Grundlegung zur Lehre vom erziehenden Unterricht: Nach ihrer wissenschaftlichen und praktisch-reformatorischen Seite entwickelt [Reprint 2022 ed.] 9783112624869


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Grundlegung zur Lehre vom erziehenden Unterricht: Nach ihrer wissenschaftlichen und praktisch-reformatorischen Seite entwickelt [Reprint 2022 ed.]
 9783112624869

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zur

Lehre vom erziehenden Unterricht. Nach ihrer

wissenschaftlichen und praktisch-reformatorischen Seite entwickelt

von

Prof. Dr. T. Zitter. Erste Abtheilung.

Leipzig 1865. Louis Pernitzsch.

Grundlegung zur

Lehre vom erziehenden Unterricht.

Nach ihrer

wissenschaftlichen und praktisch-reformatorischen Seite entwickelt von

Prof. Dr. T. Zitter.

Leipzig Louis Pernihsch.

1865.

Meinem Freunde

Dr. J. H. Th. AUihn.

Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Idee und die Wege des erziehenden Unterrichts weder wissenschaftlich hinreichend in's Licht gesetzt, noch auch nur entfernt so weit, als es bei genügender Einsicht

möglich wäre, in die Praxis der Schulen übergegangen sind.

Nach

beiden Seiten hin sucht das vorliegende Buch einen Fortschritt einzu­

leiten auf der Bahn des Unterrichts, die man zwar mit der Reformation der Kirche betreten hat, auf Der man aber auch gegenwärtig noch weit

vom Ziele absteht, weil nur selten echte Wissenschaft mit den praktischen Bestrebungen Hand in Hand gegangen ist, und weil selbst diejenigen Männer, welche in der That durch ihren praktischen Blick eine Wen­

dung im Unterrichtswesen hervorgebracht haben, von echter Wissenschaft gewöhnlich weit entfernt waren, ohne deren Leitung aber alles praktische Handeln und vornehmlich ein so zusammengesetztes, wie das pädago­

gische, unvermeidlich sich verirren muß.

Das Buch soll zugleich meine beiden früheren Schriften „Einlei­ tung in die allgemeine Pädagogik"') und „Die Regierung der Kinder" *) fortsetzen, und obwohl es umfassender angelegt ist, und namentlich auch

das Ganze der pädagogischen Literatur specieller berücksichtigt, so ist es

doch nach denselben Grundsätzen bearbeitet, aus Ivelche sie gebaut sind. Zu beiden wird es Ergänzungen und Erweiterungen, zur „Einleitung in die

allgemeine Pädagogik" auch einzelne Berichtigungen bringen. Das Buch enthält außerdem wie „die Regierung" eine Menge von Citaten, die leicht als Ueberfülle erscheinen kann.

Aber bei dem gegenwärtigen Stand der

Pädagogik läßt sie sich meinem Urtheile nach nicht umgehen, weil theils

eine Garantie und fortlausende Controle für Gründlichkeit und dafür, daß nicht individuelle Meinungen, sondern allgemeiugiltige Lehren vor­

getragen werden, nothwendig ist, theils ein engerer Zusammenhang der

pädagogischen Literatur hergestellt werden muß, als bis jetzt vorhanden ist.

Ein allgemeiner Fehler der Unterrichtslehren besteht nächstdem darin, daß sie zu wenig bestimmte Imperative für die Praxis darbieten, und noch weniger solche, die beim wirklichen Unterricht leicht genug zur Anwendung zu bringen und zusammenznfassen sind. Wenn sie sich nicht überhaupt darauf beschränken, den überkommenen Gebrauch unserer Schu­

len in allen seinen Hauptzügen als normal hinznstellen und zu verherr­

lichen, pstegt bei ihnen in der scheinbaren Unendlichkeit und Unfaßbarkeil des Guten jeder energische Antrieb zu einem bessern und zusammenstim­ menden Handeln unterzugehen.

Man kann auch sehr schätzenswerthe

psychologische Betrachtungen über den Unterricht anstellen, und dennoch

in einer ganz falschen Richtung des Unterrichts und namentlich völlig in dem Schlendrian der herrschenden Unterrichtsweise sich fortbewegen, weil die Psychologie zur Erklärung des Falschen wie des Richtigen bient.

Ich für meinen Theil habe schon seit Jahren erkannt, daß unser Schul­ gebrauch in sehr wesentlichen Stücken unhaltbar ist und die Auffindung

der Wege des Erziehungsunterrichtes für keine Art von Schulen auch

nur annähernd als gelungen angesehen werden darf trotz allen bald mehr vereinzelten, bald mehr zusammenhängenden darauf gerichteten praktischen Bestrebungen, die zu Anfang des Jahrhunderts auch durch die Wissenschaft

in höherem Maaße unterstützt wurden. Seitdem diese Ueberzeugung bei mir

feststellt, habe ich mich zwar nicht zugleich entschließen können, die allge­ meinen Untersucbungen auf dem Gebiete d.er Pädagogik, um rascher ans

Ziel zu kommen, aufzngeben, oder aus die Art ihres Fortschreitens und Begründens einen geringeren Werth zu legen.

Aber mein Streben ist

doch stets dahin gerichtet gewesen, zu ganz deutlichen praktischen Resul­ taten zu gelangen, die bei einer consequenten Durchführung der maaß­

gebenden Grundsätze, wie sie in der unter meiner Leitung stehenden

„ Uebungsschule für Studierende" und in dem mit ihr innerlich verbun­ denen v Gymnasial- und Realinstitut" des Herrn Barth zu Leipzig ange-

strcbt wird, eine Umgestaltung der herrschenden Unterrichtsweise so weit

und in dem Sinne, wie sie mir nothwendig scheint, recht wohl möglich machen.

Es ist auch bereits der Anfang gemacht, daß unter meiner Lei­

tung im Geiste der Lehre, die ich hier vortrage, der Unterrichtsstoff aller Hauptordnungen und Hauptstufen unserer Schulen pädagogisch durch­

gearbeitet werde, und derselbe soll später in Verbindung mit den dazu gehörigen Methodenbüchern allmählich veröffentlicht werden.

Von dem,

was dabei erstrebt wird, kann wenigstens vorläufig meine „Skizze der pädagogischen Reformbestrebungen in der Gegenwart nach Herbartischen

Grundsätzen" zu Anfang des 4. Bandes der „Zeitschrift für eracte Phi­ losophie", welche von Dr. Allihn und mir herausgegeben wird, einen Ueberblick gewähren. Da ich endlich das Conglomerat von didaktischen Grundsätzen, auf

denen unser gegenwärtiger Zustand des Unterrichtswcsens beruht, zu zer­ setzen suche, um sie zu sichten, und da ich überall der historischen Ent­

wickelung genau uachgehe, um die nothwendigen Neuerungen an sie anzuschließen, so habe ich vielfache Gelegenheit, historischen Lehren und

Thatsachen ein tieferes Verständniß zu verschaffen, und ein besseres Licht auf sie zu werfen, als in unserer bis jetzt äußerst oberflächlichen Geschichtsauffassung auf dem Gebiete der Pädagogik zu finden ist.

Das

Register, welches dem Buche beigefügt wird und das ich mit Sorgfalt

Vorwort.

VIII

ausgearbeitet habe, ist jedoch nur darauf berechnet, den Leser durch seine Benutzung in den Stand zu setzen, in der allgemeinen Theorie, welche

die vorliegende Grundlegung

der pädagogischen Didaktik enthält,

und

in den speciellen Unterrichtsfragen, die darnach zu entscheiden sind, sich

leichter zu

orientiren,

und namentlich die verschiedenen,

im Systeme

getrennten Seiten, die ein Gegenstand unter verschiedenen Gesichtspunkten darbietet, sicherer zusammen zu fassen.

Leipzig, den 21. September 1864.

T. Mer.

Das Verhältniß des Unterrichts zur Negierung und Zucht. 8 1. Regierung und Unterricht. Da die Lehre vom pädagogischen Unterrichte (die pädagogische Didaktik) sich unmittelbar anschlicßt an die Lehre von der Regierung der Kinder, so muß vor allem die Art der Verbindung nachgcwiesen werden, in welche der pädagogische Unterricht zur Regierung tritt. Denn die besondere Lehre von der Regierung der Kinder enthält diese Nachweisung nicht, weil sie überhaupt nur so weit geführt wird, als sie sich selbständig darstellen läßt *). Da wir aber in dem systematischen Zusammenhang der Pädagogik von der Regierung aus zunächst zum Unterrichte und nicht zur Zucht fortschrciten, obgleich Unterricht und Zucht gleichmäßig in jenen Zusammenhang hineingehören1 2), so muß in den Anfang der Lehre vom pädagogischen Unterrichte auch die Nachweisung der Gründe gestellt werden, aus welchen die Lehre voin pädagogischen Unterrichte der Lehre von der Zucht voranzugehen hat3). Die hier geforderten beidcnNachweisungen sind nächst den der Lehre vom pädagogischen Unterrichte eigenthümlichen Grund­ gedanken, auf denen die nachfolgende Untersuchung beruht, und welche sich von selbst an jene Nachweisungen anschließcn werden, die hauptsächlichsten Punkte, welche im ersten Abschnitt der hier zu entwickelnden Lehre in Betracht gezogen werden müssen. Zu dem ersten der genannten Punkte, welche daö Verhältniß des pädago­ gischen Unterrichts zur Regierung betrifft, führt die Nominaldefinition des Unterrichts hin^). Unterricht ist nämlich diejenige Wechselwirkung zwischen zwei Menschen, welche vermittelt wird durch ein (in Sachen, Formen oder Zeichen 1) II, § 2, S. 20. — 2) I, § 24, S. 107. — 3) § 6.

— 4) Ueber die Bedeutung

einer Nominaldefinition für den Beginn einer wissenschaftlichen Untersuchung s. I, § I in. Zitter, erziehender Unterricht. 1

2

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Äegierung und Zucht.

bestehendes) Drittes, bas der eine absichtlich zwischen sich und den andern zur

Betrachtung und Bearbeitung gestellt hat, um diesen damit zu beschäftigen. Indem der Erzieher in eine solche Wechselwirkung mit dem Zögling tritt, wird

erzürn Lehrer, und die Kunst der Erziehung i), welche er bei seinem ganzen Geschäfte beweisen soll, geht in die Lchrgeschicklichkeit über, die mit Rücksicht

auf eine begünstigende Individualität des Lehrers das Lehrtalent heißt.

Das

Dritte aber, welches der Erzieher in die Mitte zwischen sich und den Zögling gestellt hat, ist der Gegenstand, worin unterrichtet wird, der Lehrgegenstand oder

die Materie des Unterrichts, und die wissenschaftlichen oder technischen Hülfs­ mittel , wie Geräthe, Bücher, Karten, Bildertafeln, Sammlungen von Natur­ produkten , durch welche der Lehrstoff dem Zögling vor die Sinne gestellt und veranschaulicht wird, und welche der Lehrer theils selbst benutzt, theils von dem

Zögling benutzen läßt, sind die Lehr- und Lernmittel.

Da nun nach der obigen

Nominaldefinition der Zweck, aus welchem der Erzieher in die Wechselwirkung des Unterrichts mit dem Zögling tritt, ausdrücklich darauf gerichtet ist, daß der

Zögling durch den Lehrgegenstand beschäftigt werde, so ergiebt sich, daß der Unterricht ein Hülfsmittel der Regierung sein kann;' denn die Regierung bedarf

der Beschäftigungen für die Kinder^), um Unfug und Zügellosigkeit, wozu ihre natürliche Unruhe beim Müßiggehen hinneigt, von ihnen ferne zu halten, und

die Unordnungen, die sich bei ihnen mit einem ungeregelten Thun verbinden3), abzuschneiden. Die Eltern kennen jene Bedeutung deS Unterrichts für die Regierung recht wohl. Denn sie wünschen z. B. oft den Beginn oder Wiederbeginn des Unter­ richts, oder mehr häusliche Beschäftigung mitSchularbciten bei ihren Kindern, damit diese ihnen weniger zur Last fallen und weniger Störungen verursachen.

Man

kann auch häufig an einer Schule die Beobachtung machen: wenn sie die Schü­

ler zu beschäftigen weiß, und vorzüglich wenn sie eS versteht, Fleiß und Arbeit­ samkeit unter ihnen zu beleben, d. i. sie zu recht lebendiger Hingebung an die

voin Unterricht geforderten oder damit in Verbindung stehenden Beschäftigungen anzuregen,

unter ihnen.

so herrscht gewöhnlich auch viel mehr Ordnung und gute Sitte

Der Geist eines regen Fleißes widerstrebt den Unordnungen, und

umgekehrt, wo diese häufig find, ist eS ein sicheres Zeichen, daß es an jenem

fehlt *).

So groß aber immerhin die Bedeutung des Unterrichts als eines

Bcschäftigungsmittels sein mag, so werden dadurch doch andere Arten der Be­

il I, § 5, S. 13 und § 7, S. 29.

— 2) II, § 4.

— 3) II, § 8, S. 47. — 4) Wir

bemerken hier ein Einwirken des Unterrichts in die Sphäre der Regierung.

Nicht weniger

deutlich tritt der entgegegengesetzte Einfluß hervor, der Einfluß der Regierung auf das Unter-

richtsgebiet.

Denn meistens verfällt in einer Schule mit der Regierung zugleich der Fleiß und

der gute Unterricht, und es finkt dann die ganze Schule, wie es z. B. bei vielen gelehrten

Schulen der Fall war, welche während der Reformationszeit in deutschen Ländern errichtet oder umgestaltet worden waren, aber nach kurzer Blüthe unter dem Einfluß einer schlechter werden-

3

§ 1. Regierung und Unterricht.

schästigung nicht geradezu überflüssig gemacht; denn das Bedürfniß einer Ablei­ tung der kindlichen Unruhe ist wegen des weiten Umfangs derselben *) sehr groß, , und eine einzelne Art der Beschäftigung reicht dazu niemals aus.

Die Beschäf­

tigung durch den Unterricht nimmt daher in der Reihe der RegierungSmaßregcln nur eine Stelle neben ander» Bcschäftigungsmitteln ein.

Es ist auch nicht

gerade das Lernen immer die zweckmäßigste Beschäftigung für einen Zögling.

Gerate ein solcher Zögling, bei dem die Regierung am nöthigsten und schwierig­ sten ist, wird am wenigsten durch den Unterricht zur Ordnung gebracht, weil die

Stärke und Ausbreitung seiner unordentlichen Begehrungen ihn für diesen wenig Er bedarf also ganz anderer Beschäftigungen als der

empfänglich machen.

Beschäftigung durch den Unterricht, wenn verhütet werden soll, daß er nach außen hin Anstoß gebe.

ES kommt überhaupt auf die Zöglinge und ihre indi­

viduelle Lage an, ob der Unterricht für sie ein geeignetes BeichäftigungSmittcl sein kann, und auch wo er das für sie ist, hängt es immer noch von der beson­

deren Natur der Umstände und von der Eigenheit der Zöglinge ab, ob er einen größern oder geringeren Theil ihrer Beschäftigungen ausmachen kann.

Man

mnß deshalb die Kinder beobachten, um darnach zu bestimmen, ein wie großes Maaß des Lernens bei ihnen zur Beschäftigung dienen kann.

Im Allgemeinen

nimmt bei den Kindern, indem sic in ihrem Alter vorrücken, ein immer größerer

Theil ihrer Beschäftigungen die Form des Unterrichts und der davon ausgehen­ den oder dadurch veranlaßten Uebungen und Thätigkeiten an, sie werden immer mehr mit dem Unterricht und für den Unterricht beschäftigt.

Es giebt aber auch

Kinder, welche schon früh ein Bedürfniß nach Unterricht habens.

Es sind daS•

die wißbegierigen Kinder, die nichts lieber thun als lernen. Ihre innere Regsam­

keit fühlt sich dann zu der gleichartigen geistigen Regsamkeit eines mitttheilungSlustigen, sie nicht abweisenden Erziehers hingezoge», und sucht sich an dieser zu

nähren.

Bei ihnen kann daher das Lernen unter den Beschäftigungen einen

viel breiteren Raum einnehmen als bei andern Kindern, wenn eö anders ihr körperliches Befinden gestattet, das ja für die Regierung immer ein wesentlicher

Jncidenzpunkt ist3).

Ueberdieß gewinnt die Individualität bei dem Unterricht

als einem Beschäftigungsmittel noch in einer andern Beziehung einen großen Einfluß.

Denn nicht jeder Zweig des Unterrichts beschäftigt einen jeden Zög­

ling in gleicher Weise.

Vielmehr macht die größere oder geringere Neigung deS

Zöglings für einen Unterrichtszweig diesen für ihn auch zu einem mehr oder dm Regierung wieder hinwelkten (Stoy, Haus- und Schulpolizei, S. il).

Selbst die

Blüthe der Staaten hängt ja von dem Fortbestände der äußern Ordnung ab als der unerläß­ lichen Bedingung aller geregelten Thätigkeit (cf. II, § 1, S. 6). 1) II, § 4, S. 24, s. f. — 2) § 6, 13 u. 14 und Fortsetzung unserer „Grundlegung",

6s. Strümpell, die Universität und das Universitätsstubium, S. 10 und Hartenstein, Grundbegriffe der ethischen Wissenschaften, S. 804. — 3) II, § 10, S. 77. 1*

weniger geeigneten Beschästigungsinittel, und bewirkt, daß er in höherem oder geringerem Grade davon angezogen und sestgchalten wird. Das muß vorzüg­ lich dann in Betracht gezogen werden, wenn der Gegenstand den Zögling auch außerhalb der Lehrstunden beschäftigen soll. An sich freilich darf von keinem Lehrgegenstand und von keiner Wissenschaft behauptet werden, daß sie sich nicht dazu eignen, die Thätigkeit eines Zöglings in einem höher« Grade anzuregen. Wo sie beim Unterrichte wirklich durchweg nur eine geringere Thätigkeit des Zöglings Hervorrufen, liegt es immer an der Lehrart dessen, der sie zu behandeln hat. Er weiß sie nicht recht zu behandeln, und darum wird auch der Zögling nicht genug zur Thätigkeit aufgefordert. Die Individualität des Zöglings kann wohl bewirken, daß eine bestimmte Materie des Unterrichts ihn mehr oder weniger belebt. Aber niemals fehlt einer Unterrichtsmaterie alle belebende Kraft, weil sie immer eine Fülle von Vorstellungen in sich schließt, welche den Geist in Bewegung setzenJ). Wir sehen nun im Vorhergehenden: Wenn auch der Unterricht beschäftigt, so werden doch durch ihn die übrigen Arten der Beschäftigung bei dem Zögling keineswegs gänzlich überflüssig gemacht, sondern nur ein bald größerer, bald geringerer Theil der Beschäftigungen, die vor dem Beginn des Unterrichts dem Zögling darzubikten waren, wird nach dem Beginn desselben durch das. Lernen vertreten. Ebenso wenig wird aber auch dieübrigeThätigkeitder Regierung durch den Unterricht entbehrlich gemacht, so wie sie sich überbaupt durch die Beschäftigungen nicht ersetzen läßt; denn diese haben für die Aufrechthaltung der äußeren Ordnung nur einen bestimmt abgcgrenztcn Werth2), der keines­ wegs den Werth der ganzen Regierungswirksamkeit schon in sich faßt. Aller­ dings wird sich an mehr als einer Stelle der Lehre vom pädagogischen Unterricht zeigen3), daß der Unterricht, indem er beschäftigt, um so mehr die übrige Regie­ rung vergessen läßt, und insbesondere desto weniger Strafmittel nöthig hat, je besser er selbst und seine Methode ist, weshalb auch Lehrern, die sich auf den pädagogischen Unterricht nicht verstehen, die Regierung am schwersten fällt. Indeß darf man es doch selbst während der Lehrstunden nicht für hinreichend halten, bloß durch den Unterricht zu regieren. Man inuß vielmehr fortwährend, besonders in der Schule, wo die Regierung am schwierigsten ist3), alle Zügel derselben in den Händen halten, und hierzu ist keinesweges gerade der geschick­ teste Lehrer am meisten befähigt. Die Befähigung dazu kann vielmehr leicht selbst einein geschickten Lehrer mangeln. Sie ist überhaupt nicht schon in der Lehrgeschicklichkeit3) enthalten, und läßt folglich auch durch diese sich nicht ersetzen, weil einerseits die Regierung einen viel weitern Umfang hat als der 1) 8 14 und 8 18. — 2) II, 8 6, S. 30. — 3) Z. B. 8 12—14; 8 s. — 4) II, 8 12, S. 108 f. — S) S. 2.

bloß zur Beschäftigung dienende Unterricht, und andererseits der pädagogische Unterricht als ein Theil der Erziehung *) und die Regierung ursprünglich ganz getrennte1 2), erst durch den Erzieher zu vereinigende3) Sphären sind, weshalb sich auch die Grundsätze, die für die eine Sphäre gelten, nicht aus den für die andere Sphäre gültigen ableiten lassen, obgleich der Erzieher den beiderseitigen Grundsätzen gleichmäßig unterworfen ist. Wo die Fähigkeiten zu beiden Arten von Thätigkeit in Einer Person vorhanden sind, sind es immer verschiedene Sei­ ten derselben *). Man hat nun wohl bei der den Unterricht fortwährend beglei­ tenden Regierungöthätigkeit dem Geiste der Regierung gemäß3) jeden unnöthigen Druck zu vermeiden, da es nur auf den zu erreichenden Effect ankommt, und wo sich dieser ohne Druck erreichen läßt, Gewaltmaßregeln überflüssig sind. Aber durch alle Milde, welche die Fügsamkeit des Zöglings gestattet, muß doch immer die Festigkeit der Regierung hindurchlcuchten, welchem jedem Augenblick entschlossen ist, auf jedem bedrohten Punkte den Zögling in seinen Schranken zu halten, und in dieser Beziehung machen sich eine wahrhaft unzählige Menge von Rücksichtennothwendig, die zum Theil bloß aus der individuellen Lage des Zöglings entspringen, und welche keine Theorie jemals zu erschöpfen vermag3),* * obwohl sie die Kunst deS Erziehers in seinem Handeln zusammenfaßt7), und sogar gleichzeitig mit den didaktischen Grundsätzen beobachtet. " Für die Praxis des SchullebcnS setzen wir die Führung eines weder in den Unterricht noch in die Zucht übergreifenden Classknbuches8) voraus, dessen Inhalt dem Schüler, so weit es nöthig ist, in die Erinnerung zurückgerufen werden muß. Hier aber wollen wir von jenen Rücksichten, welche die Regierung als solche in der Schule zu nehmen hat3), nur einige der am nächsten liegenden, sowie der in größerer Allgemeinheit geltenden anführen. Man muß z. B. streng und auch in höhern Schulen und Privatinstituten ohne Nachsicht und Connivenz darauf sehen, daß die Zöglinge pünktlich in die Lehrstun­ den kommen. Der Lehrer, der selbst ein Muster von Pünktlichkeit im Beginnen und Schließen der Stunden sein muß^), darf nicht auf den Zögling warten, und dieser darf nicht durch ungenügend motivirtes Zuspätkommen oder Wegbleiben den Unterricht stören oder aufhalten "). Aber auch nicht viel früher, als der Unterricht wirklich beginnt, darf er im Schullocale sich einsinden, damit nicht eine Masse unbeschäftigter Zöglinge zu lange unbeaufsichtgt beisammen sei,2); denn für die Einführung einer Aufsicht fehlt cs in der Regel an den dazu berechtigenden Bor1) 8 2. — 2) II, § 1, S. 8. — 3) II, § 1, S. 18. — 4) Cf. II, 8 7, S. 44,

Anm."). - 8) II, 8 1, S. 17. — 6) I, 8 6, S. 18. — 7) I, 8 7, S. 30. — 8) IJ, 8 14. Cf. unten 8 7. — 9) Weiteres in der „Schulordnung für die Seminarschule zu Jena." — 10) Ueber den Einfluß der Persönlichkeit hinsichtlich der Disciplin s. nachher, in Bezug auf

den Unterricht 8- 5. — 11) An den Lehrer der Elementarschule macht auch der Staat im

eignen Interesse die Anforderung, darüber zu wachen, daß die Schüler die Lehrstunden nicht will­ kürlich versäumen, oder mit Unterbrechungen besuchen. Cf. § 3. — 12) II, 8 12, S. 107.

6

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

aussetzungen *).

Während des Unterrichtes selbst müssen durchaus Ruhe und

Ordnung herrschen, alles unruhige und Störung verursachende Wesen der Schu­ ler muß verbannt werden, keiner darf anders außer auf Anordnung des Lehars sprechen, ein jeder muß ihn fortwährend scharf firiren.

Hierdurch wird auch

das Sicherheben des Antwortenden vom Platze, das sich ohnehin mit einem lebendigen Wechselverkehr der Schüler beim Unterricht nicht verträgt, völlig ent­

behrlich.

Daß aber ein jeder vollkommen still und ruhig da sitze, läßt sich

keineswegs durch den Unterricht allein bewerkstelligen, wie viel er auch durch

seine Fähigkeit, dem Zögling zur Beschäftigung zu dienen, dazu beitragen kann. Es müssen vielmehr zu diesem Zweck noch besondere Veranstaltungen der Regie­

rung getroffen werden, und der Erzieher kann hierin bei sorgfältiger Beachtung

der eigenthümlichen Verhältnisse, unter denen er sich befindet, viel Erfindungs­ kraft beweisen.

Manche der hierher gehörigen Veranstaltungen werden unter

den weiterhin zu nennenden allgemeinen Rcgierungsmaßregcln, welche neben

dem Unterrichte hergehen müssen,

sich leicht unterscheiden lassen.

Vor allem

müssen die physikalisch-chemischen und physiologischen Bedingungen, von denen bei dem Zögling das Wohlbefinden seines körperlichen Organismus und das

der einzelnen Theile desselben, wie der Augen,

der Brust,

des Rückgrates,

abhängt, vollständig erfüllt, und seine natürlichen Bedürfnisse, z. B. in Bezug

auf ein bequemes Sitzen ?), müssen ausreichend befriedigt fein. Alsdann muß man

bei einer größeren Anzahl von Schülern die unruhigen Köpfe unter die übrigen »ertheilen:l), damit nicht die Neigung zum Unfug durch die Nachbarschaft derer,

die besonders dazu geneigt sind, noch gesteigert werde *).

Die Nachlässigen und

Verdächtigen dürfen nicht im Hintergrund der Klassen sitzen bleiben, wo sie sich

eher verstecken und den Blicken leichter entgehen können.

Aber weder die Schü­

ler selbst noch solche zu einer Klasse gehörigen Sachen, wie Schulbänke, Schul­

tische, Wandtafeln, dürfen von Zeit zu Zeit ihre Plätze wechseln. Sonst entsteht in einer Classe ein Geist der Unstetigkeits).

Die Ausbildung fester Raumrcihen

und Raumreihengewebe«), in deren Mitte der Schüler selbst eine bestimmte

Stelle einnimmt, ist für ibn in der That ein ebenso wichtiges Princip der'Ordnung, als die Festigkeit in der Zeitreihe, die in Hinsicht auf das Anfängen und

Schließen der Stunden7), in Hinsicht auf Vertheilung deS Unterrichts nach der 1) II, § 13, S. 124. — 2) Förderung der Disciplin und Gesundheit durch zweckmäßige

Schultische und Banke (von Meier in Lübeck). 1859. Ueber Schulbauten s. Lang, Erforder­ nisse eines zweckmäßigen Schulgebäudes, 1862 und Henry Barnard, School-Architecture, 1830. — 3) Cf. Ballauff, Oldenburgisches Schul blatt, Jahrg. 1853, S. 20. — 4) II, § 12, S. 109, 91 nm. **). — 5) Das Ertrem davon tritt in den fahrenden Schülern hervor,

die nicht bloß von einer Klasse zur andern, sondern von einer Schule zur andern wanderten, und unter denen jede Art von Unsitte herrschte (II, K12S.112 und Ru h köpf, Geschichte des Schul- und Erziehungswesens in Deutschland, S. 274 und 314. — 6) Cs. Volkmann,

Grundriß der Psychologie, § 71. — 7) S. 3.

§ 1. Regierung und Unterricht.

Tageszeit u. f. w. zu erstrebe« ist. Von beiden Principien darf nur dann ein­ mal abgegangen werden, wenn das, was bleibend und fest sein soll, sich in andern Beziehungen noch zweckmäßiger cinrichten läßt, wenn z. Bi eine andere Vcrtheilung der Lehrstunden den Anforderungen rücksichtlich der Gesundheit >) noch gewisser zu entsprechen, oder wenn durch eine andere Vertheilung der Schüler der Nachlässigkeit und Trägheit9), der Unruhe9) oder dem Ehrgeize8) Einzelner entgegen zu wirken ist. Der Lehrer muß, seine beobachtenden und überwachenden Blicke, damit eS auf keinem Punkte an der nöthigen Aufsicht fehle, so viel als möglich fortwäh­ rend gleichmäßig auf alle verthcilcn, woraus zugleich folgt, daß er sich nicht vorzugsweise an einzelne Schüler wenden, und auch nicht, sei es aus Schlaff­ heit, sei es aus Vertiefung in den Lehrstoff, bloß auf sein Heft oder sein Buch, auf den vorzuzeigenden Gegenstand oder ein anderes in seinem Gebrauche befind­ liches Lehrmittel Hinblicken darf. Die Aufsicht hat er aber gewöhnlich so zu üben, daß sie als solche den Schülern nicht auffalle, seine Beobachtung, durch feste Ein­ richtungen, wie die oben angegebenen, unterstützt, darf also nur wie eine unab­ sichtliche und ungesuchte erscheinen5).6 Wo sie so nicht ausreichend ist, muß sie zunächst durch symbolische Befehle und Strafen, wie durch Firiren mit den Augen, vielleicht in Verbindung mit Jnnehalten im Sprechen oder leisem Klopfen, und immer durch kurz abgebrochene Befehle und Strafen nach Art der Regierung8) unterstützt werden, und auch durch solche, die sich an den einzel­ nen Schüler wenden; denn allgemeine Gebote und Verbote werden leichter überhört. Wie auf daS pünktliche Abliefern der schriftlichen Arbeiten zur fest­ gesetzten Zeit zu halten ist7), so auch darauf, daß sie in der rechten Form abgeliefert werden, z. B. nicht ungeheftet, nicht ohne Bezeichnung deS Gegenstandes, für den das Heft bestimmt ist, selbst bis in die obersten Klassen hinauf nicht ohne eingeheftctes Löschblatt8), desgleichen nicht ohne Beifügung des Namens, unter Umständen vielleicht sogar nicht ohne Angabe des Datums der Ablieferung, aber auch nicht in Folio oder Sedez oder Qucrquart, wo Octav oder gewöhnliches Quart das Passendere und Bequemere ist. Nicht minder hat der Zögling alle Regeln zu beobachten, welche eine civilistrte Gesellschaft in Bezug auf Reinlich­ keit und Höflichkeit, in Bezug auf Anstand und äußere Sitte ihren Gliedern vorschreibt9), und das Schullocal hat er nicht bloß als fremdes Eigenthum zu 1) §. 9. — 2) s. nachher. — 3) s. vorher. — 4) §. 9. — 5) Cf. II, §13, S. 123. —

6) II, § 10, S. 60 f.

Gedehnte Strafreden, die lief) auf gegebene Veranlassung wiederholen,

werden ohnehin leicht von der Schlauheit der Schüler (II, § 12, S. 121) als Schlupfwinkel

für ihre Trägheit benutzt, s. Curtmann, die Schule und das Leben, S. 41. — 7) s. oben über die Festigkeit der Zeitreihc. — 8) Auf eine Probe der Sorgsamkeit, die der Schüler

durch Nichtanheftcn des Löscbblattes ablegen soll, darf die äußere Ordnung nicht gestellt werten (gegen Hesse, der Schreibunterricht S.55), da jene immerhin höchst zweifelhaft ist und diese

feststehen muß (II, § 1, S. 15).— 9) II, § 7, S. 45, Anmerk.*) und Einzelnes bei Ram-

respectiren ’), sondern auch durchaus nur als einen der Gcincinschaft für den bestimmten Zweck des Unterrichts dienenden Ort anzusehen, also nicht etwa für Privatzwecke zu benutzen, die außerhalb des allgemeinen Zwecks liegen, z. B. für die Aufbewahrung von irgend einem Theile seines Eigenthums auch außer­ halb der Lehrzeit. So kann schon das Aeußere einer Classe Hinweisen auf die gute Ordnung, ohne welche es keinen guten Geist in einer Anstalt geben sann*2).* * * 6 Der Lehrer selbst muß im Allgemeinen gleich den Schülern während des Unter­ richts an einem festen Orte stch befindens, wodurch namentlich auch daö Sichhinundherwenden der dem Lehrer mit ihren Blicken nachfolgenden Schüler vermieden wird. Nur muß er nicht bloß dann seinen Platz verlassen, wenn eine einzelne Maßregel der Regierung oder Zucht es mit sich bringt, oder ein beson­ derer Unterrichtszweck, z. B. die Kritik mHCorrcctur der Hefte beim Schreiben *) und Zeichnen oder die Nachhülfe im Messen, Ausbessern u. dergl. bei dem letz­ teren, ein Hinzutreten zum einzelnen Schüler nöthig macht, sondern er muß von Zeit zu Zeit ohne besondere Veranlassung an den Bänken entlang oder durch die Reihen der Schüler hindurchgehen, und ein jeder muß dabei fühlen, daß er nicht leicht irgend etwas unbemerkt y>erbc vornehmen können, was zum Unterrichte nicht gehört. Er muß auch immer von Zeit zu Zeit, wiewohl nicht in festen Terminen8), während der Lehrstunden ausdrücklich Nachsehen, ob alles zur Hand ist, und alles geschieht, was von den Schülern zu thun und mitzubringen ist, und die Controle muß hier wie überall streng sein. Den Rücken aber darf er nur mit großer, wiewohl ungezwungener Behutsamkeit den Schülern zukehren, und es ist gut, wenn er besonders zum Anzeichncn und Anschreiben an die Schultafel einen Schüler benutzen kann, wie er sich ja überhaupt Stützen der Ordnung unter den Schülern selbst zu suchen hat7). Es ist in der That fast unglaublich, wie viel und welcherlei Fremdartiges, besonders in den höhern Schulen, wo die Schüler stch mehr herausnehmen, unter den Augen der Lehrer geschieht, wenn solche Vorsichtsmaßregeln versäumt werden. Wenn alsdann die Fragen des Lehrers beim Unterricht sich an alle Schüler richten, obgleich nur einer antworten soll8), und wenn sie, wie es am meisten in den untern Klassen der Fall ist, nicht warten können, bis derjenige bezeichnet ist, der die Antwort aussprechen soll,

sauer, die Liebe in Erziehung und Unterricht, S. 37 f.

Ueber die Reinlichkeit beim Schrei­

ben (in Bezug auf Tintenfässer, Gebrauch der Feder, Unterlage, Flecken), s. Hesse, der

Schreibunterricht,

S. 34 f.

An Reinlichkeit als Vorbedingung des Schönheitsgefühls

(ib. 54) wird hier wiederum noch nicht gedacht. 1) Gleichfalls noch ohne alle ethische Rücksicht nach II, § 1, S. 3.



2) S. 3. —

3) S. 6'. — 4) Hesse, der Schreibunterricht, S. 81. — 5) II, § 13, S. 128. — 6) II, §15, S. 140. — 7) II, § 13, S. 131.

