — Rep. I. A. 41/98 — PrOVG Bd. 26 S. 412 = P e r w o , S. 30.
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Arbeitszeit hinaus herangezogen werden, wenn zwingend dienstliche Verhältnisse dies erfordern76. Der Beamte kann als Fachbeamter bei einem außergewöhnlichen Arbeitsunfall über seinen eigentlichen Tätigkeitsbereich hinaus zu Sonderdienstleistungen herangezogen werden. So muß ζ. B. ein technischer Postinspektor der Anordnung seines Dienstvorgesetzten Folge leisten, anläßlich der Bewältigung des Weihnachts- und Neujahrsverkehrs beim Sortieren von Briefsendungen mitzuwirken. Der Bundesdisziplinarhof führte hierzu folgendes aus : „Wohl müssen dienstliche Aufforderungen, um nach § 55 BBG wirksam zu sein, in den Amtsbereich des Beamten fallen. Die Grenzen des Amtsbereiches, des dienstlichen Wirkungskreises werden durch generelle Regelungen gezogen, die zwar regelmäßig bestimmte fachliche oder organisatorische Merkmale zum Gegenstand haben werden, sich darauf aber keineswegs beschränken. Aus der allgemeinen Verpflichtung des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, ergibt sich zugleich die Pflicht zu einem vom regelmäßigen Aufgabenbereich abweichenden Einsatz, soweit dieser sachlich geboten und persönlich vertretbar ist. Das geltende Beamtenrecht kennt überdies nur einen einheitlichen Begriff des Beamten und des Beamtenberufes. Auch der Fachbeamte steht mit seiner ganzen Person in einem Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn und dient so der Allgemeinheit. Starres Spezialistentum ist ebensowenig wie eine enge bürokratische Haltung geeignet, den Anforderungen einer ausgedehnten staatlichen Verwaltung in einer modernen Gesellschaft zu genügen. Aus dem wechselseitigen Treueverhältnis lassen sich ohne Schwierigkeiten die Schranken einer derartig allgemeinen Beamtenpflicht ableiten, die bei vernünftiger und billiger Abwägung aller Interessen zu ziehen sind. Der Dienstherr wird deshalb von seinem Beamten erwarten können, daß sie bei dringenden dienstlichen Bedürfnissen ihre persönlichen Interessen zurückstellen."
G. Verweigerung eines Dienstbefehls durch ein Personalratsmitglied Die Tatsache allein, daß sich der Beamte auf seine Mitgliedschaft im Personatart beruft, macht seine Maßnahme nicht zu einer solchen des Personalrats77. Verbietet ζ. B. der Amtsvorsteher einem Beamten, der Mitglied des Personalrats ist, durch eine dienstliche Lautsprecheranlage das Personal aufzufordern, die Einrichtungen der Kantine zu boykottieren, so macht sich dieser Beamte disziplinarisch strafbar, wenn er sich wohl als Personalratsmitglied dennoch zu einer solchen Durchsage entschließt, wenn jedoch ein entsprechender Beschluß des Personalrats nicht vorliegt. Liegt hingegen ein Beschluß des gesamten Personalrats vor, so würde ein Dienstbefehl unzulässig sein, der den Personalrat in seiner gesetzlich zulässigen Tätigkeit behindert; ein derartiger Dienstbefehl würde unwirksam sein78. Das Personalratsmitglied würde sich in diesem Falle keiner Verletzung der Gehorsamspflicht schuldig machen. Würde sich der Beamte jedoch bei der Ausübung seiner ihm verbotswidrig untersagten Tätigkeit dadurch einer Dienstpflichtverletzung schuldig machen, daß er ζ. B. das Personal gegen den Amtsvorsteher aufwiegelt, so kann er wohl nicht wegen Ungehorsams, sondern wegen Unbotmäßigkeit gegenüber seinem Dienstvorgesetzten bestraft werden; hierbei kann er sich nicht damit entlasten, daß er als Personalratsmitglied gehandelt hätte. H. Nichtbefolgung der Residenzpflicht Der Beamte ist zwar nicht mehr gehalten, an seinem Dienstort zu wohnen ( § 7 4 Abs. 1 BBG), weil nach den Bestimmungen des BBG und der Beamten76 77
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BDH 15. 5. 62 — III DV 2/62 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 614 = ZBR 1963 S. 30· 78 D i e t z , Anm. 10 zu § 59 PersVG. DokBer. Nr. 1041.
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gesetze der Länder keine Residenzpflicht mehr besteht79; er kann jedoch von seinem Dienstvorgesetzten angewiesen werden, seine Wohnung innerhalb bestimmter Entfernung von seiner Dienststelle zu nehmen oder eine Dienstwohnung zu beziehen, wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern (§ 74 Abs. 2 BBG). Dies kann ζ. B. für einen Schul- oder Behördenleiter in Frage kommen. Die Verpflichtung, den Wohnsitz so zu nehmen, daß die Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt werden, was man als Residenzpflicht bezeichnet, ist so selbstverständlich, daß dieser Grundsatz auch dann anzuerkennen ist, wenn hierfür eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung fehlen sollte 80 . Um Dienstwohnungen handelt es sich bei solchen Wohnungen oder einzelnen Wohnräumen, die Beamte als Inhaber bestimmter Dienstposten unter ausdrücklicher Bezeichnung als Dienstwohnung ohne Abschluß eines Mietsvertrages zugewiesen erhalten. Die Regelungen über Dienstwohnungen sind in den Vorschriften über Reichsdienstwohnungen — Dienstwohnungsvorschriften (DWV) — vom 30. 1. 37 (RBB S. 116), vom 4. 5. 40 und vom 10. 5. 40 (RBB S. 91) enthalten. Wenn das Beziehen der Dienstwohnung für den Beamten eine besondere Härte darstellt und wenn den dienstlichen Belangen auch ohne das Beziehen der Dienstwohnung ausreichend Rechnung getragen werden kann, kann der Beamte von dem Beziehen der Dienstwohnung entbunden werden 81 . Der Beamte muß der Wohnsitzanordnung auch dann Folge leisten, wenn er nach § 60 BBG zwangsbeurlaubt82 oder nach § 78 BDO des Dienstes enthoben ist 83 , weil die Behörde ζ. B. eine Interesse haben kann, den Beamten zur schnellen und möglichst nicht kostspieligen Durchführung der Vorermittlungen oder der Untersuchungshandlungen am Dienstort ständig erreichen zu können. Da das Beamtenverhältnis trotz Zwangsbeurlaubung und vorläufiger Dienstenthebung unberührt bleibt, kann dem zwangsbeurlaubten und dienstenthobenen Beamten aufgegeben werden, zum Verlassen des Wohnortes oder des Dienstsitzes die Genehmigung des Dienstvorgesetzten einzuholen84. Von der Wohnsitzanordnung bleibt natürlich die Befugnis des Beamten unberührt, in seiner dienstfreien Zeit seinen Dienstort zu verlassen. Wenn es die dienstlichen Verhältnisse dringend erfordern, kann der Beamte allerdings angewiesen werden, sich während der dienstfreien Zeit in erreichbarer Nähe seines Dienstortes aufzuhalten (§75 BBG). Hieraus ergibt sich auch die Verpflichtung, in einem Urlaubsgesuch den jeweiligen Aufenthaltsort anzugeben; u. U. kann sich aus dienstlichen Gründen eine Rückberufung vom Ur79 S c h ü t z , Arbeitszeit, Residenzpflicht, Urlaub und unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Beamtenrecht in DöD 1958 S. 141; S c h i e ß l e r , Zur Residenzpflicht in BBZ 1958 S. 147; Hammer, Residenzpflicht und Grundrechte in ZBR 1953 S. 216; BDH 8. 5. 63 — I D 13/62 — und I D 66/62 — BDHE Bd. 6 S. 100. 80 Vgl. BayrVGH 21. 10. 57 — Nr. 99 III 56 —, 10. 3. 58 — Nr. 243 III 56 —. 8 1 BayrDStH 31. 10. 58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 413. 82 BDH 6 . 1 1 . 56 — II D 145/55 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 175; DokBer. Nr. 872. 83 BDH 24. 11. 55 — II D 69/55 — BDHE Bd. 2 S. 14 = J Z 1956 S. 366 (LS). 84 Vgl. B e h n k e , Anm. 10 zu § 78 BDO; W i t t l a n d , Anm. 16 zu § 78 RDStO; Fischbach, Anm. III zu § 60 BBG; D i s t e l - S e l g e , Anm. 5 zu § 60 BBG; B r a n d , Anm.l3c Abs. 3 zu § 17 DBG; PrOVG Bd. 83 S. 98 und Bd. 99 S. 250; RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 130; Thür. OVG in JW 1928 S. 2748; RG in J W 1932 S. 492.
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laub als notwendig erweisen. Die Anweisung nach § 75 BBG kann einem einzelnen Beamten, einer Beamtengruppe oder den Beamten einer bestimmten Dienststelle erteilt werden. Die Anweisung nach § 75 BBG kann auch befristet erteilt werden oder sich nur auf bestimmte Tageszeiten beziehen. Eine Anordnung nach § 75 BBG ist nicht mit dem Bereitschaftsdienst zu verwechseln. Um letzteren handelt es sich, wenn der Beamte angewiesen wird, sich in seiner Dienststelle zur Verfügung zu halten. Die Anweisung nach § 75 BBG kann nur erteilt werden, wenn es besondere dienstliche Verhältnisse dringend erfordern; sie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstvorgesetzten. Ist der Beamte erkrankt, so wird von ihm erwartet werden können, daß er sich zwecks Wiederherstellung seiner Gesundheit zu Hause aufhält. Ein mehrstündiger Ausflug eines erkrankten, ausgehfähig geschriebenen Beamten an einem Tage unterliegt jedoch nicht der Anzeigepflicht, da das Grundrecht der Freizügigkeit für den Beamten nur den dienstlich notwendigen Beschränkungen unterliegt 85 . Gegen die Aufforderung, seine Wohnung innerhalb bestimmter Entfernung von seiner Dienststelle zu nehmen oder eine Dienstwohnung zu beziehen oder sich in der dienstfreien Zeit in erreichbarer Nähe seines Dienstortes aufzuhalten, kann der Beamte Widerspruch erheben und nach Ablehnung desselben oder Nichtbescheidung Klage vor den Verwaltungsgerichten erheben; macht er von den ihm zustehenden Rechtsbehelfen Gebrauch, so braucht er bis zur rechtskräftigen Abweisung seiner Klage der Anordnung keine Folge zu leisten, es sei denn, daß die sofortige Vollziehung angeordnet ist. Zur Frage der mißbräuchlichen Ausnutzung des Widerspruchs- und Klagerechts siehe § 53 II Β 1 S. 592. Da die Anordnungen des Dienstvorgesetzten nach § 74 Abs. 2 BBG in sein pflichtgemäßes Ermessen gestellt sind, hat eine Klage nur bei der Ausübung eines Ermessensmißbrauchs Aussicht auf Erfolg. Wenn auch grundsätzlich keine Residenzpflicht besteht, so kann eine schuldhafte Verletzung der Dienstpflicht jedoch darin bestehen, daß der Beamte ohne Vorwissen seiner Behörde von seinem Dienstort verzieht, und zwar in einer Weise, die einen Abbruch jeglicher Verbindung mit seinem Dienstherrn nahekommt86. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn ein des Dienstes enthobener Beamter in die DDR verzieht. Die in den §§ 74f. BBG festgelegte Residenzpflicht ist unverändert auch in den einzelnen Landesbeamtengesetzen verankert, so in den § § 85, 86 LBG BW, Art. 82 BG Bayr., §§ 38, 39 LBG Bln., §§73, 74 BG Brm., §§ 87, 88 BG Hmb., §§ 87, 88 HBG, §§ 82, 83 NBG, §§ 76, 77 BG NW, §§ 82, 83 LBG Rh.-Pf., §§ 87, 88 BG Saar und §§ 90, 91 BG Schl.-Hol. J. Nichtbefolgung von Weisungen des Dienstvorgesetzten, die sich auf den Privatverkehr des Beamten beziehen Der Dienstvorgesetzte kann nicht nur hinsichtlich der Bestimmung des Wohnsitzes in das Privatleben eingreifen. Er kann dem Beamten auch sonst Anweisungen geben, die sich auf seinen Privatverkehr beziehen. Falls der Beamte wegen deren Nichtbeachtung bestraft werden soll, ist zunächst zu prüfen, ob für den in der Weisung enthaltenen Eingriff in das Privatleben 88 85
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DokBer. Nr. 749. DokBer. Nr. 1719.
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des Beamten ein dienstliches Bedürfnis vorlag 87 . Dies kann ζ. B. darin bestehen, daß der Beamte ehewidrige Beziehungen aufgenommen hat, die in der Nachbarschaft sein Ansehen in seinem Berufsstand erheblich beeinträchtigt haben. K. Nichtbefolgung einer Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung Der dienstlichen Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, muß der Beamte nachkommen88. Auch außerhalb des förmlichen Disziplinarverfahrens ist der Beamte verpflichtet, auf Weisung seines Dienstvorgesetzten sich von beamteten Ärzten untersuchen zu lassen und einer Beobachtung durch solche Ärzte in einer Krankenanstalt während eines ärztlich für erforderlich gehaltenen Zeitraumes zu unterziehen, wenn dienstliche Belange diese Maßnahmen erfordern 89 . Die Pflicht, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, besteht nicht nur, wenn die Behörde den Beamten für dienstfähig erklärt, sondern auch dann, wenn sie ihn für dienstunfähig hält. Die Einholung eines amtsärztlichen Zeugnisses wird insbesondere dann in Frage kommen, wenn der Beamte sich auf längere Zeit krank gemeldet hat und eine begründete Annahme besteht, daß er sich durch die Flucht in eine angebliche Krankheit seiner Dienstleistungspflicht entziehen will. Oft meldet sich der Beamte krank, wenn er gegen seinen Willen versetzt oder ihm ein nichtgenehmer Arbeitsplatz zugewiesen wird. Kommt der Beamte der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung nicht nach, so kann er wohl nicht gezwungen werden, sich derselben zu unterziehen, es sei denn, daß es sich um eine Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt im Rahmen des disziplinaren Unterbringungsverfahrens nach § 48 BDO, BDO i. d. F. der Novelle handelt. Er macht sich jedoch wegen Verletzung der Gehorsamspflicht strafbar, wenn er der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung nicht nachkommt. Selbst wenn sich später herausstellen sollte, daß er wirklich ernstlich erkrankt war, ändert dies an der Bestrafung wegen Ungehorsams nichts90. Ebenso kann der Beamte nicht einwenden, daß er sich erst in einem Zwangszurruhesetzungsverfahren nach § 44 BBG zu einer amtsärztlichen Untersuchung bereiterklären muß, weil sich die Verpflichtung hierzu erst aus § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG unmittelbar ergibt. Der Dienstvorgesetzte kann oft erst auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens feststellen, ob die Anordnung des recht komplizierten Zwangszurruhesetzungsverfahrens Erfolg verspricht91. Aus diesem Grunde hat der Beamte nicht das Recht, sich bis zur Anordnung des Zwangszurruhesetzungsverfahrens einer amtsärztlichen Untersuchung zu entziehen. Die Anordnung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, stellt sich im Rahmen des § 44 BBG als ein Verwaltungsakt dar. Legt der Beamte hiergegen Widerspruch ein, so äußert dieser aufschiebende Wirkung und befreit ihn von der Pflicht zur Ausführung unabhängig davon, ob der Anordnung eine RechtsPrOVG 1 3 . 1 0 . 1 3 — D. S. 10/13 — PrOVG Bd. 65 S. 436 = P e r w o , S. 134. BDH 15. 3. 56 — II D 133/55—; RDH S c h u l z e - S i m o n s , S. 63; N a d l e r - W i t t l a n d - R u p p e r t , DBG S. 1121 RdNr. 21 zu § 73 DBG; P l o g - W i e d o w , Anm. 11 zu § 42 BBG; A m b r o s i u s , Beamtengesetz für Nordrhein-Westfalen, Anm. 4 zu § 31; B r a n d , DBG, 3. Aufl. S. 537. 8 9 PrOVG 28.1. 32 — IX. O. 38/31 — PrOVG Bd. 89 S. 410 = P e r w o , S. 290. 90 RDH in RVB1. Bd. 59 S. 1115. 91 PrOVG Bd. 89 S. 410 (413). 87
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mittelbelehrung beigefügt worden ist oder nicht (vgl. § 58 Abs. 1 VwGO). Zur Frage der mißbräuchlichen Ausnutzung des Widerspruchs- und Klagerechts siehe § 53 II Β 1 S. 592. Solange der Beamte aber keinen Widerspruch eingelegt hat und seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung auf amtsärztliche Untersuchung von seiner Dienstbehörde nicht anerkannt worden sind, begeht er ein Dienstvergehen, wenn er der Anordnung keine Folge leistet92. Hierbei ist es ohne Bedeutung, daß der Beamte eine andere Rechtsauffassung vertritt als seine Dienstbehörde. Er handelt auf eigene Gefahr, wenn seine Weigerung später nicht als berechtigt anerkannt wird 93 . Die in einem nichtförmlichen Disziplinarverfahren gegen den Beschuldigten seitens der Dienstbehörde ergangene Anordnung, sich auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen, ist gleichfalls nicht erzwingbar; eine solche Anordnung kann lediglich das Disziplinargericht treffen. Befolgt der Beschuldigte nicht die Anordnung des Dienstvorgesetzten, so macht er sich keines Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht schuldig 94 . Hierbei bleibt es gleich, ob die Untersuchung durch einen privaten oder durch einen Amtsarzt durchgeführt werden soll. Die Verpflichtung des Beamten, sich gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 BBG nach Weisung seiner Behörde untersuchen zu lassen, besteht nur im Rahmen der Voraussetzungen für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. L. Weigerung, sich einer Operation zu unterziehen Ob der Beamte verpflichtet ist, sich einer Operation zu unterziehen, ist äußerst umstritten95. Ist die Operation nach den gegenwärtigen ärztlichen Erkenntnissen ohne Gefahr für Leib und Leben, so kann der Beamte aus der Treue und Gehorsamspflicht heraus verpflichtet sein, sich einer Operation zu unterziehen96. W e i t e r h i n muß d u r c h die O p e r a t i o n die W i e d e r h e r s t e l l u n g s e i n e r v o l l e n L e i s t u n g s - und D i e n s t f ä h i g k e i t g e w ä h r l e i s t e t sein. Die Verpflichtung, sich einer Operation zu unterziehen, folgt aus der Treue- und Gehorsamspflicht, wonach der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten seinem Dienstherrn die volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat97. Damit obliegt es ihm, die Arbeitskraft im Interesse des Dienstherrn zu erhalten und die beschränkte oder verlorene Arbeitskraft wiederherzustellen. Die Verpflichtung, sich der Operation zu unterziehen, steht nicht in Widerspruch zu Art. 2 GG. Diese Vorschrift will nur die Vornahme von körperlichen Eingriffen verhindern, die Versehrungen darstellen, was ζ. B. bei einer Zwangssterilisierung der Fall wäre. Im übrigen können beim Beamten mit Rücksicht auf das bestehende Gewaltsverhältnis zum Staat die Grundrechte 92 93 94
Nr. 607.
DiszSenat OVG Münster 29. 12. 61 — W 11/61 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 148. Schütz, DONW S. 100. BDH 19. 12. 61 — III D 48/61 — in NJW 1962 S. 512 u. 840 = L i n d g e n , Teil IV
95 P l o g - W i e d o w , Anm. 11 zu § 42 BBG; W i t t l a n d , Anm. 82 zu § 1 RStO; Nadl e r - W i t t l a n d - R u p p e r t , DBG S. 1122; S c h o r n in RPrVBL Bd. 52 S. 610; F i s c h b e c h , DBG S. 703; B o c h a l l i , Anm. 4 zu § 42 BBG; F o e r s t e r in RPrVBl. Bd. 52 S. 970; D ö g e , Die Verletzung der Pflicht zur Erhaltung und Wiederherstellung der Dienstfähigkeit als Dienstvergehen in ZBR 1961 S. 367; vgl. auch Bonner Kommentar 1950 Art. 2 II c; G i e s e , 4. Aufl. Er. II 5 zu Art. 5 G G ; N e u m a n n - N i p p e r d e y - S c h e u n e r , II S. 62/63; W e i m a r , Wann und inwieweit muß sich ein Beamter einer Operation unterziehen? in DöD 1964 S.47. 96 B o c h a l l i , Anm. 4 zu § 45 BG NW. 97 P l o g - W i e d o w , Anm. 11 zu § 42 BBG.
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gewissen Einschränkungen unterliegen. Da die Pflicht des Beamten, sich einer zumutbaren Operation zu unterziehen, ein Ausfluß seiner allgemeinen sich auf die Bestimmungen der § § 52, 54 BBG gründenden Treuepflicht zum Staate ist, verstößt somit das Verlangen einer vorgesetzten Dienststelle gegenüber einem ihr unterstellten Beamten, sich einer zumutbaren Operation zu unterziehen, nicht gegen das Grundgesetz98. Die Operation ist dem Beamten zuzumuten, wenn sie einfach und gefahrlos, nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und sich weiter die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet". Hierzu rechnen ζ. B. die Entfernung leichter Knochensplitter und Fremdkörper, nicht jedoch eine schwierige Darm- und Magenoperation, die Entfernung eines Tumors im Gehirn oder die Amputation eines Beines oder Armes 100 . Unterzieht sich ein Beamter nicht einer Operation, die keine Gefahr für Leben oder Gesundheit bedeutet (vgl. § 137 Abs. 2 BBG), so kann ihm die oberste Dienstbehörde die Unfallfürsorge insoweit versagen (vgl. § 149 Abs. 2 BBG). Ob darüber hinaus auch der Beamte disziplinarisch verfolgt werden kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. So kann der Beamte dann disziplinarisch bestraft werden, wenn seine Dienst- und Erwerbsfähigkeit durch irgendein Leiden erheblich eingeschränkt ist und durch eine völlig harmlose Operation die volle Dienstfähigkeit mit aller Wahrscheinlichkeit wiederhergestellt werden kann. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Beamte sich aus Furcht oder Angst nicht der Operation unterziehen will. Eine verminderte Entschlußfähigkeit kann dennoch zu einer Bestrafung führen, wenn die Aussichten für einen Erfolg der Operation durchaus günstig zu beurteilen sind. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Ängstlichkeit des Beamten wird es vor allem auf das Alter des Beamten, seinen allgemeinen Gesundheitszustand, die Verfassung seiner Nerven, und die Sorge um die Familie beim Ableben des Beamten abzustellen sein 101 . M. Weigerung, Dienstkleidung zu tragen Der Beamte ist verpflichtet, die durch dienstliche Anordnung vorgeschriebene Dienstkleidung zu tragen. Die Bestimmungen über Dienstkleidung, die bei Ausübung des Amtes üblich und erforderlich ist, erläßt der Bundespräsident ( § 7 6 Satz 1 BBG). Die Ausübung der Befugnis kann er auf andere Stellen übertragen ( § 7 6 Satz 2 BBG). Mit dem Tragen von Dienstkleidung befassen sich im Landesbeamtenrecht § 87 LBG BW, Art. 83 BG Bayr., § 40 LBG Bln., § 76 BG Brm., § 78 BG Hmb., § 89 HBG, § 84 NBG, § 82 BG NW, § 84 LBG Rh.-Pf., § 89 BG Saar und § 92 BG Schl.-Hol; hierbei ist das dem Bundespräsidenten eingeräumte Recht den Ministerpräsidenten bzw. den Landesregierungen übertragen worden. § 87 Abs. 1 LBG BW, § 40 LBG Bln. und § 78 BG Hmb. stellen ausdrücklich eine Verpflichtung zum Tragen von Dienstkleidung für die Beamten auf, die nach besonderer gesetzlicher Vorschrift mit Dienstkleidung ausgestattet sind. § 76 BG Brm. bringt schließlich zum Ausdruck, daß den zum Tragen von Dienstkleidung ver9 8 BDH 2. 6. 59 — III D 63/57 — BDHE Bd. 5 S. 39 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 512 = DokBer. Nr. 1186. 99 Vgl. BGHZ Bd. 10 S. 19. io» vgl. W e i m a r , a. a. O. S. 48. 1 0 1 A. a. O. S. 49.
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pflichteten. Beamten die für die Ausübung ihres Dienstes erforderliche Bekleidung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen ist. Als Dienstkleidung gelten Kleidungsstücke, die zur besonderen Kenntlichmachung im dienstlichen Interesse an Stelle anderer Kleidung während des Dienstes getragen werden müssen. Bezüglich des Tragens von Dienstkleidung gelten im Bereich der Bundesverwaltungen die AO des Bundespräsidenten vom a) 29. 1. 52 (BGBl. I S. 90) — Bundesgrenzschutz — und Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder —, b) 1. 3. 55 (BGBl. I S. 92) — Beamte des Bundesministerium des Innern —, c) 30. 3. 57 (BGBl. I S. 366) — Beamte der Deutschen Bundespost —, d) 2. 4. 57 (BGBl. I S. 366) — Beamte der Bundesverkehrsverwaltung —, e) 4. 4. 57 (BGBl. I S. 369) — Beamte der Bundeszollverwaltung —, f) 10. 9. 57 (BGBl. I S. 1328) — Forstbeamte des Bundes —, g) 21. 8. 59 (BGBl. I S. 661) — Amtsgehilfen —. Der Beamte, der zum Tragen von Dienstkleidung verpflichtet ist, macht sich eines Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht schuldig, wenn er zum Dienst nicht in der vorgeschriebenen Kleidung erscheint. Für die Bestrafung ist es gleichgültig, ob er von seinem Vorgesetzten hierzu ausdrücklich aufgefordert worden ist, weil sich die Verpflichtung zur Tragung der Dienstkleidung unmittelbar aus Gesetz oder Dienstanweisung ergibt. Ist der Beamte allerdings von seinem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten wiederholt ermahnt worden, zum Dienst in Dienstkleidung zu erscheinen, so stellt es einen besonders groben Verstoß gegen die Gehorsamspflicht dar, wenn der Beamte trotzdem dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Er kann zu seiner Strafmilderung nicht einwenden, daß er während der Zeit, in der er keine Dienstkleidung getragen hatte, mit Publikums verkehr nichts zu tun hatte, er also in der Dienstkleidung nicht als Repräsentant seines Dienstherrn aufzutreten brauchte. Der Beamte macht sich auch dann disziplinarisch strafbar, wenn er nur Teile der Dienstkleidung trägt, im übrigen aber zivil gekleidet den Dienst antritt. Ebenso stellt es einen Verstoß gegen seine Dienstpflichten dar, wenn er wiederholt seine Dienstkleidung in einem nichtordnungsgemäßen Zustand trägt. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht, sondern um einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit; es ist nicht nur erforderlich, daß der Beamte seine dienstlichen Aufgaben ordnungsgemäß erledigt, sondern daß er insbesondere als Uniformträger in einem ordentlich gekleideten Zustand seinen Kollegen, Vorgesetzten und dem Publikum, mit dem er dienstlich Befassung hat, gegenübertritt. Die Höhe der Strafe richtet sich hierbei nach der Bedeutung, die der Uniform bei der Ausführung der Dienstgeschäfte zukommt, nach der Schädigung desAnsehens des Beamten in der Öffentlichkeit, die durch das unordentliche Tragen der Uniform hervorgerufen wird, und nach der Häufigkeit der einschlägigen Verstöße. N. Wei gerung der Entgegennahme dienstlicher Verfügung Der Beamte begeht ein schweres Dienstvergehen, wenn er eine dienstliche Verfügung, ganz gleich ob diese mündlich oder schriftlich ergeht, nicht entgegennimmt, wobei es gleichbleibt, ob die gegen ihn erlassene Verfügung 698
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zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist 102 . Es bleibt demBeamten unbenommen, ob er gegen die Anordnung Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen oder Widerspruch und im Falle seiner Ablehnung Klage vor den Verwaltungsgerichten erheben will. Auf keinen Fall kann er die Entgegennahme eines Schriftstücks, in dem eine dienstliche Anordnung niedergelegt ist, verweigern. So kann der Beamte nicht die Aushändigung einer Versetzungsurkunde verweigern. Selbst eine ihn begünstigende Verfügung, die aber nicht im vollen Umfange seinen Erwartungen entspricht, muß der Beamte entgegennehmen. Hat der Beamte ζ. B. eine Unterstützung in Höhe von 500 DM beantragt, ist ihm aber nur eine solche in Höhe von 200 DM gewährt worden, so kann er sich nicht weigern, die Bewilligungsverfügung zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Einen erheblichen Verstoß gegen die Dienstpflichten stellt es dar, wenn der Beamte sich in Gegenwart von anderen Kollegen oder gar in Gegenwart von außenstehenden Dritten weigert, eine Verfügung seiner Dienstbehörde entgegenzunehmen. So schädigt er ζ. B. das Ansehen seiner Verwaltung schwer, wenn, er die Annahme eines Schreibens, wonach er sich zur amtsärztlichen Untersuchung einzufinden, hat, gegenüber dem Postzusteller ablehnt. Sein Verhalten stellt hier vor allem eine Achtungspflichtverletzung gegenüber seiner vorgesetzten Dienstbehörde dar. Dagegen braucht der Beamte eine Belehrung nicht zu unterschreiben da diese auch auf andere Weise aktenkundig gemacht werden kann103. 0 . Verpflichtung zum Erscheinen in einem Vorermittlungs- und Untersuchungsverfahren Der Beamte ist verpflichtet, in einem Vorermittlungs- und Untersuchungsverfahren als Zeuge zu erscheinen. Steht ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zu oder wird er als Beschuldigter zur verantwortlichen Vernehmung vorgeladen, so braucht er der Vorlage keine Folge zu leisten, weil er dann zu einer Aussage nicht gezwungen werden kann. Er ist aber in solchen Fällen verpflichtet, von seinem Nichterscheinen der ladenden Stelle Mitteilung zu machen ; ist er als Zeuge vorgeladen, so muß er den Grund, der ihn zur Aussageverweigerung berechtigt, angeben und notfalls seine Angaben glaubhaft machen104.
§ 56. Verstöße gegen die Achtungspflicht 1. ALLGEMEINES Im Interesse der Aufrechterhatlung der Dienstzucht und des Ansehens der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit muß der Dienstherr von seinen Beamten verlangen, daß sie gegenüber ihrer Dienstbehörde, Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten die erforderliche Ehrerbietung und Achtung obwalten lassen. Der Beamte verstößt schwer gegen die Dienstzucht, wenn er es an der erforderlichen Achtung gegenüber seiner Dienstbehörde und seinen Vorgesetzten missen läßt. Die Achtungspflichtverletzung ist nicht mit der Beleidigung im Sinne der §§ 185 ff. StGB gleichzusetzen. Schutzobjekt bei der Beleidigung ist die Ehre, die sich als der aus dem sozialen und sittlichen Wert einer Person entspringende Anspruch auf angemessene, diesem Wert entsprechende Be102 104
1 0 3 DokBer. Nr. 1976. DokBer. Nr. 327. Vgl. für Beschuldigten BDH 26. 2. 63 — III D 52/62 — BDHE Bd. 6 S. 18.
