Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis. 3428189248, 9783428189243


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German Pages [426] Year 2023

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Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis.
 3428189248, 9783428189243

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1512

Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis Von

Sebastian Himmelseher

Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN HIMMELSEHER

Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1512

Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis

Von

Sebastian Himmelseher

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18924-3 (Print) ISBN 978-3-428-58924-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis einschließlich Mai 2022 berücksichtigt werden. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck, der mich von den Anfängen der Recherche bis zum Abschluss des universitären Einreichungsprozesses uneingeschränkt unterstützt und die Arbeit stets umsichtig betreut hat. Zudem danke ich Herrn Prof. Dr. Hans D. Jarass für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Gefördert wurde diese Arbeit durch ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, der ich für die gute Zusammenarbeit und eine abwechslungs-, begegnungs- und lehrreiche Förderungszeit herzlich danke. Ferner möchte ich mich beim Bundesministerium des Innern und für Heimat für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses zur Veröffentlichung dieser Arbeit bedanken. Der größte Dank gilt meinen Eltern für ihre unerschütterliche, unbedingte und liebevolle Unterstützung in jeder Lebenslage. Sie haben mir meinen akademischen Werdegang überhaupt erst ermöglicht. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Ein großer Dank gilt darüber hinaus meiner Schwester, die mir seit jeher als Verbündete und Vorbild zur Seite steht. Ohne meine Freundin Theresa Schumacher wäre der Abschluss dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Sie hat mich speziell auf dem steinigen Teil des Entstehungsweges mit Liebe, Verständnis und Geduld begleitet. Auch ihr danke ich von Herzen. Ein großer Dank gilt schließlich denjenigen, die mit ihren wertvollen Einblicken und durch konstruktiven Austausch zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ausdrücklich genannt seien an dieser Stelle Philipp Bergjans, Christian Bischoff, Julius Croy, Konrad Eilers, Kilian Gramsch, Niklas Gustorff, Lennart Knutzen-Lohmann, Thomas Pelikan, Jonas Plebuch und Christian Johannes Wahnschaffe. Düsseldorf, im Januar 2023

Sebastian Himmelseher

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand der Untersuchung: Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtssubjektivität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kreis der in Bezug genommenen juristischen Personen . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung und Erkenntnisziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 16 17 19 20

A. Status quo der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristi­ scher Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG: Auf festgefahrenen Bahnen . . . 23 I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Wortlaut als Ausgangspunkt, nicht als Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Entstehung des Art. 19 Abs. 3 GG: Verzerrter Blick auf den Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Ideen- und verfassungsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . 32 1. Grundsatz: Kategoriales Denken über den Wortlaut hinaus – keine Grundrechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. „Ausnahmetrias plus“: Religionsgemeinschaften, Universitäten, Rundfunkanstalten – und Justizgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Theoretisches Grundgerüst der Rechtsprechung und Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Ideengeschichte der Grundrechte und Durchgriffsthese . . . . . . . . . 39 b) Konfusionsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Kompetenzkonflikte und Lähmung staatlicher Aufgabenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 d) Mehrdimensionalität der Grundrechte ohne Bedeutung . . . . . . . . . 52 e) Systematischer Umkehrschluss aus § 91 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . 54 f) Selbstverwaltungsrecht als rein organisatorische Größe . . . . . . . . . 55 g) Elemente formaler und funktionaler Argumentation . . . . . . . . . . . . 57 aa) Anker der öffentlich-rechtlichen Organisationsform . . . . . . . . 57 bb) Feinsteuerung durch Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Interessenvertretung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 cc) Erweiterung der Judikatur: Punktuell oder tendenziell? . . . . . 64 4. Gegenentwurf des Schrifttums: Grundrechtstypische Gefährdungs­ lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Grundkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

8 Inhaltsverzeichnis c) Adaption durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Gefolgschaft und Opposition in der sonstigen Rechtsprechung . . . . . . 72 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz: Althergebrachte Argumenta­ tionsmuster auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? . . . . . . . . . 78 1. Innungs-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Zweierlei Maß im Verständnis von „inländisch“ und der wesens­ mäßigen Anwendbarkeit im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . 86 3. Verfahrensgrundrechte und Gleichheitssatz als zwei Seiten derselben Medaille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4. „Grundrechtlich geschützter Lebensbereich“ – Quo vadis? . . . . . . . . . 97 5. Exzessive Ausweitung der Grundrechtsbindung auf Private . . . . . . . . 102 a) Einzelentscheidungen ohne systemsprengendes Potential . . . . . . . . 103 b) Jüngere Entwicklung auf dem Weg zum Paradigmenwechsel – „Mittelbare“ Drittwirkung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) „Öffentliches Forum“ als Türöffner staatsgleicher Grundrechtsbindung Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) „Stadionverbot-Entscheidung“: Neujustierung des Verhältnisses von Gleichheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Erneuertes Verständnis der Staat-Bürger-Beziehung als Belastungsprobe der Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6. Relativierung des Menschenwürdegehalts bei einzelnen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7. Verständnis von Art. 9 GG und Art. 19 Abs. 3 GG im Vergleich . . . . 127 II. Neuere Praxisfälle als Herausforderungder hergebrachten Grundsätze . . 134 1. Differenzierte Erscheinungsformen staatlicher Beteiligung am Wirtschaftsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Begriff, Charakteristika und Bestandsaufnahme aus der Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Entscheidungsfindung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Mangelnde Ergiebigkeit hergebrachter Grundsätze und Fragilität des beherrschenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Marktwirtschaftliche Tätigkeit und kollektive Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit: Wiedererstarktes Konfusionsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Kollektive Interessenvertretung: Brüchige Schablone . . . . . . . 150 (1) Vorinstanzlicher Tiefgang als Ausdruck einer komplexen ­Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Inhaltsverzeichnis9 (2) Die nüchterne Antwort des Bundesverwaltungsgerichts: „Tradition verpflichtet!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Grundrechtsfähigkeit ausländischer Staatsunternehmen . . . . . . . . . . . . 158 a) Sachverhalt und Argumentation des Bundesverfassungsgerichts  . 158 b) Klassische Ansätze an der Belastungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Ungewöhnlicher Schritt auf europarechtliches Terrain . . . . . . . . . . 164 aa) Mangelnde Grundrechtsfähigkeit als Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Verknappte Rechtfertigungsprüfung und ihre Rückwirkung auf die Durchgriffsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 cc) Überbetonung des Ausnahmecharakters als Kompensation der fehlenden Vorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 dd) Folgeproblem: Qualifizierte „Inländerdiskriminierung“ . . . . . . 171 d) Menschenrechtlicher Bezug als Fingerzeig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel . . . . . 178 I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem . . . . . . . . 178 1. Autonomie und Vorrang des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Besonderheiten des EMRK-Rechtsschutzsystems und der Interpretationsmethode des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte . . . 184 II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Dynamisches Einrücken in das grundrechtliche Mehrebenensystem . . 188 2. Materielle Regelung der Grundfreiheitssubjektivität: Großzügige Einbeziehung als Spiegel der Zweckorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Gedankliche Anleihen im Wege des wertenden Vergleichs  . . . . . . 194 b) Unmittelbare Verknüpfung mit Art. 19 Abs. 3 GG und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte . . . . . . . 202 1. Richtsätze bezüglich juristischer Personen zwischen spärlicher normativer Verankerung und lakonischer Rechtsprechung . . . . . . . . . . 202 2. Strategische Linien zum Grundrechtsschutz staatsgetragener Organisationseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Auffächerung der Problemstellung anhand der Hoheitskonzeption im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Europäische Rechtsprechung zwischen Vorsicht und Dynamik . . . 208 c) Replik der Wissenschaft: Parallelisierungsreflex und bekannte Lagerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Bundesverfassungsgerichtlicher Paradigmenwechsel als Aufwertung des europäischen Grundrechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Åkerberg Fransson oder: Der Zwist im Kooperationsverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

10 Inhaltsverzeichnis bb) Paradigmenwechsel des Bundesverfassungsgerichts im Beschlusspaar „Recht auf Vergessen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Materielle Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 IV. Parenthese: Anschluss des europäischen Grundrechtsschutzes an die menschenrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Die juristische Person als Menschenrechtssubjekt – Pragmatischer Konventionsansatz fernab ideologischer Grabenkämpfe . . . . . . . . . . . 238 a) Sonderrolle der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . 238 b) Die juristische Person in der EGMR-Rechtsprechung: Kasuistik zwischen dogmatischen Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Staatlich getragene Organisationseinheiten als auffallend weit entwickelter Problemkreis des Konventionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Präferenz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für eine Gesamtabwägung in Zweifelsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Der Sonderfall kommunaler Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . 251 c) Autonomer EGMR-Ansatz im Lichte von Durchgriffsthese und grundrechtstypischer Gefährdungslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 aa) Orientierung der europäischen Gerichtsbarkeit an den Grundsätzen der Konvention und der EGMR-Judikatur  . . . . 254 bb) Rekurs: Grundrechtecharta und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Europäische Menschenrechtskonvention und Grundgesetz . . . . . . . 259 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 D. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem . . . . . 270 II. Gedanken zur Grundrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Durchgriffskonstrukt als Ausdruck einer modifizierten liberalen Grundrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Zum Mehrwert der Grundrechtstheorie für die konkrete Auslegung  . 280 3. Kernprämisse der liberalen Grundrechtstheorie unter dem Druck einer veränderten Auffassung der Beziehung von Staat und Gesellschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft als überholte Realitätsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Dualismus von Staat und Gesellschaft als tragfähiges funktionelles Differenzierungskriterium für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Public Private Partnerships: Vielfältige Kooperation von Staat und Privaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 bb) Karlsruhe und der Rubikon: Staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater als Einbruch in die funktionelle Trennung . . . . 293

Inhaltsverzeichnis11 cc) Theoretische Neuausrichtung durch Öffnung gegenüber dem grundrechtlichen Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Grundaussagen einer veränderten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG . 304 a) Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten als Ausnahme . . . . 304 b) Wirkrichtung und Grenzen eines potentiellen Grundrechts­ schutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 c) Grundrechtsberechtigung nur im eigenen Kompetenzrahmen . . . . 313 d) Fortbestehendes Band demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . 314 e) Theoretische Grundgedanken: Die staatlich getragene juristische Person und das „Wesen“ der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Die „grundrechtstypische Gefährdungslage“ als Ausweg aus der Karlsruher Ausnahmenkaskade  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Rückblick auf den Kerngedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Konturenschärfung der Begriffsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 aa) Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger . . . . . . . . . . 325 (1) Kein unmittelbares organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (a) Grundsatz: Keine Distanz bei staatsoriginären ­Organisationsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (b) Ausnahme: Institutionelles Distanzverhältnis . . . . . . . 332 (2) Selbstverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 (3) Zugehörigkeit zu separierten Ebenen im Sinne der horizontalen und föderativen Gewaltenteilung . . . . . . . . . 338 (4) Privatrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . 343 (1) Das Wertungsmoment der Waffengleichheit . . . . . . . . . . . 343 (2) Konkretisierung im Modus der Gesamtbetrachtung . . . . . 345 cc) Verhältnis der Bestimmungsmerkmale zueinander . . . . . . . . . . 348 3. Effekte auf die Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 a) Differenzierungsgewinn in komplexer Ausgangslage . . . . . . . . . . . 349 b) Verminderte Entscheidungserheblichkeit der Kategorien „Staat“ und „Gesellschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Rezeptionsoffenheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Verfahrensgrundrechte im gerichtlichen Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3. Hoheitlicher Zugriff auf das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 4. Stellung im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5. Negativbeispiel: Interessenvertretung gegenüber dem Gesetzgeber . . . 375 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

12 Inhaltsverzeichnis Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

Einleitung Höchstrichterliche Entscheidungen finden in der Rechtswissenschaft naturgemäß eine besondere Beachtung, einige von ihnen werden bereits mit Spannung erwartet. Wie hoch die Erwartungen an die entsprechenden Judikate bisweilen sind, zeigt sich nicht zuletzt in ihrer anschließenden Bewertung: Immer wieder neigen Teile der deutschen Rechtswissenschaft dazu, den Richterspruch jedenfalls rhetorisch in die Nähe einer päpstlichen Enzyklika zu rücken. „Karlsruhe locuta, causa finita“ heißt es etwa, wenn Bundesverfassungsgericht oder Bundesgerichtshof vor wegweisenden Entscheidungen stehen und in einem rechtswissenschaftlichen Diskurs schließlich Stellung beziehen1. Das aus einer Predigt des Bischofs und Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.) hervorgegangene Original lautet „Roma locuta, causa finita“ und steht im Kirchenrecht synonym für das päpstliche Machtwort in einer theologischen Streitfrage2. Die damit transportierte Botschaft ist so markant wie eingängig: Die Diskussion ist entschieden. Der Stellvertreter Gottes auf Erden hat gesprochen. Nun kommt der geistvollen Variante des allgemeinen rechtswissenschaftlichen Sprachgebrauchs eine deutlich irdischere Funktion zu. Sie dient zumeist als wortgewandter Einstieg in eine Entscheidungsbesprechung und nimmt Bezug auf die – staatsstrukturell bedingte, nicht gottgegebene – Autorität der obersten Gerichte als finale Entscheidungsinstanzen eines konkreten Streitfalls. Speziell mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht, ausweislich des Art. 92 GG Speerspitze der rechtsprechenden Gewalt in Deutschland, lässt sich diese Autorität nicht bestreiten. Seinen Judikaten kommt aus politischer und gesellschaftlicher, aber naturgemäß und zuvorderst auch aus rechtlicher Sicht eine gesteigerte, oftmals grundlegende Bedeutung zu. Das Bundesverfassungsgericht ist die gewichtigste rechtspraktische Stimme der Verfassungsinterpretation in Deutschland. Gleichwohl scheint speziell die bundesrepublikanische Staatsrechtswissenschaft diese Einschätzung zu überinterpretieren und auf ihrer Grundlage bisweilen eine falsch verstandene Selbstbeschränkung zu praktizieren, die den eigenen me1  In Bezug auf das Bundesverfassungsgericht etwa F. Hufen/M. Jahn, JuS 2008, 550 (552); M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (3); M. Stuttmann, NVwZ 2018, 1136 (1138); im Hinblick auf den Bundesgerichtshof exemplarisch G. Spindler, GRUR 2004, 724 (724); J. Tebben, NZG 2009, 288 (292 f.). 2  Mit feingliedriger Etymologie G. Roellecke, NJW 2001, 2924 (2924).

14 Einleitung

thodischen und dogmatischen Beitrag ins Reaktive verlagert. Hat eine Streitigkeit ihren verfahrensrechtlichen Weg nach Karlsruhe gefunden und ist dort inhaltlich beschieden worden, zeichnet sich im staatsrechtswissenschaftlichen Diskurs heute die deutliche Tendenz ab, den vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Rahmen jedenfalls in seiner grundlegenden Ausrichtung zu akzeptieren. Die Diskussion von Grundsatzfragen dagegen ist selten, Fundamentalopposition durchaus unüblich. „Karlsruhe locuta, causa finita“ – der sprichwörtliche Bezug auf die päpstlich verordnete Endgültigkeit gewinnt vor diesem Hintergrund an Buchstäblichkeit3. Mancher Diskurs beginnt nicht erst in Karlsruhe, sondern findet dort sein Ende. Der „Letztinterpret“4 der Verfassung hat gesprochen. Namentlich Bernhard Schlink hat diese Beobachtung eingehend kontex­ tualisiert und zu ihrer plastischen Beschreibung den Begriff des „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ geprägt5. Schlink sieht damit insbesondere einen fehlenden Wettstreit der Ideen verknüpft und ermutigt die Staatsrechtswissenschaft stattdessen dazu, die eigene methodische und dogmatische Vorreiterrolle nicht zugunsten eines zahmen Gehorsams preiszugeben. Gleichwohl hat der „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ auch eine reflexhafte Nebenfolge, die aus derjenigen Befriedungswirkung resultiert, die Schlink gerade kritisch beäugt. Im Falle ihrer Brüchigkeit wird die sonst recht geschlossen praktizierte Gefolgschaft unwillkürlich zum Indikator fehlender Überzeugungskraft eines verfassungsgerichtlichen Grundkonzepts. Artikulieren namhafte Stimmen der Staatsrechtswissenschaft schon gegenüber den Grundannahmen des Bundesverfassungsgerichts ihren Widerspruch und mündet diese Kritik in einen schwelenden Konflikt, weil das Gericht die Ursprungsentscheidung zu einer Linie seiner ständigen Rechtsprechung fortentwickelt, rechtfertigt bereits dieser Umstand ein gesteigertes wissenschaftliches Untersuchungsinteresse. Die Aufgabe des im Regelfall präferierten akademischen Appeasements begründet ein erstes Verdachtsmoment gegenüber der Belastbarkeit der Karlsruher Grundannahmen. Auf Grundlage dieser Beobachtung nähert sich die folgende Betrachtung dem andauernden Diskurs um die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG. Die Einordnung

3  In

diesem Sinne auch G. Roellecke, NJW 2001, 2924 (2924). und statt vieler A. Voßkuhle, JuS 2019, 417 (422). 5  B. Schlink, Der Staat 28 (1989), 161 (163 ff.). Zur näheren Einordnung C. Schön­ berger, Bundesverfassungsgerichtspositivismus – Zu einer Erfolgsformel Bernhard Schlinks, in: J. Nolte/R. Poscher/H. Wolter (Hrsg.), Die Verfassung als Aufgabe von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit. Freundesgabe für Bernhard Schlink, 2014, S.  41 ff. 4  Jüngst

Einleitung15

der Diskussion als „ ‚Dauerbrenner‘ der deutschen Staatsrechtslehre“6 lässt insoweit aufhorchen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einer Leit­ entscheidung aus den späten 1960er-Jahren eine restriktive Handhabe eta­ bliert, die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten über Art. 19 Abs. 3 GG unter Berufung auf ein grundrechtstheoretisch fundiertes, anthropozentrisch ausgerichtetes Verständnis der Grundrechte abgelehnt und diese Linie mit Ergänzungen zur ständigen Rechtsprechung ausgebaut7. Befriedet hat es den Diskurs indes bis heute nicht. Finden neuartige Fallgestaltungen ihren Weg nach Karlsruhe und zwingen das Bundesverfassungsgericht einmal mehr zur eingehenden Beschäftigung mit der Frage, ist das wissenschaftliche Echo der entsprechenden Entscheidung nicht nur ein vielstimmiges, sondern in seiner inhaltlichen Ausrichtung oftmals ein grundsätzliches. Immer wieder richten sich kritische Stimmen bereits gegen die Ausgangsgedanken der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und plä­dieren für eine theoretische Neuausrichtung8. Jüngstes Beispiel eines metaphorischen Funkens, der die Diskussion erneut entfachte, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der 13. AtomG-Novelle zum Ende des Jahres 2016. Als es dort unter anderem über die Grundrechtsberechtigung einer juristischen Person zu befinden hatte, deren Anteile sich über eine Konzernstruktur letztlich vollständig in der Hand des schwedischen Staates befinden, sprach sich das Verfassungsgericht explizit gegen die Anwendung seiner hergebrachten Argumentationslinie aus und beschied die Frage unter Berufung auf eine europarechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG positiv9. Das Bundesverfassungsge6  P. J. Tettinger, Grundrechtsschutz für öffentliche Unternehmen, in: J. Schwarze (Hrsg.), Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien für Unternehmen im europäischen Binnenmarkt, 2001, S. 155 (155). 7  Ausgangspunkt war die Entscheidung BVerfGE 21, 362 (373); aus der st. Rspr. BVerfGE 45, 63 (77 ff.); 61, 82 (100 ff.); 68, 193 (205 ff.); 75, 192 (195 ff.); 147, 50 (142 ff., Rn.  237 ff.). 8  Aus verschiedenen zeitlichen Epochen und in unterschiedlicher Tiefe M. Lud­ wigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (23 ff.); A. von Mutius, in: W. Kahl/C. Wald­hoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 (Zweitbearbeitung 1975), Rn. 88 ff., 107 ff.; F. E. Schnapp, Zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 52 Rn. 22 ff.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 1993, S. 37 ff., 62 ff. 9  BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.). – Beispielhaft für das darauffolgende wissenschaftliche Echo speziell zu dieser Frage nur J. Gundel, Grundrechtsfähigkeit für ausländische Staatsunternehmen? – Überlegungen aus Anlass des BVerfG-Urteils zum beschleunigten Atomausstieg, in: M. Ludwigs (Hrsg.), Regulierender Staat und konfliktschlichtendes Recht. Festschrift für Matthias Schmidt-Preuß, 2018, S. 33 (36 ff.); S. Papenbrock, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffent-

16 Einleitung

richt hat die eigene ständige Rechtsprechung damit nicht nur um eine weitere Variante ergänzt, sondern eine unerwartete Volte geschlagen, deren Einordnung in die klassischen Begründungsansätze kaum vorbehaltlos möglich ist. Nicht zuletzt lenkt sie den Blick des Diskurses auf die bis dato wenig beachtete Frage, inwieweit supranationale und völkerrechtliche Impulse hinsichtlich der Zubilligung grundlegender Gewährleistungen an staatlich getragene juristische Personen die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG zu beeinflussen imstande sind. Diese Fragestellung erhält eine zusätzliche Dringlichkeit, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Europäische Grundrechtecharta in Abkehr von seiner ständigen Rechtsprechung jüngst zum eigenen Prüfungsmaßstab erklärte und ihre Anwendung auch im vorliegenden Untersuchungszusammenhang diskutierte10. Die Nachwehen des Karlsruher Atomausstiegsurteils geben hinreichenden Anlass für eine Bestandsaufnahme des Diskurses um die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft und eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundannahmen des verfassungsgerichtlichen Auslegungsansatzes. Die in der Entscheidung teils noch angedeutete, teils bereits angewandte Berücksichtigung weiterer Ebenen des Grundrechtsschutzes jenseits des nationalen Verfassungsrechts wirft zudem die Frage auf, in welchem Entwicklungsstadium sich die Rechtslage in dieser Hinsicht auf supranationaler und völkerrechtlicher Ebene befindet. Es steht in Zweifel, wie anschlussfähig das Konzept des Bundesverfassungsgerichts in seiner aktuellen Gestalt hinsichtlich der Implikationen beider Rechtssphären tatsächlich ist. Wenn die vorliegende Untersuchung diesen Aspekten im Folgenden nachgeht, beherzigt sie bei alldem die Worte Bernhard Schlinks, der dem wissenschaftlich Arbeitenden zuruft, dem Bundesverfassungsgericht eigenständig sowie methoden- und dogmenstrenger zu begegnen11.

I. Gegenstand der Untersuchung: Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3  GG Die jahrzehntelange Tradition des Diskurses zeichnet die Konturen des Gegenstands der vorliegenden Untersuchung jedenfalls in abstrakten Linien lichen Rechts bei Beteiligung eines ausländischen Staates im Rechtsvergleich, 2019, S.  65 f., 71 ff.; J. Rauber, Zur Grundrechtsberechtigung fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen, 2019, S. 15 ff., 21 ff. 10  Paradigmatisch zum eigenen Prüfungsmaßstab BVerfGE 152, 152 (170  ff., Rn. 45 ff.); 152, 216 (236 ff., Rn. 50 ff.). Zur Anwendung im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG jüngst BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502 ff.). 11  B. Schlink, Der Staat 28 (1989), 161 (169).



I. Gegenstand der Untersuchung17

vor, wenn die letztere den Anspruch erhebt, einen fundierten Diskussionsbeitrag zu leisten. Hier wie dort steht folglich die potentielle Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen im Zentrum der Betrachtung. Um den konkreten Zuschnitt des vorliegenden Untersuchungsgegenstands sichtbar zu machen, bedarf es einer inhaltlichen Bestimmung sowohl des Begriffs der Grundrechtssubjektivität (1.) als auch des Kreises der in Bezug genommenen juristischen Personen (2.). 1. Grundrechtssubjektivität Im vorliegenden Zusammenhang ist mit der Grundrechtssubjektivität zunächst die Berechtigung einer Person zur Berufung auf die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes gemeint. Begriffe wie „Grundrechtsberechtigung“ oder „Grundrechtsfähigkeit“ werden im Folgenden synonym verwendet. Für natürliche Personen steht eine solche Berechtigung nicht infrage, billigen die einzelnen Grundrechte ihren Schutz doch ausweislich ihres Wortlauts „jedem“/„jedermann“12 resp. „allen Deutschen“13 zu und bringen in ihrer Gesamtschau zum Ausdruck, dass die Gewährleistungen des Grundrechtsteils unzweifelhaft natürliche Personen zu schützen gedenken. Einer ausdrücklichen Regelung bedarf es insoweit nicht. Anders stellt sich die Ausgangslage in Bezug auf juristische Personen dar, deren Grundrechtssubjektivität allein mit Blick auf den soeben beschriebenen Wortlaut einzelner Grundrechtsgewährleistungen mindestens in erhöhtem Maße begründungsbedürftig wäre. Jedenfalls dieser abstrakten Ungewissheit hilft Art. 19 Abs. 3 GG ab, der inländischen juristischen Personen die Grundrechtsberechtigung explizit zuspricht, soweit die Grundrechte „ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Er ist als Schaltnorm gesetzlicher Anknüpfungspunkt der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, sein Wortlaut ist Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Grundrechtssubjektivität wird im Zusammenhang dieser Untersuchung zuvorderst in derjenigen Allgemeinheit verstanden, wie sie auch in Art. 19 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. In erster Linie steht die Frage in Rede, ob ein ausgewählter Kreis juristischer Personen überhaupt grundrechtlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen kann und welche Grundannahmen dem möglicherweise entgegenstehen. Inwieweit ein konkretes Grundrecht auf eine bestimmte Organisationseinheit Anwendung findet, bleibt in der Gesamtbetrachtung, insbesondere bei der Untersuchung möglicher Fallgruppen, nicht außen vor, aber als eher beispielhafter Gedanke sekundär. Zudem ist die Beurteilung der Grundrechtssubjektivität vornehmlich an einem abwehr12  So 13  So

etwa Art. 5 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG. etwa Art. 8 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG.

18 Einleitung

rechtlichen Verständnis der Grundrechte ausgerichtet. Es ist eben jenes Verständnis, das – soweit zu überblicken – bisher allein im Zentrum entsprechender bundesverfassungsgerichtlicher Judikate stand und das den wissenschaftlichen Diskurs dominiert14. Werden andere Grundrechtsdimensionen überhaupt in Bezug genommen, dienen auch sie zumeist als argumentatives Mittel zu dem Zweck, einer potentiellen Grundrechtsberechtigung gegenüber staatlichem Eingriffshandeln den Weg zu ebnen15. Die Untersuchungsergebnisse und ihre Verallgemeinerungsfähigkeit sind demnach auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte bezogen und durch sie bedingt. Gegenstand der Berechtigungsfrage sind, wie bereits zuvor vermerkt, die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes. Gleichwohl finden auch vergleichbar grundlegende Gewährleistungen der supranationalen und völkerrechtlichen Ebene Einzug in die Betrachtung, nachdem das Bundesverfassungsgericht beide in seinem Atomausstiegsurteil aufgegriffen hat. Aus dem Europarecht sind hier die Grundfreiheiten nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie die Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta zu nennen; aus völkerrechtlicher Sicht ist auf den in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Katalog unveräußerlicher Menschenrechte hinzuweisen. Mit der Entscheidung zugunsten derlei grundlegender Bestimmungen mit umfassendem Regelungsanspruch sehen sich beide Regime notwendigerweise mit der Vorfrage konfrontiert, wie sie den Kreis der Berechtigten zu ziehen gedenken und sind folglich gezwungen, zur Frage der Grund- resp. Menschenrechtssubjektivität Stellung zu beziehen. Deren Beantwortung soll in der folgenden Darstellung eingehend untersucht werden, da sich die beiden Ebenen nicht nur als Vergleichsgruppe anbieten, sondern durch die Verflechtungen im grundrechtlichen Mehrebenensystem16 in unterschiedlicher Intensität Einfluss auf die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG nehmen. Zum Untersuchungsgegenstand werden beide gerade aufgrund des letzteren Aspekts allerdings nur mittelbar. Ihre Betrachtung ist kein Selbstzweck, sondern erfolgt stets vor dem Hintergrund der 14  Allgemein und statt vieler zu den verschiedenen Dimensionen der Grundrechte H. D. Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 38. So sind etwa Teilhabe- und Schutzpflichtendimension im vorliegenden Sachzusammenhang, soweit ersichtlich, weder in entsprechenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen noch in wissenschaftlichen Beiträgen aufgegriffen worden. 15  Für juristische Personen im Allgemeinen A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (64 ff.); F. Ossenbühl, Zur Geltung der Grundrechte für juristische Personen, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Festschrift für Klaus Stern, 1997, S. 887 (890 ff.). 16  Zu diesem, ursprünglich der Politikwissenschaft entstammenden Begriff S. Ka­ delbach, VVDStRL 66 (2007), 7 (11 f.) m. w. N.; eingehend auch A. Edenharter, Grundrechtsschutz in föderalen Mehrebenensystemen, 2018, S. 76 ff.



I. Gegenstand der Untersuchung19

Frage, ob und inwieweit sie die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG und eine potentielle Grundrechtssubjektivität hinsichtlich der Gewährleistungen des Grundgesetzes zu beeinflussen imstande sind. Mag die Grund- und Menschenrechtssubjektivität als Fachbegriff in diesem Zusammenhang vermehrt zur Sprache kommen, so unterscheidet sie sich doch vom Begriff der Grundrechtssubjektivität als Begriffsmerkmal des hier konturierten Untersuchungsgegenstands: Dieser behandelt weiterhin primär die Frage nach der Berechtigung einer Person zur Berufung auf die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes. 2. Kreis der in Bezug genommenen juristischen Personen Gegenstand der Untersuchung ist nicht die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in jedweder Erscheinungsform. Die folgenden Ausführungen sind insofern spezifiziert, als sie allein staatlich getragene juristische Personen in den Blick nehmen. Diese Begriffsbestimmung wirkt hinsichtlich der Gesamtgruppe der juristischen Personen eingrenzend, indem sie Organisationseinheiten in rein privater Trägerschaft auskehrt. An ihrer Grundrechtssubjektivität unter Art. 19 Abs. 3 GG bestehen keine grundlegenden Zweifel; Gegenstand des Diskurses sind die entsprechenden Organisationseinheiten grundsätzlich nicht17. Gleichzeitig ist die zugrunde gelegte Begriffsbestimmung insofern inklusiv, als sie an die staatliche Trägerschaft anknüpft und damit rechtsformunabhängig formuliert ist. Einbezogen werden damit zunächst juristische Personen des öffentlichen Rechts, bei denen das staatliche Fundament bereits in ihrer Bezeichnung und der Exklusivität des Organisa­ tionsrahmens zum Ausdruck kommt. Die hier entfaltete Begriffsbestimmung geht allerdings bewusst darüber hinaus und erfasst auch juristische Personen, die zwar in Privatrechtsform organisiert, aber von einem oder mehreren staatlichen Akteuren getragen werden. Namentlich mit einbezogen sind damit auch öffentliche und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen18. Die Grenzlinie des Untersuchungsgegenstands verläuft mithin entlang der staatlichen Trägerschaft. Eben diese hebt auch das Bundesverfassungsgericht stets 17  Statt aller und mit entsprechenden Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Auflage 2013, Art. 19 III Rn. 45 ff. – Einzig bei der Bestimmung der Inländereigenschaft privat getragener juristischer Personen ergeben sich bisweilen Meinungsunterschiede, ­ dazu statt vieler H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, in: J. Isen­ see/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2. Auflage 2000, § 120 Rn. 51 ff. m. w. N. 18  Zur Terminologie und jeweils m. w. N. T. Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 5 ff., 13; S. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 44 ff., 49 ff.; dazu auch im Zuge der Untersuchung unten S. 135 ff.

20 Einleitung

als entscheidungserheblich hervor19. Um den so gewonnenen Blick in die Breite der in Betracht kommenden Gestaltungsformen von Organisationseinheiten nicht vorschnell wieder zu verengen, sollten an die staatliche Trägerschaft jedenfalls bei der Bestimmung des Untersuchungsgegenstands keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Eine nicht unwesentliche staatliche Beteiligung ist insoweit bereits ausreichend20. Im Anschluss an die nun bereits mehrfach in Bezug genommene Ent­ scheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der 13. AtomG-Novelle ist insbesondere die Gruppe der fremdstaatlich beherrschten juristischen Personen stärker in den Blickpunkt des Diskurses getreten21. Sie soll auch in der vorliegenden Arbeit insbesondere in Zusammenhang mit dem Atomausstiegsurteil grundrechtlich verortet und kontextualisiert werden und findet nicht zuletzt als bedeutsame Vergleichsgruppe Berücksichtigung. Untersuchungsgegenstand und damit Bezugspunkt der schlussendlichen Erkenntnisse bleibt jedoch allein die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in Trägerschaft des deutschen Staates.

II. Gang der Untersuchung und Erkenntnisziel Mit Blick auf die nunmehr bereits Jahrzehnte überdauernde und periodisch aufflammende Debatte um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG verfolgt die im folgenden angestellte Untersuchung zunächst einen grundlagenorientierten Ansatz. Dessen Kern ist die Aufarbeitung des status quo des Diskurses, die notwendigerweise bei Normtext, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck des Art. 19 Abs. 3 GG beginnt und in einem zweiten Schritt seine Entwicklung in der rechtswissenschaftlichen Praxis beleuchtet (A.). Im Zentrum dieser Bestandsaufnahme stehen die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung und ihre wissenschaftliche Rezeption, die beide möglichst feingliedrig nachgezeichnet werden sollen, um so bereits erste Hinweise auf potentielle Reibungspunkte offenzulegen und eine fundierte Darstellung des bisherigen Diskussionsstan19  Exemplarisch nur BVerfGE 21, 362 (368 ff.); 45, 63 (79 f.); 143, 246 (314, Rn. 190).

20  Diese Feststellung gilt allein für die Formulierung des Untersuchungsgegenstands und darf beispielsweise nicht mit dem sog. Beherrschungskriterium verwechselt werden, mit dessen Hilfe das Bundesverfassungsgericht über die Grundrechts­ subjektivität gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen befindet, dazu näher unten S.  140 ff., 145 ff. Für die inhaltliche Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG soll damit explizit noch keine Vorentscheidung getroffen werden. 21  Diese Terminologie hat sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Atomausstiegsurteil etabliert, s. nur W. Kahl/P. Hilbert, in: W. Kahl/ C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 (2019), Rn.  304 ff.; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 15, 21 ff., 57, 75.



II. Gang der Untersuchung und Erkenntnisziel21

des zu generieren. Erst eine solche stellt die strukturgebenden Grundannahmen insbesondere des Karlsruher Auslegungskonzepts erkennbar heraus. Ihr Verständnis ist wiederum die Grundvoraussetzung jeder kritischen Auseinandersetzung und damit auch Grundlage der weiteren Betrachtung. Diese widmet sich in der Folge dem Regel-Ausnahme-Modus des Bundesverfassungsgerichts und konfrontiert ihn sowohl mit dogmatischen Inkonsistenzen innerhalb und außerhalb der eigenen Auslegungslinie zu Art. 19 Abs. 3 GG als auch mit neueren Praxisfällen, die den hergebrachten Argumentationskanon sichtbar herausfordern (B.). Eingedenk des nachvollziehbaren verfassungsgerichtlichen Strebens nach Flexibilität und Wertungsspielraum im Einzelfall stellt sich gleichwohl die Frage, wann die Zubilligung von Ausnahmen ein Maß erreicht, das die Tragfähigkeit des Grundsatzes infrage stellt. Zugespitzt muss sich das Bundesverfassungsgericht diese Frage im Hinblick auf sein Atomausstiegsurteil gefallen lassen, das mit den bereits erwähnten Bezügen zum grundrechtlichen Mehrebenensystem eine unerwartete Volte schlägt. In der vorliegenden Untersuchung bildet das Atomausstiegsurteil die Brücke zur Betrachtung eben jenes europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes (C.). Nacheinander werden die Regelungsbereiche der europarechtlichen Grundfreiheiten, der Europäischen Grundrechtecharta und der Euro­ päischen Menschenrechtskonvention abgeschritten und ihr Umgang mit der Frage nach einer potentiellen Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen aufgearbeitet. Die Ausführungen sind jeweils ergänzt um den zentralen Gesichtspunkt ihres inhaltlichen Einflusses auf die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG. In Zusammenführung der bis dahin gesammelten Erkenntnisse dient der letzte Untersuchungsabschnitt der Entwicklung einer Auslegungsvariante, die den Balanceakt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit versucht, sich offen zeigt für die Einflüsse des grundrechtlichen Mehrebenensystems und sich als Alternative zum bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz positioniert (D.). Ziel der Untersuchung ist zum einen die Überprüfung der These, die bereits in den Anfangsworten zum „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ Andeutung gefunden hat: Ein Diskurs im Standby-Modus, der trotz einer tief verankerten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Zweifelsfällen immer wieder entflammt, deutet darauf hin, dass das grundlegende Fundament dieser Linie von Beginn an auf tönernen Füßen stand oder jedenfalls durch neuere Entwicklungen ins Wanken gerät. Trennt man in der Diskussion um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG zwischen dem Streit um die Überzeugungskraft einzelner Argumente und der Fundamentalbetrachtung22, ist die vorliegende 22  So konkret für die Grundrechtssubjektivität der Sozialversicherungsträger P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 251 f. Dieser

22 Einleitung

Untersuchung der letzteren zuzuordnen. Darüber hinaus geht sie der Frage nach, ob und inwieweit ein Alternativansatz zur Karlsruher Interpretation ein belastbares Grundkonzept formulieren und eine rechtssichere Handhabe bei gleichzeitigem Wertungsspielraum für Ausnahmefälle gewährleisten kann. Monographische Abhandlungen ähnlichen Umfangs belegen, dass die vorliegende Darstellung damit ein dringendes Bedürfnis der staatsrechtswissenschaftlichen Diskussion aufgreift23.

Hinweis ist nicht trivial, sind doch einige Diskussionsbeiträge im vorliegenden Untersuchungszusammenhang nicht immer zweifelsfrei der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen und verunklaren auf diese Weise die Perspektive der Argumentation. 23  Mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung F. Bleckmann, Jenseits der Ausnahmetrias – Zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 2021; Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9); vgl. aus der österreichischen Rechtswissenschaft auch L. Dopplinger, Die Grundrechtssubjektivität staatlicher Akteure, 2020.

A. Status quo der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG: Auf festgefahrenen Bahnen Juristische Personen können unter der Geltung des Grundgesetzes Grundrechtsträger sein. An diesem Befund gibt es keinerlei Zweifel, hält das Grundgesetz mit Art. 19 Abs. 3 GG doch erstmals eine eigene Vorschrift zur Beurteilung der allgemeinen Grundrechtssubjektivität für juristische Personen bereit. In der Rechtsanwendung stellen sich über diesen vergleichsweise trivialen Befund hinaus eine Reihe komplexer Anschlussfragen im Umgang mit der Grundgesetzbestimmung. Vielfach aufgegriffen, aber bei weitem nicht ausdiskutiert – wenn sie denn überhaupt zufriedenstellend ausdiskutiert werden kann24 – ist die Frage der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft. Will man sich der Problemstellung nähern, kommt man an den Grundfesten der gesetzlichen Regelung mitsamt ihrem historischen und ideengeschichtlichen Ursprung genauso wenig vorbei wie an der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die letztere hat einige schier unumstößliche Grundpfeiler eingeschlagen und bedient sich einer Vielzahl verschiedener Begründungsmuster.

I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG Notwendigerweise ist der Wortlaut der Norm der Ausgangspunkt, um sich der Frage zu nähern, wie die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen im Grundgesetz aufgegriffen und ausgeformt wird. Die Einbettung der Gewährleistung in den Kontext der Ideen- und Entstehungsgeschichte ermöglicht darüber hinaus ein besseres Verständnis des Regelungsanliegens und der rechtstheoretischen Grundlagen des Vorhabens. Konkrete Anhaltspunkte für die Rechtsanwendung lassen sich daraus allerdings kaum gewinnen.

24  So vertritt etwa S. Muckel, JA 2020, 411 (411) die These, dass Fragen der Grundrechtsbindung und -berechtigung unter dem Grundgesetz angesichts des kontinuierlichen Auftretens immer neuer Akteure schlicht nicht abschließend zu beantworten seien.

24 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

1. Wortlaut als Ausgangspunkt, nicht als Antwort Auf den ersten Blick recht schlicht formuliert Art. 19 Abs. 3 GG: „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Unzweifelhaft erfasst diese abstrakte Bezugnahme auf juristische Personen im allgemeinjuristischen Sprachgebrauch sowohl solche des privaten als auch solche des öffentlichen Rechts25. Allgemein gesprochen lässt sich folglich zunächst konstatieren, dass Art. 19 Abs. 3 GG den Kreis der Grundrechtssubjekte von natürlichen auf juristische Personen erweitert26. Die Vorschrift hat die Funktion einer Schaltstelle, sie wird durch ihre allgemeine Wortwahl zur Grundrechtserstreckungsnorm27. Hinzu tritt eine extensive Interpretation des Merkmals der „juristischen Person“, die einhellig nicht im zivilrechtlichen, sondern in einem originär verfassungsrechtlichen Sinne verstanden und auf das Gros rechtlicher Organisationseinheiten erstreckt wird28. Eine Einschränkung erfährt die so noch sehr allgemein gehaltene Grundrechtsberechtigung juristischer Personen durch den zweiten Halbsatz der Norm, der mittels der Konjunktion „soweit“ die Einpassung in das „Wesen“ der Grundrechte zur notwendigen Bedingung macht. Je nach Interpretation dieses Halbsatzes kann dem Wesensvorbehalt eine stark einschränkende Wirkung zukommen, etwa als Anknüpfungspunkt eines prinzipiellen Ausschlusses der juristischen Personen des öffentlichen Rechts29. Ein solcher ließe sich rein rechtstechnisch aber selbst dann bewerkstelligen, wenn man nicht über den ersten Halbsatz hinausgehen will: Ohne die Anknüpfung an den Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG aufzugeben, bliebe den Befürwortern einer Auskehrung staatlicher Organisationseinheiten noch das Mittel der teleolo25  Statt vieler von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 89; B. Remmert, in: M. Her­ degen/H. H. Klein/R. Scholz (Hrsg.), Dürig/Herzog/Scholz – Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 31. 26  Statt vieler C. Ernst, in: J.-A. Kämmerer/M. Kotzur (Hrsg.), von Münch/Kunig – Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 7. Auflage 2021, Art. 19 Rn. 55; P. M. Huber, in: ders./A. Voßkuhle (Hrsg.), von Mangoldt/Klein/Starck – Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 7. Auflage 2018, Art. 19 Abs. 3 Rn. 204. 27  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 27; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1079; P. J. Tettinger, Juristische Personen des Privatrechts als Grundrechtsträger, in: Merten/Papier, HGR II (Fn. 14), § 51 Rn. 27. Auch die Rechtsprechung geht von diesem Verständnis aus, wie die Ausführungen in BVerfGE 21, 207 (208); 106, 28 (42); 129, 78 (97) belegen. 28  Statt vieler Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 45 ff.; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 19 Rn. 58, 62 ff., jeweils mit umfassenden Nachweisen und Beispielen. 29  A. von Mutius, Jura 1983, 30 (38); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 31; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 89.



I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG25

gischen Reduktion30. Den Wortlaut allein als Argument für eine von der Verfassung intendierte Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft heranzuziehen, kann daher nicht überzeugen31. Gleiches gilt im Übrigen genauso für Versuche, schon dem Sprachgebrauch der Vorschrift Anzeichen für eine streng individualistische Auslegungs­ prärogative zu entnehmen32. Die Wortfassung des Art. 19 Abs. 3 GG bietet mit ihrer Indifferenz keine Lösungen an und lässt die Frage unbeantwortet33. 2. Entstehung des Art. 19 Abs. 3 GG: Verzerrter Blick auf den Schwerpunkt Die Entscheidung für eine abstrakt gehaltene Wortwahl lässt sich mithilfe der Betrachtung des handwerklich-historischen Entstehungsprozesses der Norm genauer einordnen. Noch in der Weimarer Republik war die Frage der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen keine besonders prominente und dazu mangels einer ausdrücklichen Regelung umstritten34. In der Entstehungsphase des Grundgesetzes war es dann der Abgeordnete Hermann von Mangoldt (CDU), der die Frage erstmals im Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates am 1. Dezember 1948 adressierte35. Zwei Tage später formulierte von Mangoldt einen konkreten Entwurf, in dem die Grundrechte, auf die sich juristische Personen berufen können sollten, enumerativ aufgezählt waren und auch der Kreis der in Betracht kommenden juristischen 30  H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art.  19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 69; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 29; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1107. – Eine solche Reduktion vollziehen V. Epping, Grundrechte, 9. Auflage 2021, Rn. 161 und E. Schmidt-Aßmann, Zur Bedeutung der Privatrechtsform für den Grundrechtsstatus gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, in: E. Jayme/ A. Laufs/K. Misera u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hubert Niederländer, 1991, S. 383 (386); ders., BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (7). 31  So aber insbesondere aus der älteren Literatur K. A. Bettermann, JZ 1958, 163 (164); ders., NJW 1969, 1321 (1324); K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (535); wie hier Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 69; ders., AöR 104 (1979), 54 (98); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 89; ders., Jura 1983, 30 (38). 32  H. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 73. 33  E.-W. Fuß, DVBl. 1958, 739 (740); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 31; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  1097 f. 34  Dazu aus der Sekundärliteratur ausführlich Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn.  5 ff.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  1093 f., jeweils m. w. N. 35  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. V/2 (Ausschuß für Grundsatzfragen), 1993, S.  771 f.

26 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Personen eine Eingrenzung auf Anstalten und Körperschaften erfuhr36. In den folgenden Sitzungen von Grundsatz-, Haupt-, und Allgemeinem Redaktionsausschuss wechselten sich enumerativ verfasste und generalklauselartige Entwürfe ab37, ehe der Allgemeine Redaktionsausschuss am 25. Januar 1949 die Fassung vorschlug, die sich mit dem heutigen Wortlaut deckt38. Zwar fand die Mangoldt’sche Aufzählungsvariante im Interfraktionellen Fünferausschuss noch einmal ein kurzes Zwischenhoch39, doch nach erneuter Beratung schlug dieser dem Hauptausschuss den heute gültigen Wortlaut vor, den letzterer schließlich entscheidend in vierter Lesung vom 5. Mai 1949 annahm40. Die Lesungen des Plenums des Parlamentarischen Rates passierte der neu formulierte Art. 19 Abs. 3 GG dann ohne jede Diskussion41. Die Ausformung einer Grundgesetzbestimmung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen hat demnach aus regelungstechnischer Sicht eine Kehrtwende vom enumerativen Katalog zur Generalklausel vollzogen42. Es war nicht etwa die exakte Bestimmung der inhaltlichen Reichweite, sondern die formale Regelungstechnik, die in der Entstehung des heutigen Art. 19 Abs. 3 GG den Schwerpunkt des Diskurses bildete. 36  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. V/2 (Ausschuß für Grundsatzfragen), 1993, S.  789 f. 37  Zu den verschiedenen Fassungen und Anmerkungen der jeweiligen Ausschüsse s. Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. VII (Entwürfe zum Grundgesetz), 1995, S. 143; Bd. V/2 (Ausschuss für Grundsatzfragen), 1993, S. 949 f., 963; Bd. XIV/2 (Hauptausschuss), 2009, S. 1427 ff. 38  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. VII (Entwürfe zum Grundgesetz), 1995, S.  217 f. 39  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. VII (Entwürfe zum Grundgesetz), 1995, S. 345. 40  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. VII (Entwürfe zum Grundgesetz), 1995, S. 537. 41  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. IX (Plenum), 1996, S. 459, 586. – Allgemein dargestellt ist der hier nur kursorisch nachgezeichnete Gang der Beratungen auch in JöR 1 (1951), S. 181 ff. Detailliert und jeweils verbunden mit eigenen Deutungsversuchen L. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, 1993, S. 99 ff.; Gers­ dorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  75 ff.; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn.  9 ff. 42  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 11; H. Dülp, Die Berufung juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf Grundrechte, 1964, S. 107; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 14.



I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG27

Eine breit angelegte Diskussion um Binnendifferenzierungen bei juristischen Personen, also um die Frage, ob zwischen solchen des privaten und des öffentlichen Rechts differenziert werden müsse, wurde im Prozess der Grundgesetzentstehung dagegen nicht geführt. Nur vereinzelt tauchen derlei Unterscheidungen auf: So etwa, wenn der Allgemeine Redaktionsausschuss in Bezug auf die vorgeschlagene Reduzierung der Grundrechtsträger auf Körperschaften und Anstalten Bedenken äußerte, dass diese Begriffe „nicht alle juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts, z. B. nicht die Stiftungen, umfassen“43. Herrmann von Mangoldt selbst äußerte noch während des Wechselspiels der Gremien zu Beginn des Jahres 1949 im Hauptausschuss, es sei „ganz klar, daß die Gesellschaft des Handelsrechts oder auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Eigentum besitzt, nun auch den Schutz des Privateigentums genießen muß“44. Derartige Einzelaussagen aber ohne Vorbehalte zu der Auffassung zusammenzusetzen, der Grundgesetzgeber habe juristische Personen des öffentlichen Rechts in die Geltung des Art. 19 Abs. 3 GG mit einbeziehen wollen, kann nicht überzeugen45. Auf der anderen Seite erscheinen auch die Äußerungen zu einer möglichen personalistischen Gesamtwürdigung der Grundrechte eher diffus und können verschieden interpretiert werden46. Auch hier ist Vorsicht geboten, 43  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. VII (Entwürfe zum Grundgesetz), 1995, S.  217 f. 44  Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. XIV/2 (Hauptausschuss), 2009, S. 1428 f. 45  So aber P. Badura, BayVBl. 1989, 1 (1); K. A. Bettermann, Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand – Beiträge zu Art. 12 I, 15, 19 III GG, in: Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch, 1968, S. 1 (10); ders., NJW 1969, 1321 (1324); Dülp, Berufung (Fn. 42), S. 108; Englisch, Gewährleistung (Fn. 41), S. 100; S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, 1964, S. 90; vorsichtiger schon H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (239); wie hier Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 40; R. Dreier, Zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts, in: N. Achterberg (Hrsg.), Öffentliches Recht und Politik. Festschrift für Hans Ulrich Scupin, 1973, S. 81 (87 f.); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 14. 46  Einerseits meint Th. Heuß, dass „die juristische Persönlichkeit […] natürlich eine fiktive Persönlichkeit [ist], begrenzt auf den Menschen, die in ihrer Summierung eine juristische Person darstellen, aber doch in ihrer individuellen Bezogenheit auf diesen Gesamttatbestand“, Der Parlamentarische Rat 1948/49, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Bd. V/2 (Ausschuß für Grundsatzfragen), 1993, S. 772. H. von  Mangoldt sagt über die Grundrechte: „An sich sind es Menschen- und Freiheitsrechte“, ebd. S. 790. Andererseits betont von Mangoldt aber die Eigenständigkeit der juristischen Person: „Soweit die juristische Person gegenüber der Einzelperson Besonderheiten aufweist, sind diese Besonderheiten entsprechend zu berücksichtigen“, ebd. S. 790. Heuß stellt in Bezug auf den Eigentumsschutz juristischer Personen fest, dass es „an sich eine objektive Rechtsvor-

28 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

wenn die genetische Auslegung dazu tendiert, bestimmte „Absichten“ des Gesetzgebers zu implementieren, die im Wortlaut keinerlei Ausdruck gefunden haben47. In den Äußerungen der einzelnen Ausschussmitglieder ein implizites Plädoyer des Parlamentarischen Rates für ein auf den Menschen bezogenes Verständnis der juristischen Person oder des Wesens der Grundrechte zu erblicken, erscheint vor diesem Hintergrund genauso vorschnell wie das Vorgehen aus spiegelbildlicher Perspektive48. Die Wahrheit dürfte in einer deutlich schlichteren Aussage liegen: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich bei der Fassung des Art. 19 Abs. 3 GG keine allzu tiefgreifenden Gedanken über ein mögliches rechtsdogmatisches Gerüst im Allgemeinen und die Unterscheidung zwischen juristischen Personen in privater oder staatlicher Trägerschaft im Besonderen gemacht49. 3. Ideen- und verfassungsgeschichtlicher Hintergrund Diese Feststellung erscheint umso überraschender, berücksichtigt man die ideen- und verfassungsgeschichtliche Entwicklung einer Grundrechtsberechtigung juristischer Personen. Sie beginnt notwendigerweise mit der Dogmengeschichte der juristischen Person als solcher und dem fundamentalen Ringen zwischen der romanistischen Lehre Friedrich Carl von Savignys und der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit Otto von Gierkes. Ersterer blendete zwar die Existenz von Verbänden nicht aus, sprach ihnen aber die Eistellung begründet, die nicht an die Einzelperson […] gebunden ist, so daß sich […] die Sache beim Eigentum von selber ergibt, wenn man das als in sich ruhenden und vom Menschen getrennten Sachbegriff zum Ausdruck gebracht hat: Das Eigentum wird gewährleistet“, ebd. S. 772. 47  Dazu allgemein H.-P. Schneider, Der Wille des Verfassungsgebers. Zur Bedeutung genetischer und historischer Argumente für die Verfassungsinterpretation, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Festschrift für Klaus Stern, 1997, S. 903 (914); vgl. ferner die zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur historischen Auslegung, BVerfGE 6, 389 (431); 41, 291 (309); 62, 1 (45). 48  In diese Richtung jedoch T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119 f.); Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 75 f., 81; C. Kreuter-Kirchhof, Personales Eigentum im Wandel, 2017, S. 272; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 14; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1097; ebenso M. Oechsle, Zur wesensgemäßen Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des Zivilrechts, 1961, S. 152, der den Erkenntniswert seiner Ausführungen jedoch zurecht umgehend selbst einschränkt. 49  Ebenso Dreier (Fn. 17); Art. 19 III Rn. 11; in diese Richtung auch Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  38 ff.; A. Dietmair, Die juristische Grundrechtsperson des Art. 19 Abs. 3 GG im Licht der geschichtlichen Entwicklung, 1988, S. 122; W. Frenz, VerwArch. 85 (1994), 22 (33 f.). Zurecht wird die Entstehungsgeschichte der Norm daher als für die Auslegung unergiebig empfunden, so statt vieler O. Kimminich, Der Schutz kommunaler Unternehmen gegen konfiskatorische Eingriffe, 1982, S. 4; K. Kröger, JuS 1981, 26 (28).



I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG29

genständigkeit ab, indem er ihr gesamtes rechtliches Dasein an die natürliche Person knüpfte, die aus seiner Sicht das ethisch einzig legitime Rechtssubjekt darstellt50. Rechtsfähigkeit und Existenz der natürlichen Person waren für ihn notwendigerweise und untrennbar miteinander verbunden51. An eine Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person ist in der Folge nicht zu denken, wenn man mit Savigny in juristischen Personen „künstliche, durch bloße Fiction angenommene Subjecte“52 erkennen mag53. Oft als Gegenentwurf dazu verstanden werden die Ausführungen Otto von Gierkes, der die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit vollendete. Die Bezeichnung trägt bereits die inhaltlichen Kernelemente in sich: Diese Auffassung erkennt die Existenz juristischer Personen als soziale Realität an, berücksichtigt ihre Eigenheiten, betont die Unterschiede und löst sie somit von der strikten Abhängigkeit zur natürlichen Person54. Von Gierke selbst hat in der Frage nach der Grundrechtssubjektivität von Verbänden beiläufig eine positive Grundhaltung anklingen lassen55. Zwischenzeitlich hatte Edmund Bernatzik als Erster das Thema aus rein staatsrechtlicher Perspektive aufgegriffen und die Frage nach der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen explizit aufgeworfen, einschließlich eines am Zweck der Organisationseinheit orientierten Lösungsvorschlags56. In der Staatsrechtslehre um die Jahrhundertwende vom 19. zum 50  F. C. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. II, 1840, § 60 (S. 1 ff.), § 85 (S. 235 ff.), § 89 (S. 275 ff.). – Diese Zusammenfassung ist selbstredend stark verknappt. Siehe ausführlicher zu den Thesen von Savignys etwa M. Diessel­ horst, Zur Theorie der juristischen Person bei Carl Friedrich von Savigny, in: Quaderni Fiorentini per la Storia del Pensiero Giuridico moderno 11/12 (1982/83), S.  319 ff.; W. Flume, Savigny und die Lehre von der juristischen Person, in: O. Beh­ rends/M. Diesselhorst/H. Lange u. a. (Hrsg.), Festschrift für Franz Wieacker, 1978, S. 340 ff.; speziell zu Savignys Personenbegriff F. Schikorski, Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts, 1978, S. 42 ff. 51  von Savigny, System (Fn. 50), § 60 (S. 2), § 85 (S. 236). 52  von Savigny, System (Fn. 50), § 85 (S. 236). 53  Dietmair, Grundrechtsperson (Fn. ), S. 24  f., 64; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 5; W. W.  Schmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen, 1966, S. 15. 54  O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, 1895, S. 470 ff.; ders., Das Wesen der menschlichen Verbände, 1902, S. 20 ff. – Auch hier sei statt einer eingehenden Darstellung auf weiterführende Beiträge verwiesen, F. Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 182 ff.; Schikorski, Auseinandersetzung (Fn. 50), S.  173 ff.; K. Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie im Privatrecht, 1987, S. 12 ff.; C. Tietze, Zur Theorie der juristischen Person in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, 1974, S. 38 ff. 55  O. von Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, 1915, S. 118; ders., Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissenschaft, in: G. Schmoller (Hrsg.), Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 7 (1883), S. 1097 (1133). 56  E. Bernatzik, AöR 5 (1890), 169 (273).

30 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

20. Jahrhundert entbrach im Anschluss daran zwar kein breit angelegter Streit um die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen57. Gleichwohl setzte sich zunehmend die Überzeugung durch, sowohl juristische als auch natür­ liche Personen von der Rechtsordnung her zu betrachten und beide unterschiedslos als Produkte eben jener Rechtsordnung einzustufen statt der natürlichen Person einen rechtsethischen Vorrang einzuräumen und diese als originäre Rechtsträgerin zu behandeln58. Ein Schritt, der ähnlich auch in von Gierkes Konzept anklingt59 und die rechtstheoretische Grundlage für eine eigenständige, von der natürlichen Person entkoppelte Betrachtung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen legte. Die rechtswissenschaftlichen Ansätze der Zeit haben indes nicht die verfassungsgeschichtliche Entwicklung vorweggenommen, vielmehr verliefen die Stränge hier parallel. Schon die Verfassungen des Königreichs Bayern vom 26. Mai 181860 und des Großherzogtums Baden vom 22. August 181861 wurden so verstanden, dass ihr jeweiliges Beschwerderecht auf Rechtsträgerseite auch Organisationseinheiten erfasste62. Petitionsrechte für Korporationen fanden sich auch in der Frankfurter Paulskirchenverfassung vom 27. März 184963 und der Preußischen Verfassung vom 30. Januar 185064. Der Verhandlungsgang der ersteren bis zu ihrer Verabschiedung deutet darauf hin, dass die Beteiligten allgemein davon ausgingen, rechtliche Organisationsgebilde könnten sich jedenfalls auf das Eigentum uneingeschränkt berufen65. 57  Äußerungen wie die von G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Auflage 1905, S. 258, der eine Grundrechtssubjektivität jedenfalls der privatrechtlichen Verbände befürwortete, waren die Ausnahme. 58  Jellinek, System (Fn. 57), S. 28 f. m. w. N. aus der Zeit; P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, 5. Auflage 1911, S. 94 Fn. 1; E. Lask, Rechtsphilosophie, in: W. Windelband (Hrsg.), Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer, 2. Auflage 1907, S. 269 (313); s. zu den entsprechenden Entwicklungen der Staatsrechtslehre der Zeit auch Schmidt, Grundrechte (Fn. 53), S.  21 f. 59  von Gierke, Privatrecht (Fn. 54), S. 471, der betont, beide seien keine Schöpfung des objektiven Rechts, existierten aber eben rechtlich nur insoweit, wie das objektive Recht sie anerkenne. 60  Titel VII, § 21 Abs. 1, verkündet in: Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1818, S. 101 (131). 61  § 67 Abs. 2 S. 1, verkündet in: Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungsblatt 1818, S. 101 (111 f.). 62  von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 1; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 2; ausführlich Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S.  83 ff. 63  Art. VII § 159 Abs. 2, verkündet in: Reichsgesetzblatt 1849, S. 101 (129). 64  Art. 32 S. 2, verkündet in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, S. 17 (21). 65  Stenographischer Bericht zu den Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Bd. 7, 1849, S. 5162 (168. Sitzung vom



I. Kontextualisierung des Art. 19 Abs. 3 GG31

All jene gesetzlichen Regelungen bewegen sich freilich zunächst in einem stark einzelstaatlich und zeithistorisch geprägten Kontext. Darüber hinaus mögen sie zwar implizit die Rechtsfähigkeit juristischer Personen voraussetzen, sagen über die Grundrechtsberechtigung nach heutigem Verständnis aber selbstredend nichts aus. Als Grundlage für verfassungshistorisch untermauerte Aussagen zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft sind diese – hier nur schlaglichtartig vorgestellten – Einzelnormen daher nicht geeignet66. Immerhin geben sie aber Aufschluss darüber, dass Otto von Gierke mit dem Entwurf von der juristischen Person als von der natürlichen Person geschaffenem, aber von ihr emanzipiertem Gebilde Gehör fand und ein theoretisches Grundgerüst ausarbeitete, das sich in der Verfassungswirklichkeit zumindest teilweise niederschlug und -schlägt67. Wie insbesondere mit dem verfassungsgeschichtlichen Primärmaterial in der Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG umzugehen ist, liegt im Auge des jeweiligen Interpreten und hängt von den Zusammenhängen ab, die dieser in den Blick nimmt. Während einige davon ausgehen, die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen sei keine Errungenschaft des Grundgesetzes68, betrachten andere Art. 19 Abs. 3 GG als Neuland im deutschen Verfassungsrecht69. Je nachdem, auf welchen Aspekt Bezug genommen wird, können beide Annahmen einer Überprüfung standhalten. Aus den vorigen Ausführungen lässt sich unabhängig davon jedoch die These ableiten, dass die Norm hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen die bisher weitreichendste in der deutschen Verfassungshistorie ist und sie damit nach jetzigem Stand die Spitze der dogmengeschichtlichen Entwicklung hin zu einer (grund-)recht­ 12.2.1849). – Aus der Sekundärliteratur wie hier Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 2; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 96 f. Weiter geht J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Auflage 1998, S. 183 f., der daraus gar die Anwendung aller Grundrechte der Paulskirchenverfassung auf Korporationen herauslesen will, soweit sie nicht technisch oder dem Wesen nach nur auf natürliche Personen beschränkt sind. 66  So auch N. Achterberg, Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von Organisationen, in: D. Wilke/H. Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, 1977, S. 1 (2 f.); Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 22; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 9; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 2; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1091. 67  Dezidiert auch S. Muckel, JA 2020, 411 (413). 68  T. Herzog, Die Grundrechtssubjektivität überindividueller privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Funktionseinheiten, 1969, S. 33; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 1; Schmidt, Grundrechte (Fn. 53), S. 15. 69  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 21; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 10, 27; W. Schmidt, Die Vereinigungsfreiheit von Vereinigungen als allgemeine Eingriffsfreiheit, in: O. Triffterer/F. von Zezwschitz (Hrsg.), Festschrift für Walter Mallmann, 1978, S. 233 (234 mit Fn. 3); Tettinger (Fn. 27), § 51 Rn. 4.

32 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

lichen Selbstständigkeit der juristischen Person darstellt70. Nimmt man nun die konkrete Gesetzgebungshistorie hinzu, zeigt sich aber, dass Art. 19 Abs. 3 GG nicht mehr ist als der gesetzliche Anknüpfungspunkt, ein Rahmen, in dem sich Interpretation und Ausformung bewegen müssen. Damit einher geht allerdings genauso, dass diese Disziplin – sei es gezielt, sei es unfreiwillig – Wissenschaft und Rechtsanwendern überantwortet worden ist71. Dem Grundgesetzgeber fehlte für die Beantwortung der Detailfragen zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen im Allgemeinen und denjenigen in staatlicher Trägerschaft im Besonderen trotz bekannter Mosaike aus Dogmen- und Verfassungsgeschichte das Problembewusstsein.

II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis Die Rechtsanwendung hat diesen Auftrag angenommen, sich der Interpretation der Vorschrift gewidmet und eine für die Praxis gängige Handhabe des Art. 19 Abs. 3 GG entwickelt, wobei sich insbesondere – und wenig überraschend – das Bundesverfassungsgericht als treibende Kraft hervorgetan hat. Kennzeichnend für seine Rechtsprechung ist eine Grundsatz-Ausnahme-Methodik. Die dogmatischen Ausführungen, die das Verfassungsgericht zur Stützung seiner Thesen vorbringt, wurden über die Jahrzehnte durch stetige Wiederholung zu bekannten Begründungsmustern, die allerdings vor allem von Seiten der Wissenschaft seither ebenso kritisch begleitet werden. Sowohl die Grundfesten der Rechtsprechung mitsamt ihrer dogmatischen Unterfütterung als auch die opponierenden Repliken sollen im Folgenden dargestellt werden, um so den status quo zu ergründen, in dem sich die Diskussion um die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen im Allgemeinen und staat­ licher Organisationseinheiten im Speziellen befindet. 1. Grundsatz: Kategoriales Denken über den Wortlaut hinaus – keine Grundrechtsfähigkeit Bei den ersten Anwendungsfällen im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG, die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte, handelte es sich um Verfassungsbeschwerden verschiedener Personenvereinigungen des Privatrechts, über die das Gericht nach einem bestimmten Vorgehen entschied: Teils im 70  So auch Schmidt, Grundrechte (Fn. 53), S. 15; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1089; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 106. 71  Wie hier G. Roellecke, Zur Geltung von Grundrechten für juristische Personen des öffentlichen Rechts, in: J. Wolter/E. Riedel/J. Taupitz (Hrsg.), Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht. Mannheimer Fakultätstagung über 50 Jahre Grundgesetz, 1999, S. 137 (140).



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis33

Rahmen der Zulässigkeit, teils innerhalb der Begründetheitsprüfung stellte es zunächst fest, dass die Beschwerdeführer als Verbände in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG fielen, ehe es die Frage aufwarf, inwiefern das konkrete Grundrecht bzw. verfassungsmäßige Recht seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sei72. Eine gesonderte methodische Vorrede ging dem nicht voraus. Eine solche folgte erst im Jahr 1967, als das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde eines Sozialversicherungsträgers entschied, der als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert war73. In den dortigen Ausführungen liegt die Geburtsstunde der kategorialen Unterscheidung zwischen juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts74: „Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, grundsätzlich von einer möglichen Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen auszugehen und sodann im Einzelfall zu prüfen, ob das mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachte einzelne Grundrecht seinem Wesen nach auf die jeweilige Beschwerdeführerin anwendbar ist. So ist das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Grundrechtsfähigkeit inländischer juristischer Personen des Privatrechts im allgemeinen verfahren […]. Dieses Verfahren […] [kann] nicht ohne weiteres auf die inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts übertragen werden. Obwohl Art. 19 Abs. 3 GG nur von ‚juristischen Personen‘ spricht, gebietet er keine Gleichstellung der juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts. Vielmehr führt ‚das Wesen der Grundrechte‘, auf das es nach dem Inhalt der Bestimmung entscheidend ankommt, von vornherein zu einer grundsätzlichen Unterscheidung dieser beiden Gruppen.“

An dieser Unterscheidung hält das Bundesverfassungsgericht bis heute fest. Steht die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person des Privatrechts – genau genommen müsste es heißen: in privater Trägerschaft – in Rede, bleibt der Zweischritt über die grundsätzliche Grundrechtsfähigkeit und die Untersuchung des konkreten Grundrechts auf seine kollektive Betätigungsfähigkeit hin der vom Gericht präferierte Prüfungsweg75. Im Umgang mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG geht das Bundesverfassungsgericht einen anderen Weg und spricht zuallererst ein grundsätzliches „Nein“ aus: Sie seien in aller Regel nicht grundrechtsberechtigt, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen76. Die Rechtsprechung zieht damit über den Wesensvorbehalt bereits auf 72  BVerfGE

3, 359 (363); 3, 383 (390); 4, 7 (12, 17). 21, 362. 74  BVerfGE 21, 362 (368 f.). 75  Exemplarisch aus dem reichen Fundus der st. Rspr. BVerfGE 22, 380 (383); 66, 116 (130); 143, 246 (312, Rn. 182) m. w. N. 76  BVerfGE 21, 362 (373); 24, 367 (383); 31, 314 (322); 39, 302 (312 f.); 45, 63 (78); 61, 82 (101); 68, 193 (206); 75, 192 (196 f.); 143, 246 (313 f., Rn. 187 f.); 147, 73  BVerfGE

34 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

abstrakterer Ebene eine Prüfungslinie ein, die eine am einzelnen Grundrecht orientierte Prüfung wie bei juristischen Personen des Privatrechts in den Hintergrund drängt. Freilich vollzieht sie diesen Schritt nicht freihändig, sondern bedient sich einer ausdifferenzierten Begründung, orientiert an einem personalistischen Grundrechtsverständnis. Beides soll zunächst aber noch außer Betracht bleiben und erst an anderer Stelle detailliert aufgegriffen werden77. Entscheidend ist zunächst die Feststellung, dass der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Regel ein modifizierter ist, wenn sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts auf den Schutz der Grundrechte beruft. Für sie wird die Vorschrift im Lichte dieser Auslegung zu einer negativen Vermutungsregel78. Das Verfassungsgericht präferiert also eine Betrachtung, die strikt zwischen juristischen Personen des Privatrechts und solchen des öffentlichen Rechts trennt. Welche Wirkung die Kategorisierung zeitigt, belegt schon die Art und Weise der Diskursführung: Ausführlichere Beiträge zur Auslegung und Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG werden von vornherein thematisch in Blöcke unterteilt, jeweils zu juristischen Personen des Privatrechts und solchen des öffentlichen Rechts79. Wie das Gericht selbst zutreffend feststellt, ist eine solche Kategorisierung nicht dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG entnommen, sondern entspringt einer darüber hinausgehenden Interpretation. Sie geht – wie gesehen – mit einem variierenden Prüfungsmaßstab der Grundrechtsfähigkeit einher, je nachdem, welcher Gruppe der konkret betroffene Verband, der Grundrechtsschutz in Anspruch zu nehmen gedenkt, zuzuordnen ist. Allerdings muss die kategorische Binnendifferenzierung bei den juristischen Personen als Ausgangspunkt der Betrachtung verstanden werden, als Grundmuster, das der näheren Ausformung bedarf. Sie ist lediglich eine 50 (143, Rn. 239); BVerfGK 4, 223 (223 f.); 13, 276 (276); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502); NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1996, 1588 (1588); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2002, 1366 (1366); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1176 (1176); NVwZ-RR 2009, 361 (361); NVwZ-RR 2016, 242 (243, Rn. 6). Anders noch BVerfGE 6, 45 (49), wo eine Tendenz zur Einzelfallprüfung erkennbar ist. 77  Dazu sogleich unten S. 38 ff. 78  U. Becker, Jura 2019, 496 (508); Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 56; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 394; C. Möllers, Staat als Argument, 2000, S.  309 f.; Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 42; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 45. Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 22 spricht von der „Mutation“ des Art. 19 Abs. 3 GG zu einer verfassungsrechtlichen Ausnahmevorschrift. 79  So die Mehrzahl der Kommentierungen: Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 45 ff., 56 ff.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 234 ff., 244 ff.; H. D.  Jarass, in: ders./ B. Pieroth, Grundgesetz, 17. Auflage 2022, Art. 19 Rn. 20 ff., 24 ff.; Sachs (Fn. 28), Art.  19 Rn.  51 ff., 89 ff.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 60 ff., 78 ff. Mit derselben Aufteilung ferner Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S.  387 ff., 390 ff.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  1085 f., 1116 ff.,  1149 ff.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis35

Richtschnur, die sich in Reinform nicht durchhalten lässt und differenzierende Ergebnisse der Rechtsprechung, etwa hinsichtlich der von ihr ausnahmsweise als grundrechtsberechtigt anerkannten juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder der bisweilen fehlenden Grundrechtssubjektivität privater Unternehmen bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, nicht abbildet. So verstanden ist sie nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Weichenstellung und prägt die Diskussion um die Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen als solche formal wie inhaltlich. 2. „Ausnahmetrias plus“: Religionsgemeinschaften, Universitäten, Rundfunkanstalten – und Justizgrundrechte Zu dem grundsätzlichen Veto gegenüber der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts unter Art. 19 Abs. 3 GG treten drei Ausnahmen hinzu, die das Bundesverfassungsgericht seit jeher anerkennt. Religionsgesellschaften, Rundfunkanstalten und Universitäten einschließlich ihrer Fakultäten können sich nach ständiger Rechtsprechung trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Organisationsform jedenfalls in Teilen auf die Grundrechte berufen80. Sie werden in diesem Zusammenhang gemeinhin als sog. Ausnahmetrias bezeichnet81. Nach der Rechtsprechung sei diesen Einheiten gemeinsam, dass sie einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zuzuordnen seien und so nicht staatlichem Kompetenzvollzug, sondern der Ausübung grundrechtlicher Freiheit dienten. Die Voraussetzungen einer solchen Zuordnung hat das Verfassungsgericht wie folgt definiert: Es müsse sich bei der betreffenden Organisationseinheit um eine juristische Person handeln, die den Bürgern zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte diene und als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung Bestand habe82. Abseits dieser gemeinsamen Grundlage will die Rechtsprechung die drei anerkannten Ausnahmen noch einmal spezieller gruppiert wissen. So seien Rundfunkanstalten und Universitäten einschließlich ihrer Fakultäten „von der ihnen durch die Rechtsordnung über­ tragenen Aufgabe her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte ge80  BVerfGE 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322); 45, 63 (79); 61, 82 (102 f.); 68, 193 (207); 75, 192 (196 f.); 78, 101 (102); 143, 246 (314, Rn. 189); 147, 50 (143 f., Rn. 240); BVerfGK 13, 276 (276); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583); NJW 1996, 1588 (1589); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1176 (1176); NVwZ 2007, 1420 (1420 f.); NVwZ 2008, 778 (778); NVwZ-RR 2009, 361 (361); NVwZ 2020, 1500 (1501). 81  Statt aller Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 49 m. w. N. 82  BVerfGE 45, 63 (79); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1589). Dagegen bezweifelt Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 93, dass die Ausnahmen ein solch einheitlicher Grundgedanke verbindet.

36 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

schützten Lebensbereich zugeordnet“, während Religionsgesellschaften ihm „kraft ihrer Eigenart […] von vornherein zugehören“83. Über eine metaphorische Note hinaus, die eine Sonderstellung der Kirchen unterstreichen soll, zeitigt diese Binnendifferenzierung innerhalb der Ausnahmetrias teilweise auch messbare Folgewirkungen84. Jeder einzelnen der drei öffentlich-rechtlichen Organisationseinheiten wird – wie es der Name des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“ bereits andeutet – die Berufung auf das Grundrecht zugebilligt, in dessen Anwendungsbereich sich ihr Wirken der Sache nach vornehmlich bewegt. So können sich Religionsgemeinschaften auf die Religions- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG berufen85, die Rundfunkanstalten auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG86 und die Universitäten wie Fakultäten und andere Untergliederungen als Horte der Wissenschaft auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG87. Auch hier existieren Verzweigungen sowohl im Hinblick auf den Kreis der anwendbaren Grundrechte als auch auf den der grundrechtsberechtigten öffentlich-rechtlichen Organisationseinheiten, doch sollen beide erst an anderer Stelle näher betrachtet werden88. Grundsätzlich nimmt das Bundesverfassungsgericht jedenfalls Religionsgesellschaften, Universitäten und Rundfunkanstalten aus seiner negativen Vermutung aus. Der Weg zu diesem Ergebnis bleibt – wie kaum ein Befund in der Diskussion um die Grundrechtsberechtigung der staatlich getragenen juristischen Personen – nicht unwidersprochen89. Das Resultat wird aber weitestgehend positiv aufgenommen90. 83  BVerfGE 61, 82 (102); 68, 193 (207); 75, 192 (196); 143, 246 (314, Rn. 189); 147, 50 (143 f., Rn. 240); ähnliche Unterscheidung auch in BVerfGE 21, 362 (374). 84  Vgl. zur Möglichkeit der Religionsgesellschaften, sich auf Grundrechte über die Religionsfreiheit hinaus zu berufen, unten S. 98 f. 85  BVerfGE 19, 129 (132); 30, 112 (119 f.); 42, 312 (321 f.); 53, 366 (387 f.); 70, 138 (160 f.); 125, 39 (73). 86  BVerfGE 31, 314 (322); 34, 160 (162); 59, 231 (254); 74, 297 (317 f.); 78, 101 (102 f.). 87  BVerfGE 15, 256 (261 f.); 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322); 85, 360 (370, 384); 93, 85 (93); 111, 333 (352); 141, 143 (164 f., Rn. 48 f.); BVerfG (K), NVwZ-RR 2003, 705 (706). 88  Kritisch zur erweiterten Grundrechtsfähigkeit innerhalb der sog. Ausnahmetrias S. 97  ff.; zur Grundrechtsberechtigung von Orthopädietechniker-Innungen siehe S. 59 ff., 78 ff. 89  Kritisch sieht von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 97 f. eine seines Erachtens fehlende dogmatische Verankerung des Kriteriums und die Anknüpfung der Ausnahmen unmittelbar an die jeweiligen Grundrechtsgehalte, was dazu führe, dass Grundrechtsobjekt und -subjekt miteinander vermengt würden. Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 148 meint, das Konzept stoße jedenfalls bei Grundrechten, die die allgemeine Kommunikation sicherten, an seine Grenzen, und nennt exemplarisch Art. 5 GG und Art. 14 GG; ähnlich mit Blick auf die Eigentumsfreiheit Englisch, Gewährleistung (Fn. 41), S. 95 und Kimminich, Schutz (Fn. ), S. 28 f. Darüber hinaus sehen Gersdorf,



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis37

Darüber hinaus lässt das Verfassungsgericht eine weitere, allgemeine Ausnahme zu seiner restriktiven Rechtsprechung zu, wählt im Vergleich zur sog. Ausnahmetrias aber methodisch betrachtet einen gänzlich anderen Weg. In ständiger Rechtsprechung erkennt das Gericht an, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und solche in staatlicher Trägerschaft auf die Justizgrundrechte außerhalb des ersten Abschnitts des Grundgesetzes berufen können, namentlich auf Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG91. An dieser Stelle wechselt das Gericht die Perspektive: Statt vom Grundrechtssubjekt wird die Grundrechtsberechtigung in diesem Bereich von der in Anspruch genommenen Gewährleistung her beurteilt. Gestützt ist die Zuerkennung der justiziellen Grundrechte auf die Begründung, diese Bestimmungen gehörten formell nicht zu den Grundrechten und stellten objektive Verfahrensgrundsätze dar, die in jedem gerichtlichen Verfahren ohne Rücksicht auf die Beteiligten als Gebot der Rechtsstaatlichkeit Geltung beanspruchten92. Auch hier regt sich teils aufgebrachter Widerstand von mehreren Seiten, insbesondere gegen die Charakterisierung der justiziellen Grundrechte als

Unternehmen (Fn. 32), S.  111 f., Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 31 und Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 123 im Kriterium der Zuordnung zu einem grundrechtsgeschützten Lebensbereich Voraussetzung und Folge verwechselt, da eine solche Zuordnung nur Konsequenz einer durch die Verfassung selbst eingeräumten Grundrechtsposition der jeweiligen juristischen Person sei. 90  U. Becker, Jura 2019, 496 (505); Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  77 ff.; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 60 ff.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn.  253 ff.; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (25); Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  45 ff.; W. Rüfner, Grundrechtsträger, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 3. Auflage 2011, § 196 Rn. 119 ff.; W. Rupp-von Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in: H. Ehmke/C. Schmid/H. Scharoun (Hrsg.), Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 349 (365 f.); Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 93 ff.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1158. – Die Bezeichnung als „Ausnahme“ hinterfragen H. Bethge, Zur Grundrechtsträgerschaft gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, in: H. Butzer/M. Kaltenborn/W. Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Friedrich E. Schnapp, 2008, S. 3 (4) und Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 49, stimmen aber dem Ergebnis ebenso zu. Mangels dogmatischer Konsistenz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung plädiert Bleck­ mann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 373 f. gar für die vollständige Aufgabe der Rubrik „Ausnahmetrias“ und ihre Degradierung zu einem rein rechtshistorischen Merkposten. 91  BVerfGE 6, 45 (49 f.); 13, 132 (139 f.); 21, 362 (373); 45, 63 (79); 61, 82 (104); 75, 192 (200); 138, 64 (83, Rn. 55); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583); NVwZ 2005, 82 (82 f.); NJW 2006, 2907 (2908); NVwZ 2007, 1176 (1177); NVwZ 2007, 1420 (1421); NVwZ-RR 2009, 361 (362). 92  BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104 f.); BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (82 f.); NVwZ 2007, 1420 (1421).

38 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

objektive Verfahrensgrundsätze93. Doch genau wie bei den subjektbezogenen Ausnahmen findet jedenfalls das Ergebnis große Zustimmung94. 3. Theoretisches Grundgerüst der Rechtsprechung und Stand der Diskussion Schon in den frühen Grundsatzurteilen zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts hat das Bundesverfassungsgericht eine Vielzahl verschiedener Argumente bemüht, um die eigene Position dogmatisch möglichst tiefgründig vortragen zu können. Nimmt man den gesetzlichen Anknüpfungspunkt in den Blick, der für die Beantwortung dieser Frage zentral ist, kann der erhöhte Begründungsaufwand nicht überraschen. Denn Art. 19 Abs. 3 GG sieht – wie bereits erwähnt – seinem Wortlaut nach keine kategorische Unterscheidung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und denjenigen des Privatrechts vor. Im Verlaufe der Zeit hat das Bundesverfassungsgericht die eigenen Begründungsansätze weiter ergänzt und verfeinert und so ein vielbeiniges argumentatives Grundgerüst geschaffen, das in der Literatur freilich nicht unkommentiert geblieben ist. Die Aufarbeitung dieser Grundpfeiler unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Resonanz soll den Stand des Diskurses abbilden und die verschiedenen Begründungslinien offenlegen, die sich über Jahrzehnte eher verfestigt als fortentwickelt haben und sich heute bei der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen gegenüberstehen. 93  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 93; K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1322); Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S.  70 f.; J. Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, in: ders./Kirchhof, HStR IX (Fn. 90), § 199  Rn. 56; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (13 f.); M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (25); D. Merten, Mischunternehmen als Grundrechtsträger, in: E. Bernat/E. Böhler/A. Weilinger (Hrsg.), Festschrift Heinz Krejci, Bd. 2, 2001, S.  2003 (2008 f.); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 96; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 49; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 30; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1156; W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: Merten/ Papier, HGR II (Fn. 14), § 48 Rn. 24. Explizit auf der Linie des Verfassungsgerichts dagegen Ossenbühl, Geltung (Fn. 15), S. 893, 901. 94  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  92 f.; ders., AöR 104 (1979), 54 (100 f.); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 40; Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 71; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 33; K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 112; Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 368; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 50; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1156; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 24. Kritisch dagegen T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (127); Huber (Fn.  26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326; Isensee (Fn.  93), § 199 Rn. 56.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis39

a) Ideengeschichte der Grundrechte und Durchgriffsthese Der Bezug zum gedankengeschichtlichen Ursprung der Grundrechte stellt das zentrale Argument des Bundesverfassungsgerichts zur grundsätzlichen Ablehnung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft dar. Die Ausgangsthese, auf die das Gericht immer wieder rekurriert, betont die freiheitsbedrohenden Tendenzen staatlichen Handelns gegenüber dem Bürger und hat mittlerweile fundamentale Bedeutung in seiner Rechtsprechung erlangt95: „Das Wertsystem der Grundrechte geht von der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen als natürlicher Person aus. Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern. Von dieser zentralen Vorstellung her ist auch Art. 19 Abs. 3 GG auszulegen und anzuwenden. Sie rechtfertigt eine Einbeziehung der juristischen Personen in den Schutzbereich der Grundrechte nur, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, besonders wenn der ‚Durchgriff‘ auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen läßt.“

Die Rechtsprechung hat darüber hinaus Ergänzungen hervorgebracht, die eher nuancierte Umschreibungen des Ursprungsgedankens als substantielle Nachträge darstellen. So seien die Grundrechte etwa sowohl nach ihrem historischen als auch nach ihrem heutigen Inhalt in erster Linie individuelle Menschen- und Bürgerrechte, die dem Schutz besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit dienten96. Insbesondere die vom Grundgesetz verbürgten materiellen Grundrechte wurzelten in dieser Tradition; ihre Sinnmitte bilde der Schutz der privaten natürlichen Person gegen hoheitliche Übergriffe97. Rezipiert werden die Gedanken zur Geistesgeschichte der Grundrechte unter den meist synonym verwendeten Schlagwörtern „personales Substrat“ oder „Durchgriffsthese“98, wobei der letztere Ausdruck augenscheinlich an den von der Rechtsprechung selbst verwendeten Terminus angelehnt ist.

95  BVerfGE 21, 362 (369). Fortgeführt in BVerfGE 61, 82 (101); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (195 f.); 143, 246 (313 f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1995, 582 (583); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2009, 1282 (1282 f.); NVwZ 2020, 1500 (1501). 96  BVerfGE 68, 193 (205); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2501); NJW 1990, 1783 (1783); NVwZ 2017, 53 (55). 97  BVerfGE 61, 82 (100 f.). 98  Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 32; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 206 ff.; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 62 f.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1088.

40 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Das Bundesverfassungsgericht hält diese Ausführungen abstrakt und auf die juristische Person als Rechtskonstrukt im Allgemeinen bezogen, um eine einheitliche, aus der Ideengeschichte abgeleitete Auslegungsmaxime für Art. 19 Abs. 3 GG zu entwickeln und in einem zweiten, konkreteren Schritt die kategoriale Unterscheidung zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts zu deduzieren99. Mit seinem Durchgriffsgedanken schließt das Gericht inhaltlich wie begrifflich an erste Vorarbeiten der Wissenschaft in den 1960er-Jahren an. So wurde bereits vor dem ersten Karlsruher Grundsatzurteil aus dem Jahr 1967 die These vertreten, eine Grundrechtsberechtigung der juristischen Person komme nur in Betracht, wenn ein „Durchgriff“ durch die Rechtsform der juristischen Person ergebe, dass sie als Sachwalterin von Individualinteressen auftrete100. Zwar wird hier der Durchgriffs- mit dem Sachwaltergedanken vermengt, nach dem die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen dann anzunehmen sei, wenn sie als Treuhänderin gebündelter Individualinteressen fungiere101. Doch beide gehen auf denselben, später vom Verfassungsgericht aufgegriffenen Ausgangsgedanken zurück: Die Grundrechtsberechtigung der juristischen Person könne nur in strikter Relativität zu den dahinerstehenden natürlichen Personen beurteilt werden. Konzeptionell betrachtet ist der Durchgriffsgedanke allerdings keine Denkfigur der Grundrechtstheorie, sondern wurzelt im Gesellschaftsrecht. Früh wurden primär in Haftungsfällen, aber auch darüber hinaus Überlegungen angestellt, ob und inwieweit unter bestimmten Voraussetzungen auf die natürlichen Personen hinter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zurückgegriffen werden könnte102. Daran anschließend 99  Dazu

soeben S. 32 ff. in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 19 Abs. III (Erstbearbeitung 1958/59), Rn. 1, 8, 29 ff.; ders., BayVBl. 1959, 201 (202). Dem Gedanken nach ähnlich, ohne aber den Begriff „Durchgriff“ zu verwenden O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: K. A. Bettermann/H. C. Nipperdey/U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 155 (180 f.). 101  W. Rüfner, AöR 89 (1964), 261 (265 mit Fn. 14 f.) im Anschluss an die Ausführungen Dürigs (Fn. 100). Das Bundesverfassungsgericht hat einer solchen Treuhandkonstruktion indes eine Absage erteilt. Einer Vertretung in der Grundrechtsausübung bedürfe es nicht, da der Einzelne seine Rechte sehr wohl eigenverantwortlich wahrnehme; im Falle juristischer Personen des öffentlichen Rechts stelle sie sogar eine Gefahr für die Individualfreiheit dar, vgl. dazu BVerfGE 61, 82 (104) und BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574); kritisch zum Sachwaltergedanken statt aller Storr, Staat (Fn. 18), S.  195 ff. Allein W. Frenz, VerwArch. 85 (1994), 22 (28 ff., 43 f.) trat auch im späteren Verlaufe des Diskurses noch für eine Variante des Sachwaltergedankens als Auslegungsgrundlage des Art. 19 Abs. 3 GG ein. 102  RGZ 99, 232 (234); 129, 50 (53 f.). Grundlegend R. Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955 und U. Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959. 100  G. Dürig,



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis41

ist der „Durchgriff“ heute Sammelbezeichnung für eine Vielzahl verschiedener, schwer kategorisierbarer Umstände, unter denen das in § 13 Abs. 2 GmbHG und § 1 Abs. 1 S. 2 AktG verankerte gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip in seiner Wirkung verkürzt oder durchbrochen wird103. Der Umgang mit dem Durchgriff mag im Kapitalgesellschaftsrecht heute umstritten sein104, doch der gedankliche Ausgangspunkt des Konzepts ist weiterhin derselbe: In bestimmten Fällen wird durch die dann nur noch als optische Umhüllung dienende juristische Person hindurch ein Zugriff zurechnungs-, haftungsrechtlicher oder sonstiger Art auf die natürlichen Personen „hinter“ ihr ermöglicht. Insofern stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht mit seinem Ansatz über eine rein gedankliche Entlehnung des Begriffs aus dem Gesellschaftsrecht hinausgeht und die Grundrechtssubjektivität der juristischen Person auf einem rechtstechnischen Wege von derjenigen der hinter ihr stehenden natürlichen Personen abhängig macht. Teilweise wird eine solche Eins-zu-eins-Analogie unterstellt und auch gleich als Vorwurf an die methodische Arbeit des Gerichts formuliert105. Gewichtige Stimmen widersprechen dem und verweisen auf den verbildlichenden Charakter des Arguments, das vielmehr dazu diene, das Wesen der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG und damit die Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen teleologisch zu ergründen106. Die Diskussion erscheint zu einem gewissen Grad erzwungen, hat das Verfassungsgericht in einer früheren Entscheidung doch selbst den Eigenwert der juristischen Person aus Grundrechtsperspektive betont107. Im Ergebnis ist man sich ohnehin einig, dass eine gesellschaftsrechtlich-technische Durchgriffskonstruktion für die Frage 103  T. Raiser, in: M. Habersack/M. Casper/M. Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Bd. I, 3. Auflage 2019, § 13 Rn. 51. Ausführlich zum Durchgriffsgedanken im Gesellschaftsrecht auch F. Kübler/H.-D. Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage 2006, § 24 und K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2002, § 9. 104  Einen Überblick über den Streitstand gibt etwa J. Lieder, in: A. Heidinger/ S. Leible/J. Schmidt (Hrsg.), Michalski – GmbHG Kommentar, 3. Auflage 2017, § 13 Rn.  377 ff. 105  Merten, Mischunternehmen (Fn.  93), S. 2012; Quaritsch (Fn. 17), § 120 Rn. 52. Diesbezüglich zumindest für „missverständlich“ halten die Durchgriffsthese F. Schoch, Jura 2001, 201 (205) und Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 363. 106  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  67 f.; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 6; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 59, 62, 112; ähnlich auch Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S.  383 (387 f.). 107  In BVerfGE 3, 383 (391) heißt es: „Art. 19 Abs. 3 GG soll vielmehr klarstellen, daß nicht nur – wie es dem Ursprung der Grundrechte an sich entspräche – natürliche Personen grundrechtsfähig sind, sondern sogar juristische Personen, obwohl sie nicht notwendig Vereinigungen von natürlichen Personen sind“.

42 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen nicht gewinnbringend ist108. Dem Verfassungsgericht dann aber eine solche zu unterstellen, ist unzweckmäßig. Keine aufschlussreichen Erkenntnisse vermag in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung beizutragen, ob die Änderung der Nomenklatur des Bundesverfassungsgerichts vom „Durchgriff“ zum „Durchblick“ im Jahr 1982 substantielle inhaltliche Auswirkungen in sich trägt109. Wie wenig Verbindlichkeit das Gericht selbst dem Begriffspaar zumisst, zeigt sich daran, dass es in jüngerer Zeit erneut vom „Durchgriff“ statt vom „Durchblick“ spricht110. Der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ist mithin metaphorisch-teleologischer Natur. Die Durchgriffsthese steht als Chiffre für eine Auslegung, die die freie Entfaltung natürlicher Personen in der Gussform der juristischen Person als zentralen Maßstab zur Beurteilung grundrechtlicher Schutzwürdigkeit ansieht. Mit dem Rekurs auf Grundrechtsidee und -historie unterstreicht das Verfassungsgericht sein anthropozentrisches und individualistisches Grundrechtsverständnis, das auch außerhalb der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG in der deutschen Verfassungsrechtsprechung verankert ist111. Aus der Ideengeschichte der Grundrechte heraus begründet es die geringere Schutzwürdigkeit juristischer Personen und stuft sie auf eine tiefere, da rechtfertigungsbedürftige Wertungsebene hinter die natürlichen Personen zurück112. Mit dem Rückgriff auf die Ursprungsidee der Grundrechte und seinen Ableitungen daraus hat das Verfassungsgericht im Allgemeinen breite Gefolgschaft gefunden113. Der Bezug zur Menschenwürde und seine Synthese 108  Merten, Mischunternehmen (Fn. 93), S.  2011 f.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1088; auch Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 359 f., die allerdings ausnahmsweise zur Beurteilung des Begriffs „inländisch“ im Einzelfall einen echten rechtstechnischen Durchgriff auf die natürlichen Personen befürwortet, ebd. S. 383. 109  Dafür plädieren Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 67; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 6 und W. Rüfner, Der personale Grundzug der Grundrechte und der Grundrechtsschutz juristischer Personen, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, S. 55 (57). Eine rein terminologische Klarstellung sieht T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119). Zurecht für unerheblich halten den Begriffswechsel hingegen Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 27 und Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 25 mit Fn. 63. 110  BVerfGE 143, 246 (313  f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239); BVerfG (K), NVwZ 2009, 1282 (1282 f.). 111  Vgl. dazu die Ausführungen in BVerfGE 7, 198 (204 f.); 41, 126 (183); 50, 297 (337). 112  Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 387 bezeichnet diese Handhabe als „Dogma von der unterschiedlichen Wertigkeit der Organisationsrechtsformen“. 113  P. Badura, BayVBl. 1989, 1 (2); M. Baldegger, Menschenrechtsschutz für juristische Personen in Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, 2017,



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis43

eines originär im Grundgesetz angelegten Individualschutzes sind teleologischer Anker für die Ausführungen derjenigen, die staatlich getragenen juristischen Personen eine Partizipation am Grundrechtsschutz im Regelfall absprechen. Demgegenüber wird angemahnt, es würden extrakonstitutionelle, naturrechtliche Maßstäbe zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG herangezogen, die sich in der Verfassung nicht wiederfänden und den disziplinierenden Charakter ihres Wortes übergingen114. Breiter angelegte Kritik richtet sich gegen die Durchgriffsthese im Speziellen. Auch teleologisch verstanden missachte sie weiterhin den Eigenwert juristischer Personen, dem Art. 19 Abs. 3 GG gerade Ausdruck verleihe115. Als klassische Schwachstelle der Durchgriffsargumentation werden Stiftungen und verselbstständigte Kapitalgesellschaften angeführt, bei denen ein Rückgriff auf natürliche Personen versage oder jedenfalls nur unter großem konstruktiven Aufwand möglich sei116. Dem wiederum werden der privatautonome Stifterwille und von S.  88 ff., 673 f.; Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 15 f., 27, 61 ff.; ders., AöR 104 (1979), 54 (72); H.-J. Cremer, in: O. Dörr/R. Grote/T. Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Bd. II, 2. Auflage 2013, Kap. 22 Rn. 59; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  65 f.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 209 ff.; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 5 f., 42, 55; H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3106); Kreuter-Kirchhof, Eigentum (Fn. 48), S.  276 ff.;  Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 35 f., 113; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 60 ff., 112; Storr, Staat (Fn. 18), S.  205 f.; J. Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 526 f. Dagegen unterstützt T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (121) nur das Grundkonzept, bemängelt aber seine mangelhafte Durchführung und übt an vielen Einzelsträngen der Rechtsprechung Kritik. 114  W. Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 1989, S. 50 f., 56; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 22 ff.; ähnlich auch Achterberg, Bedeutung (Fn. 66), S. 6; K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); D. Krausnick, JuS 2008, 965 (966); A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (79); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 30 ff.; dagegen T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (121). 115  U. Becker, Jura 2019, 496 (507); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 33; Kau, Persönlichkeitsschutz (Fn. 114), S. 54, 56 f.; A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (60 f.); M. Lud­ wigs, Unternehmensbezogene Effizienzanforderungen im Öffentlichen Recht, 2013, S.  220 f.; ders./C. Friedmann, JA 2018, 807 (812); dies., NVwZ 2018, 22 (23); D. Merten, DÖV 2019, 41 (47); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (256); ders., JA 2020, 411 (413); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 33; ders., Jura 1983, 30 (40); Roellecke, Geltung (Fn. 71), S.  145 f.; F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (537); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  1117 f.; C. Tietje, Die juristische Person des Privatrechts im allgemeinen Völkerrecht und im internationalen Wirtschaftsrecht – Entwicklungen und rechtliche Herausforderungen, in: J. Delbrück/U. Heinz/K. Oden­dahl u. a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, 2014, S. 671 (678). 116  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (122); Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 33; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (24 f.); Merten, Mischunternehmen (Fn. 93), S. 2011; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 64; F. Schoch, Jura 2001, 201 (205); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27) S.  1118 f.

44 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Art. 14 GG erfasste, individuelle Vermögenspositionen sowie die Gewährleistungen der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG als Anknüpfungspunkte für eine Einordnung in die Bahnen des personalistischen Konzepts entgegengehalten117. Für ihre Befürworter ist die Durchgriffsthese die aus der Ideengeschichte der Grundrechte heraus notwendig gewordene „Nabelschnur zwischen Grundrechtsschutz überindividueller Organisationseinheiten und dem Grundrechtsschutz des Individuums“118. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seinen frühen Urteilen den grundrechtlichen Eigenwert juristischer Personen selbst betont119, auf eine Wiederholung dieses Gedankens aber verzichtet. Stattdessen sind Ideengeschichte und Durchgriffsthese heute als entscheidende und wiederkehrende Begründungsmuster etabliert und können trotz der bestehenden Kritik als Fixpunkt der ständigen Rechtsprechung betrachtet werden. b) Konfusionsargument Die älteste wie prominenteste Begründung führte das Bundesverfassungsgericht gleich in einem der ersten Verfahren unter der Geltung des Grundgesetzes in die Diskussion ein, das die Grundrechtsberechtigung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zum Gegenstand hatte. Im Jahr 1963 gab das Gericht der Verfassungsbeschwerde einer Universität statt, die eine Verletzung ihrer in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG garantierten Wissenschaftsfreiheit rügte120. In diesem Zusammenhang stellten die Richter ausdrücklich klar, dass staatlichen Einrichtungen grundsätzlich kein Grundrechtsschutz zu teil werde, da der Staat als solcher nicht gleichzeitig Träger und Adressat von Grundrechten sein könne121. Diesen Grundsatz hat das Verfassungsgericht mehrfach wiederholt und damit zu einem weiteren Ausgangsgedanken seiner ständigen Rechtsprechung erhoben122.

117  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  68 ff.; R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (209); Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 387. Auch diese Ausführungen erfahren allerdings eine kritische Gegenrede, etwa von Achterberg, Bedeutung (Fn. 66), S.  9 m. w. N. und Storr, Staat (Fn. 18), S.  215 f. 118  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 27; ähnlich schon ders., AöR 104 (1979), 54 (72). 119  So für juristische Personen des Privatrechts BVerfGE 3, 383 (391); 10, 89 (99). 120  BVerfGE 15, 256. 121  BVerfGE 15, 256 (262). 122  BVerfGE 21, 362 (369 f.); 62, 354 (369); 143, 246 (313 f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239).



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis45

Die Annahme der Unanwendbarkeit der Grundrechte qua personaler Identität wurde und wird gemeinhin als sog. Konfusionsargument rezipiert123, wobei das Bundesverfassungsgericht auch hier an wissenschaftliche Vorleistungen anknüpfen konnte124. Angelehnt ist dieser Begriff an den zivilrechtlichen Fachterminus der Konfusion. Er bezeichnet den gesetzlich nicht geregelten Fall, dass sich bezüglich einer bestimmten Forderung Gläubiger- und Schuldnerstellung in einer Person vereinigen125. Plastisch gesprochen besteht demnach ein schuldrechtlicher Grundsatz, dass niemand gegen sich selbst eine Forderung haben kann126. Das Bundesverfassungsgericht übernimmt diese zivilrechtliche Prämisse und überträgt sie auf Fragen der Grundrechtssubjektivität. Der Staat als Gesamtgefüge, so der Gedanke, sei nicht Subjekt eigener, sondern Schuldner fremder Freiheit127. Das Verfassungsgericht tendiert bei der Anwendung des so hergeleiteten grundrechtlichen Konfusionsarguments dazu, den Staat als einheitliches Ganzes zu begreifen, ohne seine einzelnen Organisationseinheiten in die Betrachtung mit einzubeziehen128. In seinen frühen Urteilen ist es ohne gesteigerten Begründungsaufwand oder ausdrücklichen Bezug auf Art. 19 Abs. 3 GG schlicht von der Prämisse ausgegangen, der Staat sei ein einheitlicher rechtlicher Korpus129. Später leitete 123  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59; R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  86 f.; M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 245. Zuletzt hat auch das Bundesverfassungsgericht selbst die Bezeichnung übernommen, BVerfGE 143, 246 (315, Rn. 192). 124  H. C. Nipperdey, BB 1951, 593 (594). Schon E. Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, 1931, S. 107 f. formulierte explizit, der Staat könne nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter eines Grundrechts sein. 125  Allgemein zur Konfusion BGH, NJW-RR 2009, 1059 (1060); R. Fetzer, in: F. J. Säcker/R. Rixecker/H. Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 3, 9. Auflage 2022, Vorbemerkung zu § 362 Rn. 4; vgl. zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Konfusionsgedankens D. Merten, DÖV 2019, 41 (41 f.). 126  BGHZ 48, 214 (218); BGH, NJW-RR 2000, 1405 (1408); MDR 2010, 856 (857). 127  Zuerst formuliert von H. H. Rupp, Die „öffentlichen“ Funktionen der Verbände und die demokratisch-repräsentative Verfassungsordnung, in: H. K. Schneider/C. Watrin (Hrsg.), Macht und ökonomisches Gesetz. Verhandlungen auf der Jubiläumstagung in Bonn vom 4.–7. September 1972 aus Anlaß des Eisenacher Kongresses von 1972, 2. Hbd., 1973, S. 1251 (1266); später erneut ders., Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 3. Auflage 2004, § 31 Rn. 32; ebenso H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (94). 128  Die Literatur spricht insoweit bildlich vom Staat als „monolithischem Block“, so etwa Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59; D. Merten, DÖV 2019, 41 (45); F. Schoch, Jura 2001, 201 (204). 129  So heißt es etwa zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde einer politischen Partei in BVerfGE 4, 27 (30): „Die Verfassungsbeschwerde ist der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat. Sie ist ‚jedermann‘ gegeben, wenn die öffentli-

46 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

das Gericht die eigene Auffassung ausführlicher her. Die ausdifferenzierte und teilweise auch rechtlich eigenständige staatliche Organisationsstruktur hat es zwar grundsätzlich anerkannt, aber zu deren Beurteilung die Perspektive des Einzelnen eingenommen und ihr den argumentativen Mehrwert abgesprochen, indem es einen streng dualistischen Maßstab anlegte130: „Vom Menschen und Bürger als dem ursprünglichen Inhaber der Grundrechte her gesehen, handelt es sich [bei allen Organisationformen] jeweils nur um eine besondere Erscheinungsform der Staatsgewalt.“

Prominenz hat das Konfusionsargument insbesondere aufgrund des Widerhalls in der Wissenschaft erlangt. Als Exponent der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist es zum Gegenstand einer aufgeregten Debatte geworden. Sie kreist – noch stärker als der Diskurs um die Durchgriffsthese – einerseits um die Deutungshoheit über die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, andererseits um den inhaltlichen Gehalt der grundrechtlichen Konfusion. Da Ersteres Letzteres beeinflusst, sind die Grenzen fließend. Vermehrt und vehement kritisiert wird die Pauschalität des Konfusionsarguments. Die Grundannahme enthalte in so abstrakter Form keine logische Zwangsläufigkeit und sei damit in ihrer Allgemeinheit unzutreffend, denn ein und dieselbe staatliche Einrichtung könne sehr wohl in einer Beziehung grundrechtsberechtigt, in einer anderen grundrechtsverpflichtet sein131. Allein die vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Ausnahmen, die ebenfalls Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung in sich vereinten, widerlegten che Gewalt, d. h. der Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ, die Sphäre des Antragstellers verletzt hat“. In BVerfGE 6, 45 (49 f.) substituiert das Gericht den Beschwerdeführer – den Freistaat Bayern – kurzerhand mit „dem Staat“ und kommt zu dem Schluss, auch „der Staat“ könne „jedermann“ i. S. d. § 90 Abs. 1 BVerfGG sein. 130  BVerfGE 21, 362 (370); nahezu identisch auch BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1501). Wie weit das Verfassungsgericht dieses Verständnis ausdehnt, hat es unlängst dadurch belegt, dass es sogar die Vertrauensleute eines kommunalen Bürgerbegehrens in den Kreis einer einheitlichen Staatsgewalt einrechnet, BVerfG (K), NVwZ 2019, 642 (643); jüngst bestätigt in BVerfG, Beschl. v. 21.12.2021 – 2 BvR 1844/20, Rn. 46 f. (zitiert nach juris). 131  U. Becker, Jura 2019, 496 (508); K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323); A. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 1979, S. 81 f.; H. de Wall, in: W. Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 84; R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 86; Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 77; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 36; S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (254 f.); Rau­ ber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  64 f.; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 119; F. Schoch, Jura 2001, 201 (204); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1113. Ähnlich wie Stern hält Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 71 f. diesen Befund für unstrittig und spricht insofern von einem „diskurrierende[n] Scheingefecht“ um das Konfu­ sionsargument. Gänzlich von der Hand zu weisen ist das Kreisen der Debatte um sich selbst nicht, siehe dazu auch unten S. 48 f.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis47

die These bereits132. Widerspruch in gleich zweifacher Hinsicht hat darüber hinaus die Auffassung des Verfassungsgerichts provoziert, der Staat stelle sich aus Sicht des Bürgers als einheitliches Rechtssubjekt, als monolithischer Antagonist dar. Zum einen sei der Inhalt dieser Aussage angesichts der organisatorischen wie rechtlichen Ausdifferenzierung von Staatstätigkeit bereits sachlich unzutreffend133. Zum anderen komme es aber ohnehin nicht auf die Perspektive des Bürgers, sondern auf diejenige der betroffenen öffentlichrechtlichen Einheit an, die sich einem staatlichen Eingriff gegenübersieht, stehe in diesem Fall doch allein ein staatliches Binnenverhältnis ohne Bürgerbeteiligung in Streit134. Auch methodische Unschärfen in der Übertragung der Konfusion in den Grundrechtskontext werden dem Verfassungsgericht attestiert. Der zivilrechtliche Grundsatz der Konfusion zeitige seine Rechtsfolgen immer nur in Bezug auf eine konkrete Forderung, nie für Rechte im Allgemeinen – so könne ein Käufer oder Mieter aus demselben Schuldverhältnis sehr wohl berechtigt und verpflichtet zugleich sein135. Ein Ausschluss der Grundrechte in Gänze könne aus diesem Gedanken jedenfalls nicht hergeleitet werden. Andere sehen das Bundesverfassungsgericht falsch verstanden. Das Konfusionsargument sei gerade nicht rechtstechnisch aufzufassen, sondern ziele in einem teleologischen Sinne darauf ab, den Staat als natürlichen Widersacher grundrechtlicher Freiheit darzustellen, der in dieser Rolle nicht gleich-

132  Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 108; K. A.  Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323); Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 59; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  71 f.; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (25); D. Merten, DÖV 2019, 41 (45); S. Muckel, JA 2020, 411 (412 f.); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 93; ders., Jura 1983, 30 (39); P. Selmer, Zur Grundrechtsberechtigung von Mischunternehmen, in: Merten/Papier, HGR II (Fn. 14), § 53 Rn. 4, 17, der allerdings zu bedenken gibt, dass dem Konfusionsargument ein undifferenziert-abstraktes Verständnis „beigelegt“ werde. 133  Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S.  5 f.; ders., NJW 1969, 1321 (1323); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59; M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 mit Fn. 54); F. Hufen, Staatsrecht II, 9. Auflage 2021, § 6 Rn. 40; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (7); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (255); Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 391; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 27. Kritisch zum verwandten Argumentationstopos der Einheit der Verwaltung G. F. Schuppert, DÖV 1987, 757 ff. 134  R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 87; Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 90; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 93. 135  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323); D. Merten, DÖV 2019, 41 (42 f.); ähnlich das Beispiel von G. Püttner, Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentlichen Rechts – widersinnig?, in: M. Sachs/H. Siekmann (Hrsg.), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat. Festschrift für Klaus Stern, 2012, S. 563 (565 f.), der anmerkt, ein Wohnungsmieter, der ein Zimmer untervermietet, könne unproblematisch Mieter und Vermieter zugleich sein.

48 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

zeitig Nutznießer derselben sein könne136. Doch selbst bei einem mehr wörtlichen Verständnis sei die Kritik unberechtigt. Die konkretisierte Aussage, dass ein und dieselbe staatliche Einrichtung nicht in ein und demselben Rechtsverhältnis grundrechtsberechtigt und -verpflichtet zugleich sein könne, habe nämlich sehr wohl eine logisch zwingende Berechtigung137. Außerdem seien die methodischen Vergleiche etwa zum Kaufvertragsrecht, die zur Widerlegung herangezogen würden, zu profan und würden dem Wesen der Grundrechte nicht gerecht138. Darüber hinaus betrachten zum Zwecke der Beurteilung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in öffentlicher Hand auch andere den Staat als nicht auseinander zu dividierende Entscheidungseinheit139. Die Debatte um die Konfusionsthese vereint in wenig selbstreflektierter Weise Argumente in der Sache mit einem Streit um die Deutungshoheit darüber, welcher Abstraktionsgrad der Formulierung beizulegen ist. Die dadurch entstehenden Interpretationsspielräume und Einordnungsfragen, die ihrerseits die Auseinandersetzung weiter auftreiben, resultieren in einem sich selbst verstärkenden und intransparenten Diskurs140. Nichtsdestotrotz und unabhängig von der Frage, welche Deutung nun die fundiertere ist, belegt der leben136  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 70 f.; ähnlich J. Kater, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 2016, S. 60; dem Gedanken nach auch J. Isensee, Der Staat 20 (1981), 461 (467 f.).  – H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (94) spricht in diesem Zusammenhang von der „dem Bundesverfassungsgericht unterschobene[n], vom Gericht aber nicht vertretene[n] Konfusionstheorie“; in diese Richtung auch Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 4, der zwar die allgemeine Form des Konfusionsarguments untersucht, dem Argument dieses weite Verständnis aber „beigelegt“ sieht. 137  Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 248; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 245 Fn. 105; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 43; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 4. – Der konkretisierten Form des Konfusionsarguments stimmen allerdings auch ihre Kritiker zu, so etwa M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 mit Fn. 54); M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (812); dies., NVwZ 2018, 22 (24); D. Merten, DÖV 2019, 41 (43 f.). Daneben meinen A. Bleckmann, Grundrechtslehren (Fn. 131), S. 81 und K. Kröger, JuS 1981, 26 (28), die genannte Feststellung führe keinen weiteren Erkenntnisgewinn herbei. 138  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 70; ders., AöR 104 (1979), 54 (94). 139  H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (105); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 249; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 149. F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (536) gab der Rechtsprechung damals noch zu, dass sich der Staat aus Bürgersicht tatsächlich als einheitlicher Block darstellen könne, sprach dieser Annahme aber die Relevanz für die Problemlösung ab. 140  Sinnbildlich Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 61, der den Ursprung des Konfusionsarguments nicht nur irrtümlich im Kontext gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen verortet, sondern diesem gleich drei unterschiedliche Deutungen unterlegt, die in keiner kohärenten Verbindung zueinander stehen.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis49

dige Umgang mit diesem Begründungsweg doch Folgendes: Das Konfu­ sionsargument ist weiterhin ein entscheidender Teil der Kontroverse um die Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen141. Dass der Staat, verstanden als von und nach außen monolithisch wirkendes Gefüge, nicht gleichzeitig grundrechtsberechtigt und -verpflichtet sein könne, argumentieren daher Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung unter Bezugnahme auf die frühen Urteile aus Karlsruhe bis heute gleichermaßen regelmäßig142. c) Kompetenzkonflikte und Lähmung staatlicher Aufgabenorganisation Das Bundesverfassungsgericht spricht speziell juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch deshalb grundsätzlich die Grundrechtssubjektivität ab, weil Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Hoheitsträgern letztlich nichts anderes seien als Kompetenzkonflikte im weiteren Sinne143. Die Entscheidung innerstaatlicher Befugniskonflikte sei jedoch nicht Gegenstand der Grundrechte, da der unmittelbare Bezug zum Menschen fehle144. Ausreichenden Rechtsschutz könnten die juristischen Personen des öffentlichen Rechts mittels der bestehenden (fach-)gerichtlichen Verfahren erlangen145. Kompetenzen auf der einen Seite stellt das Verfassungsgericht in seinen Entscheidungen unabgeleitete, ursprüngliche Freiheiten auf der anderen gegenüber. Sowohl die Vorstellung vom Staat als monolithischem Block als auch die strenge, auf Kontrastierung ausgerichtete Staat-Bürger-Dichotomie liegen diesem Begründungsweg als bereits bekannte Motive zugrunde. Ihren Ursprung hat die Annahme als Konterargumentation zu der These, auch innerhalb des Staatsgefüges gebe es ein Machtgefälle und eine Form der Gewaltunterworfenheit, denen die prinzipielle Versagung des Grundrechtsschutzes 141  Die Aussage von Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59, das Konfusionsargument werde heute kaum noch vertreten, ist in dieser Allgemeinheit jedenfalls ungenau. Präziser M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 Fn. 54), der es in „reiner Form“ nicht mehr vertreten, dem Gedanken nach in der Argumentation aber fortbestehen sieht. T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (16) bescheinigt dem Argument daher zutreffend „nach wie vor eine tragende Rolle in der Debatte“; ähnlich U. Becker, Jura 2019, 496 (508); Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 212. 142  In neuerer Zeit etwa BVerfGE 143, 246 (313  f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239); BVerwGE 167, 202 (207, Rn. 21); BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71). 143  Grundlegend BVerfGE 21, 362 (370); speziell zu Art. 134 Abs. 3 GG BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366 f.). 144  BVerfGE 21, 362 (370 f.); 61, 82 (101); 68, 193 (206); 75, 192 (196); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2007, 1420 (1420). 145  BVerfGE 21, 362 (371); 68, 193 (206); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502).

50 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

nicht gerecht würde146. Das Bundesverfassungsgericht geht indes noch darüber hinaus und entwickelt seine These von den Kompetenzkonflikten zu einem Negativszenario weiter. Bei einer grundrechtlichen Absicherung von Zuständigkeiten und der damit einhergehenden Zubilligung des Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde könne eine sinnvolle Ordnung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung erheblich erschwert und die Reaktionsmöglichkeiten auf Veränderungen der bestehenden Verhältnisse deutlich eingeschränkt werden147. Anders gewendet geht die Rechtsprechung von einer potentiellen Erstarrung staatlicher Organisationsstrukturen im status quo aus, sollten sich staatlich getragene juristische Personen und speziell solche des öffentlichen Rechts auf Grundrechte berufen können. Während die prinzipielle, das Verfassungssystem prägende Unterscheidung zwischen staatsorganisationsrechtlichen Kompetenzen und materiell-rechtlichen Grundrechten noch einhellig anerkannt wird148, ist die Rezeption der Schlüsse, die die ständige Rechtsprechung daraus zieht, zwiespältig. Bei der Begründung, jeder Konflikt im staatlichen Binnenverhältnis sei der Sache nach ein Streit um Zuständigkeiten, fühlen sich einige an die im Verwaltungsrecht ansässige, heute aber überkommene Theorie von der Impermeabilität des Staates erinnert149. Andere springen dem Bundesverfassungsgericht zur Seite und gehen auf Distanz zu einer solchen Interpretation. Mit diesem Argument werde nur abgebildet, dass sich die Beziehungen im rein staatlichen Verhältnis qualitativ essentiell von denen zwischen Bürger und Staat unterschieden150, zumal mit der Anerkennung von Rechtsbeziehungen im 146  In der Entscheidung BVerfGE 21, 362 (370), in der sich das Verfassungsgericht erstmals des Arguments bediente, weist es diesen Einwand ausdrücklich zurück, der namentlich von K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325 f.) energisch vorgebracht wurde. 147  BVerfGE 21, 362 (372 f.); 68, 193 (211). 148  H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (91); J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, 1971, S. 79 ff.; H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 94. 149  A. Bleckmann, Grundrechtslehren (Fn. 131), S.  82 f.; Englisch, Gewährleistung (Fn. 41), S.  90 ff.; H.-U. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit, Bd. I, 2. Auflage 1976, S. 174 f.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 93; F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (536). – Die auf W. Jellinek, Gesetz und Verordnung (1887), 1964, S. 240 f., 387 und Laband, Staatsrecht (Fn. ), S. 12 f., 86 f., 181 zurückgehende Impermeabilitätstheorie ging davon aus, der Einzugsbereich von Rechtsverhältnissen ende an der äußeren Staatsmembran, so dass die innerstaatlichen Beziehungen keinerlei rechtliche und damit justiziable Qualität aufwiesen. Grundlegend für ihre Überwindung H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 4 f., 19 ff., 81 ff. 150  Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 82; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 91; insoweit stimmen auch H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11) zu.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis51

staatlichen Innenverhältnis auch nicht automatisch deren grundrechtliche Absicherung einhergehe151. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird darauf hingewiesen, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts auch ohne Grundrechtsfähigkeit in Zuständigkeitsstreitigkeiten nicht rechtsschutzlos gestellt sei152. Die Grundrechte bezweckten schlicht nicht den Schutz der staatlichen Zuständigkeitsordnung153. Demgegenüber sehen Kritiker des Bundesverfassungsgerichts keinen Gegensatz zwischen Kompetenzwahrnehmung und Grundrechtssubjektivität. Sie argumentieren, dass nicht jeder innerstaatliche Konflikt mit dem Stempel „Kompetenzkonflikt“ belegt und grundrechtlich abgetan werden dürfe, da sehr heterogene Ausgangslagen denkbar seien und Situationen existierten, in denen ein Übergriff mehr als eine bloße Zuständigkeitsüberschreitung darstelle154. Es gehe schließlich um grundverschiedene Konfliktlagen. Der Rechtsschutz, auf den juristische Personen des öffentlichen Rechts vom Verfassungsgericht in derlei Situationen verwiesen werden, greife zu kurz, da er den Schutz der subjektiv-rechtlichen Rechtspositionen, die den öffentlich-rechtlichen Funktionsträgern zustünden, nicht voll erfasse155. Die Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit leiste der Entwicklung einer staatlichen Omnipotenz in ge-

151  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 74; ders., AöR 104 (1979), 54 (109); Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 85. 152  Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 116; Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 365; O. Seidl, Grundrechtsschutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: W. Fürst/R. Herzog/D. C. Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1459 (1468); W. Siepermann, DÖV 1975, 263 (268); C. Starck, JuS 1977, 732 (734). Widersprüchlich H. Bethge, der sich der These einerseits im Allgemeinen anschließt, ders., AöR 104 (1979), 54 (105), andererseits aber speziell bei Gemeinden mögliche Rechtsschutzlücken anmahnt, ders., NVwZ 1985, 402 (403). 153  Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 253; Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  67 f., 71 ff., 77; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 53; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 114 f.; Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 31. – Allgemein zum Verhältnis zwischen Kompetenz und subjektivem Recht J. Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 3. Auflage 2008, § 133 Rn. 84 ff. 154  Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 173; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 87; K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); C. Link, Grundrechtsschutz für Sozialversicherungsträger?, in: S. Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner, 2003, S. 511 (515); M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (812); dies., NVwZ 2018, 22 (24); D. Merten, DÖV 2019, 41 (45); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 94; ders., Jura 1983, 30 (39); Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 28; ders., Der Städtetag 1969, 534 (537). Konkrete Beispiele für derlei Situationen nennt K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325 f.). 155  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 87; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 95; ders., Jura 1983, 30 (39).

52 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

sellschaftlichen Räumen auch keinerlei Vorschub156, denn Grundrechtsschutz wirke für juristische Personen des öffentlichen Rechts resp. solche in staat­ licher Trägerschaft weder kompetenzbegründend noch -erweiternd157. Berücksichtigt man diese Annahme, seien die Befürchtungen des Bundesverfassungsgerichts zur möglichen Lähmung der staatlichen Aufgabenorganisation unbegründet158. Ohnehin ist die Zahl derjenigen, die ein solches Erstarrungsargument für tragfähig halten, gering159. Seine Kritiker hingegen sind bemüht, gleich mehrere vermeintliche Schwachstellen in der Argumentation aufzudecken160. d) Mehrdimensionalität der Grundrechte ohne Bedeutung Das Bundesverfassungsgericht hat der Überlegung, die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen lasse sich – wenn schon nicht aus der abwehrrechtlichen Seite der Grundrechte – gegebenenfalls aus ihrer objektiv-rechtlichen Dimension heraus ableiten, eine Absage erteilt. Dass sich die Bedeutung der Grundrechte nicht in einer abwehrrechtlichen Funktion erschöpft und sie ein objektives Wertsystem schaffen, das die gesamte Rechtsordnung durchdringt, gehört zu seiner ständigen Rechtsprechung161. Die Menschenwürde als Mittelpunkt dieses Wertesystems müsse 156  Diese

Befürchtung äußert Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 86. NJW 1969, 1321 (1326); R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 101; Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S.  175 f.; Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 418; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 103, 105, 113; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 28; ders., Der Städtetag 1969, 534 (537). Dagegen ziehen Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 73 und H. von Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, 1969, S. 111 f. die Sinnhaftigkeit eines so verstandenen Grundrechtsschutzes mangels praktischer Auswirkungen in Zweifel. 158  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  85 f.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 105. 159  Aus der älteren Literatur etwa A. Bleckmann, Grundrechtslehren (Fn. 131), S. 84, 87; von Olshausen, Anwendbarkeit (Fn. 157), S.  104 ff. 160  Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 29 verweist auf die identische Ausgangslage bei natürlichen Personen, denen man die potentielle Erstarrung staatlicher Veränderungsprozesse bei der Wahrnehmung von Grundrechtsschutz nur schwer entgegenhalten könne. Aus anderer Perspektive, aber im Ergebnis identisch führt Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 147 an, auch Gerichtsverfahren im staatsorganisationsrechtlichen Bereich könnten das Anpassungserfordernis hemmen. K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326) weist darauf hin, dass die öffentliche Hand etwa die Wertungen des Art. 3 GG als „Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips“ [sic] ohnehin beachten müsse und Art. 14 GG dem Staat noch ein ausreichendes Maß an Flexibilität in der Handhabe zubillige. 161  Grundlegend BVerfGE 7, 198 (204 f.); fortgeführt etwa in BVerfGE 35, 79 (114); 39, 1 (41 f.), 49, 89 (141). 157  K. A. Bettermann,



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis53

zwar auch oberstes Ordnungsprinzip der Staatsorganisation und -verwaltung sein, bedeute aber nicht, dass sich die Funktionsträger untereinander zwangsläufig auf Grundrechtsschutz berufen könnten162. Prägnant formuliert das Gericht163: „Im Gegenteil liegt auf der Hand, daß eine Personifizierung dieser Rechtsgebilde als Grundrechtsträger die eigentliche Bedeutung der Grundrechte eher verwischen und ihre Schutzwirkung verwässern könnte“.

Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG dient ihm im Zuge dessen als Beispiel: Er lege zwar seinem Wortlaut nach eine unterschiedslose Anwendung auf natürliche und juristische Personen gleich welcher Rechtsform nahe. Doch Gleichheitssatz und Willkürverbot würden bereits als allgemeine Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips und der allgemeinen Gerechtigkeit innerhalb der Staatsorganisation Geltung beanspruchen, ohne dass es dafür der Konstruktion eines Grundrechts bedürfe. Es ist insbesondere dieser Bezug zu Art. 3 Abs. 1 GG, den das Bundesverfassungsgericht destilliert und fortgeführt hat164. Die Ablehnung einer aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte hergeleiteten Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts bleibt der Ausgangspunkt, wird in dieser Form aber nicht explizit wieder aufgegriffen. In der Wissenschaft ist eben jener Ausgangsgedanke stärker begleitet worden. Der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts hat hier durchaus Zustimmung erfahren165. Einwände speziell gegen diese Begründung werden kaum dezidiert vorgebracht166. Das kann jedoch nicht überraschen, bedenkt man, dass diejenigen, die die Linie des Verfassungsgerichts nicht teilen, vornehmlich für die Ausdehnung des subjektiv-rechtlichen Schutzes der Grund162  BVerfGE 21, 362 (371 f.). Mit identischem Ergebnis auch BVerfGE 81, 310 (334), wobei dort betont wird, staatliche Einheiten hätten keine Garantenstellung für die Effektuierung der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte. 163  BVerfGE 21, 362 (371). 164  BVerfGE 23, 12 (24); 23, 353 (372 f.); 26, 228 (244); 35, 263 (271 f.); BVerfGK 13, 276 (277); BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (83); zum Verhältnis von Art. 3 Abs. 1 GG und den justiziellen Grundrechten s. unten S. 90 ff. 165  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  76 f.; ders., AöR 104 (1979), 54 (99 f.); Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 114 f.; Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 35; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 11; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 44. – W. Siepermann, DÖV 1975, 263 (269 f.) stimmt dem ebenso zu, sieht aber in der Berücksichtigung der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte eine Annäherung des Bundesverfassungsgerichts an abweichende Stimmen. Diese Annahme hat sich nicht bestätigt. 166  Ausnahmen sind A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (64 ff.) und Ossenbühl, Geltung (Fn. 15), S. 890 ff., die eine aus ihrer Sicht zu engstirnige Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG anhand der subjektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte bemängeln; vorsichtiger F. Schoch, Jura 2001, 201 (205 mit Fn. 94).

54 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

rechte auf juristische Personen in Staatshand eintreten. Eine gewisse Rolle spielt der objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte für die Kritiker des Verfassungsgerichts dann aber doch: In Opposition zur Karlsruher Rechtsprechung erheben einige die objektiv-rechtliche Grundrechtsdimension zum Grundstein eines Alternativkonzepts im Hinblick auf den grundrechtlichen Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen167. e) Systematischer Umkehrschluss aus § 91 BVerfGG In seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1967 hat das Bundesverfassungsgericht die These von den Kompetenzkonflikten mit einem systematisch begründeten Umkehrschluss zu untermauern versucht. Der Vorschrift des § 91 BVerfGG, die Gemeinden und Gemeindeverbänden die Befugnis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen Eingriffe in ihr Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG zuspricht, bedürfe es nicht, sollten diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts bereits die Möglichkeit besitzen, sich mittels Art. 19 Abs. 3 GG auf Grundrechtsgewährleistungen etwa aus Art. 2 GG, Art. 12 GG oder Art. 14 GG zu berufen168. Das Argument kommt etwas versteckt daher, da das Bundesverfassungsgericht selten und nicht ausdrücklich, sondern eher der Sache nach darauf zurückgreift169. Der Bezug zu § 91 BVerfGG sticht als Begründungsweg aber vor allem methodisch deshalb heraus, weil sich seine Wirkkraft auf eine rein systematische Betrachtung beschränkt, ohne dass das Bundesverfassungsgericht dem einen teleologischen Gedanken hinzufügt. Dem Verfassungsgericht wird bisweilen zugestanden, dass die Sonderregelung des § 91 BVerfGG – heute verfassungsrechtlich verstärkt in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG – tatsächlich überflüssig sei, würde man die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts anerkennen170. Daneben finden sich auch kritische Stimmen, doch erscheinen diese eher diffus. Zum Teil wird auf das prozessuale Argument des Bundesverfassungsgerichts mit der schlichten Feststellung Bezug genommen, allein aus 167  R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 96 ff. formuliert einen systemtheoretischen Gegenentwurf. A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (64 ff., 73 ff.) koppelt den Grundrechtsschutz an die Voraussetzung, dass die jeweilige juristische Person in der objektiven Dimension der Grundrechte verkörperte überindividuelle, ökonomisch-soziale Zwecke fördert. Als eine mögliche Überlegung nur angedeutet bei Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1171; explizit fortentwickelt von Ossenbühl, Geltung (Fn. 15), S.  888, 890 ff. 168  BVerfGE 21, 362 (371); BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574). 169  Eher beiläufig im Kontext der Selbstverwaltung BVerfG (K), NVwZ-RR 2001, 93 (93). 170  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis55

Art. 28 Abs. 2 GG und § 91 BVerfGG könne nicht auf die geringere Schutzwürdigkeit etwa der Gemeinden geschlossen werden171. Andere weisen da­ rauf hin, dass das argumentum e contrario nicht hinreichend berücksichtige, ob und inwieweit sich die Schutzbereiche des Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 GG und der Grundrechte überschneiden172. Die Vorschrift könne genauso gut so verstanden werden, dass den Gemeinden auch dann eine Möglichkeit zur Verteidigung ihres Selbstverwaltungsrechts offenstehen soll, wenn daneben kein Grundrecht betroffen ist173. Außerdem wird der Umkehrschluss mithilfe der Genese des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zurückgewiesen: Zur Zeit der Verabschiedung des Gesetzes habe das Selbstverwaltungsrecht gemeinhin als rein institutionelle Garantie gegolten, wo­ raufhin sich der Gesetzgeber dazu veranlasst gesehen habe, den Gemeinden zur Verteidigung ihres Selbstverwaltungsrechts grundrechtsähnlichen ­Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen174. An diesem vergleichsweise wenig stimmgewaltigen Echo lässt sich bereits ablesen, dass diese systematische Argumentation nicht die Prominenz des Konfusionsarguments oder die Streitbarkeit der Durchgriffsthese teilt. In ihrem methodischen Hintergrund unterscheidet sie sich allerdings von anderen Argumenten, die das Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen anführt. f) Selbstverwaltungsrecht als rein organisatorische Größe Zu den älteren Mustern der ständigen Rechtsprechung zählt, ein mögliches Selbstverwaltungsrecht juristischer Personen des öffentlichen Rechts als zu vernachlässigende Organisationsvariante zu betrachten und auf weitere Ableitungen daraus zu verzichten. Anders gewendet: Bei der Beurteilung der möglichen Grundrechtsberechtigung eines öffentlich-rechtlichen Funktionsträgers misst das Bundesverfassungsgericht dem Recht auf Selbstverwaltung 171  R. Dreier,

Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  88 f.

172  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325 f.); Englisch, Gewährleistung (Fn. 41),

S.  96 f.; Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S.  170 f.; Rupp-von Brünneck, Grundrechts­ fähigkeit (Fn. 90), S. 364. 173  So für den inhaltlich vergleichbaren Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG D. Kraus­ nick, JuS 2008, 965 (966 f.); M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (812); dies., NVwZ 2018, 22 (24). Aus eben jener Vorschrift folgert J. Wieland, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 14 Rn. 86, dass jedenfalls Gemeinden hinsichtlich ihres verfassungsprozessualen Schutzes natürlichen Personen gleichgestellt seien und so das Argument, juristische Personen des öffentlichen Rechts übten per se keine grundrechtliche Freiheit aus, an Überzeugungskraft verliere. 174  F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (537); auch Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 171 weist auf die Unergiebigkeit der historischen Auslegung hin, wenn auch im Kontext von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG.

56 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

keinerlei grundrechtsdogmatische Bedeutung bei175. Ausgangspunkt ist die Grundannahme, dass die Selbstverwaltung ein Mittel der Dezentralisierung der Staatsgewalt sei und sie sich in ihrer innerstaatlich-organisatorischen Wirkung erschöpfe176. Betrachtet man die Ausführungen en détail, so sind sie im Kontext der von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen rund um Religionsgemeinschaften, Universitäten und Rundfunkanstalten und des Kriteriums der Zuordnung zum grundrechtsgeschützten Lebensbereich verortet. Das Verfassungsgericht führt aus, dass das Selbstverwaltungsrecht nicht ausreiche, um eben jene Zuordnung vorzunehmen. Vielmehr sieht es die Gefahr der Verwechslung von Folge und Voraussetzung: Ein Selbstverwaltungsrecht könne einer juristischen Person des öffentlichen Rechts vielmehr gerade deshalb eingeräumt sein, weil sie einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zuzuordnen sei, möge es in diesem Fall auch freiheitsstabilisierend oder sogar -konstituierend wirken177. Legt man diesen Standpunkt des Verfassungsgerichts zugrunde, war es leicht abzusehen, dass auch die vereinzelt erhobenen Verfassungsbeschwerden von öffentlich-rechtlich organisierten Versicherungsträgern oder Berufsgenossenschaften abgewiesen würden, in denen die Verletzung eines vermeintlich in der Verfassung verankerten Prinzips der Selbstverwaltung gerügt wurde178. Zur richtigen Gewichtung des Arguments muss freilich berücksichtigt werden, dass nicht jede staatlich getragene juristische Person, die bis dato eine Grundrechtsverletzung im Verfassungsbeschwerdeverfahren geltend gemacht hat, auch mit dem Recht auf Selbstverwaltung ausgestattet oder in öffentlich-rechtlicher Rechtsform organisiert war, so dass die Ausführungen des Verfassungsgerichts nicht für die Gruppe staatlich getragener juristischer Personen als Ganzes Geltung beanspruchen. Methodisch auffällig ist, dass dieser Komplex eine der wenigen Stellen im Karlsruher Argumentationsgerüst darstellt, an denen das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf entsprechende Ausführungen in der Literatur verweist und deren Duktus übernimmt179. Der verfassungsgerichtliche Umgang mit dem Selbstverwaltungsrecht findet dem Gedanken nach häufig Zustimmung180, auch wenn diese teilweise 175  BVerfGE 21, 362 (377); 39, 302 (313 f.); 61, 82 (103); 68, 193 (207); 77, 340 (344); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1589); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2005, 572 (574); NVwZ-RR 2009, 361 (361 f.). 176  BVerfGE 39, 302 (314); BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574). 177  BVerfGE 61, 82 (103); ähnlich BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574); aus positiver Richtung für die Rundfunkanstalten schon BVerfGE 31, 314 (322). 178  BVerfGE 77, 340 (344); BVerfG (K), NVwZ-RR 2001, 93 (93). 179  So in BVerfGE 61, 82 (103), wo das Verfassungsgericht seine Erläuterungen auf die Vorarbeit von H. Bethge, AöR 104 (1979), 265 (275, 277 ff., 290) stützt. 180  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  114 ff.; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 110; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 57; Storr, Staat (Fn. 18), S. 194.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis57

bereichsspezifisch formuliert ist181. Sogar Teile derjenigen, die dem Ansatz des Gerichts in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG sonst kritisch gegenüberstehen, stimmen jedenfalls an diesem Punkt mit der Rechtsprechung überein182. Vereinzelt angezweifelt wird die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Selbstverwaltungsrechts dann, wenn sich die Autonomie nicht nur auf organisatorische, sondern auch auf materiell-inhaltliche Entscheidungen erstreckt183. Außerdem beinhalte das Recht auf Selbstverwaltung stets auch die Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Interessen, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfe184. g) Elemente formaler und funktionaler Argumentation Das Bundesverfassungsgericht bezieht auch die Rechtsfigur der juristischen Person als solche in seine Argumentation mit ein und ordnet diese sowohl anhand formaler als auch funktionaler Aspekte ein. Der formale Bezug zur Rechtsform ist vornehmlich als Abbreviatur der ständigen Rechtsprechung zu verstehen und kann mit einem Federstrich zum Ausschluss der Grundrechtsfähigkeit führen. Die funktionale Betrachtung je nach Aufgabenwahrnehmung der jeweiligen staatlich getragenen juristischen Person ist ebenso langjähriger Bestandteil der ständigen Rechtsprechung, doch kommt ihr in der Entscheidungsfindung eine eher ambivalente Rolle zu. Das Verhältnis beider Wege zueinander hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Entscheidungen unausgesprochen auszutarieren versucht. aa) Anker der öffentlich-rechtlichen Organisationsform Die öffentlich-rechtliche Organisationsform einer juristischen Person spielt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine große Rolle. Von ihr geht das Konfusionsargument aus. Sie ist mittlerweile die Eröffnungssentenz der Abweisung zahlreicher Verfassungsbeschwerden, die häufig mit der Feststellung beschieden werden, als juristische Person des öffentlichen Rechts sei die Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt185. Aufgrund eben jener, gedanklich vor die Klammer gezogenen Positionierung ist die 181  Für kommunale Gebietskörperschaften Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 33; P. Ba­ dura, BayVBl. 1989, 1 (4  f.), für Sozialversicherungsträger Axer, Normsetzung (Fn. 22), S.  256 f.; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 102; a. A.  S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (261). 182  R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 92. 183  Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 125. 184  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (31). 185  BVerfGE 75, 192 (195); BVerfGK 4, 223 (223); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1588); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2005, 82 (83); NVwZ 2009, 1282 (1282).

58 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Rechtsform gewissermaßen zur Kurzformel für das Argumentationsgerüst des Bundesverfassungsgerichts geworden. Die Anknüpfung an die Organisationsform durchzieht die Rechtsprechung „wie ein roter Faden“186. Geht das Bundesverfassungsgericht von einer kategorischen Unterscheidung der juristischen Personen aus, die dem Art. 19 Abs. 3 GG vermeintlich inhärent ist, ist diese Handhabe nur logische Folge dessen. Das Gericht selbst hat auf der anderen Seite aber auch die Grenzen einer formalen Argumentation abgesteckt und ausgeführt, auf die Rechtsform komme es bei der Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person nicht entscheidend an; vielmehr habe sie nur indizielle Bedeutung187. Getragen ist diese Argumentation nicht zuletzt von dem Ansinnen, öffentlichen Unternehmen den Weg in die Grundrechtsfähigkeit allein über die Wahl der Privatrechtsform zu verstellen188. Betrachtet man die Indizwirkung zumindest der öffentlich-rechtlichen Rechtsform aus einem rechtstatsächlichen Blickwinkel, so bewegt sie sich in Richtung einer bindungsstärkeren Handhabe, als die Bezeichnung es zunächst vorzugeben scheint. Dass die Rechtsform einer juristischen Person nach der kategorischen Unterscheidung, die die Rechtsprechung vornimmt, als negative Vermutung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Funktionsträger geht, wurde bereits festgestellt189. Dass die Organisationsform teilweise von Zufälligkeiten abhängig ist und für sich allein kein tragfähiges Argument für oder gegen die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person sein kann, findet lagerübergreifende Unterstützung190. Besonders entschieden wird diese Aussage vorgebracht, wenn eine juristische Person des Privatrechts, die sich im Alleinbesitz der öffentlichen Hand befindet, Grundrechtsschutz für sich in Anspruch zu nehmen gedenkt191. Andere wollen diesen Gedanken konsequenterweise nicht so eng Bedeutung (Fn. 30), S. 387. 193 (207, 212); 75, 192 (197); BVerfG (K), NJW 1987, 2501

186  Schmidt-Aßmann, 187  BVerfGE 68,

(2502). 188  In diese Richtung unzweideutig BVerfGE 45, 63 (79 f.); 68, 193 (212 f.); 143, 246 (314, Rn. 190); BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502). Jüngst und ausdrücklich auch Verfassungsrichter Huber, Keine Grundrechtsfähigkeit öffentlich beherrschter Unternehmen, in: M. Ludwigs (Hrsg.), Regulierender Staat und konfliktschlichtendes Recht. Festschrift für Matthias Schmidt-Preuß, 2018, S. 87 (89 f.). 189  Siehe oben S. 34. Dagegen Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 391, der angesichts der Ausnahmen des Bundesverfassungsgerichts meint, die Handhabe sei „sehr viel weniger als eine Regelaussage gedacht“. 190  Bethge, AöR 104 (1979), 54 (59); K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S.  91 f.; R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  90 f.; H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 37; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1086. 191  Statt vieler Dreier (Fn. 27), Art. 19  III Rn. 57; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 150. Die in diesem Zusammenhang oft befürchtete „Flucht ins Privatrecht“ hat



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis59

begrenzt wissen und weisen klarstellend darauf hin, dass der Schluss genauso in umgekehrter Richtung gelte, mithin auch die öffentlich-rechtliche Rechtsform eine Grundrechtsberechtigung nicht zwingend ausschließe192. Die Karlsruher Annahme, die Organisationsform einer juristischen Person habe indizielle Wirkung für die Beurteilung ihrer Grundrechtsfähigkeit, findet vor diesem Hintergrund in jedem Falle Zuspruch193. Andere werfen die Frage auf, inwiefern sich eine abgeschwächte Indizwirkung mit dem von der Rechtsprechung gerade rechtsformorientiert konzipierten Konfusionsargument vertrage194. Nichtsdestotrotz stellt die öffentlich-rechtliche Organisationsform faktisch betrachtet bereits die ersten Weichen gegen die Grundrechtssubjektivität der juristischen Person des öffentlichen Rechts und wird so zu einem wichtigen Schalthebel für die Rechtsprechung bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG. bb) Feinsteuerung durch Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Interessenvertretung der Mitglieder Als Beurteilungskriterium findet auch die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben einen fundamentalen Platz in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Schon in den frühen Urteilen wurde die Feststellung, juristische Personen des öffentlichen Rechts seien nicht grundrechtsfähig, um den Nachsatz „soweit sie öffentliche Aufgaben erfüllen“ und damit um einen funktionalen Gesichtspunkt ergänzt und zur andauernden Praxis ausgeformt195. Auch hier spiegeln sich in einer verkürzten Form verschiedene, bereits bekannte Aspekte wider: Die Dichotomie Staat/Gesellschaft, die Abgrenzung von Kompetenzen und Freiheiten oder das Konfusionsargument schimmern durch die Erläuterung hindurch. Kein anderes Element findet sich häufiger in den Ausführungen des Verfassungsgerichts zu diesem Thema196. erstmals F. Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Auflage 1928, S. 326 beschrieben und begrifflich geprägt. 192  Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 12; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 44; K. Kröger, JuS 1981, 26 (29); Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 110. 193  Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 101; Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 12; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 44; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 45; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 110; Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1464; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 37; Tettinger (Fn. 27), § 51 Rn. 9. 194  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (15). 195  Grundlegend BVerfGE 21, 362 (373); fortgeführt in st. Rspr.: BVerfGE 24, 367 (383); 31, 314 (322); 39, 302 (312 f.); 45, 63 (78); 61, 82 (101 f.); 62, 354 (369); 68, 193 (206); 70, 1 (15); 75, 192 (196). 196  Siehe dazu neben den soeben zitierten Senats- auch exemplarisch die Kammer­ entscheidungen BVerfGK 4, 223 (223 f.); 13, 276 (277); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502); NJW 1990, 1783 (1783); NVwZ 1994, 262 (262); NJW 1996, 1588

60 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Ging der Zusatz anfangs noch als Randerscheinung der Etablierung eines weitverzweigten Argumentationsgerüsts unter, wurde die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben schnell entscheidungserheblich. Sowohl für Allgemeine Ortskrankenkassen197, die das Bundesverfassungsgericht als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur mittelbaren Staatsverwaltung zählte, als auch in Bezug auf für die Wasserversorgung zuständige, privatrechtlich organisierte Stadtwerke198 sowie auf die kassenärztlichen Vereinigungen199, deren Aufgabe die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist, nutzte die Rechtsprechung die jeweilige Funktion der juristischen Person, um sie dem Bereich der Grundrechtsunfähigkeit zuzuordnen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht implizit skizziert, in welcher Beziehung die Kriterien der Rechtsform und der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung aus seiner Sicht zueinander stehen: Es zog in seinen Entscheidungen den funktionalen Aspekt lange heran, um den formalen Regelbefund zum Nachteil öffentlich-rechtlicher Organisationseinheiten mit einem zweckorientierten Standbein abzusichern. Die Statik dieser Annahme hat das Verfassungsgericht allerdings selbst noch einmal grundlegend neu berechnet. In einem Beschluss, in dem es unter anderem auf die Grundrechtsfähigkeit von Zahntechniker-Innungen und deren Landesinnungsverbänden ankam, kehrte es die Gewichtung um und hielt die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben für das allein entscheidende Kriterium200: „Grund der Nicht-Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nicht die Rechtsform als solche. Maßgebend ist vielmehr, ob und inwieweit in der Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage Ausdruck findet, welche nach dem ‚Wesen‘ der Grundrechte deren Anwendung auf juristische Personen entgegensteht. Diese Frage wird sich nicht in einer generellen Formel beantworten lassen. Es kommt namentlich auf die Funktion an, in der eine juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfähig.“

Nach der Rechtsprechung nähmen sowohl die einzelnen, als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisierten Innungen als auch die privat(1588); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2002, 1366 (1366); NVwZ 2005, 82 (83); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1176 (1176); NVwZ-RR 2009, 361 (361); NVwZ 2009, 1282 (1282 f.); NVwZ-RR 2016, 242 (242 f.). 197  BVerfGE 39, 302 (313 f.). 198  BVerfGE 45, 63 (78 f.). 199  BVerfGE 62, 354 (369 f.); 70, 1 (16); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1588). 200  BVerfGE 68, 193 (207 f.).



