Gehorsame Rebellen: Bürokratie und Beamte in Österreich Band 1: 1780 bis 1848 9783205789758, 9783205789000


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German Pages [416] Year 2013

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Gehorsame Rebellen: Bürokratie und Beamte in Österreich Band 1: 1780 bis 1848
 9783205789758, 9783205789000

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Studien zu Politik und Verwaltung Herausgegeben von Christian Brünner · Wolfgang Mantl · Manfried Welan

Band 36

Waltraud Heindl

Gehorsame Rebellen Bürokratie und Beamte in Österreich Band 1: 1780 bis 1848

2., durchgesehene Auflage

Böhl au Verl ag Wien · Köln · Graz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: „Kaiser Franz I. in seinem Arbeitszimmer“, Bilderuhr, Wien 1831, von L. C. Hofmeister, Öl auf Kupfer Foto: © MAK/Georg Mayer

2., durchgesehene Auflage 2013 1. Auflage 1991 © 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser Druck und Bindung: UAB Balto Print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-205-78900-0





„Beschäftigt meine Beamten mehr, denn ich höre, … sie lesen.“ (Königin der Nacht in Grillparzers „Der Zauberflöte Zweiter Teil“)

„Er hat begriffen, daß man, wenn man von einer vergangenen Epoche spricht, ohne auf die Gegenwart Bezug zu nehmen, sie zum Museumsstück reduziert, das von unserem Leben abgelöst und ohne jeden Einfluß darauf bleibt. In Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil der Fall.“ (Lampedusa über Stendhal in „Reflexionen eines Bewunderers“)



Inhaltsverzeichnis Vorwort zur zweiten Auflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie. . . . . . . . . . . . 25

1. Stadien der Entwicklung.. . . . . . . . . . 1.1. Institutionalisierung und Systematisierung. 1.2. Die „Bürokratisierung“ der Bürokratie. . . 1.3. Die Zeit der Erstarrung. . . . . . . . . .

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. . . . . . . . 1.4. Zusammenfassung: Versuch einer Periodisierung. . 2. Bürokratie, Staatsmacht und Staatsideologie. . . . 3. Bürokratie, Staatsreform und Rechtsstaat. . . . .

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung? Die Zusammenhänge von institutioneller und sozialer Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

1. Beamtenbildung – Bürgerbildung. . . . . . . . . . . . . . 1.1. Universität, Universitätsreform und Staatsdienst. . . . . . . 1.2. Lehrfächer und Lehrbücher – Inhalt und Ideologie. . . . . . 1.3. Vormärzliche Anpassungsversuche und Reformansätze. . . . Anhang I: Die Reformen der juridisch-politischen Studien. . . . . . Anhang II: Die Reformen des philosophischen Lehrgangs für Juristen.





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Inhaltsverzeichnis



2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?. . . . . . . . . 2.1. Das „Parkinsonsche Gesetz“ zwischen 1780 und 1848. . . . . 2.2. Ämtervermehrung, Absolutismus und soziale Entwicklung. . 2.3. Beamtenvermehrung und Besoldung. . . . . . . . . . . . 2.4. Bildung, soziale Entwicklung und kulturelle Identität. . . .





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2.5. Was ist josephinisch: national – liberal – revolutionär – bürgerlich?. . . . . . . . . . . . 219 Anhang III: Die höheren Beamten der Wiener Zentralstellen. . . . . . . . 231

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

1. Der Alltag im Amt.. . . . 1.1. Die Routine im Dienst. 1.2. Die „neuen“ Tugenden. 1.3. Hierarchische Formen. . 2. Alltag im Privatleben. . .







. . . . . 2.1. Die „zweite Gesellschaft“.

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2.2. Lebensformen: Wohnen und Essen Der Lebensstandard. . . . . . . . . . . . 2.3. Die „höhere Geselligkeit“. . . . . . . . . 2.4. Geselligkeit als Politik. . . . . . . . . . . 2.5. „Staatscomedianten“ – Die Beamten und die Literatur. . . . . . . 2.6. Soziale Existenz und geistiges Bewußtsein. .

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. . . . . . . . . . . . 273 . . . . . . . . . . . . 307 . . . . . . . . . . . . 321 . . . . . . . . . . . . 326 . . . . . . . . . . . . 331

IV. Anstatt einer Historiographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. 2. 3.

Die Bürokratisierung der Welt – Variationen zu einem Thema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Max Weber und die „rationale“ Bürokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Franz Kafka und die „irrationale“ Bürokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

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Inhaltsverzeichnis

Lebendige Traditionen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Bildnachweis.. . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis.. . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis. Archivalische Quellen. . . . . . . Gedruckte Quellen und Literatur. Sachregister. . . . . . . . . . . . Namenregister. . . . . . . . . . . Ortsnamenregister. . . . . . . . .

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Vorwort zur zweiten Auflage Das Buch „Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780– 1848“ ist seit Jahren vergriffen. Die Nachfrage ist geblieben. Daher haben sich der Verlag, die Herausgeber der „Studien zu Politik und Verwaltung in Österreich“ und die Autorin anlässlich der Publikation des Nachfolgebandes „Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich 1848–1914“ zu einer zweiten Auflage entschlossen. Die Verwaltung des Kaisertums Österreich war, wie zu zeigen versucht wurde, ein sehr kompliziertes Gebilde, das Beamtentum war ein vielschichtiger sozialer Kosmos, daher ist es natürlich möglich, eine Geschichte dieser beiden voneinander abhängigen Gebilde auf verschiedene, auch andere Arten zu konzipieren, als es in diesem Buch vor Jahren geschehen ist. Die Versuchung war nicht abzuwehren, allerlei Gedankenspiele dieser Art durchzuführen. Um es vorwegzunehmen: Sie scheiterten. Allerdings – so wurde von mir erwogen – könnte das Kapitel „Anstatt einer Historiographie“ gestrichen und die in diesem Kapitel enthaltene Konfrontation Max Weber – Franz Kafka in den Nachfolgeband übernommen werden. Das Historiographiekapitel, das aus der Flut von historischen, politikwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Werken zum Thema Bürokratie anhand der Bestände der Library of Congress in Wahington D. C. erarbeitet wurde, spiegelt den Stand von 1990 wider. Es erschien etwas veraltet. Ein kurzes Fazit ergibt, dass die Publikationen zwei sehr gegensätzliche Positionen vertreten, eine Minderheit – die Autoren sind meist Anhänger von Max Weber – anerkennt die zivilisatorische Leistung der Institution und preist den Fortschritt, den Bürokratie und Beamte im Laufe der Geschichte herbeiführten. Die Gegenseite warnt vor der Allmacht der starken Position, den die Bürokratie im Dienste des Staates einnimmt und die Freiheit des Individuums einschränkt. Heute ist es um diese Kontroverse still geworden. Die Bürokratie wurde mittlerweile unter dem Prätext, einen „schlanken Staat“ (und eine starke Wirtschaft) schaffen zu wollen, massiv beschnitten, wenn nicht überhaupt als veralteter, einer modernen Demokratie nicht angemessener Apparat – so wurde argumentiert –

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Vorwort zur zweiten Auflage

abgeschafft. Kaum war dieses in einem intensiven Ausmaß geschehen, zeigten sich angesichts der wirtschaftlichen und politischen Krisen und Korruptionsskandale der letzten Jahre die Nachteile des Mangels einer staatstreuen Beamtenschaft und es melden sich seit Kurzem Stimmen zu Wort, die an die besonderen Verdienste einer funktionierenden Bürokratie, an ihre bedeutende Position als Kontrollorgan in demokratischen Institutionen erinnern und auf die Einhaltung der Funktionen eines Staates pochen, zu deren Ausführung anstatt angestellter Manager und Berater eine gut ausgebildete und staatsloyale Bürokratie gehört. Das Kapitel „Anstatt einer Historiographie“ in diesem Band scheint unter diesem Aspekt nicht veraltet zu sein, es ist geradezu ein Spiegelbild der Position, die die ehemalige Bürokratie in der Weltöffentlichkeit einnahm – mehr noch – es demonstriert überwältigend die starken Veränderungen, die seither eingetreten sind. Doch diese Aspekte, nicht nur die historischen, sollen im Band über Beamte und Bürokratie in Österreich zwischen 1848 und 1914, „Josephinische Mandarine“, thematisiert werden. Das Buch „Gehorsame Rebellen“ bleibt so, wie es ist. Waltraud Heindl im Herbst 2012

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Vorwort Wer den Titel des Buches befremdlich für eine Studie über die österreichische Bürokratie findet, sei an das Zitat des Hofrats Winkler in Schnitzlers „Professor Bernhardi“ erinnert, der – etwas respektlos, aber pointiert – die Alternative seiner geistig-politischen Existenz mit den lapidaren Worten umreißt: „Ja, Exzellenz, es scheint – als Beamter, da hat man nur die Wahl, Anarchist oder Trottel.“ Rebellisches Außenseitertum oder resignierende Anpassung – als Folge der ständigen Konfrontation und des Umgangs mit Macht (und Ohnmacht)? Es ist eine der grundlegenden Fragestellungen des menschlichen Lebens, die durch das Thema „Bürokratie“ aufgeworfen wird. Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis meiner nicht zu stillenden Neugierde an dieser Frage. Dieses Thema, das viele verschiedenartige Facetten aufweist, hätte von mir ohne die Hilfe vieler Menschen nicht bewältigt werden können. Die Idee dazu kam durch ausführliche Diskussionen mit meinem ehemaligen Universitätslehrer Friedrich Engel-Janosi zustande, den ich eigentlich im nachhinein um Entschuldigung zu bitten hätte für die Verzögerung, mit welcher ich sie aufgriff, belastet mit dem allgemein gängigen Vorurteil, daß Bürokratie und Beamtentum vom Hauch grauer Langeweile und unwandelbarer Starrheit umgeben sei. Zu danken habe ich im besonderen der Habilitationskommission der Universität Wien, vor allem Gerald Stourzh und Wolfgang Häusler, für alle kritischen Anmerkungen und guten Ratschläge, die sie der Habilitationsschrift widmeten. Einige meiner Freunde und Kollegen wiesen besondere Geduld mit meinen Problemen auf: Franz Baltzarek, George Barany, Hanna Bubeniček, Moritz Csáky, István Deák, Heide Dienst, Fritz Fellner, Carole Fink, Peter Hanák, Clemens Höslinger, Thomas Kletečka, Raoul Kneucker, Charles A. Kromkowski, Stefan Malfèr, Gert Rosenberg, Erwin Schmidl, Harald Steindl, Christiane Thomas und Christian WittDöring. Das Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington unterstützte meine Arbeit großzügig durch die Gewährung eines Stipendiums (September 1986 bis Februar 1987), das mich in die Lage versetzte, die reichen Bestände der Library of Congress zu benützen und fernab vom beruflichen und privaten Wiener Alltag einige Kapitel dieser Studie zu verfassen. Mein tiefer Dank gilt allen Archivaren und Beamten der Archive und Bibliotheken, die mir mit

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Vorwort

einem geradezu persönlichen Engagement viele Hinweise und Anregungen gaben, im besonderen jenen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, des Allgemeinen Verwaltungsarchivs, des Hofkammerarchivs, der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Handschriftensammlung), des Wiener Stadt- und Landesarchivs, des Wiener Universitätsarchivs, der Nationalbibliothek in Wien sowie der Library of Congress in Washington. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich meine Helfer, weil ihrer so viele waren, nicht einzeln nenne. Den Kampf mit der modernen Technik des Computers halfen mir Elfriede Sieder, Helmut Strauß, Renate Tuma und Inge Sieghart bestehen, den Endspurt der Drucklegung Renate Flich, Peter Hohenbalken, Friederike Schattauer und Maria Schuster durch sorgfältige Korrektur des Manuskripts. Der Verlag Böhlau übernahm in bewährter Weise die Drucklegung, die der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Österreichische Forschungsgemeinschaft und das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung finanziell unterstützten. Allen sei dafür gedankt. Viele Freunde und Kollegen ermutigten mich allein durch ihr unermüdliches, liebevolles Interesse an meiner Arbeit sowie durch ihren Beistand und Trost in Zeiten der Verzweiflung an dem manchmal spröden Gegenstand. Ich hin ihnen nicht nur für ihre ständige Bereitschaft zu Diskussionen dankbar, sondern auch für ihren Einsatz, mich immer wieder – im buchstäblichen Sinne – den dunklen Amtsstuben entrissen und mich gelehrt zu haben, daß Texte über Bürokratie nicht bürokratische Texte zu sein hätten. Wien, Sommer 1990 Waltraud Heindl Ich widme diese Arbeit allen vergangenen und gegenwärtigen, allen bekannten und unbekannten, allen bedankten und unbedankten Beamten Österreichs.

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Einleitung „La bureaucratie comme univers heureux et coupable“1 – mit dieser Formel beschrieb der Analytiker der Verwaltungsinstitutionen und Lacan-Anhänger ­Pierre Legendre die Bürokratie und brachte damit drei wesentliche Merkmale zum Ausdruck: die Macht, die Vollkommenheit und das geschlossene, aber weit verzweigte, alles überwuchernde System. Die Bürokratie als eine eigene heile, funktionierende Welt – zugunsten der Staatsmacht, deren Organ sie ist. Der Anspruch ist so gewaltig, daß er natürlich niemals eingelöst werden kann. Daher kann ­Legendre an einer anderen Stelle von der Bürokratie als einer „imaginaire verité“ sprechen2. Aber wie, mit welchen herkömmlichen Methoden, können sich Historiker einer imaginären Wahrheit annähern, ohne sich, wie Goethe einmal in Zusammenhang mit Bürokratie und Verwaltung meinte, letztendlich wie ein „Philister“, „Schelm“ oder „Narr“3 zu fühlen? Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit begleitete fast die gesamte Literatur, die sich seit zwei Jahrhunderten mit dem Thema beschäftigte – politischer, satirischer, belletristischer, juristischer, soziologischer, psychologischer und historischer (etc.) Natur. Mißverständnisse waren unvermeidlich: Die einen haben von diesem (unlösbaren) Anspruch her das Thema beleuchtet und sind theoretisch zu großartigen Ergebnissen gekommen und zu vernichtenden, wenn sie die Theorie mit der Praxis verglichen. Die andere Gruppe, die vom Schein der Wirklichkeit ausging, hatte einen leichteren Stand. Einige haben den Schein als Wirklichkeit genommen und eine Beschreibung der Wirklichkeit des Scheins geliefert. Die meisten entlarvten jedoch den Schein als Schein und endeten bei Parlaments- bzw. Regierungsvorschlägen zur Bürokratiereform oder bei der Satire. 1 Pierre LEGENDRE, L’amour du censeur, essai sur L’ordre dogmatique (= Le champ Freudien, Paris 1974) 212–231. 2 DERS., Jouir du pouvoir. Traité de la bureaucratie patriote (= Collection critique, Paris 1976) 276. 3 Zitiert von Reinhart KOSELLECK, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 7, Stuttgart 21987) 19.

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Einleitung

Max Weber ist der prominente Wissenschaftler des Anspruchs. Er hat (in „Wirtschaft und Gesellschaft“, 1921) den Idealtypus gezeichnet.4 Die Bedürfnisse der Staatsmacht des (preußischen) Nationalstaates des 19. Jahrhunderts waren die Grundlage für Webers theoretisches Konzept. Weber hat natürlich gewußt, daß sein Idealtypus in der Bürokratie-Wirklichkeit nie existierte, daß er lediglich ein Parameter für die Bedeutung der Institution im weiten Feld von Staat, Gesellschaft und Herrschaft darstellte. Aber fiel er der Bürokratie letztendlich nicht doch herein, als er ihr die umfassende Rolle im Rationalisierungsprozeß im Staatsleben zuwies? Der Kulturphilosoph Alfred Weber (Max Webers Bruder) sprach schon einige Jahre, nachdem „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen war, kritisch „vom deutschen Beamtenmythos“5. Seit damals hat sich die wissenschaft­ liche Diskussion verschärft. Wütende Polemiken, emotionsgeladene Satiren sind an der Tagesordnung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bürokratiedebatte um einen traurigen Aspekt bereichert: mit der Rolle, die die Bürokratie des Dritten Reiches im Namen der Staatsmacht des Nationalsozialismus spielte. Seit damals ist eine wichtige Seite der Beamtenethik, die unbedingte Gehorsamspflicht, das Problem des Beamten, weisungsgebundenes Exekutivorgan jeder Obrigkeit zu sein, fragwürdig geworden. Der Begriff des „unpolitischen“, „neutralen“ Beamten, eine der grundlegenden Forderungen an die „objektive“, „sachrationale“ Bürokratie, die Trennung von offiziellem Amt und privater Person, wurde suspekt. (Die Untersuchung über die politische Soziologie der Beamten von Herbert von Borch, „Obrigkeit und Widerstand“6, ist eine der Folgen.) Das Problem wurde bis heute nicht gelöst. Auch die modernen – demokratischen – Staaten verzichten nicht gerne auf ihr Weisungsrecht und die Gehorsamspflicht ihrer Beamten. (Ein Beispiel ist § 44 des österreichischen Beamten-Dienstrechtsgesetzes, 1979.) Die Diskussion um (manchmal weltfremde) Theorien verstellt den Blick auf die historische Entwicklung. Die Bürokratie wurde von der Soziologin Renate Mayntz („Soziologie der Organisation“, 1963) in wohltuend nüchterner Form als Organisationsform beschrieben, die nach bestimmten Regeln funktioniert oder 4 Max WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Mit einem Anhang: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, hg. v. Johannes WINCKELMANN (Tübingen/Köln 41956; Tübingen 51976); dazu Kap. „Max Weber und die rationale Bürokratie“, S. 313–321. 5 Alfred WEBER, Der Beamte. In: Ideen zur Staats- und Kultursoziologie, hg. v. Alfred WEBER (Karlsruhe 1927) 83–93. 6 Herbert von BORCH, Obrigkeit und Widerstand. Zur politischen Soziologie des Beamtentums (Tübingen 1954).

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Einleitung

zumindest funktionieren sollte.7 Das ist die eine Interpretation des Begriffes Bürokratie. Der Begriff Bürokratie birgt aber noch einen zweiten Inhalt: Bürokratie ist auch die personelle/soziale Gruppe, die Summe aller Beamten, die die Bürokratie erst zu einer Institution machen. Dieser Aspekt darf nicht vernachlässigt werden, wollen wir die Bürokratie als menschliche, daher veränderliche Organisationsform in Gegenwart und Vergangenheit begreifen. Diese Institution, wie immer sie nun funktionierte, und die vielen Menschen, die in dieser arbeiteten, an ihr herumfeilten, sie – je nachdem – zu perfektionieren oder zu ruinieren versuchten, konnten nicht ohne wechselseitigen Einfluß aufeinander bleiben. Dem Bild, das wir von der österreichischen Bürokratie besitzen, liegt dieselbe Konzeption der Differenz von Anspruch und Wirklichkeit zugrunde, wie es sonst weltweit der Fall ist. Von juristischer und soziologischer Seite gibt es in jüngster Zeit einige Arbeiten, die sich mit der Problematik von Bürokratie und Verwaltung im heutigen staatlichen System kritisch auseinandersetzen: Genannt seien nur die Untersuchungen von Christian Brünner, Eva Glück, Raoul Kneucker, Eva Kreisky, Wolfgang Mantl, Heinrich Neisser, Stefan Titscher und Manfried Welan8. Auch über die rechtswissenschaftlichen Aspekte der staatlichen bürokratischen Organisation der Vergangenheit sind wir relativ gut unterrichtet: Die älteren Arbeiten, das „Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst“ von Ernst Mayrhofer und Anton Pace sowie die über den Hofstaat von Ivan von Žolger beschäftigen sich auch mit Aspekten der Entwicklung der Staatsbürokratie.9 Signifi7 Renate MAYNTZ, Soziologie der Organisation (Reinbek bei Hamburg 1963) 81–111; DIES., Bürokratische Organisationen (Köln-Berlin 1968). 8 Karl WENGER/Christian BRÜNNER/Peter OBERNDORFER (Hg.), Grundriß der Verwaltungslehre (Wien-Köln-Graz 1983); Eva GLÜCK/Manfried WELAN, Republik der Mandarine? In: Wirtschaftspolitische Blätter 1/1984; Raoul KNEUCKER, Public administration. The business of Government. In: Modern Austria (Palo Alto, CA. 1981) 261–278; DERS., Austria: An Administrative State. The Role of Austrian Bureaucracy. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2 (1973) 95–127; DERS., Öffentliche Verwaltung 1975/76. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 1977, 123–151; DERS., Öffentliche Verwaltung 1977–1980. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 80, 55–88; Eva KREISKY, Zur Genesis der politischen und sozialen Funktion der Bürokratie. In: Das politische System Österreichs (Wien 1974) 181–231; Heinrich NEISSER, Die Rolle der Bürokratie im Regierungsprozeß. Ebd., 233–269; Wolfgang MANTL, Verwaltung im politischen System Österreichs. In: Politik und Verwaltung, hg. v. Herbert Kraus (Wien 1981) 23–62; Stefan TITSCHER, Ansätze zur empirischen Verwaltungsforschung in Österreich. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft 2 (1973) 129–159; DERS., Struktur eines Ministeriums. Eine verwaltungssoziologische Studie zur Ministerialbürokratie (Wien 1975). 9 Ernst MAYRHOFER und Anton PACE, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern mit besonderer Berücksichtigung

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Einleitung

kanterweise fehlen jedoch im prominenten „Österreichischen Staatswörterbuch“ von Ernst Mischler und Josef Ulbrich die Stichworte „Beamte“ und „Bürokratie“. Unter „Staatsdienst“ finden Historiker wenig befriedigende Erklärungen“.10 Die neueren rechtshistorischen Arbeiten, wie die von Rudolf Hoke und Gernot Kocher, berücksichtigen – vorwiegend unter verwaltungsgeschichtlicher Perspektive – viele bürokratische Detailfragen innerhalb der Behördenorganisation.11 Merkwürdigerweise hat sich die historische Forschung nicht in umfassender Weise dieses Themas angenommen, das zur österreichischen Geschichte gehört wie wenig andere. Es gibt ältere Einzelstudien über die österreichische Bürokratie. So hat F. von Schulte bereits 1880 einen Artikel verfaßt12. In neuerer Zeit gibt es Untersuchungen von Alfred Hoffmann, Ernst Hanisch, Karl Megner und Bruno Schimetschek13, die im allgemeinen auf die gravierenden Mängel in der Forschung hinweisen. Das gängige Gesamtbild der österreichischen Bürokratie wird jedoch hauptsächlich von der belletristischen Literatur bestimmt, die sich in einem ungewöhnlichen Ausmaß mit dem Themenkreis Bürokratie und Beamte beschäftigt. Und Schriftsteller haben bekanntlich ein feines Sensorium für gesellschaftlich bedeutder diesen Ländern gemeinsamen Gesetze und Verordnungen, 8 Bde. (Wien 51895–1903), 2 Ergänzungsbände (Wien 1909, 1913); Ivan von ŽOLGER, Der Hofstaat des Hauses Österreich (= Wiener Staatswissenschaftliche Studien 14, Wien 1917). 10 Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, hg. v. Ernst MISCHLER und Josef ULBRICH, 4 Bde. (Wien 1895–1897, 21905–1909). 11 Rudolf HOKE, Österreich. In: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Kurt G. A. JESERICH, Hans POHL, Georg Christoph von UNRUH, 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes (Würzburg 1983) 345–499; Gernot KOCHER, Höchstgerichtsbarkeit und Privatrechtskodifikation. Die Oberste Justizstelle und das allgemeine Privatrecht in Österreich von 1749 bis 1811 (= Forschungen zur Europäischen und Vergleichenden Rechtsgeschichte 2, Wien-Köln-Graz 1979). 12 F. von SCHULTE, Bureaucracy and its Operation in Germany and Austria-Hungary. In: Contemporary Review 37 (1880) 432–458. 13 Einen kurzen guten Überblick geben die Artikel von Alfred HOFFMANN, Bürokratie insbesondere in Österreich. In: Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, hg. v. Heinrich FICHTENAU und Erich ZÖLLNER (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 20, Köln-Graz 1974) 13–31; und Ernst HANISCH, Beobachtungen zur Geschichte der österreichischen Bürokratie. In: Zeitgeschichte 14/1 (1986/87) 1–18; Bruno SCHIMETSCHEK, Der österreichische Beamte. Geschichte und Tradition (Wien 1984), ist auch für einen breiteren als einen wissenschaftlich interessierten Leserkreis geeignet; Karl MEGNER, Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k. k. Beamtentums (= Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 21, Wien 1985) behandelt die unteren Finanzbeamten, hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

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same Phänomene. Auch hier klaffen Welten in der Beschreibung und Beurteilung. Vergleichen wir etwa nur die liebevolle Zeichnung des Freiherrn von Risach im „Nachsommer“ durch Adalbert Stifter, die ironische des technokratischen Sektionschefs Tuzzi im „Mann ohne Eigenschaften“ durch Robert Musil, die groteske von Fritz Herzmanovsky-Orlando und das unheimliche Konzept einer vernichtenden bürokratischen Maschinerie durch Franz Kafka. Diese literarische Tradition reicht weit zurück. Die Auffassung des eigenen Berufsstandes durch die Dichterbeamten, an denen die österreichische Bürokratie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reich ist, ist ebenfalls äußerst konträr. So verleiht Eduard von Bauernfeld seiner Verachtung für die (eigene) Beamtenarbeit in der Komödie „Großjährig“ (1846) unverhohlen Ausdruck. Der Disput zwischen dem verhinderten Liebespaar gipfelt in der Beschimpfung des Beamten Hermann durch seine Angebetete: „Sie sind im Mannesalter und lassen sich am Gängelband leiten … – pfui, schämen Sie sich, junger Mann! Verzeihen Sie, künftiger Herr Kommerzienrat, Kammerrat, wie immer Rat, daß sich ein naseweises Mädchen herausnimmt, Ihnen den Text zu lesen, aber es war meine Absicht, Ihre Energie zu wecken; gelingt es mir – wohl und gut; wenn nicht, so bleiben Sie, was Sie sind, ein kleiner Beamter, das Allerkleinste, was man sein kann – ein winzig kleines, niedliches Rätchen, dem sie nichts anvertrauen – als Lappalien.“14 Grillparzer aber, der seiner Beamtenexistenz ebenfalls mit gesunder Distanz gegenüberstand, sah, daß die Arbeit eines Beamten auch mit Verantwortung, Intelligenz, Phantasie, Scharfsinn und Charakter zu tun haben konnte, als Franz Freiherr von Pillersdorf sein Vorgesetzter wurde. Er „fühlte wohl“, so meinte Grillparzer in seiner „Selbstbiographie“, „daß es ein Geschäftsgenie gebe, das sich in der Reihe der menschlichen Befähigung jeder anderen Genialität würdig an die Seite setzen könnte“15. Die so grundverschiedenen Urteile wirken wie die Erkenntnis Legendres, daß die Bürokratie ein Universum sei, auf Historiker eher entmutigend und ermunternd höchstens zu dem Entschluß, die Forschungen einzustellen. Dazu kommt eine merkwürdig ärmliche Quellenlage. Bürokratie und Beamte unterlagen und unterliegen dem Amtsgeheimnis. Sie wahrten es auch vor den Historikern und tilgten sorgsam die Spuren ihrer Geschichte: Gehaltstabellen, Dienstbeschreibun14 Eduard BAUERNFELD, Großjährig (Lustspiel in zwei Akten). (Erstaufführung 16. November 1846.) In: Gesammelte Schriften 5 (Wien 1872) 225. 15 Franz Grillparzer, Selbstbiographie. In: Sämtliche Werke, mit Einleitungen von Alfred KLAAR, 13 (Berlin-Leipzig 1907) 90.

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gen, Amtsbewerbungen – vieles wurde der Vernichtung anheimgegeben. Um die Geschichte des Beamtentums im Dunkeln zu lassen? Warum dies aber? Ich gebe zu, daß ich dem Reiz, das unergründbar Scheinende ergründen zu wollen, erlag. Mein Anliegen lautete zunächst, diese beiden vorne skizzierten Formationen, die Entwicklung der bürokratischen Organisation und der sozialen Gruppe, sowie das Verhältnis, in dem diese beiden zueinander stehen, unter die Lupe zu nehmen. Einmal die Tür aufgestoßen, erging es mir dabei aber bald, wie Braudel das Suchen von Historikern beschreibt: „Mais s’il cherche à voir aussi loin que possible, obligatoirement il frappera à une porte, puis à une autre … chacque fois sera mis en cause un paysage noveau ou légèrement different …: paysage culturel et social, culturel et politique, social et économique, économique et politique, etc. Mais, l’histoire les rassemble tous, elle est l’ensemble de ces voisinages, de ces mitoyennetés, de ces interactions infinies …“16 Die Gesetze und Verordnungen auf ihre Aussagekraft bezüglich politischer historischer Prozesse untersucht, führte zu der Frage nach den sozialen Umordnungen, die diese Entwicklungen unweigerlich zur Folge haben mußten, und nach der sozialen Realität, die sich, obwohl Statistiken, Tabellen etc. weitgehend fehlen, doch aus den bei näherem Hinsehen in reichem Maß vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen der Beamten über ihr Leben nachzeichnen und analysieren lassen. Die „schöne Literatur“, besonders die Literatur von Beamten über Beamte, nimmt einen wichtigen Platz dabei ein. Sie gibt nicht nur die „couleur de temps“ besser wieder als so manches Aktenreferat, sondern ist auch – aus literarsoziologischer Perspektive – ein ausgezeichnetes (wenn auch gebrochenes) Spiegelbild der historischen Wirklichkeit. Außerdem – für die Beamten jener Zeit hatte sie einen für uns kaum mehr vorstellbaren Stellenwert. Die spezielle österreichische Praxis der allgemeinen Theorie über Bürokratieentwicklung gegenüberzustellen, erschien mir ein weiterer notwendiger und auch reizvoller Aspekt der Arbeit zu sein. Im Zentrum des Geschehens steht sozusagen beispielhaft die höhere, vorwiegend juristisch gebildete Bürokratie der Zentralstellen in Wien. Dies gibt zwar vielleicht einen eingeschränkten Eindruck angesichts der verzweigten Administration des Riesenreiches, erscheint aber gerechtfertigt. Die höheren Beamten dieser höchsten Behörden verwalteten im eigentlichen das zentralistisch regierte Riesenreich. Hier, im Herzen, liefen alle Fäden zusammen. Nicht die kleinste Ent16 Fernand BRAUDEL, Sur une conception de l’histoire sociale. In: DERS., Ecrits sur l’histoire (Paris 1969) 191, über Otto Brunners „Neue Wege der Sozialgeschichte“.

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scheidung an der äußersten Peripherie des Reiches wurde ohne Erlaubnis der Zentralstellen in Wien getroffen. Der emigrierte Österreicher Charles Sealsfield (Karl Postl) beschreibt dies in „Austria as it is“ eindrucksvoll17. Die vorliegende Darstellung soll nicht in den weitverbreiteten Fehler verfallen, die Bürokratie als statische Institution zu begreifen. Sie sollte das „Drama der Bürokratie“ – das Drama der österreichischen Bürokratie beschreiben. Daher werden Entwicklungslinien festgestellt, die Mechanismen des Apparats aufgedeckt, das Kräftespiel zwischen Staat, Staatsgewalt und der Bürokratie herausgestrichen und die Entwicklung der Institution, wie sie von der Staatsgewalt geplant und das tatsächliche Endergebnis, wie es nicht geplant war, beschrieben. Die Zeit zwischen 1780 und 1848 ist dafür gut geeignet. Den Zeitpunkt 1780 als Beginn einer Arbeit über Strukturfragen der Bürokratie zu wählen, erscheint zwar auf den ersten Blick willkürlich. Es erweckt noch dazu den Eindruck, als hätte es in Österreich vor ­Joseph II. keine planmäßige Verwaltung und keine funktionierende Beamtenschaft gegeben. Das war natürlich nicht der Fall. Doch die Ausbildung der Bürokratie als moderne Institution wurde gerade in der Zeit der späten Aufklärung mit einer ungeheuren Beschleunigung vorangetrieben und in ein System gebracht, das unserem heutigen bereits sehr ähnlich ist. Die Herausgabe der bekannten Gesetzessammlung durch Joseph Kropatschek (1785–1790)18 war ein unübersehbares Signal. Die Entwicklung der modernen Institution Bürokratie wurde durch eine reiche Anzahl von Gesetzen, Verordnungen und Erlässen gerade im josephinischen Jahrzehnt festgelegt und in der frühen Regierungszeit des Kaisers Franz II. (I.) ungefähr bis in die erste Hälfte der 1820er Jahre zum Abschluß gebracht. Ab da sollte sich im Prinzip bis 1848 (und in vielen Aspekten bis heute) nichts mehr ändern. S. N. Eisenstadt, der die Entwicklung von politischen Systemen der europäischen Reiche untersuchte, billigte den Bürokratien dabei eine wesentliche Rolle zu.19 Er sah in den verschiedenen Reichen spezielle Kombinationen der Auseinan17 Charles SEALSFIELD, Österreich, wie es ist oder Skizzen von Fürstenhöfen des Kontinents (Wien 1919; Erstausgabe: Austria as it is, London 1828) 128 f. 18 Sammlung aller k. k. Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1740 bis 1780, die unter der Regierung Kaiser Josephs II. (theils noch ganz bestehend, theils zum Theile abgeändert sind) 5 Bde., hg. v. Joseph KROPATSCHEK (Wien 1785–1790). 19 S[hmuel] N[oah] EISENSTADT, The Political Systems of Empires: The Rise and Fall of Historical Bureaucratic Empires (New York 1963) im Besonderen 17 ff., 154 f. und 361–371. Von einer anderen Perspektive, die die Rolle der Bürokratie in der Entwicklung des europäischen Rechtsstaates, als wichtigen Faktor sieht, Fritz MORSTEIN MARX, The Higher Civil Service as Action Group in Western Political Development. In: Bureaucracy and Political Development, hg. v. Joseph LA PALOMBARA (Princeton 1963) 62–95.

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dersetzung und der Interrelationen zwischen Herrscher, politischen Institutionen und anderen sozialen Gruppen. Eisenstadts These gründet sich auf die Beobachtung, daß sich unter bestimmten lokalen Bedingungen auch bestimmte Typen von Bürokratien entwickeln, wobei das jeweilige Endergebnis für ihn offenbar ein Produkt der politischen Ansprüche des Herrschers und der wachsenden Differenziertheit der Gesellschaft ist. Je größer die Autonomie des Herrschers und je differenzierter die Sozialstruktur einer Gesellschaft sei, desto forcierter verlaufe die Entwicklung von autonomen bürokratischen Organisationen und neuen „nicht traditionellen“ Wegen, politische Spannungen auszutragen. Wenn wir diese These auf die Zeitspanne zwischen 1780 und 1848 übertragen, so stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Die Bürokratie hatte ihre Rolle unter der allgemeinen Aufbruchstimmung, der „Bewegung“ angetreten und endete im „System“, das erstarrte – durch diese beiden Pole sieht Leslie Bodi die Periode zwischen 1780 und 1848 gekennzeichnet.20 Welche Rolle nahmen die Beamten jeweils ein? Trieben sie die „Bewegung“ an? Trugen sie zur Versteinerung bei? Die Institution Bürokratie wurde „von oben“ herab entscheidend verändert, wobei die österreichischen Aufklärer an diesem Prozeß wesentlich mitwirkten. Sie leiteten den Prozeß der Reform ein und führten ihn im Namen der Staatsräson durch. Dies betraf die politische Seite des Prozesses. Die veränderte Institution verwandelte aber auch die in ihr wirkenden Beamten und diese anderen – „neuen“ – Beamten sollten wiederum die Institution verändern. Wie war aber die soziale Auswirkung dieser politischen Entwicklung? Das absolutistische System vergrößerte seit den modernisierenden Verwaltungsreformen Maria Theresias den Apparat der Bürokratie gewaltig. Dies führte zu einem vermehrten Bedarf an Beamten, und zwar an ausgebildeten Beamten, die – als Folge davon – die gebildeten bürgerlichen Mittelschichten verstärkten. Die Frage lautet für uns, ob diese einfache Vermehrung von bürokratischer Organisation – geboren aus der Logik des Systems, um dieses zu stützen und Kontrolle auszuüben – nicht eher die gegenteilige Wirkung hatte und ob nicht durch die gleichzeitig wachsende soziale und institutionelle Differenziertheit der bürokratischen Organisation letztendlich zur Auflösung des absolutistischen Systems beigetragen wurde.

20 Leslie BODI, System und Bewegung. Funktion und Folgen des josephinischen Tauwetters. In: Wien und Europa zwischen den Revolutionen (1789–1848) (= Wiener Schriften 39, Wien-München 1978) 37–53.

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Es ist augenfällig, daß die institutionelle Veränderung auch eine soziale mit sich brachte. So vollzog sich ohne großen Aufhebens in den Jahren der biedermeier­ lichen und vormärzlichen Stille ein radikaler Wandel, weniger von den Regeln der Bürokratie her gesehen, sondern vielmehr im Geist der Bürokraten. Der Prozeß war vor allem sozialer und kultureller Natur. Aus braven Untertanen wurden selbständige Bürger. Die Veränderungen sollten nicht auf die Amtsstuben beschränkt bleiben, sondern das Profil der Ämter, der Städte, in denen sich diese befanden, vor allem des Sitzes der kaiserlichen Zentralverwaltung Wien und ihrer bürgerlichen Mittelklassen mitbestimmen. Diese Wechselwirkung stellt einen spannenden Prozeß dar. Seine Beschreibung ist im wesentlichen Inhalt des folgenden Beitrags. Für mich stellen sich nun nach Jahren der Beschäftigung mit diesem Thema viel mehr Fragen, als ich sie je hatte. Ich hoffe, daß der Leser auch manche Antworten findet.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie „Denn Herrschaft ist im Alltag primär Verwaltung.“ (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft)

1. Stadien der Entwicklung 1.1. Institutionalisierung und Systematisierung „Im äußersten Winkel Siebenbürgens und der Bukowina so wie in Brabant und in der Lombardei wird weder Präsident noch Türhüter ernannt, der hier [beim Landesherrn] nicht Gnaden gefunden hat“1, so schildert der Chronist Johann Pezzl im Jahr 1787 die Einstellung Kaiser Josephs II. zu seinen Beamten. Pezzl war ein aufmerksamer Beobachter der Wiener Szene und ging auch in dieser Ansicht nicht fehl. Vergleichen wir seine Aussage mit den Gesetzen, Verordnungen, Erlässen, Weisungen, so können wir feststellen, daß sich eine unübersehbare Flut mit der Materie Verwaltung und Beamten beschäftigt.2 1 Johann PEZZL, Skizze von Wien (Wien und Leipzig 31787) 44 f. 2 Verwendet wurden für das Kapitel zur Ausbildung der Institution vor allem Gesetze und Verordnungen; im besonderen Sammlung aller k. k. Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1740 bis 1780, die unter der Regierung Kaiser Josephs II. (theils noch ganz bestehend, theils zum Theile abgeändert sind) 5 Bde., hg. v. Joseph KROPATSCHEK (Wien 1785 bis 1790) zit. als JOSEPH II. – SAMMLUNG; Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die k. k. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer systematischen Verbindung, 18 Bde. (1785–1790) zit. als JOSEPH II. – GESETZE; Sammlung der Gesetze, welche unter der glorreichen Regierung des Kaisers Leopold II. in den sämmentlichen k. k. Erbländern erschienen sind in einer chronologischen Ordnung, 5 Bde. (Wien 1790–1792) zit. als LEOPOLD II. – GESETZE; Sr. k. k. Majestät Franz des Zweiten (später Franz des I.) politische Gesetze und Verordnungen für die Österreichischen, Böhmischen und Galizischen Erbländer. Auf Ah. Befehl und unter Aufsicht der höchsten Hofstellen herausgegeben, 62 Bde. (Wien 1793–1835) zit. FRANZ II. – GESETZE; Fortsetzung:

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

Nichts drückt die Einstellung Josephs zu seinen Beamten besser aus als sein sogenannter „Hirtenbrief“, den der Kaiser Ende 1783 an seine Beamten erließ, um ihnen seine Meinungen mitzuteilen, und der mit folgendem flammenden Aufruf schloß: „Wer nun mit mir so denkt und sich als einen wahren Diener des Staates, solange er selber dient, ganz mit Hintansetzung aller anderen Rücksichten widmen will, für diesen werden vorstehende meine Sätze begreiflich sein und ihm deren Ausübung ebensowenig als mir beschwerlich fallen; jener aber, der nur das seinem Dienst anklebende utile oder honorificum zum Augenmerk hat, die Bedienung des Staats aber als Nebending betrachtet, der soll es lieber voraussagen und ein Amt verlassen, zu dem er weder würdig noch gemacht ist, dessen Verwaltung eine warme Seele für des Staats Bestes und eine vollkommene Entsagung seiner selbst und aller Gemächlichkeiten fordert“3. Der „Hirtenbrief“ zeigt, was

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Sr. k. k. Majestät Ferdinand des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für sämmtliche Provinzen des Österreichischen Kaiserstaates, mit Ausnahme von Ungarn und Siebenbürgen, 14 Bde. (Wien 1836–1851) zit. als FERDINAND I. – GESETZE; ergänzt vor allem durch Handbuch für alle kaiserlich-königlichen, ständischen und städtischen Beamten, welche die Darstellung aller derselben, dann ihren Witwen und Waisen durch die allerhöchsten Gesetze vom Jahre 1740 bis 1806 zugewiesenen Rechte und vorgezeichneten Verbindlichkeiten enthält, 5 Teile, hg. v. Johann Georg MEGERLE von MÜHLFELD (k. k. Rathe und Archivs-Director der k. k. königlichen Hofkammer) (Wien 1809); Handbuch für alle kaiserlich-königlichen, ständischen und städtischen Beamten, deren Witwen und Waisen oder Darstellung aller ihnen durch die neuesten allerhöchsten Gesetze vom Jahre 1806 bis 1822 zustehenden Rechte und obliegenden Verbindlichkeiten, 3 Teile, hg. v. DERS. (Wien 1824–1830) und Handbuch der Gesetze, Verordnungen und Vorschriften für k. k. österreichische Staatsbeamte. Zum Gebrauche der Behörden, Beamten und Staatsdienstwerber, hg. v. F[ranz] J[oseph] JOHANUS (k. k. Hofbuchhaltungs-Rechnungsoffizial) (Wien 1857). Die Gesetzessammlungen von Megerle v. Mühlfeld und Johanus wurden nur dann zitiert, wenn sie Bestimmungen enthalten, die in den offiziellen Gesetzessammlungen nicht publiziert wurden. Die „Grundsätze“ stammen vom 13. Dezember 1783; publiziert in: Friedrich WALTER, Die österreichische Zentralverwaltung, II. Abteilung: Von der Vereinigung der Österreichischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848), 4. Band: Die Zeit ­Josephs II. und Leopolds II. (1780–1792), Aktenstücke (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 36, Wien 1950), Nr. 94, 132. Vgl. auch die Zusammenfassung von Waltraud HEINDL, Gehorsam und Herrschaft – Zur Entwicklung des Beamtendienstrechts (1780–1815). In: Österreichischer Historikertag Krems/Donau 1984. Bericht über den sechzehnten österreichischen Historikertag in Krems/Donau 1984 (= Veröffentlichung des Verbandes Österreichischer Geschichtsvereine 25, Wien 1985) 329; auch Werner OGRIS, Der Beamte in der Habsburgermonarchie. In: Die Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft 18/2 (1985) 203–216; für die Magistratsbeamten: Andreas WILD, Die Wiener Magi­ stratsräte 1783–1848. In: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 38 (1982) 40–70; für die niederen Beamten: MEGNER, Beamte, 19–41 (für die frühere Zeit); HOKE, Österreich. In: Deutsche Verwaltungsgeschichte, 345–499.

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1. Stadien der Entwicklung

Joseph sich von seinen Beamten erwartete: Zuwendung zum Dienst, Liebe bis zur Selbstaufopferung, aufklärerische Gesinnung, ein „warmes“, ja brennendes Interesse für die Bedürfnisse des Staates – mit einem Worte, er wollte in seinen Beamten Priester des Staates sehen4: Wer, so wird im „Hirtenbrief“ klar gesagt, „dem Staat dienen will und dient, muß sich gänzlich hintansetzen, wie schon oben gesagt worden ist. Aus diesem folgt, daß kein Nebending, kein persönliches Geschäft, keine Unterhaltung ihn von dem Hauptgeschäft abhalten und entfernen muß und als daß auch kein Autoritätsstreich, kein Zeremoniell, Courtoisie oder Rang ihn im mindesten abhalten muß; zu Erreichung des Hauptziels das Beste zu wirken, der Eifrigste zu sein, am mehresten Ordnung unter seinen Untergebenen zu halten, heißt der erste und vornehmste zu sein; ob also Insinuata, Noten oder dergleichen Kanzleisprünge oder Titulatur beobachtet, ob in Stiefeln, gekämmt oder ungekämmt die Geschäfte geschehen, muß für einen vernünftigen Mann, der nur auf derselben Erfüllung sieht, ganz gleich und alles eins sein, er muß selbe betreiben, er muß kein Mittel unterlassen, damit sie guten Fortgang gewinnen …“5 Joseph war beeinflußt von seinen aufgeklärten Ratgebern, vor allem von Joseph von Sonnenfels und Karl Anton von Martini. Ob er auch wohl die theoretische Diskussion, die sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts um den Staatsdienst in den deutschen Staaten entzündet hatte, kannte? Karl Anton von Martini jedenfalls war sie sicherlich geläufig. Er formulierte in seinen „Erklärungen der Lehrsätze über das allgemeine Staats- und Völkerrecht“ (1791) § 256, die Bedeutung, die er den Beamten im Staatsgefüge zuwies: „Kennt der Regent noch so genau seine Pflichten, so ist es doch zur Ausübung der Majestätsrechte notwendig, daß er die Verhältnisse des ganzen Staates und die besonderen Bedürfnisse kennt. Diese müssen ihm nun von seinen Räten getreu vorgelegt werden. Hieraus erhellet, von welcher Wichtigkeit die Wahl der Beamten sei. Auf diese kömmt alles an. Ist der Monarch von vernünftigen Beamten umgeben, so ist er vor den meisten Fehltritten gesichert.“6 Auch Joseph von Sonnenfels spricht von der Bedeutung, die eine gute Verwaltung und gute Beamte für den Staat und den Bürger – und nicht in erster Linie für den Fürsten – hätten. Sein Ziel war daher die bessere Ausbildung des Bürgers, der fähig war, als Beamter die Bedürfnisse des Staates zu erfüllen. 4

Vgl. auch Hans HATTENHAUER, Geschichte des Beamtentums (= Handbuch des öffent­ lichen Dienstes 1, Köln-Berlin-Bonn-München 1980) 168. 5 Bei WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 126. 6 HATTENHAUER, Beamtentum, 143.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

Davon soll später noch die Rede sein.7 Die theoretische Diskussion des späten 18. Jahrhunderts – die Wortwahl in den eben zitierten Beispielen läßt dies bereits erkennen – rankte sich um einen Grundsatz: Der Staatsdienst sollte tatsächlich Staatsdienst und kein Hofdienst, er sollte patriotischer Dienst für das Bonum commune im Sinne der Aufklärung sein. So zumindest lautete die Forderung der Theorie. Doch stimmte diese mit der Praxis überein? Gab es eine lineare Entwicklung vom Fürstendiener zum Staatsdiener, der vor allem in den oberen Rängen als mündiger, verantwortungsbewußter, ja kreativer (wie Joseph II. es an anderer Stelle fordern sollte8) Staatsbürger dem Gemeinwohl diente? Zwar stimmte es, daß im späten 18. Jahrhundert als Ideal anstatt des bezahlten Untertans der mündige Bürger gesehen wurde, der in ein persönliches Rechtsverhältnis zum Staat trat, um ihm in patriotischer Hingebung zu dienen. Sein Amt mußte daher die Staatsbürgerschaft voraussetzen, und Staatsbürgersein bedeutete nach dem Verständnis der Aufklärung – spätestens seit dem „Sozialkontrakt“ –, an der Bildung des Nationalstaates teilzuhaben. Es konnte daher weder erblich, käuflich, noch von der Willkür des Fürsten abhängig sein. Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war daher die Unkündbarkeit9. Doch sollte in der kommenden Entwicklung geradezu ein gegenteiliger, für die Unabhängigkeit des Beamtentums gefährlicher Trend spürbar werden. Auffallend ist, daß von einem Recht des Widerstandes der Beamten gegen unrechtmäßige Befehle des Fürsten nun keine Rede mehr ist. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde dagegen auch die Meinung vertreten, daß der Beamte in erster Linie der Lex divina und erst in zweiter den Anordnungen des Fürsten verpflichtet wäre.10 Die Säkularisierung hatte die Macht des Fürsten gegenüber den Staatsdienern in der Praxis gestärkt. An die Stelle der persönlichen Allmacht des Regenten war die anonyme Allmacht des Staates getreten. Was man ersteren gegenüber abgelehnt hatte, nämlich die Forderung, dem absoluten Herrn blindlings zu gehorchen, begann man in zunehmendem Maße der Staatsmacht gegenüber als 7 Siehe S. 101 ff. 8 Ignaz BEIDTEL, Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848. Mit einer Biographie desselben, aus seinem Nachlasse hg. v. Alfons HUBER 1: 1740–1792 (Innsbruck 1896) 380. – Zu den josephinischen Beamten vgl. auch Paul MITROFANOV, Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit (Wien-Leipzig 1910) besonders 284–290. 9 Vgl. vor allem die Schrift des lüneburgischen Hof- und Regierungsrates und Professors der Rechte, Johann Michael SEUFFERT, Von dem Verhältnisse des Staates und der Diener des Staates gegeneinander im rechtlichen und politischen Verstande (Würzburg 1793) 9 und 233. 10 So Augustinus von LEYSER in: Meditationes ad pandectas quibus praecipua juris capita ex antiquitate explicantur etc., 13 Bde. (Leipzig 1717, 3. Aufl. 1741–1781), zit. von HATTENHAUER, Beamtentum, 137.

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1. Stadien der Entwicklung

legitim zu erachten. Die Entwicklung zur unbedingten Gehorsamspflicht bahnte sich an. Von Gehorsam war allerdings unter Joseph II. nicht die Rede. Wie der „Hirtenbrief“ zeigt, hatten für ihn Lust zur Innovation und Schaffensdrang absoluten Vorrang: „Aus diesem folgt“, so lautete z. B. nur eine von mehreren ähnlichen Aussagen, „daß bei allen Stellen ohne Ausnahme jedermann einen solchen Trieb zu seinen Geschäften haben muß, daß er nicht nach Stunden, nicht nach Tagen, nicht nach Seiten seine Arbeit berechnen, sondern alle Kräfte anspannen muß, wenn er Geschäfte hat, um selbe vollkommen nach der Erwartung und seiner Pflicht auszuführen und, wenn er keine hat, auch derjenigen Erholung, die man so billig doppelt empfindet, wenn man sein Pflicht erfüllt zu haben sich bewußt ist, genieße.“11 Was andererseits aber die Unkündbarkeit der Beamten betrifft, so sollte diese gerade in Österreich bei den Regenten auf wenig Gegenliebe stoßen. Von der Unkündbarkeit, die ein wichtiges Kriterium des wahren Staatsdienstes ist, sollte in Österreich noch lange nicht die Rede sein.12 Gerade unter Joseph wurde mit der Strafe der Entlassung recht ungehemmt verfahren: Die Befugnisse des Amtschefs, Versetzungen, Suspensionen, Entlassungen und Bestrafungen vorzunehmen, wurden ausgedehnt13 und die sofortige Entlassung allenthalben angedroht, etwa jungen Beamten gegenüber, von denen nicht zu erwarten wäre, daß jemals „gute Räte“ aus ihnen werden würden,14 oder gar für solche, die „unfleißig und subordinationswidrig“ handelten15. Ein Beispiel, wie schnell und kompromißlos Joseph II. selbst mit Beamten verfuhr, die anderer Meinung waren als er, gibt uns Josef von Hammer-Purgstall in seinen Erinnerungen. Josef Hammer, sein Vater, wurde, als er in der Durchführung der Steuerregulierung Vorschläge unterbreitete, die mit denen des Kaisers nicht konform gingen, sofort als Staatsgüterdirektor, Gubernialrat und Referent beim innerösterreichischen Gubernium in Graz enthoben16. Diskutiert wurde der Schutz gegen willkürliche Entlassung erst viel später unter anderen Umständen.17 11 Punkt 3 des „Hirtenbriefes“, WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 125. 12 Ignaz BEIDTEL, Die österreichische Staatsverwaltung 2: 1792–1848 (Innsbruck 1896) 112. 13 „Befugnisse der Landeschefs bezüglich Versetzungen, Suspensionen, Entlassungen, Belohnungen, Bestrafungen …“, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 958–961. 14 Hofdekret vom 31. Oktober 1785, JOSEPH II. – GESETZE 9 (1785) 856 f. 15 Hofdekret vom 19. Februar 1787, ebd. 14 (1787) 938. 16 Josef Freiherr von HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben 1774–1852, bearbeitet v. Reinhart BACHOFEN von ECHT (= Fontes rerum Austriacarum. Österreichische Geschichtsquellen. 2. Abteilung: Diplomataria et acta 70, hg. v. der Akademie der Wissenschaften in Wien, Historische Kommission) (Wien und Leipzig 1940) 11 ff. 17 Siehe S. 68.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

Joseph II. ging mit seinen Beamten, obwohl er, wie gesagt, nicht die Gehorsamspflicht statuierte und sie – in der Theorie – als Staatsdiener betrachtete, in der Praxis wie mit Kammerdienern um. Allein von der Menge her gesehen übertreffen jene Verordnungen, die Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen für die Diener des Staates aussprechen, alle anderen. Joseph II. scheint die Diskrepanz zwischen dem von ihm aufgestellten Ideal und der Wirklichkeit klar gesehen zu haben und bei Einschätzung seiner Beamten nicht dem Glauben an das „natürlich Gute“ in den Herzen seiner Beamten verfallen gewesen zu sein.18 Schließen wir aus den Erlässen und Vorschriften, so waren die Beamten korrupt, bestechlich, sie machten Schulden, wurden straffällig und schikanierten die Untertanen.19 Im Zweifelsfall war Joseph II. für die Untertanen. Einige Verordnungen deuten nämlich darauf hin, daß er gewisse Schutzmaßnahmen für die Untertanen vor den Beamten für notwendig erachtete. So verlangte er beispielsweise eine „angemessene“ Bestrafung für jene obrigkeitlichen Beamten (herrschaftliche Privatbeamte), die „die Untertanen wider Recht und Billigkeit drücken oder mißhandeln“20. Offensichtlich gingen vor allem die „obrigkeitlichen Beamten und Schaffersleute“ nicht gerade zart mit den Untertanen um. Denn ihnen mußte verboten werden, die Untertanen mit Stockstreichen zu behandeln, es sei denn, diese würden nach „förmlicher“ Untersuchung als Strafe verhängt.21 Joseph II. verlangte ohne soziale Skrupel den persönlichen Einsatz bis zum Äußersten. Ein Rat durfte beispielsweise bei Beförderung, ja auch bei Jubilierung, Pensionierung etc. nicht eher „von der Stelle scheiden“, als bis er alle ihm zugeteilten Geschäfte aufgearbeitet hatte, es sei denn, so hieß es, er wäre „ganz alt und untauglich“22. Bei begründeten Ursachen gab es (gegen Taxe) trotz strenger Residenzpflicht für die Beamten sogenannte „Absentierungslizenzen“. Bei geringsten Zeitüberschreitungen wurden zehn Prozent eventuell auch das gesamte Quartalsgehalt als Strafe einbehalten. Entfernte sich der Beamte mehr als sechs Wochen von seinem Amtsort, wurde der aliquote Teil seines Gehaltes eingezogen und unter die „Supplenten“ (Vertreter) verteilt23. 18 HATTENHAUER, Beamtentum, 146; SCHIMETSCHEK, Beamte, 105. 19 Eine Quelle bieten diesbezüglich die bereits zitierten Gesetze und Verordnungen Josephs II., hauptsächlich JOSEPH II. – GESETZE (zit. Anm. 2). 20 Hofdekret vom 28. Oktober 1781, ebd. 1 (1781) 56. 21 Hofdekret vom 30. Mai 1781, ebd., 51. 22 Hofdekret für sämtliche Appellationsgerichte vom 14. und 16. Oktober 1786, ebd. 11 (1786) 921 ff. 23 Hofentschließung vom 25. Jänner 1781, JOSEPH II. – SAMMLUNG 4 (1781) 92; Hofdekret vom 22. November 1786, JOSEPH II. – GESETZE 11 (1786) 663; Hofdekret vom 21. und

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1. Stadien der Entwicklung

Alle Aufrufe zur Pflichterfüllung und Disziplin waren ausschließlich von strengen Strafandrohungen begleitet. Der Ton war rauh. Eine Erinnerung an die Einhaltung der Amtsverschwiegenheit enthielt beispielsweise die allgemeine Bestimmung, „daß ein pflichtwidriger Beamter mit aller Strenge zur Verantwortung und Strafe gezogen“ werden würde24. Meist wurde jedoch, wie bereits gesagt, mit sofortiger Entlassung gedroht. Zur Überwachung und Leistungskontrolle dienten seit 1781 die oft zitierten „Konduitelisten“, damit, so lautete die Rechtfertigung für die Einführung, die Vorrückungen „nach Verdienst und Geschicklichkeit“ bemessen werde25. Zumindest theoretisch war damit – bei allen berechtigten Bedenken – dem modernen Leistungsprinzip Rechnung getragen. In den Konduitelisten“ sollte jeder so geschildert werden, „wie er ist“. Bezüglich Charakter, Fleiß, Geschicklichkeit hatte der Amtsvorsteher „eigenhändig und genau“, „ohne persönliche Rücksichten, Haß oder Freundschaft“, die vorgedruckten Listen jährlich auszufüllen. Wenn allerdings ein „Chef“ sich zu „parteilichen und boshaften“ Schilderungen hinreißen ließe, wäre er mit der „nämlichen Strafe“ zu belegen, die dem Beamten durch die ungünstige Beschreibung widerfahren wäre26. Letztere Verordnung war zum Schutze der Beamten gedacht und offensichtlich notwendig, den Übergriffen der Vorgesetzten vorzubeugen. Wer schützte allerding diese vor Denunziantentum? Denn sie wurden selbst der Kontrolle ihrer Untergebenen unterworfen: Jeder „untergeordnete Kanzleibeamte“, so lautete die Aufforderung aus dem Jahr 1782, der „Verhehlung, Unrichtigkeit oder sonst eine zum Nachteile des Ah. Dienstes unterlaufende Ungebühr“ anzeigte, sollte, wenn die Angaben richtig waren, eine „angemessene Belohnung“ erfahren.27. Die Konduitelisten zeigten den Zugriff des Staates auf die Beamten. Sie waren allumfassend: nicht nur was die Personaldaten (Name, Dienstcharakter, Rang, Geburtsort, Religion, Stand, Kinder, körperliche Gesundheit, Besoldung und Nebeneinkünfte, Vermögen, Dienstalter, Studien, Sprachen, „sonstige Wissenschaften“ und Zugehörigkeit zu einer Sekte oder geheimen Gesellschaft) betraf, sondern sie beschrieben auch die Charaktereigenschaften: „Gemütsbeschaffenheit“, das „Betragen“ gegen Vorgesetzte und Untergebene im allgemeinen, die Fehler (zu

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30. November 1786, ebd., 840; später auch Hofverordnung vom 20. Jänner 1792, LEOPOLD II. – GESETZE 5 (1792) 114. Hofdekret vom 27. Mai 1785, JOSEPH II. – GESETZE 9 (1785) 525. Handbillett für sämtliche Erbländer vom 31. Oktober 1785 und Hofkammerdekret vom 30. Dezember 1785, ebd. 11 (1785) 841–844. Hofdekret vom 5. Juli 1787, ebd. 14 (1787) 937; siehe auch Hofdekret vom 8. Mai 1787, ebd., 936, und Hofdekret vom 10. September 1789, ebd. 18 (1789) 528 f. Hofdekret vom 22. Juni 1782, JOSEPH II. – SAMMLUNG 5 (1782) 205.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

denen im besonderen Trinken, Spielen, Zanken, Schuldenmachen zählten), die Talente wie „Geschäfts- oder Diensteskenntnisse“, die besonderen Verwendungsmöglichkeiten des einzelnen Beamten und die Beförderungswürdigkeit. Die Konduitelisten waren bis zum Jahr 1790 obligatorisch. Sie wurden von Leopold II. abgeschafft und später (1799 und 1803) wiedereingeführt. Sie wären den angeführten Kriterien zufolge eine erstklassige Quelle zur Beamtengeschichte, wenn sie nicht, wie es den Anschein hat, von den Beamten selbst ausgefüllt worden wären.28 Da die Glaubwürdigkeit der Beschreibung somit für den Historiker erschüttert wird, zumindest als einseitig zu betrachten ist, ist der Schaden, daß die Konduitelisten „skartiert“ wurden und nur noch sporadisch für einzelne Behörden in den Archiven erhalten sind, nicht allzu groß. Die Maßnahme, die Konduitelisten vom Beamten selbst ausfüllen zu lassen, dürfte von den Vorgesetzten als Schutz ergriffen worden sein, Denunziationen vorzubeugen. Dieses System der totalen gegenseitigen Kontrolle dürfte nicht funktioniert haben, denn schon bald, im „Hirtenbrief“ kam Joseph wieder – unmißverständlich und deutlich – darauf zu sprechen und forderte seine Beamten klar zur gegenseitigen Denunziation im Sinne des Staatsdienstes auf.29 Der Widerspruch zu seinen sonstigen Vorstellungen von einer Beamtenschaft als – fast ist es bei der allgemeinen Diktion des „Hirtenbriefes“ naheliegend zu sagen – „brüderlichen“ (freimaurerischen) Gemeinschaft,30 die 28 Dazu vor allem Hanns Leo MIKOLETZKY, Aus der Frühgeschichte eines Wiener Archivs. Personal und Besoldung im Holkammerarchiv 1775–1875. In: Archivar und Historiker. Studien zur Archiv- und Geschichtswissenschaft. Zum 65. Geburtstag von Heinrich Otto MESNER (= Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung 7, Berlin 1956) 130 ff. Zu den in Ungarn erhaltenen Konduitelisten siehe Lajos HAJDU, Qualifikationssystem staatlicher Beamter in Ungarn (1780–1790). In: Annales Universitatis Scientiarum Budapestiensis de Rolando Eötvös nominatae, sectio juridica XIX (1977) 35–55. 29 Z. B.: „So wie es eines jeden Pflicht ist, verlässig zu berichten, alle Facta nach den Hauptgrundsätzen zu beurteilen und seine Meinung freimütig beizurücken, so ist es auch die Schuldigkeit eines jeden Staatsbeamten, daß er selbst auf Abstellung aller Mißbräuchen, auf die wahre und beste Art zu Befolgung der Befehlen, auf die Entdeckung der dagegen Handelnden, endlich auf alles, was zur Aufnahme und Besten seiner Mitbürger gereichen könnte, nachweise, als zu deren Dienst wir namentlich bestimmt sind.“ „Hirtenbrief“ bei WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 126 f. 30 „… Jene aber, die im Charakter und Range untereinander sind,����������������������������� müssen die nämliche Wirksamkeit in Geschäften haben und mitsammen ohne Rücksicht auf Rang oder Zeremonie die Geschäfte behandeln, betreiben, einander besuchen, miteinander sich verabreden, einer den anderen belehren, nicht Beschwerde gegeneinander aufführen, vielmehr alles vergessen, um das Geschäft gehen zu machen. Sie müssen die wechselseitigen Unvollkommenheiten ertragen, geschwächte Gesundheit zu gute halten, Tage und Stunden verwenden, die sie können, und kurz als Freunde, als Brüder, die nur ein Ziel haben können und sollen, mitsammen handeln.“ Ebd., 130.

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sich verschworen hatte, gemeinsam dem Staatswohl zu dienen, liegt auf der Hand. Einige Jahre später verschärfte der Kaiser seine Kontrollmaßnahmen und forderte die Einführung „schwarzer Listen“: Von allen Behörden sollte ein Verzeichnis angelegt werden, das alle jene Beamten jährlich „aufführte“, die 1. „wegen Leibes- und Geistesuntauglichkeit“ zur „normalmäßigen Behandlung“, d. h. zur Pensionierung, und 2. die wegen „Unfleißes“, „Unverträglichkeit“ und „übler Aufführung“ zur Entlassung vorzuschlagen waren. Die zweimal Ermahnten wären sofort zu entlassen31. Der Kaiser scheint sich – wenn es um Kontrolle ging – um die kleinsten Maßnahmen gekümmert zu haben. Er selbst wollte den gesamten Überblick besitzen, was aus einer Verordnung aus dem Jahr 1789 hervorgeht, in der er die Behördenleiter aufforderte, die Konduitelisten an den Hof zu senden und die Namen der Beamten „mit schlechtem oder mittelmäßigem Eifer“ oder „mit Untugenden“ mit einem roten Kreuz zu versehen.32 Josephs Zorn über seine Beamten, denen er zu einem früheren Zeitpunkt bereits die Vollziehung aller staatlichen Weisungen „unter Strafe“ anbefohlen hatte33, dürfte, so können wir schließen, von Jahr zu Jahr gestiegen sein – und damit auch sein Bedürfnis, selbst die vollständige Kontrolle in die Hand zu nehmen. Ob allerdings die Einführung des rigiden Überwachungssystems die richtige Methode darstellte, die Beamten zu Liebe und Treue anzueifern – gegenüber einem Abstraktum Staat, mit dem sie vermutlich damals recht wenig anzufangen wußten? Es war klar, dem Kaiser ging es um den Staatsdienst und nicht um die Staatsdiener. Es wurde viel von Pflichten und kaum von Rechten gesprochen. Die Beamten sollten schließlich auch auf das ihnen permanent entgegengebrachte Mißtrauen und auf die rüde Behandlung entsprechend reagieren. Im Jahr 1787, vier Jahre nach Erlaß des berühmten „Hirtenbriefes“, erschien eine anonyme Flugschrift, die, wie sich herausstellte, von dem Autor der Eipeldauer-Briefe, Joseph Richter (1784–1813), verfaßt wurde, mit dem vielsagenden Titel „Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt?“34. In dieser wurden vor allem die Gravamina der Beamten zur Sprache gebracht. Als eine der größten Beschwer31 32 33 34

Hofdekret vom 8. Mai 1787, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 936. Hofdekret vom 10. September 1789, JOSEPH II. – GESETZE 18 (1789) 528 f. Hofentschließung vom 10. Juli 1785, JOSEPH II. – GESETZE 9 (1785) 882. (Joseph RICHTER, anonym), Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt? (Wien 1787). In: (Franz GRÄFFER, anonym), Josephinische Curiosa; oder ganz besondere, theils nicht mehr, theils noch nicht bekannte Persönlichkeiten, Geheimnisse, Details, Actenstücke und Denkwürdigkeiten der Lebens- und Zeitgeschichte Kaiser Josephs II. (Wien 1848) 48–65.

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den erscheint darin die mangelnde Liebe und das mangelnde Vertrauen, das der Kaiser den Beamten, so wurde geklagt, entgegenbrächte. Joseph möge doch, so wird gewünscht, seine Minister und Räte nicht wie Diener, vor allem aber nicht wie seine Soldaten, sondern wie seine Freunde35 und „die Diener des Staates“ – hier wird zwischen Staats- und Hofdienst bereits genau unterschieden – nicht wie „Livreybediente“36 behandeln, denn, so die Argumentation, „Liebe erreichet immer eher den Endzweck als Strenge“37. Der allgemeinen Klage, daß Joseph überhaupt den Zivilstand weniger als den Militärstand liebe, wird der Beweis angeschlossen, daß er „Zivilstellen“ häufig an Soldaten verteile,38 der Forderung, daß Beamte wegen unwichtiger Fehler doch nicht zu entlassen seien, das Argument, daß der Kaiser nicht „vorsätzlich unglückliche Familien machen“ müsse, „weil sie am Ende ihm selbst zur Last fallen“ würden.39 Ein Hauptpunkt des Beschwerdenkatalogs bildete das Faktum, daß der Kaiser Denunziation sein Ohr schenke. Was die Beamten aber vor allem störte, wie Richter behauptete, war, daß Joseph einige ihrer Privilegien aufhob, wie die Befreiung der Bürger- und Beamtensöhne vom Militärdienst, und die Gleichstellung der Beamten mit allen anderen Bürgern bei Bestrafung, wenn sie das Gesetz übertreten hatten. Die Begründung Richters für die Aufrechterhaltung dieser Privilegien klangen durchaus vernünftig. Sie waren auf das Interesse des Staates, die demographische Entwicklung und offensichtlich auf die Staatsideologie Josephs zugeschnitten: „Wer wird“, so versuchte er den Kaiser zu überzeugen, „einige 1000 Gulden auf sein Kind [gemeint ist Sohn] verwenden, damit ein Musketier daraus werde?“ Die Aussicht auf den Militärdienst wirke so demoralisierend, daß die Söhne „nichts mehr lernen“ wollten und am Ende, „ja, gar keine Kinder mehr gezeugt werden“ würden, weil die Bürger und Beamten eben keine Soldaten zeugen wollten. Was die Gleichschaltung in der Art der Bestrafung betreffe, so wäre es durchaus nicht im Sinne des Staatsdienstes, wenn der „Pöbel den Regierungsrat oder Hofrat die Gasse kehren“ sähe, da er die Achtung vor dem Gesetz verliere.40 Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß sich die Beamten sehr wohl bewußt waren, daß sie die Privilegien, die ihnen verliehen waren, aus der Masse des Volkes heraushoben – zugunsten einer Herrschaft, die sie für den Kaiser ausübten. 35 36 37 38 39 40

Ebd., 58. Ebd., 63. Ebd., 58. Ebd., 59. Ebd., 63. Ebd., 60 f.

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Im josephinischen Jahrzehnt wurde aber auch versucht – trotz der schlechten Behandlung der Beamten – die gesetzliche Grundlage für die rechtmäßige, kontinuierliche Ausübung von Verwaltung und Bürokratie zu garantieren, was letztlich wieder den Beamten und einem gerechten Dienst zugute kam. Um die Regelmäßigkeit der Verwaltung zu gewährleisten, war es sicherlich von zentraler Bedeutung, die Beamten an feste Normen zu binden. Joseph II. sorgte für die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Verwaltung, indem er „Rangund Charakter-Verordnungen“ erließ mit Bestimmungen über Taxen, Gebühren, Diäten, Entfernungsurlaub, Urlaub, die Beschleunigung der Geschäfte, über die „Aufführung“ und Bestrafung der Beamten, über die Aufnahme in den Staatsdienst, das Verbot von Geschenkannahme und der Übernahme der Vormundschaft durch Beamte.41 Er verwirklichte vor allem den Grundsatz der Gleichheit innerhalb der Beamtenschaft, indem er das Anciennitätsprinzip einführte. Bei allen politischen und Justizbehörden, so verordnete der Kaiser, solle von nun an jeder eintretende Rat, „er mag bürgerlichen, Ritter-, Herrenstandes oder auch Fürst sein, seinen Sitz als der Letzte zu nehmen haben“42. Das Anciennitätsprinzip sollte sich als ein wichtiges Instrument erweisen, die Macht des Adels im Staatsdienst zu brechen und der Entwicklung des Bürgertums die Bahnen zu ebnen. Einen wunden Punkt bildete die materielle Lage der Beamtenschaft. Die regelmäßige Besoldung war zwar in der Konzeption, die dem „neuen“ Beamtentum des späten 18. Jahrhunderts zugrunde lag, wichtig. Von finanziell abhängigen Beamten, die auf ihre jährlichen Gehälter angewiesen waren, konnte man mit einigem Recht erwarten, daß sie den Weisungen der Regierung eher nachkommen würden als von einer materiell abgesicherten Nobilität, die auf ein Beamtengehalt unter Umständen verzichten konnte. Nicht zufällig träumte Joseph von armen Beamten, die ihre Arbeitskraft unermüdlich einsetzen mußten, um in der Karriere und damit auch in der Besoldung weiterzugelangen.43 1763 ist bereits für die „systemisierten“ Beamtenränge eine feste Besoldung feststellbar,44 die zu einem 41 Siehe z. B. „Verordnungen zur Richtschnur der Kreisämter und aller k. Beamten“ (eine Sammlung von Dekreten von 1781 bis 1783) JOSEPH II. – SAMMLUNG 5 (1786), 9. Hauptabteilung, 115–152, auch „Bestimmungen für Kreisämter“, JOSEPH II. – GESETZE 11 (1785) 876–910, „Rang- und Vorrückungsordnung bei Hof- und Länderstellen und Kreisämtern“, Hofdekret vom 29. März 1787, ebd. 14 (1787) 1027–1030. 42 Hofdekret vom 13. und 23. März 1786, ebd. 11 (1786) 928 f. Über die andere Entwicklung in der Diplomatie siehe S. 162 f. 43 Siehe S. 173. 44 Näheres in Kap. 11.2.3, S. 172–196, in dem ausführlich die Besoldung beschrieben wird.

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immer ausgefeilteren Schema entwickelt wurde und bald das Sportel- und Tantiemenwesen ersetzte. Im josephinischen Jahrzehnt hätten nur noch die Beamten des Straßen- und Brückenwesens, so behauptet zumindest Beidtel, Tantiemen bezogen.45 Das Besoldungsschema beruhte auf dem Prinzip, kleine, aber feste Gehälter zu geben. Dies mußte sowohl den eben zitierten Erziehungsabsichten Josephs hinsichtlich der Beamten als auch seinem Spargeist entgegenkommen. Außerdem entsprach es der Theorie des späten 18. Jahrhunderts, die bezüglich der Besoldung entwickelt wurde. J. M. Seuffert drückte in seiner 1792 erschienenen (bereits zitierten) Schrift mit dem bezeichnenden Titel „Von dem Verhältnisse des Staates und der Diener des Staates“46 die Notwendigkeit, die Beamten regelmäßig zu besolden, zwar unmißverständlich, aber eleganter aus und begründete sie mit „Berufung“. Der Bürger habe, so meinte Seuffert, auf ein so ehrenvolles Amt, wie es der Staatsdienst darstelle, keinen Anspruch, sondern müsse den Ruf des Staates zum aufopferungsvollen patriotischen Dienst abwarten. Dieser konnte – aufgrund seiner Exklusivität – auch nicht käuflich sein. Besoldung war daher für Seuffert keine Gegenleistung für den Staatsdienst. Besoldung war vielmehr „Schadloshaltung des Beamten für die Aufopferung an Gütern im Staatsdienst“. Wir würden heute eher von einer „Aufwandsentschädigung“ sprechen. Die Beamten mit ihren kleinen Gehältern waren also, sofern sie nicht aristokratischen Ursprungs mit Feudalbesitz waren, nicht mit großen Gütern ausgestattet. Joseph aber nahm weitere Einsparungen auf ihre Kosten vor, die die Beamten empfindlich trafen und begreiflicherweise beträchtliche Aufregung in ihren Reihen verursachten. Im Jahr 1780 zog er die sogenannten Hofquartiere, eine Art Dienstwohnung für Beamte, ein, was zur Folge hatte, daß Beamte genötigt waren, ihre Wohnsitze von der Stadt in die billigeren Vorstädte zu wechseln, und Pensionisten gezwungen waren, von Wien in die Provinz zu ziehen47. Auch bei den Reisekosten wurde recht kleinlich verfahren. Die Kreishauptleute muß­ ten beispielsweise – eine neue Einführung – ihre Kreisbereisungen aus eigener Tasche bezahlen, die Kreisärzte und Chirurgen durften nur in bestimmten Fällen die Fuhrkosten verrechnen.48 Die Lamentos der Beamten waren also nicht unbe45 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 380. 46 SEUFFERT, Von dem Verhältnisse des Staates, 32; siehe auch HEINDL, Gehorsam und Herrschaft, 329. 47 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 382; PEZZL, Skizze (1786), 271 f. Dazu vor allem Ernestine WANIEK, Die Wiener Beamtenwohnung zur Zeit Maria Theresias. Ein Beitrag zur Geschichte des ausgehenden Hofquartiersystems (phil. Diss., Wien 1931) 121–136. 48 Hofdekret vom 3. (Gubernialdekret für Böhmen vom 14.) September 1786, JOSEPH II. – GE-

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rechtigt: Sie verloren zweifelsohne ab der josephinischen Zeit finanzielle Mittel und allgemeinen Standard49. Die Klagen lassen allerdings vergessen, daß es Josephs Neuerungen waren, die einerseits einer effektiven Verwaltung die Bahn ebneten, die sich eines besseren Rufes erfreuen sollte, und andererseits den Beamten eine Bedeutung innerhalb dieses Rahmens und im Staatsgefüge einräumten, indem er sie zu den Trägern seiner Reformen erwählte (ob sie diese Funktion nun zufriedenstellend ausfüllten oder nicht). Dazu gehörte auch, daß er sie (wenn auch minimal) auf die Dauer sozial absicherte. Er sah, daß alte, unversorgte Staatsbeamte dem Ansehen des Standes abträglich waren, und das wirkliche soziale Privileg, das er seinen Beamten gab, war der Pensionsanspruch durch das Pensionsnormale vom 31. März 178150. Er führte damit eine allgemeine Beamtenpension, auch für Witwen und Waisen, ein. Unter Maria Theresia war man mit der Verleihung von Pensionen recht willkürlich verfahren.51 Nun wurde der Beamte nach zehn Jahren Dienst pensionsfähig. Von 10–25 Jahren erhielt er bei Dienstunfähigkeit ein Drittel seines letzten Gehalts, von 25–40 Jahren hatte er ein Anrecht auf die Hälfte, mit 40 Dienstjahren bekam er zwei Drittel und mit mehr als 40 Dienstjahren das ganze Gehalt. Die Beamtenwitwen erhielten ein Drittel des letzten Beamtengehalts. Wenn der Beamte aber mehr als 1000 fl. Gehalt hatte, fand ein Abzug statt. Die Witwe eines Hofrates mit 4000–5000 fl. Gehalt bekam dann beispielsweise nur 600 fl. Pension. Die Witwenpension war auch zum Unterhalt der Kinder bestimmt, die ansonsten noch bis zur Erreichung des „Normalalters“ einen Erziehungsbeitrag von 20 bis 100 fl. bekamen. Diener und Heizer bekamen Provisionen. Diese waren ähnlich geregelt wie die Pensionen, mit den Kindern ging man allerdings noch weniger sorgsam um. Das „Normalalter“ der „Provisionsfähigen“ betrug 14 Jahre für Knaben und nur 12 für Mädchen gegenüber einem „Normalalter“ von 20 Jahren für Knaben und 18 Jahren bei Mädchen für die Waisen jener Beamten, die pensionsfähig waren.52. Die Pensionen waren also äußerst kleinlich bemessen. Zwar wurde 1790 für die Waisen festgesetzt, daß ihnen nicht weniger als 100 fl. Pension zu zahlen wäre,53 den Witwen zog man jedoch ein eventuell vorhandenes größeres Vermögen von SETZE 11 (1786) 834 (betraf die Kreisärzte und Chirurgen), und Hofdekret für Böhmen vom 10. April 1787, ebd. 14 (1787) 638 (betraf die Kreishauptleute). 49 Siehe vor allem S. 172–196 und S. 273. 50 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 380. 51 Ebd., 181 f. 52 Ebd., 381. Bei Krankheit wurden allerdings die Waisenpensionen zeitlich ausgedehnt. 53 Hofdekret vom 8. August 1790, LEOPOLD II. – GESETZE 2 (1790) 187.

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der Pension ab54, und Eheschließungen aus Pensionsgründen beugte man vor, indem man Frauen, die einen mehr als 60 Jahre alten Beamten geheiratet hatten, erst nach 4 Jahren Ehestand als pensionsberechtigt erklärte. Radikale Kürzungen von Pensionen wurden als Strafe eingesetzt. Allerdings dürfte es sich nicht als probates Mittel herausgestellt haben, alte Beamte indirekt zum Hungertod zu verurteilen, denn bald wurde die Strafe eingeschränkt: Pensionen durften nur noch auf die Hälfte reduziert werden55. Die Gehälter und Pensionen waren also so gering bemessen, daß Beamte in Schulden gerieten oder Unterschlagungen begingen. Obwohl den Kaiser die zunehmende Zahl verschuldeter Beamter erzürnte und er die Unterschlagungen zu unterbinden trachtete, kam er offensichtlich nicht auf die Idee, beides in Zusammenhang mit der schlechten materiellen Lage der Beamtenschaft zu bringen und diese zu verbessern. Joseph Richter sollte denn auch über die miserable Lage der Beamten bittere Klagen führen: Die Beamten würden in einer derart ungerechten Weise besoldet und pensioniert, daß sie geradezu zum Schuldenmachen gezwungen wären56, ja daß sie, was oft vorkäme, keine Ehe gründen könnten, weil ihre Witwen und Waisen zu wenig abgesichert seien57. Glaubt man den Worten Richters, so war die materielle Lage der Beamten wirklich bejammernswert. Dies dürfte auch den Tatsachen entsprochen haben, vor allem was die unteren und mittleren Beamten betraf. Auch Ignaz Beidtel, dessen Vater josephinischer Beamter war, bezeugt das Faktum, daß die Beamten gerade unter Joseph II. eine eher armselige Existenz führten58. Verlockende Hoffnungen, der Alltagsmisere zu entkommen, boten Glücksspiele und die Lotterie. Daß Beamte nicht nur der schlechten Bezahlung, sondern auch der Spiel-, vor allem der „Lotteriesucht“ wegen in die Staatskasse griffen, um ihre Schulden zu decken, bestätigt auch Pezzl59. Den Zusammenhang zwischen schlechter Bezahlung und „Spielsucht“ macht aber auch Pezzl nicht zum Thema von Erläuterungen. Ob Josephs zornige Worte über den „Eigennutz“ der Beamten, seine unermüdlichen Anspornungen zu Leistungen60 wirklich ganz ohne Anlaß gegeben worden 54 Ebd., 195. 55 Hofdekret vom 31. März 1785, JOSEPH II. – GESETZE 9 (1785) 367. 56 (RICHTER), Warum wird Kaiser Joseph nicht geliebt? 63. 57 Würde nicht dadurch, so fragt Richter – wieder mit Hinblick auf Josephs Anliegen, die Bevölkerungszahl zu erhöhen –, „so mancher Beamter vom Ehestand abgeschrecket und der Lieblingsendzweck, die Bevölkerung, verfehlt?“ Ebd., 58. 58 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 381 ff. 59 PEZZL, Skizzen (1787), 126. 60 Siehe S. 26 f.

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waren? Oder hatte er berechtigte Gründe, über ihren Egoismus, ihre Faulheit und Ideenlosigkeit zu klagen, so daß ihnen in seinen Augen nicht mehr an Gehalt zukam, als sie ohnehin verdienten? Ein für die Entwicklung des modernen Beamtentums entscheidender Faktor, dessen Bedeutung von den Aufklärern klar erkannt wurde, war die Ausbildung der Beamten mit der Vermittlung spezifischer Kenntnisse. Je komplexer die Verwaltung wurde, desto wichtiger wurde die Aneignung des einschlägigen Know-how. Teilweise griff man auf alte Anordnungen zurück, die die Absolvierung des juridisch-politischen Studiums als Voraussetzung für die Aufnahme in den höheren Staatsdienst erklärten,61 teilweise wurden hinsichtlich der theoretischen und praktischen Ausbildung neue Akzente gesetzt, indem neue Fächer in den Lehrplan der juridisch-politischen Studien aufgenommen wurden und man die praktische Einübung in das Amt in die Ausbildung einbezog. Das war nicht ganz neu. Neu war allerdings, daß die bereits dienenden Beamten aufgefordert wurden, ihre Studien neben dem Dienst nachzuholen oder zu vollenden62. Nichts sollte den Wandel des österreichischen Beamtentums so beschleunigen, wie Bestimmungen, die die Ausbildung betrafen. Es wird davon noch die Rede sein63. Für die praktische Einführung galt als Leitfaden, die Kenntnis möglichst vieler Behörden zu forcieren. Junge Leute, „sie mögen von was immer für einem Stand sein“, sollten, so wurde von Joseph II. verordnet, zu Beginn ihrer Laufbahn bei den Kreisämtern „üben“, von da als Konzipisten zum Gubernium berufen werden und nach Ablegung der Praxis bei diesem Amt wieder als Kreiskommissär zum Kreisamt zurückkommen. Als nächster Schritt in der Laufbahn war ein Sekretär beim Gubernium in Aussicht genommen. Die Elite der so bestens ausgebildeten Beamten sollte in Leiterfunktionen (Kreishauptmann, Gubernialrat) aufsteigen64. Auf die praktische Ausbildung wurde also, wie wir sehen, größter Wert gelegt65. Diese Maßnahme wurde tatsächlich – auch später noch – in der Amtspraxis weitgehend eingehalten: Die jungen Beamten, auch die jungen weltmännischen Aristokraten, wurden in kleine Kreisämter in unbedeutenden Provinzstädten geschickt. Die praktische Schulung bildete wahrscheinlich die wahre Grundlage der Beamtenausbildung. Besonders in den Zeiten, in denen das an den Universitäten 61 62 63 64 65

Hofdekret vom 28. März 1787, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 1029. Hofdekret vom 11. Juni 1787, ebd. 13 (1787) 531. Siehe S. 101–143. Hofdekret vom 6. Mai 1785, JOSEPH II. – GESETZE 9 (1785) 882. Die Dienstprüfungen wurden im josephinischen Jahrzehnt aber eher eingeschränkt, Hofdekret vom 7. August 1788, ebd. 16 (1788) 1191, und Hofdekret vom 18. Mai 1789, ebd. 18 (1789) 538.

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gebotene Wissen für den inzwischen fortgeschrittenen und andere Bedürfnisse erfordernden Staatsdienst ungenügend geworden war, stellte „die Praxis“ eine Garantie für das Funktionieren der Verwaltung dar. Versuchen wir die Bedeutung josephinischer Reformen, die in bezug auf Bürokratie und Beamte gesetzt wurden, zu gewichten, so kristallisiert sich der eine Schwerpunkt um die Einheitlichkeit, Regelmäßigkeit und Effektivität der Administration, der andere um die arbeitsrechtliche Absicherung der Beamten. So erstaunlich dies klingen mag, ziehen wir alle Klagen ins Kalkül, die sich um Josephs Beamtenbehandlung und ihre miserable materielle Lage ranken: Die Bemühungen, den Aufstieg in der Hierarchie an die Universitätsbildung und an die Anciennität im Dienst zu binden, sowie das Zugeständnis einer gewissen materiellen Absicherung, auch wenn diese noch so kümmerlich war, hatten weitreichende Folgen. Der Grundstein einer modernen Bürokratie war gelegt. Die Differenzierung der Institution konnte darauf bauen. Die „Bürokratisierung“ der Bürokratie konnte beginnen.

1.2. Die „Bürokratisierung“ der Bürokratie Die Beziehung zwischen absolutem Herrn und Beamtenschaft blieb ein diffiziles Problem im System. Kaiser Leopold II. hatte in der kurzen Periode seiner Regierung nicht viel Zeit, sich den Beamten zu widmen. Wir können jedoch klar erkennen, daß er sich auf die Beamten nicht weniger angewiesen fühlte als Joseph II. Leopolds II. „Hirtenbrief“ an seine Beamten – kürzer, verbindlicher im Ton, viel weniger spektakulär (und daher weniger bekannt)66 – läßt keine Zweifel, welche Wichtigkeit Leopold II. den Beamten beimaß, wahrscheinlich gerade wegen der sich abzeichnenden Krisenzeiten. Er behielt sich darin – „da an einer guten Bestellung der Dienste … alles gelegen ist“ – die Ernennung sämtlicher höheren Beamtenposten der Hof- und Länderstellen vor. Dazu zählte er expressis verbis: die Hofräte, Hofsekretäre, Hofkonzipisten und Ratsprotokollisten, die Registratoren und Expeditoren, die Registratur- und Expeditsadjunkten, die Protokoll- und Vizeprotokolldirektoren des Exhibits (bei den Hofstellen), die Appellations- und Landesräte, die landesfürstlichen Justiziare erster Instanz, die Sekretäre, Protokollisten, Auskultanten, die Registratur-, Expedit- und Protokoll-Exhibitdirektoren und ihre Adjunkten 66 Ah. Handbillett an den Präsidenten der k. k. Obersten Justizstelle vom 7. März 1791, LEOPOLD II. – GESETZE 3 (1791) 239–243.

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(bei den Länderstellen). Auf die Vorweisung der juridisch-politischen Studien wurde bei der Ernennung zum Hofrat und für alle Beamten des Konzeptfaches und Protokolls höchster Wert gelegt (ja man hielt sogar die Beibringung authentischer Zeugnisse für notwendig), sowie auf die praktische Ausbildung und die ausgezeichnete Verwendung. Als Zeichen von Leopolds Entgegenkommen wurden zwar die Konduitelisten abgeschafft,67 was sicher ein guter Schachzug war. Sie waren überall denkbar unbeliebt. Lajos Hajdu beschreibt in seinen interessanten Ausführungen über das Qualifikationssystem in Ungarn, welche Widerstände hier der Einführung der Konduitelisten entgegengesetzt wurden.68 Man schien vom österreichischen Beispiel gelernt zu haben. Johann Georg Schlosser, der bekannte Jurist aus Baden (bekannter vielleicht als Goethes Schwager), äußerte beispielsweise anläßlich der Ankündigung ihrer Einführung in Preußen 1789 ernstliche Bedenken.69 Es folgte ein kurzes Intermezzo ohne Konduitelisten, denn schon bald (1799 und 180370) wurden sie wieder eingeführt. Leopolds Bemühungen um absolute Kontrolle über seine Beamten ging allerdings viel weiter, auch wenn er sie eleganter – positiver – formulierte. Anstatt einer „Schwarzen Liste“ (wie Joseph II.), forderte er einen monatlichen „Bericht“ an, in dem alle „Merkwürdigkeiten, Vorfallenheiten“ zu verzeichnen waren, zum Zweck, die „ausgezeichneten“ Bürger und Beamten genauer kennenzulernen.71 Es war auch keine Rede davon, daß von anonymen Anzeigen kein Gebrauch mehr gemacht werden sollte. Nur, so lautete der Auftrag, möge „den Daten“ in aller Stille nachgegangen und nähere Anzeigen ohne „allen Aufsehens und Weitläufigkeiten“ erhoben werden.72 Außerdem wurden unter der Prämisse, daß „die Aufrechthaltung der allgemeinen Ruhe“ „höchstes Gesetz des Staates“ sei,73 der Zensur und den Zensoren große Macht und ein unermeßlicher Spielraum eingeräumt. Dies bedeutete den Beginn einer Fülle von staatlichen Maßnahmen, die gerade auf die Beamten, den Staatsapparat, das öffentliche Leben und die öffentliche Meinung in Österreich bis zum Jahr 1848 unabsehbare Folgen hatten. Zen67 Siehe S. 31 f. 68 HAJDU, Qualifikationssystem, 35–55. 69 Johann Georg SCHLOSSER, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt und den Entwurf des preußischen Gesetzbuches insbesondere (Frankfurt 1789) 336 f., zit. bei HATTENHAUER, Beamtentum, 158 f. 70 Siehe S. 31 f. 71 Handbillett vom 12. Dezember 1791, LEOPOLD II. – GESETZE 4 (1791) 597–600. 72 Hofdekret vom 19. Dezember 1790, BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 441. 73 Hofdekret vom 1. September 1790, ebd. 443.

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sur und Polizei sollten das Aushängeschild Österreichs werden. Daß gerade die Beamten davon betroffen waren, entweder weil sie Zensoren wurden beziehungsweise der geheimen Polizei angehörten, oder weil sie äußerst rigiden Zensur- und Kontrollinstanzen unterworfen wurden, muß nicht hervorgehoben werden. Doch dies genügte nicht. Leopold mißtraute seinen Beamten zutiefst, sogar den höchsten – und von seinem Standpunkt aus mit Recht, hatte sich doch herausgestellt, daß sich eine Reihe von hohen Beamten für Reformen einsetzte, die weit über das von Leopold zugestandene Maß hinausgingen. Beamte der Hofkanzlei ergriffen, wie Gerda Stacher beweist, klar Partei für die Gleichstellung des Bürger- und Bauernstandes mit den anderen, oberen Ständen74. Höchste Beamte richteten sich gegen die Zensurpolitik des Kaisers75. Kein Wunder, daß der Kaiser erbost von „Ministerial-Despotismus“ zu sprechen begann und die widerspenstigen Beamten zu zähmen versuchte. Zwei Hofsekretäre wurden beauftragt, alle Beamten, selbst die höchsten Ränge (Präsidenten und Vizepräsidenten) zu kontrollieren76. Das Bemerkenswerte an der Auseinandersetzung Kaiser – Beamte ist, daß sie beweist, daß sich unter dem Einfluß der Aufklärung eine Schicht von Beamten herausgebildet hatte, die unzweifelhaft freiheitlich, reformerisch, freimaurerisch, vielleicht auch liberal im wahrsten Sinne des Wortes (die Haltung ist nicht eindeutig zu definieren) dachten. Nicht zufällig spricht Beidtel davon, daß der Geist der Kanzleien auch in der nachjosephinischen Zeit „josephinisch“ geblieben sei und daß besonders die Staatsbeamten – er hebt die Hofkommission für Justizgesetzgebung, aber auch die mittleren Beamten hervor – Anhänger der Aufklärungspartei, ja sogar der Französischen Revolution gewesen seien.77 Den Geist der Freiheit zu vertreten war auch für die Staatsbeamten der damaligen Zeit schwer möglich. Er wurde bald beschnitten. Ebenso bemerkenswert ist, daß der Zugriff auf diese Denkweise der Beamten, die Beschränkung von oben, in dem Moment mit Schärfe einsetzte, als sie sich als Opposition zu formieren begannen. Die Verstärkung der Kontrollmaßnahmen 74 Dazu ausführlich Gerda STACHER, Kaiser Leopold II. und die Umgestaltung der ständischen Verfassung. Bestrebungen der Bürger, Bauern und „Volksfreunde“ unter den Beamten am Beispiel der Steiermark. In: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 2 (1985) 43–72, im besonderen 51–69. 75 DIES. (Gerda LETTNER), Das Rückzugsgefecht der Aufklärung in Wien 1790–1792 (= Campus Forschung 558, Frankfurt-New York 1988) 42–46. 76 Näheres S. 77 f. 77 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 4 f., 110 und 204.

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sollte mit der sich bald verstärkenden Politik der Restauration unausbleiblich werden, die obrigkeitliche „Verwaltung“ der Bürokratie war damit unvermeidlich. Eine Folge davon war: Die Institution nahm immer gravitätischere Formen an. Ihre Normen wurden immer einengender. 1795 wurde das Mindestalter für den Staatsdienst (18 Jahre), 1822 das Höchstalter für Neueinstellungen (40 Jahre) festgelegt78. Man begann auch langsam zu erkennen, daß eine ganze Reihe von Posten und Berufen mit dem Amt eines Staatsbeamten unvereinbar war. Bereits im josephinischen Jahrzehnt war ihnen die Ausübung von „Privatagentien“ und Güterpachtungen verboten worden79. Nun wurde den Bürgermeistern, Räten und den älteren Beamten, Gerichtsbeamten, Justitiaren, den Advokaten80, den Beamten der Staatsbuchhaltung und später allen Beamten der Handel mit Staatspapieren81 untersagt. Man erachtete die Ausübung eines „bürgerlichen Gewerbes“82 genau so inkompatibel mit dem Staatsdienst wie die Wahl eines landesfürstlichen Beamten zum Ständeverordneten83. Später wurde den Beamten das Verbot wiederholt, sich in Privatgeschäften zu betätigen84, die Finanzbeamten durften keine Schmugglerware ersteigern85. Man entdeckte auch, daß es dem höheren Dienst abträglich sei, wenn Blutsverwandte und Verschwägerte in einem Abhängigkeitsverhältnis arbeiteten86. Die starre Festlegung des institutionellen Rahmens hatte selbstverständlich weitgehende Konsequenzen für die Beamtenschaft. Neben der Bürokratisierung wurde die Hierarchisierung der Beamtenschaft immer stärker. Die Absolvierung der Universitätsstudien als Anstellungserfordernis für die Aufnahme in den höheren Dienst war bereits des öfteren gefordert worden87. Im Jahre 1800 wurde jedoch unter Berufung auf die josephinische Verordnung von 1787 die unwider78 JOHANUS, Handbuch der Gesetze, 21 und 27. 79 Hofdekret vom 22. Juni 1787 und vom 15. August 1787, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 1030. 80 Hofdekret vom 28. Dezember 1790, JOSEPH II. – GESETZE 3 (1790) 418, und Hofdekret vom 19. Oktober 1821, FRANZ II. (I.) – GESETZE 49 (1821) 155. 81 Hofdekret vom 15. Februar 1797, ebd. 10 (1797) 57, Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 17. Jänner 1803, ebd. 19 (1803) 8, und vom 1. September 1803, ebd. 20 (1803) 71 f. 82 Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 1. Februar 1804, ebd. 21 (1804) 21 f. 83 Ministerialschreiben vom 18. Mai 1821, ebd. 49 (1821) 146 f. 84 Hofkammerdekret vom 16. März 1825, ebd. 53 (1825) 48. 85 Hofkammerdekret vom 3. Jänner 1834, ebd. 62 (1834) 2. 86 Hofkanzleidekret vom 15. Juni 1827 und vom 2. August 1827, ebd. 55 (1827) 72 und 91, Hofkanzleidekret vom 7. Dezember 1838, FERDINAND I. – GESETZE 66 (1838) 438–496. 87 Siehe S. 108–112.

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rufliche Weisung ausgesprochen, nur noch juridisch geschulte Beamte mit einem gültigen Abschlußzeugnis einer österreichischen Universität in das Konzeptfach aufzunehmen88. Bald darauf wurde das Studium neben dem Dienst verboten89, eine Maßnahme, die sicherlich eine Verengung und eine Erstarrung der Institution bedeutete. Das Avancement, das fleißige Beamte ohne die Vorbildung der Universitäten erreichen konnten, indem sie sich den juridisch-politischen Studien neben dem Dienst unterzogen, so wie es unter Joseph II. gefordert worden war,90 hatte das System flexibler und durchlässiger gestaltet. Das System der Dienstprüfungen, das uns ca. 1825 voll ausgebildet begegnet91 und die Anstellungsregelung für die Konzeptbeamten, eine genaue Festlegung der Laufbahn in den Jahren der Praxis92, verstärkten die Tendenzen, die Bürokratie immer undurchlässiger zu gestalten. Weitere Einschränkungen folgten: Mit dem ABGB (1811) wurde endgültig festgelegt, daß der öffentliche Dienst an die Erwerbung der Staatsbürgerschaft gebunden sei93. Was vor allem auffällt, ist, daß das System der Privilegierung einerseits und Disziplinierung andererseits94 den letzten Schliff erhielt. Es wurde gesetzlich fest88 Hofdekret vom 15. April 1800, FRANZ II. (I.) – GESETZE 15 (1800) 55 f. 89 Studienhofkommissionsdekret vom 20. März 1812, ebd. 38 (1812) 165; wiederholt in den Studienhofkommissionsdekreten vom 8. Jänner 1813, ebd. 40 (1813) 5; vom 16. Juli 1825, ebd. 35 (1825) 142 f., und vom 13. Jänner 1827, ebd. 55 (1828) 7. 90 Siehe S. 39 f. 91 Das System der Dienstprüfungen wurde erst ab dem Jahr 1819 voll ausgebildet; wichtig diesbezüglich Hofdekret vom 16. März 1819, FRANZ II. (I.) – GESETZE 47 (1819) 76–79 (Anstellungserfordernis, Praxis und Dienstprüfung für Beamte im politischen Verwaltungsdienst); vgl. weiters Hofdekret vom 13. April 1824, ebd. 52 (1824) 218–223; Hofdekret vom 5. Jänner 1820, ebd. 48 (1820) 1–4 (über die Konkurse zur Besetzung der „Justiz-Dienststellen“); auch Hofdekret vom 3. September 1819, ebd. 47 (1819) 315–318 (über die Anstellung von Kassa-Beamten) wurde z. B. unter anderem festgesetzt, von allen Bewerbern einen Beweis zu verlangen, „daß er im Erfordernisfall“ (dies war der höhere Buchhaltungsdienst) „eine Kaution von 1500–2000 fl. zu leisten imstande sei“. 92 „Einrichtung, welche einerseits der Staatsverwaltung die Wahl der ausgezeichnetsten und fähigsten Kandidaten für den Dienst sichert, andererseits aber den Zudrang mittelmäßiger oder unbrauchbarer Individuen beseitigt“ vom 13. April 1824, FRANZ II. (I.) – GESETZE 52 (1824) 218–223. 93 Die Bestimmung wurde in das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811, § 29, aufgenommen: „Fremde erwerben die österreichische Staatsbürgerschaft durch Eintretung in einen öffentlichen Dienst“; vgl. auch Hofkanzleidekret vom 15. April 1828, FRANZ II. (I.) – GESETZE 57 (1828) 94 f. 94 Diesen Titel verleiht Bernd Wunder seinem ausgezeichneten Werk über die bayrische und württembergische Beamtenschaft: Bernd WUNDER, Privilegierung und Disziplinierung. Die

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gehalten, daß jeder Beamte durch die Übernahme in den öffentlichen Dienst „aus dem Untertansverhältnis zu seiner Grundobrigkeit“ trete95, eine Bestimmung, die sicher besonders für die niederen Beamten von Bedeutung war. Die höheren Beamten waren vom Militärdienst befreit96. Eine Flut von Gesetzen und Verordnungen beschäftigte sich mit der finanziellen Lage der Beamtenschaft, genauer mit der gerechten Reglementierung der Zulagen und Pensionen, vor allem der Witwen- und Waisenpensionen. Um es vorausschickend zu sagen, es war weder zu Josephs II. Zeiten gelungen, noch gelang es später, das Problem der Beamtenbesoldung praktisch in den Griff zu bekommen97. Prinzipiell stellte die strikte Einhaltung des Systems der Gehaltsregulierung nach Anciennität, wie bereits gesagt, eine arbeitsrechtliche Errungenschaft dar. Doch praktisch litten die Beamten oft Not. Besonders in den Krisenzeiten machte sich die magere Bezahlung der Bürokraten (und dies speziell hinsichtlich der niederen) geltend, die nicht oder zu spät – niemals jedoch zur rechten Zeit – den inflationären oder Teuerungsverhältnissen – angeglichen wurde. Das Problem der schlechten materiellen Lage der Beamten hatte daher zur Zeit der Napoleonischen Kriege so zugenommen, daß die angeblich unabhängigen Staatsdiener des öfteren dem Wucher preisgegeben waren. Da die „gedrängten Umstände“ – so in einer Verordnung – die Beamten zu Schuldenmachen, Verpfändung der Gehälter, Pensionen etc. trieben, wurde die Verpfändung der Gehälter wahrscheinlich nicht zur Freude der Gläubiger – für ungültig erklärt und die Möglichkeit von Vorschüssen eröffnet98. Es ist verständlich, daß dieses System der permanenten Unterbezahlung eine – ebenso permanente – Verführung zur Unterschlagung und zur Bestechung darstellte. Die diesbezüglichen Verordnungen spiegeln die Verlegenheiten, des Problems Herr zu werden, recht gut wider. So geht aus einer Verordnung aus dem Jahr

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Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780–1825) (= Studien zur modernen Geschichte 21, München-Wien 1978). Erinnerung daran in Hofkanzleidekret vom 23. November 1822, FRANZ II. (I.) – GESETZE 50 (1822) 668–672, bes. 669 f. Zusammenfassung und Vereinheitlichung vor allem in Hofkanzleidekret vom 26. März 1829, ebd. 57/1 (1829) 112–116 (über die Grundsätze der Befreiung der Beamten vom Militärdienst). Die Gehälter der Beamten S. 172–196. Hofdekret vom 11. Februar 1794, FRANZ II. (I.) – GESETZE 4 (1794) 13 f., auch Hofdekret vom 18. September 1795, ebd. 7 (1795) 61 f., Patent vom 20. Oktober 1798, ebd. 13 (1798) 70 ff., Dekret der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, ebd. 14 (1799) 40 f., Dekret der Galizischen Hofkanzlei vom 19. April 1799, ebd., 98 ff., Dekret der Hofkanzlei vom 30. September 1799, ebd., 159 f.

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1782 hervor, daß Veruntreuungen in den Kreisämtern häufig vorkamen. Joseph II. behandelte das Problem pragmatisch. Er befahl, die Kassen zuzusperren99. Anscheinend hatten die Vergehen jedoch an Umfang zugenommen. In den Konsularämtern – zumindest der osteuropäischen Gebiete – gehörten (um 1806/07) Bestechungen wortwörtlich zum täglichen Brot der Beamten. Selbst der Generalkonsul in der Moldau, Hammer-Purgstall, mußte solche „Zumutungen“ – entsetzt – zurückweisen100. Auch die „Kassabeamten“, obwohl so sorgfältig ausgesucht101, waren nicht gefeit gegen Unterschlagungen, die öfters, so scheint es, sogar von mitleidigen Vorgesetzten gedeckt wurden102. Die Strafen für Bestecher wurden 1812 festgelegt103. Sie mußten allerdings 1847 – wiederum in einem Krisenjahr – erneuert werden. Als Strafen für Beamte „wegen Untreue“ wurden Entlassung und – was noch schwerer wog – der Entzug der Pension eingeführt104. Viele Beamte wurden straffällig – ein wirkliches Problem der Zeit, schließen wir aus der Zahl der Verordnungen, die sich mit dem Problem beschäftigen105. Eine echte Abhilfe schaffte erst die Gehaltsregelung von 1818, durch die den Beamten die Ausbezahlung der Einkünfte in feiner Münze dekretmäßig zugesichert wurde106. Die materielle Lage der Beamten wurde damit erheblich verbessert, was allerdings nicht lange dauerte. Nach 1828, als die Geldverknappung aufhörte und die Preise, besonders in den dreißiger Jahren, wieder stiegen, verschlechterte sich 99 100 101 102 103 104

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Verordnung für Böhmen vom 23. November 1782, JOSEPH II. – SAMMLUNG 5 (1782) 204. HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 159 f. Siehe Anm. 91. Dies geht aus folgenden Verordnungen hervor: Hofkanzleidekret vom 17. Jänner 1803, FRANZ II. (I.) – GESETZE 19 (1803) 244 f., und vom 2. September 1806, ebd. 27 (1806) 83. Hofkanzleidekret vom 5. Jänner 1812, ebd. 38 (1812) 16. Ah. Cabinets-Befehl vom 31. Dezember 1806, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (im Folgenden HHStA.), Kaiser-Franz-Akten, Karton 69 (alt 70) und Hofdekret vom 31. August 1817, FRANZ II. (I.) – GESETZE 45 (1817) 328 f. Hofdekret vom 15. Juli 1790, LEOPOLD II. – GESETZE 1 (1790) 380, Dekret der Vereinten Hofkanzlei vom 24. Juli 1806, FRANZ II. (I.) – GESETZE 26 (1806) 103 f., Hofkanzleidekret vom 16. Juli 1812, ebd. 39 (1812) 6 f., vom 5. September 1812, ebd., 64, vom 2. Juni 1814, ebd. 42 (1814) 83 f., vom 9. März 1815, ebd. 43 (1815) 133 f., vom 22. Mai 1815, ebd., 244 f., vom 15. Juli 1815, ebd., 285 f., vom 26. November 1815, ebd., 370 f., vom 3. Juni 1816, ebd. 44 (1816) 250 f., vom 31. August 1817, ebd. 45 (1817) 328 f., vom 20. Dezember 1819, ebd. 47 (1819) 453 f., vom 10. Dezember 1820, ebd. 48 (1820) 487, vom 21. Juni 1826, ebd. 54 (1826) 62 ff., vom 26. Juli 1826, ebd., 71, vom 10. März 1827, ebd. 55 (1827) 90 f., vom 29. März 1828, ebd. 56 (1828) 60 f., vom 20. März 1835, ebd. 63 (1835) 72 ff., vom 2. Jänner 1830, ebd. 58 (1830) 1 ff., vom 26. März 1830, ebd., 103, vom 20. Juni 1830, ebd., 154 f., vom 10. November 1831, ebd. 59 (1831) 208 f., vom 30. Mai 1832, ebd. 60 (1832) 145 f., vom 24. Oktober 1834, ebd. 63 (1834) 240 f. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 256.

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von neuem die Lage der Beamten107, die mit ihren für weitere Jahrzehnte kaum angepaßten Gehältern leben mußten108. Eine Flut von Gesetzen und Verordnungen über Gehaltsvorschüsse, Alimentationen, Quartiergelder, Diäten, Dienstreisegebühren, Reisepauschalien und Übersiedlungskosten (inklusive „Möbelentschädigungen“), vorübergehende Zuschüsse für kranke Beamte, Anrechnung von Vordienstzeiten etc. zeigt die Bemühung der Regierung, die materielle Lage der Beamten zu regeln. Ihre Masse ist unüberschaubar. Die Unzahl von gesetzlichen Bestimmungen besserte zwar die Lage der Beamten kaum, brachte ihnen nur das Flair zu den von Amts wegen Privilegierten zu gehören und der Verwaltung eine erhebliche Arbeitsvermehrung ein. Wie zu Josephs Zeiten waren die Grundprobleme die gleichen geblieben: Die Witwen waren nicht angemessen, die Söhne schlecht, die Töchter noch schlechter versorgt. Besonders in der Zeit der allgemeinen Preissteigerung in den 1830er Jahren soll ihre Lage katastrophal gewesen sein. Vor allem die Töchter der niederen Beamten besaßen kaum Vermögen. Damit war ihnen im allgemeinen auch das traditionelle Versorgungsinstitut der Ehe verschlossen, und sie waren oftmals, will man dem Zeitgenossen Beidtel glauben, entweder zum Dienst bei fremden Herrschaften oder gar zur Prostitution gezwungen109. Mit der Schaffung von „Privilegien“ wurde aber auch der Bürokratisierungsprozeß verstärkt: Die Verleihung von Privilegien bedurfte – verständlicherweise – der Kontrolle und damit Beamter, die sie ausübten, was wiederum Arbeitsvermehrung verursachte. So nahm auch die staatliche Kontrolle im Amt zu. Ein eigenes Disziplinarverfahren wurde für die gegen das Strafgesetz verstoßenden und daher straffällig gewordenen Beamten entwickelt. Es drohten Ermahnungen, Warnungen, Einziehung der Besoldung, Versetzung, Streichung der Vordienstzeiten, Suspension, Amtsunfähigkeit, Verlust des Rechtes auf Pension – auch für Witwen und Waisen110. Delikte, die Beamte in Ausübung ihres Amtes begingen, wogen besonders schwer. Es ist vielleicht übertrieben, von einem Sonderstrafrecht für Beamte zu sprechen, aber doch bezeichnend, daß im westgalizischen Strafgesetzbuch von 1796 und später im Strafgesetzbuch von 1803 „der Mißbrauch der obrigkeitlichen 107 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 257. 108 Roman SANDGRUBER, Lebensstandard und wirtschaftliche Entwicklung im österreichischen Neoabsolutismus (1848–1859). In: Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, hg. v. Herbert KNITTLER (Wien 1979) 383. 109 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 114, 198 und 257 f. 110 Siehe Anm. 105.

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Gewalt“ strafwürdig war bzw. der „Mißbrauch der Amtgewalt“ als Verbrechen galt111. „Tätliche Beleidigung in Ausübung eines Amtes“ wurde als Übertretung eingestuft112. Daneben entwickelte sich ein eigenes Disziplinarrecht für Unbotmäßige. Strenge Strafen wurden z. B. bei Nichtbeachtung der Amtsverschwiegenheit angedroht – ein Zeichen übrigens, daß das Amtsgeheimnis sehr oft nicht eingehalten wurde113. Wurde die Residenzpflicht gebrochen, wurde mit Gehaltsabzügen bestraft114. Einen Paß ins Ausland bekam ein Beamter überhaupt nur gegen Entrichtung einer Taxe. Zeitweise wurde in diesem Fall auch das Gehalt als Pfand zurückbehalten115. Mit Kreisbeamten verfuhr man besonders streng: Sie durften sich nur mit Erlaubnis des Kreisvorstehers aus dem Dienstort und nur mit Erlaubnis des Landespräsidenten aus dem Kreis entfernen116. Eine Neueinführung für die Diener des Staates war die Einsetzung einer Art Vorstufe einer Disziplinarkommission: Bei Entlassungen mußten mehrere (höhere) Beamte vorgesetzter Behörden über diese beraten. Heute ist die Disziplinarkommission umstritten, damals bedeutete sie jedoch eine Schutzmaßnahme für Beamte. Sie bewahrte sie vor einer willkürlichen Entlassung, die sonst von ihrem unmittelbaren Vorgesetzten abhing117. Die österreichischen Beamten vollbrachten damit eigentlich ein diplomatisches Meisterstück, die Unkündbarkeit, die in Österreich nicht ausgesprochen war, in die Amtspraxis zu schmuggeln. Man ging noch weiter. 1828 wurden die Voraussetzungen für die Verhängung von Suspensionen vom Dienst festgelegt. Die Suspension konnte verhängt werden, wenn die Sicherheit des Dienstes, das Ansehen des Amtes gefährdet waren und ein gesetzliches Ver111 10. Hauptstück des GESETZBUCHS ÜBER VERBRECHEN UND SCHWERE POLIZEIÜBERTRETUNGEN vom 6. September 1803. Ausdrücklich erwähnt als Verbrechen war das Übel der Geschenkannahme. 112 7. Hauptstück des Strafgesetzes von 1803. 113 Hofdekret vom 6. Februar 1793, FRANZ II. (I.) – GESETZE 2 (1793) 54 ff., vgl. Hofdekret vom 30. Jänner 1823, ebd. 51 (1823) 37 f. Sie berufen sich auf bereits erlassene Vorschriften vom 4. Februar 1807 und vom 31. Dezember 1810; dazu auch BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 116, und Josef Karl MAYR, Wien im Zeitalter Napoleons. Staatsfinanzen, Lebensverhältnisse, Beamte und Militär (= Abhandlungen zur Geschichte und Quellenkunde der Stadt Wien, Wien 1940) 180. 114 Gehaltskürzungen in Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 24. September 1809, FRANZ II. (I.) – GESETZE 32 (1809) 115. 115 Hofkanzleidekret vom 21. Jänner 1811, ebd. 36 (1811) 21. 116 Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 3. Jänner 1804, ebd. 21 (1804) 2 f. 117 Hofkanzleidekret vom 9. März 1815, ebd. 43 (1815) 133 f., und vom 3. Juni 1816, ebd. 44 (1816) 250 f.; auch Hofkanzleidekret vom 24. Oktober, ebd. 62 (1834) 240 f.

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fahren gegen Beamte eingeleitet wurde, das bei Schuldspruch mit Dienstentlassung verbunden war118. Doch auch hier wurden Schutzmaßnahmen eingebaut. Sowohl die „Rekursmöglichkeit“119 als auch die Einschaltung des Instanzenzuges120 konnten im Falle der Entlassung vom Beamten ergriffen werden. Der Schutz vor willkürlicher Entlassung und der Schutz vor willkürlichen Disziplinarverfahren121 gaben dem Beamten eine relativ gesicherte Position, auch wenn die Unkündbarkeit nicht positiv verankert war. Bei all der Misere, in der die Beamten lebten, hatte sich doch im Laufe der Jahrzehnte in aller Stille ihr arbeitsrechtlicher Schutz verfestigt. Wir erinnern uns, daß unter Joseph II. die Sitten rauher, die Kontrolle schärfer, der Ton unhöflicher und die Willkürmaßnahmen gegen Beamte weit ausgedehnter waren. Allerdings nur was das Amt betraf, das Privatleben seiner Beamten hatte den Regenten wenig interessiert. Joseph hatte nur eines im Auge gehabt, das war die Erfüllung des Dienstes. Nun ging es nicht allein darum, den Beamten an das Amt zu binden, sondern darüber hinaus bis in seine Privatsphäre hinein und über den Tod hinaus dem Staat zu verpflichten. Die Helden Regulus und Coriolan im Drama „Coriolan“, das bezeichnenderweise vom Dichterbeamten (oder Beamtendichter) Heinrich Joseph von Collin geschrieben wurde (und zu dem bekanntlich Ludwig van Beethoven eine Ouvertüre komponierte), können als Leitfiguren dieses – neuen Beamtenbildes gelten. Sie opfern ihr persönliches Glück freudig, weil es dem Staate dient, mit den Worten: „Der Tod wird Pflicht, weil es dem Staate frommt“122. Allenthalben wurden nun – und das ist neu – Maßnahmen zur sozialen Kontrolle des Privatlebens ergriffen. Dies zeigen eindrucksvoll die Eheverbote für arme Finanzbeamte, die im Jahre 1800 erlassen wurden. Ein explizites Eheverbot wurde allerdings nicht ausgesprochen, jedoch festgesetzt, daß die Witwen und Waisen aller jener Finanzbeamten, die unter 400, 300 bzw. 200 fl. verdienten (die Staffelung richtete sich nach den Dienstorten, die nach den Lebenshaltungskosten eingeteilt waren in: Wien, die Provinzhauptstädte und das flache Land), nach Ableben des Ehemannes nicht pensionsfähig sein würden. Als Ausnahme galten Beamte, „welche auf ihren abseits gelegenen Stationen zu 118 119 120 121 122

Hofdekret vom 29. März 1828, ebd. 56 (1828) 60 f. Hofkammerdekret vom 9. Juli 1835, FERDINAND I. – GESETZE 63 (1835) 270. Hofkanzleidekret vom 16. Juni 1843, ebd. 71 (1843) 167 f. Hofkanzleidekret vom 25. September 1843, ebd. 240. Dazu Roger BAUER, Kaiser Joseph und die – literarischen – Folgen. In: Wien und Europa zwischen den Revolutionen (1789–1848). 15. Wiener Europagespräch (= Wiener Schriften 39, Wien-München 1978) 27.

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ihrer Haushaltung, oft selbst zum Behufe ihrer Bedienstung einer Gattin unumgänglich bedürfen“123. Geheiratet durfte auch werden, wenn der Vater der Braut sich bereit erklärte, den monatlich fehlenden Betrag aus eigener Tasche auszugleichen124. Die Kontrolle erstreckte sich auch auf die Freizeit der Beamten, in der sie keinen oder nur sehr eingeschränkt „Nebenbeschäftigungen“ nachgehen durften125. Ja, die Disziplinierung betraf selbst den Tod: Den Witwen und Waisen von Beamten, die Selbstmord begangen hatten, wurde keine Pension ausbezahlt, zunächst deshalb, weil Selbstmord gegen das Strafgesetz verstieß. Als später dieses Delikt aus dem Strafgesetzbuch von 1852 endgültig eliminiert wurde, erschien sofort ein Erlaß, der kundtat, der Selbstmord eines Beamten werde in Hinkunft als „freiwillige Dienstentsagung“ angesehen126. Und damit verblieb es bei der früheren Regelung des Pensionsentzugs für Witwen und Waisen von Beamten, die durch Selbstmord aus dem Leben geschieden waren. Der Beamte hatte sich auch strikt jeder politischen Tätigkeit zu enthalten und auch keine politische Gesinnung zu manifestieren. 1801 wurde die Maßregel eingeführt, daß jeder Beamte vor Ablegung des Diensteides den Eid schwören muß­te, keiner geheimen Gesellschaft anzugehören127. Ein Jahr später schon wurde die Maßnahme verschärft: bei jedem Dienstwechsel128, später bei Verleihung eines jeden neuen Dienstcharakters129, mußte der Eid von neuem abgelegt werden, und bis zum Jahr 1848 (zum letztenmal 1837 erneuert130) wurde die Gewohnheit beibehalten. Eines wird deutlich: Der Staatsdienst hatte mittlerweile gegenüber dem späten 18. Jahrhundert eine andere Qualität erfahren. Im Jahr 1806, nach der Gründung des Kaisertums Österreich (1804), erließ Kaiser Franz [II.] I. eine Verordnung, die wir ebenfalls als „Hirtenbrief“ bezeichnen können. In diesem wird 123 Dekret der Finanzhofstelle vom 27. September 1800, FRANZ II. (I.) – GESETZE 15 (1800) 101. 124 Dekret der Finanzhofstelle vom 17. März 1801, ebd. 16 (1801) 29. 125 Erst 1835 wurde unter gewissen Umständen (wenn 1. nicht „Befangenheit im Amt“ aus der Nebenbeschäftigung abgeleitet werden könne, wenn 2. die Nebenbeschäftigung nicht der „äußeren Ehre des Ranges des Beamten“ widerstreite und 3. die Zeit, die sie in Anspruch nähme, nicht auf Kosten des Berufes ginge) die Ausübung von Nebenbeschäftigungen erlaubt; Hofkammerdekret vom 23. September 1835, FERDINAND I. – GESETZE 63 (1835) 359 f. 126 Erlaß des Finanzministeriums vom 30. August 1852, REICHSGESETZBLATT Nr. 172/1852. 127 Dekret der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 27. April 1801, FRANZ II. (I.) GESETZE 16 (1801) 78 ff. 128 Ministerialschreiben der Galizischen Hofkanzlei vom 19. Februar 1802, ebd. 17 (1802) 22 f. 129 Hofkanzleidekret vom 8. November 1816, ebd. 44 (1816) 146. 130 Präsidialdekret vom 27. März 1837, FERDINAND I. – GESETZE 65 (1837) 111.

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nun ein ganz anderer Typ des Staatsdieners präsentiert als Josephs rastloser, im Dienst des Staates aufgehender, kreativer Beamte; Franz verlangte ein ganz anderes Beamten­ethos als die priesterliche, eigenverantwortliche Hingabe des Beamten zu Josephs II. Zeiten. Bezeichnend ist, daß in dieser „Vorschrift über die allgemeinen Pflichten und besonderen Obliegenheiten der Stellen und Beamten und über die wechselseitigen Befugnisse und Verbindlichkeiten der Oberen und Untergebenen“, die Kaiser Franz 1806, also ein Vierteljahrhundert nach Erlaß des „Hirtenbriefes“ Josephs II., ergehen ließ,131 schon im § 1 „Subordination, Ehrerbietigkeit“ als das „erste, wesentlichste und unentbehrlichste Band einer jeden Gremial-Verfassung und Amtgenossenschaft“ bezeichnet wurden. Das personalistische Prinzip war, wie auch sonst aus diesem Kabinettsschreiben hervorgeht, an die Stelle des Staatswohls ­Josephs II. getreten. Über den Wirren der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege war der Monarch wieder die beherrschende Figur geworden.132 Es gab keinen Zweifel, daß die ungeteilte Herrschaft beim Monarchen lag. In den Lehren über das Beamtentum kommt die Einstellung zum Ausdruck – am besten vielleicht bei Nikolaus Thaddäus Gönner, einem Landshuter Professor, der die bayrische Dienstpragmatik von 1805 mit seiner Schrift „Der Staatsdienst aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der Nationalökonomie“ theoretisch begründete: „Es ist kein leerer Name, wenn man sagt, der Staatsdiener habe Gloriam obsequii; ich verstehe darunter seine Verbindlichkeit, die Befehle des Regenten oder der vorgesetzten Behörden in seinen Amtssachen ohne Rücksicht auf seine Privatmeinung zu befolgen“133. Gehorsam war Glaubenssache, war zur Leitformel jeder Beamtenethik geworden. Daß dieser „blinde Gehorsam“, Gönner selbst verwendete diesen Ausdruck, jede persönliche Verantwortung des Beamten ausschloß, geht aus der Vorschrift Kaiser Franz’ eindeutig hervor. Eventuelle Gewissenskonflikte und daraus resultierende Meinungsäußerungen werden mit dem Hinweis auf den verantwortlichen Regenten aus der Welt geschafft: „Mit dem Vorwande, daß man der Wahrheit nie ungetreu werden, und sein Gewissen retten müsse, läßt sich dieses bei Beamten doppelt pflichtwidrige und mit den nachteiligsten Folgen für den Staat verbundene Benehmen keineswegs rechtfertigen.“Wer nicht berufen sei, seine Meinung zu äußern, solle schweigen, müsse sich aber jemand von Amts wegen erklären, so möge er dies deutlich und klar tun und – so 131 Ah. Cabinets-Befehl vom 30. Dezember 1806, HHStA., Kaiser Franz-Akten, Karton 69 (alt 70). 132 Siehe bezüglich des deutschen Beamtentums: HATTENHAUER, Beamtentum, 188–193. 133 Zit. ebd., 189.

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lautete das Fazit – „wurde seine Meinung nicht angenommen, so hat er das Seinige redlich getan und sein Gewissen gerettet; er muß von der bereits erfüllten Pflicht des aufrichtigen Rates zur Pflicht des gehorsamen und getreuen Untertans übergehen“134. Erwähnenswert ist übrigens, daß in diesem Zusammenhang der Begriff der Weisung in der Bedeutung der Dienstanweisung verwendet wurde. Damit war das absolute Weisungsrecht des Monarchen (Vorgesetzten) und die strenge Gehorsamspflicht des Beamten kreiert – wichtige Kriterien des Staatsdienstes –, die im eigentlichen den „gewissenlosen Beamten“ schufen, der sich einzig und allein daraus ein Gewissen machen mußte, ob er, so meint Hattenhauer, genügend Gehorsam geleistet hatte. Für alle Fehler und Nachlässigkeiten im Dienst war der Beamte nach Gönner allein dem Regenten/Vorgesetzten haftbar.135 (Im österreichischen ABGB ist zwar im § 1299 ein gewisser Schutz der Bürger vor den „Kunstfehlern“ der Sachverständigen eingebaut, der allerdings nicht für die Bürokratie, sondern für die Ausübung von Diensten Dritter galt136.) Den Begriff der Amtshaftung gab es rechtlich nicht, doch stellte sich das Problem in der Praxis sehr bald. Zu dieser Einstellung paßte auch die strikte Zuwendung zum Kollegialitätsprinzip. Dies war zwar nie aufgegeben worden, doch unter Joseph II. war die Macht der „Chefs“ erweitert worden137. In der „Vorschrift“ Kaiser Franz’ von 1806 (§ 6) wird auf die Einhaltung des Kollegialitätsprinzips wieder größter Wert gelegt138: Die Beratung „im Gremium“ besitzt zwar einen gewissen konstitutionellen Anstrich, sieht nach Teilung der Macht aus, in Wirklichkeit waren aber die Räte und Beamten dadurch praktisch von der Übernahme jeder persönlichen Verantwortung bewahrt. Der Vortrag eines Referenten diente – wollen wir dem Beamten Beidtel glauben – zu nichts anderem, als sich von den Folgen der Verantwortung seines Antrages, der „zum Ratsschluß erwachsen“ war, reinzuwaschen139. 134 § 3 des Ah. Cabinets-Befehls, siehe Anm. 131. 135 Bei HATTENHAUER, Beamtentum, 190 f. 136 ABGB, II. Teil, 30. Hauptstück, § 1299. 137 Punkt 7 und 8 des „Hirtenbriefes“, WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 127; auch „Befugnisse des Landeschefs bezüglichen Versetzungen, Suspensionen …“, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 985–961. 138 Ah. Cabinets-Befehl von 1806, zit. in Anm. 131. 139 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 27. Da das Kollegialitätsprinzip eine alte Behördenpraxis war und der „Ratsschluß“ nur dazu diente, den Monarchen in seinen Entscheidungen zu unterstützen, das Gremium selbst aber jeglicher Verantwortung zu entbinden, ist Hans Hattenhauer nicht ganz oder nur bedingt zuzustimmen, wenn er meint, bei der Einführung der Kollegialität hätte es sich zugleich um die Durchsetzung des bürgerlichen Leistungsprinzip gehandelt

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Man wußte im übrigen, gerade was die sachliche Beratung betraf, um die menschlichen Schwächen der Beamten und um die Schwierigkeiten, persönliche Meinung von Amtsmeinung zu trennen, und propagierte die strikte Trennung von Amt und Person. Die klassische Formulierung dieses Prinzips, das seit damals wesentlicher Bestandteil des Beamtenethos ist, finden wir in Schillers Wallenstein (1799): „Ich hab’ hier bloß ein Amt und keine Meinung“. Mit der Verpflichtung zum unbedingten Gehorsam, sogar gegen das eigene, bessere Wissen und Gewissen, gilt aber für den Beamten die – verglichen mit den anderen Staatsbürgern des absolutistischen Regimes – doppelte Verpflichtung, Untertanengehorsam zu leisten, weil er mehr als die anderen Staatsbürger dem System verpflichtet war. Diese grundlegende Forderung an das Ethos des Beamten sollte sich allerdings auch später in der „konstitutionellen“ Zeit nicht ändern. Dieses Ethos erforderte nicht nur bestimmte Kenntnisse, von denen bereits die Rede war, sondern auch besondere Eigenschaften charakterlicher und moralischer Natur, die als „Conduite“ bekannt wurden. Die Wertinhalte der „Conduite“ verschoben sich freilich von Zeit zu Zeit. Unter Joseph II. war, wir erinnern uns, der im Amt rastlos innovative Beamte gefragt, der mit priesterlicher Hingabe Leistungen im Dienste des Reformprogramms zu erbringen hatte. Von „Moral“ im Privatleben war in den Verordnungen, die Joseph II. herausgab, wenig die Rede gewesen. Vielleicht war dies nicht notwendig erschienen, weil die Beamten sowieso ein tadelloses Privatleben führten, vielleicht – was wahrscheinlicher ist – hatte Joseph II. darauf keinen Wert gelegt140 – jedenfalls ist im Kontrast dazu auffällig, daß um die Jahrhundertwende der Begriff Conduite mit einem anderen Ideal verbunden wurde: Zu dieser Conduite gehörten nun nicht mehr in erster Linie wie früher besondere Kenntnisse oder Leistungen, sondern vor allem „ausgezeichnete Moralität“ und „Religiosität“141. Den Amtsvorstehern wurde daher zur „strengsten Pflicht“ gemacht, auf das „sittliche, religiöse und moralische ebenso wie auf das dienstliche Betragen ihrer Untergeordneten unausgesetzt zu sehen“ und „den

(HATTENHAUER, Beamtentum, 202). Vgl. auch Max Weber, der die monokratische Struktur als Kennzeichen einer modernen Bürokratie hält, Max WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Mit einem Anhang: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, hg. v. Johannes WINCKELMANN, 1 (Tübingen/Köln 41956; Tübingen 51976) 124 ff. 140 Siehe S. 49. 141 Zum Beispiel Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 9. Juli 1808, FRANZ II. (I.) – GESETZE 31 (1808) 14 ff.

