Großbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1955–1961: Von Messina nach Canossa 9783050070995, 9783050027364


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German Pages 233 [236] Year 1996

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Table of contents :
Geleitwort zur Reihe „Studien zur Internationalen Geschichte“
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Teil I. Von Messina nach Canossa
Kapitel 1. Großbritannien und Europa (1945 bis 1955)
Kapitel 2.Entscheidung gegen den Gemeinsamen Markt (1955)
1. Zwischen Präferenzen und Freihandel
2. Einmal Weltmacht, immer Weltmacht
3. Zwischen Zypern-Krise und Suez-Konflikt
4. Kooperation ohne Selbstverpflichtung
5. Messina „vernichtend umarmen“
6. Isoliert in Europa
Kapitel 3. Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)
1. Von Warenlisten und Präferenzen
2. Ohne Alternative: „Plan G“
3. Austerlitz und München
4. Cobden gegen Colbert
5. Zwischen Scylla und Charybdis
Kapitel 4. Erster EWG-Beitrittsantrag (1959 bis 1961)
1. Modernisierung durch Wettbewerb
2.Einmal Weltmacht, immer Weltmacht?
3.Von Commonwealth und Landwirtschaft
4.Atombombe gegen EWG-Beitritt
5.Macmillans Wunderwaffe
Teil II. Divide et impera
Kapitel 5. Von Bauern und Sozialisten: Innenpolitik
1. Umerziehung: Öffentliche und veröffentlichte Meinung
2. Distanz: Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften
3. Von Kooperation zu Konfrontation: Parteipolitik
Kapitel 6. Mißglückter Spagat: Außenpolitik
1. Wirtschaftliche und politische Desintegration: Commonwealth
2. Einfluß durch Anpassung: Vereinigte Staaten
3. Gegen Juden, Deutsche und Franzosen: Europa
4. Gefangen in drei Kreisen
Schlußbetrachtung
Anhang
1. Quellen- und Literaturverzeichnis
a) Archivalische Quellen
b) Veröffentlichte Quellen und Memoiren
c) Darstellungen
2. Personenregister
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Großbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1955–1961: Von Messina nach Canossa
 9783050070995, 9783050027364

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Wolfram Kaiser Großbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1955-1961

Studien zur Internationalen Geschichte Herausgegeben von Wilfried Loth in Verbindung mit Anselm Doering-Manteuffel, Jost Dülffer und Jürgen Osterhammel Band 2

Wolfram Kaiser

Großbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

1955-1961

Von Messina nach Canossa

Akademie Verlag

Titelfoto: Ankunft von Premierminister Harold Macmillan auf dem Flughafen Köln-Bonn am 10. August 1960, der zu Verhandlungen mit Bundeskanzler Konrad Adenauer in die Bundeshauptstadt gereist war.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kaiser, Wolfram: Grossbritannien und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1955-1961 : von Messina nach Canossa / Wolfram Kaiser. Berlin : Akad. Verl., 1996 (Studien zur internationalen Geschichte ; Bd. 2) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-05-002736-3 NE: GT

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1996 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO T C 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form — durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Konzepta GmbH, Prenzlau Druck: WB-Druck, Rieden am Forggensee Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Meinen Eltern

Inhalt

Geleitwort zur Reihe „Studien zur Internationalen Geschichte"

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Abkürzungsverzeichnis

11

Einleitung

13

Teil I Von Messina nach Canossa Kapitel 1 Großbritannien und Europa (1945 bis 1955)

21

Kapitel 2 Entscheidung gegen den Gemeinsamen Markt (1955)

29

1. Zwischen Präferenzen und Freihandel 2. Einmal Weltmacht, immer Weltmacht 3. Zwischen Zypern-Krise und Suez-Konflikt 4. Kooperation ohne Selbstverpflichtung 5. Messina „vernichtend umarmen" 6. Isoliert in Europa

33 43 47 53 59 63

Kapitel 3 Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)

68

1. Von Warenlisten und Präferenzen 2. Ohne Alternative: „Plan G" 3. Austerlitz und München 4. Cobden gegen Colbert 5. Zwischen Scylla und Charybdis

71 75 83 91 99

8

Inhalt

Kapitel 4 Erster EWG-Beitrittsantrag (1959 bis 1961)

104

1. Modernisierung durch Wettbewerb 2. Einmal Weltmacht, immer Weltmacht? 3. Von Commonwealth und Landwirtschaft 4. Atombombe gegen EWG-Beitritt 5. Macmillans Wunderwaffe

107 116 131 139 146

Teil II Divide et impera Kapitel 5 Von Bauern und Sozialisten: Innenpolitik

153

1. Umerziehung: Öffentliche und veröffentlichte Meinung 2. Distanz: Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften 3. Von Kooperation zu Konfrontation: Parteipolitik

154 158 170

Kapitel 6 Mißglückter Spagat: Außenpolitik

178

1. Wirtschaftliche und politische Desintegration: Commonwealth 2. Einfluß durch Anpassung: Vereinigte Staaten 3. Gegen Juden, Deutsche und Franzosen: Europa 4. Gefangen in drei Kreisen

179 186 192 207

Schlußbetrachtung

211

Anhang 1. Quellen- und Literaturverzeichnis a) Archivalische Quellen b) Veröffentlichte Quellen und Memoiren c) Darstellungen

2. Personenregister

217 217 219 220

232

Geleitwort zur Reihe „Studien zur Internationalen Geschichte"

Internationale Geschichte ist eine Disziplin in der Erneuerung. Nach Jahren der Fokussierung der geschichtswissenschaftlichen Methodendiskussion auf das Feld der Sozialgeschichte wird die Bedeutung der zunehmenden Vernetzung von Staaten und Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert wieder stärker erkannt. Gleichzeitig nehmen die Bemühungen zu, die internationale Geschichte aus der Verengung auf eine Beziehungsgeschichte diplomatischer Eliten herauszuführen. Die Studien zur Internationalen Geschichte wollen diesen Erneuerungsprozeß verstärken. In ihrem Rahmen werden vornehmlich Studien zur Geschichte des Weltstaatensystems und seiner Subsysteme veröffentlicht. Schwerpunkte bilden die Geschichte des europäischen Staatensystems und seiner Krisen, die Geschichte des Ost-West-Konflikts, die Entwicklung der Nord-Süd-Beziehungen, die Rekonstruktion der Prozesse der europäischen Einigung und die Nachzeichnung weltwirtschaftlicher Verflechtungen. Zugleich gilt die Aufmerksamkeit der Vernetzung und wechselseitigen Durchdringung von Gesellschaften und Kulturen. Darüber hinaus sollen Studien zur Geschichte und zur kritischen Diskussion von Theorien zur Erfassung der internationalen Dimension von Geschichte publiziert werden. Die Studien zur Internationalen Geschichte orientieren sich an einem umfassenden Verständnis von internationaler Geschichte. Sie befassen sich mit außenpolitischen Entscheidungsprozessen ebenso wie mit dem Einfluß von historischen Prägungen, wirtschaftlichen und innenpolitischen Entwicklungen. Sie fragen nach Strukturen und Funktionen von belief systems und Perzeptionen, spüren transnationalen Kontakten und Verpflichtungen unterhalb der Regierungsebene nach, untersuchen Auswirkungen internationaler Kontexte und Wandlungen internationaler Regime. Ebenso beschäftigen sie sich mit historischen Formen der Friedenssicherung, Kriegsursachenforschung und der Analyse des Wandels militärischer Auseinandersetzungen. Die Studien greifen dabei auf, was die systematischen Sozialwissenschaften zur Erklärung der internationalen Beziehungen bereitstellen und tragen mit empirisch dichten Untersuchungen zur Präzisierung theoretischer Einsichten bei. Anselm Doering-Manteuffel, Jost Dülffer, Wilfried Loth, Jürgen Osterhammel

Abkürzungsverzeichnis

ABCC BT CAB CAC CCI CO CPA CRD CRE CRO EGKS EPB EPC ESC EURATOM EVG EWG FBI FHZ FO GATT GEC HOPS ICI MAC MAD MAF NATO NFU NUM OEEC OFD

Association of British Chambers of Commerce Board of Trade Cabinet Churchill Archives Centre Consultative Committee on Industry Colonial Office Conservative Party Archives Conservative Research Department Commercial Relations and Exports Department (BT) Commonwealth Relations Office Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Economic Planning Board Economic Policy Committee Economic Steering Committee Europäische Atomgemeinschaft Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Federation of British Industries Freihandelszone Foreign Office Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen General Electric Company Home and Overseas Planning Staff Division (T) Imperial Chemical Industries Mutual Aid Committee Mutual Aid Department (FO) Ministry of Agriculture, Fisheries and Food Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft National Farmers Union National Union of Manufactures Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit Overseas Finance Division (T)

12 PREM PRO T TUC WEU

Abkürzungsverzeichnis Prime Minister's Files Public Record Office Treasury Trades Union Congress Westeuropäische Union

Einleitung

Im Herzen Europas und der Europäischen Gemeinschaft liege Großbritanniens angemessener Platz, behauptete der britische Premierminister John Major nach seinem Amtsantritt im November 1990.1 Seitdem ist jedoch viel Wasser die Themse hinuntergeflossen. So vermittelte die britische Regierung während der Regierungsverhandlungen 1991/92 über die Verträge von Maastricht zeitweilig den Eindruck, wie in den achtziger Jahren unter Margaret Thatcher auf die Fortsetzung einer „Sonderbeziehung" zu den Vereinigten Staaten anstelle einer engeren politischen Verflechtung mit ihren Partnern in Westeuropa zu hoffen. Vor allem haben die heftigen innerparteilichen und innenpolitischen Grabenkämpfe während des Ratifizierungsverfahrens 1992/93 deutlich gemacht, in welchem Maße es nach wie vor an einem stabilen Grundkonsens in der Frage nach der zukünftigen Rolle Großbritanniens in Europa mangelt. Majors aus Rücksicht auf den national-konservativen Flügel seiner Partei zunehmend nationalistische Rhetorik und seine europapolitischen Äußerungen zur Regierungskonferenz 1996/97 über eine institutionelle Reform der heutigen Europäischen Union haben seitdem den Eindruck verstärkt, daß Großbritannien, anstatt einen Platz im Herzen Europas zu suchen, im Integrationsprozeß weiterhin eine semi-distanzierte Position an der europäischen Peripherie einnehmen wird. Vor diesem aktuellen Hintergrund wird in der vorliegenden Darstellung die Geschichte der britischen Haltung gegenüber der europäischen Integration untersucht, und zwar für den Zeitraum von der Konferenz von Messina im Juni 1955, die zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Atomenergiebehörde EURATOM in den Römischen Verträgen zwei Jahre später führte, bis zum ersten britischen EWG-Beitrittsantrag im August 1961. Von diesem hatte ein leitender, durchaus europafreundlicher britischer Beamter bereits 1957 provokativ gesagt, er könne als politische Kapitulation vor der Politik der sechs Gründungsmitglieder interpretiert, das „Canossa" der britischen Europapolitik werden.2 Die Entwicklung der Europapolitik in dieser formativen Phase der europäischen Integration wird unter der Leitfrage untersucht, wie der zumindest scheinbar dramatische Wandel von der indifferenten bis feindseligen Haltung der Londoner Regierung gegenüber der Messina-Initiative bis zur Beitrittspolitik des Premierministers Harold Macmillan sechs Jahre 1 Reinhard Meier-Walser: Großbritannien auf der Suche nach einem Platz im „Herzen Europas", in: Aussenpolitik 45/1 (1994), S. 10-19 (10). 2 de Peyer an Clarke: T 234/201 (Anfang Juni 1957).

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Einleitung

später erklärt werden kann, der inzwischen überzeugt war, daß die wirtschaftlichen und außenpolitischen Probleme Großbritanniens überhaupt nur noch mit Hilfe der EWGMitgliedschaft zu lösen sein würden. In bezug auf den Beitrittsantrag von 1961, der im Januar 1963 am Veto des französischen Präsidenten Charles de Gaulle scheiterte, stellt sich vor allem die Frage, ob und inwieweit damit eine substantielle Grundsatzentscheidung für eine neue wirtschaftliche und politische Selbstverpflichtung in Europa verbunden war. Die Analyse der Haltung Großbritanniens zur europäischen Integration erscheint in dreifacher Hinsicht von wesentlicher Bedeutung für die britische wie für die westeuropäische Nachkriegsgeschichte: Zunächst handelt es sich dabei wegen der seit den fünfziger Jahren zu beobachtenden langfristigen Verlagerung der wirtschaftlichen und politischen Interessen Großbritanniens auf Europa um das jedenfalls auf lange Sicht wichtigste Element der britischen Außen- und Außenwirtschaftsbeziehungen in der Nachkriegszeit. Darüber hinaus ist das Thema insofern auch innenpolitisch relevant, als die britische Europapolitik in hohem Maße den relativen wirtschaftlichen Niedergang und die latente politische Krise des Landes widergespiegelt hat. Die Untersuchung der Motive der europäischen Politik ist von daher in einem weiteren Sinne aufschlußreich für die britische Nachkriegsgeschichte. Schießlich kann die Analyse der britischen Europapolitik einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Nachkriegsgeschichte Westeuropas im allgemeinen und der europäischen Integration im besonderen leisten, die bisher teilweise sehr einseitig unter dem eingeschränkten Blickwinkel der Politik der sechs Gründungsmitglieder von EGKS und EWG geschrieben worden ist.3 Soll nicht der zu deterministischen Interpretation der europäischen Integration gefolgt werden, derzufolge angeblich alle Wege mehr oder weniger unausweichlich nach Rom führten, also über die wirtschaftliche zur stärker politischen Integration mit gewissen supranationalen Zügen, so erscheint es notwendig zu untersuchen, warum sich andere Konzepte für die europäische Zusammenarbeit nicht durchzusetzen vermochten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere nach den Gründen für das Scheitern der Europapolitik der Briten seit 1955 zu fragen, von denen Franzosen, Deutsche und Italiener nach Kriegsende zunächst die Übernahme einer Führungsrolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau genauso wie bei der Schaffung einer engeren politischen Zusammenarbeit oder Integration in Westeuropa erwartet hatten. In der vorliegenden Studie wird in erster Linie die Entwicklung der Regierungspolitik zwischen 1955 und 1961 analysiert. Hierfür ist einerseits gegenwärtig der größte historische Erkenntnisfortschritt zu erwarten, weil inzwischen die entsprechenden Regierungsakten zugänglich sind. Diese Darstellung ist die erste, in der dieses umfangreiche Quellenmaterial umfassend und systematisch ausgewertet wird. 4 Bisher ist die britische Europapolitik im Untersuchungszeitraum nur in einer zeitgenössischen, politikwissenschaftlich-journalisti3 Das gilt besonders für die einzige Gründungsgeschichte der EWG von Hanns Jürgen Küsters: Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Baden 1982. 4 Siehe auch Wolfram Kaiser: Selbstisolierung in Europa - Die britische Regierung und die Gründung der EWG, in: Clemens A. Wurm (Hrsg.): Wege nach Europa. Wirtschaft und Außenpolitik Großbritanniens im 20. Jahrhundert, Bochum 1992, S.125-153; ders.: Wie nach Austerlitz? LondonBonn-Paris und die britische EWG-Politik bis 1961, in: Integration 16/1 (1993), S.19-32; ders.: To join, or not to join: the ,Appeasement' policy of Britain's first EEC application, in: Brian Brivati und Harriet Jones (Hrsg.): From Reconstruction to Integration. Britain and Europe since 1945, Leicester 1993, S.144-156. Ansonsten für den Zeitraum 1955 bis 1957 Richard T. Griffiths: La dinamica della politica d'inerzia. La partecipazione del Regno Unito ai negoziati di Spaak e il suo successivo ritiro,

Einleitung

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sehen Studie detailliert abgehandelt worden, die jedoch gerade in bezug auf die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie die Motive hinter der Regierungspolitik nicht zu aussagekräftigen Ergebnissen kommt. 5 Dasselbe gilt für die meisten allgemeinen Untersuchungen zur britischen Außenpolitik der Nachkriegszeit, in denen die Europapolitik in der Regel eher am Rande berücksichtigt wird.6 Schließlich gelangen einige knappe Überblicksstudien zur britischen Europapolitik kaum über eine in groben Zügen narrative Darstellung der britischen Haltung gegenüber der europäischen Integration seit 1945 hinaus.7 In dieser Untersuchung den Schwerpunkt auf die Regierungspolitik zu legen, erscheint andererseits auch insofern sinnvoll, als die britische Regierung im Vergleich mit denjenigen der wichtigsten anderen westlichen Industriestaaten wegen der ausgesprochenen Exekutivlastigkeit des britischen Regierungssystems in Verbindung mit einer einseitigen Fixierung der Bevölkerung auf innenpolitische Fragen zumindest in den fünfziger und sechziger Jahren nach einhelliger Auffassung eine ungewöhnlich freie Hand bei der Gestaltung ihrer Außenund Europapolitik hatte.8 Dennoch war ohne Frage auch die britische Europapolitik durchaus in gewissem Maße innenpolitisch rückgebunden. Öffentliche und veröffentlichte Meinung, die Politik der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften und vor allem die Parteipolitik wirkten auf den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung ein. 9 Auch außen-

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in: Allessandro Migliazza (Hrsg.): Diplomazia e Storia delle relazioni internationali. Studi in onore di Enrico Serra, Mailand 1991, S.685-705; John W. Young: 'The Parting of the Ways'?: Britain, the Messina Conference and the Spaak Committee, June - December 1955, in: ders. und Michael Dockrill (Hrsg.): British Foreign Policy, 1945-56, London 1989, S. 197-224; Simon Burgess und Geoffrey Edwards: The Six plus One: British policy-making and the question of European economic integration, 1955, in: International Affairs 64/3 (1988), S.393^13. Miriam Camps: Britain and the European Community 1955-1963, London 1964. Beschränkt auf eine Analyse der hier nur am Rande berücksichtigten FHZ-Verhandlungen 1957/58, Karl Kaiser: EWG und Freihandelszone. England und der Kontinent in der europäischen Integration, Leyden 1963. F.S. Northedge: Descent From Power. British Foreign Policy 1945-1973, London 1974; Donald Maclean: British Foreign Policy since Suez 1956-1968, London 1970; W.N. Medlicott: British Foreign Policy since Versailles 1919-1963, London 1968. Hilfreicher sind schon die stärker analytisch angelegten politikwissenschaftlichen Untersuchungen von Joseph Frankel: British Foreign Policy 1945-1973, London 1975 und Max Beioff: New Dimensions in Foreign Policy. A Study in British Administrative Experience 1947-1959, London 1961. John W. Young: Britain and European Unity, 1945-1992, London 1993; Sean Greenwood: Britain and European Cooperation since 1945, Oxford 1992; Stephen George: Britain and European Integration since 1945, Oxford 1991; ders.: An Awkward Partner. Britain and the European Community, Oxford 1990. Stellvertretend Christopher Hill: Public Opinion and British Foreign Policy Since 1945: Research in Progress?, in: Millennium. Journal of International Studies 10/1 (1981), S.53-62 (55); grundlegend Frankel, S.237; M. Beioff, New Dimensions, S.15. Zur Entwicklung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung sowie zur Europapolitik der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften siehe Jeremy Moon: European Integration in British Politics 1950-1963: A Study of Issue Change, Aldershot 1985; Robert J. Lieber: British Politics and European Unity. Parties, Elites, and Pressure Groups, Los Angeles/London 1970; Herbert Schneider: Großbritanniens Weg nach Europa. Eine Untersuchung über das Verhalten und die Rolle der britischen Handels- und Industrieverbände, Gewerkschaften und Farmerorganisationen zwischen 1955/56 (Spaak-Komitee) und 1961 (EWG-Beitrittsverhandlungen), Freiburg 1968.

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Einleitung

politisch entwickelte sich die britische Politik nicht in einem Vakuum. Sowohl für die Frage nach den Motiven als auch für diejenige nach der Durchsetzbarkeit der britischen Ziele in Europa sind die Entwicklung des Commonwealth, die bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und innerhalb Europas hauptsächlich zu Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland von maßgeblicher Bedeutung. Um den Handlungsspielraum der britischen Regierung sachgerecht einschätzen zu können und auf dieser Grundlage zu einer fundierten Bewertung ihrer Politik zu gelangen, werden diese innen- und außenpolitischen Einflußfaktoren auf ihre jeweilige Bedeutung für die britische Europapolitik untersucht. Dabei soll die britische Politik nicht an dem Mitte der fünfziger Jahre noch nicht unbedingt abzusehenden späteren wirtschaftlichen und politischen Erfolg der E W G gemessen werden, sondern immanent an dem selbstgesteckten negativen Ziel, unbedingt den Ausschluß von gesamtwirtschaftlicher Integration in Westeuropa vermeiden zu müssen, um das außenpolitische System der „drei Kreise" und somit für Großbritannien den Anspruch auf eine Weltmachtrolle aufrechterhalten zu können. Im ersten Teil dieser Studie wird nach einer Einführung in die britische Außen- und Europapolitik zwischen 1945 und 1955 in drei Kapiteln der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung analysiert. Dabei wird zunächst die Entscheidung gegen die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa 1955 untersucht, danach die Genese des Plans für eine industrielle Freihandelszone (FHZ) in Westeuropa als Alternativprojekt und später als handelspolitisches Dach über der EWG und der vergebliche Versuch der britischen Regierung zwischen 1956 und 1958, dieses Konzept diplomatisch durchzusetzen, sowie schließlich die Entwicklung bis zum ersten britischen E W G - B e i trittsantrag 1961. Anschließend werden im zweiten Teil die genannten innen- und außenpolitischen Einflußfaktoren systematisch analysiert, um so zu einem möglichst umfassenden Gesamtbild der Haltung Großbritanniens zur europäischen Integration zu gelangen. Den umfangreichsten und bedeutendsten Teil der für die vorliegende Untersuchung ausgewerteten Quellen bilden die Regierungsakten.' 0 Für die Zeit nach der Regierungsübernahme durch Macmillan im Januar 1957 sind die Premierministerakten von besonderer Bedeutung, ansonsten diejenigen des Kabinetts und seiner verschiedenen, in Fragen der Außen-, Außenwirtschafts- und Europapolitik involvierten Kabinettsausschüsse. Berücksichtigt werden außerdem die Akten der wichtigsten mit der Europapolitik befaßten Ministerien, also Außenministerium, Schatzamt, Außenhandels- und Landwirtschaftsministerium. Ausgewertet wurden auch die Parteiakten der Konservativen, die im gesamten hier behandelten Zeitraum die Regierung stellten, sowie - soweit zugänglich - die relevanten Nachlässe führender konservativer Politiker, vor allem von Anthony Eden, Rab Butler und Duncan Sandys.11 Ergänzend wurden einige schriftliche und mündliche Interviews mit Beamten und Politikern durchgeführt, unter anderem mit dem späteren Premierminister Edward Heath. 10 Die Ressort- und die Amtsbezeichnungen der Politiker werden hier auf deutsch, diejenigen der Beamten und die Namen der verschiedenen Ausschüsse und Abteilungen innerhalb der Regierung wegen der fehlenden direkten Übertragbarkeit ins Deutsche dagegen auf englisch angegeben. Mit der Ausnahme kurzer, direkt übersetzbarer Zitate erfolgt die Zitation in der Originalsprache. 11 Der Nachlaß von Harold Macmillan ist noch nicht zugänglich, jedoch werden vor allem die aufschlußreichen Tagebucheintragungen ausführlich berücksichtigt in dessen vierteiliger Autobiographie sowie in der offiziellen Biographie von Alistair Hörne: Macmillan 1894—1956, Vol. I of the Official Biography, London 1988 sowie ders.: Macmillan 1 9 5 7 - 1 9 8 6 , Vol. II of the Official Biography, London 1989.

Einleitung

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Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Januar 1994 am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg angenommen wurde. Besonderer Dank gebührt meinem Betreuer, Professor Dr. Bernd Jürgen Wendt, für vielfältige Anregungen während der Begleitung meiner Studien zur britischen Europapolitik. Sehr verbunden bin ich auch Professor Dr. William Paterson für die freundliche Aufnahme am Europa Institute der Universität Edinburgh, wo ich von März 1992 bis September 1993 meine Forschungen fortgesetzt und als Visiting Lecturer gelehrt habe. Darüber hinaus gilt mein besonderer Dank Professor Dr. Wilfried Loth für die Aufnahme als Fellow der von ihm geleiteten Studiengruppe „Europa" am Kulturwissenschaftlichen Institut im Wissenschaftszentrum NRW in Essen, wo ich von Oktober 1993 bis März 1995 tätig war, Herrn Professor Dr. Gustav Schmidt von der Universität Bochum. Danken möchte ich darüber hinaus allen, die mich während meiner Studien- und Forschungsaufenthalte an den Universitäten Bonn, Oxford, Hamburg und Edinburgh sowie am KWI in Essen gefördert haben; für die Gewährung von Promotionsstipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes (ideell) und der Friedrich-Naumann-Stiftung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für ein Forschungsstipendium für einen dreimonatigen Archivaufenthalt in London sowie schließlich meinem Vater Gerhard Kaiser und Wolfgang Dirschauer für die Durchsicht des Manuskripts. Essen/Wien, im März 1995

Wolfram Kaiser

Teill Von Messina nach Canossa

KAPITEL 1

Großbritannien und Europa (1945 bis 1955)

„The position of Britain is (...) quite unique, for we are part, and an essential part, of (...) the three great unities of the world. The unity across the Atlantic, the unity within the British Commonwealth and Empire, and the unity with Western Europe."' So faßte der damalige konservative Unterstaatssekretär im Außenministerium, Anthony Nutting, 1951 in einer Rede im Unterhaus das von Winston Churchill entwickelte und auch erstmals so bezeichnete Konzept der „drei Kreise" zusammen, das eine Sonderstellung der britischen Regierung in der internationalen Politik legitimieren sollte und schon die Grundlage für das außenpolitische Selbstverständnis der Attlee-Regierung gewesen war. Danach war Großbritannien ein unverzichtbares wirtschaftliches und politisches Scharnier zwischen den drei nach dieser Auffassung ausschlaggebenden Machtzentren bzw. „Kreisen" der freien Welt, nämlich Atlantischer Allianz, Empire und Commonwealth sowie Westeuropa. Diesem Konzept lag die in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst weitgehend konsensfähige Annahme zugrunde, Großbritannien werde auch weiterhin eine herausragende Rolle in der Welt spielen können, wenngleich unter den geänderten Vorzeichen des sich allmählich verschärfenden Ost-West-Konflikts. Die Fortsetzung einer gegenüber der Vorkriegszeit möglicherweise weiter eingeschränkten, aber keinesfalls grundsätzlich in Frage gestellten Weltmachtrolle galt noch als so selbstverständlich, daß die britischen Regierungen gar nicht analysieren ließen, ob und inwieweit Großbritanniens wirtschaftliche und politische Interessen in den drei Kreisen überhaupt mittel- und langfristig miteinander vereinbar waren. Wie der spätere Premierminister Macmillan in seinen Memoiren konzediert, dachte von den politischen Entscheidungsträgern niemand darüber nach, wie sich die scheinbar unanfechtbaren Führungsrollen Großbritanniens im Commonwealth und in Westeuropa und die Sonderrolle als Juniorpartner der neuen Supermacht USA auf Dauer am besten miteinander verbinden ließen. 2 Eine provisorische Ausgangsprämisse, die nach Kriegsende, als das restliche Europa wirtschaftlich und politisch daniederlag, zunächst keineswegs abwegig erschien, verfestigte sich so zu einem außen- und europapolitischen Dogma, das Mitte der fünfziger Jahre eine frühzeitige Anpassung der britischen Politik an die sich nun sehr rasch zuungunsten Großbritanniens ändernden internationalen Rahmenbedingungen erheblich erschweren sollte. 1 Hansard 494/237 (20. November 1951). 2 Harold Macmillan: Riding the Storm 1956-1959, London 1971, S.65.

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Großbritannien und Europa (1945 bis 1955)

Innerhalb der Churchillschen drei Kreise spielten das Commonwealth und die Kolonien zunächst weiterhin eine zentrale Rolle. Deren außenwirtschaftliche Bedeutung für Großbritannien war in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorübergehend besonders hoch, weil der Warenaustausch mit den europäischen Staaten infolge des Zweiten Weltkrieges stark eingeschränkt war. Selbst Mitte der fünfziger Jahre nahmen die Mitgliedstaaten des Commonwealth und die verbliebenen Kolonien noch knapp die Hälfte des gesamten britischen Exports auf.3 Großbritannien war seinerseits für die meisten Commonwealth-Staaten noch immer der wichtigste Absatzmarkt, und zwar vor allem für die gerade für Australien und Neuseeland besonders wichtigen landwirtschaftlichen Güter, die von dort zollfrei und ohne mengenmäßige Beschränkungen eingeführt werden durften. Allerdings nahm die außenwirtschaftliche Bedeutung der Commonwealth-Verbindung im Zuge des ökonomischen Wiederaufschwungs Westeuropas und der Revitalisierung des Welthandels in den fünfziger Jahren schon wieder ab. Das Commonwealth-Präferenzsystem, das auf die Konferenz von Ottawa 1932 und die dort ausgehandelten bilateralen Verträge mit den Commonwealth-Staaten zurückging, war durch die internationale Handelsliberalisierung im Rahmen des 1947 abgeschlossenen Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) immer mehr ausgehöhlt worden. Die gegenseitigen Handelsvorteile sanken außerdem durch mehrere Neuverhandlungen der bilateralen Präferenzabkommen, auf die einzelne Commonwealth-Staaten drängten, deren ökonomische Interessen sich weiter vom ehemaligen Mutterland auf den nordamerikanischen bzw. pazifischen Wirtschaftsraum verlagerten. So lag die durchschnittliche Präferenzmarge gegenüber Drittstaaten im Intra-CommonwealthHandel 1955 nur noch bei knapp sechs Prozent, was etwa der Hälfte des Standes von 1945 entsprach. 4 Auch zeichnete sich bereits der langfristige Strukturwandel im britischen Außenhandel zugunsten einer stärkeren Orientierung auf den rasch expandierenden westeuropäischen Markt ab. Als wichtiger als die außenhandelspolitische Verflechtung mit dem Commonwealth galt daher Mitte der fünfziger Jahre die währungspolitische Kooperation. Nach wie vor spielte nämlich der auch einige Drittstaaten einschließende gemeinsame Währungsraum mit dem Pfund Sterling als Ankerwährung und London als Clearinghaus eine sehr wichtige Rolle für das Management und die rasche Ausweitung des Welthandels.5 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die vor allem innerhalb des Empire-Flügels der Konservativen Partei verbreitete Vorstellung längst als Illusion erwiesen, Großbritannien könne das Commonwealth zu einer politischen und wirtschaftlichen Einheit ausbauen. Erst recht nach der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit durch Indien, Pakistan und Sri Lanka 1947/48, die alle im Commonwealth verblieben, stimmten nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen Interessen der Mitgliedstaaten immer weniger überein. So zeichnete sich beispielsweise frühzeitig ab, daß die Sicherheitsinteressen Kanadas, Australiens und Neuseelands in Zukunft nicht mehr durch die britische, sondern nur noch 3 Harm Schröter: Sonderweg und (un-)aufhaltsame Hinwendung zu Europa: Zur Entwicklung der britischen Außenwirtschaftstrukturen im 20. Jahrhundert, in: Clemens A. Wurm (Hrsg.): W e g e nach Europa. Wirtschaft und Außenpolitik Großbritanniens im 20. Jahrhundert, Bochum 1992, S. 155-170 (161). 4 Richard Bailey: Die britische Einstellung zum Europäischen Gemeinsamen Markt und zur Freihandelszone, in: Europa-Archiv 12/9 (1957), S.9803-9806 (9804). 5 Gustav Schmidt: Großbritannien, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Sicherheit des Westens': „The American Connection", in: Michael Salewski (Hrsg.): Nationale Identität und Europäische Einigung, Göttingen/Zürich 1991, S.169-231 (179-187).

Großbritannien und Europa (1945 bis 1955)

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durch die amerikanische Regierung gewahrt werden konnten. Der Abschluß des ANZUSPakts zwischen Australien, Neuseeland und den Vereinigten Staaten 1951, von dem die Briten auf Drängen der Regierung in Washington ausgeschlossen blieben, machte auf besonders krasse Weise deutlich, in welchem Maße die politische Bedeutung Großbritanniens für die Commonwealth-Staaten bereits abgenommen hatte. Wegen der ausgeprägten Heterogenität der Interessen seiner Mitglieder lag für die Briten Mitte der fünfziger Jahre die wichtigste außenpolitische Bedeutung des Commonwealth bereits in seiner Funktion als internationales Statussymbol. Die traditionelle Führungsrolle in dieser Gruppe nur locker miteinander verbundener Staaten schien die latente wirtschaftliche und politische Schwäche Großbritanniens zumindest partiell kompensieren zu können und diente als Rechtfertigung für eine fortgesetzte internationale Sonderrolle am Verhandlungstisch der beiden neuen Supermächte. Als dann im weiteren Verlauf der fünfziger Jahre die zukünftige wirtschaftliche und politische Nützlichkeit des Commonwealth innerhalb der Regierung immer nüchterner beurteilt wurde, behielt es dennoch schon allein wegen der bestehenden engen kulturellen Verbindungen partei- und innenpolitisch eine große Bedeutung. Während das Commonwealth für den allerdings rasch an Einfluß verlierenden Empire-Flügel der Konservativen der bei weitem wichtigste außenpolitische Orientierungspunkt blieb, hoffte die politische Linke in der Arbeiterpartei zunehmend darauf, die Organisation zu einer wirtschaftlichen und ideologischen Brücke zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern ausbauen zu können. Während die Bedeutung des Commonwealth innerhalb der Churchillschen drei Kreise zwischen 1945 und 1955 merklich abnahm, wurden die transatlantischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten um so wichtiger, je mehr sich nach Kriegsende die politische Vorherrschaft der Amerikaner innerhalb der westlichen Welt abzeichnete. Dabei war das britischamerikanische Verhältnis keinesfalls immer harmonisch. Die bilateralen Beziehungen wurden durch einige schwerwiegende strukturelle Probleme und bisweilen harte politische Auseinandersetzungen belastet. Das gilt besonders für den Bereich der Wirtschaftspolitik. Hier hatte bereits die einseitige Aufkündigung des Lend-Lease-Abkommens durch den amerikanischen Kongreß unmittelbar nach Kriegsende, durch die die britische Regierung vorübergehend in eine schwere Finanzkrise gestürzt wurde, verdeutlicht, daß die USA nur in sehr begrenztem Maße auf die Interessen des ehemaligen Kriegsverbündeten Rücksicht zu nehmen bereit sein würden. Das zeigte sich auch beim Aufbau des internationalen Finanz- und Handelssystems der Nachkriegszeit, das die amerikanische Regierung mit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 und der GATT-Gründung weitgehend nach ihren Vorstellungen zu gestalten vermochte. Dabei setzten sich ältere Konflikte mit den Briten aus der Zwischenkriegszeit zunächst fort.6 Vor allem drängte die amerikanische Regierung weiterhin auf einen raschen Abbau des Commonwealth-Präferenzsystems, das mit ihrem Konzept einer weltweiten Handelsliberalisierung nach dem Prinzip der Meistbegünstigung unvereinbar war. Auch ansonsten gab es in den britisch-amerikanischen Beziehungen einiges Konfliktpotential. So warfen die Amerikaner der britischen Regierung unter Hinweis auf das RestEmpire eine Politik des Spätkolonialismus vor und drängten in den fünfziger Jahren immer stärker auf eine möglichst baldige Entlassung der britischen Kolonien in die staatliche Unabhängigkeit. Der latente Widerspruch zwischen der Kolonialpolitik der Briten und der 6 Vergl. hierzu Benjamin M. Rowland: Commercial Conflict and Foreign Policy: A Study in AngloAmerican Relations 1932-1938, New York/London 1987.

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neuen wirtschaftlichen und politischen Hegemonie der Amerikaner, die die Entwicklung in den europäischen Kolonien einseitig unter dem Blickwinkel des Ost-West-Konflikts sahen, sollte dann 1956 in dem zumindest aus britischer Sicht dramatischen Zerwürfnis über den Suez-Krieg kulminieren. Auch im Fernen Osten, vor allem in der China-Politik, gab es tiefgreifende Interessengegensätze zwischen Briten und Amerikanern. Dasselbe galt für die europäische Zusammenarbeit. Hier förderten die Regierungen Truman und Eisenhower gezielt supranationale Formen der Integration, von denen sie sich eine besonders effektive Stärkung des politischen Zusammenhalts Westeuropas gegenüber der Sowjetunion versprachen. Die Weigerung der britischen Regierungen, eine Führungsrolle beim Aufbau eines stärker integrierten Europa zu übernehmen, führte dazu, daß Briten und Amerikaner in der Europapolitik bis zum ersten britischen EWG-Beitrittsantrag 1961 weitgehend getrennte Wege gingen. Trotz dieser und anderer Konflikte waren die britisch-amerikanischen Beziehungen für beide Regierungen von grundlegender Bedeutung im Hinblick auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung. 7 Das gilt in besonderem Maße für den Bereich der Sicherheitspolitik. Angesichts der trostlosen wirtschaftlichen und politischen Lage in den anderen europäischen Partnerstaaten blieb Großbritannien hier nach 1945 zunächst der mit Abstand wichtigste Partner der Vereinigten Staaten. Dies verhinderte zwar nicht die einseitige Aufkündigung der während des Krieges im Manhattan-Projekt eingeübten bilateralen Nuklearkooperation durch das McMahon-Gesetz von 1946, schlug sich jedoch nicht zuletzt nach 1949 in einer besonders sehr engen Zusammenarbeit innerhalb der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft (NATO) nieder. Die Zündung der ersten britischen Atombombe 1952 und die Entscheidung für die Entwicklung einer Wasserstoffbombe 1955 lieferten eine zusätzliche Legitimation für eine hervorgehobene Rolle in der Sicherheitspolitik, die danach aus Sicht der britischen Regierung zunächst dauerhaft gesichert zu sein schien. Dabei waren möglichst enge bilaterale Beziehungen für die Briten von Anfang an wichtiger gewesen als für die Amerikaner. Je deutlicher nämlich die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Commonwealth abnahm, um so mehr galt in London in den fünfziger Jahren eine Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten als der eigentliche Schlüssel zur Aufrechterhaltung des eigenen Weltmachtanspruchs. Unter den britischen Premierministern der Nachkriegszeit spielten deshalb gerade Churchill und Macmillan gerne die Rolle des Juniorpartners aus der Zeit der Kriegsallianz zwischen 1941 und 1945 weiter und waren zunehmend bereit, ihre Politik auf die Interessen der Amerikaner abzustimmen, sobald es zu ernsten Konflikten zu kommen drohte oder solche, wie im Fall des Suez-Krieges 1956, offen zutage traten. Von zunächst untergeordneter Bedeutung innerhalb der drei Kreise waren schließlich die Beziehungen Großbritanniens zu den Staaten Westeuropas.8 Sie waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit wegen der elementaren Notwendigkeit, zunächst deren wirtschaftliches Überleben zu sichern, weit mehr eine Belastung denn ein Aktivposten der britischen Außenpolitik. Wichtige Impulse für eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen den Westeuropäern gingen zunächst vor allem von Oppositionsführer 7 David Reynolds: A .special relationship'? America, Britain and the international order since the Second World War, in: International Affairs 62/1 (1985/86), S . l - 2 0 (7). 8 John W. Young: Britain and European Unity, 1945-1992, London 1993, S.6-27; Clemens A. Wurm: Die Europa-Diskussion in Großbritannien, in: Wilfried Loth (Hrsg.): Die Anfänge der europäischen Integration 1945-1950, Bonn 1990, S.129-148.

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Churchill aus. Schon etwas mehr als ein Jahr nach Kriegsende sprach er sich in seiner Züricher Rede im September 1946 für die deutsch-französische Aussöhnung als Grundlage für die Schaffung einer Art von „Vereinigten Staaten von Europa" aus. 9 Die Gründung des „International Committee for a United Europe" 1947, aus dem sich die organisierte Europabewegung entwickelte, ging dann maßgeblich auf seine Initiative zurück. Wenige Jahre später unterstützte Churchill auch als einer der ersten das Konzept einer gemeinsamen europäischen Armee. Allerdings gab Churchill keine klare Antwort auf die entscheidende Frage, ob und in welchem Rahmen sich Großbritannien an den Einigungsbestrebungen auf dem Kontinent beteiligen sollte. Immerhin wurde deutlich, daß es ihm darum ging, wirtschaftlich, politisch und militärisch so eng wie möglich mit den Staaten Westeuropas zu kooperieren, solange die institutionellen Strukturen gemeinsamer Organisationen strikt nach dem Prinzip der Kooperation souveräner Staaten ausgerichtet blieben. Schon aus wirtschaftlichem und sicherheitspolitischem Eigeninteresse sollte Großbritannien die Einigungsbestrebungen der Kontinentaleuropäer von außen wohlwollend fördern. Jedoch kam für die britische Regierung nach dieser Auffassung wegen ihrer weltweiten Verpflichtungen gerade innerhalb des Commonwealth eine darüber hinausgehende politische Selbstverpflichtung in einem solchen stärker integrierten Europa nicht in Frage. Letztlich hielt Churchill Großbritannien überhaupt nur für bedingt europäisch. Sein Selbstverständnis als Engländer hatte er bereits im Februar 1930 in einem essayistischen Zeitungsartikel über den Briand-Plan für einen engeren Zusammenschluß in Europa anschaulich so zusammengefaßt: „We are with Europe, but not of it. We are linked, but not compromised. We are interested and associated, but not absorbed (...). We belong to no Single continent, but to all." 10 Churchills Auffassung von einer semi-distanzierten Position Großbritanniens in Europa war unter den politischen Entscheidungsträgern in London in den vierziger und frühen fünfziger Jahren zunächst weitgehend konsensfähig. Sowohl Arbeiterpartei als auch Konservative sahen in der Zeit des Kalten Krieges gleichermaßen die Notwendigkeit, die freien kontinentaleuropäischen Staaten wirtschaftlich und politisch zu stärken, um sie im Innern gegen den Einfluß kommunistischer Parteien und nach außen gegen die zunehmend als bedrohlich wahrgenommene Expansionspolitik der Sowjetunion widerstandsfähig zu machen. Gerade diese anti-sowjetische Stoßrichtung findet sich in der Europapolitik der Attlee-Regierung noch stärker als später bei den konservativ geführten Regierungen der fünfziger Jahre. Ansonsten gab es jedoch zwischen 1945 und 1955 keine substantiellen Unterschiede zwischen der Europapolitik der beiden großen Parteien." Auch die Konservativen waren letztlich nicht zu einer so engen institutionellen Bindung bereit, wie sie die sechs Gründungsmitglieder in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951/52 eingingen. Die scharfe Rhetorik, mit der gerade Churchill die angeblich nicht ausreichend „europäische" Politik des damaligen Außenministers Ernest Bevin bis 1951 regelmäßig aus der Opposition heraus angriff, erwies sich im Nachhinein als hauptsächlich taktisch-innenpolitisch motiviert.

9 Lieber, S. 17. 10 „The United States of Europe" (15. Februar 1930), in: Michael Wolff (Hrsg.): The Collected Essays of Sir Winston Churchill, Vol. II, London 1976, S.184f. 11 John W. Young: Churchill's 'No' to Europe: the 'rejection' of European union by Churchill's postwar government, 1951-52, in: The Historical Journal 28/4 (1985), S.923-937.

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Bevin hatte 1947 sogar in einer regierungsinternen Denkschrift kurzzeitig eine im engeren Sinne europäische Lösung zur Überwindung der ökonomischen Krise Westeuropas in Form der Gründung einer kompletten Zollunion mit den kontinenteuropäischen Staaten erwogen.12 Diese Idee wurde jedoch im Kabinett vor allem auf Drängen von Schatzkanzler Hugh Dalton und Außenhandelsminister Stafford Cripps sogleich verworfen, da sie angeblich mit den weltweiten Verpflichtungen Großbritanniens unvereinbar war. Das Konzept geriet dann rasch in Vergessenheit, als der Marshall-Plan der Amerikaner eine Lösung der drängendsten wirtschaftlichen Probleme Europas versprach.13 Die Verwaltung des Marshall-Plans übernahm ab 1948 die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), mit der die Vereinigten Staaten und Kanada assoziiert waren. Dafür war es der Attlee-Regierung in den Gründungsverhandlungen gelungen, entgegen dem Wunsch der Amerikaner nach supranationalen Elementen und einer größeren Rolle für Frankreich eine strikt zwischenstaatliche Organisationsstruktur und eine starke politische Stellung für Großbritannien durchzusetzen, so daß es von Anfang an unwahrscheinlich war, daß die OEEC einmal Ausgangspunkt einer weitgehenderen Integration sein könnte.14 Mit dem Schuman-Plan gelang es der französischen Regierung dann 1950, der wirtschaftlichen Integration Westeuropas neuen Schwung zu verleihen.'5 Vor allem um die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland effektiver institutionell einbinden zu können, hatte sie ihren Vorschlag für eine gemeinsame Organisation im Montanbereich von Anfang an mit einem supranationalen Junktim versehen, demzufolge sich die Regierungen aller Partnerstaaten vorab auf die Gründung einer Hohen Behörde mit weitreichenden Vollmachten festlegen sollten. Ohne überhaupt zuvor die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile für Großbritannien analysieren zu lassen, lehnte die Attlee-Regierung daher die Teilnahme an den Verhandlungen ab, die nach eineinhalb Jahren schließlich zur Gründung der EGKS führten. Um eine Brücke zu der neuen Organisation zu schlagen, handelte die Churchill-Regierung dann 1954 einen Konsultativvertrag aus, ohne sich damit jedoch wie die EGKS-Staaten auf eine gemeinschaftliche Montanpolitik zu verpflichten.16 Anders als die wirtschaftliche machte die direkte politische Integration Westeuropas, wie sie von den Föderalisten betrieben wurde, bis 1955 keine Fortschritte. Die Interessen der im 1949 gegründeten Europarat zusammengeschlossenen Staaten waren so heterogen, daß diese gleichfalls zwischenstaatlich angelegte Organisation von Anfang an über wenig eigenes Gewicht verfügte und keinen nennenswerten politischen Einfluß in Europa auszuüben vermochte. Auch hier widersetzten sich die Briten jedem Versuch, die Kompetenzen der neuen 12 Zur Europapolitik der Attlee-Regierung vergl. Geoffrey Warner: The Labour Governments and the Unity of Western Europe, 1945-51, in: Ritchie Ovendale (Hrsg.): The Foreign Policy of the British Labour Governments, 1945-1951, Leicester 1984, S.61-81. Siehe außerdem John W. Young: Britain, France and the Unity of Europe 1945-1951, Leicester 1984. 13 Zum Marshall-Plan siehe Alan S. Milward: The Reconstruction of Western Europe, London 1984; Michael Hogan: The Marshall Plan: America, Britain and the Reconstruction of Europe, 1947-1952, Cambridge 1987. 14 Wilfried Loth: Die Teilung der Welt 1941-1955, 9. Auflage, München 1990, S.206-211. 15 Zum Schuman-Plan Klaus Schwabe (Hrsg.): Die Anfänge des Schuman-Plans 1950-51, BadenBaden 1986; William Diebold: The Schuman Plan. A Study in Economic Cooperation 1950-1959, New York 1959. 16 John W. Young: The Schuman Plan and British Association, in: ders. (Hrsg.): The Foreign Policy of Churchill's Peacetime Administration 1951-1955, Leicester 1988, S.109-134.

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Organisation im Verhältnis zu den einzelnen Mitgliedstaaten auszubauen. Enttäuscht von der fehlenden Bereitschaft der Briten zu substantiellen Konzessionen an ihre Vorstellungen von einer wesentlich engeren politischen Zusammenarbeit untereinander, entwickelten die EGKSStaaten im Zusammenhang mit den Verhandlungen zwischen 1951 und 1954 über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) das Konzept einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), an die die politische Verantwortung für die geplante gemeinsame Armee übertragen werden sollte. Dieses Projekt scheiterte jedoch 1954 zusammen mit dem EVG-Vertrag in der französischen Nationalversammlung. Während die britischen Regierungen den über ihre eigenen limitierten Pläne hinausgehenden Projekten für eine wirtschaftliche und politische Integration in Westeuropa skeptisch begegneten, spielten sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor allem in einem dritten Bereich, nämlich bei der Förderung einer engeren militärischen und sicherheitspolitischen Kooperation der Westeuropäer, eine führende Rolle. In dem 1947 mit Frankreich eingegangenen Vertrag von Dünkirchen und in dem 1948 unter Einschluß der Benelux-Staaten abgeschlossenen Brüsseler Vertrag fand sich Großbritannien erstmals bereit, dauerhafte Bündnisverpflichtungen auf dem europäischen Kontinent zu übernehmen. Obwohl damit ursprünglich die Absicht verbunden war, einen Schutz gegen eine erneute Aggression eines wiedererstarkten Deutschlands zu schaffen, erhielt diese Politik in dem sich allmählich entwickelnden Kalten Krieg frühzeitig eine betont anti-sowjetische Stoßrichtung. Neben der militärischen Stärkung der westeuropäischen Staaten gegenüber der Sowjetunion lag der Attlee-Regierung vor allem an einer dauerhaften Selbstverpflichtung der Amerikaner zu einem substantiellen Beitrag zur Verteidigung Europas. Das angestrebte transatlantische Dach über den zunächst auf Europa beschränkten Verträgen zu spannen, gelang den Briten dann 1949 mit der NATO-Gründung. Neben der Einbindung der Vereinigten Staaten in Europa setzte sich die neue konservative Regierung Churchill ab 1951 für die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westlichen Bündnisse ein, nachdem die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags im Zuge des Korea-Kriegs akut geworden war.'7 Von dem von den Amerikanern unterstützten, supranational angelegten EVG-Projekt, an dem sie sich auf keinen Fall selbst beteiligen wollte, hielt sie allerdings von Anfang an nicht viel. Nach der innerhalb der Londoner Regierung vorherrschenden Auffassung drohte eine europäische Armee sowohl militärisch ineffektiv als auch politisch schwer zu führen zu sein. Stattdessen strebte Außenminister Eden von Anfang an eine Lösung im Rahmen der NATO an.18 Das Scheitern des EVG-Projekts ebnete dann 1954 auch den Weg zur Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die neu gegründete, zwischenstaatlich organisierte Westeuropäische Union (WEU) und die NATO. Mit der WEU-Gründung schienen die britischen Interessen in Europa in idealer Weise gewahrt. Erstens sah es so aus, als seien bis auf weiteres die supranationalen Integrationsbestrebungen auf dem Kontinent gestoppt. Die Strukturen der wichtigsten europäischen Organisationen OEEC, Europarat und WEU waren zwischenstaatlicher Natur. Die Arbeit der einzigen supranationalen Organisation, der EGKS, blieb auf einen Wirtschaftssektor 17 Vergl. hierzu grundlegend Hans-Heinrich Jansen: Großbritannien, das Scheitern der EVG und der NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland, Bochum 1992; Saki Dockrill: Britain's Policy for West German Rearmament 1950-1955, Cambridge 1991. 18 Zur EVG-Politik der britischen Regierung siehe auch John W. Young: German Rearmament and the European Defence Community, in: ders. (Hrsg.): The Foreign Policy, S.81-107.

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beschränkt, in dem die britische Industrie mittelfristig als wettbewerbsfähig galt. Zweitens gelang es der britischen Regierung, in wechselnden nationalen Allianzen in allen Organisationen, an denen sie beteiligt war, eine einflußreiche Rolle zu spielen. Das galt besonders für OEEC und NATO. Drittens war es den Briten gelungen, die Amerikaner dauerhaft in Europa einzubinden. Durch die Assoziierung der Vereinigten Staaten im Rahmen der OEEC und ihre Führungsrolle in der NATO erhielten alle Initiativen für eine engere europäische Zusammenarbeit eine aus britischer Sicht beruhigende transatlantische Komponente. Ihre wichtigsten Ziele in Europa hatten die britischen Regierungen so bis 1955 erreicht. Das „britische Europa" schien zu diesem Zeitpunkt gesichert.

KAPITEL 2

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Seit dem Scheitern der EVG und der Gründung der WEU war in den EGKS-Staaten und zwischen deren Regierungen lebhaft darüber diskutiert worden, wie die europäische Integration neu belebt werden könnte. Vor allem die Regierungen der Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland erhofften sich von einer Rückverlagerung in den ökonomischen Bereich eine neue Anschubwirkung. Immerhin hatte sich die EGKS bereits als politisch funktionsfähig erwiesen. Die Regierungen der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs legten schließlich am 26. Mai 1955 eine Denkschrift vor, in der sie die Gründung eines Gemeinsamen Marktes vorschlugen. Damit knüpften sie an den sogenannten Beyen-Plan aus dem Jahr 1953 an, der bereits die Schaffung einer westeuropäischen Zollunion vorgesehen hatte. 1 Der Text der Benelux-Staaten hatte außerdem Ähnlichkeit mit Plänen, die im Bonner Wirtschaftsministerium entwickelt worden waren und von der Bundesregierung zunächst in einer eigenen Denkschrift unterbreitet wurden. 2 Um die verschiedenen Vorschläge zur Wiederbelebung der westeuropäischen Integration zu erörtern, trafen sich die Außenminister der EGKS-Staaten Anfang Juni 1955 im italienischen Messina. Im Schlußkommunique der Konferenz einigten sie sich auf das Ziel, einen einheitlichen Wirtschaftsraum in Form einer Zollunion mit gemeinsamen Institutionen und einer schrittweisen Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu schaffen. 3 Außerdem sollte eine europäische Atomenergiebehörde gegründet werden, woran Frankreich besonders interessiert war, das seine eigene Forschung mit deutscher Technologie- und Kapitalhilfe vorantreiben wollte. 4 Die Außenminister setzten einen zwischenstaatlichen Ausschuß unter der 1 Siehe Hanns Jürgen Küsters: Zollunion oder Freihandelszone? Zur Kontroverse über die Handelspolitik Westeuropas in den fünfziger Jahren, in: Helmut Berding (Hrsg.): Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1984, S.295-308 (297). 2 Denkschrift der Bundesregierung (1. Juni 1955): Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.106 (11. Juni 1955), S.880. Vergl. auch John Gillingham: Coal, Steel and the rebirth of Europe, 1945-1955. The Germans and French from Ruhrconflict to economic Community, New York 1991, S.363. 3 Das Schlußkommunique in Heinrich von Siegler: Dokumentation der Europäischen Integration mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses EWG-EFTA. Von der Züricher Rede W. Churchills 1946 bis zur Bewerbung Großbritanniens um die Mitgliedschaft bei der EWG 1961, Bonn/Wien/Zürich 1961, S.90f. 4 Als Einführung in die Gründungsgeschichte der europäischen Atomenergiebehörde vergl. Peter

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Leitung des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak ein, in dem vor Beginn der eigentlichen Regierungsverhandlungen zunächst die damit verbundenen technischen Probleme diskutiert und in einem Abschlußbericht dargelegt werden sollten.5 Nachdem diese Vorgespräche im November 1955 abgeschlossen waren, erarbeitete eine kleine Gruppe hoher Beamter und Experten aus den EGKS-Staaten unter Leitung des belgischen Außenministers den sogenannten Spaak-Bericht, der am 21. April 1956 veröffentlicht wurde. 6 Die Ergebnisse dieses Berichts wurden von den beteiligten Regierungen auf der Konferenz von Venedig im Mai 1956 grundsätzlich gutgeheißen. Die sich anschließenden Verhandlungen führten schließlich zur Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957. Die Motive, die zu dieser Wiederaufnahme des Integrationsprozesses führten, und vor allem deren Zusammenspiel sind von der zeitgeschichtlichen Forschung erst ansatzweise analysiert worden.7 Warum die EGKS-Staaten nur ein Jahr nach dem Scheitern des EVG-Projekts einen neuen Versuch zur weiterführenden Integration, diesmal im ökonomischen Bereich, unternahmen, läßt sich jedenfalls nicht monokausal erklären. Für die beteiligten Regierungen waren jeweils unterschiedliche Gründe ausschlaggebend. Hier sind vier Einzelfaktoren von besonderer Bedeutung, die eine wichtige Rolle gespielt haben dürften: Erstens erschien ein Ausweichen auf den ökonomischen Sektor ratsam, der in Frankreich innenpolitisch weniger kontrovers war als die Verteidigungspolitik. 8 Zweitens erhofften sich die Anhänger der Integration ein späteres Übergreifen der wirtschaftlichen Verzahnung auf den politischen Bereich. Die wirtschaftliche Integration sollte auf diese Weise zum Instrument der politischen Einigung werden. 9 Drittens erschien Teilen der westeuropäischen politischen Eliten die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland trotz deren Aufnahme in die NATO und die neugegründete WEU noch nicht ausreichend gewährleistet. Spaak bezeichnete dieses Motiv, das seit dem Schuman-Plan von herausragender Bedeutung war, in einem Brief an den britischen Premierminister Eden im Februar 1956 sogar als den mit Abstand wichtigsten Grund für die Brüsseler Einigungsbestrebungen.10

Weilemann: Die Anfänge der Europäischen Atomgemeinschaft. Zur Gründungsgeschichte von Euratom 1955-1957, Baden-Baden 1983. 5 Zum Spaak-Ausschuß vergl. Michel Dumoulin: Les travaux du Comite Spaak (juillet 1955 - avril 1956), in: Enrico Serra (Hrsg.): II rilancio dell'Europa e i trattati di Roma, Brüssel/Mailand/Paris/Baden-Baden 1989, S.195-210. 6 Comite Intergouvernemental cree par la Conference de Messine: Rapport des Chefs de Delegation aux Ministres des Affaires Etrangeres (Spaak-Bericht), Brüssel 1956. Aus dem technischen Bericht hatten Spaak und seine Mitarbeiter in der Zwischenzeit einen „politischen Aktionsplan" gemacht. Vergl. Hanns Jürgen Küsters: The Origins of the EEC Treaty, in: Serra, S.211-238 (219). 7 Einführend Pierre Gerbet: La relance europeenne jusqu'ä la Conference de Messine, in: Serra, S.61-92. Für die Deutung der Integration als Rettungsaktion für die europäischen Nationalstaaten siehe neuerdings Alan S. Milward: The European Rescue of the Nation-State, London 1992; ders.: Der historische Revisionismus zur Einigungsgeschichte Westeuropas. Neue Erkenntnisse statt überholter Schulweisheiten, in: Integration 10/3 (1987), S.100-106. Den Versuch einer synthetisch angelegten Gesamtinterpretation unternimmt Wilfried Loth: Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939-1957, Göttingen 1990. 8 Zu dieser allgemeinen Ansicht siehe etwa George, Awkward Partner, S.27; Küsters, Die Gründung, S.lOf. 9 K. Kaiser, S. 10/46. 10 „Die europäische Integration gibt Deutschland einen Rahmen, in dem seine Expansion begrenzt

Zwischen Präferenzen und Freihandel

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Schließlich waren viertens die Niedrigzolländer aus ökonomischen Gründen und die Anhänger einer weiteren Integration in Westeuropa aus politischen Gründen von der von Großbritannien politisch dominierten OEEC als dem Hauptforum für wirtschaftliche Kooperation in Europa enttäuscht." Deren Leistungen im Hinblick auf die Durchführung des Marshall-Plans und die bereits recht weit fortgeschrittene Liberalisierung der mengenmäßigen Beschränkungen im Handel zwischen den Mitgliedern wurden allgemein anerkannt. Jedoch wurde seit geraumer Zeit über die Frage von OEEC-Zollverhandlungen gestritten. Vor allem die Benelux-Staaten stimmten 1955 dem Ziel einer Ausweitung des nicht mehr mengenmäßig beschränkten Handels auf 90 Prozent nur unter der Bedingung zu, daß es anschließend auch zu Zollsenkungen innerhalb der OEEC kommen würde, die weltweit nach dem System der Meistbegünstigung ausgedehnt werden konnten. Die Londoner Regierung hatte jedoch ähnliche Forderungen seit Jahren blockiert und lehnte solche Zollsenkungen im Februar 1956 im OEEC-Ministerrat unter Hinweis auf die Zuständigkeit des GATT erneut kategorisch ab. Hinzu kam, daß die OEEC strikt zwischenstaatlich organisiert war. Ihr fehlte von Anfang an der politische Zusammenhalt, der nicht nur für die europäischen Föderalisten, sondern auch für die Regierungen der EGKS-Staaten das zentrale strategische Ziel der europäischen Integration darstellte. So machte Spaak bei seinem Besuch in London im November 1955 gegenüber der britischen Regierung deutlich, daß die Verhandlungspartner in Brüssel eine wesentlich engere Gemeinschaft wollten als die OEEC, die einer Boutique gleiche, aus der sich jeder Mitgliedstaat nach eigenem Gutdünken bedienen könne. 12 Insofern läßt sich der neue integrative Impetus hinter der Konferenz von Messina auch als Antwort auf das Versagen der OEEC und damit, in einem umfassenderen Sinn, als Absage an das britische Kooperationskonzept für Europa interpretieren.13 In Messina hatten sich die EGKS-Staaten bereits darauf geeinigt, die Londoner Regierung einzuladen, an den Vorgesprächen in Brüssel und an den Regierungsverhandlungen teilzunehmen. Nach dem Zusammenbruch des EVG-Projekts, dessen Scheitern nicht zuletzt auf die Weigerung Großbritanniens zurückgeführt worden war, sich daran zu beteiligen oder zumindest damit zu assoziieren, schien die wohlwollende Unterstützung durch die Londoner Regierung zunächst eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg der neuen Pläne für eine weiterführende Integration zu sein. Die Einladung nach Brüssel überbrachte der niederländische Außenminister Johan Willem Beyen im Auftrag der EGKS-Staaten zunächst mündlich bei einem Besuch in London im Juni 1955. Anders als beim Schuman-Plan 1950 war sie nicht an die Zustimmung zu einer supranationalen Behörde gebunden. Das Scheitern des EVGProjekts hatte in den EGKS-Staaten zu einer Rückbesinnung auf eine funktional gestaltete Integration geführt, die zeitlich in Etappen fortschreiten und wichtige Kompetenzen bei den Mitgliedstaaten belassen würde. Zwar forderte die Benelux-Denkschrift eine starke Behörde zur Verwaltung des Gemeinsamen Marktes, jedoch war das institutionelle Gleichgewicht zwischen dieser und den Regierungen der Mitgliedstaaten noch ganz offen. Selbst die Römischen Verträge gewährten später in dieser Hinsicht einen weiten Interpretationsspielraum, so daß die Kompetenzverteilung größtenteils einer dynamischen Entwicklung bleibt, und schafft eine Interessengemeinschaft, die (...) uns gegen gewisse Abenteuer absichert." Spaak an Eden (7. Februar 1956), zitiert bei Paul-Henri Spaak: Memoiren eines Europäers, Hamburg 1969, S.312. 11 Vergl. hierzu K. Kaiser, S.20ff. 12 T 234/183 (21. November 1955). 13 K. Kaiser, S.22.