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handlung darstellt1. Die Beleidigung ist die Kundgabe der Mißachtung des Persönlichkeitswertes durch unangemessene Behandlung eines Menschen oder einer Personengemeinschaft oder eines bereits Verstorbenen durch Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen, wobei erschwerend wirkt, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen ist. Die Mißachtung oder Nichtachtung kann den ethischen, daneben aber auch den sozialen Wert eines Menschen treffen, was letzterenfalls u. a. dann in Frage kommt, wenn man ihm die geistigen oder körperlichen Fähigkeiten für seinen Beruf abspricht18. Die disziplinarische Ahndung von Verstößen gegen die Achtungspflicht bezweckt in erster Linie die Aufrechterhaltung der Dienstzucht, wobei der Schutz der Ehre der Personen, die die Dienstbehörde besonders infolge ihrer Stellung als Dienstvorgesetzter oder Vorgesetzter repräsentieren, nur in einem Einzelfalle in Erscheinung tritt. Die Aufrechterhaltung der Disziplin erfordert nicht nur die Achtung der Ehre des Dienstvorgesetzten oder des jeweiligen Vorgesetzten, sondern verlangt von dem Beamten auch die Einordnung in den Dienstbetrieb und die Achtung der Autorität des Vorgesetzten, ohne die eine geordnete Verwaltungstätigkeit nicht denkbar ist. Die B e l e i d i g u n g i m S i n n e der §§ 185ff. S t G B ist n u r eine A u s d r u c k s f o r m der M i ß a c h t u n g des V o r g e s e t z t e n v e r h ä l t n i s s e s , umfaßt jedoch nicht sämtliche Verstöße gegen die der Dienstbehörde, dem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten gebührende Achtung ; sie wird die schwerste Form der Achtungspflichtverletzung darstellen. Daneben verstößt der Beamte auch dann gegen die Achtungspflicht, wenn er Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten wohl in ihrem ethischen oder sozialen Wert nicht nur beeinträchtigt, sondern wenn er durch sein Verhalten die Autorität, die diesen Personen in der Behörde und in der Öffentlichkeit zukommt, mindert, ohne daß über sie durch die Behauptung einer unwahren Tatsache oder eine andere Mißachtenskundgebung ein negatives Werturteil abgegeben wird. Selbst wenn eine Bestrafung nach § 185 StGB ausscheiden sollte, weil die über einen Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten verbreitete Tatsache erweislich wahr ist, kann trotzdem eine disziplinare Bestrafung wegen Verletzung der Achtungspflicht erfolgen, wenn das Ansehen des Vorgesetzten durch die Verbreitung der zutreffenden Tatsache im Bereich seiner Behörde oder der Öffentlichkeit untergraben werden kann oder gar untergraben worden ist. So kann selbst ein Scherz eine Achtungspflichtverletzung darstellen, wenn eine Bestrafung nach § 185 StGB ausscheidet, weil er nicht die Ansicht von der Minderwertigkeit des gefoppten Vorgesetzten ausdrücken sollte. Selbst wenn eine Einwilligung des Vorgesetzten eine Bestrafung nach § 185 StGB ausschließen sollte, ist eine disziplinare Bestrafung dennoch denkbar, wenn die Achtungsverletzung geeignet war, das Ansehen des Behördenleiters oder des Vorgesetzten in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Aus diesem Grunde ist es für eine disziplinare Bestrafung auch nicht entscheidend, daß der Dienstvorgesetzte oder der Vorgesetzte erst einen Antrag auf Bestrafung des schuldigen Beamten wegen Beleidigung stellt. Dabei kommt es auch nicht darauf an, wie schwer der Diesntvorgesetzte oder Vorgesetzte die Mißachtenskundgebung wertet, dem gegenüber sie zum Ausdruck gebracht worden ist. Andererseits ist nicht jede spontane unpassende Äußerung 1 S c h ö n k e - S c h r o d e r , Vorbem. I zu § 185 StGB; vgl. auch BGHSt. (GrS) Bd. 11 S. 70 und BGHSt. Bd. 1 S. 289. l a Bank, Amtsehre und Beamtenehre in DöV 1964 S. 757.
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und nicht jedes Vergreifen im Ausdruck gegenüber dem Vorgesetzten oder über eine von diesem getroffene Maßnahme schon ein Dienstvergehen 2 . Entscheidend ist vielmehr, in welchem Umfange sie geeignet ist, die Dienstzucht zu untergraben. Bei der Achtungspflichtverletzung ist es unerheblich, ob die Pflichtverletzung gegenüber einem Dienstvorgesetzten oder einem Vorgesetzten begangen ist 3 . Ebenso ist es gleichgültig, ob das Dienstvergehen sich gegen den unmittelbaren Dienstvorgesetzten oder den höheren Dienstvorgesetzten oder die oberste Dienstbehörde richtet. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Mißachtenskundgebung sich gegen den Dienstvorgesetzten in seiner Eigenschaft als Behördenleiter oder sich gegen ihn persönlich richtet. Dienstvorgesetzter ist, wer für beamtenrechtliche Angelegenheiten der ihm nachgeordneten Beamten zuständig ist (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BBG). Unmittelbarer Dienstvorgesetzter ist der Leiter der Behörde, bei der der Beamte Dienst verrichtet. Der höhere Dienstvorgesetzte ist der Leiter der übergeordneten Behörde und der höchste Dienstvorgesetzte ist der Leiter der obersten Dienstbehörde, wie ζ. B. im Bereich der Deutschen Bundespost der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. Der Dienstvorgesetzte hat nur gegenüber den ihm nachgeordneten Beamten dienstliche Befugnisse. Ist der Beamte zu einer anderen Behörde abgeordnet, so ist der Behördenleiter unmittelbarer Dienstvorgesetzter, zu der die Abordnung erfolgt ist; daneben bleibt der Dienststellenleiter der Behörde, von der der Beamte abgeordnet ist, Dienstvorgesetzter mit den sich aus der Abordnung ergebenden Einschränkungen. Beim Ruhestandsbeamten interessiert die Frage nach dessen Dienstvorgesetzten nicht, weil er sich einer Achtungsverletzung im disziplinarrechtlichen Sinne nicht mehr schuldig machen kann. Wer als Dienstvorgesetzter in Frage kommt, ergibt sich im allgemeinen aus der jeweiligen Behördenorganisation (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BBG). Der Dienstvorgesetzte bestimmt sich in disziplinarrechtlicher Hinsicht für die DBP aus der Anordnung zur Durchführung der BDO für die DBP und die Bundesdruckerei vom 20. 10. 59 (BGBl. S. 674), für den Bereich des Bundesgrenzschutzes aus der VO zur Durchführung der BDO für den Bundesgrenzschutz vom 1.10.63 (BGBl. I S. 773), für den Bereich der Bundesfinanzverwaltung aus der Anordnung zur Durchführung der BDO für die Bundesfinanzverwaltung vom 23.1. 57 (BGBl. I S. 3), für den Bereich des Bundesministers für Arbeit- und Sozialordnung aus der Anordnung zur Durchführung der BDO im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 20. 5. 58 (BGBl. I S. 382) nebst Anordnung zur Änderung zur Durchführung der BDO vom 15. 2. 63 (BGBl. I S. 138) und für den Bereich der Bundeswehrverwaltung aus der Anordnung zur Durchführung der BDO für die Bundeswehr-Wehrverwaltung vom 10. 8. 65 (BGBl. I S. 773). Ist ein Dienstvorgesetzter nicht vorhanden, so nimmt die zuständige oberste Dienstbehörde die Befugnisse des Dienstvorgesetzten wahr (§ 3 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BBG). Vorgesetzter ist derjenige, der einem Beamten Anordnungen über seine dienstliche Tätigkeit erteilen kann ( § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG). Neben den Dienstvorgesetzten kommt der dem Beamten unmittelbar übergeordnete Beamte 2 3
DiszSenat OVG Münster 15. 8. 62 — Y 15/61 — ZBR 1963 S. 31 ; DokBer. Nr. 1956. DiszSenat OVG Münster 21. 8. 57 — Y 4/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 241.
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in Frage; es kann dies u. U. auch ein Angestellter sein, sofern ihm nur Vorgesetztenfunktionen zugeteilt sind. Entscheidend ist allein, daß der Vorgesetzte auf Grund der allgemeinen Behördenorganisation oder auf Grund einer besonderen Anordnung des Behördenleiters berechtigt ist, dem nachgeordneten Beamten Weisungen zu erteilen4. Der Dienstvorgesetzte kann sogar den gleichen Dienstrang wie der nachgeordnete Beamte haben, weil es für die Vorgesetztenstellung nicht entscheidend auf den Dienstrang ankommt. Der Beamte kann bei der gleichen Behörde mehrere Vorgesetzte haben, sofern er in mehreren Arbeitsgebieten — ζ. B. bei einer Oberpostdirektion in mehreren Referaten — tätig ist. Ist der Beamte zu einer anderen Behörde abgeordnet, so kommt nur Beamten der derzeitigen Beschäftigungsdienststelle Vorgesetzteneigenschaft zu. Die Rechtsstellung zwischen Vorgesetzten und nachgeordneten Beamten ist im Beamtenrecht nur an wenigen Stellen geregelt, wie ζ. B. in § 55 BBG (Pflicht zur Beratung und Unterstützung der Vorgesetzten und zur Ausführung ihrer Anordnungen), in § 56 Abs. 2 und 3 BBG (Pflicht zur Erhebung von Vorstellungen gegen die Rechtmäßigkeit von dienstlichen Anordnungen beim Vorgesetzten), § 67 Abs. 2 BBG (Erweiterung des Rückgriffs gegen den Dienstherrn, wenn der Beamte aus Anlaß einer Nebentätigkeit im Vorstand, Aufsichtsrat usw. einer Gesellschaft auf Anordnung eines Vorgesetzten gehandelt hat) und § 171 Abs. 2 BBG (Einreichung von Beschwerden gegen einen Vorgesetzten beim nächsthöheren Vorgesetzten). Die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Vorgesetzten und nachgeordneten Beamten ist im übrigen der jeweiligen Behördenorganisation überlassen oder ergibt sich aus der Natur des jeweiligen Dienstverhältnisses. II. STRAFRECHTLICHE TATBESTÄNDE A. Beleidigung Die Beleidigung wird mit Geldstrafe oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft (§185 StGB). Durch § 185 StGB wird die Ehre, d. h. der aus dem sozialen und sittlichen Wert einer Person entspringende Anspruch auf eine angemessene, diesem Wert entsprechende Behandlung geschützt. Die Beleidigung stellt eine Kundgabe der Mißachtung dieses Wertes dar5. Die Beleidigung bedeutet eine Kundgebung der Nicht- oder Mißachtung. Ob eine solche vorliegt, ist eine Tatfrage des Einzelfalles. Handlungen und Äußerungen von schlechthin beleidigendem Charakter gibt es nicht". Es kommt vielmehr auf die Anschauungen und Gebräuche der Beteiligten an 7 . Auch ein Scherz kann eine Beleidigung darstellen, wenn er die Ansicht von der Minderwertigkeit des davon Betroffenen enthält8. Die Kundgebung der Mißachtung kann wörtlich, schriftlich oder symbolisch erfolgen Sie muß nur einen bestimmten Inhalt haben und ernst gemeint sein9. Daß die Äußerung vertraulich gemacht wird, ändert nichts an der Kundgebung. Wird die Äußerung im Familienkreis getan, so kann auch hierin eine Kundgebung liegen 10 . Im allgemeinen erfüllen jedoch vertrauliche Äußerungen im engsten Familienkreise nicht den Tatbestand der üblen Nachrede10». Die Beleidigung kann auch mittels einer Tädichkeit erfolgen, d. h. sie muß sich P l o g - W i e d o w , Anm. 16 zu § 3 BBG. BGHSt. Bd. 1 S. 289 und Bd. 11 S. 70. 6 RGSt Bd. 65 S. 1. ' GR in DRZ 1924 S. 530. 8 RG in NJW 1936 S. 2997. 9 S c h w a r z , Anm. 1 C zu § 185 StGB; O l s h a u s e n , Anm. 8 zu § 158 StGB. 10 RGSt. Bd. 71 S. 159. 10 » OLG Celle 8.11. 63 — 4 U 85/63 — in NdsRpfl. 1964 S. 174. 4 6
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unmittelbar gegen den Körper des Angegriffenen richten, wobei eine körperliche Berührung erforderlich ist11. Die Beleidigung muß rechtswidrig erfolgen. Die Rechtswidrigkeit wird durch Einwilligung des Dritten ausgeschlossen12. Gleiches gilt auch, wenn sich der Täter auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen i. S. des § 193 StGB berufen kann (siehe im einzelnen § 40 S. 368ff). Der Täter muß vorsätzlich handeln. Er muß auch den Willen haben, daß ein anderer von der Beleidigung Kenntnis nimmt. Femerhin muß er sich bewußt sein, daß die Äußerung eine Mißachtung darstellt13. Eine besondere Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich.
B. Üble Nachrede Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen geeignet ist, wird, wenn diese Tatsache nicht erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit Geldstrafe oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft (§186 StGB). Eine Tatsache i. S. des § 186 StGB ist ein Ereignis, das Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung sein könnte14, wozu auch innere Vorgänge, wie ζ. B. Charaktereigenschaften, gehören, sofern sie zu äußeren Erscheinungen in Beziehung treten16. Handelt es sich hingegen um Werturteile, die nur Meinungen ausdrücken, ohne daß sie auf Tatsachen fußen, fallen sie nicht unter § 186 StGB, sondern lediglich unter § 185 StGB 16 . Die verbreitete Tatsache muß geeignet sein, den anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meiinung herabzuwürdigen. „Verächtlichmachen" bedeutet jemanden in seinem sittlichen Wert mindern; „Herabwürdigen" hingegen besagt, daß jemand so dargestellt wird, als ob er sich im Gegensatz zu den Anforderungen befände, die seine besonderen Lebensaufgaben an ihn stellen17. Die Handlung nach § 186 StGB besteht in dem Behaupten oder Verbreiten der Tatsachen in Beziehung auf einen anderen. „Behaupten" bedeutet etwas als nach eigener Überzeugung richtig hinstellen, wobei es gleichbleibt, ob man es selbst wahrgenommen haben will oder erst von einer dritten Person gehört hat 18 . „Verbreiten" bedeutet eine Tatsache weiter mitteilen, wobei man sie nicht selbst wahrgenommen, sondern von dritter Seite gehört haben will 19 . Die Tatsache darf nicht erweislich wahr sein. Es kommt nicht auf die Falschheit der Behauptung an, sondern es genügt, daß sie ehrenrührig ist. Der Beweis der Wahrheit schließt die Strafbarkeit nach § 186 StGB aus. Die Erforschung der Wahrheit geschieht nicht durch den Täter, sondern durch das Strafgericht20. Für den nach § 186 StGB zu erbringenden Wahrheitsbeweis gilt im allgemeinen das Erfordernis der Identität zwischen dem behaupteten und dem zu beweisenden Geschehen21. Bestehen Zweifel an der Wahrheit, so geht dies zu Lasten des Täters. Der Wahrheitsbeweis ist jedoch geführt, wenn die behaupteten Tatsachen im wesentlichen richtig sind und nur ein geringfügiges Mehr unrichtig ist22. Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen ist (§ 190 RGSt. Bd. 67 S. 174; Bd. 70 S. 250. RGSt. Bd. 41 S. 394; Bd. 71 S. 349; BGHSt. Bd. 11 S. 72; vgl. auch RGSt. Bd. 75 S. 180; RG in HRR 1937 Nr. 768 und 1939 Nr. 1436; BGHSt. Bd. 5 S. 363; Bd. 8 S. 358. 13 RGSt. Bd. 5 S. 240; BGHSt. Bd. 5 S. 144. 1 1 RGSt. Bd. 9 S. 179. 1 5 RGSt. Bd. 55 S. 131; B G H in MDR 1951 S. 404. 16 RGSt. Bd. 31 S. 281. 1 7 Vgl. RG in HRR 1933 Nr. 348; a. M. S c h ä f e r in L K Anm. II 3 zu § 186 StGB; M e z g e r , Strafrecht, Besonderer Teil S. 103. 1 8 RGSt. Bd. 38 S. 368. 1 9 RGSt. Bd. 38 S. 368; O l s h a u s e n , Anm. 2 b zu § 186 StGB. 2 0 RGSt. Bd. 6 S. 788; S c h w a r z , Anm. 2 D zu § 186 StGB; a. M. F r a n k , Anm. ΠΙ zu § 186 StGB. 2 1 B G H 14. 5. 63 — VI ZR 20/61 — in VersR 1963 S. 943. 2 2 RGSt. Bd. 2 S. 2. 11
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Verstöße gegen die Achtungspflicht
§56
StGB). Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist bis zu dem Beschlüsse, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zum Schlüsse der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung innezuhalten (§ 191 StGB). Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach der Vorschrift des § 185 StGB nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht (§ 192 StGB — sog. Formalbeleidigung —). Die Tat nach § 186 StGB muß rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit ist unter den Voraussetzungen des §193 StGB ausgeschlossen (im einzelnen siehe § 40 S.368ff.). Die Zeugenaussage ist gleichfalls nicht rechtswidrig. Die nicht erweislich wahre Tatsache muß vorsätzlich behauptet oder verbreitet sein. Der Tater muß sich bewußt sein, daß die behauptete Tatsache geeignet ist, den anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Ebenso gehört hierzu das Bewußtsein, daß die Tatsache an eine dritte Person gelangt 23 . Die Kenntnis der Nichterweislichkeit ist nicht erforderlich.
C. Verleumdung Wer w ider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen verleumderischer Beleidigung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft (§ 187 Abs. 1 StGB). Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis zu einem Tag Gefängnis oder auf Geldstrafe erkannt werden (§ 187 Abs. 2 StGB). Die Tat muß rechtswidrig und vorsätzlich begangen sein. Bezüglich der Unwahrheit der behaupteten Tatsachen muß der Täter wider besseres Wissen gehandelt haben.
D. Wechselseitige Beleidigung Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären (§ 199 StGB). § 199 StGB gilt für alle Beleidigungen. Für die Anwendung des § 199 StGB reicht es aus, daß dem Täter seine Einlassung, auch der andere Teil habe eine Beleidigung begangen, nicht widerlegt werden kann24. Die Beleidigung muß auf der Stelle erwidert sein, d. h. in der Zeit, während deren die Erregung infolge der ersten Beleidigung noch andauert?5, wobei ein Handeln Zug um Zug nicht verlangt wird.
E. Falsche Anschuldigung Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird wegen falscher Anschuldigung mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft (§ 164 Abs. 1 StGB). Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der im Abs. 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizufuhren oder fortdauern zu lassen (§ 164 Abs. 2 StGB). Ist die Tat in der Absicht begangen, sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten ( § 164 Abs. 3 StGB). Neben der Strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (§ 164 Abs. 4 StGB). Ist die falsche Anschuldigung nicht wider besseres Wissen, aber vorsätzlich oder leichtfertig begangen, so ist die Strafe Gefängnis bis zu einem RG in HRR 1939 Nr. 346. BGHSt. Bd. 10 S. 373; BayrObLG in NJW 1959 S. 58; OLG Celle in MDR 1957 S. 435; S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. I zu § 199 StGB; a. M. BayrObLG in MDR 1954 S. 690; OLG Bremen NJW 1955 S. 1645; S c h w a r z , Anm. 1 zu § 199 StGB, wonach die andere Beleidigung nachgewiesen sein muß. 26 S c h w a r z , Anm. 1 A zu § 199 StGB. 23
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Strafrechtliche Tatbestände
§56
Jahre oder Geldstrafe (§ 164 Abs. 5 StGB). Solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden (§ 164 Abs. 6 StGB). § 164 StGB setzt zunächst einmal eine Verdächtigung voraus. Sie bedeutet eine Mitteilung, daß jemand etwas getan oder nicht getan hat. Die Verdächtigung muß sich auf eine strafbare oder amtswidrige Handlung beziehen; es genügt schon, daß die Handlung geeignet ist, gegen einen Beamten eine Disziplinarmaßnahme nach sich zu ziehen, wobei es gleich bleiben kann, ob das angebliche Verhalten des Beamten ein Dienstvergehen im engeren Sinne oder ein außerdienstliches Verhalten betrifft, sofern es sich nur auf eine Amtspflicht bezieht2". Der Umstand, daß bereits das wahrheitswidrige Leugnen eines Täters zwangsläufig den Verdacht auf eine dritte Person lenkt, berechtigt den Täter nicht dazu, diesen Dritten ausdrücklich der Straftat zu verdächtigen26». Kann die strafbare Handlung oder das Dienstvergehen nicht verfolgt werden, weil ein Rechtfertigungs- oder ein Schuldausschließungsgrund vorliegt, und ist dies aus der Anzeigeselbst erkennbar, so liegt keine falsche Anschuldigung vor 27 . Weiterhin kommen auch sonstige Behauptungen tatsächlicher Art in Frage, wenn sie geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Die Behauptung muß objektiv unwahr sein. Es kommt nur darauf an, daß zumindest der wesentliche Inhalt nicht der Wahrheit entspricht28. U. U. reicht das Verschweigen wesenlicher Umstände zu einer Bestrafung aus 29 . Ein Aufbauschen allein genügt jedoch nicht33. Eine Anschuldigung ist nicht falsch im Sinne des § 164 Abs. 1 StGB, wenn die mitgeteilten Tatsachen wahr sind, der Anzeigende aber unzutreffende rechtliche Schlußfolgerungen aus ihnen zieht und allein deshalb das Vorliegen einer Straftat oder Amtspflichtverletzung behauptet31. Die Verdächtigung muß gegenüber einer Behörde vorgenommen sein, wobei es gleichbleibt ob es sich um eine deutsche oder eine ausländische Behörde handelt32. Es braucht sich nicht um eine Kriminaldienststelle oder eine Disziplinarbehörde zu handeln33. Die Behörde braucht nicht zur Entgegennahme der Anzeige zuständig zu sein. Ist die Verdächtigung öffentlich ausgesprochen worden, ohne daß sie an eine Behörde gerichtet ist, reicht dies für eine Bestrafung nach § 164 StGB aus. Öffentlich ist die Behauptung, wenn sie vor einem größeren Personenkreis aufgestellt ist, der nicht durch persönliche Beziehungen zusammengehalten wird. Der Täter muß die falsche Anschuldigung wider besseres Wissen und in der Absicht erheben, ein behördliches Verfahren oder eine behördliche Maßnahme gegen einen anderen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Wider besseres Wissen handelt derjenige, der das Bewußtsein hat, daß die Beschuldigung unwahr ist34. Jemand wird einer Straftat wider besseres Wissen nur verdächtigt, wenn der Verdächtiger genau weiß, daß der Verdächtigte unschuldig ist; anders ist es, wenn er lediglich bewußt unrichtige Verdachtsgründe gegen einen für schuldig Gehaltenen vorbringt36. Eine berechtigte Interessenwahrung im Sinne des § 193 StGB steht dem Täter nicht zu. Erhebliche eigene Interessen sind jedoch bei Ergründung des inneren Tatbestandes zu würdigen36. Eine mildere Bestrafung tritt ein, wenn die falsche Anschuldigung nicht wider besseres Wissen, sondern vorsatzlich oder leichtfertig erhoben wird. Leichtfertigkeit ist mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen. Die Leichtfertigkeit bezieht sich nur auf die Nichtkenntnis der RGSt. Bd. 10 S. 55 Φ. O L G Hamm 13. 10. 64 — 3 Ss. 965/64 — in NJW 1965 S. 62. 27 O L G Köln in JMB1NRW 1955 S. 45. 2 8 RG in DR 1942 S. 1141. 2 9 BayrObLGSt. Bd. 7 S. 141 — B G E 72 IV 76 —. 3 0 RGSt. Bd. 27 S. 229. 3 1 K G 22. 5. 63 — 1 Ss 69/63 — in J Z 1963 S. 351. 8 2 Vgl. bzgl. Besatzungsmacht BGH in NJW 1952 S. 1385; O L G Düsseldorf in HRR 1925 Nr. 738; O L G Celle in HESt. Bd. 1 45; OLG Köln in NJW 1952 S. 117; a. M. RGSt. Bd. 60 S. 317 u. OLG Darmstadt in DRZ 1949 S. 20. 33 RG in GA Bd. 37 S. 425. 34 RGSt. Bd. 71 S. 37. 36 RG in HRR 1939 Nr. 1568; OLG Frankfurt HESt. Bd. 2 S. 258; O L G Köln in NJW 1952 S. 117. 36 RGSt. Bd. 71 S. 171. 26
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L i n d g e n , Disziplinarrecht Γ
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Verstöße gegen die Achtungspflicht
§56
Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache; die Behauptung geschieht auch hier vorsätzlich". Die Pflicht, vor Anzeige an die Behörde Erkundigungen einzuziehen, darf nicht überspannt werden38. Die Prüfung muß möglich und zumutbar sein39.