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Hang zu Ausschweifungen“ zu stoppen142, vor allem auch – wie gesagt wurde – der Beispielwirkung auf die Untertanen wegen. Wichtig dafür hielt man den regelmäßigen sonntäglichen Kirchgang, zu dem streng ermahnt wurde143. Auch die Familienmitglieder wurden in diese Idealvorstellung miteinbezogen. Die Witwen sollten „von tadelsfreier Aufführung“ sein144, wollten sie Pensionen, die Töchter „tugendhaft“, wollten sie Stipendien für Töchterinstitute erhalten145. Dagegen wurden etwa Weiterbildung oder besondere Leistungen im Dienst in den Verordnungen nicht zum Thema gemacht. Auf das Beamtenethos bezogen, galt der gehorsame, brave Beamte, der Befehlsempfänger, der ohne zu fragen seine Pflicht tat und der Regierung behilflich war, keine Veränderungen herbeizuführen, als Idealbild und nicht etwa, wie noch einige Jahrzehnte zuvor im josephinischen Jahrzehnt, der verantwortliche Idealist, der Reformen initiierte. Polizeiliche Kontrolle überwachte die Beamten und versetzte sie in Angst und Schrecken.146 Diese Zustände sollten schwerwiegende Folgen für die Beamtenschaft haben.

1.3. Die Zeit der Erstarrung Ab den 1830er Jahren erweckt das bürokratische System in Österreich den Eindruck völliger Unbeweglichkeit. In der Organisierung war ein Stillstand eingetreten: Ab diesem Zeitpunkt wurde keine neue Maßnahme, keine Initiative zum weiteren Ausbau der bürokratischen Institution als solche gesetzt. Gewiß, diese war in ihren wesentlichen Grundzügen ausgebildet. Aber stellte sie deswegen auch ein funktionsfähiges, modernes System dar, das den Bedürfnissen von Gesellschaft und Staat gerecht werden konnte? Die kollegiale Verwaltung, schwerfällig agierend und auch von Zeitgenossen als veraltet empfunden,147 war bestehen geblieben, ebenso die Patrimonialverwaltung in unterster Instanz. Allerdings war man längst schon damit unzufrieden,148 und alle Beteiligten verlangten Reformen. Die Verstaatlichung der gerichtlichen Verwaltung auch in der untersten Instanz wurde jedoch vor 1848 nicht mehr durchgeführt. Das Problem 142 143 144 145 146

Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 25. Jänner 1804, ebd. 21 (1804) 15 f. Ebd. und Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 12. April 1810, ebd. 33 (1810) 169. Dekret der Finanzhofstelle vom 5. Mai 1801, ebd. 6 (1801) 82 f. Hofdekret vom 7. Juli 1802, ebd. 18 (1802) 5 ff. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, klagt immer wieder über die polizeiliche Überwachung, z. B. 116. 147 Ebd. 27 f. 148 Näheres S. 92 f.

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sollte erst durch die neue Verwaltungsorganisation, die in der Folge der Revolution von 1848 zustande kam, gelöst werden, die vormärzliche Verwaltung war dazu nicht imstande. Die Entwicklung der zwar mangelhaften, aber doch sehr lebendigen, dauernd in Veränderung begriffenen Institution Bürokratie stagnierte. Man griff immer wieder auf alte Verordnungen zurück. Die Zahl und vor allem der Inhalt der die Bürokratie betreffenden Verordnungen dieser Jahre spiegelt deutlich diesen Stillstand wider. Es gab zwar einige Anläufe, die zeigen, daß man sich der Bedeutung guter Beamter für den Staat bewußt war. Im Jahr 1840 wurde – zum erstenmal seit Ende des 18. Jahrhunderts in dieser Deutlichkeit – das Anciennitätsprinzip in Frage gestellt und gefordert, daß bei Besetzungen, vor allem der höheren Dienstposten „hauptsächlich auf Fähigkeiten und Diensteskenntnisse Rücksicht zu nehmen“ sei. „Das höhere Dienstalter“, so die Verordnung, „könne nur bei gleichen Fähigkeiten, gleichen Geschäftskenntnissen und Vertrauenswürdigkeit eine mehrere Rücksicht gewähren“149. Es hatte sich herausgestellt, daß die strikte Anwendung des Anciennitätsprinzips zur Erstarrung im Dienst geführt hatte und nicht gerade ein ideales Ausleseverfahren darstellte. Eduard Hanslick, der berühmte und gefürchtete Musikkritiker, der sich in seiner Jugend für die Beamtenkarriere entschieden hatte, gibt die Anciennität als einen der Beweggründe für seine Entscheidung an: „Nicht als ob sie [die Beamtenkarriere] eine schnelle oder glänzende Versorgung versprach – … Aber der kaiserliche Beamte hatte in dem absolutistischen Österreich eine vorzügliche geachtete und in der Regel ziemlich gesicherte Stellung; man avancierte nach der Anciennität, hatte also keine Nötigung, sich übermäßig anzustrengen oder auszuzeichnen … . Mir speziell verhieß die Beamtenlaufbahn mehr als jede andere, hinreichend Muße für meine musikalischen und literarischen Bestrebungen, denn nur diesen gehörte meine Neigung …“150 Allerdings, das sei hier hinzugefügt, wurde die Einhaltung des Anciennitätsprinzips oft genug Protektionskindern wegen durchbrochen, was zur Verbitterung vieler Beamter führte. Hammer-Purgstalls Erinnerungen beispielsweise sind voll von Klagen über, wie er vermeinte, ungerechte Zurücksetzungen.151

149 Hofkanzleidekret vom 23. Jänner 1840, FERDINAND I. – GESETZE 68 (1840) 19. 150 Eduard HANSLICK, Aus meinem Leben. Mit einem Nachwort hg. v. Peter WAPNEWSKI (Kassel-Basel 1987) 30 f. 151 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 227–232 und 236, 270 f.

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Die Besetzungspolitik hinsichtlich der Beamtenposten war sicher denkbar unglücklich, ein Faktum, über das einhellig geklagt wurde. Sie verbesserte die Funktionsfähigkeit der Bürokratie nicht. Man ging angeblich eher nach Protektion als nach Qualität vor. Metternichs Kriterien bei der Anstellung von Diplomaten beispielsweise werden von Hammer-Purgstall voller Verbitterung geschildert. Hammer erhielt, als er Metternich zu verstehen gab, daß er als Türkeiexperte à la longue den Posten eines Internuntius in Konstantinopel anstrebe, die Antwort: „So lange ich Minister bin, kommen Sie nicht nach Konstantinopel. Ich kann bei den von mir auf Ministerposten verwendeten Subalternen weder vorzüglichen Geist noch ausgezeichnete Kenntnisse brauchen, ich brauche charakterlose Maschinen. Sie taugen nicht zum Diplomaten durch Ihren Charakter. Sie haben Phantasie und poetisches Talent. Um Gottes willen! Nur keine Poeten in Geschäften.“ Hammer: „Ich schrieb das Werk über die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches, um meine Kenntnisse desselben zu beweisen.“ Der Fürst: „Wer das Osmanische Reich so gut kennt wie Sie, könnte doch nur ein elender – das ist nicht das Wort – nur ein gefährlicher Internuntius werden … Leute von Charakter, wie Sie, haben eine sehr beschränkte Laufbahn …“152 Diese Formulierungen erscheinen drastisch (waren vielleicht auch von Metternich mehr als Ärgernis für Hammer denn ernst gemeint), dürften jedoch am Kern der Besetzungspolitik mancher Behörden nicht ganz vorbeigegangen sein. Ab den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden bezüglich des bürokratischen Systems überhaupt keine neuen Impulse mehr gesetzt. Am meisten beschäftigte man sich noch mit dem sozialrechtlichen Privilegierungssystem, jedoch auch das nur in einem sehr bescheidenen Maße: die Statuierung des Rechts der höheren Beamten, ab einem gewissen Dienstrang bei Dienstreisen die 1. Klasse der Eisenbahn zu benützen,153 mutet eher komisch an, da es noch als Relikt in unsere Zeit reicht. Schwerer wog, wie bereits erwähnt, daß der Schutz vor Disziplinarstrafen und willkürlicher Entlassung weiter ausgebaut wurde154. Vor allem fällt auf, daß besondere Aufmerksamkeit sozialrechtlichen Detailbestimmungen, der Regelung des Pensionssystems für Witwen sowie männliche und weibliche Waisen etwa, zuge-

152 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 236. 153 Hofkammerverordnung vom 14. Februar 1845, FERDINAND I. – GESETZE 73 (1845) 21. 154 Der Beratung über eine Dienstentlassung mußten zwei Justizräte beigezogen werden. Das Veto von auch nur einem dieser beiden Justizräte gegen die Entlassung genügte, um die Angelegenheit an die nächsthöhere Behörde weiterzuleiten. Hofkanzleidekret vom 16. Juni 1843, ebd. 71 (1843) 167 f., und Hofkanzleidekret vom 25. September 1843, ebd., 240.

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wendet wurde.155 Offenbar war es noch immer angezeigt – obwohl von verschuldeten Beamten im Gegensatz zu früher kaum mehr die Rede ist –, Pensionisten das Existenzminimum zu sichern und die gerichtliche Verpfändung von Pensionen unter 100 Gulden zu verbieten.156 1845 wurde den Beamten „neuerlich die strengste Geheimhaltung der Amtsgeschäfte nachdrücklichst eingeschärft“157, weil es offensichtlich notwendig war; der Eid, keiner geheimen Gesellschaft anzugehören, blieb bestehen, wenn er auch ab 1837 nur noch von neu eintretenden Beamten und bei Vorrückungen zu unterschreiben (und an den Kaiser weiterzuleiten) war158. Trotz allem wird deutlich, daß Zeichen von Lockerungen gesetzt wurden: So wurden unter bestimmten Bedingungen Nebenbeschäftigungen inklusive der Erteilung des Privatunterrichts wieder erlaubt159, eine Maßnahme, die allerdings wegen der Verschlechterung der materiellen Lage der (vor allem kleinen und mittleren) Beamten notwendig geworden war, die in den Nachmittagsstunden (nach 14 Uhr) einen Nebenberuf versahen, Rechnungsrevisionen, Haus- und Güterinspektionen, Schreibarbeiten bei Advokaten etc. durchführten160. Der Beitritt zu wissenschaftlichen Vereinen wurde unter bestimmten Umständen gestattet161 und auch die Erlangung für Reisepässe, um ins Ausland zu reisen, scheint in den späteren 1840er Jahren eher möglich gewesen zu sein als in den früheren Jahrzehnten162. 155 Siehe z. B. Hofkammerdekret vom 10. Juli 1835, ebd. 63 (1835) 274, Hofkammerdekret vom 26. Mai 1835, ebd., 189, Hofkammerdekret vom 9. Jänner 1839, ebd. 67 (1839) 51 f. und 114, Hofkammerdekret vom 21. Jänner 1840, ebd. 68 (1849) 18 f. und 190, Hofkanzleidekret vom 19. Juni 1840, ebd., 250, Hofkammerdekret vom 2. Jänner 1841, ebd. 69 (1841) 3 ff., Hofkammerdekret vom 24. September 1841, ebd., 297, Hofkammerdekret vom 19. März 1842, ebd. 70 (1842) 132 f., Hofkammerdekret vom 11. Mai 1842, ebd., 167, Hofkammerdekret vom 15. September 1842, ebd., 241 f., Hofkammerdekret vom 26. Jänner 1843, ebd. 71 (1843) 7, Hofkammerdekret vom 25. Jänner 1844, ebd. 72 (1844) 26 f., und vom 3. August 1844, ebd., 168 f., Hofkammerdekret vom 7. Oktober 1845, ebd. 73 (1845) 161, Hofkammerdekret vom 20. November 1847, ebd. 75 (1847) 155. 156 Hofkanzleidekret vom 6. Mai 1839, ebd. 67 (1839) 83 f. 157 Hofkanzleidekret vom 11. Mai 1845, ebd. 73 (1845) 88. 158 Hofkanzleipräsidialverordnung vom 27. März 1837, ebd. 65 (1837) 111. 159 Hofkanzleidekret vom 23. September 1835, ebd. 63 (1835) 359 f., und Dekret der Studienhofkommission vom 5. März 1844, ebd. 72 (1844) 67. 160 (Ferdinand Graf SCHIRNDING, anonym), Oesterreich im Jahr 1840. Staat und Staatsverwaltung, Verfassung und Cultur. Von einem Staatsmanne 1 (Leipzig 1840) 90 f. 161 Vgl. z. B. Verordnung der Hofkammer für Münz- und Bergwesen vom 8. April 1845, FERDINAND I. – GESETZE 73 (1845) 60 ff. 162 Ah. Erlaß vom 2. Juni 1846, ebd. 74 (1846) 132, und Hofkanzleidekret vom 27. August 1847, ebd. 75 (1847) 127.

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Diese Anläufe nützten allerdings nicht viel. Das bürokratische System war durch kosmetische Maßnahmen nicht mehr zu korrigieren. In den 1840er Jahren erschienen, wie wir wissen, vermehrt und meist im Ausland anonyme Schriften von unzufriedenen Österreichern, die sich mit dem vormärzlichen System kritisch auseinandersetzten163. In fast allen diesen Schriften nehmen Beamte und Bürokratie einen prominenten Platz ein. Sie werden darin durchwegs so negativ beschrieben, daß man versucht ist, dem funktionsunfähigen bürokratischen System die hauptsächliche Schuld am Ausbruch der Revolution von 1848 zu geben. Stellvertretend für die vielen anderen negativen Beurteilungen soll hier die Analyse aus den „Briefen aus Wien“ zitiert werden, vor allem weil sie von einem Beamten stammen.164 „Die Quelle des Formalismus ist übrigens die Unbekümmertheit der Beamten um das Wohl des Staates, des Publikums und deren hauptsächliches Bemühen, sich selbst den Rücken zu decken … keine Stelle, kein Beamter der Stelle will die ganze Verantwortlichkeit auf seine Schultern laden … Viele der Angestellten erheben sich zu keiner reineren Anschauung des Staates, als ob er lediglich eine Domäne des Kaisers wäre. Diese arbeiten seelenlos, wie ordinäre Wirtschaftsbeamte. Bei den intelligenteren waltet ein pfiffig süßlicher Servilismus. Die meisten sind mechanische Köpfe, die in ihrem Leben so wenig über ihre politische als rein menschliche Bestimmung nachgedacht haben. Übrigens wäre die Kapazität der höheren Beamten immer noch eine erträgliche. Allein diese gleicht einem Haupte ohne Bauch und Beine, wenn nicht der Fleiß und die Redlichkeit der Subalternen das Übrige hinzutun. Leider ist es mit dieser Klasse wahrhaft erbärmlich bestellt …“ Sie litte, so meint unser Autor, der unter „Subalternen“ offensichtlich auch jüngere juridisch vorgebildete Beamte versteht, an Indifferenz gegenüber dem allgemeinen Wohl, zeige Härte gegenüber den Parteien, „Kleinkrämereien und Plackereien“, nach „oben“ oder „unverschämte Kriecherei und ansonsten Bestechlichkeit“. Es kämen höchstens zehn ehrliche Männer auf zwanzig Egoisten und Faulenzer. Folgende Gründe werden von Tuvora für diese katastrophale Entwicklung des bürokratischen Systems angeführt165: 163 Zum Beispiel (Victor von Andrian-Werburg, anonym), Oesterreich und dessen Zukunft 2 Bde. (2. Auflage Hamburg 1843 und 1847); (Anonym), Sociale und politische Zustände Oesterreichs mit besonderer Berücksichtigung auf den Pauperismus (Leipzig 1847); (Carl MÖRING, anonym), Sibyllinische Bücher aus Oesterreich, 2 Bde. (Hamburg 1848); der (Anm. 160) erwähnte SCHIRNDING, etc. 164 (Franz TUVORA, anonym), Briefe aus Wien von einem Eingeborenen 2 (Hamburg 1844) 222 f. 165 Ebd., 226–239.

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Die Mangelhaftigkeit der Ausbildung, die an der Universität geboten würde. Der mangelnde Überblick über das Gesamte der Administration. Die zu geringe Besoldung, die zu wenig Ansporn böte. Der „Absolutismus und Jesuitismus“ der Regierung, die letztlich auch für die Beamtenhierarchie verantwortlich wären – und nicht umgekehrt. Das Protektionswesen; „der Speichel dieses abscheulichen Unholds beleckt hier beinahe alle Karrieren“, meint der Autor emphatisch, der sich sonst eher einer gemäßigten Sprache befleißigt. Offensichtlich hielt er das Protektionswesen für besonders verderblich (was im übrigen auch Schirnding bestätigt166). Die Besetzung der Spitzen der Behörden mit Aristokraten, die hindere, „daß jemals edler, geläuterter Bürgergeist das beseelende Prinzip einer Behörde“ werde. Die schnelleren Karrieren dieser Adeligen, die finanziell imstande wären, auf ihr Gehalt zu verzichten. Die pedantische, mechanische Arbeitsmethode. Die Anstellungspraktiken, die allein von den Unterbehörden und dazu nur schlecht ausgeübt werden. Das Bestechungswesen, das angeblich unter den Finanzbeamten am stärksten grassierte.

Preußen, die anderen deutschen Staaten und Frankreich litten alle an denselben Übeln der bürokratischen Auswüchse, meinte der Zeitgenosse Tuvora, Österreich aber doppelt, weil hier die Bürokratie besonders schlecht organisiert sei167. Angesichts all dieser Mängel war eine grundlegende Reform notwendig. Die oben zitierten kosmetischen Operationen nützten nichts mehr. Das Übel lag im Zusammenhang von absolutistischem System und Bürokratie.

1.4. Zusammenfassung: Versuch einer Periodisierung Analysieren wir den Inhalt der Verordnungen in der Periode zwischen 1780 und 1848 in der zeitlichen Abfolge, versuchen wir Schwerpunkte herauszukristallisieren, so zeichnen sich deutlich verschiedene Stadien der Entwicklung ab: Das josephinische Jahrzehnt ist als die Epoche der stürmischen Entwicklung zu bezeich166 (SCHIRNDING), Oesterreich 1840 1, 85 f. 167 TUVORA, Briefe , 225.

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nen. Eine Systematisierung wurde in die Wege geleitet, Regeln durchgeführt, um eine bürokratische Ordnung zu gewährleisten. Diese Reformepoche ging im eigentlichen bereits im ersten Jahrzehnt der franziszeischen Regierungszeit zu Ende. Dem Amt war der letzte Nimbus von Privatheit genommen worden: Die Trennung der Amtsmittel von den Privatmitteln war weitgehend vollzogen, das Privatleben des Beamten von seinem Amtsleben scharf getrennt. Äußeres Symbol dafür ist die lokale Differenzierung von Amt und Wohnung, die seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts überall durchgeführt war168. In der maria-theresianischen Zeit war es mitunter noch vorgekommen, daß die Beamten in ihren Hofwohnungen ihre Amtsgeschäfte verrichteten. Seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts, seit der Aufhebung des Hofquartiersystems, hatte diese Sitte vollkommen aufgehört, die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung war strikte vollzogen. Die wichtigsten Bestimmungen mit den am weitesten reichenden Konsequenzen, die eine starke Veränderung der Institution Bürokratie und eine soziale Umorientierung der Beamtenschaft zur Folge hatten, waren die Einführung der Anciennität und die Bindung der höheren Beamtenposten an eine Universitätsbildung. Heute betrachten wir das vieldiskutierte Anciennitätsprinzip eher als leistungshemmend. Damals wurde es für das Gegenteil, nämlich zur Förderung der Leistungssteigerung, erlassen. Ausgehend von der Ansicht, daß Erfahrung im Amt die Geschäfte eher steigere als ein noch so klingender Adelstitel, war die heute so umstrittene Anciennität169 ein fortschrittliches Element gegenüber der alten Patrimonialbürokratie, die aufgrund des Standes und Geschlechtes und nicht nach Kenntnissen verwaltete, und Adel, finanzielle Mittel, Zugehörigkeit zu bestimmten Familien die Voraussetzung für die Auszeichnung war, dem Staat dienen zu dürfen. In diesem Sinn war es nur konsequent, daß auch die Universitätsbildung den Adel als Berufsvoraussetzung ablöste. Langsam und schrittweise setzte sich die Gewohnheit durch. Immer schon, und im Laufe der Zeit mehr und mehr, hatten gelehrte vorwiegend bürgerliche Juristen an der Verwaltung teilgenommen.170 Nun aber wurde der beamtete Jurist zur Regel, und der mit gesetzlichen und technischen Kenntnissen ausgestattete Beamte trat an die Stelle des Ideals des „Gentleman“ – der Prozeß Professionalisierung hatte begonnen. 168 Ernestine WANIEK, Beamtenwohnung, 62 f. 169 Mit der Diskussion beschäftigen sich die meisten Beiträge in: Die Diener des Staates. Das bürokratische System Österreichs, hg. v. Günther ENGELMAYER im Auftrag der Gewerkschaft (Wien 1977), vor allem jene von Ludwig ADAMOVICH, Heinz FISCHER, Heinrich NEISSER, Herbert SCHAMBECK. 170 HATTENHAUER, Beamtentum, 103 ff.

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Daß damit auch das Prinzip der Leistung in den Mittelpunkt trat, zeigen die unermüdlichen Aufrufe zu Anstrengung und Taten171. (Wir haben allerdings zahlreiche Beweise, daß Joseph sein System selbst durchlöcherte: Er förderte den unfähigen Sohn Kaunitz’ in der Staatsdienstkarriere und sandte unfähige Beamte nach Ungarn172, was das Ansehen des Regierungssystems dort sicherlich nicht steigerte.) Mit der Einführung des Leistungsprinzips war auch das Bedürfnis nach Kontrolle gewachsen – bei Joseph allerdings weniger in Form der hierarchischen als der gegenseitigen Kontrolle und der Förderung des monokratischen Faktors, indem dem „Chef“ mehr Befugnisse eingeräumt wurden173, als er je zuvor oder auch nachher (bis zum Jahr 1848) hatte. Dies sollte der Steigerung von Kontrolle und Leistung dienen. All jene Faktoren, die als kennzeichnend für die Entwicklung der Bürokratie im modernen Staat bezeichnet werden174, bildeten sich in dieser Zeit in der österreichischen Bürokratie aus: die Differenzierung der Funktionen, die gleichzeitigen (gelungenen) Versuche, trotz der Differenzierung zu integrieren und daher zu zentralisieren, das streng hierarchische Prinzip verbunden mit Disziplin und einem eigenen Standesbewußtsein, das Prinzip, der Eignung zum Amt genauso wie das damit verbundene Prinzip der Objektivität (oder Sachlichkeit), der Präzision und Kontinuität, Kriterien, die mit Expertentum eng verbunden sind. Die Institution im modernen Sinn war nahezu perfekt, aber auch mit all den ihr eigenen Schwächen behaftet. Es zeigte sich bereits die Unvereinbarkeit der Idee der Öffentlichkeit mit dem übertrieben gehandhabten Prinzip der Diskretion und des Amtsgeheimnisses sowie von Anciennität und Leistung, um nur zwei Unzulänglichkeiten der Institution Bürokratie, die seit damals als brisant gelten, herauszugreifen175. Die Schwächen bedeuteten zugleich die allmähliche Schwächung des Systems. Spätestens nach Erlaß der „Ausbildungs- und Dienstprüfungs-Verordnungen“ war die Zeit der rasanten Entwicklung, in der neue Impulse gegeben wurden, vorbei. Der Prozeß der Bürokratisierung hatte begonnen. Um die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts folgte eine Periode, in der Ausbau, Umbau oder Reformtätigkeit hinsichtlich der bürokratischen Institutionen gänzlich eingestellt wurden. Der absolute Stillstand hatte politische Dimensionen, ging Hand in Hand mit den 171 172 173 174

Siehe beispielsweise die einschlägigen Stellen im „Hirtenbrief“, zit. S. 26, Anm. 3. MITROFANOV, Joseph II., 585. Siehe S. 29, Anm. 13. Carl J. FRIEDRICHS, Der Verfassungsstaat der Neuzeit (= Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1953) 40–64. 175 Siehe dazu S. 348–357.

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Maßnahmen, die Restauration zu gewährleisten. Das wahrscheinlich wichtigste Experiment innerhalb dieses Bürokratisierungsprozesses, das schließlich zugleich zum Garanten und auch zum wesentlichen Merkmal von Bürokratie wurde, war, daß sowohl Weisungsrecht als auch die Gehorsamspflicht (selbstverständlich in der Praxis auch schon vorher gehandhabt) die gesetzliche formelle Ausformung und ideologische Untermauerung erfuhren. Ein weiteres wichtiges Merkmal: Die Kontrolle wurde einerseits verstärkt, andererseits dehnte man die privilegierenden Maßnahmen aus. Das System der Privilegierung und Disziplinierung, ausgebildet durch eine unübersehbare Reihe von Detailverordnungen, funktionierte perfekt: Es verpflichtete die Beamten einerseits mehr als andere Staatsbürger dem Staat, andererseits sicherte es der Bürokratie Herrschaft und Ansehen. Es lag im Interesse des Staates, wollte man die Beamten aus dem Volk – als Vertreter des Staates – herausheben und ihnen Autorität sichern, ihnen auch gewisse Vorrechte zu verleihen. Wir finden daher Ansätze zu dem, was wir heute Sozialgesetzgebung und Arbeitsrecht nennen. Johann Georg Megerle von Mühlfeld, der erste Herausgeber einer Sammlung der Beamtengesetze, nennt als Zweck seines Unternehmens, dem Beamten „die notwendigen Behelfe zur Verfechtung der ihm und den Seinen wirklich zugesicherten, und oft nur aus Unwissenheit nicht in Anspruch genommenen Rechte darzubieten“176. In seinem Handbuch von 1824 gibt es ein Kapitel „Besondere Rechte und Vorzüge“177, in dem folgende Privilegien angeführt werden: „Abgabenbefreiung“, Aushilfen, Beförderungen und Belohnungen, Besoldungsvorschüsse, Ehrungen, Ehrenmedaillen, Gerichtsstand, Militärstandsbefreiung, Portofreiheit, (für hohe Beamte) Rang, Titel und Charakter, Uniform, Urlaub, Dienstübersetzung. In der Ausgabe von 1830 werden die Rechte noch bereichert mit „Steuerbefreiung“, „Ferialgeld und willkürliche Entfernung vom Dienstort“ sowie „Dienstresignation“178. Daß allerdings nicht der Fürsorgegedanke des paternalistischen Staates hinter der Gewährung der Privilegien stand, zeigt die Behandlung, die man den „minderen“ Beamten und Dienern angedeihen ließ, deren Lage hin und wieder so schlecht war, daß zu manchen Zeiten (beispielsweise in den 1840er und 1850er Jahren) von einem Beamtenproletariat gesprochen wurde.179 Wurden Maßnahmen gesetzt, um diese zu verbessern, so beeilte man sich, die wenig soziale Motivation 176 MEGERLE, Handbuch (1809) XXIX. 177 DERS., Handbuch (1824) 415–508. 178 DERS., Handbuch (1830) 369–415. 179 Siehe SANDGRUBER, Lebensstandard, 383; Waltraud HEINDL, Bürokratie und Verwaltung im österreichischen Neoabsolutismus. In: Österreichische Osthefte 22/3 (1980) 241 ff.

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sogleich auch zu deklarieren. Als man zum Beispiel den Straßenbaubeamten versprach, sie bei „abnehmenden Kräften“ bei Wegbauämtern anzustellen, lautete die Begründung dafür, „um die Lage dieser Beamten zu verbessern, die Pensionen vom Ah. Ärarium abzuwenden und um die Anhänglichkeit der Beamten an den Dienst zu fördern“180. Die Söhne und Töchter von niederen Beamten, deren Sozialprestige entsprechend gering war, bekamen, wie bereits erwähnt, nur bis zum 14. bzw. 12. Lebensjahr Provision ausbezahlt, weil, so die Argumentation, „dergleichen Kinder in einem solchen Alter sich ihr Brot durch Dienen zu erwerben imstande sind“181. Trotz all dieser Mängel – die geregelte Besoldung, das Anrecht auf Pension, Ränge und Titel, nicht zu vergessen die mögliche Verleihung von Orden und Auszeichnungen, wurden sicher als damals seltene Privilegien empfunden. Der Staatsdienst stellte so selbst in den unteren Rängen eine nicht zu unterschätzende Attraktion dar, und nicht nur in den Perioden der Arbeitslosigkeit, wie etwa in den 1840er Jahren, in denen der Zustrom zum Staatsdienst begreiflicherweise stärker wurde, sondern auch in gesicherten Zeiten. Außer den bereits erwähnten Sicherheiten und außer dem Nimbus, der den kaiserlichen Beamten umgeben haben mag, bot der Staatsdienst auch in dem sozial immobilen System wenigstens theoretisch Aufstiegsmöglichkeiten für Kinder aus kleinen Verhältnissen. Verfolgen wir die Entwicklung des Beamtendienstrechts etwa seit 1820, ist nicht zu übersehen, daß wohl Kontrolle und Disziplinierung, aber auch der Ausbau des Privilegiennetzes deutliche Schwergewichte bildeten. Was die Disziplinierung betrifft, so sind wir bei der entscheidenden Frage angelangt, nämlich ob das Ideal einer gehorsamen, untertänigen Beamtenschaft, die bis in die obersten Ränge hinauf Befehle auszuführen, aber keine „eigenen Ideen“ zu haben hatte, wirklich gegriffen hat. Die Beamten sollen „sich nicht erlauben, ihren eigenen Ideen und Begriffen nachzugehen“, so lautet eine profunde Weisung von Kaiser Franz aus dem Jahr 1821.182 Nach außen hin, so erscheint es zumindest, hielten sie sich an diesen Wunsch ihres höchsten Herrn. Die braven Beamten verstanden es allerdings dabei ganz gut, die Situation für sich in Anspruch zu nehmen. Sie nützten offensichtlich die Schalthebel der Macht, an der sie saßen, nahmen ihr Los in ihre eigene Hand, 180 Dekret der Vereinigten Hofkanzlei vom 13. Jänner 1804 an die Länderstellen, FRANZ II. (I.) – GESETZE 21 (1804) 9 f. 181 Dekret der Finanzhofstelle vom 4. Dezember 1798, ebd. 13 (1798) 105. 182 Hofdekret vom 2. August 1821, ebd. 49 (1821) 206 f.

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und ihren früheren, aus einer aufklärerischen Einstellung geborenen Auftrag, für die größtmögliche Glückseligkeit der größtmöglichen Anzahl von Bürgern zu sorgen, verwandelten sie in das Interesse, ihre eigene Glückseligkeit in den Mittelpunkt ihrer Aktionen zu stellen. Damit veränderte sich auf eine sehr unauffällige Art und Weise allmählich die Beamtenschaft und in der Folge die Institution. Die Beamten gehorchten nach außen, räsonierten nach innen, bauten an dem Gebäude ihres eigenen Lebens, von dem sie das Amtsleben, den Dienst, abschotteten. Die im Amt gehorchenden Staatsdiener flüchteten im Privatleben (vielleicht auch in den stillen Stunden ihres Amtslebens) in die Welt der Träume, in der bürgerliche Freiheit, Konstitution, Nation und andere in den Augen der Regierung schlimme Dinge als faszinierende Ideale einen wichtigen Platz einnahmen.

2. Bürokratie, Staatsmacht und Staatsideologie Die Entwicklung der Bürokratie ist untrennbar mit der Entwicklung der (modernen) Staatsmacht verbunden. Die Beamten als Erfüllungsgehilfen des absoluten Herrschers, die die Autorität des Staates ausbilden bzw. befestigen sollten, hatten notwendigerweise an der Staatsmacht zu partizipieren. Die Frage ist, wie jeweils die praktische „Gewaltenteilung“ zwischen Herrscher und Beamten aussah. Theoretisch lag selbstverständlich die ungeteilte Macht beim absoluten Herrn. Doch gleichzeitig mit dem Ausbau der Staatsmacht und unter dem Einfluß der Aufklärung verschob sich das Verhältnis. Deutlich kommt dies in der (bereits erwähnten) Diskussion um die Frage zum Ausdruck, ob der Beamte Fürstendiener oder Staatsdiener sei.1 Davon abhängig war die Debatte um die Unkündbarkeit 2 und – etwas abgeschwächt – um die Kollegialität des Systems. Allerdings fehlt die gelehrte Diskussion über Grundfragen des Staatsdienstes, die in den deutschen Staaten die Gemüter so bewegte, in Österreich in auffallender Weise: Ob etwa bürokratischer Dienst Staats- oder Hofdienst sei, wird als staatstheoretische Frage nicht thematisiert, ob die Lex divina etwa ungerechte Weisungen des Fürsten aufhebe, ob die Beamten, die doch Diener des Staates seien, vom Fürsten ohne weiteres zu entlassen wären, wird anhand von praktischen Einzelbeispielen immer wieder von neuem gelöst. Die so wichtige Grundsatzdebatte über den Sinn des kollegialen 1 2

Siehe S. 28. Siehe S. 29.

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2. Bürokratie, Staatsmacht und Staatsideologie

Prinzips, die mit der Ausbildung von moderner Bürokratie in essentiellem Zusammenhang steht, wird zumindest offiziell nicht berührt. An der praktischen Handhabung der Fragen ist allerdings der Stand der Auffassung in Österreich ablesbar. Von der Theorie her betrachtet, besteht kein Zweifel: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedenfalls war auch in Österreich Staatsdienst patriotischer Dienst am Bonum commune – der Übergang vom Fürstendienst zum Staatsdienst war vollzogen. Staatsdienst, das wird aus einer Aufforderung Josephs II. an die „Diener des Staates“ klar, ist das gemeinsame Ziel eines brüderlichen Bundes befähigter, mit Kenntnissen, Talenten und Moral begabter Auserwählter, an dem der Kaiser selbst teilhat. Nie wieder wurde dem Staatsdiener eine solche Weihe zuteil, erfuhr das Amt eine solche Sakralisierung. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis war allerdings groß. Der Kaiser selbst hatte vor seinen Beamten nicht den geringsten Respekt. Er behandelte sie – um es noch einmal zusammenfassend herauszuheben – schlecht, bezahlte sie schlecht und setzte sie unter ständige Drohungen und Kontrolle.3 Seine Weisungen klingen ungeduldig, unhöflich und despotisch. Sein Bürokratieideal ist, gemessen an dem späterer Zeiten, unorthodox: Von Gehorsamspflicht – soweit diese selbstverständlich nicht ihn, den Kaiser selbst, betraf – und Beamtenhierarchie, Kernpunkte einer jeden Beamtenideologie, ist nicht die Rede. In jedem Rang wird Phantasie, Einfallsgabe unter totalem persönlichen Einsatz gefordert. In der Praxis lauteten seine Order allerdings wie Befehle an seine Kammerdiener. Im praktischen Leben litten die Beamten, wie wir sahen4. Entsagungsvolle Aufopferung für den ungeteilten, alle umschließenden gemeinsamen Staat ist der Kernpunkt des josephinischen Beamtenethos. „Da das Gute nur eines sein kann, nämlich jenes, so das Allgemeine und die größte Zahl betrifft und ebenfalls alle Provinzen der Monarchie nur ein Ganzes ausmachen und also nur ein Absehen haben können, so muß notwendig alle Eifersucht, alles Vorurteil, so bis itzo öfters zwischen Provinzen und Nationen, dann zwischen Departements so viele unnütze Schreibereien verursacht hat, aufhören, und muß man sich nur einmal recht eigen machen, daß bei dem Staatskörper, so wie bei dem menschlichen Körper, wenn nicht jeder Teil gesund ist, alle leiden, und alle zur Heilung auch des mindesten Übels beitragen müssen. Nation, Religion muß in allen diesen keinen Unterschied machen und als Brüder einer Mon­ archie müssen alle sich gleich verwenden, um einander nutzbar zu sein.“5 3 4 5

Siehe S. 30–33 Siehe beispielsweise die Klagen Richters, S. 30 f. „Hirtenbrief“ vom 13. Dezember 1783, bei WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 127.

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Trotz der allgemeinen Tyrannei, für die Zukunft der Bürokratie, für die Entwicklung eines spezifischen Standesbewußtseins und eines Selbstverständnisses der Beamten sowie eines Beamtenethos’ und der Ideologie des Staatsdienstes waren die Folgen der josephinischen Zeit bedeutsam. Das Wissen um Auserwähltheit und Besonderheit des Standes, dem man angehörte  – besonders von Joseph II. seinen Beamten immer wieder vor Augen geführt, in der Absicht, sie anzuspornen, um die für den Staat so notwendigen Reformen durchzuführen, konnte nicht ohne Einfluß auf die soziale Entwicklung des Beamtenstandes sowie auf die Selbsteinschätzung, das mentale Bewußtsein und schließlich auch auf die soziale Stellung bleiben. Der Kaiser benötigte die Beamten, um sein zentralistisches Reformwerk auszuführen und den ständischen Einfluß einzudämmen6 – mehr als andere Staatsbürger. Sie mußten um die Tatsache wissen, daß sie unentbehrlich waren. Was bedeutete aber diese „Staatsmacht“, die mit Staatsdienst eng verbunden zu sein hatte? Von einem modernen Staatsbegriff, der zu seiner Identität eines einheitlichen Staatsvolkes und eines entsprechenden Staatsbewußtseins bedurfte, war auch nicht in Ansätzen die Rede. Staat war, wie wir aus der früher zitierten Stelle entnehmen können, für Joseph II. die Summe aller unter seiner Herrschaft Vereinigten. Joseph von Sonnenfels allerdings war sich der Problematik wohl bewußt: Seine Programmschrift „Über die Liebe des Vaterlandes“ hatte eindeutig erzieherische und staatspolitische Intentionen. Sonnenfels’ „Vaterland“ ist allerdings sehr praktisch, wirtschaftlich, vom aufklärerischen Glücksbegriff her definiert: Vaterland ist „das Land, worinnen man seinen Sitz genommen, die Gesetze, welchen die Bewohner dieses Landes unterwürfig sind, die darinnen festgesetzte Regierungsform, die Mitbewohner dieses Landes, die Zeitgenossen derselben Rechte machen das Vaterland aus“7. Und „die Gückseligkeit des Individuums“, die dieses empfindet, weil es ihm in diesem Land gutgehe, sichere am besten den Patriotismus. Hier handelt es sich um einen sehr prosaischen, emotionslosen Begriff der Vaterlandsliebe. Genauso prosaisch sah auch Sonnenfels’ Konzept von Staatsdienst aus. Es war, wie wir noch sehen werden, praxisorientiert. An die ideologiefreie Vaterlandsliebe ließ sich auch kaum eine Ideologie des Staatsdienstes binden. Ob Sonnenfels, der sein Leben dem Staatsdienst und dessen Aufbau gewidmet hatte und dem die in den deutschen Staaten geführte Diskussion nicht 6 7

Vgl. auch Ernst WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen (= Zeit und Geschichte. Texte zum Studium der sozialen Entwicklung, Wien-Frankfurt-Zürich 1966) 14 f. Joseph von SONNENFELS, Über die Liebe des Vaterlandes (Wien 1771) 10 f.

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fremd gewesen sein konnte, die Gretchenfrage des 18. Jahrhunderts, ob bürokratisches Walten Staats- oder Fürstendienst zu sein habe, mit Absicht vermied? Oder war der Dienst am Gemeinwohl für Sonnenfels selbstverständlich Staatsdienst? Diese so ideologiefreie Anwendung des Begriffes Vaterland (anstatt des Begriffes Staat) ließ sich allerdings einige Jahrzehnte später nicht mehr aufrechterhalten. „Das Vaterland“ hatte in den Jahren der Befreiungskriege vor allem in den deutschen Landen einen inhaltsschweren Bedeutungswandel erfahren, der dem Bestand des Vielvölkerreiches Österreich gefährlich werden konnte. Die Vaterlandsliebe war Kaiser Franz – von seinem Standpunkt aus nicht zu Unrecht – im Zeitalter der nationalen Erhebungen suspekt. Sorgfältig eliminierte er eigenhändig in dem berühmten Aufruf von 1813 aus dem ursprünglichen Text „für Gott, Kaiser und Vaterland zu kämpfen“, das „Vaterland“8. Es erschien ihm wohl als zu gefährlich, den einzelnen Bürger der vielen Nationen des Reiches zum Nachdenken zu bringen, für welches Vaterland er eigentlich kämpfen wolle. Jede Nationalität, auch die deutsche, konnte den Bestand des Kaisertums gefährden, wenn es den Inhalt Vaterland zu ernst nahm, und mußte deshalb vermieden werden. Für die Beamten hatte diese offizielle Tabuisierung von „Nation“ und „Vaterland“ die Konsequenz, daß der Dienst wieder mehr an dem obersten Herrn orientiert wurde als an das Abstraktum Staat, von dem sich einerseits viele recht wenig Vorstellung machten, andere jedoch wieder zu gefährlichen Modernisierungsvorstellungen angeregt werden konnten. Die dynastische Ideologie sollte die Staatsräson ersetzen, der „kaiserliche“ Beamte, der persönlich an das Allerhöchste Haus gebunden war, wurde das Ideal der Restaurationszeit und sollte es noch lange bleiben. Erst in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts sprechen Verwaltungstheoretiker davon, daß aus den Fürstendienern tatsächlich nun Staatsdiener geworden seien9; einschränkend muß hinzugefügt werden – wohl nur im abstrakt recht­ lichen Sinn: Denn das alte Problem blieb bestehen. Auch die österreichisch-unga8 Josef REDLICH, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches 1: Der dynastische Reichsgedanke und die Entfaltung des Problems bis zur Verkündigung der Reichsverfassung von 1861 (Leipzig 1920) 54 f. 9 Christian D’ELVERT, Zur österreichischen Verwaltungs-Geschichte mit besonderer Rücksicht auf die böhmischen Länder (= Schriften der historisch-statistischen Sektion der k. k. mähr[isch]schles[ischen] Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur und Landeskunde 24, Brünn 1880; fotomechanischer Nachdruck Wien 1970) 431. Dazu HEINDL, Was ist Reform? 166–175.

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rische Monarchie nach 1867 war kein Nationalstaat im modernen Sinn geworden, der den Staatsdienern Möglichkeiten für eine einheitliche Identifikation geboten hätte, und der Beamten emotionaler Bezugspunkt war weiterhin der Kaiser. Nicht nur daß der Kaiser persönlich Ernennungen von Beamten seine besondere Aufmerksamkeit schenkte und Beförderungen als Gnadensache dargestellt wurden,10 der Kaiser trachtete auch danach, die Beamten in Audienzen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, ein Mittel, von dem er sich wohl eine große Wirkung versprach: die Entwicklung einer persönlichen, möglichst respekt- und liebevollen familiären Beziehung zum Allerhöchsten Landesvater. Der Ansatz, den Beamtendienst zum wahren Staatsdienst auszubilden, wie wir diesen im josephinischen Jahrzehnt finden, wurde in der Zeit der Napoleonischen Kriege und der Restauration nicht mehr weiter verfolgt – sicherlich mit Absicht. So ist es auch nur folgerichtig, daß die Unkündbarkeit der Beamten in den österreichischen Ländern keinen Diskussionsgegenstand bildete: Die Unkündbarkeit hätte die Souveränitätsrechte des obersten Herrn verletzt. In der Praxis hatte sich die grundsätzliche Unkündbarkeit auf eine neue Art und Weise allerdings schon bald durchgesetzt. Erinnert sei hier an die Anfänge einer Disziplinarkommission im Jahr 1816, die es unmöglich machte, Beamte sofort zu entlassen11, und es war gar nicht so leicht (ähnlich wie heute), ungeliebte Beamte loszuwerden. Der im allgemeinen verbitterte, aber sicherlich in Verwaltungsangelegenheiten gut informierte Ignaz Beidtel erzählt, daß man zu diesem Zwecke gerne den Grundsatz des Amtsgeheimnisses ins Spiel brachte und Beamte, die der Staatsverwaltung oder hohen Herren ungelegen geworden waren, der Verletzung desselben beschuldigte, um sie einer Disziplinaruntersuchung zu unterwerfen und auf diese Weise zu eliminieren. Amtsgeheimnis war damals alles, und es war schwer zu beweisen, daß man es nicht verletzt hatte12. Noch in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als nach dem Rückzug der österreichischen Verwaltung in Ungarn „deutsch-österreichische“ Beamte „überzählig“ geworden waren und entlassen werden sollten, konnte man sich immer noch nicht entschließen, den Grundsatz der absoluten Unkündbarkeit von Staatsbeamten zu diskutieren, obwohl gerade Minister dieser Zeit (wie Schmerling) das Problem in seiner Tragweite erkannten13. 10 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 10 und 43. 11 Siehe S. 48 f. 12 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 117. 13 Stefan MALFÈR, Zwischen Machtpolitik und Sozialpolitik. Zur Versorgung der Bach’schen Beamten in den 1860er Jahren. In: Österreichische Osthefte 36 (1994) S. 231–244.

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Aus der grundsätzlichen Einstellung zu Staat und politischer Macht resultiert auch die strikte Zuwendung zum Kollegialitätsprinzip. Joseph II. hatte die Macht der „Chefs“ erweitert, indem er die Befugnisse der Amtschefs bezüglich Versetzungen, Suspensionen, Entlassungen und Bestrafungen ausdehnte14, und damit die Durchsetzung des monokratischen Prinzips angebahnt. Schon unter Leopold II. war jedoch auf die Verstärkung des Kollegialitätsprinzips gedrängt worden15. In der bereits zitierten „Vorschrift über die allgemeinen Pflichten und besonderen Obliegenheiten der Stellen und Beamten und über die wechselseitigen Befugnisse und Verbindlichkeiten der Oberen und Untergebenen“, die Kaiser Franz 1806 ergehen ließ, wurde kein Zweifel daran gelassen, daß die „Beratung im Rat“ zu den Fundamenten der österreichischen Verwaltung gehörte: „Da bei einem aus rechtlichen, erfahrenen und sachkundigen Männern bestehenden Gremium die Entscheidungen aus der Mehrheit der Stimmen eine beruhigende Überzeugung von der Gründlichkeit der Anträge, von der Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit der Aussprüche gewähren, so soll in der Regel außer den Präsidialien und den sogenannten Kurrentien nichts der Kollegialberatung entzogen und die Freiheit der Meinungen der Referenten oder Votanten darf auf keine Weise unterdrückt werden.“16 Nun besaß die Kollegialberatung in Österreich lange Tradition. Sie hatte angeblich zu Maria Theresias Zeiten noch ausgezeichnet funktioniert, da die Wirkungskreise der Hofbehörden noch eingeengt waren17. Je mehr Kompetenzen diese jedoch an sich zogen, desto schleppender wurde durch die Gremialberatungen der Geschäftsgang. Geschäfte, die ihrer Natur nach Schnelligkeit, Geheimhaltung oder spezielle Fachkenntnisse erforderten, mußten selbstredend unter dem Ritual des Kollegialitätsprinzips leiden, meinte ein beamteter Zeitgenosse18. Bei der Staatskanzlei und der Hofkammer wurde allerdings daneben bereits die Präsidialentscheidung als Mittel des monokratischen Prinzips praktiziert19. Das kollegiale Prinzip verhinderte, damit hatte Kaiser Franz schon recht, Schlampigkeit, Behördendespotismus, auch Protektionswirtschaft und Unregelmäßigkeit, 14 Siehe auch S. 47 ff. 15 „Muß sowohl bei den Hof- als Länderstellen nichts verfügt werden, was nicht vorher im Rate selbst vorgetragen und verhandelt worden ist.“ Verordnung vom 1. Jänner 1792, zit. bei BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 441. 16 Ah. Cabinets-Befehl vom 30. Dezember 1806, HHStA., Kaiser Franz-Akten, Karton 69 § 6; siehe auch S. 50 f. 17 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 26. 18 Franz HARTIG, Genesis der Revolution in Oesterreich im Jahr 1848 (Leipzig 1850) 29 ff. 19 Ebd., 26 ff. und 29 ff.; BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 16 und 26 f.

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so daß es eine Art von wirksamer Kontrolle darstellte und damit in manchem heutigen demokratischen Vorstellungen mehr entspricht als das Präsidialsystem, das zwar die Verantwortlichkeit des einzelnen gegenüber der höheren Instanz betont, aber damit auch Personen und Entscheidungen von ein und demselben Beamten abhängig macht. Wurde aber aus diesen Gründen oder eher aus Anhänglichkeit an die österreichische Verwaltungstradition auf die strikte Einhaltung der Kollegialität gedrängt? Wir dürfen nicht vergessen, daß die „Gremialverfassung“ (wie das kollegiale Prinzip auch genannt wurde) eine gerade dem absolutistischen Verwaltungsstaat adäquate doppelte Funktion des Schutzes übernahm, die sich als sehr wirkungsvoll erwies: Die kollegiale Beratung bewahrte einerseits die einzelnen Referenten vor der Übernahme einer persönlichen Verantwortung und wies dem Beamten ausdrücklich nur die Rolle des Ratgebers zu. Die Vorträge und Noten des Referenten dienten oftmals nur dazu, „für die Folgen seines zum Ratsschlusse erwachsenden Antrages außer Verantwortlichkeit zu setzen“20. Andererseits schützte die Gremialverfassung jedoch – und das war wahrscheinlich wichtiger – den Kaiser in den Augen des Volkes. Die Tatsache, daß die Beamten dem Monarchen und – unter Ausschluß ihres ­eigenen Gewissens – nur diesem verantwortlich waren21, wurde vor der Öffentlichkeit (sofern man in dieser Zeit von einer solchen sprechen konnte) gerne vergessen. So zieht der Beamte Ignaz Castelli über die vormärzliche Praxis das Resümee: „… wenn man mit einer Neuerung nicht zufrieden war, so schob man die Schuld auf die Minister; der Kaiser war in aller Augen unfehlbar. Er konnte nichts dafür, wenn irgend etwas Schlimmes geschah, aber alles Gute kam einzig und allein von ihm.“22 Und Beidtel klagte, daß, bedingt durch die langsame Erledigung der Geschäfte, die Beamten die Zielscheibe der Angriffe der Bevölkerung wurden – ein hervorragendes Instrument, um die Regierung zu schützen, die Regierung ließ allerdings die Beamten in Stich23. Und oft wurden, wie sich 1848 am Beispiel Metternichs bewies, die Ratgeber angeklagt, der souveräne Monarch aber als Opfer derselben gesehen und außer Verantwortung gesetzt24. Zeitgenossen akzeptierten diesen Schutz für den Monarchen – selbst noch nach 184825. Im Jahr 1859 äußerte der Präsident der 20 So Hartig über die vormärzlichen Kollegialberatungen, HARTIG, Genesis der Revolution, 29. 21 Siehe S. 50 f. 22 I[gnaz] F[ranz] CASTELLI, Aus dem Leben eines Wiener Phäaken 1781–1861. Die Memoiren des I. F. Castelli. Neu hg. v. Adolf SAAGER (Stuttgart 21912) 84. 23 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 353. 24 Auch Beidtel versuchte teilweise, Kaiser Franz reinzuwaschen, indem er die Minister Colloredo oder Kolowrat etwa als schlechte Ratgeber darstellte, z. B. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 26. 25 Vgl. zum Beispiel den russischen Diplomaten in Wien Peter von MEYENDORFF, Ein rus-

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Ministerkonferenz, Carl Graf Buol-Schauenstein, der Leiter des obersten Entscheidungsgremiums der neoabsolutistischen Regierung war und diese mit einem konstitutionellen Flair versehen sollte: „Beim Regieren und Verwalten wird immer viel gefehlt werden, und man sollte immer dahin trachten, daß die Unpopularität, welche an Regierungsmaßnahmen haftet, so viel möglich die Minister treffe, und das, was sich als gut bewährt, als Ausfluß der Krone gelte …“26. So ist es verständlich, daß die Beamten in der Öffentlichkeit nie positiv in Erscheinung traten. Die „Allerhöchste Gnade“ war es, die die Menschen beglücken sollte. Die österreichische Regierung hatte daher – von ihrem Standpunkt aus mit vollem Recht – an Fürstendienst und Kollegialität festgehalten. Diese Formen der Verwaltung waren allerdings in anderen europäischen Staaten als altertümliche Relikte ziemlich überwunden27. Der österreichischen Regierung, deren oberstes Prinzip Restauration – Stillstand – hieß, erschienen sie jedoch adäquat zu sein: Wer konnte den Absolutismus und den absoluten Herren besser vor Veränderungen, unbeliebten „Neuerungen“ und Umstürzen schützen als dem Allerhöchsten Haus ergebene und unverantwortlich seinen Befehlen bedingungslos gehorchende Diener? Durch die Personifizierung des Dienstverhältnisses wird aber eine den „Fürstendienern“ zugedachte Funktion noch deutlicher, nämlich das Gebiet der Politik durch das Gebiet der Verwaltung zu verdecken, das heißt, bezogen auf den österreichischen Fall, dem Problem des Nationalismus die Spitze zu brechen, indem der Staat verschleiert und durch das Herrscherhaus ersetzt wurde. Lesen wir allerdings die Gesetzessammlung für Beamte, die von dem schon erwähnten Megerle von Mühlfeld (1809 und 1824–1830) zusammengestellt wurde28, sischer Diplomat an den Höfen von Berlin und Wien 2, hg. v. Otto HOETZSCH (Leipzig 1932) 412 (Eintragungen vom 31. Jänner bis 12. Februar 1852); Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen von 1848 bis 1859, hg. v. Josef Karl MAYR (Wien-Leipzig 1931) 232 (Eintragung vom 16. November 1851), oder auch ungarische Aristokraten zit. bei Hans LOEW, Alexander Freiherr von Bach (phil. Diss. Wien 1947) 145. 26 Denkschrift aus dem Jahr 1859, gedruckt in REDLICH, Staats- und Reichsproblem 1/2: Exkurse und Anmerkungen (Leipzig 1920) 239. 27 Die preußischen Behörden etwa wechselten zwischen Kollegial- und Präsidialsystem. Reinhart KOSELLECK, Staat und Gesellschaft in Preußen. In: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815–1848, hg. v. Werner CONZE (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 1, Stuttgart 1962) 91; DERS., Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung bis 1848 (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 7, Stuttgart 21987) 246–251. 28 Megerle von Mühlfeld war k. k. Rat und Archivdirektor der allgemeinen Hofkammer, also ein Vorgänger Grillparzers; MEGERLE, Handbuch, zit. S. 26, Anm. 2.

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so gewinnen wir den Eindruck, daß im Verständnis der Beamten selbst ihr Dienst durchaus als Staatsdienst im damals – und auch heute – modernen Sinn empfunden wurde, daß sie sich durchaus als Diener eines Staates fühlten – zumindest war ihnen bewußt, was einen „echten“ Staatsbeamten ausmachte. Ein offensichtlicher Widerspruch zwischen den Intentionen von Kaiser und Regierung und Selbstverständnis der Beamten, der hier klaffte. Woher kam diese Differenz, und welche der beiden Auffassungen entsprach eher der politischen Wirklichkeit? Otto Brunner, der den vormärzlichen Staat Österreich der wahrscheinlich detailliertesten Analyse unterzogen hat, legte eingehend dar, daß staatsrechtlich das „Kaisertum Österreich“ kein Vielvölkerstaat, sondern „eine monarchische Union von Königreichen und Ländern“, eine „monarchische Staatenverbindung älteren Typs“, war, in der das Bewußtsein der eigenständigen „historischen Individualität“, wie es genannt wurde, der einzelnen Länder sehr lebendig war, und hat darauf hingewiesen, daß sich daher mit den stillschweigend vorausgesetzten Begriffen „Staat“ und „Staatsgewalt“ im modernen Sinn der innere Bau der Österreichischen Monarchie nicht zulänglich erfassen lasse29. Er hob an dieser Stelle auch hervor, daß aber „in den außerungarischen Ländern der Monarchie wohl ein Staatsapparat, aber kein diesem korrespondierendes Staatsbewußtsein vorhanden war“. Wir müssen noch hinzufügen, daß es sich um einen modernen Verwaltungsapparat handelte, der seit den maria-theresianischen und josephinischen Reformen durchaus auf der Höhe seiner Zeit stand. Die innere Situation des Reiches war also äußerst widersprüchlich. Ältere Verfassungsstrukturen wurden seither von modernen Verwaltungsstrukturen überlagert. An dieser Situation änderte sich auch im vormärzlichen Staat nichts – trotz aller restaurativer oder reaktionärer Tendenzen. Der Zwiespalt wurde allerdings vergrößert. Grundsätzlich wurden die Tendenzen des modernen Staatswerdungsprozesses weitergeführt, so wenig dies mit den vom Staat sonst verfolgten Restaurationsversuchen konform zu gehen scheint. Die Kirche wurde nach wie vor – auch im katholisch-restaurativen Staat – in den Schranken des Staatskirchenrechts gehalten, und die Gesetzgebung, die wichtigen bereits unter Maria Theresia und Joseph II. eingeleiteten Kodifikationswerke, das Westgalizische Strafgesetzbuch von 1796, das Westgalizische Zivilgesetzbuch (ebenfalls 1796), das Strafgesetzbuch von 1803 und besonders das ABGB von 1811 atmeten noch immer „jose29 Otto BRUNNER, Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Österreich im Spiegel von I. BEIDTELS Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848. In: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, zit. Anm. 27, 51–53.

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phinischen“ Geist30. Die von der Regierung gewünschte ideologische Fundierung des Staates war jedoch im Gegensatz dazu streng katholisch. Auf die Bürokratie bezogen bedeutete dies: Nichtchristen waren vom Staatsdienst ausgeschlossen, und nur ausnahmsweise finden wir auch Protestanten und konvertierte Juden als Beamte31. Die Mittel, die staatlichen, mitunter auch gutgemeinten Maßnahmen durchzusetzen, waren bekanntlich Polizei und Zensur. Otto Brunners Urteil, daß in dem gerade wegen der so differenten Strukturen der Königreiche und Länder altertümlich anmutenden „Gesamtgefüge der Monarchie“ der Begriff „Staatsgewalt mit ihrer Begründung im modernen Naturrecht“ eigentümlich erschien32, mag im allgemeinen gegolten haben. Für die Träger des modernen Staatsapparates, die Beamten, jedoch war „Staatsgewalt“ Teil des lange Zeit als modern empfundenen Naturrechts, in dem sie bis 1848 (davon wird später noch die Rede sein33), ausgebildet wurden. Die Beamten verkörperten geradezu das moderne Staatsprinzip im Gegensatz zum älteren ständischen Prinzip34, ein Phänomen, das im übrigen das Jahr 1848 überdauerte. Noch 1865 sieht Lorenz von Stein die „reine Staatsidee“ in den Beamten repräsentiert35. Sie wußten auch mit Begriffen wie Herrschaftsvertrag, Herrschersouveränität und Volkssouveränität (im ursprünglichen Sinn auf ein politisch konstituiertes – ständisch geordnetes – Volk bezogen und nicht im Sinne der Französischen Revolution) sicherlich theoretisch mehr anzufangen als mit dem „monarchischen Prinzip“, das sich mit der positivistischen Feststellung begnügte, daß alle Staatsgewalt in der Hand des Herrschers vereinigt sei und von ihm ausgehe. Staatsgewalt und Staat waren für die österreichischen Beamten also wissenschaftlich-theoretisch geläufige naturrechtliche Begriffe, die ihnen jedoch in der realen Amtspraxis für gewöhnlich als Staatsorganisation, Staatsorganismus (mit diesen Begriffen wird von Seiten vormärzlicher Beamter symptomatischerweise immer wieder mit Selbstverständlichkeit operiert) begegneten. Wir haben Indizien, daß ihnen die von der deutschen Romantik so betonten Zusammenhänge von Staat, Staatsvolk und Nation theoretisch vertraut waren. Wußten sie aber damit etwas anzufangen? 30 31 32 33 34 35

BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 150, 201 und 204–208. Ebd., 172. BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 51. Siehe S. 123 f. und 130–134. BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 54. Lorenz von STEIN, Handbuch der Verwaltungslehre, 1. Teil: Die innere Verwaltung und das persönliche Leben (Stuttgart 1865) 286.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

Anders ausgedrückt: Bewegten diese Konnexe, die in anderen Ländern die Emotionen vieler Bürger aufwirbelten, ihre Gemüter? Hier sei Franz Grillparzers Auffassung von Hegel zitiert. Am Ende seiner Philosophie der Geschichte36 beurteilt Hegel die europäischen Mächte vom Standpunkt des Fortschritts aus. In diesem Zusammenhang erscheinen ihm die Militär- und Verwaltungsstaaten Frankreich und Preußen (das Preußen des Landrechts und des Reformzeitalters) als Repräsentanten des geschichtlichen Fortschritts, England (das England vor der Reform von 1832) und Österreich aber als die konservativen Mächte. Das uneinheitliche, nichtnationale Österreich ist für ihn gar der Inbegriff der Rückständigkeit: „Österreich ist nicht ein Königtum, sondern ein Kaisertum, d. h. ein Aggregat von vielen Staatsorganisationen, die selbst königlich sind. Diese Staaten sind wenig berühmt und stehen hinter dem zivilisierten Europa sehr weit an Bildung zurück. Die hauptsächlichsten dieser Länder sind nicht germanischer Natur und unberührt von den Ideen geblieben. Weder durch Bildung noch durch Religion gehoben, sind teils die Untertanen in der Leibeigenschaft und die Großen deprimiert geblieben wie in Böhmen, teils hat sich bei demselben Zustand der Untertanen die Freiheit der Barone für ihre Gewaltherrschaft behauptet wie in Ungarn.“ Seit der Niederlegung der deutschen Kaiserkrone habe Österreich seine Rechte in Deutschland und in den Niederlanden aufgegeben und sei nun in Europa „eine politische Macht für sich“. Grillparzer hat Hegels Philosophie „die monströseste Ausgeburt des menschlichen Denkens“ genannt.37 Das ist deutlich: Begriffe wie (idealistische) Bildung, germanische Natur, Kultur und Religion im Sinne des protestantischen Prinzips, im Grunde das gesamte geistige Konstrukt von Staat und Nation, das für die bürgerliche Gesellschaft der deutschen Staaten so attraktiv erschien, mußten ihm und der älteren (etwa vor 1800 geborenen) Generation der österreichischen Beamten sehr fremd erscheinen. Was sollte einem österreichischen Beamten, dessen Karriere sich (wie die Grillparzers) in dem Völkergemisch Wien oder zwischen Brünn, Zara, Klagenfurt und Olmütz (wie die Ignaz Beidtels) abspielte, etwa der Begriff „germanische Natur“ bedeuten? Was sollte er sich unter Staat in der Realität anderes vorstellen als Amtsstuben, die in Venedig, Lemberg und Wien nahezu gleich 36 Zum folgenden BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 39 f.; Georg Friedrich HEGEL, Sämtliche Werke 11, hg. v. H. GLOCKNER (Stuttgart 1949) 564 ff. 37 „Ich fand Hegeln so angenehm, verständig und rekonziliant, als ich in der Folge sein System ab­strus und absprechend gefunden habe“, notiert er nach seiner persönlichen Begegnung in Berlin; Franz GRILLPARZER, Selbstbiographie. In: Grillparzers sämtliche Werke in sechzehn Bänden, mit Einleitungen von Alfred KLAAR 13 (Berlin-Leipzig 1907) 110.

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aussahen, das ABGB, das dort wie da anzuwenden war und den Kaiser, an den man sich notfalls wenden konnte? Daß man allerdings wußte, wo die Schwierigkeiten „des Staates“ Österreich im modernen Sinn lagen, beweist auch Beidtel (der sicherlich weder zu den fortschrittlichsten noch allergelehrtesten Gestalten der österreichischen Beamtenschaft zählte), als er über den „Charakter“ des 1804 neu gegründeten „Österreichischen Kaiserstaates“ (wie er ihn bezeichnenderweise – statt des offiziellen „Kaisertum Österreich“ – nennt) meditierte. Beidtel brachte gegen diesen neugewählten Staatsbegriff zwei grundsätzliche Einwände vor: nämlich daß erstens diesem „Staat“ eine einheitliche „politische Verfassung“ und zweitens ein „einheitliches Staatsvolk“ mangle. Der neue Begriff „Kaiserstaat“ und die Benennung – „die Regierung, die Armee und die Verwaltung hießen jetzt ‚österreichische‘ –“ stimmten „daher einfach nicht“. Denn „konsequenterweise hätte sich nun der Ungar, der Böhme, der Pole und Galizier, der Italiener zu Venedig einen ‚Österreicher‘ nennen sollen. Aber dies zu tun, fiel niemandem ein“, so stellt Beidtel ohne Bedauern fest, und weiter – mit Bedauern: „Im Ganzen blieben Hof und Staat [auch nach 1804, Anm. d. Verf.] deutsch, und die Germanisierung machte geräuschlose Fortschritte.“38 Staat und Nation, die beiden wichtigen Begriffe der damals modernen Staatsphilosophie, und ihre Zusammenhänge waren den österreichischen Beamten also sehr wohl geläufig. Sie konnten sich jedoch offensichtlich mit ihnen nicht identifizieren. Der germanisch-christliche-ständische Staat wurde in Wien von Friedrich Schlegel, Adam Müller und Carl Ernst Jarcke, interessanterweise alle Nichtösterreicher, prominent vertreten39 – allerdings nicht auf universitärem Boden. Er fand offenbar im Beamtentum wenig Widerhall. Als einziger Österreicher nahm der Hofrat der Hofkammer, Anton Ritter von Krauß Elislago, die Idee der religiösen Fundierung des Staates auf und verfaßte 1835 den „Versuch, die Staatswissenschaft auf eine unwandelbare Grundlage festzustellen“40, der einige Jahre später, 1842, in zweiter Auflage unter dem Titel „Das christliche Staatsprinzip“ erschien. Bezeichnenderweise ging Krauß ganz andere Gedankengänge. Oberstes „Vernunftsgesetz“ ist das Sittengesetz des Christentums – gültig auch für Staaten, und „Nationalgefühl“ ist für ihn die sittliche Kraft, die Staatseinwohner mit 38 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 73. 39 Friedrich ENGEL-JANOSI, Die Theorie vom Staat im deutschen Österreich 1815–1848. In: Zeitschrift für öffentliches Recht 2 (1921) 368–390. 40 Diese erste Auflage erschien anonym.

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„Seelenverwandtschaft“41 verbindet – ein sehr entmythologisierter Nationsbegriff, der seinem Staat wenig Inhalt verleiht. Staat ist für Krauß „Gesellschaft“, er hat an ihrer sittlichen Bestimmung beteiligt zu sein. Nicht mehr und nicht weniger! Dies war ein sehr anderer Staatsbegriff als der damals moderne. Es erscheint daher nicht zufällig, wenn es in dem repräsentativen Handbuch des Verwaltungsrechts des Vormärz, in Barth-Barthenheims „Das Ganze der österreichischen politischen Administration“, heißt, die „politische Seite“, also die innere Verwaltung habe in erster Linie die Aufgabe, dem „Gemeinwohl“ zu dienen und nicht Recht durchzusetzen42, eine Theorie, wie sie in der älteren Auffassung von innerer Staatsverwaltung vertreten wird. Wir müssen allerdings in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob ein zeitgenössischer Beamter eines anderen europäischen Landes wußte, welchen speziellen Inhalt er in seinem Fall dem Abstraktum Staat, sei nun im konkreten der französische oder der preußische gemeint, verleihen oder wie er sich damit identifizieren sollte. Mit den ideologischen Inhalten dieses philosophischen Konstrukts „Staat“ hatten wohl auch andere Staaten des frühen 19. Jahrhunderts ihre Schwierigkeiten. „Wir haben wahrgenommen“, heißt es in einem Gutachten eines preußischen Oberpräsidenten, „daß unser so bunt wie neu und verschiedenartig zusammengesetzter Staat, vielleicht unter allen europäischen am wenigsten auf einem instinktartigen Zusammenhange der Provinzen unter sich, auf einer naturgemäßen Abrundung des Landes, auf alter Gewohnheit sicherer Einrichtungen mit sicherer Schwere gegen äußere Zufälle und innere Bewegung ruht. Es kann nur der Geist sein, der ihn zusammenhält.“43 Wesentlich war es, die preußischen Beamten dazu zu bringen, so meint Reinhart Koselleck, „im Geist die Staatlichkeit ihres Staates zu finden“44. – Österreich ging den konträren Weg. Der Mythos Staat wurde – bewußt oder unbewußt – unterbunden. Die Behandlung des Problems Staatsbeamtentum (die Personifizierung des Dienstverhältnisses der Staatsbeamten etwa, von der die Rede war) bildete einen Teil dieser Politik. Es mag widersprüchlich klingen: Doch so wenig die moderne Theorie vom Staat in Österreich auch Widerhall fand, die Verstaatlichung des Verwaltungsapparates und damit die Ausdehnung der Staatsgewalt nahmen immer mehr zu. In diesem Verstaatlichungsprozeß wurde auch das Beamtentum als ein zentrales Element un41 Anton Ritter von KRAUSZ ELISLAGO, Das christliche Staatsprinzip (Wien 1842) 253. 42 Johann Ludwig Ehrenreich von BARTH-BARTHENHEIM, Das Ganze der österreichischen politischen Administration 1 (Wien 1838), bei BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 64. 43 Zit. nach KOSELLECK, Staat und Gesellschaft in Preußen, 90. 44 Ebd.

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mittelbar einbezogen. Zunächst war der Zugriff des Staates auf die herrschaftlichen Beamten erfolgt. Die Verwaltungsbefugnisse, die die herrschaftlichen Ämter und die landesfürstlichen Städte ausübten – seit der maria-theresianischen Zeit zugleich staatliche Lokalobrigkeiten –, waren Gerichtsbarkeit in unterster Instanz, Verwaltung und manche Finanzgeschäfte. Die Interpretation, daß diese herrschaftlichen Ämter im eigentlichen Majestätsrechte wahrnahmen, setzte sich begreiflicherweise immer mehr durch. Zudem verfügte der Staat, besonders die Justiz, immer mehr über befähigte, von staatlichen Universitäten ausgebildete Bürokraten, denen man mehr vertraute als den von Gutsherren nach Gutdünken ausgesuchten Beamten. Man wollte sie deshalb begreiflicherweise überall eingesetzt sehen. Unter Joseph II. wurde nun durchgesetzt, daß auch die Herrschaften für die Zivilgerichtsbarkeit gesetzlich befähigte Beamte anzustellen hatten45. Der Grundsatz, an Universitäten ausgebildete Juristen als Richter anzustellen, traf noch mehr die Kommunalämter und beschränkt die Munizipalhoheit. Seit den josephinischen Dekreten über die Organisierung der Magistrate der Städte und Märkte der Erbländer war die Wahl der Bürgermeister und Räte gestattet: 1805 wurde in Galizien, 1808 in den anderen Ländern die Verordnung eingeführt, daß Beamte, die das Zivilstrafrichteramt ausübten, von nun an von der Länderstelle und dem Appellationsgericht gemeinschaftlich zu ernennen seien46. Die Kommunalbeamten wurden also zum Teil Regierungsbeamte. Genauso wurde seit 1794 versucht, die Landstände durch 23 Regierungsbeamte zu überwachen. Kaiserliche Beamte übten für „eine Art Gehaltszulage“ die Funktion der obersten Landesoffiziere aus47. Dies genügte jedoch nicht, der Staat mußte auch Kontrolle über die herrschaftlichen Privat- und Kommunalbeamten beanspruchen, wollte er, daß sie in seinem Sinne agierten. Er verlangte daher, daß über diese Konduitelisten zu führen seien48. Die von Joseph II. eingesetzten Hofkommissäre und ihre Filialkommissäre in den Provinzen, die zu überwachen hatten, ob die Gesetze im Sinne der Regierung von allen Behörden und Ämtern durchgeführt wurden, waren zwar von Leopold II. eingeschränkt worden49, doch wurde gleichzeitig, wie erwähnt, das Kontrollsystem über alle Beamten verschärft. Der Zugriff erfolgte selbst auf 45 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 383 f.; über die herrschaftlichen Beamten Alois BRUSATTI, Die Stellung der herrschaftlichen Beamten in Österreich in der Zeit von 1780–1848. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 45 (1958) 505–516. 46 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 50 f. 47 Ebd., 26. 48 Ebd. 1, 384 und 2, 115. 49 Ebd. 1, 453 und 455.

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die höchsten Staatsämter. Kaiser Leopold II. traute der gesamten hohen Beamtenschaft, die er bei seiner Ankunft in Wien vorfand, noch weniger als sein Bruder, aus seiner Sicht wahrscheinlich mit gutem Grund. Sie erwies sich mitunter als nicht allzu willfährig.50 Er erließ bald nach seinem Regierungsantritt zahlreiche Handschreiben, in denen er aus seiner Unzufriedenheit mit der Amtsführung der Hofstellen und besonders der Hofkanzlei kein Hehl machte und seine Beamten einer scharfen Kontrolle unterwarf. Am 24. Oktober 1791 befahl er den Chefs sämtlicher Länderstellen, ihm „direkte acht Tage nach Empfang gegenwärtigen Befehls ein Verzeichnis aller jener Vorträge, Anfragen und Berichte, Noten oder wie selbe sonst immer heißen mögen, so sie vorzüglich an die B(öhmisch) Ö(sterreichische) Kanzlei und Hofkammer unter was immer für einem Datum und Anzeige des Gegenstandes …“ einzuschicken, und ihm anzuzeigen, „welche zur Zeit noch unerlediget und ohne Bescheid geblieben sind“51. Bald darauf erfolgte die verschärfte Kontrolle der Hofstellen. Leopold setzte (am 1. Dezember 1791) zwei von den Präsidenten der Hofstellen unabhängige Beamte ein, die die Befolgung seiner Befehle zu überwachen hatten. Er ernannte den Sekretär der Bankalgefällendirektion Augustin von Caën und den Hofsekretär Joseph von Mährenthal zu Regierungsräten, stellte sie mit einem Gehalt von je 2000 fl. bei der Staatskanzlei an, und wies ihnen die Aufgabe zu, „von Zeit zu Zeit bei allen k. k. Hofstellen (die geheime Hof- und Staatskanzlei allein ausgenommen) nachzusehen und genau zu untersuchen, ob, wann und wie jeder der herabgelangten allerhöchsten Aufträge befolget worden sei“52. Gleichzeitig wurde mit dieser Degradierung der Hofstellen versucht, die einzelnen Behörden durch den Instanzenzug besser zu beaufsichtigen: Der Staatsrat mußte die Hofstellen, die Hofstellen die Länderstellen (Gubernien), die Gubernien die Kreisämter überprüfen. Diese Verstärkung des Instanzenzuges zur gegenseitigen Kontrolle bildet an und für sich ein probates Mittel im Rechtsstaat, die Macht der Behörden gegenüber dem Bürger zu beschneiden und zu überwachen. Ob aber in diesem Fall der Instanzenzug doch weniger zugunsten der Staatsbürger als der kaiserlichen Machtbefugnis eingesetzt wurde? 50 Siehe S. 40 ff. 51 Handschreiben an die „Chefs der Länderstellen“ vom 24. Oktober 1791, HHStA., Kabinettskanzleiprotokoll 1791, Nr. 78 b, Folio 3102. Für diesen Hinweis und andere die Beamtenpolitik Leopolds II. betreffende Akten bin ich Frau Magister Lettner zu großem Dank verpflichtet. 52 Friedrich WALTER, Die österreichische Zentralverwaltung II: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848) 1/2: Die Zeit Josephs II. und Leopold II. (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 35, Wien 1950) 90.

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Leopold sprach seinen Grund für diese Maßnahmen ganz offen aus: Er befürchtete, die Staatsbeamten würden „nicht mehr, wie sie es sind und sein sollen, Diener des Staats noch des Publici, sondern Meister sein, die Geschäfte nach ihren Privatabsichten, Leidenschaften und Nachläßigkeiten einzuleiten, die gegebenen Befehle zurückzuhalten, zu vereiteln, hinterstellig zu machen, oder gar nicht auszuführen“. Es war klar: Der Kaiser wollte unter keinen Umständen einen „Ministerialdespotismus, der“, so Leopold, „der unbilligste und gefährlichste von allen ist“53, an Stelle seines eigenen sehen. Bald sollte sich erweisen, wie recht Leopold von seinem Standpunkt aus mit seinem Mißtrauen gegenüber den Beamten hatte. Sie wurden verdächtigt, Sympathisanten der Französischen Revolution zu sein54, und 1796 kam es im Zuge der Jakobinerprozesse tatsächlich zu einer Welle von Verhaftungen von Beamten55. Franz’ II. (I.) Verhältnis zu seinen Beamten war nicht anders als das seines Vaters. Er hatte bald nach seinem Regierungsantritt (1795) die bereits von Leopold II. favorisierte Zensur56 ausgebaut und der Polizei (1801) übertragen. Die Folge war, daß die geheime Polizei mehr Kompetenzen und Macht bekam. Die Zensur traf die Beamten ziemlich hart, da viele der Beamten publizierten57. Die geheime Polizei wirkte sich jedoch noch unmittelbarer aus. Sie überwachte das Leben aller Bürger, auch ihr privatestes Privatleben, auf das genaueste58, im besonderen – so Beidtel – nach 1815 „da man mehr als jemals den Geist der mittleren Volksklassen fürchtete“, Beamte höherer Kategorien, Literaten, Advokaten oder höhere Geistliche59. Eine wirklich pikante Situation entstand, als eine Reihe von höheren oder sogar hohen Staatsbeamten als Konfidenten oder Korrespondenten der geheimen Polizei angeheuert wurden, die dafür angeblich gar keine geringen „Besoldungen“ oder „Remunerationen“ bezogen: Hofräte ca. 1000 fl. jährlich, ein Appellationsgerichtsratspräsident (Beidtel berichtet von diesem Fall mit Genuß, da dieser Mann sein Amtsfeind war) sogar 2000 fl. jährlich60. Auch die „offiziellen“ Mittel innerhalb des Systems wurden strikte gehandhabt. Zu den Konduitelisten traten die geheimen Präsidialberichte, die Vorgesetzte 53 54 55 56 57 58 59 60

Ah. Erlaß vom 1. Dezember 1791, HHStA., Kabinettsprotokoll 1791, Nr. 1615, 83 b. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 110. Ebd. 112. Siehe S. 42. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 83. Näheres S. 326–331. Siehe diesbezüglich die fast unglaublichen Beispiele, angeführt ebd., 97 f. Ebd. 316. Ebd. 82, Anm. 1, und 316.

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einer Behörde über jeden Beamten einsenden konnten61. Beförderungen waren grundsätzlich von der Qualifikation in den Konduitelisten abhängig. Da diese anders als beim Militär, bei dem der Offizier Einsicht haben konnte, geheim geführt wurden, war der Beamten ihnen ausgeliefert62. Die geheimen Präsidialberichte hatten (will man dem Leidtragenden Beidtel, der angeblich ungünstiger Dienstbeschreibungen wegen des öfteren zurückgestellt worden war, glauben) nicht nur auf Beförderungen, sondern auch auf alle sonstigen persönlichen Amtsansuchen, wie Versetzungen, Remunerationen, Zulagen oder Pensionierungen großen Einfluß. Beschreibungen von „besonderen“ Eigenschaften, wozu „Kränklichkeit“, „mangelnde theoretische Bildung“, Umgang mit „verdächtigen oder ganz gemeinen Personen“ gehörten, machten den Erfolg, die günstige Behandlung solcher Amtsansuchen, zunichte. Die Auswahl – besonders die der wichtigen Posten der Behördenleiter – im Sinne der Regierung war durch dieses System hervorragend gesichert: Der oberste Kanzler schrieb die Konduiteliste der Landesgouverneure, die Gouverneure die der Kreishauptleute seiner Provinz und diese die seiner Beamten, der grundherrschaftlichen Beamten etc. Angeblich wurde das Anciennitätsprinzip unter der Berufung, daß nur die Fähigsten und Leistungstüchtigsten angestellt werden sollten63, immer wieder umgangen – aber nicht zugunsten des Besten, sondern zugunsten einer Günstlingswirtschaft. Daß Beamtenernennungen für äußerst wichtig galten, wurde bereits erwähnt. Die Festsetzung von besonderen Kriterien zählte zu den bürokratischen Vorlieben des Kaisers (wie weit sie sich wirklich durchsetzten, kann nicht beurteilt werden). Nun war Franz II. (I.) nicht sehr von Talenten, Genies, „Freunden der Literatur“, „Projektemachern“, „Patrioten“ oder „Kritikern“ eingenommen. „Mittelmäßige Anlagen verbunden mit Arbeitsamkeit“ galten ihm mehr als Genialität. Er hielt Menschen mit Begabungen vielleicht nicht zu Unrecht für ehrgeizig, kritisch und Neuerungen zugeneigt und daher als Beamte ungeeignet64. Überliefert wurde eine 61 Ebd., 42. 62 Zum Folgenden ebd., 43 f. 63 Dabei war das Hofdekret vom 3. August 1798 wahrscheinlich wirklich gut für den Staatsdienst gemeint gewesen: „Bei den Dienstvergebungen, wobei nicht auf die Person, sondern auf das Beste des Dienstes gesehen werden muß, ist das Augenmerk nur auf den Fähigsten und Würdigsten zu richten, jedoch ist es billig, daß bei gleichen Eigenschaften auf jene vorzüglich Rücksicht genommen werde, welche bei der Stelle, wo sich die Erledigung ergibt, selbst angestellt sind und sich dabei mehrjährige Verdienste erworben haben.“ Ebd., 112. 64 Ebd., 12 und 44.

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diesbezügliche Äußerung des Kaisers im Jahr 1833: „Mit den sogenannten Genies und den Gelehrten kommt nichts heraus; sie wollen immer alles besser wissen und halten die Geschäfte auf, oder die Alltagsgeschäfte wollen ihnen nicht gefallen: gesunder Menschenverstand und braves Sitzfleisch, dies ist das Beste.“65 Gewünscht war also Mittelmäßigkeit vor allem aristokratische, da Adelige – durch ihre vermutete Identifikation mit den Interessen des Thrones – dem Kaiser als am verläßlichsten galten66. Demgemäß wurde angeblich auch die Bestellungspolitik von Beamten betrieben: Statt tüchtiger, gebildeter wurden beschränkte Beamte favorisiert, die beschränkten Beamten beriefen wiederum beschränkte, und talentierte Beamte (so berichtet wenigstens Beidtel mit Seitenblick auf seine Person) versuchte man durch Versetzung loszuwerden67. Diese Maßstäbe waren freilich nicht ganz durchzuhalten. Immer wieder mischte sich ein begabter Mensch unter die Beamtenschaft. Die Amtshandlungen der Behörden und einzelner Beamter war auch durch einen wohlausgebauten Instanzenzug garantiert, der folgendermaßen aussah68: Kaiser Staatsrat/Kabinett Hofstellen/Hofkommission Gouvernements Kreise Grundherrschaften, Magistrate

Das Kabinettsystem, das Joseph II. ausgebildet hatte, bestand in Österreich bis 1848. Es wurde ergänzt durch den „Staatsrat in inländischen Geschäften“, der die Entscheidungen der Hofstellen (Zentralbehörden) und Hofkommissionen, die den Hofstellen für ganz bestimmte Kompetenzen zeitweise beigegeben waren, begutachtete und dem Kabinett oder auch dem Kaiser direkt weiterleitete. Der Amtsweg – von „oben nach unten“ – ging also von den „Zentralinstanzen“ zu den Landesinstanzen, den Gouvernements (Gubernien, später Statthaltereien), die im großen und ganzen die alten Ländereinheiten, die „historisch-politischen 65 Alfons HUBER in seiner Einleitung zu BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, XXIX. 66 Ebd., 2, 13 f. und 41 f. 67 Ebd., 18, 22 und 36. 68 Über die Behörden von 1815–1848 Friedrich WALTER, Die österreichische Zentralverwaltung II: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848) 2/2: Die Zeit Franz’ II. (1.) und Ferdinands I. (1792–1848) (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 42, Wien 1956) 34– 349; außerdem BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 58–66.

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Individualitäten“, verwalteten – bis auf zwei Ausnahmen: die Statthalterei in Innsbruck war für Tirol und Vorarlberg zuständig, die Statthalterei Triest für Görz-Gradisca, Istrien und die Stadt Triest (das sogenannte Küstenland). Daneben nahmen in bescheidenem Ausmaß auch die ständischen Landtage, an denen man bekanntlich pro forma festhielt69, Verwaltungsaufgaben wahr und repräsentierten – das sei am Rande vermerkt – die Stände, d. h. auch Herrschaften und Städte des jeweiligen Landes. Von den Gouvernements setzte sich der Amtsweg zu den Kreisämtern fort: Diese umfaßten im Durchschnitt ein Gebilde von ca. 5000 km2 und entwickelten eine äußerst vielfältige staatliche Tätigkeit. Die Kreisämter repräsentierten dem Volk gegenüber den Staat. Sie überwachten Herrschaftsämter der Grundherrschaften und Magistrate und setzten die staatlichen Gesetze und Verordnungen durch. Sie trugen maßgeblich dazu bei, daß die politische und öffentliche Funktion der Patrimonialämter und Magistrate als letzte Instanz allmählich immer zweifelhafter und einem modernen Verwaltungssystem nicht mehr adäquat erschien. Der staatliche Instanzenzug war also detailliert ausgebaut. Auch im Justizwesen wurden durch die Gerichtsordnung die Rechts- und Appellationsmöglichkeiten so begünstigt, daß ein Prozeß um 20 Gulden angeblich drei Instanzen durchlaufen konnte70. Die staatliche Verwaltungspraxis wurde durch die entsprechenden Instanzen auf den verschiedenen Stufen wahrgenommen (und dies seit den mariatheresianischen Reformen). Sie gestaltete sich freilich komplizierter durch die Tatsache, daß die einzelnen Länder abweichende Verwaltungsstrukturen hatten, etwa Lombardo-Venetien, dessen von Napoleon I. nach französischem Muster eingeführte Administration bestehen blieb, die, wie auch Dalmatien, keine patrimoniale oder munizipiale Gerichtsbarkeit kannte71, also in höherem Grad verstaatlicht war; oder etwa in Teilen der Alpenländer (Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Innviertel), wo landesfürstliche Pfleggerichte bestanden. Diesen Unterschieden kann hier im Detail nicht nachgegangen werden. Mit dieser knappen Skizzierung ist natürlich die österreichische Verwaltung nicht hinreichend geschildert. Es soll damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden, daß die staatliche Verwaltung, vor allem die 69 Die ständischen Landtage hatten sehr beschnittene Kompetenzen. Sie stellten eine Art Substitut für ein Repräsentativsystem dar, dessen Streichung die Wiener Bundesakte von 1815 für die Mitgliederstaaten des Deutschen Bundes vorgesehen hatte; BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 61. 70 BEIDTEL, Staatsverwaltung II, 63. 71 BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 47 f.; vor allem Marco MERIGGI, Potere e Istituzioni nel Lombardo-Veneto prequarantottesco. In: La dinamica statale austriaca nel XVIII e seculo a cura di Pierangelo SCHIERA (Bologna 1981) 207–244, und DERS., Amministrazione e classi sociali nel Lombardo-Veneto (1814–1848) (Bologna 1983) im besonderen 10–29 und 87–125.

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„politische“ (innere) Verwaltung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gut durchgegliedert war und die staatliche Verwaltungspraxis – diesen Eindruck erhält man aus Beidtels Aufzeichnungen – bis in die „tiefsten Tiefen“ reichte. Staat war damit Verwaltung, Verwaltung war Staat. Der Nachteil des kompliziert ausgebauten Systems liegt auf der Hand. Obwohl der Instanzenzug ein gewisses Maß an Rechtssicherheit gewährte – die einzig wirksame im absoluten System –, trug er viel dazu bei, das österreichische Verwaltungssystem zweifelhaft erscheinen zu lassen. Denn selbstverständlich gestaltete sich der Geschäftsgang dementsprechend langsam. Joseph II. hatte als Gegenmaßnahme Richtlinien für die rasche Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten erlassen72, da die Langsamkeit des Aktenlaufes, die durch seine Zentralisierungstendenzen erhöht wurde, seine Vorstellungen empfindlich störte. Die Regierungstätigkeit Kaiser Franz’ II. (I.) zeichnete sich im Gegensatz dazu bekanntlich dadurch aus, daß er eine Reihe von Angelegenheiten durch Nichterledigung löste. Die Langsamkeit im Amt nahm auch zu, wo Angelegenheiten ordnungsgemäß erledigt wurden. Ganz unbedeutende Angelegenheiten dauerten in der Zeit zwischen 1806 und 1835 3–4 Jahre, wichtigere Fragen sollen kaum unter 8–10 Jahren Erledigung gefunden haben73. Katastrophal wirkte sich die Schwerfälligkeit bei Besetzungen von Beamtenstellen aus. Die Ausschreibung, die sich bei Vakanz hoher Stellen eingebürgert hatte, und die „Konkurse“, die abgehalten wurden, waren dem Dienst sicherlich förderliche Maßnahmen. Doch da Bewerber oft aus vom angegebenen Dienstort weit entfernten Teilen Gesuche einreichten, mußte allein wegen der Verkehrsverhältnisse eine lange Frist für die Bewerbung gegeben werden. Jedes Gesuch mußte beim Vorgesetzten der Dienstbehörde des Bewerbers eingereicht werden, der seinerseits noch eine Konduiteliste verfaßte, außerdem wurde die Polizei noch angehört. „Waren endlich die Kompetenten“, so schildert Beidtel die Prozedur, „der den Vorschlag erstattenden Behörde bekannt“, so kam es zum Vortrag. Wenn aber dabei von einem Votanten irgend ein Zweifel geäußert wurde, konnten neue Informationen verlangt werden. Der Vorschlag wurde dann einer zweiten Behörde vorgelegt, bis er an die Zentralstelle kam, wo ebenso verfahren wurde. Gelangte er bei den dem Monarchen vorbehaltenen Ernennungen in das Kabinett, so wanderte er von dort an den Staatsrat und von da wieder an das Kabinett zurück, von dem er erst dem Monarchen 72 Es gibt eine ganze Reihe solcher Instruktionen. Eindrucksvoll: „Aktenstücke zu den allgemeinen Reformgedanken Josephs II. vom 16. März 1781“, bei WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 1–20 im besonderen 4 f. 73 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 63.

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zur Schlußfassung vorgelegt wurde. Auch dort blieb er gewöhnlich einige Zeit liegen, und gar oft geschah es, daß, wenn die Anträge der Stellen einige Verschiedenheit zeigten, über den einen oder den anderen Bewerber neue Informationen eingeholt wurden oder auch die Sache auf längere Zeit in Vergessenheit geriet. Sollte diese Schilderung beim heutigen Zeitgenossen Entsetzen und Unverständnis erwecken, so wird dieser sich allerdings durch den nachfolgenden Satz Beidtels beruhigt fühlen, da er zeigt, daß kaum Unterschiede zur heutigen Praxis bestanden: „Bei Lehrkanzeln an den hohen Schulen, den Posten der Appellations- und Gubernialräte, der Hofräte und Präsidenten nahm man daher durchschnittlich ein Jahr als die zur Wiederbesetzung nötige Zeit an.“74 Der schwerfällige Geschäftsgang gestaltete sich nach dem Tod des Kaisers Franz II. (I.) eher noch schwerfälliger, wie Hartig es beschreibt: „Der Charakter der Geschäftsführung ist Meinungsverhör der Meinungen und Kontrolle der Kontrollen.“75 So war es auch nicht möglich, die Verstaatlichung der Herrschafts- und ­Magi­stratsverwaltung, die, wie man wußte, einem modernen Verwaltungssystem nicht mehr entsprach und von der im Zuge der Diskussion um die Grundentlastung immer wieder und immer deutlicher die Rede war, durchzuführen76. Die Zentralverwaltung und ihre Beamten sollen, so gewinnt man wenigstens aus Beidtels Äußerungen den Eindruck, am langsamsten agiert haben; allen voran der Staatsrat77 und natürlich – Kaiser Franz selbst. Nicht nur die uneinheitlichen Regierungsgrundsätze der obersten Hofstellen78 und der Formalismus trieben Blüten ungeahnten Ausmaßes, sondern die Angst vor der Verantwortung veranlaßte Rückfragen, die nicht notwendig waren und die Aktenerledigung äußerst umständlich gestalteten. Trotz dieser Schwerfälligkeit, über die Zeitgenossen immer wieder klagten, darf, das sei nochmals gesagt, nicht vergessen werden, daß Instanzenzug und Rekursweg Kontrolle im absolutistischen Staat bedeuteten – und damit wichtige Momente für die Ausbildung und die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit darstellten. Die Bedachtnahme auf die peinliche Einhaltung des Instanzenzuges zeigt, daß das absolutistische Regime bestrebt war, zu beweisen, daß Absolutismus und Rechtsstaatlichkeit einander nicht notwendigerweise ausschlossen.79 Die starke 74 Ebd., 65. 75 HARTIG, Genesis der Revolution, 45, und BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 375. 76 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 377 und 384. 77 Ebd. 78 Ebd., 216 ff. 79 Zu Rechtsschutz durch Beamtentum im Absolutismus vgl. auch REDLICH, Staats- und Reichs­problem 1/1, 426. Zum russischen Absolutismus diesbezüglich Hans-Joachim TORKE,

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3. Bürokratie, Staatsreform und Rechtsstaat

Zentralisierung und der Ausbau der Staatsgewalt, des Staatsapparates, bedeuteten damals zweifelsohne bei aller Einschränkung eine gewisse rechtsstaatliche Entwicklung, daher in einem bestimmten Sinn Modernisierung. Die Beamten hatten – ob sie nun wollten oder nicht – an diesem Prozeß teil. Waren sie deshalb aber auch gleichzeitig ein Element, das die allgemeine Reform des Staates vorangetrieben hätte?

3. Bürokratie, Staatsreform und Rechtsstaat Es wird heute immer wieder behauptet, die Beamten wären ein oder sogar das Instrument der Staatsreform, im besonderen des habsburgischen Rechtsstaates1, gewesen. Dies ist zumindest zum Teil nicht unrichtig. Bei näherem Hinsehen stellt sich die Frage jedoch viel diffiziler und komplizierter. Sicherlich, die Bürokratie als Institution, die geschaffen und entwickelt wurde, um eine moderne staatliche Organisation, die Verwaltung, zunächst zu kreieren und dann im Gang zu halten, war selbstverständlich ein Instrument (und ist immer ein mögliches Instrument) der Staatsreform. Auf die Rolle der Bürokratie im gesamten als Rationalisierungsfaktor hat Max Weber verwiesen, auf dessen Theorien noch eingegangen werden soll2. Eines sei vorweggenommen: Die Theorie, daß die Bürokratie auch ein Modernisierungsfaktor ist, stimmt selbstverständlich, vorausgesetzt, daß die Obrigkeit (besonders im absolutistischen Staat) selbst reformfreudig und stark genug ist, die Beamten zum Mittun zu bewegen. Wie steht es jedoch mit diesem Instrument der Reform, wenn die Obrigkeit nicht reformfreudig ist? Kann diese Großgruppe, sollte sie selbst auch zur Modernisierung bereit sein, Reformgeist bewahren und Reformen durchführen, oder muß sie sich fügen, angesichts einer Regierung, die sich nötigen Reformen verschließt? Außerdem stellt sich ein anderes, noch diffizileres Problem: Kann man überhaupt einer Großgruppe eine einheitliche Gesinnung in bestimmten oft sehr divergierenden oder den Interessen der einzelnen zuwiderlaufenden Fragen zu-

1

2

Das russische Beamtentum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 13/1, Berlin 1967) 19 f. Vgl. z. B. Adam WANDRUSZKA, Ein vorbildlicher Rechtsstaat? In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 2: Verwaltung und Rechtswesen, hg. v. Adam WANDRUSZKA und Peter URBANITSCH (Wien 1975) XVII f. Siehe S. 348–356.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

schreiben? Vielleicht sollten wir besser analysieren: Wie steht es mit der Meinung von einzelnen Bürokraten zu einzelnen Fragen? Wie steht es mit ihrer Kompetenz und ihrer Macht, diese offen durchzusetzen oder heimlich zu unterlaufen? Der gesamte Komplex von Politik und Verwaltung, Macht und Ohnmacht der Bürokratie, über den bereits Bände gefüllt wurden, wird damit berührt. Der wissenschaftliche Meinungsstreit über die tatsächliche Macht der Bürokraten endete jeweils mit einem Patt und kann auch hier nicht entschieden werden. Von der Konzeption her als rein exekutierendes Organ gedacht, mit der Bestimmung, den Staat in seiner jeweiligen Form – welcher auch immer – zu unterstützen, hat die Bürokratie praktisch große Möglichkeiten, mitzubestimmen sowie offen oder heimlich zu opponieren, d. h. auch politisch zu handeln. Sie hing von der jeweiligen konkreten Konstellation, von der Stärke der Regierung, von der Stärke (sowohl der zahlenmäßigen, intellektuellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen etc.) der einzelnen Vertreter der Bürokratie, die den Stand prägten, ab. Für den hier behandelten Zeitraum von ca. 70 Jahren, in dem die Verhältnisse – gerade was die Einstellung zur Staatsreform betraf – so eklatant wechselten, und angesichts eines Berufsstandes, der in dieser Periode ca. jeweils 400–1000 Personen umfaßte (betrachten wir nur die Zentralbürokratie), ist es meiner Meinung nach unmöglich, diese Fragen zu beantworten. Sie können so gar nicht gestellt werden. Einige Momentaufnahmen mögen die Problematik beleuchten. Bleiben wir zunächst beim Beispiel Joseph II., der, wie wir wissen, ein radikaler Reformer war. Sein jüngster Biograph faßt die von ihm gesetzten Neuerungen zusammen: „He set about trying to expand and improve the army, to reform and control the Roman Catholic Church within the Monarchy, to extend religions toleration and relax censorship, to improve the position of the serfs, to introduce a tax system that took no account of social privilege, and to impose an the variegated provinces of his dominions homogenous law and an unified, centralised administration. He asserted that, as the sovereign, he knew better than anyone else what was for the good of the people.“3 Es ist keine Frage, Joseph II. und die österreichischen Aufklärer bauten auf die Unterstützung der Beamten bei der Durchführung des Reformwerks.4 Joseph II. bezog die Beamten schon sehr früh in seine Pläne ein.5 Wenn die Beamten auf Grund ihrer Fähigkeiten und nicht auf 3 Derek BEALES, Joseph II. In the Shadow of Maria Theresia 1: 1741–1780 (Cambridge-LondonNew York … 1987) 4. 4 Ernst WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 14 f. 5 Bereits in den „Rêveries“ (1763), siehe Derek BEALES, Joseph II’s „Rêveries“. In: MÖSTA 33 (1980) 142–160.

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Grund von Familienverbindungen, sozialen Prestiges und Wohlhabenheit ernannt würden, könnte das ganze System verändert werden, meinte er6. Seine Hoffnungen wurden, wie wir wissen, nicht erfüllt; zumindest in seinen Augen nicht. In seinem „Hirtenbrief“ an die Beamten ist gerade die mangelnde Bereitschaft der Beamten, sein Reformwerk tatkräftig zu unterstützen, Anlaß zu den bitteren Klagen: „Drei Jahre sind nun verflossen“, so beginnt der „Hirtenbrief“, „daß ich die Staatsverwaltung habe übernehmen müssen. Ich habe durch selbe Zeit in allen Teilen der Administration meine Grundsätze, meine Gesinnungen und meine Absichten mit nicht geringer Mühe zu erkennen gegeben … Ich habe die Liebe, so ich’s für allgemeine Beste empfinde und den Eifer für dessen Dienste jedem Staatsbeamten einzuflössen gesucht … Ich habe den Chefs Vertrauen geschenkt und Gewalt eingeräumt, damit sie sowohl auf die Gesinnungen ihrer Untergebenen als in der Tat wirken können …“ Jetzt halte er es aber für seine Pflicht, im Interesse des Staates auf die Ausführung seiner Befehle zu dringen, welche er zum Leidwesen bis jetzt so vernachlässigt sähe. Denn, so Joseph II., „auf diese mechanisch knechtische Art ist es unmöglich mit Nutzen die Geschäfte zu betreiben“7. Wie stand es nun, sehen wir von Josephs II. Meinung über seine Beamten und seiner Ungeduld ab, tatsächlich um die Mitwirkung der Bürokratie am josephinischen Reformwerk? Paul Mitrofanov, der in seinem großangelegten zweibändigen Werk über Joseph II. im eigentlichen das Reformwerk des Kaisers thematisierte, beschäftigte sich auch sehr eingehend mit der Rolle der josephinischen Beamten in diesem Neuerungsprogramm. Er präsentiert uns sehr divergierende Haltungen von einzelnen (hohen) Beamten zu den verschiedenen Reformplänen8, woraus eindeutig klar wird, daß es allein in diesen zehn Jahren der Regierung Josephs II. keine einheitliche Haltung des Beamtentums in Reformfragen gab. Mitrofanov spricht allerdings nur von den Bürokraten der höchsten Ebene, deren Meinung zu Problemen der Nachwelt überliefert ist. Wie aber dachte der junge Konzeptsbeamte, der die Gedankengänge seines Vorgesetzten in stilistische Form goß, wie der Kanzleibeamte, der sie niederschrieb? Folgte der Hofrat in den Ausführungen den Ratschlägen seiner Mitarbeiter oder entschied er gegen sie? Fragen, die in den meisten Fällen offenbleiben müssen. Diese Beamtene6

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Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlicher Obersthofmeister, 1742–1776, 7, hg. v. Rudolf Graf KHEVENHÜLLER-Metsch und Hanns SCHLITTER (Wien 1925) 385–388, zit. bei BEALES, Joseph II., 455. „Grundsätze“ für jeden Diener des Staates, bei WALTER, Zentralverwaltung 11/4, 123 f. MITROFANOV, Joseph II., z. B. 794 ff.

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bene beeinflußte zwar nicht direkt momentane höchste Entscheidungen, doch wären ihre Meinungen von uns als Symptom zu werten, welche Stimmungen und Haltungen in der Bürokratie herrschten, sie ließen die Frage leichter beantworten, ob wir überhaupt zumindest zeitweise eine vorherrschende Meinung der Großgruppe Bürokratie zu einem Problem herauskristallisieren könnten. Die Untersuchung muß sich unweigerlich schwierig, wenn nicht undurchführbar gestalten, da ja die Beamtenschaft des späten 18. und 19. Jahrhunderts bekanntlich nicht wie eine moderne Partei Erklärungen zu bestimmten Fragen abgab. Im Gegenteil, als ausführende Organe von oft ungeliebten Weisungen werden sie ihre Meinungen oft verschleiert haben, besonders wenn sie in Gegensatz zu dieser Weisung standen. Hätten wir jedoch eine ziemlich einhellige Haltung zu ein und demselben Reformplan zu ein und derselben Zeit festgestellt, so ergäbe sich sofort die nächste Frage, nämlich ob es bei dieser auch blieb, oder ob, wann und warum sich diese änderte. Selbst in diesen zehn Jahren der Regierung Josephs II. herrschten, was ganz allgemein den „Geist der Behörden“ betrifft, erhebliche Unterschiede. Die Mitglieder der obersten Justizstelle und der Kompilationskommission (Martini, Zinzendorf und Kees), waren reformerisch im Sinne des „Josephinismus“ gesinnt. Mitrofanov bezweifelt allerdings, daß die meisten hohen Beamten der anderen Behörden vom selben Geist beseelt waren9. Im allgemeinen waren die Beamten der Zentralbehörden (Heinke, Kressel, Gottfried van Swieten) für die Säkularisierungspolitik Josephs II. Ja, sie wünschten, nach Wangermann, sogar eine radikalere Kirchenpolitik, als der Kaiser beabsichtigte10. Diese Generallinie sollte sich auch in der Folgezeit wenig ändern. Beidtel beispielsweise spricht von „unglaublich säkularisierten“ Lehren, die in den Amtsstuben und Universitäten kursierten und – für ihn – den reinen Atheismus verkörperten11. Er nennt sogar hohe beamtete Geistliche, die josephinisch dachten, wie Martin Lorenz und Alois Jüstel12. Viele Beamte wären „antiklerikalprotestantisch“ gewesen13. Aus diesem Grund und gewisser wirtschaftsliberaler Neigungen wegen wurde wahrscheinlich die Bürokratie oft sehr global „liberal“ genannt.14 9 Ebd., 535 ff. 10 WANGERMANN, Von den Jakobinerprozessen zu Joseph II., 18. 11 BEIDTEL, Staatsverwaltung II, 158–165. 12 Ebd., 161 f. 13 Ebd., 167. 14 Harm-Hinrich BRANDT, Liberalismus in Österreich zwischen Revolution und großer Depres-

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Was die Kirchenpolitik betraf, so dachte die Mehrzahl der Beamten bis 1848 josephinisch-aufklärerisch und richtete sich gegen den Einfluß des Klerus auf staatliche Angelegenheiten. Diesbezüglich ist also eine relativ einheitliche große Linie zu konstatieren, obwohl es auch hier ein breites Spektrum von Nuancen gab15. Eine andere brennende Frage, die sich im josephinischen Jahrzehnt stellte und bis 1848 aktuell blieb, war die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie von Zehent und Robot. An diesem Beispiel zeigt sich die vollkommen divergierende Haltung sowohl von einzelnen Beamten wie von Behörden und somit die ganze Tragweite des Problems, die Rolle der Bürokratie im Prozeß der Reform festzumachen. Daß auch Beamte in josephinischer Zeit gegen die Zehent- und Robotablöse waren, nimmt nicht wunder. Die Spitzenpositionen der Zentralregierung, besonders aber die der Provinzverwaltung (wie in Galizien und Mähren) rekrutierten sich hauptsächlich aus dem landbesitzenden Adel, von dem nicht erwartet werden konnte, daß er finanzielle Einbußen gerne hinnahm. In Wien freilich, so meint Mitrofanov, habe sich die Situation trotzdem anders dargestellt. Die Beamten seien aufgeklärter gewesen, auch bekanntlich die beamteten Mitglieder der hohen Aristokratie. „Die Nähe des Monarchen“, meint Mitrofanov, „wandelte die Adeligen in Bürokraten um“16. So spielte das in den letzten Jahren bezüglich wirtschaftlicher Verhältnisse vieldiskutierte Problem „Zentrum – Peripherie“17 in gänzlich abgewandelter Form, aber doch auch eine wesentliche Rolle. Die altbekannte Frage des Bildungsgefälles zwischen Stadt und Land, Hauptstadt und Provinz bestimmte essentiell das Problem Bürokratie und Verwaltung, allein durch die Tatsache, daß im Zentrum, wo modernes Gedankengut meistens sowieso früher zum Tragen kommt, sicherlich mehr im Sinne der Aufklärung ausgebildete und von den Aufklärern ausgewählte Beamte waren. Allerdings wandelte sich selbst in dieser einen Frage und innerhalb dieses kurzen Zeitraums des josephinischen Jahrzehnts die Haltung der Beamten. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Die Beamten der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, die in der theo­ sion. In: Liberalismus im 19. Jahrhundert, Deutschland im europäischen Vergleich, hg. v. Dieter LANGEWIESCHE (Göttingen 1987) 136 und 139. 15 MITROFANOV, Joseph II., 794–799. Eine differenzierte Beschreibung der Haltung der Beamten zur Frage der religiösen Toleranz in den Niederlanden bei Walter DAVIS, Joseph II.: An Imperial Reformer for the Austrian Netherlands (The Hague 1974) 194 ff. 16 MITROFANOV, Joseph II., 637 ff. (Zitat 638). 17 Vgl. die Diskussion um die Theorie von Immanuel WALLERSTEIN, The Modern World System (New York 1974).

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retischen Diskussion zu Beginn der Regierungszeit Josephs recht aufklärerisch dachten – besonders in der Zehent- und Robotfrage –, begannen dem Kaiser zu widersprechen, als er am Ende seiner Regierungszeit (1789) tatsächlich daranging, die Robot und Naturalabgaben in Geldabgaben zu verwandeln. Nur die Hofräte Eger und Sonnenfels wechselten nicht die Front18. Roman Rozdolski, der die „große Steuer- und Agrarreform Josefs II.“ zum Thema seiner Monographie macht, schildert sehr eindrucksvoll die Differenz zwischen den bürgerlich-bürokratischen und den aristokratisch-feudalen Prinzipien innerhalb der josephinischen Beamtenschaft19 in dieser Frage. Er wählt zur Veranschaulichung als Paradebeispiel den Kampf zwischen dem obengenannten Hofrat im Staatsrat Eger und seinem Vorgesetzten in der „Steuerregulierungs-Hofkommission“ Zinzendorf um die Ablöse von Zehent und Robot und schildert den Wandel des Grafen vom aufgeklärten reformerischen Theoretiker zum erschreckten und zögernden Praktiker, wenn seine eigenen Interessen berührt waren. Aber auch die Beamten der zweiten und dritten Kategorie, in vielen Fällen bürgerlicher Herkunft und ohne Grundbesitz, beschreibt Rozdolski als keineswegs so reformfreudig, daß sie sich für radikale Lösungen der Agrarfrage einzusetzen bereit gewesen wären. Ihre Haltung war der eines Zinzendorf nicht unähnlich. Von braven Stützen des josephinischen Reformprogramms wandelten sie sich zu Gegnern, als ihnen die Grenzen des Überschaubaren überschritten schienen20. Die Frage blieb auch in der Folgezeit diffizil. Die von Joseph II. verfügten Maßnahmen wurden bekanntlich von seinem Nachfolger Leopold II. rückgängig gemacht. Die Causa Robotablöse blieb weiterhin eine ungelöste brennende Frage: Die Einstellung des grundbesitzenden Adels, der für die Aufrechterhaltung des Feudalsystems auf die Barrikaden zu steigen bereit war, änderte sich allerdings im Laufe des halben Jahrhunderts: Untertanenschuldigkeiten und Herrenrechte waren unrentabel geworden und Adelige begannen von sich aus, da von Staats wegen das Problem nicht gelöst wurde, im Alleingang die Grundentlastung durchzuführen, wie z. B. Franz Graf Thun-Hohenstein in Teschen21. Innerhalb der Aristokratie neigte sich im Laufe der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts die Waagschale 18 MITROFANOV, Joseph II., 639 f. 19 Roman ROZDOLSKI, Die große Steuer- und Agrarreform Josefs II. Ein Kapitel zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte (Warszawa 1961), besonders 93–110. 20 Ebd., 23 f. und 170 f. 21 Christoph THIENEN-ADLERFLYCHT, Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservativismus im Kaisertum Österreich (= Veröffentlichungen des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 6, Graz-Wien-Köln 1967) 92 ff.

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immer mehr zugunsten der Grundablöse, die niederösterreichischen Stände stellten schließlich 1843 im niederösterreichischen Landtag ihren aufsehenerregenden Reformantrag, in dem die Ablösung der herrschaftlichen Fron- und Zehentrechte verlangt wurde22. Die Beamten reagierten darauf aber völlig verwirrend. Während angeblich (nach Bibl) die Beamten der Kreisämter bedacht darauf waren, den Wünschen der Bauern einigermaßen nachzukommen23, galt ab den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts den Räten in der Hofkanzlei und im Staatsrat die Grundablösungsfrage als ein Tabu, wobei aber (besonders in der Hofkanzlei), wie im josephinischen Jahrzehnt, stark divergierende Meinungen bestanden24. Carl Friedrich von Kübeck beispielsweise, kleiner Leute Sohn, der es später zum Hofkammerpräsidenten bringen sollte, äußerte sich ganz in der aufklärerischen Tradition: Er hielt Herrenrechte und Untertanenschuldigkeit für verderblich und sprach sich (1808) gegen diese „Kraft des Stillstandes“ aus. Er lehnte das Feudalsystem aus staats- und wirtschaftspolitischen Gründen ab25. Die unteren Behörden, beispielsweise die Kreisämter in Niederösterreich, schützten auch in den folgenden Jahren die Untertanen26. Die Zentralbehörden jedoch begannen nun, da Zehent und Robot vollkommen unrentabel geworden waren27, die Lösung der Frage auf Jahre hinaus zu verzögern. Lag es nur an der grundlegenden Uneinigkeit, daß man in dieser Frage nicht weiterkam? Sogar nach dem Antrag der Stände auf freiwillige Ablöse auf dem Landtag von 1843, in dem 22 Dazu ausführlich Viktor BIBL, Die niederösterreichischen Stände im Vormärz. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Revolution des Jahres 1848 (Wien 1911), vor allem 56–296. 23 Ebd., 64–68. 24 Ebd., 80. 25 Carl Friedrich Freiherr KÜBECK VON KÜBAU, Tagebücher des Carl Friedrich Freiherrn Kübeck von Kübau, hg. und eingeleitet v. seinem Sohne Max Freiherrn von KÜBECK 1/1 (Wien 1909) 236. 26 Bibl beschreibt z. B. ausführlich den Fall der Herrschaft Viehofen bei St. Pölten oder des Stiftes Göttweig in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, BIBL, Niederösterreichische Stände, 107–128. 27 In der Landtagsdebatte wurden von Mitgliedern der Ständeversammlung als Gründe für die Grundentlastung angeführt: die Abgaben des Zehents gingen nie wirklich ein, so daß die Grundbesitzer das Nichterhaltene noch mitversteuern mußten; der allgemeine „Geist der Zeit“, der dem feudalen System wenig Sympathie entgegenbrachte, die ständigen Streitereien zwischen Bauern, Grundherren und Behörden, die eine Verbesserung der Landwirtschaft im allgemeinen unmöglich machten und die Demoralisierung der Arbeitsmoral, nämlich die tatsächliche Praxis, daß man in den Robotstunden nur geschult werde, wie man unter dem Schein der Arbeit möglichst faul sein könnte; BIBL, Niederösterreichische Stände, 193 f. und 197.

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die in staatsökonomischer Beziehung bedenklichen Aspekte von Robot und Zehent für jedermann klar und deutlich hätten werden müssen, fand der Staatsrat die Frage nicht dringlich und verschob die Lösung in weite Ferne. Allerdings fanden sich nun im Staatsrat bereits vehemente Gegner der Verschleppungstaktik28. Die Revolution von 1848 überrollte alle vormärzlichen Meinungen, Konzepte und Diskussionen. Von einer Rolle der Bürokratie oder einer Haltung der Bürokratie in nur dieser einen wichtigen Frage der Staatsreform, der Grundentlastung, kann also keineswegs gesprochen werden. Es gab wohl Tendenzen einzelner Behörden für oder gegen die Reform. Diese hingen – wenigstens teilweise von der Kenntnis bzw. Nähe der Behörden zu diesem Problem ab: Dies zeigt das oben zitierte Beispiel der Kreisbehörden, denen im Gegensatz zu den Zentralbehörden in Wien die Tragweite der ungelösten Ablösefrage aufging. Viele andere Faktoren wären aufzuzählen, die eine Rolle dabei spielten, daß die Beamten zu verschiedenen Reform­ ansätzen sehr verschieden eingestellt waren: Bildungsgefälle, Informationsstand, nicht zu vergessen das persönliche Interesse einzelner Beamter an bestimmten Reformen, sowie Weltanschauung, Alter etc., die schließlich und endlich den „Geist“ einer Behörde bestimmten. Wollen wir die Bürokratie als Instrument der Staatsreform beurteilen, so müssen wir allerdings feststellen, daß sie, die Bürokratie als Gesamtinstitution die Summe einzelner Behörden und einzelner Beamter, nicht fähig war, im Laufe des Vormärzes, die wichtige Frage der Grundablöse zu ordnen, die retardierenden, die verzögernden Tendenzen hatten in diesen Jahren die Oberhand. Ähnlich verhielt es sich bei der Behandlung anderer Probleme. Sie war auch nicht fähig, in der anderen, mit der Grundablöse eng zusammenhängenden Frage der Patrimonial- und Munizipalgerichtsbarkeit, in der seltene Einhelligkeit herrschte, daß sie – zumindest die Kriminalgerichtsbarkeit in unterster Instanz – abgeschafft und durch landesfürstliche Ämter ersetzt gehörte29, zu entscheiden. Die Hofkommission zur Revision des Strafgesetzes, die Oberste Justizstelle, und (seit 1815) die Hofkommission in Justizgebungssachen, die Hofkanzlei, der Staatsrat, ja sogar die Hofkammer, die aus Kostengründen gegen die Übernahme der Gerichte in unterster Instanz durch den Staat hätten sein müssen, erstatteten 20 Jahre hindurch Vortrag auf Vortrag, die sich mit einigen wenigen 28 Ebd., 211–217. 29 Ebd., 162–177. Den Widerstand der – vorwiegend nicht adeligen – bei der Justiz beschäftigten Beamten gegen die Patrimonialgerichtsbarkeit und gegen die gutsherrliche Polizei konstatiert auch BEIDTEL, Staatsverwaltung II, 261 und 377–381.

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Ausnahmen im Staatsrat30 positiv für die Reform aussprachen und die Einführung der landesfürstlichen Gerichte, die ja in Teilen Oberösterreichs, Salzburgs und Tirols bereits bestanden, vorschlugen. Trotzdem konnte auch diese Angelegenheit bis zur Revolution von 1848 nicht erledigt werden. Positiver werden die Maßnahmen der Bürokratie in der Wirtschaftspolitik beurteilt31. Vom Kameralismus so stark geprägt, daß dieser, wie man sagt, zu einem ihrer wesentlichsten Merkmale wurde (das bis heute noch zu spüren sei)32, waren die hohen Beamten die eigentlichen Akteure des Staatsinterventionismus. Hier konnten sie einige Erfolge verzeichnen, doch (bis 1848) nicht wirklich kontinuierliche, zumindest was den Kampf gegen die ständischen Institutionen betrifft. Ihre Rolle bei der Ausformung des kapitalistischen Wirtschaftssystems sollte daher nicht überschätzt werden33. Warum war die Bürokratie aber oftmals nicht dazu fähig, notwendige Modernisierungsmaßnahmen zu setzen? Die einfachste Antwort wäre: Ein immobiles Regierungssystem stand allen Reformanträgen der Beamten starr entgegen und verhinderte alle notwendigen Modernisierungsprozesse. Wenn diese einfache Antwort stimmt (und sie ist jedenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen), dann zeigt sie gleichzeitig sehr deutlich, wie zweitrangig die politische Position der Bürokratie in den Herrschaftsbeziehungen – wenigstens eines absoluten Systems – ist und wie begrenzt daher ihre Rolle als Instrument der Staatsreform war. Andererseits wäre allerdings die Frage zu stellen, ob nicht gerade die Rolle der Bürokratie so begrenzt ist, weil sie den Anpassungsprozeß an die bestehenden obrigkeitlichen Strukturen, wie gerade an unserem Beispiel gezeigt wurde, mitvollzogen hat – 30 Zur Institution Staatsrat in diesen Jahren Carl Freiherr von HOCK und Hermann Ignaz BIDERMAN, Der Österreichische Staatsrat 1760 bis 1848 (Wien 1879, fotomechanischer Nachdruck Wien 1972) 679–698. 31 Eva KREISKY, Zur Genesis der politischen und sozialen Funktion der Bürokratie. In: Das politische System Österreichs, hg. v. Heinz FISCHER (Wien 1974) 191 ff. und 204–208; SCHIMETSCHEK, Beamte, 124–127; besonders Johann SLOKAR, Geschichte der österreichischen Industrie und ihrer Förderung unter Kaiser Franz I. (Wien 1914); und (unter Beobachtung der Rolle von Krauß Elislago) Harald STEINDL, Entfesselung der Arbeitskraft. In: Wege zur Arbeitsrechtsgeschichte, hg. v. Harald STEINDL (Frankfurt 1984) 107–127; DERS., Österreich (1770–1860). In: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, 3: Das 19. Jahrhundert, 3. Teilband: Gesetzgebung zu den privatrecht­lichen Sondergebieten, hg. v. Helmut COING (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, München 1986) 3604–3610. 32 Alois BRUSATTI, Österreich am Vorabend des industriellen Zeitalters. In: Wirtschaftsgeschichte Österreichs, hg. v. INSTITUT FÜR ÖSTERREICHKUNDE (Wien 1971) 146. 33 KREISKY, Genesis, 207.

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willfährig oder gezwungenermaßen. Ein schönes Beispiel von Gesinnungswandel und Anpassung bietet uns Matthäus von Collin. Silvester Lechner hat am Beispiel der Literatur des Dichterbeamten Matthäus von Collin den Wandel des österreichischen Intellektuellen (und Beamten) vom bürgerlichen „Aufrührer“ zum regierungsabhängigen „Untertan“ nachgezeichnet34. In welchem Maß die Jakobinerprozesse, in denen der Widerstand gegen den restaurativen Kurs erbarmungslos gebrochen worden war, gerade auf die politische Emanzipation der Beamten dämpfend eingewirkt haben mochten, ist schwer abzusehen. Wahrscheinlich war der Einfluß groß. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß unter den österreichischen Jakobinern ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Beamten vertreten war. Martin Joseph Prandstätter war Magistratsrat der Stadt Wien. Georg Ruszitska war Kanzleidiener und Schreiber bei der Ungarischen Hofkanzlei, Cajetan Gilowsky von Urazewa war Kriegsgerichtsaktuar, Franz Xaver Troll Polizeikommissar in Lemberg, Franz Gotthardi Polizeidirektor und Stadthauptmann von Pest, Leopold Billets von Billenberg Rechnungsoffizier und eines der Häupter der Wiener Verschwörung, Andreas Baron Riedel entstammte einer Wiener Beamtenfamilie35. Das war die andere Seite der österreichischen – angeblich nur „untertänigen“ – Bürokratie, die damit ihre Ambivalenz zeigte. Eine ansehnliche Zahl von „Verschwörern“ kam aus dem Berufsstand, der als staatstragend und staatsbejahend ausgebildet war und auch als solcher bis dahin betrachtet wurde. Nach Walter Grab lag die starke Teilnahme von Beamten in dem Umstand begründet, daß sie Anhänger der Reformkaiser Joseph und Leopold gewesen waren und die reaktionäre Politik von Franz verabscheuten36. Es muß als Schock empfunden worden sein, daß die Beamten sich als unverläßlich für das System erwiesen. Franz II. (I.), „der Gute“, bestrafte die österreichischen Jakobiner für ihre „demokratische“ Gesinnung (strafbare Taten waren freilich außer im Fall des Haupt34 Silvester LECHNER, Matthäus von Collin. Zwischen bürgerlichem Anspruch und absoluter Herrschaft. Matthäus von Collins Rezensionen in den Wiener „Jahrbüchern der Literatur“ (1818–1824). In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750–1830), hg. v. Herbert ZEMAN (Graz 1979) 257–289. 35 Walter GRAB, Demokratische Freiheitskämpfer Österreichs im Zeitalter der Französischen Revolution. In: Wien und Europa zwischen den Revolutionen (1789–1848). (Wiener Europagespräch 1977 = Wiener Schriften 39, Wien-München 1978) 60; WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 153–160; zu den beamteten Jakobinern Helmut REINALTER, Österreich und die französische Revolution (Wien 1988) 52. 36 GRAB, Demokratische Freiheitskämpfer, 57.

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manns Hebenstreit nicht nachzuweisen) mit unnachsichtiger Härte37. 1796 kam es, wie bereits erwähnt, zu einer Reihe von Verhaftungen von Beamten38. Diese strenge Bestrafung setzte ein abschreckendes Beispiel, lähmte wahrscheinlich auf Generationen hinaus die Zivilcourage der österreichischen Staatsdiener und prägte Gedanken, Vorstellungen, Geistigkeit, das politische Verhalten – mit einem Wort die Mentalität – der Beamten. Daß die Entwicklung einer gut organisierten, institutionell fest verankerten Bürokratie per se ein modernes Element in der absoluten Monarchie darstellte, berührt die Frage, ob die Beamten reformatorisch eingestellt waren, ob sie Staatsreformen durchführten, im Grunde nicht39. Die Institution als solche bot wenigstens zum Teil nach außen die Garantie des Rechtsstaates: Die Unantastbarkeit der Patente, Gesetze und Verordnungen, der Instanzenzug der Behörden, die Rechts- und Appellationsmöglichkeiten des Bürgers/Untertans waren ausgebaut und blieben ungebrochen während des ganzen Vormärzes bestehen. Ernst Wangermann hat bereits aufgezeigt, welche zentrale Rolle die Verwaltung für die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und in den Vorstellungen vom Rechtsstaat bei den österreichischen Aufklärern spielte40. Die von Joseph von Sonnenfels (Hofrat der Hofkanzlei und Mitglied der Studienhofkommission, daneben Professor der politischen Wissenschaften und niederösterreichischer Regierungsrat) projektierte Sammlung der politischen Gesetze sollte einen Meilenstein auf dem Weg zum Rechtsstaat bilden. Die Gesetzessammlung sollte letztlich dazu dienen, die vollkommene Sicherheit der Person gegen ein willkürliches Vorgehen der Behörden zu gewährleisten. Darum sollten in dem geplanten Kodex auch alle jene Gesetze und Verordnungen veröffentlicht werden, die das Verhältnis der verschiedenen Behörden zueinander und zu den Staatsbürgern bestimmten. „Die bürgerliche Freiheit“, so motivierte Sonnenfels seine Gedanken, „fordert, daß jedermann wisse, wie weit jeder Beamte, jede Stelle in ihren Verrichtungen gehen könne. Es ist vielleicht das sicherste Mittel, Packeleien und Eigenmäch37 WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 165–211. 38 Siehe S. 79. 39 Fritz MORSTEIN MARX meint in seiner glänzenden Studie „The Higher Civil Service as an Action Group in Western Political Development“. In: Bureaucracy (zit. S. 21, Anm. 19), 94: „Civil servants do not drift naturally into the camp of change. For a permanent establishment there is obvious advantage in avoiding exposure to serious public controversy Clearly, there is advantage for the administrator in passing the buck to the place where it must go an grounds of political logic. He is bound to show adroitness in substituting prudence for courage.“ 40 WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 32–38.

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tigkeiten vorzubauen, wenn die Pflichten und Rechte eines jeden Amtes allgemein bekannt sind.“41 Für Sonnenfels war eine Sammlung von solchen Gesetzen, die die rechtsstaatlichen Sicherheiten garantierten, gleichbedeutend mit einer „Staatsverfassung“42. Der Geist, der diese Unternehmungen trug, ist nicht unähnlich dem, was von Niebuhr etwas später mit dem Schlagwort „Freiheit durch Verwaltung“ umrissen wurde und in deutschen Staaten Popularität erlangte43. Nicht sehr viel später, während der Jakobinerprozesse, sollte es sich erweisen, daß der Gedanke des Rechtsstaates bei den maßgeblichen Spitzen der Beamten festen Fuß gefaßt hätte. Die Spitzen der Beamtenschaft, Martini, Zinzendorf, Eger, sollten im Rahmen der Jakobinerprozesse, als man daranging, „verdächtiges“ Gedankengut mit der Wurzel auszurotten und die Universitäten und Unterrichtsanstalten von fortschrittlichen Professoren zu säubern, zur Verteidigung antreten44. Diese hohen Bürokraten wandten sich gegen willkürliche Verhaftungen von Verdächtigen ohne Untersuchung der Schuld und gegen willkürliche Entlassungen von Professoren. Sie hatten Erfolg damit. Die rechtsstaatlichen Ideale wurden zumindest zunächst aufrechterhalten und sollten sich nicht zuletzt dank des Einsatzes dieser den Gedanken der Aufklärung verhafteten Beamten, wie Wangermann betont, selbst in der Zeit des Polizeistaates nicht mehr ganz verlieren45. Die Beamten stellten auch in der Folge in der Phantasie der Mächtigen des Staates in der Zeit der Restauration, die sich mehr und mehr verstärkte, eine geheimnisvolle Gefahr dar (ob dies nun berechtigt war oder nicht), die in den Griff zu bekommen für die Regierung immer wichtiger wurde. Der Kampf gegen die vermeintliche Macht der Beamten ging in so verstärktem Ausmaß weiter, daß er das Privatleben aller Beamten tief berührte. Vom Standpunkt des österreichischen Landesfürsten wurde er, wie bereits angedeutet, nicht zu Unrecht geführt: Die Bürokratie, die gleichzeitig mit dem fürstlichen Absolutismus besser und stärker ausgebildet worden war, hatte sich, wie sich nun herausstellte, zu einer neuen Elite entwickelt. Sie hatte einen Standard von politischer Organisation und sozialem Prestige erreicht, der sie zu Aktivitäten veranlaßte. Der Zugriff des Staates auf die politische Entwicklung seiner Beamten war, wie wir gesehen haben, in den entscheidenden Oppositionsphasen der Beamten besonders unnachsichtig – und zunächst von Erfolg gekrönt. Die Beamtenschaft 41 Sonnenfels’ „Einleitung zum Plan einer vollständigen politischen Gesetzessammlung“, zit. ebd. 42 Ebd., 36. 43 Bei HATTENHAUER, Beamtentum, 201–204. 44 WANGERMANN, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 198–209. 45 Vgl. ebd., 209.

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hatte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts den Ruf erworben, Handlanger des Regimes, korrupt und erbärmliche Versager zu sein. Wir bemerken also auch hinsichtlich der Bedeutung der Bürokratie als Faktor der Rechtsstaatlichkeit verschiedene Stadien: Nach der Periode, in der die hohen Beamten aufgrund ihres Einflusses und ihres Ansehens ein Korrektiv von Regierung und Krone sein konnten (es wäre übertrieben, von Gegengewicht zu sprechen), verkam ihr Einfluß auf die staatliche Entwicklung46. Höhlte dieser Zustand der Stagnation aber nicht zugleich das absolutistische System aus? Nehmen wir die Beschreibung des österreichischen bürokratischen Systems in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch kritische Zeitgenossen ernst, dann führt das zum Schluß, daß eine korrupte, bestechliche, funktionsunfähige Bürokratie rechtsstaatliche Einrichtungen verhinderte oder zumindest lähmte. Es hatte sich, so meint der Offizier Carl Möring, im Jahr 1848 eine „bürokratische Oligarchie“ entwickelt, die der Hof nachsichtig behandeln mußte, da sie ihm so vortreffliche Dienste leistete. Daher rühre die Milde und Nachsicht gegenüber der „noblesse de cour“ und der „noblesse de la robe“, gegenüber einer unglaublichen „Adels- und Beamtenwirtschaft“ mit Übergriffen und Mißbräuchen der Amtsgewalt „trotz des so streng gehaltenen Prinzips des absoluten Monarchismus“. Aus der österreichischen „Beamtenwillkür“ ließe sich, so Möring, eine „chronique scandaleuse“ zusammenstellen47. An einer Wandlung dieser „unrechtmäßigen“ Verhältnisse zum Besseren könnte eine solche Beamtenschaft naturgemäß kein Interesse haben. „Warum aber ist die Bürokratie der Öffentlichkeit so entgegen?“ fragt Möring und antwortet: „Etwas wissen, Red’ und Antwort geben, aufhören zu müssen, alles auf die lange Bank zu schieben, nicht mehr hinter der Amtswürde sich verstecken, nichts mehr verheimlichen zu können … nicht mehr selbst protegieren und protegiert werden, keine ,Douceurs‘ und ,Cadeaux‘ oder Sommerwohnungen um den halben Preis annehmen zu dürfen, nicht mehr das Unrecht verjähren, das Recht verdrehen, die Geduld ermüden, und so zuletzt den Unbequemen los werden zu können. Dies alles mundet freilich den Beamten nicht, die es jetzt so bequem, die eigene Kontrolle in Händen, und sich hinter den erklecklichen Grundsatz geflüchtet haben, man müsse Skandale vermeiden. Keine Krähe hackt der anderen die Augen aus.“48 Die anonyme Schrift „Sociale und politische Zustände Oesterreichs“ geißelt gar das bürokratische System als größtes Übel für Staat und Gesellschaft. „Bei vie46 Vgl. auch S. 54–64. 47 (MÖRING), Sibyllinische Bücher 1, 7 f. 48 Ebd., 260 f.