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überlassen blieb und sich schließlich ein sehr komplexes institutionelles Mischsystem entwickelte, das Elemente eines Staatenbundes mit solchen einer bundesstaatlichen Ordnung kombiniert. Die Frage der britischen Haltung zur Messina-Initiative wurde im Londoner Kabinett erstmals am 30. Juni 1955 diskutiert. 14 Schatzkanzler Butler hatte in einer Vorlage für diese Sitzung bereits die Einsetzung einer Arbeitsgruppe des Mutual Aid Committee (MAC) angekündigt, das auf Kabinettsebene mit Fragen der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit befaßt war und in dem das Schatzamt den Vorsitz führte. In dieser Arbeitsgruppe sollten sich die betroffenen Ministerien zunächst auf der Verwaltungsebene mit der Frage befassen, welche Vor- und Nachteile die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt hätte, und bis zum Frühherbst eine Entscheidungsvorlage erarbeiten.15 Eine endgültige Stellungnahme zu den Plänen der EGKS-Staaten glaubte die Regierung frühestens dann abgeben zu müssen. Bis dahin wurde der Under-Secretary im Außenhandelsministerium, Russell Bretherton, als britischer Vertreter zu den Brüsseler Vorgesprächen geschickt. Die dort gegenüber den EGKS-Staaten einzuschlagende außenpolitische Taktik sollte die politischen Entscheidungsträger in London in den folgenden Monaten weitaus mehr beschäftigen als die damit verbundenen Sachfragen. Die Diskussion um die Vor- und Nachteile einer britischen Teilnahme an dem geplanten Gemeinsamen Markt verlagerte sich nämlich zwischen Juli und Oktober 1955 nahezu vollständig auf die Verwaltungsebene. In der MAC-Arbeitsgruppe waren zwar auch das Außenministerium und die Ministerien für CommonwealthBeziehungen, für Kolonien und für Landwirtschaft vertreten, jedoch lag die Führung eindeutig bei den Wirtschaftsministerien. 16 Unter der Leitung des Under-Secretary im Schatzamt, Burke Trend, trafen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe zwischen Mitte Juli und Mitte Oktober 1955 zu insgesamt zehn Sitzungen, auf denen die Denkschriften der beteiligten Ministerien erörtert wurden. Dabei befaßten sich die Beamten weniger mit den außenpolitischen, sondern überwiegend mit den involvierten ökonomischen Problemen. Die wichtigsten an dem Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß in der Regierung beteiligten Ministerien wiesen interne Verwaltungsstrukturen auf, die der Organisation der Kabinettsausschüsse entsprachen. So war im Schatzamt seit 1954 die Mutual Aid Division umfassend für alle Probleme der wirtschaftlichen Kooperation in Europa zuständig. Sie wurde Ende 1955 in Home and Overseas Planning Staff Division umbenannt und erhielt weitere Kompetenzen, so daß sie nun umfassend für alle Fragen der britischen Außenwirtschaftspolitik verantwortlich war. Im Außenhandelsministerium war das Commercial Relations and Exports Department (CRE) federführend, dessen Abteilungsleiter Russell Bretherton war, und im Außenministerium das Mutual Aid Department, das im Zusammenhang mit dem Marshall-Plan gegründet worden war. Die MAC-Arbeitsgruppe legte Ende Oktober 1955 ihren Abschlußbericht vor, der anschließend von den Spitzenbeamten im Economic Steering Committee sowie - auf Ministerebene - im Economic Policy Committee diskutiert wurde.17 Diese Denkschrift stellt vor allem im ökonomischen Teil einen Kompromiß der unterschiedlichen Standpunkte der beteiligten Ministerien dar. Für ein tieferes Verständnis des Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses in der Regierung ist es daher erforderlich, 14 15 16 17

CAB 128/29/19. Sitzung (30. Juni 1955). CAB 129/76/55 (29. Juni 1955). Working Party on a European Common Market: CAB 134/1044. CAB 134/1030/199-201 (24. Oktober 1955).

Zwischen Präferenzen und Freihandel

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über den Abschlußbericht hinaus die intra- und interministeriellen Diskussionen zu untersuchen. Nur so läßt sich nachvollziehen, auf welcher Ebene die Entscheidung gegen die Teilnahme an der geplanten Zollunion getroffen wurde, welche politischen oder ökonomischen Gründe, die hier zunächst untersucht werden sollen, dafür ausschlaggebend waren und schließlich, ob und unter welchen Bedingungen ein Beitritt Großbritanniens 1955, historisch betrachtet, eine offene politische Option war.

1. Zwischen Präferenzen und Freihandel Wäre die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa mit mehr wirtschaftlichen Voroder Nachteilen verbunden? Um diese Frage beantworten zu können, so stellte der Vorsitzende der MAC-Arbeitsgruppe, Burke Trend, frühzeitig fest, müßten die kurzfristigen Gefahren und die potentiellen langfristigen Gewinne abgewogen werden.18 Ein Problem sahen die Wirtschaftsministerien in den notwendigen strukturellen Anpassungen in einzelnen Industriesektoren, die nach dem Wegfall der Zollschranken dem erhöhten Wettbewerbsdruck nicht gewachsen sein könnten. Damit rechnete das Außenhandelsministerium in einer ersten Überblicksstudie vor allem in der Landwirtschaft und in bestimmten sogenannten strategischen Industrien wie der Chemie, die als militärisch bedeutsam galten und bis dahin durch besonders hohe Außenzölle geschützt waren. 19 Die daraus resultierende Arbeitslosigkeit könnte durch den seinerzeit in den Brüsseler Vorgesprächen bereits diskutierten Anpassungsfonds zwar begrenzt, nicht jedoch ganz vermieden werden. Es bestehe durchaus die Gefahr, daß einzelne Regionen Großbritanniens unter den Strukturanpassungen besonders litten und ihre wirtschaftliche Entwicklung dadurch auch längerfristig behindert werden könnte.20 Mit ähnlichen Übergangsproblemen rechneten die Beamten jedoch auch für alle anderen Mitgliedstaaten eines Gemeinsamen Marktes. Ihnen müßten die langfristigen Vorteile der Teilnahme an einer Zollunion gegenübergestellt werden. Deren allgemeinen volkswirtschaftlichen Nutzen schätzten Schatzamt und Außenhandelsministerium ähnlich ein wie die Anhänger der Messina-Initiative in den EGKS-Staaten.21 Ein wesentlicher Vorteil wurde in der effizienteren Verteilung von Ressourcen und in der Produktion in größeren Einheiten gesehen, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittstaaten gestärkt werden sollte, sowie in dem intensivierten Handel zwischen den Mitgliedstaaten, von dem ein Wachstumsschub erwartet wurde. Für Großbritannien wäre es außerdem besonders vorteilhaft, gleichermaßen Zugang zu den preiswertesten Rohstoffen und Halbfertigprodukten aus dem Commonwealth und aus Europa zu haben und so besonders günstig produzieren zu können. Der MAC-Abschlußbericht kommt daher zu dem Schluß, daß die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa langfristig mit einem Wachstumsschub verbunden wäre, dessen genauer Umfang allerdings unmöglich abzusehen sei. Die Teilnahme an einer Zollunion bedeutete primär die voraussichtlich stufenweise Abschaffung aller Binnenzölle und Einführung gemeinsamer Außenzölle gegenüber 18 19 20 21

CAB 134/1026/33. Sitzung (23. August 1955). Denkschrift des Außenhandelsministeriums: CAB 134/1029/135 (13. Juli 1955). CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). Vergl. die Denkschrift des Schatzamtes: CAB 134/1044/6 (6. August 1955) sowie den MACAbschlußbericht.

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Drittstaaten. In der detaillierten ökonomischen Analyse in der MAC-Arbeitsgruppe standen daher die möglichen Auswirkungen auf den britischen Außenhandel im Vordergrund, womit vor allem das Außenhandelsministerium befaßt war. Die Beamten des federführenden Commercial Relations and Exports Department erwarteten in ihrer ersten Überblicksstudie einerseits zusätzliche Exportchancen für die britische Industrie in dem entstehenden europäischen Binnenmarkt, der für besonders wachstumsstark gehalten wurde. Allerdings war es den Beamten unmöglich, die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Gewinne genauer zu quantifizieren. Andererseits jedoch schien der Beitritt zu einer europäischen Zollunion auf den ersten Blick unvereinbar mit den Strukturen des britischen Außenhandels. 22 Während nur etwa 14 Prozent der britischen Exporte in die EGKS-Staaten und etwas mehr als 25 Prozent ins gesamte Europa gingen, nahmen die Mitgliedstaaten des Commonwealth noch immer knapp 50 Prozent auf. Die Teilnahme an einer Zollunion in Europa hätte nicht nur, jedenfalls im Prinzip, die Aufgabe der verbliebenen Präferenzen im Commonwealth-Handel, sondern sogar die tarifäre Diskriminierung von Commonwealth-Gütern im britischen Markt gegenüber Produkten aus der Zollunion („negative Präferenzen" notwendig gemacht. Angesichts der besonderen politischen Bedeutung, die den Commonwealth-Präferenzen 1955 in Großbritannien noch immer beigemessen wurde, ist es auffallend, daß deren ökonomischer Nutzen in den Erörterungen in der MAC-Arbeitsgruppe vor allem von den Vertretern des Außenhandelsministeriums sehr pragmatisch beurteilt und im Ergebnis als gering eingeschätzt wurde. Die Vorteile, die die Commonwealth-Staaten aus dem Präferenzsystem zogen, lagen in erster Linie in dem im wesentlichen zollfreien Export landwirtschaftlicher Güter, die 50 Prozent ihres Gesamtexports nach Großbritannien ausmachten. Die EGKS-Staaten schienen ihrerseits wegen der großen innenpolitischen Bedeutung der nationalen Agrarsubventionen keinen Freihandel in landwirtschaftlichen Produkten anzustreben, wenngleich die Brüsseler Vorgespräche durchaus bereits die Notwendigkeit von kompensatorischen Zugeständnissen an die Agrarexporteure, insbesondere an Frankreich, erwiesen hatten. Die Wirtschaftsministerien spekulierten daher darauf, daß sich im Falle der eigenen Teilnahme der landwirtschaftliche Sektor weitgehend von der Zollunion ausschließen ließe oder zumindest Sonderregelungen für Großbritannien ausgehandelt werden könnten, wodurch das Hauptinteresse der Commonwealth-Staaten gewahrt worden wäre. Weitere 40 Prozent der Commonwealth-Exporte nach Großbritannien bestanden nämlich aus Rohstoffen, die größtenteils auch in den EGKS-Staaten nur mit niedrigen oder gar keinen Zöllen belegt waren, so daß die Commonwealth-Partner nur die geringen Präferenzen auf einen Teil der verbleibenden industriellen Exporte verlieren würden, wovon hauptsächlich Kanada betroffen wäre. Selbst für den Fall, daß der landwirtschaftliche Sektor grundsätzlich in den Gemeinsamen Markt einbezogen werden sollte, rechneten die Vertreter des Schatzamtes und des Außenhandelsministeriums damit, in den anstehenden Verhandlungen Konzessionen der EGKS-Staaten an die Commonwealth-Staaten aushandeln zu können, zum Beispiel in Form von Zollsenkungen für wichtige Exportprodukte des Commonwealth oder einer weiteren Liberalisierung noch bestehender mengenmäßiger Beschränkungen.24 Rückblickend erscheint 22 Denkschrift des Außenhandelsministeriums: CAB 134/1029/135 (13. Juli 1955). 23 Alfred Bosshardt: Großbritannien, EWG und Commonwealth. Rückblick auf fünf Jahre britischer Integrationsbemühungen, in: Aussenwirtschaft 18/1 (1963), S.55-72 (56). 24 CAB 134/1044/5 (5. August 1955).

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diese Erwartungshaltung der Wirtschaftsministerien insofern durchaus realistisch, als Frankreich im weiteren Verlauf der Verhandlungen eine ausgesprochen vorteilhafte EWGAssoziierung seiner Überseegebiete durchsetzte. Da den Kontinentaleuropäern 1955 noch viel an einer Teilnahme der Londoner Regierung an dem Messina-Projekt lag, wären sie vermutlich bereit gewesen, in gewissem Umfang auf die wirtschaftlichen Verpflichtungen Großbritanniens gegenüber den anderen Commonwealth-Staaten und den Kolonien Rücksicht zu nehmen. Britische Unternehmen exportierten ihrerseits nahezu ausschließlich Industriegüter in die Commonwealth-Staaten. Der fortgesetzte Abbau der tarifären Handelsvorteile aus dem Ottawa-System erschien unausweichlich, zumal sich einzelne Commonwealth-Staaten, vor allem Australien, von den Vereinbarungen benachteiligt fühlten.25 Von diesem langfristigen Trend abgesehen, rechnete das Außenhandelsministerium jedoch damit, daß durch die Wahrung der Interessen der Commonwealth-Staaten in den Zollunionsverhandlungen die noch bestehenden eigenen Präferenzen im Commonwealth-Markt zumindest teilweise erhalten bleiben konnten. Im Hinblick auf die Entwicklung der Handelsströme hielten die Beamten diese Frage jedoch für weitgehend unerheblich. Danach lagen die wichtigsten Handels vorteile der britischen Industrie im Commonwealth längst nicht mehr in erster Linie im tarifären Bereich, sondern waren auf andere Faktoren zurückzuführen, wie kulturelle Verbindungen, die Tradition weit zurückreichender Handelskontakte und die vorteilhaften Regelungen des Sterling-Währungsraums, in dem der Handel in anderen Währungen als dem Pfund Sterling begrenzt war.26 Zumindest auf der Leitungsebene der Wirtschaftsministerien, vor allem des Außenhandelsministeriums, waren die Beamten 1955 also längst davon überzeugt, daß die Commonwealth-Präferenzen wirtschaftlich zunehmend eine zu vernachlässigende Größe darstellten.27 Ihre Bedeutung wurde mehr in der Funktion als Faustpfand in künftigen GATTVerhandlungen gesehen. 28 In seiner ersten Analyse hielt das federführende Commercial Relations and Exports Department jedenfalls den gleichberechtigten Zugang zum europäischen Markt langfristig für weitaus wichtiger als die noch bestehenden Präferenzen.29 Für eine genauere quantitative Prognose der zu erwartenden ökonomischen Gewinne und Verluste wandten sich die Beamten an das Industries and Manufactures Department ihres Ministeriums und die angeschlossenen Produktionsabteilungen, die mit dem Außenhandel der einzelnen Zweige der britischen Wirtschaft befaßt waren und wegen ihrer engen Kontakte zu den jeweiligen Unternehmen und Verbänden eine Art informeller industrieller Interessenvertretung innerhalb der Regierungsverwaltung bildeten. Da die Konturen eines möglichen europäischen Zollunionsvertrages noch ausgesprochen unscharf waren, erklärten sich die Produktionsabteilungen außerstande, detaillierte Bilanzen vorzulegen. Sie gelangten jedoch in ihren Berichten im Gegensatz zu der auf der Leitungsebene des Außenhandelsministeriums vorherrschenden Auffassung zu dem Ergebnis, daß sich die britische Wirtschaft

25 Auf Druck aus Canberra wurde das Präferenzabkommen mit Australien bereits Mitte 1956 neu ausgehandelt. Vergl. CAB 130/118 (GEN 535). 26 Denkschrift des Außenhandelsministeriums: CAB 134/1044/12 (18. August 1955). 27 Ebd.. Die Economic Section des Schatzamtes rechnete sogar damit, daß auch ohne einen Beitritt Großbritanniens zu einer europäischen Zollunion sämtliche verbliebenen CommonwealthPräferenzen innerhalb von 10 bis 15 Jahren verschwinden würden. 28 Vergl. hierzu die Denkschrift des Außenhandelsministeriums: CAB 134/1029/135 (13. Juli 1955). 29 Ebd.

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insgesamt in einem Gemeinsamen Markt in Europa als nicht wettbewerbsfähig genug erweisen könnte. 30 Nur für die Montanindustrie, die Automobilbranche und den Maschinenbau rechneten die Beamten mit nennenswerten zusätzlichen Exportchancen in Europa. Im Montanbereich galt innerhalb von Whitehall ein Gemeinsamer Markt in Europa für die britische Industrie, jedenfalls in Kombination mit einer strengen gemeinschaftlichen AntiDumping-Gesetzgebung, seit geraumer Zeit als wirtschaftlich günstigste Lösung. Das Außenhandelsministerium war bereits 1954 zu diesem Ergebnis gekommen, als die Bedingungen der schließlich 1955 in Kraft getretenen EGKS-Assoziierung innerhalb der Regierung erwogen worden waren. Damals war die Regierung jedoch den Bedenken der Industrie gefolgt und hatte sich für die weniger weitreichende Lösung eines Konsultativvertrags entschieden. Die Automobilindustrie und der Maschinenbau waren durch besonders hohe Außenzölle, die bis zu 50 Prozent ausmachten, geschützt, so daß in einer Zollunion vor allem schärferer Wettbewerb von Seiten deutscher Exporteure und signifikante Verluste im britischen Binnenmarkt befürchtet wurden. Größtenteils bedingt durch die hohen Außenzölle hatte Großbritannien zuletzt lediglich Kraftfahrzeuge im Wert von zwei Millionen Pfund jährlich aus Kontinentaleuropa eingeführt, während die Exporte dorthin immerhin 38 Millionen Pfund umfaßten. 31 Allerdings kalkulierten die Beamten, daß eine Zunahme der Importe aus Deutschland durch erhöhte Exporte nach Frankreich und Italien zumindest ausgeglichen werden könnte. Im Maschinenbau galten Einbrüche deutscher Produzenten in den britischen Markt in einigen Sektoren gleichfalls als unvermeidlich, so zum Beispiel bei optischen und wissenschaftlichen Geräten. Außerdem erwarteten die Beamten besonders bei Industrieanlagen, Bau- und Büromaschinen eine deutliche Zunahme der Importe aus den USA, da die gemeinsamen Außenzölle einer Zollunion deutlich unter den gültigen britischen Zöllen liegen müßten, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern aus Drittstaaten im britischen Markt ebenfalls gestärkt werden würde. 32 Nach dieser Prognose der zuständigen Abteilung konnten zusätzliche Ausfuhren jedoch auch im Maschinenbau Einbußen in einzelnen Sektoren zumindest wettmachen. Das Volumen möglicher Gewinne war beachtlich. Zuletzt hatte der britische Maschinenbau Güter im Wert von 186 Millionen Pfund jährlich in die kontinentaleuropäischen Staaten exportiert, während die Importe nur bei 64 Millionen Pfund lagen. Unter den Verlierern in einem Gemeinsamen Markt in Europa rangierte dagegen die Chemieindustrie an erster Stelle, für die die zuständigen Beamten zu Unrecht, wie sich später herausstellen sollte,33 ein wirtschaftliches Desaster befürchteten. Im Gegensatz zu den meisten anderen bedeutenden Industriezweigen wies die britische Handelsbilanz in diesem 30 Der MAC-Abschlußbericht enthält einen Anhang mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Studien: CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). 31 Die Grundlage für die Berechnungen des Außenhandelsministeriums bildete die Annahme, daß neben den EGKS-Staaten und Großbritannien auch die skandinavischen Staaten Dänemark, Norwegen und Schweden dem Gemeinsamen Markt angehören würden. 32 Das GATT schrieb für die Gründung einer Zollunion vor, daß der einheitliche Außenzoll das Mittel der nationalen Außenzölle nicht überschreiten durfte. Da Großbritannien im westeuropäischen Vergleich insgesamt eher höhere Zölle aufwies, galt für die meisten Sektoren, daß der Außenzoll der Zollunion notwendigerweise unter dem 1955 gültigen britischen Außenzoll liegen würde. 33 Vergl. Jörg Leitolf: Die britische Chemieindustrie in Europa, in: Wurm, Wege nach Europa, S.171-211.

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Bereich 1955 bereits ein Defizit mit den kontinentaleuropäischen Staaten auf. Durch den Abbau des in diesem Sektor ebenfalls hohen Außenzolls von 33,3 Prozent galt eine spürbare Abnahme der britischen Produktion als unvermeidlich, vor allem infolge eines starken Anstiegs deutscher Importe in den Bereichen Pharma, Farben und bei organischen Chemieprodukten. Schließlich wurde auch die Landwirtschaft, vor allem der Gartenbau, für den Fall für besonders verwundbar gehalten, daß dieser Sektor in den Gemeinsamen Markt einbezogen werden sollte. Allerdings würden die zusätzlichen Importe aus europäischen Staaten in erster Linie auf Kosten von Commonwealth- und anderen Drittstaaten gehen. Mit Einfuhren von zuletzt 1,5 Milliarden Pfund jährlich aus dem Commonwealth/Empire und 200 Millionen Pfund aus Europa war Großbritannien ohnehin der weltweit größte Agrarimporteur, so daß eine signifikante Beschneidung der eigenen Produktion in keinem Fall befürchtet werden mußte, und zwar unabhängig von der genauen Ausgestaltung der vertraglichen Regelungen für die Landwirtschaft in einem Gemeinsamen Markt.34 Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Außenhandelsministeriums über die ökonomischen Vor- und Nachteile der Teilnahme an einer Zollunion reflektierten nicht zuletzt gegensätzliche dogmatische Positionen in bezug auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Sinn des Commonwealth-Präferenzsystems. Von den Freihändlern in London wurde die Entstehung eines regionalen Wirtschaftssystems in Westeuropa zwar vor allem wegen des erwarteten protektionistischen Einflusses Frankreichs nicht unbedingt als positiver Beitrag zum Aufbau eines liberalen Weltwirtschaftssystems gewertet; dennoch nutzten sie die Diskussion über eine mögliche Teilnahme Großbritanniens, die dann den Anfang vom endgültigen Ende des Präferenzsystems bedeutet hätte, zunehmend als Vehikel für eine Intensivierung des Grundsatzstreits um Freihandel versus Protektionismus. Dieser war 1954 auf dem Parteitag der Konservativen im Grundsatz zugunsten einer liberalen Außenwirtschaftspolitik entschieden worden, wurde jedoch vorläufig noch innerhalb der Regierungsverwaltung fortgesetzt und schlug erst 1956 mit dem Plan für eine industrielle Freihandelszone in Europa voll auf die Regierungspolitik durch. Die Uneinigkeit der Wirtschaftsfachleute der Regierungsverwaltung, die zuvor in den divergierenden wirtschaftlichen Gewinn- und Verlustrechnungen zum Ausdruck gekommen war, wurde schließlich auch im MAC-Abschlußbericht deutlich. Warnungen vor Verlusten im Commonwealth-Markt stehen neben Prognosen über erhöhte Exportmöglichkeiten in einer westeuropäischen Zollunion, ohne daß die Argumente zu einer kohärenten Gesamtanalyse zusammengefügt wären. Die Denkschrift macht deutlich, daß alle Vorhersagen spekulativ sein mußten und mehr von der generellen wirtschaftspolitischen Einschätzung abhingen, wie Wettbewerbs- und anpassungsfähig sich die britische Industrie erweisen würde. Welche ökonomischen Gewinne und Verluste mit einem Beitritt verbunden wären, hing zudem wesentlich von den Details eines möglichen Vertrags ab, etwa von der Höhe des gemeinsamen Außenzolls oder den Beschlüssen für den landwirtschaftlichen Sektor, die 34 Zum Problem der Landwirtschaft siehe auch CAB 134/1026/28. Sitzung (15. Juli 1955). Das Schatzamt sah in dem möglichen Einschluß der Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt vor allem ein politisches Problem, da dann eine Anpassung an die Funktionsweise der kontinentaleuropäischen Subventionssysteme notwendig werden könnte, bei denen die Kosten über höhere Preise direkt auf die Verbraucher abgewälzt wurden. In Großbritannien galten dagegen überwiegend Weltmarktpreise, und die Subventionierung der Landwirtschaft erfolgte in den meisten Produktgruppen durch Direktzuschüsse aus dem Staatshaushalt (deficiency payments).

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1955 noch gar nicht abzusehen waren. Im Ergebnis neutralisierten sich die krassen Warnungen und die deutlich positiven Einschätzungen und wurden in der Denkschrift zu dem unausweichlich erscheinenden Gesamturteil verschmolzen, daß die Aussichten so unsicher waren, daß es jedenfalls im Vergleich mit dem Status quo keine klaren ökonomischen Argumente gab, die die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt zwingend notwendig erscheinen ließen. Von den Auswirkungen eines Gemeinsamen Marktes auf den britischen Außenhandel abgesehen, bemühten sich die Wirtschaftsministerien um eine Einschätzung der Folgen eines Beitritts Großbritanniens für andere Bereiche, vor allem für die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik, für die die EGKS-Staaten engere Formen der Zusammenarbeit als in der OEEC ins Auge gefaßt hatten. Notwendig mit der vertraglichen Konstruktion eines Gemeinsamen Marktes als Zollunion verbunden war zunächst nur der Verlust der Außenhandelsautonomie, da der einheitliche Außenzoll nur gemeinschaftlich verändert werden konnte. Obwohl dies den Verlust seiner eigenen Kompetenz bedeutet hätte, sah das Außenhandelsministerium dieses Problem nicht dogmatisch und war weniger über den Verzicht auf Souveränitätsrechte als solche beunruhigt als vielmehr über den zukünftigen gemeinschaftlichen Außenzoll. Da Großbritannien in Westeuropa eher zu den Hochzollstaaten zählte, stand im Fall der Teilnahme an einer Zollunion der einseitige Abbau von Außenzöllen bevor, was in Kombination mit dem notwendigen Teilabbau der Commonwealth-Präferenzen die Verhandlungsposition der Regierung gegenüber Drittstaaten, vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten, schwächen mußte. Andererseits erkannten die Beamten durchaus, daß die gemeinsame Verhandlungsposition einer westeuropäischen Zollunion stärker wäre als diejenige einzelner Staaten, was diesen Nachteil zumindest teilweise würde ausgleichen können. Für den Bereich der Wirtschaftspolitik erwartete das Schatzamt ansonsten im MACAbschlußbericht eine weitere Beschneidung seiner Handlungsfreiheit. 35 Wenn die westeuropäische Integration fortschreite, könne jede weitere Vergemeinschaftung zu einer beträchtlichen Reduzierung nationaler Souveränität führen. Allerdings glaubten die Beamten, daß der Grad, in dem die wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit der Regierung in einem Gemeinsamen Markt eingeschränkt würde, maßgeblich von den Bedingungen abhinge, die ausgehandelt werden könnten, und deshalb nicht genau abzusehen sei. Zu den unverzichtbaren Elementen des Messina-Projekts wurden jedenfalls strikte, über die Bestimmungen des GATT deutlich hinausgehende Regeln zur Begrenzung der wettbewerbsverzerrenden Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen im Handel zur Senkung von nationalen Zahlungsbilanzdefiziten gerechnet. Für Großbritannien bedeutete dies, daß in Zukunft noch mehr auf monetäre Steuerungsmittel der Steuer- und Zinspolitik zurückgegriffen werden mußte, um das Pfund Sterling als Ankerwährung zu stützen. Weitreichende Regeln hielt das Schatzamt ebenfalls in der Wettbewerbspolitik für notwendig, beispielsweise zur Kontrolle nationaler Subventionen sowie gegen die Kartellbildung. Während dieser Bereich später eine wichtige Säule des EWGVertrags bilden sollte, griff das Schatzamt dem erst zum 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Binnenmarktprogramm mit seiner Prognose weit voraus, daß eine gewisse Vereinheitlichung auch bei den nicht-tarifären Handelshemmnissen notwendig werden würde, etwa bei Inhaltsbestimmungen und Industrienormen.36 35 CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). 36 Ebd.

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In der Finanz- und Währungspolitik glaubte das Schatzamt, die Folgen der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt so begrenzen zu können, daß die Handlungsfreiheit der Regierung kaum mehr eingeschränkt wäre als durch den OEEC-Vertrag. Eine Harmonisierung im Bereich der Finanzpolitik, also etwa bei den nationalen Verbrauchs- oder Einkommenssteuern, hielten die Beamten für unnötig. Kopfzerbrechen bereitete den Wirtschaftsministerien eher die allerdings ohnehin langfristige Perspektive der Etablierung eines freien Kapitalverkehrs. Die weitgehende Öffnung des Londoner Kapitalmarktes für die Mitglieder der Zollunion erschien ihnen erst bei einer substantiellen und dauerhaften Verbesserung der britischen Zahlungsbilanz denkbar, wenn der Sterling-Währungsraum nicht aufgelöst werden sollte. Das Schatzamt stellte deshalb kategorisch fest, daß Kapitalexportkontrollen zur Stützung nationaler Zahlungsbilanzen vorerst noch unverzichtbar und in jedem Fall gegenüber mengenmäßigen Beschränkungen im Handel vorzuziehen seien.37 Für den Bereich der Sozialpolitik schließlich rechneten die Beamten damit, daß sich in einem Gemeinsamen Markt eine nennenswerte Harmonisierung, etwa beim Arbeits- oder Tarifrecht, vermeiden ließe. Auf einer teil weisen Vergemeinschaftung bestand anfangs vor allem die französische Regierung, die damit Rücksicht auf die Interessen der Arbeitgeber nahm, die von höheren nationalen Sozialabgaben einen Wettbewerbsnachteil besonders im Vergleich mit deutschen Produzenten befürchteten. Problematisch erschien den Wirtschaftsministerien in London nur die mögliche Einführung der Freizügigkeit für Personen, auf die Italien in den Brüsseler Vorgesprächen besonders drängte.38 Insgesamt kalkulierten die Wirtschaftsministerien für den Fall der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt einen fortschreitenden Souveränitätsverlust ein, vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik, wobei die genauen Ausmaße von dem Verlauf der Verhandlungen abhingen. Angesichts der sehr großen Bedeutung, die dem Souveränitätsargument bis heute in parlamentarischen Debatten zukommt, ist es besonders bemerkenswert, daß die Wirtschaftsministerien diese Frage 1955 längst entschieden pragmatisch beurteilten und zu einem Verzicht durchaus bereit waren. Die Beamten rechneten damit, daß die Regierung in Brüssel Bedingungen aushandeln könnte, die wirtschaftlich annehmbar und politisch vertretbar wären. Die Erörterung der Folgen des Beitritts zu einem Gemeinsamen Markt außerhalb des Außenhandels spielten deshalb in der MAC-Arbeitsgruppe und im Abschlußbericht selbst nur eine untergeordnete Rolle. Umstritten war zwischen Schatzamt und Außenhandelsministerium die Frage, ob der Gemeinsame Markt für den Fall einer eigenen Beteiligung die Form einer Zollunion oder einer Freihandelszone erhalten sollte, bei der zwar die Binnenzölle abgeschafft, aber die nationalen Außenzölle beibehalten werden. Vor allem die Mitarbeiter der Economic Section, in der Wirtschaftswissenschaftler führender britischer Universitäten jeweils für einen begrenzten Zeitraum arbeiteten und die im Schatzamt die Funktion einer Art von Denkfabrik ausfüllte, erwarteten den weitaus größeren volkswirtschaftlichen Nutzen eindeutig von einer Zollunion.39 Das Außenhandelsministerium setzte sich jedoch im MAC-Abschlußbericht mit seiner Auffassung durch, daß dennoch eine Freihandelszone vorzuziehen sei.40 Darin konnte Großbritannien seine Außenhandelsautonomie sowie den Schutz durch die vergleichsweise 37 38 39 40

Ebd. Ebd. Denkschrift der Economic Section: CAB 134/1029/136 (14. Juli 1955). Denkschrift des Außenhandelsministeriums: CAB 134/1044/12 (18. August 1955).

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hohen nationalen Außenzölle wahren. Außerdem konnte das Commonwealth-Präferenzsystem weitgehend intakt bleiben. Als die MAC-Arbeitsgruppe im Oktober 1955 ihren Abschlußbericht vorlegte, war allerdings bereits deutlich, daß die EGKS-Staaten eine Zollunion wollten und das Konzept einer Freihandelszone eine Scheinalternative war. Eine Freihandelszone war im Spaak-Ausschuß nur in der Frühphase erwogen worden, und zwar allenfalls für eine Übergangsperiode bis zur Errichtung der Zollunion. Die Position des Außenhandelsministeriums ist daher hauptsächlich deshalb interessant, weil in ihr bereits die Grundzüge des FHZ-Projekts zu erkennen sind, für das sich das Ministerium 1956 in den Diskussionen über eine britische Gegeninitiative einsetzte.41 In der Analyse der Wirtschaftsministerien, die in dem detaillierten MAC-Abschlußbericht zusammengefaßt ist, werden die Folgen der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt mit der Fortsetzung des Status quo verglichen. Nur auf dieser Basis kommen die Wirtschaftsministerien zu dem Schluß, daß sie die Teilnahme an der Gründung einer Zollunion nicht empfehlen können, da darin unter dem Strich kein klarer wirtschaftlicher Vorteil zu sehen sei. Dies berücksichtigt allerdings bereits die politische Prämisse des Außenministeriums, die Brüsseler Vorgespräche seien ohnehin zum Scheitern verurteilt, sobald Großbritannien sich aus ihnen zurückziehe. Mit Sorge betrachteten die Wirtschaftsministerien dagegen die Möglichkeit, daß ein Gemeinsamer Markt der EGKS-Staaten auch ohne Großbritannien entstehen könnte. 42 Für diesen Fall hatte Schatzkanzler Butler bereits Ende Juni in seiner Denkschrift davor gewarnt, daß in Europa ein Wirtschaftsblock entstehen könnte, der unausweichlich Großbritanniens Handelsinteressen und seine starke politische Stellung innerhalb der OEEC bedrohen müßte.43 Die Wirtschaftsministerien sahen mehrere Gefahren: Vor allem konnte die deutsche Industrie in einer westeuropäischen Zollunion entscheidende Wettbewerbsvorteile gegenüber britischen Herstellern erlangen und diese weitgehend aus dem Markt verdrängen. Die britische Wirtschaft verlöre wichtige Absatzchancen in einem der weltweit wachstumsstärksten Märkte, während gleichzeitig der Nutzen der eigenen Präferenzen im stagnierenden Commonwealth-Markt immer fraglicher wurde. Die kontinentaleuropäische Industrie hätte darüber hinaus alle Vorteile, die mit dem größeren Binnenmarkt verbunden wären, und würde dadurch auch in die Lage versetzt, in Drittmärkten ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Die britische Regierung behielte zwar mehr Freiheiten in der Wirtschafts- und Währungspolitik, diese könnten sich jedoch ohne Einfluß auf die Politik der Mitgliedstaaten der Zollunion bald als wertlos erweisen. Zwar könnten die notwendig erscheinenden Strukturanpassungen kurzfristig aufgeschoben werden, aber dann fehle auch der disziplinierende Effekt der Mitgliedschaft in dem Gemeinsamen Markt. Es wäre dann erst recht zunehmend fraglich, ob die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft aufrechterhalten werden könne. Innerhalb der Wirtschaftsministerien variierte die Einschätzung, wie gefährlich der Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten wirtschaftlich 41 Die Beamten des Außenhandelsministeriums sahen hier bereits zahlreiche derjenigen technischen Probleme, die in den späteren FHZ-Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen sollten. Das betrifft vor allem die Frage der Ursprungsdefinition. 42 Anders bisher Christopher John Bartlett: A History of Postwar Britain, 1945-1974, New York 1974, S.139, der davon ausgeht, daß die britische Regierung 1955 von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten nur geringe wirtschaftliche Auswirkungen für Großbritannien erwartete. 43 CAB 134/76/55 (29. Juni 1955).

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wäre. Jedoch warnt selbst der ökonomische Teil des MAC-Abschlußberichts davor, der unter dem Einfluß des Außenministeriums und der stark protektionistisch orientierten Ministerien, wie des Ministeriums für Commonwealth-Beziehungen, zu einer Denkschrift des interministeriellen Kompromisses geworden war. Dort heißt es immerhin noch: „It can be argued, with some reason, that the disadvantages of abstaining would, in the long run, outweigh the advantages." 44 In den Diskussionen innerhalb des Mutual Aid Committee waren die Beamten des Schatzamtes und des Außenhandelsministeriums zuvor viel deutlicher geworden. Ihrer Warnung, die in dem summarischen Protokoll der Sitzung vom 2. August wiedergegeben ist, sollte die weitere politische Entwicklung in Europa nahezu prophetischen Charakter verleihen: „If the six countries went forward with a common market on their own, it might have unfavourable effects on United Kingdom industry after a few years, and we might then be forced to join on their terms."45 Während in Whitehall die Teilnahme am Messina-Projekt diskutiert wurde, operierten die Wirtschaftsministerien bereits vor dem Hintergrund des relativen Niedergangs der britischen Wirtschaft im Vergleich mit der kontinentaleuropäischen Konkurrenz. Die Wachstumsraten des britischen Bruttosozialprodukts waren selbst bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg niedrig im internationalen Vergleich. Sie betrugen zwischen 1950 und 1955 durchschnittlich 2,9 Prozent jährlich, dagegen in Frankreich 4,4 Prozent, in Italien 6,3 Prozent, in Westdeutschland 9,1 Prozent und im EGKS-Durchschnitt 6,2 Prozent.46 In demselben Zeitraum nahm der Export von Fertigprodukten wertmäßig in Frankreich etwa dreimal und in der Bundesrepublik etwa sechsmal so schnell zu wie in Großbritannien. Auch in bezug auf die Investitionsraten und den Produktivitätszuwachs schnitten die meisten kontinentaleuropäischen Staaten wesentlich besser ab.47 Schließlich gab es 1955 bereits Anzeichen für die später notorischen „stop-and-go" Wirtschaftszyklen, die sich allerdings noch im Wachstumsbereich abspielten und erst ab Anfang der sechziger Jahren mit anhaltenden stagflatorischen Perioden verbunden sein sollten. So hatte Schatzkanzler Butler im Haushalt kurz vor der Unterhauswahl im Mai 1955 Steuersenkungen durchgesetzt, nur um nach einer kurzen Phase wirtschaftlicher Überhitzung die Steuer- und Zinsschraube wieder anzuziehen und schärfere Kapitalbeschränkungen einzuführen, um die Importe zu reduzieren und das Pfund Sterling zu stützen.48 Tatsächlich wurde der relative Niedergang der britischen Wirtschaft in der Öffentlichkeit erst im Laufe der sechziger Jahre deutlicher wahrgenommen. 49 Bisher ist jedoch unterstellt worden, daß dasselbe auch für die Regierung gilt. So heißt es etwa bei Pollard im Zusammenhang mit den FHZ-Verhandlungen, noch 1957 habe die Londoner Regierung diese 44 CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). 45 CAB 134/1026/35. Sitzung (2. August 1955). 46 Alec Cairncross: The Postwar Years 1945-1977, in: Roderick Floud und Donald MacCloskey (Hrsg.): The Economic History of Britain since 1700. Vol. 2: 1860 to the 1970s, Cambridge 1981, S.370-416 (376). 47 Für einen Überblick vergl. Mary Proudfoot: British Politics and Government 1951-1970. A Study of an Affluent Society, London 1974, S.74ff. sowie L.A. Monk: Britain 1945-1970, London 1976, S.127f. 48 Alan Sked und Chris Cook: Post-War Britain: A Political History, 4. Auflage, London 1993, S. 127. 49 Klaus-Dietmar Henke: Westeuropa bis zu den Römischen Verträgen. Wiederaufbau und Integration. (II) Großbritannien, in: Hermann Graml und Wolfgang Benz (Hrsg.): Europa nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1982, Frankfurt 1983, S.82-107 (107).

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Entwicklung nicht vorhergesehen und das Wachstumspotential der kontinentaleuropäischen Staaten unterschätzt.50 Diese tradierte Auffassung konnte hier widerlegt werden. Zwar fehlte den Analysen der leitenden Beamten in den Londoner Wirtschaftsministerien 1955 die intellektuelle Schärfe der späteren historischen Debatte über die ökonomischen Gründe des Niedergangs.51 Sie waren sich jedoch bereits einiger struktureller Schwächen der britischen Wirtschaft bewußt. 52 Die Beamten sorgten sich längst um deren Wettbewerbsfähigkeit in Europa, und zwar vor allem im Vergleich mit deutschen Herstellern. Die Anpassungsfähigkeit der wichtigsten Exportindustrien drohte nach der inzwischen vorherrschenden Ansicht noch mehr abzunehmen, wenn sich die britischen Unternehmen weiter auf den CommonwealthMarkt konzentrierten, der u.a. wegen der Regelungen des Sterling-Währungssystems und wegen der traditionellen britischen Handelsvorteile als besonders „weich" galt,53 nur noch langsam wuchs und sogar zu stagnieren drohte.54 Es war auch deutlich geworden, daß ganz allgemein die ökonomische Grundlage des Präferenzsystems, nämlich der Austausch von Fertigwaren aus dem Mutterland gegen Halbfertigprodukte und landwirtschaftliche Güter aus den Commonwealth-Staaten und den Kolonien, unter den Bedingungen einer modernen und arbeitsteiligen Weltwirtschaft hinfällig geworden war. Insofern wurde auch die mit der Messina-Initiative verbundene außenwirtschaftliche Herausforderung erstaunlich klar wahrgenommen. Den relativen wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens, der bereits im 19. Jahrhundert begonnen hatte und sich nach dem Zweiten Weltkrieg verschärft fortsetzte, machten die Wirtschaftsministerien also 1955 durchaus zur Grundlage ihrer Analyse.55 Nur war die verwaltungsinterne Debatte bis dato noch nicht über das Stadium hinausgelangt, in dem einzelne Symptome des Niedergangs diagnostiziert und mit selektiven Therapien begonnen wurde, wie etwa im Falle des aufgeblähten Militärhaushalts, der nach der Veröffentlichung eines kontroversen Weißbuchs ab 1957 drastisch reduziert wurde.56 Auch waren andere Themen noch immer tabu. Das gilt besonders für die aus übergeordneten politischen Gründen als unverzichtbar erachtete Ankerrolle der britischen Währung im Sterling-Währungssystem, deretwegen sich die Regierung verpflichtet sah, das deutlich überbewertete Pfund Sterling mit einer deflationär wirkenden Steuer- und Zinspolitik zu verteidigen, die der binnenwirtschaftli50 Sidney Pollard: European Economic Integration 1815-1970, London 1974, S.167. 51 Für eine exzellente Einführung in die Decline-Diskussion siehe Andrew Gamble: The Decline of Britain, in: Contemporary Record 2/5 (1989), S.18-21. 52 Zur Entwicklung der britischen Wirtschaft im 20. Jahrhundert vergl. Sidney Pollard: The Development of the British Economy 1914-1990, 4. Auflage, London 1992. Für die Nachkriegszeit siehe neuerdings Alec Cairncross: The British Economy since 1945, Oxford 1992. 53 Allerdings wollte das Außenhandelsministerium auf jeden Fall eine Hinwendung zum europäischen Markt auf Kosten der Exporte in den als am stärksten wettbewerbsorientiert geltenden Dollar-Markt vermeiden, die zur Schließung der Dollar-Lücke in der Zahlungsbilanz so wichtig waren. Siehe CAB 134/1029/28. Sitzung (15. Juli 1955). 54 Dies konzedierte das Schatzamt 1956 in seiner Wirtschaftsbilanz auch öffentlich. Vergl. Karl Schlosser: Zur Lage der britischen Wirtschaft im Jahre 1956. Die Wirtschaftsbilanz des britischen Schatzamtes, in: Europa-Archiv 11/15 (1956), S.9071-9074. 55 W. Kaiser, Selbstisolierung, S.134. 56 Auf dem Höhepunkt des Korea-Kriegs 1952 betrug der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt 10,4 Prozent und sank bis 1958 auf 7,7 Prozent. Vergl. Elisabeth Barker: Britain in a divided Europe, 1945-1970, London 1971, S.147.

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chen Entwicklung in Großbritannien abträglich war. Die nachteiligen ökonomischen Folgen des Versuchs, in der internationalen Finanz- und Währungspolitik weiter eine Weltmachtrolle zu spielen, sollten noch bis zur de facto-Auflösung des Sterling-Systems 1968 andauern. In der Außenhandelspolitik sah kaum noch jemand die langfristige Zukunft im Commonwealth-Präferenzsystem. Das führte jedoch zunächst nicht dazu, daß eine tragfähige Alternative entwickelt worden wäre. Beide Ministerien, Schatzamt und Außenhandelsministerium, konnten sich 1955 lediglich darauf verständigen, vor einem Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten zu warnen. Die Wirtschaftsministerien stellten 1955 auch zu keinem Zeitpunkt die Entscheidungsprärogative des Außenministeriums in Frage, das die Frage einer britischen Teilnahme an dem geplanten Gemeinsamen Markt unter im engeren Sinn außenpolitischen statt außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilte. Letztlich hielten auch die meisten Beamten der Wirtschaftsministerien das Problem für ein hochgradig politisches. So urteilten die leitenden Beamten des Außenhandelsministeriums zwar nüchtern über den ökonomischen Nutzen des Präferenzsystems, stellten jedoch in derselben Denkschrift fest, daß die Präferenzen politisch und psychologisch wohl noch so bedeutend seien, daß dies allein vermutlich die Teilnahme Großbritanniens an einem Gemeinsamen Markt in Europa ausschließe.57

2. Einmal Weltmacht, immer Weltmacht Die ökonomischen Vor- und Nachteile der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa wurden zwischen den Wirtschaftsministerien, in der MAC-Arbeitsgruppe und im Mutual Aid Committee ausführlich erörtert. Der wirtschaftliche Teil des Abschlußberichts ist eine ausgewogene Darstellung der involvierten Probleme und Gefahren, wenngleich darin die Warnungen vor den Folgen der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes in Europa ohne britische Beteiligung bereits auf Einfluß des Außenministeriums und des Ministeriums für Commonwealth-Beziehungen deutlich abgeschwächt sind. Dagegen hat der politische Teil des Abschlußberichts einen vollständig anderen Charakter. 58 Er wurde ohne ausführliche interministerielle Konsultationen im Außenministerium formuliert und vor der Weiterleitung an die Spitzenbeamten im Economic Steering Committee nur selektiv abgesprochen, und zwar vor allem mit denjenigen führenden Beamten im Schatzamt, zu denen Otto Clarke von der federführenden Overseas Finance Division zählte, die das Messina-Projekt ablehnten und auch um die wirtschaftlichen Gefahren eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt weniger besorgt waren als ihre Kollegen. In dieser Denkschrift sind die Argumente so konstruiert, daß sie zu dem scheinbar unausweichlichen und längst vorab feststehenden Ergebnis hinführen, die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa sei mit der vermeintlichen Weltmachtrolle Großbritanniens absolut unvereinbar. Während der wirtschaftliche Teil des MAC-Abschlußberichts Anstöße für eine offene Diskussion gibt, zielt die Denkschrift des Außenministeriums auf eine schlichte Bekräftigung der etablierten Politik ab. Der Verlauf der Sitzungen des Mutual Aid Committee und der Arbeitsgruppe verdeutlichte bereits auf krasse Weise das Desinteresse des Außenministeriums an den außenwirtschaftlichen Aspekten des Problems. Das Ministerium war mit zwei Beamten in der MAC57 CAB 134/1044/12(18. August 1955). 58 CAB 134/1030/200 (24. Oktober 1955).

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Arbeitsgruppe vertreten, die abwechselnd teilnahmen, allerdings nur an vier von zehn Sitzungen. Soweit den teilweise allerdings nur summarischen Gesprächsprotokollen zu entnehmen ist, äußerten sich der Assistant Under-Secretary John Coulson und der Abteilungsleiter des Mutual Aid Department, Alan Edden, nicht zu den wirtschaftlichen Problemen, die hauptsächlich zwischen Schatzamt und Außenhandelsministerium diskutiert wurden. Für sie wie für die Führung des Außenministeriums stand ohnehin von Beginn an fest, daß die Haltung der Regierung zur Messina-Initiative hauptsächlich nach politischen Kriterien zu entscheiden war.59 Dementsprechend ignoriert der politische Teil des MACAbschlußberichts auch die viermonatige Diskussion innerhalb der Regierungsverwaltung über die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile, vor allem aber die Warnungen vor dem Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten. In seiner Denkschrift bekräftigt das Außenministerium die traditionelle Europapolitik Großbritanniens seit Churchills Zürich-Rede im Jahr 1946, nämlich die westeuropäische Integration von außen wohlwollend zu fördern, soweit sie über strikt zwischenstaatliche Formen der Kooperation hinausgeht und deshalb eine eigene Teilnahme ausgeschlossen ist.60 Obwohl das Außenministerium die Erfolgsaussichten der Messina-Initiative für extrem gering hielt, war sie dennoch willkommen, weil sie von dem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, unterstützt wurde und potentiell zur weiteren Einbindung der Bundesrepublik Deutschland beitragen konnte. Darüber hinaus wurde der Integrationsbewegung allgemein eine wichtige psychologische Bedeutung für den politischen Zusammenhalt und die Stabilität Westeuropas zugeschrieben, was ebenfalls im britischen Interesse lag. Allerdings begründet das Außenministerium dann, warum Großbritannien sich auf keinen Fall selbst an dem geplanten Gemeinsamen Markt beteiligen könne. Die Argumentation ist von dem Leitmotiv geprägt, daß dadurch Großbritanniens europäische Rolle einseitig betont und in der Folge die Symmetrie der drei Kreise empfindlich gestört werden würde. Das Außenministerium sah vor allem den politischen Zusammenhalt des Commonwealth gefährdet. Als die Wirtschaftsministerien im Juli im Mutual Aid Committee erklärten, die Präferenzen seien ökonomisch zunehmend unbedeutend und müßten ohnehin immer weiter abgebaut werden, stellte das Außenministerium bereits kategorisch fest, daß es dennoch aus politischen Gründen unangebracht sei, die britische Haltung gegenüber dem Commonwealth und dem Plan für einen Gemeinsamen Markt in Europa danach auszurichten.61 Selbst eine nur teilweise Umkehr der Präferenzen in eine Zolldiskriminierung sei politisch unvertretbar. Das Außenministerium warnt im MAC-Abschlußbericht eindringlich davor, daß die Teilnahme an dem Messina-Projekt das Vertrauen der Commonwealth-Staaten in Großbritanniens politische Führungsrolle erschüttern müsse und dadurch sogar der Fortbestand der Staatengruppe in Frage gestellt wäre. Jedenfalls wären die politischen Folgen für das Commonwealth so verheerend, daß dies bereits die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa ausschließe.62 59 Das war gleichfalls die Haltung des Ministeriums für Commonwealth-Beziehungen (CRO). So warnte der Assistant Under-Secretary im CRO, H. A.F. Rumbold, den Third Secretary im Schatzamt und Vorsitzenden des Mutual Aid Committee, William Strath: „The decision which we may eventually have to make is one which would have to be taken essentially on political rather than economic grounds." T 232/432 (15. September 1955). 60 CAB 134/1030/200 (24. Oktober 1955). 61 CAB 134/1026/28. Sitzung (15. Juli 1955). 62 CAB 134/1030/200 (24. Oktober 1955).

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Der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Außenministerium, Anthony Nutting, hat rückblickend geurteilt, 1955 habe die Regierung nicht an dem Gemeinsamen Markt teilnehmen wollen, und das Commonwealth sei dafür lediglich eine willkommene Ausrede gewesen.63 Zwar trifft es durchaus zu, daß die Sorgen um die Zukunft des Commonwealth präventiv hochgespielt wurden, um eine Grundsatzdiskussion über die zukünftige Ausrichtung der Außen- und Außenwirtschaftspolitik abzuwenden; davon abgesehen, kam dem Commonwealth jedoch Mitte der fünfziger Jahre in der Wahrnehmung insbesondere des Außenministeriums sowie der politischen Entscheidungsträger nach wie vor die Funktion zu, maßgeblich zur Legitimierung des fortgesetzten Weltmachtanspruchs beizutragen. Neben der nationalen Atomstreitmacht hatte sich das Commonwealth längst zum wichtigsten Statussymbol entwickelt, das den wirtschaftlichen und politischen Machtverfall kompensieren und eine Sonderrolle neben den USA und der UdSSR als den beiden eigentlichen Weltmächten begründen helfen sollte. Das Außenministerium behauptete ferner, die Teilnahme an dem Messina-Projekt gefährde die vermeintliche Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten.64 Diese Einschätzung wird allerdings nicht näher begründet. An anderer Stelle des MAC-Abschlußberichts heißt es sogar zutreffend, daß die USA die Übernahme einer politischen Führungsrolle durch Großbritannien in einem Gemeinsamen Markt in Europa sicherlich begrüßen würden. Der eklatante Widerspruch zwischen diesen beiden Aussagen wird schlicht übergangen. Die Regierung glaubte also, die bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten festigen zu können, während oder sogar indem sie gegen deren erklärte europapolitische Interessen Politik betrieb. Das war ohne Frage paradox und wird nur als Ergebnis eines habituellen Verdrängungsmechanismus nachvollziehbar, dessen Auswirkungen von zentraler Bedeutung für das Verständnis der britischen Außenpolitik in der Nachkriegszeit sind. Erst die Warnung, die transatlantische Sonderbeziehung stehe auf dem Spiel, machte es nämlich möglich, der unbequemen Frage intellektuell und politisch auszuweichen, ob nicht die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Europa, gleichberechtigt neben Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, lediglich den bereits erfolgten Abstieg Großbritanniens zu einer außenwirtschaftlich und militärstrategisch überspannten Mittelmacht widerspiegelte, anstatt ihn herbeizuführen. Hinter der Behauptung, ein größeres Engangement in Europa sei mit der eigenen Weltmachtrolle unvereinbar, treten im MAC-Abschlußbericht alle anderen Argumente deutlich zurück. Es heißt dort zum Beispiel, die geplante regionale Integration in Europa sei unvereinbar mit dem Globalkonzept der britischen Regierung, das auf eine weitere Stärkung multilateraler Organisationen und Verträge, also in diesem Zusammenhang vor allem des GATT, ausgerichtet sei.65 Außenpolitisch sollte die postulierte Globalpolitik eine Stärkung der freien Welt gegenüber der Sowjetunion und dem kommunistischen Block bewirken. Außenhandelspolitisch hatte das Argument des Außenministeriums jedoch eher rhetorischen Charakter. Seit den britischen Rückzugsgefechten angesichts der offensiven amerikanischen Politik der offenen Tür in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre dienten symbolische Verbeugungen des Außenministeriums vor dem Prinzip eines liberalen Weltwirtschaftssystems nicht zuletzt der Beschwichtigung der Regierung in Washington. Angesichts der fortbestehenden Präferenzen 63 Anthony Nutting: Europe will not wait. A Warning and a Way out, London 1960, S.107. 64 CAB 134/1030/200 (24. Oktober 1955). 65 Ebd.

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und der im Vergleich mit den meisten kontinentaleuropäischen Staaten eher hohen britischen Außenzölle war die im weiteren Verlauf der fünfziger Jahre immer wieder erneuerte Warnung vor einem regionalen europäischen Wirtschaftsblock, der sich gegenüber der Außenwelt abschotten könnte, nie besonders glaubwürdig. Mehr pragmatischer denn grundsätzlicher Natur war dagegen ein anderes Argument des Außenministeriums, nämlich daß durch die Gründung einer Zollunion die privilegierte politische Stellung Großbritanniens innerhalb der OEEC gefährdet wäre. Seit 1952 hatte die britische Regierung dauerhaft den Vorsitz im OEEC-Ministerrat inne. Sie kontrollierte diese Organisation so effektiv, daß es ihr in wechselnden Allianzen gelungen war, deren politische Stärkung zu verhindern und die Forderung nach OEEC-Zollverhandlungen abzublocken. Das Außenministerium wollte diese Bastion einer strikt zwischenstaatlichen Wirtschaftskooperation in Westeuropa auf keinen Fall geschwächt sehen. Schließlich warnte das Außenministerium in seiner Denkschrift davor, daß die MessinaInitiative vor allem politisch motiviert sei und ein Gemeinsamer Markt deshalb später immer stärker integrative Züge entwickeln könnte. Dazu hatte der Assistant Under-Secretary im Außenministerium, John Coulson, bereits vor der Konferenz von Messina notiert: „There can of course be no question of our entering any Organisation of a supra-national character."66 Das Außenministerium gibt im MAC-Abschlußbericht durchaus zu, daß sich die EGKS-Staaten nach dem Scheitern des EVG-Projekts von föderalistischen Plänen distanziert hatten und inzwischen damit zu rechnen war, daß die Institutionen eines Gemeinsamen Marktes überwiegend zwischenstaatlichen Charakter haben würden. Die Rückbesinnung in den EGKSStaaten auf die Vorzüge einer stärker funktional ausgerichteten Integration war vor allem im Mutual Aid Department des Außenministeriums frühzeitig erkannt worden. Dennoch interessierten sich die Beamten nicht für die konkreten institutionellen Konturen eines Gemeinsamen Marktes. 67 Das Gespenst einer europäischen Föderation, in der Großbritannien seine Souveränität abhanden käme, mußte nämlich weiter als bequemes regierungsinternes Abschreckungsmittel für den Fall herhalten, daß andere Ministerien oder einzelne Kabinettsmitglieder beginnen sollten, die politischen Prämissen der britischen Europapolitik in Frage zu stellen. Das politische Argument, Großbritannien könne sich an keiner Organisation mit irgendwie überstaatlichen Strukturen beteiligen, gewann 1955 auch durch die affirmative Wiederholung durch das Außenministerium nicht an Überzeugungskraft. Das Konzept absoluter Parlamentssouveränität mochte als überlieferter Verfassungsgrundsatz fortbestehen, doch die Verfassungstheorie befand sich 1955, unabhängig von dem Schicksal der Messina-Initiative, längst nicht mehr im Einklang mit der politischen Wirklichkeit einer zunehmend interdependenten Welt, in der Großbritannien für seine äußere Sicherheit und seinen wirtschaftlichen Wohlstand auf die Protektion oder Kooperation anderer Staaten, vor allem der USA, angewiesen war. Die Wirtschaftsministerien unterstützten deshalb auch nicht die dogmatische Trennung in strikt zwischenstaatliche Organisationen einerseits und andere, mehr föderalistisch ausgerichtete andererseits. Für den Fall eines Beitritts Großbritanniens zu einem Gemeinsamen Markt in Europa rechneten die Beamten zwar mit einem beträchtlichen Souveränitätsverlust, jedoch waren sie darüber nicht prinzipiell beunruhigt, weil die Außenwirtschaftspolitik, vor allem innerhalb des GATT, seit geraumer Zeit mit institutionali66 FO 371/116038/1 (Mai 1955). 67 Vergl. die Notiz des Abteilungsleiters Alan Edden: FO 371/116039/14 (11. Juni 1955).