Man verwechsele sie nur nicht mit den

Führern im Schulleben (Stoy, Encyklopädie, S. 273), welche die Zucht verlangt. —

8) Fortsetzung unserer „Grundlegung".

welche die übrigen immerhin durch einen deutlichen, sei es zustimmenden, sei es widersprechenden physiognomischen Ausdruck begleiten mögen, so ist zur Vermei­ dung von Durcheinanderreden, das bei dem Streben eines jeden, vor dem andern gehört zu werden, gar leicht in ein wildes Schreien übergeht, darauf zu bestehen, daß diejenigen welche die Antwort wissen, es bloß durch ein Zeichen, wie durch Aufheben des Zeigefingers oder höchstens der Hand zu erkennen geben *). Die hier bei den Schülern zu stürmisch von innen her vordringenden Vorstellungs­ reihen, die, wie es überhaupt bei ungebildeten Menschen gewöhnlich ist,'nicht zurücktreten und nicht warten können, bis ihnen das Ablaufen gestattet ist1 2),* so wie die vielleicht noch nicht einmal in Reihenform gebrachten und um so weniger zu warten verstehenden^) Vorstellungen, welche bei der Frage des Lehrers herbei­ kommen, müssen zurückgchalten, und der dabei wegen Ueberströmens der Gedan­ ken 4)* sich ergebende Affect eines blinden, ungestümen Eifers»), die Antwort zu geben, muß gedämpft werden. Auch das sich häufig bei dieser Gelegenheit ein­ stellende Ausrufen und Zurufen, welches die Aufmerksamkeit des Lehrers auf den Rufenden lenken soll, wie das Aufspringen vom Platze und das statt des verlangten Aufhebens des Zeigefingers oder der Hand wohl vorkommende Ausstrecken des gan­ zen Arms—Handlungen, die gleich dem Durcheinanderreden leicht in den Dienst des Muthwillens treten6), wiewohl ursprünglich die zuerst genannte Handlung eine unwillkürliche Jnstinctbcwegung ist, auS der auch die ersten Elemente der Sprache hervorgehen7), und die beiden letzteren auf der den Kindern eigenen Unfähigkeit beruhen, die Muskelbcwcgungen zu isolircn und aus größeren Gruppen herauszu­ sondern 8) — sie sind ebenso unnachsichtlich zu unterdrücken, wie alles Vorsagen

1) Ueber den Ursprung der Sitte des Handaufhebens während des 18. Jahrhunderts, besonder­

in den Schulen von Felbiger, s. Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens, I, S. 90, Anm.*). — 2) Herbart, kl. Schriften, III, S. 271. — 3) Forts, unserer „Grundlegung".— 4) II, §. 10, S. 74, Anm. -f). — 8) II, §. 10, S. 74, Anm. f). — 6) II, §. 1, S. 13. —

7) D. i. diese entsteht bloß durch die Complication, die sich zwischen Vorstellungen und den von den Sprachwerkzeugen ausgehenden Muskelempfindungen gebildet hat (cf. II, § 5, S. 30),

und deren Wirksamkeit die leichte Beweglichkeit der Sprachwerkzeuge kein Hinderniß entgegen­ stellt, so daß sie ganz unbewußt, ohne darauf gerichteteBegehrung vor sich gehen kann, s. Her­

bart, Lehrbuch der Psychologie, S. 178 f. und Psychologie als Wissenschaft, II, S. 408. Volkmann, Grundriß der Psychologie, §. 38, S. 89, Anm.

logie, S. 291.

Lotze, medicinische Psycho­

Daher sprechen die Kinder anfangs ihre eigene Sprache und haben ihre

eigene Grammatik, s. Lazarus, das Leben der Seele, II, 12 u. f. und Schleiermacher,

Erziehungslehre, S. 308, wie sie anfangs auch auf ihre Weise zu zeichnen und zu schreiben

versuchen. 110.

Beneke, Erziehungs- und Unterrichtslehre, I, § 36, S. 216; II, § 108, S.

Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie, § 87, S. 246 f.

Lazarus, das

Leben der Seele, II, S. 47 und 726. — 8) Volkmann, Grundriß der Psychologie, §. 38,

S. 88.

Dieselbe Unfähigkeit ist bekanntlich auch ein Hinderniß für viele Uebungen des Tur­

nens, und gilt im geselligen Leben häufig als Mangel an Anstand, s. Lotze, Mikrokosmus.

und EinhclfenDer Lehrer selbst aber muß hinreichend vorbereitet vor seinen Schülern auftreten, um eine so stchere Haltung annehmen zu können, daß er ihnen Autorität verleiht1 2). • Der Eindruck seiner Persönlichkeit und die Liebe, die er bei dem Kinde genießt, können alsdann sehr viel dazu beitragen, um es so zu beleben und anzuregen, daß cs in die gleiche Richtung und Stimmung deS Geistes versetzt wird3),4 in der er selbst sich befindet. Sie können dazu mitwir­ ken, die Aufmerksamkeit des Zöglings zu fesseln, wenn der Lchrgegenstand für diesen ein geringeres unmittelbares Interesse besitzt, oder wenigstens momentan seine Anziehungskraft auö irgend einem Grunde zu verlieren droht. Selbst daS in der Stiminc, der Miene, den Gcberdcn des Lehrers sich ausprägcnde Interesse und seine sichtbare Freude am Gegenstände, wie die Frische und Regsamkeit sei­ nes Geistes können sich sympathetischaufdieZöglinge übertragen, oder unter dem Einfluß seines geistigen Ucbergewichts sich in ihnen wiederholen. Nicht weniger kann der Fleiß bei ihnen anfangs, wo nicht bloß äußerer Gehorsam gegen seine Anordnungen, doch nur eine Bethätigung von den in ihrem Verhältniß zu ihm entwickelten Gefühlen der Liebe und der Abhängigkeit von seiner geistigen Ueberlegenhkit sein, so daß das Lernen und Arbeiten bei ihnen ohne alle Reflexion und nur deshalb stattfindet, weil es ihnen aufgegeben und von ihnen verlangt worden ist. Wenn jene Gefühle die Zöglinge regieren, wird der Lehrer auch viel seltener nöthig haben3), durch Strafen seinen Unterricht zu unter­ brechen 5). Alles aber, was die mit dem Unterrichte sich complicirende und den­ selben begleitende Regierung von dem Zögling verlangt, ohne daß es schon durch die in ihm lebendigen Gefühle der Liebe zum Erzieher und der Abhängig­ keit von demselben bewirkt wird, muß man wenigstens nicht bloß durch geeignete Befehle und Gesetze feststellcn, sondern man muß hierin auf eine Sitte und Ge­ wöhnung3) bei ihm hinarbeiten, damit Gewaltmaßregeln mehr und mehr entbehrlich werden. Die Zöglinge müssen dann wenigstens lernen und arbeiten, weil sie es gar nicht anders wissen, als daß jeder leistet, was er zu leisten hat, und keiner durch Trägheit, durch Nachlässigkeit die Ordnung des Ganzen stört, also ohne 1) Für das Letztere giebt eS bekanntlich mehr als eine Art von Zeichensprache. — 2) Ueber Aeußerlichkeiten, die dabei mitwirken können, s. II, §. 13, S.144 f. In Bezug auf Titel s. auch

Curtmann, die Schule und das Leben, S. 138.—3)11, § 6, S. 40. Dazu s. unten § 3.

4) II, § 17, S. 158.

— 5) Besonders m Mädchenschulen ist eine freiere und mildere Dis­

ciplin möglich, wie sie die Liebe gestattet.

Denn Mädchen thun viel eber einem Lehrer etwas

zu Gefallen, und haben im Allgemeinen eine größere Anhänglichkeit an den geliebten Lehrer

als Knaben nach II, § 18, S. 162.

Unter den Formen des Alleinseins, welche bei diesen nach

II, §16, S. 153 die Liebe erhöhen, sind Spaziergänge, kleine Reisen der Lehrer mit ihren Schülern, Beschäftigungen in Garten und Werkstätte hervorzuheben. und Autorität zu Hingebung an den Erzieher,

Obwohl übrigens Liebe

zu Vertrauen auf ihn disponiren,

zeigen sie

doch nicht etwa einen sittlichen Gehorsam des Willens an nach II, § 17, S. 158. — 6) II,

§ 1. S. 5.

11

§ 2. Doppelte Art des Unterricht-,

sich erst der Gebote zu erinnern, durch welche er zu Fleiß und Thätigkeit auf­ gefordert worden ist.

Der Geist der Regelmäßigkeit und Ordnung, der durch­

gehends in den Verhältnissen zwischen Lehrer und Schüler herrscht, muß diesen

unwillkürlich mit sich fortziehen, und darf vollends Lüge und Betrug gar nicht aufkommen lassen. Am besten natürlich, wenn Schule und Haus in der Regie­

rung so eng zusammenhängen, daß die Sitten der Schule, welche als Natur­

nothwendigkeit wirken sollen, nur als Fortsetzung von lebendigen Sitten des Hauses erscheinen.

Eine desto größere Macht gewinnen sie dann über den Zög­

ling, und um so weniger bedürfen sie der absichtlichen Aufstellung fester Formen

zur Ergänzung. Allerdings sind es nichts als Aeußerlichkeiten , auf die wir hier Hinweisen,

und cs darf ihnen keine übergroße, die Bildung selbst finden Hintergrund zurück­ Man darf sich nicht einmal der Täu­

drängende Wichtigkeit beigelegt werden.

schung hlngeben,

daß mit der Aufrechthaltung der Disciplin schon etwas

Wesentliches für die eigentliche Erziehung geschehen sei.

Wo aber solche und

ähnliche Rücksichten, wie wir sie angeführt haben, nicht fortwährend neben dem Unterrichte ins Auge gefaßt und festgehaltcn werden, da fehlt das Fundament

des Erziehnngsgebäudes, da kömmt namentlich der Unterricht nicht in Gang, es werden dem

Lehrer wenigstens

unnöthige Opfer an Zeit und Mühe

auferlegt2), und es bleiben Störungen und Verluste für die ganze Schulgemein­ schaft und den Erfolg des Unterrichts wie für die größere Gesellschaft, von der

die Schule ein Glied ist, nicht aus.

§2. Doppelte Art des Unterrichts. Obwohl der Unterricht sich zunächst an die Regierung anknüpft, indem er die Lernenden beschäftigt, wie eS diese verlangt3), so geht er doch nicht darin

auf, und die Natur der Beschäftigung fordert eS auch nicht, daß das Beschäf­

tigungsmittel weiter nichts sei, als ein Beschäftigungsmittcl^).

WaS er aber

mehr ist, läßt sich im Allgemeinen so bezeichnen: er sucht den Lernenden immer

zugleich eine Bildung für die Zukunft zu erwerben, und sie dadurch für das geschickt zu machen, was sie einmal sein wollen oder sein sollen.

Und hier­

durch geht der Unterricht nicht allein über die Regierung hinaus, sondern tritt

zu ihr in einen Gegensatz. Denn die Regierung hat es bloß auf eine abrichtende Gewöhnung abgesehen, und nur insofern dadurch eine nothwendige Vorarbeit für

1) §2 in. — 2) n, § 13, S. 125. - 3) §. 1. — 4) II, 8 4, S. 27.

11

§ 2. Doppelte Art des Unterricht-,

sich erst der Gebote zu erinnern, durch welche er zu Fleiß und Thätigkeit auf­ gefordert worden ist.

Der Geist der Regelmäßigkeit und Ordnung, der durch­

gehends in den Verhältnissen zwischen Lehrer und Schüler herrscht, muß diesen

unwillkürlich mit sich fortziehen, und darf vollends Lüge und Betrug gar nicht aufkommen lassen. Am besten natürlich, wenn Schule und Haus in der Regie­

rung so eng zusammenhängen, daß die Sitten der Schule, welche als Natur­

nothwendigkeit wirken sollen, nur als Fortsetzung von lebendigen Sitten des Hauses erscheinen.

Eine desto größere Macht gewinnen sie dann über den Zög­

ling, und um so weniger bedürfen sie der absichtlichen Aufstellung fester Formen

zur Ergänzung. Allerdings sind es nichts als Aeußerlichkeiten , auf die wir hier Hinweisen,

und cs darf ihnen keine übergroße, die Bildung selbst finden Hintergrund zurück­ Man darf sich nicht einmal der Täu­

drängende Wichtigkeit beigelegt werden.

schung hlngeben,

daß mit der Aufrechthaltung der Disciplin schon etwas

Wesentliches für die eigentliche Erziehung geschehen sei.

Wo aber solche und

ähnliche Rücksichten, wie wir sie angeführt haben, nicht fortwährend neben dem Unterrichte ins Auge gefaßt und festgehaltcn werden, da fehlt das Fundament

des Erziehnngsgebäudes, da kömmt namentlich der Unterricht nicht in Gang, es werden dem

Lehrer wenigstens

unnöthige Opfer an Zeit und Mühe

auferlegt2), und es bleiben Störungen und Verluste für die ganze Schulgemein­ schaft und den Erfolg des Unterrichts wie für die größere Gesellschaft, von der

die Schule ein Glied ist, nicht aus.

§2. Doppelte Art des Unterrichts. Obwohl der Unterricht sich zunächst an die Regierung anknüpft, indem er die Lernenden beschäftigt, wie eS diese verlangt3), so geht er doch nicht darin

auf, und die Natur der Beschäftigung fordert eS auch nicht, daß das Beschäf­

tigungsmittel weiter nichts sei, als ein Beschäftigungsmittcl^).

WaS er aber

mehr ist, läßt sich im Allgemeinen so bezeichnen: er sucht den Lernenden immer

zugleich eine Bildung für die Zukunft zu erwerben, und sie dadurch für das geschickt zu machen, was sie einmal sein wollen oder sein sollen.

Und hier­

durch geht der Unterricht nicht allein über die Regierung hinaus, sondern tritt

zu ihr in einen Gegensatz. Denn die Regierung hat es bloß auf eine abrichtende Gewöhnung abgesehen, und nur insofern dadurch eine nothwendige Vorarbeit für

1) §2 in. — 2) n, § 13, S. 125. - 3) §. 1. — 4) II, 8 4, S. 27.

12

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

die Bildung selbst gewonnen wird, ist sie auf mehr als das nächste Bedürfniß der Gegenwart gerichtet1). Nun giebt es zwei Hauptarten der Bildung, die sich nach der Verschieden­ heit der Zwecke unterscheiden, welche dabei erstrebt werden. Daher sind auch zwei Arten deS Unterrichts zu unterscheiden, und cs ist ein großer Fehler, wenn man bloß die eine Art kennt, während man die eine nach der andern, oder aus­ schließlich die andere darzustellen oder zu üben hat, oder wenn man beide Arten mit einander vermischt2).

Die eine Hauptart deS Unterrichts ist, negativ bestiNunt, die, wodurch der Lernende nicht zugleich erzogen werden soll. Er soll bloß dahin gebracht werden, daß er etwas weiß und kann. Er erwirbt biet durch das Ler­ nen eine gewisse Summe von Wissen, einen Vorrath von Kenntnissen, und er eignet sich gewisse Geschicklichkeiten und Fertigkeiten durch die dazu erforderlichen Uebungen an. Er lernt aber das des Vortheils wegen, den ihm ein solcher Besitz bringt, insofern derselbe fürs Leben brauchbar ist, sei es selbst zum Zeit­ vertreib oder zu einer verbrecherischen Absicht, er lernt es um seines spätern Unterhalts und Fortkommens willen, insofern diese durch einen solchen Besitz bedingt werden, er lernt es, um seine Selbständigkeit im Verkehrsleben behaup­ ten, er lernt es, um eine ihm wünschenswerthe Stellung in der Gesellschaft ein­ nehmen und durch Besorgung der damit verknüpften Obliegenheiten ausfüllen zu können, was, wie man weiß, von dem Besitz bestimmter Kenntnisse und Fer­ tigkeiten gar sehr abhängig ist3). Er lernt es mit einem Wort, weil ein äußeres Bedürfniß ihn dazu zwingt, und die zu seiner geistigen Vormundschaft *) Beru­ fenen lassen es ihn mit Rücksicht auf ein solches Bedürfniß lernen3). Oder er lernt es aus Vorliebe und unwillkürlicher Neigung für den Gegenstand, auf 1) II, § 1, S. 3. — 2) Schleiermacher kennt z. B. in seiner Pädagogik nur den nicht pädagogischen Unterricht. — 3) Hierher gehört die „spes futuri oratoris“ in Quin-

tilians Didaktik (Instit. Prooem. und I, 1), und Seneca's Forderung: Für das Leben und

nicht für die Schule (Cramer, Geschichte der Erziehung und des Unterrichts im Alterthum, II, S. 627 und 633). Hierher gehören auch die Erwägungen, daß der Glanz der Gelehrsam­ keit, die Masse der Kenntnisse, die Höbe der Intelligenz auf die Schätzung der Menschen wirkt,

daß Wissen Macht ist (Hartenstein, Grundlehren der ethischen Wissenschaften, S. 307), oder ein Gewicht, mit dem man entweder steigt oder sinkt u. s. w. — 4) I, § 23, S. 98. —

3) „Nicht tugendhafte Menschen, sagt Curtmann, die Schule und das Leben, S. 70, nicht gute Christen, was doch jeder als die Bedingung des wahren Glückes kennt, wollen sie aus ihren

Kindern machen, sondern reiche, (einseitig) kluge, polirte, genuß-fähige und - süchtige Men­ schen.

Es klingt unbarmherzig, aber es ist nichts deftowcniger wahr, die größere Hälfte der

Menschen würde, wenn ihnen, wie Salomo im Traume, die Wahl zwischen Reichthum und

Weisheit für ihre Kinder gegeben wäre, unbedenklich den erster» wählen, sie sehen Tugend und Religion als ganz leidliche Dareingaben für den Lebensbedarf an, aber sinnliche Güter würden sie doch nicht dafür aufopfern.

(Darin denken die Pietisten gewiß besser als die übrigen.)"

den sich daS Wissen und die daraus hervorgehenden Uebungen beziehen. Oder er lernt es, um eine Virtuosität in einem der Fächer zu erlangen, nach denen die gesellschaftliche Arbeit gespalten ist1), um sich hierdurch für einen bestimmten Stand und Berus auszubilden, und um der Gesellschaft pflichtmäßig die Dienste anbieten zu können, auf die sie bei ihren Gliedern zu rechnen hat. Oder er verbindet endlich mehrere von den angeführten Rücksichten, aus denen man sich der ersten Hauptart des Unterrichts widmet, indem er sich z. B. dem Lernen eines Theils auS Neigung für den Lehrgegcnstand unterzieht, und andern Theils um des davon zu erwartenden Nutzens willen oder aus pflichtmäßigcm Streben, der Gesellschaft zu dienen. Jedenfalls handelt es sich, wie man sieht, auch bei der ersten Hauptart des Unterrichts, die wir beschreiben, nicht bloß um Stu­ dien für den Erwerb2)* und ebensowenig bloß um Liebhabereien, die aus der Individualität entspringens. Es können hier vielmehr zugleich Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, die irgend ein einzelnes System einer nach den ethischen Ideen gestalteten4), von Gottes heiligem Geiste durchdrungenen und seinem Reiche eingeordnetcns) Gesellschaft fordert, und die darin einen absoluten Werth erlangen, durch deren Besitz folglich auch ein jeder Einzelne befähigt wird, in eine richtige Gemeinschaft mit der wirklichen Gesellschaft zu treten, die jenem idealen Musterbilde einer Gesellschaft nachzustreben hat«). Nicht weniger gewiß ist es aber, daß der Unterricht hier nicht auf den Einen, höchsten Zweck des einzelnen Menschen, auf Tugend und christliche Liebes, berechnet ist. Es werden vielmehr dabei theils untergeordnete Zwecke verfolgt, theils solche, welche über den Einzelnen hinausliegen und sich auf seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft beziehen. Daher kümmern sich diejenigen, welche die für jene Zwecke erforderliche Unterweisung ertheilen und ertheilen lassen, nicht darum, ob der Gesammtwerth des Lernen­ den dadurch wachse oder abnehme, und seine gegenwärtige oder künftige Person 1) §3. -2) § 13. -3)§ 20. — 4) II, § 1, S. 6. - S) I, § 23, S. 96. - 6) Im

Berufe nicht blos um seiner sittlichen Tendenz willen sich getragen zu fühlen durch einen höhern Beistand (I, § 1, S. 8 und § 5, S. 16), sondern in ihm auch, sofern er durch die Indivi­

dualität bestimmt und also zugleich innerer Beruf ist (I, §8, S. 34 und § 23, S. 104), einen göttlichen Ruf und Auftrag zu erkennen, wie es häufig bei ausgezeichneten oder wenigstens bei

tüchtigen und strebsamen Menschen vorkömmt, muß zwar den religiösen Gefühlen des Einzel­ nen überlassen bleiben, da sich hierfür keine objective Gewißheit gewinnen laßt.

Natürlich ist

aber eine solche Auffassung für einen Geist, der in Bezug auf seine Stellung in der Welt nach Abschluß ringt (Waitz, allgemeine Pädagogik, S. 283), vollkommen berechtigt, und indem sie dem Glauben überlassen wird,

verzichtet man zugleich auf das Wissen oder Erforschen des

Grundes, warum etwa eine Naturgabe, ein Talent dem Besten versagt, dem Schlechtesten zu

Theil geworden sein mag, warum sie überhaupt in einem zufälligen Verhältniß zum morali­ schen Werth des Menschen stehen mögen.

Möglich, daß jeder durch seine Individualität schon

auf unbewußte Weise mit den allgemeinen Heilsveranftaltungen, sei es für die Vorbereitung

derselben, sei es für ihre Ausgestaltung zum Reiche Gottes, verknüpft ist. —7) I, §23, S. 96,

14

A. Da- Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

dadurch besser oder schlechter werde.

Sie fragen nicht darnach, welchen Ge-

sammtzweck er sich für fein Leben setze, ob dieser einen hohem oder geringern

oder gar keinen Werth habe, und ob derselbe in der Sphäre des Löblichen, des

Schädlichen

oder Gleichgültigen

liege.

Sie fassen vielmehr den Lernenden

immer nur nach einer einzelnen, wenn gleich ethischen, Seite auf, und nach

dieser Seite hin suchen sie ihn auszubilden, damit er einmal durch die erworbe­ nen Kenntnisse und Geschicklichkeiten den willkürlich spreche.

ergriffenen Zwecken

ent­

Bei einem solchen Unterricht, der die Wissenschaft und Kunst unmittel­

bar in den Dienst der Praris stellt, und kein pädagogischer ist, giebt es keine Zöglinge, sondern blos Lehrlinge, und zwar immer Lehrlinge einer einzelnen

Wissenschaft und Kunstfertigkeit.

Es giebt da keine Erziehungsanstalten, son­

dern Lehranstalten, und keine allgemeinen Bildungsanstaltcn, sondern Special­

schulen, die zum Leben deö Einzelnen und der Gesellschaft, zu ihren Absichten

und Bedürfnissen immer in einer zweckmäßigen Relation stehen.

Es giebt da

auch nicht Erzieher, nicht solche Lehrer, welche die Kunst der Erziehung aus­

übe» *), sondern Lehrer, welche im Unterschied von

erziehenden Lehrern als

Lehrmeister und Schulmeister2) (Magister, Professoren) zu bezeichnen sind, d. i.

solche, welche die Gesetze und Geschicklichkeiten ihrer Wissenschaft und Kunst verstehen, und sie so mitzutheilen wissen, wie cs diese verlangen, und dabei

immer das den Lehrlingen Mitzutheilende als etwas Fertiges, als ein in« sich

abgeschlossenes Gebiet von Kenntnissen und Erfahrungen, als ein bereit liegen­ des Material von Formen, Formeln und VerfahrungSweisen betrachten.

Ihre

Methode geht darauf aus, daß der Lehrling schnell, sicher und mit den geringsten Anstrengungen und Opfern von Zeit, Geld und Mühe die für seine Zwecke

nöthigen Kenntnisse und Geschicklichkeiten erwerbe, und wer diese Methode ver­ steht , ist für den Lehrling der geeignete Lehrmeister.

Ein solcher Unterricht wird

in allen Berufsschulen (Lehrlingöschulen) ertheilt, wie in den landwirthschaftlichen, Gewerbe- und Handelsschulen, den Schifffahrtsschulen,

den

Berg«,

Forst- und Bauschulen, den andern technischen und polytechnischen Anstalten oder Akademien, den Thierarzneischulen, den Kunst- und Militair- oder Kriegs­

schulen, den Seminarien und Conservatorien aller Art, den Facultäten^) für Theologie, Jurisprudenz und Medicin, die als obere Facultätcn an den Uni­ versitäten vereinigt, oder auch abgesondert bestehen, aber auch in denjenigen

1) § 1, S. 2. — 2) Nach dem ursprünglichen Sinn des Worts );

1) I, § 23, S. 99. — 2) Zur Vorbereitung auf die kirchliche Gemeinschaft, der man als selbständiges Glied angehören muß, sollte freilich der Unterricht in der Nebenclasse dahin aus­

gedehnt werden,

daß jeder den Anfang machte, in den Quellen der göttlichen Offenbarung

selbständig zu forschen, z. B. durch Vergleichen mehrerer evangelischen Berichte über dieselbe Thatsache. — 3) § 2, S. 24. — 4) § 2, S. 23, Anm. 2 und Heppe, Geschichte des deutschen

Volksschulwesens, I, S. 12; 23; 268.

— 3) S. 97. — 6) S. 99. —

Geschichte der Pädagogik, II, S. 132 f.; 163.

7) v. Raumer,

Heppe, Geschichte des deutschen Volksschul­

wesens, I, S. 39; v. Palm er, evangelische Pädagogik, S. 718.— 8) S. 80.

Die Fähig­

keit, über moderne Gegenstände zu schreiben oder zu sprechen, setzt nach F. A. Wolf voraus, daß man mit feinem Tacte zu unterscheiden wisse, was in einer Sprache allgemeine Analogie sei und was Zeitgeschmack oder persönliche Eigenheit gewisser Schriftsteller (Arnoldt, Wolf

in seinem Verhältniß zum Schulwesen und zur Pädagogik, II, S. 140). analytischen Methode, die wir nachher für das Französische empfehlen werden.

— 9) Nach der

denn in den besonderen Lebensverhältniffen, in die sie eintreten werden, gehört es zu ihren Pflichten, die lateinische Sprache auch über bloße Reproductioncn und Umbildungen hinaus rein und geläufig zu sprechen und zu schreiben. Die Cameralisten müssen unter anderem in einigen auf einander folgenden Nebenclaffcn mit Uebungen aus dem Gebiete der angewandten Mathematik beschäf­ tigt werden, und besondere Uebungen im Zeichnen erhalten. Unterdessen haben z. B. die künftigen Theologen das griechische Testament zu lesen, während die Mediciner zu Anwendungen der allgemeinen naturwissenschaftlichen Studien, welche zur Vorbereitung für ihr späteres Fachstudium dienen, hingelcitet wer­ den. Ueberdieß müssen allen künftigen Lehrlingen der höhern FacultätSwissenschaften, einer jeden Gattung besonders, während der letzten Zeit ihres Schul­ besuchs vorbereitende Einleitungen in ihr Fachstudium vorgetragen werden, und zwar in solcher Weise und nach solchen Gesichtspunkten, wie Herbart eine „Einleitung in die Philosophie" als Vorübung für dieselbe und Strümpell eine „Vorschule zur Ethik" abgefaßt hat^), d. i. es dürfen nicht wie in einer Encyklopädie die Resultate der Wissenschaft vvrgelegt werden — denn die Ueber­ sicht einer encyclopädischen Darstellung eignet sich nur zur Ergänzung oder Wiedcrauffrischung früherer Studien, und durch eine encyklopädische Vorbereitung, welche die Resultate der Facultätswissenschaft vorweg nimmt, würde die Auf­ merksamkeit für die nachfolgende Wissenschaft abgestumpft werden1 2) —; dagegen sind die Fragen und Aufgaben einer jeden Wissenschaft ins Licht zu setzen, mit den Schwierigkeiten, die ihrer Behandlung cntgegenstchen, ist bekannt zu machen, indem man zugleich die einfachsten und natürlichsten Hauptansichten hervorhebt, die man gefaßt hat, ohne daß den Anforderungen vollständig genügt wird, indem man Zweifel weckt über das, was schon fest zu stehen scheint, indem man den Druck der Ungewißheiten, in die jeder tüchtige Anfänger einer Wissenschaft versetzt wird, recht fühlbar werden läßt, und damit auch durch die Spannung des Begehrens ein Anreiz zur Ueberwindung der Schwierigkeiten sowie zur Hindurchdringung durch die Zweifel und Ungewißheiten gegeben werde3), muß man in dem Zögling die Erwartung aufregen, daß sich noch zuverlässige Resul­ tate finden lassen, muß man ihm Gelegenheit geben, zu ihrer Auffindung eigene Versuche anzustellen, muß man mittelst eingestreuter Andeutungen die von der 1) Herbart, Einleitung in die Philosophie, Vorrede; derselbe, Encyklopädie, Vor­

wort; desselben kleine Schriften, I, S. 49 f. und 334.

legung zur Lehre vom erziehenden Unterricht".

— 2) Fortsetzung der „Grund
) und schon Fröbel trotz seiner falschen Theorie2) es auf eine fruchtbare Weise erweitert hat. Nach Herbart's Plane verfaßte dann Dissen eine Anlei­ tung, mit Knaben die Odvssee zu lesen, Fr. Thiersch eine Anleitung zur Lectüre des Hcrodot und Fr. Kohlrausch eine Anleitung zum Gebrauch des alten Testa­ ments beim Jugcndunterricht, und diese drei kleinen Schriften, die einer unter Herbart'S Leitung stehenden pädagogischen Untcrhaltungsstunde für Studierende ihren Ursprung verdankten3), gab dieser selbst mit einer Vorrede und einigen Anmerkungen heraus H. Diese Reihe ist leider späterhin nicht weiter fortgesetzt worden5). Dagegen besitzen wir eine große Anzahl methodischer Schrif­ ten über das ganze Gebiet des Volks sch ul Unterrichts, die ebenso wie Hcrbart's pädagogische Thätigkeit von Pestalozzi angeregt worden sind, und wenn sie gleich in ihren allgemeinen Grundsätzen nicht ein vollkommen wissenschaftliches Gepräge haben, so sind sie doch überaus reich an zuverläs­ sigen Erfahrungen, an feinen und richtigen Beobachtungen, an glücklichen Versuchen und Erfindungen, an allgemein gültigen Gesetzen, die nicht selten mit einem anfangs auffallenden, aber aus der Natur eines echten, wenn gleich unvollkommen durchgcbildeten Unterrichtstaetes erklärlichen o) Kunstsinne ge­ macht worden find, und die oft auch für die wissenschaftliche Psychologie einen unzweifelhaften Werth haben. Jene Schriften müssen deshalb nächst den streng wissenschaftlichen Arbeiten als das Beste angesehen werden, was die päda1) Vorläufig s. meine „Skizze ic." in der Zeitschrift für eracte Philosophie, IV, S. 19.

— 2) s. nachher. — 3) Fr. Kohlrausch, Handbuch für Lehrer höherer Stände und Schu­ ten zu den Geschichten und Lehren der heiligen Schrift, p. IX (1. Auff.) und Wiedasch,

deutscher Haus- und Schul-Homer, p. V.

Vergl. Herbart, kleine Schriften, I, p. LXI1.

— 4) Fr. Thiersch, bei dem der Einfluß der Herbart'schen Lehre auch auf seine grammatischen

Arbeiten fich erstreckte, hat sich leider nachmals bei großen Verdiensten um seine Fachwissenschaft, in die Bahnen Niethhammer's (8 2, S.22) hinübertretend, in wichtigen Punkten von derJdee des erziehenden Unterrichts entfernt, zum großen Nachtheil für die Heimath Stephani's und Gra-

ser's, die, wenn auch oft im Widerspruch mit Pestalozzi und trotz mancher Abweichungen von

seinen Lehren, doch unläugbar in dessen Sinne gewirkt haben, und Dissen ist ganz in der Rich­ tung der Gelehrsamkeit fortgegangen. — 5) Fr. Kohlrausch hat die in der obigen Schrift aus­

gesprochene Idee erweitert und vollständig durchgcführt in seinen „Geschichten und Lehren der hei­ ligen Schrift" und den dazu gehörigen Methodenbüchern, einem „Handbuche für Lehrer höherer Stände und Schulen" und einer „Anweisung für Volksschullehrer",

bei deren Benutzung

jedoch das Culturhistorisch-Geographische und Naturwissenschaftliche in den Lehrstunden vom Gesinnungsunterricht abgetrennt werden muß.

Er hat neuerdings die mittelbare Anregung

zum „Deutschen Haus- und Schul-Homer" von Wiedasch

gegeben, der zugleich für die

Lectüre des Originals bestimmend sein muß, auch wenn man daneben der neueren Liedertheorie

folgt (8 11).

In derselben Richtung liegen alsdann mehrere aus dem Stoy'schen Erziehungs­

institute zu Jena hervorgegangene Unterrichtsmittel.

— 6) S. 165 und I, 8 7, S. 30.

gogischc Literatur überhaupt aufzuweisen hat, und aus ihnen kann der größte Gewinn für die Wissenschaft gezogen werden. Die Resultate, welche darin gewonnen worden sind, sind ohne Zweifel von einer pädagogischen Unterrichts­ lehre , soweit sie mit den allgemeinen Grundsätzen zusanunenhängen, aufzunehinen, wenn diese nicht bloß die ethisch-religiöse Aufgabe deö Unterrichts abhan deln, und ein wesentliches Stück der Erziehungswissenschaft, nämlich die NachWeisung der Mittel, durch welche die Aufgabe zu lösen ist, auSlassen oder im höchsten Grade beschränken will. Jene Resultate können auch hier die streng wissenschaft­ liche Begründung erhalten, die ihnen gebührt. Sie können aber zugleich theils in unmittelbarer, theils wenigstens in mittelbarer Weise den höheren Lehranstal­ ten zu Gute kommen, denen von je her, wenn sie gleich nicht alles den Volks­ schulen Angemessene in gleicher Weise benutzen können, aus dein pädagogischen Geiste, der in den für diese bestimmten methodischen Specialschriften verbreitet ist, oft ohne ihr Wissen mancher Nutzen zufloß. Dazu kommt, durch jene metho­ dischen Schriften ist in dem engeren Kreise der Eleincntarpädagogik erreicht, was wir oben forderten, und was schott Sturm, Francke, Basedow *), v. Rochow, Pestalozzi, Herbart, und nicht minder 2) Schlözer und Fr. A. Wolf für das Schulwesen überhaupt vor allem verlangten; denn sie alle erkannten, daß das Vorhandensein wohlabgestufter Reihen von streng geordneten und genau in ein­ ander greifendes Methodenbüchern, die, nach Einem Plane bearbeitet, ein ein­ ziges Ganze ausmachen, die unerläßliche Bedingung einer planmäßigen Erziehung durch den Unterricht und das Nothwmdigste bei der Verbesserung des Unterrichts sei, weßhalb die meisten von ihnen selbst Hand anlegten an die Her­ stellung solcher Bücher oder wenigstens an die Ausarbeitung methodischer In­ structionen für den Unterricht. Da überdies jene methodischen Schriften für das Volksschulwesen ausgegangen sind von Pestalozzi, dessen Geist auch die streng wissenschaftlichen Arbeiten der Pädagogik durchdringt, so stehen sie, obwohl zunächst aus der Praxis hervorgegangen, doch durch die Vermittelung des Pcstalozzi'schcn Geistes mit den streng wissenschaftlichen pädagogischen Arbeiten in der allerengsten Verbindung. Wenn sie nun auch noch einer großen Vervollkommnung fähig sind, und wenn sie gleich keineswegs verbürgen, daß man mit den Erfolgen deS Volksschulunterrichts im Allgemeinen zufrieden sein müsse, so ist doch durch sie zugleich ein Muster ausgestellt für das, waS auch für deir Unterricht der höheren Lehranstalten geleistet werden muß, ein Muster, das freilich bisher wenig Beachtung gefunden hat ; denn den methodischen Schrif­ ten für das Volksschulwesen können nur sehr wenige aus der Mitte des höher« Schulwesens hervorgcgangene an die Seite gesetzt werden. 1) Basedow, Methodenbuch, S. 9 und Eternentarwerk, p. VIII. — 2) Körte, Fr.

A. Wolfs Nachlaß über Erziehung, Unterricht, Universität, S. 143.

§ 7. Die Kunst des Unterrichts.