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I. Gehorsam und Herrschaft – zur Ausbildung der Institution Bürokratie

len andern Ämtern herrscht entweder ein inquisitorisch strenger, unheimlicher oder steifer Geist, in dessen Atmosphäre das Atmen zur Beschwerde wird – oder entgegengesetzt eine Roheit und Gemeinheit in der Behandlung der Parteien, in Mienen und Sprachen, als stände man nicht unter kaiserlichen Beamten, nicht unter Männern, die gute Erziehung und literarische Bildung genossen haben, sondern unter verkleideten Sackträgern, Fuhrleuten und Stallknechten, denen keine Gebärde zu ungeschlacht, kein Ausdruck zu pöbelhaft, kein Schimpf zu niedrig, kein Fluch zu niederträchtig ist … Diese scharfe Rüge trifft selbst viele hochgestellte Beamte, obwohl diese meist aus großen und reichen Häusern stammen und wieder mit der haute volée Umgang pflegen; … Die heillosen Wirkungen nach unten liegen am Tage; es ist, als ob jedes unumschränkte Haupt seines usurpierten Wirkungskreises, worin ihm alles nur Selbstzweck ist, nichts anderes dächte, als: ,Wenn nur meinen Bedürfnissen, Wünschen und Ansichten ein Genüge geschieht, après moi le dèluge – wenn ich einmal über Haufen von Gold und Ordensbändern einschlafe, mag die Lawine von denselben wie von hohen Gletschern rollen und ringsum alles mit Greuel und Verwüstung erfüllen‘.“49 Diesen zeitgenössischen Urteilen zufolge hatte in erster Linie das bürokratische System Schuld daran, daß Österreich geradewegs der Revolution zusteuerte50. Diese Meinung ist in zweierlei Hinsicht interessant. Erstens sehen wir, daß wir selbst bei den kritischen Intellektuellen der Zeit die schon früher erörterte Neigung finden, die Exekutierenden und nicht Regierung und Herrscher für den stagnierenden Absolutismus verantwortlich zu machen. Zweitens aber zeigt sie, daß ein bürokratisches System per se noch nicht genügt, rechtsstaatliche Entwicklungen zu sichern. Es muß auch funktionstüchtig sein. Und das war das österreichische bürokratische System offensichtlich ab den 1840er Jahren nicht mehr. Das fortschrittliche Element der österreichischen Bürokratieentwicklung lag allerdings nicht im System, sondern in der Formierung einer gebildeten Beamtenschaft, die dem Mittelstand angehörte, die Ziele und Interessen jener teilte, die nicht mit denen des Adels und auch nicht mit denen des absolutistischen Herrschers ident sein konnten. Der Konflikt mit den Interessen des Herrschers, der die Macht nicht zu teilen gewillt war und die Entfaltung einer tüchtigen Bürokratie nur bis zu einem gewissen Grad wünschen konnte, wurde letztendlich unausweichlich. S. N. Ei-

49 SOCIALE und politische ZUSTÄNDE, 134 ff. 50 Vgl. auch die Urteile Andrian-Werburgs und Tuvoras, zit. S. 58 f.

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3. Bürokratie, Staatsreform und Rechtsstaat

senstadt51 beobachtete diesen politisch-sozialen Prozeß, nämlich die soziale und ökonomische Differenzierung der bürokratischen Eliten, die gepaart mit einer universalistischen Orientierung und einer ebensolchen Ideologie – ab einem gewissen Entwicklungspunkt mit den Interessen des Herrschers kollidieren mußten, auch in der Geschichte Englands und Frankreichs. Er beschreibt diesen Konflikt als typisch europäisches Phänomen und sieht in ihm eine Antriebskraft, die „aristokratischen bürokratischen Reiche“ zu überwinden und in „moderne politische Systeme“ umzuwandeln. Wollten wir dieser Theorie folgen, die zweifelsohne einige Richtigkeit auch für das österreichische System besitzt, so sollte dieser Prozeß der Konfliktaustragung zwischen Herrscher und beamteten Eliten bis 1848 bzw. bis 1867 dauern. Am Ende stand tatsächlich die Umwandlung des absolutistischen Regimes in ein modernes staatlich-politisches System.

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EISENSTADT, Political Systems, 358 f.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung? Die Zusammenhänge von institutioneller und sozialer Entwicklung „La grande menace d’en trop savoir“ (Pierre Legendre, L’amour du censeur)

1. Beamtenbildung – Bürgerbildung Der ideologische Bildungsenthusiasmus der Aufklärer und ihr bildungspolitischer Imperativ, eine möglichst große Zahl von Bürgern möglichst gut auszubilden, wurden von der recht praktischen Erkenntnis inspiriert, daß der Staat und mehr noch der Staat der Zukunft, nur gedeihen könne, wenn sich gut ausgebildete Schulabsolventen um ihn sorgten und die gutgemeinten Vorschriften der Staatsgewalt sachgemäß ausführten. Die Forderung nach einer qualifizierten Ausbildung jener Leute, die die Reformen durchführen sollten, also der Beamten, war daher nur der zweite Schritt im bildungspolitischen Programm und stand in Österreich – sowie in anderen europäischen Staaten des 18. Jahrhunderts1 – Pate, als man begann, die Universitäten so zu reformieren, daß sie ein möglichst nützliches Instrument der Staatsgewalt wurden. Der Gedanke, daß die Qualität der Ausbildung vor der Quantität der Ausgebildeten zu rangieren habe, stand dabei offensichtlich im Vordergrund. Daß dieses auch für die österreichischen Aufklärer galt, drückt eine Denkschrift Josephs von Sonnenfels aus dem Jahr 1771 mit dem bezeichnenden Titel „Über den Nachtheil der vermehrten Universitäten, zur Eröffnung der Vorlesungen im Jahre 1771“2 aus. Sonnenfels bringt darin, und dies 1 Hans-Eberhard MUELLER, Bureaucracy, Education and Monopoly. Civil Service Reforms in Prussia and England (Berkeley-Los Angeles-London 1984) 87; auf Preußen bezogen siehe HATTENHAUER, Beamtentum, 98 ff. 2 In: Joseph von SONNENFELS, Gesammelte Schriften 8 (Wien 1786) 245–272. Dazu auch – vor allem zum Akademikerüberschuß in Österreich – Grete KLINGENSTEIN, Akademiker­ überschuß als soziales Problem im aufgeklärten Absolutismus. Bemerkungen über eine Rede

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

ist in unserem Kontext wichtig, den damals drohenden Akademikerüberschuß in Zusammenhang mit seinem offensichtlich vorrangigen Anliegen nach einer qualifizierten Beamtenausbildung: „Ich kehre meinen Blick auf diejenigen zurück, welche bei dem Staate Beförderung erhalten“, so leitet Sonnenfels die Ausführungen über den Staatsdienst und die Staatsdiener ein, in denen er die grundsätzlichen Probleme aufzeigt, die Mißstände der Beamtenauswahl geißelt, die bisherige Bildung kritisiert und neue Vorschläge unterbreitet: „Statt, daß die Schulen den Ämtern die notwendige Anzahl brauchbarer Leute geben sollten, wurden Ämter erschaffen, um der ungeheuren Menge der Studierenden Unterkommen und Anwendung zu geben. Die französischen Schriftsteller rufen mit verzeihlichem Unwillen aus: man habe die Verwaltung des Rechts, der Finanz, alle Ämter des Staats verkäuflich gemacht. Der Schriftsteller unseres Staates ist gezwungen zu bekennen, daß wir uns nicht einmal mit der geringen Entschädigung eines Kaufschillings trösten können. Die Ämter wurden vermehret, um sich der Ungestüme der Väter, der Familien zu entledigen, die den Titel eines Amts wie eine notwendige Verzierung ansehen, ohne den man nicht mit Anstand erscheinen kann. Man muß etwas sein – sagen Leute, die, mit welchem Amtstitel sie auch bekleidet sein mögen, dennoch nie etwas sein werden. – Aber ich verfolge sie in der Bekleidung des Amtes selbst. Sie fallen dem Staate nicht durch ihre Untätigkeit zur Last, doch ihre Handlungen bringen ein vielleicht noch größeres Unheil über ihn. Wenn eine zu den Bedienungen ebenmäßige Anzahl allein den Studien sich zu widmen, zugelassen wäre; wenn man mit dieser Vorsehung noch vereinigte, daß nur unterscheidende Talente gewählet würden … es wäre wenigstens nicht so leicht, bei Vergebung der Ämter in der Wahl zu irren. Aber, wo sich für eine freigewordene Bedienung immer fünfzig und mehr Leute bewerben, kann da der einsichtsvollste Minister wohl viel behutsamer gehen, als es gleichsam dem Zufalle oder dem Lose zu überlassen! Und, was sich wohl am häufigsten, was beinahe immer sich ereignet, ist, daß der Mindergeschickte den Geschickteren überholet und sich, über ihn hervor, eindränget. Das ist sogar die ordentliche Folge in der Amtsbewerbung zwischen beiden. Der fähige Mann, zuversichtlich auf sein Verdienst, wandelt gemeiniglich den ofJoseph von Sonnenfels’ aus dem Jahre 1771. In: Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5: Bildung, Politik und Gesellschaft, hg. v. Grete KLINGENSTEIN, Heinrich LUTZ und Gerald STOURZH (Wien 1978) 165–204. Über die „Juristenschwemme“ in deutschen Staaten seit dem 17. Jahrhundert HATTENHAUER, Beamtentum, 91 und 98 f.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

fenen Weg und wandelt ihn mit Anstand und Zurückhaltung: er zeigt sich, gibt Beweise, macht vielmehr Ansprüche als er bittet, und verschmäht Empfehlungen zu Gnaden als schimpflich für den, der das Amt vergibt, und für ihn, der auf eine solche Art ein Amt erhalten soll. Indessen sich nun der geschicktere Mitwerber in seinem Zutrauen wiegt, hat jener, seines Unwerts bewußt, die Notwendigkeit eingesehen, sich nur durch fremden Beistand geltend zu machen. Er versäumt es nicht, findet diesen Beistand, ebnet sich den Zutritt, ist zudringend, ungestüm, zuversichtlich, spiegelt Fähigkeiten vor, oder bringt es dahin, daß von Fähigkeiten keine Frage aufgeworfen wird, demütiget sich, kriecht, wird angenommen, und hat nicht selten schon die Versicherung der Bedienung in seiner Tasche, ehe der Fähige, durch seinen Fleiß an sein Pult geheftet, es nur inne geworden, daß irgend eine Bedienung zu vergeben war.“ Sonnenfels gibt sich jedoch nicht mit der Beschreibung der mißlichen Gegenwart zufrieden. Er beschwört hier die bösen Gefahren für das Beamtentum der Zukunft, unter denen noch Generationen leiden würden, herauf: „… der Mietling macht Unrecht zu Recht gegen Tax und Gebühren. Der Staat leidet, der Bürger leidet, die Emsigkeit ist ohne Aufmunterung: ein kleines Übel wächst zum großen heran, weil der es nicht erkennet, der ihm vorbeugen sollte. – Und, was unter solchen Umständen für den Staat das fürchterlichste und von weitaussehendsten Folgen sein muß, ist, daß, wenn einst Unfähige an der Spitze der Verwaltung oder bei Ämtern von Einfluß sitzen, sie sich im brüderlichen Bunde vereinigen, die Herrschaft der Nacht und Unwissenheit um sie her zu verewigen, um jeden, der sie in ihrer eigenen Gestalt zu überraschen fähig sein möchte, von den Geschäften zu entfernen … und nach und nach sinkt, trotz hundert hoher Schulen und Lyzeen, alles in seine Unwissenheit zurück. Der Absturz ist jäh, wie der Fall einer schweren Last, die mit wachsender Schnelle nach der Tiefe rollt, wenn sie den ersten Anstoß empfanget: aber das Empordringen aus dem Abgrunde der Dunkelheit auf die lichte Höhe ist nicht selten die oft vergebens versuchte Mühe des Sysiphus …“3 Die Sonnenfels’sche Programmatik ist durchaus parallel zu sehen mit der in anderen Staaten gängigen bereits erwähnten Diskussion, daß der Dienst am Staat 3

Ähnliches auch in einem später erschienen Werk: Joseph von SONNENFELS, Handbuch der inneren Staatsverwaltung mit Rücksicht auf die Umstände und Begriffe der Zeit 1: Enthaltend nebst der allgemeinen Einleitung einen Theil der Staatspolizey (Wien 1798) § 141, 309. Dabei betrug die Zahl der Studenten der juridisch-politischen Studien, das sei am Rande hier vermerkt, an der Universität Wien im Studienjahr 1788/89 83; gezählt nach KASSA-JOURNAL der von der hiesig-kais. königl. hohen Schule und den drei Gymnasien eingegangenen Unterrichtsgeldern vom 1. November 1788 bis Ende August 1789, UNIVERSITÄTSARCHIV WIEN.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

als Ehrenpflicht, ja als auszeichnende Bürgerpflicht anzusehen sei, zu dem im übrigen nur eine kleine, gut ausgebildete und gut ausgewählte Elite zuzulassen wäre, die allein „die Herrschaft der Nacht und Unwissenheit“ abwenden konnte. Für Sonnenfels war also 1771 bereits die schon erörterte Frage, ob Beamtendienst wahrer Staatsdienst im modernen (und nicht Fürstendienst im älteren) Sinn zu sein habe4, entschieden. In diesem Rahmen entwarf er sein Idealbild der Bürokratie, die den (idealen) Staat so gestalten sollte, wie ihn die Theoretiker der aufklärerischen Ideologie planten. Daß damit die Ausbildung dieser Träger des modernen Staates eine vorrangige Bedeutung erhielt und die Bildungsinstitutionen samt den Universitäten auf diese ausgerichtet wurden, war nur eine logische Konsequenz5. Die enge Verknüpfung der Entwicklung des Staatsdienstes und der Regulierung der Universitäten war im übrigen ein gesamteuropäisches Phänomen der Aufklärung: In Preußen, wo die Verhältnisse den österreichischen ähnlich waren, aber auch in England, wo das System der Bürokratie ganz anders als in Mitteleuropa gestaltet war, die Verwaltung des Landes in den Händen der wohlhabenden Aristokratie lag und das Studium an Universitäten so teuer war, daß die Kosten kaum von minderbemittelten Familien geleistet werden konnten, bestand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenso ein Zusammenhang zwischen Universitätsbildung und bürokratischem Dienst6. Auch in Rußland wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts (1803) der Versuch gemacht, die Universitätsausbildung auf die Bedürfnisse des Staatsdienstes auszurichten, doch stagnierte die Entwicklung des juristischen Studiums sehr bald7. Staatswohl, Staatsdienst, darüber hinaus die Ausbildung des modernen Staates schlechthin, wurden fast überall mit dem Universitätsstudium und dem Studienplan eng gekoppelt. Die entsprechenden Reformen der Universität in Österreich hingen von diesen Prämissen ab.

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Siehe S. 65. Dazu auch Waltraud HEINDL, Beamte, Staatsdienst und Universitätsreform. Zur Ausbildung der höheren Bürokratie in Österreich (1780–1848). In: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 4 (1987) 35–53. MUELLER, Bureaucracy, vor allem 121 ff. und 227 f. TORKE, Russisches Beamtentum, 139 ff.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

1.1. Universität, Universitätsreform und Staatsdienst Die vielzitierte Hofresolution Josephs II. vom 25. November 17828: „Muß nichts den jungen Leuten gelehrt werden, was sie nachher entweder sehr seltsam oder gar nicht zum Besten des Staates gebrauchen oder anwenden können, da die wesent­lichen Studien in den Universitäten für die Bildung der Staatsbeamten nur dienen, nicht aber bloß zur Erzielung Gelehrter gewidmet sein müssen“, ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit skeptischen oder vorwurfsvollen Kommentaren bedacht worden. Nicht nur daß man die Umwandlung der Universität in eine Lehranstalt geißelte, sah man in den josephinischen Maßnahmen auch eine völlige Mißachtung der Wissenschaften. Dabei vergaß man durchwegs den anschließenden Satzteil dieser Resolution zu zitieren, der die Ausbildung der Wissenschaftler nicht ignoriert, sie aber der Eigeninitiative junger, interessierter Leute zuweist. Der Satz „nicht aber bloß zur Erziehung Gelehrter gewidmet sein müssen“, wird nämlich fortgesetzt mit den Worten, „welche, wenn sie die ersten Grundsätze wohl eingenommen haben, nachher sich selbst ausbilden müssen, und glaube nicht, daß ein Beispiel seie, daß von dem bloßen Katheder herab Einer es geworden seie“. Die ersten offiziellen Kritiken stammen aus den Reihen jener späteren Reformer, die dieses josephinische Universitätssystem einem radikalen Wandel zu unterziehen gedachten, nämlich von Minister Leo ThunHohenstein und seinen Mitarbeitern, die die „Gelehrtenuniversität“ gegen die „Beamtenuniversität“, die „wissenschaftliche Anstalt“ gegen die „Lehranstalt“ ausspielen wollten9. Erfüllt von ihrem ­eigenen Programm, daß die Wissenschaft und ihre Lehre frei zu sein habe und bar jeglichen Verständnisses für die Bedürfnisse des Staates des späten 18. Jahrhunderts, fällten diese Reformer des 19. Jahrhunderts recht harte Urteile, die in der historischen Literatur mitunter bis in die heutige Zeit – vielfach unkritisch übernommen wurden10. Erst Grete Klingenstein hat auf die sozialen, ökonomischen und kulturellen Motive für 8

Resolution auf dem Vortrag der Studienhofkommission vom 25. November 1781, zit. MITROFANOV, Joseph II., 808, Anm. 1; Gerson WOLF, Das Unterrichtswesen in Österreich unter Joseph II. Nach einer Darstellung von Joseph von Sonnenfels (Wien 1880) 40 f.; vgl. auch Ernst WANGERMANN, Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781–1791 (= Österreich Archiv, Wien 1978) 25. 9 Vgl. vor allem die Auftragsarbeit, die Thun in diesem Zusammenhang vergab: Rudolf KINK, Geschichte der k[aiserlichen] Universität zu Wien, 2 Bde. (Wien 1854). 10 Zum Beispiel auch die so differenzierte Arbeit von MITROFANOV, Joseph II., 807–811. Im Grunde müßte die Geschichte der österreichischen Universität einer Revision unterzogen werden.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

das „gegängelte“ Unterrichtssystem aufmerksam gemacht11. Die Reformer von 1780 gingen – von ihrem Standpunkt aus – nur logisch und konsequent vor, wenn sie den Modernisierungsprozeß von Staat und Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer institutionellen Bildungspolitik stellten, so kleinlich, provinziell und wissenschaftlich wenig attraktiv späteren Kritikern diese Universitätsverhältnisse erschienen sein mögen. Auch die Maßnahmen, die in diesem Jahrzehnt erfolgten und darauf zugeschnitten waren, den staatlichen Zugriff zu sichern, sind in diesem Rahmen zu sehen. Die bisherige Universität, die vorwiegend den kirchlichen Interessen diente, konnte den aufklärerischen Staatsreformern nur hinderlich sein. Im Zuge der praktischen Ausrichtung der Universität auf den Staat und den Staatsdienst12 wurden die Universitäten reduziert: Universitäten bestanden ab nun in Wien, Prag, Löwen, Freiburg/Breisgau und Pest, in Lemberg entstand eine neue, die anderen (Graz, Innsbruck und die junge Universität von Brünn, wohin man erst 1777 die ältere Olmützer Universität verlegt hatte) wurden in Lyzeen umgewandelt, was bedeutete, daß diese keine Promotionen zum Doktor der Rechtswissenschaften vornehmen konnten. An den Universitäten sollten nur „die ausgesuchtesten Talente“ studieren. Auf den Beamtenberuf bezogen, bereiteten die Universitäten auf die höhere Beamtenlaufbahn vor, während die Lyzeumsabsolventen eher die „gewöhnliche“ Karriere zu erwarten hatten13. Es lag in der Logik eines reformatorischen Staates, der in erster Linie und zunächst einmal Beamte brauchte, um die Modernisierung durchzuführen, daß er erstens das Wissen vorschrieb und dieses zweitens unter Kontrolle hielt. Das Studieren im Ausland war daher in diesem Programm sinnlos und hatte aufzuhören. In keinem Fall berechtigten Auslandsstudien zum Staatsdienst14. Im übrigen dach11 Grete KLINGENSTEIN, Despotismus und Wissenschaft. Zur Kritik norddeutscher Aufklärer an der österreichischen Universität 1750–1790. In: Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 3: Formen europäischer Aufklärung. Untersuchungen zur Situation von Christentum, Bildung und Wissenschaft im 18. Jahrhundert, hg. v. Friedrich ENGEL-JANOSI, Grete KLINGENSTEIN und Heinrich LUTZ (Wien 1976) 126–157. 12 Richard MEISTER, Entwicklung und Reformen des österreichischen Studienwesens (= Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 239/1, Wien 1963) 29 ff.; KINK, Universität Wien 1, 549 und 559 f. 13 Dazu auch Christoph THIENEN-ADLERFLYCHT, Wandlungen des österreichischen Studiensystems im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert. Studien und Materialien (= Studien zum Wandel von Bildung und Gesellschaft im Neunzehnten Jahrhundert 12, Göttingen 1975) 35. 14 MITROFANOV, Joseph II., 808.

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ten auch andere Souveräne wie der preußische König oder der russische Zar nicht daran, die Wahl der Vorlesungen den Professoren zu überlassen oder neugierige Studenten ins Ausland zu schicken, damit diese etwa bereichert mit „fremden“ Ideen zurückkämen. Auf die juridische Fakultät, den Hort der Beamtenausbildung, wurde überall größter Wert gelegt15. Die Ausbildung der Verwaltungsbeamten in den juristischen Fächern hatte Tradition. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert waren in den deutschen Territorialstaaten und in Österreich die wichtigsten Ämter mit vorwiegend bürgerlichen „doctores“ besetzt gewesen, deren Rang dem der Adeligen gleichkam16. Sie wurden im 18. Jahrhundert von adeligen Familien verdrängt, denen es gelang, die Ämter zu monopolisieren. In Österreich hatte dieser Prozeß im 17.  Jahrhundert eingesetzt. Nach der siegreichen Gegenrevolution wurden die wichtigen Ämter des Reiches von den katholischen Herrschern mit katholischen, mangels inländischer oft mit ausländischen, oft auch bürgerlichen oder klein­ adeligen Beamten besetzt. Diese integrierten sich sehr schnell, nicht nur in die österreichische Gesellschaft im allgemeinen, sondern auch in die aristokratischfeudale im besonderen, dank des Adels, der ihnen vom Kaiser verliehen wurde und – was im Unterschied von den geadelten Beamten des 19. Jahrhunderts wichtig war – dank des Grundbesitzes, der ihnen zusätzlich gegeben wurde17. Sie wurden zu „echten“ österreichischen Aristokraten, die teilweise schon aus Tradition über Generationen hinweg wichtige Staatsämter bekleideten und diesbezüglich Vorrang hatten. Ignaz Beidtel, der Verwaltungsfachmann, schildert uns die Situation in den österreichischen Ländern in den späteren Regierungsjahren Maria Theresias folgendermaßen: „Als Regel durfte man bei den Amtsverleihungen annehmen, daß die höchsten Ämter dem hohen, die mittleren dem mittleren Adel und die niedrigeren den anderen Ständen zufielen. Wenn es anders geschah, so war es nur eine Ausnahme zu der Regel.“18 Entsprechend der sozialen Rekrutierung sah auch der Lebensstil der hohen Beamten, oder besser gesagt vielleicht, der hohen Amtsin15

Über die Durchsetzung des sogenannten „Juristenprivilegs“ im Staatsdienst Otto HINTZE, Der Beamtenstand. In: Soziologie und Geschichte, hg. v. Gerhard OESTREICH (Göttingen 21964) 103. 16 HATTENHAUER, Beamtentum, 103 ff. 17 Vgl. dazu die aufschlußreiche Darstellung des Prozesses bei Henry F. SCHWARTZ, The Imperial Privy Council in the Seventeenth Century. With a Supplement „The Social Structure of the Imperial Council, 1606–1674“ (= Harvard Historical Studies LIII, Cambridge, Mass. 1943). 18 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 21.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

haber aus: Er war adelig geprägt. „Diese Regel aber“, meint der bürgerliche, dem Adel gegenüber – das ist in Rechnung zu ziehen – sicher nicht unvoreingenommene Beidtel, mit leisem Vorwurf, „hatte zur Folge, daß die höheren und mittleren Beamtenplätze gewöhnlich in dem Besitz wohlhabender oder reicher Männer waren, welche sich darin gefielen, ein verhältnismäßig großes Haus zu führen. Diese Gewohnheit war so allgemein verbreitet, daß (um das Jahr 1770) Maria Theresia bei allen ihren höheren Beamten männliche und weibliche Dienerschaft samt Equipage als zum Anstand gehörig betrachtete und einen ihrer Hofräte tadelte, weil er nicht Equipage hielt.“ Selbstverständlich erhielten diese hohen Beamten auch eine ausgezeichnete, typisch adelige Ausbildung, die vorwiegend privater Natur war und „weltmännische“ Erziehung vermittelte. Daß man diese für den neu reformierten Verwaltungs- und Justizdienst denn doch als nicht mehr ganz passend erkannte, zeigt die Gründung der Maria Theresianischen Ritterakademie im Jahre 1745, an der neben den adeligen Übungen, Tanzen, Fechten, Reiten und eine allgemeinbildende Erziehung ein zwei-, später dreijähriges juristisches Studium anschloß19. Für die Ausbildung der Masse der Beamten hatte die Verordnung vom 5. Juli 1766 besonderes Gewicht, in der eine deutliche Bevorzugung der juristisch geschulten Jünglinge als Beamte dekretiert wurde: „Bei allen Diensterledigungen in den k. k. politischen, Kameral-, Finanz- und Kommerzialstellen“, so wurde festgesetzt, „soll auf diejenigen Subjekte und vor allem anderen der Bedacht genommen werden, welche in dem Natur-, Völker- und allgemeinen Staatsrechte als dem Grunde der gesamten Polizei, in den Polizei- und Kameralwissenschaften, dann in dem Kameral- und Merkantilrechnungswesen ihren vorzüglichen guten Fortgang durch Zeugnisse der betreffenden Lehrer erweisen können, wie denn in dieser Rücksicht Ihre Majestät ferner anbefehlen, daß von den betreffenden Lehrern nach jedem beendigten Laufe der Kurse ihres Studiums ein Verzeichnis derjenigen 19 Gernot STIMMER, Zur Herkunft der höchsten österreichischen Beamtenschaft. Die Bedeutung des Theresianums und der Konsularakademie. In: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert. Studium und Materialien (= Studium zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert 12, Göttingen 1975) 308. Nach dem Studienplan von 1745 unter den Jesuiten erfolgte die Ausbildung in der 1. Stufe: in Grammatik (3 Jahre), Religion und Latein; in der II. Stufe: in Humanität (2 Jahre), nämlich Poetik und Rhetorik; und in der III. Stufe: in Philosophie (2 Jahre), in Logik, Physik, Mathematik. Durch die Erweiterung des Lehrplanes wurde die Einführung der deutschen Sprache, der Militär- und Zivilbaukunst (innerhalb der Mathematik), der Geschichte mit Betonung der mittelalterlichen und neueren Geschichte, der Geschichte des Deutschen Reiches, des Erzhauses und anderer Erbländer neben der Erlernung von Fremdsprachen vorgesehen; ebd., 337.

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Subjecti, welche vor allen andern sich vorzüglich hervorgetan haben, abgegeben, und zugleich deren Sitten und sonstige Aufführung angezeigt, dieses Verzeichnis jedoch so wie die zu erteilenden Attestate jedesmal gewissenhaft, parteiisch und mit vorgehenden scharfen Prüfungen, so wie jedes Subjekt es wirklich verdient, bei widrigenfalls jederzeit auf sich ladender Ungnade und schwerer Verantwortung abgefaßt und eingereicht werde.“20 1774 wurde das Jusstudium vor allem für die höheren Richter zwingend vorgeschrieben. Eine kaiserliche Entschließung verfügte, „daß bei den höheren Gerichtsbehörden nur jene Juristen zur Praxis zuzulassen seien, welche über den Doktorgrad und die Aufnahme in die Fakultät sich ausweisen können“21. Daß bereits der theresianische Verwaltungsstaat immer mehr Bedarf an Beamten hatte, den man schwerlich bestreiten konnte, wenn man auf einem juridischen Vollstudium, das damals 5 Jahre dauerte, bestand, zeigt die Abstufung des Studiums, die man nach den Ämtern und deren Aufgaben vornahm. Für das Amt eines Notars, Sollizitators (Sachwalter), Grundbuchführers, Pflegers, Markt- oder Stadtschreibers benötigte man ein zweijähriges Studium, für den Expedit-, Konzept-, Protokoll-, Archiv-, „Zeugenabhörungsdienst“ und bei der Justiz ein dreijähriges. Der Nachweis eines Vollstudiums mußte für das Amt eines Advokaten, Landgerichtsverwalters, Feldauditors (Feldrichter), Stadtsyndikus (Stadtanwalt), Hofrichters, kaiserlichen Rates, Sekretärs im Justizfach und Universitätsprofessors nachgewiesen werden. In der josephinischen Zeit waren für die Lyzeen (Graz, Innsbruck, Brünn/Olmütz) juridische Kurzstudien in einem dreijährigen Jahrgang vorgesehen, die jedoch eine vollständige Grundausbildung in den judiziellen und politischen Fächern – für Verwaltungs- und Justizbeamte gleichgeschaltet – enthielten22. Die Mehrgeleisigkeit dauerte bis zur Reform von 1810. Beidtel scheint nicht unrecht gehabt zu haben, wenn er meinte, mit der Maßnahme, die Beamten zum Jusstudium zu verpflichten, sollten die „Ideen der Neuerung“ in den Beamtenstand hineingetragen23, d. h. im Klartext: ein im Naturrecht 20 Hofdekret vom 5. Juli 1766, JOSEPH II. – SAMMLUNG, 71; zit. bei KINK, Universität Wien 1, 468. 21 Ah. Entschließung vom 10. September 1774, ebd., 520 f. „In die Fakultät aufnehmen“ hieß Mitglied des Doktorenkollegiums der Universität werden; vgl. Waltraud HEINDL, Universitäts­ reform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55. In: MÖSTA 35 (1982) 136. 22 Hans LENTZE, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein (= Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philolog.-hist. Klasse 239/2, Wien 1962) 55 f. 23 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 109.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

geschulter Beamtenstand geschaffen werden. Doch dürfte diese bildungspolitische Maßnahme, auch auf der praktischen Erfahrung beruht haben, daß die Ausbildung und die Kenntnisse sogar der höchsten Beamten noch immer jämmerlich waren. Zumindest der juristisch gebildete, von bürgerlicher Selbstdisziplin und Arbeitseifer erfüllte und vielleicht übertrieben gestrenge Johann Jacob Moser (1701–1785) fällte über die Elite der Beamten einer so vornehmen Behörde, wie sie der Reichshofrat darstellte, diesbezüglich ein recht ungünstiges Urteil: „Überhaupt habe ich bei denen allermeisten großen Minister gefunden, daß selbige keine soliden Studien, und von denen wenigstens Staatssachen, die sie behandeln sollten, hinlängliche theoretische Erkenntnis hatten; dahero sie, sobald etwas über ihre Erfahrung und Routine hinausginge, entweder fremder Hülfe bedurften, oder in Gefahr standen, einen Fehler zu machen.“ Auch über die Ausbildung der Vetter und Söhne der höchsten Beamten dieser Behörde, die wieder vorzugsweise Beamte würden, hatte er eine sehr ungünstige Meinung. Die Professoren, die sie unterrichteten, wären unzureichend gebildet gewesen und wenn „der junge Herr einige Reisen getan hatte, setzte man ihn zum Schein zwei Jahre in ein Böhmisch oder Österreichisch Kollegium; als dann wurde er Reichshofrat; war er dieses etliche oder mehrere Jahre gewesen und hatte den Schlendrian einigermaßen gelernt, so machte man ihn zum Gesandten, oder kaiserlichen Geheimen Rat“24. Moser diente immerhin einige Jahre am Reichshofrat in Wien und kannte die Verhältnisse. Nicht viel anders um die Ausbildung der Beamten stand es bei einer anderen in Wien gelegenen Behörde, nämlich heim Magistrat der Stadt Wien, der die „höheren Posten“ ebenfalls erst ab ca. 1770 an Personen vergab, die die Polizei- und Kameralwissenschaften studiert hatten25. Ob selbst bei den Zentralstellen in Wien ein abgeschlossenes Studium Voraussetzung für eine Anstellung im Konzeptfach war, ist fraglich. Es scheint, daß in manchen Fällen vorderhand der Besuch von juristischen Vorlesungen allein genügte, um eine Anstellung zu erhalten, in anderen lag wohl auch überhaupt kein Studium vor. Jedenfalls wiederholte Joseph II. die Verordnung, die bereits seine Mutter erlassen hatte, im Jahre 1787, da sie anscheinend in Vergessenheit geraten oder nicht mehr in Übung war26. Hier hieß es 24 Johann Jacob MOSER, Lebensgeschichte von ihm selbst erzählt, zit. bei HATTENHAUER, Beamtentum, 109. 25 WILD, Wiener Magistratsräte, 52. 26 Hofdekret vom 11. Juni 1787, JOSEPH II. – GESETZE 13 (1787) 531. Auch das Hofdekret vom 29. März 1787, ebd. 14, 1027 f., über die „Rang- und Vorrückungsordnung bei Hof- und Länderstellen und Kreisämtern“ erinnerte an die „Erwerbung“ juristischer und politischer Kenntnisse.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

auch, daß von öffentlichen Ämtern „diejenigen auszuschließen seien“, die den juridischen Kurs nicht vollendet hätten, und jene „in der Vorrückung gehemmt sein sollten“, „die ohne gehörige Vorbildung“ Ämter erhalten hatten. Sie sollten im übrigen die juridischen Studien nachholen, und zwar die „wirklich angestellten“ Beamten nur die „nicht gehörten Teile des Berufsstudiums“, die „nicht wirklich angestellten“ den ordentlichen Studiengang. Dies bedeutet, daß unter Joseph II. auch in der Praxis in stärkerem Maß auf die juridische Bildung der Beamten geachtet wurde. Leopold II. allerdings erachtete es wieder für notwendig, nicht nur zu erinnern, daß die juridisch-politischen Studien bei einer „Anstellung zum Ratstisch“ erforderlich seien27, sondern auch eine detaillierte Ordnung für Dienstesverleihungen zu erlassen wäre, in der er die Beibringung von Zeugnissen über die „ordnungsmäßig erlernten“, vorgeschriebenen „juridischen und politischen Wissenschaften“ für die Erlangung der Ämter des „Ratstisches“, des Konzeptfaches, der Direktion, des Protokolls forderte. Der Prozeß, die juridisch-politischen Studien als Voraussetzung für die höhere Beamtenlaufbahn durchzusetzen, war, wie wir sehen, langwierig. Er war erst im Jahr 1800 abgeschlossen, als Kaiser Franz (II.) I. die Absolvierung der juridisch-politischen Studien zur Vorbedingung für die Aufnahme in den höheren Staatsdienst erklärte28, eine Maßnahme, die für die institutionelle Einheit der Bürokratie sowie für die soziale Stellung des Beamtenstandes – das wurde bereits erwähnt29 – von größter Bedeutung war, vor allem für die adelige und bürgerliche Zusammensetzung der Beamtenschaft. Ab 1800 finden wir kaum noch höhere Beamte ohne Universitätsstudium. Dies betraf auch die Aristokraten30. Allerdings wurde sehr bald schon eine gewisse soziale Abgren-

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Fehlten sie, so könnten wohl Hofsekretärsränge, aber nicht mehr, also keine Rats- oder Kreishauptmannsstellen, erlangt werden. Für „Kreisamtsprotokollisten, Gubernial- und Kreisamtskanzellisten“ war in Zukunft der Aufstieg in das Konzeptfach „ohne Ausweis“ über juristische und politische Kenntnisse unmöglich, ebenso die Aufnahme von Praktikanten ohne Absolvierung der juridisch-politischen Studien. Hofdekret der Obersten Justizstelle an sämtliche Appellationsgerichte vom 21. Jänner 1791, LEOPOLD II. – GESETZE 3 (1791) 134, Hofdekret vom 2. September und 10. Oktober 1791, ebd., 73–77. Hofdekret vom 15. April 1800, FRANZ II. (I.) – GESETZE 15 (1800) 55 f.; auch BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 456. Siehe S. 39 f. Über die Probleme, das österreichische Bildungssystem in die nach dem Wiener Kongreß eingegliederte Provinz Lombardei einzuführen, und die Auswirkungen, vgl. Marco MERIGGI, Aspetti dell’ impiego di concetto in Lombardia durante la restaurazione (1816–48). In: L’educazione giuridica IV: Il pubblico funzionario, Modelli storici e comparativi (1981) 331–361.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

zung „nach unten“ getroffen, denn das Nebenstudium wurde den Beamten (1812) striktest verboten31. Jedenfalls wurde von der Regierungsspitze erkannt, daß der Weg zu einem modernen Staat über ein modernes Beamtentum führte, das mit den nötigen – ebenfalls modernen – Kenntnissen ausgestattet war. Diese konnten im damaligen Studiensystem nur an der Universität vermittelt werden. Der Konnex zwischen Universität und Modernisierung des Staates bzw. dem Prozeß der Bürokratisierung war damit gegeben. In diesen Jahren wurde der Umformungsprozeß der Universität in eine Berufsschule für Beamte, die schon längst begonnen hatte, abgeschlossen32. Gleichzeitig begann eine fieberhafte Suche nach den wichtigsten Fächern für Beamte und dem besten Vermittlungsweg. Diese spannende Periode der Experimente reicht von den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts bis 1810. Der Reformwille war aber ab da für fast ein halbes Jahrhundert erlahmt.

1.2. Lehrfächer und Lehrbücher – Inhalt und Ideologie Die praktische und ideologische Ausbildung, die die Lehrfächer und Lehrbücher der juridisch-politischen Studien den Studenten vermittelten, wurde zum grundlegenden Faktor der geistigen Existenz der späteren Beamten. Die Frage erhebt sich also in erster Linie, welche Vorlesungen hörten die Studenten und angehenden Beamten? Und was erwartete man sich – von der Staatsobrigkeit her gesehen – von der Aneignung gerade dieser spezifischen Kenntnisse? Joseph von Sonnenfels gibt von seinem Standpunkt, dem der aufgeklärten Bildungsideologie, 1786, als er einen Fächerkatalog für die juridische Fakultät vorlegte, nebst praktischen Ratschlägen für einen Studienplan auch eine theoretische Begründung33: Das Naturrecht hielt er für alle Juristen (und auch „sonstige Menschen“) wichtig, weil es die Pflichten des Menschen einleuchtend darlegte, 31

Studienhofkommissionsdekret vom 20. März 1812, FRANZ II. (I.) – GESETZE 38 (1812) 165; auch Studienhofkommissionsdekret vom 8. Jänner 1813, ebd. 40 (1813) 5, Studienhofkommissionsdekret vom 16. Juli 1825, ebd. 53 (1825) 142 f. und Studienhofkommissionsdekret vom 13. Jänner 1827, ebd. 55 (1827) 7. 32 Auf die ideologischen Zusammenhänge der aufklärerischen Bildungspolitik, die die Bedürfnisse des Staates zum Motor ihrer Reformtätigkeit nahm, auf die Verbindung von Staatsdienst und Universität hat bereits Grete Klingenstein hingewiesen, KLINGENSTEIN, Akademikerüberschuß als soziales Problem, im besonderen 191 f., 196–199 und 201 f. 33 Elaborat Sonnenfels’ vom 7. Februar 1786 an die Geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei, bei WOLF, Unterrichtswesen, 57–62.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

das allgemeine Staatsrecht brächte die Pflichten des Staatsbürgers zur Geltung. Für Beamte, so Sonnenfels, wären das Völkerrecht und die Staatenkunde wichtig, ferner das deutsche Staatsrecht, und zwar wegen des Verhältnisses Öster­reichs zum Deutschen Reich. Unerläßlich wäre außerdem die Reichsgeschichte. Das Kirchenrecht sah er als Bestandteil der staatsrechtlichen Vorlesungen; es war für ihn ein Mittel, um „die Rechte des Thrones gegen die Ansprüche der sogenannten geistlichen Macht“ zu schützen. Die inneren Geschäfte des Staates teilte er in die Rechtspflege und in die politischen Angelegenheiten. Dafür hielt er die römische Rechtsgeschichte als geeignete Ausbildungsgrundlage, weil das Justinianische Gesetz für die bürgerlichen Gesetze der Staaten Europas Modell gestanden wäre. In diesem Kanon durften natürlich Sonnenfels’ eigene Fachgebiete nicht fehlen: die „politischen Wissenschaften“ und der „Geschäftsstil“. Als außerordentliche Vorlesungen schlug Sonnenfels die „Praxis“ der höchsten Reichsgerichte, das deutsche Privatrecht, die österreichischen „Provinzialrechte“ und die österreichische „praktische Rechtsgelehrsamkeit“ vor. Er verteilte die Vorlesungen auf fünf Jahre und beharrte entsprechend den Vorlesungen auf sechs ordentlichen und drei außerordentlichen Lehrern. Auch die Lehrbücher wurden von ihm genau bezeichnet. Werfen wir einen Blick in das „Vorlesungsverzeichnis“ der Universität Wien des Jahres 178734 (es ist das erste Jahr, in dem ein „Vorlesungsverzeichnis“ existierte), so werden diese Lehrbücher ersichtlich, und wir können zugleich den gesamten Studienbetrieb und den Tagesablauf der Studenten und Professoren der juridischen Fakultät der Alma Mater Rudolfina miterleben. Sehr viel Freiheit, so müssen wir konstatieren, blieb weder Studenten noch Professoren, was die Wahl der Fächer und der Lehrbücher betrifft. Für dieses Jahr nun wurden für die juridische Fakultät folgende Vorlesungen verzeichnet, folgende Lehrbücher genannt: * Naturrecht, allgemeines Staatsrecht und Völkerrecht „über den Lehrbegriff des Freiherrn von Martini“ (täglich von 8–9 h und 16–17 h), * die Institutionen des römischen Rechts nach „Heinecci Elementa juris secundum ordines institutionum“ (täglich 8–9 h, 16–17 h), * die Pandekten über „Heinecci elementa juris civilis secundum ordines“, von November bis Juli, die folgenden zwei Monate das „peinliche Recht“ („nach Hupka“), (täglich 9–10 h, 15–16 h), 34 WIENERISCHER UNIVERSITÄTSALMANACH für das Jahr 1787. Den Mitgliedern der löblichen vier Fakultäten gewidmet von Anton PHILLEBOIS, Universitäts-Pedellen – Amtsschreiber (Wien, o. J.) 24 f.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

* * * * * * * * * * *

Kirchenrecht (täglich 8–9 h, 15–16 h) („nach Pehem“), Deutsche Rechtsgeschichte nach „Pütters Grundriß“ (täglich von 10–11 h), Statistik über „Achenwalls Grundriß“ (täglich 16–17 h), Deutsches Staatsrecht über „Pütters kurzen Begriff des deutschen Staatswesens“, die letzten 3 Monate das Lehensrecht (täglich 9–10 h und 16–17 h), Deutsches Staatsrecht über „Pütters kurzen Begriff des deutschen Staatsrechts“ (täglich 9–10 h, 16–17 h), Politische Wissenschaften „Polizei, Handlung und Finanz“, nach Sonnenfels (täglich 8–9 h), und Geschäftsstil, dazugefügt wurde „unentgeltlich“ (März bis Ende Juni, Montag, Freitag, Samstag von 7–8 h) „nach Sonnenfels“, Praxis der höchsten Reichsgerichte (Montag, Mittwoch, Freitag), Deutsches Privatrecht (Dienstag, Donnerstag, Samstag, 8–9 h), „nach ­Braindl“, die österreichischen Rechte (täglich 17–18 h), allgemeine, insbesondere österreichische Privatrechtsgelehrtheit (Montag, Mittwoch, Freitag, Samstag, 16–17 h).

Die obligaten Vorlesungen außer dem Kirchenrecht wurden in deutscher Sprache gelesen35. Daneben wurden noch „außerordentliche öffentliche“ Vorlesungen gehalten, wie die Staatsrechnungswissenschaft (4 Stunden) und 2 Stunden „Böhmische Sprache“. Daneben hielt der fleißige Professor für „Böhmische Sprache“ in seiner Wohnung „Übungen“ in den Werken der besten „böhmischen Schriftsteller“ sowie in „Kyrilismus und Glagolitismus“ samt den Abweichungen in den übrigen slawischen Dialekten36. Der Stundenplan war, so können wir konstatieren, überfrachtet, auch wenn die Vorlesungen auf vier Jahrgänge aufgeteilt wurden. Bald wurde eine Änderung durchgeführt. Aus Ernst Wangermanns eingehender Studie wissen wir, daß die grundlegenden Ideen dazu auf Gottfried van Swieten zurückgehen, der dabei im Sinne der politischen Aufklärung vorging und durch das juristische Studium das politische Bewußtsein auszubilden und zu fördern trachtete37. Van Swietens Experimenten war keine allzu lange Dauer beschieden: Joseph II. entschied sich 35 Hofdekret vom 2. Juni 1783, bei BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 279. 36 Die Lehrkanzeln für französische, lateinische und spanische Sprache waren 1781 aufgehoben worden, WOLF, Unterrichtswesen, 44; WANGERMANN, Aufklärung, 23. 37 Ebd., 75–82.

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I. Stadien der Entwicklung

für eine neue allgemeine Richtung in der Unterrichtspolitik und gegen die Pläne van Swietens. Die neue Kommission, deren Leitung – bereits von Leopold II. – Martini anvertraut wurde38, versuchte im juridischen Studienplan, der noch vor Beginn des Studienjahres 1790/91 die Approbation erhielt39, die Fächer zu reduzieren. Dieser Studienplan sollte sich bis 1804 halten, als er wieder reformiert wurde. Allerdings war auch dieser Studienplan nicht von langer Dauer. 1810 erhielten die juridischen Studien einen endgültigen Studienplan, der sich dann unangefochten bis 1848 hielt – trotz mannigfacher Reformvorschläge40. Diese vielen Reformen, die jedoch in relativ kurzer Zeit erfolgten, fünf Reformen in wenig mehr als 20 Jahren – zeigen die Unsicherheit über die Frage, welchen Fächern der Vorzug zu geben wäre. Sicher war man allerdings in der grundsätzlichen Frage, daß dabei die Ausbildung der künftigen Beamten im Auge zu behalten sei. Relativ leicht war die Auswahl, die die praktischen Kenntnisse betraf. Das Wissen um die positive österreichische Gesetzgebung wurde für die Praxis immer wichtiger. Besonders galt dies für das Kirchenrecht, da gerade die Juristen als Gestalter des Staatskirchentums von Bedeutung waren. Der Trend, ein eigenes österreichisches Kirchenrecht zu entwickeln, hatte längst eingesetzt41. Im übrigen waren die österreichischen Kodifikationen, an denen man so lange gearbeitet hatte, entweder bereits abgeschlossen, oder sie sahen ihrer Vollendung entgegen. Anders – und viel unsicherer – stand man jedoch jenen Fächern gegenüber, deren Lehre gleichzeitig mit ideologischer Beeinflussung verknüpft war. Daß der Regierung zunächst die Erlernung der positiven Gesetze wichtig war, ist verständlich. Es ging schließlich darum, den angehenden Bürokraten die Gesetze beizubringen und ihre Anwendung zu lehren, d. h., sie an feste Normen zu binden. Der geradezu fanatische Glaube der Aufklärer an die schöpferische, normierende Kraft von Gesetz und Norm mußte auch den Beamten übermittelt werden. ­Signifikant dafür ist die Einführung des neuen Faches „Geschäftsstil“ im Jahr 1781, 38 Sigmund ADLER, Die Unterrichtsverfassung Kaiser Leopold II. und die finanzielle Fundierung der österreichischen Universitäten (Wien-Leipzig 1917) 36 ff.; Adam WANDRUSZKA, Leopold II., Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser 2: 1780–1792 (Wien-München 1965) 322; vor allem WANGERMANN, Aufklärung, 97–101. 39 Hofdekret vom 4. Oktober 1790, LEOPOLD II. – GESETZE 2 (1790) 44 ff.; siehe WANDRUSZKA, Leopold II. 2, 324; MEISTER, Österreichisches Studienwesen, 31. 40 Dazu Anhang 1 (Die Reformen der juridisch-politischen Studien), S. 139–141. 41 LENTZE, Universitätsreform, 51.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

das von Sonnenfels gelesen wurde und für das er ein Lehrbuch verfaßte (1. Auflage 1784)42. Den heutigen Leser setzt es in Erstaunen, was hier angehende Juristen lernten. Wir finden in dem Büchlein über lange Teile hinweg Belehrungen über den Sprachstil, ja sogar über primitive grammatikalische Regeln, die eigentlich in den Schulen längst hätten gelehrt werden müssen: So erfahren wir beispielsweise u. a., daß die Präposition „ohne“ nicht wie „leider so oft in Wien mit dem Dativ“, sondern mit dem Akkusativ gebraucht wird43 etc. Wir lesen von den verschiedenen Anredeformen, und selbstverständlich erhalten wir Anleitungen, wie amtliche Schriftstücke verfaßt werden44. Als Zielgruppe dieses Buches betrachtete Sonnenfels ursprünglich die angehenden „Kanzley-Schriftsteller“ und „nicht die Referenten“. Doch offenbar bestand ein starkes Bedürfnis nach der Vermittlung eines Wissens, das praktische Anweisungen zur Erlernung der schriftlichtechnisch-bürokratischen Formen gab. So bietet der „Geschäftsstil“ beispielsweise Anleitungen, wie ein Kreisbeamter einen vollständigen Überblick über den ihm anvertrauten Kreis bekomme, also genau das, was Kaiser Joseph II. sich eigentlich erwartete45. Sonnenfels selbst hielt das Büchlein für wichtig. Der „Stil der österreichischen Kanzleien“ habe sich seit dem Erscheinen des Geschäftsstils, so stellte er mit Befriedigung und Stolz fest, „merklich gebessert“46. 42 Joseph von SONNENFELS, Über den Geschäftsstyl. Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleibeamte. Zum Gebrauche der öffentlichen Vorlesung. Nebst einem Anhange von Registraturen (Wien 41820). 43 Ebd., 15. 44 Aus dem Inhaltsverzeichnis ist alles Nähere ersichtlich (aus der Auflage von 1785): Einleitung: I. Geschäftsstil: was? II. Eigenschaften desselben, III. Sprachrichtigkeit, IV. Deutlichkeit, V. Kürze, VI. Anstand, VII. Nachdruck; Zierlichkeit; das Rührende, VIII. Einteilung der Geschäftsaufsätze; Aufsätze, IX. Bittschriften, X. Vorschläge, XI. Relation; Auskunft; Anzeige; Speciesfach, XII. Bescheide, XIII. Dekrete, XIV. Amtsunterricht, XV. Insinuate: Reinsinuate; Kompaßschreiben; Protokollauszüge; Indossationen; Noten, XVI. Intimationen; Zirkularien; Privatschreiben, XVII. Anzeigen; Berichte, XVIII. Protokolle, XIX. Summarische Aussagen, XX. Vorträge; Präsidialnoten; Auskunftsbögen, XXI. Ausführliche Protokolle, XXII. Hofentschließungen; Handbillette, XXIII. Standeserhöhungen; Privilegien; Reskripte, XXIV. Edikte, XXV. Generalien; Patente, XXVI. Verordnungen; Zirkularien; Nachrichten; Ruf. In der Auflage von 1820 wird noch ein Kapitel hinzugefügt: „Über die Einrichtung der Registraturen und Führung der Normalbücher bei den Kreisämtern. Registratur. Beilegung der Akten. Auffindung der Akten. Normalbücher. Formulare und Tabellen.“ 45 Siehe vor allem Karl-Heinz OSTERLOH, Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (= Historische Studien 409, Lübeck und Hamburg 1970) 238 f. 46 SONNENFELS, Geschäftsstyl (1820) IX.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

Sonnenfels wußte, daß Sprachstil und die Ausbildung von äußeren technischschriftlichen Formen in engem Zusammenhang standen und schließlich das erzeugten, was zum Großteil das Wesen einer modernen funktionierenden Bürokratie, die „Aktenmäßigkeit“, ausmacht. Abgesehen von Sonnenfels’ bekannten Ambitionen, die Sprache zu verbessern47, war es wahrscheinlich auch tatsächlich notwendig, solche (eben erwähnte, uns primitiv erscheinende) Sprach­regeln selbst 20jährigen Studenten beizubringen. Ein Fach deutsche Sprache und Literatur wurde nämlich im Gymnasium nicht gelehrt. Die deutsche Sprache wurde den jungen Leuten – so erstaunlich dies auch klingen mag – nur durch die Anwendung des Unterrichtsprinzips der „Übertragung und Parallelitäten“ gewissermaßen im Lateinunterricht beigebracht48. Die Bemühungen der Aufklärer, die Kenntnisse der deutschen Sprache wenigstens bei angehenden Beamten, die – wenn schon nichts anderes – Akten in deutscher Sprache zu verfassen hatten, zu fördern, sind verständlich. An der Wiener philosophischen Fakultät war bereits im Zuge der maria-theresianischen Unterrichtsreform das Fach „Eloquenz“ eingerichtet worden, was dem Fach „(deutsche) Sprache und Stilübungen“ gleichkam49. Dies durfte man als nicht ausreichend für Beamte erkannt haben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich die Vorlesung „Geschäftsstil“ auch an die Adresse von bereits praktizierenden Beamten wandte. Warum wäre sie täglich von Montag bis Samstag von 7–8 Uhr früh angesetzt und – „unentgeltlich“ – angekündigt worden? Jedenfalls ist die Einführung des Lehrfaches „Geschäftsstil“ ein Beispiel dafür, wie in der österreichischen Rechtswissenschaft die Tendenz zunahm, positives, in der bürokratischen Praxis anwendbares Wissen zu vermitteln. Aus dieser Perspektive bildeten die „politischen Wissenschaften“ sozusagen einen Kontrapunkt. Sie wurden von Sonnenfels und nach seinem Lehrbuch „Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz“50 gelesen. Die österreichische Juristenausbildung hatte damit ein Spezifikum erhalten: Die wirtschaftswissenschaftliche (oder volkswirtschaftliche) Ausbildung sollte von nun an der juridischen Fakultät eine prominente Stellung einnehmen, eine weit wichtigere je47 OSTERLOH, Sonnenfels, 236 ff. 48 Georg JÄGER, Zur literarischen Gymnasialbildung in Österreich von der Aufklärung bis zum Vormärz. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750–1830). Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung, hg. v. Herbert ZEMAN (Graz 1979) im besonderen 100 f. 49 KINK, Universität Wien 1, 460, Anm. 596. 50 Joseph von SONNENFELS, Grundsätz der Polizey-, Handlung- und Finanzwissenschaft, 3 Teile (Wien 51787).

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

denfalls als in der deutschen Juristenausbildung51. Es war bestimmt für angehende Beamte ein nicht unnützes Fach. Die politischen Wissenschaften jedenfalls vermehrten die „theoretischen“ Fächer52 mit methodisch naturrechtlichem Ansatz. Fast wären sie jedoch der gegenläufigen Tendenz zum Opfer gefallen. Der Plan Kropatscheks, Vorlesungen über „politische Gesetzeskunde“ (in der heutigen Terminologie „Verwaltungsrecht“) zu halten und mit einem systematischen Überblick zu verbinden, paßte eigentlich besser in die sich anbahnende Perspektive, die kritische Methode durch eine positiv-rechtliche, pragmatische zu ersetzen. Der Kaiser überlegte auch prompt, ob nicht jeder angehende Beamte zum Hören der politischen Gesetzeskunde zu verpflichten wäre, weil diese „vielleicht nützlicher wäre als die Polizei- und Kameralwissenschaften, die nur idealisch – diese eben praktisch das, was im Lande verordnet und in Ausübung gebraucht wird, zeigten“53. Die Gegenvorschläge Sonnenfels’, die „politischen Wissenschaften“ mit der „praktischen Geschäftskenntnis zu verbinden“, rettete die politischen Wissenschaften und führte zur Einführung der Vorlesung „politische Wissenschaften und praktische Geschäftskenntnis“. Bei dieser Verbindung, so das Argument Sonnenfels’, würde alles vereint, „was brauchbare politische Staatsbeamte heranbilden könne“. Es lehrten die politischen Wissenschaften die allgemeinen Grundsätze und zeigten, was in verschiedenen Zeiten, bei verschiedenen Nationen üblich gewesen sei. Die „praktische Geschäftskenntnis“ zeige die Anwendung dieser Grundsätze bei der Ausübung, und „niemand dürfe zu einem Amt zugelassen werden, der nicht Zeugnisse aus diesem Lehrfach vorweisen könne“54. Nach dem Tod Josephs und nach der Reform Martinis (1790/91) wurde dann der Geschäftsstil zum eigenen Fach. Ob allerdings eine noch so perfekt erlernte Beherrschung der neuen Technik in der nun ausgebildeten Schriftlichkeit des Staatsdienstes genügte, die Beamten nicht nur zur Präzision der Arbeitserledigung anzuhalten, sondern zur beseelten Pflichterfüllung, wie Joseph dies vorschwebte55, zu bewegen? Es dämmerte wohl 51 LENTZE, Universitätsreform, 54. 52 „Ich habe“, so schreibt Sonnenfels vorbeugend, damit nicht nur Praxisbezogenes erwartet werde, in seinem 3. Teil (Finanzwissenschaft), „den Auftrag empfangen, Grundsätze der Finanzwissenschaft, nicht ein Finanzwörterbuch zu verfertigen.“ Daher werde nicht jeder Begriff, der in der Praxis eine Rolle spiele, verzeichnet sein. SONNENFELS, Grundsätze 3, 6. 53 Zit. bei OSTERLOH, Sonnenfels, 249. 54 Ebd., 250. 55 Vgl. den Passus in Josephs II. „Grundsätze für die Diener des Staates“ vom 13. Dezember 1783, zit. S. 26 f.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

selbst den aufgeklärten Gesetzesfanatikern der josephinischen Zeit, daß die Aneignung von positivem Wissen für die trockene Anwendung des Gesetzesaktes nicht ausreichte, um dem Idealbild eines guten Beamten zu entsprechen. Durch welches der Fächer die „richtige“ ideologische Beeinflussung zu erreichen wäre, war jedoch offenbar unklar. Dies zeigt die unsichere Behandlung der anderen ­Fächer, die in dieser Zeit der Experimente immer auf Kosten des einen oder des anderen entweder ganz ausgeklammert, reduziert oder wiedereingeführt bzw. erweitert wurden – je nachdem welche Schwerpunkte man gerade zu setzen wünschte. Dies betraf vor allem die historischen Fächer: das römische Recht56, das öffentliche bzw. Privatkirchenrecht (oder auch die Kirchengeschichte57) und vor allem die eigentliche Geschichte. Im maria-theresianischen Studienplan waren besonders die deutschen historischen Fächer mit der deutschen Reichsgeschichte und dem deutschen Staatsrecht (das in den Vorlesungen aus historischer Sicht behandelt wurde58), dem Kirchenrecht und der Geschichte des römischen Rechts stark vertreten gewesen. Die österreichischen Verhältnisse waren jeweils nur als Anhängsel der deutschen Reichsgeschichte bzw. des deutschen Staatsrechts behandelt worden. Erstmalig tauchte im Studienjahr 1788/89 die Geschichte der österreichischen Monarchie im Vorlesungsplan auf – von Gottfried van Swieten, wie Ernst Wangermann feststellte, initiiert und folgendermaßen begründet: „Als das wirksamste Mittel, die Beurteilungskraft zu üben und zu stärken, ist die Geschichte überhaupt ein wesentlicher Teil der Erziehung, und als eine unversiegliche Quelle der Erfahrung jedem, der seine Geistesfähigkeit für das gemeine Wesen zu verwenden vorhat, unentbehrlich. Eine so allgemein erkannte Wahrheit bedarf wohl keines Beweises, und da sie besonders auf den Nutzen der vaterländischen Geschichte das hellste Licht wirft, so ist es vielmehr zu bewundern, daß ihr bis jetzt in dem Laufe der Bildung der gehörige Platz nicht eingeraumet wurde“59. Van Swieten verleiht seiner Verwunderung nicht zufällig Ausdruck. Gerade die Erziehung zur 56 Das römische Recht wurde 1789 auf das römische Zivilrecht reduziert, 1790 wurde es – nach dem Lehrplan Martinis – wieder in den Studienplan aufgenommen, 1810 wurde wieder stark reduziert. 57 Von dem unter Maria Theresia so ausgiebig gelehrten Kirchenrecht war im Studienplan von 1789 nur das Privatkirchenrecht übriggeblieben und durch die Kirchengeschichte ergänzt worden. 1790 wurde das öffentliche Kirchenrecht wieder aufgenommen. 58 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 119. 59 Vortrag der Studienhofkommission vom 5. August 1788, zit. WANGERMANN, Aufklärung, 76; siehe auch WOLF, Unterrichtswesen, 48.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Vaterlands-, zur Heimatliebe war ein wichtiger Bestandteil der aufklärerischen politischen Ideologie: Der moderne Staat, der „Staatsgedanke“, der „Gesellschaftsgeist“ erforderten geradezu ein neues Bewußtsein. In Österreich war es, wie bereits dargelegt, Joseph von Sonnenfels, der erkannte, daß der reformierte „rationale“ Verwaltungsstaat sich nicht mit der kaiserlichen Armee und der patriarchalischen Kaisertreue begnügen könne. In seiner „Liebe des Vaterlandes“ machte er sich zum Anwalt eines Staatspatriotismus. Dieser wäre durch eine Identifikation der Bürger mit dem Staat zu erzeugen, durch vielerlei Interessen, unter denen Sonnenfels die Gesetze, die Gesetzgebung als vorrangig betrachtet60. „Der Nationalstolz als ein Teil der Vaterlandsliebe“61 hatte bei Sonnenfels besondere Bedeutung. Der Gedanke, daß sowohl Staatspatriotismus als auch Nationalstolz durch die Vermittlung der Geschichte der Monarchie gefördert werden könne, liegt wohl auch der van Swietenschen Erkenntnis zugrunde, die (österreichische) Geschichte „als eine unversiegliche Quelle der Erfahrung jedem, der seine Geistesfähigkeit für das gemeinsame Wesen zu verwenden vorhat“, genauso wie die Kenntnis des österreichischen Staatsrechts62, mit dem Argument, „daß dessen Inhalt jedem Staatsbürger wichtig, dessen Kenntnis dem Patrioten nützlich und vorzüglich jedem Staatsbeamten unentbehrlich ist; daß die Anhänglichkeit des Bürgers an sein Vaterland größtenteils in dem erkannten und empfundenen Worte seiner Verbindlichkeiten und Rechte besteht“63. Der österreichischen Geschichte war im Lehrplan der juridischen Fakultät nur ein kurzes Intermezzo beschieden. 60 Ernst WANGERMANN, Joseph von Sonnenfels und die Vaterlandsliebe der Aufklärung. In: Joseph von Sonnenfels, hg. v. Helmut REINALTER (Wien 1988) besonders 160. Peter HANÁK, Österreichischer Staatspatriotismus im Zeitalter des aufsteigenden Nationalismus. In: Wien und Europa zwischen den Revolutionen (1789–1848), 15. Wiener Europagespräch (= Wiener Schriften 39, hg. v. Kulturamt der Stadt Wien, Wien-München 1978) 316 f. An einer anderen Stelle meint Sonnenfels, ein einheitlicher politischer Kodex für „ein so sehr in verschiedene Provinzen zerfallenes Land“ wie Österreich wäre auch als verbindender Faktor „von größerer Bedeutung“. In Promemoria über die Verfassung von Sonnenfels, vom 7. April 1790, zit. OSTERLOH, Sonnenfels, 209. 61 SONNENFELS, Über die Liebe des Vaterlandes, 13. 62 Van Swietens Begründung lautet, „daß es kein Recht ohne Verbindlichkeit, und keine Verbindlichkeit ohne Recht gäbe“, „daß sich ein polizierter Staat ohne Verfassung nicht denken lasse“ und „daher jede gebildete Nation ihr besonderes Staatsrecht haben“ müsse, zit. nach WANGERMANN, Aufklärung, 79; auch in DERS., Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen, 346 und OSTERLOH, Sonnenfels, 204–215. 63 WANGERMANN, Aufklärung, 76. Zu van Swietens Rolle auch Oszkár SÁSHEGYI, Zensur und Geistesfreiheit unter Joseph II. Beitrag zur Kulturgeschichte der habsburgischen Länder (Budapest 1958) 102.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

Als van Swieten endgültig ausgebootet wurde, schaffte Karl Anton von Martini im Zuge seiner Reform sofort die Lehrkanzel für österreichische Geschichte ab, die ihm „nicht schlechterdings notwendig zu sein“ schien und führte das römische Recht (nach dem von ihm verfaßten Lehrbuch) wieder ein sowie das öffentliche Kirchenrecht, dem ein anderes historisches Fach, die Kirchengeschichte, weichen mußte. Das Lehens- und deutsche Staatsrecht (das, wie erwähnt, hauptsächlich aus historischer Sicht gelehrt worden war64) wurde reduziert. Die Schüler hätten, so meinte Martini im übrigen, „bereits genügend Kenntnisse aus der vaterländischen Geschichte in den unteren Schulen erhalten“65. Vielleicht lebte die österreichische Geschichte noch rudimentär in der 1790 neu geschaffenen Vorlesung „Grundriß und schriftliche Nachrichten von Österreich“ weiter, die analog zu Achenwalls „Grundriß der neuesten Staatswissenschaften der vornehmsten europäischen Reiche und Republiken“, dem Lehrbuch für Statistik, gehalten wurde. Enzyklopädische Faktensammlungen wie eben die Statistik, die auch eine Art „Vaterlandskunde“ bot, verdrängten immer mehr die historischen Fächer. Bezeichnend dafür ist, daß 1792 der Sonnenfels-Schüler Ignaz de Luca nach Wien berufen wurde, um neben den politischen Wissenschaften auch die Statistik zu lehren66. Er verfaßte auch Lehrbücher dafür, die bis tief in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein in Geltung blieben67. Diese überlieferten einen sehr schwachen Abglanz des Geistes, den die Aufklärer unter „Nationalstolz“ und „Staatspatriotismus“ (inklusive der Geschichte dieses Staates) verstanden. Vor­ übergehend war sogar die Vorlesung „Grundriß und schriftliche Nachrichten von Österreich“, dieses letzte Fach, das allgemeine und nicht nur juridische Kenntnisse von Österreich den angehenden Beamten vermitteln sollte, gefallen. Im Studienplan von 1804 war sie vollkommen eliminiert worden. Man blieb damit dem Ziel der restaurativen Bildungsansätze des beginnenden 19. Jahrhunderts treu, daß „die positiven Wissenschaften das Übergewicht über die sogenannten rationalen oder spekulativen Wissenschaften gewinnen möchten, damit dem Skeptizismus und der politischen und philosophischen Freidenkweise, die gegenwärtig den Geist der Gelehrsamkeit so sehr mit dem schlichten Menschenverstand entzweit haben, Grenzen gesetzt werden“68. 64 65 66 67

BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 119. WANGERMANN, Aufklärung, 100. UNIVERSITÄTS-SCHEMATISMUS 1793, 130. Österreichische Spezial-Statistik (Wien 1792); Österreichische Staatenkunde im Grundriß, 3 Bde. (Wien 1786–89); Practische Staatenkunde von Europa (Wien 1796). 68 So der Vorsitzende der 1795 errichteten Studienrevisionshofkommission Graf Heinrich von

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Unter diesen Auspizien schritt – gemeinsam und gleichzeitig mit der Ausklammerung der (nennen wir sie) „vaterländischen Gegenstände“ – die „Enthistorisierung“ des juridischen Studienplanes fort. Nach 1806, nach der Auflösung des Heiligen Reiches verschwanden (1808) auch die deutsche Reichsgeschichte und das deutsche Staatsrecht sowie die Praxis der Reichsgerichte und das deutsche Privatrecht aus dem juridischen Studienplan, die bis dahin ihre Positionen behalten konnten, wenn auch nicht unangefochten, denn der Nutzen und die Berechtigung der beiden „deutschen“ Fächer in der österreichischen Juristenausbildung waren bereits zu Maria Theresias Zeiten diskutiert worden. Nun, da Wien nicht mehr Sitz der Reichshofstellen, sondern Reichshaupt- und Residenzstadt des 1804 gegründeten Kaisertums Österreich war, mochte es nutzlos erscheinen, angehende österreichische Beamte während des Studiums mit den „deutschen“ historischen Fächern zu konfrontieren, die sie in der Praxis nicht verwenden und in den Mußestunden jedoch eventuell auf den für Kaiser und Regierung dubiosen Gedanken der deutschen Einheit bringen konnten69. So präsentiert sich uns der juridische Studienplan von 1810 gänzlich geschichtslos: Weder die österreichische noch die deutsche Geschichte, nicht einmal die Kirchengeschichte bekamen einen Platz. Die Einführung der Geschichte des römischen bürgerlichen Rechts nach dem Lehrbuch Martinis blieb Episode. Der einzige Geschichtsunterricht für angehende Juristen fand im philosophischen Propädeutikum statt. Nach van Swietens Reform hatte es „Universalgeschichte“ (im 3. Jahrgang) gegeben70, nach der Revision von 1805 erlebte die Geschichte noch ROTTENHAN; Gutachten über den Gesichtspunkt und den Wirkungskreis der Studienrevisionskommission. In: Nachrichten von der beabsichtigten Verbesserung des öffentlichen Unterrichtswesen in den österreichischen Staaten mit authentischen Belegen, hg. v. C[hristian] U[llrich] D[etlev] Freiherr von EGGERS (Tübingen 1808) 137; zit. von Werner SAUER, von der „Kritik zur Positivität“. Die Geisteswissenschaften in Österreich zwischen josephinischer Aufklärung und franziszeischer Restauration. In: Vormärz: Wendepunkt und Herausforderung. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Kulturpolitik in Österreich, hg. v. Hanna SCHNEDL-BUBENIČEK (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften 10, Wien-Salzburg 1983) 33. Über die Rottenhansche Bildungspolitik – von einem anderen Ansatz her – THIENEN, Wandlungen des österreichischen Studiensystems, 38–46. 69 BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 119. Dazu Waltraud HEINDL, Die österreichische Bürokratie. Zwischen deutscher Vorherrschaft und österreichischer Staatsidee (Vormärz und Neoabsolutismus). In: Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Probleme der politischstaatlichen und soziokulturellen Differenzierung in Mitteleuropa, hg. v. Heinrich LUTZ und Helmut RUMPLER (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 9, Wien 1982) 81 f. 70 Zur Reform der philosophischen Studien van Swietens siehe WANGERMANN, Aufklärung, 69–72.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

einmal ein Blüte: Es wurde „Weltgeschichte“ im 2. Jahrgang gelehrt und zusätzlich österreichische Geschichte im 3. Jahrgang eigens für Juristen eingeführt71. In der Reform von 1824 wurden dann allerdings die historischen Fächer zur Gänze geopfert. An ihrer Stelle erhielt die Religionswissenschaft besondere Bedeutung72. Nun sollten wir die Versuche der Hinwendung zur Geschichte im josephinischen Jahrzehnt in der Praxis nicht überschätzen. Trotz der erzieherischen Bedeutung des Faches für die Kreierung eines österreichischen Staatspatriotismus, die dem Kaiser einleuchtete, war es im Grunde Joseph II. selbst, der den vorhergezeichneten Prozeß der „Enthistorisierung“ des juridischen Studienplanes einleitete. Angesichts der Überfrachtung desselben sah er in van Swietens Reformen bald wenig Nutzen, „weder in bezug auf die berufliche Bildung tüchtiger Beamter, noch in bezug auf die moralische Bildung redlicher Bürger“73. Wie konnte er auch die Einschätzung der Heimat- und Vaterlandsliebe Sonnenfels’ oder die Wertung der Geschichte durch van Swieten teilen? Im Zentrum seiner Ideologie standen der Staat und der Staatsdienst: abstrakt, nüchtern und praktisch74. Jedenfalls war aber die staatsbürgerliche Erziehung ein Postulat der aufklärerischen Gesamtbildung, und erst in der Studienreform von 1810 ist ein endgültiger Bruch erkennbar. Daß man dann im franziszeischen Staat auch Martinis Vorlesungen reduzierte und Martinis „Allgemeines Recht der Staaten“75 vorsichtshalber aus dem juridischen Vorlesungsplan eliminierte, nimmt nicht Wunder. Was sollte etwa ein braver, dem franziszeischen Staat dienender Beamter mit folgenden Sätzen in seinem Dienst anfangen? „Der Ursprung der bürgerlichen Oberherrschaft muß also sowohl in demokratischen als aristokratischen und monarchischen Staaten in einer entweder ausdrücklichen oder stillschweigenden und zwar in den beiden letz71 Dekret der Vereinten Hofkanzlei vom 9. August 1805, FRANZ II. (I.) – GESETZE 25 (1805) 58 ff. Die Begründung dafür lautete: „Die spezielle Geschichte des Vaterlandes wird dazu dienen, in dem es ihm [dem Juristen und Beamten, Anm. d. Verf.] die Wohltaten des Landes und der Regierung fühlbar bezeichnet.“ Publiziert bei Wilhelm UNGER, Systematische Darstellung der Gesetze über die höheren Studien, 2. Teil (Wien 1840) 508; bei Erika RUDEGGER, Die philosophischen Studien an der Wiener Universität (phil. Diss., Wien 1964) 114. 72 SAUER, Von der „Kritik“ zur Positivität, 34 ff. Siehe Anhang 2 (Die Reformen des philosophischen Lehrgangs für Juristen), S. 139 ff. 73 WANGERMANN, Aufklärung, 96. 74 Waltraud HEINDL, Die österreichische Bürokratie, 80. 75 (Karl Freiherr von MARTINI), Des Freyherrn Karl von Martini, des St. Stephansordens-Ritter, Sr. k. k. Majestät wirklichen geheimen Rath und zweyten Präsidenten der k. k. Obersten JustizStelle, etc. etc… Allgemeines Recht der Staaten zum Gebrauche der öffentlichen Vorlesungen in den k. k. Staaten. Ganz neue von dem Verfasser selbst veranstaltete Übersetzung (Wien 1797).

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ten in einer von den Vornehmen oder vom Könige angenommenen Wahl gesucht werden“.76 Oder: „Die Natur eines Wahlstaates beruht auf folgenden Grundsätzen: I. Das Recht der Oberherrschaft haftet natürlich bloß auf der Person des Gewählten. Geht also dieser ab; so fällt die Oberherrschaft wieder an das Volk zurück, und es hängt von diesem ab, einen anderen Regenten zu wählen oder auch die vorige Regierungsform zu verändern. II. Die Wahl bleibt ohne Wirkung, wenn sie der Gewählte nicht annimmt. Es geht also zwischen dem Wählenden und dem Gewählten ein Vertrag vor. III. Der Wahl können wie bei anderen Verträgen gewisse Bedingungen beigesetzt werden. Hieraus entstehen die Fundamentalgesetze, welche besonders unter dem Namen Wahlkapitulationen bekannt sind und heilig gehalten werden müssen.“77 Der Studienplan von 1810, dessen Reformator Franz von Zeiller, der Schöpfer des ABGB war, präsentiert sich uns ausschließlich praxisbezogen: Die positiven Fächer des österreichischen Rechts hatten sich stark vermehrt: die Studenten hörten österreichisches Strafrecht, österreichisches bürgerliches Recht, Handelsund Wechselrecht, das gerichtliche Verfahren in und außer Strafsachen. Die „politische Gesetzeskunde nach den bestehenden Gesetzen“ war nun zur eigenen Disziplin ernannt worden. Sie erwecke, so meinte Joseph von Sonnenfels, der in der Studienrevisionskommission (bestehend von 1795 bis 1802) zunehmend für dieses Fach Partei ergriffen hatte, „Nationalsinn und Patriotismus“ und werde zugleich dem „Tadelgeiste vorbeugen …, der in jüngeren Köpfen die gewöhnliche Frucht allgemeiner politischer Theorien“ sei78. Der starke Nützlichkeitsaspekt zeigt sich auch sonst im Vorlesungsverzeichnis der juridischen Fakultät: Das Kirchenrecht wurde als hauptsächlich österreichisches Kirchenrecht gelesen. Die Ökonomie (im Vorlesungsverzeichnis Landwirtschaft) wurde als wichtiges neues Fach erkannt und für den ganzen 2. Jahrgang in den Studienplan eingeführt. 1813 wurde als neue Vorlesung die enzyklopädische Übersicht über das juridisch-politische Studium eingeführt79. Eine Reihe von Vorlesungen wurde jedoch auch aus den früheren Studienplänen unverändert übernommen: Das, was von den Vorlesungen über das römische Recht übriggeblieben war, das römische Zivilrecht, wurde auch weiterhin in der 76 Ebd., 13. Hauptstück, § 417, 174. 77 Ebd., § 420, 175. 78 OSTERLOH, Sonnenfels, 258. – Zur später geänderten wissenschaftlichen Auffassung des Rechtsstudiums vgl. (anonym), UEBER DIE NEUESTE REGELUNG DER RECHTSUND STAATSWISSENSCHAFTLICHEN STUDIEN IN ÖSTERREICH (Wien 1856) 6. 79 TASCHENBUCH DER UNIVERSITÄT WIEN 1813.

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naturrechtlichen Tradition nach Johann Gottfried Heineccius, das Lehensrecht nach Justus Henning Böhmer ebenfalls im naturrechtlichen Sinn gelehrt. Jahrzehntelang hielten sich diese und andere alte Lehrbücher. Nach und nach wurden aber doch die meistens noch aus dem 18. Jahrhundert stammenden „Vorlesungsbücher“ durch neue ersetzt: Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts finden wir bereits neue „Vorlesungsbücher“ für das Kirchenrecht, das römische Zivilrecht, für Böhmers Lehensrecht und die Österreichische Staatenkunde de Lucas. Doch die „politischen Wissenschaften“ nach Sonnenfels’ „Polizey, Handlung und Finanz“, sein „Geschäftsstil“ und Martinis „natürliches öffent­liches Recht“ sollten sich unangefochten bis 1848 halten80. Vergeblich suchen wir nun nach Fächern, die wie einst „Staatspatriotismus“ oder „Vaterlandsliebe“ in den Studenten und angehenden Beamten zu erwecken versucht hätten. Die reale historische Situation hatte sich allerdings radikal verändert. Die „Vaterlandsliebe“ war, wie bereits dargelegt wurde, im Zeitalter der nationalen Erhebungen suspekt geworden, „der Fürstendiener“, der zum Ideal stilisiert wurde, bedurfte im übrigen keiner Vaterlandsliebe81. Die Beamtenausbildung hatte sich, wie wir sehen, strikt den neuen politischen Verhältnissen und ihren Zielen angepaßt. Der Weg der österreichischen Bildungspolitik von der „Kritik“ der Aufklärung zur „Positivität“ des restaurativen Staates, den Werner Sauer so überzeugend für die institutionalisierten Geisteswissenschaften nachzeichnet82, ist in Inhalt und Methode der Lehrfächer in der Juristenausbildung zu finden – vielleicht in noch stärkerem Ausmaß, handelte es sich doch dabei um die Erziehung der Beamten, auf die sich der Staat unbedingt zu verlassen hatte. Besten Ausdruck und Zuspitzung findet diese Politik in dem berühmten und bekanntgewordenen Ausspruch, den Kaiser Franz angeblich vor Laibacher Professoren 1821 getan haben soll: „Halten Sie sich übrigens an das Alte; denn dieses ist gut … Es sind jetzt neue Ideen im Schwung, die ich nicht billigen kann und nie billigen werde. Enthalten Sie sich von diesen und halten Sie sich an das Positive, denn ich brauche keine Gelehrten, sondern brave, rechtschaffene Bürger.“83 80 Nach dem TASCHENBUCH DER UNIVERSITÄT WIEN 1847/48. 81 Siehe S. 66 f.; auch HEINDL, Die österreichische Bürokratie, 81; zu dieser Problematik auch die in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienene kritische Auseinandersetzung mit dem frühen Beamtentum (anonym), DAS BEAMTENTUM IN ÖSTERREICH. Eine socialpolitische Schrift (Wien 1861) 3. 82 SAUER, Von der „Kritik“ zur „Positivität“, 17–46. 83 Ebd., 36; auch Silvester LECHNER, Gelehrte Kritik und Restauration. Metternichs Wissen-

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Wenn Werner Sauer richtig feststellt, daß damit eine ungemein scharfe Gegenüberstellung von „rechtschaffenem Bürger auf der einen, das verpönte Neue und der Gelehrte auf der anderen Seite“84 vollzogen wird, so ist dem eigentlich nur noch hinzuzufügen, daß der Beamte – selbstverständlich – auf der Seite des rechtschaffenen Bürgers zu stehen hatte. Braver Staatsdiener und rechtschaffener Bürger waren im Verständnis der Zeit ein und dasselbe geworden. Die „selbstkarikierende Zuspitzung“85 dieses Wissenschaftsverständnisses, die Sauer konstatierte, hatte eine fast tragische Seite: Sie war die bittere Konsequenz einer politischen Logik, die im System lag und von der es kein Entrinnen gab, auch wenn es sich selbst ad absurdum führte. Nichts dokumentiert dies besser als die Tatsache, daß Beamte in einer ideologisch keimfreien Atmosphäre erzogen werden mußten, ohne Staatsbegriff86, der ihnen eine zumindest verstandesmäßige Identifikation mit dem Gegenstand ihres Dienstes ermöglicht hätte, ohne Staatsideologie, die es ihnen vielleicht erleichtert hätte, ihre Arbeit mit einem Minimum an Emotionen zu tun. Die Beamtenerziehung präsentiert sich uns – alle historisch-„ideologischen“ Fächer und auch die theoretischen weitgehend ängstlich ausklammernd – in so auffälliger Ideologiefreiheit, daß wir diese Ideologiefreiheit als eigentliche österreichische Staatsideologie jener Jahre bezeichnen können. Den einzigen Schönheitsfehler in dieser Konsequenz bildeten allerdings unvermeidlicherweise die rechtsphilosophischen Fächer.

1.3. Vormärzliche Anpassungsversuche und Reformansätze Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Palette der Beamtenschaft bunter. Neben dem juristisch vorgebildeten Beamten war ein spezieller Zweig des bürokratischen Dienstes im Kommen, nämlich die „technischen“ Beamten. Die Industrialisierung war verbunden mit neuen, spezifischen Kenntnissen, die auch von den in diesem Fach tätigen Beamten eine andere als die traditionelle Ausbildung erforderten. Mit dieser scheint die ohnehin auf Praxis ausgerichtete österreichische Unterrichtsverwaltung wenig Schwierigkeiten gehabt zu haben. Nach der Gründung der ersten polytechnischen Institute in Österreich (1805 in Prag und 1815 in Wien) wurde für die „Baubeamten“ der Besuch dieser höchsten schafts- und Pressepolitik und die Wiener „Jahrbücher der Literatur“ (1818–1849) (Tübingen 1977) 104. 84 SAUER, Von der „Kritik“ zur „Positivität“, 36. 85 Ebd. 86 Über „den Staat“ in Österreich auch S. 73–77.

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Ausbildungsstätten in den technischen Fächern verbindlich vorgeschrieben: „Architekten und alle jene, die die Anstellung im Baufache erhalten wollten“, hätten, so wurde bestimmt, „die für ihr Fach vorgeschriebenen Gegenstände am polytechnischen Institut zu hören und die Prüfungen abzulegen“87. Solche für das Fach vorgeschriebenen Gegenstände waren etwa die reine und die angewandte Mathematik, die Meßkunst, das „Situations- und Planzeichnen“. Man konnte sie an den eben genannten polytechnischen Instituten in Prag und Wien hören, sowie am Joanneum in Graz oder auch an der der Militärausbildung dienenden „Ingenieur- und Neustädter Akademie“88. Eine eigene Ausbildung hatten auch die Beamten der Montanbetriebe, die ein beträchtliches Maß an Fleiß und Zeit erforderte. Sie mußten eine Ausbildung an einer der beiden vorerst zweijährigen montanistischen Lehranstalten (Leoben/Steiermark oder Příbram in Böhmen) oder an der dreijährigen Bergakademie in Schemnitz (Banská Štiavnica) absolvieren. Dies genügte aber bald nicht mehr. 1849 wurde zusätzlich bestimmt, vor der Aufnahme an diesen speziell für den Bergbauberuf vorgesehenen Anstalten bestimmte Fächer (z. B. Mathematik, darstellende Geometrie, Mechanik, Geognose, Mineralogie, Paläontologie etc.) an einem der polytechnischen Institute zu hören und einen einjährigen Kurs in Buchhaltung, Handels- und Wechselrecht sowie Forstwesen zu besuchen89. Auch das land- und forstwirtschaftliche Fach bildete einen eigenen Zweig in der öffentlichen Verwaltung, das spezielle Fähigkeiten voraussetzte. Die theoretische Ausbildung für den höheren landwirtschaftlichen Beamtenberuf mußte an einer Lehranstalt mit einem eigenen Lehrfach (später einer Lehrkanzel) Landwirtschaftslehre, die für gewöhnlich an den polytechnischen Lehranstalten bestand – außerdem gab es das landwirtschaftliche Institut in Ungarisch-Altenburg (Mosonmagyaróvár) –, absolviert werden90. Für die forstwirtschaftliche Ausbildung bestand die Forstlehranstalt in Mariabrunn (mit zweijährigem Lehrgang), aber auch der Besuch von forstwirtschaftlichen Vorträgen an Universitäten, technischen Akademien oder auch „Selbststudien“ wurden als Berufsvorbildung akzeptiert. Jedenfalls bildete sowohl für die landwirtschaftlichen als auch für die forstwirtschaftlichen Beamtenberufe eine mehrjährige Praxis einen integrierenden Bestandteil der Berufsvorbildung91. 87 Hofkanzleidekret vom 5. August 1819 an das böhmische Gubernium, MEGERLE, Handbuch 1, 20. 88 Fr[anz] J[oseph] SCHOPF, Der kaiserlich-österreichische Civil-Staats-Dienst. Eine praktische Darstellung (Pest 1855) 22. 89 Ministerialerlaß vom 6. Februar 1849, bei SCHOPF, Civil-Staats-Dienst, 22 f. 90 Ebd., 23. 91 Ebd., 24–30.

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Ein besonderes Studium setzte auch der Dienst im „Kassa- und Rechnungswesen“ voraus. Zumindest wurde ein einjähriges Studium der „Staatsrechnungswissenschaft oder Verrechnungskunde“, ein Fach, das an den juridischen Fakultäten der Universitäten gelesen wurde, verlangt92: „Frequentationszeugnisse“ darüber waren eine Voraussetzung für die Aufnahme in den „höheren Kassa-Dienst“. Die „technischen Beamten“ waren mit der zunehmenden Technisierung stark im Steigen. Unzweifelhaft bildeten aber die juristischen Beamten nach wie vor das Gros des bürokratischen Standes, dessen Ausbildung im Laufe des Vormärzes immer mehr in das Feuer der Kritik geriet. Zur Ehre der Zeitgenossen sei bemerkt: Der juridische Studienplan von 1810 dürfte bereits bei seiner Geburtsstunde als nicht ganz befriedigend empfunden worden sein. Denn bereits einige Jahre nach seiner Realisierung, 1819, tauchten neue Reformvorschläge auf93, zunächst offensichtlich geboren aus den Bedürfnissen des praktischen Staatsdienstes, denn die neu vorgeschlagenen Disziplinen sollten allein die Vorlesungen des positiven Rechts vermehren: So wurde die Einführung des ungarischen Rechts, des politischen Verfahrens, des Bergrechts, Militärrechts und Seerechts, aber auch die des eben erst verbannten österreichischen Staatsrechts gekoppelt mit Diplomatie gefordert. Anders – interessanter – sahen allerdings die Reformvorschläge aus, die 1826 vorgelegt wurden. Sie verrieten nicht nur den Wunsch, die Juristen universeller zu bilden, was teilweise eine Rückkehr zum alten Studienplan bedeutet hätte, sondern auch das offensichtlich vorhandene Gefühl, hinter den schwarz-gelben Grenzpfählen abgeschlossen zu sein. Die Reformer wollten wieder eine „encyclopädische Einleitung“ in das juridisch-politische Studium als eigenes Fach verankert sehen und forderten auch bezeichnenderweise die Wiedereinführung des „natürlichen Privat-, Staats- und Völkerrechts“, die Einführung des deutschen Bundesrechts, Vorlesungen nicht nur im römischen Zivilrecht, sondern auch im „römischen Lehensrecht“ und über „rationelle Politik“. Das Kirchenrecht sollte nicht nur das österreichische umfassen, sondern durch das öffentliche Kirchenrecht ergänzt werden. Im Privatkirchenrecht sollte zusätzlich zum österreichischen auch das allgemeine gelehrt werden. Für die Wiener Universität wurde neben dem obligaten Studienplan noch die Etablierung einer Reihe von „freien Studien“ vorgeschlagen (ungarisches und siebenbürgisches Recht, das Bergrecht, das Handels- und Wechselrecht, das bisher 92 Hofkammerdekret vom 2. Mai 1833, zit. ebd., 31. Zum Folgenden ebd., 30–33. 93 Zum Folgenden vgl. MEISTER, Studienwesen, 48–58; Meister beruft sich ausschließlich auf KINK, Universität Wien 1, 227–237.

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„ordentlich“ gelehrt wurde, sowie das Seerecht), so daß eine weitgehende Auflockerung und eine breitere Fächerung des Wissensangebots für die angehenden Juristen erreicht worden wäre. Die Reform war jedoch im franziszeischen Staat undurchführbar. Die Verhandlungen über diese Vorschläge wurden über mehr als zwei Jahrzehnte verschleppt94, bis ein neuer „Entwurf des Lehrkörpers der rechts- und staatswissenschaftlichen Studienordnung für die k. k. Universitäten in den nichtungarischen Ländern“ zustande kam. Er zeigte, daß sich sowohl die Bedürfnisse des Staatsdienstes als auch die Vorstellung, was eine gute Juristenausbildung zu sein habe, radikal gewandelt hatten. Der Forderungskatalog enthielt eine Teilung in wissenschaftliche und Berufsausbildung. Die Beamtenausbildung wurde traditionsgemäß aus der wissenschaftlichen vollkommen ausgeklammert und bedenkenlos in die berufsbildende eingeordnet95. Trotzdem kündigte sich in der universitären Juristenausbildung ein neuer Wissenschaftsbegriff an, der zu den Reformen der fünfziger Jahre überleitete. Die Vorschläge erhielten allerdings nie Gesetzeskraft. 1848 war die Zeit für radikale Umwälzungen reif. Bis dahin wurde der alte Studienplan beibehalten – trotz aller Unzulänglichkeit und aller Reformvorschläge. Den Bedürfnissen des Staatsdienstes wurde, obwohl man diese im Lehrplan nicht zur Kenntnis nehmen wollte, auf eine recht unbürokratische Art und Weise Rechnung getragen. Man behalf sich mit außerordentlichen Vorlesungen. Die Zahl dieser war in den fast 40 Jahren zwischen 1810 und 1848 stark angestiegen: 1810 waren zwei außerordentliche Vorlesungen, die Staatsrechnungswissenschaft und die österreichische Rechtsgelehrtheit, vorgesehen, der Vorlesungsplan von 1847/48 war um fünf weitere außerordentliche Vorlesungen bereichert worden: juridische und kameralistische Arithmetik, gerichtliche Medizin, Theorie des Zivilprozesses, praktische Vorlesung und Übung über das gerichtliche Verfahren, Geschichte des Rechts in Österreich, diplomatische Staatengeschichte. Nicht nur vermehrte praktische Rechtskenntnisse waren, wie wir sehen, notwen94 Dies kann als Musterbeispiel an Verzögerungstaktik der Verwaltung bezeichnet werden; Näheres bei MEISTER, Studienwesen, 48 f. 95 Der Staatsdienst bildete auch 1847 das wichtigste Kriterium für die Einrichtung der Studien: Diese wurden in allgemeinobligate und relativobligate eingeteilt. Den allgemeinobligaten wurden alle Lehrfächer zugeordnet, „die gleichmäßig aus wissenschaftlichem wie praktischen Standpunkte, sowohl zu einer gründlichen rechts- und staatswissenschaftlichen Ausbildung überhaupt als insbesondere auch für den vaterländischen öffentlichen Konzeptsdienst in den nichtungarischen Ländern nothwendig sind“. Als relativ-obligate Gegenstände wurden jene bezeichnet, die als gesetzliche Vorbedingungen galten, „um zum Konzeptsdienste oder wirklichem Richteramte, entweder im Justiz- oder im politischen oder im Kameraldienste zugelassen werden zu können“. MEISTER, Studienwesen, 50 f.

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dig geworden, sondern auch die so verpönte Geschichte war auf dem Umweg der außerordentlichen Vorlesung wieder in die Ausbildung der Beamten gekommen. All die Jahre hindurch hielt man (wie bereits erwähnt) erstaunlicherweise an drei Vorlesungen fest, die auf den ersten Blick absolut nicht in das Gefüge der praxisbezogenen, auf die Erwerbung positiver – ideologiefreier – Kenntnisse ausgerichtete Juristenbildung passen wollten. Diese stellten noch dazu sozusagen die rechtsphilosophische Grundausbildung der österreichischen Juristengenerationen bis 1848 dar: Das natürliche Privatrecht nach Zeiller, das „natürliche öffentliche Recht“ („Positiones de jure civitatis“) Martinis und Sonnenfels’ „politische Wissenschaften“ („Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz“). Das jüngste dieser Vorlesungsbücher, Franz Zeillers „Das natürliche Privatrecht“ (1802), war 1805 eingeführt worden96. Obwohl es von der Philosophie Kants ausging, konnte es später nicht gut wieder eliminiert werden, da es doch die geistige Grundlage für das österreichische Bürgerliche Recht bot, dessen Schöpfer bekanntlich Zeiller war97. Durch eine Eliminierung des Zeillerschen „natürlichen Privatrechts“ wäre der Kodifikation und dem Rechtsstudium die eigentliche Basis entzogen worden. Martinis „natürliches öffentliches Recht“, seine Staatslehre, seit 1774 als Lehrfach eingeführt98, schien doch zu gefährlich-revolutionär, um es so angehenden Beamten darzubieten. Die „positiones juris civitatis“ wurden daher in einer umgearbeiteten Fassung vorgetragen99. Es war eine sehr „entschärfte“ Version des Naturrechts, die hier den Studenten zur Kenntnis gebracht wurde. Das Bemühen, es der Regierungspraxis des franziszeischen Staates anzugleichen, hatte eine seltsame verschwommene Interpretation zur Folge. Als Kostprobe dafür soll die Interpretation des „Gesellschaftsvertrages“ dienen. Egger hält prinzipiell am Naturrecht von „Martinis verfochtenem Gesellschaftsvertrag“ fest – für Martini zugleich ein Unterwerfungsvertrag unter die Beschlüsse der Gesellschaft. Martini konstitutierte die Demokratie als ursprüngliche Staatsform, das Staatsvolk entscheidet, bei der Demokratie zu bleiben oder eine aristokratische oder monarchische Regie96 Franz von Zeiller war der Nachfolger Martinis an der Universität. 97 Ernst SWOBODA, Das ABGB im Lichte der Lehren Kants (Graz 1926) 30 ff.; LENTZE, Universitätsreform, 63. 98 In diesem Jahr wurde Karl Anton von Martinis „De lege naturalis positiones“ (1767), also das private Naturrecht und seine zweite Abhandlung über das öffentliche Naturrecht „Positiones de jure civitatis“ (1768) als Vorlesungsbücher bestimmt; LENTZE, Universitätsreform, 52 f. 99 Franz von EGGER, Das natürliche öffentliche Recht nach den Lehrsätzen des Freiherrn von Martini vom Staatsrecht mit beständiger Rücksicht auf das natürliche Privatrecht des k. k. Hofrathes von Zeiller, 2 Bde. (Wien 1809/10). Dazu Friedrich ENGEL-JANOSI, Die Theorie vom Staat im deutschen Österreich 1815–1848, 363 ff.

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rungsgewalt zu errichten100. Martinis „revolutionäre“ These lautet, daß die Bürger auch noch als Untertanen des Staates ihre „angeborenen Rechte“ besäßen und der Regent aus dem Unterwerfungsvertrag keine andere Gewalt hätte, als „den Endzweck“ des Staates zu erreichen. Allerdings weicht Martini der Sicherung der Bürgerrechte durch konstitutionelle Freiheiten aus und ersetzt diese durch die moralische Verantwortlichkeit des Herrschers101. Egger sieht sich nun gezwungen, auf den Streit einzugehen, ob die Herrschaft „göttlichen Ursprungs“ sei oder auf einem Gesellschaftsvertrag beruhe. Er befindet sich damit in einem Dilemma: Dem katholisch-restaurativen franziszeischen Staat wäre „der göttliche Ursprung“ adäquat gewesen, Grundlage des philosophischen Rechts war aber in Österreich das Naturrecht. Also spaltet Egger – in seinen Augen wahrscheinlich salomonisch – das einheitliche Ganze der Staatsphilosophie in eine Philosophie anwendbar für das Recht und die Wissenschaft und in eine Philosophie für Kirche und Politik: „Es gibt daher keinen zureichenden Grund“, meint er in Hinblick auf die Rechtswissenschaft, „welcher den Juristen nötigt, die Ableitung der bürgerlichen Oberherrschaft unmittelbar aus einem Vertrag aufzugeben. Anders ist es mit dem Moralisten und Politiker, welche dieselbe richtig und zweckmäßig als von Gott herrührend darstellen“102. Arme Beamte, die in diesem Geist erzogen wurden! Sie konnten sich aus­ suchen, ob sie sich als „Juristen“ (Wissenschaftler) oder Katholiken („Moralisten“) fühlten. Das berühmte „Ich oder Ich“ in der Seele von Nestroys „Zerrissenem“ erfuhr damit die höchste philosophische Approbation mit staatlicher Sanktionierung. Eindeutiger und massiver unterstützt Egger allerdings die Majestät. Er weicht dem Begriff „bürgerliche Oberherrschaft“ aus, indem er sie einfach „bürgerliche Majestät“ nennt (zugeschnitten auf die Auffassung von Regierung, wie Kaiser Franz sie demonstrierte) und bezeichnet expressis verbis „bürgerliche Oberherrschaft und Majestät“ als „Wechselbegriffe“103. Hier kümmerte er sich wenig um die Begründung, die sein Vorgänger Martini für den Ursprung der Majestätsrechte gibt, nämlich auch aus dem Vertrag, wie Martini betont104. Er paßt damit 100 Karl Anton von MARTINI, Lehrbegriff des Natur-, Staats- und Völkerrecht 3 (Wien 1783–84) 19–25. 101 MARTINI, Lehrbegriff 3, 190; SAUER, Von der „Kritik“ zur Positivität, 23. 102 EGGER, Das natürliche öffentliche Recht, 55 (§ 60). 103 Ebd., 50 (§§ 51 und 52). 104 Martini dagegen meint wörtlich: „Wir haben eben gesehen, daß sich ohne Staat keine Majestät denken lasse, jeder Staat aus einem Vertrag entspringe und mit den göttlichen Endzwecken sich

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die Martinische Theorie nicht sehr geschickt der restaurativen Staatsauffassung an. Trotzdem bleibt auch Egger letzten Endes grundsätzlich beim Naturrecht, auch wenn es um die kaiserlichen Rechte geht: „Das Staatsoberhaupt hat nicht bloß Rechte, sondern auch Rechtspflichten. Denn es hat sie aus dem bürgerlichen Unterwerfungsvertrag.“105 Darüber hinausgehend verteidigt Egger das Naturrecht als prinzipielle Staatsdoktrin und polemisiert heftig gegen die in Deutschland mit Savigny modern und politisch zugkräftig gewordene historische Rechtsschule. Die These, daß die Staaten ihre Rechte historisch ableiten sollten, lehnt er rundweg ab: „Der philosophische Rechtsgelehrte“, meint Egger stolz, „will keine Geschichte der Staaten schreiben und borget seine Prinzipien nicht aus ihr, sondern nimmt sie aus der Vernunft.“106 Es war im ganzen ein nicht ganz ungeschicktes Gemisch von Konzessionen an die franziszeische Restauration und an das Naturrecht, das Egger hier anbot – bei aller philosophischen Inkonsequenz. Damit rettete er die Staatsphilosophie der Aufklärung – über Absolutismus und Zensur hinweg – als theoretisches Fundament des Staates bis 1848. Generationen von Beamten wurden in dieser Auffassung erzogen. Auf den ersten Blick scheint es verwunderlich und widersprüchlich, daß in einem Staat, in dem das Bildungswesen einen ausgeprägt katholischen Stempel trug und die Universitätsstudenten strikten katholischen Formen unterworfen wurden, unverbrüchlich am Naturrecht festgehalten wurde, gegen dessen Einführung 1754 bereits von katholischer-konservativer Seite Sturm gelaufen wurde107. Die Kritik der Katholiken an der Lehre des Naturrechts konnte naturgemäß nicht verstummen, und besonders die katholischen Reformer der fünfziger Jahre wandten sich, als sie unter Unterrichtsminister Thun-Hohenstein wieder Oberwasser gewannen, mit aller Schärfe gegen Ethik und Staatsrecht der Aufklärung. Sie nannten das Naturrecht mit Pathos „die inkarnierte Auflehnung“ gegen „die Offenbarung der göttlichen Satzung“108 und sahen in ihm – von ihrem Standpunkt aus nicht zu Unrecht – eine Gefahr für den Bestand der staatlichen und

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in allen Stücken vertrage.“ Daher habe die Majestät „ihren höchsten Grund in dem Vertrage, den entfernteren aber in dem göttlichen Willen selbst, so ungefähr wie wir die natürlichen Gesetze aus der Natur des Menschen, von ferne aber aus der freien Willkür Gottes ableiten“. MARTINI, Lehrbegriff 3, 33 f. EGGER, Das natürliche öffentliche Recht, 289 (§ 239). Ebd., 29 (§ 40). BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 100. KINK, Universität Wien 1, 464, Anm. 602.

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menschlichen Ordnung. Die in Österreich herrschende „Freiheit des Geistes“, so meinte man, „die Herrschaft des Naturrechts“ an den Universitäten und „ein verseichtigter Kantianismus von Amtswegen“109, hätten die Studenten und Beamten grundsätzlich für eine wahre Unterstützung der von Gott gewollten und eingesetzten Institutionen, wie sie Staat und Kirche darstellten, unbrauchbar gemacht. Als besonders verderblich wurden zwei Lehren des Naturrechts empfunden, die, so glaubte man zu beobachten, auf Universitäten und auf Ämtern verbreitet wurden, nämlich erstens die „gefährliche Theorie von der Entstehung des Staates aus einem Vertrag“ und zweitens die Lehre von den „angeborenen natürlichen Rechten des Menschen“110. Die Vertragstheorie stelle, so klagten die Katholiken, den Staat als das Produkt eines Willküraktes des Menschen und nicht als Schöpfung durch göttlichen Entschluß dar. „Das Recht an der eigenen Person“ gehe jedoch in letzter Konsequenz so weit, daß es „in gerader Richtung zu einem Recht auf den Selbstmord führe“. Die „angeborenen natürlichen Rechte des Menschen“ waren auch im ABGB von 1811 tatsächlich theoretisch verankert111. § 16 wurde mit folgendem Satz begonnen: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte“, und § 17 sagte: „Was den angeborenen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend hingenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird.“112 Diese Bestimmungen hatten zwar in der Praxis keine Bedeutung, bildeten aber doch – allein durch die Kodifikation – eine wichtige Grundlage der österreichischen Rechtswissenschaften113. In dieser Tatsache sahen kirchentreue Männer voll Besorgnis die Ursachen für die „Verführung“ der Staatsdiener zu den „Prinzipien der modernen Revolutionen“, zum Glauben an „gallikanische und febronianische Theorien von der Macht des Staates und den Befugnissen der ­Hierarchie“, zur „Lauigkeit“, zum „Indifferentismus“, zur „Abneigung gegen Papst und Klerus“, 109 (Anonym), DIE UNIVERSITÄTSFRAGE IN ÖSTERREICH. Beleuchtet vom Standpunkte der Lehr- und Lernfreiheit (Wien 1853) 22. Dazu auch Waltraud HEINDL, Beamtentum, Elitenbildung und Wissenschaftspolitik im Vormärz. In: Vormärz (zit. Anm. 68), 53. 110 (Alois FLIR – Leo THUN-HOHENSTEIN, anonym), Die Neugestaltung der österreichischen Universitäten, über Ah. Befehl dargestellt vom k. k. Ministerium für Cultur und Unterricht (Wien 1853) 80 ff. 111 Über den Einfluß Kants auf Zeiller, den federführenden Autor des ABGB, siehe auch Roger BAUER, Der Idealismus und seine Gegner in Österreich (= Beiheft zum Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 3, Heidelberg 1966) 20 f. 112 ABGB (Wien 1811) 6 f. 113 Auch Kommentare, wie die Winiwarters, den der oben erwähnte Thun-Kreis als „verdächtig“ bezeichnete, beschäftigten sich damit (FLIR-THUN), Neugestaltung, 81.

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sogar zum „förmlichen Unglauben“, aber auch für eine feindselige Stimmung der Beamten gegenüber dem Staat, die sie zu bemerken glaubten114. Auch Sonnenfels’ „Grundsätze“, eine der Grundlagen der Beamtenbildung bis 1848, paßten in das „gottlose“ Bild, das von der aufgeklärten Rechtsphilosophie im restaurativen Staat gezeichnet wurde. Was sollte auch tatsächlich ein Beamter, der als „Untertan“ den franziszeischen Grundsätzen zufolge möglichst wenig selbst denken, sondern gehorchen sollte, mit einem Satz anfangen, wie: „Das dumme Volk gehorcht, weil es muß: das unterrichtete, weil es will. Eine billige und erleuchtete Regierung scheut die Einsicht ihrer Untertanen nicht: sie sollen aufgeklärt sein, um das Gute zu erkennen, so ihnen erwiesen wird.“115? Grund genug, daß der spätere Kritiker Kink besonders Sonnenfels, „der über eine platte Oberflächlichkeit, über eine unverhohlene materialistische Anschauungsweise“ – so Kink – nicht hinausgekommen sei, ins Visier nahm. Besonders rügte Kink, daß bei Sonnenfels der Regent wie jeder „andere Bürger“ verpflichtet gewesen wäre, sich vor der „rationalistischen Doktrin“ zu beugen. Doch auch Sonnenfels’ „politische Wissenschaften“ wurden im juridischen Studienplan bis 1848 beibehalten116. Es ist nicht zu leugnen: Es war tatsächlich eine widersprüchliche Mischung aus Bildung und Kenntnissen, die man angehenden Beamten an den österreichischen Universitäten anbot: naturrechtlich-aufklärerische Philosophie, doch ohne deren kritische, praktisch-normative Methode. Die positiv rechtliche Betrachtungsweise sollte den unbedingten Glauben an das gesetzte Recht und enzyklopädisches Faktenwissen vermitteln, um den Beamten das technische Know-how beizubringen, den komplizierten Amtsalltag mit der vielfältigen verwaltungstechnischen Gesetzesmaterie, die ebenso vielfältige menschliche Belange betrafen, zu meistern. Was sollte auch ein Beamter der franziszeischen Zeit, der sich Zensur und Kontrolle sowohl zu unterwerfen als sie auch auszuüben hatte, in der Praxis mit dem Lehrsatz anfangen, daß der Mensch natürlich angeborene Recht habe? Wie sollte sich jener Beamte benehmen, wenn er, der den positiven Gesetzen unbedingte Geltung zu verschaffen hatte, gleichzeitig das oberste Prinzip von Martinis Naturrecht ernst nahm, daß jedes positive Recht, wie alt es auch sein möge, seine Geltung verliere, falls es in Widerspruch mit dem Naturrecht gerate? Und sollte diese intellektuelle Widersprüchlichkeit schließlich nicht auf die Mentalität der Beamten Einfluß haben? 114 Ebd., 15 ff.; auch UNIVERSITÄTSFRAGE, 26 f. 115 SONNENFELS, Grundsätze 1, 100 f.; zit. bei SAUER, Von der „Kritik“ zur Positivität, 24. 116 Siehe S. 125.

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1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

Was für eine Wahl allerdings hätte der restaurative Staat gehabt, das traditionelle Naturrecht als rechtsphilosophische Basis zu ersetzen? Das Naturrecht bot die einzige Möglichkeit, die politische Romantik, die mit Hilfe der historischen Disziplinen und besonders der historischen Rechtsschule in den deutschen Staaten ihre wissenschaftliche Blütezeit erlebte und ihre politischen Triumphe feierte, von den österreichischen Staaten abzuwenden. Der Regierung des vormärzlichen Österreich mußte die Verbreitung des Naturrechts – trotz der (theoretischen) Proklamierung bürgerlicher Freiheitsrechte und den Kollisionen seiner Prinzipien mit den katholischen Offenbarungswahrheiten – als das kleinere Übel erscheinen. Die politische Romantik, die in jedem Fall (so entschärft konnte sie gar nicht werden) auf die Priorität des modernen Nationalstaatsprinzips hinauslief, hätte für den Vielvölkerstaat mit den altertümlichen Strukturen117 viel mehr Sprengkraft bedeutet. Denn von welchem historischen Recht hätte man auch letztendlich sprechen sollen: Vom böhmischen, polnischen, vom ungarischen, kroatischen oder italienischen historischen Recht? Das Naturrecht dagegen hatte nicht nur (seit 1774) lange rechtsphilosophische Tradition an den österreichischen juridischen Fakultäten, es hatte auch – trotz des „aufklärerischen“ Wissensgutes und des angeblich „revolutionären“ Potentials, das in ihm schlummerte – bis dato in Österreich keine Revolutionen provoziert. Es hatte sich als verläßlich erwiesen. Somit wurde erstaunlich viel aufklärerische Tradition in die vormärzliche Universität hinübergerettet. Die Beamten des vormärzlichen Staates wurden darin erzogen. Ihre geistige Existenz wurde davon beeinflußt. Die österreichische reglementierte Universität war ansonsten im Gegensatz dazu darauf angelegt, im Sinne des politischen Systems gute Beamte zu bilden. Die Verschulung der Universität, das streng reglementierte Studium stellten einen ausgezeichneten Disziplinierungsprozeß dar, der für die Berufslaufbahn eines Beamten im besten Sinne vorbereitete. Das Bildungssystem hatte, so meinten spätere Kritiker, zum Ziel, nicht den Wissenschaften zu dienen, sondern „fleißige, gemäßigte an Ordnung und Folgsamkeit gewöhnte, mit den nötigsten Kenntnissen ausgestattete junge Männer“ zu erziehen, die „aus den Lehranstalten ins praktische Leben übertreten und dort mit Ruhe und Bescheidenheit ihre Pflicht erfüllen“ sollten118. Das Idealbild eines österreichischen Beamten! Die an der Universität gebotene Bildung erschien auch den Beamten selbst für ihre bürokratische Laufbahn, für die es an und für sich wichtiger war, einen Akt richtig anzulegen als 117 Siehe S. 72 f. 118 [FLIR-THUN], Neugestaltung, 15.

135

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

die Beweisführungen des Naturrechts logisch abzuwickeln, als nicht ausreichend. Zeitgenössische Verwaltungspraktiker pflegten über die „geistlose“, „mittelmäßige“ Ausbildung, die den Beamten zugemutet wurde, bittere Klage zu führen119. In den vierziger Jahren kamen auch von seiten aufgeschlossener Personen der Staatsverwaltung massive Bedenken gegen das österreichische Bildungssystem, beispielsweise von Staats- und Konferenzrat Johann Baptist Freiherr von Pilgram. Die Resultate der österreichischen Universitätsbildung, so meinte er, seien „Halbwisserei und Unglauben“. „Unsere juridischen Studien sind Dampfmaschinen, womit der junge Mann eine vierjährige Laufbahn durchgetrieben wird, um dann für alle Fächer der Staatsverwaltung gleich schlecht geeignet zu sein. Von der eigentlichen Justizbranche zu reden, worüber ich mir ein kompetentes Urteil zutrauen darf, muß ich erklären, daß die Zöglinge weder römisches noch kanonisches Recht, also nicht einmal unser bürgerliches Gesetzbuch verstehen können. Die mittelmäßigen Köpfe bleiben bei dieser Halbwisserei lebenslänglich untaugliche Justizleute: die talentvollen Jünglinge suchen das Haar im Eie: unterschieben den Gesetzen Absichten, die der Gesetzgeber nie gehabt hat, und sind aus diesem Grunde unerträglich.“ Kaiser Franz habe ihm bereits 1827 einen neuen juridischen Studienplan in Aussicht gestellt. Die Zeit sei seitdem verstrichen, und nichts sei geschehen. „Indessen verdumme eine Generation nach der anderen“, so setzt Pilgram fort, „und wenn jetzt mit einem Zauberschlage ein herrlicher Studienplan hervorgebracht werden könnte: so finden Sie, ag. Herr, wenige Individuen ausgenommen, keine Professoren, welche ihn zu realisieren imstande wären.“120 So 1842! Es war tatsächlich seit 1810 nichts geschehen! Dazu kam, daß im Laufe des Vormärz langsam eine Überalterung des Lehrkörpers eingetreten war, da sich die Praxis herauskristallisiert hatte, die Wiener Lehrkanzeln an Professoren als Anerkennung für ihre Verdienste zu verleihen, die sie sich in mühevoller pädagogischer Arbeit ihr Leben lang in der Provinz erworben hatten. Die geistige Regsamkeit und Re119 Von den vielen Klagen seien herausgegriffen: (Anonym), AUS DEM HÖRSAAL. Studienbilder aus Österreich (Leipzig 1848); Julius BUNZEL, Der Lebenslauf eines vormärzlichen Verwaltungs-Beamten. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Innerösterreichs (Wien 1911)30 f.; Leopold von HASNER, Denkwürdigkeiten (Autobiographisches und Aphorismen) (Stuttgart 1892) 25 f.; Friedrich UHL, Aus meinem Leben (Stuttgart und Berlin 1908) 118 f. 120 Vortrag Johann Baptist Freiherrn von Pilgram vom 22. Juli 1842, HHStA., Konferenzakten 369/1842. Den Hinweis auf folgende Quellen verdanke ich Herrn Alfred Fraissler, der sich in seiner Dissertation mit der Universitätsorganisation Leo Thun-Hohensteins beschäftigte. Für die Hinweise und viele gute Ratschläge bin ich Herrn Alfred Fraissler (†) zu herzlichem Dank verpflichtet.

136

1. Beamtenbildung – Bürgerbildung

formfreudigkeit der meisten dieser Herren dürfte bei ihrem Amtsantritt in Wien tatsächlich bereits gelitten haben, sonst hätte der seit 1835 als Studienreferent fungierende Staatsrat Alois Jüstel nicht den Ausspruch tun können, diese Männer, „welche sich überlebet haben“, gereichten „der Wiener Universität weder mehr zu großem Nutzen noch Ruhme“121 und – die Wiener Universität sei „kein honorab­ les Invalidenhaus“122. Jüstel ist ein eher unverdächtiger Zeuge: er selbst war zum Zeitpunkt dieses Ausspruchs bereits 77 Jahre alt. Erst nach 1848 sollten sich die österreichische Universität und die Beamtenausbildung ändern. In den 50 Jahren wurden die Lehrpläne des Rechtsunterrichts vollkommen geändert und dem Humboldtschen Modell angepaßt. Gerade das, was bis 1848 streng verpönt gewesen war, die historischen Disziplinen, erlebte eine Renaissance. Und in der Folge trat genau das ein, was die vom Nationalismus verängstigten Behörden des absolutistischen Österreich befürchtet hatten: Gerade die deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte mit ihrem Kult des Deutschen Reiches sollte sich als zügiges Instrument der Propaganda für den Nationalstaatsgedanken erweisen und begünstigte, so meint Alphons Lhotsky, die Tendenzen zur Verleugnung und Verneinung Österreichs123. Besonders die deutschsprachigen Österreicher, vor allem die liberalen Intellektuellen, waren bald davon infiziert. Der Einfluß dieses nun gänzlich neu gestalteten juridischen Ausbildungsprogramms auf die österreichische Beamtenwelt als eine der staatstragenden Schichten müßte noch genau untersucht werden, es dürfte beträchtlich gewesen sein. Versuchen wir nun die österreichische Beamtenausbildung im europäischen Kontext zu sehen, so ist festzustellen, daß sie gemeinsame Tendenzen mit der institutionellen Beamtenerziehung fast aller anderen europäischen Staaten aufweist: Das Bildungsziel war der Fachbeamte. Es bildete sich auch in Österreich gerade in der Zeit zwischen 1750 und 1850 jener Typ des Fachbeamten heraus, wie er für die Bürokratie der europäischen Staatenwelt im allgemeinen kennzeichnend war. Aus dem Vergleich, den Max Weber mit dem chinesischen Beamtenstand zieht, wird der Unterschied zwischen dem „abendländischen“, speziell gebildeten und dem 121 Vortrag Jüstels vom 26. September 1842, HHStA., ÄSTR. 4842/1842. 122 Vortrag Jüstels vom 14. November 1842, HHStA., ÄSTR. 5687/1842. 123 Alphons LHOTSKY, Österreichische Historiographie (Österreich Archiv, Wien 1962) 544; vgl. auch DERS., Das Ende des Josephinismus. Epigolemena zu Hans Lentzes Werk über die Reformen des Ministers Grafen Thun. In: MÖSTA 15 (1962) 546–549. Neudruck in: Alphons LHOTSKY, Aufsätze und Vorträge, ausgewählt und hg. v. Hans WAGNER und Heinrich KOLLER, 3: Historiographie, Quellenkunde, Wissenschaftsgeschichte (Wien 1972) 288 ff.; auch Waltraud HEINDL, Universitätsreform – Gesellschaftsreform, 149.

137

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

„fernöstlichen“, der Literatur lebenden Typus des Beamten deutlich. Diese spezifische Form des Fachbürokraten entspricht nach Weber dem „rationalen Staat“ des Okzidents124. Ziel der österreichischen Variante der Ausbildung des Fachbeamtentums war – abgesehen von den kurzen reformatorischen Ansätzen vor allem zwischen 1780 und 1790 – der bescheidene, exekutierende Befehlsempfänger. Das Resultat der höheren Beamtenausbildung war dagegen – der Bürger. Denn die Ausbildung an den höheren Schulen brachte es mit sich, daß er vom Sozialprestige her gesehen zu der (intellektuell-geistigen) Elite des Landes gerechnet wurde (ob das nun von einem wissenschaftlich-„geistigen“ Standpunkt gemessen richtig war oder nicht), die damals eben als vorwiegend modern-bürgerlich eingestuft wurde.

124 Max WEBER, Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Aus den nachgelassenen Vorlesungen hg. v. S. HELLMANN und M. PALYI (München und Leipzig 1924) 289; auch DERS., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1 (Tübingen 1920) 276 ff.

138

Anhang I Die Reformen der juridisch-politischen Studien

1774 1. Jahrgang natürliches Privatrecht Geschichte des römischen Rechts Institutiones 2. Jahrgang Pandekten mit „Zusätzen“ aus dem Codex Theresianus und Jus Germanicum Kriminalrecht 3. Jahrgang Kirchenrecht mit seiner Geschichte geistliches Staatsrecht 4. Jahrgang deutsches Staatsrecht mit „Zusätzen“ über die Erbländer allgemeines Staats- und Völkerrecht und Lehensrecht

139

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

1788/89 1. Jahrgang Naturrecht, allgemeines Staatsrecht und Völkerrecht peinliches Recht über das Gesetzbuch Kirchengeschichte

1790/91 1. Jahrgang Naturrecht, allgemeines Staats- und Völkerrecht peinliches Recht über das Gesetzbuch deutsche Reichsgeschichte

2. Jahrgang bürgerliches Recht die österreichischen Rechte deutsche Rechtsgeschichte

2. Jahrgang römisches Recht Institute und Digesten des römischen bürgerlichen Rechts öffentliches Kirchenrecht

3. Jahrgang Privatkirchenrecht Lehensrecht deutsches Staatsrecht Geschichte der österreichischen Monarchie

3. Jahrgang Privatkirchenrecht Lehensrecht und deutsches Staatsrecht österreichisches Privatrecht über das Gesetzbuch und die Prozeßordnung

4. Jahrgang Lehens- und deutsches Staatsrecht allgemeines Staats- und Völkerrecht Statistik Politikwissenschaft und praktische Geschäftskenntnisse

4. Jahrgang Politikwissenschaft Geschäftsstil allgemeine und österreichische Statistik und schriftliche Nachrichten von Österreich

Ao. öffentliche Vorlesungen: Praxis des Höchstgerichts, deutsches Privatrecht allgemeine, insbesondere österreichische Privatrechtsgelehrsamkeit

Ao.: wie 1788/89 und Staatsrechnungswissenschaften

140

Anhang 1

1805 1. Jahrgang natürliches Privatrecht europäische Staatenkunde natürliches öffentliches Staats- und Völkerrecht Kriminalrecht nach dem Gesetzbuch

1811 1. Jahrgang natürliches Privatrecht europäische Staatenkunde natürliches öffentliches Recht Kriminalrecht nach dem Gesetzbuch österreichische Staatenkunde

2. Jahrgang Geschichte des römisch-bürgerlichen Rechts Institute des römischen Rechts Geschichte des deutschen Reichs Pandekten

2. Jahrgang römisches Zivilrecht Landwirtschaft Kirchenrecht

3. Jahrgang öffentliches Kirchenrecht Lehensrecht Privatkirchenrecht deutsches Staatsrecht

3. Jahrgang österreichisches bürgerliches Recht nach dem neuen bürgerlichen Gesetzbuch Lehensrecht Handels- und Wechselrecht nach dem Wechselpatent und den besonderen Verordnungen

4. Jahrgang politische Wissenschaft österreichisches Privatrecht nach den Gesetzen politische Gesetzeskunde nach den Gesetzen Geschäftsstil

4. Jahrgang politische Wissenschaft gerichtliches Verfahren in Streitsachen nach der Gerichtsordnung, der Instruktion für Justizstellen und besondere Verordnungen politische Gesetzeskunde Geschäftsstil gerichtliches Verfahren außer Streitsachen

Ao. öffentliche Vorlesungen: Theorie des gerichtlichen Verfahrens deutsches Privatrecht Staatsrechnungswissenschaft österreichische-praktische Rechtsgelehrtheit österreichische Rechtsgelehrtheit Geschäftsbehandlung im politisch-ökonomischen Zivil- und Kriminaljustizfach

Ao. öffentliche Vorlesungen: Staatsrechnungswissenschaft praktische österreichische Rechtsgelehrtheit

141

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Anhang II Die Reformen des philosophischen Lehrgangs für Juristen 1774 1. Jahrgang Logik, Metaphysik, Elementarmathematik

1784 1. Jahrgang Logik mit empirischer Psychologie Metaphysik bis zur Kosmologie reine Elementarmathematik allgemeine Naturgeschichte

2. Jahrgang Physik und Mathesis

2. Jahrgang Physik angewandte Mathematik Universalgeschichte mit alter und mittlerer Geographie philosophischklassische Literatur

3. Jahrgang frei nach Wahl, nicht obligat

3. Jahrgang Metaphysik und praktische Philosophie Theorie der schönen Wissenschaften und Künste Universalgeschichte Ästhetik klassische Literatur

142

Anhang II

1805 1. u. 2. Jahrgang (für alle) Philosophie reine und angewandte Mathematik Physik Religionslehre Weltgeschichte griechische Sprache

1824 1. Jahrgang Religionswissenschaften theoretische Philosophie (= Psychologie und Logik) reine Elementarmathematik lateinische Philologie

2. Jahrgang Religionswissenschaft Metaphysik Moralphilosophie Physik lateinische Philologie Griechisch 3. Jahrgang (nur für Juristen) höheres klassisches Studium österreichische Geschichte Religionslehre nach freier Wahl: Technologie, Mathesis forensis, Mathematik, Ästhetik, Diplomatik, Heraldik, Landwirtschaft und Forstlehre, Geschichte der Künste und Wissenschaften, Geschichte der Philosophie, Pädagogik, Numismatik, höhere Mathematik, Astronomie, lebende Sprachen

143

3. Jahrgang aufgelassen für „höhere Fakultäten“ (nur für Gymnasiallehrer)

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte? 2.1. Das „Parkinsonsche Gesetz“ zwischen 1780 und 1848 C. Northcote Parkinson hat 1957 (zum erstenmal) in einer bitteren Satire auf das unvermeidliche Anwachsen des Beamtenapparates in Behörden und Betrieben hingewiesen, mit dem Moment, in dem dieser installiert wird. Die „wachsende Pyramide“, die beschleunigte Zunahme der Beamten in Form einer Pyramide wurde als Parkinsonsches Gesetz berühmt, Allgemeingut einer breiten Öffentlichkeit und zur Grundlage, wenn es um die Kritik an Bürokratie geht. Parkinson macht im Grund Mängel in der Organisation und menschliche Schwäche für das wuchernde Gebilde Bürokratie verantwortlich1. Wie steht es in der österreichischen Vergangenheit mit diesem Gesetz? Verläßliche Zahlen über die Beamten der Zentralstellen (Hofstellen) in Wien fehlen. In den „Tafeln zur Statistik der Oesterreichischen Monarchie“, die ab 1828 jedes Jahr publiziert wurden2, werden zwar jährlich die Zahlen dieser Behörden in den einzelnen Rängen ausgewiesen, doch scheinen sie nur die sogenannten systemisierten (heute im Dienstpostenplan vorgesehenen) Stellen und nicht die tatsächlichen Dienst tuenden Beamten aufgenommen zu haben. Vergleichen wir nämlich die Zahlen, die in den Tafeln zur Statistik aufscheinen mit den in den „Staatsschematismen“ („Staatshandbücher“)3 verzeichneten Beamten, so erschei1

2 3

„Geht man also davon aus“, so Parkinson, „daß sich Arbeit (vor allem Schreibarbeit) durchaus elastisch gegenüber der Zeit verhält, dann steht fest, daß auch nur geringe oder gar keine Beziehungen zwischen einem bestimmten Arbeitspensum und der Zahl der Angestellten, die das Pensum erledigen sollen, besteht. Mangel an echter Aktivität muß nicht zwangsläufig zu Müßiggang führen; Mangel an Beschäftigung offenbart sich nicht immer in auffälligem Nichtstun. Vielmehr schwillt eine Arbeit an und gewinnt sowohl an Bedeutung als auch an Komplexität, je mehr Zeit für sie zur Verfügung steht. Obwohl dies heute allgemein bekannt ist, wurden die notwendigen Folgerungen noch nicht daraus gezogen – vor allem nicht auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung.“C. Northcote PARKINSON, Parkinsons neues Gesetz (Reinbek 1984) 11. 1828 lautete der Titel: „VERSUCH EINER DARSTELLUNG DER OESTERREICHISCHEN MONARCHIE IN STATISTISCHEN TAFELN, 1. Jg. (Wien 1828). Kayserlicher und Königlicher … wie auch Ertz-Herzoglicher und Dero Residentz-Stadt Wien, Staats- und Stands-Kalender (Wien 1702 ff.); 1776–1804 Hof- und Staats-Schematismus der Römisch Kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien; 1808–1843 Hof- und Staats-Schematismus des österreichischen Kaiserthums; 1844–1848 Hof- und Staatshandbuch des österreichischen Kaiserthums; 1856–1868 Hof- und Staats-Handbuch des Kaiserthumes Österreich.

144

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

nen die ersteren als weit niedriger4. Daher bleibt nichts anderes übrig, als Zählungen vorzunehmen, und zwar nach den genannten „Staatsschematismen“. Diese stellen eine exakte, umfassende und im Grund die einzige Quelle dar, die jedes Jahr erschien und in der jede einzelne Behörde im gesamten Kaisertum und jeder einzelne in diesen amtierende Beamte genauestens verzeichnet wurde. Darüber hinaus werden die genaue Rangbezeichnung, akademischer Titel, Mitgliedschaft bei wissenschaftlichen Vereinen und die Privatwohnung der Beamten angegeben. Die Staatshandbücher sind daher, angesichts der mageren Quellenlage, für die Geschichte des Beamtentums eine unschätzbare Quelle, auch wenn die Handhabung etwas mühevoll ist. Zahlen sind wichtig. An sie knüpfen sich wesentliche Fragen, wie zum Beispiel: Gab es tatsächlich eine Vermehrung der Beamten, wie immer behauptet wird? Und wenn ja: In welchen Rängen und Behörden gab es sie? Waren die bürgerlichen Beamten im Vormarsch? Ein nicht zu umgehendes Faktum, wenn wir die Frage nach dem Prozeß der Verbürgerlichung der Bürokratie beantworten wollen. Daher wurden von mir Zählungen nach den Staatshandbüchern durchgeführt, beginnend mit dem ersten Regierungsjahr Josephs II. 1781 alle 10 Jahre. Berücksichtigt wurden in der Zählung, da hier das höhere Beamtentum behandelt wird, die sogenannten Konzeptsbeamten, die nun A-Beamten genannt werden, also Beamte, die nach gegenwärtigen und auch damaligen Kriterien auf Grund ihres Universitäts- oder Hochschulstudiums in die höchste Klasse der Beamtenschaft eingereiht wurden und fähig waren (oder zumindest fähig sein sollten), selbständig und eigenverantwortlich Entwürfe (Konzepte) für Aktenerledigungen zu produzieren5. Die Zuordnung ist allerdings in manchen Fällen unsicher. Im großen und ganzen dürfte jedoch die Zählung zumindest nicht ganz unrichtig sein. Die Wiener Zentralstellen waren im wesentlichen alle gleich eingerichtet und hierarchisch gegliedert (siehe umseitige Übersicht). De jure hatten, wie gesagt, die Konzeptsbeamten (von den Präsidenten der Hofstellen inklusive der Praktikanten) ein abgeschlossenes Universitätsstudium 4

5

Um nur ein Beispiel zu geben: 1831 werden in den TAFELN ZUR STATISTIK für die Staatskanzlei 29, in dem STAATSSCHEMATISMUS rund 33 Beamte verzeichnet; 1841 sind in den TAFELN ZUR STATISTIK für dieselbe Behörde 33 Beamte in der Staatskanzlei, 46 in den Botschaften angegeben, in den STAATSSCHEMATISMEN scheinen dagegen 40 in der Staatskanzlei und 97 an den Botschaften auf. Den A-Beamten folgen die B-Beamten (mit Matura), die C-Beamten (mit Fachausbildung), die D- und E-Beamten (Hilfskräfte). Die Einteilung war im Grunde zwischen 1780 und 1848 nicht viel anders.