ffl. ABFÄLLIGE UND BELEIDIGENDE ÄUSSERUNGEN ÜBER DIENSTVORGESETZTE UND VORGESETZTE Der Beamte muß seinen Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten sowohl im Dienst als auch im außerdienstlichen Verkehr die Achtung erweisen, die diesen Personen auf Grund ihrer dienstlichen Stellung zukommt. So kann schon das nachlässige Grüßen eine Nichtachtung darstellen, die zu einem disziplinarischen Einschreiten Anlaß geben kann 40 . Der Beamte verletzt ζ. B. die Achtungspflicht, wenn er anläßlich einer Dienstbesprechung die Amtsleitung „Lumpen" oder „Betrüger" nennt oder wenn er äußert, „1933 war unsere Revolution unblutig. 1945 leider auch. Die nächste wird bald kommen, und dann werden die oben die ersten sein, die drankommen ! 4 0 a ". Ebenso stellt die Äußerung über einen Dienstvorgesetzten: „der ist wohl bescheuert" eine Achtungspflichtverletzung dar 40b . Die in einem an die vorgesetzte Dienststelle gerichteten Beschwerdeschreiben gewählten Ausdrücke „ausbrüten" und „Unvernunft" tragen einen offenkundigen beleidigenden Charakter400. N i c h t j e d e u n p a s s e n d e Ä u ß e r u n g und n i c h t j e d e s V e r g r e i f e n im A u s d r u c k g e g e n ü b e r D i e n s t v o r g e s e t z t e n und V o r g e s e t z t e n s t e l l t s c h o n ein D i e n s t v e r g e h e n dar 4 1 . Verhält sich ζ. B. die vorgesetzte Behörde gegenüber dem Beamten nicht vorschriftsmäßig, lehnt sie ζ. B. rechtswidrig aus formalistisch anmutenden Gründen den Einblick in die Personalakten ab oder verletzt sie sonst gegenüber den Beamten ihre Fürsorgepflicht, die u. a. dahin geht, die Belange des Beamten zu wahren und ihn gerecht und wohlwollend zu behandeln, so kann bei einer Stellungnahme des Beamten hierzu nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden. Bezeichnet ζ. B. der Beamte eine unberechtigte Anordnung seines Dienstvorgesetzten als „Witz", so ist damit unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs das Begehren der Behörde noch nicht als „lächerliches Ansinnen" gekennzeichnet; ein solcher Ausdruck ist abgeschwächt und bedeutet eine Überraschung der Verwunderung, aber nicht eine Beleidigung, die zugleich eine Achtungsverletzung und damit ein Dienstvergehen darstellt, zumal wenn zwischen dem Beschuldigten und seinem Dienstvorgesetzten seit Jahren eine Spannung besteht, die nicht durch die alleinige Schuld des Nachgeordneten entstanden ist. Vertrauliche abfällige Äußerungen über Dienstvorgesetzte oder Vorgesetzte im Familienkreis oder gegenüber guten Bekannten des Beamten stellen noch kein Dienstvergehen dar42. Äußerungen im engsten Familienkreis stellen selbst in strafrechtlicher Hinsicht noch keine Kundgebungen im Sinne des § 185 StGB dar, es sei denn, daß die begründete Annahme einer Weitergabe RG in HRR 1940 Nr. 524. BGH in MDR 1956 S. 396; RGSt. Bd. 71 S. 37. 3 9 BayrObLG in NJW 1954 S. 1011; RGSt. Bd. 71 S. 176. 40 BDH 21. 7. 55 — II DW 2/55 — BDHE Bd. 2 S. 174 = ZBR 1956 S. 162. 4 0 a DokBer. Nr. 1863. 4 0 b DiszSenat OVG Münster 23. 12. 63 — Y 14/63 — in ZBR 1965 S. 77 (LS). 40 ° DokBer. Nr. 1931. 41 DiszSenat OVG Münster 15.8.62 — Y 15/61 —DVB1.1963 S. 30; DokBer. Nr. 1956. 42 RDH 7. 2. 17 in S c h u l z e - S i m o n s , S. 177. 37
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Abfällige und beleidigende Äußerungen über Vorgesetzte
§56
durch ein Familienmitglied besteht43. In einem derartigen Falle richtet sich die Äußerung nicht gegen die Werteinschätzung des Vorgesetzten in der Allgemeinheit44. Der Beamte kann disziplinarisch nicht bestraft werden, wenn er der Uberzeugung ist, daß die Äußerung über den Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten im Kreise seiner Familie oder seiner guten Bekannten bleiben werde 46 . Der Beamte darf sich gegenüber anderen Personen, die mit der Verwaltung nichts zu tun haben, auch dann nicht abfällig über Vorgesetzte äußern, wenn diese hierzu Anlaß gegeben haben48. In einem solchen Falle kann sich der Beamte nur bei seinem nächsthöheren Vorgesetzten beschweren. Ebenso kann der Beamte, wenn er sich durch seinen Dienstvorgesetzten oder einen Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt, nicht damit drohen, daß er sich an die Presse wenden werde; hierbei spielt es auch keine Rolle, ob er seine Drohung ernst gemeint hat47. In der Beurteilung von Entscheidungen und Maßnahmen des Dienstvorgesetzten und von Vorgesetzten hat sich der Beamte ganz allgemein in sachlichen Grenzen zu halten, selbst wenn er sich verletzt oder beleidigt fühlt 48 . So darf sich der Beamte auch gegen einen disziplinaren Vorwurf nicht in ungebührlicher Form verwahren, selbst wenn er ihn als unbegründet ansieht49. Auch bei einer Beschwerde, die an die Personalvertretung gerichtet ist, muß der Beamte seinen Vorgesetzten gegenüber die schuldige Achtung obwalten lassen 60 ; selbst hier muß sich, wenn sogar eine scharfe Kritik der Maßnahmen des Vorgesetzten zulässig ist, die Eingabe in den von Anstand, Taktgefühl und Aufrichtigkeit gezogenen Grenzen halten. Eine Verletzung der Achtungspflicht gegenüber der vorgesetzten Dienstbehörde stellt es auch dar, wenn der Beamte einem Kollegen den Rat erteilt, in einer gegen diesen durchgeführten Untersuchung von seinen Rechten Mißbrauch zu treiben. Dies wäre ζ. B. der Fall, wenn der Beamte einem Kollegen rät, in einer Vernehmung den Verhandlungsführer so zu reizen, damit dieser laut werden würde, worauf er den Abbruch der Verhandlung fordern könne51. Der Beamte kann sich auf die Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen nur dann berufen, wenn die Achtungsverletzung zugleich einen Verstoß gegen § 186 StGB darstellt, die Voraussetzungen des § 193 StGB gegeben sind und die Tat keinen disziplinaren Überhang darstellt52. Im übrigen kann BayrObLG in MDR 1956 S. 182. OLG Oldenburg in GA 1954 S. 284; K o h l e r in GA Bd. 47 S.20; S c h ö n k e S c h r ö d e r , Anm. II 2 zu § 185 StGB; K o h l r a u s c h - L a n g e , Anm. V vor § 185 StGB; Leppin in JW 1937 S. 2886; Mezger in JW 1937 S. 2331; a. M. RG Bd. 71 S. 161 und OLG Hamm in HESt. Bd. 2 S. 273. 46 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II 2 zu § 185 StGB. 46 PrOVG Bd. 83 S. 401; bei Provokation des Vorgesetzten DokBer. Nr. 1956. 4 7 DokBer. Nr. 1383. 4 8 BDH 1.10. 53 — I DV 6/53 — BDHE Bd. 1 S. 24 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 124 BDH 1 2 . 1 1 . 61 — II D 49/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 606; BDH 20.12. 55 — III D 147/57 — BDHE Bd. 2 S. 170; vgl. auch DokBer. Nr. 931; DiszSenat OVG Munster 30. 11. 5; — Y 5/56 —; DiszSenat OVG Münster 30. 12. 60 — Y 12/60 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 640; S c h ü t z , DONW 1. Aufl. S. 101. 4 9 BDH 14. 9. 61 — I DV 5/61 — in ZBR 1963 S. 317 (LS). 6 0 BDH 15.11. 57 = II DV 4/57 — BDHE Bd. 4 S. 65 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 369. 8 1 DokBer. Nr. 1764. 52 DokBer. Nr. 896 und Nr. 1069. 43 44
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Verstöße gegen die Achtungspflicht
§56
sich der Beamte bei einer Achtungsverletzung gegenüber seinen Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten nicht geltend machen, daß er in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe; in einem solchen Falle findet § 193 StGB auch keine sinngemäße Anwendung. Erschwerend ist es zu werten, wenn der Beamte über seinen Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten beleidigende oder herabsetzende Angaben macht, durch die das Ansehen der Behörde in der Öffentlichkeit geschädigt wird 63 . Der Versuch eines Beamten, einen Artikel in die Presse zu bringen, durch den ein Vorgesetzter verunglimpft werden soll, ist stets ein schweres Dienstvergehen54. Es ist um so schwerer, wenn es begangen wurde, nicht um öffentliche Interessen wahrzunehmen, sondern um den Vorgesetzten persönlich zu treffen. Eine unbegründete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft stellt gleichfalls eine erhebliche Pflichtverletzung dar56. Besonders schwer wiegt es, wenn sich der Beamte über seine Vorgesetzten bei einer ausländischen Behörde beschwert6®. Eine erhebliche Verfehlung läßt sich der Beamte schon dann zuschulden kommen, wenn er ein Schreiben bei seinen Mitarbeitern in Umlauf setzt, in dem er dienstliche Maßnahmen seines Dienstvorgesetzten in herabsetzender Form einer Kritik unterzieht. Er verletzt damit nicht nur die Achtungspflicht gegenüber seinem Vorgesetzten, sonder stört auch erheblich den Arbeitsfrieden bei seiner Dienststelle67. Sammelt der Beamte gegen seinen Vorgesetzten Material und wiegelt er hierbei seine Mitarbeiter auf, so ist dies als ein besonders schweres Dienstvergehen anzusehen. Anders ist es, wenn der Beamte zu seiner eigenen Verteidigung bei seinen Mitarbeitern Material gegen seinen Vorgesetzten sammelt. Hierbei muß er aber die erforderliche Zurückhaltung üben, vor allem darf er hierbei nicht gegen seinen Vorgesetzten hetzen. Ebenso verletzt der Beamte seine Dienstpflicht, wenn er aufs Gratewohl Kollegen auffordert, ihm irgendwelches Material zur Belastung seines Dienstvorgesetzten oder eines Vorgesetzten zu verschaffen; ein solches Verhalten ist eines Beamten nicht würdig und dazu angetan, die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Dienststelle zu stören68. IV. TÄTLICHKEITEN GEGEN DIENSTVORGESETZTE ODER VORGESETZTE Tätlichkeiten gegen einen Vorgesetzten stellen eine schwere Verletzung der Autorität und Dienstzucht im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen dar. Ein Beamter, der sich einer derartigen Verfehlung schuldig macht, muß u. U. mit seiner Dienstentfernung rechnen69. Selbst wenn der Beamte durch schwere Beleidigungen seines Vorgesetzten und dessen drohende Haltung gereizt und herausgefordert worden ist, darf er sich nicht PrOVG in RVB1. Bd. 57 S. 1 0 1 2 ; vgl. auch DokBer. Nr. 870. BDH 28. 7. 54 — 1 D W 5/54 — in J Z 1955 S. 79. 6 6 RDH in S c h u l z e - S i m o n s , S. 176. M RDH 1. 10. 24 in S c h u l z e - S i m o n s , S. 199. 6 7 BDH 21. 8. 56 — II D 46/56 —. 68 BDH 12. 10. 60 — Il D 95/59 — in ZBR 1961 S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr.581. S 9 DokBer. Nr. 576. Hier erkannte der Bundesdisziplinarhof einem Beamten zur Wiederverwendung die Rechte aus dem Ges. 131 ab, der bei Bekanntgabe einer ihm nicht erwünschten Abordnungsverfiigung zwei Vorgesetzte in übler Weise beschimpft und einen davon tätlich angegriffen hatte. 63
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Verhalten bei Pflichtwidrigkeiten von Dienstvorgesetzten
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zu Tätlichkeiten hinreißen und seinen Vergeltungsgefühlen nicht freien Lauf lassen80. Die Mißhandlung von Vorgesetzten ist aus ganz allgemein für alle Zeiten geltenden disziplinarrechtlichen Erwägungen allein rechtsstaatlicher Art ein Dienstvergehen, so daß ein Beamter, der in der Zeit zwischen 1933 und 1945 aus dem Dienst entfernt worden ist, weil er seinen Vorgesetzten mit einer unmenschlichen Roheit und Brutalität zusammengeschlagen und den Wehrlosen mißhandelt hatte, nicht die Aufhebung dieses Urteils im Wege des Art. 8 ÄndGes. 1952 begehren kann60». V. VERHALTEN BEI PFLICHTWIDRIGKEITEN VON DIENSTVORGESETZTEN ODER VORGESETZTEN Sachlich unbegründete Vorwürfe des Dienstvorgesetzten darf der Beamte in sachlich gebotener Form zurückweisen61. Dies setzt aber voraus, daß er über den Inhalt des ihm angeblich gemachten Vorwurfs keine bewußt oder doch grob fahrlässige unrichtigen Behauptungen aufstellt und die Form der Wahrnehmung seiner Belange gegenüber dem Vorwurf des Dienstvorgesetzten die Grenzen der Achtung nicht überschreitet, welche diesem gegenüber zu wahren sind62. Er darf den Vorgesetzten wegen eines vermeintlichen oder tatsächlichen Unrechts nicht in Gegenwart von anderen Personen bewußt kränken, indem er ihm ζ. B. als „Lügner" bezeichnet63. Vor allem darf er Meinungsverschiedenheiten mit seinen Vorgesetzten und Unkorrektheiten, die sich dieselben haben zuschulden kommen lassen, n i c h t an die Ö f f e n t l i c h k e i t b r i n g e n 6 4 . So kommt es nicht in Frage, daß er in einer öffentlichen Versammlung über seine Vorgesetzten oder seine vorgesetzte Behörde Kritik übt. Dem Beamten bleibt hier nur der Beschwerdeweg. Ein Mißverhalten des Beamten, wie Widersätzlichkeit und eine unzulässige Kritik des Dienstbetriebs, kann jedoch milder beurteilt werden, wenn es auf einem durch eine falsche, voreingenommene Behandlung seitens des Vorgesetzten hervorgerufenen Verfolgungskomplex des Beschuldigten beruht65. Selbst wenn der Beamte durch seinen Vorgesetzten zu einer Handlung angehalten werden sollte, die er aus dienstlichen Gründen ablehnen kann, darf er sich anläßlich der Erteilung des Dienstbefehls nicht ungebührlich verhalten und gegenüber dem Vorgesetzten Äußerungen gebrauchen, die ihn in seinem Ehrgefühl herabsetzen könnten. So kann er ζ. B. seinen Vorgesetzten anläßlich der Erteilung eines unzulässigen Dienstbefehls nicht als „große Null" bezeichnen66. Wenn aber der Beamte sich bei Erteilung eines unzulässigen Dienstbefehls Zurückhaltung auferlegen muß, so ändert dies jedoch nichts daran, daß er sich weigern kann, diesen Dienstbefehl auszuführen; die Nichtausführung des Dienstbefehls stellt in diesem Falle kein ungebührliches Verhalten 60 DokBer. Nr. 714. Hier ist ein Beamter mit einer Geldbuße bestraft worden, der seinen ihm körperlich weit unterlegenen Vorgesetzten angegriffen und erheblich verletzt hatte, nachdem er von diesem schwer beleidigt und bedroht worden war. e °» DokBer. Nr. 1888. 4 1 RDH bei F o e r s t e r , 1934 S. 70. 82 PrOVG 22. 10. 26 — O. 15/25 — in PrOVG Bd. 81 S. 438 = P e r w o , S. 196; vgl. auch DiszSenat Münster 10.10. 59 — Y 29/58 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 118. 63 DokBer. Nr. 367. 84 BDH 21. 8. 53 — II D 15/53 — BDHE Bd. 1 S. 32. « BDH 19.10. 55 — II D 161/54 — und 24.11. 55 — II D 69/55 — in J Z 1956 S.367. M DokBer. Nr. 1484.
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§56
Verstöße gegen die Achtungspflicht
gegenüber dem Vorgesetzten dar 67 ; so braucht z.B. ein Lokomotivführer eine ihm aufgegebene Fahrt nicht auszuführen, wenn sie erkennbar den Vorschriften über die Sicherung des Eisenbahnbetriebes zuwiderläuft. Anders ist es jedoch, wenn der Beamte aus Verärgerung einer Anweisung ohne Angabe von Gründen nicht nachkommt. Hat sein Vorgesetzter eine Niederschrift aufgenommen, so stellt die grundlose Verweigerung der Unterschrift unter dieselbe mit der haltlosen Begründung, daß der Vorgesetzte unfähig sei, überhaupt eine ordnungsgemäße Niederschrift zu fertigen, nicht nur einen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht, sondern auch eine Achtungsverletzung gegenüber dem Vorgesetzten dar68. Stellt der Beamte fest, daß sein Dienstvorgesetzter oder ein Vorgesetzter fortlaufend bewußt gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt oder daß er sonstwie sich eines Dienstvergehens verdächtig gemacht hat, so ist er noch nicht befugt, die Zusammenarbeit mit diesen Beamten abzulehnen69. In der Regel ist der Beamte nicht befugt, Anzeigen über angebliche strafbare Handlungen seiner Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten, von denen er nur auf Grund seines Dienstverhältnisses Kenntnis erlangt hat, unmittelbar an die Staatsanwaltschaft zu richten; er muß sich vielmehr zunächst an die seinem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten übergeordnete Stelle wenden, damit diese den Sachverhalt untersuchen und entscheiden kann, ob Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten ist. Eine Ausnahme wird nur dadurch begründet, daß der untergebene Beamte zu denjenigen Beamten gehört, die zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt sind70. Der Beamte, der hierbei gegen den Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten Anschuldigungen erhebt, macht sich disziplinarisch strafbar, wenn er über deren Grundlosigkeit bei pflichtgemäßer Prüfung nicht hätte im Zweifel sein können71. Ebenso macht sich der Beamte strafbar, wenn er nicht nur leichtfertige unrichtige tatsächliche Behauptungen aufstellt, sondern die Anzeige der Form nach herabwürdigend ist 72 . Keinen Verstoß gegen die Achtungspflicht stellt es dar, wenn der Beamte, der von einem Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten beleidigt worden ist, Privatklage nach §§ 374ff.StPO erhebt, ohne sich zuvor beim nächsthöheren Dienstvorgesetzten zu beschweren73. Gibt aber die Behörde auf Grund einer Dienstanweisung dem Beamten auf, bei durch den Dienstvorgesetzten oder den Vorgesetzten begangenen Beleidigungen oder Körperverletzung zuvor die Dienstbehörde zu benachrichtigen, damit diese Vermittlungsversuche unternehmen kann74, so macht sich der Beamte wegen Nichtbeachtung dieser Anweisung disziplinarisch strafbar, wenn er ohne Benachrichtigung der DienstVgl. § 4 Abs. 2 Satz 4 ADAB der Deutschen Bundesbahn. PrOVG 15. 4. 04 in PrVBl. Bd. 26 S. 100. 89 PrOVG 1. 5. 29 in RVB1. Bd. 51 S. 279. 70 PrOVG 24. 1 . 1 3 — I. A. 17/12 — in PrOVG Bd. 64 S. 565 = P e r w o , S. 122; über Strafanzeigen des Beamten gegen seine Vorgesetzten vgl. auch DokBer. Nr. 1661; einschränkend RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 176; Behnke, Einf. III C Anm. 15 S.113; W i t t l a n d , RDStO Anh. zu § 1 Anm. 107, 108 S. 106; P l o g - W i e d o w , Anm. III 1 e zu § 54 BBG. 71 PrOVG 24. 1. 13 — I. A. 17/12 — in PrOVG Bd. 64 S. 5656 = P e r w o , S. 122. 72 DokBer. Nr. 1661. 73 Brand, S. 83. 7 1 Z. B. fur den Bereich der Deutschen Bundesbahn § 31 ADAB. 67 68
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Ausübung des Beschwerderechts nach § 171 BBG
§56
behörde gegen den Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten Privatklage erhebt oder Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. VI. AUSÜBUNG DES BESCHWERDERECHTS NACH § 171 BBG Der Beamte kann Anträge stellen und Beschwerden vorbringen; hierbei hat er den Dienstweg einzuhalten (§ 171 Abs. 1 Satz 1 BBG). Der Beschwerdeweg bis zur obersten Dienstbehörde steht offen (§ 171 Abs. 1 Satz 2 BBG). R i c h t e t sich die B e s c h w e r d e g e g e n den u n m i t t e l b a r e n V o r g e s e t z ten ( § 3 Abs. 2 B B G ) , so kann sie bei dem n ä c h s t h ö h e r e n V o r g e s e t z t e n u n m i t t e l b a r e i n g e r e i c h t w e r d e n (§ 171 Abs. 2 BBG). Der Beamte kann auch Eingaben an den Bundespersonalausschuß richten (§ 171 Abs. 3 BBG). Die landesrechtlichen Vorschriften entsprechen der bundesgesetzlichen Regelung. Hier kommen in Frage § 109 LBG BW, Art. 182 BG Bayr., § 178 LBG Bln., wobei in Abs. 3 hervorgehoben ist, daß der Beamte Eingaben an den Landespersonalausschuß unmittelbar einreichen kann, § 159 BG Brm., wo eine dem § 171 Abs. 3 BBG entsprechende Bestimmung fehlt, § 170 Abs. 3 BG Hmb., wo das für Baden-Württemberg Gesagt; gleichfalls gilt; § 181 HBG, wo gleichfalls eine dem § 171 Abs. 3 BBG entsprechend2 Bestimmung fehlt, § 100 NBG, § 179 BG NW, § 217 LBG Rh.-Pf., § 189 BG Saar und § 181 BG Schl.-Hol. Mit der Beschwerde kann der Beamte Vorgänge berühren, die ihn persönlich betreffen, wie ζ. B. eine nichtgerechtfertigte Versetzung oder eine angeblich unrechtmäßig unterbliebene Beförderung. Der Beamte kann aber mit der Beschwerde auch Angelegenheiten anschneiden, die sich allein auf seine dienstliche Tätigkeit erstrecken, wie ζ. B. einen dienstlichen Auftrag, der gegen das geltende Recht verstößt. Der B e a m t e b r a u c h t n i c h t in s e i n e r R e c h t s s t e l l u n g v e r l e t z t w o r d e n zu sein; die Voraussetzungen für die Erhebung einer Klage vor den Verwaltungsgerichten, wie ζ. B. das Vorliegen eines justiziablen Verwaltungsaktes, brauchen bei der Beschwerde nicht vorzuliegen. Ebenso ist die Beschwerde im Gegensatz zum Widerspruch und der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung an keine Frist gebunden. Die Beschwerde kann schriftlich — was die Regel darstellt — oder mündlich erhoben werden. Durch die Einlegung der formlosen Beschwerde tritt im Gegensatz zum Widerspruch oder der verwaltungsgerichtlichen Klage nach § 171 BBG keine aufschiebende Wirkung der dienstlichen Anordnung ein. Die Behörde hat den Beamten auf seine Beschwerde hin zu bescheiden. Stellt die Dienstbehörde fest, daß sie für den Bescheid nicht zuständig ist, so gibt sie von sich aus die Beschwerde an die zuständige Stelle weiter. Der Bescheid ist in Übereinstimmung mit § 79 BBG in einer angemessenen Frist zu erteilen. Die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers geändert werden, weil hier das Verbot der reformatio in peius nicht gilt. Für den Bescheid ist keine Form vorgeschrieben. Der Beamte kann auch mündlich beschieden werden, wenn er mündlich Beschwerde erhoben hat. Sonst wird Schriftform geboten sein75. Der auf die nach 75
Vgl. BVerfG vom 22.4. 52 in NJW 1953 S. 817 = DöV 1953 S. 374.
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§56
Verstöße gegen die Achtungspflicht
§ 171 BBG erhobene Beschwerde ergehende Bescheid wird im allgemeinen nicht begründet werden76. Erhebt der Beamte nach dem erteilten Bescheid in der gleichen Angelegenheit nochmals Beschwerde, ohne weitere Tatsachen oder eine anderweitige rechtliche Begründung vorzubringen, so braucht er nun nicht mehr beschieden zu werden. Geht aus der Eingabe des Beamten nicht hervor, ob er Beschwerde nach § 171 BBG oder Widerspruch nach § 136 BRRG eingelegt hat, so ist sie als Widerspruch zu behandeln, weil hier de n Beamten im Falle der Ablehnung seines Antrages der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten offen steht ; überdies tritt im Falle der Einlegung eines Widerspruchs nach § 136 BRRG eine aufschiebende Wirkung der dienstlichen Anordnung ein, sofern die Behörde nicht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Zur Frage der mißbräuchlichen Ausnutzung des Widerspruchs- und Klagerechts siehe § 53 II Β 1 S. 592. Die Entscheidung auf Grund des erhobenen Widerspruchs ist schließlich mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Für den Beamten besteht grundsätzlich das Recht, sich in dienstlichen Angelegenheiten über seinen Dienstvorgesetzten bei der Aufsichtsbehörde zu beschweren. Ein Gesetz oder eine dienstliche Anordnung, durch welche die Ausübung diesse Rechts dahin geregelt ist, daß Beschwerden an eine höhere Behörde nur bei dem unmittelbaren Vorgesetzten eingereicht werden dürfen, besteht nicht. Eine dahingehende Beschränkung folgt auch nicht aus den allgemeinen Dienstpflichten und aus der dienstlichen Stellung des Beamten zu seinen Vorgesetzten. Dies kann auch nicht aus den Regeln oder Übungen des ungeschriebenen Dienstrechts hergeleitet werden77. Der Beamte kann also nicht disziplinarisch belangt werden, weil er sich unmittelbar bei seinem nächsthöheren Dienstvorgesetzten beschwert hat, zumal ihm dieses Recht bereits durch § 171 Abs. 2 BBG eingeräumt ist. Da dem Beamten die Befugnis zusteht, sich über Maßnahmen seiner Dienstvorgesetzten zu beschweren, kann ihm im allgemeinen kein disziplinarisch zu ahndender Vorwurf daraus gemacht werden, daß er auf dieses Beschwerderecht hingewiesen hat, wenn nur die von ihm unternommene Erörterung des Beschwerderechts sich unter Umständen und Formen vollzieht, welche die dem Vorgesetzten geschuldete rücksichtsvolle Achtung nicht vermissen lassen78. Der Beamte darf aber nicht versuchen, den Vorgesetzten durch Drohung mit Beschwerden von dienstlich als notwendig erachteten Amtshandlungen abzubringen79. Die Anbringung einer Beschwerde bei der unzuständigen Stelle oder die Nichteinhaltung des Instanzenweges stellen an sich keine Verletzung einer Dienstpflicht, insbesondere keine Achtungsverletzung gegenüber demjenigen Vorgesetzten dar, gegen dessen Verfügung sich der Rechtsbehelf richtet; sie kann aber disziplinarisch geahndet werden, wenn sich der Beamte bewußt an eine unzuständige Stelle wendet, um dem Vorgesetzten dadurch Ungelegenheiten zu bereiten80. n VGH München 15. 5. 57 in DöV 1957 S. 719. " PrOVG 13. 1. 16 — I. A. 51/15 — PrOVG Bd. 73 S. 423 = 7 8 PrOVG 22.10. 26 — O. 15/25 — PrOVG Bd. 81 S. 438 = 7 9 DiszSenat OVG Munster 28. 9. 56 — Y 9/55 — L i n d g e n , »® PrOVG 1 2 . 1 . 1 4 — I. B. 41/13 — PrOVG Bd. 66 S. 443 =
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P e r w o , S. 144. P e r w o , S. 196. Teil IV Nr. 238. P e r w o , S. 138.
Ausübung des Beschwerderechts nach § 111 BBG
§56
Aus dem besonderen zwischen dem Beamten und seinen Vorgesetzten bestehenden Vertrauens- und Treueverhältnis ergibt sich allgemein, daß das Beschwerderecht in der Form und der Sache nach nicht schrankenlos ausgeübt werden kann. Die Beschwerde muß sich in sachlicher Form halten. Über die Berücksichtigung des § 193 StGB (Wahrung berechtigter Interessen) siehe § 40 III S. 376 ff. Ganz gleich, ob man die sinnentsprechende Anwendung des § 193 StGB im Disziplinarrecht anerkennt oder nicht, muß man es dem Beamten gestatten, sich zur Wehr zu setzen, wobei es bei der Steckung der zulässigen Grenzen selbstverständlich eine Rolle spielt, ob die Vorwürfe gegen den Beamten unberechtigt sind oder die Art des Verfahrens bedenklich ist80®. In der Beschwerde dürfen sich keine Äußerungen befinden, die in der Form als beleidigend oder herabsetzend aufgefaßt werden können81. Darüber hinaus ist es dem Beamten vor allem untersagt, vorsätzlich unrichtige Angaben zu machen; er muß sich vor allem von der Richtigkeit seiner Angaben vor Anbringung der Beschwerde überzeugen82. Vermutungen dürfen nicht als Tatsachen hingestellt werden. Stellt der Beamte leichtfertig falsche Anschuldigungen gegen Vorgesetzte auf, so verstößt er gegen seine Pflicht zur Wahrhaftigkeit und zu einem achtungsvollen Verhalten gegenüber Vorgesetzten83. Zuweilen bringt der Beamte die Beschwerde nicht selbst vor, sondern läßt die Eingabe durch seine Ehefrau anfertigen. Unzutreffende Eingaben der Ehefrau an die vorgesetzte Dienstbehörde des Ehemanns muß der Beamte verantworten. Für ihn ist es geboten, alle ihm zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, den anderen Ehegatten von dessen den beamtenrechtlichen Pflichtenkreis beeinträchtigenden Tun abzuhalten84. Der Beamte macht sich selbst dann strafbar, wenn er nicht Veranlasser des Schreibens seiner Ehefrau ist. Hat die Ehefrau Entwürfe eines Beschwerdeschreibens mit ihrem Mann besprochen, so braucht sie ihn später gar nicht davon zu unterrichten, daß sie beabsichtigt hatte, die Beschwerde auch abzusenden. Erklärt er ζ. B. „Wenn Du es machen willst, ich kann Dich nicht hindern", genügt dies, um ihn auch für das Beschwerdeschreiben der Ehefrau verantwortlich zu machen. Das Anstellungsverhältnis des Ehemannes als Beamter mit den sich daraus ergebenden Dienstpflichten ist ein Gebiet, auf dem der betreffende Ehegatte die Entscheidung allein trifft85. Der Grundsatz der Gleichberechtigung besagt nicht, daß der eine Ehegatte die durch besondere Bedingungen bestimmte Sphäre des anderen Ehegatten nicht mehr zu beachten habe. Jede Gemeinschaft ist überdies von der Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf die beiderseitigen schützwürdigen Interessen beherrscht. Für den Ehegatten ist es nicht nur rechtlich erlaubt, sondern sogar geboten, alle ihm zumutbaren Anstrengungen zu machen, den anderen Ehegatten von dessen den beamtenrechtlichen Pflichtenkreis beeinträchtigenden Tun abzuhalten86. Hilft der Ehemann der Ehefrau bei der Abfassung einer Beschwerde, die Verleumdungen und Beleidigungen enthält, und 80 »
DokBer. 1931. Vgl. W i t t l a n d , S. 106; BDH 20. 8. 56 — II DV 4/56; DokBer. Nr. 1976. DokBer. Nr. 674. 83 BDH 23. 2. 60 — III D 30/58 — in ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 535 (LS). 84 DokBer. Nr. 1661. 85 K r i i g e r - B r e e t s k e - N o w a k , Gleichberechtigungsgesetz, Anm. 2. 88 BDH 7. 2. 58 — I D 97/55 — BOHE Bd. 4 S. 48 (51) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 199. 81
82
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§56
Verstöße gegen die Achtungspflicht
billigt er ihr Verhalten, so hat er schon durch diese aktive, von ihm selbst zu verantwortende Mitbetätigung gegen seine Beamtenpflichten verstoßen. Wenn dem Beamten auch das Recht zusteht, gegen dienstliche Anordnungen Beschwerde zu erheben, so macht er sich dennoch disziplinarisch strafbar, wenn er wegen derselben dienstlichen Maßnahme, mit der er sich nicht einverstanden erklärt, immer wieder Beschwerde erhebt, ohne daß er neue Tatsachen vorbringt oder eine Änderung der Rechts- oder Sachlage eingetreten ist, die eine Aufhebung der bisher getroffenen Maßnahmen rechtfertigen könnte ; der Beamte macht sich insbesondere dann strafbar, wenn er in einem früheren ablehnenden Bescheid darüber belehrt worden ist, daß seine Beschwerden haltlos seien und er von weiteren Eingaben absehen möchte87. V n . EINHALTUNG DES DIENSTWEGES Der Beamte hat, wenn er Anträge und Beschwerden vorbringt, den Dienstweg einzuhalten. Er trägt sie seinem unmittelbaren Vorgesetzten vor, der sie an den nächsthöheren Vorgesetzten weiterleitet. Der Beamte hat einen Anspruch, daß seine Beschwerde erforderlichenfalls bis zur obersten Dienstbehörde weitergeleitet wird. Gibt der Vorgesetzte den Antrag oder die Beschwerde nicht weiter, so kann sich der Beamte beim nächsthöheren Vorgesetzten hierüber beschweren; diese Beschwerde ist aber von seinem Antrag oder seiner ursprünglichen Beschwerde zu trennen. Die Befürchtung, daß sein unmittelbarer Vorgesetzter die Beschwerde nicht weiterleiten wird, berechtigt ihn noch nicht, denselben zu übergehen. Richtet sich die Beschwerde gegen den unmittelbaren Vorgesetzten, so kann sie bei dem nächsthöheren Dienstvorgesetzten unmittelbar eingereicht werden (§ 171 Abs. 2 BBG, § 109 Abs. 2 LBG BW, Art. 182 Abs. 2 BG Bayr., § 178 Abs. 2 LBG Bln., § 159 Abs. 2 BG Brm., § 170 Abs. 2 BG Hmb., § 181 Abs. 2 HBG, § 100 Abs. 2 NBG, § 179 Abs. 2 BG NW, § 217 Abs. 2 LBG Rh.-Pf., § 189 Abs. 2 BG Saar, und § 181 Abs. 2 BG Schl.-Hol. Fühlt sich der Beamte bei einer Beförderung durch seinen Dienstvorgesetzten übergangen, weil dieser ihm nach seiner Ansicht nicht wohlwollend gesinnt ist, so muß er das Beförderungsgesuch in diesem Falle trotzdem über seinen unmittelbaren Vorgesetzten leiten, da dieses als solches nicht als Beschwerde aufzufassen ist. Reicht der Beamte das Beförderungsgesuch beim nächsthöheren Dienstvorgesetzten ein, so zerstört der Beamte hierdurch das Vertrauensverhältnis, das zwischen ihm und seinem Vorgesetzten bestehen muß, um eine reibungslose Zusammenarbeit auf der Dienststelle zu ermöglichen, empfindlich. Die Bestimmung, den Dienstweg einzuhalten und den unmittelbaren Dienstvorgesetzten nicht zu umgehen, soll der Erhaltung dieses Vertrauensverhältnisses mitdienen88. Als Dienstweg wird nicht nur der Weg über den unmittelbaren und die weiteren Dienstvorgesetzten bei Anträgen und Beschwerden eines Beamten angesehen, sondern auch der Weg in dienstlichen Angelegenheiten über verschiedene in irgendeiner Beziehung einander übergeordnete Behörden, ohne daß unmittelbare beamtenrechtliche Bindungen zwischen dem in Frage stehenden Beamten und der Behörde vorhanden zu sein brauchen89. Ein Dienstweg 87 88 89
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Vgl. W i t t l a n d , S. 104. DokBer. Nr. 1179; Fischbach, Anm. 1 zu § 171 BBG. RDStH 16. 5. 40 in RDStHE Bd. 3 S. 36; PrOVG Bd. 73 S. 423, Bd. 82 S. 491.