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis61

rechtlich organisierten Innungsverbände öffentliche Aufgaben wahr, wenn sie von ihrer gesetzlich zugewiesenen Abschlusskompetenz Gebrauch machen und mit den Landesverbänden der Krankenkassen Vergütungsvereinbarungen schließen, und könnten infolgedessen keinen Grundrechtsschutz für sich in Anspruch nehmen201. Zu einer gänzlich anderen Bewertung kam das Bundesverfassungsgericht wenig später im Falle der Grundrechtssubjektivität einzelner Orthopädietechniker-Innungen sowie ihres Bundesinnungsverbandes und einer Landesinnung. Auch wenn die konkreten Einheiten der Sache nach eine öffentliche Aufgabe erfüllten, komme dieser Umstand mangels einer einfachgesetzlichen Einbeziehung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht hinreichend rechtlich zum Ausdruck, führt das Gericht aus202. Betroffen seien die Innungen und Innungszusammenschlüsse der Orthopädietechniker vielmehr in der Funktion als Organe der Interessenvertretung ihrer Mitglieder203. Aus der Zusammenschau der beiden Entscheidungen lässt sich ableiten, welchem Zweck das Kriterium der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung dem Bundesverfassungsgericht bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG seither dient: Es soll im Zusammenspiel mit gegenteiligen Funktionen einer staatlich getragenen juristischen Person, wie etwa der mitgliedschaftlichen Interessenwahrnehmung, eine Feinsteuerung im Einzelfall ermöglichen und das starre Kriterium der Rechtsform im Bedarfsfall zurücktreten lassen. Obwohl die Herleitung auf den ersten Blick organisch in das sonstige Konzept eingepasst zu sein scheint204, nimmt das Bundesverfassungsgericht hier eine inhaltliche Neuausrichtung vor. An der hiernach entwickelten Formel, nicht die Rechtsform, sondern die darin zum Ausdruck kommende Sach- und Rechtslage sowie die durch den konkreten Akt der öffentlichen Gewalt betroffene Funktion der juristischen Person seien für ihre Grundrechtsberechtigung ausschlaggebend, hat die Rechtsprechung festgehalten205. Mehr noch: Das Verfassungsgericht wendet diese Formel teilweise in rigider Konsequenz an. Es hat im Sinne der soeben beschriebenen funktionalen Handhabe zeitweise auch bei juristischen Personen des Privatrechts in rein privater Trägerschaft die Rechtsform beiseitegeschoben, auf die im Einzelfall wahrgenommene öffentliche Aufgabe abgestellt 201  BVerfGE 68,

193 (208 ff.; 211 ff.). 1 (15 f.). 203  BVerfGE 70, 1 (19 f.). 204  Siehe dazu insbesondere die Ausführungen in BVerfGE 68, 193 (205 ff.), in deren Rahmen das Verfassungsgericht das Funktionskriterium unmittelbar an die tradierten Linien zu Grundrechtsidee, kategorischer Unterscheidung der juristischen Personen und Ausnahmetrias anknüpft. 205  BVerfGE 75, 192 (197); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1420 (1420); NVwZ-RR 2009, 361 (361). 202  BVerfGE 70,

62 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

und ihnen die Berufung auf die Grundrechte mittels Art. 19 Abs. 3 GG verwehrt206. Was inhaltlich genau unter der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu verstehen ist, hat das Verfassungsgericht nicht abstrakt-generell ausbuchstabiert, sondern einzelfallorientiert entschieden. So waren etwa der Bereich der Daseinsvorsorge oder der sozialen Sicherung vermehrt Entscheidungsgegenstand, die das Gericht unzweideutig als öffentliche Aufgaben beschrieb207. Um einer Zweckentfremdung des Kriteriums vorzubeugen, findet sich in den Ausführungen des Gerichts außerdem häufiger der Hinweis, allein die Tätigkeit im Allgemeininteresse führe nicht dazu, dass eine juristische Person zum Sachwalter von Individualinteressen werde und Grundrechtsberechtigung beanspruchen könne, selbst wenn dadurch die individuelle Grundrechtsverwirklichung mittelbar gefördert werde208 − eine eher klarstellende als identitätsstiftende Anmerkung. Eben jene inhaltliche Unbestimmtheit der „öffentlichen Aufgabe“ ist der Haupteinwand, dem sich das Verfassungsgericht in Bezug auf seine funktionale Argumentation gegenübersieht209. Insbesondere im Anschluss an die Entscheidung, juristischen Personen des Privatrechts in privater Trägerschaft aufgrund der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung die Berufung auf die Grundrechte zu versagen, ist dieser Einwand dezidiert vorgetragen worden210. Außerdem verfüge das Kriterium auch deshalb über keinerlei Abgrenzungspotential, da öffentliche Aufgaben sowohl von gesellschaftlichen als auch von staatlichen Akteuren wahrgenommen werden könnten211. Der feinsteu206  BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2501); NJW 1996, 584 (584); siehe dazu unten S. 103 f. 207  Zur Daseinsvorsorge BVerfGE 45, 63 (78 f.); 75, 192 (197 ff.); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); zur sozialen Sicherung BVerfG (K), NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ-RR 2009, 361 (361 f.). 208  BVerfGE 61, 82 (103 f.); 68, 193 (207); 75, 192 (196); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583). 209  Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 69; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 21; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (15); Ludwigs, Effizienzanforderungen (Fn. 115), S. 221; Merten, Mischunternehmen (Fn. 93), S. 2015; A. von Mutius, Jura 1983, 30 (34 f.); R. Scholz, Grundrechtsschutz gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, in: B. Pfister/M. R. Will (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz, 1991, S. 211 (221 f.); Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 12; Tettinger (Fn. 27), § 51 Rn. 56. In diesem Zusammenhang weisen Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 283 und Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 64 f. auf das Missbrauchspotential hin, das durch die staatliche Definitionshoheit über die „öffentliche Aufgabe“ entstehe. 210  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 54; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 111; verhaltener D. Krausnick, JuS 2008, 965 (968); siehe dazu auch unten S. 103 f. 211  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  105 f.; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 47; Mer­ ten, Mischunternehmen (Fn. 93), S. 2015; Möllers, Staat (Fn. 78) S. 323; Schmidt-



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ernde Maßstab der Interessenvertretung findet dagegen positiveren Widerhall in der Wissenschaft212. Hinsichtlich der aus der Rechtsform hergeleiteten Indiz- bzw. Vermutungswirkung auf der einen und dem Erstarken des Aufgabenkriteriums auf der anderen Seite stellen einige Autoren die Frage, in welchem Verhältnis formale und funktionale Argumentation in der Rechtsprechungslinie nun zueinander stehen213. Verfechter des funktionalen Merkmals tragen die Linie des Bundesverfassungsgerichts dagegen ohne derlei Bedenken mit214. Einige neigen darüber hinaus einem stark interpretierenden Standpunkt zu und wollen aus den Ausführungen des Verfassungsgerichts folgern, dass die Rechtsprechung nicht die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zum entscheidenden Kriterium für die Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit erhoben habe, sondern etwa die Freiwilligkeit der Zuweisung215 oder die Wahrnehmung staatlicher Zuständigkeit216. In eine ähnliche Richtung gehen diejenigen, die abstreiten, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen überhaupt aufgrund des Merkmals der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung getroffen habe, und in diesem Attribut entweder eine Leerhülse sehen, die es mit dem Bezug zur Grundrechtsidee zu füllen gelte217, oder den Ausdruck nur als Chiffre für die Gegenüberstellung von staatlichen Kompetenzen und natürlichen Freiheiten einordnen218. Angesichts seiner unsteten Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 394; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 13; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 122. 212  L. Fröhler/P. Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 56, 58 f., 88 ff.; G. Manssen, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 12 Rn. 273. Speziell im Hinblick auf Selbstverwaltungskörperschaften und eine mögliche Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S.  447 f. 213  Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  120 ff.; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (15); F. Schoch, Jura 2001, 201 (206). Seiner Zeit voraus war G. Ulsamer, Zur Geltung der Grundrechte für juristische Personen des öffentlichen Rechts, in: ­ G. Leibholz/H. J. Faller/P. Mikat u.  a. (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger, 1974, S. 199 (206), der diese Frage schon im Jahre 1974 antizipierte. 214  Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 243, 253; Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 67; ders., AöR 104 (1979), 54 (91); K. Kröger, JuS 1981, 26 (28 f.); C. Starck, JuS 1977, 732 (735 f.); Tettinger, Grundrechtsschutz (Fn. 6), S. 155 (172 f., 175 f.). 215  Storr, Staat (Fn. 18), S. 199. 216  Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 55, 63; speziell zu den Urteilen des Verfassungsgerichts bzgl. juristischer Personen des Privatrechts in privater Trägerschaft ebd., Rn. 44, 63. Remmert hält die Formulierung des Verfassungsgerichts für „terminologisch etwas unglücklich“ (Rn. 63). 217  So H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109). 218  So Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 107; dem Gedanken nach ähnlich H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (91). Dagegen Englisch, Gewährleistung (Fn. 41), S. 146.

64 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Handhabe in der Vergangenheit und der kontroversen Rezeption in der Wissenschaft erscheint es umso bemerkenswerter, dass das Bundesverfassungsgericht in zwei jüngeren Entscheidungen gänzlich ohne den Bezug zu dem Kriterium der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung ausgekommen ist219. cc) Erweiterung der Judikatur: Punktuell oder tendenziell? Im Hinblick auf eine bestimmte Gruppe juristischer Personen des öffentlichen Rechts und ein bestimmtes Grundrecht lässt das Verfassungsgericht eine Ausdehnung über das Kriterium der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung hinaus erkennen, was de facto zur Etablierung eines pauschalen Grundrechtsausschlusses führt. Speziell zum Eigentumsrecht der Gemeinden hat es entschieden, dass den kommunalen Gebietskörperschaften auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben keine Grundrechtsfähigkeit zukom­ me220. Zum einen gleiche ihre Schutzwürdigkeit nicht derjenigen des Bürgers, nur weil sie sich außerhalb der öffentlichen Aufgaben bewegten. Zum anderen stünden die einfach-rechtlichen sog. Fiskusprivilegien der Gleichsetzung mit Privaten entgegen. Schließlich dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden stets einen Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung aufweisen müsse, um zulässig zu sein221. An anderer Stelle heißt es weiter, außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bestehe „noch weniger“ Grund, eine juristische Person des öffentlichen Rechts als grundrechtliche Sachwalterin des Einzelnen anzusehen222. Einen Türspalt hat sich das Bundesverfassungsgericht allein für „ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle“ offengelassen223. Viele befürworten in Bezug auf die Gemeinden eine solche Erweiterung der restriktiven Karlsruher Linie über das Kriterium der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben hinaus224. Andere wollen den Grundrechtsschutz der Gemeinden in Fällen des Handelns außerhalb öffentlicher Aufgabenwahrnehmung nicht von vornherein ausgeschlossen wissen und argumentieren aus 219  BVerfGE 143,

246 (313 ff., Rn. 185 ff.); 147, 50 (143 ff., Rn. 238 ff.). 82 (105 ff.); 75, 192 (197); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366); NVwZ 2008, 778 (778, Rn. 9). 221  Zu den drei genannten Aspekten jeweils BVerfGE 61, 82 (105 ff.); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). 222  BVerfGE 61, 82 (104); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583). 223  BVerfGE 61, 82 (109); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). 224  P. Badura, JZ 1984, 14 (15 f.); Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 116, 118; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 47; M. Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598); Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 117; Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1467; Storr, Staat (Fn. 18), S. 222; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 27. 220  BVerfGE 61,



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis65

dem Blickwinkel einer dem Bürger vergleichbaren Schutzwürdigkeit heraus225. Unabhängig von diesen inhaltlichen Differenzen stellt sich aber noch eine ganz andere Frage: Versteht sich die Rechtsprechung als punktuell auf den Sonderfall der Gemeinden begrenzt oder beansprucht sie Geltung für alle juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft und bricht damit jede Grenze der funktionalen Argumentation auf? Wirklich eindeutig beantworten lässt sich die Frage nicht226. Das Bundesverfassungsgericht hat einerseits mit dem Duktus der Allgemeingültigkeit formuliert, juristischen Personen des öffentlichen Rechts käme auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht „ohne weiteres“ Grundrechtsschutz zu227, bezog seine Ausführungen andererseits aber wieder explizit auf die Gemeinden228. Tatsächlich spricht das Ergebnis der Entscheidung zugunsten der Grundrechtsfähigkeit der Orthopädietechniker-Innungen229 noch am ehesten dafür, dass die Kommunen einen Sonderfall darstellen und bei anderen juristischen Personen in Staatshand und speziell solchen des öffentlichen Rechts die Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und dem Tätigwerden in anderen Bereichen weiterhin eine entscheidende Rolle spielt230. 4. Gegenentwurf des Schrifttums: Grundrechtstypische Gefährdungslage Die andauernde Kritik aus der Wissenschaft an einzelnen Gedankengängen oder gar dem Fundament der ständigen Rechtsprechung müsste sich ihrerseits den Vorwurf der Fruchtlosigkeit gefallen lassen, würde sie nicht selbst Alternativkonzeptionen bereithalten. Der den Diskurs am nachhaltigsten prägende Gegenentwurf verzichtet auf Ableitungen aus der Grundrechtsidee und weist eine stärkere Einzelfall- als eine Rechtsformorientierung auf: das 225  U. Becker, Jura 2019, 496 (509); Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 95; M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (812 f.); R. Mögele, NJW 1983, 805 (805); S. Muckel, JA 2020, 411 (414); F. Schoch, Jura 2001, 201 (207); J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 3. Auflage 2018, Art. 93 Rn. 89. Ursprünglich auch Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 109, der seine Auffassung allerdings geändert zu haben scheint, vgl. dazu dens., Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 5. 226  P. Badura, JZ 1984, 14 (16) und R. Mögele, NJW 1983, 805 (806) legen ihren Ausführungen wohl eine Verallgemeinerungsfähigkeit zugrunde; offen gelassen bei Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 245. Für jeden Träger mittelbarer Staatsverwaltung Ulsamer, Geltung (Fn. 213), S. 216, allerdings noch bevor die Rechtsprechung zu dem Problem Stellung nehmen konnte. 227  BVerfGE 75, 192 (197). 228  BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). 229  BVerfG 70, 1 (15, 19 ff.). 230  So auch Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1465.

66 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Kriterium der „grundrechtstypischen Gefährdungslage“. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Konzept gleichzeitig Bedeutung verschafft und genommen, indem es die grundrechtstypische Gefährdungslage, die sich originär noch als oppositioneller Entwurf begriff, schlicht in seinen Argumentationskanon integriert hat. Das unterscheidet den Ansatz von eher versprengten Einzeldoktrinen, die der Rechtsprechung in der Vergangenheit entgegengesetzt wurden. a) Grundkonzept Die grundrechtstypische Gefährdungslage ist nicht nur Stichwort, sondern Selbsterklärung des nach ihrem Ausgangsgedanken notwendigen Kriteriums zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen. Sie bejaht die Grundrechtssubjektivität dann, wenn sich die juristische Person in dem betroffenen operativen Bereich in einem Außenrechtsverhältnis zum Staat und in einer Lage befindet, die aus grundrechtlicher Sicht derjenigen des Bürgers gleicht231. Letzteres dient gewissermaßen als materielle Ergänzung der formellen Voraussetzung eines Außenrechtsverhältnisses, wobei der Übergang zwischen beiden fließend ist und Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen sind232. Im Sinn einer handwerklichen Grundvoraussetzung wird diesem Gedanken noch die Rechtssubjektivität des öffentlichen Funktionsträgers vorangestellt233. Als Beispiele, in denen alle drei Voraussetzungen erfüllt seien, nennen die Befürworter etwa die Beteiligung eines Staatsträgers in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren oder den hoheitlichen Zugriff auf das Eigentum einer staatlichen Organisationseinheit im Wege der Enteignung234. Ursprünglich ist das Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage bewusst unabhängig von der Idee eines personalen Substrats entworfen worden235. Angeknüpft ist das Kriterium zwar ebenfalls 231  Grundlegend Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S. 6  f., 11; ders., NJW 1969, 1321 (1325 ff.); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 37, 114 ff.; ders., Jura 1983, 30 (40 f.). Dem Gedanken nach angedeutet auch schon bei R. Feine, Der grundrechtliche Schutz der öffentlichen Hand, 1964, S. 65 ff.; E.-W. Fuß, DVBl. 1958, 739 (740). 232  Abzulesen etwa an der unterschiedlich vorgenommenen Relation beider Elemente bei M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27) einerseits und F. Schoch, Jura 2001, 201 (205) anderseits. 233  von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 108 ff. Ebenso D. Krausnick, JuS 2008, 965 (967); B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27; F. Schoch, Jura 2001, 201 (205). 234  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326  f.); Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 95; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 118. 235  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 83. In diesem Sinne betont Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 148 den Widerspruch zwischen den gedanklichen Ausgangsthesen



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis67

an die Anwendung der Grundrechte „dem Wesen nach“, wie es Art. 19 Abs. 3 GG formuliert, doch erkennt die grundrechtstypische Gefährdungslage dieses Wesen – gewollt verallgemeinernd – in der Gewährleistung subjektiver Freiheitsräume gegen staatliche Gefährdungen236. Das gedankliche Fundament ist damit von der Zentrierung auf die Menschenwürde entkoppelt. Zwei weitere Annahmen spielen in dem Konzept darüber hinaus eine tragende Rolle: zum einen die Unterscheidung zwischen Organisationsrechtsund Subjektionsrechtsverhältnis, zwischen Kompetenz und Freiheit237, um so dem Einwand zu begegnen, die grundrechtstypische Gefährdungslage führe mittels einer exzessiven Grundrechtsberechtigung zu einer Lähmung des Staatsapparats und zu der Verkehrung des Art. 1 Abs. 3 GG in sein Gegenteil; zum anderen die Einzelfallorientierung238, die unweigerlich den Faktor Flexibilität als Vorteil mitbringt239. Der Ansatz ist in der Diskussion um die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG zur festen Größe geworden und hat als solcher breite Unterstützung erfahren240. b) Kritik Das Echo in der Wissenschaft auf das Erstarken der Idee einer grundrechts­ typischen Gefährdungslage war und ist jedoch nicht ausschließlich positiv. von personalem Substrat und grundrechtstypischer Gefährdungslage. Anders A. Ku­ lick, JöR 65 (2017), 57 (59), der auch bei letzterer anthropozentrische Züge erkennen will und sie mit dem personalen Substrat gleichsetzt. 236  Achterberg, Bedeutung (Fn. 66), S.  6 f.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn.  36 f., 106; ders., Jura 1983, 30 (40); nur deskriptiv Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27 mit Fn. 4. 237  K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); A. von Mutius, Jura 1983, 30 (40). 238  In der Sache H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (29); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 18. Ähnlich auch Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1158 f., der sich aber nicht ausdrücklich zur grundrechtstypischen Gefährdungslage bekennt. 239  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 34. 240  U. Becker, Jura 2019, 496 (506, 509); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 34; Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 59; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (19, 27 ff.); ders./F. Möslein, JZ 2016, 57 (65); Ludwigs, Effizienzanforderungen (Fn.  115), S. 222; ders./ C. Friedmann, JA 2018, 807 (811 f.); dies., NVwZ 2018, 22 (27); R. Mögele, NJW 1983, 805 (805); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (256 ff.); ders., JA 2020, 411 (413 f.); Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 88, 299  f.; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (86); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 53; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 115; F. Schoch, Jura 2001, 201 (205); Tietje, Person (Fn. 115), S. 678; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 18. Bereichsspezifisch Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 104; Wieland (Fn. 173), Art. 14 Rn. 86.

68 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Kritische Stimmen bringen verschiedene Einwände gegen das zuvor skizzierte Konzept hervor. Ein häufig vorgetragenes Gegenargument ist die Rechtsunsicherheit, die das Merkmal der grundrechtstypischen Gefährdungslage vermeintlich in sich trage. Es sei nicht hinreichend eindeutig geklärt, in welchen Fällen das notwendigerweise vorausgesetzte Außenrechtsverhältnis zum Staat vorliege241. Die Flexibilität, die das Konzept mittels seiner Einzelfallorientierung ermöglicht, sei Vor- und Nachteil zugleich. Außerdem, so ein anderer Anknüpfungspunkt für Kritik, verstellten eben diese Einzelfallorientierung und die Konzentration auf das binäre Rechtsverhältnis zwischen Hoheitsmacht und staatlich getragener juristischer Person den Blick dafür, dass bei einem weitreichenden Grundrechtsschutz im staatlichen Binnenverhältnis eine Einbuße der Freiheitsräume natürlicher Personen zu befürchten stehe242. Auch würden sich Unterschiede auf Grundrechtsinhaltsseite ergeben, je nachdem, ob eine natürliche oder eine staatlich getragene juristische Person im Außenrechtsverhältnis das Grundrecht für sich in Anspruch nimmt, was zu einer Sinnverkehrung der Gewährleistungen, ja zu einer geteilten Grundrechtsdogmatik führe243. Darüber hinaus wird der Vorwurf formuliert, die grundrechtstypische Gefährdungslage verwechsle die Vorzeichen von Folge und Voraussetzung, indem sie vom Bestehen eines Subjektionsverhältnisses auf die Grundrechtsfähigkeit schließe244. Daneben finden sich auch weniger ausdifferenzierte Einwände. So heißt es etwa im Anschluss an die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zu Kompetenzkonflikten schlicht, die staatliche Organisation sei Sache des staatsorganisationsrechtlichen Teils des Grundgesetzes, in dem es keinerlei grundrechtstypische Gefährdungslagen geben könne245. Ähnlich schmal kontextualisiert – wenn auch inhaltlich aus der entgegengesetzten Richtung formuliert – ist die Vorhaltung, das Konzept habe sich der individualistischen Denkweise der Durchgriffsthese angebiedert, so dass sich in der jeweiligen Anwendung keinerlei Unterschiede (mehr) ergäben246. 241  Achterberg, Bedeutung (Fn. 66),  S.  6 f.; Storr, Staat (Fn. 18), S. 193; in diese Richtung auch Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 123 mit Fn. 248. 242  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 93. 243  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  94 ff. 244  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 89 f., 96; Storr, Staat (Fn. 18), S. 193 f. Einer ähnlichen Begründung hat sich das Bundesverfassungsgericht bedient, um die Relevanz des Selbstverwaltungsrechts einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für die Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit abzulehnen, s. dazu oben S. 55 f. 245  Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 254. 246  A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (59), wobei dieser Einwand eher an die besondere Handhabe des Bundesverfassungsgerichts als gegen das Konzept als solches adressiert sein sollte.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis69

c) Adaption durch das Bundesverfassungsgericht Geht es um die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft, hat sich das Bundesverfassungsgericht kritischen Tönen zu seiner ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen nicht gesondert gewidmet, sie im Gegenteil stiefmütterlich behandelt und pauschal als unzutreffend abgelehnt247. Das Kriterium der grundrechtstypischen Gefährdungslage stellt hier eine Ausnahme dar. Bemerkenswerterweise tritt das Verfassungsgericht der Gegenthese allerdings nicht entgegen, sondern wählt einen anderen Weg: Es integriert sie als Ergänzung in sein hergebrachtes Argumentationsgerüst. Zunächst beschränkt sich die Rezeption noch auf die verhaltene und bereichsspezifisch eingegrenzte Feststellung, Kommunen stünden dem Staat nicht in derselben grundrechtstypischen Gefährdungslage gegenüber wie der einzelne Eigentümer248. Formuliert wird sie dann auch nur als Anhang an den Gedanken des personalen Substrats. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verfassungsgericht das Kriterium hier aus materieller Sicht bereits anwendet. Gleiches gilt für die skeptischeren Töne aus einem Folgeurteil, die bei isolierter Lesart gar eine Zurückweisung des Konzepts vermuten lassen könnten. Das Gericht führt aus, allein daraus, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in gleicher Weise wie der Bürger der hoheitlichen Gewalt unterworfen sei, könne kein Rückschluss auf deren Schutzbedürftigkeit gezogen werden249. Das ist allerdings nur die Eröffnungssentenz für die nachfolgende Subsumtion unter das Merkmal der grundrechtstypischen Gefährdungslage, deren Vorliegen im betreffenden Urteil schließlich verneint wird, da sich die Gemeinde aufgrund der sog. Fiskusprivilegien und anderer, „außerrechtlicher Vorzüge“ gerade nicht in einer dem Bürger vergleichbaren Gefahrensituation befinde250. Letzte Zweifel daran, dass das Bundesverfassungsgericht das Kriterium der grundrechtstypischen Gefährdungslage in seine ständige Rechtsprechung aufgenommen hat, zerstreut das Gericht in jüngerer Vergangenheit selbst, wenn es das Merkmal als einen von mehreren, sich teils ergänzenden Gründen auflistet, den es in der Vergangenheit zur grundsätzlichen Ablehnung der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen herangezogen habe251. 247  Knapp heißt es dazu in BVerfGE 45, 63 (78): „Die hiergegen im juristischen Schrifttum zum Teil vorgebrachten Einwendungen geben dem Bundesverfassungsgericht keinen Anlaß, diese Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren“. 248  BVerfGE 45, 63 (79). 249  BVerfGE 61, 82 (105). 250  BVerfGE 61, 82 (106); erneut aufgegriffen in BVerfGK 4, 223 (223); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). 251  BVerfGE 143, 246 (313  f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239); BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1501). Auch zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit juristi-

70 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

Betrachtet man den gedanklichen Ausgangspunkt der grundrechtstypischen Gefährdungslage, der gerade ohne Bezug zur Menschenwürde auskommt, sowie das Selbstverständnis des Konzepts als Gegenentwurf zur Durchgriffsthese, muss die Adaption durch das Bundesverfassungsgericht überraschen. Dass beide Begründungslinien in seiner ständigen Rechtsprechung koexistieren, hat zwei Gründe: Zunächst nutzt das Verfassungsgericht die Figur zuvorderst als Ergänzung, um die eigenen, mit der herkömmlichen Herangehensweise gefundenen Ergebnisse zu untermauern252. Gerade im Hinblick auf einen potentiellen gemeindlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 GG, der die Rechtsprechung in diesen Entscheidungen beschäftigte, wird mithilfe der grundrechtstypischen Gefährdungslage auch das gegenteilige Ergebnis vertreten und den Gemeinden Grundrechtsschutz zugesprochen253. Erwähnung in den Ausführungen des Gerichts findet dieser Aspekt nicht. Vor diesem Hintergrund ist die grundrechtstypische Gefährdungslage für die Rechtsprechung mehr Ergänzungsgedanke als Korrekturinstrument254. Zum anderen kappt das Verfassungsgericht die philosophisch-theoretischen Wurzeln des Konzepts und implementiert es als Aufsatz auf die eigene ideengeschichtliche Deutung der Grundrechte255. So hält es weiter an seinem anthropozentrischer Personen des Privatrechts bedient sich das Bundesverfassungsgericht mittlerweile des Kriteriums, so in BVerfGE 106, 28 (43). 252  Besonders deutlich in BVerfGE 45, 63 (79), wo Durchgriffsthese und grundrechtstypische Gefährdungslage sogar in einem Satz verwendet werden; siehe ferner die Ausführungen in BVerfGE 61, 82 (105 ff.) im Anschluss an den üblichen Begründungskanon. Wie hier Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  114 ff.; T. Kingreen/ R. Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 37. Auflage 2021, § 5 Rn. 246. Anders Zim­ mermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 9, der mutmaßt, das Verfassungsgericht erkenne damit eine weitere Ausnahmesituation an. 253  Siehe die Nachweise oben in Fn. 225. Ferner F.  E. Schnapp, Städtetag 1969, 534 (538), der als Bedingung auf ein „essentielles Subjektionsverhältnis“ abstellt. 254  Anders Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 63, der meint, das Gericht „korrigiert […] seine Ergebnisse mit dem Gedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage“, ohne jedoch Belege für diese Behauptung anzuführen; im Anschluss daran auch ­Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 31. Allein die Entscheidung BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.) stellt insoweit eine Ausnahme dar: Das Bundesverfassungsgericht billigt hier einer fremdstaatlich getragenen juristischen Person die Grundrechtsberechtigung zu, indem es die Durchgriffsthese explizit außer Acht lässt und in der Sache auf den Modus der grundrechtstypischen Gefährdungslage zurückgreift, eingehend dazu unten S. 158 ff., insb. S. 164. Terminologisch zu defensiv spricht Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 215 mit Bezug auf diese Entscheidung von einer bloßen Modifikation der Rechtsprechung anhand der grundrechtstypischen Gefährdungslage. 255  So auch die Einschätzung von S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (257 f.); ähnlich Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 107 f., 114 ff. Eine ähnliche Verknüpfung wie das Bundesverfassungsgericht verfolgt dagegen Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 76.



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis71

schen Grundrechtsverständnis sowie der Zentrierung auf die Menschenwürde fest und setzt sich nicht mit der Frage auseinander, in welchem Verhältnis die Ursprungsgedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage dazu stehen. Auf diese Art und Weise gewinnen die Thesen der letzteren aus dem Blickwinkel der in der Judikatur entwickelten Grundsätze unproblematisch eine hohe Rezeptionsfähigkeit. Aufgrund dieser Überführung des Konzepts in die ständige Rechtsprechung betrachten einige die Konzepte von Durchgriffsthese und grundrechts­ typischer Gefährdungslage schlicht als Synonyme256. Dem liegt allerdings eine zu oberflächliche Analyse zugrunde, bedenkt man, dass das Verfassungsgericht die grundrechtstypische Gefährdungslage in den betreffenden Entscheidungen stets neben, nie anstelle der klassischen Begründungsmuster verwendet hat. Andere behandeln sie jedenfalls als inhaltsgleich mit der Zuordnung zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich257, die das Bundesverfassungsgericht als Kriterium zur Begründung einer ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung heranzieht. Vom Ursprung des Konzepts her betrachtet ist auch diese Feststellung ungenau, trägt doch die Definition des Zuordnungskriteriums gerade den auf natürliche Personen zentrierten Geist des Durchgriffsarguments in sich258. Nur in der Lesart des Verfassungsgerichts, das das Kriterium von seiner gedanklichen Grundausrichtung getrennt anwendet, klingt jedenfalls teilweise eine synonyme Verwendung an259. Aus einer solchen Perspektive liegt die Annahme einer Austauschbarkeit, jedenfalls aber einer inhaltlichen Überschneidung nicht fern260. Entscheidender als diese eher technizistisch anmutenden Fragen ist jedoch der Befund, dass das Bundesverfassungsgericht das Konzept der grundrechts­ typischen Gefährdungslage überhaupt in das eigene Argumentationsgerüst überführt und so von einer Vereinbarkeit mit seiner ständigen Rechtspre256  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119); de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 26 f., 82; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 215; A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (59). Auch Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 90 f. scheint in diese Richtung zu tendieren. Dagegen geht Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 29 mit Fn. 5 davon aus, das Bundesverfassungsgericht vertrete eine gegenteilige Auffassung und bediene sich nur der Begrifflichkeit. 257  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  66 f.; ders., Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 4; Manssen, Staatsrecht II, 18. Auflage 2021, Rn. 95; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 148; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 28. 258  Siehe die Definition in BVerfGE 45, 63 (79). 259  Hier sei erneut auf BVerfGE 45, 63 (79) verwiesen, während die Ausführungen zur grundrechtstypischen Gefährdungslage in BVerfGE 61, 82 (105) bereits emanzipierter erscheinen. 260  Aus jüngerer Zeit etwa Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 25. Dagegen behandeln Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1114 und Storr, Staat (Fn. 18), S. 194 beide Kriterien getrennt.

72 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

chung ausgeht. Mag die grundrechtstypische Gefährdungslage in ihrem Ursprung auch nicht zur Ergänzung der Karlsruher Judikatur prädestiniert gewesen sein, bringt dieser Umstand doch zumindest die hohe inhaltliche Anschlussfähigkeit ihres Grundgedankens zum Ausdruck. 5. Gefolgschaft und Opposition in der sonstigen Rechtsprechung Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft hat heute auch deshalb eine so tragende Bedeutung, weil sich die sonstige Rechtsprechung diesen Grundsätzen weitestgehend angeschlossen hat. Insbesondere die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung teilt die Linie des Verfassungsgerichts261. Das war unter der Geltung des Grundgesetzes jedoch nicht immer so: Noch vor dem ersten Karlsruher Grundsatzurteil aus dem Jahr 1967 nahm das Bundesverwaltungsgericht unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG wie selbstverständlich die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an262. Erst danach folgte die inhaltliche Kehrtwende hin zu ihrer grundsätzlichen Ablehnung, die heute längst in der Rechtsprechungspraxis etabliert ist. Mehr noch: Vereinzelt ist auf oberverwaltungsrechtlicher Ebene etwa die vom Verfassungsgericht praktizierte kategorische Unterscheidung der juristischen Personen verabsolutiert und zum „allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz“ erhoben worden263. Parallel stellt sich die Lage in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung dar, denn auch sie beurteilt Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts264. Einen Sonderfall in beiden Rechtsprechungszweigen stellt die Ausklammerung der öffentlich-rechtlich organisierten Jagdgenossenschaften dar, denen die Berufung auf das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG zugestanden wird265. Das Bundesverfassungsgericht hatte mangels entsprechender Verfahren noch keine Gelegenheit, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

261  BVerwGE 64, 202 (205); 167, 202 (207 ff., Rn. 21 ff.); BVerwG, DVBl. 1972, 780 (781); NVwZ 1989, 247 (249); SächsVBl. 2017, 71 (71). Auch einige Landesverfassungsgerichte haben sich dem angeschlossen, s. SächsVerfGH, NJW 1997, 3015; BerlVerfGH, NVwZ 2001, 426, wobei letzterer in der Subsumtion abweicht. 262  BVerwG, NJW 1959, 590 (591); offen gelassen dann in BVerwGE 59, 231 (240). 263  OVG NRW, Urt. v. 17.09.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 85 (zitiert nach juris). 264  BGHZ 63, 196 (198); 71, 293 (294 f.); weitergehend zur Berufsfreiheit der Kirchen noch BGHZ 19, 130 (138). 265  Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwG, DVBl. 1983, 898 (899); aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs BGHZ 84, 261 (264 f.); 132, 63 (65); 143, 321 (323 f.).



II. Ausformung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Rechtspraxis73

Eine gewichtige Gegenposition nimmt indes der Bayerische Verfassungsgerichtshof ein. Seine ständige Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit speziell der juristischen Personen des öffentlichen Rechts unter der Bayerischen Landesverfassung stellt sowohl im gedanklichen Ausgangspunkt als auch in den ermittelten Ergebnissen eine Anomalie zum sonstigen Umgang der (bundes-)deutschen Rechtsprechungspraxis mit dem Thema dar. Die Ausgangsthese seiner Judikatur lautet, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Grundsatz nach auf grundrechtliche Gewährleistungen der Landesverfassung berufen können und ihnen das dem bayerischen Landesrecht eigene Instrument der Popularklage nach Art. 98 S. 4 BV offensteht266  − schon damit nimmt der Verfassungsgerichtshof in der Sache eine Perspektive ein, die derjenigen des Bundesverfassungsgerichts diametral entgegensteht. Im Rahmen der Prüfung sei eine am Wesen des in Betracht kommenden Grundrechts orientierte Einzelfallbetrachtung notwendig, die ermitteln müsse, ob sich die juristische Person in einer vom Grundrecht vorausgesetzten Schutzsituation und damit in einer der natürlichen Person vergleichbaren Lage befände267. Materiell handelt es sich dabei um nichts anderes als die Gedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage. Nach dieser Vorgehensweise hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Ergebnis insbesondere kommunalen Gebietskörperschaften und den von ihnen gebildeten öffentlich-rechtlichen Körperschaften die Berufung auf die Eigentumsgarantie aus Art. 103 Abs. 1 BV und den Gleichheitssatz aus Art. 118 BV gestattet268. Auch darin liegt ein fundamentaler Unterschied zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Festhalten an der eigenen Rechtsprechung trotz anderslautender Grundsatzurteile aus Karlsruhe begründet der Verfassungsgerichtshof damit, dass sich das Grundgesetz auf einen Mindestgehalt an Grundrechtsgewährleistungen beschränke und die Trennung der Wirkbereiche von Bundesund Landesverfassung dem Gerichtshof ermögliche, einen weitergehenden Grundrechtsschutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts unter der 266  BayVerfGHE 3, 129 (135); 5, 1 (5 f.); 10, 113 (118); 22, 43 (45); 27, 14 (20); 29, 1 (3 f.); 29, 105 (118); 34, 55 (57); 37, 101 (105 ff.); 49, 111 (115); 54, 1 (5); 60, 184 (210); zwischenzeitlich offen gelassen in BayVerfGHE 18, 85 (95). Verwiesen sei ferner auf die eingehende Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs bei Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  315 ff. 267  BayVerfGHE 29, 1 (4); 29, 105 (118); 37, 101 (105); 54, 1 (5); ähnlich auch BayVerfGHE 49, 111 (115). 268  Für die Eigentumsgarantie BayVerfGHE 5, 1 (5 f.); 29, 105 (120 f.); 34, 55 (57); 37, 101 (107 ff.); 44, 149 (152); mit alleinigem Fokus auf die privatrechtliche Natur der Tätigkeit allerdings jüngst BayVerfGHE 69, 24 (29 f.). Für den Gleichheitssatz BayVerfGHE 27, 14 (20); 29, 1 (4); 29, 105 (120); 37, 101 (105); 60, 184 (210). Gleiches gilt für juristische Personen des Privatrechts, die sich mittelbar oder unmittelbar in der Hand von Gebietskörperschaften befinden, vgl. hierzu BayVerfGH, BayVBl. 2016, 671.

74 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

bayerischen Landesverfassung anzuerkennen269. Bildhaft gesprochen ist der Bayerische Verfassungsgerichtshof damit zum gallischen Dorf der Rechtsprechungspraxis geworden, soweit es um die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts geht. Mit Blick auf die vorigen Ausführungen verwundert es nicht, dass seine Vorgehensweise und die dadurch ermittelten Ergebnisse auf bundesverwaltungsgerichtlicher Seite nicht auf Zustimmung stoßen270. Schnittmengen gibt es dennoch: Im Bereich der Wahrnehmung übertragener, also gesetzlich zugewiesener Aufgaben sind beide Ansätze konform. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof verneint eine Grundrechtsberechtigung, wenn die jeweilige öffentlich-rechtliche Organisationseinheit nicht in einem hinreichenden Distanzverhältnis zum Staat steht und eine dem Bürger vergleichbare Gefährdungslage nicht in Betracht kommt271.

III. Zwischenergebnis Die Normierung des Art. 19 Abs. 3 GG als Grundrechtserstreckungsnorm ist die bisherige Spitze einer Entwicklung hin zur Anerkennung des Eigenwerts juristischer Personen und ermöglicht ihnen die Berufung auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Grundgesetzes. Über diesen Grundstock an Erkenntnissen hinaus vermag die Norm selbst gerade im Hinblick auf juristische Personen in staatlicher Trägerschaft keine konkreten Antworten zur Grundrechtsfähigkeit geben. Im Gegenteil: Sie wirft hier mehr Fragen auf als sie beantwortet. Mangels aussagekräftiger Gesetzgebungsmaterialien und aufgrund der offenen Wortfassung richtet sich das Hauptaugenmerk des Diskurses auf die Wortlautinterpretation der „wesensmäßigen Anwendbarkeit“ der Grundrechte. Aus der Rückschau wirkt es wie eine Zwangsläufigkeit, dass der rechtspraktische Umgang mit Art. 19 Abs. 3 GG in eine Grundsatzkontroverse mündete, die teilweise auch grundrechtstheoretische Züge trägt. Auffällig ist zweierlei: Zum einen hat die Aufarbeitung des Status Quo gezeigt, dass der Diskurs auf zwei unterschiedlichen Ebenen geführt wird272. 269  BayVerfGHE 37, 101 (107 f.). In BayVerfGHE 29, 105 (119) hatte der Verfassungsgerichtshof eine Ausdehnung des landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzes noch schlicht festgestellt. 270  Das Bundesverwaltungsgericht bringt in BVerwG, NVwZ 2001, 1160 (1161) zwischen den Zeilen zum Ausdruck, dass es eine Erstreckung der landesverfassungsrechtlichen Eigentumsfreiheit auf bayerische Gemeinden nicht teilt. So heißt es dort etwa: „Bereits der Wortlaut der bayerischen Verfassung […] spricht nicht für eine weiterreichende Regelungsabsicht in Bezug auf die Überprüfung hoheitlicher Akte“. 271  BayVerfGHE 18, 85 (95); 29, 105 (120 f., 126 f.); 49, 111 (116); 54, 1 (5). 272  Auch Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 251 f. nimmt die im Folgenden dargestellte Unterscheidung zwischen Grundsatzkritik und Abweichung in der Anwendung vor, seinerseits konkret am Beispiel der Sozialversicherungsträger.



III. Zwischenergebnis75

Eine davon ist die Grundsatzkritik. Die Befürworter einer weniger restriktiven Handhabe greifen insbesondere die anthropozentrische Grundrechtsdeutung des Bundesverfassungsgerichts als überkommen an, aus der sich die Vielzahl seiner weiteren Argumente speist. Die zweite Ebene ist eine deutlich konkretere: Unabhängig von der abstrakten Verankerung sieht sich jeder einzelne Begründungsstrang, den das Verfassungsgericht zur Untermauerung seiner Thesen anführt, Kritik ausgesetzt, vom Konfusionsargument über die systematische Argumentation mit § 91 BVerfGG bis hin zu der These, bei Streitigkeiten zwischen öffentlich-rechtlichen Organisationseinheiten handle es sich um grundrechtlich irrelevante Kompetenzkonflikte. Gleiches gilt für die Subsumtion im Einzelfall wie etwa bei der Anwendung des Kriteriums der „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ in Zusammenhang mit dem – vom Verfassungsgericht verneinten, von anderen bejahten – Eigentumsschutz der Gemeinden. An der Zusammenschau beider Ebenen lässt sich ablesen, wie tief die Kritik an der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen in Teilen der deutschen Rechtswissenschaft verwurzelt ist. Zum anderen kann aus dem Stand der Diskussion heraus ein Gefälle in der Gewichtung der Frage festgestellt werden. Es ist insbesondere der soeben erwähnte Teil der Wissenschaft, der den Lösungsweg des Verfassungsgerichts konstant und teils vehement angreift273. Die Rechtsprechungspraxis hingegen geht den in Karlsruhe vorgezeichneten Weg größtenteils mit, kritische Töne finden sich hier kaum. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof beschreitet zwar einen Sonderweg, doch als inhaltliche Rebellion gegen das Fundament der Verfassungsrechtsprechung, wie sie in der Wissenschaft bisweilen zu finden ist, kann auch seine ständige Rechtsprechung nicht gedeutet werden274. Der Impuls geht hier klar von Karlsruhe aus. Hält das Bundesverfassungsgericht an seiner Linie fest, wird sich das Gesamtbild in der Praxis nicht ändern und die Frage in der Rechtsprechung nicht aufgewertet. Wie gesehen, bleibt die Zahl der Gegenargumente, mit denen sich das Verfassungsgericht in seinen Judikaten auseinandersetzt, gering. Ein solches Spannungsverhältnis zwischen Rechtsprechung und Teilen der Wissenschaft in der Wertschätzung einer Problemstellung führt im Regelfall dazu, dass die 273  Exemplarisch für die Deutlichkeit der Kritik stehen die auffallend scharfen Formulierungen bei K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 ff.; aus neuerer Zeit dezidiert Schnapp (Fn. 8), § 52. 274  Vgl. dazu nur BayVerfGHE 49, 111 (115 f.), wo – von wenigen Anpassungen abgesehen – die Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahezu wortgleich wiedergegeben werden. Auch die Entscheidung BayVerfGHE 54, 1 nähert sich im Ergebnis dem Bundesverfassungsgericht an. Dem „gallischen Dorf“, um die Metapher nochmals aufzugreifen, scheint das Schicksal seines historischen Vorbilds zu drohen.

76 A. Status quo der Grundrechtsberechtigung

regelmäßigen Einwände als ideologische Störfeuer abgetan werden und diejenigen, die sie formulieren, in die Nähe des Querulantentums gerückt werden275. Die Diskrepanz setzt die Rechtsprechung aber dann unter Rechtfertigungsdruck, wenn die Praxis Fälle hervorbringt, die auf Grundlage der bisherigen Parameter nicht mit hinreichender Eindeutigkeit zu lösen sind.

275  So jedenfalls schwingt es in Versuchen mit, die Debatte um die sachgemäße Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG auf staatlich getragene juristische Personen im Großen und Ganzen für beendet zu erklären, formuliert etwa von P. Badura, JZ 1984, 14 (17), H. Bethge, DÖV 1972, 155 (155) oder M. Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598). Eine ähnliche Tendenz, wenn auch in schwächerer Form, kann Rüfner, (Fn. 90), § 196 Rn. 116 attestiert werden, der ausführt, die Debatte sei nur „von theoretischem Interesse“. Die beiden erstgenannten Autoren haben diese Bemühungen bezeichnenderweise revidiert, siehe dazu Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 61; P. Badura, BayVBl. 1989, 1 (2). Vielmehr hat sich die Vermutung von Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1460 bewahrheitet, die Frage werde die Rechtsprechung „im grundsätzlichen und erst recht in Detailfragen“ weiterhin beschäftigen.

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz: Althergebrachte Argumentationsmuster auf dem Prüfstand Hat sich über die Jahrzehnte eine Handhabe so verfestigt wie diejenige des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG, stellen sich zwangsläufig Fragen, inwiefern sich neue Herausforderungen in das althergebrachte Konstrukt einpassen lassen. Um sich dieser Frage zu nähern, soll im Folgenden zunächst eben jenes argumentative Grundgerüst genauer in den Blick genommen und auf seine Konsistenz hin überprüft werden. Die Einheitlichkeit der hinter den einzelnen Begründungen stehenden Dogmatik ist für die Funktionsfähigkeit des verfassungsgerichtlich praktizierten RegelAusnahme-Topos ebenso essentiell wie für seine rechtssichere und vorhersehbare Anwendung auf neuartige Fallgestaltungen. Doch gerade hier offenbart das Fundament der Rechtsprechung einige Risse, die isoliert betrachtet noch als jeweils punktuelle Ungenauigkeiten abgetan werden könnten, in ihrer Gesamtheit aber belegen, dass die Linie des Bundesverfassungsgerichts gerade keine widerspruchsfreie ist. Diese These soll im Sinne einer Dekon­ struktion der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen unter Art. 19 Abs. 3 GG anhand verschiedener Beispiele genauer entfaltet werden. Vereinzelt geht die Analyse auch an den Randbereich dieses Komplexes, wenn sie das Verhältnis von Art. 9 GG und Art. 19 Abs. 3 GG untersucht oder sich dem Umgang des Verfassungsgerichts mit dem Menschenwürdebezug verschiedener Grundrechtsgewährleistungen widmet. Das Hauptaugenmerk des zweiten Abschnitts dieses Kapitels liegt auf realen Anwendungsfällen, die den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts herausgefordert haben und noch weiter herausfordern. Zuvorderst sind in diesem Zusammenhang die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu nennen, Organisationseinheiten also, deren Trägerschaft sich sowohl aus dem staatlichen als auch aus dem privaten Bereich speist. Der Diskurs um deren Grundrechtsbindung und -berechtigung hat rund um das wegweisende Fraport-Urteil im Jahr 2011 seinen Höhepunkt erlebt, doch bis heute bleiben Fragen hinsichtlich des dort vom Verfassungsgericht etablierten Maßstabs offen. Darüber hinaus tauchen in der Rechtspraxis der jüngeren Zeit Fälle auf, deren Lösung nach den hergebrachten Begründungsansätzen den Gerichten sichtlich Schwierigkeiten bereitet – hier fordern die dogmatischen Ungenau-

78

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

igkeiten des Karlsruher Ansatzes ihren Tribut. Beispiele dafür sollen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht sein, in denen die Grundrechtsberechtigung einer möglicherweise rein erwerbswirtschaftlich tätigen juristischen Person des Privatrechts bzw. eines in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisierten, aber vornehmlich von öffentlich-rechtlichen Mitgliedern bestimmten Arbeitgeberverbandes in Rede standen. Einen gänzlich neuen Aspekt, der die eingangs formulierte These der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung untermauert, hat das Bundesverfassungsgericht schließlich selbst in den Diskurs eingebracht, als es einer mittelbar vollständig von einem EU-Mitgliedstaat gehaltenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Berufung auf die Grundrechte zugesagt und Art. 19 Abs. 3 GG zu diesem Zwecke europarechtlich überformt hat. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu der Frage, die das gesamte zweite Kapitel dieser Arbeit durchzieht: Wie viel Flexibilität kann ein Regel-Ausnahme-Konzept mit immer neuen Abweichungen gewähren, bevor die Ausnahme selbst zur Regel wird276?

I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? Ideengeschichte der Grundrechte, kategorische Unterscheidung zwischen juristischen Personen des Privat- und des öffentlichen Rechts, Kriterium der Aufgabenwahrnehmung – die Grundpfeiler der ständigen Rechtsprechung sind hinreichend eingeschlagen277. Insbesondere der Umgang mit dem funktional ausgerichteten Maßstab der wahrgenommenen Aufgabe in der sog. Innungs-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch ein Exempel dafür, wie stark die Kriterien der einzelfallabhängigen Dehnung unterliegen. Im Folgenden soll der letztere Aspekt einer von mehreren Anhaltspunkten sein, die bestimmte Schwächen im Gesamtkonzept des Gerichts belegen. Hinzu kommen unter anderem die unterschiedlich stark ausgeprägte Invokation der Ursprungsidee der Grundrechte im Vergleich der Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 3 GG, die wenig stringent anmutende Ungleichbehandlung von Gleichheitssatz und justiziellen Grundrechten sowie die ausladende Grundrechtsberechtigung der sog. Ausnahmetrias. 1. Innungs-Rechtsprechung Fällt das Schlagwort „Innungs-Rechtsprechung“, ist damit vornehmlich auf zwei innerhalb von sieben Monaten ergangene Entscheidungen des Bun276  In

diesem Sinne auch Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 566. dazu ausführlich oben S. 32 ff.

277  Vgl.



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 79

desverfassungsgerichts Bezug genommen. Hinsichtlich der Grundrechtssubjektivität von Berufsinnungen gelangte das Gericht hier zu konträren Ergebnissen, obwohl beide Fälle eine ähnliche Ausgangslage teilten. Im zeitlich früheren Beschluss verweigerte es im Jahr 1984 sowohl öffentlich-rechtlich organisierten Zahntechniker-Innungen als auch deren privatrechtlichen Innungsverbänden die Berufung auf die Grundrechte und verneinte auf Grundlage dessen die Beschwerdebefugnis im Verfassungsbeschwerdeverfahren278. Den Einstieg bildete der – auch zu diesem Zeitpunkt bereits traditionelle – Rekurs auf Grundrechtsidee, Durchgriffsthese und Ausnahmefälle bei unmittelbarer Zuordnung zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich. Zentral für die Entscheidungsfindung war jedoch ein anderer Aspekt: Sowohl für die einzelnen Innungen als auch für die Innungsverbände entschied das Verfassungsgericht, es komme zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person nicht auf die Rechtsform als solche an, da diese nur indizielle Wirkung habe; entscheidend sei vielmehr die Funktion, in der die juristische Person von dem beanstandeten Akt betroffen werde279. Im Fall der Zahntechniker-Innungen und -Innungsverbände sei das die Mitwirkung am Abschluss besonderer, öffentlich-rechtlich ausgestalteter Vergütungsvereinbarungen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und damit der hoheit­ liche Kompetenzvollzug280. Bei den Verbänden gelte zudem, dass ein Zusammenschluss grundrechtsunfähiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts in einer solchen des Privatrechts nicht zu ihrer Grundrechtsfähigkeit führen dürfe. Gut ein halbes Jahr später kam das Bundesverfassungsgericht für die Bundes- und eine Landesinnung der Orthopädietechniker zu einem gänzlich anderen Ergebnis, billigte beiden Grundrechtsfähigkeit zu und bejahte eine entsprechende Beschwerdebefugnis im Verfassungsbeschwerdeverfahren281. Anders als in seinem früheren Beschluss zu Berufsinnungen verzichtete das Gericht darauf, die üblichen Begründungsmuster voranzustellen und wiederholte, es komme zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person namentlich auf die Funktion an, in der die juristische Person von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen werde282. Im Folgenden bemühte es sich dann vornehmlich um eine Abgrenzung zur Entscheidung in Bezug auf die Zahntechniker-Innungen. Anders als diese seien die Berufsorganisationen der Heil- und Hilfsmittelerbringer wie etwa diejenigen aus der 278  BVerfGE 68,

193 (205 ff.). 193 (207 f., 212); siehe allgemein zu dieser funktionalen Argumentation auch oben S. 59 ff. 280  BVerfGE 68, 193 (209 ff., 213). 281  BVerfGE 70, 1 (15 ff.). 282  BVerfGE 70, 1 (15). 279  BVerfGE 68,

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Orthopädietechnik nicht in ähnlicher Weise in das System des Kassenarztrechts einbezogen, da sie zunächst nur in ihrer Eigenschaft als Vertragspartner der Krankenkassen öffentlich-rechtlichen Bindungen unterlägen, woraus ohne Hinzutreten weiterer Merkmale nicht allgemein auf die Zuweisung einer öffentlichen Aufgabe geschlossen werden könne283. Die betroffene Funktion sei schließlich die Interessenvertretung der Mitglieder, in deren Rahmen sich die rechtliche Ausgangslage der Innungsverbände nicht von derjenigen privater Zusammenschlüsse unterscheide284. Diese Linien hat das Verfassungsgericht noch einmal nachgezeichnet, als es über die Grundrechtsberechtigung einer öffentlich-rechtlich organisierten Schreiner-Innung zu entscheiden hatte. Maßgeblich für die Beurteilung der grundrechtlichen Stellung einer Innung, heißt es dort erneut, sei die vom öffentlichen Akt betroffene Funktion285. Die Akzentuierung im konkreten Fall war freilich eine andere als im Rahmen der Orthopädietechniker-Innungen: Es gehe nicht um den Schutz einer materiellen Tätigkeit der Innung, sondern um ihren territorialen Zuschnitt und damit um einen Aspekt des vom Staat zur Verfügung gestellten Organisationsrahmens, aus dem die Innung selbst keine Rechtsposition herleiten könne286. Entsprechend könne sich die Innung in diesem Falle nicht auf den Schutz der Grundrechte berufen. Auch wenn zu einer anderen Art von Beschwerdeführer ergangen, folgen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit kassenärztlicher Vereinigungen inhaltlich demselben Muster. Das Gericht lehnte ihre Grundrechtssubjektivität ab und bezog sich vornehmlich darauf, dass die kassenärztlichen Vereinigungen stets in einem Bereich gesetzlich zugewiesener öffentlicher Aufgaben tätig würden; weder ihr Selbstverwaltungsrecht noch die Förderung der Interessen der in ihr zusammengeschlossenen Ärzte reichten vor diesem Hintergrund für die Zuerkennung der Grundrechtsfähigkeit aus287. Speziell die Rezeption der beiden Innungs-Entscheidungen zeigt sehr deutlich, dass der zugrundeliegende Rechtsprechungsansatz Unstimmigkeiten hervorgerufen hat. Einige Beobachter stimmen der Linie der Rechtsprechung noch vollumfänglich zu und halten die Zuerkennung der Grundrechtsfähigkeit an Orthopädietechniker-Innungen für eine gut begründete wie gleichermaßen nicht zu verallgemeinernde Ausnahme288. Teilweise heißt es, die 283  BVerfGE 70,

1 (18 ff.). 1 (20 f.). 285  BVerfG (K), NVwZ 1994, 262 (262). 286  BVerfG (K), NVwZ 1994, 262 (263). 287  BVerfGE 70, 1 (15); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1588 f.); knapp auch schon in BVerfGE 62, 354 (369 f.). 288  Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 151; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 99 f.; im Ergebnis auch Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 55. 284  BVerfGE 70,



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Ausnahme sei ohnehin obsolet, da sich die einfache Rechtslage, mit der das Verfassungsgericht in der Orthopädietechniker-Entscheidung argumentierte, zugunsten einer immer stärkeren Einbindung aller Heil- und Hilfsmittelerbringer in den Vollzug der gesetzlichen Krankenversicherung geändert habe, so dass für eine Grundrechtsfähigkeit ohnehin kein Raum mehr sei289. Andere sehen einen ersten Angriffspunkt schon in der Tatsache, dass das Gericht trotz einer ähnlichen Ausgangslage mittels des funktionsorientierten Kriteriums zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangte, und kritisieren, dass es der Rechtsunsicherheit durch diese Inkonsistenz Vorschub geleistet habe290. Neben dem Begründungsweg stehen jedoch auch die konkreten Resultate der Rechtsprechung in der Kritik. Auf Grundlage des Kriteriums der Interessenvertretung könne sehr wohl die Grundrechtsfähigkeit kassenärzt­ licher Vereinigungen angenommen werden291, der sich das Bundesverfassungsgericht freilich verstellt hat. Dass das Gericht die einfach-rechtliche Systemintegration der Innungen als Argument einbezieht, stelle die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, der selbige über eine mehr oder minder starke Einbindung selbst ausschließen oder herbeiführen könne292. Besonders ambivalent beurteilt wird die Einpassung in die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung. Hier findet sich zum einen die Position, gerade der Beschluss zur Grundrechtssubjektivität der Orthopädietechniker-Innungen sei nur eine konsequente Fortschreibung des Durchgriffsgedankens bzw. eines anthropozentrischen Grundrechtsverständnisses293. Andernorts wird das genaue Gegenteil vertreten. Die argumentative Verankerung im einfachen Recht und die damit einhergehende Differenzierung nach der konkret betroffenen Funktion einer juristischen Person sei so, wie es das Verfassungsgericht hier praktiziert habe, das Gegenstück zu einer individualistischen Durchgriffsthese und ihr gegenüber vorzugswürdig294. In dieser Deutungsvielfalt bricht sich die obige Erkenntnis Bahn: Die Innungs-Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind im Verhältnis zu seiner sonstigen Linie Anomalien, deren Einpassung in das 289  Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 267 f.; ähnlich Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 273. Auf die Änderung weist auch T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (34) hin, folgert daraus aber nicht zwangsläufig eine Grundrechtsunfähigkeit der nichtärztlichen Leistungserbringer nach der heutigen Rechtslage. 290  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 67; F. Schoch, Jura 2001, 201 (206 f.); vorsichtiger Link, Grundrechtsschutz (Fn. 154), S. 517; nur andeutungsweise Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 111 Fn. 263. 291  W. Frenz, VerwArch. 85 (1994), 22 (29 f.); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (34 f.). 292  W. Frenz, VerwArch. 85 (1994), 22 (29 mit Fn. 29); Storr, Staat (Fn. 18), S. 199. 293  H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3107); nur angedeutet bei Storr, Staat (Fn. 18), S. 199. 294  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (14); zum darin liegenden Widerspruch ebenso Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  129 f.

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Konzept der ständigen Rechtsprechung zu einem nicht unwesentlichen Teil von der Perspektive des Interpreten abhängt, wie etwa der grundrechtliche Umgang mit den kassenärztlichen Vereinigungen zeigt. Davon ausgehend ist die Beobachtung, die Innungs-Rechtsprechung trage eher zur Rechtsunsicherheit bei als sie sich reibungslos in das bisherige System einfüge, durchaus zutreffend. Ein weiterer Beleg dieser These ist die vom Bundesverfassungsgericht bemühte Abgrenzung zu einer früheren Entscheidung, die die Grundrechtsfähigkeit einer Gemeinde außerhalb der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben zum Gegenstand hatte. Die Orthopädietechniker-Entscheidung stehe nicht im Widerspruch zu der Annahme, eine Gemeinde könne sich in einer Situation, die außerhalb ihrer öffentlichen Aufgabenwahrnehmung liegt, nicht auf die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG berufen295. In der damaligen Entscheidung sei die Unanwendbarkeit der Grundrechte damit begründet worden, dass auch wesentliche Unterschiede zur Ausgangslage von Privatpersonen bestünden, was im Falle der Orthopädietechniker-Innungen gerade nicht festgestellt werden könne. Doch diese eher knappe, selten beachtete Grenzziehung ist bei näherer Betrachtung nur eine scheinbare. Hier wird deutlich, worin die Rechtsunsicherheit besteht, die die Innungs-Rechtsprechung hervorruft. Denn das Gericht negiert einen Widerspruch zwischen beiden Beschlüssen mit dem Argument, dass es das jeweilige Ergebnis mit unterschiedlichen Begründungen hergeleitet hat. In dem Beschluss zur Unfähigkeit von Gemeinden, sich im Rahmen der Wahrnehmung nicht-­ ­ hoheitlicher Aufgaben auf die Eigentumsfreiheit zu berufen, hat das Verfassungsgericht seine Entscheidung zunächst auf das klassische, anthropozen­ trisch geprägte Grundgerüst der eigenen Linie gestützt und ergänzend auf den Gedanken der mangelnden Vergleichbarkeit zurückgegriffen: Öffentliche Körperschaften könnten aufgrund verschiedener gesetzlicher, aber auch rechtsfaktischer „Vorzüge“ nie in eine dem Bürger vergleichbare, grundrechtliche Bedrohungslage geraten296. Daneben ging das Bundesverfassungsgericht auf die Rechtslage der Gemeinden als spezielle juristische Person des öffentlichen Rechts ein und leitete aus verschiedenen Bestimmungen der Gemeindeordnungen her, dass ihre Wirtschaftstätigkeit an einen öffentlichen Zweck gebunden sei, so dass jede Tätigkeit außerhalb eben jener öffentlichen Zwecksetzung mit einer verminderten Schutzwürdigkeit einhergehen müs­ se297. Angehängt hat das Gericht noch teleologische Erwägungen zu Art. 14 GG, der aus seiner Sicht nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum 295  BVerfGE 70, 1 (21); Bezug genommen wird auf den sog. Sasbach-Beschluss, s. BVerfGE 61, 82. 296  BVerfGE 61, 82 (105 f.). 297  BVerfGE 61, 82 (107).



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Privater schütze298. Im Beschluss zu den Orthopädietechniker-Innungen heißt es dagegen – wie gesehen – entscheidend sei die Funktion, in der die juristische Person des öffentlichen Rechts betroffen werde. Diese sei im vorliegenden Fall die Interessenvertretung der Mitglieder. Von diesem Ausgangspunkt wird der Gedanke der Durchgriffsthese bemüht; von hier aus wird hergeleitet, dass sich keine entscheidungserheblichen Unterschiede zur Lage privater Zusammenschlüsse ergäben299. Es besteht jedoch ein essentieller Unterschied zwischen einer Argumentation, die die betroffene Funktion einer juristischen Person zum vornehmlichen Maßstab erklärt und daraus die These entwickelt, in der Funktion „Interessenvertretung“ stünde eine staatliche Organisationseinheit im konkreten Fall einer privat getragenen gleich, und einer solchen, die die Vorzeichen kurzerhand umpolt und die betroffene Funktion einer juristischen Person per se für unerheblich erklärt, sollte sie außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben liegen, da sich die Ausgangslage der Organisationseinheit von vornherein nicht mit derjenigen natürlicher Personen vergleichen lasse. Mit der letztgenannten Argumentation entgeht das Bundesverfassungsgericht dem Problem, sich mit den Resultaten einer konsequenten Anwendung des funktionalen Maßstabs auseinandersetzen zu müssen, die sich möglicherweise nachteilig auf die Stabilität des sonstigen Konzepts auswirken könnten. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Reibungspunkte zwischen den verschiedenen Linien. Sollte aus Sicht des Verfassungsgerichts der Satz „Art. 14 als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“300 etwa nicht genauso auf öffentlich-rechtlich organisierte Innungen und ihre Verbindungen zutreffen? Oder, angepasst an die Fallrelevanz des Art. 2 Abs. 1 GG bei den Orthopädietechniker-Innungen: Hätte es auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung nicht genauso heißen müssen „Art. 2 Abs. 1 GG schützt nicht die Privatautonomie, sondern die (Vertrags-)Autonomie Privater“? Präferiert man den anderen vom Verfassungsgericht gewählten Maßstab, lässt sich diese Argumentation spiegeln: Als das Bundesverfassungsgericht über die grundrechtliche Absicherung der Tätigkeit einer Sparkasse außerhalb hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung zu befinden hatte, hätte es dann nicht im Lichte der Innungs-Rechtsprechung funktional prüfen sollen, ob die Aufgabe, in der die Anstalt des öffentlichen Rechts betroffen war, eine nicht-staatliche, also eine nicht gesetzlich zugewiesene war? Das Gericht hat diesen Weg in der entsprechenden Entscheidung angedeutet, indem es das Mantra wiederholte, entscheidend sei die wahrgenommene Funktion, nicht die Rechtsform. Subsumiert hat es dann jedoch nicht unter diesen Ge298  BVerfGE 61,

82 (108 f.). 1 (20 f.). 300  BVerfGE 61, 82 (108 f.). 299  BVerfGE 70,

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danken, sondern die Ablehnung der Grundrechtsfähigkeit der betroffenen Sparkasse über ihre historisch begründete Zuordnung zu den Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge abgeleitet, die auch heute noch fortbestehe301. Einer Sparkasse fehle der Bezug zum Freiheitsraum natürlicher Personen, da ihre Trägerin selbst bei einer den privaten Banken vergleichbaren, erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit weiterhin eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft sei302. In welcher Funktion die Sparkasse jedoch betroffen ist, wenn sie sich wie im konkreten Fall gegen eine berichtigte Kostenrechnung des Amtsgerichts im Zwangsvollstreckungsverfahren wendet303, und ob sie in dieser näher zu bestimmenden Funktion tatsächlich als Vehikel staatlicher Kompetenzausübung anzusehen ist, prüft das Verfassungsgericht nicht. Seine Ausführungen bleiben abstrakt. Genauso ist das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss aus dem Jahr 1996 verfahren, als es einer Sparkasse den grundrechtlichen Schutz gegen eine staatsanwaltliche Durchsuchung versagte304. In anderen Fällen hat sich das Gericht hingegen bemüht, den Maßstab der Innungs-Rechtsprechung anzuwenden und ihn auf Fragen der Grundrechtssubjektivität anderer staatlicher Organisationseinheiten zu übertragen305. Wie stark die nun entstandene Reibung zwischen den beiden Linien der Rechtsprechung ist, zeigt sich anhand eines Erst-Recht-Schlusses, den das Verfassungsgericht im Kontext der Grundrechtsunfähigkeit der Gemeinden gezogen hat. Verlasse eine juristische Person des öffentlichen Rechts den Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, bestehe noch weniger Grund, sie als „Sachwalter“ des privaten Einzelnen anzusehen306. Um die Aussage differenziert einordnen zu können, sei an dieser Stelle angemerkt, dass sie in Zusammenhang mit der Ablehnung des Gedankens erging, die betreffende juristische Person nehme stellvertretend die Grundrechte der Bürger wahr307. Jedenfalls in seinem legitimatorischen Kern ist es genau dieser Gedanke, den das Verfassungsgericht zur Entscheidung zugunsten der Grundrechtsfähigkeit der Orthopädietechniker-Innungen heranzieht: Ist eine 301  BVerfGE 75,

192 (197 ff.). 192 (200). 303  Näher zum Sachverhalt siehe BVerfGE 75, 192 (193 f.). 304  BVerfG (K), NJW 1995, 582 (582). – Einen Widerspruch zwischen der abstrakten Karlsruher Argumentation hinsichtlich der Sparkassen und dem konkretfunktionsorientierten Ansatz der Innungs-Rechtsprechung sieht auch Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  135 ff. 305  BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1588) zu kassenärztlichen Vereinigungen; BVerfG (K), NJW 1997, 1634 (1634) zur Ärztekammer Hamburg; BVerfG (K), NVwZ 2007, 1420 (1420) zu einer kommunalen Gebietskörperschaft. 306  BVerfGE 61, 82 (103 f.); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583). 307  Zum Sachwaltergedanken auch schon oben S. 40 mit Fn. 101. 302  BVerfGE 75,



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staatlich getragene juristische Person Geltungsmedium identifizierbarer Interessenträger, muss ihr grundrechtlicher Schutz zukommen. Wie sich vor diesem Hintergrund ein Erst-Recht-Schluss rechtfertigen lassen soll, dessen Subtext in die Richtung deutet, außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben liege das Einstehen für Interessen anderer noch weiter fern als beim Vollzug eben jener öffentlicher Aufgaben, ist schwer ersichtlich308. Vielmehr hätte es in der Konsequenz der Innungs-Rechtsprechung gelegen, Gemeinden bei erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit unter Umständen die Grundrechtssubjektivität zuzubilligen309. Wenn das Gericht im Beschluss zu den Orthopädietechniker-Innungen darauf verweist, durch die Anwendung unterschiedlicher Kriterien ergebe sich kein Widerspruch zur grundrechtlichen Einordnung der Gemeindetätigkeit im konkreten Fall, drängt sich im Gegenzug doch gerade die Frage auf, wieso nicht in beiden Entscheidungen ein und derselbe Maßstab zum Tragen kommt. In beiden ging es schließlich gleichermaßen um die Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts außerhalb des Rahmens öffentlicher Aufgabenwahrnehmung. Ohne ein Urteil darüber zu fällen, welches Kriterium nun das stichhaltigere ist, fällt doch auf, dass das Bundesverfassungsgericht speziell mit seiner Innungs-Rechtsprechung ein Spannungsfeld zu den hergebrachten Begründungssträngen aufgebaut hat. Statt den Beschluss bezüglich der Orthopädietechniker-Innung als das zu bezeichnen, was er ist – ein einzelfall- und umstandsbezogenes Votum aufgehängt an einem funktionalen Kriterium –, wird reflexhaft die Einpassung in das übergeordnete Konzept versucht, um die Kulisse einer strikten und abstrakten Linie

308  Dieses Spannungsfeld kann auch nicht durch den Einwand aufgelöst werden, das Verfassungsgericht habe hier nur dem Gedanken einer „echten“ Vertretungskonstruktion eine Absage erteilen wollen. Denn selbst wenn man diese Prämisse akzeptierte, bliebe doch die übergeordnete Idee, aus der die Ablehnung des Sachwalter­ gedankens überhaupt erst hergeleitet ist, dieselbe. – Inwieweit sich der zugrundeliegenden Entscheidung im Übrigen entgegengehalten lässt, aufgrund ihres Zuschnitts speziell auf die Gemeinden nicht verallgemeinerungsfähig zu sein, ist unklar. Denn trotz des spezifischen Bezugs hat das Verfassungsgericht seine Ausführungen abstrakt formuliert, seine Gedanken explizit auf „juristische Personen des öffent­ lichen Rechts“ bezogen und so den Anschein der Allgemeingültigkeit erweckt, s. nur BVerfGE 61, 82 (103 f.); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583); vgl. dazu ferner S. 64 f. 309  So auch U. Becker, Jura 2019, 496 (504, 509). Anders Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1467 f., der aus einer Zusammenschau von Innungs-Rechtsprechung und Sasbach-Beschluss einen dritten, „neutralen“ Bereich zwischen der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und der Interessenvertretung der Mitglieder ableiten will. Er mutmaßt, dass das Verfassungsgericht so zu verstehen sei, dass es nicht nur Gemeinden, sondern juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen in diesem Bereich die Grundrechtsfähigkeit versagen wolle.

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nicht zugunsten des Wunsches nach größtmöglicher Flexibilität im konkreten Einzelfall abbauen zu müssen310. 2. Zweierlei Maß im Verständnis von „inländisch“ und der wesensmäßigen Anwendbarkeit im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG Beim Blick auf die Auslegung der verschiedenen Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 3 GG ergibt sich eine bemerkenswerte Diskrepanz. Während die Rechtsprechung – jedenfalls bei juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft – zur Ergründung der wesensmäßigen Anwendbarkeit der Grundrechte regelmäßig die Durchgriffsthese und die Ursprungsidee der Grundrechte bemüht und die Grundrechtsfähigkeit staatlicher Organisationseinheiten so zumindest metaphorisch an diejenige natürlicher Personen koppelt311, geht das Bundesverfassungsgericht bei der Bestimmung, ob es sich um eine „inländische“ juristische Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG handelt, einen anderen Weg. Zunächst sei vorausgeschickt, dass die Befassung mit dem Kriterium auf verfassungsgerichtlicher Ebene in ihrem Umfang deutlich schmaler ausfällt als etwa diejenige mit der Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen. Das gilt sowohl für die Zahl der Verfahren, die unter spezieller Berücksichtigung dieses Aspekts in Karlsruhe angestrengt wurden, als auch für die inhaltlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. In einem denkbar knappen Beschluss aus dem Jahr 1967 etwa heißt es, eine US-amerikanische Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hat, sei eine ausländische juristische Person und könne sich nicht nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die Grundrechte berufen312. Erst deutlich später hat das Gericht den Sitz als maßgeblichen Beurteilungsgesichtspunkt

310  So sind auch die Ausführungen des früheren Verfassungsrichters Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1467 f. einzuordnen (zuvor in Fn. 309). Die Eröffnung eines dritten, „neutralen“ Bereichs zwischen öffentlichen Aufgaben und Interessenvertretung ist Ausdruck des Wunsches nach Einordnung von Einzelfallentscheidungen in ein übergeordnetes Narrativ. 311  Dazu oben S. 39 ff. 312  BVerfGE 21, 207 (208 f.). Ähnlich schmallippig hat das Gericht diesen Weg später auch in anderen Fällen beschritten und zumindest impliziert, dass der Sitz das zur Abgrenzung zwischen inländischen und ausländischen juristischen Personen entscheidende Kriterium sei, s. BVerfG (K), NJW 2000, 1281 (1282); NJW 2002, 1485 (1485). – In der deutschen Verfassungslandschaft hat das Abstellen auf den Sitz der betroffenen juristischen Person mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen auch ein landesrechtliches Vorbild.



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expressis verbis bestätigt und diesen Aspekt materiell mit Leben gefüllt313. Demnach sei der Sitz einer juristischen Person am tatsächlichen Hauptverwaltungssitz anzusiedeln, also dort, wo das oberste Verwaltungsorgan das Gros seiner Entscheidungen über die Geschäftsführung fälle bzw. an dem Ort, wo Entscheidungen über die Unternehmensleitung in Geschäftsführungsakte umgesetzt würden314. Damit hat sich das Bundesverfassungsgericht der auch in der Wissenschaft überwiegend vertretenen Auffassung angeschlossen, wonach es für die Zuordnung zum Inland auf den tatsächlichen Tätigkeitsschwerpunkt der Organisationseinheit ankommt315. Für den hiesigen Untersuchungsgegenstand von Interesse ist jedoch vielmehr, worauf es nach Auffassung des Gerichts nicht ankommt. In seinen neueren Entscheidungen hat es ausdrücklich betont, die Staatsangehörigkeit der Mitglieder spiele bei der Beurteilung, ob eine juristische Person eine „inländische“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG ist, keine Rolle316. Zieht man nun die Parallele zu den standardisierten Linien der ständigen Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen, fällt auf, dass das Bundesverfassungsgericht gänzlich unterschiedliche Ansätze zu Rate zieht. Statt des „Durchgriffs“ auf die hinter der Organisationseinheit stehenden natürlichen Personen ist es beim Inlandskriterium nun die verfassungsrechtlich gewährte Eigenständigkeit der juristischen Person, die als teleologische Grundlage der Interpretation dient317. Es überrascht nicht, dass bei einer solchen Umpolung des gedanklichen Ausgangspunktes bei der Auslegung ein und derselben Vorschrift Geradlinigkeit nicht in jedem Falle gewährleistet ist. So heißt es in der wissenschaftlichen Literatur zwar in Anlehnung an die Haltung des Verfassungsgerichts, die Staatsangehörigkeit der 313  BVerfG (K), NVwZ 2008, 670 (671); NJW 2018, 2392 (2393); kurzzeitig kehrte es zum Stil der beiläufigen Bezugnahme auf das Sitzkriterium zurück, so in BVerfGK 15, 225 (240, Rn. 60). 314  BVerfG (K), NJW 2018, 2392 (2393), einerseits im Anschluss an Quaritsch (Fn. 17), § 120 Rn. 48, andererseits an BGHZ 97, 269. 315  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 45; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 79; A. Guckelberger, AöR 129 (2004), 618 (627 f.); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 296; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 66; K. M. Meessen, JZ 1970, 602 (604); A. von Mutius, Jura 1983, 30 (36); Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 94; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 54. – Zu den anderweitig vertretenen Zuordnungsmodellen der sog. Gründungsbzw. Kontrolltheorie, die maßgeblich auf den Gründungsort resp. die Kontrolle durch inländische natürliche Personen abstellen, siehe Schmidt, Grundrechte (Fn. 53), S.  49 f.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  1138 f.; Ziekow, Freizügigkeit (Fn. 113), S.  528 f. 316  BVerfG (K), NVwZ 2000, 1281 (1283); NVwZ 2008, 670 (671); NJW 2018, 2392 (2393). 317  Kritisch beobachten diesen Umstand auch M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (808).

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Mitglieder könne keine Rolle spielen, da eine solche Handhabe die Eigenständigkeit der juristischen Person unberücksichtigt lasse318. Dennoch bricht sich der Durchgriffsgedanke zeitweise immer wieder Bahn319, insbesondere wenn vermeintliche Ausnahmen zu etablieren versucht werden und dafür an die Mitgliederzusammensetzung, genauer: die Nationalität der hinter der Organisationseinheit stehenden natürlichen Personen angeknüpft wird320. Auch das Bundesverfassungsgericht deutete zeitweise an, mit dem eigentlichen Credo der Sitztheorie zu brechen und spielte stattdessen mit dem Durchgriffsgedanken, als es im Hinblick auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ausdrücklich offen ließ, ob sich an der Beurteilung des Merkmals „inländisch“ etwas ändere, sollten die Mitglieder der juristischen Person allesamt Ausländer sein321. Ein solcher Standpunkt, sei er in der Literatur, sei er in der Rechtsprechung geäußert, geht jedoch unverkennbar mit einem Systembruch einher und verträgt sich nur schwerlich mit der Grundannahme der 318  Siehe nur U. Becker, Jura 2019, 496 (499 f.); de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 55; A. Guckelberger, AöR 129 (2004), 618 (628); A. von Mutius, Jura 1983, 30 (36); Tettinger (Fn. 27), § 51 Rn. 41; Ziekow, Freizügigkeit (Fn. 113), S. 529. 319  Besonders ausgeprägt zu beobachten bei Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 82 ff., die zwar von der Sitztheorie ausgeht, sich aber explizit auf die Gedanken der Durchgriffsthese bezieht und die Schutzbedürftigkeit einzelner natürlicher Personen in die Auslegung des Tatbestandsmerkmals einbeziehen will. Zu anderen Ergebnissen als die strikte Anwendung der Sitztheorie kommt sie freilich nicht; das jedoch nur aus Mangel an Alternativen vor allem für die aus ihrer Sicht dilemmatische Situation, dass sich eine deutsche natürliche Person in einer von Ausländern beherrschten Vereinigung grundrechtsgeschützt betätigen will, ebd., Rn. 86 f. 320  M. Heintzen, Ausländer als Grundrechtsträger, in: Merten/Papier, HGR II (Fn. 14), § 50 Rn. 10; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 300; Isensee (Fn. 93), § 199  Rn. 72 ff.; D. Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders./H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 56 Rn. 99; E.-H. Ritter, NJW 1964, 279 (280 f.); Rupp-von Brünneck, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 90), S. 382 f. Dezidiert vor allem Quaritsch (Fn. 17), § 120 Rn. 51 ff., 60 ff., der seine Gedanken jedoch an die Kontrolltheorie anknüpft. – Formuliert wird dieser Gedanke zumeist unter dem Stichwort „Ausländervereine“. In Anlehnung an die einfach-rechtliche Legaldefinition des § 14 Abs. 1 VereinsG sind damit Organisationseinheiten gemeint, die zwar ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben, deren Mitgliederbestand sich jedoch mehrheitlich oder vollständig aus Personen zusammensetzt, die nicht als Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG zu qualifizieren sind. Für den grundrechtlichen Zusammenhang ist der Begriff freilich technisch unsauber, betrifft die Frage hier doch beispielsweise auch Personen- oder Kapitalgesellschaften. 321  BVerfG (K), NJW 2002, 1485 (1485). Darüber hinaus hat das Verfassungsgericht die Anwendung des Art. 9 Abs. 1 GG auf einen Verein abgelehnt, dessen Mitgliederstamm sich überwiegend aus Ausländern zusammensetzte, BVerfG (K), NVwZ 2000, 1281 (1281). Beurteilungsschwierigkeiten ergeben sich hier jedoch weniger aus den Tatbestandsmerkmalen des Art. 19 Abs. 3 GG, sondern aus seinem Verhältnis zu Art. 9 Abs. 1 GG; dazu näher unten S. 127 ff.



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Sitztheorie, die untrennbar mit der Emanzipation der juristischen Person von ihren Mitgliedern verknüpft ist322. Bemerkenswert ist darüber hinaus ein bestimmtes Argumentationsmuster, auf das im Zuge der Sitztheorie vermehrt zurückgegriffen wird. So komme ein Grundrechtsschutz der juristischen Person nur dann in Betracht, wenn sichergestellt sei, dass sie überhaupt mit der deutschen Staatsgewalt hinreichend in Berührung komme; diese Betroffenheit und besondere Schutzbedürftigkeit sei gegeben, wenn die juristische Person tatsächlich effektiv auf deutschem Staatsgebiet tätig werde323. Mindestens artverwandt ist diese Begründung mit einem der Ausgangsgedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage. Im Konzept der letzteren steht speziell für staatlich getragene juristische Personen ein Grundrechtsschutz lediglich zur Debatte, wenn sie der öffentlichen Staatsgewalt überhaupt unterworfen sein kann, ihr also in einem Außenrechtsverhältnis gegenübersteht324. Die Parallelen sind unverkennbar325. Beide Argumentationen basieren darauf, den Eigenwert der juristischen Person anzuerkennen und sie in der Beurteilung von ihren potentiellen Einzelgliedern zu emanzipieren. Während ein solches Vorgehen jedoch bei der Interpretation des Begriffs „inländisch“ weitestgehend anerkannt ist, muss es bei der verfassungsgerichtlichen Beurteilung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft der Durchgriffsthese weichen. Der Ansatz der Rechtsprechung geht demnach bei zwei Tatbestandsmerkmalen des Art. 19 Abs. 3 GG nicht nur von zwei verschiedenen, sondern sich diametral entgegenstehenden Grundannahmen aus und sorgt so zwangsläufig für Reibungen. Das Bundesverfassungsgericht und diejenigen, die ihm speziell in Bezug auf die strikte Kopplung des Art. 19 Abs. 3 GG an Grundrechts­ idee und Menschenwürde folgen, stellen auf diese Weise selbst den Absolut322  Auf dieser Linie auch de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 56; Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 80; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 56. 323  de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 56; A. Guckelberger, AöR 129 (2004), 618 (627 f.); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 82; Schmidt, Grundrechte (Fn. 53), S.  84 f.; Ziekow, Freizügigkeit (Fn. 113), S. 528; ähnlich ­E.-H. Ritter, NJW 1964, 279 (280); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1142. – Zugespitzt trägt R. Müller-Terpitz, JZ 2020, 1080 (1084 ff., 1087) diesen Gedanken vor und fordert eine grundlegende Neuausrichtung des Art. 19 Abs. 3 GG mit einer weitgehenden Umdeutung des Inlandsbezugs, bestenfalls gar einhergehend mit einer Streichung des Begriffs „inländisch“ aus dem Normtext. 324  Statt vieler A. von Mutius, Jura 1983, 30 (40 f.). Zum Konzept der grundrechts­ typischen Gefährdungslage ausführlich oben S. 65 ff. 325  Sie werden allerdings selten aufgegriffen, sondern zumeist geflissentlich ignoriert. Als Ausnahmen sind allein Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 80 und Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 90 zu nennen, die den Zusammenhang zwischen Sitztheorie und grundrechtstypischer Gefährdungslage in ihrem gedanklichen Ursprung herstellen.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

heitsanspruch des gedanklichen Ausgangspunkts ihrer Thesen zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in Frage, den sie im Laufe einer jahrzehntelangen Tradition um das Konzept herum aufgebaut haben326. 3. Verfahrensgrundrechte und Gleichheitssatz als zwei Seiten derselben Medaille Nicht nur die restriktive Hauptlinie der ständigen Rechtsprechung bezüglich der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten hat Tradition, auch die Ausnahmen, die das Bundesverfassungsgericht davon zulässt, müssen schon seit jeher in der Diskussion mitgedacht werden. Eine dieser Ausnahmen ist die Möglichkeit juristischer Personen gleich welcher Couleur, sich auf die Justizgrundrechte aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG zu berufen327. Das Gericht bezieht insbesondere systematische Aspekte in seine Überlegungen mit ein und argumentiert, dass diese Bestimmungen formell nicht zu den Grundrechten im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG gehörten328. Bei den justiziellen Gewährleistungen handle es sich nicht um Individualgrundrechte, sondern um objektive Verfahrensgrundsätze, die in jedem gerichtlichen Verfahren Geltung beanspruchten und entsprechend auch jeder im Prozess beteiligten Partei zugutekommen müssten329. Vereinzelt klingt auch die Bedeutung der Verfahrensgarantien für die Legitimität richterlicher Entscheidungen als Begründungsstrang an330. Handwerklich betrachtet weicht das Bundesverfassungsgericht von seiner am jeweiligen 326  Wie hier T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (25); A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (62 f.) und M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (808), die auf die Spannungen zwischen dem individualistischen Ansatz der Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen und der Auslegung – oder im Falle Kulicks: der Existenz – des Inlandskriteriums hinweisen. 327  Für entsprechende Rechtsprechungsnachweise s. oben S. 37 mit Fn. 91. Gleiches gilt nach der Judikatur des Verfassungsgerichts auch für ausländische juristische Personen, s. dazu BVerfGE 12, 6 (8); 18, 441 (447); 21, 362 (373); 64, 1 (11); 129, 78 (92); BVerfG (K), NVwZ 2008, 670 (670); NJW 2018, 2392 (2393). 328  BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104). D. Merten, DÖV 2019, 41 (44) merkt an, dass sich das Bundesverfassungsgericht mittels der damit einhergehenden Trennung zwischen formellen und materiellen Grundrechten in Widerspruch zum selbst formulierten Konfusionsargument setze. 329  BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104); 96, 231 (244); 138, 64 (83, Rn. 55); BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (82 f.). Getragen ist diese etwas umständlich anmutende Formulierung von dem Prinzip der verfahrensmäßigen Waffengleichheit. In seinen frühesten Entscheidungen spricht das Verfassungsgericht diesen Gedanken expliziter an, s. BVerfGE 6, 45 (49 f.); 12, 6 (8). – Zur Kritik der Literatur an der Einordnung der Justizgrundrechte als objektive Verfahrenssätze bereits oben S. 37 f. mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 93. 330  BVerfGE 61, 82 (105); 138, 64 (83, Rn. 55).



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 91

Rechtsträger orientierten Perspektive ab und leitet die Argumentation vom infrage stehenden Recht aus her. Maßgeblich für die Zuerkennung der justiziellen Grundrechte auch an staatliche Organisationseinheiten scheint demnach ihre essentielle Bedeutung für ein faires und gleichberechtigtes gerichtliches Verfahren zu sein, wie es das Rechtsstaatsprinzip vorsieht. Insbesondere dieser Gedanke der prozessualen Waffengleichheit hat breite Zustimmung erfahren331. Der damit notwendigerweise einhergehende Perspektivwechsel hin zum in Rede stehenden Grundrecht wird nachvollzogen, die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG für die Gewährleistung einer integren, die Prinzipien des Rechtsstaats achtenden Justiz als notwendig angesehen332. Gehe man von rechtsstaatlicher Fairness als Quell der Anwendung aus und verfolge die Idee konsequent weiter, so könne die Geltung der justiziellen Rechte für juristische Personen im Allgemeinen sogar ohne einen Rückgriff auf Art. 19 Abs. 3 GG begründet und aus den Bestimmungen selbst mittels einer entsprechenden Auslegung hergeleitet werden, heißt es vielerorts333. Ungeachtet des zu beschreitenden rechtstechnischen Weges mahnen einige Stimmen, bei der großen Einigkeit im Ergebnis nicht die Querverbindungen aus den Augen zu verlieren. Denn das Bundesverfassungsgericht nehme durch die Erstreckung der justiziellen Grundrechte auf die Gesamtheit der juristischen Personen einen dogmatischen Systembruch mit seinem sonstigen Konzept in Kauf334. Die Betonung der objektiv-rechtlichen Seite sei jedenfalls kein starkes Differenzierungskriterium zugunsten der Anwendung der Justizgrundrechte, da diese Dimension allen Grundrechten gemein sei335. Tatsächlich bleibt offen, inwieweit sich der starke Fokus auf die objektiv-rechtliche Wirkung der Justizgrundrechte mit der anderweitigen Position der Rechtsprechung verträgt, die Mehrdimensionalität der Grundrechte spiele für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in

331  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 93; ders., AöR 104 (1979), 54 (101); Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 40; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 324; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 112; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 144; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 50; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1156; Ulsa­ mer, Geltung (Fn. 213), S. 208. 332  Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 324; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 144. 333  de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 41, 44; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 112; ähnlich Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 40; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 144; W. Siepermann, DÖV 1975, 263 (270). 334  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (127); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56 spricht von „Inkonsequenz“ und einer „Anomalie“. 335  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (127); Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 49; in diese Richtung auch D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (403); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (14).

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

staatlicher Trägerschaft keine Rolle336. Nicht selten wird von anderer Seite die Frage aufgeworfen, ob es des Grundrechtsschutzes an dieser Stelle überhaupt bedürfe, wenn doch das einfache Recht bereits Verfahrensregeln bereit halte, die Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes eines fairen Verfahrens seien und auf die sich auch staatlich getragene juristische Personen zweifelsohne berufen könnten337. Jedenfalls in Bezug auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG scheint das Verfassungsgericht in eine ähnliche Richtung zu denken. Ihren Schutz billigt es nur denjenigen juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft zu, die sich auch auf mate­ rielle Grundrechte berufen können338. Dass es sich auch bei Art. 19 Abs. 4 GG um eine fundamentale Ausprägung von Rechtsstaatlichkeit und (prozeduraler) Gerechtigkeit handelt339, scheint – anders als bei den Justizgrundrechten – für die Zuerkennung eines universalen Grundrechtsschutzes nicht hinreichend zu verfangen340. Darüber hinaus ließe sich über eine ideengeschicht336  Zu dieser Argumentation S. 52 ff. In Opposition dazu spricht sich Ossenbühl, Geltung (Fn. 15), S. 893 für die ausnahmslose Beachtlichkeit der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte zugunsten aller juristischer Personen aus. 337  Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56; Roelle­ cke, Geltung (Fn. 71), S. 144. 338  BVerfGE 107, 299 (310 f.); 129, 108 (118); BVerfG (K), NVwZ 2017, 53 (55); zuvor offen gelassen in BVerfGE 61, 82 (109); BVerfG (K), NVwZ 2007, 1176 (1177); NVwZ 2008, 778 (779). Diese Linie hat in der Literatur weitestgehend Zustimmung gefunden, s. de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 42; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 4 Rn. 387; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 54; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 108, 114; E. Schmidt-Aßmann, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/ Scholz – GG (Fn. 25), Art. 19 Abs. 4 (2020), Rn. 44 f.; explizit gegen einen Vergleich mit den Justizgrundrechten wendet sich Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 126 f. – Bevor die Rechtsprechung zu der Frage Stellung nahm, ging die überwiegende Meinung noch vom Gegenteil aus, s. dazu W.-R. Schenke, in: Kahl u. a., BKGG (Fn. 8), Art. 19 Abs. 4 (2020) Rn. 216 mit entsprechenden Nachweisen; weiterhin anders A. Guckelberger, Jura 2008, 819 (822 f.). 339  Zum fundamentalen Charakter des Art. 19 Abs. 4 GG aus rechtsstaatlicher Sicht statt vieler nur H. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2001, S. 467 (471 ff.); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 19 IV Rn. 35 m. w. N.; J. F. Schwach­ heim, in: D. C. Umbach/T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Bd. I, 2002, Art. 19 IV Rn. 145 f. 340  In diese Richtung auch T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119 f.), der kritisch anmerkt, dass das Bundesverfassungsgericht außerhalb der Justizgrundrechte keineswegs darauf beharre, zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts für die prozedurale Gerechtigkeit als objektiven Wert einzutreten. Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 30 meint, es komme auf die justiziellen Gewährleistungen im Prozess nicht mehr an, wenn juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Zugang zu Gericht nicht gleichzeitig mit verfassungsrechtlicher Absicherung eröffnet sei. – Jedenfalls ist es widersprüchlich, dem Verfassungsgericht in seiner Akzessorietätsbegründung beizupflichten, dann aber ausländischen juristischen Personen den Schutz des Art. 19



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 93

liche Betrachtung ebenso herleiten, dass die Auffassung der Rechtsprechung zu den Verfahrensgarantien zumindest keine Zwangsläufigkeit darstellt. Mit dem Erstarken des liberalen Rechtsstaats im 19. Jahrhundert wurde speziell das Recht auf den gesetzlichen Richter als subjektives Abwehrrecht des Bürgers gegen den restaurativen Staat verstanden, als notwendiges Mittel zur effektiven Absicherung grundrechtsgeschützter Lebensbereiche, eng verknüpft mit der allen Menschen gleichen, natürlichen Freiheit341. Dass den Verfahrensgarantien des Grundgesetzes in der Tat eine individualistische Prägung entnommen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, indem es mehrfach den starken Menschenwürdebezug etwa des Art. 103 Abs. 1 GG betont hat342. Von dieser Warte aus ließe sich folglich argumentieren, dass auch hier eine „völlige Verdrehung der Grundrechtsidee“343 stattfinde, wenn dem Staat und speziell der Exekutive eben jene Rechte zugestanden würden344. Gerade auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG wäre eine solche Begründung nicht besonders fernliegend, hat doch das Verfassungsgericht in seinen frühen Entscheidungen die Bedeutung dieser Vorschrift darin gesehen, „die ‚Selbstherrlichkeit‘ der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger zu beseitigen“345. Speziell im Kontext der Justizgrundrechte wird jedoch dem nachvollziehbaren Argument der prozessualen Waffengleichheit, das sich sachlich eben gerade auch für staatliche Organisationseinheiten führen lässt, der Vorrang vor einer ideengeschichtlich und teleologisch begründeten Argumentation eingeräumt. Eine solche wird, soweit ersichtlich, an keiner Stelle vertreten. Abs. 4 GG zuzubilligen, wie es etwa Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 26, 56 und SchmidtAßmann (Fn. 338), Art. 19 Abs. 4 (2014), Rn. 43a tun. Das Gericht selbst lehnt eine solche Differenzierung konsequenterweise ab, BVerfG (K), NJW 2006, 2907 (2908). 341  U. Müßig, Recht und Justizhoheit, 2. Auflage 2009, S. 271 ff., 274, 307; dies. (veröffentlicht noch unter dem Mädchennamen Seif), Der Staat 42 (2003), 110 (135). Konsequenz dessen war die Stilisierung des Richters als Hoffnungsträger bürgerlichen Freiheitsschutzes in jener Zeit, dazu C. Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 59. 342  BVerfGE 7, 275 (279); 9, 89 (95); 39, 156 (168); 55, 1 (5 f.); 63, 332 (337); 107, 395 (408  f.); ebenso Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56; G.  Nolte/H. P.  Aust, in: P. M. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), von Mangoldt/Klein/Starck – Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 7. Auflage 2018, Art. 103 Abs. 1 Rn. 4; H. Rüping, in: Kahl u. a., BKGG (Fn. 8), Art. 103 Abs. 1 (2016) Rn. 59, 63; dagegen B. Remmert, in: Herdegen/ Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 103 Abs. 1 (2016), Rn. 22 ff. 343  So das viel zitierte Diktum von H. C. Nipperdey, BB 1951, 593 (594) zur Berufung der öffentlichen Hand auf die Gewerbefreiheit. 344  Zurecht merkt Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 71 an, im Liberalismus des 19. Jahrhunderts sei es undenkbar gewesen, dass „der Staat“ jemals wie ein Bürger vor Gericht Recht suchen müsse. 345  BVerfGE 35, 263 (274); 51, 268 (284); grundlegend und nahezu wortgleich schon BVerfGE 10, 264 (267).

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Ist damit auf das Potential für Inkonsistenzen aufmerksam gemacht, das das Verfassungsgericht mit seiner singulären Ausnahmeregelung zugunsten der Justizgrundrechte schafft, so ergibt sich auch an anderer Stelle ein Reibungspunkt. Obwohl sich im Falle des Willkürverbots eine parallele Argumentation anbietet, beschreitet die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang einen anderen Weg. So bejaht das Bundesverfassungsgericht zwar, dass Gleichheitssatz und Willkürverbot in Art. 3 Abs. 1 GG verankert sind und diese auch für Beziehungen innerhalb des Staatsaufbaus Geltung beanspruchen346. Hoheitliche Akte, die juristische Personen in staatlicher Hand betreffen, sieht das Gericht daher auch dem Prüfungsmaßstab des Willkürverbots unterworfen347. Die Konstruktion eines Grundrechts lehnt es jedoch als überflüssig ab, da es sich insoweit nur um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handle, der bereits aus dem Wesen des Rechtsstaats folge348. Dieser Ansatz findet in der Wissenschaft Unterstützung349. Konsequenz dessen ist, dass das Verfassungsgericht die materielle Prüfung des Willkürverbots an den Verfahrensmodus knüpft, in dem eine Streitigkeit ihren Weg nach Karlsruhe findet350. Richtet man den Blick auf den argumentativen Ausgangspunkt, behandelt das Verfassungsgericht Willkürverbot und Verfahrensgarantien demnach wie zwei Seiten derselben Medaille, kommt aber in der Anwendung der entsprechenden Grundrechte zu vollständig anderen Ergebnissen. In beiden Fällen betont das Gericht ihren Charakter als objektive Grundsätze, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip speisten. Es wäre aus seiner Perspektive durchaus möglich gewesen, das Bild der Parallelität weiter zu zeichnen und angelehnt an die Rechtsprechung zu den Verfahrensgarantien staatlich getragenen juris346  BVerfGE 21, 362 (372); 23, 12 (24); 35, 263 (271 f.); 75, 192 (200 f.); 76, 130 (139); BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (83); NVwZ 2007, 1420 (1421); NVwZ 2019, 642 (644); vgl. mit der strukturell identischen Argumentation hinsichtlich eines wirkungsvollen Rechtsschutzes im zivilgerichtlichen Verfahren BGH, NJW-RR 2019, 180 (181). 347  BVerfGE 23, 12 (24); 23, 353 (372 f.); 25, 198 (205); 26, 228 (244); 35, 263 (271 f.); 76, 130 (139); 89, 132 (141 f.); BVerfGK 13, 276 (277); BVerfG (K), NJW 2019, 351 (352). 348  BVerfGE 21, 362 (372); 23, 353 (372  f.); 26, 228 (244); 89, 132 (141 f.); BVerfGK 13, 276 (277); BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (83); NVwZ 2007, 1420 (1421); NVwZ 2019, 642 (644). 349  Statt vieler P. Kirchhof, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 3 Abs. 1 (2015), Rn. 278; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S.  45 ff. 350  So ausdrücklich BVerfGK 13, 276 (277) und BVerfG (K), NVwZ 2005, 82 (83), in denen die Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) und die Kommunal­ ver­ fassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG) genannt werden; vgl. ferner die Ausführungen zu Art.  3 Abs.  1 GG im Rahmen zweier Richtervorlagen in BVerfGE 132, 372 (388, Rn. 44 ff.).



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tischen Personen „ausnahmsweise“351 jedenfalls das Willkürverbot als mit der Verfassungsbeschwerde einklagbares subjektives Recht zur Seite zu stellen. Notwendige Voraussetzung dafür wäre zunächst, das allgemeine Willkürverbot zumindest als Teilmenge des allgemeinen Gleichheitssatzes zu betrachten und damit subjektiv-rechtlich auszuformen, wie es das Bundesverfassungsgericht tut, wenn es gerichtliche Entscheidungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG anhand des Maßstabs der willkürlichen Rechtsanwendung prüft352. Darüber hinaus werden sowohl Art. 3 Abs. 1 GG als auch die Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG unter anderem als Ausprägung des objektiven Prinzips der Gerechtigkeit verstanden353. Angesichts dieser Gemeinsamkeit ließe sich die Prämisse der Waffengleichheit ebenso auf das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG übertragen: Ist es für die betroffene Person – unabhängig davon, ob es sich um eine natürliche oder eine staatlich getragene juristische Person handelt – nicht auch an dieser Stelle fundamental, sich gegen eine staatliche Rechtsanwendung zur Wehr setzen zu können, die die Grenzen des rechtlich Vertretbaren überschreitet und auf sachfremden Erwägungen beruht354? Müsste dieser Grundsatz nicht gerade wegen seiner Allgemeingültigkeit allen von der Entscheidung Betroffenen zugutekommen? Trägt nicht auch das zur Legitimität beispielsweise exekutivischer Entscheidungen bei? Das Bundesverfassungsgericht scheint dem Grunde nach davon auszugehen, wenn es dem Willkürverbot jedenfalls in objektiver Form Geltung zwischen Hoheitsträgern zuspricht. Der Weg hin zu den im Rahmen der Justizgrundrechte entwickelten Ergebnissen wäre insofern kein allzu weiter gewesen, doch das Gericht wählte bekanntlich einen anderen. Wer nun einzuwenden gedenkt, bei den Justizgrundrechten müsse das Spezifikum des 351  Zu den negativen Auswirkungen einer stetig zunehmenden Zahl von Ausnahmen auf die Kohärenz des verfassungsgerichtlichen Konstrukts zusammengefasst unten S. 176 f. 352  St. Rspr.: BVerfGE 4, 1 (7); 42, 64 (72 f.); 55, 72 (89 f.); 80, 48 (51); 83, 82 (84); 86, 59 (62 f.); 89, 1 (13 f.); 112, 185 (215 f.); BVerfG (K), NJW 2016, 3153 (3154); vgl. zur doppelten Bedeutung des Willkürverbots auch den zweiten Leitsatz der Entscheidung BayVerfGH, NJW 1986, 1096 (zum landesverfassungsrechtlichen Pendant Art. 118 Abs. 1 BV). – Kritisch zur Verankerung in Art. 3 Abs. 1 GG das Sondervotum des Verfassungsrichters Willi Geiger, BVerfGE 42, 64 (78 ff.); zudem S. Huster, in: Höfling, BerlKGG (Fn. 131), Art. 3 (2016), Rn. 132 ff.; M. Sachs, JuS 1997, 124 (125); aus dogmatischer Sicht ebenso H. D.  Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 79), Art. 3 Rn. 49, der jedoch dem Verfassungsgericht im Ergebnis zustimmt. 353  Für den Gleichheitssatz siehe nur BVerfGE 21, 362 (372); 23, 12 (24); 76, 130 (139); Jarass (Fn. 352), Art. 3 Rn. 1; für die Justizgrundrechte Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 324; M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 193 f. 354  Angelehnt ist diese Formulierung an den Maßstab, den das Bundesverfassungsgericht zur Beurteilung der Willkür richterlicher Entscheidungen herangezogen hat, vgl. dazu die Nachweise in Fn. 352. Dagegen unter Berufung auf den Gedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 25.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Prozessualen, das Auftreten des Staates in einem „neutralen“, ihm fremden Forum beachtet werden, der sei daran erinnert, dass auch die Judikative in diesem Kontext dem staatlichen Ganzen zuzuordnen ist, wenn man den Maßstab des Bundesverfassungsgerichts anlegt. Das Gericht besteht gerade im Kontext der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts darauf, dass es sich bei allen staatlichen Organisationsformen „vom Menschen und Bürger als dem ursprünglichen Inhaber der Grundrechte her gesehen […] jeweils nur um eine besondere Erscheinungsform der Staatsgewalt [handelt]“355. Legt man diesen Standard konsequent zugrunde, müsste die Verletzung des rechtlichen Gehörs einer juristischen Person des öffentlichen Rechts durch ein Instanzgericht vom Bürger aus genauso als innerstaatlicher Kompetenzkonflikt (ab)qualifiziert werden wie der Streit zwischen einer Gemeinde und dem Bundeswirtschaftsministerium um die Wirksamkeit einer atomrechtlichen Genehmigung und die potentielle Beeinträchtigung gemeindlichen Eigentums356. Eine weitere Ungenauigkeit, die sich nahtlos in die kritische Betrachtung einreiht, resultiert daraus, dass das Bundesverfassungsgericht das Willkürverbot als materiellen Prüfungsmaßstab im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren anwendet. Denn durch die Möglichkeit, im Wege des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG Kommunalverfassungsbeschwerde zu erheben, erhalten Gemeinden und Gemeindeverbände ein verfahrensrechtliches Vehikel, um eigenständig eine Prüfung des Willkürverbots in der Sache initiieren zu können, und erfahren so in der Gruppe der juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Besserstellung357. 355  BVerfGE 21, 362 (370); zu der Annahme, der Staat sei aus Bürgersicht ein „monolithischer Block“, näher oben S. 45. 356  Angelehnt ist dieses Beispiel an den Sachverhalt, der dem Sasbach-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, s. BVerfGE 61, 82 (85 ff.). – An dieser Stelle zeigt sich die Schwäche der Auffassung vom Staat als „monolithischem Block“. Denn für die Beurteilung der Rechtsstellung einer Person einschließlich der juristischen Person in staatlicher Trägerschaft muss es auf ihr Rechtsverhältnis zu einer anderen Person ankommen, nicht auf den gänzlich unbeteiligten Bürger; so auch schon R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 87; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 93. 357  Exemplarisch dafür steht BVerfGE 26, 228 (233 f., 244 f.). In diesem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. b GG wehrte sich eine Gemeinde gegen eine Verordnung des Regierungspräsidenten unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht verwies darauf, dass für juristische Personen des öffentlichen Rechts kein Grundrechtsschutz aus Art. 3 Abs. 1 GG bestehe, stieg jedoch über die Anknüpfung an das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG materiell in die Prüfung des Gleichheitssatzes ein. Dass es sich rechtstechnisch betrachtet um eine Inzidentprüfung handelt, ändert nichts daran, dass Gemeinden und Gemeindeverbänden auf diesem Wege in Eigeninitiative die Überprüfung eines Hoheitsaktes anhand von Art. 3 Abs. 1 GG erreichen können. Im Gegenteil: Das Verfassungsgericht hält sich gar zu einer solchen Inzidentprüfung „verpflichtet“, BVerfGE 1, 167 (181).



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 97

Dass das Bundesverfassungsgericht Justizgrundrechte und Willkürverbot trotz eines gemeinsamen Ursprungs unterschiedlich behandelt, geschieht zwar nicht unbegründet, doch vom Verdacht der Beliebigkeit kann sich die Argumentation nicht befreien. Der Zusammenhang zwischen Gleichheitssatz und Justizgrundrechten358 wird so jedenfalls in Bezug auf staatlich getragene juristische Personen unter Spannung gesetzt. Klarstellend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die vorigen Ausführungen nicht als Plädoyer für eine allgemeine Grundrechtsberechtigung staatlicher Organisationseinheiten im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG missverstanden werden dürfen. Sie haben lediglich den Zweck aufzuzeigen, dass der Weg des Bundesverfassungsgerichts sowohl beim Willkürverbot als auch bei den Justizgrundrechten genauso in ein anderes Ergebnis hätte münden können. Im Sinne der Dekon­ struktion sollte das Augenmerk vielmehr auf die Reibungen gerichtet sein, die sich daraus ergeben, dass die Rechtsprechung sich trotz paralleler Herleitung für eine jeweils unterschiedliche Handhabe entschieden hat. 4. „Grundrechtlich geschützter Lebensbereich“ – Quo vadis? Bekanntlich billigt das Bundesverfassungsgericht der sog. Ausnahmetrias bestehend aus Religionsgesellschaften, Rundfunkanstalten sowie Universitäten einschließlich ihrer Fakultäten Grundrechtsschutz zu, obwohl sie in der Form der juristischen Person des öffentlichen Rechts organisiert sind359. Begründet wird diese Ausnahme damit, dass „die betreffende Rechtsträgerin unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen ist“360. Die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts sieht also eine partielle Grundrechtsfähigkeit der betreffenden juristischen Person des öffentlichen Rechts vor, die untrennbar mit dem Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts verknüpft ist361. Inhaltlich betrachtet basiert dieser Maßstab auf zwei Säulen: Der Bestimmung der Reichweite des spezifischen grundrecht­ 358  Zur gedanklichen Verknüpfung von Rechtsgleichheit und dem Recht auf den gesetzlichen Richter aus historischer Sicht M. Jachmann-Michel, in: Herdegen/Klein/ Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 101 (2018), Rn. 8; Müßig, Justizhoheit (Fn. 341), S. 274, 307; differenzierend Sowada, Richter (Fn. 341), S.  77 ff. 359  Dazu oben S. 35 ff. 360  BVerfGE 21, 362 (373); fortgeführt in st. Rspr.: BVerfGE 31, 314 (322); 61, 82 (102); 68, 193 (207); 75, 192 (196 f.); 78, 101 (102); 143, 246 (314, Rn. 189); 147, 50 (143 f., Rn. 240); BVerfGK 13, 276 (276); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1176 (1176); NVwZ 2007, 1420 (1420 f.); NVwZ 2008, 778 (778); NVwZ-RR 2009, 361 (361). Zur Kritik an diesem Konzept siehe die Nachweise oben S. 36 mit Fn. 89. 361  Das kommt vor allem in den Entscheidungen BVerfGK 13, 276 (276) und BVerfG (K), NVwZ 2008, 778 (778) zum Ausdruck, in denen das Verfassungsgericht die übliche Formulierung zu den Ausnahmeregeln um einen Klammerzusatz ergänzt,

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lichen Schutzbereichs auf der einen Seite und der Prüfung, wie stark die Tätigkeit der staatlichen Organisationseinheit sachlich auf diesen Schutzbereich bezogen ist, auf der anderen Seite. Diesen Maßstab im Hinterkopf, verwundern einige Entscheidungen des Verfassungsgerichts, in denen es Religionsgesellschaften und Rundfunkanstalten darüber hinausgehenden Grundrechtsschutz zugestanden hat. Neben der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG hat das Gericht verschiedenen Religionsgruppen – jede davon organisiert als juristische Person des öffent­ lichen Rechts – im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG gestattet362. In einer weiteren Entscheidung hieß es gar, Reli­ gionsgesellschaften in öffentlich-rechtlicher Organisationsform könnten sich in gleichem Umfang auf die Grundrechte berufen wie solche, die als juristische Personen des Privatrechts verfasst sind363. Auch wenn sie in der Rechtsprechung bis dato vereinzelt geblieben ist, findet gerade diese Aussage in der Wissenschaft großen Widerhall: Die Ansicht, auch öffentlich-rechtlich organisierte Religionsgesellschaften seien allgemein oder zumindest über Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG hinausgehend grundrechtsfähig, ist dort alles andere als eine vereinzelte364. Die Rechtsprechung begründet ihre Position mit der besonderen Eigenheit, die die Stellung der öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgesellschaften im Staatsgefüge auszeichnet. Sie leiteten ihre Gewalt nicht vom Staat her und nähmen in ihrem originären Wirkungskreis keine staatlichen Aufgaben wahr365. Ihre Wurzeln lägen gerade im gesellschaftlichen, also außerstaatlichen Bereich366. Mit Blick auf seine traditionelle Ausnahmeformel versucht das Verfassungsgericht den Bezug zum „grundrechtlich geschützten Lebensbereich“ nicht abreißen zu lassen und legt in Form einer sprachlichen Differenzierung Wert darauf, dass die Religionsgesellschaften – anders als die Rundfunkanstalten und Universitäten – einem solin dem die entsprechenden Grundrechte (Art. 4, 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 5 Abs. 3 GG) explizit aufgelistet sind. 362  BVerfGE 19, 1 (5); 30, 112 (119 f.); offen gelassen in BVerfGE 42, 312 (323). Jedenfalls angedeutet wurde ein möglicher Grundrechtsschutz aus Art. 13 Abs. 1 GG darüber hinaus in BVerfGE 57, 220 (243 f.). 363  BVerfGE 102, 370 (387); in ähnlicher Weise verallgemeinert sind die Ausführungen in BVerfGE 53, 366 (387); 70, 138 (160 f.). 364  Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 107; G. Barwig, Die Geltung der Grundrechte im kirchlichen Bereich, 2004, S. 48 ff.; C. Brüning, in: K. Stern/ F. Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, 3. Auflage 2019, Art. 19 Rn. 70; Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 80; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 35; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 120; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 94; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 31. 365  BVerfGE 19, 1 (5); 21, 362 (374); 42, 312 (321 f., 332); 53, 366 (387); 66, 1 (19); in diese Richtung auch BVerfGE 18, 385 (386 f.); 30, 415 (428); 57, 220 (244). 366  Insbesondere BVerfGE 21, 362 (374); 42, 312 (332).



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chen Lebensbereich „kraft ihrer Eigenart […] von vornherein zugehören“367. Die ursprüngliche Idee des Kriteriums wird auf diese Weise bereits arg strapaziert, denn statt einer balancierten Betrachtung zwischen dem grundrechtlichen Schutzbereich und der Frage, wie stark die Tätigkeit einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft mit diesem verknüpft ist, werden Charakteristika der Organisationseinheit zum alleinigen Maßstab erhoben. Im Falle der Religionsgemeinschaften mag sich eine solche Modifizierung noch als isolierter Ausnahmefall rechtfertigen lassen, der unter anderem auf die historisch weitreichenden Verflechtungen zwischen speziell den christlichen Kirchen und der „staatlichen“ Herrschaft auf deutschem Hoheitsgebiet zurückgeht und dessen Problemkreis im heutigen Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV eigens einen verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden hat368. Für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten lässt sich eine solche Argumentation hingegen nicht mehr führen. Dennoch billigt auch ihnen das Bundesverfassungsgericht eine erweiterte Grundrechtssubjektivität zu und hält in diesem Zusammenhang sowohl die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG369 als auch das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4  GG370 für anwendbar. Zwar gehe die Grundrechtsberechtigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten im Ursprung von der Rundfunkfreiheit aus, so das Bundesverfassungsgericht, „soweit aber ein die Ausübung der Rundfunkfreiheit unterstützendes Verhalten in einer anderen Grundrechtsnorm geschützt ist, erstreckt sich die Grundrechtsträgerschaft auch auf dieses Grundrecht“371. Infolgedessen schildert das Gericht den aus seiner Sicht bestehenden funktionellen Zusammenhang zwischen Fernmeldegeheimnis und Rundfunkfreiheit und hebt die Bedeutung der Vertraulichkeit zwischen Rundfunkveranstalter und seinen Quellen hervor. Schon vor dem Hintergrund dieser Begründung kann bezweifelt werden, inwieweit es des Schutzes des Art. 10 Abs. 1 GG bedarf, wenn gemeinhin 367  BVerfGE 61, 82 (102); 68, 193 (207); 75, 192 (196); 143, 246 (314, Rn. 189); 147, 50 (143 f., Rn. 240); ähnlich BVerfGE 21, 362 (374). 368  Zur historischen Einordnung der Beziehung zwischen „Staat“ bzw. politischer Macht und Kirche in Deutschland und ihrem (verfassungs-)geschichtlichen Weg von der Antike bis zur Verabschiedung der Art. 136 ff. WRV siehe den klug zusammengestellten Überblick bei M. Morlok, in: Dreier, GG III (Fn. 225), Art. 140 Rn. 1 ff. Eine ausführliche Darstellung anhand bedeutender historischer Landmarken findet sich auch bei A. Freiherr von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage 2006, §§ 1 ff. Zur Entstehungsgeschichte speziell des Art. 140 GG und dem dahinterstehenden „doppelten Kompromiss“ eingehend und statt vieler S. Korioth, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 140 (2015), Rn. 4 ff. 369  Ohne nähere Erläuterung in BVerfGK 12, 85 (94). 370  BVefGE 107, 299 (309 f.); zu Art. 19 Abs. 4 GG zusätzlich auch BVerfG (K), NVwZ 2017, 53 (55). 371  BVerfGE 107, 299 (310).

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und auch vom Bundesverfassungsgericht selbst angenommen wird, dass der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Gesamtheit aller Tätigkeiten im Zusammenhang mit Rundfunkprogrammen erfasst, von der Informationsbeschaffung bis zu ihrer Verbreitung372. Wenn das Verfassungsgericht diese Auffassung nun zumindest anpasst und das Fernmeldegeheimnis der Rundfunkfreiheit als sachnäher vorzieht, brechen Widersprüche zu seinen vorherigen Beschlüssen auf. Die Frage etwa, ob sich eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt auf die Koalitionsfreiheit berufen könne, hat das Gericht zum Anlass genommen, um die Schutzbereiche der Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG trennscharf voneinander zu unterscheiden: Es komme vielmehr einer Gefährdung der individualistischen Schutzrichtung der Grundrechte gleich, wenn der den Rundfunkanstalten durch die Rundfunkfreiheit spezifisch zugeordnete Freiheitsbereich zugunsten einer Ausdehnung auf weitere Grundrechte verlassen werden würde373. Ähnlich, wenn auch weniger dezidiert, hat das Verfassungsgericht die Hermetik des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs hervorgehoben, als es einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt die Berufung auf Art. 14 Abs. 1 GG versagte374. Gerade zur Eigentumsfreiheit hätte sich mit guten Gründen jedoch ebenfalls ein funk­ tioneller Zusammenhang herleiten lassen, wie ihn das Gericht neuerdings für das Fernmeldegeheimnis annimmt: Denn wenn die Rundfunkfreiheit den gesamten Prozess von der Informationsgewinnung bis zur Verbreitung schützt, kann es als zweckmäßig betrachtet werden, wenn eine im Bereich des Rundfunks tätige juristische Person des öffentlichen Rechts grundrecht­ lichen Eigentumsschutz etwa gegen eine Beschlagnahme sendetechnischer Einrichtungen sucht375. Im Sinne der Rechtsprechung votieren auch in der Wissenschaft viele für eine Ausdehnung des Grundrechtsschutzes innerhalb der sog. Ausnahmetrias 372  St. Rspr.: BVerfGE 77, 65 (74); 78, 101 (102 f.); 91, 125 (134 f.); 103, 44 (59); 119, 309 (318 f.). Aus der reichhaltigen Kommentarliteratur statt vieler H. Bethge, in: Sachs, GG (Fn. 29), Art. 5 Rn. 108; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 5 I, II Rn. 105; ausführlich zur Reichweite der geschützten Verhaltensweisen auch C. Degenhart, Rundfunkfreiheit, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. IV, 2011, § 105 Rn. 37 ff.; H. D. Ja­ rass, AfP 1998, 133 (137 f.). Wie hier betont auch Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 97 in diesem Zusammenhang, dass die Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung ohnehin schon von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erfasst sei. 373  BVerfGE 59, 231 (254 f.). Mit einem schlichten Verweis auf diese Ausführungen hat das Verfassungsgericht auch die Berufung einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt auf die Pressefreiheit abgelehnt, BVerfGE 83, 238 (312 f.). 374  BVerfGE 78, 101 (102 f.), wo beiläufig auch eine Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG abgelehnt wird. 375  Der Sache nach ebenso H. G.  Dederer, in: Kahl u. a., BKGG (Fn. 8), Art. 14 (2017) Rn. 420.



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und speziell zugunsten der Rundfunkanstalten, wobei die Ausführungen grundrechtsspezifisch variieren376. Dies weiterhin unter dem Dach des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“ zu tun, birgt jedoch die Gefahr einer Entgrenzung des Kriteriums377: Zwischen den beiden Extremen „Berufung auf ein für die juristische Person identitätsstiftendes Grundrecht“ (z. B. Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG) und „vollständige Grundrechtsfähigkeit“ entstünde ein Graubereich, dessen Konturierung von der Interpretation noch wenig umrissener Begriffe wie „funktioneller Zusammenhang“, „unterstützendes Verhalten“ oder „Akzessorietät“ abhinge, die die Beziehung zwischen der Ausgangsbestimmung und anderen in Betracht kommenden Grundrechten ergründen sollen378. Ob die Erweiterung technisch auf eine selbstständige Geltung der letzteren oder die dogmatisch unsaubere wie unnötige extensive Auslegung beispielsweise des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gestützt wird379, spielt für diesen Einwand keine Rolle. Darüber hinaus würde der ursprüngliche Maßstab den eigenen Anspruch verlieren, Entscheidungskriterium zu sein. Denn die Zuordnung zu einem freiheitsspezifischen Lebensbereich lieferte in diesem Fall für sich allein keine Erkenntnisse darüber, ob eine staatlich getragene juristische Person für eine erweiterte Grundrechtsberechtigung qualifiziert ist. Vielmehr bedürfte es dann eines zweiten Prüfungsschritts, der die Querverbindungen des „eigentlichen“ Grundrechts, auf das sich Rundfunkanstalten, Universitäten oder Religionsgesellschaften berufen können, zu anderen Grundrechtsbestimmungen untersucht. Einzelne Grundrechte würden demnach zu Schaltnormen umfunktioniert, während Art. 19 Abs. 3 GG als explizite verfassungsrechtliche Determinante zur Be376  Für die Berufung auf den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG H. Bethge, ZUM 1996, 456 (460); Boysen (Fn. 352), Art. 3 Rn. 28; P. Kirchhof (Fn. 349), Art. 3 (2015) Abs. 1 Rn. 279. Für die Kunstfreiheit Boysen, a. a. O.; A. Hesse, Rundfunkrecht, 3. Auflage 2003, S. 151; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 121; F. Wittreck, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 5 III, Rn. 50. Für die Eigentumsfreiheit Dederer (Fn. 375), Art. 14 (2017) Rn.  419 f.; G. Herrmann/M. Lausen, Rundfunkrecht, 2. Auflage 2004, § 7 Rn. 26; F. Ossenbühl, GRUR 1984, 841 (847 f.). Für die Koalitionsfreiheit Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 130 f. Für eine umfassende Grundrechtsberechtigung gar Achterberg, Bedeutung (Fn. 66), S. 36. 377  In diese Richtung schon Kimminich, Schutz (Fn. ), S. 28 f. 378  Erste zarte Gehversuche zur Präzisierung des „funktionellen Zusammenhangs“ unternimmt Dederer (Fn. 375), Art. 14 (2017) Rn. 420; ähnlich hinsichtlich eines „akzessorischen Grundrechtsschutzes“ zur Rundfunkfreiheit C. Grabenwarter, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 5 Abs. 1,  2 (2018), Rn. 589. 379  So die Vorgehensweise im Rahmen der Rundfunkfreiheit bei J. Berkemann, in: Umbach/Clemens, GG I (Fn. 339), Art. 14 Rn. 110; B.-O.  Bryde/A. Wallrabenstein, in: Kämmerer/Kotzur, von Münch/Kunig – GG 1 (Fn. 26), Art. 14 Rn. 20. Demgegenüber kritisch Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 131; ders., ZUM 1991, 337 (341).

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urteilung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen an Bedeutung zu verlieren droht380. Die bisherigen Entscheidungen der Rechtsprechung lassen eine klare Linie jedenfalls vermissen. Dem Bundesverfassungsgericht bleiben wohl nur zwei Wege, um sein dogmatisches Konstrukt wieder zu festigen: Entweder kehrt es zu seiner restriktiven Interpretation des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“ zurück und billigt den drei genannten Gruppen juristischer Personen des öffentlichen Rechts die Grundrechtsfähigkeit nur in engen Grenzen zu. Ein solcher Weg sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, die Schutzbedürftigkeit dieser Organisationseinheiten in verschiedenen, über ihre grundrechtlich geschützte Kerntätigkeit hinausgehenden Gefährdungssituationen nicht hinreichend zu berücksichtigen381. Oder es treibt den Gedanken einer erweiterten Grundrechtsberechtigung innerhalb der sog. Ausnahmetrias und damit die Abkehr vom „grundrechtlich geschützten Lebensbereich“ voran, wobei es sich in diesem Fall der Herausforderung gegenübersieht, eine einheitliche Begrifflichkeit zum Thema „funktioneller Zusammenhang“ zu entwickeln und diesen neuen Maßstab inhaltlich mit Leben zu füllen382. Zu einem Dilemma wird die Entscheidung aus Sicht des Gerichts schlussendlich deshalb, weil eine solche Erweiterung die anthropozentrische Grundrechtsdeutung als einen der essentiellen Bausteine der ständigen Rechtsprechung stark schwächen würde, wie das Bundesverfassungsgericht in einer seiner Entscheidungen selbst konzediert hat383. 5. Exzessive Ausweitung der Grundrechtsbindung auf Private Noch deutlich intensiver untergräbt das Bundesverfassungsgericht die Integrität des eigenen Konzepts im Allgemeinen und der anthropozentrischen Ausgangsthese im Besonderen durch die zunehmende Bindung Privater an die Grundrechte fernab der Maßgabe des Art. 1 Abs. 3 GG. Während die Anfänge als vereinzelte Entscheidungen bezüglich spezifischer Rechtsträger keine nachhaltigen Umwälzungen mit sich brachten, zeigen sich unter neuen 380  Dieses Argument lässt sich im Allgemeinen gegen die sog. Lehre von den Doppelgrundrechten ins Feld führen, die das Bundesverfassungsgericht speziell in Bezug auf Art. 9 GG vertritt, dazu näher unten S. 127 ff. 381  Hinsichtlich der Rundfunkanstalten Herrmann/Lausen (Fn. 376), § 7 Rn. 26; allgemeiner mit exemplarischem Verweis auf die Religionsgesellschaften Kimminich, Schutz (Fn. ), S. 28 f. 382  Das Aufbrechen der vormaligen Struktur begrüßt Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 9 ausdrücklich; kritisch auch schon ders., Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 130. 383  BVerfGE 59, 231 (254 f.).



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 103

tatsächlichen Voraussetzungen zuletzt starke Tendenzen zur Ausbildung einer veränderten Rechtsprechungslinie. a) Einzelentscheidungen ohne systemsprengendes Potential Aufsehen erregt haben zunächst zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichts, in denen es privatrechtlich organisierten und – der entscheidende Stein des Anstoßes – von Privaten getragenen juristischen Personen die Grundrechtsberechtigung abgesprochen hat. So hat es die Verfassungsbeschwerde Technischer Überwachungsvereine (TÜV), die in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert sind, abgewiesen: Da diese nur in der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betroffen seien und die seinerzeit in Rede stehende Änderung der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) die Vereine lediglich in einem Bereich betreffe, der von einer umfassenden staatlichen Aufsicht geprägt sei und in dem von der privatrecht­ lichen Selbstständigkeit nahezu nichts übrig bleibe, könnten sie sich im konkreten Zusammenhang nicht auf Grundrechte berufen384. Später kam das Gericht zum selben Ergebnis, als sich eine Baugenossenschaft mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Aufhebung des Reichsheimstättengesetzes zur Wehr setzte. Ersterer seien die Befugnisse als „Ausgeberin“ nach diesem Gesetz lediglich im öffentlichen Interesse eingeräumt, so dass ein eigentumsrechtlicher Schutz ausscheide385. Kritik hat dieses Beschlusspaar insbesondere wegen der Ergebnisfindung über das funktionale Aufgabenkriterium erfahren. Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben sei aufgrund ihres diffusen Inhalts nicht dazu geeignet, die Sphären von Grundrechtsbindung und -berechtigung, von staatlichem und gesellschaftlichem Bereich sauber abzugrenzen386. Lediglich im Falle der formellen Beleihung sei es einer rein privaten juristischen Person in diesem konkreten Zusammenhang nicht möglich, sich auf die Grundrechte zu berufen387. Teilweise wird demgegenüber angeführt, die Entscheidungen passten 384  BVerfG (K),

NJW 1987, 2501 (2502). NJW 1996, 584 (584). 386  Brüning (Fn. 364), Art. 19 Rn. 77; Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 54; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 111; andeutungsweise auch F. Ossenbühl/K. Ritgen, DVBl. 1999, 1301 (1303 f.); vgl. zur Kritik am Aufgabenkriterium im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG bereits oben S. 62 mit Fn. 209. 387  H. Dreier, in: ders., GG I (Fn. 17), Art. 1  III Rn. 39; Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 111. – Zurecht merkt F. Schoch, Jura 2001, 201 (206) an, dass das Bundesverfassungsgericht in der TÜV-Entscheidung das Vorliegen einer solchen Beleihung gerade nicht untersucht habe. Dagegen scheint Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 120 f. in der Darstellung und Bewertung dieser Entscheidung ohne nähere Begründung von einer Beleihung auszugehen. Nach F. Ossenbühl/K. Ritgen, DVBl. 1999, 1301 (1304) 385  BVerfG (K),

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

sich sehr wohl in die übliche Linie der Rechtsprechung ein, da es vielmehr und unabhängig von einer formellen Beleihung auf die Wahrnehmung staatlicher Zuständigkeiten statt öffentlicher Aufgaben ankomme, auch wenn sich das Verfassungsgericht hier unklar ausgedrückt habe388. Gemessen an den Reaktionen aus der Wissenschaft kreist der Streit also vornehmlich um den angewandten Maßstab und nur dadurch vermittelt auch um die erzielten Resultate. Diese mögen sich zwar nicht recht in die sonst so kategorische Unterscheidung des Verfassungsgerichts zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts einfügen und aus diesem Blickwinkel Anomalien darstellen. Dass sie jedoch eine zu verallgemeinernde grundrechtliche Bindung rein privater Organisationseinheiten mit sich gebracht und damit aus sich heraus die Tektonik der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Argumentationsmuster ins Wanken gebracht hätten, kann nicht behauptet werden, insbesondere auch mangels entsprechender Folgeentscheidungen. b) Jüngere Entwicklung auf dem Weg zum Paradigmenwechsel – „Mittelbare“ Drittwirkung? Anderes gilt für die jüngste Entwicklungslinie der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das Verfassungsgericht hat sich in einer Reihe von nunmehr vier Entscheidungen schrittweise einem Standpunkt angenähert, der von stärkeren grundrechtlichen Implikationen für private Akteure ausgeht, und so zu weiten Teilen unbemerkt die eigene Grundthese bezüglich der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen herausgefordert, wenn nicht gar konterkariert hat. Anders als in den beiden zuvor beschriebenen Beschlüssen steht in dieser Gemengelage nicht die Grundrechtsberechtigungs-, sondern die Grundrechtsverpflichtungsseite im Vordergrund. Dieser Perspektivwechsel spielt im vorliegenden Zusammenhang allerdings nur eine untergeordnete Rolle, geht es doch um die hinter der Rechtsprechungslinie hervorscheinende Auffassung zum Charakter der Grundrechte und ihre Verkomme es darauf jedoch ohnehin nicht an, da nur die Ingenieure und Gutachter, nicht aber die Vereine selbst als Träger der technischen Überwachungsorganisation beliehen würden. Diese Ansicht mag im Kontext des § 10 Abs. 1 KfSachVG zutreffen, nicht aber bei einer Anerkennung als technische Überwachungsorganisation nach Anlage VIII b zur StVZO; näher zu dieser zugegeben kleinteiligen Unterscheidung W. Vock, NJ 2012, 61 (64 f.). 388  Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 44, 63. Auch Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 151 scheint von einer organischen Einordnung speziell der Entscheidung zu den Technischen Überwachungsvereinen auszugehen, zählt er sie doch als eines von mehreren Beispielen auf, um die Konsistenz der Rechtsprechung hinsichtlich ihrer funktional orientierten Handhabe zu unterstreichen.



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träglichkeit mit der kategorischen Trennung juristischer Personen in staat­ licher und privater Trägerschaft. aa) „Öffentliches Forum“ als Türöffner staatsgleicher Grundrechtsbindung Privater Den Ausgangspunkt der jüngeren Entwicklung markiert das sog. FraportUrteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011389. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren setzte sich eine natürliche Person unter Berufung auf ihre Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegen zivilrechtliche Gerichtsentscheidungen zur Wehr, die ein von der Fraport AG gegenüber der Antragstellerin ausgesprochenes, privatrechtliches Hausverbot bestätigten. Während der Schwerpunkt der Entscheidung auf der Frage nach der Grundrechtsbindung einer juristischen Person des Privatrechts lag, deren Anteile sich mehrheitlich in staatlicher Hand befinden390, streute das Verfassungsgericht auch Gedanken zu den grundrechtlichen Wirkungen zwischen rein privaten Akteuren ein. In diesem Zusammenhang heißt es391: „Die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschter Unternehmen unterscheidet sich somit grundsätzlich von der in der Regel nur mittelbaren Grundrechtsbindung, der auch Private und Privatunternehmen […] unterworfen sind. […] Das bedeutet jedoch nicht, dass die Wirkung der Grundrechte und damit die – sei es mittelbare, sei es unmittelbare – Inpflichtnahme Privater in jedem Fall weniger weit reicht. Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates vielmehr nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die […] früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren. Wieweit dieses […] auch für materiell private Unternehmen gilt, die einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.“

Angesprochen und bekräftigt hat das Bundesverfassungsgericht damit seine Lehre von der sog. Ausstrahlungs- bzw. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte392. Um die genaue dogmatische Herangehensweise hinter den 389  BVerfGE 128,

226; ausführlich zu dieser Entscheidung noch unten S. 140 f. zur Grundrechtsfähigkeit sog. gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen noch unten S. 135 ff. 391  BVerfGE 128, 226 (249 f.). 392  Das Verfassungsgericht nutzte beide Bezeichnungen in der Vergangenheit zeitweise unterschiedslos, wie es etwa in BVerfGE 73, 261 (269) oder BVerfGE 104, 65 (73) zum Ausdruck kommt. Genau genommen besteht zwischen beiden jedoch keine Synonymie, sondern die letztere ist Teilmenge der ersteren, dazu W. Kahl, in: ders. u. a., BKGG (Fn.  8), Art. 1 Abs. 3 (2014), Rn. 328; siehe zum Begriff der „Aus390  Siehe

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Schlagworten toben seit jeher Grabenkämpfe, die das Verfassungsgericht nicht aufgreift und die hier nicht vertieft werden können393. Mit der Grundaussage seines Konzepts, nach der die Grundrechte als Ausdruck einer objektiven Wertordnung vermittelt durch auslegungsfähige und -bedürftige Tatbestandsmerkmale zivilrechtlicher Normen auch in reinen Privatrechtsverhältnissen Wirkung beanspruchen394, hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls in der Sache breite Unterstützung gefunden395. Rein sprachlich knüpft die strahlungswirkung“ BVerfGE 7, 198 (207); 24, 278 (282); 34, 269 (280); 46, 325 (334); 84, 192 (194 f.); 112, 332 (358); 115, 51 (67, 69); 119, 309 (327); zur „mittelbaren Drittwirkung“ BVerfGE 89, 1 (13); 128, 226 (248 f.); 137, 273 (343 f., Rn. 180); 148, 267 (279 ff., Rn. 31 ff.); BVerfG (K), NJW 2019, 1935 (1936). – Schon bei der Terminologie brechen allerdings erste Kontroversen auf. Insbesondere dem Ausdruck „mittelbare Drittwirkung“ werden in unterschiedlichen Zusammenhängen Ungenauigkeit und Obsoleszenz vorgeworfen, vgl. dazu etwa H. Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977, S. 397 Fn. 520 a. E.; C. Burkiczak, Grundrechtswirkungen zwischen Privaten, in: Y. Becker/F. Lange (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 3, 2014, S. 115 (136 f.); J. Ipsen, Staatsrecht II, 24. Auflage 2021, § 2 Rn. 70; F. Michl, Jura 2017, 1062 (1070, 1076); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1514. 393  Zu der Frage, wie genau eine grundrechtliche Einwirkung auf das Privatrechtsverhältnis dogmatisch begründet werden soll, besteht eine Vielzahl verschiedener Ansichten, wobei sich – vereinfacht gesprochen – mögliche Lösungsansätze in einem Spektrum zwischen einer abwehrrechtlichen und einer schutzpflichtorientierten Einkleidung bewegen. Für den abwehrrechtlichen Ansatz exemplarisch R. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 315 ff.; zur Begründung über die grundrechtlichen Schutzpflichten grundlegend C.-W. Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); daneben beispielsweise M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 205 ff.; H.-J. Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten/ders., HGR II (Fn. 14), § 55 Rn. 9  f. Die Verknüpfung beider Grundrechtsdimensionen betonen etwa Jarass (Fn. 14), § 38 Rn. 63, 67; W. Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX (Fn. 90), § 197 Rn. 93 f. – Aus dem reichen Fundus monographischer oder monographieähnlicher Werke zum Einfluss der Grundrechte auf das Privatrecht sei statt vieler weiterführend auf M. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, insb. S. 8 ff., 61 ff., 144 ff., 162 ff., 252 f., J. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, insb. S. 9 ff., 56 ff. und Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1509 ff., insb. S. 1538 ff., 1550 ff. verwiesen, die die Problemstellung umfassend aufarbeiten und eigene Lösungsansätze innerhalb des beschriebenen Spektrums bereithalten. Ein gehaltvoller Überblick findet sich schließlich bei H. Dreier, in: ders., GG I (Fn. 17), Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 96 ff. 394  Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205 f.); in der Folge st. Rspr.: BVerfGE 42, 143 (147 f.); 73, 261 (269); 89, 214 (229 f.); 103, 89 (100); 129, 78 (102); 137, 273 (313, Rn. 109); 148, 267 (280, Rn. 32). – Anschluss genommen hat das Verfassungsgericht damit an die maßgebliche Vorarbeit von G. Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: T. Maunz (Hrsg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung. Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky, 1956, S. 157 (176 ff.); ders., AöR 81 (1956), 117 (123 ff.). 395  H. de Wall/R. Wagner, JA 2011, 734 (737, 740); C. Enders, in: Höfling, BerlKGG (Fn. 131), Art. 1 (2011), Rn. 169; H. D.  Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 79), Art. 1



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Fraport-Entscheidung also an die Linie der tradierten Rechtsprechung an. Ihr Spezifikum im Kontext der vorliegenden Untersuchung ist vielmehr ein anderes: Das Gericht steckt die Reichweite der mittelbaren Drittwirkung auffallend großzügig ab und formuliert erstmals explizit, dass die Grundrechtsverpflichtung Privater nicht notwendigerweise hinter derjenigen des Staates zurückbleiben muss, mithin in ihrer Intensität mit dieser identisch sein kann. Einen deutlichen Fingerzeig, in welchem Anwendungsfall eine solche staatsgleiche Verpflichtung auf die Grundrechte zu erwägen sein könnte, hat das Verfassungsgericht selbst gegeben, indem es privat betriebene, aber frei zugängliche Orte der all­gemeinen Kommunikation – sog. öffentliche Foren396 – zu einem zentralen Gegenstand seiner Überlegungen machte. Fraport wird so zur „Ankündigungsrecht­sprechung“397. Innerhalb des Bundesverfassungsgerichts blieb dieser Standpunkt jedoch nicht unwidersprochen. Richter Wilhelm Schluckebier gab in seinem ausführlichen Sondervotum zu bedenken, dass bei einer solchen Ausdehnung der Grundrechtsbindung Privater deren eigene Grundrechtspositionen wie etwa die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG zu Abwägungsposten auf Rechtfertigungsebene degradiert würden und sich die Privaten statt einer mittelbaren de facto einer unmittelbaren Grundrechtsbindung ausgesetzt sähen398. Auch andere stoßen diesen Gedanken an und hinterfragen sowohl die Vereinbarkeit der letzteren mit Art. 1 Abs. 3 GG als auch die Äußerungen zur Grundrechtsverantwortung Privater im FraportUrteil als solche, da der Fall dazu keinerlei Veranlassung gegeben habe399. Rn.  52 ff.; Kahl (Fn. 392), Art. 1 Abs. 3 (2014) Rn. 331, 344 f.; L. Michael/M. Morlok, Grundrechte, 7. Auflage 2020, § 15 Rn. 481  ff.; Rüfner (Fn. 393), § 197 Rn. 91; M. Sachs, in: ders., GG (Fn. 28), Vor Art. 1 Rn. 32; im Ausgangspunkt auch C.-W. Ca­ naris, AcP 184 (1984), 201 (224). Kritisch hingegen S. Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte? – Zur Wirkung der Grundrechte auf Privatrechtsbeziehungen, in: S. Detterbeck/J. Rozek/C. von Coelln (Hrsg.), Recht als Medium der Staatlichkeit. Festschrift für Herbert Bethge, 2009, S. 223 (237 ff.). – Prominent hat vor allem Jürgen Schwabe die Ansicht geäußert, der Gesamtkomplex sei ein „Scheinproblem“ und sich so gegen die Handhabe der Rechtsprechung gewandt, ders., Drittwirkung (Fn. 393), S. 157; ders., AöR 100 (1975), 442 (470); zur Kritik daran statt vieler Kahl (Fn. 392), Art. 1 Abs. 3 (2014) Rn. 340 m. w. N. 396  BVerfGE 128, 226 (253) in Anlehnung an die Rechtsprechung des kanadischen bzw. US-amerikanischen Supreme Court. 397  So der treffende Begriff bei Burkiczak, Grundrechtswirkungen (Fn.  392), S. 134. 398  Sondervotum Schluckebier, BVerfGE 128, 226 (274 f.). 399  T. Barczak, Konstitutionalisierung der Privatrechtsordnung, in: F. Scheff­ czyk/ K. Wolter (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 4, 2017, S. 91 (114, 121 f.); Burkiczak, Grundrechtswirkungen (Fn. 392), S. 135, 140. Dagegen scheint P.-L. Krüger, DÖV 2012, 837 (842) die expliziten Aussagen des Gerichts nicht zu berücksichtigen, wenn er der Fraport-Entscheidung entnehmen will, dass die Grundrechtsbindung eines rein Privaten weniger weit reiche als diejenige des Staates aus Art. 1 Abs. 3 GG.

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Derlei Wortmeldungen blieben ungehört, entschied sich das Bundesverfassungsgericht doch wenig später unter den Umständen, die es im Fraport-Urteil noch selbst antizipiert hatte, für die Intensivierung grundrechtlicher Bindungen Privater. Der Antragsteller, eine natürliche Person, wandte sich unter Berufung auf die Versammlungsfreiheit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen ein privatrechtliches Hausverbot für den Passauer Nibelungenplatz, ausgesprochen von der Grundstückseigentümerin, einer privaten GmbH & Co. KG, resp. gegen die zivilgerichtliche Bestätigung dieses Verbots durch Amts- und Landgericht400. Unter dem ebenso simplen wie einprägsamen Motto „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“ plante er eine Versammlung auf dem Privatgelände der GmbH & Co. KG zu nachteiligen Entwicklungen bei der Privatisierung öffentlicher Räume, die mit dem Leeren einer Dose Bier beginnen und mit kurzen Redebeiträgen nach gut 15 Minuten enden sollte. Das Bundesverfassungsgericht erließ die beantragte einstweilige Anordnung und hob die Instanzentscheidungen auf, die das vom Eigentümer gegenüber dem Veranstalter ausgesprochene Verbot, den Passauer Nibelungenplatz für die Versammlung zu nutzen, bestätigt hatten. Die zentralen Begründungsansätze, denen sich das Gericht in seiner Argumentation bediente, entstammen der Fraport-Entscheidung: Zunächst rekurriert das Gericht auf die Figur des öffentlichen Forums und subsumiert, dass die Gesellschaft mit dem Nibelungenplatz ein solches Forum betreibe, ehe es wiederholt, dass die private Trägerschaft der GmbH & Co. KG die Vorzeichen des Falles nicht ändere, da auch Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung ähnlich oder ebenso stark wie der Staat grundrechtlich in Anspruch genommen werden könnten401. Ausdrücklich verwahrt sich das Bundesverfassungsgericht gegen eine mögliche, auf Allgemeingültigkeit abzielende Deutung seiner Aussagen und nimmt eine am konkreten Fall orientierte Folgenabwägung vor, die schlussendlich zugunsten der Versammlungsfreiheit des Antragstellers ausfällt402. Handwerklich ist die Entscheidung teils ungenau, wenn sie auf eine Anknüpfung der mittelbaren Drittwirkung an konkrete Normen des Zivilrechts verzichtet oder nicht hinreichend deutlich wird, inwieweit das Gericht Verhältnismäßigkeitserwägungen auch auf das von einem Privaten ausgesprochene Hausverbot bezieht403. Derlei Nebengeräuschen 400  Zum Sachverhalt BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485); ausführlich auch S. Schulenberg, DÖV 2016, 55 (55 f.). 401  BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485 f.). 402  BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2486). 403  In BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2486) ist die Rede von „beschränkende[n] Verfügungen“, die im Vergleich zum „hier angegriffenen Totalverbot“ mildere Mittel darstellten. Der Duktus legt nahe, dass die Überlegungen auf das privatrechtliche Hausverbot bezogen sind, doch könnte der Kontext des Gedankens dafür sprechen, dass hier mögliche Verfügungen der Versammlungsbehörde gemeint sind. – Zur ­Untauglichkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Beurteilungsmaßstab privatrecht-



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sollte jedoch mit dem Verweis auf die Limitierungen des Eilverfahrens nicht allzu große Bedeutung beigemessen werden404. Entscheidend ist vielmehr die inhaltliche Weiterentwicklung der Fraport-Entscheidung. Ganz auf dieser Linie spannt das Bundesverfassungsgericht erstmals eine rein private Gesellschaft über die Figur des öffentlichen Forums in staatsgleicher Intensität in ein grundrechtliches Pflichtenverhältnis ein. Sie könne im Wege mittelbarer Drittwirkung in Anspruch genommen werden, denn „der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des LG einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht“405. Dass diese Entwicklung eine vorhersehbare, ja angekündigte war, darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass das Verfassungsgericht mit den beiden genannten Entscheidungen die Entgrenzung des Konzepts mittelbarer Drittwirkung – oder anders formuliert: die unmittelbare Grundrechtsverpflichtung Privater – vorantreibt406. Rhetorisch ablesbar ist das an Begriffen wie der „Inpflichtnahme“407, inhaltlich dagegen an der von Schluckebier zuvor befürchteten Herabstufung der Eigentumsfreiheit zum Rechtfertigungsposten. Auch wenn das Verfassungsgericht deren grundrechtliche Gewährleistung über Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 GG nennt, bringt eine Gleichsetzung von staatlicher und privater Grundrechtsbindung mit sich, dass sie unwillkürlich nur noch als relativer Wert in die Betrachtung einfließt. Die Versammlungsfreiheit wird demnach über die Figur des öffentlichen Forums auch einer materiell privaten Gesellschaft gegenüber zur zwingend achtenswerten Größe, während deren Recht auf Privateigentum seine Gleichrangigkeit auf der Ebene des Schutzbereichs einzubüßen droht408. Die Beteuerung des Verfassungsgerichts, lichen Handelns M. Bieder, Das ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranke privater Rechtsausübung, 2007, S. 27 ff., 101 ff. 404  In diese Richtung auch C. Smets, NVwZ 2019, 34 (35); eingehender zur mangelnden normativen Anknüpfung der mittelbaren Drittwirkung im Beschluss dagegen Seyderhelm, Grundrechtsbindung Privater, 2021, S. 74 f. 405  BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485). 406  Dazu auch Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 74 ff., 81 f. – Um nicht in die terminologischen Untiefen des Begriffspaares mittelbar/unmittelbar eintauchen zu müssen und den Blick auf die Sache zu lenken, hat sich gerade bei kritischen Stimmen aus der Wissenschaft die treffende Problembezeichnung „staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater“ eingebürgert, s. dazu Barczak, Konstitutionalisierung (Fn. 399), S. 113; A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (909); F. Michl, JZ 2018, 910 (911); C. Smets, NVwZ 2016, 35 (35 f.). 407  BVerfGE 128, 226 (249); ähnlich BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485 f.). 408  Wie hier sehen auch Barczak, Konstitutionalisierung (Fn. 399), S. 114 und C. Smets, NVwZ 2016, 35 (37) die Befürchtung Schluckebiers bestätigt und die Eigentumsfreiheit der Versammlungsfreiheit gegenüber substantiell abgestuft. Dagegen

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im Beschluss zum „Bierdosen-Flashmob“ keine allgemeingültigen Aussagen aufstellen zu wollen, verliert ihre Überzeugungskraft, wenn es hier exakt den Weg geht, den es bereits in der Fraport-Entscheidung vorgezeichnet hat. Nach alldem lässt sich konstatieren, dass die Anfänge der neuen verfassungsgerichtlichen Linie, Private stärker grundrechtlich in die Pflicht zu nehmen, eng mit dem Kriterium des öffentlichen Forums verknüpft sind. Die Beweggründe sind schnell ersichtlich, denn das Bundesverfassungsgericht ­ bemüht sich, die Auswirkungen der Funktionennachfolge im öffentlichen Straßen- und Kommunikationsraum auf die demokratiekonstituierenden Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit abzufedern und die traditionellen Arenen ihrer räumlichen Ausübung zu erhalten. Aus dem Kreise des Verfassungsgerichts ist die Agenda, einer Privatisierung öffentlicher Räume entgegenzuwirken, ausdrücklich zu vernehmen409. Mag das Gericht seine Ausführungen konstruktiv auch auf den Gedanken der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte stützen, ist das Resultat doch faktisch eine staatsgleiche Grundrechtsbindung derjenigen Privaten, die einen solchen allgemein zugänglichen wie vielfältig genutzten Raum einrichten und eröffnen410. bb) „Stadionverbot-Entscheidung“: Neujustierung des Verhältnisses von Gleichheit und Freiheit In seinem jüngsten Entwicklungsschritt hin zu einer verstärkten Grundrechtsverpflichtung Privater ist die Rechtsprechung noch über die bisher aufgestellten Grundsätze hinausgegangen. Die „Stadionverbot-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts411 markiert schon jetzt eine entscheidende Landmarke in diesem Themenkomplex, wie nicht zuletzt die Aufnahme des Beschlusses in die amtliche Entscheidungssammlung belegt. Der Beschwerdeführer, ein zum Zeitpunkt des ursprünglichen Geschehens 16-jähriger Anhänger des FC Bayern München, wandte sich im Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen zivilgerichtliche Urteile, die ein gegen ihn gerichtetes bundesbewegt sich S. Schulenberg, DÖV 2016, 55 (56 ff.) diesbezüglich ohne Vorbehalte auf der Linie des Beschlusses zum „Bierdosen-Flashmob“. 409  So sieht Verfassungsrichter J. Masing, Grundrechtsschutz trotz Privatisierung, in: M. Bäuerle/P. Dann/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Demokratie-Perspektiven. Festschrift für Brun-Otto Bryde, 2013, S. 409 (421) in Bezug auf das Fraport-Urteil und die Auslegung des öffentlichen Forums „eine wichtige Grundlage gelegt, um einer Privatisierung des öffentlichen Raums entgegenzuwirken“. 410  So auch Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S.  79 ff. Barczak, Konstitutionalisierung (Fn. 399), S. 113 geht angesichts der beiden dargestellten Entscheidungen sogar so weit, die mittelbare Drittwirkung zumindest in Teilen als „obsolet“ zu bezeichnen. 411  BVerfGE 148, 267 ff.



