Handbuch der Welt- und Menschenkunde, zum Gebrauche in Volksschulen [3. Aufl. Reprint 2019] 9783111460529, 9783111093352


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German Pages 249 [256] Year 1844

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Table of contents :
Inhalt
Die Welt
Der Himmel
Die Erde im Allgemeinen
Die besonderen Naturkörper auf der Erde nach ihrem Innern betrachtet
Die besonderen Naturkörper auf der Erde nach ihren äußeren Kennzeichen betrachtet
Der Mensch, als Einzelwesen betrachtet
Der Mensch, in Verbindung mit anderen Menschen betrachtet
Geschichte der Menschheit in der Zeit des Alten Bundes
Geschichte der Menschheit seit Gründung des Neuen Bundes
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Handbuch der Welt- und Menschenkunde, zum Gebrauche in Volksschulen [3. Aufl. Reprint 2019]
 9783111460529, 9783111093352

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Handbuch ter

Welt und Menschenkunde, zum Gebrauche in Volksschulen, V 0 11

F. H. G. Graßmann.

Dritte Auflage.

Berlin, G.

R c i »i c r.

1844.

Inhalt. Die Welt.................................................................................S.

I

ÜDer Himmel.......................................................................... —

4

Die Erde im Allgemeinen......................................................—

21

Die besonderen Naturkörper auf der Erde nach ihrem In­ nern betrachtet.............................................................. —

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Die besonderen Naturkörper auf der Erde nach ihren äuße­

ren Kennzeichenbetrachtet

.....

Der Mensch, als Einzelwesen betrachtet

...



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— 107

Der Mensch, in Verbindung mit anderen Menschen betrachtet — 127 Geschichte der Menschheit in der Zeit des Alten Bundes

— 157

Geschichte der Menschheit seit Gründung des Ncrten Bundes — 193

Dir Welt. 1. Mos. 1, 1. —

Sir. 1, 3. 4.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.— Wer hat zuvor gemessen, wie hoch der Himmel, wie breit die Erde, und wie tief das Meer sein sollte? Wer hat Gott je gelehret, was er machen sollte? Denn seine Weisheit ist vor allen Dingen.

sobald ich aus dem Schlummer meiner Kindheit zum Bewußtsein meines Daseins erwachte und es dadurch Licht in meinem Innern ward, fühlte ich mich auch gedrungen, meinen Blick nach außen zu richten, um mich in dem Gebiete meiner Umgebung zurecht zu finden. Je besser mir dies gelang, um desto mehr schärfte sich auch mein Blick nach innen, um desto besser lernte ich mich selbst und die Bestimmung meines eigenen Daseins erkennen. Daher darf ich in diesem Bestreben, meine Erkenntniß nach innen und nach außen zu erweitern, nie ermüden. Alles, was ich in meiner gesammten Umgebung um mich her erblicke und dessen Inbegriff ich die Welt nenne, siegt mir in zwei großen Abtheilungen vor Augen. Alles Entfernte, was ich hoch über mir erblicke, insbesondere das große blaue Gewölbe, woran Sonne, Mond und Sterne Gefestigt scheinen, nenne ich Himmel; alles Nahe um mich und bei mir, insbesondere den Grund und Boden, worauf ich stehe, mit den Bergen, Hügeln, Bäumen, Häusern, Thieren und Menschen, welche er trägt, nenne ich Erde. Auch die Wolken mit den Lusterscheinungen, welche sich darin erzeugen, rechnet man nach dem ersten Anblicke der Dinge gewöhnlich zum Himmel und unter­ scheidet daher wohl den Wolkenhimmel und den Sternen­ himmel; doch zeigt sich bei einer näheren und aufmerk­ sameren Betrachtung bald, daß sie von der Erde her ihren 1

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Welt.

Ursprung haben, derselben sehr viel näher sind als Sonne, Mond und Sterne, und daß sie daher der Erde angehören. Wenn ich mich auf einer großen Ebene, etwa auf ei­ nem weit ausgebreitcten ebenen Felde ohne Hügel und andere hervorragende Gegenstände, oder noch besser auf der Spiegelfläche eines großen ruhig stehenden Wassers, befinde; so erscheint mir der Himmel als eine große hohle Halbkugel, welche mit ihrem untern Rande auf der Erde, als einer großen kreisförmigen Scheibe, ruht. Das große blaue Himmelsgewölbe erscheint meinem Auge als fest und heißt daher auch die Feste oder das Firmament. Die große Kreisfläche, welche ich auf der Erde überblicke, und eben so auch die große Kreislinie, durch welche sie da begränzt ist, wo Himmel und Erde sich scheinbar berühren, heißt mein Gesichtskreis oder mein Horizont; der höchste Punkt der Halbkugel, welcher gerade senkrecht über meinem Haupte liegt, heißt mein Scheitelpunkt oder Zenith. Sind Himmel und Erde nach ihrer Gestalt und Be­ schaffenheit wirklich das, was sie mir hiernach zu sein schei­ nen, oder beruht dieser Anblick auf einer Sinnentäuschung, wie ich sie wohl schon sonst erfahren habe? — Wenn der Himmel als ein festes Gewölbe das Gebiet unseres Ge­ sichtes begränzte, was wäre über diese Gränz« hinaus zu denken? Wo hätte dieser Raum wieder seine Gränze? — Täglich sehe ich die Sonne, den Mond und die Stern« in bestimmten Bahnen sich bewegen, sehe die Sonne, den Mond und die meisten Sterne an einer Seite des Him­ mels aufgehen, an der gegenüberliegenden Seite unterge­ hen und an dem folgenden Tage fast genau an der vori­ gen Stelle wieder aufgehen. Es ist dieselbe Sonne, es ist derselbe Mond, es sind dieselben Sterne, welche dort ausgehen. Wo sind sie in der Zeit zwischen ihrem Unter­ gänge und Wiederaufgange gewesen? Wie kommen sie wieder an den Ort ihres vorigen Aufganges? Müssen sie nicht unter der Erde durch, nicht um dieselbe herum gegangen sein, so daß wir nur einen Theil ihrer regel­ mäßigen Bahnen über uns erblicken, der andere unter uns liegende uns aber durch die Erde verdeckt ist? — Wen» die Oberfläche der Erde eine abgeschlossene Kreisfläche wäre, müßten wir sie nicht bis zu ihrem Umfange durchschreiten und endlich dahin gelangen können, wa Hunmel und Erde

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Welt.

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sich berühren? Dahin ist aber noch Niemand gelangt; alle Reisende, auch wenn sie viele hundert Meilen immer nach einer Richtung reisetcn, blieben dieser Berührungslinie immer gleich fern, blieben immer im Mittelpunkte der Kreisfläche auf der Erde, ja sie kamen endlich, indem sie immer nach der gleichen Richtung reisetcn, wieder an den Ort zurück, von welchem sie ausgereiset waren. Himmel und Erde sind nicht, was sie dem menschli­ chen Auge zu sein scheinen. Der Himmel ist ein uner­ meßlich großer, nach allen Seiten hin unbegränzter Raum, in welchem Sonne, Mond und Sterne schweben. Die Erde ist ein großer, sehr großer, aus allen Seiten rund umher abgeschlossener und begränzter Körper, welcher eben­ falls in diesem unermeßlichen Himmelsraume schwebt und von demselben nach allen Seiten hin umgeben ist. Wenn ich hienach dieses große Gewölbe des Himmels, in uner­ meßlicher Ferne nach allen Seiten hin, die Erde rings umgebend, mir vorstelle als eine hohle Kugel, in deren Mitte die Erde schwebt, so liegt gerade unter meinen Füßen, dem Scheitelpunkte gegenüber, ein niedrigster Punkt dec Kugel, welcher der Fußpunkt oder Nadir genannt wiro. Eine gerade Linie vom Scheitelpunkte bis zum Fußpunkte heißt die Are des Horizontes; der Scheitelpunkt und der Fußpunkt, als die Endpunkte dieser Are, heißen auch die Pole des Horizontes. Sonne, Mond und Sterne sind sehr, sehr weit von der Erde entfernt; denn wenn ich meinen Standpunkt auf der Erde auch um viele hundert Meilen verändere, so er­ blicke ich sie doch immer in gleicher Größe und in gleicher Entfernung von einander. Da entfernte Gegenstände im­ mer kleiner erscheinen, als sie wirklich sind, so muß ich anwehmen, daß Sonne, Mond und Sterne sehr, sehr viel­ mal größer sind, als sie dem Altge erscheinen. — Bon jeher hat ein unwillkührliches Gefühl die Menschen angetriebrn, alles Höhere und Uebersinnliche der menschlichen Natur mit dem Himmel, das Niedere und Sinnliche mit der Erde in Verbindung zu denken, und darauf deuten anch die Aussprüche des göttlichen Wortes:

Pf. 115, 16. — Matth. 5, 34. 35. Der Himmel allenthalben ist des Herrn; aber die 'Erde hat er den Menschenkindern ge1 *

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Himmel.

geben. — Der Himmel ist Gottes Stuhl; die Erde ist seiner Füße Schemel.

Der Himmel. Jes. 40,26. — Pf. 19,2-4. 6.7. — Sir. 43, 2—11.

Hebet eure Augen in die Höhe und sehet! Wer hat solche Dinge geschaffen, und führet ihr Heer bei der Zahl heraus, der sie alle mit Namen rufet? SeinVermögen und starkeKraft ist so groß, daß nicht an Einem fehlen kann.— Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Feste verkündiget seiner Hände Werk. Ein Lag sagt es dem andern und eine Nacht thut es kund der anderen. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre. Die Sonne gehet heraus, wie ein Bräuti­ gam aus seiner Kammer und freuet sich, wie ein Held zu laufen den Weg. Sie gehet auf an einemEridc des Himmels und läuft um bis wieder an dasselbe Ende, und bleibt Nichts vor ihrer Hitze verborgen. — Wenn sie aufgeht, verkündiget sie den Tag; sic ist ein Wunder­ werk des Höchsten. Das muß ein großer Herr sein, der sie gemacht hat und hat sie heißen so schnell laufen. — Der Mond in aller Welt muß scheinen zu seiner Zeit; er wächset und verändert sich wunderbarlich. — Es leuchtet auch das ganze himmlische Heer in der Höhe am Firmament und die hellen Sterne zieren den Himmel. Also hat sie der Herr in der Höhe heißen die Welt erleuchten. Durch Got­ tes Wort halten sie ihre Ordnung und wachen sich nicht müde. Am Himmel erblicke ich bei Tage die Sonne, in der Nacht den Mond und unzählbar viele Sterne. Um einige feste Punkte zu gewinnen und bestimmte Stellen am Him-

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Himmel.

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melsgewölbe bezeichnen zu können, merke ich mir die Na­ men einiger Sternbilder oder Gestirne und einzelner Sterne. AIs besonders bemerkenswerth, um zu einer ge­ nauern Bezeichnung einen Anhalt zu geben, mögen hier nur folgende wenige erwähnt werden, welche man an ei­ nem sternhellen Winterabende am Himmel erblickt: die Milchstraße, welche als ein großer breiter Gürtel von milchweißer Farbe sich um das ganze Himmelsgewölbe er­ streckt und bei einer genauen Beobachtung durch stark vcrgrösiernde Ferngläser als das zusammengcflossene Licht un­ zähliger Tausende von Sternen erscheint, — der große Bär, dessen sieben Hauptsterne im gemeinen Leben wohl der Wagen genannt werden, von dessen Hinterrädern aus man den durch seinen Stillstand am Himmel merkwürdi­ gen Polarstern im kleinen Bären leicht finden kann, — der glänzende Orion, dessen aus drei nahe bei ein­ ander stehenden hellen Sternen bestehender Gürtel im gemeinen Leben auch der Iacobsstab genannt wird,— der Stier mit dem schonen Siebengestirn oder der Gluckhenne über dein Rücken und den Hyaden, wo­ zu das Stierauge (Aldebaran) gehört, im Kopfe, — die Zwillinge oder Eastor und Pollux, — der große Löwe mit dem schönen Stern Regulus, — der Fuhrmann mit dem Zicklein (Capella), — der große Hund mit dem hellen Stern Sirius, — die Leier mit dem hellen Sterne Wega, — der Schwan, in welchem fünf Sterne ein Kreuz bilden, — der Wid­ der — und viele andere. Nach dem verschiedenen Grade des Glanzes oder der Lichtstärke theilt men die Sterne in Sterne erster, zweiter, dritter rc. Größe. Sterne erster Größe werden bei uns zwölf am Himmel sichtbar. Ein schwaches Auge erkennt nur Sterne vierter und fünfter, ein scharfes Auge noch Sterne sechster und siebenter Größe; Sterne von Größen einer höhern Zahl können nur durch vergrößernde Ferngläser erkannt werden. Die Sonne gehet an jedem Morgen gegen Osten zu auf, steigt in einer schrägen Richtung gegen Süden zu hinan, bis sie um Mittag gerade im Süden ihren höch­ sten Stand erreicht hat, senkt sich dann in eben so schrä­ ger Richtung gegen Westen hinab und geht Abends im Wesen unter. Sie beschreibt an jedem Tage einen Kreisbogm, welcher im Anfänge des Frühlinges und Herbstes

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Himmel,

gerade ein Halbkreis, im Winter kleiner als ein HalbL kreis, im Sommer größer als ein Halbkreis ist, immer aber eine nach Süden geneigte schräge Lage am Himmel hat; daher sie uns nie gerade senkrecht über dem Haupte steht. — Der Mond macht an jedem Tage eine ganz ähnliche Bewegung wie die Sonne; da wir ihn aber ge­ wöhnlich nur des Nachts sehen, so muß seine Bewegung, wie die Bewegung der Sterne, zur Nachtzeit beobachtet werden. — Auch alle Sterne machen täglich eine Be­ wegung. Wenn ich mit dem Gesichte gegen Süden hin gerichtet stehe, so kommen alle im Süden stehenden Sterne auf der linken Seite gegen Osten zu herauf, erheben sich, bis sie gerade im Süden am höchsten stehen, und senken sich von da aus gegen Westen hinab, wo sie untergehen und wieder verschwinden. Je näher sie dem Süden ste­ hen, desto weniger erheben sie sich über den Horizont und desto kleiner bleiben ihre Kreisbogen. Je weiter sie vom Süden abstehen, desto höher erheben sie sich und desto größer werden ihre Kreisbogen. Die gerade im Osten ausgehenden Sterne beschreiben genau einen Halbkreis und gehen gerade im Westen wieder unter; doch steht dieser Halbkreis nicht senkrecht auf dem Horizonte und geht da­ her auch nicht durch unsern Scheitelpunkt, sondern ist wie der Kreisbogen der Sonne und des Mondes gegen Süden zu geneigt. Wende ich mich nun mit dem Gesichte gegen Norden, so beschreiben die Sterne, welche zunächst über Osten hinaus nach Norden zu aufgehen, einen Kreisbo­ gen, welcher mehr als einen Halbkreis betragt; die weiter nach Norden zu aufgehenden, z. B. die Sterne des gro­ ßen Baren, beschreiben ganze Kreise, welche wir an jedem Tage würden ganz überblicken können, wenn wir die Sterne auch am Tage sehen könnten. Diese Umlaufskreise der Sterne werden immer kleiner, je näher ich dem Punkte komme, wo der nördliche Polarstern im kleinen Bä­ ren steht, welcher zwar auch noch einen Kreis, aber einen so kleinen Kreis beschreibt, daß er kaum noch wahrnehm­ bar ist, und daher gewöhnlich ganz unbeachtet bleibt. Ganz in der Nähe des Polarsterns liegt ein Punkt, wel­ cher der Mittelpunkt aller dieser verschiedenen Kreise zu sein scheint. — Fassen wir nun das Ergebniß aller die­ ser Erscheinungen in einen Gesammtüberblick zusammen, so gewinnt es daS Ansehen, als wenn das ganze Him-

melsgewölbe mit Sonne, Mond und Sternen sich inner» halb 24 Stunden in einer schrägen Lage um die Erde so herumdrehe, daß der genannte Punkt beim Polarsterne dabei in Ruhe bleibt. Wenn ich mir von diesem Punkte zu meinem Standpunkte auf der Erde eine gerade Linie gezogen und diese mitten durch die Erde bis zum gegen­ überliegenden Punkte des Himmelsgewölbes verlängert denke, so dreht sich das ganze Himmelsgewölbe um diese Linie eben so, wie ein Rad am Wagen um seine Are, und daher heißt eine solche Linie die Himmelsaxe; ihre beiden Endpunkte am Himmel heißen die beiden Pole, d. h. Drehpunkte oder Angelpunkte, des Himmels oder des Aequators, und zwar einzeln der Nordpol und der Südpol des Himmels. Der Kreis, welchen ein Stern beschreibt, der gerade im Osten auf- und im We­ sten untergeht, heißt der Aequator (Gleicher) des Himmels; die Kreise aller übrigen Sterne sind Parallelkreise des Himmels, weil sie mit dem Aequator pa­ rallel oder gleichlaufend sind. Halbe Kreise vom Nordpole bis zum Südpole des Himmels, welche den Aequator und alle Parallelkreise senkrecht durchschneiden, heißen Declinations- lAbweichungs-) oder Stun­ denkreise. — Auch wenn wir ununterbrochen 24 Stun­ den hindurch die Bewegung der Sterne beobachten könn­ ten und durch die Tageshelle nicht daran gehindert wür­ den, so würde uns doch nicht das ganze Himmelsgewölbe sichtbar werden, sondern gegen Süden zu würde uns ein eben so großer Raum verborgen bleiben, als derjenige im Norden ist, an welchem wir die Sternbahnen als voll­ ständige Kreise erblicken. Woher nun diese tägliche Umwälzung des Himmels­ gewölbes um die Erde? Verhält es sich damit wirklich so, wie der Augenschein es mir zeigt? Oder muß ich auch hierauf den Unterschied zwischen scheinbarer und wirklicher Bewegung anwenden, welchen ich deutlich erkenne, wenn ich mich in einem verdeckten Wagen, dessen Seitenfenster offen stehen, durch eine Allee bewege, deren Bäume bei mir dann vorbeizulaufen scheinen, — wenn ich in einem Kahne schnell einen Fluß entlang fahre und dessen grüne Ufer bei mir vorbeigleiten sehe, — wenn ich mich schnell auf dem Ab­ sätze meines Schuhes nach der linken Seite herumschwinge Und dank» die Häuser, Bäume, Menschen und andere Ge-

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Der

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genstände sich nach der rechten Seite um mich herumdrehe» sehe? — Wenn ich erfahre, daß fast alle Himmelskörper größer, manche derselben, z. B. die Sonne, viel tausend­ mal größer als unsere Erde sind, so muß ich mich geneigt fühlen, die Umdrehung des Himmelsgewölbes um den klei­ nen Punkt der Erde nur für eine scheinbare zu halten, der Erde aber die wirkliche Bewegung beizulegen. Diese Mei­ nung, welche dem Augenscheine und der unter dem großen Haufen des Volkes herrschenden Ansicht widerstreitet, ist durch einen Sternkundigen des 16tcn Jahrhunderts, Ni­ colaus Copernicus (geb. zu Thorn in Westpreußen» lebte von 1473 bis 1543), mit so unumstößlichen Grün­ den als richtig dargethan, daß jetzt kein sachverständiger Gelehrter darüber noch Zweifel hegt und daß alle Erschei­ nungen am Himmel sich nur daraus aus genügende Art erklären lasten. — Daß also Sonne, Mond und Sterne sich innerhalb 24 Stunden von Osten nach Westen um die Erde zu drehen scheinen, hat seinen Grund darin, daß die Er,de sich innerhalb 24 Stunden von Westen nach Osten um sich selbst oder Am ihre eigene Are drehet. Da die Sonne jedesmal nur die Hälfte der Erdcberfläche bescheinen kann, so entsteht aus dieser täglichen Umdrehung der Erde, der Wechsel von Tag und Nacht. Aehnliche Punkte und Linien, wie wir uns vorher am Himmel gezogen dachten, deüken wir uns nun auch auf der Erde, nämlich einen Nordpol und einen Südpol der Erde, eine Erdarc, einen Aequator oder Gleicher und Parallelkreise. Die den Stundenkreisen am Himmel entsprechenden Halbkreise heißen auf der Erde Mittagskreise oder Meridiane, weil es an jedem Orte dann Mittag ist, wenn die Sonne gerade über dem Halbkreise steht, welcher durch diesen Ort von Norden nach Süden geht. Außer dieser allgemeinen Bewegung, welche allen Him­ melskörpern gemein ist, sieht man an einzelnen derselben noch besondere Bewegungen, unter welchen wir die wichtigsten ebenfalls in nähere Betrachtung ziehen müssen. — Die Sonne bewegt sich zwar scheinbar mit den Sternen und dem ganzen Himmelsgewölbe innerhalb 24 Stunden um die Erde; sie bleibt aber dabei nicht in der Nähe derselben Sterne stehen, sondern verändert nach und nach ihre Stel­ lung gegen die Sterne. Mit welchen dieser Sterne sie

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zusammen, oder welchen Sternen sie doch ganz nahe stehe, erkennt man am besten, wenn man darauf merkt, welche Sterne nach Sonnenuntergange zuerst da sichtbar werden, wo die Sonne nntergegangen ist, oder welche Sterne mor­ gens kurz vor Sonnenaufgange zuletzt da verschwinden, wo die Sonne bald aufgchen wird. Merkt man sich hier­ nach zu irgend einer Zeit diejenigen Sterne, welchen die Sonne ganz nahe steht, so findet man, daß sie nach ei­ nigen Wochen sich beträchtlich nach der linken Seite oder gegen Osten zu von ihrer vorigen Stelle entfernt hat und also in der Nahe mehr östlich liegender Sterne steht, daß sie nach und nach immer weiter am Himmelsgewölbe ge­ gen Osten fortrückt und erst nach Verlauf eines vollen Jahres wieder in der Nähe derjenigen Sterne steht, bei welchen man sie zuerst beobachtete. Sie macht also, au­ ßerdem daß sie mit dem ganzen Himmelsgewölbe inner­ halb 24 Stunden sich um die Erde dreht, während der Dauer eines Jahres noch einen besonderen Kreislauf um das Himmelsgewölbe nach einer Richtung, welche der täg­ lichen Bewegung des Himmelsgewölbes gerade entgegen­ gesetzt ist, nämlich von Westen nach Osten, während das Himmelsgewölbe sich täglich von Osten nach Westen dreht; und dieser eigenthümlichen Bewegung der Sonne verdan­ ken wir die Eintheilung der Zeit in Jahre. Wenn wir hiebei von dem bald niedrigeren, bald höheren Stande der Sonne am Himmel und von der Verschiedenheit ihrer Aus­ gangs- und Untergangsstelle vorläufig ganz absehen; so drängt sich uns abermals die Frage auf, ob wir diese Be­ wegung der Sonne um die Erde für eine wirkliche oder wieder nur für eine scheinbare halten und dagegen der Erde die wirkliche Bewegung um die Sonne beilegen wol­ len. In jedem dieser beiden Fälle würde sich die Erschei­ nung für unser Auge gleich darstellen, wie ich mir leicht deutlich machen kann, wenn ich um einen auf einer gro­ ßen Ebene liegenden Thurm oder anderen hohen Gegen­ stand umhcrgche, welcher dann bei den hinter ihm liegen­ den Bergen, Häusern, Bäumen rc., von welchen die Ebene begränzt wird, vorbeizugehen scheint, während ich allein doch eigentlich die wirkliche Bewegung habe. Wenn wir auch hiebei wieder die durch Beobachtung als unumstöß­ lich erwiesene Thatsache in Erwägung ziehen, daß die Sonne viel tausendmal größer ist als die Erde; so können wir kein

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Bedenken tragen, auch hier wieder der Erde die wirkliche, der Sonne aber nur eine scheinbare Bewegung beizulegen. Die Erde macht also in dem Zeiträume eines Jahres einen Kreislauf um die Sonne. Indem sie sich täglich einmal um sich selbst oder um ihre Are be­ wegt (tägliche Bewegung), vollendet sie dabei in einem Jahre einen Umlauf um die Sonne (jährliche Bewegung). Zu diesem Umlaufe der Erde um die Sonne wird nach den genauesten Beobachtungen der Sternkundigen eine Zeit von 365 Lagen 5 Stunden 48< Minuten erfordert, und ein Zeitraum von dieser Dauer heißt davpn ein Sonnen­ jahr oder bloß ein Jahr. Die Kreislinie, welche die Sonne dabei um das ganze Himmelsgewölbe beschreibt, heißt die Sonnenbahn oder die Ekliptik; sie kann aber mit eben so gutem oder noch größerem Rechte auch die Erdbahn genannt werden. Die Sonne geht wäh­ rend dieses Zeitraumes bei einer Menge von Sternen nahe vorbei, welche man sich seit uralter Zeit her in 12 Wildem zusammengereihet gedacht hat, die man zusammengenommen den Thierkreis nennt, weil die meisten dieser Bilder von Thieren hergenommcn sind. Folgendes sind ihre Na­ men und ihre Zeichen: Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, V K sx 69 U Jungfrau, Wage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Np L2ns. z Wassermann, Fische.

33 X Der Thierkreis umgiebt das ganze Himmelsgewölbe wie ein breiter Gürtel, durch welchen die Sonnenbahn als eine Kreislinie mitten hindurch geht. Wenn man sich die Son­ nenbahn in 12 gleiche Theile zerlegt denkt, so heißen diese die zwölfZeichen des Thierkreises, und die Sonne durchläuft in jedem Monate ungefähr eines dieser Zeichen. An dem Monde erblicken wir außer seiner täglichen Bewegung mit dem ganzen Himmelsgewölbe ein ganz ähnliches Vorrücken von Westen nach Osten zwischen den andern Sternen hindurch, wie bei der Sonne, welches aber viel schneller fortschreitct und daher viel leichter zu beob­ achten ist, besonders da wir ihn gewöhnlich mit den Ster­ nen zugleich am Himmel erblicken. Wenn man von einem bestimmten Punkte aus dieses Vorrücken des Mondes von

Der Himmel.

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Tage zu Tage ununterbrochen verfolgt, so findet man, daß er ungefähr in 27| Tagen (27 T. 7° 43') einen Kreislauf rund um daS Himmelsgewölbe vollendet, in einer Bahn, welche der Sonnenbahn zwar nahe und wie diese im Thierkreife liegt, aber mit derselben doch nicht ganz zusammen­ fällt, sondern sie unter einem kleinen Winkel in zwei Punk­ ten (Knoten) durchschneidet. Da aber während dieses Zeitraums von 27| Tagen die Sonne in ihrer eigenen Bahn nicht stehen geblieben sondern selbst beträchtlich wei­ ter gegen Osten vorgerückt ist, so bedarf er von da ab, wo er wieder bei denselben Sternen angelangt ist, noch etwas mehr als zwei Tage, um die Sonne gleichsam wie­ der einzuholen, so daß er erst nach 2^ Tagen (29 T. 12° 44') wieder in sein voriges Verhältniß zu ihr tritt. Während dieses Zeitraumes wechselt er auf eine merkwür­ dige Weise seine Lichtgestalt, und wir können an ihm vier Hauptzustände unterscheiden, welche wir Neumond, er­ stes Viertel, Vollmond und letztes Viertel be­ nennen. Zwischen dem Neumonde und dem ersten Viertel, so wie zwischen dem letzten Viertel und dem folgenden Neumonde, erscheint er sichelförmig; vom Neumonde bis zum Vollmonde ist der Mond zunehmend, vom Vollmonde bis zum nachfolgenden Neumonde abnehmend. Der Zeitraum von 29£ Tagen, in welchem der Mond wieder in das gleiche Ortsverhältniß zur Sonne tritt und also alle vier Mondwechsel durchmacht, heißt ein na­ türlicher Monat, welchen man nicht mit dem bür­ gerlichen Monate verwechseln muß.— Wenn wir an­ zunehmen Grund hatten, daß die Erde sich in einem Jahre um die Sonne drehete, so können wir in Hinsicht auf den Mond nicht die gleiche Folgerung ziehen, daß auch seine Bewegung nur eine scheinbare sei und daß eigentlich die Erde sich nm den Mond bewege; denn wie könnte es wohl als vereinbar gedacht werden, daß die Erde sich während der Dauer eines Jahres um die Sonne und während des-' selben Zeitraumes auch nach derselben Richtung etwa 13 mal um den Mond drehen sollte? Nur dadurch können beide Bewegungen für unsere Vorstellung in Einklang ge­ bracht werden, wenn wir die Bewegung des Mondes für eine wirkliche halten und demnach annehmen, daß die Erde sich in 365^Tagen umdie Somne, derMond aber sich während eben dieses Zeitraumes etwa

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13mal um die Erde bewegt und mit der Erde dabei zugleich um die Sonne fortgesührt wird, eine Behauptung, deren Wahrheit darin Bestätigung fin­ det, daß nach den unzweifelhaften Beobachtungen der Stern­ kundigen der Mond uns sehr viel näher als die Sonne und beträchtlich, wohl gegen 50 mal, kleiner als die Erde ist. Dabei macht es die genauere Beobachtung eben so unzweifelhaft, daß das schwächere und mildere Licht des Mondes nicht von ihm selbst ausgcht, daß er nicht, wie die Sonne, mit eigenem Lichte glänzt, sondern daß er an und für sich ein dunkler Körper ist, der nur das auf ihn fallende Licht der Sonne zurückwirft und dadurch nicht nur selbst hell erscheint, sondern auch noch unsere Erde et­ was erhellt. Aus der Stellung des Mondes gegen die Sonne und gegen die Erde lassen sich alle Lichtwechsel desselben, so wie auch die von Zeit zu Zeit eintretenden Sonnen- und Mondfinsternisse, leicht und völlig genügend erklären. Richten wir unsere Aufmerksamkeit jetzt wieder auf die Sterne, so sinven wir, daß fast alle eine ganz feste Stelle am Himmelsgewölbe cinnehmen, an welchem sie gleichsam befestigt sind und mit welchem sic innerhalb 24 Stunden sich um die Erde bewegen, ohne ihre Stelle gegen einan­ der zu verändern. Nur sehr wenige Sterne ficht man, welche nicht dieselbe Stelle am Himmelsgewölbe zu behal­ ten und zwischen den übrigen Sternen gleichsam hindurchzugehen scheinen, so daß man sie bald in der Nähe einiger, bald in der Nähe anderer Sterne erblickt. Die Sterne der ersten Art heißen Standsterne oder Fixsterne, die Sterne der zweiten Art Wandelsterne oder Planeten. Nur zuweilen, oft in vielen Jahren gar nicht, erblickt man einzelne Sterne von besonderer Gestalt, welche sich durch einen langen, der Sonne abgekehrten Lichtschweif auszeich­ nen und daher Schweifsterne oder Kometen heißen. Der Planeten sieht man am Himmel mit bloßen Augen nur fünf, welche Mercurius, Venus, Mars, Jupiter und Saturn genannt werden. DieBewegungen derselben sind aber keinesweges so einfach, als die der Sonne und des Mondes. Zwar bewegen auch sie sich im Allgemeinen, wie jene, von Westen nach Osten und vol­ lenden so in längeren oder kürzeren Zeiträumen einen Um­ lauf um den Himmel; zwischenher aber scheinen sie zu-