171

Methodischen Schriften für den Unterricht wird allerdings nicht allgemein die hohe Bedeutung bcigelegt, die wir für sie in Anspruch nehmen. Gerade in neuerer Zeit fängt man an, das Streben rationaler Praktiker nach Ausbildung und Verbesserung von Unterrichtsmethoden zu verachten, auf dic Bemühungen der Wissenschaft um die Methodik des Unterrichts mit Geringschätzung oder Gleichgültigkeit hcrabzublicken, und dic Unterrichtsmethoden selbst als ein Schau­ gepränge und Gaukelspiel, als leere Erfindungen der Phantasie, als Pedantercitn und Künsteleien, die mehr verderben als helfen, zu betrachten. Man thut das aus ganz verschiedenen Antrieben. Theils überschätzt inan den Einfluß der Zucht ’) sowie den der Persönlichkeit des Lehrers2) so sehr, und den letzteren erkennt man so wenig in seinen Gründen3), daß man da, wo es an jenen Einflüsscn beim Unterricht nicht fehlt, künstlicher Methoden füglich entrathen zu kön­ nen glaubt. Man bildet sich sogar absurder Weise ein, wer auf pädagogische Methodik einen Werth lege, verzichte damit aus eine Wirksamkeit durch die Per­ sönlichkeit, ja auf eine Wirksamkeit durch eine sittlich-religiöse Persönlichkeit. Theils baut man beim Unterricht viel zu sehr auf die organische Kraft der Seeles, dic sich wohl auch ohne methodische Zubereitungen den Stoff assimiliren und selbst das in verkehrter Ordnung Ueberliefertc zuverlässig und ohne wesent­ lichen Nachtheil in die rechte Ordnung umsetzen werde. Oder man kennt, wenn überhaupt etwas Werthvolles von der Erziehung, nur den allgemeinen Zweck derselben vollständig, aber von den Mitteln zu seiner Erreichung versteht man nichts3). Man bildet sich wenigstens ein, diese Mittel viel leichter erwerben t) 8 8. — 2) 88, S. 138 f. und S. 1 i I. — 3) f. oben g. 166. — i) 1,8'3, S. 36. — 8) Die beiden zusammengehörigen Seiten der Erziehung (I, $ 5, S. 16) haben sich ja auch in der Geschichte der Erziehnngswiffenschaft nicht selten getrennt. So hat die Reformationszeit den allgemeinen Charakter und höchsten Zweck der Erziehung zwar nicht in begrifflich scharfer Weise und nicht ohne manches Hinüberschweifen in ihr Gegentheil bei einzelnen Gelegenheiten (S toy, Encyklopädie, S. 197), doch dem Geiste des Christenlhums gemäß (§2) in solcher Vollkommen­ heit und allgemeinen Gültigkeit hingestellt, daß alle echte Pädagogik mit Recht als evangelische bezeichnet werden darf. Aber die Betrachtung der Mittel und Wege, die zum Ziele hinführen, war damals vorzugsweise noch der Praris der Erziehung und des Unterrichts überlassen. Es wurden darüber keine zusammenhängenden theoretischen Neberlegungcn angesteltt, und es regten sich nur ganz vereinzelte methodische Bestrebungen (v. Palmer, evangelische Pädagogik, S. 19 f.). Die Reformatoren selbst waren hinsichtlich jener Wege noch völlig in den vor­ reformatorischen Systemen befangen. Erst das 17. Jahrhundert brachte theoretische Methodi­ ker, die das Ganze des Unterrichts ins Auge faßten, einen Ratich, einen Comenius, hervor. Aber sogar im 18. Jahrhundert, dem eigentlichen Jahrhundert der Pädagogik, die damals in ebenso rascher Folge, wie nachmals die Philosophie, Systeme aus sich gebar, die damals, wahrscheinlich auch in Folge der Beschränkung der Menschen auf die engeren Lebensverhältnisse (Varn Hagen's Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, I, S. 14), alle Kreise und Stände beschäftigte und die ganze Literatur durchdrang — welcher von unsern classischen Schriftstellern batte nicht mit Erziehungsplänen sich getragen? und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war nach dem Vorgang Friedrichs II. Verbesserung der Schulen und der Volksbildung die

172

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

und benutzen zu können, als es wirklich der Fall ist, weil man von den Schwie­ rigkeiten des erziehenden Unterrichts eine zu geringe Vorstellung hat. läßt ost auch die falschen Wege, die man in der Methodik eingeschlagen, die falallgemeine Losung sogar der Regierungskreise (Gervinus, Einleitung zurGeschichte des neun­ zehnten Jahrhunderts) — selbst damals wurden die verschiedenen Grundrichtungen der Päda­ gogik nicht gleichmäßig cultivirt.

Denn in der Schule von Francke trat die sittlich-religiöse

Richtung mehr hervor, weshalb sie auch vorzugsweise zur Lehre von der Zucht hinneigte (Stov , Encyklopädie, S. 171), und in der Reihe von Pädagogen, welche unmittelbar von Rousseau ihren Ausgangspunkt nehmen, wie in Basedow und von Rochow, ebenso aber auch in Pesta­

lozzi mehr das Streben nach methodischer Durchbildung des Unterrichts. Gerade der Pestalozzi'schen Schule verdanken wir die werthvollsten Leistungen auf dem Gebiete der Methodik, sie hat

unser Zeitalter zum Zeitalter der Methoden gemacht, was freilich viele so wenig zu schätzen,

wissen, daß sie Pestalozzi's Streben nach methodischer Behandlung des Unterrichts für die schwächste Seite seines Werkes halten, indem sie sich von diesem nur gemüthlich afsiciren lassen, und deshalb an Pestalozzi bloß die bei ihm wirksame Kraft der Liebe (I, § 23, S. 98), die zu

den größten Opfern und den äußersten Anstrengungen bereit war, und an seinem Institute bloß die anfangs daselbst stattsindende Bereinigung gleichgesinnter Männer, wieKrüsi's, Niede-

rer's und Anderer, bewundern.

In Wahrheit ist seine methodische Behandlung des Unterrichte

der Kern seiner Unterrichtsverbesserung (darüber in der Fortsetzung unserer „Grundlegung"), und gerade dadurch ist es ihm gelungen, die mächtige Anregung zur Hebung des Volksschul­ wesens und der pädagogischen Wissenschaft zu geben (s. oben S. 169), indem er nach den

gesicherten Anfängen des pädagogischen Wissens in allen seinen Haupttheilen hinstrebte (S.164) und von da aus einen gesetzmäßigen Fortschritt einzuteiten suchte.

Freilich darf man bei Pesta­

lozzi ebenso wenig als bei seinem Nachfolger Fröbel ein wirkliches System oder auch nur die wah­

ren Principien der Erziehung zu sinden glauben. Ethik, Psychologie und Religionslehre liegen bei ihnen noch zu sehr im Unklaren, und Fröbel ist mit Fundamentalsätzen der idealistischen Philo­

sophie, wie mit dem des Einen Erkenntnißprincips und der Vermittelung der Gegensätze, viel zu sehr verwachsen, als daß eine Theorie hätte entstehen können, mit deren Begriffen man noch

gegenwärtig operiren dürfte.

Man denke nur, um vorläufig an einiges in ihren Theorien zu

erinnern, an die verworrenen Begriffe der Natur und der Anschauung, an den falschen Begriff von Geistescntwickelung (I, § 9, S. 36), .von Weckung und Erregung der Kraft und Selbst­

thätigkeit, an die Meinung, als ob das Thun dem Vorstcllen bei der Bildung vorangehen könne,

an die mystischen Vorstellungen von der Sprache und die etymologischen Phantasiern, an die Vorstellung von der Bedeutung der Handbewegung beim Trennen von Wörtern und Silben,

an die falschen Raum- und Freiheitsbegriffe, an die Verworrenheit der ethischen Begriffe. Man denke daran, wie symmetrische Verhältnisse beim Schönen, combinatorische Verhältnisse

u. dergl. auf eine angebliche Ausgleichung der Gegensätze reducirt sind u. s. w.

Das Richtige

in der Theorie beider autodidaktisch gebildeter Männer sind überhaupt nurResultate eines gesunden, wenn gleich unvollkommen ausgebildeten Erziehungstactes (S. 169), die allerdings für die wissen­ schaftliche Pädagogikleitende Gesichtspunkte aufstellen (nach!, §7, S.30), deren begrifflicheDurch-

bildungjedoch durchgehends äußerst mangelhaft ist. Beiden Männern, wieviele» ihrer Nachfolger, fehlte auch das fachwissenschaftliche Material, um den über den Elementarunterricht hinaus liegen ­

den Unterricht gestalten zu können. Zu vergessen ist natürlich nicht, wasMieg mit Rücksicht aus Pestalozzi sagt: das Dasein eines großen Mannes wirkt oft ebenso viel durch das, was er in andern anregt, als durch das, was er selbst thun.und ausführen kann (Mager, die modernen Humani­

tätsstudien, III, S. 405).

Daß aber in neuerer Zeit das religiöse Element der Erziehung

schm und überspannten Erwartungen, die man von einzelnen Methoden gehegt hat, z. B. bei der Verarbeitung der Becker'schen Grammatik für die Schule, der Methodik überhaupt, man laßt die Verirrungen, denen das erfindende Genie wegen seiner naturgemäßen Einseitigkeit am meisten ausgesetzt ist, seinen falschen Enthusiasmus, seine ost thörichten Einbildungen seinen Erfindungen entgelten, und man glaubt diese um der daran geknüpften Irrthümer willen, die man abstreisen sollte, ignoriren zu dürfen, ja man vergißt, wie oft eine solche Erfin­ dung frisches Leben in dumpfeSchulstubenbrachte, und einen Jahrhundertealten Schlendrian für immer daraus verbannt hat, man vergißt, wie viel Noth in Bezug auf die Aneignung des Lehrstoffes, die Erreichung des Lehrzieles durch sie oft überwunden worden ist. Wieder andere fürchten, daß durch die Methoden­ bücher der Lehrer zu einer geistlosen Abhängigkeit, zu einem schablonenmäßigen Mechanismus veruttheilt werde, und etwas Aehnliches haben wirklich einzelne Verfasser von Methodenbüchern beabsichtigt, besonders auch unter denen, die sie in Frage und Antwort einkleideten, ja Pestalozzi selbst wollte ausdrücklich die Lehrer und Lehrerinnen zu mechanischen Werkzeugen der Methode machen^). Freilich wäre es der bequemste und sicherste, und vorzüglich gegenüber den kost­ baren Plänen Basedow's ein sehr beachtenswerther Weg gewesen, um einen guten und genau abgemessenen Unterricht in alle Schulen und Familien einzu­ führen, wenn auch die schlechtesten und gedankenlosesten Lehrer bei einem Mini­ mum von Fähigkeit die methodischen Hülfsmittel zweckmäßig gebrauchen könn­ ten. Indeß so leicht ist der erziehende Unterricht nicht. Wie die Theorie über­ haupt^), läßt sich auch ein den Stoff noch so sehr in seine Theile zerlegendes Methodenbuch niemals bis ins speciellste Detail der Praris herabführen, und es bietet gleich aller Theorie3) dem Praktiker nothwendig theils zu wenig, theils zu viel dar, auch wenn es das geistvollste Werk deö ausgezeichnetsten Mannes ist. ES kann deshalb nicht irgend ein Meth öden buch geben, wonach ein Zögling ganz genau und buchstäblich sich unterrichten ließe. Der allgemeine methodische Gang, den es vorschreibt, muß immer erst der individuellen Lage deS wieder stärker betont worden ist, weist darauf hin, daß man sich auf den höchsten Zweck der Erziehung,

der ein sittlich-religiöser ist (§ 2, S. 16 und § 6, S. 141), wieder mehr besonnen hat, als es längere Zeit geschah. Er steht indeß offenbar auch damit in Verbindung, daß mancherlei Trüb­ sale und Noth über unser Volk gekommen sind.

Solche Perioden des öffentlichen Lebens

wecken gewöhnlich einen tieferen religiösen Ernst, wie man denn auch während der Zeit der Freiheitskriege in der Schule der Leiden mehr auf Gottes Wort merken lernte (Wiese, die Bildung des Willens, S. 42), und zwar geschah es hier und geschieht es überhaupt aus dem­ selben Grunde, aus welchem schon das religiöse Gefühl des Einzelnen durch ernste Lebenserfah­

rungen, durch Unglück und Noth starker angeregt wird (Drobisch, Religionsphilosophie, S. 24). 1) Pestalozzi, Gesammelte Werke, V, S. 43, 48, 63, 124, 173.

S. 106. — 3) I, § 6, S. 18.

— 2) I, §24,

Lehrers angcpaßt, er muß bei seiner Anwendung mit einer besonder» Manier d. i. einer subjcctiven Form umkleidet werden , die in der Person des so oder anders gearteten, in diese oder jene Gemüthslage, sei es bleibend, sei es vorüber­ gehend versetzten Lehrers, in solchen oder anderen Schülerindividucn, in diesen bestimmten, das eine darbictendcn, das andere versagenden äußern Verhältnissen begründet ist, kurz ein jeder muß sich für die Methode mit verständiger Beach­ tung der Umstände und nach seiner natürlichen Begabung seine eigene Technik schaffen 2), die in ihren Gewöhnungen nach der Altersstufe, nach dem Fortschreiten des Unterrichts zu modificircn ist31)*, und der freien Sclbstthätigkcit des Leh­ rers bleibt hier unter allen Umständen so viel überlassen, daß der Schwerpunkt des wirklichen Unterrichts immer im Geiste des dein Zögling sich genau an­ schließenden Erziehers liegt, so viel, daß durch ihn auch ein gutes Schulbuch erst seinen vollen Werth im einzelnen Erzicbungsfallc erhält, so viel, daß selbst die abstract beste Methode zur schlechtesten herabgesetzt würde durch einen beschränk­ te», geistesarmen Kopf, durch eine» Lehrer, der ihr von sich nichts hinzuzufügen, der von ihr nichts hinwegzunehmcn wüßte, der einen gedruckten Lehrgang ohne eigene Verarbeitung und ohne alle Veränderung sclavisch nachbeten wollte^). Was das Lehrbuch als Element hinstellt, muß vielleicht bei dem wirklichen Unterricht noch weiter zerlegt, was es zerlegt, kann vereinigt werden. Das, wovon angenommen wird, daß es sich gleich bei der Auseinandersetzung, bei der Besprechung einpräge, muß vielleicht planmäßig, sei es auch nur mit Hülfe des gewöhnlichen AufzählcnS, Einthrilens, Reihebildens durch die Finger, mcmorirt werden. Am wenigsten läßt sich die analytische Vorbereitung und Ver­ arbeitung für jeden Einzelnen vvraussehcn n. s. w. Es giebt darum noch lange nicht so viel Methoden, als es Individuen giebt, nicht jeder muß wie seine Manier, so auch seine Methode haben. Aber methodische Lehrgänge sind aller­ dings nur ideelle Durchschnitte, wie sie der Geolog durch einen Gebirgszug legt, um seine richtigen Verhältnisse aufzufasscn und fcstzuhalten, ohne zu ver­ gessen , daß die geraden Linien, die er hinzeichnet, in der Wirklichkeit von einer Menge Erhebungen, Senkungen, Biegungen unterbrochen sind. Wie lächerlich wäre es, wenn diese in der Wirklichkeit hinweggedacht würden, wie thöricht aber auch, wenn man die Durchschnitte selbst, weil sie die concretc Verschiedenheit nicht an sich tragen, geringschätzcn und nicht benutzen wollte! Gewisse Grund­ sätze kann keiner ungestraft übertrete». Der Lehrer freilich, der sich das allge1) I, § 15.

Mancher Lehrer nennt sic dann gern seine eigene Methode, nachdem er ihr

ein neues Gewand nmgeworfcn,

oder individuelles Leben eingehaucht hat.

— 2) Stov,

Encyklopädie, § 34, S. 77 und Mager, die modernen Humanitätsstudicu, II, S. 240. — 3) Mag er, I. c. 111, §. 279.

Eine stereotvpe, geschweige eine sasi zur Manie gewordene

Manier ist ebenso verwerflich wie ein inanierirler Sinl. Nur in necessnriis iinitas > Augustin)-

— 4) M a ger, I. . VII. — 3) Deren Vereinigung durch die akademischen Seminare würde die moderne Form „für die Stiftung eines Bundes sein, der,

wie einst die Brüder des gemeinsamen Lebens, mit heiliger Liebe zu der Arbeit an Menschen­

seelen und ihrer Führung auf den edelsten Wegen menschlicher Bildung einem freudigen, zu jeder Anstrengung und Entsagung bereiten, mit hingebendem Eifer für die Wissenschaft ver­

bundenen Leben stch widmete." — 4) § 2. S. 140.

— 5) § 5.

— 6) § 6, S. 142.

-

7) § 5,

204

A. Dar Verhältniß de« Unterricht« zur Regierung und Zucht.

eindruck hervorzubringen ‘).

Hiermit eröffnete sich dem Erziehungslehrer ein

weites Feld für sein Wissen und Können; denn während so vieles sich bei seinem Unterricht zum Dienste der Erziehung vereinigen muß, darf er, wie sich gleich­ falls zeigte, in keinem Theile des Erziehungsunterrichts ein Fremdling sein2). Ueberdieß kann inan der wissenschaftlichen Welt als selbständig mitwirkendes Glied nicht angehören, ohne an der Arbeitstheilung Theil zu nehmen, durch

welche sie sich vervollkommnet3), ohne also in dem besonderen Fache, in das

man durch die Neigung hineingestellt ist, nach der Virtuosität zu streben, welche

Naturanlage und äußere Verhältnisse gestatten ^).

Man kann nicht einmal

mehr als eneyklopädische wissenschaftliche Kenntnisse besitzen, die zu gar nichts

nützen außer zu werthlosem Scheine, wenn man nicht wenigstens an einem ein­ zelnen Punkte des Ganzen tief genug gräbt, um die allgemeinen Zusammen­

hänge deö Wissens erkennen zu können, und dazu gehört wiederum eine Virtuo­

sität in dem speciellen Gebiete, auf welchem jener Punkt liegt.

Daraus folgt:

der Erziehungslehrer, der vorzugsweise durch die Wissenschaft im allgemeinsten

Sinne des Worts erziehen soll, und der für diesen Zweck gewiß mehr als den

bloßen Glanz des Scheines bedarf, hat auch dahin zu trachten, um ein guter Lehrer sein zu können, daß er immer zugleich z. B. ein tüchtiger Theolog, Philolog oder GeschichtSkenner, oder ein tüchtiger Mathematiker und Natur­

kundiger ist, oder daß er die pädagogischen Gesichtspunkte für den Jugendunterricht mit Talent behandelt, kurz daß er in irgend einem Theile deS großen Gan­

zen, auf dem er sich bewegt, eine Virtuosität der Einsicht und Leistung an den

Tag legt, und auf diese Weise nicht bloß für die Fortpflanzung, sondern auch für den Fortbau und die Fortbildung der Wissenschaft sorgt ’).

So stellt sich

als unleugbar heraus, daß Pestalozzi und Basedow in einem großen Irrthum

befangen waren, als jener im Vertrauen auf den Mechanismus seiner Methoden­

bücher «) glaubte, ganz unwissenden Eltem und Lehrern den pädagogischen Un­ terricht überlassen zu können, und als dieser im Vertrauen auf daS docendo

discimus wenigstens für den Unterricht in den Anfangsgründen erklärte, bei der Wahl eines Lehrers fei es der geringste Punkt, worauf man zu sehen

habe, in welchem Grade er selbst daS schon wisse, was er lehren solle.

Ihr

1) s 7, S. 161 und 167. — 2) § 7, S. 183. — 3) Herbart, Praktische Philosophie,

S. 240. — 4) Ib. S. 237.

Bei dem speciellen Kreise des Berufs gilt das aUv «qiwuuv

xal v7iuqqxov aXXtov im allerstrengsten Sinne, wiewohl man von der Gesellschaft zugleich überall zurückweichen soll, wo ein Tüchtigerer eintreten würde (nach Hartenstein,

Grundbegriffe der ethischen Wissenschaften).

Die Grenze für das Streben nach Virtuost-

tät ist auch von Quintilian anerkannt, de instit. Prooem. I. — 5) Das muß natürlich auf die Stundenvertbeilung an einer Schule Einfluß haben. Denn die Forderung läßt sich nicht erfüllen, wenn einem Lehrer zu viel verschiedenartige Unterrichtsgegenstände zugewiesen

sind (§ 7, S. 183). — 6) § 7, S. 173.

8 8, Das Ueberwiegen des Unterrichts bei der Erziehung.

205

Irrthum hat sich aber in Jacotot wiederholt, der nicht bloß wie Basedow dachte,

ein Lehrer vermöge weit mehr zweckmäßig zu lehren, als er selbst verstehe, son-

dem auch dem Kenntnißlosen von der Anwendung seiner Methode den gleichen Erfolg versprach, den er selbst erlangt hatte *).

Er hat sich auch unter einer

anderen Form wieder in neuerer Zeit wiederholt, als man behcmptete, das Volks­ schulwesen lasse deshalb noch viel zu wünschen übrig, weil die Lehrer bei ihrer Vor­

bildung in der Erkenntniß zu weit geführt würden, und durch ein geringeres Maaß an Wissen und Können lasse sich ungleich Werthvolleres erzielen. Unsere Betrachtung führt zu ganz entgegengesetzten Resultaten.

Sie läßt die wissenschaftliche

Kenntniß des Lehrers, die Ausdehnung und Höhe seiner wissenschaftlichen Ent­

wickelung nicht als Nebensache erscheinen.

den wir aufgestellt haben,

Der Entwurf des Unterrichts,

läßt deutlich erkennen,

daß jeder, der Kinder

in pädagogischer Weise über die Zeit der ersten Vorbereitung zum Elementar­

unterricht hinaus unterrichten willa), einen großen Reichthum an gedie­ gener Erkenntniß besitzen muß3), wie beschränkt auch der Umfang dessen sein mag, was davon für die Jugend auszuwählen ist4), ja daß eine tüchtige

wissenschaftliche Ausbildung des Lehrers eine Vorbedingung auch seiner wirk­ lichen pädagogischen Leistungen ist3).

Wir müssen deshalb Herbart zustimmen,

welcher sagt: Bildung des Gedankenkreises wird wohl nur von solchen Perso­

nen ausgehen können6),

deren besondere Uebungen es mit sich bringen, die

Weite des menschlichen Gedankenfeldes nach allen Richtungen zu durchwandern,

und waS in denselben höher und was tiefer liege, waS steiler und was flacher sei, mit möglichst genauem Maaße zu unterscheiden. Uns kann auch eine Schule erst dann, wenn sich eine Fülle gediegener Erkenntniß mit einer gründlichen

theoretisch-praktischen pädagogischen Bildung bei den Lehrern der Schule ver­ bindet, als gut gelten^).

Darum müssen nicht bloß die, welche selbst noch Zög-

1) Braubach, Jacotot'S Lehrmethode des Universalunterrichts S. 345, hat allerdings nachgewiesen, daß sich Jacotot damit in Widerspruch zu feinen eigenen Grundsätzen setzt. — 2) Es handelt sich hier also nicht bloß darum, daß der Lehrer bei Fragen und Einwürfen der Schüler immer eine entschiedene Superioritcit über sie behaupte (II, § 15). — 3) Ueber den Umfang des Wissens bei einem Mathematiker s. Drobisch, Philologie und Mathematik, S. 96 f. — 4) Der Schluß liegt allerdings nahe, weil das Ziel des pädagogischen Unterrichts nicht das Wissen desZöglings sei (§ 2, S.16), so bedürfe auch der Lehrer nicht sehr der Wissen­ schaft für seinen Unterricht. Aber wie man sieht, ist das ein Fehlschluß. Ein tief eindringendes Studium der Wissenschaft ist schon deshalb nothwendig, damit der Unterricht vor den unzäh­ ligen Verkehrtheiten bewahrt bleibe, in die er außerdem unfehlbar hineingeräth ($ 7, S. 168), und damit man die Einfachheit und Klarheit in der Behandlung des Stoffes erlange, die Mei­ stern der Wissenschaft eigen zu sein psiegt. Wo aber ein Lehrer mit geringem und oberfläch­ lichem Wissen als tüchtig gepriesen wird, da zeigt sich immer, daß er einer sehr unpädagogischen Einseitigkeit der Richtung oder des Verfahrens huldigt, z. B. § 7, S. 197, Anm. — 5) § 7, S. 198. — 6) Allgemeine Pädagogik, S. 39. — 7) 8 7, S. 200.

206

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Erziehung und Zucht.

li'nge sind, es müssen auch Lehrerinnen jederArt^), da ihnen eine solche Breite der

wissenschaftlichen Erkenntniß und die logische, systematische Durchbildung3) durch

die geschlechtliche Anlage versagt ist3), selbst bei einem hohen Grade allgemeiner Bildung 4) von allem Unterricht von der Elementarschule an ausgeschlossen sein,

und die höhere Mädchenbildung ist gegenwärtig hauptsächlich deshalb ungenü­ gend, weil jene Forderung nicht allgemein erfüllt wird.

lichen Geschlecht,

ganz abgesehen von dem

die Vorbereitung zum Elementarunterricht,

Dagegen ist dem weib­

Unterricht

sobald cs

in Nebenclassen3), sich selbst dazu hin­

reichend geschickt gemacht hat, vorzugsweise zu überlassen6), und außerdem kann sein mittelbarer Einfluß auf den Erziehungsunterricht während

seiner ganzen

Dauer sehr groß sein, wenn von ihm die den Unterricht begleitende kindliche

Erfahrung und Empfindung bestimint und bearbeitet wird7).

Was aber den

Volksunterricht anlangt, so können seine Resultate trotz aller Fürsorge, die

ihm gewidmet worden ist, vornehmlich deshalb noch immer nicht befriedigen, weil das Fundamentalübel, der Mangel eines tiefen und gründlichen Wissens

bei den aus den Schullchrcrseminarien hervorgegangenen Lehrern — ein Man­

gel , der sie nothwendiger Weise auch an tieferem Eindringen in die Theorie der Erziehungskunst und somit3) an der feineren Ausbildung des Erziehungstactes

hindert — auf den Wegen, die man bis jetzt dafür ungeschlagen hat, sich nicht vollständig heben läßt.

Wir sagen das nicht, um die Schullchrerseminarien

anzuklagen; denn waö sie immerhin für Mängel haben mögen, so fällt das doch gar nicht in's Gewicht im Vcrhältniß zu dem, was ihnen die Pädagogik

und das gesammte Schulwesen zu verdanken hat3).

Nichts desto weniger

müssen wir wünschen, daß die Schullehrerseminare nur eine historische Bedeu­ tung behalten, und sich nach Veränderung des Personalstandes in die für das

Volksschulwesen bestimmte Abtheilung der akademischen pädagogischenScminare

auflöscn möchten.

Denn mit den Volksschulen kann es nicht eher entschieden

besser werden, als bis der geistliche und höhere Lehrerstand, dcr einer gründlichen

und umfassenden wissenschaftlichen Ausbildung fähig ist, in Demuth seiner ein­ gebildeten Würde sich entäußernd, und thatsächlich seine Gesinnung christlicher Liebe

beweisend, als eine der wichtigsten Sphären für die rettende Thätigkeit der inneren Mission das Volksschulwesen aufsucht, nicht um sich darüber zu erheben oder um darüber zu herrschen, sondern um es gänzlich mit zu übernehmen und ihm

mit Eifer und aufopfernder Hingebung aufzuhelfen.

Schon Luther empfahl

1) Ganz abgesehen davon, daß sie dem häuslichen Beruf, für welchen sie durch ihre

geschlechtliche Bestimmung prädestinirt sind (Schilling, Lehrbuch der Psychologie, § 87, S. 198) entfremdet werden, und die Desorganisation der Familie dadurch nur befördert wird. — 2) Schilling, Lehrbuch der Psychologie, § 87, S. 197. — 3) I, § 10, S. 44. —

4) Cf. § 3, S. 43, Anm. 1. — 5) 8 4, S. 102. — 6) 8 7, S. 195. — 7) Darüber Näheres

in der Fortsetzung unserer „Grundlegung". — 8) 8 7, S. 165. — 9) 8 7, S. 196 und

199 ; vergl. damit S. 169, s. f.

§ 8. Das Ueberwiegen des Unterrichts bei der Erziehung.

207

eine ausgedehnte Betheiligung der künftigen Geistlichen am Schulunterricht im Interesse ihres späteren Berufs *), und sie empfiehlt sich vielleicht gegenwärtig auch deswegen, weil cs nicht unwahrscheinlich ist, daß ohne sie die Kirche mit der weltlichen Wissenschaft nicht versöhnt*2)* *und S. *die Herrschaft der Kirche über die Schule nicht in das richtige Verhältniß zwischen beiden umgewandelt wird2). Wir wünschen eine solche Betheiligung auch ohne specielle Rücksicht auf die Kirche im Interesse des Schulwesens selbst, und namentlich des niede­ ren. Denn da das höhere in einem noch viel engeren Zusaminenhang mit der Wissenschaft steht *), als das Schulwesen überhaupt ''') , so muß hier jeder Lehrer sein besonderes fachwissenschaftliches Gebiet ganz selbständig bis zu dem feinsten Detail hin durchwandern, alle Entdeckungen, alle neuen Darstellungen mit voller Freiheit prüfen können, und deswegen wird da eine größere Spccialisirung der einzelnen Fächer und eine vollständigere Concentration auf dieselben erfordert«), als daß ihnen der künftige Geistliche auch außer seinem theologischen Fache genügen könnte7). Dagegen läßt vielleicht die Vereinigung der ver­ schiedenen Lehrabtheilungen an dem akademischen pädagogischen Seminare8) eine solche Annäherung des geistlichen wie des höheren LehrerstandcS an das Volksschulwesen hoffen, welche sie zu unmittelbarer Lehrwirksamkcit in der Mitte desselben im ausgedehntesten Maaße geneigt macht, und wenn das voll­ ständig durchgeführt sein wird, wozu in den städtischen Volksschulen vielfach schon der Anfang gemacht ist, so werden die Gcschiedenheit der Gattungen von Schulen Md der Umstand, daß jeder Lehrer sich für eine bestimmte Gattung vor1) Luther beiBrzoska, die Nothwendigkeit pädagogischer Seminare u\, S. 204 und

289.

Dieser Gesichtspunkt ist weiter ausgefübrt ibid. 201 f. und von Resewitz ibid. 170.

Das Wichtigste ist, daß die gesellschaftliche Thätigkeit des Geistlichen auf der psychologischen

Behandlung des Einzelnen ruht, welche allein die Pädagogik lehrt. — 2) § 16. — 3) § 3 am Ende. — 4) § 3, S. 42. — 6) § 8, S. 203.

— 6) Cs. Fortsetzung unserer „Grund­

legung". — 7) Die Trennung des Schulwesens von der Kirche und die Ausbildung eines besonderen Laienlehrstandes hat allerdings in diesem Umstande nicht ihren alleinigen Grund.

Sie wurde vorzüglich auch dadurch begünstigt, daß die Geistlichen des Mittelalters, welche die Schulen inne hatten, allzuhäufig ihre Schuldigkeit nicht thaten und den Unterricht versäumten

(Ruhköpf, Geschichte des Schul - und Erziehungswesens, S. 63, 62, 89, 123, 266), daß

sie gar zu oft den begründetsten Ansprüchen sich widersetzten (s. z. B. § 4, S. 69, Anm. 7), daß sie namentlich auch die neuen Bildungselemente, welche beim Wiedererwachen der Wissen­ schaften in den Unterricht eindrangen, allzulange von sich abwiesen (z. B. bei der Einführung

neuer Lehrbücher, Ruh köpf, 1. c. S. 233; bei der Einführung der römischen Dichter, ib. S. 242; bei der Einführung des Griechischen, ib. S. 249), zum Theil auch aus Furcht, die Religion und das Studium der Wissenschaften, besonders der Philosophie, möchten unter solchen Neuerungen leiden (cf. § 6, S. 130, Anm. 5). Und gerade diese Umstände bewirkten, daß die

Lostrennung des Schulwesens von der Kirche über das berechtigte Maaß hinausging, und auch

dem echten Erziehungsgeiste in den Schulen schadete, ganz abgesehen davon, daß ihnen ein großer Theil der Einkünfte verloren ging, die ihnen von der Verbindung mit der Kirche zuge-

sioffen waren (Ruhköpf, 1. c. S. 269). — 8) § 7, S. 186.

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

208

zubereiten hat — denn beides muß fortbestehen *) — nicht mehr durchschnitt­ lich zu einer wesentlichen Verschiedenheit in der vorangehenden Ausbildung der Lehrer hinführen, alle werden den gleichen wissenschaftlichen Bildungsgang durchmachen, wenn auch für verschiedene Sphären der allgemeinen Volksbildung,

und sie werdeit dadurch in allen Sphären zu einem wahrhaft pädagogischen

Unterricht befähigt sein, so weit dieser überhaupt von der fachwissenschaftlichen Erkenntniß abhängt.

ES versteht sich dabei von selbst, daß sie mit einer gründ­

lichen pädagogischen Vorbildung zugleich eine warme Begeisterung und Liebe für die Sache*2) verbinden müssen, die sie in der Erfüllting ihres äußeren Berufs

auch ihren inneren Beruf finden und einem Drange ihres Herzens Genüge lei­ sten läßt, daß sie also, wiewohl die Schule überhaupt und besonders der Unter­

richt der frühern Jugend sich am meisten für jüngere Lehrer eignet3), nicht mit

Widerwillen in das niedere Schulamt eintreten, und dasselbe nur als einen lästigen Durchgangspunkt betrachten, den sie, wenn es möglich gewesen wäre,

gern vermieden hätten.

Die Classen von Lehrern indeß, die wir so eben von der Theilnahme am pädagogischen Unterricht ausgeschlossen haben, werden schon wegen des Man­

gels an Lehrern und aus Gründen der Sparsamkeit *) noch lange nicht aufhören, 1)) § 3, S. 34 und 8 7, S. 186, Anm. 3.

Das Gesetz der Arbeitstheilung schließt

natürlich auch die Vereinigung eines geistlichen und eines Schulamts in derselben Person

Daß früher im Widerspruch damit der Volksschullehrer ost selbst

aus.

ein Handwerk

mit seinem Lehrerberuse vereinigte (cf. 8 4, S. 92) ist bekannt. — 2) 8 7, S. 193. —

3) Darüber in der Fortsetzung unserer „Grundlegung".



4) Beides hat in neuerer

Zeit bekanntlich sogar zu dem wechselseitigen Unterricht geführt, kannte (Ruhköpf,

und

1. c.

S. 362),

den

Verbesserungen

den schon Trotzendorf

der gegenwärtig nach den Systemen von Bell

Volksschulen

Englands

hauptsächlich beherrscht (Schacht, das Schulwesen Englands, S. 28 und 29).

Hier fehlt

und

Lancaster

und

Shuttelworth's

die

es, auch nach den Verbesserungen Zerrenner'S (Zerrenner, Mittheilungen und Winke, die wechselseitige Schuleinrichtung betreffend) an den oben geforderten Requisiten zur Lehr­

befähigung am gewiffesten. Es fehlt schon an der nothwendigen Mannichfaltigkeit der Betrach­

tung und Besprechung.

Indeß werden Zöglinge für den pädagogischen Unterricht zur Ver­

tretung der Familien beim Zusammenwirken mit den Schulen (8 10), wenn nur alles Herr­ schen des einen Zöglings über den andern und jede Neigung dazu vermieden wird (II, 8 13, S. 129), zweckmäßig verwendet, z. B. für das Anhalten zur häuslichen Arbeit, für Beihülfe

beim Einüben, für das versuchsweise Ueberhören des von der Schule aufgegebenen Memorir-

ten, für das Durchgehen der vom Lehrer corrigirten Fehler.