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weites Stadionverbot für rechtmäßig erachteten412. Dieses Stadionverbot hat eine Tochtergesellschaft des Meidericher Spielvereins 02 e. V. Duisburg im eigenen Namen sowie in Vertretung des Deutschen-Fußballbundes, des Ligaverbandes sowie aller Vereine der Fußball-Bundesliga im April 2006 im Nachgang des Fußballspiels des MSV Duisburg gegen den FC Bayern München in der ersten Fußball-Bundesliga gegen den Fan ausgesprochen, nachdem es am Duisburger Stadion zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern beider Teams einschließlich mindestens einer Körperverletzung und einer Sachbeschädigung gekommen war. Gestützt war das Verbot auf das eigene und in Vertretung ausgeübte privatrechtliche Hausrecht sowie die sog. Stadionverbots-Richtlinien des Deutschen Fußball-Bundes413; mitgeteilt wurde es dem Betroffenen schriftlich ohne vorherige Anhörung. Der Mutterverein und die mit ihm verbundene Kapitalgesellschaft, die den Spielbetrieb der Duisburger Profi-Fußballmannschaft unterhält, sind in privatrechtlicher Rechtsform organisiert und privat getragen414. Nachdem sein Hauptbegehren auf Aufhebung resp. Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadionverbots vor den Zivilgerichten erfolglos geblieben ist, erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und machte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie des Rechts auf ein faires Verfahren gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG geltend. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Zunächst berief es sich aufgrund des Entscheidungsgegenstands – die vom Beschwerdeführer behauptete mangelnde Berücksichtigung seiner Grundrechte in den zivilgerichtlichen Verfahren – noch auf die althergebrachten Grundsätze der mittelbaren Drittwirkung415. Anders als noch im Beschluss zum „Bierdosen-Flashmob“ blieb der Rekurs auf das bedeutungsvolle Diktum des Fraport-Urteils, die Mittelbarkeit der Grundrechtsbindung Privater ändere nichts daran, dass letztere in der Intensität keineswegs hinter der Grundrechtsverpflichtung des Staates zurückbleiben müsse, aus. Stattdessen betonte das Gericht, die Reichweite einer mittelbaren Grundrechtswirkung hinge von den Umständen des Einzelfalls ab und sei anhand von Kriterien wie der Unausweichlichkeit von Situationen, dem Un412  Ausführlich zum folgenden Sachverhalt und dem Verfahrensgang vor den Zivilgerichten BVerfGE 148, 267 (267 ff., Rn. 1 ff.). 413  In der damals gültigen Fassung vom 1.6.2005 abrufbar unter https://www.dfb. de/uploads/media/stadionverbotneu_01.pdf (letzter Zugriff: 9.10.2022). 414  Das Bundesverfassungsgericht stellt beiläufig fest, die angegriffenen Entscheidungen beträfen einen Rechtsstreit zwischen Parteien, die sich als Private gegenüberstehen, BVerfGE 148, 267 (280). Die private Trägerschaft von Mutterverein und Tochtergesellschaft stand, soweit ersichtlich, im gesamten Verfahrensgang außer Streit. 415  BVerfGE 148, 267 (279 f., Rn. 31 f.).

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

gleichgewicht zwischen Parteien, der gesellschaftlichen Bedeutung einer Leistung oder der sozialen Mächtigkeit einer Partei zu bewerten416. Inhaltlich ändert sich an der Aussage der Fraport-Linie freilich nichts, eine staatsgleiche Verpflichtung Privater auf die Grundrechte bleibt weiterhin möglich. Das Verfassungsgericht hat lediglich rhetorisch abgerüstet und zusätzlich Kriterien zur Verfügung gestellt, die als Indizien für das Auslösen einer solchen Grundrechtsbindung fungieren können. Dass sowohl der Inhalt der Begriffe im Einzelnen als auch ihre Operationalisierung zur Bestimmung des Grads der „mittelbaren Drittwirkung“ unklar bleibt, soll hier nur der Vollständigkeit halber angedeutet werden. In der Folge steigt das Bundesverfassungsgericht im einfachgesetzlichen Kontext vornehmlich der §§ 862, 1004 BGB in die Abwägung zwischen den in Rede stehenden Grundrechten ein. Zunächst fällt auf, dass die Bedenken Schluckebiers Berücksichtigung gefunden haben, denn in der Gegenüberstellung betont das Gericht die verfassungsrechtlichen Implikationen des Hausrechts mit der Eigentumsgarantie des Art.  14 Abs. 1 GG und will ihnen bereits auf Schutzbereichsebene als zu berücksichtigende Größe Rechnung tragen417. Auf der Seite des Beschwerdeführers sei dagegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG keine Position, die dieser entgegengestellt werden könne, denn eine Wertentscheidung der Verfassung, wonach jeder Private dem anderen die unbenannte Freiheit zu jedwedem selbstbestimmten Handeln entgegenhalten können müsse, existiere nicht; nur in „spezifischen Konstellationen“ wie etwa struktureller Unterlegenheit sei eine andere Bewertung möglich418. Die entscheidende Weiterentwicklung der mit dem Fraport-Urteil angestoßenen Linie nimmt das Bundesverfassungsgericht in der Stadionverbot-Entscheidung vor, indem es erstmalig den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in die Grundrechtsabwägung einstellt. Allgemein verneint es eine objektive Wertentscheidung der Grundrechte, wonach Rechtsbeziehungen zwischen Privaten an gleichheitsrechtlichen Erwägungen auszurichten seien, da es zur Freiheit eines jeden Einzelnen gehöre, seine Vertragsbeziehungen nach subjektiven Präferenzen einzugehen und zu gestalten419. Anderes gelte 416  BVerfGE 148,

267 (280 f., Rn. 33). 267 (281, Rn. 35 f.). 418  BVerfGE 148, 267 (282 f., Rn. 38). 419  BVerfGE 148, 267 (283, Rn. 40); im Anschluss daran auch BVerfG (K), NJW 2019, 3769 (3770). – An dieser Stelle lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob sich aus den speziellen Gleichheitssätzen des Art. 3 Abs. 2, 3 GG etwas anderes ergibt. Ein bemerkenswertes Obiter Dictum, mit dem das Verfassungsgericht offensichtlich erneut vorzubauen versucht. Geht es in Zukunft etwa um die Ungleichbehandlung von Mann und Frau oder der Anhänger verschiedener Religionen, sieht es das Gericht als durchaus möglich an, privates Handeln grundsätzlich den speziellen verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgeboten zu unterstellen. Noch ausgewichen ist das 417  BVerfGE 148,



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jedoch in „spezifischen Konstellationen“ wie etwa im vorliegenden Fall eines bundesweiten Stadionverbots. Zum einen handele es sich um eine Großveranstaltung, die einem breiten Publikum und dem Einzelnen ohne Ansehen seiner Person offen stehe, zum anderen ergehe der Ausschluss aufgrund einseitiger Entscheidungsmacht – ähnlich wie auch bei Monopolen oder struktureller Überlegenheit – und entscheide für den Betroffenen in maßgeblicher Weise über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Wie bei dem Kriterium des öffentlichen Forums schwingt zwischen den Zeilen der Gedanke der Ingerenz mit, wenn es heißt420: „Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine hier aus dem Hausrecht – so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit – resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.“

Gleichzeitig seien mit dem Erfordernis eines sachlichen Grundes auch verfahrensrechtliche Anforderungen verbunden, die die Stadionbetreiber vor der Verhängung eines Stadionverbots zu beachten hätten, etwa zumutbare Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen und den Betroffenen anzuhören421. Gerade Anhörungserfordernisse seien dem Zivilrecht nicht fremd, argumentiert das Verfassungsgericht mit Verweis auf Fälle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung422. Der Bundesgerichtshof habe sich bei seiner Entscheidung jedoch im Rahmen der skizzierten verfassungsrechtlichen Anforderungen bewegt423. Mit der versuchten Einbeziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes in die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung hat das Bundesverfassungsgericht das Konzept der letzteren endgültig gesprengt und in der Sache eine situativ

Gericht dieser Frage in BVerfG (K), NJW 2019, 3769 (3770); kritisch zu dem Gedanken C. Smets, NVwZ 2019, 34 (37). 420  BVerfGE 148, 267 (283 f., Rn. 41); ähnlich auch der BGH als Revisionsinstanz dieses Verfahrens, BGH, NJW 2010, 534 (535); vgl. ferner BGH, NJW 2012, 1725 (1727). – Im Fraport-Urteil hieß es hingegen noch, die Entscheidung über ein Hausverbot stehe „grundsätzlich im Gutdünken […] des Eigentümers“, BVerfGE 126, 228 (259). 421  BVerfGE 148, 267 (285 f., Rn. 46). 422  BVerfGE 148, 267 (286, Rn. 47); kritisch zur Verwendung dieser Beispiele A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (902); U. Kischel, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz, 49. Edition 2021, Art. 3 Rn. 93c; F. Michl, JZ 2018, 910 (917). 423  BVerfGE 148, 267 (287 ff., Rn. 49 ff.); hier folgt im Schwerpunkt eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Anforderungen an ein bundesweites Stadionverbot, die im vorliegenden Untersuchungszusammenhang nicht von Relevanz sind.

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staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater etabliert424. Das Verfassungsgericht eröffnet seine Ausführungen zur Begründetheit zwar mit einem Plädoyer für eine nur vermittelte Grundrechtsbindung Privater425 und verzichtet auf den Hinweis, dass diese in ihrer Intensität nicht hinter einer staatlichen Verpflichtung auf die Grundrechte zurückstehen müsse. Seine späteren Aussagen zu Art. 3 Abs. 1 GG höhlen diese methodische Vorrede jedoch aus, denn hier formuliert das Gericht nur vordergründig an den Zivilrichter gerichtete Handlungsdirektiven. So heißt es, die Fachgerichte hätten sicherzustellen, dass Stadionverbote nicht willkürlich festgesetzt würden und auf einem sachlichen Grund beruhten426. Damit ist jedoch die Pflicht, das Verhalten an einem sachlichen Grund auszurichten, notwendigerweise vorausgesetzt – und diese ist nicht an den Zivilrichter, sondern unmittelbar an den Privaten adressiert. Raum für eine vom Richter vorzunehmende Abwägung mit den Eigentümerbefugnissen des Stadionbetreibers bleibt dann nur in einem zweiten Schritt, nämlich bei den Anforderungen, die an den sachlichen Grund zu stellen sind. Noch deutlicher wird die staatsgleiche grundrechtliche Verpflichtung Privater bei der Statuierung von Verfahrenserfordernissen, auch weil das Verfassungsgericht hier auf rhetorische Verschleierung gänzlich verzichtet und sie dem Stadionbetreiber geradeheraus auferlegt. Die Anhörung des Betroffenen, die Einleitung zumutbarer Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und die Entscheidungsbegründung auf Verlangen sind keine Elemente, die der Zivilrichter in seine Betrachtung mit einzustellen hätte, sie sind unzweideutig zugeschnitten auf den Stadionbetreiber, der ein Hausverbot verhängt, und sie sind abgeleitet aus Art. 3 Abs. 1 GG427. Dass sich nicht zuletzt auch Fragen der Gewaltenteilung stellen, wenn das Bundesverfassungsgericht spezifischen Verfahrensanforderungen Verfassungsrang verleiht und sie an Private adressiert, kann an dieser Stelle nur angedeutet werden428. 424  Wie hier A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (901 f.); S. Jobst, NJW 2020, 11 (12 f.); Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93a, 93c; F. Michl, JZ 2018, 910 (911 ff., 915 f.); M. Sey­ derhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S.  89 ff.; C. Smets, NVwZ 2019, 34 (37); vorsichtiger S. Muckel, JA 2020, 411 (415 f.). 425  BVerfGE 148, 267 (279 ff., Rn. 31 ff.). 426  BVerfGE 148, 267 (285, Rn. 45). 427  Dazu auch A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (908 f.), der hier die Abwehrfunktion der Grundrechte im Privatrechtsverhältnis aktiviert sieht. 428  Dazu Burkiczak, Grundrechtswirkungen (Fn. 392), S.  140 f.; A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (908 f.) F. Michl, JZ 2018, 910 (917 f.); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (283); fallunabhängig zu diesen Auswirkungen einer unmittelbaren Drittwirkung auch P. M. Huber, Zur Drittwirkung von Grundrechten und Grundfreiheiten, in: M. Ruffert (Hrsg.), Dynamik und Nachhaltigkeit des Öffentlichen Rechts. Festschrift für Professor Dr. Meinhard Schröder, 2012, S. 335 (339 f.). – In der StadionverbotEntscheidung formuliert das Verfassungsgericht vielsagend: „Maßgeblich ist insoweit nicht, ob die Zivilgerichte sich für ihre Wertungen unmittelbar auf die Grundrechte selbst berufen oder deren Wertungen mittels einfachgesetzlicher Erwägungen und



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Zentral ist im vorliegenden Zusammenhang aber ein anderer Aspekt: Es drängt sich der Schluss auf, dass sich Freiheits- und Gleichheitsrechte unterschiedlich zum Konzept mittelbarer Drittwirkung verhalten und die Einspeisung speziell des allgemeinen Gleichheitssatzes in das Zivilrechtsverhältnis zwangsläufig zu einer unmittelbaren Grundrechtsbindung eines beteiligten Privaten führen muss, die in ihrer Ausprägung mit der staatlichen identisch ist429. Deutlich wird diese Annahme umso mehr, wenn man die rechtstechnische Umsetzung anhand des einfachen Rechts konsequent zu Ende denkt. Jedenfalls das Bundesverfassungsgericht sieht das privatrechtliche Hausrecht des Grundstückseigentümers in §§ 903 S. 1, 1004 BGB verankert430. Im Beschluss zum Stadionverbot bestätigt es die Ausführungen der Instanzgerichte und stützt das Hausrecht leicht verändert auf §§ 862, 1004 BGB431. Folgt man der Konzeption der mittelbaren Drittwirkung und schließt an deren unbestimmte Tatbestandsmerkmale (Pflicht zur Duldung der Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 2 BGB, gesetzliche Gestattung der Störung im Rahmen der verbotenen Eigenmacht nach § 862 Abs. 1 i. V. m. § 858 Abs. 1 BGB, Rechte Dritter gem. § 903 S. 1 BGB) an, stellt sich allerdings die Frage, auf welchem Wege der allgemeine Gleichheitssatz hier Geltung beanspruchen soll. Anders als etwa bei der Versammlungsfreiheit ist seine Schutzperspektive keine, die von einem individuellen Freiheitsraum her gedacht ist, sondern eine, die ihren Schutz an der Handlungsmodalität der Ungleichbehandlung ausrichtet432. Der strukturelle Unterschied zwischen Gleichheitssatz und Freiheitsrechten besteht demnach gerade darin, dass der erstere keinen Sachgegenstand eines abstrakten Schutzbereichs kennt, der als Abwägungsposten einer Isolierung zugänglich ist. Der Gleichheitssatz ist kategorisch konzipiert: unter Rückgriff auf Auslegungsgrundsätze des Zivilrechts zur Geltung bringen […]. Entscheidend ist allein, dass den grundrechtlichen Wertungen im Ergebnis hinreichend Rechnung getragen wird“, BVerfGE 148, 267 (284 f., Rn. 44). 429  Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93; F. Michl, JZ 2018, 910 (915). – Zur unterschiedlichen Drittwirkung von Freiheits- und Gleichheitsrechten auch W. Heun, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 3 Rn. 71. 430  BVerfGE 128, 226 (257 f., 265). 431  BVerfGE 148, 267 (281, Rn. 35 f.); siehe zu den verschiedenen einfachgesetzlichen Herleitungsmöglichkeiten mit weiterführenden Nachweisen G. Schulze, JZ 2015, 381 (384 ff.), der sich schließlich für eine besitzrechtliche Fundierung in § 903 S. 1 i. V. m. § 854 BGB ausspricht. Dagegen hält C. Baldus, JZ 2016, 449 (450 f.) in seiner Erwiderung das Hausrecht als eigene Kategorie neben dem ohnehin bestehenden Eigentumsschutz aus §§ 903, 1004 BGB für obsolet; siehe ferner die Duplik von G. Schulze, JZ 2016, 453 ff. 432  Allgemein dazu Heun (Fn. 429), Art. 3 Rn. 18; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 23; zu letzterem Gedanken auch F. Wollenschläger, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 3 Abs. 1 Rn. 51; anders A. Nußberger, in: Sachs, GG (Fn. 28), Art. 3 Rn. 39 ff.; s. ferner BVerfGE 123, 186 (225).

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Entweder ist der handelnde Akteur zur Gleichbehandlung verpflichtet oder er ist es nicht. Soll der allgemeine Gleichheitssatz unter diesen Vorzeichen nun aber in das Konzept der „mittelbaren“ Drittwirkung integriert werden, geht dem notwendigerweise die Feststellung voraus, dass der Gegenüber sein Verhalten a priori überhaupt am Gebot der Gleichbehandlung auszurichten hat. Im Ergebnis bindet ihn das Gebot damit bereits unmittelbar, noch bevor eine Abwägung stattfinden kann, während der Eigentumsfreiheit mit dem Eigentum ein sachlicher Kern entnommen werden kann, der – überspitzt formuliert – im Zivilrechtsstreit nur einen Merkposten für den Richter darstellt433. So entsteht im konkreten Fall eine schiefe Ebene: Der Abwägungsposten „Eigentum“ ist von vornherein mit einer Hypothek belastet, die die Gegenüberstellung der grundrechtlichen Positionen von Stadionbetreiber und -besucher verzerrt434. Die so etablierte unmittelbare Bindung privaten Entscheidungsverhaltens an gleichheitsrechtliche Anforderungen wie das Anhörungserfordernis er­ öffnet zudem eine neue Ebene im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gleichheit. Wenn die Privatautonomie ihrem Wesen nach auch die Freiheit zur Ungleichbehandlung, das Recht zu „legitime[r] Diskriminierung“435 enthält und es zwischen Privaten keine vorbestimmte Rechtfertigungslast, keine prinzipielle Rechenschaftspflicht gibt436, dann trifft es zu, dass durch die Implementierung gleichheitsrechtlicher Handlungspflichten im reinen Privatrechtsverhältnis die „Privatautonomie an der Wurzel getroffen“ ­ 433  F. Michl, JZ 2018, 910 (915), der in diesem Zusammenhang vom Gleichheitssatz als „Paradefall einer staatsgleichen Grundrechtsbindung Privater“ spricht. 434  Anderes würde gelten, wenn nicht Art. 3 Abs. 1 GG, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Eigentumsrecht des Stadionbetreibers gegenüber stünde. Letzteres hat der Beschwerdeführer in seinem Antrag auch maßgeblich als verletzt rügt. Das Verfassungsgericht beschränkt sich jedoch auf den paternalistisch anmutenden Hinweis, das „verfassungsrechtliche Gewicht“ der Entscheidung liege nicht in einer Freiheitsbeschränkung, sondern in einer Ungleichbehandlung und lässt das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Abwägungsposten außen vor, vgl. dazu BVerfGE 148, 267 (282 f., 284, Rn. 38, 43). Eine mindestens „überraschende“ Erwägung, findet auch M. Sachs, JuS 2019, 89 (91); ebenso mit Blick auf das Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers S. Muckel, JA 2018, 553 (555 mit Fn. 9); vgl. ferner M. Staake, SpuRt 2018, 138 (140). Für einen gleichheitsrechtlichen Schwerpunkt hingegen M. Grünberger, Warum der Stadionverbot-Beschluss weit mehr ist als nur Common Sense, VerfBlog, 1. Mai 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/warum-der-stadionverbots-beschluss-weit-mehr-istals-nur-common-sense/ (letzter Zugriff: 7.10.2022). 435  J. Isensee, Privatautonomie, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 3. Auflage 2009, § 150 Rn. 140; ebenso Barczak, Konstitutionalisierung (Fn. 399), S. 97 f. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 436  Masing, Grundrechtsschutz (Fn. 409), S. 411.



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wird437. Indem das Gericht im Beschluss zum bundesweiten Stadionverbot dem privaten Stadionbetreiber unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG Pflichten auferlegt, hat das Gleichheitsrecht die Privatautonomie zumindest situativ überrundet438. Auf diesem Wege wird privates Handeln spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen eben doch zu rechtfertigungsbedürftigem Handeln439. Dass das Bundesverfassungsgericht diese Erwägungen an das auslösende Moment einer „spezifischen Konstellation“ anknüpft, macht seine Stadionverbot-Entscheidung zusätzlich angreifbar. Wenn das Gericht einerseits vorausschickt, aus Art. 3 Abs. 1 GG könne kein objektives Verfassungsprinzip heraus gelesen werden, das Privaten die Pflicht auferlegt, ihr Verhalten am Gleichbehandlungsgebot auszurichten, andererseits aber eine Ausnahme im maximal konturlosen Falle einer „spezifischen Konstellation“ zulässt, stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, überhaupt in dem Modus eines RegelAusnahme-Prinzips zu operieren. Sicherlich bemüht sich das Verfassungsgericht in der Stadionverbot-Entscheidung gleichfalls um eine Konkretisierung: Eine einseitige faktische Machtstellung, die Öffnung der eigenen Veranstaltung für ein breites Publikum ohne Ansehung der Person sowie die außerordentliche Bedeutsamkeit der Veranstaltung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben seitens des Betroffenen sind drei präzisierende Merkmale, wobei das erstere sogar noch um Unterkategorien wie das Hausrecht, eine Monopolstellung oder strukturelle Überlegenheit angereichert wird440. Spe­ ziell dem Teilhabeaspekt aus Bürgersicht scheint hier ein besonderes Gewicht zuzukommen441. Nichtsdestotrotz wird weder deutlich, auf welche normative 437  Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1581; vgl. ferner Ruffert, Vorrang (Fn. 393), S.  175 f.; Schwabe, Drittwirkung (Fn. 393), S. 150 f.; aus neuerer Zeit Barczak, Kon­ stitutionalisierung (Fn. 399), S. 115. – Widersprüchlich speziell zur StadionverbotEntscheidung hingegen A. Heldt, NVwZ 2018, 818 (819), die einerseits resümiert, die Privatautonomie dürfe nicht durch die unmittelbare Bindung privater Vertragsbeziehungen an das Gleichheitsgebot ausgehebelt werden, andererseits aber meint, das Beachten des Gleichbehandlungsgebots könne von Veranstaltern besucherstarker Veranstaltungen durchaus erwartet werden. 438  Situativ meint bisher insbesondere das Bestehen eines sozialen Machtverhältnisses in teilhaberelevanten Bereichen, dazu auch noch unten S. 119 f. 439  In diese Richtung auch Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S.  88 f. Noch vor der Stadionverbot-Entscheidung allgemein zur Drittwirkung der Grundrechte auf Private und der Rechtfertigungsfreiheit privater Entscheidungen Burkiczak, Grundrechtswirkungen (Fn. 392), S. 140; Müller-Franken, Bindung (Fn. 395), S.  229 f. 440  BVerfGE 148, 267 (283 f., Rn. 41). – Teilweise wird darin sogar schon ein Prüfschema gesehen, dessen Abschreiten die Frage nach einer „staatsgleichen Pflichtenstellung“ Privater beantworten könne, so Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93b. 441  Dazu C. Smets, NVwZ 2019, 34 (35 f.). – Dagegen wirkt es implantiert und mangels methodischer Einbettung aus normhierarchischer Sicht unpassend, wenn das Verfassungsgericht im Zuge dessen auf den Internationalen Pakt über wirtschaftliche,

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Verankerung sich das Verfassungsgericht stützt, wenn es – im Übrigen auch im Kontext der allgemeinen Handlungsfreiheit – Ausnahmen in „spezifischen Konstellationen“ begründet, noch begrenzt die Konkretisierung das Kriterium als solches inhaltlich, denn beschrieben ist damit nur ein möglicher Anwendungsfall442. Nicht auszuschließen ist etwa die Integration des „öffentlichen Forums“ in den Oberbegriff der „spezifischen Situation“, die es ermöglichen würde, private Betreiber von Einkaufszentren oder öffentlich zugänglichen Kaufhäusern nicht nur stärker an die Versammlungsfreiheit, sondern auch unmittelbar an den allgemeinen Gleichheitssatz zu binden443. Das Bundesverfassungsgericht hat sich diesen Aspekt der interpretatorischen Freizügigkeit wie erwartet444 zu Nutze gemacht und in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angedeutet, auch nutzerstarke soziale Netzwerke über das Merkmal der „spezifischen Konstellation“ in gleichheitsrechtliche Pflichten einspannen zu wollen445. Als zu berücksichtigende Gesichtspunkte hat es die marktbeherrschende Stellung des Netzwerks, die Ausrichtung der Plattform, den Grad der Angewiesenheit auf die Dienste des Netzwerks sowie die Interessen des Plattformbetreibers bzw. Belange Dritter aufgeführt. Im konkreten Fall ging die Folgenabwägung zugunsten einer politischen Partei aus, die sich gegen die Sperrung ihres Facebook-Accounts durch den Netzwerkbetreiber Facebook Ireland Ltd. zur Wehr setzte446. Angesichts der Unbegrenztheit des Maßstabs der „spezifischen Konstellation“ sind die denkbaren Fälle, in denen Anforderungen aus dem Gleichheitssatz soziale und kulturelle Rechte der UN Bezug nimmt, s. BVerfGE 148, 267 (284, Rn. 42); ebenfalls kritisch F. Michl, JZ 2018, 910 (913); C. Smets, NVwZ 2019, 34 (36). 442  Beide Aspekte hebt F. Michl, JZ 2018, 910 (916 f.) zurecht hervor; zur geringen Praxistauglichkeit der konkreteren Merkmale der Stadionverbot-Entscheidungen A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (909); Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 93 f. – Jedenfalls den Besuch eines Wellness-Hotels hat das Bundesverfassungsgericht jüngst nicht als eine solche „spezifische Situation“ eingeordnet, s. BVerfG (K), NJW 2019, 3769 (3770). 443  Jedenfalls im Ergebnis A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (909). Einen solchen Versuch, die Figur des „öffentlichen Forums“ als Kriterium einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater zu abstrahieren, hat jüngst etwa Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 182 ff., 254 ff. unternommen. 444  Vorhergesagt haben diese Erstreckung F. Michl, JZ 2018, 910 (917 f.), C. Smets, NVwZ 2019, 34 (36) und Q. Weinzierl, Warum das Bundesverfassungsgericht Fußballstadion sagt und Soziale Plattformen trifft, JuWissBlog Nr. 48/2018 vom 24. Mai 2018, abrufbar unter: https://www.juwiss.de/48-2018/ (letzter Zugriff: 7.10.2022). 445  BVerfG (K), NJW 2019, 1935 (1936). – Wie hier sieht Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 248 ff. den Beschluss als Fortschreibung der Linie aus der Stadionverbot-Entscheidung; dagegen mit dem Argument, es gehe im Falle von Facebook weder um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch um einen Ausschluss im Sinne eines Betretungsverbots J. Lüdemann, MMR 2019, 279 (284). 446  Zur Folgenabwägung BVerfG (K), NJW 2019, 1935 (1936 f.).



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auf Private umgeschrieben werden können, zahlreich, und das selbst unter Berücksichtigung der bisherigen Konkretisierungen447. Eine neuerliche Möglichkeit, zu der Frage Stellung zu nehmen und seine Rechtsprechung um eine lebenswirklich gänzlich anders gelagerte Variante zu erweitern, bietet sich für das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens, bei dem die grundrechtliche Inpflichtnahme der Schufa Holding AG in Rede steht448. cc) Erneuertes Verständnis der Staat-Bürger-Beziehung als Belastungsprobe der Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen Die Rechtsprechungsentwicklung zum Komplex der Ausstrahlungs- bzw. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wurde an dieser Stelle deshalb so ausführlich entfaltet, weil erst die tiefgreifende Analyse die gedanklichen Strukturen und gesellschaftspolitischen Hintergründe aufdeckt, die das Gericht zu einem Richtungswechsel veranlasst zu haben scheinen. Begonnen mit einem Obiter Dictum im Fraport-Urteil und essentiell weiterentwickelt in der Stadionverbot-Entscheidung, verfolgt das Bundesverfassungsgericht implizit das Programm, soziale Machtgefälle grundrechtlich zu vermessen und auszugleichen449. Sieht das Gericht eine Situation gekommen, in der sich 447  A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (909) nennt Kulturveranstaltungen und Messen genauso wie die einzige Gaststätte in einem kleinen Dorf, wobei sie zurecht zu Bedenken gibt, dass das Verfassungsgericht mutmaßlich nicht auf eine so starke Ausweitung der Rechtsprechung abziele. Dem Gedanken nach ähnlich bringt C. Smets, NVwZ 2019, 34 (36) Großraumdiskotheken ins Spiel; kritisch dazu Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 321 ff., 327 f. Anders hingegen Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93b, der sowohl Streamingdienste wie Netflix oder Spotify aufgrund vielfältiger Alternativen als auch Festivals und einzelne Konzertveranstaltungen mangels gesellschaftlicher Bedeutung ausnehmen will. Angesichts steigender Besucherzahlen bei Veranstaltungen wie der Videospielmesse „gamescom“ vor Beginn der CoronaPandemie (2019: 370.000, siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/311799/ umfrage/fachbesucher-auf-der-gamescom/ [letzter Zugriff: 9.10.2022]) oder der steigenden Zahl exklusiv angebotener Eigenproduktionen der jeweiligen Streamingdienste wie Netflix (im Jahr 2020 lag der Nachfragewert für Netflix-Eigenproduktionen in Deutschland bei 52,9 % und damit gut viermal so hoch wie der Wert des nächstplatzierten Wettbewerbers, siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 1228488/umfrage/verteilung-der-nachfrage-von-streaming-diensten-in-deutschland/ [letzter Zugriff: 9.10.2022]) erscheint diese Ansicht zu restriktiv. 448  Anhängig unter dem Az. 1 BvR 756/14; mit derselben Erwartung sowie einem knappen Problemaufriss Barczak, Konstitutionalisierung (Fn. 399), S. 114. Für eine Grundrechtsbindung von Auskunfteiunternehmen im Anschluss an die StadionverbotEntscheidung S. Jobst, NJW 2020, 11 (13 f.); dagegen mit Blick auf die Schufa Holding AG Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 309 ff., 320. 449  Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93b.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Private in starker Verhandlungsasymmetrie gegenüberstehen, wie bei Monopolen, strukturellem Ungleichgewicht oder neuerdings in Fällen publikumsstarker Zusammenkünfte mit weitreichender sozialer Bedeutung, gleich ob real oder virtuell, setzt es zur Gegensteuerung aus der Verfassung heraus an. Der Sache nach wird dieser Ansatz nicht vehement bestritten, im Gegenteil: Sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch die Wissenschaft haben eine Ausstrahlung des Art. 3 Abs. 1 GG bereits zuvor befürwortet, um eine einseitig überbordende Gestaltungsmacht über das Privatrechtsverhältnis mittels des grundrechtlichen Gleichheitsgebots aufzufangen450. Vor diesem Hintergrund ist gerade die Stadionverbot-Entscheidung teilweise durchaus positiv aufgenommen worden451. Dass das Verfassungsgericht seinen neuen Ansatz jedoch weiterhin mit dem Etikett der mittelbaren Drittwirkung versieht, wirkt verschleiernd und ruft zurecht Kritik hervor452. Von einer Mittelbarkeit hat sich das Gericht – wie gesehen – spätestens in der StadionverbotEntscheidung unter bestimmten Voraussetzungen verabschiedet. Doch unabhängig davon, welche Position man nun zur Angemessenheit einer solchen Grundrechtserstreckung auf Private im Allgemeinen oder zur Richtigkeit gerade der vom Verfassungsgericht aufgezählten und behandelten Fälle asymmetrisch verteilter Verhandlungsmacht im Besonderen einnehmen will, bleibt doch das für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang entscheidende Destillat das gleiche: Das Bundesverfassungsgericht modifiziert sein anthropozentrisches Grundrechtsverständnis und rüttelt an der 450  So BGH, NJW 2013, 1519 (1520 f.); nur andeutungsweise hingegen der BGH als Revisionsinstanz im Stadionverbot-Verfahren, BGH, NJW 2010, 534 (535); aus der Literatur J. Englisch, in: Stern/Becker, GG (Fn. 364),  Art. 3 Rn. 121; Jarass (Fn. 352), Art. 3 Rn. 17; W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 252 ff.; Wollenschläger (Fn. 432), Art. 3 Abs. 1 Rn. 62; jüngst Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 107 f., 199 ff. Leicht erhöht sind die Voraussetzungen bei Heun (Fn. 429), Art. 3 Rn. 70, der den Missbrauch und nicht allein die Existenz eines solchen sozialen Machtgefälles zugrunde legt. Im Ergebnis steht auch F. Michl, JZ 2018, 910 (916) einem grundrechtlichen Ausgleich in Situationen, die dem Staat-BürgerVerhältnis ähneln, offen gegenüber, kritisiert jedoch die mangelnde Begründungsdichte des verfassungsgerichtlichen Konzepts aus der Stadionverbot-Entscheidung. 451  M. Grünberger, Warum der Stadionverbot-Beschluss weit mehr ist als nur Common Sense, VerfBlog, 1. Mai 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/ warum-der-stadionverbots-beschluss-weit-mehr-ist-als-nur-common-sense/ (letzter Zu­ griff: 7.10.2022); A. Heldt, NVwZ 2018, 818 (819); im Ergebnis auch M. Ruffert, Common Sense statt strikte Dogmatik? Zutreffendes aus Karlsruhe zu Stadionverboten, VerfBlog, 30. April 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/commonsense-statt-strikte-dogmatik-zutreffendes-aus-karlsruhe-zu-stadionverboten/ (letzter Zu­ griff: 7.10.2022); M. Staake, SpuRt 2018, 138 (142 f.). 452  F. Michl, JZ 2018, 910 (916); Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 93, 127; anders S. Muckel, JA 2018, 553 (556), der sich bereits von einer aus seiner Sicht in dem Beschluss vorgenommenen trennscharfen Unterscheidung zwischen mittelbarer Drittwirkung und Ausstrahlungswirkung überzeugen lässt.



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 121

Grundunterscheidung von Staat und Gesellschaft453. Die Grundrechte sind demnach nicht mehr nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, sie sind universale Schutzgehalte gegen Bedrohungen, die sich vielmehr nach der konkreten Gefährdungssituation beurteilen als danach, ob der Aggressor ein staatlicher oder privater ist. Wenn jedoch Private zur Achtung grundrechtlicher Gewährleistungen, insbesondere zur Beachtung verfassungsrechtlich (!) begründeter Verfahrenserfordernisse unmittelbar angehalten werden454, geht damit einher, dass ihr Verhalten zum Äquivalent staatlicher Eingriffe wird. Private Machtausübung unter bestimmten Voraussetzungen funktional mit dem staatlichen Eingriff gleichzusetzen, geht allerdings konsequenterweise mit der Prämisse einher, dass auch sie dem gemeinwohlorientierten Rechtfertigungsbedürfnis staatlicher Machtausübung unterliegen und Private unter Umständen statt (nur) im eigenen Interesse auch in Verantwortung für die Allgemeinheit handeln455. Auch wenn man diese Vorzeichen umschreiben, NVwZ 2019, 1385 (1390); S. Muckel, JA 2020, 411 (416 f.). den bedenklichen Implikationen auf die Gewaltenteilung bereits oben S. 114 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 428. Insofern trifft der an den einfachen Gesetzgeber adressierte Aufruf zum Tätigwerden, den vor allem C. Smets, NVwZ 2019, 34 (37) im Anschluss an die Stadionverbot-Entscheidung und S. Mu­ ckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (279 ff.), ders., JA 2020, 411 (416 f.) im Hinblick auf soziale Netzwerke formulieren und der auch bei Masing, Grundrechtsschutz (Fn. 409), S. 424 anklingt, nicht gänzlich zu. Zumindest in Fällen von Stadionverboten und – unter dem Vorbehalt der bereits angedeuteten Übertragung dieser Standards auf soziale Netzwerke – auch im Falle von Account-Entfernungen durch Facebook hat das Bundesverfassungsgericht den Privatrechtsgesetzgeber mit seinen Ableitungen von Verfahrenspflichten aus Art. 3 Abs. 1 GG vor vollendete Tatsachen gestellt; dazu auch A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (908); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (283). Diesen Umstand übergeht Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 122 f., wenn er ausführt, der einfache Gesetzgeber erhalte durch eine vom Verfassungsgericht angenommene unmittelbare Grundrechtsbindung Privater „Impulse“, um seine Aufgabe bewusster wahrzunehmen. 455  A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (905 f., 908 f.), der darin einen wesentlichen Schritt zur „Privatisierung staatlicher Machtausübung“ sieht; ähnlich C. Smets, NVwZ 2019, 34 (36): „Wer funktional wie der ‚Staat‘ erscheint, wird gleichermaßen wie dieser gebunden“. – M. Grünberger, Warum der Stadionverbot-Beschluss weit mehr ist als nur Common Sense, VerfBlog, 1. Mai 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog. de/warum-der-stadionverbots-beschluss-weit-mehr-ist-als-nur-common-sense/ (letzter Zugriff: 7.10.2022) plädiert für eine Präzisierung und sieht das Problem nicht in der Übertragung von Gleichheitsanforderungen, sondern in ihrer Kontrolldichte, die für Private niemals dieselbe sein könne wie für den Staat. Aus seiner Sicht belege die Stadionverbot-Entscheidung, dass eine Differenzierung zwischen schrankenlos willkürlicher Freiheit und einem bestimmten Grad der Rechtfertigung verfassungsrechtlich möglich sei. Selbst wenn man diese These als richtig unterstellt, hat das Bundesverfassungsgericht mit diesem Standard jedoch gebrochen und in der StadionverbotEntscheidung Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG zulasten eines Privaten entwickelt, die nicht von denjenigen einer grundrechtsgebundenen Behörde zu unterscheiden sind, wie Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93c und F. Michl, JZ 2018, 910 (915) anschau453  F. Becker, 454  Zu

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

die Bindung an die Grundrechte vom Bürger aus denken und den Staat als Gewährleistungsstaat und Kommissionär der Grundrechte betrachten wollte456, ändert das jedenfalls nichts daran, dass die Beziehung von Bürger und Staat anders vermessen wird, als es das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen tut. In beiden Fällen verliert die Prämisse, Grundrechte seien in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat457, an Überzeugungskraft. Neu kontextualisiert könnte noch die allgemeiner formulierte These, die Grundrechte seien individuelle Menschen- und Bürgerrechte, die dem Schutz besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit dienten458, als gedankliche Grundlage des jüngeren Rechtsprechungsansatzes fruchtbar gemacht werden. Doch in seiner ursprünglichen Form ist auch diese zwingend staatszentriert gedacht und geht von der Neigung aus, staatliche und gesellschaftliche Sphäre als Antipoden aufzufassen459. Dieses Bild bricht das Verfassungsgericht nun selbst auf und nimmt in Kauf, dem eigenen Konfusionsargument endgültig jede Daseinsberechtigung zu entziehen: Die natürliche Person, die ursprüngliche Inhaberin der Grundrechte, sowie die von ihr konstituierte und – um in der Denkweise des Verfassungsgerichts zu bleiben – als Vehikel ihrer persönlichen Freiheit genutzte juristische Person des Privatrechts, werden gleichzeitig zur Inhaberin und Adressatin der Grundrechte460. Dadurch, dass das Gericht die Ideengeschichte der Grundrechte zum Ausgangspunkt lich skizzieren. Es passt in dieses Bild, dass das Verfassungsgericht – man möchte sagen: frei nach § 45 Abs. 2 BVwVfG – auch eine nachträgliche Anhörung des Betroffenen im zivilgerichtlichen Verfahren hat ausreichen lassen, s. dazu BVerfGE 148, 267 (289 f., Rn.  57 f.). 456  So J. P. Schaefer, Der Staat 51 (2012), 251 (276 f.). 457  Ausführlich dazu oben S. 39 ff. 458  So das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 50, 290 (337); 68, 193 (205); BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2501); NJW 1990, 1783 (1783); NVwZ 2017, 53 (55). 459  Abzulesen ist das an den Querverweisen auf andere Entscheidungen, in denen die Gegenüberstellung von natürlicher Person und Staat auch in der Wortwahl deutlich zu Tage tritt, insb. BVerfGE 61, 82 (100 f.). 460  Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 213; S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (254 mit Fn. 50); C. Smets, NVwZ 2019, 34 (37), wobei letzterer über das Ziel hinausschießt, wenn er von einer „Pervertierung“ der Grundrechte spricht; beiläufig aus der entgegengesetzten argumentativen Perspektive M. Grünberger, Warum der Stadionverbot-Beschluss weit mehr ist als nur Common Sense, VerfBlog, 1. Mai 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/warum-der-stadionverbots-beschlussweit-mehr-ist-als-nur-common-sense/ (letzter Zugriff: 7.10.2022). – Es wird zu beobachten sein, ob sich aus der Rechtsprechung heraus eine Sonderdogmatik für juristische Personen des Privatrechts entwickelt oder in Zukunft auch natürliche Personen in die grundrechtliche Pflicht genommen werden. Als Beispielsfall denkbar ist etwa die Entfernung bestimmter Follower durch reichweitenstarke YouTuber oder Influencer aus ihren jeweiligen Netzwerklisten, auch wenn spätestens hier die BGB-Normen des Hausrechts nur noch mit fernliegenden Begründungen als einfachgesetzliches



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verschiedener Argumente macht, verliert auch die übergeordnete, kategorische Unterscheidung zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts an Legitimität461. Zudem ist es zwar kein logischer Widerspruch, aber doch eine eigentümlich anmutende Handhabe, die objektivrechtliche Dimension der Grundrechte im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern und speziell in Bezug auf eine subjektive Berechtigung aus Art. 3 Abs. 1 GG für unergiebig zu erklären, dann jedoch die „Ausstrahlungswirkung“ des Gleichbehandlungsgebots dazu zu nutzen, einer juristischen Person des Privatrechts unmittelbar gleichheitsrechtliche Pflichten aufzuerlegen462. Ob unbedacht oder in Kauf genommen, das Bundesverfassungsgericht zieht durch seinen neuen Ansatz zur stärkeren grundrechtlichen Inpflichtnahme Privater jedenfalls die Grundfesten seiner Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in Zweifel und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, eine inkonsistente, da kontextabhängige Auffassung zum Staat-BürgerVerhältnis zu vertreten, die klar vom Ergebnis her gedacht zu sein scheint. 6. Relativierung des Menschenwürdegehalts bei einzelnen Grundrechten In anderem Zusammenhang zeigt sich ebenfalls, dass das Bundesverfassungsgericht den Menschenwürdebezug der Grundrechte nicht als absoluten Wert versteht und einzelfallabhängig zu Relativierungen greift, um zu sachgerechten Lösungen zu gelangen. Geht es um die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des Privatrechts speziell in Bezug auf stark personal geprägte Grundrechte, schrumpft das Bundesverfassungsgericht den Menschenwürdeaspekt auf ein Minimum und stellt stattdessen in den Vordergrund, dass die Verhaltensweisen der natürlichen und der juristischen Person in der „Einfallstor“ genutzt werden können; kritisch zu einem „virtuellen Hausrecht“ im Allgemeinen G. Piras, Virtuelles Hausrecht?, 2016, insb. S. 54 ff., 159, 160 ff., 225. 461  Huber, Drittwirkung (Fn. 428) sieht die Unterscheidung unmittelbar/mittelbar notwendigerweise verbunden mit der Trennung nach Staat/Gesellschaft. Nach dieser Prämisse bedeutete die Auflösung der einen Kategorie gleichzeitig, dass die Grenzen der anderen ebenso verschwimmen. 462  Ob eine solche „Ausstrahlung“ objektiv-rechtlich oder über die Schutzpflichtendimension der Grundrechte begründet ist, geht aus dem Stadionverbots-Beschluss nicht hervor. Das Bundesverfassungsgericht legt, wie bereits gesehen, bei seinem Konzept der mittelbaren Drittwirkung traditionell weniger Wert auf Ausführungen zur Dogmatik, vgl. oben S. 105 f. mit Fn. 393. – Ruffert, Common Sense statt strikte Dogmatik? Zutreffendes aus Karlsruhe zu Stadionverboten, VerfBlog, 30. April 2018, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/common-sense-statt-strikte-dogmatikzutreffendes-aus-karlsruhe-zu-stadionverboten/ (letzter Zugriff: 7.10.2022) unterstützt diese Ergebnisorientierung im Nachgang der Entscheidung ausdrücklich („Kontinuität im Diffusen“).

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Sache die gleichen seien, was sodann als Rechtfertigung für eine Übertragbarkeit der jeweiligen Schutzbestimmung auf die letztere herangezogen wird – ein Muster, das der Figur der sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage entstammt463. Den sachlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit etwa versteht das Bundesverfassungsgericht traditionell personalistisch und formuliert, die Bestimmung betrachte die wirtschaftlich sinnvolle Arbeit „als ‚Beruf‘, d. h. in ihrer Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen, die sich erst darin voll ausformt und vollendet, daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als ‚Beruf‘ hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde“464. Die offensichtliche Hürde, die dieser Ansatz für eine Einbeziehung juristischer Personen aufstellt, hat das Gericht selbst erkannt, ist aber nach dem soeben genannten Muster verfahren und hat das Schutzgut der Norm umformuliert: In Falle von Organisationseinheiten erfasse der Grundrechtsschutz eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, soweit diese ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden könne465 − geboren war der weite, nicht personal gebundene Berufsbegriff466. Ähnlich ist das Verfassungsgericht beim Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verfahren. Den Schutzgehalt des Art. 13 Abs. 1 GG sieht es – oft ausdrücklich verknüpft mit einem Bezug zur Menschenwürde – in der Sicherung eines elementaren Lebensraums, auf den der Einzelne zur Befriedigung grundlegender Lebensbedürfnisse, zur Sicherung und Auslebung seiner Freiheit sowie zur Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen sei467. Dennoch bezieht die Rechtsprechung auch juristische Personen im verfassungsrechtlichen Verständnis des Art. 19 Abs. 3 GG mittels der bekannten Argumentation in den Grundrechtsschutz mit ein. Der den Gewährleistungsbereich determinierende Kernbegriff der „Wohnung“ wird aus der personalistischen Einkleidung gelöst und einer weiten, auf die Vergleichbarkeit der Verhaltensweisen abstellenden Betrachtung zugeführt, die schluss463  Zu

dieser oben S. 65 ff. 377 (397); 50, 290 (362). 465  BVerfGE 21, 261 (266); 50, 290 (363); 105, 252 (265); 115, 205 (229); in der Sache ebenso, wenn auch ohne explizit problembewusste Einbettung BVerfGE 22, 380 (383); 30, 292 (312); 65, 196 (209 f.); 74, 129 (148 f.); 106, 275 (298); 114, 196 (244); 135, 90 (109 f., Rn. 53); 137, 185 (243 f., Rn. 154). 466  So die Formulierung in BVerfGE 97, 228 (253); 102, 197 (212 f.); ähnlich BVerfGE 126, 112 (136). 467  BVerfGE 42, 212 (219); 51, 97 (110); 89, 1 (6, 9, 12); 103, 142 (150); 115, 166 (196); 139, 245 (265, Rn. 56). 464  BVerfGE 7,



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endlich zu einem positiven Ergebnis gelangt468. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, juristische Personen in den Schutzbereich des Art. 13 GG einbeziehen zu können, umgekehrt noch als Argument genutzt, um ein weites Verständnis des Wohnungsbegriffs und die Erfassung von Büro- und Geschäftsräumen zu rechtfertigen469. Einen Sonderfall in zweierlei Hinsicht stellt in diesem Zusammenhang das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Zum einen vereint es als grundrechtlicher Knotenpunkt eine Vielzahl verschiedener, entwicklungsoffener Komponenten des Persönlichkeitsschutzes470, die je für sich in unterschiedlich starkem Grade an der Menschenwürde orientiert sind471. Zum anderen speist sich seine Herleitung im Unterschied zur Berufsfreiheit oder der Unverletzlichkeit der Wohnung unvermittelt und nicht nur ideell aus Art. 1 Abs. 1  GG472. Das Bundesverfassungsgericht stellt diese 468  So in BVerfGE 42, 212 (219) bezüglich einer Kommanditgesellschaft; fortgesetzt für weitere Personenzusammenschlüsse in BVerfGE 44, 353 (371); 76, 83 (88). Dagegen lehnt G. Hermes, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 13 Rn. 20 diese Position ab und hält gerade den engen Bezug des Art. 13 GG zu Privatsphäre und allgemeinem Persönlichkeitsrecht für den entscheidenden Grund, der eine wesensmäßige Anwendbarkeit hinsichtlich des Wohnungsbegriffs verhindere, wobei er die Erstreckung auf Büro- oder Geschäftsräume ausnimmt; zur Zurückhaltung in der Anwendung auf juristische Personen mahnt J.-D. Kühne, in: Sachs, GG (Fn. 28), Art. 13 Rn. 20. 469  BVerfGE 32, 54 (71 f.). Betrachtet man diese Äußerungen jedoch im Kontext des Beschlusses, wird deutlich, wie wankelmütig der Umgang des Verfassungsgerichts mit dem Menschenwürdebezug einzelner Grundrechte ist. Im selben Abschnitt heißt es, die Einbeziehung von Büro- und Geschäftsräumen in den Wohnungsbegriff füge sich in die Grundsätze ein, die im Rahmen der Berufsfreiheit entwickelt wurden. Wenn letztere als Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung begriffen würde, sei es nur folgerichtig, den räumlichen Bereich, in dem sich die Arbeit des Einzelnen vollzieht, durch entsprechenden Grundrechtsschutz fortsetzend abzusichern. Im Anschluss daran zu formulieren, nur „bei dieser Auslegung“ (ergo: bei einer persönlichkeitsorientierten Interpretation des Art. 13 GG) könnten auch juristische Personen in den Schutzbereich einbezogen werden, ist semantisch unglücklich und in dieser Form inhaltlich widersprüchlich. – Näher zum Wechselspiel zwischen der Ausweitung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 13 GG und der Einbeziehung juristischer Personen mittels Art. 19 Abs. 3  GG G. Gornig, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/ Starck – GG I (Fn. 26), Art. 13 Rn. 21 ff., 36. 470  Siehe dazu exemplarisch etwa BVerfGE 54, 148 (153 f.); 72, 155 (170); 79, 256 (268); 95, 220 (241); vgl. ferner U. di Fabio, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/ Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 2 Abs. 1 (2001), Rn. 147 f.; S. Rixen, in: Sachs, GG (Fn. 28), Art.  2 Rn.  65 f., 68 ff. 471  U. Becker, Jura 2019, 496 (502); Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 38; vgl. ferner BVerfGE 118, 168 (203) und Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 103. 472  Verstanden wird der Menschenwürdebezug gemeinhin dennoch nicht als gleichrangiger Prüfungsmaßstab, sondern als Leitlinie der Auslegung, um die Einschränkbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht auszuschließen, dazu H. Dreier, in: ders., GG I (Fn. 17), Art. 2  I Rn. 69; K.-H. Ladeur, Die verfassungsrechtlichen Dimensionen des Persönlichkeitsrechts, in: H.-P. Götting/C. Schertz/

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Besonderheiten in seinen Umgang mit juristischen Personen ein: Zunächst entfällt bei einer möglichen Erstreckung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus rechtstechnischer Sicht die Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG473; darüber hinaus wendet das Gericht in starker Orientierung am zu entscheidenden Sachverhalt nur ausgewählte Aspekte des Persönlichkeitsschutzes wie das Recht am gesprochenen Wort oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf juristische Personen an474. Spezifisch auf die Menschenwürde zugeschnittene Schutzgehalte wie etwa die Selbstbelastungsfreiheit schließt es dagegen für Organisationseinheiten aus475. Eine Entscheidung zur generellen Anwendbarkeit des Grundrechts auf juristische Personen hat das Gericht in der Konsequenz dieser Praxis nicht getroffen und zieht dem weiterhin den Weg der Einzelfallbetrachtung vor476. Dass es den letzteren Schritt jedoch überhaupt geht und zumindest Teil­ aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als solches terminologisch und inhaltlich kaum einen stärkeren Menschenwürdebezug aufweisen könnte, auf juristische Personen anwendet, unterstreicht die These, dass das Gericht zeitweise durchaus zu einer offenen Interpretation der teleologischen Verankerung eines Grundrechts tendiert, um juristischen Personen die Berufung auf bestimmte Gewährleistungen zu ermöglichen. Mit dieser Beobachtung geht keinesfalls die Wertung einher, das Bundesverfassungsgericht sei in den einschlägigen Beispielsfällen zu unangemessenen Ergebnissen gelangt. Im Gegenteil: Würde der Menschenwürdegehalt hier überbetont, müsste eine Erstreckung der Grundrechte auf juristische Personen von vornherein scheitern, weil in letzter Konsequenz jedes Grundrecht einen spezifischen Menschenwürdebezug aufweist – ein Ergebnis, das Art. 19 Abs. 3  GG ad absurdum führen würde477. So ist es beispielsweise W. Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2. Auflage 2019, § 7 Rn. 3; C. Starck, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 2 Abs. 1 Rn. 15, 56 f., 89. Anders noch H. D.  Jarass, NJW 1989, 857 (860), der eine Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Organisationseinheiten über Art. 19 Abs. 3 GG nach damaligem Entwicklungsstand wegen des Bezugs zu Art. 1 Abs. 1 GG ablehnte. 473  BVerfGE 106, 28 (43 f.); 118, 168 (203); BVerfG (K), NJW 2018, 2385 (2386). 474  Zu ersterem BVerfGE 106, 28 (42 ff.); wiederholt in BVerfGE 118, 168 (203); zu letzterem BVerfGE 118, 168 (202 ff.); BVerfG (K), NJW 2018, 2385 (2386). 475  BVerfGE 95, 220 (242); 118, 168 (203); anders W. Weiß, JZ 1998, 289 (294 ff.). 476  Siehe dazu BVerfGE 95, 220 (242); 106, 28 (42); 118, 168 (203); BVerfGK 18, 33 (41, Rn. 25 f.). 477  Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht äußert diesen Gedanken W. Weiß, JZ 1998, 289 (294); weiterführend zur Annahme eines jedem Grundrecht immanenten Menschenwürdegehalts K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV 1. Hbd, 2006, S. 86 ff.



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sachgerecht, einer Handelsgesellschaft die Berufung auf Art. 13 Abs. 1 GG zuzugestehen, da keine tragfähige Begründung dafür existiert, die Geschäftsräume des Einzelkaufmanns in den Schutzbereich der „Wohnung“ mit einzubeziehen, dies jedoch für dieselben Geschäftsräume abzulehnen, sollte sich der Kaufmann mit weiteren natürlichen Personen zu einer offenen Handelsgesellschaft zusammenschließen478. Der Blick soll indes darauf gerichtet werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nähe bestimmter Grundrechte zur Menschenwürde, die einer Erstreckung auf juristische Personen mittels Art. 19 Abs. 3 grundsätzlich nicht zuträglich ist, nicht als Hinderungsgrund für eine Einbeziehung zumindest juristischer Personen des Privatrechts betrachtet479. Hingewiesen ist damit auf eine argumentative Unwucht, wenn das Verfassungsgericht bezüglich staatlich getragener juristischer Personen gar eine Ebene zuvor ansetzt und die grundsätzliche Unanwendbarkeit der Grundrechte auf derlei Rechtsgebilde mit einem absolut anmutenden Verständnis des allgemeinen Menschenwürdebezugs grundrechtlicher Gewährleistungen begründet. 7. Verständnis von Art. 9 GG und Art. 19 Abs. 3 GG im Vergleich Geht das Bundesverfassungsgericht von einer Zentrierung der Grundrechts­ idee auf natürliche Personen sowie den Schutz ihrer Freiheitsräume aus und versteht in der Konsequenz Art. 19 Abs. 3 GG als Grundrechtserstreckungsnorm480, die juristische Personen mangels originärer Schutzwürdigkeit notwendigerweise explizit in den Gewährleistungsbereich einbezieht, verträgt sich die gerichtliche Interpretation des Art. 9 GG schwerlich mit dieser Prämisse. So fasst das Verfassungsgericht Art. 9 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung als „Doppelgrundrecht“ auf, das sowohl die Vereinigungsfreiheit des Individuums als auch die des Kollektivs gewährleiste, ohne bei letzterem einen Bezug zu Art. 19 Abs. 3 GG herzustellen481. Für die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG gilt aus Sicht der verfassungsgerichtlichen Rechtspre478  So sinngemäß G. Gornig, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 13 Rn. 36. 479  Kritisch zur geringen Aussagekraft der personalistischen Prägung eines Grundrechts als Argumentationstopos bei der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen allgemein T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (124 ff.), der im Zuge dessen u. a. Ausschnitte der dargestellten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Exempel anführt. 480  Ausdrücklich BVerfGE 21, 207 (208); vgl. auch BVerfGE 106, 28 (42); 129, 78 (97). 481  BVerfGE 13, 174 (175); 30, 227 (241); 50, 290 (354); 62, 354 (373); 80, 244 (252 f.); 84, 372 (378); 123, 186 (237); 124, 25 (34), jedoch ohne die Bezeichnung „Doppelgrundrecht“ ausdrücklich zu verwenden.

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chung nichts anderes482. Die Gründe dafür sind insgesamt sehr knapp und wenig konkret gehalten483. Im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 GG betont das Verfassungsgericht teilweise den engen sachlichen Zusammenhang von individueller und kollektiver Vereinigungsfreiheit484; auch heißt es, ohne diesen Schritt stehe kein effektiver Grundrechtsschutz für Vereinigungen zur Verfügung485. Bei der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ergänzen der historische Blick auf die Weimarer Reichsverfassung486, das Sozialstaatsprinzip487 oder die Aufnahme des Vereinigungszwecks in den Wortlaut der Norm488 die Argumentation. Nun steht das Bundesverfassungsgericht mit einer solchen Interpretation des Art. 9 GG keineswegs allein da. Das Argument des unzureichenden Grundrechtsschutzes der Vereinigung hinsichtlich ihres Bestands und ihrer Betätigung wird beispielsweise auch andernorts teils mit Verve vorgetragen489. Aus der systematischen Zusammenschau verschiedener Grundrechtsnormen ließe sich ebenfalls folgern, dass nicht nur die Vereinigungsfreiheit des Einzelnen, sondern die Freiheit der Vereinigung geschützt werde490. Daneben hat die an der Schutzintention der Vereinigungsfreiheit ausgerichtete Begründung, die grundrechtliche Gewährleistung des „Bildens“ diene letzt482  BVerfGE 4, 96 (101 f.); 17, 319 (333); 19, 303 (312, 319); 28, 295 (304); 44, 322 (340 f.); 50, 290 (367); 55, 7 (21); 57, 220 (245); 84, 212 (224); 88, 103 (114); 92, 26 (38); 92, 365 (393); 94, 268 (282 f.); 100, 271 (282); 103, 293 (304); 146, 71 (114 ff., Rn. 129 ff.); hier spricht das Gericht in jüngerer Zeit auch ausdrücklich von Art. 9 Abs. 3 GG als „Doppelgrundrecht“, so in BVerfG (K), NJW 2014, 1874 (1875). 483  Eine ausführliche Analyse der Rechtsprechungsursprünge findet sich bei W. Schmidt, Vereinigungsfreiheit (Fn. 69), S. 235 ff. – Selten wird darauf hingewiesen, dass sich das Bundesverfassungsgericht vornehmlich auf eigene, ebenfalls spärlich begründete Vorentscheidungen beruft, statt seine Position fundiert darzulegen. Eine hervorzuhebende Ausnahme ist M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 477), S. 1330. 484  Als Feststellung in BVerfGE 50, 290 (354). 485  BVerfGE 30, 227 (241); ähnlich BVerfGE 80, 244 (253). 486  BVerfGE 4, 96 (101 f.); 19, 303 (319); 50, 290 (367). 487  BVerfGE 4, 96 (102); 19, 303 (319). 488  BVerfGE 18, 18 (26); 84, 212 (224). 489  D. Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII (Fn. 435), § 165 Rn. 29; H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage 1994, § 18 Rn. 62; Rüfner, Grundzug (Fn. 109), S.  62 f.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, 1990, S. 148; D. Winkler, in: Kämmerer/Kotzur, von Münch/Kunig – GG 1 (Fn. 26), Art. 9 Rn. 41 f.; J. Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten/Papier, HGR IV (Fn. 372), § 107 Rn. 12. 490  Merten (Fn. 489), § 165 Rn. 28; dagegen, dass aus der Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 GG derlei systematische Rückschlüsse abzuleiten sind, M. Kemper, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 9 Abs. 1 Rn. 64.



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lich auch dem „Gebilde“491, durchaus etwas für sich. Kritiker hingegen weisen darauf hin, dass so schwierig aufzulösende Kollisionslagen zwischen individueller und kollektiver Vereinigungs- resp. Koalitionsfreiheit entstünden und die Effektivität des individuellen Grundrechtsschutzes bedrohten, wenn man beide in Art. 9 GG verankert sehe492. Gehe man mit dem Standpunkt der Rechtsprechung innerhalb der Lehre von den Doppelgrundrechten indes korrigierend davon aus, dass die Freiheit des Kollektivs nicht weiter reichen dürfe als diejenige des Individuums493, würde die Lehre als solche obsolet, da nicht ersichtlich sei, was kollektiv geschützt sein könnte, individuell aber nicht schon aus Art. 9 Abs. 1 GG geschützt wäre494. Der zentrale und für den vorliegenden Zusammenhang entscheidende Einwand gegen die verbandsfreundliche Interpretation des Art. 9 GG ist hingegen, dass die Lehre vom Doppelgrundrecht mit der Konzeption des Grundrechtssystems unvereinbar ist, da sie den Individualbezug der Grundrechte missachtet und damit gleichzeitig die Begründungsbedürftigkeit der Grundrechtsträgerschaft für Verbände überspielt495. Die Bestimmung des Art. 19 Abs. 3 GG ist aus dieser Perspektive Schaltnorm und abschließende Regelung für die Voraussetzungen einer Grundrechtserstreckung auf Organisationseinheiten496. Teilweise heißt 491  Merten (Fn. 489), § 165 Rn. 28; in dieselbe Richtung Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 58 („Annex […] der freien Vereinsbildung“); M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 477), S. 1331 („zumal dies der Förderung der gemeinsamen Zwecke dient, zu deren Verfolgung die Vereinigung gebildet wurde“); H. A.  Wolff, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Auflage 2022, Art. 9 Rn. 3 („da das individuelle Grundrecht nur so voll wirksam werden kann“). 492  Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 107; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VIII, 3. Auflage 2010, § 175 Rn. 86; ders., in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/ Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 9 (2017), Rn. 25; ebenso W. Schmidt, Die Vereinigungsfreiheit von Vereinigungen als allgemeine Eingriffsfreiheit, in: O. Triffterer/ F. v. Zezschwitz (Hrsg.), Festschrift für Walter Mallmann, 1978, S. 233 (243), der die Gefahr jedoch aus den „Gesetzmäßigkeiten politischer Machtbildung“ heraus begründet. 493  BVerfGE 30, 227 (243); 50, 290 (353); 54, 237 (251); BVerfG (K), NJW 1996, 1203 (1203); NJW 2000, 1251 (1251). 494  Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 1 Rn. 63; i. E. ebenso Ipsen, Staatsrecht II (Fn. 392), § 13 Rn. 588; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 107; M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 477), S.  1331 f. 495  Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 89; W. Höfling, in: Sachs, GG (Fn. 28), Art. 9 Rn. 27; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 108; W. Schmidt, Vereinigungsfreiheit (Fn. 492), S.  241 f.; Scholz (Fn. 492), § 175 Rn. 85. 496  Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 90; Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 61; Höfling (Fn. 495), Art. 9  Rn. 27; Isensee (Fn. 93), § 199  Rn. 108; Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 1 Rn. 62; Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 18 Rn. 927, 933; W. Kluth, in: Höfling, BerlKGG (Fn. 131), Art. 9 (2011), Rn. 10; A. von Mutius, Jura 1984, 193

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es gar, es sei genau genommen ein „juristisches Unding“, einer noch nicht existenten Organisationseinheit mit dem Recht auf Entstehen ein subjektives Recht zuweisen zu wollen497. Die mit derlei Einwänden verbundene Sorge ist einleuchtend: Könnte aus dem klar individualistisch formulierten Wortlaut des Art. 9  GG498 die Grundrechtsberechtigung einer Vereinigung hergeleitet werden, ließe sich auch bei anderen Grundrechten ein enger Sachbezug zur Tätigkeit von Verbänden finden, der für eine Grundrechtsfähigkeit des Kollektivs aus der Bestimmung selbst streiten würde499. Dass darin kein praxisfernes Dammbruchargument liegt, belegt das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung selbst, wenn es etwa die ausnahmsweise Grundrechtsfähigkeit der Religionsgesellschaften vornehmlich isoliert aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG begründet, ohne Art. 19 Abs. 3 GG hinzuzuschalten500. Denkt man diese Handhabe fort, ergäbe sich eine willkürlich anmutende Zweiteilung der Grundrechte501, die dazu führte, für bestimmte Grundrechte die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG auf Dauer zu überspielen und die Norm zumindest in Teilen zu einem Gedenkstein für eine Streitfrage aus der Weimarer Zeit zu degradieren502. Der Streitigkeit mit dem Argument zu begegnen, im praktischen Ergebnis ergäben sich keine oder nur geringe Unterschiede503, ist zum einen unge-

(197 f.); Scholz (Fn. 492), § 175 Rn. 85. Anders hingegen Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 82 f., die Art. 19 Abs. 3 GG nur deklaratorische Bedeutung zumisst, dann aber freihändig seine Inländerklausel für konstitutiv erklärt. 497  Ipsen, Staatsrecht II (Fn. 392), § 13 Rn. 582. 498  Zur Vereinigungsfreiheit Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 1 Rn. 62; zur Koalitionsfreiheit Scholz (Fn. 492), § 175 Rn. 83; beide Bestimmungen zusammengefasst bei Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 89; Scholz (Fn. 492), Art. 9 (2017), Rn. 23, 25. 499  Auch Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 154 halten diese Umdeutung grundsätzlich für jede Bestimmung im ersten Abschnitt des Grundgesetzes für möglich. Einen solchen Ansatz wählen etwa P. Badura, DÖV 1990, 353 (356); Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  40 ff.; Rüfner, Grundzug (Fn. 109), S. 57 f., 63 f.; für Rundfunkanstalten und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG auch Storr, Staat (Fn. 18), S. 220 f. Dagegen warnt Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 229 zurecht vor einer Aufwertung der Einzelbestimmungen zu „Übergrundrechten“. 500  BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 f.); 53, 366 (386 f.); 99, 100 (118); 102, 370 (383); 105, 279 (293 f.); 125, 39 (73); 139, 321 (346 f., Rn. 82 f.); 143, 161 (205 ff., Rn. 97 ff.); vgl. ferner zu Art. 5 Abs. 3 GG BVerfGE 15, 256 (261 f.); 93, 85 (93); 111, 333 (354 f.); 139, 148 (170, Rn. 42); 141, 143 (164 f., Rn. 48 f.). 501  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 92 spricht von einer „unschönen Aufspaltung“. 502  Vor einem Leerlaufen der Vorschrift warnen ebenso Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 89; Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 61; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 229; Isen­ see (Fn. 93), § 199 Rn. 106. 503  Epping, Grundrechte (Fn. 30), Rn. 866; D. Murswiek, JuS 1992, 116 (118); Scholz (Fn. 492), § 175 Rn. 86; ders. (Fn. 492), Art. 9 (2017), Rn. 25.



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nau504 und zum anderen im vorliegenden Zusammenhang nicht weiterführend. Maßgeblich ist vielmehr, die Strukturen hinter dem jeweiligen Begründungsweg zu verstehen. Denn die vorgenannten Argumente zielen nicht auf eine Widerlegung des Gegenübers, sondern führen beiderseits je eigenständige, valide Gesichtspunkte ins Feld. Es ist demnach ein Für und Wider im Abwägungsraum, das sich in der Sache nur entscheiden lässt, indem man in der Frage, wie das Grundgesetz zu Grundrechten von Verbänden steht, der einen oder anderen Seite zuneigt. So sind die Stimmen derjenigen, die für die Lehre von den Doppelgrundrechten eintreten und insbesondere teleologisch mit Art. 9 GG arbeiten, organisationsfreundlich gefärbt. Abzulesen ist dieser Befund beispielsweise an der These, eine Grundrechtsträgerschaft der Vereinigungen über Art. 19 Abs. 3 GG zu schalten, führe zu einer „Verkürzung“ des Grundrechtsschutzes zulasten der Verbände505. Verkürzt werden kann indes nur, was a priori überhaupt vorhanden ist. Die Gegner hingegen neigen auch in anderen Fragen im Themenkomplex der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen individualistischen Ableitungen zu und fordern teilweise genauso an anderer Stelle ein, der personalen Prägung der Grundrechte stärkere Geltung zukommen zu lassen506. Diese Zweiteilung ist mit Blick auf den Streit um die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen weder neu noch außerordentlich verblüffend. Auffallend ist vielmehr, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf der letztgenannten Seite steht und so sein sonstiges dogmatisches Grundgerüst unter Spannung setzt, ohne diese Reibung anzusprechen oder gar aufzulösen. Wenn es davon ausgeht, Vereinigungen stünden ohne eine kollektive Seite des Art. 9 Abs. 1 GG schutzlos da, ist damit zunächst die Prämisse verbunden, dass ihr Bestand aus sich heraus des Grundrechtsschutzes würdig sei. Diese These weiß das Gericht sehr wohl einzufangen, indem es andeutet, mitgliederstarken Vereinen, in denen das 504  Unterschiede können sich bei Art. 9 Abs. 1 GG für nicht rechtlich verfasste Vereinigungen ergeben, dazu Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 1 Rn. 62. Bei Art. 9 Abs. 3 GG hängt von dem jeweiligen Standpunkt ab, ob man ausländischen, insb. außereuropäischen Koalitionen die Berufung auf das Jedermann-Grundrecht der Koalitionsfreiheit gestattet, vgl. einerseits H. Bauer, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 9 Rn. 69 Fn. 344, Rn. 70; andererseits Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 1 Rn. 178. Demnach geht es nicht nur um ein bloß „pedantisches Beharren auf ‚dogmatische Sauberkeit‘“, wie es W. Schmidt, Vereinigungsfreiheit (Fn. 43), S. 234 f. plakativ formuliert. 505  Ziekow (Fn. 489), § 107 Rn. 12. Genauso sieht Merten (Fn. 489), § 165 Rn. 29 den Schutz der Vereinigung als solcher ausdrücklich als eine dem Art. 19 Abs. 3 GG vorgelagerte Verfassungsprämisse an. 506  So etwa Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56 bei der Frage, ob sich juristische Personen des öffentlichen Rechts auf die sog. Justizgrundrechte berufen können; näher dazu oben S. 37, 90 f. Abstrakter gehalten plädiert Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 223 dafür, das personale Substrat auch als Wertungsgesichtspunkt auf den Ebenen der Eingriffsintensität oder der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte zu berücksichtigen.

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innere Band zwischen den Mitgliedern zu verblassen droht, die Berufung auf Art. 9 Abs. 1 GG möglicherweise deshalb versagen zu wollen, weil das personale Element der mitgliedschaftlichen Bindung und der sozialen Gruppenbildung in den Hintergrund rücke507. Doch genau hier fallen die Opportunitätskosten an, die das Verfassungsgericht mit seiner Entscheidung zugunsten der Lehre von den Doppelgrundrechten in Kauf nimmt: Denn die Bedingungen, unter denen eine juristische Person des Privatrechts nach der Rechtsprechung Grundrechtsschutz für sich in Anspruch nehmen kann, unterscheiden sich nach dieser Herangehensweise danach, ob sich die Organisationseinheit auf ein Grundrecht aus Art. 9 GG oder ein andere Gewährleistung, vermittelt über Art. 19 Abs. 3  GG, beruft508. Einem weltweit agierenden, zudem gemischt-wirtschaftlich organisierten Automobilhersteller in der Rechtsform der Aktiengesellschaft etwa, der mittels Art. 19 Abs. 3 i.  V.  m. Art. 2 Abs. 1 GG sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegen die Durchsuchung einer mandatierten Anwaltskanzlei geltend machte, hat das Verfassungsgericht die unverkennbare Tendenz zur apersonalen Struktur nicht entgegengehalten509. Zudem schwächt das Gericht so die normative Anknüpfung seiner kategorischen Unterscheidung zwischen juristischen Personen des Privat- und des öffentlichen Rechts, die bisher an das in Art. 19 Abs. 3 GG zitierte „Wesen“ der Grundrechte gekoppelt ist. Ausdruck dessen sind Bemühungen der obergerichtlichen Verwaltungsrechtsprechung, die vom Verfassungsgericht vorgenommene Zweiteilung innerhalb des Art.  19 Abs. 3 GG auf Art. 9 Abs. 3 GG zu übertragen: Mangels grundgesetzlichen Anknüpfungspunktes ordnet das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht die Auskehrung staatlich getragener juristischer Personen aus dem Grundrechtsschutz als „allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz“ ein, der nicht Rechtsfolge des Art. 19 Abs. 3 GG sei, sondern diesem vorausgehe, um so die Übertragbarkeit der Gedanken auf Art. 9 Abs. 3 GG zu ermögli507  BVerfGE 50, 290 (355  f.); 123, 186 (237 f.); mit stark positiver Tendenz BVerfGE 124, 25 (34). 508  „Heikle Grundrechtskonkurrenzen“, z. B. zwischen Berufs- und Vereinigungsfreiheit, macht Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 107 am Beispiel einer vornehmlich wirtschaftlich tätigen Vereinigung aus und weist auf die unterschiedlichen Schrankenregelungen hin; dasselbe Szenario gebraucht auch Scholz (Fn. 492), Art. 9 (2017), Rn. 25. Das Bundesverfassungsgericht trägt mit seiner Linie, unter Art. 9 Abs. 1 GG nur einen Kernbereich der Vereinstätigkeit schützen zu wollen, nicht zur Klärung bei, da es diesem Kernbereich auch weitreichende, intern und extern wirkende Maßnahmen wie etwa die Geschäftsführung zuordnet, vgl. exemplarisch BVerfGE 30, 227 (241); 50, 290 (354); 80, 244 (253); näher zur Kontroverse um die Reichweite des sachlichen Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 1 GG für Organisationseinheiten Bauer (Fn. 504), Art.  9 Rn.  45  m. w. N. 509  Jüngst BVerfG (K), NJW 2018, 2385 (2386); zur Beteiligungsstruktur der Volkswagen AG, die in diesem Verfahren als Beschwerdeführerin auftrat, auch noch sogleich S. 137.



I. Wenn die Ausnahme zur Regel wird: Einheitliche Dogmatik? 133

chen510. Hält man im Ergebnis den Ausschluss juristischer Personen in öffentlicher Hand aus dem Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG für gerechtfertigt, kommt eine anderweitige dogmatische Konstruktion dessen kaum in Betracht, denn eine teleologische Reduktion ist nicht möglich, wenn man den auf natürliche Personen zugeschnittenen Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG – genauso aber auch den seines ersten Absatzes – ohne Hinzunahme des Art. 19 Abs. 3 GG bereits teleologisch erweitert hat, um juristische Personen einzubeziehen511. Festzuhalten bleibt, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Interpretation des Art. 9 GG als „Doppelgrundrecht“ einen Schritt vollzieht, der sich nicht recht in sein übergeordnetes Verständnis von Grundrechtsidee und Grundrechtssubjektivität von Organisationseinheiten einfügen mag. Sobald die Grundrechtsberechtigung einer staatlich getragenen juristischen Person speziell im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit in Rede steht, provoziert diese Position im konkreten Anwendungsfall einen erhöhten dogmatischen Begründungsaufwand. Sollte das Verfassungsgericht seine Andeutungen weiter verfolgen und mitglieds- oder teilhaberstarken Organisationen die Grundrechtsfähigkeit aus Art. 9 Abs. 1 GG absprechen, dürften das Argument, aus beiden Ansichten ergäben sich im Ergebnis keinerlei Unterschiede, an Bedeutung verlieren und diese Inkonsistenz stärker zu Tage treten. Der Legitimation des Rechtsprechungskonzepts zur Beurteilung der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, das auf dem häufig und bedeutungsvoll 510  OVG NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 85 (zitiert nach juris). Im Revisionsverfahren findet diese Einordnung erstaunlicherweise keine Würdigung, s. BVerwGE 167, 202 (209, Rn. 25). Ähnlich für Art. 9 Abs. 1 GG Ziekow (Fn. 485), § 107 Rn. 13. – Allgemeinmethodisch bemerkenswert sind Verfestigung und Aufstieg der Linie des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen von einer bloßen Entscheidungsleitlinie hin zum „allgemeinen Verfassungsgrundsatz“, die hieran abzulesen sind. Die sich selbst verstärkende Legitimation der eigenen Rechtsprechung bewirkt das Bundesverfassungsgericht ­dadurch, dass es die essentiellen Rechtsgedanken seiner Entscheidungen aus ihrem historischen und sachlichen Kontext löst und mittels der Kunst des Selbstzitats schrittweise einer Dogmatisierung zuführt, dazu M. Jestaedt, Autorität und Zitat – Anmerkungen zur Zitierpraxis des Bundesverfassungsgerichts, in: S. Detterbeck/ J. Rozek/C. von Coelln (Hrsg.), Recht als Medium der Staatlichkeit. Festschrift für Herbert Bethge, 2009, S. 513 (532 f.); zu den Problemen einer solchen Maßstabsbildung O. Lepsius, Die maßstabsetzende Gewalt, in: M. Jestaedt/ders./C. Möllers/ C. Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 3. Auflage 2019, S. 159 (214 ff.). 511  So ist auch der argumentative Mehraufwand zu erklären, den Ziekow (Fn. 485), § 107 Rn. 13 aufbringen muss, um die eigens zur Begründung der These von Art. 9 Abs. 1 GG als „Doppelgrundrecht“ eingeführten Argumente in Bezug auf staatlich getragene juristische Personen aus teleologischen Gesichtspunkten für unanwendbar zu erklären, freilich ohne die damit vollzogene teleologische Reduktion der ursprünglichen Sinnerweiterung als solche zu benennen.

134

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

vorgetragenen Argument des ideengeschichtlichen Ursprungs der Grundrechte basiert, ist das wenig zuträglich.

II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung der hergebrachten Grundsätze Auswirkungen zeitigen diese dogmatischen Unebenheiten vornehmlich dann, wenn sich in der Rechtsprechungspraxis Fälle auftun, in denen – insbesondere, aber nicht nur im Rahmen staatlicher Beteiligung am Wirtschaftsleben – neuartige Organisationsformen staatlicher Tätigkeit oder ungewöhnliche Aufgabenportfolios in Rede stehen. Seitens des Bundesverfassungsgerichts erfolgte die Herausarbeitung der wesentlichen Begründungsmuster zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in Staatshand zunächst anhand klar einzuordnender Beschwerdeführer wie Sozialversicherungsträgern oder Allgemeinen Ortskrankenkassen, jeweils betroffen in stark konturierten Zuständigkeitsbereichen512. Ähnlich klar definiert waren die Folgerungen des Gerichts zu ihrer Grundrechtsfähigkeit. Wurde die an der Rechtsform orientierte Vermutungsregel indes als unpassend empfunden oder war die Aufgabenbeschreibung für staatlich getragene juristische Personen eine ungewöhnliche, sah sich die Rechtsprechung schon hier zu Ausnahmen veranlasst513. Diese Tendenz verstärkt sich zusehends, wenn es um moderne Erscheinungsformen staatlicher Tätigkeit geht. Letzteres soll im Folgenden insbesondere anhand der sog. gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen sowie ergänzend anhand von Einzelbeispielen wie dem eines vornehmlich aus öffentlichrechtlichen Arbeitgebern zusammengesetzten Arbeitgeberverbandes näher entfaltet werden. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit zu derlei Phänomenen unterschiedlich Stellung genommen: Während die Judikatur insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts zum Ende des vergangenen Jahrhunderts sowie zu Beginn der 2000er-Jahre nicht von besonderer dogmatischer Konsequenz getragen war, traf das Bundesverfassungsgericht im sog. Fraport-Urteil eine Grundsatzentscheidung und wandte sich einem neuen Weg zu. Dieser bricht schon allein deshalb aus dem bisherigen Muster aus, weil die Struktur der zu beurteilenden juristischen Personen bestimmten Eigengesetzlichkeiten folgt. Außer Kraft treten die Parameter der Karlsruher Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer 512  Zur Rechtsprechungsübersicht im Allgemeinen oben S. 32 ff., zu verschiedenen juristischen Personen im Besonderen S. 59 f. 513  Beispielhaft etwa die Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit einer als Aktiengesellschaft organisierten Stadtwerkegesellschaft in BVerfGE 45, 63 (74 ff.) oder die Ausführungen zur Grundrechtsberechtigung einer Orthopädietechniker-Innung bzw. eines Landesinnungsverbands, bei denen die Funktion der Interessenvertretung ihrer Mitglieder letztentscheidend war, in BVerfGE 70, 1 (15 ff.).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung135

Personen jedoch erst durch die europarechtliche Überformung des Art. 19 Abs. 3 GG, die das Bundesverfassungsgericht im sog. Atomausstiegsurteil praktiziert hat. 1. Differenzierte Erscheinungsformen staatlicher Beteiligung am Wirtschaftsleben a) Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen aa) Begriff, Charakteristika und Bestandsaufnahme aus der Praxis Der Oberbegriff „gemischt-wirtschaftliche Unternehmen“ erfasst in privatrechtlicher Rechtsform organisierte Unternehmen, deren Beteiligungsstruktur sich sowohl aus staatlichen als auch aus privaten Akteuren zusammensetzt514. Wie stark die öffentliche Beteiligung vermittelt ist, ob sich der Staat also beispielsweise in Form einer weiteren von ihm getragenen juristischen Person des Privatrechts oder unmittelbar durch einen Verwaltungsträger einbringt, spielt jedenfalls unter definitorischen Gesichtspunkten keine Rolle515. Der Unterschied zu öffentlichen oder gemischt-öffentlichen Unternehmen liegt darin, dass diese zwar auch in Privatrechtsform organisiert sind, letztlich aber vollständig von einer oder mehreren staatlichen Organisationseinheiten getragen werden516. Der Terminologie der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen soll hier gefolgt werden, da die Bezeichnung weit verbreitet und derart stark kontextualisiert ist, dass sie als Schlagwort bereits grundrechtliche Fragestellungen impliziert517. Nähert man sich den gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen als Praxiserscheinung, fällt schnell auf, wie sehr 514  So lautet eine Variante der gängigen Definition, siehe dazu Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 11; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 65; Scholz, Grundrechtsschutz (Fn. 209), S. 218; aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ähnlich H. R. Haeseler, Gemischtwirtschaftliche Unternehmen, in: K. Chmielewicz/P. Eichhorn (Hrsg.), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, Sp. 479 f. 515  Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 384; ders., BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (2 f.); Scholz, Grundrechtsschutz (Fn. 209), S. 218; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 6; aus ökonomisch-politikwissenschaftlicher Perspektive anders G. Huber/S. Ryll, ZögU 12 (1989), 287 (291 f.). 516  Zu den Begriffen Mann, Gesellschaft (Fn. 18), S.  12 m. w. N.; Storr, Staat (Fn. 18), S. 44 ff., 51; zur Grundrechtsfähigkeit Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 134 ff. m. w. N.; kritisch hinsichtlich der Linie des Verfassungsgerichts zu öffentlichen Unternehmen S. Barden, ZögU 25 (2002), 375 (377 ff.). 517  Gelegentlich wird auf Ungenauigkeiten dieser Bezeichnung hingewiesen, etwa von D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 9 mit Fn. 15; Merten, Mischunternehmen (Fn. 105), S.  2004 ff.; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 5. Der Erkenntnisgewinn bei dem Gebrauch von Alternativen ist jedoch gering, trägt er doch zur Präzisierung des Begriffs wenig bei; so nachdrücklich auch Tettinger (Fn. 27), § 51 Rn. 57.

136

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

sie sich in ihrer Ausgestaltung unterscheiden. Sowohl die Gründe für die Entstehung eines solchen hybriden Wirtschaftssubjekts als auch seine Tätigkeitsfelder, seine (Über-)Lebensdauer, die konkreten Beteiligungsverhältnisse, sein wirtschaftliches Gewicht oder die dahinter stehenden Träger der öffentlichen Verwaltung variieren so stark, dass Eingruppierungen schwer fallen518. Sein Binnenverhältnis ist typischerweise durch einen Interessenkonflikt determiniert: Während der oder die öffentlichen Träger stets an die Erfüllung öffentlicher Zwecke gebunden sind, eint die beteiligten Privaten das Interesse an Gewinnmaximierung519. Diese Ausgangslage trägt der Struktur nach zwar das Potential zur Gegensätzlichkeit in sich, muss allerdings nicht in einen unüberbrückbaren Widerspruch münden, zumal sich beide Partner in der Regel vertraglich auf ein übergeordnetes Unternehmens­ ziel verständigen520. Es sind insbesondere Bund, Länder und Kommunen, die mittels dieser Unternehmensstruktur in Kooperation mit Privaten treten. Die Beispiele aus der deutschen Wirtschaftspraxis sind zahlreich, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung je nach föderaler Ebene. Der Bund mag sich im Zuge der Privatisierung aus gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zurückziehen, ist neben privaten Anteilseignern aber noch unmittelbar oder mittelbar über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Deutschen Telekom AG oder der Deutschen Post AG beteiligt521. In Sonderfällen treten sogar neue Beteiligungen hinzu, wie es im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 der Fall war. Um das Vertrauen in die Stabilität der Finanzmärkte wiederherzustellen, setzte die Bundesrepublik Deutschland den sog. Finanzmarktstabilisierungsfonds auf, über den sie nun ca. 15 % der Anteile an der Commerz-

518  Eingehend E. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (3 f.); nur angedeutet bei Scholz, Grundrechtsschutz (Fn. 209), S. 218, Storr, Staat (Fn. 18), S. 239 und Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 227, 229; vgl. dazu ferner den wirtschaftswissenschaftlichen Versuch der Katalogisierung von U. Papenfuß/ C. Reichard, ZögU Beiheft 48 (2016), S. 1 (2 f.). 519  BGHZ 135, 107 (113 f.); Ehlers, Verwaltung (Fn. 517), S. 141; ders., JZ 1990, 1089 (1094); Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 256; M. Habersack, ZGR 25 (1996), 544 (548); S. Hartmann/C.  Zwirner, ZögU Beiheft 48 (2016), S. 147 (152 f.); Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 12 f.; mit Blick auf Demokratieprinzip und Legitimation ebenso J. P. Schaefer, Der Staat 51 (2012), 251 (263 ff.). 520  Dass es durchaus Schnittmengen zwischen Gemeinwohlverpflichtung und unternehmerischen Belangen gebe, wird immer wieder betont, siehe dazu BGHZ 69, 334 (338 f.); T. von Danwitz, AöR 120 (1995), 595 (611 f.); Ehlers, Verwaltung (Fn. 517), S.  139 f.; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  255 f.; A. von Mutius/G. Nes­ selmüller, NJW 1976, 1878 (1879 f.). 521  Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Bundes 2021, S. 87.



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung137

bank AG hält522. In einem ähnlichen Verfahren hat sich der Bund im Jahr 2020 zu einer Beteiligung an der Lufthansa AG in Höhe von zwischenzeitlich 20 % der Anteile entschlossen, um den einschneidenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie für das Unternehmen entgegenzutreten523. Richtet man den Blick auf die Landesebene, ist das prominenteste Beispiel eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens die Beteiligung des Landes Niedersachsen an der Volkswagen AG mit 20 % der Stammaktien524. Aus anderen Bundesländern und Wirtschaftsbereichen seien exemplarisch die Hamburger Hafen und Logistik AG oder die Fraport AG Airport Services Worldwide genannt, an denen neben den Ländern auch private Anteilseigner nicht nur geringfügig beteiligt sind525. Der Strauß der öffentlich-privaten Kooperationen in der Form gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen ist auf kommunaler Ebene sogar noch bunter und schon allein aufgrund der Vielzahl der Gebietskörperschaften, die als mögliche Teilhaber in Betracht kommen, noch diffuser als im Bund oder in den Ländern. Zwei Beispiele aus den größten deutschen Städten sollen das veranschaulichen: So ist etwa die Stadt Köln mittelbar zu 80  % am Energieversorgungsunternehmen RheinEnergie AG beteiligt, während die restlichen 20 % auf ein privates Energieunternehmen entfallen526. Die Stadt Frankfurt hält 51 % der Anteile der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH, die sie gemeinsam mit einem zu 49 % beteiligten privaten Entsorgungsdienstleister betreibt, um Leistungen auf 522  Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Bundes 2021, S. 93, 330. 523  Die Beteiligung erfolgt über den sog. Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der der Stabilisierung bedeutender Unternehmen der Realwirtschaft gegenüber einer möglichen Bestandsgefährdung dient, s. §§ 15 ff. WStFG; dazu näher auch Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Bundes 2021, S. 99 ff.; Lufthansa AG (Hrsg.), Geschäftsbericht 2020, S. 125, 141 f. Inzwischen hat der Bund seine Beteiligung auf ca. 14 % reduziert und will sie bis spätestens Oktober 2023 gänzlich aufgeben, s. Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpoli tik/2021/11/2021-11-12-rueckfuehrung-unterstuetzungsleistungen-lufthansa.html (letzter Zugriff: 9.10.2022). 524  Niedersächsisches Finanzministerium (Hrsg.), Beteiligungsbericht Niedersachsen 2021, S. 32. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass mit dem Emirat Katar ein weiterer Staat, vermittelt über eine Tochtergesellschaft des Staatsfonds, an der Volkswagen AG beteiligt ist, siehe ebd. 525  Die Anteile der Hamburger Hafen und Logistik AG sind zu ca. 30 % in privatem Streubesitz, s. Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Beteiligungsbericht 2021, S. 213, 348. Bei der Fraport AG Airport Services Worldwide halten neben dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt a. M. private Unternehmen ca. 49 % der Anteile, s. Hessisches Ministerium der Finanzen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Landes Hessen 2021, S. 84. 526  Beteiligungsbericht der Stadt Köln 2020, S. 58.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

dem Gebiet der Abfall- und Recyclingwirtschaft anbieten zu können527. Diese nur schlaglichtartig dargestellten Einzelfälle zeigen: Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen lassen sich in vielen Wirtschaftszweigen finden, sie sind reale Erscheinungen der staatlich-privaten Zusammenarbeit und heute selbstverständlicher Gegenstand der Verwaltungspraxis. bb) Entscheidungsfindung in der Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach zur Frage der Grundrechtsberechtigung privatrechtlicher juristischer Personen in Mischbesitz Stellung nehmen können. Ein erster Beschluss auf diesem Gebiet erging im Jahr 1987. Das Verfassungsgericht versuchte gemischt-wirtschaftliche Unternehmen in die Schablone der klassischen Argumente einzupassen und subsumierte sie augenscheinlich als bloßen Sonderfall öffentlicher Unternehmen in Privatrechtsform. Es entschied nach dem üblichen Rekurs auf Durchgriffsthese und öffentliche Aufgabenwahrnehmung mit bemerkenswert knapper Begründung, dass sich ein Hamburger Energieversorgungsunternehmen, dessen Anteile sich zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zu ca. 72 % in der Hand der Freien und Hansestadt Hamburg und zu ca. 28 % in privatem Streubesitz befanden, nicht auf die Grundrechte berufen könne528. Zum einen nehme die Aktiengesellschaft mit der Strom- und Wasserversorgung eine typische öffentliche Aufgabe wahr und tue dies auch trotz der Beteiligung Privater unter entscheidendem Geschäftsführungseinfluss der öffentlichen Hand; zum anderen unterliege sie so starken einfachrechtlichen Bindungen, dass von privatrechtlicher Selbstständigkeit nichts mehr übrig bleibe529. Ausdrücklich offen ließ das Gericht, ob damit gleichzeitig eine Grundrechtssubjektivität in anderen Tätigkeitsbereichen, etwa der Versorgung mit Fern-

527  Beteiligungsbericht der Stadt Frankfurt a.  M. 2021 (Jahresabschluss 2020), S. 114. 528  BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783). – Der Beschluss wurde seinerzeit in der Wissenschaft teils scharf zurückgewiesen. Einwände sind etwa die normhierarchisch bedenkliche Argumentation mit einfachem Gesetzesrecht, Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 54 f., die Missachtung der sinnstiftenden Bedeutung, B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87 f.); Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 393; ders., BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (10), die mangelnde Berücksichtigung gesellschaftsrechtlicher Untiefen bei der Bestimmung eines beherrschenden Einflusses, H ­ .-G. Kop­ pensteiner, NJW 1990, 3105 (3108 f.); G. Kühne, JZ 1990, 335 (336); B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87); Scholz, Grundrechtsschutz (Fn. 209), S. 217, oder der verminderte Schutz privater Anteilseigner, D. Ehlers, JZ 1990, 1089 (1096); H.-G. Kop­ pensteiner, NJW 1990, 3105 (3109, 3114); G. Kühne, JZ 1990, 335 (336); E. SchmidtAßmann, BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (11 f.). 529  BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung139

wärme, ausgeschlossen sei530. Einen strukturgleichen Fall entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009. Hier berief sich ein als Aktiengesellschaft organisiertes Stromversorgungsunternehmen, an dem die Stadt Frankfurt mittelbar 75,2 % der Anteile hielt, im Verfassungsbeschwerdeverfahren auf die Grundrechte – und scheiterte531. Zunächst bezog sich das Verfassungsgericht wie gewohnt auf die Grundsätze der eigenen ständigen Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft. Im Anschluss daran heißt es, auch privatrechtliche juristische Personen, die überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, könnten sich nicht auf Grundrechte berufen, soweit sie bestimmungsgemäß öffentliche Aufgaben wahrnähmen532. Unter Bezugnahme auf den zuvor beschriebenen Beschluss aus dem Jahr 1987 sah das Gericht keinen Anlass, von seiner Rechtsprechung abzuweichen. Es hielt daran fest, dass ein Stromversorgungsunternehmen, dessen Anteile sich mehrheitlich in der Hand öffentlicher Träger befinden, keinen Grundrechtsschutz für sich in Anspruch nehmen könne. Das Ergebnis beider Entscheidungen ist also identisch, die Begründung ist es jedoch nur auf den ersten Blick: In der Tat nimmt das Verfassungsgericht auch im zweiten Fall Bezug auf das funktionale Kriterium der Aufgabenwahrnehmung. Schwerpunktmäßig argumentiert es dort jedoch, dass das Unternehmen dem bestimmenden Einfluss eines Hoheitsträgers unterliege und infolgedessen – parallel zur Argumentation bei öffentlichen Unternehmen – verhindert werden müsse, dem Staat die Möglichkeit zu eröffnen, allein über die Organisationsform eigenständig über seine Grundrechtsfähigkeit zu entscheiden533. Im Anschluss daran fällt eine isoliert wirkende Formulierung auf: Das Gericht halte „zudem“ daran fest, „dass die von der Beschwerdeführerin […] wahrgenommene Energieversorgung als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren ist“534. Allein die Wortwahl lässt den Gedanken bereits als Ergänzung erscheinen. Die aus dem Blickwinkel des Gerichts logische Konsequenz, dass gerade diese Aufgabenwahrnehmung eine Grundrechtsberechtigung ausschließe, wird nicht gezogen – anders als beim Merkmal des bestimmenden Einflusses des Hoheitsträgers erscheint die Subsumtion hier unvollständig. Das Bundesverfassungsgericht hat damit eine erste zarte Abkehr vom Aufgabenkriterium hin zum Merkmal eines bestimmenden hoheitlichen Einflusses vollzogen, um den Grundrechtsstatus gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen zu beurteilen. 530  BVerfG (K),

NJW 1990, 1783 (1783). 484 ff. 532  BVerfGK 15, 484 (488 f., Rn. 16); vgl. zu diesem Gedanken oben S. 58 mit Fn. 191. 533  BVerfGK 15, 484 (489, Rn. 17). 534  BVerfGK 15, 484 (489, Rn. 17). 531  BVerfGK 15,

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

In der Folge hat sich das Verfassungsgericht dem Maßstab des bestimmenden Einflusses stärker zugewandt. Wegweisenden Charakter für die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen hatte das sog. Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2011535. Das verwundert mit Blick auf den Entscheidungsgegenstand zunächst: Eine natürliche Person wehrte sich im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter Berufung u. a. auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG gegen vorangegangene Zivil­ urteile, die ein von der Fraport AG in der Folge einer Flugblattaktion ausgesprochenes Hausverbot gegen sie bestätigten. Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils befanden sich die Anteile der Fraport AG zu 31,9 % in der Hand des Landes Hessen, während die Stadt Frankfurt am Main mittelbar über eine Holding GmbH 20,4 % und die Bundesrepublik Deutschland 18,3 % der Aktien hielt; die restlichen Anteile befanden sich in Streubesitz536. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war folglich die Grundrechtsbindung des Unternehmens primär entscheidungserheblich, nicht ihre Grundrechtsberechtigung. Das Verfassungsgericht entschied hierzu537: „Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt dann der unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn es von den öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Insoweit kann grundsätzlich an entsprechende zivilrechtliche Wertungen angeknüpft werden (vgl. §§ 16, 17 AktG, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe f Richtlinie 2004/109/EG). Ob in besonderen Fällen dieses Kriterium zu ergänzen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.“

Das Beherrschungskriterium sei nicht etwa auf konkrete Einwirkungsbefugnisse zugeschnitten, sondern stelle vielmehr auf die Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen ab. Ob es unter besonderen Umständen noch zusätzlicher Ergänzungen bedürfe, ließ das Gericht – wie gesehen – ausdrücklich offen. Zuvor hatte das Verfassungsgericht im Rahmen des Art. 1 Abs. 3 GG noch auf die fundamentale Trennung zwischen subjektiven Freiheiten Privater und treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung staatlicher Akteure hingewiesen538 – Ausdruck derjenigen dichotomen Betrachtung, die bereits aus den Urteilen zur Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen bekannt ist. Den Perspektivenwechsel hin zur Grundrechtsberechtigung schafft das Bundesverfassungsgericht mit dem Grundgedanken des Konfusionsarguments. Diesen bringt es eher zwischen den Zeilen als explizit zum Ausdruck. Im Fraport-Urteil heißt es etwa, der Grundrechtsbindung „entsprechend“ könne sich die Fraport AG zur Recht535  BVerfGE 128, 536  Fraport AG

226. Frankfurt Airport Services Worldwide (Hrsg.), Geschäftsbericht

2004, S. 49. 537  BVerfGE 128, 226 (246 f.). 538  BVerfGE 128, 226 (244).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung141

fertigung des von ihr ausgesprochenen Hausverbots nicht auf eigene Grundrechte berufen539. Mit der unmittelbaren Grundrechtsbindung und der „damit fehlenden Berechtigung, sich […] auf eigene Grundrechte zu berufen“, gingen spezifische Beschränkungen einher540. Durch diese Handhabe deutet das Bundesverfassungsgericht klar in die Richtung, das Beherrschungskriterium auch auf den umgekehrten Fall anwenden zu wollen, in dem ein ­gemischt-wirtschaftliches Unternehmen als Beschwerdeführer Grundrechtsschutz für sich in Anspruch zu nehmen gedenkt. In der Literatur wird ebenfalls auf die Reziprozität der Annahme hingewiesen, da die Fraport-­ Entscheidung zur Grundrechtsverpflichtung eines solchen hybriden Unternehmens erging, nicht zu seiner Grundrechtsberechtigung541. In diesem Hinweis liegt eine durchaus bedeutende dogmatische Notiz, da er die Richtigkeit des Konfusionsarguments als notwendige Bedingung stillschweigend voraussetzt. Den Bogen zur Grundrechtsfähigkeit hat das Verfassungsgericht in einer späteren Entscheidung schließlich selbst geschlagen, wenn auch ohne weitere Erläuterung542. Von der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe als entscheidendes Beurteilungskriterium war jedenfalls im Kontext der Grundrechtsberechtigung in diesen jüngeren Entscheidungen des Gerichts keine Rede mehr543. Auch die Grundrechtsfähigkeit der Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost war bereits Entscheidungsgegenstand in der Rechtsprechung, wobei die Ergebnisse und Begründungen hier je nach urteilender Gerichtsbarkeit durchaus variieren. Das Bundesverfassungsgericht etwa ging im Jahr 2006 davon aus, dass sich die Deutsche Telekom AG als juristische Person 539  BVerfGE 128, 540  BVerfGE 128,

226 (244, 248 f.). 226 (247 f.); ähnlich zur Berufung auf das Eigentumsgrundrecht

ebd., S. 259. 541  Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 78; M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (893); Hu­ ber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 280; Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S.  50 f.; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (16); diesbezüglich unklar hingegen Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 112 f. 542  BVerfG (K), NJW 2016, 3153 (3154); neuerdings folgt der Hinweis, dass die Fraport-Entscheidung „entsprechend“ zur Grundrechtsbindung ergangen sei, so in BVerfGE 143, 246 (314, Rn. 190); 147, 50 (144, Rn. 241). 543  Das formulieren auch Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 276, Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 64 und P.-L. Krüger, DÖV 2012, 837 (839) in Bezug auf das Fraport-Urteil als Merkposten; anders wohl J. Schlömer, Der beschleunigte Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, 2013, S. 88 f. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem jüngeren Nichtannahmebeschluss nunmehr ausdrücklich festgestellt, dass es auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nicht ankomme, BVerfG (K), NVwZ 2017, 53 (55). In der Konsequenz dessen formuliert Verfassungsrichter Huber, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 188), S. 92, konkurrierende Ansätze zum beherrschenden Einfluss könnten nunmehr als überholt gelten.

142

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

des Privatrechts, deren Anteile sich zum damaligen Zeitpunkt laut Aussage der Bundesregierung noch zu 42,8  % in der Hand der Bundesrepublik Deutschland befanden, auf die Grundrechte berufen könne544. Ein beherrschender Einfluss der öffentlichen Hand auf die Unternehmensführung sei weder von der einfachen Gesetzeslage noch in der Satzung der Aktiengesellschaft vorgesehen und nach der Privatisierung erst recht nicht begründet worden. Fünf Jahre zuvor, als sich die Mehrheit der Anteile der Deutschen Telekom AG noch in öffentlicher Hand befand, kam das Bundesverwaltungsgericht erstaunlicherweise zum selben Ergebnis, argumentierte aber auch nicht mit dem überwiegenden Einfluss des Staates, sondern funktional: Dass die Aktiengesellschaft mehrheitlich im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehe, ändere nichts daran, dass sie wegen ihrer ausschließlich privatwirtschaftlichen Tätigkeit und Aufgabenstellung grundrechtsfähig sei545. Im Jahr 2004, als die Telekom AG bereits mehrheitlich im Eigentum Privater stand, hielt das Bundesverwaltungsgericht dieses Ergebnis offensichtlich für so selbstverständlich, dass es die Grundrechtsberechtigung des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens wortlos voraussetzte und schlicht in die materielle Grundrechtsprüfung einstieg546. Ungefähr zur selben Zeit hat es den funktional orientierten Grundsatz auf die Deutsche Post AG übertragen und sie auf der Grundlage einer ausschließlich privatwirtschaftlichen Tätigkeit und Aufgabenstellung als grundrechtsberechtigt angesehen, obwohl sie zu dieser Zeit mehrheitlich im Eigentum des Bundes stand547. Das verwundert insofern, als sich das Bundesverwaltungsgericht noch vor der Jahrtausendwende dem Gedanken des heutigen Beherrschungskriteriums angenähert und entschieden hatte, die Deutsche Post AG sei allein durch die mehrheitliche Kapitalbeteiligung des Bundes von diesem beherrscht und könne, ähnlich wie ein privatrechtliches Unternehmen im Alleinbesitz des Staates, keine Grundrechte für sich in Anspruch nehmen548. Inzwischen scheint es zu dieser Rechtsprechung zurückgekehrt zu sein und sich dem vom Bundesver-

544  BVerfGE 115, 205 (227 f.). – Vgl. zu der prozentualen Beteiligung der Bundesrepublik im März des Jahres 2006 die Einlassung der Bundesregierung in BVerfGE 115, 205 (222). Dagegen weist der Geschäftsbericht der Deutschen Post AG zum Ende des Jahres 2005 eine (mittelbare) Bundesbeteiligung von nur 41,7 % aus, s. dazu Deutsche Post AG (Hrsg.), Geschäftsbericht 2005, S. 22. 545  BVerwGE 114, 160 (189). 546  BVerwGE 120, 54 (79). Ähnlich ist auch das Bundesverfassungsgericht bei der Folgenabwägung im Zuge eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorgegangen, als es die Grundrechtsberechtigung der damals noch mehrheitlich im Staatseigentum befindlichen Deutsche Telekom AG nicht thematisierte, BVerfG (K), NVwZ 2004, 719 (720). 547  BVerwGE 118, 352 (359). 548  BVerwGE 113, 208 (211).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung143

fassungsgericht etablierten Maßstab des beherrschenden Einflusses angeschlossen zu haben549. Die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung hat naturgemäß weniger Berührungspunkte mit der Frage der Grundrechtssubjektivität eines Prozessbeteiligten. In einem ausführlich begründeten Urteil Ende des Jahres 2011 bezog der Bundesgerichtshof gleichwohl zur Grundrechtsbindung der Deutschen Post AG Stellung, deren Anteile zu diesem Zeitpunkt mittelbar über die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu 30,5 % in staatlicher Hand lagen550. Anlässlich der Frage, ob die Aktiengesellschaft dem aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleiteten Gebot der Staatsferne der Presse unterworfen sei, schloss sich der BGH ausdrücklich dem Beherrschungskriterium an, das das Bundesverfassungsgericht in seiner Fraport-Entscheidung entwickelt hat, und lehnte eine Grundrechtsbindung der Deutschen Post AG im Hinblick auf den zu geringen Kapitalanteil der öffentlichen Hand ab551. Deutlich stärker als das Bundesverfassungsgericht stellte der Bundesgerichtshof auf den aktienrechtlichen Maßstab der Beherrschung aus § 17 AktG ab und untersuchte über den Verweis auf die Minderheitsbeteiligung des Staates hinaus, ob sich ein solcher Einfluss gegebenenfalls aus einer faktisch dominanten Präsenz auf der Hauptversammlung ergeben könne, lehnte eine entsprechende Schlussfolgerung aber letztlich ab552. Mag die zivilrechtliche Schwerpunktsetzung den Raum für grundrechtliche Ableitungen naturgemäß einengen, hat der BGH mit dieser Entscheidung gleichwohl unzweideutig zum Ausdruck gebracht, die im Fraport-Urteil skizzierte Linie des Bundesverfassungsgerichts zum Umgang mit gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu unterstützen. cc) Mangelnde Ergiebigkeit hergebrachter Grundsätze und Fragilität des beherrschenden Einflusses Löst man die Betrachtung von den konkreten Sachverhalten und sucht die strategischen Linien in der Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, fällt ein Unterschied zum Umgang mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts unter Art. 19 Abs. 3 GG auf. Während letzterer seit den frühen Grundsatzurteilen in den Grundfesten etabliert war und lediglich punktuell weiterentwickelt wurde, hat die Judikatur 549  S. dazu

jüngst BVerwGE 167, 202 (207, Rn. 21). NZG 2012, 1033 (1033). 551  BGH, NZG 2012, 1033 (1034 f.). 552  Damit hat der BGH denselben Weg beschritten, den er im Jahr 1977 wählte, als er – in einem rein aktienrechtlichen Sachverhalt – darüber zu entscheiden hatte, ob die Bundesrepublik Deutschland die damals zu 43,74 % in ihrer Hand befindliche VEBA AG i. S. d. § 17 Abs. 1 AktG beherrschte, s. dazu BGHZ 69, 334 (347). 550  BGH,

144

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

jedenfalls des Bundesverfassungsgerichts in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne eine maßgebliche inhaltliche Anpassung vollzogen. Im Ursprung bemühte sich das Verfassungsgericht um die Anwendung der hergebrachten, anhand öffentlicher Unternehmen entwickelten Kriterien der ständigen Rechtsprechung. Die kritische Replik dazu lautete unter anderem, dass das Gericht durch den Rückgriff auf die bisherige Klaviatur zu öffentlichen Unternehmen das essentiell Andersartige der gemischt-wirtschaftlichen nicht erfasse553. Sicherlich nicht unbeeinflusst davon tendierte das Verfassungsgericht später in eine andere Richtung und näherte sich schrittweise dem Beherrschungskriterium an, das es in der Fraport-Entscheidung schließlich als entscheidungserheblichen Maßstab etablierte, wenn auch aus der spiegelbildlichen Perspektive der Grundrechtsbindung. Der Bundesgerichtshof hat sich dem bereits ausdrücklich angeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht folgt den Karlsruher Gedanken inzwischen ebenso, kann aber im Rückblick nicht behaupten, in der Vergangenheit eine konsistente Linie zu der Frage vertreten zu haben. Die Neuausrichtung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und die anfangs wankelmütige Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Bürger und Staat, institutionalisiert in einem privatrechtlich organisierten Rechtsträger, ein Phänomen darstellt, auf das das übliche Konstrukt der Rechtsprechung keine aus dem dogmatischen Grundgerüst herleitbare Antwort geben kann. Unter dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ist der grundrechtliche Status gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen mithilfe von Art. 19 Abs. 3 GG deshalb so schwierig zu beurteilen, weil es sich um eine Kooperationsform handelt, die in dem rein dichotomen Denken von den Gegenpolen Staat und Gesellschaft die Grenzen des Herkömmlichen verwischt. Sie stehen von der Grundrechtsfähigkeit her betrachtet zwischen privatem und staatlichem Akteur, sie sind im schematischen Denken des Rechtsprechungsansatzes Berührungspunkt der Kreise von Berechtigung und Verpflichtung554. Soll hier ein einheitliches Urteil über die Grundrechtssubjektivität des hybriden Rechtsträgers gefällt werden, muss zwangsläufig eine der beiden von der Rechtsprechung zugrunde gelegten Prämissen aufgegeben werden: Entweder verlieren die privaten Anteilseigner ihren durch das Unternehmen vermittelten Grundrechtsschutz oder die öf553  Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 12; zur teils scharfen Kritik an dem zugrunde liegenden Beschluss BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783) siehe bereits oben S. 138 mit Fn. 528. 554  Ähnlich Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 2 („zwischen den Polen von Berechtigung und Verpflichtung“) und W. Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (569) („zwischen den zwei entgegengesetzten Polen, dem Pluspol und dem Minuspol“). Ebenso plastisch Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 73 und Merten, Mischunternehmen (Fn. 105), S. 2014, die in diesem Zusammenhang von „Zwitterwesen“ und „Zwitterhaftigkeit“ sprechen.



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung145

fentliche Hand erlangt gerade eine solch mittelbare Grundrechtssubjektivität, die sie über andere Wege nicht erhalten könnte555. Die Anwendung der klassischen Muster der Rechtsprechung ist demnach gerade deshalb problematisch, weil ihre Grundfesten auf einer Zweiteilung basieren556. Die Durchgriffsthese sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob und inwieweit Unternehmensgründung und -tätigkeit Ausdruck der freien Entfaltung natürlicher Personen oder doch etwa der staatlichen Kompetenzausübung sind557. Das Konfusionsargument muss sich die Frage stellen lassen, ob die institutionalisierte Form der Zusammenarbeit von Privaten und der öffentlichen Hand, die einzelfallabhängig in unterschiedlicher Beteiligungsstruktur und teilweise im Rahmen komplexer Schachtelbeteiligungen kooperieren, nicht die Grenzen seiner Pauschalität und Codierung auf „den Staat“ sprengt558. Das speziell auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen zugeschnittene Beherrschungskriterium soll einen Ausweg bieten559. Mag dieser Maßstab aus pragmatischer 555  Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn.  90), S.  13 f.; Ernst (Fn.  26), Art. 19 Rn. 87; D. Krausnick, JuS 2008, 965 (966); Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 35, allesamt mit Bezug auf die diskursprägende Kommentierung von Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 77, der in diesem Zusammenhang von einer „dilemmatischen Grundstruktur“ spricht. – Dagegen meint T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (17), das Dilemma bestehe einzig und allein aufgrund des Festhaltens am Konfusionsgedanken und der wechselseitigen Exklusivität von Grundrechtsbindung und -berechtigung. Angesprochen ist damit die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 3 GG, die an späterer Stelle nochmals aufgegriffen werden soll, s. unten S. 304 ff. 556  Siehe zum kategorisierenden Rechtsprechungsansatz oben S. 32  ff.; zu den grundrechtstheoretischen Grundlagen dieses Konstrukts unten S. 276 ff. 557  M. Lang, NJW 2004, 3601 (3602); Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 36; W. Span­ nowsky, ZHR 160 (1996), 560 (570); für die erstere Variante dezidiert H.-G. Koppen­ steiner, NJW 1990, 3105 (3109); nur angedeutet bei Möllers, Staat (Fn. 78) S. 331. Auch Storr, Staat (Fn. 18), S. 243 ff. hält die Durchgriffsthese in diesem Zusammenhang für fruchtbar und macht eben jene zum Anknüpfungspunkt für sein einzelfallbasiertes und abgestuftes Schutzkonzept. 558  Merten, Mischunternehmen (Fn. 105), S. 2017; ders., DÖV 2019, 41 (46) bejaht diese Frage implizit, wenn er von einer „Infizierung“ der in privater Hand befindlichen Beteiligung am Rechtsträger mittels des Konfusionsarguments spricht; dezidiert in diese Richtung auch Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S.  146 ff., 154; vgl. zur Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten ferner unten S. 287 ff. 559  Anklang fand dieser Maßstab, wenn auch unterschiedlich akzentuiert, schon vor der wegweisenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aus dem Jahr 2011 bei P. Badura, DÖV 1990, 353 (354); Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  157 ff.; J. Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177 (183); T. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, 1994, S. 145 ff.; R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, 1990, S. 160 ff.; im Kontext der Grundrechtsbindung Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1421. – Gänzlich ohne Beispiel war das Kriterium freilich auch in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht, s. dazu BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783).

146

B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Sicht unter den zwangsläufig systemsprengenden Ansätzen noch derjenige sein, der im Einzelfall die flexibelsten Lösungen ermöglicht, garantiert auch er keine Lückenlosigkeit. Noch vor dem Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hieß es unter anderem, dass ein an der Beteiligungsstruktur orientierter Maßstab mit enormer Rechtsunsicherheit einhergehe; die Teilhabeverhältnisse unterlägen einer so starken Dynamik, dass Änderungen oft unbemerkt eintreten würden und damit auch in der Frage der Grundrechtssubjektivität stetige Schwankungen drohten560. Auch nach dem Karlsruher Grundsatzurteil harren einige gewichtige inhaltliche Fragen an den „beherrschenden Einfluss“ einer Antwort: Kann bei einer kumulativen Anteilsmehrheit verschiedener öffentlicher Organisationseinheiten, z. B. dem Bund einerseits und einer Kommune andererseits, einheitlich von einer „Beherrschung“ des Unternehmens durch die öffentliche Hand gesprochen werden, auch wenn sich ihre Interessen in der Praxis möglicherweise diametral entgegenstehen561? Wie etwa wäre die Grundrechtsfähigkeit eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens zu beurteilen, das sich jeweils zur Hälfte in öffentlicher und privater Hand befindet562? Wie wirkt es sich aus, wenn die öffentlichen Anteilseigner zwar prozentual in der Minderheit sind, aber faktisch beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausüben, da ihre Präsenz auf den Hauptversammlungen diejenige privater Eigner regelmäßig deutlich 560  Merten, Mischunternehmen (Fn. 105), S. 2021; Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 394; ders., BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (10 f.); M. SchmidtPreuß, Energieversorgung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 3.  Auflage 2006, § 93 Rn. 37; Scholz, Grundrechtsschutz (Fn. 209), S. 221; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 19 ff.; unter besonderer Betonung des Missbrauchspotentials für staatliche Träger Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 60. Diese Kritik erneuert aktuell D. Merten, DÖV 2019, 41 (46). 561  P.-L. Krüger, DÖV 2012, 837 (841); D. Merten, DÖV 2019, 41 (46); E. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beilage 34 zu Heft 27, 1 (4); ebenfalls angedeutet bei G. Kühne, JZ 1990, 335 (336); B. Ortlieb, N&R 2020, 287 (288). – Dezidiert für die Berücksichtigung dieses Aspekts hat sich Verfassungsrichter W. Schluckebier in seinem Sondervotum zum Fraport-Urteil ausgesprochen, BVerfGE 128, 226 (270 f.). Wie er fordert auch Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 80 in diesem Fall grundsätzlich eine rechtsförmige Interessenkoordination. 562  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (893); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (17); Scholz, Grundrechtsschutz (Fn.  209), S. 221; Seyderhelm, Grundrechtsbindung (Fn. 404), S. 51 f. – Dass es sich nicht um eine rein theoretische Konstruktion handelt, sei an einem praktischen Beispiel belegt. Die Gesellschafter der Flughafen Düsseldorf GmbH sind je hälftig (mittelbar) die Landeshauptstadt Düsseldorf und die Airport Partners GmbH, wobei sich letztere aus zwei privaten und einem mittelbar vom irischen Staat gehaltenen Unternehmen zusammensetzt, s. dazu andeutungsweise Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2021, S. 34, 43; mit genaueren Zahlen noch Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2018, S. 6.



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung147

übersteigt563? Es mag eine Überforderung des Kriteriums sein, all diese Fragen kumuliert zu stellen und so den Eindruck seiner vollständigen Untauglichkeit zu erwecken. Einfache Antworten sind für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen im grundrechtlichen Kontext kaum zu geben. Beleg für die Problemfälle, die trotz, teils auch gerade wegen des Beherrschungsmaßstabs weiter bestehen, sind die aufgeworfenen Fragen aber allemal. Festzuhalten bleibt Folgendes: Eine Antwort auf die Frage der Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen hat das Bundesverfassungsgericht aus dem bisherigen dogmatischen System heraus nicht finden können. Das Bundesverwaltungsgericht hat es mit dem Abstellen auf die Wahrnehmung einer privatrechtlichen Aufgabe versucht, wurde aber vom Verfassungsgericht mit dem Beherrschungskriterium überrundet. Letzteres mag als neuerer Stein im Mosaik des Karlsruhes Begründungsmusters zwar auch von der Zivil- und Verwaltungsrechtsprechung akzeptiert sein, löst aber das Problem nur bedingt, da viele Fragen offen bleiben. Die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen hinterlassen im dichotomen Gerüst des Bundesverfassungsgerichts eine evidente Schwachstelle. b) Marktwirtschaftliche Tätigkeit und kollektive Interessenvertretung Auch außerhalb des Bereichs der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen beschäftigen die Rechtsprechung in jüngerer Zeit Sachverhalte, die hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit der beteiligten juristischen Personen mit Staatsbeteiligung einen erhöhten Begründungsaufwand auslösen. Sie bringen zum Ausdruck, dass ein konsistenter Umgang mit den bisher vom Verfassungsgericht aufgestellten Prämissen zum einen durch die wiederholt auftretenden dogmatischen Einbrüche erschwert wird und die zu beurteilenden staatlichen Tätigkeitsfelder zum anderen differenzierter sind, als es die bereits bekannten und entschiedenen Präzedenzfälle vermuten lassen. An dieser Stelle soll auf zwei Beispiele näher eingegangen werden.

563  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (893); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (17); W. Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (571); für einen beherrschenden Einfluss in diesem Fall Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 164 Fn. 547; Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S. 79 f.; dagegen E. Gurlit, NZG 2012, 249 (253). – Weitere Beispielsfälle, in denen die Beurteilung der Grundrechtsberechtigung anhand einer Mehroder Minderheitsbeteiligung der öffentlichen Hand an Grenzen stößt, nennt P.-L. Krü­ ger, DÖV 2012, 837 (841); ähnlich auch Masing, Grundrechtsschutz (Fn. 409), S. 418, der staatliche Vorzugsrechte thematisiert.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

aa) Rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit: Wiedererstarktes Konfusionsargument Zum Ende des Jahres 2016 hatte das Bundesverwaltungsgericht in einer Nichtzulassungsbeschwerde über die Grundrechtsfähigkeit der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH zu entscheiden, einer juristischen Person des Privatrechts, die sich vollständig in der Hand des Bundes befindet und im verwaltungsgerichtlichen Streit mit dem Landkreis Leipzig um die Erteilung einer denkmalrechtlichen Abbruchgenehmigung den grundrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG für sich re­ klamierte564. Das Charakteristikum dieser Gesellschaft besteht in ihrer an marktwirtschaftlichen Grundsätzen orientierten Arbeits- und Vorgehensweise, die sie selbst als Beleg dafür sieht, keine öffentliche Aufgabe, sondern eine rein privatwirtschaftliche Funktion wahrzunehmen565. Das Bundesverwaltungsgericht lässt angesichts der Finanzierung der Gesellschaft aus Steuergeldern dahinstehen, ob es diese Ansicht teilt, lehnt ihre Grundrechtsfähigkeit jedoch bereits aus anderen Gründen ab: Eine Berufung auf eigene Grundrechte, vermittelt über Art. 19 Abs. 3 GG, sei einer juristischen Person versagt, wenn sie ihrerseits durch Grundrechte verpflichtet würde, da niemand gleichzeitig Träger und Adressat der Grundrechte sein könne566. Ausgehend von diesem Gedanken wechselt das Bundesverwaltungsgericht gedanklich auf die Verpflichtungsseite und führt aus, das Verfassungsgericht habe klargestellt, dass öffentliche Unternehmen fortwährend und ausnahmslos an die Grundrechte gebunden seien, unabhängig davon, wie ihre Aufgabenwahrnehmung auch ausgestaltet sein möge567. Genau darin liegt das Bemerkenswerte dieser Entscheidung: Das Bundesverwaltungsgericht lehnt die Grundrechtsberechtigung der Gesellschaft im zu beurteilenden Falle einzig und allein mit der Begründung ab, dass sie über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sei. Unverkennbar und ausdrücklich kommt darin der Gedanke des Konfusionsarguments zum Ausdruck, der nicht nur zum Ausgangs-, sondern zum Dreh- und Angelpunkt des Beschlusses wird. Auf die vermehrt erhobenen Zweifel an dem abstrakten Gedanken, eine juristische Person könne nicht gleichzeitig aus den Grundrechten berechtigt und ihnen verpflichtet sein, ist bereits hingewiesen worden568. Hält man diesen für mehr als einen teleologischen Kompass und operationalisiert ihn so technisch wie das Bundesverwaltungsgericht, verliert er bereits aufgrund der gemeinhin anerkannten Grundrechtsfähigkeit von Religionsgesellschafen, Uni564  BVerwG,

SächsVBl. 2017, SächsVBl. 2017, 566  BVerwG, SächsVBl. 2017, 567  BVerwG, SächsVBl. 2017, 568  Siehe oben S. 46 f., 122. 565  BVerwG,

71 71 71 71

(71). (71). (71). (71).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung149

versitäten und Rundfunkanstalten seine Überzeugungskraft569. Infolgedessen geht es an der Sache vorbei, wenn das Gericht ausführt, die Grundrechtsbindung staatlicher Akteure beurteile sich unabhängig vom verfolgten Zweck und stehe nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt570. Vielmehr steht die Frage im Raum, ob sich eine nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen operierende, aber staatlich getragene juristische Person des Privatrechts gegenüber der zuständigen Denkmalschutzbehörde auf Art. 14 Abs. 1  GG berufen kann. Den in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lagen dagegen Sachverhalte zugrunde, in denen natürliche Personen Grundrechtsschutz gegenüber juristischen Person in zumindest teilweise staatlicher Trägerschaft beanspruchten und somit deren Grundrechtsbindung entscheidungserhebliche Bedeutung besaß571. Aus der Perspektive der Grundrechtsberechtigung hingegen hat das Verfassungsgericht wiederholt vertreten, es komme gerade auf die Funktion an, die die betroffene, in Staatshand befindliche juristische Person wahrnehme, um ihre Grundrechtssubjektivität beurteilen zu können572. Statt der verzerrenden ­Berufung auf das Konfusionsargument wäre nach der bisherigen Linie der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung also die Frage zu entscheiden gewesen, ob die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH tatsächlich rein erwerbswirtschaftlich tätig ist. Diesen Umstand unterstellt, schließt sich die Rechtsfrage an, inwieweit ein solcher entscheidend für die Grundrechtssubjektivität der Gesellschaft spricht. Zu ihrer Beantwortung kommen zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte in Betracht. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht den Gemeinden im Falle ihrer erwerbswirtschaftlichen Betätigung außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben den grundrechtlichen Schutz abgesprochen und dafür vornehmlich den Gedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage herangezogen: Aufgrund rechtlicher wie außerrechtlicher „Vorzüge“ sowie kommunalrechtlicher Verknüpfungen zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben könnten sich die Gemeinden auch in erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit allgemein betrachtet nicht in einer dem Bürger vergleichbaren Gefährdungssituation wiederfinden573. Andererseits hat es im Rahmen der Innungs-Rechtsprechung auf 569  Statt vieler Dreier (Fn. 27), Art. 19 III Rn. 59; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 71 f.; siehe dazu auch schon oben S. 46 f. m. w. N. in Fn. 132. 570  BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71) mit Rekurs auf BVerfGE 128, 226 (245) und BVerfG (K), NJW 2016, 3153 (3155). 571  Siehe dazu die Schilderungen des Sachverhalts in BVerfGE 128, 226 (226 ff.) und BVerfG (K), NJW 2016, 3153 (3153 f.). 572  BVerfG 68, 193 (207 f.); 75, 192 (197); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1420 (1420); NVwZRR 2009, 361 (361); vgl. dazu ferner oben S. 59 ff. 573  BVerfGE 61, 82 (105 ff.); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366); siehe dazu ausführlich oben S. 64 ff.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

die bestimmte staatliche Organisationseinheit sowie die im zu beurteilenden Fall betroffene Funktion der Interessenvertretung abgestellt und konkret festgestellt, dass in dieser Gemengelage ein vergleichbares Schutzbedürfnis zu privaten Zusammenschlüssen vorliege574. Wie sich die Denkarten der beiden Ansätze unterscheiden und inwieweit daraus ein mit zunehmender Rechtsunsicherheit einhergehendes Spannungsfeld entsteht, ist bereits beleuchtet worden575. Virulent wird diese Rechtsunsicherheit nun im Fall einer juristischen Person des Privatrechts in staatlicher Hand, die ein sehr spezifisches Aufgabenprofil besitzt576 und rein erwerbswirtschaftlich tätig ist (quod esset de­ monstrandum!). Das Bundesverwaltungsgericht indes entzieht sich einer Stellungnahme mit der sachlich wenig überzeugenden Verlagerung auf den Konfusionsgedanken. bb) Kollektive Interessenvertretung: Brüchige Schablone Einen weiteren Fall, der nicht ohne Weiteres in das Schema der vom Verfassungsgericht eingeschlagenen Leitlinien zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen einzupassen ist, hatte das Bundesverwaltungsgericht im Dezember 2019 zu entscheiden. Im Rahmen der Zulässigkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens standen die Grundrechtsfähigkeit und damit die Klagebefugnis eines in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisierten Arbeitgeberverbandes zur Diskussion, der sich unter Berufung auf die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG gegen eine Verordnung des nordrhein-westfälischen Ministers für Arbeit, Integration und Soziales bezüglich der Tarifverträge im öffentlichen Personennahverkehr aus dem Jahr 2012 zur Wehr setzte577. Das Charakteristikum des klagenden Vereins, dem Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e. V., liegt aus Sicht des vorliegenden Untersuchungszusammenhangs in seiner Mitgliederstruktur: Nach den Feststellungen des vorinstanzlichen Oberverwaltungsgerichts befinden sich von den insgesamt 97 Mitgliedsunternehmen 58 ausschließlich und zehn mehrheitlich in öffentlicher Hand, während die verbleibenden 29 vollständig oder mehrheitlich von Privaten bzw. ausländischen Staaten gehal574  BVerfGE 70,

1 (20). dazu ausführlich oben S. 78 ff. 576  Dazu gehören etwa das Betreiben des Sanierungs- und Verwahrungsbergbaus für Braunkohle, Kali, Spat und Erz oder die Nutzung und Verwertung von Vermögenswerten, insbesondere Grundstücks- und Bergwerkseigentum, im Nachgang des Bergbaus in der ehemaligen DDR, s. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Bundes 2021, S. 72. 577  Zum Sachverhalt knapp BVerwGE 167, 202 (202 f., ohne Rn.); vgl. darüber hinaus auch die Vorinstanz OVG NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 1 ff. (zitiert nach juris). 575  Siehe



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung151

ten werden oder die unklaren Eigentumsverhältnisse eine Einordnung nicht zulassen578. Die mehrheitlich öffentlich-rechtliche Trägerschaft veranlasste das Bundesverwaltungsgericht dazu, die Grundrechtsfähigkeit des Vereins zu verneinen und die Revision abzuweisen579. (1) V  orinstanzlicher Tiefgang als Ausdruck einer komplexen ­Entscheidungsfindung Zunächst sei der Blick allerdings auf die vorangegangene Entscheidung des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts gerichtet. Im hier zu besprechenden Fall ist die Auseinandersetzung mit der Berufungsinstanz besonders ertragreich. Der Tiefgang, mit dem sie sich der Frage um die Grundrechtssubjektivität des Vereins widmet, trägt für Rechtsprechungsverhältnisse fast schon monographische Züge und bringt die Unsicherheiten zum Ausdruck, die der verfassungsgerichtliche Ansatz im grundrechtlichen Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen in der Rechtsanwendung hervorruft. Das Oberverwaltungsgericht steckt zunächst den Beurteilungsrahmen ab, indem es die bisher vom Verfassungsgericht entwickelten Maximen zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft strukturiert und nahezu lehrbuchartig abschreitet, vom Konfusionsargument über die ideengeschichtlich geprägte Durchgriffsthese bis hin zu Ausnahmetrias und grundrechtstypischer Gefährdungslage580. In der Subsumtion begegnet das Gericht zunächst der Hürde, die im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG hervorgebrachten Grundsätze auf Art. 9 Abs. 3 GG zu übertragen, den das Bundesverfassungsgericht als sog. Doppelgrundrecht ohne eine Vermittlung über Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen anwendet. Das Oberverwaltungsgericht erklärt die Karlsruher Ausführungen zur Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen dabei kurzerhand zum „allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz“ – ein notwendiger Kunstgriff, wenn man der verfassungsgerichtlichen Lehre vom Doppelgrundrecht folgen 578  OVG

NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 116 (zitiert nach juris). 202 (206 ff., Rn. 20 ff.). 580  OVG NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 54 ff. (zitiert nach juris). – Das Gericht trennt außerdem nach der jeweiligen Erscheinungsform einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft, d. h. nach juristischen Personen des öffentlichen Rechts, juristischen Personen des Privatrechts in staatlicher Trägerschaft, gemischtwirtschaftlichen Unternehmen und juristischen Personen des Privatrechts, die (mittelbar) in der Hand einer ausländischen Staatsmacht stehen, und stellt die Verfassungsrechtsprechung zu jeder einzelnen gesondert dar; zur letzteren Konstellation ausführlich unten S. 158 ff. 579  BVerwGE 167,

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

will581. Dem Oberverwaltungsgericht kann im Hinblick auf die weitere Argumentation keine Begründungsarmut vorgeworfen werden, im Gegenteil: Es ist um engmaschige Erklärungen und die Einpassung des Falls in die Scha­ blone der Verfassungsrechtsprechung bemüht. Das Problem ist vielmehr, dass das Verfassungsgericht selbst die Konturen dieser Schablone hat verschwimmen lassen. Die Auswirkungen der entsprechenden dogmatischen Ungenauigkeiten lassen sich im Falle des oberverwaltungsgerichtlichen Urteils insbesondere an einem Aspekt beispielhaft ablesen: der Frage nach dem Gewicht einer funktionalen Betrachtung bei der Beurteilung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen. In der Gesamtbetrachtung der Rechtsprechungslinie zur mangelnden Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen ist nicht eindeutig auszumachen, welchen Stellenwert das funktionale Aufgabenkriterium genießt582. Während die Entscheidung zu den Orthopädietechniker-Innungen583 im Ergebnis ein Einzelfall geblieben ist, ist der darin vornehmlich angewandte Maßstab zum festen Bestandteil der ständigen Rechtsprechung geworden. Seither hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt, es komme vielmehr auf die im konkreten Fall vom Akt der öffentlichen Gewalt betroffene Funktion der juristischen Person als auf ihre Rechtsform an, um die Frage ihrer Grundrechtsfähigkeit beantworten zu können584. Das Oberverwaltungsgericht macht aus dieser Not sprichwörtlich eine Tugend: Statt der Sache nach auf den Einwand des Arbeitgeberverbandes einzugehen, er werde im konkreten Fall außerhalb der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung tätig, schwächt es die Bedeutung der funktionalen Argumentation ab. Der Ausschluss staatsgetragener juristischer Personen vom Grundrechtsschutz lasse sich außerhalb des funktionalen Aspekts auch selbstständig aus anderen Begründungen herleiten585. Ein solches Ausweichen verwundert aus 581  Kritisch zu dieser Lehre bereits oben S. 127 ff. – Im Revisionsverfahren beschäftigt sich das Bundesverwaltungsgericht mit dieser durchaus gewagten Konstruktion bemerkenswerterweise nicht und geht nur kursorisch auf die Lehre von den Doppelgrundrechten ein, s. BVerwGE 167, 202 (209, Rn. 25). 582  Wie hier T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (15); F. Schoch, Jura 2001, 201 (206); Ulsamer, Geltung (Fn. 213), S. 208; dem Gedanken nach auch U. Becker, Jura 2019, 496 (503 f.). 583  BVerfGE 70, 1 (18 ff.); dazu näher oben S. 59 ff., 78 ff. 584  BVerfGE 75, 192 (197); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1997, 1634 (1634); NVwZ 2005, 572 (573); NVwZ 2007, 1420 (1420); NVwZ-RR 2009, 361 (361); vgl. erneut oben S. 59 ff. 585  OVG NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 96 ff. (zitiert nach juris). – Als Beleg führt es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an, in denen einer Gemeinde mangels grundrechtstypischer Gefährdungslage und einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse mangels Bezugs zum Freiheitsraum natürlicher Personen eine Berufung auf die Grundrechte versagt wurde; vgl. BVerfGE 61, 82 (105 ff.), 75, 192



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung153

strategischer Sicht nicht, denn dass sich der Arbeitgeberverband mit dem Beschreiten des Rechtswegs gegen die Ministerialverordnung auf dem Feld seiner satzungsgemäß formulierten Funktion – nämlich der Interessenvertretung seiner Mitglieder586 − und nicht im Rahmen einer gesetzlich zugewiesenen Aufgabe einsetzt, ist schwerlich bestreitbar587. Auf Grundlage dieser strukturellen Vergleichbarkeit mit der Entscheidung zu den Orthopädietechniker-Innungen ließe sich also durchaus ein anderes Ergebnis rechtfertigen und die Grundrechtsfähigkeit des Vereins bejahen, vorausgesetzt, man wiese dem funktionalen Kriterium eine erhöhte Relevanz zu und begriffe eine weitgehende Entfernung vom Bereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung als Indiz einer tendenziell freiheitssichernden Tätigkeit588. Ein solch allgemein formuliertes Verständnis steht jedoch im Falle des Arbeitgeberverbandes Deutscher Eisenbahnen e. V. vor der Herausforderung, die hybride Mitgliederstruktur des Vereins abbilden zu müssen. Der Verband setzt sich nicht nur aus Unternehmen in vollständig privater bzw. vollständig öffentlicher Trägerschaft zusammen und ist dadurch als solcher bereits ein gemischtwirtschaftlicher, sondern verzeichnet zudem Mitglieder, die ihrerseits wiederum als gemischt-wirtschaftliche Unternehmen zu klassifizieren sind. Das (199 f.). Der Bezug auf die Entscheidung BVerfGE 59, 231 (254 f.), in der das Verfassungsgericht einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt die Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG mit dem Argument versagte, die Grundrechte würden durch die Ausdehnung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts in ihr Gegenteil verkehrt, ist allerdings verkürzt, da das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle eine extensive Auslegung des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“ vollzieht und gerade Rundfunkanstalten sehr wohl einen großzügigen Grundrechtsschutz zukommen lässt; vgl. BVefGE 107, 29 (309 f.); BVerfG (K), NVwZ 2017, 53 (55). Kritisch zur unklaren Linie des Verfassungsgerichts bezüglich des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs schon oben S. 97 ff. 586  Siehe § 2 Abs. 1 lit. a-f der Satzung des Arbeitgeberverbandes Deutscher Eisenbahnen e. V. in der Fassung vom 1. Juli 2021, abrufbar unter http://www.agvde.de/ (letzter Zugriff: 9.10.2022). 587  Inhaltlich gestaltet die Verordnung die Vorschrift des § 4 Abs. 2 S. 1 TVgG NRW (in der Fassung aus dem Jahr 2012) aus, indem sie festlegt, welche Tarifverträge als „repräsentativ“ im Sinne der Vorschrift gelten und zur Bedingung der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gemacht werden dürfen. Unternehmen, deren Entgeltzahlungen an Arbeitnehmer auf Grundlage eines anderen als des „repräsentativen“ Tarifvertrags geregelt und niedriger als dort angesetzt sind, erleiden damit einen Nachteil bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. – Weiterführend zur Rolle des Vergaberechts bei der Sicherung der Effektivität tariflicher Arbeitsbedingungen S. Klumpp, Tarifbindung und Vergaberecht (Tarif­ treue), in: H. Kiel/S. Lunk/H. Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, 4. Auflage 2019, § 250 Rn. 1 ff., speziell zum TVgG NRW Rn. 10 f. 588  Über die funktionale Seite argumentiert Wolff (Fn. 491), Art. 9 Rn. 14 für eine Grundrechtsfähigkeit u. a. staatlich getragener Arbeitgeberverbände, wobei er sich vornehmlich auf BVerfGE 88, 103 (116) und nicht auf die Orthopädietechniker-Entscheidung stützt.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

Oberverwaltungsgericht bezieht sich zur Lösung des Problems auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit und -bindung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen und hält die Beherrschung des Vereins durch die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber für ein hinreichendes Ausschlusskriterium, zumal den privaten Mitgliedern die Entscheidung über Bei- und Austritt zum Verein frei stehe und ihre individuelle Rechtsstellung über Art. 9 Abs. 3 GG unberührt bleibe589. Mögliche, aber vom Oberverwaltungsgericht nicht diskutierte dogmatische Wachstumsschmerzen dieser Übertragung ließen sich bei wohlwollender Betrachtung noch überwinden590. Spätestens der zweite Teil der Argumentation ist allerdings nicht ohne Reibungsverluste auf Koalitionen übertragbar. Die Koalitionsfreiheit ist nicht weniger als der grundrechtlich kodifizierte Schutz kollidierender und in Selbsthilfe auszugleichender kollektiver Interessen591, die ihre jeweilige Geltungskraft gerade aus der Zahl ihrer Vertreter und der Lautstärke ihrer metaphorischen Stimme ziehen. Der öffentliche Personennahverkehr ist auch heute noch eine Domäne, die zu einem nicht unerheblichen Teil von öffentlich-rechtlich getragenen, teils sogar im europäischen Vergaberecht mit Vorteilen bedachten592 Unternehmen bestellt wird593. Eine Kooperation mit die589  OVG

NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 108 f. (zitiert nach juris). Verfassungsgericht sprach bezogen auf eine Aktiengesellschaft in der Fraport-Entscheidung BVerfGE 128, 226 (247) vom Beherrschungskriterium „mit seiner Anknüpfung an die eigentumsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse“, während vorliegend eine Vereinsmitgliedschaft in Rede steht. Anteilseigentum und Vereinsmitgliedschaft dürften sich jedoch zumindest unter dem Einflussnahme- und Beherrschungsaspekt als vergleichbare Indikatoren einstufen lassen. – Diejenigen, die als notwendigen Teilaspekt der Beherrschung eine Interessenkoordination zwischen den Trägern der öffentlichen Gewalt einfordern, dürften im Falle der staatlich getragenen Mitglieder des Arbeitgeberverbandes Deutscher Eisenbahnen außerhalb der Vereinssatzung aller Voraussicht nach nicht fündig werden. Zu einem solchen Erfordernis grundlegend Verfassungsrichter W. Schluckebier in seinem Sondervotum zum Fraport-Urteil, BVerfGE 128, 226 (270 f.); dazu bereits oben S. 146 mit Fn. 561. Wenn nicht beantworten, lässt sich dieser Einwand doch mit einem Hinweis auf die Rechtsprechung zumindest übergehen, da das Bundesverfassungsgericht bisher auf die Berücksichtigung einer möglichen Interessenkoordination als zwingende Voraussetzung der staatlichen Beherrschung verzichtet hat. 591  In diesem Sinne statt vieler W. Linsenmaier, in: R. Müller-Glöge/U. Preis/ I. Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22.  Auflage 2022, Art. 9 GG Rn. 20; Scholz (Fn. 492), § 175 Rn. 11 f. 592  Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates ist es der zuständigen Behörde möglich, öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an eine von ihr kontrollierte, rechtlich verselbstständigte Einheit zu vergeben, sollte nationales Recht dem nicht entgegenstehen. Zur Diskussion, ob die Anwendung dieser Norm im deutschen Recht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, siehe die Nachweise bei M. Knauff, Verfassungs-, europa590  Das



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung155

sen Wettbewerbern sichert juristischen Personen in rein privater Hand einen gewichtigen Vorteil hinsichtlich der Effektivität ihrer Interessenvertretung und damit der Geltendmachung ihrer Koalitionsfreiheit. Mehr noch: Folgte man einer bisher eher vereinzelt gebliebenen Auffassung und ordnete die Durchsetzungsfähigkeit einer Koalition als notwendige Voraussetzung ihres Grundrechtsschutzes ein594, wäre es nicht fernliegend, einem alleinigen Zusammenschluss privater Arbeitgeber im öffentlichen Nahverkehr sogar die Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG zu versagen, sollte ihm im Schatten des Arbeitgeberverbandes Deutscher Eisenbahnen ein bestimmtes rechtliches wie tatsächliches Gewicht abgehen595. Anders als bei der Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen geht es jedenfalls bei der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband nicht um finanziell unmittelbar messbare Ziele, die ebenso gut mithilfe der Beteiligung an einem anderen, in seiner wirtschaftlichen Bedeutung vergleichbaren Unternehmen ohne erheblichen Mehraufwand erreicht werden können. Private Arbeitgeber im öffentlichen Personennahverund personenbeförderungsrechtliche Aspekte des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit im ÖPNV, 2017, S. 11 (13 mit Fn. 10). 593  Laut statistischem Bundesamt betätigten sich im ersten Quartal 2020 auf dem Feld des Linienverkehrs mit Bus und Bahn insgesamt 772 Unternehmen mit einer Mindestzahl von 250.000 Fahrgästen, davon 285 öffentliche, 59 gemischt-wirtschaftliche und 428 private, s. Statistisches Bundesamt (Destatis), Fachserie 8 Reihe 3.1 „Verkehr“, 1. Vierteljahr 2020, S. 4 (abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ Themen/Branchen-Unternehmen/Transport-Verkehr/Personenverkehr/Publikationen/ Downloads-Personenverkehr/personenverkehr-busse-bahnen-vierteljahr-208031020 3214.pdf [letzter Zugriff: 9.10.2022]). 594  Scholz (Fn. 492), Art. 9 (2016), Rn. 218; ähnlich Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 18 Rn. 930, die von einer Durchsetzungsfähigkeit ausgehen, sollte die Koalition gegnerfrei, gegnerunabhängig und überbetrieblich sein; im Ergebnis wohl auch O. E. Kempen, in: H. Brecht-Heitzmann/ders./J. M. Schubert/A. Seifert (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Kommentar, 5.  Auflage 2014, Grundlagen Rn. 114. Überwiegend wird ein solcher Standpunkt allerdings abgelehnt, Bauer (Fn. 504), Art. 9 Rn. 79; Höfling (Fn. 495), Art. 9  Rn. 61 f.; Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 79), Art. 9 Rn. 35; Kemper (Fn. 490), Art. 9 Abs. 3 Rn. 97 f.; Kluth (Fn. 496), Art. 9 (2011) Rn. 168; S. Rixen, in: Stern/Becker, GG (Fn. 364), Art. 9 Rn. 35. 595  Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser Frage bisher äußerst ambivalent verhalten. Zunächst hat es bei seinen früheren Ausführungen zur Durchsetzungsfähigkeit einer Koalition nicht klar zwischen Tarif- und Grundrechtsfähigkeit getrennt, s. dazu BVerfGE 58, 233 (249). Daraufhin folgte eine eindeutige Positionierung gegen die Durchsetzungsmacht als Voraussetzung des Grundrechtsschutzes in ­ BVerfG (K), NJW 1995, 3377 (3377), die das Gericht jedoch kurzerhand selbst wieder schwächte: In einer jüngeren Entscheidung heißt es, Voraussetzung einer Tarifautonomie sei „von Verfassungs wegen“ [sic] die Durchsetzungskraft gegenüber dem jeweiligen Gegenpart, s. BVerfGE 100, 214 (223). Jüngst hat es jedoch erneut zwischen einfachgesetzlicher Tariffähigkeit und Grundrechtssubjektivität differenziert, BVerfG (K), NZA 2019, 1649 (1650 f.).

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kehr auf einen anderen, mutmaßlich weniger einflussreichen Verband als den Branchenführer zu verweisen, ist demnach kein Aliud, sondern ein Minus hinsichtlich der Effektivität ihres Grundrechtsschutzes. Die außergewöhnliche Mitglieder- und Organisationsstruktur des konkreten Arbeitgeberverbandes mag eine spezifische, einzelfallabhängige Herausforderung sein, die wohl kaum ein dogmatisches Konzept zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Person ohne einen erhöhten Argumentationsaufwand überwinden kann. Insofern verwundert die Zulassung der Revision nicht. Unausgesprochen war der Wunsch nach einer klärenden Stellungnahme zu dieser Frage jedoch auch mit der Hoffnung verbunden, eine konkrete Standortbestimmung in Bezug auf das funktionale Kriterium der Aufgabenwahrnehmung und bei Gelegenheit auch zur Reichweite des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs zu erwirken, um Subsumtionsschwierigkeiten, wie sie das Oberverwaltungsgericht vor dem Hintergrund einer unsteten Verfassungsrechtsprechung hatte, in Zukunft ausräumen zu können. (2) D  ie nüchterne Antwort des Bundesverwaltungsgerichts: „Tradition verpflichtet!“ Das Bundesverwaltungsgericht beantwortete dieses Ansinnen im Revi­ sionsverfahren mit einem Rekurs auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung und transportiert auf diesem Wege die unzweideutige Botschaft, das bisherige Konzept weiterhin schablonenartig auch auf Zweifelsfälle wie den in Rede stehenden anwenden zu wollen. Ausgangspunkt bleibt seiner Ansicht nach das Konfusionsargument, nachdem jedwede Erscheinungsform staatlicher Gewalt nicht gleichzeitig den Grundrechten verpflichtet und aus ihnen berechtigt sein kann596. Den vom klagenden Verein erhobenen Einwand, Private könnten nach der Rechtsprechung sehr wohl zugleich grundrechtsberechtigt und -verpflichtet sein, begegnet das Bundesverwaltungsgericht mit dem schlichten Hinweis auf die Mittelbarkeit einer solchen Grundrechtsbindung597. Dass das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich über diese Mittelbarkeit hinausgegangen ist und de facto eine situativ staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater etabliert hat598, erwähnt das Bundesverwaltungsgericht nicht.