145

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Bezeichnung bis 1848 „Konzeptsbeamte“ (höchste und höhere Beamte)

1990

Präsident (Kanzler) Vizepräsident Konzeptsbeamte: Hofräte Hofsekretäre Hofkonzipisten (Praktikanten)

„Mittlere Beamte“ Rang und Gehalt tw. wie Konzeptsbeamte, tw. wie „mittlere“ Kanzleibeamte

Direktoren der Hilfsämter (Einreichungsprotokoll, Expedit, Registratur, Archiv) Protokollisten Adjunkten Kanzlisten Akzessisten

„Manipulationsbeamte“ oder Kanzleibeamte (untere Beamte) und Diener

Hausinspektoren Hausmeister Hausknechte Türhüter Diener Boten Heizer [6]

Minister Staatssekretär Ministerialräte Oberräte Räte Oberkommissäre Kommissäre Amtsdirektor Amtsräte

Amtssekretäre Oberrevidenten Revidenten Fachinspektoren Kontrollore

aufzuweisen. Nicht ganz klar und bei den einzelnen Behörden verschieden gehandhabt wurde dies in der „mittleren“ Beamtenkategorie. Die Direktoren der Hilfsämter und Adjunkten bei den vornehmen Behörden, etwa der Staatskanzlei, auch die Protokollisten (vielleicht auch die Akzessisten) dürften ebenfalls meistens akademisch graduierte Beamte gewesen sein7. Daher wurden auch diese Ränge von mir in die Zählung aufgenommen. In Zweifelsfällen wurde bei Entscheidungen 6 7

Vgl. die HOF- UND STAATSHANDBÜCHER; auch MAYR, Wien, 184. Dazu Bestimmung vom 26. November 1791, daß die Direktoren den Hofsekretärsrang, die Adjunkten den Konzipistenrang zu führen hätten. In: „Sammlung von Vorschriften in Abteilungen“ (1. über Rangbestimmung), „gesamelt und zusammengetragen von Franz WEIBEL, k. k. Hofkammer­ archivdirektionsadjunkt 1841“, Hofkammerarchiv (weiterhin HKA.), Handschriften Nr. 17.

146

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

nach den ab 1807 fest eingerichteten Rang- und Diätenklassen vorgegangen8. Bei Beamten der Diätenklasse 1 bis 7 bzw. 8 (von 12 Dienstklassen) setzte man im allgemeinen ein abgeschlossenes Universitätsstudium voraus. (Im übrigen gab es zwischen den einzelnen Behörden gewisse geringe Unterschiede in der Einreihung der einzelnen Ränge in Diätenklassen.) Ein besonderes Problem bei der Zuordnung bildete die Tatsache, daß sich die Vorbildungs- bzw. Anstellungserfordernisse im Laufe des hier für die Zählung in Frage kommenden Zeitraumes für ein und dasselbe Amt manchmal etwas änderten. Gewöhnlich wurden die Ansprüche höher, wie etwa bei den Kameralbeamten. Die Finanzen waren immer schon eine heikle Angelegenheit, denen die Staatsverwaltung ein besonderes Augenmerk zuwendete. Daher sollten zu diesem Konzeptfach nur solche Kandidaten zugelassen werden, welche die Rechtswissenschaften an einer der inländischen Lehranstalten nicht nur absolviert hatten, sondern die auch mit erstklassigen Noten aufwarten konnten. Erstaunlicherweise wurden diese Bestimmungen erst 1810 (und später 1836) dezidiert ausgesprochen9. Innerhalb des Komplexes „Kassa- und Verrechnungsbeamte“ war die Frage nicht eindeutig zu lösen, ob die Buchhalter zu den höheren Beamten zu zählen seien. Denn erst 1833 wurde für eine Anstellung im „Cassen- und Buchhaltungsdienst“ gefordert, „die Staatsrechnungswissenschaft“ oder „Verrechnungskunde“ an den Lehrkanzeln der Universität studiert zu haben10. Von einem Abschluß eines Universitätsstudiums ist allerdings nicht die Rede. In manchen Fällen dürften sie jedoch auch schon 1833 vor ihrem Eintritt in den Staatsdienst zumindest ein Studium an der Universität begonnen, wenn auch nicht abgeschlossen haben. Die Buchhalter bekleideten zwar verantwortungsvolle Posten, zählten aber eindeutig zum mittleren Beamtentum. Die Hofbuchhalter wurden deshalb in den nachfolgenden Tabellen nicht berücksichtigt. Die Frage erhebt sich natürlich auch, ob es gerechtfertigt ist, auch die Präsidenten der Hofstellen, die später nach der Revolution von 1848 und der Umwandlung der alten Hofstellen in Ministerien den Titel Minister erhielten und auch im Vormärz die Regierung bildeten, zu Recht zu den Beamten gezählt wurden. 8 9

MEGERLE, Handbuch für Beamte 1 (1824), 353–357. Hofkammerdekret vom 26. Juni 1810 und vom 13. März 1836, bei Franz J[oseph] SCHOPF, Archiv für Civil-Justizpflege, politische und kameralistische Amtsverwaltung in den deutschen, böhmischen, galizischen und ungarischen Provinzen des österreichischen Kaiserstaates 1 (Wien 1837) § 43, 23. 10 Hofkammerdekret vom 2. Mai 1833, Zahl 10171, zit. bei SCHOPF, Civil-Staats-Dienst, 31.

147

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Darüber läßt sich streiten. Ich hin jedoch von der Erfahrung ausgegangen, daß die Präsidenten der Hofstellen meistens Fachbeamte waren, die im Normalfall (eine Ausnahme bildeten etwa die „beamteten“ Erzherzöge) eine Fachkarriere hinter sich hatten (wie etwa auch Metternich als Berufsdiplomat), auch wenn diese manchmal ungewöhnlich steil und schnell verlaufen war. Die Frage, ob zwischen der Regierung und den Beamten zu differenzieren ist, besaß außerdem im absolutistischen Staat nicht denselben Stellenwert wie im konstitutionellen, in dem die Minister für gewöhnlich dem Parlament verantwortliche Politiker und zugleich höchste Beamte ihrer Ministerien sind. Alle, angefangen vom Präsidenten der Hofstelle bis zum Heizer, waren dagegen im absolutistischen System gleicherweise dem Kaiser allein verantwortlich. Die Präsidenten und Kanzler wurden daher in der Zählung berücksichtigt. Generell wurden die höheren Beamten aller Zentralbehörden (Hofstellen) gezählt, also die der Hof- und Staatskanzlei, der Böhmisch-Österreichischen bzw. Vereinigten Hofkanzlei, der Obersten Justizstelle, des Königlich-Ungarischen Hofrates und der Kanzlei, des Siebenbürgischen Hofrates und der Kanzlei, der Illyrischen Hofkanzlei, der Galizischen Hofkanzlei (die beiden letzteren existierten nur kurzzeitig), der Hofkammer und des Generalrechnungsdirektoriums, des Hofkriegsrates, der Obersten Polizeibehörde, der Studienhofkommission, der Bücherzensurkommission und der verschiedenen meistens nur zeitweilig bestehenden Kommissionen. Diese wurden jener Hofstelle zugezählt, der sie unter – oder zumindest zugeordnet waren, wie die „Rektifikationshofkommission“ der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, die „Erbsteuerkommission“ der Ungarischen Hofkanzlei, die „Geistlich milde Stiftungs- und Hofkommission“ der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, die „Hofkommission in Wohltätigkeitsangelegenheiten“ der Obersten Polizei- und Zensurhofstelle, die „Hofkommission über die reichshofrätliche Judical- und in den Reichshoflehen und Gratial-Registratur aufbewahrten Akten, dann über die reichshofrätliche Depositenkasse“ der Geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzlei, die „Hofkommission in Justizgesetzsachen“ der Obersten Justizstelle oder die „Justiz-Normalien-Kommission“ und die „Aktenuntersuchungskommission“ dem Hofkriegsrat. (Eine gewisse Ausnahme bildete die „Studienhofkommission“11). Eigens ausgewiesen wurden die Beamten jedoch nur dann, wenn sie nicht, wie dies meistens der Fall war, bereits im Personalstand der jeweiligen Kanzlei ausgewiesen waren und nur der jeweiligen Kommission 11

Siehe S. 240, Anm. 11.

148

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

„dienstzugeteilt“ waren. Einbezogen wurden auch Staatsrat und Staatskonferenz, obwohl der Staatsrat eine beratende Funktion hatte und die Staatskonferenz im eigentlichen die Regierung bildete. Auch sie waren Teil des Verwaltungskörpers und behördenmäßig organisiert. Außer der bürokratischen Spitze, die von den Staats- und Konferenzministern gebildet wurde, an die sich „als eine Sonderklasse die Staats- und Konferenzräte“ anschlossen12, war auch der Staatsrat nach dem Muster der Hofstellen eingerichtet. Bei der Zählung wurde auch eine andere wichtig erscheinende Information genützt, die das Staatshandbuch bietet, nämlich die standesmäßige Zuordnung. Der Adelsstand wurde ja, wie bereits erwähnt, bei jedem Beamten gewissenhaft verzeichnet, so daß zwischen folgenden Kategorien unterschieden werden konnte: 1. Erzherzöge bzw. Fürsten, 2. Grafen, 3. Freiherren (Barone). Diese drei Gruppen – und die erbländischen Ritter – repräsentierten den hohen Adel. Eine weitere Kategorie bildete 4. der „niedere Adel“, dem die „neuen“ Ritter und die sogenannten „einfachen Adeligen“ (Edle von) zugeordnet wurden. Eine eigene Gruppe stellte 5. die Gruppe der Beamten „ohne Adelsprädikat“ dar. Bei dieser Gruppe kennen wir nur in Einzelfällen die tatsächliche soziale Herkunft, d. h. den Beruf des Vaters. Alter und neuer Adel spielten selbstverständlich im realen Leben der adeligen Standesgesellschaft eine bedeutende Rolle. In der Gruppe der Freiherren gab es diese Erscheinung besonders häufig, was aber in der Zählung der Beamten nicht berücksichtigt werden konnte. Quantitativ wirkt sich dies bei den Beamten im Zeitraum von 1780 bis 1848 nur sehr gering aus. Innerhalb von 60 Jahren verdoppelte sich, wie wir sehen werden, das „Konzeptpersonal“ in den Wiener Zentralstellen. Angesichts der heutigen Beamten­ zahlen scheinen uns allerdings die damaligen Zahlen als äußerst gering, trotzdem stellt eine Anzahl von nahezu 900 Konzeptsbeamten nur in den Wiener­Zentralstellen eine nicht geringe Größe dar, zieht man in Betracht, daß die Zahl aller Beamten in Wien – inklusive aller niederen Beamten der Zentralstellen, deren es naturgemäß viel mehr gab als solche in höheren Rängen,­inklusive der Beamten des niederösterreichischen Gouvernements (Guberniums) und der Magistrats­ beamten der Stadt Wien etc. – auf Grund der Konskriptionslisten im Jahr 1834 – mit 4500 angegeben wird13. Für das Jahr 1848 werden für die Hofstellen folgende Zahlen insgesamt registriert: 12 MAYR, Wien, 184. 13 Elisabeth LICHTENBERGER, Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City (Wien 1977) 179.

149

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle 1: Die höheren Beamten der (Zentral-) Hofstellen 1781–1841

1781

1791

1801

1811

1821

1831

1841

11

12

25

21

28

33

34







8

15

10

12

Hof- und Staatskanzlei

77

75

52

76

114

142

143

Böhmisch-österreichische Hofkanzlei (Vereinigte Hofkanzlei)

73

126

105

75

128

137

138

Oberste Justizstelle

32

44



54

71

74

94

Kgl. ungarischer Hofrat und Kanzlei

35

53

52

52

47

51

58

Siebenbürgischer Hofrat und Kanzlei

18

14

21

21

26

26

23

Illyrischer Hofrat



15











Galizischer Hofrat





28









118

83

114

147

180

173

188







8

10

10

20

107

91

133

134

149

142

144





6

22

23

17

26

24













495

513

536

618

791

815

887

Staatsrat Staats- und Konferenzministerium Staatskonferenz

Hofkammer Generalrechnungsdirektorium Hofkriegsrat Polizeihofstelle (und Bücherzensur) Studienhofkommission Gesamtzahl

7

150

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

3387 Beamte, 548 Praktikanten, 3476 Diener und Aufseher14. Die Gesamtzahl der Beamten im öffentlichen Dienst des Kaisertums Österreich für 1841 (inklusive der Praktikanten, Diener und Diurnisten, aber ohne Militärbeamte) wird mit 130.934 beziffert15. Die Zahl dürfte ungefähr realistisch sein, was die festen Stellen des Dienstpostenplans betrifft. Man muß nämlich auch hier in Betracht ziehen, daß sich diese Angaben zum Teil wenigstens auf die „Tafeln zur Statistik“ stützen16, die, wie erwähnt, nur die „systemisierten“ Stellen angeben17. Es dürfte noch eine Reihe von nicht pragmatisierten Beamten dazugekommen sein. Andrian von Werburg nennt für die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts eine Zahl von 140.000 Beamten18. Die Beamtenstellen insgesamt stiegen, wie wir folgender Tabelle entnehmen können, in dem kurzen Zeitraum. Trotzdem, das sei am Rande vermerkt, ist ein Vergleich mit dem Österreich von 1990 frappierend: Die Republik Österreich besaß bei rund 7 Millionen Einwohnern einen Stand von ca. 300.000 Staatsdienern. Das Kaisertum Österreich beschäftigte 1841 bei mehr als 35 Millionen Einwohnern (ohne Ungarn und Siebenbürgern – für diese Länder müssen noch 21 Millionen dazugezählt werden)19 ca. 130.000 (oder auch 140.000) Staatsdiener (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Die Gesamtzahl der Beamten im Kaisertum Österreich20 Beamte

Praktikanten

Diener

Diurnisten

1828

26.231

3.212

40.177

1.425

1840

28.585

5.739

94.136

1.795

1841

28.675

5.811

94.684

1.764

1845

29.510

6.321

98.624

1.790

1846

29.995

6.363

102.040

1.849

14 Zit. in „Constitution“ vom 23. September 1848, Nr. 156, bei Gustav BLENK, Die Beamten im vormärzlichen Österreich. In: Der öffentliche Angestellte. Zentralorgan der Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten 3 (1948) Folge 3, 3. 15 Gustav BLENK, Die Beamten im vormärzlichen Österreich. In: ebd. 2 (1947) Folge 2, 2; MEGNER, Beamte, 344. 16 Blenk gibt keine Quelle an, Megner nennt verschiedene Quellen. 17 Vgl. auch S. 144 f. 18 (Victor von ANDRIAN-WERBURG, anonym), Oesterreich und dessen Zukunft 1 (Hamburg 31843) 77. 19 Zahlen nach den TAFELN ZUR STATISTIK 1841. 20 Nach den TAFELN ZUR STATISTIK; BLENK, Die Beamten im vormärzlichen Österreich. In: Der öffentliche Angestellte 2 (1947) Folge 2, 2; MEGNER, Beamte, 344, gibt 1828 weit geringere Zahlen an. Vor 1828, dem ersten Erscheinen der TAFELN ZUR STATISTIK, sind uns offiziell leider keine Beamtenzahlen bekannt.

151

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Die Vermehrung der Ämter konnte logischen Überlegungen zufolge nicht ohne Wirkung auf die soziale Zusammensetzung geblieben sein. Die Frage nach der sozialen Herkunft der höheren Beamten ist bedeutsam, auch was den Rang und die Möglichkeiten der Wirkung der Institution als solche betrifft. Der familiäre Hintergrund, Beruf des Vaters, soziales Milieu der Mutter, bleibt uns freilich außer in Einzelfällen unbekannt21. Aufgrund der Angaben in den Staatshandbüchern war aber von all den höheren Beamten dieses Zeitraums, wie gesagt22, die Zuordnung zu seinem „Stand“ möglich gewesen und dies scheint doch eines der wichtigsten Probleme zu lösen. Auf unseren Zeitraum bezogen, den Eric Hobsbawm als eine Zeit des allgemeinen europäischen Übergangs bezeichnete, in der sich die ständische Gesellschaft zu einer Klassengesellschaft entwickelte mit einer typisch „bürgerlichen“ Struktur und einem Mittelstand, der langsam zur „Mittelklasse“ oder „Bourgeoisie“ wurde23, stellt sich die Frage in einem noch weiteren Sinn: nämlich, ob die Beamtenschaft überhaupt und wenn, in welchem Grad sie an der Ausbildung dieser bürgerlichen Struktur, an dem sogenannten Prozeß der Verbürgerlichung, beteiligt war. Die zahlenmäßige Vermehrung nichtaristokratischer Beamter (die auf Grund ihres fehlenden Adelsprädikats mühelos zu erkennen sind) spielt sicher eine, wenn auch bei weitem nicht die einzige Rolle. Der Rang, den nichtaristokratische Beamte innerhalb der bürokratischen Hierarchie einnehmen konnten, d. h. die Möglichkeiten, die bürokratische Stufenleiter emporzuklimmen, waren vielleicht bedeutsamer. Die Frage bleibt aber immer noch: Waren diese Beamten schon auf Grund ihres fehlenden Adelsprädikats „bürgerlich“? Und worin manifestierte sich „der Bürger“ im Beamten: in Vermögen, Einkommen, bestimmten Lebensformen, kulturellen Gewohnheiten? Oder mußte in der Ausübung dieser Lebensformen und kulturellen Gewohnheiten ein Wissen, daß es sich bei diesen um etwas Spezifisches handelte, das sich von jenen anderer Leute bedeutend unterschied, ein bewußtes Abgrenzen sowohl von den aristokratischen Gewohnheiten als von denen der „kleinen“ Leute – des „Mannes und der Frau auf 21 Das vom Institut der Soziologie der Universität Wien durchgeführte große Projekt über die österreichischen Eliten (seit 1806) beschäftigte sich nur mit den Repräsentanten der Regierung, d. h. in der Zeit von 1806 bis 1848 inkludierte es nur die Präsidenten und Vizepräsidenten der Hofstellen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Frau Dr. Steininger, die an diesem Projekt mitarbeitete, für die Kooperation herzlich bedanken. 22 Siehe S. 149. 23 Eric J. HOBSBAWM, Gesellschaftskrise 1789–1848. In: Wien und Europa zwischen den Revolutionen (1789–1848). 15. Wiener Europagespräch (= Wiener Schriften 39, Wien-München 1978) 15.

152

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

der Straße“ –, mit einem Wort ein bürgerliches Bewußtsein, hinzutreten, daß wir tatsächlich die Qualifikation „bürgerlich“ verleihen können? Die „standesmäßige“ Verteilung innerhalb der Ämter im Zeitraum von 1780 bis 1848 wurde nach den Hofstellen untersucht, die wiederum eine meist inoffizielle Rangordnung aufwiesen24.

2.2. Ämtervermehrung, Absolutismus und soziale Entwicklung Vergleichen wir die Behörden der Zentralverwaltung untereinander25, so ist festzustellen, daß es eine Personalvermehrung gab, daß diese aber durchaus nicht überall gleich war. Diese Tatsache hat wenig mit dem Prestige der jeweiligen Behörde zu tun (wir wissen, daß Ämter als „vornehmer“ und „weniger vornehm“ galten), sondern mit anderen Faktoren, wie etwa der Kompetenzerweiterung einer Behörde und der steigenden Bedeutung oder auch Notwendigkeit von Kontrolle. Die augenfällige Verstärkung der Kontrolle war sicherlich eine Konsequenz der fehlenden konstitutionellen rechtsstaatlichen Institutionen. Nur eine klaglos und nach den Gesetzen bzw. Verordnungen legal funktionierende Bürokratie gewährte dem Bürger Rechtsschutz und erweckte nach außen den Anschein von Rechtsstaatlichkeit. Die Idee des Rechtsstaats stand zwar zunächst auf dem (liberalen) konstitutionellen Programm26, doch waren die absolutistischen Regime in Europa, nicht nur in Österreich, deutlich bestrebt, sich durch Rechtsstaatlichkeit zu legitimieren. Grundsätzlich liefen diese Tendenzen (sowohl in den theoretischen Überlegungen wie in der Praxis) auf den Ausbau des Verwaltungsstaates hinaus27. Die Demonstration von legaler Herrschaftsausübung mußte gerade wegen der fehlenden Verfassung auf den Verwaltungsakt verlegt werden. Dies mußte notwendigerweise, sollte es tatsächlich funktionieren, den Ausbau des Instanzenzuges als wirksame „natürliche“ Garantie, den bürokratischen Apparat zu überwachen28, 24 Siehe Anhang III (Die höheren Beamten der Wiener Zentralstellen), S. 231–242 25 Ebd. 26 Peter BADURA, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates. Methodische Überlegungen zur Entstehung des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts (= Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 66, Göttingen 1966), besonders 26; vgl. auch S. 86–89. 27 Vgl. diesbezüglich auch TORKE, Russisches Beamtentum, 20. 28 Über Instanzenzug und Rechtsschutz vgl. REDLICH, Staats- und Reichsproblem 1/1, 426. Außerdem Waltraud HEINDL, Einleitung zu: Die Protokolle des österreichischen Ministerrates (weiterhin ÖMR.) III. Abteilung: Das Ministerium Buol-Schauenstein, 2: 13. März 1853 9. Oktober 1853, bearbeitet und eingeleitet von Waltraud HEINDL, mit einem Vorwort von Gerald STOURZH (Wien 1979) XXXIX.

153

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

nach sich ziehen und bedingte unweigerlich – Beamtenvermehrung. Dieses Heer von Beamten mußte aber auch einer verstärkten Kontrolle unterworfen werden, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einerseits mußte kontrolliert werden, ob sie Staat und Regierung vor „dem Volk“ gebührend repräsentierten und – was das wichtigste war – den Weisungen gehorchten, andererseits mußte darauf gesehen werden, den Bürger vor etwaigen Übergriffen der Beamten, die doch mit erheblicher Macht und Befugnissen ausgestattet waren, zu schützen. Im absolutistischen Kaisertum Österreich dürfte diese Neigung zur Kontrolle gewissermaßen groteske Züge angenommen haben, die letztendlich den gegenteiligen Effekt hatten und den Eindruck des Polizeistaates nur verstärkten. Mit Erstaunen notierte ein im Vormärz durch Dalmatien reisender Engländer über die österreichische Verwaltung, der im Ausland Willkür und Despotie nachgesagt wurde: „Der größte Fehler der österreichischen Regierung liegt nicht so sehr in der Willkür seiner Beamten, als viel mehr in der Vervielfältigung der Schranken gegen die Willkür, obschon ein gewisser moralischer Mut dazu gehört, dies in London oder Paris zu sagen.“29 Der österreichische anonyme, offensichtlich dem Liberalismus verschriebene Zeitgenosse, der die eben zitierten Ausführungen des Engländers als Motto für seinen Artikel „Was ist eigentlich Bureaukratie?“ wählte, kritisierte heftig diese Tendenz zur „Kontrolle der Kontrolle“ und sah in dem Zug zum Perfektionismus, der der österreichischen Verwaltung eigen wäre, ihr eigentliches Verderben: „So ist es buchstäblich wahr, so paradox es auch klingen mag, daß die Ausbildung, die Vervollkommnung der Bürokratie ihr Verderben ist. Die Vollendung der Bürokratie besteht eben darin, die Willkür der einzelnen zugunsten der obersten Leiter zu beschränken und in den Händen der letzteren alle Fäden dergestalt zu vereinigen, daß nicht das kleinste Glied dieser künstlichen Maschinerie ohne Wissen und Willen des leitenden Gedankens sich bewege. Hierdurch erst wird diese hierarchische Maschine zur furchtbaren Waffe des Absolutismus.“30 Das Anwachsen des Beamtenapparates wurde auch von den österreichischen Zeitgenossen vor 1848 nicht unwidersprochen hingenommen. Es flößte bereits damals den Menschen Angst und Schrecken ein. Einer der heftigsten Kritiker war Victor von Andrian-Werburg. Er war selbst ein Beamter, daneben ein unabhängiger (kritischer) Aristokrat und beurteilte das Problem Bürokratie aus seiner Per-

29 Zit. in dem anonym erschienenen Artikel „Was ist eigentlich Bureaukratie?“ In: Deutsche Monatsschrift aus Kärnten, hg. v. V[inzenz] RIZZI, 4 (1850) 38. 30 Ebd., 300.

154

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

spektive, also sicherlich nicht ganz unvoreingenommen und wertfrei31. Dennoch dürfen wir ihm gewisse Insiderkenntnisse zubilligen. Andrian sah das eigentliche Grundübel in den „Vermehrungen der [bürokratischen] Geschäfte“. Andrian – ein Parkinson des Vormärzes? „Wenn man eine Zusammenstellung“, so klagt er im Jahr 1843, „der seit fünfundzwanzig Jahren neu errichteten Ämter und Behörden, der in diesem Zeitraume neu kreierten Stellen versuchen wollte und hieraus einen Schluß auf die in der nächsten Periode zu gewärtigende progressive Steigerung dieser Zahlen zöge, es würde dieses zu wahrhaft erschreckenden Resultaten führen – und doch ließe sich jenen Schlüssen nicht nur nicht die Wahrscheinlichkeit, sondern kaum die mathematische Gewißheit absprechen. Kaum seit einem Menschenalter besteht diese unselige Tendenz der Regierung zur Zentralisation, zum Papierregimente, zu welcher Joseph II. die ersten Grundsteine legte, die aber erst seit dem Beginne dieses Jahrhunderts mit der Konsequenz verfolgt und ausgebildet wurde, deren traurige Früchte wir jetzt gewahren und schon hat dieser kurze Zeitraum zu solchen Ergebnissen geführt – wirklich vergeht kein Jahr, wo nicht neue Ämter geschaffen, oder das Personale der bereits bestehenden vermehrt würde, ungerechnet die immer steigende Anzahl von sogenannten D ­ iurnisten, d. i. provisorischen Aushülfsbeamten, welche, ohne zu dem effektiven Dienstesstande zu gehören, beinahe bei allen öffentlichen Stellen existieren, um diese bei der Besorgung der täglich anwachsenden Geschäfte zu unterstützen … Wohin soll dieses führen? – Was soll aus den finanziellen Kräften des Staates und was aus der persönlichen Freiheit des Bürgers werden? Ungeheuere, mit diesen finanziellen Kräften in keinem Verhältnisse stehende Summen werden alljährlich durch die Besoldungen jener zahllosen, sich beständig mehrenden Beamten verschlungen, …“32 Das von Andrian-Werburg angeschnittene Problem „Bürokratie und persönliche Freiheit“ blieb im übrigen, wie noch zu besprechen sein wird, durch die „besonderen Gewaltverhältnisse“, denen sie unterliegt, und die die staatsbürgerlichen Rechte der Beamten einschränkte, bis zum Tag ungelöst. Der für damalige Begriffe riesige Beamtenapparat, der – zumindest teilweise – aus dem Bedürfnis nach Kontrolle des absolutistischen Regierungssystems herausgewachsen war (und immer mehr wuchs), einerseits um für seine Erhaltung zu 31

Victor von Andrian-Werburg war seit 1834 im Dienst des Guberniums in Venedig, später als Sekretär beim Gubernium in Mailand tätig; Allgemeine Deutsche Biographie 1, 451. Auf Andrians Kritik an Österreich und seine persönlichen Enttäuschungen weist Fritz Fellner hin, Fritz FELLNER, Die Tagebücher des Victor Franz von Andrian-Werburg. In: MÖSTA 26 (1973) 31 ff. 32 ANDRIAN-WERBURG, Österreich 1, 78 f.

155

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

sorgen, andererseits um die Bürger vor allzu absolutistisch regierenden Beamten zu schützen, d. h., rechtsstaatliche Funktionen zu schaffen, entglitt dem System und trug letztendlich nicht unerheblich zu seiner Beseitigung bei. Wer profitierte nun von dieser Vermehrung der Ämter, die lange vor Parkinson das Parkinsonsche Gesetz bestätigte? Ignaz Beidtel stellte – bezogen auf die Regierungszeit Franz’ II. (I.) sarkastisch fest, daß „eine aristokratische Bürokratie“ oder eine „bürokratische Aristokratie“ an die Stelle der „unumschränkten Monarchie“ getreten sei33, der er viele Übel in der Staatsverwaltung anlastete. Wir müssen quellenkritisch ins Kalkül ziehen, daß Beidtel sich als bürgerlicher Beamter oft unterprivilegiert fühlte und wenig adelsfreundlich war. Der österreichische Adel sei in dieser Periode – nachdem er „die ihm ungünstige Zeit unter Joseph II. überstanden“ hatte – wieder favorisiert worden. Franz, der „das Interesse des Adels mit jenem des Thrones für fast identisch“ hielt, habe es nur ganz „natürlich“ gefunden, ihm die wichtigsten Plätze in der Armee, der Staatsverwaltung und in der Kirche zu geben. Nichtadelige kamen – nach Beidtel – höchstens auf Empfehlung der Wiener Bankiers zu hohen Posten und hatten sich aufgrund ihrer dankbaren Abhängigkeit den adeligen Interessen anzuschließen. „Dadurch“, so analysiert Beidtel mit Bitterkeit, „bildete sich eine aus Adeligen oder später Nobilitierten bestehende Beamtenhierarchie, in welcher gewöhnlich zwanzig oder dreißig Personen großen Einfluß ausübten, während die ganze übrige Beamtenwelt nur die Alltagsgeschäfte besorgte und besonders in Beziehung auf Neuerungen und Organisationen nichts zu sagen hatte“34. Ein konträres Bild von denselben Verhältnissen erhalten wir, wenn wir den eben erwähnten adeligen Victor von Andrian-Werburg lesen. Nach Andrian hatte der Adel eine untergeordnete, ihm nicht adäquate Stellung. Die geradezu sprichwörtlich einfache, stille Lebensweise des Wiener Hofes habe Aristokraten, so meint Andrian, gar keine Gelegenheiten für ehrenvolle Posten mit glanzvollem Auftreten geboten, und im Staatsdienst (ebenso wie heim Militär) habe der Adelige ganz gleich, viel oder wenig, wie der Bourgeois gegolten. Diese hatten somit die gleiche trostlose Aussicht, entweder das Leben in einer Garnison „durchzuvegetieren“ oder „geistigen Selbstmord“ durch die Annahme einer Beamtenkarriere zu begehen35. 33 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 45. 34 Ebd., 41 f. 35 (Victor von ANDRIAN-WERBURG, anonym), Was tut Österreich vor allem not? In: Der Grenzbote 2 (1846) 240.

156

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Welches Bild von den Verhältnissen innerhalb der österreichischen Bürokratie ist nun das richtige? Dasjenige, das sich Beidtel – auf Grund eigener Erfahrungen – machte oder das andere, das Andrian – ebenso auf Grund eigener Erfahrungen – entwarf? Wollen wir die Frage, welche der beiden so divergierenden Wahrnehmungen nun stimme, beantworten und zumindest die soziale Zusammensetzung der österreichischen Zentralbürokratie bestimmen – der jeweils politische und gesellschaftliche Einfluß ist viel schwieriger zu fassen –, so helfen uns die vorher zitierten Zahlen weiter. Betrachten wir die Leiter der Hofstellen und ihre Stellvertreter, so können wir feststellen, daß Beidtels Feststellung richtig war: Diese kamen, wenn nicht zur Gänze, aber doch überwiegend sowohl zu Beginn der josephinischen, der franziszeischen als auch zu Ende der ferdinandeischen Epoche aus respektablen Adelshäusern36. War einer nicht adeligen Geblütes und doch seiner Kenntnisse und seines Fleißes wegen unentbehrlich, wie Carl Friedrich (Freiherr) Kübeck (von Kübau) oder Andreas (Freiherr von) Baumgartner, so wurde er bald geadelt. Die soziale Homogenität der Regierung blieb jedenfalls bis zu einem gewissen Grad gewahrt. Nehmen wir die Räte/Hofräte einer Behörde, die ein etwas „bürgerliches“ Flair hatte, wie die Böhmisch-Österreichische bzw. die Vereinigte Hofkanzlei als Exempel, so sah die Zusammensetzung sowohl 1781 wie 1841 zwar etwas weniger hochadelig aus, doch im allgemeinen vermittelt auch dieses Beispiel einen aristokratischen Anstrich. Die Räte (Hofräte) der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei 1781: Heinrich Cajetan Graf Blümegen Reichsgraf Heinrich Auersperg Reichsgraf Joseph Maria Auersperg Ludwig Freiherr von Lehrbach Ottokar Ernst Freiherr von Stupan u. Ehrenstein Anton Freiherr von Doblhoff-Dier Johann Graf Chotek Johann Bernhard von Zencker Florian Pordacher von Pergenstein Joseph Edler von Gold 36 Sehr deutlich demonstriert durch eine Kartenübersicht: DIE KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOFSTELLEN, IHRE CHEFS UND DEREN STELLVERTRETER (Wien 1902). Für den Hinweis auf diese Quelle bin ich Frau Dr. Steininger zu herzlichem Dank verpflichtet.

157

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Joseph Edler von Heinke Anton Edler von Raab Johann Sebastian von Müller Joseph von Kreisch Friedrich Edler von Eger Joseph Koller Franz Sales von Greiner Johann Nepomuk Streer von Streeruwitz Wenzel von Margelik Die Hofräte der Vereinigten Hofkanzlei 1841: Anton Friedrich Graf Mittrowsky von Mitrowitz Carl Graf lnzaghi Franz Freiherr Pillersdorf Johann Limbeck, Freiherr von Lilienau Wilhelm Freiherr von Droßdick Ludwig Freiherr von Türckheim Franz Ritter von Fradeneck Leopold Graf Kaunitz Joseph Edler von Fölsch Franz Ritter von Nadhérny Aloys Freiherr Kübeck von Kübau Friedrich Christian Otto Constantin Freiherr von Münch-Bellinghausen Andreas Meschutar Franz Höniger Franz Freiherr von Buol zu Bernburg Peter Edler von Salzgeber Casimir Graf Lanckoronski Die soziale Zusammensetzung sah allerdings etwas anders aus, wenn wir die Beamten aller Zentralbehörden zusammen betrachten.

158

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Tabelle 3: Die höheren Beamten der Zentralstellen nach Ständen37 Gesamtzahl Fürsten/Erz-

1781 abs.

1791

%

abs.

1801

%

abs.

1811

%

abs.

%

herzöge

3

0,61

5

0,97

3

0,56

6

0,97

Grafen

42

8,48

47

9,16

50

9,33

47

7,61

38

7,68

36

7,02

47

8,77

54

8,74

225

45,45

233

45,42

237

44,22

255

41,26

187

37,78

192

37,43

199

37,13

256

41,42

Freiherren/ Barone Einfacher Adel/Ritter ohne Adelsprädikat Gesamtzahl (100 %)

495

Gesamtzahl

513

536

1821 abs.

618

1831

%

abs.

1841

%

abs.

%

Fürsten/Erzherzöge

9

1,14

9

1,10

12

1,35

Grafen

65

8,22

63

7,73

79

8,91

104

13,15

120

14,72

118

13,30

278

35,15

254

31,17

265

29,88

335

42,35

369

45,28

413

46,56

Freiherren/ Barone Einfacher Adel/Ritter ohne Adelsprädikat Gesamtzahl (100 %)

791

815

887

37 Die einzelnen Zentralbehörden mit der Angabe der Beamtenzahlen S. 231–242. Walter STEINDL, Die Hochbürokratie. Ihre Funktion im Herrschaftssystem und ihre Zusammensetzung mit besonderer Berücksichtigung in der österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie 1840–1870 (phil. Diss. Wien 1974) zählte nicht nach Jahrgängen, daher sind die Ergebnisse nicht vergleichbar (siehe im besonderen ebd., 92).

159

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Auf eine vereinfachte Formel gebracht, bedeuten diese Zahlen folgendes: Abgesehen von den Fürsten bzw. Erzherzögen, die einen verschwindend kleinen Teil der höchsten Beamtenschaft stellten (0,56 bis 1,35 %) bleibt der Prozentsatz des höheren Adels, der Grafen und (meistens auch) der Freiherren in den Wiener Zentralstellen in dem Zeitraum zwischen 1780 und 1848, also in fast 70 Jahren, ziemlich konstant: die der Grafen schwankt nicht mehr als zwischen 7,61 und 9,33 %, die der Freiherren zwischen 7,02 und 14,72 %. Im allgemeinen ist also der Anteil der Aristokratie als nicht hoch zu bezeichnen. Eine viel sensationellere Entwicklung können wir bei den Angehörigen des niederen Adels (in den meisten Fällen handelte es sich wohl um Militär- und Beamtenadel) und bei den nichtadeligen Beamten verfolgen. Der Kleinadel stellte im Jahr 1781 noch fast die Hälfte der höheren Beamtenschaft (45,45 %), nahm aber seitdem kontinuierlich ab. Sein Anteil war 1841 auf nicht einmal ein Drittel (29,88 %) gefallen. Auffallend ist, daß die Zahl der Beamten ohne Adelsprädikat dafür ebenso kontinuierlich wuchs: Von fast 37,78 % im Jahr 1781 auf 46,56 % im Jahr 1841, was bedeutet, daß in den Jahren vor der 1848er-Revolution die bürgerlichen Beamten den typischen Beamtenadel überholt hatten. Die Vermehrung der nichtadeligen Beamten ging auf Kosten des Kleinadels und nicht des Hochadels. Wollen wir den Verbürgerlichungsprozeß innerhalb der Bürokratie der Hofstellen verfolgen, so müssen wir allerdings die Frage stellen, ob es hinsichtlich der Zugehörigkeit zur bürgerlichen Schicht erlaubt ist, einen Trennungsstrich zwischen Bürgerlichen und Kleinadeligen zu ziehen. In Österreich wurden die Angehörigen des niederen Adels, die selbst oder deren Vorfahren auf Grund ihres Dienstes für Kaiser und Staat wegen geadelt wurden, bezeichnenderweise Beamtenadel genannt. Diese geadelten Beamten waren auf Grund ihrer Beamtenposten in das Gehaltsschema des Staatsdienstes eingebunden. Sie besaßen in der Regel weder Grundbesitz noch sonstiges großes Vermögen, lebten den Lebensstil eines gebildeten Bürgers und verkehrten in den Salons des Bürgertums. Für gewöhnlich führte ein österreichischer Kleinadeliger das Adelsprädikat (Edler) von oder auch den Rittertitel, der nicht zu verwechseln ist mit dem alten und erbländischen Ritter38 oder auch dem preußischen Ritter, der zum Uradel gehören konnte. Die geadelten Beamten konnten nicht daran denken, vom Hochadel empfangen zu wer38 Berthold WALDSTEIN-WARTENBERG, Österreichisches Adelsrecht 1804 bis 1918. In: MÖSTA 17/18 (1964/65) 131 ff. 1844 wurde der alte und erbländische Ritter (letzterer war von den Ständen eines Erblandes aufgenommen) von dem einfachen Adel, zu dem die neuen Ritter (oder „rittermäßigen“ Adelsleute) gehörten, scharf abgegrenzt.

160

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

den, geschweige denn eine gebürtige Hocharistokratin (Gräfin oder auch Freiin) heiraten zu dürfen. Das connubium war verpönt. Zwischen dem Beamtenadel und der Hoch- und Uraristokratie klafften soziale Unterschiede, die nicht überbrückbar waren. Die Angehörigen des niederen Adels hatten bezüglich Lebensstils und Einkommensverhältnisse viel mehr mit den Bürgerlichen gemein als mit der Hocharistokratie. Wir dürfen sie daher in gewisser Hinsicht zum Bürgertum rechnen. Zählen wir demnach die Angehörigen des niederen Adels und diejenigen, die kein Adelsprädikat führten, zusammen, so ergibt sich allerdings ein etwas anderes Bild der sozialen Zusammensetzung der Beamtenschaft als das vorher entworfene. Tabelle 4: Bürgerliche/kleinadelige und hocharistokratische Beamte in den Wiener Zentralstellen Bürgerlich/kleinadelige Beamte absolut %

hocharistokratische Beamte absolut %

1781

412 = 83,23

83 = 16,77

1791

425 = 82,85

88 = 17,15

1801

436 = 81,34

100 = 18,66

1811

511 = 82,69

107 = 17,31

1821

613 = 77,50

178 = 22,50

1831

623 = 76,44

192 = 23,56

1841

678 = 76,44

209 = 23,56

Die Zahlen bedeuten – wohl zu unserem Erstaunen – nicht mehr oder weniger, als daß der Beamtenstand der Zentralstellen in den ca. 70 Jahren, die hier behandelt werden und die sicherlich eine Übergangsperiode darstellten, in der sich maßgebliche Gruppen des Bürgertums ausbildeten, sich sozial kaum veränderte und daß bereits im josephinischen Jahrzehnt die höhere Bürokratie vorwiegend bürgerlich bestimmt war. Von einem Prozeß der Verbürgerlichung können wir, wenn wir es berechtigt erachten, Beamtenadel und beamtete Bürger als eine soziale Gruppe zu begreifen, für die Zeit zwischen 1780 und 1848 nicht reden. Im Gegenteil, lassen wir nur das Zahlenmaterial sprechen, ist der Adel in der Zen­ tralbürokratie im Vormarsch begriffen. Allerdings scheinen hier einige Differenzierungen notwendig, und zwar erstens was die einzelnen Behörden betrifft. Zweitens ist die Flexibilität und die Durchläßigkeit des Systems ein ebenso wichtiger Faktor. Das heißt, die Frage, wieweit ein bürgerlicher Beamter in der Hierarchie

161

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

„nach oben“ steigen konnte oder – anders formuliert – wieweit es mit der Ehre eines Aristokraten vereinbar war, sich in der bürokratischen Stufenleiter „nach unten“ zu bewegen, bestimmt weitgehend auch die Antwort auf die Frage mit, ob ein Prozeß der Verbürgerlichung innerhalb des höheren Beamtentums der Zen­ tralstellen stattgefunden hat. Wie bereits erwähnt, finden wir die Spitzen des Adels (Fürsten und Erzherzöge) nur äußerst spärlich in den Zentralstellen vertreten (siehe Tabelle 3). Die Statistik wird zugunsten der Fürsten/Erzherzöge etwas aufgebessert, durch die Erzherzöge, die in den Militärbehörden durch längere Zeit hohe Ämter einnahmen, wie die Erzherzöge Karl und Johann oder auch durch Fürst Metternich, der bis 1848 an der Spitze der Staatskanzlei stand. Die Mitglieder der Staatskonferenz, die mit Ausnahme von Graf Kolowrat aus Mitgliedern dieser sozialen Gruppe bestanden, sind, da sie die eigentliche Regierung darstellten, ins Fachbeamtentum sowieso nicht einzubeziehen. Fürsten und Erzherzöge bilden also in der österreichischen Bürokratie eine quantite négligeable. Anders stand es mit den Abkömmlingen aus den gräflichen und freiherrlichen Häusern, die bis 1821 deutlich unter einem Fünftel, erst ab diesem Zeitpunkt ca. ein Fünftel der höheren Beamtenschaft stellten (siehe Tabelle 3). Differenzieren wir jedoch zwischen den einzelnen Behörden, so sind doch bemerkenswerte Verschiebungen zu bemerken. Besonders aufschlußreich sind diese hinsichtlich des diplomatischen Dienstes, von dem immer wieder betont wird, daß er bis zum Ende der Monarchie ein Reservat des Hochadels gewesen sei. Diese Tatsache wird durch die hier vorgenommene Zählung bestätigt, die einen hohen Anteil von gräflichen und (etwas weniger und zeitlich verspätet) freiherrlichen Mitgliedern in der Hof- und Staatskanzlei erbringt (siehe Tabelle B)39. Wer hätte allerdings vermutet, daß die Zahl der Grafen und der Freiherren, die 1781 in der Diplomatie dienten, niedriger war als 1841? Fürsten/Grafen/Freiherren

einfacher Adel/Bürgerliche

absolut

%

absolut

1781

21

41,18

30

58,82

%

1841

56

57,73

41

42,27

39 Vgl. zum Zeitraum 1815 bis 1914 (sehr kursorisch und oberflächlich) Reinhard SIEDER, Österreichs Botschafter und Gesandte zwischen Wiener Kongreß und Erstem Weltkrieg. Versuch einer sozialhistorischen Bestandsaufnahme (phil. Diss. Wien 1969). Die im Folgenden zit. Tabellen A–J, S. 231–238.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Der eigentliche Botschafts- und Gesandtenstaatsdienst wurde also in den höheren Rängen des Adels im Laufe der Jahre immer attraktiver, und – wie die Zahlen beweisen – je höher der Adelsrang, desto mehr wuchs das Interesse (siehe Tabelle B). Daraus dürfen wir den umgekehrten Schluß ziehen, daß die Anziehungskraft der übrigen Behörden für Aristokraten umso geringer wurde, je höher der Adel war. Wir finden in den auswärtigen Botschaften und Gesandtschaften im Jahr 1781 mehr Beamte ohne Adelsprädikat (nämlich 17 von 51), als man annehmen würde. Allerdings vertrat kein einziger bürgerlicher Botschafter das Habsburgerreich an fremden Missionen. Die bürgerlichen Beamten versahen ihren Dienst vorwiegend als Kanzleibeamte. Einen relativ guten Zulauf von Beamten aus hochadeligen Häusern hatten die Ungarische, Siebenbürgische, Illyrische und – etwas weniger – die Galizische Hofkanzlei, und zwar erhöhte sich der Prozentsatz drastisch: von 10,20 % im Jahr 1781 auf 22,22 % im Jahr 1841. Die Gründe sind naheliegend. Bekanntlich hatte der hohe ungarische, siebenbürgische und polnische Adel einen besonderen Einfluß auf die Geschicke seiner Länder, und seine Mitglieder besaßen auch gegenüber der übrigen Bevölkerung ein besonderes Maß an Bildung, die ihnen den Dienst in der Zentralbehörde ihres Landes in Wien ermöglichte, die im übrigen in der Regel nur mit Angehörigen des jeweiligen Landes beschickt wurde. Diese Tatsache erklärt jedoch noch nicht die starke Zunahme des Adels. In allen anderen Behörden dagegen nahm das Prestige des Staatsdienstes bei den hohen Adelsrängen seit dem späten 18. Jahrhundert bzw. seit dem frühen 19. Jahrhundert ab, sogar bei einer so wichtigen und vornehmen Behörde wie dem Staatsrat, der immerhin das beratende Organ des Kaisers war und somit Einfluß auf alle wichtigeren Angelegenheiten besaß. Wurde im Jahr 1781 der eigentliche Staatsrat (ohne Kanzleibeamte) noch von 2 Fürsten, 2 Grafen und 3 Freiherren gebildet, so waren es 1841 2 Grafen, 6 Freiherren, 6 Kleinadelige und 4 Bürgerliche. Dies spricht für sich! In den anderen Behörden war der Abfall der Zahl der Hocharistokraten, vor allem der Grafen, manchmal kraß (das gleiche können wir von den Freiherren nicht behaupten). Ein gutes Beispiel dafür bietet die Oberste Justizstelle, in der die Tendenz besonders deutlich sichtbar wird: Von 12,5 % Grafen 1781 (zum Vergleich: 9,37 % Freiherren) sank die Zahl auf 4,55 % im Jahr 1791 (9,09 % Freiherren) und stieg leicht auf 5,32 % im Jahr 1841 (8,51 % Freiherren). Sicherlich machte sich gerade bei dieser Behörde die zunehmende Professionalisierung geltend. Wir erinnern uns an die Vorschrift aus dem Jahr 1787, nach der als Berufsvoraussetzung abgeschlossene juridisch-politische Studien vor allem für den

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Justizdienst hohen Wert besaß40. Bekanntlich zog der österreichische Adel nach wie vor die Privatausbildung vor, wobei jedoch die Gruppe der Freiherren offensichtlich eher zu einem Studium bereit war. Dieses mangelnde Interesse des Adels am Universitätsstudium mußte sicherlich in allen Behörden seinen Niederschlag finden. Ab 1800, wir erinnern uns, hatte sich bezüglich aller Ämter des höheren Staatsdienstes endgültig die Generallinie durchgesetzt, nur noch junge Männer mit abgeschlossenen juridisch-politischen Studien oder zumindest mit einem anderen Universitätsstudium aufzunehmen41. Dies galt auch für die Abkömmlinge der Hocharistokratie. Bei manchen Behörden war freilich die Vertretung der Aristokratie immer so wenig signifikant oder so starken Schwankungen unterworfen, daß wir nur sehr bedingt Trends ablesen können, so bei der Hofkammer, der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, im Hofkriegsrat und der Polizeihofstelle – und mit wenigen Ausnahmen auch im Generalrechnungsdirektorium – wo auffällig wenig höhere Adelige vertreten waren (siehe Tabellen C, F, H, I und J). In der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei waren von jeher vergleichsweise weniger Grafen und mehr Freiherren, in der Hofkammer verhielt es sich umgekehrt. Den Trend, daß die Zahl der kleinadeligen Beamten stetig sank, die der bürgerlichen dagegen stieg, finden wir auch bei den meisten einzelnen Behörden wieder. Die Botschaften/Gesandtschaften und der Staatsrat, in denen der Klein­ adel stieg, nahmen diesbezüglich eine Sonderstellung ein (siehe Tabelle B). Die Zahl der bürgerlichen Beamten stieg sogar in der so exklusiven Behörde wie dem Staatsrat. Dieser besaß im Jahr 1781 von 11 Beamten nur einen einzigen bürgerlichen und 3 kleinadelige Beamte – und diese waren im höheren Kanzleidienst beschäftigt (siehe Tabelle A). Die Räte des Kaisers rekrutierten sich 1781 alle aus dem höheren Adel. Der erste bürgerliche Staatsrat begegnet uns im Jahr 1821. In diesem Jahr arbeiteten freilich 10 bürgerliche und 3 kleinadelige Beamte im höheren Kanzleidienst dieser Behörde. Im Jahr 1841 gab es bei einer Gesamtzahl von 18 eigentlichen Staatsräten und 16 höheren Kanzleibeamten 6 kleinadelige und 4 bürgerliche Staatsräte sowie 7 kleinadelige und 7 bürgerliche – neben 2 freiherrlichen – höheren Kanzleibeamten im Staatsrat. Einen vergleichsweise sehr hohen Anteil von Beamten stellte die Gruppe der Kleinadeligen in der Ungarischen und Siebenbürgischen (in der kurzen Zeit ihres Bestandes auch in der Illyrischen und Galizischen) Hofkanzlei. Hier blieben sie die dominante Gruppe bis zum Ende des Vormärz, während die Gruppe der bürgerlichen Beamten spärlich repräsen40 Siehe S. 110 f. 41 Ebd., S. 111 f.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

tiert war. Die spezielle Sozialstruktur der Länder Ungarn, Siebenbürgen und Galizien, in denen bekanntlich das Bürgertum sehr schwach ausgeprägt war und der Kleinadel die eigentliche Rolle der Bourgeoisie einnahm, spiegelt sich hier wider (siehe Tabelle G). Besonders stark war der Kleinadel zu Beginn der Regierungszeit Josephs II. naturgemäß in jenen Behörden, in denen der Hochadel schwach vertreten war: das war die Oberste Justizstelle, die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei und der Hofkriegsrat. In allen diesen drei Zentralbehörden verloren sie allerdings, wie folgende Zahlen beweisen, entscheidend an Gewicht. Ganz besonders deutlich zeigt sich der Trend, daß die bürgerlichen Beamten in diesen Ämtern auf Kosten der Kleinadeligen im Vordringen begriffen waren. Die Zunahme der Beamten ohne Adelsprädikat verlief keineswegs gleichförmig. In der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei, in der Hofkammer und im Hofkriegsrat, wo sie bereits 1781 stark vertreten waren, kam es erst in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer weiteren starken Erhöhung der Ziffer von Beamten nichtadeliger Provenienz (siehe Tabelle C, E und J). Jedenfalls bemerken wir im letzten Jahrzehnt des Vormärz, daß sie in den erwähnten Behörden deutlich überhandgenommen hatten. Interessant ist, daß die beamteten Bürger – oft auch Dichter – einen starken Platz in der Bücherzensurkommission, die im vormärzlichen intellektuellen Leben Österreichs eine besondere Rolle spielte, einnahmen42. Offensichtlich standen sie in dem Ruf, über hinreichende Bildung zu verfügen, um über Publikationen urteilen zu können. Was für ein gespaltenes Los war ihnen damit beschieden! Als der Dichter Johann Mayrhofer, Zensor in der Bücherrevisionskommission, Selbstmord beging, indem er sich aus dem Fenster seines Büros stürzte, urteilte sein Kollege Eduard Bauernfeld: „Ein Opfer des Österreichertums.“43

42

Freiherren Kleinadel Bürgerliche 1801 2 4 7 1811 1 3 7 1821 2 0 9 1831 1 1 4 1841 0 2 9 43 Aus Bauernfelds Tagebüchern 1: 1818-1848, hg. v. Carl GLOSSY (Wien 1895) 75 (Eintragung vom 6. Februar 1836).

165

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle 5: Kleinadelige und bürgerliche Beamte in einigen Hofstellen

Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei

1781 1841

Oberste Justizstelle

1781 1841

Hofkriegsrat

1781 1841

Kleinadelige Beamte in %

Bürgerliche Beamte in %

45,21

41,09

(33 von 73)

(30 von 73)

16,67

63,04

(23 von 138)

(87 von 138)

62,50

15,63

(20 von 32)

(5 von 32)

29,79

56,38

(28 von 94)

(53 von 94)

44,86

47,66

(48 von 107)

(51 von 107)

20,14

71,53

(29 von 144)

(103 von 144)

Die Untersuchung wäre unvollständig, wenn nicht die früher gestellte Frage beantwortet würde, wie durchlässig das bürokratische System war; wie weit nichtadelige Beamte in der hierarchischen Stufenleiter „nach oben“ klettern konnten, bzw. wie weit „nach unten“ sich zu bewegen mit der Ehre eines höheren Aristokraten vereinbar war, und ob sich im Laufe des untersuchten Zeitraumes von 1780 bis 1848 diesbezüglich etwas änderte. Generell (und etwas pauschal formuliert) gilt die Behauptung, daß 1781 die Leiter der Hofstellen Mitglieder hochadeliger oder uradeliger Häuser waren. Bürgerlichen Beamten war es in dieser Zeit noch nicht möglich, bis in die höchsten Stellen vorzudringen. Dabei blieb es vorderhand auch. Die Bemerkung des als antiadelig bekannten Ignaz Beidtel, daß in der nachjosephinischen Zeit viele nicht­adelige Beamte bis in die Ränge eines Gubernial- oder Appellationsrates vorgerückt seien, doch alle höchsten Posten der Verwaltung von der Aristokratie in Beschlag genommen worden seien44 (ja schon unter Leopold II., so meldet unser Chronist, wäre diese schon mehr berücksichtigt worden45), war also richtig. Für gewöhnlich blieben die Mitglieder gräflicher Häuser in der Periode zwischen 1780 und 1848 in den oberen Rängen der Beamtenhierarchie. Nur selten verirrte sich 44 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 47 f. 45 Ebd. 1, 456.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

einer in die unteren Ränge, unter die Hofkonzipisten, Staatsratskonzipisten etc., wie wir dies vereinzelt in den Jahren 1831 und 1841 finden (siehe Tabelle A). Dies erscheint auf den ersten Blick etwas ungereimt, da doch auch die Aristokraten an die strikten Bestimmungen der Anciennität, die vorbestimmte Laufbahn und die Beamtenhierarchie gebunden waren46. In irgendwelchen Ämtern mußten auch sie – jung, unerfahren und in den unteren Rängen des Konzeptspersonals – begonnen haben. Sollten sie die Behörden der Länder (Gubernien und Kreise) – etwa in der Nähe ihrer Güter – bevorzugt haben? Außerdem fällt hier die Gewohnheit ins Gewicht, daß junge vermögende Leute oft viele Jahre hindurch unbesoldet als Praktikanten dienten, um dann unbesoldet sofort in eine höhere Beamtenstelle einzutreten47. In den unteren Rängen des Konzeptspersonals der Wiener Zentralstellen waren also Bürgertum und Kleinadel unter sich. Dies gilt auch für die höheren Kanzleiämter48. In diesen – oder auch unter den Buchhaltern, die zweifelsohne nur ein geringes Sozialprestige besaßen – sind nur vereinzelt und in dem von uns betrachteten Zeitraum spät Grafen, in vermehrtem Maß Freiherren zu finden. Der Kleinadel allerdings war im Kanzleidienst von vornehmen Behörden (etwa des Staatsrates) 1781 sehr häufig vertreten (siehe Tabelle A)49. Während die Mitglieder des niederen Adels jedoch auch in diesen Ämtern bald Räte stellten (wie im Falle des Staatsrates bereits 1781), blieben die bürgerlichen Beamten zunächst auf den Kanzleidienst beschränkt. Erst 1821 finden wir in unseren Tabellen, wie erwähnt, als Staatsrat den ersten bürgerlichen Rat. Ein Trend ist allerdings bei allen Behörden ersichtlich: In fast allen Behörden nehmen die bürgerlichen Beamten im höheren Kanzleidienst ab und in verantwortlichen Konzeptstellen zu. Wenn 46 Siehe S. 35. 47 Siehe S. 181. 48 Damit sind die bei jeder Behörde eingerichteten Ämter der Ratsprotokollisten, der Registratur (mit Direktor und Registraturdirektionsadjunkten), der Einreichungsprotokolle (mit Direktor und Protokolldirektionsadjunkt, dann des Expedits mit Direktor und Expeditionsadjunkt) zu verstehen. Von den meisten Inhabern dieser höheren Kanzleiämter kann ein abgeschlossenes Universitätsstudium als Berufsvoraussetzung angenommen werden. Die Grenzen waren aber sicher fließend. Manchmal beschlossen verdiente bürgerliche Beamte mit oder ohne Universitätsstudium als Direktoren dieser Ämter ihre Laufbahn. 49 Die Teilung zwischen Staatsratsbeamten und höheren Beamten der Staatratskanzlei wurde folgendermaßen vorgenommen. Zur ersten Kategorie wurden (nach den Kategorien von 1841) gezählt: die Staats- und Konferenzräte, die staatsrätlichen Referenten und die Räte im außerordentlichen Dienst; zur zweiten Kategorie: die Beamten der Geheimen Staatsratskanzlei, die durch das Konzeptspersonal, die Sekretäre, die Staatsratskonzipisten, die Direktoren der Registratur, des Exhibitenprotokolls und ihr Adjunkten repräsentiert wurden.

167

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

also die soziale Mischung von bürgerlichen und adeligen Beamten, wie wir sie in den Ämtern vermuten könnten, in der Praxis nur eingeschränkt der Fall war, so wies das bürokratische System des österreichischen Kaisertums doch ein gewisses Maß an sozialer Durchlässigkeit auf. So konnte es – trotz der Tatsache, daß die höchsten Ämter im Staat zweifelsohne im allgemeinen von der Aristokratie okkupiert waren – den Aufstieg des Carl Friedrich Kübeck, Schneiderssohn aus Iglau, zum Hofkammerpräsidenten (dann Freiherr Kübeck von Kübau) geben, und wir verzeichnen ebenso die Karriere des Bauernsohns und Enkels eines Leibeigenen, Andreas Baumgartner, zum Direktor der österreichischen staatlichen Porzellanmanufaktur, zum Vizepräsidenten und Präsidenten der Akademie der Wissenschaften und später (nach 1848) als Freiherr von Baumgartner zum Minister50. Gewiß sind damit spektakuläre und in dieser Zeit noch rare Karrieren angezogen. Der Aufstieg von Bürgern zu Räten und Hofräten war jedoch an der Tagesordnung. Wollen wir also eine Zusammenfassung über die soziale Entwicklung versuchen, so müssen wir feststellen, daß von einer Vermehrung der bürgerlichen Beamten in den Zentralstellen – falls wir, was legitim erscheint, Kleinadelige und Bürgerliche als eine soziale Gruppe begreifen – nicht die Rede sein kann. Das Gegenteil war der Fall, nehmen wir die Jahre 1781 und 1841 als Fallbeispiele. Gegenüber 1781 hatten sich die hohen Adeligen (Fürsten, Grafen und Freiherren) im Staatsdienst von 16,77 auf 23,56 % im Jahr 1841, also um 6,8 %, vermehrt, die der kleinadeligen und bürgerlichen Beamten von 83,23 auf 76,44 %, also um diese 6,8 % verringert. Von der zahlenmäßigen Besetzung her zu schließen, hatte ein Prozeß der Verbürgerlichung des höheren Staatsdienstes somit nicht stattgefunden. Differenzieren wir aber – sowohl nach den (alten) Ständen wie nach Behörden –, gehen wir ins Detail, so sieht die Entwicklung anders aus: Es gab erstens, halten wir kleinadelige und Beamte ohne Adelsprädikat auseinander, zwischen 1780 und 1848 eine Vermehrung der bürgerlichen Bürokraten, und zwar von 37,78 % auf 46,56 %. Diese Zunahme ging zum Großteil auf Kosten der Kleinadeligen, die im gleichen Zug zwischen 1781 und 1841 abnahmen: von 45,45 % auf 29,88 %. Vergleichen wir die Mitglieder der gräflichen und freiherrlichen Häuser, so sehen wir im Grund die gleiche Entwicklung, die allerdings nicht so dramatisch verlief: der Prozentsatz der Grafen blieb, wenn wir die Jahre 1781 und 1841 gegenüberstellen, ziemlich gleich, der der Freiherren gewann (5,62 %) Anteil an Beamten in der Zentralbürokratie. Dies bedeutet, daß die sozialen Gruppen, die an Umfang und Bedeutung in der Zentralbürokratie zunahmen, die Bürgerlichen 50 HEINDL, Beamtentum, Elitenbildung, 58 ff.; siehe auch S. 157, 168 und 332 ff.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

und die Freiherren waren. Die abnehmende Gruppe war der Kleinadel. Genauso evident ist es, daß Hoch- und Uradel in dem von ihm traditionell besetzten diplomatischen Dienst in dem untersuchten Zeitraum zwischen 1781 und 1841 ziemlich stark anstieg. Einen ähnlichen Prozeß finden wir in der Besetzung des Personals in der Ungarischen, Siebenbürgischen bzw. Illyrischen und Galizischen Hofkanzlei. Von einem Rückzug des Adels von den öffentlichen Ämtern, der eventuell erwartet hätte werden können, da der vormärzlich-absolutistische Staat auch der Aristokratie keine Freiheiten (wenn auch die altangestammten Privilegien) gewährte, können wir also nicht sprechen, wohl aber von einem Rückzug in Reservate der Bürokratie, die sicherlich mehr Sozialprestige besaßen, daher „standesgemäßer“ waren als andere Ämter. Ignaz Beidtel hat mit seiner von ihm scheel betrachteten Beobachtung, daß im Gegensatz zum josephinischen Jahrzehnt unter Franz II. (I.) die Aristokratie wieder auf wichtige Plätze der Staatsverwaltung berufen wurde, also nicht unrecht, wenn sie auch nicht für alle Behörden galt. Gewisse wirtschaftliche Gründe mochten dafür ausschlaggebend gewesen sein, daß gerade in den dreißiger und vierziger Jahren Abkömmlinge des Adels, vielleicht zweite und dritte Söhne, verstärkt in den Staatsdienst drängten. Die Krise der Landwirtschaft mochte gewisse Existenzängste beim grundbesitzenden Adel ausgelöst haben. Warum gerade in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Mehrzahl Nichtadeliger für Beamtenposten bevorzugt wurde, ist nicht ganz erklärlich. Dürfen wir dem an und für sich verläßlichen Ignaz Beidtel Glauben schenken, so war dies angeblich ein kleinlicher Racheakt Kaiser Franz’ II. (I.) am Adel, der ihm zu anmaßend geworden war. Anläßlich der Erledigung mehrerer ­Bistümer im Jahr 1816 und der Besetzung mehrerer höherer Beamtenstellen soll ein um Rat befragter hoher Aristokrat geantwortet haben, „der Adel hoffe allgemein, daß diese Plätze nicht mit Söhnen von Schustern, Schneidern und Bauern besetzt“ werden würden51. Der Kaiser habe daraufhin, so Beidtel, beschlossen, dem Adel zu zeigen, „daß er der Herr sei“, und er ernannte (zwischen 1817 und 1827) viele Nichtadelige für Posten, die vorher dem Adel reserviert worden waren. Erst unter Kolowrat, der 1826 zum Staats- und Konferenzminister ernannt wurde, hätte sich die Lage wieder zugunsten des Adels geändert. Die größte Überraschung, die sich in der Untersuchung zeigte, war die Tatsache, daß sich die Zahl des sogenannten Beamtenadels so stark verringerte: von 45,45 % im Jahr 1781 auf 29,88 % im Jahr 1841. Mit der Erhebung kleinadeliger Beamter in den Freiherrenstand ging man sehr sparsam um. Allerdings konnte wohl die Zahl 51

BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 234 f.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

der Adelserhebungen von den in die höheren Posten des Staatsdienstes dringenden bürgerlichen Beamten nicht mehr Schritt halten, obwohl man nach wie vor bemüht war, die soziale Homogenität zumindest der höchsten Schicht der Beamten zu erhalten und daher in vermehrtem Maß Adelserhebungen vorkamen. Man kam jedoch nicht mehr nach. Bei Zeitgenossen war so der subjektive Eindruck entstanden, die Adelserhebungen von Beamten hätten im Vormärz abgenommen52. Die objektiven Zahlen sprechen jedoch von anderen Realitäten, und zwar für das ganze Jahrhundert53: Zwischen 1701 und 1803 hatte es insgesamt 1.483 Adelserhebungen gegeben, zwischen 1804 und 1918 8.931, darunter 2.157 von Staatsbeamten. 668 davon wurden in den „einfachen“ Adelsstand erhoben, 1.171 wurden zu Rittern, 318 zu Freiherrn gemacht (die Grafen wurden nicht erfaßt). Das scheint eine beträchtliche Zahl zu sein, die das Bestreben von Kaiser und Regierung sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dem Staatsdienst nach wie vor ein aristokratisches Gepräge zu geben. Die Beamten hatten zwar nicht wie die Offiziere Anspruch auf Nobilitierung. Die Voraussetzungen dafür waren trotzdem günstig54, da Beamte oft Auszeichnungen erhielten, die sie zu Adelsansuchen berechtigten. Ritter des EisernenKronen-Ordens 2. Klasse konnten den Freiherrnstand und Ritter des Ordens der Eisernen Krone 3. Klasse den Ritterstand erwerben. Kommandeure des Leopoldsordens besaßen Anspruch auf den Freiherrnstand, Träger des Kleinkreuzes des L ­ eopoldsordens auf den Ritterstand. Bis 1884 konnten ungarische Inhaber des Kleinkreuzes des Stephansordens um den Freiherrn- oder Grafenstand einkommen. Im übrigen wurde der Adel auch auf Grund besonderer Verdienste entweder „taxfrei“ oder gegen Entrichtung von Gebühren verliehen. Die Höhe dieser ­Taxen zeigt, daß man nicht Gefahr laufen wollte, ganz Mittellosen den Adelstitel zu geben55. Von Kaiser Franz wird berichtet, daß er genaue Nachforschungen über Lebensverhältnisse und Moral der Adelswerber anstellte. Obwohl er oftmals gegen eine Adelsstanderhebung entschied, kam es, wie gesagt, zu einer starken Vermehrung von Nobilitäten unter der Beamtenschaft. Die Adelserhebungen von Offizieren war allerdings unvergleichlich höher: Waldstein-Wartenberg spricht von 4.044 zwischen 1804 und 191856. Diese massenweisen Nobilitierungen hoben sicherlich nicht das Prestige des Kleinadels im allgemeinen und bei der Hocharistokratie im 52 53 54 55

Ebd., 228. Zum folgenden WALDSTEIN-WARTENBERG, Adelsrecht, 135. Ebd., 127 ff. Ebd., 139. 1840 kostete der einfache Adel 1.000 fl., der Ritter 1.500 fl., der Freiherr 3.000 fl., der Graf gar 6.000 fl. 56 Ebd., 135.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

besonderen. Nach wie vor blieb eine tiefe soziale Kluft zwischen Kleinadel bzw. Bürgertum und Hoch- bzw. Uradel. Dies zeigte sich mitunter auch in der Titulatur der Beamtenschaft. Die Geheime Kämmererwürde beispielsweise, die nur verliehen wurde, wenn acht väterliche und acht mütterliche adelige Ahnen nachweisbar waren, trug sicherlich zur Zementierung dieses Systems der starren Separierung bei57. Die hohe Zahl der beamteten Adelsstandswerber zeigt uns, wie beliebt der Adelsstand war, um vor der Öffentlichkeit – und wahrscheinlich auch vor sich selbst – das Prestige zu erhöhen. Eine tatsächliche Steigerung des Ansehens hätte allerdings nur die Erhebung in den Freiherrnstand bedeutet, obwohl man von adeliger Seite auch hier genau zwischen neuem und altem Freiherrenstand unterschied. Bei Erhebungen in den Freiherrenstand ging man allerdings, wie die Zahlen zeigen, viel selektiver vor. Für den Schwund des Kleinadels innerhalb der Bürokratie war sicherlich auch die Tatsache verantwortlich, daß andere Berufe in der Zwischenzeit attraktiver geworden sein mochten. Die auch in Österreich zunehmende Industrialisierung eröffnete Möglichkeiten für neue, unabhängigere Professionen, als der Staatsdienst sie bot. Die Gründung der Polytechnischen Institute (1805 in Prag, 1815 in Wien) bot neue Studienzweige, die begabten jungen Männern abenteuerlicher erschienen sein mochten als das traditionelle Jurastudium. Warum sollte nicht die gesellschaftlich und wirtschaftlich neu emanzipierte Gruppe der Klein- oder Neuadeligen gerade für diese eher Neigung verspürt haben als für den Kanzleidienst? In den frühen fünfziger Jahren wird dann zunehmend darüber Klage geführt, daß „sich die aus den Studienjahren tretenden Jünglinge jeder andern Richtung, dem Notariat, der Advokatur, dem Auditiorat, dem Militärstande, dem kameralistischen Stande“, lieber zuwendeten als dem Justiz- und Verwaltungsdienste, von dem sie, so lautete die behördliche Meinung, „die Sorge, eine anständige Subsistenz bei den jetzigen Teuerungsverhältnissen in den Emolumenten der höheren Gehaltsstufen zu erlangen, der angestrengte Dienst, die entfernte Hoffnung auf Beförderung, die lange Dauer des bisherigen Provisoriums“ abhielten58. Noch war es aber lange nicht so weit. Im Gegenteil, es gab gerade in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen, wie wir noch sehen werden, starken, von einer Akademikerarbeitslosigkeit bedingten Andrang zum Staatsdienst. 57 Ebd., 141. 58 Steirisches Operat vom 28. April 1853 für die Organisierung der Verwaltung in der Steiermark, STEIERMÄRKISCHES LANDESARCHIV, Statthalterei, Organisierungslandeskommission 1853/54, Fasz. VIII C, GZ. 560/1853, S. 224; siehe auch HEINDL, Einleitung zu ÖMR. III/2, LII f.

171

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Gleichzeitig hatte gerade in diesen Jahren durch die stärkere Repräsentierung der Bürgerlichen in der Bürokratie der Staatsdienst den Anschein des adeligen Gepräges verloren. Sogar für Informierte wie einen Carl Freiherr von Hock (1808– 1869), der selbst Beamter war, Direktor des Hauptzollamtes wurde und es schließlich in den fünfziger Jahren zum Sektionschef im Finanzministerium brachte59, repräsentierte sich das Beamtentum als sozial bunte, ja „demokratische“ Mischung. Er nannte es (1860) etwas emphatisch: „Ersatz der mangelnden demokratischen Elemente im Staatsorganismus“ und „Surrogat der modernen Verfassung“60. Der Beamte Hoffinger sieht die Bürokratie – etwas übertrieben – als „einzige Volksvertretung“ dieser Zeit61. Er vergaß allerdings, daß der Staatsdienst zwar allen Staatsbürgern offenstand, daß diese aber christlichen Glaubens zu sein hatten. Es gab zwar konvertierte Juden und Protestanten in den Ämtern, diese waren allerdings nicht sehr gerne gesehen. In der allgemeinen Meinung war die Bürokratie spätestens in den fünfziger Jahren eine bürgerliche Institution geworden.

2.3. Beamtenvermehrung und Besoldung Für die Bewertung eines Berufes oder einer Institution spielt im Allgemeinverständnis die Gehaltsfrage eine wichtige Rolle. Seltsamerweise fehlen die Quellen für die Gehaltsschemata der Staatsbeamten in den einschlägigen Archiven. Es gab solche Schemata für manche Behörden ab 1762, sie waren ein wichtiger Teil des Büroalltags, betrafen das Leben der Beamten unmittelbar, und trotzdem sind sie nur äußerst rudimentär vorhanden62. Wahrscheinlich waren diese Tabellen ein so selbstverständlicher Bestandteil der täglichen Behördentätigkeit und erschienen so wenig interessant für die Nachwelt, daß sie frühzeitig weggeworfen wurden. Oder geschah dies aus üblicher Geheimniskrämerei um Gehaltsfragen? Josef Karl 59 Zu Hock: ÖSTERREICHISCHES BIOGRAPHISCHES LEXIKON 2, 346. 60 [Carl von HOCK, anonym], Österreich und seine Bestimmung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift (1860) 161. 61 Johann B. HOFFINGER, Oesterreichische Ehrenhalle (= Oesterreichischer Wirtschaftskalender für 1865–1869, Wien 1867–1869) 20. Siehe auch HEINDL, Die österreichische Bürokratie, 82. 62 Die Nachforschungen wurden im Hofkammerarchiv, in den Beständen Kamerale, Präsidium, Hofrechenkammer, Sammlung der Handschriften, Staatsinventarien, im Allgemeinen Verwaltungsarchiv, im Haus-, Hof- und Staatsarchiv sowie im Kriegsarchiv (alle in Wien) angestellt und waren nur zum Teil erfolgreich. Ich danke Herrn Dr. Mikoletzky vom Allgemeinen Verwaltungsarchiv, Herrn Dr. Brettner-Messler vom Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Herrn Dr. Sappa vom Hofkammerarchiv und Herrn Dr. Egger vom Kriegsarchiv für ihre engagierte Mithilfe, diese Frage zu lösen.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Mayr stützte sich in seiner sehr zuverlässigen und sehr sorgfältigen Arbeit „Wien im Zeitalter Napoleons“63 noch auf die Protokolle des Staatsrates, die einige Jahre später in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verbrannten. Sie enthielten wertvolles Material über die Regelungen der Beamtengehälter. So wie heute war auch zu früheren Zeiten das Gejammer über die niedrigen Gehälter der Staatsdiener groß. Dabei war die Einführung einer systematisierten Bezahlung der einzelnen Beamtenkategorien in einer Höhe, die die Lebensbedürfnisse aller Diener des Staates halbwegs abdeckten, bereits ein Fortschritt. Zum Teil entsprach die tatsächlich zeitweise mehr als schlechte Entlohnung der Beamten der bereits erwähnten früheren „ideologischen“ Auffassung vom Staatsdienst, nach der dieser eine so große Ehre für den Amtsinhaber, gleichzeitig eine so wichtige Aufgabe darstellte, daß es unmöglich sei, dies in schnödem Mammon zu entlohnen64, was gewiß auch dem Spargeist des Ärars entgegenkam. Teilweise ging man auch – wie Joseph II. – von der recht praktischen Ansicht aus, daß erst Beamte, die im Hungern begriffen seien, wirklich wertvolle Arbeit leisteten. Arme Beamte, die wüßten, daß sie nur durch harte Arbeit und nicht durch Familie, Verbindungen und Protektion Karriere machen würden, so erträumte sich Joseph II. in den Revêries seine Beamten65. Drei wichtige Quellen, die eine aus dem Jahr 1765, die zweite aus dem Jahr 1798 und die dritte aus dem Jahr 1820 sollen in der Folge gegenübergestellt werden, um die Entwicklung des materiellen Status der Beamten zu zeigen. Zusätzlich wurden die Tafeln zur österreichischen Statistik verwendet. Im „Staatsinventarium“ (heute würde man „Jahresabschluß“ dazu sagen), das Ludwig Graf Zinzendorf am 22. Oktober 1765 dem Kaiser unterbreitete, finden wir sorgfältig jeden einzelnen Beamten der Staatsverwaltung namentlich mit dem von ihm bezogenen Bruttosalär minus der Abgaben, plus eventueller Zulagen oder Zuwendungen verzeichnet66. Bei den 63 64 65 66

MAYR, Wien, 186 ff. Siehe S. 35 f. Siehe S. 86 f. „Staats-Inventarium, welcher das Camerale-Germanikum in sich fasset und zufolge Orig[inal] Vortrag d[e]d[ato] Wien, den 22. Oktober 1765 Sr. Majestät Franz 1. untergebreitet worden ist von Ludwig Reichsgrafen von Zinzendorf, dem k. k. Hofrechnungs-Kammerpräsidenten; oder Summarium über die sämtliche Cameral-Gefälle und Zuflüsse in denen Böhmisch- und ­Oesterreichischen Erblanden außer derjenigen, welche denen alldasigen Ständen, ingleichen dem Wienerischen Stadt-Banco eingeraumet sind, oder auch heim Bergwesen sich befinden, meistens nach der Erträgnis des Jahres 1761 verfasset, wohingegen die Besoldungen und Pensionen, wie auch die hinwieder vorkommende activ Capitalien nach dem Jahr 1762 genommen worden“, HKA., Sammlung der Handschriften, Nr. 243a.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Abzügen handelte es sich um die sogenannte A ­ rrha (Aufgeld, Haftgeld), ursprünglich als Gegenleistung, Gegengeld gedacht, um eine Schenkung unwiderruflich zu machen. In Österreich meinte man damit eine Chargengebühr, d. h. eine Abgabe für eine Charge. Sie betrug zunächst bis 2.000 fl. Jahresgehalt (später in der josephinischen Zeit bis 1.000 fl.) 5 %, ab dieser Grenze 10 % des Gehalts, bedeutete also doch eine empfindliche Einbuße an finanziellen Mitteln. Die Arrha war zur Bildung eines Pensionsfonds für die Staatsbeamten und deren Witwen bestimmt. In der franziszeischen Zeit war dieser Charakter aber längst verlorengegangen, der Gesamtbetrag des Fonds war bald unter eine Million Gulden gesunken, da die unteren Beamten von der Arrha befreit worden waren67. So entschloß man sich 1808, die Arrha bis zu einem Gehalt von 6.000 fl. aufzuheben68. Tabelle 6: Beamtengehälter aus dem Zinzendorfschen „Staats-Inventarium“ (1762) Hof- und Staatskanzlei

Ungarische Hofkanzlei

BöhmischÖsterreichische Hofkanzlei

Hofkanzler

30.000

20.000

24.000

Vizekanzler

5.000



10.880

1. Hofrat

5.000



4.000 + 500x

2. Hofrat



5.000

7.000

3. Hofrat



5.000

3.000

4. Hofrat



5.000

7.000

5. Hofrat



5.000

6.000 + 300x

6. Hofrat



5.000

6.000

7. Hofrat



4.000

5.000

8. Hofrat





4.000

9. Hofrat







10. Hofrat







11. Hofrat







67 Siehe auch MAYR, Wien, 192 f. 68 Hofdekret vom 11. August 1808 und vom 18. Februar 1809, FRANZ II. (I.) – GESETZE 32 (1809) 47.

174

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Hof- und Staatskanzlei 12. Hofrat Rat und Archivarius

Ungarische Hofkanzlei

BöhmischÖsterreichische Hofkanzlei







2.000





Kanzleidirektor







Sekretäre



2.000

2.000



2.000

2.000



2.000

2.000





1.700





2.000



1.000









1.625,30

900

500

1.200,–



500





600





500





400





200





200

Ratsprotokollisten Ratsprotokollsadjunkt Konzipisten





300

Registrator

2.157,30



1.000

Expeditor

1.626,15

1.000

1.000

Hofkanzler Vizekanzler 1. Hofrat

Siebenbürgische Hofkanzlei 8.000 – 800

2. Hofrat 3. Hofrat

800 800

4. Hofrat 5. Hofrat 6. Hofrat

800 800 800 + 1.200x

Hofkammer 12.000 8.000 5.000 + 500xx 4.500 5.000 + 1.000xx 5.000 3.000 4.000

175

GeneralKassa-Direktion 13.000 – 4.000 – – 7.000 –

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

7. Hofrat 8. Hofrat 9. Hofrat 10. Hofrat 11. Hofrat 12. Hofrat

Siebenbürgische Hofkanzlei 600 – – – – –

Rat und Archivarius Kanzleidirektor Sekretäre

– – 200 – – – –

Ratsprotokollisten

200

Ratsprotokollsadjunkt Konzipisten

Registrator Expeditor

Hofkammer 2.000 – 2.000 2.000 5.000 3.000 + 300x – – 1.800 1.800 1.800 2.000 1.200 900 800 700

– – – – 500 300

– 900 700 550 1.000 800

GeneralKassa-Direktion – – – – – – – – 1.200 1.200 – – – –

– 460 400 – – 350

x) Quartiergeld xx) Ad personam bedeutet persönliche Zulage (Personalzulage)

Hofrechenkammer

Hofkriegsrat

Hofkanzler Vizekanzler

12.000 –

12.000 –

1. Hofrat

4.000 + 400x 5.000 4.000 – –

6.000

2. Hofrat 3. Hofrat 4. Hofrat 5.-7. Hofrat

2.800 4.000 – –

176

Oberste Justizstelle 12.000 8.010 + 1.000x 4.000 4.000 3.000 5.000 5.000

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Hofrechenkammer

8. Hofrat 9. Hofrat 10. Hofrat 11. Hofrat 12. Hofrat Rat und Archivarius Kanzleidirektor Sekretäre

Hofkriegsrat

– –

– –

– – – – – 2.000 + 660xx 1.500 1.200

– – – – – 2.000 2.000 2.000 + 400xx 2.000

1.200 1.200

1.500 + 500x 2.000 + 352x + 150xx 1.500 500xx 150x 1.5000

1.200



Ratsprotokollisten



900 Ratsprotokollsadjunkt Konzipisten

– 900 500

– 900 + 100xx 900 + 100xx 500 300 500 300

500 500 – –

177

Oberste Justizstelle + 1.000xx 5.000 4.000 + 2.000xx 4.000 4.000 4.000 – – 2.000 2.000 1.500 + 500xx 1.500 + 1.500xx 1.500 900

1.000 + 500xx 1.000 + 500xx 600 – – – – – – –

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Hofrechenkammer

Registrator Expeditor

Hofkriegsrat

– – 760

300 2.000 –

Oberste Justizstelle – 1.500 1.500

Bei den Zulagen handelte es sich zumeist um das Quartiergeld (auf dieses wird später eingegangen werden) und um persönliche Zulagen (Personalzulage). Manchmal kam noch eine Pension aus einer Funktion in einem anderen Amt dazu. Es gab also damals bereits das, was man heute „Ämterkumulation“ nennt. Der Zinzendorfsche Jahresabschluß gibt uns auch Auskunft darüber, daß gerade das Jahr 1762 ein wichtiges Stichjahr für das Beamtentum war, da am 6. August von Kaiserin Maria Theresia für eine Reihe von Behörden der „Statum personalem et salariorum … pro futuro et stabili“ geregelt wurde: für die Hofkammer, für die Generalkassadirektion (heute Bundesrechenzentrum), die Hofrechenkammer (das spätere Generalrechnungsdirektorium, Rechnungshof ). Zumindest bei diesen fiskalischen Ämtern können wir 1762 eine Gleichschaltung, einen vorgeschriebenen Personalstand und das System der Besoldungsstufen klar erkennen. Ansonsten klafften bei den verschiedenen Behörden für die gleichen Ränge doch mitunter beträchtliche Gehaltsunterschiede, wie wir aus den dem Zinzendorfschen Jahresabschluß69 entnommenen Gehältern entnehmen können. Die jährlichen (Brutto-)Gehälter sind in Konventionsmünze berechnet, die Arrha betrug, wie gesagt, bis 2.000 fl. 5 %, darüber hinaus 10%, die wir für das jeweilige Nettogehalt in Abzug bringen müssen. In der Übersicht sind jene Beamtenränge aufgenommen, die in „Rang und Charakter“ (d. h. in der Besoldung) dem späteren Konzeptspersonal entsprechen. Weiter in der Hierarchie „nach unten“ gab es noch: Registratursadjunkten und Registranten (mit 600 bis 1.000 fl. Gehalt), zwischen 2 und 20, wobei manche Behörden gar keine angestellt hatten. Dann folgte der Rang der Kanzlisten (mit 300 bis 1.000 fl. Gehalt), wobei in den verschiedenen Behörden zwischen 3 und 17 arbeiteten, dann – in manchen Behörden – die Akzessisten (mit 200 bis 500 fl. Gehalt). Praktikanten, eine Einrichtung, die später viel benützt (und auch ausgenutzt) wurde, waren damals nur in der Hofrechenkammer, und zwar 15, vertreten; ihr Gehalt betrug zwischen 300 und 400 fl. Den Schlußstein in der bürokratischen Hierarchie bildeten die Kanzleidiener, Türhüter, Heizer, (manchmal auch Boten und Hausmeister), die in jeder Behörde meistens mit je einem vertreten waren; ihr Gehalt betrug 200 bis 500 fl. 69 Siehe Anm. 66.

178

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Wir bemerken an dieser Übersicht, daß die Gehälter nicht nur, wie gesagt, in den einzelnen Behörden verschieden geregelt waren, sondern auch, daß in der Besoldung eine deutliche Hierarchie der Behörden bestand. Besonders sticht dies bei den Gehältern der Kanzler bzw. Präsidenten ins Auge70. Das des Staatskanzlers (des Leiters der äußeren Angelegenheiten) lag mit 30.000 fl. weit über jenen der Chefs der anderen Hofstellen, wobei allerdings auch die Besoldung für die andere wichtige Funktion des Staatskanzlers als Minister des kaiserlichen Hauses inbegriffen war. Andere dagegen, wie etwa der auch nicht unwichtige Präsident des Hofkriegsrates, mußten mit 12.000 fl. ihr Auslangen finden. Weit darüber lagen die Besoldungen mancher Botschafter, manche wurden aber – auch hier klaffen große Unterschiede – wie der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen ist, recht mager bezahlt. Allerdings hatten manche Botschafter für sämtliche Ausgaben der Botschaft (die Erhaltung des Botschaftsgebäudes etc.) aufzukommen. Tabelle 7: Besoldungen von Botschaftern und Gesandten nach dem „Staats-Inventarium“ (1762)71 Frankreich: 60.000 fl. Rußland: 35.000 fl. + 8.000 fl. (Pension des Botschafters) Spanien: 33.000 fl. England: 24.000 fl. Sachsen: 13.000 fl. + 1.400 fl. (Pension des Botschafters) + 7.200 fl. (Subsistenz für den Aufenthalt in Dresden) 21.600 fl. Holland: 18.000 fl. Preußen: 15.000 fl. Venedig: 14.000 fl. Neapel: 12.000 fl. Schweden: 13.000 fl. Türkei: 8.000 fl. 70 In der Hof- und Staatskanzlei hieß der Leiter Hof- und Staatskanzler, in der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei Obrister Kanzler, in der Hofkammer Präsident, in der Generalkassa­ direktion Generalkassadirektor (der zugleich Bankpräsident der Wiener Stadtbank war), in der Rechenkammer, im Hofkriegsrat und in der Obersten Justizstelle Präsident. 71 Die Bezeichnung der Staaten richtet sich nach der des „Staatsinventariums“; daher England statt Großbritannien etc.

179

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Die Gehälter der siebenbürgischen Hofkanzler und die Besoldung sämtlicher Beamten dieser Behörde lagen dagegen weit unter dem Durchschnitt der anderen Hofstellen. Die einzelnen Beamtenkategorien sowohl innerhalb einer Behörde als auch im Vergleich mit anderen Behörden wurden sehr unterschiedlich entlohnt: Ein Hofrat konnte zum Beispiel 7.000 fl. (wie in der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei) und auch nur 1.200 fl. (wie in der Siebenbürgischen Hofkanzlei) verdienen, ein Konzipist etwa 1.000 fl. (wie im Hofkriegsrat) und 200 fl. (wie in der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei). Meist war dabei das Dienstalter berücksichtigt, aber nicht immer. Daß die Zahl der Beamten in den einzelnen Hofstellen sehr verschieden war, erscheint verständlich, hatten sie doch sehr verschieden zeitaufwendige Agenden zu betreuen. Überdurchschnittlich gut mit Beamten ausgestattet waren die Militärbehörden. Es zeichnet sich aber bereits 1762 der Zug zu einer Vereinheitlichung merkbar ab. Nicht umsonst wurden gerade in diesem Jahr die Gehälter der mit den Finanzen befaßten Beamten der Hofkammer, der Generalkassadirektion und der Hofrechenkammer einer Systematisierung unterzogen und in ein gleiches Schema gebracht72. Die Gehälter der anderen Hofstellen wurden in den nächsten Jahrzehnten gleichgezogen. So gibt Mayr für die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts, aus den Staatsratsakten schöpfend, Angaben über drei grundsätzliche Gehaltsgruppen73. Zu der ersten, bestbezahlten Gehaltsgruppe zählten die Bezüge der im Staatsdienst stehenden Erzherzöge, die weit über denen der Hofstellenleiter lagen. Mayr gibt die Bezüge der kaiserlichen Brüder für ihre militärischen Ämter ca. mit 100.000 fl. an. Abgesehen von diesen zählten zu dieser ersten Gehaltsgruppe folgende Ränge: Die Staats- und Konferenzminister: 20.000 fl.74, die Präsidenten der Hofstellen: 16.000 fl. die Vizepräsidenten: 8–12.000 fl. die Staats- und Konferenzräte: 8–10.000 fl. Zur zweiten Gehaltsgruppe zählten: Die Hofräte: 4–6.000 fl. die Hofsekretäre: 1.500 fl. 1.600 fl., 1.800 fl. und 2.000 fl.

72 Siehe S. 174 f. 73 MAYR, Wien, 188 ff. 74 Konventionsmünze, die auch für alle folgenden Zahlen gilt.

180

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

die Konzipisten: die Ratsprotokollisten: (Jüngere Hofsekretäre verdienten mitunter nur

700/600 ff. 900 fl. und 1.000 fl. 1.000–1.500 fl. 800–1.000 fl.)

In der dritten Gehaltsstufe finden wir die Registraturadjunkten mit 600–1.200 fl., die Kanzlisten (Offiziale und Registranten) mit 400–900 fl., die Akzessisten mit 400–900 fl., deren Löhne so karg bemessen waren, daß angeblich viele diese Ämter gar nicht annahmen. Die Amtsdiener bildeten das Schlußlicht in der Gehaltshierarchie der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts mit 300–500 fl.75. Zu erwähnen seien noch die Praktikanten (bei den Justizbehörden Auskultanten genannt), die Beamtenanwärter, die mit nur sehr geringen Aushilfen (Adjutum genannt) von 200–400 fl. ihr Auslangen finden mußten, sofern sie überhaupt bezahlt wurden. Ihre Zahl nahm immer mehr zu. In den siebziger Jahren waren sie, wie wir gesehen haben, kaum – nur mit 15 in der Hofrechenkammer – vertreten. Im josephinischen Jahrzehnt dienten allein in der Hofkanzlei ca. 50 Praktikanten76. Dieser Usus, gar nicht oder nur minimal bezahlte Praktikanten aufzunehmen, machte bald böses Blut und wurde daher nicht gerne gesehen. Es kam nämlich, was zu erwarten war, zu einer Reihe von Unterschlagungen und/oder starken Verschuldungen, da es sich Praktikanten aus nicht wohlhabendem Haus nicht leisten konnten, sieben bis acht, ja sogar bis zu neun Jahren, unter Umständen noch länger unentgeltlich zu dienen (was sie in der Hoffnung auf sich nahmen, doch irgendeinmal angestellt zu werden). Wenn sie sich aber diese lange unbezahlte Dienstzeit leisten konnten, waren sie meistens hohe Adelige, begüterte Protektionskinder von Beamten oder deren Verwandten77 und deshalb bei Kollegen und Vorgesetzten von vornherein in Mißkredit. Die Tatsache, daß man die Mißstände nicht abschaffte, obwohl man sich ihrer voll bewußt war und sie wohl auch abzuschaffen wünschte, beweist, daß man auf die Praktikanten angewiesen war, wollte man der immer mehr werdenden Verwaltungsarbeit Herr werden und die Staatskassa nicht noch mehr belasten, als sie ohnehin schon war. Dies wird deutlich, wenn wir uns den Umstand vor Augen halten, daß es im Jahr 1831 815 höhere Beamte der Wiener Zentralstellen gab, plus

75 MAYR, Wien, 190. 76 Ebd., 180 f. 77 Ebd., 190 f.

181

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

179 Praktikanten; 1841 waren es 887 Beamte gegenüber 206 Praktikanten78, d. h., es gab fast um ein Viertel mehr an Arbeitskräften in den Büros der Zentralstellen als bezahlt wurden. Diese jungen aufstrebenden und um Qualifikation bemühten, daher sicherlich fleißig ihre Büroarbeit erledigenden jungen Leute bedeuteten für die Bürokratie sicherlich eine enorme Arbeitserleichterung79. Kehren wir zur Frage der Gehälter zurück. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende war die Besoldung für die Ränge in den einzelnen Behörden vereinheitlicht. Vergleichen wir die Beamtengehälter von 1762 und den 1790er Jahren, so müssen wir allerdings konstatieren, daß sich für die Mehrzahl der Ränge die Besoldung kaum verändert hatte. Einzig und allein für die höchsten Beamtenränge wurde die Bezahlung zum Teil recht kräftig angehoben: für die Präsidenten der Hofstellen von 12.000 fl. auf 16.000 fl. jährlich. Zum Teil wurden die Gehälter aber auch verringert, da sie „nach unten“ vereinheitlicht wurden. Das gleiche geschah mit den 1762 noch weit auseinanderklaffenden Konzipistengehältern. Ansonsten hatte sich erstaunlicherweise innerhalb von mehr als 30 Jahren nominell die Besoldung der Beamten kaum geändert, d. h., daß sich die finanzielle Lage der Beamten angesichts der Inflation laufend verschlechtert hatte. Doch auch um 1820 waren sie so gut wie gleich geblieben, zumindest was den Hofkriegsrat, von dem wir die Gehälter kennen, betrifft80. Betrachten wir zum Vergleich die Besoldung am Ende des Vormärz. Im Jahr 1841 bezogen die Beamten (errechnet aus den „Tafeln zur Statistik“81) ungefähr folgende Gehälter:

78 Die Praktikanten wurden gezählt nach den Angaben in den TAFELN ZUR STATISTIK 1831 und 1841. 79 Arneth schildert seine Praktikantenzeit sehr eindringlich; Alfred Ritter von ARNETH, Aus meinem Leben 1: Die ersten dreißig Jahre (1819–1849) (Stuttgart 1891) 164. 80 Franz HOHLER, Militär-Oekonomie-System der kaiserlich-königlichen österreichischen Armee (Wien 1820) 124 f. 81 Da keine detaillierten Gehaltstabellen erhalten sind, wurde das Durchschnittsgehalt eines Ranges errechnet. Die TAFELN ZUR STATISTIK 1841 geben den Personal- und Besoldungsstand pro Behörde an. Wir finden gestaffelt die Ränge, die Anzahl der Beamten pro Rang und die Gesamtsumme, die für die Beamten einer Behörde ausgegeben wurde. Dies bedeutet, daß wir, dividieren wir die Gesamtsumme durch die Anzahl der Beamten eines Ranges, den Durchschnittsgehalt (angegeben in fl. Konventionsmünze) eines Ranges errechnen können. Die Besoldung eines Hofrates lag – um ein Beispiel zu geben – zwischen 4.000 und 6.000 fl.

182

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Tabelle 8: Die Gehälter im höheren Staatsdienst in den 1840er Jahren Haus-, Hof- und Staatskanzlei

Ungarische Hofkanzlei

Vereinigte Hofkanzlei

Staatskanzler

101.930





Staats- und konferenzrat

11.000









Oberster Kanzler

24.000 + 3.975x

Hofkanzler



20.000

14.000

+ 3.975x Kanzler Vizekanzler





11.000



11.000

9.000

Hofräte

5.133

5.133

5.400

Räte der Staatskanzlei

2.900









3.150

2.240

1.472

2.147

Regierungsräte Hofsekretäre Ratsprotokollisten







Hofkonzipisten

1.140

194

1.152

Hofdolmetsch

4.800





Protokoll, Expedit, Registratur, Archiv

1.063

724

797

342





Hof- und Kabinettskurier

Siebenbürgische Hofkanzlei Oberster Kanzler Hofkanzler/

Hofkammer





17.000

12.000

17.000

14.000

Präsident Vizekanzler Hofräte Regierungsräte Hofsekretäre

GeneralrechnungKassadirektorium

+ 3.575x –

9.000

7.000

4.463

5.361

4.667



3.400

3.400xx

1.948

2.100

2.000

183

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Hofkonzipisten Protokoll, Expedit,

657

1.800

973

Registratur, Archiv

777

673

755

Hofkanzler/

Hofkammer in Münz- und Bergwesen

Hofkriegsrat

Oberste Justizstelle

18.000

24.000

20.000

x

+ 4.213

+ 3.575x

Präsident Kanzler







Vizekanzler



11.000

9.500

+ 256 Hofkriegsräte Hofräte Regierungsräte Hofsekretäre Ratsprotokollisten Hofkonzipisten



8.234



5.000

5.200

4.762

3.400xx

3.400



2.160

2.350

2.091



1.620

1.400

1.156

1.310



630

929

993

Protokoll, Expedit, Registratur, Archiv

x) 1.500 fl. für das „Naturalquartier“, 1.975 fl. für das Holzdeputat. xx) Hier „Hof-Commissionsrathe“ genannt.

Oberste Polizei- und Zensur-Hofstelle Hofkanzler/Präsident

16.000

Hofräte

5.000

Regierungsräte

3.400

Hofsekretäre

2.125

Hofkonzipisten

1.180

Protokoll, Expedit, Registratur, Archiv

615

184

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Das absolute Spitzengehalt bezog 1841 Staatskanzler Metternich mit 101.930 fl. Sein Gehalt war selbst im Vergleich mit dem von Kaunitz von 1762 (30.000 fl.) exorbitant – nämlich auf mehr als das Dreifache – gestiegen. Selbst die Erhöhung der Besoldung wichtiger Botschafterposten konnte (außer dem englischen) damit nicht konkurrieren. 1841 lagen die Botschaftergehälter in folgender Höhe: Tabelle 9: Besoldung der Botschafter und Gesandtenposten 184182 Frankreich:

90.000 fl.

Rußland:

100.000 fl.

Spanien:

36.000 fl.

England:

110.000 fl.

Sachsen:

14.000 fl.

Niederlande:

24.000 fl.

Preußen:

24.000 fl.

Gegenüber dem Gehalt Metternichs nimmt sich das des Hofkammerpräsidenten Kübeck (20.575 fl.) und das der anderen Präsidenten und Kanzler fast ärmlich aus, obwohl die Gehälter der Präsidenten und Kanzler gegenüber 1762 ebenfalls kräftig angehoben worden waren. Allerdings war die Besoldung der Leiter der neugegründeten Hofstellen, die der Hofkammer in Münz- und Bergwesen, besonders aber die des Präsidenten der Obersten Polizeistelle kärglich bemessen. Zu unserem großen Erstaunen müssen wir aber konstatieren, daß sich die Gehälter vom Hofrat abwärts auch 1841 gegenüber 1762 nominell noch immer kaum verändert hatten: Die Hofratsgehälter lagen immer noch zwischen ca. 4.000 und 6.000 fl.83 Der Besoldungsstatus der Geheimen Kabinettskanzlei, der uns erhalten geblieben ist, bestätigt im großen und ganzen diese pauschalen Berechnungen. Danach verdienten im Jahr 1844 der Hofrat 4.000 fl., der Direktor 3.000 fl. und die acht Offiziale (die im Hofsekretär- bzw. Hofkonzipistenrang waren) zwischen 800 und 2.000 fl. Gehalt84. 82 TAFELN ZUR STATISTIK 1841. Die Bezeichnung der Staaten wurde nach diesen gewählt. 83 Über bestimmte einzelne Behörden vgl. auch „Ausweis und Vergleichung des Besoldungsstandes bei sämtlichen der k. k. Ministerial-Bancodeputation unterstehenden Stellen und Ämter zwischen den Jahren 1765 und 1786, HKA., Handschriften, Nr. 733. 84 Beilage zu der Bitte der acht Offiziale der k. k. Geheimen Kabinettskanzlei um Systemisierung ihrer Gehälter vom 6. August 1844, HHStA., Kabinettsarchiv, Konferenzakten S. 1844, Karton 2, Konferenzzahl 627/1844. Den Hinweis verdanke ich Herrn Prof. George Barany.

185

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Gehälter der Beamten von der mariatheresianischen Zeit bis zumindest 1848, also über 80 Jahre hinweg, nahezu gleich geblieben waren, mit Ausnahme jener der Leiter der Hofstellen, nach heutigem Maßstab der Minister, deren Besoldung doch recht kräftig angehoben wurde. Warum sollte es einem Minister, der an der Macht einer Majestät partizipierte, schlechter ergehen als einem, der an der Macht des Volkes partizipiert? Auch nach der Revolution von 1848, als in einer ersten Etappe der schon längst notwendigen Verwaltungsreform die vormärzlichen Hofstellen in moderne, monokratisch geführte Ministerien umgewandelt wurden, blieben die Beamtengehälter karg bemessen. Allerdings wurden die Ränge in allen Ministerien vereinheitlicht. Die neuen Minister bekamen alle ein einheitliches Gehalt von 14.000 fl. (Konventionsmünze). Der Außenminister verdiente allerdings 26.000 fl., der Innenminister 18.000 fl. und der Präsident des Generalrechnungsdirektoriums 17.000 fl., wobei die Anciennität berücksichtigt war. Die Ministerialräte, die die alten Hofräte ersetzten, erhielten wie diese früher ca. 4.000–5.000 fl. Dabei blieb es auch. Es war klar: Man dachte auch in der Stimmung des Aufbruchs nicht daran, die Beamtengehälter generell anzugleichen. Im eigentlichen wurden diese Zustände erst 1873 durch Erlaß der „Magna Charta“ für die Beamten geändert85. Das Faktum, daß die Beamten eigentlich über ein Jahrhundert die im Nominalwert gleichen Gehälter erhielten, ist tatsächlich kaum zu begreifen, war doch bereits im josephinischen Jahrzehnt und in der Zeit der Napoleonischen Kriege eine beträchtliche Inflation und besonders seit dem Staatsbankrott von 1811 eine ständige Teuerung und damit eine Steigerung der Lebenshaltungskosten zu verzeichnen, die eigentlich bis zum Börsenkrach von 1873 und noch darüber hinaus anhielt86. Auch Hanns Leo Mikoletzky, der die Besoldung der Archivbeamten von 1775 bis 1875 verfolgte, kam auf Grund von Quellen aus dem Hofkammerarchiv zum selben Schluß, daß nämlich die Grundgehälter dieser Beamten von 1799 bis 1856 nicht wesentlich stiegen. Man half bedürftigen Staatsdienern manchmal ein wenig mit Zulagen aus. 1799 bezog der 68jährige Leiter des Hofkammerarchivs, Baumberg, nach 43 Dienstjahren ein Bruttogehalt von 1.700 fl. plus Quartiergeld von 174 fl., 1856 verdiente der 65jährige Hofkammerarchivdirektor Grillparzer nach ebenfalls 43 Dienstjahren 1.800 fl. Bruttogehalt plus 300 fl. Quartiergeld, 85 MEGNER, Beamte, 108–126. 86 Roman SANDGRUBER, Die Anfänge der Konsumgesellschaft. Konsumgüterverbrauch, Lebensstandard und Alltagskultur in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 15, Wien 1982) 95–122 und 355 f.

186

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

wobei Baumberg verheiratet war und eine Tochter hatte, während Grillparzer bekanntlich ledig war87. Allerdings stagnierte Grillparzers Gehalt seltsamerweise von der Ernennung zum Direktor des Hofkammerarchivs an bis zu seiner Pensionierung. Gehälter Grillparzers in der Hofkammer88

1815: Konzeptspraktikant (Adjutum) 1823: Hof- und Ministerialkonzipist 1830: Hof- und Ministerialkonzipist 1832: Hofkammerarchivdirektor 1835: Hofkammerarchivdirektor Quartiergeld Personalzulage 1856: Vor seiner Pensionierung Quartiergeld Personalzulage

400 fl. 900 fl. 1.000 fl. 1.500 fl. 1.800 fl. + 300 fl. + 300 fl. 1.800 fl. + 300 fl. + 300 fl.

Die finanzielle Lage der Beamten hatte sich also wesentlich verschlechtert. Die Beamten „behalfen“ sich angesichts des Wertverlustes ihrer Gehälter selbst, indem sie ihre Lebensbedürfnisse reduzierten. Besonders in der Zeit der Napoleonischen Kriege, als sie 30–40% des Wertes ihres Gehalts einbüßten, war die Lage aller Beamten trist. Sie besserte sich erst 1818, als ihre Gehälter anstatt in Papiergeld wieder in Konventionsmünze bezahlt wurden89. Die Grundgehälter der Beamten wurden hin und wieder durch Zulagen aufgebessert. Das (Un)-Wesen der Zulagen ist nicht leicht zu durchschauen. Neben der „normalmäßigen“ Besoldung (ein Ausdruck der Zeit) gab es eine Reihe von Mitteln der Gehaltsaufbesserung: „Naturalquartiere“ (Dienstwohnungen), die bereits erwähnten Quartiergelder und Personalzulagen, weiters neben Diäten für Dienstreisen, Aushilfen, wie Teuerungszulagen, die aus einem Unterstützungsfonds bestritten wurden, Sondereinkünfte (zwei Dienstposten mit zwei Gehältern) und das weite Feld der Gnadengaben, deren Verleihung dem Kaiser höchstpersönlich zustand. Von den Personalzulagen war schon die Rede. Sie bewegten sich 1762 in sehr verschiedener Höhe. Ein System ist nicht zu erkennen. Als Zulage zu den Gehäl87 MIKOLETZKY, Frühgeschichte eines Wiener Archivs, 136. 88 Ebd., 135 f. 89 MAYR, Wien, 199 f.; BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 143, 180 und 256.

187

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

tern war sie normalerweise bei den hohen Gehältern hoch, bei den niedrigen Gehältern niedrig (doch auch diese vage Regel wurde des öfteren durchbrochen90). Später wurde die Personalzulage verliehen, um entweder ein Trostpflaster für entgangene Posten zu geben oder um überhaupt einem Beamten zu ermöglichen, einem höheren Beamtenrang gemäß leben zu können bzw. einen nicht sehr pre­ stigeträchtigen Posten mit einem Beamten mit höherer (Universitäts)-Ausbildung zu besetzen. So meinte Grillparzer beispielsweise, seine bereits erwähnte Personalzulage von 300 fl. wäre ursprünglich mit der Stelle eines Archivdirektors nur verbunden worden, „um einen mit juridischen Studien Ausgerüsteten zu vermögen, sich um die Archivdirektorsstelle zu bewerben“91. Die Annahme ist naheliegend, daß die im Wert durch die fast ständig steigende Preisentwicklung stark geminderten Beamtengehälter durch die Injektionen von kräftigen Zulagen erheblich verbessert worden wären. Die Gewährung einer wirklich pauschal den Beamten verliehenen Zulage ist aber tatsächlich nur während der Periode der Napoleonischen Kriege festzustellen. Als die Beamten wegen der allgemeinen Teuerungswelle wirklich in Not gerieten, wurde allen (1802) eine Teuerungszulage von 20 fl. verliehen, die unter 800 fl. verdienten. Dies reichte 1808 bereits längst nicht mehr aus. Ein neues System der Teuerungsabgeltung wurde eingeführt – für alle Beamten, die von 400–6.000 fl. verdienten92. Die Zuschüsse wurden von 50 bis 10% abgestuft. 1810 mußte der allgemeinen Notlage wegen zu einer Ausdehnung der Gehaltszulage auf alle (auch der höchsten) Gehälter auf 100 bis 25% geschritten werden. 1811 wurden die Zuschüsse auch auf Abfertigung, Gnadengaben, Erziehungsbeiträge etc. angewandt. Trotzdem war bei weitem der Wertverlust, den die Beamtengehälter erlitten hatten, nicht ausgeglichen. Sehen wir von den Kriegszeiten ab. Auch in Friedenszeiten wurde an den Beamtengehältern gespart. Die einzige tatsächliche Aufbesserung gegenüber der josephinischen Zeit wurde eigentlich bei den Quartiergeldern vorgenommen. Die Quartiergelder stellten den Rest des alten Hofquartierwesens dar, das 1780 endgültig aufgelöst worden war93. Sie sollten einen Ersatz für die bis dahin üblichen Dienstwohnungen („Naturalquartiere“) für Beamte bilden. Die Verleihung dieser Quartiere mußte prozentuell zu den Ansuchen notgedrungen immer mehr schwinden, da begreiflicherweise bei der allgemeinen Beamtenvermehrung auch 90 91 92 93

Siehe Tabelle 6. MIKOLETZKY, Frühgeschichte eines Wiener Archivs, 135 f. MAYR, Wien, 198 f. Zu der Teuerungszulage auch HKA., Kamerale, fasz. 36, Zl. 603/1806. Handbillett vom 25. Dezember 1780, zit. WANIEK, Beamtenwohnung, 122.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

die Zahl der um Dienstwohnungen einkommenden Beamten, die „quartierfähig“ waren, stieg. Die Entschädigungen, die dafür geboten wurden, daß keine Dienstwohnung bereitgestellt werden konnte, belasteten den Staatshaushalt immer mehr. Allerdings waren „Naturalquartiere“ für bestimmte Ränge – im allgemeinen handelte es sich um die höchsten, die Präsidenten und Kanzlerposten – immer noch „systemmäßig“ vorgesehen94. Für diese wurden auch sehr hohe Summen in Anschlag gebracht (Metternichs Quartiergeld betrug beispielsweise 2.000 fl.), die sich im Jahresgehalt (auch eines Spitzenbeamten) sehr wohl auswirkten. Im Quartiergeldwesen dürfte eine unheilbare Unordnung geherrscht haben. Niemand wußte bereits zu Maria Theresias Zeiten so recht, wem welche Wohnung verliehen werden sollte95. Nach der Auflösung des Hofquartiersystems wurde zunächst die „Quartierfähigkeit“ eingeschränkt. Man griff auf die alte Norm zurück und erklärte als „quartierfähig“ nur jene, die verpflichtet wären, „dem Ah. Hoflager nachzufolgen“. Obwohl damit genau geregelt wurde, wer quartierfähig war, herrschte noch immer Verwirrung96. Sonnenfels arbeitete 1798 ein System mit 14 Klassen aus, das sich von den Vizepräsidenten bis zu den Dienern erstreckte. Vielleicht wäre es brauchbar und gerecht gewesen: Der Kaiser selbst war es, der es immer wieder durchbrach97. Außerdem erwiesen sich die Quartiergelder bald durch die enorme Teuerungswelle als unzureichend. Deshalb wurden sie auch 1812 für die in Wien arbeitenden Staatsbeamten verdoppelt. Die Provinz blieb von dieser Regelung ausgeschlossen98. 1819, nachdem ruhigere Verhältnisse eingetreten waren, wurden dann neue Direktiven für die Quartiergelder der Beamten wenigstens der teuren Residenzstadt Wien erlassen99. Es gab zwar noch immer viele Ausnahmen und Einzelbestimmungen, dennoch war nun diesbezüglich eine gewisse Ordnung eingetreten. Nach dieser Regelung herrschten auch innerhalb der sogenannten höheren Beamtenschaft krasse Unterschiede: Die Staats- und Konferenzminister, Präsidenten der Hofstellen und Kanzler erhielten, wie erwähnt, 2.000 fl., die Hofkonzipisten (die niedrigsten Chargen in der höheren Bürokratie) etwa 200 fl. Die Rang- und 94 95 96 97 98 99

MEGERLE, Handbuch 1, 235–265 und 279–288. WANIEK, Beamtenwohnung, 35 f. und 121. Ebd., 132 ff. MAYR, Wien, 195 f. Hofkammerdekret vom 23. März 1812, MEGERLE, Handbuch 1, 257. Vortrag Brauns in der Sitzung der Hofkammer vom 16. September 1818, HKA., Kamerale, fasz. 36/1, Zl. 293/September 1818; Hofkammerdekret vom 25. September 1819, bei MEGERLE, Handbuch 1, 261–265.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

zugleich Wertunterschiede, die man zwischen den Beamten der höheren Kategorien machte, werden damit recht deutlich: Sie verhielten sich, in nüchternen Zahlen ausgedrückt, etwa 10 : 1. Aber auch das Ansehen der Behörde, die wiederum dem Beamten, der in ihr diente, Würde (und ein Mehr an Besoldung) verlieh, drückt sich durch das kompliziert strukturierte Quartiergeldsystem aus100: Quartiergeld von 2.000 fl. (Konventionsmünze) Staats- und Konferenzminister Präsidenten der Hofstellen Staats- und Konferenzräte Quartiergeld von 1.000 fl. Vizepräsidenten der Hofstellen Staats- und Konferenzräte Quartiergeld von 800 fl. Hofräte bei dem Staats- und Konferenzrat Hofräte der Geheimen Hof- und Staatskanzlei Beisitzer der Hofkommission über die reichshofrätlichen Akten die zwei ältesten Hofräte der Vereinigten Hofkanzlei, der Ungarischen Hofkanzlei , der Allgemeinen Hofkammer, der Obersten Justizstelle und des Hofkriegsrates der älteste Hofrat der Siebenbürgischen Hofkanzlei, der Polizeihofstelle und des Generalrechungsdirektoriums Quartiergeld von 600 fl. wirkliche Hofräte bei den Hofstellen Sekretäre des Geheimen Kabinetts Quartiergeld von 400 fl. der Sekretär die zwei ältesten Konzipisten 100 Ebd., 279–284.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

der Registratursdirektor und der Expeditsdirektor der älteste Registratursadjunkt heim Staatsund Konferenzrat Räte Hofsekretäre Archivare Registrator und Expeditor bei der Geheimen Hof- und Staatskanzlei Hofkommissionsräte bei den Hofstellen referierende Regierungsräte und Bergräte Direktor des Tilgungsfondes Direktor der Vormerkung über die verzinsliche Staatsschuld die zwei ältesten Hofsekretäre der Vereinigten Hofkanzlei, der Ungarischen Hofkanzlei, der Allgemeinen Hofkammer, der Obersten Justizstelle, des Hofkriegsrates der älteste Hofsekretär der Siebenbürgischen Hofkanzlei und der Polizeihofstelle der älteste Sekretär der Vereinten Einlösungsund Tilgungsdeputation usw.

So geht es die feinst ausgeklügelte hierarchische Stufenleiter hinunter – wie in einer Novelle Herzmanovsky-Orlandos – bis zum Schlußlicht, dem „Druckereivizefaktor“ der Staatsdruckerei mit 30 fl. als dem geringsten Quartiergeldbetrag (der offenbar als S 30,– Wohnungsbeihilfe für alle Lohnempfänger bis in die Zweite Republik überlebte und erst späten Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer fiel). Der vorbildhafte, geordnete, von menschlicher Umsicht geschaffene Mikrokosmos der Bürokratie mit langlebigen Strukturen, der hier zum Vorschein kommt? „La bureaucratie comme univers heureux et coupable“? wie Pierre Legendre sarkastisch analysiert101. Im Gegensatz zu den Quartiergeldern sind die Diäten für Dienstreisen im eigentlichen nicht als Mittel der Gehaltsaufbesserung zu betrachten, wenn sie auch 101 LEGENDRE, L’amour du censeur, 212. Siehe auch S. 15.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

oftmals als solches benützt worden sein mögen. Es gab allerdings Zeiten, in denen man großzügig verfuhr, und Zeiten, in denen man knausrig war. Im josephinischen Jahrzehnt war es kaum möglich, die Diäten als Gehaltsaufbesserung umzufunktionieren. Die Kreishauptleute mußten ihre Kreisbereisungen auf eigene Kosten vornehmen102. Auch die Diäten waren nicht klar geregelt. Im Jahr 1807 wurde ein System eingeführt, indem man 12 (Rang- und) Diätenklassen festsetzte103. Die Diätenklasse 1, zu denen Staats- und Konferenzminister gehörten, bekamen 25 fl. (Konventionsmünze) pro Tag, die Präsidenten der Hofstellen 22 fl., … die Hofkonzipisten 6 fl. etc. Wie beim Quartiergeldsystem betonten die Diätenklassen den Stellenwert, den man dem Beamtenrang beimaß und damit die hierarchischen Unterschiede. Im allgemeinen ging der Staat sehr sparsam mit allen Vergünstigungen um. Im einzelnen mag schon hin und wieder eine großzügige Gnadengabe verliehen worden sein. Wenn man aber verfolgt, wie etwa der nach 1848 gegründete Ministerrat (die Ministerkonferenz) um die Verleihung von Gnadengaben an Beamte und ihre Witwen und Waisen feilschte – oft handelte es sich um die erstaunliche Summe von 20 fl. – wird deutlich, wie geizig Kaiser und Regierung wurden, wenn es um Vergünstigungen für die Beamten ging104. Die Vorsicht, Präzedenzfälle zu schaffen, war allerdings angesichts des riesigen Beamtenheeres nur zu berechtigt. Zu den Gnadengaben zählte im Grund alles, was nicht (um im Beamtenjargon der Zeit zu bleiben) „normalmäßig“ vorgesehen, also in Gesetzen und Verordnungen verankert war. In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß die österreichischen Souveräne, ihre Prärogative, alles, was Beamte betraf, selbst zu entscheiden, äußerst ernst nahmen und bis zum Ende der Monarchie eisern in der Hand behielten. Kaiser Franz Joseph benützte zum Beispiel die Schwächung des Ministerrates durch den Tod des Fürsten Felix Schwarzenberg sofort, um das Auszeichnungsrecht dem ehemaligen konstitutionellen Ministerrat zu entreißen und persönlich in seine Hand zu nehmen, da „Auszeichnungen“, so argumentierte Franz Joseph, „allein Ausfluß der kaiserlichen Gnade sind“105. 102 Hofdekret vom 10. April 1787, JOSEPH II. – GESETZE 14 (1787) 38. 103 Dekret vom 18. Jänner 1807, FRANZ II. (I.) – GESETZE 28 (1807) 13–19; wiederholt 1813 in Wiener Währung, da sich der Wert durch die Teuerungswelle so verringert hatte, daß sich die Beamten teilweise weigerten, Dienstreisen anzutreten. MEGERLE, Handbuch 1, 353 f.; MAYR, Wien, 197 f. 104 ÖMR., III/1 – III/4 (14. April 1852 – 12. April 1856). 105 Ministerkonferenz vom 15. April 1852. In: ÖMR., III. Abteilung: Das Ministerium Buol-Schauenstein 1: 14. April 1852 – 13. März 1853, bearbeitet von Waltraud HEINDL mit einer Einlei-

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß die kaiserliche Gnade großzügiger als die Leiter der Hofstellen mit den Staatsdienern umging. Im Gegenteil: In der Zeit zwischen 1780 und 1848 war die Tendenz, „Gehaltsaufbesserungen“ zu gewähren, rückläufig. Wir können pauschal an Hand der Verwaltungsauslagen, die pro Jahr aufgewendet wurden, feststellen, daß die Ausgaben für Quartiergelder, Personalzulagen, Remunerationen (Belohnungen, Vergeltungen), Unterstützungen, Aushilfen, Gnadengaben, Emolumente (Nebeneinkünfte), Kategorien, die in den Jahresabschlüssen neben den Besoldungen gesondert ausgewiesen sind, kaum stiegen, was angesichts der (bereits aufgezeigten) Vermehrung des Beamtenheeres auf die finanzielle Lage der Beamten tristere Auswirkungen gehabt haben mußte, als die nackten Zahlen zeigen. Im josephinischen Jahrzehnt stiegen zwar die Remunerationen zunächst bis 1784, doch ab diesem Zeitpunkt weisen sie sinkende, teilweise sogar rapid sinkende Tendenz auf, wie die nachfolgenden Zahlen beweisen. Die Angaben über die Quartiergelder schwankten, wurden aber grundsätzlich nicht wesentlich erhöht106. Tabelle 10: Auslagen für Beamte 1780–1790 Remunerationen

Quartiergelder

Besoldungen

1781

236.063

159.517

5,013.406

1782

281.553

116.006

4,787.540

1784

310.981

132.971

5,529.260

1787

210.337

128.731

6,666.845

1789

234.094

139.340

6,307.281

1790

244.839

157.165

6,539.975

tung von Friedrich ENGEL-JANOSI (Wien 1975) Nr. 2, 14. Vgl. dazu auch die Einleitung von HEINDL, Probleme der Edition, LX; Helmut RUMPLER, Ministerrat und Ministerratsprotokolle 1848–67. Behörden- und aktenkundliche Analyse (= Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. Einleitungsband, Wien 1970) 51; Fritz REINÖHL, Geschichte der k. und k. Kabinettskanzlei (= MÖSTA, Ergänzungsband 7, Wien 1963) 257 f. 106 Aus: „Berechnungen der Finanzen der Oesterreichischen Monarchie vom Militärjahr 1781 bis inclusive 1790 nach den rectifizierten Centralabschlüssen aus den Centralabrechnungen zusammengetragen von Karl Freyherrn von Schimmelpfennig, k. k. würkl[icher] Hofrat bey der Obersten Staats Controle und Director des Staats-Rechnungs-Controli im Jahr 1796, HKA., Handschriften, Nr. 710.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle 11: Auslagen für die Besoldungen und Zulagen von Beamten. Ausgewählte Beispiele107 Besoldungen Quartiergelder PersonalRemunerationen zulagen zulagen 1828 1831 1841

1828 1831 1841

19,117.731 18,007.964 22,115.927 Aushilfen Unterstützung 109.340 118.362 312.583

849.232 763.429 902.688 Gnadengaben 920.081 432.610 574.740

260.238 391.650 600.026 Emolumente – 475.248 1,160.899

217.557 220.716 367.921 Gesamtauslagen für Verwaltung 39,427.275 44,468.478 213,883.505

Die Einsparungsmaßnahmen, die auf Kosten der Beamten versucht wurden, waren, wie wir sehen, nicht durchzuhalten. Die „Sonderausgaben“ für Beamte wurden reduziert, besonders die Gnadengaben. Es war kein Wunder, daß man versuchte, auf Kosten der Beamten zu sparen, wo man nur konnte. Die Verwaltungskosten drohten zu explodieren. Sie waren zwar immer noch gering im Vergleich zum Militäretat – sogar zu dem in Friedenszeiten, trotzdem nahmen sie kontinuierlich zu. Sie hatten im Verwaltungsjahr 1773, 3,722.628 fl. betragen, im Jahr 1781 waren sie bereits auf 5,013.406 fl. gestiegen. 1790 hatten sie sich gegenüber 1773 – also innerhalb von 17 Jahren – mehr als verdoppelt108. Ab diesem Zeitpunkt kletterten sie hurtig weiter nach oben109. Tabelle 12: Verwaltungs- und Militärauslagen Verwaltungsauslagen

Militäretat in Friedenszeit

1790

7,869.352 fl.

31,264.910 fl.

1798

10,136.451 fl.

35,672.314 fl.

1800

9,345.429 fl.

35,672.314 fl.

1809

10,236.843 fl.

52,278.357 fl.

107 TAFELN ZUR STATISTIK (1828) Tafel 20; (1831) Tafel 8; (1841) Tafel 26; auch „Staats-ZentralRechnungsabschluß für das Verwaltungsjahr 1841“, HKA., Oberster Rechnungshof, Nr. 646, 8. 108 „Ärarischer Bedeckungsaufsatz oder die reinen Staatseinnahmen und Ausgaben nach Ordnung der Rubriken“. In: „Verschiedene Tabellen und Finanzsachen 1725–1819“, HKA., Handschriften, Nr. 737a. 109 Historisch-pragmatische Darstellung der zwanzigjährigen Oesterreichischen Finanzadministration vom Jahr 1790 bis 1809 vom 15. Dezember 1810 von J. Sartori, k[aiserlicher] Rat, HKA., Handschriften, Nr. 286 b, Tabelle 10.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Die Verwaltungsauslagen stiegen, wie bereits dargelegt, in den nächsten Jahrzehnten beträchtlich. Sie betrugen bereits 1831: 44,468.478 fl. – davon die Besoldung der Beamten 18,007.964 fl., 1841 die exorbitante Summe von 213,883.505 fl. – davon die Besoldung 22,115.927 fl. Dementsprechend durchgehend verliefen im ganzen Zeitraum die Bemühungen des Staates, den Personalstand und damit die Kosten zu senken – wie wir sahen mit einigem Erfolg, was die Besoldung des Personals betrifft. Schon 1774 wurde beispielsweise in einem kaiserlichen Handbillett verboten, „binnen einem Jahr auf Besoldung- und Personalvermehrung noch Kreierung einer Stelle einzuraten“110. Kronprinz Joseph ging so weit, die Kostenreduzierung durch Gehaltsentzug zu versuchen. Er ließ sich von der Hofkammer eine Liste jener Beamten vorlegen, die „wegen Saumsal und Verzögerung der obliegenden Geschäfte à salario suspendirt“ zu werden hatten111. (Dabei wurde gerade in seiner Regierungszeit – trotz allen Räsonierens die Zahl der Beamten erheblich vermehrt; die Vermehrung der höheren Beamten hielt sich zwar in Grenzen, die Angestellten in der Registratur, den Taxämtern und den Kanzleien der Zentralbehörden nahmen jedoch exorbitant zu112.) 1802 wünschte Erzherzog Karl eine Beschränkung der Beamtenzahl113, um die Staatsfinanzen zu entlasten. 1806 wurde inmitten der napoleonischen Krisenzeiten wieder an Beamtenreduzierung gedacht114, und der Hofkammerpräsident Kübeck drang 1843 nachdrücklichst auf eine Reform der komplizierten, ein übersehbares Heer von Beamten erfordernden Verwaltung, die eine Menge von Zeit und Kräften nutzlos verschwendeten, „die kostbar durch ihre Verluste, kostbar durch ihren Aufwand“ wäre115. 1852/53, in der Periode der Verwaltungsreform, als diese die Kosten entsprechend in die Höhe schnellen ließ, kam die Aufforderung, den Staatsschatz zu schonen, von „Allerhöchster Seite“116. Die Reihe von Beispielen ließe sich beliebig 110 Handbillett vom 12. August 1774, HKA., Kamerale, Präsidium, fasz. 49, Zl. 130/1774. 111 Handbillett vom 12. Dezember 1774, HKA., Kamerale, Präs., fasz. 28., Zl. 192/1774. 112 Die Zahl der Kanzleibeamten der Obersten Justizstelle beispielsweise betrug 1781 noch 91, 1791 bereits 119, in der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei 1781 nur 69, 1791 gar 153 (gezählt nach den STAATSSCHEMATISMEN). 113 MAYR, Wien, 175. 114 Sitzung der Hofkammer vom 22. Mai 1806, HKA., Kamerale 6, fasz. 36, Zl. 653/1806; auch MAYR, Wien, 185. 115 Vortrag Kübecks vom 22. Jänner 1843; vgl. Adolf BEER, Die Finanzen Oesterreichs im XIX. Jahrhundert (Wien 1876; fotomechanischer Nachdruck Wien 1973) 154. 116 Der Besoldungsstand wurde im Zuge der neoabsolutistischen Neuerungen so knapp bemessen, daß alle klagten; der Statthalter von Tirol, Graf Bissingen, beispielsweise mit dem massiven

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

fortsetzen – bis in die Gegenwart. Dabei ist die Beobachtung interessant, daß jede Vorstellung von Verwaltungsreform – bis zum heutigen Tag – mit der Idee verbunden ist, durch sie könnten Beamte eingespart werden. Für gewöhnlich war das Gegenteil der Fall. Die Anstrengungen, den Beamtenstand zu reduzieren, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Beamten- und Verwaltungsgeschichte. Es war grundsätzlich eine vergebliche Hoffnung, die gehegt wurde (und immer noch gehegt wird!). Ab 1810 blieben zwar tatsächlich vakante Stellen unbesetzt, doch die Zahl der Beamten wurde à la longue nicht gesenkt, da eine Reihe österreichischer Beamter aus den im Wiener Kongreß abgetretenen Provinzen übernommen werden mußte117. Und in der Folge vermehrte sie sich, wie wir sahen, stetig weiter. Von einer Einsparung konnte keine Rede sein. Die Auslagen irgendwie in Grenzen zu halten, mußte notgedrungen auf Kosten der Beamten gehen. Man behalf sich, indem man ihre Gehälter indirekt senkte, im konkreten Fall, indem man mehr als 100 Jahre ihre Besoldung nicht erhöhte. Je größer das Beamtenheer wurde, desto drastischer mußten selbstverständlich die Gehälter reduziert werden. Daß es dem Durchschnittsbeamten nicht möglich war, ein aufwendiges Leben zu führen (etwa wie grundbesitzende hochadelige Kollegen), muß nicht betont werden. Ging aber mit diesen Beschneidungen, die notwendigerweise zu einer Senkung des allgemeinen Lebensstandards führen mußten, nicht zugleich auch ein Prestigeverlust des Beamtentums in der Öffentlichkeit Hand in Hand? Die Frage erscheint an dieser Stelle angebracht, inwieweit die Beamten mit ihren kärglichen Gehältern imstande waren, noch ein „standesgemäßes“ Leben, das dem Ansehen und der Autorität des Staates gerecht wurde, zu demonstrieren. Wie wirkte sich die bescheidene materielle Lebenssituation auf ihr Verständnis aus, einem geachteten (bürgerlichen) Berufsstand anzugehören?