Nur ist das als ein Institut der

Zucht, des sogenannten Schullebens zu behandeln (II, 8 13, S. 130), sei es um an solche

Stellungen zu gewöhnen,

wo

der künftige Mann leitend an der Spitze anderer steht

(Friedrich, Erziehung zur Arbeit, S. 78), sei es umzu wohlwollendem Sichhingeben an andere

zu erziehen.

Das war es hauptsächlich bei Pestalozzi in Stanz (Blochmann, Pestalozzi's

Leben, S. 49 und Pestalozzi, gesammelte Werke, Bd. XIII, S. 288; cf. V, S. 15 und 49), und es hätte auch bei Pestalozzi nicht in einen allgemeinen gegenseitigen Unterricht ausarten

sollen.

Wieder anders ist es anzusehen, oder etwas anderes kommt wenigstens hinzu, wenn

Zöglinge als Vorarbeiter in den Nebenclaffen oder in der Arbeitsschule (v. Türk, Briefe aus

der Jugend während ihres erziehungsfähigen Alters Unterricht zu ertheilen *), und auch außerhalb jener Classen giebt es genug Lehrer, die nicht die nöthigen Kenntnisse besitzen, um durch den Unterricht erziehen zu können. Wieder andern fehlt es zwar nicht an Wissen, wohl aber an der Fähigkeit, es pädagogisch zweck­ mäßig zu verwenden. Beide Kategorien können nun einen doppelten Weg ein­ schlagen , um sich mit den pädagogischen Anforderungen an den Jugendunter­ richt abzufinden. Der eine Weg ist, daß auf die Erziehung beim Unterricht gänzlich Verzicht geleistet wird, und ihn betreten wirklich manche Schulen und einzelne Erzieher, besonders solche, die nicht zugleich die Eltern ihrer Zöglinge sind. Sie wollen durch ihren Unterricht gar nicht erziehen, obgleich ihr Zög­ ling noch im erziehungsfähigen Alter steht, und sie entschuldigen sich dann gern durch die Annahme, die Erziehung sei einzig und allein ein Geschäft der Familie und des Hauses. Von ihrem Irrthum brauchen wir jedoch nicht weiter zu reden, da wir ihn schon in einem einzelnen Falle auf eine allgemein geltende Weise zurückgewiesen habens. Betrachten wir daher sogleich den zweiten Weg, den andere Lehrer' einschlagen, die nicht durch Vermittelung eines reichen und gründlichen Wissens erziehen können. Sie wollen, während sie Unterricht ertheilen, auf die Erziehung nicht verzichten, sie wollen diese aber neben dem Unterricht besorgen. Was sie lehren, soll nicht zur Erziehung die­ nen, und wenn sie erziehen, soll es ohne Unterricht geschehen. Und worin besteht dann nach ihrer Absicht ihre Erziehung? Sie wenden sich nicht an den VorstellungSkreis deS Zöglings, um durch diesen seinen Willen zu bilden, wie es beim pädagogischen Unterricht geschieht3), sondern an seine Empfindun­ gen. Diese berühren und reizen sie so viel als möglich, damit sich daS Gute in seinem Innern erhebe, daS Böse aber zu Boden gedrückt, gebogen und gebrochen werde durch herzliches und lebhaftes Ermuntern, durch Anspornen oder Tadeln, Zanken, Schelten und Strafen, durch Belrachtungen, Ermahnun­ gen, Warnungen, die tief in das Gemüth eingreifen, durch liebevolles Belehren

München-Buchsee, II, S. 216; Georgen-, die Gegenwart der Volksschule, I, S. 65 und

87), wo c- nur auf ein Anleiten und ein Ucberliefern von Fertigkeiten, auf ein Absehen und Nachmachen von Handgriffen ankommt,

und gerade hier hat sich der gegenseitige Unterricht

immer auf- Beste bewährt (so bei Fellenberg, s. Friedrich, I. c. S. 99 f.; ebenso ib.

S. 106.

Hier ist es so, wie ja auch sonst ein Zögling im Kreise seiner Genossen zum Unter­

richt prädisponirende Erfahrungen einsammelt, und dafür die Belehrung und da- Beispiel von reiferen und geschickteren Genossen benutzt.

Ueber die Concessionen, die Herbart dem gegensei­

tigen Unterricht macht, s. in der Fortsetzung unserer „Grundlegung". 1) So lange in der Classe der Geistlichen und in dem höheren Lehrerstande nicht mehr

pädagogische Bildung verbreitet ist al- gegenwärtig (§ 7, S. 199), wäre es sogar keineswegs wünschenswerth, daß die gewöhnlichen Volksschullehrer und Volksschullehrerseminare zu sein

aufhörten. — 2) § 7, S. 197. — 3) § 6, S. 142.

Biller, erziehender Unterricht.

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

210

und Bitten, durch Erregung von Gefühlen, vorzüglich auch von Gefühlen morali­

scher und religiöser Art, durch Erzeugung von Affecten, besonders von Affecten der

Rührung, und durch Veranstaltung von erschütternden Scenen, die den Zögling

vielleicht bis zu Thränen bewegen. Alle solcheThätigkeiten, in deren Ausübung viele Lehrer eine unzweifelhafte Virtuosität besitzen, wirken unmittelbar aufden Gemüths­

zustand des Zöglings eint). Sie fallen folglich in daS Gebiet der Zucht1 2) und

das ganze Verfahren ist eine vom Unterricht unabhängige Zucht, wobei durch bloßes Afficiren der Empfindungen erzogen werden soll ohne Bildung des Gedankenkreises.

Diese Art von Erziehung, welche durch bloße Zucht erreicht werden soll, d i e Erziehung ohne Unterricht, welche auf dem kürzesten Wege zu den

Empfindungen des Zöglings zu gelangen sucht, meint man auch, wenn man

von einem Lehrer rühmt, er verstehe nicht bloß zu unterrichten, sondern auch zu erziehen, oder er zeichne sich auch im Erziehen aus.

Diese Art von Erziehung

meint man überhaupt gemeinhin, wenn man Erziehung und Unterricht neben einan­

der stellt. Die Erziehung ohne Unterricht beschränkt oft sogar den pädagogischen Unterricht.' Statt daß die Vorstellungen des Zöglings in jeder Weise bearbeitet

werden, wie eS dieser verlangt3)* , häuft man lieber die Andachtsübungen, die frommen Rührungen, die stark afficirenden Betrachtungen §), wozu besonders

auch die Pietisten der Francke'schen Schule inclinirten 5)* , selbst aus den Univer­ sitäten °).

Bei den katechetischen Uebungen und den Religionsstunden läßt man

die Begriffsentwickelung zurücktrcten, um für die Erregung des Gefühls Raum zu gewinnen.

Man verzichtet auf die Marime des ächten Rationalismus 7),

für jede Ueberzeugung nach Gründen zu suchen, die den Zögling aus seinen individuellen Gefühlen herausführen, und man verschmäht sogar häufig den

Namen Religionsunterricht, indem man es unterläßt, die religiösen Gegenstände rationell durchzuarbeiten.

Dagegen trägt man selbst in andere Lehrstunden

gern religiöse Elemente hinein, statt vor allem dafür zu sorgen, daß in jeder Lehrstunde eine ihr entsprechende eigenthümliche Stimmung8) herrsche und in

der Religionsstunde eine solche, wobei man sich in ruhiger Contemplation über die Masse des Einzelnen zu einem Ueberblick des Ganzen erhebt8).

Man hält

es für einen Gewinn, wenn nicht bloß aller Unterricht auf den sittlich-religiösen 1) Ueber den Begriff des Gemüths s. Drvbisch, empirische Psychologie, § 111 und

Waitz, allgemeine Pädagogik, S. 136; Schilling. Psychologie, § 47, S. SO; Nah-

lowsky, das Gefühlsleben, § 1, S. 44; Zimmcrman», philosophische Propädeutik, § 54 ii. Bli; Lindner, empirische Psychologie, § 24, 2 und Anm. 1. — 2) § 6, S. 142.— 3) § ö, S. 132. — 4) Selbst in neuerer Zeit sind dadurch bekanntlich in einzelnen ertremen Fällen sogar ekstatische Zustände, die einen epidemischen Charakter annahmen, unter den Schü­

lern hervorgcrufen worden. — 5) Man denke an das Jugendleben Semler's. — 6) von R a umer, Geschichte der Pädagogik, IV, S. 243 s. f. — 7) Thilo, thevlvgisirende Rechts­

und Staatslehre, S. 61 und 267. — 8) § 7, S. 165, Anm. 6. — 9) Darüber in der Fort­ setzung unserer „Grundlegung".

§ 8. Da- Ueberwiegen des Unterricht-bei der Erziehung.

211

Gesammtzweck berechnet, sondern so viel als möglich jeder Lehrstunde ein religiö­

ser Charakter gegeben und eine religiöse Seite abgewonncn, wenn jedes Lehr­ fach , jeder Unterrichtsgegenstand zu einem Vehikel der Erbauung gemacht und

das Lesebuch vorzugsweise mit religiösem Stoff ungefüllt wird’). Was ist aber von diesem Bedrängen und Bestürmen des Zöglings durch Empfindungen aller Art zu halten?

Wenden wir uns an die Erfahrung,

so können wir häufig beobachten, wie eine Mutter ihren leichtsinnigen, genuß­

süchtigen , ausschweifenden Sohn, für dessen Zukunft sie besorgt ist, dadurch zu daß sie ihn durch ihr herzliches Zureden, durch ihr liebreiches

bessern hofft,

Ermahnen und Warnen aufs Tiefste erschütttert und bis zu Thränen rührt.

Sie bringt es wohl dahin, daß der junge Mensch im Augenblick alle seine Ver, irrungen und Schwächen eingesteht und ernstlich bereut, daß er unter den heilig­ sten Versicherungen Besserung gelobt und den Vorsatz zur Umkehr und zur

Betretung eines neuen Weges faßt2), ja sogar den Versuch macht, auf diesem Wege fort zu gehen.

Aber nach kurzer Zeit sieht sich die Mutter in ihren Hoff­

nungen getäuscht, ihr Sohn zeigt sich Unverändert als derselbe Taugenichts, der

er vorher war.

Die Erschütterung, die den Grund seines Innern nicht berührt

hat, ist verschwommen und spurlos vorübergegangen2). Einen jungen Menschen,

der schwach war an Willenskraft, haben überhaupt noch niemals heftige Reiz­ mittel stärker gemacht, und ebenso erträgt umgekehrt mancher Jüngling, wenn

er kräftig genug ist, die äußersten Grade der väterlichen Strenge oder der Schul­

zucht und Schuldisciplin,

ohne dadurch ein anderer zu werden.

Man muß

auch in der praktischen Erziehung gänzlich ein Fremdling sein, wenn man nicht weiß, wie wenig Gewinn in Schule und Haus die Strafreden und das soge­

nannte Vorpredigen gewöhnlich bringen.

Wie oft ist es ferner schon einem

1) Ueber ungehörige religiöse Einmischungen in den naturkundlichen Unterricht, dessen Betrachtungen dadurch viel zu rasch abgebrochen werden, s. C rüg er, die Physik in der Volks­ schule, S. 25 f.

Sie kommen schon bei den encyklopädistischen Bearbeitungen der Naturkunde

im vorigen Jahrhundert vor (ib.9). Hiermit verwechsele man jedoch nicht etwas anderes. Denn

während aus religiösen Stoffen die religiösen Elemente gezogen werden, können sich daran

in andern Lehrstunden z. B. sprachliche, geographische, geschichtliche, naturkundliche Belehrun­ gen anknüpfen, und es wäre auch nicht zu tadeln , daß die lateinischen Schulen des 16. Jahr­ hunderts für die Rechenaufgaben vorzugsweise biblischen Stoff wählten (Löschte, die religiöse Bildung des 16. Jahrhunderts, S. 136), wenn sie nur darüber die Anschließung an die

gewöhnlichen Lebensverhältniffe (§ 20), die sie den deutschen Schulen überließen, nicht ver­ säumt hätten.

Diese Anknüpfung an religiöse Stoffe hat nicht den Nebenzweck einer gelegent­

lichen Erbauung, sondern wird durch die Rücksicht auf die Person des Zöglings nothwendig. Darüber f. § 19. — 2) Ein solcher Jüngling antwortete einmal auf die eindringlichsten

Erinnerungen seiner Mutter an einem Ostersonntage, er wolle heute auch seine Auferstehung

feiern. — 3) Wo man ein dauerndes Resultat rühmt, kömmt es nur auf Rechnung der Nach­ wirkung, die eine vorhandene Innigkeit der Familienanhänglichkeit ausübt (II, § 19 s. f.). 14*

212

A. Da» Verhältniß de- Unterrichts zur Regierung und Zucht.

Katecheten begegnet, daß das, was von ihm mit großer Salbung aus einander gesetzt worden war, und was unverkennbar einen starken Eindruck hervorgebracht

hatte, nach wenigen Tagen selbst aus der Erinnerung des Zöglings vollständig wieder entschwunden ist, und wie oft ist ein Geistlicher mit überzeugender Kraft und unter allgemeiner Zustimmung gegen ein sociales Uebel zu Felde gezogen,

daS doch unbedenklich in alter Weise fortgesetzt wird!

Hätten alle solche Ein­

wirkungen , an denen eö wahrlich in der Welt noch niemals gefehlt hat, nicht einen sehr vergänglichen Erfolg, wie wäre es dann auch möglich, daß der mora­

lische Fortschritt so langsam und mit so großen Unterbrechungen geschieht, wie cs wirklich der Fall ist!

Ja einen gedankenlosen, liederlichen, verdorbenen Men­

schen können die härtesten Schicksalsschläge treffen, er kann durch eigene Schuld in bas tiefste Elend, in den bittersten Schmerz hineingestürzt, er kann Jahre

lang davon niedergedrückt und dadurch an den Rand des Verderbens gebracht werden.

Unkundige knüpfen dann daran wohl die Hoffnung, er werde nun­

mehr in sich gehen, er werde sich daraus eine Lehre ziehen, er werde einen neuen

Lebenswandel beginnen. Wenn aber die Zeit mit dem Herben, was sie in ihrem Schoße barg, vorübergegangen ist, so zeigt sich, der Mensch ist keineswegs um­

gewandelt worden, er hat sich nicht einmal oberflächlich verändert.

ES ist die­

selbe Person geblieben, sie hat noch dieselben Gesinnungen und Bestrebungen

wie früher, ja selbst die alte Manier, diese an den Tag zu legen.

Und man

denke nicht etwa, so sei es nur bei flachen Naturen, in die keine Empfindung tief

genug eindringe.

Bloße gewaltsame Erschütterungen gehen selbst an tiefen

Gemüthern leicht und rasch vorüber, ohne kaum eine Spur zurückzulassen.

Es

werden dadurch keine bleibenden wünschenswerthen Erfolge hervorgebracht, für

die Dauer wird dadurch nichts von Werth gewonnen. So lehrt es die Erfahrung allgemein, und die Psychologie weist

n a ch, daß es nicht anders sein könne *).

Denn während die Vorstellungen die

feste Grundlage im Geistesleben bilden, sind Empfindungen, Gefühle, Begier­ den, Affecte und alle solche Gemüthszustände nur veränderliche Modifikationen

der im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungen, in denen sie ihren Sitz haben, und zwar sind cs an sich höchst wandelbare, ja sehr flüchtige Zustände dieser

Vorstellungen.

Geistes an.

Sie zeigen nämlich eine Abweichung vom Gleichgewicht des

Wenn daher die den Gleichgewichtszustand des Geistes inodifi-

cirende Ursache zu wirken aufhört, wenn der Grund im Bewußtsein wegfällt,

aus welchem die Abweichung vom Gleichgewichte hervorgegangen ist, und die Vorstellungen in Gemüthszustände übergegangen sind, so kehrt der Gedanken­ kreis von selbst in sein früheres Verhältniß zurück, das Innere nimmt seine alte

1) Herbart, Lehrbuch zur Psychologie, § 33 und Einleitung in die Philosophie, § 159,

S. 269

213

§ 8. Da« Ueberwiegen de« Unterrichts bei der Erziehung.

Lage wieder ein, und von den Gemüthszuständen ist dann keine Spur mehr vor­

handen. Mag es daher auch noch so leicht sein, durch eine unmittelbar aufAffection hinwirkende Thätigkeit einen Gcmüthszustand zu erzeugen, so hat dieser doch immer nur einen sehr vergänglichen, oft rasch vorübergehenden Erfolg, wofern

er nicht durch dauernde Vorstellungen befestigt wird *). Wir beobachten deshalb nicht bloß bei kleinen Kindern, wie leicht sie die Trennung von den geliebtesten

Personen verwinden, wie rasch ihr Lachen und ihr Weinen in einander über­

gehen, ja wie derselbe Knabe, dessen Augen noch voll von Thränen sind, schon

den Mund zu einem sanften Lächeln bewegt, weil er durch eine andere Empfin­ dung umgkstimmt ist.

haupt,

wie

Wir beobachten auch nicht bloß bei der Jugend über­

flüchtig ihr Schmerz und ihre Lust ist, wie rasch sic auS einer

Gcmüthslage in die andere versetzt wird, wie veränderlich ihre Strebungen sind, so lange ihre Gemüthszustände nicht aus einem herrschenden Gedankenkreise oder

aus einem seiner Natur nach beharrlichen Interesse 2) hervorgehen.

ES zeigt sich

nicht weniger außerhalb der Grenzen der Jugend und der Erziehung, wie leicht

Empfindungen durch andere verdrängt und abgelöst werden, wie schnell Gefühle,

Begierden, Affecte wechseln, wie plötzlich auf ihre höchste Steigerung Ermat­ tung und Abspannung folgen, wie gewöhnlich es ist, daß ganz entgegengesetzte

Bestrebungen rasch nach einander bei demselben Menschen Platz finden.

Jedes

folgende Jahrzehent fühlt fich hinweggesetzt über die Wünsche und Begehrungen des vorigen, und verlacht sie wohl gar.

Wie weit glaubt man z. B. in politi­

schen Dingen jetzt über 1848, wie weit glaubte man in den 30er Jahren über

die Zeit nach dem Freiheitskriege hinaus zu sein!

Und es möchte schwer sein,

hierfür überall objective Gründe anzuführen; aber daS Empfindungsleben ver­

ändert sich, und daS bewirkt die Entgegensetzung.

Woher anders als auS dem

Gegensatz wechselnder Gemüthslagen lassen sich auch jene häufigen, selbst zu

den stärksten Spaltungen führenden Differenzen zwischen ältern und jüngern Gliedern derselben Gesammtfamilie über Kleinigkeiten erklären, die sich durchaus

nicht mit Gründen genau entscheiden lassen? Ja schon der reife Mann hat nach

der Aufsammlung der mannichfaltigsten Erfahrungen einen andern Kreis der

Gefühle, der Begehrungen, als er in seiner Kindheit hatte.

Von den Freuden

und Leiden seiner Jugend empfindet er nur noch wenig, er begreift sie oft gar

nicht mehr.

Die allermeisten seiner Jugendeindrücke sind ihm durch andere

Affectionen der Außenwelt verdrängt worden, oder eS sind ihm davon nur höchst 1) Da« kann freilich auf sehr verschiedene Weisen geschehen.

Schon in II, § 16, S. 182

suchten wir die Wirkungen der Liebe bei dem Zögling dadurch dauernd zu machen, daß wir für ihre Befestigung in einem stabilen Gedankenkreise sorgten, der die in ihm eingeschloffenen Empfin­

dungen stet« mit stch führt (Bolkmann, Grundriß der Psychologie, § 122, S. 311; Nah-

low«ky, das Gefühlsleben, S. 70, 134 und 33; Schilling, Psychologie, § 87, in.; Zimmermann, philosophische Propädeutik, § 194). — 2) Darüber s. § 12.

unbestimmte und unvollkommene Umrisse zurückgeblieben. Deshalb ist es gerade nothwendig, daß der künftige Lehrer, da er in seinem späteren Berufe auch die Gemüthszustände des Zöglings kennen muß *), ein besonderes Studium aus der Kenntniß des kindlichen Herzens macht, und sieh auf künstlichem Wege in die Gemüthszustände der Jugend hinein versetzt 2); denn von selbst besitzt er dar­ über keine zuverlässige Kenntniß. Wir sehen also, daß und warum die Gemüthszustände hin und her schwan­ ken, und daraus folgt, daß eine Erziehung, die auf sie vorzugsweise hinwirkt, sich keine anderen als höchst unsichere, sehr leicht und oft sehr rasch ins Ent­ gegengesetzte umschlagende Erfolge versprechen darf. Dagegen die Borstellungen, siebeharrenim Geiste, ihnen ist das Fortdauern eigen. Wir sam­ meln die meisten von ihnen in unserer Kindheit. Wurden sie aber einmal so, wie es sein muß, erworben und zu bestimmten, festen Kenntnissen ausgebildet, so bleiben sie sich unverändert gleich bis in die späteste Lebenszeit, oder sie wer­ den wenigstens die Grundlage neuer Studien und erweiterter, verbesserter Ein­ sicht. Was der Knabe recht lernte, das weiß ein reger Geist auch im höchsten Alter, es haftet in ihm, er hält es fest, und der strebsame Mann baut noch auf dem in der Jugend wohl angeeigneten Wiffen fort. Freilich scheint es auch ganz entgegengesetzte Erfahrungen zu geben. Man weiß es ja, wie schnell oft selbst ein mit Sorgfalt eingeprägtes, Jahre lang erhaltenes und glücklich durchgebil­ detes Wissen bei veränderter äußerer Lage eines Menschen wieder verschwindet, und kaum eine Spur seines frühern Daseins zurückläßt. Man weiß es ebenso aus Erfahrung, daß das, was bloß für ein Eramen gelernt worden ist, nur bis zu dem Tage bleibt, wo das Eramen angestellt wird, und schon am nächsten Tage anfängt, wieder aus dem Bewußtsein zu entweichen. Auch von der Summe des Wissens, das in den Schulen erworben wird, geht ein beträchtlicher Theil sehr bald wieder verloren. Nicht wenig davon verfliegt schon in den Universitätsjahren wie Spreu vor dem Winde, und vieles, waö ein Tertianer wußte, ist schon in Prima entschwunden. Es ist ja z. B. gar nichts Ungewöhn­ liches , daß ein Primaner im Verbum auf — fw ganz unsicher ist3), und der Pädagog von Türk erzählt von sich selbst H, daß er das Verfahren bei der Aus­ ziehung von Quadrat - und Cubikwurzeln immer und immer wieder vergessen habe. Aehnliches hat wohl ein jeder an sich erlebt, und die Erfahrung lehrt sogar, daß nicht einmal dasjenige Wissen, bei dem das eigene Interesse deS Zög­ lings als Reizmittel benutzt worden ist3), damit es besser gelernt werde, gegen die Gefahr sicher gestellt ist, sehr bald wieder verloren zu gehen; denn mittels

1) I, 8 22, S. 86. — 2) 8 7, S. 192 und II, 8 16, S. 149 s. f. — 3) Aehnliche Erfahrungen s. in Schmalfeld's Erfahrungen rc., S. 231, 239, 296, 308 s. f.— 4) Leben und Wirken des Regierungs- und Schulraths W. von Türk, S, 136. — 5) § 11

215

8 8. Das Ueberwlegen des Unterrichts bei der Erziehung.

eines künstlich erzeugten Interesse wird das Wissen wohl leichter aufgefaßt, aber das Bewußtsein hält cs doch nicht nothwendig dauernd fest.

Ain meisten ver­

gänglich erscheinen aber die Früchte der Schule, wenn nach dem gefragt wird,

was bei einein jungen Menschen von den viel gerühmten Erziehungs - und

Unterrichtsresultaten sich hinüber gerettet hat ins praktische Leben, ja wenn es sich bei ihm nur nach einigen Jahren seines Abgangs von der Schule darum han­

delt , daß er sein Wissen und Können in freier Anwendung bethätige.

Auch

wenn er beim Unterricht und in den Prüfungen sich ausgezeichnet hat durch

fließende Antworten, durch gelehrte und eingehende Untersuchungen, auch wenn er glänzende Censuren und Zeugnisse davon getragen hat, wie dürftig und arm­ selig erscheint doch dann oft der Geisteszustand eines solchen Menschen!

Schon

Mager klagt •): sechs Jahre nach dem Abgang vom Gymnasium sind nicht zehn

von hundert im Stande, noch einen lateinischen oder griechischen Autor zu lesen.

Indeß wird sich weiterhin zeigena), die Erfahrungen, die der Dauerhaf­

tigkeit der Vorstellungen zu widersprechen scheinen, weisen doch nur darauf hin,

daß cs zugleich auf die rechte Bildung des Gedankenkreises ankömmt, wenn daraus beharrliche, bleibende Wirkungen hervorgehen sollen.

Werden aber die

mannichfaltigen Bedingungen erfüllt, von denen eine solche Bildung abhängt, geschieht alles, was geschehen muß, nur im Ganzen am rechten Orte, zu rechter Zeit, auf die rechte Art und Weise, im rechten Geiste und mit Geist, so sind die

Vorstellungen, die Eingang in die Seele des Zöglings gefunden haben, wäh­

rend seiner ganzen Lebenszeit gegen jede mehr als vorübergehende Verdunkelung zuverlässig gesichert, seine Person kann sich nicht mehr von ihnen trennen, sie erhalten sich im Ganzen bleibend in seinem Bewußtsein31)*, es müßten denn

Störungen von Seiten des körperlichen Organismus hinzutreten. Freilich wird

sich auch zeigen, wenn gleich Empfindungen für sich allein nicht geeignet sind, etwas Beständiges in der Seele zu schaffen, so wird es doch nothwendig sein,

daß die Vorstellungen, die in der Seele fortdauern sollen, zum mindesten gleich­ sam eingetaucht werden in Empfindung, um die Fähigkeit dazu zu erlangen4).

Indeß da auch dieser Uebergang der Vorstellungen in einen Zustand deS Empfin­ dens nur auf dem Wege des Vorstellens erreicht werden kann, so dürfen wir immerhin behaupten: ein bleibender Eindruck im Innern läßt fich nur durch

1) Mager, die modernen Humanitätsstudien, II, S. 124.

— 2) In der Fortsetzung

unserer „Grundlegung". — 3) Darum suchte auch v. Türk bei dem Ausziehen von Quadratund Cubikwurzeln nach einer Methode, die das Vergessen verhüten sollte. — 4) Insofern näm­ lich das rechte Interesse, welches wir in § 11 als das nächste Ziel des pädagogischen Unterrichts nachweisen werden, und welches selbst ein Zustand des Empfindens ist (§ 6, S. 215),

fich

zugleich als eine der wichtigsten und allgemeinsten Bedingungen für die Firirung der Vorstel­

lungen im Bewußtsein erweisen wird.

216

A. Da- Verhältniß de- Unterrichts zur Regierung und Zucht.

Erzeugung und Bearbeitung von Vorstellungen, nur durch Bestimmung und Veränderung des Gedankenkreises hervorbringen, und da hier­

auf der Unterricht in erster Linie gerichtet ist, so müssen wir hinzufügen: der

Unterricht hat vor aller sonstigen pädagogischen Behandlung den unschätzbaren Vorzug, daß seine Wirkungen dauerhafter sind als die Eindrücke, welche bloß

durch Gemüthsaufregung hervorgebracht werden, mit andern Worten der Unterricht

ist die stärkste pädagogische Kraft.

Und das ist um so entscheidender, da Tugend

Glaube selbst, das letzte Ziel deS pädagogischen Unterrichts und aller Erziehung, eine bleibende Gemüthsart ist; denn in ihnen ist der persönliche Wille dauernd

der idealen Erkenntniß unterworfen *). Soll also durch die Erziehung zu Tugend

und Glaube hingeleitet werden, so muß bei ihr d e r U n t e r r i ch t ü b c rw i e g e n, d. i. sie muß hauptsächlich auf vermitteltem Wege, durch Bildung deS Gedan­

kenkreises, geschehen, weil sich dadurch allein sichere und bleibende Resultate

erzielen lassen, wie sie Tugend und Glaube verlangen, weil sich dadurch allein bewirken läßt, daß das Herz fest werde.

Die unmittelbaren Wirkungen, welche

die Zucht auf das Gemüth hervorzubringen sucht, mögen dann wohl unter­ stützend hinzukommen, und es mag ihnen in dieser sekundären Stellung im Gan­

zen der Erziehung eine sehr hohe Bedeutung zukommen2), z. B. auch bei der zweck­

mäßigen Organisation eines den Unterricht fotwährend begleitenden SchullebenS. Aber getrennt von der Bildung des Vorstellungskreises, verfehlen sie trotz der besten und angestrengtesten Absichten deS Erziehers ihren Zweck.

Der Begriff einer

bloßen Zucht läßt sich nur logisch aus seinen Merkmalen zusammensetzen, und eS lassen sich, ihm entsprechend, in der Schule wie im Hause emste, rührende

Scenen veranstalten, ja sie lassen sich als periodisch wiederkehrcnde anordnen und einrichten, so daß daS Gemüth der Jugend aufs tiefste afficirt, aufS leb­ hafteste bewegt, hingerissen und erschüttert wird, aber ihr Gedankenkreis, ihre

Ueberzeugung keinen Zusatz,

keine Erweiterung,

keine Verbesserung erhält.

Solche gedankenlose Ereignisse haben jedoch wegen ihrer bloß momentanen Wir­

kung durchaus keinen pädagogischen Werth, und sie würden alö völlig unnütz

am besten gänzlich unterbleiben.

Durch eine selbständig auftretende Zucht, die

sich nicht anschlicßt an den Unterricht und sich ihm nicht unterordnet, oder die nicht auSgeht von der Bildung des Gedankenkreises, läßt sich einmal nicht wirk­

lich zur Tugend bilden, weil sie keine dauerhaften Folgen hat, ihre Wirkung sinkt in der Wirklichkeit auf Nichts herab, und der Begriff einer solchen Zucht

ist folglich ein leerer Begriff, dem in der Wirklichkeit nicht der beabsichtigte

Erfolg entspricht.

Wenn es also auch ein logisch denkbarer Fall bleibt,

daß

durch Afficircn der Empfindungen ohne Rücksicht auf den Gedankenkreis zur Tugend gebildet würde, so ist es doch faktisch unmöglich, da die bloße Absicht

1) I, § 23, S. i)8. — 2) Darüber in der Lehre von der Zucht.

§ 8. Da» Ueberwiegen de- Unterricht- bei der Erziehung.

217

des Erziehers zu bilden sich nicht in eine wirklich bildende Kraft in der Seele des Zöglings verwandelt, und es ist darum auch sehr bezeichnend, daß alle, welche

vorzugsweise aus dem Wege der Zucht die Erziehung besorgen wollen, zugleich den die edelsten Bestrebungen der Menschheit verurtheilenden und die Möglich­

keit der rechten Erziehung aufhebenden Satz vertreten, die Tugend sei nicht lehr­

bar^).

In Wahrheit muß alle Bildung zur Tugend, um factisch möglich zu

sein, von der Bildung des Vorstellungskreises ihren Ausgangspunkt nehmen.

Alle Besserung, alle Umstimmung der Gemüthsart, alle durchgreifende Sinnes­ änderung, jede wesentliche Erneuerung des Subjects, jede Art von geistiger und sittlicher Wiedergeburt, alle einen bleibenden Zustand vorbereitende Reue und

Buße, alle innere und äußere Mission muß mit der Veränderung und Umfor­ mung des Gedankenkreises, mit der Gestaltung und Umgestaltung des Systems von Vorstellungen, worin das Ich seinen Sitz hat, mit einer Erweiterung,

Berichtigung, Reinigung der Erkenntniß beginnen^), wenn sie überhaupt gelin­ gen soll.

Man muß andere Ansichten und Grundsätze annehmen, man muß in

einem weiten Zusammenhangb) anders denken lernen, man muß an andere Werth­ schätzung sich gewöhnen, um anders wollen und handeln, um ein anderer

Mensch werden zu können4).

Es können auch weder die auf objectiver Grund­

lage beruhenden') moralischen, noch die ohnehin auf ihrer ersten Stufe von der Gemüthslage abhängigen6) religiösen Gefühle dauernd werden und eine nach­

haltige Kraft ausüben, wenn nicht eine begriffliche Ausbildung dessen, woran

1) Wenn hinzugefügt wird, für ihr Hervortreten seien die Einwirkungen eine-hohen

persönlichen Vorbild- und einer würdigen Gemeinschaft entscheidend, so sind da- theil- selbst Elemente de- Unterrichts (§ 5, S. 134 f.), theils prädisponiren sie den Geist für den pädago­ gischen Unterricht (ib. S. 136) und noch früher vielleicht die Individualität (I, § 11, S. 47),

theil- gehören sie zu den einflußreichsten Momenten der Zucht. — 2) Drobisch, empirische Psychologie, § 88, S. 142 s. f. und § 103, S. 286 s. f. — 3) § 6, S. 181. — 4) Wenn

hier die Macht eines einzelnen tiefgreifenden Ereignisse-, auch wo nicht der Fall S. 211, A. 3

vorliegt, das Resultat plötzlich zu Stande zu bringen scheint, so kann das immer nur dar letzte, obwohl hinreichend im Gedankenkreise vorbereitete Durchbrechen der Sonne durch die Wolken sein, die sich schon vorher allmählig mehr und mehr erhellt haben, oder der bestimmte Vorsatz,

auf dem Grunde des bereits umgewandelten Gedankensystem- einen neuen Bau de-Wollen-und Handeln- aufzuführen, und da auch der heilige Geist sich an die Naturgesetze zu binden scheint, wenn er sie gleich in ungewöhnlicher Weise benutzt (cf. über Wunder § 16), so dürfen wir

selbst solche Erscheinungen wie die Wirkungen de- ersten Pfingstfestes oder die Umwandelung

eine- Saulus nicht anders auffassen. — 8) Drobisch, empirische Psychologie, § 68 f. und Volkmann, Grundriß der Psychologie, § 124, S. 318 f.; Hartenstein, Grundbegriffe

der ethischen Wissenschaften, S. 12 und Her bart, Einleitung in die Philosophie, § 82, S. 104 s. f.; Lindner, Lehrbuch der empirischen Psychologie, §67, S. 140.

Cf. Nah-

lowsky, da- Gefühlsleben, § 3, S. 80 f. — 6) Drobisch, empirische Psychologie, § 73, S. 189 und § 94, S. 237; derselbe, Religion-philosophie, S. 24; cf. dagegen für die

höhere Stufe Volkmann, I. c. § 124, S. 321.

218

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

diese Gefühle geknüpft sind, hinzukömmt 9, und wenn nicht die letzteren mit den ersteren in Verbindung gebracht werden. Eben so wenig kann ein Wille beharrlich fest sein, wenn er nicht hervorgeht aus einem herrschenden Gedankenkreise, und sich nicht richtet auf das, was von allem subjectiven Meinen und Fühlen unab­ hängig ist 2). Ja die ganze Charakterbildung muß hauptsächlich durch den Unterricht erreicht werden, da Beharrlichkeit und Festigkeit die wesentlichsten Eigenschaften des Charakters sind, und diese wie alles Feste und Bleibende im Geiste sich nur durch Bildung des Gedankenkreises hervorbringen lassen. Das mag freilich schwierig genug sein. Es kostet schon viel Mühe, um ein Wissen zur Gelehrsamkeit zu steigern. Wie viel schwerer muß es sein, in das Wissen eine bleibende Gemüthsart hineinzulegen und die Charakterzüge des Menschen daran zu befestigen! Es mag auch nicht jede Art von Wissen geeignet sein, als Halt- und Anknüpfungspunkt hierfür zu dienen. Diese Bedenklichkeiten kön­ nen uns jedoch nicht mehr aufhalten, weil es einmal weder einen leichteren und bequemeren, noch überhaupt einen andern möglichen Weg für die Erreichung

1) Daher z.B. die Wichtigkeit des die theologische Dogmatik und Ethik vertretenden Katechismus­

unterrichts, der sich an Lectüre und Geschichte anzuschließen hat, aber auch die Nothwendigkeit

einer engeren Verbindung zwischen Religion und Philosophie, wie sie schon zu den Zeiten der griechischen Kirchenvater bestanden hat (H en de werk, Herbart und die Bibel, S. 33 f.).