596  BVerwGE 167, 202 (207, Rn. 21). Das Gericht schließt hier ausdrücklich auch öffentliche und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen ein und knüpft bei der Zuordnung beider zur staatlichen Gewalt an das bundesverfassungsgerichtliche Beherrschungskriterium an. 597  BVerwGE 167, 202 (209 f., Rn. 26). 598  BVerfGE 148, 267 (280 ff., Rn. 33 ff.); dazu eingehend oben S. 110 ff.



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In der vom oberverwaltungsgerichtlichen Verfahren forcierten Standortbestimmung hinsichtlich des funktionalen Aufgabenkriteriums und des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs positioniert sich das Bundesverwaltungsgericht sprachlich erneut klar in der Traditionslinie des Bundesverfassungsgerichts, weicht ihr in der Sache allerdings aus. Im Kontext des ersteren Aspekts etwa vermeidet die Revisionsentscheidung eine grundsätzliche Einordnung und engt die Betrachtung stattdessen auf die spezifische Frage nach der Grundrechtsfähigkeit kommunaler Gebietskörperschaften ein. Ihnen habe das Bundesverfassungsgericht auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben die Grundrechtsberechtigung versagt. Da der betroffene Arbeitgeberverein nun aber ganz überwiegend von derlei Gebietskörperschaften getragen werde, müsse dieser Maßstab auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, so dass dahinstehen könne, welche Rolle die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben für die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen im Allgemeinen spiele599. Bei der Definition des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs als Reservat einer ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung verweist das Gericht ebenfalls auf die bisherige Karlsruher Rechtsprechung und unterstreicht die Notwendigkeit einer Verknüpfung zwischen der Tätigkeit der juristischen Person und der Förderung des individuellen Grundrechtsschutzes600. Diese Verknüpfung sei im Hinblick auf den klagenden Verband nicht erkennbar: Ihm sei weder eine dem Individualschutz dienende Aufgabe staatlicherseits zugewiesen noch sei seine Tätigkeit der Verwirklichung des Individualgrundrechtsschutzes nützlich601. An dieser Stelle ließe sich durchaus die Frage stellen, ob die kollektive Prägung des Art. 9 Abs. 3 GG nicht bereits die Vorzeichen einer solchen begrifflichen Bestimmung des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs entscheidungserheblich verändert602. Nähme man die Einordnung der Bestimmung als grundrechtlich kodifizierte Vermittlung kollidierender und in Selbsthilfe auszugleichender kollektiver Interessen ernst603 läge es tatsächlich nahe, die derivative, am individuellen Grundrechtsschutz orientierte Lesart durch eine Interpretation zu ersetzen, die den durch Art. 9 Abs. 3 GG „grundrechtlich geschützten Lebensbereich“ in der Wahrung von Verhandlungsgleichgewicht und Waffengleichheit erblickt. Beschnitte nun ein staatlicher Eingriff die Position eines der beteiligten Träger kollektiver Interessen, störte er den Ausgleichsprozess und verkürzte den Selbsthilfeaspekt unabhängig von der Organisationsstruktur des Interessenträgers essentiell. Dass die im konkreten 599  BVerwGE 167,

202 (207 f., Rn. 23). 202 (208 f., Rn. 24). 601  BVerwGE 167, 202 (208 f., Rn. 24). 602  Diesen Einwand hat der klagende Verein auch ausdrücklich erhoben, s. ­BVerwGE 167, 202 (208 f., Rn. 24). 603  Dazu soeben S. 154 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 591. 600  BVerwGE 167,

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Fall vom betroffenen Arbeitgeber geschlossenen Tarifverträge „nicht unbeeinflusst von staatlichen Aufgabenträgern, sondern in deren maßgeblichem Interesse zustande [kommen]“604, würde so nicht zum Gegenargument, sondern zur Begründung eines grundrechtlich geschützten Lebensbereichs. Derlei Unsicherheiten will das Bundesverwaltungsgericht allerdings gar nicht erst aufkommen lassen. Mit seinem Bezug auf die individualistische Interpretation des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs zeichnet es einmal mehr streng nach der Karlsruher Schablone und hält eine Auseinandersetzung mit der grundlegenden Substanz dieser Figur dementsprechend für unerheblich605. Das Signal, das von der Revisionsentscheidung ausgeht, ist ein eindeutiges: Getreu der bundesverfassungsgerichtlichen Tradition sind Konfusions­ argument und anthropozentrische Grundrechtsdeutung das Fundament, das die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen trägt. Unsicherheiten, die durch spezifische Erscheinungsformen staatlicher Organisationseinheiten vermeintlich ausgelöst werden, lassen sich vermeiden, wenn man die entsprechenden Argumentationsmuster nur aus der richtigen Perspektive anwendet. Über strukturelle Ungereimtheiten sieht das Bundesverwaltungsgericht dagegen hinweg606. 2. Grundrechtsfähigkeit ausländischer Staatsunternehmen In seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des beschleunigten Atomausstiegs in Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht nun mindestens eine neue Ebene in den Diskurs um die Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen eingezogen und explizit mit den eigenen, hergebrachten Parametern gebrochen, wenn auch nur unter der Prämisse vermeintlicher Singularität. a) Sachverhalt und Argumentation des Bundesverfassungsgerichts Die Kernkraftgesellschaften dreier großer Energieversorgungsunternehmen in Deutschland sowie eine Kernkraftwerksbetriebsgesellschaft hatten sich im Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen das Gesetz zur Beschleunigung des Ausstiegs aus der friedlich genutzten Kernenergie, die sog. 13. Atomgesetz604  BVerwGE 167,

202 (208 f., Rn. 24). 202 (208 f., Rn. 24). 606  Mit einer ähnlichen Bewertung und verbunden mit dem Appell an die Rechtsprechung, sich der in der Literatur geäußerten Kritik anzunehmen S. Muckel, JA 2020, 476 (478). 605  BVerwGE 167,



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Novelle, zur Wehr gesetzt und eine Verletzung u. a. ihres Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG gerügt607. Schon im Rahmen der Zulässigkeit sah sich das Bundesverfassungsgericht dazu veranlasst, die Beschwerdebefugnis einer der Beschwerdeführerinnen näher zu beleuchten. Grund dafür sind die besonderen Eigentümerverhältnisse der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH, die – vermittelt durch eine während des Verfahrens im Mittelbau noch veränderte Konzernstruktur – letztlich vollständig in der Hand des schwedischen Staates steht608. Anders als zunächst prognostiziert609, bewegte dieser Umstand das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht dazu, die Grundrechtsfähigkeit der Gesellschaft abzulehnen. Stattdessen urteilte das Gericht, der Gesellschaft stehe „ausnahmsweise“ die Verfassungsbeschwerde unter Berufung auf Art. 14 GG offen610. All jene zentralen Begründungmuster, die sonst bei der Beurteilung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder jedenfalls solcher in staatlicher Trägerschaft zur Anwendung kämen, könnten im konkreten Fall keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Das Konfusionsargument etwa könne gegenüber einem ausländischen Träger von Staatsgewalt schon nicht ins Feld geführt werden, da dieser von vornherein nicht an die deutschen Grundrechte gebunden sei; insoweit könne auch nicht von einer Gefährdung des Grundrechtsschutzes der Bürger gesprochen werden, da ein ausländisches Staatsunternehmen von vornherein nicht aus einer Grundrechtsbindung entlassen werden könne611. Anders als den Trägern inländischer Hoheitsgewalt stünden einer allein als Wirtschaftssubjekt tätigen juristischen Person in der Hand eines ausländischen Staates keinerlei innerstaatliche Machtbefugnisse zu, die als Schutz607  Zum

Sachverhalt ausführlich BVerfGE 143, 246 (253 ff., Rn. 1 ff.). genauer BVerfGE 143, 246 (289, 313, Rn. 101 ff., 186). 609  M. Ludwigs, NVwZ 2016, 1 (2). Gegen eine Grundrechtsberechtigung im Vorfeld der Entscheidung aus Karlsruhe ebenso D.  Bruch/H. Greve, DÖV 2011, 794 (796); W. Kahl/J. Bews, Jura 2014, 1004 (1008 f.); Schlömer, Ausstieg (Fn. 543), S. 98 f. – In BVerfGK 16, 449 (454 f., Rn. 18 f.) hatte sich das Verfassungsgericht zur Grundrechtsfähigkeit der damaligen Vattenfall Europe Transmission GmbH, einer Übertragungsnetzbetreiberin mit Sitz in Berlin, ebenfalls ablehnend geäußert, die Frage jedoch am Ende unbeantwortet dahinstehen lassen. 610  BVerfGE 143, 246 (313, 317, Rn. 185, 196). – Im Ergebnis billigt das Gericht der GmbH jedenfalls mittelbar auch die Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG zu, den es jedoch erst in der Begründetheitsprüfung und eng mit der Eigentumsfreiheit verwoben zur Sprache bringt, s. BVerfGE 143, 246 (388 ff., Rn. 386 ff.). 611  BVerfGE 143, 246 (315, Rn. 193). Eingehend nachvollzogen hat diesen Gedanken Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 91 ff.; vgl. zuvor bereits C. Jo­ hann, Keine Konfusion! Zur Grundrechtsfähigkeit inländischer Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung ausländischer Staaten, in: J. Delbrück/U. Heinz/K. Odendahl u. a. (Hrsg.), Aus Kiel in die Welt: Kiel’s Contribution to International Law. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht, 2014, S. 711 (714 f., 722). 608  Dazu

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mechanismen gegen möglicherweise verfassungswidrige Einschränkungen in Gang gesetzt werden könnten612. Gerade im konkreten Fall drohe vielmehr die Rechtsschutzlosigkeit gegen staatliche Eingriffe in Gesetzesform. Zwar gesteht das Bundesverfassungsgericht ein, dass der sonst metaphorisch geforderte Durchgriff auf die hinter einer Organisationseinheit stehenden natür­ lichen Personen bei einer juristischen Person in ausländischer Staatsträgerschaft genauso fehlgehe wie bei einer juristischen Person in deutscher Staatshand613. Eine Schlussfolgerung zieht es aus dieser Feststellung indes nicht. Den Nimbus als Zentralkriterium hat die Durchgriffsthese damit jedenfalls im konkreten Fall eingebüßt. Den entscheidenden Lösungsansatz leitet das Bundesverfassungsgericht schließlich aus dem Europarecht her. Über eine europarechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG lässt es die Wertungen der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV in seine Gedanken zur Beschwerdebefugnis einfließen. Vermittelt über die nach schwedischem Recht gegründete Muttergesellschaft stehe die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH gemäß Art. 54 Abs. 1 i. V. m. Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV auch als öffentlich getragenes Unternehmen innerhalb des Gewährleistungsbereichs der Niederlassungsfreiheit, da die Grundfreiheiten nicht nach Unternehmen in öffentlich-rechtlicher und privater Trägerschaft differenzierten und die Gruppe der ersteren sogar in Art. 54 Abs. 2 AEUV ausdrücklich mit einbezogen sei614. Einen Eingriff leitet das Gericht aus den bereits erwähnten Besonderheiten des Einzelfalls her: der Rechtsschutzlosigkeit der Gesellschaft gegen staatliche Eingriffe in Gesetzesform, der besonderen Schwere der konkreten Beeinträchtigung sowie dem Nachteil gegenüber deutschen Wettbewerbern; eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses sei dagegen nicht ersichtlich615. Schließlich eröffnet das Bundesverfassungsgericht in einem bemerkenswerten Obiter Dictum eine weitere Perspektive und rekurriert auf den Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte Berücksichtigung finden könnten616. Da die Beschwerdeführerin Vattenfall jedenfalls vertretbar eine Verletzung ihres konventionsrechtlich garantierten Eigentums aus Art. 1 Abs. 1 1. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention behaupte, verlange Art. 13 EMRK, ihr ein Beschwerderecht bei einer inner612  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200); im Anschluss daran aufgegriffen in BVerwGE 167, 202 (210, Rn. 27). 613  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195). 614  BVerfGE 143, 246 (317, Rn. 197). 615  BVerfGE 143, 246 (318 f., Rn. 200 f.). 616  BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung161

staatlichen Instanz zuzusprechen, wenngleich damit nicht notwendigerweise ein Rechtsbehelf gemeint sei617. b) Klassische Ansätze an der Belastungsgrenze Mit seinem Urteil zum Atomausstieg hat das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung unter gänzlich neue Vorzeichen gestellt und unausgesprochen konzediert, dass seine hergebrachten Begründungsmuster entweder an ihre Grenzen stoßen oder ihre Anwendung im konkreten Fall zu einem rechtspolitisch ungewollten Ergebnis führen618. Ersteres gesteht das Verfassungsgericht ausdrücklich ein619, ohne jedoch die Argumentationsansätze als solche zu überdenken, obwohl etwa das Konfusionsargument bereits in seinem üblichen Anwendungszusammenhang Bedenken hinsichtlich seiner Tragfähigkeit ausgesetzt ist620. Darüber hinaus bleibt es eine nebulöse wie kaum kontextualisierte Behauptung des Gerichts, fremdstaatlich beherrschte juristische Personen des Privatrechts seien gegenüber Organisationseinheiten in der Hand deutscher Hoheitsträger benachteiligt, da letzteren der Weg zu Schutzmechanismen und Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung innerhalb der Staatsorganisation offen stünde; worin diese bestehen sollten, führt das Gericht nämlich nicht weiter aus621. Exemplarisch sei im Hinblick auf 617  BVerfGE 143,

246 (319 f., Rn. 202). mutmaßt F. Shirvani, DÖV 2017, 281 (283), dass das Verfassungsgericht Vattenfall auch deshalb die Beschwerdebefugnis zubilligt, weil es im weiter unentschiedenen Investitionsschutzschiedsverfahren vor dem ICSID keine offene Flanke bieten wolle; ähnlich Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 49 f. Zu möglichen ­Auswirkungen auf das laufende Schiedsverfahren ferner M. Ludwigs, Atomausstieg, ­Eigentums- und Vertrauensschutz: Das Atomausstiegsurteil des BVerfG, in: F. Shirvani (Hrsg.), Eigentum im Recht der Energiewirtschaft, 2018, S.  31 (49  f.); A. L. Paulus/P. Nölscher, Eigentum und Investitionsschutz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg, in: M. Ludwigs/O. Remien (Hrsg.), Investitionsschutz, Schiedsgerichtsbarkeit und Rechtsstaat in der EU, 2018, S. 133 (140); vgl. zum Hintergrund des Schiedsverfahrens ferner M. Ludwigs, NVwZ 2016, 1 (4 ff.). 619  BVerfGE 143, 246 (314 f., Rn. 191). Im späteren Verlauf resümiert das Gericht, im Kontext des rein nationalen Rechts sei die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im konkreten Fall „offen“, s. BVerfGE 143, 246 (317, Rn. 196). – Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 180 hält die ausdrückliche Referenz des Verfassungsgerichts auf verschiedene Argumentationsmuster in der Entscheidung gar für einen „dogmatische[n] Offenbarungseid“. 620  Zur Kritik am Konfusionsargument bereits oben S. 46  f., 122. – Dezidiert kritisch in Bezug auf das „Comeback“ des Konfusionsarguments in dieser Entscheidung Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 374. 621  Ebenfalls kritisch Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 37; Ludwigs, Atomausstieg (Fn. 618), S. 42; ders., NVwZ-Beilage 2017, 3 (4 mit Fn. 14); S. Muckel, JA 2017, 234 (236 mit Fn. 9); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  90 f.; G. Roller, ZUR 2017, 277 (285 f.); F. Shirvani, DÖV 2017, 281 (283); Wieland 618  So

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

den oben dargestellten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts622 gefragt, welche spezifischen und rechtlich fassbaren Mittel die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH als Grundstückseigentümerin gegen die Versagung einer denkmalrechtlichen Abbruchgenehmigung des Landkreises Leipzig zum Schutz ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ins Feld führen kann, die einer fremdstaatlich getragenen juristischen Person des Privatrechts in der identischen Situation nicht zustünden. Selbst wenn man diesen Einwand ignorierte und die tatsächliche Existenz derartiger Mechanismen unterstellte, stünde darüber hinaus noch die Frage im Raum, ob dem ausländischen Staat nicht sogar vergleichbar effektive Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung aus dem Völkerrecht offen stehen623. Dem Gedanken nach beharrt das Verfassungsgericht mit dem Hinweis auf vermeintliche innerstaatliche Schutzmechanismen deutscher Hoheitsträger jedenfalls auf seinem Standpunkt, Streitigkeiten zwischen staatlich getragenen juristischen Personen seien ausnahmslos Kompetenzkonflikte – eine These, deren Schwäche ihre Pauschalität ist624. Hinzu tritt die durch das Atomausstiegsurteil weiter zunehmende Schwächung des menschenwürdeorientierten und individualzentrierten Ansatzes des Bundesverfassungsgerichts bei der Bestimmung der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen625. Erhebt es die Ursprungsidee der Grundrechte zum dogmatischen „Dealbreaker“, zum unverzichtbaren Dreh- und Angelpunkt seiner restriktiven Linie gegenüber der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft626, muss das Ergebnis der Frage nach der Grund(Fn. 225), Art. 93 Rn. 89. – Ursprünglich geht der Gedanke bestimmter Vorrechte im staatlichen Binnenverhältnis auf G. Dürig, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/ Scholz – GG (Fn. 25), Art. 19 Abs. III (Zweitbearbeitung 1977) Rn. 46 zurück, der sich um eine Präzisierung der in Bezug genommenen Privilegien bemüht, dessen Beispiele aber kaum so substantiell oder verallgemeinerungsfähig sind, dass sie eine grundlegende Vergleichbarkeit der Eingriffslagen von vornherein ausschlössen. 622  BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 f.; zur Einordnung oben S. 148 ff. 623  Näher dazu Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 37  f.; ähnlich Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 78. 624  Auf die Vielgestaltigkeit möglicher Streitkonstellationen zwischen Hoheitsträgern verweisen Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 173; Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 87; K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); D. Merten, DÖV 2019, 41 (45, 47); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (255 f.); von Mutius, (Fn. 8) Art. 19  Abs. 3 Rn. 94; ders., Jura 1983, 30 (39); Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 28; ders., Der Städtetag 1969, 534 (537); konkrete Beispiele für derlei Situationen nennt K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325 f.). 625  Anschaulich Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 56. Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 38 spricht von einer „Lockerungsübung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung“. 626  Das wird schon im Duktus des Gerichts deutlich, wenn es auf die Ideengeschichte der Grundrechte als Argument rekurriert und dabei Begriffe wie „Sinnmitte“



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung163

rechtsfähigkeit einer vom schwedischen Staat getragenen Gesellschaft im konkreten Fall kein „offenes“, sondern ein eindeutig negatives sein, ohne dass es des Rückgriffs auf transnationale Rechtsregime bedurft hätte627. Gleiches gilt im Übrigen hinsichtlich der Kurzformel „Art. 14 GG schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“, die das Gericht im Kontext seiner Ausführungen zur privatrechtlichen Eigentumsausgestaltung anbringt628, wenn man das rein personalistische Fundament dieses Ausspruchs mit einbezieht629. Indem sich das Verfassungsgericht beide Punkte zwar im Ansatz vergegenwärtigt, sie im Ergebnis jedoch mithilfe einer europarechtlich fundierten Auslegung zugunsten einer Grundrechtsberechtigung der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH überwindet, relativiert es die Rolle seines individualistischen Ausgangspunkts. Dieses Muster war auch schon in unterschiedlichen Zusammenhängen bei früheren Entscheidungen zu beobachten630. Nicht zuletzt resultiert daraus ein Vakuum in der Begründung, das weitere Zweifelsfragen aufwirft631.

oder „zentrale Vorstellung“ nutzt, so exemplarisch in BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (100 f.); 68, 193 (205 f.). Zurecht sprechen M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (23) vom „Herzstück der Argumentation“; ausführlich dazu oben S. 39 ff. 627  Ein solches hat das Verfassungsgericht entgegen der Auffassung von L. Knappe/J. P. Seibert, NuR 2017, 32 (33) aber gerade nicht formuliert. Wie hier dagegen Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18), der die Grundrechtsfähigkeit eines schwedischen Staatsunternehmens für unvereinbar mit der Durchgriffsthese hält; allgemeiner auch Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 190, 196; Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 79 f., 275; vgl. aus der Zeit vor der Entscheidung M. Ludwigs, RW 5 (2014), 254 (264). 628  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195). 629  In dem Beschluss BVerfGE 61, 82 (108 f.), in dem das Gericht diesen Satz prägte, bezog es sich ausdrücklich auch auf die Entscheidung BVerfGE 24, 367 (389). Dort wiederum bezeichnet das Verfassungsgericht Art. 14 GG als elementares Grundrecht in Zusammenhang mit der Garantie persönlicher Freiheit, dem die Aufgabe zukomme, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen. – Im Ergebnis wie hier Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 187. 630  Genannt seien hier die jüngste Entwicklung hin zu einer stärkeren grundrechtlichen Inpflichtnahme Privater rund um den Stadionverbots-Beschluss des Verfassungsgerichts (s. oben S. 110 ff.), die Entgrenzung im Binnenraum des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs (s. S. 97 ff.) sowie die Relativierung des Menschenwürdegehalts einiger Grundrechte bei der Prüfung ihrer Anwendbarkeit auf juristische Personen (s. S. 123 ff.). 631  Im Allgemeinen wie hier U. Becker, Jura 2019, 496 (497); Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 183. Im Besonderen geben G. Roller, ZUR 2017, 277 (286) und F. Shirvani, DÖV 2017, 281 (283) zu bedenken, dass aufgrund der vom Gericht ausgemachten Unbrauchbarkeit der traditionellen Argumentation in Bezug auf Tochtergesellschaften ausländischer Staatsunternehmen auch die wenig wünschenswerte Grundrechtsfähigkeit öffentlich beherrschter Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten zur

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Wohl auch aufgrund der Schwäche seiner sonstigen Argumentationsmuster wendet sich das Verfassungsgericht jedenfalls in der Sache dem Gedanken der „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ zu632. Gemeint ist damit weniger der ausdrückliche Bezug darauf in der Entscheidung, den das Gericht mehr zur negativen Abgrenzung im Kontext des privatrechtlich ausgestalten Eigentums denn als positive Begründung der Grundrechtsberechtigung im Allgemeinen nutzt633. Vielmehr kommt der Maßstab wiederholt unausgesprochen zur Anwendung, wenn die fremdstaatlich getragene Gesellschaft mit anderen, rein privaten Marktteilnehmern verglichen und ihr im Hinblick auf den Rechtsschutz oder die eigene Wettbewerbsposition ein Defizit bescheinigt wird634. Obwohl (oder gar: weil?) es letztlich eine europarechtsfreundliche Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG ist, die das Ergebnis des Verfassungsgerichts trägt, schimmert im Atomausstiegsurteil der wertende Aspekt einer Vergleichbarkeit zwischen privat und öffentlich getragenen juristischen Personen als übergeordnetes Motiv durch und hält auch an der Stelle, an der das Konfusionsargument und die individualistisch geprägte Durchgriffsthese straucheln, ein belastbares dogmatisches Fundament bereit635. c) Ungewöhnlicher Schritt auf europarechtliches Terrain Mit seinen Ausführungen, die über die Anwendung der hergebrachten Muster nach seiner ursprünglichen Rechtsprechung zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen hinausgehen, betritt das Bundesverfassungsgericht Neuland. Erstmals ist eine Einbettung des Art. 19 Abs. 3 GG in transnationale Rechtsregime, insbesondere das Europarecht, zu erkennen, auch wenn bereits die Umstände eines früheren Vattenfall-Verfahrens in Karlsruhe durchaus Anlass zu einer solchen Auseinandersetzung gegeben hätten636. Die Debatte stehe; vgl. dazu auch Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn.  9), S. 48; L. Knappe/J. P. Seibert, NuR 2017, 32 (33, 35). 632  Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  185 ff.; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18); S. Muckel, JA 2020, 411 (414); Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 292; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 102 f.; zumindest für den europarechtlich begründeten Teil der Entscheidung ebenso R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211). Näher zu dem Konzept als solchem oben S. 65 ff. 633  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195). Dort heißt es, eine „grundrechtstypische Gefährdungslage“ ergebe sich „jedenfalls nicht schon“ (Hervorhebung d. Verf.) aus der privatrechtlichen Ausgestaltung des Eigentums; für eine Ablehnung der Grundrechtsfähigkeit Vattenfalls aus diesem Gedanken heraus G. Roller, ZUR 2017, 277 (286). 634  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200). 635  Zugunsten der grundrechtstypischen Gefährdungslage als konsequentem Prüfungsmaßstab in diesem Fall ebenso M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (815). 636  BVerfGK 16, 449 (454 f., 18 f.).



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Annahme, dass sich die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH vermittelt über ihre Muttergesellschaft als zwar öffentlich getragene, aber reinen Erwerbszwecken nachgehende juristische Person auf die Niederlassungsfreiheit aus Art. 54 Abs. 1 u. 2 i. V. m. Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV berufen könne, findet zunächst noch Zustimmung637. Doch bei der Frage, ob in der möglicherweise fehlenden Grundrechtsfähigkeit eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit zu erkennen ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht für einen steinigen Weg der Interpretation entschieden. aa) Mangelnde Grundrechtsfähigkeit als Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit? Das Verfassungsgericht stellt zunächst klar, dass allein in der Versagung der Beschwerdebefugnis im nationalen Verfassungsprozess aufgrund mangelnder Grundrechtsfähigkeit keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu sehen sei638. Im konkreten Fall würden jedoch mit der Rechtsschutzlosigkeit Vattenfalls, der schwächeren Position gegenüber Wettbewerbern sowie der Schwere der drohenden Nachteile besondere Umstände hinzutreten, die die Verwehrung der Verfassungsbeschwerde nun doch zu einem vor der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigenden Aspekt machten639. Schon allein die These, der Gesellschaft stehe nach nationalem Recht kein ausreichender Rechtsschutz gegen ein Gesetz zu, wird mit dem Hinweis auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nach § 43 VwGO und eine von hier aus mögliche verfassungsrechtliche Inzidentprüfung über Art. 100 Abs. 1 GG, deren Einschlägigkeit das Verfassungsgericht im konkreten Fall jedoch ausdrücklich abgelehnt hatte640, scharf kritisiert641. Die vermeintliche Rechts637  J. Berkemann, DVBl. 2017, 793 (795); R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (210). – Dagegen wirft D. Merten, DÖV 2019, 41 (46) dem Verfassungsgericht Inkonsequenz vor, da bei strikter Anwendung des Konfusionsgedankens nach Karlsruher Lesart der aus der Niederlassungsfreiheit verpflichtete schwedische Staat nicht gleichzeitig von der Niederlassungsfreiheit profitieren könne. Einer solchen hypothetischen Argumentation des Gerichts stünde freilich schon die Regelung des Art. 54 Abs. 2 AEUV entgegen, der mit dem Konfusionsgedanken schlicht unvereinbar ist. 638  BVerfGE 143, 246 (318, Rn. 199). 639  BVerfGE 143, 246 (318, Rn. 200). 640  BVerfGE 143, 246 (321 f., Rn. 210), wo es unter anderem heißt, ein sinnvoller Feststellungsantrag, der über die reine Feststellung der Verfassungswidrigkeit der 13. AtG-Novelle hinausginge, sei nicht erkennbar. 641  Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 315; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 50 ff., 90, jeweils mit Beispielen für einen konkreten Feststellungsantrag; ferner T. Schwander, Extraterritoriale Wirkungen von Grundrechten im Mehrebenensystem, 2019, S. 222. Insofern differenziert Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 38 ff. zwar, hält mangelnden Rechtsschutz speziell gegen eine Beeinträch-

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

schutzlosigkeit einmal unterstellt, ist die Ableitung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit jedoch ebenso wenig zwingend642. Der Europäische Gerichtshof stuft solche Maßnahmen als „Beeinträchtigungen“ i.  S.  d. Art. 49 AEUV ein, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen und versteht die Bestimmung mithin als allgemeines Beschränkungsverbot643. Dazu zählen neben den naheliegenden Legislativakten auch Entscheidungen der Rechtsprechung644. In den Definitionsbereich sind ausdrücklich auch unterschiedslos wirkende Maßnahmen einbezogen, jedoch vornehmlich dann, wenn sie den Marktzugang von Wirtschaftsteilnehmern betreffen645. Die an eine juristische Person in mitgliedstaatlicher Trägerschaft gerichtete Versagung der Grundrechtsfähigkeit ist zwar genau wie die damit einhergehende Ausklammerung aus dem Verfassungsprozessrecht in die Kategorie einer solchen unterschiedslos wirkenden, d. h. In- und europäische Ausländer gleichermaßen betreffenden Maßnahme646 einzuordnen647. Dass jedoch die fehlende Grundrechtssubjektivität tigung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit jedoch mit guten Gründen für ein nicht existentes Problem, gar für „eine eher befremdliche Vorstellung“, ebd., S. 41. 642  Im Ergebnis ebenso Schwander, Wirkungen (Fn. 641), S.  221 f. 643  Grundlegend EuGH, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 Rn. 32 (Kraus); fortentwickelt zur st. Rspr.: EuGH, Rs. C-439/99, Slg. 2002, I-305 Rn. 22 (Kommission/Italien); Rs. C-79/01, Slg. 2002, I-8923 Rn. 26 (Payroll u. a.); Rs. C-442/02, Slg. 2004, I-8961 Rn. 11 (CaixaBank France); Rs. C-451/03, Slg. 2006, I-2941 Rn. 31 (Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti); Rs. C-65/05, Slg. 2006, I-10341 Rn. 48 (Kommission/Griechenland); Rs. C-465/05, Slg. 2007, I-11091 Rn. 17 (Kommission/Italien); Rs. C-389/05, Slg. 2008, I-5337 Rn. 52 (Kommission/Frankreich); Rs. C-81/09, Slg. 2010, I-10161 Rn. 54 (Idryma Typou); Rs. C-463/13, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2015:25), Rn. 45; Rs. C-375/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:60), Rn. 21 (­Laezza); Rs. C-201/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:972), Rn. 48 (AGET Iraklis); Rs. C-106/16, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:804), Rn. 46 (Polbud – Wykonawstwo); Rs. C-563/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:144), Rn. 54 (Associação Peço a Palavra u.  a.). – Zur Rechtsprechungsentwicklung hin zum Beschränkungsverbot U. Forsthoff, in: M. Nettesheim (Hrsg.), Grabitz/Hilf/Nettesheim – Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Art. 49 AEUV (2019), Rn. 89 ff. 644  Auch die Judikative zählt zum Kreis der Adressaten der Niederlassungsfreiheit, P.-C. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV-Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 49 AEUV Rn. 34. 645  EuGH, Rs. C-518/06, Slg. 2009, I-3491 Rn.  64 (Kommission/Italien); Rs. C-543/08, Slg. 2010, I-11241 Rn. 68 (Kommission/Portugal); Rs. C‑565/08, Slg. 2011, I-02101 Rn. 46 (Kommission/Italien); Rs. C-577/11, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2013:146), Rn. 33 (DKV Belgium); Rs. C-201/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016: 972), Rn. 49 (AGET Iraklis); vgl. im Ansatz schon EuGH, Rs. C-442/02, Slg. 2004, I-8961 Rn. 11 (CaixaBank France). – Allgemein zu Dogmatik und ökonomischer Einbettung des Marktzugangskriteriums S. Dietz/T. Streinz, EuR 50 (2015), 50 (58 ff.). 646  Eingängig zum Begriff der unterschiedslos wirkenden Maßnahme A. Haratsch/ C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, 12. Auflage 2020, Rn. 874. 647  Schwander, Wirkungen (Fn. 641), S.  221 f.



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die Etablierungsversuche einer juristischen Person beeinträchtigen würde, die Zugang zum deutschen (Atom-)Stromproduktionsmarkt sucht, lässt sich nicht überzeugend argumentieren. Das gilt gerade dann, wenn man eine hinreichende Substantiierung bzw. eine spezifische Wirkung der unterschiedslos anzuwendenden Zugangsbehinderung als Voraussetzung einer möglichen Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit besonders betont648. Denkbar wäre hingegen, das Marktzugangskriterium so zu verstehen, dass es auch die Existenz des Marktes erfasste, und im Anschluss daran die Forderung zu formulieren, auch gegen unterschiedslos wirkende, marktaufhebende Maßnahmen müsse ausreichender Rechtsschutz – notfalls auf dem Wege eines verfassungsprozessualen Verfahrens – gewährt werden649. Ein solcher Ansatz muss im konkreten Fall einer fremdstaatlich beherrschten und auf dem Energiemarkt tätigen juristischen Person jedoch die Hürde des energiepolitischen Souveränitätsvorbehalts des Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV überwinden650. Zudem sieht er sich dem Vorwurf ausgesetzt, den Marktaustritt mit einem Rechtsschutzniveau kompensieren zu wollen, das bei Markteintritt noch nicht bestand und auch nicht durch die Tätigkeit auf dem Markt als Teil des eigenen Besitzstandes erworben wurde651. Die europarechtliche Qualifikation der Versagung einer Grundrechtsberechtigung nach nationalem Recht als „Beeinträchtigung“ wäre da­rüber hinaus möglicherweise noch darstellbar, wenn man auch solche nicht-diskriminierenden Maßnahmen als beschränkend begreift, die sich auf die Modalitäten des Markthandelns und damit den abstrakteren Rechtsrahmen der Tätigkeit am Markt beziehen; die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dazu folgt jedoch keiner 648  So exemplarisch U. Forsthoff (Fn. 643), Art. 49 AEUV (2019) Rn. 96 mit entsprechenden Fallgruppen in Rn. 97 ff.; S. Korte, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV-Kommentar, 6.  Auflage 2022, Art. 49 AEUV Rn. 63; Müller-Graff (Fn. 644), Art. 49 AEUV Rn. 62. 649  Angedeutet in BVerfGE 143, 246 (318, Rn. 200): „Zum anderen wiegen die […] Beeinträchtigungen besonders schwer, weil die Novelle die Beschwerdeführerin Vattenfall dazu zwingt, das anteilig auch von ihr gehaltene […] Kernkraftwerk frühzeitig abzuschalten, womit insoweit die weitere Ausführung der Niederlassungsfreiheit ausgeschlossen wird“. – Zu diesem Gedanken Ludwigs, Atomausstieg (Fn. 618), S. 41; bezüglich der marktschließend wirkenden Elemente der 13. AtG-Novelle tendenziell auch M. Nettesheim, Gesetzgebungsverfahren im europäischen Staatenverbund – zwischen Voluntarismus und Loyalitätspflicht, 2014, S. 174 f.; allgemein für Tätigkeitsverbote Müller-Graff (Fn. 644), Art. 49 AEUV Rn. 66. Anzumerken ist indes, dass das Verfassungsgericht nicht etwa ein Tätigkeitsverbot durch die Änderungen der 13. AtG-Novelle, sondern die potentielle Versagung der Grundrechtsfähigkeit als Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit prüft. 650  M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (6). Gegen einen daraus möglicherweise ableitbaren nationalen Freibrief im Energierecht mit Blick auf die Loyalitätspflichten aus Art. 4 Abs. 3 AEUV Nettesheim, Gesetzgebungsverfahren (Fn. 649), S. 180. 651  R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211).

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klaren Linie652. Ihre Interpretation in der wissenschaftlichen Literatur bietet ebenfalls ein diffuses Bild653. Ob der G ­ erichtshof die mangelnde Grundrechtsfähigkeit einer mitgliedstaatlich beherrschten juristischen Person des Privatrechts unter nationalem Verfassungs- und Verfassungsprozessrecht tatsächlich als für die Niederlassungsfreiheit relevantes Schutzdefizit oder als in diesem Zusammenhang unbeachtlichen allgemeinen Standortfaktor einordnen würde, ist offen. bb) Verknappte Rechtfertigungsprüfung und ihre Rückwirkung auf die Durchgriffsthese Geht man indes mit dem Bundesverfassungsgericht von einer Beschränkung des Art. 49 AEUV aus, stellt sich die Frage einer potentiellen Rechtfertigung, die das Gericht bemerkenswert knapp beantwortet. Zwingende Gründe des Allgemeinwohls, die der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als Rechtfertigung unterschiedslos wirkender Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit anerkenne, seien nicht ersichtlich654. Jedenfalls erwägenswert wäre es aus Sicht des Verfassungsgerichts gewesen, die über Jahrzehnte und in ständiger Rechtsprechung kultivierte Sonderstellung der These vom personalen Substrat als legitimierende Grundlage einer Beschränkung in Stellung zu bringen. Fruchtbar machen ließe sich dieser Gedanke etwa im Rahmen des nationalstaatlichen Identitätsschutzes nach Art. 4 Abs. 2 EUV655, 652  Restriktiv EuGH, Rs. C-594/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2015:806), Rn. 28 (Kornhaas); extensiv EuGH, Rs. C-201/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:972), Rn. 56 (AGET Iraklis). – Zu weiteren Fällen, in denen der Gerichtshof tätigkeitsbezogene Regelungen als Beschränkungen des Art. 49 AEUV eingestuft hat, wenngleich unter der Voraussetzung einer spezifisch beeinträchtigenden Wirkung für den Marktzugang, siehe die Rechtsprechungsübersicht bei Müller-Graff (Fn. 644), Art. 49 AEUV Rn. 68. Zurecht weist U. Forsthoff (Fn. 643), Art. 49 AEUV (2019) Rn. 112 darauf hin, dass der EuGH in diesen Entscheidungen eine teils auffällig niedrige Schwelle für die Feststellung solch spezifischer Marktzugangsbeschränkungen ansetzt. 653  Während Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 88 f. der jüngeren Judikatur des EuGH eine restriktive Tendenz entnehmen will, meint Nettesheim, Gesetzgebungsverfahren (Fn. 649), S. 171, aus der Rechtsprechung eine Präferenz für die Anwendung des Art. 49 AEUV auch auf Modalitätsregelungen nach Markteintritt herauslesen zu können. U. Forsthoff (Fn. 643), Art. 49 AEUV (2019) Rn. 113 nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein und hält eine beeinträchtigende Wirkung tätigkeitsbezogener Regelungen nach der Rechtsprechung des EuGH nicht für ausgeschlossen, aber für besonders begründungsbedürftig. 654  BVerfGE 143, 246 (318 f., Rn. 201), mit Verweis auf EuGH, Rs. C-400/08, Slg. 2011, I-1915 Rn. 73 (Kommission/Spanien). 655  So R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (212); Ludwigs, Atomausstieg (Fn. 618), S.  41 f.; ders., NVwZ-Beilage 2017, 3 (6); jedenfalls angedeutet bei Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 41, Fn. 47, wenn auch ohne Normbezug.



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung169

der Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen imstande ist656. Ebenfalls denkbar wäre eine Berufung auf das personale Substrat als Element der „öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 52 Abs. 1 AEUV, wollte man die mitgliedstaatliche Identität als integralen Teilaspekt dieses Ausnahmetatbestands berücksichtigen657. Unabhängig von der normativen Anknüpfung setzt ein solcher Argumentationsgang jedoch voraus, dass die Durchgriffsthese des Bundesverfassungsgerichts zum rechtlichen Allgemeingut der deutschen Verfassungsidentität zu zählen ist. Dieser Umstand wird teilweise unbesehen angenommen658, kann aber bei näherer Betrachtung kaum tragfähig unterfüttert werden. Das Bundesverfassungsgericht sieht sich bezüglich des Grundsatzes fortwährender Kritik ausgesetzt659, durchbricht ihn bisweilen selbst660 und wendet ihn nie als absoluten Maßstab, sondern stets kontextbezogen an661. Noch im Atomausstiegsurteil hat das Gericht deutlich gemacht, 656  EuGH, Rs. C-208/09, Slg. 2010, I-13693 Rn. 83, 92 (Sayn-Wittgenstein) zu einem Adelsaufhebungsgesetz mit Verfassungsrang; Rs. C-391/09, Slg. 2011, I-3787 Rn. 86 f. (Runevič-Vardyn und Wardyn) zum Schutz der offiziellen Landessprache; Rs. C-156/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:1756), Rn. 34 (Digibet und Albers) zur Übertragung von Zuständigkeiten im föderalen Bundesstaat; vgl. ferner schon EuGH, Rs. C-473/93, Slg. 1996, I-3207 Rn. 35 (Kommission/Luxemburg) zum damaligen Art. F des Vertrags über die Europäische Union und einem letztlich unverhältnismäßigen Vorbehalt der Staatsangehörigkeit: „[D]er Schutz der nationalen Identität der Mitgliedstaaten [stellt] ein rechtmäßiges Ziel dar, das von der Gemeinschaftsrechtsordnung geachtet wird“. – Wie hier m. w. N. aus der Rechtsprechung S. Schill/C. Krenn, in: Nettesheim, Grabitz/Hilf/Nettesheim – Recht der EU (Fn. 643), Art. 4  EUV (2018), Rn. 21; R. Streinz, in: ders., EUV/AEUV (Fn. 644), Art. 4 EUV Rn. 19. 657  So Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 92 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-208/09, Slg. 2010, I-13693 Rn. 83 ff. (Sayn-Wittgenstein). Die Ausführungen des Gerichtshofs sind hier materiell allerdings stark auf Art. 4 Abs. 2 EUV ausgerichtet, auch wenn er formell sicherlich im Rahmen der „öffentlichen Ordnung“ prüft, s. ebd. Rn. 92. 658  R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (212); zurückhaltender M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (6). 659  Dazu oben S. 43 f. Zum Alternativentwurf der grundrechtstypischen Gefährdungslage zunächst oben S. 65 ff., sowie im weiteren Verlauf mit eigener Schwerpunktsetzung unten S. 323 ff. 660  Vorausgesetzt, man folgte dem Bundesverfassungsgericht in der Annahme, Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung schlössen sich in ein und derselben Person aus, stünde die Durchgriffsthese etwa einer Erstreckung der Grundrechtsverpflichtung auf rein privat getragene Organisationseinheiten, wie sie das Gericht seit dem Stadionverbots-Beschluss praktiziert, entgegen; zu dieser jüngsten Recht­ sprechungslinie oben S. 110 ff. Gleiches gilt für die Anwendbarkeit der Justizgrundrechte auf juristische Personen in staatlicher Trägerschaft, dazu oben S. 91 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 334. 661  Schon bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „inländisch“ i. S. d. Art. 19 Abs. 3 GG hat die Durchgriffsthese für das Verfassungsgericht keinerlei Bedeutung mehr, dazu oben S. 86 ff.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

dass die Ergebnisse der Durchgriffsthese selbst in ihrem spezifischen Anwendungsbereich einer Relativierung zugänglich sind662. Die Gedanken um das personale Substrat in den exklusiven Kreis der Eckpfeiler nationaler (Rechts-) Identität aufzunehmen, erscheint vor diesem Hintergrund kaum darstellbar663. Dass Gleiches für die Gruppe der zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls gilt, hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner knappen Ablehnung einer Rechtfertigung selbst impliziert. Gerade ihr geringer Umfang lässt jedoch nicht erkennen, ob und inwieweit sich das Gericht mit derlei Rechtfertigungsaspekten überhaupt vertieft auseinandergesetzt hat. Wäre dem Bundesverfassungsgericht die Verteidigung des eigenen individualistischen Konzepts, das maßgeblich in der Durchgriffsthese operationalisiert wird, ein Anliegen gewesen, wäre jedenfalls die Rechtfertigungsprüfung die letzte Bastion gewesen, um diesen Aspekt hinreichend zum Ausdruck zu bringen. cc) Überbetonung des Ausnahmecharakters als Kompensation der fehlenden Vorlage Angesichts dieser europarechtlichen Implikationen stellt sich die Frage, ob das deutsche Verfassungsgericht nicht den Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV hätte konsultieren können oder gar müssen664. Bei aller Konzentration auf die rechtlichen Fragen des Verfahrens darf in diesem Zusammenhang die faktische Symbolkraft einer eigenständigen Entscheidung deutscher Verfassungsgerichtsbarkeit in einer hoch politisierten Frage wie der des sog. Atomausstiegs sicherlich nicht unberücksichtigt bleiben. Nichtsdestotrotz hat das Bundesverfassungs662  Obwohl das Verfassungsgericht keine schutzwürdigen natürlichen Personen „hinter“ der juristischen Person in der Trägerschaft eines ausländischen Staates zu erkennen vermag, stellt es fest, die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG nach den hergebrachten Grundsätzen sei im konkreten Fall eine „insoweit offene“, BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn.  195 f.). 663  Insbesondere Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 92  f., der darüber hinaus auf Zielkonflikte mit Art. 54 Abs. 2 AEUV bei einer gegenteiligen Ansicht hinweist. Hinsichtlich der Europäisierung des Art. 19 Abs. 3 GG im Allgemeinen auch Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 311, der die stark verallgemeinerte These formuliert, eine Erweiterung des Schutzbereichs könne niemals den Wesensgehalt der Grundrechte antasten. 664  R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (212); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 91; für die Frage der Beeinträchtigung ebenso Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 315. Anders L. Knappe/J. P. Seibert, NuR 2017, 32 (33): „Die pragmatischen Erwägungen des BVerfG können somit Brüche zum Unionsrecht und eine potentielle Konfrontation mit dem EuGH verhindern.“ Auch J. Berkemann, DVBl. 2017, 793 (795) bescheinigt dem Verfassungsgericht eine „elegante Lösung, die der integrativen Zielsetzung des Unionsrechts an sich gut entspricht“; ähnlich M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (27).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung171

gericht mit der europarechtlichen Öffnung seiner Dogmatik im Bereich der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen eine Ebene betreten, die neuartige Fragen aufwirft und die es zumindest auch mit europarechtlichem Maßstab höchstrichterlich zu vermessen gilt – daran ändert auch die mehrfache Betonung des Ausnahmecharakters der Entscheidung und der besonderen Umstände des Einzelfalls nichts665. dd) Folgeproblem: Qualifizierte „Inländerdiskriminierung“ Zudem ergibt sich aus der europarechtlichen Überformung des Art. 19 Abs. 3 GG ein praktisches Folgeproblem. Die vermeintliche Schlechterstellung fremdstaatlich getragener Organisationseinheiten im Rechtsschutz, die das Verfassungsgericht mit seinem Exkurs über das Europarecht auszugleichen versucht, wird in eine Privilegierung dieser Einheiten gegenüber juristischen Personen verkehrt, die sich in der Trägerschaft eines inländischen Hoheitsträgers befinden666. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass es einer verfassungsprozessrechtlichen Absicherung des Rechtsschutzes für die letztgenannten aus seiner Sicht nur bedürfe, wenn ihnen im Ausnahmefall eine materielle Grundrechtsposition zukomme667. Es steht daher zu bezweifeln, ob das Verfassungsgericht im Falle einer vom inländischen Staat getragenen juristischen Person Aspekte wie die Rechtsschutzlosigkeit und die Schwere des Eingriffs als hinreichende Argumente für die Durchbrechung seiner klassischen Dogmatik und die Zuerkennung eines ausnahmsweisen Grundrechtsschutzes anerkannt hätte – eine Frage, die sich allein aufgrund des kurzfristigen Verzichts der EnBW Energie Baden-Württemberg AG auf die Anstrengung eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens

665  Vgl. BVerfGE 143, 246 (313, 317 f., Rn. 185, 196, 200); jüngst nochmals hervorgehoben von Verfassungsrichter Huber, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 188), S. 97. Das Verfassungsgericht bemüht sich damit wenig subtil um die Abwehr einer maßstabbildenden Interpretation. Diskussionen um die Übertragbarkeit der Grundsätze und mögliche Folgewirkungen lassen sich damit allerdings kaum vermeiden, wie Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 51 treffend feststellt. – Zur Methode einer sich selbst reproduzierenden Maßstabsbildung des Bundesverfassungsgerichts siehe bereits oben S. 132 f. mit Fn. 510. 666  Kritisch dazu R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211); D. Merten, DÖV 2019, 41 (47); G. Roller, ZUR 2017, 277 (285 f.); F. Shirvani, DÖV 2017, 281 (283); Wie­ land, (Fn.  225), Art.  93 Rn.  89; andeutungsweise auch Ludwigs, Atomausstieg (Fn. 618), S. 42. Dagegen sieht Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 309 in einer solchen Privilegierung eine hinzunehmende Nebenfolge des Atomausstiegsurteils. 667  So in Zusammenhang mit einer potentiellen Grundrechtsberechtigung i. R. d. Art. 19 Abs. 4 GG BVerfGE 107, 299 (310 f.); 129, 108 (118); BVerfG (K), NVwZ 2017, 53 (55), s. dazu bereits oben S. 92.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

nicht zugespitzt hat668. Eine solche Besserstellung, wie sie das Verfassungsgericht nun schafft, erfordert der Wortlaut Art. 49 Abs. 2 AEUV jedoch ausdrücklich nicht669. Misst man die Privilegierung anhand der Vergleichsgruppe der von einem deutschen Hoheitsträger getragenen Organisationseinheiten, stellt sich vielmehr die Frage, ob ihr fehlender Rechtsschutz gegen formelle Gesetze nicht als ein Fall des häufig mit dem Schlagwort „Inländerdiskriminierung“ bezeichneten Problemfelds einzuordnen ist: Gemeint ist die grundrechtliche Erfassung der Benachteiligung inländischer Personen, die daraus resultiert, dass die Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzen und so das nationale Recht unter Umständen strengere Regeln für rein inländische Sachverhalte vor- und aufrecht erhalten kann als es bei Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug aus europarechtlicher Sicht zulässig wäre670. Der Europäische Gerichtshof sieht darin kein europarechtliches Problem und lehnt eine „interne“ Wirkung der Grundfreiheiten für Sachverhalte, die sich ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaates abspielen, in ständiger Rechtsprechung ab671. Der nationale Diskurs in Rechtsprechung und Wissenschaft beschäftigt sich dagegen vornehmlich mit einer möglichen grundrechtlichen Überprüfbarkeit der Benachteiligung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG672. Für 668  Die Gesellschaft teilte Ende Juli 2012 mit, auf eine Verfassungsbeschwerde verzichten zu wollen, da sich ihre Anteile zu diesem Zeitpunkt zu mehr als 98 % in öffentlicher Hand befänden und sie nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts daher aller Voraussicht nach nicht grundrechtsfähig sei, s. https://www.enbw.com/ unternehmen/presse/enbw-legt-keine-verfassungsbeschwerde-gegen-13-atomgesetznovell.html (letzter Zugriff: 9.10.2022). 669  Dazu J. Gundel, Grundrechtsberechtigte, in: C. Grabenwarter (Hrsg.), Euro­ päischer Grundrechtsschutz, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 2, 2. Auflage 2022, § 4 Rn. 43. 670  Ein eingängiger Kurzüberblick zur Problemstellung findet sich bei Wollen­ schläger (Fn. 432), Art. 3 Abs. 1 Rn. 220 f.; ausführlich A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 7 ff., 17 ff., 35 ff.; zu begrifflichen Schwächen der verbreiteten Bezeichnung ebd., S. 33 f.; vgl. zur Terminologie ferner R. Bösch, Jura 2009, 91 (92). 671  EuGH, Rs. C-330/90 und C-331/90, Slg. 1992, I-323 Rn. 7 ff. (López Brea und Hidalgo Palacios); Rs. C-17/94, Slg. 1995, I-4353 Rn. 24 (Gervais u. a.); Rs. C-64/96 und C-65/96, Slg. 1997, I-3171 Rn. 22 ff. (Uecker und Jacquet); Rs. C-459/99, Slg. 2002, I-6591 Rn. 39 (MRAX); vgl. ferner die umfassende Rechtsprechungsübersicht bei U. Forsthoff, in: Nettesheim, Grabitz/Hilf/Nettesheim – Recht der EU (Fn. 643), Art. 45 AEUV (2010), Rn. 54 mit Fn. 1. 672  Gegen die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG BVerfGE 110, 412 (439); offen gelassen dagegen in BVerfGE 116, 135 (159 f.); BVerfG (K), NJW 1990, 1033 (1033); aus der Literatur etwa M. Albers, JZ 2008, 708 (712 ff.); R. Bösch, Jura 2009, 91 (93 ff.); U. Fastenrath, JZ 1987, 170 (175 f.); Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 138. Für die Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG in diesem Falle hingegen exemplarisch Epiney, Diskriminierungen (Fn. 670), S.  426 ff.; Heun (Fn. 429), Art. 3 Rn. 11; T. Schilling, JZ



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung173

staatlich getragene juristische Personen stellt sich aus der Perspektive des nationalen Rechts in diesem Zusammenhang das grundsätzliche Problem, dass ihnen das deutsche Verfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eine Berufung auf das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, auch wenn es die Geltung des Willkürverbots innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus durchaus anerkennt673. Inwieweit diese qualifizierten Nachteile für die Organisationseinheiten aufgrund ihres Charakters als Teil der öffentlichen Gewalt hinzunehmen sind oder ob dadurch ein ungerechtfertigter „blinder Fleck“ auf der Landkarte des Rechtsschutzes entsteht, soll an dieser Stelle nur als Fragestellung angedeutet werden. Entwickelt man das so entstandene Ungleichgewicht zwischen juristischen Personen in heimatstaatlicher und fremdstaatlicher Hand fort, stellt sich die Frage des rechtlichen Umgangs mit potentiellen Umgehungsversuchen. Sollten kommunal- und haushaltsrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, könnten etwa gemeindlich getragene öffentliche wie gemischt-wirtschaftliche Unternehmen eine Unternehmensgründung oder -umstrukturierung unter einer Rechtsform des europäischen Auslands erwägen, um mit einer Tochtergesellschaft in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu fallen674. Der Europäische Gerichtshof hat derartige, bewusst zweckgebunden initiierte Gesellschaftsverbschiebungen oder -neugründungen mit dem Ziel einer günstigeren Rechtsformwahl jedenfalls als mit Art. 49 AEUV vereinbar gebilligt675. In einem solchen Fall kollidierten Durchgriffsthese und Konfusionsargument auf der einen mit der europarechtlichen Deutung aus dem Atomausstiegsurteil auf der anderen Seite. Mag sich diese Variante mit Verweis auf die Umgehungsintention und den überbetonten Ausnahmecharakter 1994, 8 (10 ff., 17); Wollenschläger (Fn. 432), Art. 3 Abs. 1 Rn. 221; aus der jüngeren Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte BVerwGE 126, 149 (165); 140, 276 (287 f., Rn. 41 ff.); BGHZ 198, 225 (236 f.). – Einen differenzierten Überblick über mögliche Antworten des nationalen Verfassungsrechts auf das Problem gibt J. Gun­ del, DVBl. 2007, 269 (271 ff.). 673  BVerfGE 21, 362 (372); 23, 353 (372  f.); 26, 228 (244); 89, 132 (141 f.); BVerfGK 13, 276 (277); siehe dazu auch oben S. 53, 94 ff. 674  Dieses Szenario verwenden auch R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211) und Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 98; vgl. zuvor auch schon Schlömer, Ausstieg (Fn. 543), S. 98. 675  EuGH, Rs. 79/85, Slg. 1986, 2375 Rn. 16 (Segers/Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen); Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 Rn. 17 f., 27, 29 (Centros); Rs. C-167/01, Slg. 2003 Slg. I-10155 Rn. 95 ff. (Inspire Art). – Die äußerste Grenze der Missbräuchlichkeit ist bei rein künstlichen Untergliederungen erreicht, die allein das Ziel haben, nachteiligen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates zu entgehen, s. dazu EuGH, Rs. C-196/04, Slg. 2006, I-7995 Rn. 51 (Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas); Rs. C-524/04, Slg. 2007, I-2107 Rn. 74 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation).

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

der Atomausstiegsentscheidung möglicherweise argumentativ wieder einfangen lassen und einen Rückzug auf die Durchgriffsthese ermöglichen, ist die Ausgangslage in anderen Fällen weniger eindeutig. So stellt sich die Frage der Grundrechtssubjektivität besonders zugespitzt bei juristischen Personen, an denen sowohl ein deutscher als auch ein Hoheitsträger aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Anteile hält: Nach dem Atomausstiegs­ urteil ergäbe sich innerhalb ein und desselben Unternehmens ein eklatanter Widerspruch zwischen strikter Grundrechtsunfähigkeit, abgeleitet aus der deutschen Staatsbeteiligung, und einer möglichen Grundrechtsberechtigung, gestützt auf den europarechtlich zu begünstigenden ausländischen Staat676. Mit dem europarechtlichen Schritt hat das Verfassungsgericht das Potential für derlei Konfliktsituationen selbst geschaffen, wirklich aufschlussreich wird dagegen erst ihre zukünftige Auflösung sein. Grob skizziert dürfte sich diese auf einer Skala von der weiteren Öffnung der klassischen Dogmatik für Einflüsse von Grundrechtsgewährleistungen außerhalb des nationalen Verfassungsrechts bis zur Herabstufung des Atomausstiegsurteils zum einmaligen, umstandsbezogenen (sprich: ergebnisorientiert entschiedenen) Ausnahmefall bewegen677. d) Menschenrechtlicher Bezug als Fingerzeig Über die europarechtliche Perspektive hinaus nimmt das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil eine weitere Ebene des Grundrechtsschutzes in Bezug und rekurriert auf Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention678. Dabei geht es jedoch weniger um die Kriterien, die der 676  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18 f.). – Ein konkretes Beispiel ist die Avantis GOB N. V., eine Gesellschaft niederländischen Rechts zur Realisierung eines Gewerbeparks im Grenzgebiet Aachen-Heerlen. An dieser Gesellschaft sind die Stadt Aachen, das Land Nordrhein-Westfalen, die niederländische Gemeinde Heerlen und eine gemischt-öffentlich strukturierte niederländische Industriebank zu je gleichen Teilen beteiligt, s. Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2021, S. 86. Noch komplexer ist die Ausgangslage bei der Flughafen Düsseldorf GmbH, deren Gesellschafter je hälftig (mittelbar) die Landeshauptstadt Düsseldorf und die Airport Partners GmbH sind, wobei sich letztere aus zwei privaten und einem mittelbar vom irischen Staat gehaltenen Unternehmen zusammensetzt, s. zur konkreten Beteiligungsstruktur Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2018, S. 6. Im Hinblick auf letztere ergibt sich aufgrund des Atomausstiegsurteils der Sonderfall eines gemischt-wirtschaftlichen und gleichzeitig gemischt-staatlichen Unternehmens. 677  Die Rechtsprechung scheint bereits jetzt in die letztere Richtung zu tendieren, wenn sie die Grundrechtssubjektivität einer juristischen Person in Trägerschaft eines ausländischen Staates als Sondertatbestand in die eigene Linie einordnet, s. jüngst BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502); vgl. auch BVerwGE 167, 202 (210, Rn. 27). 678  BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202).



II. Neuere Praxisfälle als Herausforderung175

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Beurteilung der Menschenrechtsfähigkeit staatlich beherrschter Unternehmen anwendet679, als vielmehr um die Absicherung der eigenen Schlussfolgerung, die vermeint­ liche Rechtsschutzlosigkeit der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH sei ausnahmsweise mittels einer Grundrechtssubjektivität im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu beheben. Zwar zwinge Art. 13 EMRK bei der vertretbaren Behauptung eines Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie des Art. 1 Abs. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK nicht zur Bereitstellung eines Rechtsbehelfs gegen ein Gesetz, aber doch zur Eröffnung einer effektiven Beschwerdemöglichkeit680. Anders als bei der Begründung über das Europarecht, handelt es sich bei der menschenrechtlichen Betrachtung nicht um eine entscheidungstragende Säule, sondern um ein Obiter Dictum. Abzulesen ist das insbesondere an der bedachten Rhetorik des Verfassungsgerichts. Die Prämisse dahinter ist Bestandteil seiner ständigen Rechtsprechung: Wiederholt hat das Gericht entschieden, die Wertungen der Menschenrechtskonvention und die Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs seien als Auslegungshilfe bei der Interpretation der Grundrechte heranzuziehen681  − nicht mehr und nicht weniger682. Doch es ist die bloße Erwähnung dieser Ebene im Kontext der Grundrechtsfähigkeit juristischer Organisationseinheiten in staatlicher Trägerschaft, einer bis dato allein national gehaltenen Domäne der Grundrechtsdogmatik, die aufhorchen lässt. Eine Entscheidung des Falls wäre auch ohne einen solchen Bezug ausgekommen, insbesondere der Hinweis auf die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Bestimmung der Beschwerdefähigkeit aus Art. 34 EMRK wirkt ergebnisbezogen gedacht überflüssig. Genau darin liegt der Grund, wieso der an der Europäischen Menschenrechtskonvention orientierte Teil der Atomausstiegsentscheidung als bewusst 679  Das Verfassungsgericht spricht die in dieser Frage richtungsweisende Entscheidung EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79 ff. an, lässt ihre dogmatische Einordnung aber offen. 680  BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202) mit Bezug auf die Entscheidungen EGMR, Lithgow and Others v. United Kingdom, Urt. v. 8.7.1986, App. No. 9006/80 u. a., Rn. 206 und EGMR, Leander v. Sweden, Urt. v. 26.3.1987, App. No. 9248/81, Rn. 77. – Dagegen nimmt Johann, Keine Konfusion! (Fn. 611), S. 720 ff. eine Verletzung sowohl des Art. 13 EMRK als auch des Art. 6 EMRK an, sollte fremdstaatlich getragenen juristischen Personen die Grundrechtsfähigkeit und damit die Verfassungsbeschwerdeberechtigung abgesprochen werden. 681  So auch im Atomausstiegsurteil, BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202) mit Rekurs auf BVerfGE 111, 307 (315 ff.); 128, 326 (366 ff.); 131, 268 (295 f.); siehe dazu ferner unten S. 259 ff. 682  Anders als von L. Knappe/J. P. Seibert, NuR 2017, 32 (33) vorgebracht, stellt das Gericht im Atomausstiegsurteil dementsprechend gerade nicht fest, dass die Anerkennung der Verfassungsbeschwerdebefugnis nach der EMRK „erforderlich“ sei.

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B. Zwischen Flexibilität und Inkonsistenz

offen gestaltete Platzierung eines Gedankens verstanden wird, dessen zukünftige Fortentwicklung es zu verfolgen gelte683. Das Verfassungsgericht stellt damit zusätzlich zur angebotenen europarechtlichen Lösung den Gedanken der menschenrechtlichen Anschlussfähigkeit der deutschen Grundrechtsdogmatik zu Art. 19 Abs. 3 GG zur Diskussion.

III. Zwischenergebnis Ob Innungs-Rechtsprechung, Relativierung des Menschenwürdegehalts einiger Grundrechte oder extensive Auslegung des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“ – das Bundesverfassungsgericht bemüht sich bei der Frage der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen ersichtlich um größtmögliche Flexibilität. Ein solcher Wunsch nach Anpassungsfähigkeit ist als Ausgangsgedanke nicht kritikwürdig, angesichts der Vielzahl möglicher Problemkonstellationen ist er vielmehr nachvollziehbar und gut zu begründen. Der Grat zwischen Flexibilität und Inkonsistenz ist allerdings schmal, sollte der Argumentation der zentrale dogmatische Fixpunkt fehlen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Ansatz zur Beurteilung der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Organisationseinheiten früh das individualistische Grundrechtsverständnis, das es aus der Ideen- und Entstehungsgeschichte grundrechtlicher Gewährleistungen ableitet, zu einem solchen Fixpunkt erklärt. In der Folgezeit hat es diesen Ansatz aber verschiedentlich selbst infrage gestellt und damit ins Wanken gebracht. Gerade die jüngst auflebende grundrechtliche Inpflichtnahme Privater im Kontext des Stadionverbots-Beschlusses und die wenig subtile Abstufung der Durchgriffsthese im Atomausstiegsurteil haben starke Zweifel gesät, ob die Rückführung auf das Individuum tatsächlich noch eine hinreichend geeignete Grundlage ist, um darüber zu entscheiden, ob die Grundrechte dem Wesen nach auf eine juristische Person in staatlicher Trägerschaft anwendbar sind. Es sind Konstruktionen wie die institutionalisierte Zusammenarbeit von Gesellschaft und Staat in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen oder fremdstaatlich beherrschte, erwerbswirtschaftlich tätige juristische Personen auf der einen und die Varianz an Aufgaben, die inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre Spielarten wahrnehmen, auf der anderen Seite, für die das Bundesverfassungsgericht mit seinem bisherigen Konzept keine konsistenten Antworten bereit hält. Je mehr Ausnahmen das Gericht hier zulässt und je stärker es diesen Ausnahmecharakter einer Entscheidung 683  In diese Richtung J. Berkemann, DVBl. 2017, 793 (795); Ludwigs, Atomausstieg (Fn. 618), S. 42; ders., NVwZ-Beilage 2017, 3 (6); zurückhaltender Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 189; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 19. – Kritisch zum Begründungsansatz des Gerichts über die EMRK R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (212 f.).



III. Zwischenergebnis177

betont, desto weniger Kohärenz und Rechtssicherheit kann es bei der Frage der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen gewährleisten684. Der Weg, den das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil beschritten hat, ist in diesem Kontext Problemaufriss und Lösungsweg zugleich. Der europarechtliche Weg im konkreten Fall mag in der Wissenschaft kritisch aufgenommen worden und ein steiniger gewesen sein, der auch über den Europäischen Gerichtshof hätte führen müssen. Gleichwohl ist die Öffnung des Verfassungsgerichts für das grundrechtliche Mehrebenensystem685 in der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlich beherrschter juristischer Personen eine zuvor kaum denkbare Variable, die durch den Bezug zur Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Obiter Dictum eine zusätzliche Dimension erhält. Während das Atomausstiegsurteil mit seiner ergebnisorientierten Tendenz, dem starken Bezug zu den klassischen Begründungsansätzen und dem überbetonten Ausnahmecharakter zwar noch keinen Paradigmenwechsel darstellt686, wirft es doch die Frage auf, ob und inwieweit europaund menschenrechtliche Wertungen für den nationalen Ansatz zur Auslegung und Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG fruchtbar gemacht werden können und deutet damit einen Weg an, der jedenfalls bei der Frage nach der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen nach nationaler Grundrechtsdogmatik bislang ein abseitiger war.

684  Dazu Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 399, der der Handhabe des Verfassungsgerichts sogar den kasuistischen Charakter abspricht, da ein solcher zumindest typisierbare Fallgruppen voraussetze. Bezogen auf den Ansatz aus dem Atomausstiegsurteil und mit Blick auf zukünftig zu erwartende Durchbrechungen der tradierten Linie auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (26); im Ergebnis ebenso Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 220. 685  Zur Begriffsbestimmung bereits oben S. 18 mit Fn. 16. – Die Terminologie des grundrechtlichen Mehrebenensystems setzt nicht notwendigerweise ein hierarchisches Verständnis voraus, wie F. C. Mayer, Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 1. Auflage 2003, S. 229 (270) in seinem Altbeitrag überzeugend vorbringt. Kritisch zum Mehrebenenbegriff wegen vermeintlich hierarchischer Implikationen dagegen N. Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, 2019, § 10 Rn. 2 resp. G. Sydow/F. Wittreck, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht I, 2. Auflage 2020, S. 18 f. Rn. 71 f. 686  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119); M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (23, 27). Ausgesprochen restriktiv zu den Auswirkungen der Entscheidung R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (213); N. K. Preuß, Wahlkampfauftritte auslän­ discher Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Versammlungsfreiheit und Außenpolitik, 2020, S. 144.

C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel Die jüngst vom Bundesverfassungsgericht einbezogenen Gedanken zum europa- und menschenrechtlich gewährleisteten Schutz juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft geben Anlass, das europäische Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes unabhängig vom konkret entschiedenen Fall stärker in den Blick zu nehmen. Im folgenden Kapitel sollen, allgemein formuliert, Idee, Umfang und dogmatische Gemengelage der Teilhabe staatlich getragener Organisationseinheiten an grundrechtlichen und grundrechtsähnlichen Gewährleistungen im Europarecht sowie an den Menschenrechten der Europäischen Menschenrechtskonvention untersucht und mögliche Implikationen auf die nationale Diskussion um die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG entfaltet werden. Von besonderer Wichtigkeit ist nicht zuletzt, die methodischen Charakteristika der autonomen Rechtsregime angemessen zu berücksichtigen. Wenn im Anschluss die Ebenen des Europarechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention einzeln abgeschritten und daraufhin untersucht werden, inwieweit der Grundrechtsschutz staatlich kontrollierter Organisationen nach dem jeweiligen Recht ausgestaltet ist, soll der Blick insbesondere auf die Freilegung sinnstiftender Linien des jeweiligen Rechtsregimes gerichtet sein. Angesichts ausdrücklicher Verknüpfungen speziell zwischen europarechtlicher und menschenrechtlicher Ebene können beide spätestens im Zuge der Interpretation der Europäischen Grundrechtecharta nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden. Ziel der Ausführungen soll im Allgemeinen weniger sein, aktuelle Probleme der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen auf europa- oder menschenrechtlicher Ebene zu adressieren, sondern vielmehr den dortigen status quo abzubilden und anhand dessen die Anschlussfähigkeit der deutschen Dogmatik zu der Frage speziell im Hinblick auf staatlich getragene juristische Personen zu überprüfen. Ausgangsund Bezugspunkt bleibt damit schlussendlich Art. 19 Abs. 3 GG.

I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem Veritable Vergleichswerte lassen sich in einem Mehrebenensystem nur erzielen, wenn die Strukturen der einzelnen Ebenen unter Berücksichtigung ihrer Eigenheiten betrachtet werden. Eine unbedachte Übersetzung bestimm-



I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem 179

ter Maximen aus dem europa- oder menschenrechtlichen Kontext in deutsches Recht kann dagegen zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen und dem Vergleich als solchen die gewinnbringende Erkenntnis rauben. Aus diesem Grund sei den inhaltlichen Ausführungen zum grund- und menschenrechtlichen Umgang mit staatsgetragenen Organisationseinheiten im Folgenden ein kurzes methodisches Vorwort zur jeweiligen Ebene vorangestellt. 1. Autonomie und Vorrang des Europarechts Von besonderer Bedeutung für den nationalen Diskurs ist das Europarecht. Gerade im Hinblick auf konkrete Tatbestandsvoraussetzungen wird eine zunehmende „Europäisierung“ des Art. 19 Abs. 3 GG beobachtet687. Die Methodik des Europarechts kann an dieser Stelle in ihrer Breite und Komplexität selbstredend nicht vollumfänglich entfaltet werden. Stattdessen soll der schlaglichtartige Blick auf für den weiteren Fortgang der Untersuchung bedeutsame Aspekte genügen688. Eine hervorgehobene wie fundamentale Stellung kommt zunächst dem Grundsatz der Autonomie des Europarechts zu689. Der Europäische Gerichtshof hat diese These früh geprägt und sowohl die Selbstständigkeit der Unionsrechtsordnung gegenüber dem sich insoweit selbst zurücknehmenden Recht der Mitgliedstaaten als auch seine Originalität gegenüber dem Völkerrecht im herkömmlichen Sinne hervorgehoben690: 687  C. Hillgruber, JZ 2011, 1118 (1119) und Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 304 ff. nehmen mit der Formulierung vornehmlich Bezug auf das Merkmal „inländisch“. Das Bundesverfassungsgericht sieht dieses Kriterium im Falle von im EUAusland ansässigen juristischen Personen durch die europäischen Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV zurückgedrängt und leitet so eine Anwendungserweiterung des Art. 19 Abs. 3 GG her, s. BVerfGE 129, 78 (96 ff.). Vgl. zum Begriff und zur Sache bereits zuvor R. Weinzierl, Europäisierung des deutschen Grundrechtsschutzes?, 2006, S. 120 ff., 146 ff. 688  Eine umfassende Aufarbeitung der europarechtlichen Methodik findet sich etwa bei K. Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 4. Auflage 2021 und F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. II – Europarecht, 3. Auflage 2012. 689  Eingehend R. Barents, The Autonomy of Community Law, 2004, S. 239 ff., 251 ff.; H. Sauer, JZ 2019, 925 (929 ff.). Im Überblick auch T. von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 147 f.; M. Nettesheim, in: ders., Grabitz/Hilf/Nettesheim – Recht der EU (Fn. 643), Art. 288 AEUV (2012), Rn. 34 ff. 690  EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1253 (1269 f.) (Costa/E.N.E.L.); vgl. noch zuvor EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3 (25) (Van Gend en Loos/Administratie der Belastingen). Jüngst hieß es in EuGH, Gutachten 1/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:341), Rn. 109: „Die Autonomie der Unionsrechtsordnung, die sowohl gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten als auch gegenüber dem Völkerrecht besteht, ergibt sich aus den wesentlichen Merkmalen der Union und des Unionsrechts“. Explizit hat der Gerichtshof dieses Autonomieverständnis auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht reklamiert, grundlegend EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125 Rn. 3 (Internationale Handels-

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

„Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist. […] Aus alledem folgt, daß dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.“

Gerade die zunächst nur angedeutete Abgrenzung zum traditionellen Völkerrecht mittels des Autonomiegedankens hat in der jüngeren Vergangenheit eine beachtenswerte Verschärfung im Ton und in der Sache erfahren691. Dennoch bleibt der Bezug etwa zu Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und Rechtsprechungsansätzen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere im Kontext der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen mit staatlicher Beteiligung für die europäische Gerichtsbarkeit eine unterstützend genutzte Interpretationshilfe692, die in Art. 52 Abs. 3 GrCh gesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel); fortgesetzt in EuGH, Rs. C-409/06, Slg. 2010, I-8015 Rn. 61 (Winner Wetten); Rs. C-399/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:107), Rn. 59 (Melloni); Rs. C-157/21, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2022:98), Rn. 143 (Polen/Parlament und Rat). 691  Bezüglich des innereuropäischen Investitionsschiedsrechts EuGH, Rs. C-284/ 16, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2018:158), Rn. 32 ff., 57 ff. (Achmea). In Bezug auf den Beitritt der EU zur EMRK EuGH, Gutachten 2/13, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2014:2454), Rn. 179 ff., 199 f., 258. Gerade im letztgenannten Gutachten schlägt der Gerichtshof einen konfrontativen Ton an, wie auch D. Halberstam, GLJ 16 (2015), 105 (106) feststellt und die gerichtliche Stellungnahme in der Folge ausführlich und erfrischend sprachgewandt einordnet. Aus dem Füllhorn kritischer Reaktionen auf das EuGH-Gutachten exemplarisch M. Breuer, EuR 50 (2015), 330 ff. und H. P. Aust, EuR 52 (2017), 106 (114 ff.). Weniger im konkreten Ergebnis, aber in der dogmatischen Herleitung hat der EuGH diese Linie in EuGH, Gutachten 1/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:341), Rn. 106 ff., 120 ff., 151 fortgesetzt. Kritisch zur eigennützig anmutenden Extension des Autonomiegedankens in diesem Gutachten P. S. Stöbener de Mora/S. Wernicke, EuZW 2019, 970 (972 ff.); ähnlich, wenngleich auch mit positiven Ableitungen H. Sauer, JZ 2019, 925 (935). 692  So etwa in EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 36 ff. (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 37 ff. (Bank Mellat/Rat) jeweils zu Banken mit einer Minderheitsbeteiligung des iranischen Staates; dazu noch näher unten S. 211 f. und S. 254 ff. Dass die EMRK und die EGMR-Rechtsprechung trotz der vom EuGH praktizierten Überbetonung der Autono-



I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem 181

ihre normtextliche Grundlage findet. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat dem Autonomiegedanken des Europäischen Gerichtshofs im Ausgangspunkt zugestimmt693, behält sich jedoch bekanntermaßen eine Entscheidungsbefugnis im Falle von Kompetenzüberschreitungen oder Konfliktsituationen mit der nationalen Verfassungsidentität vor694. Für den vorliegenden Zusammenhang ist die so begründete Eigenständigkeit des Unionsrechts – unabhängig davon, ob sein Verhältnis zum nationalen Recht rechtstheoretisch als ein monistisches oder dualistisches zu begreifen ist695 – insofern von Gewicht, als mit der Autonomiethese eine originäre Maßstabbildung einhergeht. Die Frage der Grundfreiheits- bzw. Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Hand folgt demnach einem eigenen, europarechtlichen Maßstab, orientiert an und ausgehend von den Eigenheiten des Unionsrechts. Ein nationales Paradigma wie das der deutschen Durchgriffsthese ist auf Unionsebene demnach weder unumstößlich noch vorentscheidend. Im Sinne dieser Prämisse bezieht der Europäische Gerichtshof seine Autonomiethese auch nicht nur auf den Geltungsgrund, sondern genauso auf die Auslegung des Unionsrechts696. Das Repertoire juristischer Auslegungsmemie gegenüber dem Völkerrecht weiterhin als Grundlage zur Fortentwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes fruchtbar gemacht werden würden, stand etwa für T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 6 EUV Rn. 32 nie in Zweifel. 693  BVerfGE 22, 293 (296); 37, 271 (277 f.); ähnlich BVerfGE 31, 145 (173 f.); 123, 267 (347); zum Autonomieanspruch gegenüber nationalem Verfassungsrecht BVerfGE 129, 78 (100); 140, 317 (335, Rn. 37 f.). 694  BVerfGE 123, 267 (353 f.); 126, 286 (302); 129, 78 (100); 134, 366 (382, Rn. 22); 140, 317 (336 f., Rn. 40 ff.); 142, 123 (187 f., 194 ff., 198 ff., Rn. 120, 136 ff., 143 ff.). Erstmals aktiviert hat das Gericht diese Reservekompetenz jüngst geräuschvoll in BVerfGE 154, 17 (94 ff., Rn. 116 ff.); exemplarisch aus der schier endlosen Reihe von Reaktionen unter Berücksichtigung teils aufgeregter Beiträge aus der tagespolitischen Presse und der Fachdiskussion W. Kahl, NVwZ 2020, 824 (824); B. Remmert, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG (Fn. 422), Art. 88 Rn. 26 m. w. N. – Instruktiv zu den unterschiedlichen Perspektiven von EuGH und Bundesverfassungsgericht bezogen auf ihr jeweiliges Autonomieverständnis A. Bergmann, Zur Souveränitätskonzeption des Europäischen Gerichtshofs, 2018, S. 249 ff. 695  Übersichtlich zur ausladenden Diskussion in der deutschen Staatsrechtswissenschaft mit einem Plädoyer für die monistische Perspektive P. M. Huber, VVDStRL 60 (2001), 194 (211 f.); aus jüngerer Zeit für eine Überwindung des dualistisch gedachten, reinen Anwendungsvorrangs des Unionsrechts S.-P. Hwang, EuR 51 (2016), 355 (359 ff., 369 ff.). Dezidiert für ein dualistisches Verständnis hingegen Nettesheim (Fn. 689), Art. 288 AEUV (2019), Rn. 34 ff. 696  EuGH, Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 11 (Ekro); Rs. 189/08, Slg. 2009, I-6917 Rn. 17 (Zuid-Chemie); Rs. C-45/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:7), Rn. 19 (Kainz); vgl. aus nationaler Sicht jüngst BVerfGE 152, 152 (180, Rn. 66). – Erhellend zu Begriff und Funktion der autonomen Auslegung im internationalen Einheitsrecht U. P. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004, S. 80 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

thoden auf unionaler Ebene unterscheidet sich in seinen Grundlagen zunächst nicht von dem im deutschen Recht gebräuchlichen: Die europäische Gerichtsbarkeit greift der Sache nach ebenso auf den Savigny’schen Vierklang aus Wortlaut, Historie, Systematik und Telos zurück697. Allerdings zeichnet sich bei näherer Betrachtung bereits im Binnenverhältnis dieser Methoden eine Gewichtung ab, die gerade als Ausdruck des europäisch-autonomen Maßstabs verstanden werden muss. So ist die Historie des europäischen Einigungsprozesses in Bezug auf die Verträge nicht zugänglich und aufgrund der Dynamik des Integrationsprozesses als interpretatorischer Fixpunkt kaum geeignet, so dass sie in der Auslegung nur eine untergeordnete Rolle spielt698. Ob für die Europäische Grundrechtecharta angesichts der Veröffentlichung unterschiedlichen Entstehungsmaterials etwas anderes gilt, ist offen699. Der Systematik kommt zwar ein stärkeres Gewicht zu700, doch dürfen hier die Zielkonflikte bestimmter Bereiche des Unionsrechts als Hürde einer einheitlichen Handhabe nicht übersehen werden701. Letztlich besitzt insbesondere die an den Zielen der europäischen Verträge orientierte zweckgerichtete Auslegung eine hervorgehobene Stellung702. Fernab des traditionellen Ausle697  Grundlegend EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 18 ff. (CILFIT/Ministero della Sanità); s. ferner EuGH, Rs. 292/83, Slg. 1983, 3781 Rn. 12 (Merck/Hauptzollamt Hamburg-Jonas); EuG, Rs. T-22/03 und T-23/02, Slg. 2005, II-4065 Rn. 47 (Sumitomo Chemical/Kommission); Rs. T-99/04, Slg. 2008, II-1502 Rn. 114 ff. (ACTreuhand/Kommission). Ferner T. M. J. Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration, S. 56. – Eingehend zur Savigny’schen Methodenlehre C. Baldus, Gesetzesbindung, Auslegung und Analogie: Grundlagen und Bedeutung des 19. Jahrhunderts, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 3 Rn.  30 ff. 698  Möllers, Rolle (Fn. 697), S.  56 f.; T. Oppermann/C. D. Classen/M. Nettesheim, Europarecht, 9. Auflage 2021, § 9 Rn. 174 f.; M. Pechstein/C. Drechsler, Die Auslegung und Fortbildung des Primärrechts, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 7 Rn. 13; B. W. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 19 EUV Rn. 29. Anders Müller/Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S. 70 ff., die eine trennscharfe Unterscheidung genetischer und historischer Auslegung im europarechtlichen Kontext vornehmen wollen und die Arbeit des Gerichtshofs im Rahmen der genetischen Interpretation als besonders fundiert hervorheben. 699  A. Weber, in: K. Stern/M. Sachs (Hrsg.), Europäische Grundrechte-Charta, Kommentar, 2016, Sonderprobleme B. II. Rn. 7, 13 f. 700  S. nur EuGH, Rs. C-151/09, Slg. 2010, I-7591 Rn. 39 (UGT-FSP); Rs. C-34/10, Slg. 2011, I-9821 Rn. 31 (Brüstle). Ausführlich zur systematischen Auslegung auf EU-Ebene Pechstein/Drechsler (Fn. 698), § 7 Rn. 22 ff.; mit einer qualitativen Betrachtung ferner Müller/Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S. 279 ff.; aus quantitativer Sicht C. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 201, wobei M. Dederichs, EuR 39 (2004), 345 (357 f.) den Ableitungen Bucks auf Grundlage einer eigenen Erhebung widerspricht. 701  Möllers, Rolle (Fn. 697), S. 57. 702  S. nur EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 Rn. 22 (Europemballage Corporation und Continental Can Company/Kommission); Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 20 (CIL-



I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem 183

gungskanons haben sich zudem teils unterstützende, teils entscheidungstragende Interpretationsleitlinien herausgebildet, die nur europarechtsspezifisch zu verstehen und als separater Teilbereich der europäischen Methodenlehre einzuordnen sind703. Aufgrund ihrer Relevanz im vorliegenden Zusammenhang sei hier auf die wertende Rechtsvergleichung zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwiesen704, wenngleich ihre methodische Bedeutung im Europarecht teilweise unterschiedlich beurteilt wird705. Lenkt man den Blick von den einzelnen Auslegungsmethoden zurück auf die Auslegung im Allgemeinen, ist – gerade aus der Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft – eine weitere Besonderheit des spezifisch europarechtlichen Zusammenhangs hervorzuheben. Der Europäische Gerichtshof geht im Anschluss an die französische Rechtstradition von einem extensiven Begriffsverständnis aus und unterscheidet im Vergleich zur deutschen Methodenlehre nicht streng zwischen der „Auslegung“ als Ermittlung eines bereits vorhandenen, lediglich noch zu entschlüsselnden Sinngehalts einer Norm auf der einen und einer schöpferisch zu verstehenden Rechtsfortbildung auf der anderen Seite706. Diese Vermengung führt über den konkret zu entscheidenFIT/Ministero della Sanità); vgl. ferner die Rechtsprechungsnachweise in Fn. 700. Aus der Literatur statt vieler Buck, Auslegungsmethoden (Fn. 700), S.  221 ff.; Müller/ Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S. 77; Wegener (Fn. 698), Art. 19 EUV Rn. 32; aus einer quantitativen Perspektive anders M. Dederichs, EuR 39 (2004), 345 (354 ff.). 703  Als einen solchen stellen Müller/Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S. 95 ff., 104 ff., 379 ff. die Empirie vor und verweisen auf Beispiele aus der EuGHRechtsprechung. Für einen Überblick über sonstige, kaum einheitlich kategorisierte Auslegungsmethoden S. U.  Pieper, Rechtsetzung und Vollzug des EU-Rechts, in: M.  Ludwigs (Hrsg.), Dauses/Ludwigs – Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. B. I. (2016), Rn. 50 ff. 704  Von der europäischen Gerichtsbarkeit angewandt etwa in EuGH, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575 Rn. 24, 27 (AM & S/Kommission); Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 29 f. (Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik Deutschland und The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte Factortame u. a.); Rs. C-108/96, Slg. 2001, I-837 Rn. 36 (Mac Quen u. a.) mit explizitem Bezug auf die Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts; ferner EuG, Rs. T-112/98, Slg. 2001, II-729 Rn. 84 (Mannesmannröhren-Werke/Kommission). Aus der Literatur G. C. Rodríguez Iglesias, NJW 1999, 1 (6 ff.); A. Schwartze, Die Rechtsvergleichung, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 4; speziell zum Wertungsaspekt Müller/ Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S.  429 ff. 705  Eine zunehmend gewichtigere Rolle der Rechtsvergleichung erkennen etwa G. C. Rodríguez Iglesias, NJW 1999, 1 (6) und Wegener (Fn. 698), Art. 19 EUV Rn. 33, während ihr Pechstein/Drechsler (Fn. 698), § 7 Rn. 36 ff. nur eine untergeordnete Bedeutung zuschreiben. 706  N. Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, 2011, S. 1; C. Höpfner/B. Rüthers AcP 209 (2009), 1 (5); W.-H. Roth/C. Jopen, Die richtlinienkonforme Auslegung, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 13 Rn. 17 ff. m. w. N. in Fn. 93.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

den Streitfall hinaus zu einer Breitenwirkung der europäischen Rechtsprechung, die die Judikatur des Gerichtshofs in den Rang einer faktischen Rechtsquelle erhebt707. Diese Beobachtung gilt es speziell in Zusammenhang mit der Grundfreiheits- bzw. Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen zu berücksichtigen. Mangels einer universellen, dem Art. 19 Abs. 3 GG vergleichbaren Erstreckungsnorm sind die normativen Anknüpfungspunkte zur Beantwortung der Frage im Europarecht dagegen rar gesät, was auf die Europäische Grundrechtecharta freilich in stärkerem Maße zutrifft als auf die Grundfreiheiten. 2. Besonderheiten des EMRK-Rechtsschutzsystems und der Interpretationsmethode des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Die Reihe der methodischen Besonderheiten, die es im Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen gilt, beginnt bereits bei der Rechtssprache. Denn anders als im Europarecht708 besitzen gemäß der Schlussbestimmung im Anschluss an Art. 59 EMRK allein die englische und die französische Sprachfassung bindenden Charakter, die deutsche dagegen nicht. Im Folgenden soll diesem Umstand Rechnung getragen werden, indem die Verwendung eines Konventionsbegriffs aus der deutschen Übersetzung oder eines zentralen Gedankens der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte um einen Klammerzusatz ergänzt wird, der auf die authentische englische Sprachfassung hinweist. Darüber hinaus beansprucht die Europäische Menschenrechtskonvention als Instrument des Völkerrechts Unabhängigkeit vom nationalen Rechtsverständnis, so dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Bestimmungen nach autonomen Maßstäben auszulegen pflegt709. Der Gerichtshof tritt dabei nach Maßgabe der Art. 19 ff. EMRK als zentrales Organ des konventionsrechtlichen Rechtsschutzes auf und befindet über Zulässigkeit und 707  J. Neuner, Die Rechtsfortbildung, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 12 Rn. 10; restriktiver Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 182. Weiterführend zum Ganzen S. A. E. Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S.  180 f., 224 ff. 708  Dort weist Art. 55 Abs. 1 EUV insgesamt 24 Sprachen, darunter auch die deutsche, als verbindlich aus. 709  H.-J. Cremer, in: O. Dörr/R. Grote/T. Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Bd. I, 2. Auflage 2013, Kap. 4 Rn. 19; H. Keller/D.  Kühne, ZaöRV 76 (2016), 245 (274 f.); J. Meyer-Ladewig/M. Nettesheim, in: dies./S. von Raumer (Hrsg.), EMRK, Handkommentar, 4. Auflage 2017, Einl. Rn. 6. Ausführlich auch C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Auflage 2021, § 5 Rn. 9 ff., die die autonome Interpretation als spezifischen Aspekt der systematischen Auslegung einordnen.



I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem 185

Begründetheit eines Verfahrens in Entscheidungen (decisions) und Urteilen (judgements)710. In seinem methodischen Vorgehen orientiert sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach eigenem Bekunden an der Wiener Vertragsrechtskonvention711, die in ihrem Art. 31 Abs. 1 einen völkerrechtlichen Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes“ („in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose“) ausgelegt wissen will712. In Zusammenschau mit der allerdings nur ergänzend heranzuziehenden genetischen Auslegung im Sinne des Art. 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention lassen sich wie schon im Europarecht trotz bestimmter Eigenheiten und einer eigenen Gewichtung die Konturen des klassischen Auslegungskanons aus Wortlaut, Historie, Systematik und Telos erkennen713. Ein konventionsrechtliches Charakteristikum fernab einer spezifischen Gewichtung einzelner Auslegungsmethoden ist das Verständnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von der Geltung des Rechts in Abhängigkeit zu sich verändernden tatsächlichen Umständen. In seiner Judikatur hat er wiederholt die Interpretation der Konvention als Rechtsgrundlage im Wandel („living instrument“) betont und hervorgehoben, ihre Bestimmungen stets im Lichte der jeweils aktualisierten tatsächlichen Umstände („presentday conditions“) interpretieren zu wollen714. Auf diesem Weg soll die Euro710  Zu diesen Kategorien sowie zu weiteren Aspekten in Zusammenhang mit der Urteilsfindung des Gerichtshofs Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn.  709), § 14 Rn. 1 ff. – Bis zum Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls zur EMRK im Jahr 1998 standen im Rechtsschutzsystem neben dem Gerichtshof u. a. die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR). Entscheidungen der letzteren werden im Folgenden unter Voranstellung der entsprechenden Abkürzung kenntlich gemacht; zum Beitrag der Kommission zum konventionsrechtlichen Rechtsschutz J. A. Frowein, EuGRZ 2015, 269 ff. 711  Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969. 712  Grundlegend zum Einfluss des Übereinkommens EGMR, Golder v. United Kingdom, Urt. v. 21.2.1975, App. No. 4451/70, Rn. 29; seither st. Rspr., s. etwa EGMR, Johnston and Others v. Ireland, Urt. v. 18.12.1986, App. No. 9697/82, Rn. 51; Saadi v. the United Kingdom, Urt. v. 29.1.2008, App. No. 13229/03, Rn. 61 f.; Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary, Urt. v. 8.11.2016, App. No. 18030/11, Rn. 118. Eingehend dazu etwa J. Badenhop, Normtheoretische Grundlagen der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2010, S. 59 ff. 713  Cremer (Fn. 709), Kap. 4 Rn. 3, 25, 29 ff.; vgl. ferner die Struktur der Ausführungen bei Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 5, die im Zuge dessen auch die konventionsrechtlichen Besonderheiten im Umgang mit der jeweiligen Auslegungsmethode übersichtlich darstellen. 714  Grundlegend EGMR, Tyrer v. United Kingdom, Urt. v. 25.4.1978, App. No. 5856/ 72, Rn. 31; fortgeführt als st. Rspr.: EGMR, Inze v. Austria, Urt. v. 28.10.1987,

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

päische Menschenrechtskonvention flexibel in die sich verändernden politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten der Gesellschaft der Konventionsstaaten eingebettet werden715. Als Erkenntnisquelle nutzt der Gerichtshof dazu sowohl potentielle Überschneidungsbereiche der innerstaatlichen Rechtsordnungen als auch anderweitige völkerrechtliche Vereinbarungen, die die Konventionsstaaten eingegangen sind, um das Ergebnis mit der Legitimität einer möglichst konsensualen Herleitung ausstatten zu können716. Eine solche dynamisch-evolutive Auslegung ist kein freihändiger Kunstgriff, sondern kann durchaus auf normative Anknüpfungspunkte in der Menschenrechtskonvention und der Wiener Vertragsrechtskonvention gestützt werden717. Dass diese Leitlinie der Interpretation gleichwohl auch mit der Gefahr kompetenzieller Verwerfungen einhergeht, sei hier nur angedeutet, allerdings nicht weiter vertieft718. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang bleibt vielmehr festzuhalten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rechtsfragen auf der Grundlage aktualisierter tatsächlicher Umstände und Wertvorstellungen beurteilt. Die Frage der Einbeziehung staatlich getragener Organisationseinheiten in den Schutz der menschenrechtlichen App.  No. 8695/79, Rn. 41; Matthews v. United Kingdom, Urt. v. 18.2.1999, App.  No. 24833/94, Rn. 39; Kress v. France, Urt. v. 7.6.2001, App. No. 39594/98, Rn. 70; X and Others v. Austria, Urt. v. 19.2.2013, App. No. 19010/07, Rn. 139. 715  H. Keller/D.  Kühne, ZaöRV 76 (2016), 245 (275); Meyer-Ladewig/Nettesheim (Fn. 709), Einl. Rn. 24. 716  Eingehend und differenziert zu dieser „Konsensmethode“ A. von UngernSternberg, AVR 51 (2013), 312 ff.; im Überblick auch Cremer (Fn. 709), Kap. 4 Rn. 24. Zum Unterschied zwischen der Legitimation aus einem europäischen Konsens heraus und der Legitimation der Feststellung eines Konsenses feinsinnig D. M. Klocke, EuR 50 (2015), 148 (154). 717  Dazu näher Cremer (Fn. 709), Kap. 4 Rn. 131; C. Grewe, ZaöRV 61 (2001), 459 (466 f.); D. M. Klocke, EuR 50 (2015), 148 (151 ff.). 718  So mahnen F. Matscher, Vertragsauslegung durch Vertragsrechtsvergleichung in der Judikatur internationaler Gerichte, vornehmlich vor den Organen der EMRK, in: R. Bernhardt/W. K. Geck/G. Jaenicke u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit – Menschenrechte. Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 545 (552) und W. A. Schabas, The European Convention on Human Rights – A Commentary, 2015, S. 47 ff. die Unterscheidung zwischen Rechtsanwendung und Rechtsfindung an. Angesichts der zunehmenden Heranziehung internationalen „Soft Laws“ im Zuge der systematisch-dynamischen Auslegung geben Graben­ warter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 5 Rn. 12 a. E. eine kompetenzwidrige Aufwertung solch unverbindlicher Standards zu bedenken. K. Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 160, 166 konstatiert ein zeitweises Ausbrechen aus dem Rahmen des Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention und dringt auf seine Einhaltung. Innerhalb des EGMR bestand hinsichtlich der dynamischen Auslegung früh ein kompetenzielles Problembewusstsein, s. das abweichende Sondervotum (dissenting opinion) der Richterinnen und Richter Ryssdal, Bindschedler-Robert, Lagergren, Mat­ scher, Evans, Bernhardt und Gersing zu EGMR, Feldbrugge v. The Netherlands, Urt. v. 27.6.1987, App. No. 8562/79, Rn. 24.



I. Relevante methodische Besonderheiten im Mehrebenensystem 187

Gewährleistungen kann insoweit keine Ausnahme sein719. Inhaltlich eng mit der dynamischen Auslegung verknüpft und vom Gerichtshof wiederholt als handlungsleitendes Motiv der Methodik formuliert worden ist zudem der Grundsatz größtmöglicher Effektivität und praktischer Anwendbarkeit der gewährleisteten Rechte. In ständiger Rechtsprechung führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, die Konvention ziele nicht auf die Bewahrung theoretischer oder illusorischer Rechte, sondern auf einen praktischen und effektiven Schutz720. Dieser konventionsrechtliche effet utile ist kein bloßer Programmsatz, sondern entfaltet seinen Mehrwert als Auslegungsmaxime gerade bei der Interpretation konkreter Gewährleistungen721. Schließlich sei der Blick noch auf die Arbeits- und Entscheidungsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gerichtet. Bisweilen adressieren Kritiker den Vorwurf mangelnder inhaltlicher Kohärenz oder ­ dogmatischer Fundierung an den Gerichtshof722. Dem ist zuzugeben, dass die in Grundzügen dargestellte Methodik und insbesondere der Anspruch auf eine dynamische Lesart des Konventionsinhalts den Fokus tatsächlich auf Einzelheiten des jeweils betroffenen Rechts und die entsprechende Rechtsprechung statt auf übergreifende dogmatische Linien lenken723. Gleichwohl geht die damit implizierte Aussage, der Gerichtshof opfere die inhaltliche Orientierungswirkung seiner Entscheidungen auf dem Altar der Einzelfallgerechtigkeit, in dieser Pauschalität zu weit724. Denn der Gerichtshof tendiert hier zu einem Mittelweg und leistet trotz des einzelfallbasierten Kerns seiner 719  Ausführlich zur Behandlung der Frage auf konventionsrechtlicher Ebene unten S. 238 ff. 720  Exemplarisch nur EGMR, Airey v. Ireland, Urt. v. 9.10.1979, App. No. 6289/73, Rn. 24; Perez v. France, Urt. v. 12.2.2004, App. No. 47287/99, Rn. 80; Mozer v. The Republic of Moldova and Russia, Urt. v. 23.2.2016, App. No. 11138/10, Rn. 144. 721  Ausführlich und mit entsprechenden Beispielen B. Baade, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Diskurswächter, 2017, S. 25  ff.; Badenhop, Grundlagen (Fn. 712), S. 72 ff.; vgl. ferner zu Art. 3 EMRK Cremer (Fn. 709), Kap. 4 Rn. 62; zu Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK Meyer-Ladewig/Nettesheim (Fn. 709), Einl. Rn. 24. 722  M. Scheyli, EuGRZ 2004, 628 (634); vgl. ferner in Zusammenhang mit Art. 1 1. Zustatzprotokoll zur EMRK Cremer (Fn. 113), Kap. 22 Rn. 26: „Der EGMR […] entwickelt in der für ihn typischen kasuistischen (case-by-case) Manier und ohne ausdrückliche theoretische Grundierung mosaiksteinchenweise seinen Eigentumsbegriff“. 723  F. Matscher, Methods of Interpretation of the Convention, in: R. St. J. Macdonald/ders./H. Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S. 63 (63 f.); Meyer-Ladewig/Nettesheim (Fn. 709), Einl. Rn. 24. 724  Wie hier G. Ress, Die „Einzelfallbezogenheit“ in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: R. Bernhardt/W. K. Geck/G. Jaenicke u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit – Menschenrechte. Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 719 (721 ff.).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

Entscheidungen einen wichtigen Beitrag zur abstrakten Maßstabbildung, indem er statt einer abschließenden Definition entscheidungsleitende Faktoren formuliert, auf diese rekurriert und sie in Folgejudikaten anreichert725. Einbußen in der Rechtssicherheit allein durch die immer wieder aktualisierte Ungewissheit der konkreten Anwendung der Kriterien in einem neuen Verfahren sind bei diesem Ansatz zwar nicht zu leugnen. Die schrittweise Festlegung entscheidungsleitender Faktoren steckt jedoch einen abstrakten Rahmen ab, der eine solche zumindest grobmaschig zu gewährleisten vermag, und bemüht sich insoweit gerade um einen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit726. Speziell im Umgang mit der Menschenrechtssubjektivität juristischer Personen in Staatshand lässt sich dieses methodische Vorgehen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anschaulich darstellen727.

II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten 1. Dynamisches Einrücken in das grundrechtliche Mehrebenensystem Eine separate Betrachtung der sog. Grundfreiheiten728 im Kontext der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft mutet mit Blick auf den Normtext und ihr Regelungsziel zunächst ungewöhnlich an. Den jeweiligen Textfassungen fehlt – anders als den deutschen und europäischen Grundrechten – der prominente Individualbezug. Darüber hinaus ist ihr ursprüngliches Regelungsanliegen im Lichte der Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV und Art. 26 Abs. 2 AEUV nicht etwa der Schutz subjektiver Freiheitsräume um ihrer selbst willen, sondern zuvorderst der Abbau mitgliedstaatlicher Behinderungen des freien europäischen Wirtschaftsverkehrs, um auf diesem Wege die Realisierung und Aufrechterhaltung eines europäischen Binnen725  Baade, Diskurswächter (Fn. 721), S. 282  ff. mit einer Reihe von Beispielen sowohl hinsichtlich der klassischen Begriffsauslegung als auch hinsichtlich der Abwägung kollidierender Rechte; vgl. der Sache nach auch Cremer (Fn. 709), Kap. 4 Rn. 121. 726  Baade, Diskurswächter (Fn. 721), S.  284 f. 727  S. dazu unten S. 246 ff. 728  Nach deutschem rechtswissenschaftlichen Verständnis ist damit die Gruppe aus Warenverkehrsfreiheit (Art.  34, 35 AEUV), Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art.  45 AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art. 63 AEUV) gemeint. Näher zur Terminologie T. Kingreen, Grundfreiheiten, in: A. von Bogdandy/J. Bast (Hrsg.), Euro­ päisches Verfassungsrecht (Fn. 685), S. 705 (705 ff.); W. Pfeil, Historische Vorbilder und Entwicklung des Rechtsbegriffs der „Vier Grundfreiheiten“ im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1998, S. 2 ff.



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten189

marktes zu gewährleisten729. Dass ihre Betrachtung im vorliegenden Untersuchungszusammenhang dennoch notwendig und sinnvoll ist, erklärt sich vor dem Hintergrund eines gewandelten Verständnisses der Grundfreiheiten: Über ihr Kernanliegen als binnenmarktbezogene, an die Mitgliedstaaten adressierte Verbotsnormen hinaus hat insbesondere der Europäische Ge­ richtshof den Grundfreiheiten ein extensives Verständnis unterlegt, indem er ihren Charakter als subjektive Rechtspositionen implizit hervorgehoben und sie zu allgemeinen Beschränkungsverboten fortentwickelt hat730. Mehr noch: In einer Reihe von Fällen hat der Gerichtshof auch solche Sachverhalte am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen, die einen nur noch stark verblassten Binnenmarktbezug aufwiesen und stattdessen im Schwerpunkt Fragen des Übergriffs in individuelle Freiheitssphären aufwarfen731. Diskutiert werden im Anschluss daran insbesondere die gerichtlich vorangetriebene Ausformung der Bestimmungen zu Hebeln negativer Integration und die potentiellen Implikationen dessen auf die Gewichte in der europäischen Gewalten­ architektur732. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang ist daraus allerdings vor allem zu destillieren, dass die europäische Rechtsprechung die Grundfreiheiten in ihrer weiten Interpretation auch als Freiheitsrechte versteht und sie so mindestens in die Peripherie grundrechtlicher Gewährleistungen gerückt hat733. Dass die grundfreiheitlichen Gewährleistungen schutzgut729  Dazu nur E. Pache, Grundfreiheiten, in: R. Schulze/A. Janssen/S. Kadelbach (Hrsg.), Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 4. Auflage 2020, § 10 Rn. 3; vgl. ferner zur unterschiedlichen Stoßrichtung von Grundrechten und Grundfreiheiten W. Frenz, EuR 37 (2002), 603 (608 f.); P.-C. Müller-Graff, Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechte, in: H.-J. Cremer/T. Giegerich/D. Richter u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts. Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 1281 (1281 f., 1285). 730  Grundlegend zu den verschiedenen Grundfreiheiten EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 Rn. 5 (Dassonville); Rs. 33/74 Slg. 1974, 1299 Rn. 10/12 (Van Binsbergen/Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid); Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 Rn. 92 ff. (Bosman); speziell zur Niederlassungsfreiheit s. die Nachweise oben in Fn. 643. 731  In einer plakativen Reihung verweist T. Kingreen, EuR 45 (2010), 338 (355 f.) auf die Entscheidungen EuGH, Rs. C-60/00, Slg. 2002, I-6279 Rn. 39 (Carpenter); Rs. C-158/04 und C-159/04, Slg. 2006, I-8135 Rn. 15 ff., 28 (Alfa Vita Vassilopoulos); Rs. C-110/05, Slg. 2009, I-519 Rn. 58 (Kommission/Italien); Rs. C-142/05, Slg. 2009, I-4273 Rn. 24 ff. (Mickelsson und Roos). 732  Näher dazu einerseits T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 36 AEUV Rn. 2 ff., andererseits P.-C. Müller-Graff, Das Recht des Binnenmarktes: Grundfreiheiten und Wettbewerbsordnung, in: A. Hatje/ders. (Hrsg.), Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 1, 2. Auflage 2022, § 9 Rn. 46. 733  Mit unterschiedlichen Akzenten ebenso L. Crones, Grundrechtlicher Schutz von juristischen Personen im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 22 ff., 178; Dreier (Fn. 393), Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 35 f.; D. Ehlers, Allgemeine Lehren der Grundfreiheiten, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten,

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und nicht – wie die Grundrechte – personenbezogen formuliert sind, steht dem Blick auf ihre Gemeinsamkeiten nicht entgegen: Abstrakt formuliert lassen sich beide nunmehr als bereichsbezogene, freiheitssichernde Gewährleistungen einordnen, die individuelle Rechte unmittelbar verbürgen734. Dem Gedanken einer gegenseitigen Verschränkung von Grundrechten und Grundfreiheiten entspricht es, wenn es in der Präambel der Grundrechtecharta heißt735: „[Die Union] ist bestrebt, eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu fördern und stellt den freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit sicher. Zu diesem [Herv. d. Verf.] Zweck ist es notwendig, […] den Schutz der Grundrechte zu stärken, indem sie in einer Charta sichtbarer gemacht werden.“

Mag die Einordnung der Grundfreiheiten in einen grundrechtsähnlichen Kontext auch Widerspruch hervorrufen736, kann ihre Verknüpfung mit dem grundrechtlichen Schutzsystem auf europarechtlicher Ebene, die sowohl der Normtext der Grundrechtecharta als auch die Rechtsprechung vornimmt737, für die Frage der Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen im Allgemeinen doch nicht ignoriert werden.

4. Auflage 2014, § 7 Rn. 13, 30 f.; D. Kraus, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG I (Fn. 709), Kap. 3  Rn. 136 ff.; D. Merten, DÖV 2019, 41 (46); Nettesheim, Gesetz­ gebungsverfahren (Fn. 649), S. 173; V. Skouris, DÖV 2006, 89 (93); R. Streinz, Allgemeine Lehren der Grundfreiheiten – Vom Diskriminierungsverbot zum Beschränkungsverbot, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VI/1, 2010, § 152 Rn. 32; C. Walter, Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten, in: Ehlers, EuGR (diese Fn.), § 1 Rn. 53, 58; mit kritischer Einordnung ferner T. Kingreen, EuR 45 (2010), 338 (355 f.). 734  In diese Richtung auch Ehlers (Fn. 733), § 7 Rn. 13. 735  Präambel GrCh Abs.  3 u. 4. Zur Bedeutung dieses Textbezugs wie hier W. Frenz, NVwZ 2011, 961 (963). 736  Namentlich von T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 115 ff.; ders., JZ 2013, 801 (804); ders., Grundfreiheiten (Fn. 728), S.  727 ff.; ders., EuGRZ 2004, 570 (575 f.). Ebenso kritisch J. Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als Gemeinschaftsgrundrechte, 2004, S.  346 ff.; E. Pache, Begriff, Geltungsgrund und Rang der Grundrechte der EU, in: F. S. M. Heselhaus/C. Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2. Auflage 2020, § 7 Rn. 70; Ziekow, Freizügigkeit (Fn. 113), S.  16 f. 737  Allgemein und instruktiv zur zunehmenden Verzahnung von Grundrechten und Grundfreiheiten im europäischen Rechtsschutzsystem W. Kahl/M. Schwind, EuR 49 (2014), 170 ff.; V. Skouris, DÖV 2006, 89 ff.



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten191

2. Materielle Regelung der Grundfreiheitssubjektivität: Großzügige Einbeziehung als Spiegel der Zweckorientierung Die Rechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen ist in Bezug auf die Grundfreiheiten ausdrücklich geregelt und im Vergleich zu sonstigen Bereichen des europäischen Mehrebenensystems auf der Grundlage eines recht klar formulierten Normenkonstrukts zu beurteilen. So bestimmt Art. 54 Abs. 2 AEUV explizit, dass die Vorschriften der Art. 49 ff. AEUV über die Niederlassungsfreiheit auch auf solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung finden, wenn und soweit sie einen Erwerbszweck verfolgen. Gleiches gilt über den Verweis des Art. 62 AEUV für die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) und nach ganz überwiegender Auffassung jedenfalls dem Gedanken nach auch für die weiteren Grundfreiheiten738. Die Limitierung auf den Erwerbszweck ist für die Grundfreiheitssubjektivität zwar essentiell, bleibt allerdings in ihrer eingrenzenden Wirkung moderat: In weiter Auslegung wird der Begriff des Erwerbszwecks mehr als allgemeine Teilnahme am Wirtschaftsverkehr denn als eine den Gesellschaftszweck allein prägende, turnusmäßig nachzuweisende Gewinnerzielungsabsicht verstanden; überwiegend beeinflussen muss der Erwerbszweck das Handeln der Gesellschaft nicht739. Neben dieser in Art. 54 AEUV formulierten Bedingung folgt eine weitere Eingrenzung aus Art. 51 Abs. 1 AEUV. Dieser erklärt die Vorschriften des Kapitels zur Niederlassungsfreiheit und über Art. 62 AEUV auch diejenigen des Kapitels zur Dienstleistungsfreiheit für unanwendbar, wenn die in Rede stehende Tätigkeit dauernd oder zeitweise mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden ist. Aus diesem Zuschnitt heraus sind insbesondere öffentliche Unternehmen von den Vorschriften über den persönlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten erfasst740. Der nachgezeichnete gesetzliche Rahmen lässt sich in 738  Dafür mit teils unterschiedlichen methodischen Ansätzen Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 14; Ehlers (Fn. 733), § 7 Rn. 47; U. Forsthoff, in: Nettesheim, Grabitz/ Hilf/Nettesheim – Recht der EU (Fn. 643), Art. 54 AEUV (2019), Rn. 28; P.-C. Mül­ ler-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV (Fn. 644), Art. 54 AEUV Rn. 1; W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (173). Anders S. Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 54 AEUV Rn. 6. 739  P. Jung, in: U. Becker/A. Hatje/J. Schoo u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 54  AEUV Rn. 7; F. Kainer, in: M. Pechstein/C. Nowak/U. Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Bd. II, 2017, Art. 54 AEUV Rn. 4; Korte (Fn. 738), Art. 54 AEUV Rn. 10; Pache, Grundfreiheiten (Fn. 729), § 10  Rn. 38; J. Tiedje, in: H. von der Groeben/J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Euro­ päisches Unionsrecht, Bd. 1, 7. Auflage 2015, Art. 54 AEUV Rn. 22. 740  Müller-Graff (Fn. 738), Art. 54 AEUV Rn. 5; W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (165, 173 f.). Zum unionsautonomen Begriffsverständnis der „öffentlichen Unternehmen“ statt vieler C. Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 106 AEUV Rn. 12 f. mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen.

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der Faustregel einer grundsätzlichen Grundfreiheitssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen zusammenfassen, sollten diese im konkret zu beurteilenden Zusammenhang erwerbswirtschaftlich auftreten und keine Befugnisse öffentlicher Gewalt für sich in Anspruch nehmen741. Der Grund für diese aus deutscher, durch einen restriktiven Umgang mit Art. 19 Abs. 3 GG geprägten Perspektive großzügig anmutende Regelungsvariante liegt im bereits erwähnten Ursprungsanliegen der Grundfreiheiten. Denn ihrer Zielsetzung des Abbaus von Handelshemmnissen und der Realisierung eines europäischen Binnenmarkts, die in Art. 26 Abs. 2 AEUV normativen Niederschlag gefunden hat, ist die Einbeziehung auch staatlich getragener juristischer Personen nicht abträglich, sondern gerade nützlich, solange die letzteren ebenfalls erwerbswirtschaftlich am Markt tätig werden742. Die maßgebliche theoretische Unterfütterung der grundsätzlichen Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen liegt demnach in einem funktionalen Verständnis, das die Grundfreiheiten als Vehikel einer unverzerrten Ressourcenallokation am Markt begreift743. In der Gesamtschau gießen bereits die Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit, die auf die weiteren Grundfreiheiten explizit oder dem Gedanken nach übertragbar sind, ein belastbares Fundament für die Beurteilung der Grundfreiheitssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten. Das ebenfalls explizit normierte Regelungsziel der Grundfreiheiten dichtet das Bild über die Bestimmungen zusätzlich teleologisch ab. Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang augenscheinlich noch keinerlei Beachtung gefunden hat, ist die Frage, inwieweit das in jüngerer Vergangenheit insbesondere von der Rechtsprechung forcierte Heranrücken der Grundfreiheiten an die grundrechtliche Sphäre diese recht klar gefassten Grundlinien beeinflusst und die Gewichte innerhalb des gesetzlichen Zusammenhangs zugunsten oder zulasten der Grundfreiheitssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts verschiebt. Auf die Tendenz des Europäischen Gerichtshofs, den Grundfreiheiten freiheitsrechtliche Züge zu unterlegen und sie in die Position 741  Statt vieler F. Kainer, Die binnenmarktrechtliche Niederlassungsfreiheit der Unternehmen, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4, 2. Auflage 2021, § 4 Rn. 26 m. w. N. 742  Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 177; Korte (Fn. 738), Art. 54 AEUV Rn. 28; in diese Richtung auch K. Riemer, Investitionspflichten der Betreiber von Elektrizitätsübertragungsnetzen, 2017, S. 394. 743  Gebauer, Grundfreiheiten (Fn. 736), S.  348 f.; Pache, Grundfreiheiten (Fn. 729), § 10 Rn. 3; A. von Ungern-Sternberg, Autonome und funktionale Grundrechtskonzeptionen – Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: N. Matz-Lück/M. Hong (Hrsg.), Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem – Konkurrenzen und Interferenzen, 2012, S.  69 (76 f., 80 f.).



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten193

einer „zweiten Grundrechtsschicht“744 zu erheben, ist bereits hingewiesen worden745. Naheliegend wäre insofern eine Ausrichtung des grundfreiheitlichen Umgangs mit staatlich getragenen juristischen Personen an den Strukturen des europarechtlichen Grundrechtsschutzes, in dessen Kontext nicht wenige Stimmen aus der Wissenschaft staatliche Entitäten in ihrer Gesamtheit grundsätzlich ausgeschlossen wissen wollen746. Aus der Konsequenz einer solchen Verknüpfung ergäbe sich eine restriktive Handhabe, die zunehmend strengere Maßstäbe an die Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen anlegen müsste, je näher die Grundfreiheiten an den grundrechtlichen Bereich heranrückten. Freilich sähe sich eine solche Parallelisierung der ausdrücklich normierten Hürde des Art. 54 Abs. 2 AEUV gegenüber. Rechtstechnisch ließe sich diese wohl mittels einer restriktiven Tatbestandsauslegung überwinden, etwa im Wege eines einschränkenden Verständnisses des Ausdrucks der „sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen“. Die europäische Gerichtsbarkeit scheint einem solchen Ansatz allerdings nicht zuzuneigen. Als der Europäische Gerichtshof in einer jüngeren Entscheidung einer deutschen Sparkasse mit einer Dependance in Österreich die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit gegen eine deutsche Steuervorschrift zubilligte, legte er keinen Wert auf eine entsprechend Anpassung747. Die Entscheidung zieht weder eine Kopplung der Grundfreiheiten an grundrechtliche Muster im Allgemeinen noch eine einschränkende Auslegung des Art. 54 Abs. 2 AEUV im Besonderen in Betracht. Ob der Gerichtshof auf Grundlage dessen weiter744  Als Kritik formuliert von Kingreen, Grundfreiheiten (Fn. 728), S. 727; ders., EuR 45 (2010), 338 (355); ders., EuGRZ 2004, 570 (575). 745  Siehe oben S. 188 ff. 746  Stellvertretend für diese Auffassung sei an dieser Stelle nur verwiesen auf A. Hatje, in: U. Becker u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar (Fn. 739), Art. 51  GRC Rn. 7; C. Nowak, Grundrechtsberechtigte und Grundrechtsadressaten, in: Heselhaus/ders., Hdb. EUGR (Fn. 736), § 9 Rn. 19 f. Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit die europäischen Grundrechte staatliche Organisationseinheiten einschließen, siehe unten S. 202 ff. 747  EuGH, Rs. C-522/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:253), Rn. 19 (Sparkasse Allgäu). Dass der EuGH im weiteren Verlauf der Entscheidung einen Eingriff ablehnte, ändert nichts an dieser Feststellung. Die Ablehnung war der besonderen Fallkonstellation gegensätzlich wirkender nationaler Regelungen zum Bankgeheimnis in Deutschland und Österreich geschuldet und ist nicht etwa mit einer potentiell geringeren Schutzwürdigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts als solcher begründet worden. Gleichzeitig hat der Gerichtshof damit implizit zu erkennen gegeben, dass sich staatlich getragene Organisationseinheiten auch gegenüber dem Heimatstaat auf die Niederlassungsfreiheit berufen können; vgl. zu den unterschiedlichen Positionen in dieser Streitfrage aus der deutschen Rechtswissenschaft einerseits W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (174 f.) und andererseits J. Wolff, DÖV 2011, 721 (727), jeweils m. w. N.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

hin von der normtextlich-unbefangenen Lösung ausgeht und jeder staatlich getragenen, erwerbswirtschaftlich tätigen Organisationseinheit die Grundfreiheitssubjektivität zugesteht, lässt sich schwerlich vorhersagen. Bis auf den dargestellten Beschluss ist die Entscheidungslage in der europäischen Gerichtsbarkeit spärlich. Bejahendenfalls profitierten eben jene Organisationseinheiten unter Umständen von einem grundfreiheitlich gewährleisteten Schutz ihrer unternehmerischen Tätigkeit, der einem grundrechtlichen Standard nahekommt748. Der in Art. 54 Abs. 2 AEUV geschützte Erwerbszweck entwickelte sich damit zu Voraussetzung und Schutzgut zugleich. Bewusst oder unbewusst würde dieser Weg das Ziel eines möglichst engmaschigen, sich nötigenfalls auch überlappenden europäischen „Grundrechtsschutzes“ priorisieren und als Nebenprodukt eine erstarkte Rechtsschutzposition der staatlichen oder staatlich beherrschten juristischen Personen in Kauf nehmen. 3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht Will man aus den vorstehenden Ausführungen Ableitungen für die Diskussion um die Grundrechtsträgerschaft staatlich getragener juristischer Personen im deutschen Diskurs treffen, muss zwischen allgemeinen, theoretischteleologischen Anleihen auf der einen und den unmittelbaren Auswirkungen auf der anderen Seite unterschieden werden, die das Bundesverfassungsgericht mit der Einbeziehung der Grundfreiheiten im Atomausstiegsurteil herbeigeführt hat. a) Gedankliche Anleihen im Wege des wertenden Vergleichs Bei der Übertragbarkeit europarechtlicher Gedanken in den deutschen Diskurs ist einmal mehr darauf hinzuweisen, dass das Europarecht einem autonomen Maßstab folgt und neben seinen Rechtsbegrifflichkeiten auch seine Wertungen nicht unbesehen in den nationalen Kontext übersetzt werden können749. Dieser Befund gilt selbstredend auch für die europäischen Grundfreiheiten, denen ein in Regelungsanliegen und Ausgestaltung vergleichbarer nationaler Normenkomplex im deutschen Recht fehlt. Insbesondere die ihnen zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen unterscheiden sie nach bundesverfassungsgerichtlichem Verständnis von den deutschen Grundrechten750. 748  Dass die Grundfreiheiten mittels eines freiheitsrechtlichen Verständnisses die Funktionen der Berufsfreiheit teils mit übernehmen, merkt insbesondere T. Kingreen, JZ 2013, 801 (804) an. 749  Ausführlich dazu oben S. 179 ff. 750  Dazu jüngst BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1503 f.). Im Anschluss daran auch W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (43).



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten195

Die Realisierung des europäischen Binnenmarkts als Ziel vor Augen, basieren die Grundfreiheiten auf einer funktionalen Konzeption, die sie als Mittel zum Zweck einer marktwirtschaftlich-effizienten Ressourcenallokation begreift751  − eine Erwägung, die das Bundesverfassungsgericht für die Grundrechte, wenn überhaupt, vereinzelt in Betracht zieht752. Vor diesem Hintergrund ist die These, die Grundfreiheiten stünden ihrer Konzeption nach nicht in der Tradition herkömmlicher Grundrechte753, zutreffend. Fraglich ist allerdings, ob darin tatsächlich eine so tiefe, schwerlich überbrückbare dogmatische Schlucht zu erkennen ist, wie sie vielerorts angenommen wird754. Denn auch wenn sich Grundrechte und Grundfreiheiten in ihren Zielsetzungen unterscheiden mögen, drückt sich ihre strukturelle Ähnlichkeit doch darin aus, dass beide nach heutigem Verständnis als subjektive Rechte der Absicherung spezifischer Freiheitsbereiche dienen755. Der Europäische Gerichtshof geht – freilich mit eingeschränkter Rücksicht auf Reibungsverluste der mitgliedstaatlichen Dogmatik im Verhältnis zum Europarecht – sogar noch weiter und bemüht sich um eine weitgehende Marginalisierung der Unterschiede, wenn er die Grundfreiheiten zunehmend nach grundrechtlichem Verständnis formt756. Damit soll nicht etwa einer Verschmelzung von Grundrechten und Grundfreiheiten das Wort geredet werden757. Doch ebenso wenig 751  Zu

entsprechenden Nachweisen siehe oben S. 192 mit Fn. 743. etwa die wettbewerbs- und marktbezogene Interpretation der Berufsfreiheit in BVerfGE 105, 252 (265 ff.), wobei dieser Aspekt der Entscheidung vornehmlich kritisch aufgenommen wurde, etwa von C. Möllers, NJW 2005, 1973 (1975); B. Ruste­ berg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 106 ff. Zum grundsätzlich weniger funktional und vielmehr autonom geprägten Grundrechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts von Ungern-Sternberg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S.  72, 74 ff. 753  W. Hoffmann-Riem, EuGRZ 2002, 473 (480). 754  So Gebauer, Grundfreiheiten (Fn.  736), S. 334  ff., 346  ff., 356; Kingreen, Struktur (Fn. 736), S.  116 f.; ders., Grundfreiheiten (Fn. 728), S. 727; siehe zu kritischen Stimmen ferner die Nachweise oben in Fn. 736. 755  W. Frenz, NVwZ 2011, 961 (963); C. Manger-Nestler/G. Noack, JuS 2013, 503 (506); Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 122 ff., insb. Rn. 125; ähnlich Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 177 f. Auf Basis der gemeinsamen Wurzel des Individualschutzes gehen W. Kahl/M. Schwind, EuR 49 (2014), 170 (171) von einer „dogmatisch-strukturellen ‚Verwandtschaft‘ “ von Grundrechten und Grundfreiheiten aus; vergleichbare Terminologie bei Pache, Begriff (Fn. 736), § 7 Rn. 46. 756  Dazu bereits oben S. 188 ff. mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen insb. in Fn. 731. 757  Für eine solche andeutungsweise Dreier (Fn. 393), Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 49: „Möglicherweise muß die besondere Kategorie der Grundfreiheiten über kurz oder lang als eine Art Eierschale der EU-Evolution einfach abgelegt werden“. Eine dahingehende Tendenz beobachtet T. Kingreen, Der Abstieg der Grundfreiheiten und der Aufstieg der Unionsgrundrechte, in: M. Kment (Hrsg.), Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht. Festschrift für Hans D. Jarass, 752  So

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

kann mit Blick auf die jedenfalls punktuell immer wieder auftretenden Überschneidungen der Kategorien auf europäischer Ebene argumentiert werden, Einzelaspekte des Umgangs mit den dortigen Grundfreiheiten seien für die nationale Frage der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten ein Muster ohne Wert – zumindest wertende Vergleiche drängen sich als gewinnbringend auf. Ein dem Vergleich zugänglicher Aspekt ist etwa das sog. Konfusionsargument, die Annahme also, der Staat könne sich als Adressat grundrechtlicher Verpflichtungen nicht auf deren Gewährleistungen berufen758. Primäre ­Adressaten der europäischen Grundfreiheiten sind nach den Textfassungen der jeweiligen Normen und vor dem Hintergrund ihres Regelungsanliegens die Mitgliedstaaten, und zwar ungeachtet etwaiger föderaler Staatsstrukturen oder der spezifischen Erscheinungsform, in der sie im konkreten Fall auftreten759. Andererseits bezieht Art. 54 Abs. 2 AEUV in Zusammenschau mit Art. 51 AEUV juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts explizit in den grundfreiheitlichen Schutz mit ein, solange und soweit sie keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen und einen Erwerbszweck verfolgen. Damit ist einem Konfusionsargument auf der Ebene der europäischen Grundfreiheiten schon normtextlich der Weg in die argumentative Bedeutsamkeit verbaut760. Entsprechend bezog der Europäische Gerichtshof eine Sparkasse in kommunaler Trägerschaft ohne ausladende Erläuterungen in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ein, obwohl sie diese gegen den eigenen Heimatstaat ins Feld führte761. Allein die Existenz einer europarechtlichen Regelung zugunsten der Grundfreiheitsfähigkeit juristischer Personen des 2015, S. 51 (59 ff.) schon jetzt aufgrund des fortschreitenden Bedeutungsverlusts der Grundfreiheiten, der – so seine Annahme – mit einer steigenden Zahl grundrechtlicher Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof korreliert. Die überwiegende Meinung steht einer Vermengung der beiden Kategorien indes kritisch gegenüber, s. statt vieler und jeweils m. w. N. W. Kahl/M. Schwind, EuR 49 (2014), 170 (172); Pache, Begriff (Fn. 736), § 7 Rn. 49 ff., 70. Ähnlich D. Ehlers, Allgemeine Lehren der ­Unionsgrundrechte, in: ders., EuGR (Fn. 733), § 14 Rn. 22, der allerdings davon ausgeht, ein Aufgehen der Grundfreiheiten in den Grundrechten hätte ohnehin nur formale, jedoch keinerlei inhaltliche Konsequenzen. 758  Ausführlich dazu oben S. 44 ff. 759  Ehlers (Fn. 733), § 7 Rn. 52; Kingreen (Fn. 732), Art. 36  AEUV Rn. 106 ff.; Streinz (Fn. 733), § 152 Rn. 47, jeweils m. w. N.; vgl. aus der Rechtsprechung zu mitgliedstaatlichen Entitäten in unterschiedlichen Organisationsformen exemplarisch EuGH, Rs. C-325/00, Slg. 2002, I-9977 Rn. 17  ff. (Kommission/Deutschland); Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 Rn. 119 ff. (Wouters u. a.). 760  W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (173 f.); ders., DVBl. 2003, 564 (568). In diese Richtung auch Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 174. 761  EuGH, Rs. C-522/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:253), Rn. 19  f. (Sparkasse Allgäu); dazu auch bereits oben S. 193 f.



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten197

öffentlichen Rechts impliziert eine differenzierende Perspektive und widerlegt das teleologische Verständnis des Konfusionsarguments762, nach dem „der Staat“, verstanden als Gesamtheit aller wie auch immer ausgeformter staatlicher Untergliederungen, schon dem Grunde nach niemals an Rechten partizipieren kann, die er anderen zu gewähren verpflichtet ist. Die berechtigten juristische Personen in Staatshand bleiben trotz Art. 54 Abs. 2 AEUV weiterhin an die Grundfreiheiten gebunden763, so dass auf Grundfreiheits­ ebene Berechtigung und Verpflichtung sehr wohl in ein und derselben Person zusammentreffen, wenngleich selbstredend nicht in einem identischen Rechtsverhältnis764. Beide Annahmen lassen sich vom spezifischen Regelungsanliegen der Grundfreiheiten abkoppeln und auf diesem Wege verallgemeinern. Ein anderer gewinnbringender Aspekt für den deutschen Diskurs ist der Blick auf die dynamische Entwicklung der Grundfreiheitstheorie. Deren funktionale Grundidee ist evident, da normtextlich in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV und Art. 26 Abs. 2 AEUV verankert. Allerdings hat insbesondere der Euro­ päische Gerichtshof – wie gesehen – die subjektiv-rechtliche Seite der Grundfreiheiten gestärkt, ihnen zusätzlich zum gleichheitsrechtlichen Verständnis ein freiheitsrechtliches unterlegt und sie so aus der eindimensionalen Position als bloße Mittlernormen einer Binnenmarktrealisierung heraus zu effektiven Gewährleistungen des Individualrechtsschutzes erhoben. Diese Entwicklung steht zwar unter spezifisch europarechtlichen Vorzeichen wie der Abgrenzung von Integrations- und Legitimationsansprüchen zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten765. Abstrakt betrachtet lässt sich die Verknüpfung von Zweck und Schutzreichweite bei den Grundfreiheiten aber gleichwohl zum Anlass nehmen, um sich funktionalen Ansätzen in der deutschen Grundrechtstheorie zu nähern und zu untersuchen, ob und inwieweit

762  Zu diesem Verständnis und dem Streit um die Deutungshoheit über das Verständnis des Konfusionsarguments im nationalen Diskurs oben S. 46 ff. 763  Speziell für öffentliche Unternehmen M. Knauff, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: R. Schmidt/F. Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Auflage 2019, § 6 Rn. 35; W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (170 f., 178). 764  Auf eine fehlende Konfusionslage in den letztgenannten Fällen wird auch auf europarechtlicher Ebene hingewiesen, etwa bei W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (174). Diese Feststellung ist sicherlich zutreffend, basiert aber schon auf juristischem Allgemeingut schuldrechtlichen Ursprungs und führt im Grundrechtskontext in dieser konkretisierten Form als Argument für oder gegen die Grundrechts- bzw. Grundfreiheitssubjektivität juristischer Personen nicht weiter; siehe zur parallelen Annahme im deutschen Recht oben S. 47 f. mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 137. 765  Kingreen (Fn. 732), Art. 36 AEUV Rn. 5 ff. fasst die Fragestellungen der vornehmlich von ihm geprägten Debatte überblicksartig zusammen.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

sie das Potential besitzen, den Blick auf die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten zu beeinflussen766. b) Unmittelbare Verknüpfung mit Art. 19 Abs. 3 GG und ihre Auswirkungen Das Bundesverfassungsgericht selbst ist über das Format gedanklicher und argumentativer Anleihen hinaus gegangen und hat die Grundfreiheiten zum unmittelbaren Prüfungsmaßstab für die Frage erhoben, ob sich eine juristische Person des Privatrechts, die von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union getragen wird, mittels Art. 19 Abs. 3 GG auf die Grundrechte berufen kann767. Diese unerwartete Verquickung lenkt den Blick zum einen auf eine möglicherweise veränderte Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG unter den Einflüssen des grundrechtlichen Mehrebenensystems in Europa, hinterlässt aber zum anderen neben eigenwilligen europarechtlichen Schlussfolgerungen768 auch dogmatische Reibungspunkte mit hergebrachten Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. So stehen sich bei der Verwendung des Konfusionsarguments als Argumentationstopos in der Entscheidung unausgesprochen zwei gegensätzliche Perspektiven gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht betont ausdrücklich die Aktualität des Konfusionsgedankens für seine Rechtsprechung und führt aus, dass der Gedanke, der Staat könne nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter von Grundrechten sein, weiterhin zu denjenigen Gründen zähle, die gegen eine Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener Organisationseinheiten sprächen769. Gleichzeitig billigt das Gericht der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zu und fügt an, es sei mit Blick auf die Regelung des Art. 54 Abs. 2 AEUV unerheblich, dass sich das Unternehmen vollständig in der Hand des schwedischen Staates befinde770. Stillschweigend akzeptiert das Verfassungsgericht damit aber die zuvor dargestellten grundfreiheitlichen Vorzeichen, die von der Ausdifferenziertheit des Staats ausgehen und auf der These fußen, dass staatliche Organisationseinheiten sehr wohl auf der einen Seite aus grundlegenden Freiheiten berechtigt, ihnen auf der anderen Seite aber auch verpflichtet sein 766  Dieser Gedanke wird im weiteren Verlauf der Untersuchung aufgegriffen, s. unten S. 319 ff. 767  BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.), zum Sachverhalt und Hintergrund oben S. 158 ff. 768  Dazu bereits oben S. 164 ff. 769  BVerfGE 143, 246 (313 f., Rn. 188). 770  BVerfGE 143, 246 (317, Rn. 197).



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können. Inwieweit sich die eigene Annahme ungeprüft aufrecht erhalten lässt, wenn das Verfassungsgericht offensichtlich ebenso von der Richtigkeit der europarechtlichen Prämisse auszugehen scheint, ist damit äußerst zweifelhaft771. Das gilt umso mehr, wenn das Gericht selbst das Anliegen formuliert, mit der grundfreiheitsorientierten Interpretation Brüche zwischen nationalem und europäischem Recht vermeiden zu wollen772. Konkreten Niederschlag findet dieser Widerspruch beispielsweise darin, dass er dem Versuch, das Konfusionsargument als Bastion gegen mögliche Umgehungsversuche deutscher Hoheitsträger in Stellung zu bringen, die Grundlage entzieht773. Wenn die „Konfusionsneutralität“ der EU-Grundfreiheiten über eine europarechtskonforme Auslegung nach dem Muster des Atomausstiegsurteils Einzug in den Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG erhält, muss ein solcher Versuch scheitern. Mit der Einbindung der Grundfreiheiten hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere Angriffsfläche für das Konfusionsargument geschaffen und unfreiwillig seine mangelnde Überzeugungskraft unterstrichen774. Die Grundrechtssubjektivität eines europäischen Staatsunternehmens anhand von Art. 19 Abs. 3 GG mit der Ebene der europäischen Grundfreiheiten zu verknüpfen, hat darüber hinaus Rückwirkungen auf das ohnehin nicht immer konsequent befolgte Kriterium der Durchgriffsthese. Das Bundesverfassungsgericht gesteht selbst ein, dass der Bezug zum Freiheitsraum der hinter der Person stehenden Menschen fehlt, belässt es aber bei der bloßen Feststellung775. Der Rekurs auf eine europarechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG anhand der Art. 49, 54 AEUV dient dem Gericht in der Folge allerdings gerade dazu, die Hürde des Durchgriffsgedankens zu überwinden und das im Fall von Organisationseinheiten in deutscher Staatshand als unumstöß771  Dem Gedanken nach ebenso D. Merten, DÖV 2019, 41 (46), der allerdings spiegelbildlich vorgeht und dem Verfassungsgericht vorwirft, die Grundfreiheitssubjektivität des schwedischen Staatskonzerns nicht konsequent an seinem eigenen Konfusionsverständnis zu messen. Einem solchen Vorgehen stünden freilich Art. 54 Abs. 2 AEUV und damit der Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegen. Im Vorwurf mangelnder Konsequenz ist ihm der Sache nach allerdings zuzustimmen. 772  BVerfGE 143, 246 (317, Rn.  196); erneut aufgegriffen in BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502). 773  Zu derlei Versuchen R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 96, wobei letzterer mit Skepsis auf die Hürde des ­unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs blickt. Dieser schlösse eine Derogation der ausdrücklichen Regelung des Art. 54 Abs. 2 AEUV über das deutsche Konfusionsargument in der Tat aus. 774  Die jüngste Rechtsprechung zur exzessiven Grundrechtsbindung Privater ist ein vergleichbarer, sehenden Auges in Kauf genommener Widerspruch zum Konfu­ sionsargument, dazu bereits oben S. 122. 775  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195).

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lich geltende Dogma beiseitezuschieben776. Der Einfluss der Niederlassungsfreiheit macht die Durchgriffsthese folglich einer Abwägung zugänglich und stellt sie im Falle des Atomausstiegsurteils sogar hinter die kumulierten Aspekte Rechtsschutzlosigkeit, Schwere des Eingriffs und Benachteiligung im Wettbewerb zurück777. Löst man sich vom Durchgriffskriterium als solchem und hievt die Beobachtung auf eine grundrechtstheoretische Ebene, öffnet das Bundesverfassungsgericht sein autonomes Grundrechtsverständnis mit der grundfreiheitsbasierten Auslegung zumindest im Verhältnis Staat-Staat778 für funktionale Elemente. Zu diesen stand die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung speziell bezüglich der Grundrechtsträgerschaft staatsgetragener juristischer Personen in einem ambivalenten Verhältnis: Einerseits verwertet das Gericht die Meriten einer funktionalen Grundrechtstheorie im Zuge seiner Rechtsprechung zu den sog. Justizgrundrechten und hebt unabhängig vom potentiellen Grundrechtsträger auf den Gedanken prozessualer Waffengleichheit und ihre Bedeutung für ein rechtsstaatliches Verfahren ab, um sie auf diesem Wege staatlich getragenen juristischen Personen zuzubilligen779. Die rechtsstaatlich-funktionale Sicht ist hier allein entscheidungstragend; anthropozentrische Gesichtspunkte bleiben unberücksichtigt, was sich insbesondere an der Degradierung der Art. 101, 102 GG zu rein objektiven Rechtssätzen belegen lässt. Andererseits verfolgt das Gericht diesen rechtsstaatlichfunktionalen Gedanken nicht konsequent und verwehrt sich etwa im Zuge des Willkürverbots gerade einer entsprechenden Argumentation780. Darüber hinaus betont das Bundesverfassungsgericht auf der einen Seite die Bedeutung der Grundrechte über ihre rein freiheitsschützende Seite hinaus und ordnet sie als Determinanten gesellschaftlicher Teilhabe und der Mitwirkung am Gemeinwesen ein781. Auf der anderen Seite hat es sich jedoch ablehnend dazu geäußert, den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechtsgewährleistungen 776  Dazu schon ausführlich oben S. 161 ff. In diese Richtung auch T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18); R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211); T. Lauterbach, Unternehmen zwischen Staat und Gesellschaft, 2017, S. 213. 777  Zu diesen Aspekten BVerfGE 143, 246 (318, Rn. 200). 778  Das Verfassungsgericht bemüht sich dezidiert um eine Konzentration auf diesen (hier: zwischen-)staatlichen Binnenbereich, wenn es darauf hinweist, es sei kein „multipolares Grundrechtsverhältnis betroffen, in dem die Gewährung von Grundrechtsschutz an das staatliche Unternehmen unmittelbar die Position eines anderen, in ursprünglicher Freiheit handelnden Grundrechtsträgers beeinflussen und damit den verfassungsrechtlichen Schutz ursprünglicher Freiheit schwächen würde“, BVerfGE 143, 246 (315, Rn. 193). 779  Aus der st. Rspr. etwa BVerfGE 6, 45 (49 f.); 21, 362 (373); 61, 82 (104); 138, 64 (83, Rn. 55); dazu ausführlich oben S. 37 f., 90 ff. 780  BVerfGE 21, 362 (372); 23, 353 (372 f.); 26, 228 (244); 89, 132 (141 f.); kritisch dazu bereits oben S. 90 ff. 781  BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (100 f.); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (195 f.).



II. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Grundfreiheiten201

in die Überlegungen zur Grundrechtssubjektivität juristischer Organisationseinheiten einfließen zu lassen782. Das Verhältnis von anthropozentrischer und funktionaler Grundrechtstheorie in der bundesverfassungsgerichtlichen Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG lässt sich demnach als ein hierarchisches beschreiben: Funktionale Elemente dienten bisher vornehmlich als Stütze und Ergänzung der individualistisch-autonomen Deutung, die weiterhin die primäre Entscheidungsgrundlage bildet783. Dieses Muster hat das Bundesverfassungsgericht schon einmal zugunsten einer Geltungserstreckung der Justizgrundrechte durchbrochen und vollzieht mit der Einbeziehung der Niederlassungsfreiheit im Urteil zum Atomausstieg nun einen vergleichbaren Schritt: An die Stelle der Waffengleichheit im Verfahren tritt die Waffengleichheit im Wettbewerb; die Förderung der Legitimität rechtsstaatlicher Entscheidungen wird durch die Realisierung und Aufrechterhaltung des europäischen Binnenmarkts ersetzt, die so zu Teilfunktionen des Grundrechtsschutzes werden784. Zum einen schwächt das Bundesverfassungsgericht seine anthropozentrische und von der liberalen Grundrechts­theorie inspirierte Grundidee zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen damit weiter785. Im Atomausstiegsurteil kommt zum Ausdruck, dass die kategorische Trennung von Staat und Gesellschaft im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG als Instrument allgemein-dialektischer Navigation zu überzeugen vermag, aber in differenzierten Detailfragen nicht in jedem Falle angemessene Lösungen bereithält. Die Hinwendung zu einer funktionalen Grundrechtsinterpretation, vermittelt über den Bezug zur Niederlassungsfreiheit, lässt sich gerade als Reaktion auf diese 782  BVerfGE 21,

362 (371 f.), dazu bereits oben S. 52 ff. eines „Kombinationsmodells“ aus anthropozentrischen und funktionalen Elementen, wie sie Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 94 der Rechtsprechung unterstellt, kann in der Konsequenz dessen nur mit dem – von Rau­ ber in der Tat angefügten – Zusatz überzeugen, dass die personalistische Betrachtung weiterhin Ausgangspunkt jeder Betrachtung bleibe und funktionale Ansätze stets vom Individuum als Referenz ausgingen. Andernfalls suggerierte der Begriff eine nicht existente Gleichordnung. 784  Ähnlich, wenngleich ohne die strukturelle Parallele zu den Justizgrundrechten Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  94 f. 785  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 95 f. Letzterer bewertet die Wirkung des Atomausstiegsurteils allerdings über, wenn er davon ausgeht, erst dadurch verliere die theoretische Unterfütterung ihren entscheidenden Charakter und werde von der notwendigen zur hinreichenden Bedingung abgestuft. Die Rechtsprechung zu Ausnahmetrias und Justizgrundrechten belegt bereits, dass das Gericht gerade nicht notwendigerweise und in jedem Fall ein Verständnis der Grundrechte „als Rechte zur Verteidigung einer vorstaatlich-zweckfreien oder allenfalls auf die demokratische Teilhabe verpflichteten Freiheit gegen Übergriffe des Staates“ (Rauber, a. a. O.) zugrunde legt. – Zu anderweitigen Brüchen der Rechtsprechung mit der selbst entworfenen personalistischen Konzeption etwa durch die unterschiedliche Interpretation der Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 3 GG und die exzessive grundrechtliche Inpflichtnahme Privater siehe bereits oben S. 86 ff., 119 ff. 783  Die Annahme

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

Schwäche interpretieren. Wie die personalistisch-liberale Theorie mit der Durchgriffsthese einhergeht, so geht jene mit Anleihen beim Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage einher, die über ein stimmiges dogmatisches Konzept hinaus die nötige Flexibilität im Einzelfall gewährleistet786. Zum anderen erscheint der Rekurs auf die Niederlassungsfreiheit als impliziter Aufruf, sich mit der Anschlussfähigkeit der deutschen Grundsätze über die Grundrechtssubjektivität staat­licher Organisationseinheiten auseinanderzusetzen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Auslegung im Atomausstiegsurteil ausdrücklich mit Blick und Bezug auf die Einpassung in die europarechtliche Dimension des grundrechtlichen Mehrebenensystems vornimmt787. Die Schwäche der Einbeziehung des Europarechts in den Kontext des Art. 19 Abs. 3 GG liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht in den beiden dargestellten Punkten des Atomausstiegsurteils widersprüchliche Signale sendet. Der Hinwendung zum Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage und dem grundrechtstheoretischen Schwenk zu einer funktionalen Interpretation steht die wiederholte Betonung des Ausnahmecharakters der Entscheidung gegenüber788. Der vom Gericht formulierte Wunsch nach Konformität zwischen nationalem und europäischem Recht wirft die Frage auf, wieso eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hinsichtlich der potentiellen Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit durch die bundesverfassungsgerichtliche Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG unterblieben ist789. Diese Widersprüchlichkeit scheint gerade den Zweck zu verfolgen, den Rekurs auf das Europarecht und die Anleihen einer funktionalen Grundrechtstheorie wieder einzufangen und unterlegt dem Urteil schließlich eine kaum versteckte Ergebnisorientierung für einen politisch brisanten Sonderfall.

III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 1. Richtsätze bezüglich juristischer Personen zwischen spärlicher normativer Verankerung und lakonischer Rechtsprechung Mit zunehmender unionaler Rechtssetzung und der damit einhergehenden Verdichtung des europarechtlichen Normengeflechts erstarkte auch ein auto786  Zur Entscheidungserheblichkeit des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage im Atomausstiegsurteil R. Knaier/L. Wolff, EWS 2017, 207 (211); vgl. dazu auch bereits oben S. 164. 787  BVerfGE 143, 246 (317, Rn. 196): „Auf diese Weise können auch Brüche zwischen der deutschen und der europäischen Rechtsordnung vermieden werden“. Parallel zur menschenrechtlichen Ebene bereits oben S. 174 ff. 788  BVerfGE 143, 246 (313, 317 f., Rn. 185, 196, 200). 789  Dazu bereits oben S. 170 f.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 203

nom europarechtlicher Grundrechtschutz, der lange Zeit prätorisch geprägt war, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 aber eine explizite Kodifikation erfahren hat: Seither zählt die Europäische Grundrechtecharta als zentrales Grundrechtswerk zum geltenden Unionsrecht und ist ausweislich des Art. 6 Abs. 1 EUV den Europäischen Verträgen im Rang ausdrücklich gleichgestellt790. Dass sich juristische Personen dem Grunde nach auf diesen Grundrechtsschutz berufen können, hat der Europäische Gerichtshof früh für selbstverständlich erachtet, ohne in eine nähere Begründung einzutauchen791. Nicht zuletzt dürfte dieser Umstand auf die ökonomische Bedeutung juristischer Personen innerhalb des wirtschaftlichen Gerüsts des frühen europäischen Gemeinschaftsprojekts zurückzuführen sein792. In dieser Tradition – und anders als etwa das deutsche Grundgesetz – verzichtet die Europäische Grundrechtecharta auf eine ausdrückliche Regelung zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen. Ein unmittelbarer normativer Anknüpfungspunkt besteht demnach nicht. Vereinzelt greift die Charta in Art. 42, 43 u. 44 GrCh den Begriff der „juristischen Person“ zwar auf. Angesichts eines erkennbar fehlenden übergeordneten Konzepts lässt sich daraus allerdings kein argumentum e contrario zulasten einer darüber hinausgehenden Grundrechtsfähigkeit führen793. Die der deutschen Sprachfassung eigene Unterscheidung in der Wortwahl zwischen „Mensch“ und „Person“ beispielsweise in Art. 6 GrCh einerseits und Art. 8 GrCh andererseits vermag einen zusätzlichen Differenzierungsgewinn zu erzielen794. Dieser steht jedoch in Zusammenhang mit der Frage, ob eine konkrete Grundrechtsgewährleistung aus physisch-logischer Perspektive auf eine Organisati790  Zu den verschiedenen Entwicklungsstufen des europäischen Grundrechtsschutzes eingehend und statt vieler J. P. Terhechte, Konstitutionalisierung und Normativität der europäischen Grundrechte, 2011, S. 11 ff., 25 ff., 33 ff., 61 ff.; Walter (Fn. 733), § 1 Rn. 25 ff. 791  EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125 Rn. 4 ff. (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel); Rs. 4/73, Slg. 1974, 491 Rn. 12 ff. (Nold KG/Kommission); Rs. 265/87, Slg. 1989, 2237 Rn. 15 (Schräder/ Hauptzollamt Gronau). Aus jüngerer Zeit siehe etwa EuGH, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849 Rn. 30 ff. (DEB); Rs. C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063 Rn. 53 (Volker und Markus Schecke und Eifert); Rs. C-283/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:28), Rn. 41 ff. (Sky Österreich). 792  M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (25); Gundel (Fn. 669), § 4  Rn. 17; Hatje (Fn. 746), Art. 51 GRC Rn. 6; Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 151. 793  Statt aller Ehlers (Fn.  757), § 14 Rn. 56; Nowak (Fn. 746), § 9 Rn. 14; R. Streinz/W. Michl, in: Streinz, EUV/AEUV (Fn. 644), Art. 51 GR-Charta Rn. 32. 794  Allgemein dazu H. D. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, 4. Auflage 2021, Art. 51 Rn. 58; T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV (Fn. 648), Art. 52 EU-GRCharta Rn. 53; C. Ladenburger/J. Vondung, in: Stern/Sachs, GrCh (Fn. 699), Art. 51 Rn. 4; restriktiver T. Ackermann, NZKart 2015, 17 (21).