Ausübung des Klagerechts
§ 56
besteht ζ. B. bei den Gemeinden über die verschiedenen Aufsichtsinstanzen bis zur obersten Dienstbehörde, soweit es sich um Angelegenheiten der Kommunalaufsicht handelt. So begeht ein Hauptgemeindebeamter ein Dienstvergehen, •wenn er den Dienstweg zu den Aufsichtsbehörden nicht einhält90. Allerdings handelt es sich hier um einen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht, weil der Beamte eine rechtsmäßige Anordnung seiner Dienstvorgesetzten nicht befolgt hat. V f f l . AUSÜBUNG DES KLAGERECHTS Neben der formlosen Beschwerde des § 171 BBG kann der Beamte auch den Klageweg wählen, um seine angeblich verletzten Rechte durchzusetzen. Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht jedem Staatsbürger, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt worden ist, der Rechtsweg offen. Der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz steht auch denjenigen Personen zu, die sich zum Staat in einem Unterordnungsverhältnis befinden, wie dies ζ. B. beim Beamten der Fall ist 91 . Im Gegensatz zur formlosen Beschwerde des § 171 BBG, die sich gegen jegliche dienstliche Maßnahme richten kann, ist die Klage, soweit sie das Unterordnungsverhältnis betrifft und in diesem Falle vor den Verwaltungsgerichten zu erheben ist, nur gegen einen Verwaltungsakt zulässig, d. h. gegen eine als Hoheitsakt erlassene Verfügung, Anordnung oder Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die von der Dienstbehörde anläßlich der Regelung eines Einzelfalles erlassen ist, die eine Rechtsbeziehung auslöst, wie ζ. B. die Versetzung, Abordnung, die Festsetzung des Besoldungsdienstalters, die Untersagung der Fortführung der Dienstgeschäfte oder die Verweigerung der Aussagegenehmigung. Im Gegensatz hierzu stellen innerdienstliche Anweisungen, die den internen Dienstbetrieb regeln und demnach den Beamten nicht als Träger eigener Rechte berühren, keine justiziablen Verwaltungsmaßnahmen dar, indem sie lediglich zur Einlegung der formlosen Beschwerde nach § 171 BBG berechtigen. Hierzu gehören ζ. B. Vorhaltungen und Rügen, dienstliche Beurteilungen, Weisungen der Verwaltung über die Bearbeitung von Vorgängen, die Anordnung oder die Ablehnung einer beantragten Dienstreise oder Maßnahmen der Geschäftsverteilung. Eine allgemeinverbindliche Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt und nichtjustiziablen Dienstbefehl läßt sich nicht treffen. Für Klagen aus dem Beamtenverhältnis gelten die §§ 126, 127 und 136 BRRG (§ 172 BBG) und im Länderbereich § 110 BG BW (Vertretung des Dienstherrn bei Klagen aus dem Beamtenverhältnis), Art. 183 BG Bayr. (Hinweis auf §§ 126, 127, 137 BRRG), § 179 LBG Bln. (Hinweis auf §§126,127 BRRG), § 180 LBG Bln. (Vertretung des Dienstherrn), §§ 162—164 BG Brm., § 172 BG Hmb., §§ 182,183 HBG, § 192 NBG, § 180 BG NW (Vertretungsbefugnis des Dienstherrn), § 218 LBG Rh.-Pf. (Verwaltungsrechtsweg), § 219 LBG Rh.-Pf. (Revisionszulassung), § 220 LBG Rh.-Pf. (Vertretung des Dienstherrn), § 190 BG Saar (Verwaltungsrechtsweg, Abweichungen von der VwGO), § 191 BG Saar (Zulassung der Revision), § 192 BG Saar (Vertretungsbefugnis des Dienstherrn), § 182 BG Schl.-Hol. (Hinweis auf §§ 126, 127 BRRG) und § 185 Schl.-Hol. (Vertretungsbefugnis des Dienstherrn). 8 0 DiszSenat O V G Münster 11. 2. 59 — Y 18/58 — O V G E (DiszS) Bd. 2 S. 137 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 352. 9 1 U l e , Gerichtlicher Rechtsschutz im Beamtenrecht; K r ü g e r , Der Verwaltungsgerichtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis in N J W 1953 S. 1369; O b e r m e y e r , Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 89.
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§56
Verstöße gegen die Achtungspflicht
Für alle Klagen der Beamten, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (§ 126 Abs. 1 BBG). Hierbei ist es gleichgültig, ob es sich um die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche oder um sonstige Ansprüche aus dem Gebiete des allgemeinen Beamtenrechts handelt. In disziplinarrechtlicher Hinsicht gilt für einen Beamten, der von seinem Klagerecht Gebrauch macht, das gleiche wie bei der Einlegung der Beschwerde, so daß das unter VI Gesagte entsprechend gilt. Übt der Beamte sein Beschwerderecht aus und beschreitet er im Falle der Ablehnung seiner Beschwerde den Klageweg, so kann ihm hieraus kein disziplinarrechtlicher Vorwurf gemacht werden. Hat der Beamte mit seiner vorgesetzten Behörde einen Rechtssteit, so soll er wissen und merken, daß er in dem Rechtsstreit gleichberechtigte Prozeßpartei ist ; er muß im Interesse der Wahrheitsfindung die Möglichkeit haben, unbefangen vor Gericht auftreten zu können. Mit diesem 2'weck wäre es unvereinbar, wenn er sich in der mündlichen Verhandlung, zumal wenn er keinen Anwalt hat, bei jedem Wort genau überlegen müßte, ob er damit nicht etwa zuweit geht und sich eines Dienstvergehens schuldig macht. Er hat das Recht, mit Nachdruck und mit einer gewissen Leidenschaft für seine Sache einzutreten. Wenn er dabei auch harte Worte gebraucht, wird das noch nicht als pflichtwidrig anzusehen sein, es sei denn, daß er sich zu groben Taktlosigkeiten oder zu unverhüllter Mißachtung des Gegners hinreißen läßt 92 . Wirft der B e a m t e s e i n e r v o r g e s e t z t e n Beh ö r d e in dem g e g e n sie a n g e s t r e n g t e n R e c h t s s t r e i t „ W i l l k ü r " o d e r „ E r m e s s e n s m i ß b r a u c h " v o r , so l i e g t d a r i n n o c h k e i n e P f l i c h t v e r l e t z u n g , weil es sich um Worte der Gesetzes- und Verfahrenssprache handelt, die eine bestimmte Art von Ermessensfehlern kennzeichnen sollen, und die deshalb auch ein Beamter verwenden kann 93 . Ansonsten findet das Recht des Beamten zur Meinungsäußerung gegenüber seiner Dienstbehörde — auch wenn sich beide in einem Rechtsstreit gegenüberstehen — seine natürliche Schranke in der Pflicht des Untergebenen, seiner vorgesetzten Dienststelle mit Achtung zu begegnen; das gebietet die im öffentlichen Interesse unerläßliche Dienstzucht. So kann er ζ. B. in einer Beschwerde oder Klage nicht von „Notschlachtung", „Drohung einer Existenzvernichtung", von „bodenlosem Haß", von „Kesseltreiben gegen ihn" oder „als dem stets nur Geprügelten", vom „Blasen zum Generalangriff gegen ihn" oder von „Skandal" reden. Ebenso sind Wendungen, wie ζ. B. „Freisprüche seien die Domänen begüteter Kreise" oder „gegen ihn entfesselte Attacken müssen auch noch andere Stellen um der Gerechtigkeit willen beschäftigen" unzulässig94. Handelt es sich um vorbereitende Schriftsätze, so wird man erwarten müssen, daß der Beamte sie vor der Absendung erst darauf durchsieht, ob sie objektiv beleidigend wirken können. Hierbei muß man es auf den Bildungsgrad des Beamten abstellen, wieweit er bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Belange gehen kann. 82
Nr. 537.
BDH 5. 3. 60 — II DV 7/59 — in ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV
93 DiszSenat OVG Münster 17. 7. 59 — V 21/58 — in ZBR 1962 S. 231 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 631. M DokBer. Nr. 1731 (hier Ruhegehaltskürzung um 1 j 1 0 auf die Dauer eines Jahres).
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Petitionsrecht
§56
Dem Beamten ist es grundsätzlich nicht verwehrt, im Kollegenkreis Beweismaterial zu sammeln, das seiner Rechtsverteidigung in einem gegen seine Verwaltung geführten Rechtsstreit oder in einem Disziplinarverfahren dienen kann. Er verletzt aber seine Dienstpflicht dann, wenn er aufs Geratewohl Kollegen auffordert, ihm irgendwelches Material zur Belastung seines Dienstvorgesetzten zu beschaffen. Ein solches Verhalten ist eines Beamten nicht würdig und dazu angetan, die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Dienststelle zu zerstören, und stellt somit eine Dienstvergehen dar95. IX. PETITIONSRECHT Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Petitionsrecht ist auch in einzelnen Länderyerfassungen, wie z. B. Art. 115 der Bayr. Verfassung, verankert. So kann auch der Beamte oder die Beamtenorganisation von dem Petitionsrecht Gebrauch machen98. H a n d e l t es sich um d i e n s t l i c h e A n g e l e g e n h e i t e n , kann das P e t i t i o n s r e c h t v e r e i n z e l t e n E i n s c h r ä n k u n g e n u n t e r l i e g e n , s o w e i t sie aus dem Zweck und dem Sinn des besonderen Pflichtverhältnisses notwendig erscheinen. Zunächst muß der Beamte mit seinen dienstlichen Anliegen, Beschwerden und Vorschlägen, die sein Amt betreffen oder berühren, an seine Dienstbehörde herantreten, wobei er den Dienstweg einzuhalten hat. Wenn er in seinem Dienstbereich im Wege der Beschwerde, der Dienstaufsichtsbeschwerde oder der Anrufung des Personalrats nicht zu seinem angeblichen Recht gekommen ist, kann er sich mit seiner Petition an die Volksvertretung wenden97. Allerdings kann von ihm nicht verlangt werden, daß er sich im Falle der Zurückweisung seiner Beschwerde durch den zuständigen Fachminister vor der Einlegung der Petition zuvor an das Bundeskanzleramt wenden müßte; der Bundeskanzler ist nämlich nicht Vorgesetzter der jeweiligen Ressortminister, sonder nur primus inter pares, der die Richtlinien der Politik bestimmt. Der Auffassung der unter Fußnote 97 angeführten Rechtsprechung des Bayerischen Dienststrafhofs, daß der Beamte vor der Einlegung der Petition den Rechtsweg ausgeschöpft haben müsse, kann nicht gefolgt werden. Einmal dient die Petition nicht der Urteilsschelte der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Überdies ist der Verwaltungsrechtsweg oft sehr zeitraubend, zumal wenn sämtliche drei Instanzen angerufen werden, was erfahrungsgemäß zu einer Verzögerung der Durchsetzung der Ansprüche des Beamten bis zu einer Zeitdauer von 5 Jahren führen kann. Schließlich knüpft die Petition nicht an einen justiziablen Verwaltungsakt an; dem Beamten bleibt es vielmehr unbenommen, sich u. a. auch wegen sog. nicht) ustiziabler Dienstbefehle an die Volksvertretung zu wenden. 86 BDH 12.10. 60 — II D 95/59 — in ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 581 (LS). M BDHE Bd. 1 S. 29; Thiele, Wo liegen die dem Beamten gezogenen Schranken der Meinungsfreiheit? in DöD 1959 S. 107; C o r n e l i u s - G e s t e r - W o s c h e k , Die Meinnugsfreiheit des Beamten, Köln 1963. 97 BayrDStH 10. 8. 60 — Nr. 3 DS II 59 — in ZBR 1962 S. 396; vgl. auch v o n Mang o l d t - K l e i n , Anm. II 2 zu Art. 17 GG; P l o g - W i e d o w , Anm. 2 zu § 171 BBG.
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§56
Verstöße gegen die Achtungspflicht
Gegenstand des Petitionsrechts sind nur die Eingaben, die sich an die Volksvertretung selbst wenden und ein unmittelbares oder auch mittelbares Eingreifen der Volksvertretung selbst begehren. Nicht in den Rahmen des verfassungsmäßig gewährleisteten Petitionsrechts fallen Schreiben an einzelne Abgeordnete oder Fraktionen der Volksvertretung, die den Adressaten offensichtlich als Information über Vorgänge und Auffassung, mithin als Unterlage dienen, um eine Angelegenheit in der gesetzgebenden Körperschaft zu erörtern, nicht aber an die zuständige Behörde weitergeleitet werden sollen. Das Herantragen dienstlicher Angelegenheiten an einzelne Abgeordnete und Fraktionen der Volksvertretung ist dem Beamten jedoch auch außerhalb des Petitionsrechtes gestattet98, unterliegt jedoch den Einschränkungen, die Sinn und Zweck des Dienstverhältnisses, insbesondere die Mitverantwortung des einzelnen Beamten für die Ordnung im eigenen Dienstbereich, erforderlich machen. Das verfassungsmäßig nicht geschützte Informationsrecht des Beamten gegenüber einzelnen Abgeordneten der Volksvertretung kann ersichtlich nicht von den Einschränkungen befreit sein, denen das Grundrecht der Petition unterliegt. So gilt auch hier der Grundsatz, daß der Beamte nicht die „Flucht in die Öffentlichkeit" antreten und seine Verwaltung nicht unter Druck setzen darf. Bei Uberschreiten dieser Befugnisse kann der Beamte disziplinarisch jedoch nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sein Verhalten ernstlich gegen die Dienstzucht und das Staatswohl verstößt, vor allem, wenn der Beamte zu Mitteln greift, die geeignet sind, das Vertrauen in die Beamtenschaft zu erschüttern; dieser Zielrichtung und Wirkung muß sich der Beamte bewußt sein. Wenn der Beamte ebenso wie jeder andere Staatsbürger von seinem Petitionsrecht Gebrauch machen kann, so stellen Eingaben beleidigenden Inhalts ungeachtet des verfassungsmäßigen Schutzes des Petitions rechts nach Art. 17 GG trotzdem ein Dienstvergehen dar. Bei Soldaten gilt dies auch für Eingaben an den Wehrbeauftragten98 a . X. FLUCHT IN DEE ÖFFENTLICHKEIT Zur Bekämpfung wirklicher oder vermeintlicher Übelstände in seiner Verwaltung oder anläßlich der Verfolgung seiner ihm vorenthaltenen Rechte darf der Beamte nicht den Weg in die Öffentlichkeit wählen99. Eine Flucht in die Öffentlichkeit kann zunächst einmal eine Strafanzeige oder eine Privatklage bedeuten, weil der Beamte auf Grund einer öffentlichen Verhandlung des Strafgerichts erreichen kann, daß seine Ehre über den Kreis seiner Verwaltung hinaus rehabilitiert wird. Vor allem spricht man dann von einer Flucht in die Öffentlichkeit, wenn der Beamte sich in eigenen personellen oder dienstlichen Angelegenheiten an die Presse oder an den Rundfunk wendet, oder wenn er hierüber in öffentlichen Versammlungen spricht. Ein Beamter, der die Flucht in die Öffentlichkeit wählt, kann sich nicht auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen 100 . Die Beamten können nämlich das Grundrecht der freien Meinungsäußerung vermöge des besonderen Gewalt- und Unterwerfungsverhältnisses, in dem sie Vgl. T h e o b a l d , ADStO 3. Aufl. Anm. 5 zu § 48. BDH — Wehrdienstsenat — 25.1. 63 — WD 102/62 — BDHE Bd. 6 S. 146. 99 DokBer. Nr. 663. 1 0 0 V o n M ü n c h , Freie Meinungsäußerung von Beamten in ZBR 1959 S. 305. 98
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Flucht in die Öffentlichkeit
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sich befinden, nur innerhalb der durch das Beamtenrecht gezogenen Schranken in einer Weise ausüben, die mit der Erfüllung ihrer Pflichten in Einklang steht 101 . Glaubt der Beamte Beschwerden, Wahrnehmungen über Mißstände bei seiner eigenen oder bei einer fremden Behörde oder Verfehlungen von Vorgesetzten oder Mitarbeitern oder sonstige Beobachtungen der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen, so muß er sich dessen bewußt sein, daß sein R e c h t d e r f r e i e n M e i n u n g s ä u ß e r u n g v o r a l l e m d u r c h die P f l i c h t z u r A m t s v e r s c h w i e g e n h e i t w e i t e s t g e h e n d e i n g e e n g t ist. Überdies muß der Beamte wissen, daß er bei Beschwerden und Mitteilungen von Mißständen den Dienstweg einzuhalten hat 102 . Hierbei ist es ihm, wie noch unter XI. gezeigt werden wird, unbenommen, sich wegen seiner Angelegenheiten, auch soweit sie seine Rechte aus dem Beamtenverhältnis betreffen, um Rat und Beistand an die hierfür berufenen Stellen zu wenden, wie ζ. B. an seinen Berufsverband oder einen Rechtsanwalt. Nur dann, wenn seine begründete Beschweide bei seiner Verwaltung erfolglos geblieben ist, kann er gerichtlich gegen denjenigen vorgehen, der ihm seine Ehre abgeschnitten oder ihn in seinem dienstlichen Fortkommen beeinträchtigt hat 103 . Der Beamte ist sogar verpflichtet, seine Ehre nicht unbeanstandet verletzen zu lassen. Wenn er nichts unternimmt, um seine verletzte Ehre wiederherzustellen, so muß sein Verhalten dahin ausgelegt werden, als müsse er die gegen ihn gerichteten Angriffe als berechtigt anerkennen104. Er ist aus diesem Grunde verpflichtet, seine Ehre, ganz gleich ob sie von einem Mitarbeiter, einem Vorgesetzten oder einem außenstehenden Dritten verletzt worden ist, wiederherzustellen, wobei er erforderlichenfalls den Weg der Privatklage oder der Strafanzeige wählen kann. Unter Umständen veranlaßt er seinen Dienstvorgesetzten oder den nächsthöheren Dienstvorgesetzten, Strafantrag nach § 196 StGB zu stellen. Wenn man dem Beamten, der durch Beleidigungen und Verleumdungen in seinem Ansehen vor der Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt ist, die Verpflichtung auferlegt, von sich aus alles zu tun, um seine Ehre wiederherzustellen, muß andererseits der Dienstherr dem Beamten aus der ihm nach § 79 BBG obliegenden Fürsorgepflicht den Schutz gewähren, der im Interesse der Wahrung der Ehre in seiner dienstlichen Stellung erforderlich ist. Ist der Beamte von seinen Mitarbeitern oder seinem Dienstvorgesetzten oder seinen Vorgesetzten beleidigt worden, so wird sich hier noch nicht eine Verpflichtung des Dienstherrn ergeben, Strafantrag nach §§ 196ff. StGB zu stellen; in diesen Fällen wird der Dienstvorgesetzte oder die vorgesetzte Dienstbehörde in erster Linie bestrebt sein, den Streit innerhalb der Behörde zu schlichten, wobei u. U. disziplinäre Maßnahmen gegen den Schuldigen in Betracht kommen werden. Ist der Beamte von außenstehenden Dritten in seiner Ehre als Beamter nur in einem geringen Umfange verletzt worden, so kann sich hier die Behörde mit seiner Ehrenerklärung des Schuldigen begnügen. Handelt es sich jedoch um erhebliche Vorwürfe oder sind diese in der Presse veröffentlicht und somit einem größeren Personenkreis bekannt geworden, so wird sich eine V e r 101
Nr. 268. 102 103 104
BayrDStH 25. 4. 56 — Nr. 7 DS II 55 — BDHE Bd. 3 S. 299 = L i n d g e n , Teil IV BDH 30.1. 54 — I DV 3/53 — BDHE Bd. 1 S. 25 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 55. BDH 21. 8. 53 — II D 15/53 — BDHE Bd. 1 S. 32. W i t t l a n d , Anm. 120 Anhang zu § 1 RDStO.
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Verstöße gegen die Achtungspflicht
p f l i c h t u n g des D i e n s t v o r g e s e t z t e n e r g e b e n , S t r a f a n t r a g n a c h § 1 9 6 S t G B zu stellen 1 0 5 . Dies folgt nicht allein aus der dem Beamten gegenüber obliegenden Fürsorgepflicht, sondern auch aus dem öffentlichen Interesse zur Sicherung des Ansehens der Behörde und der Verwaltung. Dem Beamten kann dann nicht zugemutet werden, von sich aus allein Strafantrag zu stellen, weil in einem solchen Falle, wo der Dienstvorgesetzte es ablehnt, Strafantrag nach § 196 StGB zu stellen, von der Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneint und der Beamte damit auf den Weg der Privatklage verwiesen wird, die ihm schon mit Rücksicht auf die Zahlung eines Kostenvorschusses an die Gerichtskasse und die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oft unzumutbare Kosten bereitet. Stellen die gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe keine üble Nachrede oder Verleumdung dar, so entfällt damit wohl eine Verpflichtung des Dienstvorgesetzten, Strafantrag nach § 196 StGB zu stellen. Sind die Vorwürfe in der Presse erhoben worden, so muß jedoch die Behörde von sich aus alles tun, den unwahren oder die Wahrheit entstellenden Presseberichten entgegenzutreten und für eine Richtigstellung zu sorgen 106 . Ist der Beamte hinsichtlich seiner dienstlichen Stellung in seiner Ehre verletzt, so hat er neben der strafgerichtlichen Verfolgung auch die Möglichkeit, gegen den Beleidiger Unterlassungsklage nach § 823 BGB zu erheben oder eine einstweilige Verfügung nach § 940 ZPO zu erwirken. Hierbei kann der Dienstherr verpflichtet sein, dem Beamten für die Durchführung dieser Verfahren einen Rechtsbeistand zu bestellen. In dem Maße, wie sich hier der Beamte des Schutzes seiner Behörde erfreut, wird seine Dienst- und Entscheidungsfreudigkeit erhöht werden. Erst wenn es dem Beamten nicht möglich ist, seine Ehre auf dem Wege des gerichtlichen Verfahrens wieherherzustellen oder wenn es ihm nicht gelungen ist, durch Einlegung der Beschwerde bis zur obersten Dienstbehörde und einer Petition an die Volksvertretung für eine Beseitigung von Mißständen in seiner Verwaltung zu sorgen, kann er notfalls den Weg in die Öffentlichkeit wählen. Hier macht sich der Beamte jedoch wegen Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht strafbar, wenn er dabei Tatsachen unterbreitet, die der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Weiterhin würde er sich wegen Verletzung der Achtungspflicht schuldig machen, wenn er bei der Flucht in die Öffentlichkeit das Ansehen seiner Verwaltung beeinträchtigt. Vor allem darf sich der Beamte nicht davon leiten lassen, Mißstände der Öffentlichkeit zu unterbreiten, um lediglich seiner Behörde Schwierigkeiten zu bereiten. XI. RECHTSSCHUTZ DURCH RECHTS ANWÄLTE, PERSONALVERTRETUNGEN UND BERUFSVERBÄNDE Im allgemeinen soll der Beamte seine Beschwerde selbst vorbringen. Es ist unzulässig, wenn der Beamte aus Feigheit eine Beschwerde durch seine Ehefrau oder gar seine Kinder einreichen läßt. Oft wird jedoch der Beamte nicht in der Lage sein, seine angeblichen Rechte gegenüber seiner Behörde ohne fremde Hilfe durchzusetzen. Einmal fühlt er sich als Einzelperson zu schwach, anderer106 vgl. W e i m a r , Muß der Dienstherr dem durch entstellende Presseberichte betroffenen Beamten Schutz gewähren? in RiA 1962 S. 84; P l o g - W i e d o w , Anm. 19 zu § 79 BBG; D i s t e l - S e l g e , Anm. 6 c zu § 79 BBG. 10« P l o g - W i e d o w , Anm. 20 zu § 79 BBG.
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seits werden ihm oft die erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei der Durchsetzung seiner angeblichen Rechtsansprüche fehlen. Dem Beamten können keine Vorwürfe aus der Tatsache allein gemacht werden, daß er eine dritte Stelle um Rat angeht. Soweit es sich um das Gebiet des Disziplinarrechts handelt, ist im Gesetz selbst festgelegt, in welchem Umfange Rechtsschutz begehrt und wer als Verteidiger ausgewählt werden kann. Der dort zu Tage tretende Gedanke, daß es dem Beamten unbenommen bleiben muß, bei Dritten Rechtsschutz zu begehren, gilt nicht nur für das Disziplinar- sondern auch für das allgemeine Beamtenrecht. Aber auch hier muß der Beamte Bedacht darauf nehmen, daß er bei seinen Informationen nicht das Amtsgeheimnis verletzt. Das gilt nicht nur, wenn er Rechtsschutz bei einem Rechtsanwalt, einem Vertreter seines Berufsverbandes oder einem Personalratsmitglied, sondern auch bei einem Beamten seiner eigenen Verwaltung begehrt, sofern dieser nicht auf Grund seiner Amtsstellung Kenntnis von den geheimzuhaltenden Tatsachen erhalten hat. Sofern der Beamte Rechtsschutz bei einem Rechtsanwalt begehrt, kann ihm kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er trotz eigener Fachkenntnisse gegenüber seiner Verwaltung nicht allein auftritt. Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts kann selbst bei einem juristisch vorgebildeten Beamten erforderlich sein, weil nach der allgemeinen Erfahrung es jeder Beamte bei der Wahrnehmung seiner eigenen Belange oft an der hinreichenden Unbefangenheit fehlen Iäßt. Ebenso kann dem Beamten kein Vorwurf gemacht werden, daß er sich der Hilfe seiner Personalvertretung bedient, wenn er sich durch seinen Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt. Jedoch darf er in seiner Eingabe an den örtlichen Personalrat oder an den Bezirkspersonalrat die einem Vorgesetzten gegenüber schuldige Achtung nicht verletzten 107 . Ist die Eingabe ungehörig, und sind die erhobenen Vorwürfe falsch oder übertrieben, so macht sich der Beamte wegen Achtungsverletzung einem Dienstvorgesetzten gegenüber eines Dienstvergehens schuldig. Der Beamte kann sich nicht darauf berufen, daß seine Beschwerde nur eine Bearbeitungsunterlage für den Personalrat und nicht für die Verwaltung bestimmt sein sollte. Hält der Personalrat die Beschwerde für begründet, so hat er mit dem Dienststellenleiter zu verhandeln und auf Abstellung der beanstandeten Zustände hinzuwirken (vgl. § 56 PersVG). Dies erfordert jedoch, daß der Personalrat den Dienststellenleiter von der eingereichten Beschwerde in Kenntnis setzt, wobei letzterer u. U. persönlich Einblick in das vom Beschwerdeführer gefertigte Schreiben nehmen muß. Im übrigen reicht es für eine disziplinarische Bestrafung aus, daß die über die Dienststelle gemachten abfälligen Äußerungen allein einem außenstehenden Dritten, wie der Personalvertretung, dem Berufsverband oder dem Rechtsanwalt, die mit der Beschwerde Befassung hatten, gemacht worden ist, ohne daß die Behörde Einblick in das Beschwerdeschreiben nehmen konnte. Es fragt sich, ob der Beamte die Amtsverschwiegenheitspflicht verletzt, wenn er interne dienstliche Angelegenheiten, die sein Aufgabengebiet betreffen, dem Personalrat mitteilt. Soweit es sich um Angelegenheiten handelt, für die der Personalrat zuständig ist, kann der Beamte Tatsachen unterbreiten, 107
BDH 1 5 . 1 1 . 57 — II D V 4/57 — BDHE Bd. 4 S. 65 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 369.
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ohne vorher von der Amtsverschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein. Der Personalrat ist Teil seiner Dienststelle, und im Rahmen seiner Aufgabenbefugnis kann er an dienstlichen Vorgängen beteiligt werden, bei deren Offenbarung ansonsten der Beamte eine Aussagegenehmigung einholen muß. Durch die Strafvorschrift des § 75 in Verbindung mit § 60 des PersVG ist die Verwaltung hinreichend davor geschützt, daß das Personalratsmitglied geheimzuhaltende Angelegenheiten unbefugt außenstehenden Dritten unterbreitet. Soweit eine Zuständigkeit des Personalrats nicht begründet ist, ist der Beamte jedoch nicht befugt, geheimzuhaltende dienstliche Angelegenheiten einem Personalratsmitglied zu unterbreiten. Dem Beamten kann kein Vorwurf gemacht werden, daß er bei seiner Gewerkschaft oder seinem Berufsverband Rechtsschutz begehrt. Dies ergibt sich schon aus § 91 BBG, wonach auf Grund der Vereinigungsfreiheit die Beamten das Recht haben, sich in Gewerkschaften und Berufsverbänden zusammenzuschließen und sie die für sie zuständigen Gewerkschaften oder Berufsverbände mit ihrer Vertretung beauftragen können, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Beamte darf sich aber hierbei nur an die für ihn zuständige Gewerkschaft bzw. Berufsverband wenden. So ist ein Beamter der Deutschen Bundespost berechtigt, nur bei der Deutschen Postgewerkschaft, beim Deutschen Postverband oder bei der Christlichen Gewerkschaft für das Post- und Fernmeldewesen um Rechtsschutz nachzusuchen. Nur dort, wo gesetzlich etwas anderes bestimmt ist, kommt eine Wahrnehmung der Rechte des Beamten durch seine Gewerkschaft oder seinen Berufsverband nicht in Frage. Ist ζ. B. durch § 78 ZPO Anwaltszwang vorgeschrieben, so darf wohl der Vertreter der Gewerkschaft oder des Berufsverbandes nicht vor Gericht auftreten, jedoch ist es damit dem Beamten nicht verwehrt, bei seiner Gewerkschaft und seinem Berufsverband um Rechtsschutz nachzusuchen, die dann dem Anwalt beratend zur Seite stehen können. Begehrt der Beamte Rechtsschutz bei einer Gewerkschaft oder einem Berufsverband, so macht er sich disziplinarisch strafbar, wenn in einem Schriftsatz des Berufsverbandes unwahre oder beleidigende Behauptungen gegenüber der Dienstbehörde oder einem Vorgesetzten aufgestellt werden und der Beschuldigte den Inhalt des Schriftsatzes kennt. Sein Hinweis, daß der Berufsverband die Rechtsstellung eines Verteidigers im Strafverfahren habe und die von ihm aufgestellten Behauptungen dem Beamten nicht zur Last gelegt werden könnent, geht fehl. Denn der Beamte steht in einem öffentlichrechtlichen Treueverhältnis zu seiner Dienstbehörde, das ihn zu deren Achtung und der Erhaltung ihres Ansehens verpflichtet, auch wenn er glaubt, eigene Interessen wahrzunehmen. Wenn er einen Schriftsatz seines Berufsverbandes einreicht, auf den er seine Rechtsverteidigung stützt, und wenn in diesem Schriftsatz Behauptungen enthalten sind, die als eine Verletzung der Achtungspflicht gelten und die dem Ansehen der Behörde schaden, dann verletzt er seine Dienstpflicht und macht sich einer dienstlichen Verfehlung schuldig 108 . Es fragt sich, ob der Beamte bei an sich geheimzuhaltenden dienstlichen Angelegenheiten, die er der Gewerkschaft oder dem Berufsverband unterbreiten will, der Aussagegenehmigung bedarf. Diese Frage ist äußerst um108
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DokBer. Nr. 792.