2.4. Bildung, soziale Entwicklung und kulturelle Identität Die soziale Entwicklung der Bürokratie wurde zweifelsohne stark von den strikten Ausbildungskriterien, die sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts endgültig durchgeZusatz, die Geschäftsführung könne bei so reduziertem Personalstand nicht mehr garantiert werden, TIROLER LANDESARCHIV, Statthalterei, Gubernium. Organisierung II 1853/54, fasz. Organisierung der Kreisbehörden, Org. Präs. 668/1853; über die Einsparungen dieser Jahre HEINDL, Einleitung zu ÖMR. 111/2, L f.; DIES., Bürokratie und Verwaltung im österreichischen Neoabsolutismus. In: Österreichische Osthefte 22/3 (1980) 240. 117 MAYR, Wien, 177.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

setzt hatten118, beeinflußt. Die Bindung bestimmter Ränge an eine gewisse Schulbildung hatte die Professionalisierung des Beamtenberufes zur Folge – und damit gewissermaßen auch eine soziale Selektierung. Einerseits bedeutete die Tatsache, daß ein abgeschlossenes Universitätsstudium als Voraussetzung für die Bekleidung der höheren Ränge im Staatsdienst angesehen wurde, Ausschluß. Talentierte, kluge und fleißige Beamte, denen das Studium der Jurisprudenz fehlte, konnten die Schwelle vom niederen zum höheren Staatsdienst nicht überschreiten, sie mochten noch so wertvolle Fachkräfte sein. Andererseits bot ein Studium auch Söhnen aus nicht wohlhabenden Familien Gelegenheit, den Beamtenberuf, der jedenfalls mit Ansehen, unter Umständen auch mit Einfluß verbunden war, zu ergreifen. Das Studium an einer der spärlich gesäten Universitäten des Kaisertums war zwar, wenn man nicht zufällig am Universitätsort wohnte, nicht ganz leicht zu bewerkstelligen: Es standen (in der westlichen Hälfte des Reiches) die Universitäten Wien, Prag, (zwischen 1796 und 1809 und ab 1846) Krakau, Freiburg/ Breisgau (bis 1815), weiters Lemberg, Padua und Pavia, die Lyzeen (später wieder Universitäten) Innsbruck, Graz und Brünn bzw. Olmütz zur Verfügung, abgesehen von den Bildungsinstitutionen im Königreich Ungarn, der Universität Pest und den Rechtsakademien in Kaschau (Kassa), Erlau (Eger), Raab (Györ), Fünfkirchen (Pecs), Großwardein (Nagyvarad), Preßburg (Pozsony, Bratislava), Agram (Zagreb)119. Ein Studium an der Universität war zwar nicht allzu teuer, zumindest nicht für Studenten, die am Studienort wohnten. Das Studiergeld betrug (seit 1774) pro Monat 3 fl., pro Jahr 30 fl.120 und wurde jahrzehntelang nicht erhöht. Außerdem gab es eine Reihe von Befreiungen und Stipendien, die aus den eingehobenen Unterrichtsgeldern verteilt wurden121. Die Stipendien dürften von Anfang an recht gering bemessen worden sein. Im allgemeinen betrugen sie zwischen 200 und 300 fl.122. So gering sie auch waren, sie boten doch weniger wohlhabenden Leuten 118 Siehe S. 109–112. 119 SCHEMATISMUS LITERARIUS für das Jahr 1846 (Budae 1846). MAGYARORSZÁG TÖRTÉNETE 5 (Budapest 1980) 1116, gibt (wohl fälschlich!) noch Rechtsakademien in Ofen (Buda) und Temesvár an, die im Schematismus nicht aufscheinen. Dasselbe Werk nennt noch folgende konfessionelle Rechtskollegien, an denen Recht zu studieren, anerkannt wurde: die reformierten Kollegien in Debrecen, Sárospatak, Pápa, Kecskemét (seit 1831) und Marmarosziget (seit 1837), die lutherischen Kollegien in Preßburg (Bratislava) und Eperjes (seit 1815). Für alle diese Informationen bin ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Moritz Csáky zu herzlichem Dank verpflichtet. 120 Hofresolution vom 5. Oktober 1784, UNIVERSITÄTS-ALMANACH 1787, 77 f. 121 Hofresolution vom 10. November 1784, ebd., 80. 122 Hofdekret vom 20. September 1784, MITROFANOV, Joseph II., 812.

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II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

eine Möglichkeit, ihre Söhne auf die Universität zu schicken, auch wenn diese nicht auf großem Fuß leben konnten. Im Jahr 1787 berechnet Johann Pezzl „die Lebenshaltungskosten für einen einzelnen Mann … ohne größere Bedürfnisse“ mit 464 fl. pro Jahr123. Daß durch die Studienreform Leopolds II. auch „bedürftigen“ Studenten eine elitäre Ausbildung an der Universität ermöglicht werden sollte, zeigt seine genaue Regelung der Stipendienvergabe. Als erstes Kriterium wurde „Dürftigkeit“ genannt124. Die Höhe der vergebenen Stipendien mußte notgedrungen gering sein und im Laufe der Jahre sinken. Im Jahr 1841 zum Beispiel wurden an der Universität Wien 204 Stipendien von insgesamt 17.838 fl. verliehen, wobei die Studentenzahl 4.670 betrug125. Ein fiktives Durchschnittsstipendium betrug demnach 87 fl. Davon konnten diese 204 Stipendienempfänger kaum leben. Andere Quellen des Lebensunterhaltes mußten gefunden werden. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Hauslehrersystem üblich, das armen Studenten aus der Provinz das Universitätsstudium ermöglichte. Der Hauslehrer wohnte meist bei seinen (meist adeligen) Schülern und wurde dort verköstigt. Beidtel berichtet von der nicht unbeträchtlichen Anzahl von Bauernsöhnen, die sich auf diese Weise durch ein Studium geschlagen hätten und später unter den hohen Staatsbeamten zu finden gewesen wären126. Auch manche später berühmten dichtenden Beamten verdienten sich durch Privatstunden ihr Studium. Von Franz Grillparzer wissen wir beispielsweise, daß er als Student Hauslehrer (bei Graf Seilern) war. Ignaz Castelli verdiente sich durch Stundengeben einen Zuschuß zu seinem Leben127. Adalbert Stifter war bekanntlich Hauslehrer bei Fürst Metternich. Dies fand in seinem Roman „Nachsommer“ (1857 erschienen) literarischen Niederschlag, in dem uns das Schicksal des jungen Risach als Hauslehrer eindringlich beschrieben wird. Das Leben dieser Hauslehrer-Studenten war nicht gerade einfach und luxuriös, trotzdem stiegen die Studentenzahlen nach der Regulierung der Ausbildung für den Staatsdienst stark an. Eine Stichprobe zeigt, daß die juridische Fakultät der Universität Wien von Söhnen aus nichtadeligen Familien von Haus aus stark und zunehmend immer stärker frequentiert wurde. Viele spätere Beamten mußten sich unter ihnen befunden haben. 123 PEZZL, Skizze (1787) 98 f. 124 „Hauptgrundsätze vom 18. November 1790 für das Studienwesen“, in: UNIVERSITÄTSALMANACH 1791, 124–163. 125 TAFELN ZUR STATISTIK 1841, Tafel 57. 126 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 294. 127 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 42–49; CASTELLI, Aus dem Leben, 82.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Tabelle 13: Die herkunftsmäßige Zusammensetzung der Studenten der juridisch-politischen Studien128 ohne Adelsprädikat

Einfacher Adel Ritter

Freiherren

Grafen

Gesamtzahl

1785/86

99

34

2

6

141

1789/90

49

19

12

7

87

1801/02

44

17

4

3

68

1811/12

90

17

9

6

122

1821/22

549

67

5

16

637

Die Zunahme von Jusstudenten hielt an: 1841 gab es bereits 924 (die Gesamtzahl der Studenten aller vier Fakultäten betrug 4.670)129, im Studienjahr 1847/48 gar 1.462, wobei die Gesamtzahl der Studenten auf 3.274 gesunken war130. Der Andrang zum Jusstudium wird umso deutlicher. Der Trend, daß nichtadelige Studenten zum Studium drängten, war für die gesamte sozialgeschichtliche Entwicklung dieser Jahre sowie für die Entwicklung des Staatsdienstes von Bedeutung. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß es neben den Universitäten und Rechtsakademien noch die Theresianische Akademie in Wien gab, die als vornehme Ausbildungsstätte des Adels galt. Wie bereits ausgeführt, war sie seit ihrer Gründung (1745) speziell für die Erziehung einer aristokratischen Elite zum allgemeinen Verwaltungsdienst zuständig. Die Adelsexklusivität dauerte bis 1849. Für die Heranbildung des diplomatischen Nachwuchses hatte die Konsularakademie zu sorgen131. Die Existenz dieser Akademien zeigt die Tendenz, daß zunächst die Eliteposten in der Verwaltung der Aristokratie vorbehalten bleiben sollten. Bezeichnenderweise wurde die Theresianische Akademie von Joseph II. 1783 aufgelöst und erst nach seinem Tod 1791 wieder eingeführt. Wohldotierte Stipendien wurden eingerichtet und offensichtlich darauf ausgerichtet, daß gerade auch nicht reichen Angehörigen der Aristokratie, die auf die Ausübung eines Berufes angewiesen waren oder sich vielleicht auch freiwillig zum Dienst am Staat berufen fühlten, der Besuch der Theresianischen Akademie 128 Zählung nach dem „Kasse-Journale“, UNIVERSITÄTSARCHIV WIEN; Universitätsmatrikeln wurden in diesen Jahren nicht geführt. 129 TAFELN ZUR STATISTIK 1841, Tafel 57. 130 Ebd., 1847, Tafel 13. 131 STIMMER, Herkunft der österreichischen Beamtenschaft, 307 f.

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ermöglicht wurde132. Dabei wurde eine besondere Art der Vergabe entwickelt, die von der Böhmisch-Österreichischen bzw. der Vereinigten Hofkanzlei ausgeübt wurde. Diese sicherte den Einfluß des Staates bei der Selektion der Zöglinge133. Sollte der Vater bereits den Beruf als Beamter ausgeübt haben, so galten seine Treue sowie Verdienste um Kaiser und Staat und selbstverständlich ein moralisch scheinender Lebenswandel der gesamten Familie als positive Kriterien für die Aufnahme in die Lehranstalten – und nicht nur in bezug auf das Theresianum134. Oberstes Prinzip der Theresianischen Akademie war, so stellt Gernot Stimmer in seiner grundlegenden Studie fest, daß trotz der systemstabilisierenden Funktion, die in bezug auf das Theresianum nie aus dem Auge gelassen wurde, grundsätzlich die qualifizierte Ausbildung den Vorrang hatte135. Das galt auch für die Zeit des Vormärz. Kein Wunder, daß bei der ausgezeichneten Ausbildung die „Theresianisten“ mit offenen Armen in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurden. In der Periode zwischen 1746 und 1784 stellten sie 8 Staats- und Konferenzminister sowie 280 Beamte und Würdenträger (bei einer Gesamtzahl von allerdings nur 1.130 Zöglingen in dieser Epoche). In der Zeit zwischen 1797 und 1849 gingen 16 Staats- und Konferenzminister und 537 Beamte und Würdenträger (bei einer Gesamtzahl von 1.799 Schülern in diesem Zeitraum) aus dem Theresianum hervor136. Dies stellt zwar besonders in Anbetracht der Gesamtzahl der Zöglinge ein ziemlich starkes Kontingent dar. Angesichts der langen Zeitspanne war jedoch diese „Ausbeute“, die die Verwaltung aus dem Theresianum zog, nicht so groß, als daß der Einfluß der Theresianisten auf den Staatsdienst als übermächtig veranschlagt werden könnte. 132 Zu den Stiftungsplätzen im Theresianum Eugen GUGLIA, Das Theresianum in Wien. Vergangenheit und Gegenwart (Wien 1912) 198. 133 Zur Geschichte des Vergaberechts Vortrag Bachs vom 15. September 1853, HHStA., Kabinettskanzlei, MCZ. 3143/1853, und Vortrag Thuns vom 22. September 1849, ebd., MRZ. 3387/1849, dazu Ministerkonferenz vom 7. Dezember 1852/111, ÖMR. III/1, Nr. 70, und vom 4. Oktober 1853/V, ÖMR. 111/2, Nr. 163, im besonderen Anm. 8. 134 Vgl. zum Beispiel die Diskussion um die Aufnahme von Beamtensöhnen in das Löwenburgsche Konvikt (Piaristenkonvikt), Ministerkonferenz vom 2. November 1852/11, ÖMR. III/1, Nr. 58. 135 STIMMER, Herkunft der österreichischen Beamtenschaft, 308. 136 STIMMER, Herkunft der österreichischen Beamtenschaft, 323. Zu den Theresianisten vgl. weiters Max Freiherr von GEMELL-FISCHBACH, Album der k. k. Theresianische Akademie (1746–1912). Verzeichnis sämtl[icher] Angehörigen der k. k. Theresianischen Akademie … mit kurzen biographischen Daten … fortgesetzt und erg[änzt] von Camillo MANUSSI, Edl[er] von Montesole (Wien-Brünn 1913) und Theodor CICALEK, Beiträge zur Geschichte des Theresianums (= Jahres-Bericht über das Gymnasium an der k. k. Theresianischen Akademie 1871/72, Wien 1872).

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Das Theresianum stellte nicht die einzige und nicht die am meisten übliche adelige Erziehung dar. Im allgemeinen erhielten die Söhne des Feudaladels nach wie vor ihre Erziehung privat zu Hause durch Fachgelehrte und einen Hofmeister, die sicher glänzender und vielseitiger war als der trockene juristische Wissensstoff, der an der Universität vermittelt wurde. Die nachfolgenden Kavalierstouren in verschiedene europäische Länder taten ihr Übriges, die jungen Aristokraten zu Weltmännern heranzubilden. Die Universität war in diesem Erziehungsprogramm nur als marginale Erziehungsstätte eingebaut und wurde von den jungen Adeligen kurzzeitig frequentiert, um bestimmte Vorlesungen zu hören oder auch Prüfungen abzulegen137. Den auf diese Weise vortrefflich in Verhaltensformen und Wissen ausgebildeten Aristokraten muß wohl von allen Zweigen des Staatsdienstes der diplomatische als die adäquate Berufsmöglichkeit erschienen sein. Jedenfalls hatten auch die hochadeligen hohen Beamten des Vormärz, die in andere Zweige des Staatsdienstes traten, ein Jusstudium – sei es am Theresianum oder an einer der Universitäten bzw. Rechtsakademien – hinter sich gebracht138. Den adeligen Familien mochte es – begrenzt – sinnvoll erscheinen, ihre Söhne in den Verwaltungs-, Justiz- oder Finanzdienst zu senden, um aus Nützlichkeitsgründen ihren traditionellen Einfluß dort bis zu einem gewissen Grad zu wahren. Die ca. 20 Prozent des adeligen Anteiles in den höheren Verwaltungsposten, der permanent von 1781 bis 1848 gehalten wurde, sprechen für diese Einstellung. Mehr Engagement war von der österreichischen Aristokratie auch nicht zu erwarten: Sie war in den österreichischen Staatsdienst nur begrenzt integriert. Sie hatte in diesem geachtete Positionen und, wie wir gesehen haben, ihre Enklaven und Nischen, ja, sie wurde sogar favorisiert, doch war die Aristokratie trotz der Begünstigung, die man ihr angedeihen ließ, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei weitem nicht der einzige Faktor in der höheren österreichischen Bürokratie. Sehr große Attraktion besaß der Dienst in den Amtsstuben für junge, ehrgeizige Aristokraten auch in den wenigsten Fällen, und die Universität – normale Ausbildungsstätte für den bürokratischen Lebensweg – noch weniger. Die starke 137 Näheres bei Hannes STEKL, Österreichs Aristokratie im Vormärz. Herrschaftsstil und Lebensformen der Fürstenhäuser Liechtenstein und Schwarzenberg (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien, Wien 1973) 103–112. 138 Zum Beispiel alle Präsidenten und Vizepräsidenten des Generalrechnungsdirektoriums. Geschichte und Ergebnisse der zentralen amtlichen Statistik in Österreich. 1829–1979. Festschrift aus Anlaß des 150jährigen Bestehens der zentralen amtlichen Statistik in Österreich (= Beiträge zur österreichischen Statistik, hg. vom ÖSTERREICHISCHEN STATISTISCHEN ZEN­ TRALAMT Heft 550, Wien 1979), biographischer Anhang.

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Verschulung, der Prüfungszwang, die Überfüllung der Hörsäle (mit meist Söhnen von kleinen Leuten) raubten der österreichischen Universität – im Gegensatz etwa zu ihrem preußischen Pendant, die längst nach dem Humboldtschen Modell reguliert war – jeden Anstrich von Exklusivität. Wenig elegant erscheinen mußte auch der regulierte Amtsbetrieb mit der „unstandesgemäßen“ Hierarchie, die nach den Kriterien des Anciennitätsprinzips und nicht nach dem ständischen sowie (zumindest bis zu einem gewissen Grad) nach den Maßstäben der bürgerlichen Leistungsgesellschaft geordnet wurde. Der Dienst in den grauen Amtsstuben war eher freudlos und die materiellen Einkünfte bürgerlich bescheiden. Der Staatsdienst, wie er sich entwickelt hatte, zog gerade durch die streng geregelten Voraussetzungen der Vorbildung, die mit eisernem Willen und einem gewissen Maß an Intelligenz zu erreichen waren, Söhne niederer Beamter und anderer bürgerlicher sowie kleinbürgerlicher Schichten – und dies zunehmend mehr – an. Das Studium an der Universität und der anschließende Staatsdienst waren in dem geschlossenen System des frühen 19. Jahrhunderts somit ein Mittel bürgerlicher Emanzipation, die sich oft in mehreren Generationen vollzog, über den niederen Beamten in der ersten zum mittleren (oder gleich höheren) in der zweiten bzw. zum höheren Beamten in der dritten Generation139. In den Amtsstuben bestand tatsächlich die Möglichkeit, daß Beamte gleichen Ranges, aber sehr verschiedener Herkunft – bürgerlicher/kleinbürgerlicher oder adeliger – in einer Kanzlei nebeneinander saßen und den gleichen Dienst versahen. Diente nun diese erzwungene Gleichheit im Amt etwa dazu, soziale Differenzen zu überbrücken? Dürfen wir dem oft zitierten, bekannt antiadeligen Beidtel Glauben schenken, so war dies ganz und gar nicht der Fall. Laut Beidtel herrschten in den Kanzleien ungemein starke Spannungen vor allem zwischen adeligen und bürgerlichen Beamten. Offensichtlich fühlten sich die bürgerlichen Beamten vom Adel schlecht behandelt, der, so berichtet unser Gewährsmann Beidtel, in der nachjosephinischen Zeit wieder recht arrogant geworden wäre und vermeinte, nun, da die Zeiten, in denen er „sich weggeworfen habe“, vorbei wären (Beidtel gibt die Periode zwischen 1770 und 1790 an), wieder mehr Selbstgefühl zeigen zu müssen, besonders den nichtadeligen Kollegen gegenüber. Die Folge war, daß auch „die Erinnerung an Josephs Haß gegen den Adel“ fortlebte140. Die nichtadeligen Amtsgenossen wachten mißgünstig über die Vorrechte der aristokratischen Bü139 Bei aufmerksamer Lektüre der STAATSSCHEMATISMEN gewinnen wir diesen Eindruck. 140 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 46 f.

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rokollegen, die oft genug zutage traten. Oftmals (angeblich besonders ab der Ära Kolowrat 1826) wurden Adelige durch die Zuteilung eines „supernumerären“ (überzähligen) Status (der nicht besoldet war) in ein Amt geschmuggelt und überlebten hier oft jahrelang auf Grund ihres Privatvermögens. Sie sammelten auf diese Weise mit ihren unbezahlten Diensten zwar kein Vermögen, aber anrechenbare Dienstzeiten und kletterten so in der Beamtenhierarchie (unbezahlt) von Rang zu Rang, bis sie doch eines Tages, nachdem sie angeblich 20–30 nicht­ adelige Beamte überholt hatten, einen „systemisierten“ – höheren – Posten, für gewöhnlich handelte es sich um den eines Kreishauptmannes oder Gubernialrates141, erhielten. Aus der Perspektive des adeligen Andrian-Werburg sahen die Verhältnisse, wie so oft, freilich anders aus. Er beklagte sich bitter über die „Beschränktheit“ und „Geistesarmut“ der Beamten (nicht hochgeborener Herkunft): „… die österreichische Bürokratie“, so charakterisiert Andrian seine bürgerliche Amtsgenossen, „kennt in ihrer beschränkten Geistesarmut keinen Zweck, keinen Beruf, kein Interesse, als sich selbst und ihr eigenes – sie weiß nichts von ihrer Pflicht, das Land zum Besseren zu führen – sie betrachtet ihren Stand bloß als eine Versorgungsanstalt, einzig dazu gegründet, um ihr Brot und Nahrung zu verschaffen. Isoliert von allen andern Ständen durch ihre eigentümliche Lebensansicht, welche alles Interesse an dem Wohle oder Wehe derselben ausschließt, in Opposition mit dem Adel, dessen hie und da noch fühlbare sozielle Prärogativen, und dessen ärmliche Privilegien sie anfeindet, und welchen sie die kleinliche Tyrannei ihrer positiven Gewalt, so oft sie kann, empfinden läßt – in wegwerfendem Hochmut gegen die niederen Stände, gegen Bürger und Bauer, denen gegenüber sie eine stolze abgeschlossene Kaste, sie den Herren und Meister spielt – ist es da wohl denkbar, daß sie jene Popularität genösse, ohne welche kein wirklicher moralischer Einfluß möglich ist? …“142 Die soziale Kluft zwischen altem Hochadel und aufstrebendem Bürgertum war in den Kanzleien nicht geringer als sonst. Hier wurde die sich allgemein zuspitzende antiadelige Gesinnung, die in der gebildeten „Halböffentlichkeit“ etwa der Salons und der Vereine (eine Öffentlichkeit gab es ja nicht) herrschte, noch verschärft durch den sozialen Neid, den Adelige durch ihre ­sichereren und schnelleren Karrieremöglichkeiten besaßen143. Gewiß war der Un141 Ebd., 228, und SOCIALE UND POLITISCHE ZUSTÄNDE, 108 f.; auch (TUVORA), Briefe aus Wien 1, 36 f. 142 (ANDRIAN-WERBURG), Österreich 1, 70 f. 143 Vgl. BAUERNFELD, Tagebücher 1, 65 (Eintragung vom September 1833). Andere Äußerungen, denen wir begegnen, sind eher unterschwellig antiaristokratisch, vgl. etwa Erasmus KESSLER,

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wille über das Faktum, daß die Privilegien des Adels auf Grund der Geburt und nicht der Leistung vergeben wurden, im Steigen begriffen144. Durch die „lahmen“, „nichtssagenden“, wenig konstruktiven, defensiven Reaktionen, die der Adel auf die mündlichen und literarischen Angriffe auf seine gesellschaftlich privilegierte Stellung bereit hatte, schürte er geradezu die ungünstigen Meinungen über seine politischen Führungsqualitäten, so daß selbst so konservative Beamte wie Kübeck, die von der Institution Adel hoch dachten, zu distanzierten Äußerungen über die Qualitäten des Adels provoziert wurden145. Der „Geist der Kanzleien“ wurde durch diese Spannungen nicht besser, freundlicher oder effektiver. Die Folge war aber nicht, daß sich nun die nichtadeligen Beamten zu einer Gruppe, der es um die Verfolgung eigener Interessen ging, zusammengeschlossen hätten. Das politische Mißtrauen gegenüber Kollegen war stark, denn immer wieder kam es vor, daß gerade materiell abhängige Beamte, auch die in hohen Rängen, für die Regierung Spitzeldienste leisteten, um ihre finanzielle Lage zu verbessern146. Ein Ansatz zu politischen Gruppierungen ist aus den vorhandenen Quellen (selbst in den Tagebüchern) kaum greifbar, wohl aber ein Bekenntnis, das manchmal nur zwischen den Zeilen zu lesen ist, in irgendeiner Form Wandel, Veränderungen herbeizusehnen. Man gab sich im allgemeinen betont unpolitisch, selbst in den intimsten Aufzeichnungen. Das gegenseitige Mißtrauen, die Maxime, sich im Amt möglichst nicht zu deklarieren, belastete das Verhältnis der Beamten zueinander. Die Konflikte „bürgerlich – adelig“, „regierungstreu“ – „nicht regierungstreu“, waren aber nicht die einzigen, die in der Bürokratie herrschten. Ein anderer trug wesentlich zur Krise des Verwaltungsapparates bei. Die Entwicklung der Studentenzahlen an der Universität, besonders an den juridisch-politischen Studien, von der die Rede war147, sollte ihre Schatten auf den öffentlichen Dienst werfen. Sie war staatlicherseits nicht mehr in den Griff zu bekommen. Im Grunde hatte man die ganze erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hindurch an der Doktrin der späten Aufklärung festgehalten, die, wie ausgeführt wurde, in ihrer Bildungspolitik und der daran geknüpften Heranbildung von Eliten von den staatlichen Bedürfnissen ausgegangen war, durch die Universitätserziehung möglichst viele, möglichst gut

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Tagebücher, WIENER STADT- UND LANDESBIBLIOTHEK (weiterhin WST. u. LB.), Handschriftensammlung 1 b 46.157, über Andreas Baumgartner (z. B. Bd. 2, Eintragung vom Jänner 1831). Graf Leo Thun, selbst ein Beamter, äußert sich im Jahre 1839 ähnlich, THIENEN, Thun, 169 f. Ausführlich bei STEKL, Aristokratie, 125 ff.; KÜBECK, Tagebücher 1, 135. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 82, 89 f., 118 und 316 f. Siehe S. 198 f.

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ausgebildete Beamte für den Staat heranzuziehen. Unausgesprochen und wahrscheinlich auch nie reflektiert, ob diese Bildungspolitik prinzipiell noch den Bedürfnissen entspräche, oder ob sich die Verhältnisse geändert hätten, war man dem Sonnenfelsschen Ausspruch gefolgt, der die Maxime aufklärerischer staat­ licher Universitätspolitik auf folgenden Nenner brachte: „Man würde also nicht jedermann, aber auch nicht eben die mit den gewähltesten Talenten zulassen“, denn es gäbe im Staat „so manche Federbedienung, welche ein mittelmäßiges Talent, oft eine Hand allein sehr wohl versehen kann“148. Die Bedürfnisse der staatlichen Verwaltung nach besser ausgebildeten Beamten waren wohl die gleichen geblieben. Dies hätte aber Reformen der in den vierziger Jahren versteinerten Bürokratie149 vorausgesetzt und eine florierende wirtschaftliche Situation, um den ausgedehnten Verwaltungsapparat zu finanzieren150. Beide Voraussetzungen trafen nicht zu, im Gegenteil – in den vierziger Jahren verschlechterte sich die ökonomische und soziale Lage151 und damit auch die Lage der Universitätsstudenten. Die Universitäten vor 1848 wären bevölkert worden, so wurde in einer anfangs der fünfziger Jahre erschienenen Denkschrift geklagt, von „einer nur allzu zahlreichen Klasse junger Männer, meist Söhne von schlechtbesoldeten Beamten“, die angeblich durch ihre „drückende Armut“ daran gehindert wurden, Vorlesungen zu besuchen, weil sie zu dieser Zeit selbst Unterricht erteilen mußten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie litten, so wird berichtet, wahre Entbehrungen, nahmen diese aber auf sich, in der Hoffnung, später Versorgung im Staatsdienst zu finden152. Die Hoffnung auf Versorgung durch „Vater Staat“ konnte aber kaum mehr erfüllt werden, dafür fehlten Geld und Pläne. Universität und Regierung versuchten 148 Joseph von SONNENFELS, Handbuch der inneren Staatsverwaltung mit Rücksicht auf die Umstände und Begriffe der Zeit 1: Enthaltend nebst der allgemeinen Einleitung einen Teil der Staatspolizei (Wien 1789) 309. 149 Siehe S. 54–59. 150 Zu den Verwaltungsauslagen siehe S. 195 f., auch Harm-Hinrich BRANDT, Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen und Politik 1848–1860, 1 (= Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 15, 1978) 88 ff. 151 Zu den wirtschaftlichen Krisen der späten vierziger Jahre ebd., 130 f.; Julius MARX, Die wirtschaftlichen Ursachen der Revolution von 1848 in Österreich (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 51, Graz-Köln 1965); Über die Verarmung und besonders die zeitgenössische Pauperismusdiskussion in Österreich Wolfgang HÄUSLER, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848 (Wien-München) 102–123. 152 (FLIR-THUN), Neugestaltung, 11 und 70.

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der wachsenden Studentenzahl und der drohenden Akademikerarbeitslosigkeit Herr zu werden, etwa durch Aufnahmeverschärfungen für Schüler an Gymnasien. Schließlich tauchte wiederholt der Plan auf, „ganz mittellosen Studenten“ das Studieren zu verbieten153, um die Studentenflut einzudämmen. Auch dieses Vorhaben erwies sich als unzureichend, da man erkannte, daß „gerade die ärmsten Studenten … die talentvollsten und fleißigsten“ waren. Das Dilemma war unlösbar geworden: Dem Juristenüberschuß war nicht anders beizukommen, als daß man – um ihn nicht zu deutlich werden zu lassen – mehr absolvierte Juristen in den öffentlichen Dienst steckte, als dieser verkraften konnte. Der oft beklagte Mangel an Beamten154 war damit behoben. Doch dies führte zu Ansätzen, die das System umzukehren drohten. Man verwendete nämlich die jungen absolvierten Juristen, unerfahren und ohne Praxis, wie sie waren, „mit einem wahren Luxus“ zu allerlei Kanzleidiensten, also „als niedere Manipulationsbeamte und in Stellungen, für die man in anderen Ländern gewöhnliche Schreiber benützte“.155 Die wahren Fähigkeiten für den höheren Staatsdienst konnten aber mehr oder weniger nur durch die im Büro erworbene Routine erlernt werden. So war angeblich der Fall nicht selten, daß „Kanzellisten zur vollkommenen Zufriedenheit“ einen Konzeptdienst versahen156. Sicherlich sind diese Aussagen, die von Gegnern des vormärzlichen Systems gemacht wurden, die mit ihrer Kritik in den fünfziger Jahren hervortraten, als es galt, der Universität eine neue Gestalt zu gehen, mit Vorsicht aufzunehmen. Aber auch wenn man die absolvierten Juristen nur vorübergehend zu „niederen“ Kanzleidiensten verwendet haben sollte (ähnlich den Usancen des ehemaligen Akademikertrainings), so stellt dies nicht in Abrede, daß die Arbeitslosigkeit der jungen Juristen ein soziales Problem geworden war, das auf die Traditionen des Staatsdienstes einwirkte. Langsam war ein „Studentenund Beamtenproletariat“157 herangewachsen. Zu welch neuen Spannungen in den Kanzleien – zusätzlich zu den alten – dies führen mußte158, ist leicht auszumalen. In den späten vierziger Jahren haben wir es plötzlich mit einer Flut von publizistischen Erzeugnissen von Staatsbeamten zu tun, die eine Verwaltungsreform 153 Dazu und zum Folgenden ebd., 70. 154 Sehr eindrucksvoll z. B. BUNZEL, Lebenslauf, 14–26. 155 (Anonym), DIE UNIVERSITÄTSFRAGE IN ÖSTERREICH, beleuchtet vom Standpunkte der Lehr- und Lernfreiheit (Wien 1853) 9; die Schrift ist anonym. Wahrscheinlich kam der Autor ebenfalls aus dem Kreis um Unterrichtsminister Leo Thun-Hohenstein. 156 (FLIR-THUN), Neugestaltung, 70. 157 Ebd. 158 SOCIALE UND POLITISCHE ZUSTÄNDE, 127 ff.

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und eine „geistige und materielle Umschichtung“ der Beamten forderten. Es gab auch eine Reihe von Autoren, die sicherlich nicht den Spitzen der Hierarchie zugehörten, von denen das Leben der Subalternbeamten in den traurigsten Farben gemalt wurde. Die „Wiener Kanzley-Zustände“ aus dem Jahr 1846, anonym von einem gewissen A. Naske verfaßt, sind ein gutes Beispiel für die emotional aufgeladene Stimmung der schlecht verdienenden, angeblich fleißigen (meist mittleren und niederen) Beamten gegen die besser verdienenden, angeblich faulen höheren159. Carl Beidtel, der Sohn des oft zitierten Ignaz Beidtel, charakterisierte den Unterschied zwischen den Beamtenkategorien folgendermaßen: „Die niederen Beamten waren nicht imstande, mit diesem Einkommen zu leben, die höheren hatten nur einen sehr kargen Unterhalt. Die Armut der österreichischen Beamten wurde ein Paradepferd des österreichischen Pöbelwitzes.“160 Angesichts dieser Abgrenzungslinien, die horizontal und vertikal (sowie auch diagonal) durch die Beamtenschaft des Behördenapparates verliefen, war es unmöglich, daß sich das entwickeln konnte, was man l’Esprit de corps nennt, eine Eigenschaft, um die sich überall die Leiter von Organisationen bemühen. Und dies mit gutem Grund: Ein guter Korpsgeist nämlich erhöht verständlicherweise die Aussicht auf eine wirksame Zusammenarbeit, denn, so definiert Carl J. Friedrich, Korpsgeist ist „die Beharrlichkeit einer Gruppe in der Verfolgung kollektiver Zwecke“161. Je besser also der Korpsgeist einer Organisation funktioniert, desto besser funktionierte auch eine Disziplin, die von der Leitung gar nicht beansprucht werden muß. Maßregeln und Kontrolle sind nicht notwendig. Genau an diesem Punkt versagte jedoch das österreichische System, und dies in zunehmendem Maße, denn die Spannungen nahmen, wie gezeigt wurde, in den vierziger Jahren zu. Die Regierung reagierte auf die Konflikte mit Nichtbeachtung und weiteren Kontrollmaßnahmen. Ganz im Gegenteil: Alexis de Toqueville hat in einer scharfsinnigen Analyse in dieser Unfähigkeit der Regierenden, Konsens herzustellen, die schädliche Logik der absolutistischen Politik erkannt: „Die Des159 (A. NASKE, anonym), Wiener Kanzley-Zustände. Aus den Memoiren eines österreichischen Staatsbeamten (Leipzig 1846) bes. 326–346. Vgl. auch Franz MOSBRUGGER, Ein Jahr aus dem Leben eines Subalternbeamten. Ein Souvenir (Wien, o. J.); Anton ULLMAYER, Das magistratisch politische Raubnest oder die Wiener magistratische Beamtenbürokratie (Wien 1848); (Anonym, von einem Rechnungsrevidenten), WO IST’S IN ÖSTERREICH NOCH FURCHTBAR UNGLEICH? ODER EINIGE TRAUERSZENEN AUS DEM BEAMTENSTANDE (Wien 1849). 160 (Albrecht TEBELDI, Pseudonym für Carl BEIDTEL), Die Geldangelegenheiten Oesterreichs (Leipzig 1847) 32. 161 FRIEDRICHS, Verfassungsstaat der Neuzeit, 55.

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potie, die ihrem Wesen nach furchtsam ist, sieht in der Isolierung des Menschen das sicherste Pfand für ihren Bestand und ist meist sorgfältig darauf bedacht, sie zu isolieren. Kein Laster des menschlichen Herzens kommt ihr so gelegen, wie der Egoismus: Ein Despot verzeiht den Untertanen, daß sie ihm nicht zugetan sind, wenn sie es nur untereinander nicht sind. Er verlangt von ihnen nicht, daß sie ihm bei der Staatsführung helfen; es genügt ihm, daß sie keinen Anspruch erheben, selbst die Regierung zu übernehmen. Alle, die den Anspruch erheben, in gemeinsamer Bemühung der Allgemeinheit zu Wohlstand zu verhelfen, bezeichnet er als unruhige Geister, und wer sich ganz in sich selbst zurückzieht, gilt ihm in Umkehrung des natürlichen Wortsinns als guter Bürger.“162 Das trifft auch die Mechanismen des österreichischen Absolutismus. Der absolute Staat, einerseits bei der Erhaltung seiner absoluten Dominanz auf seine Beamtenschaft angewiesen und dementsprechend interessiert, diese mit einer gewissen Machtfülle ausgestattet zu sehen, andererseits aber bedacht darauf, daß sich eine mächtige Bürokratie nicht verselbständige und das Szepter an sich reiße, konnte sich eine zu einige, starke Bürokratie nicht leisten. Er war zu schwach dazu. Er mußte sich durch sie gefährdet fühlen. Eine in gegensätzliche Gruppen aufgespaltene Bürokratie aber war nicht effektiv, weil sie ihrerseits gar nicht bestrebt war, den Staat, der sie nicht entsprechend stützte und mit Macht ausstattete, in dieser Gestalt, in der er sich befand, schlagkräftig zu erhalten. Daß sich ein spezifischer Korpsgeist innerhalb der Bürokratie bildete und erhielt, was die Erhaltung des sozialen Systems betrifft, tangiert diese These nicht. Im Gegenteil: Die Erhaltung und Verbesserung des eigenen sozialen Netzes, das man ohnehin für viel zu gering und nicht adäquat der Position und der Verantwortung, die man innehatte, hielt, war eines der wenigen kollektiven Ziele, von denen die Rede war. Dies genügte allerdings für die Effektivität eines Verwaltungsapparates nicht. Das Problem war ab einem gewissen Zeitpunkt – sicherlich in den vierziger Jahren – unlösbar geworden. Die Genesis der Wiener Revolution von 1848 muß auch aus dem Blickwinkel dieses Spannungsfeldes, der jungen Intellektuellen, der sozialen und politischen Konflikte der Beamten und der Jungakademiker (die voneinander nicht zu trennen sind) betrachtet werden, denn ein nicht geringer Teil von Revolutionären und Sympathisanten der Revolution kam aus diesen Reihen163. Nicht nur die Unzufriedenheit der Studenten mit den geistigen und sozialen Mißständen an der 162 Alexis de TOCQUEVILLE, Gesamtausgabe, 2. Teil, IV. Kapitel, 118, zit. bei THIENEN, Thun, 55. 163 Siehe HÄUSLER, Massenarmut, 174–178.

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Universität spielte dabei eine Rolle, sondern auch die Chancenlosigkeit der akademischen Jugend, die Aussicht auf jahrelange Arbeitslosigkeit, ein unbezahltes Praktikum oder auch auf eine Beschäftigung mit langweiligen, geisttötenden Kanzleiarbeiten waren sicherlich Faktoren, die revolutionäres Potential aufstauten. Die sozialen Spannungen innerhalb der Bürokratie: zwischen bürgerlichen und adeligen Beamten, „politisch verdächtigen“ und unverdächtigen, höheren und subalternen, zwischen den Generationen innerhalb des höheren und den Generationen innerhalb des unteren Beamtentums, die jeweils durch neu hinzukommende höher gebildete und niedrige Dienste verrichtende sowie nicht­ akademische und höhere Dienste versehende verstärkt wurden, lähmten den Verwaltungsapparat und machten die Beamten unfähig, die anstehenden Probleme wenigstens auszugleichen. Und alle hatten ausnahmslos – das war ihnen gemeinsam – an Besoldung gegenüber früher empfindlich eingebüßt164. Aus dieser armseligen materiellen Lage und den Konflikten innerhalb der Beamtenschaft heraus ist es zu verstehen, daß die Beteiligung der Beamten an der Wiener Revolution von 1848 relativ stark war und vor allem quer durch die Reihen ging: durch die Reihen der höheren und unteren Beamten und durch die Reihen adeliger und nichtadeliger. Die nationale Begeisterung, bei der Zentralbürokratie meist für die deutsche Kultur und die deutsche Revolution, war ein weiteres Moment, sich gegen den eigenen Staat, dem man mehr als andere Staatsbürger verpflichtet war, zu richten. Über die nationale Herkunft der Beamten gibt es nur sehr wenig Spuren. In den ungarischen Ländern wurde die Verwaltung fast zur Gänze vom ständischen ungarischen Adel getragen165, in Lombardo-Venetien spielten mit Ausnahme einer kurzen Zeit nach 1815, als es darum ging, das österreichische Recht und die österreichische Verwaltung in diesen Ländern einzuführen und deutschsprachige Beamte in das Land kamen, italienische Beamte die ausschlaggebende Rolle166. Wie aber stand es in den sogenannten Erblanden, und vor allem, wie stand es 164 Siehe S. 182–187. 165 Zur ungarischen Verwaltung vor 1848 vgl. das Kapitel: „Die feudale Herrschaft im Vormärz“ in George BARANY, Ungarns Verwaltung 1848–1918. In: HABSBURGERMONARCHIE 2, 312–328. 166 Zur österreichischen Verwaltung in Lombardo-Venetien siehe MERIGGI, L’amministrazione austriaca, besonders 67–86 (1814–1816); DERS., Funzionari e carriere nella Lombardia, 61–96; DERS., Potere e Istituzioni nel Lombardo Veneto, 207–245; Brigitte MAZOHL-WALLNIG, Zentralgewalt und Lokalverwaltung in Lombardo-Venetien 1848–1859. In: MIÖG 86 (1978) 365–389.

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in der Wiener Zentralbürokratie? Sichere Aussagen sind diesbezüglich kaum zu machen, da die Quellen hiefür fehlen167. Es scheint jedoch die Annahme richtig zu sein, daß das höhere Beamtentum vor 1848 vorwiegend deutschsprachiger Abkunft war168. Diese These dürfte sogar für das österreichische Galizien zutreffen, obwohl hier das polnische (allerdings nicht das ruthenische) Element in der Verwaltung auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wenn auch nicht stark, so doch vertreten war169. Wir können, wie gesagt, diese Behauptung weder aktenmäßig noch statistisch absichern. Eine Reihe von Tatsachen spricht jedoch für sie, besonders der enge Zusammenhang von nationaler Abkunft und sozialer Lage. Vor allem die geforderte Universitätsausbildung für die Laufbahn eines höheren Beamten setzte ein nicht zu armes Elternhaus voraus. Ein gebildetes Milieu erleichterte den Söhnen (ein Studium der Töchter lag außerhalb des Bereiches des Denkmöglichen) selbstverständlich den Besuch der Universität. Die meisten Beamten kamen bis in die späten dreißiger oder vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts aus einem begüterten oder gebildeten Milieu, das am häufigsten bei den „Deutschen“ des Kaisertums, als der am wirtschaftlich am weitesten fortgeschrittenen Nation, noch am stärksten vertreten war170. Erst ab den vierziger Jahren änderten sich die Verhältnisse, zumindest was das begüterte Elternhaus betrifft. 167 Die bereits zitierten Qualifikationstabellen sind zumindest in den Wiener Archiven, wie bereits erwähnt, nur bruchstückhaft vorhanden. Sie weisen im übrigen die Nationalität nicht aus; aus der Angabe des Geburtsortes und der Sprachkenntnisse sind nur sehr vage Schlüsse zu ziehen. Zur Frage der Nationalität der österreichischen Bürokratie allerdings vorwiegend für eine spätere Zeit auch Walter GOLDINGER, Das polnische Element in der Wiener Hochbürokratie (1848–1918). In: Studia Austro-Polonica, hg. v. Józef BUSZKO und Walter LEITSCH 2 (= Universitas Jagellonica acta scientiarum litterarumque 482, Warschau-Krakau 1978) 63 f., und Stansilav GRODZISKI und Andrzej PARTYKA, Die Polen in der österreichischen Rechtspflege 1772–1914. In: ebd., 86. 168 BRUNNER, Staat und Gesellschaft, 78; Oswald von GSCHLIESZER, Die Träger der politischen Macht im alten Österreich. In: Südost-Forschungen 14/1 (1955) 162; REDLICH, Staatsund Reichsproblem 1, 47 f. 169 GRODZISKI/PARTYKA, Die Polen in der österreichischen Rechtspflege, 86–97; Waltraud HEINDL, Beamte, Künstler und Gelehrte. Polnische Beamte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Studia Austro-Polonica, hg. v. Józef BUSZKO und Walter LEITSCH 4 (= Universitas Jagellonica Acta scientiarium litterarumque 887, Warschau-Krakau 1989) 109–118. Die Zahlenangaben bei Nikolaus von PRERADOVICH, Die Führungsschichten in Österreich und Preußen (1804–1918). Mit einem Ausblick bis zum Jahre 1945 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 2, Wiesbaden 1955) 25 f., sind leider gänzlich unzuverlässig. 170 Vgl. Roger BAUER, Österreichische Literatur oder Literatur aus Österreich? In: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, hg. v. Robert A. KANN und Friedrich PRINZ (Wien 1980) 270; DERS., Kaiser Joseph und die – literarischen – Folgen, 26.

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Außerdem ist hier die Frage anzuknüpfen, ob die sogenannte nationale Herkunft eines Beamten, der mehr dem Kaiser als dem Staat verpflichtet war171, damals nicht ohne entscheidende Relevanz war. Die Assimilationskraft der deutschen Kultur, vor allem in den Wiener Zentralstellen, überwog wahrscheinlich sowieso jede andere. Beamte oder auch Offiziere nichtdeutscher Herkunft in Wien fungierten in manchen Fällen vielleicht als Vermittler ihrer Kultur172, doch im allgemeinen dürften, wenn sie hier blieben, die nationale oder kulturelle Identität solcher Familien (sofern sie vorhanden war) spätestens in den folgenden Generationen bereits verlorengegangen sein173. Die nationale Frage sollte auch laut offizieller Doktrin besonders bei den Beamten keinerlei Wichtigkeit besitzen. Wir haben gesehen, daß die Universitätsbildung (außer einigen Anläufen in den siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts, als unter dem Einfluß einiger Aufklärer, besonders Gottfried van Swietens und Joseph von Sonnenfels’, darangegangen wurde, in den Studenten eine Art von österreichischem Patriotismus oder „Nationalstolz“, jedenfalls eine Identifikation mit dem Staat, in dem sie wohnten, einzupflanzen) absolut nicht auf die Erzeugung irgendeines Nationalgefühls ausgerichtet war, auch nicht eines deutschen. In der Bildungspolitik wurde wohl bewußt die Trennung vom „alten Reich“ vollzogen, als nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches (1806) und der Gründung eines österreichischen Kaisertums (1804) die deutsche Reichsgeschichte und das deutsche Staatsrecht aus dem juridischen Studienplan eliminiert wurden174. Die kulturellen Separierungsmaßnahmen von den deutschen Ländern blieben nicht auf die Universität beschränkt: Auch die deutsche Literatur, besser gesagt: die Literatur aus Deutschland, wurde zu einem gut Teil sorgfältig von Österreich ferngehalten175. Im Jahr 1850 sollte ein deutscher Professor in seiner Untersuchung über den Vergleich des 171 Zur Frage Fürstendiener oder Staatsdiener S. 28 und 65 ff. 172 So die ungarischen Offiziere, Moritz CSÁKY, Die Präsenz der ungarischen Literatur in Wien um 1800. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750–1830), hg. v. Herbert ZEMAN (Graz 1979) 475–489. 173 Siehe z. B. das berühmte Beispiel der Familie van Swieten, die aus den Niederlanden eingewandert war, oder auch die in dieser Studie oft erwähnte Familie Pratobevera, die von der Lombardei (Nähe Como) über Schlesien nach Wien kam, siehe „Selbstbiographische Skizze geschrieben von Carl Joseph von Pratobevera in Baden im Jahr 1841“, HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 10; WURZBACH, Biographisches Lexikon 23, 210–214 und 41, 37–53. 174 Siehe auch S. 122. 175 Zu diesbezüglichen Zensurmaßnahmen Julius MARX, Die österreichische Zensur (= Österreich Archiv, Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte, Wien 1959) besonders 63.

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Studienwesens in den deutschen Staaten mit Entsetzen notieren, daß in Österreich bis 1849 kein einziger Lehrstuhl für deutsche Literatur bestanden habe, was ihm Grund genug war, Österreich „undeutsches Wesen“ vorzuwerfen176. Die juristische Bildung war auf die österreichische Gesetzesmaterie, das ­österreichische Recht, das österreichische Verfahren etc. ausgerichtet177; dies implizierte wohl indirekt eine Erziehung zum „bewußten Österreichertum“, was der Festigung und Interpretation des Staates dienen sollte178. Die Universitätsbildung war trotzdem streng anational179, ein Programm, das von allen Berufsgruppen die Beamten am meisten betreffen sollte, waren sie doch die Hüter und Interpretatoren des Staates. Die Zusammenhänge waren jedoch nicht so einfach, daß die Erziehungsversuche des Landesvaters voll Früchte zu tragen vermochten. Wenn wir auch die Frage nach der nationalen Identität der Beamten schwerlich beantworten können, bleibt doch die nach der kulturellen Identität bestehen, die Frage, welcher Literatur sie sich zugetan fühlten, welche literarische Sprache sie bevorzugten, welche Musik sie berührte. Die Welt der nationalen Gefühle und der nationalen Begeisterung konnte ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr von den schwarz-gelben Grenzpfählen abgehalten werden. Heinrich Laube stellte bereits 1833 – mit Anspielung auf den mangelnden nationalen Geist in Österreich – die Gretchenfrage, „was der Österreicher eigentlich werden soll, ob ein Österreicher oder ein Deutscher oder ein österreichischer Deutscher“180. Und zehn Jahre später trifft Victor von Andrian-Werburg seine berühmte Feststellung, daß Österreich „ein rein imaginärer Name“ sei, „welcher kein in sich geschlossenes Volk, kein Land, keine Nation bedeutet … ein Nationalgefühl, Nationalstolz, ein kräftiges erhebendes Bewußtsein der eigenen Stärke“ sei, so meint Andrian bedauernd, „dem Österreicher als solchem fremd“181. 176 M. R. PRESZLER, Deutschlands Schulreform vom Kindergarten bis zur Hochschule in besonderer Berücksichtigung auf Sachsen (Leipzig 1850) 26 f. 177 Siehe S. 124. 178 LECHNER, Gelehrte Kritik, 114 und 283 ff. 179 Über die Problematik des übernationalen Gedankens auch Robert KANN, Die Habsburgermonarchie und das Problem des übernationalen Staates. In: HABSBURGERMONARCHIE 2, 1–56; weitere Literaturangaben, ebd. 180 In: Wiener Jahrbücher der Literatur vom 14. März 1833, 52 (1833) 208 (anonyme Besprechung des ersten Bandes von Groß-Hoffingers Zeitschrift „Austria“, Leipzig 1833), zit. bei LECHNER, Gelehrte Kritik, 111, Anm. 381; siehe zum Folgenden HEINDL, Die österreichische Bürokratie, 83–90. 181 (ANDRIAN-WERBURG), Osterreich 1, 8 f.

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„Kein Ungar, kein Böhme, kein Pole, kein Lombarde, kein Tiroler, nicht einmal ein Steirer, kein Venezianer, kein Illyrer bringt es über das Herz zu antworten: ,Ich hin ein Österreicher‘“, so schlägt Carl Möring ein wenig später in dieselbe Kerbe, und weiters meint er: „Der Kaiserstaat zählt wohl 38 Millionen Untertanen, aber nicht einen politischen Bürger, nicht einen Menschen, der aus moralischen und historischen Gründen als Oesterreicher stolz sein könnte, der sich seiner Selbständigkeit bewußt sein, sich ihrer rühmen dürfte.“182 „Unsere Brüder, die Deutschen, haben doch mindestens schöne Träume, als z. B. die Nationalität, die Hegel’sche Philosophie, die Preßfreiheit. Wir schnarchen, als hätte uns ein Bierrausch niedergestreckt“, wird in den „Briefen aus Wien“ vermerkt183. Damit ist der Kern des Problems oder besser gesagt, das, was den Zeitgenossen als österreichisches Problem schlechthin erschien, genau umrissen: In einer Zeit, in der anderswo in Europa die Schlagworte Nationalismus und Nationalgefühl die politische und intellektuelle Szene beherrschten, war man in Österreich zumindest nach außen hin und offiziell noch immer anational und daher – wie es den Zeitgenossen erschien – rückständig. Wie stand es in diesem Zusammenhang mit den Staatsbeamten, die einerseits von Berufs wegen der Staatsdoktrin in ihrer jeweiligen Facette viel stärker unterworfen waren als andere Staatsbürger, andererseits jedoch von den Kernstücken der bürgerlichen Ideologie des 19. Jahrhunderts, die Liberalismus und Nationalismus bedeuteten, als gebildete Bürger nicht unberührt bleiben konnten? Daß diese Ideologie in Deutschland zunächst intellektuell-literarisch als „klassische Bildung“ und „deutscher Geist von Karl dem Großen bis Goethe“184 Triumphe feierte, mußte die Sachlage für ein österreichisches Bürgertum noch komplexer gestalten. Dem österreichischen Beamtentum, dem, wie noch ausgeführt werden wird, typische Züge eines Bildungsbürgertums, wie es auch anderswo in Europa bestanden hat, anhafteten, mußte notwendigerweise die Entwicklung der deutschen Bildung und freien Wissenschaften als fortschrittliches Ideal erscheinen. Und welcher Gebildete wollte schon rückständig sein? Außerdem besaßen die Mitglieder der geisteswissenschaftlichen und literarischen Elite in den Universitätsstädten, denen die intellektuelle Führungsrolle in Deutschland anvertraut war, ein Sozialprestige185, das den österrei182 (MÖRING), Sibyllinische Bücher 1, 17 f. 183 (TUVORA), Briefe aus Wien 2 (Kapitel „Spaziergänge eines Wiener Prosaisten“) 252. 184 LECHNER, Gelehrte Kritik, 110. 185 Hans ROSENBERG, Politische Denkströmungen im Vormärz (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 3, Göttingen 1972) 7–17; siehe auch LECHNER, Gelehrte Kritik, 110.

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chischen Beamten, die sehr oft auch wissenschaftlich oder künstlerisch ambitioniert waren, aber allein nach ihren Leistungen als brave Beamte beurteilt wurden, vollkommen unbekannt war. So kann es nicht weiter überraschen, wenn diese bürgerlichen Beamten voll Sehnsucht über die schwarzgelbe Grenze blickten. Tatsächlich haben wir genügend Beweise dafür, daß die österreichischen Beamten sich kulturell in zunehmendem Maße an der deutschen Bildung und Kultur orientierten. Einige ausgewählte Beispiele der Lektüre höherer Bürokraten mögen den Verlauf illustrieren. Der 1733 geborene Rat in der Hof- und Staatskanzlei, ­Johann Georg Obermayer, zum Beispiel, der in Wien als feingebildeter und in der Literatur sehr belesener Mann galt, war vor allem mit den griechischen und römischen Klassikern wohlvertraut, verschmähte aber auch die damals „Neueren“, das waren Voltaire, Rousseau, Molière, La Fontaine, nicht. Er las Don Quijote genauso in der Originalsprache wie etwa Calderón, Ariost, Tasso und Dante, Shakespeare sowie andere englische Dichter in der Übersetzung. Von den deutschen Schriftstellern kannte er, wie von ihm gesagt wurde, nur Wieland, Gellert und Hagedorn. Schiller las er erst kurz vor seinem Tod (1801), und zwar nur den „Wallenstein“, der ihn „entzückte“186. In der Bibliothek von Ritter Anton Krauß Elislago (1777–1860), Sohn eines hohen Beamten des Hofkriegsrates und später selbst in der Hofkammer in hoher Position187, finden wir einen ähnlichen Bücherbestand: Ariost, Petrarca, Tasso, Metastasio, Voltaire, Rousseau und die französischen Enzyklopädisten, denen er sein besonderes wissenschaftliches Augenmerk zuwandte. „Die besseren deutschen Dichter – Kleist, Lessing, Wieland, Schiller, Goethe“ – hätten, so meinte er ein wenig herablassend, „immerhin einen günstigen Eindruck auf ihn gemacht“, und er kannte auch die Philosophie Kants, Fichtes und Hegels188. Auch die recht bunt zusammengewürfelte Büchersammlung des Vaters des späteren Bürgermeisters von Wien, Cajetan Felder, der (geboren 1780) nach Absolvierung von zwei juristischen Jahrgängen mittlerer Beamter beim Niederösterreichischen Landrecht 186 Die Weckbeckers. Karriere einer Familie, hg. v. Wilhelm WECKBECKER nach alten Aufzeichnungen (Graz-Wien-Köln 1966) 134. 187 Krauß begegnete uns bereits als Staatsphilosoph, siehe S. 75 f. Er bezeichnete sich selbst als „Staatsschriftsteller und höherer Staatsbeamter“, Anton Joseph Emanuel Ritter von KRAUSZ ELISLAGO, Eine seinen Kindern zum Andenken überlieferte Autobiographie (Wien 1845) 60. – Er schrieb neben dem erwähnten „Christlichen Staatsprinzip“ „Der Geist der österreichischen Gesetzgebung zur Aufmunterung der Erfindungen und Sache der Industrie, verglichen mit der englischen, französischen und nordamerikanischen Gesetzgebung“; zu Krauß STEINDL, Arbeitskraft 107–127. 188 KRAUSZ ELISLAGO, Autobiographie, 10 f.

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in Wien, „Einreichungsprotokollist mit Direktorstitel“ wurde189, weist zunächst keine Bevorzugung von deutschen Dichtern auf. Erst 1809 wurde von Felder eine Reihe subskribiert, in der regelmäßig literarische Werke aus Deutschland, Gellert, Schiller, Goethe, Kotzebue und Wieland, aufgelegt wurden190. Franz Grillparzers (1791–1872) exzellente Kenntnisse der spanischen Literatur und den Einfluß, den diese auf ihn auswirkte, sind hinlänglich bekannt, aber auch seine große, geradezu devote Verehrung für Goethe, zu dem er eine Pilgerfahrt unternahm191. Während wir also bei diesen älteren Vertretern des österreichischen Beamtentums keinerlei Hinweise auf ein spezifisches kulturelles Nationalgefühl besitzen, können wir bei etwas später Geborenen bereits eine gewisse Bevorzugung der deutschen Literatur bemerken. Erasmus Kessler (1807–1872), Justizbeamter des Wiener Appellationsgerichts, war mit der Literatur aus Deutschland bestens vertraut192 und las Schillers Balladen sowie „Die Räuber“, Herder, Klopstock, Kleist, Körner, Kotzebue, Lessing, Wieland, Goethes „Faust“, „Clavigo“, „Werther“ und „Egmont“. Von den österreichischen Dichtern erwähnt er, Grillparzers „Ahnfrau“, Hormayr und Caroline Pichler gelesen zu haben. Er widmete sich aber auch Shakespeare, Horaz und Tasso. Keine Äußerung verrät gewisse Präferenzen. Auch der junge Adolph Pratobevera Freiherr von Wiesborn (1806–1875) vertraut seinem Tagebuch an, Jean Paul und vor allem Schillers Dramen gelesen zu haben193. Diesbezüglich schlägt der spätere Unterrichtsminister in der liberalen Ära, Leopold Hasner Ritter von Artha, geboren 1818 in Prag als Sohn eines später hohen (1836 geadelten) Gerichtsbeamten, in seinen Memoiren hinsichtlich seiner Jugendzeit bereits andere Töne an (Hasner selbst begann seine Karriere, bevor er die Laufbahn eines Universitätsprofessors einschlug, als Beamter in der Finanzlandesdirektion in Prag und in der Hofkammerprokuratur in Wien194 und betonte stolz, 189 Cajetan FELDER, Meine Jugendzeit. Aus den Memoiren des Dr. Cajetan Freiherrn von Felder. In: Österreichische Rundschau 1 (1904/05) 28 f.; auch Cajetan FELDER, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters, hg. v. Felix CZEIKE (Wien 1964) 9. 190 Ebd., 29. 191 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 114–121. 192 KESSLER, Tagebuch 2 (Eintragungen vom 23. Februar, 17. März, 30. August, 2., 4., 12., 21. und 26. Oktober, 2. und 8. November und 14. Dezember 1831, 3. Jänner, 31. März, 9. und 10. April, 2. und 28. Mai 1832); Tagebuch 4 (Eintragungen vom 3. und 6. Juni und 26. November 1843, 8. Juni 1846), WST. u. LB., Handschriftensammlung. 193 Adolph PRATOBEVERA, Tagebuch I (Eintragungen vom 30. September und 2. Oktober 1823), HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 9. 194 Leopold von HASNER, Denkwürdigkeiten (Autobiographisches und Aphorismen) (Stuttgart 1892) 30 und 32.

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trotz der Standeserhebung seines Vaters, immer „bürgerlich“ gefühlt zu haben195): „Von oben herab“, so berichtet Hasner, „unterdrückte man auch jede deutsche Regung des Geistes; nicht bloß politisches Denken, selbst jedes eigentliche wissenschaftliche Streben schien gefährlich … Dort und da drang doch ein Strahl des deutschen Geisteslebens in unsere Kreise, dort und da fiel ein Wort in unsere Gemüter.“196 In den Beamtenkreisen Prags der späten dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts las man – verboten oder nicht verboten – Jean Paul, Herder, Kant, Fichte, Hegel, und Goethes „Faust“ hätte auf ihn „eingeschlagen … wie nichts zuvor“197. Gleichzeitig mit der Idealisierung der deutschen Kultur hätte sich besonders in den „gebildeten Kreisen“ die Verachtung für alles Tschechische als etwas „Inferiores“ breit gemacht. Der „böhmische“ Akzent eines seiner Freunde, „seine leidenschaftliche nationale Begeisterung“ sei in der Familie Hasner eher „ein Gegenstand des Spottes als der Hochachtung“ gewesen198. So ist es kaum erstaunlich, daß auch Adalbert Stifter (1805–1868) bereits im Vormärz als Student in Wien sowie sein Freundeskreis in Linz „nationaldeutsch“ gesinnt waren199. Besonders deutlich zeigt jedoch das von Stifter als beamtetem Schulrat in den fünfziger Jahren eingereichte, wenn auch nie approbierte Lesebuch für Gymnasien seine kulturelle Ideologie: Unter einer langen Reihe von Dichtern rangieren nur fünf (12,5 %) österreichische. Wir finden weder Grillparzer noch Raimund, Nestroy oder Stifters oberösterreichischen Landsmann Stelzhammer, dafür Goethe, Geibel, Hebbel, Jean Paul, Herder, Chamisso und Storm200. Literatur und Wissenschaft aus Deutschland begannen für damalige österreichische Studenten, unter denen sich schließlich viele spätere Beamte befanden, so attraktiv zu werden, daß es auch glaubwürdig erscheint, wenn mit einem Seitenblick auf deutsche Universitäten konstatiert wird: „Begabtere strebsame Jünglinge … blickten mit Sehnsucht nach dem Auslande, betrachteten die dortigen Zustände als die allein wünschenswerten, verschlangen die poetische, philosophische, historische Literatur mit desto größerer Hast und Lust, je verbotener und schlimmer die Bücher waren.“201 195 Ebd., 18. 196 Ebd., 17. 197 Ebd., 21 ff., 26 und 29. 198 Ebd., 15. 199 Sepp DOMANDL, Adalbert Stifters Lesebuch und die geistigen Strömungen zur Jahrhundertmitte (= Schriftenreihe des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich, Linz 1976) 80 f. 200 Ebd., 29–59. 201 (FLIR-THUN), Neugestaltung, 17.

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Die kulturelle Orientierung der Bürokratie war also – trotz aller Erziehung zur „anationalen“ oder zumindest nicht deutsch geprägten Staatsdoktrin bereits in den dreißiger Jahren deutsch. Von der kosmopolitischen Haltung hatte man sich mehr und mehr der nationalen zugewendet. Die nationale Ausprägung hat im Verlauf des Vormärzes deutlich an Intensität gewonnen202, wobei auch die verschiedenen Schattierungen eines Austrogermanismus nicht übersehen werden dürfen, die ihrerseits ebenso schärfere Konturen annahmen. Als Beispiele, die den Unterschied demonstrieren, seien die beamteten Dichter Franz Grillparzer und Eduard von Bauernfeld (1802–1890) genannt: In den vierziger Jahren repräsentierte der Hofkammerarchivar Grillparzer eine national-großösterreichische, also eine „österreichischdeutsche“, der Leiter des Lottogefälles, Bauernfeld, dagegen eine deutsch-österreichisch-nationale, also eher eine „deutschösterreichische“ Gesinnung203. Die kulturell deutsche Identität wurde verstärkt durch die sozialen Vorteile, die man gleichzeitig daraus zog, ihrer teilhaftig zu sein: Außer dem Italienischen und eventuell noch dem Ungarischen lernte man die anderen (slawischen) Sprachen der Habsburgermonarchie von den Dienstboten und dem Gesinde204. Das gebildete Bürgertum sprach deutsch. Eine entsprechende Assimilationswirkung auf Beamte nichtdeutscher Herkunft mußte unausbleiblich sein. Wie stark die Integrationskraft der deutschen Sprache und Kultur wirkte, zeigt die Tatsache, daß ein Schriftsteller wie Leopold von Sacher-Masoch, geboren 1836 als Sohn eines hohen Polizeibeamten (in Lemberg, Prag und Graz205), der sich nach Selbstaussage durch und durch als Slawe fühlte, deutsch schrieb206. Das deutsche Beamtentum in den Wiener Zentralstellen hütete im übrigen eifersüchtig seine sozialen Vorteile. Ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr man sich 202 Vgl. auch die Kampfschriften der österreichischen Publizisten in den vierziger Jahren, Adam WANDRUSZKA, Großdeutsche und kleindeutsche Ideologie. In: DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH, 110–117. 203 Siehe Bauernfelds Äußerungen in seinen anonym erschienen PIA DESIDERIA eines österreichischen Schriftstellers (Leipzig 1842) 14–23 (Kapitel: „Oesterreich im Verhältniß zu Deutschland“); auch Eduard WINTER, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz (Wien 1968) 261. 204 FELDER, Meine Jugendzeit, 155; HASNER, Denkwürdigkeiten, 15. 205 Walter HÖFLECHNER, Leopold Sacher-Masoch Ritter v. Kronenthal und die Universität Graz (= Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 4, Festschrift für Alexander Novotny zum 70. Geburtstag, Graz 1975) 135, Anm. 6. 206 Claudio MAGRIS, Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur (Salzburg 1966) 14 und 159 f.

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im Vormärz gegen den damaligen Vormarsch von böhmischen Beamten wehrte, legt ein Spottvers Eduard von Bauernfelds ab207: „Es war in der guten alten Zeit Der Akten und Tintenströme, Da herrschte die Mittelmäßigkeit, Der Mann war auch ein Böhme.“ Gegen das Überhandnehmen der böhmischen Beamten, die wahrscheinlich mit Kolowrat vermehrt nach Wien kamen, wehrte man sich sofort mit den bekannten, subtil psychologischen Mitteln: man disqualifizierte Amt und Amtsinhaber. Wir finden dabei fast rassistische Töne anklingen: „Der echt deutsche Charakter, der seinen Geist wie seine Hand womöglich gerne frei erhält, schmiegt sich höchst ungern in diese drückenden engen Fesseln [der Bürokratie]; der Slawe hingegen, besonders der durch Not und Knechtschaft mürbe geschlagene Böhme, paßt viel besser in diese harte Lebensbedingung, und man sieht wirklich kaum eine Amtsstube, wenigstens in Wien nicht, welche nicht von Tschechen bevölkert oder stark untermengt wäre. Sie besitzen neben ihrer knechtischen Fügsamkeit und katzenartigen Kriecherei meist auch das Talent, ein Pfund ihres meist oberflächlichen Wissens auf höhere Zinsen zu bringen als der Deutsche einen Zentner, und so kommt es, daß dieser nicht allein der Dupierte, sondern auch der Lastträger des Arglistigen wird, der ihm auf Schlangenwegen zuvorgekommen ist und ihn zum Schemel gebraucht hat, um sich auf seine Kosten emporzuschwingen. Der deutsche Beamte reitet nur schnell ,wie die Toten‘, wenn er durch einen Adelsbrief oder sonst einen außerordentlichen Hebel vorwärtsgetrieben wird; außerdem überflügelt ihn unfehlbar der Slawe, dem außer seiner Assimilationsgabe auch der Umstand förderlich wird, daß die meisten hochgestellten Staatsbeamten seine Landsleute sind.“208 Das Beamtentum mußte einerseits aus seinem Berufs- und Klasseninteresse heraus an der Erhaltung der deutschen Dominanz interessiert sein. Andererseits, eine wirkliche Unterstützung irgendeines der möglichen Nationalismen (auch eines deutschen), überall sonst in Europa das vornehmste Anliegen der bürgerlichen Bildungselite, hätte in Österreich unfehlbar zur Schwächung des Staates – und damit zur Untergrabung der eigenen Machtposition – geführt209. Staatserhaltung war somit genauso im Interesse eines einflußreichen Staatsbeamtentums wie deutsche Vorherrschaft. Diese Wünsche sollten im Jahr 1848 in Zwiespalt geraten. 207 Zit. bei MAGRIS, Habsburgischer Mythos, 76. 208 So die Opposition SOCIALE UND POLITISCHE ZUSTAENDE, 128. 209 Bezüglich des Nationalismus der österreichischen Literaten LECHNER, Gelehrte Kritik, 117.

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2.5. Was ist josephinisch: national – liberal – revolutionär – bürgerlich? Im „Völkerfrühling“ von 1848 trat auch der deutsche Nationalismus offen zutage. Welches Deutschtum vertraten nun die Beamten, welcher vorwiegenden Gesinnung war das Beamtentum in bezug auf die „deutsche Einheit“? Es wird wohl stimmen, wenn ein hoher Beamter der Staatskanzlei „streng patriotisch-dynastischer Prägung … mit einem Liberalismus josephinischer Färbung“ behauptete, daß um 1850 viele Beamte der Zentralverwaltung „sehr deutsch gedacht“ hätten210. Die Begeisterung für die deutsche Bildung und Universität konnte nun offen gezeigt werden. Der österreichischen Universität, die neben dem vielgepriesenen Humboldtschen Modell mit den Grundsätzen der Vereinigung von Lehre und Forschung und der Freiheit der Wissenschaft unmodern und bieder wirken muß­te, schämte man sich geradezu211. In den Wirren des Jahres 1848 jedoch, als es um den Bestand des selbständigen Staates Österreich ging, dürfte schließlich doch „die österreichische Gesinnung“ die Oberhand gewonnen haben. Grillparzers patriotische Gedichte, oft als Inbegriff der schwarz-gelben Gesinnung zitiert, sind zu bekannt, um hier noch näher besprochen werden zu müssen. Es gibt jedoch auch andere – ähnliche – Stimmen von der hohen Bürokratie zuzuzählenden deklariert liberalen Beamten. So meinte Freiherr von Lasser, der Beamter in der Allgemeinen Hofkammer, 1848 Abgeordneter im österreichischen Reichstag und in Frankfurt gewesen war, später im Jahre 1870, er wäre bereits 1848, „wo noch junges Blut in ihm pulsiert habe, mehr Österreicher als Deutscher“ gewesen212. Auch der bereits zitierte Leopold von Hasner bezeichnete sich selbst im Jahre 1848 als „einen Mann der Staatsidee“, der nicht daran gedacht habe, sich „dem Zug der deutschnationalen Bewegung nach einem Aufgehen Österreichs in einem geträumten deutschen Einheits- und Bundesstaat anzuschließen“213. Bezeichnenderweise wurde Hasner 1861 sowohl 210 Heinrich von SRBIK, Aus den Erinnerungen eines alten österreichischen Beamten. In: Archiv für österreichische Geschichte 117 (1949) 76 und 84. 211 Siehe z. B. (Anonym), AUS DEM HÖRSAAL. STUDIENBILDER AUS ÖSTERREICH (Leipzig 1848); auch Otto von WURMB (Hörer des Rechts), Zur Reform der juridisch-politischen Studien in Österreich. Aus dem Nachlasse des Verfassers seinen zahlreichen Commilitonen als Erinnerungszeichen, hg. von einem Freunde (Wien 1870). 212 Joseph REDLICH, Lasser und Schmerling nach ihren Briefen. In: Österreichische Rundschau 19 (1909) 91. 213 HASNER, Denkwürdigkeiten, 41.

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von der tschechischen als auch von der deutschen Partei in Prag die Kandidatur zum böhmischen Landtag angetragen214. Diese späteren Aussagen müssen selbstverständlich mit Vorsicht abgewogen werden – die Frage der Vorherrschaft in Deutschland war bereits 1866 eindeutig entschieden worden. Ein österreichischer Beamter hatte aus Gründen der Staatsloyalität – und seiner Karriereinteressen – keine andere Wahl mehr, als zumindest offiziell österreichisch zu fühlen. Bezeichnenderweise gab gerade in den Jahren 1867–1869 der „k.k. Ministerialsekretär“ Dr. Johann Baptist Ritter von Hoffinger ein Beispiel seiner staatspatriotischen Gesinnung und verfaßte zum „Lob des gemeinsamen Vaterlandes“ die „Oesterreichische Ehrenhalle“215. Das anationale Element hatte für den Moment gesiegt. Die andere Seite des alten Dilemmas blieb jedoch bestehen: das Zugehörigkeitsgefühl zur „deutschen Kulturnation“, das sich auf das Verhältnis zu den anderen nichtdeutschen Nationen innerhalb der Habsburgermonarchie politisch negativ auswirken sollte. Hans Perthalers enthusiastischer Vers216: „Ich hoffe, daß das Deutsche siegen werde, in Habsburgs Sprossen fließt ja deutsches Blut“, ist bezeichnend für diesen Geist, der bis zum Ende der Monarchie und darüber hinaus bestehen blieb. Die etwas widersprüchliche, zumindest nicht eindeutig geklärte nationale Haltung (die auch gar nicht eindeutig sein konnte) war, wie bereits gesagt, nicht der einzige Grund, revolutionsfreundlich gesinnt zu sein. Auf die vielfachen Konflikte und Spannungen, vor allem sozialer Natur, innerhalb der Bürokratie, auf die Erstarrung des Verwaltungssystems wurde bereits verwiesen. So nimmt es nicht wunder, daß im März 1848 eine große Zahl von Beamten die Revolution freudig begrüßten, sogar initiierten, wobei sich die Anhänger der Revolution in allen Reihen, im hohen und unteren Beamtentum, unter adeligen und bürgerlichen, konservativen und fortschrittlichen Staatsdienern befanden. Zweifelsohne gerieten hier notgedrungen zwei Tugenden der Beamten in Widerstreit: die eine, die ihrem Selbstverständnis als Staatsdiener, die andere, die ihrem Selbstverständnis als gebildete (liberale/fortschrittliche) Mitglieder der Gesellschaft entsprang. Die bürokratische Tugend, Gehorsam gegenüber Staat und 214 Ebd., 61. 215 Zit. S. 172, Anm. 61. 216 Perthaler starb 1862 als Sektionsrat im Staatsministerium; der zitierte Vers in Hans von Perthalers auserlesenen Schriften, hg. v. Ambros MAYR 1: Biographie, lyrische Dichtungen, schöngeistige Prosa, aus dem Briefwechsel (Wien 1883) 293.

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2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Obrigkeit zu zeigen, stand gegen die (bürgerliche) Tugend, für Freiheit und Eigenverantwortung zu kämpfen. Es hat den Anschein, als ob zunächst die bürgerliche Tugend siegte217. Bezeichnenderweise waren bei der Repräsentanz der niederösterreichischen Landstände in der Hofburg am 13. März 1848 der kleinadelige Beamtendichter Eduard von Bauernfeld und der adelige Beamte Anton Ritter von Schmerling vertreten218. Der Beamte des Wiener Landrechts, Ernst Violand, dessen Vater und Großvater bereits Beamte waren, gesellte sich, wie wir wissen, zu den linken Demokraten und Republikanern219. Beamte waren in allen Lagern zu finden. Der (wirtschafts-)liberale Carl von Hock, später Sektionschef im Finanzministerium, äußerte sich genauso begeistert für die Revolution wie der konservative spätere Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht, Eduard Tomaschek220. Im österreichischen Reichstag von 1848 finden wir eine sehr hohe Zahl von Beamten: von 383 Mitgliedern waren 50 Beamte, von denen sich die meisten für das gemäßigte Zentrum engagierten221. Andere gingen als Abgeordnete in die Frankfurter Nationalversammlung222. Besondere Hoffnungen auf eine Änderung ihrer miserablen Verhältnisse durch die Revolution setzten verständlicherweise die Subalternbeamten. Das bedeutendste Sprachrohr der Beamten im Jahr 1848 war das linksdemokratische Organ „Constitution“, ein anderes „Der Unparteiische“. Nichts zeigt besser den erstaunlichen Kampfgeist dieser kleinen Beamten als die Titeländerung „Beamtenzeitung. Blätter zur Wahrung des Rechtes, der Wahrheit, des Talents und der Amtspflichten gegen despotische Willkür und Bureaukraten-Tirannen“223. Die überraschend offenen Äußerungen von Unmut und Unzufriedenheit halfen den Armen aller217 In den Memoiren und Tagebüchern gibt es selten die ängstliche Zurückhaltung wie bei Mathias PERTH, Tagebuch 53 (Eintragungen vom 12.–16. März 1848) 159–165, WST. u. LB., Handschriftensammlung, in allen anderen Aufzeichnungen (Castelli, Weckbecker, Kessler, Grillparzer, ­Haerdtl, Uhl, Hasner, Arneth, um nur einige zu nennen) ist zumindest aufgeregte Neugierde zu spüren. 218 BLENK, Die Beamten im Revolutionsjahr. In: Der öffentliche Angestellte 2 (1947) Folge 11, 2. 219 Ernst VIOLAND, Die soziale Geschichte der Revolution in Österreich, hg. v. Wolfgang HÄUSLER (Wien 1984) 12–15; auch HÄUSLER, Massenarmut, 432 ff. 220 BLENK, Die Beamten im Revolutionsjahr. In: Der öffentliche Angestellte 2 (1947) Folge 10, 2 und Folge 12, 2. 221 HEINDL, Probleme der Edition. In: ÖMR. III/1, XLVI f. 222 So der bereits erwähnte Lasser und der spätere Sektionschef im Handelsministerium Carl Freiherr von Czoernig; ebd. 223 BLENK, Die Beamten im Revolutionsjahr. In: Der öffentliche Angestellte 2 (1947) Folge 12, 2.

221

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

dings wenig. Ihre dienst- und besoldungsrechtlichen Wünsche wurden nicht erfüllt. Die alten Übel, die geheimen Konduitelisten, das Denunziantenwesen, der Nepotismus, das Mißtrauen der Obrigkeit gegen Beamte, wurden nicht beseitigt. Trotzdem waren sie nicht zu bewegen, sich mit den Studenten und Arbeitern an der Revolution zu beteiligen. War die Zurückhaltung auf mangelnde Organisation oder auf das zurückzuführen, was in der Beamtenethik „Treue gegenüber dem obersten Dienstherren“, dem Staat, bezeichnet wird? Diese „minderen Beamten“ begruben bald ihre hochgespannten Hoffnungen. Im Sommer 1848 wurde im „Unpartheiischen“ ein Gedicht veröffentlich mit dem ironischen Titel, der bezeichnend für den beginnenden Fatalismus dieser Gruppe ist: „Des Buchhalteristen Frühlingsfeier“: „Freut euch Ihr Andern an den Rosendüften und plagt euch mit politischen Vergleichen! Ich aber will Verpflegsentwürfe streichen.“224 Das Gedicht Bauernfelds genannt „Kleine Beamte“ (1854) zeigt die politische Brisanz der unerfüllten Hoffnungen: „Im stillen untergräbt den Staat wird gegen ihn sich rüsten, das neue Proletariat: verheiratet Kopisten. Sie sind eine Macht, sind ein Heer, Sie trotzen allen Gewalten. Und unzufrieden sind sie sehr Mit ihren kleinen Gehalten. Sie zeugen Kinder hohl und bleich, Die zum Büro Verdammten Zittre, du großes Österreich Vor Deinen kleinen Beamten.“225 Auch die Vorstellungen der höheren und hohen Beamten erfüllten sich zunächst gar nicht oder nur partiell. Man mündete nach einer kurzen konstitutionellen Phase letztendlich wieder in einem absolutistischen System, das die engagierten 224 Ebd., 4 (1949) Folge 2, 3. 225 Zit. bei SCHIMETSCHEK, Beamte, 150 f.

222

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Beamten zu beseitigen gewünscht hatten. Von den beiden einander widersprechenden Tugenden, von denen oben die Rede war, bürokratische Unterordnung unter die Obrigkeit und bürgerliche Freiheit, siegte nun das bürokratische Prinzip. Die Träume von Freiheit und der aktive Einsatz für die bürgerlichen Freiheiten des Jahres 1848 waren vorbei. Waren diese Beamten, die offensichtlich von der bürgerlichen Ideologie dieser Jahre infiziert waren, deshalb auch Bürger? Die Begriffe Bürger, bürgerlich, Bürgerlichkeit, Bürgertum, über die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in der deutschen Historikerwelt viel diskutiert wurde226, wurden immer wieder im Zusammenhang mit dem Beamtentum (allerding meist undefiniert) verwendet. Die Frage der Einordnung der österreichischen Beamten in ein europäisches Bürgertum im allgemeinen oder, viel spezieller, die Frage, ob die österreichischen Beamten eine typische oder atypische Gruppe – bzw. überhaupt eine Gruppe – des österreichischen Bürgertums repräsentierten, drängt sich geradezu auf. Wenn wir zunächst die klassischen Begriffe für Bürger „citoyen“ und „bourgeois“ als Maßstab benutzen227, so ist festzustellen, daß die Beamten unzweifelhaft „citoyen“ im wahrsten Sinne des Wortes waren. Sie waren die Staatsbürger par excellence, weil ihre Tätigkeit die Staatsbürgerschaft voraussetzte. Von politischen Rechten konnte allerdings nicht die Rede sein (so wenig wie bei allen anderen gesellschaftlichen Gruppen inklusive dem Adel), wohl aber waren ihnen, wie angeführt, soziale Rechte und Privilegien aufgrund ihrer Tätigkeit für den Staat gegeben. Wenn wir die Anwendbarkeit des zweiten Begriffs, der mit dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts untrennbar verbunden ist, „bourgeois“, auf die Beamtenschaft untersuchen, wird das Problem schon etwas diffiziler. Verstehen wir unter Bourgeoisie, das – wie es sich im Laufe der Zeit einbürgerte – Wirtschaftsbürgertum: Kapitalbesitzer, Unternehmer, Arbeitgeber sowie angestellte Unternehmer 226 Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hg. v. Jürgen KOCKA (Göttingen 1987); hier viele weitere Literaturangaben zur Diskussion über das deutsche Bürgertum, im besonderen Utz HALTERN, Bürgerliche Gesellschaft. Sozialtheoretische und sozialhistorische Aspekte (Darmstadt 1985); Jürgen HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Darmstadt 131982); Reinhart KOSELLECK, Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathonegenese der bürgerlichen Welt (Freiburg 21969); Thomas NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat (München 1983) im besonderen 255–271. 227 Über die Begriffe bzw. Begriffsbildung KOCKA, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert. In: BÜRGER UND BÜRGERLICHKEIT, 23–28 und 30–33.

223

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

und Manager, so ist von einer Zugehörigkeit der Bürokraten zu dieser Bourgeoisie selbstverständlich keine Rede. Sehen wir von den ärmlichen Durchschnittsgehältern ab – selbst die höchsten Spitzen der Bürokratie, deren Einkommen ansehnlich war, können nicht zu dieser reichen Schicht gerechnet werden, da die (bürgerlichen) Kriterien der Selbständigkeit und des freien Wettbewerbs im jedem Fall fehlten (außerdem nahmen die höchsten Positionen meist Adelige ein). Dafür scheint in geradezu klassischer Weise die Zugehörigkeit zum „neuen“ Bildungsbürgertum gegeben. Die Erreichung der höheren Ränge in der bürokratischen Hierarchie setzte Universitätsbildung und entsprechende Bildungspatente voraus. Das Beamtentum weist also in maßgeschneiderter Weise alle Merkmale auf, die den Bildungsbürger des 19./20. Jahrhunderts auszeichnen228. Mittlerweile wurden jedoch gegen diese Zuordnung gerade in letzter Zeit schwere Bedenken erhoben. Teilweise griff man diesbezüglich auf das zeitgenössische (deutsche) Verständnis des frühen 19. Jahrhunderts zurück, in dem der Beamte vom „Bürger“ abgegrenzt wurde229. Auch in Österreich waren solche Tendenzen nicht unbekannt: AndrianWerburg stellt in seinen negativen Bemerkungen über die Bürokratie die österreichischen Beamten in scharfen Gegensatz zum Adel, aber auch zum „Bürger“230. Ein weiteres Argument gegen die selbstverständliche Eingliederung der Beamtenschaft in das Bildungsbürgertum war die Beobachtung, daß die hohen Beamten228 Ebd., 33–38; die Publikationsliste zum deutschen Bildungsbürgertum ist äußerst umfangreich; nur einige für die Zeit zwischen 1780 und 1848 relevante Werke seien hier herausgegriffen: Hans H. GERTH, Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 19, Göttingen 1976), zur Bürokratie als bürgerliche Intelligenzgruppe 72–79; Die Bildung des Bürgers. Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft und die Gebildeten im 18. Jahrhundert, hg. v. Ulrich HERRMANN (Weinheim 1982); Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert I: Bildungssystem und Professionalisierung im internationalen Vergleich, hg. v. Werner CONZE und Jürgen KOCKA (= Industrielle Welt, Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 38, Stuttgart 1985); Ulrich ENGELHARDT, Bildungsbürgertum. Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts (= Industrielle Welt, Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 43, Stuttgart 1986) im besonderen 97–108. 229 KOCKA, Bürgertum und Bürgerlichkeit, 36 f. Vor allem Hansjoachim HENNING, Das westdeutsche Bürgertum in der Epoche der Hochindustrialisierung 1860–1914. Soziales Verhalten und soziale Strukturen I; Das Bildungsbürgertum in den preußischen Westprovinzen (= Historische Forschungen 6, Wiesbaden 1972) 15–35. Henning (ebd., 22 f.) zitiert vor allem die interessanten Ausführungen über die Beamten in Carl von ROTTECK und Carl WELCKER, Das Staatslexikon. Enzyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände (Leipzig 31859) 226 ff. 230 Zit. S. 203.

224

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

kategorien sowieso von Adeligen besetzt waren, daß die vielen Nobilitierungen der Bürokratie ein aristokratisches Gepräge gaben und daß die sogenannten bürgerlichen Prinzipien (unter denen im allgemeinen individuelle Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit, Freiheit zu gesellschaftlicher Initiative und von obrigkeitsstaatlicher Gängelung verstanden wird) und typische bürokratische Eigenschaften (wie Gehorsam und Weisungsgebundenheit einerseits sowie Ausübung von Autorität und die Verpflichtung zur unbedingten Staatsloyalität andererseits) einander notwendigerweise ausschlössen. Außerdem hätte den Beamten die (das „echte“ Bürgertum kennzeichnende) liberale Gesinnung gefehlt. Diese Einwände stimmen selbstverständlich auch für die österreichischen Beamten – doch dies nur bis zu einem gewissen Grad: Der Anteil des Adels am Beamtentum von durchschnittlich 20% im Zeitraum von 1780 bis 1848 machte aus der Institution Bürokratie noch keine vorwiegend adelige Institution und die Nobilitierungen aus den bürgerlichen Beamten noch lange keine Aristokraten. Was die geistigen Eigenschaften betrifft, können wir bei den Beamten sowohl das Vorhandensein „bürokratischer“ als auch „bürgerlicher“ Tugenden bemerken, die – beim einzelnen stärker oder schwächer ausgebildet – recht gut nebeneinander existierten231. Manchmal gewann die eine, manchmal die andere Seite die Oberhand, oder sie gerieten auch fallweise miteinander in Widerstreit. Die Zweigeleisigkeit oder Wankelmütigkeit mag nicht unbedingt sympathisch sein, gehörte aber zur Beamtenexistenz. Die eine, die „bürokratische“, Eigenschaft hatten die Staatsdiener aufgrund ihres Berufs zu haben, die andere, die „bürgerliche“, durch Bildung, persönliche Interessen, Denkweisen, die von der Gruppe ihrer Standesgenossen beeinflußt waren, mit einem Wort durch ihre spezifischen Lebensbedingungen erworben. Henning sieht die Problematik, die Gesinnung der Beamten zum Gradmesser einer Zugehörigkeit zum Bürgertum zu machen: „Geht man von der liberalen Auffassung vom Bürgertum aus, muß die Beamtenschaft außer Betracht bleiben, nimmt man dagegen die konservative Anschauung zum Ausgangspunkt, dann gehört die Beamtenschaft zum Bürgertum.“232 Das Kriterium der Parteigesinnung ist ein unbrauchbares Mittel der Zuordnung zu einer Klasse. Ich neige dazu, die Demon­ stration liberaler oder konservativer Weltanschauung nicht zum Angelpunkt einer sozialen Zugehörigkeit zu erheben. Gruppengesinnungen sind schwer feststellbar, 231 Siehe S. 220 f. 232 HENNING, Das westdeutsche Bürgertum, 32, zit. auch von KOCKA, Bürgertum und Bürgerlichkeit, 59, Anm. 26.

225

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

wobei notwendigerweise vergröbert und verallgemeinert werden muß. Außerdem kann eine solche, wenn sie schon verbindlich festgestellt werden könnte, starken Wandlungen unterworfen sein, wie dies beim österreichischen Beamtentum der Fall war, wenn wir die Haltung österreichischer Bürokraten nur in der kurzen Zeitspanne zwischen 1780 und 1848 unter die Lupe nehmen. Die Beamten waren – zumindest nach außen – 1790 oder etwa 1848 im Durchschnitt der politischen „Bewegung“ (in der damaligen Terminologie)233 oder einem „Wandel“ (in der heutigen) mehr zugetan als zwischen 1815 und 1840. Außerdem erscheint es nicht ausgemacht, daß sich bei den Beamten nicht die ganze erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hindurch Vorstellungen erhielten, die mit einem freieren Staatswesen zu tun hatten, als es das ihre, das franziszeische Österreich, darstellte234. Sicherlich tendierte auch der österreichische Beamtenstand in späterer Zeit, als er als Berufsgruppe etabliert war und demokratischen Bewegungen gegenüberstand, dazu, konservativ zu reagieren. Ursprünglich waren aber die gebildeten Beamten angetreten (und dazu bestimmt gewesen), mit ihren aufgeklärten Herrschern Reformen durchzusetzen. Gesinnungen sind unsichere Kriterien für soziale Zuordnungen. Sicherlich gehörte der „Liberalismus“ zu einem gut Teil zum Selbstverständnis des Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Er wurde auch des öfteren dem österreichischen Beamtentum zugeschrieben235. Müßten wir das österreichische Beamtentum auf seine tatsächliche liberale Gesinnung hin testen, befänden wir uns in einiger Verlegenheit. Die politische Gesinnung wurde nach der Niederschlagung der Jakobinerprozesse durch die Strenge der Zensurmaßnahmen sorgfältig verdeckt. Wir wissen, daß die Beamten oft antiaristokratisch, antiklerikal (wenn auch bei weitem nicht antireligiös oder gar antikatholisch) waren. Sie traten teilweise für wirtschaftsliberale Öffnung ein und waren national auf eine sanft-nebulose Art. Sie waren sicherlich mehrheitlich gegen Zensur- und Polizeimaßnahmen und für die Pressefreiheit (namentlich aus ureigenstem Interesse heraus die Dichterbeamten). Waren sie deshalb aber bereits konstitutionell gesinnt, für die Einführung des Wahlrechts etwa oder für eine Verankerung der Grundrechte? Selbst der politisch so gut versierte Kübeck tat sich offensichtlich mit dem Begriff „liberal“ schwer, als er fragt: „Allein, was ist ein Liberaler?“ Und er gibt sogleich die ironische Antwort: „Ein 233 „Partei der Bewegung“ war ein zeitgenössischer Begriff, siehe z. B. KÜBECK, Tagebücher 1/2 (1831) 242 f. Diese Bezeichnung verwendet auch Haerdtl für Alexander Bach. Er nannte ihn „einen Mann der Bewegung“, Josef HAERDTL, Fünfundzwanzig Jahre im Staatsdienste. Lose Blätter aus dem Papierkorbe eines Unbedeutenden (Wien 1882) 42. 234 Vgl. die Äußerungen von Beidtel über den „josephinischen“ Geist der Kanzleien, zit. S. 255. 235 Siehe S. 219 ff.

226

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Liberaler? Sehen Sie, das ist ein Ungeheuer, ein Feind, ein Mensch, der zu allen [sic!] fähig ist, ein unruhiger Kopf, ein Neuerer, kurz ein gefährlicher Mensch.“236 Mit liberal verband man offensichtlich nur verschwommene, aber in jedem Fall aufregend böse Vorstellungen. Schlimmer als Kübeck geht Carl Möring mit dem sogenannten Beamtenliberalismus ins Gericht, den er offen des Opportunismus zeiht. „Diese Bürokratenoligarchie ist ein Ameisenhaufen von Tyrannen, deren jeder alle, die nicht seinesgleichen sind, tritt und beißt. Daß unter den geschilderten Umständen ein Hort, ein Herr, ein Schützer und Erretter fehlt, ist einleuchtend. Diese Oligarchie aber wird umso verderblicher, je mehr sie sich zu Zeiten mit falschem Liberalismus brüstet, und je mehr sie Kräfte absorbiert, um sich Anhänger zu verschaffen. Denn diese Kräfte werden in ihrer Gediegenheit dem Dienste des Staatswohles – sehr zu unterscheiden von dem Staatsdienst – entzogen und in dem großen Molochsofen des Beamtentums verkohlt.“237 Wußte aber der Offizier Möring, was den „richtigen“ Liberalismus vom falschen unterschied? Der später der liberalen Partei zugehörige und von vielen Beamten sehr verehrte Dichter Anastasius Grün (Anton Graf Auersperg) spricht in seinen „Spaziergängen eines Wiener Poeten“ viel von Freiheit, Freiheit des Individuums, Freiheit der Gesellschaft. Konkret wird er selten, wie etwa in dem Gedicht „An den Kaiser“, in dem er Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit fordert: „Frei das Wort, frei der Gedanke! Wackre Schiffer sind es schier! Will nicht aus dem Meer die Sonne, segeln sie entgegen ihr! Bald dann flammt die Morgenröte und es klingt in ihrem Schein mehr als eine Memnonsäule hell durch’s Land und voll und rein. Also spricht das Lied, das freie. Vater Franz, du zürnest nicht, Daß dir’s nahte unangemeldet, ungefragt es zu dir spricht; Sieh, es ist die Frühlingsschwalbe, die an deine Fenster pickt, und auch ungefragt dich mahnet, wie die Freiheit hochbeglückt.“238 Als einziger Beamter überlieferte uns Bauernfeld seine Sehnsucht nach einem Verfassungsstaat. „Es hilft aber nur eine gemeinsame Konstitution“, schrieb Bauernfeld in sein Tagebuch, als Metternich von Regeln sprach239. 236 KÜBECK, Tagebücher 1/2 (1831) 588. 237 (MÖRING), Sibyllinische Bücher, 89. 238 (Anastasius GRÜN, anonym), Spaziergänge eines Wiener Poeten (Hamburg 1831) 105 f. 239 BAUERNFELD, Tagebücher 1, 107 (Eintragung vom 1. Februar 1845).

227

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Da sich die Beamten selten deklarierten, was sie unter Liberalismus verstanden, wurde ihnen der Einfachheit halber das Etikett „josephinisch“ verliehen. Wir aber sollten eher mit ihren eigenen Begriffen operieren und die Frage stellen, wie sie es mit „der Bewegung“ hielten. Zweifellos gehörten viele dieser „Partei der Bewegung“ an, d. h., es gehörte zu ihrem Selbstverständnis, für den staatlichen und gesellschaftlichen Wandel einzutreten. Wir sind allerdings auf die Selbstzeugnisse und unsere Interpretationen angewiesen, und beide sind unsicher. Sicher dagegen können wir sagen, daß die höheren österreichischen Beamten zwischen 1780 und 1848 eine mittelständische Berufsgruppe bildeten mit sehr mittelständischem Einkommen, aber mit einer Ausbildung, wie sie die Eliten der Zeit genossen, mit einem gewissen – aber begrenzten – Einfluß im Amt und einem weitgehenden im gesellschaftlichen Bereich, der mit – wie wir noch sehen werden – ausgreifenden kulturellen Interessen und Ambitionen gekoppelt war. Sollten diese sozialen Lebensbedingungen nicht ausschlaggebend sein, um die höheren Beamten dem Bildungsbürgertum zuzurechnen? Schwieriger scheint mir die Frage zu beantworten, ob diese „neue“ mittelständische Großgruppe der Beamten, die in das traditionelle Gesellschaftskonzept240 nicht mehr passen wollte, die nicht durch Geburt oder Feudalbesitz, sondern durch Bildung und Leistung gesellschaftliches Ansehen genossen, ein entsprechendes Bewußtsein entwickelte, einer „neuen“ sozialen Kategorie anzugehören, mit der sie durch gleiche Bildung, gleiche Lebensbedingungen, gleiche Interessen verbunden wurde241. Und wenn dies der Fall war, stellt sich die Frage, wann sich dieses bürger­ liche Bewußtsein gebildet hat. Die „bürgerlichen Schichten“ oder die „mittleren Teile“ der Gesellschaft hätten keinen Stand mehr und noch keine – jedenfalls nicht bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – Klasse gebildet, meint Rudolf Vierhaus242. Wir haben bei den österreichischen Beamten verschiedene Hinweise, daß gewisse Tendenzen, sich der bürgerlichen Schicht zugehörig zu fühlen, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorhanden waren. Da gab es zunächst die negative Definition, die Abgrenzung gegenüber dem Adel. Auch wenn wir vereinzelt 240 Über das alte Gesellschaftsmodell, in dem die „neuen“ Elemente der Bourgeoisie und des Bildungsbürgertums fremd waren, KOCKA, Bürgertum und Bürgerlichkeit, 23–28. 241 Über die Probleme der Vergesellschaftungsprozesse der Mittelschichten zum Bürgertum M. Rainer LEPSIUS, Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit. In: BÜRGER UND BÜRGERLICHKEIT, 79–100. 242 Rudolf VIERHAUS, Der Aufstieg des Bürgertums vom späten 18. Jahrhundert bis 1848. In: ebd., 64.

228

2. Beamtete Bürger oder bürgerliche Beamte?

Ausdruck von Entzücken finden, wenn sich ein gebildeter Aristokrat in bürgerliche Salons verirrte oder die Besucher dieser Salons zu sich einlud243, man war sich des Andersseins, nicht unbedingt des Schlechterseins bewußt. Wir begegnen auch dem entsetzten Abstand zu den Unterschichten244, sofern diese überhaupt wahrgenommen wurden. Weder in den Tagebüchern der gar nicht bedeutsamen Beamten, wie Mathias Perth oder Erasmus Kessler, noch in denen ihrer berühmteren Kollegen Pratobevera, Höfken, Castelli, Grillparzer, Bauernfeld, die entweder durch eine besondere bürokratische oder durch eine künstlerisch-literarische Karriere auffielen, finden wir Spuren von Reflexionen über Identität irgendwelcher Art, dafür aber (man ist fast geneigt zu sagen) instinktsicheres soziales Handeln: „Man“ weiß, was zu tun ist, mit wem „man“ zu verkehren hat, welche Feste „man“ wie und wann zu feiern hat etc. – eine sichere Art der Handhabung von „Kultur“ des alltäglichen Lebens, das sehr viele Gemeinsamkeiten im allgemeinen wie im Detail aufweist. Sollte das nicht für sich sprechen? Diese Kultur in ihrer alltäglichen Ausprägung, im Lebensstil der Beamten, wird im folgenden zu untersuchen sein. Wenn wir das Beamtentum (nach innen) auf seine Identität und (nach außen) auf seine Bedeutung hin überprüfen wollen, um seinen eigentlichen Stellenwert innerhalb des eigenen Zeitrahmens zu bestimmen, bieten sich mehrere Perspektiven245 an: die ökonomische, politische, soziale und kulturelle. Die ökonomische und politische Lage unserer Beamten war nicht so beschaffen, daß sie dem Beamtentum Ansehen und Macht, einen bleibenden Platz in der Geschichtsschreibung oder auch nur die starke Neugierde der Historiker gesichert hätte. Interessanterweise tangierte dies die soziale und vor allem die kulturelle Position nicht in dem Maße, wie es vorstellbar wäre. An dieser Kultur im weitesten Sinn ist die Bürgerlichkeit der Beamten zu testen.

243 Wie zum Beispiel Caroline Pichler über eine Einladung von Graf Széchenyi auf sein Schloß in Ödenburg, Caroline PICHLER, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben 3 (Wien 1844) 14 ff. 244 Vgl. zum Beispiel die Beschreibung des „Pöbels“ durch Perth in der Märzrevolution 1848, Tagebücher PERTHS, 53 (Eintragungen vom 12.–15. März 1848) 159–165, WST. u. LB., Handschriftensammlung. 245 Zur Analyse des Bürgertums LEPSIUS, Soziologie des Bürgertums, 81 f.

229

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Der Chef in Verlegenheit: Kreidelithographie von A. Zampis, 1848.

230

Anhang III

Anhang III Die höheren Beamten der Wiener Zentralstellen1 Tabelle A: Die höheren Beamten des Staatsrates und der Kanzlei, des Staats- und Konferenzministeriums mit (Geheimer) Kanzlei und der Staatskonferenz mit Büro2 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Kanzlei

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

Kanzlei

Kanzlei

Kanzlei

ohne GesamtAdelszahl prädikat Kanzlei

1781 Staatsrat

2



2



3



– 3



1

11

1791 Staatsrat 1

1



1



1



2 4



3

12

1801 Staatsrat





5



2



3 7



8

25



6







– –





1811 Staats- und Konferenzministerium 2 Staats- und Konferenzrat – 1821 Staats- und Konferenzministerium 2 Staatsrat – 1831 Staats- und Konferenzministerium 1 Staatsrat –

29 –







3

– 6



12

– –

7 2

– –

– 6

– 1

– 4 5 3

– 1

2 10

– –

4 2

– 1

– 8

– 1

– 2 4 4

– 2

3 11

231

43

43

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Erzherzöge Fürsten 1841 Staatskonferenz 3 Staats- und Konferenzministe1 rium Staats- und Konferenzrat –

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat



1





1

– 2







5



2



– 1



3



2



6

2

6 7

4

7

Gesamtzahl

53

Tabelle B: Die (Geheime) Haus-, Hof- und Staatskanzlei3

1781 Staatskanzlei Botschaften 1791 Staatskanzlei Botschaften 1801 Staatskanzlei Botschaften 1811

Erzherzöge Fürsten

Grafen

1 –

1 10

6 11

11 13

7 17

77

1 3

1 14

6 8

6 10

8 18

75

– 1

2 11

3 7

6 11

3 8

52

Freiherren (Barone)

232

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl

Anhang III

Staatskanzlei Botschaften Reichshofratliche Kommission[4] 1821 Staatskanzlei Botschaften Reichshofratliche Kommission 1831 Staatskanzlei Botschaften Staatsrat Reichshofratliche Kommission 1841 Staatskanzlei Botschaften Reichshofratliche Kommission

Erzherzöge Fürsten

Grafen

– 2

1 5

2 12

15 13

8 9



1

2

3

3

1 1

2 18

5 22

15 21

8 14

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl

76

114 –



3

2

2

1 5

1 25

8 31

15 26

8 15 142



2

1

3

1

1 3

– 30

14 23

16 30

9 11



1

3

1

1

233

143

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle C. Die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei bzw. die Vereinte (Vereinigte) Hofkanzlei5 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

1781



4

6

33

30

1791



8

4

43

52

Gesamtzahl 73

Studienund Bücher-

126[6]

zensur-Hofkommission





4

6

9

1801[7]



7

8

38

40

zensur[8]





2

3

7

1811[9]



2

8

26

39

75[10]

1821



11

19

29

69

128

1831



7

19

21

90

137

1841



6

22

23

87

138

Bücher-

105

Tabelle D: Studienhofkommission11

1781[12] Bücherzensurkommission

Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat



3



4

4



1

2

5

5

Gesamtzahl

24

234

Anhang III

Tabelle E: Die Oberste Justizstelle13 Erzherzöge Fürsten

Grafen

4

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl

3

20

5

32

1781



1791



2

4

18

20

44

1801[14]













1811



3

4

28

19

54

1821



-

13

31

27

71

1831



2

10

27

35

74

1841[15]



5

8

28

53

94

Tabelle F: Die Allgemeine Hofkammer16 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl



7

3

44

64

118

1791[ ]



6

5

32

40

83[18]

1801



8

13

54

39

114

1811[19]



13

8

63

63

147

1821



12

16

73

79

180

1831



6

19

56

92

173

1841



7

20

46

80

153

1781 17

Hofkammer in Münz

188

und Bergwesen[20]

1

4

2

235

16

12

35

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle G: Königlich-Ungarischer Hofrat und Kanzlei, Siebenbürgischer Hofrat und Kanzlei, Illyrische Hofkanzlei und Galizische Hofkanzlei ErzherGrafen Freieinfacher ohne Gesamtzöge herren Adel, Adelszahl Fürsten (Barone) Ritter prädikat 1781 Ungarische Siebenbürgische Erbsteuerkommission 1791 Ungarische Siebenbürgische Illyrische 1801 Ungarische Siebenbürgische Galizische 1811 Ungarische Siebenbürgische 1821 Ungarische Siebenbürgische 1831 UngarischeSiebenbürgische 1841 Ungarische Siebenbürgische



3

1

24

3





1

17





1



3





6

2

45



– –

2 1

– –

11 13

1 1



5

2

41

4

53

82

101 – –

2 5

– 2

19 11

– 10



9

3

34

6



2

1

17

1

1

7

4

32

3



3

1

19

3



7

4

33

7



3

3

17

3



11

3

37

7



3

1

16

3

236

73

73

77

81

Anhang III

Tabelle H: Das General-Rechnungs-Directorium21 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl

1781













1791













1801[22]













1811







5

3

8[ ]

1821





3

4

3

10

1831





5

3

2

10

1841





3

4

13

20[24]

23

Tabelle I: Der Hofkriegsrat25 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl



6

2

48

51

1791



6

2

43

40

91

1801

2[26]

3

8

44

76

133[27]

1811[28]

2[29]

5

9

39

79

134[30]

1821

4[ ]

2

8

37

98

149

1831

2

2

8

36

94

142

1841

3[32]

3

6

29

103

144

1781

31

237

107

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

Tabelle J: Die Polizeihofstelle33 Erzherzöge Fürsten

Grafen

Freiherren (Barone)

einfacher Adel, Ritter

ohne Adelsprädikat

Gesamtzahl

1781













1791













1801[34]



2





4

6

1811[ ]





1

2

7

kommission





1

4

7

1821



1

1

3

7

35

Bücherzensur-

22

Bücherzensur-

23

kommission





2



9

1831



1

2

6

2

Bücherzensur-

17

kommission





1

1

4

1841



1

2

1

11

Bücherzensurkommission

26 –





2

238

9

Anhang III

Anmerkungen zu Anhang III 1

2



3

4

5

Der Verwaltungskörper im österreichischen Kaiserstaat war ein kompliziertes Gebilde und selbstverständlich in der Zeit zwischen 1780 bis 1848 einer Reihe von Veränderungen unterworfen, sowohl was die Namensgebung wie auch – was weit wichtiger war – die Zusammenlegung sowie die Trennung von Behörden oder auch die Umschichtung von Kompetenzen betrifft. Im folgenden wird dieser komplizierte Prozeß stark vergröbert und nur dann dargestellt, wenn es zur Erklärung oder Verdeutlichung des Anwachsens oder Absinkens der Zahl des jeweiligen Beamtenapparates innerhalb einer Behörde erforderlich war. Der „Staats- und Konferenzrat“, wie er genannt wurde, war keine eigentliche Verwaltungsbehörde, sondern hatte (seit 1760) über Gegenstände, die ihm vom Kaiser zugewiesen wurden, oder über die Anträge der Hofstellen Gutachten zu erstatten. Er stellte also eine Art Kontrolle der inneren Verwaltung dar. Er war in 4 Sektionen eingeteilt: die politisch-administrative, in Finanzen, Justiz und Militärwesen. Aufgelöst wurde er 1848 nach der Berufung eines Ministerrates. F[ranz] J[oseph] Schopf, Die organische Verwaltung des Kaiserstaates in ihren seit einem Jahrhundert erfolgten Reformen und in ihrer gegenwärtigen Verfassung (Pest 1855) 11 f. – 1811 wurde er „Staats- und Konferenz-Rat für die inländischen Geschäfte“ genannt. Die Staatskonferenz, die seit 1835, seit dem Regierungsantritt Kaiser Ferdinands I., die Regierung führte, wurde hier (1841) in die Tabelle aufgenommen, obwohl die beiden Erzherzöge Ludwig und Franz Carl selbstverständlich keine Fachbeamten waren, Metternich und Kolowrat hatten dagegen eine Beamtenkarriere hinter sich und waren auf diesem Weg in die höchste Regierungsspitze gelangt. Der Vollständigkeit halber wurden die beiden Erzherzöge hier dazugezählt. Da sowohl Staatsrat als auch das Staats- und Konferenzministerium sowie die Staatskonferenz zur eigentlichen Regierung gehörten bzw. beratendes Organ der Regierung waren, wurden sie zu einer Tabelle zusammengefaßt. Die (Geheime) Haus-, Hof- und Staatskanzlei war Vorläuferin des Ministeriums des Äußern. Sie war mit der Leitung der außenpolitischen Angelegenheiten und zugleich mit der Führung der Geschäfte des kaiserlichen Hauses betraut. Sie hatte daher unter den Behörden einen besonderen Rang. Leiter war der Haus-, Hof- und Staatskanzler. Der Titel „Geheime Hof- und Staatskanzlei“ gilt für unsere Tabellen erstmals 1811. In den Tabellen wurde eine Teilung nach Beamten, die unmittelbar in der Staatskanzlei arbeiteten, und Botschaftspersonal vorgenommen. (Die Beamten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs wurden den Beamten der Kanzlei zugezählt.) Diese Kommission, die nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches gegründet wurde, hieß mit vollem Titel: „Hofkommission über die reichshofrätliche Judical- und in den Reichshof­ lehen und Gratial-Registratur aufbewahrten Akten, dann über die reichshofrätliche Depositenkassa“. Von 1762 bis 1792 hatte die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei die Leitung der inneren (politischen) Angelegenheiten inne, war also Vorläuferin des Ministeriums des Inneren. Von 1792 an folgte ein Jahrzehnt der Experimente. Es wurden verschiedene Hofstellen mit der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vereinigt, die schon vor 1762 zusammengelegt gewesen waren. 1792 bis 1797 waren die Finanzangelegenheiten einem „Direktorium“ übertragen und mit der Hofkanzlei vereint. 1797 wurde eine eigene Finanz- und Kommerzienstelle gegründet und die Finanz­ angelegenheiten ausgegliedert, dafür aber die Justizangelegenheiten eingegliedert. 1801 wurden der Hofkanzlei wieder die Geschäfte der Hofkammer zugewiesen. 1802 erfolgte von neuem die völlige Trennung von politischen, finanziellen und Justizangelegenheiten und die Organisierung

239

II. Bürokratie und Verbürgerlichung? der drei Hofbehörden: Vereinigte Hofkanzlei, Allgemeine Hofkammer und Oberste Justizstelle. Die Studienhofkommission (siehe Tabelle D) war ihr zeitweise ganz unterstellt. Seit der Neuregulierung 1818 standen an der Spitze ein Oberster Kanzler, ein Hofkanzler, Kanzler und Vizekanzler, die referierenden Beisitzer waren Hofräte, denen die verschiedenen Geschäftszweige nach Ländern und Materien zugeteilt wurden. Außerdem zugeordnet war der Vereinigten Hofkanzlei auch ein Rechnungsdepartement für die politischen Fonds und eines für die direkte Steuer, weiters der „Hofbaurat und die Direktion für das stabile Kataster“. Schopf, Organische Verwaltung, 12 f. 6 Das sprunghafte Ansteigen der Beamtenzahl vom Jahr 1781 auf 1791 ist erstens auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Hofkanzlei alle Hofkonzipisten (27) und die Beamten des Exhibitenprotokolls (ebenfalls 27) mit der Hofkammer teilen mußte (wahrscheinlich kam diese Übung aus der Zeit der Vereinigung; siehe vorherige Anmerkung). Diese Beamten wurden dem Personalstand der Hofkanzlei zugeordnet. Eine weitere Vermehrung brachte 1791 die direkte Unterstellung der 1781 noch unabhängig geführten Studienhofkommission. 1791 betrug die Zahl der Zensoren 9, die der Räte bei der Studienhofkommission 10, bei letzterer Behörde gab es 4 Sekretäre, für die Zensoren arbeiteten zusätzlich 1 Sekretär und 1 Konzipist, im gesamten betrug die Beamtenzahl also 24 (siehe Tabelle D). 7 In diesem Jahr waren (seit 1797) die Justizangelegenheiten eingegliedert, was auch im Titel zum Ausdruck kam: „Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei in politischen und Justizangelegenheiten“. Das Personal der Studienhofkommission wurde ebenfalls der Hofkanzlei zugezählt. Erst 1802 wurde die Oberste Justizstelle wiedererrichtet (siehe vorletzte Anmerkung). 8 Die „Bücher Censur“, wie der offizielle Titel hieß, wurde im Staatshandbuch im Anschluß an die Hofkanzlei geführt. Die Beamten der Studienhofkommission waren im Personalstand der Hofkanzlei eingegliedert. 9 Der offizielle Titel lautete in diesem Jahr: „Vereinigte Böhmische, Österreichische und Galizische Hofkanzlei“. 10 Der Abfall der Beamtenzahl im Jahr 1811 ist auf die Ausgliederung der „Bücherzensur“ und der „Obersten Justizstelle“ (siehe oben) zurückzuführen. 11 Die „Studienhofkommission“ hatte eine nicht ganz klare Stellung: Sie gehörte in irgendeiner Weise zur Hofkanzlei, war aber doch selbständig. Der Grad der Selbständigkeit veränderte sich jedoch von Zeit zu Zeit. Sie wurde in den achtziger Jahren selbständig, doch 1791 vollkommen entmachtet (Wangermann, Aufklärung, 107–113), dann im Laufe der Zeit der Hofkanzlei wieder vollständig unterstellt. 1808 wurde sie „wiederbelebt“. An der Spitze stand ein Präsident, der die Geschäfte mit Beisitzern verhandelte. Zu ihrem Wirkungskreis gehörte die Überwachung des gesamten Schul- und Studienwesens (einschließlich der konfessionellen Schulen und der theologischen Lehranstalten). SCHOPF, Organische Verwaltung, 14. In den Staatshandbüchern wurde die Studienhofkommission 1781 gleichsam unabhängig geführt. 1791 zählte sie bereits zu den „untergeordneten Hofkommissionen“. Sie war mit der Bücherzensurkommission vereinigt, was im Titel zum Ausdruck kommt „Studien- und Büchercensur-Hofkommission“. In unserer Darstellung scheint ab 1811 die Bücherzensur unter der Polizeihofstelle und als dieser unterstellt auf. Die Studienhofkommission wird in den Staatshandbüchern als eigenes Leitungsgremium an der Spitze der Bildungsanstalten (und nicht unter den Hofstellen) geführt, die bei dieser angestellten Beamten werden aber im Personalstand der Hofkanzlei angegeben (in unseren Tabellen ab 1801). 12 Der offizielle Titel lautete 1781: „Kaiserlich-königliche Studien-Hof-Commission“ und – als eigene Kommission – „Bücher-Censur-Commission“.

240

Anhang III 13

14 15 16



17 18 19 20 21

22

Die Oberste Justizstelle war die höchste Instanz für alle Verfahren in Streitsachen, für das adelige Richteramt, für Grundbuchsangelegenheiten und für Kriminalfälle. Sie bestand aus zwei Senaten, einem deutschen und einem italienischen (letzterer wurde 1843 nach Verona versetzt und wurde eine selbständige Behörde). Die Oberste Justizstelle war seit 1749 eine eigene Behörde und von 1797 bis 1802 in die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei eingegliedert (siehe diese). Ab dieser Zeit wurde wieder eine Oberste Justizstelle errichtet. Siehe vorangegangene Anm. 13. 1841 wurde das Oberste Gefällsgericht (Steuergericht) eingegliedert. Die Allgemeine Hofkammer erfuhr ein wechselhaftes Schicksal durch Vereinigung mit der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei und Wiederausgliederung (1792–1797, 1801, siehe Tabelle C, Anm. 5). 1802 wurde die Verwaltung der Staatswirtschaftszweige, die vorher der Hofkanzlei unterstanden, der Hofkammer übertragen. Zeitweise wurde die Hofkammer in selbständige Abteilungen („Geheime Credits-Commission“, „Ministerial-Banco-Hof-Deputation“, „Commerzhofstelle“, „Hofkammer in Münz- und Bergwesen“) geteilt, doch sie wurden alle 1816 unter der Leitung der Hofkammer wieder endgültig vereinigt. Nur die „Hofkammer in Münz- und Bergwesen“ wurde 1834 endgültig in eine eigene Hofbehörde verwandelt (darum wurde sie in der Tabelle ab 1841 eigens ausgewiesen, doch des besseren Überblicks wegen unter Hofkammer rubriziert). 1801 bereits scheint im Staatshandbuch eine „Obriste Staats Controle“ auf, der auch die Staatsbuchhaltungen unterstellt wurden. Die „Kontrolle“ wurde aber erst 1805 eine eigene Behörde unter dem Namen „Generalrechnungsdirektorium“ (siehe Tabelle H). Die Beamten der Staatskontrolle wurden daher in den Tabellen bis 1811 der Hofkammer zugezählt. Der Wirkungskreis der Hofkammer war von jeher sehr ausgedehnt. Er umfaßte: die staatswirtschaftlichen Verwaltungszweige, das Finanz- und Staatskreditwesen, Patente, alle Zweige des finanziellen Staatsbedarfs, Staatsausgaben und Einkünfte (ohne direkte Abgaben), das Staatsvermögen, den Staatshaushalt, die Tilgung der Staatsschulden, die oberste Aufsicht über die Staatsund öffentlichen Fondsgüter, über die Regalien und Abgaben, wie Zoll, Maut, Tabak, Stempel und Lotto, das Postregale, Salzregale etc., die Oberleitung des Kassa- und Pensionswesens. Sie war auch letzte Instanz in Gewerbe und Handelsstreitigkeiten. Dementsprechend waren ihr unmittelbar untergeordnet: die Obersthofpostverwaltung, die Tabakfabrikdirektion, das Generalhoftaxamt, die „Credits-Haupt-Cassa“, die Generaldirektion der Staatseisenbahnen. An der Spitze standen der Hofkammerpräsident und der Vizepräsident, die Geschäfte wurden materienmäßig unter den Hofräten und Referenten aufgeteilt. SCHOPF, Organische Verwaltung, 13 f. Als offizieller Titel wurde (auch 1801 und 1811) angegeben: „Hofkammer, Ministerial-Banco-HofDeputation und Kommerzhofstelle“. Dazu kamen 54 Beamte (27 Hofkonzipisten und 27 Beamte des Exhibitenprotokolls), die sich die Hofkammer mit der Hofkanzlei teilen mußte (siehe Anm. 6). 1805 war die „Obriste Staats Controle“ eine eigene Behörde geworden mit dem Namen „General-Rechnungs-Directorium“ (siehe Anm. 16). Die Hofkammer in Münz- und Bergwesen wurde 1834 eine eigene Hofbehörde (siehe Anm. 16). Eingeführt als Zentralbehörde 1805 nach Auflösung der Hofrechenkammer mit dem Zweck, die Staatseinnahmen und Ausgaben zu kontrollieren. Ihr unterstellt waren auch die Hofbuchhaltungen sowie die bei den einzelnen Behörden amtierenden Rechungsdepartements; SCHOPF, Organische Verwaltung, 15. 1801 bereits als „K. k. Obriste Staats Controle“ im Staatshandbuch als nicht der Hofkammer direkt unterstellt geführt. Auch die Staatshauptbuchhaltungen scheinen als der „Obristen Staats

241

II. Bürokratie und Verbürgerlichung?

23

24 25

26 27 28 29 30

31 32 33

34 35

Controle“ untergeordnet auf. Da sie jedoch noch keine selbständige Behörde war, wurden die Beamten 1801 noch der Allgemeinen Hofkammer zugezählt. Zu der kleinen Zahl der Beamten kam eine große Anzahl von Buchhaltern, die in der Hauptbehörde arbeiteten und in den einzelnen Departements Dienst taten. Sie waren dem Generalrechnungsdirektorium unterstellt. Diese hatten kein abgeschlossenes Hochschulstudium vorzuweisen. Die Anzahl der Hofbuchhalter war relativ hoch. Sie bewegte sich in den Jahren 1811 bis 1841 zwischen 162 und 310. Die meisten waren Bürgerliche, allerdings gab es in diesen Jahren auch 4 Grafen, 10 Freiherren und viele Kleinadelige in ihren Reihen. Unter dieser Zahl sind nur die Präsidenten, Vizepräsidenten, Hofräte und Hofkommissionsräte (und Referenten) inbegriffen. Dazu kam noch eine Reihe von Hofsekretären und Hofkonzipisten, die aus der Reihe der Hofbuchhalter kamen. Die relativ starke Beamtenvermehrung von 10 auf 20 wurde durch die Eingliederung der „Direction der administrativen Statistik“ verursacht. Der Hofkriegsrat war die oberste Verwaltungsbehörde in Militärangelegenheiten (sowohl für die Organisierung des Heeres zuständig als auch oberste Instanz für das Militär in privat-und strafrechtlichen Angelegenheiten). Ihm zugeordnet war auch das Militärappellationsgericht in Wien als zweite Instanz in Justizsachen. SCHOPF, Organische Verwaltung, 14 f. Leiter dieser Behörde waren ein Präsident und ein Vizepräsident. Erzherzog Karl war Hofkriegsratspräsident, Erzherzog Johann Leiter des Generaldirektoriums des Ingenieurskorps und Fortifikationswesens. Die Personalvermehrung wurde durch die Napoleonischen Kriege notwendig, die mehr Armeeorganisation erforderten. Der Titel lautete „Kriegsministerium“ und „Hofkriegsrat“. Erzherzog Johann als Leiter des Haupt-Genie-Amts und Erzherzog Maximilian als Mitglied des Artillerie-Hauptzeugamts. Zusätzlich gab es in diesem Jahr noch ca. 31 Feldkriegskommissäre beim „Hofkriegsrätlichen Verpflegsdepartement“. Weiters eine Reihe von Offizieren beim Kriegsarchiv und Grenzappellationsgericht; zu den Erzherzögen Karl und Maximilian Anm. 26 und 29. Erzherzog Johann war wie 1811 Leiter des Haupt-Genie-Amts, Erzherzog Ludwig Leiter des Artillerie-Hauptzeugamts. 1841 waren Prinz Gustav von Hohenlohe-Laupenburg Hofkriegsratsvizepräsident, Erzherzog Ludwig Leiter des Artillerie-Hauptzeugsamts und Erzherzog Johann Leiter des Genie-Hauptamts. Die Polizeihofstelle leitete das Sicherheitswesen der Monarchie und das Zensurwesen. Die Bücherzensurkommission scheint ab 1811 im Staatsschematismus unter der Polizeihofstelle auf (Anm. 8). Der Titel lautete: „Vereinigte Polizey-Hofstelle und Oberste Polizey-Direction“. Der offizielle Titel lautete „Oberste Polizey- und Censur-Hofstelle“. Die Bücherzensurkommission, die 1781 unter der Studienhofkommission, 1791 und 1801 im Staatsschematismus unter der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei geführt wurde, scheint 1811 unter der Polizeihofstelle auf, mit der ausdrücklichen Betonung: „K. k. Bücher-Censur unter der Leitung der Polizey und Censur-Hofstelle“. Es gab außerdem noch ein Bücher-Revisionsamt, das jedoch zu den niederösterreichischen Behörden zählte, hierarchisch der Polizeihofstelle zugeordnet war. In der Bücherrevisionskommission gab es 1811 zwei, 1821 und 1831 drei und 1841 fünf höhere Beamte, die alle bürgerlicher Herkunft waren.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie „Was begrifflich heute noch als schwer faßlich erscheint, ist die Tatsache, daß die Figurationen, die Menschen miteinander bilden, ein langsameres Wandlungstempo haben können, als die einzelnen Menschen, die sie bilden.“ (Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft)

Kehren wir zu dem trockenen Zahlenmaterial über die soziale Staffelung der Beamtenschaft und der daraus gewonnenen Feststellung zurück, daß sich der Anteil der adeligen und nicht adeligen Beamten innerhalb von 70 Jahren kaum geändert hat. Zahlen sind, wie gesagt, selbstverständlich nicht das einzige Kriterium, wenn wir vom Prozeß der Verbürgerlichung sprechen wollen, der in dieser Periode des Übergangs von besonderer Bedeutung ist. Es gibt eine Reihe anderer Faktoren, an denen sich „Verbürgerlichung“ wenn nicht messen, so doch ablesen läßt. Sie zeigen sich sowohl in den realen Existenzbedingungen der Beamten als auch im geistigen Bewußtsein, sind also kultureller, geistiger und mentaler Natur und so subjektiv, daß sie sich kaum in amtlich vorgeschriebenen Sachfragen als vielmehr im jeweils persönlichen Alltagsleben und im Verhalten äußern. Zunächst müssen wir feststellen, daß wir bei der Bürokratie Ende des 18. Jahrhunderts die volle Trennung von Berufs- und Privatleben ausgebildet vorfinden. Diese spezifische Arbeitsweise, die sich erst mit der kapitalistischen Entwicklung voll durchsetzte, war etwa in den ständischen Gesellschaftsschichten dieser Zeit noch nicht voll ausgebildet1. Wir haben es demnach, wenn wir von den Formen der Lebensgestaltung der Beamten sprechen wollen, mit zwei getrennten Bereichen zu tun: mit dem Alltag im Amt und mit dem Alltag im Privatleben. Die zweierlei Lebens- und Kulturformen, die dabei von den Beamten entwickelt wurden, konnten (selbstverständ1

Dazu Norbert ELIAS, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft (Frankfurt am Main 1983) 84, auch 176.

243

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

lich) nicht ohne Einfluß aufeinander bleiben. Die Frage bleibt, wie dieses System aussah, inwieweit hier die Werte der „alten“ Adelswelt noch und die der „neuen“ bürgerlichen Gesellschaft bereits zum Tragen kamen und ob die Beamtenkultur, von der wir mit Recht vermuten können, daß sie von einiger Wichtigkeit für die damalige kulturelle Entwicklung des Bürgertums war2, tatsächlich von zentraler oder doch nur peripherer Bedeutung war. In der Terminologie Elias’, die er in der „Höfischen Gesellschaft“ entwickelte, wäre die Bürokratie – nachdem er einen statischen Begriff wie System vermeiden wollte – eine typische „Figuration“ zu nennen, die – wie „der Hof“ – „Ausdruck einer ganz bestimmten Konstellation der ineinander verflochtenen Menschen“3 war. Der Faktor „Wandel“ steht im Blickpunkt der folgenden Untersuchung, der allerdings – was die Gewohnheiten im Amt betrifft – manchmal in einem kaum merkbaren Tempo vor sich ging. Norbert Elias geht auf dieses Phänomen ein und meint: „Die Tatsache, daß sich die Figurationen, die Menschen miteinander bilden, oft weit langsamer ändern als die Menschen, die sie jeweils bilden, und daß dementsprechend jüngere Menschen in die gleichen Positionen eintreten können, die ältere verlassen haben, die Tatsache kurzum, daß gleiche oder ähnliche Figurationen oft genug geraume Zeit hindurch von verschiedenen Individuen gebildet werden können, läßt es so erscheinen, als ob diese Figurationen eine Art von ‚Existenz‹ außerhalb von Individuen haben.“4 Bei der Besprechung des Beamtenalltags wird begreiflicherweise viel von Routine die Rede sein, Routine, die für einen Berufsstand in dieser sich langsam herausbildenden „Berufsgesellschaft“ von unersetzlicher Bedeutung war. Sie hatte die Funktion, eine effiziente Leistung zu erleichtern. Wenn die Routine auch in manchem der Etikette der alten „höfischen Gesellschaft“ ähnelt, so hat sie grundsätzlich doch eine andere Rolle, die das Zeremoniell nicht ersetzte5. Wenn wir aber davon ausgehen, daß es darum ging, einen so wichtigen Berufsstand, wie ihn das Beamtentum darstellte, an feste Normen zu binden (was bis heute unverändert 2

3 4 5

HEINDL, Beamtentum, Elitenbildung, vor allem Kapitel „Beamtentum und bürgerliches Bewußtsein“, 56–60; DIES., Die österreichische Bürokratie, vor allem Kapitel „Beamtentum und kulturelle Identität“, 83–91; ansatzweise wurde in der Ausstellung „Bürgersinn und Aufbegehren“ versucht, die Kultur der Beamten in der Biedermeierkultur sichtbar zu machen, vgl. BÜRGERSINN UND AUFBEGEHREN. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815–1848. Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 1988 (Wien 1988). ELIAS, Höfische Gesellschaft, 61. Ebd., 47. Ebd., vor allem 41 f. und 50 f.

244

1. Der Alltag im Amt

der Fall sein soll), so sagt die Routine im Amt, die Normen erst kreierte, sehr viel über die Natur und die Wurzeln dieses Berufsstandes aus. Außerdem: Es war die Routine im Amt zumindest teilweise so wie die Etikette Demonstration von Herrschaft, mit der man innerhalb und außerhalb der Hierarchie beeindrucken konnte. Hier schließt sich der Bogen zu Max Weber, der bekanntlich behauptete, daß Herrschaft sich im Alltag als Verwaltung äußere6. Diese Herrschaft bedurfte natürlich äußerer Formen. Die Äußerungen von Herrschaft in der alltäglichen Routine sagen viel über die Institution aus, die diese Herrschaft ausübt. Fragen des kulturellen Zeitgeschmacks sind gerade in diesem Zusammenhang von großer Wichtigkeit, wenn wir den gegenseitigen Einfluß von „Routine im Amt“ und „Routine im Privatleben“ und die Bedeutung der kulturellen Prozesse innerhalb der Bürokratie für die Verbürgerlichung der österreichischen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im allgemeinen erkunden wollen. Amtliche Dokumente können uns allerdings diesbezüglich keine Antwort gehen, viel mehr Tagebücher, Memoiren, Briefe und literarische Produkte von Beamten.

1. Der Alltag im Amt 1.1. Die Routine im Dienst Die Großgruppe „höhere Zentralbürokratie“ ist bestimmt durch ein Geflecht, in dem die einzelnen Beamten untereinander in Beziehung stehen. Verschiedene Werte bestimmen den Stellenwert, den Standort der einzelnen beamteten Individuen, von denen gerade bei der Bürokratie der hierarchische Beamtenrang kennzeichnend ist. Wir wissen, daß dies nicht immer der Fall war und daß auch für die Beamten ehemals Geburt und adeliger Rang ausschlaggebend waren. Spätestens seit Erlaß über die Ordnung der Beamtenschaft nach Anciennität unter Joseph II.7 wurde die bürokratische Hierarchie nach Dienstalter und damit – das sei positiv vorausgesetzt – nach Erfahrung, erworbenem praktischen Wissen und Leistung bestimmt, Werte, die im allgemeinen der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet werden8. War damit aber der Prozeß der „Verbürgerlichung des Dienstes“ auch in der 6

Vgl. S. 25; auch Waltraud HEINDL, A felsöszintü bürokrácia kialakulásáról Ausztriában (1780– 1867). (Kérdések, módszerek, források) (Zur höheren österreichischen Bürokratie [1780–1867]. [Fragen, Methoden, Quellen]). In: Törtenelmi Szemle 1 (1987–88) 16–23, im besonderen 21. 7 Siehe S. 35. 8 Vgl. VIERHAUS, Der Aufstieg des Bürgertums, 64–76, vor allem 67 und 75.