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onseinheit Anwendung finden kann, und liegt damit bereits jenseits der abstrakten Vorfrage der allgemeinen Grundrechtssubjektivität juristischer Personen. Der fehlende gesetzliche Unterbau hat zur Konsequenz, dass sich strukturelle Entwicklungen in der Frage einer Grundrechtssubjektivität juristischer Personen im Allgemeinen vornehmlich auf Grundlage von Einzelfällen kenntlich machen lassen, wobei speziell vom Europäischen Gerichtshof in der Regel keine ausschweifenden grundrechtstheoretischen oder tiefendogmatischen Ausführungen unter Einbeziehung des wissenschaftlichen Diskurses erwartet werden können795. Zieht man den Kreis des Untersuchungsgegenstands noch enger und beschränkt die Betrachtung auf die Frage einer möglichen Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten, gilt Selbiges in besonderem Maße. Anders als im deutschen Recht ist dieser Problemkreis ein in der Entwicklung begriffener ohne jahrzehntelange Vorprägung seitens der verfassungsgerichtlichen Judikatur. Daran ändern auch die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der ­ itgliedstaaten nichts, die die Europäische Grundrechtecharta in Art. 52 M Abs. 4 GrCh als Rechtserkenntnisquellen heranzieht796. Sie lassen weder Hinweise auf einen übergreifenden Kodifikationsgedanken in den Mitgliedstaaten erkennen, der im Wege wertender Rechtsvergleichung zum Grundstein einer normativen Anknüpfung werden könnte, noch sind ihnen speziell zu Organisationseinheiten in Staatshand simple wie einhellig anerkannte inhaltliche Aussagen zu entnehmen. Im Gegenteil: Die Tradition der Mitgliedstaaten variiert bei der Frage, ob sich staatliche Organisationseinheiten auf grundrechtliche Gewährleistungen berufen können, in beträchtlichem Maße797. Stärker normativ verankert ist die Frage dagegen in der Europäi795  Weiterführend zu der hier nur angedeuteten Kritik an der teils defizitären Begründungstiefe von EuGH-Entscheidungen Müller/Christensen, Juristische Methodik II (Fn. 688), S. 532 ff. – Bereits in den 1960er-Jahren hat O. Riese, Das Sprachproblem in der Praxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: E. von Caemmerer/A. Nikisch/K. Zweigert (Hrsg.), Vom deutschen zum europäischen Recht. Festschrift für Hans Dölle, Bd. 2, 1963, S. 507 (516) die asketische Argumentationskultur des EuGH mit einem technizistischen Selbstverständnis als Akteur der Streitbeilegung und dem Wunsch nach Konfliktminimierung zwischen den europäischen Rechtsordnungen zu begründen versucht; für eine fortbestehende Gültigkeit dieses Gedankens R. Stotz, Die Rechtsprechung des EuGH, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (Fn. 688), § 20 Rn. 65. 796  Zu den methodischen Grundlagen im Umgang mit Rechtserkenntnisquellen der Charta sowie der Unterscheidung von Rechtsquelle und Rechtserkenntnisquelle in­ struktiv Jarass, GrCh (Fn. 794), Einl. Rn. 2 und Kingreen (Fn. 794), Art. 52 EUGRCharta Rn.  19 f., jeweils m. w. N. 797  Einen ausführlichen Überblick über die maßgeblichen Ansätze in den Mitgliedstaaten gewähren P. Lindermuth, Der Grundrechtsschutz des Staates und seiner Einrichtungen, in: A. Kahl/N. Raschauer/S. Storr (Hrsg.), Grundsatzfragen der europäischen Grundrechtecharta, 2013, S. 111 (116 ff.) und T. Sasse, EuR 47 (2012), 628



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 205

schen Menschenrechtskonvention, die die europäische Grundrechtecharta in Art. 52 Abs. 3 GrCh ebenfalls zur Rechtserkenntnisquelle erhebt. Inwieweit die ursprünglich als Verfahrensvorschrift konzipierte Regel des Art. 34 EMRK als Anknüpfungspunkt der Diskussion um eine Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten dienen kann und in welche Richtung die Beurteilung auf Konventionsebene tendiert, soll an dieser Stelle allerdings noch dahinstehen, handelt es sich doch um eine eigene Dimension des europäischen Mehrebenensystems, die es im späteren Verlauf der Untersuchung zu beleuchten gilt798. 2. Strategische Linien zum Grundrechtsschutz staatsgetragener Organisationseinheiten a) Auffächerung der Problemstellung anhand der Hoheitskonzeption im Unionsrecht Stellt sich auf europäischer Ebene die Frage nach einem möglichen Grundrechtsschutz juristischer Personen in Staatshand, so ist zunächst eine Besonderheit des Europarechts resp. der europäischen Gewaltenverhältnisse zu berücksichtigen, die sich auf die Zusammensetzung des Kreises potentieller Grundrechtsträger maßgeblich auswirkt. Die Supranationalität799 als Kon­ strukt bringt die eigentümliche Folge mit sich, dass als Träger etwaig berechtigter „staatlicher“ Organisationseinheiten die Europäische Union einerseits und die Mitgliedstaaten andererseits in Betracht kommen. Auf der spiegelbildlichen Eingriffsseite hingegen besteht eine ausdrückliche gesetzliche Re(645 ff.); vgl. ferner Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 25 ff. mit einem deutsch-französischen Vergleich. – Allein der Umstand, dass etwa der österreichische Verfassungsgerichtshof von einer grundsätzlichen Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten ausgeht, schwächt, nota bene, das Argument des deutschen Bundesverfassungsgerichts, nach dem eine sinnvolle staatliche Aufgabenwahrnehmung durch eine solche Grundrechtssubjektivität nahezu unmöglich werde, s. zu dieser Annahme bereits oben S. 49 ff. Exemplarisch aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ÖVerfGH, VfSlg. 8854/1980; dazu näher Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  363 f. 798  Ausführlich dazu unten S. 238 ff. 799  Dieser Begriff wird abhängig von der wissenschaftlichen Disziplin, aber auch innerhalb der Rechtswissenschaften oft uneinheitlich gebraucht. Nach dem hier bevorzugten Verständnis ist Supranationalität gleichbedeutend einerseits mit dem Eigenstand des europäischen Rechts gegenüber dem nationalen Recht sowie andererseits mit einer unmittelbaren, autonomen Verbindlichkeit des Europarechts im Recht der Mitgliedstaaten, ohne dass es einer erneuerten Zustimmung des nationalen Souveräns bedarf. Orientiert ist diese Begriffsbestimmung an den Ausführungen von Haratsch/ Koenig/Pechstein, Europarecht (Fn. 646), Rn. 62. Zu einer im Ausgangspunkt ähnlichen Definition im Schnittbereich von Rechts- und Politikwissenschaft K. H. Fischer, ZöR 62 (2007), 323 (324, 328).

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gelung, die beide Ebenen verklammert: Selbst wenn etwa die Verwaltungen der Mitgliedstaaten im Zuge des dezentralen Vollzugs des europäischen Rechts eigene, mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausüben800, sind sie doch über Art. 51 Abs. 1 GrCh an die Bestimmungen der Charta gebunden, solange und soweit sie Unionsrecht durchführen. In der Fallvariante einer Organisationseinheit in Trägerschaft der Euro­ päischen Union lehnt jedenfalls die deutsche Literatur, soweit ersichtlich, ein grundrechtliches Schutzbedürfnis unionsgetragener Einheiten einhellig ab, da der ursprünglich den Grundrechten verpflichtete Akteur nicht gleichzeitig in den Genuss ihres Schutzes kommen solle801. Das Konfusionsargument auf die europäische Ebene zu tragen, macht es in der Sache allerdings nicht überzeugender802. Zuzugeben ist dem Konfusionsgedanken zwar im Ansatz, dass er in seiner sinnbildlichen Deutung eine größere praktische Relevanz als im nationalen Zusammenhang besitzt. Das liegt freilich nicht an seiner inhaltlichen Überzeugungskraft, sondern an den Verwaltungsrealitäten und den rechtlichen Besonderheiten in der Europäischen Union: Aus vertikaler Per­ spektive verteilt sich die originär unionale Hoheitsgewalt nicht auf föderale Ebenen wie Bund, Länder und Kommunen. Horizontal betrachtet ist ihre vielarmige Ausdifferenzierung ebenfalls weniger stark ausgeprägt als in einem Nationalstaat wie Deutschland803. In diesem Bereich mag in jüngerer Zeit eine Gegenentwicklung einsetzen, die einer Vielzahl nachgeordneter 800  U. Hufeld/H. Rathke, EuR-Beiheft 3/2013, 7 (20); G. Sydow, Durchführung des Unionsrechts, in: Hatje/Müller-Graff, EnzEuR I (Fn. 732), § 17 Rn. 43. 801  Ehlers (Fn. 757), § 14 Rn. 57; J. Kühling, in: M. Pechstein/C. Nowak/U. Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Bd. I, 2017, Art. 16 GRC Rn. 5; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 16  EUGRCharta Rn. 4; T. Sasse, EuR 47 (2012), 628 (649); im Ergebnis ebenso Lauter­ bach, Unternehmen (Fn. 776), S. 219. Allein H. D. Jarass/M. Kment, EU-Grundrechte, 2. Auflage 2019, § 4 Rn. 41 merken vorsichtig an, dass sich eine gefestigte Rechtslage zu dieser Frage noch nicht erkennen lasse und Vieles ungeklärt sei. 802  Zur Kritik am Konfusionsargument bereits oben S. 46 f., 122. 803  Exemplarisch dafür sei auf die sog. EU-Agenturen verwiesen. Diese meist mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestatteten und in der sachlichen Zuständigkeit ausdifferenzierten Verwaltungsinstitutionen der EU fungieren als „Verwaltungsunterbau“ und finden ihre normative Grundlage in Art. 298 AEUV, s. dazu die Kurzdefinition in Europäische Union (Hrsg.), Jahresbericht über die Agenturen der EU im Haushaltsjahr 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/ AGENCIES_2020/AGENCIES_2020_DE.pdf (letzter Zugriff: 16.2.2022). Ihre Zahl lag im Haushaltsjahr 2020 bei 43, ebd., S. 14 ff. Zieht man vergleichbare nationale Einheiten heran, wird die hier angesprochene Relation deutlich: Allein dem deutschen Bund sind 60 Körperschaften des öffentlichen Rechts, 25 rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts und 56 Stiftungen des öffentlichen Rechts zugeordnet, vgl. dazu die vom Bundesverwaltungsamt zur Verfügung gestellte Auflistung, abrufbar unter https://www.service.bund.de/Content/DE/Behoerden/Suche/Formular.html;jsessionid= 3062D8E2DC3449ACE160182DBA5496C3.1_cid376?nn=4641496&cl2Categories_



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Behörden, Ämter oder Fonds in die Existenz verhilft und das Erscheinungsbild EU-eigener Institutionen ausdifferenziert804. Aus Wertungsgesichtspunkten ändert diese Entwicklung allerdings so lange nichts, wie die auf diesem Weg geschaffenen Organisationseinheiten in ein strenges Hierarchiekorsett eingebunden und über eine sehr kurze Legitimationskette auf die Union und insbesondere die Europäische Kommission rückverpflichtet sind805. Beziehungslose Übergriffe in den Handlungsbereich separierter Organisationseinheiten, wie sie grundrechtstypische Gefährdungslagen kennzeichnen806, reduzieren sich vor diesem Hintergrund entsprechend. Ob den Einheiten bei stärkerer Ausdifferenzierung und größerer Unabhängigkeit dagegen der Weg zu einer potentiellen Grundrechtssubjektivität eröffnet ist, soll an dieser Stelle angesichts im Fluss befindlicher und essentieller Vorfragen dahin­ stehen807. Hinzu tritt, dass die horizontale Ausdifferenzierung des EU-Verwaltungsapparats an die Grenzen des in Art. 5 Abs. 1 u. 2 EUV verankerten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung stößt. Die Entstehung potentieller Grundrechtsträger, die etwa im deutschen Diskurs als Exempel dienen, ist auf europäischer Ebene in bestimmten Regelungsbereichen damit vornherein gehemmt. Plastisch formuliert wird es nach dem derzeitigen Integrationsstand keinen Fall geben, in der eine unionseigene Brauerei die Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten seitens des Europäischen Polizeiamts mit der Berufung auf ihre unternehmerische Freiheit gerichtlich angreift808 oder ein nach Europarecht konstituierter und gesamteuropäisch operierender Sozialversicherungsträger eine Verletzung seines Eigentumsgrundrechts gegen ein nachtei-

Einordnung=koerperschaftdesoeffentlichenrechts+rechtsfaehige_anstaltdesoeffentlich enrechts+stiftungdesoeffentlichenrechts (letzter Zugriff: 9.10.2022). 804  Im Überblick Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (Fn.  698), § 6 Rn. 20 ff., die im Zuge dessen gar von „Wildwuchs“ (Rn. 23 a. E.) sprechen. 805  Diese Prämisse gilt insbesondere für die sog. Exekutivagenturen, dazu eingehend H.-H. Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: W. HoffmannRiem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 106. 806  Zur Voraussetzung eines „Außenrechtsverhältnisses“ oben S. 66 und im weiteren Verlauf noch unten S. 325 ff. 807  So erscheint es verfrüht, eine mögliche Grundrechtsberechtigung zu diskutieren, wenn die Unabhängigkeit bestimmter europäischer Verwaltungsbehörden wie etwa der Regulierungsagenturen weiterhin klärungsbedürftige Fragen der demokratischen Legitimation aufwerfen; dazu T. Groß, JZ 2012, 1087 ff.; Trute (Fn. 805), § 6 Rn. 107 ff. Einen pauschaliert-knappen wie wohl zeitlich überholten Einordnungsversuch unternimmt gleichwohl Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S.  188 f. 808  Angelehnt ist dieses fiktive Beispiel an eine vergleichbare innerdeutsche Fallkonstellation, dazu im weiteren Verlauf der Untersuchung S. 329 f. mit Fn. 1239. Zu strafprozessualen Zwangsmaßnahmen als Fallgruppe einer grundrechtstypischen Gefährdungslage unten S. 357 ff.

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liges Urteil zur Kostenübernahme geltend macht809. Wenn es folglich heißt, juristische Personen in EU-Trägerschaft könnten sich nicht auf die Grundrechte berufen, da sie ihnen gleichzeitig verpflichtet seien, trifft diese Einschätzung im europäischen Kontext deshalb häufiger zu als im nationalen, weil der Kreis potentieller Beschwerdeführer kleiner gezogen ist als im nationalen Recht und sich diese vermehrt in einer kaum ausdifferenzierten Hierarchiebeziehung zum eingreifenden Hoheitsträger befinden. Beides steht allerdings unter dem Vorbehalt des fortschreitenden Aufbaus eines vielarmigen europäischen Verwaltungsapparats. Im Schwerpunkt kreist der aktuelle Diskurs allerdings ohnehin um die Frage, ob sich mitgliedstaatlich getragene juristische Personen der Unionsgewalt gegenüber auf den Schutz der europäischen Grundrechtecharta berufen können810. Im Folgenden soll vornehmlich dieser Aspekt beleuchtet werden. b) Europäische Rechtsprechung zwischen Vorsicht und Dynamik Der Europäische Gerichtshof hat bis dato weder in der einen noch in der anderen Fallkonstellation grundsätzlich Stellung bezogen. Justiz- und Verfahrensrechte sieht er zwar als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts an und spricht sie aufgrund ihrer fundamentalen rechtsstaatlichen Bedeutung staatlich getragenen Organisationen, den Mitgliedstaaten selbst und sogar den Stellen der Union zu811. Ebenso hat der Gerichtshof vereinzelt die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anklingen lassen812. Ob dem ein verallgemeinerungsfähiger Gedanke zu entnehmen und staatlich getragenen Organisationseinheiten auf dieser Grundlage eine unbedingte Grundrechtssubjektivität zuzubilligen ist, 809  Angelehnt

an BVerfGE 21, 362 (367 ff.). übersichtliche Darstellung des Streitstands findet sich anlässlich der Frage, ob sich öffentliche Unternehmen auf die europäischen Grundrechte berufen können, bei Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 31 ff. m. w. N. Zur Einordnung der einzelnen Positionen sogleich S. 213 ff. 811  EuGH, Rs. 234/84, Slg. 1986, I-2263 Rn.  27 (Belgien/Kommission); Rs. C-301/87, Slg. 1990, I-307 Rn. 29 ff. (Frankreich/Kommission); Rs. C-48/90 und C-66/90, Slg. 1992, I-565 Rn. 37, 40 ff., 50 f. (Niederlande und PTT Nederland/Kommission); Rs. C-3/96, Slg. 1998, I-3031 Rn.  16  ff. (Kommission/Niederlande); Rs. C-288/96, Slg. 2000, I-8237 Rn. 99 f. (Deutschland/Kommission); Rs. C-521/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:982), Rn. 61 (Spanien/Rat). Für Untergliederungen der EU EuGH, Rs. C-89/08 P, Slg. 2009, I-11245 Rn. 50 ff., insb. Rn. 53 (Kommission/Irland u. a.); vgl. ferner zu drittstaatlichen Emanationen EuGH, Rs. C-176/13 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:96), Rn. 49; Rs. C-200/13 P, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2016:284), Rn. 47. 812  EuGH, Rs. 188–190/80, Slg. 1982, I-2545 Rn. 21 (Französische Republik, Italienische Republik und Vereinigtes Königreich/Kommission). 810  Eine



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ist allerdings zweifelhaft: Der Gerichtshof legt hier einen feingliedrigen Maßstab an und unterscheidet bei der Fähigkeit der Mitgliedstaaten, sich auf verfahrensmäßige Rechte zu berufen, nuanciert danach, ob es sich um allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder europäische Grundrechte handelt, auch wenn sich diese Unterscheidung im praktischen Ergebnis nicht niederschlägt813. Im Umgang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zeigen sich Unklarheiten ähnlichen Ursprungs814. Darüber hinaus hat der Gerichtshof vornehmlich in der Peripherie der Frage um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen operiert. Noch im Jahr 2011 ließ er ausdrücklich offen, ob sich eine Organisationseinheit, die sich zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt vollständig in drittstaatlicher, genauer: iranischer Trägerschaft befand, auf den Schutz des europäischen Grundrechts auf Eigentum berufen könne, um gegen Sanktionsmaßnahmen des Rates der Europäischen Union zu Felde zu ziehen815. In der Peripherie bewegt sich diese Judikatur deshalb, weil sie in der Sache zwar mit der vorliegend untersuchten Frage verwandt ist, ausdrücklich aber weder zur Grundrechtssubjektivität mitgliedstaatlich beherrschter noch zu derjenigen unional getragener Entitäten Stellung nimmt. In jüngerer Zeit tendiert die Rechtsprechung zumindest in diesem Randbereich – bewusst vorsichtig formuliert – in eine bejahende Richtung: In mehreren Fällen ging der Europäische Gerichtshof in Bezug auf die Eigentumsfreiheit (Art.  17 GrCh), die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GrCh) oder die Freiheit zur beruflichen Betätigung (Art. 15 GrCh) unausgesprochen von einer Grundrechtssubjektivität verschiedener Organisa813  So heißt es zum Recht auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 GrCh, es könne offen bleiben, ob ein Mitgliedstaat als „Person“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen oder einer solchen vergleichbar sei, da es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrecht handle, der als solcher auch von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden könne, EuGH, Rs. C-521/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:982), Rn. 88 ff. (Spanien/Rat). Mit einer ähnlichen Differenzierung Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 37 und Lindermuth, Grundrechtsschutz (Fn. 797), S.  112 f. Anders Ladenburger/Vondung (Fn. 794), Art. 51 Rn. 5, die aus der Rechtsprechung eine Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen i. R. d. Art. 41, 47 u. 48 ff. GrCh ableiten. – Kritisch zur Unterscheidung von Grundrechten und Grundsätzen im europäischen Recht Kingreen (Fn. 794), Art. 52 EU-GRCharta Rn. 13 ff.; gegen eine Ableitung subjektiver Rechte aus den Grundsätzen J. Schmidt, Die Grundsätze im Sinne der EU-Grundrechtecharta, 2010, S.  112 ff., 139 f., m. w. N. 814  K. von der Decken, Gleichheit vor dem Gesetz, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 47 Rn. 14 ff. gibt einen Überblick über die unklare Handhabe des EuGH und unterscheidet hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 20 GrCh zunächst zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen und den Mitgliedstaaten im Besonderen. Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 38 differenziert nach dem Normcharakter und hält zwar den Gleichheitssatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz der Union auf juristische Personen des öffentlichen Rechts für anwendbar, nicht aber das Individualgrundrecht des Art. 20 GrCh. 815  EuGH, Rs. C-548/09 P, Slg. 2011, I-11381 Rn. 113 (Bank Melli Iran/Rat).

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tionseinheiten aus, die ganz oder mehrheitlich vom iranischen resp. russischen Staat getragen werden, und prüfte auf Grundlage dessen die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die genannten Rechte seitens der Europäischen Union816. Das Gericht der Europäischen Union hat sich in einer langen Reihe jüngerer Entscheidungen diesem Muster angeschlossen und prüft Sanktionsmaßnahmen gegenüber juristischen Personen, die sich mehrheitlich oder vollständig in der Hand von Nicht-EU-Staaten befinden, anhand eines grundrechtlichen Maßstabs auf ihre Verhältnismäßigkeit. Die Berechtigung dieser Einheiten, sich etwa auf das Eigentumsgrundrecht gem. Art. 17 GrCh oder die unternehmerische Freiheit gem. Art. 16 GrCh zu berufen, setzt das Gericht dabei schlicht als gegeben voraus817. Zuvor fiel es gerade im Vergleich zum Europäischen Gerichtshof bereits mit dynamischen Aussagen zugunsten einer potentiellen Grundrechtssubjektivität drittstaatlich getragener juristischer Personen auf, die am Wortlaut der europäischen Grundrechtecharta ansetzen und durchaus den Anschein der Verallgemeinerungsfähigkeit in sich tragen818: 816  EuGH, Rs. C-348/12 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:776), Rn. 119 ff. (Rat/ Manufacturing Support & Procurement Kala Naft) bzgl. einer Gesellschaft in vollständigem iranischen Staatsbesitz; Rs. C-266/15 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:208), Rn. 53 f. (Central Bank of Iran/Rat) bzgl. der iranischen Zentralbank; Rs. C-72/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:236), Rn. 143 ff. (Rosneft) bzgl. einer Gesellschaft, die mehrheitlich (mittelbar) in russischer Staatshand steht; Rs. C-225/17 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:82), Rn. 100 ff. (Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./ Rat) bzgl. der staatlichen iranischen Seefrachtschifffahrtsgesellschaft sowie diverser Tochtergesellschaften und verbundener Unternehmen. 817  EuG, Rs. T-63/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2016:264), Rn. 96 ff. (Iran Insur­ ance/Rat); Rs. T-68/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2016:263), Rn. 97 ff. (Post Bank Iran/Rat); Rs. T-14/14 und T-87/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2017:102), Rn. 203 ff. (Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./Rat); Rs. T-715/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:544), Rn. 207 ff. (NK Rosneft u. a./Rat); Rs. T-732/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:541), Rn. 133 ff. (Sberbank of Russia/Rat); Rs. T-734/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:542), Rn. 133 ff. (VTB Bank/Rat); Rs. T-735/14 und T-799/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:548), Rn. 155  ff. (Gazprom Neft/Rat); Rs. T-737/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:543), Rn. 136 ff. (Vnesheconombank/ Rat); Rs. T-739/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:547), Rn. 114 ff. (PSC Prom­ investbank/Rat); Rs. T-515/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:545), Rn. 135 ff., 143, 147 (Almaz-Antey/Rat); vgl. aus der älteren Rspr. ferner Rs. T-390/08, Slg. 2009, II-3967 Rn. 70 f. (Bank Melli Iran/Rat). 818  EuG, Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 36 (Bank Mellat/ Rat) zu einer vom Rat irrtümlich als staatliches Kreditinstitut eingestuften iranischen Bank. Wortgleich oder ähnlich fortgeführt in EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 34 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 65 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 57 (Bank Refah Kargaran/Rat); Rs. T-263/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:228), Rn. 27 (Manufacturing Support & Procurement Kala



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 211 „Weder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union […] noch das Primärrecht der Union sehen Bestimmungen vor, die juristische Personen, die Emanationen von Staaten sind, vom Grundrechtsschutz ausnehmen. Die Bestimmungen der Grundrechtecharta, die im Zusammenhang mit den von der Klägerin geltend gemachten Klagegründen einschlägig sind, und namentlich ihre Art. 17, 41 und 47 gewährleisten vielmehr die Rechte ‚[j]ede[r] Person‘; diese Wortwahl schließt juristische Personen wie die Klägerin ein“.

Bemerkenswert, wenn auch in der Rechtsprechung des Gerichts vereinzelt geblieben ist darüber hinaus eine vom Rechtsstaatsgebot her gedachte Begründung: Da das Europarecht ohne Ansehen des Grundrechtsträgers die Einhaltung der Grundrechte und sonstiger gesetzlicher Garantien einfordere, sei auch einem drittstaatlich getragenen Unternehmen die Grundrechtsberechtigung zuzubilligen, wobei das Gericht das Eigentumsgrundrecht ausdrücklich in diesen Gedanken einschließt und mit einem Bezug zu Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK absichert819. Die inhaltliche Orientierung an Gewährleistungen der menschenrechtlichen Ebene ist im europarechtlichen Grundrechtsschutz keine Seltenheit, ist sie doch in Art. 52 Abs. 3 GrCh normativ verankert. Sie kommt im vorliegenden Untersuchungszusammenhang noch an anderer Stelle zum Vorschein, wenn das Gericht der Europäischen Union die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Beurteilung der Beschwerdefähigkeit einer staatlich getragenen juristischen Person ausdrücklich in seine Entscheidungsgründe mit einbezieht und anwendet820. Dieser Bezug lässt sich als Keim einer Richtungsentscheidung des europarechtlichen Ansatzes deuten, ist aber so eng mit der Frage des Zusammenhangs zwischen Europarecht und Europäischer Menschenrechtskonvention verknüpft, dass dieser Gesichtspunkt im Kontext eben jener Einwirkungsfrage nochmals vertiefend aufgegriffen werden soll821. Unabhängig davon darf allerdings ebenso wenig außer Betracht bleiben, dass das Gericht Naft/Rat); Rs. T-67/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:348), Rn. 58, 61 (Sina Bank/ Rat); Rs. T-578/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:678), Rn. 169 (National Iranian Oil Company/Rat); Rs. T-262/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:777), Rn. 67 (Central Bank of Iran/Rat); Rs. T-563/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:187), Rn. 49 (Central Bank of Iran/Rat); Rs. T-9/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:236), Rn. 37 (National Iranian Gas Company/Rat); Rs. T-10/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:235), Rn. 53 (Bank of Industry and Mine/Rat). – Als konzeptbildende Linie interpretieren diese Rechtsprechung auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 819  EuG, Rs. T-578/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:678), Rn. 170 ff. (National Iranian Oil Company/Rat). 820  EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 40 ff. (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 42 ff. (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 71 ff. (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 63 ff. (Bank Refah Kargaran/Rat). 821  Näher dazu unten S. 254 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

die Spezifika der entschiedenen Fälle berücksichtigt und in Bezug auf Beschwerdeführer aus Drittstaaten die Besonderheiten der Trägerschaft in seine Gedanken mit einbezieht. Das Konfusionsargument schließt das Gericht nicht a priori als substanzlos aus, sondern hält es nur deshalb für wenig tragfähig, da es in Drittstaatenkonstellationen schlicht nicht gelte, was in „internen“ Sachverhalten jedoch möglicherweise anders zu beurteilen sei822. An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei der Frage der Grundrechtssubjektivität drittstaatlich getragener Organisationseinheiten um einen Peripheriebereich handelt, der teils eigene Wertungen mit sich bringt. Gleichwohl steht diese Erinnerung an den spezifischen Entscheidungskontext der folgenden, strukturellen Beobachtung nicht entgegen: Dem Gesamtbild der Entscheidungen der europäischen Gerichtsbarkeit ist, wenn auch mit Abstufungen zwischen Gerichtshof und Gericht, eine erkennbare Tendenz zur großzügigen Handhabung der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft unterlegt823. Die Ausführungen des Gerichts der Europäischen Union einschließlich seiner Bezüge zur menschenrechtlichen Ebene und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Beschwerdefähigkeit juristischer Organisationseinheiten in Staatshand deuten aus grundrechtstheoretischer Sicht in eine Richtung, die sich 822  EuG, Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 39 f. (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 68 f. (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-263/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:228), Rn. 30 f. (Manufacturing Support & Procurement Kala Naft/Rat); Rs. T-262/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:777), Rn. 70 f. (Central Bank of Iran/Rat); Rs. T-9/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:236), Rn. 40 f. (National Iranian Gas Company/Rat); Rs. T-10/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:235), Rn. 56 f. (Bank of Industry and Mine/Rat). Auf einen solchen Zusatz verzichtet hingegen die Entscheidung EuG, Rs. T-67/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:348), Rn. 56 ff. (Sina Bank/Rat). In EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 34 (Bank Saderat Iran/Rat) und Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 61 (Bank Refah Kargaran/Rat) ist von „innerstaatlichen“ statt „internen“ Sachverhalten die Rede, wobei es sich um eine Eigenheit der Übersetzung handeln dürfte. 823  Dafür spricht auch, dass jedenfalls das Gericht den Weg einer impliziten Anerkennung der Grundrechtssubjektivität bereits früh auf innereuropäische Sachverhalte und mitgliedstaatlich getragene Einheiten übertragen hat, so in EuG, Rs. T-289/11, T-290/11 und T-521/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:404), Rn. 65 bzgl. der vollständig in deutscher Staatshand befindlichen Deutschen Bahn und ihrer diversen Tochtergesellschaften. Wie hier M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); hinsichtlich gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen auch Nowak (Fn.  746), § 9 Rn. 21. Zurückhaltung besonders in Bezug auf die EuGH-Rechtsprechung äußert Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 43 f., wobei er diese mit dem Argument zu stützen versucht, der Gerichtshof prüfe die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme als eigenen Punkt und nicht anhand eines bestimmten Grundrechts. Als Beleg dient ihm die Entscheidung EuGH, Rs. C-440/14 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:128), Rn. 77 ff. Im Hinblick auf die oben in Fn. 816 zitierte EuGH-Rechtsprechung ist diese Argumentation allerdings nicht überzeugend.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 213

nicht am Leitbild eines personalistischen Konzepts orientiert824. Spiegelbildlich zum Ansatz des Bundesverfassungsgerichts scheint die europarechtliche Judikatur mangels ausdrücklicher Regelung im Unionsrecht nicht die Frage zu stellen, was für eine solche Berechtigung spricht, sondern was ihr entge­ gengehalten werden könnte825. c) Replik der Wissenschaft: Parallelisierungsreflex und bekannte Lagerbildung Vor dem Hintergrund des zuvor Gesagten kristallisieren sich in der europäischen Rechtsprechung erste Unterschiede zur ausdrücklich restriktiven Linie des deutschen Verfassungsgerichts heraus, die eine Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten bekanntlich grundsätzlich ablehnt826. Diese Abweichung zwischen europäischer und nationaler Rechtsprechung ist im Mehrebenensystem weder überraschend noch ist sie inhaltlich gravierend. Sie steht dem Impuls entgegen, beide Linien anhand des deutschen Vorbilds zu parallelisieren. Reminiszenzen an den Ansatz des deutschen Verfassungsgerichts werden in der Literatur insbesondere und nicht zu Unrecht am großzügigen Umgang des Europäischen Gerichtshofs mit den Verfahrensrechten festgemacht827. Einige Stimmen gehen noch darüber hinaus und mutmaßen, der europäische Ansatz käme im Hinblick auf die Grundrechtsfähigkeit von Universitäten, Religionsgemeinschaften und Rundfunkanstalten zu identischen Ergebnissen wie die Mehrheit des deutschen Diskurses828. Das deutsche Bundesverfassungsgericht scheint gerade dieser 824  Ausführlich zum Umgang mit der Frage auf menschenrechtlicher Ebene unten S. 238 ff. 825  Ähnlich, wenngleich allgemeiner formuliert M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (25, 27). 826  Dazu eingehend oben S. 32 ff. 827  So etwa die vergleichenden Gedanken bei Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 37 und Nowak (Fn. 746), § 9 Rn. 19; zur Rechtsprechung s. oben S. 208 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 811. Vergleichbar ist insbesondere die Betonung des Charakters Verfahrensrechte als fundamentale Bestimmungen innerhalb einer rechtsstaatlichen Verfasstheit, die in Ansätzen objektiv-rechtlich anmutet, exemplarisch etwa EuGH, Rs. C-521/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:982), Rn. 61 (Spanien/Rat). Ohne eine entsprechende Vorrede wendet der EuGH die subjektiven Grundrechte aus Art. 41 Abs.  2, 47 GrCh dagegen in EuGH, Rs. C-348/12 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:776), Rn. 65 ff. (Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft) an. Zur dahinter stehenden besonderen „Bestätigungsmethodik“ des Europäischen Gerichtshofs A. We­ ber (Fn. 699), Sonderprobleme B. II. Rn. 5. 828  Ehlers (Fn. 757), § 14 Rn. 57; Gundel (Fn. 669), § 4  Rn. 30; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 329; Jarass (Fn. 794), Art. 51 Rn. 62; Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 153; für einen noch allgemeineren Transfer votieren K. Stern/A. Hamacher, in: Stern/Sachs, GrCh (Fn. 699), Einführung A. Rn. 77. Derartige Gleichstellungsten-

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

Interpretation in jüngster Zeit ebenso zuzuneigen829. Auf eine kohärente europäische Judikatur lässt sich diese Ansicht mangels entsprechenden Fallmaterials allerdings nicht stützen830. Die Vorgehensweise, auf der eine solche Annahme basiert, greift darüber hinaus zu kurz: Zum einen spricht sie dem deutschen Verfassungsrecht implizit eine Leuchtturm- und Schablonenfunktion zu, die angesichts der Vielgestaltigkeit der mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen in der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten mindestens zweifelhaft erscheint831. Zum anderen suggeriert sie ein von beiden Ansätzen gleichermaßen geteiltes grundrechtstheoretisches Fundament, das in einer streng individualistischen Deutung der Grundrechte bestehen und konsequent bis in den grundrechtlichen Umgang mit juristischen Personen hineinwirken soll832  − eine These, die nur in ihrer ersten denzen hat zuvor auch schon Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 21 beobachtet. 829  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1504). Zurecht kritisiert J. Gundel, NVwZ 2020, 1504 (1505), dass der verfassungsgerichtliche Blick auf den Diskus­ sionsstand im Europarecht insgesamt allein auf dem Meinungsbild des deutschsprachigen Diskurses beruht. Die Übersetzung der Parallelisierungstendenzen in die Rechtsprechung kann insofern nicht verwundern. 830  Lauterbach, Unternehmen (Fn. 776), S. 221 will eine umfassende Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten aus der Entscheidung EuGH, Rs. C-510/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2012:244), Rn. 57 (DR und TV2 Danmark) herleiten. Der Bezug zum bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz („Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sollen jedenfalls auch [Herv. d. Verf.] nach dem EuGH vollumfänglich grundrechtsfähig sein“, ebd.) ist allerdings ungenau: Der EuGH hat öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in dieser Entscheidung allein die Berufung auf die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GrCh zugebilligt, ohne diese Grundrechtsberechtigung an die in Art. 11 Abs. 2 GrCh gewährleistete Medienfreiheit anzuknüpfen, sich zur Stellung der Rundfunkanstalten im Allgemeinen zu äußern oder sie gar einem „grundrechtlich geschützten Lebensbereich“ zuzuordnen. Gleiches kann den ähnlichen, wenn auch vorsichtigeren Ausführungen von Jarass (Fn. 794), Art. 51 Rn. 60 entgegengehalten werden. Differenzierter und mit einer Einordnung der Entscheidung anhand autonomer Kriterien dagegen Hatje (Fn. 746), Art. 51 GRC Rn. 7. 831  Zu den unterschiedlichen Traditionen in den Mitgliedstaaten T. Sasse, EuR 47 (2012), 628 (645 ff.); vgl. mit mahnenden Worten und gegen eine vorschnelle Übertragung nationaler Maßstäbe auf das Europarecht im Allgemeinen jüngst BVerfGE 152, 216 (234 f., Rn. 44). Insofern ist M. Strunz, Strukturen des Grundrechtsschutzes der Europäischen Union in ihrer Entwicklung, 2006, S. 142 zu widersprechen, der in dieser Frage von einem „großen Einfluss der deutschen Grundrechtsdogmatik auf die Gestaltung der Charta der europäischen Grundrechte“ ausgeht. Aus programmatischer Sicht äußern Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 51 und W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (43) jedenfalls die Hoffnung auf eine Modellwirkung des deutschen Ansatzes. 832  Ob die Ausrichtung der Argumentation an einer Grundrechtstheorie die Beantwortung konkreter Rechtsfragen wie diejenige nach der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten tatsächlich tragen kann und sollte, ist zweifelhaft; dazu näher unten S. 280 ff.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 215

Teilaussage einer kritischen Überprüfung standhält. Während das Bundes­ verfassungsgericht seine grundrechtstheoretischen Gedanken zum korporativen Grundrechtsschutz anders als andere verfassungsinterpretierende Gerichte im geografisch-europäischen und angelsächsischen Rechtsraum explizit kundtut und diese als Fundament seiner Rechtsprechung konsequent befolgt wissen will833, finden sich weder beim Europäischen Gerichtshof noch dem Gericht der Europäischen Union entsprechend spezifische Ausführungen. Das kann nicht verwundern: Die europäischen Grundsätze zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Entitäten unterscheiden sich im Allgemeinen dadurch essentiell von den nationalen, dass sie nicht anhand einer geschriebenen Verfassung, sondern inmitten eines supranationalen Integrationsprozesses anhand von Einzelfällen entwickelt wurden, wenn auch inzwischen in teils jahrzehntelanger Tradition834. Übertragen auf den engeren Diskussionszuschnitt der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten muss konstatiert werden, dass sich Rechtsprechungsansätze im Europarecht auf diesem Feld erneut nicht linear, sondern aus der Dynamik der Rechtsprechung heraus und damit oftmals anhand zerklüfteter Einzelfälle entwickeln835. Damit sei nicht gesagt, dass das europäische Recht in diesem Bereich von ideellen Einflüssen gänzlich frei ist, im Gegenteil: Auch hier stellt sich die abstrakte und nur anhand grundlegender Wertungen zu beantwortende Frage, in welchem Verhältnis eine Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen zu den Zielen und Strukturen des Unionsrechts steht836. Nur sind diese ideellen Einflüsse gerade im Hinblick auf die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen auf europarechtlicher Ebene erstens weniger tradiert und systematisiert sowie zweitens inhaltlich

833  Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 180, 673 f. mit einem Vergleich zum Schweizer Bundesgericht und dem Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika. 834  M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (23, 25). Aus diesem Grund warnt K. F. Gärditz, Schutzbereich und Grundrechtseingriff, in: Grabenwarter, EnzEuR II (Fn. 669), § 6 Rn. 5, 24 allgemein gesprochen vor einer unbesehenen Übernahme dogmatischer Figuren, die vor dem Hintergrund eines besonders ausgeprägten Kohärenzanspruchs der deutschen Staatsrechtswissenschaft entwickelt worden sind. 835  Jarass/Kment, EU-Grundrechte (Fn. 801), § 4 Rn. 41. Ähnlich M. Goldhammer/ F. Sieber, JuS 2018, 22 (25), die auf einen fehlenden systematisch-generalisierenden Ansatz der Grundrechtecharta hinsichtlich des Umgangs mit juristischen Personen hinweisen. Auch Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 21 hebt die kasuistische Vorgehensweise der Rechtsprechung auf diesem Feld als Merkposten hervor. 836  Tettinger, Grundrechtsschutz (Fn. 6), S. 175; W. Weiß, EuR 38 (2003), 165 (181); bezüglich gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen ebenso Nowak (Fn. 746), § 9 Rn. 21. Vgl. zu diesem Maßstab bereits EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, I-1125 Rn. 4 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel).

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anders gelagert als im deutschen Recht837. Ausgehend von der Prämisse, dass sich das Europarecht als Unternehmensrecht versteht, in dem die handelnden Akteure ursprünglich und primär als Marktteilnehmer angesehen wurden838, und mit Blick darauf, dass sich der europäische Grundrechtsschutz maßgeblich aus dem Rechtsstaatsprinzip als handlungsleitendem Motiv der supranationalen Integration entwickelt hat839, lässt sich im Zusammenhang mit juristischen Personen eine Verallgemeinerung formulieren: Die europäischen Grundrechte zielen darauf ab, Freiheitsbereiche gegen hoheit­liche Übergriffe zu schützen840. Dabei soll keinesfalls geleugnet werden, dass der Europäische Gerichtshof den – notwendigerweise individualistisch gedachten – Bezug zur Menschenwürde als ebenso sinnstiftend für die gesamte europäische Rechtsordnung ansieht wie es das Bundesverfassungsgericht für das deutsche Grundgesetz tut841. Die Menschenwürde ist demnach auch auf der europäischen Ebene „das eigentliche Fundament der Grund­ rechte“842. Dass eine solche Wertung die Grundrechtssubjektivität staatlicher Einheiten aus ihrer Sicht allerdings per se nicht ausschließt, gibt die europäische Judikatur schon dadurch zu erkennen, dass sie drittstaatlichen Entitäten die Grundrechtsberechtigung auf einer solchen grundrechtstheoretischen Grundlage nicht von vornherein abspricht843. 837  Letzteres gibt auch Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 21 zu bedenken, wenn sie daran erinnert, „dass das EG-Recht insgesamt dazu neigt, unternehmerische Betätigungen eher funktional und unabhängig davon zu behandeln, ob sie in staatlicher oder privater Regie erfolgen“. 838  M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (25); Hatje (Fn. 746), Art. 51 GRC Rn. 6. 839  Eingehend G. Nicolaysen, Historische Entwicklungslinien des Grundrechtsschutzes in der EU, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 1 Rn. 63 ff.; Pa­ che, Begriff (Fn. 736), § 7 Rn. 123 ff. 840  So auch Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 167 f., 173. Ein solches Grundrechtsverständnis ist dem deutschen Diskurs nicht fremd und wird insbesondere von denjenigen vertreten, die ein striktes Fortwirken der personalistischen Grundrechtsidee in den Bereich der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten hinein ablehnen, etwa von A. von Mutius, Jura 1983, 30 (40); vgl. dazu auch oben S. 66 f. mit weiteren Nachweisen in Fn. 236, sowie im weiteren Verlauf noch unten S. 319 ff. 841  EuGH, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609 Rn. 34 (Omega): „Wie die Generalanwältin […] ausgeführt hat, zielt die Gemeinschaftsrechtsordnung unbestreitbar auf die Gewährleistung der Achtung der Menschenwürde als eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ab“. 842  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/17). Zum Charakter des Art. 1 GrCh als Zentralnorm der Grundrechtsordnung sowie zu gleichzeitig bestehenden Unsicherheiten in ihrer Anwendung ausführlich und statt vieler S. Rixen, Würde des Menschen als Fundament der Grundrechte, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 13 Rn. 1 ff. 843  Siehe dazu oben S. 208  ff. mit ausführlichen Nachweisen. Die strukturellen Unterschiede zur deutschen Rechtslage lassen sich an den Umständen des Atomaus-



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Ein unionsautonom geprägter Blick auf juristische Personen in staatlicher Trägerschaft spiegelt sich dagegen in Ansätzen wider, die im Kontext der wirtschaftlichen Gewährleistungen der europäischen Grundrechtecharta (Art. 15, 16 u. 17 GrCh) vermehrt auf die Gleichheit im Wettbewerb als zentrales Beurteilungskriterium einer potentiellen Grundrechtsberechtigung öffentlicher Unternehmen abstellen844. Als Teilmenge fügen sich diese Stimmen in die Gruppe derjenigen ein, die eine europarechtlich geprägte „grundrechts­ typische Gefährdungslage“ für den geeigneten Lösungsansatz halten, um mittels ihrer Flexibilität und Einzelfallorientierung die Frage nach der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in (mitglied-)staatlicher Trägerschaft angemessen beurteilen zu können845. Vornehmlich genannte Kriterien zur Feststellung einer solchen Gefährdungslage sind insbesondere die stiegsurteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 143, 246 ff.) exemplifizieren: Hier musste das Verfassungsgericht zu der Frage Stellung beziehen, ob sich eine vollständig von einem ausländischen Staat beherrschte juristische Person mittels Art. 19 Abs. 3 GG auf die deutschen Grundrechte berufen könne, BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.). Anders als im europäischen Kontext stand einem positiven Bescheid dieser Frage allerdings das tradierte anthropozentrische Deutungskonzept entgegen, dem sich das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung der potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten seit jeher verpflichtet fühlt. Schlussendlich opferte es den Absolutheitsanspruch seiner personalistischen Sichtweise jedoch zugunsten einer grundfreiheitlich wie rechtsstaatlich orientierten Lösung und versuchte diesen Bruch mit dem Verweis auf eine Ausnahmesituation abzufedern; eingehend zu dieser Entscheidung oben S. 158 ff., insb. S. 161 ff. und S. 164 ff. 844  N. Bernsdorff, in: J. Meyer/S. Hölscheidt (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, 5. Auflage 2019, Art. 16 Rn. 18; W. Durner, Wirtschaftliche Grundrechte, in: Merten/Papier, HGR VI/1 (Fn. 733), § 162 Rn. 36; Lin­ dermuth, Grundrechtsschutz (Fn. 797), S.  124 f.; J. Schwarze, Der Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: M. Sachs/H. Siekmann (Hrsg.), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat. Festschrift für Klaus Stern, 2012, S. 945 (956 f.); N. Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 122 f.; vor Geltung der Grundrechtecharta schon Tettinger, Grundrechtsschutz (Fn. 6), S. 175. Ausdrücklich gegen die wettbewerbliche Stellung als Argument indes H.-J. Blanke, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, 2006, Art. 16 Rn. 16. 845  Mit jeweils unterschiedlicher Nuancierung C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 17  EU-GRCharta Rn. 5; Crones, Grundrecht­ licher Schutz (Fn. 733), S. 167 f., 173, 176 f., 190; F. S. M. Heselhaus, Eigentumsgrundrecht, in: ders./Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 36 Rn. 53; M. Ludwigs/ C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 153; Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 152 f.; J. Schwarze/P. Voet van Vormi­ zeele, in: U. Becker u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar (Fn. 739), Art. 16  GRC Rn. 4; Strunz, Strukturen (Fn. 831), S. 142 f.; neuerdings wohl auch Kingreen (Fn. 794), Art. 52 EU-GRCharta Rn. 54. Ferner in der Konsequenz ihrer wettbewerblichen Argumentation Lindermuth, Grundrechtsschutz (Fn. 797), S.  123 ff.; Schwarze, Schutz (Fn. 844), S. 957; Tettinger, Grundrechtsschutz (Fn. 6), S.  175 f.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

organisatorisch-institutionelle, finanzielle oder auf ähnlichem Wege manifestierte Distanz zum Staat846, die wertungsmäßige Vergleichbarkeit zur Ausgangssituation natürlicher oder privat getragener juristischer Personen847 sowie die fehlende Ausübung von Hoheitsgewalt848. Gerade die Auffächerung der Hoheitsgewalt zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten wird als Ursache einer grundrechtlich auszugleichenden Unterlegenheit mitgliedstaatlich beherrschter Organisationseinheiten ins Feld geführt849. Einige Autoren sehen die grundrechtstypische Gefährdungslage zudem in der bereits zitierten Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union zu juristischen Personen in drittstaatlicher Trägerschaft angedeutet850. Andere weisen dagegen auf die aus ihrer Sicht bestehende Gefahr hin, das europäische Kompetenzgefüge sowie den abwehrrechtlichen Charakter der Grundrechte durch eine zu ausladende Grundrechtsfähigkeit mitgliedstaatlicher Entitäten zu untergraben, da die Mitgliedstaaten ihre Position der Union gegenüber auf diese Weise verfahrenswidrig stärken könnten851. So käme eine Grundrechtssub846  Calliess (Fn. 845), Art. 17  EU-GRCharta Rn. 5; Heselhaus (Fn. 845), § 36 Rn. 53; speziell zur Medienfreiheit des Art. 11 GrCh J. Kühling, Medienfreiheit (Rundfunk-, Presse- und Filmfreiheit), in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 28 Rn. 32; nur angedeutet bei Pieper (Fn. 703), Kap. B. I. (2016), Rn. 152. 847  Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S.  167 f.; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); Schwarze, Schutz (Fn. 844), S. 957; ders./Voet van Vormizeele (Fn. 845), Art. 17 Rn. 4; Tettinger, Grundrechtsschutz (Fn. 6), S. 175. 848  Jarass/Kment, EU-Grundrechte (Fn. 801), § 4 Rn. 43; J. Kühling, in: Pechstein u. a., Frankfurter Kommentar I (Fn. 801), Art. 17 GRC Rn. 7. – Ohne ausdrücklichen Bezug zum Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage, aber mit einer gehaltvollen, vornehmlich an der EGMR-Rechtsprechung orientierten Übersicht über die zu berücksichtigenden Kriterien Jarass (Fn. 794), Art. 51 Rn. 61. 849  Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 173; Lindermuth, Grundrechtsschutz (Fn. 797), S.  122 f.; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 77 f. mit Fn. 13, 85; Schwarze, Schutz (Fn. 844), S. 957; Strunz, Strukturen (Fn. 831), S. 143; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, S. 108; Wunderlich, Berufsfreiheit (Fn. 844), S. 122. Trotz einer im Ergebnis anderslautenden Position pflichtet S. Storr, Das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit und öffentliche Unternehmen in der Europäischen Union, in: R. Feik/R. Winkler (Hrsg.), Festschrift für Walter Berka, 2013, S. 219 (235) diesem Gedanken bei. 850  D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (405  f.) und Kühling (Fn. 848), Art. 17 Rn. 7 lehnen diesen Gedanken an die Entscheidungen EuG, Rs. T-494/10, Digitale ­ Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 36 ff. (Bank Saderat Iran/Rat) resp. EuG, Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 36 ff. (Bank Mellat/Rat) an. Dort bezieht sich das Gericht jeweils auf das Urteil EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79 ff., in dem wiederum ein Maßstab angelegt wird, der auf den ersten Blick demjenigen der grundrechtstypischen Gefährdungslage ähnlich zu sein scheint; dazu unten S. 252 f. 851  H.-J. Blanke, in: Stern/Sachs, GrCh (Fn. 699), Art. 16 Rn. 12; ders. (Fn. 844), Art. 16  Rn. 16; Ruffert (Fn. 801), Art. 16  EU-GRCharta Rn. 4; Storr, Grundrecht (Fn. 849), S. 235; andeutungsweise auch bei Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 32, 35.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 219

jektivität etwa mit dem europäischen Wettbewerbs- oder Beihilfenrecht in Konflikt, die gerade den juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Sonderrolle zuschrieben852. Zudem sei eine Unterscheidung zwischen den Hoheitsgewalten auf Unions- und Mitgliedstaatsebene angesichts der vielfältigen Verflechtungen nicht überzeugend853 bzw. angesichts der föderalen Ordnung etwa in Deutschland kein Alleinstellungsmerkmal einer supra­ nationalen Struktur854. Im Sinne des klassischen Konfusionsarguments wird schließlich vermehrt der Gedanke angeführt, „der Staat“ – und über Art. 52 Abs. 1 GrCh damit auch der Mitgliedstaat – sei Garant der europäischen Grundrechte und könne gleich in welcher Erscheinungsform nicht von ihr profitieren855. 3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht a) Bundesverfassungsgerichtlicher Paradigmenwechsel als Aufwertung des europäischen Grundrechtsschutzes Der Betrachtung der Implikationen, die die vorigen Erwägungen zum europäischen Grundrechtsschutz im deutschen Diskurs zeitigen, ist eng mit der Vorfrage verknüpft, auf welchen Wegen und in welcher Intensität die Europäische Grundrechtecharta überhaupt auf das deutsche Recht einwirkt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Verhältnis zwischen europäischem und nationalem Grundrechtsschutz jüngst in einem vielbeachteten Entscheidungspaar gänzlich neu vermessen und den Einfluss der Europäischen Grundrechtecharta im deutschen Grundrechtsdiskurs gestärkt. 852  C. Grabenwarter, Unternehmertum und unternehmerische Freiheit, in: ders./W. Pöcherstorfer/C. Rosenmayr-Klemenz (Hrsg.), Die Grundrechte des Wirtschaftslebens nach dem Vertrag von Lissabon, 2012, S. 17 (24). 853  Blanke (Fn. 844), Art. 16  Rn. 16; T. Sasse, EuR 47 (2012), 628 (649  f.); F. Schmidt, Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht, 2010, S. 176 f. 854  Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 32. 855  In unterschiedlicher Formulierung und Nuancierung sowie hinsichtlich verschiedener Grundrechte Blanke (Fn. 851), Art. 16 Rn. 12; Ehlers (Fn. 757), § 14 Rn. 57; Grabenwarter, Unternehmertum (Fn. 852), S. 24; Hatje (Fn. 746), Art. 51 GRC Rn. 7; D. Kugelmann, Gleichheitsrechte und Gleichheitsgrundsätze, in: Merten/ Papier, HGR VI/1 (Fn.  733), § 160 Rn. 29; Nowak (Fn.  746), § 9 Rn. 19; ­H.-W. Rengeling/P. Szczekallla, Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, § 4 Rn. 359, 363; Ruffert (Fn. 801), Art. 16 EU-GRCharta Rn. 4; T. Sasse, EuR 47 (2012), 628 (649 f.); Storr, Grundrecht (Fn. 849), S.  234 ff.; Winkler, Grundrechte (Fn. 849), S.  108 f.; F. Wollenschläger, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht (Fn. 739), Art. 16 GRC Rn. 6 sowie Art. 17 GRC Rn. 8; ders., Unionsrechtliche Grundlagen des Öffentlichen Wirtschaftsrechts, in: Schmidt/ders., Kompendium ÖWR (Fn. 763), § 1 Rn. 89a.

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aa) Åkerberg Fransson oder: Der Zwist im Kooperationsverhältnis Normativer Ausgangpunkt der Betrachtung ist Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh, der vorsieht, dass die Charta-Bestimmungen für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der „Durchführung des Rechts der Union“ gelten. Über die Auslegung und Reichweite dieser Begrifflichkeit entflammte in jüngerer Vergangenheit ein Streit zwischen Europäischem Gerichtshof und deutschem Bundesverfassungsgericht, der unterschiedliche Auffassungen zur Stellung der Europäischen Grundrechte im Verhältnis zum nationalen Recht offenbarte und einen ernsten Schatten auf das „Kooperationsverhältnis“856 beider Gerichte warf857. Der Europäische Gerichtshof dehnte den Anwendungsbereich des Art. 51 Abs. 1 GrCh in der Rechtssache Åkerberg Fransson derart weit aus, dass nahezu jeder entfernte Bezug einer nationalen Bestimmung zum Europarecht in Inhalt oder Regelungszweck ausreichte, um der Europäischen Grundrechtecharta zur Anwendung im nationalen Recht zu verhelfen858. Später bemühte er sich zwar darum, seinen ursprünglichen Maßstab einzugrenzen859. Dennoch kultivierte der Europäische Gerichtshof an dieser Stelle sein allgemeines Verständnis der Beziehung von europäischen und nationalen 856  So das Bundesverfassungsgericht grundlegend in BVerfGE 89, 155 (175); s. ferner BVerfGE 134, 366 (384 f., Rn. 27). Zur terminologischen und inhaltlichen Etablierung dessen sowohl von Karlsruher als auch von Luxemburger Seite B. Mako­ ski, EuZW 2020, 1053 (1056 f.). 857  Ausführlich zu dem hier nur überblicksartig dargestellten Rechtsprechungszwist R. Streinz, Streit um den Grundrechtsschutz? Zum Grundrechtsschutz in der Europäischen Union nach den Urteilen des EuGH in den Fällen Åkerberg Fransson und Melloni und des BVerfG zur Antiterrordatei, in: D. Heid/R. Stotz/A. Verny (Hrsg.), Festschrift für Manfred Dauses, 2014, S. 429 ff. m. w. N. Erneut in den Blickpunkt gerückt sind Inhalt und Zustand dieses gerichtlichen Kooperationsverhältnisses nach dem historischen PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 154, 17 ff.), dazu mit klugen Worten und statt vieler W. Kahl, NVwZ 2020, 824 ff. 858  EuGH, Rs. C-617/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:105), Rn. 17 ff., 24 ff. (Åkerberg Fransson). Dazu statt vieler E. M. Frenzel, Der Staat 53 (2014), 1 (16 ff.); A. Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh (Fn. 778), Art. 51 Rn. 44 m. w. N. 859  So hat der Gerichtshof wiederholt eingrenzend formuliert, die „Durchführung des Rechts der Union“ setze einen hinreichenden Zusammenhang voraus, „der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann“, s. exemplarisch EuGH, Rs. C-206/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:126), Rn. 24 (Siragusa); Rs. C-218/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:748), Rn. 14 (Paoletti u. a.); Rs. C-177/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:656), Rn. 19 (Demarchi Gino). Insbesondere seien die mit der nationalen Regelung verfolgten Ziele in den Blick zu nehmen und zu prüfen, ob diese tatsächlich nicht anderen Zwecken dienten als der Durchführung des Unionsrechts, auch wenn sie möglicherweise einen mittelbaren Einfluss auf das Unionsrecht ausübten, s. bspw. EuGH, Rs. C-206/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:126), Rn. 25 (Siragusa); Rs. C-198/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:2055), Rn. 37 (Julian Hernández u. a.).



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Grundrechten. Demnach finden beide in nicht vollständig vom Unionsrecht durchwobenen Regelungsbereichen nebeneinander Anwendung, solange die Anwendung nationaler Grundrechtsstandards das Schutzniveau der Charta nicht unterschreitet und Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts gewahrt bleiben (sog. Kumulationsthese)860. Das Bundesverfassungsgericht hingegen sah auf diesem Weg den Einfluss deutscher Grundrechte in hohem Maße schwinden und wies gerade die Grundsätze der Åkerberg FranssonEntscheidung mit einer wenig verhaltenen Drohung, notfalls von der eigenen Reservekompetenz zur Überprüfung des Unionsrechts Gebrauch zu machen, zurück861. Zuvor hatte das Gericht eine Rechtsprechungslinie fortentwickelt, die – wenngleich unausgesprochen – auf der zentralen Annahme einer strikten Trennung zwischen den Sphären des europäischen und nationalen Grundrechtsschutzes basiert, und so unterstrichen, dass es deren Beziehung als Exklusivitätsverhältnis begreift (sog. Trennungsthese)862. In dieser Gemengelage war eine Bestimmung des Einflusses der Europäischen Grundrechtecharta auf das deutsche Recht und den nationalen Diskurs mit erheblichen Unsicherheiten verbunden und hing maßgeblich davon ab, welcher gerichtlichen Auffassung man zuneigte.

860  EuGH, Rs. C-399/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:107), Rn. 60 (Melloni). Fortgeführt in EuGH, Rs. C-617/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:105), Rn. 17 ff., 29 (Åkerberg Fransson); Rs. C-469/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:623), Rn. 32 (Funke Medien NRW); Rs. C-476/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:624), Rn. 80 (Pelham u. a.); Rs. C-516/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:625), Rn. 21 (Spiegel Online). Zustimmung in der Sache formulieren etwa Ladenburger/Vondung (Fn. 794), Art. 51 Rn. 39; D. Thym, JZ 2015, 53 (55 ff.). Zum Begriff der „Kumulationsthese“ T. Kingreen, JZ 2013, 801 (803 f.). 861  BVerfGE 133, 277 (313 f., 316, Rn. 88, 91). 862  Grundlegend war diesbezüglich die sog. Solange-II-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE, 73, 339 (387). Das Gericht setzte dort die Trennung beider Bereiche voraus, um schließlich festzuhalten, es werde seine Gerichtsbarkeit hinsichtlich des Unionsrechts so lange nicht ausüben, wie das Europarecht einen dem nationalen Standard vergleichbaren Grundrechtsschutz garantiere. In derselben gedanklichen Linie seither BVerfGE 102, 147 (165); 118, 79 (95 f.); 121, 1 (15); 122, 1 (20 f.); 125, 260 (306 f.); BVerfG (K), NVwZ 2016, 1171 (1172); vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Verfassungsrichter J. Masing, JZ 2015, 477 (481 f.). Inhaltlich neigen dieser Auffassung bspw. Verfassungsrichterin G. Britz, EuGRZ 2015, 275 (277 f., 280 f.), U. Hufeld/H. Rathke, EuR-Beiheft 3/2013, 7 (21 f.) sowie T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (Fn. 648), Art. 51 EU-GRCharta Rn. 15 zu. Übersichtlich zu Begriff und Hintergrund der sog. Trennungsthese ferner D. Thym, NVwZ 2013, 889 (892).

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bb) Paradigmenwechsel des Bundesverfassungsgerichts im Beschlusspaar „Recht auf Vergessen“ Diese Abhängigkeit hat das Bundesverfassungsgericht jüngst durchbrochen. Mit dem Beschlusspaar „Recht auf Vergessen I“863 und „Recht auf Vergessen II“864 hat der Erste Senat das Verhältnis zwischen europarechtlichem und nationalem Grundrechtsschutz auf gänzlich neue Füße gestellt. Nicht ohne Grund wird beiden Entscheidungen in der Zusammenschau schon heute nicht weniger als eine Bedeutsamkeit historischen Ausmaßes zugeschrieben865. Gestützt ist diese Beurteilung zuvorderst auf eine bemerkenswerte Wende des Ersten Senats hinsichtlich des eigenen Prüfungsstandards: Erstmals bekennt sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu einer Überprüfung des Handelns deutscher Stellen am Maßstab der Europäischen Grundrechtecharta866. Steht die Anwendung vollvereinheitlichen Unionsrechts durch die deutsche Staatsgewalt in Rede, könne sich das Verfassungsgericht nicht aus der Grundrechtsprüfung zurückziehen, sondern müsse Grundrechtsschutz auf Grundlage der Charta gewährleisten867. Der Erste Senat stützt diese Ansicht und die daraus resultierende erweiterte Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 lit. a GG auf eine Integrationsverantwortung, die aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG folge und neben Exekutive und Legislative auch die Judikative in die Pflicht nehme, sowie die Schließung einer Schutzlücke, die entstünde, sollte die Anwendung vollvereinheitlichten Unionsrechts weiterhin dem Zusammenspiel von deutschen Fachgerichten und der europäischen Gerichtsbarkeit überlassen bleiben868. 863  BVerfGE 152,

152 ff. 216 ff. 865  A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (349  f.: „Paukenschlag“); J. A. Kämmerer/ M. Kotzur, NVwZ 2020, 177 (177: „Paukenschlag“, „Karte des Grundrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem neu gezeichnet“); U. Karpenstein/M. Kottmann, EuZW 2020, 185 (186, 188: „fundamentale Neuausrichtung“, „Paukenschlag“); J. Kühling, NJW 2020, 275 (275, 280: „Novemberrevolution“); W. Michl, In Vielfalt geeinte Grundrechte, VerfBlog, 27. November 2019, abrufbar unter: https:// verfassungsblog.de/in-vielfalt-geeinte-grundrechte/ (letzter Zugriff: 7.10.2022) („Bedeutung […] auf einer Höhe mit den Klassikern des 20. Jahrhunderts, etwa dem Lüthund Apotheken-Urteil“); D. Thym, JZ 2020, 1017 (1018, 1027: „Paukenschlag“, „Wendepunkt“); M. Wendel, JZ 2020, 157 (157: „eine der bedeutendsten Weichenstellungen in der gesamten Geschichte bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsjudikatur“). 866  BVerfGE 152, 216 (236 ff., Rn. 50 ff.). 867  BVerfGE 152, 216 (237, Rn. 52). 868  BVerfGE 152, 216 (238 ff., Rn. 53 ff.). Kritisch speziell zu der Annahme einer solchen Schutzlücke M. Breuer, Wider das Recht auf Vergessen – des Bundesver­ fassungsgerichts!, VerfBlog, 2. Dezember 2019, abrufbar unter: https://verfassungs blog.de/wider-das-recht-auf-vergessen-des-bundesverfassungsgerichts/ (letzter Zu864  BVerfGE 152,



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 223

Für den Bereich unionsseitig veranlasster Regelungen mit mitgliedstaatlichem Ermessensspielraum hat das Bundesverfassungsgericht eine nicht weniger bedeutsame Weichenstellung getroffen: Ausdrücklich erkennt der Erste Senat an, dass die Europäische Grundrechtecharta und das deutsche Grundgesetz in diesem gestaltungsoffenen Raum nebeneinander stünden und im Einzelfall parallele Anwendung finden könnten869. Damit wendet sich der Erste Senat von der Trennungsthese ab und der Kumulationsthese des Europäischen Gerichtshofs zu870. Dieser Schritt war im Lichte des Anwendungsvorrangs allerdings eine Notwendigkeit, bezieht man die anschließenden Ausführungen des Gerichts in die Betrachtung mit ein. Dort formuliert der Senat die widerlegliche Vermutung, die Grundrechte des Grundgesetzes seien für den nicht voll vereinheitlichten, gestaltungsoffenen Bereich unionalen Rechts weiterhin primärer Prüfungsmaßstab, es sei denn, das Schutzniveau der Grundrechtecharta sei nachweislich nicht durch die Anwendung des Grundgesetzes gewährleistet871. Die Begründung des Ersten Senats baut zunächst auf dem Gedanken auf, dass die Europäische Grundrechtecharta nicht auf Vereinheitlichung grundrechtlicher Standards abziele und das Europarecht im Allgemeinen föderative Vielgestaltigkeit des Grundrechtsschutzes unterstütze872. Ausgehend von dieser Vielfalt könne sich die Vermutung, der grundgesetzliche Schutzstandard decke das Niveau der Europäischen Grundrechtecharta grundsätzlich mit ab, auf eine gemeinsame europäische Grundrechtstradition beider Regime stützten; Ausdruck finde diese nicht zuletzt griff: 7.10.2022); A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (353 f.); E. Klein, DÖV 2020, 341 (344). Anders dagegen W. Michl, Jura 2020, 479 (485). 869  BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 42 ff.). 870  T. Hoeren, MMR 2020, 105 (105); W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (41); U. Karpenstein/M. Kottmann, EuZW 2020, 185 (187); J. Kühling, NJW 2020, 275 (278); B. Makoski, EuZW 2020, 1012 (1018); W. Michl, Jura 2020, 479 (487); ders., In Vielfalt geeinte Grundrechte, VerfBlog, 27. November 2019, abrufbar unter: https:// verfassungsblog.de/in-vielfalt-geeinte-grundrechte/ (letzter Zugriff: 7.10.2022); J. Milker, Karlsruhe im Luxemburger Gewand, aber dennoch eigenständig, VerfBlog, 29. November 2019, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/karlsruhe-imluxemburger-gewand-aber-dennoch-eigenstaendig/ (letzter Zugriff: 7.10.2022); R. Uerpmann-Wittzack, in: Kämmerer/Kotzur, von Münch/Kunig – GG 1 (Fn. 26), Art. 23 Rn. 52; M. Wendel, JZ 2020, 157 (160, 168). Anders dagegen J. A. Käm­ merer/M. Kotzur, NVwZ 2020, 177 (178 f.), die davon ausgehen, der Erste Senat gebe gerade nicht seine „Bereichsscheidungslehre“, sondern die „Akzessorietät der Mechanismen der Grundrechtsdurchsetzung“ auf. Im Ergebnis halten sie die „Dialektik der Bereichsscheidung“ gleichwohl für überwunden. 871  BVerfGE 152, 152 (170 ff., 175 ff., 179 ff., Rn. 45 ff., 55 ff., 63 ff.). Zur Bedeutung der kumulativen Anwendung beider Grundrechtsregime, um einen Konflikt mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu vermeiden, s. auch J. M. Hoffmann, NVwZ 2020, 33 (35). 872  BVerfGE 152, 152 (170 ff., Rn. 46, 49 ff.).

224

C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention873. Schließlich zieht das Bundesverfassungsgericht in die handwerkliche Umsetzung der Vermutung noch einen doppelten Boden zugunsten der Charta ein: Selbst bei vordergründiger Anwendung der deutschen Grundrechte gelte es, die Verknüpfungen des Grundgesetzes mit dem internationalen Menschenrechtschutz und insbesondere der europäischen Grundrechtstradition zu berücksichtigen, so dass die nationalen Grundrechte im Lichte der Europäischen Grundrechte­ charta auszulegen seien874. Auch wenn er formal in Zusammenhang unionsseitig veranlasster Regelungen mit mitgliedstaatlichem Ermessensspielraum formuliert ist, nähert sich das Verfassungsgericht diesem Aspekt so abstrakt, dass er mit gutem Grund verallgemeinert werden und auch im europarechtlich gänzlich unbeeinflussten Regelungsumfeld Anwendung finden kann875. Eine hier versuchte Kurzzusammenfassung ist freilich weit von einer erschöpfenden Darstellung entfernt und kann die Tragweite des Entscheidungspaares nicht vollständig abbilden. So sind bedeutsame Aspekte wie die eigene Kompetenzerweiterung des Verfassungsgerichts aus Sicht der Gewaltenteilung876, die methodische wie dogmatische Auseinandersetzung mit dem In­ strument der Integrationsverantwortung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG877, die Beziehung zwischen den beiden Senaten des Gerichts in der Frage des Zusammenspiels von europäischem und nationalem Grundrechtsschutz878 oder 873  BVerfGE 152,

152 (175 ff., Rn. 55 ff.). 152 (177 ff., Rn. 60 ff.). 875  Ohne nähere Erläuterung unterstellt von J. M. Hoffmann, NVwZ 2020, 33 (36 f.); E. Klein, DÖV 2020, 341 (344); M. Wendel, JZ 2020, 157 (161). Anders dagegen explizit A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (351); implizit J. Kühling, NJW 2020, 275 (279); W. Michl, Jura 2020, 479 (488 f.). – Schon vor den jüngsten Entscheidungen des Verfassungsgerichts ist vielerorts ein Einfluss der Europäischen Grundrechtecharta im Wege der europarechtskonformen Auslegung auch außerhalb unionsrechtlicher Berührungspunkte befürwortet worden, statt vieler H. D. Jarass, NVwZ 2012, 457 (458); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  78 ff. m. w. N. in Fn. 23. 876  Kritisch dazu M. Breuer, Wider das Recht auf Vergessen – des Bundesver­ fassungsgerichts!, VerfBlog, 2.  Dezember  2019, abrufbar unter: https://ver fassungsblog.de/wider-das-recht-auf-vergessen-des-bundesverfassungsgerichts/ (letzter Zugriff: 7.10.2022); A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (353); E. Klein, DÖV 2020, 341 (342, 349); W. Michl, Jura 2020, 479 (485, 490). Anders M. Wendel, JZ 2020, 157 (162). 877  J. A. Kämmerer/M. Kotzur, NVwZ 2020, 177 (179 f.); E. Klein, DÖV 2020, 341 (343); W. Michl, Jura 2020, 479 (484 f.); M. Wendel, JZ 2020, 157 (162); knapp auch U. Karpenstein/M. Kottmann, EuZW 2020, 185 (188); J. Kühling, NJW 2020, 275 (277). 878  Dazu näher A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (354); J. M. Hoffmann, NVwZ 2020, 33 (36 f.); J. A. Kämmerer/M. Kotzur, NVwZ 2020, 177 (183  f.); J. Kühling, NJW 2020, 275 (277 f.); W. Michl, Jura 2020, 479 (485); D. Thym, JZ 2020, 1017 (1019); Uerpmann-Wittzack (Fn. 870), Art. 23 Rn. 59; M. Wendel, JZ 2020, 157 (167). 874  BVerfGE 152,



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 225

die positiven wie negativen Auswirkungen der jüngsten Beschlüsse auf die Tektonik des europäischen Verfassungsgerichtsverbunds879 ausgespart geblieben. Gleichwohl lässt sie für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang eine entscheidende Schlussfolgerung zu. Denn mit den Entscheidungen „Recht auf Vergessen I“ und „Recht auf Vergessen II“ hat das deutsche Bundesverfassungsgericht den materiellen Einfluss der Europäischen Grundrechtecharta auf die Auslegung des deutschen Grundgesetzes paradigmatisch gestärkt880. Für den unionsrechtlich vollvereinheitlichten Bereich trifft das zunächst insofern zu, als das Verfassungsgericht das Bewusstsein für Existenz und Tragweite der Charta schärft, indem es deren Gewährleistungen künftig selbst als Prüfungsmaßstab heranzieht und ihren Inhalt auf Grundlage der Karlsruher Lesart mitbestimmt. Auf fachgerichtlicher Ebene dürfte sich daraus eine erhöhte Bereitschaft zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Europäischen Grundrechtecharta ergeben881. Unmittelbar und materiell messbar verstärkt sich die Einwirkung der Charta auf den deutschen Grundrechtsschutz aber genauso im gestaltungsoffenen Bereich durch die erstmals anerkannte parallele Anwendbarkeit beider Regime sowie den Grundsatz der „chartakonformen“ Auslegung882. Darüber hinaus wird ein solcher Einfluss, wenn auch bereichsspezifisch gewährt, aller Voraussicht nach nicht an den Grenzen unionsrechtlicher Berührungspunkte Halt machen. Da ein doppelter, auf gänzlich unterschiedlichen Prämissen fußender nationaler Maßstab in einer solchen Gemengelage unter erhöhten Rechtfertigungsdruck gerät, steht zu erwarten, dass die Einwirkung der Europäischen Grundrechtecharte – ob offenkundig mittels der „chartakonformen“ Auslegung oder auf subtilerem Wege – gleichsam in rein national determinierte Bereiche hineinragt883.

879  Vornehmlich J. A. Kämmerer/M. Kotzur, NVwZ 2020, 177 (182 ff.). Zu den Konsequenzen für das Verhältnis von Verfassungsgericht und EuGH ferner A. Eden­ harter, DÖV 2020, 349 (354 f.); J. M. Hoffmann, NVwZ 2020, 33 (37); E. Klein, DÖV 2020, 341 (345); J. Kühling, NJW 2020, 275 (279 f.); W. Michl, Jura 2020, 479 (485 f.); M. Wendel, JZ 2020, 157 (165 f.). – Grundlegend zum Begriff des europäischen Verfassungsgerichtsverbundes A. Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 ff. 880  So auch W. Michl, Jura 2020, 479 (489); D. Thym, JZ 2020, 1017 (1025). 881  W. Michl, Jura 2020, 479 (489). In die entgegengesetzte Richtung indes M. Wendel, JZ 2020, 157 (165). 882  In diesem Sinne sagt J. Kühling, NJW 2020, 275 (278) voraus, dass nationale Grundrechtsbesonderheiten aufgrund der Einwirkung der Grundrechtecharta in Zukunft eher abnehmen werden; s. ferner W. Michl, Jura 2020, 479 (489). M. Wendel, JZ 2020, 157 (161, 165) vertritt indes die entgegengesetzte Auffassung und macht die Gefahr einer Marginalisierung der Charta in der Rechtspraxis aus. 883  Wie hier A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (355 f.). Noch vor dem Entscheidungspaar „Recht auf Vergessen“ hatte D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406) bereits angemerkt, mögliche „spill over Effekte“ des Unionsrechts ließen sich in diesem Bereich nicht ausschließen; vgl. ferner die Gedanken bei F. S. M. Heselhaus, Grund-

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

Übertragen auf den Diskurs um die Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten bedeuten die jüngsten Entscheidungen des Ersten Senats, dass der Europäischen Grundrechtecharta im Allgemeinen und dem Umgang des Europäischen Gerichtshofs mit juristischen Personen in staat­ licher Trägerschaft im Besonderen eine gesteigerte Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund trägt die veränderte Karlsruher Linie zumindest das Potential in sich, eine Neuausrichtung des nationalen Diskurses anzustoßen. Das Bundesverfassungsgericht zeigte sich in einem ersten Verfahren bezüglich Art. 19 Abs. 3 GG nach dem eigenen Paradigmenwechsel dagegen als eiserner Verteidiger der nationalen Auslegungsperspektive884. b) Materielle Implikationen Sind die maßgeblichen Wege identifiziert, auf denen die Europäische Grundrechtecharta den deutschen Grundrechtsschutz beeinflusst, richtet sich der Blick auf die inhaltliche Seite dieser Einflüsse. In Rekapitulation der zuvor dargestellten Grundsätze des Unionsrechts zum Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen im grundrechtlichen Zusammenhang lässt sich zunächst konstatieren, dass ein an die europäische Grundrechtecharta angelegter Maßstab zur Beurteilung einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten noch in der Entwicklung begriffen ist885. Während die europäische Judikatur als Summe verschiedener Einzelfälle allein Tendenzen vermuten lässt, schwankt die deutsche europarechtliche Literatur zwischen reflexartiger Parallelisierung mit dem bundesverfassungsgerichtlichen Konzept und dem Alternativentwurf einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“. Apodiktische Ableitungen, die in einem komplexen und jahrzehntelangen Diskurs wie demjenigen um Art.  19 Abs. 3 GG mit seinen Graustufen ohnehin schwerfallen, lassen sich vor diesem Hintergrund kaum positiv formulieren. Gewinnbringend ist allerdings, sich dem Verhältnis von Grundrechtecharta und Grundgesetz im Hinblick auf den Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen aus der entgegengesetzten Richtung zu nähern. Auffällig ist, dass theoretische Andeutungen zur Ausrichtung des Grundrechtsschutzes juristischer Personen an einer anthropozentrischen Grundrechtsidee, die im rechte und Kompetenzen, in: ders./Nowak, Hdb. EUGR (Fn. 736), § 6 Rn. 43 und D. Thym, JZ 2020, 1017 (1025). 884  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502 ff.); dazu sogleich S. 228 ff. 885  So halten etwa Ladenburger/Vondung (Fn. 794), Art. 51 Rn. 5 und Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 77 die Rechtslage an diesem Punkt für „ungeklärt“. Zur stärkeren Konturierung unter Berücksichtigung der Grundsätze des menschenrechtlichen Ebene unten S. 254 ff.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 227

nationalen Kontext das Rückgrat der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausmacht, beim Gericht der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof fehlen. Ihre Entscheidungsreihen zur Grundrechtssubjektivität drittstaatlich getragener Unternehmen legen gerade eine Entkopplung von diesem Gedanken nahe886. Geht das Europarecht bei der Beurteilung eines möglichen grundrechtlichen Schutzes juristischer Personen tatsächlich von einer tendenziell inklusiven Grundhaltung aus und fragt infolgedessen, was gegen einen solchen Schutz sprechen könnte887, so kann bei aller Vorsicht gegenüber dem geringen Entwicklungsgrad des Themas im Unionsrecht festgehalten werden: Das Fehlen eines Durchgriffs auf „hinter“ der juristischen Person stehende natürliche Personen ist jedenfalls keiner solcher Gründe888. Ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit generiert das bundesverfassungsgerichtliche Konzept im europarechtlichen Kontext demnach nicht889. Betrachtet man diese These im Lichte des Entscheidungspaares „Recht auf Vergessen“, zeitigt sie insbesondere im gestaltungsoffenen Bereich unionsseitig veranlasster Regelungen mit mitgliedstaatlichem Ermessensspielraum Wirkung. Befürworter des kategorischen Ansatzes in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG und der Durchgriffsthese als zentrale Argumentationsfigur werden hier auf die Passage aus dem Beschluss „Recht auf Vergessen I“ verweisen, in der das Bundesverfassungsgericht die Achtung der Grundrechtsvielfalt in der Europäischen Union einfordert und eine nur bei ersichtlichem Unterschreiten des durch die Charta gewährleisteten Schutzniveaus widerlegliche „Mitgewährleistungsvermutung“890 des deutschen Grundrechts formuliert891. Die Vorarbeiten in der Literatur zur Parallelisierung des deutschen und europarechtlichen Ansatzes ließen sich hier für eine Argumentation im Sinne eines „Ende gut, alles gut“ fruchtbar machen892. Dieses Vorge886  Dazu

bereits oben S. 212 f.

JuS 2018, 22 (25, 27). gegen diese Annahme einwenden wollte, es könnte sich ebenso gut um eine Ausnahmeerscheinung handeln, da auch das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen von seiner Durchgriffsthese und dem dahinter stehenden personalistischen Konzept kenne, der unterstellte der europäischen Rechtsprechungslinie zur Grundrechtsfähigkeit drittstaatlicher Unternehmen einen handwerklichen Geburtsfehler. Es darf aus rechtspraktischer Sicht bezweifelt werden, dass die Richterinnen und Richter an den europäischen Gerichten ein neues Rechtsprechungsfeld gleich mit der Ausnahme zur Regel eröffnen und so der Rechtsklarheit aktiv entgegenwirken, ohne den Ausnahmecharakter überhaupt zu erwähnen. 889  Im Ergebnis ebenso M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 890  B. Makoski, EuZW 2020, 1012 (1014); M. Wendel, JZ 2020, 157 (161). 891  BVerfGE 152, 152 (171 ff., 179 ff., Rn. 49 ff., 55 ff., 63 ff.). 892  D. Thym, JZ 2015, 53 (61) bezeichnet diese outputorientierte nationale Rezeptionshandhabe als nachgelagerte „Ergebniskonvergenz“. Zu den genannten wissenschaftlichen Vorarbeiten näher oben S. 213 ff. 887  M. Goldhammer/F. Sieber, 888  Wer

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

hen stößt jedoch an seine Grenzen, sollte die europäische Gerichtsbarkeit die wohlwollende Tendenz gegenüber bestimmten staatlich getragenen Personen wie etwa öffentlichen Unternehmen, die nach dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen sind, fortsetzen893. Den insoweit höheren Schutzstandard des Europarechts müsste das Verfassungsgericht nach den Grundsätzen des Beschlusses „Recht auf Vergessen I“ folglich entweder über die „chartakonforme“ Auslegung oder die unmittelbare Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta in seiner Rechtsprechung berücksichtigen894. In der Konsequenz mangelnder Anschlussfähigkeit der anthropozentrischen Grundrechtsdeutung dürfte sich das Bundesverfassungsgericht in Fällen mit hinreichendem Bezug zum Unionsrecht zukünftig dazu veranlasst sehen, weitere Ausnahmen zum eigenen, ohnehin durch verschiedentliche Schwachstellen destabilisierten Konzept895 zu gewähren. In einer ersten, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidung zur Einwirkung der Europäischen Grundrechtecharta auf die Auslegung des Art. 19 Abs. 3  GG nach dem Karlsruher Paradigmenwechsel deutete der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts allerdings in eine andere Richtung896. Er zog zunächst eine formale Verteidigungslinie ein und mahnte eine genaue Prüfung an, ob die im Beschlusspaar „Recht auf Vergessen“ etablierten Voraussetzungen zur Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta vorlägen und inwieweit der betroffene Sachbereich tatsächlich unionsrechtlich determiniert sei. Unter Berücksichtigung dessen stellte das Gericht fest, dass die Europäische Grundrechtecharta im konkreten Fall keine 893  Die EuGH- und EuG-Rechtsprechung zu drittstaatlich getragenen Unternehmen bietet Anlass für eine solche Vermutung, s. oben S. 208 ff. Das Bundesverfassungsgericht schließt juristische Personen des Privatrechts in staatlicher Trägerschaft bekanntlich von der Grundrechtsfähigkeit aus, BVerfGE 45, 63 (79 f.); 68, 193 (212 f.); 143, 246 (314, Rn. 190). Zum Begriff des öffentlichen Unternehmens bereits oben S. 19 mit Fn. 18 sowie S. 135 mit Fn. 516. 894  Zu diesem Vorgehen BVerfGE 152, 152 (179 ff., Rn. 63 ff.). – Der Versuch, diese mit der Legitimität und Durchschlagskraft des Anwendungsvorrangs ausgestatte Vorgehensweise mittels eines ausgeprägten „Distinguishing“ der eigenen Sachverhalte zu umgehen, ist dem Bundesverfassungsgericht verstellt, da diese Methode allein im Tatsächlichen, nicht aber im Zusammenhang mit normativen Maßstäben Wirkung entfalten kann, dazu feinsinnig Lepsius, Die maßstabsetzende Gewalt (Fn. 510), S. 215; zum „Distinguishing“ als ursprünglich klassischem Instrument der Methodik des Common Law W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. II, 1975, S. 95 ff. Ein solcher Versuch würde den methodenehrlichen Weg verlassen und im Übrigen den Dialog mit den europäischen Gerichten jedenfalls hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen zur bloßen Kulisse degradieren. 895  Zu diesen eingehend oben S. 77 ff. 896  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 ff.



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 229

Anwendung finden könne, da die in Rede stehende gesetzgeberische Entscheidung zur Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung897 weder einem vollvereinheitlichen („Recht auf Vergessen II“) noch einem teilharmonisierten Bereich mit hinreichend gehaltvollen Vorgaben („Recht auf Vergessen I“) zuzuordnen sei898. Darüber hinaus wies das Bundesverfassungsgericht allerdings auch den hier angenommenen Anpassungsdruck in der Sache von sich und deutet an, auch gegenüber europarechtlichen Einflüssen auf der Souveränität seiner individualistischen Deutung zu bestehen. In einem Obiter Dictum zog das Gericht bereits in Zweifel, ob das Schutzniveau des deutschen Grundgesetzes in der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen überhaupt dasjenige der Europäischen Grundrechtecharta unterschreite, selbst wenn man im vorliegenden Fall eine parallele Anwendbarkeit beider Regime annehmen wollte. Aus seiner Sicht seien keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, „dass die Unionsgrundrechte den Mitgliedstaaten abverlangen könnten, die Grundrechtsberechtigung staatlicher und gemischtwirtschaftlicher Unternehmen mit überwiegend öffentlicher Beteiligung bezüglich der Eigentums- und Unternehmensfreiheit anzuerkennen, der Schutz juristischer Personen nach Art. 19 III GG dem Schutzniveau der Charta insoweit also nicht genügte“899. Flüchtig bezieht sich das Verfassungsgericht an dieser Stelle auf das Fehlen entsprechender Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, während die zuvor beleuchtete Linie des Gerichts der Europäischen Union zur Grundrechtsfähigkeit drittstaatlich getragener Einheiten gänzlich unerwähnt bleibt900. Ohnehin bestünden gegenüber einer potentiell erweiterten Grundrechtsberechtigung staatlicher Organi897  Rechtlich wirksamen Niederschlag hat diese Entscheidung im Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (KVBG) aus dem Jahr 2020 erlangt, das – wie der Name bereits vermuten lässt – Regelungen über den schrittweise zu realisierenden Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland und seine Zwischenetappen trifft. Im angesprochenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wehrte sich eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile sich über eine gesellschaftsrechtliche Verschachtelung im Ergebnis zu 85,9 % auf kommunale Gebietskörperschaften zurückführen lassen, unter Berufung auf Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes; zum Sachverhalt BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1501). 898  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502 f.). Ebenso J. Gundel, NVwZ 2020, 1504 (1505); W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (41 f.); S. Michaels, EnWZ 2020, 453 (454). Anders bezüglich der letzteren Variante dagegen B. Ortlieb, N&R 2020, 287 (288), die auf die Verknüpfung des KVBG mit dem europarechtlich determinierten Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz verweist. 899  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1503). 900  Kritisch dazu J. Gundel, NVwZ 2020, 1504 (1505), der die Argumentation des EuG zwar nicht mitträgt, sich aber dagegen ausspricht, den entsprechenden Ansatz gänzlich zu ignorieren. Zum Stand der europäischen Rechtsprechung eingehend oben S. 208 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

sationseinheiten erhebliche Bedenken, so das Bundesverfassungsgericht. Ihre Betätigung sei allein die Emanation einer einheitlichen Staatsgewalt und nicht Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Person; es fehle an hinter dem Konstrukt stehenden natürlichen Personen, deren Schutz vor hoheitlichen Übergriffen gerade Sinn der Grundrechte sei901. Gerade dem Zusammenspiel aus Grundsätzlichkeit und mangelnder Entscheidungserheblichkeit dieser Ausführungen lässt sich eine mehr oder minder subtil formulierte Botschaft an die europäische Gerichtsbarkeit entnehmen. Sollte sie in der Frage nach einer potentiellen Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen auf Unionsebene eine Linie entwickeln, die in ihrer Ausrichtung und in ihren Ergebnissen merklich vom individualistischen Konzept des deutschen Verfassungsgerichts abweicht, kann sie, zurückhaltend formuliert, nicht auf die Unterstützung aus Karlsruhe zählen902. Hätte das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle nicht nur eine eigene Positionierung, sondern eine tatsächliche Klärung der europarechtlichen Rechtslage erreichen wollen, hätte es ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV in Betracht ziehen und dem Europäischen Gerichtshof die eigene Evaluation zur Überprüfung vorgelegen können903. Dem oben beschriebenen Anpassungsdruck tritt das Verfassungsgericht damit in einem ersten Aufschlag im Ton gemäßigt, in der Sache jedoch offensiv entgegen. Der Erste Senat entscheidet sich dagegen, die Anschlussfähigkeit der eigenen, anthropozentrischen Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG kritisch zu überprüfen und tendiert stattdessen zu einer Positionierung als unnachgiebiger Verfechter der eigenen Rechtsprechungstradition. Es ist gerade die fehlende Anschlussfähigkeit, die auch im nationalen wissenschaftlichen Diskurs um die Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten kritisch aufgegriffen wird. Insbesondere vor dem Hintergrund der Direktiven des Europarechts ist sie bereits vor den Entscheidungen zum „Recht auf Vergessen“ als Argument für eine Aufgabe der Durchgriffsthese und eine Hinwendung zum Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage angeführt worden904. Derlei Forderungen dürften in Zukunft nicht 901  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1503 f.) mit Bezug zu eigenen vorangegangenen Entscheidungen. 902  Trotz Zustimmung in der Sache attestieren auch W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (43) dem Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Abwehrhaltung und verorten die Entscheidung als Versuch, die europarechtliche Entwicklung „antizipativ ‚vorzuprägen‘ “. Wohlwollend hält es J. Gundel, NVwZ 2020, 1504 (1505) für „hilfreich“, dass das Verfassungsgericht die deutsche Position noch vor einer Festlegung des Europäischen Gerichtshofs deutlich markiert habe. 903  Dazu auch W. Kahl/R. Pracht, DVBl. 2021, 40 (42); B. Ortlieb, N&R 2020, 287 (289). 904  M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27).



III. Europarechtlicher Grundrechtsschutz: Europäische Grundrechte 231

leiser werden, sollte sich die inklusive Tendenz des Europarechts fortsetzen. Allein die Existenz eines auf gänzlich unterschiedlichen Prämissen beruhenden Doppelstandards, wie ihn die beiden jüngsten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ermöglichen, erhöht den Rechtfertigungsdruck auf den althergebrachten, anthropozentrisch-derivativen Karlsruher Ansatz905. Tatsächlich ist die Anschlussfähigkeit gerade einer der Vorzüge der grundrechts­ typischen Gefährdungslage, der aus der ideologischen Ungebundenheit des Konzepts herrührt906. Bliebe die Betrachtung isoliert und allein auf den Gehalt der europäischen Grundrechtecharta sowie die entsprechende Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit beschränkt, ließe sich dem bisher Gesagten mit dem Einwand begegnen, dem bloß in seinen Konturen erkennbaren Ansatz werde eine zu starke Bedeutung unterlegt. Tatsächlich darf eine Betrachtung des europarechtlichen Grundrechtsschutzes, die den Anspruch einer umfassenden Analyse erhebt, allerdings nicht bei den Grundrechtsgewährleistungen stehen bleiben, sondern muss die Europäische Grundrechtecharta als Ganzes einbeziehen. Die Charta selbst nimmt über Art. 52 Abs. 3 GrCh die Verschränkungen zwischen europarechtlichem Grundrechts- und völkerrechtlichem Menschenrechtsschutz in den Blick, wenn sie ihren Gewährleistungen die gleiche Bedeutung und Tragweite wie den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zuspricht, sollten sich ihre Schutzgehalte überschneiden. Das Gericht der Europäischen Union nimmt diese Verbindung beispielsweise ernst, wenn es im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität drittstaatlich getragener Organisationseinheiten auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verweist907. Bezieht man demnach die Linien des menschenrechtlichen Grundrechtsschutzes über Art. 52 Abs. 3 GrCh mit in die Untersuchung ein und berücksichtigt insbesondere die soeben angesprochene Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union, bildet sich zumindest ein in Teilen klarer umrissener gedanklicher Ausgangspunkt, der verschieden kanalisiert auch die deutsche Diskussion um die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG beeinflusst908. Da 905  So schon für den unionsrechtlich unbeeinflussten Bereich rein nationalen Rechts A. Edenharter, DÖV 2020, 349 (355 f.) im Anschluss an die „Recht auf Vergessen“-Beschlüsse. 906  Dazu bereits oben S. 66 f., 71 f.; vgl. im weiteren Verlauf der Untersuchung ferner unten S. 354 ff. 907  Dazu oben S. 211 f.; ausführlich noch unten S. 254 ff. 908  Das Bundesverfassungsgericht äußerte dagegen jüngst Zweifel daran, inwieweit speziell die Judikatur des EGMR die Rechtsprechungsentwicklung auf europarechtlicher Ebene zu beeinflussen imstande ist und wies selbstbewusst darauf hin, dass eine Übertragung dieser Judikate zugunsten einer erweiterten Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten angesichts der eigenen sachlichen Einwände jedenfalls nicht auf der Hand liege, s. BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

ein Durchdringen dieser Gedanken aber maßgeblich von den Vorfragen abhängt, in welchem Verhältnis europarechtlicher und menschenrechtlicher Grundrechtsschutz zueinander stehen und wie sich letzterer zur Grundrechtssubjektivität staatlicher Entitäten verhält, sollen diese Aspekte im Folgenden zunächst eingehender untersucht werden. Auf den europarechtlichen Schutz und seinen Einfluss auf den nationalen Diskurs wird an späterer Stelle zurückzukommen sein909.

IV. Parenthese: Anschluss des europäischen Grundrechtsschutzes an die menschenrechtliche Ebene Der Normtext der Europäischen Grundrechtecharta verbindet europarechtliche und menschenrechtliche Ebene, wenn es in Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh heißt, alle Charta-Rechte, die eine Entsprechung in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden, ständen in Bedeutung und Tragweite eben jenen Konventionsbestimmungen gleich. Welche Rechte diese Gruppierung einschließt, präzisieren die Erläuterungen zur Grundrechtecharta, die nach Art. 52 Abs. 7 GrCh in der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind910. Sie enthalten eine katalogisierte und gestufte Gegenüberstellung der ChartaBestimmungen und ihrer jeweiligen Pendants in der Europäischen Menschenrechtskonvention911 und dienen auch dem Europäischen Gerichtshof regelmäßig als Erkenntnisgrundlage912. Mit der Zusicherung, den europa(1504). Dieser kurze Ausflug über die Grenzen der eigenen Jurisdiktion hinaus ist als erneuter Fingerzeig des deutschen Verfassungsgerichts gen Luxemburg zu verstehen, die nationale Rechtsprechungslinie zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG unverändert fortführen zu wollen. 909  Unten S. 258 f. 910  Eingehend und statt vieler zur Rolle der Erläuterungen in der Auslegung der Europäischen Grundrechtecharta G. Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK im Recht der EU-Grundrechtecharta, 2009, S. 59 ff. 911  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/34). Dort wird zwischen solchen Grundrechten, die in der EMRK ein Pendant in Bedeutung und Tragweite finden und denjenigen Bestimmungen unterschieden, denen ein Konventionsrecht allein in der Bedeutung, nicht aber in seiner Tragweite entspricht. 912  Mit ausdrücklichem Bezug zu den Erläuterungen etwa EuGH, Rs. C-562/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2014:2453), Rn. 51 (Abdida); Rs. C-547/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:325), Rn. 147 (Philip Morris Brands u. a.); Rs. C-585/18, C-624/18 und C-625/18, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:982), Rn. 117 (A.K. [Indépendance de la chambre disciplinaire de la Cour suprême]). – In Anlehnung an die judikative Verwendung sprechen W. Michl, Die Überprüfung des Unionsrechts am Maßstab der EMRK, 2014, S. 199 und R. Streinz/ders., in: Streinz, EUV/AEUV (Fn. 644), Art. 52 GR-Charta Rn. 29 den Erläuterungen jedenfalls auf Schutzbereichsebene eine „Quasi-Verbindlichkeit“ bzw. „quasi-obligatorische Wirkung“ zu.



IV. Parenthese233

rechtlichen Grundrechtsgewährleistungen eine „gleiche Bedeutung und Tragweite“ wie den Konventionsrechten zuzumessen, gießt Art. 52 Abs. 3 GrCh die essentielle Bedeutung in Gesetzesform, die die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention für Entwicklung und Reichweite des europarechtlichen Grundrechtsschutzes hatten und weiterhin haben913. Darin eingeschlossen ist selbstredend auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, auch wenn sie die Grundrechtecharta nicht expressis verbis einbezieht914. Verallgemeinernd formuliert kodifiziert Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh die ohnehin bestehenden Kohärenzbestrebungen des unionalen Grundrechtsschutzes hinsichtlich der menschenrechtlichen Ebene915. Methodisch betrachtet werden die Europäische Menschenrechtskonvention und die entsprechende EGMR-Rechtsprechung zwar nicht als Rechts-, aber immerhin als wohl bedeutendste Rechtserkenntnisquelle der Europäischen Grundrechtecharta eingeordnet916. Dass die Verflechtung beider Regime rein 913  Jarass, GrCh (Fn. 794), Art. 52 Rn. 56; K. Lenaerts, EuR 47 (2012), 3 (13); A. Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh (Fn. 844), Art. 52 Rn. 52. – Die Charta kodifiziert damit die Linie, die der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, exemplarisch etwa EuGH, Rs. 97/87 bis 99/87, Slg. 1989, I-3165 Rn. 10 (Dow Chemical Ibérica u. a./Kommission); Rs. C-309/96, Slg. 1997, I-7493 Rn. 12 (Annibaldi/Sindaco del Comune di Guidonia und Presidente Regione Lazio); Rs. C-402/05 P, Slg. 2008, I-6351 Rn. 283 (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission). 914  Statt vieler Jarass (Fn. 913), Art. 52 Rn. 65 m. w. N.; vgl. ferner die Erwähnung in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/33). 915  U. Becker, in: ders.  u.  a. (Hrsg.), EU-Kommentar (Fn. 739), Art. 52  GRC Rn. 14; Streinz/W. Michl (Fn. 912), Art. 52 GR-Charta Rn. 24; J. P. Terhechte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht (Fn. 739), Art. 52 GRC Rn. 15; eingehend zur kohärenzbezogenen Grundidee des Art. 52 Abs. 3 GrCh speziell Ziegenhorn, Einfluss (Fn. 910), S. 134 ff. – Vgl. zum Kohärenzgedanken aus der jüngeren Rechtsprechung EuGH, Rs. C-516/16, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:625), Rn. 57 (Spiegel Online); Rs. C-38/18, Ditigale Slg. (ECLI:EU:C:2019:628), Rn. 39 (Gambino und Hyka); Rs. C-492/18 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:108), Rn. 57 (TC). Abermals aufschlussreich sind zudem die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/33). 916  Ehlers (Fn. 757), § 14 Rn. 29, 89; Jarass (Fn. 913), Art. 52 Rn. 64; Kingreen (Fn. 794), Art. 52  EU-GRCharta Rn. 37; C. G. H. Riedel, Die Grundrechtsprüfung durch den EuGH, 2020, S. 114; F. Schorkopf, in: Nettesheim, Grabitz/Hilf/Nettesheim – Recht der EU (Fn. 643), Art. 6 EUV (2019), Rn. 46; Schwerdtfeger (Fn. 913), Art. 52 Rn. 64. Allgemein zur methodischen Unterscheidung von Rechts- und Rechtserkenntnisquellen s. die Nachweise oben in Fn. 796. – Deutlich weiter gehen J. Cal­ lewaert, EuGRZ 2003, 198 (200), K. Naumann, EuR 43 (2008), 424 (428 ff.) („indirekte Rechtsquelle“) und Terhechte (Fn. 915), Art. 52 GRC Rn. 15 („Beitritt zur EMRK auf materiell-rechtliche Weise“). Einer solchen Selbstbindung der Europäischen Union an die EMRK „durch die Hintertür“ steht allerdings die ausdrückliche Entscheidung entgegen, die Art. 6 Abs. 2 EUV zum EMRK-Beitritt der Union trifft und deren Bedeutung auf diesem Wege vollständig aufgehoben würde; wie hier

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

institutionell einen Rückschritt verkraften musste, als der Europäische Gerichtshof den Entwurf zur Kommission bezüglich des in Art. 6 Abs. 2 EUV vorgesehenen Beitritts der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention mit scharfen Worten zurückgewiesen hat917, ändert an dieser Bedeutung nichts. Denn es ist gerade der Europäische Gerichtshof, der in jüngerer Zeit wie gewohnt auf Art. 52 Abs. 3 GrCh und die grundlegende Orientierungswirkung der menschenrechtlichen Konventionsgewährleistungen für den Schutz nach der Europäischen Grundrechtecharta verwiesen hat918. Dies als Vorrede zu Anwendungsbereich und Bedeutung des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh vorweggeschickt, stellt sich die Anschlussfrage, welche Folgewirkungen von der Norm ausgehen, wenn sie den Grundrechten der Charta die gleiche „Bedeutung und Tragweite“ zuweist, die auch den entsprechenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt. Allgemeinmethodisch geht der Europäische Gerichtshof von der Einordnung des Konventionsrechts als Rechtserkenntnisquelle aus und nutzt sowohl die ­Konvention als auch die zugehörige EGMR-Rechtsprechung als bedeutsame Auslegungsleitlinien, um nach Möglichkeit einen Gleichlauf zu erreichen; unmittelbare Wirkung kommt ihnen indes nicht zu919. Auf diese Weise bleibt zum einen die Orientierung an der menschenrechtlichen Ebene als wichtiger Kompass gewahrt; zum anderen eröffnet eine solche Handhabe Raum für Kingreen (Fn. 794), Art. 52  EU-GRCharta Rn. 37; Schwerdtfeger (Fn. 913), Art. 52 Rn. 64. Zurecht tritt der EuGH daher einer unmittelbaren Bindungswirkung der EMRK-Grundsätze auf anderem Wege als nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 EUV entgegen, s. sogleich unter Fn. 919. Einen fundierten Überblick zu den Kategorisierungsversuchen bezüglich des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh leistet Ziegenhorn, Einfluss (Fn. 910), S.  29 ff. 917  EuGH, Gutachten 2/13, Ditigale Slg. (ECLI:EU:C:2014:2454) Rn. 153 ff. (Adhésion de l’Union à la CEDH); näher dazu etwa C. Tomuschat, EuGRZ 2015, 133 ff.; C. Walter, Der verpasste Verfassungsauftrag: Zum Gutachten des EuGH gegen den Beitritt der Union zur EMRK, in: M. Kment (Hrsg.), Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht. Festschrift für Hans D. Jarass, 2015, S.  145 ff. 918  Aus einer langen Reihe sei beispielhaft verwiesen auf EuGH, Rs. C-601/15 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:84), Rn. 77 (N.); Rs. C-528/15, Digitale Slg. (ECLI: EU:C:2017:213), Rn. 37 (Al Chodor u. a.); Rs. C-38/18, Ditigale Slg. (ECLI:EU: C:2019:628), Rn. 39 (Gambino und Hyka); Rs. C-492/18 PPU, Digitale Slg. (ECLI: EU:C:2019:108), Rn. 57 (TC). 919  So hat der Gerichtshof betont, die EMRK sei ohne einen formellen Beitritt der EU kein in das Unionsrecht übernommenes Rechtsinstrument, EuGH, Rs. C-617/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2013:105), Rn. 44 (Åkerberg Fransson); Rs. C-398/13 P, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2015:535), Rn. 45 (Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission); Rs. C-203/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:970), Rn. 127 (Tele2 Sverige); Rs. C-601/15 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2016:84), Rn. 45 (J. N.); Rs. C-537/16, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2018:193), Rn. 24 (Garlsson Real Estate u. a.).



IV. Parenthese235

notwendige Differenzierungen im Unionsrecht und sichert dessen autonome Entfaltung920. Lenkt man den Blick auf konkrete Folgen in der Dogmatik, stellt sich die Frage nach der Reichweitenbestimmung des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh: Soll den Charta-Rechten auf allen Stufen der Grundrechtsprüfung die „gleiche Bedeutung und Tragweite“ zukommen wie ihren Pendants auf menschenrechtlicher Seite? Unstimmigkeiten ergeben sich insbesondere in der Übertragung der Standards zur Einschränkungsmöglichkeit bestimmter Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Während die Erläuterungen zur Grundrechtecharta einen Gleichlauf ausdrücklich auch für die Einschränkungsmöglichkeiten vorsehen921, sendet der Europäische Gerichtshof an dieser Stelle unterschiedliche Signale: Teils wendet er den EMRK-Bezug des Art. 52 Abs. 3 GrCh ebenso auf Einschränkungsebene an und sucht die Integration in die unionsautonome Schrankenregel des Art. 52 Abs. 1  GrCh922. Teils scheint er sich aber nur der Form halber hinter eine solche Formulierung zu stellen, um dann inhaltlich die Fahne der europarechtlichen Autonomie hochzuhalten und sich ohne Einbeziehung des Konventionsrechts an Art. 52 Abs. 1 GrCh zu orientieren923. Viele Vertreter der Wissenschaft folgen indes dem in den Erläuterungen angelegten Kohärenzgedanken und erstrecken den Transfer von der menschenrechtlichen auf die 920  Kingreen (Fn. 794), Art. 52 EU-GRCharta Rn. 30, 37; F. Michl, Unionsgrundrechte aus der Hand des Gesetzgebers, 2018, S. 67 ff. Anders Ziegenhorn, Einfluss (Fn. 910), S. 149 ff., der von einer stärkeren Bindungskraft der EMRK und namentlich vom einem inhaltlichen Transfer der Konventionsbestimmungen ausgeht; daneben komme dem genuin chartarechtlichen Grundrechtsschutz allein eine theoretische Rolle zu. 921  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/33). 922  EuGH, Rs. C-92/09, Slg. 2010, I-11063 Rn. 49 ff. (Volker und Markus Schecke und Eifert); Rs. C-492/18 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:108), Rn. 56 ff. (TC); nur andeutungsweise EuGH, Rs. C-528/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:213), Rn. 37 ff. (Al Chodor u. a.). Zu voreilig leitet Schwerdtfeger (Fn. 913), Art. 52 Rn. 60 unter anderem aus diesen Entscheidungen die nicht weiter differenzierte These ab, der EuGH berücksichtige die EMRK in seiner Rechtsprechung gem. Art. 52 Abs. 3 GrCh auch auf Einschränkungsebene. 923  So die Vorgehensweise in EuGH, Rs. C-601/15 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2016:84), Rn. 47 ff. (J. N.); kritisch dazu Streinz/W. Michl (Fn. 912), Art. 52  GRCharta Rn. 29. – In der Entscheidung EuGH, Rs. C-235/17, Digitale Slg. (ECLI:EU: C:2019:432), Rn. 88 f. (Kommission/Ungarn) verzichtet der EuGH trotz eines fortwährenden EMRK-Bezugs auf jede formalistische Einkleidung und zieht allein Art. 52 Abs. 1 GrCh heran, ehe er im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erneut auf den EGMR rekurriert (ebd. Rn. 128); vgl. zur Tendenz des EuGH zum stillschweigenden Beiseiteschieben der EMRK auf Einschränkungsebene auch EuGH, Rs. C-537/16, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2018:193), Rn. 21 ff., 36 ff., 41 ff. (Garlsson Real Estate u. a.); Rs. C-596/16 und C-596/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2018:192), Rn. 40 f. (Di Puma).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

europarechtliche Ebene gleichsam auf die Stufe der Einschränkungsmöglichkeiten924. Dass Art. 52 Abs. 3 GrCh dessen ungeachtet auf der Schutzbereichsebene einen weitgehenden Gleichlauf von unionsrechtlicher und menschenrechtlicher Gewährleistung vorsieht, wenn die entsprechenden Rechte strukturell vergleichbar sind, ist dagegen unbestritten925. Letzteres besitzt für die hier zu untersuchende Frage einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Einheiten eine gesteigerte Bedeutung. Für den sachlichen wie persönlichen Umfang der jeweiligen Charta-Gewährleistung werden die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihre Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte damit in den Rang eines Mindeststandards der Europäischen Grundrechtecharta erhoben926. In Ergänzung dazu stellt Art. 52 Abs. 3 S. 2 GrCh fest, dass es dem Europarecht nicht verwehrt ist, über den Konventionsstandard hinauszugehen. Diese allgemeinen Wirkprozesse lassen sich im Kontext der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten anhand der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union exemplifizieren. In seiner Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit von Sanktionsmaßnahmen des Rates der Europäischen Union gegenüber dem Iran und Russland unterstellt das Gericht – wie gesehen – eine mögliche Grundrechtssubjektivität drittstaatlich getragener Unternehmen und Organisationen im Lichte des europarechtlichen 924  Becker (Fn. 915), Art. 52  GRC Rn. 15; M. Bühler, Einschränkung von Grundrechten nach der Europäischen Grundrechtecharta, 2005, S. 309 ff., 313; Y. Dorf, JZ 2005, 126 (128); C. Grabenwarter, DVBl. 2001, 1 (2); Jarass (Fn. 913), Art. 52 Rn. 60; ausführlich und mit zahlreichen weiteren Nachweisen zudem Schwerdtfeger (Fn. 913), Art. 52 Rn. 59. – Ob diese Handhabe mit einem lex specialis-Gedanken verknüpft sein sollte, ist ein Streit, der an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden kann, siehe dazu einerseits Bühler, Einschränkung (in dieser Fn.), S. 262 f., andererseits C. G. H. Riedel, Grundrechtsprüfung (Fn. 916), S.  111 ff. 925  Becker (Fn. 915), Art. 52  GRC Rn. 15; C. Grabenwarter, DVBl. 2001, 1 (2); B. Schneiders, Die Grundrechte der EU und die EMRK, 2010, S. 180; Schwerdtfeger (Fn. 913), Art. 52 Rn. 59, jeweils allgemein in Bezug auf die Schutzbereichsebene. Ausdrücklich hinsichtlich des persönlichen Schutzbereichs etwa H. Krämer, in: Stern/ Sachs, GrCh (Fn. 699), Art. 52 Rn. 70; Lindermuth, Grundrechtsschutz (Fn. 797), S. 113. 926  Statt vieler Ehlers (Fn. 757), § 14 Rn. 29; Jarass (Fn. 913), Art. 52 Rn. 62 f.; F. Michl, Unionsgrundrechte (Fn. 920), S. 63, 69; vgl. ferner die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02  ff. (303/33). – Der EuGH hat diesen Duktus inzwischen ebenfalls aufgegriffen, s. etwa EuGH, Rs. C-528/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:213), Rn. 37 (Al Chodor u. a.) und Rs. C-492/18 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:108), Rn. 57 (TC) zu Art. 5 EMRK und Art. 6 GrCh; Rs. C-235/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:432), Rn. 72 (Kommission/Ungarn) zu Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK und Art. 17 GrCh; Rs. C-377/18, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:670), Rn. 42 (AH u. a.) zu Art. 6 Abs. 2, 3 EMRK und Art. 48 GrCh.



IV. Parenthese237

Grundrechtsschutzes927. Als normativer Anknüpfungspunkt im Unionsrecht dient dem Gericht unter anderem das Eigentumsrecht des Art. 17 GrCh928, das in Art. 1 Abs. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK ein sachliches Pendant findet929; ein Umstand, den das Gericht der Europäischen Union indes nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl ergänzt es seine aus dem Wortlaut der Grundrechtecharta und dem europäischen Primärrecht hergeleitete These, das Unionsrecht enthalte keine Vorschrift, die eine Grundrechtsfähigkeit staatlicher Emanationen ausschließe, bisweilen mit einem Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und schreitet dessen einschlägige Beurteilungskriterien einzeln ab930. Auf diesem Wege wird sichtbar, wie die Europäische Menschenrechtskonvention und die entsprechende EGMR-Rechtsprechung auf das Unionsrecht einwirken und so die Antwort auf die Frage nach einer Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten maßgeblich mitbestimmen.

927  Exemplarisch im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung jüngst EuG, Rs. T-515/15, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2018:545), Rn. 135 ff., 143, 147 (AlmazAntey/Rat); ausführlich zu dieser Rechtsprechungslinie des EuGH und des EuG einschließlich weiterer Nachweise siehe oben S. 208 ff. 928  Aus der dichten Rspr. nur EuG, Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 36 (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 65 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-10/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:235), Rn. 53 (Bank of Industry and Mine/Rat); Rs. T-732/14, Digitale Slg. (ECLI:EU: T:2018:541), Rn. 133, 138 f. (Sberbank of Russia/Rat); s. ferner die Nachweise oben in Fn. 817 und 818. 929  EuGH, Rs. C-258/14, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2017:448), Rn. 49 (Florescu u. a.); Rs. C-235/17, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:432), Rn. 72 (Kommission/Ungarn); aus der früheren Rspr. zudem EuGH, Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351 Rn. 356 (Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission); s. dazu gleichfalls die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/34). – Der Streitfrage, ob die Zusatzprotokolle der EMRK im Zuge des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh Relevanz entfalten können, wenn sie nicht alle EU-Mitgliedstaaten ratifiziert haben, kommt an dieser Stelle keine Bedeutung zu, da das 1. Zusatzprotokoll zur EMRK gerade nicht zu dieser Gruppe gehört (nachprüfbar anhand der Ratifikationsstände unter https:// www.coe.int/en/web/conventions/full-list2?module=signatures-by-treaty&treatynum =009 [letzter Zugriff: 9.10.2022]). Zum Streit siehe nur Kingreen (Fn. 794), Art. 52 EU-GRCharta Rn. 35; Schneiders, Grundrechte (Fn. 925), S.  163 ff. 930  EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 40 ff. (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 42 ff. (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 71 ff. (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 63 ff. (Bank Refah Kargaran/Rat). – Zu diesen Kriterien s. ausführlich unten S. 246 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europäische Menschenrechtskonvention 1. Die juristische Person als Menschenrechtssubjekt – Pragmatischer Konventionsansatz fernab ideologischer Grabenkämpfe a) Sonderrolle der Europäischen Menschenrechtskonvention Versteht man die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention als regionale Teilmenge eines nicht immer zusammenhängenden, aber mit holistischem Anspruch ausgestatteten internationalen Menschenrechtsregimes, wirkt es kontraintuitiv, die Einbeziehung juristischer Personen in diesen Schutzbereich zu erwägen. Völkerrechtliche Vereinbarungen zu den Menschenrechten im Allgemeinen sowie die Europäische Menschenrechtskonvention im Besonderen sind in ihrer Entstehung resp. ihrer substantiellen Aufwertung historisch eng mit den Gräueltaten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft verbunden und verstehen sich als dringende Antwort auf systematische wie tiefgreifende Verletzungen der menschlichen Würde931. Dieser Hintergrund drängt gemeinsam mit der ohnehin evidenten Terminologie der Menschenrechte zu der Feststellung, eine Einbeziehung juristischer Personen in deren Schutzgedanken sei ein Widerspruch in sich932. Eben diese Annahme ist tragende Säule einer pauschalen Kritik an der Berücksichtigung juristischer Organisationseinheiten als potentiell Begünstigte menschenrechtlicher Gewährleistungen insbesondere im internationalen Diskurs. Nicht zuletzt durch bestimmte politische Präferenzen eingefärbt, warnen einige Beobachter speziell im internationalen Diskurs vor einer Ökonomisierung der Menschenrechte und zeichnen die Drohkulisse ihrer Instrumentalisierung zur wirkungsvollen Durchsetzung monetärer Interessen gegen gefährdete Individualbelange933. Andere wiederum plädieren dafür, die Idee menschenrecht­ 931  Im Allgemeinen R. Bernhardt, Entwicklung und gegenwärtiger Stand, in: Merten/Papier, HGR VI/1 (Fn. 733), § 137 Rn. 7; M. Herdegen, in: Herdegen/Klein/ Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 1 Abs. 2  (2004), Rn. 26; T. Schil­ ling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 3. Auflage 2016, Rn. 4; zur EMRK im Besonderen Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 1  Rn. 1; Meyer-Ladewig/Net­ tesheim (Fn. 709), Einl. Rn. 6. 932  Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn.  113), S. 35; C. Harding/U. Kohl/ N. Salmon, Human Rights in the Market Place, 2008, S. 32; T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (86) m. w. N. aus der englischsprachigen Literatur. 933  A. Grear, Redirecting Human Rights, 2010, S. 23 ff.; dies., HRLR 7 (2007), 511 (516 f., 521, 538); Harding/Kohl/Salmon, Human Rights (Fn. 932), S. 29 ff., insb. S. 43, 45 f., 51 f.; dezidiert mit Bezug auf die universale Menschenrechtsidee auch U. Baxi, The Future of Human Rights, 3. Auflage 2008, S. 252 ff. – In der deutsch-



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention239

licher Schutzwürdigkeit juristischer Personen nicht a priori als Affront gegenüber der Menschenrechtsidee abzuwerten: Vielmehr seien die spezifischen ideellen, gesellschaftlichen und politischen Umstände in die Betrachtung mit einzustellen, in denen ein Schutzmechanismus wie die Europäische Menschenrechtskonvention Wirkung entfalten soll, um so Raum für Differenzierungen zwischen den gänzlich unterschiedlichen Instrumenten des Völkerrechts zum Schutz der Menschenrechte zu eröffnen934. Durch den starken Einfluss persönlicher politischer Einstellungen, Überzeichnung und Schärfe in der Wortwahl manch eines Diskursteilnehmers gleicht die Debatte um die menschenrechtliche Schutzwürdigkeit juristischer Personen bisweilen einem ideologischen Minenfeld. Der Europäischen Menschenrechtskonvention kommt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung zu. Bereits der Wortlaut einiger Konventionsgewährleistungen impliziert teils mehr, teils weniger evident, dass neben natürlichen auch juristische Personen von ihrem Regelungsbereich erfasst sind935: So enthält die Garantie der Meinungsfreiheit in Art. 10 Abs. 2 S. 1 EMRK den Annex, das Recht der Staaten, bestimmte Medienunternehmen („broadcasting, television or cinema enterprises“) einer Lizensierung zu unterwerfen, bleibe unberührt. Art. 34 S. 1 EMRK billigt jeder nicht-staatlichen Organisation („non-governmental organisation“) die Beschwerdefähigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu. Schließlich bezieht die Eigentumsgarantie des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK juristische Personen („Every […] legal person“) explizit in seinen Anwendungsbereich mit ein. Damit unterscheidet sich die Europäische Menschenrechtskonvention essentiell von der Gesamtheit vergleichbarer Völkerrechtsinstrumente wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen oder der Amerikanischen Menschenrechtskonvention der Organisation Amerikanischer Staaten, die sich bewusst auf den Individualschutz beschränken936. sprachigen Literatur ist die Einbeziehung juristischer Personen dagegen keiner Grundsatzkritik ausgesetzt, wie auch Gundel (Fn. 669), § 4 Rn. 18 feststellt. 934  M. K. Addo, The Corporation as a Victim of Human Rights Violations, in: ders. (Hrsg.), Human Rights Standards and the Responsibility of Transnational Corporations, 1999, S. 187 (188 ff., 194 ff.); M. Emberland, The Human Rights of Companies, 2006, S. 32, 36 ff. 935  Mit Bezug auf die folgenden Beispiele ebenso Emberland, Human Rights (Fn. 934), S. 3 f., 119; P. Oliver, ICLQ 64 (2015), 661 (677); ferner, wenngleich ohne Berücksichtigung des Art. 10 EMRK Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 58; V. Röben, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG I (Fn. 709), Kap. 5 Rn. 40; eine ausführliche textliche Analyse leistet zudem T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (88 ff.). 936  Emberland, Human Rights (Fn. 934), S. 3, 34, 52  f.; T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (86, 89); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 58; Tietje, Person (Fn. 115), S.  686 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

b) Die juristische Person in der EGMR-Rechtsprechung: Kasuistik zwischen dogmatischen Polen Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte greift die Andeutungen der Konvention auf und bezieht juristische Personen in den Schutzgehalt spezifischer Bestimmungen mit ein, ohne diesen Schritt näher zu begründen937. Doch selbst in den Fällen, in denen der Gerichtshof über die schlichte Feststellung der Menschenrechtsfähigkeit hinausgeht, sind verallgemeinerungsfähige Gedanken zur Rolle der juristischen Person im Vertragswerk der Europäischen Menschenrechtskonvention bestenfalls angedeutet. Kryptisch heißt es etwa zu der Frage, ob Organisationseinheiten Teilhabe am Schutz der Privatsphäre im Sinne des Art. 8 Abs. 1 ERMK für sich reklamieren und den Begriff „home“ für ihre Geschäftsräume in Anspruch nehmen können938: „The Court reiterates that the Convention is a living instrument which must be interpreted in the light of present-day conditions […]. As regards the rights secured to companies by the Convention, it should be pointed out that the Court has already recognised a company’s right under Article 41 to compensation for non-pecuniary damage sustained as a result of a violation of Article 6 § 1 of the Convention […]. Building on its dynamic interpretation of the Convention, the Court considers that the time has come to hold that in certain circumstances the rights guaranteed by Article 8 of the Convention may be construed as including the right to respect for a company’s registered office, branches or other business premises.“

Welche normativen Entwicklungen oder tatsächlichen Umstände zu dem Diktum geführt haben, die Zeit sei gekommen, um ein Unternehmen in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK einzubeziehen, bleibt unklar939. In Bezug auf die Meinungs- und Redefreiheit aus Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK verwies der Gerichtshof weniger vage, dafür aber kurzatmig auf den inklusi937  Aus der st. Rspr. etwa zu Art. 6 Abs. 1 EMRK EGMR, Terra Woningen B.V. v. The Netherlands, Urt. v. 17.12.1996, App. No. 20641/92, Rn. 50 f., 55; Comingersoll S.A. v. Portugal, Urt. v. 6.4.2000, App. No. 35382/97, Rn. 25. Zu Art. 10 Abs. 1 EMRK EGMR, The Sunday Times v. United Kingdom, Urt. v. 26.4.1979, App. No. 6538/74, Rn. 45; Centre for Democracy and the Rule of Law v. Ukraine, Urt. v. 26.3.2020, App.  No. 10090/16, Rn. 102; VgT Verein gegen Tierfabriken v. Switzerland, Urt. v. 28.9.2001, App. No. 24699/94, Rn. 48. Zu Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK EGMR, OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos, Urt. v. 20.9.2011, App. No. 14902/04, Rn.  556 f.; Könyv-Tár Kft and Others v. Hungary, Urt. v. 16.10.2018, App. No. 21623/ 13, Rn.  42 f. 938  EGMR, Société Colas Est and Others v. France, Urt. v. 16.4.2002, App. No. 37971/97, Rn. 41 f.; im Ergebnis als st. Rspr. fortgeführt, s. nur EGMR, Buck v. Germany, Urt. v. 28.4.2005, App. No. 41604/98, Rn. 31; Petri Sallinen and Others v. Finland, Urt. v. 27.9.2005, App. No. 50882/99, Rn. 70; Bernh Larsen Holding AS and Others v. Norway, Urt. v. 14.3.2013, App. No. 24117/08, Rn. 104. 939  Harding/Kohl/Salmon, Human Rights (Fn. 932), S. 28; T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (99).



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention241

ven Wortlaut der Vorschrift („everyone“) sowie die schlichten Feststellungen seiner vorherigen Judikate, um ein privates Unternehmen in den Anwendungsbereich der Norm einzubinden940. Thesenartig hieß es dort, weder die Rechtsform des Unternehmens noch der wirtschaftliche Zweck seiner Tätigkeit oder intrinsische Gedanken zur Meinungsfreiheit könnten daran etwas ändern. Aus dem Wortlaut dieser Ausführungen allein lässt sich kaum mehr als die Einsicht gewinnen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon ausgeht, der Konventionstext stehe einer Einbeziehung juristischer Personen offen gegenüber. Betrachtet man die Entscheidungen allerdings in der Zusammenschau und berücksichtigt ihre Ergebnisse, wird aus allgemeindogmatischer Sicht deutlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wenngleich unausgesprochen, von der Selbstständigkeit der juristischen Person ausgeht und sie als von ihren Mitgliedern, Teilhabern oder sonstigen Hintergrundakteuren emanzipiertes Menschenrechtssubjekt anerkennt. Nur so ist etwa zu begründen, dass der Gerichtshof an verschiedenen Stellen die Reputation einer juristischen Person als berücksichtigungsfähige Größe einordnet941. Ausgehend von der Prämisse der Emanzipation trifft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit einer juristischen Person zumindest für die genannten Gewährleistungen nicht danach, wie eng eine Organisationseinheit mit ihrer Trägerschaft verwoben ist, sondern danach, inwieweit eine Vergleichbarkeit der Interessenlage zu derjenigen natürlicher Personen besteht942. Diesen Gedanken führt der Gerichtshof allerdings nicht in letzter Konsequenz fort. In Zusammenhang mit der Menschenrechtssubjektivität von Religionsgesellschaften unter Art. 9 Abs. 1 EMRK hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die letzteren als Repräsentanten natürlicher Personen verstanden und so die Selbstständigkeit der juristischen Person als gedank­ liche Leitlinie gänzlich durchbrochen – eine Trennung von Organisationsein940  EGMR, Autronic AG v. Switzerland, Urt. v. 22.5.1990, App. No. 12726/87, Rn.  47 f. 941  EGMR, markt intern Verlag GmbH and Klaus Beermann v. Germany, Urt. v. 20.11.1989, App. No. 10572/83, Rn. 34; Steel and Morris v. United Kingdom, Urt. v. 15.2.2005, App. No. 68416/01, Rn. 94 f.; Uj v. Hungary, Urt. v. 19.7.2011, App. No. 23954/10, Rn. 22. 942  Erkennbar wird das etwa aus einem Umkehrschluss zu den Ausführungen in EGMR, Uj v. Hungary, Urt. v. 19.7.2011, App. No. 23954/10, Rn. 22, wo der Gerichtshof aus dem Vergleich der Lage juristischer und natürlicher Personen gerade eine Differenzierung im Schutzstandard ableitet; vgl. in diesem Zusammenhang zudem die strenge Trennung der Rechtssphären eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter jedenfalls auf Schutzbereichsebene in EGMR, Bernh Larsen Holding AS and Others v. Norway, Urt. v. 14.3.2013, App. No. 24117/08, Rn. 107. – Mit derselben Beobachtung wie hier M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (26); ausführlich T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (98 ff.).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

heit und natürlichen Trägern bzw. Mitgliedern sei in diesem Falle künstlich („essentially artificial“)943. Von diesem Gedanken scheint auch die inklusive Judikatur des Gerichtshofs zur Versammlungsfreiheit nach Art. 11 EMRK bzw. dem Recht auf Bildung nach Art. 2 1. Zusatzprotokoll zur EMRK getragen zu sein: Hier hat er in der Vergangenheit einer juristischen Person als Repräsentantin natürlicher Versammlungsteilnehmer resp. als Betreiberin einer Privatschule die menschenrechtliche Schutzwürdigkeit zugesprochen944. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt an dieser Stelle einen derivativen Maßstab an und stellt – anders als im Zuge der Art. 8 und 10 EMRK – die korporative Menschenrechtsfähigkeit in den Dienst der individuellen945. Die beiden Ansätze, die jeweils auf gänzlich unterschiedlichen Grundpositionen zur allgemeintheoretischen Beurteilung der juristischen Person fußen, lassen sich schwerlich in Beziehung zueinander setzen. Denn jede Annahme einer Korrelation, sei es in Gestalt eines Regel-Ausnahme-Prinzips oder in anderer Form, implizierte eine fortgeschrittene Kohärenz in der Frage, die die konventionsrechtliche Judikatur nicht zu gewährleisten vermag946. Der 943  EKMR, X. and Church of Scientology v. Sweden, Entsch. v. 5.5.1979, App. No. 7805/77, D. R. 16, 68 (70); Omkarananda and the Divine Light Zen­ trum v. Switzerland, Entsch. v. 19.3.1981, App. No. 8118/77, D. R. 25, 105 (117); vgl. zum Stellvertretergedanken i. R. d. Art. 9 Abs. 1 EMRK ferner EKMR, Vereniging Rechtswinkels Utrecht, Entsch. v. 13.3.1986, App. No. 11308/84, D. R. 46, 200 (202); EGMR, Cha’are Shalom Ve Tsedek v. France, Urt. v. 27.6.2000, App. No. 27417/95, Rn. 72; Metropolitan Church of Bessarabia and Others v. Moldova, Urt. v. 13.12.2001, App.  No. 45701/99, Rn. 101; Leela Förderkreis  e. V. and Others  v.  Germany, Urt. v. 6.11.2008, App. No. 58911/00, Rn. 79. 944  Zu Art. 11 EMRK EGMR, The Gypsy Council and Others v. United Kingdom, Entsch. v. 14.5.2002, App. No. 66336/01, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], I. und II. A. 1). Zu Art. 2 1. Zusatzprotokoll zur EMRK EKMR, Verein Ge­ meinsam Lernen v. Austria, Entsch. v. 6.9.1995, App. No. 23419/94, D. R. 82-A, 41 (44 ff.), obwohl die Kommission noch in EKMR, Ingrid Jordebo Foundation of Christian Schools and Ingrid Jordebo, Entsch. v. 6.3.1987, App. No. 11533/85, D. R. 51, 125 (132) den Standpunkt vertrat, das Recht auf Bildung könne nicht von einer Stiftung geltend gemacht werden. – Allein der Umstand, eine juristische Person, die als Veranstalterin einer Versammlung auftritt, in den Schutzbereich des Art. 11 EMRK einzubeziehen, lässt indes noch nicht auf eine Vermengung von Organisationseinheit und natürlichen Personen schließen. Eine solche Ausnahme ließe sich doch gerade auch vor dem Hintergrund von Eigenständigkeit und vergleichbarer Interessenlage begründen; insofern teilweise zu undifferenziert T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (96). 945  T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (96 f.); nur andeutungsweise M. Goldhammer/ F. Sieber, JuS 2018, 22 (26). 946  Zu der häufig als Vorwurf formulierten These einer kasuistischen EGMRRechtsprechung eingehend Baade, Diskurswächter (Fn. 721), S.  273 f. m. w. N. aus der internationalen Literatur.



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention243

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erschwert eine Systematisierung zusätzlich selbst, wenn er beide Maßstäbe offenbar nach Gutdünken vermengt947. Die Aussagekraft des Vorgesagten verlagert sich vielmehr auf zwei voneinander separierte Erkenntnisse: Zum einen hängt die Position des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Einbeziehung juristischer Personen von der Sachmaterie und dem betroffenen Menschenrecht ab. Methodisch hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung essen­ tieller Konventionsziele wie Rechtsstaatlichkeit oder Schutz demokratischer Werte, in deren Licht sich die Interpretation konkreter Gewährleistungen maßgeblich bewegt. Sie dienen dem Gerichtshof unausgesprochen als funk­ tionale Rechtfertigung einer weitläufigen Berücksichtigung juristischer Organisationseinheiten im persönlichen Schutzbereich948, finden aber in eben jenem funktionalen Sinne auch immer wieder explizite Erwähnung im Rahmen des Individualschutzes949. Zum anderen scheinen innerhalb der Besetzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schlicht Meinungsverschiedenheiten über die theoretische Einordnung des Konstrukts der juristischen Person zu bestehen. Sinnbildlich dafür steht die Zubilligung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden zugunsten einer Organisationseinheit nach Art. 41 EMRK, deren Höhe sich unter anderem nach den Unan947  In EGMR, Bernh Larsen Holding AS and Others v. Norway, Urt. v. 14.3.2013, App. No. 24117/08, Rn. 107 trennt der Gerichtshof beim Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK im Schutzbereich zwischen den berechtigten Belangen eines Unternehmens und dem Persönlichkeitsschutz seiner Mitarbeiter, nur um im Anschluss anzukündigen, dass der letztere auf Rechtfertigungsebene bezüglich einer Beeinträchtigung des Unternehmensrechts zu berücksichtigen sei. 948  So andeutungsweise für den effektiven Rechtsschutz als Vehikel zur Einbeziehung einer juristischen Person in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK EGMR, Comingersoll S.A. v. Portugal, Urt. v. 6.4.2000, App. No. 35382/97, Rn. 16 ff., 24; vgl. der Sache nach, wenn auch erst auf Abwägungsebene formuliert, EGMR, The Sunday Times v. United Kingdom, Urt. v. 26.4.1979, App. No. 6538/74, Rn. 65 zur Bedeutung der Pressefreiheit im Zuge der Erstreckung des Art. 10 EMRK auf ein Presseunternehmen. – Ausführlich zu diesem Gedanken Emberland, Human Rights (Fn. 934), S. 57 ff., 135 ff., 139 ff., der die entsprechenden Ansätze in der EGMRRechtsprechung strukturiert herausarbeitet und konsequent fortdenkt; ferner T. Klein­ lein, JöR 65 (2017), 85 (99 f., 103 f., 106); allgemein zur besonderen Legitimationskraft eines solchen utilitaristischen Ansatzes für die Zubilligung fundamentaler Garantien an juristische Personen P. Oliver, ICLQ 64 (2015), 661 (662, 694). 949  Exemplarisch EGMR, Kjeldsen, Busk Madsen and Pedersen v. Denmark, Urt. v. 7.12.1976, App. No. 5095/71 u.  a., Rn. 53, sowie Christian Democratic People’s Party v. Moldova, Urt. v. 14.2.2006, App. No. 28793/02, Rn. 63 f. zur Förderung der Werte einer demokratischen Gesellschaft wie Pluralismus und Toleranz. Zudem EGMR, Golder v. United Kingdom, Urt. v. 21.2.1975, App. No. 4451/70, Rn. 34, Silver and Others v. United Kingdom, Urt. v. 25.3.1983, App. No. 5947/72 u. a., Rn.  90, Kostovski v. The Netherlands, Urt. v. 20.11.1989, App. No. 11454/85, Rn. 44 und Yabloko Russian United Democratic Party and Others v. Russia, Urt. v. 8.11.2016, App. No. 18860/07, Rn. 75 zur Rechtsstaatlichkeit.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

nehmlichkeiten richten soll, die den geschäftsführenden Mitgliedern und Teilhabern entstanden sind950. Während die Mehrheit der EGMR-Richterinnen und Richter diese Begründungen mittrug, widersprachen drei ihrer Kollegen und eine Kollegin in einem ergebnisgleichen Sondervotum (concurring opinion). Sie äußerten explizit Zweifel daran, inwieweit die Belange natür­ licher Personen bei der Bemessung einer Entschädigung der juristischen Person berücksichtigungsfähig seien, und forderten eine autonome Betrachtungsweise der juristischen Person ein951. An dieser Stelle wird deutlich: Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fehlt eine einheitliche, originär menschenrechtlich begründete Theorie zum Umgang mit der juristischen Person952. Bemüht man sich schließlich darum, ein Gesamtbild der Menschenrechtssubjektivität juristischer Personen im Komplex der Europäischen Menschenrechtskonvention zu zeichnen und die obigen Gedanken möglichst ohne Reibungsverluste zu verklammern, muss man sich vor dem Hintergrund der teils zerklüfteten Kasuistik in der Judikatur mit möglichst abstrakten, weichen Linien begnügen. Ihr Erkenntnisgewinn ist im vorliegenden Zusammenhang aber dennoch von einigem Gewicht. Hervorzuheben sind insbesondere die starke Orientierung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an den Zielen der Konvention und seine teleologische Auslegung, die von Pragmatismus geprägt ist und den letzteren zu effektiver Geltung verhelfen will953. Schlussendlich steht die Einsicht, dass sich das konventionsrecht950  EGMR, Comingersoll S.A. v. Portugal, Urt. v. 6.4.2000, App. No. 35382/97, Rn. 35 f.; zuvor der Sache nach bereits praktiziert in EGMR, Freedom and Demo­ cracy Party (ÖZDEP) v. Turkey, Urt. v. 8.12.1999, App. No. 23885/94, Rn. 57. 951  Sondervotum der Richter Rozakis, Bratza, Caflisch sowie Richterin Vajić zu EGMR, Comingersoll S.A. v. Portugal, Urt. v. 6.4.2000, App. No. 35382/97. – Eine anschauliche Gegenüberstellung der innergerichtlichen Standpunkte einschließlich ihrer theoretischen Ausgangspunkte formuliert M. Emberland, The British Yearbook of International Law 74 (2003), 409 (430). 952  M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (26); T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (106); vgl. speziell mit Bezug auf die Entscheidung Comingersoll auch M. Ember­ land, The British Yearbook of International Law 74 (2003), 409 (432). Anders wohl Tietje, Person (Fn. 115), S. 686, der die Eigenständigkeit der juristischen Person als Grundsatz in der EGMR-Rechtsprechung und den Durchgriff auf natürliche Personen als Ausnahme erkennen will. 953  Der EGMR betont vermehrt, die Konvention wolle ihrer Intention nach praktikable und effektive Rechte gewährleisten, s. etwa EGMR, Comingersoll S.A v. Portugal, Urt. v. 6.4.2000, App. No. 35382/97, Rn. 35; Ališić and Others  v.  Bosnia and Her­ zegovina, Croatia, Serbia, Slovenia and the former Yugoslav Republic of Macedonia, Urt. v. 16.7.2014, App. No. 60642/08, Rn. 108; Güzelyurtlu and Others v. Cyprus and Turkey, Urt. v. 29.1.2019, App. No. 36925/07, Rn. 234 m. w. N. aus der eigenen Rechtsprechung. Zu diesem Aspekt der EGMR-Rechtsprechung ausführlich Ember­ land, Human Rights (Fn. 934), S.  135 ff.



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention245

liche Schutzsystem nicht allein zentrifugal vom Gedanken der Menschenwürde her ergründen lässt954. 2. Staatlich getragene Organisationseinheiten als auffallend weit entwickelter Problemkreis des Konventionsrechts Als Teilausschnitt der Diskussion um die Rolle der juristischen Person ist die Frage nach der Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten im Gefüge der Europäischen Menschenrechtskonvention keine unbekannte. Bereits der Normtext deutet eine Unterscheidung nach den Kategorien staatlich/nicht-staatlich an, wenn Art. 34 EMRK bei einer potentiellen Konventionsverletzung neben natürlichen Personen und Personengruppen allein der „nicht-staatlichen Organisation“ („non-governmental organisation“) die Beschwerdefähigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuspricht. Formal betrachtet handelt es sich bei Art. 34 EMRK um eine prozessuale Vorschrift, die die Menschenrechtsfähigkeit selbst nicht regelt, sondern voraussetzt955. Dennoch weist sie insofern eine Parallele zu einer materiellen Querschnittsnorm zugunsten juristischer Personen auf, als sie mit dem Rechtsbegriff der „non-governmental organisation“ eine zentrale inhaltliche Weichenstellung vornimmt und in der Sache über die Menschenrechtsberechtigung mitentscheidet; die letztere ist durch die Annahme der Beschwerdefähigkeit demnach zumindest impliziert956.

954  So auch Emberland, Human Rights (Fn. 934), S. 39; T. Kleinlein, JöR 65 (2017), 85 (112). 955  M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (25); Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 13 Rn. 11. – Speziell das Gericht der Europäischen Union wird nicht müde, diesen Aspekt zu betonen und die Bedeutung des Art. 34 EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte mit dieser Begründung herabzustufen, s. beispielhaft EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 36 (Bank Saderat Iran/ Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 38 (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 67 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-67/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:348), Rn. 60 (Sina Bank/Rat); Rs. T-10/13, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:235), Rn. 55 (Bank of Industry and Mine/Rat); kritisch dazu Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 45 mit Fn. 71. 956  D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (405); Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 45; ders. (Fn. 669), § 2  Rn. 29; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (26); J. Meyer-Ladewig/M. Nettesheim, in: dies./von Raumer, EMRK (Fn. 709), Art. 1 Rn. 25; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 58. Kritisch zu diesem Schluss hingegen T. Ackermann, NZKart 2015, 17 (20).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

a) Präferenz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für eine Gesamtabwägung in Zweifelsfällen Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in der Vergangenheit bereits in verschiedenen Fällen Gelegenheit, Art. 34 EMRK im Allgemeinen und das Merkmal der „non-governmental organisaion“ im Besonderen stärker zu konturieren und inhaltlich auszufüllen. Als Idee hinter der Norm identifiziert der Gerichtshof zunächst das Anliegen, In-Sich-Prozesse zu vermeiden und zu verhindern, dass eine Konventionspartei gleichzeitig als Beschwerdeführer und Beschwerdegegner auftritt957. Vor diesem Hintergrund sind Reminiszenzen an das im deutschen Diskurs omnipräsente Konfusionsargument, nach dem der Staat nicht gleichzeitig Berechtigter und Verpflichteter der Grundrechte sein dürfe, schnell formuliert958. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass ein solcher Vergleich zu kurz greift, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bleibt nicht beim Formalismus des Konfusionsarguments stehen. Das Begriffspaar staatlich/nicht-staatlich („governmental/non-governmental“) nutzt der Gerichtshof zwar fortwährend als trennscharfe Gegenüberstellung und macht auf diese Weise deutlich, dass er im Kontext des Art. 34 EMRK in Sphären denkt: Während Akteure, die mit hoheitlicher Autorität agieren, vom Klageweg ausgeschlossen sind, sollen den übrigen Akteuren das Antragsrecht und die materielle Menschenrechtssubjektivität zugestanden werden959. Doch so allgemein gehalten diese Trennung ist, so differenziert ist die Zuordnungsfunktion, die der Gerichtshof in seiner Judikatur für Zweifelsfälle zeichnet. Gerade in der jüngeren Vergan957  EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App.  No. 40998/98, Rn. 81; State Holding Company Luganksvugillya v. Ukraine, Entsch. v. 27.1.2009, App. No. 23938/05, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 2); Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 60; Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App.  No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35. 958  Johann, Keine Konfusion! (Fn. 611), S. 717 f.; angedeutet bei Grabenwarter/ Pabel, EMRK (Fn. 709), § 13 Rn. 13. 959  EGMR, Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App.  No. 53984/00, Rn. 26; State Holding Company Luganksvugillya v. Ukraine, Entsch. v. 27.1.2009, App. No. 23938/05, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 3); Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 63; Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App.  No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App.  No. 8895/10, Rn. 35; JKP Vodovod Kraljevo v. Serbia, Entsch. v. 16.10.2018, App. No. 57691/09 und 19719/10, Rn. 23. – Treffend und aus dem richtigen Blickwinkel fassen Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 17 Rn. 5 zusammen: „Auch juristische Personen sind grundrechtsberechtigt, soweit sie nicht ein bestimmtes Maß an Staatsnähe, etwa durch die Ausübung von Hoheitsgewalt, überschreiten“.



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention247

genheit hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte um eine Schärfung des Begriffs der „non-governmental organisation“ bemüht. Ohne vorentscheidende Kategorisierungen960 führt er in weniger eindeutigen Fällen eine Gesamtabwägung anhand einer Vielzahl von Beurteilungskriterien durch: In der Urteilsfindung zu berücksichtigen seien die Rechtsform der juristischen Person sowie die Rechte und Pflichten, die mit jener einhergehen, die Natur der wahrgenommenen Aufgaben, der tatsächliche Rahmen der Aufgabenwahrnehmung und die Unabhängigkeit von staatlichen Behörden961. Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat der Gerichtshof etwa einer vollständig in iranischer Staatshand befindlichen, privatrechtlich organisierten Reederei im Beschwerdeverfahren gemäß Art. 34 EMRK zugesprochen, zum Kreis der nicht-staatlichen Organisationen zu gehören962 – ein Leiturteil, das ihm immer wieder als Referenz dient. Seither berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Beurteilung einer potentiellen Staatlichkeit zusätzlich zu den genannten Kriterien, inwieweit sich die Geschicke der juristischen Person in der Hauptsache nach den Regeln des allgemeinen Unternehmens- und Zivilrechts richten, ob ihr über die Instrumente des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts hinaus hoheitliche Befugnisse zustehen und ob sie der ordentlichen oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter-

960  Der EGMR leitet seine Evaluation in der Regel mit dem Baustein „In order to determine whether any given legal person [Herv. d. Verf.] falls within one of the two above categories“, ein, s. exemplarisch EGMR, Východoslovenská vodárenská spoločnosť  A.  S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 32; Ärzte­ kammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35. Die Tatsache, dass es sich bei den Beschwerdeführern in manch anderem Falle um juristische Personen in der Hand eines Staates handelte, der dem Kreis der Konventionsstaaten nicht angehört, bedarf vor diesem Hintergrund keiner so prominenten Erwähnung wie im europarechtlichen Zusammenhang, zumal der EGMR im Unterschied zur europarechtlichen Rechtsprechung nicht ausschließlich zu drittstaatlich getragenen Organisationen entschied. 961  EGMR, Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App.  No. 53984/00, Rn. 26; Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79; State Holding Company Luganksvugil­ lya v. Ukraine, Entsch. v. 27.1.2009, App. No. 23938/05, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 4); Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 63; Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slova­ kia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dor­ ner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35 f.; JKP Vodovod Kral­ jevo v. Serbia, Entsch. v. 16.10.2018, App. No. 57691/09 und 19719/10, Rn. 23. – Wenngleich sie nicht ausdrücklich aufgezählt werden, finden diese Kriterien der Sache nach bereits Anwendung in EGMR, The Holy Monasteries v. Greece, Urt. v. 9.12.1994, App. No. 13092/87 und 13984/88, Rn. 48 f. 962  EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79 ff.

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

steht963. Zwischen Ergänzung und Umformulierung der übrigen Merkmale weist der Gerichtshof zudem als entscheidungserheblich aus, ob die betreffende Organisationseinheit einer kommerziellen Tätigkeit nachgeht und ob sie eine öffentliche Dienstleistung anbietet oder ihr gar eine Monopolstellung in bestimmten Bereichen zukommt964. Im Vergleich zum Umgang mit der Menschenrechtsfähigkeit juristischer Personen im Allgemeinen fällt zweierlei auf: Zum einen sind die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu staatlich getragenen Organisationen in geringerem Maße an der jeweils betroffenen materiellen Konventionsbestimmung orientiert965. Durch die Einführung entscheidungsleitender Faktoren und deren stetiger Fortentwicklung lässt sich in Zusammenhang mit der Menschenrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft deutlich eher der Ansatz einer übergreifenden Rechtsprechungslinie erkennen als noch zuvor966. Zum anderen nimmt der Gerichtshof ohne Ausnahme die staatlich getragene Organisationseinheit selbst in den Blick. Dass sich aus ihrer Struktur heraus nur schwerlich ein personales Substrat ausmachen lässt und ein normativer „Durchgriff“ auf die konkreten Belange natürlicher Personen unmöglich ist, bezieht er an keiner Stelle in seine Begründung mit ein. 963  Erstmals in EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 81; mit entsprechender Bezugnahme fortgesetzt in EGMR, State Holding Company Luganksvugillya v. Ukraine, Entsch. v. 27.1.2009, App. No. 23938/05, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 3); Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 61 f.; Východoslovenská vodárenská spoločnosť  A.  S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App.  No. 40265/07, Rn. 31 f.; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35 f. – Gerade aufgrund seines Widerklangs in der weiteren Judikatur wirkt es verzerrend, wenn Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 46 versucht, das erstgenannte Urteil als entlegene Einzelfallentscheidung abzutun. 964  EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 80; Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 62; Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slova­ kia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dor­ ner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 36. 965  Während etwa in der Entscheidung EGMR, Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 25 ff. unter anderem eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK in Rede stand, prüfte der Gerichtshof in EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 66 einen Eingriff in das in Art. 1 Abs. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK verankerte Eigentumsrecht. In EGMR, Ärztekammer für Wien and Dor­ ner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 36 machte die Ärztekammer als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Verletzung des Art. 10 Abs. 1 EMRK geltend. – Im Ergebnis wie hier Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 201. 966  Die Rechtsfrage ist damit bestes Beispiel für die methodische Vorgehensweise, mit der der EGMR einen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit herstellen will, s. dazu oben S. 187 f.