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sierten Souveränitätsabtretungen operierte. Das Außenministerium hingegen, von dem das Souveränitätsargument besonders sorgfältig gepflegt wurde, hatte sich bis dato - mit Ausnahme der NATO - erst an einen faktischen Verlust an nationaler Handlungsfreiheit gewöhnen müssen, dessen ganzes Ausmaß außerdem schockartig erst 1956 in der Suez-Krise offenbar wurde.

3. Zwischen Zypern-Krise und Suez-Konflikt Von den drei wichtigsten an den Diskussionen beteiligten Ressorts war das Außenhandelsministerium 1955 am ehesten bereit, neue Wege in den Beziehungen zu den EGKS-Staaten zu gehen. Vor allem die Spitzenbeamten bezweifelten die Gültigkeit der politischen Argumente des Außenministeriums gegen die Teilnahme Großbritanniens. Diese seien relevanter für die Gegenwart als für die Zukunft, notierte Russell Bretherton Mitte November in einem internen Rundschreiben. 68 Das Außenhandelsministerium befürchtete aber wegen Brethertons Berichten aus Brüssel vor allem, die Prognose des Außenministeriums könnte sich als falsch erweisen, daß das Messina-Projekt am Widerstand Frankreichs scheitern und zusammenbrechen werde. Der Präsident des Außenhandelsministeriums, Peter Thorneycroft, galt innerhalb der Regierung Eden als einer der entschiedensten Verfechter einer liberalen Außenwirtschaftspolitik. In dem andauernden Konflikt zwischen Freihändlern und Protektionisten stand er in der liberalen Tradition Cobdens und gegen den Protektionismus Joseph Chamberlains. Thorneycroft wollte vom Präferenzsystem wegkommen, das im Hinblick auf die angestrebte Expansion des Handels zwischen den Commonwealth-Staaten weitgehend versagt und sich als außenhandelspolitische Sackgasse erwiesen hatte.69 Den erst in der Zwischenkriegszeit eingeschlagenen Sonderweg einer einseitigen außenwirtschaftlichen Konzentration auf Commonwealth und Empire sollte Großbritannien so rasch wie möglich verlassen.70 Aus dogmatischen Gründen favorisierte Thorneycroft jedoch die Idee einer Freihandelszone, während eine westeuropäische Zollunion der unerwünschten Regionalisierung der Weltwirtschaft Vorschub zu leisten schien. Das Außenhandelsministerium befürchtete außerdem, daß sich ein solcher Gemeinsamer Markt auf französischen Einfluß hin de facto zu einem protektionistisch ausgerichteten, verkappten Präferenzsystem entwickeln würde. Unter dem Einfluß der Spitzenbeamten seines Ministeriums ging es Thorneycroft deshalb ab Herbst 1955 in erster Linie darum, den Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der Sechs zu verhindern. Er wollte so lange alle Optionen offenhalten, bis abzusehen war, ob die Brüsseler Vorgespräche tatsächlich im Sande verlaufen würden. Dies war auch das wichtigste Ergebnis einer Grundsatzbesprechung Thorneycrofts mit Bretherton und dem Second Secretary, Edgar Cohen, am 24. Oktober.71 Das Außenhandelsministerium hatte zuvor bereits in den interministeriellen Diskussionen erkennen lassen, daß 68 BT 11/5715 (10. November 1955). 69 Seit 1932 hatte sich der Anteil des Commonwealth am britischen Außenhandel nur noch unwesentlich erhöht. Der leichte Anstieg nach Kriegsende wurde im Außenhandelsministerium zu Recht auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs zurückgeführt. 70 Zu dieser Sonderwegsthese vergl. Schröter, S.155ff. 71 BT 11/5715 (24. Oktober 1955).

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es, wenngleich nur notgedrungen, den Beitritt zu einer Zollunion als Gründungsmitglied favorisierte, sobald ein Erfolg des Messina-Projekts abzusehen war, um die ökonomischen Gefahren abzuwenden und die Entwicklung der neuen Organisation möglichst effektiv beeinflussen zu können.72 Zum Zeitpunkt der internen Besprechung Ende Oktober hatte sich Thorneycrofts Position jedoch längst als nicht mehrheitsfähig innerhalb der Regierung erwiesen. Die Entscheidung, die Thorneycroft genauso wie Außenminister Macmillan, wenngleich aus anderen Gründen, hatte vermeiden wollen, lag zwischen der Teilnahme an dem ungeliebten Messina-Projekt und einer endgültigen Absage an die Sechs mit dem Risiko, von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten ausgeschlossen zu werden. Die damit verbundenen Gefahren wurden inzwischen im Außenhandelsministerium so hoch eingeschätzt, daß dessen Permanent Secretary, Frank Lee, in der Sitzung des Economic Steering Committee der Spitzenbeamten am 1. November als einziger für den Beitritt zu einem Gemeinsamen Markt votierte.73 Dabei handelte es sich allerdings eher um eine symbolische Geste, da zuvor bereits festgestanden hatte, daß sein Ministerium mit dieser Haltung allein dastehen würde. Thorneycroft intervenierte dann auch nicht mehr, als das Economic Policy Committee am 11. November den Rückzug von den Brüsseler Vorgesprächen beschloß.74 Von da an mußte es ihm darum gehen, die Entstehung einer Zollunion der Sechs zu verhindern. Im Schatzamt variierten hingegen die Meinungen über die britische Haltung zum MessinaProjekt weitaus stärker als im Außenhandelsministerium. Sie reichten von der Ansicht, die ökonomischen Argumente sprächen, unabhängig von den politischen Problemen, eindeutig für die Teilnahme,75 bis zu der Haltung, daß die stärker politischen Erwägungen ohnehin ausschlaggebend waren und den Beitritt zu einem Gemeinsamen Markt ausschlössen. Dahinter verbargen sich zwei Denkschulen: Die Anhänger des einen, außenwirtschaftspolitisch geprägten Konzepts bezweifelten den ökonomischen Nutzen des Commonwealth-Präferenzsystems und fürchteten wie die Spitzenbeamten des Außenhandelsministeriums den Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt in Westeuropa. Sie waren deshalb bemüht, die Vor- und Nachteile der Teilnahme pragmatisch abzuwägen, und zumindest bereit, eine Innovation in der britischen Europapolitik ernsthaft zu bedenken. Diese Haltung vertraten vor allem der Vorsitzende der MAC-Arbeitsgruppe, Burke Trend, und die Wissenschaftler in der Economic Section des Schatzamtes. Dagegen schätzten die entschiedenen Gegner jedweder Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt die wirtschaftliche Bedeutung der Präferenzen höher ein und sahen darüber hinaus einen engen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Präferenzen, dem Sterling-System und der Stabilität des Commonwealth. Die Vertreter dieser währungs- und finanzpolitisch geprägten Denkschule, die in erster Linie in der einflußreichen Overseas Finance Division (OFD) zu finden waren, befürchteten von einer Neuorientierung der britischen Außenwirtschaftspolitik auf Europa nachteilige Auswirkungen auf den Zusammenhalt des SterlingWährungssystems, das ihnen nicht zuletzt deshalb als sakrosankt galt, weil es eine währungspolitische Weltmachtrolle für Großbritannien sichern sollte, die das außenpolitische Konzept 72 73 74 75

So bereits in CAB 134/1026/35. Sitzung (2. September 1955). CAB 134/889/8. Sitzung (1. November 1955). CAB 134/1229/11. Sitzung (11. November 1955). Vergl. etwa Nita Watts an den Economic Adviser des Schatzamts, Robert Hall: T 232/433 (14. Oktober 1955).

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der drei Kreise ergänzte. Ihre Warnungen hatten zwar so spekulativen Charakter, daß diesem Argument im MAC-Abschlußbericht nur ein geringer Stellenwert eingeräumt wurde, aber dennoch hatte diese Denkschule, zu deren führenden Vertretern der OFD-Abteilungsleiter Otto Clarke zählte und die politisch der Position des Außenministeriums nahestand, einen bestimmenden Einfluß auf die abschließende, insgesamt ablehnende Haltung des Schatzamtes. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Warnungen aus dem eigenen Ministerium vor den wirtschaftlichen Folgen eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt in Westeuropa bei Schatzkanzler Butler auf taube Ohren stießen, der innerhalb der Regierung einer der entschiedensten Gegner jedweder Annäherung an die EGKS-Staaten war. Am einheitlichsten war noch die Haltung des Außenministeriums, in dem zu keiner Zeit daran gezweifelt wurde, daß die Teilnahme an dem Messina-Projekt mit dem Konzept der drei Kreise und damit mit der eigenen Weltmachtrolle absolut unvereinbar war. Daß diese hochgradig politische Erwägung im Vergleich mit allen anderen Argumenten ausschlaggebend sein mußte, wurde so wenig in Frage gestellt wie die Prärogative des eigenen Ministeriums im Vergleich mit Schatzamt und Außenhandelsministerium, jedenfalls in europapolitischen Fragen. Der MAC-Abschlußbericht reflektiert diesen, bei den politisch Handelnden vorherrschenden Glauben an ein Primat der Außenpolitik, der die britische Haltung zur europäischen Integration Mitte der fünfziger Jahre bestimmte. Charakteristisch für die arrogante Haltung des Außenministeriums ist der ironische Kommentar des Permanent UnderSecretary of State for Foreign Affairs, Ivone Kirkpatrick, der im Dezember in dem Entwurf eines Briefes an den Botschafter in Bonn, Frederick Hoyer Miliar, lakonisch bemerkte: „There are in Whitehall economists who will undertake to prove that the United Kingdom ought to join in setting up a European Common Market! It was left (...) to the Foreign Office to supply the spectacles of political reality." 76 Die Beamten des Außenministeriums räumten durchaus die Möglichkeit ein, daß sich die politische Situation, auf deren Analyse ihr Urteil basierte, innerhalb von fünf bis zehn Jahren grundlegend wandeln könnte. Für diesen Fall hielten sie eine Lösung bereit, die bis dahin jedoch nicht durchdacht worden war und jedenfalls einfacher klang, als sie sein würde, nämlich eine Assoziierung mit einem Gemeinsamen Markt ähnlich wie bei der EGKS. 77 Eine politische Grundsatzdiskussion auf der Ebene der Spitzenbeamten und der Minister verhinderte das Außenministerium taktisch geschickt mit dem abschließenden Argument, letztlich werde über eine Fiktion diskutiert, die wegen der negativen Politik Frankreichs niemals die Gestalt einer Zollunion annehmen werde. Während das Außenministerium zunächst nur davon gesprochen hatte, ein Erfolg der Messina-Inititive sei unwahrscheinlich, 78 ging der Deputy Under-Secretary of State, Harold Caccia, in der Sitzung des Economic Steering Committee am 1. November noch einen Schritt weiter. Als in diesem Forum noch einmal die Warnung vor einem Ausschluß von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten wiederholt wurde, erklärte Caccia kategorisch, es sei nach den jüngsten Berichten aus der Botschaft 76 FO 371/116056/369 (Dezember 1955). Dieser Brief wurde aus administrativen Gründen nicht abgeschickt, sondern nur ein kurzes Antworttelegramm. Die Quellenlage ist so eindeutig, daß die Interpretation, die Entscheidung gegen die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt sei aus ökonomischen und nicht aus politischen Gründen getroffen worden, abwegig ist. Für diese Ansicht vergl. zuletzt noch Roger Bullen: Britain and 'Europe' 1950-1957, in: Serra, S.315-338 (336). 77 CAB 134/1026/45. Sitzung (27. Oktober 1955); CAB 134/1030/200 (24. Oktober 1955). 78 Siehe CAB 134/889/7. Sitzung (17. Oktober 1955) sowie den MAC-Abschlußbericht.

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in Paris davon auszugehen, daß die Franzosen den Plan für einen Gemeinsamen Markt auf jeden Fall scheitern ließen.79 Damit war aus Sicht des Außenministeriums endlich das Stadium erreicht, in dem die Kooperation der Wirtschaftsministerien überflüssig wurde, weil es allenfalls noch um taktisch-diplomatische Varianten ging, wie das Messina-Projekt ohne Schaden für das transatlantische Sicherheits- und Verteidigungssystem am schonendsten zu Grabe getragen werden konnte. Als Folge des vom Außenministerium wie selbstverständlich vorausgesetzten Primats der Außenpolitik stehen im MAC-Abschlußbericht die wirtschaftlichen und politischen Argumente weitgehend unverbunden nebeneinander. Den drei wichtigsten Ministerien war es schon in den vorausgegangenen Diskussionen nicht gelungen, das ökonomische Kalkül und die politischen Überlegungen zu einer kohärenten Gesamtsicht zusammenzuführen. Die Wahrnehmung des relativen wirtschaftlichen Niedergangs Großbritanniens war in Schatzamt und Außenhandelsministerium so weit fortgeschritten, daß zahlreiche Beamte bereit waren, eine pragmatische Neuorientierung in der Außenhandelspolitik zu erwägen, die allerdings keineswegs gleichbedeutend gewesen wäre mit einer Entscheidung für eine neue politische Rolle in Europa. Dagegen weigerten sich die Beamten im Außenministerium beharrlich, die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen den sich rasch wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. In dem von ihm formulierten Teil betont das Außenministerium zwar pro forma, die politischen und ökonomischen Argumente müßten im Zusammenhang gesehen werden; während sich die Wirtschaftsministerien in der MAC-Arbeitsgruppe und im MAC durchaus darum bemühten, die politischen Argumente in ihre Analysen einzubeziehen, was im Zusammenhang mit der Diskussion um den Nutzen der Commonwealth-Präferenzen besonders auffällig ist, ignorierte das Außenministerium jedoch die ökonomischen Aspekte des Problems. Dies ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, daß den Beamten der notwendige Sachverstand fehlte, um die Bedeutung der langfristigen Gefahren eines Ausschlusses von einer westeuropäischen Zollunion würdigen zu können. An volkswirtschaftlicher Kompetenz fehlte es dem Außenministerium besonders, nachdem sein Economic Intelligence Department während der zweiten Amtszeit Churchills abgeschafft worden war, und zwar auf Druck des Schatzamts, das sich zu einem übergeordneten Superministerium für Wirtschaftsfragen zu entwickeln bemüht war.80 Das Außenministerium wurde 1955 noch immer von einer Sonderelite mit ausgeprägtem Korpsgeist geleitet, deren Mitglieder in Oxford oder Cambridge Philosophie oder Altertumskunde studiert hatten und dazu ausgebildet worden waren, das Empire zu regieren, anstatt die Folgen von dessen Zerfall zu bewältigen oder gar nach einer neuen außenpolitischen Rolle für Großbritannien zu suchen. Auf die politischen Herausforderungen einer interdependenten Weltwirtschaft waren sie denkbar schlecht vorbereitet. Die Ministerien in Whitehall arbeiteten 1955 theoretisch nach demselben, für die britische Regierungsverwaltung charakteristischen Grundsatz, daß jede Ministervorlage die verschiedenen Optionen und die jeweiligen Vor- und Nachteile analysieren solle, ohne die politischen Entscheidungsträger in eine bestimmte Richtung zu drängen. Die zweite große Schwäche des MAC-Abschlußberichts lag jedoch gerade darin, daß sich das Außenministerium nicht an diese verwaltungsinterne Spielregel hielt und die Haltung der Regierung durch den Zuschnitt der 79 CAB 134/889/8. Sitzung (1. November 1955). 80 Vergl. Anthony Adamthwaite: Introduction: The Foreign Office and Policy-making, in: Young, Foreign Policy, S . l - 2 8 (18).

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politischen Empfehlungen zu manipulieren trachtete. Darüber beschwerte sich der Vorsitzende der MAC-Arbeitsgruppe, Burke Trend, Ende Oktober in einem Schreiben an seinen Kollegen im Schatzamt, Otto Clarke.8' Während die Wirtschaftsministerien die Frage der Teilnahme an dem Messina-Projekt von allen Seiten beleuchtet hätten, habe das Außenministerium in seiner Denkschrift einige wichtige Argumente einfach unterschlagen, die nicht mit dem Tenor des Textes in Einklang zu bringen waren. Trend erwähnte besonders die Befürchtung, die das Außenministerium in den vorausgegangenen Besprechungen geteilt hatte, daß ein Gemeinsamer Markt ohne Großbritannien völlig von der Bundesrepublik Deutschland dominiert werden würde.82 Während der interministeriellen Konsultationen, in denen das Außenministerium seine Linie wegen der ambivalenten Haltung der Wirtschaftsministerien so mühelos durchsetzen konnte, wurden die Vor- und Nachteile der Teilnahme an der Messina-Initiative kein einziges Mal auf Ministerebene diskutiert. Diese Tatsache erlaubt jedoch keinesfalls die Schlußfolgerung, daß die Regierungspolitik in Ermanglung einer expliziten Richtungsentscheidung des Kabinetts weitgehend von der Verwaltung vorgegeben wurde.83 Die Beamten arbeiteten nämlich von Anfang an vor dem Hintergrund, daß es innerhalb der Regierung für eine Änderung der seit der Entscheidung gegen die Teilnahme an der EGKS etablierten Europapolitik kaum Unterstützung gab. Der unausgesprochene Konsens war, daß der Beitritt zu einem Gemeinsamen Markt weder im britischen Interesse lag noch politisch durchsetzbar sein würde und somit ohnehin ausgeschlossen war.84 Der MAC-Abschlußbericht bestätigte nur die wichtigsten politischen Annahmen, die dieser Linie zugrunde lagen. Die abschließende Empfehlung der Verwaltung wurde allein deshalb zur offiziellen Position der Regierung, weil sie nicht kontrovers und im politischen Teil nichts weiter war als eine Bekräftigung der bestehenden Politik. Die geringe Priorität, die die Mitglieder der Regierung 1955 der Politik gegenüber der Messina-Initiative beimaßen, spiegelt sich in den Memoiren der führenden Politiker wider. Eden erwähnt nur im Zusammenhang mit seinem Besuch in Washington Anfang Februar 1956 eher beiläufig und beschönigend, es habe in bezug auf das Messina-Projekt kleinere Meinungsverschiedenheiten mit der amerikanischen Regierung gegeben.85 Für 1955 ist in den Regierungsakten keine einzige schriftliche oder mündliche Äußerung des Premierministers zur Messina-Initiative überliefert. Es muß als bezeichnend gelten, daß das Cabinet Office die 81 T 234/181 (26. Oktober 1955). 82 Die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt habe den Vorteil „to hinder the possible emergence of an integrated Continental Europe dominated by German economic power", hatte Edden bereits im Juni notiert. Siehe FO 371/116039/14 (11. Juni 1955). Bei dem OFD-Abteilungsleiter, der mit der politischen Analyse des Außenministeriums sympathisierte, stieß Trend mit seiner Klage jedoch auf wenig Verständnis, so daß das Schatzamt nicht mehr auf entsprechende Änderungen in der Ministervorlage drängte. 83 Für diese Interpretation vergl. Burgess/Edwards, S.394. 84 Charltons Kritik, die Verwaltung habe ohne eine explizite Richtungsentscheidung des Kabinetts nicht sinnvoll arbeiten können, geht deshalb fehl. Vergl. Michael Charlton: How and Why Britain Lost the Leadership of Europe, „Messina! Messina!" or, The Parting of the Ways, in: Encounter 57/2 (1981), S.9-22 (11). 85 Anthony Eden: Füll Circle. The Memoirs of Anthony Eden, Cambridge/Mass. 1960, S.376. Eine zweite Randbemerkung erlaubt einen Einblick in Edens Haltung 1955: „I now (1960, der Verf.) think that the six-power Community is of undoubted benefit to the world (...)." Ebd.

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von Trend geleitete Beamtengruppe von dem ursprünglich vorgesehenen internen Status eines Unterausschusses zu einer Arbeitsgruppe herabstufte, aber selbst dieser einzige nachweisbare Eingriff aus dem Umkreis des Premierministers kann nicht zu einer persönlichen Intervention Edens zurückverfolgt werden, obwohl dieser die Maßnahme zumindest billigend zur Kenntnis genommen haben muß. 86 In Butlers Erinnerungen findet sich sogar überhaupt kein Hinweis auf die Gründung der EWG. 87 Selbst Macmillan als literarischer Meister der retrospektiven Selbstdarstellung als visionärer Europapolitiker schreibt lediglich entschuldigend, die Minister hätten der Messina-Initiative vor allem wegen der zögerlichen Haltung Frankreichs nur wenig Aufmerksamkeit schenken können, und fügt bedauernd hinzu, er und seine Kollegen hätten zweifellos wachsamer gegenüber den Gefahren sein sollen, die mit dem Ausschluß von einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten verbunden waren. 88 Wer sich im Londoner Kabinett überhaupt mit den Brüsseler Vorgesprächen befaßte, war wohl am ehesten gelangweilt von der Messina-Initiative, die sich nur ein Jahr nach dem Ende des EVG-Projekts in der französischen Nationalversammlung zu einem neuen Glied in der Kette der gescheiterten Pläne der Sechs für eine weiterführende Integration zu entwickeln schien. Die Regierung war mit anderen, ihr dringlicher erscheinenden Problemen beschäftigt, zu denen auf der politischen Seite die Gipfeldiplomatie, die Zypern-Krise sowie die sich anbahnende Konfrontation mit Ägyptens Nasser zählten und auf der ökonomischen die Folgeprobleme der Überhitzung der Binnenwirtschaft nach Butlers April-Haushalt. 8 9 Außenminister Macmillan ließ sich auf der abschließenden Sitzung des Economic Policy Committee am 11. November, auf der die entfernte Möglichkeit der Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt endgültig ad acta gelegt wurde, sogar von dem Parlamentarischen Staatssekretär Lord Reading vertreten. 90 Macmillans Haltung ist deshalb besonders interessant, weil er vor seinem Amtsantritt als Außenminister als einer der europafreundlichsten Politiker in der Konservativen Partei galt. Diesen Ruf hatte er sich zwischen 1949 und 1952 als Delegierter im Europarat erworben, als er sich im sogenannten Macmillan/Eccles-Plan grundsätzlich für die Teilnahme an einer gemeinsamen Organisation mit den Kontinentaleuropäern im Montanbereich ausgesprochen hatte, wenngleich deren Institutionen auch nach seiner Auffassung viel stärker zwischenstaatlich ausgerichtet sein sollten, als dies für die EGKS vorgesehen war. Später hat Macmillan sein Eintreten für eine konstruktive Europapolitik der zweiten Churchill-Regierung und seine damaligen Rücktrittsgedanken als Wohnungsbauminister geschildert. 91 In demselben Zusammenhang kritisiert er das Außenministerium und Eden als hauptverantwortlich für die unkooperative Haltung der Regierung. 92 Nur wenig später, als er selbst Außenminister geworden war, unterschied sich Macmillans eigene Haltung zur Messina-Initiative kaum von der Position des neuen Premierministers 86 Vergl. Burke Trends Notiz: T 232/431 (29. Juli 1955). Allerdings erinnerte sich Edens Berater Philip de Zulueta später, der Premierminister habe die Europapolitik 1955 gezielt von Kabinettssitzungen ferngehalten. Siehe hierzu Bartlett, A history, S.139. 87 Richard Austen Butler: The Art of the Possible. The Memoire of Lord Butler, London 1971. 88 Macmillan, Riding, S.69. 89 Ähnlich bereits Barker, S.152. Für die wirtschaftlichen Probleme vergl. Samuel Brittan: The Treasury under the Tones, 1951-1964, Harmondsworth 1964, S. 177ff. 90 CAB 134/1226/11.Sitzung(ll.November 1955). 91 Harold Macmillan: Tides of Fortune 1945-1955, London 1969, S.472. 92 Ebd.

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Eden. Die Minister kamen und gingen, aber die Politik des Außenministeriums blieb dieselbe. Während seiner achtmonatigen Amtszeit intervenierte Macmillan kein einziges Mal in der Sache, um Bewegung in die britische Europapolitik zu bringen, obwohl 1955 die Chance, das Messina-Projekt frühzeitig in solche Bahnen zu lenken, die mit den britischen institutionellen Vorstellungen vereinbar waren, viel größer war als Anfang der fünfziger Jahre bei der EGKS. Als er sich als Außenminister selbst in den drei Kreisen bewegte, teilte Macmillan die politische Prämisse, daß die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt nicht mit Großbritanniens Weltmachtrolle vereinbar war. Mit dem Einzug ins Außenministerium, von wo aus einst die halbe Welt regiert worden war, schien plötzlich viel Wasser die Themse hinuntergeflossen zu sein, das Macmillans früher zur Schau gestellte europapolitische Innovationsfreudigkeit über Nacht weggespült hatte. Zurück blieb nur die diffuse Vorahnung, daß Großbritanniens Zukunft vielleicht doch in Europa lag. Die Teilnahme an dem Messina-Projekt möglichst lange offenzuhalten, betrachtete Macmillan deshalb als eine Art außen- und europapolitischer Versicherungspolice. 91 Sozusagen zwischen Zypern und Ägypten notierte der Außenminister am 19. September beiläufig am Rande einer Denkschrift des stellvertretenden MADAbteilungsleiters Gerald Rodgers über das Messina-Projekt: „This is our second string - we may need it. The ,one-world approach' isn't going with a swing at the moment. It may even bankrupt us." 9 4 Allerdings neigte Macmillan zu der Überzeugung, daß sich die MessinaInitiative infolge der französischen Politik früher oder später ohnehin als Spuk erweisen würde, der so schnell verschwand, wie er aufgetreten war. Noch Mitte Dezember war er sich seiner Sache so sicher, daß er in seinem Tagebuch notierte, die Franzosen würden niemals in den Gemeinsamen Markt gehen. 95 Ohne Großbritannien, so schien es, war das Messina-Projekt ohnehin zum Scheitern verurteilt. Nicht über die Richtung der britischen Europapolitik wurde deshalb auf Ministerebene gestritten, sondern ausschließlich über die einzuschlagende Taktik.

4. Kooperation ohne Selbstverpflichtung Mit ihrer Einladung zur Teilnahme an den Brüsseler Vorgesprächen hatten die EGKS-Staaten die britische Regierung vor ein Dilemma gestellt, weil sie, anders als 1950 beim SchumanPlan, nicht mit einem supranationalen Junktim versehen war. Das Angebot der Sechs antizipierend, hatte der MAD-Abteilungsleiter Edden bereits vor der Konferenz von Messina den einzigen Ausweg darin gesehen, zwar die Gesprächteilnahme zuzusagen, aber ansonsten von Anfang an klare Fronten zu schaffen. Edden notierte, die Regierung dürfe auf keinen Fall mitverhandeln, wenn sie gar nicht zur Teilnahme bereit sei.96 Dies wiederum müsse von Anfang an gegenüber den Sechs deutlich gemacht werden. Es solle auch kein Delegierter, sondern lediglich ein Beobachter nach Brüssel entsandt werden, um die Vorgespräche zu verfolgen. 97 Falls die Messina-Initiative wider Erwarten doch von Erfolg gekrönt sein sollte, könne zu einem späteren Zeitpunkt, analog zur EGKS, immer noch über eine Assoziierung mit der neuen Organisation nachgedacht werden. 93 94 95 96 97

Hierzu van Loo an Strath: T 232/432 (22. September 1955). FO 371/116048/224 (19. September 1955). Harold Macmillan Diaries/HMD (14. Dezember 1955), zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.362. FO 371/116038/1 (14. Mai 1955). FO 371/116040/52 (29. Juni 1955).

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Eddens Vorschlag erwies sich im Außenministerium sofort als konsensfähig. Den anderen Beamten im MAC erschien diese Lösung ebenfalls folgerichtig, so daß sie ohne kontroverse Diskussion als Ministervorlage übernommen wurde. 98 Dieser Sicht schloß sich auch Schatzkanzler Butler an, als er am 30. Juni 1955 dem Kabinett vorschlug, den Beobachterstatus (observer) zu bestätigen." Den EGKS-Staaten solle die Regierung ihre diplomatische Unterstützung zusagen. Bei allen Versuchen, das Messina-Projekt in Bahnen zu lenken, die mit Großbritanniens Wirtschaftsinteressen möglichst weitgehend vereinbar waren, müsse die Regierung diplomatisch taktvoll vorgehen. Vor allem jedoch solle bereits in dem Antwortschreiben unzweideutig festgestellt werden „(that) there are, as you are no doubt aware, special reasons which would preclude (Hervorhebung, der Verf.) this country from joining a European common market".100 Über diese Taktik gegenüber den Brüsseler Vorgesprächen waren sich die beteiligten Ministerien einig, bis Macmillan überraschend persönlich intervenierte und am 22. Juni in einem Telegramm aus Washington insistierte, daß die Entscheidung über die Antwort an den niederländischen Außenminister Beyen bis zu seiner Rückkehr von dem laufenden Besuch in den Vereinigten Staaten aufgeschoben werden solle.101 Möglicherweise beeinflußt durch die positive Haltung der amerikanischen Regierung gegenüber der Messina-Initiative forderte der Außenminister, zurück in London, im Widerspruch zu der bisherigen Position seiner eigenen Beamten, daß ein gleichberechtigter Delegierter nach Brüssel entsandt werden solle.102 Macmillan zog es intuitiv vor, alle politischen Optionen so lange wie irgend möglich offenzuhalten.103 Außerdem ging er davon aus, daß es der Regierung auf diese Weise besser gelänge, die Vorgespräche in Brüssel im britischen Interesse zu lenken. Macmillan optierte keineswegs für die Teilnahme Großbritanniens an einem Gemeinsamen Markt, wollte aber auf alle Eventualitäten gefaßt sein. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, daß die Vorgespräche in Brüssel in eine Sackgasse geraten könnten, aus der die Londoner Regierung die EGKS-Staaten dann, wie ein Jahr zuvor mit der WEU-Gründung geschehen, mit einem eigenen, den britischen Interessen entsprechenden Vorschlag für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation in Europa herausführen könnte, um so die befürchtete Zersplitterung Westeuropas nach einem erneuten Scheitern der Integrationspläne zu verhindern und die westliche Allianz zu stärken. Vor allem aber blieb ein letzter Rest Ungewißheit, ob die Verhandlungen tatsächlich scheitern würden. Deshalb sollte laut Macmillan eine endgültige Entscheidung des Kabinetts in jedem Fall bis zur Vorlage des Spaak-Berichts und bis nach den anstehenden französischen Wahlen aufgeschoben werden, von denen das Außenministerium weiteren Aufschluß über die zukünftige Politik der Regierung in Paris erwartete.104 Macmillan gelang es schließlich in einem kabinettsinternen Kleinkrieg mit Schatzkanzler Butler, sich weitgehend mit seiner Auffassung durchzusetzen. In ihrer Antwort an die EGKSStaaten wies die Regierung danach nur noch en passant darauf hin, selbstverständlich gebe es 98 CAB 134/1026/23. Sitzung (28. Juni 1955). 99 CAB 128/29/19. Sitzung (30. Juni 1955). 100 Siehe im Zusammenhang CAB 129/76/55 (29. Juni 1955); CAB 134/1026/23. Sitzung (28. Juni 1955); FO 371/116040/61 (1. Juli 1955). 101 FO 371/116040/39 (22. Juni 1955). 102 Vergl. CAB 128/29/19. Sitzung (30. Juni 1955). 103 Ebd. 104 Macmillan, Riding, S.71.

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für sie besondere Probleme bei Vorschlägen für einen Gemeinsamen Markt in Europa. Dies war eine Formulierung, die die eigene Teilnahme keineswegs mehr vorab ausschloß.105 Nach Brüssel entsandt wurde daraufhin zwar nicht als Delegierter, aber immerhin als Regierungsvertreter (representative) der Under-Secretary und CRE-Abteilungsleiter im Außenhandelsministerium, Russell Bretherton, der später von einem Beamten des Schatzamtes unterstützt und außerdem politisch von einem Diplomaten aus der britischen Botschaft in Brüssel beraten wurde. 106 Geboren war damit eine Politik gegenüber der europäischen Integration, die Bretherton treffend als „Cooperation without commitment" bezeichnet hat.107 Dabei handelte es sich um eine ausschließlich taktische Innovation in der britischen Europapolitik, die sich schon bald für Macmillan als Pyrrhussieg erweisen und in ein diplomatisches Fiasko münden sollte. Macmillans Doppelspiel glich einer regierungsinternen und außenpolitischen Gratwanderung mit Absturzgarantie. Großbritanniens europapolitische Optionen offenhalten zu können, war nämlich von Anfang an eine Fiktion, weil der Außenminister seinen Kabinettskollegen die minimale Konzession, einen Vertreter anstelle eines Beobachters zu entsenden, nur wegen der impliziten Annahme hatte abtrotzen können, daß es sich um nichts anderes als einen taktischen Schachzug handelte. Solange Bretherton in Brüssel am Rande der Sitzungen des Lenkungsausschusses lediglich ohne Selbstverpflichtung und unter strenger Aufsicht seiner Londoner Vorgesetzten mitredete, war das den Ministern gleichgültig. Als sich die Vorgespräche im Spaak-Ausschuß jedoch im Spätsommer allmählich ihrem Ende näherten und Macmillan die britische Position immer noch offenhalten wollte, forderte als erster der Commonwealth-Minister Harry Crookshank, unterstützt von Butler, daß der britische Vertreter nun aber bei der erstbesten Gelegenheit abgezogen werden müsse.108 Macmillan gelang es noch einmal, den frühzeitigen Rückzug abzuwenden.109 Die letztlich unausweichliche kabinettsinterne Niederlage blieb ihm jedoch nur deshalb erspart, weil das Problem nur wenige Wochen später von dritter Seite, nämlich von dem belgischen Außenminister Spaak, gelöst werden sollte. Auch Macmillans zweite Hoffnung, die Brüsseler Vorgespräche über eine interministeriell koordinierte Strategie manipulieren zu können, um die potentiellen wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen einer neuen Organisation auf Großbritannien zu entschärfen, erwies sich bereits wegen regierungsinterner Querelen als Illusion. Einzelne Ministerien, die eigene Vertreter in die verschiedenen Unterausschüsse in Brüssel entsandt hatten, zogen diese schon nach wenigen Wochen wieder ab." 0 Entweder hielten sie die Brüsseler Vorgespräche für irrelevant für die jeweiligen britischen Wirtschaftssektoren, wie etwa im Transport-Bereich, oder hofften, wie das Außenministerium vermutete, durch den Rückzug ihrer Vertreter diplomatischen Freiraum zu gewinnen, um die Pläne der EGKS-Staaten anschließend um so schärfer innerhalb der OEEC kritisieren zu können. 1 ' 1 Anfang August war die britische Regierung 105 FO 371/116040/61 (1. Juli 1955). 106 Für die Teilnahme britischer Beamter an den Sitzungen der verschiedenen Ausschüsse in Brüssel vergl. Young, 'The Parting of the Ways'?, S.205ff. 107 Siehe Charlton, „Messina! Messina!", S.14. 108 Crookshank an Butler und Macmillan: T 232/432 (21. September 1955). 109 Macmillan an Butler und Crookshank: T 232/432 (23. September 1955). 110 Darüber beschwerte sich der Leiter der MAC-Arbeitsgruppe, Burke Trend, erstmals Ende Juli in einem Rundschreiben. Vergl. T 232/431 (29. Juli 1955). 111 FO 371/116045/164 (11. August 1955).

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bereits in drei Brüsseler Unterausschüssen nicht mehr vertreten," 2 so daß sich das Schatzamt gezwungen sah, die Ministerien zu ermahnen, wenigstens sicherzustellen, daß sie weiterhin über die Gespräche in Brüssel informiert blieben." 3 Macmillans Strategie der Kooperation ohne Selbstverpflichtung konnte jedoch auch deshalb nicht erfolgreich sein, weil sich die EGKS-Staaten nicht auf das Doppelspiel einließen. Nur ein Jahr nach dem Scheitern der EVG lag den EGKS-Staaten vor allem an dem politischen Segen der Londoner Regierung. Daß sie eine darüber hinausgehende Kooperation, geschweige denn eine Teilnahme Großbritanniens, nicht erwarten durften, wurde erneut durch die britische Reaktion auf die Einladung an Macmillan zur Außenministerkonferenz der EGKS-Staaten am 6. September 1955 im niederländischen Nordwijk bestätigt, die einer ersten Bestandsaufnahme der Brüsseler Vorgespräche dienen sollte. Weil die Londoner Regierung unter allen Umständen den Eindruck vermeiden wollte, sie könne doch an einem Beitritt zu dem geplanten Gemeinsamen Markt interessiert sein, schob das Außenministerium mit Macmillans ausdrücklichem Einverständnis den Zypern-Konflikt vor und bot lediglich die Entsendung Brethertons an." 4 Als die Niederländer daraufhin auf einem Minister anstelle eines Beamten bestanden, wurde ihnen bedeutet, daß die britische Regierung unter dieser Bedingung kein Interesse an der Teilnahme habe, da man sich nicht auf eine Position gegenüber der Messina-Initiative festlegen lasse." 5 Schließlich erklärte der belgische Außenminister Spaak am 3. Oktober im Lenkungsausschuß, daß der Abschlußbericht nur von den Repräsentanten der EGKS-Staaten erarbeitet werden sollte. Was rückblickend dramatisierend und irreführend als Rauswurf des britischen Vertreters interpretiert worden ist," 6 lag durchaus im Interesse der im MAC vertretenen Ministerien, die ausschließlich darauf bedacht waren sicherzustellen, daß in Spaaks Bericht britische Positionen nicht kenntlich gemacht und ansonsten der Londoner Regierung möglichst vor der nächsten Konferenz der EGKS-Staaten Kopien des Abschlußberichts zugeleitet würden." 7 Als Spaak in der letzten Sitzung des Lenkungsausschusses am 7. November Bretherton aufforderte, abschließend Stellung zu nehmen, verlas dieser einen vom Außenministerium formulierten Text, der die bekannte britische Position bestätigte. Vor allem, so hieß es darin, betrachte die britische Regierung die OEEC nach wie vor als Hauptinstrument für die Entwicklung der wirtschaftlichen Kooperation in Europa und könne an einem Gemeinsamen Markt aus den bekannten ökonomischen und politischen Gründen nicht teilnehmen." 8 Niemand war davon sonderlich überrascht. Spaak kommentierte noch ironisch, einige Mitglieder, gemeint war die britische Regierung, seien offenbar außerstande, den neuen europa-

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Für Zivilluftfahrt, Energie sowie Post- und Telekommunikation. Collier an Nicholls: T 232/431 (10. August 1955). Vergl. die Randnotizen Kirkpatricks und Macmillans: FO 371/116044/137A (5. August 1955). FO 371/116044/137B (29. August 1955); auch CAB 134/1026/35. Sitzung (2. September 1955). So zuletzt wieder Greenwood, S.65. Bretherton selbst empfand offenbar Spaaks Verhalten ebenfalls als Rauswurf, während der damalige Außenhandelsminister Thorneycroft zugesteht, daß sich die britische Regierung ohnehin aus Brüssel habe zurückziehen wollen. Vergl. Charlton, „Messina! Messina!", S.19/21. 117 Bretherton an Turnbull: FO 371/116050/281 (10. Oktober 1955). 118 Der vollständige Text von Brethertons Erklärung ist nachzulesen in FO 371/116055/361 (7. November 1955).

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politischen Kontext zu begreifen, der durch das Messina-Projekt entstanden sei." 9 Die Trennung am 7. November war dennoch durchaus einvernehmlich und blieb es, solange es die britische Regierung unterließ, die Pläne der EGKS-Staaten diplomatisch zu durchkreuzen. Als Illusion erwies sich ebenfalls frühzeitig die Hoffnung der Londoner Regierung, die Brüsseler Vorgespräche entscheidend beeinflussen zu können. Anfangs war noch Brethertons sehr optimistische Einschätzung aus Brüssel gewesen, die britische Regierung habe die Macht, die Schlußfolgerungen der Konferenz in beinahe jede gewünschte Richtung zu lenken. 120 Allerdings setzte das auch nach seiner Auffassung eine gestalterische Rolle der britischen Regierung voraus. Stattdessen ermahnten ihn die Kollegen in London unaufhörlich, zu warnen und zu kritisieren. 121 Als Beamter ohne Verhandlungsvollmacht hatte es Bretherton ohnehin schwer, von den Ministern und Staatssekretären der EGKS-Staaten ernst genommen zu werden. Als die sporadischen Anweisungen aus London negativ blieben und sich auch noch zu wiederholen begannen und Brethertons Warnungen, das Messina-Projekt endlich ernst zu nehmen, in der Regierungsverwaltung ungehört verhallten, wurde das britische Doppelspiel der „Cooperation without commitment" längst vor dem 7. November immer mehr zu einer Farce. 122 Brethertons Vorgesetzter im Außenhandelsministerium war empört, daß sein Beamter anscheinend lediglich als diplomatisches Alibi in Brüssel plaziert worden war. Ende September sehnte sich Frank Lee, der Permanent Secretary im Außenhandelsministerium, längst das Ende dieser „elaborate and embarrassing comedy of manners" herbei.123 Je offensichtlicher es wurde, daß die Briten die Konsequenzen ihrer eigenen Vorschläge nicht als Mitglied in einem Gemeinsamen Markt zu tragen bereit sein würden, desto weniger hörten die anderen Delegationen auf Brethertons Interventionen, die sich zwischen Juli und November auf ein sachliches und ein verfahrensrechtliches Problem konzentrierten. Die Londoner Regierung ging zum einen davon aus, daß eine europäische Freihandelszone den eigenen Interessen weniger entgegenlaufen würde als eine möglicherweise vor allem auf französischen Einfluß hin protektionistisch ausgerichtete Zollunion mit gemeinsamen Außenzöllen. Sie wies Bretherton deshalb an, für dieses Konzept zu werben. Allerdings waren die EGKS-Staaten daran nicht wirklich interessiert. Längst vor der Aufnahme der Brüsseler Gespräche, bei einem Besuch in London im Juni, hatte das der niederländische Außenminister Beyen gegenüber seinen britischen Ministerkollegen deutlich gemacht. 124 Bretherton bestätigte Ende Juli aus Brüssel, es sei offensichtlich, daß für die EGKS-Staaten aussschließlich eine Zollunion in Frage komme. 125 Als er dennoch weiterhin angewiesen wurde, sich für eine Freihandelszone einzusetzen, 126 blieben seine Bemühungen erwartungsgemäß erfolglos. 119 120 121 122

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T 234/183 (7. November 1955). CAB 134/1044/8 (9. August 1955). Siehe hierzu auch Spaak, S.308. Völlig unverständlich ist deshalb die Unterstellung bei Clive Archer: Organizing Westem Europe, London 1990, S.67, die britische Regierung habe ernsthaft verhandelt und der Rückzug 1955 sei auf die Entscheidung der EGKS-Staaten für das Konzept einer Zollunion anstelle einer Freihandelszone zurückzuführen. Ähnlich auch David Sanders: Losing an Empire, Finding a Role. British Foreign Policy since 1945, London 1990, S.138. BT 11/5715 (20. September 1955). CAB 129/76/55 Annex B (21. Juni 1955). CAB 134/1029/146(30. Juli 1955). Vergl. exemplarisch CAB 134/1044/16 (25. August 1955).

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Das zweite Problem war zwar verfahrensrechtlicher Natur, hatte jedoch aus britischer Sicht eine hohe symbolische Bedeutung: Es ging um die Frage, ob ein Repräsentant der von Großbritannien politisch dominierten OEEC in dem Brüsseler Lenkungsausschuß vertreten sein durfte. Auf dieses Problem war das Außenministerium erst durch die nachdrücklichen Warnungen des britischen Vertreters bei der OEEC, Hugh Ellis-Rees, aufmerksam geworden127 und bemühte sich anschließend vor allem bei Spaak und der französischen Delegation um die Zulassung des OEEC-Generalsekretärs Rene Sergent.128 Die Sechs, ohnehin irritiert von Brethertons ohne Unterlaß wiederholten Warnungen vor Überschneidungen mit den Kompetenzen der OEEC, hielten die britische Regierung zunächst hin. Schließlich wurde dem OEEC-Generalsekretär noch die Teilnahme an den wenigen verbleibenden Sitzungen des Lenkungsausschusses sowie eine abschließende Stellungnahme am 7. November erlaubt. Brethertons einziger nennenswerter Erfolg in Brüssel blieb jedoch folgenlos. Der britischen Regierung diente er allenfalls dazu, im Westeuropa außerhalb der Sechs ihr Gesicht zu wahren. Als das Economic Policy Committee am 11. November den Rückzug von den Brüsseler Gesprächen endgültig bestätigte, war Macmillans Doppelspiel der Kooperation ohne Selbstverpflichtung kläglich gescheitert: Weder hatten sich irgendwelche fiktiven Optionen bis zur französischen Wahl oder der Vorlage des Spaak-Berichts offenhalten lassen, noch war es der britischen Regierung gelungen, die Brüsseler Vorgespräche zu beeinflussen. Ausschlaggebend war eine Kombination vorhersehbarer regierungsinterner und außenpolitischer Faktoren. In der von Macmillan eingeleiteten und von führenden Beamten in London überwachten Farce war dem von seinen Kollegen im Außenhandelsministerium bedauerten Bretherton die Hauptrolle zugeschoben worden. Von den von diesem vertretenen inhaltlichen Positionen waren die EGKS-Staaten nicht unbedingt überrascht, aber bereits leicht verstimmt über die undurchsichtigen taktischen Manöver der britischen Regierung. Diese hatte sich zwar diplomatisch blamiert, aber dadurch vorerst keine direkten wirtschaftlichen oder politischen Nachteile erlitten. Für die Zukunft galt das allerdings nur, falls sich die Prognose des Außenministeriums bestätigte, daß das Messina-Projekt so unausweichlich zusammenbrechen müsse wie der Kapitalismus nach Marx.

5. Messina „vernichtend umarmen" Seit der Messina-Konferenz hatte es in der Regierungsverwaltung nicht an Warnungen gemangelt, die britische Europapolitik nicht auf der deterministischen Sicht des Außenministeriums aufzubauen. So meldete Bretherton bereits nach der ersten Sitzung des Brüsseler Lenkungsausschusses nach London, es gebe eindeutige Anzeichen, daß die EGKS-Staaten durchaus fest entschlossen seien, die Messina-Pläne zu verwirklichen.' 29 Auch danach drängte er die Beamten in London noch des öfteren, auf einen Erfolg der Vorgespräche und der darauf folgenden Regierungsverhandlungen gefaßt zu sein. Lediglich der britische Botschafter in Paris, Gladwyn Jebb, rechnete fest mit einem Veto der französischen Regierung und dem 127 Bereits seit Mitte Juni 1955: T 232/431 (16. Juni 1955). 128 Für die britischen Bemühungen in dieser Frage siehe FO 371/116045/165 (11. August 1955); FO 371/116046/180 (18. August 1955). 129 CAB 134/1026/26. Sitzung (11. Juli 1955).

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Scheitern der EGKS-Staaten. Als Spaak gemeinsam mit einer kleinen Gruppe ausgewählter Beamter begann, den Abschlußbericht auszuarbeiten, und ein Sieg der linken Mitte in den französischen Wahlen Anfang Januar 1956 weniger unwahrscheinlich erschien, wurden die Spitzenbeamten in London, und zwar vor allem in den Wirtschaftsministerien, immer nervöser. In dem Begleitschreiben zum MAC-Abschlußbericht bemerkte Burke Trend zu dem Problem, endgültig über eine britische Teilnahme entscheiden zu müssen, ohne das Schicksal des Messina-Projekts voraussehen zu können: „We are really confronted with a choice of evils, and there is no easy way out of the dilemma in which we have been placed by the Brüssels initiative." 130 Die Wirtschaftsministerien fürchteten vor allem die vorhergesagten ökonomischen Gefahren eines Ausschlusses Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der Sechs. Dagegen lag dem Außenministerium in erster Linie daran, die eigene institutionelle Hegemonialstellung innerhalb der OEEC zu wahren, die durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes in Frage gestellt wäre.131 Wenngleich jeweils andere Motive zugrunde lagen, so waren sich die beteiligten Ministerien schon bald darüber einig, daß das noch fragile gemeinsame Haus, dessen Grundstein die EGKS-Staaten in Messina gelegt hatten und das Außenminister Spaak in Brüssel zu einer Zollunion auszubauen bemüht war, aus London diplomatisch angestoßen werden mußte, damit es garantiert in sich zusammenfalle. Noch Ende Oktober beschlossen die Beamten des MAC-Ausschusses daher „(that the common market) if possible, should be frustrated. (...) We cannot count on the project collapsing of its own accord." 112 Allerdings waren die Ministerien über die einzuschlagende Taktik uneins. Während insbesondere das Außenhandelsministerium frühzeitig einen tragfähigen Alternativvorschlag zur Zollunion forderte, zielte die Politik des Außenministeriums darauf ab, die Brüsseler Vorgespräche in die OEEC umzulenken, um sie dort versanden zu lassen. „Embrace destructively", also „vernichtend umarmen" nannte Gladwyn Jebb diese vermeintlich elegante diplomatische Lösung. 133 Vorgesehen waren Demarchen an die Regierungen in Bonn und Washington, denen die Minister in der Sitzung des Economic Policy Committee am 11. November 1955 zustimmten und die eine Woche später übergeben wurden.134 In beiden Fällen drückte Macmillan das Mißfallen der britischen Regierung über das Messina-Projekt aus, das der Politik einer weltweiten Handelsliberalisierung zuwiderlaufe und außerdem unausweichlich zu einer auch politisch gefährlichen Spaltung Westeuropas führen müsse. Die negativen wirtschaftlichen Folgen für Drittstaaten stellte Macmillan darüber hinaus besonders in dem Schreiben an den amerikanischen Außenminister John Foster Dulles heraus. Damit hoffte das Außenministerium, die Regierung in Washington für die geplante Umlenkung in die OEEC gewinnen zu können. Dagegen setzte Macmillan in den Beziehungen zu Bonn vor allem auf die skeptische Haltung des Wirtschaftsministers Erhard und deutscher Industriekreise, die diese jedenfalls gegenüber einer auf französischen Einfluß hin eher protektionistisch ausgerichteten Zollunion einnahmen. Mit dem Schreiben an das Auswärtige 130 CAB 134/1030/206 (29. Oktober 1955). 131 Vergl. hierfür vor allem den Schriftwechsel mit Hugh Ellis-Rees: CAB 134/1030/192 (11./13. Oktober 1955); FO 371/116054/337 (10. November 1955). 132 CAB 134/1026/45. Sitzung (27. Oktober 1955). 133 In einer Bemerkung über das Messina-Projekt am Rande eines Briefes, zitiert bei Hörne, Macmillan I, S.363. 134 CAB 134/1229/11. Sitzung (11. November 1955).

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Amt hoffte Macmillan, einen Sinneswandel der Bundesregierung herbeiführen zu können. In der Sitzung des Economic Policy Committee hatte der Außenminister bereits festgestellt „(that) if we were to give them a lead the Germans might (...) adopt a more realistic policy (...) and decide not to join a common market and concentrate on co-operation through OEEC".135 In beiden Fällen handelte es sich jedoch um grobe Fehleinschätzungen des britischen Außenministers. So erläuterte Dulles in seinem Antwortbrief noch einmal die wichtigsten Motive der mit dem Marshall-Plan etablierten und seither weitgehend unveränderten Politik Washingtons gegenüber der europäischen Integration. In dem Schreiben heißt es unter anderem, die Messina-Initiative sei vor allem für die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in den Westen ausgesprochen wichtig. Einen Widerspruch zu der Arbeit der OEEC gebe es auch nicht. Seine Regierung, so Dulles, werde die geplante Zollunion aus übergeordneten politischen Gründen weiterhin selbst für den Fall unterstützen, daß sie anfänglich mit protektionistischen Tendenzen verbunden sein sollte.136 Am Rande der NATO-Ministerratstagung am 17. Dezember 1955 sagte Dulles dann dem bundesdeutschen Außenminister Heinrich von Brentano noch einmal die volle Unterstützung der USA für das Messina-Projekt zu.137 Ohnehin verärgert über die britische Intervention, ging dieser dann sogar in Absprache mit Konrad Adenauer soweit, lediglich den Empfang der britischen Demarche zu bestätigen. Ohne ergänzenden Kommentar begründete er schlicht die Entschlossenheit der Bundesregierung, mit den Brüsseler Verhandlungen fortzufahren.' 38 Über den britischen Versuch, die Messina-Initiative zu Fall zu bringen, waren die Regierungen der anderen EGKS-Staaten unmittelbar von Bonn und Washington unterrichtet worden.139 Nachdem Ellis-Rees am 6. Dezember in Paris die Vertreter der OEEC-Staaten offiziell über die britische Haltung informiert hatte,140 sah sich der völlig unvorbereitete Macmillan dann am 15. Dezember damit konfrontiert, daß die Sechs das Thema kurzerhand auf die Tagesordnung der WEU-Ministerratstagung gesetzt hatten. Spaak griff Macmillan besonders heftig an. Niemand habe mit der Teilnahme Großbritanniens gerechnet, allerdings genauso wenig mit einem solchen Frontalangriff der Londoner Regierung auf die MessinaInitiative.' 41 Auch Beyen beschwerte sich nachhaltig bei Macmillan. Der niederländische Außenminister war besonders verärgert, weil er sich auch noch von Butler hintergangen fühlte, der ihm gegenüber nur zwei Wochen zuvor bei einem Besuch in London die Möglichkeit einer mittelfristigen Neuorientierung der britischen Europapolitik angedeutet zu haben schien.142 Diese scharfe Kritik der Sechs und die unveränderte, der britischen diametral entge135 Ebd. 136 FO 371/116056/380 (12. Dezember 1955). Inzwischen abgedruckt in Foreign Relations of the United States (FRUS), 1955-1957. Vol. IV: Western European Security and Integration, Washington 1986, S.362-364. 137 Gleichfalls in ähnlichen Gesprächen mit Spaak und Monnet: Dulles an State Department, abgedruckt in FRUS, S.367-372. 138 von Brentano an Macmillan, zitiert bei Küsters, Die Gründung, S.211. Zur deutschen Reaktion siehe außerdem Konrad Adenauer: Erinnerungen. Band II: 1955-1959, Stuttgart 1967, S.255ff. 139 Richard Lamb: The Failure of the Eden Government, London 1987, S.85. 140 Vergl. hierzu bereits Hanns Joachim Heiser: British Policy with Regard to the Unification Efforts on the European Continent, Leyden 1959, S .98ff.; Achille Albonetti: Vorgeschichte der Vereinigten Staaten von Europa, Baden-Baden/Bonn 1961, S.148. 141 Vergl. Macmillans Aufzeichnungen: FO 371/116057/384 (15. Dezember 1955). 142 Butler hatte allerdings nur davon gesprochen, daß die Teilnahme Großbritanniens an einem Gemein-

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gengesetzte Haltung der Eisenhower-Regierung führten schon bald dazu, daß das Außenministerium den Versuch abrupt abbrach, die Gespräche in die OEEC umzulenken. Ende Dezember 1955 wurden die britischen Botschaften in Europa angewiesen, nicht mehr vor den Gefahren des Messina-Projekts zu warnen, sondern stattdessen eine vorsichtige Unterstützung der Pläne anzudeuten. 143 Premierminister Eden und der neue Außenminister Selwyn Lloyd versuchten zwar bei ihrem Besuch in Washington Anfang Februar 1956 noch einmal, die amerikanische Regierung davon zu überzeugen, daß die Zollunion eher dazu beitrage, Westeuropa zu spalten als zu einigen; 144 jedoch mußten sie bei Präsident Eisenhower und bei Dulles denselben Enthusiasmus für das neue Projekt feststellen wie für die gescheiterte EVG. 145 Der Übergang 1955 von wohlwollender Neutralität gegenüber den Bestrebungen der Sechs, wie etwa beim Schuman-Plan, zu offener Opposition und dem aktiven Versuch, die MessinaInitiative zu durchkreuzen, markierte einen tiefgreifenden Wandel in der britischen Europadiplomatie. Es ist bezeichnend, daß dieser von einem führenden Politiker herbeigeführt wurde, dem innerhalb der Regierung pro-europäische Neigungen nachgesagt wurden. 146 Bei den Briefen an Dulles und von Brentano handelte es sich nämlich offenbar um Macmillans Idee.147 Anders läßt sich nicht erklären, daß das Außenministerium in den regierungsinternen Beratungen plötzlich die seit Jahren etablierte Strategie aufgab und sich für eine Neutralisierung des Messina-Projekts innerhalb der OEEC stark machte. 148 Macmillan fürchtete nach wie vor eher intuitiv die langfristigen politischen Gefahren eines Ausschlusses Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der Sechs. Solange ein Beitritt aus innenund außenpolitischen Gründen als unrealistisch galt, mußte das Messina-Projekt daher unbedingt scheitern. Insofern entbehrte Macmillans Position nicht einer gewissen inneren Logik. Der von ihm initiierte diplomatische Vorstoß in Bonn und Washington kam jedoch viel zu unvorbereitet, um irgendeine Aussicht auf Erfolg zu haben. Nachdem der britische Vertreter in Brüssel monatelang mitdiskutiert, aber dabei kein einziges Mal derart grundsätzliche Kritik an dem Messina-Projekt geübt hatte, hätte dem Außenminister klar sein müssen, daß die Regierungen der EGKS-Staaten die britische Politik für scheinheilig halten würden. Tatsächlich hatte Macmillan noch nicht einmal vorab die britischen Botschaften in Bonn und

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samen Markt keine „short-term possibility" sei. Vergl. hierzu T 234/181 (2. November 1955). Rückblickend hat der damalige Schatzkanzler dieses Mißverständnis damit erklärt, er habe den arroganten Beyen nicht ausstehen können und das Gespräch deshalb so oberflächlich wie möglich gehalten. Siehe Charlton, "Messina! Messina!", S.20. FO 371/116057/390 (31. Dezember 1955). Siehe hierzu auch CAB 134/1283/6 Final (Januar 1956). CAB 134/30,1/10. Sitzung (9. Februar 1956). In einer Denkschrift von Beamten des Schatzamtes an Butler hieß es zum Beispiel: „We must not let ourselves be misled by the kind of mysticism which appeals to European catholic federalists and occasionally - I fear - to our Foreign Secretary." Butler ergänzte handschriftlich „from his Strasbourg (Europarat, der Verf.) goose days". T 232/432 (20. September 1955). So bereits Burgess/Edwards, S.406. Die Autoren beziehen sich hier auf eine vertrauliche private Auskunft. Bretherton notierte dazu Ende Oktober 1955: „This line (die Umlenkung in die OEEC, der Verf.) is at the moment being suddenly pressed by the Foreign Office." Siehe BT 11/5715 (22. Oktober 1955).