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stritten 109 . Während nach der Auffassung Fischers der Beamte auch dann, wenn er bei seiner Gewerkschaft oder seinem Berufsverband Rechtsschutz begehrt, sich der Pflichten als Beamter bewußt bleiben muß und ihm somit die Amtsverschwiegenheitspflicht obliegt, hält Windscheid bei Einzelpersonalsachen, in denen die Beruf s Vereinigung berechtigt ist, sich für den Beamten einzusetzen, eine Entbindung von der Amtsverschwiegenheitspflicht nicht für notwendig, weil eine amtliche Maßnahme, die dem betroffenen Beamten amtlich eröffnet ist, damit offenkundig ist und nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG aus der Schweigepflicht ausscheidet. Soweit der Beamte die Einzelpersonalsache als solche seiner Gewerkschaft oder seinem Berufsverband unterbreitet, dürfte es sich um eine offenkundige Tatsache handeln, die keine Aussagegenehmigung erfordert. Andernfalls könnte eine Maßnahme, die mit der Klage vor den Verwaltungsgerichten anfechtbar ist, für den Beamten dadurch unanfechtbar werden, daß dem Beamten keine Aussagegenehmigung erteilt wird. Soweit der Beamte berechtigt ist, seine Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, kann er die Tatsache der gegen ihn getroffenen Maßnahme seiner Gewerkschaft oder seinem Berufsverband unterbreiten und die Tatsachen, die sein Begehren stützen sollen, soweit preisgeben, als sie offenkundig sind. Darüber hinaus bedarf er bei geheimzuhaltenden Tatsachen, auf die sich seine Ansprüche stützen, der Aussagegenehmigung 110 . Der Beamte verletzt seine Verschwiegenheitspflicht dann, wenn er der Gewerkschaft oder dem Berufsverband, dem er angehört oder in dem er mitarbeitet, ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten Vorgänge, die ihm aus seiner dienstlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind, unter Angabe von Einzelheiten und Namennennung mitteilt; er kann sich nicht damit entschuldigen, daß er dies auf Wunsch der Gewerkschaft getan hat 111 . Er kann sich auch nicht damit entlasten, daß er die geheimzuhaltende Tatsache einem Mitglied der Gewerkschaft unterbreitet hat, das Beamter ist. Beachtlich ist hierbei, daß der Berufsverband und die Gewerkschaft nicht verpflichtet sind, Angelegenheiten, die unter die Amtsverschwiegenheitspflicht fallen, an außenstehende Dritte nicht mitzuteilen. So könnte der Beamte, dem es untersagt ist, die Flucht in die Öffentlichkeit zu wählen, auf diese Weise eine Möglichkeit erhalten, über seinen Berufsverband oder seine Gewerkschaft den Weg in die Öffentlichkeit zu beschreiten. Sucht der Beamte um Aussagegenehmigung geheimzuhaltender Angelegenheiten nach, so wird die hierfür zuständige Behörde großzügig verfahren müssen. Sie muß sich dessen bewußt sein, daß die Gewerkschaften und Berufsverbände bei ihrer Arbeit weitgehend auf die Mitteilungen ihrer Mitglieder angewiesen sind und daß eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Berufsverbnäden auf der einen und den Verwaltungen auf der anderen Seite nicht gewährleistet ist, wenn diese die Beamten bei der Geltendmachung ihrer Rechte, bei der sie sich der Hilfe ihrer Berufsvertretungen bedienen, durch die Verweigerung der bei ihnen nachgesuchten Aussagegenehmigung behindert. Ein Dienstvorgesetzter, der dem Beamten, der bei seiner Gewerkschaft oder Berufsvertretung Rechtsschutz 1 0 9 Fischer, Vereinigungen von Bundesbediensteten — öffentliche Vertreter von Berufsinteressen ihrer Mitglieder in Flügelrad 1959 S. 158 ff.; W i n d s c h e i d , Verwaltung und Gewerkschaften in GBDA-Nachrichten 1959 S. 201 ff. 1 1 0 V o n Münch, a. a. O. S. 309/310. 1 1 1 DiszSenat OVG Münster 20.12. 60 — Y 21/59 — in ZBR 1961 S. 391 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 482.
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begehrt, die von ihm nachgesuchte Aussagegenehmigung ablehnt, verstößt gegen den Grundgedanken des § 91 BBG. Hat der Beamte keine Aussagegenehmigung erhalten, so ist seine Mitteilung über eine ihm dienstlich bekanntgewordene nichtpersönliche Angelegenheit an seine Gewerkschaft oder seinen Berufsverband als Verstoß gegen die Amtsverschwiegenheitspflicht zu werten, wobei es als strafmildernd berücksichtigt werden kann, daß der Beamte die Tatsache nicht gegenüber sonstigen außenstehenden Dritten, sondern im Kreise von Beamten seiner Verwaltung gemacht hat, aus denen sich ja der größte Teil der hauptberuflichen Mitglieder der Gewerkschaften und Berufsverbände zusammensetzt112. XII. VERHALTEN DES BEAMTEN BEI EINER BETÄTIGUNG ALS MITGLIED DES PERSONALRATS Der Beamte ist auch als Personalratsmitglied bei der Ausübung der ihm mit dieser Stellung übertragenen Funktionen Beamter und den sich aus dieser Rechtsstellung für ihn ergebenden Pflichten unterworfen. Dies gilt insbesondere für seine Pflicht, seinem Dienstvorgesetzten mit der gebührenden Achtung gegenüberzutreten. Bei der Kritik dienstlicher Maßnahmen, die er als Mitglied des Personalrats übt, hat er die gebotene Zurückhaltung zu wahren. Ist er mit dienstlichen Anordnungen nicht einverstanden, so muß er sich bei der Ausübung der Tätigkeit als Personalratsmitglied bewußt sein, daß der Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs und der Achtung gegenüber dem Dienstvorgesetzten der Vorrang gebührt. Mit der Wahl zum Personalratsmitglied wird ihm nämlich nicht das Recht zuteil, sich ungeachtet seiner Dienstpflichten — der Gehorsamspflicht, der Pflicht zur Aufrechterhaltung und Wahrung des betrieblichen Friedens sowie der Pflicht zur Achtung seiner Dienstvorgesetzten — gegen seine Vorgesetzten zu wenden, andere Bedienstete gegen diese Vorgesetzten aufzuwiegeln und vor der versammelten Belegschaft den Dienstvorgesetzten oder Vorgesetzten zu beleidigen oder im öffentlichen Ansehen herabzusetzen. Wenn er gelegentlich eines Rechenschaftsberichtes die Behördenleitung oder einzelne Dienststellenleiter offen oder versteckt angreift und die Stimmung der Personalversammlung gegen bestimmte Maßnahmen der Amtsleitung aufwiegelt, so begeht er ein Dienstvergehen, demgegenüber keine Berufung auf Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB möglich ist 113 . Verletzt der Beamte seine Pflichten als Personalratsmitglied, so kann er disziplinarisch nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er sich hierdurch zugleich einer Verletzung seiner Dienstpflichten schuldig macht. Versäumt ζ. B. das beamtete Mitglied des Personalrats wiederholt unentschuldigt die Sitzungen des Personalrats oder betätigt er sich im Personalrat lediglich im Interesse eines Berufsverbandes oder einer Gewerkschaft, durch die er in die Personalvertretung gewählt worden ist, so begeht er hierdurch lediglich Verstöße gegen das Personalvertretungsgesetz, die jedoch nicht zugleich Dienst Pflichtverletzungen darstellen. Beleidigt er jedoch in einer Personalratssitzung oder in einer Personalversammlung einen Dienstvorgesetzten oder BDH 13. 2. 59 — I D 91/56 —; M ü n c h , a. a. O. S. 310. BDH 21. 2. 58 — 1 DV 7/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 202; BDH 20. 12. 55 — III D 147/54 — BDHE Bd. 2 S. 170 = ZBR 1956 S. 226 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 124; Distel, Personalvertretung bei den Behörden, S. 91/92; D i e t z , Anm. 4 zu § 26 PersVG. 112
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Verhalten des Beamten bei einer Betätigung für eine Beimtengewerkschaft
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einen Kollegen, so stellt dies einen Verstoß gegen die Achtungspflicht bzw. gegen die Kameradschaftlichkeit dar, so daß das Personalratsmitglied, das Beamter ist, deshalb disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden kann. Das öffentliche Dienst- und Treueverhältnis, in dem der Beamte zu seinem Dienslhe»rn steht, und seine hieraus fließenden besonderen Verpflichtungen gegenüber der Verwaltung und der Allgemeinheit geben ihm in bezug auf die Verfolgbarkeit von Verfehlungen, die zugleich ein Dienstvergehen darstellen, auch als Personalratsmitglied eine wesentlich andere Stellung, als sie der Arbeitnehmer als Mitglied des Betriebsrats einnimmt, dem nur unter den Voraussetzungen des § 13 des Kündigungsschutzgesetzes vom 10. 8. 51 (BGBl. I S. 499) gekündigt werden kann 114 . Der disziplinarrechtlichen Verfolgung steht die in § 26 Abs. 1 PersVG vorgesehene Möglichkeit nicht entgegen, den Ausschluß des Mitgliedes aus dem Personalrat wegen grober Verletzung seiner dienstlichen Pflichten beim Verwaltungsgericht zu beantragen. Das Personalratsmitglied kann sich auch nicht auf § 59 Abs. 1 PersVG berufen, da durch diese Vorschrift nur die ordnungsgemäße Ausübung der Aufgaben des Personalrats geschützt werden soll. Daß der Personalrat lediglich eine sachliche Kritik an den Maßnahmen seiner Behörde üben darf, geht u. a. aus § 55 Abs. 1 und 2 PersVG hervor, wonach er verpflichtet ist, zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und zum Wohle der Bediensteten vertrauensvoll mit der Dienststelle zusammenzuarbeiten und alles zu unterlassen, was die Arbeit und den Frieden in der Dienststelle zu gefährden geeignet ist. Ebenso kann das Personalratsmitglied nicht geltend machen, daß der Dienstvorgesetzte von sich aus, falls sich ein Beamter der Dienststelle durch ein Personalratsmitglied beleidigt fühlt, im strafgerichtlichen Wege eine Wiederherstellung seiner Ehre herbeiführen solle. Die sich aus § 79 BBG ergebende Fürsorgepflicht kann es wohl u. U. erforderlich erscheinen lassen, nach § 196 StGB Strafantrag zu stellen; andererseits kann aber eine disziplinarische Verfolgung ausreichen, um die Ehre des Dienstvorgesetzten bzw. eines anderen Beamten der Dienststelle und den Betriebsfrieden wiederherzustellen. X m . VERHALTEN DES BEAMTEN BEI EINER BETÄTIGUNG FÜR EINE BEAMTENGEWERKSCHAFT Auf Grund der Vereinigungsfreiheit haben die Beamten das Recht, sich in Gewerkschaften oder Bsrufsverbänden zusammenzuschließen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 BBG). Sie können die für sie zuständigen Gewerkschaften oder Berufsverbände mit ihrer Vertretung beauftragen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist ( § 9 1 Abs. 1 Satz 2 BBG). Kein Beamter darf wegen Betätigung für seine Gewerkschaft oder seinen Bsrufsverband dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden (§ 91 Abs. 2 BBG) 115 . Dem § 91 BBG entsprechen im Landesbeamtenrecht § 107 LBG BW, Art. 101 BG Bayr., § 57 Vgl. BArbG 3.12. 54 in NJW 1955 S. 606. Inhaltlich entspricht dem § 91 BBG der § 57 BRRG. Im Bereich der Ländergesetzgebung befassen sich mit der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit Art. 101 LBG Bayern, § 43 LBG Berlin, § 94 LBG Bremen, § 11 Abs. 4 und 5 LBG Hessen, § 102 LBG Niedersachsen, § 102 LBG Nordrhein-Westfalen und § 107 LBG Schleswig-Holstein. 114
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Verstöße gegen die Achtungspflicht
L B G Bln., § 94 BG Brm., § 95 BG Hmb., § 108 HBG, § 102 NBG, § 103 BG NW, § 103 LBG Rh.-Pf., § 110 BG Saar und § 107 BG Schl.-Hol. Der Beamte kann sich bei der Betätigung für die Gewerkschaft nicht in jedem Falle auf das in Art. 5 Abs. 2 G G verankerte Grundrecht der freien Meinungsäußerung und auf das in Art. 9 G G garantierte Grundrecht der Koalitionsfreiheit berufen. Nach Art. 5 Abs. 2 G G findet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen nach anerkannter Rechtsprechung auch die Vorschriften des Beamtenrechts gehören, wonach das Recht auf freie Meinungsäußerung hinter die durch sein Treueverhältnis zum Staat begründeten besonderen Pflichten zurücktreten muß l i e . Daher ist das Recht der freien Meinungsäußerung inhaltlich auf die Erfordernisse des Berufsbeamtentums auszurichten. Eine Beschränkung des Rechts der freien Meinungsäußerung erfolgt nicht, um das „Gewaltverhältnis" zum Bewußtsein zu bringen, sondern zur Erhaltung sonst gefährdeter Werte des Berufsbeamtentums. Allerdings muß bei der Prüfung der Frage, inwieweit das Grundrecht der freien Meinungsäußerung bei einem Beamten eingeschränkt werden kann, ein strenger Maßstab angelegt werden117. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte sich für einen Berufsverband und eine Gewerkschaft betätigt. Gleiches gilt auch für die Frage, inwieweit sich der Beamte, der für eine Gewerkschaft oder einen Berufsverband auftritt, auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 G G berufen kann. Aus dem Recht der Koalitionsfreiheit ergibt sich, daß der Beamte in den Berufsvereinen zur Geltendmachung der gemeinsamen standes- und berufspolitischen Probleme mitwirken und daß er gemeinsam für die wirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Belange der Mitglieder eintreten kann. Jedoch kann hier das K o a l i t i o n s recht nicht s o w e i t g e h e n , daß es dem B e a m t e n die F r e i h e i t v o n den P f l i c h t e n g ä b e , die für den einzelnen B e a m t e n d u r c h sein D i e n s t - und T r e u e v e r h ä l t n i s b e g r ü n d e t sind. Die Mittel und die Form des Interessenwahrung müssen also auf die Erfordernisse des Dienstund Treueverhältnisses des Beamten abgestellt werden. Die Beamtenpflichten werden weder gesteigert noch eingeschränkt, wenn die Beamten sich zur gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Berufsinteressen zusammenschließen118. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß dem Beamten aus seiner Dienst- und Treuepflicht nicht etwa die Amtspflicht zur Objektivität im Rahmen seines Koalitionswirkens erwächst, so daß nicht alles, was bei einer überbetonten Einseitigkeit und Überschätzung des eigenen Standpunktes und durch einseitiges Beharren in vorgefaßten Meinungen verstimmen mag, in den Bereich der disziplinarrechtlichen Würdigung fallen muß. Eine gewisse Härte der Auseinandersetzung über Probleme der Verwaltungsorganisation sowie über die Abgrenzung der Aufgaben und Verantwortungen bestimmter Beamtenlauf118 Vgl. BayrDStH 10. 8. 60 — Nr. 3 DS II 59 — in ZBR 1962 S. 396 = BBZ 1963 S. 8 (LS); BayDStH 25. 4. 56 — VGH n. F. 9 III 27 —. 117 BayrDStH 10. 8. 60 — N. 3 DS II 59 — ZBR 1959 S. 396; M a n g o l d - K l e i n , Das Bonner Grundgesetz, Art. 5 Anm. IX 1 e zu Art. 5; B o c h a l l i , Einl. 1 zu BBG; F i s c h b a c h , Einl. E III zu B B G ; BVerwG 18. 12. 53 in MDR 1954 S. 377; OVG Koblenz 19. 4. 55 in DVB1. 1956 S. 27; BDH 21. 2. 58 — I DV 7/57 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 202. ne Vgl. D i e t z , Anm. 4 zu § 26 Personal Vertretungsgesetz ; BayrDStH 25.4.56 — V G H n. F. 9 III 27 —; BayrDStH 10. 8. 60 — Nr. 3 DS II 59 — ZBR 1962 S. 396; K o l l m a n n , in DöV 1952 S. 266; B e h n k e , Einf. III C 6 zur BDO.
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Verhalten des Beamten bei einer Betätigung für eine Beamtengewerkschaft
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bahnen läßt sich nun einmal dann nicht vermeiden, wenn sich eine Aufgabenteilung zwischen den Beamtenkategorien weder historisch noch aus den Aufgaben und der Ausbildung der Beamten von selbst ergibt. Andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Arbeitsfreude der Berufsgenossen und der Arbeitsfrieden unter den auf vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesenen Beamtengruppen der eigenen Verwaltung nicht das Opfer eines Koalitionswirkens werden können, das ständig und einseitig eine vermeintliche Gegensätzlichkeit der eigenen Belange betont. Läßt hier ein Sprecher einer Beamtengruppe nicht die nötige Rücksicht obwalten, so kann er disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. Findet der Beamtenvertreter nicht gleich bei seinem Dienstvorgesetzten eine Neigung für seine vertretenen Auffassungen, so muß erwartet werden, daß er die sachlichen Argumente für seine Auffassung vertieft, nicht aber versucht, durch unsachlichen Druck die Entscheidungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen119. Dem Beamten bleibt es grundsätzlich unbenommen, bei seinen Kollegen für seinen Berufsverband oder seine Gewerkschaft zu werben, es sei denn, daß die Werbung in Diensträumen durch ausdrückliche Anordnung untersagt ist. So hat ζ. B. für den Bereich der bayerischen Landesverwaltung das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Ministerialerlaß vom 18. 6. 56 — Nr. 1 C 3 - 2328/27% — zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten innerhalb der Unterkunftsräume der Bayerischen Bereitschaftspolizei Betätigungen von Gewerkschaften und Beamtenverbänden, wie Mitgliederversammlungen, Werbeveranstaltungen und Werbemaßnahmen jeder Art, verboten. Einen Verstoß hiergegen und damit ein pflichtwidriges Verhalten, das eine disziplinarische Bestrafung rechtfertigt, würde es deshalb bedeuten, wenn ζ. B. ein Polizeibeamter in seiner Eigenschaft als Schirrmeister bei einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei ihm zur Fahrausbildung unterstehende Polizeianwärter innerhalb seines räumlichen und sachlichen Dienstbereichs für den Eintritt in die Regreßversicherung seiner Gewerkschaft zu werben sucht, indem er ihnen verschweigt, daß beim Bayerischen Polizeibeamtenbund gleichfalls die Möglichkeit zum Abschluß einer Regreßversicherung besteht, sondern vielmehr behauptet, daß dieser eine solche Versicherung nicht habe, und ihnen deshalb den Austritt aus diesem Verbände rät 120 . Selbst wenn eine Werbung für den Berufsverband oder die Gewerkschaft in Diensträumen zulässig sein sollte, so muß sich der Beamte hierbei der größten Zurückhaltung befleißigen und darf vor allem nicht den Arbeitsfrieden stören. Er hat dabei den Anschein jeglicher Aufdringlichkeit oder gar der Nötigung zu vermeiden und muß sich einer Mißbilligung eines konkurrierenden Verbandes enthalten. Einem Beamten, der als Vertreter einer Gewerkschaft oder eines Berufsverbandes in der öffentlichen Auseinandersetzung um beamtenrechtliche Fragen steht, muß grundsätzlich das Recht zugestanden werden, die Ziele seines Berufsverbandes in den beteiligten Kreisen publizistisch zu vertreten und dabei an der Behandlung der den Gegenstand der Auseinandersetzung bildenden Frage durch die vorgesetzte Behörde Kritik zu üben. Die Kritik muß sich jedoch in sachlichen Grenzen halten; sie darf keine Achtungswidrigkeit und ungebührliche Herabsetzung darstellen. Behauptungen, die der Beamte aus 119 120
Schick, Der Beamte als Grundrechtsträger in ZBR 1963 S. 67. BayDStH 16. 3. 60 — Nr. 1 DS I 60 — in BBZ 1963 S. 6 (LS).
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einem solchen Anlaß zur Begründung seiner Angriffe auf Maßnahmen der vorgesetzten Dienstbehörde aufstellt, muß er besonders sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen 121 . Hat der Beamte unter Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht eine Tatsache einem hauptberuflichen Mitglied der Gewerkschaft oder des Berufsverbandes weitergegeben, so darf dieses Mitglied, wenn es als Beamter beurlaubt ist, die Tatsache nicht außenstehenden Dritten unterbreiten. In einem Schriftsatz an die eigene Verwaltung des Beamten, der um Rechtsschutz nachgesucht hat, kann hingegen die unter Verletzung der Amtsverschwiegenheitspflicht unterbreitete Tatsache verwertet werden 122 . Soweit es sich um die interne Verantwortung im Bereich des Beruf sverbandes und der Gewerkschaft handelt, ist der dort tätige Beamte nur diesen gegenüber verantwortlich. Hat er ζ. B. als Prozeßvertreter einer Gewerkschaft die Belange des in seiner Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmers schlecht vertreten, so braucht er nicht seiner Verwaltung hierüber Rechenschaft abzugeben. Das gleiche gilt auch für die gewissenhafte Wahrnehmung seiner Aufgaben gegenüber dem Berufsverband oder der Gewerkschaft. Anders ist dies jedoch, soweit er anläßlich seiner Betätigung für den Berufs verband oder die Gewerkschaft gegen seine Dienstpflichten verstößt. Macht sich der Beamte anläßlich seiner Tätigkeit im Berufsverband oder der Gewerkschaft einer Unterschlagung oder eines Betruges schuldig, so handelt es sich hier wohl um außerdienstliche Verstöße, die aber seine Stellung als Beamter berühren. Ein Beamter, der sich eines Betruges oder einer Unterschlagung gegenüber dem Berufsverband oder der Gewerkschaft schuldig macht, hat damit gröblichst das Ansehen als Beamter in der Öffentlichkeit untergraben, so daß auch bei derartigen Pflichtverstößen u. U. sogar die Höchststrafe in Frage kommen kann.
§ 57. Verstöße gegen die Pflicht zur Kameradschaftlichkeit Der Beamte hat gegenüber seinen Mitarbeitern darauf zu achten, daß er nicht durch Unverträglichkeit den Arbeitsfrieden untergrabt. Unverträglichkeit stört nicht nur den ordnungsgemäßen Ablauf des Dienstbetriebs, sondern schädigt in den meisten Fällen zugleich das Ansehen der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit. Die häufigsten Verstöße gegen die Pflicht zur Kameradschaftlichkeit stellen Beleidigungen von Mitarbeitern und die Erhebung von unbegründeten Vorwürfen gegen dieselben dar. Über die strafrechtliche Beurteilung von Beleidigungen nach §§185 StGB und von falschen Anschuldigungen nach § 164 StGB siehe § 56 II S. 702 ff. Erhält ein Beamter von einer erheblichen Pflichtverletzung eines Mitarbeiters Kenntnis, so ergibt sich für ihn die Verpflichtung, bei seinem Dienstvorgesetzten Anzeige zu erstatten; die Pflicht zur ordnungsgemäßen Pflichterfüllung ist gegenüber der Pflicht zur Kameradschaftlichkeit die höherwertige 1 . Glaubt ein Beamter, daß ein Mitarbeiter sich nicht korrekt verhalten hat, so muß er in einer Eingabe an seinen Vorgesetzten oder Dienstvorgesetzten im 121 BayDStH 25. 6. 56 — 7 DS 55 — BGHE n. F. 9 III 27 = BDHE Bd. 3 S. 299 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 268. 122 Vgl. Staks, Beamte als Disziplinarverteidiger in ZBR 1954 S. 240. 1 DokBer. Nr. 1867.
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einzelnen darlegen, worin er ein unkorrektes Verhalten erblickt ; er darf gegen Kollegen keine Vorwürfe allgemeiner Art erheben, die mangels ausreichender Anhaltspunkte nicht nachprüfbar sind 1 ". Es genügt also nicht, wenn er in einer Eingabe an seine vorgesetzte Dienststelle ganz allgemein behauptet, daß ein Mitarbeiter Unterschlagungen begangen hätte oder als bestechlich anzusehen sei. Er muß vielmehr Tatsachen angeben, aus denen auf eine Pflichtwidrigkeit des Kollegen zu schließen ist. Insbesondere darf der Beamte ein allgemeines Gerede in seiner Dienststelle über einen Mitarbeiter nicht an seinen Vorgesetzten melden oder an andere Kollegen weitergeben, sofern er selbst keine Tatsachen, die den Mitarbeiter belasten können, vorbringen kann. Wer seine Arbeitskameraden unbegründet bespitzelt und fälschlich bezichtigt, daß sie ihren dienstlichen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind, wirft ein bedenkliches Licht auf das Kollegialitätsempfinden 2 . Greift der Beamte grundlos die Ehre eines Berufskameraden an, so werden hierdurch Anstand und Vertrauen, wie sie im Verhältnis der Beamten untereinander geboten sind, erheblich verletzt 3 . Ein Beamter, der vor andauernden lügenhaften und schwersten Verdächtigungen seiner Arbeitskameraden nicht zurückschreckt, erweist sich zudem als unverbesserlicher Querulant und ist für seine Verwaltung nicht mehr tragbar 4 . Bei einem Beamten, der einen Kollegen derselben Behörde, mit dem er kameradschaftlich verkehrt hatte, grundlos und heimtückisch durch falsche Anschuldigungen in schwerste Ungelegenheiten gebracht hatte, ist von Entfernung aus dem Dienst nur deshalb abgesehen worden, weil es sich hier um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Beamte sich in langjähriger Dienstzeit einwandfrei geführt hatte6. Auf Entfernung aus dem Dienst ist jedoch bei einem Beamten erkannt worden, der gegen einen Dienststellenleiter und einen Kollegen bei seiner vorgesetzten Dienststelle eine Anzeige erstattet hatte, in der er es bewußt darauf abgestellt hatte, dem Dienststellenleiter und dem Kollegen Unannehmlichkeiten zu bereiten, um daraus selbst Vorteile zu ziehen®. Diese harte Strafe war durch die ständige Störung des Arbeitsfriedens bedingt. Hat sich der Beamte einer üblen Nachrede gegenüber einem Mitarbeiter schuldig gemacht, so k o m m t es bei der A u s w a h l der D i s z i p l i n a r s t r a f e e n t s c h e i d e n d darauf an, v o n w e l c h e n M o t i v e n er sich l e i t e n ließ. Meldet ζ. B. ein Beamter seinem Vorgesetzten ein Gerücht, das über einen anderen Beamten in der Dienststelle verbreitet wird, um im Interesse der Dienststelle eine Klärung herbeizuführen, so wird dies als ein wesentlicher Strafmilderungsgrund anzusehen sein. Läßt sich jedoch der Beamte aus Motiven des Hasses oder der Mißgunst leiten, so wird zu prüfen sein, ob den Mitarbeitern noch eine Zusammenarbeit mit einem derartigen Beamten zuzumuten ist7. BDH 27. 6. 60 — II DV 3/60 — in ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 564 (LS). 2 DokBer. Nr. 1780. 3 DokBer. Nr. 1056. 4 BDH 26. 10. 55 — III D 91/54 — L i n d g e n , TeilIV Nr. 193 = J Z 1956 S. 367 (LS); DokBer. Nr. 516 u. Nr. 587, Nr. 1789 (im letzteren Falle wurde nur auf Herabstufung in der Besoldungsgruppe erkannt, weil dem Beschuldigten keine ehrlose Gesinnung nachzuweisen war). 8 RDH 12. 10. 36 in F o e r s t e r , 1936 S. 26. 7 DokBer. Nr. 1497. « RDH 14. 7. 36 in F o e r s t e r , 1936 S. 25.
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Bevor der Beamte ein Gerücht über einen Mitarbeiter gegenüber anderen Angehörigen der Dienststelle verbreitet oder bei seinem Vorgesetzten eine Meldung erstattet, wird man von ihm verlangen müssen, daß er sich erst bei den Zeugen, die ihm das Gerücht mitgeteilt haben, vergewissert, ob für die Verbreitung des Gerüchts sichere Anhaltspunkte vorliegen. Ist ζ. B. ein Mitarbeiter wegen angeblicher Bestechung ins Gerede gekommen, so muß der Beamte, der dieses Gerücht verbreitet oder hierüber seinem Dienstvorgesetzten Meldung erstattet, bei den Zeugen zunächst feststellen, auf Grund welcher Einzelhandlungen sich ein solcher Verdacht rechtfertigt. Wenn dem Beamten auch nicht zugemutet werden kann, von sich aus Ermittlungen anzustellen, ob die Vermutungen zu Recht bestehen, so wird er jedoch nur unter Angabe des Namens desjenigen, der ihm das Gerücht mitgeteilt hat, eine Meldung erstatten können. Über die Berücksichtigung des § 193 StGB (Wahrung berechtigter Interessen) siehe § 40 III S. 376 ff. Ein Beamter, der in einem anonymen Schreiben seine Mitarbeiter grundlos beschuldigt und beleidigt, handelt besonders feige und hinterlistig und offenbart damit eine erhebliche charakterliche Fehlanlage8. Nur außergewöhnliche Milderungsgründe rechtfertigen es, in einem derartigen Fall von der Verhängung der schwersten Disziplinarstrafe abzusehen9. Macht sich ein Beamter einer wissentlichen falschen Anschuldigung schuldig, so kann er nicht mehr im Dienst belassen werden. Dies gilt vor allem für einen Polizeibeamten, wobei es hier gleich bleibt, ob sich der Beamte hier einer falschen Anschuldigung gegenüber einem Arbeitskameraden oder gegenüber einem außenstehenden Dritten, mit dem er dienstlich Befassung hatte, schuldig gemacht hatte 10 . Versucht ein Beamter, bei der Ausführung pflichtwidriger Handlungen den Verdacht von sich abzulenken, und bringt er dadurch andere Beamte in den Verdacht der Dienstwidrigkeit, so ist er nicht mehr tragbar 11 . Besonders schwer wiegt es, wenn ein Beamter zur Verdeckung eigener Schuld einen Mitarbeiter absichtlich in den Verdacht der Unredlichkeit bringt 12 oder wider besseres Wissen einen Kollegen einer strafbaren Handlung bezichtigt und hieran festhält 13 . Eines Beamten unwürdig ist es, wenn er sich Aufzeichnungen über dienstliche Vorkommnisse macht, um sie ggf. zum Nachteil der beteiligten Beamten zu verwerten 14 . Schon eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB allein stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaftlichkeit dar. Eine Kompensation der B D K II 29. 8. 56 — II V L 16/56 — ; BDK X 2 8 . 1 0 . 55 — X V L 35/55 —. BDH 19. 10. 55 — II D 161/54 — in J Z 56 S. 367. 1 0 DiszSenat O V G Münster 28. 6. 62 — V 13/62 — in ZBR 1963 S. 320 (LS). 1 1 DokBer. Nr. 522. Hier hatte der Beschuldigte es bewußt unterlassen, seinen Namenszug entsprechend den dienstlichen Vorschriften anzubringen, um den Verdacht der Unregelmäßigkeit von sich abzulenken. 1 2 BDH 24. 9. 54 — III D 32/54 — Teil IV Nr. 95. Hier hatte der Beschuldigte zur Verschleierung zahlreicher eigener Straftaten amtliche Belege mit dem Namen von Arbeitskollegen gefälscht. Der Bundesdisziplinarhof wies seine Berufung gegen das auf Dienstentfernung ohne Unterhaltsbeitrag lautende Urteil der Bundesdisziplinarkammer zurück. 1 3 RDH 24. 6. 35 bei F o e r s t e r , 1936 S. 95. " RDH 8. 3. 27 in D V Z . 8
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beiderseitigen Beleidigungen, wie sie in § 199 StGB vorgesehen ist, wonach beide Beleidiger oder einer von beiden vom Gericht für straffrei erklärt werden kann, gibt es im Disziplinarrecht nicht 15 ; das Disziplinarrecht würdigt ein bestimmtes Verhalten allein dahin, ob eine Verletzung der Dienstpflichten vorliegt 18 . Eine Dienstpflichtverletzung kann nicht dadurch aufgewogen werden, daß ein anderer sich auch einer mit dem Verstoß in Zusammenhang stehenden Verfehlung schuldig gemacht hat; es kann sich jedoch unter Umständen im Strafmaß mildernd auswirken, wenn eine in der Beleidigung eines Dritten liegende Dienstpflichtverletzung eines Beamten durch das Verhalten eines Dritten herausgefordert worden ist. Ebenso kann sich der Beamte nicht darauf berufen, daß bei wechselseitigen Beleidigungen das von beiden Parteien anhängig gemachte Privatklageverfahren mit einem Vergleich endete, wobei beide Parteien die Kosten des Rechtsstreits zu gleichen Teilen übernommen hatten. Ebenso kann sich der Beschuldigte nicht auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes berufen, wenn bei wechselseitigen Beleidigungen der andere Beamte nicht disziplinarisch belangt worden ist 17 . Das Strafmaß bei Beleidigungen im Sinne des § 185 StGB richtet sich vor allem nach dem Ausmaß der Störung des Arbeitsfriedens. Dieser wird auch dann gestört, wenn ein Beamter anläßlich von Personalratswahlen über Personalratsmitglieder polemische Äußerungen tut; dann kommt es noch nicht einmal darauf an, ob der Arbeitsfrieden hierdurch gestört worden ist. Die Rechtslage ist bei polemischen Äußerungen auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn die Vorwürfe des Beschuldigten in ihrem Kern berechtigt sind, öffentliche Erörterungen von Streitigkeiten zwischen Bediensteten desselben Amtes stören immer den Betriebsfrieden. Der Beamte kann sich nicht damit entschuldigen, daß er von der Gegenseite zuerst angegriffen worden ist; in einem solchen Falle muß er sich beschwerdeführend an seine vorgesetzte Dienstbehörde wenden17". Bei einem Beschuldigten, der gegen weibliche Arbeitskameraden in der Kantine einen unflätigen Ton anschlägt, kann strafmildernd berücksichtigt werden, daß daselbst im allgemeinen rauhe Umgangsformen herrschen18. Strafschärfend ist die Wiederholung der Beleidigungen zu berücksichtigen. Ein Beamter, der aus einem Hang zur Besserwisserei fortgesetzt Mitarbeiter und Vorgesetzte beleidigt, muß u. U. sogar mit der Höchststrafe rechnen19. Besonders schwer wiegt es, wenn ein Beamter sich gegenüber Mitarbeitern zu Tätlichkeiten hinreißen läßt 20 . So wird die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten dadurch erheblich verletzt, daß ein Beamter einen Kollegen ohne Grund schlägt oder stößt 21 . Eine gefährliche Körperverletzung 1 5 DokBer. Nr. 1070;BDH25.10. 60 — IDV6/60 — i n Z B R l % l S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 584; Ehr er in GRA Bd. 3 S. 289 u. Bd. 4 S. 18. l e BDH 8.10. 59 — I D 34/58 — BDHR Bd. 5 S. 19 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 515 (LD); BDH 25.10. 60 — I D V 6/60 — in ZBR1961 S. 385 = L i n d g e n , TeilIVNr. 585 (LS). " Vgl. DokBer. Nr. 1565. " » DokBer. Nr. 1070, Nr. 1497 und Nr. 1905. 1 8 DokBer. Nr. 1806. 1 9 DokBer. Nr. 1214. 20 BDH 25. 11. 53 — II DV 9/53 — (der BDH vertrat hier die Auffassung, daß ein Beamter zu Recht wegen unkameradschaftlichen Verhaltens mit einer Geldbuße bestraft worden ist, weil er einen körperlich unterlegenen Kollegen mißhandelt und ihm blutende Abschürfungen an Körper und Armen beigebracht hatte). 2 1 DokBer. Nr. 1674.