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention249

Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer griechischen Ordensgemeinschaft und einer französischen Rundfunkanstalt – beide juristische Personen des öffentlichen Rechts – sowie einer privatrechtlich organisierten Reederei, deren Anteile sich vollständig in der Hand des iranischen Staates befanden, die Menschenrechtssubjektivität zugesprochen und die Einheiten jeweils als „non-governmental organisation“ im Sinne des Art. 34 EMRK eingeordnet967. In anderen Fällen gelangte der Gerichtshof unter Berücksichtigung der jeweiligen tatsächlichen Umstände sowohl für juristische Personen des öffentlichen Rechts als auch für solche des Privatrechts in staatlicher Trägerschaft zum gegenteiligen Ergebnis968. Kritisch anzumerken ist, dass aus der Judikatur nicht zweifelsfrei hervorgeht, in welchem Verhältnis die einzelnen Kriterien zueinander stehen und welchem Umstand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Zweifelsfällen entscheidungserhebliches Gewicht zuspricht. Unklar ist beispielsweise, inwieweit ein staatlicher Einfluss auf die Besetzung zentraler Entscheidungsgremien der juristischen Person die Zuordnungsfrage in die eine oder andere Richtung lenkt. Einerseits hat der Gerichtshof eine solche Einwirkungsmöglichkeit von staatlicher Seite als Argument gegen die Menschenrechtssubjektivität einer Organisationseinheit geführt969 bzw. das Fehlen 967  EGMR, The Holy Monasteries v. Greece, Urt. v. 9.12.1994, App. No. 13092/87 und 13984/88, Rn. 48 f.; Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App. No. 53984/00, Rn. 26; Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 78 ff., 82. Kritik an der letzteren Entscheidung äußert Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 46. 968  Zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts EGMR, Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 38 ff. In dieser Entscheidung deutet der Gerichtshof an, die Autonomie eben jener Organisationseinheit im Staatsgefüge wie auch bei den Gemeinden für unbeachtlich zu halten. Der EGMR setzt sich damit in Kontrast zu seinem sonst stark differenzierten Beurteilungsmodus, was darauf hindeutet, dass der Gerichtshof der Rechtsform der juristischen Person in Zukunft eine bedeutendere Rolle zuschreiben könnte; knapp und ohne eingehende Abwägung bzgl. eines ähnlich organisierten Beschwerdeführers dagegen noch EKMR, Consejo General de Colegios Oficiales de Economistas de España v. Spain, Entsch. v. 28.6.1995, D. R. 82-B, 150 (153); zu staatlich getragenen juristischen Personen des Privatrechts EGMR, Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 60 ff., 79 unter besonderer Betonung des Einzelfallcharakters (ebd. Rn. 67); Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 33 ff.; wohl auch JKP Vodovod Kraljevo v. Serbia, Entsch. v. 16.10.2018, App. No. 57691/09 und 19719/10, Rn. 25 ff., wobei aus der Entscheidung nicht zweifelsfrei hervorgeht, ob die betroffene juristische Person privatoder öffentlich-rechtlich organisiert ist, da der Gerichtshof stets den indifferenten Ausdruck „statutory utility company“ (Rn. 1, 24) gebraucht. 969  EGMR, Východoslovenská vodárenská spoločnosť A.  S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 34; vgl. zusätzlich bereits EKMR, RENFE v. Spain, Entsch. v. 8.9.1997, App. No. 35216/97, D. R. 90-B, 179 (182).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

eines solchen Einflusses als wichtiges Zeichen der Unabhängigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gedeutet970. Andererseits kam er sowohl für eine juristische Person des Privatrechts in Staatshand als auch für eine juristische Person des öffentlichen Rechts zu dem Ergebnis, eine ausgeprägte resp. mehrheitlich ausgeübte staatliche Einflussnahme auf die Gremienbesetzung stehe beim Vorliegen anderer Umstände wie der Teilnahme am Wettbewerb der Charakterisierung einer juristischen Person als „non-governmental organisation“ nicht entgegen971. Ähnlich verhält es sich mit dem Kriterium einer Monopolstellung. In einigen Fällen kommt einer dominanten bis exklusiven Position am Markt offenbar eine vorentscheidende Wirkung zuungunsten einer Menschenrechtssubjektivität zu972, in anderen sieht der Gerichtshof darin nur einen von vielen zu berücksichtigenden Abwägungsaspekten, ohne die Monopolstellung für sich genommen als ausschlaggebend zu betrachten973. Das Kriterium als solches ist ohnehin kein allgemeingültiges, setzt es doch wirtschaftliche Tätigkeit voraus und kann infolgedessen keine Anwendung finden, sollte die betreffende juristische Person diese Bedingung schon ihrer Struktur nach nicht erfüllen974. Die Liste ließe sich am Beispiel der öffentlichen Finanzierung fortsetzen975. 970  EGMR, Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App. No. 53984/00, Rn. 26. 971  EGMR, Österreichischer Rundfunk v. Austria, Urt. v. 7.12.2006, App. No. 35841/02, Rn. 51 f.; Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 80. 972  EGMR, Východoslovenská vodárenská spoločnosť A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 36; ähnlich bereits EKMR, RENFE v. Spain, Entsch. v. 8.9.1997, App. No. 35216/97, D. R. 90-B, 179 (182). Spiegelbildlich kam den betroffenen juristischen Personen in EGMR, Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App. No. 53984/00, Rn. 26 und EGMR, Islamic Re­ public of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 80 eine fehlende Monopolstellung explizit zugute. 973  EGMR, Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn.  66 f. 974  So überrascht es nicht, dass der Gerichtshof bei der Einordnung eines öffentlich-rechtlichen Berufsverbands in EGMR, Ärztekammer für Wien and Dorner v. Aus­ tria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 36 ff. auf das Kriterium der Monopolstellung verzichtet. – Aus methodischer Sicht mag man daher anzweifeln, ob eine Monopolstellung tatsächlich einen entscheidungsleitenden Faktor mit institutioneller Autorität im Sinne des von Baade, Diskurswächter (Fn. 721), S. 285 f. beschriebenen Begriffsverständnisses darstellt; näher zur Maßstabbildung in der EGMR-Rechtsprechung oben S. 187 f. 975  Siehe dazu einerseits EGMR, Radio France and Others v. France [Extracts], Entsch. v. 23.9.2003, App. No. 53984/00, Rn. 26; Österreichischer Rundfunk v. Aus­ tria, Urt. v. 7.12.2006, App. No. 35841/02, Rn. 52; andererseits EGMR, Zastava It Turs v. Serbia, Entsch. v. 9.4.2013, App. No. 24922/12, Rn. 21; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 42; JKP Vodo­



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention251

b) Der Sonderfall kommunaler Gebietskörperschaften Einen Sonderfall stellen kommunale Gebietskörperschaften dar, denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung die Menschenrechtsberechtigung abspricht, da sie ohne Rücksicht auf die konkrete Handlung stets Träger öffentlicher Gewalt seien und trotz Autonomie nicht vom Staat separiert werden könnten976. Ein möglicherweise „privates“ Handeln der Kommunen ändere an dieser Betrachtung nichts977. Der Gerichtshof selbst trennt in seiner Selbstreferenz danach, ob es sich um frühere Entscheidungen zur Einordnung nicht-staatlicher Organisationen im Allgemeinen oder zu Gemeinden im Besonderen handelt978 und löst damit die letzteren aus der Gruppe der ersteren heraus. Der Zugang zu einer möglichen Gesamtabwägung ist kommunalen Gebietskörperschaften nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folglich a priori verstellt979.

vod Kraljevo v. Serbia, Entsch. v. 16.10.2018, App. No. 57691/09 und 19719/10, Rn. 26. 976  EGMR, The Municipal Section of Antilly v. France, Entsch. v. 23.11.1999, App. No. 45129/98, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 7 und 8); Dan­ deryds Kommun v. Sweden, Entsch. v. 7.6.2001, App. No. 52559/99, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 5); Gouvernement de la Communauté Autonome du Pays Basque v. lʼEspagne, Entsch. v. 3.2.2004, App. No. 29134/03, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 4); Döşemealtı Belediyesi  v.  Turquie, Entsch. v. 23.3.2010, App. No. 50108/06, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 7, 11); vgl. zudem noch ohne nähere Begründung EKMR, Austrian Communes and some of their Councillors v. Austria, Entsch. v. 31.5.1974, App. No. 5767/72 u. a., ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], I.  Abs. 2); Gemeinde Rothenthurm v. Switzerland, Entsch. v. 14.12.1988, App. No. 13252/87, D. R. 59, 251 (252). 977  Gemeint ist damit kommunales Handeln außerhalb der Wahrnehmung von Hoheitsgewalt wie bspw. der Umgang mit Privateigentum, siehe EGMR, Ayuntamiento de Mula v. Spain, Entsch. v. 1.2.2001, App. No. 55346/00, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 4); Danderyds Kommun v. Sweden, Entsch. v. 7.6.2001, App. No. 52559/99, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 5); eingehend zudem EGMR, Döşemealtı Belediyesi  v.  Turquie, Entsch. v. 23.3.2010, App. No. 50108/06, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 9, 12) mit Verweis auf EGMR, Hatzitakis et les Mairies de Thermaikos et Mikra v. la Grèce, Entsch. v. 18.5.2000, App. No. 48391/99 und 48392/99, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], 1. Abs. 1 und 2). 978  So in EGMR, Döşemealtı Belediyesi  v.  Turquie, Entsch. v. 23.3.2010, App. No. 50108/06, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 5, 6 und 7). 979  Insofern ist es irreführend, wenn J. Gundel, ZHR 180 (2016), 323 (345 mit Fn. 132) den Umgang des EGMR mit den Gemeinden als allgemeingültiges Fundament der Judikatur darstellt. Dagegen trägt P. Schäfer, in: U. Karpenstein/F. C. Mayer (Hrsg.), Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kommentar, 3. Auflage 2022, Art. 34 Rn. 41, 46 f. der Sonderstellung wie hier mit einer aus-

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

c) Autonomer EGMR-Ansatz im Lichte von Durchgriffsthese und grundrechtstypischer Gefährdungslage Die Einordnung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Umgang mit staatlich getragenen Organisationseinheiten folgt aus der Perspektive des deutschsprachigen rechtswissenschaftlichen Diskurses entlang zweier bekannter Linien. Einige betonen mit Blick auf die konkreten Ergebnisse, der Gerichtshof für Menschenrechte und das deutsche Bundesverfassungsgericht lägen in ihrer Beurteilung gleichauf980. Andere heben gerade auf die unterschiedlichen Kriterien ab, die beide Gerichte im Zuge der Entscheidungsfindung anwenden981. Der Weg des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weise mit seinem abwägenden Ansatz und der Einzelfallorientierung ohne starre Kategorisierung und unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit der jeweiligen juristischen Person vielmehr eine starke Ähnlichkeit mit dem Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage auf982. Beide Sichtweisen legen teilweise unrichtige Schlussfolgerungen nahe und werden den Eigenheiten der EGMR-Rechtsprechung nicht vollends gerecht. Speziell eine Parallelisierung mit dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts denkt allein vom Ergebnis her und überspielt, dass dessen zentrales Argument – der „Durchgriff“ auf die natürlichen Konstituenten und eine aus der Menschenwürde abgeleitete Betrachtung der juristischen Person – im Konventionszusammenhang keine Rolle spielt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten zu entscheiden hat983. Das Bundesverfassungsgericht kann in der Konsequenz seiner Argumentation Ausnahmen folglich nur zum Preis der Durchbrechung des eigenen Konzepts formulieren984, während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte drücklichen Differenzierung Rechnung. – Kritisch zu der Rechtsprechungslinie als solcher M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (25). 980  Allen voran J. Gundel, ZHR 180 (2016), 323 (345); ders. (Fn. 669), § 2 Rn. 30; ders., Grundrechtsfähigkeit (Fn. 618), S.  45 f.; in diese Richtung ebenso Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 104; D. Ehlers, Allgemeine Lehren der EMRK, in: ders., EuGR (Fn. 733), § 2  Rn. 45; Grabenwarter/Pabel, EMRK (Fn. 709), § 17 Rn. 5 a. E. 981  Lauterbach, Unternehmen (Fn. 776), S. 216; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 60 f., der im Ausgangspunkt aber gleichwohl eine breite Ähnlichkeit beider Ansätze konstatiert. 982  D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (405); M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); in eine ähnliche Richtung ferner M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (6); ders./C. Friedmann, JA 2018, 807 (812). 983  So auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 984  Bezüglich der Grundrechtssubjektivität einer fremdstaatlich getragenen juristischen Person s. oben S. 162 f.; zu den Spannungen zwischen Ausweitung des „grund-



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention253

von Beginn an eine einzelfallorientierte Gesamtabwägung präferiert. Dass beide Ansätze sich in manchem Ergebnis überschneiden mögen, ist nicht auf einen identischen Rechtsfindungsprozess zurückzuführen. Gänzlich zutreffend ist auch der Vergleich zur sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage nicht985. Während letztere das jeweils konkrete Rechtsverhältnis stärker in den Blick nimmt, in dem eine staatlich getragene Organisationseinheit der Anwendung von Hoheitsgewalt gegenübersteht, neigt der Gerichtshof häufig dazu, ihre Rolle in einem allgemeineren Zusammenhang zu betrachten und von dieser Warte aus zu beurteilen, ob eine juristische Person an der Ausübung staatlicher Autorität teil hat986. Im Zusammenhang mit Gebietskörperschaften hat er dem Gedanken einer vergleichbaren Interessenlage vereinzelt gar eine ausdrückliche Absage erteilt987. Dennoch wohnt der Anlehnung an die grundrechtstypische Gefährdungslage ein höherer Erkenntnisgewinn inne als der Orientierung am Ansatz des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Denn mit ihm teilt der EGMR-Ansatz den modus ope­ randi der Gesamtabwägung, ein Instrument, das Differenziertheit und Flexibilität in Zweifelsfällen als Vorteile mit sich bringt988. Wie das Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage, das sich speziell nach deutscher Lesart im Ursprung als Gegenentwurf einer derivativen Begründung verstand, zeigt sich auch der Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in seiner Tendenz offener für die Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen in den Kreis der Grund- bzw. Menschenrechtsberechtigten als derjenige des deutschen Bundesverfassungsgerichts989.

rechtlich geschützten Lebensbereichs“ und der anthropozentrischen Grundrechtsdeutung s. oben S. 102. 985  Zum Konzept im deutschen Recht s. ausführlich oben S. 65 ff. 986  So etwa in EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 78 ff.; Döşemealtı Belediyesi  v.  Turquie, Entsch. v. 23.3.2010, App. No. 50108/06, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 12, 13); Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 38 ff.; anders dagegen bspw. EGMR, Transpetrol A. S. v. Slo­ vakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 67 ff. 987  EGMR, Ayuntamiento de Mula v. Spain, Entsch. v. 1.2.2001, App. No. 55346/00, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 4). 988  Für die grundrechtstypische Gefährdungslage nach der nationalen Lesart bereits oben S. 65 ff. 989  Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 62; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); Preuß, Wahlkampfauftritte (Fn. 686), S. 146; Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 60 f.; andeutungsweise auch schon M. Ludwigs, NVwZ 2016, 1 (3).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

3. Implikationen für den Diskurs im deutschen Recht Mag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Kriterien im konkreten Einzelfall nicht immer klar gewichten oder Akteure wie die Gemeinden gänzlich aus dem im Regelfall präferierten Lösungsmodell aussparen, so folgt seine Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 34 EMRK und zur Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten im Allgemeinen doch einer erkennbaren Linie, die gerade im Graubereich mit dem Modus der Gesamtabwägung überzeugt. Die im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelte Praxis wirkt im europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes über die Konventionsgrenzen hinaus und beeinflusst sowohl die europarechtliche als auch die grundgesetzliche Ebene. Die letztere rezipiert den menschenrechtlichen Ansatz sogar in zweierlei Hinsicht. Neben der Beziehung zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Grundgesetz gilt es hier die Rückwirkungen der Europäischen Grundrechtecharta auf das nationale Recht zu berücksichtigen, die ihrerseits über Art. 52 Abs. 3 GrCh unvermittelt mit der Menschenrechtskonvention verknüpft ist990. a) Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische Grundrechtecharta An dieser Stelle sei der Blick zunächst auf die Beziehung zwischen menschenrechtlicher und europarechtlicher Ebene gelenkt. Im Anschluss soll die Rückkopplung der letzteren an das deutsche Recht sowie den nationalen Diskurs um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten erfolgen und damit das zuvor nicht zu Ende gezeichnete Bild des Einflusses, den die Europäische Grundrechtecharta auf diesen Problemkreis ausübt, vervollständigt werden. aa) Orientierung der europäischen Gerichtsbarkeit an den Grundsätzen der Konvention und der EGMR-Judikatur Die Europäische Grundrechtecharta selbst hält mit Art. 52 Abs. 3 GrCh bereits eine Bestimmung vor, die die Verknüpfung zur menschenrechtlichen Ebene herstellt991. Eine inhaltsgleiche Synchronisation beider Ebenen ohne Reibungsverluste scheitert allerdings an der handwerklichen Gestaltung dieser Norm und den unterschiedlichen Regelungsansätzen beider Regime. 990  Statt

vieler nur M. Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (248). zum Verhältnis von Menschenrechtskonvention und Grundrechte­ charta bereits oben S. 232 ff. 991  Ausführlich



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention255

Denn Art. 52 Abs. 3 GrCh sieht eine Orientierung an der Europäischen Konvention für Menschenrechte nur für den Fall vor, dass die Grundrechtecharta Rechte enthält, die „den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen“. Doch während die Konvention mit Art. 34 EMRK eine Vorschrift enthält, deren Charakter zwar ursprünglich ein verfahrensrechtlicher ist, die jedoch – einer materiellen Querschnittsnorm vergleichbar – über die Menschenrechtssubjektivität mitentscheidet992, fehlt der Europäischen Grundrechtecharta eine solche. Hier wird die Einbeziehung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft mangels eines zentralen normativen Anknüpfungspunkts vornehmlich im Rahmen der Gedanken zum Schutzbereich eines jeweiligen Grundrechts oder als Annex zum Anwendungsbereich der Charta diskutiert993. Angesichts dieses Ungleichgewichts verwundert nicht, dass der Zugang der europäischen Gerichtsbarkeit zu Anleihen aus dem menschenrechtlichen Kontext bezüglich der Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen auf den ersten Blick ein ambivalenter ist. Während der Europäische Gerichtshof, soweit ersichtlich, bisher an keiner Stelle seiner ohnehin wenig reichhaltigen994 Judikatur zur Grundrechtsberechtigung von Organisationseinheiten in Staatshand auf die Rechtslage der menschenrechtlichen Ebene abstellt, sendet das Gericht der Europäischen Union unterschiedliche Signale. In seiner Rechtsprechungsreihe zur grundrechtlichen Behandlung von Unternehmen in drittstaatlicher Hand warf das Gericht einen eigentümlichen Blick auf Art. 34 EMRK und lehnte dessen Beachtlichkeit im europarechtlichen Zusammenhang ab: Es handle sich um eine vor den europäischen Gerichten unanwendbare Verfahrensvorschrift, die zudem einer eigenen, schwerlich übertragbaren Überlegung folge, wenn sie lediglich zu vermeiden suche, dass eine Vertragspartei der Konvention vor dem EGMR gleichzeitig als Beschwerdeführer und Beschwerdegegner auftrete995. Ein solches Verständnis mutet zunächst engstirnig und formalistisch an, weil es den Charakter des 992  Dazu

bereits oben S. 245. im Zuge des Art. 16 GrCh etwa Bernsdorff (Fn. 844), Art. 16 Rn. 18; J. Gundel, ZHR 180 (2016), 323 (344); in Zusammenhang mit Art. 17 GrCh bspw. Calliess (Fn. 845), Art. 17 EU-GRCharta Rn. 5. Für eine Anknüpfung an Art. 51 GrCh exemplarisch Jarass (Fn. 794), Art. 51 Rn. 60 ff.; Ladenburger/Vondung (Fn. 794), Art. 51 Rn. 2 ff. 994  Dazu oben S. 208 ff. 995  EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 36 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 38 (Bank Mellat/ Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 67 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 59 (Bank Refah Kargaran/Rat); Rs. T-262/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:777), Rn. 69 (Central Bank of Iran/Rat). 993  So

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

Art. 34 EMRK als Quasi-Schaltnorm des Konventionsrechts ausblendet und bewusst auf seine Verfahrenswirkung reduziert996. Diese Einschätzung relativiert sich unter Einbeziehung des Entscheidungskontexts insoweit, als das Gericht der Europäischen Union mit seiner Einordnung des Art. 34 EMRK in der Regel gerade dem Einwand des Rates der Europäischen Union sowie der Europäischen Kommission entgegentritt, die Vorschrift schließe staatliche Organisationen schon dem Wortlaut nach von der Beschwerde an den Gerichtshof aus997. Gleichwohl bleibt offen, wieso das Gericht die Pauschalität dieses Einwands spiegelt statt gerade diese zurückzuweisen und die differenzierte Interpretation des Begriffs „staatlich“ („governmental“) hervorzuheben, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Zweifelsfällen anlegt. Ungeachtet dessen bleibt das Gericht der Europäischen Union jedoch gerade nicht bei dieser formalistischen Sichtweise stehen998. Vielmehr nimmt es die menschenrechtliche Ebene sehr wohl für inhaltliche Ableitungen in den Blick und bezieht einige der Kriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Einordnung einer juristischen Person als nichtstaatliche Organisation („non-governmental organisation“) im Sinne des Art. 34 EMRK entwickelt hat, in seine Betrachtung mit ein. Namentlich nennt das Gericht als negative Indizien die Ausübung von Hoheitsgewalt sowie die Wahrnehmung eines Dienstes im öffentlichen Interesse unter Aufsicht der Behörden999. Die Linie des Gerichts der Europäischen Union zeichnet die Rechtslage auf der Ebene der Europäischen Konvention für Menschenrechte zwar nicht identisch nach, sondern verfolgt einen autonomen Ansatz europarechtlicher Färbung. Dieser geht im Allgemeinen von der Frage aus, was gegen eine 996  So

auch die Kritik von Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 45 in Fn. 71. Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 35 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 37 (Bank Mellat/ Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 66 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 58 (Bank Refah Kargaran/Rat). – Auf diese Relativierung spielen auch Jarass/Kment, EU-Grundrechte (Fn. 801), § 4 Rn. 42 und Johann, Keine Konfusion! (Fn. 611), S. 719 an. 998  Insofern greift die Kritik von Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 45 in Fn. 71 zu weit. Auch die These, das Gericht nehme eine vermeintlich abweichende EGMR-Rechtsprechung zur Kenntnis, hielte sie aber für unbeachtlich, trifft vor diesem Hintergrund nicht zu; so aber ders., ZHR 180 (2016), 323 (346). 999  EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 40 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 42 (Bank Mellat/ Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 71 (Bank Melli Iran/Rat); Rs. T-24/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:403), Rn. 63 (Bank Refah Kargaran/Rat), jeweils mit ausdrücklichem Verweis auf die Entscheidung ­ EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79. 997  EuG,



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention257

Grundrechtssubjektivität juristischer Personen spricht1000, und bleibt diesem tendenziell inklusiven Modell auch hinsichtlich der potentiellen Grundrechtsberechtigung (dritt)staatlich getragener Organisationseinheiten im Besonderen treu1001. Der Bezug gerade zu den negativen Abgrenzungskriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Auslegung des Art. 34 EMRK formuliert hat, fügt sich in diese Vorgehensweise ein. Wie ausgeprägt die Orientierungswirkung der menschenrechtlichen Ebene für das Europarecht in der Frage der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten ist, lässt sich daran ablesen, dass sich ihr Einfluss nicht in den vorgezeichneten Bahnen des Art. 52 Abs. 3 GrCh bewegt, aber inhaltlich doch unzweideutig zum Ausdruck kommt. Die gemeinsame gedankliche Verbindung zwischen den Ebenen besteht darin, dass beide beim Eigenwert der juristischen Person ansetzen und eine Beurteilung ihrer Grundund Menschenrechtsberechtigung nicht zuvorderst an die mit der Organisationseinheit verbundenen natürlichen Personen anknüpfen. Gerade das Europäische Gericht hat durch die Verflechtung des europarechtlichen Ansatzes mit der menschenrechtlichen Ebene zu erkennen gegeben, für die Anerkennung bestimmter Aspekte einer Gesamtabwägung offen zu sein und eine pragmatische Einzelfallbetrachtung einer streng ideell verankerten Betrachtung vorzuziehen1002.

JuS 2018, 22 (25, 27). Gericht betont wiederholt, es sei keine Regel des Unionsrechts ersichtlich, die drittstaatliche Entitäten vom europäischen Grundrechtsschutz ausschließe, exemplarisch etwa EuG, Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 36 (Bank Mellat/Rat); Rs. T-263/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:228), Rn. 27 (Man­ ufacturing Support & Procurement Kala Naft/Rat); Rs. T-563/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2015:187), Rn. 49 (Central Bank of Iran/Rat); generalisiert und auf staatlich getragene Organisationen im Allgemeinen bezogen EuG, Rs. T-67/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:348), Rn. 58, 61 (Sina Bank/Rat); Rs. T-262/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:777), Rn. 67 (Central Bank of Iran/Rat); vgl. dazu bereits oben S. 210 f. mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 818. – Kritisch zum vermeintlich übermäßigen Gewicht dieses Aspekts aus deutscher Sicht Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 43. 1002  In diese Richtung auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27), die daraus eine Tendenz der Gerichtsbarkeiten beider Ebenen zum Modell der grundrechtstypischen Gefährdungslage ableiten. Anders Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 90 ff., die gerade auf Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Durchgriffsthese einen wie auch immer gearteten Bezug zu natürlichen Personen als Grundvoraussetzung eines menschenrechtlichen Schutzes juristischer Personen begreift. 1000  M. Goldhammer/F. Sieber, 1001  Das

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

bb) Rekurs: Grundrechtecharta und Grundgesetz Vor dem Hintergrund des Einflusses, den die menschenrechtliche Ebene auf den europarechtlichen Grundrechtsschutz nimmt, soll der Vollständigkeit halber die Beziehung zwischen Europäischer Grundrechtecharta und dem nationalen Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG nochmals in den Blick genommen werden. Denn mit seiner Bezugnahme auf die menschenrechtliche Ebene schärft speziell das Gericht der Europäischen Union die Konturen eines ­europarechtlichen Ansatzes, der – wie gesehen – bei der Beurteilung des Grundrechtsschutzes juristischer Personen im Allgemeinen eine grundsätzlich inklusive Position einnimmt und jedenfalls drittstaatlich getragene juristische Personen im Besonderen nicht generell ausnimmt, sondern ihre Nähe zur Ausübung von Hoheitsgewalt in Anlehnung an die Kriterien der EGMRRechtsprechung prüft. Mangels ausdrücklicher Positionierung des Europäischen Gerichtshofs und angesichts des Umstands, dass diese Linie ihre Form vornehmlich im Peripheriebereich der drittstaatlich getragenen Unternehmen gefunden hat1003, kann erst die weitere Entwicklung zeigen, wie verfestigt der europarechtliche Ansatz tatsächlich ist. Gleichwohl bekräftigen die in der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union aufscheinenden Bezüge zur menschenrechtlichen Ebene die Tendenz zu einer pragmatischen Gesamtabwägung und bestätigen damit bei aller Vorsicht die bereits zuvor formulierte These: Das Europarecht verfolgt im grundrechtlichen Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen nach dem jetzigen Entwicklungsstand jedenfalls kein personalistisches Konzept1004. Wenngleich das Gericht der Europäischen Union mit seiner holprigen formalistischen Einordnung des Art. 34 EMRK fahrlässig Raum für Fehlinterpretationen schafft, ist im Lichte dieses Befunds eine Übertragung bestimmter Grundsätze von der menschenrechtlichen auf die europarechtliche Ebene in der Diskussion um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationen mit geringen Reibungsverlusten möglich. Das deutsche Bundesverfassungsgericht könnte dagegen vor allem in der Umsetzung gestaltungsoffen gehaltener unionsrechtlicher Vorgaben vor der Herausforderung stehen, ein Absinken des deutschen Grundrechtsschutzes unter das Niveau der Charta verhindern zu müssen, sollte sich die inklusive Linie der europäischen Gerichtsbarkeit verfestigen, und könnte die Lösung möglicherweise in der Gewährung notdürftiger Ausnahmen zu seinem sonstigen Konzept suchen. Dass Karlsruhe zu einer Durchbrechung der eigenen Muster zugunsten des Europarechts bereit ist, hat das Zurückstellen der eigenen Position zur Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationen hinter die europäischen Grund1003  Dazu 1004  Vgl.

bereits S. 209 ff. die Ausführungen oben S. 226 f.



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention259

freiheiten gezeigt1005. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht jüngst zu erkennen gegeben, die eigene Linie gegenüber europa- und menschenrechtlichen Einflüssen sehr wohl als eigenständige Größe in Stellung bringen zu wollen1006. Dieser Kontrast zwischen den Ebenen verdeutlicht den Wert von Rezeptionsoffenheit und dürfte die Kritik an der fehlenden Anschluss­ fähigkeit des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes erneuern1007. b) Europäische Menschenrechtskonvention und Grundgesetz Zwar kennt das deutsche Verfassungsrecht keine dem Art. 52 Abs. 3 GrCh vergleichbare Konvergenznorm, doch ist der Einfluss des Völkerrechts im Allgemeinen und der Europäischen Menschenrechtskonvention im Besonderen auf das deutsche Grundgesetz von großer Tragweite und normativ sichtbar verbürgt. Während Art. 25 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in den Bestand des Bundesrechts aufnimmt und diese mit Vorrang vor dem einfachen Recht ausstattet, folgt aus Art. 59 Abs. 2 GG, dass völkerrechtliche Verträge wie die Europäische Menschenrechtskonvention über einen einfach-rechtlichen Umsetzungsakt Wirkung im deutschen Recht entfalten, ohne dass ihnen ein solcher Vorrang zukommt1008. Anders als es diese Abstufung zunächst vermuten lässt, kommt speziell der Europäischen Menschenrechts­konvention eine besondere Bedeutung zu, die auf die verfassungsrechtliche Ebene einwirkt und über den Einfluss einfachen Bundes1005  BVerfGE 143, 246 (313 ff., Rn. 185 ff., 191 ff.); ausführlich eingeordnet oben S. 158 ff. 1006  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502 ff.); zur Einordnung der Entscheidung als Fingerzeig gen Luxemburg S. 229 f. 1007  In jüngerer Zeit etwa geäußert von M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1008  Zum Begriff der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ und einer Verortung völkerrechtlicher Verträge im Rahmen dieser Terminologie präzise D. König, in: P. M. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), von Mangoldt/Klein/Starck – Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 7. Auflage 2018, Art. 25 Rn. 18 ff. Der deutsche Bundesgesetzgeber hat die EMRK sowie ihre Zusatzprotokolle bereits zu Beginn der 1950er-Jahre im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG in deutsches Recht überführt, s. das Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. II 1952, S. 685 sowie die Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. II 1954, S. 14. – Im Kontext des Art. 59 Abs. 2 GG blitzt zudem immer wieder der Theorienstreit zwischen monistischer und dualistischer Sicht auf, der um das Verständnis der Beziehung von Völkerrecht und nationalem Recht kreist, dazu eingehend und statt vieler M. Nettesheim, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn.  25), Art. 59 (2020), Rn. 167 ff.; zu einer spezifischen Spielart dieser Debatte in europarechtlichem Zusammenhang andeutungsweise bereits oben S. 181 mit weiterführenden Nachweisen in Fn. 695.

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rechts hinausgeht. Das Bundesverfassungsgericht formuliert in ständiger Rechtsprechung den sog. Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, in dessen Konsequenz sowohl die Konvention als auch die entsprechende Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfen bei der Interpretation der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen sind, sofern daraus keine Einschränkung oder Minderung des nationalen Grundrechtsschutzes resultiert1009. Normativ verankert das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz in einer systematischen Zusammenschau unter anderem aus der Präambel des Grundgesetzes sowie der Art. 20 Abs. 3, Art. 23, Art. 24, Art. 25, Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG, die die Einbeziehung des Völkerrechts in die deutsche Rechtsordnung förderten, die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf Zusammenarbeit ausrichteten und in das System der auf Friedensgewährleistung gerichteten internationalen Staatengemeinschaft einpassten1010. Die hervorgehobene Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Besonderen stützt das Gericht in jüngeren Entscheidungen vor allem auf Art. 1 Abs. 2 GG, der verdeutliche, dass die Grundrechte eine besondere Ausprägung der Menschenrechte darstellten und diese als Mindeststandard in sich aufgenommen hätten1011. Eine zentrale inhaltliche Rolle bei der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes nimmt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein, der über den konkreten Verfahrensgegenstand hinaus eine faktische Orientie1009  BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317); 120, 180 (200); 128, 326 (367 f.); 148, 296 (351, Rn. 128); 151, 1 (27, Rn. 62); BVerfGK 3, 4 (8); 10, 66 (77). – Allgemein zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der freilich nicht auf die hier allein in den Blick genommene EMRK beschränkt ist, und zu seinen Bedeutungsebenen nach verfassungsgerichtlichem Verständnis M. Herdegen, in: Herdegen/Klein/Scholz, Dürig/Herzog/Scholz – GG (Fn. 25), Art. 25 (2021), Rn. 6 ff.; D. Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S.  200 ff. 1010  BVerfGE 111, 307 (317 f.); 112, 1 (24 f.); 141, 1 (26 f., Rn. 65); BVerfGK 9, 174 (189 f.); vgl. mit ähnlicher Verankerung bereits BVerfGE 6, 309 (362 f.); 63, 343 (370); BVerfG (K), VIZ 2001, 114 (115). – Eingehend zur normativen Verankerung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als ungeschriebenes Verfassungsprinzip im deutschen Grundgesetz M. Payandeh, JöR 57 (2009), 465 (470 ff., 481 ff.); F. Schorkopf, Völkerrechtsfreundlichkeit und Völkerrechtsskepsis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: T. Giegerich (Hrsg.), Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes nach 60 Jahren. Anspruch und Wirklichkeit einer großen Errungenschaft, 2010, S. 131 (147 ff.). Die Staatstheorie greift den Gedanken der Einbettung des Grundgesetzes in ein internationales Regelungsumfeld unter dem Begriff der „offenen Staatlichkeit“ auf, grundlegend und begriffsprägend K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33 ff. Ausführlich und statt vieler dazu Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit (Fn. 1009), S.  13 ff. 1011  BVerfGE 128, 326 (368 f.); 148, 296 (352 f., Rn. 130).



V. Internationaler Grundrechtsschutz: Europ. Menschenrechtskonvention261

rungs- und Leitfunktion zukommt1012. Auf diese Weise soll den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention möglichst umfassend im deutschen Recht Geltung verschafft und die Verletzung von Völkerrecht vermieden werden, wobei letzteres als Ergebnisvorgabe zu verstehen sei und der Weg dorthin keine schematische Parallelisierung des Grundgesetzes erfordere1013. Die Grenzen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung sieht das Bundesverfassungsgericht dann erreicht, wenn ihre Umsetzung methodisch nicht mehr vertretbar erscheint, sie entgegen dem Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK mit einer Absenkung des grundgesetzlichen Schutzstandards einhergeht oder die Verfassungsidentität berührt wird1014. Im Zusammenhang mit der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen ist eine völkerrechtsfreundliche Auslegung insbesondere dort angezeigt, wo zu befürchten steht, dass das deutsche Grundgesetz das Niveau der Europäischen Menschenrechtskonvention unterschreitet. Dass die Auslegung im Lichte der Konventionsbestimmungen dem bundesverfassungsgerichtlichen Verständnis zufolge einem solchen Absinken möglichst universell Abhilfe verschaffen soll und als Präventionsmechanismus gegen Völkerrechtsverletzungen fungiert, spricht dafür, seine Anwendung nicht danach zu beschränken, ob die sachliche oder persönliche Reichweite einer Norm betroffen ist. Die Ankündigung des Bundesverfassungsgerichts, die konventionsfreundliche Auslegung bei der Bestimmung der „Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes“ heranzuziehen1015, ist insofern auch begrifflich indifferent1016. Ein denkbares An1012  BVerfGE 128, 326 (365, 368); 148, 296 (351  f., Rn. 129); 151, 1 (28 f., Rn. 64); BVerfGK 9, 174 (190); 10, 234 (239 f.); zurückhaltend dagegen noch BVerfGE 111, 307 (320). – Dabei spricht viel dafür, eine solche Orientierungswirkung im Allgemeinen und über die Fälle hinaus anzunehmen, in denen die Bundesrepublik Deutschland am konkreten Verfahren beteiligt ist, dazu eingehend H. Sauer, Grundrechtskollisionsrecht für das europäische Mehrebenensystem in: N. Matz-Lück/ M. Hong (Hrsg.), Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem – Konkurrenzen und Interferenzen, 2012, S. 51 ff.; zu den methodischen Schwierigkeiten, die sich im Zuge des Transfers der Entscheidungen in den nationalen Verfassungskontext ergeben, ebd., S. 54. 1013  BVerfGE 128, 326 (368); 148, 296 (351  ff., Rn. 129  ff.); 151, 1 (27  f., Rn. 63). – Gerade die Vermeidung von Völkerrechtsverletzungen versteht das Bundesverfassungsgericht dabei ausdrücklich als Auftrag seiner Gerichtsbarkeit, s. dazu BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89); 109, 13 (23 f.); 109, 38 (49 f.); 111, 307 (328). 1014  BVerfGE 128, 326 (371); 148, 296 (355, Rn. 133); ähnlich auch BVerfGE 111, 307 (329); 137, 273 (321, Rn. 129); 141, 1 (30, Rn. 72); 151, 1 (27 f., Rn. 63). 1015  BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317); 120, 180 (200 f.); 128, 326 (367 f.); 148, 296 (351, Rn. 128); 151, 1 (27, Rn. 62); BVerfGK 3, 4 (8); 10, 66 (77). 1016  So auch Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 61, der ebd. in Fn. 21 allerdings richtigerweise darauf aufmerksam macht, dass das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202) gerade keine Feststellung in diese Rich-

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wendungsbeispiel sind öffentliche Unternehmen, deren Menschenrechtssubjektivität der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – wie gesehen – in einer Gesamtabwägung anhand verschiedener Kriterien beurteilt und vereinzelt angenommen hat, während das Bundesverfassungsgericht ihnen eine Berufung auf die Grundrechte mittels Art. 19 Abs. 3 GG kategorisch versagt1017. Beruft sich ein solches Unternehmen auf eine Gewährleistung des deutschen Grundgesetzes, die eine inhaltliche Entsprechung in der Europäischen Menschenrechtskonvention findet, liegt es nahe, Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der Konvention auszulegen und – vorbehaltlich einer positiven Gesamtabwägung anhand der EGMR-Kriterien – eine Anwendung der Grundrechte „ihrem Wesen nach“ auf die betreffende juristische Person im konkreten Fall anzunehmen1018. Plastisch exemplifizieren ließe sich dieses Modell etwa im bereits erwähnten Fall der in Bundesbesitz befindlichen Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, einer staatlich getragenen juristischen Person des Privatrechts, die sich im verwaltungsgerichtlichen Streit mit dem Landkreis Leipzig um die Erteilung einer denkmalrechtlichen Abbruchgenehmigung auf Art. 14 Abs. 1 GG und damit auf ein Grundrecht berief, das in Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK ein kontung getroffen und im Atomausstiegsurteil damit eine Chance zur Klarstellung verstreichen lassen hat, indem es die Frage, ob sich eine drittstaatlich beherrschte juristische Person überhaupt auf den materiellen Gehalt des Art. 13 EMRK berufen kann, aussparte; kritisch dazu auch Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 47. 1017  S. nur BVerfGE 45, 63 (79 f.); 68, 193 (212 f.); 143, 246 (314, Rn. 190). – Eine potentielle Diskrepanz der Ergebnisse bei den öffentlichen Unternehmen sehen auch Lauterbach, Unternehmen (Fn. 776), S. 216; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (26); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  60 f. 1018  Das Bundesverwaltungsgericht folgte diesem Muster in Bezug auf Art. 11 Abs. 1 EMRK jüngst grundsätzlich, kam jedoch für einen mehrheitlich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts getragenen Arbeitgeberverband in der Rechtsform des eingetragenen Vereins unter Anwendung der vom EGMR vorgezeichneten Kriterien zu einem anderen Ergebnis, BVerwGE 167, 202 (210 f., Rn. 28). – Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 62 f. stellt dem hier vorgestellten Weg die methodische Alternative über eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des jeweiligen Einzelgrundrechts gegenüber, hält eine Entscheidung zwischen beiden Varianten aber für obsolet. Da die zweitere auf demselben Gedanken beruht wie die sog. Lehre von den Doppelgrundrechten, die die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG schlussendlich zu überspielen droht, wird hier der erstere Weg präferiert; kritisch zu Art. 9 GG als „Doppelgrundrecht“ oben S. 127 ff. – Einer konventionsfreundlichen Auslegung aller Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 3 GG soll damit freilich nicht das Wort geredet werden. Denn eine unbesehene Spiegelung des Kreises aller nach der EMRK Berechtigten (Art. 1 EMRK: „The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction [Herv. d. Verf.] the rights and freedoms defined in Section I of this Convention“) würde die ausdrückliche Begrenzung des Art. 19 Abs. 3 GG auf „inländische“ juristische Personen überspielen und sich somit außerhalb des methodisch Vertretbaren bewegen, dazu M. Ludwigs/C. Friedmann, JA 2018, 807 (810 f.); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 63 in Fn. 27.



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ventionsrechtliches Pendant findet1019. Der Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht für die Handhabe des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung abgesteckt hat, wird dadurch nicht angetastet, ist eine entsprechende Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG doch weder methodisch unvertretbar noch berührt sie die deutsche Verfassungsidentität oder geht mit einer Einschränkung grundrechtlicher Schutzstandards einher1020. Dass eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG den Schutzstandard des Grundgesetzes nicht negativ berührt, bleibt jedenfalls für bipolare Verhältnisse zwischen staatlich getragener Organisationseinheit und hoheitlicher Eingriffsgewalt ohne Gegenrede. Bezweifeln ließe sich die These allerdings für mehrpolige Grundrechtsverhältnisse, wenn man dem Bundesverfassungsgericht in dem Gedanken folgte, ein durch die konventionsfreundliche Auslegung bedingtes „Mehr“ an Grundrechtsschutz bei dem einen Grundrechtsträger stelle eine auch vom Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK ungewollte Grundrechtsbeschränkung dar, wenn es mit einem „Weniger“ an Grundrechtsschutz bei einem anderen korrelierte1021. Schon die gedankliche Ausgangssituation dieser These erntet Widerspruch: Der Grundrechtsschutz in multipolaren Strukturen sei keiner quantitativen Betrachtung zugänglich, weil sich nicht seine Menge, sondern seine Verteilung durch das Hinzutreten weiterer Berechtigter ändere; statt eines „Mehr“ oder „Weniger“ gehe es vielmehr um ein „Aliud“ des Schutzes1022. Auf Grundlage dieser Annahme führe das konventionsrechtliche Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK im multipolaren Kollisionsfalle nicht weiter1023. Übertragen auf die Frage nach 1019  Zum Sachverhalt BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71); näher dazu bereits oben S. 148 ff. – Grundsätzlich gegen eine Ausstrahlungswirkung des Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK hinsichtlich staatlich getragener juristischer Personen dagegen Cremer (Fn. 722), Kap. 22 Rn. 58. 1020  Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 63 ff. – Dass die Durchgriffsthese nicht zum Kreis der identitätsstiftenden Merkmale für die nationalen Verfassungsstrukturen zählt, ist bereits im europarechtlichen Zusammenhang festgestellt worden, dazu oben S. 169 f. Diese Feststellung beansprucht auch im Kontext der EMRK weiterhin Geltung. 1021  BVerfGE 128, 326 (371); 137, 273 (321, Rn. 129); 148, 296 (355, Rn. 134). In der Sache ebenso C. Grabenwarter, EuGRZ 2006, 487 (489); Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 42; vgl. dagegen bereits die auf Ausgleich zielenden Gedanken von W. Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499), der sich gegen eine so verallgemeinernde Betrachtung ausspricht und für eine Bandbreite vertretbarer Ergebnisse plädiert, deren bloße Einhaltung den Anforderungen des Art. 53 EMRK gerecht werde. 1022  M. Breuer, NVwZ 2005, 412 (414); M. Ludwigs, EuGRZ 2014, 273 (282); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 66; T. Thienel, in: Karpenstein/Mayer, EMRK (Fn. 979), Art. 53 Rn. 5. 1023  M. Breuer, NVwZ 2005, 412 (414); H.-G. Dederer, ZaöRV 66 (2006), 575 (615 f.); Thienel (Fn. 1023), Art. 53 Rn. 5; im Ergebnis auch G. Ress, Horizontale Grundrechtskollisionen – Zur Bedeutung von Art. 53 der Europäischen Menschen-

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der grund- und menschenrechtlichen Berechtigung juristischer Personen in staatlicher Hand streitet diese Auffassung in ihrer Konsequenz dafür, Art. 19 Abs. 3 GG unabhängig davon konventionskonform auszulegen, ob das Verhältnis zweier oder mehrerer Grundrechtsträger zueinander betroffen ist1024. Doch selbst wenn man diese Einwände unberücksichtigt ließe und der Deutung des Bundesverfassungsgerichts vorbehaltlos zuneigte, schwächte das die für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang bedeutende Erkenntnis nur unmerklich ab. Denn allein die Feststellung eines multipolaren Grundrechtsverhältnisses setzt die Auseinandersetzung mit der Frage voraus, ob eine staatlich getragene juristische Person in einem ersten Schritt überhaupt als potentielle Grundrechtsträgerin in Betracht kommt. Die schlichte Verneinung dieser Frage aus den Mustern der klassischen deutschen Verfassungsrechtsprechung heraus käme dem Ausblenden der Konventionsebene gleich und stünde in Widerspruch zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, wenn man die These zugrunde legt, der unter der Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelte Ansatz sei gegenüber juristischen Personen in staatlicher Hand grundsätzlich inklusiver als der vom deutschen Bundesverfassungsgericht vertretene kategorische Ausschluss mit eng umgrenzten Ausnahmen1025. Dass das Verfassungsgericht in der Evaluation der Frage zu einer negativen Antwort gelangt, ist damit nicht ausgeschlossen, nur muss das Gericht seine Einschätzung vor dem Hintergrund der Konfrontation von kategorisch gedachter Durchgriffsthese und pragmatisch ausgerichteter Gesamtabwägung mit einer entsprechenden Begründung unterlegen. Inhaltliches Gewicht kommt den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Grundsätzen damit auch in dem nicht unwahrscheinlichen Fall zu, in dem das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz an einer kategorischen Ablehnung der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten festhalten wollte. Gleiches gilt für die Konstellation, in der das Verfassungsgericht eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG rechtskonvention, in: E. Klein/S. U. Pieper/ders. (Hrsg.), Rechtsstaatliche Ordnung Europas. Gedächtnisschrift für Albert Bleckmann, 2007, S. 313 (324). – Zusätzlich führt Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 66 f. in diesem Zusammenhang überzeugend aus, die gegenteilige Sicht des Bundesverfassungsgerichts gehe notwendigerweise mit der kühnen wie unrealistischen These einher, dass der nationale Grundrechtsschutz in jeder denkbaren Konstellation das Mindestmaß des EMRKSchutzes gewährleiste. 1024  Ob eine Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten angesichts der potentiellen Betroffenheit natürlicher Personen in multipolaren Grundrechtsbeziehungen überhaupt in Betracht kommt, ist eine Vorfrage der nationalen Ebene, die hier zwar erwähnt, aber erst an späterer Stelle aufgegriffen werden soll, s. S. 309 ff. 1025  Für diese Annahme M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 60 f.; vgl. zudem bereits oben S. 253.



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unter Rückgriff auf die EGMR-Kriterien der Gesamtabwägung zwar grundsätzlich in Betracht zöge, diese aber in multipolaren Grundrechtsverhältnissen für unbeachtlich hielte, da sie unter diesen Umständen mit einer Einschränkung des grundgesetzlichen Schutzstandards einherginge. Hinsichtlich des letzteren hypothetischen Gedankens sei nota bene bemerkt, dass es nicht immer ratsam ist, die völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen reflexartig als Einschränkung des grundrechtlichen Schutzstandards aufzufassen und den menschenrechtlichen Umgang mit einer Rechtsfrage in diesen Fällen unbesehen der grundgesetzlichen Binnenjustierung unterzuordnen1026. Aus einem konzeptionellen Blickwinkel auf das grundrechtliche Mehrebenensystem können Auseinandersetzung und inhaltliches Verständnis – im vorliegenden Zusammenhang also die Berücksichtigung des menschenrechtlichen Umgangs mit juristischen Personen in Staatshand – zu einer maßvollen Konvergenz zwischen den Ebenen führen, die ihrerseits als bedeutende Kollisionsvermeidungsregel fungieren und Konfliktpotentiale abbauen kann1027. Doch selbst wenn man eine Kollisionslage annähme und in multipolaren Grundrechtsverhältnissen den Vorrang der grundgesetzlichen Perspektive zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten zulasten des Art. 53 EMRK für unvermeidlich hielte, bliebe jedenfalls im bipolaren Grundrechtsverhältnis weiterhin Raum für eine konventionsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes, da eine Beeinträchtigung des deutschen Grundrechtsschutzes hier nicht zu befürchten steht1028. Mindestens in diesem Bereich geriete der verfassungsgerichtliche Ansatz zur Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG unter den Anpassungsdruck der völkerrechtskonformen Auslegung. Einmal mehr verdeutlicht dieses Ergebnis die fehlende Anschlussfähigkeit von „Durchgriffsthese“ und streng personalistischer Grundrechtsdeutung, die bei der Frage des Umgangs mit staatlich getragenen juristischen Personen in Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention keinen Widerhall finden, obwohl gerade die erstere in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu juristischen Personen keine Unbe1026  H. Sauer, EuGRZ 2011, 195 (198); vgl. mit unterschiedlichen Nuancen ders., Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 61; ders., ZaöRV 65 (2005), 35 (51, 53 f.). In dieselbe Richtung auch M. Payandeh, JöR 57 (2009), 465 (499 f.). 1027  Dazu Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 57; ders., EuGRZ 2011, 195 (198 f.); D. Thym, JZ 2015, 53 (56). Zum Charakter der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes als Instrument der Konfliktvermeidung Knop, Völkerund Europarechtsfreundlichkeit (Fn. 1009), S.  235 ff.; M. Payandeh, JöR 57 (2009), 465 (485, 501 f.); H. Sauer, Staatsrecht III, 6. Auflage 2020, § 6 Rn. 40 ff. – Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem wird an späterer Stelle nochmals aufgegriffen, s. S. 270 ff. 1028  Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  67 f.

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kannte darstellt1029. Legt man alte Muster zugrunde, ist nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht in Zukunft die Ergebnisse einer konventionskonformen Auslegung im konkreten Fall als weitere Ausnahme zu seinem tradierten dogmatischen Konzept anerkennt, sollte es den Anpassungsdruck der völkerrechtlichen Ebene gleichfalls als hinreichend stark einschätzen1030. Bisher tritt das Verfassungsgericht diesbezüglich allerdings zurückhaltend auf und scheint die Implikationen der völkerrechtlichen Ebene auf dem Feld der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationen nur zögerlich als berücksichtigenswerten Einfluss anzuerkennen1031. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf Art. 19 Abs. 3 GG in einer jüngeren Entscheidung dagegen in der Sache geprüft1032.

VI. Zwischenergebnis Der Blick über den Tellerrand des Grundgesetzes hinaus hat gezeigt, dass die Frage einer Berechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten aus grundlegenden Freiheitsgewährleistungen eine Rechtsfrage darstellt, die auf allen Ebenen des grundrechtlichen Mehrebenensystems in Europa von Bedeutung ist und als solche bereits mehrfach Gegenstand der gerichtlichen 1029  Siehe dazu oben S. 241 f. Gerade in Bezug auf staatlich getragene juristische Personen scheint der EGMR dagegen nicht auf ein derivatives Konzept zurückzugreifen, s. oben S. 248. 1030  Diese Vermutung wurde bereits im europarechtlichen Zusammenhang geäußert, s. oben S. 227 f. Wie auch dort könnte das Gericht an dieser Stelle einen alternativen Weg beschreiten und mittels des „Distinguishing“ des konkreten Sachverhalts von den maßgeblichen Fällen des EGMR eine dogmatische Auseinandersetzung umgehen; kritisch dazu bereits oben S. 228 in Fn. 894, auch wenn hinsichtlich der Europäischen Menschenrechtskonvention freilich kein dem EU-Recht vergleichbarer Anwendungsvorrang besteht. – In der allgemeinen Rezeption der konventionsrechtlichen Gewährleistungen attestiert D. Thym, JZ 2015, 53 (54) dem Bundesverfassungsgericht eine ergebnisorientierte Konfliktvermeidungsstrategie, die die Synchronisation mit dem nationalen Recht umgehe. 1031  Im Atomausstiegsurteil BVerfGE 143, 246 (319 f., Rn. 202) hat das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der konventionsrechtlichen Linien in der Frage ausdrücklich offen gelassen. Das hindert nicht daran, die dortigen Ausführungen als Aufruf zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zu verstehen, s. dazu S. 174 ff. 1032  In BVerwGE 167, 202 (210 f., Rn. 28) betonte das Gericht die Offenheit des Art. 19 Abs. 3 GG für eine konventionsgerechte Auslegung, lehnte eine Berücksichtigung des Art. 11 Abs. 1 EMRK zugunsten eines Arbeitgeberverbandes, der in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisiert und mehrheitlich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts getragen ist, allerdings ab. Unter Anwendung der vom EGMR vorgezeichneten Kriterien könne die in Rede stehende juristische Person nicht als „nichtstaatliche Organisation“ i. S. d. Art. 34 EMRK eingeordnet werden.



VI. Zwischenergebnis267

Spruchpraxis war1033. Ausgehend von der Betrachtung des einzelnen Rechtsregimes und angesichts der vielfältigen gegenseitigen Einflussnahme lassen sich für den deutschen Diskurs um die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG wichtige Erkenntnisse zusammentragen. Bereits der Blick auf die europarechtlichen Grundfreiheiten hat gezeigt, dass verschiedene Aspekte der bundesverfassungsgerichtlichen Argumentation im Umgang mit juristischen Personen in Staatshand wenig Widerhall erfahren oder durch ihre Berücksichtigung gar ins Wanken geraten. So ist Art. 54 Abs. 2 AEUV Norm gewordene Widerlegung des pauschal gedachten Konfusionsarguments. Die Durchgriffsthese degradiert das Bundesverfassungsgericht schließlich selbst vom Fundament der eigenen Deutung zum bloßen Abwägungsposten, indem es die Grundfreiheiten gerade dazu nutzt, diese Grundannahme zu überwinden1034. Der Hinweis, Grundfreiheiten seien in ihrem Regelungsziel, einen europäischen Binnenmarkt herzustellen und aufrecht zu erhalten, von den primär freiheitsschützenden Grundrechten zu unterscheiden, hat weiterhin seine Berechtigung. Als Einwand gegen die Berücksichtigung der Grundfreiheiten als solche lässt er sich in diesem Zusammenhang allerdings nur schwerlich formulieren, weil der Europäische Gerichtshof die letzteren durch eine entsprechende Auslegung in die Nähe grundrechtlicher Gewährleistungen gerückt hat1035. Im Rahmen der Europäischen Grundrechtecharta ist die Frage des Umgangs mit staatlich getragenen Organisationseinheiten zwar zum einen vornehmlich vom Gericht der Europäischen Union im Peripheriebereich der drittstaatlich beherrschten juristischen Personen behandelt worden und zum anderen noch in der Entwicklung begriffen. Dennoch zeichnet sich hier eine grundsätzlich inklusive Tendenz gegenüber juristischen Personen im Allgemeinen ab, die zumindest bei Entitäten in drittstaatlicher Hand um eine Handhabe erweitert wird, die in die Richtung einer einzelfallorientierten Abwägung deutet. Weder knüpft die Rechtsprechung die Schutzwürdigkeit dieser juristischen Personen an eine Nähebeziehung zu den „hinter“ ihr stehenden natürlichen Personen, noch leitet sie aus der zentralen Ausrichtung der Grundrechtecharta auf die Menschenwürde1036 negative Rückschlüsse zulasten staatlicher Organisationseinheiten her. Mit seinem Entscheidungspaar zum „Recht auf Vergessen“ hat das Bundesverfassungsgericht einen neuen Einwirkungskanal für den europarechtlichen Grundrechtsschutz in den 1033  In knapper Form und mit engerem Zuschnitt des Untersuchungsgegenstands bereits Johann, Keine Konfusion! (Fn. 611), S.  717 ff. 1034  BVerfGE 143, 246 (316 ff., Rn. 195 ff.); dazu auch oben S. 199 f. 1035  Übersichtlich T. Kingreen, EuR 45 (2010), 338 (355 f.); s. ausführlich oben S. 188 ff. 1036  Zu dieser s. EuGH, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609 Rn. 34 (Omega).

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C. Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem als Perspektivenwechsel

deutschen Diskurs eröffnet, der den Anpassungsdruck auf den eigenen Ansatz erhöhen könnte, sollte sich die Linie der europäischen Judikatur verfestigen und über die Diskrepanz im Rechtsfindungsprozess hinaus auch zu Unterschieden in den konkreten Ergebnissen der Grundrechtsberechtigung führen. Die freigelegten Tendenzen des europarechtlichen Ansatzes verstärken sich durch einen Bezug auf die menschenrechtliche Ebene, der im unionalen Primärrecht seine normative Verankerung in Art. 52 Abs. 3 GrCh findet und den das Gericht der Europäischen Union bereits zur Ergänzung seiner Rechtsprechung genutzt hat. Die Europäische Menschenrechtskonvention wirkt demnach sowohl vermittelt über die Europäische Grundrechtecharta als auch unmittelbar über den Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung auf das deutsche Recht und den Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG ein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützt sich in seiner Auslegung des Art. 34 EMRK und der Beurteilung der Menschenrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Hand auf den Modus der Gesamtabwägung, der auf einer Vielzahl wiederkehrender Kriterien fußt. Im Mittelpunkt steht dabei die originäre Betrachtung der konkreten juristischen Person; eine Kopplung ihrer Schutzwürdigkeit an „hinter“ der Organisationseinheit stehende Individuen findet genauso wenig statt wie eine Bezugnahme auf die Würde des Menschen oder den primär individualschützenden Charakter der Konvention, obwohl der Gerichtshof gerade den letzteren in anderen Zusammenhängen ausdrücklich feststellt1037. Ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit generiert der Ansatz des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im grundrechtlichen Mehrebenensystem vor diesem Hintergrund nicht. Nun bestehen weder ein Bedürfnis noch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Unitarisierung des Grundrechtsschutzes auf allen Ebenen. Gleichheit ist in diesem Zusammenhang kein Wert an sich. Gleichwohl zeitigt der Befund mangelnder Anschlussfähigkeit insoweit Wirkung, als die zunehmende Verflechtung der drei Dimensionen den Anpassungsdruck auf das Bundesverfassungsgericht erhöht, sollte es mit seinem dogmatischen Sonderweg dauerhaft zu anderen Ergebnissen als das Konventions- und Europarecht kommen. Diesen Weg auszusetzen, um den Vorgaben und Einflüssen der anderen 1037  EGMR, Banković and Others  v.  Belgium and Others, Entsch. v. 12.12.2001, App. No. 52207/99, Rn. 80; vgl. zudem die abweichenden Sondervoten (dissenting opinions) des Richters Grabenwarter zu EGMR, Karner v. Austria, Urt. v. 24.7.2003, App. No. 40016/98 Rn. 3 sowie der Richter und Richterinnen Rozakis, Tulkens, Fura, Hirvelä, Malinverni und Poalelungi zu EGMR, A, B and C v. Ireland, Urt. v. 16.12.2010, App. No. 25579/05 Rn. 2. Wiederholt hat der Gerichtshof zudem die Menschenwürde als tragenden Wert der Konvention hervorgehoben, so in EGMR, Pretty v. United Kingdom, Urt. v. 29.4.2002, App. No. 2346/02, Rn. 65; Christine Goodwin v. United Kingdom, Urt. v. 11.7.2002, App. No. 28957/95, Rn. 90.



VI. Zwischenergebnis269

Ebenen gerecht zu werden, schafft kurzfristig Abhilfe, untergräbt die Autorität des eigenen Konzepts mit weiteren Ausnahmen allerdings merklich und ist ihm aus struktureller Sicht nicht zuträglich. Das Karlsruher Vorgehen im Atomausstiegsurteil ist ein Beispiel dafür1038. Eine nachhaltige Lösung wäre die Hinwendung zum Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage, das ohne die Limitationen eines strikt personalistischen Ansatzes einerseits rezeptionsoffen gestaltet ist, andererseits aber Raum für die Berücksichtigung nationaler Wertentscheidungen lässt.

1038  Zur Durchbrechung der üblichen Muster in BVerfGE 143, 246 (313  ff., Rn. 187 ff., 191 ff.) oben S. 161 ff.; zu den strukturellen Auswirkungen der Entscheidung auf den Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG s. S. 198 ff.

D. Synthese Im folgenden Kapitel sollen die Erkenntnisse, die sich aus der kritischen Auseinandersetzung mit der bundesverfassungsgerichtlichen Spruchpraxis und dem Blick auf das europäische Mehrebenensystem haben gewinnen lassen, zur Entwicklung eines alternativen Auslegungsansatzes im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG fruchtbar gemacht werden. An ein Vorwort zum grundlegenden Mehrwert der Konvergenz verschiedener Rechtsebenen schließen sich allgemeine Gedanken zur Grundrechtstheorie und ihrer Rolle in der konkreten Auslegung an. Über die Feststellung der erodierenden Evidenz bestimmter Grundannahmen der liberalen Grundrechtstheorie nähert sich die Betrachtung schließlich einer Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG. Diese orientiert sich am Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage und plädiert für eine an der konkreten Eingriffslage ausgerichteten Handhabe. Auf diese Weise sollen die Komplexität und Vielfalt sowohl der Ausgangssituationen als auch der in Betracht kommenden juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft angemessen abgebildet werden, ohne dafür Brüche mit dem eigenen theoretischen Fundament in Kauf nehmen zu müssen. Als einzelfallbezogener Alternativansatz ist im Anschluss daran die grundrechtstypische Gefährdungslage genauer in den Blick zu nehmen. Um die Rechtssicherheit und Konsistenz ihrer konkreten Handhabung gewährleisten zu können, sollen die Wesensmerkmale der grundrechtstypischen Gefährdungslage ausdifferenziert und die einzelnen Bestimmungskriterien inhaltlich wie begrifflich geschärft werden. Die abschließende Fallgruppenbildung weist eine Reihe praktischer Beispielsfälle aus und reiht sich in diesen Auftrag ein.

I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem Der Blick auf das Europarecht und die Europäische Menschenrechtskonvention hat gezeigt, dass das deutsche Recht und der nationale Diskurs um die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen von den Inhalten des überstaatlichen Rechts nicht unbeeinflusst bleiben. Die Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis ist damit nur ein Beispiel der verschiedenen wechselseitigen Interferenzen im europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes1039, die sich auch und gerade in 1039  Dazu

ausführlich Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S.  1 ff., 40 ff.



I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem271

der zunehmenden Interaktion der jeweils zentralen Gerichte widerspiegeln1040. Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken dreier Grundrechts­ ebenen, die in Ursprung, Struktur und Funktion große Unterschiede aufweisen, führt notwendigerweise zu Kollisionen in der konkreten Rechtsanwendung. Ihre Auflösung durch die jeweils betroffenen Gerichte bedeutet immer auch ein Ringen um Vorrang und tastet das Selbstverständnis des jeweiligen Rechtsregimes unvermeidlich an1041. Zwar ist an dieser Stelle nicht der rechte Ort, um das Kollisionsrecht im grundrechtlichen Dreieck zwischen Grundgesetz, Europäischer Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention nachzuzeichnen1042. Gleichwohl soll die vorliegende Betrachtung die Konfliktlösung zwischen den Ebenen nicht gänzlich ausblenden. Sie setzt zu diesem Zwecke jedoch auf einer Vorstufe zum Kollisionsrecht an: der Konfliktvermeidung. Angesprochen ist damit die Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem im Sinne eines inhaltlichen Zusammenwachsens der verschiedenen Grundrechtsordnungen und ihrer jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen. Ein solches Zusammenwachsen ist überhaupt nur möglich, wenn die verschiedenen Ebenen Verzahnungen vorsehen und eine materielle Rezeption anderer Grundrechtsordnungen auf diesem Wege zulassen1043. Derlei Einwirkungskanäle bestehen im Verhältnis von Europäischer Menschenrechtskonvention, Europäischer Grundrechtecharta und deutschem Grundgesetz wechselseitig und in vielerlei Gestalt. Mit Art. 52 Abs. 3 GrCh, der ausdrücklich eine inhaltliche Orientierung des europarechtlichen Grundrechtsschutzes an der Europäischen Menschenrechtskonvention vorsieht, dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung im deutschen Recht oder dem jüngst konzedierten Bedeutungszuwachs der Europäischen Grundrechtecharta durch ihre Aufwertung zum bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab wurden einige dieser Verknüpfungen bereits behandelt1044. Speziell aus der grundgesetzlichen Perspektive sind derartige Verzahnungsansätze bedeutsame 1040  Anschaulich nachgezeichnet etwa bei M. Hertig Randall, EuGRZ 2014, 5 ff.; M. Ludwigs, EuGRZ 2014, 273 ff.; A. Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 ff. 1041  Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 7 mit weiterführenden Nachweisen. 1042  Besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat diesem Feld H. Sauer, Jurisdik­ tionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 261 ff., 356, 371 ff.; ders., Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S.  1 ff., ders., EuGRZ 2011, 195 ff. Auf seine Beiträge sei an dieser Stelle vornehmlich verwiesen; vgl. darüber hinaus die eingehende Darstellung von J. F. Lindner, EuR 42 (2007), 160 ff. 1043  A. Fontaine, Die Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit der Unionsgrundrechte bei militärischen Operationen der Europäischen Union, 2017, S. 395; M. Knauff, ­ZaöRV 68 (2008), 453 (482). 1044  Zu Art. 52 Abs. 3 GrCh oben S. 232  ff. Zum Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung im deutschen Verfassungsrecht S. 259 ff.; zum bundesver-

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D. Synthese

Treiber inhaltlicher Konvergenz: Die europarechtskonforme und völkerrechtsfreundliche Auslegung statuieren jeweils verbindliche Anpassungsgebote für das nationale Recht, das die beiden betreffenden Ebenen infolgedessen nicht nur als bloß fakultative Auslegungshilfen zu Rate zieht1045. Es greift jedoch zu kurz, die inhaltlichen Zuströme zwischen den Ebenen aus einer einseitigen Perspektive zu betrachten. Die Konvergenz im grundrechtlichen europäischen Mehrebenensystem ist vielmehr eine übergreifende und wechselseitige. Zu der bisher vornehmlich beleuchteten Einwirkung der su­ pranationalen und zwischenstaatlichen Ebene auf das nationale Recht treten spiegelbildlich Anleihen und Impulse, die die beiden Regime dem nationalstaatlichen Verfassungsrecht regelmäßig entnehmen1046. Immer wieder greifen Europa- und Konventionsrecht auf den „Verfassungsbaukasten freiheitlich-demokratischer Staaten“1047 zurück. Dass sich etwa die Europäische Grundrechtecharta über Art. 52 Abs. 4 GrCh zur Berücksichtigung der gemeinsamen mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen als Rechtser­ kenntnisquelle bekennt, soll hier als Beispiel dienen1048. Es ist gerade das übergreifende, in verschiedene Richtungen weisende Moment, das die Konvergenz im grundrechtlichen europäischen Mehrebenensystem ausmacht. Seine Hervorhebung ist von besonderer Bedeutung, um den Blick nicht dimensionsspezifisch auf ein Rechtsregime zu verengen. Zudem gibt der Verweis auf die Wechselseitigkeit dem speziell im nationalen Verfassungskontext schwelenden Narrativ, die eigenen Grundrechte und Verfassungsprinzipien stünden zwischen den Mühlsteinen des Europa- und Völkerrechts und würden aufgrund eines schlichten Übertrags „fremder“ Wertungen an Ort und Stelle bis zur Unkenntlichkeit zermahlen, von Beginn an keinen Raum zur Entfaltung. Der im Europa- und Konventionsrecht normativ eher vereinzelt sichtbare, aber effektive Wirkungspfad vom Nationalen ins Überstaatliche dient gerade als Absicherung nationaler Identitätsvorbehalte und Schutz vor

fassungsgerichtlichen Paradigmenwechsel bezüglich der Europäischen Grundrechtecharta S. 222 ff. 1045  Mit eben dieser Unterscheidung Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S.  45 ff.; ders., EuGRZ 2011, 195 (198). 1046  M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 (485 f.), der gerade die Gegenseitigkeit der Befruchtung wiederholt hervorhebt (ebd., 487 ff.); ferner M. Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249); D. Thym, JZ 2015, 53 (59). Mit Blick auf die Rechtsprechung der drei zentral beteiligten Gerichte ebenso A. Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (4, 7 f.). 1047  M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 (485). 1048  Mit demselben Bezug D. Thym, JZ 2015, 53 (59); zurückhaltend hinsichtlich der Anpassungskraft des Art. 52 Abs. 4 GrCh Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 57. – Zur Rezeption der Verfassungstradition in den Mitgliedstaaten bezüglich der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten über Art. 52 Abs. 4 GrCh bereits oben S. 204.



I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem273

Unitarisierung1049. In einem Konstrukt differenzierter Grundrechtsebenen eröffnet namentlich die Fusion einen Raum für die partikulare Identitätskon­ struktion, der bei einer Trennung der Sphären verschlossen bliebe1050. Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem darf demzufolge nicht als Rechtsvereinheitlichung missverstanden werden, deren Ziel es ist, drei tektonische Platten unterschiedslos zu vereinigen. Damit sei ihr allerdings genauso wenig Zufälligkeit unterstellt: Die Konvergenz mag ein subtiler Prozess sein, ist aber keineswegs ein willkürlicher. Insbesondere gesetzlich verankerte Berücksichtigungsgebote wie Art. 52 Abs. 3 GrCh zielen bewusst und schon ihrem Wortlaut nach auf eine Annäherung. Zweck der inhaltlichen Annäherung ist allerdings vielmehr, Reibungspunkte zu glätten und ein Potential auszuschöpfen, das dem Kollisionsrecht vorausgeht – inhaltliche Konvergenz ist mithin ein Mittel der Konfliktvermeidung1051. Gegenseitiges Verständnis der Rechtsordnungen für die Wertungen der jeweils anderen ist dabei Voraussetzung und Folge zugleich1052. Bei der Frage nach einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationen hat ein Blick auf die verschiedenen Ebenen des europäischen Grundrechtsschutzes zumindest eine inhaltliche Annäherung zwischen Europäischer Grundrechtecharta und dem Konventionsrecht offenbart1053. Bezieht man die grundgesetzliche Ebene mit ein, sei zunächst eine allgemeine Beobachtung vorweg geschickt: Die Wege auf dem Wirkungspfad vom Nationalen ins Überstaatliche lassen sich angesichts eines komplexen Rechtsetzungsprozesses und kaum zurückzuverfolgender Interessenkoordination nicht immer leicht ergründen, so dass die Intensität, mit der sich supra1049  D. Thym, JZ 2015, 53 (58 f.), der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass Entscheidungen von EuGH und EGMR oftmals stärker an nationalen Lösungsvorschlägen Orientierung nähmen, als es schlussendlich in den Entscheidungsgründen Ausdruck finde; in der Sache ähnlich A. Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (4, 7). Skeptischer zur Bedeutung nationaler Impulse für das supra- und internationale Recht dagegen immer wieder Fontaine, Anwendbarkeit (Fn. 1043), S.  400 ff., 410 ff., 413 ff. 1050  D. Thym, JZ 2015, 53 (59). Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts spricht A. Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (8) von der „bedeutsame[n] Kompensationsmöglichkeit, im europäischen Mehrebenensystem an der Errichtung einer verbindlichen gemeineuropäischen Verfassungsordnung mit europaweiten Grundrechtsstandards mitzuwirken und dabei auch den Kooperations- und Kohärenzprozess im Rechtsprechungsverbund des EuGH und des EGMR sachkundig zu begleiten“. 1051  Fontaine, Anwendbarkeit (Fn. 1043), S.  395 f.; Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S.  57 f., 65 f.; ders., EuGRZ 2011, 195 (198). Dagegen bleibt D. Thym, JZ 2015, 53 (61 f.) nicht beim Aspekt der Konfliktvermeidung stehen und hebt das Gestaltungspotential hervor, das dem Prozess der Konvergenz aus seiner Sicht zusätzlich innewohne. 1052  Jedenfalls zur Folgenseite Sauer, Grundrechtskollisionsrecht (Fn. 1012), S. 57. 1053  Dazu eingehend oben S. 254 ff.

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D. Synthese

und internationale Regeln von bestimmten nationalen Wertungen inspirieren lassen, nicht immer detailliert skalierbar ist1054. Das ist indes nicht der Grund, weshalb der Einfluss des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes zur Beurteilung der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten in diesem Zusammenhang kaum kenntlich zu machen ist. Denn auch inhaltlich findet der entsprechende Karlsruher Ansatz schlicht keinen Widerhall im europäischen Mehrebenensystem1055. Weder die strikte Deduktion der eigenen Prämissen aus dem Prinzip der Menschenwürde noch die Konstruktion eines Durchgriffs auf die natürlichen Personen „hinter“ einer juristischen Organisationseinheit finden auf europa- oder menschenrechtlicher Ebene Anerkennung, auch wenn beide Begründungsstränge in anderen Zusammenhängen sehr wohl Berücksichtigung finden1056. Dass namentlich die Rechtslage unter der Europäischen Grundrechtecharta bisher im Peripheriebereich der drittstaatlich getragenen Unternehmen näher ausgestaltet wurde und weiter in der Entwicklung begriffen ist, schwächt diesen Befund nicht ab: Auch in Bezug auf drittstaatlich getragene Organisationseinheiten müsste etwa die strikte Orientierung an der Menschenwürde ein Ausschlusskriterium darstellen, sollte die europäische Gerichtsbarkeit den deutschen Ansatz seiner Wertung nach tatsächlich rezipieren. Die diesbezügliche Semantik in den Materialien zur Europäischen Grundrechtecharta wäre einer Übertragung auf andere Bereiche jedenfalls durchaus zugänglich1057. Vor diesem Hintergrund geht der Anpassungsdruck, den Konvergenzbewegungen im europäischen Mehrebenensystem entfalten können1058, in der Frage der Grundrechtsbe1054  So zumindest für den europarechtlichen Zusammenhang A. J.  Menéndez, ELJ 15 (2009), 277 (297 ff.); D. Thym, JZ 2015, 53 (59). 1055  Zur mangelnden Anschlussfähigkeit des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes wiederholt oben S. 227, 258 f., 265 f., 268 f. 1056  So bekennt sich der Europäische Gerichtshof zwar zur Zentrierung des europarechtlichen Grundrechtsschutzes auf die Menschenwürde, hält diesen Gedanken bei der Frage nach der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen allerdings offenbar nicht für berücksichtigungswürdig, dazu oben S. 215 f. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neigt mangels eines einheitlichen dogmatischen Fundaments bezüglich des Umgangs mit der juristischen Person zeitweise dem Gedanken des Durchgriffs zu, um die Menschenrechtssubjektivität juristischer Personen des Privatrechts zu beurteilen, wendet dieses Vorgehen im Zusammenhang mit juristischen Personen in staatlicher Hand allerdings nicht an, s. oben S. 241 f., 248. 1057  Dort wird die Menschenwürde als „das eigentliche Fundament der Grundrechte“ eingeordnet, Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, Amtsblatt der Europäischen Union, 2007/C 303/02 ff. (303/17). 1058  Aus der Richtung vom Überstaatlichen ins Nationale M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), 453 (484, 487 f.); aus der Richtung vom Nationalen ins Überstaatliche U. Hufeld/H. Rathke, EuR-Beiheft 3/2013, 7 (13) und D. Thym, JZ 2015, 53 (59), die insoweit von „Äquivalenzdruck“ gegenüber dem EuGH resp. EuGH und EGMR sprechen.



I. Der Wert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem275

rechtigung staatlich getragener Einheiten von den überstaatlichen Ebenen aus und wirkt insbesondere auf das Grundgesetz ein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht eben jenem Anpassungsdruck im Atomausstiegsurteil zu begegnen versuchte, indem es – wenn auch unter stetiger Betonung des Ausnahmecharakters der Fallkonstellation – die europäischen Grundfreiheiten zum Standbein seiner rechtlichen Bewertung machte und die Einbeziehung der menschenrechtlichen Ebene zumindest andeutete1059. Ein größerer inhaltlicher Schritt in Richtung supra- und konventionsrechtlicher Ebene könnte dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden und die Integrität des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes zu stärken. Jedenfalls würde er aber die konsistente Berücksichtigung möglicherweise auch zukünftig differierender Antworten von Europäischer Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention auf die Frage nach der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationen vereinfachen1060, auch wenn davon auszugehen ist, dass sich die Ansätze auf beiden Ebenen noch weiterentwickeln, verändern und vertiefen werden. Dass damit notwendigerweise ein und derselbe Maßstab auf allen drei Ebenen zur Anwendung kommen müsste, ist damit ebenso wenig gesagt wie ein Gleichlaufen der Ergebnisse hinsichtlich konkreter staatlich getragener juristischer Personen gefordert wird. Auch bliebe die deutsche Verfassungsidentität von einem solchen Schritt unangetastet1061. Die folgenden Ausführungen zur Modifikation des nationalen An1059  Ausführlich zu diesen Aspekten der Entscheidung BVerfGE 143, 246 ff. oben S. 164 ff., 174 ff. 1060  Gerade diese präventive Wirkung der Konvergenz sowie die positiven Folgeerscheinungen der inhaltlichen Annäherung zweier Ebenen für die Beziehung der einen Rechtsordnung zu einer anderen sprechen dafür, die Konvergenz wie hier als Vorstufe zu zwingenden Kollisionsnormen einzuordnen. Die von H. Sauer, Rechtstheorie 44 (2013), 503 (536) geäußerte Ansicht, „harte“ Konfliktlösung im Wege der Normierung gehe der „weichen“ Konvergenz vor, ist damit nicht unvereinbar. Sie ist nicht chronologisch, sondern hierarchisch gedacht und bezieht sich explizit auf den Gedanken, dass die inhaltliche Annäherung nicht den Gehalt einer ausdrücklichen Vorrangregel unterminieren dürfe. Bei der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten ist diese Gefahr eine unbedeutende, da eine wechselseitig anerkannte Kollisionsnorm hinsichtlich des Konventionsrechts nicht existiert und eine potentiell großzügigere – ggf. an der EGMR-Rechtsprechung orientierte – Handhabe im Europarecht dem deutschen Ansatz angesichts des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs in den entsprechenden Fällen vorginge; vgl. zum Anwendungsvorrang als Kollisionsnorm nur Sauer, Staatsrecht III (Fn. 1027), § 8 Rn. 30 ff. 1061  Die bundesverfassungsgerichtliche Durchgriffsthese mit ihrer individualistischen Grundlage gehört schon aufgrund der zahlreichen Relativierungen und Durchbrechungen, die das Gericht selbst formuliert hat, nicht zum identitätsstiftenden Besitzstand des deutschen Grundgesetzes, näher dazu oben S. 169 f.; vgl. im Zusammenhang mit der EMRK auch S. 263 mit Fn. 1020. Hinsichtlich der „Europäisierung“ des Art. 19  Abs. 3  GG formuliert Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 311 gar die These, eine Erweiterung des Schutzbereichs könne den Wesensgehalt der Grundrechte

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D. Synthese

satzes sind im Lichte der soeben formulierten Prämissen zu lesen. Die Verfassungsinterpretation ist dazu aufgerufen, die eigenen festgefahrenen Muster im Angesicht eines immer stärker ebenenübergreifend ausgerichteten Grundrechtsschutzes zu überdenken und die deutsche Grundrechtsdogmatik daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie sich im europäischen Konvergenzprozess als rezeptionsoffen und anschlussfähig erweist1062.

II. Gedanken zur Grundrechtstheorie Das Bundesverfassungsgericht stützt sich bei der Beurteilung einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten in besonderem Maße auf eine grundrechtstheoretische Argumentation. Dabei bringt es das Wertsystem der Grundrechte, die Verwurzelung in der Menschenwürde sowie die vorstaatlich gedachte Freiheit des Einzelnen gegen den potentiell übergriffigen Staat als vermeintlich unabdingbare Orientierungspunkte in Stellung und nimmt an, dass all diese Aspekte bis in die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG hinein durchgreifen. Zunächst soll die Karlsruher Lesart in der Gruppe der überkommenen Grundrechtstheorien verortet werden. Im Anschluss sei verallgemeinernd die Frage nach dem Mehrwert der Grundrechtstheorie für die Ableitung konkreter Auslegungs­ maximen aufgeworfen. Da das Bundesverfassungsgericht der Grundrechtstheorie im vorliegenden Untersuchungszusammenhang eine so übermächtige Bedeutung zuschreibt, soll seinen Gedanken auch inhaltlich nachgegangen und untersucht werden, ob sein menschenwürdeorientierter und binär codierter grundrechtstheoretischer Ansatz weiterhin von einer zutreffenden Pro­ blembeschreibung ausgeht. 1. Durchgriffskonstrukt als Ausdruck einer modifizierten liberalen Grundrechtstheorie Unter Grundrechtstheorie ist mit Ernst-Wolfgang Böckenförde eine „systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte“ zu verstevon vornherein nicht antasten, wobei fraglich ist, ob er dabei tatsächlich auch eine erweiterte Lesart des persönlichen Schutzbereichs zugunsten staatlich getragener juristischer Personen vor Augen hatte. Anders als hier ordnet Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 288, 294 f. das anthropozentrische Grundrechtsverständnis des Verfassungsgerichts ohne tiefergehende Begründung dem Wesensgehalt der Grundrechte zu. 1062  Formuliert hat diesen Aufruf namentlich D. Thym, JZ 2015, 53 (62); ders., JZ 2020, 1017 (1026).



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie277

hen1063. Die Formulierung einer Grundrechtstheorie ist ein umfassendes In­ strument der Grundrechtsinterpretation und dient der Einbettung der Grundrechte in einen übergreifenden Zusammenhang, ausgehend von einer bestimmten Staatsauffassung oder Verfassungstheorie1064. Mit der liberalen, der institutionellen, der demokratisch-funktionalen und der sozialstaatlichen Theorie sowie der Werttheorie werden gemeinhin fünf grundrechtstheoretische Spielarten unterschieden, die den Schwerpunkt ihrer konzeptionellen Ausrichtung weitestgehend bereits im Namen tragen1065. Bei den jeweiligen Ansätzen handelt es sich aus Sicht der Rechtsanwendung freilich mehr um handwerkliche Typisierungen als um gedanklich geschlossene Gesamtsysteme. Gerade das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit in Abhängigkeit zur konkret behandelten Rechtsfrage zumindest der Sache nach auf ausgewählte Aspekte unterschiedlicher theoretischer Ansätze rekurriert1066. Bei der Frage nach der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen verfährt es nach einem ähnlichen Muster. Hier verbindet das Gericht einzelne Elemente der verschiedenen grundrechtstheoretischen Ansätze, wenn es seine sinnstiftende Linie zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG formuliert1067: „Das Wertsystem der Grundrechte geht von der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen als natürlicher Person aus. Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen 1063  So die Definition in dem diskursprägenden Aufsatz von E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1529). – Die Grundrechtstheorie zählt zu den Unterkategorien der allgemeinen Verfassungstheorie. Die letztere hat in der jüngeren Vergangenheit als Forschungsgegenstand eine gewisse Renaissance erfahren, grundlegend M. Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009. 1064  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1529). 1065  Mit dieser maßgeblichen Gruppierung erstmals E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 ff.); eingehende Darstellungen der einzelnen Theorien im Anschluss an Böckenförde finden sich bei R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 510 ff. und K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  III/2., 1994, S. 1682 ff. Ein prägnanter Überblick über alternative Einteilungsversuche dieser Zeit findet sich bei W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 50 ff. Da Bö­ ckenfördes Gedanken allerdings noch heute paradigmatisch fortwirken, sei im Folgenden sein Systematisierungsbeitrag zugrunde gelegt. 1066  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1536  f.); Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1679, jeweils mit Nachweisen aus der älteren verfassungsgerichtlichen Judikatur. Im Ergebnis stimmt auch Alexy, Theorie (Fn. 1065), S. 515 f. dieser Beobachtung zu, wendet aber gleichzeitig ein, dass der Karlsruher Rechtsprechung gleichwohl eine Grundrechtstheorie zugrunde liege, wenn man diese als Bündel verschiedener Prinzipien begreife. 1067  Grundlegend BVerfGE 21, 362 (369). Fortgeführt in st. Rspr., BVerfGE 61, 82 (101); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (195 f.); 143, 246 (313 f., Rn. 188); 147, 50 (143, Rn. 239); BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783); NJW 1995, 582 (583); NVwZ-RR 2001, 93 (93); NVwZ 2009, 1282 (1282 f.).

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und ihm insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern. Von dieser zentralen Vorstellung her ist auch Art. 19 Abs. 3 GG auszulegen und anzuwenden. Sie rechtfertigt eine Einbeziehung der juristischen Personen in den Schutzbereich der Grundrechte nur, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, besonders wenn der ‚Durchgriff‘ auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen läßt“.

Evident und explizit, aber in der Sache nicht tragend ist zunächst der Bezug auf die Werttheorie. Diese sieht in den Grundrechten grundlegende Gemeinschaftswerte, die als konstituierende Faktoren eines beständigen kulturell-sozialen Integrationsvorgangs wirken und auf diesem Wege als Elemente und Mittel der Staatshervorbringung fungieren1068. Innerhalb dieses Verständnisses sind Grundrechte primär objektive Normen, die individuelle Freiheiten gewähren, um gerade eine Realisierung der im „Wertsystem Grundgesetz“ zum Ausdruck gebrachten Werte zu fördern1069. In geringerem Maße tragend ist diese theoretische Anleihe im vorliegenden Zusammenhang deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht den Charakter der Grundrechte als objektives Wertsystem nur en passant anspricht und daraus keine inhaltlichen Ableitungen formuliert, während sich seine Zentralaussage vielmehr an einem ganz bestimmten Wert orientiert: der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen. Das Gericht hebt selbst zuvorderst darauf ab, dass der theoretische Kompass, an dem es sich bei der Zuerkennung von Grundrechten an juristische Personen über Art. 19 Abs. 3 GG zu orientieren gelte, der Schutz der Freiheitssphäre des Einzelnen gegen staatliche Übergriffe sei. Ausgerichtet ist die Karlsruher Begründung demnach in besonderer Weise auf den Gedanken der liberalen Grundrechtstheorie1070. Diese geht von dem Fundamentalprinzip der Freiheit des Einzelnen aus und betrachtet sie als eine vorstaatliche, d. h. in ihrer Substanz dem Zugriff des Staates entzogene. In der Konsequenz dessen begreift sie die Grundrechte als entscheidende Sicherung eben jener Freiheit gegen staatlicherseits verursachte Bedrohungslagen1071. Grundrechtliche Freiheit ist nach der liberalen Grundrechtstheorie Freiheit schlechthin – sie ist keinen bestimmten Zielen oder Zwecken unterworfen, sondern steht allein im Belieben des Einzel1068  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533); Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1684 f., jeweils mit Bezug auf die Integrationslehre Smends. 1069  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533); Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 53. Sachs (Fn. 395), Vor Art. 1 Rn. 66 spricht von einem Verständnis der Grundrechte als „inhaltliche Vorgaben für wertgerechte Betätigung“. 1070  Ebenso Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 93. 1071  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 20 f.; Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1682.



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie279

nen1072. Von essentieller Bedeutung ist hier ein dichotomes Verständnis von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre, die sich in ihrem grundsätzlichen Verhältnis als Antipoden gegenüberstehen1073. Diese Annahme kommt in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft immer wieder und in unterschiedlicher Gestalt zum Ausdruck1074. Seinen eng am Kerngedanken der liberalen Grundrechtstheorie ausgerichteten Ansatz ergänzt das Bundesverfassungsgericht in zweifacher Hinsicht. Zum einen tritt das rechtstatsächliche Element der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie hinzu. Die letztere geht vom Ausgrenzungsgedanken ihres liberalen Pendants im Hinblick auf die Position der Gesellschaft zum Staat aus, reichert ihn aber um die Einschätzung an, dass grundrechtliche Freiheit in sozialer Abhängigkeit ausgeübt werde, sie als eine reale Freiheit der effektiven Sicherung bedürfe und der Staat im Lichte der Grundrechte als Garant ihrer tatsächlichen Realisierung auftreten müsse1075. Die faktische Freiheit wird damit gegenüber der rechtlichen Freiheit zum mindestens ebenbürtig zu berücksichtigenden grundrechtlichen Prinzip1076. Zum anderen klingen im Duktus des Gerichts deutliche Züge der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie an1077. Sie verknüpft die Gewährleistung von Grundrechten primär mit dem Zweck, 1072  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.); Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 55; Sachs (Fn. 395), Vor Art. 1 Rn. 64; mit den Worten Böckenfördes auch Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  93 f. 1073  Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 20 f., 180, 182; vgl. ferner im Grenzbereich zwischen Staats- und Grundrechtstheorie F. Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2101). In diesem Sinne überträgt E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530) die Gedanken der liberalen Theorie vom Einzelnen auf die Gesellschaft, da die Freiheitssphäre des Einzelnen „zugleich auch die Freiheitssphäre der Gesellschaft als der einzelnen in ihrem sozialen Zusammenhang ist“. Eine strikte Gegenüberstellung entnimmt der liberalen Grundrechtstheorie auch Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 93, 95. 1074  Beispielhaft genannt sei die vom Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit dem Konfusionsargument formulierte These, der Staat sei aus Sicht des Bürgers als dem ursprünglichen Träger der Grundrechte eine nicht auseinanderzudividierende Entscheidungseinheit, s. BVerfGE 21, 362 (370); vgl. dazu bereits S. 45 f. Gleiches gilt für die Darstellung innerstaatlicher Streitigkeiten als reine Kompetenzkonflikte, die das Gericht der Wahrnehmung „unabgeleiteter Freiheiten“ gegenüberstellt, ausführlich und mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen oben S. 49 ff. Zuletzt sei auf die ausdrückliche Verortung der Religionsgesellschaften im gesellschaftlichen Bereich hingewiesen, um ihre ausnahmsweise Grundrechtssubjektivität trotz eines öffentlich-rechtlichen Organisationsstatus zu rechtfertigen, BVerfGE 21, 362 (374); 42, 312 (332), vgl. auch oben S. 98 f. 1075  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1535 f.); K. H. Friauf, DVBl. 1971, 674 (677 f.); vgl. ferner die am Gedanken der Sozialgestaltung ausgerichteten Überlegungen von Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S.  201 ff., 235 ff. 1076  Alexy, Theorie (Fn. 1065), S. 511. 1077  So auch Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 94.

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einen Prozess der demokratischen Staatshervorbringung und Willensbildung zu ermöglichen und stellt ihre individuelle Ausübung demnach in den Dienst des öffentlichen Interesses1078. Beide Ergänzungen kumulieren in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn es im oben dargestellten Entscheidungsausschnitt davon ausgeht, die Grundrechte sicherten für den Einzelnen die Voraussetzungen einer freien, aktiven Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen. Das grundrechtstheoretische Fundament, auf das das Bundesverfassungsgericht seine zentralen Gedanken zum grundrechtlichen Umgang mit juristischen Personen in staatlicher Hand stützt, ist somit maßgeblich von der liberalen Grundrechtstheorie inspiriert. Eine wichtige Ergänzung findet es in der sozialstaatlichen und demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie, während die Werttheorie nur eine untergeordnete Rolle spielt1079. 2. Zum Mehrwert der Grundrechtstheorie für die konkrete Auslegung Dass das Bundesverfassungsgericht bei der Beantwortung der Frage, ob die Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG „ihrem Wesen nach“ auf juristische Personen in staatlicher Trägerschaft Anwendung finden sollten, auf Elemente verschiedener Grundrechtstheorien zurückgreift, provoziert unweigerlich die Frage nach deren Verhältnis zueinander. In der Tat zieht die Vorstellung einer beliebigen Austauschbarkeit der theoretischen Ansätze die berechtigte Kritik auf sich, ideologisch gefärbten Vorverständnissen in der Grundrechtsauslegung Tür und Tor zu öffnen. Dem Interpreten stehe mehr oder minder frei, den grundgesetzlichen Bestimmungen eine präferierte Sinnrichtung zu unterlegen, die aus ihrer Normaussage nicht nachprüfbar hervorgehe1080. Vor diesem Hintergrund ist es ein legitimes Anliegen, auf die Auto1078  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534 f.); Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 53; Sachs (Fn. 395), Vor  Art. 1 Rn. 67; Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1685  f. Allgemeiner zu funktionalen Grundrechtskonzeptionen von Ungern-Sternberg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S. 76 ff., die über die Funk­ tionsfähigkeit der Demokratie hinaus weitere mögliche Zwecksetzungen der Grundrechtsgewährleistung beleuchtet. 1079  Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 94 spricht in Bezug auf die Anreicherung der liberalen Grundrechtstheorie jedenfalls mit demokratisch-funktionalen Elementen im vorliegenden Zusammenhang von einem „Kombinationsmodell“. Dagegen geht Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 63 f. aus allgemeintheoretischer Sicht von einer Inkompatibilität der liberalen mit jedweder Spielart einer zweckgebundenen Grundrechtstheorie aus. Das Bundesverfassungsgericht scheint dieser Einschätzung zumindest im vorliegenden Zusammenhang nicht zu folgen. 1080  In diesem Sinne C. Starck, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 1 Abs. 3 Rn. 159; Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1691; ders., Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: Isensee/Kirchhof,



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rität des Grundgesetzes selbst zu verweisen, den Verfassungstext nach Anhaltspunkten für sinnstiftende theoretische Grundlagen zu untersuchen und so den Versuch zu unternehmen, eine dem Grundgesetz inhärente Grundrechtstheorie zu formulieren1081. Destilliert man in diesem Vorgehen die Strukturelemente der liberalen Grundrechtstheorie als die verfassungsgemäße Grundrechtstheorie1082, ließe sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten unter Art. 19 Abs. 3 GG mit dieser Einschätzung jedenfalls dann in Einklang bringen, wenn man die Anklänge des sozialstaatlichen und demokratischfunktionalen Ansatzes als bloß sichernde Stützräder eines selbsttragenden Konzepts begreift. Sieht man dagegen die Kombination aus verschiedenen theoretischen Ansätzen und ihre stimmige Integration gerade als zentral an, um die Komplexität und Vielfalt grundrechtlicher Bestimmungen möglichst weitgehend abbilden zu können1083, und nimmt in der Konsequenz dieses Gedankens die Kumulation der Theorien in der bundesverfassungsgerichtlichen Handhabe als solche ernst, stellt sich die Frage, wie sinnhaft oder leistungsfähig eine ohne innere Ordnung formulierte Zusammenstellung gänzlich unterschiedlicher grundrechtstheoretischer Konzepte wirklich ist1084. Doch selbst wenn man diesen Einwand außer Betracht ließe, kann die Betonung der einen verfassungsgemäßen Grundrechtstheorie eine grundsätzliche Schwäche der grundrechtstheoretischen Argumentation nicht verdecken. Sie minimiert das Risiko ideologischer Steuerung nur bedingt, da schlussendlich kaum begründbar darzulegen ist, dass etwa gerade eine modifizierte liberale Grundrechtstheorie das theoretische, die Grundrechte stützende und ihre Dogmatik prägende Fundament des Grundgesetzes ist1085. Vielmehr ist diese Annahme in sich widersprüchlich: Dass Text und Genese, die beide interpretatorisch offen sind und aus diesem Grund eine Theorie erst notwendig erscheinen lassen, wiederum selbst eine Theorie enthalten sollen, die HStR IX (Fn. 90), § 185 Rn. 30. Ähnlich auch schon E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1537); Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 72. 1081  E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1536 ff.); W. Brugger, JZ 1987, 633 (633, 635); Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S.  71 ff.; Starck (Fn. 1080), Art. 1 Abs. 3 Rn. 159. Zweifel an der Ergiebigkeit eines solchen Vorgehens äußert dagegen Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1680, 1690. 1082  So Höfling, Grundrechtsinterpretation (Fn. 1065), S. 64 f., 71 ff.; im Schwerpunkt ebenso E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1537 f.), auch wenn er seine Gedanken um Aspekte der sozialstaatlichen Theorie ergänzt. 1083  So etwa Alexy, Theorie (Fn. 1065), S.  516 ff.; W. Brugger, JZ 1987, 633 (635, 637 ff., 640). Noch weiter geht Schwabe, Probleme (Fn. 432), S. 7 f., der der Interpretation verschiedener Grundrechte jeweils mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen begegnen will. 1084  Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1691; ders. (Fn. 1080), § 185 Rn. 30. 1085  In diese Richtung auch Schwabe, Probleme (Fn. 432), S. 5.

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diese Offenheit beseitigt, mutet zirkelschlüssig an1086. Darüber hinaus impliziert die Annahme einer verfassungsgemäßen Grundrechtstheorie, dass sie als geschlossenes Gesamtsystem im Grundsatz für alle Auslegungsfragen ein universell belastbares theoretisches Konstrukt bereithält, aus dem mindestens teleologische Argumente gewonnen werden können. Diese Annahme lässt sich mit der Warnung vor einer Überforderung des Instruments der Grundrechtstheorie abschwächen, denn die Grundrechtstheorie kann und soll das grundrechtliche Argumentieren auf inhaltlich akzeptable Weise lediglich so weit wie möglich rational strukturieren und dadurch zur intersubjektiven Vermittelbarkeit grundrechtlicher Auslegungsergebnisse beitragen1087. Doch auch bei einem so reduzierten Anspruch lässt sich zumindest ein Minimum an Konsistenz einfordern. Gerade diese Konsistenz hat das Bundesverfassungsgericht im Umgang mit seiner theoretischen Fundierung vermissen lassen. Stattdessen hat das Gericht die Grundzüge seines vornehmlich der liberalen Grundrechtstheorie entstammenden Konzepts zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen durch Entscheidungen sowohl aus dem unmittelbaren Sachzusammenhang als auch aus angrenzenden Bereichen destabilisiert1088. Die Frage, ob die Prämissen der Karlsruher Theorienkumulation vornehmlich liberaler Prägung inhaltlich tatsächlich zutreffend sind, ist damit noch gar nicht berücksichtigt. Dieser kritische Blick auf den Wert der Grundrechtstheorie in der Auslegung des Grundgesetzes versteht sich als Plädoyer für einen verminderten 1086  Alexy, Theorie (Fn. 1065), S. 514 f. In diesem Sinne auch R. Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: ders./F. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, 1976, S. 13 (42 f.); M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 129 ff.; Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1691; ders. (Fn. 1080), § 185 Rn. 30. 1087  Alexy, Theorie (Fn. 1065), S. 520; vgl. ferner Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Fn. 1086), S. 107 („Platzanweisungsfunktion“). 1088  In unmittelbarem Zusammenhang mit der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft ist die Zubilligung der Grundrechtsberechtigung an ein staatlich getragenes Unternehmen aus dem EU-Ausland in BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.) das frappierendste Beispiel, dazu oben S. 158 ff. Aus den angrenzenden Bereichen ist auf die zunehmende Ausweitung der Grundrechtsbindung Privater zu verweisen, die einen eklatanten Bruch mit den Grundzügen der liberalen Grundrechtstheorie markiert, eingehend dazu oben S. 102 ff. und im weiteren Verlauf S. 293 ff. Dieser Beobachtung etwa mit dem Einwand zu begegnen, verschiedene grundrechtliche Probleme seien auf der Grundlage unterschiedlicher Theorien zu lösen, überspielt zum einen, wie diametral diese Rechtsprechungslinie der liberalen Grundrechtstheorie entgegensteht. Zum anderen bekräftigt er nur die zuvor geäußerte Kritik an der Anfälligkeit eines auf Beliebigkeit basierenden grundrechtstheoretischen „Werkzeugkastens“ für ideologische Präferenzen. Für eine Austauschbarkeit abhängig vom jeweiligen Grundrecht plädieren aber beispielsweise H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (62 f.); Schwabe, Probleme (Fn. 432), S.  7 f.



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie283

Einsatz grundrechtstheoretischer Ableitungen bei der Beurteilung der Frage nach einer potentiellen Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen und damit der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG. Gänzlich ignoriert werden können und sollten sie nicht, da allein das Ausblenden grundrechtstheoretischer Ansätze ein Einwirken bestimmter Vorverständnisse auf die Grundrechtsinterpretation nicht beseitigt. In der Beantwortung ausdifferenzierter Fragen im grundrechtlichen Graubereich kann sich kaum eine Auslegung davon freisprechen, jedenfalls auch auf ein vorgebildetes Verständnis von Verfassung und Grundrechten zu rekurrieren, ob explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst1089. Dagegen ist einem Ansatz, der seine Gedanken in essentieller Weise an einem bestimmten grundrechtstheoretischen Fundament ausrichtet und seine zentrale dogmatische Figur aus diesem herleitet, vor dem Hintergrund der dargestellten Schwachpunkte der Idee einer übergeordneten Grundrechtstheorie mit Skepsis zu begegnen. Die Auffassung, dass grundrechtstheoretische Ausführungen in der Staatslehre zwar ihren Unterscheidungswert haben, für die konkrete Auslegung einer grundgesetzlichen Bestimmung über die Vorstrukturierung der Argumentation hinaus allerdings kaum imstande sind, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, teilen selbst diejenigen, die ansonsten von der Existenz einer verfassungsgemäßen Grundrechtstheorie ausgehen1090. 3. Kernprämisse der liberalen Grundrechtstheorie unter dem Druck einer veränderten Auffassung der Beziehung von Staat und Gesellschaft Da das Bundesverfassungsgericht den grundsätzlichen Ausschluss staatlich getragener juristischer Personen aus dem Kreis der Grundrechtsberechtigten in besonderem Maße auf grundrechtstheoretische Erwägungen stützt, sei im Folgenden gleichwohl untersucht, ob und inwieweit speziell die Annahmen der liberalen Grundrechtstheorie weiterhin inhaltlich zutreffen und tatsächlich imstande sind, zuverlässige Beurteilungskriterien für den grundrechtlichen Status juristischer Personen in Staatshand zu generieren.

1089  W. Brugger, JZ 1987, 633 (633); W. Schmidt, Jura 1983, 169 (171). In der Sache ähnlich äußert sich auch Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1680, der es trotz seiner Skepsis gegenüber der Grundrechtstheorie ablehnt, ihre verschiedenen Spielarten schlicht zu ignorieren. 1090  Starck (Fn. 1080), Art. 1 Abs. 3 Rn. 159. Im Ergebnis wie hier auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Fn. 1086), S.  105 ff., 131 ff.; F. Ossenbühl, Grundsätze der Grundrechtsinterpretation, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I, 2004, § 15 Rn. 40; Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1690.

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a) Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft als überholte Realitätsbeschreibung Die liberale Grundrechtstheorie geht, wie gesehen, von der strikten Trennung zwischen Gesellschaft und Staat aus. Sie unterscheidet zwischen a pri­ ori freien und daher in der Beliebigkeit ihrer Entscheidungen schützenswerten Individuen auf der einen und dem Inhaber autoritativen Zwangs zur Einschränkung eben jener Freiheit auf der anderen Seite. Der Staat als vorhandene Einheit steht der Gesellschaft als verbundene Vielheit gegenüber1091. Als Realitätsbeschreibung entstammt dieser Gedanke der vordemokratischen geprägten Zeit und skizziert ein Staatswesen, in dem der Monarch, unterstützt von einem Apparat ergebener Staatsdiener, hoheitlich waltete, während die Gesellschaft als weitgehend abgeschotteter und von politischer Gestaltung ausgeschlossener Kosmos auf möglichst ungestörte Eigenentfaltung konzentriert war1092. Ideengeschichtlich war eine solche Zweiteilung bereits in den Gedanken der großen Staatstheoretiker des 17. Jahrhunderts um Locke und Hobbes angelegt. Sie zeichneten das Bild einer natürlichen Freiheit des Individuums in seinem Verhältnis zur gesamtheitlichen Ordnung und legten auf diese Weise den Grundstein für die These einer „vorstaatlich“ existenten, d. h. dem Staat in ihrer Substanz entzogenen Freiheit des Einzelnen, die heute als Basis der modernen Menschenrechtsidee angesehen wird1093. Gerade in der Diskussion um die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen wirken diese historischen und ideengeschichtlichen Elemente fort, wenn es einmütig und lagerübergreifend – wenngleich mit unterschiedlichen Anschlussgedanken – heißt, die Grundrechte seien ihrem Ursprung nach individuelle Abwehrrechte gegen den Staat1094. Das schließt allerdings die Beobachtung 1091  Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 189; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1995, § 1 Rn. 11. 1092  H. Ehmke, „Staat“ und „Gesellschaft“ als verfassungstheoretisches Problem, in: K. Hesse/S. Reicke/U. Scheuner (Hrsg.), Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend, 1962, S. 23 (36 f.); Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 187; K. Hesse, Grundzüge (Fn. 1091), § 1 Rn. 11; Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 3 ff. 1093  Übersichtlich, statt vieler und teils mit weiterführenden Nachweisen zu diesem Aspekt, E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973, S. 15 ff.; Dreier (Fn. 393), Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 5 f., 70. Zum Einfluss der englischen Staatsphilosophen um Hobbes und Locke auf die Grundrechtsidee im Allgemeinen etwa Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S.  75 ff. 1094  Stellvertretend einerseits Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  61 f.; Storr, Staat (Fn. 18), S. 195; andererseits R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 89; S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (250); Selmer (Fn.  132), § 53 Rn. 37. – Überzeugend warnt Poscher, Abwehrrechte (Fn. 393), S. 18 ff., 47 allerdings davor, speziell der Realgeschichte im Rückblick eine sich auf das moderne abwehrrechtliche Verständnis zuspitzende Stringenz zu unterlegen und steht der Be-



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nicht aus, dass die Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft, sollte sie denn als Ableitung aus den historischen Zusammenhängen in der hier dargestellten Form überhaupt zutreffen1095, ihren Wert als Realitätsbeschreibung spätestens im demokratischen Staat der Moderne eingebüßt hat. Die Grenzen zwischen den Kategorien verschwimmen insoweit, als sich beide nicht mehr unversöhnlich gegenüberstehen, sondern sich wechselseitig beeinflussen: Die gesellschaftliche Durchdringung des Staats im Sinne einer Teilhabe am staatlichen Wirken ist für die Demokratie wesensnotwendig, während der Staat seinerseits über die Bereitstellung des Notwendigen zur gesellschaftlichen Selbstregulierung hinaus geht und in zunehmendem Maße etwa im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich aktiv wird1096. Als Bestandsaufnahme tatsächlicher Verhältnisse ist die strikte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft heute überholt1097. Gleichwohl sei damit einer vollständigen Einebnung der Unterscheidung nicht das Wort geredet. Nicht zuletzt die schmerzvolle historische Erfahrung des Nationalsozialismus hat gezeigt, welches totalitäre Potential in der These völliger Identität von Staat und Gesellschaft ruht1098. Vielmehr dient der Hinweis auf die Unzulänglichkeit der dichotomen Unterscheidung beider Sphären, soweit man sie als Realitätsbeschreibung versteht, dazu, sich das Spezifische ihres Mehrwerts zu vergegenwärtigen. Dieser beschränkt sich aus heutiger Sicht auf die Eigenschaft als orientierender Trennstrich im Sinne einer funktionellen Differenzierung1099. In diesem Lichte sind auch die Auszeichnung des Abwehrcharakters der Grundrechte als „klassisches“ Verständnis skeptisch gegenüber. 1095  Kritisch im Hinblick auf den deutschen Konstitutionalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts Ziekow, Freizügigkeit (Fn. 113), S. 178. 1096  K. Hesse, Grundzüge (Fn. 1091), § 1 Rn. 11; W. Kahl, Jura 2002, 721 (721 f.); Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 17, 46 f.; H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (243); Vitz­ thum (Fn. 93), § 48 Rn. 19 mit Fn. 52. Zum Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Durchdringung des Staates ferner W. Frenz, VerwArch. 85 (1994), 22 (44 f.); unter Berücksichtigung der soziologischen Perspektive ebenso Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 194 ff.; vgl. früh auch schon Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S.  76 ff. 1097  Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 187, 196; Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S.  75 f.; K. Hesse, Grundzüge (Fn. 1091), § 1 Rn. 11; Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 19. Das konzediert im Ergebnis auch Rupp, Funktionen (Fn. 127), S. 1254 in seinem ansonsten auf den Wert der Dichotomie pochenden Plädoyer gegen die Aufgabe einer kategorischen Trennung von Staat und Gesellschaft. 1098  Ehmke, „Staat“ und „Gesellschaft“ (Fn. 1092), S. 25; dem Gedanken nach ähnlich K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Bettermann u. a., Grundrechte III/1 (Fn. 100), S. 1 (48 mit Fn. 125). 1099  Grabitz, Freiheit (Fn. 1071), S. 200; K. Hesse, Grundzüge (Fn. 1091), § 1 Rn. 11; S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (277 f.); Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 26 f., 29 ff., 44; speziell für den Diskussionszuschnitt um die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019)

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führungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 3 GG auszulegen, wenn es aus der strikten Trennung von staatlichem und gesellschaftlichem Bereich heraus das Kriterium der Durchgriffsthese entwickelt oder „den Staat“ als monolithische Entscheidungseinheit einordnet, deren innere Konflikte bloße Kompetenzstreitigkeiten seien1100. Staat und Gesellschaft dienen hier als Zuordnungsfunktionen der Grundrechtsberechtigung, eingekleidet in den größeren Zusammenhang der liberalen Grundrechtstheorie. b) Dualismus von Staat und Gesellschaft als tragfähiges funktionelles Differenzierungskriterium für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG? Auch wenn sein Wert aus verfassungs- und staatstheoretischer Sicht im Folgenden nicht per se in Zweifel gezogen werden soll, ist das dichotome Modell auch nach funktionellem Verständnis nicht davor gefeit, überkommene Auffassungen in den heutigen Diskurs zu transportieren1101. Darüber hinaus stellt sich im konkreten Untersuchungszusammenhang die Frage, ob die strikte Trennung von Staat und Gesellschaft weiterhin tragende Säule einer Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG sein kann und tatsächlich ein solides Fundament zur Beantwortung der Frage nach der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen legt. Zweifel daran sät eine zunehmend partnerschaftliche Zusammenarbeit von Staat und Privaten, die gerade in der Organisationsform der juristischen Person stattfindet. Darüber hinaus deutet das Bundesverfassungsgericht aus spiegelbildlicher Sicht einen Bruch mit der funktionell verstanden Dichotomie an, wenn es in jüngerer Zeit dazu tendiert, gesellschaftliche Machtkonzentration den Freiheitsgefährdungen durch staatliche Autorität gleichzusetzen und Private einer Grundrechtsbindung zu unterwerfen. Schließlich beeinflussen auch die theoretisch bislang weniger elaborierten Grundrechtsregime des europäischen Mehrebenensystems den Blick auf den Dualismus von Staat und Gesellschaft. Rn. 242 ff. – Bedeutende Beiträge zu einer solchen funktionellen Differenzierung haben insbesondere Böckenförde, Unterscheidung (Fn. 1093), S. 21 ff. und J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 149 ff. geleistet, die auf Grundlage dessen den fortwährenden Wert einer dichotomen Unterscheidung dezidiert hervorheben. Dagegen hält Ehmke, „Staat“ und „Gesellschaft“ (Fn. 1092), S.  24 f., 42 ff. die Zweiteilung auch aus funktioneller Sicht für problematisch und plädiert stattdessen für eine terminologische Hinwendung zum anglo-amerikanischen Begriffspaar „government“ und „civil society“. 1100  Zur Durchgriffsthese und ihrer ideengeschichtlichen Verankerung ausführlich S. 39 ff. Zur bundesverfassungsgerichtlichen Sicht auf den Staat als einheitliche Entscheidungseinheit und die These von den Kompetenzkonflikten S. 49 ff. 1101  K. Hesse, Grundzüge (Fn. 1091), § 1 Rn. 11.



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie287

aa) Public Private Partnerships: Vielfältige Kooperation von Staat und Privaten Das Bild von den Antipoden Staat und Gesellschaft, bei dem die letztere das Handeln des ersteren als autoritative Bedrohung der eigenen Freiheit betrachtet und ihm in grundrechtlich fundierter Abwehrhaltung gegenübertritt, verliert auch und gerade als funktionelle Unterscheidung an Überzeugungskraft, wenn die Überschreitungsmomente dieser starren Grenze in einem Maße zunehmen, das strukturelle Züge trägt. Angesprochen ist damit die zunehmende Kooperation zwischen staatlichen Einheiten und Privaten in der Form der sog. Öffentlich-Privaten Partnerschaften bzw. der Public Private Partnerships1102. Der Begriff bezeichnet ein Zusammenwirken öf­ fent­licher und privater Akteure im Rahmen eines längerfristig angelegten, durch eine gemeinsame Zielsetzung gekennzeichneten Projekts auf vertraglicher Basis in verantwortungs- und risikoteiliger Art und Weise, wobei der private Partner einen substantiellen Beitrag zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe übernimmt1103. Terminologische Erschließungsversuche wie diese sehen sich zwar aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrads und der Verwendung wenig konturierter, interpretationsoffener Einzelbegriffe immer wieder der Kritik ausgesetzt1104. Für die vorliegenden Zwecke bieten sie gleichwohl eine hinreichende Erkenntnisgrundlage. Denn der Sache nach hebt 1102  Zu den Begrifflichkeiten M. Weber/M. Schäfer/F. L. Hausmann, Einführung, in: dies. (Hrsg.), Praxishandbuch Public Private Partnership, 2. Auflage 2018, S. 1 ff.; knapp auch J. Bonk, DVBl. 2004, 141 (143). Im Folgenden wird der englische Ausdruck vorgezogen, da er zum einen auf den Ursprung im anglo-amerikanischen Recht verweist und zum anderen eine missverständliche Einengung der Begrifflichkeit nach dem deutschen Partnerschaftsbegriff vermeidet; zu ersterem Aspekt D. Budäus/ G. Grüning, Public Private Partnership – Konzeption und Probleme eines Instruments zur Verwaltungsreform aus Sicht der Public Choice-Theorie, in: D. Budäus/P. Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership, 1997, S. 25 (25 f., 42 f.); zu letzterem L. Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften (Public Private Partnerships), 2018, S. 207  f.; P. J. Tettinger, DÖV 1996, 764 (764). 1103  J. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Auflage 2020, § 8 Rn. 6. Einen Überblick über weitere Definitionsansätze sowohl von Seiten des Gesetzgebers als auch aus der rechtswissenschaftlichen Literatur gibt Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften (Fn. 1102), S.  209 ff. 1104  M. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S.  99; J. A. Kämmerer, Privatisierung. Typologie – Determinanten – Rechtspraxis – Folgen, 2001, S.  56 ff.; P. J. Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (1 f.). – Der Kritik lässt sich allerdings mit dem nüchternen Befund begegnen, dass PPPs in Deutschland als vielgestaltiges Phänomen in „chamäleonhafte[r] Faktizität“ (J. Ziekow/A. Windoffer, NZBau 2005, 665 [667]) schwerlich begrifflich zu fassen sind. Ihre praktische Bedeutung und die zweifelsohne bestehenden Spezifika in der Abgrenzung zu anderen Spielarten der Beziehung von Staat und Privaten sollten dagegen nicht von Konflikten um die Definition verdeckt werden, J. Ziekow/A. Windoffer, ebd., 665 (666 f.); für einen zu-

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D. Synthese

j­eder Bestimmungsversuch im Mindesten auf einen hier besonders gewichtigen Kerngesichtspunkt ab: die spezifische Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten1105. Es ist gerade ein solch strukturelles Zusammenwirken beider Seiten, das Zweifel an der Tauglichkeit eines funktio­ nellen, auf Trennung basierenden Maßstabs im Rahmen des Art.  19 Abs. 3 GG begründet. Prominent hat sich diese Unsicherheit im – rechtswissenschaftlich eingehend diskutierten1106 – grundrechtlichen Umgang mit sog. gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen offenbart. In dieser institutionalisierten Form der Public Private Partnership beteiligen sich ein oder mehrere staatliche Träger auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene gemeinsam mit einem privaten Träger an einer juristischen Person des Privatrechts, um die vereinbarte Zielsetzung über dieses separate organisatorische Vehikel zu realisieren1107. Das Bundesverfassungsgericht hat sich für eine einheitliche Beurteilung des Grundrechtsstatus eines solchen Unternehmens ausgesprochen und damit sowohl berechtigten rechtspraktischen Bedenken gegenüber jeder Form der Abstufung Rechnung getragen als auch den in Art. 19 Abs. 3 GG artikulierten Eigenwert juristischer Personen berücksichtigt1108. Gleichwohl hat es den frappierenden Bruch mit dem dichotomen Grundgedanken der eigenen Rechtsprechung ignoriert, den eine institutionalisierte, strategische Partnerschaft zwischen Staat und Privaten markiert1109. Stattdessen hat es sich um eine Einpassung der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen in das tradierte Konzept bemüht und auf die Beherrschung durch die öffentliche Hand abgestellt, um die juristische Person grundrechtmindest heuristischen Mehrwert des Begriffs auch M. Eifert, VerwArch. 93 (2002), 561 (562). 1105  In diesem Sinne statt vieler J. Bonk, DVBl. 2004, 141 (141); P. J. Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (2). Eingehend zur Kooperation als Teilaspekt der Begriffsbestimmung Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften (Fn. 1102), S. 323 ff. Vgl. aus europäischer Sicht auch die Definition der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den Gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM (2004) 0327, S. 3. 1106  Exemplarisch aus der periodisch aufflammenden Diskussion etwa M. Gold­ hammer, JuS 2014, 891 ff.; J. P. Schaefer, Der Staat 51 (2012), 251 ff.; Schmidt-Aß­ mann, Bedeutung (Fn. 30), S.  383 ff.; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S.  49 ff., 224 ff. 1107  Zu dieser Sonderform der PPPs übersichtlich etwa H. J. Bonk/W. Neumann/ T. Siegel, in: M. Sachs/H. Schmitz (Hrsg.), Stelkens/Bonk/Sachs – Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 9. Auflage 2018, § 54 Rn. 79; Storr, Staat (Fn. 18), S. 50. Für einen Überblick über Erscheinungsformen und Beispiele der Beteiligungen von Bund, Land und Kommunen s. oben S. 135 ff. 1108  BVerfGE 128, 226 (246). Gegen eine gestufte Betrachtung des Grundrechtsstatus statt vieler Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  158  m. w. N. 1109  In diesem Sinne auch T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (17 f.).



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie289

lich zu verorten1110. Dieses Beherrschungskriterium hat seinerseits neue, sowohl grundlegende als auch einzelfallorientierte Fragen aufgeworfen1111. Maßgeblich ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings ein grundlegender Aspekt: Das Beherrschungskriterium leidet unter dem theoretischen Geburtsfehler, dass es aus einer Prämisse – Dichotomie von Staat und Gesellschaft – heraus entwickelt wurde, die der zu lösende Problemfall selbst infrage stellt. Dass das Bundesverfassungsgericht diese veränderten Vorzeichen des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf die funk­ tionale Trennung beider Bereiche ignoriert und der rechtlichen Problemfrage das übliche Schema überzustülpen versucht, mag sich in einem Gros der Fälle mit dem praktischen Mehrwert des Beherrschungskriteriums kaschieren lassen. Die Grenzen einer solchen Handhabe zeigen sich in weniger eindeutigen Konstellationen. So kann der bundesverfassungsgerichtliche Maßstab nur eine behelfsmäßige Lösung bieten, sollten die Anteile an einer juristischen Person exakt hälftig zwischen einem deutschen Hoheitsträger und einem privat oder fremdstaatlich getragenen Unternehmen aufgeteilt sein, wie es etwa bei der Trägergesellschaft des Düsseldorfer Flughafens der Fall ist1112. Die Anwendung des Beherrschungskriteriums sieht sich bei einer solchen, augenscheinlich auf Gleichberechtigung ausgerichteten Kooperationsform höheren Hürden ausgesetzt. Gleichwohl ist sie nicht unmöglich, wenn man einen breiteren Ansatz verfolgt und Kontrollinstrumente wie vertragliche Vereinbarungen zugunsten des staatlichen Seite zur Begründung einer Vormachtstellung in der Unternehmensführung ausreichen lässt. Ruft man sich dagegen den Ursprung und Zweck dieses Kriteriums ins Gedächtnis, stellt sich die zuvor aufgeworfene Legitimationsfrage. Denn die staatliche Beherr1110  Paradigmatisch ist in diesem Zusammenhang das bereits zitierte Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 128, 226 (244 ff.), auch wenn es spiegelbildlich zur Grundrechtsbindung eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens ergangen ist. Zur Einordnung der Entscheidung ausführlich oben S. 140 f., 143 ff. 1111  Zu diesen Fragen näher oben S. 145 ff.  – J. P. Schaefer, Der Staat 51 (2012), 251 (258 f.) vertritt aus der Perspektive der Verantwortungsteilung gar die These, dass der verfassungsgerichtliche Ansatz über das Beherrschungskriterium den Grundsätzen der liberalen Grundrechtstheorie und der Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft widerspricht. Der Rückzug des Staates aus der Erfüllungsverantwortung müsse aus seiner Sicht mit einer Aktivierung des Bürgers einschließlich seiner Abwehr- und Teilhaberechte und nicht umgekehrt mit seiner Unterwerfung unter die Grundrechtsbindung beantwortet werden. 1112  Die Gesellschafter der Flughafen Düsseldorf GmbH sind je hälftig (mittelbar) die Landeshauptstadt Düsseldorf und die Airport Partners GmbH, wobei sich letztere wiederum aus zwei privaten und einem mittelbar vom irischen Staat gehaltenen Unternehmen zusammensetzt, s. dazu nur andeutungsweise Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2020, S. 34, 43; mit detaillierteren Zahlen noch Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2018, S. 6.

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schung speist sich aus einem Konzept, das im funktionellen Sinne von einer strikten, gar argwöhnischen Stellung von Gesellschaft und Staat zueinander ausgeht, und dient der Zuordnung einer juristischen Person, in der Akteure aus beiden Kreisen zusammenwirken, zu einem dieser Pole. Wie aber soll eine solche Zuordnung Grundlage einer tragfähigen Problemlösung sein, wenn der aufgeworfene rechtliche Problemfall gerade darin besteht, dass Akteure beider Sphären in institutionalisierter Form zusammenwirken und sich einem gemeinsamen Ziel verschrieben haben1113? In diesem Fall von einer Eingruppierung des Unternehmens in die Kategorie „Staat“ auszugehen und die juristische Person aus grundrechtlicher Sicht derselben Ordnung zuzuschreiben wie etwa weisungsabhängige Behörden, kann unter Wertungs­ gesichtspunkten nicht überzeugen und belegt, wie wenig Raum für Differenzierung die bundesverfassungsgerichtliche Blockbildung eröffnet. Eine ähnliche Frage stellt sich für weitere Erscheinungsformen von Public Private Partnerships jenseits ihrer institutionalisierten Form. Sowohl hinsichtlich der beteiligten Träger öffentlicher Gewalt als auch bezüglich der konkret bestellten Sachgebiete lässt sich konstatieren, dass sich diese besondere Form der Zusammenarbeit durch ein hohes Maß an Vielfältigkeit auszeichnet1114. Gleiches gilt für ihre rechtliche Ausgestaltung: Aus rechtspraktischer Sicht vollzieht sich die Kooperation in Public Private Partnerships in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Modi, die insbesondere nach dem „Wie“ der vertraglichen Lastenverteilung differenziert werden können1115. Kennzeichnend ist in einem Gros dieser Fälle, dass die tatsächliche Realisierung eines Projekts von der Planung bis zur handwerklichen Umsetzung einer rein privat getragenen juristischen Person zukommt, während die staatliche Gegenleistung außerhalb einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung etwa in der Pflicht zum Betrieb, zum Eigentumserwerb oder zu einer Entgeltzahlung 1113  Ein solches, in der Regel vertraglich festgelegtes Unternehmensziel wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die Gemeinwohlverpflichtung des Staates auf der einen und das Streben nach Gewinnmaximierung des/der Privaten auf der anderen Seite das Potential der Gegensätzlichkeit in sich tragen und möglicherweise zu Spannungen führen können, dazu bereits oben S. 136; vgl. zu PPP im Allgemeinen auch J. Ziekow/A. Windoffer, NZBau 2005, 665 (667). 1114  Budäus/Grüning (Fn. 1102), S.  40 f.; P. J. Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (7 ff., 10); J. Ziekow/A. Windoffer, NZBau 2005, 665 (665 f.). – Abgesehen von der Gemeinsamkeit der rechtlichen Verfasstheit in Form einer juristischen Person, gilt für den Unterfall der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nichts anderes, dazu oben S. 135 ff. 1115  Eine übersichtliche Auflistung findet sich bei Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht (Fn. 1103), § 8 Rn. 7; ausführlich auch Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften (Fn. 1102), S. 153 ff. Grundsätzlich kritisch in Bezug auf einen ausufernden „Modell-Dschungel“, wenngleich nicht ohne einen eigenen Gruppierungsversuch P. J. Tettinger, DÖV 1996, 764 (765 f.).



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie291

liegt1116. Schon mit Blick auf haushaltsrechtliche Vorgaben und die staatliche Gewährleistungsverantwortung ist der staatliche Akteur allerdings auch in diesen Formen der Zusammenarbeit verpflichtet, auf weitgehenden Entscheidungsbefugnissen zu bestehen1117. Wann in diesen teils äußerst heterogen ausgestalteten Fällen eine Schwelle überschritten ist, bei der von einer der Beherrschung entsprechenden Kontrolle durch die staatliche Seite ausgegangen werden kann, ist allerdings unklar. Nach dem Vorgesagten läge darin ohnehin kein tragfähiger Ansatz, um die Schutzwürdigkeit einer juristischen Person angemessen beurteilen zu können. Denn ein solcher beginge erneut den Fehler, problematischen Fällen einer ausdifferenzierten Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten die binäre Codierung des Bundesverfassungsgerichts überzustülpen und zu ignorieren, dass gerade diese Fälle die Codierung infrage stellen. Zudem sähe sich eine solche Betrachtung mit der delikaten Frage konfrontiert, ob auch das private Unternehmen, das in vielen Erscheinungsformen der Public Private Partnership die konkrete Ausgestaltung und 1116  Dazu C. Schede/D. Benighaus, Vertragsrechtliche Grundlagen, in: Weber/ Schäfer/Hausmann, Praxishandbuch PPP (Fn. 1102), S. 295 (295 f.). Der inhaltliche Zuschnitt der soeben dargestellten Eingruppierungsversuche nach Modellen verdeutlicht diesen Umstand ebenso, vgl. nur P. J. Tettinger, DÖV 1996, 764 (765 f.); Zie­ kow, Öffentliches Wirtschaftsrecht (Fn. 1103), § 8 Rn. 7. – Die in der Praxis ebenfalls üblichen Ausgestaltungsvarianten, in denen die Einbindung Privater allein zu Finanzierungszwecken erfolgt, werden gemeinhin als eigene Kategorie der Public Finance Initiatives geführt und aus dem Kreis der PPP ausgesondert, s. nur F. Kneuper/ M. von Kaler, NVwZ 2015, 1401 (1401 f.); J. Ziekow/A. Windoffer, NZBau 2005, 665 (667). Auf eine genaue Darstellung wird daher an dieser Stelle verzichtet. 1117  So verpflichtet das allgemeine Sparsamkeitsgebot des § 6 Abs. 1 HGrG Bund und Länder auf einfachgesetzlicher Ebene zur Haushaltsdisziplin, die einen Kontrollverlust über die eigenen Ressourcen verhindern soll. Erwerb und Veräußerung von Vermögensgegenständen durch Bund und Länder, die je nach Ausgestaltung der konkreten PPP notwendig werden können, müssen den Vorgaben des § 63 BHO bzw. den nahezu identischen Bestimmungen der Landeshaushaltsordnungen (z.  B. Art. 63 BayHO, § 63 NdsLHO) genügen, die ihrerseits einen engen Bezug zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben einfordern. Zur staatlichen Gewährleistungsverantwortung und ihrem Fortwirken in PPP J. Ziekow/A. Windoffer, NZBau 2005, 665 (670). Das Konzept der Gewährleistungsverantwortung, das über die expliziten gesetzlichen Regeln hinausgeht, lässt sich an dieser Stelle schwerlich in angemessener Tiefe darstellen. Für einen kompakten Überblick sei auf die Darstellungen bei F. Schoch, NVwZ 2008, 241 (243 ff.) und J. Ziekow, Wandel der Staatlichkeit und wieder zurück? PPP im Kontext der deutschen Diskussion um die Rolle des Staates, in: ders. (Hrsg.), Wandel der Staatlichkeit und wieder zurück? Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben (Public Private Partnership) in/nach der Weltwirtschaftskrise, 2011, S. 43 (52 ff.) verwiesen, jeweils mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen. – Zu verschiedenen Einwirkungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand, um die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses in einer PPP zu sichern, M. Eifert, Verw­ Arch. 93 (2002), 561 (572 ff.) anhand des konkreten Beispiels kommunaler Internetpräsenz.

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Umsetzung des Projekts schultert, in den Zwischenschritten des Vorhabens seiner Grundrechtsberechtigung gegen Eingriffe etwa in die Berufs- oder Eigentumsfreiheit verlustig ginge, wenn das gemeinsame Projekt mit einem staatlichen Akteur aufgrund des beherrschenden Einflusses des letzteren insgesamt der staatlichen Sphäre zuzuordnen wäre1118. Das Argument, der Staat solle sich nicht durch organisatorische Kniffe wie einen Rechtsformwechsel seiner grundrechtlichen Verantwortung entziehen können1119, müsste auch in diesen Fällen Gültigkeit beanspruchen. Denkbar ist etwa die Konstellation, dass dem Privaten – ohne Beliehener oder Verwaltungshelfer zu sein – nur ein unbedeutender Entscheidungsfreiraum hinsichtlich des eigenen Ressourceneinsatzes zukommt, während der Kern der Projektumsetzung nach engmaschiger staatlicher Steuerung erfolgt und substantielle Richtungsentscheidungen auf die staatliche „Beherrschungsposition“ in der Public Private Partnership zurückzuführen sind. In der kategorischen Trennung des Bundesverfassungsgerichts nach juristischer Person des öffentlichen Rechts auf der einen und des Privatrechts auf der anderen Seite wäre der Schritt zum Verlust der Grundrechtsberechtigung einer privat getragenen Organisationseinheit außerhalb der förmlichen Beleihung in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig. In der bisherigen Rechtsprechung ist er allerdings nicht ohne Beispiel1120. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Public Private Partnerships sind praktische Belege für eine spezifische Form der Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft und damit Beispiel einer Neuvermessung ihres Verhält-

1118  Auf staatlich-private Kooperationen im Allgemein bezogen und aus der Perspektive der Grundrechtsberechtigung formuliert, aber der Sache nach mit demselben Problembewusstsein Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 58. Im Kontext der in Fn. 1115 in Bezug genommenen Modelle stellt sich diese Frage etwa konkret am sog. Inhabermodell oder dem Konzessionsmodell; zu diesen Varianten Schede/Benighaus (Fn. 1116), S. 324 ff., 336 ff. – Die hier angestellte Überlegung läge etwa in der Konsequenz der Ausführungen von Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 280 ff. Sie sehen die weitreichenden Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf die Aktivitäten eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens fernab einer mehrheitlichen Beteiligung als hinreichendes Kriterium zum Ausschluss der Grundrechtsberechtigung an. 1119  Im Kontext gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen etwa Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S.  10 f.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 290. Betont wird dieser Gedanke vor allem im Hinblick auf öffentliche Unternehmen, statt vieler Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 57 ff. m. w. N.; vgl. auch oben S. 58. 1120  In den beiden Beschlüssen BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502) und BVerfG (K), NJW 1996, 584 (584) sprach das Bundesverfassungsgericht juristischen Personen des Privatrechts in rein privater Hand die Grundrechtsberechtigung mit der Begründung ab, dass sie ihre jeweilige Aufgabe unter engmaschiger staatlicher Aufsicht resp. im öffentlichen Interesse ausübten; s. dazu auch oben S. 103 f. Zur Kritik an diesem Entscheidungspaar nur Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 54.



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nisses zueinander1121. Dieser Umstand stellt die beiden Begriffe und ihren funktionellen Nutzwert nicht grundsätzlich in Frage. Er verlangt allerdings die Nachzeichnung eines arbeits- und verantwortungsteiligen Zusammenwirkens von Staat und Gesellschaft zur Realisierung von Gemeinwohlzwecken in der rechtlichen Beurteilung1122. Die grundrechtliche Ebene ist insoweit keine Ausnahme. Das Bundesverfassungsgericht kann entsprechenden Problemfällen auf dem Gebiet der Kooperation mit seinem grundrechtstheoretisch untermauerten Konzept, das von einer antipodischen Gegenüberstellung beider Größen ausgeht, indes – wenn überhaupt – nur behelfsmäßig gerecht werden. bb) Karlsruhe und der Rubikon: Staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater als Einbruch in die funktionelle Trennung Nicht nur neue Erscheinungsformen der Kooperation zwischen Staat und Privaten, die unmittelbar in den Kernbereich der Frage nach der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen mit staatlicher Beteiligung einwirken, stellen die Gedanken der liberalen Grundrechtstheorie und den bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz vor grundlegende Herausforderungen. Auch aus einem Bereich heraus, der allenfalls vereinzelt konkrete Berührungspunkte mit Art. 19 Abs. 3 GG aufweist und in dem allein private Akteure zu den Handelnden zählen, hat die theoretische Prämisse des Karlsruher Kon­ strukts eine bedeutende Schwächung erfahren. Rhetorisch behutsam, in der Entwicklung linear, aber in der Sache paradigmatisch neu hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in einer Reihe von Entscheidungen eine zunehmende Grundrechtsbindung Privater etabliert. Das Gericht tendiert nunmehr dazu, in Situationen asymmetrischer Machtverteilung die Konzentration von Entscheidungsmacht in rein privater Hand dem staatlichen Eingriff qualitativ gleichzustellen und in der Konsequenz dessen auch rein private Akteure einer grundrechtlichen Bindung zu unterstellen1123. Das Verfassungsgericht hat 1121  J. Bonk, DVBl. 2004, 141 (149); ähnlich auch Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 282. Im Hinblick auf den Begriff der Verantwortungsteilung, der PPP als praktische Beispiele einschließt, spricht H.-H. Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, 1999, S. 13 (14, 20) schon vor der Jahrtausendwende von einer „ ‚Neuen Architektur der Staatlichkeit‘ durch die unterschiedliche Zuordnung von Handlungsbeiträgen öffentlich-rechtlicher und privater Akteure bei der Verfolgung von Aufgaben mit einem Gemeinwohlbezug“. 1122  Trute, Verantwortungsteilung (Fn. 1121), S.  32 f. 1123  Nachgezeichnet ist damit eine Linie beginnend beim Fraport-Urteil, BVerfGE 128, 226 ff. über einen Beschluss im einstweiligen Rechtsschutz zum „Bier-

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sich zwar in besonderem Maße um die begriffliche Einkleidung in die Nomenklatur der „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte bemüht1124. Doch spätestens mit der Verpflichtung privat getragener juristischer Personen auf verfassungsrechtlich implizierte Verfahrenserfordernisse hat das Gericht den Schritt hin zu einer situativ staatsgleichen Grundrechtsbindung Privater vollzogen1125. Der Einordnung halber gilt es im vorliegenden Untersuchungszusammenhang auf die Wertungsunterschiede hinzuweisen, die sich aus dem Umstand ergeben, dass die zentrale Rechtsfrage in der genannten Entscheidungsreihe die Grundrechtsverpflichtung eines Privaten und nicht etwa die Grundrechtsberechtigung einer staatlichen Entität war. Ob das Bundesverfassungsgericht mit seiner Lösung eine überzeugende Antwort auf das grundlegende Problem gefunden hat, inwieweit den Nachteilen eines starken sozialen Machtgefälles zwischen privaten Akteuren in realen wie virtuellen teilhaberelevanten Lebensbereichen mit einem Rekurs auf grundrechtliche Maßstäbe zu begegnen ist, soll hier keiner abschließenden Bewertung unterzogen werden1126. Gleichwohl lassen die strukturellen Annahmen des Verfassungsgerichts auf dieser Seite sein Konzept hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Hand nicht gänzlich unberührt. Die grundrechtstheoretischen Annahmen sind in beiden Fällen so auffällig verschieden, dass das starre Festhalten an einer antipodischen Betrachtung von Staat und Gesellschaft als Grundlage zur Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG stark an Überzeugungskraft verliert. Im Kontext einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten beruft sich das Bundesverfassungsgericht wie gesehen auf eine Interpretation des Wesens der Grundrechte, die vornehmlich auf den Gedanken der liberalen Grundrechtstheorie sowie einer strengen Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft beruht und die Grundrechte in erster Linie als Abwehrrechte des Einzelnen

dosen-Flashmob für die Freiheit“, BVerfG (K), NJW 2015, 2485 ff. bis hin zur Sta­ dionverbot-Entscheidung, BVerfGE 148, 267 ff. und einem Beschluss zur Sperrung eines Facebook-Accounts, BVerfG (K), NJW 2019, 1935 ff.; eingehend zu dieser Rechtsprechungsentwicklung S. 104 ff. 1124  Siehe nur die Ausführungen in BVerfGE 128, 226 (248); 148, 267 (279 ff., Rn. 31 ff.); BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485 f.); NJW 2019, 1935 (1936). 1125  So auch A. Hellgardt, JZ 2018, 901 (901 f.); Kischel (Fn. 422), Art. 3 Rn. 93a, 93c; F. Michl, JZ 2018, 910 (911 ff., 915 f.); C. Smets, NVwZ 2019, 34 (37); dazu bereits oben S. 113 ff. 1126  Mit dem Gedanken, den Grundrechten unter bestimmten Umständen auch im Verhältnis zwischen Privaten stärkere Geltung zu verschaffen, steht das Verfassungsgericht jedenfalls dem Prinzip nach nicht allein da, s. nur F. Michl, JZ 2018, 910 (916).



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gegen den Staat versteht1127. Wenn das Gericht den Grundrechten in seiner jüngsten Rechtsprechung nun allerdings auch in Ausgangssituationen, in denen sich allein Private gegenüberstehen und die sich aus funktioneller Sicht ausschließlich im gesellschaftlichen Bereich abspielen, Geltung zuspricht, kann diese Annahme – mag sie auch als Ausnahme formuliert und voraussetzungsvoll ausgestaltet sein – nicht vom selben theoretischen Fundament ­getragen sein. Vielmehr legt Karlsruhe seiner jüngsten Neuausrichtung unausgesprochen ein erneuertes Grundrechtsverständnis zugrunde: Das Ver­ fassungsgericht begreift die Grundrechte als Grundsatzregeln eines gesellschaftlichen Zusammenlebens, die in Fällen monopolähnlicher, missbrauchsanfälliger Machtasymmetrie in teilhaberelevanten Lebensbereichen über den Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG hinaus sogar privatautonome Willkür unmittelbar auf die Beachtung bestimmter grundrechtlicher Direktiven verpflichtet1128. Nach diesem Verständnis sind die Grundrechte nicht mehr nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, sondern universale Schutzreservate gegen Bedrohungen, die sich nach der konkreten Gefährdungssituation beurteilen und nicht danach, ob der Aggressor ein staatlicher oder ein privater ist. Die funktionelle Trennung von Staat und Gesellschaft als Wasserscheide zu der Trennung von Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung ist jedenfalls bei der Frage einer potentiellen Grundrechtsverpflichtung Privater nicht mehr die tragende verfassungstheoretische Beurteilungsgrundlage. Für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG und eine potentielle Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft ruft dieser Befund insbesondere Zweifel an der Absolutheit hervor, mit der das Bundesverfassungsgericht seine Einordnung der Grundrechte als Abwehrrechte der einzelnen, natürlichen Person gegen den Staat vorträgt, um eben jene staatlich getragenen Organisationseinheiten weitestgehend vom Grundrechtsschutz auszuschließen. Insbesondere muss sich das Gericht fragen lassen, ob es die Idee der Grundrechte als universale Schutzgehalte gegen Bedrohungen und als objektive Werte des Gemeinwesens nicht möglich oder gar erforderlich macht, auch bestimmten staatlich getragenen juristischen Personen Grundrechtsschutz gegen Eingriffe eines Hoheitsträgers zuzubilligen, wenn sie diesem in einer spezifischen Gefährdungslage gegenüberstehen1129.

1127  Dazu bereits zuvor S. 276 ff. mit entsprechenden Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung. 1128  Der Grundidee nach bringt diese Prämisse vielmehr die Gedanken der Werttheorie als die der liberalen Grundrechtstheorie zum Ausdruck. Zu jener überblicks­ artig E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533); Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1684 f. sowie bereits zuvor S. 278. 1129  Zu diesem grundlegenden Gedanken noch näher unten S. 319 ff.

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cc) Theoretische Neuausrichtung durch Öffnung gegenüber dem grundrechtlichen Mehrebenensystem Hinzu treten Implikationen des grundrechtlichen Mehrebenensystems, denen das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil selbst entscheidungstragende Bedeutung beigemessen und so das theoretische Fundament seines Ansatzes in grundlegender Weise neu gewichtet hat. Das Verfassungsgericht schreitet dort seine klassischen, auf der liberalen Grundrechtstheorie fußenden Argumentationsmuster rund um die Durchgriffskonstruktion einzeln ab, erklärt sie aber hinsichtlich der potentiellen Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, die sich in der Hand eines ausländischen Staates befinden, in ihrer Gesamtheit für unanwendbar, da sie allein auf die Ausgangslage von Entitäten unter Beteiligung des deutschen Staates zugeschnitten seien1130. Im Anschluss setzt es stattdessen zu einer europarechtlichen Begründung an: Die kumulierten Aspekte der Rechtsschutzlosigkeit gegen staatliche Eingriffe in Gesetzesform, der besonderen Schwere der konkreten Beeinträchtigung sowie des Nachteils gegenüber deutschen Wettbewerbern stellen aus Karlsruher Sicht einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV dar. Auf diese könne sich die Beschwerdeführerin – eine juristische Person, die über eine Konzernstruktur letztlich vollständig in der Hand des schwedischen Staates steht – über Art. 54 Abs. 1 i. V. m. Art. 49 Abs. 1 AEUV und angesichts der ausdrücklichen Regelung des Art. 54 Abs. 2 AEUV auch als öffentliches Unternehmen berufen könne. Eine Rechtfertigung dieses Eingriffs komme nicht in Betracht1131. Über eine unionsrechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG könne sich die Beschwerdeführerin daher auf die deutschen Grundrechte berufen und Verfassungsbeschwerde erheben1132. Die in der Entscheidung angelegte grundrechtstheoretische Neuausrichtung kommt im Umgang mit der Durchgriffsthese zum Ausdruck, die dem Verfassungsgericht vornehmlich dazu dient, die Gedanken der liberalen Grundrechtstheorie zu operationalisieren. Wenngleich recht wortkarg, stellt das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil doch ausdrücklich fest, dass bei fremdstaatlich beherrschten juristischen Personen ein Durchgriff auf hinter der Organisationseinheit stehende natürliche Personen, die es gegen hoheitliche Übergriffe zu schützen gelte, genauso scheitert wie im Falle einer juristischen Person in der Hand des deutschen Staates1133. Gemessen am 1130  BVerfGE 143, 246 (313 ff., Rn. 187 ff., 191 ff.); näher zu den tatsächlichen Umständen des Falls und eingehend zur verfassungsgerichtlichen Argumentation oben S. 158 ff. 1131  Zu alldem BVerfGE 143, 246 (317 ff., Rn. 196 ff.). Näher eingeordnet ist die europarechtliche Begründung auch oben, s. S. 164 ff. 1132  BVerfGE 143, 246 (317, Rn. 196). 1133  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195).



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie297

bisherigen Maßstab des Verfassungsgerichts hätten die Ausführungen zur Beschwerdebefugnis an diesem Punkt ein abruptes Ende finden müssen. Ausgehend vom Kern der liberalen Grundrechtsidee und ihrer menschenwürdeorientierten Ergänzung hat das Verfassungsgericht die Durchgriffsthese in seiner ständigen Rechtsprechung zur notwendigen Bedingung einer Grundrechtsberechtigung unter Art. 19 Abs. 3 GG gemacht. Immer wieder heißt es, eine Einbeziehung juristischer Personen in den Grundrechtsschutz komme nur in Betracht, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sei und der Durchgriff auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen lasse1134. Auch die ausnahmsweise Grundrechtsberechtigung bestimmter juristischer Personen des öffentlichen Rechts – die sog. Ausnahmetrias – fußt auf diesem Gedanken. Das Bundesverfassungsgericht knüpft ihren Ausnahmecharakter daran an, dass die betreffenden Organisationsgebilde den Bürgern zur Verwirklichung ihrer individuellen Freiheit dienten1135. Die Grundrechtsberechtigung eines staatlich getragenen Unternehmens müsste vor diesem Hintergrund unzweideutig ausscheiden, gleich, ob der beteiligte Staat der deutsche oder ein ausländischer ist1136. Wenn das Gericht sein Durchgriffskonzept nun im Atomausstiegsurteil wissentlich beiseiteschiebt und stattdessen die europarechtlichen Grundfreiheiten zum Entscheidungsmaßstab erhebt, bricht es entscheidend mit der hergebrachten Teleologie und verschiebt die theoretischen Grundlagen seiner Rechtsprechungslinie zur Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten substantiell1137. Denn mit seiner Lösung über das grundfreiheitliche Normgerüst um Art. 49 AEUV importiert das Bundesverfassungsgericht notwendigerweise auch die Wertungen der europarechtlichen Grundfreiheiten1138. Wenn es im Atomausstiegsurteil konstatiert, die fehlende Grundrechtsfähigkeit der fremdstaatlich beherrschten juristischen Person stelle angesichts der Rechtsschutzlosigkeit der Beschwerdeführerin gegen gesetzliche Eingriffe, der besonderen Schwere der konkreten Beeinträchtigung und des Nachteils gegenüber deutschen Wettbewerbern einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit dar, der 1134  Grundlegend BVerfGE 21, 362 (369); fortgeführt in BVerfGE 61, 82 (101); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (195 f.). Auch im Atomausstiegsurteil zitiert das Gericht diese Passage, s. BVerfGE 143, 246 (313 f., Rn. 188). Ausführlich zur Durchgriffsthese und ihrer ideengeschichtlichen wie grundrechtstheoretischen Fundierung oben S. 39 ff., 276 ff. 1135  BVerfGE 45, 63 (79); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1589); dazu oben S. 35 ff., 97 ff. 1136  In diesem Sinne auch T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18); so auch bereits oben S.  162 f. 1137  Ebenso Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 94. 1138  Zur grundfreiheitlichen Zielsetzung und ihrer Einordnung in den grundrecht­ lichen Kosmos S. 188 ff.