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Washington konsultiert, die sehr wahrscheinlich dringend von der Initiative abgeraten hätten.149 Von dort und von den zuständigen Abteilungen des Außenministeriums ausgehende Warnungen, daß die Politik der beiden Regierungen so integrationsfreudig war wie eh und je, waren schon zuvor auf der Leitungsebene des Ministeriums ignoriert worden. Nachdem der Staatssekretär im Bonner Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, in Messina die Integrationsbereitschaft der Bundesregierung bekräftigt hatte, hatte der Under-Secretary im Außenministerium, John Coulson, beispielsweise bereits am 13. Juni an Caccia geschrieben, die deutsche Position sei nicht anders als zwei Jahre zuvor.150 In ähnlichen Berichten aus Bonn war immer wieder betont worden, es sei damit zu rechnen, daß sich die Linie Adenauers und des Auswärtigen Amtes letztlich durchsetzen werde. Der Bundeskanzler, so hatte ein Mitarbeiter der Botschaft Anfang August warnend geschrieben, sei an den involvierten wirtschaftlichen Fragen überhaupt nicht interessiert, sondern wolle die deutsch-französische Verständigung voranbringen.151 Vor diesem Hintergrund war Kirkpatricks Behauptung abwegig, außer Adenauer sei in der Bundesrepublik Deutschland niemand im geringsten an wirtschaftlicher Integration interessiert. 152 Ebenso eindeutig hatten zahlreiche Gespräche mit Vertretern des State Department seit Juni 1955 ergeben, daß die amerikanische Regierung trotz Bedenken der Wirtschaftsministerien die Messina-Initiative nahezu vorbehaltlos unterstützen würde.153 Darüber hinaus war aus den Londoner Wirtschaftsministerien gewarnt worden, daß die von Macmillan ins Auge gefaßte Initiative unweigerlich in einem Fiasko enden werde. Solange die Messina-Staaten weiter eine mit den GATT-Regeln vereinbare Zollunion wollten und nicht wieder in Sektorintegration zurückfielen, käme für sie die OEEC-Option niemals in Frage, erläuterte Burke Trend Ende Oktober in einer MAC-Sitzung. Glaubwürdig wäre ein solcher Vorschlag Großbritanniens schon deshalb nicht, weil die Londoner Regierung seit Jahren Verhandlungen über separate Zollsenkungen innerhalb der OEEC boykottiert hatte.154 Bretherton erklärte gegenüber Thorneycroft die Idee einer Umlenkung in die OEEC schlicht

149 Frederick Hoyer Miliar in Bonn zeigte sich nach dem Vorstoß des Außenministeriums besorgt um die Zukunft der deutsch-britischen Beziehungen und verlangte in einem in ungewöhnlich deutlichem Ton abgefaßten Schreiben an Kirkpatrick, man solle die Messina-Initiative auf keinen Fall weiter behindern. Damit untergrabe die Regierung nur Adenauers Position und gefährde die Westorientierung der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem könne es doch wohl nicht im britischen Interesse sein, die Bundesregierung zum Gegenteil dessen aufzufordern, was offensichtlich die amerikanische Regierung von Adenauer erwarte: FO 371/116056/369 (2. Dezember 1955). 150 151 152 153

FO 371/116039/18 (13. Juni 1955). FO 371/116044/145 (4. August 1955). FO 371/116054/347 (25. November 1955). Dies berichtete Coulson zum Beispiel nach einem Gespräch mit einem Diplomaten der U S Botschaft in London: FO 371/116040/102 (18. Juli 1955). Nach einem ähnlichen Treffen notierte Edden: „(They are) firmly in favour of the Messina enterprise as a move towards the U.S. dream of a United States of Europe." Siehe FO 371/116047/204 (2. September 1955). 154 CAB 134/1026/45. Sitzung (27. Oktober 1955). So ähnlich zuvor bereits an Clarke: T 234/181 (26. Oktober 1955). Gleichfalls Nita Watts an den Economic Adviser der Regierung, Robert Hall: „I do not believe that it would be possible to persuade the six countries to continue their deliberations within the framework of OEEC (...). They are just not Willing to submit once again to the veto of other members." Siehe T 232/433 (14. Oktober 1955).

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für Unfug, 155 und Nita Watts von der Economic Section des Schatzamtes warnte: „It seems to me that it is positively dangerousfor us (Hervorhebung, der Verf.) to try to steer the Brüssels discussions back into O.E.E.C. unless we are able to induce ,the Six' willingly to drop the ultimate aim of Integration' and accept ,co-operation' instead. I do not myself believe that we can do this." 156 Stattdessen hofften immer mehr Beamte in den Wirtschaftsministerien, eine tragfähige Alternative zum Messina-Projekt mit britischer Beteiligung entwickeln zu können. Trend dachte dabei zunächst an die Möglichkeit, die EGKS-Staaten mit einem Angebot zu weiterführender Kooperation in der zivilen Kernenergienutzung zu ködern, deren Entwicklung in Großbritannien bereits weit fortgeschritten war.157 Im Außenhandelsministerium wurde dagegen bereits über eine mögliche Assoziierung mit einer Zollunion diskutiert, ohne daß allerdings ein ausgereifter Plan analog zum FHZ-Vorschlag des folgenden Jahres vorgelegen hätte.158 Wohl nicht zuletzt, weil sie noch keine Alternative vorweisen konnten, gelang es den Wirtschaftsministerien jedoch nicht, Macmillan von seinem Vorhaben abzubringen. Falls die Sechs die OEEC-Alternative blockierten, so hieß es ratlos im MAC-Abschlußbericht, müsse die Regierung eben vorerst abwarten und offen für andere Initiativen bleiben. 159 Abwarten kennzeichnete zunächst auch Macmillans Europapolitik, nachdem das Debakel des von ihm initiierten Versuchs, das Messina-Projekt zu Fall zu bringen, die Europapolitik der Londoner Regierung in den Messina-Staaten diskreditiert und auch noch Großbritanniens Beziehungen zu den Vereinigten Staaten belastet hatte. Erst nach seinem Wechsel ins Schatzamt ergriff Macmillan wieder die Initiative, als er, parallel zum Außenhandelsministerium, über ein Alternativprojekt zur Intensivierung der Wirtschaftskooperation in Europa nachzudenken begann. Zunächst allerdings dachte Macmillan lediglich an ein neues taktisches Manöver. So notierte der Second Secretary im Schatzamt, Leslie Rowan, nach einem Gespräch mit dem Minister: „(Macmillan) thinks that it is important. In his view it is not so much that it need contain any very startling ideas but rather that it would provide an alternative for discussion in Europe." 1 6 0 Wenige Tage später, kurz vor dem abschließenden, vergeblichen Versuch Edens und Lloyds, Eisenhower während ihres Besuchs in Washington auf die britische Anti-Messina-Politik einzuschwören, erläuterte Clarke noch einmal Macmillans Sicht: „The interim report on the counter initiative is not and ought not to be a very hopeful document (...), rather (...) a tactical objective than (...) a piece of major strategy." 161

6. Isoliert in Europa Der britischen Regierung ist häufig vorgeworfen worden, sie habe es 1955, fahrlässig handelnd, verpaßt, auf den „Bus" der EGKS-Staaten aufzuspringen, der scheinbar auf direktem 155 156 157 158 159 160 161

BT 11/5715 (22. Oktober 1955). Watts an Figgures: T 232/433 (21. Oktober 1955). Trend an Clarke: T 234/181 (26. Oktober 1955). Bretherton an Thorneycroft: BT 11/5715 (22. Oktober 1955). CAB 134/1030/199 (24. Oktober 1955). T 234/183 (19. Januar 1956). T 234/183 (30. Januar 1956).

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Wege von Messina zur Unterzeichnung der Römischen Verträge in der italienischen Hauptstadt knapp zwei Jahre später fuhr. 162 Wie hier deutlich geworden ist, hält diese Interpretation der britischen Europapolitik einem differenzierten historischen Urteil in doppelter Hinsicht nicht stand. Einerseits stand 1955 weder fest, daß der Bus überhaupt fahrtüchtig war, noch daß Fahrer und Insassen, einmal auf dem Weg, einen folgenschweren diplomatischen Verkehrsunfall vermeiden konnten, der ihren Plänen ein rasches Ende gesetzt hätte. Nicht alle Wege führten 1955 nach Rom. Der Erfolg der Messina-Initiative war alles andere als eine ausgemachte Sache. So bat Spaak Macmillan noch Ende Februar 1956 bei einem Besuch in London, die britische Regierung solle sein vom Scheitern bedrohtes Projekt retten, um eine schwere politische Krise in Westeuropa abzuwenden. 163 Außerdem hatte es zunächst noch den Anschein, als würde die französische Regierung nichts unternehmen, wenn sich die Briten nicht ebenfalls zur Teilnahme an dem Messina-Projekt bereit erklärten. 164 Das hätte Großbritannien in Europa in der starken Position des Jahres 1954 belassen. Daß das SuezDebakel in Paris eine radikale Neubewertung der bilateralen Beziehungen in bezug auf die westeuropäische Einigung so beschleunigen würde, konnte 1955 niemand vorhersehen. Abgesehen von den 1955 noch immer sehr unsicheren Erfolgsaussichten der MessinaInitiative ist die Bus-Analogie andererseits auch insofern nicht stimmig, als die britische Regierung den Bus zwar inspizieren ließ, jedoch von keinem der maßgeblichen politischen Entscheidungsträger in London ernsthaft erwogen wurde, eine Fahrkarte zu lösen. Das Bild vom Messina-Bus hat suggeriert, daß es in der Londoner Regierung weitblickende, um Anschluß an die westeuropäische Integration bemühte, überzeugte „Europäer" gab, die sich nur mit ihrer Position nicht durchsetzen konnten. Einmal werden in diesem Zusammenhang die „Europäer" den „Atlantikern", 165 ein anderes Mal die „Optimisten" den „Pessimisten" gegenübergestellt. 166 Der historischen Realität der britischen Entscheidung gegen die Zollunion entspricht schon eher die Einschätzung des damaligen Kabinettschefs von Spaak, Robert Rothschild, Eden und Butler hätten einer Annäherung an die Messina-Staaten sehr, Macmillan dagegen etwas weniger ablehnend gegenübergestanden. 1 6 7 Der eigentliche Unterschied lag darin, daß Macmillan im Gegensatz zu den meisten Kabinettskollegen immerhin die politischen Gefahren witterte und Thorneycroft die wirtschaftlichen, die mit dem Ausschluß Großbritanniens von einer Zollunion der Sechs verbunden wären. Während Eden wenige Jahre zuvor öffentlich erklärt hatte, er fühle in seinen Knochen, daß Briten keine Europäer seien, 168 ahnte Macmillan lediglich, daß ihnen das auf Dauer zum Nachteil gereichen könnte. Selbst Anfang der fünfziger Jahre war dessen Haltung gegenüber der westeuropäischen Integration ambivalent gewesen und seine Vorstellung von europäischer „Einheit" 162 So im Ergebnis zuletzt Anne Deighton: Missing the Boat. Britain and Europe 1945-1961, in: Contemporary Record 3/3 (1990), S.15-17. 163 HMD (28. Februar 1956), zitiert bei Macmillan, Riding, S.56. Siehe auch Macmillan an Eden: PREM 11/1337 (3. März 1956). 164 FO 371/116039/16 (8. Juni 1955); Bretherton an Turnbull: T 232/431 (4. August 1955); CAB 134/1044/8 (9. August 1955). 165 Donald C. Watt: Großbritannien und Europa 1951-1959. Die Jahre konservativer Regierung, in: VfZG 28/4 (1980), S.389^*09 (392/402). 166 Bullen, S.334. 167 Charlton,"Messina! Messina!", S.16. 168 In einer Rede an der Columbia-Universität am 12. Januar 1952, zitiert bei Charlton, "Messina! Messina!", S.16. Siehe ebenfalls Robert Rhodes James: Anthony Eden, London 1986, S.350.

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ausgesprochen unpräzise.169 Aufgestiegen zum Außenminister, konnte sich Macmillan 1955 genausowenig zu einer konstruktiven Haltung gegenüber dem auch von ihm ungeliebten und nur allmählich und widerwillig ernst genommenen Messina-Projekt durchringen wie Eden oder Butler, denen dessen Bedeutung für die weitere Entwicklung Westeuropas weitgehend verborgen blieb. Umstritten war innerhalb der Regierung ausschließlich die einzuschlagende diplomatische Taktik. Deshalb war die Teilnahme Großbritanniens an einer westeuropäischen Zollunion als Gründungsmitglied, historisch betrachtet, auch nie eine offene politische Option. Die Mitgliedschaft in einer stärker integrierten europäischen Organisation erschien 1955 noch unvereinbar mit dem vagen strategischen Ziel britischer Außenpolitik, die traditionelle Position als Weltmacht zu halten. Schon immer, so dachten zu diesem Zeitpunkt nicht nur die meisten führenden Politiker der regierenden Konservativen Partei, war Großbritannien eine Weltmacht gewesen und mußte es daher auch in Zukunft bleiben. 170 Dieses ausgeprägte „Großmachtsyndrom", 171 das eine grundlegende Neudefinition der Ziele britischer Außenund Außenwirtschaftspolitik verhinderte, erscheint wesentlich mentalitätsgeschichtlich bedingt. Außenpolitisch betrachtet, sahen sich die konservativen Parteiführungen der Nachkriegszeit weiterhin in der Tradition von Palmerston und Disraeli. Damit schien eine moralische Verpflichtung verbunden, an die gerade bei der älteren Generation noch fest in der Erinnerung verwurzelte und vielfach verklärte Zeit vermeintlicher britischer Größe vor 1914 anzuknüpfen, die Churchill während des Zweiten Weltkrieges so eindrucksvoll beschworen und damit den langfristigen Verlust an wirtschaftlicher, politischer und militärischer Substanz vorübergehend verdeckt hatte. Ansprüche aufzugeben, vor allem denjenigen auf eine führende Rolle in der internationalen Politik, erschien aus dieser Perspektive nahezu als Verrat an der nationalen Geschichte imperialer Größe, dessen sich kein konservativer Parteichef schuldig machen durfte. Wo nach dem Zweiten Weltkrieg der Rückzug von bestehenden wirtschaftlichen oder politischen Positionen unausweichlich wurde, war dies zumindest öffentlich so darzustellen, als handelte die Regierung in der Kontinuität früherer Politik. Der Anspruch auf eine Fortschreibung einer Sonderrolle Großbritanniens in der internationalen Politik, die zunehmend in Abgrenzung zu Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland verstanden wurde, erschien den meisten Konservativen nicht nur historisch begründet, sondern auch historisch gerecht; denn warum sollte ausgerechnet Großbritannien, das, zeitweise auf sich allein gestellt, erfolgreich gegen das nationalsozialistische Deutschland gekämpft hatte, als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges seine vormalige wirtschaftliche und politische Machtstellung einbüßen, während gerade die Westdeutschen zunehmend wohlhabender wurden und allmählich auch schon wieder politisch an Einfluß gewannen; noch dazu ohne dafür im ersten Nachkriegsjahrzehnt vergleichbare materielle Opfer, etwa in bezug auf die Verteidigungsausgaben, erbracht zu haben. Erst vor diesem breiteren mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund wird verständlich, warum die Regierung 1955 ein stärkeres wirtschaftliches und politisches Engagement in Westeuropa als gleichrangiger Partner ablehnte und darauf fixiert war, den akut bedrohten Status quo so lange wie irgend möglich aufrechtzuerhalten. 169 Zu Macmillans Haltung zum Schuman-Plan vergl. die kritische Analyse bei Young, Churchills 'No\ 170 Sanders, S.291. 171 Ebd.

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Obwohl sogar das Außenministerium in den regierungsinternen Beratungen einräumte, in zehn bis fünfzehn Jahren könnten sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der britischen Europapolitik grundlegend geändert haben, kamen auch von der Regierungsverwaltung keine nennenswerten Impulse, die Haltung gegenüber der MessinaInitiative in höherem Maße an Großbritanniens mittel- und langfristigen Interessen auszurichten. Die Ministerialbeamten bewegten sich in einem mindestens ebenso engen geistigen Kontext wie die Politiker über ihnen. Wie andere Regierungsverwaltungen auch arbeiteten sie auf der Basis eines Konsenses über die Ziele, die zu verfolgen waren, und die Grenzen, innerhalb derer sich ihre Empfehlungen zu bewegen hatten.172 Dieser konservative Grundkonsens, zu dem inzwischen die Formulierung britischer Außenpolitik entsprechend der handlungsleitenden Doktrin der drei Kreise zählte, war allerdings innerhalb von Whitehall, historisch bedingt, besonders stark ausgeprägt und hatte sich infolge des psychologisch affirmativ wirkenden Erlebnisses des Zweiten Weltkrieges noch weiter verfestigt. Wer sich außerhalb dieses vorgegebenen intellektuellen Kontextes bewegte, wurde im Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß marginalisiert. Das gilt in besonderem Maße für die professionellen Wirtschaftsberater der Economic Section.173 Betroffen war jedoch auch Bretherton, der in der belgischen Hauptstadt vom Außenministerium in diplomatischer Quarantäne gehalten wurde, nachdem er in seinen Berichten begonnen hatte, der vorherrschenden Meinung zu widersprechen, daß die Pläne der EGKS-Staaten ohnehin dem Untergang geweiht waren.174 In bezug auf den Entscheidungsprozeß 1955 gilt nicht nur für die meisten führenden Politiker, sondern ebenfalls für zahlreiche Spitzenbeamte, insbesondere im Außenministerium, daß sie eine erschreckende Bereitschaft zeigten, jene Berichte und Stellungnahmen aus der eigenen Verwaltung auszublenden, die den vorgefaßten Meinungen widersprachen und die Notwendigkeit einer politischen Richtungsänderung implizierten.175 Die daraus resultierende weitgehende Gleichschaltung der Abschlußempfehlungen schien der von den Ministern ohnehin favorisierten attentistischen Politik zusätzliche Legitimität zu verleihen, die für britische Regierungen schon in bezug auf internationale Konfliktsituationen in der Zwischenkriegszeit als charakteristisch festgehalten worden ist.176 Die im MACAbschlußbericht sogar genauso bezeichnete Politik des „wait and see" gegenüber der MessinaInitiative darf deshalb auch als bezeichnend gelten für das allgemeinere, bei Coker pointiert formulierte Phänomen, daß „die Angst vor Entscheidungen (...) das eigentliche Merkmal einer im Abstieg befindlichen Macht (ist). Die Politik des attentisme, des Abwartens der Ereignisse, anstelle ihrer Gestaltung, ist wohl von einer Nation zu erwarten, die es vorzieht, der Zukunft nicht ins Auge zu blicken, aus Angst vor dem, was sie dort entdecken könnte."177 172 William Wallace: Foreign Policy and the Political Process, London 1971, S.33. 173 Die ansonsten sehr aufschlußreiche Untersuchung von zwei früheren Mitarbeitern der Economic Section, Alec Cairncross und Nita Watts: The Economic Section 1939-1961. A study in economic advising, London 1989, berücksichtigt bedauerlicherweise die Europapolitik nicht. 174 Vergl. hierzu auch Brethertons Erinnerungen in dem BBC-Interview, abgedruckt bei Charlton, "Messina! Messina!", S.17. 175 Emile Benoit: Europe at the Sixes and Sevens. The Common Market, the Free Trade Association and the United States, New York 1961, S.74f. 176 Gottfried Niedhart: Das ökonomische Interesse am Frieden und das außenpolitische Konfliktverhalten Großbritanniens in der Mitte des 20. Jahrhunderts (1931-1961), in: Wurm, Wege nach Europa, S.77-89. 177 Christopher Coker: Dünkirchen und andere britische Mythen, in: Europäische Rundschau 19/2 (1991), S. 107-118 (116).

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Dieser geistige Fluchtmechanismus in Verbindung mit einer ausgeprägten, ebenfalls in der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges wurzelnden Verachtung gegenüber den scheinbar politisch unzuverlässigen Kontinentaleuropäern 178 bewirkte auch, daß die Regierung ihre gesamte Europapolitik leichtsinnig auf der Annahme aufbaute, die EGKS-Staaten würden es niemals ohne britische Kooperation schaffen, ihre Pläne politisch umzusetzen; und dies, obwohl es nicht an Warnungen an die Adresse der Minister gemangelt hatte, das „best case"-Denken des Außenministeriums auf keinen Fall zu übernehmen. 179 In offenem Widerspruch zu dem politischen Gegenstück war das sogar im wirtschaftlichen Teil des MAC-Abschlußberichts ausdrücklich festgehalten worden. 180 Insofern war die Regierung selbst verantwortlich für die späteren nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen der Isolierung Großbritanniens in Westeuropa sowie für den Verlust jeder politischen Kontrolle über den europäischen Kreis ihrer Außen- und Außenwirtschaftsbeziehungen. Es ist nicht auszuschließen, daß es viel früher zu einer die Debatten des Jahres 1956 antizipierenden Neubewertung der britischen Europapolitik hätte kommen können, wenn das Vorhaben der EGKS-Staaten von der britischen Regierung von Anfang an ernst genommen worden wäre. Eine Freihandelszone unter britischer Beteiligung, wohl mit einer gewissen institutionellen Verbindlichkeit und verbunden mit kompensatorischen Zugeständnissen an Frankreich, wäre 1955 möglicherweise ein realistisches Ziel gewesen, eventuell sogar anstelle der geplanten Zollunion, eher allerdings als handelspolitisches Dach darüber. Nur insofern verpaßte die Regierung einen Bus, den sie 1955 noch mit der verbindlichen Bereitschaft zu konstruktiver Kooperation zu einem anderen Ziel als der späteren Zollunion der Römischen Verträge hätte steuern können. Scheuten die politischen Entscheidungsträger instinktiv vor einer solchen aktiv-innovativen Haltung zurück, so sprach zumindest alles für die von Eden und Butler befürwortete und ganz in der Tradition der etablierten Politik stehende wohlwollende Neutralität gegenüber den EGKS-Staaten. Mit ihren ausgesprochen dilettantischen diplomatischen Manövern zerstörte die Regierung stattdessen auf lange Sicht die Grundlage ihrer nach den Ereignissen des Jahres 1954 zunächst gefestigt erscheinenden Stellung im europäischen Kreis. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß dafür ausgerechnet der vermeintlich so pro-europäische Macmillan verantwortlich war.181 178 Vergl. hierzu Kenneth O. Morgan: The Second World War and British culture, in: Brivati/Jones, S.33-46 (43). 179 Anfang November 1955 hielt es Bretherton bereits für wahrscheinlich, daß es zur Gründung einer Zollunion kommen würde. Vergl. BT 11/5715 (10. November 1955). 180 CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). 181 Nicht zuletzt deshalb wird Macmillans achtmonatige Amtszeit als Außenminister 1955 einhellig negativ bewertet. Vergl. Hörne, Macmillan I, S.363f.; Nigel Fisher: Harold Macmillan, London 1982, S.151; Avi Shlaim, Peter Jones und Keith Sainsbury: British Foreign Secretaries since 1945, London/Vancouver 1977, S.l 1 Off.; Anthony Sampson: Macmillan. A Study in Ambiguity, London 1967, S.106.

KAPITEL 3

Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)

Als der Versuch des Außenministeriums gescheitert war, die Messina-Initiative in die OEEC umzulenken und dort diplomatisch einzuschläfern, fielen die Ministerien auf die bereits im MAC-Abschlußbericht erwähnte Auffangposition zurück und begannen, über Alternativen zum Zollunionsprojekt der EGKS-Staaten nachzudenken. Da sich die beiden Wirtschaftsministerien von Anfang an für diese Option eingesetzt hatten, ging nun innerhalb von Whitehall die politische Initiative an sie über. Noch Ende 1955 fanden erste Besprechungen zwischen einzelnen, mit der Europapolitik befaßten Beamten statt. Der entscheidende politische Impuls zur Beschleunigung der internen Beratungen ging jedoch nach dessen Wechsel an die Spitze des Schatzamtes von Macmillan aus. Von den scharfen Reaktionen der EGKSStaaten und der Amerikaner beeindruckt, hoffte er, die britische Regierung aus der diplomatischen Isolierung zu befreien und die politische Initiative in Europa zurückzugewinnen. Beabsichtigt war zunächst eine Gegeninitiative.1 Die Regierung wollte nach wie vor die Verwirklichung der Pläne der EGKS-Staaten verhindern. Insofern handelte es sich anfangs lediglich um eine neue taktische Variante der OEEC-Strategie. Für einige Beamte und Politiker in der britischen Regierung behielt der in der ersten Jahreshälfte 1956 entwickelte „Plan G" für die Gründung einer industriellen Freihandelszone in Westeuropa diese destruktive Funktion noch längere Zeit, teils bis Suez, teils wohl auch noch bis zur Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 1957. Was anfangs als Diskussionsalternative zur MessinaInitiative gedacht war, erfuhr jedoch im weiteren Verlauf des Jahres 1956 eine erstaunliche funktionale Transformation. Vor allem Macmillan und Thorneycroft waren, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, schon bald entschlossen, den FHZ-Vorschlag weiterzuverfolgen, falls die Messina-Initiative scheitern sollte. Aus der Diskussionsalternative wurde ein Ersatzprojekt und daraus, als sich Ende 1956 immer mehr ein Erfolg der Brüsseler Verhandlungen abzeichnete, das Konzept eines handelspolitischen Daches über der späteren Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.2 Anfang 1956 ging es Macmillan allerdings zunächst darum, Zeit für eine Neuorientierung der britischen Europapolitik zu gewinnen.3 Am 1. Februar schrieb er eine knappe Notiz an den 1 Siehe auch Macmillan, Riding, S.75. 2 So Macmillan und Thorneycroft im wesentlichen bereits in ihrer ersten Kabinettsvorlage: CAB 129/82/191 (27. Juli 1956). 3 Vergl. T 234/701 (25. Februar 1956).

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Permanent Secretary im Schatzamt, Edward Bridges, in der auch die anti-deutsche Komponente der geforderten aktiveren Europapolitik erstmals deutlich zum Ausdruck kommt: „Are we just to sit back and hope for the best? (...) For perhaps Messina will come off after all and that will mean Western Europe dominated in fact by Germany and used as an instrument for the revival of German power through economic means. It is really giving them on a plate what we fought two wars to prevent. (...) I don't want this matter to slide. I believe it may be one of the most difficult that we have to deal with in the next few years."4 Einen innovativen Schritt vorwärts forderte Macmillan dann erstmals fünf Tage später in einer Randbemerkung zu einer internen Denkschrift des Schatzamtes: „The real difference is whether it (die Gegeninitiative, der Verf.) is a rearguard action or an advance. I am anxious (...) for an advance which would be recognized as such." 5 Mitte Februar schließlich hatte Macmillan seine eigenen Gedanken so weit geordnet, daß er die führenden Beamten seines Ministeriums zu einer ersten europapolitischen Grundsatzbesprechung zusammenrief. Das Scheitern des Messina-Projekts, so führte der Schatzkanzler aus, wäre wirtschaftlich nach wie vor die günstigste Entwicklung. Daran könne die Regierung jedoch aus übergeordneten politischen Gründen nicht mehr interessiert sein, weil dadurch der Zusammenhalt Westeuropas gefährdet wäre. Macmillan hielt inzwischen eine Neubewertung des europäischen Kreises für erforderlich, der seit Anfang der fünfziger Jahre an Bedeutung gewonnen habe. Um nicht ausgeschlossen zu werden, müsse Großbritannien bereit sein, sich auf Europa zuzubewegen. Macmillan wollte inzwischen ein substantielles Projekt, das an die Stelle der MessinaPläne treten oder diese ergänzen konnte.6 Über dessen inhaltliche Ausgestaltung hatte der Schatzkanzler allerdings noch gar nicht nachgedacht. Er beauftragte daher seine Mitarbeiter, in der ohnehin ins Auge gefaßten interministeriellen Arbeitsgruppe unterschiedliche Optionen zu entwickeln. Während die Beamten 1955 pro forma die Vor- und Nachteile einer vorgegebenen Alternative analysieren sollten, wurde nun von ihnen erwartet, ohne inhaltliche Vorgaben eine neuartige Politik zu entwickeln, die außenpolitisch langfristig tragfähig und innerhalb der Regierang durchsetzbar sein mußte. Letzteres war für den OFD-Abteilungsleiter Otto Clarke nicht zuletzt eine Frage der verwaltungsinternen Strategie. Falls Macmillan eine konstruktive Initiative wolle, so notierte er bereits Ende Januar in einer Denkschrift, dürfe das Schatzamt anfangs nur das Außenministerium und das Außenhandelsministerium zu den Beratungen hinzuziehen. Dagegen sollten die stärker protektionistisch ausgerichteten Ministerien für Commonwealth-Beziehungen, für Kolonien und für Landwirtschaft zunächst ausgeschlossen bleiben. Das neue Projekt, so Clarke, dürfe nicht bereits durch interministerielle Kompromisse auf Beamtenebene verwässert werden, ehe es erstmals die politischen Entscheidungsträger erreichen konnte.7 Als die informelle Clarke-Arbeitsgruppe schließlich Anfang März erstmals zusammentrat,8 war das Außenministerium zwar vertreten, dessen Beamte nahmen jedoch von Anfang an eine indifferente Haltung gegenüber der intensiven Diskussion zwischen den beiden Wirtschaftsministerien ein.9 Erleichtert über das abrupte Ende der im Vorjahr von Macmillan 4 5 6 7 8 9

T 234/100 (1. Februar 1956). T 234/183 (6. Februar 1956). T 234/183 (21. Februar 1956). T 234/100 (30. Januar 1956). T 234/100 (6. März 1956). So auch Brethertons Urteil in seiner zeitgenössischen, rückblickenden Analyse der Gründe für das Scheitern des FHZ-Projekts „The Development of Policy about the Common Market, and the Origins

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initiierten, kontraproduktiven diplomatischen Störversuche gegen die Integrationsbemühungen der EGKS-Staaten, waren die Beamten des Außenministeriums nach dessen Wechsel ins Schatzamt längst wieder auf die etablierte Politik wohlwollender Neutralität gegenüber der europäischen Integration zurückgefallen. Unter dem Eindruck der nahezu vorbehaltlosen Unterstützung der Eisenhower-Regierung für die Initiative der EGKS-Staaten begann das Außenministerium wieder, den positiven politischen Beitrag des Messina-Projekts zur Einbindung der Bundesrepublik Deutschland und zur Stärkung der westeuropäischen Solidarität im globalen Konflikt mit der Sowjetunion zu betonen.10 Mit dieser Linie befand sich das Außenministerium im wesentlichen wieder im Gleichschritt mit dem wichtigsten Bündnispartner. Sie entsprach auch den politischen Neigungen des neuen Außenministers, dessen Ernennung als Versuch Edens interpretiert wurde, den zu selbständigen und außerdem erfolglosen Macmillan durch einen folgsamen Mandarin zu ersetzen. Selwyn Lloyd entwickelte zwar nach und nach ein eigenständiges Profil und nach Suez kurzzeitig auch ein eigenes Konzept für die britische Europapolitik, unterstützte jedoch anfangs Edens distanzierte Politik gegenüber der westeuropäischen Integration." Entsprechend bestand der einzige Beitrag des Außenministeriums zu den Beratungen der Clarke-Arbeitsgruppe in dem noch provisorischen, an den sogenannten EdenPlan aus dem Jahr 1952 anknüpfenden Vorschlag für eine institutionelle Rationalisierung der bereits bestehenden europäischen Organisationen.12 Anfang 1956 hielt das Außenministerium als Alternative zur Messina-Initiative die Zusammenlegung von OEEC und Europarat für geeignet.13 Daraus entwickelte sich später das Konzept für ein „Grand Design", das dann auch noch die parlamentarischen Versammlungen der WEU und möglicherweise der NATO in die geplante Reorganisation einbeziehen wollte. Diese Ideen wurden allerdings von den Wirtschaftsministerien rasch verworfen, weil sie weder auf die politischen noch auf die ökonomischen Herausforderungen der MessinaInitiative eine adäquate Antwort darstellten. Da das Außenministerium andererseits an außenwirtschaftlichen Projekten kein Interesse zeigte, verlagerten sich in der Folgezeit die Beratungen über eine Gegeninitiative in Europa nach und nach vollständig auf Außenhandelsministerium und Schatzamt. Obwohl deren Antworten auf die in erster Linie außenwirtschaftlich interpretierte Herausforderung, mit der sich die britische Regierung durch die Initiative der EGKS-Staaten konfrontiert sah, zunächst sehr unterschiedlich ausfielen, fürchteten inzwischen die Beamten beider Ministerien gleichermaßen den Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der Sechs. Während Bretherton von einer „tödlichen Gefahr" sprach, 14 meinte sogar der 1955 noch gelassene Clarke, falls die Gegeninitiative erfolglos bleibe, sei es unbedingt nötig „(to) kill the Messina project stone-

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11 12 13 14

of the Negotiations for a European Free Trade Area, 1955/57, with special reference to the Board of Trade": BT 11/5852 (Juni 1961). Diesen erneuten Wandel in der Haltung des Außenministeriums hatte Clarke bereits im Zusammenhang mit der Vorbereitung der USA-Reise von Eden und Lloyd beobachtet: T 234/182 (16. Januar 1956). Zu Selwyn Lloyds Europapolitik vergl. auch die allerdings knappen Ausführungen in der einzigen Biographie von D.R. Thorpe: Selwyn Lloyd, London 1989, S.281. Zum Eden-Plan vergl. M. Beioff, New Dimensions, S.l 10. Dieses Projekt stellte das Außenministerium in der dritten Sitzung der Clarke-Arbeitsgruppe vor: FO 371/122024/66 (27. März 1956). Vergl. auch CAB 134/1284/64 (18. April 1956). Bretherton an Figgures: T 234/701 (27. Januar 1956).

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dead".15 In einer internen Besprechung Ende April sahen die Spitzenbeamten des Schatzamtes Großbritanniens Rolle in Europa bereits unter den Vorzeichen, die seit den frühen sechziger Jahren die europapolitische Debatte bestimmen sollten: „On a longer view the question might become, not whether we should go into Europe to save Europe, but whether we should not have to move closer to Europe in order to save ourselves."15

1. Von Warenlisten und Präferenzen Gegenüber dem MAC-Abschlußbericht hatte sich die Gefahrenanalyse der beiden Wirtschaftsministerien Anfang 1956 kaum verändert. Bei einem Ausschluß Großbritanniens von einem Binnenmarkt der Sechs von etwa 180 Millionen Menschen konnten britische Firmen nicht von dem vorhergesagten Produktivitätszuwachs und Wachstumsschub profitieren. Der sich daraus ableitende Wettbewerbsnachteil in der Zollunion, vor allem gegenüber deutschen Firmen, würde durch die tarifären Hemmnisse noch verstärkt. Hinzu kam später die Befürchtung, daß sich andere europäische Staaten, besonders Dänemark und Österreich, wirtschaftlich und politisch immer mehr zu der neu entstehenden Organisation hin orientieren könnten, wodurch Großbritanniens Einfluß in Europa noch weiter reduziert würde.17 Auch sahen die Beamten der Wirtschaftsministerien den Wert der verbliebenen Ottawa-Präferenzen inzwischen noch realistischer als 1955. Das galt nun sogar für die vom außenwirtschafts- und währungspolitischen Weltmachtdenken besonders stark geprägte Overseas Finance Division des Schatzamtes. Deren Under-Secretary Frank Figgures schrieb beispielsweise im Februar selbstkritisch, vom Schatzamt sei in der Vergangenheit die Bedeutung des CommonwealthKreises stark übertrieben worden.18 Anfang 1956 sah sich die britische Regierung zunehmend genötigt, einen handelspolitischen Zweifrontenkrieg zu führen: Während die EGKS-Staaten die Gründung einer westeuropäischen Zollunion betrieben, drängte die australische Regierung auf eine Neuverhandlung des bilateralen Präferenzabkommens. Wie Thorneycroft zu recht vermutete, war das ein zuverlässiger Indikator für die weiter zunehmenden zentrifugalen Kräfte innerhalb des Commonwealth, die nicht nur dessen sozioökonomischen, sondern langfristig auch dessen verbliebenen politischen Zusammenhalt immer mehr in Frage stellen würden.19 Durch diese parallelen Entwicklungen in Europa und im Commonwealth drohte die ökonomische Schnittmenge der drei Kreise immer kleiner zu werden. Die Wirtschaftsministerien sahen ihren ohnehin im Vergleich mit der Zwischenkriegszeit bereits äußerst limitierten außenwirtschaftspolitischen Handlungsspielraum noch mehr eingeschränkt. Die Suche nach einem Ausweg aus dem europäischen Dilemma erwies sich für Schatzamt und Außenhandelsministerium erwartungsgemäß als viel schwieriger, als die Assoziierungsrhetorik des Außenministeriums 1955 suggeriert hatte.20 Dessen Ideen orientierten sich an den 15 T 234/101 (29. Mai 1956). 16 T 234/101 (25. April 1956). 17 Vergl. hierzu u.a. das Sitzungsprotokoll des Consultative Committee for Industry: BT 11/5616/48. Sitzung (29. April 1957). 18 Figgures an Clarke: T 234/701 (13. Februar 1956). 19 Vergl. BT 11/5715 (16. Mai 1956). 20 Vergl. noch Edden an Trend: T 234/700 (19. Oktober 1955).

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Erfahrungen mit der EGKS. Einem ähnlichen Konsultativvertrag mit der späteren EWG hätte jedoch jede ökonomische Substanz gefehlt. Die von dem Ausschluß Großbritanniens von der jetzt geplanten horizontalen Integration ausgehenden wirtschaftlichen Gefahren waren unvergleichbar größer als im Montanbereich, in dem 1950 die britische Produktion immerhin noch etwa doppelt so hoch gewesen war wie die aller EGKS-Staaten zusammengenommen und in dem zu der Zeit die eigene Wettbewerbsfähigkeit mittelfristig gesichert erschien. Die Wirtschaftsministerien brauchten ein außenwirtschaftspolitisch überzeugendes Konzept, das die mit der Gründung einer westeuropäischen Zollunion verbundenen Gefahren abwenden half, aber außerdem auch noch gleichermaßen geeignet sein sollte als Ersatzprojekt, sofern die Messina-Initiative scheiterte, oder als handelspolitisches Dach, falls sie wider Erwarten erfolgreich wäre. Darüber hinaus sollte die Gegeninitiative auch noch das System der drei Kreise intakt lassen. Von dem Beitritt zu einem Gemeinsamen Markt der Sechs hatte die britische Regierung 1955 gerade eine unerwünschte Europäisierung der britischen Außenbeziehungen befürchtet. Das geplante Projekt sollte dagegen die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu den Commonwealth-Staaten und zu den Vereinigten Staaten so wenig wie möglich berühren. 21 Die Beamten der Wirtschaftsministerien kamen früh zu dem Schluß, daß nur eine Initiative im Zollsektor diese eng gefaßten Kriterien würde erfüllen können.22 Am limitiertesten wäre die Errichtung einer Freihandelszone im Montanbereich gewesen, die anfangs von der Clarke-Arbeitsgruppe erwogen wurde und zunächst unter der Bezeichnung „Plan D" firmierte.23 Allerdings kam ein solches Projekt allenfalls für den Fall eines Scheiterns der Brüsseler Verhandlungen in Frage. Als Ergänzung zu einer westeuropäischen Zollunion wäre es dagegen völlig ungeeignet gewesen. Da die Idee außerdem für die Kontinentaleuropäer weder ökonomisch noch politisch attraktiv genug gewesen wäre, wurde sie von den Wirtschaftsministerien nicht ernsthaft erwogen. Als weitere Option hatte das Außenhandelsministerium sogar noch vor der abschließenden Sitzung des Economic Policy Committee im November 1955 Zollsenkungen für hauptsächlich innereuropäisch gehandelte Waren ins Gespräch gebracht. 24 Bei diesem Plan für eine europäische Warenliste legten die OEEC-Staaten Gruppen von Waren fest, die zu einem bestimmten Prozentsatz - gedacht war hier an 80 Prozent - nur zwischen ihnen gehandelt wurden, bei denen also ein vergleichsweise geringes Handelsinteresse von außereuropäischen Drittstaaten vorhanden war.25 Für diese Warengruppen wurden dann die Zölle zwischen den OEEC-Staaten um einen festen Satz, beispielsweise 25 Prozent, gesenkt.26 Ein solches Programm für OEEC-weite Zollsenkungen erschien jedoch allein deshalb problematisch, weil es mit zahlreichen zolltechnischen Problemen verbunden war, hinter denen sich handfeste politische Interessen verbargen. So richtete sich die jeweilige Gewinn- und Verlustrechnung für die beteiligten OEEC-Staaten nach der genauen Definition einzelner Warengruppen, weshalb mit langwierigen Verhandlungen gerechnet werden mußte. Außerdem war der sogenannte European Commodities Plan ohne automatische Ausdehnung 21 Siehe zu dieser zentralen Forderung die Grundsatzbesprechung im Schatzamt: T 234/183 (21. Februar 1956). 22 Ebd. 23 Vergl. den Entwurf für den Abschlußbericht der Arbeitsgruppe: FO 371/122024/70 (Anfang April 1956). 24 BT 11/5367 (9. November 1955). 25 Vergl. zu dieser Option Brethertons Denkschrift: BT 11/5367 (26. November 1955). 26 Siehe hierzu Clarkes Denkschrift: T 234/701 (11. Februar 1956).

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der Zollsenkungen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung nicht mit dem Regelwerk des GATT vereinbar, so daß für eine Sondergenehmigung die politische Unterstützung der Vereinigten Staaten unverzichtbar gewesen wäre. Damit war jedoch kaum zu rechnen, weil sich die amerikanische Regierung als Gralshüter des durch das GATT verkörperten Multilateralismus betrachtete und allenfalls dort zu Konzessionen bereit war, wo sie einen Impetus für die politische Integration Westeuropas erwartete, wie beispielsweise bei den Vorkehrungen für die Landwirtschaft innerhalb der späteren EWG. Da die britische Regierung jedoch mit ihrer geplanten Gegeninitiative Integrationsfortschritte gerade verhindern wollte, erschien der Plan für eine europäische Warenliste schon von daher unrealistisch. Hinzu kam, daß ein solcher Plan zwar den wirtschaftlichen Interessen der westeuropäischen Niedrigzollstaaten entgegengekommen wäre, also innerhalb der Sechs den BeneluxStaaten, ihm jedoch die politische Substanz fehlte, auf die es den EGKS-Staaten gerade ankam. Da die britische Regierung schließlich seit zwei Jahren innerhalb der OEEC jeden Versuch der Niedrigzollstaaten, über genau solche Warenlisten zu verhandeln, unter Hinweis auf die Zuständigkeit des GATT erfolgreich im Keim erstickt hatte, mußte eine abrupte Bekehrung der Londoner Regierung unausweichlich entweder als politische Kapitulation vor der Messina-Initiative oder als erneuter Versuch ihrer Blockierung erscheinen.27 Auch deshalb wurde der Plan für eine europäische Warenliste von den Wirtschaftsministerien frühzeitig verworfen, obwohl er später noch als „Plan C" in den Kabinettsvorlagen auftauchte.28 Von den beiden weitreichenderen Vorschlägen für eine Gegeninitiative, die innerhalb der Clarke-Arbeitsgruppe diskutiert wurden, neigte das Schatzamt anfangs eindeutig zu dem Plan für eine gemeinsame Präferenzzone zwischen Westeuropa und dem Commonwealth. Der einflußreiche Otto Clarke wollte Westeuropa zwar aufgewertet sehen, aber damit durfte nach seiner Auffassung auf gar keinen Fall eine Abwertung des Commonwealth verbunden sein.29 Möglicherweise lag der Ausweg aus diesem Dilemma in der außenwirtschaftlichen Verschmelzung der beiden Kreise durch eine komplette Neuverhandlung des gesamten existierenden Präferenzsystems unter Einbeziehung der meisten OEEC-Staaten. Dieses Konzept erschien noch am ehesten vereinbar mit dem im Schatzamt nach wie vor tief verwurzelten außenwirtschaftspolitischen Weltmachtdenken. Um eine neue Idee handelte es sich allerdings keineswegs. Eine wirtschaftliche Verbindung des anfangs daniederliegenden Westeuropa mit dem Commonwealth war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschiedentlich erwogen worden. Das Projekt eines einheitlichen Präferenzsystems, welches das Schatzamt 1956 in den Beratungen der Clarke-Arbeitsgruppe propagierte, ähnelte in vielem einem früheren Vorschlag des Unterhausabgeordneten Robert Boothby für eine Wirtschaftseinheit Westeuropas mit dem Commonwealth, den dieser 1951 in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vorgelegt hatte. Bis November 1952 hatte sich daraus der nicht weiterverfolgte, sogenannte Straßburg-Plan entwickelt, den das Schatzamt mit seinem Konzept nun wieder aufgriff.30

27 Zu diesem Schluß kamen auch die Beamten von Schatzamt und Außenhandelsministerium in der dritten Sitzung der Clarke-Arbeitsgruppe: T 234/100 (13. März 1956). 28 Vergl. etwa den Zwischenbericht des Unterausschusses des Economic Steering Committee: CAB 129/82/191 (27. Juli 1956). 29 Clarke an Figgures: T 234/701 (13. Februar 1956). 30 Für dieses „European-Commonwealth Preference System" siehe bereits die erste Denkschrift des Schatzamtes hierzu: T 230/395 (November 1955).

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Eine Verwirklichung dieser Pläne erschien jedoch von Anfang an so gut wie ausgeschlossen. Ein solches Präferenzsystem konnte unmöglich die Hoffnungen in den EGKS-Staaten auf einen engeren politischen Zusammenschluß in Westeuropa erfüllen. Davon abgesehen, war es nicht nur schwierig auszuhandeln, sondern auch völlig unvereinbar mit dem GATT.31 Was im wesentlichen auf eine Ausweitung der bestehenden Präferenzen hinauslaufen sollte, war ein rotes Tuch für die amerikanische Regierung, die der fortgesetzten Existenz der Commonwealth-Präferenzen bei der Gründung des GATT überhaupt nur unter der Bedingung zugestimmt hatte, daß diese auf gar keinen Fall ausgedehnt werden durften. Ohne die Kooperation der Vereinigten Staaten war jedoch jedes Konzept von vornherein zum Scheitern verurteilt.32 Hinzu kam, daß die Wirtschaftsinteressen der Commonwealth-Staaten längst so sehr divergierten, daß deren Zustimmung zu einem solchen Schema mehr als fraglich gewesen wäre. Australien orientierte sich immer mehr auf den pazifischen Wirtschaftsraum hin, während Kanada seine nordamerikanischen Handelsinteressen wahren mußte und überdies als eiserner Verfechter des GATT-Multilateralismus galt. Schließlich war auch noch ungewiß, inwieweit Großbritannien überhaupt von einem solchen außenwirtschaftspolitischen Spagat der Regierung profitieren konnte. Britische Unternehmen erwarben lediglich im westeuropäischen Markt Handelsvorteile gegenüber Drittstaaten, also vor allem den USA, verloren andererseits jedoch ihren Zollvorteil im Commonwealth gegenüber der europäischen Konkurrenz. Dagegen wurden die zusätzlichen wirtschaftlichen Chancen für die Europäer und das Commonwealth als viel besser eingeschätzt. Der wirtschaftliche Preis für die Erhaltung einer politisch motivierten Rolle als Scharnier zwischen beiden Kreisen, Europa und dem Commonwealth, drohte damit unbezahlbar zu werden.33 Von den mannigfaltigen technischen und politischen Problemen abgesehen, traf der Vorschlag für eine gemeinsame Präferenzzone in den interministeriellen Beratungen beim Außenhandelsministerium auch aus dogmatischen Gründen auf keine Gegenliebe.34 Dessen Beamte wollten gerade aus der Präferenzfalle entkommen. Die einseitige Orientierung des britischen Außenhandels auf das Commonwealth und Empire sollte aufgegeben und die britische Außenwirtschaftspolitik den veränderten internationalen Bedingungen angepaßt werden. Die Gegeninitiative in Europa mußte dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Selbst gegen den energischen Widerstand des Außenhandelsministeriums und obwohl er in der Clarke-Arbeitsgruppe im Grunde längst verworfen worden war, hielten einige Beamte des Schatzamtes, allen voran Otto Clarke, an ihrem Vorschlag noch länger fest, weil er ihnen in jedem Fall als der politisch ideale Ausweg aus dem europäischen Dilemma erschien.35 Jedoch erhielten sie für ihr Konzept selbst von ihrem eigenen Minister keine Unterstützung. Als die Pläne für eine Gegeninitiative Ende Mai 1956 erstmals auf Ministerebene diskutiert wurden, verwarf Macmillan die Idee einer gemeinsamen Präferenzzone als antiquiert und unrealistisch.36 Damit schied noch vor einer ausführlichen Diskussion im Kabinett auch das eine von 31 Vergl. hierzu bereits Clarkes eigene Denkschrift: T 234/701 (11. Februar 1956). 32 Obgleich zögerlich, akzeptierten dies die Beamten der Wirtschaftsministerien von Anfang an. Vergl. etwa die dritte Sitzung der Clarke-Arbeitsgruppe: T 234/100 (13. März 1956). 33 T 234/183 (21. Februar 1956). 34 Siehe hierzu auch Brethertons Rückblick: BT 11/5852 (Juni 1961). 35 Vergl. hierzu die Korrespondenz zwischen Außenhandelsministerium und Schatzamt im Mai 1956: Figgures an Clarke: T 234/101 (2. Mai 1956); Cohen an Clarke und France: Ebd. (8. Mai 1956). 36 T 234/101 (31. Mai 1956).

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zwei weitreichenderen Projekten aus. Drei Monate lang waren die Beamten der Wirtschaftsministerien in der Clarke-Arbeitsgruppe nach dem Ausschlußprinzip vorgegangen. Sie hatten eine Idee nach der anderen verworfen, weil sie entweder unattraktiv für die EGKS-Staaten oder außenpolitisch nicht durchsetzbar war, oder beides zugleich. Übrig blieb lediglich der spätere „Plan G" für eine industrielle Freihandelszone (FHZ) in Westeuropa, der aus dem Außenhandelsministerium stammte. 1955 hatte es den Anschein gehabt, als sei die Nichtteilnahme an dem Messina-Projekt die einzige politisch offene Option. 1956 galt dasselbe für den FHZ-Vorschlag, wenn Großbritannien die Gefahren eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt der Sechs noch abwenden wollte. Bereits Mitte Mai stellte der Präsident des Außenhandelsministeriums, Thorneycroft, in einer Besprechung mit leitenden Beamten seines Ministeriums kategorisch fest, die industrielle FHZ sei die „unumgängliche" Lösung.37

2. Ohne Alternative: „Plan G" Weil damit für sie weniger Gefahren verbunden zu sein schienen, hatte die britische Regierung bereits 1955 im Spaak-Ausschuß über ihren Vertreter Bretherton versucht, die EGKS-Staaten von den Vorzügen einer Freihandelszone anstelle einer Zollunion zu überzeugen. Diese Option war in Brüssel kurzzeitig auch erwogen, aber schnell wieder verworfen wurden. Mit der Errichtung einer Freihandelszone waren zahlreiche technische Probleme verbunden, aber vor allem versprach der dabei erreichbare Grad an Institutionalisierung keinen nennenswerten Beitrag zur Steigerung des politischen Zusammenhalts zwischen den Mitgliedern. Eine Assoziierung Großbritanniens oder anderer Staaten mit der geplanten Zollunion durch eine größere Freihandelszone war 1955 weder in den Brüsseler Vorgesprächen noch in der Regierung in London diskutiert worden. Allerdings erinnerte sich Bretherton später, daß in der belgischen Delegation zu der Zeit über die entfernte Möglichkeit eines Freihandelsabkommens zwischen den Sechs und Großbritannien nachgedacht wurde.38 Jedenfalls wurde der britische Vertreter im Spaak-Ausschuß mit dieser Idee, die zumindest Ähnlichkeit mit dem späteren „Plan G" aufwies, erstmals in Brüssel in einem Gespräch mit einem belgischen Beamten konfrontiert.39 Als Bretherton dann im Oktober 1955 in einer internen Denkschrift des Außenhandelsministeriums die Entwicklung eines Alternativprojekts zur Zollunion anstelle der OEECStrategie forderte, wurde erstmals innerhalb der Regierungsverwaltung die Möglichkeit der Gründung einer westeuropäischen Freihandelszone unter Einschluß Großbritanniens erwähnt.40 Es dauerte dann allerdings noch weitere drei Monate, bis Bretherton sein Konzept in einer eigenen Denkschrift konkretisierte, die er zuerst innerhalb des Außenhandelsministeriums zirkulieren ließ und dann an den Under-Secretary im Schatzamt, Figgures, weiterleitete.41 Am 10. März 1956 legte Bretherton schließlich den Plan als persönlichen, noch nicht offiziell vom Außenhandelsministerium unterstützten Vorschlag auch der ClarkeArbeitsgruppe vor. An der Genese von „Plan G" innerhalb der Regierungsverwaltung war 37 38 39 40 41

BT 11/5715 (10. Mai 1956). Bretherton an Figgures: T 234/701 (27. Januar 1956). BT 11/5852 (Juni 1961). BT 11/5715 (22. Oktober 1955). Bretherton an Figgures: T 234/701 (27. Januar 1956).

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Bretherton insofern federführend beteiligt, der 1955 die britische Regierung in den Brüsseler Vorgesprächen vertreten hatte und von daher innerhalb von Whitehall noch am besten mit dem gesamten Themenkomplex vertraut war. Dennoch wäre es verfehlt, die Entstehungsgeschichte des FHZ-Vorschlags zu individualistisch zu deuten. Die Besprechungen der Clarke-Arbeitsgruppe waren zwar geheim, und bis zum Herbst gab es auch keine systematische Konsultation über die geplante Gegeninitiative außerhalb der Regierungsverwaltung, vor allem mit den Wirtschaftsverbänden, aber die Beamten arbeiteten deswegen keineswegs in einem politischen Vakuum. Vielmehr setzte sich Brethertons Initiative in der Regierung durch, weil eine solche Innovation in der britischen Außenwirtschaftspolitik, die noch nicht die etablierten außenpolitischen Prioritäten in Frage stellte, auf fruchtbaren Boden fiel. Der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung fand nämlich 1956 in einem gewandelten Kontext statt. Die Suche des Außenhandelsministeriums nach einem zukunftsorientierten und langfristig tragfähigen Konzept, mit dem die wirtschaftlichen Gefahren eines Ausschlusses Großbritanniens von einer westeuropäischen Zollunion abgewendet werden sollten, wurde durch die allmähliche Distanzierung der Konservativen von ihrem früheren Selbstverständnis als Empire-Partei sehr erleichtert. Modifikationen an dem Commonwealth-Präferenzsystem, die in begrenztem Umfang auch mit dem FHZ-Vorschlag verbunden sein würden, galten nicht mehr unbedingt als Häresie, seit 1954 auf dem Parteitag ein Antrag abgelehnt worden war, der die Ausdehnung der geschrumpften Commonwealth-Präferenzen gefordert hatte. Dieser Entscheidung kam damals große symbolische Bedeutung zu, wie sich Thorneycroft später erinnert hat, der gegen den Antrag gesprochen und das Freihandelsprinzip verteidigt hatte: „It was the end really, emotionally, of the old concept of Imperial Preference inside the Conservative Party."42 Tabus konnten so, begünstigt von diesem Wandel im politischen Umfeld, von der Regierungsverwaltung eher gebrochen werden. Hinzu kam, daß es zwar 1956 keine breite öffentliche Diskussion über die britische Europapolitik gab, einzelne Persönlichkeiten außerhalb von Whitehall jedoch dennoch an dem Thema interessiert waren und teilweise ähnliche Konzepte befürworteten wie Brethertons FHZ-Vorschlag. Ein beinahe identisches Konzept empfahl zum Beispiel der frühere Leiter der Economic Section, James Meade, Ende Januar 1956 in einem Brief an das Schatzamt, der unter anderem auch an Bretherton weitergeleitetet wurde. 43 Der Professor für Wirtschaftswissenschaften an der London School of Economics wiederholte seinen Vorschlag kurze Zeit später auch öffentlich in einem Zeitungsartikel.44 Für die Errichtung einer Freihandelszone sprach sich in einem Schreiben an Macmillan auch der Oxforder Wirtschaftswissenschaftler Roy Harrod aus.45 Dessen Konzept sah sogar bereits eine teilweise Zollharmonisierung vor, die sich in den späteren FHZVerhandlungen mehr noch aus politischen als aus handelstechnischen Gründen als unausweichlich erweisen sollte. Diese beiden Ratschläge und vergleichbare Empfehlungen für eine enge wirtschaftliche Verbindung Großbritanniens mit der geplanten Zollunion können die Beamten der Wirtschaftsministerien nur bestärkt haben, als sie im Frühjahr 1956 Brethertons Vorschlag für eine Gegeninitiative zu einer Kabinettsvorlage weiterentwickelten.

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Siehe Charlton, „Messina! Messina!", S. 10. Meade an Figgures: T 234/701 (24. Januar 1956). Manchester Guardian (15. Februar 1956). T 234/701 (15. März 1956).

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Um im Gegensatz zum Beitritt zu einer Zollunion politisch akzeptabel zu sein, mußte diese Gegeninitiative nach Brethertons Auffassung wenigstens drei Kriterien erfüllen: Erstens war die Außenhandelsautonomie zu wahren, zweitens sollte das Präferenzsystem im wesentlichen intakt bleiben, und drittens galt es, die Gefahr abzuwenden, ungewollt in eine supranational organisierte politische Integration hineingezogen zu werden. Eine partielle Freihandelszone schien alle diese Anforderungen in idealer Weise zu erfüllen.46 Während mit der von den EGKS-Staaten geplanten westeuropäischen Zollunion eine Vergemeinschaftung der Außenhandelspolitik verbunden war, also nicht nur die Binnenzölle wegfielen, sondern schrittweise gemeinsame Außenzölle eingeführt wurden, behielten die Mitglieder einer Freihandelszone das Recht, ihre nationalen Außenzölle selbst festzulegen. Dem Außenhandelsministerium ging es dabei weniger darum, den drohenden Souveränitätsverlust zu vermeiden, als die internationale Verhandlungsposition zu sichern. Beim Beitritt zu einer Zollunion wären gleichzeitig Präferenzen im Commonwealth entfallen und die im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohen nationalen Außenzölle gesenkt worden, ohne daß dies notwendigerweise mit kompensatorischen Zugeständnissen von Drittstaaten, vor allem den USA, verbunden gewesen wäre. Mit einer Freihandelszone waren solche Gefahren hingegen nicht verbunden. Die Errichtung einer westeuropäischen Freihandelszone führte auch nicht wie die Zollunion zur Einführung von „negativen Präferenzen" gegenüber Produkten aus dem Commonwealth im Vergleich mit solchen aus Westeuropa. Allerdings kam eine globale Freihandelszone, die alle Produktgruppen einschloß, auch nicht in Frage, weil darin alle Importe aus Westeuropa zollfrei waren, wodurch überhaupt keine Vorzugsbehandlung des Commonwealth mehr möglich gewesen wäre. Diese erschien jedoch unverzichtbar für die Aufrechterhaltung der Vorzugsbehandlung für die britischen Commonwealth-Exporte sowie für die Förderung des politischen Zusammenhalts der Staatengruppe. Deshalb schlug Bretherton bereits in seiner ersten Denkschrift lediglich eine partielle Freihandelszone vor.47 Zunächst schwebte Bretherton eine Lösung analog zum Plan für eine europäische Warenliste vor.48 Dabei sollten gewisse Produktgruppen ausgenommen werden, bei denen der Anteil des Commonwealth am britischen Außenhandel einen bestimmten Prozentsatz überstieg, zum Beispiel 20 Prozent. In den anderen Bereichen wurden jedoch die intra-europäischen Zölle nicht nur gesenkt, sondern schrittweise abgeschafft. Allerdings stellte sich hier wieder das leidige Problem der Produktdefinition. Beispielsweise kamen etwa 80 Prozent des importierten Käses, aber nur vier Prozent des Schmelzkäses aus Commonwealth-Staaten. 49 Außerdem erschien den Beamten in der Clarke-Arbeitsgruppe dieses Konzept auch nicht umfassend genug, weil eine solche Freihandelszone lediglich die Hälfte des Handels mit Westeuropa abgedeckt hätte und damit nur etwa zehn Prozent des gesamten britischen Außenhandels.50

46 BT 11/5852 (Juni 1961). Rückblickend hat der damalige Adviser on Commercial Policy im Außenhandelsministerium, Cyril Sanders, „Plan G" deshalb auch als die zu der Zeit naheliegende, „natürliche Entwicklung" bezeichnet: Cyril Sanders Interview (14. Juni 1993). 47 Bretherton an Figgures: T 234/701 (27. Januar 1956). 48 Vergl. zu dieser Option Brethertons Denkschrift für die Clarke-Arbeitsgruppe: T 234/101 (4. April 1956). 49 Ebd. 50 Vergl. hierzu auch die Diskussion in der 6. Sitzung der Clarke-Arbeitsgruppe: T 234/101 (6. April 1956).