Namentlich vermag nur das Denken die Skepsis auf dem Gebiete des Glaubens mit Sicherheit zu überwinden (ib. 7).

Da ferner beim Unterricht Erzählung, Lectüre und Geschichte die

Hauptfäden aller Gesinnungsverhältniffe fortzuführen haben (§ 2, S. 16), so sind vor allem durch den Gesinnungsunterricht die noch nicht analytisch durchgearbeiteten Elemente der in.

ihnen enthaltenen Gesinnungen, es sind in

Culturgeschichte

welche schon im Gedankenkreise des Zöglings vorkommen,

und Geographie die natürlichen Verhältnisse des gesellschaft­

lichen Geistes und seine äußeren Bedingungen, soweit sie dort berührt werden, es sind ebenso die

naturkundlichen Vorstellungen, welche dabei in Betracht kommen, begrifflich zu erörtern, und

diese verschiedenen Gedankenreihen sind dann in den Inhalt des Gesinnungsstoffes so hinein­ zuweben,

daß eine eingreifende und darum dem Gesinnungsunterricht (§ 10) vorzubehal­

tende, also nicht etwa mit der culturgeschichtlichen Betrachtung sich verbindende Erzählung ent­ steht.

Spätestens mit dem Eintreten der Heilsgeschichte sind auch noch die synthetischen Gesin­

nungsverhältniffe, nachdem sie einzeln in der Erzählung nachgewiesen und begrifflich aufgefaßt

sind, in besonderen Erbauungsstunden dem Gemüth einzupflanzen, und hierbei (nur nicht bei dem Unterricht) mögen dann moralisch-religiöse Grundsätze und Sentenzen vorangeschickt, es

mögen schon im Voraus entsprechende Liederverse abgesungen werden, welche den Zögling auf den allgemeinen Standpunkt derBetrachtung versetzen und ihre Stimmung (S. 210) vorbereiten. Beim Unterricht selbst ist beides begrifflich zu verarbeiten und anzueignen.

Ueberdieß ist neben der

begrifflichen Durchbildung der religösen Ideen nicht aus dem Auge zu verlieren, daß diese durchaus nicht bloß als abstrakte Begriffe bei dem Zögling hervortreten dürfen, sondern in Angemessen­

heit zu ihrer Natur begleitet von denjenigen Gefühlen,

denen sie ihren Ursprung verdanken

(Ball au ff, Oldenburgisches Schulblatt, 1850, S. 58; Näheres in der Fortsetzung unserer „Grundlegung"), was nur durch analytische Bearbeitung erreicht werden kann.

S. 217, Anm. 5.

—- 2) s.

8 8. Das Ueberwiegen des Unterrichts bei der Erziehung.

219

zuverlässiger und bleibender Resultate im Geiste giebt als den durch den Unter­ richt. Nur scheint es, als ob der Unterricht gleichsam über sich selbst hinaus­ greife, wenn durch ihn selbst die Charakterbildung hauptsächlich zu Stande gebracht werden soll, die wir anfangs im Allgemeinen als eine Aufgabe der Zucht bezeichnet habenJ). Diese Aufgabe der Zucht ist indeß nur so zu ver­ stehen, daß, nachdem die allgemeine Bildung als nothwendige Voraussetzung?) für den sittlich-religiösen Charakter durch den Unterricht begründet ist, durch die Zucht, indem sie alle Fäden des ErziehungsgeschäfteS zusainmcnfaßt, die Cha­ rakterbildung znin Abschluß gebracht wird. Also auch auf den sittlich-religiösen Charakter3) wie auf den sittlich-religiösen Zweck überhaupt4) arbeitet der Unter­ richt hin; nur thut er das auf mittelbare Weise, während die Zucht sich unmit­ telbar darauf bezieht, und daraus ist weiter zu schließen, daß, obgleich die Zucht abhängt vom Unterricht, doch auch die Selbständigkeit des letzteren keineswegs eine absolute ist. In der That können manche Vorschriften der Unterrichtslehre erst in der Lehre von der Zucht ihre vollständige Begründung, erst durch ihre unmittelbare Beziehung auf die sittlich-religiöse Gesammtbildung ihr volles Licht erhalten. Hieraus sieht man zugleich, daß Unterricht und Zucht in einem noth­ wendigen und untrennbaren inneren Zusammenhang stehen, und nicht etwa in einen Gegensatz, in den man sie oft zu einander setzt5). Indeß die Unterrichts­ lehre ist der schwerste und weitläufigste Theil der Pädagogik. Wenn sie voraus­ gegangen ist, so schließen sich daran die unmittelbaren Rücksichten auf die Cha­ rakterbildung und die dadurch nothwendigen Maßregeln ohne allzu große Schwie­ rigkeiten an. Dagegen würde die Lehre von der Zucht, vollständig ausgeführt, viel zu verwickelt, viel zu schwer zu verstehen, viel zu schwierig zu überschauen sein, wenn die Unterrichtölehre nicht schon fertig da stände und als bekannt vorausgesetzt werden könnte. Bei der wirklichen Erziehung muß jedoch, wie wir schon wissen, die Zucht nicht nothwendig später beginnen als der Unterricht6). Auf der andern Seite soll aber der Unterricht nicht bloß in der Theorie der Zucht voran stehen?). Vielmehr muß auch in der Wirklichkeit die Unterrichtskunst als der wichtigste und vornehmste Theil von der Kunst der Erziehung hervortreten. Auch in der Wirklichkeit muß also der Unterricht unter allen pädagogischen Einwirkungen das größte Gewicht erhalten, und da dieses Gewicht von dem Umstande abhängt, daß die Vorstellungen eine größere Beharrlichkeit in der Seele besitzen als die Empfindungen, welche nur Abweichungen vom Gleichgewichtssysteme der Vor­ stellungen bezeichnen, so kommt dem Unterricht sein Uebergewicht in der Er­ ziehung aus demselben Grunde zu, aus welchem auch andere bekannte Erschei­ nungen auf dem Gebiete der Culturgesellschaft erklärt werden müssen. Denn 1) I, § 24, S. 107. — 2) I, 8 23, S. 96. — 3) § 2, S. 17. — 4) 8 6, S. 141. 8) Bergt, auch § 6, S. 142. — 6) § 6, S. 143. — 7) 8 6, S. 143.

es ist derselbe Grund, aus welchem in der protestantischen Kirche die Predigt, deren ethisch-religiöser Inhalt, in klarer Weise dargestellt, den Menschen erleuch­ ten und erheben soll^), mit Recht für den Haupttheil des Gottesdienstes gilt1 2),3 * an den sich ein verständliches, von allen Unklarheiten des Mysticismus freies Kirchenlied und vielleicht auch außerhalb der Kirche manches die allgemeine Geistesbildung Fördernde anzuschließen hat, was zwar nicht zum unmittelbaren Gottesdienst gehört, aber doch den innern Menschen hebt und hält2). Es ist derselbe Grund, aus welchem die rhetorisirenden, schwärmerischen, auf Empfindungsaffecte hinarbeitenden, vorzugsweise ans Gefühl sich wendenden Redner^) und Schriftsteller nichts, was Bestand hätte, im Gemüthe aufbauen, sondern bloß eine rasch vorübergehende Aufregung desselben hervorbringen. ES ist der­ selbe Grund, aus welchem der protestantische Cultus phantastische und poetisch­ mystische Schauspiele, sowie mächtige, die Phantasie erregende, das Gefühl überreizende Eindrücke als Mittel zur Erhebung verschmäht5) und die ächt protestantische Predigt insbesondere ungeachtet der ihr eigenen ergreifenden Darstellung alles süß Betäubende, alles künstlich Geschraubte, alles priesterlich Schreckende, allen polemischen Eifer, allen Fanatismus vermeidet 6). Es ist derselbe Grund, aus welchem der tiefe Ernst des Protestantismus überhaupt mit der Klarheit seines Geistes vor den Gemüthserregungen des Katholicismus den Vorzug verdient, und derselbe Grund, auS welchem der Heiland selbst sein Erlösungswerk nächst seinem Beispiele7) auf die sittlich-religiöse Wahrheit seiner Lehre und nicht etwa vorzugsweise auf den affectvollen Erfolg seiner Wunder8) oder auf das Wunder seiner übernatürlichen, d. i. durch eine besondere göttliche

1) Gin reines oder auch nur vorwiegendes Theoretisiren, sei es in exegetischer, kritischer,

historischer oder speculativer Weise, wodurch die dem Ethisch-Religiösen bei seiner Verwebung mit dem Reichthum des Lebens beiwohnende Wärme (Herbart, Umriß pädagogischer Vor­

lesungen, § 149 und allgemeine Pädagogik, S. 319) abgekühlt wird, ist sowohl durch den

ethischen Charakter der Predigt, als durch die Natur der das menschliche Wissen übersteigenden Religion ausgeschlossen, durch die letztere auch ein ausschließliches oder vorherrschendes Moralisiren, welches den Menschen nicht aus dem Kreise seiner irdischen Beschränktheit heraus versetzt

(Herbart, Encyklopädie, S. 38). — 2) Ob es freilich nicht angemessener wäre, die verstan­ desmäßige Betrachtung in katechetisch-disputatorische Bibelstunden zu verlegen und auf Grund derselben durch Predigt und Liturgie das Gemüth tief zu erregen,

bleibe dahin gestellt.



3) Neber erhebende Erholung s. H erb art, praktische Philosophie, S. 336; Hartenstein,

Grundbegriffe ic., S. 369; Strümpell, Vorschule rc., S. 210. — 4) Wie die Redner der Rhetorenschulen in der römischen Kaiserzeit (Cramer, Geschichte der Erziehung und des Unterrichts im Alterthum, II, S. 653). — 5) Drobisch, Religionsphilosophie, S. 274. — 6) Herbart sagt in seiner Psychologie als Wissenschaft, II, S

106 mit Recht: die Regungen

des Fanatismus werden sich legen, sobald die Untersuchung seines Gegenstandes beginnt, und

derjenige wird nicht fanatisch verfahren, der aus Einsicht in die Gründe feines Cultus handelt. — 7) S. 217, Anm. 1.

— 8) Cf. § 16.

8 8.

Da« Ueberwiegen dks Unterricht« bei der Erziehung.

221

Veranstaltung und nicht durch das bloße Zusammenwirken blinder Naturkräste herbeigeführten *) Erscheinung gründete.

Es ist derselbe Grund, aus welchem

auch die Verbreitung des Evangeliums und das Wachsen des Reiches GotteS

auf Erden vorzugsweise an das Wort und seine Verkündigung geknüpft ist. Es

ist endlich derselbe Grund, aus welchem alle classtsche Kunst, die einen bleiben­ den Werth in Anspruch nimmt, über flüchtige Rührungen, über theatralische Effecte, über Gemüthöerschütterungen, mit einem Worte über die Erregung subjcctiver Gemüthszustände sich erheben muß 2), obgleich sich die Menschen am sichersten und leichtesten gerade von dieser Seite her erreichen lassen.

. In früherer Zeit war man bei der praktischen Erziehung am wei­ testen davon entfernt, dem Unterricht daS Uebergewicht einzuräumen, das ihm

gebührt.

Denn man dachte nicht daran, daß eS sich auch bei dem Unterricht

um die persönliche, charaktermäßige Ausbildung des Zöglings handele, und

daß diese durch den Unterricht befördert, oder gar hauptsächlich durch ihn her­ vorgebracht werde.

Bei dem Unterricht schien es,

weil der pädagogische

Unterricht unbekannt war3), nur auf das Mehr oder Weniger des Wissens an­

zukommen, das der Zögling zu erwerben habe, und dieses betrachtete man im Vergleich zu seiner persönlichen, charaktermäßigen Ausbildung mit vollem Rechte als eine Nebensache.

So kam es dahin, daß der Unterricht in pädagogischer

Hinsicht weniger galt als die Zucht, und die Zucht als der Haupttheil der Erziehung, ja im Gegensatz zum Unterricht i) alS die eigentliche Erziehung an­ gesehen wurde, weshalb man diese selbst von der Zucht, vom Ziehen benannte. In der neueren Zeit wurde zwar auf den Unterricht ein viel größerer Werth

gelegt, aber nicht aus dem Grunde, aus welchem wir für ihn ein Uebergewicht

bei der wirklichen Erziehung in Anspruch nehmen, ja zum Theil aus Motiven, die keine pädagogische Bedeutung haben.

Zunächst trat seit der zweiten Hälfte

deS vorigen Jahrhunderts im Erziehungswescn der Unterricht mehr hervor in Folge der reformatorischen Bewegungen auf dem Gebiete der Erziehung, welche ganz von selbst sich vorzüglich dem Unterrichte zuwandten, und ihm hauptsäch­

lich zu Gute kamen, weil in den Händen der Erziehungöreformatoren vorzugs­

weise der vom Hause abgetrennte Unterricht lag.

Dabei wirkte freilich, beson­

ders in der Schule Basedow's, auch die Ueberlegung mit5), wie wichtig und

nothwendig ein größerer Umfang des Wissens für das Leben sei.

Dazu kam,

zu Anfang dieses Jahrhunderts war unser Vaterland von außen unterdrückt und aufs tiefste erniedrigt und niedergebeugt.

Da erwachte in patriotischen Gemü-

1) Hendewerk, Hcrbart und die Bibel, S. 30. — 2) Drobisch, empirische Psycho­ logie, § 70, S. 178; Zimmermann, Aesthetik, I, S. 775; Nahlowsky, das Gefühls­ leben, § 17, S. 164 f. — 3) 8 2, S. 23. — 4) 8 8, S. 219. - 3) 8 2, S. 29; 8 3, S. 41; 8 4, S. 118.

222

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

them, namentlich Preußens, der Gedanke, durch die Erziehung der Jugend müsse das deutsche Volk gekräftigt und gehoben werden, damit wenigstens das

künftige Geschlecht dem Vaterland mit der Freiheit eine würdigere politische Stellung überhaupt zurückbringe, und damit ähnliches Mißgeschick fernerhin

unmöglich sei.

Es

sollte

eine allgemeine Verbesserung der Gesellschaft,

ja die Wiedergeburt des Vaterlandes

eingeleitet werden durch die Jugend­

bildung, wie es schon Spener und Francke beabsichtigt hatten7), und ins­

besondere sollte nächst dem patriotischen Sinn der religiöse Sinn des Volkes

neu belebt werden^).

Die Erziehung

sollte also als Rettungsmittel in der

allgemeinen Roth der Zeit, sie sollte als politischer Hebel, als ein Mittel zur

Vervollkommnung der Gesellschaft benutzt werden*3).

Man verlangte deshalb

eine verstärkte Thätigkeit der Schulen, und zunächst der Volksschulen.

Diesen

suchte man durch die Zuleitung Pestalozzi'schen Geistes aufzuhelfen4); wofür

Fichte, freilich von ganz falschen Voraussetzungen ausgehend3), durch seine Reden an die deutsche Nation begeistert hatte.

Man dachte aber zugleich an die

Hebung des gesammten Schulwesens, worauf z. B. Herbart's pädagogische Wirksainkeit an der Universität Königsberg berechnet war«).

Insbesondere

stellte man auch an die Gymnasien die ohne Zweifel richtige Forderung,

die

humaniora, die von ihnen schon seit Jahrhunderten gelehrt würden7), sollten

endlich die Humanität wirklich bringen, und im Zusammenhang mit dem Auf­

schwung der Alterthumswissenschaft und der dadurch angeregten deutschen Litera­ tur strebten die Gymnasien in der That nach einer vollkommneren Gestalt,

worauf nachmals auch der Wetteifer mit den neu entstehenden Bürgerschulen (Realschulen) Einfluß gewann, die den Gymnasien schon dadurch nützten, daß durch die dargebotenc Gelegenheit zu einem höheren, aber nicht gelehrten Unter­ richte eine Menge für sie ungeeigneter und ihren Gang hemmender Köpfe von ihnen entfernt wurde8). Ueberdieß sah man ein, daß von Seiten der Kenntnisse

einem Menschen eher bcizukommen ist als von der Seite der Gesinnungen, deren Förderung man ausschließlich der Zucht glaubte überlassen zu müssen.

Kennt­

nisse lassen sich ja der Jugend ohne allzugroße Schwierigkeiten beibringen, wäh­

rend man in Bezug auf Gesinnungen gewöhnlich nicht recht weiß, wie man es

anfangen soll, gewinnen.

daß sie zuverlässig ins Herz einbringen und darin Festigkeit

Ueber die Kenntnisse kann man sogar eraminiren, während sich Ge-

1) Niemeyer, Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts, III, S. 662 u. 563. — 2) Heppe,

Geschichte des Volksschulwesens, III, S. 118.

— 3) I, § 14, S. 54. —

4) Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesenö, III, S. 119 f.; Blochmann,H.

Pestalozzi, S. 110 f. und S. 156 f.; v. Türk's Leben und Wirken, S. 64. — 5) Ueber das Verhältniß des Idealismus zur Pädagogik in Herbart's kleinen Schriften, II, S. 701 f.

— 6) Herbart's kleine Schriften, I, p. LXVII. — 7) § 3, S. 43. — 8) Darüber in der Fortsetzung unserer „Grundlegung".

(Innungen durchaus nicht gleich sicher und leicht controliren lassen, und der Staat, von dem die stärkste Anregung zur Hebung des Schulwesens ausging ’), wie er denn überhaupt gleichzeitig mehr und mehr nach seinem innern gesellschaftschaftlichen Ausbau hinstrcbte — er hat ja ohnehin die Neigung, so viel zu prüfen, als sich nur thun läßt1 2). So wirkte in neuerer Zeit mancherlei dafür zusammen, daß man auf Erweiterung des öffentlichen Unterrichts hinarbeitetc, das der Jugend mitzutheilende Quantum des Wissens steigerte, die Unterrichts­ zeit auSdehnte, und überhaupt das Erziehungöwesen mehr von der Seite des Unterrichts her zu fördern suchte.

8 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

Versuchen wir jetzt, nachdem wir die allgemeinsten Präliminarfragen abge­ handelt haben, auf das näher einzugehen, was der erziehende Unterricht zu leisten hat, so dürften wir leicht in einige Verlegenheit versetzt werden. Denn der erziehende Unterricht arbeitet aus die Tugend oder die Liebe im christlichen Sinne hin3). Aber dieser Begriff ist so sehr zusammengesetzt, er hat so vielerlei Merkmale, daß wohl ein jeder im ersten Augenblick nicht recht weiß, was er zuerst bedenken und womit er den Anfang bei seiner Uebcrlegung machen soll, auch wenn ihm der allgemeine Zweck des erziehenden Unterrichts ganz klar vor­ schwebt. Wir wollen uns zunächst erinnern, daß Tugend und Liebe eine geistige Thä­ tigkeit ist, und daß deshalb dem erziehenden Unterricht alles an der geistigen Thätigkeit liegen muß, die er veranlaßt. Wer daher bei dem Unterricht bloß auf den Erfolg, auf das Product seiner Thätigkeit sieht4), wer von seinem Zögling eine Leistung verlangt ohne Rücksicht auf die Art, wie sie den Zögling in Anspruch nimmt, und ohne Rücksicht auf die Rückwirkung, die sie auf den Geist des Zöglings hat, steht immer außerhalb der pädagogischen Betrach­ tungsweise, und übt keinen pädagogisch bildenden Einfluß. Die Leistung ist vielleicht, an einem objectiven Maaßstabc gemessen, noch sehr unvollkommen. Aber sie kann demjenigen, welcher nicht mit den Augen eines gewöhnlichen Eraminatorö sieht, und dem auch noch andere Hülfsmittel für die Beurtheilung zu Gebote stehen, als diesem, schon eine treffliche, viel versprechende Bildung anzei­ gen. Umgekehrt kann die Leistung, objectiv genommen, sehr hoch stehen, ohne 1) I, 8 22, S. 93. Fichte (cf. S. 222) wollte ihm das Werk der Erziehung ganz in die Hand geben (I, § 22, S. 90). — 2) I, § 22, S. 92. — 3) § 2, S. 17. — 4) So auch

in § 4, S. 99.

(Innungen durchaus nicht gleich sicher und leicht controliren lassen, und der Staat, von dem die stärkste Anregung zur Hebung des Schulwesens ausging ’), wie er denn überhaupt gleichzeitig mehr und mehr nach seinem innern gesellschaftschaftlichen Ausbau hinstrcbte — er hat ja ohnehin die Neigung, so viel zu prüfen, als sich nur thun läßt1 2). So wirkte in neuerer Zeit mancherlei dafür zusammen, daß man auf Erweiterung des öffentlichen Unterrichts hinarbeitetc, das der Jugend mitzutheilende Quantum des Wissens steigerte, die Unterrichts­ zeit auSdehnte, und überhaupt das Erziehungöwesen mehr von der Seite des Unterrichts her zu fördern suchte.

8 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

Versuchen wir jetzt, nachdem wir die allgemeinsten Präliminarfragen abge­ handelt haben, auf das näher einzugehen, was der erziehende Unterricht zu leisten hat, so dürften wir leicht in einige Verlegenheit versetzt werden. Denn der erziehende Unterricht arbeitet aus die Tugend oder die Liebe im christlichen Sinne hin3). Aber dieser Begriff ist so sehr zusammengesetzt, er hat so vielerlei Merkmale, daß wohl ein jeder im ersten Augenblick nicht recht weiß, was er zuerst bedenken und womit er den Anfang bei seiner Uebcrlegung machen soll, auch wenn ihm der allgemeine Zweck des erziehenden Unterrichts ganz klar vor­ schwebt. Wir wollen uns zunächst erinnern, daß Tugend und Liebe eine geistige Thä­ tigkeit ist, und daß deshalb dem erziehenden Unterricht alles an der geistigen Thätigkeit liegen muß, die er veranlaßt. Wer daher bei dem Unterricht bloß auf den Erfolg, auf das Product seiner Thätigkeit sieht4), wer von seinem Zögling eine Leistung verlangt ohne Rücksicht auf die Art, wie sie den Zögling in Anspruch nimmt, und ohne Rücksicht auf die Rückwirkung, die sie auf den Geist des Zöglings hat, steht immer außerhalb der pädagogischen Betrach­ tungsweise, und übt keinen pädagogisch bildenden Einfluß. Die Leistung ist vielleicht, an einem objectiven Maaßstabc gemessen, noch sehr unvollkommen. Aber sie kann demjenigen, welcher nicht mit den Augen eines gewöhnlichen Eraminatorö sieht, und dem auch noch andere Hülfsmittel für die Beurtheilung zu Gebote stehen, als diesem, schon eine treffliche, viel versprechende Bildung anzei­ gen. Umgekehrt kann die Leistung, objectiv genommen, sehr hoch stehen, ohne 1) I, 8 22, S. 93. Fichte (cf. S. 222) wollte ihm das Werk der Erziehung ganz in die Hand geben (I, § 22, S. 90). — 2) I, § 22, S. 92. — 3) § 2, S. 17. — 4) So auch

in § 4, S. 99.

224

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

daß sie pädagogischen Werth hat und wahre Bildung beweist.

Sie ist nament­

lich dann werthlos und kein Beweis wahrer Bildung, wenn sie durch einen

geistlosen Mechanismus des Thuns zu Stande kommt, wenn sie nur das Resul­

tat einer ganz äußerlichen Gewöhnung ist und Keime der Weiterbildung nicht in sich trägt.

In solcher mechanischen Weise, die nur ein Minimum von geistiger

Thätigkeit bei dem Zögling veranlaßt, kann alles Lernen, alles Thun, das

der Unterricht vom Zögling verlangt, z. B. bei dem Memoriren, Präpariren, Repetiren, Rechnen, Uebersetzen, Lesen, Hersagen geschehen, und es bildet dann in dem Grade weniger, als es ein geringeres Maaß von geistiger Thätigkeit bei

dem Zögling zur Folge hat.

Wir können aber sogleich noch etwas genauer angeben, wie die durch den pädagogischen Unterricht zu veranlassende Gcistesthätigkeit beschaffen sein muß. Denn im Begriff der Tugend und Liebe ist eine Mehrheit von Ideen

enthalten, denen sich der Wille in Gehorsam und Demuth zu unterwerfen hat *), um nicht zu mißfallen.

Die Ideen stellen nun zwar keine Gesetze auf, sie

sprechen keine Forderungen aus, sie legen keine Pflichten auf.

Sie sagen bloß

aus, welches Wollen und Thun löblich oder schändlich sei, welches Wohlgefal­

len oder Mißfallen erwecke.

Auch im Christenthum ist ja der Gesetzesdienst des

Judenthums gebrochen worden^), und zum Ersatz dafür stellt Christus in seiner Persönlichkeit die concrete Vereinigung der Ideen und ein Musterbild für unser

persönliches Verhalten überhaupt dar3).

Aber im Anschauen der Musterbilder

und der göttlichen Persönlichkeit entspringen Forderungen und Pflichten4), wenn

unser Wollen und Handeln damit nicht in Uebereinstimmung ist.

Denn es

tritt dann ein Mißfallen hervor, und damit dieses vermieden werde, machen sich Forderungen und Pflichten geltend.

Von den Ideen ist nun eine, die

Idee der Vollkommenheit, rein formal, und wenn wir ihren Inhalt sogleich als

Forderung aussprechen, so fordert sie bloß die Vermehrung der geistigen Thätig­

keit nach allen Seiten hin, von welcher Beschaffenheit diese auch sein mag5).

Die übrigen Ideen sind dagegen auf die Veredelung der geistigen Thätigkeit gerichtet, und wenn wir uns wieder sogleich an den Pflichtbegriff halten, so

machen sie diese zur Pflicht.

Aus den Ideen, welche im Begriff der Tugend

oder der christlichen Liebe enthalten sind, geht folglich im Allgemeinen theils die

Forderung an den pädagogischen Unterricht hervor, die geistige Thätigkeit des Zöglings zu vermehren und nicht zu vermindern, theils die Forderung, sie zu 1) I, § 23, S. 9a.

— 2) Taute, Religionsphilosophie, II, S. 192. — 3) § 2,

S. 18, Anm. — 4) Hartenstein, Grundbegriffe der ethischen Wissenschaften, S. 329. Bei Kant find dagegen Gesetz und Pflicht etwas Ursprüngliches (ib. S. 60 f.)

Man kann

insofern behaupten, daß auf dem ethischen Gebiete Kant und Herbart stch ebenso zu einander verhalten, wie auf dem religiösen Judenthum'und Christenthum, und daß Kant in ähnlicher Weise durch Herbart ergänzt worden ist, wie das Judenthum durch das Christenthum. —

b) § 18.

§ 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

veredeln und nicht zu verschlechtern.

225

Ohne diese Forderungen zu erfüllen, kann

der Unterricht nicht wirklich auf Tugend und Liebe hinarbeiten.

Den Inhalt der Regel, welche die beiden so eben entwickelten Anforderun-

gen an den Unterricht in sich faßt, würden wir nicht erschöpfen können, ohne speciellen Ausführungen vorzugreifcn.

Mit Rücksicht auf diese dürfen wir uns

hier auf Weniges beschränken.

Was die Verminderung der geistigen Thätigkeit anlangt, die

vermieden werden soll, so muß die sorgfältige Schonung und Erhaltung der geistigen Naturkraft des Zöglings, die schon aus anderirGründen

Pflicht ist i), für den Erzichungsunterricht das Allererste sein, worauf er im

Hinblick auf die Idee der Vollkommenheit zu achten hat, da jene Naturkraft auch für ihn wie für alle Erziehung der Ausgangs - und Anknüpfungspunkt ist1 2). **

Die geistige Naturkraft des Zöglings, die vor aller Erziehung bei ihm vorhan­ den ist, zerfällt nun theils in die ihm angcborne, theils in die während seiner frühesten Jugend von selbst, ohne die absichtlich planmäßige Einwirkung anderer

durch ihn erworbene Eigenthümlichkeit«);

denn die letztere rechnen wir nach

demselben Sprachgebrauches zur Natur, nach welchem auch die Gewohnheit als

die andere Natur bezeichnet leirb5).

Zu der erworbenen Natur gehört aber eine

Kraft, welche dem jugendlichen Alter überhaupt eigen ist, wenn cs von außen

nicht zu sehr gedrückt wird. keit.

Das ist der natürliche Frohsinn und die Munter­

Denn das Kind kennt noch nicht die äußeren und inneren Schwierigkeiten

und Hindernisse, mit denen das Leben der Erwachsenen zu kämpfen hat.

In

seinem Inneren haben sich auch noch keine schroffen Gegensätze ausgebildet. Die Eindrücke der Umgebung und des Umgangs finden daher darin noch freien, un­

verwehrten Raum, so daß sie anregend und belebend, reizend, fesselnd und Lust

erweckend durch sein Gemüth strömen können.

So entspringt in Verbindung

mit einer frischen Empfänglichkeit für natürliche Liebe und Hingebung«) der

frohe und heitere Sinn der Jugend, und dieser darf ihr nicht entrissen oder geschmälert werden, namentlich nicht durch unfreundliches Wesen von Seiten der

Erzieher, er muß ihr unverkürzt und unvcrkümmert erhalten bleiben, was schon Pestalozzi energisch betonte.

Ebenso wenig wie an der geistigen Naturkraft darf

der Zögling an dem übrigen Gcistigen, was er bereits besitzt, durch den Unterricht einen Verlust erleiden.

Es mag dieses immerhin durch den Zusam-

1) I, § 23, S. 100 f. — 2) I, § 22, S. 83. — 3) I, § 8, S. 34. — 4) Herbart,

Kleine Schriften, III, S. 833.— 3) Drobisch, empirische Psychologie, § 93, S. 234. Auch die Taufgnade ist als erworbene Anlage anzuschen, da sie, auf dem Einfluß einer christ­ lichen Umgebung beruhend, den Getauften für eine christlich-religiöse Entwickelung prädispo-

nirt.

Natürlich ist das eine Gabe, welche dem Menschen nicht ohne höhere Veranstaltungen

(§ 2, S. 13) zu Theil werden kann. — 6) II, § 16, S. 151.

Biller, erziehender Unterricht.

mcnhang, in dm cs mit den Späterem zu bringen ist, vielleicht von Grund aus unigebildct, oder durch Hinzufügung neuer Theile wesentlich erweitert werden müssen. Aber es darf nicht einfach unterdrückt werden, wie es auf dem Gebiete der Regierung geschieht. Der Zögling soll in keiner Weise das eine über dem andern verlieren. Auch ein früheres Wissen darf bei ihm nicht durch ein späte­ res vollständig obruirt werden, was freilich ohne sorgfältige Fortführung aller Gcdankenfäden bei dem Unterricht und ohne das Vorhandensein eines stets deut­ lichen Bewußtseins darüber wegen des unvermeidlichen Dazwischentretens von Entgegengesetztem gar nicht möglich ist. Selbst ein zum Gegenstand des Unter­ richts nicht gehöriger Gedanke ist nicht einfach zurückzuweisen, sondern so zu bearbeiten, daß der Schüler auf den rechten Standpunkt der Betrachtung gestellt wird. Ja dem pädagogischen Unterricht muß schon alles, was den Zögling bloß belehrt, ohne seine Thätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben, ebenso verhaßt sein, wie es Göthe für sich selbst war *). Durch das Lernen darf sich vollends nicht sein Muth, seine Entschlossenheit, seine Gewandtheit, seine geistige Productivität, seine Sprachfertigkeit mindern. Der Zögling darf überhaupt durch den Unterricht nicht geistig schwächer werden. Keine sei­ ner Kräfte darf geradezu aufgezehrt oder völlig erschöpft, keine darf bis zur Ab­ spannung in Anspruch genommen werden. Jede Art von Studien und Beschäf­ tigungen ist unpädagogisch, die z. B. durch Ucberladung, durch schlechte Metho­ den, die geistige Kraft des Kindes zur Ohnmacht herabsinken läßt. Der Unter­ richt darf nirgends geisttödtend, er muß stets geistwcckend wirken. Selbst der Unterricht im Lesen und Schreiben muß eine geiststärkende und eine geistkräf­ tigende Arbeit sein. Insbesondere dürfen durch den Unterricht auch nicht Nach­ theile für die Gesundheit und Körperbildung des Zöglings, cs dürfen dadurch für ihn keine Hindernisse bei der Erfüllung der physiologischen Bedingungen ent­ stehen, von denen das körperliche Wohlbefinden abhängt. Denn wegen der allgemeinen Correspondenz zwischen Seele und Leib2) und wegen ihrer ununter­ brochen gegenseitigen Einwirkung auf einander leidet unter einer Vernachläs­ sigung des letzteren früher oder später immer auch der Geist, und es verringern sich folglich die geistigen Kräfte, statt daß sie gemehrt und gesteigert werden sollten. Jener Erfolg tritt am gewissesten gerade im kindlichen Alter ein, wo die einzelnen Systeme des Leibes noch wenig gegen einander abgeschlossen sind, und jedes Leiden in einem einzelnen Theile sogleich das Ganze in Mitleiden­ schaft versetzt b), wo übcrdieß auch der Geist noch nicht die Kraft besitzt, ungünstigen Einwirkungen des Körpers Widerstand zu leisten. Körperliche Schwächung und Erschöpfung wirkt daher bei der Jugend immer sehr rasch zugleich geistig läh1) Mittheilungen von Riemer über Göthe, I, S. 198 f. — 2) I, § 10, S. 39. — 3) Ib.

mend, und eine Überspannung und Ueberreizung der geistigen Bildung und Ent­ wickelung ruft gewöhnlich sehr bald eine so starke Reaction von Seiten der leiblichen Systeme hervor, daß hierdurch die Kraft und Lebendigkeit der geistigen Thätig­ keit selbst aufs höchste beschränkt wird. Um so mehr ist deshalb bei der Jugend darauf zu achten, zumal ohne Gesundheit keine Kraft des Wollens entstehen kann *), daß nicht die Bildung der Seele und das Fortschreiten ihrer innern Entwickelung durch irgend ein physisches Uebel, durch irgend eine Schwächung ihrer leiblichen Hülle gehemmt, sondern dem Wunsche Juvenal's1 2) und dem Grundsätze Locke's8) nachgelebt werde: ut sit mens sana in corpore sano, und damit eine durchgängige Rücksicht auf die Gesundheit wie eine individualisirende Behandlung der einzelnen Fälle statt firiden könne, sollten stets Familienund Schulärzte mit den Erziehern zusammenwirken 4), unter anderem auch um die Wirkungen des beginnenden Elementarunterrichts und den am Ende der Schulzeit eintretenden Uebergang zur physiologischen Reife zu beobachten. So­ bald sich bei einem Zögling irgendwie eine empfindliche Störung des leiblichen Lebens fühlbar macht, muß auf der Stelle eine Ermäßigung oder ein Stillstand des Unterrichts eintreten. Man darf z. B. den Zögling nicht etwa bei Kopf­ weh noch lernen, arbeiten, sich üben lassen. Man muß selbst bei bloßem Gäh­ nen, das sich während des Unterrichts wiederholt, zum mindesten mit dem Gegenstand oder seiner Behandlung wechseln, um den Zögling wieder anzu­ frischen und ihn nicht vollständig ermatten zu lassen. Er muß durchaus im Normalzustände der Gesundheit sich befinden, wenn er irgend einen Unterricht erhalten soll. Das muß trotz aller entgegenstrebenden Wünsche ein allgemein gültiges und unverbrüchliches Gesetz sein. Der Unterricht darf auch nicht so viel Stunden oder so viel Wochen ohne größere Pansen fortgesetzt werden, daß bei dem Zögling vollständige Ermüdung oder gar Erschlaffung des Körpers und weiterhin des Geistes eintreten muß. Man darf beim Unterricht nicht einmal zwischen Stunden unterscheiben, in denen der Zögling frisch, und andere, in denen er regelmäßig stumpf ist. Wo sich ein solches Verhältniß thatsächlich zeigt, da ist etwas Falsches im Lehrplane, was entfernt werden muß, weil es den Zögling geistig schwächer macht. In der Wirklichkeit übt leider der theils nothwendige, theils nützliche Unterricht, namentlich der höheren Schulen mit ihren höheren Zielen, sehr oft auf das Knabenalter einen solchen Druck aus, daß dessen geistige Thätigkeit in irgend einer der oben angedeuteten Beziehungen eher abnimmt als zunimmt. Im Lehrerstande wird das Uebel allerdings nicht immer anerkannt, und am wenigsten in der Ausdehnung zugegeben, in der es besteht. Um so schärfer wird 1) Darüber in der Lehre von der Zucht. — 2) Sat. 10, 356. — 3) Zu Anfang ven Some thoughts concerning education, — 4) I, §

S. 2.

es aber außerhalb des Lehrerstandes beobachtet, wenn auch nicht überall auf die rechten Quellen zurückgeführt, und besonders von inedicinischer Seite her sind darüber in neuerer Zeit wiederholt die bittersten Klagen geführt worden*). Die Behauptungen, worauf sich diese Klagen stützten, sollten allerdings von der andern Seite durch statistische Nachweisung widerlegt werden. Aber der Schein der Widerlegung kann leicht nur daraus entsprungen sein, daß jene Nachweisun­ gen auf die Individualität der einzelnen Fälle nicht genug eingehen konnten. Jedenfalls werden wir späterhin1 2) auf die besonderen Vorkehrungen, welche von Seiten der Physiologie und Medicin in Bezug auf den Schutz der körperlichen Gesundheit gegen den Druck des Unterrichts empfohlen werden, hinzuweisen haben, zumal sie wissenschaftlich begründeter sind als die einst wm Philanthropinismus aufgestellten, also auf Vorkehrungen, die z. B. die Pflege der Augen, die Rücksichtsnahme auf die Luftbeschaffenheit, die Beschaffenheit der Subsellien, die Körperhaltung beim Sitzen, beim Schreiben und Zeichnen, die Schonung der Stimme bis zurVermeidung eines vierstimmigen Schulgesangs betreffen2). So nothwendig aber auch diese Vorkehrungen sein mögen, und so unerläßlich es ist, daß die auf das Turnen2)4und die mechanischen Nebenbeschäftigungen der Schüler bezüglichen Vorschriften nicht bloß durch die kundige Leitung sondern durch das freie Beispiel der Lehrer5), also in diesem Falle durch ihr eigenes regelmäßiges Turnen, durch ihren eigenen Trieb zu zweckmäßigen mechanischen Beschäftigungen2) unterstützt werden, so wünschenswerth eS überdieß sein mag, das Spielen, das Turnen und alle ähnlichen Beschäftigungen zugleich zu Mittelpunkten für ein den Charakter unmittelbar bildendes Schulleben zu machen^), wodurch die Beschäf­ tigungen, indem sie einen tieferen Hintergrund erhalten, selbst gehoben werden — trotz dem müssen wir eingestehen: alle solche Maaßregeln können für den Schüler kein ausreichendes Gegengewicht gegen das Uebermaaß geistiger Anstrengungen, sie können kein vollständiges und durchgreifendes Gegenmittel gegen einen allge­ meinen Druck des Unterrichts bilden. Die ganze Einrichtung des Unterrichts muß vielmehr so beschaffen sein, daß er nicht als ein fortgesetzter Druck von dem 1) König Friedrich Wilhelm III. stimmte mit freiem, unbeirrtem Blicke den Anklagen

Lorinser's bei, dem 1858 Schieber, ein ärztlicher Blick ins Schulwesen, nachfvlgte.— 2) In der Fortsetzung unserer „Grundlegung". — 3) Cf. § 1, S. 6 von Seiten der Regierung. —

4) Rach dem Auftreten der Jesuiten (Ruhkvpf, J. c. S. 380) und dem 30jährigen Kriege zuerst von Basedow und besonders dem zu Pestalozzi hinneigenden Philanthropinisten Gnths-

muths für das von politisch-militärischen Zwecken unabhängige Bedürfniß der Jugend, beson­ ders auch der Schuljugend wieder erweckt, auch von Fichte enthustastisch begrüßt und nachmals

von Spieß methodisch ausgebildet.