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D. Synthese

eine unionsrechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG erfordere, stellt sie die deutschen Grundrechte in den Dienst des grundfreiheitlichen Ziels: Die Grundrechte werden zum Instrument der Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarktes; die Grundrechtsberechtigung dient als Mittel der Wettbewerbsgleichheit und eines freien Marktzugangs1139. Eine strenge Dichotomie zwischen den Kategorien Staat und Gesellschaft ist dagegen unter diesem Wettbewerbsgesichtspunkt kein schlagendes Argument für oder gegen die Zubilligung von Grundfreiheiten, wie Art. 54 Abs. 2 AEUV belegt. Es ist nicht mehr die Vorstellung von den Grundrechten als Abwehrrechte des Einzelnen und als Schutzrechte der Freiheit um der Freiheit willen, die ihre Erstreckung auf juristische Personen als organisatorisches Vehikel dessen allein rechtfertigt. Vielmehr gewährt das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil Grundrechtsschutz aus der Erwägung heraus, bestimmte grundrechtsspezifische Schutzdefizite auszugleichen und die Verwirklichung eines übergeordneten Ziels zu gewährleisten. Das Gericht öffnet sich damit den Gedanken der funktionalen Grundrechtstheorie und der Idee eines Grundrechtsschutzes „um … zu“1140. Gänzlich neu ist dieser Gedanke in der Karlsruher Rechtsprechung nicht. So rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht die universelle Anwendung der justiziellen Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts oder sonstige staatliche Organisationseinheiten mit dem Gedanken der prozessualen Waffengleichheit und stellt ihre Anwendung somit explizit in den Dienst der Integrität gerichtlicher Verfahren1141. Allerdings hat das Gericht den Umgang mit den Justizgrundrechten stets als Ausnahme zum eigenen Ansatz im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG formuliert und mit weiteren Argumenten zu stützen versucht1142. Im Atomausstiegsurteil kehrt es der Durchgriffsthese als Exponenten der liberalen Grundrechtstheorie dagegen den Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  94 f. funktionalen Grundrechtstheorie, die in ihrem Idealtypus vor allem demokratisch-funktional verstanden wird, E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534 f.); Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 1065), S. 1685 f. Allgemeiner aus jüngerer Zeit von Un­ gern-Sternberg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S.  76 ff., 92 ff. 1141  In diesem Sinne insbesondere BVerfGE 6, 45 (49 f.); 12, 6 (8); der Sache nach fortgesetzt etwa in BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104 f.). Vereinzelt klingt auch die Bedeutung der Verfahrensgarantien für die Legitimität richterlicher Entscheidungen als Begründungsstrang an, so in BVerfGE 61, 82 (105); 138, 64 (83, Rn. 55). – Dass in der Begründung ein dogmatischer Bruch mit dem eigenen System des Verfassungsgerichts liegt, betonen auch T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (127); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1142  Insbesondere spricht das Verfassungsgericht den justiziellen Gewährleistungen den individuellen Schutzgehalt ab, s. nur BVerfGE 21, 362 (373). Zur Kritik an dieser Sichtweise mit entsprechenden Nachweisen oben S. 37 f., 91 f. 1139  Rauber, 1140  Zur



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Rücken und stützt sein Ergebnis vornehmlich auf funktionale Elemente1143. Im grundrechtstheoretischen Fundament der Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 3 GG, ist der europarechtliche Schwenk im Atomausstiegsurteil damit keineswegs nur eine Spielart der funktionalen Seite. Es ist nur die letztere, die das vom Verfassungsgericht befürwortete Ergebnis zu tragen imstande ist, wie das Gericht selbst eingestanden hat. Wohl auch im Hinblick darauf, dass auf ein solch zweckgebundenen Grundrechtsschutz in der deutschen Rechtswissenschaft verbreitet als „frevlerisch“ missachtet wird1144, hat das Bundesverfassungsgericht sich gleichsam präventiv darum bemüht, die Folgewirkungen seiner Entscheidung einzufangen und den Ausnahmecharakter des Atomausstiegsurteils mehrfach betont1145. In der Sache ändert das allerdings nichts daran, dass die Durchgriffsthese und die ihr zugrundeliegende Vorstellung von den Grundrechten als zweckfreie Bestimmungen zur Verteidigung individueller, vorstaatlicher Freiheit in ihrem Rang von einer notwendigen und hinreichenden zu einer bloß hinreichenden Bedingung des Grundrechtsschutzes staatlich getragener juristischer Personen abgestuft wird1146. Die Einbeziehung des europäischen Mehrebenensystems in die Frage der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten, die das Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil praktiziert, ist als solche begrüßenswert1147. Dass es sein eigenes grundrechtstheoretisches Konzept allerdings nicht nur modifiziert, sondern gänzlich aufgeben muss, um seine Entscheidung zu begründen, lässt im vorliegenden Untersuchungszusammenhang zweierlei Beobachtungen zu. Zum einen gesteht Karlsruhe ein, dass der mit besonderer Legitimität vorgetragene Ansatz, maßgeblich abgeleitet aus den Gedanken der liberalen Grundrechtstheorie, nicht geeignet ist, bestimmte Formen der staatlichen Beteiligung an juristischen Personen im Kontext des Art. 19 Abs. 3 GG abzubilden. Er ist nicht in allen Fällen dazu imstande, eine rechtssichere Antwort auf die Frage zu geben, wie sich eine solche Beteiligung auf die Grundrechtsfähigkeit der Organisation auswirkt. Dieser Befund lässt sich besonders plastisch an Fällen belegen, in denen die beiden vom Verfassungsgericht vertretenen Ansätze bei ein und derselben juristi1143  Diese Schlussfolgerung ziehen auch T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (18) und Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 95 f., wobei letzterer Teilaspekte der funktionalen Argumentation im Atomausstiegsurteil zunächst nur als Ergänzung des verfassungsgerichtlichen Konzepts einordnet. 1144  So von Ungern-Sternberg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S. 73. 1145  BVerfGE 143, 246 (313, 317 f., Rn. 185, 196, 200). Die besondere Betonung als Ausnahmeerscheinung ist allerdings auch in Zusammenhang mit der Vorlagepflicht des Art. 267 AEUV zu sehen, s. bereits S. 170 f. 1146  Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  95 f. 1147  Zum konfliktvermeidenden Mehrwert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem ausführlich oben S. 270 ff.

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schen Person widersprüchliche Ergebnisse nahelegen1148. Zum anderen zeigen die Implementierung grundfreiheitlicher Wertungen und der damit verbundene, grundlegende Perspektivwechsel hin zur funktionalen Grundrechtstheorie, dass die Kritik der Beliebigkeit an stark grundrechtstheoretisch verankerten dogmatischen Leitsätzen nicht unbegründet ist. Ihr Fundament lässt sich abhängig von der Sicht des Interpreten mit einem gewissen Begründungsaufwand überwinden und lösungsorientiert ersetzen. 4. Zwischenergebnis Das Bundesverfassungsgericht stützt die Interpretation des „Wesens der Grundrechte“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG und damit seinen Auslegungsansatz in Bezug auf die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten maßgeblich auf ein grundrechtstheoretisches Fundament. Kern der Karlsruher Argumentation ist der Grundgedanke der liberalen Grundrechtstheorie, die Grundrechte als nur vom Einzelnen her zu betrachtende, vorstaatliche Gewährleistungen individueller Freiheit gegen einen übergriffigen Staat zu begreifen. Seinen zentralen Gedanken reichert das 1148  In Bezug genommen sind damit juristische Personen, an denen sowohl ein deutscher Hoheitsträger als auch ein weiterer Mitgliedstaat der Europäischen Union beteiligt sind. Konkret genannt sei etwa die Avantis GOB N.V., eine Gesellschaft niederländischen Rechts zur Realisierung eines Gewerbeparks im Grenzgebiet Aachen-Heerlen. An dieser Gesellschaft sind die Stadt Aachen, das Land NordrheinWestfalen, die niederländische Gemeinde Heerlen und eine gemischt-öffentlich strukturierte niederländische Industriebank zu je gleichen Teilen beteiligt, s. Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2021, S. 86; s. auch oben S. 174 mit Fn. 676. Bei einem hoheitlichen Zugriff des deutschen Gesetzgebers, denkbar etwa in Form einer bundesrechtlichen Legalenteignung (vgl. dazu BVerfGE 95, 1 [21 f.]), stellte sich die Frage, ob sich die Gesellschaft dagegen unter Berufung auf Art. 14 GG mit der Verfassungsbeschwerde wehren könnte. Der Maßstab des Atomausstiegsurteils weist in eine positive Richtung, während die klassische Durchgriffsargumentation eine Ablehnung der Grundrechtssubjektivität nahelegt. Ein noch komplexerer Beispielsfall ließe sich um die Flughafen Düsseldorf GmbH entwerfen, deren Gesellschafter je hälftig (mittelbar) die Landeshauptstadt Düsseldorf und die Airport ­Partners GmbH sind, wobei sich letztere aus zwei privaten und einem mittelbar vom irischen Staat gehaltenen Unternehmen zusammensetzt, s. zur konkreten Beteiligungsstruktur S. 289 in Fn. 1112 mit entsprechenden Nachweisen. In einem Eingriffsszenario (z. B. einer Verschärfung der gesetzlichen Pflichten des Flugplatzhalters resp. -unternehmers nach § 12 FluLärmG oder §§ 29a, 29b LuftVG) käme zugunsten der Gesellschaft etwa die Berufung auf Art. 12 GG in Betracht. In einer solchen Ausgangslage kulminieren die Probleme des Beherrschungskriteriums mit dem angesprochenen Widerspruch zwischen Durchgriffsthese und grundfreiheitlicher Argumentation des Atomausstiegsurteils. Nach welcher Gewichtung das Verfassungsgericht eine Auflösung des Konflikts anstreben würde, ist schlicht nicht zuverlässig vorherzusehen.



II. Gedanken zur Grundrechtstheorie301

Verfassungsgericht um eine Orientierung an der Menschenwürde sowie einzelne Aspekte der Wert- und der demokratisch-funktionalen resp. der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie an, wenn es das Wertsystem der Grundrechte und ihre Bedeutung für die aktive Teilhabe am Gemeinwesen einbezieht. Operationalisiert hat das Bundesverfassungsgericht diese theoretischen Gedanken schließlich in der Durchgriffsthese1149. Tragende Säule des Karlsruher Ansatzes ist demnach die strikte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft. Ist sie auch als Realitätsbeschreibung überholt, so ist die funktionelle Unterscheidung beider Kategorien verfassungstheoretisch sicherlich kein Muster ohne Wert. In Zusammenhang mit der Frage nach einer potentiellen Grundrechtsberechtigung staatlicher Organisationseinheiten haben die dargelegten Problemfälle indes die Schwächen einer – wenn auch nur funktionell verstandenen – Gegenüberstellung beider Sphären aufgezeigt. Zum einen sieht sich die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft durch moderne Erscheinungsformen staatlich-gesellschaftlicher Kooperation wie Public Private Partnerships vor Probleme gestellt, weil die binäre Codierung der Grundprämisse eine solche Zusammenarbeit gerade nicht vorsieht1150. Zum anderen existieren ausweislich der jüngeren Karls­ ruher Rechtsprechung Wertungsgesichtspunkte außerhalb des Trennungsmodells von Staat und Gesellschaft, die von so bedeutendem Gewicht sind, dass sie die vom hergebrachten grundrechtstheoretischen Unterbau implizierten Lösungen zu überwinden imstande sind1151. Im Hinblick auf die Auswirkungen der erstgenannten Gruppe ist noch das Bemühen erkennbar, diese mittels einer stärkeren Ausdifferenzierung des Zuordnungsmechanismus zumindest abzufedern1152. Die Grundrechtsbindung Privater ist dagegen ein zentraler Einbruch, der das Gesamtkonstrukt ins Wanken bringt. Denn wenn die Zu1149  Eingehend

S. 276 ff. der Unterscheidung des tradierten Ansatzes heißt es dazu, dass speziell die grundrechtliche Einordnung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen eine dilemmatische Grundstruktur aufweise, statt vieler Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 77; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen oben S. 143 ff. 1151  Im Atomausstiegsurteil waren es aus der Perspektive der Grundrechtsberechtigung der fehlende Rechtsschutz gegen Eingriffe in Gesetzesform sowie die daraus vermeintlich resultierenden schweren Wettbewerbsnachteile, die das Verfassungsgericht dazu bewogen haben, von einer klaren Zuordnung der Beschwerdeführerin zum staatlichen Bereich abzusehen, vgl. dazu BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200). Im Stadionverbots-Beschluss führte das Gericht die stark kumulierte Macht einer privat getragenen juristischen Person in einem teilhaberelevanten Lebensbereich an, um trotz der unzweideutigen Zugehörigkeit dieser Organisationseinheit zur gesellschaftlichen Sphäre der Sache nach eine zumindest teilweise Grundrechtsbindung zu etablieren, vgl. dazu BVerfGE 148, 267 (283 f., Rn. 39 ff.); andeutungsweise auch in BVerfG (K), NJW 2019, 1935 (1936). 1152  Für das Beherrschungskriterium im Zusammenhang mit gemischt-wirtschaft­ lichen Unternehmen jüngst Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 278 ff. 1150  In

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ordnung zu einer der beiden Sphären eindeutig ist, die Frage nach der Grundrechtssubjektivität der entsprechenden juristischen Personen aber trotz dieser Zuordnung auf Grundlage anderweitiger Beurteilungskriterien neu bewertet wird, verliert der dichotome Maßstab konsequenterweise seine ausschlaggebende Bedeutung. Nochmals sei darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft aus verfassungstheoretischer Sicht gewinnbringend sein kann, auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 GG. Ausgehend von der in Art. 1 Abs. 3 GG vorgesehenen umfassenden staatlichen Verpflichtung auf die Grundrechte und dem Fehlen einer entsprechend umfangreichen Berechtigungsnorm kann sie eine erste Trennlinie ziehen und die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG in der Frage der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen in einer Weise vorstrukturieren, die sich in einem Gros der Fälle mit dem Auslegungsergebnis im konkreten Fall decken wird1153. Allerdings haben die vorigen Ausführungen gezeigt, dass sich der Wert der funktionellen Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft gerade darauf beschränkt: eine Vorstrukturierung. Denn angesichts der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auch die funktionell verstandene Abgrenzung der Sphären zwischen Staat und Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als eine Heuristik. Das gilt selbst dann, wenn man das grundlegende Konzept ausdifferenzierter vorträgt als das Verfassungsgericht und es um bestimmte Feinjustierungen ergänzt1154. Setzt sich das Bundesverfassungsgericht in Fällen wie dem Atomausstiegsurteil oder dem Stadionverbots-Beschluss zugunsten externer Wertungsgesichtspunkte über die Ergebnisse einer klaren Zuordnung hinweg, ist damit ein Eingeständnis verbunden: Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft stellt über ihren 1153  Zu einer solchen positiv-rechtlichen Anknüpfung der Unterscheidung über den Ausgangspunkt des Art. 1 Abs. 3 GG auch Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 243. 1154  So Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 243 ff., die die Unterscheidung der beiden Kategorien ebenfalls zum zentralen Gedanken ihres Auslegungsansatzes zu Art. 19 Abs. 3 GG erheben. Ihr Modifikationsbemühen lässt im Vergleich zum kategorischen, zumindest de facto auch rechtsformorientierten Modell des Bundesverfassungsgerichts insofern einen Differenzierungsgewinn erkennen, als es sich von einer zu starken Rechtsformorientierung lossagt, den anthropozentrischen Ausgangspunkt des Verfassungsgerichts nicht mitträgt und so den in Art. 19 Abs. 3 GG verbürgten Eigenwert juristischer Personen stärker hervorhebt, s. dazu ebd., Rn. 243 f. Gleichwohl halten sie daran fest, jeden Problemfall über die Zuordnung zur staatlichen oder nicht-staatlichen Sphäre einer adäquaten Lösung zuführen zu können; kritisch dazu S. Muckel, JA 2020, 411 (412 f.). Konsequenterweise stehen sie der dogmatischen Begründung der Grundrechtssubjektivität einer fremdstaatlich beherrschten juristischen Person im Atomausstiegsurteil kritisch gegenüber, Kahl/Hilbert, ebd., Rn.  305 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG303

Wert als heuristische Methode kein in sich geschlossenes und belastbares Konzept dar, auf dessen Grundlage sich in jedem konkreten Einzelfall konsistente Lösungen für die Frage nach der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten entwickeln lassen. Konsequenz dieser Erkenntnis ist eine Destabilisierung des selbst formulierten grundrechtstheoretischen Fundaments mit seiner Verankerung in der liberalen Grundrechtstheorie. Dass das Bundesverfassungsgericht seine tradierte grundrechtstheoretische Auffassung im Atomausstiegsurteil mit Anleihen bei der funktionalen Grundrechtstheorie substituiert, belegt zudem die Beliebigkeit grundrechtsoder verfassungstheoretischer Vorprägungen, sollten sie als Grundlage dogmatischer Figuren herangezogen werden. Ein mit geringeren grundrechtstheoretischen Implikationen belasteter Auslegungsansatz des Art. 19 Abs. 3 GG sieht sich diesem Vorwurf zumindest weniger stark ausgesetzt. Zudem generiert er ein erhöhtes Maß an Anschlussfähigkeit im europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes, das in der Frage der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten auf verschiedenen Ebenen einen pragmatisch-einzelfallorientierteren und weniger theoriegeladenen Ansatz verfolgt1155.

III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG Im Anschluss an die kritische Auseinandersetzung mit den Mängeln im grundrechtstheoretischen Fundament des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes sei der Blick im Folgenden auf einen alternativen Weg in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG gerichtet. Die nachstehenden Ausführungen verstehen sich als Plädoyer für eine grundsätzliche Nachjustierung im Umgang mit der Frage nach einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen. Sie definieren sich aber weniger über revolutionär andere Ergebnisse im Vergleich zur Karlsruher Rechtsprechung als vielmehr über das Bestreben, einen pragmatischen, flexiblen, aber gleichsam konsistenten und rechtssicher handhabbaren Ansatz zu formulieren, der eine adäquate Problemlösung im Einzelfall ermöglicht, ohne dass er dafür die eigenen Grundlagen infrage stellen müsste. Fundament dieser Neuausrichtung ist das hergebrachte Konzept der sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage in seinem ursprünglichen, nicht vom Bundesverfassungsgericht usurpierten Entwurf. Bevor der Ansatz im Einzelnen näher beleuchtet wird, seien zu 1155  Dazu, dass weder der europarechtliche Grundrechtsschutz noch das EMRKRegime aus der nachweislich zentralen Bedeutung der Menschenwürde in ihren Wertsystemen ein grundrechtstheoretisches Konstrukt entwerfen, das bis in den Bereich der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen hineinwirkt, zusammenfassend oben S. 266 ff. Zum Umgang mit der Frage auf europa- und menschenrechtlicher Ebene im Einzelnen S. 188 ff., 202 ff., 238 ff.

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seiner Kontextualisierung einige Prämissen als Grundpfeiler der erneuerten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG eingeschlagen. 1. Grundaussagen einer veränderten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG a) Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten als Ausnahme Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Hand stellt im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG keineswegs den Regelbefund, sondern eine Ausnahmeerscheinung dar. Diese These gehört im Diskurs um eine potentielle Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten zum tradierten Kernbestand einer jahrzehntelangen höchstrichterlichen Rechtsprechung und hat breite Gefolgschaft gefunden1156. Sie verdient im Ergebnis Zustimmung und stellt auch nach der hier vertretenen Auffassung eine wichtige Richtungsentscheidung für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG dar. Die Herleitung der These bedarf allerdings einer kurzen Erläuterung. Das Bundesverfassungsgericht entwickelt diese Annahme vornehmlich aus grundrechtstheoretischen Gedanken, die sie im Wege der Durchgriffsthese operationalisiert und um ein vage an die Menschenwürde angeknüpftes anthropozentrisches Grundrechtsverständnis ergänzt, wie die vorigen Ausführungen gezeigt haben. Für eine solche Herangehensweise ließe sich auf den ersten Blick anführen, dass der Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG indifferent formuliert und die genetische Auslegung der Norm wenig ergiebig ist1157. Gleichwohl setzt sich eine solche theoriebasierte und recht freihändig vollzogene Herleitung dem bereits angesprochenen Vorwurf der Beliebigkeit aus. Sie hat darüber hinaus gar delegitimierende Wirkung im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Konstrukt, wenn die Ausnahme nicht innerhalb desselben theoretischen Konzepts gerechtfertigt werden kann1158. Dabei lässt sich der 1156  Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis seit seinen ersten Leitentscheidungen etabliert, s. nur BVerfGE 21, 362 (369 ff., 373 f.); 31, 314 (321 f.); 45, 63 (78 f.); 61, 82 (101 ff.); 143, 246 (313 f., Rn. 187 ff.); 147, 50 (143 ff., Rn. 238 ff.); näher dazu bereits oben S. 32 ff. Zu den beipflichtenden Stimmen aus der Literatur statt vieler Dreier (Fn. 17); Art. 19 III Rn. 57; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 246 ff., 253 ff. Als einer der wenigen vertritt etwa Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 109 ff., 128 ff. den Ansatz einer prinzipiellen Grundrechtsberechtigung mit der zugegeben weiten Ausnahme der Ausübung staatlicher Gewalt. 1157  Näher zur Wortlautauslegung und der Genese des Art. 19 Abs. 3 GG S. 24 ff. 1158  Bestes Beispiel dafür ist das Atomausstiegsurteil, in dem das Bundesverfassungsgericht das eigene grundrechtstheoretische Konstrukt „ausnahmsweise“ durchbricht und sich zur Lösung des Falls auf den funktionalen Gedanken beruft, Grundrechtsschutz müsse im Lichte des Europarechts um der Gleichheit im Wettbewerb willen gewährt werden, BVerfGE 143, 246 (317 ff., Rn. 196 ff.); zur kritischen Einordnung dessen S. 161 ff., 296 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG305

zugrundeliegende Gedanke durchaus positivrechtlich anknüpfen. Denn Art. 1 Abs. 3 GG macht mittels seines Zuschnitts auf konkrete Organe der Staatlichkeit deutlich, dass das Grundgesetz bei der Grundrechtsbindung feste Verantwortlichkeiten und eine klare Zuordnung ohne Raum für abstrakte Deutungen und Unsicherheiten zeichnen will und sich damit auf Bindungsseite für eine umfassende, strikte Verpflichtung konkreter Akteure entschieden hat1159. Eine genauso umfassende, aus Art. 19 Abs. 3 GG heraus begründete Grundrechtsberechtigung aller juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft würde den konkreten Zuschnitt und umfassenden Anspruch des Art. 1 Abs. 3 GG ad absurdum führen, könnte jede staatliche Einheit der eigenen Grundrechtsbindung in jedem konkreten Einzelfall doch eine Berufung auf die Grundrechte gleich einer allgemeinen Handlungsfreiheit entgegenhalten1160. Der Anknüpfung einer solch umfassend ausgestalteten Grundrechtsberechtigung an Art. 19 Abs. 3 GG steht allerdings schon die gänzlich anders gedachte Struktur der Norm entgegen. Anders als Art. 1 Abs. 3 GG nimmt Art. 19 Abs. 3 GG die juristische Person als abstrakte Oberkategorie in den Blick und billigt Organisationseinheiten die Grundrechtsberechtigung unter dem Vorbehalt der wesensmäßigen Anwendbarkeit zu. In der Tradition des Grundrechtsprogramms im Allgemeinen und der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Besonderen schafft diese Struktur einen Graubereich mit Raum für Abstufungen, Differenzierungen und am Einzelfall orientierten Abwägungen1161. Schon die Normkonzeptionen von Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 3 GG gehen demnach von der strikten Regel der Grundrechtsverpflichtung auf der einen Seite und einer im Einzelfall möglichen, differenzierten Lösung für die Grundrechtsberechtigung auf der anderen Seite aus1162. Vor diesem Hintergrund ist es irreführend, die Beziehung beider Bestimmungen

1159  Exemplarisch aus der jüngeren Verfassungsrechtsprechung BVerfGE 128, 226 (244). Ferner etwa Dreier (Fn. 387), Art. 1  III Rn. 53; M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 f.); Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 19; H. Wißmann, JöR 65 (2017), 41 (51). 1160  Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 43. In diesem Fall bestünde tatsächlich eine Konfusionslage, die innerhalb ein und desselben Rechtsverhältnisses auch von den Kritikern des verfassungsgerichtlichen Konfusionsarguments anerkannt wird, s. nur M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (24); D. Merten, DÖV 2019, 41 (43 f.). Das Karlsruher Konfusionsargument wird dadurch allerdings nicht überzeugender, ist es doch gerade verallgemeinert auf „den Staat“ gedacht und Ausdruck eines bestimmten grundrechtstheoretischen Programms, dazu nur Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 27. – In der Konsequenz des hier dargelegten Gedankens ist das Gegenstück einer umfassenden Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG daher auch nicht die Bestimmung des Art. 19 Abs. 3 GG als solche, sondern Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Ausformung als allgemeine Handlungsfreiheit, ergänzt um die Schaltnorm des Art. 19 Abs. 3 GG, vgl. dazu BVerfG (K), NVwZ 2007, 1176 (1176 f.); Storr, Staat (Fn. 18), S. 187. 1161  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 f.). 1162  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 f.); Storr, Staat (Fn. 18), S. 187.

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als Komplementärverhältnis zueinander zu beschreiben1163. Eine solche Charakterisierung impliziert, dass eine umfassende, generelle Verpflichtung einer juristischen Person auf die Grundrechte im Wege des Art. 1 Abs. 3 GG eine Berechtigung aus Art. 19 Abs. 3 GG im Einzelfall sperrt und formuliert damit nur die Ausgangsthese des vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Konfusionsarguments um. Diese Grundannahme erweist sich aber bereits dadurch als unhaltbar, dass das Gericht öffentlich-rechtlich organisierten und über Art. 1 Abs. 3 GG auf die Grundrechte verpflichteten Religionsgesellschaften, Rundfunkanstalten und Universitäten „ausnahmsweise“ die Berufung auf die Grundrechte zubilligt1164. Als Heuristik mag die Annahme einer Wechselseitigkeit für sich in Anspruch nehmen können, dass sich im Ergebnis Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung in einem Gros der Fälle tatsächlich ausschließen1165. Doch gerade in Grenz- und vermeintlichen Ausnahmefällen zeigt sich, dass beide Kategorien nicht notwendigerweise und in einem verallgemeinernden Sinne miteinander korrelieren und in verschiedenen Rechtsbeziehungen sehr wohl eine Parallelität von Berechtigung und Verpflichtung anzunehmen sein kann1166. Es ist nicht die dogmatisch zwingende Wechselseitigkeit von Art. 1 Abs. 3 GG auf der einen und Art. 19 Abs. 3 GG auf der anderen Seite, sondern die Normkonzeption beider Bestimmungen und ihre systematische Zusammenschau, aus der sich ein negativer Regel-Ausnahme-Grundsatz bezüglich der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Hand entwickeln lässt. Eines Rückgriffs auf grundrechtstheoretische Gedanken bedarf es dazu nicht. Der Rekurs auf den Begriff der „staatlichen“ Einheit richtet den Blick der konkreten Anwendung auch auf die Rechtsform. Da der öffentlich-rechtliche Organisationsrahmen allein dem Staat eröffnet ist, wird die Abgrenzung zwischen den grundgesetzlichen Kategorien von Grundrechten und Staatsorgani1163  So aber Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 16; Kater, Grundrechtsbindung (Fn. 136), S.  60 f.; Möllers, Staat (Fn. 78), S. 308. 1164  Wie hier statt vieler Dreier (Fn. 27), Art. 19 III Rn. 59; D. Merten, DÖV 2019, 41 (45); zu dieser Kritik ferner oben S. 46 f. 1165  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (895); ähnlich Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 227; Michael/Morlok, Grundrechte (Fn. 395), § 13 Rn. 459; H. Wißmann, JöR 65 (2017), 41 (53). 1166  A. von Arnauld, DÖV 1998, 437 (450); M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (895). Für eine Parallelität ferner T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (12); M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (24); D. Merten, DÖV 2019, 41 (42 f.); S. Muckel, JA 2020, 411 (412 f.); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S.  64 f.; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 119; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 36. Zurecht weisen daher etwa Merten, Mischunternehmen (Fn. 93), S. 2018 und von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 93 ausdrücklich darauf hin, dass die Grundrechtsbindung der staatlich getragenen Organisationseinheit als solche durch eine Grundrechtsberechtigung in einer anderen Konstellation nicht angetastet wird.



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sation zu einer Notwendigkeit. Der Rechtfertigungsbedarf für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG ist demnach in jedem Falle erhöht1167. Für die Privatrechtsform gilt das indes nicht in gleicher Weise: Dieser kann sich der Staat nach dem Grundsatz der Formwahlfreiheit genauso bedienen wie Private1168. Ob sich eine juristische Person des Privatrechts im Ausnahmefall einer erhöhten Rechtfertigungslast hinsichtlich ihrer Grundrechtsfähigkeit ausgesetzt sieht, hängt infolgedessen maßgeblich von der staatlichen Beteiligung an ihr ab: Sobald diese über eine reine Bagatellbeteiligung ohne echte Möglichkeiten der Einflussnahme hinausgeht, fällt die potentielle Grundrechtssubjektivität der Organisationseinheit in die Kategorie der Ausnahmeerscheinung1169. Die Rechtsform ist damit nur in ihrer öffentlich-rechtlichen Variante eine feste Zuordnungsgröße für den anwendbaren Auslegungsmaßstab im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG. Bei juristischen Personen in Privatrechtsform kommt es indes auf einen genaueren Blick auf die Beteiligungsverhältnisse im Einzelfall an. b) Wirkrichtung und Grenzen eines potentiellen Grundrechtsschutzes Eine potentielle Grundrechtsberechtigung kommt zugunsten einer staatlich getragenen juristischen Person darüber hinaus allein dann in Betracht, wenn sich diese dem Zugriff einer mit hoheitlicher Autorität ausgestatteten Organisationseinheit ausgesetzt sieht. Wie hoch auch immer die Schwelle zur Ausnahme auf Berechtigungsseite anzusetzen ist, spielt sich die Beurteilung dessen doch notwendigerweise in einem Verhältnis der betreffenden juristischen Person zu einem grundrechtsgebundenen Gegenüber ab. Potentieller Grundrechtsschutz kommt ihr – wenn überhaupt – nur gegen hoheitliches Handeln zu.

1167  Wie hier auch U. Becker, Jura 2019, 496 (508); M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1168  Statt vieler nur G. Hermes, in: Dreier, GG III (Fn. 225), Art. 86 Rn. 46 f. m. w. N. 1169  Anders als beim Beherrschungskriterium, das das Bundesverfassungsgericht zur Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen entwickelt hat (s. dazu oben S. 140 ff., 145 ff.), setzt die vorliegende Betrachtung auf der vorangehenden Stufe an. In Rede steht hier die Frage, wann es sich um eine „staatliche“ Einheit handelt, deren potentielle Grundrechtssubjektivität nur ausnahmsweise in Betracht kommt und die sich daher erhöhten Rechtfertigungsanforderungen ausgesetzt sieht. In der Konsequenz dessen ist die hier eingezogene Linie bewusst niedrigschwellig angesetzt, um der soeben dargestellten unterschiedlichen Regelungsstruktur von Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 3 GG Rechnung zu tragen und die Wahl der Privatrechtsform nicht zum Türöffner einer Umgehung dessen zu machen.

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Ohne nähere Kontextualisierung stellte sich die Frage, inwieweit diese mit Blick auf Art. 1 Abs. 3 GG recht offenkundige Feststellung im vorliegenden Zusammenhang tatsächlich von Nöten ist. Dass etwa eine natürliche oder privat getragene juristische Person den Grundrechten allgemein und umfassend verpflichtet wäre und ihr eine staatlich getragene Organisationseinheit die eigene, über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelte Grundrechtsberechtigung entgegenhalten könnte, ist eine Absurdität, die nicht nur den Kern des Art. 1 Abs. 3 GG auf den Kopf stellen, sondern auf diesem Wege auch die Grundfesten der staatlichen Verfasstheit antasten würde1170. Daher ist unbestritten, dass Private grundsätzlich nicht zum Kreis der aus Art. 1 Abs. 3 GG Verpflichteten zählen1171. An diese Offensichtlichkeit sei in Zusammenhang mit der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Einheiten unter zwei spezifischen Gesichtspunkten nochmal erinnert. Zum einen gilt die Prämisse, dass eine solche Grundrechtsberechtigung nur gegen hoheitliches Handeln in Betracht kommt, auch im Angesicht der jüngsten Karlsruher Rechtsprechung zur (un)mittelbaren Grundrechtsbindung Privater fort. In Zusammenhang mit publikumsstarken, teilhaberelevanten Veranstaltungen und Dienstleistungen im realen wie virtuellen Raum hat das Bundesverfassungsgericht rein privat getragenen juristischen Personen, die dem Einzelnen in einem Verhältnis besonderer Verhandlungsasymmetrie gegenüberstehen, die Achtung gleichheitsrechtlicher Verfahrenserfordernisse aufgetragen und sie so faktisch unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden1172. Aus der Perspektive des vorliegenden Untersuchungszusammenhangs kommt es weniger darauf an, inwieweit dem Gericht mit dem Rekurs auf grundrechtliche Maßstäbe eine adäquate Antwort gelungen ist, um soziale Machtgefälle dieser Art zwischen privaten Akteuren auszugleichen. Vielmehr gilt es aus der Richtung der Grundrechtsberechtigung festzuhalten, dass sich eine 1170  Gerade dann ließe sich in Anlehnung an Dürigs prominentes Diktum von einer „etatistischen Ironie“ sprechen, wie Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 84 zutreffend feststellt; vgl. der Sache nach auch Ulsamer, Geltung (Fn. 213), S. 208 f. – Würde etwa ein Bundesland als Rechtsträger der Polizei in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren um die Rechtmäßigkeit eines zwanghaft durchgesetzten Platzverweises gegenüber einer natürlichen Person die Berufsfreiheit der Polizei ins Feld führen, griffe zudem ohnehin – und in diesem Fall: berechtigterweise – der Konfusionsgedanke der engen Lesart und schlösse eine Grundrechtsberechtigung aus, da das Land über Art. 1 Abs. 3 GG den Grundrechten gerade verpflichtet ist und in ein und demselben Rechtsverhältnis nicht gleichzeitig eine eigene Berechtigung geltend machen kann. 1171  Statt aller Dreier (Fn. 387), Art. 1 III Rn. 38 ff. Zur gemeinhin anerkannten Ausnahme der sog. Beliehenen nur Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 60 f. m. w. N. 1172  BVerfGE 148, 267 (283 ff., Rn. 39 ff.); andeutungsweise BVerfG (K), NJW 2019, 1935 (1936). Eingehend dazu oben S. 110 ff.



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juristische Person in staatlicher Hand auch unter diesen erneuerten Voraussetzungen gegenüber Privaten nicht auf die Grundrechte berufen kann, will man einer Umkehrung des Art. 1 Abs. 3 GG nicht zur Realisierung verhelfen. Angesichts seiner sonst stark anthropozentrisch ausgerichteten Grundrechtsdeutung gerade in Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG ist mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass auch das Bundesverfassungsgericht diese Ansicht teilt und seine Rechtsprechung nicht in diesem Sinne angewandt wissen wollte. Anknüpfungspunkte zur Rechtfertigung einer solchen Einschränkung ließen sich in der neuen Rechtsprechungslinie durchaus finden1173. Ausgeschlossen ist es gleichwohl nicht, dass sich auch eine staatlich getragene juristische Person in einer Situation wiederfindet, die den bisher entschiedenen Fällen strukturell vergleichbar ist1174. Insofern bedarf es eines so ausdrücklichen Hinweises wie an dieser Stelle erst aufgrund des Umstandes, dass Karlsruhe in jüngerer Zeit überhaupt eine „situativ staatsgleiche Grundrechtsbindung Privater“1175 in Betracht zieht. Zum anderen sei daran erinnert, dass die hier in Bezug genommene Prämisse konsequenterweise auch in solchen Fällen fort gilt, in denen sich eine potentielle Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationen weniger offensichtlich, aber der Sache nach in identischer Weise gegen natürliche Personen und andere Private richtet. Derlei Konstellationen ergeben sich nicht schon dadurch, dass eine streitige Angelegenheit zwischen dem Bürger und einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft vor ein Gericht getragen und so ein weiterer staatlicher Akteur eingeschaltet wird, gegenüber dem sich die betroffene juristische Person ihrerseits vermeintlich auf einen eigenen Grundrechtsschutz berufen könnte. Eine solche Sichtweise geht bereits von einer falschen Beurteilungsgrundlage aus, indem sie den Blick sachwidrig und irreführend auf ein nicht betroffenes Rechtsverhältnis lenkt1176. 1173  So hat das Verfassungsgericht die Annahme einer „spezifischen Konstellation“ in der Stadionverbot-Entscheidung unter anderem damit gerechtfertigt, dass es sich in diesem Fall um eine Veranstaltung handle, deren Besuch einem breiten Publikum ohne Ansehung der Person offen stehe und für den Einzelnen eine große Bedeutung hinsichtlich der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben besitze, BVerfGE 148, 267 (283 f., Rn. 41). Unter einem solchen Teilhabeaspekt ließen sich juristische Personen des öffentlichen Rechts, denen schwerlich ein legitimes Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe zuzuschreiben ist, etwa bereits aus dem Kreis der Berechtigten auskehren. 1174  Denkbar wäre beispielsweise, dass ein nutzerstarkes soziales Netzwerk unter Verweis auf die eigenen Nutzungsrichtlinien zu Falschmeldungen oder dem Schutz geistigen Eigentums den Online-Auftritt einer Gemeinde wegen wiederholter absichtlicher oder unabsichtlicher Verstöße sperrt. 1175  Zu Begriff und Konzept im Anschluss an die Stadionverbot-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingängig F. Michl, JZ 2018, 910 ff. 1176  Namentlich Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 93 nutzt diese verzerrende Argumentation, um die Drohkulisse eines erschlichenen Grundrechtsschutzes staatli-

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Eine potentiell grundrechtlich relevante Betroffenheit der staatlich getragenen juristischen Person im Rechtsverhältnis zum Gericht käme in einem solchen Fall allein dann in Betracht, wenn auch der hoheitliche Eingriff originär von Seiten des Gerichts erfolgte, was sich in concreto auf die Konstellation der Verletzung von Verfahrensrechten beschränkt, auf die sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und andere staatlich getragene Einheiten unstreitig berufen können1177. Grundrechte Privater spielen in diesem Verhältnis keine Rolle. Die im vorliegenden Zusammenhang näher zu beleuchtenden Konstellationen sind vielmehr solche, in denen sich eine potentielle grundrechtliche Betroffenheit der staatlich getragenen Organisationseinheiten im Ausgangspunkt allein im Rahmen des staatlichen Binnenverhältnisses bewegt1178. Die Prämisse, ein solcher Grundrechtsschutz dürfe sich in seiner cher Einheiten gegenüber dem Bürger zu zeichnen. Richtet man den Blick dagegen auf das tatsächlich betroffene Rechtsverhältnis zwischen der natürlichen oder privaten juristischen Person einerseits und der staatlichen Organisationseinheit andererseits, schließen bereits Art. 1 Abs. 3 GG und der Konfusionsgedanke in seiner zutreffenden, konkreten Lesart eine Grundrechtsberechtigung der staatlich getragenen juristischen Person aus. Doch selbst wenn man diese fehlerhafte Sicht zugrunde legen wollte und ein potentiell grundrechtsdeterminiertes Außenrechtsverhältnis zwischen Gericht und juristischer Person in Staatshand annähme, bleibt Gersdorf in seinem Szenario den Nachweis schuldig, an welcher Stelle vor der Entscheidung in einem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren ein Eingriff in den vermeintlich eröffneten Schutzbereich gleich welchen Grundrechts anzunehmen wäre. Ein solcher ist aber zwingend notwendig, um ein Grundrecht der staatlich getragenen Einheit überhaupt erst in Abwägung zu einem Grundrecht der natürlichen oder privaten juristischen Person stellen zu können. Argumente gegen eine veränderte und potentiell erweiterte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich staatlicher Organisationseinheiten lassen sich auf einer solchen Grundlage jedenfalls nicht tragfähig führen. 1177  Das ist auch in der tradierten Judikatur des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, siehe nur BVerfGE 6, 45 (49 f.); 61, 82 (104); 138, 64 (83, Rn. 55). Aus der Literatur statt vieler Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  92 f.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 324 ff.; kritisch allein Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56. – Neben dem ähnlichen, aber seltenen Fall streitiger gerichtlicher Kostenfestsetzungen (vgl. BVerfGE 75, 192) sind grundrechtliche Implikationen im Verhältnis einer staatlichen Organisationseinheit zur Judikative noch in einer Mischkonstellation denkbar. Bestätigt ein Gericht eine eingreifende Maßnahme der Legislative oder Exekutive gegenüber einer staatlich getragenen juristischen Person und setzt man die Grundrechtsberechtigung der entsprechenden Organisationseinheit für die Zwecke dieses Gedankenspiels voraus, wird der Eingriff vom Gericht jedenfalls perpetuiert und ist in Gestalt der ihn bestätigenden Entscheidung mit grundrechtlichen Maßstäben angreifbar; vgl. allgemein zum Gegenstand eines möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens in derlei Konstellationen H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, § 90 (2018), Rn. 184. 1178  Die Beispiele aus der Rechtspraxis sind zahlreich, s. exemplarisch die Sachverhaltskonstellationen in BVerfGE 61, 82 (83 ff.); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (582); aus jüngerer Zeit BVerwGE 167, 202 (202 f., ohne Rn.); BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71). Es sind gerade derlei Fälle, an denen sich die Streitfrage um die



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Wirkrichtung nicht gegen natürliche Personen oder privat getragene juristische Personen wenden, wird in derlei Konstellationen relevant, sobald ein solcher Schutz den grundrechtlichen Status der letztgenannten Gruppe negativ berührt. Namentlich in den Blick genommen sind damit mehrpolige Grundrechtsverhältnisse1179. Deren Besonderheit ist die grundrechtliche Betroffenheit mehrerer Akteure von ein und derselben hoheitlichen Maßnahme. Mag sich der staatliche Eingriff auch zunächst allein gegen eine juristische Person in staatlicher Hand richten, bliebe seine gerichtliche Überprüfung am Maßstab der Grundrechte nicht ohne Auswirkungen auf den Grundrechtsschutz des betroffenen Dritten. Denkbar ist eine solche Ausgangslage im Lichte des vorliegenden Untersuchungszusammenhangs etwa bei wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen (Art. 12 GG) oder beim Zugriff auf Grundstückseigentum (Art. 14  GG)1180. Das, was der betroffenen staatlichen Organisationseinheit an potentiellem Grundrechtsschutz zuwächst, mindert denjenigen Privater auf der anderen Seite1181. Teilweise wird dem aus theoretischer Sicht entgegenGrundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten immer wieder entzündet. 1179  Eine anschauliche Definition dieses Begriffs gibt C. Calliess, JZ 2006, 321 (325 f.); eingehend Ziegenhorn, Einfluss (Fn. 910), S. 233 ff. Auch das Bundesverfassungsgericht bedient sich dieser Terminologie bereits seit geraumer Zeit, so etwa in BVerfGE 111, 307 (324); 120, 180 (210, 212 f.), wobei es die Ausdrücke „mehrpolig“ und „multipolar“ synonym verwendet. Die hier vertretene Lesart bezieht Konstellationen unter Beteiligung einer potentiell grundrechtsberechtigten juristischen Person in Staatshand in die Problembeschreibung des Begriffs mit ein. 1180  In Abwandlung des Sachverhalts der Entscheidung BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71) ließe sich etwa ein denkmalschutzrechtlicher Fall skizzieren, in dem sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts gegen eine Entscheidung der Denkmalschutzbehörde wendet, die dem Antrag eines benachbarten Grundstückseigentümers auf Erteilung einer Beseitigungsgenehmigung stattgibt. Befindet sich auf dem Grundstück der staatlichen Organisationseinheit selbst ein Denkmal, dessen Denkmalwürdigkeit durch die Beseitigung auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt zu werden droht, könnte die betroffene juristische Person – ihre Grundrechtssubjektivität vorausgesetzt – den Bescheid unter Berufung auf Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 GG anfechten; vgl. zum Drittschutz über Art. 14 GG bei einer drohenden erheblichen Beeinträchtigung des eigenen Denkmals BVerwGE 133, 347 (348  ff., Rn. 9 ff.). Da sich die betroffene Organisationseinheit formal gegen eine hoheitliche Maßnahme wendet, der benachbarte Grundstückseigentümer im verwaltungsgericht­ lichen Verfahren allerdings gem. § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen ist, müsste das Verwaltungsgericht ohne die hier bevorzugte Einschränkung eine Abwägung der widerstreitenden, auf Art. 14 GG gestützten Positionen vornehmen, die bereits als solche einer Schmälerung des Grundrechtsschutzes des privaten Grundstückseigen­ tümers gleichkäme. Mit einem vergleichbaren Beispiel und identischem Ergebnis schon Ulsamer, Geltung (Fn. 213), S.  209 f. 1181  Parallel zur Grundrechtsverwirklichung im Verhältnis zwischen Privaten W. Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499); W. Michl, Überprüfung (Fn. 912), S. 216; im Ausgangspunkt auch Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 66.

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gehalten, die Verteilung des Grundrechtsschutzes in multipolaren Konstellationen sei – unabhängig von den Beteiligten – einer quantitativen Betrachtung schon nicht zugänglich. Da die Gesamtgröße des Grundrechtsschutzes, der das staatliche Handeln einschränke, stets gleich groß bleibe, gehe es an dieser Stelle nicht um ein „Mehr“ oder „Weniger“1182. Diese These hat etwas für sich, richtete man die Perspektive allein auf die einzuhegende Staatsgewalt. Vor dem Hintergrund des zuvor Gesagten käme eine solche Ansicht im Ergebnis allerdings einer Umgehung der Prämisse eines auf das staatliche Binnenverhältnis beschränkten Grundrechtsschutzes staatlich getragener Organisationseinheiten gleich und schmälerte die grundrechtliche Berechtigung insbesondere natürlicher Personen empfindlich. Dann – und nur dann – bestünde die vom Bundesverfassungsgericht vorgebrachte Sorge vor einer Schwächung des Grundrechtsschutzes natürlicher Personen, sollte juristischen Personen in Staatshand eine erweiterte Grundrechtssubjektivität zuteilwerden1183. Vor dem Hintergrund des hier aus Art. 1 Abs. 3 GG hergeleiteten Grundsatzes scheidet ein Grundrechtsschutz staatlich getragener juristischer Personen folglich aus, sollte dieser im konkreten Fall in Konkurrenz zu demjenigen einer natürlichen oder privat getragenen juristischen Person treten. Anknüpfungspunkt der Bewertung muss allerdings dieselbe hoheitliche Maßnahme sein, die auch die staatliche Organisationseinheit mit eigenem Grundrechtsschutz anzugreifen gedenkt. Die Einhegung in die Grenzen der konkreten hoheitlichen Maßnahme ist notwendig, um die bloße Betroffenheit privater Interessen nicht zur diffusen Allzweckwaffe gegen eine erneuerte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG aufzuwerten1184.

1182  Diese Gedanken äußert Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn.  9), S.  66 f. zwar primär in Zusammenhang mit einer Verletzung des Günstigkeitsprinzips des Art. 53 EMRK. Er formuliert seine These aber gerade ausdrücklich unter Berücksichtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft, so dass sie auch im vorliegenden Untersuchungszusammenhang Geltung beansprucht und einer Verallgemeinerung zugänglich ist. 1183  Zum Ausdruck gebracht in BVerfGE 21, 362 (371 f.); 143, 246 (315, Rn. 193). 1184  Aus entgegengesetzter Perspektive überzeugt es schließlich genauso wenig, eine erweiterte Grundrechtssubjektivität staatlicher Einheiten auf das Argument stützen zu wollen, dass auch juristische Personen in staatlicher Trägerschaft in letzter Konsequenz die Verwirklichung individuellen Grundrechtsschutzes förderten, vgl. dazu H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (95 f.); Kimminich, Schutz (Fn. ), S. 26; M ­ ichael/ Morlok, Grundrechte (Fn. 395), § 13 Rn. 458; in diesem Sinne auch BVerfGE 61, 82 (103 f.); 75, 192 (196).



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c) Grundrechtsberechtigung nur im eigenen Kompetenzrahmen Das Grundgesetz selbst trennt zwischen einem Grundrechtsteil und dessen Folgeabschnitten, die sich in der Hauptsache mit den Beziehungen der Staatsorgane zueinander beschäftigen und damit die Grundlagen der deutschen Staatsorganisation ausgestalten1185. Diese systematische Trennung muss sich auch in der Diskussion um die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft fortsetzen, um dem Eindruck entgegenzutreten, die Zubilligung grundrechtlichen Schutzes an staatliche ­ Organisationseinheiten ginge zwangsläufig mit einer Schwächung oder gar Durchbrechung der gegebenen Kompetenzordnung einher1186. Unter Berücksichtigung der Trennung von Grundrechten und Staatsorganisation kommt eine potentielle Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten nur für solche Tätigkeiten der betroffenen juristischen Personen in Betracht, die sich innerhalb der eigenen, zugewiesenen Kompetenzen bewegen1187. Ein Ausbrechen aus dem eigenen Zuständigkeitsrahmen mit den Mitteln des Grundrechtsschutzes trüge erste Züge einer staatlichen allgemeinen Handlungsfreiheit in sich und träfe die Organisationshoheit des Staates ins Mark1188. Grundlage einer erneuerten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG ist nicht die Vorstellung, das Handeln staatlicher Einheiten besitze aus sich heraus eine schützenswerte rechtsethische Qualität, die es rechtfertige, ihnen 1185  Dieser Gedanke fungiert in Zusammenhang mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand immer wieder als Ausgangspunkt unterschiedlicher Konzepte zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG, vgl. etwa H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (91); H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S.  413 ff.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 94, 117. 1186  So etwa von Olshausen, Anwendbarkeit (Fn. 157), S.  138 ff.; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 115. Das Bundesverfassungsgericht äußert in diesem Zusammenhang ebenfalls die Sorge, dass die Zubilligung von Grundrechtsschutz an juristische Personen in staatlicher Trägerschaft mit erheblichen Einschnitten auf die staatsorganisatorische Flexibilität und die sinnvolle Ordnung der staatlichen Aufgabenerfüllung verbunden sei, so in BVerfGE 21, 362 (372 f.); 68, 193 (211); vgl. zu letzterem auch oben S. 49 ff. Jedenfalls in Bezug auf das deutsche Nachbarland Österreich hat sich diese Sorge nicht bewahrheitet. Der dortige Verfassungsgerichtshof geht im Grundsatz von einer Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen aus, s. dazu bereits oben S. 204 f. mit Fn. 797. Dass Österreich infolge dieser Rechtsprechung mit der Dysfunktionalität seiner Staatsorganisation zu kämpfen habe, lässt sich schwerlich behaupten. 1187  Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S.  22 ff.; ders., NJW 1969, 1321 (1326); Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 5 Rn. 239; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 105, 111; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 28; bereichsspezifisch für staatliche Wirtschaftstätigkeit auch R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 101; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S.  236 f. 1188  Zur Organisationsgewalt des Staates und ihrer Rolle in der konkreten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG noch näher unten S. 328 ff.

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Willkür und Selbstverwirklichung zuzubilligen. Vielmehr liegt ihr der Gedanke zugrunde, dass juristische Personen in staatlicher Trägerschaft auch im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dem Zugriff eines Hoheitsträgers dergestalt ausgesetzt sein können, dass aus wertender Sicht kein Unterschied zur Situation natürlicher oder privat getragener juristischer Personen ersichtlich ist und der Gedanke der Waffengleichheit die Eröffnung des Grundrechtsschutzes rechtfertigt1189. Vor diesem Hintergrund verbirgt sich hinter dem als Schreckensbild gezeichneten „Grundrechtsschutz von Kompetenzen“1190 vor allem ein Kampfbegriff zur Verteidigung des bundesverfassungsgerichtlichen, an der liberalen Grundrechtstheorie orientierten und maßgeblich auf der Trennung von Kompetenz und Freiheit beruhenden Ansatzes. d) Fortbestehendes Band demokratischer Legitimation Vornehmlich klarstellenden Charakter hat darüber hinaus die Prämisse, dass eine neu zentrierte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG und eine damit möglicherweise einhergehende erweiterte Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten die von der Verfassung in Gestalt des Art. 20 Abs. 2 GG eingeforderte demokratische Legitimation dieser Einheiten nicht antastet. Die bisweilen vorgetragene Metapher, eine Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft durchschneide das Band ihrer demokratischen Legitimation1191, ist eingängig und transportiert den Gedanken von Gegensätzlichkeit. Gleichwohl kann sie bei Lichte besehen nicht überzeugen. In dem Gedanken eines Exklusivitätsverhältnisses wirkt die Annahme einer verallgemeinerten Korrelation von Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung fort, die in dieser Pauschalität nicht zutrifft und jede Differenzierung 1189  Die Vorstellung eines qualifizierten Machtgefälles im staatlichen Binnenverhältnis wird oftmals schlagwortartig mit dem Begriff des „Außenrechtsverhältnisses“ zusammengefasst, grundlegend von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 115; vgl. ferner die Ausführungen unten S. 325 ff. Zum Gedanken der Waffengleichheit zunächst T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (29 f.); dazu erneut unten S. 343 ff. 1190  H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (107) sieht darin eine „exquisite Verdrehung jeder Grundrechtsidee“; vgl. auch die fragende Kapitelüberschrift bei dems., Grundrechtsberechtigung (Fn.  30), S.  8. Ähnlich Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 83, 86, der abwertend von einem „Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen“ spricht. In starkem Kontrast dazu gehen H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11) davon aus, die Möglichkeit einer grundrechtlichen Absicherung staat­ licher Kompetenzen gehöre zum nahezu einhellig vertretenen Allgemeingut in der Diskussion. 1191  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  93 f.; Lauterbach, Unternehmen (Fn. 776), S. 224 mit Fn. 180; ähnlich von Olshausen, Anwendbarkeit (Fn. 157), S. 138 f. Im Ergebnis ebenso Preuß, Wahlkampfauftritte (Fn. 686), S. 140; Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 149.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG315

von vornherein ausschließt1192. Da auch nach der hier vertretenen Lösung einer betroffenen juristischen Personen Grundrechtsschutz nicht absolut, sondern stets im Zuschnitt auf ein konkretes Rechtsverhältnis sowie innerhalb des eigenen Kompetenzrahmens zuzubilligen ist, bleiben die Anforderungen unangetastet, die Art. 20 Abs. 2 GG an die demokratische Legitimation staatlichen Handelns stellt. Die Tätigkeit staatlicher Akteure muss, allgemein gesprochen, weiterhin in einem Zurechnungszusammenhang zum Volkswillen stehen, der in einer wertender Gesamtschau zu bestimmen ist1193. Für den konkreten Einzelfall kann insoweit nichts anderes gelten. Die angesprochene Metapher bleibt dagegen den Nachweis schuldig, inwieweit das Band der demokratischen Legitimation tatsächlich zerschnitten wird, wenn sich eine staatlich getragene juristische Person in einer konkreten Gefährdungssituation gegenüber dem hoheitlichen Zugriff möglicherweise mittels Art. 19 Abs. 3 GG auf grundrechtlichen Schutz zu berufen vermag. An verschiedenen Beispielen aus der bis dato gerichtlich geübten Praxis lässt sich ablesen, dass sich die beschwerdeführenden juristischen Personen sehr wohl innerhalb des Rahmens ihrer demokratischen Legitimation bewegten, wenn sie grundrechtlichen Schutz gegen hoheitlichen Zugriff beanspruchten1194. An diesem 1192  U. Becker, Jura 2019, 496 (508); dazu bereits S. 304 ff. – Das Fortwirken des Exklusivitätsgedankens lässt sich bei Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 92 f. und Preuß, Wahlkampfauftritte (Fn. 686), S. 137 ff. beobachten, die den Begriff der demokratischen Legitimation teilweise gar synonym zur Grundrechtsbindung zu gebrauchen scheinen und so die Unterschiedlichkeit beider Kategorien nivellieren. 1193  Hergebrachte Bestimmungskategorien innerhalb dieser Gesamtbetrachtung sind etwa sachlich-inhaltlicher oder personell-organisatorischer Natur. Speziell in jüngerer Zeit treten vermehrt flexiblere Legitimationsgesichtspunkten hinzu. Übersichtlich und statt vieler sowohl zu den tradierten Modellen demokratischer Legitimation als auch zu jüngeren Tendenzen hinsichtlich bestimmter Substitutionsoptionen H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn.  109 ff., 114 f. 1194  Zwei dieser Fälle seien hier nur schlaglichtartig beleuchtet. Wenn eine Sparkasse gegen die Beschlagnahme mutmaßlich im allgemeinen Geschäftsbetrieb angelegter Aktenordner im Zuge einer Durchsuchung der Steuerfahndung grundrechtlichen Schutz aus Art. 13 GG für sich beansprucht, bewegt sie sich damit weiter innerhalb ihres gesetzlich festgeschriebenen Zwecks der geldwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung (z. B. § 2 Abs. 1 SpkG NRW, § 4 Abs. 1 S. 1 NiedersächsSpkG) und damit in den Grenzen ihrer sachlich-inhaltlichen Legitimation. Der Vorstand, der die Sparkasse nach den Sparkassengesetzen in einem entsprechenden gerichtlichen Verfahren vertritt, ist über den Verwaltungsrat und den Sparkassenträger gerade auch in der konkreten Handlung personell-organisatorisch legitimiert (s. z. B. §§ 8 Abs. 1, 15  Abs. 2, 20 Abs. 1 SpkG NRW), vgl. zum Fall BVerfG (K), NJW 1995, 582 (582). Wenn sich eine Gemeinde zum Schutz einer von ihr landwirtschaftlich genutzten und teils verpachteten Fläche unter Berufung auf Art. 14 GG gegen eine atomrechtliche Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums für ein Vorhaben in der Nachbargemeinde wendet, wird sie in Erfüllung einer selbstverantwortlich gewählten Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft tätig und bewegt sie sich somit innerhalb ihrer funktio-

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Befund hätte sich nichts geändert, wäre ihnen eben jener Schutz auch zugesprochen worden1195. Die Anforderungen demokratischer Legitimation stehen der möglichen Grundrechtsberechtigung einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft nach alldem nur dann entgegen, wenn sich diese in einem engen Abhängigkeits- und Weisungsverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger befindet, das sich aus einer gesetzlichen Grundlage oder der Organisationsgewalt des letzteren speist und sich im Rahmen etwa der Staatsaufsicht bewegt1196. Billigte man der betroffenen staatlichen Organisationseinheit in diesem Fall mittels Art. 19 Abs. 3 GG eine Grundrechtssubjektivität gegenüber der weisungsbefugten Stelle zu, könnte sie ihre grundrechtliche Verteidigung in der Tat dazu nutzen, die Glieder der demokratischen Legitimationskette zu kappen und das eigene Handeln aus dem von Art. 20 Abs. 2 GG geforderten Zurechnungszusammenhang zum Volkswillen herauszulösen. Nur insofern steht Art. 20 Abs. 2 GG einer Grundrechtssubjektivität im staatlichen Binnenverhältnis entgegen. e) Theoretische Grundgedanken: Die staatlich getragene juristische Person und das „Wesen“ der Grundrechte Ein erneuerter Auslegungsansatz des Art. 19 Abs. 3 GG kommt nicht umhin, das interpretatorische Fundament zu offenbaren, auf dem er ruht. Die nell-institutionellen Legitimation aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Die Entscheidung zur landwirtschaftlichen Nutzung geht mutmaßlich auf einen Beschluss des vom Gemeindevolk gewählten Gemeinderates zurück und ist damit sachlich-inhaltlich legitimiert, während der die Gemeinde vertretende und unmittelbar vom Gemeindevolk gewählte Bürgermeister (s. bspw. §§ 42 Abs. 1 S. 2, 45 Abs. 1 GemO BW) in der konkreten Handlung der Klageerhebung auch personell-organisatorisch legitimiert ist, vgl. zum Fall BVerfGE 61, 82. 1195  Eher beiläufig, aber der Sache nach wie hier bereits von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 103 mit Fn. 60. – Bestätigt wird diese Einschätzung etwa durch die Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlich organisierter Orthopädietechniker-Innungen in BVerfGE 70, 1 (15 ff.). Ihre demokratische Legitimation zog das Verfassungsgericht in der entsprechenden Entscheidung zurecht nicht in Zweifel und erwähnte sie an keiner Stelle. Eine solche ergibt sich für den Bereich, den die betroffenen Innungen über Art. 12 GG als geschützt ansahen, etwa aus sachlich-inhaltlicher Perspektive aus der damaligen einfachgesetzlichen Rechtslage, die das Gericht zu Beginn des Beschlusses eingehend schildert, vgl. dazu BVerfGE 70, 1 (1 ff.). 1196  S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (258 mit Fn. 67). Hinsichtlich der Staatsaufsicht im Ergebnis ebenso K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1327), auch wenn er diesen Gedanken nicht an die demokratische Legitimation anknüpft; zum Ausschluss der Grundrechtssubjektivität in organisationsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnissen auch noch unten S. 328 ff.



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Bestimmung selbst formuliert nur einen denkbar offenen Anknüpfungspunkt für ein solches Fundament, indem sie die Geltung der Grundrechte für juristische Personen davon abhängig macht, dass diese „ihrem Wesen nach“ auf Organisationseinheiten anwendbar sind. In der Konsequenz dessen setzt sich jedes Interpretationsgerüst um Art. 19 Abs. 3 GG notwendigerweise auch aus Wertungen und Folgerungen zusammen, die außerhalb der konkreten Norm liegen. Dass dabei auch grundrechtstheoretische Elemente und ein vorgeprägtes Verständnis von Verfassung und Grundrechten zum Vorschein kommen, lässt sich weder leugnen noch gänzlich vermeiden1197. Es ist aber der Hinweis auf die theoretischen Grundlagen eines Konzepts, der die bevorzugte Auslegung gleichzeitig in einen breiteren Kontext einbettet und zu Verständnis und Überzeugungskraft beiträgt. Die Darstellung der Wurzeln des eigenen Ansatzes besitzt zumindest das Potential, die Auslegung schlüssig vorzustrukturieren1198. Bilden grundrechtstheoretische und vom Verfassungstext zu stark losgelöste Gedanken dagegen das Rückgrat der konkreten Auslegung und fungieren als Ausgangsgleichung zur unmittelbaren Ableitung dogmatischer Figuren, gewinnen die kritischen Einwände einer vornehmlich ideologisch motivierten Auslegung und zunehmender Beliebigkeit an Bedeutung1199. Ziel der folgenden Ausführungen soll demnach sein, eine angepasste Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im Hinblick auf ihre theoretischen Hintergründe zu erläutern und damit ihre Einordnung in einen übergeordneten Zusammenhang zu erleichtern. Mag die Interpretation aufgrund des kargen Wortlauts der Norm auch nicht ohne Wertungen auskommen, die außerhalb des Art. 19 Abs. 3 GG liegen, sollen diese jedoch möglichst eng an den Verfassungszusammenhang rückgekoppelt werden. Mit Blick auf das in Art. 19 Abs. 3 GG in Bezug genommene „Wesen“ der Grundrechte sei an dieser Stelle für eine Abkehr von der vornehmlich grundrechtstheoretisch geprägten, anthropozentrischen Lesart des Bundesverfassungsgerichts und für einen Schwenk hin zum Verständnis im Sinne einer grundrechtsfunktionalen Schutzwürdigkeit plädiert. Das Verfassungsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung ein abstraktes Begriffsverständnis des Wesensvorbehalts und hat aus dem ideengeschichtlichen Ursprung der Grundrechte als Verteidigungsrechte gegen obrigkeitsstaatliche Gewalt eine kategorische Auskerbung staatlich getragener juristischer Personen aus dem 1197  Im Allgemeinen auch W. Brugger, JZ 1987, 633 (633); W. Schmidt, Jura 1983, 169 (171). 1198  Zum argumentativen Wert der Grundrechtstheorie wie hier Alexy, Theorie (Fn. 1065), S. 520; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Fn. 1086), S. 107, 131 ff. 1199  Dazu etwa Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Fn. 1086), S. 131 ff.; eingehend bereits zuvor S. 280 ff.

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Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG gefolgert1200. Diese Lesart ist in verschiedener Hinsicht kritikwürdig. Zum einen greift sie auf extrakonstitutionelle Maßstäbe zurück, wenn sie bestimmte – zweifelsohne historisch nachweisbare, freilich außerhalb der Verfassung liegende – geistesgeschichtliche Strömungen zum geschlossenen Bild der liberalen Grundrechtstheorie zusammenführt und diese wiederum zur Herleitung konkreter dogmatischer Figuren wie der Durchgriffsthese nutzt1201. Zum anderen lässt sich das Ergebnis einer nur ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft – wie gesehen – aus dem Verfassungszusammenhang begründen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Grundrechtstheorie bedarf. Legt die Verfassung in Gestalt des Art. 1 Abs. 3 GG besonderen Wert auf eine lückenlose Grundrechtsbindung staatlicher Akteure in ihrem hoheitlichen Handeln und kann dieselbe Person nicht in ein und dem­ selben Rechtsverhältnis aus den Grundrechten berechtigt und verpflichtet sein, scheidet eine umfassende Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft im Sinne einer allgemeinen staatlichen Handlungsfreiheit aus. Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft wird so zum Ausnahmebefund1202. Darüber hinaus führt die vom Verfassungsgericht praktizierte Interpretation des Wesensbegriffs in Art. 19 Abs. 3 GG zu einer so bindenden strukturellen Festlegung, dass sie eine Differenzierung im Einzelfall ausschließt. Abweichende Ergebnisse lassen sich infolgedessen allein durch einen Bruch mit den eigenen Grundsätzen rechtfertigen. Gerade dieser Aspekt steht in Widerspruch zur Normkonzeption des Art. 19 Abs. 3 GG. Während Art. 1 Abs. 3 GG umfassend ausgestaltet ist und in Fragen der Grundrechtsbindung keine Unsicherheiten zulässt, ist es die Formulierung des Art. 19 Abs. 3 GG mit ihrem Wesensvorbehalt, die auf Seiten der Grundrechtsberechtigung Graustufen und einzelfallorientierte Differenzierung ermöglichen soll1203. Einige denken diese Linie konsequent fort: Wenn Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 3 GG gerade die feingliedrige Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit bestimmter Grundrechte 1200  Insoweit grundlegend BVerfGE 21, 362 (368 f.). Exemplarisch für die beipflichtenden Stimmen aus der Wissenschaft gerade in Anknüpfung an das „Wesen“ der Grundrechte Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 64 f. Ausführlich und mit entsprechenden Nachweisen dazu oben S. 32 ff., 39 ff. 1201  Wie hier Kau, Persönlichkeitsschutz (Fn. 114), S. 50 f., 56; D. Krausnick, JuS 2008, 965 (966); Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 22 ff. Ebenfalls kritisch zu den naturrechtlichen Anklängen eines solchen Ansatzes Achterberg, Bedeutung (Fn. 66), S. 1 (6); K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (79); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 30 ff. 1202  Dazu bereits zuvor S. 304 ff. 1203  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 f.); s. ferner oben S. 305 f.



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ist, höhlte ein abstraktes Abstellen auf das „Wesen“ der Grundrechte im Allgemeinen diese Logik aus, so dass eben jenes „Wesen“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG notwendigerweise auf die konkret in Betracht kommenden Grundrechte und nicht auf den Charakter der Grundrechte als Verfassungs­ institut bezogen sein müsse1204. Gleichwohl kommt auch diese Ansicht nicht an der Feststellung vorbei, dass Art. 19 Abs. 3 GG hinreichenden Anlass zu einer ganz grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Schutzgehalt der Grundrechte gibt1205. Sinnstiftende Grundlage der hier vertretenen Position ist eine Sicht auf die Grundrechte als Schutzeinrichtungen bestimmter subjektiver Freiheitsräume im Angesicht des hoheitlichen Zugriffs1206. Diese Perspektive orientiert sich zwar auch an der betroffenen Organisationseinheit, nimmt aber insbesondere den Schutzbereich in den Blick, den ein Grundrecht in der Sache gewährleistet, um diesen Bereich gegen den Zugriff eines übermächtigen, hoheitlich auftretenden Gegenüber abzuschirmen. Solange sich der Eingriffsgegner in einer Gefährdungsposition befindet, die die konkrete Grundrechtsbestimmung ihrer Konzeption nach gerade zu erfassen gedenkt, kommt es aus dieser Perspektive weniger darauf an, ob es sich dabei um eine juristische Per1204  Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 141; Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 26; im Ergebnis ebenso Achterberg, Bedeutung (Fn. 66),  S. 25; K. A.  Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); vgl. der Sache nach auch Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 85 f. mit Fn. 198. Trotz kritischer Haltung gegenüber der verfassungsgerichtlichen Auslegung anders Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 168; A.  von Mutius, Jura 1983, 30 (34). Eine anschauliche Gegenüberstellung beider Ansätze leistet Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27 ff. 1205  Das zeigt sich gerade dann, wenn statt des abstrakt verstandenen „Wesens“ der Grundrechte der Blick auf die konkrete juristische Person – in der Regel solche des öffentlichen Rechts – genutzt wird, um grundlegende Ansichten zu Charakter und Wirkrichtung der Grundrechte zu formulieren, so etwa Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 141, 146  ff.; in diese Richtung auch M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (892); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (12 ff.); F. Schoch, Jura 2001, 201 (203 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 30 mit Fn. 102, der die Notwendigkeit einer grundlegenden Auseinandersetzung unabhängig davon vorauszusetzen scheint, ob man einer konkreten oder abstrakten Interpretation des Wesensvorbehalts des Art. 19 Abs. 3 GG zuneigt. Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 17 tendiert zu einem abstrakten Verständnis, hält eine allgemeine Stellungnahme zum Charakter der Grundrechte aber jedenfalls hinsichtlich staatlicher Organisationseinheiten für „unvermeidlich“. 1206  Ebenso Achterberg, Bedeutung (Fn. 66),  S.  6 f.; Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S. 8; ders., NJW 1969, 1321 (1327); Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 173; R. Mögele, NJW 1983, 805 (805); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 36 f., 106, 110; ders., Jura 1983, 30 (40); Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 88; nur deskriptiv Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27 Fn. 4. Der Sache nach ähnlich R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  89 f.; Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 83, 85. Im Ausgangspunkt auch noch Michael/Morlok, Grundrechte (Fn. 395), § 13 Rn. 458; vgl. parallel zu den Grundrechten auf europarechtlicher Ebene Crones, Grundrechtlicher Schutz (Fn. 733), S. 167 f., 173.

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son in privater oder staatlicher Trägerschaft handelt. Als notwendige Bedingung einer solchen Eingriffssituation ist freilich vorauszusetzten, dass die betroffenen Organisationseinheiten in einem hinreichenden Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger stehen1207. Indem sie sich schon in ihrem Grundgedanken von einer Rückkopplung der Schutzwürdigkeit an natürliche Personen löst, respektiert eine solche Perspektive nicht nur den Eigenwert juristischer Personen, der in Art. 19 Abs. 3 GG gerade zum Ausdruck kommt1208. Der Fokus auf den geschützten Freiheitsbereich ist darüber hinaus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip zuträglich. Ein erweiterter Blick auf den Kreis der Grundrechtsberechtigten fördert die gerichtliche Kontrolle hoheitlichen Handelns und stärkt die Gewaltenteilung1209. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte einer grundrechtsfunktionalen Schutzwürdigkeit1210 ermöglicht demnach einen Differenzierungsgewinn, ohne den Grundrechtsschutz natürlicher Personen anzutasten, wenn man die zuvor entfalteten Prämissen ernst nimmt. Den rechtsethischen Selbststand des Grundrechtsschutzes auf diese Weise anzutasten und die Grundrechte in einen Zusammenhang mit ihrem Potential zur Förderung anderer Strukturprinzipien der Verfassung zu stellen, galt in der deutschsprachigen Staatsrechtswissenschaft bis dato geradezu als „frevlerisch“1211. Dieses Stigma hat 1207  Dazu

noch unten S. 325 ff. dem von Art. 19 Abs. 3 GG vermittelten grundrechtlichen Eigenwert juristischer Personen etwa U. Becker, Jura 2019, 496 (507); Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 4; A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (60 f.); vgl. aus der frühen verfassungsgerichtlichen Judikatur auch BVerfGE 3, 383 (391). 1209  So auch D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406); allgemeiner hinsichtlich der rechtsstaatlichen Bedeutung des Art. 19 Abs. 3 GG im Gefüge der Verfassung ebenso Tietje, Person (Fn. 115), S. 678. Kritisch zur Berücksichtigung der Gewaltenteilung in diesem Zusammenhang Axer, Normsetzung (Fn.  22), S.  253 f.; Rüfner (Fn. 90), § 196 Rn. 115. – Konsequent fortgedacht wird auf diesem Wege die Position derjenigen, die ihre Auffassung von den Grundrechten als Sicherungsinstrumente bestimmter Freiheitsräume mit dem Aspekt einer durch sie gerade beabsichtigten Einhegung hoheitlichen Handelns verknüpfen, so K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1327); Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S. 175; ders./A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 36 f., 106; ders., Jura 1983, 30 (40). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Gedanken des Europäischen Gerichts in EuG, Rs. T-578/12, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2014:678), Rn. 170 ff. (National Iranian Oil Company/Rat), mögen sie auch vereinzelt geblieben sein. 1210  Gemeint ist damit nichts anderes, als den Blick der Auslegung sowohl auf die konkret betroffene juristische Person und ihre Stellung zum eingreifenden Hoheitsträger als auch auf das im Einzelfall in Bezug genommene Grundrecht zu richten. So verfahren auch K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); Dreier (Fn. 17); Art. 19 III Rn. 11; M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (892); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (12 f.); Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 141; F. Schoch, Jura 2001, 201 (203). 1211  Von Ungern-Sternberg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S. 73 mit entsprechenden Nachweisen. Früh und aus einer systemtheoretischen Perspektive für eine 1208  Zu



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das Bundesverfassungsgericht höchstselbst unbeachtet gelassen, als es in seinem Atomausstiegsurteil den deutschen Grundrechtsschutz instrumentalisierte, um Wettbewerbsnachteile einer juristischen Person in der Hand eines europäischen Staates auf dem deutschen Energiemarkt auszugleichen und so zur Effektuierung der europarechtlichen Grundfreiheiten beizutragen half1212. Bei genauerem Hinsehen hat das Gericht diesen Aspekt im vorliegenden Zusammenhang sogar noch deutlich früher zu Rate gezogen. Seine tradierte Ausnahme zur Grundrechtssubjektivität staatlicher Untergliederungen hinsichtlich der justiziellen Rechte der Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG hat es gerade mit der Funktion eben jener Bestimmungen für die Gewährleistung eines fairen und integren gerichtlichen Verfahrens begründet1213. Auch im Hinblick auf andere gewichtige Karlsruher Wegmarken erscheint die Festlegung des Verfassungsgerichts auf den anthropozentrisch gedachten Abwehrcharakter der Grundrechte als einzig berücksichtigungsfähige Größe in der Bestimmung des „Wesens“ der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG überraschend eindimensional. So hat es bereits im wegweisenden Lüth-Urteil den Charakter der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen der Verfassung mit normativem Achtungsanspruch hervorgehoben1214, diesen Aspekt aber im Hinblick auf Rechtsverhältnisse im staatlichen Binnenverhältnis und in Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG für unbeachtlich erklärt1215. In seiner jüngst begründeten Rechtsprechungslinie scheint das Gericht gar über die hier bevorzugte theoretische Prämisse, Grundrechte als Schutzbastionen bestimmter Freiheitsräume gegen hoheitlichen Zugriff anzusehen, hinauszugehen. Im Stadionverbot-Beschluss und der dort praktizierten Verpflichtung einer rein privat getragenen juristischen Person auf unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete Verfahrensanforderungen hat es ein in besonderem Maße erweitertes Grundrechtsverständnis zum Ausdruck gebracht: Das Verfunktionale Sicht auf die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen dagegen R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  93 ff. 1212  BVerfGE 143, 246 (313 ff., 317 ff., Rn. 187 ff., 196 ff.); zur Einordnung der Entscheidung eingehend S. 158 ff. 1213  So etwa in BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104 f.); näher dazu oben S. 37 f., 90  f. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unter anderem Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326 attestiert dem Verfassungsgericht zutreffend einen „Systembruch“. 1214  BVerfGE 7, 198 (205 ff.). 1215  BVerfGE 21, 362 (371 f.); 81, 310 (334). Wie sich diese Position mit der Zubilligung justizieller Grundrechte an juristische Personen in staatlicher Trägerschaft verträgt, die gerade darauf fußt, dass es sich bei diesen um objektive Verfahrensgrundsätze handele, bleibt fraglich, dazu bereits oben S. 91 f. Für eine stärkere Berücksichtigung der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im Rahmen eines funktional orientierten Ansatzes aus jüngerer Zeit A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (73 f.).

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fassungsgericht scheint die Grundrechte dort nicht nur als Schutzinstrumente bestimmter Freiheitsräume gegen hoheitlichen Zugriff, sondern auch gegen kumulierte soziale Machtausübung in Stellung bringen zu wollen, sollte diese einen bestimmten Grad an Asymmetrie erreichen1216. Das Zusammenspiel aus einem abstrakten Verständnis des Wesensvorbehalts in Art. 19 Abs. 3 GG und einer streng individualistischen Deutung der Grundrechte in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat eine Pauschalität in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG verfestigt, die das Gericht selbst an anderer Stelle in seinen Grundfesten durchbrechen muss, um im Einzelfall anderslautende Ergebnisse rechtfertigen zu können. Der hier vertretene Ansatz formuliert in zweierlei Hinsicht andere Vorzeichen: Ausgangspunkt ist die Auslegung des Wesensvorbehalts in Art. 19 Abs. 3 GG im Sinne einer grundrechtsfunktionalen Schutzwürdigkeit. Sie richtet den Blick auf das im Einzelfall betroffene Rechtsverhältnis, eröffnet Raum für Differenzierung und kann die verschiedenen Graustufen berücksichtigen, die sich unter Umständen auch im staatlichen Binnenverhältnis abzeichnen. Als sinnhafte Abstützung dieser Handhabe dient ein weniger verengter theoretischer Rahmen, der die Grundrechte als Verteidigungslinien bestimmter verfassungsrechtlich gewährter Freiheitsräume begreift. Ein solches Vorgehen klingt, nota bene, zumindest in der aktuellen Entwicklungsstufe auch im europäischen Mehrebenensystem an. Der Blick auf die europa- und menschenrechtliche Ebene hat gezeigt, dass gerade die Konventionsebene und, davon mittelbar beeinflusst, auch der europarechtliche Grundrechtsschutz nach jetzigem Stand von einem – wenn auch voraussetzungsreichen – einzelfallorientierten Ansatz ausgehen. Dieser kann im Ergebnis sehr wohl zu einer Grund- bzw. Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten führen, ohne dass die Regime dabei die Orientierung der eigenen Rechtsordnung an der Menschenwürde leugnen müssten1217. Der durch die hier dargestellten konzeptionellen Gedanken errungene Differenzierungsgewinn steht nicht nur um seiner selbst willen. Eine auf Grundlage dessen erweiterte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG gerade im Hinblick auf eine potentielle Grundrechtsberechtigung 1216  Vgl. dazu die Ausführungen zur Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG zwischen Privaten in BVerfGE 148, 267 (283 ff., Rn. 39 ff.); ausführlich zu dieser Entscheidung oben S. 110 ff. – Bemerkenswerterweise bewegt sich das Verfassungsgericht damit nah an dem schon von Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 83, 85 formulierten und stark verallgemeinerten Verständnis von den Grundrechten als Schutzinstrumente des Schwächeren gegen die Macht des Stärkeren, das dieser zur Rechtfertigung einer erweiterten Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten i. R. d. Art. 19 Abs. 3 GG heranzieht. 1217  Zur wenig prominenten Rolle der Menschenwürde auf europarechtlicher und menschenrechtlicher Ebene in der Beantwortung der Frage nach einer potentiellen Grundrechtssubjektivität staatlicher Einheiten bereits oben S. 215 f., 244 f. und zusammengefasst S. 266 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG323

juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft führt zu einer erhöhten Kontrolle hoheitlichen Handelns, stärkt die Gewaltenteilung und dient auf diesem Wege der Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips. 2. Die „grundrechtstypische Gefährdungslage“ als Ausweg aus der Karlsruher Ausnahmenkaskade Ein Konzept, das den Appell zur Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls in sich trägt, sieht sich schnell dem Vorwurf von Beliebigkeit und Rechtsunsicherheit aufgrund mangelnder Systembildung ausgesetzt. Nur ein in seinen Kriterien klar umrissener, auf strukturellen Beurteilungsgesichtspunkten fußender Auslegungsansatz kann dem im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG entgegenwirken. Ein Maßstab, der das unter Berücksichtigung der bisher entfalteten grundsätzlichen Prämissen zu leisten imstande ist, ist derjenige der sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage1218. Angesichts des verstetigten Karlsruher Ausbrechens aus den eigenen, in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG angelegten Mustern verwundert es nicht, dass die Rufe nach einem Perspektivwechsel beim ausschlaggebenden Kriterium und der Hinwendung zur grundrechtstypischen Gefährdungslage in jüngerer Zeit wieder lauter werden1219. Die vorliegende Betrachtung schließt sich diesen Rufen an. Die einzelnen Kriterien für das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage bedürfen allerdings sowohl einer numerischen Aufstockung als auch einer inhaltlichen Konturenschärfung, soll der Balanceakt zwischen der Eröffnung von Wertungsspielräumen im Einzelfall und der Gewährleistung einer rechtssicheren Handhabe tatsächlich gelingen. Nicht zu Unrecht mahnen auch die jüngeren Stimmen insofern einen nicht nur unbeachtlichen Konkretisierungsbedarf an1220.

1218  Überblicksartig dazu bereits oben S. 65 ff. In der Vergangenheit haben sich auf dieser Grundlage immer wieder verschiedene Autoren für eine veränderte Handhabe stark gemacht, s. aus unterschiedlichen Diskussionszeiträumen nur K. A. Better­ mann, NJW 1969, 1321 (1324 ff.); A. von Mutius, Jura 1983, 30 (38 ff.); F. Schoch, Jura 2001, 201 (206 f.); jüngst Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S.  376 ff. 1219  Allein im Anschluss an das Atomausstiegsurteil T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (19, 27 ff.); M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (6); ders./C. Friedmann., NVwZ 2018, 22 (27); dies., JA 2018, 807 (814 f.); Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 53. Darüber hinaus auch T. Kingreen/F. Möslein, JZ 2016, 57 (65 f.); Tietje, Person (Fn. 115), S. 678. Mit Abstrichen U. Becker, Jura 2019, 496 (506 f., insb. Fn. 125) und D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (404), die das Modell zwar befürworten, gleichzeitig aber dessen Charakter als echten Gegenentwurf zur Rechtsprechung in Zweifel ziehen. 1220  U. Becker, Jura 2019, 496 (506 f.); D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406); vgl. zuvor auch schon Achterberg, Bedeutung (Fn. 66),  S.  6 f.

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a) Rückblick auf den Kerngedanken Der Auslegungsansatz, der zur Beurteilung der Grundrechtsberechtigung insbesondere staatlich getragener Organisationseinheiten im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG auf die zentrale dogmatische Figur der grundrechtstypischen Gefährdungslage setzt, verzichtet bewusst auf den vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen anthropozentrischen Unterbau und ist ursprünglich gerade als Gegenmodell zur tradierten Rechtsprechung entworfen worden1221. Das hinderte das Bundesverfassungsgericht indes nicht, den Ansatz terminologisch zu okkupieren. Das Gericht setzte den Grundgedanken schlicht auf das eigene grundrechtstheoretische Gerüst auf und nutzte ihn in der Folge einzelfallabhängig zur Bestätigung der über die Durchgriffsthese gefundenen Ergebnisse1222. Im vorliegenden Zusammenhang soll diese zugegeben geschickte Vermengung allerdings außer Betracht bleiben1223. Vielmehr geht es allein um die Rekapitulation des Kerngedankens, der die Figur der grundrechtstypischen Gefährdungslage definiert: Eine solche ist mit dem Blick auf bisherige Bestimmungsversuche dann anzunehmen, wenn sich ein rechtlich selbstständiges Rechtssubjekt in einem besonderen Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger befindet und die Position der Organisationseinheit in eben dieser Eingriffslage – ausgehend unter anderem vom sachlichen Schutzbereich des in Rede stehenden Grundrechts und der im betroffenen Fall ausgeübten Tätigkeit – derjenigen eines Privaten in der identischen Situation vergleichbar ist1224. In Bezug genommen sind damit richti1221  In grundlegenden Beiträgen wird das etwa bei K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324 f.) und von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 99 f., 106, 114 ff.; ders., Jura 1983, 30 (38 ff.) sichtbar; vgl. ferner die Gegenüberstellung bei Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 31 ff. 1222  Exemplarisch für dieses Vorgehen BVerfGE 45, 63 (79) und aus jüngerer Zeit BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195); dazu bereits oben S. 69 ff. – Ob vom Verfassungsgericht beabsichtigt oder nicht, hat diese Handhabe in jedem Fall dazu geführt, dass beide Ansätze heute teilweise als austauschbar verstanden werden, s. nur U. Be­ cker, Jura 2019, 496 (506 f. mit Fn. 125); D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (404 mit Fn. 96); A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (59); mit treffender Differenzierung dagegen Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 215; Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 29 mit Fn. 5. 1223  Für eine Übersicht über die Grundannahmen der grundrechtstypischen Gefährdungslage, zu der ihr gegenüber formulierten Kritik und dem Adaptionsvorgang seitens des Bundesverfassungsgerichts sei einmal mehr auf die vorherigen Ausführungen verwiesen, s. S. 65 ff. 1224  Diese Definition ist ein Destillat der Ausführungen von K. A.  Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324 f.), T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (28 f.), S. Muckel, JA 2020, 411 (413 f.), von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 115 und F. Schoch, Jura 2001, 201 (205). In der Sache ähnlich, wenngleich mit einer anders verstandenen Relation zwischen den einzelnen Merkmalen M. Ludwigs/C. Friedmann., NVwZ 2018, 22 (27).



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gerweise sowohl die juristische Person in staatlicher Trägerschaft als auch das konkret betroffene Rechtsverhältnis. Kommt darin die Grundidee der Figur erkennbar zum Ausdruck, ist der definitorische Ausgangssatz als solcher doch zu weit gefasst, um bereits aus sich heraus Rechtssicherheit gewährleisten zu können1225. b) Konturenschärfung der Begriffsmerkmale Die hier bevorzugte Interpretation der grundrechtstypischen Gefährdungslage basiert auf zwei zentralen Aspekten: der Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger sowie der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Interessenlage, die es anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall zu bestimmen gilt1226. aa) Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger Der Grundgedanke der Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger ist im Ausgangspunkt zumindest auch ein organisatorischer. Fragt das Wertungskriterium in einem zweiten Schritt danach, ob sich eine staatlich getragene juristische Person im Angesicht des hoheitlichen Zugriffs in einer Ausgangslage befindet, die derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischen Personen vergleichbar ist, so setzt dieser Gedanke in einem ersten Schritt doch zunächst voraus, dass der eingreifende Hoheitsträger überhaupt als echter Gegenüber auftritt. Von einem Übergriff des Staates im Wortsinne, d. h. von einem hoheitlichen Auftreten fernab der eigenen Organisations­ gewalt und dem Vorstoß in einen separierten Eigenbereich der betroffenen Person, kann nur die Rede sein, wenn eine hinreichende Distanz zwischen Eingreifendem und Eingriffsgegner besteht1227. Zur Kurzbeschreibung dieser Voraussetzung hat sich der Begriff des sog. Außenrechtsverhältnisses eta­ 1225  So auch schon Achterberg, Bedeutung (Fn. 66),  S.  6 f.; Bleckmann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 42, 47 f., 101 mit Fn. 390; Storr, Staat (Fn. 18), S. 193. Sinnbildlich, wenn auch überspitzt Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 148: „Es wird auch nicht deutlich, wer oder was wie gefährdet ist“. 1226  Ein Vergleichsmodell, das zwar in einer anthropozentrischen Sicht auf Art. 19 Abs. 3 GG wurzelt und im Kern an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angeknüpft ist, mit der hier vertretenen Ansicht aber das unbedingte Eintreten für den Modus der Gesamtbetrachtung teilt, entwirft Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 115 ff. Wiederum einen anderen Schwerpunkt setzt Bleck­ mann, Ausnahmetrias (Fn. 23), S. 376 ff., der drei alternative Begründungsansätze für das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage darlegt. 1227  Nur selten setzen sich Beiträge zum Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage isoliert mit der Definition und Ausleuchtung eines so verstandenen Distanzverhältnisses auseinander. Insofern sind die Gedanken von S. Muckel, VVD-

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bliert1228. Dieser macht sowohl den Kerngedanken als auch die Konzentration auf das betroffene Rechtsverhältnis und damit die Einzelfallorientierung des Ansatzes zutreffend kenntlich. Inhaltlich ist er allerdings nicht gänzlich unbeeinflusst vom heute überwundenen Impermeabilitätsgedanken, entlehnt er die Bezeichnung des Außenbereichs doch der entsprechenden Diskussion und versteht den Begriff gerade als sachlichen Gegenentwurf zum lange für rechtlich undurchlässig gehaltenen sog. Innenbereich1229. Um diesen im einfachen Verwaltungsrecht beheimateten Gedanken endgültig vom Untersuchungszusammenhang der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen zu trennen, wird auf den Aspekt einer hinreichenden Eigenständigkeit der betreffenden juristischen Person in der Folge mit dem Terminus der Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger rekurriert. Zudem lenkt der Begriff die Aufmerksamkeit auf die Perspektive, aus der ein Urteil über diese Distanzstellung zu fällen ist. Sie muss beide Enden des konkreten Rechtsverhältnisses mit einschließen. Der differenzierende Ansatz des Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung lässt sich nur in der Auslegung abbilden, wenn die Betrachtung nicht bei einem abstrakten Blick auf die juristische Person und ihre Position im allgemeinen Staatsgefüge stehen bleibt, sondern den im Einzelfall eingreifenden Gegenüber und die Beziehung der betroffenen juristischen Person zu diesem mit einbezieht. Nur so lässt sich der Differenzierungsgewinn einer veränderten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG erzielen, der darin begründet liegt, dass ein und derselbe Betroffene einem eingreifenden Hoheitsträger in hinreichender Distanz gegenübersteht, einem anderen dagegen nicht, wenn dieser etwa im Rahmen eines Weisungsverhältnisses tätig wird. Der verallgemeinerte und isolierte Blick auf die betroffene juristische Person in Staatshand ist dagegen zu stark auf die generelle Struktur der Organisationseinheit fokussiert, führt zu einer vorgefertigten wie pauschalen Ausgruppierung bestimmter juristiStRL 79 (2020), 245 (258); dems., JA 2020, 411 (414) eine hervorzuhebende Ausnahme. 1228  Grundlegend von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 106, 115; ders., Jura 1983, 30 (40); ferner Erichsen, Staatsrecht (Fn. 149), S.  174 ff.; ders./A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (28 f.); Ludwigs, Effizienzanforderungen (Fn. 115), S. 222; ders./C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 28; F. Schoch, Jura 2001, 201 (205); deskriptiv Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27. Kritisch zum inhaltlichen Ansatz, aber mit der identischen Terminologie etwa Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  83 ff. 1229  Abzulesen ist das an den teils expliziten, teils impliziten Querverweisen zum Diskurs um die rechtliche „Impermeabilität“ des Staates etwa bei Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  84 f.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 106; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88 mit Fn. 46). – Zum Impermeabilitätsgedanken und seiner Überwindung s. bereits oben S. 50 mit Fn. 149.



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scher Personen und geht auf diesem Wege grobschlächtig über das Gefälle in der Schutzwürdigkeit und die Wertungsunterschiede hinweg, die sich in Abhängigkeit von der konkreten Zugriffssituation ergeben können1230. Eine so verstandene Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger lässt sich angesichts des weiten Spektrums und der Komplexität der in Betracht kommenden Ausgangskonstellationen sowie der unübersichtlichen Zahl an betroffenen juristischen Personen allein im Zuge einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall bestimmen. Richtschnur einer rechtssicheren Handhabe können dabei wiederkehrende Kriterien sein, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Während das Fehlen eines organisatorischen Abhängigkeitsverhältnisses als grundsätzlich zwingende Mindestvoraussetzung eines Distanzverhältnisses zu verstehen ist1231, bilden die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen horizontalen und föderalen Ebenen, das Selbstverwaltungsrecht und die Rechtsform indizielle und nicht abschließend zu verstehende Kriterien, die es in jedem Einzelfall als Hinweise auf Unabhängigkeit näher zu beleuchten und gewichten gilt. 1230  Bestes Beispiel dafür ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtssubjektivität von Sparkassen. In einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, in dem sich eine Sparkasse als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts gegen die Höhe einer Gerichtsgebühr im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens wandte, lehnte das Verfassungsgericht die Grundrechtsberechtigung mit dem Verweis auf die öffentliche Aufgabenstellung der Sparkassen insgesamt ab. Als wesentlichen Gesichtspunkt bezog das Gericht die historischen Ursprünge der Sparkassen als Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge seit Anfang des 19. Jahrhunderts in seine Argumentation mit ein und lehnte einen Vergleich mit der Ausgangs­position privater Banken ausdrücklich als unerheblich ab, sollte dieser in der Sache überhaupt tragen, s. BVerfGE 75, 192 (197 ff.). Den letzteren Aspekt wiederholte das Verfassungsgericht in einem späteren Verfassungsbeschwerdeverfahren, als sich eine Sparkasse unter Berufung auf eigene Grundrechte gegen eine Durchsuchungsanordnung im Zuge eines Steuerstrafverfahrens zur Wehr setzte, s. BVerfG (K), NJW 1995, 582 (582 f.). Nach dem Karlsruher Muster macht es keinerlei Unterschied, ob sich die Sparkasse gegen eine gerichtliche Gebühren- oder Durchsuchungsentscheidung oder gegen die Auflösungsentscheidung des eigenen Trägers (vgl. bspw. § 31 SpkG NRW) zu wehren gedenkt. Aus Sicht des Verfassungsgerichts ist die Gruppe der Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts aufgrund der wahrgenommenen Aufgabe vielmehr per se aus dem Kreis der Grundrechtsberechtigten auszuscheiden. Nach der hier vertretenen Auffassung sind die Wertungsunterschiede zwischen den beiden genannten Situationen dagegen so bedeutsam, dass sie eine differenziertere Beurteilung auch dann erfordern, wenn es aus der Perspektive des Staatsgefüges in allen Fällen um dieselbe Gruppe juristischer Personen geht; dazu auch von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 138. – Für eine einzelfallorientierte Sicht auf die Position der betroffenen juristischen Person zum sonstigen, grundrechtsgebundenen Staatsgeflecht auch Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 18. 1231  Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 405 mit Fn. 85 hält eine organisationsrechtliche Selbstständigkeit sogar für eine lagerübergreifend akzeptierte Grund­ voraussetzung in der Bestimmung der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen.

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(1) Kein unmittelbares organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis Der Zugriff allein auf die Organisationssphäre einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft seitens des dazu kompetenziell berechtigten Hoheitsträgers ist ein rein staats- und verwaltungsorganisationsrechtlicher Vorgang und Ausdruck einer institutionellen Abhängigkeit, die die Annahme eines Distanzverhältnisses zwischen beiden Einheiten grundsätzlich ausschließt. Eine Ausnahme kommt nur in einem engen Anwendungsbereich und unter grundrechtsspezifischen Gesichtspunkten in Betracht. (a) G  rundsatz: Keine Distanz bei staatsoriginären ­Organisationsentscheidungen Eine Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger scheidet in jedem Verhältnis aus, in dem der Eingreifende der betreffenden juristischen Person mit Organisationshoheit gegenübertritt. Die Idee eines eigenständigen Freiheitsbereichs ist in diesem Zusammenhang von vornherein ausgeschlossen. Grund dafür ist der Eingriffsgegenstand: Bewegt sich der Zugriff ausschließlich im Rahmen einer Angelegenheit, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung, Einrichtung oder Auflösung der juristischen Person steht, macht der Hoheitsträger ihr gegenüber allein von seiner Organisationsgewalt Gebrauch1232. Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, dass die Organisationsgewalt Ausdruck der originären staatlichen Befugnis ist, die eigene strukturelle Konstitution selbst festzusetzen und zu verändern1233, mögen auch einzelne Aspekte ihrer Verteilung vor dem Hintergrund von Gewaltenteilung und Föderalismus oftmals einer genaueren Beschäftigung bedürfen1234. Die juristische Person in staatlicher Trägerschaft ist demnach im Verhältnis zum Inhaber der Organisationsgewalt allein als Teil der Staatsorganisation betroffen. Ihr Verhältnis zueinander ist ein rein staatsorganisations- resp. verwaltungsrechtliches, das die Idee eines eigenständigen Freiheitsbereichs von vornherein ausschließt. Billigte man einer staatlich getragenen Organisa­ 1232  Übersichtlich M. Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht, in: D. Ehlers/H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2016, § 8 Rn. 1; W. Kluth, Die Organisationsgewalt und ihre Zuordnung, in: H. J. Wolff/O. Bachof/R, Stober/ders., Verwaltungsrecht II, 7. Auflage 2010, § 81 Rn. 7 ff. 1233  Sinngemäße, teils noch deutlich ausdifferenziertere Definitionen finden sich beispielsweise bei E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 29, 38; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 793 f.; D. Traumann, Die Organisationsgewalt im Bereich der bundeseigenen Verwaltung, 1998, S. 26. 1234  Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8 Rn. 3; eingehend U. Stel­ kens, LKV 2003, 489 (490 ff.).



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tionseinheit im Verhältnis zum Träger der Organisationsgewalt Grundrechtsschutz zu, öffnete man die ohnehin komplexen Beziehungsgeflechte der inneren Staatsorganisation für eine unstimmige Wertungsebene und bräche auf diese Weise mit den Grundzügen der soeben dargestellten Organisationshoheit1235. Die Grundrechte dienten dann nicht mehr dem situationsabhängigen Schutz bestimmter, durch Dezentralisierung auftretender und der Position Privater vergleichbarer Autonomiebereiche vor hoheitlichem Zugriff, sondern würden zum bedeutsamen Vehikel, um auf dem Weg zum eigenen Bestandsschutz aus Organisations- und Hierarchiebeziehungen auszubrechen, was nicht zuletzt die demokratische Legitimation der juristischen Personen antasten würde1236. In diesem Sinne ist unter den Befürwortern des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage anerkannt, dass eine Grundrechtsberechtigung staatlicher Organisationseinheiten etwa in Weisungsverhältnissen ausscheiden muss1237. Unter Berücksichtigung einer solchen Spezifizierung ist auch die pauschal formulierte Sorge des Bundesverfassungsgerichts, eine potentielle Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten führe zu einer Kompetenzerstarrung und einer Lähmung der staatlichen Aufgabenorgani­ sation1238, unbegründet, da eine Grundrechtssubjektivität in diesem Bereich nach der vorliegend präferierten Lesart grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Klarstellend sei angefügt, dass ein organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis ein unmittelbares sein muss, um die erforderliche Distanz zum eingreifenden Hoheitsträger auszuschließen. Eine Mittelbarkeit dergestalt, dass die sich gegenüberstehenden staatlichen Einheiten über verschiedene Zwischeneinheiten hinweg jeweils der Organisationsgewalt ein und desselben Trägers unterliegen, ist nicht ausreichend1239. 1235  H. Bethge, AöR 104 (1979), 265 (289 f.) spricht hinsichtlich des drohenden kompetenzfernen Eigenlebens der Organisationseinheiten von einer „widersinnige[n] Emanzipation des juristischen Homunculus von seinem Schöpfer“. 1236  In diesem Falle entfiele etwa das zentrale Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation der betroffenen staatlichen Organisationseinheit, während sich die Grundrechtsberechtigung innerhalb des zugewiesenen Aufgabenrahmens sehr wohl mit den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG verträgt, wie sich an den bisher in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen exemplifizieren lässt, dazu bereits oben S. 315 f. mit Fn. 1194. 1237  Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 5 Rn. 244 f.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 115; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); F. Schoch, Jura 2001, 201 (205). 1238  Vgl. dazu bereits S. 313 f.; zur entsprechenden Karlsruher Argumentations­ linie oben S. 49 ff. 1239  In diesem Fall ließe sich ein Abhängigkeitsverhältnis als Negativkriterium allzu leicht begründen und zur Allzweckwaffe gegen eine potentielle Grundrechtsberechtigung staatlicher Organisationseinheiten insbesondere derselben föderalen Ebene in Stellung bringen. Dabei bliebe unberücksichtigt, dass sich auch hier eine entsprechende Distanz auftun und aus wertungsmäßiger Sicht eine grundrechtstypische Ge-

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Nicht zu leugnen ist, dass die Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten nach dem hier entfalteten Verständnis zumindest zu einem gewissen Grad vom Handeln des Trägers der Organisationsgewalt abhängig ist. Ihm steht die Entscheidung zu, eine juristische Person zu konstituieren und damit überhaupt erst die Voraussetzung eines Distanzverhältnisses zwischen ihr und einem eingreifenden Hoheitsträger zu schaffen. Die Rechtssubjektivität ist schon nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG Voraussetzung einer Grundrechtsberechtigung und gerade auch hinsichtlich juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft eine unersetzliche Notwendigkeit1240. Kritisch wird dieser Einschätzung bisweilen entgegengehalten, der Staat hätte es unter diesen Voraussetzungen in der Hand, über die eigene Grundrechtsberechtigung zu bestimmen1241. Das Bundesverfassungsgericht hielt diesen Einwand augenscheinlich nicht für ausschlaggebend: Als es einer in öffentlich-rechtlicher Rechtsform organisierten Orthopädietechniker-Innung die Grundrechtsberechtigung mit der Begründung zugestand, ihre Lage unterscheide sich „in nichts von derjenigen privater Zusammenschlüsse“1242, fand dieser Aspekt keinerlei Berücksichtigung1243. Vielmehr geht die Vorstellung, „der Staat“ könnte den Daumen heben oder senken und damit nach Gutdünken über die Grundrechtssubjektivität eigener juristischer Personen befinden, wenn man das Distanzverhältnis als wesentliche Komponente in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG berücksichtigen würde, in ihrem pauschalierten Denken zu weit. Sie missachtet, dass die staatliche Organisationsgewalt kein Rechts-, sondern ein Sachbegriff ist, der ein stark ausdifferenziertes Kompetenzgeflecht des Staates beschreibt und in unterschiedlichen

fährdungslage ergeben kann. Als fiktives Beispiel könnte etwa an eine Durchsuchungsanordnung der als Landesbehörde organisierten Staatsanwaltschaft gegenüber einer landeseigenen Brauerei – man denke nur an die Badische Staatsbrauerei Rothaus AG – dienen. 1240  Eingehend von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 108 ff.; vgl. ferner F. Schoch, Jura 2001, 201 (205). Selbstredend ist die Rechtsfähigkeit, die vornehmlich die Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr gewährleisten soll, allein notwendige, nicht hinreichende Bedingung einer potentiellen Grundrechtsfähigkeit, wie etwa R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S. 90 klarstellt. 1241  In diesem Sinne Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 90; vgl. ferner den Gedanken bei Storr, Staat (Fn. 18), S. 191. 1242  BVerfGE 70, 1 (20). 1243  Darüber hinaus müsste dieser Gedanke in seinem Kern auch ausländischen Staaten entgegen gehalten werden können, wenn sie sich zum Zwecke der eigenen Ausdifferenzierung bspw. der Gründung einer juristischen Person des Privatrechts bedienten. Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen keine Veranlassung zu einer Erörterung des Problems gesehen, als es die Grundrechtssubjektivität einer fremdstaatlich beherrschten juristischen Person insbesondere mit Blick auf Wettbewerbsnachteile annahm, s. BVerfGE 143, 246 (314 ff., Rn. 191 ff.).



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG331

Konstellationen Ausdruck findet1244. Angesichts der damit implizierten Vorstellung einer einheitlichen, zentralistischen staatlichen Organisationsgewalt drängt sich eine Parallele zum Bild vom Staat als „monolithischem Block“ auf, das dem Bundesverfassungsgericht etwa als Grundlage seines Konfusionsargument dient1245. Dass diese Auffassung für die Organisationsgewalt nicht zutreffen kann, zeigt sich daran, dass der Vorstellung ihrer einheitlichen Handhabe schon durch das Prinzip der Gewaltenteilung Grenzen gesetzt sind1246. Der grundlegende Einfluss des Trägers der Organisationsgewalt auf die Grundrechtsberechtigung bestimmter juristischer Personen ist zwar nicht zu leugnen, in den hier in den Blick genommenen Rechtsverhältnissen aber schwerer zu aktualisieren, als es die Kritik zu suggerieren versucht. Bei genauerer Betrachtung nimmt ihn der verfassungsgerichtliche Ansatz im Übrigen genauso in Kauf, indem er darauf verzichtet, juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft, die allesamt in einer bestimmten Form der staatlichen Organisationsgewalt unterliegen, die Berufung auf Art. 19 Abs. 3 GG aus diesem Grund ausnahmslos zu versagen. Teilweise wird in diesem Zusammenhang vorgetragen, der Grundrechtsschutz gehe seines disziplinierenden Charakters verlustig, wenn man bei staatlichen Einheiten die Wirkung gegenüber dem Organisationsträger aussparte, was wiederum die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solch eingeschränkten Schutzes aufwerfe1247. Dieser Einwand geht an der Grundidee des hier vertretenen Ansatzes vorbei. Ausgehend von der Prämisse, dass ein potentieller Grundrechtsschutz juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft nur im Rahmen der zugewiesenen Zuständigkeiten in Betracht kommt1248, dient die Ausle1244  Böckenförde, Organisationsgewalt (Fn. 1233), S. 37; Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8  Rn. 1; Traumann, Organisationsgewalt (Fn. 1233), S. 22; W. Krebs, Verwaltungsorganisation, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 3. Auflage 2007, § 108 Rn. 98. 1245  Dazu bereits oben S. 45 f. Berechtigte Kritik an diesem Verständnis üben beispielsweise Dreier (Fn. 17), Art. 19 III Rn. 59 m. w. N.; T. Kingreen, JöR 65 (2017); Schnapp (Fn. 8), § 52 Rn. 27. 1246  Bereits im Grundgesetz und den Landesverfassungen sind ausdrückliche Zuweisungen der Organisationsgewalt an die Legislative einerseits (z. B. Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, Art. 70 Abs. 1 S. 1 VerfBW) und die Exekutive andererseits (z. B. Art. 64 Abs. 1 GG, Art. 43 VerfMV) vorgesehen. Darüber hinaus ist anerkannt, dass der Exe­ kutive fernab geschriebener und ungeschriebener Gesetzesvorbehalte und ausnahmsweise normierter Zugriffsrechte des Gesetzgebers ein eingriffsresistenter Bereich der Eigenorganisation zukommt. Zu alldem Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8 Rn. 3 ff.; Kluth, Organisationsgewalt (Fn. 1232), § 81 Rn. 20 ff., 32 ff.; U. Stelkens, LKV 2003, 489 (490 ff.). 1247  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 86 mit Fn. 256; in dieselbe Richtung Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 73; ders., AöR 104 (1979), 54 (106 f.). 1248  Dazu oben S. 313 f.

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gung des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der grundrechtstypischen Gefährdungslage nicht etwa der Disziplinierung des Organisationsträgers. Im Vordergrund steht vielmehr die Disziplinierung hoheitlichen Handelns im Falle eines schwerwiegenden Machtgefälles, das aus der Dezentralisierung staatlicher Aufgabenerfüllung resultieren kann und erster Anhaltspunkt für die Entstehung einer Gefahrenlage ist, die wertungsmäßig derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischer Personen nahe- oder gleichkommt1249. Die Grundrechtsberechtigung unter dem Vorbehalt der staatlichen Organisationsgewalt ist Ausdruck des substantiellen Unterschieds, der zwischen dem Grundrechtsschutz natürlicher bzw. privat getragener juristischen Personen und demjenigen juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft besteht. Andernorts wird dem Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage gerade vorgehalten, diesen Unterschied nicht immer hinreichend zu berücksichtigen1250. Damit wird auch deutlich, dass die hier entworfene Variante der grundrechtstypischen Gefährdungslage als Auslegungsgrundsatz nicht den Anspruch für sich reklamiert, vom Urzustand der Staatlichkeit her gedacht zu sein, sondern eine Antwort auf die Ausdifferenziertheit staatlicher Organisation im status quo zu finden versucht. (b) Ausnahme: Institutionelles Distanzverhältnis Die vorliegende Betrachtung geht in einem ersten Schritt grundsätzlich von einer organisatorischen Prägung der Distanzstellung aus. Begründet liegt diese Sicht in dem separierenden Effekt dezentraler Staatsverwaltung, deren Einrichtung gerade Unabhängigkeit in bestimmten Bereichen herstellen sowie die Sach- und Bürgernähe der Entscheidungsfindung fördern soll1251. Es ist eben diese Ausdifferenzierung von Staatsgewalt mit ihren beabsichtigten Vorteilen, die einen ersten Schritt hin zu dem Gedanken bedeutet, dass sich 1249  In diesem Sinne formuliert von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 103 mit Fn. 60: „[Die Grundrechte] stellen, soweit sie auf öffentliche Funktionsträger anwendbar sind, einen sonst nicht voll bestehenden verfassungsrechtlichen Schutz von im Rahmen des Kompetenzbereichs zugeordneten subjektiven Rechtssphären gegenüber staatlicher Macht dar“. 1250  Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 50. Nicht als Kritik formuliert, aber mit einem ähnlichen Gedanken und dem Hinweis auf die andersartige Betroffenheit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); vgl. hierzu ferner Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 5 Rn. 239; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88). 1251  Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8 Rn. 8; ähnlich E. Schmidt-­ Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Auflage 2006, Kap. 5 Rn.  36 ff.; Krebs (Fn. 1244), § 108 Rn. 91. Mit einem allgemeinen Blick auf den Prozess der Dezentralisierung auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn. 1099), S.  236 f.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG333

auch zwischen einem Hoheitsträger und einer juristischen Person in staat­ licher Trägerschaft eine Eingriffslage auftun kann, die aus Wertungsgesichtspunkten mit derjenigen natürlicher und privat getragener juristischer Personen vergleichbar ist. Ausnahmsweise kann diese Distanzstellung aber auch im Grundrecht selbst angelegt und damit institutionell begründet sein1252. Eine solche institutionelle Distanzstellung ist dann anzunehmen, wenn ein Grundrecht dem Staat die Verantwortung dafür zuschreibt, seine effektive Verwirklichung zu gewährleisten und dafür explizit oder implizit die Bereitstellung der staatlichen Organisationsinfrastruktur einfordert. Der Grund für eine solche Zuschreibung kann in historisch herleitbaren Besonderheiten liegen, wie es bei Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG in Zusammenschau mit Art. 140 ­GG i. V. m. Art. 137 WRV für die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgesellschaften der Fall ist1253. Vornehmlich liegt sie allerdings in den Spezifika des betroffenen Sachbereichs begründet, dessen grundrechtliche Umhegung aus technischen, finanziellen oder sonstigen tatsächlichen Gründen leer liefe, würde der Staat nicht zur Gewährleistung einer organisatorischen Infrastruktur verpflichtet. Davon erfasst ist die aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entspringende Direktive zur Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts in der frühen Bundesrepublik mit Blick auf die knappen technischen Sendefrequenzen und den mit dem Betrieb einhergehenden finanziellen Aufwand eine existentielle Notwendigkeit darstellte1254. Nach der technischen Fortentwicklung sowie der Zulassung und dem Erstarken des privaten Rundfunks hat sich diese Notwendigkeit nicht etwa erledigt, sondern gewandelt: Ohne die mit der öffentlich-rechtlichen Organisationsstruktur einhergehenden Rahmenbedingungen steht ein Marktversagen im Hinblick auf die Repräsentation unterschiedlicher Auffassungen 1252  Diese Trennung deutet auch schon K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326) an. Im Grundsatz geht auch Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 88 f. von der folgenden Unterscheidung nach institutionellen und organisatorischen „Außenrechtsbeziehungen“ aus, nutzt sie aber schlussendlich allein für sein Argument, die letzteren könnten allein Folge und nicht Voraussetzung einer potentiellen Grundrechtsfähigkeit sein. 1253  Mit der Inkorporation des Art. 137 Abs. 5 WRV in das Grundgesetz ist nicht zuletzt auch die Anerkennung der tradierten institutionellen Interessen gerade der christlichen Kirchen verbunden, M. Morlok, in: Dreier, GG III (Fn. 225), Art. 137 WRV Rn. 79. Ausgehend von der engen Verknüpfung zwischen Institution und Grundrecht betont das Bundesverfassungsgericht die Unabhängigkeit, die den Religionsgesellschaften gerade durch die Inanspruchnahme der öffentlich-rechtlichen Organisa­ tionsform zukommen soll, s. in Zusammenhang mit der Grundrechtssubjektivität BVerfGE 102, 370 (387 f.); 139, 321 (349 f., Rn. 91); vgl. in anderem Kontext auch BVerfGE 30, 415 (428); 42, 312 (332); 66, 1 (19). 1254  BVerfGE 12, 205 (261 f.); 31, 314 (326); trotz zunehmenden technischen Fortschritts aufrecht erhalten in BVerfGE 73, 118 (154 ff.); 83, 238 (297 f.).

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und die Gewährleistung inhaltlicher Vielfalt zu befürchten, für die Rundfunk und Fernsehen in der Demokratie essentielle Plattformen dar­ stellen1255. Ebenso darunter fällt die aus Art. 5 Abs. 3 GG folgende Verantwortung für die Bereitstellung einer staatlich organisierten Forschung. Ihre Freiheit und Unabhängigkeit wären angesichts eines enormen, aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentablen koordinativen und finanziellen Aufwands anders faktisch nicht zu gewährleisten1256. Enthält das Grundrecht aufgrund der spezifischen Umstände im betroffenen Sachbereich somit selbst eine Pflicht zur Bereitstellung staatlicher Infrastruktur, verlangt der Zweck einer effektiven Verwirklichung des geschützten Verhaltens, dass die zu gründende juristische Organisationseinheit mit hinreichender Unabhängigkeit ausgestattet und die Organisationsgewalt des Trägers insofern beschränkt ist, als sie spezifisch verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen muss1257. Damit geht zwar grundsätzlich nicht einher, dass sich die konkret betroffene juristische Person des öffentlichen Rechts ihren Fortbestand gegenüber dem Träger der Organisationsgewalt in jedem Fall mit grundrecht­ lichen Mitteln erstreiten kann1258. Ausnahmsweise jedoch – und darin liegt das Alleinstellungsmerkmal des institutionellen Distanzverhältnisses – kommt ein potentieller Grundrechtsschutz der genannten juristischen Personen auch gegen den Organi­ sationsträger in Betracht. Das wiederum ist dann der Fall, wenn die Orga­ nisationsmaßnahme gleichzeitig die funktionsgerechte Wahrnehmung der grundgesetzlich zugewiesenen Aufgabe tiefgreifend beschneidet und das zu gewährleistende institutionelle Distanzverhältnis in seinem Kern berührt1259. 1255  In diesem Sinne schon BVerfGE 57, 295 (322  f.); aus jüngerer Zeit BVerfGE 119, 181 (214 ff.); 136, 9 (28 ff., Rn. 28 ff.). Übersichtlich zum Wandel im Karlsruher Verständnis vom verfassungsmäßigen Auftrag des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG C. Starck/A. L. Paulus, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 5 Rn. 170 ff. 1256  BVerfGE 35, 79 (114 f.); G. Britz, in: Dreier, GG I (Fn. 27), Art. 5 Abs. 3 Rn.  72, 87  m. w. N. 1257  Ausdruck dessen ist etwa die Staatsfreiheit bzw. Staatsferne, die das Bundesverfassungsgericht für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung einfordert und aus der das Gericht gerade auch organisatorische Vorgaben herleitet, s. BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296, 332 f.); 90, 60 (88 f.); 136, 9 (30 ff., 33 ff., Rn. 33 ff., 38 ff.). 1258  Für wissenschaftliche Einrichtungen statt vieler Starck/Paulus (Fn. 1255), Art. 5 Rn. 499 m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur; für Rundfunkanstalten ebenso Grabenwarter (Fn. 378), Art. 5 Abs. 1, 2 (2018), Rn. 590. Die Religionsgesellschaften sind insofern eine Ausnahme, als sie ihren Körperschaftsstatus sui gene­ ris aus dem ausdrücklichen Wortlaut der Verfassung herleiten, sich von vornherein außerhalb der staatlichen Organisationsgewalt bewegen und über Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV Bestandsschutz genießen; dazu übersichtlich Morlok (Fn. 368), Art. 140 Rn. 45 f. sowie ders. (Fn. 1253), Art. 137 WRV Rn. 79, 82. 1259  In diese Kategorie fällt das von Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 90 ff. in die Diskussion eingebrachte Negativbeispiel der Eingliederung der Rundfunkanstal-



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG335

Dass die vorigen Ausführungen Ähnlichkeiten zur Rechtsprechungslinie um die sog. Ausnahmetrias aufweisen, liegt nicht nur in der Identität der behandelten juristischen Personen begründet, sondern auch in einem vergleichbaren gedanklichen Ausgangspunkt. Bei einem unvoreingenommenen Verständnis der Wendung vom „unmittelbar durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich“ könnten die hier entfalteten Ausnahmen unter derselben Überschrift firmieren1260. Gleichwohl unterscheiden sich beide Ansätze bei genauerem Hinsehen in zweierlei Weise. Zum einen nimmt der hier vertretene Ausnahmegedanke das Grundrecht, seine Anforderungen an die Ausgestaltung der Organisation und damit auch die juristische Person selbst in den Blick, ohne dies an den Nutzen für die Freiheit natürlicher Personen zu koppeln1261. Zum anderen sind das hier angenommene institutionelle Distanzverhältnis und die damit eröffnete Möglichkeit einer ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung gegen den Organisationsträger zwingend auf den Sachbereich beschränkt, den das Grundrecht gerade zu schützen gedenkt und für den es eine Bereitstellungspflicht impliziert. In anderen Gefährdungslagen oder gegenüber anderen Hoheitsträgern als dem Inhaber der Organisa­ tionsgewalt richtet sich die Feststellung eines Distanzverhältnisses auch für Rundfunkanstalten, Universitäten und Religionsgesellschaften nach den hier präferierten allgemeinen Grundsätzen1262. Im Zuge des Rechtsprechungsanten in die staatliche Verwaltungshierarchie. Eine Beurteilung allein anhand des zuvor entfalteten organisatorischen Grundsatzes führte, wie Gersdorf zutreffend feststellt, zu der widersinnigen Konsequenz, den Träger der Organisationsgewalt für die Einverleibung der genannten Einheiten und damit für einen Bruch mit der grundrechtlich intendierten Unabhängigkeit zu belohnen. 1260  Den angesprochenen Ausdruck nutzt das Bundesverfassungsgericht fortwährend zur Indikation einer ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung von Rundfunkanstalten, Universitäten und Religionsgemeinschaften, s. nur BVerfGE 21, 362 (373); 75, 192 (196); 143, 246 (314, Rn. 189); 147, 50 (143 f., Rn. 240); vgl. dazu oben S. 35 ff., 97 ff. 1261  Darin aber liegt der Kern des Karlsruher Verständnisses vom grundrechtlich geschützten Lebensbereich, dem die genannten staatlichen Organisationseinheiten nach dem Bundesverfassungsgericht nur deshalb zuzurechnen seien, weil diese dem Bürger zur Realisierung eigener Freiheiten dienten, s. BVerfGE 45, 63 (79); BVerfG (K), NJW 1996, 1588 (1589). 1262  Angesichts der heutigen organisatorischen Ausgestaltung der angesprochenen juristischen Personen kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Organisationseinheiten in anderen Sachbereichen oder gegenüber anderen staatlichen Einheiten als dem Organisationsträger die Anforderungen an das Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger in aller Regel erfüllen. Verwiesen sei insofern auf Kriterien wie das Selbstverwaltungsrecht, den fehlenden externen Weisungszugriff oder die Beschränkung auf eine staatliche Rechtsaufsicht mit gewissen Einschränkungen, vgl. etwa in Bezug auf die Rundfunkanstalten Starck/Paulus (Fn. 1255), Art. 5 Rn. 229. Zur Berücksichtigungsfähigkeit dieser Umstände im Einzelnen sogleich.

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satzes blieb in der Vergangenheit angesichts unsteter Erweiterungsversuche dagegen unklar, wie weit der „grundrechtlich geschützte Lebensbereich“ reichen soll und ob er in seiner derivativen Prägung überhaupt einer Erweiterung zugänglich ist1263. (2) Selbstverwaltungsrecht Ein inhaltlich verwandter Teilaspekt in der Beurteilung des distanzierten Verhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger ist ein mögliches Selbst­ verwaltungsrecht der staatlich getragenen juristischen Person. Ein solches begründet, abstrakt formuliert, eine organisatorische Sonderstellung, wird vom Gedanken der Betroffenenpartizipation getragen und ist Ausdruck von Dezen­tralisierung, da es mit der Anerkennung eines bestimmten Grades an Entscheidungsfreiraum und Eigenverantwortlichkeit einhergeht1264. Eine verfassungsrechtlich verbürgte Spezifikation dessen ist die in Art. 28 Abs. 2 GG verankerte kommunale Selbstverwaltung1265. Das Bundesverfassungsgericht hat sich indes wiederholt dagegen ausgesprochen, das Selbstverwaltungsrecht in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG als veritablen Beurteilungsaspekt zu berücksichtigen1266. Aus Karlsruher Sicht kann dieses Recht allein noch keine Zuordnung zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich bedeu1263  Eingehend

dazu oben S. 97 ff. Das Prinzip der Selbstverwaltung, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI (Fn. 153), § 143 Rn. 14 f., 35 f.; Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 236 f., 241; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Auflage 1984, S. 403. – Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung ist demnach die gängige Zusammenschau juristischer und politischer resp. formaler und materialer Begriffselemente, wie sie auch Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8 Rn. 20 aufgreift. Eingehend zu den unterschiedlichen Selbstverwaltungskonzeptionen und der komplexen Begriffsbestimmung Kluth, a. a. O., S.  18 ff. 1265  Dezentralisierung und Partizipation kommen in der komplexen Struktur der kommunalen Selbstverwaltung als maßgebliche Faktoren in besonderer Form zum Ausdruck, dazu H. Dreier, in: ders., GG II (Fn. 1193), Art. 28 Rn. 76 f.; A. Engels, Die Verfassungsgarantie kommunaler Selbstverwaltung, 2014, S. 161 ff. 1266  BVerfGE 21, 362 (377); 39, 302 (313 f.); 61, 82 (103); 68, 193 (207); 77, 340 (344); dazu auch oben S. 55 ff. – Ohne nähere Begründung spricht sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegen eine Berücksichtigung des Selbstverwaltungsrechts als Beurteilungskriterium einer möglichen Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Einheiten aus, s. nur EGMR, Východoslovenská vodá­ renská spoločnosť A.  S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35. Das verwundert insofern, als der Gerichtshof in anderen Entscheidungen den Grad der Unabhängigkeit im Hoheitsgefüge als entscheidungserheblich ausweist, so etwa in EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App.  No. 40998/98, Rn. 79; Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 63. 1264  R. Hendler,



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ten. Vielmehr könne es umgekehrt gerade deshalb einer juristischen Person zuzubilligen sein, weil sie einem solchen Bereich zugehörig sei1267. Diese Kritik mag in den Grenzen des vom Bundesverfassungsgericht präferierten anthropozentrischen Interpretationsmodells unter Berücksichtigung der Ausnahmetrias konsequent gedacht sein. Die vorliegende Betrachtung plädiert allerdings gerade in dieser Hinsicht für einen Perspektivwechsel, nach dem ein Übertrag der verfassungsgerichtlichen Argumentation nicht mehr ohne Reibungsverluste möglich ist. Denn wenn die erste Voraussetzung der grundrechtstypischen Gefährdungslage eine insbesondere organisatorisch verfestigte Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger ist, hat der Aspekt, dass der betroffenen juristischen Person ein Selbstverwaltungsrecht zugedacht ist, sehr wohl einen indiziellen Mehrwert, ohne dass sie allein auf diesem Aspekt fußen würde1268. Der Grund dafür liegt darin, dass das Selbstverwaltungsrecht eine staatlich getragene juristische Person vom zentralen Stamm der Hierarchieverwaltung entrückt und bereits aus organisatorischer Sicht eine zusätzliche Ebene einzieht, indem es der Einheit einen eigenständig und in teilweiser Autonomie zu erfüllenden Aufgabenkreis zugedenkt1269. Jeder andere staatliche Akteur als der Organisationsträger muss in diesen teilseparierten Bereich übergreifen, will er sein Anliegen im Wege des hoheitlichen Zugriffs durchsetzen. Den mit dem Selbstverwaltungsrecht gewonnenen Raum verselbstständigter Aufgabenerledigung und eigenverantwortlichen Handelns stellt auch das Bundesverfassungsgericht nicht in Abrede1270. Hinzu tritt die Erwägung, dass die Zubilligung eines Selbstverwaltungsrechts im Regelfalle gerade nicht nur eine profane wie wertneutrale Kompetenzzuteilung darstellt1271. Die mit ihr einhergehende Dezentralisierung hat oftmals den Zweck, staatliche Entscheidungen unter den Vorzeichen eines spezifischen Sachbereichs zu treffen, auf diese Weise inhaltliche Kompetenz, Bür1267  BVerfGE 61, 82 (103); ähnlich BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574). Vor einer Verwechslung von Ursache und Wirkung in Zusammenhang mit dem Selbstverwaltungsrecht warnt auch Storr, Staat (Fn. 18), S. 193 f.; im Hinblick auf das Außenrechtsverhältnis ebenso Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 92. 1268  Insofern ist denjenigen Stimmen beizupflichten, die anführen, ein Selbstverwaltungsrecht allein begründe noch kein grundrechtsrelevantes Distanzverhältnis, wie etwa H. Bethge, AöR 104 (1979), 265 (275) oder Storr, Staat (Fn. 18), S. 193; vgl. ferner BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574). 1269  Auch Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 406 attestiert den Trägern funktionaler Selbstverwaltung eine „ausgeprägte organisationsrechtliche Selbstständigkeit“. In der Konsequenz dieses Gedankens beurteilt Stern, Staatsrecht I (Fn. 1264), S. 403 das Konzept der Selbstverwaltung auch im Lichte vertikaler Gewaltenteilung. 1270  So in BVerfGE 39, 302 (313 f.). Das Gericht hält diesen Aspekt aus seiner Perspektive allerdings für unerheblich. 1271  So aber der Grundgedanke des Karlsruher Standpunkts, s. BVerfGE 39, 302 (314); BVerfG (K), NVwZ 2005, 572 (574); eingehend dazu H. Bethge, AöR 104 (1979), 265 (275 ff.).

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gernähe und Flexibilität des Entscheidungsträgers zu fördern und die Betroffenenpartizipation zu stärken1272. Selbstverwaltung trägt damit aus wertender Sicht zumeist das Moment der Interessenvertretung in einem Bereich in sich, der innerhalb des Staatsgefüges bewusst entrückt konzipiert ist1273. Verstärkend treten im Einzelfall weitere Merkmale wie etwa eine besondere Form der Finanzierung hinzu1274. Distanz zu anderen Hoheitsträgern ist als gewünschte Folge der Selbstverwaltung daher häufig mitgedacht, wird aus normativer Sicht untermalt von der Betroffenenpartizipation und geht mit der Überantwortung der betroffenen juristischen Personen in einen (teil-)separierten Lebens- oder Sachbereich einher1275. (3) Z  ugehörigkeit zu separierten Ebenen im Sinne der horizontalen und föderativen Gewaltenteilung Die aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Direktive der Gewaltenteilung gehört zum Kernbestand eines jeden Verfassungsstaats1276. Sie geht per definitionem mit der Freistellung bestimmter Bereiche vom Zugriff eines anderen Hoheitsträgers einher und realisiert sich in Deutschland sowohl horizontal-rechtsstaatlich über eine funktionale, institutionelle und personelle Aufgabentrennung als auch im Wege des Bundesstaatsprinzips über die Verleihung von Teilsouveränität an einzelne, im Ge-

1272  W. Brohm, DVBl. 1984, 293 (294); Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 1232), § 8 Rn. 8, 19 f.; im Ansatz auch Stern, Staatsrecht I (Fn. 1264), S. 403. 1273  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (31). 1274  Siehe Link, Grundrechtsschutz (Fn. 154), S. 519 f. zur außersteuerlichen Finanzierung von Sozialversicherungsträgern. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ordnet die Finanzierung gar als eigenständiges Beurteilungskriterium ein, handhabt diesen Aspekt allerdings unstet, s. einerseits EGMR, Österreichischer Rundfunk v. Austria, Urt. v. 7.12.2006, App. No. 35841/02, Rn. 52 und andererseits EGMR, Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 42; dazu auch oben S. 249 f. Nicht zuletzt daran zeigt sich, dass die Art der öffentlichen Finanzierung isoliert betrachtet wenig zur Bestimmung eines Distanzverhältnisses beitragen kann, zeichnet sie sich doch durch eine besondere Komplexität und Vielgestaltigkeit aus und bietet sich demnach nur selten zur Entwicklung subsumtionsfähiger Grundsätze an, so dass ihre Rolle hier auf einen ergänzenden Gesichtspunkt beschränkt bleiben soll. 1275  Dass das Selbstverwaltungsrecht gemeinhin mit der Rechtsaufsicht eines anderen Verwaltungsträgers einhergeht, steht dem nicht entgegen. Nach dem hier vertretenen Ansatz kommt eine Grundrechtssubjektivität staatlicher Einheiten ohnehin allein innerhalb der zugewiesenen Aufgaben und grundsätzlich nicht gegenüber dem Organisationsträger in Betracht, dazu S. 313 f. 1276  Statt aller K.-P. Sommermann, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/ Starck – GG II (Fn. 1008), Art. 20 Rn. 205 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG339

samtstaat verbundene Gliedstaaten1277. Zunächst sei vorweggeschickt, dass an dieser Stelle nicht der grundrechtlichen Absicherung grundlegender staatsorganisationsrechtlicher Prämissen das Wort geredet werden soll. Die Verfassung selbst zieht hier eine Trennlinie, indem sie etwa gerichtliche Verfahren zur Verfügung stellt, die spezifisch auf die Streitbeilegung im horizontal oder föderativ geteilten Gefüge zugeschnitten sind1278. Sinnstiftend bleibt im vorliegenden Untersuchungszusammenhang der Gedanke, dass sich auch staat­ liche Organisationseinheiten einem Hoheitsträger gegenüber in einer Ausgangslage wiederfinden können, die wertungsmäßig derjenigen Privater vergleichbar ist. Die Bestimmung des Distanzverhältnisses zwischen Betroffenem und Eingreifendem stellt dabei den ersten zentralen Anhaltspunkt eines schutzauslösenden Machtgefälles dar. Der Erkenntniswert, der sich vor diesem Hintergrund aus der horizontalen und föderativen Gewaltenteilung ableiten lässt, ist ihr trennender, distanzgenerierender Charakter. Der Kern der Gewaltenteilung ist gerade eine verfassungsrechtlich vorgesehene organisatorische Separierung nach Kompetenzbereichen. Sollten der eingreifende Hoheitsträger und die betroffene juristische Person in staatlicher Trägerschaft aus horizontaler und föderativer Perspektive auf unterschiedlichen Ebenen verortet sein, kann diese Ausgangslage als Hinweis auf eine fehlende, wie auch immer geartete organisatorische Beziehung zueinander dienen und ein Distanzverhältnis zumindest andeuten1279. Die Organisationseinheit ist dem Zugriff des Hoheitsträgers in einem solchen Fall regelmäßig in einem Bereich ausgesetzt, in dem sich beide in der Konsequenz von Gewaltenteilung 1277  Im Überblick H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II (Fn. 1193), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 67 ff., 78 m. w. N. Dagegen stellt C. Möllers, AöR 132 (2007), 493 (526 ff.) einen positiven Effekt der bundesstaatlichen Gliederung auf die Gewaltenteilung in Abrede. 1278  Angesprochen sind damit etwa das Organstreitverfahren (Art.  93 Abs. 1 Nr. 1 GG) oder der Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG); in diesem Sinne auch H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (242). 1279  Bei dem hier präferierten kumulativen Blick auf föderative und horizontale Gewaltenteilung hat das Kriterium der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ebenen eine stärkere indizielle Wirkung, da die Trennung zweidimensional hinterlegt ist. Damit ist freilich nicht gesagt, dass ein Distanzverhältnis beim Vorliegen nur einer oder gar keiner der beiden Voraussetzungen zwingend ausgeschlossen ist, wie ein fiktives Beispiel belegt: Eine in Privatrechtsform betriebene Landesbrauerei sieht sich dem Zugriff der zuständigen Bodenschutzbehörde gegenüber, die gegen die Betreibergesellschaft der Brauerei eine gefahrenabwehrrechtliche Verfügung erlässt. Zwar sind beide Beteiligte im Bereich der Landesexekutive und damit auf derselben föderalen wie horizontalen Ebene verortet. Gleichwohl liegt die Annahme eines Distanzverhältnisses zwischen beiden nahe, da zwischen ihnen keinerlei unmittelbare organisatorische Verknüpfung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses besteht und die Brauereigesellschaft durch ihre privatrechtliche Rechtsform zusätzlich separiert ist; zur Bedeutung der Privatrechtsform als Ausprägung des Distanzverhältnisses sogleich.

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D. Synthese

und Föderalismus sowohl aus organisatorischer als auch in aller Regel aus sachlicher Hinsicht voneinander separiert gegenüberstehen1280. (4) Privatrechtsform Wenn im Folgenden der Mehrwert der Rechtsform für das Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage erläutert wird, geht es dabei nicht um Implikationen des Rechtsformarguments für die Beurteilung der Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen im Allgemeinen1281. Vielmehr ist Gegenstand der Untersuchung, inwieweit die Rechtsform Indikator eines Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger sein kann. Da sich die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform im vorliegenden Zusammenhang darin erschöpft, einer staatlichen Organisationseinheit die notwendige Rechtssubjektivität zu vermitteln, um überhaupt in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG einbezogen zu werden, soll hier der Blick auf die Privatrechtsform im Vordergrund stehen. Sogleich sei festgestellt, dass auch sie nichts an dem grundsätzlichen Ausschluss einer potentiellen Grundrechtssubjektivität gegenüber dem Träger der Organisationsgewalt zu ändern vermag. Es wäre zu formalistisch und an haushalts- wie kommunalrechtlichen Verpflichtungen zur hinreichenden Sicherung staatlicher Einflussnahme vorbei gedacht, das Gesellschaftsrecht als „Außenrecht“ zu begreifen und die Wahl der Privatrechtsform mit der Erschaffung einer von öffentlich-rechtlichen Bindungen gänzlich befreiten Einheit gleichzusetzen1282. Gegenüber anderen Hoheitsträgern ist der Aspekt der Rechtsform dagegen im vorliegenden Zusammenhang nicht gänzlich unerheblich. Zunächst ist es in manchem Falle erst die Gründung einer juristischen Person des Privatrechts, die eine Einheit aus der unmittelbaren Behördenhierarchie herauslöst, als eigene Organisationseinheit sichtbar macht und auf diesem Wege mit der 1280  Exemplarisch dafür steht der bereits zuvor dargestellte verwaltungsgerichtliche Streit zwischen der vollständig in Bundesbesitz befindlichen Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH mit dem Landkreis Leipzig um eine denkmalschutzrechtliche Abbruchgenehmigung, dazu näher S. 148 ff.; vgl. dem Gedanken nach auch Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 567, dessen Beispielsfall ebenfalls dem Denkmalschutzrecht entstammt. 1281  Aus der Diskussion um die allgemeinen Implikationen der Rechtsform auf die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Personen und stellvertretend für die dort vertretenen Positionen einerseits Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 44 ff. sowie andererseits Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S.  383 ff., 393 ff. 1282  In diese Richtung aber Ludwigs, Effizienzanforderungen (Fn. 115), S. 222; ders./C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87). Stellvertretend für die angesprochenen haushalts- und kommunalrechtlichen Verpflichtungen seien hier etwa § 65 BHO oder § 107 GO NRW in Bezug genommen.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG341

Verleihung von Rechtssubjektivität die Grundvoraussetzung eines jeden Distanzverhältnisses erfüllt. Insofern gleicht die Ausgangslage derjenigen bei der Neugründung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Darüber hinaus ist die Gründung einer Organisationseinheit nach den Regeln des Gesellschaftsrechts jedenfalls mit einer organisatorischen Separierung dieser Einheit verbunden, auch wenn eine solche nicht mit der vollständigen Freistellung von öffentlich-rechtlichen Bindungen einhergeht1283. Die Debatte darüber, ob und inwieweit Beschränkungen des Gesellschaftsrechts die Einflussmöglichkeiten des öffentlichen Trägers in einem Maße hemmen, das in Konflikt mit strukturellen, verfassungsrechtlich implizierten öffentlich-rechtlichen Ordnungsvorgaben gerät und die Tätigkeit der juristischen Person als solche kompromittiert, ist ausladend geführt worden und soll hier nicht näher beleuchtet werden1284. Allein ihre Existenz und Intensität bringen bereits hinreichend zum Ausdruck, dass die Wahl der privatrechtlichen Organisa­ tionsform zwangsläufig mit einer gewissen Ausdifferenzierung einhergeht. Der Organisationsträger mag über Einwirkungsbefugnisse imstande und verpflichtet sein, seinen Einfluss auf die juristische Person geltend zu machen. Das ändert jedoch nichts daran, dass er mit der Gründung einer privatrechtlichen Gesellschaft die von ihm wahrzunehmenden Aufgaben sachlich und organisatorisch weiter ausdifferenziert, was bereits aus formalistischer Sicht den Grad an Dezentralisierung erhöht. Diese wiederum kann für die Beurteilung eines Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger, der nicht gleichzeitig Inhaber der Organisationsgewalt ist, im vorliegenden Zusammenhang durchaus Hinweischarakter haben. Gerade im Europäischen Mehrebenensystem wird dem Kriterium der Privatrechtsform über die hier angenommene indizielle, wenngleich nicht zu überschätzende Bedeutung für die Bestimmung eines Distanzverhältnisses hinaus eine stärkere Rolle zugedacht. Namentlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält die Rechtsform und die mit ihr einhergehenden rechtlichen Folgen in der Frage, ob eine juristische Person in staatlicher Trägerschaft im Rahmen des Art. 34 EMRK als „non-governmental organi­ 1283  Dem Gedanken nach F. Becker, NVwZ 2019, 1385 (1391), auch wenn er diese Entwicklung vor dem Hintergrund der zunehmenden Vermittlung demokratischer Legitimation gerade kritisch beäugt. 1284  In Rede stehen etwa Unabhängigkeitsgewährleistungen zugunsten von Führungsorganen oder Verschwiegenheitspflichten im Unternehmensinteresse. Aus dem Diskurs seien schlaglichtartig die mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen versehenen Beiträge von H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S.  258 ff., Koch, Status (Fn. 559), S. 153 ff., 188 f. und Mann, Gesellschaft (Fn. 18), S. 173 ff., 265 ff. genannt. Aus jüngerer Zeit zudem eingehend O. K. Dietl­ meier, Rechtsfragen der Publizität im kommunalen Unternehmensrecht, 2015, S.  404 ff., 476 ff., 522 ff.

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D. Synthese

sation“ beschwerdefähig ist, für ausschlaggebend und knüpft weitere Unterkriterien wie die Einschlägigkeit des allgemeinen Zivil- und Unternehmensrechts oder die Eröffnung des ordentlichen Rechtswegs daran an1285. Anders als hier vorgeschlagen ist sein Umgang mit der Rechtsform indes weniger auf den Effekt der Dezentralisierung ausgerichtet. Auch wenn der Gerichtshof stets betont, In-Sich-Prozesse auszuschließen und vermeiden zu wollen, dass eine Konventionspartei als Kläger und Beklagter zugleich auftrete1286, rekurriert er auf den Gedanken organisatorischer Unabhängigkeit als Anhaltspunkt für eine separierte Stellung zwischen Eingreifendem und Eingriffsgegner nur sehr unstet1287. In seinem Umgang mit der Rechtsform als Kriterium einer potentiellen Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten findet demnach vielmehr der Wertungsaspekt der vergleichbaren Interessenlage Ausdruck, der im menschenrechtlichen Kontext augenscheinlich vor allem auf die Stellung im wirtschaftlichen Wettbewerb bezogen ist1288. Dieser Gesichtspunkt ist auch nach der hier vertretenen Auffassung ein bedeutsamer, spielt allerdings erst auf der Wertungsebene eine Rolle. Es wäre dem hier verfolgten Ziel einer nachvollziehbaren Strukturierung der grundrechtstypischen Gefährdungslage abträglich, beide Teilschritte zu vermengen und die Gewichtung der einzelnen Kriterien so zu

1285  Dazu oben S. 246  ff. mit entsprechenden Nachweisen speziell in Fn. 961. Kritisch zum Aspekt der Privatrechtsform als Entscheidungskriterium der EGMRRechtsprechung Papenbrock, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 201. 1286  EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App.  No. 40998/98, Rn. 81; State Holding Company Luganksvugillya v. Ukraine, Entsch. v. 27.1.2009, App. No. 23938/05 ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [The Law], Abs. 2); Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 60; Východoslovenská vodárenská spoločnosť  A. S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App.  No. 40265/07, Rn. 32; Ärztekammer für Wien and Dorner v. Austria, Urt. v. 16.2.2016, App. No. 8895/10, Rn. 35. 1287  Speziell in Bezug auf kommunale Gebietskörperschaften hat der EGMR vermehrt klargestellt, dass Dezentralisierung und Autonomie nicht in seine Beurteilung mit einfließen, s. dazu oben S. 251 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 976. In anderem Zusammenhang hält er die Unabhängigkeit vom Behördenapparat allerdings für ein berücksichtigungsfähiges Kriterium, s. nur EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 79; Transpe­ trol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 63. Zu dieser Diskrepanz schon oben S. 336 mit Fn. 1266. 1288  So bezieht der EGMR in seine Einzelfallbeurteilung immer wieder mit ein, ob die betroffene juristische Person im wirtschaftlichen Wettbewerb steht oder ob ihr eine Monopolstellung zukommt, s. nur EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 80; Východoslovenská vodárenská spoločnosť  A.  S. v.  Slovakia, Entsch. v. 2.7.2013, App. No. 40265/07, Rn. 32. Auch dieses Kriterium zieht der Gerichtshof allerdings nicht immer konsequent heran, dazu oben S. 249 f.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG343

verunklaren1289. Der Anschlussfähigkeit an die Ansätze im Europäischen Mehrebenensystem geht der vorliegend präferierte Ansatz gleichwohl nicht verlustig1290. bb) Wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage Verharrte der Maßstab einer grundrechtstypischen Gefährdungslage beim isolierten Blick auf die organisationsrechtliche Separierung der betroffenen staatlich getragenen juristischen Person, bliebe die Frage ihrer spezifischen, grundrechtlichen Schutzwürdigkeit im konkreten Eingriffsverhältnis unbeantwortet, obwohl gerade ihr eine zentrale Rolle zukommt1291. Die organisatorische Ausdifferenzierung von Staatstätigkeit allein kann angesichts der grundgesetzlichen Unterscheidung zwischen Grundrechten und Staatsorganisation als Antwort nicht genügen1292. (1) Das Wertungsmoment der Waffengleichheit Hinzu treten muss stattdessen eine wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage mit derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischer Personen in derselben Ausgangssituation1293. Getragen ist dieses Kriterium von einer veränderten Einordnung des Schutzauftrags der Grundrechte im staatlichen Binnenverhältnis: In Abkehr vom anthropozentrischen Deutungsmodell des Art. 19 Abs. 3 GG und in Anerkennung des in dieser Norm fest1289  Diesen Einwand muss sich der EGMR trotz eines im Übrigen überzeugenden Gesamtkonzepts, das auf dem Modus der Einzelfallorientierung beruht und von einem strikten Durchregieren der Menschenwürde abgekoppelt ist, vorhalten lassen, s. erneut oben S. 249 f. 1290  Der im menschenrechtlichen Umgang anklingende Aspekt der Waffengleichheit findet im hier vorgeschlagenen Modell in einem zweiten, wertungsorientierten Schritt Berücksichtigung; dazu sogleich. 1291  Dazu Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 27), S. 1158; in Anknüpfung an seine Vorarbeit auch Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 564, 566. 1292  Kritische Stimmen wenden bisweilen ein, dass sich die grundrechtstypische Gefährdungslage gerade in einer rein organisatorischen Betrachtung erschöpfe, s. nur Axer, Normsetzung (Fn. 22), S. 254; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 50. 1293  Der Gedanke der Vergleichbarkeit gehört zum Kern des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage und findet sich entsprechend in einer Vielzahl von Beiträgen, verharrt aber meist in einer allgemeinen Formulierung, so bei M. Lud­ wigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); Michael/Morlok, Grundrechte (Fn. 395), § 13 Rn. 458; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (86); Remmert (Fn. 25), Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 27; F. Schoch, Jura 2001, 201 (205); H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (241); vgl. auch BayVerfGHE 29, 1 (4); 29, 105 (119 f.); 37, 101 (108 f.); 49, 111 (115); 54, 1 (5).