Der

Himmel,

weilen auf eine kurze Zeit still zu stehen, und bewegen sich dann wohl auf einige Zeit nach entgegengesetzter Rich­ tung, bis sie nach einem abermaligen Stillstände wieder zur ersteren Bewegung zurückkehren. Wenn sie sich, wie Sonne und Mond, von Westen nach Osten bewegen, heißen sie rechtläufig; wenn sie aber von Osten nach Westen gehen, heißen sie rückläufig. Mercur und Venus wer­ den immer nur in der Nähe der Sonne gesehen, vor de­ ren Strahlen der erstere überhaupt selten zu Gesichte kommt; sie vollenden daher ihren Umlauf um den Himmel unge­ fähr in einem so langen Zeitraume, als die Sonne selbst, und erscheinen dabei bald als der Sonne voraufgehend, bald als ihr nachfolgend. Die drei anderen Planeten brau­ chen längere Zeiträume zur Vollendung eines Umlaufes, und zwar Mars beinahe zwei Jahre, Jupiter nahe an 12 Jahre, Saturn über 29 Jahre. — Auch bei den Be­ wegungen dieser Planeten möchte man zuerst an Umläufe derselben um die Erde denken. Aber wie ist es hienach erklärbar, daß sie zuweilen rückläufig sind? Wie ist es denkbar, daß Jupiter, der mehr als 1000mal größer denn die Erde ist, sich um die so viel kleinere Erde drehen sollte? Diese und ähnliche Zweifel lösen sich, und unser« Vor­ stellungen über das Verhältniß der Planeten zu einander, so wie zur Erde und zur Sonne, kommen in Einklang bei der Annahme, daß die sämmtlichen genannten fünf Planeten sich eben so, wie die Erde, um dieSonne drehen, nur in anderen theils länge­ ren, theils kürzeren Zeiträumen. Bei den Pla­ neten Mercur und Venus ist eine solche Umkreisung der Sonne schon fast durch den Augenschein erkennbar. Die Rechtlüusigkeit oder Rückläufigkeit der Planeten erklärt sich dabei leicht aus den verschiedenen Stellungen derselben ge­ gen die Sonne und die Erve, wobei eine gerade Linie, von der Erde aus nach ihnen hin gerichtet, bald rechtbald links von der Sonne fällt. Da sich alle Erscheinun­ gen und Bewegungen am Himmel aus dieser Annahme auss genaueste erklären und viele Jahre vorher auf die Mi­ nute bestimmen lassen, so ist jetzt folgende Vorstellung über das gegenseitige Verhältniß der Sonne, der Erde, des Mon­ des und der Planeten von den Sternkundigen oder Astro­ nomen allgemein und als unbczweifelt angenommen: Die Sonne steht im Mittelpunkte des Gan-

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zen. Die Erde und die genannten fünf Plane­ ten bewegen sich in verschiedenen Zeiträumen und in verschiedenen Entfernungen um die Sonne. Der Mond bewegt sich um die Erde und mit derselben zugleich um die Sonne. Die Erde ist also auch ein Pla net, der Mond ein Begleiter oder Trabant derErde, auch einNebenplanet genannt. Diese Vorstellung von der Sache hat sich seit Copernicus allgemeinen Eingang verschafft und heißt nach ihm im Gegensatze gegen andere Darstellungen des Sachverhältnisses (Ptolemäus — Tycho de Brahe) das Copernicanische Weltsystem. Dabei ist es aus den Bedeckungen der Planeten und anderen Umständen zur un­ leugbaren Gewißheit gebracht, daß sämmtliche Planeten, wie der Mond, an und für sich dunkle Körper sind und nur ein erborgtes Licht haben, daß aber die Sonne mit eigenthümlichem Lichte glänzt und sämmtlichen Planeten, welche sie wie Kinder ihre Mutter umkreisen, Licht und Wärme darbietet und dadurch für alle, wie für unsere Erde, Erzeugerin des auf ihnen befindlichen Lebens wird. Die Buhnen aller Planeten liegen übrigens, eben so wie die Mondbahn, im Thierkreise der Sonnenbahn sehr nahe, und durchschneiden dieselbe in zwei Knotenpunkten. Die Vervollkommnung der Vergrößerungsgläser hat in neueren Zeiten noch viele andere wichtige Entdeckungen hcrbeigesührt. Man hat über den Saturn hinaus, wel­ chen man bis dahin für den von der Sonne entferntesten Planeten gehalten hatte, einen noch entlegeneren entdeckt, welchen man Uranus genannt hat. Man hat zwischen Mars und Jupiter, wo man wegen der plötzlich auffal­ lend zunehmenden Entfernung längst schon einen »och un­ bekannten Planeten vermuthet hatte, nicht Einen größeren, sondern statt deffelben vier kleinere Planeten entdeckt, wel­ chen man die Namen Vesta, Juno, Ceres und Pal­ las gegeben hat. So wie die Erde an dem Monde Ei­ nen Begleiter oder Trabanten hat, so hat man bei eini­ gen anderen Planeten solcher Trabanten mehre entdeckt, welche sie, wie der Mond die Erde, umkreisen, nämlich an hem Jupiter deren vier, an dem Saturn sieben, und an dem Uranus sechs Trabanten; außerdem ist der Saknm noch von einem doppelten frei um ihn her

schwebenden Ringe umgeben. Die Gesammtheit aller die» srr durch inneren Zusammenhang zu. einem größeren Gan­ zen verbundenen Himmelskörper nennt man das Son­ nensystem oder Planetensystem. Zu unserm Son­ nensystem, so weit dasselbe bisher zur menschlichen Kennt­ niß gelangt ist, gehören, außer dem Ringe des Saturn, 30 Himmelskörper, nämlich Eine Sonne, 11 Hauptpla­ neten und 18 Nebenplaneten. Durch sorgfältige Beobachtungen hat man auch gefun­ den, daß die Bahnen, in welchen sich die Planeten um die Sonne bewegen, zwar kreisähnlich, aber doch nicht ganz regelmäßige Kreise sind, sondern eine besondere Art länglich gebogener krummer Linien, welche man Ellip­ sen nennt. Jede Ellipse enthält zwei sogenannte Brenn­ punkte, deren beider Entfernung zusammengenommen von jedem Punkte des Umfanges überall gleich groß ist. Die Sonne steht bei jedem Planeten in einem Brenn­ punkte seiner Ellipse, und jeder kommt daher bei seinem Umläufe einmal der Sonne am nächsten oder in die Son­ nennähe, entfernt sich dann aber wieder von derselben bis zu einem Punkte äußerster Entfernung, welchen man die Sonnenferne nennt. Bei unserer Erde beträgt der Unterschied ihrer Entfernungen in der 'Sonnennähe und Sonnenferne etwa 700000 Meilen, und merkwürdig ist es habet, daß die Sonnennähe in die letzten Tage des De­ cember, also in den Anfang des Winters, die Sonnenferne aber in die letzten Tage des Juni, also in den Anfang des Sommers fällt, — ein deutlicher Beweis, wie Wärme und Kälte auf unserer Erde von ihrer Annäherung zur Sonne oder ihrer Entfernung von der Sonne gar nicht, sondern von ganz andern Umständen abhängig find. — Hier noch einige Angaben über Merkwürdigkeiten einzelner der zu unserem Sonnen- oder Planetensysteme gehörigen Himmelskörper. Die Sonne (Q), der Hauptkörper des ganzen Planetensystemcs, hat einen Durchmesser von 192000 geogra­ phischen Meilen und ist ihrem Kürperinhalte nach 1400000 mal größer alS die Erde. Durch Beobachtung dunkler Stellen in der Sonnenscheibe, welche man Sonnenflecke nennt, hat man gefunden, daß sie sich in 25 Tagen 14 Stunden um ihre eigene Are dreht. Sie ist wahrschein­ lich ein eben so dunkler Körper wie die Planeten, aber

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mit einer Lichtatmosphäre umgeben, die sich wie die Wol­ ken unserer Erdatmosphäre zuweilen hie und da zertheilt, so daß wir zwischendurch Theile des dunkeln Sonnenkör­ pers erblicken. Ihr Leuchten und Wärmen ist wahrschein­ lich nicht als ein Ausströmen des Lichtes zu betrachten, sondern die sie umgebende Lichtmaterie hat nur die eigen­ thümliche Kraft, den durch alle Räume verbreiteten Lichtund Wärmestoff in eine eigene Bewegung zu versetzen, deren Eindruck auf unsere Sinneswerkzeuge wir Leuchten und Wärmen nennen. Mercurius ($) hat einen Durchmesser von 600 Meilen, ist 8 Millionen Meilen von der Sonne entfernt, umläuft dieselbe in 88 Tagen, ist an Körperinhalt 17 mal kleiner als die Erde, dreht sich in 24 Stunden 1 Minute um seine Are, und kann ein "7 mal helleres Licht haben als unsere Erde. Venus ($) hat einen Durchm. von 1650 M., ist 15 Mill. M. von der Sonne entfernt, umläuft dieselbe in 224 T. 17 St., hat einen Körperinhalt, welcher nur von dem unserer Erde beträgt, und dreht sich in 23 St. 21 M. um ihre Are. Sie heißt Abend- oder Mor­ genstern, je nachdem sie abends nach Untergange oder morgens vor Aufgange der Sonne gesehen wird. Ihr Licht ist abnehmend und zunehmend wie beim Monde. Die Erde (5) hat einen Dchm von 1720 M., ist im Mittelmaaße 20 Mill. M. von der Sonne entfernt, umläuft dieselbe in 365 T. 5 St. 48| M., hat einen Mond als Trabanten, und dreht sich in 24 St.- (genauer 23° 56') um ihre Are. Mars (cf) hat einen Dchm. von 950 M., ist über 31 Mill. M. von der Sonne entfernt, umläuft dieselbe in 1 I. 32t T., hat nur £ von dem Körperinhalt der Erde, JDrtbt sich in 24 St. 39 M. um seine Are und hat ein röthliches Licht. Die vier folgenden Planeten Vesta (ö), Juno (x), Ceres (£) und Pallas (t) sind sehr viel kleiner als alle andere Hauptplancten, haben daher auch nur sehr geringe, noch nicht mit hinreichender Genauigkeit bestimmte Durchmesser, eine Entfernung von 49 bis 57 Mill. M., eine Umlaufszeit von 3£ bis 4| Jahren und sehr geringen Körperinhalt. Da ihre Bahnen sehr nahe an einander liegen, so gelten sie bei den Astronomen gewissermaßen nur

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für Einen, und werden von Einigen wohl sogar für Trüm­ mer eines zersprengten Hauptplaneten gehalten. Jupiter (2|,), der größte aller Planeten, hat einen Dchm. von 19000 M-, eine Entfernung von 108 Mill. M., eine Umlaufszeit von 11 I 314 T. und 4 Traban­ ten oder Monde. Sein Körperinhalt ist 1461 mal größer als der der Erde. Er hat einen sehr hellen Glanz mit gelblichem Lichte und dreht sich sehr schnell in 9 St. 56 M. um seine Are. Saturn (i?) hat einen Dchm. von ungef. 16000M., eine Entfernung von 198 Mill. M., eine Ümlaufszeit von

29 I. 167 T. und 7 Monde nebst einem frei um ihn schwebenden doppelten Ringe. An'Kürperinhalt ist er 772 mal größer als die Erde und dreht sich in 10 f. 16 M. um seine Are. Uranus ($) hat einen Dchm. von 7500 M., eine Entfernung von 397 Mill. M., eine Umlaufszeit von 84 I. 8 T. und 6 Monde. Er ist 78 mal größer als die Erde, und auf ihm würde Menschen von unserer Bildung die Sonne nur so groß als uns Jupiter erscheinen. Der Mond ((£.), wegen seiner nahen Verbindung mit der Erde uns der wichtigste Nebenplanet, der nächste und bekannteste unter allen Himmelskörpern, ist in seiner Erd­ nahe 47000, in seiner Erdferne 64000 Meilen von der Erde entfernt. Er hat, wie alle übrigen Nebenplane­ ten, keine Axendrehung, sondern kehrt der Erde immer dieselbe Seite zu, so daß er sich nur bei jedesmaliger Um­ drehung um die Erde in 271,- Tagen auch einmal um sein« Are dreht. Indem er sich um die Erde und mit der Erde um die Sonne dreht,, beschreibt er eine Radlinie. Sein Körprrinhalt ist etwa nur der 50ste Theil von dem der Erde. Annt. I. Daß es möglich sei, die Entfernung der Sonne, des Mondes ntld der Planeten von der Erde, Md daraus wieder die Größe dieser Himmelskörper zu bestimmen, wird derjenige wenigstens nicht als etwas völlig Unbegreifliches an staunen, der in der Raumlehre gelernt hat, wie man die Entfernung zu ei­ nem jenseit eines Flusses stehenden Baume, die Höhe eines Thur­ mes n. dgl. durch sichere und zuverlässige Messungen bestimmen kann, ohne zu jenen fernen Gegenständen selbst gelangen zu kön­ nen. Das Verfahren dabei laßt sich aber nicht näher darlegeu, ohne tiefer in jene Wissenschaft selbst einzugehen, und sich viele Vorkenntnisse erworben zu haben, wozu unsere Schule nicht aüsreicht.

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Anm. 2. Nach der Umlaufszeit unserer Erde um die Sonne be­ stimmt sich die Dauer unseres Sonnenjahres, welches man zum Unterschiede von dem Mondenjahre, d. h. einer Zeit< dauer von 12 natürlichen Monaten, so nennt. Um dieEintheilung der Zeit in Jahre mit der Eintheilung derselben in Tage in Uebereinstimmung bringen und eine Anzahl voller Tage ins Jahr hineinlegen zu können, hat man die Schalttage eingesührt, und laßt jedes vierte Jahr ein Schaltjahr von 366 Tagen sein, während die drei zwischenliegenden sogenannten Ge­ meinjahre nur 365 Tage enthalten. Nur bleiben nach jetzi­ ger Einrichtung innerhalb 400 Jahren drei Schalttage weg, und daraus ist der Unterschied zwischen dem Alten und Neuen, oder Julianischen und Gregorianischen Kalender entstanden.

Die Schweifsterne oder Kometen sind Sterne von einer für die menschliche Erkenntniß noch immer sehr rätselhaften Natur, die um so schwerer mit Sicherheit wird erforscht werden können, als sie nur höchst selten, und dann immer nur auf kurze Zeit am Himmel gesehen werden. Ausgezeichnet sind sie durch ein schwaches eigen­ thümliches Licht und durch den langen Lichtschweif, wel­ cher aus einer sehr dünnen Lichtmaterie zu bestehen scheint, die von dem Lichte der Sonne zurückgestoßen wird und daher immer der Sonne abgekehrt ist. Auch sie scheinen zu unserem Sonnensystem zu gehören und sich um unsere Sonne zu bewegen, nur nicht, wie die Planeten, in bei­ nahe kreisförmigen, sondern in sehr langgestreckten Ellipsen, in deren einem Brennpunkte, wie bei den Planeten, dir Sonne steht, deren anderer Brennpunkt aber sehr fern liegt. Da hienach der Unterschied zwischen ihrer Sonnennähe und Sonnenferne sehr groß ist, so kommen sie bei ihrem Um­ läufe einmal der Sonne sehr nahe, entfernen sich aber zu einer anderen Zeit sehr weit von ihr; daher ihre Umlaufs­ zeit sich zum Theil durch Jahrhunderte ausbehnt. Auch sie sind also in ihren Bewegungen festen Naturgesetzen unterworfen, und die im gemeinen Leben herrschende Mei­ nung, daß ihre Erscheinung am Himmel Krieg, Pest und andere große Landplagen zum Voraus andeute, ist daher Aberglaube. Alle die unzählbaren Sterne, welche wir außer der Sonne, dem Monde und den Planeten am Himmel er­ blicken, kaffen wir unter dem Namen Fixsterne oder Standsterne zusammen. Sie zeichnen sich vor den Pla­ neten durch ein lebhafteres, mehr funkelndes und beweg-

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liches Licht aus, während jene ihre Strahlen mit einem matteren Lichte ruhig zu uns herabsenden. Sie haben nicht, wie die Planeten, ein nur von der Sonne erborgtes Licht, sondern glanzen mit eigenthümlichem Lichte. Sie erscheinen auch durch die stärksten Ferngläser um Nichts größer, sondern bleiben nur leuchtende Punkte, wäh­ rend die Planeten sich durch Ferngläser, nach der verschie­ denen Kraft derselben, als kleinere oder größere Scheiben darstellen. Der Unterschied zwischen Fixsternen erster, zwei­ ter, dritter k. Grüße beruht nicht auf wirklicher räumli­ cher Ausdehnung, sondern nur auf verschiedener Stärke des Lichtes, und auch die hellsten Sterne erster Größe, wie Sirius, bleiben im Fernglase nur leuchtende Punkte. Ungeachtet unsere Erde bei ihrem Umlaufe um die Sonne an Oerter kommt, welche um mehr als 40 Millionen Mei­ len von einander entfernt liegen, und dadurch manchen dieser Sterne um so viel näher oder ferner kommen muß, erscheinen sie doch deswegen um Nichts größer oder klei­ ner, und verändern auch ihre Stellung gegen einander auf gar keine bemerkbare Weise, so daß der große Umkreis der Erdbahn gegen ihre Entfernung von uns sich gleich­ sam in einen Punkt zusammenzieht. Sie stehen hienach in so ungeheuer großen Abständen von der Erde, daß es der schwachen menschlichen Erkenntniß an jedem Maaße dafür gebricht, ja daß der Mensch diese Abstände kaum in seiner Vorstellung aufzusassen, auf keine Weise aber nach Zahlen zu bestimmen vermag. Da sie aber ungeachtet dieser unermeßlichen Entfernungen doch unserm Auge sichtbar blei­ ben, so müssen sie eine außerordentliche Größe haben. — Was sollen wir uns unter diesen hell leuchtenden Himmels­ körpern nun vorstellen? Unter allen sichtbaren Dingen, welche wir in der Sinnenwelt erblicken, können wir sie mit nichts Anderem vergleichen, als mit unserer Sonne, und so drängt sich uns die Vorstellung als eine höchst wahrscheinliche auf: Alle Fixsterne sind Sonne«; auch unsere Sonne ist ein Fixstern, und sie würde uns auch nur als ein Fixstern erscheinen, wenn sie uns noch vielmal ferner gerückt wäre. In einer sternenhellen Nacht sehen wir also Millionen Sonnen am Himmel glän­ zen. Jede derselben hat wahrscheinlich ihr Sonnensystem, d. h. ihre Planeten und Kometen, um sich her, denen sie Licht und Wärme darbietet und eine Mutter des Lebens 2*

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ist. Jedes dieser Systeme ist wahrscheinlich durch Millio­ nen und Billionen Meilen von allen übrigen getrennt. Auch über diese Gränze hinaus folgen zwar gelehrte Forscher des Himmels noch dem Wissensdurste, welcher der menschlichen Natur von dem Schöpfer selbst eingepflanzt und daher unabweislich ist, und machen insbesondere gewisse regelmäßige Wechsel in dem Lichte einiger Fix­ sterne, sehr kleine eigenthümliche Bewegun­ gen, welche an einigen Fixsternen wabrgenommen werden, Doppelsterne und Nebelflecke zu Gegen­ ständen ihres Forschens; aber in demüthiqer Anerkenntniß der menschlichen Beschränktheit gestehen sie es auch ein, daß sie, indem sie aus Beobachtungen dieser Art Folge­ rungen ziehen, mehr auf Flügeln der Einbildungskraft im Gebiete der Möglichkeit umherschweifen, als sichere Tritte auf dem festen Boden der Wissenschaft thun. Ob Son­ nensysteme sich mit Sonnensystemen zu höheren Systemen von Milchstraßen verbinden, ob Milchstraßen, in unend­ liche Fernen gerückt, sich zu Nebelflecken verkleinern, ob Sonnensysteme und Milchstraßen - Systeme Mittelsonnen umkreisen, und ob der menschliche Geist für die Zeiträume, itt welchen dieses geschieht, auch nur ein Maaß habe, wird schwerlich durch menschliches Forschen je zur deutlichen Erkenntniß gebracht werden, da schon bei der Vorstellung davon die Einbildungskraft schwindelt; und eben so wenig wird es dem menschlichen Bemühen je gelingen, auf dem Wege der Erfahrung mit Gewißheit zu ermitteln, ob alle übrigen Himmelskörper, wie die Erde, von vernünftigen und vernunftlosen Wesen bewohnt werden, welches zu glauben wir uns mit unwiderstehlicher Gewalt gedrungen fühlen, und von welcher Natur und Beschaffenheit diese Wesen sein mögen. Staunend blicke ich zur unbegränzten Höhe hinauf, in die bodenlose Tiefe hinab, nach allen Seiten in den unendlichen Himmelsramn hinein. Jetzt fühle ich mich von einem Schauer der Vernichtung durchdrungen, wenn ich bei dem Anblicke des unermeßlichen Weltgebaudes mich selbst verliere und in ein Nichts dahin schwinden sehe. Dann fühle ich mich wieder emporgehoben bei der Vorstkllung, daß ich in dieser meiner Kleinheit und Ohnmacht doch eine Unendlichkeit im Geiste zu umfassen und mich zum Unendlichen zu erheben vermag. So schwankend zwi-

Die Erde im Allge meinen.

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fchen Verzagtheit und Trotz des Herzens, finde ich festen Anhalt, Ruhe und Trost nur in der Betrachtung und in dem Gebete: 5 Mos. 10, 14. — Ps. 33, b. — Pf. 8, L. 4. — Offb. 4, 11. Siehe, der Himmel und aller Himmel Him­ mel, und die Erde und Alles, was darinnen ist, das ist des Herrn, deines Gottes.— Der Himmel ist durch das Wort des Herrn ge­ macht, und alle sein Heer durch den Geist fei­ nes Mundes. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da man dir danke« im Himmel. Ich sehe die Himmel, deiner Fin­ ger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitest. — Herr, du bist würdig, zu neh­ men Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Wil­ len haben sie das Wesen und sind geschaffen!

Die Gr-e im Allgemeinen. Hiob 38, 4—11. - Ps. 104, 1 — 14. Wo wärest du, da ich btt Erde gründete? Weißt du, wer ihr das Maaß gesetzet hat? Oder wer über sie eine Richtschnur gezogen hals Oder worauf stehen ihre Füße versenket? Oder wer hat ihr einen Eckstein geleget? Da mich die Morgensterne mit einander lobeten und jauchzeten alle Kinder Gottes? Wer hat das Meer mit seinen Thüren verschlossen, da cs herausbrach wie aus Mutkerleibe? Da ich es mit Wolken kleidete und in Dunkel ein­ wickelte wie in Windeln; da ich ihm den Lauf brach mit meinem Damm, und setzte ihm Rie­ gel und Thür, und sprach: Bis hieber sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!

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Die Erde im Allgemeinen.

Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr berrlich, — der du das Erd­ reich gründest auf seinem Boden, daß es blei­ bet immer und ewiglich. Mit der Tiefe deckest du es, wie mit einem Kleide, und Wasser ste­ hen über den Bergen; aber vor deinem Schel­ ten fliehen sie, vor deinem Drohen fahren sie dahin. DieBerge gehen hoch hervor, und die Breiten setzen sich herunter zum Orte, den du ihnen gegründet hast. Du hast eine Gränze gesetzet, darüber kommen sie nicht und müssen nicht wieder das Erdreich bedecken. Du läs­ sest Brunnen quellen in den Gründen, daß die Wasser zwischen den Bergen hinfließen, daß alle Thiere auf dem Felde trinken und das Wild seinen Durst lösche. Du feuchtest die Berge von oben her; du milchest das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen.

Bis hieher haben wir den Versuch gemacht, uns mit unserem Trachten nach Erkenntniß möglichst in die Weite und Breite auszudehnen, und sind dabei zu einer Gränze gelangt, welche auch die gründlichsten Forscher mit allen ihnen zu Gebote stehenden Hülfsmitteln nicht zu über­ schreiten vermögen, und wo ihnen, wie uns» statt Wissen und Erkennen, nur ungewisses Vermuthen und Einbilden übrig bleibt. Jetzt kehren wir zu dem, näheren Gebiete unserer Thätigkeit, zur Erde, zurück, welche uns trägt, uns Wohnung, Kleidung und Nahrung darbietet, und uns mit unzähligen gleichgebildeten Wesen, die auf uns un­ mittelbar einwirken, wie wir auf sie, in Verbindung setzt, und wir versuchen es, wie weit wir hier mit unserer Er­ kenntniß reichen, indem wir den Kreis unserer Beobach­ tung immer mehr verengen und unsere Betrachtung von dem Allgemeinen immer genauer auf das Besondere und Einzelne hinrichten. Die Erde, welche wir bewohnen, ist ein Glied des Sonnensystemes. Sie bewegt sich innerhalb 24 Stunden um sich selbst, wodurch Tag und Nacht entsteht und die

Die Erde im Allgemeinen.

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Eintheilung der Zeit in Tage, Stunden und Minu­ ten gegeben wird. Sie bewegt sich innerhalb eines Jah­ res um die Sonne, wodurch die Eintheilung der Zeit in Jahre und Jahreszeiten gegeben wird. Wenn ich auch auf den ersten Anblick geneigt bin, die Erde für einen Körper mit ebener Oberfläche zu halten, wie sie mir beim Ucberblicke eines Feldes ohne Berge und Hügel oder einer großen ruhigen Wasserfläche erscheint, so muß ich mich bei tieferem Nachdenken doch bald eines Anderen überzeugen, wenn ich nur die allgemeine Erfah­ rung beachte, daß ich von entfernten Gegenständen, als Thürmen, Masten u s. w. immer zuerst die Spitzen und nicht die unteren Enden erblicke, ungeachtet letztere ge­ wöhnlich einen größeren Raum ausfüllen, und daher auch auf einer Ebene weiter gesehen werden müßten. Wenn ich dazu nun beobachte, daß der Schatten der Erde, wel­ chen ich bei einer Mondsinsterniß erblicken kann, an sei­ nem Rande immer rund erscheint, und von anderen er­ fahre, daß man bei großen Reisen, z. B. nach Westen hin, endlich an den Ort, von welchem man ausgefahren ist, von Osten her zurückkehrt, wie denn solche Reisen um die Erde oder Weltumsegelungen bereits oft gemacht worden sind; so darf ich nicht weiter zweifeln, daß die Erde eine kugelähnliche Gestalt habe. Daß aufder Oberfläche der Erde Berge von mehr als einer Meile senk­ rechter Höhe vorhanden sind, darf mich hiebei nicht irre machen; denn diese kommen gegen den großen Erdkörper eben so wenig in Betracht, als einzelne Sandkörpcr, welche auf einer Kugel liegen, womit man Kegel umwirft. Durch die Umdrehung der Erde um sich selbst werden zunächst zwei Punkte auf ihrer Oberfläche bestimmt, welche unbewegt bleiben, der Nordpol und Südpol der Erde. Eine gerade Linie von einem Pole zum anderen durch die Mitte der Kugel, heißt die Erdaxe. Ein größter Kreis um die Oberfläche der Kugel, welcher von beiden Polen gleich entfernt liegt, heißt der Aequator oder Gleicher. Jeder Kreis um die Oberfläche, welcher einem der Pole uäher liegt, aber dabei mit dem Aequator gleichlaufend ist, heißt ein Parallelkreis. Jeder Halbkreis, welcher an der Oberfläche von einem Pole zum andern geht, so daß er den Aequator und alle Parallelkreise senkrecht durch­ schneidet, heißt ein Meridian oder Mittagskreis,

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Die Erd* im Allgemeinen,

weil die Sonne gerade über diesem Kreise steht, wenn sie mittags die höchste Stelle am Himmel cinnimmt. Jede zwei gegenüberliegende Meridiane bllden zusammen einen größten Kreis um die Erde. So wie in der Raumlehre jeder Kreis, er sei groß oder klein, in 360 Grade lingethejlt wird, so theilt man auch leben dieser Kreise auf der Erde in 360 Grade. Wenn wir uns denken, daß eine Kugel, welche aus einer weichen Masse, z. B aus Brodteig, besteht, sich um ihre Are schwingt, so wird sie ihre völlige Kugelgestalt nicht behalten; sondern ihre Theile werden sich da etwas mehr anhäufen, wo der Umschwung am stärksten ist, also um den Aequator herum; sie werden sich dagegen von dort, wo der Umschwung schwächer oder gar nicht vor­ handen ist, also von den Polen, etwas wegziehen. Daher wird die Kugel sich in der Nähe der Pole etwas abplat­ ten, aber in der Nähe des Aequators wird die Rundung zunehmen; und zwar beides um so mehr, >e schneller die Kugel umschwingt. Da nun unsere Erde nach den da­ rüber gemachten Beobachtungen, wie nach dem Zeugnisse der heiligen Schrift, ursprünglich aus einer weichen brei­ artigen Masse bestanden hat, so hat man daraus geschlos­ sen, daß auch sie sich von ihrer Kugelgestalt etwas ent­ fernt und eine Abplattung an den Polen erhalten habe. Messungen, welche man darüber in der Nähe des Aequators und in der Nähe der Pole angestellt hat, ha­ ben diese Voraussetzung durch die Erfahrung vollkommen bestätigt. Wenn bij Oberfläche unserer Erde wirklich eine ganz ebene Fläche wäre, so würde der Polarstern am Himmel immer in gleicher Höhe stehen bleiben, ich möchte so weit gegen Norden oder Süden reifen, als ich wollte. Wenn die Oberfläche der Erde aber eine Kugelfläche ist, so muß dieser Stern mir bei einer Reise gegen Norden um so viel Grade am Himmel heraufsteigen, als ich Grade aus der Erde zurückgelegt habe, bei einer Reise gegen Süden um eben so viel Grade herabsinken. Die Erfahrung zergt nun, daß dies wirklich geschieht, und wir finden darin eine Bestätigung unserer Behauptung über die KugelgeKalt der Erde. Zugleich giebt uns dies aber auch ein Mittel an die Hand, um die Große der Erde zu bestim­ men. Wenn ich in gerader Linie so weit gegen Norden

Die Erde int Allgemeinen.