Ueber die politische Beziehung, die durch die Freiheits­

kriege (Jahn, Eiselen) hinzukam, f. § 4, S. 106. — 5) § 5, S. 135. — 6) Das akade­ mische Seminar sollte in der That auch darauf berechnet sein.

Leider sind die höheren Gesell­

schaftskreise überhaupt den mechanischen Beschäftigungen, die ihnen zur Erholung, zur physchen Kräftigung dienen sollten, allzu sehr entfremdet. — 7) §, 8, S. 216.

Zögling empfunden wird, und einer solchen Einrichtung steht gegenwärtig hauptsächlich der Mangel an pädagogisch-didaktischer Erkenntniß, der Mangel an Methodik bei den Erzichungslehrern und der Mangel an gründlicher Durch­ bildung der speciellen Unterrichtslehrc selbst entgegen*) — zwei Mängel, die sich ohne allgemeine Einführung akademischer Seminare gar nicht heben lassen. Diese beiden Mängel sind der eigentliche Sitz des Uebels, von dem das körper­ liche und geistige Siechthum der Schüler nur ein Symptom ist. Das letztere würde ganz von selbst verschwinden, ohne daß vielleicht die Ausdehnung des Unterrichts und Unterrichtsstoffes, die schon durch unsere Culturentwickelung gefordert wird, wesentlich zu beschränken wäre, und ohne daß eine (auch für die Berufsbildung) schädliche Verspätung des ersten Elementarunterrichts 2)3oder eine ebenso schädliche Verlängerung des Schulbesuchs einzutreten brauchte, wenn nur die Lehrer bessere Methoden zu gebrauchen wüßten, wenn sie die Zeit und Kraft der Schüler besser zu benutzen verständen, wenn sie nicht bloß auf Ansammlung von Kenntnissen, auf Einübung von Fertigkeiten, auf Hervorbringung von Leistungen ohne zweck­ mäßige Fortbildung des kindlichen Gedankenkreises hinarbeiteten, wenn die psycho­ logischen Stufenfolgen, die für Erzählung, Lectüre und Geschichte und den davon abhängigen Unterricht in der Naturkunde wie in den Formen und Zeichen sowohl im Ganzen wie im Einzelnen aufgefunden sind, eingeführt, wenn Concentration des Unterrichts«), Zurücksetzung der Formen und Zeichen an die ihnen gebüh­ rende zweite Stelle4) und eine zweckmäßige Vertheilung des Stoffs beim Unter­ richt , sowie ein consequentes Studium von Natur und Heimath außerhalb der Schulstubes) durchgesührt und der Anschluß alles synthetischen Unterrichts an einen ausgedehnten analytischen Unterricht weit genug fortgesetzt würde. Ohne solche innere Veränderungen des Unterrichts sind die allernothwendigsten äußeren Reformen ganz unmöglich, z. B. Herabsetzung der Zahl der Schulstun­ den und Minderung der häuslichen Schularbeiten«) bis auf das Maaß, daß die Knaben ungeachtet der Festhaltung des Unterrichtszieles nicht bloß die nöthige Zeit zum Schlafen nach der Hauptmahlzeit haben, sondern auch ein Dritttheil und oft die Hälfte des Tages wo möglich in freier Luft zubringen und wenigstens auf den Beinen sein können, ferner die Einführung freier Spiel­ oder mechanischer Beschäftigungsstunden zwischen je zwei Schulstunden des Hauptunterrichts u. s. w. So lange jene inneren Veränderungen des Unter­ richts nicht erreicht sind, kann es auch trotz alles Wirkens von außen her nicht ausbleiben, daß bei dem Unterricht die geistige und physische Kraft der Kinder ungebührlich in Anspruch genommen wird, daß eine der Lebensfrische, Lebens­ freudigkeit und Lebensenergie Abbruch thuende, die körperliche Gesundheit gefähr1) § 7. — 2) § 5, S. 132. — 3) Im Sinne von 8 19. — 4) Im Sinne von 8 10. —

3) §5, S. 128 f. — 6) Sie dürfen Jahre lang nur die leichtesten und sichersten Reproduktionen umfassen.

230

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

beitbe, schwächende und erschöpfenbe Ueberspannung und Ueberreizung eintritt, baß bei den übermäßigen geistigen Anstrengungen und Beschäftigungen *), bei dein vie­ len Lernen und Sitzen, bei dem oft unnöthigen Schreiben in eine Menge von Schreib­ büchern, das viel besser durch mündliche Uebung ersetzt würde, ein unausgesetz­ ter Druck auf den Zögling statt findet, welcher den Geist ebenso sehr verwirrt und abstumpft, als er die leibliche Bildung hemmt und verkümmert. Ueberdies entspricht dann der Unterricht nicht einmal den Anforderungen der Regierung1 2), denen er als Besebästigungsmittel3) unterworfen ist; denn er leistet als solches weniger, da Maaßlosigkeit in der Beschäftigung immer zugleich die Zweckmäßig­ keit derselben vermindert, und folglich den guten Fortgang der Regierung hindert. Der zweite Theil der oben aus dein Begriff des Erziehungszweckes abge­ leiteten Forderung, die wir an den Unterricht gestellt haben, bestand darin, daß derselbe keine Verschlechterung, sondern eine Veredelung der geizigen Thätigkeit bei dem Zögling herbeizuführen habe. Die ganze Schule (das gesanunte Schulleben mit seinen Reisen, Spaziergängen, Spiel-, Arbeitsstunden u. s. w. eingeschlossen) muß daher ein streng sittlicher Zustand sein4),* *wovon ein leichtsinniger, gewissenloser Unterricht das äußerste Gegentheil ist, z. B. ein solcher, der alle Gesetze der Geistesentwickelung verachtet3), der äußerlich Auf- und Angenommenes3), zu schnellem Vergessen Gelerntes7) als wahrhaften Besitz gelten läßt, der an Idealität der Lebensauffassung und Lebens­ führung nicht gewöhnt ii. s. w., aber auch ein solcher Unterricht, wobei die äußeren Gewaltmaaßregeln8) der ihn fortwährend begleitenden 9) Regierung zu sehr in den Vordergrund treten; denn das bloße Befehlen drängt das eigene Urtheilen und Wollen des Zöglings zurück, das unausgesetzte Drohen und Strafen gewöhnt an den eudänwnistischen Standpunkt, auf welchen man für die.Befriedigung einer Begierde auch Uebel sich gefallen läßt, der Druck einer zu sehr sich verallgemeinernden'") Aufsicht, wobei Verheimlichung und Lüge als bei dem Schüler vorhanden angenommen wird"), läßt diese als herr­ schenden Zustand des Lebens erscheinen, dem er sich zuletzt unterwirft. Ver­ schlechterung entsteht insbesondere, wenn die Unterrichtserfolge, bei denen die höchste Vollkommenheit angestrebt werden muß'2), nur scheinbar erreicht, wenn sie bloß vvrgespiegelt und die Schüler selbst in den heuchlerischen, betrügerischen Schein, den auch die Zucht als Gegensatz zur Wahrhaftigkeit verurtheilt, mit hineingezogen werden'3). Verschlechterung entsteht vornehmlich sehr gewöhnlich 1) Nicht Maaß zu halten in den Beschäftigungen der Schule, ist der Fehler der Schule, der dem in § 2, S. 11, Anm. 4, bemerkten gerade entgegensteht. — 2) II, § 5, S. 28.—

3) § 1, S. 2. -

4) Mager, die modernen Humanitätsstudien, II, S. 122. — 5) § 7,

S. 177. — 6) § 4, S. 79. — 7) § 8, S. 214. — 8) II, § 5. — 9) § 1, S- 4. — 10) II, 8 12. — 11) II, § 13, S. 126. - 12) § II. — 13) Curtmann, Schule und Leben, S. 231, Anm. theilt einen Fall mit, wo ein Schüler selbst offen widerstrebt.

8 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

231

dann durch den Unterricht, wenn das Wissen und Können, welches er hervor­

bringt, zur Ostentation und zur Erlangung äußerer Vortheile benutzt wird.

Es tritt das vor allem bei den öffentlichen Schulprüfungen her­

vor , welche deshalb zu pädagogischen Bedenken Veranlassung geben, so noth­

wendig sie auch sowohl für die Zwecke des Staats sind als dafür,

daß den

Familien durch die Gelegenheit zur Kenntni'finahmc von dem, was in den. Schu­

len geschieht, Vertrauen zu denselben erweckt werde.

Der Zögling will hier gut

oder am besten bestehen,

oder die Lehrer wollen die

er will gesehen werden,

Talente, das Wissen, die Leistungen der Schüler glänzen lassen, und sic führen

deshalb mit deren Kenntnissen und Geschicklichkeiten Schauspiele auf, die immer

unmoralisch und überall indieirt sind, wo man nur irgendwie die Gegenstände

des Eramens vorbereitet.

Solche Bestrebungen werden auch wohl niemals

ausbleiben, wenn die Schulen genöthigt sind, alles, was sie thun und bewirken,

einem größeren Publicum darzulegcn, oder wenn sic darauf ausgehen, am liebsten gerade das Beste und Glänzendste hervortretcn zu lassen und zur Schau zu stel­

len '), statt sich darauf zu beschränken, daß bloß das Gewöhnliche und Alltäg­ liche , welches ohnehin die ganze Unterrichtsweisc und den Geist der Schule am besten charakteristrt, ohne alle besondere Vorbereitung und ohne alle feierliche Ver­ anstaltung gezeigt wirb , die über die Verwandclung der Schulprüfung in ein

Schulfest 2) im Geiste der Zucht und des Schullebens hinausgeht3).

Man

sieht zugleich, daß jene Bestrebungen vorzüglich den Mädchen großen Schaden

bringen können; denn diese büßen dabei leicht den Sinn für eine stille, den Augen der Menge entzogene häusliche Thätigkeit ein.

Aber die Tendenz des

öffentlichen Unterrichts, den Zögling beim Lernen Ehre und Vortheil finden zu

lassen, reicht längst über jene Bestrebungen weit hinaus.

Schon Comcniuö

sand cs nicht tadclnswerth, daß gute Leistungen durch kleine Geschenke, wenn auch nur durch Näschereien, belohnt und'hervorgelockt würdenH.

Locke ver­

warf zwar alle sinnlichen Lustempfindungen als Reizmittel für den Unterricht. Aber die Benutzung des Ehrtricbes als eines Hebels zur Anfcucrung des jugend­

lichen Eifers schloß er nicht aus, ja er bezeichnete sie als das große Geheimniß der Erziehung bei jüngeren Kindern.

Basedow empfahl darauf alle Reizmittel

der Art in der weitesten Ausdehnung, und noch heute wird das Wissen und Können, ja selbst das Betragen in den Schulen ganz allgemein zu einem Ziele

des Ehrtricbes und zu einen« Mittel für die Erlangung äußerer Vortheile gemacht.

Auf den höheren Schulen wird das gewöhnlich in ein förmliches

System gebracht.

Es wird dem Schüler für Fleiß und hervorragende Leistungen

1) Z. B. Stoy, Encyklopädie, S. 274. — 2) Die Literatur über Schulfeste überhaupt s. bei Kirsch, die Aufsicht des Geistlichen über die Volksschule, S. 299, 2. Aust. — 3) § 4,

S. 94 und 8 6, S. 141. — 4) Sie kommen hier und da bereits in den Volksschulen des 16. Jahrhunderts vor, s. Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens, I, S. 37.

232

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

ein äußerer Lohn und allerhand Auszeichnung (bonos et praemium), namentlich in Belobungen und Prämien bestehend, verheißen und gewährt.

Mit dem Loben

und Belohnen wird zugleich das Tadeln und Strafen verbunden.

Durch das Lob

und die Belohnung wird sein Ehrgefühl und sein Streben nach Lohn direetgereizt,

durch den Tadel und die Strafe dagegen indirect, nämlich durch die Anreizung zum

Widerstreben gegen die Kränkung seines Ehrgefühls und die Täuschung seiner Hoffnung auf Lohn, die ihm absichtlich von Seiten des Lehrers bereitet wird.

Die Philanthropine H hatten, wie schon früher Trotzendorf^), in beiderlei Be­ ziehung vieles höchst Auffallende eingeführt, und manches davon ist auch jetzt

noch nicht vollständig verschwunden.

So kommt noch immer hier und da

die Aufstellung von Meritentafeln vor, auf denen die Namen ausgezeichneter Schüler zum bleibenden Gedächtniß eingetragen werden.

Anderes in den Phi-

lanthropinen Uebliche mag ich aus pädagogischem Ehrgefühl gar nicht erwähnen. Zum mindesten wird jetzt der Schüler angetrieben, nach einer guten Censur zu

streben, und nach den einzelnen Elementen des Lobes, aus deren Summation

zuletzt die Censur als Gesammtresultat hervorgeht, und die man zu diesem

Behufe schon vorher nebst den ihnen entgegensetzten tadelnden Bemerkungen so viel als möglich im Schultagebuche aufzubewahren sucht.

Die Censuren haben

nämlich den pädagogischen Zweck3), das Zusammenwirken der Schule mit den

Familien4) zu unterstützen.

Die Schule will darin den Familien ihre bei dem

Unterricht gemachten Beobachtungen über die gemeinsamen Zöglinge mittheilen;

denn solche Beobachtungen, am besten in Charakteristiken3) bestehend, welche den Zögling von Stufe zu Stufe durch die Schule begleiten, bilden ja die nothwen­

dige Grundlage für eine in das Innere eingreifende Behandlung derselben6). Hieraus folgt, daß die Censuren als darauf berechnet, den Eltern und Vor­

mündern den erforderlichen Aufschluß über ihre Angehörigen zu geben, eigentlich auch nur ihnen mitzutheilen sind. Aber bei uns werden diese verkümmerten Zerr­ bilder von Kindercharakteristiken zunächst den Schülern mitgetheilt.

Sie werden

ihnen sogar gewöhnlich, um ihnen einen größeren Nachdruck zu verleihen, vor

den Mitschülern, ja zuweilen vor fremden Zuschauern publieirt, und theilweise vielleicht in die Schulschriften ausgenommen. Sie werden auch zur Vergleichung

der Schüler unter einander und zu ihrer genauen Unterscheidung sorgfältig benutzt.

Eine Unterlage für die Censur gewähren besonders die eorrigirten

schriftlichen Arbeiten.

Diese werden nach ihrem durch Nummern oder Prädicate

l)Stoy, über Schul-und Hauspolizei, S. 9. — 2) Löschte in der Schrift über

ihn, S. 37 und Nuhkopf, Geschichte des Schul- und Erziehungswesens rc., S. 360. — 3) Sie find von Francke eingeführt worden (Niemeyer, Grundsätze der Erziehung und des

Unterrichts, III, S. 571). — 4) I, § 23, S. 94 und in unserer „Grundlegung" § 10. — 5) § 7, S. 182. — 6) I, § 22, S. 86. Ein Muster für solche Censuren sind Herbart's Mit­

theilungen an die Eltern seiner Zöglinge im XI. Bande seiner gesammelten Werke.

8 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

233

ausgedrückten Werthe classificirt, die Classification wird wiederum den Schülern

bekannt gemacht, und das reizt die Schüler, daß sic um jeden Preis eine gute

Arbeit liefern wollen ’)•

ES wird auch durch Location die Reihenfolge der

Schüler nach dem Gesammtwerthe ihrer Leistungen, wobei man das Betragen wenigstens ergänzungsweise mit berücksichtigt, oder bloß nach ihren Leistungcn in einzelnen Unterrichtsfächern, die dann als Hauptfächer vor den Nebenfächern hervortreten2), bestimmt.

Es gilt darum für einen Ehrenpunkt eines Schülers,

einen Hähern Platz in der Classe einzunchmcn, und das ist ein Sporn für ihn, um darnach zu streben.

Er mag, wo nicht der erste oder einer der ersten unter

seinen Classengenossen sein, doch nicht allzutief herabgesetzt werden, und sein Streben hiernach erhält hinreichende Gelegenheit, sich zu bethätigen. Denn eS findet von Zeit zu Zeit ein Certiren um die Plätze3) und ein Anfertigen von

Arbeiten pro loco statt, und außerdem die regelmäßige Versetzung, der oft ein

Versetzungseramen (Promotionsprüfung) vorausgeht, und die nicht etwa bloß den Zweck hat, eine den Kenntnissen und Leistungen der Schüler genau entsprechende

Vertheilung nach Classen herzustellen (welche möglichst gleichartigen Schülern den

gleichen Unterricht sichert^)), sondern die vorzugsweise dazu dienen soll, daß der Rang der Einzelnen deutlich festgcstellt werde. Hierbei versäumt man nicht, darauf

zu sehen, daß die entscheidenden Termine für Lob und Tadel, für Zeugnisse und

Versetzung nicht allzuweit von einander entfernt liegen.

Denn das ferne Ziel

pflegt den Fleiß Und die Aufmerksamkeit weniger anzuspornen. Am fleißigsten und

aufmerksamsten sind vielmehr die Schüler gerade unmittelbar vor der Versetzung

und vor der Erthcilung der Censuren, weil ihre Erwartung sich um so stärker darauf richtet, und man sorgt deshalb dafür, daß diese Zeiträume nicht zu selten eintreten.

Freilich darf auch das Gefühl der Schüler durch allzuhäufiges Loci­

ren ebenso wenig als durch andere allzuhäufige Belohnungen und Auszeich­

nungen oder Zurücksetzungen und Bestrafungen überreizt und abgestumpft wer­

den, wenn es sich constant erhalten soll.

Am künstlichsten wurde der Rang der

Schüler zuerst von Trotzendorf bezeichnet; denn er behandelte seine Schule als eine unter ihm als dictator perpetuus stehende Republik mit Consuln, Sena­

toren und Censoren, sowie mit Quästoren für die Tribus, dieUnterabtheilungcn seiner 6 Cassen, und mit ähnlichen Beamten aus den Reihen der Schüler3). In

unsern Schulen eröffnet endlich sogar der Staat dem Strebsamen und dem durch 1) Ganz ähnlich ist es mit den Abgangszeugnissen. — 2) § 10. — 3) Ein Certiren

auch ohne Rücksicht auf den Platz schon bei Trotzendorf (Löschte in der Schrift über ihn, S. 37),

wie einst in den römischen Rhetorenschulen und vielleicht schon bei Aristoteles

(Cramer, Geschichte der Erziehung und des Unterrichts im Alterthume, II, S. 672), des­

gleichen in den spartanischen Gymnasien (ih. I, S. 217). — 4) I, § 22, S. 86. — 5) R u hkopf, Geschichte des Schul- und Erziehungöwesens re., S. 339.

Aemter einzelner Schüler

für Dienstleistungen im Interesse des Ganzen fordert natürlich das Schulleben der Zucht (8 8).

feine Leistungen sich Auszeichnenden Aussichten auf Unterstützung, z. B. durch Stipendien, und auf Beförderung, er gewährt auch beides und die Schulbehör­ den wirken bei geeigneten Gelegenheiten belobend, ermunternd und aufstachelnd mit den Lehrercollegien zusammen. Alles das verfehlt nun seinen Zweck auf die Jugend keineswegs. Es setzt sie in Bewegung und sie strebt empor, und zwar um so mehr, mit je größe­ rer Wichtigkeit die ganze Angelegenheit des Lobens und Tadelns, des Beloh­ nens und Strafens, der Censur und Rangordnung, des Ermunterns und Anspor­ nens behandelt wird, und mit je mehr Kunstfertigkeit diese Mittel gehandhabt wer­ den. ES ist in der That bei der Jugend wegen der Beweglichkeit ihres Innern') sehr leicht, ihr gewisse Ehrenpunkte und äußere Triebfedern einzupflanzen, und dadurch eine ganz außerordentliche Anspannung ihrer Kräfte hervorzurufen. Durch die von uns angegebenen und durch ähnliche Reizmittel werden auch auf den Schulen unverkennbar große Anstrengungen und zum Theil glänzende Lei­ stungen derZöglinge hervorgebracht2), und um dieser Vortheile willeit haben die Reizmittel selbst so viele Verehrer und Anhänger, hat ihre Anwendung eine so weite Verbreitung gefunden ^). Ans der Belebung der Zöglinge durch solche Reizmittel beruht sogar ein wesentlicher Theil von der größeren Energie und Triebkraft, welche die Schulen vor der Privaterziehung voraus haben. Denn hier lassen sich die künstlichen Reizmittel nicht in so ausgedehntem Maaße anwen­ den als dort. Ueberdieß fällt bei ihrer Anwendung in der Privaterziehung die Ver­ stärkung der Wirkung hinweg, welche in den Schulen aus dem Zusammensein vieler entspringt4), weil hier jede Wallung und Aufregung theils viel länger fortschwingt, und viel langsamer zur Ruhe kömmt , theils schon durch die Beobachtung ihrer Wirkung auf andere an Stärke sehr zunimmt. In demjenigen, dem in dem größeren Kreise der Schule eine Auszeichnung zu Theil wird, verstärkt sich auf diese Weise die Empfindung davon so sehr, daß er sogar leicht verleitet wird, sich selbst über den Werth dessen zu täuschen, wofür ihm die Auszeichnung zu Theil geworden ist. Er ist geneigt, demselben einen um so höheren Werth beizulegen, weil es in dem weiteren Kreise bekannt und anerkannt worden ist. Obgleich wir aber die bedeutenden Wirkungen anerkennen, welche durch die Benutzung künstlicher Reizmittel bei der Jugend hervorgebracht werden, so behaupten wir dennoch: die Vortheile, welche die Reizmittel bringen, werden durch die mit ihnen verknüpften Nachtheile bei weitem überwogen, und um die­ ser willen sollte man auf jene lieber gänzlich Verzicht leisten, statt neue Antriebe I) I, § 19, S. 73. —• 2) Beispiele aus Frankreich s. bei Stoy, Encyklopädie, S. 313,

Anm. 1. — 3) Stvy, über Schul- und Hauspvlizci, S. 25. Natürlich fehlte» dann auch den ent­

sprechenden Einrichtungen von Trohendorf nicht die Bewunderer und eifrigen Lvbretner. — 4)11, § H, nalfeld, Erfahrungen auf dein Gebiete des Gymnasialwcsens, S. 90 s. f. — 2) f. nachher. - 3) S. 236 f. — 4) S. 232.

bei der Ausführung etwas nachlassen müssen *). Die Zöglinge richten sich hier theils auf das Aeußere, ja sie versinken völlig darein, theils hebt sich bei ihnen das eigene Selbst übermäßig hervor, daS ohnehin eine sehr starke Vorstellungsmasse im Innern eines Menschen bildet31)**, * und darum um so weniger durch die Abspie­ gelung im Lobe und der Auszeichnung anderer und durch die Zurückstrahlung seines Bildes daraus künstlich gereizt werden sollte. Wieder ein anderer Theil der Zöglinge repellirt mit energischer, vielleicht leidenschaftlicher Begierde gegen die von den übrigen ausgehenden Bestrebungen, wodurch sie zurück­ gedrängt werden sollen. Aber die Moral verwirft alle Begierden undLeidenschaften, weil sie der sittlichen Freiheit Widerstreiten3). Durch ihre Herrschaft wird die sittliche Reinheit und Kraft untergraben, und dadurch, daß die Schüler angereizt werden, eigennützig zu handeln, und mit aller Energie ihres Geistes nach Erhebung über andere zu streben und sich vor ihnen hervorzu thun — dadurch wird die Religion, die reine Hingebung verlangt und Demuth predigt, aufs schmachvoÜste verhöhnt. Oder hat nicht Christus selbst gegen alle ehrgeizigen, gegen alle nach äußerem Gewinn trachtenden unter seinen Jüngern aufs entschiedenste und beharrlich angekämpft, und sie ohne Einschränkung von seinem Reiche ausgeschlossen? Man bemäntele nur nicht irgendwie die Zustände unserer Schulens, wozu man sich allerdings um so leichter verleiten läßt, wenn man bedenkt, daß daö, was hier mittelbar erstrebt wird, etwas Werthvolleö und Würdiges ist ®), oder daß daS natürliche Ehrgefühl, das absichtslos befriedigt, und auch von unserer Religion nicht verboten wird6)*, 8bei dem Zögling wirklich geschont werden muß?). Man gebe in den Schulen der Sittlichkeit und Religion endlich so weit die Ehre, daß man aufhört r Aeußerlichkeiten, die niemals als solche erstrebt werden dürfen3), als daöHöchste hinzustellen, oder das Selbst deö Zöglings zu erheben, daö sich unbedingt den Ideen unterordnen soll. Von allen solchen Verkehrtheiten waren die Pietisten am weitesten entfernt3), wäh-

1) So z. B.

Sch malfeld,

Erfahrungen auf dem Gebiete des Gymnasialwesens,

S.90, med. — 2) Taute, Religionsphilosophie, I, 8 470, S. 622 s. f. Es geschieht deshalb

auch so leicht, daß der zu sehr gesteigerte Ehrtrieb des Schülers sich gegen die Schule selbst wendet, und zuletzt die geringste Beleidigung, die er erfährt, ja der entfernte Schein davon zu einer in

Empfindlichkeit, Unmuth, Widersetzlichkeit, Trotz sich äußernden Repulsion des Selbst führt.— 3) § 15.

— 4) Was Quintilian behauptet (Cramer, Geschichte der Erziehung w., II,

S. 672): licet ipsa sitvitium ambitio, saepe tarnen causa virtutum est, kommt sogar auf den bekannten jesuitischen Grundsatz über das Verhältniß der Mittel zum Zweck hinaus (über dessen

Verwerflichkeit s. Hartenstein, Grundbegriffe rc. S. 313). — 5) Daß dieser Gesichtspunkt nicht entscheidet, darüber s. nachher und S. 236. — 6) Cf. das biblische „Freund, rücke hin­ auf"

(Palmer, evangelische Pädagogik, S. 531).

8) Herbart,

Praktische Philosophie,



7) Darüber gegen Ende des §. —

S. 272 und Hartenstein,

Grundbegriffe rc.

S. 239. — 9) Francke, kurzer und einfältiger Unterricht rc. 8 2.

Silier, erziehender Unterricht.

16

242

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht.

von Diderot an bis zu Hegel herab die Leidenschaften gepriesen worden ftnb *), und jenen gereicht ihre Strenge und Entschiedenheit im Kampfe wider eine Sitte, der sittliche Schlaffheit oder Mangel an sittlicher Einsicht so allgemein das Wort redet, oder wenigstens eine sehr bequeme Hinterthür offen läßt, zum großen Ruhme. Man darf sich hier in der That zu keiner Art von Compromiß hcrbeilassen. Man hat unter anderem wohl den Vorschlag gemacht8), in jüngeren Jahren, wo das Kind selbst noch mehr im Sinnlichen lebe, solle man cs vorzugsweise durch sinn­ liche Lustempfindungen, wie durch die Lust am Genuß von Süßigkeiten und Leckereien, zu bestimmen suchen, in den späteren Jahren dagegen, wo es sich aus dem Sinnlichen mehr und mehr herausarbeite, durch die mehr rein geistigen, von dem Leibe unabhängigen Empfindungen, die von außen her zu dem Gegen­ stand deS Unterrichts hinzukommen können. Aber, ganz abgesehen von dem schon früher*3) angegebenen Umstande, der in der That für sich allein völlig entschei­ dend ist, erzeugt man hier immer Begierden und Leidenschaften4),* 6und bei ihnen kommt cs für die Sittlichkeit gar nicht darauf an, was es für Vorstellungen sind, die sie veranlassen. ES kann aus jeder Vorstellung eine Begierdes), aus jeder Begierde eine Leidenschaft3) werden. Nun giebt es wohl eine Stufen­ folge des relativen Werths 7) in Bezug auf die vorgestellten8) Gegenstände, die zu begehrten werden, und in unserem Falle zur Belohnung und Auszeichnung oder ihrem Gegentheile dienen: der eine steht in seinem Werthe höher als der andere, und es giebt deshalb auch niedrigere und höhere, gemeinere und edlere Begierden und Leidenschaften. Allein man mag sich bei den künstlichen Reiz­ mitteln an die niederen oder an die höheren Arten halten, und jene allmählig mit diesen zu vertauschen suchen, man mag also bald durch Befriedigung der Naschhaftigkeit, bald durch Bezahlung des Fleißes mit Geld und ähnlichem den Eigennutz und die Habsucht, die nach Besitz streben, bald durch Spannung des Ge­ müths aus Ansehen den Ehrgeiz in dem Zögling anregen, in keinem Falle kömmt man so in den Bereich der Sittlichkeit hinein, von dieser bleibt der Zögling immer ausgeschlossen, und die Schule hat in Bezug auf alle Arten von Begierden und Leidenschaften eine abwehrende und befreiende Gewalt auSzuüben8). Daher ist es

1) Drobisch, empirische Psychologie, § 97, S. 241 und Volkmann, Grundriß der Psychologie, § 143, S. 391. — 2) S. 231. — 3) S. 238. — 4) Nach S. 236 f. — 8) Strümpell, Vorschule der,Ethik, § 133, a; Schilling, Psychologie, §42, S. 81; Volkmann, Grundriß der Psychologie, § 133 in.; Zimmerm.ann, I. c. § 202. — 6) Schilling, 1. c. §62, @.122; Drobisch, I. c. § 98, S. 244; Lindner, 1. c. § 78, 8. — 7) Strümpell, I. c. § 32 f. — 8) Daß die äußeren Gegenstände, welche begehrt werden, nicht wirklich in die Seele eingehen, s. Herbart, Praktische Philosophie, S. 28; derselbe, Psychologie als Wissenschaft ic., I, § 37, S. 149; Drobisch, 1. c. § 87, S. 220 s. f.; Volkmann , l. c. § 129 in.; Lindner, 1. c. § 74, 4; Zimm ermann, 1. c. § 201. — 9) § 18.

§ 9. Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht.

243

auch verkehrt, irgend eine Begierde, wie die Verabscheuungen *) des Unflcißes, der Trägheit, Faulheit, Bequemlichkeit, durch die edlere Begierde deS Ehrgeizes (gleichsam ein Gift durch ein Gegengift oder einen Teufel durch einen andern)

austrciben zu wollens.

Die Wirkungen der Begierden und Leidenschaften

aber, die durch die Veranstaltungen der Schulen erzeugt werden, sind für die Zög­ linge immer um so verderblicher, wenn cs ein geliebter oder ein bei ihnen in

Autorität stehender, und ein durch sein Beispiel und seine ganze Persönlichkeit

viel über sie vermögender Lehrer ist, der die künstlichen Reizmittel handhabt. Denn um so tiefer prägen sich die unheilvollen Gemüthszustände bei ihnen ein,

und da sie in der thatsächlichen Beurtheilung ihres Thuns und Wissens zugleich

die Art zu erkennen glauben, wie er überhaupt die Dinge und Menschen schätzt, so eignen sie sich zugleich diese Schätzung an3*). *

Die leidenschaftlichen Zustände

ferner, die aus der Vergleichung der Schüler entstehen4),S. schließen noth­ wendig einen unter denselben

sich.

stattfindenden Gegensatz in

Deshalb hindern sie die Verschmelzung der Schüler, so daß Gesinnungen

der Zuneigung3), welche die Naturbasis des Wohlwollens sink6)* , sich unter ihnen nicht zu größerer Stärke und Innigkeit ausbildcn können.