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Stattdessen propagierten die Wirtschaftsministerien bald den Ausschluß landwirtschaftlicher Produkte, was auch industriell verarbeitete Agrarprodukte, wie zum Beispiel Gefrierfisch, einschließen sollte, um Definitionsproblemen aus dem Weg zu gehen.51 Auf diese Weise konnte der weitgehend zollfreie Import von etwa 50 Prozent aller Produkte aus dem Commonwealth erhalten bleiben, ohne daß diese auf erhöhte Konkurrenz aus Europa stießen. Da weitere vierzig Prozent der Commonwealth-Exporte nach Großbritannien Rohstoffe waren, die größtenteils ohnehin nicht aus Europa importiert werden konnten, mußten die Partner im Commonwealth durch die Errichtung einer solchen partiellen Freihandelszone nur mit Verlusten bei den verbleibenden industriellen Exporten rechnen. Auf diese Weise konnte Großbritannien auch den größten Teil seiner eigenen Präferenzen im Commonwealth behalten. Von daher erschien diese Form einer partiellen Freihandelszone ausgezeichnet als handelspolitische Klammer zwischen Europa und dem Commonwealth geeignet zu sein. Durch den europäischen Binnenmarkt ohne Zollschranken wurden der Anschluß an das Zollunionsprojekt gesichert und zusätzliche Exportchancen für die britische Industrie geschaffen, während durch die Beibehaltung nationaler Außenzölle und durch den Ausschluß der Landwirtschaft vom Freihandel die Wahrung der außereuropäischen Handelsinteressen und Wettbewerbsvorteile Großbritanniens garantiert werden konnte. Auf die britische Industrie kam ein schwieriger Anpassungsprozeß zu, während sie sich auf den schärferen Wettbewerb im britischen Markt und in Westeuropa einstellte. Die Economic Section des Schatzamtes rechnete in ihrer Analyse, die im wesentlichen derjenigen von 1955 glich, dennoch damit, daß die Freihandelszone unter dem Strich mehr Gewinne als Verluste für die britische Industrie versprach, wenngleich die Bilanz von Branche zu Branche sehr unterschiedlich ausfallen würde.52 Bei der Gegeninitiative 1956 ging es jedoch in erster Linie darum, die Gefahren des Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt der Sechs abzuwenden, weshalb sich Schatzamt und Außenhandelsministerium gar nicht erst um eine branchenspezifische Analyse der zu erwartenden Auswirkungen auf den britischen Außenhandel bemühten. Von den ökonomischen Vorzügen abgesehen, sahen die Wirtschaftsministerien bei der Teilnahme an einer Freihandelszone, der möglichst auch Österreich und die Schweiz sowie die skandinavischen Staaten Dänemark, Schweden und Norwegen angehören sollten, 53 schließlich auch nicht die Gefahr, daß die Wirtschaftskooperation in supranationale politische Integration umschlagen könnte. Die Beamten im Unterausschuß des Economic Steering Committee, die Mitte 1956 einen Zwischenbericht für das Kabinett ausarbeiteten, planten für die FHZ den niedrigsten möglichen Institutionalisierungsgrad. Der Vertrag sollte die Zusammenarbeit in Fragen, die über die Administration des Freihandelsabkommens hinausgingen, so eng wie möglich begrenzen. Organisatorisch sollte die FHZ in die bestehenden OEEC-Strukturen eingebaut werden und jedes Mitglied in dem als höchstes Entscheidungsgremium vorgesehenen Verwaltungsrat über ein Vetorecht verfügen. 54 Damit die Rechtsklarheit gesichert war, wollten die Beamten schließlich für diejenigen Fälle den rechtlichen

51 Vergl. zu den Details dieser Option den Zwischenbericht des Kabinettsunterausschusses: CAB 129/82/191 (27. Juli 1956). 52 Denkschrift der Economic Section: CAB 134/1239/7 (7. August 1956). 53 Bretherton hatte offenbar zunächst lediglich an eine Freihandelszone zwischen Großbritannien und den Sechs gedacht. Siehe hierzu Figgures an Bretherton: T 234/701 (31. Januar 1956). 54 CAB 129/82/191 (27. Juli 1956).

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Vorrang des FHZ-Vertrags verankert sehen, wo abweichende Regelungen der Zollunion der EGKS-Staaten damit in Konflikt gerieten.55 Das Einstimmigkeitsprinzip gab die Regierung allerdings noch auf, bevor die FHZVerhandlungen im Oktober 1957 begannen. Den Beamten war nämlich bald klar geworden, daß mit dem Vetorecht nicht nur eine unerwünschte politische Fortentwicklung der Freihandelszone verhindert werden konnte, sondern auch die strikte Anwendung des ökonomischen Regelwerks. Die französische Regierung wurde besonders verdächtigt, notwendige vertragliche Bestimmungen vor allem über den Einsatz mengenmäßiger Beschränkungen zum Schutz der heimischen Wirtschaft systematisch unterlaufen zu wollen. Deshalb stellten die Beamten in Whitehall noch 1956 fest, daß Mehrheitsabstimmungen in vertraglich exakt definierten Bereichen sogar im britischen Interesse lagen.56 Selbst mit dieser pragmatischen Modifikation entsprach das Konzept der Wirtschaftsministerien für die organisatorische Ausgestaltung des FHZ-Vorschlags dem traditionellen Dogma, daß Großbritannien sich nur an einer limitierten und strikt zwischenstaatlichen Kooperation in Europa beteiligen konnte. Mit der so wenig wie möglich formalisierten Marktintegration war die Freihandelszone ganz genau auf Großbritanniens wirtschaftliche und politische Interessen zugeschnitten, wie sie in der Entwicklungsphase von „Plan G" in der Clarke-Arbeitsgruppe von den Beamten des Außenhandelsministeriums und zunehmend auch im Schatzamt wahrgenommen wurden, nachdem alle anderen Optionen ausgeschlossen worden waren.57 Die ökonomischen Interessen und politischen Hoffnungen der Partner in Europa, die noch für den FHZ-Vorschlag gewonnen werden mußten, bedachten die Beamten dagegen nicht. Die Freihandelszone war insofern nie ein Konzept für Europa, sondern für Großbritannien. Das konzedierte später auch Bretherton, der geistige Vater der Idee innerhalb der Regierung: „(The FTA concept) was essentially a .trade' approach, heavily coloured by G.A.T.T. thinking, and deliberately avoiding the implication both for wider economic Integration and for political relationships between the members." 58 Grundlegende Modifikationen an diesem Konzept wurden nicht erwogen, sondern allenfalls einzelne ökonomische Zugeständnisse an die Verhandlungspartner, mit deren Notwendigkeit die Beamten noch am ehesten im landwirtschaftlichen Sektor rechneten.59 Da die führenden Exporteure von Industriegütern, also neben Großbritannien vor allem die Bundesrepublik, disproportional von der geplanten partiellen Freihandelszone profitieren würden, mußten andere Mitgliedstaaten mit größeren landwirtschaftlichen Interessen Kompensationen erhalten.60 Dafür schien zunächst eine Kombination limitierter bilateraler Konzessionen auszureichen, etwa beim Import von Fisch aus Norwegen oder Schinken aus Dänemark. 61 Erst in der Vorbereitung auf die FHZ-Verhandlungen entwickelte die 55 CAB 134/1240/87 (20. November 1956). 56 CAB 134/1240/64 (25. Oktober 1956). 57 Siehe zu dem sich dahinter verbergenden Verständnis der Wechselbeziehung von Markt und Staat in einer vergleichenden Perspektive Clemens Wurm: Die Integrationspolitik Frankreichs und Großbritanniens seit 1945 im Vergleich, in: Heinrich August Winkler und Hartmut Kaelble (Hrsg.): Nationalismus - Nationalitäten - Supranationalität, Stuttgart 1993, S.334-357 (346). 58 BT 11/5852 (Juni 1961). 59 So bereits in der 6. Sitzung der Clarke-Arbeitsgruppe: T 234/101 (6. April 1956). 60 Vergl. hierzu den Zwischenbericht des Unterausschusses des Economic Steering Committee: CAB 129/82/14 Final (27. Juli 1956). 61 Siehe CAB 134/1239/13 (16. August 1956).

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Regierungsverwaltung den Plan für ein Landwirtschaftsstatut, das den europäischen Agrarexporteuren wenigstens garantieren sollte, daß ihre Exporte nach Großbritannien mindestens auf demselben Niveau blieben wie Mitte der fünfziger Jahre und nicht infolge steigender Importe aus dem Commonwealth oder einer höheren Produktion der heimischen Landwirtschaft reduziert werden durften.62 Über Art und Umfang der notwendigen Zugeständnisse waren die Beamten jedoch uneins. Als die Ministerien für Landwirtschaft, Commonwealth-Beziehungen und Kolonien eingeschaltet wurden, senkte das drastisch die politische Toleranzgrenze für kompensatorische Konzessionen, die unausweichlich auf Kosten der jeweiligen Klientel, also der Commonwealth-Produzenten oder der noch im Aufbau befindlichen heimischen Landwirtschaft, gehen mußten. Landwirtschaftsminister Derek Heathcoat-Amory meinte gegenüber seinen Ministerkollegen ironisch, die Briten müßten wohl, um die Freihandelszone aushandeln zu können, entweder mehr essen oder weniger anbauen.63 Dem ersteren standen Naturgesetze entgegen, dem letzteren der politische Überlebensreflex der Konservativen Partei. Doch mangelte es nicht an Warnungen, daß umfangreichere Konzessionen notwendig werden würden, weshalb der Verhandlungsspielraum auf keinen Fall so früh so sehr eingeschränkt werden durfte. Daß der Erfolg des FHZ-Projekts wenigstens gleichermaßen von dessen ökonomischer Substanz wie von der Form der diplomatischen Präsentation abhing, wurde von den Beamten der Wirtschaftsministerien durchaus erkannt. Sie plädierten deshalb dafür, ein Angebot der britischen Regierung für den Landwirtschaftssektor bereits in die erste, öffentlich präsentierte Fassung zu integrieren. Die in den Wirtschaftsministerien weit verbreitete Meinung kam später auch in einer Grundsatzdiskussion in dem dann zuständigen Kabinettsunterausschuß zum Ausdruck, es sei nicht sinnvoll, den Ausschluß der Landwirtschaft vorzuschlagen, wenn das wichtigste Ziel der Initiative darin bestehen sollte, eine führende politische Rolle in Europa zu sichern.64 Der landwirtschaftliche Sektor erwies sich jedoch in den OEEC-Verhandlungen lediglich als einer von zahlreichen neuralgischen Punkten. Andere, oberflächlich technische, aber tatsächlich hochpolitische Probleme, wegen derer die Errichtung einer Freihandelszone in Europa mit „nahezu unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten" verbunden wäre, nannte der Spaak-Bericht, der am 21. April 1956 veröffentlicht wurde.65 Darin wurde u.a. bereits das Ursprungsproblem angeführt, daß variierende nationale Außenzölle zu Handelsumlenkungen führen konnten.66 In den Verhandlungen veranlaßte dies später Forderungen vor allem von französischer Seite nach weitreichender Zollharmonisierung, hinter denen sich jedoch hauptsächlich der fehlende politische Wille der Pariser Regierung zur Errichtung einer Freihandelszone und die damit verbundene Intention verbargen, die OEEC-Verhandlungen zu verzögern oder sogar zu boykottieren. Um nicht auch die letzte Hoffnung auf einen erfolgreichen Vertragsabschluß aufgeben zu müssen, sah sich die britische Regierung zwei Jahre nach der Ausarbeitung des FHZ-Vorschlags in den Verhandlungen sogar genötigt, die 62 Für die Entstehung dieses Plans siehe CAB 129/88/188 (24. August 1957); CAB 128/31,11/62. Sitzung (27. August 1957); CAB 129/89/219 (4. Oktober 1957). 63 T 234/101 (31. Mai 1956). 64 Vergl. hierzu die ausführliche Diskussion in dem Unterausschuß des Economic Steering Committee: T 234/195 (25. Juli 1956). 65 Für die deutsche Fassung siehe von Siegler, S. 102. 66 Vergl. die zeitgenössische Studie von Hans Bachmann: Die Verhinderung von Handelsumlenkungen in einer Freihandelszone, in: Aussenwirtschaft 13/1-2 (1958), S.l-23.

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Errichtung einer de facto-Zollunion in einzelnen Wirtschaftssektoren zu erwägen. 67 Diese und zahlreiche andere Entwicklungen wurden von den Beamten 1956 während der Entwicklungsphase des FHZ-Konzepts in den interministeriellen Diskussionen nicht antizipiert. Zu ihrer Lektüre zählten die Publikationen des Beaverbrookschen Presseimperiums und nicht der Spaak-Bericht, selbst nachdem er ins Englische übersetzt worden war. Worauf es vor allem anzukommen schien, war die Zustimmung zuerst des Kabinetts und dann der Konservativen Partei, der diejenige der Kontinentaleuropäer schon folgen würde. Nicht nur die von denen der Briten abweichenden wirtschaftlichen Interessen einzelner potentieller Partner, vor allem Frankreichs, blieben in dem ursprünglichen FHZ-Konzept unberücksichtigt, sondern vor allem auch die in London noch immer bestenfalls ansatzweise verstandenen Hoffnungen der Sechs auf eine weitaus engere politische Kooperation oder Integration. Dafür fühlten sich die Wirtschaftsministerien nicht zuständig, und der Beitrag des Außenministeriums zur Clarke-Arbeitsgruppe ging kaum über die physische Anwesenheit seiner Vertreter hinaus. Schließlich sollte die Freihandelszone auch gar nicht mit einer substantiellen politischen Selbstverpflichtung zu einer neuen Rolle in Europa verknüpft sein. Was im Außenministerium erwogen wurde, durfte gar nicht mehr sein als schmückendes Beiwerk an einer außenwirtschaftlichen Konstruktion. Auch Macmillan sah das keineswegs anders: Ein volles Jahr nach der Ausarbeitung des ursprünglichen Konzepts durch die Wirtschaftsministerien begriff der neue Premierminister, daß die Freihandelszone möglicherweise wegen ihrer ökonomischen Vorzüge allein niemals auszuhandeln war. Das Außenministerium beauftragte er jedoch daraufhin lediglich, über eine angemessene „politische Geste" für eine engere Assoziierung mit Europa nachzudenken. 68 Die Freihandelszone war also ein handelspolitisches Konzept und wurde als solches auch im Kabinett präsentiert. 69 Dennoch verbargen sich dahinter bei den beiden führenden Protagonisten innerhalb der Regierung, Macmillan und Thorneycroft, sehr unterschiedliche Motive. Während Macmillans Kalkül politisch war, ging es dem Präsidenten des Außenhandelsministeriums darum, ein kohärentes, langfristig tragfähiges Konzept für die britische Außenwirtschaftspolitik zu entwickeln. 70 Die britische Position war 1956 zugleich im Commonwealth und in Europa gefährdet: Die Commonwealth-Präferenzen, deren symbolische Bedeutung um so mehr zu wachsen schien, je mehr ihr praktischer ökonomischer Nutzen abnahm, schrumpften und würden in absehbarer Zeit völlig verschwinden, während nach Auffassung des Außenhandelsministeriums von einem Gemeinsamen Markt der Sechs große wirtschaftliche Gefahren ausgingen. Diese Zangenbewegung drohte mittelfristig die Grundlagen der britischen Außenhandelspolitik völlig zu zerstören. Mit dem Plan für eine industrielle Freihandelszone in Europa trat das Außenhandelsministerium deshalb die Flucht nach vorn an. Mit der Initiative sollten die seit der OEEC-Gründung über diese Organisation ausgeübte handelspolitische Führung in

67 Hierzu siehe vor allem die Denkschrift des britischen Verhandlungsleiters Reginald Maudling: CAB 129/93/110(16. Mai 1958). 68 de Zulueta an Macmillan: PREM 11/2132 (29. Juli 1957). 69 So bereits im Zwischenbericht des Unterausschusses des Economic Steering Committee: CAB 129/82/191 (27. Juli 1956). 70 Aufschlußreich hierzu sind besonders Thorneycrofts Ausführungen in der ausführlichen Besprechung von „Plan G" im Economic Policy Committee: CAB 134/1229/15. Sitzung (1. August 1956).

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Westeuropa zurückgewonnen und gleichzeitig die zentrifugalen Kräfte im Commonwealth zumindest teilweise wieder unter die Kontrolle der britischen Regierung gebracht werden.71 Was zunächst in erster Linie ein pragmatisches Projekt zur außenwirtschaftlichen Gefahrenabwehr war, entwickelte allerdings rasch eine zusätzliche ideologische Stoßrichtung. Eine ausgeprägte Leidenschaft für politische Konzepte gehört zwar nicht zum „genetischen Code" britischer Regierungsbeamter,72 die Freihandelszone bildete davon jedoch im Fall des Außenhandelsministeriums eine seltene Ausnahme. Darin hatten sich führende Beamte, vor allem der Permanent Secretary Frank Lee, bereits seit geraumer Zeit bemüht, das protektionistische Vermächtnis abzuschütteln und von der einseitigen, durch das Präferenzsystem noch verstärkten Ausrichtung auf das Commonwealth wegzukommen, die sich seit Anfang der fünfziger Jahre immer mehr zu einer außenwirtschaftspolitischen Falle zu entwickeln drohte.73 Damit hatte sich das Außenhandelsministerium anfangs innerhalb der Regierungsverwaltung genauso wie Thorneycroft in der Konservativen Partei in einer Minderheit befunden. Der Parteitag von 1954 beschleunigte zwar den Wandel, aber ermöglichte noch keinen klaren Bruch mit der Vergangenheit. Erst die Initiative der EGKS-Staaten und die gleichzeitige Forderung der australischen Regierung nach Neuverhandlung des bilateralen Präferenzabkommens erzeugten 1956 den notwendigen äußeren Druck, der dem Außenhandelsministerium regierungsintern als Katalysator für die politische Durchsetzung einer noch immer kontroversen Reorientierung der britischen Außenwirtschaftspolitik diente. Dieser Innovationscharakter des FHZ-Projekts wurde für Thorneycroft und seine Beamten noch während der internen Beratungen immer wichtiger. Für sie entwickelte sich die Freihandelszone zunehmend zu einem Konzept für die Modernisierung der britischen Außenwirtschaftsbeziehungen, das außerdem durch den größeren Binnenmarkt und den erhöhten Wettbewerbsdruck zu einer Revitalisierung der britischen Industrie beitragen konnte; eine Hoffnung, die Anfang der sechziger Jahre auch mit dem EWG-Beitritt verbunden wurde. „Plan G" war insofern genauso nach innen wie nach außen gerichtet. Mit der europäischen Einigung hatte die Freihandelszone für das Außenhandelsministerium nichts zu tun. Macmillan blieb diese wirtschaftspolitische Sicht dagegen fremd, selbst nachdem er vom Außenministerium ins Schatzamt gewechselt war. Aus seiner Sicht sollten mit dem FHZProjekt Interessen und Verantwortlichkeiten harmonisiert werden, die nach seiner Auffassung nur scheinbar gegensätzlich waren.74 Der Gemeinsame Markt der EGKS-Staaten erschien ihm als Attacke auf Großbritanniens Position in Churchills drei Kreisen. Mit dem FHZ-Projekt sollte keineswegs zu neuen Ufern aufgebrochen, sondern die vermeintliche Mittlerstellung zwischen den Vereinigten Staaten, dem Commonwealth und Westeuropa wieder gefestigt werden. 75 Es mußte so früh wie möglich eine geeignete Antwort auf die drängende Frage 71 Vergl. auch Thorneycrofts und Macmillans gemeinsame politische Denkschrift zu „Plan G": CAB 129/82/192 (28. Juli 1956). 72 Peter Hennessy: Whitehall, London 1989, S.162. 73 Ebd., S.160, zu Frank Lee, der Anfang 1960 an die Spitze des Schatzamtes wechselte und dort maßgeblichen Anteil an der verwaltungsinternen Vorbereitung des ersten EWG-Beitrittsantrags hatte. 74 Vergl. Macmillans Pressekonferenz zu „Plan G" am 3. Oktober 1956. Der Text der Erklärung in CAB 134/1240/50 (3. Oktober 1956). 75 Ähnlich, jedoch pauschal auf die britische Europapolitik bezogen und insofern irreführend bereits Camps, S.l 17; K. Kaiser, S.97.

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gefunden werden, mit der Macmillan die britische Regierung durch die Messina-Initiative konfrontiert sah, wie Großbritannien gleichzeitig die Führung im Commonwealth und in Westeuropa aufrechterhalten konnte. 76 Solange das ins Auge gefaßte Projekt diese Funktion erfüllte, war dem Schatzkanzler, im Gegensatz zu Thorneycroft, die inhaltliche Ausgestaltung der Gegeninitiative gleichgültig. Über die politischen Motive hinter „Plan G " tauschte sich Macmillan in der Regierung besonders mit Bildungsminister David Eccles aus, mit dem er aus gemeinsamen Tagen beim Europarat in Straßburg gut bekannt war und auf einer außenpolitischen Wellenlänge lag. Im August 1956 bat er Eccles um eine Denkschrift zur politischen Legitimation der Initiative, mit deren Quintessenz sich seine Vorstellungen deckten. 77 In dem pathetisch „Plan G and the Moment in British history" betitelten Dokument schrieb Eccles unter anderem: „(...) Looking at England from inside we see that we have lost our sense of direction. (...) We accept secondclass status or we share first-class status by pooling our men and money with others (...) who are Willing to follow our lead. (...) We cannot abandon Western Europe either to the Germans or to the Russians, and (...) the English want to join a show which they can run. (...) For all living things the rythm of their being is the same: birth, flowering, seed-time and then the challenge ,death or resurrection?' (...) We must do Plan G as the act of recreation of British influence overseas." 78 Führen wollte auch Macmillan die Westeuropäer, aber wohin, davon hatte er keine rechte Vorstellung. Ebensowenig wußte er, ob ihm die EGKS-Staaten, und zwar insbesondere Frankreich, überhaupt folgen wollten. Diese Mißachtung der Interessen und Ziele der Sechs war Macmillans und Thorneycrofts Sichtweisen gemeinsam. Davon abgesehen blieb das Außenhandelsministerium wenigstens konsistent, indem es eine außenhandelspolitische Strategie auch mit handelspolitischen Mitteln verfolgte. Macmillan dagegen wollte mit genau denselben ökonomischen Mitteln seine außenpolitischen Ziele verwirklichen und übersah dabei, daß der entscheidende Impetus hinter dem Zollunionsplan der Sechs politischer Natur war. Erfolgversprechender wäre deshalb 1956 eine Gegeninitiative mit der damit verbundenen Bereitschaft zur Teilnahme an einem engeren politischen Zusammenschluß in Westeuropa gewesen. Davon erwartete der Schatzkanzler jedoch genauso die Zerstörung von Churchills System der drei Kreise, das durch die Gegeninitiative doch gerade verteidigt werden sollte, wie von dem Ausschluß von der geplanten Zollunion. Dieser Widerspruch war durchaus charakteristisch für Macmillans Europapolitik, die Ziele und Mittel nicht zu harmonisieren verstand.

3. Austerlitz und München Wenn die Beamten und verantwortlichen Minister anfangs kaum über die Annehmbarkeit des FHZ-Vorschlags in den potentiellen Partnerstaaten nachdachten, so lag das wesentlich daran, daß sie ihre ganze Anstrengung darauf konzentrierten, „Plan G " innerhalb der Regierung 76 So in Macmillans schriftlicher Bitte an das Kabinett, „Plan G " den Finanzministern der Commonwealth-Staaten am Rande der IWF-Jahrestagung in Washington Anfang Oktober 1956 vorstellen zu dürfen: CAB 129/83/208 (11. September 1956). 77 Macmillan an Eccles: T 2 3 4 / 1 9 6 (12. August 1956). 78 CAB 134/1231/68 (23. August 1956).

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durchzusetzen. Als sich Außenhandelsministerium und Schatzamt einer Einigung auf „Plan G" als alternativloser Option näherten, drängten die Beamten darauf, daß Thorneycroft und Macmillan persönlich die Initiative bei ihren Ministerkollegen ergreifen sollten, damit der FHZ-Vorschlag politisch beschleunigt wurde, anstatt im Sumpf endloser Beratungen in der Regierungsverwaltung aufgehalten zu werden. 79 Eine erste größere Ministerbesprechung fand schießlich Ende Mai 1956 statt. 80 Der Präsident des Außenhandelsministeriums und die leitenden Beamten hatten zunächst gehofft, hier bereits die vorläufige Zustimmung zu „Plan G" zu erhalten, um die Gegeninitiative international lancieren zu können. 81 Stattdessen gelang es Thorneycroft und Macmillan lediglich, ihre Kollegen davon zu überzeugen, daß der Plan für eine gemeinsame Präferenzzone aus Commonwealth und Westeuropa oder die anderen, weniger weitreichenden Vorschläge unrealistisch waren und deshalb ausschieden. 82 Dennoch leisteten einzelne Minister anfangs hartnäckigen Widerstand gegen „Plan G". Bevor der FHZ-Vorschlag überhaupt das Kabinett erreichen konnte, bestanden sie auf der weiteren Erörterung auf Beamtenebene in einem neuen interministeriellen Rahmen, der die Teilnahme von Beamten aus den stärker protektionistisch ausgerichteten Ministerien erlaubte. Das einzige Ergebnis der ersten Ministerbesprechung war so die Einsetzung eines Unterausschusses des Economic Steering Committee. 83 Dessen Mitglieder wurden beauftragt, einen detaillierten Zwischenbericht über „Plan G" anzufertigen, der den Ministern dann erst zwei Monate später vorlag. 84 Somit war genau das eingetreten, was Außenhandelsministerium und Schatzamt gerade hatten vermeiden wollen: Die Gegeninitiative geriet zumindest vorübergehend in die Mühlen von Whitehall, während in Europa wertvolle Zeit verlorenging. Im Kabinett wurde „Plan G" schließlich erst nach der Sommerpause Mitte September erstmals diskutiert. 85 Thorneycroft und Macmillan stellten in ihrer Präsentation ein buntes Menü verschiedener wirtschaftlicher und politischer Gründe zusammen, warum es nach ihrer Auffassung keine Alternative zu dem FHZ-Projekt gab, das danach als diplomatische Wunderwaffe erscheinen mußte. Thorneycroft spielte in seiner Begründung der Gegeninitiative den Innovationscharakter des FHZ-Projekts gezielt herunter, um nicht die Anhänger des Empire-Flügels der Konservativen Partei zu verärgern. Er portraitierte „Plan G" in erster Linie als eleganten Ausweg aus dem wirtschaftlichen Dilemma, mit dem sich die britische Regierung durch das Messina-Projekt konfrontiert sah. Die Freihandelszone stellte danach eine notwendige Anpassung an die veränderten außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen dar, ohne daß dadurch die bestehenden Verpflichtungen gegenüber dem Commonwealth oder die eigenen Vorteile im Handel mit dem Commonwealth aufgegeben werden mußten. 86 79 80 81 82

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Clarke an Bridges und Gilbert: T 234/100 (21. März 1956). T 234/101 (31. Mai 1956). Vergl. BT 11/5716 (25. Juli 1956). T 234/101 (31. Mai 1956). Vergl. auch die Schlußfolgerung nach der ersten Kabinettssitzung, der Spielraum für eine alternative Politik sei sehr limitiert: CAB 128/30,11/65. Sitzung (14. September 1956). Economic Steering Committee - Sub-Committee on United Kingdom Initiative in Europe; nach der Vorlage des Zwischenberichts umbenannt in Economic Steering Committee - Sub-Committee on Closer Economic Association with Europe. Für 1956 siehe CAB 134/1238-1240. CAB 129/82/191 (27. Juli 1956). CAB 129/30,11/65. Sitzung (14. September 1956); CAB 129/30,11/66. Sitzung (18. September 1956). Vergl. vor allem CAB 128/30,11/65. Sitzung (14. September 1956) sowie das Interview mit

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Dagegen betonte Macmillan im Einklang mit seinen eigenen Motiven mehr die politischen Gründe. Einmal appellierte er an das Außenministerium, das die ökonomischen Gründe weder nachvollziehen konnte noch für ausschlaggebend hielt, eine FHZ könne einen wertvollen Beitrag zur Stärkung des politischen Zusammenhalts Westeuropas leisten. 87 Ein anderes Mal spielte der Schatzkanzler mit den politischen Ängsten seiner Kabinettskollegen, indem er historische Geister beschwor und davor warnte, daß Westeuropa ohne eine FHZ unweigerlich, zunächst wirtschaftlich, aber dann auch politisch von Deutschland dominiert werden würde. Mit ihrer konzertierten Kampagne in den zuständigen Ausschüssen und im Kabinett gelang es Thorneycroft und Macmillan jedoch zunächst noch nicht, alle Kollegen von der Notwendigkeit von „Plan G" zu überzeugen. Tiefgreifende Meinungsunterschiede bestanden über die erste ausführliche Diskussion im Kabinett hinaus fort. Hinter dem Widerstand einzelner Minister gegen die FHZ-Idee verbargen sich einflußreiche sektorale Interessen. Vor allem um den Schutz der heimischen Landwirtschaft ging es Butler, der seit der Kabinettsumbildung Lordsiegelbewahrer war. Die gesetzlichen und politischen Garantien für die britischen Bauern, die eine wichtige Wählerklientel der Konservativen Partei bildeten, durften nach seiner Auffassung auf gar keinen Fall durch etwaige bilaterale Konzessionen an die Kontinentaleuropäer im Zusammenhang mit den vorgesehenen Handelsverhandlungen in Frage gestellt werden. Butler bestand deshalb auf einem kategorischen Ausschluß landwirtschaftlicher Produkte von der Freihandelszone als Voraussetzung für seine Zustimmung zu „Plan G". Die beiden Minister für Commonwealth-Beziehungen, Lord Home, und für Kolonien, Alan Lennox-Boyd, standen dem FHZ-Plan zunächst ablehnend gegenüber, da sie davon eine Gewichtsverlagerung der britischen Außenbeziehungen auf Westeuropa zu Lasten des Commonwealth befürchteten. Wegen der zu erwartenden Verluste der CommonwealthStaaten bei industriellen Exporten nach Großbritannien verlangte Home in einer eigenen Denkschrift zu „Plan G" zunächst sogar Kompensationen an das Commonwealth im landwirtschaftlichen Sektor, unter anderem durch die Einführung einer Garantieabnahme von Weizen aus Australien. 88 Bemüht um die Etablierung einer industriellen Freihandelszone in Westeuropa, sahen sich Thorneycroft und Macmillan mit dem Dilemma konfrontiert, daß die damit politisch verknüpften, divergierenden agrarpolitischen Interessen nicht in Übereinstimmung zu bringen waren. Gleichzeitige Zugeständnisse an die europäischen Agrarexporteure, um die Chancen für das FHZ-Projekt zu erhöhen, und an das Commonwealth bei Beibehaltung der heimischen Produktion waren unmöglich. In dieser Situation gewährten Thorneycroft und Macmillan den innenpolitischen Interessen Vorrang, um zunächst die Akzeptanzfähigkeit von „Plan G" im Kabinett zu erhöhen. So war im Frühherbst selbst von mehr Fisch und Schinken aus Europa keine Rede mehr. In ihrer abschließenden Denkschrift Anfang November erklärten die beiden Protagonisten von „Plan G" die landwirtschaftlichen Interessen Großbritanniens und des Commonwealth für „so fundamental", daß die FHZ-Verhandlungen nur auf der Grundlage beginnen sollten, daß der

Thorneycrofts damaligem Principle Private Secretary, Frank Glaves-Smith: Frank Glaves-Smith Interview (19. Mai 1993). 87 Siehe hierzu bereits die Sitzung des Economic Policy Committee: CAB 134/1229/16. Sitzung (5. September 1956). 88 CAB 129/83/207 (7. September 1956).

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Agrarsektor von der Freihandelszone kategorisch ausgeschlossen war.89 Thorneycroft und Macmillan hatten damit jedoch die unausweichliche Konfrontation nur aufgeschoben. Bereits ein knappes Jahr später erwies sich die britische Maximalposition, den Agrarsektor komplett von den Pariser Verhandlungen auszunehmen, als unhaltbar. Frühzeitige Konzessionen erschienen erforderlich, damit überhaupt eine Chance bestand, das FHZ-Projekt zu verwirklichen. Butler und Home führten jetzt jedoch, die Zusagen aus dem Vorjahr im Rücken, sogar gegenüber dem geplanten, äußerst limitierten Landwirtschaftsstatut ein Rückzugsgefecht innerhalb der Regierung, das ein schnelles Handeln der Regierung in Paris und weitreichendere Konzessionen verhinderte.90 Hinter dem Widerstand einzelner Minister gegen „Plan G" verbargen sich allerdings nicht nur sektorale Interessen, sondern auch grundsätzliche Erwägungen. Zwar war das Ziel innerhalb der Regierung konsensfähig, daß Großbritannien eine möglichst große internationale Rolle bewahren mußte, aber wie die Diskussionen 1956 verdeutlichen, waren die Mittel dazu umstritten. An den drei Kreisen wollten alle festhalten, aber es ging um die relative Gewichtung von Commonwealth und Westeuropa. Home befürchtete von dem FHZ-Projekt eine Lockerung der Commonwealth-Bindungen und eine daraus resultierende Schwächung von Großbritanniens Status als Weltmacht. 91 Ähnlich dachte auch der heimliche Außenminister Lord Salisbury, dem dieses Amt 1955 nur wegen seiner Zugehörigkeit zum Oberhaus verwehrt geblieben war.92 Im Gegensatz dazu glaubten Macmillan und andere Anhänger von „Plan G" gerade, daß dieses Konzept in Ermanglung einer auf dem Commonwealth basierenden Alternative inzwischen jedenfalls der beste, wenn nicht möglicherweise sogar der einzige Weg war, Großbritanniens internationalen Status zu erhalten.93 Diese Meinungsunterschiede waren so grundsätzlicher Natur, daß vor allem der gewiefte Taktiker Macmillan sehr bald die Hoffnung auf eine frühe Entscheidung zugunsten von „Plan G" aufgab und dazu überging, das Kabinett sukzessive durch geschickt lancierte diplomatische Initiativen sanft zu einer Selbstverpflichtung zu bewegen. Im Juli erhielt der Schatzkanzler zunächst die Erlaubnis, innerhalb der OEEC eine Grundsatzdiskussion über die europäische Handels- und Zollpolitik anzuregen. 94 In Paris wurde dann sehr konkret die Gründung einer Freihandelszone erörtert, und zwar in der Arbeitsgruppe 17, die ab dem Spätsommer tagte. Deren Einsetzung war zwar formell von OEEC-Generalsekretär Sergent vorgeschlagen worden, jedoch war den anderen Delegationen bewußt, daß der britische Schatzkanzler dahinter stand.95 Zwei Monate später, im September 1956, rang Macmillan dann den Skeptikern im Kabinett die Zustimmung dazu ab, die Finanzminister der Commonwealth-Staaten zu „Plan G" konsultieren zu dürfen, die Anfang Oktober am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington zusammentrafen.96 Nach seiner Rückkehr aus der amerikani89 CAB 129/84/256 (6. November 1956). 90 Vergl. hierzu besonders Butler an Macmillan: PREM 11/2531 (24. August 1957) sowie Home an Macmillan: PREM 11/2531 (25. September 1957). 91 Siehe die ausführliche Denkschrift des Commonwealth-Ministers: CAB 129/83/207 (7. September 1956). 92 Eden, S.303. 93 CAB 128/30,11/65 (14. September 1956). 94 CAB 129/82/172 (9. Juli 1956); CAB 128/30,11/49. Sitzung (12. Juli 1956). 95 Vergl. Brethertons Notiz über die Sitzung des OEEC-Ministerrats: T 234/195 (23. Juli 1956). 96 CAB 129/83/208 (11. September 1956); CAB 128/30,11/66. Sitzung (18. September 1956).

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sehen Hauptstadt konnte der Schatzkanzler berichten, daß dort die erste Aufnahme des FHZPlans überraschend positiv ausgefallen war. Die meisten Regierungen rechneten offenbar sogar mit Vorteilen durch eine Zunahme von Investitionen aus Europa im Commonwealth sowie durch erhöhte Exportchancen in einem größeren westeuropäischen Markt. Selbst die von Thorneycroft bei einem Besuch in Ottawa vorab informierte Regierung Kanadas, das mit den größten Verlusten bei seinen industriellen Exporten nach Großbritannien rechnen mußte, stand „Plan G" einigermaßen wohlwollend gegenüber.97 Macmillan ging nun noch einen Schritt weiter und verlangte die Zustimmung des Kabinetts zu einer Pressekonferenz zu „Plan G", um die verzerrte Berichterstattung über das FHZProjekt korrigieren zu können.98 Auf welchen Wegen die Presse am Rande der Washingtoner Gespräche an erste ausführlichere Informationen über „Plan G" gelangt war, läßt sich nicht rekonstruieren, jedoch läge es durchaus in der Logik von Macmillans vorherigen taktischen Manövern, wenn er dafür selbst mitverantwortlich gewesen sein sollte. In jedem Fall gelang es dem Schatzkanzler mit seiner Pressekonferenz, die regierungsinternen Diskussionen innerhalb Großbritanniens und in Westeuropa öffentlich zu machen und auf diese Weise die Entscheidung des Kabinetts weitgehend zu präjudizieren. Die formelle Zustimmung des Kabinetts zu dem FHZ-Vorschlag erfolgte dennoch erst Mitte November 1956, also zwei Monate nach der ersten umfassenden Debatte und genau eine Woche nach dem durch die US-Regierung erzwungenen Abbruch des Suez-Kriegs. 99 Zwischenzeitlich hatten bilaterale Konsultationen innerhalb des Commonwealth den ersten, überwiegend positiven Eindruck von Washington bestätigt. Außerdem hatten Gespräche mit Vertretern der Spitzenverbände der Wirtschaft, vor allem des Industrieverbandes Federation of British Industries (FBI), und des gewerkschaftlichen Dachverbands Trades Union Congress (TUC) eine breite Zustimmung der wirtschaftlichen Interessengruppen zu einer industriellen Freihandelszone in Westeuropa ergeben.100 Während die aus Thorneycrofts und Macmillans Sicht ermutigenden Ergebnisse dieser Beratungen die Position der Skeptiker im Kabinett geschwächt hatten, brach der letzte Widerstand gegen die Initiative erst infolge des SuezDebakels zusammen.101 Der Verlauf dieser britisch-französisch-israelischen Militäraktion gegen Nasser hatte nicht nur auf sehr drastische Weise die Abhängigkeit Großbritanniens vom Wohlwollen der Amerikaner offengelegt, sondern auch die politische Fragilität des Commonwealth. Die beinahe zeitgleiche Niederschlagung des Aufstands in Ungarn rückte außerdem die Notwendigkeit, Westeuropa gegen die Sowjetunion zu stärken, wieder mehr in den Vordergrund, so daß eine neue Initiative der britischen Regierung jetzt auch den ehemaligen Gegnern des FHZ-Projekts wünschenswert erschien. Im September hatte Macmillan in seinem Tagebuch über die regierungsinternen Diskussionen notiert: „What we are all agreed is that we cannot paddle in these dangerous waters. We must either stay on the bank or plunge boldly into the flood and strike for the opposite 97 Vergl. Macmillans Bericht an das Kabinett: CAB 128/30,11/68. Sitzung (3. Oktober 1956). 98 Ebd. 99 Vergl. CAB 128/30,11/83. Sitzung (13. November 1956) sowie CAB 128/30,11/85. Sitzung (20. November 1956), diesmal abschließend in Anwesenheit von Premierminister Eden. 100 Siehe hierzu die FBI-Denkschrift: CAB 134/1240/74 (5. November 1956). Vergl. ebenfalls Bailey, S.9805. Für den TUC siehe dessen Denkschrift in CAB 134/1240/73 (5. November 1956). 101 Lord Salisbury und der Lordkanzler Viscount Kilmuir zogen ihre Vorbehalte gegen „Plan G" in der entscheidenden Sitzung sogar unter explizitem Hinweis auf die Folgen des Suez-Kriegs zurück. Vergl. CAB 128/30,11/83. Sitzung (13. November 1956).

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side."102 Als die Minister endlich in die Fluten sprangen, war jedoch ein volles Jahr vergangen, seit die beiden Wirtschaftsministerien mit den Beratungen über eine Gegeniniative begonnen hatten, und acht Monate seit der Einsetzung der Clarke-Arbeitsgruppe. In der Zwischenzeit hatten sich die EGKS-Staaten auf der Konferenz von Venedig im Mai 1956 auf den Spaak-Bericht als Grundlage für die Regierungsverhandlungen geeinigt und begannen vor allem nach Suez, rasche Fortschritte bei den entscheidenden, kontroversen Fragen im Zusammenhang mit der Gründung der geplanten Zollunion zu machen. Ende November 1956 hatte sich die britische Regierung zwar endlich für ein eigenes Konzept entschieden, sie lief nun jedoch Gefahr, mit einem fait accompli der Sechs konfrontiert zu werden. Für die Trägheit des Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses innerhalb der Regierung waren verschiedene Gründe ausschlaggebend. Von den bereits diskutierten strukturellen Schwächen in der Organisation des britischen Verwaltungsapparats abgesehen, mangelte es der britischen Europapolitik an politischer Führung, die die rasche Vorlage einer flexibleren und für die Partner in Westeuropa politisch attraktiveren Gegeninitiative hätte ermöglichen können. Erst Edens gelangweilte Passivität führte dazu, daß sich „Plan G" in interministeriellen Rivalitäten verfing und innerhalb der Regierung zu einem politischen Zankapfel wurde. Die mit der auswärtigen Politik befaßten Minister schlugen zumeist die Schlachten der Vergangenheit, aber sie bewegten sich dabei zeitweise auf recht unterschiedlichen Kriegsschauplätzen. Laut Macmillan drohte Großbritannien wie nach der Schlacht von Austerlitz 1805 der Ausschluß von einem kontinentaleuropäischen ökonomischen „Block",103 der nur noch durch die diplomatische Riposte des FHZ-Projekts abzuwenden war. Dagegen lag die Napoleonische Ära mit der Kontinentalblockade gegen England offenbar außerhalb des geschichtlichen Erinnerungsvermögens des Premierministers, in dessen politischer Fata Morgana Nasser als der Hitler der fünfziger Jahre erschien. Diese Sichtweise wurde zwar von Macmillan und anderen innerhalb der Regierung geteilt, jedoch war allein Eden so sehr darauf fixiert, ein zweites München zu vermeiden, daß er die zeitgleichen Entwicklungen in Brüssel und Paris gar nicht mehr wahrnahm. Die Europapolitik erschien Eden während der SuezKrise mehr denn je zuvor ein nahezu irrelevanter diplomatischer Nebenkriegsschauplatz. Während Eden 1956 in seinem Tagebuch Zypern und Suez viel Raum widmet, bleibt das westliche Europa terra incognita. „Plan G" wird darin nur ein einziges Mal beiläufig erwähnt.104 Innerhalb des Kabinetts intervenierte der Premierminister nur einmal, als er sich in nostalgischen Erinnerungen an die Blütezeit des Ottawa-Regimes erging und bedauernd feststellte, daß kein alternatives wirtschaftliches Konzept auf Commonwealth-Basis vorgelegt werden konnte. Edens einziger Beitrag zu der Debatte innerhalb der Regierung über eine Gegeninitiative zu dem Messina-Projekt blieb die erneute Aufwärmung der politisch aussichtslosen Idee, ausgewählten Staaten in Westeuropa, vor allem Belgien und den Niederlanden, den Beitritt zu einem erweiterten Commonwealth anzubieten.105 Eden war auch nach der Übernahme des Premierministeramts der geborene Diplomat geblieben, der sich so lange sicher auf internationalem Parkett bewegte, wie es hauptsächlich um die Verwaltung des 102 HMD (5. September 1956), zitiert bei Macmillan, Riding, S.82. 103 So erstmals in einer Ministerbesprechung Ende 1959: PREM 11/2679 (29. November 1959). 104 „Cabinet on Plan G. Another very formidable issue that." Anthony Eden Diaries (14. September 1956), Avon Papers 20/1/32 (1956). 105 CAB 128/30/11/66. Sitzung (18. September 1956).

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außenpolitischen Status quo ging. Möglicherweise hätte er besser in das außenpolitisch relativ statische 19. denn ins bewegte 20. Jahrhundert gepaßt, in dessen zweiter Hälfte die Fähigkeit zur realistischen Einschätzung des Bedeutungsverlusts Großbritanniens und die Bereitschaft zu einer entsprechenden Anpassung der Regierungspolitik hilfreich gewesen wäre. Politikinnovation, verbunden mit einer langfristigen strategischen Perspektive, gehörte jedoch gerade nicht zu Edens Stärken. Abgesehen von der vollständigen Abwesenheit politischer Führung von Seiten des Regierungschefs wurde Thorneycroft und Macmillan ihre Aufgabe auch dadurch erschwert, daß die regierungsinternen Beratungen spätestens ab September 1956 zunehmend im Kontext der sich immer mehr zuspitzenden Suez-Krise stattfanden. Während das politische Scheitern der militärischen Expedition „Plan G " später beschleunigte, verzögerte die Krise selbst zunächst eine Entscheidung über die zukünftige britische Handelspolitik, weil durch sie das FHZ-Projekt unweigerlich unter den politischen Prioritäten an Gewicht verlor. Durch die Folgen der Suez-Krise ließ auch Macmillans Einsatz für „Plan G" nach. Anderthalb Monate vor der währungspolitischen Erpressung durch die US-Regierung, die Anfang November den Abbruch der Suez-Intervention erzwingen sollte, geriet das Pfund Sterling bereits erheblich unter Druck. Von jeder Innovation in der Wirtschafts- oder Außenwirtschaftspolitik befürchtete der Schatzkanzler jetzt vor allem nicht zu kontrollierende Auswirkungen auf die Finanzmärkte. 106 Eine endgültige Festlegung auf „Plan G" hatte Macmillan Ende Juli noch für September anvisiert, weil die Regierung nach seiner Auffassung dann noch in einer Position sein würde, die Entwicklungen in Europa mitzugestalten.' 0 7 Im September jedoch schlug Macmillan, dem unter dem Eindruck der Suez-Krise jetzt primär an der Aufrechterhaltung einer weltweiten Rolle für das Pfund Sterling als Leitwährung und wichtiges Symbol des vermeintlichen Weltmachtstatus gelegen war, eine Verschiebung der abschließenden Entscheidung über die Gegeninitiative vor, die zu lancieren ihm nur noch bis zum Jahresende notwendig zu sein schien.' 08 Die Beratungen über „Plan G" wurden jedoch nicht nur durch die Suez-Krise überlagert, sondern auch durch das innerhalb der Konservativen Partei damals noch diskret ausgetragene politische Schattenboxen um die Nachfolge Edens, dessen Rücktritt während der Suez-Krise wahrscheinlich und nach dem militärischen Rückzug unausweichlich erschien. In Rab Butler hatte Macmillan in der Nachfolgefrage einen innerparteilichen Konkurrenten, den es politisch auszumanövrieren galt. Durch seine lauwarme Unterstützung für die Intervention in Ägypten schadete Butler sich, da zahlreiche Parlamentarier seine Haltung als eine Fortsetzung der Chamberlainschen Beschwichtigungspolitik der Vorkriegszeit interpretierten, die Butler unterstützt hatte. 109 Macmillan erwies sich hingegen als schlauerer Taktiker, indem er von Anfang an seine Solidarität mit Eden betonte und mit fliegenden Fahnen in den Suez-Krieg zog, um dann allerdings auch als erster den sofortigen Rückzug zu fordern, als die amerikanische Regierung mit der Sowjetunion im UNO-Sicherheitsrat gegen Frankreich und Großbritannien intervenierte und der Zusammenbruch des Pfund Sterling drohte." 0

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CAB 128/30,11/66. Sitzung (18. September 1956). Vergl. die Denkschrift von Macmillan und Thorneycroft: CAB 129/82/192 (28. Juli 1956). CAB 129/30,11/65. Sitzung (14. September 1956). Patrick Cosgrave: R.A. Butler. An English Life, London 1981, S.l 12. Besonders pointiert formuliert bei Harold Wilson: Memoirs. The Making of a Prime Minister 1916-1964, London 1986, S.169. Siehe auch John Turner: Macmillan, London/New York 1994,

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Mindestens ebenso sehr um sein eigenes Fortkommen wie um die betroffene Sachfrage ging es Macmillan jedoch nicht nur in der Suez-Krise, sondern auch in der Europapolitik. Wie Butler später in einer privaten Analyse der Nachfolgeentscheidung treffend beobachtete, stellte sich der Schatzkanzler mit seiner Unterstützung für „Plan G" an die Spitze der unzufriedenen Jungtürken, die mit der Ablösung Edens die Hoffnung auf eine generelle Modernisierung der Konservativen Partei verbanden." 1 Andererseits verstand sich Macmillan glänzend darauf, sich auch nicht unnötig Feinde innerhalb des Empire-Flügels zu schaffen. Seine anfängliche Unterstützung für das FHZ-Projekt mäßigte der Schatzkanzler um so mehr, je deutlicher sich im Kabinett dagegen Widerstand formierte. Als wäre er bereits Premierminister und nicht Eden, profilierte sich Macmillan im Kabinett immer mehr als Vermittler. So erklärte er zum Abschluß der Septembersitzung entgegen seiner eigenen Überzeugung die Argumente für und gegen „Plan G" für gleichgewichtig und schlug eine Verschiebung der abschließenden Entscheidung vor." 2 Dieser Zug auf dem innerparteilichen Schachbrett förderte ohne Frage seinen Aufstieg zum Premierminister, verhinderte jedoch eine zügigere Festlegung auf „Plan G".m Während der Schatzkanzler, eine Konfrontation scheuend, innerhalb der Regierung vorsichtshalber auf Tauchstation ging und sich auf die zeitraubendere Taktik diplomatischer Manipulationen verlegte, kämpfte nur Thorneycroft mit offenem Visier für die Freihandelszone, die sich immer mehr zum Lieblingsprojekt des Außenhandelsministeriums zu entwickeln begann. Vor seiner Ernennung zum Schatzkanzler in Macmillans erster Regierung Anfang 1957 nahm der junge Thorneycroft jedoch nur eine untergeordnete Stellung in der kabinettsinternen politischen Hackordnung ein, so daß seine Haltung 1956 noch mit vergleichsweise geringem Gewicht verbunden war, obwohl der als handelspolitisches Konzept deklarierte FHZ-Plan in die Fachkompetenz seines Ministeriums fiel. Zu dieser Kombination von Einzelfaktoren, die den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß verzögerten, kam schließlich das eher grundsätzliche Problem, daß die Anhänger von „Plan G" gegen die ausgeprägte politische Trägheit in der Regierungsverwaltung wie in der Konservativen Partei Bewegung in die britische Politik zu bringen suchten. Obwohl es ihnen lediglich um eine Anpassung der Mittel an die geänderten internationalen Rahmenbedingungen und nicht um eine Neudefinition der Ziele der britischen Außenpolitik ging, wurde ihnen die Beweislast dafür zugeschoben, daß die partielle Freihandelszone den außenwirtschaftlichen Interessen Großbritanniens garantiert dienlicher war als der Status quo. Charakteristisch für diese Haltung war Butlers Aufforderung an Thorneycroft im August 1956, eine exakte, nach Produktgruppen aufgeschlüsselte Gewinn- und Verlustprognose für die geplante Freihandelszone vorzulegen, ohne die er „Plan G" nicht zustimmen könne. Eine solche wirtschaftliche Gesamtbilanz hochzurechnen, hielten die Beamten des Außenhandelsministeriums jedoch für unmöglich oder jedenfalls unredlich. Thorneycroft schrieb an Butler: „Judgements of policy are inevitably concerned with matters of faith as well as with figures. (...) Like almost all major changes of policy Plan G would involve some uncertainties and risks. But there are also uncertainties and risks if we try to stay as we are. Our present relations S.l 18f. sowie Peter Clarke: A Question of Leadership. From Gladstone to Thatcher, London 1992, S.223f. 111 „Top Secret and Personal 1957" (18. April 1957), R.A. Butler's Papers G 31. 112 CAB 128/30,11/65 (14. September 1956). 113 Kritisch zu Macmillans interner FHZ-Politik bereits Lamb, S.97.

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with the Commonwealth, with Europe and with the U.S.A. do not make it necessarily any less risky to refuse to take risks. What is true is that a Government which seeks to shape events will have to accept responsibility for (the) results, though this may not be politically more damaging than watching events without making any attempt to intervene." 1,4

4. Cobden gegen Colbert Besonders bemerkenswert in bezug auf die britische Europapolitik Mitte der fünfziger Jahre erscheint das Maß, in dem die tatsächlichen oder vermeintlichen Interessen Großbritanniens die Politikentwicklung und den internen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß der Regierung bis hin zur Annahme von „Plan G" im November 1956 dominierten, während diejenigen der kontinentaleuropäischen Partnerstaaten fast vollständig ausgeblendet und keine Versuche unternommen wurden, die Gegeninitiative diplomatisch klug vorzubereiten. Überraschend ist nicht der darin zum Ausdruck kommende nationale Egoismus, erstaunlich jedoch die fehlende Bereitschaft und Unfähigkeit der Entscheidungsträger in London, die eigenen Interessen mit denjenigen der Verhandlungspartner von Anfang an so weit konzeptionell in Übereinstimmung zu bringen, daß das britische Projekt überhaupt eine reelle Chance auf Verwirklichung hatte. Die eigentlichen Gründe für das Scheitern der britischen Gegeninitiative liegen nicht im Verlauf der FHZ-Verhandlungen, die sich von Oktober 1957 bis zu de Gaulles Veto im Dezember 1958 hinzogen." 5 Wie auch der Verhandlungsleiter der britischen Delegation in Paris, Reginald Maudling, rückblickend in seinen Memoiren zugegeben hat, waren die Erfolgsaussichten des FHZ-Plans von Anfang an düster." 6 Wenn überhaupt die Errichtung eines handelspolitischen Dachs über der EWG in Frage kam, so leuchtete 1957/58 auch den Beamten und Politikern in London immer mehr ein, würden die EWG-Staaten dessen Konstruktion weitgehend bestimmen können und die meisten Schindeln selbst legen. Wären die FHZ-Verhandlungen nicht von de Gaulle abgebrochen worden, so hätte deren Resultat jedenfalls mit dem ursprünglichen „Plan G" nicht mehr viel gemein gehabt. Das FHZ-Projekt war bereits bei seiner regierungsinternen Geburt durch Macmillans erfolglosen Versuch im November 1955, die Messina-Initiative abzuwürgen, diplomatisch vorbelastet gewesen. Aus Gründen, die für die Regierungen der EGKS-Staaten kaum nachvollziehbar, aber in jedem Fall inakzeptabel waren, war die britische Regierung damit plötzlich von der bis dahin praktizierten Politik wohlwollender Unterstützung gegenüber der europäischen Integration zu offener Feindseligkeit übergegangen. Daß die baldige Einstellung des diplomatischen Störfeuers nur einen Monat nach den Demarchen in Bonn und Washington nicht auf bessere Einsicht der Regierung in London, sondern auf die unzweideutig pro-integrative Haltung von Eisenhower und Dulles zurückging, war Adenauer und Mollet nicht entgangen. Es durfte die britische Regierung nicht verwundern, daß die EGKS-Staaten danach jede ihrer europapolitischen Bewegungen mit Argwohn betrachteten. Das galt selbst für die 114 Thomeycroft an Butler: FO 371/122034/222 (23. August 1956). 115 Siehe hierzu neuerdings aus deutscher Perspektive Gabriele Brenke: Europakonzeptionen im Widerstreit. Die Freihandelszonen-Verhandlungen 1956-1958, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 42/4 (1994), S.595-633. 116 Reginald Maudling: Memoirs, London 1978, S.67.

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niederländische Regierung, deren Minister und Beamte die britische Regierung über die Verhandlungen der Sechs auf dem laufenden zu halten bemüht waren, oder auch für den durchaus anglophilen belgischen Außenminister Spaak, der Großbritannien in Westeuropa eingebunden sehen wollte. Allerdings endete für Spaak die Rücksichtnahme auf die britische Regierung dort, wo es um das nackte Überleben der Benelux-Initiative ging, für die er sich persönlich verantwortlich fühlte. Als Macmillan ihm gegenüber bei einem Treffen in London im Januar 1956 noch einmal in drastischen Worten die zuvor vorsichtiger kaschierte Warnung wiederholte, der Gemeinsame Markt schade dem Handel Großbritanniens und müsse deshalb politisch bekämpft werden," 7 hatte die britische Regierung aus seiner Sicht den Rubikon überschritten. Obwohl Spaak die Erfolgsaussichten der Sechs anfangs selbst als eher gering einschätzte, war er nicht bereit, die Messina-Initiative kampflos aufzugeben. In Macmillan hatte der belgische Außenminister einen diplomatischen Gegenspieler, dem - anders als Caesar - eine Vision genauso fehlte wie die Entschlossenheit, das einmal ins Auge gefaßte Ziel energisch und rücksichtslos zu verfolgen. Hinter der britischen Regierung standen auch keine diplomatischen Legionen, so daß sich deren Drohungen schon bald als substanzlos erwiesen. So kurz das Zwischenspiel offener Feindseligkeiten auch gewesen war, so mühselig mußte anschließend jeder Versuch sein, die EGKS-Staaten davon zu überzeugen, daß Großbritannien in Europa erneut eine konstruktive Rolle spielen wollte. Hinter den Rubikon zurückzuweichen, erwies sich als weitaus leichter, als danach einen Platz in der neuen westeuropäischen Verfassung zu finden, deren Entstehung im Keim zu ersticken der britischen Regierung so kläglich mißlungen war. Selbst als Macmillan und Thorneycroft „Plan G" im weiteren Verlauf des Jahres 1956 längst als handelspolitisches Dach über der entstehenden Zollunion begriffen, sah Spaak das Projekt noch immer als die Gegeninitiative und Alternative zu Messina, als die die Freihandelszone ursprünglich beabsichtigt gewesen war." 8 Als die britische Regierung die FHZ-Idee im Sommer 1956 innerhalb der OEEC lancierte, wurde dieser Schritt in den EGKS-Staaten anfangs, wie nicht anderes zu erwarten war, als Verzögerungstaktik interpretiert." 9 Für den britischen Schatzkanzler erfüllte die Gründung der Arbeitsgruppe 17 der OEEC diese Funktion jedoch zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch insofern, als sich die Anhänger von „Plan G" solange gegen eine frühzeitige Gründung der geplanten Zollunion und den Ausschluß Großbritanniens davon absichern wollten, wie die Zustimmung des Kabinetts zum FHZ-Projekt noch ausstand.120 Als taktisches Manöver war die OEEC-Initiative für Macmillan in mindestens demselben Maße nach innen gerichtet, indem sie den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung beschleunigen sollte. Daß Macmillans Politik auf dem Kontinent argwöhnisch verfolgt wurde, war wohl wegen der gerade erst ein halbes Jahr zurückliegenden diplomatischen Konfrontation unausweichlich. Hinzu kam, daß die britische Regierung im zweiten Teilbereich der Brüsseler Verhand117 Der Erinnerung des Leiters der belgischen Delegation im Spaak-Ausschuß, Baron Snoy, zufolge. Vergl. Michael Charlton: How (and Why) Britain Lost the Leadership of Europe (II). A Last Step Sideways, in: Encounter 57/3 (1981), S.22-33 (23). 118 Spaak, S.315. 119 Übernommen wird diese Deutung fälschlicherweise, hier vor allem bezogen auf das spätere „Grand Design", von Küsters, Die Gründung, S.417. 120 Vergl. hierzu auch Frank Figgures' rückblickende Analyse der Gründe für das Scheitern des FHZProjekts: T 234/720 (17. Juli 1959).

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lungen, dem Kernenergiesektor, bereits die Entwicklung eines Parallelregimes in Konkurrenz zur geplanten Organisation der Sechs zu unterstützen schien. Die Gespräche innerhalb der OEEC über eine Intensivierung der Kooperation in diesem Bereich hatten 1955 begonnen und führten im Juli 1956 zur Schaffung eines Direktionsausschusses für Kernenergie, der sich unter anderem mit Fragen der nuklearen Sicherheit und der Liberalisierung des Kernbrennstoffhandels befassen sollte, ohne daß hier, im Gegensatz zur späteren EURATOM, eine Vergemeinschaftung angestrebt wurde. Zur späteren Gründung der Europäischen Kernenergieagentur unter dem Dach der OEEC zum 1. Februar 1958 schien danach das FHZProjekt, sofern es überhaupt ernst gemeint war, die logische Ergänzung zu sein. Selbst nachdem sich die britische Regierung im November 1956 im Unterhaus zur Gründung einer Freihandelszone bekannt hatte und die Römischen Verträge im März 1957 paraphiert worden waren, bestand vor allem bei den Anhängern einer möglichst föderalen Entwicklung der neu gegründeten Organisationen ein ausgeprägtes Mißtrauen gegenüber den Absichten der britischen Regierung fort. Die Vorbehalte gegenüber einer FHZ als einer reinen Wirtschaftsorganisation mit einer lockeren institutionellen Struktur schlugen sich besonders deutlich in der feindseligen Politik der ersten EWG-Kommission nieder, nachdem diese Anfang 1958 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Den Mitgliedern der EWG-Kommission kam es wie anderen führenden Vertretern der europäischen Idee vor allem auf die politische Integration an, die sich aus der wirtschaftlichen Verflechtung entwickeln sollte. Aus dieser Sicht drohte die Verwirklichung von „Plan G" die EWG de facto in eine größere Freihandelszone umzuwandeln. 121 Als das britische Außenministerium dann Anfang 1957 auch noch die alte Idee einer Reorganisation der bestehenden europäischen Organisationen unter Einschluß der NATO wieder aufwärmte und öffentlich propagierte, die von der Clarke-Arbeitsgruppe ein Jahr zuvor noch verworfen worden war, erschien das britische Konzept als heimtückischer Versuch, Europa, wie es hieß, „im Atlantik zu versenken". 122 Daß die britische Regierung 1957/58 in den Verhandlungen einen so schweren Stand hatte, lag jedoch keineswegs nur an der Wahrnehmung von „Plan G" in den EGKS-Staaten, für deren Ausbildung sie weitgehend selbst verantwortlich gewesen war, sondern war mindestens im gleichen Maße auf die strukturellen Schwächen des Projekts zurückzuführen. Unabhängig von der von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat der EWG sehr stark variierenden Anziehungskraft, die eine industrielle Freihandelszone wegen des erhöhten Exportpotentials als reines Wirtschaftskonzept ausübte, fehlte „Plan G" jede politische Substanz. Daß sich hinter der Messina-Initiative, genauso wie im Fall des Schuman-Plans fünf Jahre zuvor, politische Motive verbargen, wurde in London durchaus wahrgenommen. In Butlers erster Denkschrift zur Konferenz von Messina war bereits festgehalten worden, daß die Projekte für einen Gemeinsamen Markt und eine Kernenergiebehörde mindestens genauso 121 So zum Beispiel rückblickend das zweite deutsche Kommissionsmitglied in einer wissenschaftlichen Darstellung, die allerdings starke autobiographische Züge aufweist: Hans von der Groeben: Aufbaujahre der Europäischen Gemeinschaft. Das Ringen um den Gemeinsamen Markt und die Politische Union (1958-1966), Baden-Baden 1982, S.66. Aufschlußreich ist auch die zeitgenössische Rechtfertigung des ersten Präsidenten der EWG-Kommission, Walter Hallstein: United Europe, Challenge and Opportunity. The William L. Clayton Lectures on International Economic Affairs and Foreign Policy, Cambridge/Mass. 1962, S.73 sowie die Darstellung des französischen EWG-Kommissars Robert Maijolin: Le Travail d'une Vie, Paris 1986, S.315f. 122 Uwe Kitzinger: Großbritannien, das Commonwealth und Europa, Hannover 1963, S.15.