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flträfet bin, daß mir der Polarstern um einen Grad höher herausgestiegen ist, so bin ich auf einem Meridiane, also auf einem größten Kreise, auch um einen Grad auf der Erde fortgeschritten, und kann nun die Lange biksks Gra­ des auf der Erde abmcffen. Solche Messungen haben dargethan, daß ein Grad eines größten Kreises aus der Erde 15 geographische Meilen lang ist, deren jede nicht viel kleiner ist als eine Preußische Meile. Da der Um­ fang der Erde 360 solcher Grade enthält, so betragt der­ selbe 15 mal 360 oder 5400 geogr. Meilen. Die Raum­ lehre giebt Anleitung, aus dem Umkreise einer Kugel alle übrigen Größcnvcrhältnisse aus derselben zu finden, und nach den Regeln derselben findet man durch Berechnung als den Durchmesser der Erde ungefähr 1720Meilen, als Größe der Oberfläche ungefähr 9280000 Qua­ dratmeilen, als Körperinhalt der Erde ungefähr 2660 Millionen Kubikmeilen. Um die Lage eines jeden Ortes auf der Oberfläche der Erde genau bestimmen zu können, denkt man sich diese Oberfläche von Grad zu Grade mit einem Netze von Parallclkrcisen und Meridianen umzogen. Solcher Parallel­ kreise kommen dann von dem Aequator zu jedem Pole hin 90, wenn der Aequator selbst mitgczählt wird, der Meridiane aber rund um die Erde herum 360. Um die Lage eines Ortes gegen Norden oder Süden hin zu be­ stimmen, zählt man die Grade vom Aequator nach jedem Pole zu, so daß man dem Aequator die Zahl 0, je­ dem der Pole die Zahl 90 giebt. Die Entfernung eines Ortes vom Aequator nach Norden oder Süden, in sol­ chen Graden bestimmt, heißt die geographische Breite des Ortes, und zwar nach dem Nordpole hin die nörd­ liche, nach dem Südpole hin die südliche Breite. (Stettin hat ungefähr 53^Grad oder genau 53° 25' 14" nördl. Breite.) — Um die Lage eines Ortes gegen Oste» oder Westen zu bestimmen, muß man irgend einen Meri­ dian als den ersten annehmen, und zählt dann von die­ sem aus gegen Osten rund um die Erde herum von 1 bis 360. Die Entfernung eines Ortes von diesem ersten Meridiane aus gegen Osten zu beißt die geographische Länge des Ortes. Als ersten Meridian nimmt man am Allgemeinsten den an, welcher die Insel Ferro, eine der Canarischen Inseln bei Afrika, am westlichen Rande

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Die Erde im Allgemeinen.

streift, weil kein anderer Meridian die beiden größten Län­ dermassen der Erde, die Ostfeste und die Westfeste, so gut als dieser von einander scheidet. Von ihm aus zählt man die Längengrade gegen Osten herum bis 360. (Stettin hat ungefähr 32} Grad Länge oder genau 32° 13' 5".) — Die Breitengrade sind, da sie an Meridianen, also an größten Kreisen der Erde, abgemessen und gezählt werden, fast gleich groß und jeder derselben beträgt 15 Meilen. Die Längengrade werden am Aequator und den Parallel­ kreisen abgemessen und gezählt und betragen nur unter dem Aequator 15 Meilen, werden aber nach den Polen zu immer kleiner. So leicht es ist, auf einem kleinen Abbiide der Erde, Globus oder Erdball genannt, oder ans einer Land, karte, für einen gegebenen Ort die Breiten - und Längen­ grade abzuzählen, so schwer ist cs für den Schiffer, auf dem weiten Meere, wo er nichts als Himmel und Meer um sich erblickt, den Ort seines Aufenthaltes anzugeben. Die geogr. Breite wird von ihm ziemlich leicht und genau gefunden, wenn er an dem Polarsterne die Höhe des Po­ les über dem Horizonte als Winkel abmißt, da die Pol­ höhe mit der geogr.Breite übereinstimmt. Sehr viel schwieriger ist aber die Bestimmung der geogr. Länge, welche vorzüglich durch Angabe des Unterschiedes in der Zeit zwischen dem Orte, wo man sich befindet, und einem anderen Orte, dessen Länge man kennt, gefunden wird. Da nämlich die Erde sich in einem Zeiträume von 24 Stunden um ihre Are dreht, so beschreibt jeder Ort wäh­ rend dieses Zeitraumes einen Kreis von 360 Graden; um jede 15 Grade, welche ein Ort weiter gegen Osten liegt, wird es eine Stunde früher, um jede 15 Grade, welche ein Ort weiter gegen Westen liegt, wird es eine Stunde später Mittag. Wenn es an meinem Wohnorte Mittag ist, so ist es 15 Grade weiter gegen Osten schon 1 Uhr Nachmittags, 15 Grade weiter gegen Westen erst 11 Uhr Vormittags u. s. w. Wenn der Schiffer auf dem Meere nun gewisse Erscheinungen am Himmel beobachtet, z. B. Verfinsterungen der Jupitersmonde, welche überall auf der Erde zu gleicher Zeit gesehen werden, und aus Hand­ büchern der Sternkunde ersieht, zu welcher Tageszeit diese Erscheinungen in London, Paris, Berlin und anderen Oertern, deren geogr. Länge bekannt ist, sich zeigen, selbst

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aber auf dem Meere di« Tageszeit bestimmt, wann ihm diese Erscheinungen sichtbar werden, so kann er aus dem Unterschiede der Zeit entnehmen, um wie viele Grade er sich weiter gegen Osten ober Westen befinde, als der be­ kannte Ort. Am sichersten gelangt er aber zu einer ziem­ lich leichten Berechnung, wenn er eine recht genau ge­ hende Uhr mit sich führt, welche auf der ganzen Reise die Zeit des Ortes seiner Abfahrt angiebt. Jede Beobach­ tung einer Himmelserschcinung, aus welcher er die Zeit an dem Orte seines Aufenthaltes bestimmt, z. B. Son­ nenhöhe, Durchgang der Sonne durch den Meridian u. s. w., macht es ihm möglich, die Zeit an dem Orte seines ge­ genwärtigen Aufenthaltes mit der Zeit an dem Orlc sei­ ner Abfahrt zu vergleichen, und aus dem Unterschiede beider die geographische Länge zu erschließen. — Der Nachbenkende wird sich aus dem Bisherigen auch leicht erklären können, warum Jemand, der nach Osten zu rund um die Erde schifft, einen ganzen Tag mehr, wer aber nach Westen zu herumschifft, einen Tag weniger zählt, als wer an demselben Orte bleibt. Von der Sonne empfängt unsere Erde Licht und Wärme, wodurch alles auf ihr vorhandene Leben ange­ regt und ins Dasein gerufen wird. Bekannt ist es aber, wie die Wärme sich auf der Erde keinesweges gleich bleibt, sondern mannichfachem Wechsel unterworfen ist. Schon jeder Tag zeigt uns diesen Wechsel, und wie der Grad der Wärme hauptsächlich von dem mehr oder weniger schrägen Falle der Sonnenstrahlen auf die Erde abhängt. Noch klarer wird dies bei der Betrachtung des Standes der Sonne zu den verschiedenen Jahreszeiten. Sie erhebt sich beim Anfänge des Winters um den Listen Decem­ ber am wenigsten, geht dann zwischen Osten und Süden auf, zwischen Westen und Süden unter, beschreibt die kleinsten Tagebogen, bedeutend kleinere als ein Halb­ kreis, und giebt uns die kürzesten Tage des Jahres, welch« nicht viel über 7 Stunden dauern, mit denen zugleich dir größte Kälte beginnt. Von da ab werden ihre Tagcbogen mit jedem Tage etwas größer und gleichmäßig mit denselben und mit ihrer Erhebung über den Horizont wächst die Länge der Tage, bis sie beim Anfänge des Frühlinges, um den Listen März, genau im Osten auf- und im Westen untergeht, einen Halbkreis am Him-

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mel beschreibt, Lage und Nächte gleich macht, und ge­ mäßigte Wärme uns zuführt. Die Lagebogen, welche nun größer als ein Halbkreis werden, und die Erhebung der Sonne über den Horizont nehmen darauf noch immer zu, in gleichmäßigem Verhältnisse wächst die Länge der Tage bis zu einer Dauer von beinahe 17 Stunden, und der Grad der Wärme, bis sie am Anfänge dek Som­ mers, um den Listen Juni, am weitesten über Osten hinaus nach Norden zu aufgeht und über Westen hinaus nach Norden zu untergeht, wobei dann zugleich die größte Wärme des Jahres eintritt. Bon diesem Zeitpunkte an nehmen die Tagebogen der Sonne wieder ab, ihre täg­ liche Erhebung wird geringer, die Aufgangs- und Untrrgangsstelle nähern sich wieder mehr Osten und Westen, und die Tage werden kürzer, bis sie mit dem Anfänge des Herbstes, um den Listen September, genau wieder im Osten auf- und im Westen untergeht, einen Halbkreis beschreibt, Tage und Nächte gleich macht, und wieder ge­ mäßigte Wärme darbietet. Das Abnehmen der Tagebo­ gen und der Tageslange, so wie die Verminderung des Wärmegrades, schreiten fort, bis mit dem Wiedereintritte eines neuen Winters der Kreislauf des Jahres vollendet ist und ein neuer beginnt. Die beiden Nachtgleichen oder Aequinoctien lFrühlings- und Herbst-Nachtgleiche) und die beiden Sonnenwenden oder Solstitien (Winter- und Sommer-Sonnenwende) gränzen die vier Jahreszeiten ab. So schwierig, ja fast unmöglich es ist, die Ursache die­ ser Wechsel, ohne den Gebrauch anderer Versinnlichungsmittrl, bloß mit Worten aus eine gemeinverständliche Weise zu beschreiben, so leicht kann der wirkliche Zusam­ menhang der Erscheinungen an einer Kugel, welche die Erde vorstellt, und welche man um eia brennendes Licht, als Bild der Sonne, herumbewegt, dargelegt werden. Es laßt sich dabei leicht darthun, daß alle diese Wechsel des Lubtts und der Wärme in dem einfachen Umstande ihren Grund haben, daß bei der täglichen Umdrehung die Erd­ are nicht etwa in der Ebene der Erdbahn liegt oder auf derselben senkrecht steht, sondern eine solche schiese Lage gegen dieselbe hat, daß der Aequator mit der Erdbahn oder Ekliptik einen Winkel von 234 Grad (genauer 23" 28') bildet, welchen man die Schiese der Ekliptik nennt.

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Eden so leicht erklärt sich daraus das Ramrverhältniß, wodurch die Eintheilung der Erdoberfläche in fünf Zo­ nen oder Erdgürtel entsteht. Man sieht daraus dann, daß alle Bewohner eines Erdgürtels, welcher sich bis zu 2.34 Grad auf jeder Seite des Aequators erstreckt und durch die beiden Wendekreise des Krebses und des Steinbockes begränzt wird, zweimal oder einmal im Jahre die Sonne senkrecht über ihrem Haupte haben — heiße Zone; daß zu beiden Seiten der heißen Zone von 23-jr0 bis 66-i ° geogr. Breite zwei Erdgürtel liegen, de­ ren Bewohnern die Sonne nie senkrecht, sondern stets schräge über dem Haupte steht, wo aber, eben so wie in der heißen Zone, jedesmal innerhalb 24 Stunden Tag und Rächt wechseln — die nördliche und südliche gemaßigteZone; daß um jeden Pol bis zu einer Ent­ fernung von 23£ Grad, wo der nördliche und süd­ liche Polarkreis die Gränze machen, eine Schube der Erdfläche liegt, innerhalb welcher im Sommer ein Tag, im Winter eine Nacht eintritt, welche länger als 24 Stun­ den dauern, so daß die Dauer dieses Tages und dieser Nacht mit der Annäherung zu den Polen immer zunimmt, bis endlich unter jedem Pole ein volles halbes Jahr Tag und ein halbes Jahr Nacht ist, ohne daß sich die Sonne beträchtlich über den Horizont erhebt, und das Eis, wel­ ches dort ununterbrochen liegt und die nächste Umgebung der Pole unbewohnbar macht, wegzuschmelzen vermag, — dienördliche und südliche kalteZone.— Welch eine Mannichfaltigkeit von Erscheinungen, die sich anfäng­ lich als höchst verwickelt darstellen, und doch in einem sehr einfachen Umstande ihre völlig genügende Erklärung finden! Wie viel würde in Hinsicht auf die Bewohn­ barkeit und die gesummte Beschaffenheit der Erde anders sein, wenn dieses Eine Verhältniß sich änderte! Die Weis­ heit des Schöpfers zeigt sich am Bewundernswürdigsten in der Sparsamkeit, und Einfachheit der Mittel, welche sie zur Erreichung ihrer großen Absichten gebraucht.

Die Erde ist ringsumher von Luft umgeben, welche sich bis zu einer Entfernung von etwa 10 Meilen um die­ selbe herum zu erstrecken scheint. Diesen Luftraum nennt man die Atm osphärc oder den Dunstkreis, weit alle

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aus der Erde aufsteigenden Dünste sich in demselben sam­ meln. Wenn diese für uns gewöhnlich unsichtbaren Dünste auf irgend eine Weise unserm Auge sichtbar werden, so nennt man sie Lufterscheinungen (Meteore) und theilt sie nach ihrem Ansehen und ihrer Beschaffenheit in wäßrige L.: Wolksn, Nebel, Regen, Schnee, Hagel, Thau und Reif; glänzende L.: Regenbogen, Nebensonnen und Neben­ monde, Höfe um Sonne und Mond, Nordlichter; feurige L.: Gewitter, Sternschnuppen, Feuerkugeln, fliegende Drachen. Da auch die Luft einige Schwere hat, so drückt die obere Luft auf die untere und macht diese dadurch dich­ ter und schwerer. Je höher man daher bei Ersteigung von Bergen in die oberen Luftschichten kommt, desto dün­ ner und leichter wird die Lust, so daß Menschen und Thiere darin zuletzt nicht mehr zu athmen vermögen. Merkwürdig ist es dabei, daß die Luft zugleich immer kälter wird, je höher man kommt. Auf hohen Bergen schmilztd aher von einer gewissen Gränze ab, welche man die Schneegränze nennt, der Schnee während der Dauer des ganzen Jahres nicht. In heißen Ländern, also unter dem Aequator, liegt die Schneegränzc am höch­ sten über der Oberfläche der Erde (14760') und senkt sich durch die gemäßigten und kalten Zonen immer tiefer herab, bis sie in der Nähe der Pole ganz zur Oberfläche herab­ fällt, und das Meer mit stehenden Feldern und Bergen von Eis und Schnee erfüllt. Wenn das Gleichgewicht der Luft durch irgend ein Naturereigniß aufgehoben, wenn z. B. durch plötzlich ein­ tretende Wärme die Luft in einer Gegend des Dunstkrei­ ses ausgedehnt oder durch Kälte zusammcngezogen wird, so entsteht aus dem Bestreben der Lust, überall ihre gleich­ mäßig« Dichtigkeit wiedcrherzustellcn, jene Bewegung der Luft, welche man Wind nennt. Nach dem verschiedenen Grade seiner Stärke nennt man ihn einen sanften, mä­ ßigen, scharfen und starken Wind, einen Sturm und einen Orkan. Nach der Dauer oder dem Wechsel ihrer Richtung unterscheidet man beständige und un­ beständige Winde, deren genaue Beobachtung den Schif­ fern besonders wichtig ist. So wehet z. B. in dem größ­ ten Theile der heißen Zone der Wind auf dem Meere

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beständig aus Osten, und zwar nördlich vom Aequator aus Nordosten, südlich vom Aequator aus Südosten, wel­ ches man auS der größeren Wärme in diesem Theile des Dunstkreises und dem täglichen Umschwünge der Erde er­ klärt. Auf dem großen Indischen Weltmeere wechseln ge­ wisse Winde, Passatwinde genannt, mit solcher Regel­ mäßigkeit, daß sie sechs Monate hindurch aus einer Rich­ tung und dann sechs Monate aus der entgegengesetzten Richtung her wehen. In wärmeren Ländern wehet ziem­ lich regelmäßig mittags ein kühler S e ewind vom Meere dem Lande zu, nachts aber ein sanfter Landwind vom Lande gegen das Meer hin. In unsern Gegenden, wie fast überall in den gemäßigten Zonen, wehen mehrentheils unbeständige, in verschiedenen über einander liegenden Luft­ schichten zuweilen verschiedene Winde, deren Ursachen sich im Einzelnen nicht erklären lassen. Der Wärmegrad, die Trockenheit oder Feuchtigkeit der Lust, und die daraus sich erzeugende vorherrschende Witterung, bestimmen das physische Klima eines Landes, welches von der Lage desselben nahe am oder entfernt vom Meere, hoch oder niedrig über der Meeresfläche, und von anderen, oft uns unbekannten Umständen abhängt. Von unserem Erdkörper selbst kennen wir eigentlich nur die Oberfläche; denn auch in den tiefsten Bergwerken ist man nicht über eine halbe Viertelmeile in das Innere der Erde eingedrungen, da doch der Halbmesser der Erde gegen 800 Meilen beträgt. Auf der Oberfläche unserer Erde unterscheidet man Land und Meer, von welchen das letztere gegen drei Viertel, das erstere aber mit allen von ihm eingeschlossenen Binnengewässern, nur etwa ein Viertel der Oberfläche in sich faßt. Das Meer bedeckt die niedrig liegenden Theile der Erdoberfläche, enthält aber auf seinem Grunde dieselbe Abwechselung von Höhe und Tiefe, bietet eben so Berge, Hügel, Thäler und Ebenen dar, wie der Boden des fe­ sten Landes; die höchsten Berge und Bergflächen dessel­ ben treten in größeren oder kleineren Inseln bis an und über die Oberfläche des Meeres hervor. Die Tiefe des­ selben ist daher sehr verschieden und mag an manchen Stellen wohl eben so viel und mehr betragen als die höch­ sten Berge sich über die Meeresfläche erheben. — DaS Meerwasser ist von Geschmack salzig und bitter und daher

für die Menschen untrinfbor, welche zuweilen auf der unadsehbaren Wasserfläche des Meeres vor Durst sterben müssen; doch kann es durch Destillation trinkbar gemacht werden, so wie auch das geschmolzene Eis des Meerwas­ sers trinkbares Wasser giebt. Diese Salzigkeit, welche eine ursprüngliche Eigenschaft des Meerwassers zu sein scheint, und welche aus dem Hineinfließen von Salzquel­ len oder der Auflösung auf dem Meeresgrunde befindlicher Salzlager nicht hergcleitet werden kann, nimmt gegen die Linie, d. h. gegen den Äequator hin zu, gegen die Pole hin ab, ist auch stärker in der Tiefe, als auf oder nahe an der Oberfläche. — Die Farbe des Meerwassers ist in offener See und über der größten Tiefe dunkelblau, ins Grünliche übergehend, und wird nach dem Lande zu ge­ wöhnlich Heller; von dem Boden, den darin befindlichen Seegewächsen und Gewürmen und anderen Umständen nimmt es zuweilen noch andere Farben an. Zuweilen sieht man es des Nachts auf seiner ganzen Oberfläche leuchten und selbst bis tief in das Innere erhellt, wo man die Fische als glänzende Körper schwimmen siebt; ein se­ gelndes Schiff wird von glänzenden Wellen umspielt, in welchen Sterne und Blitze auflcuchten, und ein langer feuriger Streifen bezeichnet die Spur seines eigenen We­ ges. Zuweilen scheint dieser Glan; von unzählig vielen kleinen leuchtenden Seewürmern herzurühren, welche die ganze Oberfläche des Meeres erfüllen, kugelförmig und nicht größer als ein Nadelknopf sind; zuweilen scheint er aber auch einen andern Urlprung zu haben. Obgleich der Wärmezustand des Meeres viel gleichförmiger ist, als der des Landes, so gefriert es doch in der Nähe des Landes und in eingeschlossenen Buchten und Engen; in den kal­ ten Zonen aber schwimmen auf dem Meere große Felder, Inseln und Berge von Eis umher, welche der Schiffer, dem sie sehr gefährlich sind, schon in weiter Ferne an ei­ nem Hellen Scheine, Eis blink genannt, erkennt. — Eine dem Meerwasser ganz eigenthümliche Bewegung ist ein regelmäßiges Steigen und Fallen desselben, welches man Ebbe und Flulh nennt. Ungefähr 6 Stunden steigt es, bleibt kaum eint Viertelstunde in gleicher Höhe stehen, und fällt dann wieder 6 Stunden bis zu seinem tiefsten Stande herab, in welchem cs dann auch wieder eine Vier­ telstunde verweilt, bis er aufs Reue zu steigen beginnt,

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so baß in einem Zeitraume von 24 Stunden und etwa 50 Minuten, sich dieser Wechsel zweimal wiederholt. Die genaue Uebereinstimmung dieses Steigens und Fallens mit dem Mondeslaufe hat zu der Einsicht geführt, daß Ebbe und Fluth in der anziehenden Kraft des Mondes ihren Grund haben. Am stärksten zeigt sich Ebbe und Fluth in großen und offenen, viel schwächer in eingeschlos­ senen Meeren, und in Meeren, welche wie die Ostsee fast rings umher von Land umgeben sind, fast gar nicht. — Außer dieser allgemeinen Bewegung des Meerwassers ha­ ben einzelne Meerestheile noch besondere Strömungen. Die merkwürdigste dieser Strömungen ist zwischen den Wendekreisen, wo das Meerwasser beständig von Osten nach Westen strömt, was sich aus der täglichen Umdre­ hung der Erde mit ziemlicher Sicherheit erklären läßt. Der Anstoß und das Zurückprallen des nach Westen strö­ menden Wassers an den Küsten Amerikas bringt im At­ lantischen Meere eine Strömung nach entgegengesetzterRichtung hervor, welche unter dem Namen des Golf­ stromes bekannt ist. Die Gestalt der Küsten, die Züge der Berge und Klippen auf dem Meeresgrunde gegen den allgemeinen Strom des Wassers oder gegen Ebbe und Fluth, und andere Umstände, bringen an manchen Stel­ len besondere örtliche Strömungen, so wie auch Wirbel und Meerstrudel hervor.' Die Oberfläche des Landes bietet dem Auge des Beobachters eine große Abwechselung von Bergen, Hü­ geln, Ebenen und Niederungen dar; aber alle diese Theile Des Landes tragen die unverkennbarsten Spuren an sich, daß sie ursprünglich unter dem Wasser gebildet und aus dem Wasser hervorgegangen, aber auch nach ihrer ersten Bildung wieder vom Wasser überschwemmt worden sind. Sowohl die Lagerung der Erdschichten, als auch die Ueberreste von Seethieren, z. B. von Muscheln, Schnecken, Korallen u. dgl., geben hievon ein sicheres Zeugniß urib bestätigen die Aussage der heiligen Schrift, daß einst Was­ ser die jetzigen Berge und Ebenen bedeckt haben und vor dem Machtworte des Schöpfers geflohen sind, daß sie aber auf eben dieses Machtwort einst wiedergekehrt sind, alles Land aufs neue bedeckt und eine lebende Welt von Menschen und Thieren verschlungen haben. Aber auch außerdem müssen mit deni Erdboden große Deränderun-

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Die Erde im Allgemeinen,

gen vorgegangen sein, da man nicht bloß in unserm Deutschland, sondern auch in Sibirien, Nordamerika und anderen kälteren Landern, Ueberreste von Elephanten, Nasehörnern, Faulthieren, oder doch von Thieren, welche zwar in dieser ihrer Gestalt auf der Erde nicht mehr vor­ handen sind, aber doch den genannten sehr ähnlich gewe­ sen sein muffen, vorsindet, und eben so Ueberreste von Palmen, Bambusrohren und anderen Gewachsen, welche jetzt, so wie jene Thiere, nur in sehr warmen Landern gefunden werden. Die erstaunliche Menge solcher Ueberreste, welche sich an manchen Drten vorsindet, zeigt fast unwidersprechlich, daß diese Thiere und Gewächse vor Jahrtausenden in jenen Landern einheimisch gewesen sind, und daß sich also das Klima derselben völlig umgewandelt hat. Die aufmerksame Betrachtung solcher Ueberreste, welche man unter dem Namen Versteinerungen zu­ sammenfaßt, so wie der abwechselnd gelagerten verschiede­ nen Erdschichten und Sreinmassen, bietet den Naturfor­ schern daS vorzüglichste Mittel dar, über die frühere na­ türliche Geschichte unserer Erde einige, obgleich immer noch sehr ungewisse Vermuthungen auszusprechen. Die Berge, welche in größeren oder kleineren Grup­ pen zusammengereiht Gebirge, nach der Form ihrer Er­ streckung und Verbindung wieder Hühenzüge, Bergreihen, Bergketten u. s. w. heißen, bilden gleichsam das Gerippe des Landes, wodurch dessen loseren Bestandtheilen feste Haltung und Zusammenhang gegeben wird. Die höch­ sten derselben erheben sich in gerader senkrechter Richtung über eine Deutsche Meile, ragen weit in die Woiken hin­ ein, und sind wegen des ewigen Schnees und Eises, wo­ mit ihre Gipfel bedeckt, und roegen der dünnen nicht athembaren Luft, wovon sie umflossen sind, für die Men­ schen unersteiglich. An einem großen Gebirge unterschei­ det man das Hochgebirge, das Mittelgebirge und das Vorgebirge, womit die Eintheilung der Gebirge nach ihrem innerer: Bau in Urgebirge, Flözgebirge und aufgeschwemmtes Land ziemlich nahe zusam­ mentrifft. Die Urgebirge bilden den Kern, und daher gewöhnlich die innersten und höchsten Theile großer Ge­ birge. Sic bestehen größtenteils aus einer Steinart von körnigem Gefüge, welche sich nur in großen Blöcken und Felsmassen in ihnen vorsindet und den Namen Granit

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führt, welche aber in kleineren Stücken auch unter unsern sogenannten Feldsteinen sehr gewöhnlich vorkommt. Dabei enthalten sie gar keine Versteinerungen und Ueberreste von Seethieren, keine Steinkohlen und Salze, wohl aber in sogenannten Gängen mancherlei Erze, als Zinn, Silber, Gold, Blei, Kupfer und Eisen. Ihr ganzer Bau deutet darauf hin, daß sie die ursprünglichen Gebilde unseres fe­ sten Erdkörpers und unter Umständen entstanden sind, wo eine belebte Schöpfung in Thieren und Pflanzen dort noch nicht vorhanden war. Späteren Ursprunges sind die so­ genannten Flözgebirge, welche gewöhnlich den mittle­ ren Theil eines großen Gebirges ausmachen, und schon durch ihren Namen (von flözen oder flößen abgelei­ tet) auf ihren Ursprung aus dem Wasser Hinweisen. Sie bestehen größtentheils aus Sandstein, Kalk, Gyps und anderen Steinarten, welche in gleichlaufenden, meistentheils wagercchten Schichten über einander liegen, zwischenher aber auch Lagen von anderen Körpern, als Steinkohlen und Erzen, besonders kupferhaltigem Schiefer, in sich schlie­ ßen, und viele Muscheln und Versteinerungen, oft auch Salz, enthalten. Noch spateren Ursprunges ist das auf, geschwemmte Land, welches gewöhnlich die niedrigsten Stellen und Ebenen des Landes einnimmt und Sand, Kies, Lehm und Thon als die gewöhnlichsten Bestand­ theile enthält, übrigens zwar eine geringe Abwechselung von Mineralien, dafür aber ausgebreitete Ebenen mit frucht­ baren Ackerfeldern und schattigen Wäldern, große Flüsse mit lieblichen Ufern und grasreichen Niederungen, und waldbekränzte fischreiche Seen desto häufiger darbietet. Sehr merkwürdig sind unter den Bergen die feuer­ speienden Berge oder Vulkane, gewöhnlich einzeln liegende Spitzberge von kegelförmiger Gestalt, welche aus einer großen Oeffnung, Krater genannt, fortwährend dicke schwarze Rauchwolken emporsenden; von Zeit zu Zeit erfolgen dann heftigere Ausbrüche, bei welchen unter furchtbarem Krachen und Beben der Erde mit diesen Rauchwolken ungeheure Fcuersaulen emporsteigen, Blitze aus den Wolken in den Feuerschlund hinab und aus die­ sem in die Wolken hinauffahren, große Steine und viele glühende Asche in die Höhe geschleudert werden, und mei­ lenweit von dem Berge als ein Regen wieder herabfallen, gewöhnlich auch ganze Ströme einer glühenden Materie,

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Lava

Die Erde im Allgemeinen.

genannt, aus einem Schlunde, welcher sich an der Seite des Berges zu öffnen pflegt, herausfließen und in äangsamer Bewegung.fortschreitend große Verwüstungen anrichten. Ganze Dörfer und Städte sind zuweilen un­ ter solchem Aschenregen und unter Lavaströmen begraben worden. In naher Verbindung mit den feuerspeienden Bergen stehen die sogenannten Erdbeben, welche zuwei­ len ganze Länder in Furcdt und Schrecken setzen, und Lausende von Menschen unter den Trümmern eingestürz­ ter Häuser begraben. Im Jahre 1755 verloren bei einem solchen Erdbeben in der Stadt Lissabon mehr als 20000 Menschen ihr Leben. Eine im Innern der Erde nie er­ löschende Gluth, welche aus unbekannten Ursachen von Zeit zu Zeit in ihren Wirkungen nach außen stärker her­ vortritt, scheint dann große Massen unterirdischer Gewäs­ ser schnell in Dämpfe zu verwandeln, welche sich nun mit Gewalt einen Ausweg verschaffen, indem sie die über ihnen befindliche feste Erdkruste an den dünnsten Stellen durchbrechen. Die gleichzeitigen Ausbrüche von Vulkaney, welche von einander sehr entfernt liegen, und die weite Erstreckung mancher Erdbeben über ausgedehnte Länder, zuweilen durch mehre Welttheile hindurch, deuten auf eine sehr allgemeine Verbreitung der Ursachen solcher furchtba­ ren Erscheinungen und auf einen sehr ausgedehnten Zu­ sammenhang solcher unterirdischen Raume, in welchen sich die hervorbrechenden Wafferdämpfe entwickeln. Wie dank­ bar haben wir es anzuerkennen, daß der Boden unseres ebenen Vaterlandes durch eine stärkere Erdkruste von je­ nem Heerde getrennt ist, wo jene furchtbaren Naturereig­ nisse sich erzeugen, und wie leicht können wir in unserer gefahrlosen Ruhe die großartigeren Naturschönheiten und die reicheren Erzeugnisse der mehr gebirgigen und wärme­ ren Länder des Südens entbehren! Die Gebirge sind sehr wichtige Glieder in der Kette des großen Naturzusammenhanges auf Erden. In ihrem Innern schließen sie Erze, Edelgesteine und viele sehr nützliche Mineralien ein, welche von den Menschen mit saurer Mühe und Arbeit ans Licht gefördert werden; auf ihrer Oberfläche tragen sie ausgebreitete Wälder und eine große Mannichfaltigkeit von Gewächsen, welche in dieser Abwechselung auf der Ebene nirgends gedeihen können. Sie halten scharfe Winde ab, mäßigen die Hitze, und be-

Die Erde im Allgemeinen.

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wirken zuweilen, daß in einem kleinen Raume die An­ nehmlichkeiten und eigenthümlichen Erzeugnisse sehr ent­ fernt liegender Erdstriche vereinigt werden. Sie bilden natürliche Bollwerke gegen die gewaltsamen Einbrüche des Meeres und haben augenscheinlich große Länder geschützt, welche sonst unausbleiblich vom Meere verschlungen wären. Am wichtigsten Und wohlthätigsten äußert sich aber ihr Einfluß in die gesammte Haushaltung der Natur durch die Art, wie sie den Kreislauf des Wassers befördern. Die höchsten Gebirge, welche über die Schneegränze rei­ chen, haben auf ihren Gipfeln unerschöpfliche Vorräthe von Schnee und Eis, welche allmählich durch den Ein­ fluß der Sonne zerschmelzen und als Wasser an den Sei­ len herabrinnen. Die niedrigeren, mit Moos, Kraut und Laubholz bewachsenen Bergwände, welche fast immer von Wolken und Wafferdünsten umgeben sind, ziehen unmerk­ lich Feuchtigkeiten aus der Luft an sich; jeder Mooshalm ist ein Saugäderchen, welches Feuchtigkeit aus den Wol­ ken einzieht und in den Erdboden leitet. Daher finden sich auf den Gipfeln hoher Berge Sümpfe, Torfmoore und kleine Seen, welche die Behälter dieser Flüssigkeiten werden. Aus jenen Schnee- und diesen Wasserbehältern nehmen Quellen ihren Ursprung, welche an den Berg­ abhängen hinab in die Thäler fließen; mehre Quellen vereinigen sich zu Bächen, mehre Bache zu Flüssen und «trömen, welche die Ebenen des Landes durchziehen, Felder und Wiesen bewässern und befruchten , Menschen und Thiere tränken, schwer belastete Kähne und Schiffe tragen, und durch erleichterten Handel und Verkehr die Thätigkeit der Menschen anrcgen, bis alle diese Gewässer den unermeßlichen Wasserbehältern der Meere zuströmen, von wo aus durch Verdünstung der Kreislauf des Was­ sers von 9kuem beginnt. Von den Gebirgen aus senkt sich die Oberfläche desLandes im Ganzen genommen immer tiefer zum Meere hinab, welches man die Abdachung des Landes nennt. In den meisten Gegenden findet sich hügeliges Land, mit allmählich sich erhebenden Anhöhen und abwechselnd sich herabsenkenden Vertiefungen. Es giebt aber auch hie und da sehr ausgedehnte Ebenen, auf welchen das Auge viele Meilen weit umher fast gar keine Spur von Erhöhungen erblickt. Manche dieser Ebenen, Sandsteppen genannt.