245

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Praxis bereits vollzogen? Wir kennen den hohen Prestigewert, den der Adel und der adelige Tugendkatalog in der Gesellschaft des späten 18./frühen 19. Jahrhunderts besaßen. Warum nicht auch in der Beamtengesellschaft, die keine Ausnahme gebildet haben dürfte? Trotzdem ist festzuhalten, daß theoretisch zufolge der damaligen Ordnung der Adelsrang im Dienst keine Rolle zu spielen hatte. Formal herrschte das Gesetz der Gleichheit. Theoretisch bot der Staatsdienst allen Staatsbürgern christlichen Glaubens seit Joseph II. dieselben Aufstiegschancen. Das Amt forderte eine Anpassung an seine Regeln und Erfordernisse von allen. Und diese waren nicht gering. Zum ersten mußte man sich jeden Tag außer Haus begeben, um an einem „von oben“ bestimmten Arbeitsplatz einer Beschäftigung nachzugehen. Eine Tatsache, die uns heute selbstverständlich erscheint, war zu einer Zeit, da die Berufsgesellschaft nur ansatzweise und nur in manchen Berufsgruppen ausgebildet war, eher eine Ausnahme und mußte modern erscheinen. Der Staatsdienst war ein früher Wegbereiter dieser modernen Organisation, schon deshalb, weil für den Staat arbeitende Beamte in jedem Fall Geheimnisträger waren und beaufsichtigt werden sollten, außerdem die offizielle Repräsentation in staatlichen Amtsgebäuden den amtlich-öffentlichen Charakter des Dienstes erhöhte. Trotzdem war in Wien noch in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Trennung von Amt und Privatwohnung noch nicht durchgehend vollzogen. Obwohl in der maria-theresianischen Regierungszeit zahlreiche Amtsgebäude entstanden, mußten immer noch viele Beamte ihre Amtsgeschäfte daheim verrichten und in ihrer Wohnung – oft handelte es sich um Hofquartiere (Dienstwohnungen) – eine Kanzlei einrichten, in der sie auch Parteien empfingen. Diese Usance hörte spätestens 1780 auf, als das Hofquartiersystem aufgelöst wurde und an seine Stelle das Quartiergeld trat9. Von da an hatte ausnahmslos jeder Beamte seinem Amt zu folgen und nicht umgekehrt, und nur zu Notzeiten, wie in den Napoleonischen Kriegen, mußten die Hofräte der Wiener Hofstellen ihre Arbeit in ihre Privatwohnungen verlegen, um Holz und Licht zu sparen10. Doch dies war nur noch eine befristete, vorübergehende Erscheinung. Genauso durch Regeln gebunden wie der Arbeitsplatz wurden die Amtsstunden. Angeblich war ihre Zahl ohnehin „seit Jahrhunderten“ mit sechs an den sechs Wochentagen festgelegt, die auf den Vor- und Nachmittag gleichmäßig ver9 WANIEK, Beamtenwohnung, 18, 21 ff. und 62. 10 MAYR, Wien, 186.

246

1. Der Alltag im Amt

teilt wurden11. Die Wiener Beamten arbeiteten im allgemeinen von 9–12 und von 15–18 Uhr. Danach richtete sich auch das Privatleben der Beamten mit dem ausgedehnten Mittagessen, das meistens mit den Familien eingenommen wurde. Den hohen Beamten dürfte die Siesta heilig gewesen sein. Denn als im harten Winter 1809/10 zu Sparmaßnahmen geschritten wurde und die Arbeitszeit – nach dem englisch-französischen Muster – en bloc von 8–14 Uhr konsumiert werden mußte, wehrten sich die Hofstellen mit Heftigkeit dagegen – Minister Graf Carl Zichy sogar mit dem Argument, die Geisteskräfte müßten bei einer sechsstündigen ununterbrochenen Arbeitszeit zum Erlahmen kommen. Die unteren Beamten waren allerdings bald dafür und enttäuscht, als man zur alten Regelung zurückkehrte. Sie hatten entdeckt, daß sie Kleider und Schuhe sparten und Zeit für Nebenbeschäftigungen gewannen. Vorübergehend war die Arbeitszeit in diesen Jahren gegen den heftigen Protest aller Beamten auf sieben Stunden pro Tag ausgedehnt worden12. Es war dies eine Maßnahme, die der allgemeinen Ausdehnung der Arbeitszeit folgen wollte13. Uns erscheint heute diese Arbeitszeit nicht als allzu drückend, ziehen wir noch den Umstand in Betracht, daß im Jahr 1780 noch 86 Tage niederösterreichische Regierungsferien verzeichnet wurden (nachdem aber 1754 bereits viele katholische Feiertage aufgehoben worden waren14). Eine geregelte Arbeitszeit mußte notgedrungen mit dem Begriff Pünktlichkeit verbunden werden, wollte man diese Arbeitszeit einigermaßen ernst nehmen. Nun hat es den Anschein, als ob hauptsächlich die Beamten, die einen Parteienverkehr zu unterhalten hatten, zur strikten Einhaltung der Dienststunden verpflichtet worden waren. Das Konzeptpersonal war nur lose an die Dienstzeit 11 12

Ebd., 185. MAYR, Wien, 185. In den vierziger Jahren wird allerdings auch schon von einer durchgehenden Arbeitszeit von 8–14 Uhr gesprochen (SCHIRNDING), Oesterreich 1, 90; diese dürfte aber doch nur bei einigen Behörden Usus gewesen sein und für die unteren Ränge gegolten haben. 13 Roman SANDGRUBER, Die Anfänge der Konsumgesellschaft. Konsumgüterverbrauch, Lebensstandard und Alltagskultur in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 15, Wien 1982) 378. Die hier angeführte Steigerung der Arbeitszeit für Beamte auf 8–9 Stunden dürfte eine zeitweilige Ausnahme gewesen sein. Bei der festgesetzten Arbeitszeit handelt es sich selbstverständlich um eine Mindestanforderung, die bei Bedarf erhöht werden konnte. So arbeiteten die Buchhaltungsbeamten angeblich gewöhnlich täglich 8–9 Stunden; MAYR, Wien, 185 f. 14 Unter anderem wurden 1754 mit dem Usus der „heiligen Zeiten“ gebrochen, zumindest wurden diese reduziert. An die großen katholischen Feste hatte man eine Reihe von freien Tage angehängt: an Weihnachten drei bis fünf, an Ostern acht, an Pfingsten drei Tage, BEIDTEL, Staatsverwaltung 1, 52 f.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

gebunden – und umso höher das Amt, desto weniger. Sicherlich war es vornehmer, sowohl später zu essen als auch später zu arbeiten. Die tägliche Routine des Erscheinens im Amt wurde so zur Prestige-und Standesfrage. Aus den Beschreibungen Johann Pezzls, des Chronisten des josephinischen ­Wiens, läßt sich dieser Schluß unschwer ableiten: „Um halb neun Uhr“, so Pezzl, „marschiert eine Armee von ungefähr viereinhalbtausend Mann: es ist die Armee der Dikasterianten15. Die Bataillons derselben sind das Bataillon der Sekretäre, Registranten, Adjunkten, Konzipisten, Protokollisten, Ingrossisten, Kanzellisten, Akzessisten. Nach diesen folgen dreihundert Wägen mit Kanzlern, Vizekanzlern, Präsidenten, Vizepräsidenten, Referenten, Archivaren, Räten, Registratoren etc. etc. beladen. Alles dieses trabt nach der Staatskanzlei, Reichskanzlei, Kriegskanzlei, Österreichisch-Böhmischen Kanzlei, Hungarisch-Siebenbürgischen Kanzlei, Niederländischen Kanzlei, durch das Rathaus, zur Obersten Justizstelle, Münze, Oberst-Rechenkammer, Religionskommissionen, Studienkommission, zur Regierung etc. etc. …“16 Die soziale Bedeutung des Zeitpunktes des Auftritts oder die Abfolge des Erscheinens der Beamten trägt Rangcharakter. Noch nuancierter waren jedoch die Gewohnheiten, das Mittagessen einzunehmen. Um 12 Uhr, so berichtet Pezzl weiter, sendeten die Dikasterianten ihre „subalternen Arbeiter“ wieder zurück. Diese machten einen appetitanregenden halbstündigen Spaziergang oder einen ebenso appetitanregenden Besuch bei ihrem Liebchen. Der „gemeine Mann“ speise nämlich um 12 Uhr, der „mittlere Beamte, welcher um 3 Uhr wieder in der Kanzlei sein muß, um 1 Uhr, die Leute vom Stand um 2 Uhr, und einige vom höchsten Adel noch später“. Nach 1 Uhr sähe man vor den Staatsgebäuden höchstens noch die Wägen, die die Räte aus den Kanzleien abholten und zur Tafel nach Hause brächten. Um 3 Uhr begänne das nachmittägliche Rädchen. Um diese Zeit eilten „die Dikasterianten wieder zu ihren Tintenfässern“, um 1/2 5 Uhr liefen viele andere zur Arbeit, und um 6 Uhr schlössen die Kanzleien17. Auch später dürfte die Einhaltung der Arbeitszeit nach dem Prinzip des Ranges gehandhabt worden sein. Erasmus Kessler führte als junger Konzeptsbeamter mitunter genaue Aufzeichnungen über seine Amtsstunden. In der Regel absolvierte er 27–34 Stunden in der Woche18. Auch aus den Aufzeichnungen anderer Beamter 15 16 17 18

Kanzlisten, hier allgemein für Beamte. PEZZL, Skizze, 136. Ebd., 137. KESSLER, Tagebuch 4 (Eintragungen jeweils am Monatsletzten des Jahres 1839); WST. u. LB., Handschriftensammlung.

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gewinnt man den Eindruck, daß noch im Vormärz die Inhaber höherer Beamtenränge in vielen Behörden die geregelten Amtsstunden nicht sehr ernst genommen hatten, obwohl formell dazu die Pflicht bestand. So beklagte sich Eduard Bauernfeld bitter, als er vom Kreisamt in die Hofkammer versetzt wurde, daß er auch nachmittags ins Büro müsse19. Bauernfelds Büroalltag war nicht von quälend langer Dauer: „Von morgens bis 1/2 12 [Uhr] wird geschrieben oder ernste Lektüre. Dann Büro, Hofkammer, Bibliothek, kurze Promenade. Essen. Von 1/2 5 bis 8 Uhr zu Hause, arbeiten. Später … Piquet oder Domino“, so schildert uns der Dichterbeamte seinen Tagesablauf20, aus dessen Gestaltung eindeutig hervorgeht, daß er dem Dichter den Vorzug gab. Ganz besonders willkürlich mit seiner Arbeitszeit ging seinen eigenen Erzählungen zufolge auch der Dichterbeamte Ignaz Castelli um, der zwar nicht „kaiserlicher“ Beamter war, sondern zeit seines Lebens bei der „landständischen Buchhaltung“ bei den niederösterreichischen Landständen angestellt war, in der ihm eine weit „bessere Behandlung und mehr Freiheit als in allen übrigen kaiserlichen Ämtern“ widerfahren wäre21. Seinen Amtsablauf als junger Beamter (ca. 1805–1809) schildert er folgendermaßen: „Den Vormittag brachte ich gewöhnlich im Amte zu, von den nachmittägigen Amtsstunden schwänzte ich aber so viel wie nur möglich war; da spielte ich im Kaffeehaus bei Jakomuzzi …“22 Aber auch der vormittägliche Amtsalltag wurde nicht über Gebühr ausgedehnt: „Die Amtsstunden begannen“, berichtet Castelli, „um 9 Uhr morgens, ich kam aber sehr selten vor ein Viertel nach 10 Uhr, so daß alle Beamten die Glocke, welche um 1/4 auf 11 bei den Minoriten geläutet wird, die Castelliglocke nannten. Eines Tages kam ich wieder so spät in das Amt, und der Buchhalter kam mir entgegen, hielt seine Uhr in den Händen und sagte: Ich habe Sie schon öfters ermahnt, zu den festgesetzten Amtsstunden zu kommen, und heute ist’s schon wieder 1/4 auf 11 [wahrscheinlich wurde damit ein Viertel elf gemeint]. – Da zog ich meine Uhr heraus, zeigte sie ihm und antwortete: Ich bitte um Vergebung, Herr Buchhalter, Ihre Uhr geht zu spät, die meinige zeigt schon 1/2 11. – Ganz verblüfft sprach er kein Wort mehr. Dadurch schüchterte ich die Herren ein, und da ich meine Arbeiten zur Zufriedenheit vollbrachte, so sagten sie zuletzt: Mit dem Menschen ist nichts anzufangen, und ließen mich 19 20 21 22

BAUERNFELD, Tagebücher 1, 49 (Eintragung vom 13. Februar 1830). Ebd., 90 (Eintragung vom Dezember 1840). CASTELLI, Aus dem Leben, 118. Ebd., 127.

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gewähren.“23 Auch Mathias Perth (1788–1856), der am k. k. Obersthof- und -Land­ jägermeisteramt von 1807–1848 beschäftigt war, arbeitete nach den ersten Einschulungsjahren, so geht aus seinen Tagebüchern hervor, nur am Vormittag24. (Die Nachmittage verbrachte er meist mit Spaziergängen und in Kaffeehäusern.) Von Grillparzer dagegen haben wir Zeugnisse einer konträren Arbeitseinteilung. „Um 12 Uhr ins Büro“, berichtet er noch als Konzeptsbeamter, „keine Arbeit vorgefunden. Im Thukydides … gelesen.“25 Und als Archivdirektor ist er erzürnt, da er anfangs mit der Einarbeitung voll beschäftigt war: „Dieses Archiv wird mich unter die Erde bringen, besonders dadurch, daß es mir die kostbaren Vormittagsstunden raubt“26 (die er früher zum Dichten verwendet hatte). Diese lockere Einstellung zu einer flexiblen Arbeitszeit dürfte sich auch später nicht geändert haben. Noch in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts stellt Gustav Höfken, Sektionschef im Finanzministerium, seinen Amtsablauf folgendermaßen dar: Er war um 8 Uhr im Amt, sah rasch seine Einläufe durch, entwarf die Antworten und schrieb „auch wohl einen Aufsatz“, und nach einem „frugalen“ zweiten Frühstück (über dessen Dauer er sich nicht näher ausließ) erledigte er die „sonstigen Amtsgeschäfte“, bis er sich um 3 Uhr „selbst beurlaubte“. Bald später widmete er sich seiner Liebhaberei, der Gartenarbeit27. Auch die unbesoldeten Beamten und Praktikanten dürften über die freie Wahl der Arbeitszeit verfügt haben. So berichtet Alexander Bach, 1834 Praktikant in der Hofkammerprokuratur, in einem Brief an Ludwig von Haan in Rom: „Ich richte es mir gleich nach meiner Bequemlichkeit ein, gehe um 10 Uhr ins, um 1 1/2 oder zwei aus dem Bureau; nachmittags bis jetzt niemals. Freilich geht das Tag für Tag, allein was ist zu tun; hätte ich doch eine halbe Million und ließ die Hofkammerprokuratur Hofkammerprokuratur sein …“28

23 Ebd., 149 f. 24 In den ersten Jahren galt auch für ihn der Arbeitstag von 9–12 Uhr und 15–18 Uhr, Clemens HÖSLINGER, Kulturelles Leben des Wiener Kleinadels. Das Tagebuch des Mathias Perth. In: Haydn-Jahrbuch 10 (Wien-London 1978) 64; Tagebücher des Mathias PERTH, 58 Bände (1803–1856), WST. u. LB., Handschriftensammlung. 25 Franz GRILLPARZER, Briefe und Tagebücher. Eine Ergänzung zu seinen Werken, hg. v. Carl GLOSSY und August SAUER, 2: Tagebücher (Stuttgart-Berlin, o. J.) Nr. 147 (Eintragung vom 19. Februar 1829). 26 Ebd., Nr. 189 (Eintragung vom 25. September 1832). 27 „Aus meinem Tagebuch“, HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2. 28 Heinrich FRIEDJUNG, Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre. In: Österreichische Rundschau 10 (1907) 170.

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Andererseits wurden die Amtsstunden in einzelnen Ämtern beliebig, auch über sechs Stunden ausgedehnt, wenn der Arbeitsanfall größer war. Der Musiker, Völkerrechtler und Beamte Johann Vesque von Püttlingen etwa berichtete 1834, als er in den Staatsrat eintrat, in einem Brief: „Denk Dir, daß ich täglich um 8 1/2 ins Büro gehe, dort bis 2 1/2 Uhr verweile und mich nach Tisch wieder bis 8 1/2 Uhr an den Aktentisch setze und dies täglich ohne Ausnahme irgend eines Sonn-, Norm- oder gebotenen Feiertages. Dieses Leben dürfte wohl noch lange, gewiß den ganzen Sommer hindurch, dauern …“29 Trotzdem – da es nun einmal geregelte Arbeitszeiten gab – was durchaus nicht in allen Berufsbranchen üblich war – mußte auch die Pünktlichkeit (wenn auch langsam) zu einem Wert im Amtsleben werden. Die Pünktlichkeit zählte zu den neuen „bürgerlichen“ Tugenden, mußte aber von bürgerlichen und adeligen Beamten, selbst wenn letztere sie nicht ausübten, nach außen hin respektiert werden. Noch war allerdings zwischen 1780 und 1848 der Übergang von freier zu geregelter Dienstzeit nicht ganz vollzogen. Grillparzers Berichte über den Amtsalltag des von ihm sehr verehrten Finanzministers Philipp Graf Stadion, dem er als „Ministerialkonzipist“ (1823/24) zugeteilt war und den er daher aus nächster Nähe, nämlich aus der Perspektive des Büros des Finanzministers beobachten konnte, sind diesbezüglich aufschlußreich. Stadion habe sich von seiner diplomatischen Laufbahn her, so Grillparzer, an eine „sonderbare Verkehrung der Tageszeiten“ gewöhnt. „Er legte sich erst gegen Morgen zu Bett und stand auf, wenn die anderen Leute sich zum Mittagmahl setzten. Da galt es denn, ihm nach Mitternacht, wenn er aus den Gesellschaften nach Hause kam, über Akten und Geschäfte Rechenschaft zu geben, was in halber Schlaftrunkenheit nicht immer fließend vonstatten ging … Bei Reisen des Ministers aber, worunter besonders der Sommeraufenthalt auf seinen Gütern gehörte, fiel die ganze Last auf den Konzipisten, der ihn alsdann zu begleiten hatte, eine Last, die durch die peinliche Mittelstellung zwischen angenehmem Gesellschafter und untergeordnetem Beamten bedeutend erschwert wurde.“30 Einem tüchtigen Finanzminister wäre vielleicht noch heute, im ausgehenden 20. Jahrhundert, in dem die strikte Einhaltung eines Terminkalenders durch hohe Beamte zur selbstverständlichen Erwartung der Öffentlichkeit gehört, eine „son29 Johann VESQUE VON PÜTTLINGEN (J. HOVEN), Eine Lebensskizze; aus Briefen und Tagebüchern, zusammengestellt mit Briefen von Nicolai, Löwe, Berlioz, Liszt u. a. seinen Freunden gewidmet (Wien 1887) 31; ähnlich auch BUNZEL, Lebenslauf, 37. 30 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 95 f.; siehe auch Alfons PAUSCH, Grillparzer im Finanzdienst. Ein Berufsbild des Dichters mit Selbstzeugnissen und Arbeitsbeispielen (Köln 21978) 24 f.

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derbare Verkehrung“ der Arbeitszeiten gestattet. Ob ihm aber die Bestimmungen des Arbeitsrechtes und der Beamtengewerkschaften erlauben würden, einen jungen Beamten auf Landaufenthalten zu seiner Gesellschaft zu beanspruchen? Aber auch Grillparzer hat diese „Mittelstellung“ – übersetzt in die moderne Sprache: die Gleichzeitigkeit, weisungsgebundener Beamter und geistreicher Gesellschafter sein zu müssen –, als peinlich empfunden. Allerdings freute es ihn doch, daß Stadion ihn seiner Familie und auf gesellschaftlichen Anlässen als eine Art Sehenswürdigkeit „statt meines bornierten Vorgängers“, so Grillparzer selbst, als „einen Dichter und Mann von Geist“ vorführte31. Gebräuchlich dürfte diese Vorgangsweise auch damals nicht mehr gewesen sein, wohl aber bei hochangesehenen und verdienten Personen geduldet. Ansonsten setzten sich um diese Zeit – in den unteren Rängen wohl strenger als in den höheren – die geregelten Dienstzeiten durch. Der Prozeß dauerte aber lange.

1.2. Die „neuen“ Tugenden Zur Durchsetzung des Prinzips der Pünktlichkeit paßte in geradezu hervorragender Weise, daß auch das der Ordnung beachtet werden mußte. Einen Akt anzufertigen, zu bearbeiten und abzulegen verlangt, nach geordneter Methode vorzugehen. Sonnenfels hat dies als wesentlich erkannt und der systematischen Technik im Bürobetrieb in seinem „Geschäftsstyl“ viel Platz eingeräumt, u. a. den Anleitungen, eine Registratur anzulegen32, eine Tätigkeit, die viel Ordnungssinn erfordert. Ein anderer wichtiger, in der damaligen Welt nicht gebräuchlicher Begriff, der damals auftauchte und im Dienst eine Rolle spielte, war „die Leistung“. Bereits die Kriterien, nach denen bei der Auswahl der Beamten vorgegangen wurde, waren Vorentscheidungen zugunsten der Durchsetzung des Leistungsprinzips. Bereits 1763 wurden zum erstenmal alle Anstellungserfordernisse genannt. Diese waren die Vorweisung von Zeugnissen über zurückgelegte Studien (Prüfungen über das Zivil-, Straf- und Lehensrecht), eine Befürwortung und die Gelobung durch Handschlag, sich keiner fremden Hilfe zu bedienen, um die Akten auszuarbeiten33. Das war eine klare Absage an die früher angeblich hauptsächlich geübte Praxis, Beamte nach nepotistischen Gesichtspunkten zu ernennen, etwa Freunde 31 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 96. 32 SONNENFELS, Geschäftsstyl, 275–302. 33 MEGERLE, Handbuch 1, 14; vgl. auch ebd., 36 (betrifft eine Verordnung aus dem Jahr 1773).

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oder verarmte Adelige unterzubringen34, die dann ihrerseits „nichtamtliche Personen“ mit der Aktenarbeit beschäftigten. Die Träume Josephs von den armen, daher umso fleißigeren Beamten, die sich durch nimmermüde Leistung empor­ arbeiten würden, fällt genau in diese Jahre35. Die Einführung der Vorrückung nach Dienstalter paßte zu dem neuen Arbeitsethos. Wenn auch das Anciennitätsprinzip unsere heutige Auffassung von Leistung im Dienst stört, nach den damaligen Verhältnissen war es daraufhin angelegt, bürgerlicher Leistung vor adeligem Standes- und Prestigedenken den Vorzug zu geben36, selbst wenn es in der Praxis immer wieder durchbrochen wurde. Daneben forderte der Dienst die Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Tugendkatalog der alteuropäischen Adelswelt keinen Platz gehabt hatten. Die Vorstellung von „Tugend“, verstanden als „Haltung des vornehmen Menschen“ schlechthin, wie sie von Otto Brunner als Ausdruck von Ethos und Bildung der adeligen Herrschaftsschichten eindrucksvoll beschrieben wurde37, waren, solange dieser Adel Geltung besaß, also bis ins 18. Jahrhundert, lebendig – ungeachtet aller Verschiebung in den Funktionen – freilich als ein Standesideal im engeren Sinn, im wesentlichen, wie Brunner ausführt, „auf die Beziehung zu eigenen Standesgenossen beschränkt, wo die Gültigkeit des Ethos durch die gesellschaftliche Konvention gesichert wird“38. Ursprünglich waren diese Tugenden die „virtutes cardinale“, Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Maßhalten39, und wurden als Ethik der Welt verstanden. In der Spätzeit, so Brunner, wäre das Maßhalten zur gesellschaftlichen Wohlerzogenheit und Abgeschliffenheit geworden, die heroische Haltung, die Tapferkeit durch „das Mondäne, Zierliche, durch raffinierte Preziosität verdrängt“40 – seit dem 17. Jahrhundert und länger bedroht von den neuzeitlichen Tugenden, die, wie Allan Janik feststellte, von der aus Stoizismus und Christentum komponierten Philosophie des Justus Lipsius stark geprägt war, bedroht auch vom modernen 34 Siehe Heinrich PECHTL, Der Beamtenstand in Deutschland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. In: Zeitschrift für Allgemeine Geschichte, Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte 4 (1887) 849 f. 35 Siehe S. 173. 36 Siehe S. 35. 37 Otto BRUNNER, Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg (1612–1688) (Salzburg 1949), vor allem Kapitel „Ethos und Bildungswelt des europäischen Adels“, 61–138. 38 Ebd., 89, auch 124. 39 Ebd., 75. 40 Ebd., 89 f.

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Staat, der „Bürgerlichkeit“41, vom Souveränitätsbegriff und der Staatsräson des Absolutismus, schließlich vom modernen Naturrecht der Aufklärung und der kapitalistischen Wirtschaft42. Kapitalismus und Bürokratie hätten letztendlich den Untergang der Adelswelt eingeleitet. Es bleibt allerdings die Frage, wieviel nicht von dieser aristokratischen Kultur in die „neue“ Welt eingeflossen ist. Die „neuen Tugenden“, wie sie uns in den Ämtern entgegentreten, waren, auch wenn sie an den adeligen Tugendkatalog erinnern sollten, mit anderen Inhalten erfüllt. Noch konnte man sich von dem alten Begriff „conduite“ nicht trennen, und auch der Bürger definierte sich – neben der Bildung – durch „Tugend“. Die Tugenden waren aber anderer Natur. Der Dienst erforderte Verschwiegenheit, die Fähigkeit, das Amtsgeheimnis wahren zu können. Aber nicht nur Verschwiegenheit war am Platz, sondern auch das Schweigenkönnen zu Pflichten, die man gegen sein besseres Wissen und Gewissen zu erfüllen hatte, angesichts des Gehorsams, dem man von Amts wegen verpflichtet war. Nichts ist diesbezüglich einprägsamer als die bereits zitierte Aufforderung Kaiser Franz’ an seine Beamten: Wer nicht berufen sei, seine Meinung zu äußern, möge schweigen, müsse sich aber jemand von Amts wegen erklären, so möge er dies deutlich und klar tun und werde, so sagt der Kabinettsbefehl, „seine Meinung nicht angenommen, so hat er das Seinige redlich getan und sein Gewissen gerettet; er muß von der bereits erfüllten Pflicht des aufrichtigen Rates zur Pflicht des gehorsamen und getreuen Untertans übergehen“43. Das war bisher die Praxis, nicht aber das Ideal der Beamten. Es gab nun Ansätze, die Unterordnung zum Ideal umzustilisieren, sich die vernünftige Einsicht in die Notwendigkeit des Gehorsams – zum Besten des Staates – anzueignen. Sie stammen vom Dichterbeamten Heinrich von Collin44. Gehorsam, Verschwiegenheit und Vernunft waren Erfordernisse der rationellen Organisation des Amtes. Vernunft hatte man aber auch gegenüber sich selbst geltend zu machen, wenn es nämlich um die eigenen Berufschancen und die Karriere ging. Diese war berechenbar, wenn der Beamte das einsetzte, was er gelernt hatte, sein Wissen, seine Kenntnisse und den entsprechenden Fleiß. Die unaufhörlichen Aufrufe Josephs II. an seine Beamten, Eifer zu zeigen, wurden bereits zitiert45. Es gibt aber viele 41 Ebd., 124. 42 Ebd., 128. Zu Lipsius Allan JANIK, Justus Lipsius, Vater der österreichischen Philosophie? (Manus.). Ich danke den Herren Dr. Janik und Hofrat Dr. Kneucker für die Überlassung des Manuskripts. 43 Zit. S. 51 f. 44 Siehe S. 49. 45 Siehe S. 33.

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andere Beweise, daß Fleiß und Eifer auch als Erziehungsschwerpunkt zu gelten hatten. „Die Hauptgrundsätze“ etwa, die Leopold II. am 18. November 1790 für das Studienwesen erließ46, machen deutlich, daß die Schulung im Fleiß neben der Vermittlung von Kenntnissen als wichtiges zu vermittelndes Gut sowohl für Lehrer als Studenten angesehen wurde. So sollte bei Bemessung der Professorengehälter auf den „wachsenden Fleiß“ der Universitätslehrer, auf die „Proben“, die sie an den Tag legten, auf die Zahl der herausgegebenen „gelehrten Werke“ zu achten sein. Fleiß galt auch als Kriterium bei der Vergabe von Stipendien an Studenten. Unaufhörliche Arbeit mußte gelernt werden. So mußte der Arrest als Strafe für „unsittliche Jünglinge“ mit „ständiger Beschäftigung“ gestaltet werden. Doch nicht nur Fleiß tat der Karriere gut, sondern auch Wohlverhalten. „Moralität und Religiosität“ (demonstriert an den regelmäßig besuchten Gottesdiensten) zählten zumindest ab der Jahrhundertwende zu wichtigen Tugenden der Beamten47. Auch die unbedingte Anpassung an die momentan herrschende Staatsideologie war ein wichtiger Bestandteil der Beamtenethik. Es erscheint nicht zufällig, daß uns ein Beamter (Dichter und Wissenschaftler) am Wandel seiner wissenschaftlich-literarischen Werke diesen Weg der Anpassung vorexerziert. Matthäus von Collin, Bruder des bereits genannten Heinrich von Collin, Professor für Ästhetik und Geschichte der Philosophie, zugleich Hofkonzipist im Finanzministerium und von 1810 bis 1820 Zensor, daneben Dramatiker und ­Literaturkritiker, macht uns klar, was Vernunft in Amt und Privatleben bedeutete, nämlich eine Art Lebensklugheit, wenn es um das politische und soziale Überleben ging. Silvester Lechner hat eindrucksvoll nachgezeichnet, wie im Leben dieses Dichter-Beamten die Rolle des Beamten langsam überhandnahm. Nach der endgültigen Niederlage Napoleons sei, so Collin in einem Brief an Fouqué um das Jahr 1814, in Wien die Hoffnung, daß auch hier eine Art Aufbruch durch die „verschiedenen Kräfte von Kunst und Wissenschaft“ zustande käme, zum „inopportunen, sogar staatsfeindlichen Gedanken“ geworden48. Auch in Collin, der vorher zu den Kritikern des franziszeischen Systems gehört hatte, siegt offensichtlich das, was als Gehorsamspflicht des Beamten gehalten wird und wirkt sich sublim zensurierend in seiner Dichtung und in seinen Rezensionen aus. Besonders an den Kritiken über Schillers Dramen wird dies deutlich. „Don Carlos“ war ihm zu 46 Gedruckt in UNIVERSITÄTS-ALMANACH 1791, 124–163 (Punkt 18 und 21). 47 Siehe S. 53 f. 48 Silvester LECHNER, Matthäus von Collin, 262; zu Matthäus von Collin und seine Tätigkeit ebd., 267 f.

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leidenschaftlich, an „Wallenstein“ kritisierte er, daß ein eisernes Schicksal statt der göttlichen Vorsehung walte, die „Jungfrau“ die er als „gerüstete Pallas“, als Kriegsgöttin verstand, war Collin „ein Frevel“ gegen die Offenbarung Gottes. Eine Art von bürgerlichem Individualismus sei bei M. Collin, so urteilt Lechner, nicht mehr erkennbar. An die Stelle der individuellen Vernunft sei als Maßstab die göttliche Ordnung getreten, die – daran bestand bei Collin kein Zweifel – im gegenwärtigen „geistfeindlichen“ Staat ihr Abbild gefunden habe49. Ein Beispiel des vollkommenen Arrangements des Beamten mit dem Obrigkeitsstaat; die unausweichliche Begleitung der braven, umsichtigen Beamtenseele, der wir hier begegnen? In der Stille zu räsonieren, müsse von den Beamten als Kunst gelernt werden, meinte Freiherr von Eger50, selbst hoher – und kritischer – Beamter und daher in diesen Fragen kompetent. Dies führe, gepaart mit Geschmeidigkeit, eher zum Ziel. Ein Teil der Beamten dürfte schnell gelernt haben. So berichtet Beidtel, wie bereits erwähnt, daß, nachdem mit dem Regierungsbeginn Franz’ II. (I.) der Kurs immer restriktiver wurde, der „Geist der Kanzleien“ wohl „josephinisch“ geblieben sei. Die Beamten verbargen aber ihre Meinung und versuchten sich im Amt zu halten51. Das Räsonieren muß allerdings als typische „Beamtenattitude“ weit verbreitet gewesen sein, denn die unerlaubte „Tadelsucht“, zumal der höheren Beamten, und das vermessene „Vernünfteln“ machten der Regierung Kaiser Franz’ sehr zu schaffen. Die Beamten verbreiteten Mißmut und Zaghaftigkeit und schwächten im Publikum das Zutrauen zur Regierung, so wird berichtet52. Die Beamten rächten sich für Einschränkung, Zensur, Überwachung und Restriktionen durch die Obrigkeit auf ihre Art und Weise. Alle diese Tugenden, die man von Beamten verlangte, wie fleißige Pflichterfüllung im Amt, Pünktlichkeit und Ordnung, „Moral“, gepaart mit Bescheidenheit, die zum Wert zu erheben schon der mageren Beamtengehälter wegen günstig war (und heute kaum noch als „bürgerliche“ Tugenden empfunden), dienten der Aufrechterhaltung der Routine und des Amtsbetriebes. Die Tugend der Bescheidenheit war vielleicht einer der nützlichsten Werte, der dem Amtsbetrieb zugute kam. Nachdem die Gehälter und damit der Lebensstandard der Beamten im Laufe der Zeit so sanken, daß besonders in der Krisenzeit 49 50 51 52

Ebd. und 285 ff. Votum Egers vom 22. April 1800, zit. von MAYR, Wien, 180. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 23. MAYR, Wien, 179.

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der Napoleonischen Kriege viele an der Armutsgrenze lebten, hatte sich der Slogan „arm, aber anständig“ offenbar als ein Surrogat für entgangenes Sozialprestige angeboten und nebenbei als ein Hindernis, auf revolutionäre Ideen zu kommen. In der Tat mochten sich die Staatsdiener neben dem Heer der Kriegsgewinnler und „neureichen Kapitalisten“, die eben in dieser Zeit aus dem Boden sprossen53, in ihrer ärmlichen Bescheidenheit für die anderen Bevölkerungsschichten angenehm solidarisch ausgenommen und den Ruf der Solidität gefestigt haben. Bescheidene Menschen sind außerdem auch für die Obrigkeit angenehmer, weil sie leichter dirigierbar sind. Wo blieb das „Gentleman-Ideal“ in den Amtsstuben, das gerade in dieser Zeit aus England von den kontinentalen Oberschichten übernommen wurde54? Schon Pezzl äußerte bereits 1805 Bedenken über zu viel routinemäßige, langweilige Arbeit und zu wenig Bildung des „Mittelstandes“ trotz des einträglichen Amtes, das manche bekleideten. Diese Leute, die er als „mittelständische Gecken“ einstuft, brächten, so meint Pezzl, „ihre pflichtmäßig angesetzten Stunden in ihrem Amte zu und eilen dann sogleich in aller Hast zu den ihnen so nötig erscheinenden Erholungen hin, denen sie alle ihre entbehrliche Zeit aufopfern, und so bleibt ihnen außer dem bißchen Wissen ihrer trockenen Kanzleiarbeit und außer dem Etiketts-Schematismus alles übrige in der Welt terra incognita“. Leute von den „untersten und obersten Ständen“, so Pezzl, verfielen viel weniger leicht dem Geckentum55. Und einige Jahrzehnte später berichtet Beidtel indigniert, daß es Beamtenkollegen gebe, die behaupteten, niemals etwas anderes als Gesetze, Verordnungen und Aktenstücke gelesen zu haben56. Wir bemerken die Distanz der „Intellektuellen“ gegenüber dem „Fachmenschentum“, die sich mit dem neuen Jahrhundert verstärkte. Das neue Berufsethos des Beamtenstandes war – auch dem Zeitgenossen Pezzl zufolge – spezifisch „mittelständisch“ (und mittelmäßig) und unterschied sich wohl überall in Europa grundsätzlich von den aristokratischen Idealen. Aber nicht nur von diesen, sondern auch von denen anderer mittelständisch-bürgerlicher Berufe, etwa den handwerklich gewerbetreibenden und kaufmännischen. „The chief difference between a profession and a trade business is“, so verlautet aus dem England des Jahres 1867, „that in case of a profession its members sacrifice a certain 53 54 55 56

PEZZL, Skizze (1805), 91–94. BRUNNER, Adeliges Landleben, 314. PEZZL, Skizze (1787), 116. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 91.

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amount of individual liberty in order to ensure certain professional objects. In a trade or business the conduct of each individual is avowedly regulated simply by the general rules of honesty and regard to his own interest.“57 Es gibt eine Reihe von Beispielen, daß begabten jungen Leuten der öde Dienst in den Ämtern langweilig wurde und sie kurzerhand die Flucht ergriffen, so die späteren Minister Alexander Bach58 und Leopold von Hasner59; gerade die begabteren unter den Beamten verließen den Staatsdienst60, weil sie die „spießbürgerliche Alltäglichkeit“61 nicht aushielten. Selbstverständlich gibt es auch Entwürfe von Selbstbildnissen, die glauben lassen, daß ein ganz anderer Beamtentypus als etwa der von Pezzl und Beidtel gezeichnete, dominierte: der Beamte, der seine Kräfte rastlos für den Dienst in den Amtsstuben einsetzte. Interessanterweise ist in Zusammenhang mit diesen Entwürfen, die wir vorwiegend in Erinnerungen finden, kaum über den Dienst für Staat und Gesellschaft die Rede. Kübeck war sich sehr wohl des „höheren Interesses“ seiner ­Arbeit bewußt, und seine großzügigen Programme sind Ausnahmen, soweit wir dies aus der Flut von Memoiren und Tagebüchern schließen können62. Überwiegend aber wird von unermüdlichem Fleiß gesprochen, den man zur Aktenerledigung einsetzte63. Die unaufhörlichen Klagen und Beschwerden über die Arbeitsbelastung und die nimmermüden schriftlichen Anforderungen von Beamten erhöhten selbstverständlich wiederum die Schreibtätigkeit in den verschiedenen Instanzen. Das Problem der Überbeschäftigung dürfte vielleicht tatsächlich von Zeit zu Zeit in einzelnen Behörden aufgelebt sein. Die einzelnen Behördenleiter und einzelne Beamte behalfen sich – nachdem Hilfe „von oben“ in Gestalt von Personalvermehrung nicht gewährt wurde –, indem sie Tagschreiber (Diurnisten) en57 Zit. bei Jill PELLEW, The Home Office 1848–1918. From Clerks to Bureaucrats (LondonEdinbourgh-Melbourne etc. 1982) 184. 58 FRIEDJUNG, Bach, 170. 59 HASNER, Denkwürdigkeiten, 32. 60 Beispiele bei BUNZEL, Lebenslauf, 20 f. und 41. 61 FRIEDJUNG, Bach, 170. 62 Vgl. KÜBECK, Tagebücher 1/1 (1795–1809), 1/2 (1810–1839) und 11 (1840–1855); Vesque von Püttlingen philosophiert fast ausschließlich über „Kunst, Wissenschaft, Moral“, z. B. VESQUE VON PÜTTLINGEN, Lebensskizze, 30 f.; Anton Prokesch von Ostens Tagebücher berichten hauptsächlich über die diplomatische Arbeit und seine diesbezüglichen Vorstellungen, AUS DEN TAGEBÜCHERN DES GRAFEN PROKESCH VON OSTEN, k. u. k. österr[eichischer]-ung[arischer] Botschafter und Feldzeugmeister (1830–1834) (Wien 1909). 63 Ein gutes Beispiel dafür bietet der Leiter der Hofkammerprokuratur in Graz Varena, BUNZEL, Lebenslauf, 14 f., 33 und 36 f.; für die sechziger Jahre, UHL, Leben, 172.

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gagierten und aus eigener Tasche bezahlten64. Ein Urteil, ob die Beamten ihren Fleiß einsetzten, um zügig zu arbeiten, kann letzten Endes nicht pauschal gefällt werden, hing jedoch selbstverständlich in hohem Grad von den Fähigkeiten einzelner Personen ab. Den Klagen Varenas, der unter der Arbeitslast der Aktenerledigung, über die er fein säuberlich nach Seitenzahl Buch führte, angeblich beinahe zusammenbrach, stehen beispielsweise die Aussagen Grillparzers über seine Arbeitsmethode als Ministerialsekretär Philipp Stadions entgegen. Sein Vorgänger, unterstreicht Grillparzer, habe über sein Amt mysteriöses Dunkel gebreitet und sei „zehnmal des Tages ab und zu gelaufen“. Er selbst habe danach getrachtet, seine Geschäfte so schnell wie möglich zu erledigen. „Da ich nun“, so berichtet Grillparzer, „über diesen Umstand auf Befragen kein Hehl hatte, meine unbedeutenden Geschäfte so einfach und schnell als möglich abtat, so verschwand bald der Nimbus meines Amtes und alle, die meinen Vorgänger angestaunt und ob seiner Geschäftslast bedauert hatten, sagten von mir: Ich hätte nichts zu tun, worin sie der Wahrheit so ziemlich nahe kamen.“65 Bauernfelds Bemerkungen über seine Beamtentätigkeit bestätigen den Eindruck, daß ein intelligenter Beamter nicht überlastet sein mußte: „Daß ich mich über das Bürowesen lustig mache, ist richtig, auch bring ich nicht mehr Zeit bei der geistlosen Arbeit zu als nötig. Meine Chefs wissen aber, daß ich gut und flink arbeite, niemals Rückstände habe.“66 Auch Castelli berichtet von ähnlicher Schnelligkeit und Gründlichkeit, die er sich in der Erledigung der Geschäfte angeeignet habe67, womit er letzten Endes viel Zeit für sich sparte. Solche Aussagen erhärten den Verdacht, daß aufgeblasene Geschäftigkeit, Langsamkeit und umständliche Arbeitsmethoden schuld an so mancher Arbeitsüberlastung war, über die Beamte immer wieder Klage führten. Es gab auch den Ausspruch, daß beispielsweise die Beamten der Hofkammer nur für das Luft­ holen bezahlt würden68. Im allgemeinen wird Grillparzers Urteil stimmen, der von einem „geschäftigen Müßiggang des Beamtenlebens“ spricht69. Das „Image“ der Beamten in der Öffentlichkeit war entsprechend. Erzherzog Karl zeichnete sie (1802) als gleichgültig und dem gemütlichen Schlendrian ergeben, der so weit gehe, daß auch der drohende Zerfall der Monarchie daran 64 BUNZEL, Lebenslauf, 36 ff. 65 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 96; zit. auch bei PAUSCH, Grillparzer, 25. 66 BAUERNFELD, Tagebücher 1, 99 (Eintragung vom 4. August 1842). 67 CASTELLI, Aus dem Leben, 149 f. 68 Bei MAYR, Wien, 184. 69 GRILLPARZER, Tagebücher Nr. 185 (Eintragung vom 11. März 1832).

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

nichts ändere. Erzherzog Johann hob (1804) ihre Unwissenheit und ihre reaktionäre Gesinnung hervor, und Graf Saurau hatte bereits 1797 ein düsteres Bild von den Beamten gemalt, das durch die Merkmale mittelmäßig, materialistisch, pedantisch bestimmt war. Ein Außenseiter in Wien (der ursprünglich preußische Beamte, dann Hofrat der österreichischen Staatskanzlei), Friedrich Gentz, bezeichnete seine Standesgenossen als unfähige, träge, schlaffe, charakterlose, kleinliche und egoistische Menschen, die in der Behauptung ihrer Stellen ihr einziges Lebensziel sähen70. (Gentz wiederum wurde von Hammer-Purgstall seiner „unerhörten Geldgier“ wegen verachtet71.) Diese Urteile, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts meistens, wie wir sehen, von Seiten der aristokratischen Kollegen kamen, hatten sich auch einige Jahrzehnte später, in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, nicht geändert, wenn wir etwa nur die bereits zitierten Aussagen von Victor von Andrian-Werburg vergleichen72. Das heißt: Der beamtete Adel distanzierte sich von diesem Mittelklassenbild. Graf Schirnding störte vor allem, daß Leistung mit im Amt verbrachter Zeit gleichgesetzt wurde: Die Beamten hätten zwar 40 Jahre bis zur Pensionierung zurückzulegen, doch kaum 40 Tage einer eifrigen Dienstleistung, meint er bissig73. Doch entsprachen die (bürgerlichen) Beamten tatsächlich diesem miserablen Image? Oder waren es die extremen Abweichungen von der Normalität, von denen man berichtete und die uns darauf schließen lassen, daß die Norm, von der man, weil sie eben so unauffällig war, schwieg, anders war? Es möge an dieser Stelle am Rande nur erwähnt werden, daß dies das eine zeitgenössische Bild war, das wir vorfinden, das andere präsentiert uns ein geradezu konträres Beamtentum, von dem in späterem Zusammenhang die Rede sein soll. Die hier zitierten Urteile sagen uns – und das erscheint in unserem Kontext wichtiger als die Beantwortung der Frage, ob die von adeligen Kollegen gehegte Meinung nun richtig war oder nicht –, daß erstens ein neues Beamtenethos mit als typisch mittelständisch/bürgerlich empfundenen Zügen im Entstehen begriffen oder bereits entstanden war und daß zweitens der beamtete Adel sich von diesem Mittelschichtimage deutlich distanzierte. Von seinem Standpunkt aus mit gutem Grund, denn wir können hier von der wohl richtigen Vermutung ausgehen, daß, trotz gemeinsamen Dienstes und De-jure-Gleichheit im Amt, zwischen dem Selbstverständnis des hochade70 MAYR, Wien, 175. 71 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 226. 72 Siehe S. 203. 73 (SCHIRNDING), Oesterreich 1840, 1, 94.

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ligen und des bürgerlichen Beamten Welten klafften. Die Wege der Angleichung waren im übrigen nicht dieselben: Es ist sicher anzunehmen, daß ein Aristokrat auch als ein Beamter in Verhalten, Gehaben, soweit es das Amt erlaubte, auch im Lebensstil ein Adeliger blieb, ein in der hohen Bürokratie avancierter Bauernsohn dagegen kein Bauer. Wir haben Hinweise, daß adelige Beamte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts andere Wertvorstellungen besaßen, etwa das in England in Mode gekommene Gentleman-Ideal74 übernahmen; ein Graf Leo Thun etwa, der als Kosmopolit und durch seine „Studienreisen“ dem geistigen Kulturkreis Englands und Frankreichs eng verbunden war75. Otto Brunner nennt es das „verbürgerlichte“ Adelsideal76. Doch nützte den Beamtenaristokraten die deutliche Distanzierung? Sie waren genauso Teil des für seine Zeit sehr typischen Berufsstandes, in dem sich die neuen „Berufsschichten“ mit den traditionellen „ständischen Schichten“77 mischten. Die Amalgamierung war zwar begrenzt78, mußte aber bis zu einem gewissen Grad im Berufsleben stattfinden. Man saß Tür an Tür, oder Schreibtisch an Schreibtisch, am selben Ratstisch, war in der Erledigung der Amtspflicht aufein­ ander angewiesen und arbeitete mit denselben Methoden der Aktenerledigung, zu der man von „Amts wegen“ verpflichtet war. Am ehesten bildete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der diplomatische Dienst, in dem Repräsentation, Luxus und elegante Lebensformen sowie familiäre Beziehungen gewichtige Faktoren des gesamten Dienstes darstellten, von denen Gelingen oder Mißlingen der offiziellen Geschäfte und der privaten Karriere abhingen, ein Abbild der alten höfischen Gesellschaft. Nicht zuletzt deshalb bildete er, wie berichtet79, innerhalb der Bürokratie ein Refugium des Adels. Bürgerliche konnten hier eventuell störend wirken. Die unaufhörlichen Geldschwierigkeiten, in denen Anton von ProkeschOsten, der (ehemals) bürgerliche Dichter, Offizier, Wissenschaftler und Diplomat, der wegen seiner Talente und nicht aufgrund seiner Geburt zum Botschafter avancierte80, steckte, waren im Ministerium des Äußern (und früher in der Staats-

74 BRUNNER, Adeliges Landleben, 314. 75 Vgl. THIENEN, Thun, z. B. 79 f. und 140. 76 BRUNNER, Adeliges Landleben, 314. 77 Die Differenzierung bei ELIAS, Höfische Gesellschaft, 86. 78 Siehe S. 203 f. 79 Siehe S. 162 f. 80 Zu Prokesch-Ostens früher Karriere Friedrich ENGEL-JANOSI, Die Jugendzeit des Grafen Prokesch-Osten (Innsbruck 1938).

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

kanzlei) ein ewiger Stein des Anstoßes81. Sonst aber hatte auch die Aristokratie die als bürgerlich angesehenen Formen des Dienstes zu akzeptieren, und diese waren eben auf Bescheidenheit ausgerichtet.

1.3. Hierarchische Formen Das Zeremoniell in den Amtsstuben, zu dem auch feierliche Kleidung gehörte, hätte nach 1815 langsam aufgehört, berichtet Beidtel, sogar von den Räten würden bunte Röcke getragen82. Eduard Hanslick, später Dozent der Musikwissenschaft und gefürchteter Musikkritiker, zum Beispiel schildert uns (1850) den Aufzug seines ersten Chefs, eines Finanzrates in Klagenfurt, in sehr bunten Farben: „Ein untersetzter Sechziger mit glühend rotem Gesicht, in welchem zwei stechende grüne Äuglein lauerten; auf dem Kopf eine schlecht sitzende braune Perücke. Über gelben Nankingbeinkleidern trug der Unhold eine grasgrüne Weste mit Metallknöpfen … Mein Amtsvorstand war ein Bürokrat alten Schlages …“83 Und Hanslicks älterer Kollege Vesque von Püttlingen (damals Staatsratsbeamter) schildert die Kleider, in denen er, Pratobevera und ein Polizeihofsekretär steckten, als sie (1834) unverhofft Metternich vorgestellt werden sollten, etwas geniert: „… ich hatte ein braunes Frackel, weiße Pantalon und keinen Hemdkragen, Pratobevera zwar einen Hemdkragen, aber eine rotgestreifte Matrosenhose und Rotter zwar keine rote Hose, aber eine grüne, einen merde d’oie Frack und ein carmoisinrotes Halstuch …“84 Man versicherte ihm jedoch, es sei Sitte, daß Beamte auch „im Negligé zu Metternich gingen“. Die Beamtenuniformen, die ab 1814 den Staatsdienern – zu ihrer höheren Würde – zugestanden wurden, hatten sich nicht durchgesetzt. Daß sich auch die bescheidene Amtsroutine zum Zeremoniell entwickelte, das eingesetzt wurde, um Macht zu demonstrieren, wurde bereits berichtet. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die früher angeschnittene Frage bleibt allerdings zu beantworten, ob nicht gerade in das „neue“ Amtsleben Umgangsformen der adeligen Welt eingeflossen sind. War nicht bereits die bürokratische Hierarchie mit ihrer starren Rangstruktur eine Nachahmung der aristokratischen Gesellschaft mit ihren streng abgestuften Rängen? Zumindest formal entsprach sie der höfischen Herrschaftsstruktur85 81 82 83 84 85

Z. B. Ministerkonferenz vom 28. Dezember 1852, ÖMR. III/1, Nr. 76, 377 f. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 315. HANSLICK, Aus meinem Leben, 103 f. VESQUE VON PÜTTLINGEN, Lebensskizze, 32. ELIAS, Höfische Gesellschaft, im besonderen 88.

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1. Der Alltag im Amt

mit ihrer vom Absolutismus geprägten Hierarchie. Die im Vergleich mit dem Gepränge des Hofes armselig anmutenden Amtsränge konnten aber nicht genügen. Es mußten weitere Symbole geschaffen werden. Auszeichnungen und Orden sowie Uniformen boten die Möglichkeit, den bürokratischen Apparat mit weiteren Distinktionen zu bereichern, soziale Abhebungen, Prestige und Repräsentation zu zelebrieren. Davon wurde ausgiebig Gebrauch gemacht. Nicht umsonst führt Megerle 1824 unter den „besonderen Rechten und Vorzügen“ der Beamten86 neben anderen, wie selbstverständlich „Rang, Titel und Charakter“, auch „Ehrenkreuze“ und „Ehrenmedaillen“ an. Dieses System der Abstufung der Orden und Auszeichnungen wurde immer mehr verfeinert. Man kann wahrscheinlich die These aufstellen: je bürgerlicher die Gesellschaft wurde, desto mehr. Im Grund bedeutete dieses abgestufte und abgehobene Ordnungssystem in der Bürokratie – so widersprüchlich dies scheint – Angleichung an die ehemalige Hofgesellschaft, da man damit die Unterschiede betonte. Hohe Orden, wie die Kämmererwürde, für die acht väterliche und acht mütterliche adelige Ahnen erforderlich waren, oder in der Regel auch der ungarische Stephansorden blieben sowieso weiterhin Aristokraten vorbehalten87. Diejenigen Beamten, die die Kämmererwürde verliehen bekamen – und das waren in der Regel nicht sehr viele Spitzenbeamte – trugen auch zeitgenössischen Aussagen zufolge meistens die den Kämmerern zugeordnete Uniform und nicht die Beamtenuniform88. Sie trugen damit nicht nur ihre respektable ­Ahnenreihe zur Schau, sondern auch, daß sie sich als Beamte besonderer Qualität fühlten. Das Heer der Beamten erhielt seine Orden nach Rängen abgestuft89. Die höchsten Beamten (ca. bis zur vierten Rangklasse) erhielten die höheren Grade des als vornehm geltenden Leopoldordens oder des Ordens der Eisernen Krone. Dies war mit der Erhebung in den Freiherrnstand verbunden. Das Ritterkreuz des Leopoldordens wurde in der Regel den Beamten der 5. Rangklasse (Hofräte), der Eiserne Orden III. Klasse den Beamten der 6. Rangklasse (Hofsekretäre) verliehen. Damit wurden sie üblicherweise auch nobilitiert. Ab 1849 gab es den FranzJoseph-Orden, der sich zum Massenorden für Beamte entwickelte. Zuvor war verdienten Beamten als Auszeichnung die in drei Klassen gegliederten goldenen und silbernen Ehrenmedaillen mit und ohne Kette90 zugeteilt worden. 86 87 88 89 90

MEGERLE, Handbuch 1, 415–508. WALDSTEIN, Adelsrecht, 362. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 234. MEGNER, Beamte, 329. MAYR, Wien, 180.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Die Zuerkennung von Uniformen war angeblich schon lange (seit 1793) der Wunschtraum der Beamten gewesen91. Zunächst jedoch lehnten Kaiser und Hofkanzlei ab, nicht zuletzt mit dem begreiflichen Argument, das Tragen von Beamtenuniformen würde der Öffentlichkeit erst demonstrieren, wie viele Beamte es tatsächlich gäbe, und man befürchtete nicht zu Unrecht den schlechten Eindruck, den dieses Eingeständnis des ansehnlichen Beamtenheeres in der Öffentlichkeit hervorrufen würde. Erst 1814 beschloß der Kaiser als Beweis seiner besonderen Gunst, allen Hof- und Staatsbeamten das Ehrenkleid der Uniformen zuzuerkennen. Die ungarischen Beamten aber blieben von der Gnade ausgeschlossen92. Die Uniformen wurden der sozialen Realität angepaßt. Sie waren prächtig für die hohen Ränge und bescheiden für die unteren. Das dunkelgrüne Tuch galt zwar als Grundfarbe für alle, doch je höher der Rang, desto glänzender wurde der Eindruck. Die Breite und der Reichtum der goldenen (für die „Länderstellen“ silbernen) Stickerei machten den Rang erkenntlich – in 12 Abstufungen (gemäß dem Diätennormale von 1813), wobei selbstverständlich der höchste Rang auf die breiteste und kostbarste Stickerei Anrecht hatte. (Die letzte Klasse bekam überhaupt keine Stickerei zugedacht.) Die Staats- und Konferenzminister aber hatten neben der gewöhnlichen noch eine „Prachtuniform“. An den Farben der Aufschläge konnte man die Hofstelle und die den Hofstellen zugeordneten Länderstellen, denen der jeweilige Beamte zugeordnet war, erkennen. Die Zentralstellen bekamen folgende Farben zugeteilt: Staatsrat: kornblumenblau Staatskanzlei: schwarz Geheimes Kabinett: dunkelgrün Politische Hofstelle: pompadour Hofkammer: lichtgrün Oberste Justizstelle: veilchenblau Generalrechnungsdirektorium: karminrot Hofkriegsrat: lichtblau Polizeihofstelle: silbergrau

91 Ebd., 181. 92 Ebd.; das „Uniformnormale“ wurde mit Hofkanzleidekret vom 30. September 1814, FRANZ I. (II.) – GESETZE 42 (1814) 80 erlassen; siehe auch MEGNER, Beamte, 238 ff.

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1. Der Alltag im Amt

Wieweit bei der Zuteilung farbsymbolische Überlegungen eine Rolle spielten, bleibe dahingestellt. Olszewski, selbst Beamter und Kritiker der Bürokratie, interpretierte Schwarz als düster-geheimnisvoll, Veilchenblau-Violett als Farbe der Buße, (Licht-)Grün als Hoffnung auf vermehrte Staatseinnahmen93. Zu der Uniform wurde ein Degen getragen. Das Tragen einer Uniform wurde als ausdrück­ liches Recht deklariert. Eine Verpflichtung, sich zu uniformieren, bestand nur bei feierlichen Gelegenheiten, „wenn die Gremien in corpore“ zu erscheinen hatten94. Ein Zwang hätte auch eine unzumutbare Belastung für die Beamten dargestellt, da sie das Ehrenkleid auf eigene Kosten anschaffen mußten. Wir wissen nicht, in welchem Ausmaß die angeblich so sehnlich gewünschte Beamtenuniform dann getragen wurde. Wahrscheinlich haben die hohen Kosten der Anschaffung die Freude an ihr ein wenig gedämpft. Darstellungen von Beamten in Uniformen sind bis 1849 nicht bekannt. Diese Tatsache änderte sich mit Erlaß vom 24. August 1849 mit der neuen „Uniformierungsvorschrift“. Durch diese wurden die Beamten verpflichtet, Uniformen zu bestimmten Anlässen zu tragen, und zwar bei „feierlichen Gelegenheiten, bei Kontakt mit anderen Ämtern und im Publikumsdienst“95. Ein starker Zug zum Militärischen machte sich in den Änderungen bemerkbar. Auch die Farben wurden neu verteilt: Außenministerium: karminrot Innenministerium: pompadour Justizministerium: veilchenblau Finanzministerium: lichtgrün Kriegsministerium: lichtblau Unterrichtsministerium: kornblumenblau Handelsministerium: orangegelb Landeskulturministerium: dunkelbraun Generalrechnungsdirektorium: schwefelgelb Kabinettskanzlei, Kabinettsarchiv und Ministerialbüro: dunkelgrün 93 Josef OLSZEWSKI, Bureaukratie (Würzburg 1904) 159 f. 94 Uniformierungsnormale, zit. Anm. 92. 95 Reichsgesetzblatt, Nr. 377/1849; auch MEGNER, Beamte, 240; Abbildung der Uniform in Uniform und Mode am Kaiserhof. Hofkleider und Ornate, Hofuniformen und Livreen des 19. Jahrhunderts aus dem Monturdepot des Kunsthistorischen Museums Wien. Katalog der Ausstellung in Schloß Halbturn 20. Mai – 26. Oktober 1983 von Georg KUGLER und Herbert HAUPT (Eisenstadt 1983) 69.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Die Einstellung der Beamten zur Uniform hatte sich jedoch geändert. Sie waren nun über den Zwang, die bis auf den letzten Knopf geregelte, teure Uniform zu tragen, gar nicht erfreut, und um 1870 sträubten sich sogar viele, sich zu uniformieren – aufgrund ihrer bürgerlich-liberalen Gesinnung96 –, die zugleich auch als Ausdruck des gestiegenen Selbstbewußtseins der Beamten gegenüber dem Militär gelten kann. 70 Jahre früher, um 1800, war die Situation noch deutlich anders gewesen. Der Wunsch der Beamten nach der Uniform war einerseits wohl praktisch bedingt. Sie ersparte das Anschaffen von eleganter Zivilkleidung, die sich der Beamte aufgrund seiner beschränkten finanziellen Lage ohnehin nicht leisten konnte, weshalb er oft gezwungen war, entweder auf manche gesellschaftliche Anlässe zu verzichten oder in ärmlicher Kleidung „im bürgerlichen Leben vielfache Zurücksetzung [zu] erfahren“97. Andererseits kam der Wunsch nach der Uniform der Beamten aus dem Bedürfnis, sich der adeligen Hofgesellschaft anzugleichen und damit eine soziale „Erhöhung“ zu erfahren. Die formale Gleichstellung im Amt, von der geredet wurde, war noch nicht selbstverständlich. Man bedurfte zum Prestige der äußeren althergebrachten Attribute, die in das Amtsleben des „neuen“ bürgerlichen Beamtentums einflossen. Im Privatleben freilich herrschten noch die viel gravierenderen Barrieren des gesellschaftlichen Verkehrs98, die den bürgerlichen Beamten von seinem aristokratischen „Kollegen“ trennte.

96 MEGNER, Beamte, 241. 97 Theodor KRATKY, Die Beamten- und Besoldungsfrage in ihrem Zusammenhange mit der Organisation des Staatsdienstes und der Universitäten (Wien 1857) 32 f. 98 BRUNNER, Adeliges Landleben, 339.

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2. Alltag im Privatleben

2. Alltag im Privatleben 2.1. Die „zweite Gesellschaft“ Eine Französin, die Baronin Montet, die zwischen 1810 und 1824 in Wien lebte, schilderte ihre Eindrücke von der österreichischen oder besser Wiener Gesellschaft folgendermaßen: „Es liegt ein Keim tiefen Hasses, vielleicht gar kommender Revolution in der arroganten und verächtlichen Zurückhaltung der hohen österreichischen Aristokratie und der von ihr verletzten Eitelkeit der ,zweiten Gesellschaft‘. Nichts führt von dieser hinüber zu jener, weder Heiraten, die immer nur Messallianzen sind, noch geleistete Dienste, nicht Würde, nicht Stellung, auch nicht die höchsten Orden. Wer sie trägt, genießt zwar für sich alle Ehren und Vorteile, die damit verbunden sind, aber seine Familie bleibt immer fremd … Der Dichter, der geniale Mensch, ist nicht imstande, die alberne Grenze zu überschreiten, die ihn von den aristokratischen Salons trennt, wo er seinen Geschmack verfeinern und zugleich den matten, abgestumpften Geist beleben könnte, der dort herrscht.“1 In diesem Zusammenhang fällt der Baronin der Unterschied zwischen dem „alten“ Paris und Wien auf: In Paris wäre es den vornehmsten Kreisen eine Ehre gewesen, die „Berühmtheiten des Geistes und der Kunst“ bei sich zu sehen, in Wien erlaube sich umgekehrt die „zweite Gesellschaft“, in der sich die „geistige Vornehmheit“ befände, den Luxus, den Hochadel bei sich zu sehen. „Der Geist“, so die Baronin Montet wörtlich, „vermag hier nicht den ihm gebührenden Platz einzunehmen“2. Diese (soziale) Trennung von „Adel“ und „Geist“ hatte Tradition. Pezzl beobachtete schon einige Jahrzehnte früher (1787) dieselbe strenge Separierung der „ersten Gesellschaft“, des Adels, von der „zweiten Gesellschaft“, dem „Geist“, und er zählte die Beamten, sofern sie nicht ohnehin zur Hocharistokratie zählten, der „zweiten Gesellschaft“ zu3. „Diese Klasse habe“, so erzählt uns Pezzl, bereits unter Joseph II. begonnen, „sich unter allen Ständen am meisten aufzuhellen“. Sie verbreite die „lichtere Denkart“ auf mehrere Köpfe und durch diese wieder auf mehrere Stände des Pu-

1 August FOURNIER, Die Memoiren der Baronin Montet. In: Österreichische Rundschau 4 (August–Oktober 1903) 298. 2 Ebd., 299. 3 PEZZL, Skizze (1787), 478 f.; an dieser Stelle sei erwähnt, daß auch im Salon der Caroline Pichler nur selten Hocharistokraten verkehrten.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

blikums4. Der Lebensstil der „ersten Gesellschaft“, der Aristokratie, wurde von Hannes Stekl beschrieben5. Vom Lebensstil der zweiten Gesellschaft, der hohen Beamten und sogar der nicht so hohen, werden wir durch die Flut von Memoirenliteratur gut unterrichtet und erhalten so ein etwas pointilistisches Bild, das es uns aber doch ermöglicht, eine Reihe von typischen Lebensformen herauszukristallisieren. Wie sich denken läßt, unterscheiden sie sich grundlegend von den Gewohnheiten des Hochadels, wie sie Stekl beschreibt. Eine Überbrückung der Kluft zwischen den beiden Gruppen durch Konnubium war tatsächlich undenkbar, denn die Heirat mit Angehörigen des Hochadels war bürgerlichen oder auch kleinadeligen Beamten durch gesellschaftliche Regeln verwehrt. Selbstverständlich versuchten „die Leute, die vom Halbadel, aus den Familien der Räte, Dikasterianten, Negozianten, Kaufleute … unter dem Schirm der Liebe und der darauffolgenden Ehe eine Stelle oder ein Kapital, das sie nährt und versorgt“6. Schon in Hinblick auf ihr schmales Salär blieben ihnen wenige andere Möglichkeiten, ihren Lebensstandard zu verbessern. Fanden sie keine solche „Partie“, waren die Beamten gezwungen, bis ca. zu ihrem 40. Lebensjahr ledig zu bleiben. Erst ab diesem Alter waren sie in einer materiellen Position, die es ihnen erlaubte, eine Familie zu gründen. So gab es „eine Menge von Kanzleimännern, Hausoffizieren etc., die schon seit Jahrzehnten ordentliche Liebschaften unterhalten und als Freier samt ihren Liebsten grau“ wurden, bemerkt Pezzl7. Formal gab es zwar keine Ehebeschränkung für die höheren Beamten8, außer für die Militärbeamten, die eine Kaution erlegen mußten, falls sie zu einem Zeitpunkt heirateten, zu dem sie noch unter 1.200 Gulden verdienten9, doch die praktischen Verhältnisse zwangen viele Beamte zur Ehelosigkeit. So mußte die Überlegung, eine „reiche Partie“ zu machen, selbstverständlich im Heiratsverhalten der Beamten eine beträchtliche Rolle spielen, anders wäre ein standesgemäßer Lebensstandard nicht zu finanzieren gewesen. In den Wohnungen der Beamten des 4

Pezzl führte „diejenigen Personen, die man sonst Honoratiores“ nannte an: „nämlich die Räte, Agenten, Doktoren, Bankiers und Negozianten“, Pezzl, Skizze (1787), 88; vgl. auch Franz Gräffer, Aus dem Wien des Kaiser Joseph (Josephinische Curiosa); eingeleitet und herausgegeben von Paul Wertheimer (Wien 1919/Erste Ausgabe 1848) 28. 5 Hannes STEKL, Aristokratie, besonders 128–212. 6 PEZZL, Skizze (1787), 250 f. 7 Ebd., 426 f. Andreas Wild konstatierte bei den Wiener Magistratsräten zwischen 1783 und 1848 ein Heiratsalter zwischen 31 und 40 Jahren bei der ersten Eheschließung und zwischen 41 und 50 Jahren bei der zweiten Eheschließung. 8 Über die Einschränkung für bestimmte niedere Beamte siehe die Verordnung von 1800, zit. S. 49. 9 MAYR, Wien, 176.

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2. Alltag im Privatleben

Wiener Zivilgerichts, selbst bei den Auskultanten (Praktikanten bei Gericht) und Protokollisten werde „viel Nobilität“ an den Tag gelegt, denn viele hätten reich geheiratet, berichtet der Beamte des Wiener Kriminalgerichts, Erasmus Kessler, etwas wehmütig (er selbst war in ein Mädchen aus durchaus respektabler, aber nicht reicher Familie verliebt)10. 1816 klagt Hammer-Purgstall bitter über die entgangene Beförderung zum Hofrat, die ihm 4.000 fl. Salär eingebracht hätte. Dieses Gehalt hätte es ihm, so meinte er, endlich (mit 42 Jahren!) ermöglicht, „auch eine unbemittelte Frau ernähren und haushalten zu können“11. So entschloß er sich (da sein 3.000 fl. Gehalt dazu nicht ausreichte), die reiche Bankierstochter Karoline von Henikstein zu ehelichen. Im Vormärz lebten in der Wiener Altstadt weit mehr unverheiratete Beamte als unverheiratete Gewerbetreibende. Auch die durchschnittliche Kinderzahl der Beamten lag bedeutend hinter der der Gewerbetreibenden und hinter der des Adels. Vermutlich gab es gerade bei den Beamten als erste städtische Bevölkerungsgruppe, so vermutete Elisabeth Lichtenberger12, eine (bewußte) Geburtenbeschränkung. Die Forderung nach einer „standesgemäßen“ Lebensführung bei gleichzeitiger schlechter Besoldung bildete den Hintergrund für die Entwicklung von Maßnahmen, die Familien in einem zahlenmäßig entsprechenden Rahmen zu halten. Trotzdem war es üblich, hauptsächlich wieder in Beamtenfamilien oder in Offiziersfamilien einzuheiraten. Dies brachte vermutlich weniger Geld, aber Prestige und vor allem Protektion im eigenen Beruf. Der bereits als hoher Beamter in der Hofkammer und Verfasser von staatsrechtlichen und finanzkundlichen Werken erwähnte Anton Joseph Emanuel Ritter von Krauß Elislago war selbst Sohn eines hohen Beamten im Hofkriegsrat. Er selbst heiratete im Alter von 27 Jahren, also relativ sehr jung für einen Beamten, die Tochter eines Landrates der Justiz „spanischer Abkunft“, seine älteste Schwester den Dichter und Beamten in der Hofkammer, Heinrich von Collin. Von seinen vier Söhnen werden drei Beamte, einer Offizier, seine Tochter heiratet einen Offizier, wofür er (mit großem Bedauern) 6.000 fl. Kaution zu erlegen hatte. Das Bild wird vollständig, wenn man liest, daß auch Anton Joseph Emanuels erster Bruder Vizepräsident des niederösterreichischen Guberniums, sein zweiter Bruder Offizier war13. 10 KESSLER, Tagebuch 3 (Eintragung vom 31. Dezember 1838, „Nachwort“ zu 1838) WST. u. LB., Handschriftensammlung. – Vgl. auch HÄRDTL, Fünfundzwanzig Jahre, 5 (über Familienheiraten). 11 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 232 f. 12 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 172 f. 13 KRAUSZ ELISLAGO, Autobiographie, 22, 32 und 58.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Es entsteht allerdings der Eindruck, daß Ehen unter Beamtenkindern erst ermöglicht wurden, wenn die Familie bereits (meist durch eine wohlhabende Frau) finanziell abgesichert war. Der Staatskanzleibeamte Johann Georg Obermayer beispielsweise führte in erster Ehe ein reiches, zu seinem Bedauern nicht sehr gebildetes Landmädchen aus Niederösterreich heim. Er konnte es sich daher leisten, in zweiter Ehe eine gebildete, aber arme Frau zu heiraten14. Die Beamtenfamilie Pratobevera scheint in finanziell guten Verhältnissen gelebt zu haben15. Ob das Vermögen hauptsächlich aus dem Weinhandel des Großvaters, eines eingewanderten Norditalieners, stammte? Carl Joseph Pratobevera (1769–1853), Rechtsgelehrter, Mitarbeiter am ABGB, Professor an der Wiener Universität (Rector magnificus 1824), 1829 in den Ritterstand, 1838 in den Freiherrnstand erhoben, heiratete die Tochter eines Industriellen16. Sein Sohn Adolph machte eine steile Karriere im Staatsdienst und wurde schließlich (1861/62) Justizminister. Einer seiner beiden Brüder wurde Arzt, der andere Offizier. Die vier Schwestern waren der Musik sehr verbunden. Maria ehelichte den Sprach- und Altertumsforscher Joseph Bergmann, kaiserlicher Regierungsrat und Kustos im Münz- und Antikenkabinett17, Bertha von Pratobevera den Schubert-Biographen Heinrich Kreißle von Hellborn18. Adolph selbst heiratete Amalia Wagner, die Tochter des Gerichtsadvokaten Kaspar Wagner, dessen Haus in Maria Enzersdorf Mittelpunkt des berühmten Romantikerkreises war. Die einzige Tochter Pratobeveras, Marie Adolfine, heiratete in erster Ehe Joseph Freiherrn von DoblhoffDier19, in zweiter den Bezirkshauptmann Benedict von Hasslinger20. Durch die Ehe mit Maria Wagner war die Verbindung Pratobeveras mit dem katholischen 14 DIE WECKBECKERS, 35 ff. und 41 f. – Bei Kübeck verhielt es sich allerdings umgekehrt. Er heiratete in erster Ehe die Tochter eines Beamten, erst in zweiter die wohlhabende Industriellentochter Julie Lang, KÜBECK, Tagebücher 1/1, XXI f. 15 Verlassenschaftsabhandlung Adolph Freiherr von Pratobevera-Wiesborn, WST. u. LA., Verlassenschaften B 6, Innere Stadt A IV.1031/1875. 16 „Selbstbiographische Skizze geschrieben von unserem geliebten Vater Carl Joseph Freiherrn von Pratobevera … in Baden im Jahr 1841“, HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 10. Clemens HÖSLINGER, Aus den Aufzeichnungen des Freiherrn Pratobevera. In: SCHUBERT-STUDIEN. Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Schubert-Jahr 1978, hg. v. Franz GRASBERGER (= Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 341, Wien 1978) 119; WURZBACH, Biographisches Lexikon 23, 207–215. 17 WURZBACH, Biographisches Lexikon 1, 313–316. 18 HÖSLINGER, Pratobevera, 120. 19 WURZBACH, Biographisches Lexikon 3, 329. 20 „Briefe an Beni“, HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 1.

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2. Alltag im Privatleben

Romantikerkreis gegeben, ein interessanter Hintergrund für seine spätere Entwicklung – Adolph Pratobevera war liberal gesinnt. Der Romantikerkreis bietet uns ein gutes Beispiel der vielfachen Familienbeziehungen der Beamten untereinander. Joseph Anton von Pilat, Privatsekretär Metternichs und später Hofsekretär und Regierungsrat in der Staatskanzlei, war bekanntlich ein Zentrum der katholischen Bewegung in Wien21. Er war daneben Schriftsteller, Übersetzer (aus dem Griechischen und Lateinischen), Verfasser von publizistischen Schriften im katholischen Sinn und Redakteur des „Oesterreichischen Beobachters“. Er heiratete Elise von Mengershausen, deren Schwester wurde die Frau des Malers Klinkowström (der ebenfalls Mitglied des katholischen Romantikerkreises war). Pilats ältester Sohn, der wie sein Vater Beamter in der Staatskanzlei wurde, heiratete eine Tochter des katholischen Theoretikers Adam Müllers, eine seiner Töchter den Beamten in der Staatskanzlei und bekannten Diplomaten Alexander von (später Graf ) Hübner22. Die familiären Verflechtungen der Beamtengesellschaft Wiens waren also sehr eng. Auch die berühmte Caroline Pichler war Tochter eines Beamten, des Hofrates (seit 1773 in der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei) Greiner, Enkelin eines Beamten (eines Rechnungsrates) und eines Offiziers. Ihr Bruder war Beamter, und sie selbst heiratete einen Beamten23. In der Wiener „zweiten Gesellschaft“ verkehrten also die Mitglieder vielfach miteinander verschwägerter und verwandter Familien. Bestand also ein Unterschied zu den adeligen Usancen der „ersten“ Gesellschaft? In den „Staatsschematismen“ begegnen wir über Jahrzehnte hinweg immer wieder denselben Namen, oft noch dazu in denselben Ämtern. Und liest man parallel zu den Staatsschematismen die zahlreichen Beamtenbiographien in Wurzbachs „Biographischem Lexikon“ und in Hoffingers „Ehrenhalle“24, so wird (festgestellt hier zumindest für den Wiener Raum) eine stattliche Reihe von nichtadeligen oder kleinadeligen Beamtendynastien deutlich, die sowohl im Amt wie in der Gesellschaft eine ansehnliche Rolle spielten. Es war nahezu selbstverständlich, daß Söhne von Beam21 Pilat war früher Freimaurer gewesen. 22 DER ROMANTIKER-KREIS IN MARIA ENZERSDORF. Klemens Maria Hofbauer und seine Zeit (= Ausstellungskatalog der Marktgemeinde Maria Enzersdorf am Gebirge im Schlößchen auf der Weide, 3. Juni bis 25. Juni 1989, Wien 1989) 74 ff. 23 PICHLER, Denkwürdigkeiten 2, 38; WURZBACH, Biographisches Lexikon 5, 326 ff. und 22, 242–253. 24 Bei HOFFINGER, Oesterreichische Ehrenhalle, werden hauptsächlich Beamtenbiographien berücksichtigt.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

ten (zumindest bei mehreren einer oder zwei von ihnen) wieder Beamte wurden. Zu dem „famlienbedingten“ Interesse traten noch die Erleichterungen, die man den Beamtensprößlingen bezüglich des Eintritts in den Staatsdienst gewährte25. Und nur kurzzeitig wurden diese Vergünstigungen von Kaiser Franz sistiert26. Was lag also näher, als die Söhne zum juridisch-politischen Studium zu schicken? Was liegt aber auch näher, als von „Nepotismus“ im Staatsdienst zu sprechen27? Die Erblichkeit der Ämter gab es zwar de jure nicht, doch de facto existierte sie in einer doch recht ausgeprägten Weise, die von der persönlichen Geschicklichkeit und den Beziehungen der einzelnen Beamten abhing. Oft gelang der soziale Aufstieg in der Abfolge der Generationen. Die Familie Plener bildet ein gutes Beispiel. Wilhelm Plener war niederösterreichischer Regierungsregistrator (1703–1779), sein Sohn Ignaz Plener (I.) (gest. 1829), Professor der englischen Sprache am Theresianum, dessen Sohn Ignaz (II.) Sektionsrat des Finanzministeriums, Ignaz Plener (III.) (1810–1908) war Finanzlandesdirektor in Preßburg und Lemberg, bevor er Finanz- und Handelsminister wurde. Sein Sohn Ernst (1841–1923) begann als Diplomat und wurde schließlich Abgeordneter und Minister der Finanzen und heiratete eine Tochter der Familie der ungarischen Barone Eötvös28. Von der Ausbildung der Töchter ist in der Memoirenliteratur nie die Rede. Nur der gute Beobachter Pezzl bedauert, daß sie so „total vernachläßigt“ wurde. Das „k. k. Civilmädchenpensionat“ und das Pensionat bei den Ursulinen, die Kaiser Joseph II. gründen ließ, damit den Mädchen „Religion, Schön- und Rechtschreiben, Rechnen, Zeichnen, Naturlehre, Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Geschichte, schriftlicher Aufsatz in der deutschen und französischen Sprache, gewöhnliche weibliche Arbeiten“29 (was immer das sein mochte) beigebracht werde, waren schon als Fortschritt zu bezeichnen. Es ist anzunehmen, daß höhere Beamte ihre Töchter an diese Schulen zu schicken pflegten, wir haben aber keine positiven Hinweise dafür. Jedenfalls waren sie bestimmt, die Familienbeziehungen zu bereichern, das Netz der Wiener Beamtenfamilien engmaschiger zu gestalten.

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BUNZEL, Lebenslauf, 47. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 214. MAYR, Wien, 177. Vgl. den Nachlaß Ignaz PLENER, HHStA., Nachlaß Ignaz Plener, vor allem Karton 1–3. Der Familie Calice gelang der soziale Aufstieg in noch rascherer Folge; freundlicher Hinweis von Prof. Stourzh, dem ich dafür herzlich danke. 29 PEZZL, Skizze (1787), 515.

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2. Alltag im Privatleben

2.2. Lebensformen: Wohnen und Essen Der Lebensstandard Die Aristokraten unter den Beamten der Wiener Behörden teilten wahrscheinlich das elegante Wohnen ihrer Standesgenossen in den Wiener Stadtpalais der Adelshäuser. Der Sommeraufenthalt auf dem Land, der üblich war30, mußte wohl notwendigerweise des Dienstes wegen eingeschränkt werden. Wir wissen jedoch von Finanzminister Johann Philipp Graf Stadion aus Grillparzers Selbstbiographie, daß er im Sommer längere Zeit auf Stadions gütern verbrachte, wo er (mitunter auch) Amtsgeschäfte erledigte. Jedenfalls nahm er seinen Ministerialsekretär Grillparzer dorthin mit31. Die Wohnungen der höheren Beamten, auch wenn sie nicht adeligen Geblüts waren, mußten oder sollten zumindest „standesgemäß“ dem Rang des Beamten entsprechen. Dies war bis zur Aufhebung des Hofquartiersystems mit Beginn 178132 nicht ganz so einfach, da die Beamten oft jahrelang auf die Zuweisung eines Quartiers warten mußten33, und danach wurde die Situation noch schwieriger. Wien litt damals unter Wohnungsmangel und dementsprechend unter hohen Mietzinsen34. Diese hingen selbstverständlich von der Lage der Wohnung ab, wobei die Stadtwohnungen ein sehr hohes Prestige besaßen und dementsprechend teuer waren. Je weiter die Wohnung in einer der zahlreichen Vorstädte von der City entfernt lag, desto billiger wurde sie. Zunächst ist festzustellen, daß in unserer Periode bis in die Gründerzeit die sogenannte „zweite Gesellschaft“ von der „ersten Gesellschaft“ auch lokal in Wien getrennt blieb. Die „zweite Gesellschaft“ siedelte in der mittelalterlichen Kernstadt rund um den Hohen Markt, beiderseits des Grabens und im Großhandelsviertel um den Fleischmarkt. Als Hochadelsviertel, das allerdings seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts im Abbau begriffen war, galt nach wie vor der Raum zwischen Hofburg und Graben35. 30 31 32 33 34 35

STEKL, Aristokratie, 158–172. GRILLPARZER, Selbstbiographie, 95 f. Siehe S. 60 und 189 ff. WANIEK, Beamtenwohnung, 55. Ebd., 111–114. LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 156 f. Ergänzt sollte hier noch werden, daß 1779 noch 93 Häuser in der Altstadt im Besitz von Beamten und freiberuflichen Bürgern waren (gegenüber 116 hochadeligen Hausbesitzern im selben Jahr), 1849 allerdings keine; der Hochadel besaß 144 Objekte, ebd., 153.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Mit der ständigen Teuerung konnten sich viele Beamte das prestigereiche Wohnen in „der Stadt“ (im heutigen 1. Wiener Gemeindebezirk) nicht mehr leisten. Aus den Staatshandbüchern (Staatsschematismen), in denen die Adressen der Beamten dankenswerterweise vermerkt werden, wird ersichtlich, daß viele höhere Beamte in den Vorstädten, vorzugsweise auf der Wieden, in der Josefstadt und am Alsergrund wohnten36. Besonders nach Aufhebung des Hofquartiersystems mußten viele Beamte in die Vorstadt ziehen. Caroline Pichlers Familie beispielsweise – der Vater hatte als Hofrat eine überdimensionale Dienstwohnung zugewiesen bekommen, die er nun verlor – siedelte nun in die Vorstadt Alsergrund, um sich eine adäquate Wohnung in entsprechender Größe, in der man auch gesellschaftliche Zirkel halten konnte, leisten zu können37. 1834 wohnte nur noch ein Drittel der Beamten in der Stadt, die anderen zwei Drittel in den Vorstädten, wo die großen Wohnungen noch immer billiger waren. Elisabeth Lichtenberger spricht von e­ iner Pendelbewegung von rund 3.000 Beamten aus den Vorstädten zu ihren Ämtern in „der Stadt“38. Hand in Hand mit der weiteren wirtschaftlichen Verschlechterung des Beamtenstandes39 nahm auch im Laufe des Vormärz der Prozentsatz der Beamten ab, die sich noch eine Stadtwohnung leisten konnten. Im Jahr 1853 wohnten nur noch die höchsten Beamten – im Fallbeispiel des Finanzministeriums waren es die Sektionschefs (zu 100%) und Ministerialräte (zu 89,5%) – in der Stadt: Ein deutlicher Prozentsatz der im Rang nachstehenden Beamten, die aber noch zum höheren Beamtentum zählten, wohnte in den Vorstädten40. Ein Hort der mittleren Beamten waren im Vormärz in der Inneren Stadt noch die sogenannten (nicht sehr gut erhaltenen) Basteihäuser, etwa auf der Mölkerbastei, für die höheren Beamten waren dies die geistlichen Wohnhöfe. (Nach der Konskription von 1826 wohnten besonders viele höhere Beamte im Melkerhof in der Schottengasse41.) Diese Häuser hatten entsprechend große Wohnungen. Miethäuser barocken oder klassizistischen Ursprungs wurden, da hier die Wohnungsgrößen variierten, von Beamten verschiedener Ränge bewohnt. Zu richtigen „Beamtenhäusern“ wurden das ehemalige Bürgerspital in der Stadt, das 1783, nachdem das neue Allgemeine Krankenhaus in der Alser Vorstadt errichtet 36 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 181, nennt auch die Vorstädte St. Ulrich, Landstraße und Leopoldstadt. 37 PICHLER, Denkwürdigkeiten, 45 und 51 f.; vgl. auch PEZZL, Skizze (1805), 35. 38 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 179 f. 39 Siehe S. 182–189. 40 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 179 f. 41 Ebd., 177; Übersicht über die Mieter des Melkerhofes, 352–357.

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2. Alltag im Privatleben

worden war, in ein Zinshaus umgewandelt wurde 42 und das Freihaus der Grafen Starhemberg auf der Wieden. In beiden nach heutigen Begriffen „mietskasernenartigen Anlagen“ finden wir eine Ansammlung von Beamten hoher und niederer Ränge als Mieter. Je höher der Rang desto größer war natürlich die Wohnung43. Die Wohnungsgröße, die für höhere Beamte als angemessen erachtet wurde, hatte nach unseren heutigen Begriffen geradezu riesige Dimensionen. Hofräte wohnten in der späten maria-theresianischen Periode in Hofquartieren mit ca. 9 Zimmern, Konzipisten hatten drei bis vier Wohnräume zur Verfügung44. (Die Wohnungsgröße nahm für die unteren Ränge weiter ab.) Für die Leiter der Hofstellen waren die Wohnungen entsprechend größer: Die Dienstwohnung für den Hofkriegsratspräsidenten Fürst Schwarzenberg im Amtsgebäude des Hofkriegsrates umfaßte 1814 28 Zimmer. Sie dünkte ihm zu klein45, was nach damaligem Standard verständlich erscheint: Die Wohnung des Leiters der Hofkammerprokuratur in Graz, Josef von Varena, hatte nämlich zur gleichen Zeit (es handelte sich um das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts) 20 Zimmer. Der Durchschnitt der höheren Beamten wohnte in Wohnungen oder Häusern mit ca. neun Zimmern46. Die Vorstellung von einer Wohnungsgröße nach Diensträngen hatte sich offensichtlich auch später nicht geändert. Die „kleine, preisgünstige Villa“, die Sektionschef Gustav Höfken in den fünfziger Jahren in Perchtoldsdorf bewohnte, wies ähnliche Dimensionen auf47. Die ehemalige (aus der maria-theresianischen Zeit stammende) Norm, daß einem Behördenleiter eine Wohnung mit neun Zimmern (ohne Dienstbotenzimmer) zustehe, spiegelt sich noch im Wohnungsplan der Dienstwohnung des Bezirkshauptmanns Benedict Hasslinger im Kreisamtsgebäude in St. Pölten wider48. 42 Ebd., 149; MAYR, Wien, 194. Im Bürgerspital (heute am Albertinaplatz) wohnten beispielsweise auch so prominente Beamte wie Grillparzer, Kübeck oder die Familie Pratobevera. 43 Ebd., 177 f. 44 WANIEK, Beamtenwohnung, 85. Bei den Magistratsräten war die 3-Zimmer-Wohnung das gängige Modell; WILD, Wiener Magistratsräte, 64. 45 MAYR, Wien, 193. 46 Diese Größe besaß auch die standesgemäße Wohnung im „kleinen Palais Lobkowitz“ in der Augustinerstraße des Oberoffizials in der Staatskanzlei Johann Georg Obermayer (um 1790), die 400 fl. kostete; DIE WECKBECKERS, 53 f. 47 Die Villa hatte außer dem Erdgeschoß noch einen ersten Stock mit mehreren Zimmern. „Aus meinem Tagebuch“, HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2, 5. Band, Plan des Hauses, ebd. (am Ende des Faszikels) (siehe S. 276 ff.). 48 „Briefe Benis“ (Benedict von Hasslinger war Schwiegersohn Pratobeveras) HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 1, 5. Paket.

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„Linahof“ der Familie Höfken in Perchtoldsdorf, gekauft und umgebaut in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts

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Wohnung des Bezirkshauptmanns Benedict von Hasslinger im k. k. Kreisamtsgebäude St. Pölten (ca. 1860)

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Inventar des Hauses Höfken, 1859

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Abb. 1a und b: Wohnzimmer in der Wohnung im Guberniumsgebäude in Linz mit dem typischen konventionellen Biedermeier-Interieur der Zeit: Gemälde Öl/Holz von Albert Schindler, 1836.

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Abb. 2: Wohnzimmer von Julie Kübeck, geb. Lang, Frau des Hofkammerpräsidenten im Stil der Laxenburger Gotik, den avantgardistischen Zeitgeschmack repräsentierend. Aquarell von Ludwig Hild, 1841.

Abb. 3: Büro eines Beamten im Biedermeierstil mit betont wohnlicher Atmosphäre. Biedermeier-Interieur von Franz Barbarini. Aquarell, 1839.



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Abb. 4: Büro des Fürsten Metternich. Gouache-Malerei von N. Kern nach J. Ende, ohne Jahreszahl.



Abb. 5: Carl Joseph Pratobevera Freiherr von Wiesborn (Vater). Vizepräsident des k.k. Niederösterreichischen Appelationsgerichts, Mitglied der Hofkommission in Justizsachen und Rektor der Universität Wien(1769–1853). Lithographie von Josef Kriehuber.

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Abb. 6: Adolph Pratobevera Freiherr von Wiesborn (Sohn). Hoher Beamter (Appelationsgerichtsrat bei der Obersten Justizstelle, dann Ministerialrat im Justizministerium), zuletzt Justizminister (1806–1875).

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Abb. 7: Andreas Freiherr von Baumgartner. Hoher Beamter (Leiter von Staatsmanufakturen, Minister der Finanzen und des Handels), Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1793–1865). Das Vorbild für Adalbert Stifters Freiherrn von Risach im Roman „Nachsommer“. Gemälde von Friedrich Amerling.

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Abb. 8: Adalbert Stifter. Schriftsteller und (als Schulinspektor von Österreich ob der Enns) Beamter (1805–1868). Gemälde von M. M. Daffinger, 1846.

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2. Alltag im Privatleben

Die Wohnungsgröße scheint auf den ersten Blick beachtlich49. Sie war jedoch keineswegs übertrieben, wenn wir berücksichtigen, daß auch die Zahl der Personen, die in einem Haushalt lebten, entsprechend hoch war. In den Memoiren der höheren Beamten ist meist von zwei, oft aber von drei und vier Kindern die Rede50. Oft wohnten zwei Generationen (alte Eltern und ein jung verheiratetes Paar) zusammen in einem Haushalt, manchmal lebten in diesem auch erwachsene, nichtverheiratete Geschwister sowie Gouvernanten oder Hofmeister der Kinder51. Dazu kamen die Dienstboten, die gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in hohem Ausmaß vorhanden waren. Elisabeth Lichtenberger ist der Meinung, daß der „Dienstbotenluxus der bürgerlichen Gesellschaft seinen Höhepunkt“ in dieser Zeit erreichte. Folgen wir ihrer Theorie, so dürften wir auch für die Haushalte der Beamten annehmen, daß pro erwachsene Person ein Dienstbote entfiel52. Junge Beamtenfamilien hatten daher etwa ein bis zwei (weibliche) Dienstboten, die im Haus wohnten, ältere in entsprechend höheren Rangklassen auch mehr. Der Oberoffizial der Staatskanzlei, Johann Georg Obermayer, hatte zwischen 1776 und 1796 sogar noch mehr Dienerschaft: nämlich eine Französin als Gouvernante für die zwei kleinen Kinder, eine „Jungfer“ für die Frau des Hauses, eine Köchin und einen Diener53. Der in nicht so glänzenden Verhältnissen lebende Gerichtsbeamte Erasmus Kessler hatte, als er 1846 endlich heiraten konnte, nur einen Dienstboten zur Verfügung54. Unter Umständen konnte der Haushalt eines Beamten (der höheren Kategorie) sechs bis acht oder auch mehr Personen betragen. In acht bis zehn Räumen zu wohnen, war also nicht als außergewöhnlicher Luxus zu bezeichnen. Die Wohnung hatte nicht nur der Unterbringung der Haushaltsangehörigen, sondern eventuell auch der gesellschaftlichen Repräsentation zu dienen. Je höher der Rang, desto öfter war selbstverständlich die Notwendigkeit zur Repräsentation gesellschaftlicher Natur. 49 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 164 f. Wohnungen dürften auch zur Genüge vorhanden gewesen sein. 1856 werden beispielsweise in der Wiener Innenstadt 761 Wohnungen mit 8 bis 10 Wohnungsbestandteilen (wobei Küche, Vorratskammern, Vorräume etc. mitinbegriffen waren) zu 1.000–2.000 fl. Zins pro Jahr gezählt. Das machte 7,9 % aller Wohnungen der Innenstadt aus. 50 Damit soll keine Durchschnittszahl genannt werden. 51 Siehe z. B. DIE WECKBECKERS, 44 ff. und 151 f. 52 LICHTENBERGER, Wiener Altstadt, 167. Auch dem Lustspiel „Die Dienstboten in Wien“ (1806) ist zu entnehmen, daß zwei Dienstboten als standesgemäß für die Familie eines Hofsekretärs angenommen wurde; zit. bei SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 232. 53 DIE WECKBECKERS, 43. 54 KESSLER, Tagebuch 6 (Eintragung vom 17. März 1846) WST. u. LB., Handschriftensammlung.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

1827 werden von Charlotte Leidenfrost in ihrem Büchlein „Die junge Hausfrau vor der Toilette, am Näh- und Putzmachertisch, als Wirthschafterin und Bewirtherin“, das offensichtlich Anleitungen für die Haushaltsführung eines weiten Spektrums bürgerlicher Kreise zu geben beabsichtigte55, stillschweigend folgende Räume als selbstverständlich für den bürgerlichen Haushalt vorausgesetzt: Das Arbeitszimmer des Hausherren, das Schlafzimmer des Ehepaares, das Wohnzimmer. Für etwas besser situierte bürgerliche Familien hält sie auch „ein besonderes Speisezimmer“ für notwendig, „wo irgend die Umstände es gestatten“56, eine „Kinderstube“ (die wahrscheinlich gleichzeitig als Kinderschlafraum zu dienen hatte), dann das „Putz- oder Gesellschaftszimmer“ (in Wien eher Salon genannt) für „anspruchsvollere“ Kreise. Charlotte Leidenfrost empfiehlt zur „Annehmlichkeit des häuslichen Zustandes“ auch ein Badezimmer. Für den Haushalt eines höheren Beamten, der auch gesellschaftlich zu repräsentieren hatte oder zumindest Freunde, Verwandte, Kollegen um sich zu versammeln pflegte, wurde eine Wohnung mit mindestens sieben Zimmern (ohne Küche und Schlafzimmer für die Dienstboten) von den Zeitgenossen als angemessen empfunden. Der Bedarf war sicher gegeben. Aus allen Memoiren und Tagebüchern können wir entnehmen, daß die Beamtenfamilien ein recht geselliges Leben führten. Auch die unverheirateten Beamten, wie Bauernfeld, Castelli, Perth, Kessler und Grillparzer, hatten ein ausgedehntes Besuchsprogramm und trafen oft Freunde und Bekannte in Kaffeeund Gasthäusern57. Der Wohnraum und der Salon standen als Symbol der bürgerlichen Häuslichkeit als Familienzentrum und Kommunikationsraum im Mittelpunkt. Diese bei55 (Charlotte L[EIDENFROST], anonym), Die junge Hausfrau vor der Toilette, am Näh- und Putzmachertisch, als Wirthschafterin und Bewirtherin. Ein Taschenbuch, welches Anleitung zu allen Gegenständen des Putzes und der Mode ertheilt, namentlich zur Selbstverfertigung der Hüte, Aufsätze, Hauben, Kragen, Schnürleiber, Handschuhe, der Haargeflechte und zur Frisirkunst, zu der Kunst, sich geschmackvoll zu kleiden, zu der körperlichen und moralischen Anstandsmode, zu den bewährten Künsten der Toilette und den besten Vorschriften zur Erhaltung und Wiederherstellung der Schönheit, ingleichen zur zweckmäßigen Einrichtung des Hauses, zur Abtheilung und Neubildung der Zimmer, zur Wirthschaftsführung, Bewirthung, Empfang und Unterhaltung der Gäste, zur Anordnung von Gastmahlen und Circeln, zu einem weisen und beglückenden Betragen gegen den Gemahl, die Kinder und die Dienerschaft, so wie zu vielen andern nützlichen und vertraulichen Gegenständen (Ilmenau 1827, 2. Auflage 1831). 56 Zit. nach Georg HIMMELHEBER, „… Zur zweckmäßigsten Einrichtung des Hauses“. Der bürgerliche Wohnraum im Biedermeier II. In: Weltkunst. Aktuelle Zeitschrift für Kunst und Antiquitäten 58/24 (15. Dezember 1988) 3765. Viele Hinweise bezüglich bürgerlichen Wohnens verdanke ich Herrn Gert Rosenberg. 57 Die Tagebücher bzw. Memoiren der genannten Beamten sind voll von solchen Berichten.

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2. Alltag im Privatleben

den Zimmer waren für das Privatleben der Beamten von entscheidender Bedeutung. Ihre Freizeit spielte sich hauptsächlich dort ab. Die private Existenz – nicht nur der Beamten, sondern des gesamten Bürgertums – drückt sich in Wohnzimmer und Salon am einprägsamsten aus. Von den Einrichtungsgegenständen der Beamtenwohnungen sind kaum vollständige Beschreibungen und nur wenige Abbildungen zu finden. Aus dem Beispiel des Wohnzimmers der Gouverneurswohnung in Linz (Abb. la und b)58 dürfen wir wohl schließen, daß die Wohnungen im allgemeinen mit dem typischen Mobiliar der Zeit, den Biedermeiermöbeln, eingerichtet waren, die sich durch nichts von der üblichen bürgerlichen Wohnungseinrichtung unterschieden. Nur in der Qualität herrschten Unterschiede59. Das Wohnzimmer des Gouverneurs von Österreich ob der Enns im Amtsgebäude war sicherlich prunkvoller als das Wohnzimmer eines jungen Konzeptsbeamten, doch wies es im Grund genau die Standardausstattung auf, die Charlotte Leidenfrost für das bürgerliche Wohnzimmer für notwendig erachtet. An erster Stelle wird das Sofa genannt – als Inbegriff der Gemütlichkeit, denn oberster Grundsatz war, bei der Einrichtung mehr auf „Bequemlichkeit“ als auf „Eleganz“ zu achten. „Das Sofa“, heißt es bei Ch. Leidenfrost, „stehe in diesem Zimmer nicht zu nah, doch auch nicht zu fern vom Ofen, und zwar womöglich nicht den Fenstern gegenüber, und so, daß man bequem noch einige Stühle in die Nähe desselben stellen kann, im Fall man Besuch von einigen Personen erhält; ein kleiner runder Tisch vor dem Sofa ist auch in dieser Hinsicht zu empfehlen, ein Bureau, eine Kommode oder dergleichen, gehören außerdem noch in dieses Zimmer, so wie ferner der Nähtisch etwas Unentbehrliches in demselben ist; dieser stehe am Fenster und der Stuhl vor demselben so, daß man bequem von da aus das ganze Zimmer und besonders den Spielplatz der Kinder übersehen kann. Ist die Hausfrau musikalisch oder sollen die Töchter es werden, so ist der passendste Platz des Instruments in diesem Zimmer.“60 Soweit das Bild zeigt, entsprach das Wohnzimmer des Gouverneurs genau diesen Forderungen, die offenbar die Vorstellung der Zeit von der Qualität „gutbür58 Abgebildet in: HIMMELHEBER, „… Zur zweckmäßigen Einrichtung“, 3764. 59 Ebd., 3765. Zum biedermeierlichen Wohnen auch Christian WITT-DÖRING, Der differenzierte Konsum. Das Wiener Möbel 1815–1848. In: BÜRGERSINN UND AUFBEGEHREN. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815–1848 (Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 17. Dezember 1987 bis 12. Juni 1988, Wien 1987) 368–387 (mit vielen Abbildungen). 60 Zit. HIMMELHEBER, „… Zur zweckmäßigen Einrichtung“, 3765.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

gerlich“ ausdrückte. Selbst die Dekorationen sind so, als ob sie nach den Anleitungen der Charlotte Leidenfrost gekauft worden wären: „Porzellan, entweder auf einem bloß dazu bestimmten Gestell, oder in einem Glasschrank, Gipsfiguren, eine schöne Uhr u. dgl.“61. Das Bild der Linzer Gouverneurswohnung repräsentiert den Durchschnittsgeschmack des hohen Beamten, der wahrscheinlich den weitaus größeren Teil der Innenarchitektur der Beamtenwohnungen bestimmte. Es konnte jedoch auch anders sein, wie das Beispiel des „runden Salons“ der Julie Kübeck, geb. Lang, zeigt62, der Frau des Hofkammerpräsidenten Carl Friedrich Kübeck. Das Wohnzimmer der Julie Kübeck verrät einen für diese Zeit avantgardistischen Geschmack: Es ist im Stil der Laxenburger Gotik gehalten. Mit historischer Einrichtung zu leben wurde für das Bürgertum erst später üblich. Den Glanz und „die Eleganz, die man seinem Stand oder [seinen] Verhältnissen schuldig zu sein glaubt“, durfte man im Speisezimmer und im Salon entfalten. Für das Eßzimmer, empfiehlt Charlotte Leidenfrost daher „Buffets, schöne Glasschränke zu dem Silberzeug, dem Tafelporzellan und den Gläsern“ und als Ausschmückung Spiegel, Büsten, Gemälde oder Kupferstiche63. Besonders der Salon aber war das Repräsentationszimmer, in dem sich die „Prachtliebe“ und der „Geschmack“ äußerten. In diesem mußte das Sofa in die Mitte des Raumes gestellt werden, „daß sich bequem vor demselben ein großer Kreis um den Teetisch versammeln könne“. Einige Spieltische, und als Dekorationen Spiegel, Blumenvasen, Blumengestelle, elegante Lampen, Gips- oder Marmorfiguren, Gemälde oder gute Kupferstiche und ein „Fortepiano“ hatten den Ansprüchen bürgerlicher Eleganz Genüge zu tun. Selbstverständlich hingen der Aufwand, das Maß an Pracht, die man entfalten konnte, und die Qualität der Möbel vom Einkommen, also vorwiegend – abgesehen von einem eventuellen Erbe und der Mitgift der Frau – vom Rang des Beamten ab. Doch das Mobiliar war leicht zu beschaffen. Die „Johann Danhausersche k. k. landesbefugte privilegierte Meubelfabrik“ in der Mayerhofgasse 302 auf der Wie61 Ebd. 62 Siehe Abb. 2. Das Aquarell, gemalt von Ludwig Hild 1841, befindet sich im Historischen Museum der Stadt Wien; Beschreibung in DAS ZEITALTER KAISER FRANZ JOSEPHS. Von der Revolution zur Gründerzeit 2 (= Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung, Schloß Grafenegg 19. Mai – 28. Oktober 1984, Wien 1984) 197. Irrtümlich wird hier die dargestellte Julie Kübeck als Tochter Kübecks bezeichnet. Julie, geb. Lang, war selbst eine von Zeitgenossen geschätzte Kunstkennerin und Malerin, KÜBECK, Tagebücher 1/1, XX. Für den Hinweis auf das Bild bin ich Herrn Max Kübeck zu herzlichem Dank verpflichtet. 63 HIMMELHEBER, „… Zur zweckmäßigen Einrichtung“, 3765 f.

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2. Alltag im Privatleben

den, eine der bedeutendsten Möbelwerkstätten, stellte serienweise die guten Möbel her. Die niederen Beamten versorgten sich wohl mit den – billigeren – Erzeugnissen der außerhalb des Gürtels, vorwiegend in Meidling ansässigen Tischler64. Was die Verbrauchsgewohnheiten der Beamten hinsichtlich der Ernährung betrifft, so sind diese, wie Roman Sandgruber bereits betont, „weniger gut faßbar“65. Die Gewohnheiten der hocharistokratischen Bürokratie wurden von Hannes Stekl beschrieben. Die Formen, wie die Hauptmahlzeiten (ursprünglich um 14 Uhr, dann immer zur späteren Stunde, schließlich um 18 Uhr) eingenommen wurden, waren ausgeklügelt, die Speisenfolge betrug außer Vorspeise, Suppe und Nachspeise drei bis fünf Gänge, im engsten Familienkreis ein bis zwei Gänge. Die Abendgesellschaften waren abwechslungsreich. Man legte auf die äußere Eleganz großen Wert66. Wie stand es mit den nicht dem Hochadel angehörenden Beamten? Im späten 18. Jahrhundert, als Wien im Ruf stand, eine in Saus und Braus lebende Phäakenstadt zu sein und außerdem reich war, wäre auch das Einkommen der Beamten, meint Sandgruber, „entgegen dem ständigen Gejammer überdurchschnittlich hoch“ gewesen67. Was die hohen Beamten angeht, so ist die Behauptung sicher richtig und deckt sich auch mit den in dieser Untersuchung angestellten Recherchen über die Beamtengehälter, die im späten 18. Jahrhundert noch viel höher waren als später, da sie ja nicht angepaßt wurden68. Doch bereits bei den „mittleren“, den jungen und gar bei den unteren Staatsdienern ist Vorsicht geboten mit der Vermutung, auch diese hätten in Saus und Braus gelebt. Ein Hofrat beispielsweise hat sicher nicht schlecht gelebt. Vergleichen wir allerdings die „Verzehrssummen“ der großen fürstlichen Häuser Liechtenstein, Esterházy, Schwarzenberg, Dietrichstein, Lobkowitz etc. im späten 18. Jahrhundert, die Pezzl mit ca. 200.000, in manchen Fällen sogar mit 300.000 bis 700.000 fl. im Jahr beziffert, ja, ziehen wir „nur“ die von Pezzl auf 50.000 bis 70.000 fl. geschätzten der gräflichen Häuser69 zum Vergleich heran, so wird überdeutlich, daß ein bür64 A. CIHLAR, Vom Barockstil zum Wiener Volksmöbel. „Meidlinger Barock“ und „Pseydorenaissance“. In: Der junge Tischler. Der erfolgreiche Weg zum Meister (November 1971) 3. Für alle guten Ratschläge bezüglich der Literatur über Beamtenwohnungen danke ich Herrn Dr. Christian Witt-Döring. 65 SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 164. 66 STEKL, Aristokratie, 140–145. 67 SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 224 f. 68 Siehe Tabelle 6, 174–178. 69 PEZZL, Skizze (1786), 213. De Luca schätzt die Einkünfte der fürstlichen Häuser auf 100.000 bis 500.000 fl., die der gräflichen auf 20.000 bis 80.000 fl. Ignaz de LUCA, Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regime (1787), zit. bei SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 226.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

gerlicher Hofrat mit seinem Jahresgehalt von 4.000 bis 6.000 fl.70 bestimmt nicht Schritt halten konnte und weit davon entfernt war, sich zur eleganten Gesellschaft rechnen zu können. „Wer nicht wenigstens 20.000 fl. jährlich verzehrt“, meint Pezzl, der mache in Wien „keine Figur“, das heißt, er würde überhaupt nicht bemerkt71. Wir müssen aber auch ins Kalkül ziehen, daß Pezzl andererseits für eine alleinstehende Person eine Summe von 464 fl. nennt, um in Wien „bequem leben zu können, vorausgesetzt, daß ihr keine Familie habt, in keinem öffentlichen Amt steht, kein Spieler seid und keine ordentliche Liebschaft unterhaltet – Dinge, die in mancherlei Verbindung ziehn, gewisse Garderoberegeln vorschreiben, und unaufhörlichen unordentlichen Geldaufwand fordern“; jedoch auch der Verkehr „in den Zirkeln der ordentlichen Häuser vom Mittelstande“ sei mit dem Aufwand von 464 fl. möglich, die er folgendermaßen verteilt: Wohnung Holz und Licht Winterkleidung Sommerkleidung Visiten Kleine Kleidung Wäsche Tisch Bedienung, Friseur etc. Summe

60 fl. 24 fl. 30 fl. 30 fl. 60 fl. 30 fl. 10 fl. 180 fl. 30 fl. 464 fl.

Für „Spektakel, Lustgesellschaften und geheime Vergnügungen“ rechnete Pezzl noch eine Summe von maximal 90 fl. jährlich dazu72. Ein Hofrat mit 4.000 bis 6.000 fl. war demnach selbst mit Familie äußerst gut gestellt. Selbst ein junger Konzeptsbeamter (zum Beispiel ein Konzipist mit ca. 500 fl. Gehalt im Jahr73) mußte um 1790 nicht darben. Für die Ernährung mußte er, laut Pezzl, 180 fl. veranschlagen. Tatsächlich wird auch der Fleischverbrauch – Ausdruck des Wohllebens – als ziemlich hoch geschätzt74. Den adeligen Häusern, deren „Eß- und Trink-Luxus“ ohne Beispiel

70 71 72 73 74

Siehe Tabelle 6, 174–178. PEZZL, Skizze (1787), 217. Ebd., 98 f. Siehe Tabelle 6, 174–178. SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 164.

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2. Alltag im Privatleben

war75, konnten es die Beamtenhaushalte allerdings nicht gleichtun. Wollten sie dies aber überhaupt? Die Wertideale von „bürgerlicher Genügsamkeit“ und Sparsamkeit hatten sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durchgesetzt und prägten das Konsumverhalten der Beamtenschichten, besonders was die Eßgewohnheiten betraf, wie Roman Sandgruber am Beispiel von F. G. W. Großmanns Theaterstück „Nicht mehr als sechs Schüsseln“ (1780) sehr eindrucksvoll beschreibt76. Der Zwist, der zwischen einer adelig geborenen Hofratsfrau, die den adeligen Verwandten ihren Gewohnheiten entsprechend 18 Gänge zur Mahlzeit vorsetzen wollte und ihrem Ehegemahl, einem bürgerlichen Hofrat, der auf die Demonstration bürgerlicher (genügsamer) Sitte durch das Servieren von nur 6 Gängen bestand, endete mit dem Sieg des bürgerlichen Sparideals über die adelige Verschwendungssucht. Sicherlich handelt es sich hier um ein Ideal. Unsicher ist es aber, wie weit sich dieses gerade in Wien in der Praxis tatsächlich durchsetzte, sehen wir von den Notjahren der „napoleonischen Zeit“ ab, die bereits Anfang der neunziger Jahre begannen und für die Beamten erst 1818 endeten77. Wir haben interessanterweise kaum Schilderungen, was und wie bei den bürgerlichen Beamten an gewöhnlichen Wochentagen und bei Familienfeiern gegessen und getrunken wurde und wie man die Tafel für Besucher gestaltete. Die Beschreibung von Tanzfesten durch Cajetan Felder betrifft das Haus eines mittleren Beamten: Kaffee für die Damen, Bier für die Herren, Selchwürstel, Butterbrote und höchstens noch aufgeschnittenes Fleisch, so beschreibt der junge Felder den Konsum auf den häuslichen Tanzkränzchen78. Eduard Hanslick spricht von „Würstl mit Krenn, Semmeln und Bier“, die auf den Hausbällen auch bei höheren Beamten serviert wurden79. Es ging alles in allem recht bescheiden zu, was verschiedentlich (stolz) hervorgehoben wurde, von Eduard Hanslick beispielsweise, der – sicher verklärend – meinte, die „anmutige ununterbrochene Geselligkeit“ im Vormärz wäre nur durch die Genügsamkeit der Gesellschaft möglich gewesen80. So steht die Annahme, daß gerade die oberen Ränge der Bürokratie, die durch den gemeinsamen Dienst mit aristokratischen Kollegen zugleich auch mit adeligen Verbrauchergewohnheiten täglich konfrontiert und von diesen Vorbildern

75 Ebd., 230 f.; für den Vormärz STEKL, Aristokratie, 140 ff. 76 SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 231 f. 77 Vgl. MAYR, Wien, 207 ff. 78 FELDER, Jugendzeit, 33. 79 HANSLICK, Leben, 65 f. 80 Ebd.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

stark beeinflußt waren81, gegen die Überlegung, daß die mageren Beamtengehälter, seit Jahrzehnten nicht angehoben und stetig an Kaufkraft verlierend, diesen Luxus unmöglich machten. Nimmt man die Beschreibung des Lebensstils des Oberoffizials (Hofsekretärs) in der Staatskanzlei Johann Georg Obermayer in den Jahren 1776–1796 für bare Münze, dann ist die erste Version, die Angleichung an den adeligen Lebensstil, als eher wahrscheinlich anzunehmen. Doch auch er konnte sich bei seinen Abendeinladungen, zu denen die „feine Welt“ Wiens und ein internationales Publikum kamen, nicht mehr leisten, als Zuckerwasser und als Rarität – Tee – zu servieren82. Dabei hatte Weckbecker in erster Ehe eine sehr finanzkräftige Frau geheiratet. Die nicht an der Spitze rangierenden Beamten jedoch, die nur von ihrem Gehalt lebten, waren bereits im josephinischen Jahrzehnt zu Sparsamkeit gezwungen83. Sie dienten deshalb manchmal auch tatsächlich wie „gemietete Lakaien“, was Joseph II. in ihnen mitunter sah. Wir gehen wohl nicht fehl in der Vermutung, daß die Beamten langsam und im Laufe der Zeit immer mehr ihren Verbrauch, auch wenn sie ihren Status damit hätten demonstrieren können, reduzierten. Das Halten einer Equipage beispielsweise – ein unbedingtes Statussymbol der Zeit, vergleichbar etwa mit dem Besitz eines Autos in unseren Tagen, das früher für die oberen Ränge der Beamtenschaft noch zum „Anstand“ gehört hatte – war 1830 für einen Hofrat mit 4.000 bis 6.000 fl. Jahresgehalt nicht mehr möglich. So hielt sich der Hofrat beim Hofkriegsquartier Karl Bernhard Weckbecker 1830 eine Equipage gemeinsam mit seinem Schwiegersohn, damals Hofmeister in einem adeligen Haus und später Universitätsprofessor, um von Nußdorf, wo sie wohnten, täglich zum Dienst in die Stadt zu fahren84. Das Abbröckeln des alten – den Reiseberichten zufolge in Wien geradezu penetrant ausgeprägten – Konsumdenkens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts85 war auf eine dringende Notwendigkeit für viele mittlere Einkommensschichten, zu denen die Beamten mehrheitlich gehörten, zurückzuführen. Von den zeitgenössischen Berichterstattern, die in Wien deutliche Einschränkungen konstatierten, werden vor allem die Beamten genannt, die einen bescheideneren Aufwand auf ihren Tischen zeigten. So bemerkte ein Beobachter 1818, daß auch die Tafeln der „großen Herren“ sparsamer mit Speisen besetzt werden: „… man 81 82 83 84 85

SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 232; vgl. auch die Schilderungen bei PEZZL, Skizzen (1787), 136. DIE WECKBECKERS, 45 f. Beschreibung bei MITROFANOV, Joseph II., 341–346. DIE WECKBECKERS, 151. SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 233 f.

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2. Alltag im Privatleben

wird bei Dikasterianten, Staatspensionisten jeden Zweigs und vielen anderen, die nur von ihren bemessenen Besoldungen oder Kapitalien leben, das nämliche finden. Wie manche hatten ehemals bei 4 Schüsseln zu Mittag noch 3 frische zum Nachtessen, welche sich itzt mit dem Übriggebliebenen von Mittag begnügen oder in Ermangelung dessen mit Brot oder einem Glas Bier vorlieb nehmen.“86 Ein anderer konstatiert für die vierziger Jahre: „Die Meistzahl derer, die nach der Karte speisen, begnügen sich mit vier Gerichten und trinken Wasser statt Wein oder Bier. So findet man es in allen besseren, vom Mittelstand besuchten Gasthöfen. Da die Stunde der Mahlzeit bei Beamten und Kaufleuten jetzt gewöhnlich erst auf 4 Uhr nachmittags angesetzt ist, so haben die abendlichen Mahlzeiten bei einem großen Teil der Bewohner Wiens ganz aufgehört. Dieselbe Einfachheit des Tisches, welche in den Gasthäusern gefunden wird, trifft man auch bei den Familientafeln. Auch hier begnügt man sich mit wenigen gut gerichteten Speisen und nimmt abends Tee statt der Mahlzeit …“87. Die unteren Beamten aber waren oftmals Entbehrungen preisgegeben bereits zu Josephs II. Zeiten, wie die Klagen über die miserable Lage der kleinen Leute unter den Beamten zeigen88. Besonders aber in der Periode der Napoleonischen Kriege wurde die Lage für die kleinen Beamten unhaltbar. Die Teuerungswellen von 1802, 1812, 1817 und der Krieg von 1809 brachten so manchen kleinen Beamten an den Bettelstab89. Die Gehälter konnten mit den Teuerungen nicht im entferntesten Schritt halten. 1802 waren die Beamtengehälter im Wert bereits auf die Hälfte gesunken, 1812 auf ca. ein Drittel, und 1816 lag das Gehaltsniveau um das 4- bis 6-Fache niedriger als um 1800. 1817 hatten die Beamten allein in den letzten drei Jahren ein Drittel der Kaufkraft ihres Gehaltes eingebüßt, während sie das 5Fache brauchten, um ihre Lebensbedürfnisse zu decken. Dies betraf alle – untere sowie höhere – Beamte, wobei die Lebensumstände der Beamten niederer Ränge tatsächlich katastrophale Ausmaße annahmen, während ein Hofrat (1808) immer86 Aus: ÜBER DIE EINWIRKUNG DER SCHAFZUCHT AUF DIE FLEISCHVERTEUERUNG besonders in Böhmen. Ökonomische Neuigkeiten Nr. 15 (1818) 119, zit. nach SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 234. 87 Mathias KOCH, Wien und die Wiener (1842) 341 ff., zit. nach SANDGRUBER, Konsumgesellschaft, 234. 88 „Wenn Sie von dem Gehalte die Pensionsabzüge und die indirekten Steuern abrechnen und dazu addieren, was Heizung und Quartier kostet, so werden Sie finden, daß diese armen Leute vor dem Nichts stehen, und daß mancher sich zum Tisch setzt, ohne auch nur eine Suppe vorzufinden, ja sogar zerrissen einhergehen muß“; bei MITROFANOV, Joseph II., 341. 89 Zum folgenden MAYR, Wien, 207–213; vgl. auch BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 110 f., 180 und 197 f.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

hin fast noch wie früher ein Kanzlist lebte. Mehr als drei Gerichte pro Mahlzeit konnte auch er sich nicht mehr leisten. Erst 1818, als die Beamtengehälter nach all den Jahren der Papiergeldzahlung wieder in Silber ausgezahlt wurden90, begann sich die Lage der Beamten wieder zu bessern. Der frühere Standard wurde jedoch nie wieder erreicht. Die vielen Edikte, Verordnungen, die sich mit verschuldeten Beamten beschäftigten – und zwar ohne Unterlaß die ganze Zeit bis 1848 hindurch und nicht nur in den Krisenzeiten – sprechen für sich91. Nach einer relativ günstigen Zeit in den zwanziger Jahren verschlechterte sich ab den dreißiger Jahren die Lage für die Beamten wieder, für manche laut Beidtel so sehr, daß Töchter von Beamten gezwungen waren, sich als Dienstboten zu verdingen oder gar durch Prostitution ihr Leben zu verdienen92. Tatsächlich mehren sich ab diesen Jahren wieder die Klagen. Wahrscheinlich lebten „nur“ die unteren Beamten in solch miserablen Lebensumständen, wie sie Beidtel beschreibt, doch klaffte offensichtlich auch für viele höhere Beamte eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf ein standesgemäßes Leben und den tatsächlichen Konsummöglichkeiten. Besonders in jungen Jahren lebten Beamte (auch in höheren Rängen) geradezu in armseligen Umständen93. Wenn höhere Beamte ein „luxuriöses Leben“ führten, dann seien sie verschuldet, berichtet Kessler94. Bestechungen und Korruption waren an der Tagesordnung95. Man konnte froh sein, wenn die Beamten zu der vergleichsweise harmlosen Methode des Nebenverdienstes griffen, um ihr Gehalt aufzubessern. Erasmus Kessler, der noch als über 30jähriger Konzeptsbeamter am Wiener Kriminalgericht dauernd in Geldschwierigkeiten war, wie er seinem Tagebuch anvertraut, gab Klavier- und sonstige Musikstunden in Privathäusern (oft bei Beamten in höheren Rängen). Dankenswerterweise hinterließ er uns für ein ganzes Jahr seine Stundenpläne, aus denen hervorgeht, daß er wöchentlich ca. 27 bis 34 1/2 Stunden im Amt und mindestens 17–20 Stunden beim Musikunterricht verbrachte. Die Unterrichtsstunden setzte er morgens von 8–9 Uhr früh, mittags 90 91 92 93

Vgl. S. 187. Zit. S. 45 f. BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 256 ff. Siehe z. B. den Bericht des Beamtensohnes Hasner über seine Kindheit, HASNER, Denkwürdigkeiten, 5 f.; KESSLER, Tagebücher 3 (z. B. Eintragung vom 4. August 1836), WST. u. LB., Handschriftensammlung; Tagebuch 4 (Eintragung vom 5. Februar 1839, 2. Mai 1839 und 21. November 1839), ebd.; über die verschuldeten Beamten auch PEZZL, Skizze, 126. 94 KESSLER, Tagebuch 7 (Eintragung 16. Jänner 1863) WST. u. LB., Handschriftensammlung. 95 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 180; auch MAYR. Wien, 170.

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2. Alltag im Privatleben

zwischen 12 Uhr 30–14 Uhr 30 und abends von 18 Uhr 30 an (sowie am Sonntag vormittag), die Bürostunden wurden zwischen 9 Uhr 15 und 12 Uhr, und zwischen 15–18 Uhr (maximal) absolviert96. Eine ganz ähnliche Tageseinteilung hatte der junge Mathias Perth, Beamter am Obersthof- und Landjägeramt97. Ob die Tätigkeit des Dienstes in „fremden Häusern“ ganz den Vorstellungen von Standesgemäßheit entsprach? Anders hätten die Beamten jedoch nicht leben können! Sehen wir von notorischen Klagen ab, die in der Geschichte des Beamtentums bekannt und berühmt sind, – auch die nüchternen Zahlen über die Lebensumstände sprechen kaum eine andere Sprache. Der mehrmals erwähnte korrekte Mathias Perth war auch in seinem Privatleben penibel und führte über sein Einkommen und seine Auslagen exakt Buch. Der Junggeselle Perth, das muß noch, bevor wir in seine Vermögensverhältnisse Einblick nehmen, hinzugefügt werden, lebte nicht allzu bescheiden. Seinen Haushalt führte zwar eine Verwandte, er trug aber dafür offensichtlich finanziell Sorge für sie, und fast täglich besuchte er nachmittags ein bis zwei Kaffeehäuser und abends ein Gasthaus. Übersicht über Empfänge und Ausgaben im Jahre 182898 fl. Konventionsmünze Staatspapiere Einnahmen 1050,21 Rest von 1827 78,43 1300 Gesamteinnahmen 1129,40 1300 Ausgaben 880,47 Rest 1828 248,17 1300 Alte Aktivbestände 167,48 Vermögensstand 416,50 1300 Schluß 1827 273,43 Vermehrung von 142,22 1300

96 KESSLER, Tagebuch 4 (Eintragungen vom 31. Jänner 1839, 28. Februar 1839, 25. März 1839, 30. April 1839, 31. Mai 1839, 30. Juni 1839, 31. Juli 1839, 31. August 1839, 30. September 1839, 31. Oktober 1839, 30. November 1839 und 31. Dezember 1839). WST. u. LB., Handschriftensammlung. 97 PERTH, Tagebuch 10 (z. B. Eintragung vom 12., 13. und 14. August 1807), ebd. 98 Ebd. 40 (Eintragung Ende 1828).

299

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

im Jahr 184099 fl. Konventionsmünze Staatspapiere Einnahmen 1899,30 550 Rest von 1827 593,21 2340 Gesamteinnahmen 2492,51 2890 Gesamtausgaben 1947,30 250 Rest 545,17 2640 Aktivstand  90,12 Vermögensstand 635,33 2640 Schluß 1839 723,33 2340 Vermehrung von  88,00 Verminderung von 300 Gesamtvermögen Bargeld 635 fl. Staatsanleihe 1834 405 fl. Staatsanleihe 1839 110 fl. Metallobligation 5% 852 fl. Metallobligation 4% 798 fl. Metallobligation 2 1/2% 255 fl. Raaber Eisenbahnaktie 174 fl. Esterházysche Schuldverschreibung  43 fl. 3243 fl. 1839 3123 fl. Vermehrung 149 fl. im Jahr 1847100 Empfang 1847 1984, 00 Rest von 1846 214,16 Einnahmen 2298,16 Ausgaben 1933,29 Rest 1847 364,47 Aktivstände  78,00 Vermögensstand 442,47 Schluß 1846 391,16 Vermehrung von  51,31 99 Ebd. 47 (Eintragung Ende 1840). 100 Ebd. 53 (Eintragung Ende 1847).

300

33 Kreuzer

3 Kreuzer 18 Kreuzer 45 Kreuzer

2. Alltag im Privatleben

Gesamtvermögen Aktivstände 442 fl. Staatsanleihe 1834 313 fl. Staatsanleihe 1839 113 fl. Metallobligation 5% 1040 fl. Metallobligation 4% 2166 fl. Metallobligation 2 1/2% 260 fl. Wien – Gloggnitz Eisenbahnlinie zu 500 fl. 555 fl. Esterházysche Schuldverschreibung  59 fl. 4948 fl. 1846 5054 fl. Vermehrung 149 fl. weniger (wegen sinkenden Kurswertes) 105 fl.

47 Kreuzer

47 Kreuzer 13 Kreuzer 45 Kreuzer 26 Kreuzer

Aus dem kleinen Einblick in die Perthschen Jahresabrechnungen können wir deutlich sehen, in welchem Ausmaß das Realeinkommen im Laufe der Jahre gesunken ist. Daß die Verhältnisse eines (akademisch gebildeten) Beamten dürftig waren, bezeugen auch die Verlassenschaftsakten der Stadt Wien. Der 82jährige pensionierte Hofkonzipist Johann Anton Straßmann (Witwer ohne Kinder) hinterließ bei seinem Tod im Jahr 1831 ein Gesamtvermögen von 1660 fl., wobei die Einrichtung der 2-Zimmer-Wohnung (der Dienstbote schlief im Vorzimmer) schon miteingerechnet war101. Zum Vergleich: Der im aktiven Dienst 1831 verstorbene Rechnungsrat Bernhard Stabler (verheiratet, keine Kinder) hinterließ ein Vermögen von 138 fl.102. Er hatte in einer Wohnung, bestehend aus einer Küche, zwei Zimmern und einem Dienstbotenzimmer gelebt, in dem sich bei seinem Tod laut dem amtlichen Verlassenschaftsakt folgende Habseligkeiten befanden: „Pretiosen“ 1 silberne Uhr 1 silberner Eßlöffel, 1 silberne Gurkengabel, Messer mit silbernem Schaft

3 fl. 8 fl.

101 Verlassenschaftsakt, fasz. 2, Nr. 2642/1831, WIENER STADT- UND LANDESARCHIV (weiterhin WST. u. LA.), Verlassenschaften 1831. 102 Verlassenschaftsakt, fasz. 2, Nr. 3271/1831, ebd.

301

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

1 silberne Dose „Leibbekleidung, Wäsche etc.“ (darunter 1 Frack) 1 Bettstatt aus hartem Holz, Strohsack, 1 Matratze, 2 Tuchenten, 3 Polster, 1 Leintuch, 1 Decke 2 Spiegel mit hartem Rahmen 1 Glasperlluster, 2 Fensterdraperien 2 „Nußbaumtrumeaukastel“ 1 „Stockuhr mit Schlagwerk“ Dienstbotenzimmer: 1 Tisch aus hartem Holz, 4 Sessel, 1 Schubladenkasten aus weichem Holz, 1 kleiner Spiegel, 1 Dienstbotenbett Küche: 3 Messingleuchter, Messingmörser, Kupfergeschirr Bargeld, Effekten Passiv Gesamtvermögen

18 fl. 52 fl. 10 fl. 10 fl. 8 11. 6 fl.

8 fl. 10 fl. 120 fl. 494 fl. 794 fl. 34 Kreuzer 255 fl. 54 Kreuzer 138 fl.

Ähnlich war der vorher erwähnte Hofkonzipist Straßmann eingerichtet. Demnach lebten die akademisch vorgebildeten kaiserlichen Beamten wahrhaftig nicht im Luxus und hatten nicht im entferntesten das entsprechende Ambiente, um als Repräsentanten ihres Allerhöchsten Herrn aufzutreten. Wie lebten aber dann erst die Beamten der unteren Rangklassen? Man mußte wohl schon wohlhabende Vorfahren gehabt haben und nicht unbedingt Beamter in den österreichischen Ländern gewesen sein, um ein ansehnliches Vermögen zu hinterlassen. Johann Peter Weckbecker, der Ahnherr der österreichischen Weckbeckers, von denen schon die Rede war, 1804 von Koblenz nach Wien gekommen, war Appellationsgerichtspräsident in Koblenz und wirklicher Trierscher Geheimer Rat gewesen103. Er hinterließ bei seinem Tod 1815 seiner Witwe ein Vermögen von 23.346 fl. 15 Kreuzer, das folgendermaßen aufgeschlüsselt wurde104:

103 DIE WECKBECKERS, 305 f. 104 Verlassenschaftsakt, fasz. 2-2005/1816, WST. u. LA., Verlassenschaften, 1816.

302

1. Der Alltag im Amt

Bargeld „Pretiosen, Leibkleidung, Wäsche, Hauswäsche, Bettgewand und Einrichtung“ Realitäten: „Behausung an der Wieden“, (Alleegasse 57) und Garten (halber Wert105) „Behausung in Brunn“ und 10 Äcker im unteren Steinfeld, 1/2 Joch Wiesen im langen Tal (halber Wert)

820 fl. 1580 fl. 10500 fl. 2231 fl. 15 Kreuzer 15151 fl. 15 Kreuzer

8195 fl. 23346 fl. 15 Kreuzer

Weckbecker besaß ein dreistöckiges Haus mit vermutlich 12 Zimmern und 4 Kabinetten, in dem es laut der Beschreibung im Verlassenschaftsakt doch etwas eleganter aussah als in den vorhin beschriebenen Wohnungen der beiden Beamtenkollegen. Im Verlassenschaftsakt werden folgende Gegenstände aufgezählt: „Pretiosen“: 6 silberne Eß- und Kaffeelöffel 1 goldene Uhr „Leibkleidung und Wäsche“: Frack Mantel 10 verschiedene Gilets, 4 Beinkleider, 2 Hüte, 2 Stöcke, 4 Tabakdosen, 4 Paar Stiefel, 12 Hemden, 24 Hals- und „Taschentüchel“, 12 Paar Strümpfe, 4 „Nachtleiberln“, 12 Beinkleider (für die Nacht) „Hauswäsche, Bettgewand und Einrichtung“: 12 Tischtücher, 72 Servietten, 24 Handtücher 24 Leintücher, 12 Polsterzieher für Ehebett 2 Dienstbotenbetten „Im 1. Stock“: 4 Tische aus Mahagoniholz, 1 Kanapee,

196 fl. 45 fl. 141 fl. 40 fl. 30 fl. 30 fl.