Darum

brauchen nun allerdings nicht gerade Feindschaft und Haß unter ihnen zu herr­

schen, welche offen das verabscheute Fremde zurückstoßen, zumal solche Zustände

in ihren Entäußerungen schon der Schulregierung zuwidcrlaufcn würden. Wohl aber treten unter ihnen unfehlbar die Gesinnungen des Verkehrs stärker her­

vor^), wobei die Einzelnen als solche einander nichts gelten, und für einander nur insofern Bedeutung haben,

als einer den andern zum Mittel für die

Erreichung seines Zwecks und Vortheils oder zur Befriedigung seines Bedürf­

nisses, sei cs auch nur seines Bedürfnisses nach Unterhaltung, gebrauchen kann. Je mehr auf diese Weise der Verkehr sich entblößt, und je weiter er sich verbrei­

tet, um so weniger kommt cs unter den Schülern zu Gesinnungen der Achtung,

in denen sie einander mit Beifall betrachten3), und die dem-Uebergang zu sittlicher Werthschätzung anderer3) und in Verbindung mit der Zuneigung auch

den Ucbcrgang zur Freundschaft10) vermitteln. Den Verkehr zeigt in den Schu­ len ohnehin schon das Abmcssen alles Thuns und Wissens gegen einen bestimm­ ten Preis der Reihenfolge, des Lobes, der Belohnung u. s. w. an"), vollends

1) Herb art, Kleine Schriften, III, S. 601. — 2) Volkmann, 1. c. § 143, S. 392 und 393. — 3) § 1, S. 10 und § 8, S. 135 f. — 4) Nach S. 232. — 5) Hartenstein, Grundbegriffe rc., S. 372. — 6) Hartenstein, 1. c. S. 372 s. f. und S. 188. — 7) Herbart, Praktische Philosophie, S. 357; Hartenstein, 1. c. S. 371; Strüm­ pell, Vorschule der Ethik, § 252, c., S. 213 und 288. — 6) Thilo, theologistrende Rechts- u. Staatslehre, S. 363.

entsprechende äußere Handlung durch seinen Zwang erreichen kann •), so läßt man sich oft zu den Fehlschlüssen verleiten, der Staat habe nur die Rcchtsidce zu realistren und sei bloß als Rechtsanstalt aufzufassen 1 2),* im Rechte aber han­ dele es sich um ein solches Thun, das für sich keinen ethischen Werth habe2), und höchstens als etwas Erlaubtes gelten sönne4). Hieraus würde folgen, daß die Politik nicht nach ethischen Principien zu conftruiren sei und auch jen­ seits einer schlechten PrariS der Moral widerstreiten dürfe. Denn ihre Entfer­ nung von der Ethik läge dann in ihrer Natur, da der Staat aus die innere Ge­ sinnung sich nicht bezöge und die rechtliche Auffassung von der auf innere Ver­ edelung gerichteten völlig abgelöst wäre. So werden Tugend und Glaube von dein Praktiker in ihrem mannichfaltigcn Wirken beschränkt, wenn er nicht mit hinreichender weltlicher Bildung und Macht ausgerüstet ist, wie sie freilich eine ungenügende, oberflächliche Theorie nicht darbietcn kann5),* 7und so muß es auch bei unserem Zögling kommen, wenn er nicht mit dem geistigen Leben eines viel­ seitigen Interesse erfüllt wird. Darum ist es wichtig, daß Christus nicht minder in dieser Beziehung als in jeder andern unserem Zögling als Vorbild vor­ schwebt. Denn Christus müssen wir uns ja auch ausgerüstet denken mit der ganzen Fülle weltlicher Erkenntniß und Macht, um zu begreifen, daß er die außerordentlichen Thaten vollbringen konnte, die für uns Wunder sind, ja aus­ gerüstet mit einer solchen Fülle, die alle empirisch bekannte menschliche Kraft weit überragt. Wo er eine Naturwirkung aufhob, die nach den uns bekannten Naturgesetzen eintretcn sollte, wo er Naturwirkungcn hcrvorbrachte, die sich mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln nicht erreichen lassen, da besaß er eben die Macht, auf Wegen, die aller bisherigen Naturforschung verborgen sind, durch eine neue Combination der Naturkräfte und Naturgesetze einzugreifen in die äußere Natur, und natürliche Hebels in Bewegung zu setzen, die über die Herr­ schaft deS menschlichen GcisteS hinaus liegen. So müssen wir uns wenigstens dann die übernatürliche Wirksamkeit des Herrn denkens, wenn die biblischen

1) Ibid. S. 331 und Hartenstein, I. c. S. 209. Andere Gründe s. Thilo, theolo-

gisirende Rechts- und Staatslebre, S. 207 u. 223. — 2) Dagegen Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 292, 388 u. 389; Hartenstein, 1. c. S. 412 u. 518. Cf.

Stahl in Thilo's theologisircnder Rechts- und Staatslehre, S.313.— 3) Dagegen Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 207, 224 u. 341; Hartenstein, 1. c. S. 334.

— 4) Hartenstein, Grundbegriffe ic., S. 346 f.; Schleiermacher's strenge Kritik hierüber s. bei Her bart, Beleuchtung, §54, S. 54 und Kleine Schriften, lll, @. 179 s. f. — 5) Ihr«

Geschichte seit Grotius s. bei Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S.327, 201 u.

223. — 6) Z. B. gegen Strauß, das Leben Jesu für das deutsche Volk, S. 5 u. 145 f. — 7) Nach Taute's Auffassung, der dabei von der Voraussetzung der Relativität der Wunder

ausgeht (s. Philosophie des Christenthums, § 96; cf. vvnKeyserlingk, Denkwürdigkeiten eines Philosophen, S. 109), und von der Voraussetzung eines strengen Theismus, dem auch

Wundcrcrzählungcn historisch begründet und wenn sie namentlich nicht bloß Einkleidungen für psychische Erscheinungen sind. Gegen unsere bisherige Entwickelung, daß das praktische Handeln eine Förderung von Seiten der Vielseitigkeit erhalten könne, läßt sich indeß, wie es scheint, eine triftige Einwendung machen. Man kann sagen: wenn die Kennt­ nisse und Fertigkeiten, wie es hier geschieht, bloß als Mittel für die Geschäfts­ führung und die Anwendung auf positive Wissenschaften betrachtet werden, so stehen sie unter dem Gesetz, das für alle Mittel gilt: je einfach er die Mi ttelsind, desto besser i st es, und wenn man folglich mit wenigen auskom­ men kann, so ist es am zweckmäßigsten. Dagegen scheint aber die Empfehlung eines reichen Interesse für das praktische Handeln zu verstoßen. Für den prakti­ schen Mann ist es in der That gar nicht rathsam, mit unnützem Wissen, das in seiner Sphäre nicht von unmittelbarem Gebrauche ist, mit Kenntnissen, die sein Geschäft nicht berühren und mit seinem Fach in keiner Verbindung stehen, seinen Kopf zu beladen. Wer so mehr weiß, als der Dienst erfordert und zu seinem Fach gehört oder darin eingreift, schadet sich leicht, weil er sich ein bleiernes Gewicht an die Füße hängt, das ihn auf seinen Wegen hemmt. Denn bei einem Ge­ schäft kommt es nicht darauf an, daß sich ein reiches, glänzendes Wissen ent­ falte, sondern es soll ein Handeln hervortreten, wodurch das Geschäft zu Ende geführt wird. Schon bei der Bearbeitung einer positiven Wissenschaft, die auf bestimmte, ihr von außen gegebene Sätze hineilt, erscheinen allgemeine Reflerionen, die von diesen weit abliegen, als ein unfruchtbarer Lurus, den man sich ersparen kann. In allen solchen Fällen thut man am klügsten, wenn man alles anderweitige Handeln, Wissen und Denken, alles anderweitige Wollen und Wünschen bei Seite läßt und so weit als möglich entfernt, weil es leicht Stö­ rungen , oder wenigstens Zerstreuungen mit sich führt, wodurch Geschäft und Arbeit aufgehalten werden. Hier ist es am besten, wenn man sich um das nicht kümmert, was vielleicht unter gewissen Umständen geschehen könnte und sollte, woran sich wohl noch denken ließe, oder was etwa wünschenswcrth wäre, sondern wenn man bloß darnach fragt, was die jetzige Lage der Dinge verlangt, und wenn man so viel weiß und kann, als dazu'gehört. Besonders scheint auch in untergeordneten Verhältnissen derjenige oft ein nützlicherer Arbeiter zu sein, der nur Maschine ist, achtsam auf des Dienstes immer gleich gestellte Uhr, und überflüssige Gedanken ferne hält. Dieses ganze Räsonnement ist, das läßt sich nicht leugnen, auf dem Standpunkte, wo das Wissen eine Last ist*1), also auf dem Standpunkte des mittelbaren Interesse, vollkommen begründet. das Eintreten Gottes in zeitliche Verhältnisse keineswegs etwas Undenkbares ist (z. B. gegen

Strauß, 1. c. S. 148). 1) §14.

§ 16.

Vielseitigkeit des Interesse als Hülfsmittel für irdische Wirksamkeit.

369

Wer auf diesem Standpunkte steht, thut wirklich am besten, wenn er sich die Last so leicht als inöglich zn machen sucht, und folglich den Reichthum an Kenntnissen> der ihn nothwendig drücken würde, bei dem, was ihm bloß Lohndicnst ist, vermeidet. Aber das unmittelbare Interesse ist für seinen Besitzer keine Last, sondern Geistesleben und Kraft *), und wer es kennt, mag und kann keinen geistlosen Lohndienst betreiben. Freilich könnte man nun denken, indem er die Regsamkeit des maiinichfaltigcn Interesse zulasse bei seinen praktischen Arbeiten, werde der Fall wirklich eintreten, der vermieden werden sollte. Denn offenbar kann auch die Fülle von Kenntnissen, die aus dem unmittelbaren Interesse hcrvorströmt, für den, der auf ein Ziel hingeht, eine Störung verursachen, wofern sie zu unrechter Zeit oder nicht in der richtigen Stärke hervortrcten, oder wofern die von bestimmten Kemltnissen auslaufcnden Gedankenreihcn nicht vollständig bis an ihr Ziel Vordringen, und nicht gehörig zusammengefaßt werden. Aber das ist nur eine mögliche Folge, und sie entspringt nicht sowohl aus der Mannichfaltigkcit des Gedankenkreises, als vielmehr daraus, daß dieser nicht hinrei­ chend concentrirt ist. Sic tritt namentlich nur dann ein, wenn das Wissen, das zu dein Gedankenkreise gehört, nicht in systematische Verbindung gebracht ist; denn dann läßt cs sich allerdings nicht leicht genug überschauen, und nicht leicht genug gebrauchen, dann tritt auch das Rechte nicht zu rechter Zeit und nicht in angemessener Weise aus dem Ganzen des Gedankenkreises hervor, dann bleibt man mit seinem Ucbcrlegen gar leicht auf halbem Wege, bei einem bloßen Vernünfteln stehen, oder man läßt wesentliche Factoren, die das Resultat mit­ begründen, vielleicht sogar die Nothwendigkeit gegebener gesellschaftlicher Ver­ hältnisse aus, und das kann in der That für die Geschäfte und schon für die Bearbeitung positiver Wissenschaften sehr nachtheilig sein. Das weist jedoch nicht darauf hin, daß man die Vielseitigkeit des Interesse aufzugeben habe, sondern vielmehr, daß man streben müsse, sie mit Coneentration des Geistes zu vereinigen2). Aber auch noch nach einer andern Seite hin kann es leicht Bedenken er­ regen , daß wir einem jeden praktischen Manne ein vielseitiges Interesse wün­ schen. Man kann die Besorgniß hegen, wenn der Erziehungsunterricht ganz allgemein dahin strebe, einen weiten Gedankenkreis in den Zögling hineinzu­ legen, so möchte bei diesem oft e i n Zw i c sp a lt entstehen zw isch cn d cm erweckten höheren Bildungsbedürfniß und geistig unbefrie­ digenden Beschäftigungen, in die ihn einmal das Leben und der Beruf hincinstclle, und da ein solcher Zwiespalt (wegen der Klemme, in die dabei Vorstellungen gerathen3), die zu den wichtigsten seines Selbst 1) Ibid.— 2) Darüber § 19. — 3) Herbart, Psychologie als Wissenschaft ic., II, § 105, S. 83 und Lehrbuch zur Psychologie, § 36; Schilling, Psychologie, § 43.

Sitler, erziehender Unterricht.

24

gehören) natürlich unbehagliche Gefühle im Gefolge habe, so müsse ihm da­ durch seine Zufriedenheit geraubt werden, was unausbleiblich auch zu einer Hemmung für sein praktisches Thun führe. Man kann insbesondere befürchten, wenn selbst die Volksschule auf ein sich weit auSdehnendes Interesse hinarbeitc, so werde dadurch dem Heraufdrängen der unteren Stände der Gesellschaft zu den höheren Vorschub geleistet, und eines Theils der äußere wie der geistige Lurus befördert, wodurch dein künftigen Lebensglück, ja der Gesinnung *) der Zöglinge Gefahr drohe, andern Theils leide aber wiederum das praktische Handeln Scha­ den ; denn dieses gehe im engsten Anschluß an die äußeren Verhältnisse und unter dem Einfluß des Wohlgcfühlö, den die davon ausfließenden Begünstigun­ gen hervorbringen 2), am besten von statten, durch die Spannung unbehaglicher Gefühle aber würden die Menschen leicht auf falsche Bahnen in ihrem Streben hingeführt3). Und daran ist gar nicht zu zweifeln, man kann sicherlich zu viel lernen für seine Zufriedenheit und seine äußeren Verhältnisse, und Halbgebildete wie Ucbcrbildete sind immer der Gefahr, von ihrer Bildung einen falschen Ge­ brauch zu machen, am meisten ausgesetzt. Ja die Gesinnung eines Menschen ist stets in Gefahr, wenn die Bildung, die ihm dargcboten wird, zu seinem indi­ viduellen Bedürfnisse nicht paßt. Aber auch das ist nicht in der Vielseitigkeit der Bildung an sich begründet, sondern nur in dem falschen Verhältniß, in das sie zur Individualität tritt H. Folglich ist wiederum kein Grund, die vielseitige Bildung selbst entbehren zu wollen. Wohl aber muß bei ihr zugleich das rich­ tige Verhältniß zur Individualität scstgchaltcn werden5), wenn sie dem Indivi­ duum in seinem praktischen Handeln wirklich den Gewinn bringen soll, der sich von ihr erwarten läßt.

8 17. Vielseitigkeit des Interesse als Rettungsmittel bei Stürmen des Schicksals. Wir können nunmehr eine andere Seite, die das vielseitige Interesse für die Tugend hat, ins Auge fassen. Es erleichtert nämlich dem Mcnschen 1) Herbart, Praktische Philosophie, S. 331 und Hartenstein, S. 568.

Hier­

mit sind die Beschönigungen des Lurus von Seiten der Nationalökonomie zu vergleichen.

Cf. Herbart, Kleine Schriften, III, S. 235 und 239. — 2) Herbart, Psychologie als

Wissenschaft, § 105, S. 87 und Lehrbuch zur Psychologie, § 37; Schilling, Psychologie,

§ 44. — 3) § 4, S. 59. — 4) Cf. die von Riehl, die deutsche Arbeit, S. 31 erwähnte Thatsache, daß in vielen deutschen Ländern seit Jahren unverhältnißmäßig viele Söhne von Kleinbauern, Kleinhandwerkern und Proletariern den Universitätsstudien zuströmen. — 5)

Darüber § 20.

gehören) natürlich unbehagliche Gefühle im Gefolge habe, so müsse ihm da­ durch seine Zufriedenheit geraubt werden, was unausbleiblich auch zu einer Hemmung für sein praktisches Thun führe. Man kann insbesondere befürchten, wenn selbst die Volksschule auf ein sich weit auSdehnendes Interesse hinarbeitc, so werde dadurch dem Heraufdrängen der unteren Stände der Gesellschaft zu den höheren Vorschub geleistet, und eines Theils der äußere wie der geistige Lurus befördert, wodurch dein künftigen Lebensglück, ja der Gesinnung *) der Zöglinge Gefahr drohe, andern Theils leide aber wiederum das praktische Handeln Scha­ den ; denn dieses gehe im engsten Anschluß an die äußeren Verhältnisse und unter dem Einfluß des Wohlgcfühlö, den die davon ausfließenden Begünstigun­ gen hervorbringen 2), am besten von statten, durch die Spannung unbehaglicher Gefühle aber würden die Menschen leicht auf falsche Bahnen in ihrem Streben hingeführt3). Und daran ist gar nicht zu zweifeln, man kann sicherlich zu viel lernen für seine Zufriedenheit und seine äußeren Verhältnisse, und Halbgebildete wie Ucbcrbildete sind immer der Gefahr, von ihrer Bildung einen falschen Ge­ brauch zu machen, am meisten ausgesetzt. Ja die Gesinnung eines Menschen ist stets in Gefahr, wenn die Bildung, die ihm dargcboten wird, zu seinem indi­ viduellen Bedürfnisse nicht paßt. Aber auch das ist nicht in der Vielseitigkeit der Bildung an sich begründet, sondern nur in dem falschen Verhältniß, in das sie zur Individualität tritt H. Folglich ist wiederum kein Grund, die vielseitige Bildung selbst entbehren zu wollen. Wohl aber muß bei ihr zugleich das rich­ tige Verhältniß zur Individualität scstgchaltcn werden5), wenn sie dem Indivi­ duum in seinem praktischen Handeln wirklich den Gewinn bringen soll, der sich von ihr erwarten läßt.

8 17. Vielseitigkeit des Interesse als Rettungsmittel bei Stürmen des Schicksals. Wir können nunmehr eine andere Seite, die das vielseitige Interesse für die Tugend hat, ins Auge fassen. Es erleichtert nämlich dem Mcnschen 1) Herbart, Praktische Philosophie, S. 331 und Hartenstein, S. 568.

Hier­

mit sind die Beschönigungen des Lurus von Seiten der Nationalökonomie zu vergleichen.

Cf. Herbart, Kleine Schriften, III, S. 235 und 239. — 2) Herbart, Psychologie als

Wissenschaft, § 105, S. 87 und Lehrbuch zur Psychologie, § 37; Schilling, Psychologie,

§ 44. — 3) § 4, S. 59. — 4) Cf. die von Riehl, die deutsche Arbeit, S. 31 erwähnte Thatsache, daß in vielen deutschen Ländern seit Jahren unverhältnißmäßig viele Söhne von Kleinbauern, Kleinhandwerkern und Proletariern den Universitätsstudien zuströmen. — 5)

Darüber § 20.

auch denWechsel seinerBeschäftigungen und Zweckt, wenn ihm derselbe durch die Umstände geboten wird. Esbefähigtihn, inGeduld und Ergebung von Zielen abzulassen und Plänen zu ent­ sagen, die nach der Lage der Verhältnisse aufgegeben werden müssen, und mit Leichtigkeit und Lust neue Wege cinzuschlagen. Und das hat für die Tugend eine sehr große Bedeutung. Denn der moralische Charakter darf sich nicht, wie der Charakter des Ehrsüchtigen und Eigennützigen, an irgend welche ä u ß c r c G ü t c r m i t g a n z c r S e e l c h ä n g e n, was es auch für Güter sein mögen. Unsere Religion nennt das mit Recht einen Götzendienst. Er darf sich an nichts Aeußeres ganz und gar hingeben, er darf nichts Irdisches, auch wenn cs das Höchste, Edelste und Vortrefflichste wäre, unbedingt wollen. Mit einem Wort: keine Materie des Wollens darf mit einseitiger Gewalt sein Ge­ müth erfüllen, weil jedes Streben, das auf ein Aeußeres gerichtet ist, ihn in Mißverhältnisse verwickeln kann, die einen absoluten Tadel verdienen, und des­ halb gemieden werden müssen *). Der Tugendhafte darf folglich keinen einzelnen absolut durchzuführendcn Plan verfolgen, ihm darf keine einzelne absolut zu lösende Aufgabe vorschwcbcn. Er darf nicht irgend ein Werk oder einen Effect durchaus zu vollbringen streben, es koste, was cs wolle. Selbst die Weisheit, das höchste unter den äußeren Gütern, darf er nicht um jeden Preis zu erringen suchen. Er muß bereit sein, von Personen und aus Verhältnissen zu scheiden, wenn es nothwendig ist. Er muß jeden besonderen Zweck aufgebcn und jedem besonderen Plan entsagen, wenn Zeit und Umstände ihn nicht begünstigen, so heroisch cs auch seiner aufgeregten Phantasie scheinen mag, das Unmögliche zu wollen. Er muß noch viel ivchr von allem ablasscn, was sich nur durch häß­ liche, unheilige Mittel würde erreichen lassen. Eine solche Kraft, zu entbehren und zu entsagen, ohne daß dabei die innere Ruhe verloren geht, eine solche Kraft der Sclbstentäußcrung und Selbstüberwindung fordert die Tugend in Ueberein­ stimmung mit der christlichen Religion. Denn das Göttliche und Ideale, das sich in uns darstcllen soll, haftet an keinem bestimmten Aeußcrcn, und ist an keines gebunden. Die Tugend büßt auch ihren Werth keineswegs ein, wenn sie unter Umständen, über die der Wille keine Macht hat, das Gewollte nicht erreicht. Ihr Werth beruht ja auf der Form eines bloßen Gesinnungsverhält­ nisses 2) und hängt von der Materie, den Objecten des Wollens, nicht ob31).2 1) Herbart, Praktische Philosophie, S. 272; Hartenstein, Grundbegriffe,c., S. 329; Taute, Rcligionsphilvsophie, I, § 599 s. f.

Das Hangen an Aeußerlichkeiten ist

auch ein charakteristisches Kennzeichen des Hcidenthnms, s. Taute, 1. c. II, § 88, S. 178,—

2) Herbart, Praktische Philosophie, S. 39; Hartenstein, Grundbegriffen'., S. 19 u. 30; Thilo, theolvgisirende Rechts- und Staatslehre, S. 340; Allihn, die Grundlehren der allgemeinen Ethik, § 40 f. — 3) Herbart. Praktische Philosophie, S. 6; Harten­

stein, Grundbegriffe ic., S. 29;

Thilo, Wissenschaftlichkeit ic., S. 225 s. f. und 24*

372

B. Nähere Bestimmung des Unterrichtszwecks.

Man darf freilich nicht denken, es komme der Tugend überhaupt nicht darauf an, ob sie den Gegenstand ihres Strebens erreiche oder nicht. Denn da sie ein Wollen ist*1),* *so* kann S. sie gar nicht anders, als ihn erreichen wollen. Man darf auch nicht denken, die Tugend dürfe sich von vorn herein von den äußeren Ob­ jecten und Verhältnissen zurückziehen, weil sie so wenig festen Halt habens. Man soll sie vielmehr trotz dem mit der größten Energie ergreifen und behan­ deln^). Aber nicht das bestimmte Werk, das man sich vorgesetzt, nicht der ein­ zelne Plan, den man gefaßt, nicht die einzelne Lebensaufgabe, die man sich ge­ stellt hat, dürfen für den Sittlichen das schlechthin Unveränderliche und Unauf­ gebbare sein, sondern einzig und allein die Marimen, die auf dem Grundsätze beruhen, den Ideen und dem göttlichen Willen stets treu und gehorsam zu blei­ ben, was auch zu thun und zu erstreben sein möge. Der sittliche Charakter verliert immer in dem Maaße an Reinheit, als er sich von Plänen, von Plänen zu Ausgaben, die im Begehren ihren Ursprung haben, mehr als von sittlichen Marimen abhängig macht *). Hier stoßen wir aber auf ein Problem. Gesetzt

theologisirende Rechtslehre, S. 339; Allihn, die Grund lehren der allgemeinen Ethik, § 18, S. 2a.

So schon das Christenthum im Gegensatz zum heidnischen Alterthum (Harten­

stein, Grundbegriffen-., S. 55).

So auch Kant (Herbart, analytische Beleuchtung des

Naturrechts und der Moral, § 45; Hartenstein, 1. c. S. 58 f.; Zeitschrift für eracte

Philosophie, I, S. 300, 301, 303, 317 und II, S. 378 f.; Thilo, theologisirende Rechts­

und Staatslehre, S. 118; Allihn, die Grundlehren der allgemeinen Ethik, § 45, S. 52). Schleiermacher macht dagegen allerdings ebenso wie Hegel (Zeitschrift für eracte Philosophie, I, S. 394) den Werth des Handelns davon abhängig, ob und wie weit es seinen Zweck erreicht (Hartenstein,

de cthices a Schleicrmachero etc., II, p. 19 und Grundbegriffe rc.,

S. 123; Thilo, Wissenschaftlichkeit ic., S. 261).

Aber das ist eine relative Werthschätzung

des Willens, es ist keine ethische Werthschätzung, außer insofern die Stärke des Willens dabei in Betracht kommt, die allerdings einen einseitigen absoluten Werth hat (§ 18), und insofern der Wille selbst auf eine ins Unendliche fortschreitende Thätigkeit hingewiesen wird (Thilo,

1. c. S. 233 8. f.), die als Vollkommenheit dem Willen gleichfalls einen solchen Werth ver­ leiht (cf. Thilo, Wissenschaftlichkeit rc., S. 223 und Hartenstein, Grundbegriffe rc., S. 30).

Leider mußte der Größenbegriff der Stärke schon bei Spinoza und ebenso dann bei

Fichte und seinen Nachfolgern die sittliche Werthschätzung zum großen Theil vertreten (Har­

tenstein, 1. c. S. 76; Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 280 f.; Tro­

tz i s ch, Religionsphilosophie, S. 300). 1) § 16, S. 363. — 2) s. unten. — 3) § 16, S. 362. — 4) Herb art, Briefe über

die Freiheit des Willens, S. 186 und Hartenstein, Grundbegriffe rc., S. 363.

Wird das

Sittliche bloß unter der Form einer zu lösenden Aufgabe, eines zu erreichenden Ziels aufgefaßt,

so entsteht auch immer der Widerspruch, daß der Sittliche die vollständige Lösung der Aufgabe, das vollständige Erreichen des Ziels gar nicht wollen darf, um noch sittlich handeln zu können.

So bei Fichte (Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 127 und Zeitschrift für

eracte Philosophie, I, S. 354 u. 357), und bei allen Vertretern des absoluten Idealismus (Zeitschrift für eracte Philosophie, II, S. 369), sogar bei Schleiermacher (Thilo, theologi-

nämlich, ein Mensch habe sich mit aller Energie, deren ein charaktervoller Wille fähig ist, an ein bestimmtes Aeußere hingegeben, und alles daran gesetzt, um dazu in ein dauerndes Verhältniß zu treten, aber es trete die Nothwendigkeit und Pflicht für ihn ein, davon abzulassen und ihm zu entsagen,und er fürchte jetzt, wo er es aufgeben muß, mit seinem Verluste alles zu verlieren, ja es drohe ihm darüber die Verzweiflung am Leben und an sich selbst, woher soll ihm dann die Ruhe kommen, deren Fortdauer der Tugend ge­ ziemt, und wie wir wissen, schon zur Gesundheit des Geistes gehört')? Wodurch soll sic ihm psychologisch möglich gemacht werden? Es bleiben ihm ohne Zwei­ fel, sofern ihm die Religion nicht fremd ist, di e re l ig i ö sen Gefüh le, ver­ möge welcher wir uns in den göttlichen Willen ergeben, und denselben als einen solchen verehren, der uns zuletzt doch zum Heile gereicht, zumal der Gedanke nahe liegt, daß durch getäuschte Hoffnungen, durch aufgelöste Verbindungen, durch entrissene Güter, überhaupt durch das, was in der menschlichen Sprache Unglück heißt, und durch die Resignation, die es uns auferlegt, wir um so voll­ ständiger vom Irdischen werden abgezogen werden, und desto mehr Sammlung, desto mehr allgemeines Interesse für die Betrachtung der Ideen und ihrer Herr­ schaft in unserm eigenen Innern wie in der äußeren Welt, also für das ewige Leben in seinem reinen Lichte und für die Erkenntniß Gottes und Jesu Christi 2) bei uns zurückbleiben wird:1). Es bleiben dem Menschen auch die religiösen Tröstungen, welche uns eine Hoffnung für die Zukunft eröffnen, und alle Furcht bannen®). Denn die göttliche Vorsehung reicht unter allen Umständen weit genug, daß der Sittliche immer noch durch seine Kraft und Anstrengung so viel finden kann, als nöthig ist, um im Leben sich zu halten und zu behaupten®). Zum mindesten bleibt ihin die Erwartung, daß das Jenseits ®) die Trennungen derer, die schon hier in einer Gemeinschaft des sittlichen Geistes standen, wieder aufheben, die Unbilligkeiten des Diesseits ausgleichen?), und die Verschieden­ heiten der irdischen Loose gar sehr vermindern®) werde. Und diese köstlichen Mittel der göttlichen Gnade, die die christliche Heilslehre noch durch specielle Veranstaltungen vermehrt, dürfen gewiß nicht verschmäht werden. Sie lassen

fiten be Rechts- und Staatslehre, S. 144; Zeitschrift für eracte Philosophie, I, S. 401). Na­

türlich schätzen sie den Werth des. Willens auch nur nach dem zu vollbringenden Werke (S. 371, Anm. 3). 1) § 12, S. 300. — 2) Ende von § 17. — 3) Thilo, theologisirende Rechts- und

Staatslehre, S. 188.

— 4) Cf. hierzu die trefflichen Trostsprüche in den Lobliedern Davids

bei Kohlrausch, die Geschichten und Lehren der heiligen Schrift, N. 88, die göttlichen Ver­ heißungen des Schutzes an bestimmte Personen der heiligen Geschichte, z. B. an einzelne Pa­

triarchen, und die zahlreichen thatsächlichen Erweisungen solches Schutzes, die in der Bibel erwähnt werden. — 8) § 2, S. 17. — 6) § 6, S. 368. — 7) Hartenstein griffe ic., S. 887. — 8) Herbart, Lehrbuch zur Psychologie, § 281.

Grundbe­

374

B. Nähere Bestimmung des Unterrichtszwecks.

sich durch nichts ersrtzen. Sie vermögen das Uebel zu mildern, wie cs sonst nichts vermag. Sie geben Freudigkeit und Zuversicht im Leiden. Sie stärken und halten aufrecht auch in den schwersten und bittersten Kämpfen' mit den Stürmen und Unbilden dieses Lebens. Aber volle Ruhe und dauernden Frie­ den können die religiösen Gefühle doch für sich allein nicht geben. Die religiöse Stimmung geht ja nothwendig vorüber, sie weicht dem Wechsel der Gemüths­ zustände *), und der tiefe Riß im Gemüthe bleibt. Uebcrdieß ist es Pflicht und Nothwendigkeit für den Menschen, die Religion selbst, indem sie zum Beten und Arbeiten2), allerdings nur zu einem durchs Gebet geweihten und in der Sitt­ lichkeit wurzelnden Arbeiten anhält, weist ihn darauf hin, mit Gottes Hülfe neue Wege cinzuschlagen, neue Beschäftigungen aufzusuchen, neue Pläne zu fassen, nachdem die bisherigen haben aufgcgcbcn werden müssen, weil außerdem das Handeln der Tugend^, das nicht stille stehen darf, nicht fortgesetzt werden könnte. Erst durch eine neue Ausfüllung seines Gemüths mit andern Gegen­ ständen und Beschäftigungen findet er auch bleibende Beruhigung. Aber wir fragen wiederholt: woher soll ihm die Möglichkeit, die Leichtigkeit und die Lust kommen, zu anderem überzugehcn ? Durch die bloße Forderung, daß cs geschehen soll, wird man noch nicht in den Stand gesetzt, es zu können. Die Forderung geht von den Ideen aus. Aber die Ideen haben keine Macht über die wirklichen Kräfte 4). Sic selbst vermögen uns also nicht die Möglichkeit, geschweige die Leichtigkeit und Lust zu geben, damit wir thun können, was gefordert wird. Und hier bietet sich uns eben die Vielseitigkeit des Interesse als ein unübertreffliches Mittel dar, wenn es uns zuvor durch die Erziehung bereitet worden ist. Denn das Glück der innern Ruhe und Zufriedenheit, daSunstreu bleibt unter allen Schicksalen und Glücköwechseln, erlangt man nur durch wahre Bildung. Gleich der Religion, mit der sic im sittlich­ religiösen Charakter vereinigt ist, bewährt sie sich da, wo die schweren Prüfungen des Lebens mit ihrer Noth und ihrem Schincrz über uns kommen. Das In­ teresse , besonders das mannichfaltige, worin die Bildung besteht5), bleibt ja immer ruhig und geduldig, wie wenig es auch haben und besitzen mag6). Wie viel daher auch derjenige, der dieses Interesse besitzt, verlieren inag, die Gemüths­ ruhe geht ihm gewiß nicht verloren. Alsdann verleiht aber vielseitige Bildung die Leichtigkeit und Lust, überzugehen zu jeder neuen Art von Beschäftigung und Lebensweise, welche gerade die beste sein mag, wenn die Umstände eine Veränderung des Lcbensplaneö und eine andere Richtung unserer Thätigkeit nöthig machen. Denn dem Vielseitigen stammt die neue Thätigkeit auch aus seinem Interesse, und mit allem, was daraus hervor1) § 8, S. 212 ii. § 10, S. 353. — 2) § 15, S. 356. — 3) § 16, S. 363. — 4) § 16, S. 364. — 5) § 11, S. 274 in. — 6) § 12, c., S. 124 f.; Thilo, Wissenschaft­

lichkeit ic., S. 221. — 7) § 2. Da es weder hier noch in metaphysischer Hinsicht ein esoteri­ sches Wissen giebt, das vom Glauben entbinden könnte, wie der Idealismus lehrt (Thilo,

theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 109), so stehen um so mehr in der Religion alle auf Einer Linie (Hartenstein, Grundbegriffe ,c., S. 503). — 8) § 6, S. 146. — 9) §

12, S. 311 f.

dings strebt er immer dahin, einen starken Totaleffect hervorzubringen i). Aber das läßt sich erreichen, ohne daß das, waS er darbietet, ein Wissensgebiet voll­ ständig umfaßt und abschließt. Statt eine Totalität bilden zu müssen, darf es daher stets im Vergleich zu dem, was die Wissenschaft fordert, einen fragmenta­ rischen Charakter haben. Ueberdieß würde die Vielseitigkeit des Zöglings auf­ hören, der Idee der Vollkommenheit zu entsprechen, sobald sie ein in sich abge­ schlossenes Ganze mit einer bestimmten und festen Anzahl von Seiten wäre. Denn wo es sich bloß um die Ausbildung der Kräfte handelt, wie eS bei der Jugend der Fall ist, da kann eS kein absolutes Ziel der Vollkommenheit geben. Die Jugend findet sich vielmehr bei ihren Bestrebungen auf eine unendliche Bahn hingewiesen, auf welcher ihr überall, wo sie nur stehen mag, eine höhere Stufe vorschwebt2). Wenn wir daher auch späterhin2) eine Anzahl von Hauptsciten an der Vielseitigkeit des Interesse herausheben werden, so kann unsere Meinung doch nicht die sein, daß wir glauben dürften, alle Seiten deS Interesse damit bestimmen zu können. Vielmehr ist die Vielseitigkeit des In­ teresse immer bloß als ein der Vermehrung fähiges Aggregat zu denken 4), und darum ist gerade Vielseitigkeit der bezeichnendste Ausdruck für den Zweck des Unterrichts, den man mit Allseitigkeit nicht vertauschen darf. Durch den Un­ terricht soll in der That nur ein Reichthum des geistigen Lebens geschaffen wer­ den, ohne daß sich genau angeben läßt, wie umfassend dieses sein müsse. Nur daS steht fest: je mehr Seiten das geistige Leben des Zöglings hat, desto besser ist es, und da man an geistigem Leben und geistiger Kraft nie genug und noch weniger zu viel haben kann, so kann auch daö Interesse des Zöglings, das Leben und Kraft ist5), nie zu reich werden. WaS wir hier gefunden haben, geht freilich mancherlei näheren Bestim­ mungen und Einschränkungen entgegen, und zwar zunächst schon in Bezug auf die Person des Zöglings. Wenn uämlich das Interesse sich auch in noch so viele und noch so bunt aus einander fahrende Richtungen zerspalten mag, so sollen sie doch sämmtlich von Einem Punkte her sich auSzubreiten scheinen. Die mannichfaltigen Interessen sollen wie verschiedene Strahlen sein, die von diesem Punkte ausgehen, oder die verschiedenen Strahlen sollen umgekehrt in dem Einen Punkte gesammelt werden. Mit einem andern Bilde kann man auch

1) § 6 und 18. — 2) § 18. Damit der Zögling auf jene unendliche Bahn hingewiesen

und vor Hochmuth (§ 18, S. 396) bewahrt werde, muß er auch häufig an die Grenzen seines

Wissens geführt und zu dem ehrlichen Bekenntniß: ich weiß e- nicht, gebracht werden (Fin­ ger, Heimathskunde, S. 101, 102 und 103).