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von politischen wie ökonomischen Motiven inspiriert waren und in manchen Kreisen als Mittel zur noch engeren Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in Westeuropa gesehen wurden.123 Die Krux lag jedoch darin, daß selbst nach so vielen Jahren Erfahrung mit europäischer Integration weder die Beamten im Außenministerium noch die verantwortlichen Minister diese politische Logik der Messina-Initiative hinlänglich verstanden oder bereit gewesen wären, aus den sich daraus ableitenden Folgen für die Haltung der EGKS-Staaten Konsequenzen für die Formulierung der eigenen Europapolitik zu ziehen. Der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Freihandelszone lagen zwei seit längerem etablierte, grundverschiedene und gegensätzliche politische Konzepte für Europa zugrunde, die 1957/58 in einer versteckten bilateralen Konfrontation zwischen Frankreich und Großbritannien in dem multilateralen Kontext der FHZ-Verhandlungen verschärft aufeinanderprallten: Dem französischen „faire l'Europe" stand das britische „laissez-faire Europe" gegenüber, das eher planlos und spontan wachsen sollte. In dieser politischen Auseinandersetzung mit ökonomischen Mitteln spielten die unterschiedlichen historischen Vorerfahrungen und Perzeptionen eine große Rolle. In ihrer verengten wirtschaftspolitischen Perspektive nahmen die Entscheidungsträger in London die in der Entstehung begriffene EWG in ihren unruhigsten politischen Tagträumen als westeuropäische Reinkarnation des protektionistischen Colbertschen Merkantilismus wahr und kämpften dagegen wie Don Quichotte gegen die Windmühlenflügel. Schon realistischer, weil zumindest auf eines der sich tatsächlich dahinter verbergenden Motive bezogen, interpretierten dagegen führende Pariser Politiker die FHZ als Schritt zurück zu Cobden und der Zeit des bilateralen Freihandelsvertrags von 1860 und danach. Daß ein solches Konzept jedoch gerade nicht den Intentionen der französischen Regierung entsprach, machte deren Europaminister Maurice Faure bei einem Gipfeltreffen zwischen Macmillan und Guy Mollet kurz vor der Unterzeichnung der Römischen Verträge höflich, aber unmißverständlich deutlich: „(...) There really (is) a complete difference of concept between the Common Market and the Free Trade Area. The Free Trade Area (is) an attempt to re-create the pre-1914 Situation but that Situation, however advantageous economically, (has) not sufficed to prevent the outbreak of war. The Common Market on the other hand (goes) much further (...). It (involves) in effect the pooling of resources and difficulties."124 Diesen tiefen politischen Graben zwischen EWG und FHZ glaubten Macmillan und Thorneycroft mit der freundlichen, aber unverbindlichen Rhetorik über den wertvollen Beitrag die Freihandelszone zur Stärkung des politischen Zusammenhalts Westeuropas überbrücken zu können. Gegenüber seinen Ministerkollegen im Economic Policy Committee meinte der Präsident des Außenhandelsministeriums, „Plan G" sei zwar ein wirtschaftliches Konzept, solle jedoch in Europa als politisch oder sogar moralisch motiviert verkauft werden. 125 Gegenüber Eccles stellte Macmillan fest, daß die ökonomischen Vorzüge der FHZ alleine möglicherweise für einen erfolgreichen Vertragsabschluß nicht ausreichten und dem Ganzen deshalb ein politischer Anstrich verliehen werden müsse.126

123 CAB 129/76/55 (29. Juni 1955). 124 Siehe FO 371/128338/278 (9. März 1957). Eine ähnliche Sichtweise findet sich bei Marjolin, S.315. 125 CAB 134/1229/15. Sitzung (1. August 1956). 126 Macmillan an Eccles: T 234/196 (12. August 1956).

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Daß es sich lediglich um einen solchen Anstrich handelte, hinter dem sich in Wirklichkeit ein reines Wirtschaftskonzept verbarg, blieb jedoch den Kontinentaleuropäern schon deshalb nicht verborgen, weil die britische Regierung „Plan G" als solches innenpolitisch darstellte und nahezu ausschließlich mit den ökonomischen Gefahren begründete, die mit dem Ausschluß von einem Gemeinsamen Markt der Sechs verbunden wären. 127 Vor allem Macmillan hatte damit begonnen, gleichzeitig zwei grundverschiedene Rollen zu spielen: Während er in Westeuropa als Führer der freien Welt gegen den Kommunismus aufzutreten bemüht war, spielte er im Unterhaus in London den pragmatischen Vorstandsvorsitzenden eines exportorientierten britischen Großunternehmens. Dem FHZ-Projekt fehlte es jedoch nicht nur an politischer Anziehungskraft, sondern es galt auch als wirtschaftlich unausgewogen. Die britische Regierung wollte zusätzliche industrielle Exporte nach Westeuropa unter Beibehaltung der Präferenzen im Commonwealth. Gleichzeitig wurden Konzessionen im Landwirtschaftssektor a priori kategorisch ausgeschlossen, um die regierungsinterne Opposition gegen „Plan G" zu beschwichtigen. Mit diesem innenpolitischen Bauernopfer verbesserten die Protagonisten von „Plan G " zwar ihre eigene Position innerhalb der Regierung, diejenige der britischen Regierung in Westeuropa lag dagegen noch weiter offen als je zuvor. Der Ausschluß der Landwirtschaft bot den FHZGegnern, vor allem in Frankreich, willkommene Munition für ihren Vorwurf, daß sich Großbritannien ohne Rücksicht auf die Partner lediglich die beste aller Welten sichern wollte. Wie die britische Regierung in der Entstehungsphase von „Plan G" und im weiteren Verlauf der multilateralen Beratungen und Verhandlungen die Frage landwirtschaftlicher Konzessionen handhabte, die von mindestens so großer symbolischer wie sachlicher Bedeutung war, verdeutlicht besonders anschaulich, wie die strukturellen Schwächen des britischen Konzepts durch gravierende taktische Fehler noch akzentuiert wurden. In ihrem am 10. Januar 1957 veröffentlichten Abschlußbericht kam die OEEC-Arbeitsgruppe zwar zu dem Schluß, daß die Gründung einer industriellen Freihandelszone handelstechnisch möglich war, stellte jedoch gleichzeitig fest, daß die britische Regierung mit ihrem Verlangen nach einem kompletten Ausschluß landwirtschaftlicher Güter völlig isoliert war. Alle anderen beteiligten Staaten strebten ein ergänzendes Abkommen in diesem Bereich an.128 Selbst danach blieb die Haltung der Londoner Regierung jedoch zunächst noch völlig unflexibel. In dem nur einen Monat nach dem OEEC-Abschlußbericht veröffentlichten Weißbuch zur FHZ bestand sie unverändert auf dem Ausschluß des Landwirtschaftssektors als Vorbedingung für ihre Teilnahme an einer Freihandelszone. 129 Auch die Warnungen der Pariser Regierung, daß sie hier wegen der ungleich größeren Bedeutung der Landwirtschaft für die französische Wirtschaft mit Kompensationen für die erwarteten Verluste im Industriesektor rechne, 130 verhallten zunächst ungehört. Erst im August 1957 erwog das 127 Sehr aufschlußreich hierfür ist vor allem Macmillans etwa einstündige Rede, mit der er „Plan G" im Unterhaus vorstellte. Siehe Hansard 561/38ff. (26. November 1956). 128 Organisation for European Economic Co-operation (Hrsg.): Report on the possibility of creating a Free Trade Area in Europe, prepared for the Council of OEEC by a special Working Party, Paris 1957. 129 A European Free Trade Area. United Kingdom Memorandum to the OEEC, HMSO Cmnd. 72, London 1957. 130 So der Direktor für Wirtschaftsfragen im französischen Außenministerium, Olivier Wormser, gegenüber Beamten der britischen Botschaft: FO 371/128333/97 (25. Januar 1957), wiederholt auf dem Gipfeltreffen zwischen Macmillan und Mollet: FO 371/128338/278 (9. März 1957).

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Kabinett zum erstenmal die Möglichkeit eines allerdings äußerst limitierten Landwirtschaftsstatuts. 131 Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch bereits fünf nach zwölf, wie der britische Verhandlungsleiter Maudling im Oktober nach der ersten Sitzung in Paris frustriert feststellen mußte. Mit dem Beharren auf ihrer ursprünglichen Maximalposition hatte sich die britische Regierung in eine diplomatische Sackgasse manövriert, aus der herauszukommen nun allenfalls zu einem wesentlich höheren Preis möglich zu sein schien, als er vermutlich ein Jahr zuvor fällig geworden wäre. 132 Dieselben taktischen Fehler wie im Landwirtschaftssektor wurden in anderen Bereichen wiederholt. Auch in der Frage einer partiellen Zollharmonisierung begann die britische Regierung viel zu spät, weitreichende Modifikationen an dem ursprünglichen Konzept anstatt marginaler Zugeständnisse zu erwägen, um die Chancen für das gesamte Projekt zu erhöhen. 133 Vereinzelte Stimmen aus der Regierungsverwaltung, die neben ökonomischen auch signifikante politische Konzessionen forderten, wurden von den politischen Entscheidungsträgern kaum wahrgenommen. Das galt auch für den britischen Botschafter in Paris, der mit seinen abfälligen Kommentaren über die Chancen der Messina-Initiative 1955 wesentlich mitverantwortlich für die destruktive Politik der britischen Regierung gewesen war. Gladwyn Jebb war jedoch in der Zwischenzeit zu Monnets europäischer Vision konvertiert und begann 1957, Außenminister Lloyd und Macmillan mit Denkschriften zu überhäufen, in denen von einschneidenden Zugeständnissen wie der Bereitschaft zum Aufbau einer gemeinsamen westeuropäischen Atomstreitmacht die Rede war.134 Nachteilige Folgen zeitigte darüber hinaus das Unvermögen der Londoner Regierung, eine Parallelität zwischen den Verhandlungen der EGKS-Staaten und denjenigen über die geplante Freihandelszone zu erreichen. Als das Kabinett noch immer keine abschließende Entscheidung über „Plan G" getroffen hatte, sah sich Macmillan Mitte Oktober 1956 erstmals genötigt, Spaak darum zu bitten, die Zollunionsverhandlungen zu verzögern. 135 Damit sollte eine Präjudizierung von wesentlichen Elementen des späteren FHZ-Regelwerks verhindert werden, etwa im Hinblick auf die Zeitspanne für den Zollabbau oder die Einbeziehung der Überseeterritorien. 136 Vor der Entstehung eines Europas der zwei Geschwindigkeiten warnte Macmillan den belgischen Verhandlungsleiter dann noch einmal Ende Dezember 1956 in einer ausführlichen Denkschrift. 137 131 CAB 129/88/188 (24. August 1957). 132 CAB 129/89/222 (4. Oktober 1957). 133 Nachdem das Problem der Handelsumlenkungen und die Möglichkeit einer partiellen Zollharmonisierung bereits im Spaak-Bericht und Anfang 1957 auch im OEEC-Abschlußbericht angesprochen worden war, begann die Regierungsverwaltung im Frühjahr 1957, sich diesem Themenkomplex intensiver zu widmen. Vergl. CAB 134/1855/19. Sitzung (17. April 1957). 134 So zum Beispiel in PREM 11/1844 (27. April 1957). 135 Macmillan an Spaak: FO 371/122035/270 (16. Oktober 1956). 136 Die Einbeziehung der Kolonien in die Zollunion strebte Frankreich im wesentlichen an, um dafür von der Bundesrepublik Deutschland Entwicklungshilfegelder zu erhalten, während die britische Regierung sehr bald zu dem Schluß kam, daß im Rahmen der FHZ eine solche Regelung für die britischen Kolonien, möglicherweise mit der Ausnahme Maltas, nicht in Frage kam. Zu diesem Problem ausführlich Thorneycrofts Denkschriften: CAB 129/86/81 (30. März 1957); CAB 129/87/106-107 (30. April 1957). 137 CAB 134/1240/100 Final (24. Dezember 1956).

Cobden gegen Colbert

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Spaak war jedoch ganz und gar nicht geneigt, jetzt noch auf die zögerlichen Briten Rücksicht zu nehmen, nachdem die Zollunionsverhandlungen durch die politischen Nachbeben des Suez-Kriegs in Frankreich einen, wie sich zeigen sollte, entscheidenden Anschub erhalten hatten.138 Bereits im Oktober hatte der Außenminister in seiner Reaktion auf Macmillans Intervention gegenüber dem britischen Botschafter in Belgien, George Labouchere, deutlich gemacht, daß die Verhandlungen und die Ratifizierung der Verträge unbedingt zeitig vor der 1957 anstehenden Bundestagswahl und dem jederzeit möglichen Sturz der Regierung Mollet in Frankreich abgeschlossen werden müßten.139 Nachdem sie bereits so viel in die Messina-Initiative investiert hatten, wollten die Regierungen der EGKSStaaten die Verhandlungen jetzt nicht noch mit den kleinkariert erscheinenden Sorgen der britischen Regierung belasten. Der OEEC-Ministerrat beschloß schließlich am 13. Februar 1957 die Aufnahme von Verhandlungen über die Gründung einer Freihandelszone, die dann jedoch auf Drängen der französischen Regierung erst im Oktober beginnen durften, damit die Ratifizierung der Römischen Verträge in der Nationalversammlung, die am 10. Juli mit 342 gegen 239 Stimmen erfolgte, nicht gefährdet wurde.140 Daß die Verhandlungen innerhalb der OEEC letztendlich erst sechs Monate nach dem Abschluß der Brüsseler Verhandlungen beginnen konnten, hatte sich die britische Regierung selbst zuzuschreiben. Statt von Anfang an zu versuchen, „Plan G" mit dem Spaak-Bericht und die OEEC-Verhandlungen mit denjenigen der EGKS-Staaten abzustimmen, ließen selbst die meisten ihrer Befürworter die britische Gegeninitiative im politischen Kriechtempo einherkommen. Besonders Macmillan stellte nicht nur die parteiinterne Diplomatie über die außenpolitische, sondern hoffte in seiner attentistischen Ambivalenz ab und an, daß sich die Messina-Initiative doch noch als Spuk und damit der intern kontroverse „Plan G" als überflüssig erweisen könnte. Daß die Folgen der Suez-Krise die Zollunionsverhandlungen so beschleunigen würden, war im Frühjahr und Sommer 1956 noch nicht vorherzusehen. Das Versäumnis der britischen Regierung lag jedoch darin, daß sie wie schon 1955 nicht auf die unterschiedlichen denkbaren Entwicklungen vorbereitet war. Als die FHZ-Verhandlungen dann 1957 endlich begannen, stand Maudling unter enormem Zeitdruck, so schnell wie möglich zu einem Vertragsabschluß zu kommen, damit die erste Stufe des Zollabbaus innerhalb der FHZ gleichzeitig mit deijenigen der EWG zum 1. Januar 1959 erfolgen konnte, während die französische Regierung als Gegenspieler in Westeuropa innerhalb der EWG institutionell und politisch abgesichert war und die Tagesordnung der Pariser Verhandlungen beinahe nach Belieben diktieren konnte. Daß die französische Regierung trotz der innenpolitischen Wirren in der Endphase der Vierten Republik europapolitisch in einer starken Position war, war den Entscheidungsträgern in London anfänglich verborgen geblieben. Maudling konzedierte erst im Januar 1958 im 138 Zu dieser allgemeinen Sicht vergl. zum Beispiel Küsters, Die Gründung, S.327, der besonders die Bedeutung des Treffens zwischen Mollet und Adenauer am 6. November 1956, dem Tag der Entscheidung für den Rückzug der britischen und französischen Truppen vom Suez-Kanal, betont; siehe auch Gladwyn Jebb: The Memoirs of Lord Gladwyn, London 1972, S.290. 139 FO 371/122035/276 (17. Oktober 1956). 140 Vergl. Alfred Grosser: La IVe Republique et sa politique exterieure, Paris 1967, S.346. Mit der Ratifizierung der Römischen Verträge durch das französische Parlament war zu rechnen, nachdem die Regierung bereits am Ende einer sogenannten Orientierungsdebatte am 15. Januar 1957 eine Abstimmung über das Prinzip eines Beitritts zu einer Zollunion mit 332 gegen 207 Stimmen gewonnen hatte.

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Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)

Kabinett, daß es in Frankreich überhaupt gar keine Unterstützung für das FHZ-Projekt aus wirtschaftlichen Gründen gab,141 während dies innerhalb der Verwaltung 1956 bereits vorhergesehen worden war. Genauso wie Macmillan waren die Beamten allerdings zu der Zeit noch davon ausgegangen, daß die französische Regierung in die Freihandelszone gezwungen werden konnte. 142 Notfalls, so hieß es in Macmillans abschließender Entscheidungsvorlage für das Kabinett, müßten die anderen OEEC-Staaten eben damit drohen, eine FHZ unter Ausschluß Frankreichs zu gründen.143 Interne Kritik an dieser selbstgefälligen Überschätzung des britischen Einflusses in Westeuropa, vor allem auf die EWG-Staaten, wurde wie schon 1955 ausgeblendet. Nach seinem prognostischen Debakel im Vorjahr kamen die Warnungen diesmal frühzeitig von dem britischen Botschafter in Frankreich, Gladwyn Jebb, der inzwischen nicht mehr die im Londoner Außenministerium und im Kabinett vorherrschende britannozentrische Sicht teilte. In bezug auf die ins Auge gefaßte Drohstrategie gegenüber Frankreich fragte Gladwyn Jebb bereits im August 1956 skeptisch: „But would the eleven, or so, other countries be prepared to hold this collective pistol at France's head?" 144 Obwohl die Partner in der EWG sowohl über die Notwendigkeit als auch über die wünschenswerte Gestalt einer Freihandelszone uneins waren, bewirkte die organische Entwicklung der Gemeinschaft gerade vor dem Hintergrund der sich verschärfenden innenpolitischen Krise in Frankreich einen hohen Grad an interner Solidarisierung mit den Verhandlungspositionen der Regierung in Paris. Von daher hielt die französische Regierung spätestens seit dem erfolgreichen Abschluß der Zollunionsverhandlungen alle Trümpfe in der Hand, während sich die britische Regierung, die sich aus wirtschaftlichen Gründen auf die Freihandelszone angewiesen glaubte, nach und nach zu mehr und mehr Konzessionen gezwungen sah, nur um schließlich mit de Gaulles Veto konfrontiert zu werden.145 Dabei war die französische Obstruktionspolitik durchaus vorhersehbar gewesen. Bereits im Januar 1957 hatte der belgische Außenminister Spaak während eines Besuchs in London deutlich gemacht, daß die französische Regierung einer Freihandelszone allenfalls dann zustimmen würde, wenn sie dafür mindestens ebenso vorteilhafte Bedingungen aushandeln könnte wie im Rahmen der Zollunion.146 Bestätigt wurde dessen Einschätzung dann am 6. Februar 1957 von Europaminister Maurice Faure in einer ersten, offiziellen Stellungnahme zum FHZ-Plan 147 sowie durch die langen Listen mit den für die Verhandlungen in der OEEC zu erwartenden 141 CAB 129/91/27 (30. Januar 1958). 142 Vergl. zum Beispiel die Empfehlungen des Joint Second Secretary im Schatzamt, Bernhard William Gilbert: CAB 134/1231/75 (3. September 1956). 143 CAB 129/84/256 (6. November 1956). 144 CAB 134/1239/18 (17. August 1957). 145 In diesem Zusammenhang siehe auch den Bericht von Ashley Clarke im Oktober 1956: FO 371/122036/289 (19. Oktober 1956). Der britische Botschafter in Rom warnt darin, die italienische Regierung halte die britische Position im Hinblick auf das FHZ-Projekt für sehr schwach, weil sich Großbritannien aus wirtschaftlichen Gründen den Ausschluß von einem Gemeinsamen Markt der Sechs gar nicht leisten könne. Vergl. ebenfalls die nüchterne Einschätzung in Clarke an de Peyer: T 234/201 (17. April 1957). 146 Nutting, S.91. 147 Maurice Faure erklärte die Bereitschaft Frankreichs zur Teilnahme an einer Freihandelszone „ä condition d'obtenir les memes garanties que dans la communaute ä Six". Zitiert bei Serge Bernier: Relations Politiques Franco-Britanniques (1947-1958), Sherbrooke/Quebec 1984, S.178.

Zwischen Scylla und Charybdis

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Forderungen der französischen Regierung, die Gladwyn Jebb im weiteren Verlauf des Jahres 1957 nach London schickte.148 Die Freihandelszone lehnte die französische Regierung zunehmend nicht mehr nur aus wirtschaftlichen, sondern im Zuge des sich seit 1955 sowohl in der Europapolitik als auch in der Saarfrage abzeichnenden, substantiellen deutsch-französischen Rapprochements auch aus politischen Gründen ab. Die OEEC-Verhandlungen spiegelten zunehmend die in der ersten Häfte der fünfziger Jahre bereits latent vorhandene britisch-französische Konkurrenz um die politischen Führung des westlichen Europa wider. Dieser von der Londoner Regierung viel zu spät wahrgenommene britisch-französische Gegensatz bildete den Kern des Konflikts um die Freihandelszone und nicht etwa der Streit um landwirtschaftliche Kompensationen oder Zollharmonisierung. Rückblickend schrieb Spaak deshalb auch über die Zollunions- und FHZ-Verhandlungen: „Dort, wo es einen politischen Willen gibt, gibt es keine unüberwindlichen technischen Schwierigkeiten. Dort, wo es keinen politischen Willen gibt, wird jede technische Schwierigkeit zu einem Vorwand, um die Verhandlung zum Scheitern zu bringen."149

5. Zwischen Scylla und Charybdis Der Vorschlag für eine industrielle Freihandelszone in Westeuropa ist in der Regel als Anzeichen einer substantiellen Verlagerung der britischen Außenpolitik auf Europa gedeutet worden.150 In historischer Perspektive erscheint das FHZ-Projekt jedoch als ausgesprochen zögerliche und darüber hinaus in außenpolitischer Hinsicht eminent konservative Reaktion auf die doppelte ökonomische und politische Herausforderung der Messina-Initiative. Ursprünglich war die britische Gegeninitiative 1956 aus Angst vor den ökonomischen Folgen eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt der Sechs entstanden. Das FHZProjekt stellte insofern ein pragmatisches Konzept zur wirtschaftlichen Schadensbegrenzung dar.151 Es sollte der britischen Exportindustrie erlauben, an den Vorteilen des größeren europäischen Binnenmarktes teilzuhaben, ohne daß Modifikationen an anderen, aus ökonomischen oder politischen Gründen vorteilhaft erscheinenden Regelungen notwendig wurden, d.h. vor allem bei den schrumpfenden Commonwealth-Präferenzen und dem fortgesetzten Auf- und Ausbau der heimischen Landwirtschaft. Hieraus entwickelten sich im weiteren Verlauf der Beratungen eine stärker politische und eine wirtschaftliche Motivationsvariante: Aus Macmillans Sicht war „Plan G" die einzige verbleibende Hoffnung auf eine Stabilisierung der Geometrie der Churchillschen drei Kreise sowie, sich daraus ableitend, der vermeintlichen Weltmachtrolle. In diesem Sinne war das FHZ-Projekt nicht Ausdruck der Suche nach einem neuen Platz für Großbritannien in Europa, sondern nach dem besten Mittel zur Sicherung der wirtschaftlichen Vorteile eines gleichberechtigten Marktzugangs und des eigenen politischen Einflusses in Westeuropa ohne nennenswerte institutionelle Selbstverpflichtung. Die andere, wirtschaftliche Denkschule in der Regierungsverwaltung, deren wichtigster Anwalt Thorneycroft war, sah „Plan G" dagegen in erster Linie im Kontext der 148 Siehe besonders FO 371/128339/300 (14. März 1957); FO 371/128351/732 (11. Juni 1957); FO 371/128354/801 (30. Juli 1957). 149 Spaak, S.316. 150 Beginnend mit Camps, S.509. 151 W. Kaiser, Selbstisolierung, S.149f.

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Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)

andauernden Debatte um eine Modernisierung der britischen Außenwirtschaftspolitik durch eine Abkehr vom Commonwealth-Präferenzsystem. In dem Bekenntnis der wirtschaftspolitischen Modernisierer zum liberalen Freihandelsprinzip bestand die eigentliche Innovation von „Plan G". In seiner regionalen Beschränkung auf Westeuropa und produktbezogenen Einengung auf Industriegüter stellte der FHZ-Vorschlag eine pragmatische und für die Konservative Partei verdauliche Adaption der reinen liberalen Lehre dar. Damit hoffte vor allem das Außenhandelsministerium, unbeschadet zwischen Scylla und Charybdis segeln zu können, also zwischen der überholten und einseitigen außenwirtschaftlichen Ausrichtung auf das Commonwealth einerseits und der jedenfalls langfristig drohenden Absorption in die ungeliebte europäische Zollunion andererseits. In diesem Kalkül stellte das FHZ-Projekt genauso wenig wie bei Macmillan eine Hinwendung zu Europa dar. Die Modernisierungsstrategie für die britische Außenwirtschaftspolitik gab möglicherweise eine perspektivische Antwort, jedoch auf eine Frage, die sich, aus der Messina-Initiative abgeleitet, so nur Großbritannien stellte. Sie war keine adäquate Entgegnung auf die ausschlaggebende, in Verwaltung und Kabinett allenfalls unvollständig verstandene, hochgradig politische Herausforderung, eine neue Organisationsstruktur für Westeuropa zu entwickeln. Durch die offene Diskussion der Folgen der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die zukünftige außenpolitische Bewegungsfreiheit Großbritanniens trug die Debatte innerhalb der Regierung über eine außenwirtschaftspolitische Modernisierung langfristig dazu bei, einen allmählichen Paradigmenwechsel in der Europapolitik vorzubereiten. Kurz- und mittelfristig schadete jedoch die regierungsinterne Usurpation der Gegeninitiative und der späteren FHZ-Verhandlungen durch das Außenhandelsministerium „Plan G". Die Europapolitik wurde dadurch als Handelspolitik entpolitisiert und durch die anfängliche Indifferenz des Außenministeriums zu einer sektoralen, ökonomisch akzentuierten Politikfrage für das Außenhandelsministerium, das die politische Komponente der EWGGründung weitgehend ignorierte.152 Unter diesen Vorzeichen mußte die Entwicklung eines tragfähigen, vor allem auch für Frankreich attraktiven Gesamtkonzepts mißlingen. Ähnlich wie bereits im Zusammenhang mit der ursprünglichen Entscheidung gegen die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt der EGKS-Staaten ist daher zu fragen, ob es 1956/57 andere außenpolitische Optionen als das FHZ-Konzept gab, die erfolgversprechender gewesen wären. Diese Frage ist bisher in der Regel implizit unter Rekurs auf innerparteiliche und innenpolitische Zwänge verneint worden.153 So läßt sich jedoch beispielsweise nicht erklären, warum die britische Regierung im weiteren Verlauf der FHZ-Verhandlungen im Vergleich mit dem Ausgangskonzept sehr weitreichenden Modifikationen zuzustimmen bereit war, ohne daß daran der relativ stabile Konsens zwischen den Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen zerbrochen wäre, daß das FHZ-Projekt eine ökonomische Notwendigkeit darstellte. Davon abgesehen, sollte „Plan G" auch deshalb nicht als Schritt an die Grenze des politisch Vertretbaren interpretiert werden, weil das FHZ-Konzept zumindest innerhalb der Regierungsverwaltung immer mehr als das absolut unverzichtbare Minimum angesehen wurde, wenn die im Lichte der späteren Entwicklung möglicherweise überbewerteten ökonomischen Gefahren abgewendet werden 152 William Wallace: The Foreign Policy Process in Britain, London 1975, S.13. 153 Siehe etwa John Barnes: From Eden to Macmillan, 1955-1959, in: Peter Hennessy und Anthony Seidon (Hrsg.): Ruling Performance. British Governments from Attlee to Thatcher, Oxford 1987, S.98-149 (131).

Zwischen Scylla und Charybdis

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sollten, die von dem Ausschluß von einem Gemeinsamen Markt der Sechs auszugehen drohten. Unabhängig von dem ökonomischen Charakter von „Plan G" stellt sich jedoch die Frage, ob die britische Regierung 1956/57 die Wahl hatte, die Gegeninitiative mit politischer Substanz zu versehen, um so die Aussichten auf einen erfolgreichen Vertragsabschluß zu erhöhen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag für ein „Grand Design", der vom Außenministerium unter dem Eindruck des Suez-Kriegs und der Entfremdung von der amerikanischen Regierung entwickelt und im Januar 1957 von Außenminister Lloyd im Kabinett vorgestellt wurde. 154 Dieser Plan knüpfte insofern an die Überlegungen des Außenministeriums im Frühjahr 1956 an, als er eine organische institutionelle Verbindung der bereits existierenden oder noch im Entstehen begriffenen europäischen Organisationen vorsah, also OEEC, Europarat, EGKS, EWG und FHZ. Dieses Element des „Grand Design" hatte Lloyd bereits im Dezember 1956 erstmals im NATO-Ministerrat angedeutet. 155 Der Außenminister stellte sich vor, daß alle Institutionen so verschachtelt sein könnten, daß nur die auf der jeweiligen Integrationsstufe beteiligten Regierungen bzw. Parlamentarier an den Entscheidungen teilhaben würden. Betraf beispielsweise eine Frage nur die Staaten mit gemeinsamen Außenzöllen, sollten auch nur diese darüber verhandeln. Alle Formen der Kooperation und Integration waren jedoch unter dem Dach des „Grand Design" vereint. Insoweit wärmte das „Grand Design" lediglich den sogenannten Eden-Plan aus dem Jahr 1952 auf. Weil allein dieser Teil des Projekts öffentlich bekannt wurde, ist das „Grand Design" bisher als Versuch der britischen Regierung interpretiert worden, der EWG ihre integrative Stoßrichtung zu nehmen und Zeit zu gewinnen. Lloyd hatte jedoch ursprünglich eine weit über diese Strukturreform hinausgehende, radikale Neuorientierung der britischen Außenpolitik auf Westeuropa im Sinn. Am 8. Januar 1957 erklärte er bei der Vorstellung des „Grand Design" im Kabinett gegenüber seinen Kollegen „(...) the time (is now) ripe for a fresh initiative towards closer association between the United Kingdom and Europe. (The Free Trade Area) might now be supplemented by proposals for a closer political association and (...) a military association between the W.E.U. Powers within N.A.T.O. (which) should stop short of federation." 156 Nach Suez rechnete Lloyd mit der Entwicklung einer „freundlichen Rivalität" zwischen Westeuropa und den Vereinigten Staaten. Großbritannien, so der Außenminister in seiner Denkschrift, müsse als integraler Teil desselben Westeuropa führen, das sich zu einer dritten Großmacht entwickeln solle. Dafür sei neben der ins Auge gefaßten Strukturreform der europäischen Organisationen vor allem die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen WEU-Atomstreitmacht mit einer britisch-französischen Achse erforderlich.'57 Lloyd lehnte die in der Nachkriegszeit in jeweils unterschiedlichem Zusammenhang vor allem in der Arbeiterpartei und in Frankreich diskutierte Forderung ab, Westeuropa solle zu einer dritten Kraft zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion werden. Dem „Grand Design" war sowohl die betont anti-kapitalistische ideologische als auch die antiamerikanische außenpolitische Stoßrichtung früherer „Third Force"-Ideen fremd. Es handelte sich hier um eine konservativ-britische Variante des Themas, welche Rolle Westeuropa in 154 155 156 157

CAB 129/84/6 (5. Januar 1957). M. Beioff, New Dimensions, S.l 10. CAB 128/30,11/3. Sitzung (8. Januar 1957). CAB 129/84/6(5. Januar 1957).

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Industrielle Freihandelszone (1956 bis 1958)

Zukunft in der Weltpolitik spielen konnte. Das „Grand Design" wollte aber vor allem Großbritanniens Rolle in der internationalen Politik sichern und war insofern bereits ähnlich motiviert wie der erste britische EWG-Beitrittsantrag vier Jahre später. Es war kein ausgereifter Plan, sondern der Versuch einer Standortbestimmung nach Suez. Deshalb wirkt Lloyds Denkschrift auch noch gedanklich ungeordneter als Macmillans Ausführungen zu demselben Thema Anfang der sechziger Jahre. Unmißverständlich war jedoch der Grundtenor einer Neuorientierung auf Westeuropa „with our immediate neighbours (...) where we now most belong", wie es in der Denkschrift heißt.158 Nachdem das Außenministerium 1956 noch weitgehendes Desinteresse gegenüber den Plänen der Wirtschaftsministerien gezeigt hatte, machte sich Lloyd jetzt nach dem Schock des anglo-amerikanischen Zerwürfnisses innerhalb der Regierung zum Anwalt der zuvor unterdrückten Alternative einer politisch substantiellen Ergänzung zum ökonomischen FHZ-Plan. Diese europäische Option wurde jedoch noch in der Kabinettssitzung am 8. Januar 1957 verworfen. Lloyd blieb mit seiner Auffassung allein. In Abwesenheit des kranken Eden, der zwei Tage später durch Macmillan abgelöst werden sollte, und politisch gedeckt durch das stillschweigende Einverständnis ihrer Ministerkollegen setzten sich Salisbury und Verteidigungsminister Anthony Head besonders vehement dafür ein, einem Ausgleich mit den USA absoluten außenpolitischen Vorrang zu geben. 159 Ausschlaggebend für diese Entscheidung war ausschließlich die noch dominante traditionalistische Wahrnehmung von Großbritanniens Weltmachtstatus, in der nur die Protektion durch die amerikanische Regierung einen Platz am Tisch der Supermächte zu garantieren schien.160 In der selbst proklamierten und nur in London so wahrgenommenen Sonderbeziehung einer bilateralen Allianz der eigentlichen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs suchte die britische Regierung nach wie vor politische Gewißheit und psychologische Geborgenheit. Irgendwelche Zwänge innen- oder außenpolitischer Natur spielten dagegen bei der Entscheidung gegen eine europäische Neuorientierung in Form des „Grand Design" überhaupt keine Rolle. Insofern ökonomische Interessen betroffen waren, durfte die britische Regierung sogar im Gegenteil darauf hoffen, daß die politische Selbstverpflichtung bis hin zum Aufbau einer europäischen Atomstreitmacht den wirtschaftlichen Preis für den FHZPlan spürbar senken und dessen Erfolgschancen drastisch erhöhen konnte. Innenpolitisch konnte die anti-amerikanische Reaktion in der Bevölkerung und der Konservativen Partei auf Eisenhowers Suez-Politik der Führung in eine europäische Neuorientierung ohne die viel weitreichenderen politischen und ökonomischen Folgen eines EWG-Beitritts kaum förderlicher sein. Gerade im Hinblick auf eine engere militärische Kooperation gab es außerdem keine Commonwealth-Alternative, weil selbst die Anhänger des Empire-Flügels der Konservativen Partei nicht daran dachten, eine gemeinsame Atomstreitmacht mit Südafrika, Indien und Neuseeland aufzubauen. Da das „Grand Design" schließlich, Kennedys späterem 158 Ebd. 159 CAB 128/30,11/3. Sitzung (8. Januar 1957). 160 Siehe hierzu auch Werner Abelshauser: „Integration ä la Carte". Der Primat der Politik und die wirtschaftliche Integration Westeuropas in den 50er Jahren, in: Josef Wysocki (Hrsg.): Wirtschaftliche Integration und Wandel von Raumstrukturen im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1994, S. 141-158 (156). In welchem Maße zu diesem Zeitpunkt bereits der „europäische Kooperationsaspekt" Eingang in das „Denken britischer Politiker" gefunden habe, wird dagegen überbetont bei Bernd Ebershold: Machtverfall und Machtbewußtsein. Britische Friedens- und Konfliktlösungsstrategien 1918-1956, München 1992, S.407.

Zwischen Scylla und Charybdis

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Konzept vorgreifend, den Aufbau eines westeuropäischen Pfeilers innerhalb der Atlantischen Allianz vorsah und insofern durchaus mit den Grundprinzipien der amerikanischen Sicherheits- und Europapolitik kompatibel gehalten werden konnte, bestand 1957 vor der Wiederaufnahme der nuklearen Sonderbeziehung zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten durchaus die Chance, die Eisenhower-Regierung für dieses Konzept zu gewinnen. Die Möglichkeiten und Grenzen des „Grand Design" wurden jedoch innerhalb der Regierung nicht ausgelotet. Auch der neue Premierminister Macmillan gab dem traditionalistisch motivierten Rapprochement mit der amerikanischen Regierung bewußt Vorrang vor Europa.161 Der Suez-Krieg beschleunigte zwar die Annahme von „Plan G", führte jedoch, anders als in Frankreich, keineswegs zu einer europäischen Neuorientierung. Insofern markiert diese Krise, die eindrucksvoll den politisch-militärischen Substanzverlust der alten europäischen Nationalstaaten demonstriert hatte, auch einen Scheideweg, an dem sich Großbritanniens und Frankreichs Wege außen- und europapolitisch längst vor de Gaulles Machtübernahme trennten.162

161 Ähnlich, wenngleich ohne Bezug zum „Grand Design", Christopher John Barlett: 'The Special Relationship'. A Political History of Anglo-American Relations since 1945, London/New York 1992, S.88. 162 Hörne, Macmillan II, S.21.

KAPITEL 4

Erster EWG-Beitrittsantrag (1959 bis 1961)

Nach dem Scheitern der FHZ-Verhandlungen durch de Gaulles Veto im Dezember 1958 begann die britische Regierung, nach einer alternativen Politik zu suchen, um die seit 1955 innerhalb von Whitehall prophezeiten, von dem Selbstausschluß von der EWG ausgehenden wirtschaftlichen Gefahren abzuwenden oder zumindest zu reduzieren. Im Februar 1959 legte Derek Heathcoat-Amory, der Anfang 1958 Thorneycroft als Schatzkanzler abgelöst hatte, im Kabinett eine Denkschrift vor, in der noch einmal begründet wurde, warum die Option des Beitritts zur EWG auch weiterhin auszuscheiden schien. 1 Als die drei ausschlaggebenden Gründe nannte der Schatzkanzler erstens die dann erforderliche Einführung „negativer Präferenzen" gegenüber dem Commonwealth; zweitens die notwendige Teilnahme an der noch im Entwicklungsstadium befindlichen gemeinschaftlichen Agrarpolitik und die damit verbundene Umstellung des landwirtschaftlichen Subventionssystems sowie drittens den unausweichlichen Souveränitätsverzicht in einer Organisation, die sich langfristig zu einem supranationalen europäischen Bundesstaat entwickeln könnte. Wegen der von der Londoner Regierung so wahrgenommenen „Diskriminierung" durch die erste EWG-interne Zollsenkung um zehn Prozent zum 1. Januar 1959 hatte Macmillan bereits während der FHZ-Verhandlungen mit der Möglichkeit eines Handelskriegs gedroht. Jedoch erschien die britische Position dafür ökonomisch und politisch viel zu schwach, zumal die amerikanische Regierung hinter der EWG stand. Nachdem in bilateralen Verhandlungen mit Frankreich eine Übergangsregelung mit Zollsenkungen und einem weiteren Abbau verbliebener mengenmäßiger Beschränkungen vereinbart worden war, setzte sich die britische Regierung stattdessen für die Gründung einer kleinen Freihandelszone der äußeren Sieben ein, also unter Beteiligung von Norwegen, Schweden, Dänemark sowie Österreich, der Schweiz und Portugal. Die Verhandlungen fanden in der zweiten Jahreshälfte 1959 statt und endeten mit der Paraphierung der Stockholmer Konvention im November 1959, die zur Gründung der Europäischen Freihandelsgemeinschaft (EFTA) 1960 führte. Um zu einem erfolgreichen Vertragsabschluß zu gelangen, hatte sich die britische Regierung zu bilateralen Konzessionen im Bereich der Landwirtschaft genötigt gesehen, vor allem beim Import von Schinken aus Dänemark und Fisch aus Norwegen. Davon abgesehen entsprach der EFTA-Vertrag jedoch weitgehend dem ursprünglichen britischen Konzept für eine möglichst wenig institutionali1 CAB 129/96/27 (20. Februar 1959).

Modernisierung durch Wettbewerb

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sierte und strikt zwischenstaatlich organisierte Marktintegration in Form einer reinen Freihandelszone. Ausschlaggebend für die Entscheidung für die kleine Freihandelszone waren erneut, wie bereits drei Jahre zuvor bei „Plan G", negative Gründe. Nichts zu unternehmen nach de Gaulies Veto, so stellten die Minister bald fest, schien einerseits wegen der wirtschaftlichen Gefahren auszuscheiden. Diplomatische Untätigkeit konnte andererseits auch als Schwäche der britischen Regierung ausgelegt werden.2 Nicht wegen der ihr innewohnenden wirtschaftlichen oder politischen Vorzüge entschied sich die britische Regierung schließlich für die kleine FHZ, sondern weil nach Auffassung der Minister erneut keine Alternative bestand.3 Bereits im Sommer 1957 hatte Macmillan davon gesprochen, daß die britische Regierung die EWG für den Fall eines Scheiterns von „Plan G" gemeinsam mit den skandinavischen Staaten bekämpfen müsse.4 Während der FHZ-Verhandlungen hatte sich allerdings bereits gezeigt, wie disparat die ökonomischen und politischen Interessen der späteren EFTA-Staaten waren. Nur indem sich die britische Regierung an die Spitze einer institutionalisierten peripheren Allianz in Westeuropa stellte, erschien es überhaupt möglich, eine halbwegs stabile Front gegen die EWG aufzubauen. Andernfalls bestand die Gefahr, daß andere OEEC-Staaten versuchen würden, bilaterale Assoziierungsabkommen mit der EWG zu schließen oder ihr gar als Nachzügler beizutreten. Als eines der schwächsten Glieder in der Kette galt Dänemark, das wirtschaftlich in hohem Maße von seinen Agrarexporten nach Großbritannien und Deutschland abhängig war und insofern zwischen den Stühlen saß.5 Fiel ein Stein in der Reihe, würden die anderen jedoch bald folgen, glaubten die Minister. Macmillans europäische Dominotheorie hieß „(that) if we cannot successfully organise the Opposition group (...) then we shall undoubtedly be eaten up, one by one, by the Six".6 Insofern sollte die EFTA-Gründung primär die Anziehungskraft des wirtschaftlichen Magneten EWG reduzieren. Gedacht war jedoch auch daran, Gegendruck auf die EWG auszuüben, besonders auf die Bundesrepublik Deutschland, die 1958/59 noch mehr in die EFTA als in die EWG exportierte. Immerhin gingen 27,5 Prozent aller deutschen Exporte in die EFTA-Staaten, zwei Drittel davon nach Skandinavien, Österreich und in die Schweiz, ein Drittel nach Großbritannien. 7 Während die deutsche Industrie innerhalb der EWG einen Wettbewerbsvorteil erwarb, geriet sie durch die EFTA-Gründung in diesen Märkten in einen tarifären Nachteil gegenüber der Konkurrenz aus Großbritannien und den anderen EFTAStaaten. Wie die britische Regierung hoffte, würde das einen Anreiz für die Bundesregierung bilden, Druck auf Frankreich auszuüben, um zu einer Lösung für den entstehenden westeuropäischen Handelskonflikt zu gelangen.8 Die Gründung der kleinen FHZ wurde in der Londoner Regierung nämlich von Anfang an nicht als Ziel für sich betrachtet. Als langfristig angelegtes Konzept für die britische 2 3 4 5 6

CAB 130/123/GEN 580/4. Sitzung (5. März 1959). So bereits de Zulueta an Macmillan: PREM 11/2532 (3. Dezember 1958). Macmillan an Thorneycroft: PREM 11/2133 (15. Juli 1957). Siehe auch CAB 128/33/30. Sitzung (7. Mai 1959). HMD (7. Juli 1959), zitiert bei Harold Macmillan: Pointing the Way 1959-1961, London 1972, S.54. Auf diese Gefahr hatte Maudling bereits während der FHZ-Verhandlungen hingewiesen und mit dieser Begründung weitgehendere britische Konzessionen gefordert: CAB 128/32,1/5. Sitzung (14. Januar 1958). 7 Benoit, S.86. 8 CAB 128/33/30. Sitzung (7. Mai 1959).

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Erster EWG-Beitrittsantrag (1959 bis 1961)

Europapolitik galt die EFTA als weder ökonomisch attraktiv noch politisch kohärent und weltweit einflußreich genug. Sie wurde letztlich in erster Linie als Mittel zum Zweck gesehen, doch noch einen gesamteuropäischen Wirtschaftsverbund zu verwirklichen. Mit der neuen Organisation wollte die britische Regierung eine Brücke zur EWG schlagen, um zu einem späteren Zeitpunkt erneut Verhandlungen aufnehmen zu können, dann allerdings zwischen zwei wenigstens halbwegs gleichstarken Wirtschaftsblöcken anstatt zwischen der EWG auf der einen und einzelnen OEEC-Staaten auf der anderen Seite, wie sich das 1958 dargestellt hatte.9 Die Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung Westeuropas in die Sechs und die Sieben durch einen gesamteuropäischen Wirtschaftsverbund erwies sich jedoch schon bald als Illusion. Infolgedessen bewegte sich die britische Regierung seit Ende 1959 allmählich in Richtung auf die Entscheidung für den ersten EWG-Beitrittsantrag, die schließlich im Juli 1961 getroffen wurde. Anders als 1955 bei der Entscheidung gegen die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt oder 1956/57 bei der Entwicklung der Gegeninitiative in Form von „Plan G" wurde der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß in der Regierung zwischen 1959 und 1961 zunehmend von oben gesteuert. Der allmähliche Wandel in der Europapolitik wurde von Premierminister Macmillan beschleunigt, für den sich die Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einem der anfangs außen-, aber zunehmend auch innenpolitisch wichtigsten Themen seiner Regierung entwickelten. Der rasche Aufstieg der Europapolitik in der politischen Prioritätenliste der Regierung spiegelt sich in einer gründlichen Reorganisation der Ausschußstruktur wider. 1955 war die Haltung zur Messina-Initiative von den Ministern noch eher am Rande im Rahmen des allgemein für Wirtschaftsfragen zuständigen Economic Policy Committee diskutiert worden. Dieser Ausschuß blieb auch 1956/57 verantwortlich, jedoch wurde „Plan G" immerhin bereits relativ ausführlich im Kabinett beraten. Danach wurde ein ad hoc-Ausschuß eingerichtet, in dem die beteiligten Minister die Pariser FHZ-Verhandlungen überwachten. Dieser wurde schließlich im Oktober 1959 als European Economic Association Committee in der permanenten Ausschußstruktur etabliert, womit eine kontinuierliche Beratung der Europapolitik unmittelbar unterhalb der Kabinettsebene garantiert war. Daß Macmillan außerdem selbst den Vorsitz in diesem neuen Kabinettsausschuß übernahm, ist ein zusätzlicher Indikator für die gewachsene Bedeutung der Europapolitik. Diese Gewichtsverlagerung wiederholte sich auf der Beamtenebene. 1955 hatte sich lediglich eine Arbeitsgruppe des Mutual Aid Committee mit der Messina-Initiative befaßt. „Plan G" wurde dann bereits in einem neu eingerichteten Unterausschuß des Economic Steering Committee der Spitzenbeamten beraten. Nachdem die Struktur für die FHZ-Verhandlungen erneut modifiziert worden war, wurde im März 1960 das Economic Steering Committee dreigeteilt. Danach widmete sich das vom neuen Joint Permanent Secretary im Schatzamt, Frank Lee, geleitete Economic Steering (Europe) Committee ausschließlich der Europapolitik, während die beiden anderen Ausschüsse für Fragen der Commonwealth-Beziehungen bzw. der allgemeinen Wirtschaftspolitik zuständig waren. Zugearbeitet wurde dem Lee-Ausschuß von den mittleren Beamten im ebenfalls im März 1960 neu eingerichteten European Economic Questions (Official) Committee. Diese Reorganisation der Ausschußstruktur reflektierte den erheblichen Bedeutungszuwachs, den die Beziehungen Großbritanniens zur noch jungen EWG seit Ende 1959 im 9 CAB 130/123/GEN 580/4. Sitzung (5. März 1959); CAB 128/33/30. Sitzung (7. Mai 1959).

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Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß erfuhren. Die Europapolitik wurde nun auch immer weniger als Außenwirtschaftspolitik begriffen. Das Rapprochement der Sieben bzw. Großbritanniens mit der EWG galt nicht mehr, anders als die Verhandlungen zwischen 1957 und 1959, als Domäne des Außenhandelsministeriums. Vielmehr bestand jetzt das Außenministerium auf einer führenden Rolle innerhalb von Whitehall. Großbritanniens zukünftige Rolle in Europa zu definieren, galt immer mehr als ein gleichermaßen politisches wie wirtschaftliches Problem. Je mehr sich die britische Regierung dem ersten EWG-Beitrittsantrag näherte, desto offensichtlicher sollten sogar die im engeren Sinne außenpolitischen Erwägungen die wirtschaftlichen in den Schatten stellen.

1. Modernisierung durch Wettbewerb Nach dem Scheitern der FHZ-Verhandlungen und der erfolgreichen Gründung der EFTA waren die Wirtschaftsministerien anfangs weniger beunruhigt über die Gefahren eines Ausschlusses von dem Gemeinsamen Markt der Sechs als in den internen Beratungen 1955.'° In einer Denkschrift für das Kabinett gestand Schatzkanzler Heathcoat-Amory im Dezember 1959 ein, daß ein Brückenschlag zwischen der im Entstehen begriffenen EFTA und der EWG nach dem soeben zu Ende gegangenen Besuch des amerikanischen Unterstaatssekretärs für Wirtschaftsfragen, Douglas Dillon, vorerst wegen der wachsenden Opposition der Washingtoner Regierung gegen ein reines Wirtschaftsabkommen in Westeuropa nicht in Frage komme. Allerdings sei das allein schon deshalb kein Grund für eine defätistische Sicht des sich entwickelnden Handelskonflikts, weil die zu erwartenden Verluste bei Exporten in die EWG wenigstens zum Teil durch die neuen Chancen im EFTA-Markt ausgeglichen werden könnten." Ende 1959 waren eher zufällige personelle und zeitliche Konstellationen dafür verantwortlich, daß diese Analyse so optimistisch ausfiel. Für die nüchternere Einschätzung durch Teile der Wirtschaftsministerien und die anfänglich skeptische Haltung gegenüber einer grundlegenden Innovation in der britischen Europapolitik gab es nachvollziehbare ökonomische Gründe. Das betraf insbesondere die europäischen Aussichten der Exportindustrie. Deren internationale Wettbewerbsfähigkeit hatte in der Nachkriegszeit merklich nachgelassen. Das schlug sich in einem drastischen Rückgang des Anteils Großbritanniens am Weltexport nieder, der zwischen 1950 und 1960 von 25,5 Prozent auf 16,5 Prozent sank. In demselben Zeitraum stieg derjenige der Bundesrepublik Deutschland von 7,3 auf 19,3 Prozent, was nur teilweise auf einen kompensatorischen Ausgleich der Kriegsfolgen zurückzuführen war.12 Allerdings gab es kaum Anzeichen dafür, daß sich die zweifellos vorhandenen strukturellen Probleme der britischen Exportwirtschaft regional verschieden auswirken und im EWGMarkt besonders katastrophale Folgen zeitigen würden. Während einer Phase internationaler Handelsexpansion sanken die britischen Exporte in das Commonwealth zwischen 1956 und 1962 von 1,26 auf 1,19 Milliarden Pfund,' 3 so daß deren relativer Anteil am Gesamtexport

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Zur Politik der Wirtschaftsministerien in der Beitrittsfrage W. Kaiser, Tojoin, ornot tojoin, S.145f. CAB 129/99/188 (14. Dezember 1959). B.W.E. Alford: British Economic Performance 1945-1975, London 1988, S.15. Schneider, Großbritanniens Weg, S.245.

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von 47 Prozent auf deutlich unter 40 Prozent fiel.14 In demselben Zeitraum nahmen dagegen die Exporte in die EWG-Staaten von 468 auf 762 Millionen Pfund und in die EFTA-Staaten von 378 auf 519 Millionen Pfund zu,15 wodurch der Anteil Westeuropas denjenigen des Commonwealth überflügelte. Die fortschreitende Europäisierung des britischen Außenhandels, die von den Beamten des Außenhandelsministeriums 1955 bereits vorhergesagt worden war, hatte sich Anfang der sechziger Jahre weitgehend von den politischen Rahmenbedingungen verselbständigt. Zwischen 1960 und 1970 sollte der Anteil des Commonwealth am Gesamtexport Großbritanniens noch mehr zurückgehen, während in demselben Zeitraum derjenige Europas um weitere 19,6 Prozent anstieg.16 Die britischen Exporte in die EWG wuchsen in den sechziger Jahren sogar besonders stark, so daß deren Anteil am Gesamtexport von 14,6 auf 29,2 Prozent hochschnellte.17 Die Exporte in die EWG expandierten damit trotz des wachsenden tarifären Wettbewerbsnachteils stärker als diejenigen in die EFTA, wo die britische Exportindustrie über einen tarifären Wettbewerbsvorteil zu verfügen begann. Von daher liegt es auf der Hand, daß die Probleme der britischen Wirtschaft am allerwenigsten zolltechnischer Art waren und die Gefahren des Ausschlusses von der EWG, insofern sie damit begründet wurden, wohl geringer waren, als die Beamten des Außenhandelsministeriums und der Economic Section des Schatzamtes noch 1955 angenommen hatten. Führende Beamte der Wirtschaftsministerien waren außerdem besorgt, daß die Minister den EWG-Beitritt als politisch attraktiven Ersatz für notwendige, aber innerparteilich und innenpolitisch kontroverse wirtschaftspolitische Strukturreformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie betrachten könnten. Öffentlich wurde diese Befürchtung, wenngleich aus einer anderen politischen Perspektive, vor allem vom Schatzkanzler im Schattenkabinett der Arbeiterpartei, Harold Wilson, artikuliert, der 1961 in der Europadebatte vor dem EWG-Beitritt als „Übung in ökonomischem Eskapismus" warnte.18 Die Wirtschaftsministerien konzentrierten sich 1959/60 auf die Entwicklung einer konservativ-britischen Variante der französischen Wirtschaftsplanung, die schließlich 1961 mit der Gründung des National Economic Development Council (NEDC), einer Anregung des Industrieverbandes FBI folgend, institutionalisiert wurde.19 Als die optimistische EuropaDenkschrift vom Dezember 1959 formuliert wurde, fürchteten einige Beamte noch, daß der Beitritt zur EWG als externem Modernisierungsfaktor an die Stelle des wirtschaftspolitischen Wandels im Innern treten könnte. Daß darin eine große politische Versuchung lag, ohne daß dieser Schritt jemals allein aus der inneren Krise herausführen konnte, zeigten die siebziger Jahre, als die Hoffnung auf den EWG-Beitritt als Allheilmittel für die ökonomische Malaise Großbritanniens an den Realitäten des scharfen Wettbewerbs in der Gemeinschaft zerbrach. Hinzu kam schließlich, daß sich vor allem die Beamten des Außenhandelsministeriums dem in ihrem Ministerium entwickelten und anfangs nur in der bescheideneren EFTAVariante umgesetzten FHZ-Konzept verpflichtet fühlten und die Hoffnung auf eine größere Freihandelszone noch nicht aufgeben wollten. Das Außenhandelsministerium war dogma14 15 16 17 18 19

Maclean, S.81. Schneider, Großbritanniens Weg, S.245. Schröter, S. 165. Ebd. Hansard 645/1653 (3. August 1961). Cairncross, The British Economy, S.142f.

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tisch auf das Prinzip fortschreitender weltweiter Handelsliberalisierung festgelegt. 20 Der Beitritt zu einer regionalen Wirtschaftseinheit wie der EWG schien damit unvereinbar zu sein. Außerdem befürchteten die Beamten des Außenhandelsministeriums nach wie vor, daß sich die EWG de facto eher zu einer partiellen Präferenzzone als einer echten Zollunion entwickeln könnte. Zwar wählten die Sechs in Übereinstimmung mit den Regeln des GATT das jeweilige Mittel der nationalen Außenzölle für die EWG-Außenzölle, so daß die stufenweise einzuführenden EWG-Zollschranken im Durchschnitt unter denjenigen Großbritanniens liegen würden. In der noch im Entstehen befindlichen und allem Anschein nach autarkieorientierten Agrarpolitik der EWG erblickten die Beamten des Außenhandelsministeriums jedoch eine Neigung zum Protektionismus, den sie innerhalb der eigenen Regierung in bezug auf die Commonwealth-Präferenzen bekämpft hatten. Diese kritische Haltung der Beamten gegenüber der EWG als solcher sowie einem möglichen Beitritt Großbritanniens wurde noch dadurch verstärkt, daß der Leiter der britischen Delegation bei den OEEC-Verhandlungen, Reginald Maudling, nach der Unterhauswahl im Herbst 1959 Präsident des Außenhandelsministeriums wurde. Innerhalb der Regierung stand Maudling 1960/61 dem EWG-Beitritt besonders kritisch gegenüber.21 Von daher war also die eher optimistische Stellungnahme des noch von den beiden Wirtschaftsministerien dominierten Economic Steering Committee Ende 1959 gleichermaßen pragmatisch-wirtschaftlich wie weltanschaulich-wirtschaftspolitisch motiviert. Wie die Beamten des Außenministeriums zu recht vermuteten, spielten jedoch auch stärker irrationale Gründe eine Rolle.22 Das betraf vor allem die zwischenzeitlich hohe Identifikation mit der EFTA, die weniger auf deren ökonomische oder politische Qualitäten zurückzuführen war als vielmehr auf die kurzlebige Euphorie, daß es nach der Agonie der Pariser FHZ-Verhandlungen überhaupt noch zu einem Vertragsabschluß gekommen war. Der politisch manipulierte wirtschaftliche Aufschwung im Wahljahr 1959 schien nach dieser Auffassung sein übriges dazu getan zu haben, daß die Beamten der Wirtschaftsministerien die Gefahren einer Spaltung Westeuropas in die Sechs und die Sieben unterschätzten.23 Die vorläufigen Schlußfolgerungen des Ausschußberichts vom Dezember 1959 wurden bereits ein halbes Jahr später im Mai 1960 durch eine weitaus kritischere Analyse des soeben erst gebildeten Economic Steering (Europe) Committee revidiert. 24 Genauso wie die Antworten des Ausschusses auf die kurze Zeit später von Macmillan zusammengestellte, detaillierte Liste mit 23 Fragen zur britischen Europapolitik25 war diese Denkschrift noch von der seit 1956 dominanten ökonomischen Denkweise geprägt, jedoch bereits teilpolitisiert. Die dadurch eingeleitete, allmähliche Reorientierung innerhalb Whitehalls wurde besonders von Frank Lee betrieben, der sich bereits im November 1955 als einziger Spitzenbeamter aus ökonomischen Gründen für die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt der Sechs ausgespro20 Deshalb sahen die Beamten des Außenhandelsministeriums eine größere Gefahr in weltweitem Protektionismus als in den Auswirkungen des westeuropäischen Handelskonflikts auf die Exportchancen der britischen Industrie. Siehe hierzu besonders CAB 134/1818/14 (23. Dezember 1959). 21 So auch der damalige Deputy Under-Secretary of State, Roderick Barclay: Roderick Barclay Interview (28. April 1993). 22 Vergl. etwaFO 371/150279/278 (11. Mai 1960). 23 Ebd. 24 CAB 134/1819/27 (27. Mai 1960). 25 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960).