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D. Synthese

gestellten grundrechtlichen Eigenstands juristischer Personen kommt es auf das Prinzip der Waffengleichheit an: Dort, wo sich staatliche Organisationseinheiten den Waffen des hoheitlichen Zugriffs in gleicher Weise ausgesetzt sehen wie natürliche Personen oder andere Organisationseinheiten, ist es angemessen, ihnen auch denselben Verteidigungsschild zur Seite zu stellen1294. Für juristische Personen in staatlicher Hand ist dieser Gedanke kein unbekannter. Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Ausnahmerechtsprechung zu den justiziellen Gewährleistungen der Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG im Kern auf eben jenes Prinzip der prozessualen Waffengleichheit und erhält dafür breite Zustimmung1295, auch wenn es damit einen offensichtlichen Bruch mit der anthropozentrischen Grundrechtsdeutung in Kauf nimmt1296. Im Grundsatzurteil über die Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs hat es dieses Muster erstmals auch außerhalb der Justizgrundrechte angewandt und damit eine im vorliegenden Zusammenhang kaum zu überschätzende Richtungsentscheidung getroffen: Gerade der – im konkreten Fall wettbewerblich gefärbte – Gedanke der Waffengleichheit war an dieser Stelle ausschlaggebend, um die Schutzwürdigkeit einer fremdstaatlich beherrschten juristischen Person gegenüber dem Bundesgesetzgeber anzuerkennen und ihr über Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtssubjektivität zuzusprechen1297. Mehr noch: Die Waffengleichheit als Wertungsgesichtspunkt ist in diesem Fall nicht nur tragend für die Zubilligung von Grundrechtsschutz, sie setzt sich sogar über das gegenteilige Ergebnis einer anthropozentrischen Begründung hinweg, wie das Verfassungsgericht selbst konzediert1298. Ausgehend vom 1294  T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (29 f.); vgl. auch schon Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S. 6; ders., NJW 1969, 1321 (1324): „Bei gleichen Eingriffsgefahren hat [das Organ] gleiche Abwehrrechte“. Auch Ossenbühl, Geltung (Fn. 15), S. 895, 899 ff. führt das Prinzip der Waffengleichheit immer wieder als ausschlaggebenden Wertungsgesichtspunkt an, wenngleich er sich konzeptionell an der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte orientiert. Anders jedenfalls in Anknüpfung an die potentielle Koalitionsfreiheit öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber ausdrücklich Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 52. – Allgemein zum Gebot der Fairness und dem Prinzip der Waffengleichheit als eigenständige Maximen des Grundgesetzes einschließlich einer verfassungsrechtlichen Herleitung P. J. Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, 1984, S.  2 ff., 18 ff. 1295  Deutlich in BVerfGE 6, 45 (49 f.); 12, 6 (8); der Sache nach fortgesetzt in BVerfGE 21, 362 (373); 61, 82 (104); 96, 231 (244); 138, 64 (83, Rn. 55). Zu den beipflichtenden Stimmen statt vieler H. Bethge, AöR 104 (1979), 54 (101); Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 50 jeweils m. w. N.; s. zudem bereits oben S. 37 f., 90 f. 1296  T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (127); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56; M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1297  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200); zur ausführlichen Einordnung der Entscheidung oben S. 158 ff. 1298  BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195 f.); erneut sei auf die vorigen Ausführungen in Zusammenhang mit dem Atomausstiegsurteil verwiesen, s. oben S. 162 f., 296 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG345

Karlsruher Begründungsmuster im Atomausstiegsurteil lässt sich konstatieren, dass eine anthropozentrisch-individualistische Deutung die defizitäre Ausgangssituation einer staatlich getragenen juristischen Person im Hinblick auf ihre Schutzwürdigkeit nicht abzubilden vermag, wenn sich die Organisationseinheit einem schwerwiegenden Machtgefälle zum eingreifenden Hoheitsträger gegenübersieht. Es ist der Wertungsgesichtspunkt der Waffengleichheit im hier verstandenen Sinne, der derlei blinde Flecke vermeidet und im Folgenden als maßgeblich angesehen wird, um die Vergleichbarkeit der Interessenlage zu privaten Grundrechtsträgern zu evaluieren. (2) Konkretisierung im Modus der Gesamtbetrachtung Ob sich eine staatlich getragene juristische Person in einer wertungsmäßig vergleichbaren Interessenlage befindet, muss im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls festgestellt werden. Zunächst dürfen der betroffenen Organisationseinheit keinerlei eigene Rechtsschutz- und Beteiligungsinstrumente zukommen, die gerade in ihrer Eigenschaft als staatlich getragene juristische Person wurzeln, über gesetzlich ohnehin vorgesehene Gewährleistungen hinausgehen und ein substantielles Machtgefälle zum eingreifenden Hoheitsträger auszugleichen imstande sind. Darüber hinaus darf sich ihre Lage auch nach einer Gesamtbetrachtung der übrigen Umstände nicht von derjenigen eines Grundrechtsträgers in der identischen Situation unterscheiden. Ausgeschlossen ist eine vergleichbare Interessenlage etwa dann, wenn die betroffene staatliche Einheit mittels spezieller Einwirkungskanäle Einfluss auf den eingreifenden Hoheitsträger und seine Entscheidungen nehmen kann. Angesprochen sind damit die vom Bundesverfassungsgericht angeführten „Möglichkeiten zur Interessenwahrnehmung“ innerhalb der Staatsorganisation und die „zur Wahrung innerstaatlicher Kompetenzen vorgesehenen Schutzmechanismen“1299. Beispielhaft ließe sich etwa im Falle der Beeinträchtigung einer juristischen Person in landesstaatlicher Trägerschaft durch Bundesgesetz eine abstrakte Normenkontrolle der Landesregierung als ein Instrument anführen, das speziell mit der staatlichen Trägerschaft der Organisationseinheit verknüpft ist und über den eigenen Rechtsschutz hinausgeht1300. Darüber hinaus ist der Weg politischer Einflussnahme denkbar, 1299  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200); vgl. dem Gedanken nach auch die Ausführungen des Verfassungsgerichts zu den sog. Fiskusprivilegien in BVerfGE 61, 82 (105 f.). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Argumentation jüngst in BVerwGE 167, 202 (210, Rn. 27) aufgegriffen. 1300  Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9), S. 90 f., der im gleichen Atemzug darauf hinweist, dass diese Möglichkeit etwa für kommunal getragene juristische Personen bereits ausscheidet; vgl. zu letzterem Gedanken auch Gundel, Grundrechts­ fähigkeit (Fn. 9), S. 37; F. Shirvani, DÖV 2017, 281 (283); Wieland (Fn. 225), Art. 93

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dessen Effektivität allerdings zum einen selten sicht- und messbar ist und zum anderen nicht in jedem Falle ein allein auf die staatliche Trägerschaft zurückzuführendes Moment darstellt1301. Mag die Karlsruher Formulierung auch „kryptisch“1302 geraten sein, ist ihr Ausgangspunkt aus wertender Sicht nicht gänzlich irrelevant: Kann die betroffene staatliche Organisationseinheit den Eingriff des Hoheitsträgers trotz des bestehenden Distanzverhältnisses auf einem Weg abwehren, der speziell aus ihrer staatlichen Provenienz herrührt, spricht das gegen ihre spezifisch grundrechtliche Schutzwürdigkeit – vorausgesetzt, ein solcher Einfluss geht über den vom Verfassungsgericht implizierten allgemein-informellen Austausch zwischen staatlichen Stellen sowie faktische Nähebeziehungen hinaus und steht natürlichen oder privat getragenen juristischen Personen nicht in gleichem Maße zur Verfügung. Dem Gedanken der Vergleichbarkeit zur Lage privater Grundrechtsträger kann über diesen Punkt hinaus nur durch eine Gesamtbetrachtung der Umstände Rechnung getragen werden. Entsprechende Anhaltspunkte kann nicht zuletzt etwa der Blick auf das organisations- und einfach-rechtliche Regelungsumfeld geben, in dem sich die betroffene juristische Person mit ihrer vom Eingriff betroffenen Tätigkeit bewegt. Ist dieses Geflecht zwar ein ausdifferenziertes und engmaschiges, knüpft es aber an die Eigenheiten des zu regelnden Sachgebiets an und trifft daher alle in diesem Bereich tätigten juristischen Personen gleichermaßen, spricht viel für eine Vergleichbarkeit der Ausgangslage1303. Zielt eine solche Regelungstiefe dagegen gerade darauf Rn. 89. Daneben nennt D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (404) die Kommunalverfassungsbeschwerde und den Bund-Länder-Streit. 1301  In diese Richtung auch Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S. 37. Dass politische Einflussnahme nicht nur aus öffentlich-rechtlicher Trägerschaft heraus möglich ist, zeigen Akteure wie Parteien, Gewerkschaften, private Interessenverbände und große Wirtschaftsunternehmen. Auch sie sind in der Lage, über Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerktätigkeit die eigenen Interessen sichtbar zu machen und politischen Einfluss zu generieren. So steht beispielsweise die Möglichkeit zur Interessenvertretung im Gesetzgebungsverfahren auf dem gesetzlich vorgezeichneten Weg (vgl. dazu nur § 70 Abs. 1 GOBT, § 57 Abs. 1 GOLT NRW) wie auch in weniger sichtbaren, vorparlamentarischen Bahnen sowohl staatlichen als auch privaten Akteuren in gleichem Maße offen und ist im vorliegenden Zusammenhang als Unterscheidungsmerkmal wenig aussagekräftig; weiterführend zu privater Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess nur M. Rossi, Erscheinungsformen nichtstaatlicher Einflüsse auf die staatliche Gesetzgebung, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Gesetzgebungsoutsourcing, 2011, S.  25  (35 ff.). 1302  M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (4 mit Fn. 14). 1303  Auf Grundlage dieser Erwägung für die Grundrechtsfähigkeit der Deutschen Bahn AG in Fragen der Entgeltregulierung T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (30); allgemein auch H. Gersdorf/F.  Wollenschläger, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/Klein/ Starck – GG III (Fn. 342), Art. 87e Rn. 53. Vgl. in diesem Zusammenhang ferner



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG347

ab, den Entscheidungsspielraum staatlicher Organisationseinheiten einzuhegen und sie auf diesem Wege einer erhöhten Steuerung zu unterwerfen, ohne die Freiräume privater Grundrechtsträger in demselben Sachbereich gleichermaßen zu beschneiden, ist das ein zu berücksichtigendes Unterscheidungsmerkmal1304. Eine allzu unbedachte Zubilligung des Grundrechtsschutzes unter diesen Voraussetzungen geriete allerdings in Konflikt mit der zuvor entfalteten Prämisse, dass ein solcher allein innerhalb der zugewiesenen Aufgaben in Betracht kommt und keinerlei kompetenzerweiternde Wirkung entfaltet1305. Davon nicht gänzlich unbeeinflusst gilt es, im Modus der Gesamtabwägung beispielsweise auch die Art und Weise mit einzubeziehen, in der die juristische Person die vom Zugriff eines distanzierten Hoheitsträgers im Einzelfall betroffene Aufgabe wahrnimmt. Geht die Tätigkeit nicht mit der Inanspruchnahme von Hoheitsgewalt einher und hat nur instrumentalen Charakter, kann auch dieser Umstand dafür sprechen, dass sich keine Wertungsunterschiede im Vergleich zu natürlichen und privat getragenen juristischen Personen ergeben1306. Dagegen kommt dem Umstand, dass eine staatliche Organisationseinheit öffentliche Aufgaben wahrnimmt, im vorliegenden Zusammenhang keine Unterscheidungskraft zu, insbesondere keine negative. Zum einen sind mit der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung kaum lösbare Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung verbunden1307. Zum anderen ist es vor dem Hintergrund der Waffengleichheit nicht die Aufgabenbeschreibung, die juristische Personen in staatlicher Hand von der Lage natürlicher oder Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 395: „Bestehende Sonderbindungen deuten auf ein diffiziles, mehrpoliges Interessengeflecht hin, sie indizieren dagegen keinen verminderten Rechtsstatus eines Teils der an diesem Interessengeflecht beteiligten Wirtschaftssubjekte“. 1304  Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 256 unterscheiden im Ergebnis überzeugend nach gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, auch wenn sie in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im Allgemeinen für eine Ausrichtung am Maßstab „Staat/Gesellschaft“ differenzieren. Zur engmaschigen gesetzlichen Einhegung der gesetzlichen Krankenversicherer eingehend P. Axer, Die Verwaltung 35 (2002), 377 (380 ff.). – Es ist gerade die hier dargestellte, unterschiedliche Wirkrichtung eines engen, insbesondere einfachgesetzlichen Regelungskontexts für die Tätigkeit staatlich getragener juristischer Personen, die es rechtfertigt, diesen Zusammenhang im Rahmen der Vergleichbarkeit und nicht schon bei der Bestimmung eines hinreichenden Distanzverhältnisses zu berücksichtigen. 1305  Dazu oben S. 313 f. 1306  U. Becker, Jura 2019, 496 (509). Explizit anders zur Schutzwürdigkeit der Gemeinden hinsichtlich einer Tätigkeit im nicht-hoheitlichen Bereich BVerfGE 61, 82 (105 f.); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). Gleichwohl ist daran zu erinnern, dass diese Auffassung aus dem Blickwinkel des grundrechtstheoretisch fundierten und anthropozentrisch ausgerichteten Karlsruher Auslegungsmodells gedacht ist. 1307  Statt vieler Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 5; T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (15); zu dieser Kritik bereits oben S. 62 f. mit entsprechenden Nachweisen.

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privat getragener juristischer Personen abgrenzt. Auch Private können Tätigkeiten wahrnehmen, die gemeinhin der Kategorie der „öffentlichen Auf­ gaben“ zugeschlagen werden1308. Es sind vielmehr die hoheitlichen Mittel, die ihnen im Rahmen dessen grundsätzlich nicht zur Verfügung stehen1309. Ein Werturteil über die Schutzwürdigkeit wohnt dem Kriterium der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben aus der hier eingenommenen Perspektive demnach nicht inne1310. cc) Verhältnis der Bestimmungsmerkmale zueinander Eine grundrechtstypische Gefährdungslage ist nach dem vorliegenden Verständnis nur dann anzunehmen, wenn sich die betroffene staatlich getragene juristische Person in hinreichender Distanz zum eingreifenden Hoheitsträger befindet und ihre Interessenlage mit derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischer Personen aus wertender Sicht vergleichbar ist. Beide Merkmale müssen folglich kumulativ vorliegen. Dabei ist das Distanzverhältnis notwendige Voraussetzung einer wertungsmäßigen Vergleichbarkeit und setzt – wie gesehen – seinerseits im Mindesten und grundsätzlich voraus, dass kein organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger besteht. Da auch die Feststellung des Distanzverhältnisses in einer Gesamtbetrachtung der Umstände erfolgt, ergeben sich zusätzliche Implika­ 1308  Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  105 f.; Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 283; Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 47; Merten, Mischunternehmen (Fn. 93), S. 2015; Möllers, Staat (Fn. 78) S. 323; Selmer (Fn. 132), § 53 Rn. 13; Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 122 f. – Zumindest insoweit übereinstimmend geht U. Becker, Jura 2019, 496 (509) davon aus, es sei für die Grundrechtsfähigkeit ohne Belang, ob ein Kraftwerk von einer juristischen Person in privater, Misch- oder Staatsträgerschaft betrieben werde. Gleichwohl hält er die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben für ein geeignetes Anknüpfungskriterium einer Vermutungsregel zuungunsten der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen. 1309  So dürften im Ergebnis auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27) zu verstehen sein, wenn sie eine Gefährdungslage bei der „Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben“ ablehnen. Begrifflich präzise ist damit wohl der Einsatz hoheitlicher Mittel im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung gemeint. 1310  Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts stellt es sich deshalb anders dar, weil es die „Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben“ unmittelbar in Beziehung zu Durchgriffsthese und Konfusionsargument setzt, sie zum Abgrenzungsinstrument für die Trennung nach Kompetenzen und Freiheit erklärt und damit in sein anthropozentrisch gedachtes Konzept einbaut, vgl. grundlegend BVerfGE 21, 362 (369 f.); dazu näher und mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen oben S. 59 ff. Die angesprochenen begrifflichen Schwierigkeiten kann das Verfassungsgericht damit allerdings genauso wenig beheben wie die Folgeprobleme bei der grundrechtlichen Einordnung Privater, die „öffentliche Aufgaben“ wahrnehmen, wie die Entscheidungen BVerfG (K), NJW 1987, 2501 (2502) und BVerfG (K), NJW 1996, 584 (584) zeigen, vgl. zu diesen Judikaten bereits S. 103 f.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG349

tionen für die Wertungsstufe. So lässt sich formulieren, dass eine wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Eingriffssituation mit derjenigen Lage einer natürlichen oder privat getragenen juristischen Person umso näher liegt, je stärker das Distanzverhältnis ausgeprägt ist. Begründet liegt diese Annahme vor allem darin, dass ein stärkerer Grad an Unabhängigkeit einer staatlichen Organisationseinheit – etwa durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen horizontalen und föderalen Ebenen – in aller Regel nicht nur einseitig wirkt. Zumindest angedeutet ist damit regelmäßig auch eine weitestgehende Beziehungs­ losigkeit zum eingreifenden Hoheitsträger, die allein auf der staatlichen Provenienz fußende Einwirkungskanäle unwahrscheinlicher werden lässt und ein Machtgefälle zwischen den Akteuren impliziert, dem sich private Grundrechtsträger in der gleichen Situation genauso ausgesetzt sehen könnten. Eine unbedingte Indizwirkung ist mit dem Distanzverhältnis aber nicht in jedem Fall verbunden1311. Rückschlüsse vom Distanzverhältnis auf die grundrecht­ liche Schutzwürdigkeit sind bei genauerer Betrachtung abhängig vom Einzelfall und nur bei entsprechender Intensität möglich. Die Vergleichbarkeit der Interessenlage bedarf im Regelfall der positiven Feststellung. 3. Effekte auf die Problemlösung Der hier vertretene und präzisierte Ansatz zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft trägt zu einer konsistenten wie flexiblen Problemlösung bei, die die Systembrüche und die darüber hinausreichenden Schwächen des verfassungsgerichtlichen Konzepts vermeidet. a) Differenzierungsgewinn in komplexer Ausgangslage Der Modus einer einzelfallorientierten Gesamtbetrachtung anhand abgrenzbarer Kriterien deutet einen vermittelnden Weg zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit. Insbesondere der damit einhergehende Wertungsspielraum für Sonderfälle ist eine notwendige Größe, um die strukturelle Diversität der betroffenen staatlichen Organisationseinheiten abbilden und der Komplexität möglicher Eingriffslagen gerecht werden zu können1312. 1311  Von einer solchen scheinen einige Befürworter der grundrechtstypischen Gefährdungslage indes auszugehen, auch wenn ihre Beiträge formal nicht streng an dem hier bevorzugten Zweischritt orientiert sind, s. K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323 f.); von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 114 f.; B. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 18, 21; vermittelt über die Rechtsform auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1312  Für eine entsprechende Einzelfallbetrachtung auch Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 18, 21; mit anderem Grundkonzept, aber in der Sache ebenso Baldegger,

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Angesprochen ist damit auch der Perspektivwechsel weg von einer primären Konzentration auf den Akteur und einer pauschalen Ausgruppierung bestimmter Organisationseinheiten aus dem Grundrechtsschutz hin zur situationsabhängigen „grundrechtstypischen Gefährdungslage“, mag die auf den Akteur gerichtete Sicht nach dem erneuerten Ansatz jedenfalls für die vorgezogene Frage der Rechtfertigungslast im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG ihre Bedeutung auch nicht in Gänze verlieren. Der verbleibenden Rechtsunsicherheit, die mit einem einzelfallorientierten Ansatz stets einhergeht, lässt sich durch eine fortschreitende Ausdifferenzierung des Ansatzes etwa mittels Fallgruppenbildung begegnen1313. Darüber hinaus ist sie in einer Restmenge schlicht hinzunehmen: Sie ist notwendiges Nebenprodukt eines Ansatzes, der der Berücksichtigung der materiellen Spezifika einer jeden Eingriffslage einen höheren Stellenwert beimisst als dem vermeintlich leichter zugäng­ lichen und rechtssicheren Formalismus, der auf wertungsmäßige Untiefen allein mit dem oftmals strapazierten Hilfsinstrument eines Ausnahmekatalogs reagieren kann1314. Die hier bevorzugte Handhabe steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG, die darauf hindeutet, dass das Grundgesetz die mitunter komplexe Bewältigung der Frage nach einer potentiellen Grundrechtssubjektivität juristischer Personen mit der Entscheidung für eine generalklauselartige Formulierung der Rechtspraxis ­ überantwortet hat1315. Ferner fügt sie sich nahtlos in die handwerkliche Struktur der Bestimmung ein, die der Berechtigungsseite durch den Wesensvorbehalt gerade einen größeren Raum zur Differenzierung eröffnet als es

­Menschenrechtsschutz (Fn.  113), S. 117 f. Zurückhaltender gegenüber den so entstehenden Wertungsspielräumen dagegen U. Becker, Jura 2019, 496 (507); D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406). 1313  Zu einer entsprechenden Auswahl an denkbaren Fallmustern unten S. 356 ff. 1314  Verallgemeinerungsfähig auch Baldegger, Menschenrechtsschutz (Fn. 113), S. 117; ferner Vitzthum (Fn. 93), § 48 Rn. 21. – Gerade im Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG hat sich gezeigt, dass ursprünglich formalistisch und umfassend gedachte Ansätze vor Rechtsunsicherheit nicht gefeit sind. Das gilt insbesondere dann, wenn ihr Ausnahmekatalog zum Sammelbecken für anderslautende Entscheidungen wird, ohne dass zwischen diesen ein inhaltliches Band erkennbar wird. Die zuvor untersuchte Rechtsprechungs- und Ausnahmepraxis des Bundesverfassungsgerichts im Umgang mit den eingeübten Figuren von Durchgriffsthese und Konfusionsargument hat das belegt, s. dazu die Ausführungen beginnend auf S. 77 ff. und zusammengefasst auf S. 176 f. Bezeichnenderweise war unter den Auspizien der anthropozentrischen Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG im Vorfeld des Atomausstiegsurteils erwartet worden, dass das Verfassungsgericht die Grundrechtssubjektivität einer fremdstaatlich beherrschten juristischen Personen ablehnen würde, s. nur M. Ludwigs, NVwZ 2016, 1 (2). 1315  Roellecke, Geltung (Fn. 71), S. 140; näher zur Genese des Art. 19 Abs. 3 GG und den mit ihr verbundenen Deutungsmöglichkeiten oben S. 25 ff.



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG351

die durch Art. 1 Abs. 3 GG streng determinierte Grundrechtsbindungsseite vor­sieht1316. b) Verminderte Entscheidungserheblichkeit der Kategorien „Staat“ und „Gesellschaft“ Löst die konkrete Gefährdungssituation den schutzbeanspruchenden Akteur als Fixpunkt der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG ab, verliert auch die schwer durchführbare Trennung von Staat und Gesellschaft als unmittelbare Entscheidungsgrundlage an Bedeutung. Damit sei nicht gesagt, dass die Unterscheidung ihren grundsätzlichen staatstheoretischen Mehrwert eingebüßt hätte oder im vorliegenden Untersuchungszusammenhang zum Muster ohne Wert geworden wäre1317. Doch ist es gerade das Verdienst der grundrechtstypischen Gefährdungslage, diesen Einfluss auf einen mittelbaren zu beschränken und die starren Grenzen der Staat-Gesellschaft-Dichotomie in der Debatte um Art. 19 Abs. 3 GG nicht zum zentralen Entscheidungsmaßstab zu erheben1318. Die vorigen Untersuchungen haben gezeigt, dass gesellschaft­ liche Machtkonzentration, vielfältige Kooperationsformen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand sowie fremdstaatlich finanzierte Wirtschaftstätigkeit in Deutschland neuartige Größen darstellen, die die Konsistenz des verfassungsgerichtlichen Grundgedankens, Staat und Gesellschaft seien zwei 1316  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894 f.); im Ausgangspunkt auch Storr, Staat (Fn. 18), S. 187. 1317  Als Realitätsbeschreibung überholt, besteht der Wert der kategorischen Trennung zwischen Staat und Gesellschaft heute aus staatstheoretischer Sicht in einer funktionellen Differenzierung, statt vieler Rupp (Fn. 127), § 31 Rn. 26 f., 29 ff., 44; dazu eingehend oben S. 284 ff. 1318  Die Unterscheidung zwischen den Größen „Staat“ und „Gesellschaft“ findet mittelbar auch im vorliegenden Konzept Berücksichtigung, wenn der Ansatz von der Grundprämisse einer nur ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung staatlichen Handelns ausgeht, s. oben S. 304 ff. Der Effekt einer erhöhten Rechtfertigungslast ist abhängig von der Frage, ob die Organisationseinheit, die im konkreten Fall über Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsschutz für sich beansprucht, der staatlichen Seite zugeordnet werden kann. Anders als nach verfassungsgerichtlichem Verständnis ist mit der Unterscheidung damit allerdings noch keine Entscheidung in der Sache verbunden. Da die Zuordnung lediglich darüber entscheidet, ob die erhöhte Rechtfertigungslast ausgelöst wird, sie in der Folge aber keine zentrale Rolle mehr spielt, ist hier ein niedrigschwelliger Maßstab anzulegen. Die Beurteilung in der Sache erfolgt dann allein anhand der grundrechtstypischen Gefährdungslage. Sie richtet sich nach einem anderen Bezugspunkt, enthält einen angemessenen Raum für Differenzierung und federt so die Folgen einer Zuordnung zur staatlichen Seite ab. Anders jüngst Kahl/ Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 242 ff., deren Auslegungsansatz gerade auch in sachlicher Hinsicht auf der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft beruht.

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homogene und einander trennscharf wie undurchlässig gegenüberstehende Pole, nicht nur strapazieren, sondern teilweise durchbrechen1319. Beruht die Bestimmung der Schutzwürdigkeit einer juristischen Person im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG allerdings auf der Zuordnung zu einem der zwei Pole, muss sie notwendigerweise ins Wanken geraten, wenn die Richtigkeit der Grundprämisse durch tatsächliche Umstände zunehmend infrage gestellt wird. Die grundrechtstypische Gefährdungslage vermeidet diese Unsicherheit mit ihrem Perspektivwechsel hin zur konkreten Eingriffssituation. Ohne die vom Bundesverfassungsgericht angestellten konzeptionellen Verrenkungen ist es ihr möglich, ausnahmsweise auch innerhalb des staatlichen Binnenverhältnisses qualifizierte Gefährdungssituationen zu erkennen und den betroffenen juristischen Personen grundrechtlichen Schutz zuzusprechen. Speziell institutionalisierte Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft sind im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG einer den Umständen angemessenen und konsistenten Einordnung zugänglich, wie es sich an zuvor aufgegriffenen Problemfällen exemplifizieren lässt. Gerichtet sei der Blick etwa auf den Fall der Betreibergesellschaft des Düsseldorfer Flughafens, einer juristischen Person des Privatrechts, deren Anteile sich je hälftig (mittelbar) in der Hand der Landeshauptstadt Düsseldorf sowie einer juristischen Person des Privatrechts befinden, die wiederum sowohl von privaten Anteilseignern als auch von einer mittelbar vom irischen Staat gehaltenen Gesellschaft getragen wird1320. Steht in einem bisher rein hypothetisch gebliebenen Szenario die Grundrechtsberechtigung dieser oder einer vergleichbar strukturierten juristischen Person in Frage, spielt die komplexe wie außergewöhn­ liche Zusammensetzung ihrer Träger aus Sicht der grundrechtstypischen Gefährdungslage nur bei der Verteilung der Rechtfertigungslast eine Rolle1321. Der hier vertretene Maßstab bemüht sich bei der Beurteilung der grundrechtlichen Schutzwürdigkeit nicht darum, die juristische Person in einen der beiden Kreise „Staat“ oder „Gesellschaft“ einzugruppieren – ein Vorhaben, das unter den genannten Umständen einer numerisch geradezu idealiter verwirklichten gleichrangigen Kooperation zum einen nur schwerlich möglich 1319  Ausführlich

dazu oben S. 286 ff. Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2020, S. 34, 43; mit genaueren Zahlen noch Flughafen Düsseldorf GmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht 2018, S. 6; vgl. zu diesem Beispielsfall auch schon s. S. 146 mit Fn. 562, S. 174 mit Fn. 676 und S. 289. 1321  Die Einordnung einer juristischen Person als der staatlichen Sphäre zugehörig, bei der die staatliche Beherrschung eine bedeutsame Rolle spielt, löst nach dem vorliegenden Verständnis eine erhöhte Rechtfertigungslast für die Grundrechtsberechtigung nach Art. 19 Abs. 3 GG aus, ist aber mit Blick auf den Differenzierungsraum, der im Rahmen der grundrechtstypischen Gefährdungslage verbleibt, niedrigschwellig anzusetzen, dazu soeben S. 351 mit Fn. 1318. 1320  Flughafen



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ist und zum anderen in seiner Pauschalität die Vielgestaltigkeit möglicher Eingriffslagen und daraus resultierender Wertungsgesichtspunkte schlicht übergeht. Stattdessen richtet das Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage seinen Blick sowohl auf die Beziehung der Organisationseinheit zum eingreifenden Hoheitsträger als auch auf den Wertungsaspekt der Waffengleichheit und kann auf diesem Wege im Ausnahmefall eine Grundrechtsberechtigung auch dann begründen, wenn ein signifikanter staatlicher Einfluss auf die Gesellschaft festgestellt ist. Dieser Gedanke lässt sich für die Gruppe gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen als institutionalisierte Form der Public Private Partnerships verallgemeinern. Zudem ermöglicht der weniger kategorische Ansatz der grundrechtstypischen Gefährdungslage einen differenzierteren Umgang mit anderen, in ihrem Variantenreichtum kaum zu gruppierenden Formen der Public Private Partnerships über die institutionalisierte Erscheinung hinaus1322. Gedacht sei etwa an den Fall, dass der beteiligten, privat getragenen juristischen Person in einem solchen Modell im Hinblick auf bestimmte Bereiche nur ein unbedeutender Entscheidungsfreiraum über den eigenen Ressourceneinsatz zukommt, weil sich die Seite des Hoheitsträgers vertraglich eine so engmaschige Steuerung bestimmter Handlungsabschnitte zusagen lassen hat, dass sie – und sie allein – die substantiellen Richtungsentscheidungen im Kern der Projektumsetzung treffen kann. In einer solchen Konstellation ließe sich aufgrund der Rückwirkungen der grundrechtstypischen Gefährdungslage überhaupt erst erwägen, von einer staatlichen Beherrschung auszugehen, ihr aber nicht gleichzeitig die Grundrechtsberechtigung abzusprechen, sondern allein das Rechtfertigungsbedürfnis für die Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten ausgelöst zu sehen1323. Ein solcher Lösungsansatz bürdet der betroffenen Einheit zwar eine erhöhte Rechtfertigungslast auf. Er eröffnet ihr jedoch genauso die Möglichkeit, auf der nächsten Stufe die Distanz jedenfalls zum eingreifenden Hoheitsträger und die nach dem Prinzip der Waffengleichheit verstandene Vergleichbarkeit – oder hier: Identität – mit der Situation natürlicher oder 1322  Zu begrifflichen Bestimmungsversuchen und der Vielfalt der Gestaltungsformen von Public Private Partnerships oben S. 287 ff. 1323  Begründen ließe sich ein solcher Standpunkt mit einer modifizierten Form des Arguments, der Staat solle sich nicht durch organisatorische Kniffe den Zugang zur Grundrechtsberechtigung eröffnen können, wie es etwa Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 10 f. in Zusammenhang mit gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen vorbringt. Zu einem Strohmann-Argument weiterentwickelt, könnte der Einwand gegen eine Grundrechtsberechtigung der juristischen Person lauten, der Hoheitsträger wolle über die selbstständige Form der privat getragenen juristischen Person an ihrer Grundrechtsfähigkeit partizipieren, obwohl in der konkret in Rede stehenden Handlung allein die staatliche Entscheidungsfindung zum Ausdruck komme. – Vgl. zu den Einordnungsschwierigkeiten des verfassungsgerichtlichen Ansatzes bezüglich der Ausgestaltungsvarianten der Public Private Partnership bereits S. 290 ff.

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privat getragener juristischer Personen zu belegen. Er ist damit in der Lage, Graustufen speziell in Zusammenhang mit Public Private Partnerships zu berücksichtigen, während ein vergleichbares Vorgehen nach dem bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz von vornherein ausgeschlossen ist. Der im vorliegenden Gedankenspiel bewusst niedrigschwellig konzipierte beherrschende Einfluss1324 des staatlichen Trägers auf den privaten Partner in einer Public Private Partnership wäre in der dichotomen Gleichung des Karlsruher Modells notwendigerweise mit einem grundrechtlichen Unwerturteil verbunden und führte zu einer pauschalen Ausgruppierung der betroffenen Organisationseinheit aus dem Kreis der Grundrechtsberechtigten, so wie es auch bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu beobachten ist1325. Es ist erst die grundrechtstypische Gefährdungslage mit ihren Folgewirkungen, die die notwendige Flexibilität bereithält, um bestimmte Kooperationsformen von Staat und Gesellschaft im Kontext des Art. 19 Abs. 3 GG nachvollziehbar und in differenzierter Weise grundrechtlich einordnen zu können. c) Rezeptionsoffenheit Hinzu kommt ein erhöhter Grad an Anschlussfähigkeit des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage in Zusammenhang mit dem europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes1326. Die Frage der Grundund Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen ist weder auf europa- noch auf konventionsrechtlicher Ebene eine unbekannte1327. Schon angesichts der unterschiedlichen Regelungsgegenstände und -zwecke, der spezifischen Methodik und weiterer Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Rechtsregimes sollten die Ansätze nicht vorschnell mit national geprägter Terminologie besetzt und im Hinblick auf einen vermeintlichen Gleichlauf parallelisiert werden1328. Unter Berücksichtigung dessen lässt sich 1324  Dazu

soeben S. 351 f. mit Fn. 1318 und Fn. 1321. jüngerer Zeit BVerfGE 143, 246 (314, Rn. 190); 147, 50 (144 f., Rn. 243); mit Blick auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und unter Anwendung des Kriteriums der Daseinsvorsorge noch BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783). Zur Rechtsprechungsentwicklung in diesem Bereich s. auch oben S. 138 ff. 1326  Für das Europarecht auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27); bezüglich der EMRK Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 58; M. Ludwigs, NVwZ-Beilage 2017, 3 (6). 1327  Überblicksartig aus jüngerer Zeit D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (405  f.); M. Goldhammer/F. Sieber, JuS 2018, 22 (24 ff.). 1328  Zu den insbesondere methodisch relevanten Besonderheiten des Europa- und Konventionsrechts oben S. 178 ff. Die Einordnung in bekannte Kategorien ist aus deutscher Sicht gleichwohl oft eine reflexhafte, wie die Rezeption der europa- und konventionsrechtlichen Judikatur zur Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen im nationalen Diskurs belegt hat, s. S. 213 ff., 252 f. 1325  Aus



III. Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG355

aber gleichwohl konstatieren, dass die Rechtsprechung auf der Ebene des Europa- und insbesondere des Konventionsrechts zu einem einzelfallorientierten, von anthropozentrischen Vordeutungen und der Rückbindung an die Menschenwürde weitgehend unbeeinflussten Ansatz neigt: In Zweifelsfällen greifen die entsprechenden Gerichtsbarkeiten auf eine Gesamtbetrachtung der Umstände zurück, deren zentraler Gedanke in einem Vergleich zur Betroffenheit anderer Grund- bzw. Menschenrechtsträger besteht, auch wenn dieser Ansatz in seinem aktuellen Stadium noch für eine Weiterentwicklung offen erscheint1329. Dass namentlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Kriterien, die diesen Ansatz operationalisieren, wettbewerblich ausrichtet und vornehmlich an die Privatrechtsform anknüpft1330, ändert an der erhöhten Anschlussfähigkeit der grundrechtstypischen Gefährdungslage im europäischen Mehrebenensystem nichts, auch wenn die hier bevorzugte Lesart abweichende Akzente setzt. Zum einen lässt sich speziell über den Wertungsgesichtspunkt der Waffengleichheit die Position der betroffenen juristischen Person im Wettbewerb ohne größere Reibungspunkte als berücksichtigungsfähiges Kriterium einlesen, ohne dass damit ein Systembruch einherginge. Das Bundesverfassungsgericht nahm einen solchen im Atomausstiegsurteil dagegen in Kauf, um Art. 19 Abs. 3 GG europarechtskonform auslegen zu können1331. Zum anderen ergeben sich aus der zentralen Gewichtung des Distanzverhältnisses gegenüber dem eingreifenden Hoheitsträger, das zum Kern des zuvor entfalteten Verständnisses einer grundrechtstypischen Gefährdungslage zählt, aber speziell auf Konventionsebene kein Pendant findet, keine Unverträglichkeiten zwischen den Ebenen. Mit Blick auf das Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK und das Äquivalenzprinzip des Europarechts ist es unschädlich, wenn der vorliegend präferierte Auslegungsansatz im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG dem Distanzverhältnis stärkeres Gewicht beimisst, da er diesen Aspekt gerade zugunsten der Grundrechtssubjektivität der betroffenen juristischen Person berücksichtigt. Glei1329  Als Resümee der Untersuchungen im Hinblick auf das grundrechtliche Mehr­ ebenensystem bereits oben S. 266 ff. 1330  Dazu näher oben S. 342 mit entsprechenden Nachweisen aus der EGMRRechtsprechung in Fn. 1288. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Grundzüge eines rechtsformorientiert-wettbewerblichen Ansatzes über die Kohärenznorm des Art. 52 Abs. 3 GrCh auf den europarechtlichen Grundrechtsschutz übertragen. Schon heute klingen entsprechende Elemente speziell in der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union an, etwa in EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU: T:2013:59), Rn. 41 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI: EU:T:2013:39), Rn. 43 (Bank Mellat/Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 72 (Bank Melli Iran/Rat). 1331  Zum Bruch mit grundlegenden Prämissen des eigenen Konstrukts, den das Bundesverfassungsgericht mit seinen Ausführungen in BVerfGE 143, 246 (314 ff., Rn. 191 ff.) vollzieht, eingehend oben S. 161 ff., 296 ff.

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ches gilt für vergleichbare Kriterien, die der hier vertretene Maßstab positiv gewichtet, während ihre Bedeutung auf den anderen Ebenen eher unklar erscheint1332. Die vom Bundesverfassungsgericht im Atomausstiegsurteil teils praktizierte, teils angedeutete Einbeziehung des europäischen Mehrebenensystems in die Beurteilung der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen ließe sich im Rahmen des Auslegungsmaßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage demnach deutlich homogener abbilden. Angesichts der Vorzüge einer konvergenten Rechtsentwicklung wäre eine Verstetigung des Blicks über den nationalen Tellerrand hinaus auch in dieser Frage nur begrüßenswert1333.

IV. Fallgruppenbildung Neben begrifflichen Präzisierungen und einer näheren inhaltlichen Ausgestaltung einzelner Kriterien ist es insbesondere der Blick auf bestimmte Fallgruppen, der Rechtsunsicherheit in der Handhabung eines einzelfallorientierten Ansatzes wie dem der grundrechtstypischen Gefährdungslage reduziert und einer konsistenten Anwendung zuträglich ist1334. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als schlaglichtartige und nicht abschließende Beschreibung typischer Fallkonstellationen im Rahmen, in denen die Umstände das Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage regelmäßig nahelegen und eine Grundrechtsberechtigung der betroffenen juristischen Person gemäß Art. 19 Abs. 3 GG üblicherweise in Betracht kommt. Wenn der hier vertretene Ansatz innerhalb seiner Kriterien Aspekte wie die Eigenart der schutzsuchenden juristischen Person, das konkrete Rechtsverhältnis zum eingreifenden Gegenüber oder die Charakteristika des in Rede stehenden Grundrechts berücksichtigt, wirkt diese Vorgehensweise auch in der Fallgruppenbildung fort. Die Kategorisierung ist demnach so ausdifferenziert wie der Modus des Auslegungsansatzes selbst und setzt unterschiedliche 1332  Beispielhaft genannt sei das Selbstverwaltungsrecht, das nach der hier vertretenen Auffassung als ein Aspekt in der Bestimmung eines Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträgers berücksichtigungsfähig ist, während speziell der EGMR hinsichtlich kommunaler Gebietskörperschaften wiederholt darauf hingewiesen hat, dass Autonomie und dezentrale Stellung im Staatsgefüge insoweit unbeachtliche ­Aspekte seien, s. nur EGMR, Döşemealtı Belediyesi v. Turquie, Entsch. v. 23.3.2010, App. No. 50108/06, ohne Rn. (Rechtliche Würdigung [En Droit], Abs. 7, 11); vgl. dazu auch S. 336 mit Fn. 1266. 1333  Zum Mehrwert der Konvergenz im grundrechtlichen Mehrebenensystem eingehend S. 270 ff. 1334  Für eine solche plädiert in Zusammenhang mit der grundrechtstypischen Gefährdungslage jüngst D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406).



IV. Fallgruppenbildung357

Schwerpunkte abhängig davon, welcher Umstand im vorliegenden Zusammenhang als für die typische Gefährdungssituation besonders gewichtig angesehen werden kann. Überschneidungen zwischen den verschiedenen Fallgruppen sind vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen. 1. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen Regelmäßig sehen sich juristische Personen in staatlicher Trägerschaft derlei typischen Gefährdungslagen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegenüber. Grund dafür ist vor allem das Rechtsverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger, das von der besonderen Rolle der Staatsanwaltschaft geprägt ist. Diese besitzt eine eigentümliche Stellung im staatlichen Gefüge: Ist schon ihre Zuordnung zu Exekutive oder Judikative im System der Gewaltenteilung eine streitbefangene Frage1335, besteht doch jedenfalls Einigkeit darüber, dass die Staatsanwaltschaft keine Verwaltungsbehörde im herkömmlichen Sinne, sondern ein selbstständiges Organ der Rechtspflege ist, dem gemeinsam mit den Gerichten die Aufgaben von Justizgewährung und Strafrechtspflege überantwortet wurde1336. In ihren Verrichtungen ist die Staatsanwaltschaft von den Gerichten unabhängig (§ 150 GVG) und in der strafrechtlichen Sachverhaltsaufklärung zur Objektivität verpflichtet (§ 160 Abs. 2 StPO). Neben der in § 161 Abs. 1 StPO verankerten allgemeinen Ermittlungsbefugnis gesteht ihr 1335  Eingehend zum Diskurs und mit einer Einordnung der Staatsanwaltschaften als gesonderte Erscheinung im Randbereich der Judikative T. Barczak, JZ 2020, 1125 ff.; H. Lilie, Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde, als Organ der Rechtspflege, als Teil der Justiz – Zuordnung zur 3. Gewalt?, in: S. Hiebl/N. Kassebohm/ ders. (Hrsg.), Festschrift für Volker Mehle, 2009, S. 359 ff. 1336  Statt aller O. R.  Kissel/H. Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 10. Auflage 2021, § 141 Rn. 9 m. w. N. – Eine neue Dynamik hat diese Beurteilung allerdings im Anschluss an eine jüngere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erfahren, in der der EuGH einer deutschen Staatsanwaltschaft mangels Unabhängigkeit die Eigenschaft als „Justizbehörde“ i. S. d. Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 2002, L 190/1 ff.) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 geänderten Fassung (Amtsblatt der Europäischen Union, L 81/24 ff.) abgesprochen hat, EuGH, Rs. C-508/18 und C-82/19 PPU, Digitale Slg. (ECLI:EU:C:2019:456), Rn. 64 ff., 88 (OG [Parquet de Lübeck]); im Anschluss an das Urteil statt vieler K. Ambos, JZ 2019, 732 ff.; J. Eisele/C. Trentmann, NJW 2019, 2365 ff. Diese Dynamik soll vorliegend allerdings nicht weiter entfaltet werden. Zum einen ist sie stark europarechtlich kontextualisiert. Zum anderen zeitigt sie keine Auswirkungen bei der Beurteilung eines Distanzverhältnisses der Staatsanwaltschaften zu anderen juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft im hier verstandenen Sinne, da der EuGH seine Einordnung insbesondere an das Verhältnis der Staatsanwaltschaften zu übergeordneten Behörden und namentlich das externe Weisungsrecht des Justizministeriums anknüpfte.

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D. Synthese

das Gesetz in den §§ 94 ff. StPO eine Reihe strafprozessualer Zwangsmaßnahmen zu, die den staatsanwaltschaftlichen Beitrag zur Realisierung des Prinzips der materiellen Wahrheit operationalisieren und die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzen sollen, die ihr zugedachte Rolle als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ wirksam auszufüllen1337. Sieht sich eine juristische Person in staatlicher Trägerschaft nun einem Zugriff der Staatsanwaltschaften im Wege einer solchen Zwangsmaßnahme gegenüber1338, ist es die skizzierte organisatorische Gemengelage, aus der sich in aller Regel ein Distanzverhältnis zwischen der betroffenen juristischen Person und der hoheitlich agierenden Staatsanwaltschaft ergibt. Unmittelbare organisationsrechtliche Abhängigkeitsverhältnisse zu der gerade als eigenständige Justizbehörde konzipierten Staatsanwaltschaft sind für staatlich getragene juristische Personen kaum denkbar. Die Separierung zwischen beiden ist durch die besondere Entrückung der Staatsanwaltschaft so ausgeprägt, dass bereits sie allein ein essentielles Indiz für das hinreichende Distanzverhältnis im Sinne der grundrechtstypischen Gefährdungslage zu begründen vermag. Die zuvor entfalteten, auf eine organisatorische Selbstständigkeit der betroffenen juristischen Person hindeutenden Gesichtspunkte, wie die Zubilligung eines Selbstverwaltungsrechts oder die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen föderalen Ebenen, können als Ergänzung hinzutreten. Die wertungsgemäße Vergleichbarkeit zur Situation natürlicher oder privater juristischer Personen als zweites Zentralelement der grundrechtstypischen Gefährdungslage lässt sich bei einem staatsanwaltschaftlichen Zugriff im Regelfall jedenfalls dann ohne erhöhten Aufwand begründen, wenn der Eingriff in einem konkreten Tätigkeitsbereich erfolgt, der ohne strukturelle Unterschiede und in dieser Form typischerweise insbesondere von privat getragenen juristischen Personen nach gleicher Art besetzt wird. Einwirkungsbefugnisse der juristischen Person in staatlicher Trägerschaft fernab des einfach-rechtlichen Rechtsschutzes sind in einer solchen Konstellation kaum vorstellbar. Zusätzliche Abwehrinstrumente, die gerade in dieser Trägerschaft wurzeln und über 1337  Für eine fundierte Übersicht zur Rolle der Staatsanwaltschaft im staatlichen Gefüge und ihrer Aufgabe im Strafverfahren statt vieler nur C. Roxin, DRiZ 1997, 109 ff. Überblicksartig und eingängig zu den Grundlagen strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und ihren einzelnen Ausprägungen ders./B. Schünemann, Strafverfahrensrecht, 30. Auflage 2022, § 29 ff. 1338  Die Gefährdungslage ist an dieser Stelle der Übersichtlichkeit halber bewusst einfach gehalten. Die Ermittlungsbefugnis anderer Ermittlungsbehörden (vgl. § 386 Abs. 1 AO) bleibt genauso unberücksichtigt wie die von der Staatsanwaltschaft initiierte Beteiligung weiterer Hoheitsträger an etwaigen Zwangsmaßnahmen (vgl. §§ 161 Abs. 1 2. HS Var. 2 StPO, 105 Abs. 1 StPO) oder gar deren eigenständiges Tätigwerden im Ermittlungsverfahren (vgl. § 165 StPO). Komplexe Detailfragen der Urheberschaft sollen den übergeordneten Gedanken der vorliegenden Ausführungen nicht verdecken.



IV. Fallgruppenbildung359

die Handlungsmöglichkeiten einer Privatperson in der identischen Situation hinausgehen, stehen ihr nicht zur Verfügung. Plastisch kenntlich machen lässt sich der Vergleichsgedanke am Beispiel der Sparkassen, die nach den betreffenden Landesgesetzen als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts organisiert sind1339. Das Bundesverfassungsgericht selbst konzediert, dass sich die Tätigkeit der Sparkassen heute in der Sache kaum von derjenigen privatrechtlicher Geldinstitute unterscheidet1340. Durchsucht die Staatsanwaltschaft ein Geldhaus etwa ohne richterlichen Beschluss oder beschlagnahmt Gegenstände, die für das konkrete Verfahren keinerlei Bedeutung ­besitzen, kann es aus wertender Sicht keinen Unterschied machen, ob die Betroffene eine Sparkasse oder eine Privatbank ist1341. Während dem rechtswidrigen Übergriff in den von Art. 13 GG resp. Art. 14 GG geschützten Sachbereich in dem einen Fall schlussendlich mit dem Verfassungsbeschwerdeverfahren Abhilfe verschafft werden kann und hoheitliches Eingriffshandeln im Sinne des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung eine wirksame Einhegung erfährt, fällt ein solcher Prozess in dem anderen Fall in dieser Finalität aus. Einen jeden Streit unter Beteiligung zweier Hoheitsträger als bloße Kompetenzstreitigkeit abzutun, wird dieser Wertungslage weder gerecht noch kann ein solcher Blick die Unterschiedlichkeit der denkbaren Ausgangslagen hinreichend berücksichtigen1342. Ausgehend von einer vergleichbaren Distanzstellungen und unter Berücksichtigung des Aspekts der Waffengleichheit lassen sich die vorigen Ausführungen zu strafprozessualen Zwangsmaßnahmen auf eine Reihe ähnlicher Fälle übertragen. Genannt seien etwa die Überwachung der Telekommunikation einer Stadtwerke GmbH, die Durchsuchung der Büroräume eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens oder die akustische Überwachung ei1339  Siehe exemplarisch § 1 Abs. 1 SpkG NRW, § 1 Abs. 1 SpG BW, Art. 3 BaySpkG. 1340  BVerfGE 75, 192 (199); BVerfG (K), NJW 1995, 582 (583). 1341  Wie hier T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (30); ders./Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 5 Rn. 249; F. Schoch, Jura 2001, 201 (206 f.). Für eine Grundrechtsberechtigung der Sparkassen nach Maßgabe der grundrechtstypischen Gefährdungslage ebenso von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 138; Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 391; tendenziell auch Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 569; vgl. aus systemtheoretischer Perspektive auch R. Dreier, Grundrechtssubjektivität (Fn. 45), S.  100 f. 1342  So aber praktiziert es das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung, s. ausführlich oben S. 49 ff. Nach dem hier vertretenen Standpunkt wäre in einem Ausgangsfall, wie er der Entscheidung BVerfG (K), NJW 1995, 582 (582) zugrunde lag, eine Grundrechtsberechtigung der von der staatsanwaltlichen Durchsuchung betroffenen Sparkasse anzunehmen. Gerade anhand der Sparkassen lässt sich die Vielgestaltigkeit möglicher Ausgangslagen, die die pauschale Ausgruppierung des Karlsruher Ansatzes nicht abzubilden vermag, beispielhaft nachzeichnen, vgl. dazu schon oben S. 315 mit Fn. 1194.

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D. Synthese

nes Standorts der örtlichen Industrie- und Handelskammer. In Zusammenhang mit ordnungsbehördlichen Zwangsmaßnahmen fehlt es dagegen an einer vergleichbar strukturellen Typisierbarkeit. Die entsprechenden Fälle zeichnen sich gerade durch die Unterschiedlichkeit der eingreifenden Behörden und den Variantenreichtum ihrer gesetzlichen Befugnisse im allgemeinen und besonderen Gefahrenabwehrrecht aus, ohne dass die behördliche Position dabei regelmäßig und in charakteristischer Weise der gerade auf Distanz ausgerichteten Stellung der Staatsanwaltschaften vergleichbar wäre. Ausgeschlossen ist eine Grundrechtsberechtigung staatlicher Einheiten gegenüber Zwangsmaßnahmen einer Ordnungsbehörde im Einzelfall damit freilich nicht1343. 2. Verfahrensgrundrechte im gerichtlichen Forum Gefährdungslagen eng verwandter Art ergeben sich typischerweise auch im gerichtlichen Verfahren. Die Ausführungen zur eigenständigen Stellung der Staatsanwaltschaften im staatlichen Gefüge und die damit regelmäßig einhergehende Distanz zwischen ihnen und juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft lassen sich nicht nur in ihrem Grundgedanken auf die Rolle staatlicher Organisationseinheiten im Gerichtsprozess übertragen – sie gelten hier in gesteigertem Maße. Während die Staatsanwaltschaft eine Zwischenposition zwischen Exekutive und Judikative einnimmt und ihre Stellung als hierarchieunterworfene Behörde in einzelnen gesetzlichen Regelungen um deutliche Zeichen der Eigenständigkeit erweitert wird, ist die Unabhängigkeit essentielles Identifikationsmerkmal der rechtsprechenden Gewalt, die Art. 92 GG den Gerichten zuspricht. Wenn § 1 GVG die Unabhängigkeit der Gerichte festschreibt, greift er damit eine grundlegende Voraussetzung des

1343  Exemplarisch verwiesen sei auf die Ausgangssituation in der Entscheidung BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71); zur Einordnung oben S. 148 ff. Bei der Versagung der denkmalschutzrechtlichen Abbruchgenehmigung spricht nach der hier vertretenen Auffassung viel für eine Grundrechtsberechtigung der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG. Zum Landkreis Leipzig besteht kein unmittelbares organisationsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis. Die Privatrechtsform gewährt jedenfalls aus formaler Sicht einen erhöhten Grad an Dezentralisierung. Zudem bewegen sich der Bund als Träger der Gesellschaft und der eingreifende Landkreis auf unterschiedlichen föderalen Ebenen. Hinsichtlich der vergleichbaren Interessenlage sind jedenfalls aus der Perspektive eines Außenstehenden keine spezifischen Einwirkungsbefugnisse der Antragstellerin ersichtlich oder im Verfahren dargetan. Beantragte ein privater Immobilienentwickler in identischer Situation die Abbruchgenehmigung, könnte dieser gegen die Aufrechterhaltung der Versagung im Instanzenzug Art. 14 Abs. 1 GG in Stellung bringen und auf dieser Grundlage schließlich das Verfassungsbeschwerdeverfahren initiieren.



IV. Fallgruppenbildung361

demokratischen Rechtsstaats rein deklaratorisch auf1344. Die organisatorische Separierung der rechtsprechenden Gewalt, die Gewährleistung eines zwingenden, rahmengebenden und ausgeglichen gestalteten Verfahrens zur Streitbeilegung sowie die Freiheit von interessengeleiteter Einflussnahme sind Wesensmerkmale der Judikative, die ihr besondere Unabhängigkeit vermitteln und in ihrer Bedeutung kaum überbetont werden können. Diese schon verfassungsrechtlich indizierte Eigenständigkeit lässt eine im vorliegend vertretenen Standpunkt selten angestellte Pauschalierung zu: Tritt eine juristische Person in staatlicher Trägerschaft in das Verfahren ein und der rechtsprechenden Gewalt in diesem Forum gegenüber, ist es bereits die verfassungsrechtlich indizierte Eigenständigkeit der Gerichte, die ein hinreichendes Distanzverhältnis zwischen beiden konstituiert. Dieser Befund ist unabhängig von flankierenden Gesichtspunkten, sei es ein mögliches Selbstverwaltungsrecht oder die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen föderalen Ebenen. Der nach dem vorliegenden Ansatz in einem zweiten Schritt zu fordernde Wertungsaspekt der vergleichbaren Ausgangslage zu derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischer Personen bedarf darüber hinaus keines erhöhten Begründungsaufwands. Dass sich die Position staatlicher Organisationseinheiten in einem solchen, von allgemeingültigen Regeln umhegten Prozess der Streitbeilegung in nichts von der Ausgangslage eines jeden anderen Verfahrensbeteiligten unterscheidet, steht im sonst lebendigen Diskurs um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen in seltener Einmütigkeit außer Frage und wird ausdrücklich mit dem Prinzip der prozessualen Waffengleichheit begründet1345. Selbst das Bundesverfassungsgericht erkennt die Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten hinsichtlich der justiziellen Gewährleistungen in ständiger Rechtsprechung an1346. Der Unterschied zwischen dem Karlsruher Modell und dem hier vertretenen Ansatz besteht darin, dass sich die Grundrechtsfähigkeit staatlich getragener juristischer Personen im Rahmen der Justizgrundrechte des Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG bruchlos als Fallgruppe nach dem Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage formulieren lässt. Das Verfassungsgericht kann diese Ausnahme dagegen nur auf

1344  Statt

aller Kissel/Mayer, GVG (Fn. 1336), § 1 Rn. 1 ff., 32 ff. jeweils m. w. N. Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 6), S. 93; ders., AöR 104 (1979), 54 (101); Sachs (Fn. 28), Art. 19 Rn. 50; H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (242); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 3), S. 1156. Im Ergebnis ebenso etwa Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 40; Jarass (Fn. 79), Art. 19 Rn. 33; Ulsamer, Geltung (Fn. 213), S. 208; vgl. dazu auch bereits oben S. 37 f., 90 f., 343 ff. 1346  BVerfGE 6, 45 (49 f.); 13, 132 (139 f.); 21, 362 (373); 45, 63 (79); 61, 82 (104); 75, 192 (200); 138, 64 (83, Rn. 55); s. zu dieser Ausnahme in der Rechtsprechung auch oben S. 37 f. 1345  Explizit

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D. Synthese

Kosten eines systematischen Einschnitts in das eigene Konstrukt rechtfertigen1347. Begrenzt ist die Typisierung allerdings auf solche Eingriffe, die originär vom Gericht ausgehen und einen unmittelbaren verfahrensrechtlichen Bezug aufweisen. Eine solche Einschränkung dient als Gewährleistung der Wirkrichtung eines potentiellen Grundrechtsschutzes staatlicher Organisationseinheiten allein gegen Erscheinungsformen hoheitlicher Gewalt1348. Diese Prämisse würde allzu leicht umgangen, ginge man auch hinsichtlich der gerichtlichen Sachentscheidung unbesehen davon aus, die betroffene juristische Person befinde sich in dieser konkreten Situation zum Gericht in einer grundrechts­ typischen Gefährdungslage. Drohszenarien der Umkehrung des Grundrechtsschutzes zulasten Privater sind schnell bei der Hand. So bestehe die Befürchtung eines erschlichenen Grundrechtsschutzes, wenn etwa das von einer natürlichen Person beklagte Land ein stattgebendes Urteil im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen übergriffiges Handeln der Polizei unter Berufung auf die eigene Berufsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde deshalb anfechten könnte, weil es sich aus formalistischer Sicht dem Eingriff der Entscheidung eines mit besonderer Unabhängigkeit ausgestatteten Gerichts gegenübersehe1349. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG anhand der grundrechtstypischen Gefährdungslage soll juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft dagegen kein Instrument zur Seite stellen, um die eigene Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG zu konterkarieren. Vielmehr ist sie von dem Grundgedanken getragen, wertungsmäßig bedeutsame Machtgefälle auszugleichen, die auch innerhalb des staatlichen Binnenverhältnisses im Einzelfall auftreten, und so dem Prinzip der Waffengleichheit Rechnung zu tragen. Die gerichtliche Sachentscheidung löst damit im Regelfall keine grundrechtstypische Gefährdungslage aus1350.

1347  Wie hier T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (30). Einen Systembruch mit dem eigenen individualistischen Ansatz halten dem Bundesverfassungsgericht etwa T. Acker­ mann, JöR 65 (2017), 113 (127), Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 326, Isensee (Fn. 93), § 199 Rn. 56 und M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27) vor. 1348  Dazu oben S. 307 ff. 1349  Angelehnt ist dieses Beispiel an die Drohkulisse, die Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S. 93 zeichnet, um die vermeintlichen Konsequenzen eines am „Außenrechtsverhältnis“ zwischen zwei Hoheitsträgern orientierten Auslegungsmaßstabs aufzuzeigen. 1350  Die gerichtliche Entscheidung kann eine solche indes aktualisieren und verfestigen, wenn sie den Zugriff eines Hoheitsträgers auf eine juristische Person bestätigt, der seinerseits und für sich stehend eine grundrechtstypische Gefährdungslage auslöst; vgl. dazu bereits oben S. 310 mit Fn. 1177.



IV. Fallgruppenbildung363

3. Hoheitlicher Zugriff auf das Eigentum Ein bestimmter Typisierungswert wohnt regelmäßig auch dem hoheitlichen Zugriff auf das Eigentum einer juristischen Person in staatlicher Trägerschaft inne – eine Ausgangslage, die unter anderem, aber nicht ausschließlich für wirtschaftlich tätige Organisationseinheiten virulent wird. Das typisierende Moment ist hier vornehmlich in dem Sachbereich begründet, den das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG zu schützen gedenkt. Maßgebliche Wirkung entfaltet dieses Moment auf der Ebene der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit zur Situation natürlicher oder privat getragener juristischer Personen. Ist im konkreten Fall ein hinreichendes Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger festgestellt, lassen sich beim Eigentumsschutz aus wertender Sicht nur selten Unterschiede ausmachen, die eine Andersbehandlung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft rechtfertigen1351. Das Eigentum als Schutzgegenstand des Art. 14 GG knüpft – anders als andere Grundrechtsgewährleistungen – nicht in erster Linie an menschliche Eigenschaften, natürliche Merkmale oder präexistente, rechtlich allein reaktiv zu verarbeitende Umstände an, sondern wird als Zuordnungsgröße erst durch die Rechtsordnung geschaffen und von ihr als existent anerkannt1352. Schließen die zu diesem Zwecke verfassten zivilrechtlichen Regeln über das Eigentum staatliche Organisationseinheiten als potentielle Eigentümer mit ein und sehen auch die über die gesamte Rechtsordnung verteilten Sekundärregeln keine Auskerbungen speziell für juristische Personen in staatlicher Trägerschaft vor, lässt sich aus diesem Regelungsnetz heraus schwerlich ein grundlegender Unterschied in der Betroffenheit der jeweiligen Eigentümer begründen, sollte ein Hoheitsträger auf das ihnen zugeordnete Eigentum zugreifen. Dieser Einschätzung scheint sich inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr zu verschließen. Eine Öffnung ist allerdings nur in limitiertem Maße zu erkennen und wird von der Betonung des Ausnahmecharakters der entsprechenden Entscheidung begleitet. In seinem Atomausstiegs­ urteil hat das Gericht einer fremdstaatlich beherrschten juristischen Person die Grundrechtssubjektivität gerade unter dem Gesichtspunkt zugesprochen, 1351  Für einen grundrechtlichen Eigentumsschutz staatlicher Organisationseinheiten auf Grundlage der grundrechtstypischen Gefährdungslage auch Wieland (Fn. 173), Art. 14 Rn. 86; vgl. jedenfalls im Ergebnis Zimmermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S. 141  ff. Als prominentestes Rechtsprechungsbeispiel legt der Bayerische Ver­ fassungsgerichtshof hinsichtlich des Eigentumsschutzes der Gemeinden ebenso den Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage an, s. nur BayVerfGHE 5, 1 (5 f.); 29, 105 (120 f., 126 f.); 37, 101 (107 ff.); 44, 149 (152); dazu auch oben S. 73 f. 1352  Statt vieler O. Depenheuer/J. Froese, in: Huber/Voßkuhle, von Mangoldt/ Klein/Starck – GG I (Fn. 26), Art. 14 Rn. 30; Wieland (Fn. 173), Art. 14 Rn. 27 jeweils m. w. N.; vgl. aus der Karlsruher Rechtsprechung ferner BVerfGE 20, 351 (355); 58, 300 (339).

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dass sie sich in einer der Situation anderer, privat getragener juristischer Personen vergleichbaren Eingriffslage zum deutschen Gesetzgeber befinde, sich diesem gegenüber aber nicht auf die Grundrechte zu berufen vermöge und auf diesem Wege einen bedeutsamen, nur über den Grundrechtsschutz auszugleichenden Nachteil erleide1353. Zuvor galt in der ständigen Karlsruher Rechtsprechung das schier unumstößliche Mantra, Art. 14 GG schütze „nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“1354. Mit diesem Diktum hat das Gericht seiner individualistischen Grundrechtsdeutung einmal mehr Ausdruck verliehen und in die beschriebene Indifferenz des Eigentums einen deutlichen grundrechtstheoretischen Trennstrich gezeichnet. Jedenfalls in dieser Schlichtheit ist die „polemisch-suggestive Kurzformel“1355 nach dem Atomausstiegsurteil nicht mehr haltbar. Denn fernab der Ausnahmebeteuerungen und dem Bezug auf seine traditionelle Eigentumsformel erachtet das Verfassungsgericht einen wertenden Vergleich nicht etwa nur im Allgemeinen für angemessener als die eigene Durchgriffsthese. Es billigt in dieser Entscheidung trotz aller Beteuerungen einer staatlich getragenen juristischen Person die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht uneingeschränkt zu und konzediert damit, dass Art. 14 GG gerade nicht (mehr) allein das Eigentum Privater schützt1356. Während das Verfassungsgericht mit einer solchen Handhabe auf Wertungen zurückgreifen muss, die außerhalb seines grundrechtstheoretisch begründeten und personalistisch geprägten Konzepts liegen und mit diesem gar brechen, fügt sich die im Atomausstiegsurteil bevorzugte Betrachtung in den Grundgedanken des vorliegend vertretenen Ansatzes nahtlos ein. Dieser ist gerade auf den Ausgleich qualifizierter Gefährdungs­ lagen gerichtet und plädiert zu diesem Zwecke für einen Perspektivwechsel hin zum Prinzip der Waffengleichheit. Damit sei nicht gesagt, dass allein die Fähigkeit, Zuordnungssubjekt einer privatrechtlichen Eigentumsposition zu sein, eine juristische Person in staatlicher Trägerschaft bereits in den grundrechtlichen Schutz des Art. 14 GG einschließt1357. Weiterhin gilt, dass eine solche nur unter den zuvor genann1353  BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff., insb. Rn. 194, 200); zur ausführlichen Einordnung der Entscheidung oben S. 158 ff. 1354  BVerfGE 61, 82 (108 f.); BVerfGK 4, 223 (224); BVerfG (K), NVwZ 2002, 1366 (1366). Auch im Atomausstiegsurteil greift das Gericht das eigene Zitat auf, s. BVerfGE 143, 246 (316 f., Rn. 195). 1355  Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 109. 1356  Im Ergebnis BVerfGE 143, 246 (313, 317, Rn. 185, 196). Nach dem ursprünglichen Maßstab des Gerichts und in konsequenter Anwendung der individualistischen Durchgriffsthese hätte das Ergebnis im Atomausstiegsurteil in dieser Hinsicht dagegen ein eindeutig negatives sein müssen, dazu bereits oben S. 162 f. 1357  Insoweit ist den Ausführungen in BVerfGE 61, 82 (108) zuzustimmen; ebenso Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  109  m. w. N.



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ten Voraussetzungen eines hinreichenden Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger und einer wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Interessenlage in Betracht kommt. Gleichwohl sind es gerade die Normprägung des Eigentums und seine praktische Ausgestaltung, die hinsichtlich des Vergleichsmoments eine Typisierung zulassen. Speziell in Fällen des hoheit­ lichen Zugriffs auf die Eigentumsposition einer juristischen Person in staat­ licher Trägerschaft bereitet dieser Aspekt der Vergleichbarkeit der Interessenlage staatlicher Organisationseinheiten mit derjenigen natürlicher oder privat getragener juristischer Personen den Boden1358. Die hier angestellten Gedanken lassen sich an einigen bereits zuvor aufgegriffenen Fällen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung näher veranschaulichen. So hat das Bundesverwaltungsgericht einer juristischen Person des Privatrechts in ausschließlicher Trägerschaft des Bundes die Berufung auf Art. 14 GG insbesondere unter Hinweis auf das Konfusionsargument versagt, als sich diese gegen die Ablehnung einer denkmalschutzrechtlichen Abbruchgenehmigung durch den zuständigen Landkreis wandte1359. Eine hinreichende Distanzstellung der konkret betroffenen Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH zur Denkmalschutzbehörde vorausgesetzt, ist schwerlich auszumachen, inwieweit sich ihre Schutzwürdigkeit von derjenigen eines privat getragenen Immobilienentwicklers unterscheiden soll1360. Beide unterliegen den ordnungsrechtlichen Vorschriften des Denkmalschutzrechts als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums in identischer Weise; beide sind zum Abbruch eines auf ihrem Grundstück befindlichen Denkmals auf die Genehmigung seitens des Landkreises angewiesen. Sollte der letztere als zuständige Denkmalschutzbehörde eine solche Genehmigung beispielsweise ohne sachlichen Grund oder unter falscher Würdigung der Tatsachen verweigern, stünde es dagegen allein dem privaten Immobilienentwickler zu, gegen eine solche Entscheidung Grundrechtsschutz zu ersuchen, gegebenenfalls auch in Gestalt des Verfassungsbeschwerdeverfahrens – ein Weg, der der staatlich getragenen Person auf der anderen Seite aus grundrechtstheoretischen Erwägungen heraus versperrt ist. Schreibt man den Grundrechten auch eine rechtsstaatssichernde Funktion zu und interpretiert Art. 19 Abs. 3 GG vor diesem Hintergrund anhand des Prinzips der Waffengleichheit, liegt es dagegen nahe, in einem solchen Fall die Grund1358  In diesem Sinne sieht Kluth, Selbstverwaltung (Fn. 78), S. 404  f. gar den Hauptanwendungsbereich des Konzepts der grundrechtstypischen Gefährdungslage im Schutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts vor staatlichen Eigentumseingriffen. Auf Grundlage dessen relativiert er gleichzeitig die Befürchtung, ein grundrechtlicher Schutz staatlicher Organisationseinheiten resultiere in der Lähmung der Staatsgewalt. 1359  BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 (71); dazu eingehend oben S. 148 ff. 1360  Dazu bereits oben S. 360 mit Fn. 1343.

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rechtssubjektivität auch der staatlich getragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu bejahen. Ihre Lage unterscheidet sich bei wertender Betrachtung nicht von derjenigen einer privat getragenen Organisationseinheit in identischer Eingriffssituation. Gleiches lässt sich über die Ausgangssituation der Gemeinde Sasbach beim Ausschluss ihrer Einwendungen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren sagen. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren setzte sich die Gemeinde gegen die zunächst vom Bundeswirtschaftsministerium ausgesprochene und später gerichtlich bestätigte Zurückweisung ihrer Einwendungen gegen die Genehmigung einer Atomkraftanlage zur Wehr. Sie führte im Zuge dessen unter anderem Art. 14 GG ins Feld, da der Bau einer solchen Anlage das Eigentum an einem Anrainergrundstück beeinträchtige, das die Gemeinde als Rebgelände nutzte1361. Das Bundesverfassungsgericht sprach sich in bekannter Tradition gegen eine Grundrechtsberechtigung der Gemeinde aus. Neben dem Bezug auf die klassischen Begründungsmuster und die individualistische Eigentumsformel rekurrierte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf, dass von einer Vergleichbarkeit der Schutzwürdigkeit keine Rede sein könne, da juristische Personen des öffentlichen Rechts sowohl bestimmte „Vorrechte“ in Anspruch nehmen könnten, die privaten Personen in identischer Ausgangslage nicht zukämen, als auch auf spezifisch „außerrechtliche ‚Vorzüge‘ “ zurückgreifen könnten1362. Bemerkenswert ist zunächst die Auseinandersetzung mit und Subsumtion unter den Gedanken der grundrechtstypischen Gefährdungslage, um die mithilfe des eigenen Ansatzes bereits vorformulierten Ergebnisses nochmals inhaltlich abzustützen1363. Die Pauschalität des Bundesverfassungsgerichts verzerrt allerdings einmal mehr die Per­ spektive: Selbst wenn man die vom Gericht angeführten Privilegien rechtlicher und faktischer Natur als existent anerkennen will1364, sind sie doch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen bezogen und sagen nichts darüber aus, inwieweit sie einen Mangel an Schutzwürdigkeit der Gemeinde Sasbach gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium 1361  Zum

entsprechenden Sachverhalt BVerfGE 61, 82 (85 ff.). 82 (105 f.). Ähnliche Gedanken äußerte bereits Dürig (Fn. 621), Art. 19 Abs. III (1977) Rn. 46, auf den das Gericht ausdrücklich Bezug nimmt. 1363  Dazu bereits oben S. 69 ff. 1364  Dagegen Wieland (Fn. 225), Art. 93 Rn. 89. Während das Verfassungsgericht die rechtlichen Privilegien im Mindesten noch zu benennen versucht (vgl. dazu Fn. 1365), bleibt es im Hinblick auf vermeintliche faktische Vorrechte auffällig kryptisch; zur Einordnung vergleichbarer Andeutungen im Atomausstiegsurteil oben S. 161 f. Speziell in Zusammenhang mit Art. 14 GG weist Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 567 zutreffend darauf hin, dass allgemeine, vom konkreten Einzelfall gänzlich losgelöste Handlungsalternativen im staatlichen Binnenverhältnis wie die Sperrung von Finanzhilfen in einem Rechtsstaat kein gleichwertiges Pendant zum Grundrechtsschutz darstellen. 1362  BVerfGE 61,



IV. Fallgruppenbildung367

als atomrechtliche Genehmigungsbehörde zu begründen vermögen. Bei einer konkreten Betrachtung ergibt sich freilich ein anderes Bild: Mangels eines organisationsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Gemeinde und Ministerium und mit Blick auf das jedenfalls aus der Perspektive der Organisationsdifferenzierung relevante Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde sowie die Aktivität auf unterschiedlichen föderalen Ebenen besteht zwischen beiden ein hinreichendes Distanzverhältnis. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit zur Interessenlage Privater sind keine Kanäle ersichtlich, die über die einfach-rechtlichen Beteiligungsgewährleistungen des Atomrechts hinausgingen, der Gemeinde Sasbach eine gesonderte, allein auf ihrer öffentlich-rechtlichen Struktur fußende Möglichkeit zur Geltendmachung der eigenen Interessen eröffneten und natürlichen oder privat getragenen juristischen Personen nicht zustünden. Steuerliche Sonderregeln sind in diesem Zusammenhang genauso unerheblich wie die damalige, vom Verfassungsgericht zitierte Fassung des bayerischen Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz1365. Handelte es sich bei der Beschwerdeführerin im identischen Falle etwa um eine privat getragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die das eigene Grundstück im Rahmen eines Winzerbetriebs mit Weinreben bestellte, könnte sie sich zweifelsohne auf ihr Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG berufen, obwohl sie sich der staatlichen Beeinträchtigungsmaßnahme nicht mehr oder minder stark ausgesetzt sähe als die Gemeinde. Auf dem Boden der grundrechtstypischen Gefährdungslage käme eine Grundrechtsberechtigung der Gemeinde demnach durchaus in Betracht1366. Die hier begonnene Liste der Beispiele ließe sich im Hinblick auf die wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage um verschiedene Enteignungskonstellationen erweitern1367. Zudem lässt sich gerade im Rahmen des Art. 14 GG der Differenzierungsgewinn ablesen, den eine erneuerte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG in der 1365  Beides hat das Bundesverfassungsgericht als entscheidungserheblichen Beleg außerrechtlicher Vorzüge angeführt, die juristische Personen des öffentlichen Rechts im Vergleich zu Privaten vermeintlich privilegierten, BVerfGE 61, 82 (105 f.). 1366  Wie hier für eine Grundrechtsberechtigung im konkreten Fall anhand des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage R. Mögele, NJW 1983, 805 (805); S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (258 f.); A. von Mutius, Jura 1983, 30 (40 f.); im Vergleich mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ebenso H. Bethge, NVwZ 1985, 402 (403). Mit Zweifeln dagegen F. Schoch, Jura 2001, 201 (207 mit Fn. 117). – In dem oftmals akteursbezogenen Diskurs um Art. 19 Abs. 3 GG ist die Grundrechtsberechtigung kommunaler Gebietskörperschaften eine besonders lebendige Unterkategorie, dazu im Überblick A. Guckelberger, Jura 2008, 819 (821 f.); vgl. ferner bereits oben S. 64 f. 1367  Für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (29); für Gebietskörperschaften H. Bethge, AöR 104 (1979), 265 (265 f.); K. A. Bet­ termann, NJW 1969, 1321 (1325 f.); Herzog, Grundrechtssubjektivität (Fn. 68), S. 94; F. Schoch, Jura 2001, 201 (207 mit Fn. 118).

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D. Synthese

grundrechtlichen Vermessung von Sachverhalten eröffnet. So sind Konstellationen denkbar, in denen die Situation der betroffenen juristischen Person in staatlicher Trägerschaft bestimmte Eigenheiten aufweist, diese aber nicht von so bedeutendem Gewicht sind, dass sie die Vergleichbarkeit zur Ausgangslage Privater als solche infrage stellten. Potentielle Unwuchten, die sich aus einer solchen Besonderheit ergeben, lassen sich nach dem hier vertretenen Ansatz jenseits der Alles-oder-Nichts-Entscheidung über die Grundrechtsberechtigung auf Abwägungsebene berücksichtigen1368. Mit der Sozialbindung des Eigentums hält Art. 14 Abs. 2 GG dafür einen ausdrücklichen Vorbehalt bereit. Dieses Vorgehen gleich als „bipolare Grundrechtsdogmatik“ zu pathologisieren1369, blendet aus, dass die angemessene Berücksichtigung der Charakteristika im Einzelfall zu den Wesensmerkmalen des Grundrechtsprogramms zählt, das vom Schutzbereich bis zur Angemessenheit mit graduellen Abstufungen arbeitet1370. Knüpfen derlei Besonderheiten an die Person des betroffenen Grundrechtsträgers an, sieht sich das Bundesverfassungsgericht auch an anderer Stelle nicht gehindert, sie in seine Betrachtung mit einzubeziehen1371. Bipolarität wird ihm insoweit nicht vorgeworfen. 4. Stellung im Wettbewerb Typische Gefährdungslagen können sich ebenso im Zuge der wirtschaftlichen Betätigung der staatlichen Einheiten ergeben. Das gilt insbesondere dann, wenn diese in einem wettbewerblichen Umfeld agieren und der Zugriff von hoheitlicher Seite die Wettbewerber unabhängig von ihrer Trägerstruktur gleichermaßen trifft. In den Fokus gerückt ist diese Fallgruppe insbesondere im Umfeld des grundrechtlichen Mehrebenensystems. Namentlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte richtet die Beurteilung der Frage, ob eine juristische Person im Beschwerdeverfahren als „non-governmental or­ ganisation“ im Sinne des Art. 34 EMRK auftritt, maßgeblich an Faktoren wie der kommerziellen Natur ihrer Tätigkeit und ihrer Position am Markt aus 1368  Vgl.

auch den Gedanken bei S. Muckel, JA 2020, 411 (414 in Fn. 43). Gersdorf, Unternehmen (Fn. 32), S.  95 f. 1370  M. Goldhammer, JuS 2014, 891 (894). 1371  So erwägt das Gericht bisweilen etwa, den Grundrechtsschutz großer Wirtschaftsunternehmen aus Art. 9 Abs. 1 GG davon abhängig zu machen, ob bei diesen juristischen Personen das personale Element mitgliedschaftlicher Bindung hinreichend sichtbar bleibt, s. BVerfGE 50, 290 (355 f.); 123, 186 (237 f.); 124, 25 (34); näher dazu oben S. 131 f. Darüber hinaus variiert die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts zur Intensität des Menschenwürdebezugs bei bestimmten Grundrechten abhängig vom betroffenen Beschwerdeführer, wie sich unter anderem an dem bewusst von der Menschenwürde entrückten „nicht personalen Berufsbegriff“ des Art. 12 GG zugunsten juristischer Personen ablesen lässt, s. BVerfGE 97, 228 (253); 102, 197 (212 f.); zu diesem Aspekt eingehend und mit weiteren Beispielen oben S. 123 ff. 1369  So



IV. Fallgruppenbildung369

und bestimmt die notwendige Opfereigenschaft damit anhand wettbewerblicher Gesichtspunkte1372. In der europarechtlichen Judikatur ist dieser Weg zumindest angedeutet worden1373. Vor dem Hintergrund verschiedentlicher Verflechtungen im Mehrebenensystem und dem Mehrwert der Konvergenz ist der Blick auf den Wettbewerb als Typisierungsmerkmal insbesondere auf der Stufe der Vergleichbarkeit der Interessenlage zu privaten Grundrechtsträgern ein lohnenswerter. Auch das sonst dem anthropozentrischen Grundrechtsverständnis verschriebene deutsche Bundesverfassungsgericht berücksichtigte in seinem Atomausstiegsurteil die Stellung im Wettbewerb als ­bedeutsamen Wertungsgesichtspunkt, um einer fremdstaatlichen getragenen juristischen Person über Art. 19 Abs. 3 GG die Berufung auf den Grundrechtsschutz zuzubilligen1374. Gleich zu Beginn sei allerdings festgestellt, dass einer Revitalisierung der Fiskustheorie an dieser Stelle nicht das Wort geredet werden soll1375. Der Staat ist auch dann in all seinen Erscheinungsformen über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden, wenn er fiskalische Hilfsgeschäfte tätigt oder in privater Rechtsform auftritt1376. Dass diese strikte Bindung eine Grundrechtsberechtigung im Einzelfall indes nicht a priori ausschließt, ist bereits festgestellt worden1377. Im vorliegenden Zusammenhang stehen die Wirtschaftstätigkeit staatlicher Einheiten und ihre Stellung im Wettbewerb folglich nicht als tragende Gründe einer potentiellen Grundrechtsberechtigung staatlicher Organisationseinheiten, sondern als Untersuchungsfeld wiederkehrender Gefährdungslagen im Zentrum der Betrachtung. Das „Ob“ des wirtschaftlichen und auch wettbewerblichen Tätigwerdens fällt dabei in die Entscheidungshoheit des Organisationsträgers. Diese Weichenstellung ist nicht zuletzt von den einfachgesetzlichen Zulässigkeits­ voraussetzungen abhängig, die in ihrer aktuellen Gestalt unter anderem die 1372  Exemplarisch etwa EGMR, Islamic Republic of Iran Shipping Lines v. Turkey, Urt. v. 13.12.2007, App. No. 40998/98, Rn. 80; Transpetrol A. S. v. Slovakia, Entsch. v. 15.11.2011, App. No. 28502/08, Rn. 62; dazu bereits S. 246 ff., 342 f. 1373  EuG, Rs. T-494/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:59), Rn. 41 (Bank Saderat Iran/Rat); Rs. T-496/10, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:39), Rn. 43 (Bank Mellat/ Rat); Rs. T-35/10 und T-7/11, Digitale Slg. (ECLI:EU:T:2013:397), Rn. 72 (Bank Melli Iran/Rat). 1374  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200).  1375  Zu dieser grundlegend Bettermann, Gewerbefreiheit (Fn. 45), S.  2 ff.; ders., NJW 1969, 1321 (1323). 1376  Eingehend zu dieser heute nahezu einhellig vertretenen Position und der damit verbundenen Ablehnung der Fiskustheorie statt vieler Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S.  100 ff.; von Mutius (Fn. 8), Art. 19 Abs. 3 Rn. 126; vgl. ferner aus jüngster Zeit und mit weiterführenden Nachweisen S. Muckel, VVDStRL 79 (2020), 245 (273). 1377  Siehe oben S. 304 ff.; S. Muckel, JA 2020, 411 (412 f.).

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zwingende Verknüpfung mit der Förderung eines öffentlichen Zwecks und eine obligatorische Haftungsbeschränkung vorsehen1378. Gegen diese Maßnahmen kann sich eine staatlich getragene juristische Person nach dem hier vertretenen Ansatz mangels organisatorischen Distanzverhältnisses von vornherein nicht auf Grundrechte berufen. Vielmehr stehen an dieser Stelle hoheitliche Eingriffe in Rede, die die Bedingungen des Wettbewerbs im ­ Allgemeinen zum Gegenstand haben und so die Art und Weise wettbewerblicher Tätigkeit zu beeinträchtigen imstande sind. In der konkreten Prüfung des Einzelfalls, die sich in vielen Fällen zuvorderst im Sachbereich des Art. 12 GG und bisweilen auch in Anknüpfung an Art. 14 GG bewegen wird, bedarf zunächst die Bestimmung des hinreichenden Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger einer genaueren Betrachtung. Im Rahmen des Kriteriums der organisatorischen Unabhängigkeit von betroffener und eingreifender Stelle gilt es sicherzustellen, dass die Trennlinie zwischen Grundrechten und Kompetenzen sichtbar bleibt. Denn Gegenstand einer potentiell grundrechtlich gestützten Abwehr ist nicht etwa die Neuzuweisung oder Umverteilung bestimmter Aufgaben, die nach der hier vertretenen Auffassung allein dem grundrechtsexternen Bereich zugeordnet werden muss1379. Ist die Hürde des hinreichenden Distanzverhältnisses im Einzelfall genommen, wird auf Ebene der vergleichenden Wertung schnell der Typisierungswert deutlich, der von wettbewerblichen Konstellationen ausgeht, wohnt dem Wettbewerb selbst doch ein unmittelbares Vergleichsmoment inne. Auch hier bleibt nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob der juristischen Person in staatlicher Trägerschaft aus eben dieser Struktur heraus Sonderrechte oder spezielle Einwirkungskanäle erwachsen, die sie aus wertender Sicht von natürlichen Personen oder Organisationseinheiten in privater Trägerschaft unterscheiden1380. 1378  Siehe

nur § 65 BHO, § 65 LHO NRW, § 102 GO BW. dieser Prämisse oben S. 313 f. 1380  Allein der abstrakte, ohne Bezug zum jeweiligen Einzelfall formulierte Hinweis auf Strukturmerkmale staatlich getragener Organisationseinheiten, die sie vermeintlich von juristischen Personen in privater Trägerschaft unterschieden, erfüllt diese Voraussetzung nicht; vgl. dazu im Rahmen des Eigentumszugriffs bereits S. 366 f. So sind aus wettbewerblicher Perspektive die Insolvenzunfähigkeit juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft zunächst genauso unbeachtlich wie ihre Finanzierung aus Steuergeldern, auch wenn beide strukturelle Unterscheidungsmerkmale zu privater Wirtschaftstätigkeit darstellen, s. zu letzterem J. Kühling/F. Huerkamp, in: F. J. Säcker/M. Ganske/M. Knauff (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 4. Auflage 2022, Einl. zum Vergaberecht Rn. 15. Ändern diese Merkmale bei wertender Betrachtung nichts an der Vergleichbarkeit der Interessenlage im Allgemeinen, wirken sich im Einzelfall aber in anderer Weise aus, bietet die Abwägungsebene genügend Raum zur Berücksichtigung dessen, s. erneut oben S. 367 f. 1379  Zu



IV. Fallgruppenbildung371

Bestehen derlei Privilegien nicht, muss der Vergleichsgedanke – wie in den bisher in Bezug genommenen Fällen – nicht erst hypothetisch erdacht werden, sondern lässt sich anhand der realen Umstände im jeweiligen Wettbewerbsbereich führen. Sehen Gesetz- resp. Verordnunggeber etwa Bedingungen, Einschränkungen oder Abgaben bezüglich der Herstellung oder des Inverkehrbringen bestimmter Genussmittel vor1381, betrifft die entsprechende Maßnahme alle auf dem entsprechenden Markt tätigen juristischen Personen gleichermaßen – unabhängig davon, ob es sich beispielsweise auf dem Markt alkoholischer Getränke um eine als Personen- oder Kapitalgesellschaft organisierte Privatbrauerei oder die Badische Staatsbrauerei Rothaus AG handelt, deren Anteile mittelbar vollständig in der Hand des Landes Baden-Württemberg stehen1382. Während sich beide Wettbewerber denselben produktbezogenen Regeln unterworfen sehen, ist es allein der privat getragenen juristischen Person vorbehalten, gegen einen unverhältnismäßigen gesetzlichen Eingriff gegebenenfalls im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorzugehen. Die Reihe lässt sich mit Blick auf anderweitige hoheitliche Zugriffsmodi fortsetzen, ohne dass dafür der Marktsektor alkoholischer Getränke verlassen werden müsste: Gesetzt den Fall, das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte eine als Warnhinweis gedachte Liste bestimmter Weine, die zuvor unbemerkt mit gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen versetzt wurden, und bezöge sowohl den Wein eines privaten Winzers als auch den Universitätswein der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der im Organisationsrahmen einer Winzergenossenschaft produziert und von der Körperschaft selbst vermarktet wird, auf falscher Tatsachengrundlage oder in unsachlicher Art und Weise mit in diese Auflistung ein, stünde allein dem privaten Winzer der Grundrechtsschutz gegen eine solche Maßnahme zur Seite, obwohl zwischen der konkreten Betroffenheit beider Wettbewerber aus wertender Sicht kein Unterschied auszumachen ist1383. 1381  Exemplarisch genannt seien an dieser Stelle das Bier und bierähnliche Getränke. Herstellung und Inverkehrbringen dieser Getränke sind in einer Reihe unterschiedlicher Gesetze und Verordnungen geregelt, von denen hier aus dem allgemeinen Bereich des Lebensmittelrechts nur § 6 LFGB, aus dem besonderen Recht mit konkretem Produktbezug §§ 16 ff. BierStDb und §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2, 5 Abs. 3 ZZulV sowie aus dem Steuerrecht §§ 1 ff. BierStG schlaglichtartig aufgezählt seien. 1382  Ministerium der Finanzen Baden-Württemberg (Hrsg.), Beteiligungsbericht des Landes Baden-Württemberg 2021, S. 261. 1383  Angelehnt ist dieser Beispielsfall an die viel beachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Zulässigkeit und Grenzen des Informationshandelns der Regierung, das sich im konkreten Einzelfall auf den gesundheitsschädlichen Glykolgehalt in bestimmten Weinen bezog, BVerfGE 105, 252 (265 ff., 268 ff.). Anders als dort wird das Informationshandeln hier als Eingriffshandlung angesehen, dazu näher und mit entsprechenden Nachweisen auch Dreier (Fn. 393), Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 35 f. – Vgl. zum Freiburger Universitätswein im erweiterten Umfeld des vorlie-

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D. Synthese

Eine Blaupause des zu typisierenden Wertungselements, das wettbewerb­ lichen Konstellationen zumeist innewohnt, hat das Bundesverfassungsgericht selbst gezeichnet, als es im Atomausstiegsurteil gerade die Stellung einer fremdstaatlich getragenen juristischen Person im Energiemarkt und ihre Benachteiligung gegenüber sonstigen Wettbewerbern geltend machte, um ihre grundrechtliche Schutzwürdigkeit gegen die Eingriffe der sog. 13. Atomgesetz-Novelle zu begründen1384. Mit der Übertragung dieses Gedankens auf eine nahezu vollständig im Eigentum eines deutschen Hoheitsträger stehende Kapitalgesellschaft musste sich das Gericht nur deshalb nicht beschäftigen, weil die EnBW Energie Baden-Württemberg AG eigeninitiativ darauf verzichtete, sich der Verfassungsbeschwerde anderer Energieversorger anzuschließen1385. Der dort vorgetragene, nebulöse Hinweis auf Einwirkungs­ kanäle nationaler Hoheitsträger, mit denen sich diese gegen entsprechende gesetzliche Eingriffe zur Wehr setzen könnten, gleicht mehr einer Schutzbehauptung als er die Vergleichbarkeit der Interessenlage konkret widerlegt. Mangels Spezifizierung ist diese Begründung ebenso wenig überzeugend wie die vergleichbaren Ausführungen des Gerichts zur Steuer- oder Polizeipflichtigkeit staatlich getragener juristischer Personen in der Sasbach-Entscheidung1386. Zudem deutet der im Energiesektor beheimatete Sachverhalt des Atomausstiegsurteil bereits auf eine weitere Auffälligkeit hin: Der Typisierungswert, der wettbewerblichen Konstellationen inne wohnt, schwächt sich nicht deshalb ab, weil der entsprechende Wettbewerbsbereich insgesamt ein feingliedrig regulierter ist. So sieht sich etwa die Deutsche Bahn AG im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs bei der Entgeltregulierung der identischen Eingriffslage ausgesetzt wie private Eisenbahnunternehmen, ohne dass ihr mit dem Grundrechtsschutz derselbe Abwehrmechanismus ge-

genden Untersuchungsgegenstands, wenngleich aus der Sicht der Grundrechtsbindung Masing, Grundrechtsschutz (Fn. 409), S. 419. 1384  BVerfGE 143, 246 (315 f., 318, Rn. 194, 200); konkret in Rede stand ein gesetzlicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG. – Gerade der Energiesektor wird aus wettbewerblicher Perspektive zum neuralgischen Punkt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Dort sind neben wenigen privaten vor allem vollständig oder jedenfalls mehrheitlich öffentlich getragene Unternehmen tätig, die sich nach Karlsruher Lesart gegen unverhältnismäßige Maßnahmen der energiewirtschaftlichen Regulierung nicht mit den Mitteln eines verfassungsrechtlichen Rechtsschutzes zur Wehr setzen können, während ihren privaten Konkurrenten dieser Weg ohne Widerstände und gegen jede Eingriffsform offen steht, vgl. dazu S. Michaels, EnWZ 2020, 453 (454 f.). 1385  Siehe dazu die Pressemitteilung des Unternehmens https://www.enbw.com/ unternehmen/presse/enbw-legt-keine-verfassungsbeschwerde-gegen-13-atomgesetznovell.html (letzter Zugriff: 9.10.2022). 1386  Dazu S. 366 f.; vgl. in Zusammenhang mit dem Atomausstiegsurteil bereits S.  161 f.



IV. Fallgruppenbildung373

gen Maßnahmen zustünde, die das Unternehmen als unverhältnismäßig empfindet1387. Gerade am Beispiel der beiden zuletzt genannten Fälle lässt sich zudem belegen, dass eine erneuerte Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG wertungsmäßige Untiefen im Umgang mit fremd- und eigenstaatlich getragenen juristischen Personen vermeidet, auf die bereits zuvor unter dem Schlagwort der Inländerdiskriminierung hingewiesen wurde1388. Die weniger akteurs- und stärker situationsbezogene Perspektive der grundrechtstypischen Gefährdungslage ermöglicht Gleichbehandlung zunächst dort, wo sie geboten ist. Nach den Kriterien der hinreichenden Distanz zum eingreifenden Hoheitsträger und der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Interessenlage hätte vorbehaltlich tatsächlich nachweisbarer, in der staatlichen Trägerschaft wurzelnder Einwirkungskanäle auf den Gesetzgeber etwa auch der EnBW Energie Baden-Württemberg AG unter den im Atomausstiegsurteil geschilderten Umständen die Grundrechtssubjektivität zugestanden. Die fremdstaatlich beherrschte Vattenfall Nuclear Energy GmbH diente bei der Anwendung dieses Maßstabs auf der zweiten Stufe und bei einer wettbewerblich angeknüpften Argumentation genauso als Vergleichsgröße wie die am Verfassungsbeschwerdeverfahren beteiligten, rein privat getragenen Energieunternehmen. Genauso ließe sich – ein hinreichendes Distanzverhältnis im konkreten Fall vorausgesetzt – die Situation der Deutschen Bahn AG einschließlich ihrer Tochterunternehmen im angesprochenen Fall der Entgeltregulierung der Bahnunternehmen im Hinblick auf eine potentielle Beeinträchtigung von Art. 12 GG und Art. 14 GG ohne wertungsmäßige Unterschiede mit derjenigen fremdstaatlich getragener Wettbewerber vergleichen1389. Das Bundesverfassungsgericht dagegen durchbricht die Grundfesten seines eigenen personalistischen Konzepts und schafft Wertungswidersprüche, wenn es Organisa­ tionseinheiten in der Hand eines deutschen Hoheitsträgers die Grundrechtssubjektivität kategorisch versagt, fremdstaatlich getragenen juristischen Personen aber Grundrechtsschutz zubilligt, obwohl ein anthropozentrisch gedachter „Durchgriff“ auf hinter dem Konstrukt stehende natürliche Perso-

1387  So

das Beispiel bei T. Kingreen, JöR 65 (2017), 1 (30). S. 171 ff. 1389  Beispielhaft genannt sei die Abellio GmbH, die selbst und über Tochtergesellschaften am gesamtdeutschen Markt des Schienenpersonennahverkehrs vertreten ist und deren Anteile sich in der Hand des staatseigenen niederländischen Bahnunternehmens befindet, s. Nederlandse Spoorwegen N.V. (Hrsg.), Annual Report 2020, S. 99 ff., 242; Netherlands Court of Audit (Hrsg.), The State as Public Shareholder – On the management of State owned enterprises, 2015, S. 80. Der Entgeltregulierung in Deutschland ist sie folglich in gleicher Weise unterworfen wie die Deutsche Bahn AG. 1388  Siehe

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nen bei beiden gleichermaßen scheitern muss1390. Lassen sich die Positionen beider Gruppen dagegen im konkreten Eingriffsfall nicht vergleichen oder sind an anderer Stelle Differenzierungen geboten, ermöglicht es der hier bevorzugte Auslegungsansatz des Art. 19 Abs. 3 GG, diese Unterscheidungen zu begründen, ohne die tragenden Säulen des eigenen Konstrukts zugunsten einer pragmatischeren Lösung einzureißen1391.

1390  Dazu bereits oben S. 162  f., 171 ff. Der damit einhergehende strukturelle Bruch mit dem personalistischen Konzept wird auch nicht dadurch geheilt, dass das Gericht die eigene Wertungsentscheidung als Ausnahme einzufangen versucht, vgl. BVerfGE 143, 246 (313, 317 f., Rn. 185, 196, 200); jüngst abermals hervorgehoben von Verfassungsrichter Huber, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 188), S. 97. – An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich auch bei fremdstaatlich getragenen juristischen Personen abstrakte Strukturmerkmale anführen ließen, die sie im Vergleich zu Privaten vermeintlich privilegierten. Zu nennen sind etwa die Insolvenzunfähigkeit oder faktische Einwirkungskanäle diplomatischer Natur; vgl. zu derlei völkerrechtlichen Mechanismen bereits oben S. 162. Eine solche Parallele zu seiner Einschätzung juristischer Personen in der Hand des deutschen Staates scheint das Bundesverfassungsgericht indes nicht in die Betrachtung mit einbeziehen zu wollen. 1391  Unterschiede können sich neben einer mangelnden Vergleichbarkeit der Interessenlage insbesondere bei der Vorfrage ergeben, wann eine Institution eine staatliche ist und im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG einer erhöhten Rechtfertigungslast unterliegt, s. dazu bereits oben S. 307 mit Fn. 1169, S. 351 mit Fn. 1318. Da die zuvor angestellten Erwägungen zum Ausnahmecharakter der Grundrechtssubjektivität staatlicher Einheiten maßgeblich auf der undurchlässigen Normkonzeption des Art. 1 Abs. 3 GG und seiner Gegenüberstellung mit Art. 19 Abs. 3 GG fußen (s. S. 304 ff.), Art. 1 Abs. 3 GG aber auf fremdstaatlich getragene Organisationseinheiten keine ­Anwendung findet, wie das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 143, 246 (315, Rn. 192) zutreffend feststellt, gelten die entsprechenden Erwägungen für diese Einheiten nicht. Sie überschreiten die erhöhte Rechtfertigungsschwelle und sind in dieser Hinsicht den inländischen juristischen Personen in privater Trägerschaft vergleichbar. Diese Annahme ist konsequent, wenn man Art. 19 Abs. 3 GG und den Grundrechtsschutz juristischer Personen weniger unter individualistischen Gesichtspunkten als vielmehr aus einer rechtsstaatlichen Perspektive begreift und die Grundrechte insoweit als Verteidigungslinien subjektiver Freiheitsträume gegen hoheitlichen Zugriff einordnet, die bei Zuerkennung auch an juristische Personen die Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Entscheidungsfindung zu stärken imstande sind; dazu eingehend oben S. 316 ff. Ergeben sich vor diesem Hintergrund Unterschiede im Grundrechtsschutz fremd- und nationalstaatlich getragener juristischer Personen, so basieren diese auf Schlussfolgerungen, die aus dem Konzept selbst heraus zu begründen sind, bspw. der fehlenden Distanz der betroffenen Einheit zum Träger der Organisationsgewalt. Auf diesem Wege vermeidet der hier vertretene Auslegungsansatz eine willkürliche Ungleichbehandlung beider Gruppen, wie sie in der bundesverfassungsgerichtlichen Handhabe seit dem Atomausstiegsurteil angelegt ist.



IV. Fallgruppenbildung375

5. Negativbeispiel: Interessenvertretung gegenüber dem Gesetzgeber Abschließend sei der Blick auf die Ausgangslage einer staatlich getragenen juristischen Person gegenüber dem Zugriff des Gesetzgebers gerichtet, wenn diese ihrem Zweck und ihrer Ausgestaltung nach der Interessenvertretung einer besonderen Gruppe verschrieben ist. Gemeint sind damit insbesondere die Real- und Personalkörperschaften der wirtschaftlichen und beruflichen Selbstverwaltung wie Handwerkskammern und -innungen, Industrieund Handelskammern, Rechtsanwalts- oder Ärztekammern1392 sowie die schicksalhaft anmutenden Zusammenschlüsse bestimmter Eigentümer in Real­körperschaften wie Jagdgenossenschaften oder Wasser- und Bodenver­ bänden, die notwendigerweise ein gemeinsames Interesse teilen1393. Gerade diejenigen, die einer anthropozentrischen Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG zuneigen und dem Bundesverfassungsgericht etwa bei der Stärkung der Durchgriffsthese folgen, plädieren vermehrt für eine pauschale Grundrechtsberechtigung dieser juristischen Personen. Da die Interessen der „hinter“ ihr stehenden Personen deutlich erkennbar durch die Tätigkeit der Organisationseinheit hindurch schimmerten, sei ein Grundrechtsschutz der juristischen Person dem Individualschutz natürlicher Personen zuträglich und daher zu befürworten1394. Nach dem hier vertretenen Maßstab, der vom Selbststand der juristischen Person ausgeht, die grundrechtliche Schutzwürdigkeit staat­ licher Organisationseinheiten anhand des Prinzips der Waffengleichheit bestimmt und mehr funktionell als individualistisch ausgerichtet ist, ist diesem 1392  Die Interessenvertretung der Mitglieder ist für die Organisationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung einfachgesetzlich in §§ 90 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 HwO und § 1 Abs. 1 IHK festgeschrieben. Für die Ärztekammern gilt mit Bezug auf den inhaltlich identischen Begriff der „Belange“ dasselbe, s. § 6 Abs. 1 Nr. 7 HeilBerG, für Rechtsanwaltskammern ohne explizite Regelungen aus dem Gesetzeszusammenhang zumindest Ähnliches, vgl. §§ 73 Abs. 1 S. 3, 177 Abs. 2 Nr. 1, 3, 4 BRAO. Eingehend zur Interessenvertretung als übergreifendem Aspekt der Kammeraufgaben S. Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: W. Kluth (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 3. Auflage 2020, § 8 Rn. 1 ff., 35 f. 1393  Für Jagdgenossenschaften liegt dieses Interesse in der Ausübung des Jagdrechts, vgl. §§ 8 Abs. 5, 9 Abs. 1 BJagdG, bei Wasser- und Bodenverbänden in der Berücksichtigung eigener Belange im Rahmen der ihnen auferlegten Gewässerbewirtschaftung, vgl. §§ 1, 2 WVG. 1394  Eingehend und mit weiteren Beispielen Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 112 f.; mit einem Schwerpunkt auf den Kammern als Erscheinungsformen „gesellschaftlicher Selbstverwaltung“ Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften (Fn. 212), S. 57 ff., 60 ff. Im Ergebnis für eine Grundrechtsberechtigung von Jagdgenossenschaften und Wasser- und Bodenverbänden ebenso Ernst (Fn. 26), Art. 19 Rn. 84; Kahl/ Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 263; M. Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598); Schmidt-Aßmann, Bedeutung (Fn. 30), S. 391.

376

D. Synthese

Aspekt dagegen jedenfalls in einer solchen Pauschalität kein entscheidendes Gewicht beizumessen. Zieht man den Zugriff des Gesetzgebers auf eine der Interessenvertretung verschriebene staatliche Organisationseinheit als eine wiederkehrende und in der Rechtsprechungspraxis bereits mehrfach behandelte Ausgangssituation heran, muss im Lichte der grundrechtstypischen Gefährdungslage jedenfalls dieser Konstellation der typisierende Mehrwert abgesprochen werden. Die bisher im Verfassungsbeschwerdeverfahren entschiedenen Fälle zugrunde gelegt, beanspruchen die betroffenen juristischen Personen nicht selten Grundrechtsschutz gegen einen Eingriff des Gesetz- oder Verordnunggebers, wenn dieser in einer Verkürzung, Verschiebung oder als Überbeanspruchung empfundenen Intensivierung der eigenen Kompetenzen besteht oder die Organisation in ihrer Existenz betrifft1395. Schon eine der zuvor abgesteckten Grundaussagen des hier präferierten Ansatzes spricht gegen die regelmäßige Annahme einer grundrechtstypischen Gefährdungslage: Unter Berücksichtigung der im Grundgesetz selbst angelegten Trennung zwischen Kompetenz und Grundrecht kommt eine grundrechtsrelevante Eingriffslage von vorn­ herein nur dann in Betracht, wenn sich die staatlich getragene juristische Person innerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenrahmens bewegt, nicht aber, wenn dieser gerade Gegenstand der Auseinandersetzung ist1396. Doch selbst wenn man dieses Vorzeichen außer Acht ließe und den zweistufigen Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage zur Anwendung brächte, stünde bereits das hinreichende Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger in Zweifel. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich eine solche Einheit einem Eingriff durch den Bundesgesetzgeber gegenüber sieht. Dieser verhilft den Kammern, Innungen, öffentlich-rechtlichen Genossenschaften oder den Wasser- und Bodenverbänden durch Bundesgesetz erst in die Existenz und ist ihnen gegenüber daher gleichzeitig unmittelbarer Träger der Organisationsgewalt. Steht demnach ein organisatorischer Eingriff hinsichtlich der Struktur 1395  In dem Verfahren, das der Entscheidung BVerfGE 62, 354 zugrunde lag, setzte sich die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, eine Körperschaft des öffent­ lichen Rechts, gegen die gesetzliche Zuweisung zusätzlicher Aufgaben in der Heilfürsorge zur Wehr. Ebenso im Verfassungsbeschwerdeverfahren machten verschiedene Zahntechniker-Innungen, ihres Zeichens ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts und ihre Innungsverbände eine Grundrechtsverletzung aufgrund der Beschneidung gesetzlich zugewiesener Vertragsabschlusskompetenzen geltend, die allein von ihrer hoheitlichen Einbindung in das öffentlich-rechtliche Gesamtvertragssystem des Kassenarztrechts herrührten, s. BVerfGE 68, 193 (205 ff.). In der Entscheidung BVerfGE 39, 302 (312 ff.) wies das Verfassungsgericht eine Grundrechtsberechtigung verschiedener, als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierter Allgemeiner Ortskrankenkassen zurück, die sich gegen ihre auf dem Verordnungswege ergangene Auflösung wandten. 1396  Dazu oben S. 313 f.



IV. Fallgruppenbildung377

oder der Aufgabenzuweisung der genannten juristischen Personen in Rede, kommt eine Grundrechtsberechtigung nach dem hier vertretenen Ansatz ohnehin nicht in Betracht. Dass ihnen regelmäßig ein Selbstverwaltungsrecht zugedacht und eben jenes gegenüber dem Zugriff eines sonstigen Hoheits­ trägers sehr wohl als Hinweis der Distanz zu begreifen ist, ist insofern unerheblich1397. Damit sei nicht gesagt, dass juristischen Personen in staatlicher Hand, denen die Aufgabe der Interessenvertretung zugeschrieben ist, gegenüber gesetz-, verordnung- oder satzunggeberischem Zugriff in keinem Falle Grundrechtsschutz für sich beanspruchen könnten1398. Denkbar ist ein solcher etwa vor dem Hintergrund, dass sich das hoheitliche Handeln spezifisch gegen die Tätigkeit der juristischen Person richtet, gerade, wenn diese in kollektiver Interessenwahrnehmung besteht. So wäre etwa einem als eingetragener Verein organisierten Arbeitgeberverband aus dem Bereich des öffentlichen Nahverkehrs nach dem hier präferierten Ansatz und entgegen der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Grundrechtsschutz nach Art. 9 Abs. 3 GG gegen eine Verordnung des Landesarbeitsministeriums zuzubilligen gewesen: Der betroffene Verein sah sich dem Ministerium in hinreichender Distanz gegenüber und war ohne erweiterte Eingriffsbefugnisse in seiner Tätigkeit als tariffähiger Verband von der inhaltlichen Festlegung der Verordnung betroffen, so dass sich seine Ausgangslage aus wertender Sicht in nichts von derjenigen eines privaten Arbeitgeberverbandes in der identischen Situation unterschied1399. 1397  Zur Bedeutung des Selbstverwaltungsrechts als Merkmal eines hinreichenden Distanzverhältnisses oben S. 336 ff. 1398  In Betracht käme ein solcher etwa bei der Beeinträchtigung des Jagdausübungsrechts einer Jagdgenossenschaft durch einen gemeindlichen Bebauungsplan, der im gemeinschaftlichen Jagdbezirk die Errichtung einer Windkraftanlage vorsieht, dazu C. A.  Stumpf, BayVBl. 2004, 289 (291). Die akustische Überwachung der Räumlichkeiten einer Industrie- und Handelskammer im Wege einer staatsanwaltschaftlich angeordneten, strafprozessualen Zwangsmaßnahme ist ein als weiteres Beispiel, s. dazu S. 359 f. 1399  Zeitlich noch vor dem entsprechenden Verfahren und folglich ohne Fallbezug, aber im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG im Ergebnis ebenso Püttner, Grundrechtsschutz (Fn. 135), S. 568. Anders dagegen jüngst BVerwGE 167, 202 (206  ff., Rn. 20 ff.); zur Einordnung dessen, auch unter Berücksichtigung des vorinstanzlichen Verfahrens, oben S. 150 ff. Nach der hier vertretenen Ansicht lässt sich eine grundrechtstypische Gefährdungslage im Wege einer Gesamtwürdigung der Umstände bejahen. Der Arbeitgeberverband, bestehend aus 97 mittelbar oder unmittelbar von Gebietskörperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts getragenen Mitglieds­ unternehmen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs, steht in keinem unmittelbaren organisatorischen Abhängigkeitsverhältnis zum beklagten Land Nordrhein-Westfalen und bewegt sich mit Blick auf die beteiligten Hoheitsträger zudem auf einer unterschiedlichen föderalen Ebene. Er vertritt die Interessen seiner Mitglie-

378

D. Synthese

Im Hinblick auf die hier angesprochenen Fallkonstellationen lässt sich jedenfalls konstatieren, dass von der Funktion der Interessenwahrnehmung allein noch keine Typisierungswirkung zugunsten einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ausgeht.

V. Zwischenergebnis Dem Auslegungsmaßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage im hier verstandenen Sinne, weitestgehend entkoppelt von grundrechtstheoretischen Verstrickungen und zentriert sowohl auf die Eingriffslage wie auch auf die Beteiligten und das in Rede stehende Grundrecht, wohnt das Potential inne, die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG neu aufzustellen. Er ist in der Lage, Wertungswidersprüche auszuräumen und den Diskurs um die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten um einen neuen Impuls zu ergänzen. Ist das Konzept als solches doch kein neuartiges oder in seinen Wirkungen revolutionäres, so liegt sein spezifischer Mehrwert unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen – vor allem nach dem Karlsruher Atomausstiegsurteil – in der Anschlussfähigkeit im europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes1400. Die vorigen Ausführungen haben gezeigt, dass Konvergenzbewegungen auf diesem Gebiet in hohem Maße geeignet sind, zur Konfliktvermeidung beizutragen1401. Doch auch darüber hinaus bringt der Perspektivwechsel weg von Durchgriffsthese und Konfusionsargument hin zur grundrechtstypischen Gefährdungslage entscheidende Vorteile mit sich. Denn die Abstützung des eigenen Konzepts in der Grundrechtstheorie, die das Bundesverfassungsgericht in einer jahrzehntelangen Rechtsprechung kultiviert hat, verliert zusehends an Überzeugungskraft, wenn sie ihre jedenfalls heuristisch zu verstehende Kongruenz mit der der als Arbeitgeber und ist zu diesem Zwecke als Zusammenschluss organisatorisch ausgegliedert. Die Privatrechtsform geht hier bewusst mit einer gewissen Ausdifferenzierung staatlicher Tätigkeit einher. Er tritt dem eingreifenden Hoheitsträger demnach in hinreichender Distanz gegenüber. Mit Blick auf das Prinzip der Waffengleichheit lassen sich keine Unterschiede zur Situation eines privaten, tariffähigen Arbeitgebers in vergleichbarer Lage erkennen. Besondere Einwirkungsbefugnisse allein aus seiner vornehmlich staatlichen Trägerschaft heraus kommen dem Verein nicht zu. Das einfachgesetzliche Regelungsumfeld rund um die Tariffähigkeit lässt keine gezielte Einhegung öffentlich-rechtlicher Verbände erkennen, um staatlicherseits auf eben jene einen stärkeren Einfluss geltend zu machen. Gegenüber der ministeriellen Verordnung sieht sich der Arbeitgeberverband demnach einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ausgesetzt und kann vor diesem Hintergrund über Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsschutz für sich beanspruchen; im Ergebnis ebenso Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 252), § 5 Rn. 249. 1400  So auch M. Ludwigs/C. Friedmann, NVwZ 2018, 22 (27). 1401  Eingehend dazu oben S. 270 ff.



IV. Fallgruppenbildung379

Realität mehr und mehr einbüßt: Die theoretisch so strikt konzipierte Trennung von Staat und Gesellschaft und das damit einhergehende Bild zweier getrennter, in unterschiedlichen Wertungen verhafteter Kreise geraten im Angesicht bestimmter Kooperationsformen oder innergesellschaftlicher Machtakkumulation zusehends unter Druck1402. Mag sich das Gericht dieser Entwicklungen auch gewahr sein, verzichtet es im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG doch auf eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit den Schwächen seiner grundrechtstheoretischen Konzeption. Mehr noch: Es wischt das individualistische Konzept gänzlich beiseite, wenn es im Atomausstiegsurteil fremdstaatlich getragenen juristischen Personen eine Grundrechtsberechtigung zuspricht1403. Widersprüche zu vorigen Begründungen scheinen bei einem solchen Vorgehen genauso eingepreist wie die dadurch ausgelösten Folgeprobleme1404. Das Konzept der grundrechtstypischen Gefährdungslage ist imstande, derlei Inkonsistenzen zu vermeiden. Es bedarf allerdings einer Präzisierung, um nicht im Zustand einer diffusen Projektionsfläche zu verharren und im Einzelfall einen tatsächlich belastbaren Auslegungsansatz gewährleisten zu können, der Wertungsspielräume und Rechtssicherheit in hinreichendem Maße auszubalancieren vermag. Zu diesem Zwecke sind das hinreichende Distanzverhältnis zum eingreifenden Hoheitsträger sowie die wertungsmäßige Vergleichbarkeit zur Lage privater Grundrechtsträger als begriffsbestimmende Merkmale freigelegt, näher konturiert und inhaltlich angereichert worden1405. Die anschließende Fallgruppenbildung ist zunächst als Feld beispielhafter Anwendung der zuvor entfalteten Prämissen und weiterführende Präzisierung des Grundansatzes zu verstehen. Darüber hinaus hat sie aber auch eine weitere Erkenntnis zutage gefördert: Der individualistische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts und die grundrechtstypische Gefährdungslage nach dem hier vertretenen Verständnis mögen in einigen Fällen gleichauf liegen. Konzeptionell sind sie dagegen gänzlich unterschiedlich strukturiert – ein Umstand, der sich schließlich auch in mancherlei Ergebnis widerspiegelt1406. 1402  Siehe

oben S. 283 ff. 246 (314 ff., Rn. 191 ff.), vgl. dazu bereits S. 162 f., 297 f. und in sachlichem Zusammenhang mit Art. 14 GG S. 363 f. Die gleiche Beobachtung lässt sich, wenngleich spiegelbildlich aus der Perspektive der Grundrechtsbindung, im Kontext der Stadionverbot-Entscheidung anstellen, in der das Bundesverfassungsgericht de facto eine situativ unmittelbare Grundrechtsbindung Privater statuierte, BVerfGE 148, 267 (280 ff., Rn. 31 ff., insb. Rn. 39 ff.); zur umfassenden Einordnung dieser Entscheidungen oben S. 110 ff. 1404  Als eines dieser Folgeprobleme ist etwa die qualifizierte „Inländerdiskriminierung“ angesprochen worden, s. S. 171 ff., 373 f. 1405  Oben S. 325 ff. 1406  Anders wohl Dreier (Fn. 17); Art. 19 III Rn. 56, s. aber auch Rn. 34; A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (58 f.). 1403  BVerfGE 143,

380

D. Synthese

Beide Ansätze für austauschbar zu halten1407 oder die Debatte angesichts einer eisernen Verfassungsrechtsprechung gar für beendet zu erklären1408, ist vor diesem Hintergrund und spätestens seit dem Atomausstiegsurteil zu kurz gesprungen.

1407  So de Wall (Fn. 131), Art. 19 Abs. 3 (2015), Rn. 26, 82; A. Kulick, JöR 65 (2017), 57 (58 f.). Im Hinblick auf den verfassungsgerichtlichen Umgang mit der grundrechtstypischen Gefährdungslage auch T. Ackermann, JöR 65 (2017), 113 (119); Huber (Fn. 26), Art. 19 Abs. 3 Rn. 215. 1408  Aus der Retrospektive deutlich verfrüht M. Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598); zunächst auch P. Badura, JZ 1984, 14 (17); H. Bethge, DÖV 1972, 155 (155). Beide revidierten diese Auffassung jedoch später, s. P. Badura, BayVBl. 1989, 1 (2); Bethge, Grundrechtsberechtigung (Fn. 30), S. 61.

Schlussbetrachtung Streitfragen der Grundrechtsdogmatik und des Staatsrechts finden in der deutschen Rechtswissenschaft in aller Regel und nicht zu Unrecht eine besondere Beachtung. Sie werden oft vielstimmig beantwortet, zwingt ihre Bewältigung doch zur Auseinandersetzung mit fundamentalen Aspekten der Verfassungsinterpretation, von der Ausgestaltung und den Grenzen des Rechtsstaats über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bis hin zur Frage der Anpassungsfähigkeit einzelner grundrechtlicher Gewährleistungen im Hinblick auf hochdynamische Entwicklungen in einem schnelllebigen, digitalisierten und globalisierten tatsächlichen Umfeld. Doch auch unter Berücksichtigung der Intensität des staatsrechtlichen und grundrechtsdogmatischen Diskurses im Allgemeinen tritt der Streit um die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG und die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft, der sich an der Schnittstelle beider Bereiche bewegt, in besonderem Maße hervor. Denn kaum eine andere Streitfrage trägt eine solche Ambivalenz und spezifische Dynamik in sich. Zum einen ist der heute vornehmlich vertretene Lösungsansatz, der sich an einem anthropozentrischen Grundrechtsverständnis ausrichtet und die Frage der Grundrechtssubjektivität staatlicher Organisationseinheiten nur dann positiv bescheidet, wenn ein „Durchgriff“ auf die hinter ihr stehenden natürlichen Personen möglich erscheint, in der Verfassungsrechtsprechung tief verwurzelt, gar über Jahrzehnte tradiert und findet auch in der wissenschaftlichen Literatur Fürsprecher mit gewichtiger Stimme1409. Ohne konkreten Auslösungsreiz sind kaum Anzeichen einer Auseinandersetzung zu vernehmen. Der Streit scheint in der Hauptlinie entschieden, die entsprechenden Bestimmungskriterien des Bundesverfassungsgerichts wirken festgesetzt und nicht veränderlich1410. Zum anderen entflammt der Streit in komplexen Ausgangsfällen, die sich entweder im Randbereich des Karlsruher Konzepts bewegen oder aufgrund ihrer tatsächlichen Ausgestaltung eine gänzlich neue Herausforderung darstellen, in einer solchen Intensität, dass sich der Blick schnell von den Vorzeichen des Einzelfalls löst und sich die Auseinandersetzung in diejenige Grundsatzdebatte verwandelt, die zuvor als weitestgehend beigelegt galt. 1409  Eine umfassende Darstellung der tradierten Argumentationslinie des Bundesverfassungsgerichts und ihrer Rezeption in der Wissenschaft findet sich zu Beginn der Untersuchung, s. S. 32 ff. 1410  Vgl. dazu nur das Fazit von Bethge, Grundrechtsträgerschaft (Fn. 90), S. 8.

382 Schlussbetrachtung

Schlaglichtartig in Bezug genommene Landmarken einer solchen Wellenbewegung sind die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden1411, die Verortung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen in dem dichotom gepolten Durchgriffskonzept1412 und jüngst die grundrechtliche Einordnung der wirtschaftlichen Tätigkeit fremdstaatlich getragener juristischer Personen am deutschen Markt1413. Auch fernab dieser prominent diskutierten Fälle bereitete die Frage nach der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten in der jüngeren Vergangenheit gleich mehreren Instanzen des verwaltungsgericht­ lichen Rechtszugs Schwierigkeiten1414. Derlei konstante Anwendungsschwierigkeiten trotz einer seit mehr als fünf Dekaden fest eingefahrenen Karlsruher Rechtsprechungslinie und das Wiederaufflammen der Grundsatzdebatte in wiederkehrenden Abständen sind Ausdruck einer tiefen Verunsicherung im Umgang mit Art. 19 Abs. 3 GG hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen und ziehen die strukturelle Tragfähigkeit des bundesverfassungsgerichtlichen Auslegungsansatzes in Zweifel. Die Ursache dessen liegt vor allem in der Rigidität des grundrechtstheoretischen Fundaments, auf das sich das Bundesverfassungsgericht in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG beruft und das als Ausgangspunkt konkreter Operationalisierungen wie der Durchgriffsthese und dem Konfusionsargument dient1415. Eine grundrechtstheoretische Argumentationsgrundlage trägt prima facie eine besondere Legitimität in sich, wenn sie sich in ihrer vornehmlich liberalen Prägung auf die zweifelsohne nachweisbaren ideengeschichtlichen und historischen Bezüge der Grundrechte zum Schutz des Individuums gegen die übergriffige Gewalt des Staates beruft. Genauso engt sie allerdings den Spielraum für Ausnahmeerscheinungen ein, sollten tatsäch­ 1411  Von zentraler Bedeutung war hier der Sasbach-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 61, 82 (105 ff.). Exemplarisch aus der Literatur einerseits P. Badura, JZ 1984, 14 (15 f.); M. Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 ff., andererseits R. Mögele, NJW 1983, 805 (805); Wieland, (Fn. 225), Art. 93 Rn. 89. 1412  Die vieldiskutierte Leitentscheidung in diesem Bereich ist das Fraport-Urteil, BVerfGE 128, 226 (244 ff.); vgl. zuvor auch schon BVerfG (K), NJW 1990, 1783 (1783). Beispielhaft aus dem ausladenden wissenschaftlichen Diskurs nur Dreier (Fn. 17), Art. 19  III Rn. 73 ff.; Masing, Grundrechtsschutz (Fn. 409), S.  414 ff.; Zim­ mermann, Schutzanspruch (Fn. 8), S.  224 ff. 1413  BVerfGE 143, 246 (312 ff., Rn. 184 ff.). Stellvertretend aus dem anschließend aufflammenden Diskurs Gundel, Grundrechtsfähigkeit (Fn. 9), S.  33 ff.; Kahl/Hilbert (Fn. 21), Art. 19 Abs. 3 (2019) Rn. 304 ff.; monographisch gar Rauber, Grundrechtsberechtigung (Fn. 9). 1414  Näher dazu oben S.  148 ff., 150  ff. mit Verweis auf BVerwG, SächsVBl. 2017, 71 f. und BVerwGE 167, 202 (206 ff., Rn. 20 ff.) resp. OVG NRW, Urt. v. 17.9.2018 – 13 A 1328/15, Rn. 47 ff. (zitiert nach juris). 1415  Eingehend zur grundrechtstheoretischen Fundierung des Karlsruher Ansatzes oben S. 276 ff.

Schlussbetrachtung383

liche Entwicklungen die theoretisch gezeichneten Annahmen zusehends he­ rausfordern. Diese Diskrepanz zwischen den Grundthesen der eigenen Theorie und bestimmten Realitäten zu ignorieren oder mit einem Rückgriff auf einen anderen Begründungsansatz umgehen zu wollen, erzeugt Wertungswidersprüche und stellt den maßstabbildenden Anspruch des selbst formulierten grundrechtstheoretischen Konzepts infrage. Indem das Bundesverfassungs­ gericht sowohl im vorliegenden Untersuchungszusammenhang als auch in inhaltlich angrenzenden Sachbereichen aber eben jenen Weg wählt, trägt es zur Erosion seiner argumentativen Grundpfeiler bei1416. Weitere, weniger grundrechtstheoretisch als dogmatisch begründete Inkonsistenzen der Karlsruher Auslegungslinie zu Art. 19 Abs. 3 GG verschärfen das Problem1417. Zur Unsicherheit über die strukturelle Ausrichtung des Bundesverfassungsgerichts treten Implikationen des gerade beim Grundrechtsschutz in einer dynamischen Fortentwicklung begriffenen europäischen Mehrebenensystems hinzu, die imstande sind, bei konzeptionellen Abweichungen einen gewissen Anpassungsdruck auszuüben und Konvergenzbewegungen auszulösen1418. Inwieweit sich auf europa- und menschenrechtlicher Ebene die Ergebnisse bezüglich einer Grund- und Menschenrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen tatsächlich und nachhaltig von denen des deutschen Ansatzes unterscheiden, ist noch nicht auszumachen. Das Bundesverfassungsgericht zeigte sich jüngst bemüht, einen ersten Aufschlag in diese Richtung abzuwehren1419. Speziell das Unionsrecht ist in dieser Hinsicht noch in der Entwicklung begriffen. Die Parallelisierungstendenzen der deutschsprachigen Literatur erscheinen vor diesem Hintergrund voreilig1420. Gleichwohl lassen sich die Erkenntnisse des europa- und menschenrechtlichen Untersuchungsfelds aus konzeptioneller Perspektive zu dem Befund zusammensetzen, dass weder die eine noch die andere Ebene notwendigerweise einen Bezug zur liberalen Grundrechtstheorie oder der Menschenwürde herstellt, um die Frage nach der Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Organisationseinheiten zu beantworten und beide vielmehr dem Modus der krite­ rienreichen Einzelfallbetrachtung zuneigen. 1416  Explizit außer Acht gelassen und durch ein funktional-wettbewerbsorientiertes Grundrechtsverständnis ersetzt hat das Verfassungsgericht sein Modell im Atomausstiegsurteil, s. BVerfGE 143, 246 (316 ff., Rn. 195 ff.); dazu S. 161 ff., 296 ff. Schlicht ignoriert hat es die eigenen theoretischen Prämissen im sog. Stadionverbot-Beschluss, BVerfGE 148, 267 (281 ff., Rn. 35 ff.); dazu S. 110 ff. 1417  Zu derlei Reibungen in der verfassungsgerichtlichen Auslegungslinie des Art. 19 Abs. 3 GG oben S. 78 ff. 1418  Dazu wiederholt S. 227 f., 265 f., 268  f.; zu möglichen Konvergenzbewegungen S. 270 ff. 1419  BVerfG (K), NVwZ 2020, 1500 (1502 ff.). 1420  Siehe oben S. 213 ff.

384 Schlussbetrachtung

Ein belastbares Alternativkonzept, das Raum zur Berücksichtigung unterschiedlichster Wertungslagen schafft und in seiner Einzelfallorientierung zugleich Rezeptionsoffenheit gegenüber den Einflüssen des grundrechtlichen Mehrebenensystems signalisiert, hält die grundrechtstypische Gefährdungslage bereit. In seiner ursprünglichsten Form ist dieser Auslegungsmaßstab gerade vom engen Korsett der liberalen Grundrechtstheorie und ihren Implikationen befreit. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Grundidee dagegen auf das eigene Fundament aufgesetzt, sich um eine Einpassung des Maßstabs in das eigene Konzept bemüht und so eine Auseinandersetzung in der Sache zu vermeiden versucht1421. Im vorliegenden Zusammenhang ist die grundrechtstypische Gefährdungslage indes in ihrer ursprünglichen Form herangezogen und für eine erneuerte Lesart des Art. 19 Abs. 3 GG revitalisiert worden. In dieser Prägung trägt sie einerseits das Potential in sich, die Inkon­ sistenzen des Karlsruher Modells zu vermeiden, und weiß andererseits eine mögliche Konvergenz im europäischen Mehrebenensystem bei der Frage der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener Organisationseinheiten besser zu moderieren als der anthropozentrische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts. Der Fokus des hier vertretenen Verständnisses der grundrechtstypischen Gefährdungslage liegt auf der konkreten Eingriffssituation, bezieht zu deren Beurteilung aber sowohl die Person des Betroffenen als auch die des Eingreifenden, ihre Beziehung zueinander und das entsprechende Grundrecht mit ein und fungiert im Modus der Gesamtbetrachtung. Die zunächst konturierten und im weiteren Verlauf stärker inhaltlich ausgefüllten Begriffsmerkmale des hinreichenden Distanzverhältnisses zum eingreifenden Hoheitsträger und der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit zur Ausgangslage privater Grundrechtsträger dienen der Profilschärfung und sollen gewährleisten, dass die „grundrechtstypische Gefährdungslage“ nicht zum Sehnsuchtsbegriff all derjenigen wird, die die Tragfähigkeit des bundesverfassungsgerichtlichen Konzepts zunehmend in Zweifel ziehen. Sie soll und muss einen belastbaren und rechtssicher anwendbaren Auslegungsmaßstab im Einzelfall bereitstellen können, um sich als echte Alternative zum bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz zu positionieren. Die Ausrichtung an der grundrechtstypischen Gefährdungslage in der hier präferierten Lesart führt zu einer erneuerten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG, die moderne Formen des Zusammenwirkens zwischen Staat und Gesellschaft abzubilden vermag. Sie eröffnet darüber hinaus Wertungsspielräume, die das bisherige verfassungsgerichtliche Konzept durch seine enge und im Ausnahmefall bezeichnenderweise selbst durchbrochene grundrechtstheoretische Orientierung von vornherein verstellt. Mag eine solche auch in einigen Fällen durchaus den Pfad zu Ergebnissen ebnen, die sich von denjenigen des 1421  Vornehmlich

deskriptiv dazu S. 69 ff.

Schlussbetrachtung385

hergebrachten Ansatzes unterscheiden, und bisweilen in einer erweiterten Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen resultieren, so sind Abgesänge auf gesellschaftliche Freiheit und Drohszenarien von einer übermächtigen Staatsgewalt, die sich durch eine vermeintlich erschlichene Grundrechtsberechtigung ungezügelt Bahn breche, fehl am Platze1422. Die Idee der grundrechtstypischen Gefährdungslage zielt in erster Linie da­ rauf, Art. 19 Abs. 3 GG auf dem Fundament einer widerspruchsfreien Grundidee einer konsistenten wie nachvollziehbaren Handhabe zuzuführen, die den Spagat zwischen Flexibilität und Rechtssicherheit bestmöglich ausbalanciert. In den zuvor aufgezeigten Grenzen bewegt sich der entsprechende Grundrechtsschutz allein innerhalb des staatlichen Binnenverhältnisses. Von einer mangelnden Einhegung kann keine Rede sein. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG anhand des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage wurzelt im Prinzip der Waffengleichheit und dient zuvorderst der Stärkung von Gewaltenteilung und rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung1423. Es bleibt zu hoffen, dass ein solch grundrechtsfunktionaler Blick auf Art. 19 Abs. 3 GG und den Grundrechtsschutz staatlicher Organisationseinheiten den Makel des Unberührbaren, der ihm im nationalen wissenschaftlichen Diskurs zumeist anhaftet, ablegen kann und als ernsthafter Lösungsansatz in Betracht gezogen wird1424. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hat die Tür zu einer solchen Diskurswende selbst aufgestoßen, indem es im Atomausstiegsurteil den Grundrechtsschutz von jeder individualistischen Verknüpfung entkoppelte und ihn in den Dienst des Wettbewerbs stellte. Nach alldem scheint die prognostische Einschätzung des damaligen Verfassungsrichters Otto Seidel, die Frage nach dem Grundrechtsschutz staatlich getragener juristischer Personen werde „die Rechtsprechung – im grundsätzlichen und erst recht in Detailfragen – auch weiterhin beschäftigen“1425, auch nach über 30 Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben.

1422  Unheilvoll formuliert Burmeister, Grundrechtsverständnis (Fn. 148), S. 86: „Grundrechtschutz für Staatsfunktionen öffnet die Fluttore zur Verstaatlichung der Gesellschaft“. Seinerzeit geradezu mit Empörung formulierte Abwertungen wie „etatistisches Schelmenstück“, Dürig (Fn. 621), Art. 19 Abs. III (1977) Rn. 36 oder „völlige Verdrehung der Grundrechtsidee“, H. C.  Nipperdey, BB 1951, 593 (594) zählen inzwischen zu Diskursklassikern. 1423  Nur selten findet dieser Aspekt ausdrücklich Erwähnung, vgl. aber D. Ehlers, DVBl. 2019, 397 (406). 1424  Zum Schattendasein der funktionalen Grundrechtstheorie und ihrer geradezu „frevlerischen“ Reputation in der deutschen Rechtswissenschaft von Ungern-Stern­ berg, Grundrechtskonzeptionen (Fn. 743), S. 73. 1425  Seidl, Grundrechtsschutz (Fn. 152), S. 1460.

Zusammenfassung in Thesen 1.  Die Genese des Art. 19 Abs. 3 GG leistet einen Beitrag zur Schärfung des Problembewusstseins, kann aber über anekdotische Evidenz hinaus nicht als Grundlage belastbarer Argumente für oder gegen die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener Einheiten herangezogen werden. 2.  Art. 19 Abs. 3 GG ist hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen die bisher weitreichendste Bestimmung in der deutschen Verfassungshistorie. Die Norm stellt die Spitze der dogmengeschichtlichen Entwicklung hin zu einer (grund-)rechtlichen Selbstständigkeit der juristischen Person dar. 3. Dem Ansatz des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG liegt ein anthropozentrisches, individualistisches Grundrechtsverständnis zugrunde. 4.  Die bundesverfassungsgerichtliche Durchgriffsthese ist dem Zivilrecht entlehnt, in ihrer Struktur aber nicht streng technizistisch gedacht. Der „Durchgriff“ auf natürliche Personen hinter den juristischen Personen ist demnach ein metaphorischer. 5. Das Bundesverfassungsgericht leitet das Konfusionsargument aus der Annahme her, „der Staat“ sei eine einheitliche, nicht auseinanderzudividierende Entscheidungseinheit. 6. In seinem Ausgangspunkt versteht sich das Konzept der sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage als Gegenentwurf zur Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gedanken indes adaptiert und nutzt ihn seither vornehmlich zur Abstützung der bereits über die tradierte Linie gefundenen Ergebnisse. 7. Das Bundesverfassungsgericht interpretiert die Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 3 GG mit zweierlei Maß: Während es zur Bestimmung des Merkmals „inländisch“ auf den Sitz der juristischen Person abstellt und ihren Eigenwert betont, präferiert es bei der Auslegung des Wesensvorbehalts eine derivative Lesart, die gerade bei juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft auf die „hinter“ der Organisationseinheit stehenden Menschen abstellt. 8.  Aufgrund einer extensiven Auslegung verliert das Merkmal des „grundrechtlich geschützten Lebensbereichs“, das das Bundesverfassungsgericht zur Bestimmung einer ausnahmsweisen Grundrechtsberechtigung staatlich getra-



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gener Organisationseinheiten heranzieht, den Wert als Entscheidungskriterium. 9. Spätestens in der Stadionverbot-Entscheidung (BVerfGE 148, 267 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte inhaltlich überstrapaziert und fernab der Grenzen des Art. 1 Abs. 3 GG das Tor zu einer situationsabhängigen unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater aufgestoßen. 10.  Eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater – und sei sie nur situativ formuliert – bricht mit der strengen Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, wie sie das Bundesverfassungsgericht seiner Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG zugrunde legt. 11.  In seinem Atomausstiegsurteil (BVerfGE 143, 246 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht eine jedenfalls angreifbare europarechtskonforme Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der Grundfreiheiten genutzt, um seine althergebrachten Argumentationsmuster zu überwinden und einer fremdstaatlich getragenen juristischen Person die Grundrechtsfähigkeit zuzubilligen. 12. Auf Grundlage der verfassungsgerichtlichen Ausführungen im Atomausstiegsurteil (BVerfGE 143, 246 ff.) stellt sich unter anderem die Folgefrage nach einer „Inländerdiskriminierung“ zulasten nationalstaatlich getragener juristischer Personen. 13.  Das Atomausstiegsurteil (BVerfGE 143, 246 ff.) ist mit seinem Bezug auf die Europäischen Grundfreiheiten und dem Obiter Dictum zur Europäischen Menschenrechtskonvention ein Fingerzeig zur Einbeziehung des europäischen Mehrebenensystems des Grundrechtsschutzes in den Diskurs um die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen. 14. Die Europäischen Grundfreiheiten entfalten in grundrechtlichem Zusammenhang trotz einer grundsätzlich anders strukturieren Zielrichtung Relevanz, weil sie der Europäische Gerichtshof grundrechtlichen Bestimmungen konzeptionell angenähert hat. 15. Aufgrund ihrer Zielsetzung, einen funktionierenden Binnenmarkt zu gewährleisten, beziehen die Europäischen Grundfreiheiten juristische Personen im Allgemeinen und staatlich getragene Organisationen im Besonderen großzügig in ihren Anwendungsbereich mit ein. 16. Im Regelungsbereich der Europäischen Grundrechtecharta ist die Frage der Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen noch in der Entwicklung begriffen. Bisher verlief diese insbesondere im ­Peripheriebereich drittstaatlich getragener Organisationseinheiten und wurde vornehmlich vom Gericht der Europäischen Union vorangetrieben.

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17.  Jedenfalls in ihrer Tendenz neigt die europäische Rechtsprechung im Hinblick auf die Grundrechtssubjektivität staatlich getragener juristischer Personen einem grundsätzlich inklusiveren Ansatz zu als das deutsche Bundesverfassungsgericht. Eine strenge Orientierung an der Menschenwürde ist – anders als in der Karlsruher Argumentation – nicht ersichtlich. 18. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschlusspaar „Recht auf Vergessen I“ (BVerfGE 152, 152 ff.) und „Recht auf Vergessen II“ (BVerfGE 152, 216 ff.) den Einfluss der Europäischen Grundrechtecharta auf die deutsche Grundrechtsdogmatik paradigmatisch gestärkt. Sollte sich die Entwicklung auf europarechtlicher Ebene in strukturellen Zügen von den tradierten Linien des deutschen Verfassungsgerichts entfernen, geraten die letzteren unter zunehmenden Anpassungsdruck. 19. Das anthropozentrische und individualistische Konzept des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG generiert kein hohes Maß an Anschlussfähigkeit im europarechtlichen Kontext. 20. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt zur Bestimmung des Begriffs der „non-governmental organisation“ im Sinne des Art. 34 EMRK einen einzelfallorientierten Maßstab ohne anthropozentrische Vorprägung an. Seine Handhabe im Modus der Gesamtabwägung ist in der Tendenz offener für die Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen in den Menschenrechtsschutz als die Linie des deutschen Bundesverfassungsgerichts. 21. Im europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes droht der verfassungsgerichtliche Ansatz im Umgang mit staatlich getragenen juristischen Personen vorbehaltlich der weiteren Entwicklung zum dogmatischen Sonderweg zu werden. 22. Das grundrechtstheoretische Fundament, auf das das Bundesverfassungsgericht seine zentralen Gedanken zum grundrechtlichen Umgang mit juristischen Personen in staatlicher Trägerschaft stützt, ist maßgeblich von der liberalen Grundrechtstheorie inspiriert und um Elemente der sozialstaatlichen und demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie ergänzt. 23. Die Grundrechtstheorie kann in der Staatsrechtslehre einen Unterscheidungswert haben. Sie ist aber in ihrer gedanklichen Herleitung mit zu vielen Unsicherheiten behaftet und gegenüber ideologischer Steuerung zu anfällig, um sie zur Ausgangsgleichung konkreter dogmatischer Ableitungen zu erheben. 24. Die Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft, die der liberalen Grundrechtstheorie zugrunde liegt, ist als Realitätsbeschreibung überholt. Ihr Mehrwehrt liegt stattdessen in der Eigenschaft als funktionelle Differenzierung. Allerdings gerät auch diese zusehends unter Druck, namentlich im



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Angesicht der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur situativ staatsgleichen Grundrechtsbindung Privater. 25. In ihrem ursprünglichen Entwurf bietet die sog. grundrechtstypische Gefährdungslage einen belastbaren sowie anschlussfähigen Ansatz zur Neuausrichtung der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG. 26. Die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen bleibt auch unter einer veränderten Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG die Ausnahme. 27.  Ein potentieller Grundrechtsschutz kommt staatlich getragenen Organisationseinheiten nur gegen hoheitliches Handeln zu und richtet sich weder unmittelbar noch mittelbar gegen Private. 28. Eine potentielle Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in staatlicher Trägerschaft kommt nur im eigenen Kompetenzrahmen in Betracht. 29. Die vorgeschlagene Neuausrichtung in der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG beruht auf einem Verständnis der Grundrechte als Schutzeinrichtungen bestimmter subjektiver Freiheitsräume gegen hoheitlichen Zugriff. Sie wendet sich damit von der personalistischen Grundrechtsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts ab. 30. Die Grundrechtsberechtigung staatlich getragener juristischer Personen verlangt hoheitlichem Handeln eine erhöhte Rechtfertigung ab, fördert die Gewaltenteilung und dient damit der Stärkung des Rechtsstaatsprinzips. 31.  Das Bundesverfassungsgericht selbst hat dem funktionalen Blick auf Art. 19 Abs. 3 GG sein „frevlerisches“ Stigma genommen, indem es die Europäischen Grundfreiheiten im Atomausstiegsurteil (BVerfGE 143, 246 ff.) zur europarechtskonformen Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG herangezogen und deren funktionales Verständnis eines Grundrechtsschutzes „um … zu“ akzeptiert hat. 32. Der Maßstab der grundrechtstypischen Gefährdungslage kann in die Begriffsmerkmale „Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger“ und „wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Interessenlage“ aufgegliedert werden. 33. Die Distanzstellung zum eingreifenden Hoheitsträger ist Ausdruck staatlicher Ausdifferenzierung und notwendige Voraussetzung, um von einem schutzauslösenden Übergriff in einen subjektiven Freiheitsraum ausgehen zu können. Ihr Vorliegen ist anhand verschiedener Kriterien in einer Gesamtabwägung im Einzelfall festzustellen. 34.  Das Kriterium einer wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Interessenlage wurzelt im Gedanken der Waffengleichheit und ist zentraler Aspekt der Schutzwürdigkeit einer staatlich getragenen juristischen Person. Sie liegt

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dann vor, wenn die letztere dem Eingreifenden gegenüber keinerlei spezifische Einflussmöglichkeiten geltend machen kann, die unmittelbar aus ihrer staatlichen Trägerschaft folgen, und sie sich infolgedessen dem hoheitlichen Zugriff genauso ausgesetzt sieht wie eine natürliche Person in identischer Ausgangslage. Notwendig ist auch hier eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall. 35. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG anhand des Maßstabs der grundrechtstypischen Gefährdungslage führt in ihrer Tendenz zu einer großzügigeren Einbeziehung staatlich getragener juristischer Personen in den Grundrechtsschutz als das individualistische Konzept des Bundesverfassungsgerichts. 36.  Der Maßstab einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ermöglicht Differenzierungsgewinn im Einzelfall, stellt weniger auf die ohnehin unter Druck geratene Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft ab und zeigt sich gegenüber dem europäischen Mehrebenensystem des Grundrechtsschutzes rezeptionsoffener als der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts.

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Sachverzeichnis Allgemeine Handlungsfreiheit  112, 117 f., 305, 313, 318 Anpassungsdruck  229 f., 265 f., 268, 274 f., 383 Anschlussfähigkeit  72, 176, 178, 202, 227 f., 230 f., 259, 265 f., 268, 303, 343, 354 f., 378 Atomausstiegsurteil  18, 20 f., 158 ff., 176 f., 194, 201 f., 262, 269, 275, 296 ff., 320 f., 344 f., 355 f., 363 f., 369, 372 f., 378 ff., 385 Ausnahmetrias  35 ff., 78, 97 ff., 151, 201, 297, 335, 337 Außenrechtsverhältnis  66 ff., 89, 207, 325 f., 362 Beherrschungskriterium  140 ff., 143 ff., 154, 288 f., 307 Bundesverfassungsgerichtspositivismus  14, 21 Distanzverhältnis, Distanzstellung  74, 320, 324, 325 ff., 337, 338 ff., 346, 348 f., 355, 358 f., 361, 363 ff., 370, 373, 376, 379, 384 Doppelgrundrecht  127 ff., 151 f., 262 Durchgriffsthese, Durchgriffsgedanke  39 ff., 68, 70 f., 79, 81, 83, 86, 88 f., 138, 145, 151, 160, 163 f., 168 ff., 173 f., 176, 181, 199 f., 202, 227, 230, 252 ff., 264 f., 267, 286, 296 ff., 301, 304, 318, 324, 348, 364, 375, 378, 382 Eigentumsfreiheit, Eigentumsgrundrecht  82, 100, 109, 116, 158 f., 207, 209 ff., 291 f., 363 ff. Europäische Grundrechtecharta  16, 18, 21, 178, 182, 184, 190, 202 ff., 219 ff., 232 ff., 254 ff., 258, 267 f., 271 ff.

Europäische Menschenrechtskonvention  18, 21, 160, 174 ff., 178, 180, 184 ff., 204 f., 211, 231, 232 ff., 238 ff., 254 ff., 268, 270 ff. Flughafen Düsseldorf  146, 174, 289, 300, 352 Fraport-Entscheidung, Fraport-Urteil  77, 105 ff., 111 f., 113, 119, 134, 140 ff., 154, 288 f., 382 Freiheitsräume  67 f., 127, 188, 319 ff. Funktionale Grundrechtstheorie  200 ff., 276 ff., 281, 298 ff., 301, 303, 385 Gemeinden  51, 54 f., 64 f., 69 f., 74 f., 82, 84 f., 96, 149, 152, 249, 251, 254, 309, 315 f., 347, 363, 366 f., 382 Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen  19, 77, 135 ff., 153 f., 173 f., 176, 288 ff., 301, 353 f., 359, 382 Gesamtabwägung  246 ff., 254, 257, 258, 262, 264 f., 268, 347 Gleichheitssatz  53, 73, 78, 90 ff., 112 ff., 208 f. Grundfreiheiten  18, 21, 160, 168 f., 172, 179, 181, 184, 188 ff., 255, 267, 275, 297 f., 300, 321 Grundrechtlich geschützter Lebensbereich  35 f., 56, 71, 79, 97 ff., 153, 156, 157 f., 176, 214, 335 f. Grundrechtsbindung Privater  105 ff., 111, 113 f., 116, 118, 121, 156, 199, 282, 293 ff., 301, 308 f., 379 Grundrechtsfunktionale Schutzwürdigkeit  317, 320, 322, 385 Grundrechtstypische Gefährdungslage  65 ff., 73, 75, 89, 124, 149, 151, 164, 202, 207, 217 f., 226, 230 f., 252 f., 257, 269, 270, 303, 323 ff., 349 ff., 356 ff., 378 ff., 384 f.

Sachverzeichnis425 Inländerdiskriminierung  171 ff., 373, 379 Innungen, Innungs-Rechtsprechung  60 f., 65, 78 ff., 134, 149 f., 152 f., 176, 316, 330, 375 f. Interessenvertretung  59 ff., 80 f., 83, 85, 86, 134, 147 ff., 346, 375 ff. Justizgrundrechte  35, 37, 90 ff., 169, 200 f., 298, 344, 361 Kommunale Gebietskörperschaften  57, 64, 73, 84, 137, 157, 229, 251 f., 342, 356, 367 Kompetenzkonflikte  49 ff., 54, 68, 75, 96, 162, 279 Konfusionsargument  44 ff., 57, 59, 75, 90, 122, 140 f., 145, 148 ff., 159, 161, 164, 173, 196 f., 198 f., 206, 212, 219, 246, 267, 305 f., 331, 348, 350, 365, 378, 382 Konvergenz  227, 259, 265, 270 ff., 356, 369, 378, 383 f. Lausitzer und Mitteldeutsche BergbauVerwaltungsgesellschaft mbH  148 f., 161 f., 262, 340, 360, 365 Liberale Grundrechtstheorie  201 f., 270, 276 ff., 280 ff., 283 ff., 293, 296 ff., 300, 303, 314, 318, 382 ff. Mehrebenensystem  18, 21, 177, 178, 188, 191, 198, 202, 205, 213, 222, 254, 265, 266, 268, 270 ff., 286, 296, 299, 303, 322, 341, 343, 354 ff., 368 f., 378, 383 f. Mittelbare Drittwirkung  104 ff., 293 f. Monolithischer Block  45 ff., 49, 96, 331 Niederlassungsfreiheit  160, 165 ff., 168, 173, 188, 190, 191 ff., 196, 198, 200 ff., 296, 297

Öffentliche Aufgaben  33, 35, 59 ff., 64 f., 69, 78 ff., 103 f., 138 f., 141, 148 ff., 152 f., 157, 287, 291, 347 f., 354 Privatrechtsform  19, 58, 135, 138, 307, 339, 340 ff., 355, 360, 378 Public-Private-Partnerships  287 ff., 301, 353 f. Recht auf Vergessen  222 ff., 227 ff., 267 Rechtsform  40, 42, 53, 56, 57 ff., 78 f., 83, 103, 111, 132, 134, 150, 173, 241, 247, 249, 262, 266, 292, 302, 306 f., 327, 330, 369 Selbstverwaltungsrecht  54, 55 ff., 80, 96, 327, 336 ff., 358, 361, 367, 377 Soziale Netzwerke  118, 121, 309 Sozialstaatliche Grundrechtstheorie  277, 279 f., 281, 300 f. Sparkasse  83 f., 152, 193, 196, 315, 327, 359 Staatsanwaltschaft, staatsanwaltschaftlich  84, 330, 357 ff., 360 Stadionverbot-Beschluss, StadionverbotEntscheidung  110 ff., 119 ff., 169, 176, 301, 302, 309, 321 Vergleichbarkeit der Interessenlage  241, 242, 253, 325, 342, 343 ff., 348 f., 360, 365, 367, 369 f., 372 ff. Waffengleichheit  90 ff., 157, 200 f., 298, 314, 343 ff., 347, 353, 355, 359, 361 f., 364 f., 375, 378, 385 Werttheorie  277 f., 280, 295 Willkürverbot  53, 94 ff., 173, 200