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§ 5 8 Verstöße gegen die dem Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten obliegenden Pflichten
(§ 223a StGB) stellt eine äußerst grobe und völlig ungerechtfertigte Störung des Betriebsfriedens und eine besonders grobe Verletzung des Gebots der Kameradschaftlichkeit dar; ein Beamter, der sich gegen § 223a StGB vergeht, stellt eine erhebliche Gefahr für ein friedliches und reibungsloses Funktionieren des Dienstes dar, so daß von der höchsten Strafe nur dann abgesehen werden kann, wenn den Verletzten eine Mitschuld trifft und der Beschuldigte sich infolge nervöser Erschöpfung und Hypertonie hat hinreißen lassen und er sich bisher im Dienst einwandfrei geführt hat22. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr steht einem Täter, der einen Angriff gar nicht abwenden, sondern eine Schlägerei herbeiführen will, nicht zu22». Läßt sich ein Beamter in einem erheblichen Umfange Tätlichkeiten gegenüber Mitarbeitern zuschulden kommen, so kann diesen nicht mehr zugemutet werden, mit dem Beschuldigten zusammen zu arbeiten; u. U. darf sogar die Höchststrafe verhängt werden23. Sind mehrere Beamte an der Schlägerei beteiligt gewesen, so zwingt die Tatsache, daß ein an der Schlägerei beteiligter Beamter bereits einschlägig bestraft worden ist, noch nicht, bei beiden Beteiligten das gleiche Strafmaß anzuwenden; hier liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Disziplinarorgans, wie es den Tatbeitrag und das sonstige Persönlichkeitsbild der Beteiligten bewerten und gegeneinander abwägen will24. Läßt sich der Beamte in eine Schlägerei mit Kollegen in einer Gaststätte außerhalb des Dienstes ein, so handelt es sich trotzdem auch hier um eine dienstliche Verfehlung; das Fehlverhalten des Beamten liegt in einem solchen Falle nicht völlig außerhalb des Rahmens dienstlicher Zusammenhänge, zumal wenn die Beamteneigenschaft des Beschuldigten den Teilnehmern an der Auseinandersetzung bekannt ist. In einem solchen Falle schädigt der Beamte durch sein in der Öffentlichkeit gezeigtes Verhalten das Ansehen der Beamteneigenschaft erheblich25.
§ 58. Verstöße gegen die dem Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten obliegenden Pflichten I. V E R L E T Z U N G DER FÜRSORGEPFLICHT 1 Wie sich der Beamte voll für die Interessen des Staates einsetzen muß, so ist der Staat und damit jeder Vorgesetzte gehalten, dem Beamten die notwendige Fürsorge angedeihen zu lassen. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist in § 79 BBG gesetzlich verankert. Sie erstreckt sich auch auf die Familie des Beamten und gilt über d;e Dauer des aktiven Beamtenverhältnisses hinaus. Aus der Fürsorgepflicht ergibt sich ζ. B., daß der Vorgesetzte den Untergebenen gerecht behandeln muß, keine übersteigerten Anforderungen an ihn stellen darf, ihm eine ausreichende soziale Betreuung zuteil werden läßt und ihn vor ungerechtfertigten Angriffen in Schutz zu nehmen hat. Der Dienstvorgesetzte ist verpflichtet, den Beamten zu hören, bevor er für ihn ungünstige Angaben und Beschwerden zu seinen Personalakten DokBer. Nr. 1780. ä2» DokBer. Nr. 1893. 2 3 RDH 12. 10. 36 bei F o e r s t e r , 1936 S. 85; vgl. DokBer. Nr. 1963 (Laufbahnstrafe). 24 DokBer. Nr. 1389. 2 8 DokBer. Nr. 1889. 1 W e i m a r , Zweifelsfragen zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten in RiA 1964 S. 166. 22
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Pflichtwidriges Verhalten gegenüber Nachgeordneten
§58
nimmt (§ 90 BBG, § 90 Abs. 1 LBG BW, Art. 100 BG Bayr., § 56 LBG Bln., § 90 Abs. 1 BG Brm., § 94 BG Hmb., § 107 Abs. 2 HBG, § 101 Abs. 2 NBG, § 102 BG NW, § 102 Abs. 1 LBG Rh.-Pf., § 109 BG Saar und § 106 Abs. 1 BG Schl.-Hol.). Er darf allgemein nur dann aus einem Sachverhalt eine dem Beamten ungünstige Folgerung ziehen, wenn er diesem 2uvor Gelegenheit gegeben hat, zu diesem Sachverhalt Stellung zu nehmen und Erklärungen darüber abzugeben, wie es zu seiner Handlungsweise gekommen ist2. Wird der Beamte während seiner dienstlichen Tätigkeit oder in Beziehung auf seinen Beruf beleidigt, so kann sich nach Lage des Einzelfalles für den Dienstvorgesetzten die Verpflichtung ergeben, einen Strafantrag nach § 196 StGB zu stellen. Zur Fürsorgepflicht des Vorgesetzten gehört es auch, einen Beamten, der unter dem Eindruck eines gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens von sich aus seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt, über den Stand des Verfahrens und die Folgen des freiwilligen Verzichts auf die Beamtenrechte eingehend zu belehren und ihm zunächst eine ausreichende Frist zur Überlegung zu gewähren. Der Dienstvorgesetzte ist verpflichtet, Eingaben nachgeordneter Beamter im Dienstweg unverzüglich weiterzuleiten. Es kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, daß der Dienstvorgesetzte eine Eingabe eines nachgeordneten Beamten deshalb nicht weiterleitet, weil sie für ihn unangenehm ist oder sich gegen ihn richtet3. Der Beamte hat nämlich schlechthin seinen Dienstpflichten gegenüber seinen persönlichen Interessen den Vorrang zu geben. Aus der sich aus § 79 BBG ergebenden Fürsorgepflicht und auf Grund der ausdrücklichen Bestimmung des § 59 VerwGO, der für Bundesbehörden gilt, folgt, daß der Beamte anläßlich schriftlicher Verwaltungsakte, die sich gegen ihn richten, wie ζ. B. bei VersetzungsVerfügungen, über die ihm zu Gebote stehenden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu belehren ist. Darüber hinaus ist er ganz allgemein von seinem Dienstvorgesetzten zu beraten. Eine Belehrungspflicht ist aber — abgesehen von § 59 VerwGO — dann nicht gegeben, wenn sich der Beamte über die tatsächliche und rechtliche Lage klar sein muß 3a . Π. PFLICHTWIDRIGES V E R H A L T E N G E G E N Ü B E R NACHGEORDNETEN4 Jeder Vorgesetzte muß sein eigenes Verhalten entsprechend seiner gehobenen Stellung so einrichten, daß er seinen Untergebenen stets ein Vorbild 2 BGH 29. 11. 56 — ZR 70/55 — (Der Bundesgerichtshof hat hier ausgeführt, daß jeder Beamte erwarten darf, daß sein Dienstvorgesetzter, wenn immer er sich zu einem dem Beamten nachteiligen Hingreifen entschließt, sogar die subjektive Seite des Verhaltens des Beamten mit Sorgfalt prüft. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dies sei nicht nur nach dem Fundamentalgrundsatz jeder staatlichen Ordnung zu fordern, daß auch der andere Teil zu hören ist, sondern gehöre schon zum richtig verstandenen Inhalt des auf ein gegenseitiges Treueverhältnis gegründeten Beamtenverhàltnisses). 3 DokBer. Nr. 1559. S a Vgl. O V G Lüneburg 6.12. 63 — II O V G A 1/62 — in RiA 1964 S. 42 — DöD 1964 S. 16. 4 P o l a c z y , . . . und wenn der Vorgesetzte Unrecht tut? in D D B 1963 S. 124; derselbe, Das Beamtendisziplinarrecht bei Auseinandersetzungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in D D B 1963 Nr. 8.
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§ 58 Verstöße gegen die dem Dienstvorgesetzten und Vorgesetzten obliegenden Pflichten
ist. Verstößt er gegen seine Pflichten als Beamter, so ist bei der Beurteilung seiner Pflichtverletzung ein besonders strenger Maßstab anzulegen6. Ein Vorgesetzter, der seinen nachgeordneten Beamten durch wiederholte Pflichtverstöße ein schlechtes Beispiel gibt, ist in einem solchen Falle gar nicht mehr in der Lage, seine Aufsichtspflicht auszuüben. So ist ein höherer Beamter, der durch Alkoholmißbrauch — bei Betriebsfeiern· und in Betriebsräumen — aufgefallen ist und sich in mehreren Fällen auf unredliche Weise Vorschüsse und Darlehn verschafft hat, mit der zweithöchsten Strafe, nämlich mit der Herabstufung in ein niedrigeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, bestraft worden. Durch sein schlechtes Vorbild gefährdet ein solcher Dienstvorgesetzter die Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit seiner Untergebenen in einem hohen Grade und enttäuscht das Vertrauen seiner vorgesetzten Dienststelle erheblich®. Jeder Vorgesetzte soll unparteiisch, unvoreingenommen und nicht überheblich sein. Ein ständiges Schikanieren von nachgeordneten Beamten kann zur Entfernung des Vorgesetzten aus dem Dienst führen7. Eine Dienstpflichtverletzung stellt es dar, wenn der Dienstvorgesetzte nachgeordneten Beamten wegen angeblicher Pflichtwidrigkeiten Sonderdienste auferlegt. Welche Dienststrafe erlaubt und zulässig ist, ist im Disziplinarrecht festgelegt. Hiernach kommt eine Auferlegung von Sonderdiensten nicht in Frage. Der Dienstvorgesetzte kann sich nicht darauf berufen, daß der auferlegte Strafdienst von den Nachgeordneten stillschweigend hingenommen worden ist. Ebenso kann sich der Dienstvorgesetzte nicht damit entschuldigen, daß die Auferlegung von Sonderdiensten bei seiner Dienststelle eine langanhaltende Übung darstellt8. Zu privaten Arbeitsleistungen darf der Vorgesetzte den Untergebenen gleichfalls nicht heranziehen. Der Vorgesetzte darf sich auch nicht zu den nachgeordneten Beamten in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, indem er ζ. B. bei ihnen Schulden aufnimmt. Eine besonders schwere Pflichtverletzung stellt es dar, wenn der Dienstvorgesetzte seine Stellung dazu ausnutzt, um sich von einem ihm unterstellten Kassenbeamten ihm nicht zustehende Gelder auszahlen zu lassen9. Ein Beamter, der nachgeordnete Beamte zur Amtsunterschlagung angestiftet und Arbeitskameraden bestimmt hat, für ihn Darlehen aufzunehmen, weil er selbst wegen leichtfertigen Schuldenmachens keinerlei Kreditwürdigkeit bei Kreditinstituten besaß, ist aus dem Dienst sogar ohne Unterhaltsbeitrag entfernt worden 10 . Ein Amtsvorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer strafbaren Handlung im Amt vorsätzlich verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche strafbare Handlung seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt, hat die auf diese strafbare Handlung angedrohte Strafe verwirkt (§ 357 Abs. 1 StGB 10 ». Die strafbare Handlung braucht kein Amtsdelikt i. S. der §§ 331 ff Behnke, S. 120. DokBer. Nr. 1242. 7 RDH Bd. 1 S. 33. 8 DokBer. Nr. 1348. 9 RDH 23. 11. 38 bei W i t t l a n d , S. 108. 1 0 DokBer. Nr. 1607. io» Weimar, Pflichtverletzung des Vorgesetzten als strafbare Handlung (§ 357 StGB) in DöD 1965 S. 10. 6 6
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Verletzung der Aufsichtspflicht
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StGB darzustellen10". § 48 StGB wird hier durch § 357 Abs. 1 StGB ersetzt. Bezüglich der Nebenstrafen vgl. § 358 StGB. Ein Vorgesetzter, der sich nicht scheut, die ihm dienstlich nachgeordneten Bediensteten in eigene Machenschaften hineinzuziehen, und sie zur Teilnahme bei unredlichen Handlungen verleitet, hat seine Beamtenstellung verwirkt 11 . Gleiches gilt, wenn er sich an der Verwertung der von Untergebenen veruntreuten Güter beteiligt 12 . Er ist auch disziplinarisch zu belangen, wenn er einen Kraftfahrer seiner Behörde zur Ausführung einer Schwarzfahrt bestimmt 13 . Ebenso wie ein nachgeordneter Beamter seinen Vorgesetzten nicht beleidigen oder gar tätlich angreifen darf, so verstößt auch ein Vorgesetzter gegen seine Dienstpflichten schwer, wenn er Untergebene beschimpft oder wenn er gegen sie handgreiflich wird. Hier wirkt es auch nicht strafmildernd wenn die Ausschreitungen des Vorgesetzten anläßlich einer Feier in der Dienststelle unter Alkoholeinfluß geschehen sind14. ΠΙ. VERLETZUNG DER AUFSICHTSPFLICHT Dem Vorgesetzten stehen vor allem Überwachungsbefugnisse zu. Für eine Beseitigung hierbei festgestellter Mängel hat er umgehend Sorge zu tragen. Wenn er ζ. B. bei Ausübung seiner Aufsichtspflicht auf Unkorrektheiten in der Kassenführung stößt, ist er verpflichtet, ihnen nachzugehen und sie aufzuklären oder ihre Aufklärung zu veranlassen15. Ein Beamter, welchem eine Aufsicht oder Kontrolle über die Amtsgeschäfte eines anderen Beamten übertragen ist und diesen Beamten zu einer strafbaren Handlung im Amte vorsätzlich verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche strafbare Handlung wissentlich geschehen läßt, hat nach § 357 Abs. 2 StGB die auf diese strafbare Handlung angedrohte Strafe verwirkt, sofern die von diesem letzteren Beamten begangene strafbare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft. Der Vorgesetzte muß in der Lage sein, die Tat zu verhindern. Es genügt wenn sich der Täter die Tat des Untergebenen in ihrem Hauptmerkmalen vorstellt. Beteiligt er sich an einer Amtsunterschlagung mit der Absicht, an den unterschlagenen Sachen teilzuhaben, so ist er bei Empfang des Beuteanteils aus der Hand des Untergebenen auch wegen Hehlerei zu bestrafen15». Bezüglich der Nebenstrafen vgl. § 358 StGB. Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht oder gar die Duldung festgestellter Ordnungswidrigkeiten stellt auch ein schweres Dienstvergehen dar16. Dies gilt ζ. B. wenn ein Dienstvorgesetzter duldet, daß ein Untergebener nach Genuß von Alkohol in nennenswerter Menge ein beamteneigenes Kraftfahrzeug fährt 17 . Sind die vom Dienstvorgesetzten festgestellten Dienstpflichtverletzungen sogar strafBGHSt. Bd. 2 S. 170, Bd. 3 S. 349, BGH in NJW 1959 S. 585. BD H 6. 8. 53 — II D 91/53 — I.indgen, Teil IV Nr. 9; BDH 15. 10. 53 — II D 111/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 45; BDH 30. 3. 54 — I D 41/53 — in J Z 1954 S. 489 (LS); DokBer. Nr. 548 und Nr. 807. 12 RDH 8. 4. 34 bei F o e r s t e r , 1935 S. 82. 1 3 BDH 22. 8. 56 — II D 13/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 154. 14 DokBer. Nr. 953. » DokBer. Nr. 1818. 15 » GrSenBGHSt. Bd. 7 S. 134; Schwarz Anm. 4 zu § 357 StGB. 1 8 RDH bei S c h u l z e - S i m o n s , S. 185. 1 7 BDH 12.10. 59 — I DV 8/59 — BDHE Bd. 5 S. 45 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 516. 10b
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bare Handlungen, so hat er seiner vorgesetzten Behörde umgehend Meldung zu erstatten. Unterläßt er es, die Verfehlungen des ihm unterstellten Beamten zu melden, um diesen einer strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Verfolgung zu entziehen, so verletzt er selbst seine Dienstpflicht und hat mit schwerer Strafe zu rechnen18. Eine schwere Dienstverfehlung begeht er auch dann, wenn er die Schuldigen an einer Schwarzfahrt nicht unverzüglich und nachdrücklich diszif l'.narisch verfolgt 19 . Der Beamte verletzt seine Aufsichtspflicht, wenn er sich von ihm unterstellten Arbeitern einen Vorteil gewähren, ζ. B. einen Geräteschuppen während deren Dienststunden erbauen läßt, was dann besonders schwer wiegt, wenn dazu noch dienstliches Material verwendet wird. Hierbei wiegt es schwer, daß ein Beamter, der Arbeiter überwachen soll, daß sie ihre Dienstpflichten ordnungsmäßig erfüllen, insbesondere nicht gegen bestehende Pflichten verstoßen sollen, es duldet, daß sie sich eines Verstoßes schuldig machen, der für ihn einen Vorteil bedeutet40. Von der Erstattung einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft kann der Dienstvorgesetzte dann absehen, wenn bei Vergehen die Schuld des nachgeordneten Beamten und das öffentliche Interesse an einer Bestrafung gering sind. In diesem Fall wird es dem Dienstvorgesetzten möglich sein, mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln für eine Aufrechterhaltung der Dienstzucht zu sorgen. Bei Unterschlagung und Diebstählen kann hier ζ. B. schon die fristlose Entlassung eines Postfacharbeiters oder eines Angestellten oder die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten ausreichen.
§ 59.Verstöße gegen die Pflicht zu sittlich einwandfreiem Verhalten innerhalb des Dienstes Der Beamte hat nicht nur seine Dienstgeschäfte ordnungsgemäß zu erledigen, sondern sich insbesondere im Dienst an die allgemeinen Gesetze von Sitte, Moral und Anstand zu halten. Die zunehmende Beschäftigung von weiblichen Bediensteten auch im öffentlichen Dienst bedingt eine Zusammenarbeit beider Geschlechter nicht nur bei der gleichen Dienststelle, sondern sogar auch auf dem gleichen Arbeitsplatz. Hier kommt hinzu, daß gerade Beamte gegenüber weiblichen Bediensteten Aufsichtsfunktionen versehen, die zu einem Mißbrauch in sexueller Hinsicht besonders verleiten. Infolge Versetzungen oder Abordnungen von erheblicher Dauer ist der verheiratete Beamte oft gezwungen, längere Zeit von seiner Familie getrennt zu leben, 1 8 BiJiv VII 20. 4. 55 — VII V L 16/54 — (Hier hatte der Beschuldigte als Amtsvorsteher die Unterschlagung eines Untergebenen nicht gemeldet, um selbst nicht unangenehm aufzufallen und in der erstrebten Beförderung nicht behindert zu werden. Bei einer wegen einer zweiten Verfehlung des gleichen Beamten später durchgeführten Untersuchung hatte er dem Beamten ein günstiges Zeugnis ausgestellt und ausdrücklich betont, dieser sei erstmals straffällig geworden. Den Tater hatte er dazu bestimmt, seine erste Unterschlagung zu verschweigen. Die Bundesdisziplinarkammer bestrafte den Amtsvorsteher mit Versagung des Aufsteigens im Gehalt und sah nur ausnahmsweise wegen seiner Jugend, seiner sonst guten Führung und seines anerkennenswerten Eifers sowie weiterer in seiner Person liegender Milderungsgründe von der an sich gerechtfertigten Dienstentfernung ab. Sie betonte aber, daß er als Dienstvorgesetzter und Leiter eines Amtes unmöglich sei). 1 9 BDH 22. 8. 56 — II D 13/56 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 154. 2 0 DokBer. Nr. 1726.
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was ihn besonders dazu verleitet, mit weiblichen Bediensteten gerade seiner eigenen Dienststelle Bekanntschaften zu schließen, die im Laufe der Zeit die durch die allgemeinen Sittengesetze gesetzten Schranken in einem mehr oder weniger großen Umfange überschreiten. Sofern derartige Liebeleien mit Bediensteten des anderen Geschlechts während der Dienststunden oder sonst in dienstlichen Räumen fortgesetzt werden, handelt es sich um Dienstvergehen im engeren Sinne. Da aber durch sittliche Verfehlungen gegenüber weiblichen Bediensteten der gleichen Behörde außerhalb der Dienstzeit die Dienstzucht in einem erheblichen Maße verletzt wird, was insbesondere dann der Fall ist, wenn sich die Angestellte oder Beamtin, mit der der Beamte unerlaubte Beziehungen aufrechterhält, zu diesem in einem Unterordnungsverhältnis befindet, spricht man auch hier gleichfalls von dienstlichen Verfehlungen, die das Beamtenverhältnis unmittelbar berühren. Geschlechtliche Verfehlungen, die sich ein Beamter im Dienst zuschulden kommen läßt, müssen besonders ernst genommen werden, weil das weibliche Personal einer Verwaltung vor sexuellen Übergriffen männlicher Bediensteter geschützt und der Dienst in einer Verwaltung von sexuellen Bindungen und Spannungen freigehalten werden muß 1 . Besonders schwer wiegt es, wenn ein Beamter mit einer Bediensteten der gleichen Dienststelle sich in ein Liebesverhältnis einläßt2. Bei der Auswahl des Strafmaßes ist zunächst einmal auf die Ausmaße des Liebesverhältnisses abzustellen. Verstößt der Beamte hierbei zugleich gegen strafrechtliche Normen, wie ζ. B. gegen §§172, 174 Nr. 2 oder § 182 StGB, und ist er dieserhalb bestraft worden, so ist grundsätzlich die Höchststrafe am Platze. Ein Beamter, der ζ. B. wegen Unzucht unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses (§ 174 Nr. 2 StGB) zu einer erheblichen Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, muß für jedes öffentliche Amt — gleich welcher Laufbahn — schlechterdings für untragbar erachtet werden, auch wenn er Strafaussetzung zwecks Bewährung erhalten hat und von seiner Dienstbehörde nicht sofort die Einleitung des Disziplinarverfahrens veranlaßt, sondern erst eine längere Zeit danach die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge nach § 79 BDO angeordnet worden ist 3 . Selbst wenn der Beamte sich nicht im Sinne des StGB strafbar macht, ist er dennoch sogar schon bei bloßen Annäherungsversuchen disziplinarisch verantwortlich. So stellt es ein Dienstvergehen dar, wenn ein Beamter einer ihm zu Schreibarbeiten zugeteilten Mitarbeiterin die Hand streichelt oder sie flüchtig im Gesicht berührt, was die Beamtin als Belästigung empfindet. Ebenso reicht es zu einer Bestrafung aus, wenn der Beamte eine Mitarbeiterin über die Schulter streicht oder sie an Kopf oder Wangen streichelt oder sie zu küssen versucht. Derartigen ungehörigen Annäherungsversuchen muß im Interesse der Dienstzucht entgegengetreten werden, weil ansonsten ein reibungsloses Zusammenarbeiten aller Bediensteten der gleichen Behörde gefährdet wird. Für eine disziplinäre Beurteilung kommt es nicht auf die Reaktion der weiblichen Betroffenen an. Strafschärfend ist zu berücksichtigen, wenn sich der Beamte wiederholt den Mitarbeiterinnen nähert. DokBer. Nr. 1623. PrOVG 2 . 1 1 . 28 — D. U. 43/27 — PrOVG Bd. 83 S. 402 = P e r w o , S. 227. DiszSenat OVG Münster 14. 7. 61 — V 15/61 — in ZBR 1962 S. 78 (LS) = Lindgen, Teill V Nr. 653. 1
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Strafmildernd kann berücksichtigt werden, wenn sich der Beamte unaufgefordert bei den Mitarbeiterinnen für sein ungehöriges Tun entschuldigt und sich ansonsten gut geführt hat4. Bei der Auswahl des Strafmaßes ist es neben der Intensität des Liebesverhältnisses vor allem auf die dienstliche Stellung des Beamten abzustellen. So muß ζ. B. ein Behördenleiter oder der Vorsteher einer Personalstelle besonders darauf bedacht sein, gegenüber nachgeordneten weiblichen Bediensteten in sexueller Hinsicht Zurückhaltung obwalten zu lassen. Hier sind schon Zudringlichkeiten geschlechtlicher Art eines Vorgesetzten als erhebliche Pflichtwidrigkeiten zu werten5. Ein Dienststellenleiter, der fast täglich, morgens oder nachmittags bei einer ihm nachgeordneten Angestellten in der Wohnung gewesen war und dort mit ihr Zärtlichkeiten ausgetauscht und überdies noch eingeräumt hatte, etwa zweimal mit ihr in der Woche ausgegangen zu sein und ein Café, eine Gaststätte oder ein Kino besucht zu haben, ist mit der Höchststrafe bestraft worden®. Ein anderer Beamter, der seine Vorgesetztenstellung dazu ausgenutzt hatte, um gegenüber einer weiblichen Bediensteten handgreiflich zu werden, indem er sie betastete und küßte, ist von der Dienstaltersstufe 13 der Besoldungsgruppe A 10 in die Dienstaltersstufe 10 herabgestuft worden7. Der Leiter einer Personalstelle, der in mehreren Fällen ihm unterstellte weibliche Bedienstete unsittlich belästigte, ist lediglich in eine niedrigere Dienstaltersstufe zurückgestuft worden, weil er sich bisher einwandfrei geführt hatte, in seiner Ehe erhebliche Spannungen bestanden hatten und er die Tat unter erheblichem alkoholischen Einfluß, der allerdings seine Einsichts- und Willensfähigkeit nicht völlig aufgehoben hatte, an einem Rosenmontag ausgeübt hatte, wobei besonders zu beachten war, daß der Dienststellenleiter die Einnahme von alkoholischen Getränken im Dienste an dem betreffenden Tage gebilligt hatte und zu erwarten war, daß der Beschuldigte die verhängte Strafe als heilsame Lehre ansehen würde 8 . Von einer Herabstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe glaubte hier der Bundesdisziplinarhof insbesondere deshalb Abstand nehmen zu können, weil der Beschuldigte wegen der Vorfälle, die Anlaß zur Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gaben, aus der hervorgehobenen Stellung eines Leiters der Personalstelle herausgenommen und zu einem kleinen Amt versetzt worden war. Mit Rücksicht auf die Aufrechterhaltung der Dienstzucht müssen geschlechtliche Verfehlungen geringerer Art auch dann disziplinarisch geahndet werden, wenn zwischen dem Beamten und den weiblichen Bediensteten kein Vorgesetztenverhältnis besteht. Von einem Beamten muß ganz allgemein verlangt werden, daß er gegenüber weiblichen Kräften alles unterläßt, 4 DokBer. Nr. 1510 (in diesem Falle wurde der Beschuldigte in eine niedrigere Dienstaltersstufe herabgestuft und ihm gleichzeitig das Aufsteigen im Gehalt auf die Dauer eines Jahres versagt). 8 BDH 15. 3. 56 — H D 143/55 — (hier hatte ein Stellenvorsteher in mindestens 10 Fällen weibliche Bedienstete gegen ihren Willen unsittlich berührt. Der BDH stellte fest, daß das besondere Gewicht des Dienstvergehens des Beschuldigten in der Vielzahl seiner Verfehlungen bestand und es allenfalls noch verzeihlich gewesen wäre, wenn er sich einer einzigen Untergebenen gegenüber unkorrekt verhalten hätte). 8 DokBer. Nr. 1194. 7 DokBer. Nr. 1180. 8 DokBer. Nr. 1632.