25 fl.

180 fl. 36 fl.

105 Offenbar besaß Johann Peter alle Realitäten zur Hälfte gemeinsam mit seiner Frau Katharina.

303

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

6 Sessel und 2 Spucknäpfe 2 Trumeaukästen aus Mahagoniholz 2 Spiegeln mit Mahagonirahmen 1 Büste und Vorhang 1 „Stockuhr“ im Mahagonikasten „Im 2. Stock“: 2 Kartentische, 1 Kanapee, 12 Sessel, 2 Spucknäpfe aus Nußholz 2 nußholzerne Schubladkästen, 1 Sekretär 1 Spiegel in Nußholzrahmen 1 „Stockuhr“ im Kastenrahmen „Im 3. Stock“: 2 harte Tische, 1 Kanapee, 6 Sessel 2 Spucknäpfe 2 harte Schubladkästen 1 Spiegel im Kastenrahmen „Im Dienstbotenzimmer“: 2 weiße Tische, 6 Sessel, 1 Schubladenkasten, 1 Spiegel „In der Küche“: Tafel etc. Gläser, Eßzeug 6 Messingbecher, 1 Messer, 6 Stück Kupfergeschirr Kücheneinrichtung

200 fl. 80 fl. 80 fl. 30 fl. 50 fl.

100 fl. 100 fl. 40 fl. 50 fl.

30 fl. 40 fl. 30 fl. 1026 fl.

30 fl. 80 fl. 30 fl. 36 fl. 1202 fl.

Diese Einrichtung eines Beamtenhaushaltes dürfte aber damals als Ausnahme gegolten haben. Die Familie Weckbecker wußte gut, durch Heiraten ihr Vermögen zu vermehren. Im Jahr 1834 kam ein Hofrat durchschnittlich auf nicht ganz 8 fl. Verdienst pro Tag. Das war nicht viel, wenn man vergleicht, daß angeblich bei Geymüller Erdbeeren auf den Tisch kamen, die in dieser Saison gerade 700 fl. kosteten, wie Beidtel bitter vermerkte. Der Lohn eines Fabriksarbeiters betrug dagegen nur 30 Kreuzer täglich106. Gemessen daran lebte ein Hofrat allerdings geradezu fürstlich – besonders in der Erinnerung späterer Nachfahren: „… ein Hofrat mit einem Einkommen von vier- bis fünftausend Gulden [war] ein großer Herr“, berichtet Friedrich Uhl über Biedermeier und Vormärz nostalgisch. „Es 106 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 313.

304

2. Alltag im Privatleben

waren die Ausgangsjahre jener Zeiten, in denen die große Kaiserin sagen konnte, sie besolde deshalb einen Hofrat so hoch, damit er standesgemäß leben und eine Equipage halten konnte. Die Hofräte konnten aber auch noch vor dem Jahr 1848 Roß und Wagen ihr eigen nennen und bei Gunkel, dem ersten Schneider Wiens, Kleider anfertigen lassen, die ihrer aufrechten Haltung durch fein anschmiegende Formen Vornehmheit verliehen.“107 Hier handelte es sich (ca. ein halbes Jahrhundert später) um nostalgische Verklärung – ein Beispiel einer Mythenbildung, wie es um das Beamtentum oft geschah. Die Realität war anders. Die sozialen Spannungen waren groß. Die Beamten, auch die höheren Rangcharakters, waren einem Verlust an tatsächlichem Lebensstandard genauso ausgesetzt wie andere und dies, wie sie selbst wahrscheinlich von sich als mittelständischer Elitegruppe annahmen, ganz zu Unrecht. Grillparzer, der als junger Beamter bekanntlich seine verwitwete Mutter und seine Brüder miterhalten mußte, konnte dieser Pflicht nur nachkommen, weil durch die Protektion des Finanzministers Stadion das Burgtheater mit ihm einen Kontrakt als Theaterdirektor geschlossen hatte, in dem ihm 2.000 fl. jährlich an Honorar zugesichert wurden – u. zw. auf unbestimmte Zeit, jedenfalls aber so lange, bis er im Staatsdienst befördert würde108. In den vierziger Jahren wird die soziale Lage dieser Gruppe, die eine Elite hätte darstellen sollen, als geradezu trostlos geschildert: Lassen wir die 1847 anonyme Schrift „Sociale und politische Zustände Oesterreichs“ zu Wort kommen: „Das Gros des österreichischen Beamtenstandes hält sich in Rücksicht der Besoldung zwischen 4 bis 700 fl. Münze, und ehe er diese höhere Summe erlangt, hat er in der Regel (als Bürgerlicher) mindestens 40 Lebensjahre im Rücken. Ist er nun Gatte und Familienvater ohne alle andere Ressourcen, wie es bei der Mehrzahl wirklich der Fall ist, so steht er bei der gegenwärtigen Teuerung und allen Zeitverhältnissen fast elender als ein Bettler; denn er kann als kaiserlicher Staatsbeamter nicht so leben, nicht so gekleidet sein wie ein Hüttenbewohner, er kann seine Angehörigen nicht darben lassen, er will und soll seine Kinder so erziehen und bilden, daß sie seiner würdig und einst für eine etwas höhere Lebensstufe befähigt werden, als die gemein industrielle ist, er bedarf auch bei so viel Anstrengung einer geistigen Erholung – und besteht somit einen Lebenskampf, der ihn mit jedem Tag in die Alternative setzt, entweder bei seiner Ehrlichkeit fortzudarben und frühzeitig zu verkümmern, 107 UHL, Leben, 100. Diese Erinnerungen erschienen 1908. 108 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 64.

305

III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

oder dem Unrechte, der Bestechung … willfährig oder vielmehr notgedrungen die Hand zu bieten. Man erzählt sich auf öffentlichen Plätzen, in Schenken und Kaffeehäusern hundert Beispiele von der Bestechlichkeit der Beamten, nennt dabei die Namen derselben und bemerkt die Preise oder Taxen, auf die sie ihre tätige Verwendung für Bittgesuche oder Verleihungen stellen, wenn sie eben in ihrer bürokratischen Macht liegen. Die bedeutsamsten Übel, die aus dieser mißlichen Sachlage hervorgehen und verderblich auf die Population einwirken, sind etwa folgende: der unbemittelte und schlecht besoldete Beamte heiratet entweder gar nicht, weil er den besagten Lebenskampf nicht bestehen mag, oder er heiratet um des Geldes willen, und in beiden Fällen kann er weder glücklich sein noch glücklich machen, im Gegenteil lebt er gewöhnlich sehr ausschweifend, bis er seine Gesundheit und seinen Ruf verdorben hat. Heiratet er wirklich aus Neigung und ohne Rücksicht auf eine reiche Mitgift, so geschieht das in der Regel erst dann, wenn er etwa 700 bis 1000 fl. Besoldung hat, also erst dann, wo er gewöhnlich in den Jahren schon vorgerückt und unter dem Staub der Akten so vermodert ist, daß er die Erziehung seiner Kinder kaum mehr erlebt, dieselben als Waisen samt der Witwe dem Staate als eine Last aufbürdet, die ihn bei ihrer Größe längst hätte aufmerksam machen sollen, diesem Übelstande beizeiten abzuhelfen, d. h. seine Diener so bald wie möglich in eine standesgemäße Lebensbedingung zu versetzen, damit er nicht auf eine ebenso unbillige als grausame Weise hier die Spitäler und Findelhäuser, dort die Waisenhäuser und Witwenversorgungen und andernteils auch die Korrektions- und Strafhäuser bevölkere. Steht nun seine Moralität auf etwas lockerem Grunde, so unterliegt er nach Umständen jeder Versuchung und rächt sich gleichsam durch eine Sünde an dem Unrechte, das ihm von oben zugefügt wird. In dieser Hinsicht wird in manchen Ämtern, wo z. B. die Bestechung gute Zinsen trägt, so viel Unfug getrieben, daß der Reiche im voraus gewiß sein kann, mit dem Zauberstab seines Geldes den härtesten, für einen Armen ganz undurchdringlichen Felsen in weiches Wachs zu verwandeln.“109

Angesichts der tristen Lage verwundert es nicht, daß innerhalb der jeweiligen Ämter ein spezifischer sozialer Geist entstand, der wiederum ein abgeschlossenes soziales System kreierte. So wurde in der Regel beispielsweise kein Beamter, auch wenn er noch so unfähig war, entlassen. In der Hofkammerprokuratur in Graz gab es einen höheren Beamten, der die Absolvierung der Dienstprüfung trotz vieler Anläufe nie geschafft hatte. Seine Beamtenfähigkeiten waren angeblich so ge109 SOCIALE UND POLITISCHE ZUSTÄNDE, 130–133.

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2. Alltag im Privatleben

ring, daß er am Ende seiner Dienstzeit nur noch zum Aktenskartieren verwendet werden konnte110 – trotzdem aber versehen mit Titel und Gehalt eines Finanzrates. In der Staatskanzlei gab es den Erinnerungen Grillparzers zufolge einen Rat, der so unfähig war, daß man ihm das Fach der Zensur (in der Staatskanzlei) anvertraut hatte, aus Angst, er könne sonst überall irreparablen Schaden anrichten111. Es war unvermeidlich, daß er diesen auch als Zensor ausübte – allerdings an Intellektuellen und Dichtern, um die man von Amts wegen weniger bekümmert war. Der Ésprit de corps, den wir bei der Arbeit vermißten112, ist in veränderter Form als sozialer Gruppenzusammenhalt zu finden. Man erwies sich gegenseitig als loyal, kapselte sich vor einer manchmal vermeintlich, manchmal auch (dafür haben wir bereits manche Beweise gesehen) der Beamtenschaft tatsächlich feindlichen Außenwelt ab und versuchte sich sozial zu stützen. Man legte weniger Wert auf die Fähigkeiten des einzelnen, „sondern war vielfach geradezu ängstlich darauf bedacht, daß nicht etwa jemand seiner geringeren Fähigkeiten wegen im rang­ mäßigen Fortkommen gehindert werde“, wie in einem zeitgenössischen Kommentar vermerkt wird. „Nur so erklärt sich ja die Tatsache, daß fast alle Beamten von ihren Vorgesetzten stets in gleicher Weise gelobt wurden, und daß auch die mittelmäßigsten unter ihnen sich des besten Rufes erfreuen konnten. Nur so erklärt es sich ferner, daß man sich, selbst wenn die Unfähigkeit eines Beamten offenkundig geworden war, nicht zu entscheidenden Schritten entschließen konnte. Das System hätte es nie zugelassen. Gewiß brachte es nur der Mittelmäßigkeit und nur auf Kosten der Tüchtigeren Vorteil.“113 – Das System hatte sich ad absurdum geführt.

2.3. Die „höhere Geselligkeit“ Wie sah ein Tagesablauf einer Beamtenfamilie aus? Wie teilte der Staatsdiener seine Zeit zwischen Amts- und Privatleben und vor allem, wie gestaltete er sein persönliches Leben außerhalb des Amtes? Gab es einen Unterschied zwischen dem Privatleben eines Beamten am Ende des 18. und um die Mitte des 19. Jahrhunderts? Wenden wir uns zunächst dem späten 18. Jahrhundert zu. Johann Georg Obermayer (geboren 1733), der aus einer verarmten Bürgerfamilie bei Passau stammte, 110 111 112 113

BUNZEL, Lebenslauf, 49. GRILLPARZER, Selbstbiographie, 401. Siehe S. 207. BUNZEL, Lebenslauf, 49.

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war um 1780, also mit 47 Jahren, Hofsekretär in der Staatskanzlei. Er war durch seine erste Ehe wohlhabend geworden und bewohnte eine Wohnung im Mariazeller Hof in der Annagasse. Seine Tochter, Emilie Weckbecker, die uns ihre Erinnerungen hinterließ, berichtet, daß er mit seiner (zweiten) Frau, die er 1776 geheiratet hatte, spanisch sprach. Beide hatten diese Sprache in ihrer Jugend erlernt, die Frau in der Familie eines Kabinettskuriers, zu der sie der „besseren Erziehung“ wegen gegeben worden war. Die Frau des Kabinettskuriers war Spanierin und Kammerfrau am spanischen Hof gewesen114. Beide Obermayer sprachen aber auch fließend Französisch und Italienisch, nannten sich gegenseitig Señora und Señor, gegenüber der Dienerschaft betitelten sie sich Doña Caterina und Don Giorgio. Die Dienerschaft wurde von folgenden Personen gebildet: von einer Französin, die als Erzieherin für die zwei kleinen Kinder aus der ersten Ehe der Doña Caterina fungierte, einer „Jungfer“ für die Dame des Hauses, einer Köchin und einem Diener. Dieser trug eine graue, für Galaanlässe jedoch eine lichtblaue Livree mit rotem Gilet und einen Hut mit Silberborten. Der Tag begann für Familie Obermayer für unsere Begriffe spät. Die Familie frühstückte getrennt, der Herr des Hauses in seinem Zimmer, die Dame in ihrem Bett. Sie ging um 10 Uhr in die Messe. Danach erst folgte die große Toilette. Frau Obermayer trug einen Pudermantel und strickte während der umständlichen Prozedur des Frisierens. Die „Aufwartung“ erfolgte täglich. Während der „großen Toilette“ empfing sie bereits „intimere“ Besuche (eventuell auch schon vorher im Bett liegend). Herr Obermayer ging um 11 Uhr in die Staatskanzlei und kam vor 15 Uhr zum Mittag­ essen wieder. Die Tochter schildert das eindrucksvolle Zeremoniell, das dabei tagtäglich eingehalten wurde, sehr plastisch: „Sobald Papa nach Hause gekommen war, ging er in sein Zimmer, und wenn aufgetragen war, kam Antoni [der Diener] und meldete es der Señora, dann dem Señor, ging vor letzterem her und öffnete die Türe in Mamas Sitzzimmer (jetzt Salon genannt). Papa trat ein, Mama stand vom Sofa auf und erwiderte die Referenz, die ihr Papa vorher gemacht hatte. Er reichte ihr den Arm und führte sie zu Tisch, an dem sie obenan saß. Die Gouvernante und der Hofmeister (als meine Geschwister schon solche hatten) und diese Geschwister selbst, als sie älter geworden waren, warteten bereits im Speisezimmer. Dort wurde das Tischgebet still verrichtet, alles sagte ,bon appétit‘, dann wurden die Speisen gereicht, wobei Papa tranchierte und Mama vorlegte. Die Kost war, wenn sie allein speisten, italienisch und spanisch …, was meinem 114 Zum Folgenden DIE WECKBECKERS, 43–46.

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Vater sehr behagte … Mama war eine tüchtige Hausfrau, hielt alles unter Schloß und Riegel, gab täglich der Köchin selbst vor, kostete von jeder Speise und hielt ihre Leute sehr strenge. Im Hause sah man nie ein Stäubchen. Nach Tisch wieder Gebet, dann allgemeines ,bien vous fasse‘. Alles entfernte sich, Papa gab Mama wieder den Arm und führte sie in ihr Kabinett, wo sie zusammen allein blieben und den schwarzen Kaffee tranken. Wenn Gäste da speisten, erlitt das tägliche Zeremoniell einige Abänderungen. Aber selbst wenn hohe Herren eingeladen waren, empfing sie nicht mein Vater, sondern er kam immer erst, wenn aufgetragen war.“ Die Nachmittage verbrachte das Ehepaar zusammen lesend, Literatur in spanischer, französischer, italienischer und deutscher Sprache, in der beide sehr bewandert waren, wobei die Dame Gold zupfte. Der Hofsekretär Obermayer pflegte um 19 Uhr wieder in die Kanzlei zu gehen. Wann er nach Haus kam, wird nicht erwähnt, doch war er anscheinend nach dem Theater, wenn man Besuch empfing, zu Hause. Doña Caterina pflegte die Abende ohne Gemahl zu verbringen. Sie ging daher, laut den Berichten ihrer Tochter, ohne ihn in Begleitung einer ihrer Freundinnen ins Theater, was sie angeblich oft tat. Der Hausherr lud seine Gäste, meist Diplomaten und Gelehrte, nach dem Theater zu sich. Fast täglich gab es nach den Erinnerungen der Tochter abends Gäste. Es ging allerdings dabei recht bescheiden zu. Die Freundin des Hauses, Fanny Arnstein, lud allabendlich zum Souper115. Sie war als Bankiersgattin reich genug dazu. Bei der Familie des Hofsekretärs Obermayer gab es Wasser mit „gestoßenem Zucker“ und das damals in Wien seltene Getränk Tee116, das nach und nach hier (außer bei den Italienern, wie ausdrücklich betont wurde) Gefallen fand. Musikalische Darbietungen, an denen sich auch die Dame des Hauses mit Klavierspiel und Gesang beteiligte, lockten viele musikalisch interessierte Gäste ins Haus. Berühmtheiten, wie der Fürst de Ligne, Fürst Sulkowsky oder der portugiesische Gesandte Sebastian Graf Pombal, der spätere Außenminister Portugals, kamen ins Haus. – So weit die lebendigen Schilderungen der Lebensverhältnisse des Hofsekretärs und späteren Oberoffizials des italienischen Departements der Staatskanzlei, die uns den Eindruck vermitteln, sie wären von der adeligen Lebenskultur geprägt gewesen: von dem nachgeahmten spanischen Zeremoniell, dem gesellschaftlichen Umgang, der Vorliebe für spanische, italienische und französische Literatur und diesen Lebensstilen. Die Erinnerungen der Emilie Obermayer mögen die Vergangenheit ein wenig verklärt haben. Sie schrieb ihre Memoiren im Jahr 1858 im 72. Lebensjahr. Sie 115 Ebd., 45 f. 116 Siehe auch S. 296.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

mögen Dichtung und Wahrheit sein, denn sie waren für ihre Kinder und Enkel bestimmt, und es ist durchaus möglich, daß sie den ihr ein wenig einfach erscheinenden Beamtenhaushalt ihrer Jugend eleganter darstellen wollte, als er tatsächlich war. Doch auch wenn die Realität ein wenig anders ausgesehen haben mochte, so wissen wir aus den Schilderungen doch wenigstens, was in ihrer Kindheit als „elegante Welt“ empfunden worden war, und wir dürfen annehmen, daß der Vater Georg Obermayer sehr darauf gehalten hatte, es diesen traditionellen Lebensvorstellungen gleichzutun. Er war das, was wir heute als einen typischen nouveau riche bezeichnen würden, der jung und unfaßbar arm nach Wien kam (nachdem er einem Passauer Priesterseminar entflohen war), aber klug genug war, um schnell zu erfassen, daß er mit solider juristischer Bildung, mit Kenntnissen der lateinischen, französischen, spanischen und italienischen Sprache sowie durch eine reiche Heirat und etwas Protektion (die er schließlich von Fürst Kaunitz erhielt) berufliche Karriere und gesellschaftlichen Aufstieg machen konnte117. Wenn auch der Lebensstil bürgerlicher Beamtenfamilien Ende des 18. Jahrhunderts nicht ganz so war, wie es Emilie Obermayer beschrieb, so dürfen wir doch annehmen, daß in traditionellen Beamtenkreisen die Nachahmung des adeligen Lebensstils als passend empfunden wurde, die Präferenz für die spanische, französische und italienische Kultur vorherrschte und allgemeine Belesenheit sowie musikalische Kenntnisse als notwendig empfunden wurden, wollte man zur eleganten Welt gehören. Es mögen damals bereits auch andere Vorstellungen bezüglich Lebensstil, Kultur und Kunstgeschmack geherrscht haben, das konventionelle und wahrscheinlich noch vorherrschende war das adelige Ideal. Auch von Pezzls Beschreibungen erhalten wir ähnliche Eindrücke. Zu den höchsten Beamten waren damals laut seinen Aussagen Mitglieder der großen Adelshäuser (Auersperg, Batthyany, Clary, Colloredo, Czartoryski, Dietrichstein, Esterházy, Grassalkowich, Kaunitz, Khevenhüller, Kinsky, Liechtenstein, de Ligne, Lobkowitz, Paar, Palm, Poniatowsky, Schwarzenberg, Sulkowsky118) zu zählen, doch so berichtet uns Pezzl weiter, „ein Ehrenamt (womit ein Amt, das Ehren einbringt, gemeint ist) und die gute Verwaltung desselben adle ebenso den Mann“119, was bedeutete, daß ein hoher Beamter niederer Herkunft gesellschaftlich akzeptiert wurde, soweit er sich – das war offensichtlich unumgängliche Voraussetzung – einen entsprechenden gesellschaftlichen Lebensstil leisten konnte. Die Frauen spielten dabei 117 DIE WECKBECKERS, 22–37. 118 PEZZL, Skizze (1787), 81 und 86. 119 Ebd., 88.

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durch Einbringung des entsprechenden Vermögens, das vom Amt eines Staatsbeamten nicht zu erwarten war, und durch ihre Bildung eine wichtige Rolle. Pezzl hebt gerade die fortschrittliche Rolle der Gesellschaften „dieser Leute“ (er zählte dazu, wie erwähnt, „die Räte, Agenten, Doktoren“) sehr hervor, die begännen, sich „unter allen Ständen am meisten aufzuhellen, welches eine treffliche Wirkung“ tue. „Da die Gesellschaften derselben für andere ehrliche, aber ungeadelte Erdensöhne nicht sorgfältig verpallisadiert sind wie jene der ersten Noblesse: so verbreitet sich durch sie die lichtere Denkart auf mehrere Köpfe … Hier wirkt besonders das Verdienst einiger Damen aus diesen Häusern, die männliche Denkart mit weiblicher Grazie verbinden … Sie sind Schülerinnen Musarions: Ihr Umgang ist so belehrend und geschmackvoll als reizend; in ihren Häusern vergähnt man die Abende nicht mit elendem Kartengeblätter. Kleine Musiken, vertrauliches Freundschaftgeplauder, literarische Neuheiten, Räsonnements über Bücher, Reisen, Kunstwerke, Theater … machen die Unterhaltung aus …“ Man lernt die fremden, gelegentlich durch Wien reisenden Gelehrten kennen120. Wir haben es hier also mit dem Phänomen zu tun, das als (bürgerlicher) Salon in die Literatur Eingang fand und dem mehr als nur „Unterhaltung“ zugrunde lag. „Geselligkeit als Utopie“, so bezeichnet Norbert Altenhofer Rahel Varnhagens berühmten Salon121, in dem ihre Lebensperspektive und wohl auch die vieler Zeitgenossen am deutlichsten zum Ausdruck gekommen wäre. „Mitteilung ist unser Wesen, daher werden wir Pflicht. Durch sie werden wir urbar“, ist ein Ausspruch Rahel Varnhagens122, der gleichsam als Motto zu den „Entwürfen einer höheren Geselligkeit“, wie sie von Rahel und Schleiermacher entwickelt wurden, gelten könnte123. Schleiermacher hat in seinem anonym erschienen „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ und in seinen „Tagebuchnotizen“ die Funktion des Salons als Gesellschaftsutopie beschrieben: „Freie, durch keinen äußeren Zweck gebundene und bestimmte Geselligkeit wird von allen gebildeten Menschen als eins ihrer ersten und edelsten Bedürfnisse laut gefordert, wer nur zwischen den Sorgen des Häuslichen und den Geschäften des bürgerlichen Lebens hin und her gewor120 Ebd., 89 f., auch 121. 121 Norbert ALTENHOFER, Geselligkeit als Utopie. Rahel und Schleiermacher. In: BERLIN ZWISCHEN 1789 UND 1848. FACETTEN EINER EPOCHE. Ausstellung der Akademie der bildenden Künste vom 30. August bis 1. November 1981 (o. O., o. J.) 37–42. 122 In: RAHEL. EIN BUCH DES ANDENKENS FÜR IHRE FREUNDE, 3 (Berlin 1834) 316, zit. von ALTENHOFER, Geselligkeit, 37. 123 Ebd., 41.

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fen wird, nähert sich, je treuer er diesen Weg wiederholt, nur um desto langsamer dem höheren Ziele des menschlichen Daseins.“124. Denn die Tätigkeit des Geistes werde sowohl durch den Beruf, der sich in einem kleinen Kreis abspiele, als auch durch das häusliche Wesen, das sich nur auf wenige beschränke, eingeengt. „Es muß also“, setzt Schleiermacher fort, „einen Zustand geben, der diese beiden ergänzt, der die Sphäre eines Individuums in die Lage bringt, daß sie von den Sphären anderer so mannigfaltig als möglich durchschnitten werden und jeder seiner eigenen Grenzpunkte ihm die Aussicht in eine andere und fremde Welt gewähre, so daß alle Erscheinungen der Menschheit ihm nach und nach bekannt und auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam nachbarlich werden können. Die Aufgabe wird durch den freien Umgang vernünftiger, sich untereinander bildender Menschen gelöst.“ Schleiermacher meint nicht nur das Pädagogische der Bildungsvermittlung. Er meint auch, so interpretiert Altenhofer, „Erweiterung, Öffnung zur Öffentlichkeit“, nicht egalitäre Abgrenzung eines Zirkels, ja mehr: Schleiermachers Gedanken, daß „alle gesellschaftlichen Äußerungen … eine doppelte Tendenz, gleichsam einen doppelten Sinn haben“ sollten – einen auf den gegenwärtigen Menschen und auf die gegenwärtige Situation bezogenen und einen, der in vorsichtigen „Andeutungen“ ein „gemeinsames Zukünftiges“ ahnen lassen solle, impliziere die Idee einer „subversiven Kommunikation“125. Diese Entwürfe (und wohl auch die Praxis) unterschieden sich mit Deutlichkeit von den früheren Formen aristokratischer Soziabilität, aber auch von den ins „nur noch Private regredierenden Verkehrsformen biedermeierlicher Bürgerlichkeit“ und lasse noch etwas von dem ursprünglich revolutionären Anspruch „bürgerlicher Lebensart“ erkennen126. Die Zeitgenossen mochten es tatsächlich so empfunden haben, vor allem die für die politische „Freiheit“ engagierten österreichischen Staatsbürger. Etwas von der Idee der „subversiven Kommunikation“ lag auch in den Beschreibungen von Rahels Salon im „Grenzboten“, dem oppositionellen kulturpolitischen Journal österreichischer emigrierter Intellektueller, den sie offenbar als Prototyp des bürgerlichen Salons auffaßten127. Die „höhere Geselligkeit“ war ein Ideal der Zeit geworden, die als Ausdruck einer „gemeinschaft-

124 In: Friedrich Daniel Ernst SCHLEIERMACHER, Werke, hg. v. Otto BRAUN und J. BAUER 2 (Leipzig 21927) 129, zit. von ALTENHOFER, Geselligkeit, 38 f. 125 Ebd., 41. 126 Ebd., 39. 127 Die Grenzboten 3/1 (1844) 170–184 und 203–213.

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2. Alltag im Privatleben

lichen Zivilisation“ Europas begriffen wurde128, in der sich die „Rangverhältnisse nivellierten“ (womit natürlich nur adelige, bürokratische und militärische Ränge gemeint waren) – nach außenhin dadurch dokumentiert, daß man die „bürger­ liche Tracht“, das „Kleid der gebildeten Geselligkeit“, trug. In den Memoiren der österreichischen Beamten nimmt diese höhere Geselligkeit in Form der bürgerlichen Salonkultur einen auffallend breiten Raum ein. Es wird sogar der Eindruck suggeriert, das gesamte Privatleben wäre auf die höhere Geselligkeit ausgerichtet gewesen. Ob sie immer als Kunstwerk gestaltet war, wie es etwa Rahel Varnhagen oder Schleiermacher vorschwebte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls war die gesellige Kultur auch ein Motor politisch-bürgerlichen Denkens (worauf noch zurückzukommen sein wird). Hatte es im Laufe der Jahre eine Veränderung in den Formen, eine Bedeutungsverschiebung dieser höheren Geselligkeit, wie sie von den Beamten gepflegt wurde, gegeben? Wir besitzen aus dem Jahr 1850 eine fast ebenso detaillierte Beschreibung des Lebensstils und der alltäglichen Formen eines Beamten, wie wir sie 70 Jahre früher vom Haus Obermayer haben, so daß wir einen Vergleich anstellen können. Gustav Höfken, den sein Landsmann, Finanzminister von Bruck, aus Deutschland in das neugeschaffene Ministerium des Handels, später in das der Finanzen berief, schildert in seinem Tagebuch seinen Tag folgendermaßen: Er lebte in diesen Jahren – zumindest in allen Sommermonaten – im Linahof in Perchtoldsdorf südlich von Wien, einem geräumigen, ehemaligen Weinbauernhof129 mit Garten und Weingarten, den er der guten Luft wegen erworben hatte130. Sein Leben begann um 5 Uhr früh mit einem idyllischen Frühstück in der Gartenlaube131. Nach 6 Uhr pflegte er täglich mit seiner Frau und den älteren Kindern gemächlich eine halbe Stunde durch die Weingärten zum Bahnhof zu spazieren, wo er den Zug nach Wien nahm. Um 8 Uhr war er „als erster vor allen Mitarbeitern im Amt“. Man beachte den Unterschied zum Oberoffizial Obermayer, der erst um 11 Uhr gemeinsam mit Kaunitz in der Staatskanzlei erschien! Höfken begann sein Tagwerk, indem er die Einläufe durchsah, Antworten entwarf und „auch wohl einen Aufsatz“ schrieb. Die 128 ÜBER DEUTSCHE NATIONALTRACHT UND EUROPÄISCHE, CIVILKLEIDUNG. In: Wiener-Moden-Zeitung und Zeitschrift für Kunst, schöne Literatur und Theater 1/52 (1816) 504–508 (auch 513–516). 129 Siehe Abbildung S. 276 ff. 130 „Aus meinem Tagebuch“ (Eintragung vom 15. Mai 1850), HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2. Höfken war zu dieser Zeit Sektionsrat im Finanzministerium. 131 Ebd. (Eintragung vom 30. Juni 1850).

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publizistische Tätigkeit Höfkens war dementsprechend umfangreich.132 Nach einem „frugalen zweiten Frühstück“ erledigte er das, was er „sonstige Amtsgeschäfte“ nannte. Um 15 Uhr habe er sich beurlaubt und eineinhalb Stunden später, so Höfken wörtlich, „sitze ich mit den Meinigen beim Mittagstisch und schlürfe balsamische Luft“. Dieser balsamischen Luft gab er sich dann noch ein bis zwei Stunden ausgiebig bei der anschließenden Gartenarbeit hin, eine Liebhaberei, die er von seiner lieben Mutter geerbt habe – umgeben von den friedlich spielenden Kindern. Abends (dies mußte relativ früh gewesen sein, etwa zwischen 19 und 20 Uhr) wurde ein „einfaches Abendbrot“ gegessen, worauf der Tag ebenso sanft ausklang, wie er begonnen hatte: Dann „lesen wir zusammen oder schreibe ich ein Stündchen“, berichtet uns Höfken über sein geregeltes Leben. Und um punkt 21 Uhr „fallen wir müde ins Bett in einen gesunden, erquickenden Schlaf“. An Sonn- und Feiertagen wäre er nur ausnahmsweise ins Ministerium gefahren, „sie seien der Familie und Gesellschaften gewidmet gewesen: gewöhnlich machen wir aber dann allein oder auch in kleiner Gesellschaft Ausflüge in die herrlichen Berge und Wälder der Umgebung, nach der Paraplüsa [sic!] Spitze, … nach der frischen Kugelwiese und dem sagenumgebenen Predigtstuhl, nach Kaltenleutgeben und der roten Erde, durch wahrhaften Urwald nach dem reizenden Wildeck, nach Gießhübel und Heiligenkreuz“. Eine Woche gleicht der anderen. Das Leben fließt dem Erzähler zufolge ruhig dahin. Die Geselligkeit nimmt auch bei Höfken eine gewichtige Stelle ein. Seine Gesellschaft waren vorwiegend Mitglieder des „Verschönerungs- und Vergnügungsvereines“ von Perchtoldsdorf, dessen Obmann Sektionsrat Höfken war. An Sonntagen machten sie Ausflüge und veranstalteten Spiele auf den Wiesen, es wurde musiziert, gesungen, deklamiert, getanzt. Bei den gemeinsamen Pick­ nicken, zu denen jeder beisteuerte, wurde „erstaunliche Eßlust“ entwickelt. In der Abendsonne kehrte man zurück, und manchmal wurden noch zur Unterhaltung Feuerwerke abgebrannt und Lampions angezündet. In verschiedenen Häusern – manchmal auch auf dem Linahof bei Höfken – wurde dann noch „ein Stündchen“ getanzt, und es wurden auch „einfache Erfrischungen“ gereicht. 132 Bevor er seine Beamtenlaufbahn einschlug, schrieb er „Tirocinium eines deutschen Offiziers in Spanien“ 4 Bde. (Stuttgart 1841/42) und einige handelspolitische Schriften. Als Beamter, nach 1850, verfaßte er „Deutsche Auswanderung und Kolonisation mit Hinblick auf Ungarn“ (Wien 1850); „Über das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften mit Bezug auf die Neugestaltung des höheren Unterrichts und die Staatsprüfung in Österreich“ (Wien 1851); „Die österreichischen Finanzprobleme bezüglich Bank, Valuta und Defizit“ (Leipzig 1862). Daneben redigierte er die Zeitschrift „Austria“; WURZBACH, Biographisches Lexikon 9, 99–102.

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In der Gesellschaft des Vereins sah Höfken eine kleine, sehr harmonische Welt. Sie war aber eng umgrenzt. Sie sei ziemlich gewählt; liebenswürdige Menschen seien in ihr versammelt, es gebe keine Streitereien und „Exzesse“. Die Vorliebe für die Exklusivität geht allerdings bei Höfken bis zum Antisemitismus: „das jüdische Element sei nur noch verschwindend“, meint Höfken mit offensichtlicher Erleichterung. Die Abendunterhaltungen bestünden aus Deklamationen, lebenden Bildern, Singspielen und Vorträgen133. Zwei hohe Beamte in ungefähr gleichem Rang, zeitlich ca. ein halbes Jahrhundert voneinander getrennt, werden uns durch ihre eigenen Schilderungen in ihrem Lebenszusammenhang vorgestellt. Sie kamen aus ähnlichem – „kleinem“ – Milieu, wurden erfolgreiche Beamte, leisteten ähnliche Arbeiten in ihren Kanzleien. In ihrem Lebensstil liegen allerdings Welten dazwischen. Auffällig ist jedoch zunächst eine fundamentale Gemeinsamkeit: Die Freizeitgestaltung, und zwar jede Freizeitgestaltung, wird als Form von Interaktion beschrieben (Lektüre wird nur kurz erwähnt). Jede erwähnenswerte Freizeit ist Zusammenkommen mit anderen, ist Geselligkeit. Individuelle, allein gestaltete Freizeit gibt es in diesen Beschreibungen und auch in anderen Beamtenmemoiren nicht. In den Formen der Geselligkeit müssen wir allerdings große Unterschiede feststellen: Aus den Schilderungen Obermayers aus dem späten 18. Jahrhundert wird deutlich, daß ein aristokratisches Modell das Lebensideal der Beamten prägte. Die Kunst, den Alltag zeremoniell zu gestalten, bestimmte die Vorstellung des Beamten vom feinen Leben und offensichtlich auch den Lebensrhythmus der Bürokraten, von dem wir heute mit Selbstverständlichkeit annehmen, er werde durch fixe Arbeitszeiten, die irgendeine Behörde festsetzt, reguliert. Diese (unsere gewohnte) Lebenspraxis finden wir bereits in den Beschreibungen Höfkens in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die „ordentliche“ (bürgerliche) für eine größere Gruppe gültige Arbeitseinteilung – das Arbeitskorsett – des Hausherrn bestimmt die Privateinladungen des Hauses, seiner Familie. Wegen des frühen Arbeitsbeginnes werden sie deshalb auf Sonn- und Feiertage beschränkt. Das Ehepaar Höfken agiert dabei immer zusammen, die Kinder werden meistens einbezogen. Das Ehepaar Obermayer dagegen gestaltete – wir erinnern uns – ihr Privatleben getrennt; man empfängt getrennt und besitzt verschiedene Freunde. Das Familienleben wird nicht betont, es wird aus den Schilderungen nur wenig deutlich und wenn, dann konfliktreich beschrie-

133 „Aus meinem Tagebuch“ (Eintragung vom 14. August 1851), HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2.

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ben134. Die Familie Höfken aber präsentiert sich uns als harmonische Biedermeieridylle – das Ideal der Zeit. Im Fall Höfken, wie wir aus dem Briefwechsel mit seiner Frau und den Kindern wissen, eine reine Fiktion, die keineswegs der Realität entsprach: die Ehe wurde von beiden Ehepartnern als schlecht, die Entwicklung der Kinder als mißraten empfunden. Man mied sich im Privatleben und demonstrierte Gemeinsamkeit in der Öffentlichkeit135. Welch ein Unterschied aber vor allem in der Geselligkeit. Man vergleiche die Schilderungen der Abendunterhaltung der Obermayers oder auch der Abende der Beamtenfrau und Beamtentochter Caroline Pichler136, als deren Ideal die Kunst der Unterhaltung, die Formung der „höheren Geselligkeit“ galt, ein dynamischer Prozeß, der jedesmal als Kunstwerk oder Interaktion neu geschaffen werden sollte137. Das Publikum, das die Geselligkeit bildete, war breit gestreut. Jeder konnte teilnehmen, sofern er (oder sie) gebildet war. Fremde Künstler und Gelehrte wurden als „Attraktion des Abends“ empfunden und als solche vorgeführt. Emilie Weckbecker, geborene Obermayer, sah keine Probleme in der Teilnahme der Juden an ihren Gesellschaften, ja in einer Verwandtschaft mit ihnen138. Verschiedenartigkeit war gefragt. Höfkens Gesellschaft dagegen rekrutierte sich vor allem aus seiner Familie und aus Mitgliedern des „Verschönerungs- und Vergnügungsvereins“. Ein äußeres gemeinsames Interesse verband sie also. Ein festes (Kultur-)Programm war an die Stelle der „freien Gestaltung“ der Abende getreten. Es war rassische oder wenigstens christliche, wahrscheinlich auch politische Konformität erwünscht. Mit dieser Art von Geselligkeit wird uns der Prototyp der „neuen“, ins „nur noch Private regredierenden Verkehrsformen biedermeierlicher Bürgerlichkeit“139 vorgestellt. Im Vergleich mit der Lebensdarstellung, die uns Emilie Weckbecker aus dem 18. Jahrhundert überlieferte, wird umso deutlicher, daß die bürgerliche Lebensgestaltung nun gegenüber der aristokratischen im Beamtenmilieu den Sieg da134 Vgl. zum Beispiel die Schilderung der wenig sentimentalen geschwisterlichen und der ElternKind-Beziehungen, DIE WECKBECKERS, 49–53. 135 Die Briefe im HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 1. Sie umfassen die Zeit von 1843 bis zu Beginn der achtziger Jahre. HEINDL Waltraud, „Wir wollen einen Familientempel bauen …“ Marginalien zu Mentalität und Familienleben des Beamten Gustav Höfken. In: Verbürgerlichung in Mitteleuropa. Festschrift für Peter Hanák zum 70. Geburtstag, hg. von Eva Somogyi (Budapest 1991) 47–56. 136 PICHLER, Denkwürdigkeiten. 137 ALTENHOFER, Geselligkeit, vor allem 39 ff. 138 DIE WECKBECKERS, 46 ff. 139 So analysiert von Norbert Altenhofer.

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vongetragen hatte, zum selbstverständlichen Ideal geworden war. Zugleich damit wurde aber auch ein Prozeß der Verengung eingeleitet. Geblieben war allerdings die Funktion der Geselligkeit als politische Kommunikation, die im Laufe der Zeit eher zunahm und mehr und mehr die Formen der Geselligkeit bestimmte. Die Geselligkeit spielt nach wie vor wohl auch aus diesen Gründen in allen Beamtenmemoiren eine bedeutende Rolle140. Die geänderten Formen, die wir bereits konstatierten, finden wir auch hier wieder. Scharaden, Theaterspiel, gemeinsame Lektüre, Musik, Wanderungen, mit einem Wort – Programme – werden wie in Höfkens Gesellschaften auch in den anderen Wiener Salons immer mehr feste Bestandteile der Geselligkeit. Ein wichtiges Signum dieser Art von Zusammenkommen, womit es sich auch gegenüber früheren Formen unterscheidet: Die Naturbegeisterung, die sich in gemeinsamen Spaziergängen und Wanderungen äußert, tritt an die Seite der künstlerischen Ambitionen und ist seit den dreißiger Jahren stark im Steigen begriffen. Verständ­licherweise beschäftigt daher auch die theoretische (etwas banal klingende) Wertfrage, ob „Naturgenüsse“ oder etwa „Kunstgenüsse“ höher zu schätzen seien, die Beamtenseelen141. Diese Art von „höherer Geselligkeit“ findet sich genauso als Freizeitkultur im Alltag nicht ganz so hochrangiger und wenig berühmter Beamten wieder. Mathias Perth und Erasmus Kessler – beide schon oft erwähnt – geben Schilderungen ihres privaten Alltags142, die den vorhergegangenen sehr gleichen. Geselligkeit steht auch bei ihnen im Mittelpunkt. Neben dem Wohnzimmer und dem Salon von Freunden gibt es für den Junggesellen Perth und den lange ledig gebliebenen Kessler noch andere Orte der Geselligkeit: Das Kaffeehaus spielt nachmittags und 140 Es seien hier nur einige Beispiele angeführt, in denen Gesellschaften ein besondere Rolle spielen, BAUERNFELD, Tagebücher 1; CASTELLI, Leben; GRILLPARZER, Tagebücher; HANSLICK, Leben; HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen; KRAUSZ ELISLAGO, Autobiographie; BUNZEL, Lebenslauf; HASNER, Denkwürdigkeiten; PRATOBEVERA, Tagebücher, HHStA., Nachlaß Pratobevera, Karton 9; PERTH, Tagebücher, WST. u. LB., Handschriftensammlung; KESSLER, Tagebücher, ebd.; PICHLER, Denkwürdigkeiten. Die Reihe ließe sich fortsetzen. 141 So etwa Gustav Höfken: „Soll man, darf man die Naturgenüsse und die Kunstgenüsse in ihrem Werte gegeneinander und für uns abwägen? Ich glaube nicht, denn sie sind ungleichartige Größen, die sich also nicht miteinander vergleichen lassen. Glücklich wer sich ein für beide Gebiete warm fühlendes Herz erworben und erhalten …“ „Aus meinem Tagebuch“ (Eintragung vom 1. September 1851), HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2. Über das Wandern in Gesellschaft und Naturbegeisterung auch HASNER, Denkwürdigkeiten, 9 f., 28 und 37 f. 142 PERTH, Tagebücher (1806–1856), WST. u. LB., Handschriftensammlung; KESSLER, Tagebücher (1839–1865), ebd.

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das Gasthaus abends als Forum der Begegnung und Kommunikation mit engeren Freunden und weiteren Bekannten ein wichtige Rolle. Bei den Literaten unter den Beamten – etwa Bauernfeld, Castelli, Grillparzer – werden die Treffen mit gleichgesinnten Künstlern in Kaffeehäusern (vielleicht weil sie ledig waren) zunehmend wichtiger143. Religiöse Übungen, das sei am Rande vermerkt, berührten die Freizeit der Beamten kaum. Die Religion prägte nach wie vor die großen Feste, wie Weihnachten und Ostern, aus deren Anlaß der Besuch von mehreren Kirchen zur Regel gehörte, die von nur ganz wenigen Beamten so weit beachtet wurden, daß sie ins Tagebuch einzutragen für wert befunden wurden144. An Karfreitagen bekamen die Beamten frei, um die „Heiligen Gräber“ der Stadtkirchen zu besuchen145. Religion äußerte sich im Alltagsleben der Beamtenfamilien auch insofern, als die Namenstage (die Tage der „Kalenderheiligen“) eine höhere Geltung hatten als die Geburtstagsfeste. Aber auch anläßlich dieses Festes wurden nur ausnahmsweise Kirchenbesuche verzeichnet146, dafür weit mehr über Essen und Trinken, Musik, Theater und Scharaden geschrieben, die zur Feier der Festtage ausgiebig stattfanden und zu denen immer die Freunde des Hauses geladen wurden147. Der arme 143 Als kulturell wichtige Kaffeehäuser werden in dieser Zeit genannt: „Amor“ in der Singerstraße, das „Silberne Kaffeehaus“, „Leidenfrost“, Reingard WITZMANN, Das Wiener Kaffeehaus im Biedermeier oder von der „Eröffnung des irdischen Paradieses“. In: BÜRGERSINN UND AUFBEGEHREN, 325 ff. – Perth nennt „Dichtlers Kaffeehaus“ auf der Wieden und die Casa picola, PERTH, Tagebücher, WST. u. LB., Handschriftensammlung. 144 So der fromme Perth, der alljährlich an jedem Weihnachtsfeiertag und an jedem Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag alle Kirchen und liturgischen Feiern (oftmals, besonders Karfreitag und Karsamstag, waren es mehrere), die er besuchte, in seinem Tagebuch verzeichnete; ebd. Auch Kübeck fand viel Zeit für religiöse Übungen; siehe KÜBECK, Tagebücher 1/1, 1/2 und 2, in denen viele Eintragungen von Gebeten und Kirchenbesuchen verzeichnet sind. – Das Gegenteil bilden Grillparzers Tagebücher, in denen wir sehr distanzierte Reflexionen zur Religion finden, diese sind allerdings kein Einzelfall; GRILLPARZER, Tagebücher, Nr. 25 (Eintragung von 1809); auch VESQUE VON PÜTTLINGEN, Lebensskizze, 14 f.; HASNER, Denkwürdigkeiten, 13 und 23. 145 Siehe z. B. die Aufzeichnungen Kesslers, der diesen Kirchenbesuchen eher distanziert gegenüberstand, KESSLER, Tagebuch 3 (Eintragung vom 17. April 1835), WST. u. LB., Handschriftensammlung. 146 Der eben erwähnte Perth vermerkte in seinem Tagebuch an jedem 24. Februar, seinem Namenstag, einen Besuch der Messe am Morgen, die er für seinen (1795) verstorbenen Vater lesen ließ, manchmal auch den Besuch einer Litanei am Nachmittag. 147 Sogar der asketische Perth gedenkt in seinem Tagebuch regelmäßig an seinem Geburts- und Namenstagen nicht nur der Kirchenbesuche, sondern auch der Festessen im Hause seiner Freunde, weit mehr noch der weitaus lebenslustigere Kessler, siehe z. B. KESSLER, Tagebuch 2 (Eintra-

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Kessler konnte allerdings einmal daran nicht teilnehmen, weil er „keinen ordentlichen Feiertagsanzug“ sein eigen nannte148. Der Salon als besondere Kulturform ist einer der Angelpunkte, um die soziale und geistige Existenz der Beamten zu erfassen. Er ist Ausdruck ihres Selbstverständnisses und ihrer sozialen Rolle. Die beamteten Bürger bildeten einen wichtigen integrierenden Teil des Salons und seiner Kultur und wurden gleichzeitig durch ihn in die Gesellschaft integriert. Salon und Amt waren die Lebensorte der Beamten. Die Vorstellung vom Bürokraten, dessen Leben sich zwischen beiden Orten abspielt – dies wird uns durch die Memoiren und die Tagebücher suggeriert. Das mag nicht ganz so gewesen sein, aber es versinnbildlicht das Problem dieser beamteten Gebildeten, nämlich den Zwiespalt, den ihre Existenz als „Fachmensch“ und „kultivierter Mensch“ verursachte. Grillparzer drückt sein Gefühl der Ambivalenz, das in ihm die Zersplitterung zwischen Beamten- und Künstlerexistenz auslöste, folgendermaßen aus: „Habe die Archivdirektorsstelle erhalten und so des Menschen Sohn um dreißig Silberlinge verkauft. Ich werde ein volles Jahr verwenden müssen, das Geschäft kennenzulernen; ein volles Jahr, ohne auf Poesie anders als in verlorenen Augenblicken denken zu können. Dann freilich, wenn die Poesie käme, würde ich sie aufnehmen können. Aber wird sie kommen? Ein bestimmtes Gefühl, daß es mit mir aus ist, hat mich diesen Platz suchen und annehmen lassen … Ich will mein neues Amt annehmen, ich will Amtsstunden halten, ich will fleißig sein, … aber ich nehme mir zugleich vor, jeden Tag und zwar gerade im Amtslokale etwas Poetisches zu arbeiten, um nur den Gedanken an die Bestimmung nicht zu verlieren und – die Hoffnung, oder wenigstens den erstern nicht, denn die letztere gebe ich auf.“149 Und ein Jahr später vertraut er seinem Tagebuch an, er könne nicht mehr dichten150. Welch anderes Forum für seine Neigungen und Interessen fand der gebildete Beamte dagegen im Salon! Hier fand er Gleichgesinnte, bei denen sein Anliegen, die Welt der Kultur, auf Räsonanz stieß. Hier wurde die Dichotomie in „Fachund Kulturmensch“, in Beschäftigung mit ungeliebter Büromaterie und mit dem, was seine eigentliche geistige Existenz ausmachte, seine künstlerischen und wissenschaftlichen Neigungen, aufgehoben. gung vom 25. Dezember 1831) und 3 (Eintragung vom 19. April 1835), WST. u. LB., Handschriftensammlung. 148 Ebd. 149 GRILLPARZER, Tagebücher, Nr. 184 (Eintragung vom 25. Jänner 1832). 150 Ebd., Nr. 199 (Eintragung vom 13. April 1833).

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Die Zweiteilung so manchen Beamtendaseins mußte sich allerdings nicht nur negativ auswirken. Das interessanteste Beispiel, das uns demonstriert, wie sich Beamtentum, Künstlertum und Wissenschaft in einer positiven Weise vereinbaren ließen, wie ein Beamter durch seinen künstlerischen Nimbus interessant wurde und umgekehrt der Künstler durch seine hohe bürokratische Stellung den Anstrich von Seriosität erhielt, bietet uns Johann von Vesque von Püttlingen151. Er war unter dem Namen J. Hoven ein gefeierter Opern- und Liederkomponist seiner Zeit, daneben (ab 1834) Beamter im Staatsrat, später Sektionschef im Außenministerium. Daneben fand er erstaunlicherweise noch Zeit, völkerrechtliche Werke zu verfassen. Mit diesen beiden Exponenten, Grillparzer und Vesque von Püttlingen, ist bereits der künstlerische Rahmen der Beamten abgesteckt: die Dichtung/das Theater und die Musik. Beide Zweige prägten zugleich das gesellschaftliche Leben Wiens. So mußte sich eine Wechselwirkung zwischen beiden ergeben. Die Beamten, die mit Heißhunger lasen152, ins Theater gingen, selbst Instrumente spielten, ja sogar schrieben und dichteten, stellten das gebildete Publikum dar und zählten zugleich zu den Lieblingskindern des Wiener literarischen Salons. Auf die große Bedeutung der Beamten für das musikalische Leben Wiens hat bereits Clemens Höslinger am Beispiel der Familie Pratobevera hingewiesen153. Die Wichtigkeit, die musikalische Kenntnisse und vor allem die gute Beherrschung eines Instruments für so manchen Staatsdiener hatten154, um in einflußreiche Häuser Eingang zu finden, hat Karoly Vörös unterstrichen und den Beet­

151 Darüber HANSLICK, Leben, 73–76. 152 Proben davon S. 214 ff. Aus den Verlassenschaftsakten in Wien geht im übrigen hervor, daß von allen Bevölkerungsgruppen die Beamten die höchsten Bücherbestände besaßen; Birgit FRIEBEN, Die Sozialstruktur Wiens am Anfang des Vormärz (phil. Diss. Wien 1966) 103–107. 153 HÖSLINGER, Pratobevera, besonders 119–129; auch DERS., Kulturelles Leben, 65. Aus diesen interessanten Ausführungen sei nur erwähnt, daß der oft zitierte junge Adolph Pratobevera das Libretto für Schuberts „Falken“ schrieb. Viele Beamte berichteten über ihre musikalischen Interessen, z. B. KÜBECK, Tagebücher 1/1, IX f.; GRILLPARZER, Selbstbiographie, 35 ff.; DERS., Tagebücher, Nr. 109 (Eintragung von 1826); BAUERNFELD, Tagebücher 1, 75 (Eintragung vom 6. Februar 1836); BUNZEL, Lebenslauf, 28 und 34; HASNER, Denkwürdigkeiten, 90 ff.; HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 34 und 224 etc. 154 Ein gutes Beispiel sind dafür KÜBECK, Tagebücher 1/1, IX f., und der bereits oft zitierte Erasmus Kessler, der als Sohn eines Dirigenten, selbst Musiklehrer und Komponist war, als Virtuose mehrere Instrumente beherrschte und ein vielgesuchter Partner bei Hausmusikabenden war; z. B. KESSLER, Tagebuch 2 (viele Eintragungen in den Jahren 1831, 1832 und 1834) und Tagebuch 4 (im besonderen Eintragung vom 1. Jänner 1842), WST. u. LB., Handschriftensammlung.

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hoven-Freund Nikolaus Zmeskáll zum Beweis seiner Thesen herangezogen155. Der nach Wien zugereiste Gustav Höfken kommentierte das erstaunliche Interesse, das in Wien und besonders bei seinen Beamtenkollegen für Musik und Gesang herrschte, aus dem Verständnis des Zeitgenossen: Die Musik sei „auch die von der Staatspolizei unerreichbarste und zugleich unverständlichste Kunst“156. Wie kam es dann jedoch, daß sich so viele Beamte mit Enthusiasmus der politisch so brisanten Welt der Literatur zuwandten? Theater und Dichtung (wovon später noch die Rede sein wird) prägten sowohl das Leben der einzelnen gebildeten Beamten als auch die „höhere Geselligkeit“ in einem Ausmaß, das wir, Zeitgenossen einer visuellen Epoche, uns wahrscheinlich schwerlich vorzustellen vermögen.

2.4. Geselligkeit als Politik Der Salon bedeutete kulturelle Kommunikation. Der Salon bedeutete zugleich auch politisches Rückzugsgebiet, im Grund das einzige, das geblieben war, als seit dem josephinischen Jahrzehnt die kulturelle und politische Öffentlichkeit, die sich damals entwickelt hatte, wieder schrittweise unterbunden wurde157. Seine Bedeutung als nicht nur kulturelles, sondern auch politisches Forum ist daher nicht zu unterschätzen. Dies galt besonders für Beamte. Wir kennen heute dank des guten Forschungsstandes das rege Interesse, das im josephinischen Wien in Beamtenkreisen für die Freimaurerei geherrscht hatte158, und die Vorliebe, die die Staatsbeamten für den berühmten und verrufenen Bund 155 Karoly VÖRÖS, Beiträge zur Lebensgeschichte von Nikolaus Zmeskáll. In: Studia Musicologica IV (Budapest 1963) 381–409, besonders 396–399. 156 „Aus meinem Tagebuch“ (Eintragung vom 18. August 1851), HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2. 157 Ausführlich Leslie BODI, Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781– 1795 (Frankfurt/Main 1977). 158 Edith ROSENSTRAUCH-KÖNIGSBERG, Freimaurerei im josephinischen Wien. Aloys Blumauers Weg vom Jesuiten zum Jakobiner (= Wiener Arbeiten zur deutschen Literatur 6, Wien 1975); DIES., Die freimaurerische Akademie der Wissenschaften in Wien. In: Duisburger Hochschulbeiträge 12: Revolution und Demokratie in Geschichte und Literatur (Duisburg 1979) 152–169; Helmut REINALTER, Aufklärung, Freimaurerei und Jakobinertum in der Habsburger-Monarchie. In: Jakobiner in Mitteleuropa, hg. und eingeleitet v. Helmut REINALTER (Innsbruck 1977) 243–269; DERS., Josephinismus, Geheimgesellschaften und Jakobinismus. Zur radikalen Spätaufklärung in der Habsburger-Monarchie. In: Ungarn und Österreich unter Maria Theresia und Joseph II. Neue Aspekte im Verhältnis beider Länder, hg. v. Anna M. DRABEK, Richard G. PLASCHKA und Adam WANDRUSZKA (Wien 1982) 55–70. Eine ausführliche Bibliographie zur Freimaurerei in Mitteleuropa bei Helmut REINALTER, Freimaurerei und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa (Frankfurt/Main 21986).

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entwickelten. In der Zeit der Logenfreiheit, in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, waren in den wichtigen Logen Wiens die Staatsbeamten stark vertreten gewesen. Das „Verzeichnis der Brüder und Mitglieder der gesetzmäßig verbesserten und vollkommenen St. Johannesloge zur wahren Eintracht im Orient“ gibt im Jahr 1785 179 Mitglieder an. 62 davon waren Staatsbeamte (in in- und ausländischen Diensten)159. Die „Loge zur wahren Eintracht“ war die eigentliche „Beamtenloge“. Immerhin war der „Meister vom Stuhl“ der wissenschaftlich berühmte Ignaz von Born, ehemals – bevor er um seine Entlassung ansuchte – Hofrat bei der Hofkammer in Münz- und Bergwesen160. Prominente Staatsbeamte, wie Sonnenfels, zählten zu ihren Mitgliedern. Die „Loge zur wahren Eintracht“ wurde als geistige Eliteversammlung angesehen. Aber auch in der gesellschaftlich sehr geschätzten „Loge zu den drei Adlern“ waren unter den 142 Mitgliedern 36 Staatsbeamte vertreten; in der „Loge zum Palmenbaum“ gab es ein Verhältnis von 33 : 6161. Nun wissen wir nicht genau, wie die Beamten die Logen tatsächlich werteten. War der Freimaurerbund einfach ein schicker Club für sie, dem anzugehören einem Intellektuellen zur Ehre und seiner Karriere nicht zum Schaden gereichte? Stellten die wissenschaftlich-gelehrten Veranstaltungen, besonders jene der „Loge zur wahren Eintracht“ (die vor allem unter Born zu Berühmtheit gelangte),162 die Hauptattraktion dar, die Beamte anzog? Oder war es der politisch-aufklärerische Geist der Bewegung, der die Beamten in ihren Bann zog? Ohne den heute viel diskutierten und sehr gegensätzlich beurteilten Einfluß der österreichischen Freimaurerei und die politischen Auswirkungen der Logen auf den Jakobinismus163 diskutieren zu wollen, sei hier doch festgehalten, daß die Freimaurerlogen selbstverständlich ein Kommunikationszentrum waren, in denen politische Informationen weitergegeben werden konnten und in denen Gleichgesinnte ihre Meinungen austauschten. Wenn die Freimaurerei den „politischen Geist der Beamten“ beeinflußte, dann offiziell nur kurzzeitig. Das rasche und radikale Ende, das Kaiser Franz Il. (I.), der 159 Dieses und die folgenden Verzeichnisse der Logen und ihrer Mitglieder (mit Berufen), in: HHStA., Vertrauliche Akten, Karton 65 (alt 103). Ich danke Frau Dr. Edith Rosenstrauch an dieser Stelle für den Hinweis auf die Mitgliederverzeichnisse und andere Informationen bezüglich der Freimaurer in Wien. 160 ROSENSTRAUCH, Freimaurerische Akademie, 159. 161 Gezählt nach den Mitgliederverzeichnissen, siehe Anm. 159. 162 ROSENSTRAUCH, Freimaurerische Akademie, 160. 163 Zur Diskussion neuerdings REINALTER, Österreich und die Französische Revolution (Wien 1988) 30–32.

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in bezug auf die Geheimen Gesellschaften geradezu einen Verfolgungswahn entwickelte, den Freimaurern bereitete, ist bekannt. Sein Zorn traf in erster Linie die Diener des Staates: 1795 wurde eine Fahndung in den diversen Logen, Clubs und Gesellschaften nach suspekten Beamten eingeleitet164, 1797 wurden alle Geheimgesellschaften in der Monarchie verboten. 1801 mußte, wie erinnerlich, jeder Beamte jährlich schwören, keiner Geheimen Gesellschaft anzugehören165. Trotzdem ließ sich Kaiser Franz mit wahrer Begierde von einem speziell dafür engagierten Spitzel über „geheime Umtriebe“ berichten166. Die Beamten aus allen Teilen der Monarchie nehmen in diesen Berichten einen breiten Raum ein167. Jeder Verein war nun suspekt. 1813 wurde dekretiert, daß jede Mitgliedschaft bei einer gelehrten Gesellschaft des Auslandes nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Kaisers möglich war168. Wahrscheinlich wirkte langfristig ein emanzipatorischer Einfluß mancher geheimen Gesellschaft weiter. Die Erinnerung an sie und das Interesse der Beamten an ihnen blieb erstaunlich lebendig. Geheime Vereinigungen, die bald wieder entstanden, fanden in Beamtenkreisen sofort Widerhall. „Die Wildensteiner Ritterschaft“ war zu aristokratisch geprägt, als daß sie Scharen von Beamten hätte anziehen können. In den Beamtenmemoiren taucht sie lediglich bei Hammer-Purgstall auf169, der einen Empfang durch Erzherzog Johann auf Schloß Seebenstein, dem Sitz der Wildensteiner Ritterschaft, schildert. Von dem angepaßten, vorsichtigen Hammer erfahren wir aber nicht, ob er selbst Mitglied war. Anders stand es mit der „Ludlamshöhle“ einer Wiener Künstlervereinigung, die im Gasthaus Blumenstöckchen in der Ballgasse ihre Zusammenkünfte abhielt. Sie bestand nur von 1818 bis 1826. Die dichtenden Beamten Castelli, Grillparzer, Zedlitz gehörten ihr bald als Mitglieder an170, allerdings nicht sehr lange. Die von den Mitgliedern als harmlos „lustige Gesellschaft“ geschilderte „Ludlamshöhle“ wurde „entdeckt“ und in einer bei Nacht und Nebel dramatisch inszenierten Polizeiaktion – als wäre sie eine Verbrecherhöhle gewesen – aufgelöst. Die Mitglieder 164 MAYR, Wien, 182. 165 Siehe S. 50. 166 Eugen LENNHOFF, Die Freimaurer (Nachdruck der Ausgabe von 1929, Wien-München 1981) 194 f. 167 Diese befinden sich in: HHStA., Vertrauliche Akten. 168 MAYR, Wien, 183. 169 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 259 f. 170 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 125 f.; DERS., Tagebücher, Nr. 113; CASTELLI, Aus dem Leben, 294–315; vgl. auch Irmgard HELPERSDORFER, Die Entwicklung des Vereinswesens im Vormärz. In: BÜRGERSINN UND AUFBEGEHREN, 323.

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wurden verurteilt. Für den Beamten Grillparzer waren allerdings „nur“ dienstliche Zurückstellungen die Folge. Es ist daher kein Zufall, wenn gerade in diesen Jahren die Geselligkeit in privaten Häusern und Salons auch an politischer Bedeutung gewann. Den Behörden war dies bewußt. Sie fürchteten diese Art von nicht vollständig kontrollierbarem gesellschaftlichen Verkehr und versuchten auch diesen in den Griff zu bekommen. Eine Gesellschaft, bei der Tanzmusik mit bereits zwei Instrumenten gespielt wurde, eine Gesellschaft, bei der Lichter auf den Kronleuchtern entzündet und Tanzmusik auf einem Klavier dargeboten wurden, mußte bei der Polizei gemeldet werden171. Erst nach dem Tod von Kaiser Franz lockerte sich der Druck ein wenig. Es schossen sofort Gesellschaften und Vereine aus dem Boden172, und ab dem Ende der dreißiger Jahre finden wir in Österreich eine veränderte Szene. „Die Zeit der poetischen Träumerei geht für Österreich zu Ende“, hieß es im „Grenzboten“173. Die Sehnsucht nach einem Forum der Öffentlichkeit, auf dem gemeinsame Interessen formuliert werden konnten, war offensichtlich groß. In dem zuerst (1839) gegründeten, wirtschaftlich orientierten Verein zur „Aufmunterung, Beförderung und Vervollkommnung der Industrie“, dem „Niederösterreichischen Gewerbeverein“, stellten die Beamten ihren Interessen gemäß nur wenige Mitglieder174. Anders stand es schon mit dem ein Jahr später gegründeten Künstlerverein „Concordia“, in dem die beamteten Dichter Bauernfeld, Castelli, Grillparzer, Hammer-Purgstall und auch Vesque von Püttlingen vertreten waren. Die „Concordia“ war ein Verein, der vor allem für die Aufhebung der Zensur kämpfte und Verfolgungen ausgesetzt war175. Es war ohne Zweifel eine Tat der Zivilcourage, als Beamter diesem Verein beizutreten. 1840 wurde der „juridischpolitische Leseverein“, der im geistigen Leben ­Wiens sehr rasch eine führende Rolle gewann, gegründet. Das Ziel des Vereins war, „durch Auflegung der wichtigsten und interessantesten Zeitschriften, der bedeutendsten wissenschaftlichen und schöngeistigen Werke dem gebildeten, vorzüg171 BEIDTEL, Staatsverwaltung 2, 98. 172 Über die Vereinsbildungen in Wien seit den dreißiger Jahren HELPERSDORFER, Vereinswesen, 321–324. 173 Grenzbote 2 (1844) 138, zit. von Hubert LENGAUER, Ästhetik und liberale Opposition. Zur Rollenproblematik des Schriftstellers in der österreichischen Literatur um 1848 (= Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur 17, Wien-Köln 1989) 65. 174 Ebd., 68. 175 HELPERSDORFER, Vereinswesen, 323; LENGAUER, Ästhetik, 70 ff.

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lich juridischen Publikum Gelegenheit zu verschaffen, sich mit den Fortschritten der Literatur in ihrem weitesten Umfange bekannt zu machen“176. Dieser Verein sprach die Beamten besonders an. Bereits bei der Gründung waren einige Bürokraten vertreten und Ende 1847 waren unter den 211 Mitgliedern „vorwiegend Staatsbeamte und Advokaten“, wie Friedrich Engel-Janosi feststellte. Die „ideologische“ Mischung war allerdings bemerkenswert: neben streng Konservativen finden wir auch die Oppositionellen Doblhoff und Tuvora177. Damit war zumindest ein inoffizielles politisches Forum geschaffen. Im Verein konnte man Kontakte schließen, lesen, politische Informationen austauschen, diskutieren und (zum Schrecken von Regierung und Zensur) Pläne schmieden. Vereine waren ein vager Ersatz für wirklich öffentliches politisches Leben. Mit der Gründung der Vereine verlagerte sich die politische Plattform aus der Ersatz-Öffentlichkeit des Salons hinaus. Wahrscheinlich entwickelte sich erst ab diesem Zeitpunkt, ab dem es nun andere Möglichkeiten zu Gesprächen politischwissenschaftlicher Natur gab, die Salonkultur in der vorher skizzierten Form: Sie entfernte sich von der wissenschaftlich-politischen und wissenschaftlich-künstlerischen Diskussion und nahm Formen der Unterhaltung an178. Die Trennung von Politik/Wissenschaft einerseits und schöngeistiger Kunst andererseits, als Themen des privaten Lebens im Salon vereint, wurde in der bürgerlichen Sphäre immer mehr vollzogen. Doch noch hatte der Salon als (fast) unbeaufsichtigtes Kommunikationszentrum wichtige politische Funktionen zu erfüllen. Ein gutes Beispiel von Übergang des Salons von seiner gesellschaftlich-privaten Form zur öffentlich-politisch agierenden bietet uns die „Gesellschaft“ des Freiherrn Anton Doblhoff in den vierziger Jahren. Die politische Rolle dieses Salons wird durch die Schilderung, die Bauernfeld 1847 gibt, deutlich: „Die Gesellschaft bei D ­ oblhoff macht sich … Anwesend von Doblhoff, von der Stände Seite: Colloredo, Vater und Sohn, Fries … Von mir kamen: Alex[ander] Bach, Feuchtersleben … Castelli … Fürs nächste Mal erwarten wir noch Grillparzer, Hammer, Endlicher, 176 Ebd., 69; vgl. Friedrich ENGEL-JANOSI, Der Wiener juridisch-politische Leseverein. Seine Geschichte bis zur Revolution. In: Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Stadt Wien 4 (1923) 59. 177 Ebd., 61. – Das Interesse der Beamten an den Vereinen blieb auch später bestehen. In dem 1854 gegründeten „Alterthums-Verein zu Wien“ beispielsweise waren von 337 Mitgliedern 105 Beamte der Staats- und Gemeindeverwaltung. Der „Verein für Landeskunde von Niederösterreich“ umfaßte Ende 1868 643 Mitglieder. 100 waren Beamte; Richard PERGER, Die Gründung des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich – Folge eines Konflikts? In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, N. F. 53 (1987) 121 und 138. 178 Siehe S. 315 ff.

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Thun.“179 Die politische Aktion und die Kritik waren im Salon Doblhoff in den Vordergrund getreten. Selbst der zurückhaltende Grillparzer konnte hier ins Fach der politischen Rede überwechseln, und Adalbert Stifters Auftritt war so angelegt, meint Hubert Lengauer, daß der Redeakt im Vordergrund stand, eine Art der „Gestikulationen von Öffentlichkeit“180. Damit waren die politisch Interessierten unter den Beamten, die Dichter und Intellektuellen, aus der Stille der biedermeierlichen Salons hinausgetreten und sollten bald den Schritt in das Rampenlicht der Öffentlichkeit tun.

2.5. „Staatscomedianten“ – Die Beamten und die Literatur „Staatscomedianten“ nennt Adalbert Stifter seine oppositionell gestimmten Dichterkollegen, die im „Grenzboten“ publizierten und stellt sie in scharfen Kontrast zu den „Staatsmännern“181. Der Begriff „Staatscomedianten“ bezeichnet also im Stifterschen Verständnis genau das Gegenteil dessen, wovon hier die Rede sein soll, von den Dichtern, die ein Staatsamt bekleideten. Der Ausdruck „Staatscomedianten“ hat aber auch nach Lengauer mit der Reaktion Stifters auf die „seit dem 18. Jahrhundert problematische Rolle des Intellektuellen“ zu tun, die Stifter gerade in den vierziger Jahren unheimlich wurde und die er deshalb zu verbannen suchte. Insofern trifft der Terminus „Staatscomedianten“ genau auf unsere dichtenden Beamten zu, die sich primär in der Rolle des kritischen Intellektuellen sahen. Ob sie diese Rolle auch tatsächlich ausübten, bleibe dahingestellt. Die Tatsache, daß fast alle österreichischen Dichter und Schriftsteller in der Periode zwischen 1780 und 1848 Beamte waren, ist allgemein bekannt: Aloys Blumauer, Joseph Heinrich und Matthäus von Collin, Joseph von Hormayr, Friedrich Gentz, Franz Grillparzer, Josef von Hammer-Purgstall, Anton von ProkeschOsten, Eduard von Bauernfeld, Ignaz Castelli, Joseph Christian von Zedlitz, Johann Nepomuk Vogl, Johann Gabriel Seidl, Otto Prechtler, Johann Mayrhofer, Franz von Schlechta, Friedrich Halm (Eligius von Münch-Bellinghausen), Adal­ bert Stifter (allerdings erst ab den fünfziger Jahren als Schulrat im oberösterreichischen Landesdienst), der „Jung-Tiroler“ Hermann Gilm, der Kärtner Adolf von Tschabuschnigg. Die Liste der angesehenen Dichter und Literaten ließe sich 179 BAUERNFELD, Tagebücher 1, 131 (Eintragung vom 13. Jänner 1847). 180 LENGAUER, Ästhetik, 79. 181 Ebd., 170 und 179.

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fortsetzen. Silvester Lechner hat auch darauf hingewiesen, daß alle österreichischen Autoren, die in den „Wiener Jahrbüchern der Literatur“ zu Wort kamen, mit Ausnahme der Volksdichter und Emigranten – Beamte waren182. Eduard Hanslick liefert uns rückblickend auf sein Leben für dieses Phänomen teilweise eine Erklärung: „Im vormärzlichen Österreich war jedermann Beamter, den die Liebe zu künstlerischem Schaffen verzehrte, während er selbst nichts zu verzehren gehabt hätte ohne ein nebenbei betriebenes gemütliches Staatsamt …“183 – Das „gemütliche Staatsamt“ bedeutete also vom Standpunkt des Künstlers Versorgung, vom Standpunkt des Staates war es eine (vielleicht nicht sehr effektive) Kunstförderung. Die Versorgungsfunktion des Beamtenberufes tritt in manchen Reflexionen der Beamten über die Berufswahl klar zutage. „Ich hatte unterdessen meine Studien vollendet, fühlte aber einen Widerwillen gegen den Staatsdienst“184, berichtet uns Franz Grillparzer. Ganz ähnlich klingen Bauernfelds Äußerungen bei seinem Dienstantritt: „Gestern hab’ ich mein Anstellungsdekret erhalten – es ist mir, als sollt’ ich gehängt werden.“185 Viel selbstbewußter und mit Ironie erinnert Grillparzer später seine vorgesetzte Behörde, die Hofkammer, an die Pflicht des Staates, für seine Künstler Sorge zu tragen: „Ich habe mir Ehre gemacht und meinem Vaterlande … Aber dürfte man fragen, wie kommt die Hofkammer zu der Zumutung, literarische Verdienste zu würdigen? Es gibt Staaten, die Akademien und Pensionen für Literatoren haben. Österreich hat sie, vielleicht aus guten Gründen, nicht. Wo die Beschützung einer Wissenschaft nicht Pflicht einer besonderen Behörde ist, muß sie die gemeinsame Obliegenheit aller werden …“186 An dieser Stelle muß allerdings die Frage erhoben werden, was denn einem Dichter im absolutistischen Staat anderes übrigblieb, als – Beamter zu werden? Der Beruf des „freien“ Literaten, der von seinen Einkünften leben konnte, war in anderen Staaten möglich oder gerade im Entstehen begriffen, er konnte aber keinesfalls in Österreich existieren. Hier mußten nicht erst entsprechende Verlagsangebote oder vermutliche Verkaufsziffern der Publikationen wie überall anderswo die Hauptsorge der frei schriftstellernden Autoren bilden. Hier begann die Schwierigkeit bereits mit der Frage, ob und wann das Werk, das publiziert werden 182 183 184 185

LECHNER, Gelehrte Kritik, 117. HANSLICK, Leben, 67. GRILLPARZER, Selbstbiographie, 42. BAUERNFELD, Tagebücher 1, 35 (Eintragung vom 11. September 1826); vgl. auch HANSLICK, Leben, 30; HASNER, Denkwürdigkeiten, 32. 186 GRILLPARZER, Briefe, Nr. 43 (Brief an Graf Chorinsky vom 23. Juni 1826).

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sollte, die Zensur passieren würde. Im Metternichschen Österreich von Literatur leben zu wollen wäre eine verhängnisvolle Illusion gewesen. Welcher Berufsmarkt stand aber einem begabten jungen Mann, der den Drang zur Schriftstellerei, zum Künstler oder Gelehrten in sich verspürte, offen? Aus den Reflexionen Perths über seine Berufswahl wird uns klar, daß jeder „schöngeistige“ Beruf (außer der Karriere eines Hochschullehrers, die weniger Sozialprestige besaß als die Beamtenlaufbahn) unweigerlich zum Staatsdienst führen mußte. Der 18jährige Perth vertraute seinem Tagebuch folgende Überlegungen an, wobei er signifikanterweise die Geisteswissenschaften, die in Österreich nicht institutionalisiert waren187, ausklammerte: „… welche Bahn soll ich betreten? Soll ich Priester werden? Ein Priester – es ist wahr, dieser Stand hat sehr viel Annehmliches an sich. – Doch werde ich mich nicht entschließen, mir einen Stand zu wählen, dessen Pflichten ich ganz genau alle gewiß nicht erfüllen könnte. – Oder soll ich Arzt werden? Nein, dazu bin ich am wenigsten geschaffen. Oder Rechtsgelehrter? Ein Mann, der von dem ausgesaugten Blut seiner Mitbürger lebt? Nein, nimmermehr, und dann, wenn ich auch endlich dieses Amt verwalten sollte, woher Geld nehmen, das zu diesem Stande notwendig ist? Oder endlich, soll ich mich bequemen, meine Lebenstage am staubichten Schreibtische der Kanzleien dahinzubringen? Was soll ich also tun? – Mehrere meiner Freunde … rieten mir, einen Stand zu wählen, zu dem ich Talent und angeborene Fähigkeit besitze, sie wollen durchaus, ich solle mich bequemen … von einigen meiner Freunde Französisch, Fortepiano, Singen und vielleicht auch Violinspielen zu lernen, mich auf die Künste zu verschlagen, und wenn ich es zur Vollkommenheit gebracht hätte, Schauspieler zu werden. Ich folge ihrem Rat, ich verlasse die Studien, welche mir eine höchst traurige und dürftige Zukunft erblicken lassen.“188 Der Versuch, sich künstlerisch auszubilden, dauerte nicht lange: Nach einem Jahr schon saß Perth „am staubichten Schreibtische“ des k. k. Obersthof- und Landjägeramtes – und verlor hier Schritt für Schritt seine künstlerisch-kreativen Talente. War dies aber nicht der Fall, war der Künstler stärker als der Beamte, dann wurde das Amt zur eigentlichen Literaturförderung durch den Staat, meistens wahrscheinlich in Unkenntnis des Staates und vom jeweiligen Beamten still erzwungen, indem er sich in seiner Dienstzeit mehr seinen literarischen Werken als seiner bürokratischen Tätigkeit widmete. Manchmal wurde auch diese Art von Kunst- oder auch Wissenschaftsförderung ganz bewußt betrieben, wie im Fall 187 SAUER, Von der „Kritik“ zur Positivität, 18–22. 188 PERTH, Tagebuch 1 (Eintragung vom 6. Juli 1806), zit. bei HÖSLINGER, Kulturelles Leben, 63 f.

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2. Alltag im Privatleben

Hammer-Purgstalls, der (1811) die Stelle eines Hofdolmetschs mit 3.000 fl. Gehalt erhielt, mit der Auflage, ja nicht in der Kanzlei zu erscheinen, sondern seine Arbeiten über das Osmanische Reich und seine übrigen literarischen Produkte zu verfassen. Zur (wohl erstaunlichen) Unzufriedenheit Hammers war dies eine „vollkommene Sinekure“189. Ein wenig ist es verständlich, wenn so mancher „Bürochef“ fand, daß diese Art von Versorgung nicht gerade in erster Linie dem Amt diente und den ihm zugeteilten Dichtern nicht mit allzu großem Wohlwollen entgegenkam. Hammer-Purgstall und Grillparzer beklagten sich über den „Haß“ so mancher ihrer Vorgesetzten auf die Literatur190. Die Beschäftigung mit Sprache ging aber bei den Beamten über die ver­ öffentlichte Literatur hinaus. Wir sprachen von der Tatsache, daß fast alle Dichter Beamte waren. Weniger bekannt ist das Faktum, daß viele Beamte Dichter ­waren. Wie stark das Dichten als (Freizeit-)Beschäftigung verbreitet war, zeigen erst die schriftlichen Nachlässe der Beamten. Es gibt kaum einen, in dem sich nicht poetische Produkte befänden191. Schreiben gehörte zum Selbstverständnis des gebildeten Menschen. Dem Verfassen von Gedichten scheint der Vorzug gegeben worden zu sein. War man jedoch nicht genügend poetisch begabt, so schrieb man Romane, Memoiren oder ließ sich wenigstens die Führung eines Tagebuches angelegen sein. Auf die starke Beziehung der Beamten zur Sprache hat bereits Roger Bauer hingewiesen, indem er die These aufstellte, die österreichische Literatur sei im eigentlichen von Beamten geschaffen worden192. In diesem Zusammenhang sei erinnert, daß es die Beamten waren, die an der Universität die gründlichste Ausbildung in der deutschen Sprache erhielten193. Außerdem produzierten sie den ganzen Tag Aktensprache, die, wie wir wissen, mehr oder weniger schön sein kann. Die Sprache wurde dabei jedenfalls geübt, und die Kanzleisprache hatte Einfluß auf die Dichtung in Österreich194. 189 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen, 212 und 235 f. 190 HAMMER-PURGSTALL, Leben, 209; GRILLPARZER, Selbstbiographie, 65. 191 Die nüchternen Juristen Perthaler, Höfken und Perth (um nur einige zu nennen) verfaßten eine Reihe lyrischer Poeme; Nachlaß PERTHALER, ÖSTERREICHISCHE NATIONAL­ BIBLIOTHEK, Handschriftensammlung, Nr. 118/40; HÖFKEN, Tagebuch, 5. Band, HHStA., Nachlaß Höfken, Karton 2; PERTH, Tagebücher (1806–1856), WST. u. LB., Handschriftensammlung. 192 BAUER, Kaiser Joseph und die – literarischen – Folgen, 26 ff.; DERS., Österreichische Literatur, 270 ff. 193 Siehe S. 116 f. 194 MAGRIS, Habsburgischer Mythos, 65.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Können wir uns heute aber noch den Symbolwert, den das Schreiben – und sogar das Lesen195 – bei den Zeitgenossen damals besaßen, vergegenwärtigen? Schreiben bedeutete Bildung, Bildung bedeutete Denken, und Denken war gleichbedeutend mit Revolution. Grillparzer etwa berichtet, daß „jedes Zeichen eines poetischen Talentes“ bei dem alten Grafen Seilern, bei dem er als Hauslehrer angestellt war, den Verdacht erweckte, der Poet wäre „ein Jakobiner“196. Wohl unter dem Eindruck dieser Gleichsetzung, die damals üblich war, läßt Grillparzer in seiner Parodie „Der Zauberflöte Zweiter Teil“ die Königin der Nacht sagen: „Beschäftigt meine Beamten mehr, denn ich höre, … sie lesen. Schließt die Balken, wenigstens zur Hälfte.“197 Ähnliche Gedanken brachte noch einige Jahrzehnte später (1846) Bauernfeld in seiner Komödie „Großjährig“ zu Papier: „Hermann (wie für sich): Die verwünschten Akten. Wenn ich sie nur los wäre! Blase: Wie? Was sagen Sie da? Hermann (erschrickt): Verzeihen Sie, Herr Vormund. Blase (für sich): Ideen! (laut feierlich) Junger Mann, ich höre, Sie machen Verse. Hermann: Bisweilen – zur Erholung. Blase: Sie ließen das besser bleiben. Verse sind keine Erholung. Die Poesie strengt den Geist an und macht untauglich zu Geschäften. Alle vernünftigen Menschen erholen sich in Prosa.“198

Freie Literatur – gegen geordnete Aktensprache! Kunst und besonders Literatur, waren Synonyme für revolutionären Geist. Es erscheint nur natürlich, daß die Beamten durch die Pflege ihrer Liebhaberei in den Ruf kamen, Aufwiegler und Revolutionäre zu sein. Ob sie sich absichtlich ihrem Hobby hingaben, um – zumindest sich selbst – ein bürgerlich-fortschrittliches Bewußtsein zu demonstrieren? 195 Dazu Alberto MARTINO, „Lekturenkabinette“ und Leihbibliotheken in Wien (1772–1848). In: DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR, 120. 196 GRILLPARZER, Selbstbiographie, 43. 197 DERS., Der Zauberflöte Zweiter Teil (1826). In: GRILLPARZERS WERKE 13, 128. Die Königin der Nacht figuriert bei Grillparzer für Kaiser Franz; die Parodie gilt als Reaktion Grillparzers auf die Affäre „Ludlamshöhle“; Edith ROSENSTRAUCH-KÖNIGSBERG, Stützen der Gesellschaft? Blumauer und Grillparzer – beamtete Dichter. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft, 3. Folge, 13 (1974) 90 f. 198 Eduard BAUERNFELD, Großjährig (Lustspiel in zwei Akten). In: DERS., Gesammelte Schriften 5 (Wien 1872) 218.

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2. Alltag im Privatleben

Selbstverständlich, das darf nicht vergessen werden, ist hier nur von jenen Beamten die Rede, die fähig waren, sich schriftlich „schön“ zu äußern, also von einer kleinen geistigen Elite. Ganz im Dunkeln läßt uns das große graue Heer der Beamten, die (außer Akten) keine schriftlichen Äußerungen hinterließen.

2.6. Soziale Existenz und geistiges Bewußtsein Äußerte sich diese gespaltene Welt der Beamten in ihren Aufzeichnungen? Läßt sich überhaupt in diesen das erkennen, was als „basic personality characteristics“ zusammenzufassen wäre? Norbert Elias versteht darunter den „Geist“, die „Mentalität“ von Menschen einer bestimmten Gruppe199. Zunächst ist ein Grundzug, der den meisten (publizierten und unpublizierten) Schriften gemein ist, festzustellen: der Hunger, alle Strömungen der Zeit zu erfassen; Kunst, Politik, Natur, gesellschaftlicher Tratsch – alles wird neben der „Facharbeit“ des Berufes festzuhalten versucht, sowohl in kommunikativer Form als Thema in der „höheren Geselligkeit“ als auch in der Einsamkeit in der Form der schriftlichen Aufzeichnung. Das beste Beispiel sind die 58 (!) Bände Tagebücher200, die der emsige Perth von 1806 bis 1856 verfaßte: Akribisch fleißige, positivistische Sammelarbeit, die – der äußeren Form nach fein säuberlich – alle Informationen des Tages verzeichnet, jedoch in methodisch ungeordneter, überschäumender – fast anarchischer – Form, die in auffälligem Kontrast zu der organisierten, geordneten Aktenarbeit und der geregelten (geistigen) Konduite des Beamten steht. Todestage und Geburtstage der Mitglieder des Hauses Habsburg (selbst wenn diese unter Umständen 200 Jahre zurücklagen) werden an Weltkatastrophen, Erdbeben, Überflutungen, Brände gereiht. Der Wasserstand in Bordeaux, Rio de Janeiro, London geht dem genau registrierten Tagesablauf unseres Beamten vor­ aus. Gedichte reihen sich an die minuziös aufgezeichneten Tageserlebnisse, worin die Büroarbeit sehr wenig beschrieben wird, besuchte Opern- und Theateraufführungen wechseln mit Gedichten, Einnahmen und Ausgaben mit Gebeten, Brief­ exzerpte mit Tagesereignissen und der Auflistung gelesener Bücher. Eine seltsam chaotische Mischung von wichtigen und unwichtigen Dingen des Lebens. Haben wir es mit einer Art Kompensation für die im Amt zu wenig geforderte Phantasie und Initiative zu tun? Eine Flucht von Ordnung, Disziplin und einschränkender Gängelung in die Welt der Worte, der bunt zusammengewürfelten Bilder, in eine 199 ELIAS, Höfische Gesellschaft, 172. 200 WST. u. LB., Handschriftensammlung.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

selbstgebaute neue Komposition des Lebens? Damit Perth sich aber selbst in seiner Lebenskomposition zurechtfindet, verfaßt er – das ist das Merkwürdige – für jeden Band ein eigenes Register nach Personen – Ortsnamen und Sachbegriffen. Das bunte Leben wird – wie die Aktenmaterie – in Begriffe zerlegt und geordnet. Um es bei Bedarf wiederzufinden? Hier kommt die Welt des Beamten zum Vorschein. Perth ist ein Chronist seines eigenen Lebens. Er erlaubt sich keine Analyse, keine Reflexionen, Gefühle, Sehnsüchte, Wünsche zum Ausdruck zu bringen. In den Kunstausstellungen werden die Bilder nach Zahl, Größe (!), dargestellten Sujets angegeben – kein Wort jedoch wird über Gefallen oder Mißfallen geäußert. Die Welt wird objektiviert, die Person, die sie erlebt, ist verschwunden – sogar im Tagebuch! Haben Arbeitsorganisation, Disziplin und Zensur diese Selbstzensur bewirkt? Zweifellos bestanden Spannungen und Diskrepanzen zwischen dem genormten Alltag im Amt und dem, was wir als Freiheit des schöpferischen Gestaltens verstehen. Und die Routine, zu der man im Amt gezwungen, die Zensur, der man unterworfen war, konnten nicht ohne Einfluß auf die private Persönlichkeit bleiben. Eine Entscheidung war für jeden zu treffen: Entweder in dauernder Opposition zu leben und damit in dauernden Spannungen mit seiner Umgebung oder sich anzupassen. Ein sehr einprägsames Bild eines von seinem Amt gezeichneten, bis zur Selbstentäußerung um Harmonie bemühten Beamten, der erst nach seiner Pensionierung „zum Menschen“ wurde, entwirft Adalbert Stifter in seinem „Nachsommer“ (1857) in der Gestalt des Freiherrn von Risach. Dieser soll uns als Beispiel dienen, wie ein „Beamtencharakter“ durch einen Dichterbeamten gezeichnet wurde. Stifter war selbst zur Zeit der Niederschrift als beamteter Schulrat (seit 1850) mit der Wirklichkeit der Beamtenexistenz konfrontiert. Das Vorbild für die Figur Risachs ist der schon erwähnte Naturwissenschaftler und Beamte Freiherr von Baumgartner. Person, Charakter und Lebenslauf Baumgartners bzw. Risachs erscheinen aus mancherlei Gründen geradezu als Idealtypus dessen, was wir uns im allgemeinen unter einem gebildeten vormärzlichen Beamten vorstellen201. Der historische Andreas Freiherr von Baumgartner (1793­–1865) stammte aus bescheidenen Verhältnissen202. Er war Enkel eines Bauern im Böhmerwald, der bis 201 HEINDL, Beamtentum, Elitenbildung, 58 ff. 202 Karl BARDACHZI, Andreas Freiherr von Baumgartner als Vorbild und Wegweiser Adalbert Stifters. In: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 87 (1950) 523–543; andere sehen allerdings in der Figur Hofkammerpräsident Kübeck.

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2. Alltag im Privatleben

1778 Leibeigener gewesen war. Andreas begann 1810 mit dem Studium in Wien, das er sich selbst als Hauslehrer bei angesehenen Familien verdiente. Zuerst widmete er sich der Rechtswissenschaft, später jedoch den Naturwissenschaften. Er wurde nach Abschluß des Studiums Professor für Physik und angewandte Mathematik an der Universität Wien, verließ jedoch 1833 die Universität und wechselte in den Beamtenstand über. Als begabter Physiker wurde er mit der Führung staatlicher Unternehmen betraut: der Augartenporzellanfabrik, der ärarischen Tabakfabriken und des staatlichen Eisenbahnwesens. Er wurde 1848 Minister für öffentliche Arbeiten, in der neoabsolutistischen Ära 1851 Finanz- und Handelsminister und war zugleich Präsident der Akademie der Wissenschaften. 1855 trat er vom Ministeramt zurück. Er schrieb folgende naturwissenschaftliche Werke: „Naturlehre“ (1823), „Anleitung zum Heizen der Dampfkessel und zur Wartung der Dampfmaschinen“ (1841) und „Unterricht im Tabakbau“ (1845). So weit das Leben Baumgartners. Gedanken über seine Existenz, Interpretationen seiner Karriere besitzen wir von ihm nicht. Stifters Risach aber räsoniert: „Ich entschloß mich für den Staatsdienst, weil mir die anderen Stufen, zu denen ich von meinen jetzigen Kenntnissen emporsteigen konnte, noch weniger zusagten“203, mit dieser nüchternen Distanz und gesundem Wirklichkeitssinn, der die Möglichkeit richtig einzuschätzen wußte, beschreibt der völlig mittellose Freiherr von Risach seine Berufswahl. Auch den späteren Dienst versah Risach ohne rechten Enthusiasmus. Die Wissenschaft und die Kunst „füllten sein Herz aus“204. Doch der gebildete Mann widmete sich mit Fleiß und Eifer seinen Amtsaufgaben, kletterte – obwohl ohne Ehrgeiz – die Leiter der Karriere eines Staatsbeamten empor und avancierte sogar zum engsten Vertrauten des Kaisers205. Auf sein Lebensglück, die Heirat mit der jungen Mathilde, hatte er aus unbedingtem Gehorsam für die Autorität ihrer Eltern und unter selbstverständlicher Selbstverleugnung (für den heutigen Leser eigentlich grundlos) verzichtet206, obwohl ihm „die Pflicht das Herz brach“207. „Aus Pflicht und Neigung gegen die Menschheit und den Staat“208 heiratete er schließlich eine Frau, die er nicht liebte. Pflicht um der Pflicht, Verzicht um des Verzichts willen?

203 Adalbert STIFTER, Der Nachsommer (München 1978) 620. 204 Ebd., 630 und 672 f. 205 Ebd., 673. 206 Ebd., 663–669. 207 Ebd., 668. 208 Ebd., 674.

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III. Die Beamten – Versuch einer Soziographie

Obwohl der Staatsdienst seinen Eigenheiten nicht entsprach209, wie er sagte, zweifelte er nicht im geringsten an der Ordnung, der er diente. Vom historischen Freiherrn von Baumgartner besitzen wir eine aufschlußreiche Aussage, die er allerdings nicht im Zusammenhang mit Staat und Regierung, sondern mit seinen naturwissenschaftlichen Forschungen formulierte. Baumgartner faßte seine Erkenntnisse in zehn Lehrsätzen zusammen. Der letzte lautete: „Grösser aber als alles Große in der materiellen Natur ist die unverrückbare Gesetzmäßigkeit in allen Naturerscheinungen und das innige Ineinandergreifen auch der kleinsten Zähne des großen Uhrwerks. Seit dem Tage der Schöpfung besteht das Maß von Kräften unverändert fort, welches der Allmächtige seinem Werk als Wegzehrung auf die lange Lebensreise mitgegeben hat, wenn auch in verschiedenen Formen und nach verschiedenen Wirkungsweisen.“210 Der Wissenschaftler Baumgartner hatte sich offensichtlich das Credo der Zeit, das naturwissenschaftlich-mechanische Weltbild, ganz zu eigen gemacht. Diente dieses auch dem Beamten Baumgartner, die geforderte unpolitische Sicht des Staates, den Glauben an das unverrückbare Gesetz und die immerwährende vernünftige Ordnung aufrechtzuerhalten, um mit diesem Staat in Harmonie leben zu können? Eine steinerne, unnatürliche Harmonie war das Ergebnis. Arno Schmidt nannte Risach in seiner Literaturkritik den „sanften Unmensch“211. Der Beamte Stifter war sich der Problematik nur allzu bewußt, die das Spannungsfeld bürokratische Anpassung – künstlerische Kreativität für den Dichter verursachte, der dabei zwangsläufig fast immer unterging. 1855 schrieb er an seinen Verleger ­Heckenast: „Die Gestalt des alten Mannes [Risachs], in die der ‚Nachsommer‘ gelegt ist, soll Ihnen gefallen. Er war ein bedeutender Staatsmann, aber seine Kräfte waren ursprünglich schaffende, er mußte sie unterdrücken, und erst nach seiner Staatslaufbahn in seiner Muße machen sie sich geltend und umblühen den Herbst dieses Menschen und zeigen den Sommer, welch ein Sommer hätte sein können, wenn einer gewesen wäre.“212. Im Amt aber gab es offensichtlich keinen Lebenssommer – auch für den Dichterbeamten Stifter nicht.

209 Ebd., 675. 210 Zit. bei BARDACHZI, Baumgartner, 529. 211 Arno SCHMIDT, Der sanfte Unmensch. Einhundert Jahre Nachsommer. In: Nachrichten von Büchern und Menschen 2: Zur Literatur des 19. Jahrhunderts (Frankfurt/Main 31981) 124–136. 212 Zit. bei BARDACHZI, Baumgartner, 538.

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1. Die Bürokratisierung der Welt

IV. Anstatt einer Historiographie „Denn die Bürokratisierung der Beziehungen der Menschen zueinander ist nur ein Moment der Rationalisierung des Lebens überhaupt. Sie verweist darauf, daß sich die Herrschaft des Menschen über den Menschen zwar versachlichen, nicht aber abschaffen läßt. Solange Komplizierung und nicht Vereinfachung, Spezialisierung und nicht Entspezialisierung, solange überhaupt Fachmenschentum der vorherrschende Grundzug der modernen Kultur bleibt, solange bleibt auch die Verwirklichung menschlicher Beziehungen an den Einsatz formell-rationaler Mittel gebunden, solange gibt es Herrschaft bürokratischer Verwaltungsstäbe …“ (Wolfgang Schluchter, Aspekte bürokratischer Herrschaft)

1. DIE BÜROKRATISIERUNG DER WELT – VARIATIONEN ZU EINEM THEMA Die Literatur über die Bürokratie ist unüberschaubar geworden. Der Computer der Library of Congress in Washington listete 1986 unter dem Stichwort „bureaucracy“ 952 Titel über den Gegenstand Bürokratie auf. Zur Literatur unter dem Schlagwort „public administration“ befragt, gab der Computer die Zahl von 6.083 Büchern an, die sich im Bestand dieser Bibliothek befinden. Angesichts dieser Vielzahl der Werke ist es hoffnungslos, auch nur einen Überblick geben zu wollen, Haupttendenzen zu skizzieren oder lediglich eine Klassifizierung vorzunehmen. Die kleine Auswahl, die geschaffen wurde, kann nicht mehr als Facetten eines allumfassenden Themas beleuchten – vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, die als Wegweiser durch den schier uferlosen Theoriendschungel diente. Bürokratiekritik ist ein beliebtes Thema (wahrscheinlich seit es Bürokratien gibt). Eine nicht zu übersehende Publikationstätigkeit (zum Thema „Theorie“) zeigt sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl das Phänomen in vielen Ländern zu beobachten ist, besteht gerade im amerikanischen Raum, der gemessen an europäischen Verhältnissen als nicht sehr bürokratisiert oder büro-

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IV. Anstatt einer Historiographie

kratisch gegolten hat1, ein auffallendes Interesse an Themen bürokratischer Natur. Einige Aspekte der aktuellen Diskussion haben erstaunliche historische Parallelen. Eine Flut von „Bürokratieliteratur“ beschäftigte sich zunächst nach 1945 mit Verwaltung und Beamten in den hochindustrialisierten Staaten. Grundsätzlich gehen alle diese Untersuchungen von einem – als selbstverständlich – vorausgesetzten Unbehagen mit dem bürokratischen Phänomen in unserer heutigen Welt aus. Sie unterscheiden sich voneinander eigentlich nur in einem Punkt fundamental, nämlich in der Beurteilung, in welchem Maße reformbedürftig oder – radikaler – wie weit reformfähig eigentlich überhaupt noch unsere Bürokratien sind und daher einsetzbar für Prozesse der wirtschaftlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Modernisierung. Als einige der Bürokratie gegenüber hoffnungsvoll eingestellte Beispiele seien (stellvertretend für andere) Talcott Parsons’, Edward Shils’, Peter M. Blaus und Michel Croziers Studien genannt. Sie erkennen zwar in der Bürokratie gewisse Gefahren für die moderne Demokratie, stimmen jedoch im großen und ganzen darin überein, der Bürokratie einen „dynamischen“ oder „evolutionären“ Charakter zuzuerkennen2. Die Tradition Max Webers ist unverkennbar. Ganz anders steht es mit den meisten der anderen Untersuchungen. Der reizvolle Aspekt dieser Studien ist, daß das Phänomen Bürokratie aus verschiedensten Perspektiven gesehen wird: Während die einen Autoren die politische Seite des Problems in den Mittelpunkt rücken, betrachten andere die rechtliche sowie staats- und verwaltungstheoretische. Während einige die soziale Komponente sehen, verfolgen andere die kulturellen Folgen der Bürokratieentwicklung. Der Einfluß derselben auf die Ökonomie einer bestimmten Gesellschaft ist genau so ein wichtiges Forschungsgebiet wie der auf die Industrialisierung. Die psychologische Perspektive des büro1

FRIEDRICHS, Verfassungsstaat der Neuzeit, 46 f., hat allerdings auf die Wichtigkeit der amerikanischen Bürokratie im Prozeß der amerikanischen Konstitutionalisierung verwiesen; die diesbezügliche reichhaltige Literatur, ebd. 722 f. 2 Talcolt PARSONS and Edward A. SHILS, Values, Motives, and Systems of Action. In: Toward a General Theorie of Action, ed. by Talcott PARSONS and Edward A. SHILS (New York 1947, zit. nach Cambridge, Mass. 1951) und Talcott PARSONS, The Structure in Social Action (Toronto 31968); über Max Weber: The Emergence of a voluntaristic Theory of Action from the Idealistic Tradition, ebd., 500–697; DERS., Evolutionäre Universalien der Gesellschaft. In: Theorien des sozialen Wandels, hg. v. Wolfgang ZAPF (Köln-Berlin 1970, 4. Aufl. Königstein/Ts. 1979) über Bürokratie 52 ff.; Peter M. BLAU, The Dynamics of Bureaucracy. A study of Interpersonal Relations in two Government Agencies (Chicago and London 31966) und Michel CROZIER, Le Phénomène bureaucratique. Essai sur les tendances bureaucratiques des systèmes d’organisations modernes et sur leurs relations en France avec le système sociale et culturel (Paris 1963).

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1. Die Bürokratisierung der Welt

kratischen Prozesses, d. h., die Folgen für den Menschen, seine Unmittelbarkeit, Unabhängigkeit, Mündigkeit und Integrität, wurden ebenso einer eingehenden Analyse unterzogen wie die Folgen für die demokratische Entwicklung. Ein „frühes“, bald nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenes Exempel, das die Brisanz des Themas deutlich macht und gleichzeitig das Bemühen zeigt, fast allen Anliegen gerecht zu werden, ist das von Robert K. Merton herausgegebene Buch „Reader in Bureaucracy“. Das Inhaltsverzeichnis spiegelt die interdisziplinäre Perspektive wider, die hier zu geben versucht wurde, um dem Thema näherzukommen und vor allem das Problem objektiv und gerecht zu sehen3. Kein anderes Interesse als wissenschaftliche Beleuchtung des Gegenstandes wird als Ziel angegeben4, obwohl von den Herausgebern das Anwachsen privater und öffentlicher Bürokratien als heißes Eisen und als hauptsächlicher Trend in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgefaßt wurde. Symptomatisch ist der Aufbau des vielseitigen Werkes: Es beginnt mit „An Ideal Typ Construction“ von Max Weber und endet etwa mit „Red Tape as a Social Problem“ und der Erläuterung der Methoden zur Erfassung des Problems. Damit spiegelt sich übrigens ein weiteres wichtiges Faktum in diesem „Reader“ wider: Das ist die eingehende Beschäftigung dieser Generation von angelsächsischen oder in der angelsächsischen Welt wirkenden Gelehrten mit Max Weber und die starke, viel früher als im deutschen Sprachraum einsetzende Auseinandersetzung mit seinen Theorien5 – ein signifikantes Moment, das sich wie ein roter Faden durch die wissenschaftliche Behandlung des Themas durch US-Gelehrte zieht. Noch ein weiteres Faktum macht das In3

Reader in Bureaucracy, ed. Robert K. MERTON, Alisa P. GRAY, Barbara HOCKEY, Hanan C. SELVIN (Glencoe, Illinois 1952) 5–9: 1. Bureaucracy: Theoretical Concept: The Essentials of Bureaucratic Organization; 2. Bases for the Growth of Bureaucracy; 3. Bureaucracy and Power Relation: the Power Environment of Bureaucracy; 4. The Structure of Bureaucracy: Authority and Decision-Making; 5. Recruitment and Avancement; 6. The Bureaucrat; 7. Social Pathologies of Bureaucracy; 8. Field Methods for the Study of Bureaucracy. 4 Ebd., 12 (Introduction). 5 Reinhard BENDIX’ wissenschaftlicher Werdegang erscheint diesbezüglich exemplarisch. Sein erstes (soziologisches) Werk war „Higher Civil Servants in American Society. A study of the Social Origins, the Carreers and the Power and Position of Higher Federal Administrators (= University of Colorado Studies, Series in Sociologgy 1, Colorado 1949). Seine späteren Werke beschäftigten sich mit dem Weberschen Thema Herrschaftsphänomen und dem Problem der Legitimation, so „Work and Authority in Industry“ (Berkeley 1956), „Nationbuilding and Citizenship“ (New York 1964) und „Kings or Peoples“ (Berkeley 1978) sowie „Max Weber“ (New York 1960) und „Max Weber: An Intellectual Portrait“ (London 1966); vgl. zu dieser Entwicklung auch die Einleitung von Reinhard BENDIX zu Freiheit und historisches Schicksal. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen (Frankfurt 1982).

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IV. Anstatt einer Historiographie

haltsverzeichnis deutlich. Der (unausgesprochene) Anlaß, der wie ein auslösender Schock wirkte, sich mit der Bürokratie so eingehend zu beschäftigen, bildete die Rolle, die die deutsche Bürokratie im Dritten Reich spielte6. Während Mertons „Reader in Bureaucracy“ noch um ein möglichst ausgewogenes Urteil bemüht ist, setzt die warnende Kritik gegen die zunehmende Bürokratisierung im Wirtschaftsbereich schon früher ein. „A bureau is not a profit­ seeking enterprise, it cannot make use of any economic calculation, it has to solve problems which are unknown to busisness mangagement. Nobody can be at the same time a correct bureaucrat and a innovator“, meint Ludwig Mises und richtet sich damit gegen Josef Schumpeters These, nach der die Ausdehnung bürokratischen Handelns im ökonomischen Bereich geradezu erforderlich war, obwohl Schumpeter die Gefahren für die Demokratie wohl erkannte7. Aber auch auf alle anderen Bereiche bezogen, werden die negativen Stimmen im Laufe der Jahre immer stärker hörbar. Vor allem werden neue oder längst vergessene Bereiche, die vom Bürokratisierungsprozeß stark, jedoch nicht unmittelbar sichtbar beeinflußt werden, berührt und nicht nur das traditionelle staatsrechtlich-politologischerechtlich-verwaltungstechnische Gebiet. Die Bürokratie als „neue Gesellschaft“8, als „neue Kultur“9 oder auch die kulturellen Traditionen, wie die religiösen Einflüsse auf die bürokratische Entwicklung10 und die psychologischen Folgen der totalen Bürokratisierung auf den Menschen11 rücken nun in den Blickpunkt. Ralph P. Hummel, der die so reichhaltige moderne angelsächsische Literatur (und einige wenige deutsche Werke in englischen Übersetzungen) einer differenzierten Analyse unterzieht (allerdings fehlen einige wichtige Werke), unter6

Vgl. etwa u. a. den Artikel von Hans H. GERTH, The Nazi Party. Its Leadership and Composition. In: READER IN BUREAUCRACY. 7 Ludwig MISES, Bureaucracy (London-Edingburgh-Glasgow 21945) 61; Josef A. SCHUMPETER, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (Bern 21950); siehe auch Henry JACOBY, Die Bürokratisierung der Welt. Ein Beitrag zur Problemgeschichte (Neuwied und Berlin 1969) 302 f. 8 Um nur eine Analyse von vielen beispielhaft herauszugreifen, vgl. vor allem Peter BERGER und Thomas LUCKMANN, The Social Construction of Reality (New York 1967); deutsch: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (= conditio humana, Frankfurt/Main 1969). 9 Ein Beispiel: Norman BIRNBAUM, „Culture“. In: The Crisis in Industrial Society (New York 1969); vor allem Reinhard BENDIX, Nation-Building and Citizenship. 10 Vgl. vor allem den von S[hmuel] N[oah] EISENSTADT publizierten Sammelband, The Protestant Ethic and Modernization. A comparativ view (New York-London 1969), im besonderen den Beitrag von N. F. WERTHEIM, Religion, Bureaucracy and Economic Growth, ebd. 259–270. 11 Vgl. z. B. Robert PRESTHUS, The Organizational Society (New York 1962).

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1. Die Bürokratisierung der Welt

scheidet innerhalb dieser Literatur drei Positionen: „critical“, „traditional“ und „probureaucratic“12. Die kritischen Stellungnahmen überwiegen eindeutig. Die Autoren der Zeit nach 1945 kommen im allgemeinen zu recht negativen Urteilen. Auch Hummel selbst, der als Forschungsmotiv erklärt, herausfinden zu wollen, ob mit oder in der Bürokratie oder gegen sie zu leben das eigentliche erstrebenswerte Ziel sei, und der den objektiven Anspruch erhebt, kritisch und real zugleich zu sein13, kommt zu einem (vielleicht doch nicht ganz objektiven) vernichtenden Schluß, der beispielhaft für andere, ähnliche Urteile stehen soll: Socially, bureaucracy has cracked the unit of social relationship: two individuals relat­ing to one another in reciprocity and relative equality. The bureaucratic relationship has trained us to look always upward toward superiors. Culturally, what we look to them for is the answer to the question what is good or bad for us; bureaucracy has made it impossible to maintain personal norms. Psychologically, the process of bureaucratization has destroyed the integrity of the individual, made him into a being of dependency, and opened up his reservoir of human needs (the id) to direct manipulation from the outside. Linguistically, we have trained to be mute and not talk back while becoming wide open to the imperatives flowing down the chain of command and out of the loudspeakers and screens of the modern media. Politically, we have learned to accept that we are powerless and lack the imagination to dream what human power can be. In the end, it is bureaucracy itself that has produced the kind of dehumanized human fragment – socially crippled, culturally normless, psychologically dependent, linguistically mute, and politically powerless – that has become the economy’s favorite object of manipulation. If we fail to sec the human fragmentation behind the surface hustle and bustle of the bureaucratized world, we will also commit the error of looking to such fragments as the source of renewed attempts at humanizing the institutions that created them. The fact ist that modern business and industry are in a relationship of symbiosis with bureaucracy, public or private. The latter institutions turn human beings into the raw material for eternal growth – not of humanity but of an abstract system in which ultimately even the top managers must he not human beings but machines14.

Mag sein, daß eine gerade im angelsächsischen Raum umhergeisternde Furcht vor überdimensionalen Organisationsformen des Staates als Hintergrundfolie für die 12 Ralph P. HUMMEL, The bureaucratic Experience (New York 1977), im besonderen 223–226. 13 Ebd., 223. 14 Ebd., 220 f.; vgl. auch Waltraud HEINDL, Reflections an Bureaucracy (The Austrian Example 1780–1848) (= Occasional Papers, West European Program Woodrow Wilson Center, Washington, D. C. 1990) 12.

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IV. Anstatt einer Historiographie

Bürokratiediskussion diente15. Ende der sechziger Jahre wurde die Frage in Europa und hier hauptsächlich in Deutschland wieder aufgegriffen und zu einer massiven Bürokratiekritik geformt. Am Rande sei hier vermerkt, daß einige Aspekte bereits nach dem Ersten Weltkrieg als Echo auf Max Weber zur Sprache kamen. Alfred Weber beispielsweise äußerte seine Warnungen vor den kulturellen Auswirkungen der Bürokratisierung auf die Gesellschaft und vor den psychologischen Einflüsse auf den Menschen. Er beschrieb die Folgen des „ungeheuren Rationalisierungsvorganges“ als „Umschichtung des Lebens“ in einen „Großbetrieb“ und schrieb vor allem den Deutschen eine Neigung zu einem „ganz (vulgären) bürokratischen Nimbus“, zu einem „Götzendienst vor dem Beamtentum“ zu16. Die Ansatzpunkte zur Bürokratiekritik in den sechziger Jahren waren sehr verschieden. Einhellig lautete allerdings das Urteil: Der Bürokratisierungsprozeß in unserer heutigen Welt habe die Grenze des Zulässigen, ja des Erträglichen überschritten und für Individuum und Gesellschaft bereits gefährliche Züge angenommen. Jede Bürokratiekritik mündete jeweils auch in Herrschafts-, Gesellschaftsoder Ideologiekritik. Diese erfuhr in Max Horkheimers „Verwaltete Welt“ einen ihrer Gipfelpunkte17. Die Zunahme von Verwaltungsorganisationen sowohl im privatkapitalistischen Westen als auch im bürokratischen Sozialismus seien eine Gefahr für „eine Gesellschaft der Freiheit“, so warnt Horkheimer, da die Gesellschaft immer mehr unter die Verwaltung einheitlicher Gruppen gerate, die dem autonomen Individuum wahre Möglichkeiten nehme18. Einen anderen Höhepunkt bildeten sicherlich Jürgen Habermas’ Beiträge zur Bürokratiediskussion, in der Max Webers Begriff der Rationalisierung aufgenommen wurde19. Wissenschaft, Technik, Militär und Verwaltung werden von Habermas als Elemente gesehen, die sich in der Geschichte der Neuzeit gegenseitig stabilisierten, so daß sie heute zu einem „dauerhaften, expansiven System“ zusammengewachsen sind, „angesichts dessen subjektive Freiheit und autonome Zwecksetzung zur Bedeutungslosigkeit herabgesetzt sind“20. Die wechselseitige Abhängigkeit von Wissenschaft, Technik, 15

Vgl. auch die geradezu klassische Formulierung des Problems durch das 1957 aufgestellte „Parkinsonsche Gesetz“, PARKINSON, Gesetz; siehe S. 144. 16 Alfred WEBER, Der Beamte, 83 und 93. 17 Max HORKHEIMER, Verwaltete Welt? Ein Gespräch (Zürich 1970). 18 Ebd., 29. Zu dieser Diskussion der siebziger Jahre vgl. Theodor LEUENBERGER, Bürokratisierung und Modernisierung der Gesellschaft (Basel-Stuttgart 1975) 7–22. 19 Jürgen HABERMAS, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. In: DERS., Technik und Wissenschaft als „Ideologie“ (Frankfurt 1968) 60 ff. 20 Jürgen HABERMAS, Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien (Frankfurt 31974) 341.

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1. Die Bürokratisierung der Welt

Industrie und Bürokratie, das „Fortwuchern“ der festgefügten Systeme und die Gefährdung der menschlichen Freiheit stehen in dieser Diskussion um die Bürokratisierung im Zentrum21. Ähnliche Gedanken über technologische Rationalität äußert Herbert Marcuse22. Auch der Stellenwert des gesellschaftlichen Klimas und die Integration demokratischer Werte, die mit einer entsprechenden „Öffentlichkeit“ verbunden sind, spielen eine wichtige Rolle. Gerade die Öffentlichkeit, die für den Geist und das Wesen der Bürokratie so wertvoll wäre – auf dieses Faktum weist Helmut Schelsky hin –, werde selbst immer mehr zu einer von den „abstrakt-bürokratischen Organisationen“ gemanagten bloßen Darlegung ihrer Positionen, Polemiken und Ansprüche. Dies habe eine gewisse Funktion, Spannungen zwischen den Organisationen auszutragen, aber kaum eine, was die Interessen des einzelnen betrifft, der sich „in die Konfliktlosigkeit und Stille der kleinen Horizonte zu flüchten bemüht …“23. Eines ist, das sei hier wiederholt, diesen kritischen Studien gemeinsam, daß sie nämlich die Hauptgefahr der wachsenden Bürokratisierung für die Demokratie und die Freiheit des einzelnen Menschen erblicken24. Diese Bürokratiekritik richtete sich gegen die Prozesse, die die Bürokratie als verfeinerte, aber ausufernde gesellschaftliche Institution in den industrialisierten Staaten des Westens und Ostens zu verursachen droht. Fast gleichzeitig kam man allerdings interessanterweise zu ganz anderen Ergebnissen, als man begann, sich mit den bürokratischen Prozessen in den Entwicklungsländern auseinanderzusetzen. Die Behandlung der Frage erfuhr eine konträre Wendung. Den Anstoß zum Nachdenken gaben die Entkolonialisierung und die Bildung der vielen unabhängigen, doch sehr armen Staaten der sogenannten Dritten Welt. Im Zuge der Beschäftigung mit dem Problem, wie die Kluft zwischen diesen Ländern und den hochindustrialisierten zu überwinden wäre, entwickelte man zunächst den nicht sehr originellen Lösungsvorschlag, der lau21 Vgl. zu diesem Thema auch die Kontroverse zwischen Jürgen HABERMAS und Niklas LUHMANN, Politikbegriffe und Politisierung der Verwaltung. In: Demokratie und Verwaltung. 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (=Schriftenreihe der Hochschule Speyer 50, Berlin 1972) 211 ff. 22 „In diesem Universum liefert die Technologie auch die große Rationalisierung der Unfreiheit des Menschen und beweist die ‚technische‘ Unmöglichkeit, autonom zu sein, sein Leben selbst zu bestimmen“; Herbert MARCUSE, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (Darmstadt und Neuwied 121979) 173. 23 Helmut SCHELSKY, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart (Stuttgart 31955); zit. bei JACOBY, Bürokratisierung, 306 f. 24 Besonders diesbezüglich auch Ralph DAHRENDORF, Auf dem Weg zur Dienstklassengesellschaft. In: Konflikt und Freiheit (München 1972) 102.

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tete: Modernisierung der armen Staaten! Ähnlich wie etwa im 18. Jahrhundert in Österreich oder im Jahr 1848, als es darum ging, Rückständigkeit zu überwinden, gewannen Verwaltung und Bürokratie in dieser Diskussion besondere Bedeutung25. In einigen der Modernisierungstheorien nehmen bürokratische Institutionen und Rechtssysteme eine geradezu dominierende Stellung ein. Daniel Lerner beispielsweise, ein Experte, der sich sehr früh mit diesen Problemen und zwar speziell mit jenen der Länder des Nahen Osten beschäftigte26, oder auch Alex Inkeles und David Smith27 glaubten an die Übertragbarkeit der Muster der Rationalisierungsprozesse und Wertsysteme der westlichen Industrieländer auf die „unterentwickelten“ Länder28. Die politische Entwicklung wird als wichtiger Motor eingestuft, wobei sie unter Umständen mit der simplen Institutionalisierung politischer Organisationen gleichgesetzt wurde. Die Weiterentwicklung von Institutionen scheint jedenfalls als primäre Forderung für Modernisierung auf29. Sowohl das Konzept wie der Terminus „Transitional Society“, der in diesem Zusammenhang gebraucht wird, sind bezeichnend dafür, daß der industrialisierte Westen als Idealvorstellung benützt wurde. Auch Fred Riggs verwendet in seiner vielleicht bekanntesten Studie, die sich mit Verwaltung als Faktor der Modernisierung beschäftigt, „Administration in Developing Countries“, diesen Begriff30. Gabriel Almond und Sidney Verba sehen die Problematik dieser Thesen in aller Deutlichkeit. Vor allem Almond distanziert sich expressis verbis von der Anschauung, daß unsere sozialwissenschaftlichen Begriffe auf die Entwicklungsländer anwendbar seien, gerade weil sie in Zusammenhang mit der westeuropäischen Geschichte formuliert wurden. Im Grunde bieten jedoch auch Almond und Verba letztendlich wieder die bekannten Systeme der westlichen Welt als Modelle an, die in den spezifisch historischen Prozessen unserer Gesellschaften begründet sind31. Von der universalen Begriffssprache, die ursprünglich von ihnen gefordert wurde, um das Dilemma zu überwinden, ist nicht viel übriggeblieben32. Die Diskussion dreht sich, das wird deutlich, grundsätzlich um die Wertsysteme und das Prinzip der Anerken25 Eine gute Zusammenfassung der wichtigsten amerikanischen Modernisierungstheorien bei Reinhard BENDIX, Rationalismus und Historismus in den Sozialwissenschaften. In: DERS., Freiheit und historisches Schicksal, 9–35. 26 Daniel LERNER, The Passing of Traditional Society (Glencoe/Ill. 1958, 2. Aufl. 1964). 27 Alex INKELES and David SMITH, Becoming Modern (Cambridge, Mass. 1974). 28 Dazu BENDIX, Rationalismus, 14 f. 29 Samuel HUNTINGTON, Political Order in Changing Politics (New Haven 1968). 30 Fred RIGGS, Administration in Developing Countries (Boston 1964) z. B. 3. 31 Gabriel ALMOND and Sydney VERBA, The Civic Culture (Princeton 1963). 32 So BENDIX, Rationalismus, 20.

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nung der gleichberechtigten Unterschiedlichkeit. Die Institutionen sind darin voll integriert und nehmen einen wichtigen Platz ein. Das Dilemma ist nicht lösbar. Der Trend, die bereits bestehenden Institutionen der entwickelten Industriestaaten zum Maßstab zu nehmen, ist unvermeidbar, überhaupt dann, wenn andere Maßstäbe kaum bekannt sind oder zumindest nicht näher untersucht werden. Das Fazit, auf das man sich zumindest auf dem politischen Forum der UNO einigte, lautete letztendlich, daß Modelle nicht übertragbar seien: Auf die Dauer müsse jedes Land seine eigenen Verwaltungsprobleme auf seine eigene Art lösen, da die Verwaltung Teil der nationalen Kultur sei. Die Forderung der Vereinten Nationen bezog sich auf den Aufbau oder die Reform der Verwaltung im Dienst der nationalen Entwicklung33. Der kritische Ansatz, der die Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Bürokratie aufdeckt, ist kein neues Thema in der Geschichte. Seit der Entstehung des modernen Staates blickten die Reformer fasziniert auf die probat scheinenden Mittel der Verwaltung und Bürokratie, um staatliche und gesellschaftliche Erneuerung durchzuführen. Das war kein Wunder, denn Verwaltung und Bürokratie hatten Anteil an den verschiedenen Stadien der Staatswerdung. Alexis Tocqueville beobachtete bereits eine doppelgesichtige Rolle der Verwaltung. Bei Betrachtung des Ancien règimes konstatierte Tocqueville eine widersprüchlich scheinende gegenseitige Beeinflussung von gesellschaftlicher Reform und staatlicher Verwaltung: Die Verwaltung des alten Staates förderte die Revolution ebenso, wie die Revolution selbst eine kontinuierlich zunehmende Macht der Verwaltung forcierte. Gesellschaftliche Revolution und staatliche Verwaltung erwiesen sich nur als scheinbar widersprechende Trends. Sie förderten und bedingten ein und denselben Prozeß34. Zentralisierung der Administration, die allseitige vormundschaftliche Behandlung des Volkes, Einebnung der Privilegien, Mobilität des Eigentums von Grundbesitz – alles Ergebnisse der Revolution, die als gesellschaftliche Erneuerung erhalten blieben – waren bereits vor der Revolution von der Verwaltung ausgebildet worden. Ähnliche Zusammenhänge sah auch später Lenin in der Verwaltung, wenn auch auf einer verschobenen Ebene: Die Schaffung von Verwaltungsorganisationen, die nach dem Chaos der Revolution gesellschaftlichen Wandel garantierte und zu neuem – revolutionären – Handeln führen konnte, war ein zentrales Pro33

A HANDBOOK OF PUBLIC ADMINISTRATION, United Nations Doc. ST/TAO/M/16 (New York 1961) VII. 34 Alexis de TOCQUEVILLE, Œuvres complètes, 2: L’ancien régime et la Révolution (Paris 1962) 69 ff.; ausführlich darüber KOSELLECK, Staat und Gesellschaft, 79.

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blem in Lenins Gesellschaftsanalyse35. Eine ganz andere Funktion schrieb Hegel der Bürokratie zu. Sein Begriff des „allgemeinen Standes“, den er für den Beamtenstand gebraucht, meint wohl, daß dieser einen deutschen Mittelstand und ein Allgemeininteresse gegenüber den Sonderinteressen der verschiedenen anderen Mitglieder der Gesellschaft repräsentiere und daher den Staat als „Reich der Sittlichkeit gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft“ vertrete. Für Hegel waren die Beamten „Abgeordnete der Regierungsgewalt“, die Vertreter des Staates schlechthin36. Der Staat verkörpere sich – nach Hegel – in seiner Bürokratie, die die bürgerlichen Freiheiten garantiere, weil sie an rationale Normen gebunden sei37. Gerade diese von Hegel den Beamten zugebilligte Funktion, „Vertreter des Staatsinteresses“ zu sein, wurde der Ansatzpunkt der Kritik bei Karl Marx. Die Bürokratie war eine vorrangige Zielscheibe seiner Angriffe. Obwohl Marx die ehemalige emanzipatorische Rolle der Bürokratie bei der Zerstörung des Feudaladels und der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft sieht38, kritisiert er Hegels „Verherrlichung der Bürokratie“. Seine Hauptargumente sind, daß sich die Bürokratie sehr bald zu einer den Fortschritt hemmenden Institution entwickelt hätte, daß sie vor allem gegen die demokratischen Prinzipien aufträte, um ihre eigene Position und ihre Gruppeninter­essen zu wahren39. Die Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten steht in der Bürokratiekritik Marx’ wie später – allerdings in einer anderen Form – bei Max Weber im Mittelpunkt. Ein anderer Ansatzpunkt der Marxschen Kritik ist die in Hegels Theorie geforderte Trennung des Staatsbürgers vom Staat. Auf dieser erst, so Marx, basiere die Bürokratie40. Diese Trennung existiere, so Marx, aber auch zwischen Amt und Person „dieser vom Menschen erfundenen Irrealität, dieser seltsamen Konstruktion des menschlichen Geistes, der schlechthin Sklave seiner eigenen Erfindung wird, so daß 35

Z. B. Wladimir Iljitsch LENIN, Für und Wider die Bürokratie (Hamburg 1970); dazu LEUENBERGER, Bürokratisierung, 40–46. 36 Georg Wilhelm Friedrich HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hg. v. J. HOFMEISTER (Hamburg 41955) 291; die Debatte um Hegel und Marx bei LEUENBERGER, Bürokratisierung, 32–39. 37 HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 277, 289, 291 und 294. 38 Karl MARX, Kritik des Hegelschen Staatsrechts (Berlin 1964, Manuskript von 1843) 248; dazu vor allem die Interpretation von Iring FETSCHER, Marxismus und Bürokratie. In: DERS., Karl Marx und der Marxismus. Von der Philosophie des Proletariats zur proletarischen Weltanschauung (München 1967) 163 ff.; über die Marxsche Interpretation vor allem auch Wolfgang SCHLUCHTER, Aspekte bürokratischer Herrschaft. Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft (München 1972) 40 ff. und 58–62. 39 MARX, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, 250. 40 Dazu JACOBY, Bürokratisierung, 236 f.

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er als Beamter mit Bedauern tut, was er als Mensch nicht tun möchte“, und nur noch den „formellen Staatsgeist“ verkörpere. In Vergangenheit und Gegenwart wurde das Thema Bürokratie also unter sehr ähnlichen Bedingungen und mit sehr ähnlichen Zielsetzungen immer wieder ins Visier genommen. Versuchen wir die Positionen zu subsummieren, so scheinen die sehr divergierenden Kritiken und Meinungen grundsätzlich zwei große Fragenkomplexe zu betreffen. Der erste sieht das Thema unter der Perspektive, wieweit und unter welchen Umständen Bürokratie und Bürokratisierung in den Dienst gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Modernisierung gestellt werden kann. Leicht erklärlich ist, daß dieser Blickpunkt zeitlich mit Umbrüchen und Revolutionen zusammenfällt. Die Frage, wie Revolution und Bürokratisierung bzw. Institutionalisierung zusammenhängen, spielte dabei eine wichtige Rolle. (Tocqueville sowie Lenins Perspektiven sind symptomatisch dafür.) Der zweite Aspekt, unter dem Bürokratie gesehen wird, ist der einer umfassenderen Gesellschaftskritik, die – so wie ihr Gegenteil, die „Heroisierung“ oder „Mythisierung“, – auf die gleiche „Urfrage“ hinausläuft: Wann überschreitet der Bürokratisierungsprozeß seine Grenze und pervertiert den ursprünglichen Zweck der Bürokratie, anstatt Diener des Menschen zu seinem Despoten zu werden. Karl Marx, Max Horkheimer, aber auch Max Weber haben diese Frage aufgeworfen. Es ist merkwürdig, daß sich wenige der fundamentalen theoretischen Werke konkret mit historischen Entwicklungen beschäftigen. Dort, wo es geschieht, nämlich in den Werken Max Webers wird eine Typologie versucht. Max Weber hat bekanntlich die Zusammenhänge zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der modernen Bürokratie aufgezeigt41. Kein Wunder, daß er in unserer heutigen Welt viel mehr Widerhall erweckte – und noch erweckt, als etwa Schmoller und Hintze und die ältere historische preußische Schule, die wohl auch in der kapitalistischen Entwicklung, aber vor allem im Aufbau des absolutistischen Staatssystems die Wurzeln des modernen Beamtentums sucht42. Ein Beispiel, wie Max Webers prinzipieller Ansatz, aus der Geschichte der Bürokratie Typologien zu entwickeln, weitergeführt wurde, ist der bereits genannte 41 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, z. B. 129 ff. 42 Vgl. vor allem die „Einleitung über Behördenorganisation, Amtswesen und Beamtentum“ von Gustav SCHMOLLER. In: Acta Borussica. Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung, hg. v. der kgl. Akademie der Wissenschaften 1/1: Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert. Akten von 1701 bis Ende Juni 1714, bearbeitet von Gustav SCHMOLLER und Otto KRAUSKE (Berlin 1894) 15–143; Otto HINTZE, Gesammelte Abhandlungen, hg. und eingeleitet von Gerhard OESTREICH, im besonderen 1: Staat und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Verfassungsgeschichte (Göttingen 21962).

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Shmuel N. Eisenstadt43, der das Entstehen aber auch den Verfall bürokratischer Imperien untersucht. Sein Ansatzpunkt differiert daher von dem Max Webers, bei dem der Zusammenhang der Entstehung von Bürokratie, Staat und Macht sehr ausführlich diskutiert wird, von Verfall aber nicht die Rede ist. Zirka 40 Jahre entscheidender Ereignisse europäischer Geschichte liegen zwischen dem Tod Max Webers und den Publikationen Eisenstadts. Eisenstadt interessierten ebenso wie Weber die Beziehungen zwischen Herrscher, Gesellschaft und Bürokratie. Er versuchte aber, eine Typologie der sozialen Beziehungen zu entwickeln. Sein Anliegen sind Versuche, Muster zu beschreiben, die Charakteristika herauszuheben und die sozialen und ökonomischen Bedingungen zu finden, unter welchen sich bürokratische Reiche entwickelten und funktionierten. Er verfolgte die sozialen und politischen Prozesse, welche ihre Kontinuität möglich machten. Wichtig für Eisenstadt ist, wie gesagt, der Verfall. Es war der Machtkampf, zu dem es unweigerlich kommen mußte, als die stärker werdenden Bürokratien ab einem gewissen Zeitpunkt mit den Interessen des Herrschers, der diese Bürokratie ursprünglich forciert hatte, in Konflikt gerieten. Dieser Kampf zerstörte die historischen bürokratischen Reiche und führte zur Entstehung moderner politischer Systeme. Die Spannbreite der Vergleiche reicht – wie bei Weber – von den altägyptischen Reichen bis zu den neuzeitlichen Imperien Europas, die für Eisenstadt ähnliche Merkmale und Entwicklungen aufweisen, da sie unter ähnlichen ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen zustandegekommen wären44. Eisenstadts Fazit richtet sich in einem wichtigen Punkt gegen Max Weber, dem er zweifelsohne viele Ansatzpunkte verdankt: Er sieht keine evolutionäre Entwicklung, sondern Aufstieg und Niedergang. – Die Soziologen haben ihre Theorien nicht an der konkreten Geschichte überprüft und die Historiker auch nicht, sie haben auch den theoretischen Ansatz ihrer Kollegen aus den Sozialwissenschaften ignoriert. Erst in jüngster Zeit gab es Versuche der Historiker, Theorien zu rezipieren. George Barany war meines Wissens der erste, der in seiner ausgezeichneten Studie über die Verwaltung Ungarns die Anwendbarkeit dieser modernen Verwaltungstheorien auf historische Prozesse im Raum der Habsburgermonarchie analysierte. Er geht von der Diskussion, wie sie in den Vereinten Nationen geführt wurde, aus45 und findet gerade in Hinblick auf die ungarische Verwaltungsgeschichte bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der Debatte des 20. Jahrhunderts, als nämlich „die ersten Ansprüche auf eine durchgehende Verwaltungsreform in Ungarn in den kri43 EISENSTADT, Political Systems, vgl. S. 98 f. 44 EISENSTADT, Political Systems, 58. 45 Siehe S. 347.