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Die Erde im Allgemßinen.

bestehen aus losem Sande, in welchem fast kein Gewächs wurzeln kann, und welcher, von Sturmwinden zu Sandwölken emporgehoben, zuweilen Menschen und Thiere begräbt; andere sind mit einer so fruchtbaren und reinen Erde bedeckt, daß man in weiten Länderstreckm auch nicht den kleinsten Stein sieht, woher man sie Lanvsteppen nennt; wenn dabei hinreichende Feuchtigkeit im Boden vorhanden ist, so sind sie gewöhnlich mit sehr üppigem Grase bewachsen, welches zahlreiche Biehheerden ernährt, wovon sie dann auch Grassteppen heißen. Manche solcher Ebenen, die man Niederungen nennt, haben eine so niedrige Lage, daß sie sich nur wenig über die Meeresfläche erheben; einzelne Theile derselben liegen zu­ weilen sogar niedriger als die Meeresflache, und können nur durch starke Dämme oder Deiche gegen daS ein­ dringende Meerwasser geschützt werden. In einigen, be­ sonders gebirgigen, Ländern werden große Höhlen ange­ troffen, deren einige meilenweit sich in größtentheils wa­ gerechter Richtung unter die Erde, zuweilen selbst unter den Meeresgrund fort erstrecken, andere bis zu einer un­ ergründlichen Tiefe in das Innere der Erde hineinreichen, vielleicht eben so tief, als die höchsten Berge über die Oberfläche der Erde emporragen. Land und Wasser begränzen sich gegenseitig, und ein­ zelne Theile derselben erhalten nach der verschiedenen Ge­ stalt, welche diese Begränzung ihnen giebt, verschiedene Namen. Am Lande unterscheidet man hienach Küsten und User, — Inseln und Werder, — Halbinseln, Landzungen, Landspitzen und Vorgebirge, — Landengen. Die Gewässer theilt man in fließende und stehende. Fließende Gewässer sind: Quellen, Bäche, Gräben, Kanäle, Flüsse und Ströme; — stehende Gewässer sind: Pfützen, Pfühle, Teiche, Weiher, Landseen, bei welchen man wieder offene und Binnenseen oder Steppenseen unterscheidet, und Meere. Meere und Meerestheile heißen nach ihrer Begränzung: offene Meere, Binnenmeere, Mee­ resarme, Meerbusen, Baien, Buchten und Meer­ engen. Alles Land, welches sich zu einem bestimmten Gewässer hin so abdacht, daß das auf ihm rinnende Was­ ser jenem Gewässer zufließt, heißt das Gebiet dieses Gewässers, und man unterscheidet hienach Quellgebiete,

Die Erde im Allgemeinen.

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Bachgebiete, Flußgebiete, Seegebiete und Mee» res geb! etc, welche durch Wasserscheiden von eine­ ander getrennt werden. Wenn man die Bertheilung von Land und Wasser auf einem sehr verkleinerten Adbilde der Erde (GlobuS oder Erdball — Planiglobium) betrachtet, so un­ terscheidet man auf den ersten Blick zwei große Länder­ massen, welche zwar, wie alles Land auf der Erde, vom Meere umflossen, und also Inseln sind, welche aber, weil sie alle übrigen Inseln an Größe sehr weit übertreffen, Festländer oder Kontinente genannt werden; nach ihrer Lage gegen den ersten Meridian nennt man sie ein­ zeln die Ostfeste oder daS östliche, und die Westfeste oder das westliche Kontinent. 'An der Ostfeste un­ terscheidet man wieder den nordwestlichen Theil, Europa, — den nordöstlichen Theil, Asien, — und den südwest­ lichen Theil, Afrika. Die Wcstfeste führt auch den Na­ men Amerika, und ist durch die Natur selbst sehr deut­ lich in Nordamerika und Südamerika getheilt, welche nur durch eine Landenge zusammenhängen. Süd­ östlich von Asien liegt die Insel Neuholland, nächst den beiden Festländern die größte unter allen Inseln auf der Erde, welche man mit vielen anderen in dem großen Meere zwischen Asien und Amerika zerstreut liegenden Inseln und Inselgruppen unter dem Namen Austra­ lien zusammenfaßt. — Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien heißen die fünf Welttheile. Zu jedem Welttheile rechnet man die zunächst gelegenen Inseln als Nebentheile hinzu. — Auf ähnlich« Weis« werden nach dem zwischcnlicgenden Lande, welches wenigstens auf weite Strecken hin Meerestheilcn feste Gränzen giebt, fünfHauptabtheilungen des Gesammtmeeres unterschieden, welche man die fünf Oceane oder Weltmeer« nennt, näm­ lich: das nördliche Eismeer, das südliche Eis­ meer, das westliche Weltmeer, dessen beide Haupt­ theile das Atlantische und das Aethiopische Meer sind, das östliche Weltmeer oder der Austral-Ocean, welcher aus dem Stillen Meere und der Südsee besteht, und das Indische Weltmeer. Folgende ganz kurze Uebersicht enthält wenigstens di« Namen der wichtigsten Gegenstände, welche in Hinsicht auf die natürliche Beschaffmheit jedes WeltkheileS vor

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Die Erde im Allgemeinen,

eyldqm demerkenöwerth find. Um für die Einbildungs­ kraft ein deutliches Bild von jedem Welttheile ju gewin­ nen und die Gestatt desselben, welche von seiner äußeren Vegränzung abhängig ist, sich tief einzuprägen, ist für jeden Welttheil erst alles dasjenige angegeben, was am Umfange desselben umherliegt, und wodurch also seine Gestatt bestimmt wird, und dann erst, was im Innern des Welttheileö liegt. Europa,

dessen natürliche LandgrLnze gegen Assen der Ural und CaucasuS bilden.

Umherliegenve Meere und Meerestheilc: Das nördliche Eismeer mit dem Meißen Meere. — Das Atlantische Meer, dessen Haupttheile das Nordmeer, die Nordsee oder das Deut­ sche Meer mit der Nordseebucht und dem Kattegat, die Ostsee oder das Baltische Meer mit dem Bothnischen und Finnischen Meerbusen, das Irländische Meer mit dem Georgskanal und Nordkanal, und das Biskavische Meer find ; — das Mittellän­ dische Meer, dessen Theile das Tyrrhenische oder Toskanische M., das Adriatische M., das Ionische M., der Griechische Archipelagus oder das Aegeische M., das Marmora -M., das schwarze M. und das Asowsche M. find. Die merkwürdigsten Meerengen, welche verschiedene Meerestheile mit einander ver­ binden, find: der kleine und große Belt, der Sund, der Kanal la Manche mit dem.PaS de Calais, die Straße von Gibraltar, die Straße von Messina, die Straße der Dardanellen, dw Straße von Constautinopel und Nc Straße von Kaffa. — Das Kas­ pische Meer, ein großer Binnensee, liegt aus der Gränze ge^ gen Asien. Inseln: Nova Iembla, Spitzbergen; — die Norwegischen Inseln, Island, die Färöer-I., Shetländiscben I., Orkaden, Hebriden, Großbrittanien, Irland, Seeland, Fühnen, die kleinen Dänischen Inseln, Rügen, Bornholm, Gothland, Oeland, Oesel, AlandsInseln, Schwedische und Finnische Schären, die Niederländischen Inseln; — Iviza, Majorka und Minorka, Korsika, Elba, Sar dinien, Sizilien, Malta, die Dalmatischen und Jonischen Inseln, Kandka, die Inseln deö Griechischen Archipelagus. Halbinseln: die Lappische Halbinsel, Skandinavische Hbs. oder Norwegen und Schweden, Jütland, Bretagne, Pyrenäen-Hb,, oder Spanien und Portugal, Apenninen-Hbs. oder Italieu, Istrien, Balkans-Hbs. mit Morea, Krimm. Vorgebirge oder Caps: Nordkap, Statenkap, C. Lindednäs, Skageu, DungSbyhead, Landsend, Matthieu, FiniSterre, Sincent, Tarisa, Spartivento, Leuca, Linguella, Matapan — E. Faro, Lilibeo, Paffaro. Gebirge: Die Alpeu, deren Mittelpunkt der St. Gotthard und deren höchste Spitze der Montblanc (14676') ist ; die Aperni-

Die Erde im Allgemeinen.

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nen und deren Fortsetzung auf den Inseln Sizilien, Sardinien und Korsika, worin die Vulkane Vesuv und Aetna; Jura, Vo­ gesen, Ardennen, die Gebirge GroßbrittanienS; Gebirge Is­ lands, worin die Vulkane Hekla und Krabla; Sevennen; Py­ renäen; Sierrenzüge, in der Pyrenäen - Hbf.; Schwarzwald und Raube Alp; Fichtelgebirge, Thüringerwald, Harzgebirge mit dem Brocken, Erzgb., Ricsengb., Sudeten, Böhmerwald, Mährisches Geb.; Karpathen, Balkanqb., Gebirge Griechen­ lands, — Wolchonski-Höhe mit den Waldaibergen; KjölcnGb.; Eaucasus und Ural, die natürliche Gränze gegen Asien. Welche Gebirge bilden die Wasserscheide der Abdachung zu den nördlichen und der Abdachung zu den südlichen Meeren? In welche Mecrcsgcbiete zenällt jede dieser Abdachungen? WelcheGebirge und Heheuzüge bilden die Wasserscheiden dieser Meereögebietc?

Land feen: Bodensee, Wener, Ladoga, Onega, Finnische Seerr^ Meter, Malar; — Genfer - See, die südlichen Alpenseen, Plattensee.

Ströme und Flüsse (Hauptstüsse, Nebenflüsse und Küstenstüsse): Guadalquivir, Guadiana, Tajo, Douere; Garoune, Loire, Seine; Schelde, Rbein, Weser, Elbe; Oder, Weichsel, Riemen. Düna, Newa, Schwedische Elfen; Gotba-Elf, Glommen; Dwina Themse; — Ebro, Nbonc, Liber, Po; Mariza; Donau, Dnieper, Don; Wolga, Ural. A s i e u.

Umliegende Meere und Meerestbcrle: Das nördliche Eis­ meer. — Zum östlichen Weltmeere gehören; das Kamtschatkische, Ochozkische, Japanische und nördliche Ehinesische Meer. — Zum Indischen Weltmeere: der Indische Archipelagus, das süd^ liche Eblnenfche Meer mit den Meerbusen von Tonkin und Siam, das Bengalische M., Arabische M. mit dem Persischen und Arabischen Meerbusen oder dem Rothen Meere. — Zum Mittelländischen Meere: das Syrische M., der Griechische Ar­ chipelagus, das Marmora -M. und Schwarze Meer. Meerengen: Eook-Behrings-Straße, Sunda-Str., Malacca Str.; Straße der Dardanellen und Str. von Eonstantinopel.

Inseln: Nova Zembla; — Aleutische, Kurilische, Japanische I., Fornwsa; — Philippinen, Molucken oder Gewürz-J., die gro­ ßen Sunda-J. Borneo, Eelebes, Java und Sumatra; die klei­ nen Sunda-I., Nikobaren, Andamanen, Ceilon, Malediven^ Lakediven, Socotora; — Eypern, RhoduS und die östlichen In­ seln des Griechischen Archipelagus.

Halbinseln: Obv-Hbs., Samojeden, Hbf., Tschuktschen- Hbf., Kamtschatka, Korea, Hiuterindien mit Malacca, Vorderindien, Arabien, Natolien. Vorgebirge: Eiökap, Ostrap, Lopatka, Romania, Comorln.

Gebirge: das große Altai-Gb., Mustag, Himalaya mit dem Dawalagiri (26962'), dem höchste« bekannten Berge ans der Erde,

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Die Erde im Allgemeinen. Alpen von Tibet, Chinesische Gb.; — kleine Altai, Gongarische (UV.-, Sibirische Gb.; Iablonoi, Stunowot, Tnigufische Gb., Kamtschatkische Gb., Gb. von Korea; Gb. HknterindieuS u«d Vorderindiens; das Kaspische, Persische vad Armenische Geb.; Caircasn-, TauruS, Libanon, Geb. Palästina- nnv Arabien-.

Natürliche Eiutheiluug: Hochasieu; das Gebiet der großen Binnenseen, nämlich des Kaspischen Meeres nnd Aralsees; Ge­ biet des nördlichen Eismeers, des östlichen Ocean-, Indische« Oceans nnd Mittelländischen Meeces. Steppe«: Kobi oder Schamo, Aralsteppe, Gedrofia, Arabische Steppe.

Persische Steppe oder

Landseen: Kaspische Meer, Aral, Lopser; — Baikal, Satsan; — Psyang, Tongting. Ströme und Flüsse: Jecken; — Dschihon; — Oby, Ienisei, -ena; — Amur, Hoang, Iantsekiang; — Menam, Lnkian, Irawabdy, Brnmapnter und Ganges, Indus, Euphrat mit dem Tigris. Afrika. Umherliegende Meere und Meerestheile: Das Mittel­ ländische Meer mit dem Syrischen und Syrtischen M.; das At­ lantische M.; da- Aethiopische M. mit dem M. von Gninea; — da- Indische Weltmeer mit dem Kanal von Mosambique und dem Arabischen M., wozu auch der Arabische Meerbusen oder das Rothe M. gehört. —

Meerengen: die Straße von Gibraltar und Str. Babelmandeb.

Inseln: Portosanto und Madera; die Kanarischen I., worunter Canaria, Teneriffa uud Ferro; die I. des grünen Vorgebirges; die Guinea -I.; Helena; Ascension; — Madagaskar, Isle de France, Bourbon, die Comorren, Sechelleu, Sokotora (anch zu Asien gerechnet). Vorgebirge: C. Spartet; — C. Bojador; das weiße und grüne Vorgeb.; da- Palmen-Vgb.; das Schwarze Vgb.; Vgb. der gute» Hoffnung; — C. Guardafui.

Gebirge: Atlas, das westliche und östliche Rilgeb.; die Abysstnischeu Alpen; das Mondgeb. oder Komri; Kong-Gb.; Lupata; Schneegeb. — Pic von Teneriffa (13278').

Natürliche Eintheilu ng: eine nördliche Abdachung zum Mit­ telländischen Meere; eine westliche Abdachung zum westliche« Weltmeere; eine östliche Abdachung zum Indischen Weltmeere; — in der Mitte ein nördliches Binnenland mit der Sandsteppe Sahara nnd ei« südliches Binnenland. Die Gränzen und die Ausdehnung dieser Laudgebiete sind sehr ungewiß. Seen: Tschad, Nigerbecke«, Marawi. Aküsse: Ml; — Senegal, Gambia, der räthselhafte Niger oder Dschottbs; Zaire; — Zambeze.

Die Erde im Allgemeinen.

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Amerika. Umliegende Meere und Meerestheile: Das nördliche Eis­ meer. — Zum westlichen Ocean gehören hier: im Atlantischen Meere das Eskimoische M. mit der BaffinSbai und HudsouSbai, die Lorenzbai; das Antlllische M. mit der Karaibischen See und dem Mexikanischen Meerbusen; — im Aethiopischen M. das Brasilische M. und Patagonische M. — Zum östlichen Oceane gehören der Golf von Chili, die Meerbusen von Arika und Panama, der Kalifornische Meerbusen oder das Purpurmeer, das Kamtschatkische M- — Meerengen: der Lankastersund, die Magellansstraße und CookBehrings-Straße. Inseln: Grönland, die Hudsvnsbai-I., Neufouudland mit ihren Nachbarinseln, die Azoren (auch zu Europa oder Afrika gerech­ net), die Bermuden; — Westindien: die großen Antillen, Cuba, St. Domingo oder Haiti, Portoriko und Jamaika, die kleinen Antillen, die Lukayischen oder Bahama-J.; — die Falklands I.; — Feuerland, die I. im Golf von Chili, Juan Fernandez, GallopagoS oder Schildkröten-I., die Inseln längs der NortzWestküste Amerikas, Kodjak, die Aleuten. Halbinseln: Labrador, Reuschottland oder Akadien, Ost-Florida, Dukatau, Kalifornien, Alaschka. Vorgebirge: C. Farewell oder Statenhuk, S. Roque, C. Horn, C. Prinz Wales. Gebirge: die Cordilleras oder Anden mit dem Chimborasso (201180, Chiquitos, Geb. von Guayana; Geb. von Caraceas; — Geb. von Darien, Anahuak-Geb., das westliche Küstengeb. mit dem Kalifornischen Gb., das Felsengb., der Kanadische Bergrücken,, die weißen Berge, die Aleghanen, Apalachen, oas HudsonsbaiGebirge. Natürliche Eint Heilung: Nordamerika mit drei Abdachungen: einer westlichen zum östlichen Ocean, einer nordöstlichem zum nördlichen Eismeere und Nordatlantischeu Meere und einer süd­ östlichen zum Südatlautlschen M. — Südamerika mit drei Abdachungeu: einer nordöstlichen zum Atlantischen M., einer süd­ östlichen zum Aethiopischen Meere und einer westlichen zum öst­ lichen Weltmeere. Seen: die Kanadischen Seen Winnipeg, Obersee oder Superior, Huron, Mischigan, Erie und Ontario; Büffelsee, Athapeskow und Sklavensee; — Marakaibo und Parime, letzterer ungewiß. Ströme und Flüsse: Mackenzie-Fl., Lorenz-Fl., Misfisippi mit dem Missouri und Ohio, Bravo oder Nordstrom; — Orinoko, Maranhon oder Amazenenstrom mit dem Madera und Tokantine, Plata oder Silberstrom, welcher a»S dem Zusam­ menflüsse des Parana, Paraguay und Uruguay entsteht.

Australien besteht aus der großen Insel Neuholtand, welche wegen ihrer Größe auch wohl schon ein Festland genannt wird, mehren andern großen

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Die Erde im Allgemeine».

unb vielen kleinen Inseln nnd Inselgruppen, welche im östlichen Wir unterscheiden 1) die südliche Jnsclreihe: Neuholland, fast so groß als Eu­ ropa, mit den beiden Vorgebirgen E. Uork und E. Wilson, dein Meerbusen von Earpeataria und den blauen Bergen im In­ nern;— BandienicnS - Land; Norfolk-J.; Neuseeland, ans zwei durch tic Eooksstraßc getrennten Inseln bestehend. 2) die mittlere Jnsclreihe: Reu-Guinea, Louisiade, Neu. Brittanien, Neu-Irland, Neu Hannover, Neu-Georgien, Neu( den, da seine Nachfolger sogleich das Bekenntniß des christ­ lichen Glaubens erneuerten und in ununterbrochener Folge bei demselben beharrten, bis auch die letzten Spuren des Heidenthumes im ganzen Umfange des großen Römischen Reiches vertilgt waren. So wie aber Zeiten des äuße­ ren Glückes für das innere wahre Leben einzelner Men­ schen, wie ganzer Völker und Staaten, immer die gefähr­ lichsten sind, so wirkte auch diese plötzliche Erhebung aus Druck und Noth zu äußerem Wohlstände und Glanze in vielfacher Hinsicht nachtheilig aus das Innere der christli­ chen Kirche ein, indem nun alle Keime sittlicher Verderbniß, welche schon seit der Apostel Zeiten sich in dieselbe eingeschlichen hatten, aber unter dem Drucke der Noth größtentheils verborgen geblieben waren, ungescheut ans Tageslicht hervorbrachen und die Erfüllung der Weissa­ gung des Herrn darstellten, daß das Reich Gottes auf Erden einem Acker gleichen werde, auf welchem Waizen und Unkraut neben einander emporwachsen und bis zum Tage der Ernte zusammen bleiben werde. Die bisher einfachen Anstalten des öffentlichen Gottesdienstes wurden, zum Theil durch Constantins und seiner Nachfolger wohl­ gemeinte Freigebigkeit, prachtvoll und glänzend und lenk­ ten den Sinn der Christen von dem Inneren und Wesent­ lichen auf das Aeußere hin, was für uns als sinnliche Menschen nur Mittel zum Zwecke sein sollte. Die Geist­ lichen gewannen immer größeres Ansehn und fingen an, einen durch äußere Vorzüge abgesonderten, und zwar den

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ersten Stand der kirchlichen Gesellschaft zu bilden, dessen Mitglieder sich nach mannichsachen Stufen der Unterord­ nung in Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Priester, Dia­ konen u. s. w. theilten und, von Ehrgeiz erfüllt, mehr dahin trachteten, über das Volk zu herrschen, als Vorbilder der ihnen anvertrauten Heerde zu sein; insbesondere sin­ gen die Bischöfe zu Rom, als der Hauptstadt des Römi­ schen Reiches, an, sich über alle anderen zu erheben, und als Nachfolger des Apostels Petrus auf dem Römischen Bischofsstuhle den Vorrang vor allen in Anspruch zu neh­ men. Die dankbare Erinnerung an fromme und heilige Männer, welche als Vorbilder zur Nachahmung aufgestellt waren, insbesondere an die Märtyrer der christlichen Kirche, artete nach und nach fast in Anbetung derselben aus und führte gewissermaßen einen neuen Götzendienst ein. Ueberreste ihrer Gebeine, Stücke von ihren Kleidern, und an­ dere ihnen nahe gewesene Dinge wurden unter dem Na­ men Reliquien als kostbare Kleinode verehrt und ihnen große wunderthatige Wirkungen beigelegt. Reisen zu ihren Grabern und anderen heiligen Oertern, Wallfahrten ge­ nannt, wurden als sehr verdienstlich betrachtet, und es wurde Heilung von Krankheiten und anderen Uebeln davon erwartet. Ueberschatzung der Fasten und äußerlicher Andachtsübungen führte von Aegypten her dasEinsiedler- und Kloster­ leben in die christliche Kirche ein und erwarb Mönchen und Nonnen das Ansehn von Heiligen. Geschenke an Kirchen und Klöster wurden aus Eigennutz dem Volke als unfehlbare Mittel dargestellt, Vergebung der Sünden und Seligkeit zu erwerben. Acußcre Werkheilizkeit und Aber­ glaube traten unter immer neuen Gestalten auf und lenk­ ten den Sinn der Christen von dem wahren Heilswege ab. Das einseitige Bestreben vieler Christen, die Wahrheiten der Religion, auch selbst die Tiefen der Gottheit, welche nur der Geist Gottes zu ergründen vermag, mit dem Verstände begreifen zu wollen, stürzte Viele derselben in Irrlehren, welche dann große Spaltungen in der Kirche verursachten. Wenn solche Irrlehren und Spaltungen gefährlich zu werden drohten, so traten gewöhnlich viele Geistlichen, als Vorsteher und Vertreter der Gemeinden, in sogenannte Kirchenversammlungcn, Synoden und Concilien zusammen, untersuchten die streitigen Lehren nach dem Inhalte des göttlichen Wortes, bald

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auch mit Zuhülfenahme einer mündlichen Ueberlieferung oder Tradition, welche aus apostolischer Zeit herrüh­ ren sollte und nach und nach immer größeres Ansehn, ja mit der Zeit das Uebergewicht über das geschriebene Wort Gottes gewann, und schloffen die Irrlehrer, wenn sie hartnäckig auf ihren Irrthümern beharrten, nebst ihren Anhängern, unter dem Namen Ketzer, von der Gemein­ schaft der christlichen Kirche auS. Eine der merkwürdig­ sten unter diesen Kirckenversammlungen wurde im 3. 325325 unter dem Vorsitze des Kaisers Eonstantins des Großen selbst zu Nicaa gehalten, und es wurden auf derselben alle Anhänger eines gewissen Arius als Ketzer ausge­ schlossen, welcher gelehrt hatte, daß Jesus Christus nicht der ewige Sohn Gottes, sondern nur das erste Geschöpf Gottes und also nicht gleiches Wesens mit dem Vater, sondern geringer als der Vater sei. Die Sekte der Ari­ aner wurde dessenungeachtet immer zahlreicher und ver­ ursachte großen Zwiespalt in der christlichen Kirche, wie im Römischen Reiche, verschwand aber doch allmählich als besondere kirchliche Partei. Von da ab wurden die ein­ seitigen Verstandesgrübcleien über die Person Jesu Christi und über das Verhältniß der Gottheit und Menschheit in ihm immer häufiger, was doch alle Christen als ein über die menschliche Erkenntniß hinaus liegendes und zu den Tiefen der Gottheit gehöriges Geheimniß um so wil­ liger anerkennen sollten, als jeder Mensch nickt einmal in seinem eigenen Wesen die Verbindung der Seele mit dem Leibe deutlich zu erkennen vermag. Die hieraus ent­ standenen großen Streitigkeiten gaben mehren christlichen Sekten des Morgenlandes ihren Ursprung, deren einige noch bis auf jetzige Zeit in ihrer Trennung bestehen. Ueberhaupt aber war das entartete und in tiefes Sit­ tenverderben versunkene Römische Volk nicht ein geeig­ netes Gefäß, um das kostbare Kleinod des christlichen Glaubens und der evangelischen Wahrheit treu aufzube­ wahren und unverdorben den nachfolgenden Geschlechtern der Menschheit zu überliefern. In der Hand Gottes war dieses Volk als das Werkzeug gebraucht worden, dem Christenthum aus Erden Bahn zu brechen und Alles, was Morgenland und Griechenland durch Ersindungsgeist, Nachdenken und Uebung für Wissenschaft und Kunst er­ obert hatren, als Vermittler mit dem Christenthume in

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unmittelbare Verbindung zu bringen und dem Reiche GotteS dienstbar zu machen. In dem Zustande schauderhaf­ ter Ausartung und Verweichlichung, wozu die Römer jetzt herabgesunkcn und worin sie nun schon seit Jahr­ hunderten verblieben waren, konnte eben so wenig Wissen­ schaft und Kunst «US wahre Religion und Frömmigkeit unter ihnen gedeihen, sondern wurden nur zu Zerrbildern des wahren Wesens entstellt, ja sie würden bei der Fort­ dauer eines solchen Zustandes unter den Menschen völlig untergegangen sein. Um dieses zum Heile der Mensch­ heit zu verhüten, ergriff die göttliche Vorsehung aufs Neue ein außerordentliches, allen menschlichen Erwar­ tungen nicht entsprechendes, selbst von den Besseren der damaligen Zeit mit Furcht und Schrecken angeblicktes Heilmittel. Sie setzte die zahlreichen Völker des Deut­ schen oder Germanischen Stammes, deren Tapferkeit schon früher den Eroberungen der Römer eine feste Gränze ge­ setzt hatte, durch die Völkerwanderung in Bewe­ gung. Von Osten her durch das aus dem Innern Asiens sich in unermeßlicher Zahl nach Europa ergießende Volk der Hunnen aus ihren Wohnsitzen verdrängt, geriethen alle unaufhaltsam in Bewegung und suchten neue Wohn­ sitze in südlichen wärmeren Ländern. Roh und ungebil­ det, aber voll rüstiger unverdorbener Jugendkrast, und alle Keime höherer geistiger Ausbildung noch unentwickelt in sich tragend, warfen sie sich auf die Provinzen des Römischen Reiches, wo die verweichlichten Römer ihnen keinen erheblichen Widerstand entgegenzusetzen vermochten. Mit unweiser Berechnung des Erfolges theilte Kaiser 395Theodosius der Große das Römische Weltreich in zwei Hälften, das Abendländische Kaiserthum mit der Hauptstadt Rom und das Mvrgenländische Kaiserthum mit der Hauptstadt Constantinopel, und übergab sie seinen beiden Söhnen Honorius und Arcadius, um den von Westen und Osten her eindringknden zahlreichen Feinden kräftigen Widerstand entgegenzusetzen; diese Theilung führte aber nur eine noch größere Schwächung des Reiches herbei. Unaufhaltsam drangen die Deutschen Barbaren, wie die Römer sie nannten, herein; Wissenschaft und Gelehrsamkeit wurden von ihnen aus Unkunde ihres Werthes verachtet, die schön­ sten Denkmäler der Kunst zerstört, Kirchen und Altäre

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schonungslos verbrannt, die Einwohner ihres Eigenthumes beraubt, und alle scheinbar so fest begründeten Formen bürgerlicher und gesetzlicher Ordnung umgestürzt. Trauernd und wehmüthig blickte auch der wahre Menschenfreund, welcher sich von dem Sittenverderbcn der Römerwelt fern gehalten hatte, auf diesen Gräuel der Verwüstung hin, durch welchen Alles niedergerissen wurde, woran sich seine Hoffnung auf ein dereinstiges schöneres Erblühen der Menschheit knüpfte; ihm schien es vielleicht um Kunst, Wissenschaft, Geistesbildung und wahre Religion, diese kostbarsten Güter der Menschheit, unwiederbringlich gethan, und er sahe mit Grausen die Nacht der Unwissenheit und der Sünde hereinbrechen, in welcher der Mensch zum Thiere, ja unter das Thier herabsinkt. Und doch sollte nach göttlichem Rathschlusse diese Sündfluth, welche sich über das geistige Leben der damaligen Welt ergoß, das gesegnete Mittel werden, um die wahre geistige Bildung der Menschen noch tiefer zu begründen und ihnen die scheinbar verloren gegangenen Güter in verjüngter und schönerer Gestalt zurückzugcben. Die Samenkörner und Keime der höheren Bildung, welche in den entarteten Römerseelen, wie in einem ausgemergelten Boden, doch nur verwelkt und verweset waren, wurden, wie von Sturm­ winden in weiten Kreisen umhergeschleudert und schienen lange dem menschlichen Auge ganz erstorben. Aber sie waren nur in einen noch ungerührten, von Luft und Sonnenwarme noch nicht durchdrungenen und vorbereite­ ten Boden gefallen, der aber noch von aller ursprünglich in ihn gelegten Naturkraft erfüllt war, um zu seiner Zeit frisches und kräftiges Leben hervorzutreiben. Hier lagen sie lange Zeiträume hindurch unbemerkt, aber treu aufbe­ wahrt, und als durch große Umwälzungen, die alles Be­ stehende erschütterten und niederwarfen, der Boden auf­ gelockert und seinen Bestandtheilen diejenige Gährung mit­ getheilt war, wclche die Erzeugerinn neuen Lebens wird, da keimten die in ihn hineingelegten Samenkörner alS ju­ gendlich frische lebenskräftige Gewächse von eigenthümlicher Gestaltung hervor. Bald nach der Theilung des Römischen Reiches drang Alarich, der Westgothen König, in Italien ein, er-40S oberte Rom und schaltete darin nach Willkühr, ging dann aber durch Frankreich nach Spanien und grün-