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•was das Schamgefühl dieser Bediensteten verletzen könnte. Deshalb macht sich ein Beamter schon dann disziplinarisch strafbar, wenn er ζ. B. zu einer Mitarbeiterin in anstößiger Weise über geschlechtliche Dinge spricht9. Schwer wiegt es, wenn die weiblichen Mitarbeiterinnen noch jugendlich und dienstunerfahren sind sowie die unsittlichen Äußerungen in einem engen Zusammenhang mit dienstlichen Fragen stehen ; von einer Dienstentfernung kann jedoch dann abgesehen werden, wenn die Ungehörigkeiten im wesentlichen im Bereich bloßer verbaler Verstöße geblieben und die Enthemmungserscheinungen auf Kriegsverletzungen zurückzuführen sind sowie dem Beschuldigten eine längere Verwaltungspraxis fehlte9". Bei der Auswahl des Strafmaßes bei geschlechtlichen Verfehlungen gegenüber weiblichen Bediensteten ist es weiterhin auf die ehelichen Verhältnisse des Beamten abzustellen. Wird erst durch das Verhältnis zu einer weiblichen Bediensteten die Ehe des Beamten erschüttert, so ist eine strenge Bestrafung am Platze, zumal der Bestand der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG unter einem besonderem verfassungsrechtlichen Schutze steht. Bestanden jedoch bereits vorher in der Ehe erhebliche Spannungen, und ist die Scheidung beabsichtigt, so kann dieser Umstand strafmildernd berücksichtigt werden 10 . Strafschärfend ist zu berücksichtigen, wenn ein Beamter mit einer weiblichen Bediensteten zweifelhaften Rufes ein Liebesverhältnis eingeht 11 . Dies gilt vor allem dann, wenn der Beamte sich zu der Bediensteten in einem Dienstvorgesetztenverhältnis befindet, auf Grund dessen er gegen die Beamtin schon wegen des sonstigen zweifelhaften Lebenswandels einschreiten müßte; ein solcher Beamter ist für den öffentlichen Dienst kaum noch tragbar, weil er durch sein Handeln die Dienstzucht im schwersten Maße untergraben hat. Handelt es sich bei der weiblichen Bediensteten, mit der ein verheirateter Beamter unerlaubte geschlechtliche Beziehungen unterhalten hat, um eine Beamtin, so ist diese gleichfalls disziplinarisch zu bestrafen, wobei es sich strafschärfend auswirkt, wenn sie gleichfalls verheiratet ist. Der Beamte verstößt nicht nur dann schwerstens gegen die Dienstzucht, wenn er sich gegenüber weiblichen Bediensteten geschlechtlich vergeht, sondern auch dann, wenn er sich in sittlicher Hinsicht gegen Frauenspersonen vergeht, mit denen er sonst anläßlich der Ausübung seines Dienstes in Berührung kommt. So ist ζ. B. ein Postbeamter mit der Entfernung aus dem Dienst bestraft worden, weil er bei der Zustellung eines Briefes eine Frau gegen deren Willen grob unsittlich angefaßt, sie zu küssen versucht, geduzt und mit zärtlichen Worten angeredet hatte 12 . Ebenso wurde ein Sittlichkeitsverbrechen eines Eisenbahnbeamten, der im Fahrdienst eingesetzt war, an einem alleinreisenden Kinde, mit der Höchststrafe geahndet 13 . BDH 2 1 . 1 1 . 53 — II DV 11/53 —. DokBer. Nr. 1964 (hier Strafe nach § 7b BDO). 1 0 Vgl. DokBer. Nr. 1632. 1 1 BDH 14. 6. 55 — II D 1/55 — in JZ 1955 S. 639 (LS). 1 2 RDH 3. 12. 34 bei F o e r s t e r , 1935 S. 58. 1 3 RDH 11. 7. 33 bei F o e r s t e r , 1934 S. 57. 9
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§60
Allgemeines
3. T i t e l Die Dienstvergehen außerhalb des Amtes
§ 60. Allgemeines1 I. NOTWENDIGKEIT DER AHNDUNG AUSSERDIENSTLICHER VERFEHLUNGEN Der Beamte muß auch außerhalb des Dienstes durch sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordern (vgl. § 54 Satz 3 BBG, § 67 Satz 3 LBG BW, Art. 64 Satz 3 BG Bayr., § 20 Satz 3 LBG Bln., § 55 Satz 3 BG Brm., § 57 Satz 3 BG Hmb., § 69 Satz 3 HBG, § 62 Satz 3 NBG, § 57 BG NW, § 64 Abs. 1 Satz 3 LBG Rh.-Pf., § 68 Satz 3 BG Saar und § 66 Satz 3 BG Schl.-Hol.). Die gleichen strengen Anforderungen, dk an sein Verhalten im Dienst gestellt werden, gelten auch für sein außerdienstliches Verhalten, also für seine Freizeit und für seinen Urlaub. Das Gesetz spricht ganz allgemein von der „Achtung" und dem „Vertrauen",' das der Beamte als Staatsbürger seinem Dienstherrn entgegenzubringen hat, wobei das Verhalten außerhalb des Dienstes nicht geringeren Anforderungen unterworfen ist. Es kommt nämlich nicht allein darauf an, daß der Beamte seinem Dienstherrn seine Arbeitskraft in vollem Umfange zur Verfügung stellt, sondern daß er auch als Träger der Staatsgewalt und somit auf Grund seiner Stellung im öffentlichen Leben und innerhalb der Verwaltung sich ganz allgemein so verhält, wie es den herrschenden Anschauungen von Sitte und Anstand entspricht1". Vor dem Zusammenbruch von 1945 war es selbstverständlich, daß an den Beamten auch im Privatleben erhöhte Anforderungen gestellt wurden. So verpflichtete man ihn ganz allgemein zu einer gesteigerten Gesetzestreue. Hieraus haben die Disziplinargerichte in ständiger Rechtsprechung den Schluß gezogen, daß der Beamte grundsätzlich die Grenzen zu achten hatte, die durch die Strafgesetze gezogen waren, demnach jede strafbare Handlung eines Beamten zugleich ein Dienstvergehen darstellte und daß der Beamte sich nicht einmal schuldhaft dem Verdacht einer strafbaren Handlung aussetzen durfte2. Sogar Polizei- und sonstige Ordnungsvorschriften hatte der Beamte genau einzuhalten3. Dem Beamten war nicht nur eine genaue Befolgung von gesetzlichen und sonstigen Rechtsvorschriften aufgegeben, er mußte vielmehr auch sonst in seinem Privatleben alles unterlassen, was mit der allgemeinen Moral und Sitte nicht in Einklang stand. So war dem Beamten der Besuch anrüchiger Lokale und der Verkehr mit übel beleumundeten Personen untersagt4. Unmittelbar nach 1945 fragte man sich mit Rücksicht auf die Auflockerung des staatlichen Lebens, ob an den Beamten noch weiterhin gleich hohe 1 W i l h e l m , Außerdienstliche Verfehlungen als Dienstvergehen in ZBR 1964, S. 327; Baumann, Kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe in JZ 1964 S. 612; Schütz, Außerdienstliches Verhalten, insbesondere Ehebruch, als Dienstvergehen in DöD 1965 S. 21. BDH 17. 9. 5 8 - I I I D V 5/58 — BDHE Bd. 5 S. 29 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 492. 2 RDH Bd. 2 S. 50 (54), S. 61 (67) und S. 91 (95). 3 W i t t l a n d , S. 100. 4 W i t t l a n d , S. 100.
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Notwendigkeit der Ahndung außerdienstlicher Verfehlungen
§ 60
Anforderungen gestellt werden können. Hierbei war zunächst einmal zu berücksichtigen, daß infolge des durch den Zusammenbruch bedingten Erliegens der Disziplinargerichtsbarkeit den Dienstvorgesetzten nichts anderes übrig blieb, als im Wege der Disziplinarverfügung, also mit Warnung, Verweis oder Geldbuße, die Dienstzucht aufrechtzuerhalten. Hinzu kam das allgemeine Absinken der Moral infolge der durch den Zusammenbruch bedingten Zeitverhältnisse. Dies führte dazu, daß zahlreiche Beamte, die in ihrer Lebensführung außerhalb des Dienstes so schwer gefehlt hatten, daß die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt gewesen wäre, glimpflich mit einer Geldbuße oder sogar nur mit einer dienstlichen Mißbilligung davonkamen. Auch nach der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Disziplinargerichte zeigten viele Dienstvorgesetzte zunächst nur geringe Neigung, gegen Beamte, die außerhalb des Dienstes gegen die allgemeinen Strafgesetze oder gegen Sitte und Moral verstoßen hatten, das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten. Nachdem das BBG in § 54 Satz 3 und die oben genannten landesrechtlichen Bestimmungen dem Beamten die Pflicht auferlegt haben, auch außerhalb des Dienstes ein Verhalten an den Tag zu legen, das der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Beruf erfordern, werden nunmehr auch solche Verfehlungen von Beamten wieder strenger geahndet, die außerhalb des Amtsbereichs begangen worden sind. Welche Anforderungen der Dienstherr an seine Beamten außerhalb des Dienstes stellen kann, ist in dem Urteil des Bundesdisziplinarhofs vom 21. 12. 54, wie folgt, umrissen5: „Die Pflichten, die die Beamten hinsichtlich ihres außerdienstlichen Verhaltens zu erfüllen haben, sind dieselben, die alle Staatsbürger nach den Sittengesetzen der sozialen Gemeinschaft zu erfüllen haben. Auch soweit diese Pflichten in gewissem Umfange durch Staatsgesetze zu Rechtspflichten erhoben worden sind und ihre Beachtung durch Androhung von Strafen oder anderer Nachteile im Rechtsleben erzwungen werden kann, ändern sie nicht ihr Wesen und ihren Inhalt. Dasselbe gilt fur die Pflichten dieser Art, deren Verletzung disziplinarrechtliche Sanktionen nach sich zieht. Sie e r h a l t e n n i c h t d a d u r c h , daß sie als D i e n s t v e r g e h e n d i s z i p l i n a r r e c h t l i c h e r V e r f o l g u n g u n t e r l i e g e n , einen e i g e n e n b e a m t e n r e c h t l i c h e n I n h a l t . Daher kann man auch eine Unterscheidung zwischen den besonderen Pflichten der Beamten und den jedem Staatsburger obliegenden Pflichten in dem Sinne machen, daß über die nach allgemeinen Gesetzen strafbaren Verletzungen der Gemeinschaftsordnung hinaus weitere Verstöße gegen die nach einem verfeinerten Maßstab bestimmten moralischen Verpflichtungen als Dienstvergehen bestraft werden können. Der Maßstab, der nach § 54 Abs. 3 B B G diese allgemeinen Pflichten zu Dienstpflichten .erhöht', ist auch nicht der Vorstellungswelt der Beamten entnommen und nur einer bestimmten Berufsgruppe eigentümlich. Er entspricht vielmehr dem Ansehen und der Wertschätzung, welche die Beamtenschaft in der Allgemeinheit genießt, und ist so ein Ausdruck der Selbstachtung der sozialen Gemeinschaft, soweit sie sich in ihrer äußeren Organisation durch die Beamten repräsentiert sieht. Er bestimmt sogleich das Mindestmaß an Gemeinschaftspflichten, das der Beamte erfüllen muß, um als Träger öffentlicher Rechte tragbar zu sein. A l s M i n d e s t m a ß a b e r wird v e r l a n g t , daß der B e a m t e sich wie ein o r d e n t l i c h e r S t a a t s b ü r g e r v e r h ä l t , also nicht nur die Gesetze beachtet, sondern auch seine gesamte Lebensführung nach den geltenden Moralansclauungen ausrichtet, also Pflichten erfüllt, die sich aus Ehre, Anstand und der Treue zum Staat ergeben. Hiervon haben die Disziplinarbehörden und die Disziplinargerichte in jedem Einzelfall auszugehen."
Bei der Beachtung der allgemeinen Strafgesetze und der Normen von Sitte und Anstand treffen den Beamten gegenüber dem sonstigen Staatsbürger sogar erhöhte Pflichten. Dies gilt insbesondere für die Erfüllung der ehelichen Pflichten. So können derartige Verstöße bei einem Beamten be6
BDH 21. 12. 54 — I D 178/53 — B D H E Bd. 1 S. 55 (60).
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§60
Allgemeines
sonders streng bestraft werden. Es bedeutet keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn von einem Beamten die erhöhte Beachtung der für alle Staatsbürger geltenden Strafgesetze gefordert wird®. Der Beamte steht im Gegensatz zum allgemeinen Staatsbürger in einem besonderen Gewaltverhältnis, das in Art. 33 Abs. 5 GG seine verfassungsrechtliche Sonderregelung gefunden hat7. Π. KEINE VERLETZUNG DES GRUNDSATZES „NE FIS IN IDEM» BEI GLEICHZEITIGER BESTRAFUNG AUCH VON AUSSERDIENSTLICHEN VERFEHLUNGEN DURCH DIE ORDENTLICHEN STRAFGERICHTE UND DIE DISZIPLINARGERICHTE7» Oft glaubt der Beamte, daß es gerade bei außerdienstlichen Verfehlungen mit der Strafe, die durch das Strafgericht verhängt ist, sein Bewenden haben müsse. Ist er z. B. wegen Trunkenheit am Steuer mit einer erheblichen Geldstrafe bestraft worden und ist in den Urteilsgründen zudem zum Ausdruck gekommen, daß die Strafe deshalb besonders empfindlich ist, weil es sich bei dem Täter um einen Beamten handelt, so meint er, daß eine abermalige Bestrafung im Disziplinarwege, insbesondere wenn sie auf eine Geldbuße lautet, den Grundsatz ne bis in idem verletzt. Sowohl bei der Kriminal- als auch bei der Disziplinarstrafe handelt es sich um Abschreckung, wobei es schließlich in beiden Fällen um die Vergeltung für Tatschuld geht 7 ". Eine solche Doppelvergeltung müßte gegen das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit verstoßen70. Eine unzulässige Doppelbestrafung wird jedoch dann nicht gesehen, wenn im Disziplinarverfahren die Disziplinarstrafe eine präventive Funktion hat, die allein in der Entfernung aus dem Dienst, mithin also in der Ausstoßung des Betroffenen aus dem besonderen Gewaltverhältnis besteht7"1; in einem solchen Falle wird die Durchführung eines Disziplinarverfahrens auch nach Verurteilung des Beamten in einem gegenstandsgleichen Strafverfahren als zulässig erachtet. Der Rechtsgrundsatz ne bis in idem steht jedoch einer Bestrafung wegen des gleichen Sachverhalts sowohl im Straf-, als auch im Disziplinarverfahren nicht entgegen, weil die Würdigung der Tat durch den Strafrichter einerseits und den Dienstvorgesetzten oder das Disziplinargericht andererseits unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgt 8 . Das Disziplinarrecht verfolgt andere Zwecke als das Strafrecht. Durch das strafrechtliche Erkenntnis soll die Allgemeinheit vor Rechtsbrüchen des Einzelnen geschützt werden. Durch die Strafe soll der Rechtsbruch gesühnt sowie der Rechtsbrecher gebessert und für seine soziale Wiedereinordnung gesorgt werden. Das Disziplinarrecht hingegen zielt auf Ordnung und Sauberkeit in der Beamtenschaft sowie auf Wahrung des Ansehens der Beamtenschaft in den Augen der Allgemeinheit hin. Ist der Beamte auf Grund seiner Verfehlung untragbar geworden, so soll er aus dem « DokBer. Nr. 1695. ' Vgl. auch BVerfG in NJW 1954 S. 21 (26). '» Baumann, Kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe in JZ 1964 S. 612. 7 6 Baumann a. a. O. S. 615. ' RG in JW 1936 S. 260. 210 RG in DR 1939 Sp. 233; BGHSt. Bd. 1 S. 172. 211 S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. IV 2 c α zu § 176 StGB. 212 RGSt. Bd. 70 S. 317. 202
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Verstöße gegen Sittlichkeit und Aufrechtethaltung eines geordneten Familienlebens
eine Anwendung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht218. Das Auffordern zum Betrachten nackter Frauengestalten zur Weckung der Sinneslust kann jedoch wiederum für § 176 StGB genügen214. Die Tat kann nur vorsätzlich begangen werden. Bedingter Vorsatz reicht aus215. Zum Vorsatz gehört die Kenntnis des Täter vom Alters des Kindes 216 . Es reicht zur Bestrafung nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus, wenn dem Täters das Alter de Kindes unbekannt, es ihm aber auch gleichgültig war 217 , oder wenn er zumindest mit der Möglichkeit rechnete, daß das Kind unter 14 Jahre alt war 218 . Glaubt der Täter irrtümlich, daß das Kind noch nicht 14 Jahre alt ist, so liegt Versuch vor.
B. Disziplinarrechtliche Beurteilung Begeht der Beamte eine der in § 176 StGB genannten Handlungen, so ist schon mit Rücksicht auf die angedrohte Zuchthausstrafe die Entfernung des Täters aus dem Dienst gerechtfertigt. Die Vornahme unzüchtiger Handlungen durch Beamte bei Kindern unter 14 Jahren tritt besonders häufig in Erscheinung. Es stellt schon dann eine dienstliche Verfehlung dar, wenn ein Beamter gegenüber Kindern unanständige Redensarten gebraucht und ihnen unzüchtige Zeichnungen und Schmutzschriften anbietet; es kommt also bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung nicht darauf an, ob die Tatbestandsmerkmale des § 176 StGB gegeben sind219. Ein Beamter, der Sittlichkeitsverfehlungen gegenüber Kindern unter 14 Jahren begeht, kann grundsätzlich nicht im Dienst belassen werden. Ein Beamter, der wegen eines Verbrechens nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafgerichtlich verurteilt ist, ist auch dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn die abgeurteilten Handlungen nicht als Auswirkungen einer verbrecherischen Grundhaltung anzusehen sind. Bei der Bemessung der Disziplinarstrafe ist daher neben der sich aus der Verfehlung offenbarenden moralischen und charakterlichen Schwäche vor allem die Frage entscheidend, ob der Beamte nach seiner Tat für seine Dienstbehörde noch tragbar ist220. Mit Rücksicht auf den Unrechtsgehalt und die Schädigung des Ansehens in der Öffentlichkeit erscheint gerade bei Sittlichkeitsverbrechen gegenüber Kindern unter 14 Jahren die Entfernung des Täters aus dem Dienst als die gerechte und notwendige Disziplinarstrafe221. Hierbei spielt es keine Rolle, welcher Laufbahn der Täter angehört222. Besonders schwer wiegt es, wenn der Täter die Handlungen während seiner Dienstzeit223 oder in Diensträumen224 ausführt. Wird die Handlung in Diensträumen ausgeführt, so ist der Täter für den öffentlichen Dienst selbst dann nicht mehr tragbar, wenn sie im Versuchsstadium stecken geblieben ist228. Bei der disziplinaren Beurteilung kommt es fernerhin auch 21»
OLG Frankfurt in NJW 1949 S. 32. BGHSt. Bd. 1 S. 288. 2 1 5 BGHSt. Bd. 4 S. 305; OLG Frankfurt in NJW 1949 S. 33; OLG Bremen in HEStBd. 2 S. 269. 216 RG in HRR 1940 Nr. 1327. 2 1 7 RGSt. Bd. 75 S. 128. 2 1 8 BGH in NJW 1953 S. 152. 2 1 9 BDH 13.4. 56 — Π D 139/55 — (der Beschuldigte wurde hier mit der zweitschwersten Strafe nach § 7 c BDO bestraft). 220 BayrDStH 4.4. 60 — Nr. 3 DS I 60 — in BBZ 1963 S. 6 (LS). 221 DokBer. Nr. 1632 und Nr. 1998. 222 DokBer. Nr. 1676; DokBer. Nr. 1851. 223 DokBer. Nr. 1351. 224 DokBer. Nr. 1676. 225 BDH 28. 4. 60 — m D 44/59 — in ZBR 1961 S. 385 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 548 214
(LS).
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nicht darauf an, ob der Beschuldigte als Beamter Hoheitsfunktionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen hat oder nur im innerbetrieblichen technischen Dienst tätig gewesen ist 226 . Ein Beamter, der die zum Schutze der Jugend erlassenen Strafgesetze verletzt, schädigt immer in einem tiefgreifenden Maße das Ansehen der Beamtenschaft, so daß es nicht entscheidend ist, welche dienstliche Tätigkeit er zur Zeit der Tathandlung ausgeübt hat. In gleicher Weise ist die Unzucht an Kindern auch dann zu bestrafen, wenn der Beamte sich außerhalb des Dienstes an minderjährigen Kindern vergeht. Besonders schwer wiegt es, wenn der Täter sich wiederholt an einem erst 9 Jahre alten Kinde vergreift, wobei es sich bei dem Opfer um die Tochter eines in der Nachbarschaft wohnenden Kollegen handelt. Strafschärfend ist in einem solchen Falle zu berücksichtigen, wenn der Täter durch unzüchtige Reden die sexuelle Neugier des Kindes geweckt hat und in seinen Unzuchtshandlungen erheblich weit gegangen ist; ein solches Verhalten zeugt von einem derartigen moralischen Tiefstand, daß er als Beamter schlechthin untragbar ist 22ea . Sittlichkeitsverbrecher sind sogar eines Unterhaltsbeitrages nicht würdig 227 , vor allem, wenn der Täter mehrere Male gefehlt hat 228 . B e s o n d e r s s c h w e r w i e g t es, w e n n der T ä t e r als E r z i e h e r , insbesondere als Lehrer, g e f e h l t hat 228 . So muß ζ. B. ein Beamter, der Erzieher eines Knabenheimes ist, sich vor Augen halten daß Heime, in denen sich Jugendliche befinden, in vieler Hinsicht mit Problemen sexueller Art zu rechnen haben. Aufgabe der leitenden Persönlichkeiten in solchen Heimen ist es daher, in diesem für die Erziehung der Jugendlichen ungemein wichtigen Bereich allen etwaigen Unstimmigkeiten sofort mit Energie sowie Einsicht entgegenzuwirken. Wenn hier der Beamte seine Pflichten durch eigene Sittenwidrigkeiten positiv verletzt und er sich den Jugendlichen nähert, was bei diesem zwangsläufig zu schädlichen Vorstellungen führt, so ist sein weiteres Verbleiben im Dienst nicht mehr gerechtfertigt. Schon eine einmalig begangene Verfehlung nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB reicht zur Verhängung der Höchststrafe aus 230 . Selbst ein nur wegen v e r s u c h t e r Unzucht mit Kindern bestrafter Beamter muß in der Regel aus dem Dienst entfernt werden230®. Trunkenheit im Zeitpunkt der Straftat und dadurch bedingte Minderung der Einsichtsfähigkeit stellt keinen Strafmilderungsgrund dar 231 . Erhebliche verminderte Zurechnungsfähigkeit schließt die disziplinare Höchststrafe dann nicht aus, wenn der Beschuldigte infolge der Art der Pflichtverletzung für den Dienst untragbar geworden ist, wenn es sich ζ. B. um mehrere Fälle handelt und der Beamte freundnachbarliche Beziehungen ausgenutzt hat; hier kann bei der Prüfung DokBer. Nr. 1351; BDH 8. 3. 62 — I D 46/61 — BDHE Bd. 6 S. 90. **» BDH 8. 3. 62 — I D 46/61 — BDHE Bd. 6 S. 90. 227 BDH 26.11. 53 — II D 56/53 — in ZBR1955 S. 86; BDH 12. 5. 55 — I D 174/53— L i n d g e n , Teil IV Nr. 59. 228 BDH 27.1. 56 — III D 3/55 —; BDH 31.10. 56 — III D 7/55 —; BDH 6.3. 56 — I D 116/54 —. 229 DokBer. Nr. 1220; DiszSenat OVG Münster 26. 7. 63 — V 10/63 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 230 RDH 29. 6. 37 — F 41/37 — bei F e i s t k o r n , S. 701 ; BDH 7. 2. 56 — I D 66/54 —; BDH 29. 5. 56 — I D 112/54 —; DokBer. Nr. 1110 und Nr. 1220. DiszSenat OVG Münster 12. 10. 64 — V 35/64 — in ZBR 1965 S. 78 (LS) — hier handelte es sich beim Beschuldigten um einen Polizeibeamten; jedoch DokBer. Nr. 1991. 2 3 1 BDH 12. 5. 55 — I D 174/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 59; DokBer. Nr. 497. 228
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der Frage, ob dem Beschuldigten ein Unterhaltsbeitrag zu bewilligen ist, zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden, daß es sich bei ihm um einen kranken Mann handelt, dem die innere Widerstandskraft fehlt und er mangels geschlechtlichen Verkehrs anderweitig einen Ausgleich gesucht hat 231 ». Konstitutionell bedingte geschlechtliche Schwierigkeiten sind bei der Beurteilung, ob eine Strafmilderung Platz greifen soll, ohne wesentliche Bedeutung 232 . Gleiches gilt für psychogen neurotische Störungen. Ein Beamter, der sich in mehreren Fällen der Unzucht mit Kindern schuldig gemacht hat, kann auch dann nicht im Dienst belassen werden, wenn er zur Zeit der Tat vermindert zurechnungsfähig war und es sich um eine nicht allzu schwere Begehungsform dieses Sittlichkeitsverbrechens handelte; diese Tatsachen können allenfalls bei der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages zugunsten des Beschuldigten gewertet werden 233 . Gleiches gilt auch bei tadelfreier Führung des Beschuldigten 233 ». Selbst wenn die Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens ihre Ursache in der in der russischen Kriegsgefangenschaft erlittenen schweren Dystrophie hat, kann trotz der darin liegenden menschlichen Tragik keine mildere Beurteilung Platz greifen ; dies gilt vor allem dann, wenn der Beschuldigte sich wiederholt an Kindern vergangen hat. Ein Beamter, der infolge pyschogen-neurotischer Störung — gleichgültig worauf diese beruht — den Trieb zu Unzuchtshandlungen hat und trotz eindringlicher Ermahnung und Verwarnung durch das Strafgericht und den Dienstvorgesetzten wiederholt rückfällig wird, kann auf keinen Fall im Dienst belassen werden 234 . Ebenso spielt es bei der Prüfung der Frage, ob die Höchststrafe verhängt werden soll, keine Rolle, daß die Verwaltung die Tat zunächst milder beurteilt und den Täter noch eine gewisse Zeit nach Aufdeckung der Verfehlung im Dienstbelassen hat 235 . Ebenso ist nicht strafmildernd zu berücksichtigen, daß das Strafgericht die Tat milde beurteilt hat, weil Aufgabe und Zweck des Straf- und des Disziplinarverfahrens verschieden sind 236 . Bestrafung mit mehreren Monaten Gefängnis wegen eines Sittlichkeitsverbrechens macht einen Beamten des gehobenen Dienstes auch bei Strafaussetzung zur Bewährung untragbar23®". Für das Strafmaß ist es unerheblich, wenn die Verfehlungen bereits viele Jahre zurückliegen 23eb . Häufig berufen sich Beamte, die unzüchtig Handlungen an Kindern begangen haben, darauf, daß sie von diesen zu ihrem Verhalten verleitet worden seien. Solche Einlassungen sind abwegig und lassen keine mildere Beurteilung zu. Von einer Verführung, also von einer zielbewußten Überwindung eines willensmäßigen Widerstandes, kann in der Beziehung eines noch nicht vierzehn Jahre alten Kindes zu einem Erwachsenen nicht die Rede sein237. Auch auf die sittliche Verdorbenheit des mißbrauchten Kindes kann sich der Täter im ai»
DokBer. Nr. 1869. DokBer. Nr. 1632. 233 BDH 1. 2. 61 — I D 23/60 — bei D ö r i n g in ZBR 1963 S. 316 (LS); DokBer. Nr. 1948. ®>» DokBer. Nr. 1948. 234 DokBer. Nr. 1080. 236 DokBer. Nr. 1676. 236 DokBer. Nr. 1632. » · » DiszSenat OVG Münster 31. 7. 64 — V 9/64 — in ZBR 1965 S. 78 (LS). 236 » DokBer. Nr. 1851. 237 DokBer. Nr. 654. 232
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Gleichgeschlechtlichc Unzucht
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allgemeinen nicht berufen 238 . Gerade in sittlicher Beziehung nicht mehr intakte Kinder benötigen einen besonderen Schutz vor Übeltätern, um mit der Zeit wieder zu geordneten sittlichen Vorstellungen gelangen zu können 239 . Der Zweck des § 176 Abs. 3 StGB ist nicht allein darin zu erblicken, daß die in der Regel bei Personen unter 14 Jahren noch nicht abgeschlossene geschlechtliche Entwicklung vor schädlichen äußeren Einflüssen bewahrt werden muß, sondern besteht ebenso darin, die Kinder vor psychischen Schäden zu bewahren, da sie bis zu diesem Alter auch geistig noch nicht voll entwickelt und sich daher über die Bedeutung der geschlechtlichen Unversehrtheit nicht im klaren sind. Die Tatsache, daß das Kind infolge ungünstiger Umwelteinflüsse sozial gefährdet ist, läßt es besonders schutzwürdig erscheinen. Es zeugt daher von einer schlechten charakterlichen Haltung des Beamten, wenn er sich auf diese Tatsache als Milderungsgrund beruft. Die Auffassung, daß sozial gefährdete Mädchen gewissermaßen Freiwild für die sexuellen Bedürfnisse Erwachsener sein können, muß zurückgewiesen werden 240 . In einem besonders gelagerten Falle ist allerdings zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt worden, daß er von einem dreizehnjährigen, körperlich kräftig entwickelten Mädchen, das zuvor schon wiederholt geschlechtliche Erlebnisse mit anderen Männern gehabt hatte, aktiv zu unzüchtigen Handlungen herausgefordert worden und einmalig der Augenblicksversuchung erlegen war 241 . Von der Höchststrafe ist ausnahmsweise abgesehen worden, weil der Beamte die Tat unter erheblichem Alkoholeinfluß begangen und es sich hierbei unwiderlegbar um eine einmalige Tat gehandelt hatte242. Ebenso ist ein Beamter im Dienst belassen worden, dessen in einer einmaligen Kurzschlußreaktion angestellter Versuch, unzüchtige Handlungen mit Kindern vorzunehmen, wegen Hinzukommens Dritter nicht zur Ausführung gelangt war 243 . Schließlich hat man von der Höchststrafe Abstand genommen, weil der Beamte in einem Zustand rauschbedingter Zurechnungsunfähigkeit gehandelt hatte, die Rauschtat ihm durch das Verhalten der Eltern der von der Unzuchtshandlung betroffenen beiden Kinder leicht gemacht und ein sittlicher Schaden an den Kindern nicht angerichtet worden war 244 . XI. GLEICHGESCHLECHTLICHE UNZUCHT A. Strafrechtlicher Tatbestand246 Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft (§ 175 Abs. 1 StGB). Bei einem DokBer. Nr. 127 und Nr. 643. DokBer. Nr. 654. 240 DokBer. Nr. 1344. 241 BDH 9. 2. 56 — I D 75/54 — (der Beschuldigte wurde in eine niedrigere Dienstaltersstufe seiner Besoldungsgruppe zurückgestuft; gleichzeitig wurde ihm das Aufsteigen im Gehalt auf die Dauer von fünf Jahren versagt). 242 BayrDStH 13. 6. 60 — Nr. 27 DS II 59 — in BBZ 1963 S. 7 (LS). 243 BDH 22. 8. 56 — II D 114/55 —. 244 BayrDStH 17. 7. 61 — Nr. 4 DS I 61 — in BBZ 1963 S. 9 (LS) = ZBR 1963 S.324 (LS). 246 H i r s c h f e l d , Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, 1914; K l a r e , Homosexualität und Strafrecht, 1937; L e m k e , Die Ursache und strafrechtliche Beurteilung der Homosexualität, 1940; R a u s c h e r , Zum Kriminalproblem der Homosexualität in Blatter für Gefängniskunde, Bd. 70 S. 243. 238
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Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonderen Fällen von Strafe absehen (§ 175 Abs. 2 StGB). Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei milderen Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft: 1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen; 2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen; 3. ein Mann über einundzwanzig Jahren, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen; 4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet (§ 175 a StGB). Unter Unzucht i. S. der §§ 175 f StGB kommen sämtliche unzüchtigen Handlungen in Frage, wie sie bereits unter VIII. A. näher umschrieben sind. Mit einem anderen treibt man dann Unzucht, wenn man dessen Körper als Mittel für die Erregung oder Befriedigung der Geschlechtslust benutzt24®. Eine unmittelbare körperliche Berührung braucht noch nicht stattgefunden zu haben, so daß also auch die gleichzeitige Onanie nach § § 175 f. StGB strafbar ist 24 '. Verführen zur Unzucht im Sinne des § 175 a Nr. 3 StGB bedeutet eine Einwirkung auf den Willen des Minderjährigen, um diesen zur Unzucht, die er an sich nicht will, geneigt zu machen und dabei seine geschlechtliche Unerfahrenheit oder geringere Widerstandskraft auszunutzen248.