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chen hatte. Unterstützt wurden dessen Bemühungen zunehmend aus dem Außenministerium. Dessen Beamte betonten immer mehr die negativen politischen Auswirkungen der Spaltung Westeuropas in EWG und EFTA auf Großbritanniens Fähigkeit, seine Weltmachtrolle aufrechtzuerhalten, und begannen, wieder eine größere Rolle im interministeriellen Meinungsbildungsprozeß zu spielen. Außerdem verschoben sich kontinuierlich sowohl die binnen- als auch die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Beratungen innerhalb der Regierungsverwaltung. Das rasche Ende des kurzlebigen Wirtschaftsaufschwungs 1959/60 führte den Beamten deutlicher als je zuvor den relativen Niedergang der britischen Wirtschaft vor Augen, der sich seit den Beratungen über „Plan G" weiter fortgesetzt hatte. Zwischen 1955 und 1960 betrugen die jährlichen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts in Großbritannien durchschnittlich 2,5 Prozent, dagegen in Frankreich 4,8 Prozent, in der Bundesrepublik Deutschland 6,4 Prozent, in Italien 5,4 Prozent und im EWG-Durchschnitt 5,3 Prozent.26 Der Teufelskreis des „stop-and-go", der sich immer noch im Wachstumsbereich abspielte, entwickelte sich ab Anfang der sechziger Jahre zusehends zum „Modellzyklus" der britischen Wirtschaft. 27 Infolgedessen machte sich bei den Regierungsbeamten ein neuer Grundpessimismus breit im Hinblick auf die eigenen Überlebenschancen außerhalb der ökonomisch anscheinend so viel dynamischeren EWG. Im Lee-Ausschußbericht heißt es prosaisch, nichts sei so erfolgreich wie der Erfolg. 28 Sich daran irgendwie einen Anteil zu sichern, schien für die britische Wirtschaft um so notwendiger, je mehr sich deren strukturelle Probleme verschärften. Im Lee-Ausschußbericht wird zwar noch einmal betont, daß eine Lösung des westeuropäischen Handelskonflikts auf keinen Fall an die Stelle einer Modernisierung im Innern treten dürfe. Jedoch kommt darin auch die Hoffnung zum Ausdruck, daß der äußere Wettbewerbsdruck durch eine enge ökonomische Verbindung mit den Sechs die notwendige binnenwirtschaftliche Erneuerung ergänzen könnte, für die nach wie vor ein überzeugendes Gesamtkonzept fehlte.29 Wenigstens erwarteten gerade im Schatzamt mehr und mehr Beamte davon einen stabileren äußeren Rahmen, und zwar nicht nur für die Wirtschafts-, sondern auch für die Währungspolitik. Dieses Motiv nahm an Bedeutung zu, als die Handels- und Zahlungsbilanz im Zuge der Krise von 1960/61 tief in die roten Zahlen rutschte und das Pfund Sterling wieder einmal unter starken Druck geriet. Als die britische Währung im Frühjahr 1961 im Berner Abkommen nur in einer konzertierten Aktion unter enger Mitwirkung der EWG-Staaten, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, stabilisiert werden konnte, schien schließlich noch am ehesten der Beitritt zum Gemeinsamen Markt der Sechs eine Fortführung der weltweiten Rolle des Pfund Sterling zu gestatten. Obgleich die ökonomischen Gründe nicht ausschlaggebend waren, ist doch zu Recht festgestellt worden, daß die Sterlingkrise 1960/61 insofern im Hinblick auf den ersten EWG-Beitrittsantrag verstärkend wirkte.30 Vor diesem breiteren wirtschaftspolitischen Hintergrund, der nicht auf die im engeren Sinne handelspolitischen Probleme beschränkt war, erschienen im Lee-Ausschußbericht auch 26 Cairncross, The Postwar Years, S.376. 27 Sidney Pollard: The Wasting of the British Economy. British Economic Policy 1945 to the Present, London 1982, S.47. 28 CAB 134/1819/27 (27. Mai 1960). 29 Explizit in CAB 134/1821/3. Sitzung (9. Mai 1961). 30 Michael Pinto-Duschinsky: From Macmillan to Home, 1959-1964, in: Hennessy/Seldon, Ruling Performance, S.150-185 (151).

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wieder die allgemeinen Vorteile der Teilnahme an einem großen und dynamischen Gemeinsamen Markt in Westeuropa wichtig. Im Lee-Ausschußbericht wurden 1960 genau dieselben Argumente wiederholt, die bereits in den verwaltungsinternen Diskussionen fünf Jahre zuvor eine Rolle gespielt hatten: Viel eher als die kleinere EFTA bot danach die EWG als eine der wachstumsstärksten Regionen der Welt vor allem alle Produktions- und Vermarktungsvorteile eines großen Binnenmarktes. Als Teil dieses Marktes konnte Großbritannien auch wieder mehr Kapital aus den USA anziehen. 1960 waren erstmals mehr als 50 Prozent der amerikanischen Direktinvestitionen in Westeuropa in die EWG geflossen, dagegen nur noch knapp 40 Prozent nach Großbritannien. Dies beklagte Europaminister Heath 1961 auch öffentlich. 31 Blieb Großbritannien vom EWG-Markt ausgeschlossen, wurde außerdem ein stärkerer Abfluß von britischem Kapital befürchtet, das ansonsten innerhalb Großbritanniens investiert werden könnte. Die Warnung des Lee-Ausschußberichts war jedenfalls in diesem Punkt eindeutig: Selbst für den Fall, daß die EWG niedrige gemeinsame Außenzölle haben sollte und damit die zolltechnischen Gefahren begrenzt blieben, wäre der durch den Ausschluß von dem Binnenmarkt für die britische Industrie entstehende langfristige Schaden enorm.32 Hinzu kam, daß dies einflußreiche Vertreter der britischen Industrie ähnlich sahen. Auch dadurch veränderten sich die binnenwirtschaftlichen und innenpolitischen Rahmenbedingungen für den verwaltungsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß. So warnte der Lee-Ausschußbericht: „There is great uneasiness, amounting almost to dismay, among leading industrialists at the prospect of our finding ourselves yoked indefinitely with the Seven and „cut o f f by a tariff barrier from the markets of the Six." 33 Auch die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wandelten sich 1960/61 oder wurden zumindest anders wahrgenommen als noch in der optimistischen Stellungnahme vom Dezember 1959. Im Lee-Ausschußbericht betraf das besonders die Aussichten der EFTA. Deren unmittelbarer ökonomischer Nutzen für die britische Industrie war ohnehin nie für besonders hoch gehalten worden. Die Wirtschaft der meisten EFTA-Partnerstaaten war viel enger mit der EWG verflochten als mit Großbritannien. 34 Nach der vorgesehenen Assoziierung Finnlands würde der EFTA-Markt 41 Millionen Konsumenten außerhalb Großbritanniens umfassen, allerdings waren zusätzliche Exporte in das arme Portugal kaum zu erwarten. Als sehr eng begrenzt galten auch die Importkapazitäten Österreichs und Finnlands. Die skandinavischen Staaten sowie die Schweiz waren außerdem ausgesprochene Niedrigzollstaaten, so daß der tarifäre Wettbewerbs vorteil durch die EFTA minimal und schon deshalb nicht unbedingt signifikant war, weil gerade die deutsche Industrie in diesen Märkten über andere Vorteile verfügte, wie zum Beispiel geographische Nähe, traditionelle Handelsbeziehungen oder, wie im Fall Österreichs und der Schweiz, die gemeinsame Sprache.35 Deshalb setzten die Beamten der Wirtschaftsministerien 1960 auch nicht mehr viel Hoffnung in die EFTA als ökonomisches Druckmittel, um eine politische Reorientierung der Bundesregierung zu erreichen. Die deutsche Industrie war wegen ihrer engen Handels31 Hansard 640/1387 (17. Mai 1961). 32 CAB 134/1819/27 (27. Mai 1961). Siehe auch CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), vor allem die Antwort auf Frage 10. 33 CAB 134/1819/27 (27. Mai 1961). 34 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Frage 12 und Annex A. 35 Ebd.

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beziehungen mit den meisten EFTA-Staaten über die Spaltung Westeuropas in die Sechs und die Sieben zwar besorgt, sie war jedoch im Vergleich mit der britischen Konkurrenz ungleich dynamischer. In bezug auf die Exporte hatte die deutsche Industrie die britische bereits 1958 überflügelt, bei der Industrieproduktion ein Jahr später.36 Größere Verluste im EFTA-Markt mußte sie, noch dazu vor dem Hintergrund des bereits einsetzenden Handelsbooms innerhalb der EWG, nicht befürchten. 37 Ohnehin war es darüber hinaus, jedenfalls solange Adenauer Bundeskanzler war, fraglich, inwieweit sich der ökonomische Druck überhaupt in eine geänderte politische Haltung der Bonner Regierung übertragen ließe. Außerdem hatte sich bis Mitte 1960 der schon in der Denkschrift vom Vorjahr geäußerte Verdacht erhärtet, daß die anfangs gehegte Hoffnung eine Illusion gewesen war, die EFTA könnte einmal eine Brücke zu einem gesamteuropäischen Wirtschaftsverbund bilden. Unabhängig von der Politik der Sechs sprach dagegen vor allem die zunehmend kompromißlose Haltung der amerikanischen Regierung, die ein wirtschaftliches Abkommen zwischen EWG und EFTA ohne politischen Gehalt ablehnte.38 Daß die amerikanische Regierung in dem sich entwickelnden westeuropäischen Handelskonflikt beinahe vorbehaltlos hinter der EWG stand, wurde in der Debatte über eine Reorganisation der OEEC und beim Streit über eine Beschleunigung des Stufenplans der EWG für die internen Zollsenkungen und die Einführung gemeinsamer Außenzölle in der ersten Jahreshälfte 1960 besonders deutlich. In dieser Auseinandersetzung zwischen EWG und EFTA wurde der innere Zusammenhalt der von Großbritannien aufgebauten peripheren Allianz in Westeuropa auf eine harte Probe gestellt. Noch vor der Paraphierung der Stockholmer Konvention hatte der nach dem belgischen Außenminister benannte Wigny-Bericht im Herbst 1959 innerhalb der EWG eine Diskussion über die Verschärfung des Tempos beim Aufbau der Zollunion durch eine Erhöhung der bis dahin geplanten zehnprozentigen Zollsenkung zum 1. Juli 1960 ausgelöst.39 Damit verbunden war die Hoffnung, die ökonomische Integration voranzutreiben und den politischen Zusammenhalt der Sechs weiter zu erhöhen. Im Hinblick auf die Frage einer Beschleunigung des Zollabbaus verfolgten die EWG-Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessen. Angesichts der stabilen Wirtschaftsentwicklung nach der erfolgreichen Durchführung weitreichender interner Reformen war de Gaulle zwar zu einer Beschleunigung bereit, wollte diese jedoch mit dem Beginn der Einführung gemeinsamer Außenzölle koppeln. Die Bundesregierung, die für diesen Fall ihre Außenzölle hochsetzen mußte, die sie 1957 gerade erst wegen des großen Handels- und Zahlungsbilanzüberschusses einseitig um bis zu 25 Prozent gesenkt hatte, wollte vor allem eine Verschärfung des Konflikts mit der EFTA verhindern. Die niederländische Regierung hoffte dagegen, die Beschleunigung zu einem ersten Schritt in Richtung auf eine westeuropäische FHZ umfunktionieren zu können, und schlug deshalb im sogenannten Luns36 Maclean, S.19. 37 Wolfgang Jeserich: Der Konflikt zwischen EWG und EFTA. Ein Kapitel aus Großbritanniens Europapolitik, Köln/Bonn 1963, S.134ff. 38 Um bei den Ministern nicht den Eindruck zu erwecken, daß die britischen Optionen wesentlich von der Haltung der amerikanischen Regierung abhingen, argumentiert der Lee-Ausschußbericht diplomatisch, die Amerikaner würden wohl einen Beitritt Großbritanniens zur EWG als Vollmitglied begrüßen. Siehe CAB 134/1819/27 (27. Mai 1960); ebenfalls CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Frage 8. Das Außenministerium hielt stattdessen eine schonungslosere Darstellung für notwendig. Vergl. J.A. Robinsons Denkschrift zum Lee-Ausschußbericht: FO 371/150279/278 (11. Mai 1960). 39 Vergl. für die EWG-interne Debatte Camps, S.203ff./255ff.

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Plan die Senkung der späteren EWG-Außenzölle nach dem Meistbegünstigungsprinzip um zwanzig Prozent vor, die dann in der anstehenden GATT-Runde festgeschrieben und mit kompensatorischen Zugeständnissen durch die EFTA und Drittstaaten, vor allem die USA, verbunden werden sollte.40 Der EWG-Ministerrat sprach sich im März 1960 zunächst im Prinzip für eine Beschleunigung des Stufenplans aus. Die dann am 1. Juli 1960 verabschiedete Kompromißlösung sah schließlich vor, daß die nächste Zollsenkung um weitere zehn Prozent zeitlich vorgezogen werden sollte. Vorbehaltlich einer späteren Einigung im GATT senkte die EWG außerdem ihre gemeinsamen Außenzölle und begann mit deren Einführung sofort, wobei allerdings jedem Mitgliedstaat freigestellt war, diesen Schritt bis zum 1. Januar 1961 aufzuschieben, und die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als die Hälfte der Zollsenkungen von 1957 rückgängig machen mußte. 41 Durch diesen Beschleunigungsbeschluß der EWG geriet die EFTA ihrerseits unter Zugzwang, ihren eigenen Stufenplan analog zu modifizieren. Bis dahin war nach der Zollsenkung um 20 Prozent zum 1. Juli 1960, mit der sie mit der EWG gleichzog, der nächste Schritt für den 1. Januar 1962 vorgesehen. Um die politische Handlungsfähigkeit der neuen Organisation unter Beweis zu stellen, drängte die britische Regierung jetzt jedoch im EFTA-Ministerrat darauf, diesen Termin um ein Jahr vorzuziehen. Allerdings gelang es ihr nicht, die industriell schwächeren EFTA-Staaten - einmal abgesehen von Portugal, für das eine Sonderbehandlung möglich erschien, Norwegen, Dänemark und Österreich - für diesen Plan zu gewinnen. 42 Damit war jedoch aus Sicht der britischen Regierung die Glaubwürdigkeit der neuen Organisation in Frage gestellt. Innerhalb der Verwaltung beurteilte das Außenministerium die Notgemeinschaft EFTA besonders negativ. Bereits im Mai 1960 hieß es in einem internen Kommentar zum Lee-Ausschußbericht betont abfällig: „Already the value of the E.F.T. A. is being heavily discounted in the United Kingdom and in Europe and in America, where it is increasingly assumed that we shall sooner or later have to surrender. This belief will grow, rather than diminish, as time goes on." 43 Vor dem Hintergrund dieses Wandels der binnen- und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen kommt der Lee-Ausschußbericht zu dem Schluß, daß in einer breiteren wirtschaftspolitischen Perspektive der EWG-Beitritt die beste Option darstelle. 44 Insbesondere auf den Einfluß der Ministerien für Commonwealth-Beziehungen und für Landwirtschaft war jedoch zurückzuführen, daß es in der Denkschrift wie gehabt heißt, daß dieser Schritt wohl nach wie vor aus den bekannten politischen Gründen nicht in Frage komme. Stattdessen schlug das Economic Steering (Europe) Committee als interministeriellen Kompromiß eine Zwischenlösung vor, die in der Denkschrift als „near-identification" bezeichnet wird. Bei diesem Konzept handelte es sich um ein Arrangement zwischen EWG und EFTA, bei dem die Sieben so weit wie möglich das Regelwerk des Gemeinsamen Marktes übernehmen, eine weitreichende Zollharmonisierung akzeptieren und mit der EWG durch einen Assoziierungsrat verbunden sein sollten, ohne ihr beizutreten 4 5 Sichergestellt werden sollte dadurch, daß 40 Aus Sicht der Regierung in London wäre diese Lösung noch am verträglichsten mit den britischen Interessen gewesen. Siehe etwa BT 11/5562 (8. Januar 1960). 41 Camps, S.255. 42 Protokoll der EFTA-Ministerratstagung vom 10. bis 12. Oktober 1960 in Bern: CAB 134/1826/114 (13. Oktober 1960). 43 FO 371/150279/278 (11. Mai 1960). 44 CAB 134/1819/27 (27. Mai 1960). 45 Ebd.

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Großbritannien einige seiner essentiellen Interessen wahren konnte, so etwa in bezug auf die Landwirtschaft und den zollfreien Zugang für bestimmte Produkte aus dem Commonwealth. Nur im Zusammenhang mit einer solchen Gesamtlösung für den Konflikt zwischen EWG und EFTA hielten die Beamten auch den möglichen Beitritt Großbritanniens zu den beiden anderen Organisationen der Sechs, nämlich EGKS und EURATOM, für sinnvoll, was ebenfalls in der ersten Hälfte des Jahres 1960 im Economic Steering (Europe) Committee erwogen wurde.46 Um eine solche Zwischenlösung, die kaum noch etwas mit dem ursprünglichen FHZProjekt gemein hatte, ging es dann ab Herbst 1960 in den bilateralen Expertengesprächen zwischen britischen Regierungsbeamten auf der einen und deutschen, französischen und italienischen auf der anderen Seite. Deren Erfolgsaussichten wurden jedoch innerhalb von Whitehall von Anfang an als gering eingeschätzt. Besonders im Außenministerium galt „near-identification" schon wegen der anhaltenden Opposition der amerikanischen Regierung gegen ein rein ökonomisches Arrangement als unrealistisch. Nach dieser Auffassung enthielt dieses Kompromißkonzept zudem alle denkbaren Nachteile, wie etwa die Zollharmonisierung, ohne den Vorteil, die weitere Entwicklung der EWG von innen politisch beeinflussen zu können.47 Auch Macmillan sah den Konflikt zwischen EWG und EFTA zu diesem Zeitpunkt bereits aus einer hochgradig politischen Perspektive und hielt deshalb „near-identification" für einen gefährlichen Irrweg. Als am 27. Mai 1960 der Lee-Ausschußbericht erstmals auf Ministerebene im European Economic Association Committee besprochen wurde, kam der Premierminister bereits zu dem Ergebnis „that (it is) for consideration whether, if we (are) prepared to contemplate ,near-identification' with all its difficulties and dangers, we should not do better to go the whole way and secure the füll advantages of membership of the Common Market. To ,go into Europe fully' would at least be a positive and an imaginative approach which might assist the government to overcome the manifest political and domestic difficulties. ,Near-identification' (has) less attractions, and not appreciably less dangers."48 Den meisten Beamten der Wirtschaftsministerien schien „near-identification" 1960 notfalls weit genug zu gehen, um wenigstens die ökonomischen Gefahren des Ausschlusses von der EWG abzuwenden. Großbritannien war jedoch nicht die Schweiz. Mehr Uhren und Emmentaler verkaufen zu können, mochte im Fall der Alpenrepublik als Motiv für das angestrebte Rapprochement mit der EWG ausreichen, aber der britischen Regierung lag neben den wirtschaftlichen Vorteilen eines gesamteuropäischen Wirtschaftsverbundes immer mehr daran, ihre ehemals führende politische Rolle in Westeuropa zurückzugewinnen. Wie unbefriedigend „near-identification" aus dieser Perspektive gewesen wäre, verdeutlicht anschaulich der geistesverwandte, 1992 abgeschlossene Vertrag Uber den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zwischen der größeren Europäischen Gemeinschaft und den restlichen EFTA-Staaten, die dadurch zum 1. Januar 1994 an den EG-Binnenmarkt angeschlossen wurden. Konzipiert worden war dieses Projekt von der EG-Kommission in der Absicht, der Vertiefung der Gemeinschaft Vorrang vor der Erweiterung zu geben. Der EWR erwies sich jedoch für die meisten EFTA-Staaten als unattraktiv, weil sie gezwungen waren, die EG-Gesetzgebung zu übernehmen, ohne unmittelbaren Einfluß auf den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß zu haben. Obwohl es ihnen nicht einmal, anders als der britischen Regierung Anfang 46 CAB 134/1819/7. Sitzung (16. Mai 1960). 47 Für die Bedenken des Außenministeriums siehe besonders FO 371/150362/12 (29. Juni 1960). 48 CAB 134/1819/8. Sitzung (27. Mai 1960).

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der sechziger Jahre, um eine politische Führungsrolle, sondern nur um eine bescheidene Form der Mitbestimmung ging, stellten daher Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland Anträge auf Vollmitgliedschaft, die schließlich - mit Ausnahme Norwegens, wo die Volksbefragung negativ ausfiel - zu deren EU-Beitritt zum 1. Januar 1995 führten. Daß die meisten Beamten in den Wirtschaftsministerien bereits Mitte 1960 glaubten, die ökonomischen Gründe sprächen für einen Beitritt zur EWG, während die politische Einschätzung zunächst weiter umstritten blieb, ist wegen der interministeriellen Diskussion im Mutual Aid Committee 1955 über die Haltung zur Messina-Initiative der Sechs nicht überraschend. Damals waren sich die Beamten des Schatzamtes und des Außenhandelsministeriums bereits weitgehend einig gewesen, daß die britische Regierung früher oder später gezwungen sein würde, einem Gemeinsamen Markt der Sechs beizutreten, sollte dieser auch ohne Teilnahme Großbritanniens Zustandekommen. Die Gründung der EFTA führte lediglich dazu, daß das Außenhandelsministerium in seiner mehr außenhandelspolitischen Perspektive jetzt die Gefahren eines Ausschlusses von der EWG gelassener beurteilte, während diese vom Schatzamt unter der neuen Leitung von Frank Lee, nicht zuletzt wegen des allmählichen Wandels in der Sichtweise der währungspolitisch geprägten Schule in der Overseas Finance Division, eher höher eingeschätzt wurden als fünf Jahre zuvor. Als Macmillan als Teil seines im Juni 1960 verfaßten Fragenkatalogs vom Economic Steering (Europe) Committee wissen wollte, was sich in der Analyse im Vergleich zu 1955 verändert habe, wiesen daher die Beamten in ihrer Antwort nur auf politische Entwicklungen hin. 49 Während bisher angenommen worden ist, daß sich von 1955 bis 1961 innerhalb der Regierungsverwaltung die Wahrnehmung des relativen wirtschaftlichen Niedergangs Großbritanniens drastisch wandelte, ist das genaue Gegenteil der Fall gewesen und die ökonomische Analyse in dieser Zeit erstaunlich konstant geblieben. Anfang der sechziger Jahre beschleunigte der Wandel in den ökonomischen Rahmenbedingungen wohl die Reorientierung bis hin zum ersten EWG-Beitrittsantrag. Ausschlaggebend war jedoch, daß sich in dem hier behandelten Zeitraum das politische Kalkül des Außenministeriums und der wichtigsten Entscheidungsträger im Kabinett grundlegend veränderte, wie sich die britische Regierung in Zukunft einen möglichst großen internationalen Einfluß sichern konnte, um so den vermeintlichen Weltmachtstatus Großbritanniens zu erhalten. Ende Dezember 1960 stellte Macmillan vor dem Hintergrund der laufenden Expertengespräche in seiner europapolitischen Denkschrift über das von ihm wegen der langen Liste erfolgloser Vorgängerkonzepte gleichen Namens möglicherweise scherzhaft so genannte „Grand Design" fest: „However bold a face it may suit us to put on the Situation, exclusion from the strongest economic group in the civilised world must injure us. (...) We ought therefore to make a supreme effort to reach a settlement while de Gaulle is in power in France. If he gave the word, all the Wormsers 50 would turn at once. (...) Sixes and Sevens (...) is now notprimarily an economic but a politicalproblem and should be dealt with as such (Hervorhebung, der Verf.)." 51

49 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Frage 22. 50 Olivier Wormser, Direktor für Wirtschaftsfragen im französischen Außenministerium und Delegationsleiter in den bilateralen Expertengesprächen mit Beamten der britischen Regierung in der ersten Jahreshälfte 1961. 51 Macmillans Denkschrift „Grand Design": PREM 11/3325 (29. Dezember 1960 - 3. Januar 1961).

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Erster EWG-Beitrittsantrag (1959 bis 1961)

2. Einmal Weltmacht, immer Weltmacht? Es ist vielfach behauptet worden, die unterschiedlichen Politiken Großbritanniens auf der einen sowie der kontinentaleuropäischen Staaten auf der anderen Seite gegenüber der europäischen Integration leiteten sich von zwei grundverschiedenen außenpolitischen Strategien ab: Einem auf den allerdings schwindenden Weltmachtstatus zurückzuführenden britischen Globalismus wird der eurozentrische Regionalismus Frankreichs oder der Bundesrepublik Deutschland gegenübergestellt. 52 Danach erlaubte die weltweite Perspektive der britischen Regierungen anfangs keine einseitige Konzentration auf das westliche Europa, während später der erste EWG-Beitrittsantrag wesentlich auf das Bemühen zurückzuführen war, eine mögliche politische Spaltung Westeuropas als Folge des Handelskonflikts zwischen EWG und EFTA zu verhindern, um die freie Welt im globalen Konflikt mit dem kommunistischen Lager zu stärken. Diese Interpretation erscheint in doppelter Hinsicht fragwürdig: Einerseits adaptiert sie zu unkritisch einen von der politischen Elite Großbritanniens aus innenpolitischen Motiven kreierten und gepflegten Mythos als wissenschaftliche These, andererseits unterscheidet sie nicht nach Politikfeldern. Im Hinblick etwa auf die Außenwirtschaftspolitik waren die Regierungen in Bonn und Den Haag dem Prinzip des Multilateralismus und dem GATT genauso verpflichtet wie die britische. Abweichungen davon gab es auf dem europäischen Kontinent ebenso wie in Großbritannien: Was der EWG ihr Agrarprotektionismus, waren Großbritannien die verbliebenen Commonwealth-Präferenzen und die im Vergleich mit den Sechs insgesamt höheren nationalen Außenzölle. Daß es der britischen Regierung überhaupt möglich war, die EFTA in einem internationalen Werbefeldzug als weltoffen und dem internationalen Handel förderlich darzustellen und so von der EWG abzusetzen, war in erster Linie auf die Existenz der ausgesprochenen Niedrigzollstaaten Schweden und Schweiz zurückzuführen. Einzelne Elemente einer globalen Perspektive, in der sich die Spaltung in die Sechs und die Sieben nicht ausschließlich als innereuropäisches Problem darstellte, spielten durchaus eine gewisse Rolle im Wandel des politischen Kalküls bis hin zum ersten Beitrittsantrag. In den Beziehungen zur EWG betonte besonders Macmillan die Notwendigkeit, in dem „gemeinsamen Kampf gegen den Kommunismus" eine einheitliche Front des Westens aufrechtzuerhalten, die ihm durch den Handelskonflikt zwischen EWG und EFTA gefährdet erschien. 53 Von dieser Auseinandersetzung, hinter der neben zwei unterschiedlichen ökonomischen Doktrinen vor allem verschiedene politische Europakonzepte standen, erwartete der Premierminister zumindest langfristig negative Folgewirkungen für den politischen Zusammenhalt der Atlantischen Allianz. 54 Diese Befürchtungen wurden noch verstärkt durch die Politik de Gaulles, der bei Beibehaltung der amerikanischen Sicherheitsgarantie eine größtmögliche Unabhängigkeit eines französisch geführten Westeuropa von den Vereinigten Staaten anstrebte. Mit großer Sorge verfolgte die britische Regierung die Vorgespräche der Regierungen der EWG-Staaten ab 1959 über einen engeren politischen Zusammenschluß außerhalb der bestehenden Verträge, die 1961/62 in die Fouchet-Verhandlungen mündeten. 55 Vor diesem Hintergrund 52 53 54 55

George, Britain, S.33/62. „Grand Design": PREM 11/3325 (29. Dezember 1960 - 3. Januar 1961). Ebd. Vergl. hierzu bereits die Antworten des Economic Steering (Europe) Committee auf Macmillans Fragen zur britischen Europapolitik: CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Fragen 3/4.

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erschien eine Annäherung zwischen Großbritannien und der EWG zunehmend als Beitrag zur Stützung der westlichen Sicherheitsarchitektur. Danach konnte die britische Regierung ein Scharnier zwischen Europa und Nordamerika bilden, um die Atlantische Allianz zusammenzuhalten. In einer Ende 1959 verfaßten Denkschrift der erst 1957 gegründeten Planning Section des Außenministeriums hieß es bereits: „It is not inconceivable that an integrated and prosperous Western Europe might (...) decide to strike out on a policy of its own at variance with that of the Americans. If it is believed that the continued cohesion of the Atlantic Alliance is essential to the free world then the greatest contribution which we can make is to act as the cement in that alliance." 56 Die Stärkung der Einheit der freien Welt war sogar das einzige im engeren Sinne politische Argument, mit dem Macmillan Anfang August 1961 den EWG-Beitrittsantrag in der Unterhausdebatte verteidigte. 57 Dieses Motiv hinter der Annährung an die EWG spielte in der an die Öffentlichkeit gerichteten Rhetorik der Minister eine zentrale Rolle, ist jedoch von den Vertretern der Globalismusthese für bare Münze genommen und deshalb überbetont worden. Hinter dieser Fassade verbarg sich eine dezidiert national-egoistische Sichtweise, die nahezu ausschließlich auf die inneren Probleme Großbritanniens und dessen Bedeutungsverlust in der internationalen Poitik fixiert war. Dem sich daraus ableitenden Kalkül zufolge, das zwischen 1959 und 1961 allmählich Gestalt annahm, lag in dem Beitritt zur EWG die einzige Chance, für Großbritannien als Juniorpartner der USA weiterhin eine Sonderrolle als Weltmacht reklamieren zu können. Dieses Motiv kam in der öffentlichen Rechtfertigung 1961 lediglich deshalb nicht zum Ausdruck, weil es die Regierung aus innenpolitischen Gründen für inopportun hielt, die Bevölkerung mit der rauhen Realität des Niedergangs zu konfrontieren. 58 In der Wahrnehmung der Entscheidungsträger in den fünfziger Jahren erschienen vier Faktoren ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des vermeintlichen Weltmachtstatus, deren jeweiliges relatives Gewicht sowohl zeit- als auch personenabhängig war: die Sonderrolle der britischen Regierung als Vermittler in der Gipfeldiplomatie zwischen Ost und West, Großbritannien als Zentrum des Commonwealth, die Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten und schließlich, wie Macmillan zu sagen pflegte, „die Bombe", also die britische Nuklearstreitmacht. 59 In diesem magischen Viereck zeichnete sich Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre ein grundlegender Paradigmenwechsel ab, der den Rahmen für den regierungsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß radikal veränderte. Bedroht erschien Anfang der sechziger Jahre zunächst einmal die Fortsetzung der Sonderrolle in der Troika von Jalta und Potsdam. Obwohl auch für die Entscheidungsträger in London inzwischen längst deutlich geworden war, daß Großbritannien weder wirtschaftlich noch militärisch mit den beiden Supermächten mitzuhalten vermochte, setzten die konservativ geführten Regierungen der fünfziger Jahre darauf, sich am Verhandlungstisch der USA und der UdSSR langfristig einen Platz reservieren zu können, indem sie in der Gipfeldiplomatie als Vermittler zwischen Ost und West fungierten. Was sich in Churchills zweiter

56 Denkschrift der Planning Section des Außenministeriums: PREM 11/2985 (Herbst 1959). 57 Hansard 645/1481 (2. August 1961). 58 Zum Problem der innenpolitischen Präsentation des EWG-Beitrittsantrags vergl. besonders CAB 134/1821/4. Sitzung (17. Mai 1961). 59 „Grand Design": PREM 11/3325 (29. Dezember 1 9 6 0 - 3 . Januar 1961).

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Amtsperiode zu dessen Steckenpferd entwickelt hatte, wurde von Macmillan enthusiastisch aufgenommen, als die internationale Politik während der Berlin-Krisen vorübergehend auf diese Treffen fixiert war. Inhaltlich ging es Macmillan darum, Ansätze zu einer schrittweisen Entspannung zwischen den Blöcken zu fördern. Daneben erfüllte die Gipfeldiplomatie jedoch bestimmte innen- und außenpolitische Sekundärfunktionen. So erreichte einerseits zwischen 1959 und 1961 die Campaign for Nuclear Disarmament ihren Höhepunkt in Großbritannien. Obwohl es sich dabei parteipolitisch um ein Problem der Arbeiterpartei handelte, wollte Macmillan der politischen Linken keine Angriffsfläche bieten. Seine Gipfeldiplomatie sollte nachweisen, daß die Regierung langfristig auf Entspannung und Abrüstung setzte, ohne jedoch auf die britische Nuklearkapazität verzichten zu wollen, solange die beiden Supermächte weiterhin aufrüsteten.60 Innenpolitisch motiviert erschien den westlichen Verbündeten besonders Macmillans Moskau-Reise im Februar 1959 während des Berlin-Ultimatums. Nicht nur Adenauer, sondern auch Eisenhower vermutete dahinter in erster Linie wahltaktische Erwägungen.61 Andererseits gefiel es dem Premierminister, als Vermittler zwischen Ost und West aufzutreten.62 Macmillan schätzte die Gipfeltreffen auch als soziale Ereignisse und genoß es, den weltgewandten Staatsmann zu spielen.63 Zwischen dem alternden amerikanischen Präsidenten Eisenhower und dem launisch-unberechenbaren KPdSU-Chef Chruschtschow politische Übersetzungsarbeit zu leisten und sich der Illusion hinzugeben, auf diese Weise den Verlauf der Weltgeschichte beeinflussen zu können, kompensierte für den Verlust größerer Eigenständigkeit infolge des Zweiten Weltkriegs. Insofern übernahm Macmillan hier eine von vier Ersatzrollen, die zur fortgesetzten britischen Weltgeltung beitragen sollte, jedoch durch den abrupten Abbruch der Pariser Gipfelkonferenz durch Chruschtschow im Mai 1960 nach dem Abschuß eines amerikanischen Spionageflugzeugs über der Sowjetunion ausgespielt erschien. An sie konnte als Ergebnis der Entwicklung eines neuen Bilateralismus zwischen den beiden Supermächten nach der Kuba-Krise auch nie wieder angeknüpft werden. Der Verlauf der Pariser Gipfelkonferenz, in die Macmillan vorab noch große Hoffnungen gesetzt hatte, war nach der später von dessen Privatsekretär de Zulueta in einem Interview geäußerten Auffassung von entscheidender Bedeutung für die Reorientierung bis hin zum ersten EWG-Beitrittsantrag. 64 Laut de Zulueta, der in außenpolitischen Fragen ein enger Berater des Premierministers war, stellte sich danach für Macmillan verschärft die Frage, wie Großbritannien in Zukunft noch eine Rolle in der Welt spielen konnte.65 Daß das Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz Macmillans europapolitisches Kalkül beeinflußt haben könnte, scheint auch die zeitliche Parallele zu bestätigen, daß der Premierminister kurze Zeit später seinen Fragebogen für den Lee-Ausschuß zusammenstellte und die Beziehungen zur EWG erstmals umfassend im Kabinett diskutieren ließ.66 Allerdings hatte Macmillan auch schon 60 Vergl. auch Donald Cameron Watt: Succeeding John Bull, America in Britain's Place 1900-1975. A study of the Anglo-American Relationship and world politics in the context of British and American foreign policy-making in the twentieth Century, Cambridge 1984, S. 115f. 61 Adenauer, 1955-1959, S.468f. Etwas diplomatischer formuliert bei Dwight D. Eisenhower: The White House Years. Waging Peace 1956-1961, London 1965, S.402/409. 62 Fisher, S.212. 63 Peter Hennessy: Cabinet, Oxford 1986, S.60. 64 Michael Charlton: The Price of Victory, London 1983, S.237. 65 Ebd. 66 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960); CAB 128/34/41. Sitzung (13. Juli 1961).

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Ende 1959 in einer internen Beratung mit Außenminister Lloyd und Schatzkanzler HeathcoatAmory sowie den drei Spitzenbeamten des Cabinet Office und der beiden beteiligten Ministerien die Auffassung vertreten, daß ein neuer Anlauf notwendig werden würde, um ein Arrangement mit der EWG zu finden. In diesem Gespräch deutete er sogar erstmals die Möglichkeit einer sicherheitspolitischen Sonderübereinkunft mit de Gaulle an, um dieses Ziel zu erreichen. 67 Das Ende der Gipfeldiplomatie hat also möglicherweise Macmillans Reorientierung beschleunigt, aber keineswegs ausgelöst. Außerdem handelte es sich dabei zu einem nicht geringen Teil um sein persönliches Steckenpferd, dessen Bedeutung von anderen innerhalb der Regierung weniger hoch eingeschätzt wurde. Insgesamt spielten strukturelle Veränderungen in den britischen Außenbeziehungen 1960/61 eine viel größere Rolle für den internen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß. Hierzu zählt zunächst die kontinuierliche Bedeutungsabnahme des Commonwealth als zweites Symbol für die vermeintliche Weltgeltung. Die Führung dieser Staatengruppe galt in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst als wichtigste Basis für die Aufrechterhaltung des Weltmachtanspruchs und war maßgeblich für die sehr reservierte Haltung der AttleeRegierung gegenüber der Möglichkeit einer eigenen Teilnahme an weiterführender Integration in Europa verantwortlich gewesen.68 Mitte der fünfziger Jahre wurde dann zwar der wirtschaftliche Niedergang des Commonwealth als Handelsblock innerhalb der Regierung immer deutlicher wahrgenommen, jedoch ging die konservative Regierung in den Beratungen über die Messina-Initiative und das FHZ-Projekt noch davon aus, daß sich innerhalb der Staatengruppe ein gewisses Maß an politischem Zusammenhalt erhalten ließe. Wichtiger als die ökonomische Basis oder klare institutionelle Strukturen, die dem Commonwealth fehlten, galten zu dieser Zeit noch die historischen und kulturellen Bindungen. Anfang der sechziger Jahre hatten jedoch die zentrifugalen Kräfte innerhalb des Commonwealth so weit zugenommen, daß der Organisation jetzt auch immer weniger politische Bedeutung für die statusorientierte außenpolitische Strategie der Londoner Regierung zukam. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen selbst der Staaten des alten Commonwealth divergierten in wichtigen Fragen so sehr, daß diese immer seltener der Führung durch die Regierung des früheren Mutterlandes zu folgen bereit waren. Die Kontroversen innerhalb des Commonwealth über die britische Suez-Politik waren dafür bereits Mitte der fünfziger Jahre ein anschauliches Beispiel gewesen. Die außen- und außenwirtschaftspolitische Reorientierung der traditionell wichtigsten Partnerstaaten hatte sich bis 1960/61 beschleunigt fortgesetzt. Kanada war wirtschaftlich und politisch immer mehr auf die USA angewiesen, während sich Australien zunehmend auf den pazifischen Raum ausrichtete. Südafrika verließ sogar das Commonwealth, um der Ausweisung zuvorzukommen, die unausweichlich erschien, nachdem dessen Regierung im März 1961 auf der Konferenz der Commonwealth-Premierminister wegen ihrer Apartheidpolitik scharf attackiert worden war.69 Die britische Regierung wollte Südafrika ursprünglich in der Organisation halten, blieb mit dieser Position jedoch weitgehend isoliert. Solidarisch erklärten sich die meisten Partnerstaaten nicht mit der Regierung des ehemaligen Mutterlandes, sondern gegen sie. Wenngleich eher von symbolischer Bedeutung, verdeutlich67 PREM 11/2679 (29. November 1959). 68 Vergl. Ursula Lehmkuhl: Das Empire/Commonwealth als Faktor britischer Europapolitik, 1945-1961, in: Wurm, Wege nach Europa, S.91-122. 69 W.N. Medlicott: Contemporary England 1914-1964, London 1967, S.570ff.

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te diese Kontroverse für die Entscheidungsträger in London, in welchem Maße die politische Nützlichkeit des Commonwealth abgenommen hatte.70 Schon infolge der ersten Dekolonisationsphase von 1945 bis 1948 hatte sich der Charakter des Staatenbundes gewandelt. 71 Unter den neuen Mitgliedern galt Indien als schwieriger Partner wegen der betont eigenständigen Politik der Regierung in Delhi, die 1957 erwog, aus Protest gegen die britische Nahostpolitik aus dem Commonwealth auszutreten, und nach 1961 eine führende Rolle in der von ihr mitbegründeten Bewegung der Blockfreien spielen sollte. Jedoch erst während der zweiten Dekolonisationsphase von 1957 bis 1964, als durch das Rest-Empire der „Wind des Wandels" wehte, von dem Macmillan 1960 in einer wegweisenden Rede in Südafrika sprach, veränderte sich das Commonwealth grundlegend. Ghana und Malaysia wurden 1957, Nigeria 1960 unabhängig. Ihnen folgten schon bald weitere afrikanische und asiatische Staaten.72 Durch die Erweiterung nahm jedoch der innere Zusammenhalt des Commonwealth noch mehr ab, und der britischen Regierung wurde die traditionelle politische Führungsrolle weiter erschwert. Anders zumindest als im Fall der Labour-Linken fühlten sich die Konservativen außerdem emotional-ideologisch viel stärker den etablierten „weißen" Commonwealth-Staaten verbunden. Sie betrachteten die Staatengruppe mit ihrem neuen multikulturellen Charakter daher längst nicht mehr in demselben Maße wie früher als ihre Organisation. In der gerade für Macmillan charakteristischen und innerhalb des Kabinetts dominanten statusorientierten Perspektive erschien das Commonwealth 1960/61 nicht mehr, wie noch 1955, als Aktivposten der britischen Außenbeziehungen, sondern wurde allmählich unter den Passiva verbucht. Angesichts des, wie sich später herausstellen sollte, nur scheinbar unaufhaltsamen Vormarsches des Marxismus-Leninismus in der Dritten Welt entwickelte sich die locker verbundene Staatengruppe zu einem brauchbaren Element anti-kommunistischer Eindämmungspolitik in den ehemaligen oder noch unter britischer Aufsicht stehenden Kolonien. Am Tisch der beiden Supermächte war jedoch mit Ghana und Nigeria kein Staat zu machen. In bezug auf seine Nützlichkeit für die Aufrechterhaltung der britischen Weltmachtambitionen spielte das Commonwealth daher in den Beratungen bis hin zum ersten EWG-Beitrittsantrag nur noch eine sehr untergeordnete Rolle, obwohl es als innerparteilicher, innenpolitischer und diplomatischer Faktor der britischen Außen- und Europapolitik zunächst noch von großer Bedeutung blieb.73 70 Zur Wahrnehmung des Bedeutungsverlusts des Commonwealth vergl. auch die rückblickende Analyse des Third Secretary im Schatzamt, Arnold France: Arnold France Interview (4. Mai 1993). Die Südafrika-Frage wird besonders betont bei Geoffrey Goodwin: British Foreign Policy since 1945: the long Odyssey to Europe, in: Michael Leifer (Hrsg.): Constraints and Adjustments in British Foreign Policy, London 1972, S.35-52 (44). Vergl. auch Lawrence J. Butler: Winds of change: Britain, Europe and the Commonwealth, 1959-61, in: Brivati/Jones, S.157-165 (163). 71 Zur Dekolonisation vergl. grundlegend John Darwin: Britain and Decoionisation: The retreat from empire in the post-war world, London 1988. 72 Medlicott, Contemporary England, S.570ff. 73 Davon bildete das Ministerium für Commonwealth-Beziehungen anfangs noch eine Ausnahme, das 1960 zunächst an der etablierten Perspektive festhielt, daß die Organisation für die Aufrechterhaltung von Großbritanniens Weltmachtrolle unverzichtbar sei. Vergl. etwa die Antworten auf Macmillans Fragen: CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Frage 18 und Annex E. Vor dem Hintergrund der Südafrika-Kontroverse und unter dem Einfluß des neuen, betont europafreundlichen Ministers Duncan Sandys modifizierte das CRO 1960/61 jedoch seine Auffassung und beschränkte sich zuneh-

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Die politische Führung des Commonwealth hatte jedoch in der Nachkriegszeit als Legitimation für das dritte Symbol britischer Weltgeltung gedient, die vermeintliche Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten, die in London als Fortsetzung der Allianz im Zweiten Weltkrieg interpretiert wurde. Durch die Dekolonisation wurde der Anspruch auf eine Vorzugsbehandlung durch die Regierung in Washington im Vergleich mit den anderen Verbündeten der USA in Westeuropa unterminiert, zumal die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs ohnehin aus jeweils unterschiedlichen Gründen zunahm. In einer interministeriell abgestimmten Denkschrift zu den transatlantischen Beziehungen, die Außenminister Lloyd an Macmillan weiterleitete, warnte die Planning Section des Außenministeriums Anfang 1960 vor der Annahme, daß es sich bei den „special relations" um ein Naturgesetz der internationalen Politik handele. Es bestehe die Gefahr, daß Großbritannien als wichtigster Partner der USA in Westeuropa langfristig wegen deren rasch wachsender ökonomischer und militärischer Potenz durch die Bundesrepublik verdrängt werden könnte, während eine weitere Legitimationsgrundlage der britischen Sonderrolle durch de Gaulies Politik zerstört zu werden drohte, Frankreich als vierte Atommacht zu etablieren. 74 Die Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber dem Handelskonflikt zwischen EWG und EFTA schien aus Sicht der Entscheidungsträger in London zu bestätigen, daß sich die Perspektive der amerikanischen Europapolitik auf Kosten Großbritanniens zu verschieben begann. Gegenüber dem ursprünglichen FHZ-Konzept hatte sich die amerikanische Regierung bereits skeptisch-neutral verhalten. Die EFTA lehnte sie dann zwar nicht offen ab, hielt sie jedoch für eine ökonomische Organisation ohne jede politische Relevanz, wie Dillon bei seinem Besuch in London im Dezember 1959 gegenüber Macmillan, Lloyd und Heathcoat-Amory deutlich machte. 75 Der Unterstaatssekretär bestätigte außerdem, daß seine Regierung eine rein wirtschaftliche und zwischenstaatlich organisierte Verbindung zwischen EWG und EFTA nicht dulden würde. Davon befürchteten die Amerikaner nur zusätzliche ökonomische Nachteile in diesen Märkten, ohne dafür durch eine Stärkung des politischen Zusammenhalts Westeuropas entschädigt zu werden. In diesem Sinne ergriff die amerikanische Regierung in dem europäischen Zollkonflikt und während der Verhandlungen über eine Reorganisation der OEEC in der ersten Hälfte des Jahres 1960 offen Partei für die EWG, worüber Macmillan außerordentlich beunruhigt war. 76 Als ernste Bedrohung der bilateralen Sonderbeziehung zu den USA betrachtete die britische Regierung jedoch weniger die EWG selbst als de Gaulies Pläne für eine enge zwischenstaatliche politische Kooperation zwischen den EWG-Staaten, die außen- und verteidigungspolitische Fragen einschließen und die Sechs als von Paris geführte politische Einheit im internationalen System etablieren sollte. Die Sorge innerhalb von Regierungsverwaltung und Kabinett, von der Gemeinschaft der Sechs als einflußreichster Partner der USA abgelöst zu werden, spielte im regierungsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß eine immer größere Rolle, nachdem de Gaulle seine Pläne im Sommer 1960 öffentlich gemacht hatte. Zwar stieß dessen Initiative insbesondere bei den Benelux-Staaten auf wenig Gegenliebe, jedoch beauftragten die Staatschefs der Sechs auf ihrem Gipfeltreffen im Februar mend auf das Ziel, die wichtigsten Interessen der Commonwealth-Staaten in den bevorstehenden Beitrittsverhandlungen zu wahren. 74 Denkschrift der Planning Section „The Future of Anglo-American Relations": PREM/2986 (5. Januar 1960); Lloyd an Macmillan: Ebd. (1. Februar 1960). 75 PREM 11/2879 (8./9. Dezember 1959). 76 Vergl. besonders Macmillan an Heathcoat-Amory: T 234/717 (10. Dezember 1959).

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1961 eine Kommission, verschiedene Optionen für eine engere politische Kooperation zu entwickeln. In Anbetracht der weit voneinander abweichenden Europakonzepte der EWGStaaten spiegelte allerdings deren „Bonner Erklärung" vom 18. Juli 1961 kaum mehr als verbale Einmütigkeit in bezug auf das grundsätzliche Ziel neuer Formen der Zusammenarbeit wider, über die 1961/62 zwischen den Regierungen diskutiert wurde.77 Diese Verhandlungen über den sogenannten Fouchet-Plan wurden schließlich im April 1962 von den Regierungen der Niederlande und Belgiens abgebrochen, die den erfolgreichen Abschluß der EWGBeitrittsverhandlungen und die Teilnahme Großbritanniens an der geplanten politischen Zusammenarbeit zur Bedingung ihrer Zustimmung zu einem neuen Vertrag machten. Daß de Gaulles Initiative letztlich in dem, zumindest aus gesamteuropäischer Perspektive betrachtet, minimalistischen Ersatzprojekt des bilateralen Elysee-Vertrags mit der Bundesrepublik von 1963 enden würde, war jedoch bis 1960/61 nicht abzusehen.78 Im Herbst 1959 warnte zunächst die Planning Section des Außenministeriums vor den Folgen des Ausschlusses von einer politischen Gemeinschaft der EWG-Staaten. In der bereits erwähnten Denkschrift zur Europapolitik heißt es: „Politically, such isolation would weaken us significantly. Our exclusion from an integrated Western Europe would reduce the influence we can bring to bear on the member countries and consequently our importance in NATO and the OEEC. Emotionally the United States is attracted by the concept of a united Europe, rationally she wishes to see a strong one: if faced with the choice between a failing United Kingdom which they suspect of opposing or, at the best, remaining aloof from this ideal of unity and a resurgent Western Europe which is eagerly embracing it they will no longer regard us as their principal ally in Europe. At the best we should remain a minor power in an alliance dominated by the United States and the countries of the E.E.C. ; at the worst we should sit helplessly in the middle while the two power blocs drifted gradually apart."79 Der erst zwei Jahre zuvor etablierten Planning Section mangelte es zwar ansonsten an eigenständigem Profil innerhalb von Whitehall, da sie noch nicht einmal von einem UnderSecretary geleitet wurde und den anderen Abteilungen des Außenministeriums zuarbeiten mußte,80 jedoch erwiesen sich ihre Analysen zur Europapolitik zumindest in bezug auf die Meinungsbildung im eigenen Ministerium als einflußreich. Weil die konzeptionellen Anstöße der Planning Section sowohl in den anderen Abteilungen als auch bei Außenminister Lloyd auf fruchtbaren Boden fielen, beschleunigten sie den Prozeß des ohnehin langsam einsetzenden Wandels im außenpolitischen Kalkül der Regierung. Vor dem Hintergrund der latenten Krise im Commonwealth und des akuten Handelskonflikts mit politischen Konnotationen mit der von den USA unterstützten EWG in Europa entwickelte sich die Analyse der Planning Section innerhalb eines halben Jahres zur neuen orthodoxen Linie des Außenministeriums. Unterstützt von den politisch denkenden Beamten im Schatzamt, wie zum Beispiel Frank Lee, ging das Außenministerium so weit, Mitte 1960 in die Antworten des Economic Steering (Europe) Committee auf Macmillans Fragen zu diktieren, es sei für Großbritannien absolut unverzichtbar „to be in the inner circles of the Six".81

77 Waldemar Besson: Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe, München 1970, S.278. 78 Vergl. zur Bedeutung der Fouchet-Verhandlungen W. Kaiser, Appeasement, S. 146. 79 Denkschrift der Planning Section: PREM 11/2985 (Herbst 1959). 80 Wallace, The Foreign Policy Process, S.78. 81 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960).

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Aus Sicht des Außenministeriums stand deshalb bereits fest, daß sich die Regierung unbedingt an einer neuen politischen Organisation der Sechs beteiligen mußte, bevor zwischen den Ministerien überhaupt Einigkeit über die Notwendigkeit eines EWG-Beitritts bestand. „Nearidentification" für die Wirtschaft war für das Außenministerium allenfalls unter der Bedingung annehmbar, daß „full-identification" für die politische Zusammenarbeit in Europa sichergestellt werden konnte. In letzter Instanz kam es danach nicht auf neuseeländische Butter oder schottische Tomaten an. Nachdem die Umrisse von de Gaulies Vorschlägen bekannt geworden waren, bekräftigte der Assistant Under-Secretary of State Roger William Jackling diese Sicht noch einmal gegenüber dem neuen Außenminister Home: „While our immediate task must be to find solutions for the complex economic difficulties, we must not lose sight of our political objectives (...). It seems clear that General de Gaulle is thinking in terms of a wide intergovernmental structure for the Six covering defence, political, economic, social and cultural questions. This degree of integration among the Six would probably constitute a far graver threat than the E.E.C., not only to European unity but also to Atlantic solidarity. Our interests would presumably be seriously prejudiced if we did not participate fully in whatever new Organisation emerged. (...) From the political Standpoint (it is) more than ever essential that we should not be fobbed off with some purely economic Solution which leaves us outside the inner councils."82 Als die Planning Section des Außenministeriums Ende 1959 ihre innerhalb der Verwaltung einflußreiche Denkschrift vorlegte, war Macmillan bereits zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt, wie aus einer aufschlußreichen Notiz de Zuluetas hervorgeht.83 Wenngleich er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf das Ziel des EWG-Beitritts festgelegt hatte, betonte Macmillan in der Ministerbesprechung vom November 1959 bereits, daß es im Hinblick auf die zukünftige britische Außen- und Europapolitik darauf ankam, den Status als Weltmacht mit weltweiten Verpflichtungen zu wahren. Ob das jedoch, vor allem die Erhaltung der „special relations" mit den Vereinigten Staaten, von außerhalb der neuen Staatengruppe mit 180 Millionen Einwohnern möglich sein würde, sei fraglich.84 Unter dem Eindruck der Antworten des Lee-Ausschusses und der informellen Allianz zwischen EWG und USA in den Fragen des Zollkonflikts und der Reorganisation der OEEC notierte Macmillan dann Mitte 1960 frustriert in sein Tagebuch: „Shall we be cought between a hostile (...) America and a boastful, powerf u l , Empire of Charlemagne' - now under French but later bound to come under German control? Is this the real reason for ,joining' the Common Market (if we are acceptable) (...)? It's a grim choice."85

82 R.W. Jackling an Home: FO 371/150364/56 (28. August 1960). 83 „Its conclusions are broadly ones that you had already reached." de Zulueta an Macmillan: PREM 11/2985 (Herbst 1959). 84 PREM 11/2679 (29. November 1959). 85 HMD (9. Juli 1960), zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.256. Diese Befürchtung hatte bereits eine dominante Rolle in Macmillans außenpolitischem Denken gespielt, als der damalige Wohnungsbauminister Anfang 1952 regierungsintern eine Denkschrift zur Europapolitik vorlegte. Darin schrieb Macmillan: „If (...) we are to see Western Europe and its colonial possessions pass into a German-dominated customs union and our own overseas markets threatened, the outlook will be dark indeed. (...) Instead of playing merely second fiddle to the United States, we might have to descend to third fiddle, while the 150,000,000 Continentals took the second place." Siehe Duncan Edwin Duncan-Sandys' Papers 9/3/22 (29. Januar 1952).

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In Anbetracht der drohenden Verdrängung Großbritanniens durch die EWG als wichtigster Partner Washingtons wurde den „special relations" Anfang der sechziger Jahre noch größere Bedeutung beigemessen, weil davon schließlich das vierte Symbol britischer Weltgeltung immer abhängiger war, nämlich eine glaubwürdige nationale Nuklearstreitmacht. 86 Die während des Zweiten Weltkriegs im sogenannten Manhattan-Projekt praktizierte bilaterale Kooperation in diesem Bereich war 1946 durch das McMahon-Gesetz, das die Weitergabe von Nuklearinformationen an andere Staaten untersagte, einseitig von den USA aufgekündigt worden. In der Folgezeit entwickelte Großbritannien daher weitgehend selbständig die Atombombe und zündete 1957 erstmals erfolgreich eine Wasserstoffbombe. Allerdings drohte Großbritannien Ende der fünfziger Jahre in dem nuklearen Rüstungswettlauf der beiden Supermächte endgültig abgehängt zu werden. Weil eine Reduzierung des Verteidigungshaushalts aus wirtschaftlichen Gründen notwendig erschien und schließlich mit der Veröffentlichung des Weißbuchs von 1957 eingeleitet wurde, war zunehmend fraglich, ob Großbritannien sich eine unabhängige Nuklearstreitmacht überhaupt finanziell leisten konnte. Hinzu kam im anbrechenden Zeitalter der Interkontinentalraketen das Problem, daß das technische Know-how möglicherweise nicht ausreichen würde, um eine effektive Nachfolge für die alternde Bomberflotte zu entwickeln, die wegen der kontinuierlichen Verbesserung der Luftabwehr nach zehn Jahren völlig unbrauchbar sein würde. Als Eisenhower dann unter dem Eindruck der waffentechnischen Fortschritte der UdSSR Macmillan auf der Konferenz von Bermuda im März 1957 die Wiederaufnahme der Kooperation anbot, stimmte dieser erleichtert zu. Nach dem Sputnik-Schock folgte im Herbst 1957 die anglo-amerikanische „Erklärung über gemeinsame Ziele", derzufolge beide Staaten ihre Nuklearkapazität als „Garantie für die Verteidigung der freien Welt" ansahen. Die neue Zusammenarbeit wurde schließlich 1958 durch die Revision des McMahon-Gesetzes durch den Kongreß legalisiert. Die britische Regierung setzte zunächst die eigene Entwicklung der Boden-Boden-Rakete Blue Streak fort, wofür die Amerikaner nur das Lenksystem zur Verfügung stellten. 87 Allerdings wurde schon bald deutlich, daß diese Rakete bereits veraltet sein würde, wenn sie einsatzfähig war, so daß das Projekt schließlich im Februar 1960 ersatzlos abgebrochen wurde. Im April sagte Eisenhower dann zu, Großbritannien stattdessen die allerdings noch im Entwicklungsstadium befindliche Luft-Boden-Rakete Skybolt zu überlassen. Dadurch sollte zunächst einmal die Einsatzbereitschaft der britischen Bomber bis in die siebziger Jahre verlängert werden. Im Gegenzug stellte die Regierung in London den Amerikanern Holy Loch an der schottischen Westküste für die Stationierung ihrer mit Polaris-Raketen ausgestatteten, atomar angetriebenen Unterseeboote zur Verfügung. 88 Durch diese Vereinbarung behielt Großbritannien vorerst eine glaubwürdige nationale Nuklearstreitmacht, war jedoch von da an für die Bereitstellung von Trägerraketen völlig vom Wohlwollen der Regierung in Washington abhängig.

86 Zur amerikanisch-britischen Nuklearkooperation siehe einführend Margaret Gowing: Nuclear Weapons and the .Special Relationship', in: W.M. Roger Louis und Hedley Bull (Hrsg.): The .Special Relationship'. Anglo-American Relations Since 1945, Oxford 1986, S.117-128. Für die britische Nuklearpolitik vergl. Lawrence Freedman: Britain and Nuclear Weapons, London 1980. 87 David Dimbleby und David Reynolds: An Ocean Apart. The Relationship between Britain and America in the Twentieth Century, London 1988, S.225. 88 Michael Dockrill: British Defence since 1945, Oxford 1988, S.72ff.; Lawrence Freedman: Britain and Nuclear Weapons, London 1980, S.8ff.