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bete dort ein Reich Germanischen Ursprunges, welches bis ans unsere Zeiten besteht. — Die vor ihm dorthin ge­ kommenen Vandalen flohen vor den Westgothen nach Afrika und gründeten in Nordafrika ein VandalischeS 4A»Reich, welches etwas über 100 Jahre bestand. — Die bis'Angeln und Sachsen, Deutsche Volksstämme an den ^Mündungen der Elbe und Weser, setzten nach England über, und legten den Grund zu dem großen Brittischen 449Reiche. — Attila (Etzel), König der mit den Mon­ golen oder Kalmücken verwandten Hunnen, die Geißel Gottes, durchzog mit zahllosen Horden seines rohen Vol­ kes Italien, und ging, nachdem er dort Alles verwüstet 452hatte, nach Frankreich, wo er eine große Niederlage bei Ehalons erlitt, welche ihn nöthigte, gegen Osten zurück­ zugehen, wo sein Volk bald so in Unberühmtheit zurück­ sank, daß auch sein Name in der Geschichte verschwand. 476Odoaker, Anführer der Heruler und Rugier, eben­ falls Deutscher Vvlksftämme, machte dem AbendländischRömischen Reiche ein Ende, indem er den letzten Kaiser, Romulus Augustulus, des Thrones entsetzte, und sich zum König von Italien machte. — DaS Mor­ genländisch - Römische Reich, dessen Hauptstadt Constantiuopel war, führte noch fast 1000 Jahre hindurch, unter furchtbaren inneren Zerrüttungen, ein krankhaftes Dasein, da es zu seinem Glücke nur von schwachen Nachbarn um49Sgeben war. — In Italien mußte schon nach 17 Jahren das Reich der Heruler einem Reiche der Ostgothen weichen, welches durch Theodorich (Dietrich) dort 5S3gegründet wurde. — Nach Verlauf von 60 Jahren wurde dieses wieder, eben so wie das Vandalische Reich in Nord­ afrika, von BelisariuS und Narses, Feldherren des Oströmischen Kaisers Justinian I., erobert, und Ita­ lien wurde wieder mit dem Oströmischen oder Griechischen Kaiserthum vereinigt. — Bald aber kamen die Longobarden unter ihrem König Alboin und gründeten in Oberitalien ein neues Deutsches Reich, so daß nur Mit­ tel- und Unteritalien dem Oströmischen Reiche verblieben. Für die Römischen Bischöfe wurde dieser Zeitraum, der Wiedervereinigung Roms mit dem entkräfteten Oströmi­ schen Kaiserreiche zur Vermehrung ihres Ansehens beson­ ders wichtig. — Inzwischen war das mächtige Deutsche Volk der Franken unter ihrem Könige Chlodwig

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(Ludwig), aus der alten Familie der Merowinger, nach Gallien eingedrungen, hatte das dort schon seit mehr als 10O Jahren bestandene Burgundische Reich erobert und ein neues Fränkisches Reich gegründet, welches486 in der Folge ganz Frankreich und den größten Theil von Deutschland umfaßte, und aus welchem das neuere Fran­ zösische und das Deutsche Reich ihren Ursprung ge­ nommen haben. Im Gegensatze gegen alle Erwartungen der Menschen, welche von den Heereszügen dieser rohen Deutschen Volksstamme nur den Untergang aller wahren Religion und das völlige Zurücksinken der Bewohner des Römerreiches in Heidenthum und Götzendienst hatten fürchten können, nahmen alle diese genannten Völker in unerwartet kurzer Zeit das Ehristenthum an, zwar ein mannichfach entstell­ tes und durch Lostrennung vom Worte Gottes in Sin­ nendienst tief versunkenes und herabgewürdigres Christen­ thum, mit welchem ihnen aber doch die Grundlage und Bedingung einer künftigen höheren Ausbildung für Reli­ gion und Frömmigkeit übergeben war. Nur in dem ei­ gentlichen Deutschland, so weit es nicht dem Fränkischen Reiche untergeben war, unter den Friesen, Sachsen, Thüringern, Alemannen und Barerm, blieb das Heidenthum noch herrschend und verschwand erst nach und nach bis gegen das Ende des achten Jahrhunderts hin, vorzüglich durch die frommen Bemühungen von Heidenboten (Missionarien), welche aus dem christlichen England und Irland zur Bekehrung der Heiden nach Deutschland kamen, unter welchen Winfried oder Bo­ nis acius sich durch seinen vorzüglich erfolgreichen Eifer, den er auch mit dem Tode besiegelte, den Beinamen des755 Apostels der Deutschen erworben hat. So wurde durch Umstände, welche die höchste Gefahr zu drohen schie­ nen, dem Christenthume eine neue Ausbreitung in großen Ländergebieten und unter zahlreichen Völkern verliehen, und durch Verbindung desselben mit dem Geiste Deutscher Völker dem Gange der Menschengeschichte eine neue Rich­ tung gegeben. Es begann das sogenannte Mittelalter. Um aber auch die träge Sicherheit und den Stolz des menschlichen Herzens eben so zu demüthigen, wie durch die Begebenheiten im Westen der menschliche Äleinmuth in seiner Blöße dargestellt war, und um der Chri-

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stenheit zu zeigen, wie Abfall von dem Worte Gottes und der reinen Lehre des Evangeliums unfehlbar sich selbst strafe, stand von Osten her, von woher man gar Nichts gefürchtet hatte, ein Feind auf, welcher die christliche Kirche wirklich in die höchste Gefahr versetzte und die blühendsten christlichen Lander, unter ihnen selbst das Land seines Ursprunges, Palästina, dem Einflüsse des Evan­ geliums entriß und in die Hände von Ungläubigen brachte. Unter dem großen Volke der Araber, der Nachkommen Ismaels, des Sohnes Abrahams, welche bisher fast ganz abgesondert, entweder seßhaft (Mauren) die Städte und Dörfer ihrer großen Halbinsel bewohnt, oder als Söhne der Wüste (Beduinen) im herumstrei­ fenden Hirtenleben die Sandsteppcn derselben durchzogen und daher keinen erheblichen Einfluß auf die Schicksale anderer Völker gewonnen hatten, hinsichtlich ihrer Reli­ gion aber fast ganz im Heidenthume verblieben waren, stand im Anfänge des siebenten Jahrhunderts Mohamed als angeblicher Religionsvcrbeffcrer auf und verkündigte eine neue Religion, deren Grundlage er in dem Einen Satze aussprach: Es ist nur Ein Gott, und Moha­ med ist sein Prophet, und in welcher er einige Grundlehren der wahren Religion, die er aus dem Christenthume kennen gelernt hatte, die Lehren von der Einheit Gottes, von einem zukünftigen Leben und von einer Vergeltung des Guten und Bösen nach dem Tode, mit dem heidnischen Aberglauben seines Volkes in Ver­ bindung zu bringen und durch sinnliche und bildliche Darstellung ihm annehmlich zu machen wußte. Anfäng­ lich war er selbst durch Schwärmerei verblendet, späterhin traten List, Trugkünste und Gewalt noch hinzu, um sei­ nen Lehren Eingang und seinem Ehrgeize Befriedigung zu verschaffen. Bei seinem ersten Auftreten sand er in seinem Geburtsorte Mekka großen Widerstand und mußte sogar von da nach Medina fliehen, von welcher 622Flucht, Hedschra genannt, die Mohamedaner ihre Zeit­ rechnung beginnen. Bald aber kehrte er von da mit einem großen Heere von Anhängern zurück, nahm Mekka mit Gewalt ein, brachte alle Einwohner der großen Ara­ bischen Halbinsel theils durch Ueberredung, theils durch Gewalt dahin, sich ihm zu unterwerfen und ihn »18 einen göttlichen Gesandten anzuerkennen, und schickte Auf»

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forderungen an alle Könige und Regenten, sich mit ihren Völkern ihm ebenfalls zu unterwerfen , indem er dem An­ scheine nach fest entschlossen war, den Glauben an seine göttliche Sendung mit dem Schwerte zu erzwingen. Roch vor der Ausführung seines Vorhabens wurde er aber vom Tode übereilt und in Medina begraben. Die Aufsätze, in welchen er seine angeblich ihm von Gott durch den Engel Gabriel übersandten Lehren zerstreut vor­ getragen hatte, wurden nach seinem Tode in ein Buch gesammelt, welches den Namen Koran erhielt und das Religionsbuch der Mohamedaner ist, welche ihren gesammten Glauben auch den Islam, sich selbst aber Moslemim (Muselmänner, d. h. Gläubige) nennen. Mohameds Nachfolger, welche sich Khalifen (d. h. Statthalter) nannten, benutzten den schwärmerischen Eifer, in welchen die Araber durch Mohamed versetzt waren, und eroberten in schneller Aufeinanderfolge Palästina, Syrien, Mesopo­ tamien, Persien, Aegypten und Nordasrika, lauter christ­ liche Länder, deren Bewohner der Mehrzahl nach den Is­ lam annahmen; selbst Eonstantinopel wurde von ihnen, jedoch ohne Erfolg, belagert. Dadurch gründeten sie ein neues großes Weltreich, dessen Hauptstadt Bagdad am Euphrat wurde, und welches von Mohameds Nachfolgern gewöhnlich das Khalifat genannt wird. Von Nord-7lL asrika gingen sie über die Meerenge von Gibraltar nach Europa, unterwarfen sich in kurzer Zeit das Westgothische Reich in der Pyrenäen-Halbinsel, gingen über die Pyre­ näen nach Frankreich und bedroheten das ganze christliche Europa, in welches sie wahrscheinlich tief eingedrungen wären und große Zerrüttungen gebracht hätten, wenn nicht der Fränkische Feldherr Karl Martell durch die große Schlacht bei Tours ihren Eroberungen eine Gränze?Z2 gesetzt hätte. Indessen waren beinahe 800 Jahre erfor­ derlich , ehe sie durch die christlichen Bewohner der Pyre­ näen-Halbinsel wieder aus Europa vertrieben werdeni492 konnten. Pipin der Kleine, Karl Martells Sohn, ent­ setzte, unter Mitwirkung des damaligen Bischofes von Rom, den letzten Merowinger der Königswürde und bestieg nun?52 selbst den Fränkischen Thron, auf welchem seine Nach­ kommen unter dem Namen der Karolinger herrschten. Aus Dankbarkeit schenkte er den Römischen Bischöfen die

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Stadt Rom und einen Theil Mittelitaliens, welchen er dm Langobarden abgenommen hatte, mit-Vorbehalt der Oderherrlichkeit, und beförderte, indem er sie durch diese Schenkung zugleich zu weltlichen Fürsten erhob, ungemein das Wachsthum ihrer Macht. Der Ehrentitel Päpste (Väter), welchen sie sich vorzugsweise vor anderen christ­ lichen Bischöfen gern geben ließen, wurde ihnen von jetzt an immer gewöhnlicher beigelegt. Pipins ausgezeichneter Sohn, Carl der Große, erhob das Fränkische Reich zur höchsten Stufe der Macht, unterwarf sich das Longobardische Reich in Obcritalien, besiegte nach einem ZOjahrigen Kampfe die Sachsen in Deutschland, welche er zur Annahme des Christenthums nöthigte, und erweiterte die Gränzen seines Reiches gegen Norden bis an die Eider, gegen Westen bis an den Ebro, gegen Süden bis an die Tiber, gegen Osten bis an die Elbe und den Raab. Die Länderschenkung seines Vaters an die Päpste zu Rom erweiterte er noch, ohne seine Rechte als Schutz- und Oberherr über diese Lander ganz aufzugeben, und ohne aufzuhören, den Papst als seinen ersten Unterthan zu be­ handeln, und wurde von Papst Leo III. unter Beistim» SOOtnung des Römischen Volkes im I. 800 bei seiner An­ wesenheit in Rom zum Römischen Kaiser und Wieder­ hersteller des Römischen Kaistrthumes im Abendlande ausgerüfen. Karls preiswürdige Bemühungen zur Beförde­ rung wahrer Bildung in Wissenschaft und Religion durch Gründung von Schulen und Verbesserung kirchlicher An­ stalten würden mit einem glücklicheren und bleibenderen 8i4Erfolge gekrönt worden sein, wenn seine Nachfolger in seinem Geiste fortgewirkt hätten. Unter seines gutmüthi­ gen, aber höchst schwachen Sohnes, Ludwig desFrommen, Regierung, während welcher durch Ansgarius der Grund zur Bekehrung der Dänen, Norweger und Schweden gelegt wurde, sank aber das Reich bald in Schwäche zurück und theilte sich durch den Vertrag, wel­ chen Ludwigs des Frommen drei Söhne, Lothar, Karl und Ludwig, bald nach seinem Tode zu Verdun schlossen, in drei Reiche, Italien nebst Lotharingien mit der Kaiscrwürde, Frankreich und Deutschland, von 843welchcn das erstere in der Folge kein unabhängiger Staat blieb, sondern nach und nach theils Frankreich theils Deutschland zusiel. Deutschland und Frankreich blieben

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abtt von dieser Zeit an getrennt, und mit Karls Enkel, Ludwig dem Deutschen, begann die lange Reihe Deutscher Könige und Kaiser. Die Karolinger regierten in Deutschland noch bis zum I. 911, in Frankreich bis zum 5.986, worauf in Deutschland Kaiser aus dem Volks­ stamme der Sachsen (919 — 1024), in Frankreich Kö­ nige aus der Familie der Kapetinger folgten. Den Päpsten, welche durch Pipins und Karls des Großen Ländcrschcnkungen und durch ihre Mitwirkung bei der Verleihung der Königswürde an Pipin und der Kaiserwürde an Karl gar sehr an Macht und Ansehen gewonnen hatten, war es inzwischen gelungen, sich im ganzen Westen von Europa als erste Geistliche der christ­ lichen Kirche, ja als Oberausseher über olle anderen, als Nachfolger des Apostels Petrus und Statthalter Jesu Christi auf Erden, anerkannt zu sehen. In Beziehung auf das Morgenland gelang ihnen dies jedoch nie, son­ dern die Trennung des Römischen Kaiserthumcs in das Abendländische und Morgenländische hatte nach und nach auch die Trennung der Kirche in die Römisch-katho­ lische und Griechisch-katholische Kirche zur Folge, von welchen nur die erstere den Papst als geistliches Oberhaupt der gesummten christlichen Kirche anerkannte. Mit der Erweiterung ihres Ansehens dehnten die Päpste auch ihre Ansprüche immer weiter aus, und bald war ihnen kein Anspruch hoch genug, den sie nicht zu erstre­ ben gesucht hätten, so daß sie sich endlich daS Recht an­ maßten, Kaiser, Könige und Fürsten zu ernennen, ein­ und abzusetzen, und lange Zeit hindurch auch dieses Recht ziemlich allgemein anerkannt sahen. Die Sächsischen Kaiser, unter welchen Heinrich I. und Otto 1. der Große sich vor anderen auszeichneten, behaupteten ihre kaiserlichen Rechte gegen die Päpste noch mit großem Nachdrucke. Aber unter den nach ihnen folgenden Frän­ kischen Kaisern kam der Streit zwischen der geistlichenig»! und weltlichen Macht zum höchsten Ausbruche, und die bis kaiserliche Gewalt sank durch die Bannsprüche der Päpste*^ zu einem solchen Grade von Erniedrigung herab, daß der Kaiser Heinrich IV. vor dem Papste Gregor VII. (Hildebrand), durch dessen unerschütterliche Beharrlich­ keit in Durchsetzung seiner Absichten die päpstliche Macht zur höchsten Stufe erhoben wurde, in einem härenen Buß-

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gewande, mit nackten Füßen, in strenger Winterkälte, drei Lage und drei Nächte auf einem Hofe des Schlosses zu 1076Kanossa in Oberitalien als Büßender stehen mußte, ehe er eine Lossprechung vom Banne unter harten Be­ dingungen erlangen konnte. Durch eben diesen P. Gre­ gor VII. wurde die Ehelosigkeit der Geistlichen in der Römisch-katholischen Kirche vermittelst eines Kirchen­ gesetzes unwiderruflich festgestellt, um alle Geistlichen da­ durch von dem Einflüsse weltlicher Obrigkeit loszureißen und nur den Päpsten unterwürfig zu machen. So ent­ schieden solche ehrgeizigen Bestrebungen und eine solche gebieterische Stellung von Gliedern des christlichen Lehr­ standes mit dem wahren Geiste des Evangeliums im ge­ raden Widersprüche standen und einen großen Verfall der christlichen Kirche bezeugten, so unbestrestbar ist es auf der anderen Seite, daß unter Leitung der göttlichen Weisheit auch diese großen Verirrungen heilsame Zwecke befördern mußten. In Zeiten so grober Unwissenheit und Verwil­ derung , zu welcher die Christenheit damals herabgesunken war, würde die große Menge des Volkes unter der Herr­ schaft seiner sinnlichen Begierden in einen Zustand versun­ ken sein, in welchem nur die rohe Körperkraft gewaltet hatte, und die Regierung der Fürsten würde in die willkührlichste Zwingherrschaft ausgeartet, dadurch aber wür­ den alle Keime zu einer künftig wiederkehrenden höheren Geistesbildung völlig erstickt sein, wenn nicht aus der an­ deren Seite dieses Uebermaß geistlicher Gewalt ein heilsa­ mes Gegengewicht gebildet und in den Gemüthern der großen Menge eine Richtung auf das Unsichtbare und eine heilige Scheu vor demselben erhalten hatte. Mit großer Klugheit wußten eS die Papste zu ihrem Vortheile zu benutzen, als gegen das Ende des eilften Jahrhunderts die gesammte Christenheit des Abendlandes von dem Vorsatze begeistert wurde, das heilige Land Pa­ lästina, in welchem Jesus Christus durch sein Leben, Lei­ den, Sterben und Auferüehen das Werk der Er'.ösung zum Heil der Menschheit vollbracht hatte, durch Erobe­ rung den Händen der Ungläubigen zu entreißen, und darüber mit den Bekennern des Islam in einen furchtba­ ren Kampf verwickelt wurde, welcher beinahe 200 Jahre dauerte. Die Wallfahrten nach Jerusalem und den heiliI076gen Oertern wurden damals von den Türken, welche Pa-

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lästina den Arabern abgenommen hatten, mehr als früher gestört. Ein Französischer Mönch von schwärmerischer Ein, bildungskraft, Peter der Einsiedler, welcher von einer solchen Wallfahrt zurückgekehrt war und nun das ganze westliche Europa durchzog, wußte die Gemüther der Christen durch lebhafte Schilderung der Bedrückun­ gen , denen die wallsahrtenden Pilger ausgesetzt waren, und durch Hinweisung auf die Schande, welche es der Christenheit brachte, das Land, wo ihr heiliger Glaube seinen Ursprung genommen habe, ruhig in dem Besitze der Ungläubigen zu lassen, zu dem Borsatze zu entflam­ men, das heilige Land den Türken mit Gewalt der Waf­ fen zu entreißen. P. Urban II. beförderte diese Stim­ mung mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, und auf einer unter seinem Vorsitze zu Clermont im südli­ chen Frankreich gehaltenen großen Versammlung wurdeiMb unter dem allgemeinen begeisterten Ruse des Volkes: Gott will es! ein Feldzug nach Palästina zur Erobe­ rung des heiligen Landes beschlossen, der fromme Gott­ fried von Bouillon zum Anführer erwählt, und allen Theilnehmern an diesem großen Unternehmen der größte Lohn aus Erden und im Himmel versprochen. Weil alle Theilnehmer an einem solchen heiligen Kriegszuge ein ro­ thes Kreuz von wollenem Zeuge an die Schulter hefteten, erhielten sie davon den Namen Kreuzfahrer, und die Züge selbst wurden Kreuzzüge genannt. Nach uner­ meßlichen Verlusten wurde Jerusalem wirklich erobert und im heiligen Lande ein christliches Reich unter dem Namen des Königreichs Jerusalem errichtet. Während eia099 nes Zeitraumes von 88 Jahren blieb' Jerusalem unter fortwährenden Kämpfen, wodurch ihre Macht immer mehr geschwächt wurde, in den Händen der Christen. Der Zug des Deutschen Kaisers Konrad III., mit welchem die Reihe der Schwäbischen Kaiser aus dem Hause Hohenstaufen begann, und des Königs von Frank­ reich Ludwig VII. brachte den Christen im Morgenländern? keine kräftige Hülfe. Nachdem Sa lad in, der eben so tapfere als kluge Sultan von Aegypten, Jerusalem wie­ der erobert halte, konnte es auch durch den großen Hee-tltz? reszug des Kaisers Friedrich I. Rothbart, des Kö­ nigs von Frankreich Philipp August, und des Königs von England Richard Löw en herz für die Christeniisa

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nicht wieder gewonnen werden. Zwar erhielt es der Kai­ ser Friedrich II. durch Vertrag noch einmal auf 10 irrvJahre zurück, aber der Haß der Päpste gegen ihn und daS ganze Haus Hohenstaufen, welcher erst mit der völ­ ligen Ausrottung des letzteren erlosch, machten es ihm un­ möglich, seine Eroberung zu behaupten. Noch unglückli­ cher endeten die Züge des frommen Königes von Frank­ reich Ludwig IX., welcher auf dem ersten in die GeI248fangenschaft der Mohamedaner, auch Sarazenen genannt, gerieth und nur gegen ein großes Lösegrld die Freiheit erhielt, auf dem zweiten bei Tunis in Afrika I27o«n einer ansteckenden Krankheit starb. Endlich ging auch der letzte Ort des heiligen Landes, die starke Festung Ptolemais, verloren, welches als das Ende der Kreuzi2Sizüge betrachtet wird. Nur der während der Kreuzzüge gestiftete Ritterorden der Johanniter setzte, erst von der Insel Rffodus und dann von der Insel Malta aus, einen kleinen Krieg gegen die Mohamedaner fort, der aber immer mehr zu dem bloßen Scheine einefr Krie­ ges und zu einer unwirksamen Bekämpfung der Seeräu­ berei herabsank. Palästina ist seit jener Zeit her ununter­ brochen in den Händen der Türken geblieben. — Die Kreuzzüge haben Europa gegen sechs Millionen Menschen gekostet, aber auch große und bleibende wohlthätige Fol­ gen zurückgelassen, indem sie bei den christlichen Völkern Europas ein Verlangen nach hellerer Kenntniß in Wis­ senschaft und Religion erweckten, das Abendland mit dem Morgenlande in nähere Verbindung brachten, Handel und Verkehr beförderten, den Sinn für Baukunst und bil­ dende Kunst überhaupt anregten und in den Großthaten ihrer Helden der Dichtkunst einen angemessenen Stoff darboten, eine gleichmäßigere Vertheilung des Grundei­ genthumes herbeiführten und durch Erweiterung und Er­ höhung des Wohlstandes in den Städten einen freien Bürgerstand gründeten. Obgleich sie anfänglich zur Ver­ mehrung der päpstlichen Macht viel beitrugen, gaben sie doch durch ihr Mißlingen den Hauptanstoß, daß diese Macht nachher gemindert wurde, und daß die blinde An­ nahme eines unbeschränkten göttlichen Rechtes der Päpste nach und nach immer mehr dahinschwand. 1273 Nicht lange vor Beendigung der Kreuzzüge war Rudolf von Habsburg nach einem 23jährigen Zwi-

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schenreiche Deutscher Kaiser geworden, und von dieser Zeit an waren die meisten Deutschen Kaiser, jedoch zu Anfänge mit einigen Unterbrechungen, aus dem Regen­ tenhause Habsburg, aus welchem auch noch die Wgen Kaiser von Oestreich abstammen. Inzwischen war auch unter den Bölkern vom Slavi­ schen Stamme im Osten Europas die Verbreitung des Christenthumes unaufhaltsam vorgeschrittten. Im 9ten Jahrhunderte wurden durch die Bemühungen der beiden frommen Mönche Cyrillus und Methodius aus Constantinopel erst die Bulgaren und dann die Mähren zum Christenthume bekehrt. Die Böhmen nahmen im lOten Jahrhunderte das Christenthum an. Durch den Kaiser Otto den Großen wurde das Christenthum unter den Wenden an der Elbe, Saale und Oder gepflanztS50 und das Erzbisthum Magdeburg mit mehren anderen Bisthümcrn gegründet. — Gegen Ende des lOten Jahrh, wurden die Russen durch Heidenboten aus dem Grie­ chischen Kaiserthume bekehrt und gehörten seitdem zurs87 Griechischen Kirche. — Fast um eben diese Zeit wurden ihre Nachbarn und Stammverwandten, die Polen, von Böhmen her zum Christenthume geführt. — Im Ilten Jahrh, nahmen die Ungarn mit ihrem Könige Andreasio46 das Christenthum allgemein an. — Der fromme Bischof, Otto von Bamberg, veranlaßt durch einen Herzog von Polen, wurde in den Jahren 1124 bis 1128 berii24 Apostel der Pommern; nur die Bewohner der Insel Rügen und der zunächst gelegenen Theile Neuvorpommerns bliedcn noch einige Zeit heidnisch und wurden 1168, vor­ züglich durch den Dänischen Bischof Absalom, zur An­ nahme des Christenthums gezwungen. — Die vergeblichen Bemühungen der Christen, durch die Kreuzzüge von den Mohamedanern die Annahme des Christenthums zu er­ zwingen, veranlaßten Andere, sich durch die Bekehrung der Ueberreste von Heiden vermeintliche Verdienste um die christliche Kirche zu erwerben, wobei sie dann nöthigenfalls auch die Gewalt der Waffen nicht scheueten. Sehr thätig zeigte sich in dieser Hinsicht Heinrich der Löwe, Her­ zog von Sachsen, bei Bekehrung der Wenden an der Ostsee im jetzigen Meklenburg und den Nachbarländern,H6Z für welche er das Bisthum Lübeck gründete. — Der in Palästina während der Kreuzzüge gestiftete Orden der 14*

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Deutschen Ritter wandte sich, als die Hoffnung eines glücklichen Erfolges im Morgenlande immer mehr dahin­ schwand, mit Zustimmung des Kaisers und Papstes, welche ihm die eroberten Länder zum Eigenthume verliehen, geI230gen die heidnischen Preußen, und nöthigte sie nach einem ^ 53 jährigen blutigen Kampfe zur Annahme des Christen^^thums, wobei aber die Eingeborenen des Landes großentheils ausgerottct und neue Deutsche Bewohner zum Er­ sätze ins Land geführt wurden. Preußen wurde dadurch das Besitzthum eines geistlichen Ritterordens, wurde von Hoch- und Heermeistern regiert, gerieth aber dabei in der Folge unter die Landeshoheit der Könige von Po­ len. — Der Uebertritt der Litt Hauer zur christlichen izgßKirche vollendete die Bekehrung der Völker Europas, und nur im höchsten Norden blieben unter den Finnen, Lap­ pen und anderen kleinen rohen Volksstämmen noch auf lange Zeit einige Ueberreste des Heidenthumes. Indem so die christliche Kirche nach außen hin ihr Gebiet immer mehr erweiterte, nahm ihr Verfall im In­ neren fortwährend zu. In Folge der Zertrümmerung des Weströmischen Reiches und der dadurch entstandenen Ver­ mischung der Eingewanderten mit den früheren Bewohnern hatten sich im ,westlichen Europa neue Sprachen gebildet, in welche die heilige Schrift noch nicht übersetzt war, die früher herrschend gewesene Lateinische Sprache blieb aber doch die Sprache des öffentlichen Gottesdienstes. Dadurch verlor das Volk alle Gelegenheit, Gottes Wort selbst zu lesen und aus dem öffentlichen Gottesdienste Erbauung zu schöpfen. Aberglaube und Unwissenheit griffen daher mit furchtbarer Gewalt weiter um sich, und bei der großen Menge des Volkes wurde bald kaum noch eine Spur von Kenntnissen, welche die wahre Geistesbildung fördern, ge­ funden ; ihre Religion war abgöttische Anbetung von Hei­ ligen, gedankenloses Hersprechen unverstandener lateinischer Gebetsformeln, unfruchtbarer Besuch der Kirchen und hei­ ligen Oerter und Theilnahme an äußeren Gebräuchen, welche von den Geistlichen, den Einzigen, welche um der Ausübung ihres Amtes willen noch einige nothdürftige Kenntnisse erwarben, gebieterisch vorgeschrieben und von dem Volke mit blindem Köhlerglauben und im sichern Vertrauen auf die Verdienstlichkeit solcher Werke vollzogen wurden. Der Geistlichkeit und insbesondere den Päpsten

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war ein solcher Zustand der Dinge nicht unwillkommen, und sie beförderten diese in göttlichen und weltlichen Din­ gen allgemein herrschende Unwissenheit aus Eigennutz, um Herren des Volkes bleiben und dasselbe nach Willkühr leiten zu können. So groß wurde endlich der Verfall, daß er auch dem verblendeten und verirrten Volke zum Bewußtsein kommen, und in ihm ein Verlangen nach Herstellung eines besseren Zustandes in Hinsicht auf Sitt­ lichkeit und Religion erwecken mußte. Zu allen Zeiten war aber das in der christlichen Kirche herrschende Ver­ derben von Einzelnen mehr oder weniger deutlich erkannt und ausgesprochen worden, welche sich aber dadurch oft die härtesten kirchlichen Strafen zuzogen, und jetzt immer häufiger als angebliche Feinde der Kirche und sogenannte Ketzer verfolgt, im schlimmsten Falle verbrannt wurden. Indessen konnten solche Gewaltmaßregeln, wie immer, den Rath oder das Werk aus Gott nicht dämpfen, sondern stellten die Urheber nur als solche dar, welche wider Gott streiten wollten. Der Herr aber erhielt sich auch in den trübsten Zeiten ein Häuflein treuer Bekenner, welche ihre Kniee vor Baal nicht beugten und sich im Glauben an den Erlöser dann auch zu einer Gemeinde vereinigten, welche gleichsam die wahre Kirche im Kleinen darstellte. Schon seit alter Zeit, die sich in die ftühesten Jahr­ hunderte der christlichen Zeitrechnung verliert, hatten sich in abgelegenen und wenig besuchten Alpenthalern der Land­ schaft Piemont in Oberitalien arme Christen von einfacher Gesinnung gesammelt und ihre Gemeinschaft mit der herr­ schenden Kirche, deren Verderben sie erkannten, fast ganz ausgehoben, ihren Gemeinden aber eine Verfassung nach dem Muster der apostolischen Kirche zu geben gesucht. Man nannte sie Vallcnser, d. h. Thalleute und ließ sie von Seiten der hohen Geistlichkeit fast, ganz ungestört, weil ihre entlegenen armseligen Thäler nichts darboten, was die Gewinnsucht hätte reizen können. Mit ihnen trat gegen Ende des 12ten Jahrh, ein frommer Kaufmanni17v aus Lyon, Petrus Waldus, welcher, wie sie, mitten in dem Verfall der großen Kirche nach dem rechten Wege des Heils suchte,, und zu dem Ende für die Uebersetzung des Wortes Gottes in die Landessprache Sorge getragen hatte, in nähere Verbindung, und gab ihren Gemeinden eine fester geordnete Einrichtung, daher sie mit einer leich-