Er soll nicht immer bloß sein Wissen darlegen

und gebrauchen. — 3) In der Fortsetzung unserer „Grundlegung". — 4) Ueber den Begriff des Aggregates im Verhältniß zu dem des Ganzen f. Herbart, Kleine Schriften, III, S. 44

und Drobisch, Logik, § 29 (3. Aufl.). — 6) § 14.

sage»: die verschiedenen Seiten deS Interesse sollen sich wie verschiedene Flächen Eines Körpers verhalten. Ohne Bild heißt das aber: sie sollen sämmtlich Einem Bewußtsein angehören, oder da die Person auf der Einheit des Bewußt­ seins beruht, sie sollen (Seiteit der näinlichen Person sein. In der Person müssen die verschiedenen Interessen, wie viele ihrer auch sein mögen, so zusammengefaßt sein und so znsammengehalten werden, daß alle daraus hervor­ gehende Regungen und Bestrebungen stets als die ihrigen erscheinen. Der Zög­ ling nillß sich selbst darin als einen und denselben erkennen, und er muß darin von andern so erkannt werden. Er muß sonach alles, was er ist, ganz und durchaus, er muß immer wie ans Einem Stück oder Einem Guß sein, und als ganzer Mensch muß er in alle seine Verhältnisse eintreten. Diese Beziehung auf die Einheit der Person') muß der Unterricht darum nehmen, weil der End­ zweck der Erziehung Tugend2), und Tugend eine Eigenschaft der Person ist3). Die löblichen Züge, welche zur Tugend gehören, sollen nämlich bei einem Men­ schen nicht etwa in der Art vereinzelt und zerstreut sein, daß er hier als ein an­ derer erscheint als dort, und wegen dieser Vielsachhcit gar nicht derselbe Mensch auö ihnen herauszllfinden ist. Sie sollen vielmehr so zusammenhängen, sie sol­ len in einer das ganze Innere durchdringenden und beherrschenden Gesinnung so gegründet seht, daß sie stets den ganzen Menschen offenbaren. Eine Person muß immer vorhanden sein, wenn Tugend da sein soll. Nun ist aber Vielseitig­ keit eine Bedingung und Grundlage für die Tugend i). Durch sie soll der Zögling zur Tugend erzogen werden. Folglich darf unter ihr die Einheit des BewtlßtsrinS nicht leiden, und noch weniger darf diese darüber verloren gehen. Jede Schmälerung und Alteration der Einheit durch den vielseitigen Unterricht vermindert immer unmittelbar dessen erziehende Wirkung, ganz abgesehen davon, daß in schlimmen Fällen der Mangel an Einheit sogar eine schädliche Rück­ wirkung auf die Gesundheit des Körpers haben kann3). Daher ist nicht bloß Einseitigkeit ein Gegentheil der Vielseitigkeit, wie sie der Erziehungsunterricht verlangt. Einer solchen Vielseitigkeit steht auch diejenige Vielseitigkeit entgegen, die einen Mangel an Persönlichkeit anzeigt, und den Zögling hindert, ein gan1) Hartenstein, Metaphysik, S. 8 und 448; derselbe, Grundbegriffe ic., S. 32;

Schilling, Psychologie, § 7, S. 19; § 15, S. 30; § 74, S. 155; Vvikmann, § 5, S. 12; 8 litt, S. 292; Lindner, Lehrbuch der empirischen Psychologie, § 60, 1, S. 126;

Zimmermann, philosophische Propädeutik, § 174, S. 318. —2) § 2. — 3) Herb art, analytische Betrachtung re., § 122, S. 164; § 129, S. 170; derselbe, Kleine Schriften,

II, S. 309 und III, S. 183; Hartenstein, Grundbegriffe re., S. 318.

Das Enthalten­

sein der Person in der Tugend darf natürlich nicht dazu verleiten, der Person schon für sich

allein eine Würde beizulegen (Herbart, Metaphysik, I, p. XVIII; Hartenstein, Grund­ begriffe rc., S. 32 und 319;

Thilo, Wissenschaftlichkeit ic., S. 219 und theologisirende

Rechts- und Staatslehre, S. 30a). — 4) § 15—18. — 5) Gegen § 9. Concentration des Unterrichts spart dagegen Zeit und Kraft des Zöglings. Zitter, erziehender Unterricht.

26

zer Mensch zu sein *), diejenige Vielseitigkeit, bei welcher statt der vielen Seiten der Person bloß ein buntes Vielerlei vorhanden ist, so daß die Blume gleichsam den Kelch sprengt, der das Mannichfaltige umschließen und zusammcnhaltcn sollte. Begünstigt und sichert dagegen der Unterricht die Einheit des persön­ lichen Bewußtseins, was er im Hinblick auf sein Endresultat soll, so verhilft er zugleich dem Zögling zu der Concentration des Geistes, wie sie eine Beurthei­ lung nach Größenbegriffen in Bezug auf das System der Kräfte verlangt2); denn durch die Sammlung der einzelnen Kräfte in der Einheit des Bewußtseins und durch das Zusammenwirken der vereinigten Kräfte, wodurch sie sich gegen­ seitig unterstützen und fördern, wird ein g r ö ß ere r G e sa mm te ffect herv o r g e b r a ch t’), als es bei dem vereinzelten Wirken oder dem einen Theil der Stärke immer aufhebendcn Widereinanderwirkcn der Kräfte möglich wäre. Durch einen solchen concentrirenden Unterricht, dessen Centrum der Zögling selbst, d. t. die Person des Zöglings ist, erhält also die Vielseitigkeit deS In­ teresse, die wir schon früher als zwei andern Größenbegriffen der Vollkommenheit entsprechend erkannt haben, eine Beziehung auch auf den dritten darin enthal­ tenen Größenbegriff, und dem Zögling wird dadurch nicht bloß für die Gegen­ wart , bei allen Thätigkeiten, die ihm während seiner Erziehungözeit obliegen, eine größere, erfolgreichere Wirksamkeit bereitet, sondern sogar für die Zukunft, und hier namentlich auch bei seinem Berufes, bei allem selbständigen Nach­ denken und Handeln^), bei allen Kämpfen mit dem Nichtstttlichcn und Wider­ sittlichen. Gerade im genauen Zusammenwirken einer vielförmigen Bildung liegt die größte Kraft. Je einförmiger dagegen die Bildntig bei einem Menschen oder auch bei einem ganzen Volke ist, oder je weniger eine vielförmige Bildung zusaminenstimmt, desto leichter erstarrt die Bildung, desto schwächer ist ihre Lebenskraft. Aber selbst mit wenigen Kenntnissen kann man, wenn sie nur der Person genau angeeignet sind, noch mehr auSrichten, als mit vielen, bei denen eine solche Aneignung fehlt. Dem gewöhnlichen Schulunterricht muß freilich überhaupt leider sehr oft der Vorwurf gemacht werden, daß er den Geist der Jugend ermatte und erschlaffe, statt ihn zu kräftigen, und daran ist vornehmlich auch Schuld b), daß die Beziehung des Unterrichts auf die Person deS Zöglings vernachlässigt wird. Ja die Schule mag wohl überlegen, ob sie nicht sogar 1) Cf. § 2, S. 20 und 25. — 2) § 18, S. 302 f.

Auch wird die Fortwirkung des

Unterrichts auf den Willen gesichert nach § 6. — 3) Nach Maaßgabe der Hülfe bei verbunde­ nen Kräften, s. Herbart, Lehrbuch zur Psychologie, § 2-4 und Schilling, Psychologie, § 26, S. 52. Cf. II, § 12, S. 122. Concentration des Unterrichts sichert folglich auch eine

größere Intensität der Unterrichtsresultate. — 4) § 16, S. 360. — 5) Man denke z.B. an die Reformatoren im Gegensatz zu den ängstlichen, zweifelnden, zurücktretenden Humanisten ihrer

Zeit, denen Wissenschaft und Leben aus einander fiel (s. Vischer, Geschichte der Universität Basel, 5. Abschnitt). — 6) Cf. § 9 und 13.

einen Theil der Schuld davon trägt, daß unser Zeitalter so arm ist an energi­ schen Charakteren und großen Männern, so arm an wahrhaft schöpferischen Köpfen auf den Gebieten des Denkens und Handelns. Durch Conreutration des Unterrichts für die Einheit der Person absichtlich zu sorgen, würde allerdings überflüssig sein, wenn der Zögling schon von An­ fang an mit sich Eins wäre. Aber die Person ist keineswegs, wie der Idealismus sich einbildet, etwas Ursprüngliches im menschlichen Geiste, sie ist nicht dessen letzte Voraussetzung und realer Träger *), geschweige daß sie ein von Anfang an vorhandenes specifisch Höheres über der materiellen Natur des Gei­ stes wäre2). Sie ruht vielmehr auf der manuichfaltigen Grundlage der übrigen geistigen Zustände, die ihre Voraussetzung sind, und wird auf dieser Grundlage allmählich auferbaut. Ja selbst nachdem sie auferbaut ist in der Seele, bleibt sie nicht etwas Unveränderliches, sondern sie wächst und nimmt ab, sie schwankt hin und her oder gewinnt an Festigkeit, je nachdem die Geistesbildung sich ge­ staltet 3), deren Geschichte sich in ihr abspiegelt. Zwar drängt die Einfachheit der Seele alles, was durch Gegensätze und Hemmungen nicht geschieden ist, von selbst zur Vereinigung l)in4). Aber an jenen natürlichen Scheidewänden hört die natürliche Einheit des Bewußtseins auf, und anstatt einer Einheit entsteht zunächst eine Verschiedenheit getrennter Vorstellungsmassen3), eine Mehrheit von geistigen Mittelpunkten, die nicht in Ein Bewußtsein zusamniengehen. Daher kann es z. B. selbst bei einem Manne Vorkommen, daß er auf dem einen Gebiete unbefangen prüft, und eine freie, willenlose Entscheidung trifft, wäh­ rend er es auf einem andern Gebiete nicht vermag. Erst mit dem Zusammen­ hang unter dem Vielen3) wächst die Einheit des Bewußtseins, und dafür be­ sondere Fürsorge zu tragen, darf bei der Erziehung weder im Vertrauen auf die einigende Kraft des Lehrplans oder auf die concentrirende Thätigkeit, die der 1) Herbart, Psychologie als Wissenschaft, I, §28, S. 104; derselbe, Kleine Schriften, II, S. 442 und 719; Schilling, Psychologie, § 18, S. 30 und § 74, S. 133; Volkmann, Grundriß ic., § 116, S. 293 und § 118, S. 299, Sinnt.; Thilo, Wissen­ schaftlichkeit >c., S. 57 und 98; Zimmermann, I. c. S.318, § 175. — 2) So Rothe, s. Thilo, 1. c. . 9. Freies Naturzeichnen, §20, S. 478. Geogra­ phisches Zeichnen, § 20, S. 478. Erfinden, s. dasselbe. Vorbereitung in Spiel- und Kinder­ garten, § 11, S. 275; § 19, S. 420. Nctzzeichneu insbesondere, 8 20, S. 478. Bedeutung für den Erziehungsunterricht, 8 4, S. 61. Nicht blos mechanisch, § 5, S. 133 u. 137; § 11, S. 275 f.; § 19, S. 434. Werthvolleö, § 11, S. 283. Zum Theil von der Individualität abhängig, § 20, S. 446, 450 f. u. 478. Beispiel, § 5, S. 137. Verbindung mit Natur­ kunde miD technischen Arbeiten, § 19, S. 432. Zeichnen und geometrische Formenlehre, § 19, S. 423. Verhältniß zur Geometrie, § 10, S. 260; § 13, S. 322; § 19, S. 423. Zeichnen und Schreiblesen, 8 4, S. 61 u. § 19, S. 423. Aufbewahren der Arbeiten, s. Arbeit. Vor­ legeblätter, 8 3, S. 127. In Hauptclaffen, § 4, S. 107. Deren praktische Tendenz, § 4, S. 107. Für's Leben überhaupt, § 4, S. 60. Nicht blos wegen Nützlichkeit, 8 2, S. 29. In Nebenclassen, §4, S. 104. Ausdehnung, s. Fertigkeit, s. Zusammenunterrichten, s. Erzieh­ ungsunterricht, s. Religionsunterricht, s. Gesundheit. Zeittafeln, s. Geschichte (encyklopädische Richtung).

526

Sachregister.

Zersp litterung. Als Gegensatz der Concentration, § 19, S. 401 f. Zwei Haupt­ fälle, § 19, S. 407 Schuld der Erziehung, § 19, S. 409 f. Schon als Folge lockeren Gedankenzusammenhanges, 8 6, S. 159. In Bezug auf jede Art von Berufsarbeit, 8 19, S. 434. Verhältniß zur Tugend, 8 19, S. 424. s. Concentration und Persönlichkeit. Zeugniß, s. Eramen. Als Reizmittel (s. dieses), 8 9, S. 233 f. Zizmann, Vorbereitung zur Mathematik, 8 1°, S. 263. Zögling. Im Unterschied von Lehrling, 8 2, S. 14 u. 20. Zucht, s. Pädagogik. Regierung und Zucht, 8 4, S. 98. Einstimmung des Zöglings, 8 13, S. 325. Ohne Unterricht? 8 8, S. 216 f. u. 8 13, S. 330. Gegensatz zum Unter­ richt? 8 6, S. 142; 8 8, S. 218. Aufgabe neben dem Unterricht, 8 6, S. 141 f.; 8 7, S. 172 f. ; 8 8, S. 218 f. ; 8 H, S. 273 f.; 8 1*, S. 350; 8 18, S. 389 u. 396; 8 20, S. 490. Zurücktretend hinter dem Unterricht, 8 8, S 216 n. 219; 8 18, S. 382 f. u. S. 395, s. Erziehtingsunterricht. In Bezug auf sittliches Wollen und Handeln, 8 12, S. 303. s. Cha­ rakterbildung und Handeln. Das Ganze der sittlichen Entwicklung, 8 13, S. 356. Pädago­ gische Seelsorge, 8 7, S. 193. Verhältniß zur Erziehungöschule, 8 10, S. 270. Beurthei­ lung nach dem sittlich-religiösen Zwecke, 8 9, S. 236. Widerstandskraft, 8 7, S. 161. Ins­ besondere durch unmittelbares Interesse, § 14, S. 336. Richtung auf das Ideale, 8 13, S. 354 f. Verhältniß zur Methodik, 8 7, S. 171. Durch die Lehrerpersönlichkeit, s. diese. Wo zuerst? 86, S. 143. Bei dem Schulleben, s. dieses. Führer, 8'1,S.8. Schwache Seite der Schule, 8 4, S.99; 8 18, (5. 396. Verhältniß zum Quantum des Unterrichts, s. Quantum. Nichtcontinuirlich, 84, S. 99. Verhältniß zur Individualität, 8 20 S. 446, 458 u. 460. Insbesondere zur Nationalität, 8 20, S. 64 Bei den besten Naturen, 8 20, S. 458. Privat­ institute, 8 20, S. 477. Die Einheit der Erziehungsschulen, 8- 20, S. 473 In Bezug auf mangelnde Concentrativn, 8 19, S. 408 f. Bei Beurtheilung nach dem natürlichen Ehrge­ fühl, 8 9, S. 247. In Bezug auf Selbstüberschätzung und Stolz, 8 18, S. 396 Anhalten, 8 11, S. 285. Richtung auf Erwerb, 8 4, S. 100. Gesellschaftlicher Sinn, 8 4, S. 99 f., s. diesen. Uebung im Dulden, s. dieses, s. Freundschaft, Begierde und Betrug, s. Strenge, Spiel, Gewinnftspiel. Verhältniß zu Nebenclaffen, 8 4, S. 99 f. u. 106. In Arbeitsschulen, 8 4, S. 99 f. Zügellosigkeit, s. Regierung. Zufriedenheit, s. Gemüthsruhe. Zuneigung, s. Liebe. Z u samm en fassen, s. Zusammenunterrichten. Zusammen sprechen, s. Zusammenunterrichten. Zusammenunterrichten, 8 7, S. 196. Wie? 8 10, S. 268. Grenze, ib. Hülfs­ mittel, ib. Verhältniß zur Regierung, ib. Zwang. Bei demUnterricht, 813, S. 324 f. JnBezug auf den Werth des Wissens und Könnens, s. Mittelbares Interesse. Zwiespalt, s. Zersplitterung. Zwirteranstalt, s. Mischanstalt.

Nachträge § 1, S. 6, Anm. 2 Dazu: Zwez, das Schulhaus und dessen innere Einrichtung, 1864; Meier in Lübeck, die Subsellicn (in Heindl's Schulkalender, 1865); Fahrner, das Kind und der Schultisch, 1865. 8 2, S. 16, l. Z. v. u. nach „gesellschaftlichen" einzuschalten: (gegen Strauß, Leben Jesu für das Volk, S. 626). 8 2, S. 17, Z. 11 v. o. nach „S. 185" einzuschalten: Daß damit die dogmatische Be­ deutung der Rechtfertigung nicht erschöpft ist, s. Augsb. Confeff. Art. 4. § 2, S. 18, Z. 8 v. o. nach „annehinen" einzuschalten: (statt AugSb. Confeff. Art. 18). 8 3, S. 42, Z. 5 v. u. nach „nehmen" einzuschalten: Daher urtheilt Lott, Festrede zur Säcularfeier Fichte'S, S. 26 über dessen Plan (in den Reden an die deutsche Nation), auf dem Boden einer allgemeinen, tiefgehenden Vollscrziehung der Freiheit und Befreiung eines Volkes eine gesicherte Stätte zu bereiten: „Gestehen wir es nur, als promptes Nothmittel für ein der Unterjochung nahes Volk kann die Erziehung keineswegs gelten; geistige Kräfte erzeugen sich nicht so rasch, als das Hilfsbedürfniß in solchen Lagen drängt. Gewiß aber mangelt ohne geistige Erhebung des Volkes der edle Gehalt und die verläßliche Garantie." 8 3, S. 47, Z. 13 v. u. l. teleologische ft. theologische. 8 4, S.65, Z. 15v.u. nach „herrscht" cinzuschalten: (z B. nach Thilo, theologisirende Rechts- und Staatslehre, S. 109). 8 4, S. 69, Z. 2 v. u. nach „S 277" einzuschalten: Ebenso können sie als Correctiv für die eigene Darstellung des Schülers dienen nach Hi ecke, der deutsche Unterricht, S. 177. 8 4, S. 81, Z. 16 v. o. l. Georgios Gcmistios ft. Geniftios. 8 4, S. 82, l. Z. nach „S. 26" einzuschalten: Schon Basilius Magnus sagt zu seinen Jünglingm: Findet sich einige Verwandtschaft zwischen den heidnischen und den christlichen Ansichten, so wird die Kenntniß der ersteren euch nützlich sein; wo aber nicht, so wird eine Ver­ gleichung der Verschiedenheiten euch im Besseren nicht wenig befestigen können. 8 4, S. 83, Z. 4 v. u. nach „96 f." cinzuschalten: und Hiecke, der deutsche Unter­ richt, S. 173. 8 4, S. 94, Z. 8. v. u. nach „Anm." einzuschalten: Ueber dieBelebung undDertiefung der sittlich-religiösen Gesinnung durch Analysen poetischer Werke insbesondere s. Hä ecke, der deutsche Unterricht, S. 176. 8 4, S. 97, 3 3 v. u. nach I, 8 8)" einzuschalten: und daß die Geschichte der antiken griechischen Philosophie wegen ihrer einfachen logischen Schönheit wie alles Classische (nach SU) besonders geeignet ist, die allgemeine humane Bildung zu fördern (nach Strümpell, 1. c. I, 8 10, 1). ' 8 4, S. 111, Z. 7 v. u. nach „Gedankenkreises" einzuschalten: mindestens. 8 4, S. 124, l. Z. nach „S. 26" einzuschalten: Wegen des Bedürfnisses, daß der Schüler umgehen lerne mit abstrakten Begriffen, wurde von den alten Philosophen, besonders der pytha­ goräischen und platonischen Schule, die Mathematik sehr empfohlen (Bartholomäi, über die Philosophie der Mathematik, S. 2). 8 4, S. 125, 3. 2t). u. nach„S. 45" einzuschalten : Warum ereSist, s. 3immermann, philosophische Propädeutik, S. 18, 8 17. 8 7, S. 127, 3 8. v. o. statt Kirchmann lics Kirchhoff. 8 5, S. 131, 3 6 v. u. nach „Beschäftigung" einzuschalten: (s. Anhang zu Lei des dorf, Kinderlust, 1. Abtheilung). 8 5, S. 134, 3. 11 v. o. st. nicht viel besser l. noch viel schlimmer. Anm. Volkmann, Grundriß der Psychologie, 8 131, S. 347 f. 8 6, S. 143, 3. 5 v. u. nach „vorangehe." einzuschalten : Schon Karl der Große sagte: man muß . . . wissen, um handeln zu können. 8 6, S. 148, l. 3- nach „S. 16." hinzuzufügen: und Lindner, Lehrbuch der empiri­ schen Psychologie, 8 79, S. 167 Anm. in. 8 6, S. 150, 3. 12 v. u. nach „S.20" hinzuzufügen: 3i mm ermann, philosophische Propädeutik, S. 356, 8212 und Lindner, Lehrbuch der empirischen Psychologie, 8 79, S. 166. 8 6, S, 3. 153. 10 v. u. l. Ptaschnik st. Plaschnik. 8 6, S. 156, 3. 22 v. 0. nach „Heldenzeitalter" die Anm. beizufügen: Hiecke, der deutsche Unterricht, S. 155.

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Nachträge.

§ 6, S. 157, Z. 14 v. u. nach „Gegenstand" einzuschalten : keine Macht der Vorstellungen im Geiste des Zöglings. 8 6, S. 157, Z. 5 v. u. l. „zurückgeführt" st. repristinirt. § 6, S. 158, Z. 3 nach „wünschte" einzuschalten: Auch charakteristische, und den Sinn für das Bedeutsame schärfende Anekdoten dürfen doch nicht anders bargeboten werden als schick­ lich eingeflochten in einen größeren Zusammenhang der Lcctüre und Geschichte. 8 7, S. 163, Z. 5 v. u. nach „sein", hinzuzufügen: Die Erfahrung ist ein theurer Lehr­ meister; aber die Narren wollen bei keinen andern in die Schule gehen, sagt auch Engel. 8 7, S. 169, Z. 11 v. o. l. weit st. weiter. 8 7, S. 169, Z. 17 v. u. nach „p. V.“ einzuschalten: Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben, S. 109. 8 7, S. 173, Z. 12 v. o. nach „ist" einzuschalten: man vergißt, wie häufig schon umge­ kehrt eine schlechte Methode dem Geiste eines Zöglings geschadet, wie häufig sie schon einen Zögling den allerwichtigsten Unterrichtsgegenstanden entfremdet hat. 8 7, S. 179, Z. 10 v.u. zu „zusammenftimmt" die Anm. beizufügen: cf. 8 4, S. 125. 8 7, S. 200, Z. 4 v. u. l. Arnoldt st. Arnold. 8 8, S. 215, Z. 7 v. u. nach „124" einzuschallen: und III, S. 399. 8 9, S. 224, Z. 9 v. o. nach „Hersagen" einzuschalten: bei dem Schreiben fürorthogra­ phische und stilistische Zwecke*), in solcher Weise sann selbst das Spiel. * Anm. In Bezug auf die Geschichte der deutschen Literatur s. H i e ck e, der deutsche Unter­ richt, S. 296. 8 9, S. 235, Z. 20 v. u. zu „verlangt" die Anmerkung beizufügen: Dagegen erlangen Kenntnisse mit) Fertigkeiten für das ganze Schulüreben des Zöglings gerade die Bedeutung und das Gewicht, die ihnen die Erziehung nach 8 2 nicht einräumen kann. 8 9, S. 2W, Z. 5 v. o. zu „ist" die Anm. beizufügen: Hi ecke, der deutsche Unterricht, S. 277. 8 10, S. 270, Z. 4 v. u. nach „S. 229)" einzuschalten: oder wenn vollends die Stun­ den blos zurControle für das zu Hause Gearbeitete und zurStellung neuerAufgaben verwendet werden. 8 10, S. 271, Z. 21 v. o. nach „Negierung" einzuschalten: (cf. 8 1, S. 11) 8 10, S. 271, Z. 2 v. u. nach „S. 269)." hinzuzufügen: Ueber die eigenthümlich«'Ge­ staltung des Familienlebens im Rauhen Hause, welche überall an dieStelle größerer geschlossener Anstalten treten sollte, wo die Zöglinge ihren eigenen Familien nicht angehören können, s. Wich ern, das Rauhe Haus, seine Kinder und Brüder, S. 13 f. 8 11, S. 281, Z 8 v. u. nach „8 15." einzuschalten: cf. 8 7, S. 189. 8 12, S. 306, Z. 6 v. u. nach „Geschichtsunterricht" einzuschalten: der den Faden von Zeittafeln, Geschichtstabellen, historischen Uebersichten fefthält. 8 12, S. 309, Z. 19 v. o. nach „Kohlrausch" einzuschalten: ll*)oder in Lange's Geschich­ ten aus Herodot. 11*) Wenn man die Autorität der Bibel gefährdet glaubt, wo ein pädagogisches Hülfs­ mittel für bestimmte Altersstufen empfohlen oder benutzt wird, verfällt man in den logischen Fehler einer jutraßaGic ttg aMo ytvog. 8 12, S. 312, Z. 19 v. u. nach „können," einzuschieben: ja eine Mischung der Grund­ gedanken und des sprachlichen Ausdrucks veranlassen.

Anm. cf. Kran er, Hellenica, p. II f. 8 12, S. 312, Z. 13 v. u nach „Versarten" einzuschieben: ob sie nach ethisch-religiösen Geflchtspunkten. 8 13, S. 322, Z 13 v. o. nach „Kellner" einzuschieben: undStoy (der deutsche Sprach­ unterricht in den sechs ersten Schuljahren. 8 13, S. 322, Z. 13 v. o. nach „die" einzuschieben: logischen. 8 13, S. 322, Z 19 v. o. nach „herauszuarbeiten." einzuschiebcn: Bei aller Chrono­ logie müssen vorerst Hauptdaten gewonnen werden, worauf dann nach dem Inhalt der geschicht­ lichen Erzählung alle abzuleitenden Data zurückzuführen sind. 8 13, S. 323, Z. 20v. u. zu „dürfen" die Anm. beizufügen: Die Luft des Lernens wird ihnen schon dann verkümmert, wenn sie zu wenig Einblick in den gesetzlichen Zusammenhang der Scbulwissenschaften erhalten (8 11), wenn es z. B. in der Sprachlehre an richtiger Analyse der Wortformen mangelt, wenn der Schein ganz willkürlicher Unregelmäßigkeit die Oberhand gewinnt ii. s. w. Selbst die Lust des Lehrens wird erhöht, wenn der Lehrer Lautübergänge, Äccentregeln, Flerionsformen nicht blos als etwas Factisches und mechanisch Einzuprägendes behandelt, sondern wenn ihm dabei stets der innere sprachliche Zusammenhang vorschwebt, und

Nachträge.

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seine Lust wirkt sympathetisch auf den Zögling fort (C u r 1 i u s, Erläuterungen zu meiner griechischen Grammatik, S. 1 f.). § 13, S. 328, Z. 9 v. u. zu „kann" die Anm. beizufügen: Ein wohl organisirtes Schulleben kann hierzu viel beitragen. Ueber die Schulfeste des Rauhen Hauses s. Wichern, das Raube HauS, seine Kinder und seine Brüder, S. 64 f. § 13, S. 329, Z. 21 v. u. l. Nachklänge st. Nachträge. 8 13, S. 332, Z. 3 v. u. zu „hindurch" die Anm. beizufügen: In ähnlicher Weise Fichte, dritte Rede an die deutsche Nation. § 13, S. 333, Z. 4 v. u. nach „entwickeln" einzuschieben: (§ 8, S. 127). § 14, S. 340, Z. 10 v. o. I. Element des Sittlichen st. Sittliches. § 16, S. 360, Z. 12 v. u. Das Komma zu tilgen. 8 16, S. 365, Z. 5 v. o. nach „bewährt werden" die Anm. hinzuzufügen : Wir stehen ganz und gar aus dem Standpunkt von Huber, die genossenschaftliche Selbsthülfe, S. 5, aber zugleich auf dem von G. Werner, das Mutterhaus Gotteshilf und seineZweiganstalten, S. 7 s. 8 18, S. 378, Z. 10 v. u. statt Wollen lies Bollen. 8 18, S. 393, 3». 16 v. o. nach „ausdehnendes" einzuschieben: und die Kraft wachst dadurch um so mehr, da mit dem Geistesreichthum das für alle Geistesthätigkcit und alles Han­ deln nothwendige*) Tactgefühl zunimmt. *Anm. 8 7, S. 165 und Nahlowsky, das Gefühlsleben, S. 78. 8 18, S. 396, Z. 10 v. u. nach „109)", einzuschicben: wie bei Karl von Hohenhausen nach 8 9, S. 238. 8 19, S. 400, Z. 3 v. u. nach „gebraucheil" hinzuzufügcn; cf. Herbart's ABC der Anschauung, S. 101. 8 19, S. 407, Z. 7 v. o. nach „hat" die Anm. hinzuzufügen: hier diese in ihrem histo­ rischen Sinn genommen; denn durch ein Fortschreiten in solchen Kreisen wird wohl daS Neue eines einzelnen Unterrichtsfaches angeschlossen an das Alte desselben Faches (nach S. 406), und durch die damit verbundene Bertheilung des Stoffs auf verschiedene Stufen wird auch ver­ hütet (nach S- 414), daß das Material eines Faches auf einmal massenhaft austritt; aber die Grundbedingungen der Concentration werden nicht erfüllt: der gleichzeitige Stoff der verschie­ denen Fächer bleibt getrennt stehen, und ein Fortschreiten nach concentrirenden Mittelpunkten (S. 427) wird unmöglich gemacht. Auf den früheren Stufen hindert überdies oft schon die Art der Zertheilung des Stoffes bei dem einzelnem Fache eine Gesammtwirkung (gegen 8 6). 8 19, S. 418, Z. 9 v. o. nach „überträgt," einznschalten: besonders durch Vermittelung des Schullebens. 8 19, S. 419, l. Z. l. 5 st. 8. 8 19, S. 428, Z. 11 v. o. l. Lesebuche st. Lehrbuche. 8 19, S. 428, Z. 9 v. u. l. 403 st. 493. 819, S. 428, Z.2v. u. nach „S.12)." hinzuzufügen: Aber die ideale Bedeutung des Bibli­ schen gegenüber allem Profanen s. H e n d ew e r k, des Propheten Jesaja Weissagungen, S. CXVIL 8 20, S. 438, Z. 17 v. o. nacb „so" einzuschalten: es ist das meine Natur. 8 20, S. 439, Z. 16 v. o. nach „222)" einzuschaltcn: auch die Übersetzung aus einer fremden Sprache hat zuvörderst die ausgedrückten logischen Begriffe und Begriffsverhältnisse zu erreichen (es. 8 13, S. 322), wenn sie gleich dieselben in den der fremden Sprache am nächsten stehenden Apperceptionsformen wiederzugeben bestrebt sein mag. 8 20, S. 451, Z. 8 v. u. nach „ist" einzuschalten: es. B. Sigismund, die Familie als Schule der Natur, S. 194 s. 8 20, S. 452, Z. 9 v. u. l. beständen st. bestanden. 8 20, S. 452, Z. 14 v. u. nach „Curtius" einzuschalten:, die lateinischen von Vanlcek und Fr. Bauer. 8 20, S. 457, Z. 3 v. u. l. 445 st. 441. 8 20, S. 460, Z. 12 v. u. zu „bleiben" die Anm. beizufügen: Darin liegt zugleich eine Garantie und ein äußeres Erkennungszeichen dafür, daß ein Uebermaß geistiger und physischer Abspannung bei dem Unterricht vermieden sei (8 9). 8 20, S. 461, Z. 9 v. o. zu „bewähren" die Anm. beizufügen: Hingegen ist jegliche Art von Controle oder Überwachung, alles Streben dahin, das Individuum in seinen der Vielsei­ tigkeit und den Erziehungszweck nicht widerstreitenden (S. 445 f.) Bewegungen an bestimmte Tage und Stunden, an bestimmte Formen und Regeln zu binden, als dem Wesen der freien individuellen Thätigkeit widersprechend und hinderlich, zu vermeiden (8 13, S. 324). 8 20, S. 480, l. Z. nach „soll" beizufügen: cf. 8 12, S. 300. 8 20, S. 481, Kolumnentitel: lics 8 20 statt 8 IS.

Inhaltsverzeichniß Seite V

Vorwort

A. Das Verhältniß des Unterrichts zur Regierung und Zucht,

§

1.

Negierung und Unterricht

§

2.

Doppelte Art des Unterrichts

8

3.

Die weltlichen und kirchlichen Gesellschaftskreise in ihrem Verhältniß zum

8

4.

Die Schule als Erziehungsanstalt

8

3.

Umfang des Unterrichts

1



11

.

Unterricht

32 56

126

8

6.

Der Unterricht vor der Zucht

8

7.

Die Kunst des Unterrichts

f 8

8.

Das Ueberwiegen des Unterrichts bei der Erziehung

8

9.

.......

141

161 ....

Vermehrung und Veredelung der Geistesthätigkeit durch den Unterricht

8 10.

Hauptrichtungen der geistigen Thätigkeit beim Unterricht

8 11.

Zusammenfassung und Vorblick

203

223

....

251

272

B. Nähere Bestimmung des Unterrichtszwecks. 8 12.

Interesse und Begehren

8 13.

Fortsetzung über Interesse und Begehren

8 14.

Das unmittelbare Interesse im Verhältniß zum mittelbaren Interesse und

8 15.

Vielseitigkeit des Interesse als Schutzmittel gegen Begierden

..................................................................296 .....

zur Liebe

8

16

8

17. Vielseitigkeit

Vielseitigkeit

313

334

.

des Interesse als Hülfsmittel für irdische Wirksamkeit

. .

des Interesse als Nettungsmittel bei Stürmen des Schicksals

.

349

.

359

.

370

8

18. Vielseitigkeit des Interesse als Vollkommenheit

378

8

19. Vielseitigkeit des Interesse und Persönlichkeit

397

8

20. Vielseitigkeit des Interesse und Individualität

437

Specielles Sachregister

491

Nachträge

527

‘£rucf von Ouo Wigand in Leipzig

So eben erschien ;

Flügel, O.

Der Materialismus vom Standpunkte

der atomistisch-mechanischen Naturforschung beleuchtet.

7 Bogen,

gr. 8.

Ldnprs. Ä/5 Th.

Vorstehende Schrift bietet eine präcise, völlig objectiv gehaltene Darstellung des Materialismus nach seinen Irrthümern und Wahrheiten dar. Die Gründe, auf welche der Materialismus sich stützt, finden an der Hand der Naturwissen­ schaft eine allseitig eingehende Erwägung, daher es dem unbefangenen Leser leicht sein wird das Wahre vom Falschen zu scheiden, zumal die Umstände, welche zu den erheblichsten Irrthümern Anlass gegeben, scharf hervorgehoben sind. Ein besonderes Interesse gewinnt die Schrift auch durch die Beleuchtung des Gegensatzes, welcher zwischen den Principien der exacten Naturforschung und der sogenannten idealistischen Philosophie besteht. Die Darstellung ist eine allgemein verständliche.

Demnächst wird erscheinen:

Natilowsky, Prof. Dr. Jos. W.

Der Dra,guna,tisrmis der ethischen Ideen. Ihre Allgegenwart im Einzelleben wie im Staate.

Louis Pernitzsch in Leipzig.