B. Disziplinarrechtliche Beurteilung Ein Beamter, der wegen erwiesener Unzucht mit Männern bestraft werden mußte, konnte nach der Praxis der früheren Disziplinargerichte nicht mehr länger im Dienst verbleiben249. Nach der Auffassung des Reichsdisziplinarhofs war ein Beamter schon dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn er sich erwachsenen Männern gegenüber, die ihm nicht bekannt waren, in einer Weise näherte, daß sie sein Vorgehen als Annäherungsversuch zur Befriedigung eines ihn beherrschenden gleichgeschlechtlichen Triebes auffassen mußten, und die Vorgänge bewirkten, daß der Beamte in weiten Kreisen der Bevölkerung seines Dienstorts in den Ruf kam, seinen gleichgeschlechtlichen Neigungen hemmungslos nachzugehen, und wenn hierdurch das Ansehen der Beamtenschaft in starkem Maße untergraben wurde260. Wenn sich auch nach dem Zusammen·* bruch allgemein die Auffassung über die Strafwürdigkeit261 gleichgeschlechtlicher Verfehlungen in gewisser Weise gewandelt haben mag, so haben doch die Disziplinargerichte an der früheren Rechtsprechung festgehalten262. Nach wie vor wird davon ausgegangen, daß ein homosexuell veranlagter Mann niemals den Anforderungen genügen kann, die an die Lebensführung eines Be"· BGHSt. Bd. 1 S. 83 und S. 294; OLG Hamm in HESt. Bd. 1 S. 294. 247 BGHSt. Bd. 4 S. 324; a. M. Schmidt-Leichner in NJW 1953 S. 1761; RGSt. Bd. 73 S. 80; RG in JW 1939 S. 541. 248 RGSt. Bd. 70 S. 199; Bd. 71 S. 48; RG in DR 1939 S. 364. 249 RDH 19.12. 34 bei Foerster, 35, S. 91. 250 RDH 6.11. 35 bei Foerster, 36, S. 40. ¡»o» DiszSenat OVG Münster 15. 2. 63 — V 40/62 — in ZBR 1964 S. 270 (LS). 261 Nach der Entscheidung des BVerfG vom 10. 5. 57 — 1 BvR 550/52 — in NJW 1957 5. 865 verstoßen die Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität weder gegen den speziellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG noch gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG. 252 DokBer. Nr. 766, 1104. 263 BDStK Karlsruhe 11.11. 52 — VL 2/52 und VL 32/52 —; DokBer. Nr. 1783.
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amten zu stellen sind263. Vor allem wird dabei berücksichtigt, daß ein Homosexueller, der in besonderem Maße V e r f ü h r u n g e n und Versuchungen im Dienst ausgesetzt ist, ständig ein Objekt von Erpressungen bildet 2 6 4 und selbst auf jüngere Kollegen verderbliche Einflüsse ausüben kann. Außerdem neigen Beamte, die gleichgeschlechtliche Unzucht treiben, aller Erfahrung nach zu Cliquenbildung und sind häufig bereit, bei innerdienstlichen Maßnahmen aus Rücksicht auf Gleichgesinnte unsachlichen Erwägungen Raum zu geben. Somit bilden Beamte, die einen Hang zum gleichgeschlechtlichen Unzuchtsverkehr haben, im allgemeinen eine erhebliche Gefahr für den Dienstbetrieb266. Insbesondere ist ein Lehrer, der gleichgeschlechtliche Verfehlungen begangen hat, in aller Regel aus dem Dienst zu entfernen. Dies gilt vor allem dann, wenn die gleichgeschlechtliche Unzucht im Schulgebäude ausgeführt ist266®. Lehrer und Erzieher, die sich im öffentlichen Dienst, namentlich im Schuldienst, an einem ihnen anvertrauten Jugendlichen unsittlich vergangen haben, sind grundsätzlich selbst dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn die gegen sie
verhängte Freiheitsstrafe im vollen Umfange zur Bewährung ausgesetzt ist266. Das mußim Hinblick auf den Schutz der Jugendlichen selbst dann gelten, wenn bei dem Täter eine unverschuldete verminderte Zurechnungsfähigkeit festgestellt wird267. Der Meinungsstreit über die Poenalisierung der gleichgeschlechtlichen Unzucht ist für das Strafmaß dann schon bedeutungslos, wenn es sich hierbei um die Verführung Minderjähriger im Sinne des § 175a Nr. 3 StGB handelt, da diese Taten von dem Meinungsstreit nicht berührt werden268. Ein Lehrer verletzt auch dann seine Dienstpflichten, wenn er in seinem Privatleben es zu Vorgängen kommen läßt, die gegen ihn den Verdacht p e r v e r t i e r t e r geschlechtlicher N e i g u n g e n (Homosexualität, Masochismus) b e g r ü n d e n ; liegt eine solche Pflichtverletzung vor, so kann selbst bei geringer persönlicher Schuld des Lehrers eine Entfernung aus dem Dienst in Betracht kommen, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Elternschaft in die Erziehungsarbeit eines Lehrers unwiederherstellbar zerstört und seine Versetzung nicht möglich sind268». Die Höchststrafe ist ganz allgemein dann am Platze, wenn sich der Beamte wiederholt gleichgeschlechtlich betätigt hat und bereits einschlägig vorbestraft ist 269 ; derartiges zeigt, daß der Beamte gleichgeschlechtlich veranlagt ist und so eine dauernde Gefahr für seine Verwaltung darstellt. Die Höchststrafe ist auch dann gerechtfertigt, wenn ein Polizeibeamter — insbesondere ein Beamter der Kriminalpolizei — sich zu gleichgeschlechtlichen Unzuchtshandlungen hinreißen läßt260. Wenn der Beschuldigte seine unsittlichen Absichten hemmungslos verfolgt, indem er u. a. sogar die Wohnung oder das BDH 24. 5. 54 — II D 102/53 — L i n d g e n Teil IV Nr. 58. DokBer. Nr. 921. DiszSenat OVG Münster 3. 4. 64 — V 7/64 — in ZBR 1965 S. 79 (LS). 258 DiszSenat OVG Münster 16. 12. 60 — V 7/60 — OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 197 = ZBR 1961 S. 390 = L i n d g e n , Teil IV Nr. 636, vgl. auch DiszSenat OVG Münster 12. 1.62 — V 28/62 — in ZBR 1962 S. 279 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 665. 2" DiszSenat OVG Münster 12.1. 62 — V 28/61 — in ZBR 1962 S. 279 (LS). 268 DokBer. Nr. 1783. 25Sa DiszSenat OVG Münster 13. 2. 63 — V 40/62 — in ZBR 1964 S. 270. 209 Vgl. DokBer. Nr. 1543, Nr. 1783. 260 DokBer. Nr. 592 (hier Aberkennung der Rechte aus dem G 131). 254
256
50 L i n d g e n , Disziplinarrecht I
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§ 61 Verstöße gegen Sittlichkeit und Aufrechtethaltung eines geordneten Familienlebens
Elternhaus des Jugendlichen, den er verführt, aufsucht, so ist er sogar eines Unterhaltsbeitrages unwürdig2®1. Die Höchststrafe ist bei gleichgeschlechtlicher Unzucht selbst dann am Platze, wenn die Tat überhaupt nicht strafgerichtlich verfolgt oder daselbst nur mit Milde beurteilt worden ist 262 . Ebenso kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, daß der Täter durch Erkrankung zu seiner homosexuellen Veranlagung gekommen ist 263 . Strafmilderung kommt selbst dann nicht in Frage, wenn es dem Beamten nicht gelungen ist, den Jugendlichen gefügig zu machen, so daß es aus dessen innerer Ablehnung heraus nicht zur Vollendung des Verbrechens gekommen ist 264 ; auch hier ist die Höchststrafe am Platze. Der Täter kann die Entfernung aus dem Dienst auch nicht dadurch abwenden, daß er geltend macht, daß die Tat in einem Lande, wie ζ. B. Holland, begangen worden ist, wo sie nicht mit Strafe bedroht ist. Denn es handelt sich nach deutscher Auffassung, auf die es allein ankommt, schlechthin um ein strafwürdiges Unrecht. Besondere Verhältnisse am Tatort rechtfertigen hiernach keine Abweichung. Daß die Rechtsansichten im Ausland anders sind, ist unerheblich265. Von der Dienstentfernung wird bei gleichgeschlechtlicher Unzucht nur in Ausnahmefällen abgesehen268. Dies ist ζ. B. dann der Fall, wenn es sich um eine einmalige persönlichkeitsfremde Tat handelt267 oder wenn die Tat nicht auf gleichgeschlechtlicher Veranlagung beruht, sondern unter Alkoholeinfluß nach Verführung durch einen anderen ausgeführt 268 oder wenn als Folge einer Kriegsverletzung eine perverse Neigung zurückgeblieben ist und der Beamte den festen Vorsatz gefaßt und ernstliche Anstrengungen unternommen hat, nicht wieder in sein Laster zurückzufallen269. Strittig ist, ob gleichgeschlechtliche Betätigung von Beamtinnen zu einem disziplinarischen Einschreiten Anlaß geben kann 270 . Dies ist dann zu bejahen, wenn das Verhalten der Beamtinnen in der Öffentlichkeit Ärgernis erregt hat. Wenn auch gleichgeschlechtliche Betätigung unter Frauen nicht strafbar ist, so wird sie dennoch das allgemeine Schamgefühl verletzen und demnach als anstößig empfunden. ΧΠ. ERREGUNG ÖFFENTLICHEN ÄRGERNISSES A. Strafrechtlicher Tatbestand Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 183 Abs. 1 StGB). Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (§ 183 DokBer. Nr. 1120. BDH 3. 5. 60 — I D 40/59 — in ZBR 1961 S. 385. 263 DokBer. Nr. 905. 264 DokBer. Nr. 1025. 265 DokBer. Nr. 1231; vgl. auch S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II zu § 3 StGB. 2 M DiszSenat OVG Münster 24. 3. 58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 250 = OVGE (DiszS) Bd. 1 S. 105. 2 , 7 BDK X 1 8 . 1 1 . 55 — IX VL 55/55 — (hier hatte der Beschuldigte außerdem seine Verfehlung selbst angezeigt); BDH 3. 5. 60 — I D 40/59 — in ZBR 1961 S. 385 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 549 (LS). 288 BDK X 26. 8. 55 — X VL 28/55 —. 299 BDK XII 8. 11. 56 — XII VL 29/56 —. 2 7 0 Dies wird von Brand, S. 98 bejaht; a. M. K l ü b e r in Beamtjahrb. 1931 S. 165. 261
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Erregung öffentlichen Ärgernisses
§61
Abs. 2 StGB). Unzüchtig ist eine Handlung i. S. des § 183 StGB, wenn sie eine geschlechtliche Beziehung hat und das Scham- und Sittlichkeitsgefiihl verletzt. Sie braucht nicht in wollüstiger Absicht begangen zu sein271. Wahrend öffentlicher Beischlaf unter Eheleuten genügt 272 , erfüllen unzüchtige Äußerungen 273 nicht den Tatbestand des § 183 StGB. Die unzüchtige Handlung muß öffentlich vorgenommen werden. Es genügt, wenn sie von unbestimmt vielen Personen wahrgenommen werden kann274. Öffentlichkeit liegt dann nicht vor, wenn die Personen durch persönliche Bande zusammengehalten werden 276 . Schließlich muß die unzüchtige Handlung ein Ärgernis hervorrufen. Es kommt auf die Verletzung des allgemeinen, nicht überspannten sittlichen Gefühls der anderen Personen in geschlechtlicher Beziehung an 278 . Die Tat muß vorsätzlich ausgeführt sein, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Dem Täter muß bewußt sein, daß die Tat eine Beziehung zum Geschlechdichen hat277 und daß sie öffendich begangen ist 278 .
B. Disziplinarrechtliche Beurteilung Ein Beamter, der in der Öffentlichkeit unzüchtige Handlungen begeht, macht sich einer erheblichen Pflichtverletzung schuldig. Die Handlung ist schon dann öffentlich begangen, wenn sie nach den im Einzelfall gegebenen Verhältnissen von einer Mehrzahl von Personen beobachtet werden kann. Es ist nicht notwendig, daß tatsächlich mehrere Personen zugegen sind 279 . Eine exhibitionistische Betätigung gilt regelmäßig als ein schweres Dienstvergehen 280 . Wiederholte Verfehlungen dieser Art werden disziplinarrechtlich regelmäßig mit der Höchststrafe geahndet281. Auch die Tatsache des vorherigen Alkoholgenusses rechtfertigt dann keine mildere Beurteilung 282 . Milder beurteilt worden ist die exhibitionistische Handlung eines Beamten, dessen Widerstandskraft durch eine fieberhafte Erkrankung herabgesetzt war 283 . Bei einem wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (Exhibitionismus) zu sechs Monaten Gefängnis verurteilten Lehrer hat das Disziplinargericht ausnahmsweise von der Höchststrafe abgesehen, weil sich der Beschuldigte seit mehr als sechs Jahren straffrei geführt hatte, die Straftaten außerhalb des Dienstes begangen waren, nach dem Urteil ärztlicher Sachverständiger Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft ursächlich für die Begehung der Straftat gewesen waren und die Gefahr eines Rückfalles mit mehr als überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen war283®. RGSt. Bd. 70 S. 159. RGSt. Bd. 23 S. 234. BGHSt. Bd. 12 S. 42. 271 RGSt. Bd. 73 S. 90; BGH LM Nr. 1 zu § 183 StGB. 275 RG in HRR 1939 Nr. 1380; BGHSt. Bd. 11 S. 282. 278 RGSt. Bd. 2 S. 197, Bd. 51 S. 167. 277 RGSt. Bd. 7 S. 168; BGH in NJW 1954 S. 520; OLG Jena in HRR 1927 Nr. 431. 278 RG in HRR 1940 Nr. 640. 278 B e h n k e , S. 123. 280 RDH 3. 5. 37 bei F o e r s t e r , 1937 Bd. 1 S. 47; BDH 11.10. 56 — II D 61/56 — (in beiden Fällen ist von der Höchststrafe abgesehen worden, weil der Beschuldigte jeweils glaubhaft nachweisen konnte, daß er einmalig aus einem augenblicklichen, ihm selbst unverständlichen Trieb heraus gehandelt hatte und nicht zu befürchten war, daß sich solche Verfehlungen bei ihm wiederholen würden). 281 BDK II 4.11. 55 — II VL 26/55 —; DokBer. Nr. 826. 282 BDK I 4.10. 56 — I VL 29/56 —. 283 BDH 8.11. 56 — II D 3/56 —; DokBer. Nr. 723. 283 » DiszSenat OVG Münster 29. 5. 64 — V 5/64 — in ZBR 1965 S. 78/79 (LS). 271 272
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§ 61 Verstöße gegen Sittlichkeit und Aufrechterhaltung eines geordneten Familienlebens
ΧΠΙ. VERBREITUNG UNZÜCHTIGER SCHRIFTEN A. Strafrechtlicher Tatbestand Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird u. a. bestraft, wer 1. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zweck der Verbreitung herstellt oder sie zu diesem Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist; 2. unzüchtige Schriften, Abbildungen und Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet. Eine Schrift ist im Sinne des § 184 StGB unzüchtig, wenn sie objektiv geeignet ist, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Hinsicht zu verletzen284. Auf die Erregung von Lüsternheit kommt es nicht an. Entscheidend sind die Anschauungen gesunder Volkskreise 286 . Die unzüchtigen Schriften müssen verbreitet werden, wobei bloßes Vorlesen nicht genügt28*. Die Schriften müssen einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden, wobei Öffentlichkeit nicht erforderlich ist 287 . Es kann die Aushändigung der Schrift schon an eine Person genügen, wenn der Täter weiß, daß diese sie anderen Personen weitergeben wird 288 . Als Verbreiten kommen nach § 183 StGB u. a. das Bereithalten für das Publikum zum Verkauf (Feilhalten), das Verkaufen selbst, das Ausstellen und Anschlagen an Orten, die der Öffendichkeit zugänglich sind, das Herstellen, Vorrätighalten, Ankündigen und Anpreisen zum Zwecke der Verbreitung in Betracht. Die Herstellung eines Fotonegativs reicht nicht aus, weil dasselbe nicht zum Verbreiten geeignet ist 289 .
B. Disziplinarrechtliche Beurteilung Bei Verfehlungen, die nach § 184 StGB strafrechtlich zu ahnden sind, handelt es sich gleichfalls mit Rücksicht auf die Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühl in der Öffentlichkeit um sehr schwere Pflichtverletzungen, die nur im förmlichen Disziplinarverfahren geahndet werden können. Im allgemeinen ist ein Beamter, der gewerbsmäßig unzüchtige Schriften und Aktaufnahmen verbreitet, um sich damit einen Nebenverdienst zu verschaffen, für seine Verwaltung nicht mehr tragbar, so daß auf die Höchststrafe zu erkennen ist290. Ein Lehrer, der sich jahrelang mit der Sammlung von Nacktaufnahmen befaßt, durch Zeitungsinserate unter fremdem Namen Tauschpartner sucht, mit diesen solche Bilder unter Führung eines grobunzüchtigen Briefwechsels tauscht und durch Weiterleitung dieser Aufnahmen grobunzüchtigen Charakters gegen den § 184 Abs. 1 StGB verstößt, muß aus dem Amt entfernt werden291. XIV. UMGANG MIT UNEHRENHAFTEN PERSONEN Der Beamte darf sich nicht in Gesellschaftskreisen bewegen, die mit Rücksicht auf ihre Lebensgewohnheiten in der Öffentlichkeit Anstoß erregen; wenn er mit asozialen Elementen, wie Schiebern, Zuhältern und Dirnen, verkehrt, ist er für den öffentlichen Dienst auf keinen Fall tragbar. So hat auch ein Beamter, der mit einer der gewerbsmäßigen Unzucht nachgehenden 284 285 286 287 288 289 290 291
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RGSt. Bd. 44 S. 178. BGH in FamRZ 1954 S. 49. RGSt. Bd. 47 S. 226. S c h ö n k e - S c h r ö d e r , Anm. II 3 a zu § 184 StGB. RGSt. Bd. 55 S. 276; RG in DR 1940 S. 495. BayObLG in MDR 1958 S. 443. DokBer. Nr. 641. DiszSenat OVG Münster 18.12. 59 — V 14/59 — in ZBR 1963 S. 320 (LS).
Unverschuldete Notlage
§62
Frau in wilder Ehe lebt, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigt und dieses Verhalten ungeachtet des Verbots seines Dienstvorgesetzten fortsetzt, dadurch die Zugehörigkeit zum Beamtenstand verwirkt 292 . Ebenso ist ein Beamter nicht mehr für den öffentlichen Dienst tragbar, der Beziehungen zu einer Prostituierten aufrechterhält. Es kann dahingestellt bleiben, ob es als pflichtwidrig anzusehen ist, wenn ein Beamter auf Grund einer echten Zuneigung sich bemüht, eine Prostituierte wieder in das bürgerliche Leben zurückzuführen, und hierbei auch eine Heirat mit ihr ernstlich in Erwägung zieht. Wenn sich der Beamte mit dieser Frauensperson nicht außerhalb ihres Milieus trifft, sondern sie wiederholt im Bordell aufsucht und in einem Lokal der Bordellstraße verkehrt, so ist dies eines Beamten unwürdig. Das Ansehen der Verwaltung wird dann noch besonders in der Öffentlichkeit geschädigt, wenn dies der Beamte in seiner Uniform tut 293 .
§ 62. Verstöße gegen die Verpflichtung zu einer geordneten Wirtschaftsführung Der Dienstherr ist bei der Regelung der Besoldung darauf bedacht, daß seine Beamten wirtschaftlich gesichert sein müssen. Ein in eine Notlage geratener Beamter ist nämlich geneigt, sich durch Straftaten, wie Diebstahl, Unterschlagung oder Bestechung, oder auf andere ehrenrührige Art Nebeneinnahmen zu verschaffen. Außerdem wird durch die Aufnahme von Nebenbeschäftigungen seine Arbeitskraft unnötig verzettelt. Bei einer ausreichenden Versorgung muß er bestrebt sein, mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln auszukommen. Verstößt er leichtsinnig gegen die Verpflichtung einer geordneten Wirtschaftsführung, so macht er sich im Falle eines Darlehnsbetruges nach § 263 StBG strafbar. Leichtfertige Wirtschaftsführung, die zu einer Verschuldung des Beamten führt, ist disziplinarisch auch dann zu ahnden, wenn der Tatbestand des § 263 StGB nicht erfüllt ist. I. UNVERSCHULDETE NOTLAGE Gerät der Beamte unverschuldet in Not, so leistet ihm der Dienstherr weitgehend durch Unterstützungen und Beihilfen Beistand. In Einzelfällen läßt sich damit jedoch das Ziel, eine Verschuldung abzuwenden, nicht erreichen. Der Beamte wird dann gezwungen, Darlehen aufzunehmen. In diesem Fall kann er disziplinarisch nicht zur Verantwortung gezogen werden 1 . Auch ein Beamter kann — wie jeder andere Bürger — Darlehen aufnehmen 2 . Er muß sich bei der Aufnahme eines Darlehns nur bewußt sein, daß er bei dessen Rückzahlung seinen Unterhalt nicht erheblich gefährdet. Ebenso wird man von ihm verlangen können, daß er sich nur an ehrenwerte Darlehnsgeber, wie Banken und Kreditinstitute, wendet, bei denen eine Ausbeutung des Darlehnsempfängers nicht zu erwarten ist. Die Verwaltung soll dafür Sorge tragen, daß 292 DiszSenat OVG Münster 9. 1. 59 — V 18/58 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 436 = OVGE (DiszS) Bd. 2 S. 196. 293 DokBer. Nr. 1211. 1 RDH bei F o e r s t e r , 1934 S. 27; PrOVG in RVB1. Bd. 57 S. 970. 2 DokBer. Nr. 744.
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§ 62
Verstöße gegen die Verpflichtung zu einer geordneten Wirtschaftsführung
die Schulden im Gehaltsabzugsverfahren getilgt werden. Selbst wenn der Beamte auf Grund unverschuldeter Notlage zur Darlehnsaufnahme gezwungen war, kann er aber disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden, wenn er es schuldhaft unterläßt, wirksam die Schuldsumme zu mindern 3 , oder wenn er die Tilgungsfristen nicht einhält4. Gleiches gilt, wenn er Mahnungen nicht beantwortet4», oder wenn er Vollstreckungshandlungen erschwert. Er ist schon dann disziplinarisch zu bestrafen, wenn er sich im Offenbarungsverfahren säumig zeigt 5 . Dagegen kann in der verzögerlichen Begleichung von Mietschulden kein Dienstvergehen erblickt werden, wenn darin keine schlechte Schuldnermoral zu erkennen ist; eine schlechte Schuldnermoral ist dann nicht zu erblicken, wenn der Beschuldigte in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt5». Der Dienstvorgesetzte kann von einem Beamten, der selbstverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, nach Begleichung derselben eine Erklärung abfordern, daß er künftig nicht mehr leichtfertig Schulden aufnehmen und keine vermeidbaren Verbindlichkeiten eingehen werde®. Dagegen ist die Aufforderung, eine allgemein gehaltene Erklärung abzugeben, Schulden schlechthin nicht mehr aufzunehmen, unzulässig II. LEICHTFERTIGES SCHULDENMACHEN«» Das Schuldenmachen ist dann pflichtwidrig, wenn es schuldhaft verursacht worden ist, ζ. B. infolge von Verschwendungssucht oder auf Grund eines leichtfertigen Lebenswandels des Beamten7 oder aus einer gewissen Großmannsucht heraus, um schnell zu Wohlstand und einer äußeren sozialen Staffage zu gelangen7». Nach der ständigen Rechtsprechung der Disziplinarnargerichte ist ein Schuldenmachen zu ahnden, das durch Art, und Zweck Dauer gekennzeichnet ist, also ein unehrenhaftes, leichtfertiges oder ein fortdauerndes Schuldenmachen8. Hiervon ist ζ. B. die Rede, wenn der Beamte den Darlehnsgebern feste Zahlungszusagen macht, von denen er von vornherein weiß, daß er sie nicht einhalten kann oder wenn er sonst den Anschein eines an sich in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Beamten gibt8» oder wenn er immer wieder seine Beamteneigenschaft bei der Erlangung von Darlehn hervorkehrt81·. Um zu diesen Feststellungen zu ge3 RDH 18. 10. 39 bei W i t t l a n d , S. 108. 4 PrOVG in RVB1. Bd. 57 S. 944; DokBer. Nr. 1784; Claussen, Schuldenmachen als Dienstvergehen in ZBR S. 306. 4 » Claussen a. a. O. S. 306. s RDH 17.10. 33 bei F o e r s t e r , 1934 S. 81. s » DokBer. Nr. 1853. β Vgl. DokBer. Nr. 1561. , a Claussen, Schuldenmachen als Dienstvergehen in ZBR 1964 S. 304. 7 Vgl. Behnke, S. 125,126; DiszSenat OVG Münster 6. 1. 61 — D 14/60 — Lindgen, Teil IV Nr. 641. 7 » DokBer. Nr. 1920. 8 PrOVG 1. 9. 36 bei F e i s t k o r n , S. 706; RDH 24.10. 32bei F o e r s t e r , 1935 S. 84/86; BDK V 24. 3. 53 — V VL 79/52 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 1; BDK II 4 . 1 1 . 53 — II VL 25/53 — L i n d g e n , Teil IV Nr. 19; BDH 3. 9. 58 — 1 D 82/56 — L i n d g e n , TeilIV Nr.287; BDH 24. 6. 60 — III D 33/59 — in ZBR 1961 S. 384 (LS) = L i n d g e n , Teil IV Nr. 562; DokBer. Nr. 1784. 8 » DokBer. Nr. 1915. "b DokBer. Nr. 1947.
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Leichtfertiges Schuldenmachen
§62
langen, ist ein genaues Eingehen auf Entstehung, Art und Abwicklungen der Schulden im einzelnen notwendig 80 . Ein Beamter, der nicht auf Grund einer Notlage, sondern in dem Drang, sich über seine Verhältnisse hinaus auszustatten, hemmungslos bei Geschäftsleuten und Privatpersonen, mit denen er zudem dienstlich Befassung hatte, Schulden aufnimmt, ist für den öffentlichen Dienst mit Rücksicht auf die Schwere der Schädigung des Ansehens in der Öffentlichkeit nicht mehr tragbar9. Dadurch, daß er es bei leichtsinnigem Schuldenmachen zu Pfändungs- und Uberweisungsbeschlüssen kommen läßt, schädigt er sein Ansehen und das der Beamtenschaft nicht unerheblich. Zudem verursacht er seiner vorgesetzten Behörde ein erhebliches Maß von Arbeit. Er muß das für die Erfüllung seiner Obliegenheiten erforderliche Verantwortungs- und Pflichtgefühl aus eigener Kraft aufbringen, ohne daß es eines ständigen Drucks durch die Verwaltung oder einer Unterstützung bedarf 10 . Die Dienstentfernung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die leichtfertige Schuldenmacherei einen labilen Charakter des Beschuldigten offenbart, was ζ. B. dann der Fall ist, wenn er fortgesetzte Schulden aufnimmt, hierbei ungedeckte Schecks in Zahlung gibt und seine Kollegen durch unwahre Angaben zur Hergabe von Darlehn und Bürgschaftserklärungen veranlaßt 10 ". Auch ein Zollbeamter, der sich in finanziellen Dingen haltlos zeigt, ist wegen leichtsinniger Schuldenmacherei zu entlassen, weil er sich der ständigen Gefahr aussetzt, daß seine schwachen Seiten ausgenutzt werden 10b . Offenbart der Beamte einen labilen Charakter, so wirken selbst familiäre und wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht strafmildernd 100 . Von einem leichtfertigen Schuldenmachen kann man noch nicht reden, wenn der Beamte einen größeren Kauf, wie ζ. B. den Kauf eines Kraftwagens, auf Kredit tätigt. Nur müssen die Anschaffungen im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit bleiben. Ein pflichtwidriges Verhalten liegt erst dann vor, wenn der Beamte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann oder wenn er schuldhaft Zahlungen nicht oder nicht fristgerecht leistet; besonders belastend ist es dann, wenn er es dabei zu Klagen und Vollsteckungshandlungen gegen sich kommen läßt loa oder wenn er bereits anderweitig abgetretene Gehaltsansprüche abtritt 10e . Gefährdet der Beamte durch Luxusanschaffungen den Unterhalts seiner Familie, so handelt er gleichfalls schuldhaft; er offenbart dann eine charakterliche Unzuverlässigkeit und schädigt hierdurch das Ansehen der Beamtenschaft, was für sich allein bereits die Höchststrafe rechtfertigt 11 . Ebenso macht sich der Beamte disziplinarisch strafbar, wenn er durch seine finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigende Anschaffungen entbehrlicher Luxusgegenstände, wie ζ. B. eines Fernsehgerätes12, sich außerstande setzt, bisherige eingeDokBer. Nr. 1881 und Nr. 1895. BayrDStH 11. 4. 60 — Nr. 6 DS I 60 — in BBZ 1963 S. 7 (LS). DokBer. Nr. 1753. 1 0 a DokBer. Nr. 1879 (hier war der mit der Höchststrafe geahndete Beschuldigte außerdem noch 5 Monate lang unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben). " » DokBer. Nr. 1881. 10