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ten Umwandelung deS bisherigen Wortes nach ihm Wal­ denser genannt wurden. Als seine Anhänger in Ober­ italien und dem südlichen Frankreich sehr zahlreich wurden, erhoben die Päpste und hohen Geistlichen gegen sie grau­ same Verfolgungen, wodurch sie in das ganze westliche Europa zerstreut wurden und viele von ihnen auch nach Böhmen kamen. Ueberall hin brachten sie die ersten Samen­ körner einer besseren christlichen Erkenntniß, welche nur äußere günstige Umstände erwarteten, um ans Licht her­ vorzutreten. Noch bis jetzt her sind Ueberreste derselben in den ursprünglich von ihnen bewohnten Alpenthälern zurückgeblieben, welche durch alle gegen sie erhobenen Verfolgungen nicht haben unterdrückt werden können. — Mik großer Kühnheit lehrte im 14ten Jahrh, ein gelehr­ ter und frommer Professor an der Universität Orford in England, Johann Wiklef, daß der Papst in keinem anderen Sinne, als jeder andere rechtmäßig berufene Lehrer des göttlichen Wortes, rin Nachfolger des Petrus und der übrigen Apostel sei, und ihm daher nach gött­ lichem Rechte keine Herrschaft über die Kirche gebühre, daß das Mönchswesen und vieler herrschende Aberglaube verwerflich sei, daß die heilige Schrift in die Landes­ sprache übersetzt und das Wort Gottes dadurch jedem Christen zugänglich gemacht werden müsse; daher er sich auch selbst mit der Uebersehung der heiligen Schrift in die Englische Sprache fleißig beschäftigte. Seinen mäch­ tigen Beschützern in England gelang es, wenigstens sein Leben vor den Angriffen seiner Feinde zu schützen. Er I384starb als Prediger zu Lutterworth; aber noch 44 Jahre nach seinem Tode wurden seine Gebeine ausgegraben und verbrannt, und die Asche in einen Fluß gesireuet. Um das große Verderben, in welches die christliche Kirche versunken war, in seinem ganzen Umfange auszu­ decken, trat jetzt eine große Spaltung in derselben ein. Der Umstand, daß ein Papst seinen Sitz von Rom nach Avignon, einer päpstlichen Besitzung im südlichen Frank1305reid), verlegte, wo die Päpste nun 72 Jahr hindurch b>« verblieben, daher dieser Zeitraum spottweise die Babylo1378nifct)e Gefangenschaft der Päpste genannt wurde, bewirkte mit der Zeit eine doppelte, dann sogar eine dreifache Wahl, so daß zwei, dann sogar drei Päpste zugleich regierten, von denen jeder seine Gegner und alle An-

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Hanger derselben mit dem Bannflüche belegte, so daß die ganze Christenheit des Abendlandes unter dem Banne seufzete, und bei der Ungewißheit, welcher Papst der rechtmäßige sei, die Gewissen aufs Höchste verwirret wur­ den, ein Zustand, welcher noch beinahe 40 Jahre hin­ durch dauerte. In allen Landern der Römisch-katholischen Kirche wurde eine Reformation (Verbesserung) der Kirche an Haupt und Gliedern verlangt. Um diese zu bewirken, wurde endlich eine allgemeine Kirchen­ versammlung nach Costnitz am Bodensee zusammenbe-1414 rufen, aus welcher die äußere Einheit der Kirche dadurch auch wirklich wiederhergestellt wurde, daß nach Entsagung aller drei Päpste ein neuer erwählt und von der ganzen Kirche als der allein rechtmäßige anerkannt wurde. Au­ ßerdem wurde aber auch von dieser Versammlung zur wahren Verbesserung der Kirche Nichts von Bedeutung zu Stande gebracht; vielmehr bezeugte sie offenkundig ihren Mangel an Bereitwilligkeit, auf die Verbesserung des Innern einzugehen, durch das ungerechte Strafgericht, welches sie über Johann Huß und Hieronymus von Prag verhängte. In Böhmen hatte schon seit der ersten Annahme des Christenthums ein etwas freierer Geist gewaltet, als in der übrigen katholischen Kirche. Vertriebene Waldenser und Anhänger Wiklefs, welche dessen Schriften mit dort­ hin brachten, hatten diese freiere Denkungsart rege er­ halten. Durch sie und durch Lesung der heil. Schrift wurde Johann Huß, Prediger und Professor an der Universität zu Prag, erweckt, ohne Menschensurcht das damalige Verderben der Kirche und einige ihrer Haupt­ irrthümer in seinen öffentlichen Vorträgen aufzudeckcn. Bei seiner standhaften Weigerung, diese vorgetragenen Lehren zu widerrufen, wurde er vor die Kirchenversammlung in Costnitz gefordert, dort aber nicht verhört und widerlegt, sondern bald ins Gefängniß geworfen und verurtheilt. Da er unerschütterlich bei seinem Bekenntnisse beharrte und nur eine Widerlegung aus der heil. Schrift annehmcn wollte, wurde er am 6ten Juli 1415, seinem Ge-I4t5 burtstage, mit Verletzung des ihm vom Kaiser Sigis­ mund feierlichst verliehenen Sicherheitsbriefes, öffentlich verbrannt. Sein Freund Hieronymus von Prag hatte im folgenden Jahre das gleiche Schicksal. Beide

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starben im freudigen Bekenntnisse ihres aus der heil. Schrift geschöpften Glaubens, nicht unwürdig, den-Zeugen der Wahrheit oder Märtyrern der christlichen Kirche beigezählt zu werden. Die Gewaltmaßregeln der Katholischen gegen die Böhmen, unter welchen Hussens Lehren ziemlich allge­ meine Verbreitung behielten, erzeugten den blutigen Hus­ sitenkrieg und gaben der Böhmischen Brüderge­ meinde ihren Ursprung, als deren Fortsetzung gewisser­ maßen die jetzt bestehende evangelische (Böhmisch-Mäh­ rische) Brüdergemeinde, deren'Hauptsitz zu Herrn­ hut in der Lausitz ist, betrachtet werden kann. Je angestrengter sich aber die Päpste und hohe Geist­ lichkeit dem Aufstreben des menschlichen Geistes nach hö­ herer Erkenntniß in göttlichen und weltlichen Dingen wi­ dersetzten, um desto unaufhaltsamer waren die Fortschritte desselben und wurden durch außerordentliche Umstände von der göttlichen Vorsehung auss Sichtbarste gefördert. — Im Morgenlande waren seit dem Untergange des Arabi1258fd)en Khalifats zu Bagdad die Mohamedanischen Türken das mächtigste Volk geworden, und unter ihnen erwachte jetzt, wie früher unter den Arabern, ein schwärmerischer Religivnseifer zur Verbreitung des Islam, welcher an­ fänglich dem Ehristenthuine zwar Gefahr drohete, aber für dasselbe unter Gottes Leitung höchst segensreich wurde. Von solchem Eifer getrieben, warfen sie sich mit Ungestüm auf das Oströmische oder Griechische Kaiserkhum, entrissen demselben eine Provinz nach der anderen und machten ihm endlich mit der Eroberung ConstantiI45:mopels völlig ein Ende, indem sie das noch jetzt be­ stehende Türkische Reich an dessen Stelle setzten. Bei dem Vordringen der Türken nach Europa flohen viele Grie­ chische Gelehrte aus dem Morgenlande, in welchem mehr Reste früherer Geistesbildung sich erhalten hatten, ins Abendland, beförderten dort die Erlernung der alten Spra­ chen und das Lesen der ausgezeichneten Schriftsteller des Alterthums, und legten den Grund zur Wiederherstel­ lung der Wissenschaften, welche auch die fleißigere Lesung des göttlichen Wortes in den Ursprachen zur noth­ wendigen Folge hatte. Im ganzen westlichen Europa er­ wachte nun ein ungemein reges Streben nach Erweiterung der Kenntnisse, und gab sich insbesondere in der Stiftung vieler Hochschulen oder Universitäten kund (unter

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ihnen Greifswald 1456), wodurch viele neue Entdeckungen im Gebiete der Naturwissenschaften hrrbeigcführt wurden. Die folgenreichste unter allen war die Erfindung der Buchdruckerkunst durch Guttenberg und Faust,uso welche die schnellste Mittheilung und Ausbreitung mensch­ licher Gedanken und Entdeckungen und so auch die Aus­ breitung des göttlichen Wortes, wenn dasselbe dem Volke nur erst lesbar geworden war, möglich machte. Gleich­ zeitig mit diesen großen Fortschritten in Wissenschaften regte sich in einigen Landern Europas, besonders in Spanien und Portugal, das Bestreben nach Erweiterung der Kennt­ niß unsere?Erde, und führte eine große Vervollkommnung

des Handels und der Schifffahrt herbei. In eben dem Jahre, in welchem die letzten M auren oder Araber aus Spanien nach beinahe 800jähriger Anwesenheit in diesem Lande vertrieben, und die Herrschaft des EhrisienthumesiE dort wieder hergcsteUt wurde, entdeckte Columbus von Spanien aus einen neuen Welttheil, Amerika, und we­ nige Jahre darauf umschiffte Vasco de Gama von Por­ tugal aus die Südspitzc Afrikas, und fand den längst­ ersehnten Seeweg nach Ostindien, dessen reiche GüterltW von jeher die Gewinnsucht gelockt und diejenigen Völker reich und einflußreich gemacht hatten, welche "sich in den Besitz des Handels mit ihnen zu setzen gewußt hatten. — Bei so allgemeinen Fortschritten des menschlichen Wissens konnte unmöglich die hellere Religionserkenntniß zurückge­ halten, unmöglich verhindert werden, daß die Grundwahr­ heiten des Evangeliums, welche bisher dem Volke ganz unbekannt geblieben, oder nur getrübt durch Menschen­ satzungen zu ihm gelangt waren, wieder aus der lauteren Quelle der heiligen Schrift selbst geschöpft wurden. Durch die ganze Cl)ristenh'it war eine unbestimmte Sehnsucht nach Befreiung von den drückenden Uebeln der Gegenwart verbreitet. Fürsten und Völker forderten die Reforma­ tion der Kirche an Haupt und Gliedern, welche man von einer allgemeinen Kirchenversammlung in Costnitz und von einer späteren in Basel umsonst gehofft hatte. Vergebens blickte man nach allen Seiten umher, hoffte hier die Hülfe von einer neuen allgemeinen Kirchenver­ sammlung, dort von kräftigen Regenten, dort von dem Lichte menschlicher Wissenschaften; — und siehe! als die Gemüther so vorbereitet waren und doch in ihrer Rath-

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losigkeit die eigene Ohnmacht anerkennen und ringeftehen mußten, da sandte Gott die ersehnte Hülfe, aber auf einem Wege und durch Werkzeuge, wie Niemand sie er­ wartet hatte, welche jeden aufmerksamen Beobachter zu dem Geständnisse nöthigten, daß die Wege und Gedanken des Herrn nicht der Menschen Wege und Gedanken, aber um so viel höher sind denn diese, als der Himmel höher ist, denn die Erde.

Ein schlichter, einfacher Mönch, Martin Luther, Sohn eines Bergmannes, aus dem Bauernstande flam« lv.mend, in Eisleben geboren, war das von Gott auserwählte Rov.und von ihm hochbegabte Rüstzeug zu Wiederherstellung 1483j,et christlichen Kirche. Unterrichtet in den Schulen zu Mansfeld, Magdeburg und Eisenach, besuchte Luther die isoiUniversität Erfurt, und wurde nach Beendigung seines Studiums der Gottesgelahrtheit aus freien Stücken Mönch in einem Augustinerkloster zu Erfurt, wo er fleißig die heilige Schrift studirte und nach und nach zu der Erkennt­ niß gelangte, daß nicht die sogenannten guten Werke der Mönche, sondern allein der lebendige Glaube an Jesum Christum, den Gekreuzigten, Vergebung der Sünden und Seligkeit erwerbe. Nach einigen Jahren wurde er von seinem Landesherrn, dem Kurfürsten von Sachsen, Friedlövsrich dem Weisen, als Professor und Doctor der hl. Sch. an die neu errichtete Universität Wittenberg berufen, wo er nachher auch ein Predigtamt erhielt. Der unge­ heure Mißbrauch, welchen ein Mönch, Tetzel, mit dem Ab lasse, d. h. mit der Lossprechung von Sünden im Namen des Papstes, damals Leo X., in der Umgegend trieb, und die höchst verderblichen Folgen dieses Ablaß­ handels auf die Sitten der Christen, veranlaßte ihn, am 151731 sien October 1517 an die Schloßkirche zu Witten­ berg 95 Sätze anzuschlagen, welche vorzüglich wider den Ablaß gerichtet waren, aber in einigen Punkten auch das Ansehen des Papstes angriffen, und nach damaligem Ge­ brauche alle Gottesgelehrten aufzufordern, diese Sätze in mündlicher Unterredung zu widerlegen. Niemand erschien, um ihn zu bestreiten, aber Luthers Sätze, durch die da­ mals noch neue Buchdruckerkunst in vielen tausend Ab­ drücken vervielfältigt, durchflogen in wenigen Wochen ganz

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Deutschland, in wenigen Monaten fast das ganze christ­ liche Europa, und zündeten in unzähligen Gemüthern ein Feuer an, welches durch alle Machtsprüche und Gewalt­ thätigkeiten des Papstes und der Römisch-katholischen Geist­ lichkeit nicht wieder zu löschen war. Nach manchen yergeblichen Versuchen, durch Ueberredung und Drohung Lu­ ther zum Schweigen zu bringen, that ihn der Papst als einen gefährlichen Ketzer in den Bann und schloß ihn damit von der christlichen Kirche aus; aber Luther war dreist genug, bald darauf vor dem Thore Wittenbergs, in Gegenwart der Universitätslehrer und Studirenden, die päpstliche Bannbulle nebst anderen Schriften, welche über die Gewalt des Papstes und der Geistlichkeit Unchristliches lehrten, öffentlich zu verbrennen und sich dadurch frei­ willig von einer Kirche loszusagen, welche in ihrem jetzigen Zustande der Entartung nicht als die wahre K.irche Jesu Christi zu betrachten sei, zu welcher er durch diesen Schritt zurücktreten wollte. — Bald darauf kam der neu erwählte Deutsche Kaiser Karl V., welcher auch König von Spa­ nien und Beherrscher der Niederlande war, der mächtigste Regent seiner Zeit, in dessen Staaten die Sonne nicht un­ terging, zum ersten Male nach Deutschland, und hielt einen Reichstag in Worms, auf welchem auch Luthers Sache vor den versammelten geistlichen und weltlichen Fürsten und Herren entschieden werden sollte. Als Luther dorthin vor­ gefordert wurde, machte er sich, ungeachtet aller an ihn gerichteten Warnungen und Hinweisungen auf Joh. HussenS unglückliches Beispiel, getrost und ohne" Menschen­ furcht nach Worms auf den Weg, erschien dort zwei-17. u. mal vor einer glänzenden Reichsversammlung, in welcher 18. der Deutsche Kaiser und sein Bruder, G Kurfürsten, 24^'jHerzoge, 8 Markgrafen, 30 Bischöfe, der päpstliche untr’“ 5 königliche Gesandten und mehr als 200 hohe Standes­ personen gegenwärtig waren, und um welche sich mehr als 6000 Menschen in dem Vorzimmer und vor dem Hause versammelt hatten, welche begierig in die Fenster blickten. Nachdem man auf alle Weise versucht hatte, ihn zum Wi­ derrufe zu bewegen, legte er das feste und freudige Be­ kenntniß ab: „Ich glaube weder dem Papste noch seinen Kirchenversammlungen allein, weil es offenbar ist, daß sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben. Ich kann und will daher auch Nichts widerrufen, cs sei denn, daß

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ich mit Zeugnissen der hl. Sch. oder mit öffentlichen, klaren und Hellen Ursachen und Gründer überwiesen werde, und also mein Gewissen in Gottes Wort gefangen wird. Denn es ist weder sicher noch gerathen/ Etwas wider das Ge­ wissen zu thun. Hier stehe ich; ich kann nicht anders; Gott helfe mir* Amen." Alle Anwesende, selbst der Kaiser, bewunderten seinen Muth; aber obgleich mehre Deutsche Fürsten, insbesondere Kurfürst Friedrich der Weise, ihm im Herzen sehr zugethan waren, so überwog doch das Ansehn des Kaisers, welcher Luthers Sache für staatsgefahrlich hielt, und Luther wurde unter sehr harten Ausdrücken in die Reichsacht erklärt, mußte auch binnen wenigen Tagen aus Worms abreisen, weil der kaiserliche Sicherheitsbrief nur noch 20 Tage Gültigkeit behalten sollte. Der großen Lebensgefahr, in welche Luther durch die Achtserklärung gerieth, wußte sein Kurfürst ihn auf eine kluge Weise zu entziehen. Auf sein Anstiften wurde Luther auf seinem Rückwege von fünf verkappten Reutern, nahe bei Eisenach, überfallen, mit scheinbarer Gewalt aus dem Wagen gerissen und auf das Schloß Wartburg gebracht, wo Luther 10 Monate hindurch unter dem Namen eines Junker Georg still und verborgen lebte, indem nur seine nächsten Freunde seinen Aufenthalt kannten. In Deutsch­ land glaubte man Anfangs wirklich, daß ihm Gewalt angethan sei, und Viele betrauerten seinen Tod. Bald aber sah man aus den zahlreichen Schriften, welche fortwährend von ihm erschienen und welche Jedermann für die seinigen erkannte, daß cr_ noch am Leben wäre und hinrei­ chender Freiheit genösse, um an seinem Werke weiter zu arbeiten. Insbesondere benutzte Luther seine Muße auf der Wartburg, um durch Uebersetzung der heiligen Schrift in die Deutsche Sprache das Wort Gottes jedem Deut­ schen zugänglich zu machen, und vollendete dort von die­ sem preiswürdigsten und erfolgreichsten aller seiner Werke die Uebersetzung des Neuen Testamentes, welches im solI522genden Jahre gedruckt erschien. Späterhin vollendete er mit Hülfe seiner Freunde die Uebersetzung der gestimmten heiligen Schrift, welche zum erstenmale im I. 1534 voll­ ständig in Einem Bande abgedruckt wurde. Die Ankunft einiger schwärmerisch gesinnten Leute zu Wittenberg, welche mit unzeitigem wilden Eifer Luthers Lehre von christlicher Freiheit mißbrauchten und dort Unruhen anstifteten, ver-

seit Gründung des Neuen Bundes, anlaßte ihn, schleunigst nach Wittenberg zurückzukehren, und jenen Mißbräuchen durch seine kräftige Predigt zu wehren, worauf er Wittenberg nicht wieder verließ. Da für sein Leben jetzt keine Gefahr weiter zu besor­ gen war, so konnte Luther mit Hülfe seiner treuen Freunde und Gehülfen, Philipp Melanchthon (welcher ihm am nächsten stand), Johann Bugenhagen (aus Wollin in Pommern), Justus Jonas und Anderer das begonnene Werk der Glaubens- und Kirchenreinigung oder der Reformation ruhiger fortsctzen und weiter füh­ ren. Nach des Kurf. Friedrich des Weisen Tode bekannte!52» sich sein Nachfolger, Johann der Beständige, frei und öffentlich zu der verbesserten Lehre, und im kurfürst­ lichen Sachsen wurde in Folge einer durch Luther und Melanchthon abgchaltenen Kirchenvisitation das ganze kirchliche Wesen nach der Vorschrift des Evangeliums ab­ geändert, was Luther auch Veranlassung gab, seinen klei-l527 nen und großen Catechismus zum Unterrichte der Jugend zu verfassen. In Deutschland folgten der Landgraf Phi­ lipp von Hessen und andere Deutsche Fürsten und Städte dem Beispiele Sachsens. Außer Deutschland be­ kannte sich zuerst Preußen entschieden zu Luthers Refor-l.'>25 matten, Dänemark und Schweden folgten demselbent527 nach. In anderen Ländern, wo die päpstliche Partei die herrschende blieb, wurden die Anhänger Luthers heftig ver­ folgt, und Viele derselben sind für die reine Lehre des Evangeliums den Tod als Zeugen der Wahrheit gestorben. Fast um dieselbe Zeit mit Luther hatte auch in der Schweiz ein frommer Prediger zu Zürich, Ulrich Zwingli, eine Reformation, welche sich eben so wie die Lutherische ganz auf das Evangelium gründete, begonnen; doch hatte Jeder von Beiden sein Werk ganz unabhängig von dem Anderen betrieben. In der Schweiz, so wie in den benachbarten Theilen von Deutschland und Frankreich, hatte Zwinglis Lehre sich unaufhaltsam verbreitet, und alle Versuche der Päpstlichen, sie zu unterdrücken, hatten auch dort Nichts gegen sie vermocht. Luther und Zwingli waren anfänglich ganz einverstanden und fmuten sich Jeder der glücklichen Erfolge des Andern. Leider ent;

wickelte sich aber bald eine Verschiedenheit ihrer Meinungen in Hinsicht auf die Lehre von der Gegenwart Jesu Christi beim heiligen Abendmahle, und führte sie bald immer

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weiter auseinander, fti daß sie mit Heftigkeit gegen ein­ ander schrieben. Selbst bei einer persönlichen Zusammen1529funft in Marburg konnte die von so Vielen ihrer bei» derseitigcn Anhänger gewünschte Einigung beider Refor» matoren, welche für die weitere Ausbreitung der evange­ lischen Lehre in so hohem Grade wünschenswerth war, nicht zu Stande gebracht werden. 1530 Im I. 1530 kehrte der Kaiser nach langer Abwesen­ heit wieder nach Deutschland zurück und hielt einen Reichs­ tag zu Augsburg, auf welchem auch die Religions­ sache einer neuen Prüfung unterworfen werden sollte. 25. Die evangelischen Reichsstände übergaben hier dem Kaiser Juniein von Melanchthon mit Luthers Beirathe abgrfaßtes 1530unb von ihnen allen unterschriebenes Glaubensbekenntniß, die Augsburgische Confession genannt, in wel­ chem die Hauptsätze des christlichen Glaubens aus der heil. Schrift ausgezogen, und die vornehmsten Irrthümer und Mißbräuche der herrschenden Kirche, von welcher man sich lossagen zu müssen glaubte, aufgezahlt waren. Die Uebergabe dieses Glaubensbekenntnisses gab die vorzüg­ lichste Veranlassung, daß die Anhänger Luthers zu einer eigenen kirchlichen Gemeinschaft unter dem Namen der evangelisch-lutherischen Kirche zusammentraten, deren wichtigste Bekcnntnißschrift sie nun wurde. Von einer auf dem Reichstage zu Speicr im I. 1529 gegen einige dort gefaßte harte Beschlüsse eingelegten Protesta­ tion hatten die Bekenner dieser Lehre schon vorher den Namen Protestanten erhalten. — Zwar wurde auch noch auf dem Reichstage zu Augsburg von dem Kaiser und den katholischen Reichsständen, welche bei weitem die Mehrzahl bildeten, ein harter Beschluß gegen Luther und seine Anhänger gefaßt; aber die verwickelten Zeitum­ stände machten es unmöglich, die darin ausgesprochenen Drohungen zur Ausführung zu bringen, und verschafften den Evangelischen in Deutschland noch eine 15jährige Ruhe, wahrend welcher ihre Kirche sich bauete und fest genug begründete, um bevorstehenden größeren Stürmen Wider­ stand zu leisten. Während dieses Zeitraumes wurde auch 15341534, auf einem Landtage zu Treptow an der Regn, durch die damals regierenden beiden Herzoge von Pom­ mern, Barnim und Philipp, unter bereitwilliger Zu­ stimmung der Landstände, die evangelische Lehre in ganz

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Pommern eingeführt. — Nachdem aber Kaiser Karl V. andere Kriege glücklich beseitigt hatte, beschloß er im Ein­ verständnisse mit dem Papste, die Evangelischen mit Ge­ walt zu unterdrücken. Ehe aber noch der schon als un­ vermeidlich erkannte Krieg zum Ausbruche kam, wurde Luther, der von dem Gebrauche der Waffen zur Verthei­ digung der Sache Gottes immer abgerathen hatte, durch eine besonders gnädige Fügung Gottes vom irdischen Schauplatze abgcrufen. Bald nach seinem Tode brach 18. der gefürchtete Religionskrieg wirklich ans, und über die^^Evangelischen Deutschlands kam eine schwere Prüfungszeit, welche aber doch glücklich für sie endete, indem eben der Herzog Moritz von Sachsen, welcher dem Kaiser anfänglich zum Siege verhalfen hatte, nachher das Werk­ zeug zu seiner Demüthigung wurde, als jener sich seines Sieges mit großem Stolze überheben wollte; denn durch Moritz wurde der Kaiser genöthigt, erst im Passauer^52 Vertrage und drei Jahre später im Aug sburgcr,zzz Religionsfricden, den evangelischen Reichsständcn und ihren Unterthanen völlige Glaubensfreiheit zu bewilligen. In der Schweiz hatte inzwischen Zwingli in einem Religionskriege, welcher dort wegen der Reformation ent­ standen war, sein Leben verloren; aber wenige Jahre bars 1531 auf kam ein Mann von Luthers Kraft und Eifer, Jo­ hann Calvin, aus Frankreich nach Genf und wurdciöZ« das Haupt der Evangelischen in der Schweiz. Er nä­ herte sich in der streitigen Abendmahlslehre den Anhängern Luthers mehr an, und schon gewann es das Ansehn, als wenn eine Einigung zwischen den evangelischen Christen beider Parteien zu Stande kommen würde, als Calvins strenge Lehre von der unbedingten Gnadcnwahl, welche seine Anhänger größtentheils annahmen, einen neuen Stein des Anstoßes zwischen sie warf, die Trennung noch ent­ schiedener machte und die Einigung auf lange Zeit hin­ tertrieb. Die Evangelischen, welche Zwingli und Calvin folgten, erhielten den Namen der Reformirten, und traten in eine eigene Kirchengemeinschaft unter dem Na­ men der evangelisch-reformirten Kirche zusammen. In Deutschland bekannten sie sich zu der in einigen Punk­ ten veränderten Augsb urg isch en Consession und erhielten seit dem Augsburgischcn Rcligionsfrieden unter dem Namen der Augsburgischen Confes-

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sions-Derwandten freie Religionsduldung. Rächst der Schweiz und einem Theile von Deutschland und Frank­ reich'wurde die Lehre der Reformirten in England, Schottland und dem größeren Theile der Niederlande angenommen, fand aber auch in Polen, Ungarn und Siebenbürgen zahlreiche Bekenner. Die Trennung zwischen den Evangelisch-Lutherischen und Evangelisch Reformirten blieb bestehen, und ist erst in unseren Tagen nach 300 Jahren durch die sogenannte Union theilweise wieder aufgehoben. — Die im Jahre 1540 in der katho­ lischen Kirche erfolgte Stiftung des Ordens der Jesuiten und die in eben derselben nach vielen Verzögerungen ein­ getretene Haltung der letzten sogenannten allgemeinen Kirchenversammlung zu Trident, welche mit ei­ nigen Unterbrechungen 18 Jahre, von 1545 bis 1563, dauerte, machten die Trennung zwischen den katholi­ schen und evangelischen Christen immer größer und untergruben endlich alle Hoffnung einer Wiedervereini­ gung dieser beiden Hauptabtheilungen der Christenheit im Abendlande. Unter den Landern, welche die Reformation frühzeitig annahmen und auf welche dieselbe einer, heilsamen Ein­ fluß übte, sind für uns die merkwürdigsten die Mark Brandenburg und Preußen, die beiden Hauptlan­ der des Preußischen Staates, welchem wir angehören. Im zehnten Jahrhunderte, als das nordöstliche Deutsch­ land noch von Wenden aus dem Slavischen Völker­ stamme bis zur Elbe hin bewohnt wurde, hatten die Deutschen Kaiser auS dem großen Sächsischen Hause zum Schutze des übrigen Deutschland gegen die feindlichen Ein­ falle der Wenden Markgrafen, d. h. Granzgrafen, an die Elbe gesetzt, welche anfänglich Grafen der Nord­ mark und, nach der bleibenden Eroberung des Haupt­ ortes der Wenden, Markgrafen von Brandenburg genannt wurden. Nachdem beinahe 200 Jahre hindurch Markgrafen aus verschiedenen Deutschen Fürstenhäusern dort regiert hatten, kam endlich dieses Markgrasthum unHZöter Albrecht dem Bär als erbliches Besitzthum an das i^Haus Anhalt, unter dessen beinahe 200jähriger Regie" rung auch die Deutsche Kurfürstenwürde damit ver­ bunden und Berlin zur Hauptstadt erhoben wurde. Ihnen folgten Markgrafen und Kurfürsten aus dem Hause

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Baiern und dann aus dem Hause Luxemburg. Derisro letzte Kurfürst aus dem Hause Luxemburg, Sigismund, bis welcher zugleich Deutscher Kaiser war, hatte in feinen1373' vielfachen Geldverlegenheiten bedeutende Summen Geldes13.73 von dem damaligen Burggrafen von Nürnberg, Friebrich,,4,5 aus dem Hause der Grafen von Hohenzollern, einem der ältesten Deutschen Fürstenhäuser, entlehnt, welche nach und nach zu der bedeutenden Summe von 400000 Goldguldcn oder Dukaten angewachsen waren. Als er die Unmöglichkeit erkannte, sich von dieser Schuld zu be­ freien, setzte er Friedrich anfänglich zum Statthalter Veri4l5 Mark Brandenburg ein, und überließ ihm endlich dieselbe mit der Kurfürstenwürde und deiy Erzkämmerer-Amte des Deutschen Reiches zum erblichen Eigenthume. Auf der großen,g Upr. Kirchenversammlung zu Kostnitz wurde Friedrich mit diesem 1417* Lande und diesen Aemtern öffentlich und feierlich belehnt. Friedrich I. von Hohenzollern, Kurfürst und Mark­ graf von Brandenburg und Burggraf von Nürnberg, in welcher letzteren Eigenschaft er die Fürstenthümer Anspach und Baireuth in Franken besaß, wurde der Stammvateri4i7 des jetzt regierenden Preußischen Rcgentenhauses, welches nun seit mehr als 400 Jahren die Mark Brandenburg beherrscht und viele andere Länder dazu erworben hat, die zusammen den großen Preußischen Staat bilden. Ihm folgten nach einander feine beiden Söhne Frie-1440 drich II., der Eiserne, und Albrecht Achilles.1470 Letzterer gab das Kurfürstenthum Brandenburg seinem älte­ sten Sohne Johann Cicero, und die fränkischen Für-1486 stenthümer, oder das Burggrafthum Nürnberg, zwei jün­ geren Söhnen, wodurch die jüngere oder Fränkische Linie sich von der älteren oder Kurlinie der Mark­ grafen von Brandenburg absonderte. Aus der letz­ teren regierte zur Zeit des Ausbruches der Reformation Joachim I. Nestor als fünfter Kurfürst aus dem Hausel499 Hohenzollern über die Mark Brandenburg, und blieb, aus wahrer Ueberzeugung und bei redlichem Willen für das Wohl feiner Unterthanen, bis an fein Ende ein treuer Anhänger der Römisch« katholischen Lehre und Gegner der Reformation, obgleich er das Eindringen der evangelischen Lehre in seine Länder nicht verhindern konnte, wo dieselbe sogar von dem Bischöfe von Brandenburg und von seiner eigenen frommen Gemahlinn Elisabeth von Dänemark 15