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tischen Perioden eines verstärkten Nationalgefühls und erhöhter kultureller Bedürfnisse, also etwa gegen 1790 und dann später im Reformzeitalter erhoben wurden“ 46. Andrew Janos hat die Anwendbarkeit heutiger Modernisierungstheorien ebenfalls auf Prozesse der ungarischen Geschichte untersucht. In seinem Werk „The Politics of Backwardness in Hungary“47 verfolgt er die Entwicklung Ungarns von 1825 bis 1945 unter dem theoretischen Aspekt, den Immanuel Wallerstein, auf weltweite ökonomische Prozesse bezogen, entwickelt hatte, nämlich, daß zwischen Zentrum und Peripherie (politische) Ungleichheit bestünde48. Das Problem von Verwaltung und Bürokratie wird dabei von Janos inkludiert49. Das Ergebnis bestätigt, daß für die diesbezügliche ungarische Entwicklung ökonomisch-soziale und politische Bedingungen wichtig wurden; die kulturellen, religiösen und mentalen Traditionen waren damit eng verbunden; allerdings von einer „metallenen“ Beständigkeit, die den Fortschritt in Frage stellte50. Jürgen Kocka hat sich in einer ausgezeichneten Studie über die Verwaltung der Firma Siemens mit den Prinzipien Max Webers auseinandergesetzt und gezeigt, wie bürokratische Administration und kapitalistische Wirtschaftsentwicklung im Sinne formaler Rationalisierung gleichgeschaltet waren und wie beide Typen der Organisationen, der wirtschaftlichen und der bürokratischen, auf gleichen Grundsätzen spezifischer Rationalität, beispielsweise der Arbeitsteilung, beruhten51.

46 George BARANY, Ungarns Verwaltung: 1848–1918. In: HABSBURGERMONARCHIE 2, 308 f. Barany zitiert eine Reihe interessanter Beiträge zu dieser Diskussion, deren Titel aufschlußreich sind: SHYAMA CHARAN DUBE, Bureaucracy and Nation Building in Transitional Societies. In: International Social Science Journal 16 (1964) 229–236. C. A. P. St. HILL, Towards the Reform of the Public Services – Some Problems of Transitional Bureaucracies in Commonwealth Carribean States. In: Social and Economic Studies 19 (1970) 135–145. – Vgl. weiters Fred RIGGS, New approaches in the Study of Public Administration with special references to developing countries (Jakarta 1974). 47 Andrew JANOS, The Politics of Backwardness in Hungary 1825–1945 (Princeton, New Jersey 1982). 48 Die Theorie Zentrum–Peripherie, wie sie von WALLERSTEIN, Modern World System, formuliert und in der Folge differenziert und weiterentwickelt wurde, wird sehr gut zusammengefaßt und in historischen Zusammenhänge diskutiert bei JANOS, Politics of Backwardness, XVIII ff. 49 Ebd., 92–118. 50 Ebd., 323. 51 Jürgen KOCKA, Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft am Beispiel Siemens, 1847– 1914. Zum Verhältnis von Kapitalismus und Bürokratie in der deutschen Industrialisierung (Stuttgart 1969) vor allem 17.

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2. MAX WEBER UND DIE „RATIONALE“ BÜROKRATIE Innerhalb der „drei Typen legitimer Herrschaft“, der „rationalen“, „traditionalen“ und „charismatischen“1, die Max Weber konstruiert, bestimmt er die höchste Stufe der Entwicklung: „Der reinste Typus der legalen Herrschaft“, so Max Weber, „ist diejenige mittels bureaukratischen Verwaltungsstabs [Kursivstellung von M. W.]. Nur der Leiter des Verbandes besitzt seine Herrenstellung entweder kraft Approbation oder kraft einer Wahl oder Nachfolgerdesignation. Aber auch seine Herrenbefugnisse sind legale ‚Kompetenzen‘. Die Gesamtheit des Verwaltungsstabes besteht im reinsten Typus aus Einzelbeamten (Monokratie, im Gegensatz zur ‚Kollegialität‘, von der später zu reden ist).“2 Diese Verwaltung – „Keimzelle des modernen okzidentalen Staats“3 habe überall „Rationalisierung“ – bewirkt, da, so meint Max Weber, die „bürokratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung … die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste [Kursivstellung von M. W.] Form der Herrschaftsausübung sei: „Unser gesamtes Alltagsleben“ sei, so Weber, „in diesen Rahmen eingespannt. Denn wenn die bureaukratische Verwaltung überall [unterstrichen von M. W.] die – ceteris paribus! – formaltechnisch rationalste ist, so ist sie für die Bedürfnisse der Massenverwaltung (personaler oder sachlicher) heute schlechthin unentrinnbar.“ An anderer Stelle heißt es: „Die bürokratische Struktur ist überall später Entwicklungsprodukt. Je weiter wir in der Entwicklung zurückgehen, desto typischer wird für 1

2 3

WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 124 ff. Die Literatur zu Max Weber ist unübersehbar; historisch wichtig Wolfgang MOMMSEN, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte (Frankfurt/Main 1974); Max Weber, der Historiker, hg. v. Jürgen KOCKA (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 73, Göttingen 1986); Wilhelm HENNIS, Max Webers Fragestellung. Studien zur Biographie des Werks (Tübingen 1987); Arnold ZINGERLE, Max Webers historische Soziologie. Aspekte und Materialien zur Wirkungsgeschichte (= Erträge der Forschung 163, Darmstadt 1981) 122–129, gibt einen guten Überblick über die Rezeptionsgeschichte der Bürokratietheorie Webers; neuerdings in Hinblick auf Österreich interessant Gregorz L. SEIDLER, Zwei Konzeptionen der Bürokratie (= Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 101, Innsbruck 1987) im besonderen 27–38. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 126 f. Ebd., 129.

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2. Max Weber und die „rationale“ Bürokratie

die Herrschaftsformen das Fehlen der Bürokratie und des Beamtentums überhaupt. Die Bürokratie ist ‚rationalen‘ Charakters: Regel, Zweck, Mittel, sachliche Unpersönlichkeit beherrschen ihr Gebaren. Ihre Entstehung und Ausbreitung hat daher überall in jenen besonderen, noch zu besprechenden Sinn ‚revolutionär‘ gewirkt, wie dies der Vormarsch des Rationalismus [���������������������������������������������������� Kursivstellung�������������������������������������� von M. W.] überhaupt auf allen Gebieten zu tun pflegt. Sie vernichtete dabei Strukturformen der Herrschaft, welche einen, in diesem speziellen Sinn, rationalen Charakter nicht hatten.“4 Der Begriff „Rationalisierung“ hat in der modernen Weber-Interpretation beträchtliche Verwirrung ausgelöst. Losgelöst vom historischen Hintergrund, vor dem Max Weber zu sehen ist, wäre er vermutlich dem Zeitgenossen der Gegenwart wenig verständlich. Webers Vorbilder waren die Bürokratie und Verwaltung des preußischen Nationalstaates, die an dem Aufstieg Preußens zur Großmacht maßgeblich beteiligt waren. Die Traditionen bestimmten offensichtlich die Vorliebe für präzise militärische Abläufe5, der ungebrochene Glaube an den Fortschritt der Maschine des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters ließ auf die unendliche Ratio hoffen. Das übertragene Modell war dann der moderne (rationale) Staat als Ausdruck von vernünftigem, berechenbarem menschlich-politischen Denken und Handeln. Dieser rationale Staat, den es im Verständnis des 19. Jahrhunderts und Max Weber zufolge nur im Okzident gegeben hat, war nach Webers Konzeption ohne rationales Recht und Beamtentum nicht denkbar6. Der Begriff „Rationalisierung“ wurde mitunter mit Modernisierung verwechselt. Modernisierung, wie er in der vorne zitierten Literatur verwendet wird, ist nicht ident mit Rationalisierung. Norbert Elias übersetzt „rational“ einfach mit „vernünftig“ und sieht in dem Begriff „Vernunft“ oder „Ratio“ keinen allgemeingültigen Wert, sondern einen, der jeweils vom Aufbau der Gesellschaft abhängt7. Für ihn sei wichtig und auch vorstellbar, herauszufinden, was „Ver4 5

Ebd., 578 f. Dazu auch Carl J. FRIEDRICHS, Some Observations on Weber’s Analysis of Bureaucracy. In: READER IN BUREAUCRACY, 31. 6 Vgl. WEBER, Wirtschaftsgeschichte, im besonderen das Kapitel „Der rationale Staat“, 289–300, und DERS., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I (Tübingen 1920) 276 f. Vgl. dazu vor allem Günter ABRAMOWSKI, Das Geschichtsbild Max Webers. Universalgeschichte am Leitfaden des okzidentalen Rationalisierungsprozesses (= Kieler Historische Studien, 1, Stuttgart 1966) im besonderen 118–151. 7 „Was vernünftig oder ‚rational‘ ist, hängt jeweils vom Aufbau der Gesellschaft ab. Was wir verdinglichend ‚Vernunft‘ oder ‚Ratio‘ nennen, tritt allemal dann auf, wenn die Einpassung in eine bestimmte Gesellschaft und das Durchsetzen, das Aufrechterhalten innerhalb ihrer eine spezifische Voraussicht oder Berechnung fordert, und damit ein Zurückstellen der kurzfristigen

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nünftigkeit“ in einer bestimmten Periode bedeutete. Als erster hat diesen Begriff Jacob Burckhardt verwendet, und zwar in Zusammenhang mit der kulturellen Entwicklung. Burckhardt hat in seinem Werk „Die Kultur der Renaissance in Italien“ (1860) hervorgehoben, wie wichtig „rationalisiertes Verhalten“ als Ausdruck modernen Denkens in der modernen Welt der Renaissance war und dies sehr anschaulich dargestellt, etwa am Beispiel der „Objektivität des politischen Bewußt­seins“ oder „der Sicht des Staatswesens als Kunst“8. Auf Jacob Burckhardt hat in diesem Zusammenhang Carl J. Friedrichs aufmerksam gemacht, genauso wie auf das Faktum, daß Wilhelm Dilthey die philosophisch bedeutendste Darstellung in historischer Perspektive über dieses Thema gegeben hat9. „Rationalisierung“ ist also aus der Terminologie abendländischen Denkens über den modernen Staat10, besonders aus der deutschen historischsoziologischen Begriffswelt des 19. Jahrhunderts, nicht wegzudenken und sollte vielleicht nicht überinterpretiert werden, nur weil uns dieses Wissen heute nicht mehr so vertraut ist. Rationalisierung hängt in diesem Denken, einfach ausgedrückt, mit der Entwicklung der modernen Welt im allgemeinen zusammen, war dafür ein bestimmender, ja revolutionärer Katalysator. Diese Aussage, aus der (deutschen) Geistesgeschichte zu verstehen, trifft wahrscheinlich am ehesten den Kern des Weherschen Begriffes. – Wirkte aber die Bürokratie immer und in jedem Fall rationalisierend? Und wie lautet heute die Definition von Rationalisierung? Rationalisierung war für Max Weber, so lautet die Formel, ein unveränderlicher Faktor innerhalb aller Variationsmöglichkeiten von Modernisierung. Zumindest die „formale Rationalisierung“ war mit dem „Fachmenschentum“ untrennbar verbunden. „Dies ist“, so definiert Schluchter, „die restriktive Bedingung, die Weber für jede Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Gegenwart sieht. Und sie erklärt, weshalb für ihn der Bürokratisierungsprozeß eine über den bürgerlichen Kapitalismus hinausweisende Bedeutung besitzt. Denn die Bürokratisierung der Beziehungen der Menschen zueinander ist nur ein Moment der Rationalisierung des Lebens überhaupt. Sie verweist darauf, daß sich die Herrschaft des Menschen über den Menschen zwar versachlichen, nicht aber abschaffen läßt. Solange Komplizierung und nicht Vereinfachung, Spezialisierung und nicht Entspezialisierung, individuellen Affekte. Die quantifizierende Vorausberechnung oder Rationalität bildet nur einen Sonderfall eines umfassenden Phänomens.“ ELIAS, Höfische Gesellschaft, 168. 8 Jacob BURCKHARDT, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch (Leipzig 111913) im besonderen Kapitel: Die Republiken: Venedig und Florenz, 67–94. 9 FRIEDRICHS, Verfassungsstaat der Neuzeit, 723, Anm. 6. 10 Friedrichs verweist in diesem Zusammenhang auch auf Condorcet, Auguste Comte und Spencer, ebd.

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2. Max Weber und die „rationale“ Bürokratie

solange überhaupt Fachmenschentum der vorherrschende Grundzug der modernen Kultur bleibt, so lange bleibt auch die Verwirklichung menschlicher Beziehungen an den Einsatz formell-rationaler Mittel gebunden, so lange gibt es Herrschaft bürokratischer Verwaltungsstäbe …“11 Aus verständlichen Gründen wurde in den – bereits zitierten – Werken, die in der westlichen Welt entstanden sind, unser – westliches – Verständnis von Modernisierung als Maßstab an Bürokratisierungsprozesse angelegt. Deshalb war auch dieses Verständnis unzureichend, wenn unsere Kriterien von Verwaltung und Bürokratie als Modernisierungsinstrumente für die Länder der „Dritten Welt“ untersucht wurden. Um als Historiker der Zeit, die wir behandeln, gerecht zu werden, müssen wir die Frage stellen, was in dieser Zeit selbst unter Modernisierung verstanden wurde, welche konkreten Inhalte der Begriff hatte. Für Joseph II. und seine Beamten waren mit dem Begriff Modernisierung (oder Reform) andere Inhalte verbunden als etwa für die Vertreter der Konstitution im Jahre 1848. In Perioden der Bewegung wie im josephinischen Jahrzehnt ist das Verständnis von „Reform“ oder „Moderne“ eher festzumachen als in denen des „Systems“, der Beharrung. Existierte unter Franz II. (I.) die Wunschvorstellung von Modernisierung überhaupt, oder war die Beharrung das Moderne? Wissen wir tatsächlich in allen Nuancen, was „der Zeitgeist“ jeweils unter „modern“ verstand? Sollten wir nicht anstelle des Streits um Definitionen, ob die Bürokratie „rationalisierend“ oder „modernisierend“ wirkte, die nüchterne Frage stellen, ob sie jeweils funktionstüchtig war, die Bedürfnisse der Zeit verstand und ihnen auch nachzukommen gewillt war. Das setzte voraus, daß sie selbst wandlungsfähig blieb. Legen wir die soziologische Definition (etwa Schluchters) einer historischen Untersuchung zugrunde, so wird deutlich, daß wir im lebendigen Prozeß Rationalisierung und Modernisierung schwerlich fein säuberlich trennen können, beziehungsweise, daß (heute) nicht viel Sinn für die historische Forschung in der Unterscheidung liegt. Max Weber selbst gab keine genaue Definition des Begriffes, doch eine präzise Beschreibung der „rationalen Herrschaft“, die folgendermaßen lautet: „Die Grundkategorien der rationalen Herrschaft sind: 1. ein kontinuierlicher, an Regeln gebundener Amtsbetrieb, innerhalb 2. einer Kompetenz; Merkmale sind 3. das Prinzip der Amtshierarchie, 4. feste Regeln, 5. das Prinzip der vollen Trennung des Verwaltungsstabs von den Verwaltungs- und Beschaffungsmitteln, 6. das Fehlen jeder Approbation der Amtsstelle an den Inhaber, 7. die Aktenmäßigkeit der Verwal-

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SCHLUCHTER, Aspekte, 90.

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tung, 8. die legale Herrschaft des Verwaltungsstabes“12. Nehmen wir diese Kriterien von „rationaler Herrschaft“ der Bürokratie zum Maßstab für die österreichischen Verhältnisse zwischen 1780 und 1848, so war um 1790, spätestens zwischen 1820 und 1830, bereits eine „modern-rationale“ Bürokratie mit einem „modernen Beamtentum“ ausgebildet zumindest auf dem Papier, was die Gesetze, Verordnungen, Regeln betrifft, die für einen modernen bürokratischen Apparat erlassen wurden. (Die Praxis soll an anderer Stelle zur Sprache kommen.) Es gab einen Amtsbetrieb, dessen Kontinuität allein durch die festen Arbeitszeiten für Beamte gesichert war. Die Kompetenzen waren nach Behörden verteilt, das Prinzip der Anciennität und die Einführung des Universitätsstudiums für die höheren Ränge sorgten für Fachbeamte und eine genau festgelegte Amtshierarchie, eine kaum übersehbare Flut von Regeln schrieb die kleinsten Details für den Amtsbetrieb und das Leben der Beamten vor; seit der Aufhebung der Hofquartiere, in denen noch Wohn- und Amtsräume gemeinsam untergebracht waren, waren die letzten Reste einer Gemeinsamkeit von Verwaltungs- und Privatmitteln beseitigt, es gab keine Approbation der Amtsstelle, die Aktenmäßigkeit der Verwaltung war gesichert, der Verwaltungsstab mit Fachbeamten „herrschte“ absolutistisch, aber legal. Selbstverständlich bedeuteten alle diese Maßnahmen, die zwischen 1780 und 1820/30 zur vollen Bürokratisierung in modernem (Weberschen) Sinn gesetzt wurden, gleichzeitig auch Rationalisierung, wenn man unter Rationalisierung den besseren Ausdruck der Staatsräson, aber auch konkret einen besseren Ablauf und mehr Transparenz der Verwaltungsakte und im gewissen Sinn auch größere Objektivität gegenüber der jeweiligen Sachlage sowie gegenüber dem Staatsbürger versteht. Selbstverständlich war eine Verwaltung, die von einem im Recht und im Sonnenfelsschen „Geschäftsstyl“ geschulten Beamtenstand durchgeführt wurde, der vorhergehenden – Max Weber spricht von einer traditionalen (gerontokratischen, patriarchalen, patrimonialen, feudalen, ständischen) Verwaltung – überlegen13. Konkret auf die österreichische Bürokratie im fraglichen Zeitraum bezogen, bedeutet dies folgendes: Die vermehrte Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit, deren Kontinuität durch die „Sonnenfelsschen Registraturvorschriften“ (eigentlich bis 1918 und darüber hinaus) festgelegt wurde, weiters die Kompetenzverteilung für die Behörden schufen ein größeres Maß an Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für den Bürger. Die Beamten, die nun auf Grund ihrer Ausbildung und Fachqualifikation ernannt, und nach einem festgelegten Gehaltsschema 12 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 125 f.; ähnlich auch 551 ff. 13 Zur Überlegenheit der fachmännischen Verwaltung ebd., 56 ff.

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2. Max Weber und die „rationale“ Bürokratie

nach „Dienstalter“ entlohnt wurden, genaue Vorschriften für ihr amtliches Tun besaßen, hatten für den Herrscher und für die „Untertanen“ sicherlich den unvergleichlichen Vorteil der größeren Berechenbarkeit gegenüber ihren früheren, meist aristokratischen Kollegen der „traditionalen“ Verwaltung14, die ehrenamtlich und aufgrund ihrer ständischen Privilegien ernannt und vom Herrscher willkürlich entlohnt worden waren. Diese waren in der Regel sozial und materiell so unabhängig, daß sie sich in die Lage versetzt sahen, ihr Amt gut oder schlecht oder auch gar nicht zu versehen. Ihr positives oder negatives amtliches Treiben hatte wohl Konsequenzen für ihre Karriere, doch nicht für ihre persönliche Existenz, da sie sich, im Falle, daß der Herrscher mit ihrer Meinung nicht einverstanden war, jederzeit auf ihre Güter und ein privates Leben zurückziehen konnten (wir sprechen selbstverständlich hier von hohen leitenden Beamten). Für einen ruthenischen oder auch polnischen Bauern mag die österreichische „durchrationalisierte“, mit Instanzenzug und Appellationsmöglichkeit versehene Verwaltung, obwohl sie eine Fremdherrschaft darstellte und in der Praxis, besonders an der Peripherie des Reiches, schwerfällig funktionierte, mehr Vorteil geboten haben als die Verwaltung ihrer konationalen Grundherren, gegen deren Übergriffe es praktisch keinen Schutz gab. Auf der anderen Seite ist zu bemerken, daß – gemessen an den Weberschen Kriterien – die österreichische Bürokratie bis 1848 patriarchal-patrimoniale Züge an sich trug. Sie befand sich bis 1848 in einem Übergangsstadium: Die niedere Gerichtsbarkeit lag, wir erinnern uns, mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreiches, Dalmatiens und des Innviertels in der Hand des grundbesitzenden Adels. Auch das Prinzip der Kollegialität bestand in Österreich bis 1848 weiter. Und besteht nicht überhaupt die Frage, wieweit eine tatsächlich moderne Verwaltung nicht mit dem Ausbau eines Verkehrs- und Kommunikationsnetzes verbunden ist? Wie konnte eine Bürokratie funktionieren, wenn in ungünstigen Jahreszeiten, wie im Winter, Verordnungen und Gesetze nicht bis an die äußerste Grenze des Reiches durchgegeben werden konnten, sondern dies dem Zufall der Witterung überlassen blieb? Doch nach den Weberschen Merkmalen war im großen und ganzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Österreich eine „rationale“ Bürokratie ausgebildet. Entwickelte sie deshalb aber auch die so reibungslose Funktion, wie sie Max Weber enthusiastisch nach den Prioritäten des naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten, kapitalistischen Zeitalters von einem „voll entwickelten bürokratischen“ Apparat erwartete: „Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanis14 Zum Typus der patriarchalen und patrimonialen Herrschaft ebd., 130–140, 380 und 654.

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IV. Anstatt einer Historiographie

mus“, so meint Weber, „verhält sich … genau wie eine Maschine zu den nicht mechanischen Arten der Gütererzeugung. Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte gegenüber alten kollegialen oder ehrenamtlichen Formen auf das Optimum gesteigert.“15 – Zweifelsohne handelte es sich um die Beschreibung eines Idealtypus, der, wie schon gesagt, nie an Hand von historischen oder soziologischen Daten verifiziert wurde (wie es im übrigen Weber selbst forderte16). Wie funktionierte nun der österreichische Apparat in der Praxis? Die Betonung der Schriftlichkeit hatte wohl, wie bereits gesagt, die angestrebte „Aktenmäßigkeit“ der Verwaltung, auch Eindeutigkeit, Präzision und Aktenkundigkeit zur Folge. Doch gleichzeitig – so können wir vermerken – führte diese Aktenmäßigkeit geradezu zu einer Inflation von Papier und Worten in den Amtsstuben. Die erwähnte Vermehrung von Kompetenzen der Verwaltung trug ihren Teil zu diesem Prozeß bei. Im Staatsrat, einer der vornehmsten österreichischen Behörden, wurden beispielsweise im Jahr 1781 3.070, 1791 5.830, 1821 7.196 und 1841 6.535 Aktenzahlen (allerdings mit viel mehr Aktenstücken) produziert17. Jeder Beamte fühlte sich offensichtlich verpflichtet, ob es nun notwendig war oder nicht, schriftliche Äußerungen, Berichte etc. zu fabrizieren. Die Fixierung der Verwaltung durch vorgeschriebene Regeln und die Amts­ hierarchie, die Stabilisierung des Beamtenapparates durch Qualifikation und Vorrückung nach Dienstalter brachten nicht nur „Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen“18 mit sich. Die Fixierung und Stabilisierung bedeutete gleichzeitig eine gewisse Erstarrung im Prozeß der Bürokratisierung – sowohl der institutionellen als auch der sozia15 Ebd., 561 f. 16 Siehe auch FRIEDRICHS, Some Observations, 33, und Alvin W. GOULDNER, On Weber’s Analysis of Bureaucratic Rules. In: READER IN BUREAUCRACY, 48. Eine interessante Auseinandersetzung mit Webers Idealtypus in der Gegenüberstellung moderner Bürokratien bei Reinhard BENDIX, Bureaucracy and the Problem of Power, ebd., 114–135. 17 HHStA., ÄStR., Registraturbände. 18 Siehe oben.

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len Entwicklung. Die zur Regel erhobene Ausbildung an der Universität erzielte eine Zunahme an Fertigkeiten und Wissen der Beamten, mit einem Wort die perfekte Professionalisierung. Die mentale „Verbürgerlichung“ des Beamtenapparates wurde angebahnt. Die Nachteile, die mit diesem Prozeß verbunden waren, wurden an anderer Stelle bereits dargelegt: ständische Monopolisierung, die mit Verengung gekoppelt war – ein Prozeß, der damals eingeleitet wurde und der in den Augen mancher Kritiker an die Grenzen der Demokratie führt19. Die Amtshierarchie, eingerichtet nach den Prinzipien der besten Ausbildung und der Anciennität, bedeutete wohl zunächst, daß man dem bürgerlichen Prinzip der Gleichheit näher kam; gleichzeitig mußten die Intelligenteren unter den Beamten aber auch den Schutz für Faule darin entdecken, d. h., die neuen Grundsätze brachten gleichzeitig eine Leistungsverminderung. Alle die erwähnten Maßnahmen, die – verbunden mit einem Gehaltsschema und der automatischen Vorrückung – die Brechung des Adels innerhalb der höchsten Ränge der Bürokratie, die Rekrutierung aus neuen, leistungsorientierten Schichten in die Wege geleitet hatte, erwiesen sich als Bumerang: Das, was zur Kontrolle einer übermütigen Bürokratie, zur „Diskretion“ des Dienstes, Amtsverschwiegenheit und „straffen Unterordnung“ gedacht war, stellte sich bald als Schutz und Deckung für das Beamtentum heraus. Es öffnete einer Klüngelbildung nach innen und der erwähnten Kastenbildung nach außen hin die Bahn. Im übrigen hat kein Geringerer als Immanuel Kant auf die Tatsache verwiesen, daß das Prinzip des Amtsgeheimisses der Idee des Konstitutionalismus widerspräche20. Spätestens seit dieser Zeit trat immer wieder die Ambivalenz zwischen Öffentlichkeit und Amtsgeheimnis zutage. Die Regelhaftigkeit des bürokratischen Schemas garantierte wohl „Kontinuierlichkeit“ und „Einheitlichkeit“. Doch die besten Regeln – zu ernst genommen – bringen nicht nur diese segensreichen Entwicklungen mit sich, sondern provozieren auch geistige Bequemlichkeit, Unbeweglichkeit und Ideenmangel. Der Amtsweg, exakt vorgeschrieben und strikt eingehalten, garantierte zwar – wie ausführlich beschrieben – die Legitimität der Verwaltung, der Instanzenzug verhinderte Willkür, doch der Formalismus wurde oftmals zu L’art pour l’art stilisiert, war damit keineswegs mehr „die Linie des kleinsten Kraftmaßes“21, sondern blähte den Verwaltungsapparat auf und verteuerte ihn letztendlich, wie wir sahen, 19 Marshall E. DIMOCK, Bureaucracy Self-Examined. In: READER IN BUREAUCRACY, S. 400 f. 20 FRIEDRICHS, Verfassungsstaat der Neuzeit, 725, Anm. 15. 21 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 130.

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in einem ungeheuren Maß anstatt „Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten“ zu bringen. Das negative Gegenbeispiel zu einer voll durchgeführten Bürokratisierung glaubt Max Weber in der englischen Friedensrichterverwaltung zu sehen. Er bezeichnet sie als Grenzfall einer patrimonialen Verwaltung: Es hafte ihr, so konstatiert Weber, die im übrigen aller Honoratiorenverwaltung eigene Qualität, „die Minimisierung“ und „der Gelegenheitscharakter der verwaltenden Amtstätigkeit“, ein gewisser „unsystematischer“ Zug an22. Vielleicht stimmt es, daß diese „minimisierte“ Verwaltung uneffektiv war. Jedenfalls war sie billiger als Österreichs­aufgeblähter Verwaltungsapparat, dessen Beamte bezahlt wurden und in den Amtsstuben saßen, Papier, Schreibstoff, Licht, Wärme, Energie verbrauchten, ob sie nun sinnvolle Arbeit leisteten oder nicht und immer mehr Verwaltungskosten erzeugten, die an den besprochenen Jahresbudgets abzulesen sind. Auch wenn wir die vielen Stimmen, die an der österreichischen Verwaltung seit den vierziger Jahren Kritik übten, mit Vorsicht behandeln, so ist doch nicht abzuleugnen, daß bereits einige Jahrzehnte nach den entscheidenden Reformen die Schwerfälligkeit der Verwaltung bis zur Unbeweglichkeit zugenommen hatte, die Effektivität geschwunden war, ein immobiler Apparat jede Neuerung erschwerte (wenn nicht gar unmöglich machte). Er konnte auf den gesellschaftlichen Wandel und die staatlichen Bedürfnisse nicht mehr reagieren. Der Verwaltungsapparat funktionierte jedoch weiter wie eine einmal in Gang gesetzte Maschine, indem man die geringfügigsten Geschäfte mit unangemessener Seriosität behandelte und mit Formalismen aufblähte. Max Weber hatte völlig recht mit seiner Behauptung: „Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden … Wo die Bürokratisierung der Verwaltung einmal restlos durchgeführt ist, da ist eine praktisch so gut wie unzerbrechliche Form der Herrscherbeziehung geschaffen.“23 Ist aber tatsächlich noch von Rationalität zu sprechen, wenn ein (bürokratisch) starr gewordenes „Gesellschaftshandeln“24 seinem Zweck, der Gesellschaft zu dienen, ihre Probleme zu lösen, nicht mehr entsprach? Oder kündigt sich hier angesichts der unverändert „unzerbrechlichen Form der Herrschaftsbeziehung“ – ein Irrationalismus an, der schließlich in der Dichtung seinen besonderen Niederschlag gefunden hat? 22 Ebd., 618 f. 23 Ebd., 569 f. 24 Ebd.

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3. Franz Kafka und die „irrationale“ Bürokratie

3. FRANZ KAFKA UND DIE „IRRATIONALE“ BÜROKRATIE „Das Büroleben besonders ist derart erschöpfend, daß es nur geleistet werden kann, wenn alle kleinsten Nebenumstände sorgfältig beachtet und womöglich keine Veränderung in dieser Hinsicht zugelassen wird. Der Umstand zum Beispiel, daß ein Tintenfaß eine Handbreit von seinem gewöhnlichen Platze entfernt wurde, kann die wichtigste Arbeit gefährden. Über all das zu wachen, wäre eigentlich Arbeit der Diener, doch ist leider so wenig Verlaß auf sie, daß ein großer Teil dieser Arbeit von uns, nicht zum wenigsten von mir, dem ein besonderer Blick dafür nachgerühmt wird, geleistet werden muß. Nun ist das aber eine sehr empfindliche, intime Arbeit, die von gefühllosen Dienerhänden im Nu fertiggemacht werden könnte, mir aber viel zu schaffen macht, weitab von meiner sonstigen Arbeit liegt und durch dieses Hin und Her, das sie verursacht, nur ein wenig schwächere Nerven, als es die meinen sind, wohl völlig zerrütten könnte. Sie verstehen mich?“1 – so Erlanger in Kafkas „Schloß“. Die „rationale“ Arbeit ist hier zur phantastischen Pedanterie entartet, beamtetes Pflichtbewußtsein zur Neurose, die zwanghaft auf nebensächlichste Ordnungsprinzipien fixiert ist. Was ist aus Max Webers sinnhafter Bürokratie geworden? Die Revolution von 1848 hatte die längst notwendige Verwaltungsreform gebracht. Nicht unähnlich den groß angelegten Plänen Josephs II. wurden die Reformen nun wiederum im Sinne eines straffen bürokratischen Zentralismus durchgeführt2, und nicht umsonst gilt die Zeit der fünfziger Jahre, der Neoabsolutismus, als „Blütezeit der Bürokratie“3. Mit dem Ziel durch Verwaltungsorganisation und Bürokratie aus diesem Reich mit den so differenten Strukturen einen Staat einheitlich modernen Gepräges mit einem einheitlichen Staatsvolk zu schaffen, wurde die Struktur der Verwaltung modernisiert4. Die patrimoniale Gerichtsbarkeit wurde abgeschafft, das monokratische System eingeführt und die Trennung von Justiz und Verwaltung (mit Ausnahme in der untersten Instanz) 1 Franz KAFKA, Das Schloß, hg. v. Max BROD (Frankfurt 1985; Erstausgabe 1926) 345. 2 Näheres dazu HEINDL, Bürokratie und Verwaltung, 244, und DIES., Einleitung zu ÖMR. III/2, XIII–LXVIII. 3 So Karl RENNER, Zur Geschichte der österreichischen Verwaltung. Anhang: Das Land, der Landtag, die Landesregierung. Der Aufbau der niederösterreichischen Verwaltung (Wiener Neustadt 1927) 8. 4 HEINDL, Bürokratie und Verwaltung, 235–239.

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beschlossen. Tatsächlich sah es zunächst so aus, als ob dieser so modernisierte monokratische Behördenapparat im Vergleich mit dem früher gehandhabten kollegialen System eine raschere Abwicklung des Geschäftsganges und die bürokratische Straffung garantierte. Doch bald wiederholte sich jener Prozeß, den wir bereits nach den Reformen des späten 18. Jahrhunderts beobachteten. Es ist in unserem Zusammenhang aufschlußreich, daß etwa 40–50 Jahre nach der Verwaltungsreform der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts sich wiederum die warnenden Stimmen zu mehren begannen, die einen kontinuierlichen Verfall der österreichischen Verwaltung konstatierten5. Die Kritik fand zweifelsohne einen Höhepunkt in dem Werk „Bureau­ kratie“ des galizischen Verwaltungsbeamten Josef Olszewski, der damit zugleich eine umfassende Negativbeschreibung der österreichischen Bürokratie gab6. Seine Analyse der Eigenschaften der Staatsverwaltung und Staatsbeamten ist interessant: Er empfand gerade jene negativ, die bei Weber – fast zur gleichen Zeit – größte Anerkennung finden sollten7. Das Bild der Maschine, das Weber verwendete, um die Effektivität, Promptheit und Exaktheit der Verwaltung zu illustrieren, diente Olszweski dazu, die „Stumpfheit, Geistlosikeit und Routine“ der Bürokratie deutlich zu machen8. Ja, die Unzufriedenheit des in Galizien dienenden Olszewski mit seinen „servilen“, selbstsüchtigen und faulen Fachkollegen (und wahrscheinlich auch mit seiner eigenen Beamtenqualität) ging so weit, daß er die von Max Weber so verteufelten ehrenamtlichen Beamten9, die „mehr aus bürgerlichem Pflichtgefühl, aus dem Bewußtsein der Ehre“ dienten, in manchem den Berufsbeamten vorzog10. Olszewski – ein „Anti-Weber“? Seidler hat mit Recht hervorgehoben, daß sich Olszewskis Beamtentyp, der sein Leben kreativ einsetzt und selbstlos dem Dienst an der Gesellschaft und nicht dem Behördenapparat opfert, grundsätzlich von Webers Bürokraten unterscheidet und daß hinter den beiden verschiedenen Konzeptionen die verschiedenen Auffassungen vom Staat stehen11. Resümieren wir einige der Beschreibungen Olszewskis. Die anwachsende staatliche Gesetzessammlung habe, so analysiert Olszewski, auf den Staatsbürger die 5 Ebd. 6 Josef OLSZEWSKI, Bureaukratie (1904). 7 SEIDLER, Zwei Konzeptionen, 10. 8 Ebd., 12. 9 Siehe S. 356. 10 OLSZEWSKI, Bureaukratie, 140. 11 SEIDLER, Zwei Konzeptionen, 13.

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3. Franz Kafka und die „irrationale“ Bürokratie

Wirkung des geheimnisvollen Schatzes der Sibyllinischen Bücher, die er gar nicht mehr verstehen wolle12. Eine vordringliche Aufgabe sah er darin, daß man „der Richtung der Eigenmächtigkeit, Mißbräuchen und bösem Willen vorbeuge, insbesondere, da man einen gewissen mittleren Grad der Qualifikation der Beamten berücksichtigen muß, von denen man doch nicht verlangen kann, daß sie durchgehends Staatsmänner und Praktiker seien. Eine allzu große Freiheit des Wirkens“, so warnt unser Autor, „könnte ethisch mittelwertige Individuen, entweder zur Apathie aus Furcht vor Irrtum und um der Verantwortung für selbständiges Anordnen zu entgehen, – oft zu schreienden Mißbräuchen verleiten.“13 In Olszewskis Zeichnung dominiert die undurchschaubare Bürokratie, Apathie, Furcht, Mißbrauch der Verantwortung auf legalem Weg, dunkle Machenschaften – erinnert uns diese Charakterisierung nicht an die meisterhaften Beschreibungen der sinistren Seite der Bürokratie durch den tschechisch(-österreichischen) Kollegen Olszewskis, Franz Kafka, die voll von Ängsten vor einer nicht durchschaubaren bürokratischen Macht sind und mit Rationalität nicht im entferntesten zu tun haben, sondern im Gegenteil die Bürokratie wegen ihrer Undurchschaubarkeit zur irrationalen Macht stempeln. Irrational, so belehrt uns der „Neue Brockhaus“, bedeutet „dem Verstand nicht oder nur indirekt zugänglich“, irrational heißt nicht berechenbar, heißt Gefühle, Empfindungen einzubeziehen. Ist es nicht eine auffallende Koinzidenz, die zum Nachdenken anregt, daß diese dunkle Auffassung von bürokratischer Macht fast zur gleichen Zeit in Erscheinung tritt, als Max Weber das Konzept der Rationalisierung durch Bürokratisierung – und damit auch der „Entzauberung der Welt“ entwickelte? Franz Kafka entwarf im „Prozeß“ (1914/15) und im „Schloß“ (1921/22) die Geschichte einer entpersönlichten Welt, und die Bürokratie ist Symbol und Mittel der Entpersön­ lichung. Nun ist die herbe Kritik von Schriftstellern an den bürokratischen Zuständen ihres Landes nicht auf die zu Ende gehende Habsburgermonarchie beschränkt. Doch wirken auf uns heute die Beschreibungen des „Umständlichkeitsamtes“ durch Charles Dickens14, „durch das alle Angelegenheiten des Landes gingen, außer jenen Angelegenheiten, die niemals wieder herauskamen und deren Zahl Legion war“, oder Balzacs Klagen15 harmlos gegenüber der ins Groteske 12 OLSZEWSKI, Bureaukratie, 170. 13 Ebd., 85. 14 Charles DICKENS, Little Dorrit (1887), siehe JACOBY, Bürokratisierung, 242 f. 15 Honoré de BALZAC, Les Employés (1838), zit. ebd.

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übersteigerten, unheimlichen Macht der Bürokratie in Kafkas Welt. „Überdeutlich bis zur Unwirklichkeit“, so äußert sich Franz Kafka selbst zu seinem Werk16. Dies kann auch für die Darstellung der Bürokratie gelten. Die Bürokratie ist überdeutlich, jedoch imaginär, die Verwaltung ist realistisch, aber unsichtbar, der Apparat, der unbeschränkte Macht ausübt, entbehrt jeden menschlichen Aspekts. Die Präzisionsmaschine, der der Mensch hilflos ausgeliefert ist? Im „Prozeß“ wird das formale Rechtsverfahren eingehalten, doch das Gericht bleibt imaginär. Die „Verzauberung der Welt“ durch die angeblich rationale Präzisionsmaschine, in der der Mensch sich nicht zurechtfinden kann? Die Bürokratie wird zum Symbol der vollkommenen Irrationalität, sie ist die Irrationalität selbst. Es liegt nahe, die beiden Zeitphänomene einander gegenüberzustellen: Die klare, geordnete – entzauberte – rationale Welt der Bürokratie Max Webers und die verzauberte, böse, irrationale Welt der Bürokratie Franz Kafkas. Wissenschaft und Kunst sollten nicht vermengt werden, doch Vorstellungen, Denken und Gefühle einer Zeit spiegeln sich in wissenschaftlichen und künstlerischen Produkten wider: Wie der Politiker und Theoretiker Max Weber die bürokratisierte Welt sah oder sehen wollte und wie der Künstler und Praktiker Franz Kafka sie tatsächlich erlebte. Als Spiegelbilder der technisierten und bürokratisierten Welt sind sie Kontrapunkte zu ein und demselben Thema. Die Folge der totalen Trennung von Ratio und Empfindung, Amt und Person, Herrschern und Beherrschten? Kafkas böse Vision legt die Vermutung nahe, daß der Höhepunkt jenes Prozesses, den Weber Rationalisierung (durch Bürokratisierung) nannte, überschritten war, überschritten in eine Richtung, die gefährlich irrationale Züge annehmen sollte. Max Weber sah sehr wohl die Gefahren für demokratische Entwicklungen, die in dieser „Präzisionsmaschine“ der Herrschaftsausübung lag, dann nämlich, wenn dieser bürokratische Apparat die Herrschaft an sich riß17. Trotzdem bleibt seine Bewunderung für den „rationalen Staat“ und dessen Grundlagen, das „rationale“ Fachbeamtentum und das „rationale“ Recht, ungebrochen, die allein imstande wären, sowohl den monarchischen Staat wie auch die „Massendemokratie“ zu verwalten und so zu stützen18. 16 So Erich Heller in der Einleitung zu: Franz KAFKA an Felice und andere Korrespondenzen aus der Verlobungszeit, hg. v. Erich HELLER und Jürgen BORN (Frankfurt/Main 1988) 29. 17 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 129. 18 Deutlich kommt dies beispielsweise zum Ausdruck in: „Die Entstehung des rationalen Staates“, in: WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 815 f., oder in „Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung. Politische Leitung und Beamtenherrschaft“, ebd., 825.

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Der Beamte, der einer „unpersönlichen Ordnung“ gehorchte19, wurde von ihm zur moralischen, überparteilichen Instanz für den deutschen Staat nach 1918 stilisiert. Die strikte Befolgung der Beamtenethik ist offensichtlich für ihn – als ein Gegengewicht zu den politischen Führern – eine der Säulen des deutschen Staatsapparates: Der Beamte, so fordert Weber, „soll seinem eigentlichen Beruf nach nicht Politik treiben, sondern: ‚verwalten‘, unparteiisch vor allem; das gilt offiziell wenigstens auch für die sogenannten ‚politischen‘ Verwaltungsbeamten, soweit nicht die ,Staatsräson‘, d. h. die Lebensinteressen der herrschenden Ordnung in Frage stehen. Sine ira et studio, ohne ,Zorn und Eingenommenheit‘ soll der Beamte seines Amtes walten. Er soll also gerade das nicht tun, was der Politiker, der Führer, sowohl wie seine Gefolgschaft, immer und notwendig tun müssen: kämpfen. Deren Handeln steht unter einem ganz anderen, gerade entgegengesetzten Prinzip der Verantwortung, als es die des Beamten ist. Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau auszuführen, als ob es seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat“20, soweit Max Weber. Er sollte, da er 1920 starb, die zukünftigen Entwicklungen nicht mehr erleben. „Was für Gesichter rings um ihn!“ so beobachtet K. in Kafkas Prozeß die erste Untersuchung. „Kleine, schwarze Äuglein huschten hin und her, die Wangen hingen herab, wie bei Versoffenen, die langen Bärte waren steif und schütter, und griff man in sie, so war es, als bilde man bloß Krallen, nicht als griffe man in Bärte. Unter den Bärten aber – und das war die eigentliche Entdeckung, die K. machte – schimmerten am Rockkragen Abzeichen in verschiedener Größe und Farbe. Alle hatten diese Abzeichen, soweit man sehen konnte. Alle gehörten zueinander, die scheinbaren Parteien rechts und links, und als er sich plötzlich umdrehte, sah er die gleichen Abzeichen am Kragen des Untersuchungsrichters, der, die Hände im Schoß, ruhig hinuntersah. ‚So‘, rief K. und warf die Arme in die Höhe, die plötzliche Erkenntnis wollte Raum, ihr seid ja alle Beamte, wie ich sehe, ihr seid ja die korrupte Bande, gegen die ich sprach, ihr habt euch hier gedrängt, als Zuhörer und Schnüffler, habt scheinbare Parteien gebildet, und eine hat applaudiert, um mich zu prüfen, ihr wolltet lernen, wie man Unschuldige 19 Siehe z. B. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, 125. 20 Max WEBER, Politik als Beruf. Zitat nach dem Abdruck in: Wirtschaft und Gesellschaft, 833; auch in DERS., Politische Schriften, 511–525.

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verführen soll!‘“21 Kafkas Bild war visionär und erhält gespenstische Dimensionen, ziehen wir in Betracht, was schon wenige Jahre später sich durch „rationale“ Bürokratien in Diktaturen ereignete. Das Beamtenethos funktionierte auch in der neuen Situation. Die Beamten, gewohnt im „Sinn sittlicher Disziplin und Selbstverleugnung“ zu gehorchen, erwiesen sich auch weiterhin als gehorsam. War Kafka nicht der Realist?

21 Franz KAFKA, Der Prozeß (Frankfurt/Main 1985; Erstausgabe 1925) 45.

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Lebendige Traditionen? „Und verwaltet wurde dieses Land in einer aufgeklärten, wenig fühlbaren, alle Spitzen vorsichtig beschneidenden Weise von der besten Bürokratie Europas, der man nur einen Fehler nachsagen konnte: sie empfand Genie und geniale Unternehmungssucht an Privatpersonen, die nicht durch hohe Geburt oder einen Staatsauftrag dazu privilegiert waren, als vorlautes Benehmen und Anmaßung. Aber wer ließe sich gerne von Unbefugten dreinreden! Und in Kakanien wurde überdies immer nur ein Genie für einen Lümmel gehalten, aber niemals, wie es anderswo vorkam, schon der Lümmel für ein Genie.“ (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)

Traditionen, vor allem die institutioneller Natur, wirken bekanntlich in besonders intensiver Weise. Sie repräsentieren par excellence die Strukturen der vielzitierten „longue durée“ (Brandel). Der „österreichische Weg“ der Bürokratieentwicklung wies zweifelsohne Sonderheiten auf, und diese prägten selbstverständlich die nachfolgenden Zeiten. Resümieren wir den langen Weg. Die Anfänge der Entwicklung der österreichischen Bürokratie verliefen durchaus parallel mit den allgemeinen europäischen Prozessen im aufgeklärten Absolutismus. Die Funktion, die man damals der Bürokratie zuteilte, nämlich Instrument der Obrigkeit und zugleich Herrschaft selbst zu sein, hat sich nicht geändert. Die Tendenzen, wohin die Entwicklung einer Bürokratie steuert, sind sicher zumindest von drei Faktoren bestimmt: 1. Von der jeweiligen Obrigkeit, die die Macht hat, die Bürokratie nach ihrem Gutdünken und für ihre Zwecke einzusetzen, 2. vom gesellschaftlichen Klima, das sehr wohl imstande ist, autoritäre oder demokratische Tendenzen innerhalb der Bürokratie – je nach Werten – zu beeinflussen, 3. von einer gewissen Eigendynamik, die jede Bürokratie nach den traditionellen Rekrutierungsschichten und den traditionellen Berufsmaßstäben entwickelt. Im „österreichischen Weg“ begünstigten, wie wir sahen, alle drei Faktoren die Ausbildung starker – obrigkeitsgebundener – bürokratischer Strukturen. In Österreich zentriert sich die Entwicklung zum modernen Beamtentum auf das späte 18. Jahrhundert, genauer auf das josephinische Jahrzehnt. Die Beamten waren von Joseph II. und den Aufklärern (großteils meist selbst Beamte) dazu aus-

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ersehen, mit ihm und gegen den opponierenden Feudaladel, der ständig auf seine Rechte pochte, die notwendigen staatlichen und gesellschaftlichen Maßnahmen durchzuführen. Das legte Grund für ihre Stärke und ihr Selbstverständnis. Es war eine Zeit der stürmischen Entwicklung, in der das gesamte Bildungssystem des Reiches auf die Ausbildung tüchtiger Bürokraten abgestimmt wurde, in der durch eine Flut von Gesetzen und Verordnungen die Normen geschaffen wurden, die Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit festgelegt, das Prinzip der Anciennität verankert, die Absolvierung der juristischen Studien für den Eintritt in den höheren Staatsdienst gefordert wurde. Es war die Zeit, in der die Beamten durch arbeitsrechtliche Absicherung (wenn sie auch minimal waren) einerseits privilegiert, andererseits strengen Regeln und Disziplinarmaßnahmen unterworfen wurden. Der bürokratische Apparat war in diesem Reich mit den altertümlichen, uneinheitlichen Verfassungsstrukturen das moderne Element und in der allgemeinen Aufbruchstimmung, in dieser Zeit „der Bewegung“ (um bei diesem zeitgenössischen Terminus für die Reformzeit zu bleiben), wurden Bürokratie und Beamte als gebildetes, reformerisches, ja (wie sich in den Jakobinerprozessen zeigte) zumindest zum Teil mit Recht als revolutionäres Element angesehen. Das nützte allerdings à la longue nichts, da es der Krone wieder gelang, die selbständig werdenden Beamten der „Bewegung“ in das spätere „System“ der Reaktion einzugliedern und diesem dienstbar zu machen. Das bürokratische System erstarrte. Innerhalb von 20 bis 50 Jahren nach den entscheidenden Reformen und nach ca. 20 bis 30 reformlosen Jahren war die Schwerfälligkeit des bürokratischen Apparates bis zur Unbeweglichkeit gediehen. Er konnte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts weder auf die staatlichen Bedürfnisse noch auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren. Die konservativen Kräfte, Kaiser und Regierung, hatten sich gegen die Reformbürokratie für Jahrzehnte durchgesetzt. Trotzdem entwickelte sich innerhalb der sozialen Gruppe der Beamtenschaft eine Eigendynamik, die den „obrigkeitlichen“ Tendenzen zuwiderliefen, die Position der Gruppe der Beamten und damit – wenn auch indirekt –, die bürokratische Struktur verstärkten. Aus den Stationen des „österreichischen Weges“ sind folgende Thesen abzuleiten: 1. Die Bürokratie ist eine lebendige Institution, die dauernd in Wandel begriffen ist. Die Bürokratie übt daher keineswegs die – statische – Funktion der Modernisierung, die ihr mitunter zugewiesen wurde, aus. Für diese Rolle der Modernisierung in der Gesellschaft muß sie auch funktionstüchtig gehalten werden. 2. Das mindert aber nicht die Rolle der Bürokratie als Faktor des Rechtsstaates.

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Die Bürokratie mit Kontrolle, Instanzenzug und Rekursmöglichkeiten bot im absolutistischen Kaisertum Österreich dem Bürger, der Bürgerin, ein Minimum an Rechten. Somit waren Verwaltung und Bürokratie auch für den Staat die Instrumente, Rechtsstaatlichkeit und Legalität zu demonstrieren. Gerade diese Funktion war es aber, die 3. letztlich dazu beitrug, den absolutistischen Staat in Österreich, der die Bürokratie als sein Organ schuf, schließlich aufzulösen. Der österreichische absolutistische Staat – in seinem Bestreben, Rechtsstaatlichkeit und Legalität zu demonstrieren – verstärkte den bürokratischen Apparat in einem ungeheuren Maß. Dieses wachsende Heer von Beamten mußte aber wiederum einer verstärkten Kontrolle unterworfen werden, einerseits, um es zu zwingen, den Weisungen von Staat und Regierung zu gehorchen, andererseits, um die Bürger und Bürgerinnen vor etwaigen Übergriffen der Beamten, die doch mit erheblicher Macht und Befugnissen ausgestattet waren, zu schützen. Im absolutistischen Kaisertum Österreich nahm diese Neigung zur Kontrolle gewissermaßen groteske Züge an, die letztendlich den gegenteiligen Effekt hatten. Sie verstärkten den Eindruck des Polizeistaates. 4. Die weittragende Bedeutung des Prozesses der „Bürokratiewerdung“ liegt auf einem anderen, von seiten des Staates nicht intendierten Gebiet. Der vermehrte Bedarf an ausgebildeten Beamten verstärkte die gebildeten – bürgerlichen – Mittelschichten, denen durch den Staatsdienst Karrieremöglichkeiten oder überhaupt erst eine Möglichkeit der bürgerlichen Emanzipation geboten wurde. In einem Staat wie Österreich, in dem es wenig kapitalstarkes Bürgertum gab, bot die Bildung den sichereren Weg zum Aufstieg als der Versuch, Besitz zu erlangen. Der Staatsdienst wurde zwar finanziell immer unattraktiver. Trotzdem wurde dieses Mittel der bürgerlichen Emanzipation, Universitätsstudium und anschließender Eintritt in den Staatsdienst, besonders in der Zeit der Akademikerarbeitslosigkeit in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, immer mehr ergriffen. Die Regierung steckte die jungen arbeitslosen Juristen in die Ämter, um die Arbeitslosigkeit zu verdecken, bezahlte sie schlecht und ließ sie niedere Dienste versehen. Überfüllte Ämter, Unzufriedenheit, Bildung gekoppelt mit Armut – ein nicht unbeträchtlicher Faktor für die Ausbildung revolutionärer Gesinnung, die 1848 zum Tragen kam! Die österreichischen Beamten reagierten wie andere bürgerliche Gruppen anderswo in Europa mit Revolutionen. – Es war genau das Gegenteil dessen, was man sich einst vom idealen Beamten erwartet hatte: Der gehorsame Beamte entwickelte sich zum Rebellen. Es ist augenfällig, daß die institutionelle Veränderung auch eine soziale mit sich gebracht hatte, die in der Folge den mentalen und kulturellen Wandel herbei-

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führte. Ohne großes Aufheben hatte sich in den Jahren der biedermeierlichen und vormärzlichen Stille ein radikaler Wandel im Beamtentum vollzogen, der weitreichende Bedeutung erlangen sollte. Immerhin handelte es sich um die zahlenmäßig stärkste Gruppe der „Bildungsbürger“, die schon aus diesem Grund Vorbildfunktion hatte und Katalysator für die Verbreitung geänderter Verhältnisse von Lebensstil und Alltagskultur war. Politisch waren die Beamten ohnmächtig, ökonomisch – verglichen mit anderen bürgerlichen Gruppen und schon gar mit dem Feudaladel – schlecht gestellt. Interessanterweise tangierte dies ihre soziale und vor allem ihre kulturelle Position nicht in dem Maße, wie es vorstellbar wäre. Die Beamten repräsentierten in kultureller Hinsicht eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Gruppe des Bildungsbürgertums in Österreich. Beide Lebensorte der Beamten, Amt und Salon, waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer deutlichen Verbürgerlichung unterworfen. Die Routine im Amt wurde immer mehr von einer festgelegten Arbeitszeit und von der geregelten Amtslaufbahn bestimmt, die auch in weiterer Folge den „neuen“ bürgerlichen Tugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß, Bescheidenheit zum Durchbruch verhalfen. Die Anciennität schuf zumindest formal die Gleichheit von aristokratischen und nichtaristokratischen Beamten (die allerdings in der Praxis immer wieder durchbrochen wurde) im Amt. Sozial blieb somit die Differenzierung bestehen. Das Privatleben der Beamten wurde, so sie nicht Aristokraten waren, von der Zugehörigkeit zur „zweiten Gesellschaft“ bestimmt, die streng getrennt von der „ersten Gesellschaft“ lebte. Sie war, durch vielfache Heiraten untereinander verwandt und verschwägert, eine eigene Kaste geworden, die eine eigene Kultur entwickelte, die deutlich an ihrem Lebensstil, sozialen Verhalten und den Formen der Geselligkeit, die sich vor allem im Salon abspielte, abzulesen ist. Die Salonkultur in Österreich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Beamtenkultur. Der biedermeierliche Salon aber war für die Gesellschaft ein Motor politisch-bürgerlichen Denkens, in dem die Literatur, eine der großen kreativen Leistungen des Beamtentums, einen wichtigen Platz einnahm. Die österreichische Literatur dieser Zeit ist zum größten Teil eine Beamtenliteratur. Im Vergleich mit den Beamtenidealen des 18. Jahrhunderts erst wird deutlich, daß die bürgerliche Lebensgestaltung gegenüber der aristokratischen (bereits zu Beginn des Jahrhunderts) im Beamtenmilieu den Sieg davongetragen hatte, zum selbstverständlichen Ideal geworden war, und Bildung war ein wichtiger Wert in dieser Beamtengesellschaft. Die Bürgertumsentwicklung hängt also in Österreich in einer entscheidenden Phase eng mit der Bürokratieentwicklung zusammen, Bildung (sehr prosaisch an-

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mutend) mit den Amtserfordernissen, die Mentalität des Bürgers mit der spezi­ fischen Beamtenmentalität. Ein solider Grund für den Ausbau bürokratischer Strukturen war damit bereits vor 1848 gelegt, der weit in das 20. Jahrhundert wirken sollte. Die Revolution von 1848 führte zur Erneuerung des Verwaltungs- und Beamtenstabes, indem die letzten feudalen Überreste der Verwaltung, die Patrimonialgerichtsbarkeit, beseitigt und das Prinzip der Monokratie eingeführt wurde. Wiederum, wie zu Josephs II. Zeiten, präsentierte sich innerhalb einiger Jahre ein reformierter, neuer Verwaltungsapparat, der bis 1918 überleben sollte, obwohl ab den neunziger Jahren wieder Klagen einsetzten und neuerlich Reformen gefordert wurden. Die Situation der Bürokratie innerhalb der „neuen“ staatsbürgerlichen Gesellschaft hatte sich aber zu dieser Zeit bereits geändert. Andere wichtige bürgerliche Gruppen machten in der Gründerzeit den Beamten die Position der stärksten bildungsbürgerlichen Gruppe streitig. Zwar bestand ihr Ruf, Hüter der Legalität des Staates zu sein, auch in der konstitutionellen Monarchie nach 1867 ungebrochen weiter. Ja, das Bild des belesenen, kultivierten, im Hintergrund agierenden und so im eigentlichen die Geschicke des Landes leitenden Beamten, der über die Erhaltung einer möglichst wohltemperierten Atmosphäre des gesellschaftlichen Klimas wachte, wurde, wie Musil ironisch andeutet, geradezu zum Mythos. Noch orientierten sich auch im Verfassungsstaat die Beamten, wie bereits erwähnt, an ihrem obersten Dienstherrn, Kaiser Franz Joseph (in dieser Zeit bereits eine Anomalie), da die Staatsideologie zu schwach war und der Anschluß an nationale Ideologien die Staatsloyalität beeinträchtigt und den Staat gefährdet hätte. Die Staatserhaltung lag im ureigensten Interesse der Bürokratie. Doch neben der traditionellen obrigkeitlichen Machtausübung über die Beamten durch Kaiser und Regierung zeichnete sich der Zugriff von einer anderen Seite ab: Es waren die Parteien, die sich neben der Krone des Beamtenapparates – meistens durch Protektion – zu versichern begannen, ja bald (nach 1918) die Dynastie diesbezüglich restlos ersetzen sollten, eine Tradition, die nahtlos in die Gegenwart reicht. Wenn wir etwa als ein Indiz unter vielen, die auf starke bürokratische Überlieferungen hindeuten, den vieldiskutierten überwältigend hohen Anteil von Beamten an der österreichischen Volksvertretung betrachten und den Einfluß, den sie allein durch diese Funktion ausüben, so liegt der Schluß nahe, die bürokratischen Traditionen hätten sich ungebrochen über mehr als 200 Jahre hinweg eher verstärkt und den perfekten Beamtenstaat erzeugt. Literarisch „überhöht“ und meisterhaft satirisch erfaßt Thomas Bernhard diese fundamentale Bürokratisierung und die Mentalität, die sie produzierte, in der „Auslöschung“ (1986), als der

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Hauptheld sein Erbe, die „Leitzordner“ von Wolfsberg (Österreich), schildert, in denen er die gesamte Gegenwart und Vergangenheit des geschäftlichen, finanziellen, kulturellen Lebens fein säuberlich und in mühevoller Arbeit (l’art pour l’art) geordnet, aufbewahrt findet. Der Dichter allerdings, heute kein gehorsamer Beamter mehr, widersetzt sich rebellisch diesem Erbe: „Das Büro werde ich nicht wie der Vater als meinen Lebensraum anzusehen haben in Zukunft, dachte ich. Die Leitzordner werden nicht meine Existenz einengen, wie sie die Existenz des Vaters eingeengt haben, ihn schließlich erdrückt haben. Die Leitzordner haben die väterliche Existenz zuerst eingeengt, dachte ich, dann haben sie sich auf ihn gestürzt eines Tages und ihn erdrückt. Das ist keine Vision, dachte ich, das ist die Wirklichkeit.“22

22 Thomas BERNHARD, Auslöschung. Ein Zerfall (Frankfurt/Main 1986, zit. nach 1988) 602.

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Anhang Bildnachweis Abb. 1a und b: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: S. 230: S. 276 ff.: S. 279: S. 280:

Gouverneurswohnung in Linz: Österreichisches Bundesdenkmalamt. Wohnraum der Julie Kübeck: Historisches Museum der Stadt Wien. Büro eines Beamten: Historisches Museum der Stadt Wien. Büro Metternichs: Historisches Museum der Stadt Wien. Carl Joseph Pratobevera Freiherr von Wiesborn: Österreichische Nationalbibliothek. Adolph Pratobevera Freiherr von Wiesborn: Österreichische Nationalbibliothek. Andreas Freiherr von Baumgartner: Österreichische Nationalbibliothek. Adalbert Stifter: Österreichische Nationalbibliothek. Karikatur aus dem Jahr 1848. Historisches Museum der Stadt Wien. „Linahof“ der Familie Höfken in Perchtoldsdorf: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Wohnung des Bezirkshauptmanns im Kreisamtsgebäude St. Pölten: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Inventar des Hauses Höfken: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.

Vor- und Nachsatz: Dienstlaufbahnen im Vergleich. Die Karriere des hochadeligen Franz Graf Stadion und die des bürgerlichen Dr. Ignaz Beidtel.

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Anhang

Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Anm. Anmerkung ÄSTR. Älterer Staatsrat fasz. Faszikel fl. Gulden HHStA. Haus-, Hof- und Staatsarchiv HKA. Hofkammerarchiv Kap. Kapitel MIÖG Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung MÖSTA Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs ÖMR. Österreichische Ministerratsprotokolle WST. u. LA. Wiener Stadt- und Landesarchiv WST. u. LB. Wiener Stadt- und Landesbibliothek zit. zitiert

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Quellen- und Literaturverzeichnis

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS Archivalische Quellen HAUS-, HOF- UND STAATSARCHIV WIEN: Älterer Staatsrat Kaiser Franz-Akten Kabinettskanzlei Kabinettskanzleiprotokolle Konferenzakten Nachlaß Höfken Nachlaß Plener Nachlaß Pratobevera Vertrauliche Akten HOFKAMMERARCHIV: Handschriften HOFRECHENKAMMER: Kamerale STAATSINVENTARIEN STEIERMÄRKISCHES LANDESARCHIV: Statthalterei, Gubernium, Organisierung TIROLER LANDESARCHIV: Statthalterei, Gubernium, Organisierung UNIVERSITÄTSARCHIV WIEN: Kassajournale WIENER STADT- UND LANDESARCHIV: Verlassenschaftsakten WIENER STADT- UND LANDESBIBLIOTHEK, HANDSCHRIFTENSAMMLUNG: Nachlaß Kessler Nachlaß Perth ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK, HANDSCHRIFTENSAMMLUNG: Nachlaß Perthaler

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Anhang

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Anhang

Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950, hg. v. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, red. v. Eva OBERMEYER-MARNACH (Wien-Graz-Köln 1954 ff.). Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, hg. v. Ernst MISCHLER und Josef ULBRICH, 4 Bde. (Wien 1895–97; 2. Aufl. 1905–1909). PARKINSON C. Northcote, Parkinsons neues Gesetz (Reinbek 1984). PARSONS Talcott, Evolutionäre Universalien der Gesellschaft. In: Theorien des sozialen Wandels, hg. v. Wolfgang ZAPF (Köln-Berlin 1970, 4. Aufl. Königstein/Ts. 1979). PARSONS Talcott, The Structure in Social Action (Toronto 1968). PARSONS Talcott/SHILS Edward A., Values, Motives, and Systems of Action. In: Toward a General Theorie of Action, ed. by PARSONS and SHILS (New York 1947, 2. Aufl. Cambridge, Mass. 1951). PAUSCH Alfons, Grillparzer im Finanzdienst. Ein Berufsbild des Dichters mit Selbstzeugnissen und Arbeitsbeispielen (Köln 21978). PECHTL Heinrich, Der Beamtenstand in Deutschland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. In: Zeitschrift für Allgemeine Geschichte, Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte 4 (1887) 846–869. PELLEW Jill, The Home Office 1848–1918. From Clerks to Bureaucrats (London-Edinbourgh-Melbourne etc. 1982). PERGER Richard, Die Gründung des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich – Folge eines Konflikts? In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, N. F. 53 (1987) 117–172. PERTHALER Hans, Hans von Perthaler’s auserlesene Schriften, hg. v. Ambros MAYR, 1: Biographie, lyrische Dichtungen, schöngeistige Prosa aus dem Briefwechsel (Wien 1883). PEZZL Johann, Skizze von Wien (Wien und Leipzig 31787, 41805). PICHLER Caroline, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, 3 Bde. (Wien 1844). Das politische System Österreichs, hg. v. Heinz FISCHER (Wien 1974). PRERADOVICH Nikolaus von, Die Führungsschichten in Österreich und Preußen (1804–1918). Mit einem Ausblick bis zum Jahre 1945 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 2, Wiesbaden 1955). PRESSLER M. R., Deutschlands Schulreform vom Kindergarten bis zur Hochschule in besonderer Berücksichtigung auf Sachsen (Leipzig 1850). PRESTHUS Robert, The Organizational Society (New York 1962). PROKESCH VON OSTEN Anton, Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten, k. u. k. österreichisch-ung[arischer] Botschafter und Feldzeugmeister (1830–1834) (Wien 1909). Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867 (ÖMR.), RUMPLER Helmut, Einleitungsband. Ministerrat und Ministerratsprotokolle 1848–1867. Behördenund aktenkundliche Analyse, Wien 1970). III. Abteilung: Das Ministerium Buol-

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Schauenstein, 1: 14. April 1852 – 13. März 1853, bearbeitet v. Waltraud HEINDL, mit einer Einleitung v. Friedrich ENGEL-JANOSI (Wien 1975); 2: 15. März 1853 – 9. Oktober 1853, bearbeitet und eingeleitet v. Waltraud HEINDL, mit einem Vorwort v. Gerald STOURZH (Wien 1979); 3: 11. Oktober 1853 – 19. Dezember 1854, bearbeitet und eingeleitet v. Waltraud HEINDL, mit einem Vorwort v. Gerald STOURZH (Wien 1984); 4: 23. Dezember 1854 – 12. April 1856, bearbeitet und eingeleitet v. Waltraud HEINDL, mit einem Vorwort v. Helmut RUMPLER (Wien 1987). Reader in Bureaucracy, ed. Robert K. MERTON/Alisa P. GRAY/Barbara HOCKEY/ Hanan C. SELVIN (Glencoe, Illinois 1952). REDLICH Josef, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, 1: Der dynastische Reichsgedanke und die Entfaltung des Problems bis zur Verkündigung der Reichsverfassung von 1861; 1/2: Exkurse und Anmerkungen (Leipzig 1920). REDLICH Josef, Lasser und Schmerling. Nach ihren Briefen. In: Österreichische Rundschau 19 (1909). Allgemeines Reichsgesetz- und Regierungsblatt für das Kaiserthum Österreich (1849–1852). REINALTER Helmut, Aufklärung, Freimaurerei und Jakobinertum in der HabsburgerMonarchie. In: Jakobiner in Mitteleuropa, hg. und eingeleitet v. Helmut REINALTER (Innsbruck 1977) 243–269. REINALTER Helmut, Freimaurerei und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa (Frankfurt/Main2 1986). REINALTER Helmut, Josephinismus, Geheimgesellschaften und Jakobinismus. Zur radikalen Spätaufklärung in der Habsburger-Monarchie. In: Ungarn und Österreich unter Maria Theresia und Joseph II. Neue Aspekte im Verhältnis beider Länder, hg. v. Anna M. DRABEK, Richard G. PLASCHKA und Adam WANDRUSZKA (Wien 1982) 55–70. REINALTER Helmut, Österreich und die französische Revolution (Wien 1988). REINÖHL Fritz, Geschichte der k. und k. Kabinettskanzlei (= MÖSTA, Ergänzungsband 7, Wien 1963). RENNER Karl, Zur Geschichte der österreichischen Verwaltung. Anhang: Das Land, der Landtag, die Landesregierung. Der Aufbau der niederösterreichischen Verwaltung (Wiener Neustadt 1927). RICHTER Joseph, anonym, Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt? (Wien 1787). In: Franz GRÄFFER, anonym, Josephinische Curiosa; oder ganz besondere, theils nicht mehr, theils noch nicht bekannte Persönlichkeiten, Geheimnisse, ­Details, Aktenstücke und Denkwürdigkeiten der Lebens- und Zeitgeschichte Kaiser ­Josephs II. (Wien 1848) 48–65. RIGGS Fred, Administration in Developing Countries (Boston 1964). RIGGS Fred, New approaches in the Study of Public Administration with special references to developing countries (Jakarta 1974).

389

Anhang

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Anhang

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Taschenbuch der Wiener Universität siehe Wienerischer Universitäts-Almanach. TEBELDI Albrecht (Pseudonym für Carl BEIDTEL), Die Geldangelegenheiten Oesterreichs (Leipzig 1847). THIENEN-ADLERFLYCHT Christoph, Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservativismus im Kaisertum Österreich (= Veröffentlichungen des ­Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 6, Graz-Wien-Köln 1967). THIENEN-ADLERFLYCHT Christoph, Wandlungen des österreichischen Studien­ systems im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert. Studien und Materialien (= Studien zum Wandel von Bildung und Gesellschaft im Neunzehnten Jahrhundert 12, Göttingen 1975) 27–46. TITSCHER Stefan, Ansätze zur empirischen Verwaltungsforschung in Österreich. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft 2 (1973) 129–159. TITSCHER Stefan, Struktur eines Ministeriums. Eine verwaltungssoziologische Studie zur Ministerialbürokratie (Wien 1975). TOCQUEVILLE Alexis de, Œuvres complètes, 2: L’ancien régime et la Révolution (Paris 1962). TORKE Hans-Joachim, Das russische Beamtentum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 13/1, Berlin 1967). TUVORA Franz, anonym, Briefe aus Wien von einem Eingeborenen 2 (Hamburg 1844). UHL Friedrich, Aus meinem Leben (Stuttgart und Berlin 1908). ULLMAYER Anton, Das magistratisch politische Raubnest oder die Wiener magistratische Beamtenbürokratie (Wien 1848). UNGER Wilhelm, Systematische Darstellung der Gesetze über die höheren Studien, 2. Teil (Wien 1840). Uniform und Mode am Kaiserhof. Hofkleider und Ornate, Hofuniformen und Livreen des 19. Jahrhunderts aus dem Monturdepot des Kunsthistorischen Museums Wien. Katalog der Ausstellung in Schloß Halbturn 20. Mai – 26. Oktober 1983 von Georg KUGLER und Herbert HAUPT (Eisenstadt 1983). Über deutsche Nationaltracht und europäische Civilkleidung. In: Wiener-Moden-Zeitung und Zeitschrift für Kunst, schöne Literatur und Theater 1/52 (1816) 504–508 und 513– 516. Versuch einer Darstellung der Oesterreichischen Monarchie in statistischen Tafeln, 1. Jg. (Wien 1828); Fortsetzung: Tafeln zur Statistik, siehe diese. VESQUE VON PÜTTLINGEN Johann (J. HOVEN), Eine Lebensskizze; aus Briefen und Tagebüchern, zusammengestellt mit Briefen von Nicolai, Löwe, Berlioz, Liszt u. a. seinen Freunden gewidmet (Wien 1887). VIERHAUS Rudolf, Der Aufstieg des Bürgertums vom späten 18. Jahrhundert bis 1848. In: Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hg. v. Jürgen KOCKA (Göttingen 1987) 64–78.

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Anhang

VIOLAND Ernst, Die soziale Geschichte der Revolution in Österreich, hg. v. Wolfgang HÄUSLER (Wien 1984). VÖRÖS Karoly, Beiträge zur Lebensgeschichte von Nikolaus Zmeskáll. In: Studia Musicologica IV (Budapest 1963) 381–409. WALDSTEIN-WARTENBERG Berthold, Österreichisches Adelsrecht 1804 bis 1918. In: MÖSTA 17/18 (1964/65) 109–164. WALLERSTEIN Immanuel, The Modern World System (New York 1974). WALTER Friedrich, Die österreichische Zentralverwaltung, II: Von der Vereinigung der Österreichischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848), 1/2, Teil 1: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (1780–1792); 4: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (1780–1792), Aktenstücke; 2/2, Teil 2: Die Zeit Franz’ II. (I.) und Ferdinands I. (1792–1848); 5: Die Zeit Franz’ II. (I.) und Ferdinands I. (1792–1848), Aktenstücke (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 35, 36, 42, 43, Wien 1950–1956); III: Von der Märzrevolution 1848 bis zur Dezemberverfassung 1867, 1: Die Geschichte der Ministerien Kolowrat, Ficquelmont, Pillersdorf, Wessenberg-Doblhoff und Schwarzenberg; 2: Aktenstücke zu III/1; 3: Die Geschichte der Ministerien vom Durchbruch des Absolutismus bis zum Ausgleich mit Ungarn und zur Konstitutionalisierung der österreichischen Länder 1852–1867; 4: Aktenstücke zu 111/3 (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 49, 50, 54, 55, Wien 1964–1971). WANDRUSZKA Adam, Ein vorbildlicher Rechtsstaat? In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 2: Verwaltung und Rechtswesen, hg. v. Adam WANDRUSZKA und Peter URBANITSCH (Wien 1975) IX–XVIII. WANDRUSZKA Adam, Großdeutsche und kleindeutsche Ideologie. In: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, hg. v. Robert A. KANN und Friedrich PRINZ (Wien-München 1980) 110–142. WANDRUSZKA Adam, Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog v. Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser 2: 1780–1792 (Wien-München 1965). WANGERMANN Ernst, Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781–1791 (= Österreich Archiv, Wien 1978). WANGERMANN Ernst, Joseph von Sonnenfels und die Vaterlandsliebe der Aufklärung. In: Joseph von Sonnenfels, hg. v. Helmut REINALTER (Wien 1988). WANGERMANN Ernst, Von Joseph II. zu den Jakobinerprozessen (= Zeit und Geschichte. Texte und Studium der sozialen Entwicklung, Wien-Frankfurt-Zürich 1966). WANIEK Ernestine, Die Wiener Beamtenwohnung zur Zeit Maria Theresias. Ein Beitrag zur Geschichte des ausgehenden Hofquartiersystems (phil. Diss. Wien 1931). WEBER Alfred, Der Beamte. In: Ideen zur Staats- und Kultursoziologie, hg. v. Alfred WEBER (Karlsruhe 1927) 83–93.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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395

Anhang

WURMB Otto von (Hörer des Rechts), Zur Reform der juridisch-politischen Studien in Österreich. Aus dem Nachlasse des Verfassers, seinen zahlreichen Commilitonen als Erinnerungszeichen, hg. v. einem Freunde (Wien 1870). WURZBACH Constant von, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, 60 Bde. (Wien 1856–1891). Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. Von der Revolution zur Gründerzeit 1 (= Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung, Schloß Grafenegg 19. Mai – 28. Oktober 1984, Wien 1984). ZINGERLE Arnold, Max Webers historische Soziologie. Aspekte und Materialien zur Wirkungsgeschichte (= Erträge der Forschung 163, Darmstadt 1981). ŽOLGER Ivan von, Der Hofstaat des Hauses Österreich (= Wiener Staatswissenschaft­ liche Studien 14, Wien 1917).

396

Sachregister Abgaben, Steuern (Taxen) 35, 37 f., 173 f., 178 ABGB 44, 72, 75, 124, 129, 133, 136, 270 Absolutismus 22, 40, 58 f., 64, 69 ff., 83, 84 f., 93, 95–99, 147 f., 153–172, 207 f., 222 f., 253 f., 262 f., 327 f., 345, 352, 365 Adel 35 f., 39, 59 f., 80, 89 ff., 97 ff., 104, 107f., 111, 149, 152–172, 181, 199–204, 209, 218, 220, 224 f., 228, 231–238, 241, 243 ff., 251–257, 260-263, 266–272, 293–295, 309 ff., 312 f., 315 f., 323, 344, 353 ff., 363 f., 366 Adelserhebungen / Noblitierungen 156 f., 160 f., 169 ff., 218, 224 f., 263, 270 Akademikerarbeitslosigkeit 62 f., 101 f., 171, 206, 208 f., 365 Alltagskultur (allgemein) 23, 63 f., 243, 365 f. Alltag im Amt 134, 172 f., 243–252, 255 f., 261–266, 307 f., 313 f. Alltag im Privatleben siehe Lebensformen Amt, Amtsräume 74 f, 88, 246, 261, 319, 352, 365 Ämtererblichkeit 28, 271 f. Ämterkäuflichkeit 28, 36 Ämtervermehrung 153–172 Amtsgeheimnis, -verschwiegenheit 19 f., 31, 48, 61, 68, 254, 355 Amtshaftung 52 Amtsweg 81–84 Anciennität (Dienstalter), Anciennitätsprinzip 35, 40, 45, 55, 60 f., 80, 167, 186, 202, 245, 253, 352 ff., 364, 366 Anstellungserfordernisse, Ernennungen 19 f., 40 f., 59, 68, 80 f., 83 f., 102 f., 108–112, 147, 169, 197 f., 201 f., 210, 252 f., 271 f. Arbeitszeit (Amtsstunden) 246–252, 298 f., 315, 366

Archivbeamte 239, 242, 248, 319 Ausbildung 44, 58 f., 61, 74, 77, 101–143, 145 ff., 171, 196–219, 224 f, 228, 240, 252 ff., 308 ff., 328 f., 352 f., 364, 366 f. siehe auch juridisch – politische Studien, Naturrecht, philosophische Studien, Rechtsakademien, Theresianische Akademie, Universitäten Ausbildung, private 108, 164, 198, 201 Ausbildungsreformen 101, 103–112, 114 f., 120 f., 123, 128 f., 132 f., 136 f., 139–143, 198 Aufklärung, Aufklärer 21, 26 f., 39, 42, 63 f., 86, 89 ff., 95, 101–104, 112 f., 117 f., 121, 123, 132–135, 226, 253 f., 322, 363 f. Auszeichnungen 62, 169 f., 192, 262 f., 267 Bauern, Bauernstand 42, 90 f., 197 f., 203, 261, 332 f. Beamtenethos 16, 26 f., 50–53, 64 ff., 220, 222, 253 f., 255–258, 259 f., 360 f. Beamtenvermehrung siehe Parkinsons Gesetz Beförderungen 30 ff., 62, 68, 80, 171, 269, siehe auch Anciennität Befreiungskriege 67, 125 Besoldung siehe Gehälter Bestechlichkeit, Bestechungen 30, 35, 45 f., 59, 97, 298, 306. Böhmische Beamte 218 Buchhaltungsbeamte siehe Kassa- und Rechnungsbeamte Bücherzensurkommission 148, 165, 234, 238, 240 Anm. 8, 10–12, 241 Anm. 16, 242 Anm. 33 und 35 Bürgertum, „Bürgerstand“ („Mittelklasse“), auch Verbürgerlichungsprozess 23, 35, 41 f., 59 f., 90, 94, 98 f., 101–143, 145, 152 f., 156–172, 196,

397

Sachregister

199 ff., 209, 213 f., 220, 223–238, 241 Anm. 22, 242 Anm. 35, 243–246, 251 263, 266–328, 344, 355, 364–367 bürgerliche Beamte siehe Bürgertum sowie soziale Entwicklung bürgerliche Freiheitsrechte 63, 135, 155, 221, 227 f., 344 bürgerliches Bewußtsein 196, 213 ff., 217 f., 225 f., 228 f., 298 f., 330, 366 f. Bürokratie, bürokratisches System, bürokratische Organisationen (Definitionen, Konzeptionen) 15–22, 25–40, 64 f., 97 f., 243 f., 341, 345–355, 357–362 Bürokratiediskussion 16 f., 335–356 bürokratische Herrschaft (siehe auch Staat, Staatsgewalt) 244 f., 348–355, 359 f., 363, 368 Bürokratiekritik 58, 97 f., 135 f., 144, 202 ff., 335–341, 343–347, 356, 358 Bürokratiereformen 37, 54 f., 59–62, 85–99, 363 f. Bürokratisierungsprozesse 25–40, 43 f., 59, 61, 112, 335, 338–345, 351 f., 354, 356, 358, 366 Bürokratievermehrung siehe Parkinsons Gesetz

Dienstunfähigkeit 37, 306 f. Diplomatischer Dienst 56, 110, 145 Anm. 4, 148, 162 f., 168 f., 179, 185, 199 f., 232 f., 239 Anm. 3, 261, siehe auch Staatskanzlei Disziplin(ierung) 56, 61 f., 65, 135, 331 f., 361–364; siehe auch Strafen Disziplinarverfahren, -kommission 47 f., 68 Diurnisten (Tagschreiber) 151, 155, 258 f. Familienbeziehungen 269–272, 315 f., siehe auch Heiraten Finanzbeamte 18, 46, 49, 102, 129, 147, 262, 272, siehe auch Kassa- und Rechnungsbeamte Frauen und Witwen 37 f., 45, 47, 49 f., 54, 56 f., 174, 192, 267–272, 289, 292–296, 302, 306, 307–311, 315 f. Freimaurer 32, 42, 321 ff.; siehe auch geheime Gesellschaften und Vereine Gehälter (Aushilfen, Emolumente, Remunerationen, Unterstützungen, Gnadengaben, Quartiergelder, Zulagen) 19, 30, 35–40, 45 ff., 58 f., 63, 80, 155, 160, 172–196, 209, 221, 254, 256 f., 268 f., 293 ff., 297 ff., 305 f., 355, 365 Geheime Gesellschaften 50, 57, 321 ff.; siehe auch Freimaurer und Vereine Gehorsam, Gehorsamspflicht 16, 28 f., 50 ff., 62, 65, 254, 333, 361 Gemeinden, Kommunalämter 77, 81 f., 84 Generalrechnungsdirektorium (vor 1805 Hofrechenkammer und „Obriste Staats-Controle“, heute Rechnungshof ) 148, 164, 175, 177, 179 Anm., 180 f., 186, 190, 201, 237, 241 f. Anm. 16, 19, 21 und 22, 264 f. Gerichtsbarkeit, Gerichtsdienst 54 f., 76 f., 82 f., 92 f., 109, 129 Anm. 95, 163 f., 181, 214 f., 221, 241 f., 353, 357 f., 367

Contrat social 28, 73, 131 f. Denunzianten(tum) 31, 34, 222 Dichterbeamte 249, 254, 269, 305, 307, 317 ff., 323–334, siehe auch Literatur Diener 37, 151, 181, 189, 357 Dienstbeschreibungen siehe Konduite(-listen) Dienstboten 289, 294, 301–304, 308 Diensteid 50, 57, 323 Dienstlaufbahn 39 f., 43 f., 55, 59, 74, 167 f., 203, 254, 261, 333 f., 351 f., 354 f., 366 Dienstprüfungen 39f., 43 f., 61, 306 Dienstreisegebühren (Diäten) 35, 47, 187, 191 f.

398

Sachregister

Geschenke, Geschenkannahme siehe Bestechlichkeit und Korruption Geselligkeit 289 f., 293, 307–329, 331 siehe auch Salonkultur, Vereine Gesetzessammlungen, Gesetze 20, 25, 62, 71 f., 95 f., 113, 115, 118, 133, 136, 153, 257, 353, 358, 364 Glücksspiele 38 Grundentlastung 89–93 Grundherren, Grundobrigkeit (Herrschaftsbeamte) 30, 45, 76 ff., 80 ff., 84, 89–93, 169, 353

240 Anm. 6–9, 11–12, 241 Anm. 13, 16 und 18, 248, 264 f., 271 Hofkanzlei, Galizische 148, 163 f., 169, 236 Hofkanzlei, Illyrische 148, 163 f., 183, 236 Hofkanzlei, Siebenbürgische 148, 163 f., 180, 183, 190, 236, 248 Hofkanzlei, Ungarische 94, 148, 163 f., 183, 190, 236, 248 Hofkommissionen 42, 81, 90, 92 f., 124, 148, 191, 239 Anm. 4, 240 Anm. 11, 242 Anm. 28, 248 Hofkriegsrat (Ministerium des Krieges) 148, 164 ff., 179 f., 179 Anm. 70, 182, 190, 237, 242 Anm. 25–32, 248, 264 f., 269, 275 Hofquartiere siehe Wohnungen Hofräte 84, 87, 157 f., 180, 182 Anm. 81, 185 f., 190, 239 Anm. 5, 242 Anm. 23, 269, 275, 293 f., 297 f., 304 f. Hof(Zentral)stellen (heute Ministerien) 20 f., 68 ff., 78, 81 f., 83, 86, 89, 92, 110 f., 147 f.–153, 157 ff., 175–196, 209 f., 217 f., 231–242, 264; siehe auch Bücherzensurkommission, Generalrechnungsdirektorium, Hofkammer, Hofkammer in Münz- und Bergwesen, Hofkanzlei, BöhmischeÖsterreichische, Galizische, Illyrische, Siebenbürgische, Ungarische, Hofkommissionen, Hofkriegsrat, Justizstelle, Oberste, (Geheimes) Kabinett, Polizeihofstelle, Oberste, Staatskanzlei, Staatskonferenz, Staats- und Konferenzministerium, Staatsrat, Studienhofkommission

Hauslehrersystem 198, 205, 298, 333 Heiraten, Ehen 38, 49, 267–272, 289, 292, 304 ff., 308, 310, 333 Heizer 38, 148, 178 Herrschaftsämter, Herrschaftsbeamte siehe Grundherren Hierarchie siehe Dienstlaufbahn „Hirtenbrief“ Josephs II. 26 f., 29, 32, 61 Anm. 171, 65, 87 Hof, höfische Gesellschaft 244, 261 ff., 266, 309; siehe auch Souverän Hofdienst 28, 34, 64, 66 ff., 71 Hofkammer (Ministerium der Finanzen) 69, 75, 78, 91 f., 148, 164, 168, 172, 175, 179, 180, 185 ff., 190, 214, 219, 235, 239 Anm. 5, 240 f. Anm. 6 und 16, 241 f. Anm. 16–18 und 26, 228, 255, 259, 264, 269, 271 f., 313 f., 327, 333 Hofkammer in Münz- und Bergwesen (Ministerium für Landeskultur [und Bergwesen], für verstaatlichte Industrie) 185, 235, 241 Anm. 16 und 20, 248, 313, 322 Hofkanzlei, Böhmisch-Österreichische, Vereinigte (Ministerium des Inneren) 42, 78, 89 f., 92, 95, 148, 157 f., 165, 179 ff., 186, 190, 200, 234, 239 Anm. 5,

Idealtypen 15 f., 345 f., 348, 354, 355 f. Instanzenzug 49, 78, 81 ff., 95, 153 f., 353, 355 f. Institutionalisierung siehe Bürokratisierungsprozesse

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Sachregister

Jakobinerprozesse, Jakobinismus 79, 94 ff., 226 f., 322, 330, 364 josephinische Beamte 42, 64 ff., 219, 228, 256 Juden 73, 172, 315 f. juridische (juridisch-politische) Studien 39 ff., 103, 106–143, 163 f., 188, 197 ff., 201, 204 f., 211, 214 f., 272, 328, 363 f.; Lehrfächer 72, 93, 95, 108 f., 110, 112–143: siehe Naturrecht Juristen siehe Ausbildung und juridischpolitische Studien Justiz siehe Gerichtsbarkeit Justizstelle, Oberste (Ministerium der Justiz) 92, 148, 163 f., 179 Anm. 70, 181, 190, 234, 239 Anm. 5, 240 Anm. 7, 10 und 12, 248, 264 f., 270

Konstitution, Konstitutionalismus 42, 63 f., 73, 75, 95 f., 148, 153, 172, 222 f., 226 f., 365 Konsularämter 46 Kontrolle 22, 30–33, 40–43, 49 f., 53 f., 61, 63 f., 69 f., 77–80, 84 f., 86, 106, 134, 153 ff., 208, 239 Anm. 2, 355, 365 Konzeptbeamte 87 f., 110 f., 129, 145, 149, 166 f., 178, 187, 206, 247 f., 291, 294, 298 Korruption 30, 96 f., 298; siehe auch Bestechlichkeit und Unterschlagungen Kreisämter, Kreisbeamte 35 Anm. 41, 36, 39, 48, 78, 80 f., 91 f., 167, 192, 249 Kriege, napoleonische 45, 51, 68, 186 ff., 195, 242 Anm. 32, 256 f., 297 kulturelle Gewohnheiten 152 f., 213–218, 228 f., 244 f., 307–321, 326–333, 365 f. kulturelle Identität 196–218, 229, 243 f.

Kabinett, Geheimes 81, 190, 264 f. Kaffeehauskultur 249, 290, 299, 306, 318 Kanzleibeamte 87 f., 162–165, 167 f., 177 f., 180 f., 205 ff., 247–251 kapitalistisches System 254, 345, 347 Karriere siehe Dienstlaufbahn Kassa- und Rechnungsbeamte (Buchhaltungsbeamte) 46, 128, 147, 167, 241, 242, 247

Länder, „Königreiche und Länder“ 74 f., 82 Länderstellen (Gubernien, später Statthaltereien) 77 f., 81 f., 89, 149, 167, 264, 269, 291 Landstände, Landtage 43, 77, 81 f., 91 ff., 221, 249, siehe auch Konstitution land- und forstwirtschaftliche Beamte 127 Lebensformen, Lebensstile 96,107 f., 152 f., 160 f., 169, 196 f., 225 f., 228 f., 243 f., 247, 255, 261 f., 265–334, 365 f., siehe auch Geselligkeit, Kaffeehauskultur, kulturelle Gewohnheiten, Musik, Salon, Vereine, Wohnen Lebensstandard 293–307 Leibeigenschaft 89 Leistungsprinzip 61, 80, 244, 252 f., 256– 260, 307, 355 Liberalismus 42, 88, 219 ff., 225 ff., 271 Literatur, Literaten 18 ff., 79 ff., 117, 137 f., 165, 198, 211, 213–218, 245, 267, 309 ff.,

Kinder und Waisen 37 f., 45, 47, 49 f., 54, 56 f., 63, 192, 269, 272, 289, 305, 315 f. Kirche, katholische, Katholizismus 72 f., 86, 107, 131–134, 172, 270 f., 318 Kirchenpolitik 88 f., 106 Kirche, protestantische, Protestantismus 73 f., 88, 172 Kodifikationen 72 f., 115, 128, 133 siehe auch ABGB Kollegialitätsprinzip 52, 54, 64, 69 ff., 348, 353, 358 Konduitelisten (Dienstbeschreibungen) 19 f., 31 ff., 41, 53 f., 77, 79 f., 83, 222, 254

400

Sachregister

317, 320 f., 324–334, 356–362, 367;Theater 305, 309, 311, 315, 317, 319 ff.

Parkinsons Gesetz 22, 102, 144–155, 168, 172–196, 231–240, 242, 258 f., 337, 339 f., 365 Parteien, politische 367 Pensionen, Pensionierungen 29, 33, 37 f., 45, 49, 54, 57, 63, 80, 173 f. Personal- und Besoldungsstand siehe Gehälter, „Rang und Charakter“, Rang / Diätenklassen Periodisierungen 59–64, 357 f. philosophische Studien (allgemein) 125, 328, 142 f., Lehrfächer 117, 122 f., 139 f. politische Beamtenaktivitäten 50, 361, 366 Polizei 42 f., 54, 73, 79, 83, 92 Anm. 29, 321, 323 Polizeihofstelle, Oberste (Polizeiministerium) 148, 164, 185, 191, 238, 240 Anm. 11, 242 Anm. 33–35, 264 Polizeistaat 96 f., 154, 365 Praktikanten, Konzeptpraktikanten (Beamtenanwärter) 151, 167, 178, 181, 187 Präsidenten (Kanzler) der Hofstellen (Minister) 84, 91, 145, 147 f., 157, 162, 168 f., 179 f., 182 f., 185, 188 ff., 201 Anm. 138, 239 Anm. 5, 240 Anm. 11, 241 Anm. 16, 242 Anm. 23 und 26, 248, 275 Privilegien, Privilegierung 34, 44 f., 47, 61 ff., 202 ff., 223, 343, 353, 364 Professionalisierung 60 f., 163 f., 196 f., 354 f. Protektion 56, 59, 86, 69 f., 97, 102 f., 173, 181, 269, 271 f., 310

Mädchenerziehung (Beamtentöchter) 272 Magistratsbeamte 77, 149 Mentalität, „geistiges Bewußtsein“ 23, 61 f., 65, 95, 134, 220 f., 243 f., 259 ff., 266, 319 f., 326 ff., 331–334, 347, 360 f., 365 f., siehe auch kulturelle Identität und Nationalbewußtsein Militär (Offiziere) 86, 156, 170 f., 211, 242, 29–32, 265, 269 ff., 312 f., 340 Militärbeamte 268 Militärbehörden 162, 180 Militärbudget 194 Militärdienst 34, 45, 62 Minister siehe Präsidenten der Hofstellen Ministerium des Handels 265, 272, 313, 333 Modernisierung (Bürokratie, Gesellschaft, Staat) 85 f., 93, 106, 112, 245 f., 336, 342, 345, 347, 349 ff., 357, 363 f. monarchisches Prinzip 73 monokratisches Prinzip 60 f., 77 f., 348, 357 f., 367 Montanbeamte 127 Musik 270, 309 ff., 315, 317, 320 f., 328 Nation, Nationalbewußtsein, Nationalismus 64, 67, 71–75, 209–220, 226 f., 367 nationale Herkunft 209 Nationalsozialismus 16, 338, 361 Nationalversammlung, Frankfurt 219 f. Nationsbegriff 75 f., 135 Naturrecht 73, 108 f., 112 f., 118, 124 f., 128–135, 253 f. Nebenbeschäftigungen 50, 57, 298 f. Neoabsolutismus 70 f., 195 Anm. 116, 333, 357 f., siehe auch Absolutismus

Quellen, historische 19 f., 25 Anm. 2, 31 f., 145, 172 ff., 186, 209 f., 245, 258, 268, 272, 275 f., 309 f., 315–319, 330 f. „Rang und Charakter“ 35, 62,178, 245 f., 248 f., 262 ff., 292 Rang- und Diätenklassen 145, 172–196, siehe auch Gehälter

Orden siehe Auszeichnungen

401

Sachregister

Rationalisierungsprozesse 16, 85, 137 f., 341 f., 344, 347–353, 356 f., 359 ff. Rechtsakademien 197, 201 Rechtsstaat (Rechtsschutz) 81 f, 85–99, 153 ff., 352 f., 364 f.

Staatsbewußtsein 66 f., 72, 75 f., 211 (Staats)buchhaltungen siehe Generalrechnungsdirektorium Staatsbürger(schaft) 28, 44, 53, 95, 113, 155, 223, 344 Staatsdienst (öffentlicher Dienst) 26–29, 34, 36, 50 f., 64–85, 102–108, 120 f., 123, 128 f., 163 f., 196 f., 200 ff., 205 f., 245 f. Staatsideologie, Staatspatriotismus 34, 64–85, 112–126, 132, 211 f., 219, 255 f., 366 f. Staatsinterventionismus 93 Staatskanzlei (Hof- und Staatskanzlei; Ministerium des Äußern und des kaiserlichen Hauses), Staatskanzler und Minister des kaiserlichen Hauses 69, 78, 148, 161 f., 179, 185 f., 190 f., 214, 219, 232 f., 239 Anm. 3, 248, 261 f., 242 f., 269 ff., 289, 307 ff., 313, 320 Staatskirchentum 115 Staatskonferenz, Staats- und Konferenzminister(ium) 147 ff.,162, 169, 180, 190 ff., 200, 231 f., 239 Anm. 2, 264 f. Staatsphilosophie 74 f., 130–134 f., 253 f., siehe auch Naturrecht Staatsräson 22, 253 f., 361 Staatsrat (Staatsräte) 78, 81, 83 f., 91 ff., 149, 163 f., 166 f., 172 f., 180, 231 f., 239 Anm. 2, 251, 262, 264, 320 Staatsreformen siehe Reformen Staatsstrukturen, obrigkeitliche 93, 97 f., 363 f., 367 Städte 23, 77, 82 Statthaltereien siehe Länderstellen Stipendien 198 ff., 255 Strafen (Entlassung, Ermahnung, Gehalts- und Pensionsentzug, Suspensionen, Versetzungen, Warnungen) 29 ff., 33 ff., 38, 45–48., 56 f., 69, 322 f. Strafgesetzbuch 47 f., 49 f.

Salonkultur 160, 203, 229, 267, 290 f., 311–316 f., 319 ff., 324 ff., 366; siehe Geselligkeit Schulden (Verschuldungen) 30, 38, 45, 57, 181, 298 Selbstmord 50 Selbstverständnis siehe Mentalität Sprachstil 117 Souverän (Fürst, Monarch) 21 f., 28 f., 40 f., 57, 64 f., 67–71., 81 f., 83 f., 86 f., 96–99, 107, 131, 192 f., 200, 211, 333, 344, 346, 352 f., 363, 367 sozialer Aufstieg 63, 167–171, 197, 202, 246, 261, 266, 272, 365 f.; siehe auch Bürgertum soziale Differenzen 202 ff., 304 f. soziale Entwicklung, soziale Herkunft 17, 22 f., 66, 107 f., 147 ff., 151–172, 180, 192, 196–218, 229–238, 241 Anm. 22, 242 Anm. 35, 243, 267–334, 336 f., 346, 355, 365 ff.; siehe auch Adel und Bürgertum Sozialprestige 96 ff., 111, 138, 167, 196, 256 f., 259 f., 263, 266, 269, 328 Sozialverhalten siehe Alltagskultur, Familienbeziehungen, Heiraten, Lebensformen, Lebensstandard, kulturelle Identität und Mentalität Spitzeldienste 79, 204 Sportel- und Tantiemen 35 f. Staat, Staatsgewalt 20 f., 28 f., 72–76, 82–85, 101 f., 105, 112, 131, 137 f., 196, 199 f., 208, 211, 218 f., 222 f., 253 f., 343 f., 346–350, 357 f., 360 f. Staatsbankrott 186

402

Sachregister

Straffälligkeit 30 f., 45 ff., 305 f. „subalterne“ (niedere) Beamte 57 f., 62 f., 149, 178, 206 f., 209, 221 f., 248, 293, 297 f. Studienhofkommission (Ministerium für Kultus und Unterricht, Unterichtsministerium) 95, 148, 234, 239 Anm. 5, 240 Anm. 6–8, 11 und 12, 242 Anm. 35, 265

Verwaltung, Verwaltungssystem, Verwaltungsbehörden 20 f., 27, 35, 38 ff., 54 f., 58, 78 f., 81 ff., 89 f., 92, 95 f., 109 f., 135 f., 144–153, 155 f., 169, 200 f., 205, 208 f., 220, 239–242, 244 f., 315 f., 323 f., 341 ff., 347 ff., 352–359, 367 f. Verwaltungsbudget 181, 189, 193, 196, 355 f. Verwaltung, innere (politische) 72 f., 75 f., 81 ff., 112 f. Verwaltung, landesfürstliche 92 f. Verwaltung, Rechtspflege 109 f., 112 f. Verstaatlichung 76 f., 84, 86 Volkssouveränität 73

technische Beamte 126 ff., 332 f. Teuerungswellen 45, 171, 186, 188, 297, 305 f. Theorien siehe Konzeptionen, Typologie, Idealtypen Theresianische Akademie 108, 199 ff., 272 Titel 62, 169 f., 263 Töchter (siehe auch Kinder) 272, 298 Tugenden, adelige 246, 253, 257, 260 f. Tugenden, bürgerliche 110, 220, 225 f., 243, 251–262, 295, 358, 366

Weisung, Weisungsrecht 51 f., 62, 64, 88, 365 Weltkrieg, Erster 340 Weltkrieg, Zweiter 16, 173, 335 ff. Werte, gesellschaftliche 342 f., 363 f.; siehe auch Tugenden, adelige und bürgerliche Widerstand 16, 28, 42, 92 Anm. 29, 94, 96, 132 f. Wiener Kongreß 196 wirtschaftliche Verhältnisse siehe Vermögensverhältnisse Wirtschaftspolitik, wirtschaftliche Prozesse 93, 226, 253 f., 338, 347 Wohnen, Wohnungen 60, 188–192, 245 f., 268 f., 273–293, 297 Anm. 88, 301–305, 307 f., 317 f., 352, 365 f.

Universitäten,(Studien, Professoren und Studenten) 39 f., 43 f., 60, 88, 96, 101, 104–143, 145 ff., 164, 167 Anm. 48, 188, 196-202, 205 f., 208 -212., 216 f., 219, 222, 224, 255, 296, 328, 329, 333, 352, 355, 365 Uniformen 62, 262–265 Unkündbarkeit 28, 48 f., 64, 68 Unterschlagungen 38, 45 f., 181, siehe auch Korruption Untertansverhältnis 44 f. Unvereinbarkeit 43, 61 Urlaub 35, 62, 247

Zehent- und Robotablöse siehe Grundentlastung Zensur (Zensoren) 41 f., 49, 73, 79, 86, 134, 165, 226 f., 255 f., 325, 327 f., 332 Zentralbehörden siehe Hofstellen

Verbürgerlichung siehe Bürgertum Vereine (Gesellschaften) 57, 203, 314 f., 323 f. Vermögensverhältnisse 152, 160 f., 172– 196, 205, 268, 292 ff., 297–307, 310 f., 365 f.

403

Ortsnamenregister Agram (Zagreb) 197

Innviertel 82 Istrien 82 Italien 135, 209, 217, 241 Anm. 13, 270

Bayern 44 Anm. 94, 51 Berlin 74 Anm. 37 Böhmen 135, 212, 216, 218, 332 Brünn (Brno) 74, 106, 109, 197 Bukowina 25

Kaltenleutgeben 314 Kaschau (Kassa) 197 Kecskemét 197 Anm. 119 Klagenfurt 74, 262 Koblenz 302 Konstantinopel (Istanbul) 56 Krakau (Krakow) 197 Kroatien 135 Küstenland 82

China 137 Dalmatien 82, 154, 353 Debreczin (Debrecen) 197 Anm. 119 deutsche Staaten, Heiliges Römisches Reich, Deutsches Reich, Deutschland 27, 59, 67, 74, 96, 107, 113, 121, 137, 209, 211 f., 213–220, 224, 239 Anm. 4, 313, 337, 340, 361

Laibach (Ljubljana) 125 Landshut 51 Lemberg (L‘viv, L‘vov) 74, 94, 106, 197, 217, 272 Leoben 127 Linz 216, 291 Lombardo-Venetien 82, 209, 212, 353 London 154 Löwen (Leuven) 106

England 74, 99, 104, 154, 179, 185, 247, 261, 356 Eperjes 197 Anm. 119 Erlau (Eger) 197 Frankfurt/Main 219, 221 Frankreich 59, 74, 76, 82, 99, 102, 179, 185, 214, 247 Freiburg/Breisgau 106, 197 Fünfkirchen (Pecs) 197

Mähren 89 Mariabrunn 127 Maria Enzersdorf 270 Marmarosziget 197 Anm. 119 Moldau (Provinz) 46

Galizien 77, 89, 164f., 210, 358 Gießhübel 314 Görz und Gradisca 82 Graz 29, 106, 109, 127 197, 217, 275, 306 Großwardein (Nagyvarad) 197

Neapel 179 Niederlande 74, 179, 185 Niederösterreich (Österreich unter der Enns) 91, 95, 149, 221, 247, 249, 269 f. 272

Heiligenkreuz (Niederösterreich) 314 Oberösterreich (Österreich ob der Enns) 93 Ofen (Buda) 197 Anm. 119

Iglau (Jihlava) 168 Innsbruck 82, 106, 109, 197

405

Ortsnamenregister

Olmütz (Olomouc) 74, 106, 109, 197

Steiermark 42 Anm. 74, 213 St. Pölten 275

Padua 197 Pápas 197 Anm. 119 Paris 154, 267 Passau 307 Pavia 197 Perchtoldsdorf 275, 313 f. Pest 94, 106, 197 Polen 135, 163, 210, 212 Prag (Praha) 106, 126 f., 171, 197, 215 f. Preßburg (Pozsony, Bratislava) 197, 272 Preußen 41, 59, 71 Anm. 27, 74, 76, 104, 107, 160, 179, 185, 202 ,349 Příbram (Böhmen) 127

Temesvár (Timişoara) 197 Anm. 119 Teschen (Cesky-Tĕšín und Čieszyn) 90 Tirol mit Vorarlberg 82, 93, 212 Trier 302 Triest 82 Türkei 56, 179 Ungarisch-Altenburg (Mosonmagyaróvár) 127 Ungarn 61, 68, 135, 151, 163, 165, 209, 212 1, 217, 346 f. UNO 343, 346 USA 335

Raab (Györ) 197 Rußland 104, 107, 179, 185

Venedig (Venezia) 74 f., 179, 213 Verona 234 Anm. 13

Sachsen 179, 185 Salzburg 82, 93 Sárospatak 180 Anm. 119 Schemnitz (Banská Štiavnica) 127 Schweden 179 Siebenbürgen 25, 151, 163 ff. Spanien 179, 185, 308 f.

Washington D. C. 13 f., 335 Wien 20 f., 23, 36, 74, 89, 92, 94, 106, 110, 113, 116, 121 f., 126, 128, 136, 144, 149, 156, 167, 179 Anm. 70, 181, 189, 196– 200, 209 f., 214 ff., 217, 246, 255, 260, 267 f.,270–274, 298, 302, 313, 320, 333

406

Namenregister Adamovich, Ludwig 60 Anm. 169 Almond, Gabriel 342 Altenhofer, Norbert 311 f. Andrian-Werburg, Viktor Freiherr von 151, 154 ff., 212, 224, 260 Ariosto, Ludovico 214 Arneth, Alfred Ritter von 182 Anm. 79, 221 Anm. 217 Arnstein, Fanny (Franziska) Freiin von 309 Auersperg, Familie 310 Auersperg, Anton Graf siehe Anastasius Grün Auersperg, Heinrich Reichsgraf 157 Auersperg, Joseph Maria Reichsgraf 157

Bendix, Reinhard 337 Anm. 5 Bergmann, Joseph von 270 Berlioz, Hector 251 Anm. 29 Bibl, Viktor 91 Billet von Billenberg, Leopold 94 Bissingen-Nippenburg, Cajetan Graf 195 Anm. 116 Blau, Peter M. 336 Blumauer, Aloys 326 Blümegen, Heinrich Cajetan Graf 157 Bodi, Leslie 22 Böhmer, Justus Henning 125 Borch, Herbert von 16 Born, Ignaz von 322 Braindl, Karl 114 Braudel, Fernand 20 Brettner-Messler, Horst 172 Anm. 62 Brod, Max 357 Anm. 1 Bruck, Karl Ludwig Freiherr von 313 Brünner, Christian 17 Brunner, Otto 72 f., 253, 261 Buol-Schauenstein, Carl Ferdinand Graf 71, 153 Anm. 28 – ok?, 192 Anm. 105 Buol zu Bernburg, Franz Freiherr von 158 Burckhardt, Jacob 350

Bach, Alexander Freiherr von 68 Anm. 13, 71 Anm. 25, 200 Anm. 133, 226 Anm. 233, 250, 258, 325 Balzac, Honoré de 359 Barany, George 185 Anm. 84, 346 Barth-Barthenheim, Johann Ludwig Ehrenreich von 76 Batthyany, Familie 310 Bauer, Roger 329 Bauernfeld, Eduard von 19, 165, 217 f., 221 f., 227, 229, 249, 259, 290, 318, 324 f., 326 f., 330 Baumberg, Johann Florian 186 Baumgartner, Andreas Freiherr von 157, 168, 204 Anm. 143, 332 ff. Beales, Derek 86 Anm. 3 Beethoven, Ludwig van 49, 320 f. Beidtel, Carl (Pseudonym: Albrecht Tebeldi) 207 Beidtel, Ignaz 36, 38, 42, 47, 52, 68, 70, 74 f., 79 ff., 83 f., 88, 107–110, 156 f., 166, 169, 198, 202, 207, 226 Anm. 234, 256 ff., 262, 298, 304

Caën, Augustin von 78 Calderón de la Barca, Pedro 214 Calice, Familie 271 Anm. 28 Castelli, Ignaz Franz 70, 198, 221 Anm. 217, 229, 249, 259, 290, 317 Anm. 140, 318, 323–326 Chamisso, Adalbert von 216 Chotek, Johann Graf 157 Clary, Familie 310 Collin, Heinrich Joseph von 49, 254 ff., 269, 326 Collin, Matthäus von 94, 255 f., 326 Colloredo, Familie 310

407

Namenregister

Colloredo-Mansfeld, Ferdinand Graf 70 Anm. 24 Colloredo-Mansfeld, Vater und Sohn 325 Comte, Auguste 350 Anm. 10 Condorcet, Antoine 350 Anm. 10 Crozier, Michel 336 Csáky, Moritz 197 Anm. 119 Czartoryski, Familie 310 Czeike, Felix 215 Anm. 189 Czoernig, Carl von 221 Anm. 222

Fichte, Johann Gottlieb 214, 216 Fischer, Heinz 60 Anm. 169 Fölsch, Joseph Edler von 158 Fouqué, Friedrich Heinrich Karl 255 Fradeneck, Franz Ritter von 158 Fraissler, Alfred 136 Anm. 120 Franz I. Stephan von Lothringen 173 Anm. 66 Franz II. (als Römisch-deutscher Kaiser), I. (als Kaiser von Österreich) 21, 50–54, 60, 63, 67, 69, 70 Anm. 24, 79–84, 94, 111, 123, 125, 129–134, 136, 156 f., 169 f., 174, 226 f., 254 ff., 264, 272, 322 ff., 330 Anm. 197, 351 Franz Carl, Erzherzog von Österreich 239 Anm. 2 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 192, 263, 367 Friedrichs, Carl J. 350 Fries, Moritz Christian Graf 325

Danhauser, Johann 292 Dante Alighieri 214 Dickens, Charles 359 Dietrichstein, Familie 293, 310 Dilthey, Wilhelm 350 Doblhoff-Dier, Anton Freiherr von (der Ältere) 157 Doblhoff-Dier, Anton Freiherr von (der Jüngere) 325 f. Doblhoff-Dier, Joseph Freiherr von 270 Droßdick, Wilhelm Freiherr von 158

Geibel, Emanuel 216 Gellert, Christian Fürchtegott 214 f. Gentz, Friedrich von 260, 326 Geymüller, Familie 304 Gilm, Hermann 326 Gilowsky von Urazcwa, Cajetan 94 Glück, Eva 17 Goethe, Johann Wolfgang von 15, 41, 213–216 Gold, Joseph Edler von 157 Gönner, Nikolaus Thaddäus 51 Gotthardi, Franz 94 Grab, Walter 94 Grassalkowicz, Familie 310 Greiner, Franz Sales von 158, 271 Grillparzer, Franz 5, 19, 71 Anm. 28, 74, 186 ff., 198, 215 ff., 219, 221 Anm. 217, 229, 250 ff., 259, 273, 275 Anm. 42, 290, 307, 318–320, 323–327, 329 f. Großmann, F. G. W. 295

Eger, Friedrich Freiherr von 90, 96, 158, 256 Egger, Franz von 130 ff. Egger, Rainer 172 Anm. 62 Eisenstadt, Shmuel Noah 21 f., 98 f., 346 Elias, Norbert 243 f., 331, 349 Endlicher, Stefan Ladislaus 325 Engel-Janosi, Friedrich 325 Eötvös, Familie 272 Esterházy, Familie 293, 300 f., 310 Febronius, Justinus 133 Felder, Cajetan von 214 f., 295 Fellner, Fritz 155 Anm. 31 Ferdinand I., Kaiser von Osterreich 81 Anm. 68, 157, 239 Anm. 2 Fetscher, Iring 344 Anm. 38 Feuchtersleben, Ernst Freiherr von 325

408

Namenregister

Grün, Anastasius (Pseudonym für Anton Graf Auersperg) 227

Hoffmann, Alfred 18 Höfken, Gustav 229, 250, 275, 313–317, 321, 329 Anm. 191 Hohenlohe-Laupenburg, Gustav Prinz 242 Anm. 32 Hoke, Rudolf 18, 26 Anm. 3 Höniger, Franz 158 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 215 Horkheimer, Max 340, 345 Hormayr zu Hortenburg, Joseph Freiherr von 215, 326 Höslinger, Clemens 320 Hübner, Josef Alexander Graf 271 Humboldt, Wilhelm von 137, 202, 219 Hummel, Ralph P. 338 f. Hupka, Christoph 113

Haan, Ludwig von 250 Habermas, Jürgen 340 Habsburg, Familie 331 Haerdtl, Josef 221 Anm. 217, 226 Anm. 233 Hagedorn, Friedrich von 214 Hajdu, Lajos 41 Halm, Friedrich (Pseudonym für Eligius Freiherr Münch-Bellinghausen) 326 Hammer, Josef (sen.) 29 Hammer-Purgstall, Josef von (jun.) 29, 46, 55 f., 260, 269, 323, 325 f., 329 Hanisch, Ernst 18 Hanslick, Eduard 55, 262, 295, 317 Anm. 140, 320 Anm. 151, 327 Hartig, Franz de Paula 84 Hasner Ritter von Artha, Leopold 215 f., 219, 221 Anm. 217, 258, 298 Anm. 93 Hasslinger-Hasslingen, Benedict von 270, 275 Hattenhauer, Hans 52 Hebbel, Friedrich 216 Hebenstreit, Franz 95 Heckenast, Gustav 334 Hegel, Georg Friedrich 74, 213 f., 216, 344 Heineccius, Johann Gottfried 113, 125 Heinke, Franz Joseph von 88, 158 Henikstein, Karoline von 269 Henning, Hansjoachim 224 Herder, Johann Gottfried von 215 f. Herzmanovsky-Orlando, Fritz von 19, 191 Hild, Ludwig 292 Anm. 62 Hintze, Otto 345 Hobsbawm, Eric J. 152 Hock, Carl Ritter von, 93 Anm. 30 172, 221 Hofbauer, Klemens Maria 271 Anm. 22 Hoffinger, Johann Baptist von 172, 220, 271

Inkeles, Alex 342 Inzaghi, Carl Graf 158 Janik, Allan 252 Janos, Andrew 347 Jarcke, Carl Ernst 75 Jean Paul (J. P. Friedrich Richter) 215 f. Johann, Erzherzog von Österreich 162, 242 Anm. 26ff., 260, 323 Johanus, Franz Joseph 26 Anm. 2 Joseph II., Römisch-deutscher Kaiser 21, 25–39, 41ff., 47, 49, 51 ff., 61, 65–69, 72, 77 f., 83, 86–91, 94 f., 105, 109 ff., 114, 116, 118 f., 123 f., 145, 155 ff., 161, 165 f., 169, 173, 181, 186, 193,195, 199, 202, 219–229, 245 f., 248, 253 f., 256, 267, 272, 293 Anm. 69, 296 f., 321, 351, 357, 363, 367 Jüstel, Alois 88, 137 Kafka, Franz 11, 19, 357–362 Kant, Immanuel 130, 133, 214, 216, 355 Karl, Erzherzog von Österreich 162, 195, 242 Anm. 26 und 30, 259

409

Namenregister

Karl der Große, Römisch-deutscher Kaiser 213 Kaunitz, Familie 310 Kaunitz, Leopold Graf 158 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst 61, 185, 310 Kees, Bernhard Edler von 88 Kessler, Erasmus 215, 221 Anm. 117, 229, 248, 269, 289 f., 298, 317, 318 Anm. 145, 317–320 Khevenhüller, Familie 310 Kink, Rudolf 134 Kinsky, Familie 310 Kleist, Heinrich von 214 Klingenstein, Grete 105, 112 Anm. 32 Klinkowström, Friedrich August von 271 Klopstock, Friedrich Gottlieb 215 Kneucker, Raoul 17 Knittler, Herbert 47 Anm. 108 Kocher, Gernot 18 Kocka, Jürgen 228 Anm. 240, 347 Koller, Joseph 158 Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf 70 Anm. 24, 162, 169, 203, 218, 239 Anm. 2 Körner, Theodor 215 Koselleck, Reinhart 15 Anm. 3, 76 Kotzebue, August von 215 Krauß Elislago, Anton Joseph Emanuel von 75 f., 93 Anm. 31, 214, 269, 317 Anm. 140 Kreisch, Joseph von 158 Kreisky, Eva 17 Kreißle von Hellborn, Heinrich 258 Kressel, Franz Karl Freiherr von 88 Kropatschek, Joseph 21, 25 Anm. 2, 118 Kübeck von Kühau, Aloys 157 Kübeck von Kühau, Carl Friedrich 91, 157, 168, 185, 195, 204, 226 f., 258, 270 Anm. 14, 275 Anm. 42, 318 Anm. 144, 320 Anm. 153

Kübeck, Julie (geh. Lang) 275, 292 Kübeck, Max 292 Lacan, Jacques 15 Lanckoronski, Casimir Graf 158 La Fontaine, Jean de 214 Lampedusa, Giuseppe Tomaso di 5 La Palombara, Joseph 21 Anm. 19 Lasser, Ritter von Zollheim, Joseph 219 Laube, Heinrich 212 Lechner, Sylvester 94, 255 Legendre, Pierre 15, 19, 101, 191 Lehrbach, Ludwig von 157 Leidenfrost, Charlotte 290 ff. Lengauer, Hubert 326 Lenin, Wladimir Iljitsch 343 ff. Lentze, Hans 137 Anm. 123 Leopold II., Römisch-deutscher Kaiser 32, 40 ff., 69, 77 ff., 90, 94, 111, 115, 166, 170, 198, 255, 263 Lerner, Daniel 342 Lessing, Gotthold Ephraim 214 Lettner, Gerda 42, 78 Anm. 52 Lhotsky, Alphons 137 Lichtenberger, Elisabeth 269, 274 Liechtenstein, Familie 293, 310 Ligne, Charles Joseph Fürst de 309 Ligne, Familie de 310 Limbeck, Johann von 158 Lipsius, Justus 253, 254 Anm. 42 Liszt, Franz von 251 Anm. 29 Lobkowitz, Familie 275 Anm. 46, 293, 310 Lorenz, Martin 88 Löwe, Karl 251 Anm. 29 Luca, Ignaz de 121, 125, 293 Anm. 69 Ludwig, Erzherzog von Österreich 239 Anm. 2, 242 Anm. 31 Luhmann, Niklas 341 Anm. 21 Mährenthal, Joseph von 78 Mantl, Wolfgang 17

410

Namenregister

Marcuse, Herbert 341 Margelik, Wenzel von 158 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 22, 36 Anm. 47, 37, 60, 69, 72, 77, 82, 107 f., 117, 119, 122, 178, 186, 189, 246, 275 Martini, Karl Anton von 27, 96, 113, 115, 118, 119 Anm. 56, 121 ff., 130 ff., 134 Marx, Karl 344 f. Maximilian, Erzherzog von Österreich 242 Anm. 29 und 30 Mayntz, Renate 16 Mayr, Josef Karl 48 Anm. 113, 173, 180, 268 Anm. 9, 272 Anm. 27 Mayrhofer, Ernst 17 Mayrhofer, Johann 165, 291 Megerle von Mühlfeld, Johann Georg 26 Anm. 2, 62, 71 Megner, Karl 18, 151Anm. 15 Meister, Richard 115 Anm. 39, 128 Anm. 93 Mengershausen, Elise von 271 Merton, Robert K. 337 f. Meschutar, Andreas 158 Metastasio, Pietro Antonio 214 Metternich-Winneburg, Clemens Wenzel Lothar Nepomuk Fürst 56, 70, 125 Anm. 83, 148, 162, 185, 189, 198, 227, 239 Anm. 2, 262, 271, 328 Mikoletzky, Hanns Leo 172, 186 Mischler, Ernst 18 Mises, Ludwig 338 Mitrofanov, Paul 87 ff., 197 Anm. 122 Mittrowsky von Mitrowitz, Anton Friedrich Graf 158 Molière (Jean-Baptiste Poquelin) 214 Mommsen, Wolfgang 348 Anm. 1 Montet, Baronin du 267 Möring, Carl 97, 213, 227 Morstein Marx, Fritz 21 Anm. 19, 95 Anm. 39

Moser, Johann Jacob 110 Müller, Adam 75, 271 Müller, Johann Sebastian von 158 Münch-Bellinghausen, Eligius Freiherr (Friedrich Halm) 326 Münch-Bellinghausen, Friedrich Christian Otto Constantin Freiherr 158 Musil, Robert 19, 363 Nadhérny, Franz Ritter von 158 Napoleon Bonaparte 45, 51, 68, 82, 173, 186 ff., 195, 242 Anm. 27, 246, 255, 257, 295, 297 Naske, A. 207 Neisser, Heinrich 17, 60 Anm. 169 Nestroy, Johann 131, 216 Nicolai, Otto 251 Anm. 29 Niebuhr, Barthold Georg 96 Obermayer, Emilie 309 f. Obermayer, Familie 308 f. 313 Obermayer, Johann Georg 214, 270, 275 Anm. 46, 289, 296, 308 ff., 313, 315 f. Obermayer, Katharina 308 f. Olszewski, Josef 265, 358 f. Paar, Familie 310 Pace, Anton 17 Palm, Familie 310 Parkinson, C. Northcote 144–153, 155 f., 340 Anm. 15 Parsons, Talcott 336 Perth, Mathias 221 Anm. 217, 229, 250, 290, 299, 301, 317, 318 Anm. 143, 144, 146 und 147, 328, 329 Anm. 191, 331 f. Perthaler, Hans von 220, 329 Anm. 191 Petrarca, Francesco 214 Pezzl, Johann 25, 36 Anm. 47 38, 198, 248, 257 f., 267 f., 272, 293 f., 310 f. Pichler, Caroline 215, 229 Anm. 243, 271, 274, 316

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Namenregister

Pilat, Joseph Anton von 271 Pilgram, Johann Baptist von 136 Pillersdorf, Franz Freiherr 19, 158 Plener, Ernst Freiherr von 272 Plener, Ignaz (I., II., III. Freiherr von) 272 Plener, Wilhelm 272 Pombal, Sebastian Graf 309 Poniatowsky, Familie 310 Pordacher von Pergenstein, Florian 157 Prandstätter, Martin Joseph 94 Pratobevera, Freiherr von Wiesborn, Adolph 215, 229, 262, 270 f., 275 Anm. 48, 317 Anm. 140, 320 Anm. 153 Pratobevera, Freiin von Wiesborn, Amalia (geb. Wagner) 270 Pratobevera, Freiin von Wiesborn, Bertha (verehelichte Kreißle von Hellborn) 270 Pratobevera, Freiherr von Wiesborn, Carl Joseph 211 Anm. 173, 270 Pratobevera, Familie. 211 Anm. 173, 270, 275 Anm. 42, 320 Pratobevera, Freiin von Wiesborn, Maria (verehelichte Bergmann) 270 Pratobevera, Freiin von Wiesborn, Marie Adolfine (verehelichte Doblhoff, später Hasslinger) 270 Prechtler, Otto 326 Prokesch von Osten, Anton Graf 258 Anm. 62, 261, 326

Rozdolski, Roman 90 Ruszitska, Georg 94 Sacher-Masoch, Leopold von 217 Salzgeber, Peter von 158 Sandgruber, Roman 247 Anm. 13, 293 Sappa, Christian 172 Anm. 62 Sartori, J. 194 Anm. 109 Sauer, August 250 Anm. 25 Sauer, Werner 122 Anm. 68, 125 f. Saurau, Franz Joseph Graf 260 Savigny, Friedrich Karl von 132 Schambeck, Herbert 60 Anm. 169 Schelsky, Helmut 341 Schiller, Friedrich von 53, 214 f., 256 Schimetschek, Bruno 18 Schirnding, Ferdinand Graf 59 Anm. 166, 260 Schlechta, Franz von 326 Schlegel, Friedrich von 75 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 311 ff. Schlosser, Johann Georg 41 Schluchter, Wolfgang 335, 344 Anm. 38, 350 f. Schmerling, Anton Ritter von 68, 219 Anm. 212, 221 Schmidt, Arno 334 Schmoller, Gustav 345 Schnitzler, Arthur 13 Schubert, Franz 270, 320 Anm. 153 Schulte, F. von 18 Schumpeter, Josef A. 338 Schwarzenberg, Carl Fürst 275 Schwarzenberg, Familie 293, 310 Schwarzenberg, Felix Fürst 192 Sealsfield, Charles (Pseudonym für Karl Postl) 21 Seidl, Johann Gabriel 326 Seilern, Josef Johann Graf 198, 330 Seuffert, Johann Michael 36

Raab, Anton von 158 Raimund, Ferdinand 216 Richter, Joseph 33 f., 38, 65 Anm. 4 Riedel, Andreas Baron 94 Riggs, Fred 342 Rosenberg, Gert 290 Anm. 56 Rosenstrauch-Königsberg, Edith 321 Anm. 158 Rottenhan, Heinrich Graf 122 Anm. 68 Rousseau, Jean-Jacques 214

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Namenregister

Shakespeare, William 214 f. Shils, Edward A. 336 Smith, David 342 Sonnenfels, Joseph von 27, 66 f., 90, 95 f., 101–104, 112 ff., 116–121, 123 ff., 130, 134, 189, 205, 211, 252, 352 Spencer, Herbert 350 Anm. 10 Stabler, Bernhard 301 Stadion, Johann Philipp Graf 251f., 259, 273, 305 Starhemberg, Familie 275 Stein, Lorenz von 73 Steininger, Barbara 152 Anm. 21 Stekl, Hannes 268, 293 Stelzhammer, Franz 216 Stendhal (Henri Beyle) 5 Stifter, Adalbert 19, 198, 216, 326, 332 ff. Stimmer, Gernot 200 Storm, Theodor 216 Stourzh, Gerald 272 Anm. 28 Straßmann, Johann Anton 301 f. Streer von Streeruwitz, Johann Nepomuk 158 Stupan und Ehrenstein, Ottokar Ernst Freiherr von 158 Swieten, Gottfried van 88, 114 f., 119 ff., 211 Széchenyi, Stephan Graf 229 Anm. 243

Tschabuschnigg, Adolf von 326 Türckheim, Ludwig Freiherr von 158 Tuvora, Franz 58 f., 325 Uhl, Friedrich 221 Anm. 217, 258 Anm. 63 Ulbrich, Josef 18 Varena, Josef von 258 Anm. 63, 259, 275 Varnhagen, Rahel von 311, 313 Verba, Sydney 342 Vesque von Püttlingen, Johann (J. Hoven) 251, 258 Anm. 62, 262, 318 Anm. 144, 320, 324 Vierhaus, Rudolf 228 Violand, Ernst 221 Vogl, Johann Nepomuk 326 Voltaire (François Marie Aronet) 214 Vörös, Karoly 320 Wagner, Kaspar 270 Wallerstein, Immanuel 347 Wangermann, Ernst 88, 95 f., 114 Weber, Alfred 12, 305 Weber, Max 11, 15 f., 25, 53 Anm. 139, 85, 137 f., 245, 336 f., 340, 344 ff., 348–362 Weckbecker, Emilie von 308 ff., 316 Weckbecker, Familie 221 Anm. 217, 296, 302, 304 , 308 ff., 316 Weckbecker, Johann Peter 302 f. Weckbecker, Karl Bernhard 296 Weckbecker, Katharina 302 Weibel, Franz 146 Anm. 7 Welan, Manfried 17 Wieland, Christoph Martin 214 f. Wild, Andreas 268 Anm. 7, 275 Anm. 44 Witt-Döring, Christian 293 Anm. 64 Witzmann, Reingard 318 Anm. 143

Tasso, Torquato 214 f. Thienen-Adlerflycht, Christoph 204 Anm. 144 – ok? Thun und Hohenstein, Franz Graf 90 Thun und Hohenstein, Leo Leopold Graf 105, 132, 133 Anm. 113, 136 Anm. 120, 200 Anm. 130 , 204 Anm. 144, 206 Anm. 155, 261, 326 Titscher, Stefan 17 Tomaschek, Eduard 221 Tocqueville, Alexis de 207 f., 343, 345 Troll, Franz Xaver 94

Zedlitz, Joseph Christian Freiherr von 323, 326 Zeiller, Franz von 124, 130, 133 Anm. 111

413

Namenregister

Zencker, Johann Bernhard von 157 Zichy, Carl Graf 247 Zinzendorf, Ludwig Graf 90, 96, 173 ff. Zmeskáll, Nikolaus 321 Žolger, Ivan von 17

414

WALTRAUD HEINDL-LANGER

JOSEPHINISCHE MANDARINE BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH BAND 2: 1848–1914 (STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG, BAND 107)

Sektionschefs , Hofräte , Statthalter – Beamte der hohen Bürokratie – belastet mit dem widersprüchlichen Erbe : Absolutismus , josephinischem Beamtenethos und 1848er Revolution ! Die Hauptfragen lauten : Wie kamen sie mit dem nach der Revolution erneuerten Absolutismus , wie nach 1867 mit dem Verfassungsstaat zurecht ? Wie meisterten sie in dieser neuen Welt die komplexen Konflikte zwischen Kaiser , Regierung , Parlament , Parteien , nationalen Bewegungen ? War es die strenge Orientierung an ihrer rechtsstaatlichen Tradition und dem josephinischen Ethos , dass ihnen immer wieder erstaunliche politische und soziale Lösungen gelangen , ohne dabei geschickt den Ausbau ihrer eigenen Privilegien zu vergessen ? Diese sicherten ihnen gesellschaftliche und kulturelle Reputation. Die zahlreiche Übernahme von Regierungsämtern im Staat verlieh ihnen hohen politischen Einfluss , so dass sie Gesellschaft und Staat der späten Monarchie ihren bürokratischen Stempel aufdrückten. 2013. 332 S. 11 S/W- UND 1 FARB. ABB. GB MIT SU. 155 X 235 MM ISBN 978-3-205-78950-5

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