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angenommen wurde. Seine beiden Söhne, der Kurf. Joachim II. Hector und der Markgraf Johann, LLSSwelchem Letzteren er die Neumark vererbt hatte, traten aber bald zur evangelisch-lutherischen Kirche über, in 1571welcher auch die beiden nachfolgenden Kurfürsten Johann 1598®eotg und Joachim Friedrich verblieben. Aus der jüngeren oder Fränkischen Linie der Markgra­ fen von Brandenburg war inzwischen Albrecht, ein Enkel des Kurfürsten Albrecht Achilles, Hochmeister des Dcut1512schen Ritterordens geworden, welcher damals Preußen, und zwar das jetzige Ostpreußen, unter der Lehnshoheit der Könige von Polen, besaß. Unter allen Fürsten er­ klärte er sich zuerst und am entschiedensten für die Grund­ sätze der Reformation, verwandelte Preußen mir Zustim1525mung seines Lehnsherrn, des Königs von Polen, Sigis­ mund I., in ein weltliches Herzogthum, welches auf seine Nachkommen eidlich übergehen sollte, und führte die evangelische Lehre in seinem ganzen Lande ein, zu 1544deren Unterstützung er auch die Universität Königsberg stiftete. Preußen, auf diese Weise gleichsam ein Kind der Reformation, erhielt durch sie seine eigenthümliche Stellung im christlichen Europa, und zeigte seine Dank­ barkeit in der Folge dadurch, daß es unter den Staaten des Europäischen Festlandes der vorzüglichste Pfleger und Beschützer der evangelischen Lehre und ihrer Bekenner ge­ worden und bis auf die neueste Zeit geblieben ist. Sein 1568blödsinniger Sohn Albrecht Friedrich hinterließ aus einer Ehe mit Marie Eleonore, Tochter eines Her­ zogs Wilhelm von Jülich, nur Töchter, von welchen die itzygälteste, Anna, an den Kurfürsten Johann Sigisbis mund von Brandenburg vermählt war, und diesem den itzldAbsitz des Herzogthumes Preußen unter Polnischer Lehnshoheit und den Anspruch auf die Erbschaft der inzwischen ausgestorbenen Herzoge von Jülich zuführte, aus welcher das' nun vereinigte Brandenburg-Preußen in der Folge das Herzogthum Cleve mit den Markgrafschastcn Mark und Ravensberg erhielt. Eben dieser Kurfürst Johann Sigismund nahm die evangelisch-reformirte Lehre an, ohne darum seine lutherischen Unterthanen in ihren Rech­ te.» zu beeinträchtigen. Seine Nachfolger blieben zwar bei dem Bekcnntniffe der reformirten Lehre; aber durch diese eigenthümliche Stellung' der Preußischen Regenten

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zu beiden Religionsparteien des evangelischen Bekenntnisse­ würden sie in der Hand der Vorsehung die vorzüglichsten Werkzeuge zur Wiedervereinigung derselben. Kurz vor Johann Sigismunds Tode brach in Böh­ men der furchtbare dreißigjährige Krieg aus, der letzte eigentliche Religionskrieg in der Christenheit, welcher der evangelischen Lehre in Deutschland unvermeidlichen Un­ tergang drohte und doch endlich zur Befestigung derselben und zur Sicherstellung ihrer Rechte hinführte. — Seil dem Augsburger Religionsfrieden hatten zwar die evange­ lischen Reichsstande Deutschlands mit den katholischen gleiche Rechte und Religionsfreiheit genossen; aber dies hinderte nicht, daß in Ländern der katholischen Rcichsstände die evangelischen Unterthanen sehr hart bedrückt wurden. Hef­ tige Verfolgungen dieser Art nach Verletzung feierlich ge­ gebener Versprechungen veranlaßten endlich die Böhmen zu einem vollständigen Aufruhre, in welchem sie ihren Königisig Ferdinand II., welcher zugleich Deutscher Kaiser und Erzherzog von Oestreich war^ der Krone für verlustig er­ klärten und sich in der Person des Kurfürsten Frie­ drich V von der Pfalz einen neuen König erwählten. Anfangs waren sic glücklich, aber durch Verlust berl620 Schlacht am weißen Berge bei Prag gingen alle er­ rungenen Vortheile wieder verloren; Friedrich V verlor mit der Krone Böhmen auch seine Erblander, und die Böhmen kamen unter einen härteren Druck, als unter wel­ chem sie je gewesen waren. Der Beistand, welchen einige protestantische Fürsten den Böhmen unter diesen Umstän­ den geleistet hatten, gab den Anlaß, den Krieg über die Gränzen Böhmens hin auszudehnen. Vergebens bemühete sich der König von Dänemark Christian IV. den be­ drängten Protestanten in Deutschland zu Hülfe zu kom­ men; er wurde geschlagen und sahe sich, um nicht seine eigenen Länder zu verlieren, genöthigt, mit dem Kaiser Ferdinand II. Frieden zu schließen und dabei das Ver-1629 sprechen zu geben, daß er sich nicht ferner in die Deutschen Angelegenheiten mischen wollte. Die kaiserlichen Feldherren Tilly und Wallenstein überschwemmten nun mit ihren, siegreichen Heeren das ganze nördliche Deutschland; Letz­ terer insbesondere verwüstete Brandenburg, Meklenburg und Pommern, wo er aber Stralsund vergeblich belagerte. Die große Noth, in welche die Protestanten Deutschlands

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hiedurch gerietben, veranlaßte den tapfern und frommen König Gustav Adolf von Schweden zu ihrer Hülfe rnoherbeizueilen. Er landete an der Küste Pommerns, dessen letzter Herzog Bogislav XIV. sich mit ihm vereinigte, nöthigte seinen Schwager, den Kurfürsten von Branden­ burg, Georg Wilhelm, ihm die Festungen Küstrin und Spandau cinzuraumen, schlug die Kaiserlichen bei Leip­ zig und durchzog nun als Sieger den größeren Theil von Deutschland. Wallensteins unerwarteter Einfall in Sachsen nöthigte ihn, dorthin zurückzukehren, wo er den «Nov.glorreichen Sieg bei Lützen mit dem Tode erkaufte. Noch 163216 Jahre hindurch wurde dieser verheerende Krieg, in welchem bald darauf auch Frankreich den Protestanten und Schweden beitrat, mit abwechselndem Glücke fortgeführt, endlich aber nach fünfjährigen Unterhandlungen durch den mein den Städten Münster und Osnabrück abgeschlossenen Westphälischen Frieden beendigt, welcher den Evan­ gelischen beiderlei Bekenntnisses völlige Religionsfreiheit und gleiche Rechte mit den Katholiken verschaffte, die in­ neren Verhältnisse Deutschlands auf lange Zeit fest be­ stimmte, aber Deutschlands Kraft durch bedeutende Abtre­ tungen an Schweden und Frankreich schwächte. Während dieses verheerenden Krieges hatte die Un­ schlüssigkeit des schwachen und durch seinen Minister Gra­ fen von Schwarzenberg schlecht geleiteten Kurfürsten Georg Wilhelm der Mark Brandenburg unsäglichen Schaden gebracht und das ganze Land fast in eine Wüste verwandelt, indem gewöhnlich eben sowohl Kaiserliche als Schweden darin feindselig verfuhren. Aber sein ausge­ zeichneter Sohn Friedrich Wilhelm der Große (der 164vgroße Kurfürst) wurde während einer 48jährigen Rebi« gierung nicht bloß der Retter und Wiederhcrstellcr des '^Landes, sondern auch der Begründer der künftigen Größe dieses Staates. Sogleich beim Antritte der Regierung er­ griff er entschieden die Sache der Evangelischen, verbündete sich mit den Schweden, welchen er thätige Hülfe leistete, und schützte seine Länder vor ferneren Verheerungen. Im Westphälischen Frieden konnte er zwar nicht ganz Pom163-mern erhalten, welches ihm beim Abstcrbcn seines letzten Herzoges Bogislav XIV. durch Erbschaft hätte zufallen sollen, sondern mußte sich mit Hinterpommern begnügen, Vorpommern aber nebst der Insel Rügen den Schweden

seit Gründung des Neuen Bundes, überlassen; aber er wurde für das Fehlende durch ^das Erzbistum Magdeburg, die Bisthümer Halberstadt, Minden und Cammin, welche vier Länder ihm als weltliche Fürstenthümer übergeben wurden, und die GrafschaftH o he nstein entschädigt. Durch ein kluges Beneh­ men in einem nachfolgenden Kriege zwischen Polen und Schweden erlangte er von ersterer Macht die völlige Unab­ hängigkeit des Herzogthums Preußen von Polen. In fer­ neren Kriegen mit Schweden und Frankreich machte et!657 zwar keine Eroberungen, erwarb aber als ausgezeichneter Feldherr sich und seinem Volke Ehre und Ruhm, so wie die Achtung von ganz Europa. Noch größere Ansprüche auf die Dankbarkeit seines Volkes erwarb er sich aber durch treffliche Gesetze und Einrichtungen, durch Beförderung des Ackerbaues, der Handlung und der Wissenschaften und durch Ansiedelung fleißiger und treuer Ausländer in seinen durch den Krieg verödeten und entvölkerten eigenen Län­ dern. Besonders nützlich für die letzteren war die Auf­ nahme von 20000 Französisch - reformirten Flüchtlingen, welche um ihres Religionsbekenntnisses willen von demisss Könige Ludwig XIV. aus Frankreich vertrieben worden waren, der Ursprung der sogenannten Französisch-resormirten Koloniegemeinden im Preußischen Staate. Sein Sohn Friedrich III., zur Freigebigkeit undi688 Pracht geneigt, setzte sich mit Zustimmung des Deutschen bis Kaisers und anderer Regenten Europas im Anfänge be§1713

18ten Jahrhunderts zu Königsberg in Preußen die Kö­ nigskrone auf, und nannte sich von dieser Zeit an Frie-18 drich I. König in Preußen, indenz er durch den foSfan. vermehrten Glanz seines Staates und Regentenhauscs stdj17®1 und seinen Nachfolgern neuen Sporn und Antrieb gab, durch großartige Unternehmungen dieser höheren Würde zu entsprechen. Durch Erbschaft erwarb er das Fürsten­ tum Neufchatel mit der GrafschaftValengin in der Schweiz, das Fürstentum Mörs und die Grafschaft Lingen, in Westphalen, durch Kauf die Grafschaft Tek­ lenburg ebendaselbst, und einige kleinere Gebiete, und nahm auf eine ehrenvolle, aber uneigennützige Art als Bundesgenosse des Kaisers an dem Spanischen Erb­ folgekriege Theil, welcher damals das westliche Europa in Bewegung setzte. Die Wissenschaften beförderte er durch Stiftung der Universität Halle, wo A. H. Franke durch

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rsseGründung des Waisenhauses zeigte, wie ächter Christen­ glaube auch noch jetzt Berge zu versetzen vermag. Selbst Friedrichs Prachtliebe, weiche seine Unterthanen in man­ cher Art belästigte, beförderte das Aufblühen der schönen Künste, insbesondere der Baukunst, und verdient daher nicht unbedingten Tadel. 1713 Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm!., bi« ein Feind alles überflüssigen Gepränges und Aufwandes, I740führtc in alle Verwaltungszweize die größte Sparsamkeit und Ordnung ein, und hob dadurch während seiner 27jährigen Regierung manches Uebel, welches die Prachtliebe seines Bakers angerichtet hatte, wieder auf. Obgleich ein großer Freund der Soldaten und des Kriegswesens, war sein Sinn doch höchst friedliebend, und er vermied mit großer Sorgfalt alle Kriege, welche seinem Lande hätten nachtheilig werden können. Wider seinen Willen wurde er jedoch zur Theilnahme an dem großen nordischen Kriege genöthigt, welcher vorzüglich zwischen dem Kai­ ser von Rußland Peter I. dem Großen, und dem Könige von Schweden, Karl XII., geführt wurde, und zwanzig Jahre hindurch das ganze nördliche und östliche Europa in Bewegung setzte. Beim Friedensschlüsse zu i72vStockhvlm begnügte er sich mit der Uebernahme des Theils von Vorpommern, welcher zwischen der Oder und Peene liegt, nebst den Inseln Usedom und Wol­ lin gegen eine Geldentschadigung. Außerdem erwarb er die Herrschaft Limburg und einen Theil von Geldern. Er war ein eifriger Beschützer der Evangelischen und nahm viele tausend Salzburger, welche um ihres evangelischen Glaubens willen aus ihrem Vatcrlande vertrieben waren, in seine Staaten auf, so wie er überhaupt den Gcwerbfltiß seiner Unterthanen aus alle Weise beförderte. Bei so vielen trefflichen Eigenschaften blieb cs zu bedauern, daß er den Werth der Gelehrsamkeit, der Wissenschaften und höheren Künste nicht richtig würdigte, indem er sic irrig als Beförderungsmittel der Ueppigkeit und Genuß­ sucht betrachtete, was doch nur von dem Mißbrauche der­ selben gilt. Er hinterließ ein wohlgccüstetes und geübtes Heer von 80000 Mann, einen gefüllten Schatz und ein durch wohlgeordnete Verwaltung im Innern befestigtes und gesichertes Reich, und bereitete dadurch die großen Unternehmungen seines Sohnes und Nachfolgers vor,

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wodurch der Preußische Staat zum Range der ersten Mächte Europas emporgehoben wurde. Friedrich II-, schon von seinen Zeitgenossen ohnel?40 Widerspruch der Große genannt, benutzte diese ihm bi» dargcbotenen Vortheile mit der größten Einsicht und bem1786 glücklichsten Erfolge. Bald nach seinem Regierungsantritte starb mit Kaiser Karl VI. der männliche Stamm des Habsburg-Ocstreichischen Regentcnhauscs aus, und die Hinterbliebene älteste Tochter desselben, Maria There­ sia, wurde nach dem Willen des Vaters Erbinn aller seiner Länder. Mancherlei Ansprüche anderer Mächte er­ zeugten den Ocstreichischen Erbfolgekrieg, welcher auch Friedrich II. Gelegenheit gab, seine wohlbcgründeten Ansprüche auf einige Fürstenthümer Schlesiens zu erneuern und sich, da seine Forderungen nicht anerkannt wurden, durch dm Ersten Schlesischen Krieg in den Besitz von fast ganz Schlesien nebst der Grafschaft Glaz zu setzen, welches ihm nach zwei Jahren im Bres-I74r lauer Frieden auch abgetreten wurde. Er behauptete sich im Besitze desselben durch den Zweiten Schlesischen Krieg, welcher durch den Dresdener Frieden been-1744 digt wurde, und nahm um eben diese Zeit auch dasFür-174stenthum Ostsriesland in Besitz, welches ihm durch Erbschaft zugefallen war. Eine darauf folgende 11jährige Ruhe benutzte Friedrich mit großer Weisheit, um durch eifrige Beförderung des Landbaucs, des Gewerbflcißcs und Handels, der Künste und Wissenschaften, durch Anordnung schneller und unparteiischer Gercchtigkeitspflegc, so wie durch Bildung eines wohlgeübten Heeres Kräfte zu neuen großen Anstrengungen zu sammeln, welche als unvermeidlich vorauszusehcn'waren. Die Bemühungen der Kaiserinn MariaTheresia, Schlesien, dessen Verlust sie nicht verschmer­ zen konnte, wieder zu erobern, verwickelte Preußen in den Dritten Schlesischen oder siebenjährigeni756 Krieg, in welchem cs 7 Jahre hindurch mit Oestreich, Rustand, Frankreich, Schweden und den meisten Fürsten des Deutschen Reiches zu kämpfen hatte, und nur einer geringen Hülfsleistung an Truppen und Gelde von Sei­ ten Englands, und zwar gegen Frankreich allein, genoß. Die großen, glücklichen Schlachten bei Prag, Roßbach, Leuth en, Zorndorf, Liegnitz, Torgau, Rei­ cherbach und Freiberg brachten Preußen und seinem

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Könige unsterblichen Ruhm, und auch die unglücklichen Schlachten bei Collin, Hochkirch und Kunersdorf nebst anderen unvermeidlichen kleineren Unglücksfällen scha­ deten seiner Ehre nicht. Aus einem glorreichen sieben­ jährigen Kampfe gegen halb Europa, welcher mehr als einer Million Menschen das Leben gekostet hatte, ging Friedrich unbestritten als der größte Feldherr seiner Zeit hervor, und auch die Anführer seiner Heere, Schwerin, Seidlitz, Winterfeld, Ziethen, Keith und Andere erwarben sich unvergängliche Ansprüche auf die Dankbar­ keit ihres Vaterlandes. Durch den Frieden von HuI763bertsburg erwarb Friedrich zwar keinen neuen. Länder­ besitz, verlor aber auch keine Handbreit seines eigenen. Gebietes, und Preußen wurde von dieser Zeit an unbe­ zweifelt den ersten Mächten Europas beigezählt. Sogleich nach Beendigung des Krieges richtete Friedrich seine ganze Thätigkeit mit dem segensreichesten Erfolge darauf hin,, seinen durch diesen schweren Krieg sehr verwüsteten Staa­ ten den verlorenen Wohlstand wieder zu verschaffen und dadurch die Wunden, welche durch ihn seinen Unterthanen geschlagen waren, zu heilen. — Einen neuen Zuwachs an Ländergebiet gewann er durch die in Verbindung mit RußI772land und Oestreich vorgenoinmene erste Theilung Po­ lens, durch welche ihm das sogenannte Polnisch-Preu­ ßen oder Westpreußen, welches bis in die Milte des löten Jahrh, mit Ostpreußen nur Ein Ganzes gebildet hatte, nebst dem sogenannten Netz di strikte zufiel; daher sich Frie­ drich von dieser Zeit an nicht mehr König in Preußen, son­ dern König von Preußen nannte.— Noch einmal wurde er genöthigt, in dem sogenannten Bairischen Erbfolge­ kriege das Schwert gegen Oestreich zu ergreifen, um Letz­ teres zu verhindern, einen großen Theil Baierns an sich 1778gU reißen; doch wurde dieser unbedeutende Krieg bald I779durch den Frieden von Tesch en beendigt, durch welchen Friedrichs Hauptzweck im Ganzen erreicht wurde. Nach 17 einer 46 jährigen Regierung starb er in dem hohen Alter Aug.von 74 Jahren, nachdem er kurz vor seinem Tode durch ^^Bereinigung mehrer Deutschen Fürsten zu dem sogenann­ ten Fürstenbunde einen neuen Versuch Oestreichs, seine Macht durch einen Ländertausch beträchtlich zu vermehren, vereitelt hatte., Groß als Feldherr, als Friedensvermitt­ ler, als Beschützer und Beförderer des Gewerbsieißes, des

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Handels und der Wissenschaften, als Gesetzgeber, und in allen diesen Zweigen der Staatsverwaltung vielfach be­ schäftigt, sand er doch in feinen Mußestunden noch Zeit genug, auch als Schriftsteller, namentlich als Geschicht­ schreiber seiner Zeit, noch Ehre zu erwerben. Er war in Hinsicht aus Staatsgeschäste das Vorbild für alle Regen­ ten dieses und des nachfolgenden Zeitalters, und gab durch die Bewunderung, welche man ihm zollte, seiner ganzen Zeit in Hinsicht auf Staatsleben eine neue Rich­ tung. Der Christ erkennt es mit Dankbarkeit an, daß er durch seinen großen Einfluß Religionsduldung und Ge­ wissensfreiheit in weiten Kreisen mächtig förderte, be­ trauert es aber, daß er, in Folge eines in seiner Jugend genossenen mangelhaften Religionsunterrichtes, die Heils­ wahrheiten des Christenthums nicht tief genug ersaßt hatte und daher einer falschen Aufklärung Vorschub leistete, so wie der Deutsche es beklagt, daß er, mit Geringschätzung des in den Wissenschaften und schönen Künsten sich dar­ stellenden Deutschen Sinnes und Geistes, der Französischen Sprache und den darin verfaßten Schriftwerken einen zu hohen Werth beilegte. Unter feinem Neffen und Nachfolger Friedrich Wil-1788 Helm II. fielen beim Aussterben der jüngeren Fränkisch- b>« Brandenburgischen Linie die FürstentyümerAnspa ch unb1797 BaireutH, das alte Burggraslhum Nürnberg und Stammland des Preußischen Regentenhaufes, an Preußeni7sr zurück-. Die fortwährenden Unruhen in Polen veranlaß­ ten die drei Nachbarstaaten Rußland, Oestreich und Preu­ ßen zu einer zweiten, und bald darauf zu einer drit-i7SZ ten Theilung Polens, mit welcher letzteren Poleni79S überhaupt aufhörte ein unabhängiger Staat zu sein. Preußen erhielt durch diese beiden Theilungen einen sehr bedeutenden Länderzuwachs, den es unter den Namen Südpreußen und Neuostpreußen mit seinen übri­ gen Staaten vereinigte, welche insgesammt dadurch einen Flächeninhalt von etwa 5500 Quadratmeilen mit bei­ nahe 10 Millionen Einwohnern erhielten. — Unter der Regierung dieses Königes brach in Frankreich die soge-l78» nannte Französische Revolution aus, welche, so wie für ganz Europa, so auch für Deutschland und den Preußischen Staat, in ihren Folgen höchst wichtig wurde. Durch die Reformation des 16ten Jahrhunderts und

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die kurz voraufgegangene Wiederherstellung der Wissen­ schaften war in den Christen des Abendlandes ein Trieb deS Forschens angeregt worden, welcher viele große Ent­ deckungen und Erweiterungen der menschlichen Erkennt­ niß herbeiführte. Im stolzen Selbstvertrauen auf diese glücklichen Erfolge sing man an, die heiligen Lehren der m dem geschriebenen Worte Gottes der Menschheit über­ gebenen göttlichen Offenbarung der menschlichen Prüfung zu unterwerfen, und indem man es gänzlich vergaß, wie alle wahre Erleuchtung in der Religion nur von diesem Worte ausgegangen und aus demselben geschöpft war, wollte man die trügliche menschliche Vernunft als die einzige Quelle dieses Lichtes anerkennen. Diejenigen Leh­ ren in dem Worte Gottes, welche mit den Aussprüchen der Bernunft übereinstimmten (und wie sollte cs deren nicht viele geben, da ja Vernunft und Offenbarung beide unschätzbare Gottesgabcn und Kundmachungen des gött­ lichen Willens sind!) ließ man als Wahrheit-unter dem Namen eines Vernunstglaubens gelten; was aber in dem Worte Gottes für die sich selbst überlassene mensch­ liche Bernunft unergründlich war, wie sehr es sich auch in seinen Wirkungen seit Jahrhunderten mit einer welt­ überwindenden Kraft als göttliche Wahrheit schon bezeugt hatte, das wurde als thöricht und einer früheren Zeit der Unwissenheit angehörig, verworfen und als Menschenwabn dargestellt. In evangelischen Ländern, wo Geistes- und Denkfreiheit herrschte und auch der Irrthum nicht durch Zwang, sondern durch Belehrung und Ueberzeugung be­ kämpft wurde, traten Lehren dieser Art frei und öffentlich hervor, besonders in England, wo große Bewegungen in bürgerlichen und religiösen Verhältnissen eine große Aufregung der Gemüther bewirkt, und damit jenen For­ schungsgeist schon im l/ten Jahrhunderte hervorgerufen, aber auch irregeleitet hatten. In katholischen Ländern, wo man solche freien Aeußerungen durch Gewalt und Zwang zu unterdrücken suchte, breiteten sich Grundsätze dieser Art, wie ein schleichendes Gift, nur desto weiter im Stillen aus, wirkten um desto gefährlicher, je weniger man ihnen mit offener Widerlegung und Belehrung entgegcntreten konnte, und arteten endlich in völligen Un­ glauben aus, welcher alle wahre Sittlichkeit und Fröm­ migkeit untergrub und das Heiligste zum Grspötte machte.

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Dies geschah besonders in Frankreich, wo eine sehr v erb erbte Geistlichkeit ihr eigenes Ansehn und das Ansehn der katholischen Religion nur durch Gewalt zu erhalten suchte, und die heftigsten Verfolgungen gegen die Beken­ ner des evangelischen Glaubens erregte, wahrend sie selbst sich der Sittenlosigkeit und den Lastern hingab. Die Schriften eines Voltaire, Rousseau, Diderot u. A., welche flachen Vernunftglauben oder offenbaren Un­ glauben predigten, wurden um so begieriger gelesen, je mehr Verbote von oben her den Kitzel danach aufregten; und die damals fast allgemein verbreitete Vorliebe für die Französische Sprache und Nachahmung Französischer Sit­ ten verschaffte ihnen fast in allen Ländern Europas leicht Eingang. In Deutschland trug leider Friedrichs II. große Vorliebe für Französische Sprache und Schriften viel dazu bei, diese Grundsätze einer fälschlich so genann­ ten Aufklärung fast durch alle Stände der Gesellschaft zu verbreiten lind den tiefern Ernst und die Frömmigkeit, welche bisher eigenthümliche Vorzüge des Deutschen Sin­ nes gewesen waren, zu untergraben; doch verhinderte hier eben die größere Gemüthsticfe der Deutschen so grobe Aus­ brüche des sittlichen Verderbens, wie sie in Frankreich nun erfolgten. — Eben daselbst hatten die 72jährige sehr krie-l643 gerische Regierung Ludwig XIV. und die 50jährige, fast bl'5„ eben so kriegerische und dabei höchst verschwenderische 9ie;171D gierung seines Urenkels Ludwig XV. eine unermeßliche Schuldenlast auf den Staat gebracht, und durch die dar-1774 aus hervvrgegangenen sehr drückenden Abgaben zuletzt all­ gemeine Unzufriedenheit mit allen Maaßregeln der Obrig­ keit erweckt. Sein gutmüthiger und für seine Unterthanen wohlgesinnter, aber schwacher Enkel und Nachfolger Lud­ wig XVI. konnte bei allem guten Willen die schon vor­ handenen drückenden Uebel nicht heilen, noch dem Strome des immer weiter einreißenden Sittenverderbens wehren. Als es nun den Bewohnern der Brittischen Kol 0-1774 nieen in Nordamerika nach einem neunjährigen bis Kampfe mit Beihülfe Frankreichs gelungen war, sich vonl783 der Brittischen Oberherrschaft loszumachen und einen un­ abhängigen Freistaat oder eine Republik zu begrün­ den, wurde auch in Frankreich der Rus nach eingebildeter bürgerlicher Freiheit immer lauter und artete, bei dem Mangel aller wahren Gottesfurcht in den Gemüthern der

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Menge, bald in offenbaren Aufruhr gegen die Obrigkeit und Umsturz aller guten bürgerlichen Ordnung aus. 14 Mit der Einnahme und Zerstörung der Bastille, Juiieines großen Staatsgefängnisses in Paris, begann die ^^Französische Revolution. Anfänglich wollte man die Macht deS Königthums nur durch Volksvertreter be­ schränken, welche erst Nationalversammlung, dann Nationalconvent hießen. Bald aber genügte dies den. Wünschen des Volkes, in welchem alle sinnlichen Be­ gierden und Leidenschaften nun losgebunden waren, nicht mehr, und man ruhcte nicht eher," als bis auch Frank­ reich für einen Freistaat erklärt war. Die vermeintlich errungene Freiheit führte nun Schandthat auf Schand­ that herbei, vor welchen alles edlere menschliche Gefühl 21 zurückschaudert. Der König Ludwig XVI. starb auf Blutgerüste unter dem neuerfundenen Henkersbeile, ^Guillotine genannt, bald auch die Königinn, des Kö­

nigs Schwester und andere Glieder des königl. Hauses nebst vielen Vornehmen des Landes. Ströme von Blut wurden unter der Leitung von Ungeheuern wie Maral und Robcspierre, den Anführern der wüthenden Ja­ kobiner, vergossen. Die Feier des Sonntages und aller christlichen Feste wurde abgcschafft, alle Anstalten christ­ licher Gottesverehrung wurden ausgehoben, Kircben und Altäre entweder zerstört oder zu weltlichem, oft unheili­ gem Gebrauche bestimmt, und an die Stelle der Anbe­ tung Gottes und seines cingebornen Sohnes wurde ein Fest zu Ehren der Göttinn Vernunft ungeordnet, wo­ bei eine liederliche Dirne, als Sinnbild derselben, im Festgepränge umhcrgeführt wurde. — Die wohlbegrün­ dete Besorgniß vor dem Umsichgreifen so verdcrb.ichcr Lehren, welche man geflissentlich in weiteren Kreisen zu verbreiten bemüht war, vereinigte nach und nach fast I792alle Mächte Europas zu einem Kriege wider Frankreich, an welchem auch Preußen Theil nahm. Ein vereinig­ tes Oestreichisch - Preußisches Heer rückte zwar in Frank­ reich ein, vermochte aber nicht, besonders da Uneinigkeiten unter den Verbündeten selbst entstanden, der bis zur Wuth und Verzweiflung ausgeregten rasenden Tapferkeit des Französischen Volkes zu widerstehen. Daher trennte sich Preußen nach einigen Jahren von dem Bündnisse gegen Frankreich, und schloß mit ihm einen besonderen Frieden

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zu Basel, durch welchen bald auch das ganze nördlichere Deutschland von der Theilnahme am Kriege befreit wurde. Wenige Jahre darauf starb Friedrich Wilhelm II.,16 ein wohlgesinnter menschenfreundlicher Fürst, welchem nur??.0”* einiger Hang zur Verschwendung und zu große Nachgiebigkeit gegen schlechte Rathgeber vorgcworfen wird. Sein Sohn und Nachfolger, der gerechte unt>1797 fromme König Friedrich Wilhelm III., beharrete in bi« dem friedliebenden Sinne seines Vaters und ließ fiel),1840 um seinen eigenen Staat nicht den Schrecknissen des Krieges auszusetzen, nicht zu einer neuen Theilnahme am Kriege gegen Frankreich bewegen. Dieser Krieg war inzwischen von Oestreich, Großbrittanien, Rußland und anderen Machten mit einigen Unterbrechungen und ab­ wechselndem Glücke fortgesetzt worden, so daß im-Ganzen auf dem Festlande Frankreich, zur See Großbrittanien immer mehr das Ucbergcwicht erhielt. Frankreich ver­ dankte in dieser Zeit große und entschiedene Siege in Ita­ lien vorzüglich der ausgezeichneten Klugheit und Geschick­ lichkeit seines Feldherrn Napoleon Bonaparte, aus Eorsica gebürtig, welcher sich dadurch zum Oberconsul von Frankreich emporschwang. Im Friedeni799 von Lüneville, welcher den Rhein zur Gränze zwi-iSül schen Deutschland und Frankreich setzte, mußte zwar auch Preußen einige kleine Besitzungen jenseit des Rheines, Kleve, Mors und Geldern, an Frankreich abtreten, wurde aber dafür durch Länder diesseit des Rheines, als Mün­ ster, Paderborn, Hildesheim, Erfurt u. s. w. reichlich entschädigt. Der Friede von Amiens beendigte auchl802 den Krieg zwischen Großbrittanien und Frankreich, und es folgte eine kurze Zeit allgemeiner Ruhe. Napoleon Bonaparte, von unersättlichem Ehr­ geize immer weiter getrieben, machte sich bald darauslSOt zum Kaiser der Franzosen und König von (Ober-) Italien und stellte mit der Alleinherrschaft auch die Gültigkeit der katholischen Religion in Frank­ reich wieder her, obgleich er zu dem letzteren Schritte nur durch Wcltklugheit und Selbstsucht geleitet wurde. Sein unaufbaltsames Umsichgreifen führte einen neuen Krieg Oestreichs, Rußlands und Großbrittaniens gegen Frankreich herbei, welcher besonders für Oestreich sehr unglücklich aus­ fiel und mit der Eroberung Wiens und großen Länderab-

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tretungen an Frankreich endete. Die unmittelbare Folge davon war die völlige Auflösung des Deutschen 180sReiches, indem der bisherige Beherrscher desselben, Franz II., die Würde eines Römischen Kaisers und Königs von Deutschland niederlegte, und dafür in Beziehung auf seine Erbstaaten den Titel eines Kaisers von Oestreich annahm. — Auch die höchste Friedensliebe des Königs von Preußen vermochte es aber nicht, Preußen vor den ehrgeizigen Unternehmungen Napoleons zu sichern; denn noch in eben diesem Jahre wurde cs zu einem Kriege gegen Frankreich gezwungen, L4Oct.in welchem der Verlust der unglücklichen Schlacht bei 1806 Jena oder Aucrstädt in wenigen Wochen fast den ganzen Preußischen Staat der Ueberschwemmung und den Bedrückungen der Franzosen Preis gab. Die Hülfsleistung der Rusten konnte die Fortschritte der Franzosen zwar in Etwas aushalten, aber einen höchst unglücklichen Ausgang des Krieges doch nicht abwcndcn. Nur der kleine Landstrich östlich von der Memel nebst den Festun­ gen Colbcrg, Graudenz und Silberberg wurde von den 1807Fcinden nicht erobert. In dem Frieden von Tilsit mußte Preußen beinahe die Halste seines Gebietes abtre­ ten, und wurde auf einen Staat vom zweiten Range von 3000 Q M. und etwa 5 Mill. Einwohnern herab­ gesetzt. — Während eines Zeitraumes von sieben Jah­ ren erfuhr nun Preußen von Frankreich die härtesten Be­ drückungen und Demüthigungen, indem die Franzosen die drei Oderfestungen Stettin, Küstrin und Glogau inne behielten und jede Gelegenheit ergriffen, um an Preußen neue Anforderungen zu machen und ihm neue Kränkun­ gen zu bereiten. Aber diese Prüfungszeit wurde von Preußen aufs Trefflichste benutzt, um den Ursachen seines jetzigen tiefen Falles nachzusorschen, bisher bestandene fehlerhafte Einrichtungen abzuschaffen, durch EinfKhrung einer besseren Verwaltung, insbesondere durch eine'völlige Umgestaltung des Kriegsheeres, ein künftiges Auserstehen vorzuberciten und so aus den großen Lehren, welche die Französische Revolution den Völkern und Fürsten gegeben hatte, für sich Nutzen zu ziehen. Heil dem guten Könige, welcher in solcher Zeit der Roth an Preu­ ßens Geschicke nicht verzagte, vielmehr dieselbe für sich und sein Volk segensreich zu machen wußte! Und Dank

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Männern wie Stein, Scharnhorst und Harden­ berg, welche als treue Gehülfen und Rathqeber ihm da­ bei zur Seite standen! — Ein erneuerter Krieg Oestreichsl8vs vollendete nur die Erniedrigung dieser Macht; aber einige Mißgeschicke der Franzosen in Spanien deuteten auf einen vielleicht bevorstehenden Wechsel der Schicksale. Nachdem Napoleon, wie ec meinte, durch seiner Hände Kraft und durch seine Weisheit die Länder der Erde an­ ders getheilt, ihr Einkommen geraubet und die Einwoh­ ner zu Boden geworfen hatte, standen nur noch Großbrittanien und Rußland unüberwunden da.. Ersteres, welches die Seemacht Frankreichs fast ganz vernichtet hatte, mußte er einstweilen für unangreifbar erkennen; Rußland wurde mit Krieg überzogen, als es seinem Uebermuthc sich nicht fügen wollte. Mit dem vermessensten Selbstvertrauen rückte ein sehr zahlreiches Heer der Franzosen in das Herz Rußlands ein, und auch Preußen und Oestreich mußteniöiL nothgedrungen gegen ihren früheren Bundesgenossen Hülsstruppen stellen. Aber der Brand des eroberten Moskau setzte Napoleons Eroberungen die äußerste Gränze und nöthigte ihn bald zum Rückzüge, auf welchem Hunger und Kälte, verbunden mit der Verfolgung der auf dem Fuß nachrückenden Feinde, das ganze zahlreiche und wohl­ gerüstete Heer bis auf wenige Trümmer zernichtete. Preu­ ßen, welches auch nach diesen furchtbaren Mißgeschicken von Frankreich noch immer mit Uebermuth und Treulosig­ keit behandelt wurde, durfte kein Bedenken tragen, das un­ selige Zwangbündniß mit Frankreich aufzugeben und sich wieder seinem alten Verbündeten Rußland anzuschließen, nm sich selbst und Deutschland zu befreien. Der Aufruf Friedrich Wilhelm III. an sein treues Volk vom 3teni813 Februar und die Kriegserklärung vom Ilten März 1813 bezeichnen den Anfang des glorreichen Deutschen Be­ freiungskrieges, durch welchen Preußen aus dem Zustande seiner Schmach sich wieder zum Range einer der ersten Mächte Europas emporhob. Der Wahlspruch: „Mit Gott für König und Vaterland," wel­ chen der König seinen Kriegern als Merkzeichen gab, be­ zeichnet den schönen Geist, in welchem dieser Krieg be­ gonnen und bis zu seinem Ende fortgeführt wurde. — In den Schlachten bei Lützen und Bautzen mußten die in Eile zusammenbcrufenen und noch ungeübten Preu-

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ßen mit den Russen der Französischen Urbermacht weichen. Wahrend eines von Napoleon selbst angebotenen Waffen­ stillstandes trat Oestreich, bald nach demselben auch Baiern, dem Bunde bei, und der Krieg wurde nach Ablauf desselben mit noch größerer Anstrengung erneuert. Die Schlachten bei Großbeeren und Dentrewitz sicherten Berlin, die Schlacht an der Katzbach Schle­ sien vor den Angriffen der Franzosen; die Schlacht bei Kulm hob die nachtheiligcn Folgen eines unglücklichen Angriffes auf Dresden auf und wehrte dem EindrinDie große Völker16 gen der Franzosen nach Böhmen. W* schlacht bei Leipzig zwang Napoleon, Deutschland ganz jjjJ zu verlassen und über den Rhein zurückzugehen. Mit

Itzizdem Anfänge des neuen Jahres gingen die Verbündeten über den Rhein, und nachdem noch drei Monate unter manchen Abwechselungen in Frankreich selbst gekämpft 31 war, zogen die Verbündeten in Paris ein. Die ^^Thronentsehung Napoleons, welcher nach der Insel Elba "verwiesen wurde, die Aufhebung des Französischen Kaiserthums und die Wiedereinführung der Bourbons, der alten Französischen Königsfamilic, unter dem neuen Kö­ nige, Ludwig XVIII., waren die unmittelbaren Fol­ gen dieses Einzuges. Durch den Frieden von Paris wurde im Allgemeinen die alte Gränze, welche Frankreich vor der Revolution gehabt hatte, wieder hergestellt und alles Einzelne in Betreff der neuen Staatenverhältnisse Europas wurde durch den sogenannten Wiener Congreß fest bestimmt. Aber noch vor Beendigung desselben I8i5erschien Napoleon aufs Neue in Frankreich und bemäch­ tigte sich der Regierung; doch die schleunigen und kräf­ tigen Anstrengungen der Verbündeten, insbesondere die Schlacht bei Bel le-Alliance oder Waterloo, mach­ ten diesem Zwischenspiele bald ein Ende. Napoleon ent­ sagt« der Regierung, welche er 100 Tage wieder geführt 5 hatte, und wurde auf die Felsinsel Set. Helena verMalwiesen, wo er nach sechs Jahren sein Leben beschloß. Die I82izgerbündeten zogen zum zweiten Male in Paris ein und schloffen den Zweiten Pariser Frieden, durch wel­ chen Frankreich noch zu einigen neuen Länderablretungen und zur Zahlung einer sehr bedeutenden Summe von Kriegsentschädigungen an Gelde genöthiget wurde. Preu­ ßen erhielt durch die beiden Pariser Friederisschlüffe den

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größten Theil seiner alten Besitzungen wieder, und wurde für die Abtretung des größeren Theiles von Südpreußen und Neuostpreußen, welches zu einem neuen Königreiche Polen unter Russischer Oberherrschaft geschlagen wurde, von Anspach, Baireuth und Ostfriesland, durch bedeu­ tende Länder am Rhein, namentlich durch Jülich und Berg, durch das Herzogthum Sachsen, Schwedisch-Pom­ mern und einige andere Landstriche entschädigt, so daß es nun einen Länderunifang von etwa 5000 Quadrat­ meilen erhielt, welcher jetzt etwa von 15 Mill. Menschen bewohnt wird. Den Bewohnern Pommerns wurde die­ ser Friedensschluß insbesondere noch dadurch wichtig, weil in Folge desselben die seit dem Westphälischen Frieden zerstückelt gebliebenen Theile dieser Provinz wieder zu Einem Ganzen, unter Preußens Herrschaft, vereinigt wurden; eine gleiche Wiedervereinigung erfuhren die Länder des ehemaligen Deutschen Staates der Herzoge von JülichCleve - Berg. Deutschland wurde ein Staatenbund, des­ sen einzelne Staaten von einander völlig unabhängig sind, und dessen allgemeine Angelegenheiten von Abgeordneten aller Bundcsglieder, dem sogenannten Bundestage, zu Frankfurr am Main berathen werden. — Der auf diese Weise zu Preußens Ehre und Ruhm beendigte Befreiungskrieg hat die Namen der Preußischen Feldher­ ren Blücher, Gneisenau, Bülow, Kleist, Tauenzicn und Port für jeden Preußen denkwürdig gemacht. Seit jener ruhmvollen Beendigung des Befreiungs­ krieges hat4sich Preußen ununterbrochen der Segnungen des Friedens erfreuet und ist unablässig bestrebt gewesen, durch gute Gesetze und Einrichtungen, durch Beförderung des Ackerbaues, Gewerbfleißes und Handels, seinen frü­ heren Wohlstand im Inneren wieder zu gewinnen und zu befestigen, durch Verbesserung der schon bestehenden und Errichtung neuer höheren und niederen Bildungsanstalten in Kirche und Schule dem Glücke des Volkes seine wahre Grundlage zu geben. In Verbindung mit den größten Mächten Europas, mit Rußland, Oestreich, Großbrittanien und Frankreich, ist es bemüht gewesen, die allge­ meinen Angelegenheiten Europas auf festem Grunde zu ordnen und den Frieden, dessen es selbst im glücklichsten Einverständnisse zwischen König, Obrigkeit und Untertha­ nen aenießt, auch nach außen hin weiter zu verbreiten.

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JuliSelbst eine neueRevolution, welche in Frankreich 1830 unerwartet auSbrach, wodurch der regierende König Karl X. mit der älteren Linie des Hauses Bourbon vom Throne gestürzt und Ludwig Philipp mit der jüngeren Linie dieses Hauses, Orleans genannt, auf deir Thron erhoben wurde, so wie zwei mit ihr in naher Ver­ bindung stehende Bolksaufstände in Belgien und Polen, in Folge deren ersteres zu einem eigenen König­ reiche umgestaltet, letzteres aber noch enger mit Rußland verbunden worden ist, haben, ungeachtet sie an zwei ent­ gegengesetzten Gränzen des sehr in die Länge ausgedehn­ ten Preußischen Staates ausbrachen, Preußens Frieden nicht zu stören vermocht; vielmehr wußte Friedrich Wilhelm III. durch seine unerschütterliche Friedensliebe und durch seine eben so ruhige und feste, als kräftige und würdige Haltung in so gefahrvollen Zeitumständen die Ausbrüche größerer Unruhen mit dem besten Erfolge zu verhüten, und wurde eben sowohl fast in dem ganzen Europa, als von seinen eigenen treuen Unterthanen, als der vorzüglichste Erhalter des Friedens dankbar anerkannt. 7JuniSein am 7ten Juni 1840 im 70sten Lebensjahre er1840 folgtet Tod wurde von allen seinen Unterthanen mit der aüfrichtigsten Liebe betrauert und seinem Sohne und Nach­ folger Friedrich Wilhelm IV., dem jetzt regierenden Könige von Preußen, als Erben der väterlichen Tugen­ den, insbesondere der Gerechtigkeit, Friedensliebe und from­ men Gesinnung des Vaters, das Gelübde der Treue mit freudigster Hoffnung dargebracht. Die Gräuel und Schrecknisse der Franzöfischen Revo­ lution hatten die unseligen Folgen der Abweichung vom Christenthume und dem festen prophetischen Worte der göttlichen Offenbarung in ihrer fluchwürdigsten Gestalt ge­ zeigt, und waren dadurch 2Becf stimmen für Viele gewor­ den, dem Weltsinne und der Gleichgültigkeit gegen gött­ liche Dinge, welchen sie sich mit dem größten Theile- ih­ rer Zeitgenossen bisher hingegeben hatten, zu entsagen, und sich wieder dem Worte zuzuwenden, welches für die Menschen des Fußes Leuchte und ein Licht auf ihren Wegen sein soll. Immer größer wurde die Zahl derer, welche es deutlich erkannten, daß die hohle und flache Aufklärung der nächstvergangenen Zeit nicht das Heil der Menschheit begründen könne, sondern daß dieses Heil nur

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allein in Dem zu finden sei, der Allen geworden ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und Erlösung. Die christlichen Kirchen wurden wieder ungleich zahlreicher besucht; christliche Erbauungsschristen wurden häufiger und aufmerksamer gelesen; alle Gegenstände der Religion wurden mit größerem Ernste und mit derjenigen Ehrer­ bietung, welche man dem Heiligen schuldig ist, behan­ delt. Das Jubelfest zum Andenken an die vor 300 Jahren begonnene Reformation wurde am Olsten October 1817 in allen evangelischen Ländern miti8i7 großer Theilnahme gefeiert, und dabei von dem Könige Preußens und von anderen evangelischen Fürsten Deutsch­ lands ein besonderes Bemühen darauf hingerichtet, die beiden bisher getrennt gebliebenen evangelischen Religions­ parteien der Lutheraner und Resormirten wieder zu "Einer evangelischen Kirche zu vereinigen, ein Werk,welches besonders in Preußen mit glücklichem Erfolge begonnen und noch immer im Fortschreiten begriffen ist. Mit nicht geringerer Theilnahme wurde am Lösten Juni 1830 dasibia Andenken an die vor 300 Jahren geschehene Uebergabe der Augsburgischen Confession gefeiert. — Insbesondere aber zeigte sich das Wiedererwachen eines tieferen christ­ lichen Sinnes und Lebens in der vermehrten Theilnahme, welche man allgemeinen Anstalten schenkte, welche die Er­ weckung und Weiterverbreitung christlicher Erkenntniß zum Zwecke haben. Mit Beschämung gedachte man zuerst, wie wenig man seit 300 Jahren in der evangelischen Kirche zur Erfüllung des göttlichen Gebotes: „Gehet hin in all: Welt und lehret alle Völker und taufet sie" gethan hatte, und wie die seit etwas mehr als 100 Jahren bestehende Dänisch-Hallische An­ stalt zur Bekehrung der Heiden in Ostindien, die mit ihr in Verbindung stehendeBrittische Gesell­ schaft zur Verbreitung christlicher Erkenntniß, und die seit 1732 bestehenden Heidenbekehrungsanstalten der evangelischen Brüdergemeinde nur dürftige Anfänge dessen bezeichneten, was in der christlichen Kirche im Ganzen und Großen geschehen und ein Gegenstand reger Theilnahme für jeden Christen scin sollte. So bildete sich in Großbrittanien zuerst dix große Londoner Missionsgesellschaft, und nach deml795 Vorgänge derselben entstanden viele andere MissionSver16 *

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eine in Großbrittanien, Holland, Nordamerika, Deutsch­ land, namentlich auch zu Berlin die evangelische Gesellschaft zur Beförderung des Christenthu­ mes unter den Heiden u. s. w. In Deutschland wurden drei Schulen zur Bildung von Heidenboten, näm­ lich in Basel, Berlin und Barmen, errichtet, von welchen die beiden letzteren dem Preußischen Staate an­ gehören, denen bald noch andere, als in Hamburg und Dresden, nachsolgten und wahrscheinlich noch mehre folgen werden. In naher Verbindung mit den Missions­ gesellschaften steht die ebenfalls in Großbrittanien entstan­ dene große Brittische Bibelgesellschaft, welche es sich zum Zwecke gesetzt hat, die heilige Schrift in alle Sprachen, welche auf der Erde geredet werden, zu über­ setzen, und durch Verbreitung derselben allen Völkern der Erde den freien Zugang zur Quelle der göttlichen Offen­ barung zu eröffnen. Nach ihrem Muster haben sich Tau­ sende von größeren und kleineren Haupt- und Hülfsvereinen gebildet, unter ihnen auch die Preußische HauptBibelgesellschaft zu Berlin mit vielen Hülssvereinen durch den ganzen Preußischen Staat, und haben bereits viele Millionen Bibeln oder Theile der Bibel ver­ breitet. Auch das unglückliche Volk, welchem das Evan­ gelium zuerst dargeboten. wurde, welches aber dem grö­ ßeren Theile nach dasselbe verworfen und den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget hat, wurde von der christlichen Liebe nicht vergessen, indem sich in Großbrittanien, Deutsch­ land und anderen Landern auch christliche Gesellschaf­ ten zur Bekehrung der Juden bildeten. Viele an­ dere Gesellschaften und Vereine haben verwandte Zwecke ins Auge gefaßt. — Der Segen solcher erneuerten christ­ lichen Bemühungen ist auch nicht ausgeblieben und be­ ginnt immer sichtbarer hervorzutreten. Schon sind auf den Gesellsch astsinseln und Sandwichsinseln der Südsee zwei neue christliche Staaten entstanden, de­ nen in Australien wahrscheinlich bald noch mehre fol­ gen werden, und Neuseeland ist unterBrittischer Ober­ herrschaft ein christliches Land geworden. Vom Vorge­ birge der guten Hoffnung aus dringt das Wort Gottes unter Hottentotten, Buschmännern und Kaffern, von Sierra Leona und Guinea aus unter den Negern immer tiefer ins Innere Afrikas ein. In Ost-

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indien entstehen zahlreiche Christengemeinden. Die Grön­ länder und Eskimos preisen in ihren Landessprachen den Namen Gottes und seines Gesalbten. Viele Tau­ send Negersklaven in Amerika bekennen sich zum Chri­ stenglauben, und mit der wachsenden Zahl derselben stellt sich immer dringender die Nothwendigkeit dar, der Skla­ verei, welche den Christcnnamen schändet, überhaupt ein Ende ,’it machen, womit in Großbrittanien rühmlich be­ gonnen ist. Unter dem Jüdischen Volke entsteht im­ mer lauter und lebhafter ein Fragen nach dem rechten Grunde des Heiles, und Uebertritte Einzelner zum Christenthume werden häufiger. Unter den Bekennern des Islam, welche dem Christenthume noch am fernsten zu stehen scheinen, verbreitet sich offenkundig größere Gleich­ gültigkeit gegen die Satzungen ihres Glaubens, ihre Ge­ meinschaft zerfällt innerlich sowohl in Hinsicht auf bür­ gerliche als Religionsverhältnisse, und hie und da be­ ginnt man die heilige Schrift und andere christliche Schrif­ ten mit Begierde zu lesen. So bewährt es sich in diesen und anderen Erschei­ nungen unserer Zeit, wie die große Verheißung Gottes, daß sein Wort nicht leer zurückketzrcn, sondern vollbrin­ gen soll, wozu es gesendet ist, noch immer Kraft und Gültigkeit hat, und es steht für die Zukunft Größeres zu hoffen, wenn das neu erwachte christliche Leben sich in immer weiteren Kreisen ausbreitet. Gehören die Bil­ dung eines neuen christlichen, der Herrschaft des Islam entzogenen Königreiches in Griechenland, — die Er­ oberung des bisher den Christen so furchtbaren Raub­ staates Algier und die vielleicht bevorstehende Umwan­ delung desselben in eine christliche Kolonie, welche Wege tief in das Innere von Afrika eröffnet^ — die Gründung eines evangelischen Bisthums zuJerusalcm, im Lande des Ursprunges der christlichen Kirche, durch Preu­ ßen und England/— die innere Zerrüttung des Tür­ kischen Reiches, welche ein baldiges Zerfallen dieser Hauptmacht des Islam erwarten läßt, — die immer wachsende Gleichgültigkeit der heidnischen Welt ge­ gen die fabelhaften Gebilde des verirrten menschlichen Geistes, — die Eröffnung Chinas, eines Landes, welches an Wolkszahl vielleicht ein Drittheil der gesammten jetzt lebenden Menschheit in sich saßt, für den Eu-

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ropäischen Handel, wodurch hoffentlich auch dem Christenthume der Weg in das Innere wird gebahnt wer­ den, — und die mit glücklichem Erfolge und mit Theil­ nahme vieler wahren Christen seit dem Jahre 1833 von den Britten begonnene und in ihren auswärtigen Be­ sitzungen vollständig durchgeführte Aufhebung der Sklaverei vielleicht mit zu den Fingerzeigen, wodurch die herannahende Erfüllung der großen Verheißungen Gottes über die allgemeine Ausbreitung seines Reiches dem christlichen Beobachter angedeutet wird? Insbesondere scheint dem ausgedehnten Brittifchen und dem Russischen Reiche die hohe Bestimmung überwiesen zu sein, die erste Kunde des Heiles in Christo und die ersten Strahlen des Höheren göttlichen Lichtes in diejenigen Länder zu über­ bringen , wo jetzt noch Finsterniß und Schatten des To­ des nachten.

Freilich sieht der christliche Menschenfreund mit tiefem Bedauern, daß von den 900 bis 1000 Millionen Men­ schen, welche nach Wahrscheinlichkeits-Schätzung den Erd­ kreis bewohnen, ungefähr 500 bis 600 Millionen Heiden noch aller näheren Kunde der göttlichen Offenbarungen entbehren, daß etwa 115 Millionen Mohamedaner und 4 Millionen Juden sich derselben nur theilweise und durch Menschensatzungen sehr entstellt, erfreuen, und daß kaum 250 Millionen Christen vieler Parteien und Bekenntnisse, also höchstens nur ein Viertel der Gesammtzahl, dieselbe in ihrem ganzen Umfange besitzen. Er sieht mit noch größerer Betrübniß, daß unter letzteren so Viele bloß den Christennamen führen, ohne von dem Geiste Christi er­ füllt zu sein, daß unter, der Mehrzahl der Christen das Wort Gottes mit allen christlichen Heilsanstalten entwe­ der verachtet oder doch nicht zum wahren Segen benutzt wird, daß alle in diesem Worte enthaltenen Schatze der Weisheit und Erkenntniß nicht die Ausbrüche der gröb­ sten Laster und Frevel zurückzuhalten vermögen, welche eben so wohl den Einzelnen ins Verderben stürzen, als die Ordnung ganzer Staaten und Reiche zerrütten. Er fragt oft genug mit Wehmuth, nickt selten wohl gar mit Murren und Unzufriedenheit, wohin diese Umwälzungen, Kriege und Zerrüttungen führen sollen, und welche Bedelttung sie im göttlichen Weltplane haben.

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Aber allst diese Zweifel verschwinden vor den klaren Aussprüchen der heiligen Schrift, daß das Evangelium vom Reiche in der ganzen Welt zu einem Zeugnisse über alle Völker gepredigt werden soll, bis alle Welt voll werde der Erkenntniß des Herrn, wie mit Wasser des Meeres bedecket, und vor der untrüglichen Verheißung, daß einst Alle hinankommen sollen zu einerlei Glauben und Er­ kenntniß des Sohnes Gottes und in ihm ein vollkomme­ ner Mann werden, unter ihm, dem treuen Hirten, zu Einer Heerde vereinigt werden sollen. Im Lichte des Evangeliums kirnt der Christ, diese ihm anfänglich so be­ trübenden Erscheinungen einigermaßen zu deuten. Er ahnet es, und findet in den Ereignissen der Vergangen­ heit oft die Bestätigung dafür, daß die gewaltigen Um­ wälzungen und Erschütterungen der Gegenwart mit aller äußeren Noth, welche sie oft herbciführen, unter der hö­ heren Leitung Mittel werden, um die Menschen nach ver­ geblichen Versuchen der Selbsthülfe von dem schädlichen Vertrauen auf eigene Kräfte zurückzubringen und ihre Blicke nach oben zu richten, woher allein die rechte Hülse kommen kann; — daß die mannichfachen Bestrebungen, Erfindungen, Forschungen, oft auch Verirrungen des menschlichen Geistes beim Suchen der Wahrheit im Ge­ biete der Wissenschaften alle noch schlummernden Kräfte der menschlichen Natur entfalten sollen, um sie endlich alle in den Dienst Dessen zu stellen, der sie verliehen hat; — daß die Entdeckungen neuer Länder, die Eröff­ nung neuer Handclswege, die Erleichterung des gesell­ schaftlichen Verkehrs durch schnelleres Reisen und leichte­ ren Umtausch der Erzeugnisse jedes Landes, wenn sie jetzt auch nur noch dem Eigennutze und Weltsinne dienen, «inst dazu mitwirken sollen, dem Reiche Jesu Christi neue Unterthanen zu gewinnen und Alle, unter ihm und mit ihm in Liebe vereinigt, dem versöhnten Vater zuzuführen. Völlig dessen gewiß, daß Alles, was unsere Zeit mächtig bewegt, dem Herrn und der Entwickelung seiner großen Absichten dienen werde, daß auch die feindseligen Bestre­ bungen, mit welchen die aufgeregten Mächte der Finster­ niß entgegenwirken, nur Ihm dienen müssen, wagt er es, obgleich mit Demuth und Ergebung, zu hoffen, daß aus den jetzigen geringen Anfängen Größeres und immer Grö­ ßeres, vielleicht bald, hervorgehrn werde, daß die Hand-

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voll Sauerteiges vielleicht bald die ganze Masse durch­ säuern und in Gährung bringen, der aus dem kleinen Senfkorne entsprossene Baum vielleicht bald Alle über­ schatten und Allen eine Statte der Heimath darbieten, daß vielleicht bald für Alle das angenehme Jahr des Herrn herannahen werde. Wann aber diese Vollendung eintreten, wie nahe oder wie fern sie sein werde, das bleibt dem unerforschlichen Rathschlusse Dessen Vorbehal­ ten, vor welchem tausend Jahre sind, wie der Tag, der gestern vergangen ist, vor welchem Vergangenheit, Ge­ genwart und Zukunft Eins sind, und welcher einst Alles herrlich und zu seiner Ehre hinausführen wird. Fragst du endlich, welches dieser letzte AuSgang, und welches das Ziel sein werde? Welcher Mensch möchte dreist und vermessen genug sein, diese Frage aus sich selbst und aus menschlicher Einsicht zu beantworten! Vernimm mit Ehrfurcht und Anbetung die Antwort aus dem Munde des heiligen Sehers, durch welchen Gott selbst für uns die Zukunft enthüllt, und uns die untrügliche Antwort gegeben hat: Offenb. Joh. 21 und 22.

Ich (Johannes) sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, und sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Him­ mel herabfahren, zu bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne, und hörete eine Stimme, die sprach: Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Er selbst, Gott mit ihnen, wird ihrGott sein. Und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Au­ gen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Wer über­ windet, der wird es Alles ererben; und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.— Und ich sah in der Stadt keinenTempel; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm. Und die Stadt bedarf keiner Sonne, noch des Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes

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erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm. Und die Völker wandeln in demselbigen Lichte; und die Könige auf Erden werden ihre Herr­ lichkeit in dieselbe bringen. Und es wird nicht hincingehen irgend ein Gemeines und das da Gräuel thut und Lügen. — Und ein lauterer Strom lebendigen Wassers, klar wie ein Kry­ stall, ging von dem Throne Gottes und des Lammes. Mitten auf ihrer Gasse und auf beiden Seiten des Stromes stand Holz des Lebens und brachte seine Früchte alle Monate; und die Blätter des Holzes dienten zur Ge­ sundheit der Völker. Und der Stuhl Gottes und des Lammes wird darinnen sein, und seine Knechte werden ihm dienen und sehen sein An­ gesicht; und sein Name wird an ihren Stirnen sein. Und es wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichtes der Sonne; denn Gott der Herr wird sie er­ leuchten, und sie werden regieren von Ewig­ keit zu Ewigkeit. Es spricht, der solches zeuget: Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu ge­ ben einem jeglichen, wie seine Werke sein wer­ den. Ja, ich komme bald. — Ja, komm, Herr Jesu! A m e n.

Bei demselben Verleger find erschienen: August, E. F., vollständiges Lehrbuch der Mathematik für den höheren Schulunterricht. 1r Cursus. 20 Sgr.

Berghaus, H., die erstenMemente der Erdbeschreibung für d. Gebrauch des Schülers in d. untern Lehrklaffen auf Gymnasien, polytechnischen u. Kriegsschulen, so wie als Leitfaden für den Volksschullehrer und den Privat­ unterricht. 174 Sg.

Bonnell, E, neues latein. Lesebuch, die alte Geschichte nach römischen Quellen nebst einleitenden Uebungssätzen und Erzählungen enthaltend. 224 Sg. Burmeister, H., Grundriß der Naturgeschichte für Gymnasien und höhere Bürgerschulen entworfen. 4te verb. Aufl. 15 Sg. Delius, H., Schulatlas für den ersten Unterricht, in 28 Blättern. 15 Sg. Franceson, C. F., Neue französische Sprachlehre für Deutsche. Zum Gebrauch in Schulen und beim Selbst­ unterricht. 7te verm. u. verb. Aufl. 18 Sg.

Götz, Dr. I., die analytische und ebene Trigonometrie. 2 Thlr. 10 Sg. — praktisches Rechenbuch. 74 Sg.

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Graßmann, F. H. G., klein« deutsche Sprachlehre für Volksschulen. 3te Aufl. 5 Sg.

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Graßmann, I. G., Lehrbuch der ebenen und sphä­ rischen Trigonometrie. Für die obern Klaffen d. Gym­ nasien bearbeitet. 17z Sg. — Raumlehre für Volksschulen. 1r Thl. Ebene räumliche Verbindungslehre. Mit 3 Kupf. 14 Sg. — 2r Thl. Ebene räumliche Größenlehre. Mit ö Steintafeln. 1 Thlr. 7| Sg. 1 Thlr. 22z Sg.

— Schulbuch der Raumlehre. Zum Gebrauch der Schü­ ler in den untern Klassen der Gymnasien und in Volks­ schulen. 3te verb. Aufl. Mit 3 Steintafeln. 10 Sg.

Hartung, A., kleine deutsche Sprachlehre für die ersten Anfänger. 5te Aufl. 5 Sg. Liechtenstern, Th. Freih. v., Schulatlas der Erdund Staatenkunde in 34 Bl. N. A. Iste Lies. 5 Bl. 1 Thlr. 15 Sg. Roon, A. v., Anfangsgründe der Erd-, Völker- und Staatenkunde. Ein Leitfaden für Schüler von Gym­ nasien, Militair- und höheren Bürgerschulen. Für einen stufenwciscn Unterrichtsgang berechnet und ent­ worfen. 3 Abthl. 5te umgearb. Aufl. 15 Sg. Schubart, F., Lehrbuch der Erdbeschreibung. Ein Aus­ zug aus den ersten Elementen der Erdbeschreibung von Dr. H. Berghaus, mit angefügter politischer Geo­ graphie. Für die früheren Stufen des geographischen Unterrichts. 12z Sg.