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Allerdings war die fortgesetzte Existenz einer britischen Nuklearstreitmacht als viertes Symbol der vermeintlichen Weltgeltung Anfang der sechziger Jahre trotz dieses Arrangements in Frage gestellt, und zwar besonders nach dem Amtsantritt der Kennedy-Regierung in den Vereinigten Staaten. Ob die Amerikaner das von technischen Problemen geplagte Skybolt-Projekt überhaupt zu Ende führen würden, erschien spätestens seit Anfang 1961 immer fraglicher. Die Entscheidung des amerikanischen Verteidigungsministers McNamara im Herbst 1962, die Entwicklung abzubrechen, kam für die britische Regierung zu diesem Zeitpunkt keinesfalls aus heiterem Himmel. Für diesen Fall war jedoch keineswegs gesichert, daß die neue amerikanische Regierung bereit sein würde, Großbritannien einen gleichwertigen Ersatz, etwa in Form von Polaris, zu überlassen. Innerhalb der Kennedy-Administration gewannen nämlich die sogenannten „Europäer" und die Multilateralisten an Einfluß. 89 Die Vertreter dieser beiden Denkschulen lehnten aus verschiedenen Gründen eine fortgesetzte nukleare Sonderrolle Großbritanniens ab. Die „Europäer" wie der Unterstaatssekretär für Wirtschaftsfragen, George Ball, wollten die föderalistische Komponente der EWG gegen de Gaulles zwischenstaatliche Vision stärken und betrachteten die Gemeinschaft der Sechs als wichtigsten Partner der USA in Europa. Nach ihrer Auffassung war die Nuklearkooperation ein unverdienter Bonus für die Londoner Regierung, die sich gegen die erklärten Interessen der amerikanischen Regierungen ein Jahrzehnt lang geweigert hatte, sich an dem Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa zu beteiligen. Aus einer ausgesprochen militärstrategischen Perspektive sahen dagegen die Multilateralisten die bilaterale Nuklearkooperation mit London. Sie lehnten jede formal unabhängige nationale Nuklearkapazität innerhalb der westlichen Allianz ab, einmal abgesehen von den Vereinigten Staaten, und setzten sich stattdessen für die Schaffung einer gemeinsamen NATO-Streitmacht ein. Der NATO-Oberkommandierende General Norstad hatte darüber bereits 1959 laut nachgedacht. In dieselbe Richtung ging dann im Dezember 1960 der sogenannte Herter-Plan des scheidenden amerikanischen Außenministers, ehe die KennedyRegierung dessen Vorstellungen weiterentwickelte. 90 Dahinter verbargen sich zwei Hauptmotive: Einerseits wollte die Regierung in Washington eine französische Nuklearstreitmacht verhindern, zumindest jedoch multilateral eingebunden sehen sowie möglichen Ansprüchen der Bundesrepublik Deutschland und anderer Verbündeter vorbeugen. Wie Präsident Kennedy im Februar 1962 gegenüber Macmillan erklärte, wurde diese Politik durch das Beharren der Briten auf einer eigenen Streitmacht außerhalb der NATO erheblich erschwert. 91 Andererseits machte die von Kennedy betriebene, allmähliche Reorientierung der Abschreckungsstrategie der NATO von dem Konzept der massiven Vergeltung hin zur flexiblen Antwort einer abgestuften Reaktion auf eine mögliche sowjetische Aggression eine weitere Zentralisierung des Entscheidungsprozesses über den Einsatz von Nuklearwaffen notwendig, dem die fortgesetzte nationale Verfügungsgewalt Großbritanniens im Wege stand. 92

89 Arthur M. Schlesinger: A Thousand Days. John F. Kennedy in the White House, London 1965, S.734. 90 Ebd., S.724ff.; George Ball: The Past Has Another Pattern. Memoirs. New York/London 1982, S.261. 91 Schlesinger, S.723. 92 Vergl. hierzu und zu der damit verbundenen neuen Betonung der Bedeutung konventioneller Streitkräfte für die Abschreckungsstrategie ebd., S.279ff.; ebenfalls Dimbleby/Reynolds, S.236ff.; Freedman, S.13.

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Insofern operierte die britische Regierung nicht erst unmittelbar vor dem Treffen zwischen Macmillan und Kennedy in Nassau im Dezember 1962, sondern bereits 1960/61 vor dem Hintergrund von Spekulationen, daß Großbritannien infolge dieser Akzentverschiebung in der amerikanischen Politik schon bald seine formal unabhängige Nuklearkapazität verlieren könnte. 93 Diese Krise des vierten Symbols britischer Weltgeltung, dessen Verteidigung Macmillan als eines seiner wichtigsten außenpolitischen Ziele betrachtete, entwickelte sich jedoch nicht in einem politischen Vakuum. Vielmehr hing die fortgesetzte Existenz Großbritanniens als dritte Nuklearmacht 1960/61 an dem seidenen Faden der verteidigungspolitischen Sonderrolle Londons in den transatlantischen Beziehungen, die durch den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der EWG gefährdet erschien.94 Von daher fand also die Erörterung der britischen Europapolitik innerhalb von Kabinett und Regierungsverwaltung vor dem Hintergrund einer gleich vierfachen Krise der traditionellen Definition eigener Weltgeltung statt, durch die der vermeintliche Weltmachtstatus Großbritanniens existentiell in Frage gestellt erschien. Der EWG-Beitritt entwickelte sich immer mehr zu dem zentralen Element einer Krisenbewältigungsstrategie in bezug auf Großbritanniens Außenbeziehungen: Während die Teilnahme an einem Gemeinsamen Markt in Westeuropa 1955 noch als unvereinbar mit der auf den drei Kreisen basierenden weltweiten politischen Rolle gegolten hatte, kam die britische Regierung bis 1961 zu dem Schluß, daß nun allenfalls durch den Beitritt zur EWG der eigene Weltmachtanspruch aufrechterhalten werden konnte. Aus dem Mitte der fünfziger Jahre noch kaum hinterfragten, entscheidenden Argument gegen eine Neuorientierung in der Europapolitik war damit nur sechs Jahre später das ausschlaggebende Argument dafür geworden. Aus dieser Perspektive argumentierte besonders Macmillan in den regierungsinternen Beratungen. Nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er Anfang April 1961 mit Kennedy über die zukünftige britische Europapolitik gesprochen hatte, nahm der Premierminister die EWG und de Gaulles weiterführende Pläne für eine enge politische Kooperation der Sechs mehr denn je als Bedrohung des Zusammenhalts der Atlantischen Allianz und der vermeintlichen Weltmachtposition Großbritanniens wahr.95 In einer Sitzung des European Economic Association Committee wenige Wochen später betonte Macmillan, das wichtigste Argument für den EWG-Beitritt liege in den Gefahren des Nicht-Beitritts. Nicht über gleichberechtigten Zugang zum expandierenden EWG-Markt zu verfügen, war schädlich genug für die Industrie. Von den „inneren Zirkeln" der Sechs ausgeschlossen zu sein, die inzwischen eine beinahe magische Anziehungskraft auszuüben schienen, würde darüber hinaus bewirken, daß Großbritanniens politischer Einfluß weltweit weiter drastisch abnehmen müßte.96 Aus der Analyse der sich Anfang der sechziger Jahre rasch verschärfenden parallelen Krisen in den britischen Außenbeziehungen leiteten sich vier konkrete Funktionen ab, die der EWG-Beitritt aus Macmillans Sicht erfüllen sollte: Erstens mußte die EWG das Commonwealth als Legitimationsgrundlage für den britischen Weltmachtanspruch ersetzen. Wie selbstverständlich ging der Premierminister 1961 davon aus, daß Großbritannien, einmal aufgenommen, in der EWG eine unangefochtene politische Führungsrolle übernehmen wür93 Schlesinger, S.725. 94 Siehe auch Gustav Schmidt: Die politischen und die sicherheitspolitischen Dimensionen der britischen Europapolitik 1955/56 - 1963/64, in: ders. (Hrsg.): Grossbritannien und Europa Grossbritannien in Europa, Bochum 1989, S. 169-252 (179). 95 CAB 128/35,1/24. Sitzung (26. April 1961). 96 CAB 134/1821/4. Sitzung (17. Mai 1961).

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de. 97 Nach seiner eigenwilligen antizipatorischen Interpretation von Kennedys späterem „Grand Design" bliebe Großbritannien das tragende Element im europäischen Pfeiler der transatlantischen Architektur, gestützt auf das neue Fundament der EWG. Das Commonwealth wäre selbstverständlich weiterhin von Bedeutung, jedoch kaum noch für Großbritanniens Weltgeltung, sondern als nationales Identifikationsmuster sowie innerhalb der Konservativen Partei, um den Empire-Flügel zu beschwichtigen und so die allmähliche Anpassung an das geänderte außenpolitische Drehbuch so parteiverträglich wie möglich gestalten zu können. Zweitens hoffte Macmillan, daß Großbritannien als EWG-Mitglied wesentlich dazu beitragen könnte, Amerikaner und Europäer innerhalb der NATO zusammenzuhalten. Der Premierminister teilte zwar nicht die Vision der amerikanischen Regierung für die institutionelle Entwicklung Westeuropas, sondern die des französischen Präsidenten, aber er stimmte mit Kennedy überein und nicht mit de Gaulle im Hinblick auf die sicherheitspolitische Architektur für die gemeinsame Allianz, die ihm seit dessen Initiative vom Herbst 1958 für die Einrichtung eines Dreierdirektoriums der Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten zunehmend gefährdet erschien. Macmillan wollte sich mit dem EWGBeitritt den Vereinigten Staaten als Trojanisches Pferd in Westeuropa andienen. Da die amerikanische Regierung selbst angesichts der eigensinnigen Politik de Gaulies immer mehr darum besorgt war, die Entwicklung der EWG mit ihren globalen Sicherheitsinteressen vereinbar zu halten, konnte Großbritannien hier durchaus eine brauchbare Rolle spielen. Im April 1961 machte Kennedy gegenüber Macmillan deutlich, daß sich seine Regierung von der EWGMitgliedschaft Großbritanniens vor allem einen mäßigenden Einfluß auf die allzu unabhängige Linie de Gaulies erhoffte. 98 Jedoch war weder die geplante Übernahme einer politischen Führungsrolle in der EWG ausschließlich statusorientiert, noch zielte die Bereitschaft, als eine Art diplomatischer Hilfssheriff der Vereinigten Staaten in Europa zu wirken, einzig auf die Stabilisierung der Atlantischen Allianz ab. Vielmehr waren diese beiden Rollen direkt auf die dritte Funktion des EWG-Beitritts bezogen, die vermeintliche Sonderbeziehung zu Washington zu festigen. Für Macmillan sollte die Führungsrolle innerhalb eines integrierten Westeuropa die sich abzeichnende wirtschaftliche Überlegenheit der Bundesrepublik Deutschland und den politischen Einflußgewinn Frankreichs durch de Gaulles eigenwillige Politik und den Aufbau der force de frappe neutralisieren helfen. Innerhalb der EWG sollte sich die britische Regierung erneut als der einzige verläßliche und somit wichtigste Partner der USA bewähren. Insofern bewegte sich die britische Regierung also 1960/61 vor allem auf Brüssel zu, damit sich die Regierung in Washington nicht noch weiter von ihr entfernte. Zumindest für Macmillan war der EWG-Beitritt in erster Linie ein Vehikel der britischen Amerikapolitik. Zu dem wichtigsten greifbaren Gewinn aus der vermeintlichen Sonderbeziehung hatte sich bis 1960/61 die bilaterale Nuklearkooperation entwickelt. Die Vorzugsbehandlung durch die USA in diesem Bereich zu erhalten, war deshalb auch die vierte Funktion des EWGBeitrittsantrags. Die Verbindung zwischen beiden Politikfeldern, der Europa- und der Sicherheitspolitik, war weder unmittelbar noch offensichtlich. Macmillan steuerte nicht 1961 auf den EWG-Beitritt zu, damit ihm Kennedy Ende 1962 Polaris überlassen würde. Jedoch 97 Siehe hierzu auch Robert Holland: The Pursuit of Greatness. Britain and the World Role, 1900-1970, London 1991,S.359f. 98 PREM 11/3311 (6. April 1961).

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wollte sich Macmillan durch eine antizipatorische Anpassung seiner Politik an die Ziele der amerikanischen Regierung in Europa deren Wohlwollen sichern, und zwar nicht zuletzt im Hinblick auf die langfristige Stabilisierung der gefährdeten Nuklearkooperation. Zwar war der Londoner Regierung durch das knappe Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom November 1960 ein Führungsduo Nixon/Dillon erspart geblieben, von dem in Whitehall eine entschieden pro-französische Politik befürchtet worden war, jedoch galt die junge Kennedy-Regierung als unberechenbar genug, um eine mit deren Interessen konforme Politik ratsam erscheinen zu lassen. Vor diesem Hintergrund hatte die Politik der amerikanischen Regierung sehr großen Einfluß auf die Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag. Sie verkürzte nämlich die Optionen der Regierung auf zwei, also die Bewahrung des Status quo oder den EWG-Beitritt als Vollmitglied. Daß seine Regierung keine Zwischenlösung wollte, das heißt ein reines Handelsarrangement zwischen EWG und EFTA, machte Ball noch einmal bei einem Gespräch mit Heath und Lee Ende März 1961 in Vorbereitung auf Macmillans Treffen mit Kennedy eine Woche später deutlich." Von Eisenhower zu Kennedy hatte sich insofern an der amerikanischen Europapolitik nichts geändert. Unabhängig von der Haltung der EWG-Staaten, besonders Frankreichs, schied damit Lees Konzept der „near-identification" mit der EWG als Lösung für Großbritanniens europapolitisches Dilemma aus. Weil andererseits der Status quo mittel- und langfristig politisch und wirtschaftlich untragbar erschien, blieb nur der Beitritt. So kamen die Spitzenbeamten im Lee-Ausschuß Ende April 1961 zu dem ernüchternden Ergebnis, daß die amerikanische Haltung letztlich die britische Politik bestimmte. 100 Dessen war sich auch Macmillan bewußt. Nach der Erfahrung des kläglichen Scheiterns des Suez-Abenteuers fünf Jahre zuvor hatte er es zu einem der handlungsleitenden Grundprinzipien seiner Außenpolitik gemacht, daß britische Regierungen nicht gegen den Kernbestand erklärter Interessen der Vereinigten Staaten handeln durften, wenn sie nicht die transatlantische Sonderbeziehung aufs Spiel setzen wollten. Im Kabinett spielte Macmillan dieses negative Motiv für den EWG- Beitrittsantrag allerdings herunter, weil es als zu defätistisch galt. In der Öffentlichkeit wurde es sogar völlig verschwiegen, weil dadurch entlarvt worden wäre, daß es sich bei dem sorgfältig kultivierten Weltmachtanspruch längst um mehr Schein denn Sein handelte. Neben der frühzeitigen Verkürzung der Optionen lag der bestimmende Einfluß der USA später darin, daß die Kennedy-Administration unmißverständlich klar machte, daß sie Großbritannien innerhalb der EWG sehen wollte, und zwar in erster Linie aus übergeordneten sicherheitspolitischen Gründen. In dieser Deutlichkeit äußerte Ball diesen Wunsch in einer größeren Runde zum erstenmal bei dem erwähnten Treffen mit Lee und anderen Spitzenbeamten Ende März 1961.101 Im Hinblick auf die transatlantische Komponente der britischen Europapolitik ist der Verlauf dieses Gesprächs besonders aufschlußreich. Es verdient deshalb an dieser Stelle auszugsweise wiedergegeben zu werden. Nach Lees einleitender Frage zur amerikanischen Position in bezug auf die laufenden bilateralen Expertengespräche zwischen britischen Beamten und Kollegen aus Deutschland, Frankreich und Italien ergriff der amerikanische Unterstaatssekretär das Wort: „,Mr. Ball said that the United States deeply regretted that the United Kingdom had not yet feit able to accept the Rome Treaty commit99 FO 371/158162/45 (30. März 1961). 100 CAB 134/1854/4. Sitzung (25. April 1961). 101 FO 371/158162/45 (30. März 1961).

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ments. (...) British membership of the Community would represent a contribution of great importance to the cohesion of the Free World. (...) He did not think that the kind of Solution at present envisaged by H.M.G. would be satisfactory to the United States. (...) He wished to repeat that the American Administration were fully persuaded that it was a misfortune that the United Kingdom was outside the Community.' Sir F. Lee said that he would be grateful for any further indications as to the direction in which the United States would like to see United Kingdom policy evolve. Was Mr. Ball suggesting that the United Kingdom should join E.E.C.? (...) Mr. Ball said that the United States would certainly like to see the United Kingdom join E.E.C." 102 Einen ähnlichen Verlauf nahm das Gespräch zwischen Macmillan und Kennedy eine Woche später. 103 Auf eine vergleichbare Frage von Macmillan, der von Lee eingewiesen worden war, ließ Kennedy den ebenfalls anwesenden Ball bestätigen, daß seine Regierung den Beitritt Großbritanniens zur EWG sehr begrüßen würde. 104 Bei anderen Anlässen benutzte Ball eine sehr viel weniger diplomatisch verblümte Ausdrucksweise. So hatte der britische Botschafter in Washington, Caccia, bereits Mitte März berichtet, Ball habe ihm gegenüber in aggressivem Ton gefordert, Großbritannien müsse unbedingt innerhalb der nächsten fünf Jahre in die EWG gehen. 105 Besonders nach dem Treffen zwischen Macmillan und Kennedy wurde dann auch in der britischen Presse darüber spekuliert, inwieweit die amerikanische Regierung Druck ausübte, um die Briten zum EWG-Beitritt zu zwingen. 106 Öffentlich nahmen die Amerikaner daraufhin eine betont neutrale Haltung zur Frage eines möglichen britischen EWG-Beitritts ein, um Macmillan innenpolitisch und außenpolitisch gegenüber de Gaulle nicht in Verlegenheit zu bringen. Ball, dem Kennedy und Außenminister Dean Rusk in der Europapolitik viel Freiraum gewährten, betonte anschließend auch hinter verschlossenen Türen gegenüber britischen Politikern und Beamten immer wieder, es sei niemals beabsichtigt gewesen, den Partner unter Druck zu setzen. 107 Obwohl die transatlantische Komponente in der britischen Europapolitik eine zentrale Rolle spielte, ginge eine historische Diskussion der Frage, ob die Regierung in London 1961 nur unter diplomatischem Zwang von außen handelte, insofern am Kern des Problems vorbei, als Macmillan selbst bereits zu dem Ergebnis gelangt war, daß der EWG-Beitritt unausweichlich sein würde, ehe er im April mit Kennedy zusammentraf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierungsverwaltung sogar bereits mit einer umfangreichen Studie der zu erwartenden Auswirkungen des Beitritts und kritischer Verhandlungspunkte begonnen. Was Lee von Ball und Macmillan von Kennedy erwarteten, war die Bestätigung, daß sich nichts an der EWGfreundlichen Politik der amerikanischen Regierung geändert hatte. Worauf die britische Seite hoffte, war diplomatische Rückendeckung für den Beitrittsantrag und Verständnis für die britischen Forderungen nach möglicherweise indirekt für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich nachteiligen Sonderregelungen in den bevorstehenden Verhandlungen mit der EWG, besonders im Hinblick auf das Commonwealth und die Landwirtschaft. 102 Ebd.. In seinen Memoiren hat Ball versichert, er habe diese erste ausfuhrliche Stellungnahme nicht aufgrund einer vorherigen Absprache innerhalb der amerikanischen Regierung, sondern spontan abgegeben. Vergl. Ball, S.21 lff. 103 PREM 11/3311 (6. April 1961). 104 Ebd. 105 FO 371/158161/34 (16. März 1961). 106 Daily Telegraph (29. April 1961). 107 So etwa gegenüber Heath: FO 371/158163/79(18. Mai 1961).

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Der Kennedy-Regierung erschien der EWG-Beitritt Großbritanniens als ein Element neben mehreren anderen des noch im Entwicklungsstadium befindlichen „Grand Design" wünschenswert. Allerdings genossen die akuten außenpolitischen Krisen in Berlin, Kuba und Vietnam genauso Vorrang wie andere innen- und außenpolitische Erwägungen, wie sich noch zeigen sollte. Es war auch nie die Rede von politischen oder ökonomischen Sanktionen, falls die britische Regierung bei ihrer distanzierten Politik gegenüber der EWG bleiben sollte. Großbritannien blieb vorerst der zumindest in sicherheits- und verteidigungspolitischer Hinsicht verläßlichste und insofern wichtigste, aber deshalb noch lange nicht grundsätzlich privilegierte Partner. Dagegen war die britische Regierung inzwischen völlig auf den EWG-Beitritt als Überlebensfrage fixiert. Weil Macmillan durch diesen Schritt nicht zuletzt stabilisieren wollte, was im politischen Establishment in London immer noch als Sonderbeziehung gesehen wurde, war für ihn die Haltung der amerikanischen Regierung von ungleich größerer Tragweite als die britische Europapolitik für die Supermacht USA. Was von Kennedy als ermutigende Meinungsäußerung beabsichtigt war, stellte sich deshalb für Macmillan als Handlungsaufforderung dar. Insofern die Londoner Regierung also unter Druck der Amerikaner vorging, handelte es sich dabei um einen selbst auferlegten Zwang zu einem mit den Zielen der Washingtoner Regierung konformen Verhalten. Wie wichtig Kennedys Segen für Macmillan war, zeigt dessen übermütige und angesichts der sehr unsicheren Aussichten des geplanten EWG-Beitrittsantrags etwas naive Freude über das Ergebnis dieses Schlüsselgesprächs, die anschaulich in Balls Memoiren dokumentiert ist.108 Seit seinem Treffen mit Eisenhower auf Bermuda im März 1957 hatte die Pflege der transatlantischen Beziehungen für Macmillan eine Eigendynamik entwickelt, die durch sein persönliches Einvernehmen mit dem viel jüngeren Kennedy noch verstärkt wurde. Dennoch blieb der EWG-Beitrittsantrag auch als Instrument von Macmillans transatlantischer Politik stets auf eine breiter angelegte Strategie bezogen. Lediglich auf den Verlust der Vermittlerrolle in der Gipfeldiplomatie konnte die Neuorientierung in der Europapolitik keine Antwort bereithalten. Davon abgesehen entwickelte sich der EWG-Beitritt jedoch 1960/61 besonders für den Premierminister zu einer Art außenpolitischem Universalkitt, mit dem die zerbrechliche Konstruktion der drei Kreise und somit die bröckelnde Weltmachtposition intakt gehalten werden sollte. Durch die ins Auge gefaßte Mitgliedschaft in der EWG sollte Großbritannien an eine politische und ökonomische Herz-Kreislauf-Maschine angeschlossen werden, um die Lebenserwartung als Weltmacht über den Zerfall des einst so glanzvollen Kolonialreiches hinaus zu verlängern. Mit der Sorge um die Zukunft Westeuropas hatte der erste britische EWG-Beitrittsantrag dagegen ebenso wenig zu tun wie das FHZ-Konzept fünf Jahre zuvor. Zu keinem Zeitpunkt wurde in den Beratungen innerhalb der Regierungsverwaltung oder auf Ministerebene bis August 1961 diskutiert, wie sich die Großbritannien angeblich in der EWG zufallende Führungsrolle konkret äußern und was die Regierung mit ihr anfangen würde. Mit dem vermeintlichen, von der britischen politischen Klasse bis heute behaupteten Gegensatz zwischen britischem Pragmatismus und kontinentaleuropäischem Idealismus hatte das nichts zu tun. Immerhin hatte de Gaulle, der genauso wenig an den Vereinigten Staaten von Europa baute 108 Ball, S.214. Danach äußerte Macmillan einen Tag nach dem besagten Gespräch mit Kennedy am Rande eines offiziellen Abendessens überschwenglich gegenüber Ball: „Yesterday was one of the greatest days in my life. (...) We're going into Europe."

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wie Macmillan, eine ziemlich präzise Vorstellung davon, in welche Richtung sich die Sechs entwickeln sollten. Der französische Präsident betrachtete die Europapolitik zwar ebenso wie Macmillan vornehmlich als Verlängerung der nationalen Außenpolitik. Die französische Europapolitik hatte jedoch einen dynamischen Charakter, während die Londoner Regierung wie gelähmt auf den eigenen Niedergang fixiert war. Ihr ging es ausschließlich darum, Großbritanniens Relegation im internationalen System in die zweite Liga der ökonomischen und politischen Mittelmächte abzuwenden. Dieses Leitmotiv hinter dem EWG-Beitrittsantrag ist besonders prägnant von Lord Inchyra formuliert worden, der von 1957 bis 1961 als Frederick Hoyer Miliar als Permanent UnderSecretary of State im Außenministerium arbeitete und in dieser Funktion innerhalb der Regierungsverwaltung eine der treibenden Kräfte hinter dem Beitrittsantrag war: „One had to find another focus, but I would not like to say that we had any clear, defined objectives there except to get closer to Europe (...). Everybody complains that they're not getting something out (of membership). We never went in to get something out. We went in to prevent our being kicked down really to a lower league. (...) One did not realise at the time what a momentous decision it was and all the implications of it. One merely thought that, from a political point of view, here was a chance of saving a little of the position we've lost. And if we don't take this opportunity we shall be of no more account than a small peripheral European country - and you've got to hop on the bandwagon while you can." 109

3. Von Commonwealth und Landwirtschaft Nicht alle Befürworter des EWG-Beitritts innerhalb der Regierung teilten Macmillans konservative europapolitische Perspektive. Einige Minister und Beamte betrachteten den EWGBeitritt längst zumindest subsidiär als ein Instrument zur wirtschaftlichen Modernisierung. Außerdem existierte in der Konservativen Partei Anfang der sechziger Jahre eine wachsende Minderheit überzeugter „Europäer", die sich von der Doktrin der drei Kreise abwandten und Großbritanniens Platz wie selbstverständlich in Europa sahen. Zu dieser Gruppe gehörten etwa Thorneycroft, der als Minister für zivile Luftfahrt wieder in die Regierung zurückkehrte, und Edward Heath, der Mitte 1960 für Europafragen zuständig wurde und ab Oktober 1961 die britische Delegation in den Beitrittsverhandlungen in Brüssel leitete. Allerdings dominierte Macmillans statusorientierte Perspektive 1960/61 den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß, weil diese von der großen Mehrheit der älteren Generation in Regierung und Verwaltung geteilt wurde, deren Weltbild oft noch während des Ersten Weltkriegs und in der frühen Zwischenkriegszeit geprägt worden war. Ein typisches Beispiel für den Wandel in deren außenpolitischem Kalkül war Home, der noch 1956 als Commonwealth-Minister zu den schärfsten Gegnern des FHZ-Plans gezählt hatte, weil er davon nachteilige Auswirkungen auf das Commonwealth als etabliertes Fundament des britischen Weltmachtstatus befürchtete, Mitte 1960 jedoch die konträre Auffassung vertrat, daß es notwendig werden würde, der EWG beizutreten, um die transatlantischen Beziehungen zu den USA zu stärken und so einen möglichst großen internationalen Einfluß zu wahren." 0

109 In einem BBC-Interview, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.304f. 110 CAB 128/34/41. Sitzung (13. Juli 1961).

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Die Ansichten seiner Ministerkollegen zu einer möglichen europapolitischen Reorientierung sondierte Macmillan schon im Juli 1960, als er im Kabinett die Antworten des LeeAusschusses auf seine Fragen diskutieren ließ." 1 Zu diesem Zeitpunkt war der Premierminister noch keineswegs zum EWG-Beitritt entschlossen und behandelte den Ausschußbericht von daher als persönliche Orientierungshilfe. Dennoch sah Macmillan bereits die Notwendigkeit, eine politisch zufriedenstellende Lösung für den Handelskonflikt zwischen EWG und EFTA zu finden, und war sich bewußt, daß die britische Regierung dafür sehr viel weitgehendere Konzessionen, etwa in bezug auf Zollharmonisierung, würde machen müssen, als zwei Jahre zuvor gegen Ende der FHZ-Verhandlungen erwogen worden waren. Dafür brauchte er jedoch die Rückendeckung seines Kabinetts. Für Macmillan war dies das ausschlaggebende Motiv für das Revirement, das nahezu unmittelbar auf die europapolitische Diskussion im Kabinett folgte und bei dem mehrere europafreundliche Politiker in wichtige ministerielle Schlüsselstellungen befördert wurden." 2 Neuer Außenminister wurde Home, der sich mit seiner transatlantischen Perspektive europapolitisch genau auf Macmillans Wellenlänge befand. Als Lordsiegelbewahrer wählte Macmillan seinen engen Vertrauten Edward Heath, der, ins Außenministerium kooptiert, für die Europapolitik zuständig war und Home im Unterhaus vertrat. An die Spitze der beiden Ministerien, denen in Verhandlungen mit den Sechs die meisten Zugeständnisse abverlangt werden würden, bestellte Macmillan gleichfalls energische Beitrittsbefürworter: Duncan Sandys, Churchills Schwiegersohn und Mitbegründer der britischen Europabewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, avancierte zum Commonwealth-Minister, und Christopher Soames wurde für Landwirtschaft zuständig. Mit dieser Kabinettsumbildung hatte sich Macmillan erneut als geschickter Taktiker erwiesen, der das Kabinett in erstaunlichem Maße zu dominieren vermochte." 3 Die interne Diskussion hatte allerdings verdeutlicht, daß er mit Widerstand gegen eine Änderung der Europapolitik rechnen mußte. Unter den mit Europafragen befaßten Fachministern hatte Maudling als einziger grundsätzliche Einwände vorgebracht. Der Außenhandelsminister befürchtete von einem EWG-Beitritt negative Auswirkungen auf das Commonwealth, lehnte jedoch das Zollunionskonzept auch aus dogmatischen wirtschaftspolitischen Gründen ab und wollte weiter an dem 1958 gescheiterten Vorhaben festhalten, eine größere Freihandelszone unter Einschluß der EWG zu schaffen.114 Von größerer innerparteilicher Bedeutung war die betont skeptische Haltung von Butler, dem führenden Vertreter der Landwirtschaftslobby der Konservativen. Als Innenminister war Butler fachlich neutralisiert, aber Macmillan bezog seinen früheren Rivalen um das Amt des Premierministers dennoch von Anfang an in alle internen Beratungen ein. Er suchte einen möglichst breiten Konsens innerhalb seiner Partei. Dafür war Butlers Kooperation in der Vorbereitung auf den Beitrittsantrag unverzichtbar. Später übertrug Macmillan dann dem Innenminister sogar den Vorsitz des Kabinettsausschusses, der die Brüsseler Verhandlungen überwachen sollte, um ihn dadurch zur Loyalität gegenüber der Regierungspolitik zu verpflichten. Nach der Kabinettssitzung Mitte Juli 1960 bekräftigte der noch amtierende Außenminister Lloyd, der kurz darauf ins Schatzamt wechselte, im Unterhaus noch einmal die Grundzüge 111 112 113 114

Ebd. Vergl. Camps, S.314f. Vergl. Moon, S.163; Barker, S.170. Siehe hierzu CAB 128/34/41. Sitzung (13. Juli 1960).

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der etablierten Europapolitik." 5 Nachdem Lloyd zuvor im Januar 1960 vor der Beratenden Versammlung des Europarats davon gesprochen hatte, Großbritannien hätte sich zehn Jahre zuvor besser an der Gründung der EGKS beteiligen sollen," 6 und Anfang Juni der Parlamentarische Staatssekretär im Außenministerium, John Profumo, vor der Parlamentarischen Versammlung der WEU die Möglichkeit eines Beitritts Großbritanniens zu EGKS und EURATOM angedeutet hatte," 7 sah es nun so aus, als bliebe die Haltung der britischen Regierung gegenüber der EWG unverändert. Hinter den Kulissen begann Macmillan jedoch daran zu arbeiten, allmählich auch die Skeptiker für eine Reorientierung in der Europapolitik zu gewinnen, und zwar besonders ab Anfang 1961, nachdem er sich selbst auf das Ziel des EWG-Beitritts festgelegt hatte. Heath warnte den Premierminister im Februar 1961, daß die Opposition im Kabinett gegen eine Annäherung an die EWG 1960 nur deshalb so ausgeprägt gewesen sei, weil er eine offene Diskussion zugelassen habe. Stattdessen müsse der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß jetzt so angelegt werden, daß er stromlinienförmig auf das erwünschte Ergebnis zulaufe, daß der EWG-Beitritt unausweichlich sei." 8 Macmillan veranlaßte daraufhin, daß der für Europa zuständige Ministerausschuß am 14. März den Lee-Ausschuß beauftragte, eine Studie über die Konsequenzen des EWG-Beitritts anzufertigen." 9 Macmillan arbeitete mit Vorliebe auf dem Wege über die Regierungsverwaltung, wenn er dort Verbündete wie Lee hatte, die zuverlässig die passenden Schlußfolgerungen vorlegten. Auf diese Weise erhielten die internen Beratungen einen der kabinettsinternen Harmonie förderlichen Anschein von Objektivität, während Macmillan sich erst gegen Ende des Entscheidungsprozesses offen erklären mußte und nur für kurze Zeit in die kabinetts- und parteiinterne Schußlinie geriet. In ihrem Bericht sollten die Beamten jetzt nicht mehr die mit dem Beitritt verbundenen Probleme analysieren, sondern darüber nachdenken, wie diese in Verhandlungen überwunden werden konnten. Von daher war diese neuerliche Untersuchung mit Macmillans Fragebogen aus dem Vorjahr und den Antworten des Lee-Ausschusses gar nicht zu vergleichen, die von den divergierenden Sektorinteressen der beteiligten Ministerien geprägt gewesen waren und so kein einheitliches Gesamtbild ergeben hatten. Als die Beamten ihren Bericht Ende April vorlegten, erschienen die meisten früheren Argumente gegen den EWG-Beitritt nur noch von untergeordneter Bedeutung oder sogar nichtig in Anbetracht der übergeordneten politischen Vorteile, den „inneren Zirkeln" der Sechs anzugehören.120 Das galt beispielsweise für die Frage des Souveränitätsverlusts, der die Beitrittsgegner im Unterhaus später große Bedeutung beimaßen. Weil dieses Thema politisch brisant war, hatte sich Heath bereits Ende 1960 für alle Fälle beim Lordkanzler nach den genauen rechtlichen Bedingungen eines Beitritts erkundigt.121 Der erforderliche Souveränitätsverzicht wurde dann im April 1961 detailliert in einer Teilstudie des Ausschußberichts erläutert. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen der Vergemeinschaftung im Bereich der Außenhandelspolitik, der 115 116 117 118 119 120

Hansard 627/1099ff. (25. Juli 1960). Camps, S.289. Neue Züricher Zeitung (4. Juni 1960). Heath an Macmillan: FO 371/158264/12 (7. Februar 1961). CAB 134/1821/2. Sitzung (14. März 1961). Eine Zusammenfassung der mehrteiligen Studie „The Implications of Signing the Treaty of Rome" in CAB 134/1821/4(26. April 1961). 121 Kilmuir an Heath: FO 371/150369/133 (14. Dezember 1960).

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Mehrheitsabstimmungen im EWG-Ministerrat sowie des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der damit verbundenen Überlagerung der britischen Rechtsprechung durch diejenige des Europäischen Gerichtshofs. Diese drei wichtigsten Elemente des Souveränitätsverzichts werden sowohl aus einem dogmatisch-verfassungsrechtlichen als auch aus einem eher pragmatisch-politischen Blickwinkel untersucht.122 Von der britischen Regierung, so heißt es in der Studie, werde nach dem EWG-Beitritt eine konstruktive und gemeinschaftskonforme Politik erwartet. Das bedeute, daß sie gelegentlich auch gegen ihre Interessen verstoßende Mehrheitsentscheidungen werde mittragen müssen. Allerdings rechneten die Beamten wegen des zu erwartenden parallelen EWG-Beitritts anderer EFTA-Staaten nicht damit, daß die Regierung häufig isoliert sein würde, und schätzten daher die praktischen Auswirkungen des Mehrheitsprinzips als verkraftbar ein.123 Immerhin bewiesen die Beamten jedoch mit der in ihrer Teilstudie demonstrierten kooperationsfreudigen Einstellung vor dem Beitritt mehr „esprit communautaire" als de Gaulle wenige Jahre später in der EWG-Verfassungskrise, die zu dem sogenannten Luxemburger Kompromiß und der stillschweigenden Übereinkunft führte, daß die nationalen Regierungen auch dort ein informelles Vetorecht behielten, wo Mehrheitsentscheidungen vorgesehen waren. Von den praktischen Folgen abgesehen, erschien inzwischen auch den Beamten des Außenministeriums der notwendige Souveränitätsverzicht zugunsten einer semi-supranationalen Organisation wie der EWG nicht mehr, wie noch 1955, als dogmatisches Problem.124 Stimuliert durch den Schock des Suez-Abenteuers, dessen Ausgang auf drastische Weise verdeutlicht hatte, wie begrenzt die eigene außenpolitische Handlungsfreiheit war, hatte sich ihr Souveränitätsverständnis grundlegend gewandelt. Souveränität wurde jetzt relativ verstanden und als Summe der außenpolitischen Einflußmöglichkeiten definiert. Da Großbritanniens Einfluß in der internationalen Politik durch den EWG-Beitritt erhöht werden sollte, versprach die Mitgliedschaft von daher, pointiert formuliert, sogar einen Souveränitätszuwachs. Im Vergleich damit wurde die Parlamentssouveränität als Verfassungsgrundsatz inzwischen von der außenpolitischen Entscheidungselite hauptsächlich als ein Problem des innerparteilichen und innenpolitischen Managements betrachtet. Noch weniger Bedeutung als dem Souveränitätsargument wurde in den internen Beratungen der Zukunft der EFTA beigemessen, obwohl die Regierung hier eine zufriedenstellende Lösung öffentlich zu einer der drei Bedingungen für den EWG-Beitritt erklärte.125 Im Frühjahr 1961 rechneten die Beamten bereits zu Recht damit, daß Dänemark und Norwegen ebenfalls Beitrittsanträge stellen würden. Im Rahmen eines Gesamtpakets sollte es dann den verbleibenden EFTA-Staaten möglich sein, Assoziierungsabkommen mit der EWG auszuhandeln, um so ihre Wirtschaftsinteressen zu wahren. 126 Die britische Regierung hatte die EFTA jedoch ohnehin von Beginn an nur als Mittel zum Zweck betrachtet, eine Lösung für Großbritanniens Beziehungen zur EWG zu finden. Daher hielten die Beamten und Minister in London die Zukunft des dänischen Schinkens, der Schweizer Uhrenindustrie oder der schwedischen Neutralität letztlich für irrelevant im Vergleich mit der Notwendigkeit, eine neue Grundlage für den britischen Weltmachtanspruch zu schaffen. Da es innerhalb der Partei und 122 CAB 134/1821/6 (26. April 1961). Siehe hierzu bereits CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Fragen 19-21 sowie Annex F. 123 Ebd. 124 W. Kaiser, Appeasement, S. 148. 125 Vergl. den Regierungsantrag im Unterhaus: Hansard 645/1481 (3. August 1961). 126 CAB 134/1821/9 (26. April 1961).

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im Parlament zwar eine Landwirtschafts-, aber keine EFTA-Lobby gab, fiel das Problem der Zukunft dieser von Großbritannien maßgeblich initiierten Organisation bald unter den Tisch. Nur das Commonwealth und die Landwirtschaft wurden 1961 überhaupt noch als politisch empfindliche Themen ausführlich abgehandelt, für die Macmillan getrennte Untersuchungen anforderte, die auf seine Anweisung hin innerhalb der Regierungsverwaltung als streng geheim behandelt wurden.127 Für das Commonwealth bedeutete der EWG-Beitritt Großbritanniens das abrupte Ende des Ottawa-Systems durch den Wegfall des freien Zugangs bzw. der Präferenzen im britischen Markt und die Einführung „negativer Präferenzen" im Vergleich mit den Sechs.128 Die Beamten hofften jedoch, daß die Folgen für das Commonwealth durch möglichst langfristige Übergangsregelungen und die von der EWG bereits ins Auge gefaßte Senkung der gemeinsamen Außenzölle abgefedert werden konnten. Dabei entstanden durch Großbritanniens Anschluß an die EWG-Agrarpolitik die größten Probleme, und zwar nicht bei den tropischen Produkten, für die ohnehin Sonderregelungen ausgehandelt werden mußten, sondern im Bereich der landwirtschaftlichen Produkte aus den gemäßigten Zonen, wie etwa Getreide.129 Davon wäre besonders Neuseeland betroffen gewesen, das in hohem Maße von seinen landwirtschaftlichen Exporten nach Großbritannien abhängig war.130 Damit zumindest die Kerninteressen des Commonwealth in diesem Sektor gewahrt werden konnten, so folgerten die Beamten in ihrer Studie, müsse sich die Regierung in den EWG-Beitrittsverhandlungen darauf konzentrieren, Ausnahmeregelungen für einige besonders wichtige Agrarprodukte auszuhandeln, also etwa Weichweizen aus Australien und Butter aus Neuseeland.131 Besorgt waren die Beamten allerdings sehr viel mehr über die Auswirkungen dieses wirtschaftlichen Wandels auf den politischen Zusammenhalt des Commonwealth, das weiterhin eine wichtige Rolle in den britischen Außenbeziehungen spielen sollte und dessen pflegliche diplomatische Behandlung unverzichtbar war, um die Konservative Partei über den EWGBeitritt zusammenzuhalten.132 Es galt daher als selbstverständlich, daß die Regierung in den Gesprächen mit den Sechs jedenfalls insoweit für das Commonwealth mitverhandeln würde, wie dies mit den eigenen Interessen vereinbar war. Davon abgesehen wurde die Frage vor allem als innen- und außenpolitisches Präsentationsproblem behandelt. Daher reisten Ende Juni 1961 noch mehrere Minister für Konsultationen in alle Commonwealth-Staaten, obwohl zu dieser Zeit de facto bereits die Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag gefallen war. Daß diese Entwicklung dort dann überwiegend freundlicher aufgenommen wurde, als anfangs befürchtet worden war, erleichterte Macmillan die Aufgabe, die Skeptiker im Kabinett endgültig auf die neue Linie in der Europapolitik zu verpflichten.133

127 Für diese Gewichtung vergl. auch Macmillans eigene Anmerkungen im Ministerausschuß: CAB 134/1821/3. Sitzung (9. Mai 1961). 128 CAB 134/1821/18 (12. Juni 1961). 129 Vergl. hierzu auch CAB 134/1821/17 (Frühjahr 1961). 130 Siehe hierzu bereits ausführlich die Antwort des Lee-Ausschusses aus dem Vorjahr: CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), besonders Annex C. 131 CAB 134/1821/18(12. Juni 1961). 132 Für eine breitere Erörterung der politischen Folgen des EWG-Beitritts Großbritanniens für das Commonwealth vergl. CAB 134/1821/4 (26. April 1961). 133 Für die Diskussion der Berichte über die Gespräche mit den Regierungen der CommonwealthStaaten im Kabinett siehe CAB 134/1821/5. Sitzung (19. Juli 1961).

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Für die Landwirtschaft schließlich bedeutete der EWG-Beitritt den Anschluß an den Agrarmarkt der Sechs und die Umstellung des Subventionssystems. Noch bis Mitte 1960 hatte ein solcher Schritt wegen der bestehenden politischen Verpflichtungen gegenüber der Landwirtschaft durch das Landwirtschaftsgesetz von 1957 als ausgeschlossen gegolten.134 Danach veränderte sich jedoch die Perspektive des Landwirtschaftsministeriums unter der energischen Führung von Soames rasch. Bis zum Frühjahr 1961 argumentierte das Ministerium, daß die Umstellung für die Bauern insgesamt einkommensneutral gehalten werden könne. Während für einige Sektoren der Agrarindustrie, vor allem den Gartenbau sowie die Schweine- und Milchproduktion, mit nachteiligen Auswirkungen zu rechnen sei, würden andere, wie der Getreideanbau, eher profitieren.135 Diese neue Linie, nach der die negativen Folgen des Anschlusses an den EWG-Agrarmarkt begrenzt erschienen und die handfesten Vorteile hervorgehoben wurden, wurde von den anderen betroffenen Ministerien, und zwar besonders vom Schatzamt, unterstützt.136 Für diesen Wandel waren mehrere Gründe ausschlaggebend. Vor allem hatte die Kompatibilität zwischen den britischen Wirtschaftsinteressen und denjenigen des Commonwealth inzwischen weiter abgenommen. Der EWG-Beitritt als Mittel zur Durchsetzung protektionistischer Ziele war nicht auf Industrieprodukte beschränkt. Die Regierung wollte 1961 nicht nur den Import von Textilien und anderen Billigprodukten aus Asien begrenzen, sondern auch die Nutzung des britischen Markts als Deponie für landwirtschaftliche Überschüsse aus dem Commonwealth. Der weitere Ausbau der eigenen Landwirtschaft unter dem Schutz einer protektionistischen EWG-Agrarpolitik sollte zwar hauptsächlich auf Kosten von Drittstaaten wie Polen, Argentinien und den USA erfolgen, jedoch war das Landwirtschaftsministerium fest entschlossen, die Importe aus dem Commonwealth ebenfalls zu drosseln.137 Dieses neu erwachte Eigeninteresse an der Teilhabe am EWG-Agrarprotektionismus mußte allerdings innerhalb der Regierung und nach außen betont taktvoll vertreten werden, stand es doch in krassem Widerspruch sowohl zu den Commonwealth-Interessen als auch zu der sonstigen außenwirtschaftspolitischen Rhetorik der Regierung.138 Der zweite Hauptgrund für den Kurswechsel des Landwirtschaftsministeriums lag in dem zunehmenden Druck von Seiten des Schatzamtes, das Subventionssystem umzustellen. Im 134 Konzilianter allerdings bereits die Antworten des Lee-Ausschusses: CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1961), Fragen 13-15. 135 Siehe die Teilstudie „The Common Market and United Kingdom Food and Agriculture": CAB 134/1821/13-14 (12. Mai 1961) sowie zuvor bereits die Erläuterungen von Soames im Kabinett: CAB 128/35,1/24. Sitzung (26. April 1961). 136 Einen aufschlußreichen Einblick in die Endphase der Beratungen innerhalb des Landwirtschaftsministeriums geben die Zusammenfassungen von zwei Sitzungen des Policy Committee: MAF 255/961 (15. Mai 1961); MAF 255/961 (5. Juni 1961). 137 Vergl. CAB 134/1821/13-14 (12. Mai 1961) sowie die Diskussion über diese Positionspapiere im Ministerausschuß: CAB 134/1821/4. Sitzung (17. Mai 1961). Besonders aufschlußreich ist die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Heath und Soames am 25. Januar 1961 durch den Deputy Secretary im Landwirtschaftsministerium, Eric Roll: MAF 155/430 (6. Februar 1961). Siehe außerdem die BBC-Interviews mit Soames und Roll, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.242/252. 138 Soames schrieb deshalb auch an Butler: „We do not want the Six to know that some of their proposals (für eine gemeinsame EWG-Agrarpolitik, der Verf.) are really quite attractive to us." Soames an Butler: R.A. Butler's Papers F 123 (31. Juli 1961).

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Juli 1960 hatte das Schatzamt bereits in den Antworten des Lee-Ausschusses auf Macmillans Fragen vorgerechnet, daß bei einer Teilnahme an der EWG-Agrarpolitik im Haushalt bis zu 220 Millionen Pfund jährlich eingespart werden könnten.139 Dieses finanzpolitische Argument gewann im Verlauf der Beratungen immer mehr an Bedeutung, weil die Ausgaben unter dem gültigen Subventionssystem rasch zunahmen und sich die binnenwirtschaftliche Lage nach dem kurzen Wahlboom 1959/60 erneut verschlechterte.140 Hinzu kam inzwischen noch, daß sich die Wirtschaftsministerien von der erhofften Beschränkung landwirtschaftlicher Importe aus Übersee eine Verbesserung der Handels- und Zahlungsbilanz versprachen. Die Kehrseite der Umstellung des landwirtschaftlichen Subventionssystems lag in der Abwälzung der Kosten auf die Verbraucher durch eine künstliche Erhöhung der Preise über Weltmarktniveau. In ihrem Bericht rechneten die Beamten vor, daß die Verbraucherpreise infolge des EWG-Beitritts insgesamt um 1,5 Prozent steigen würden, nachdem ein Jahr zuvor noch von 2,5 Prozent ausgegangen worden war.141 Für Brot und Eier war mit besonders drastischen Preissprüngen zu rechnen. Gerade die Preise für Grundnahrungsmittel waren jedoch seit der Auseinandersetzung über die Aufhebung der Corn Laws durch den damaligen Premierminister Peel 1846 innerparteilich und innenpolitisch ein brisantes Thema. Während der EWG-Beitrittsverhandlungen versuchte die Arbeiterpartei dann auch, aus dem erwarteten Anstieg der Verbraucherpreise politisches Kapital zu schlagen. Dennoch entschied sich die Regierung 1961 zwischen den widerstreitenden Interessen für die Haushaltskonsolidierung und gegen die Verbraucher. Eine Verteuerung des Brotpreises konnte ohnehin letztlich nicht ins Gewicht fallen, wo es um die britische Weltgeltung ging. Hinzu kam noch, daß das Landwirtschaftsministerium hoffte, Großbritannien würden als Vollmitglied weniger Konzessionen im Agrarsektor abverlangt als bei einem wirtschaftlichen Arrangement wie „near-identification". Während der bilateralen Expertengespräche ab Herbst 1960 war nämlich deutlich geworden, daß eine wirtschaftliche Verbindung von EWG und EFTA allenfalls in Frage kam, wenn die britische Regierung dafür mit Zugeständnissen im Agrarsektor zu bezahlen bereit gewesen wäre, auf die deshalb innerhalb von Whitehall die Beamten der Wirtschaftsministerien und des Ministeriums für Commonwealth-Beziehungen zu drängen begannen, letztere, um Einschnitte bei den Präferenzen zu verhindern. 142 Von einer Fortsetzung des freien Zugangs für Produkte aus dem Commonwealth bei gleichzeitigen massiven Konzessionen an die EWG erwartete das Landwirtschaftsministerium jedoch eine Katastrophe für die britischen Bauern. 143 Wenn aber die Vollmitgliedschaft irgendeiner Zwischenlösung vorzuziehen war, sollte der Beitritt so früh wie möglich erfolgen, damit die britische Regierung die Agrarmarktordnung mitgestalten konnte, über die die Sechs 1961 noch immer verhandelten. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, als sich die EWGStaaten 1962 über wesentliche Eckdaten ihrer Agrarpolitik einigten, die sich nach dem 1973 erfolgten EWG-Beitritt für Großbritannien als finanziell ausgesprochen nachteilig erwies. Das war allerdings 1961 so nicht abzusehen, so daß die Summe der landwirtschaftsspezifi139 CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Frage 15. Der projizierte finanzielle Gewinn setzte sich aus Einsparungen im Haushalt und zusätzlichen Einnahmen aus den gemeinsamen EWG-Außenzöllen im Landwirtschaftsbereich zusammen. 140 Vergl. hierzu auch die Memoiren von Eric Roll: Crowded Hours, London 1985, S. 102. 141 CAB 134/1821/13 (12. Mai 1961); CAB 129/102,1/107 (6. Juli 1960), Annex B. 142 „All Whitehall is terribly keen on making (...) concessions at our expense." Winnifrith an Soames: MAF 255/430 (7. September 1960). 143 Vergl. MAF 255/430 (29. Juni 1960).

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sehen Argumente für eine schrittweise Umstellung des Subventionssystems im Zuge des geplanten EWG-Beitritts allmählich auch den skeptischen Butler zu überzeugen vermochte,144 den Macmillan zuvor bereits durch einzelne, der Landwirtschaft nahestehende Beamte und Politiker hatte politisch bearbeiten lassen.145 Im Kabinett hatte Macmillan die Beitrittsfrage erstmals im April nach seiner Rückkehr von den Gesprächen mit Kennedy aufgeworfen.146 Die Beratungen innerhalb der Regierung fanden danach vor dem Hintergrund von Spekulationen in der Presse statt, die Regierung habe sich bereits für den EWG-Beitritt entschieden oder stehe zumindest kurz davor.147 Im Kabinett gab es auch schon eine breite Mehrheit für die Auffassung, daß der Beitritt entweder wünschenswert oder zumindest notwendig bzw. unausweichlich war.' 48 Dennoch wählte Macmillan, wie schon 1956 beim FHZ-Projekt, ein bedächtiges Tempo für die internen Beratungen und regte sogar ausführliche Diskussionen über die Beamtenberichte zu den Auswirkungen des Beitritts auf Commonwealth und Landwirtschaft an, um den innerparteilichen Widerstand zu entschärfen. Letztlich waren die Debatten jedoch wenig mehr als ein notwendiges Alibi. Als sich führende Kabinettsmitglieder am 18. Juni 1961 in Chequers zu einer Sondersitzung zur Europapolitik trafen, stand die Entscheidung für den Beitrittsantrag längst fest.149 Sie wurde nach der Commonwealth-Tour am 21. Juli nur noch formell vom Kabinett bestätigt.150 Ihre Zustimmung wurde Maudling und den anderen Skeptikern in Regierung und Parlamentsfraktion dadurch erleichtert, daß Macmillan erneut den Weg des geringsten Widerstands wählte und nur die Aufnahme von Verhandlungen mit der EWG beschließen ließ, an deren Ende die endgültige Entscheidung über den möglichen Beitritt stehen würde.151 So erreichte der Premierminister auch, daß am Ende der Unterhausdebatte Anfang August 1961 nur ein einziger konservativer Hinterbänkler gegen den Regierungsantrag stimmte, der, betont defensiv formuliert und die wahren Motive für den EWG-Beitrittsantrag verschleiernd, lautete „that this House supports the decision of Her Majesty's Government to make formal application under Article 237 of the Treaty of Rome in order to initiate negotiations to see if satisfactory arrangements can be made to meet the special interests of the United Kingdom, of the Commonwealth and of the European Free Trade Association; and further aeeepts the undertaking (...) that no agreement affecting these special interests or involving British sovereignty will be entered into until it has been approved by this House after füll consultation with other Commonwealth countries (...)."152 144 Butler gab schließlich im Juli 1961 gegenüber Macmillan zu, es gebe gewichtige Argumente für ein neues Subventionssystem im Rahmen der EWG. Butler an Macmillan: R.A. Butler's Papers F 123 (25. Juli 1961). Siehe hierzu auch das BBC-Interview mit Butler, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.245. 145 Aufschlußreich hierfür Roll, S.107. 146 CAB 128/35,1/22. Sitzung (18. April 1961); CAB 128/35,1/24. Sitzung (26. April 1961). 147 Daily Telegraph (29. April 1961). Hierzu Butler an Macmillan: PREM 11/3554 (29. April 1961). 148 Vergl. hierzu auch das BBC-Interview mit Heath, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.229. 149 CAB 134/1821/21 (18. Juni 1961). Später hat Soames in dem erwähnten BBC-Interview bestätigt, es habe sich um ein Fait accompli gehandelt. Siehe Charlton, The Price, S.255. 150 CAB 128/35,11/42. Sitzung (21. Juli 1961). 151 Ebd. 152 Hansard 645/1481 (2./3. August 1961). Angekündigt hatte Macmillan die Entscheidung seiner Regierung bereits drei Tage zuvor. Vergl. Hansard 645/928ff. (31. Juli 1961).

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4. Atombombe gegen EWG-Beitritt Macmillan war sich allerdings früh bewußt, daß das größere taktische Problem nicht innen-, sondern außenpolitischer Natur war und in der Notwendigkeit lag, de Gaulle die Zustimmung zu dem geplanten Beitritt Großbritanniens abzuringen. Das Veto des französischen Präsidenten, durch das die FHZ-Verhandlungen Ende 1958 abrupt beendet worden waren, hatte verdeutlicht, daß der Schlüssel zu einem innereuropäischen Arrangement in Paris lag. Mit seinem Nein zum FHZ-Projekt hatte de Gaulle keineswegs endgültig die Tür zu einem innereuropäischen Handelsvertrag oder zum EWG-Beitritt Großbritanniens zugeschlagen. Im Gegenteil schien er mit seiner Forderung nach einer Reorganisation der NATO die Bereitschaft zu verbinden, zu einem späteren Zeitpunkt ein sicherheitspolitisches Quidproquo zu erwägen. Gegenüber Macmillan drückte sich der französische Präsident in der Regel so orakelhaft aus, daß eine Verknüpfung gegenseitiger Konzessionen zu einem politischen Gesamtpaket zu keinem Zeitpunkt offen verhandelt wurde. Jedoch brach de Gaulle die üblichen Gesprächskonventionen, als er bei dem Treffen in Rambouillet im März 1960 den britischen Premierminister ohne Umschweife fragte, ob seine Regierung bei der Entwicklung eines Trägersystems für die französische Nuklearstreitmacht kooperieren würde, nachdem die Amerikaner zuvor jede Hilfe abgelehnt hatten.153 Bei dem nächsten Treffen drei Wochen später schien de Gaulle dann den EWG-Beitritt als Gegenleistung Frankreichs anzubieten." 4 Macmillan antwortete hier noch ausweichend, so daß sich de Gaulle von da an bedeckt hielt. Dennoch kam der Premierminister auch Ende Januar 1961 von einem weiteren Treffen mit de Gaulle mit dem Eindruck zurück, daß in Paris nach wie vor Interesse an einem Tauschgeschäft bestand.155 Zwar hatten die Franzosen inzwischen erfolgreich ihre erste Atombombe gezündet, jedoch liefen sie Gefahr, bei der Raketenentwicklung infolge technischer und finanzieller Schwierigkeiten zurückzubleiben. Als im Januar 1961 Experten beider Seiten in Straßburg zusammenkamen, um die Wiederaufnahme des Blue Streak-Programms als bilaterales Projekt für zivile Zwecke zu diskutieren, wurde schnell deutlich, daß die französische Regierung hauptsächlich an der militärischen Nutzung, besonders an dem amerikanischen Lenksystem für die Rakete, interessiert war.156 Macmillan selbst war seit Ende 1959 davon überzeugt, daß sich die britische Europapolitik nur als Ergebnis eines sicherheitspolitischen Rapprochements mit de Gaulle neu ordnen ließe. Im Oktober schrieb er in einer Denkschrift für Außenminister Lloyd, der französische Präsident befinde sich politisch in einer sehr starken Position und lasse sich bestimmt nicht einschüchtern, Großbritannien als Partner in Europa zu akzeptieren. Aus diesem Grund müsse nun über geeignete Mittel nachgedacht werden, mit denen de Gaulle politisch bestochen wer-

153 PREM 11/2998 (12713. März 1960). 154 PREM 11/2978 (5. April 1960). 155 PREM 11/3322 (27.-29. Januar 1961). Siehe außerdem de Zulueta an Macmillan: PREM 11/3553 (4. Februar 1961). 156 Vergl. den Bericht des britischen Botschafters in Paris, Pierson Dixon: PREM 11/3322 (21. Januar 1961). Siehe hierzu auch die Andeutung des damaligen französischen Außenministers Couve de Murville in seinen Memoiren, daß die Gespräche in Straßburg von französischer Seite von Anfang an als Vorstoß zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Trägerrakete beabsichtigt waren: Maurice Couve de Murville: Une Politique Etrangere 1958-1969, Paris 1971, S.397.

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den könnte, eine konziliante Haltung einzunehmen.157 Aus dieser Perspektive sah Macmillan bereits den Konflikt zwischen EWG und EFTA, der mit der Auseinandersetzung um die Beschleunigung der Zollsenkungen in der ersten Jahreshälfte 1960 seinen Höhepunkt erreichte. Später war der Premierminister dann im Zusammenhang mit dem EWG-Beitrittsantrag immer mehr auf die Notwendigkeit eines stillschweigenden Übereinkommens mit de Gaulle fixiert.158 Im Kabinett ließ Macmillan seine Avancen gegenüber de Gaulle genauso wenig offen diskutieren wie den Versuch im Frühjahr 1961, Kennedy für eine enge Kooperation zur Befriedigung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Interessen de Gaulles zu gewinnen. Von Macmillans engstem persönlichen Mitarbeiter de Zulueta abgesehen, wurden nur wenige führende Mitglieder der Regierung sowie einige Spitzenbeamte aus dem Außenministerium auf einer informellen Basis konsultiert, ohne jedoch immer über das ganze Ausmaß der ins Auge gefaßten diplomatischen Offerten informiert zu sein. Den geplanten Pakt mit de Gaulle behandelte der Premierminister als geheime Chefsache. Seine Privatdiplomatie verselbständigte sich allmählich immer mehr zu einer Art Nebenaußenpolitik, über deren Inhalt der Premierminister selbst führende Regierungsmitglieder ganz oder teilweise im dunkeln ließ, um den ins Auge gefaßten Beitrittsantrag nicht innen- oder außenpolitisch zu gefährden.159 Um einen geeigneten diplomatischen Rahmen für die Beilegung des Konflikts in Europa zu schaffen, dachte Macmillan zunächst daran, de Gaulle in bezug auf dessen Forderung nach einer neuen NATO-Struktur und formalisierten trilateralen Konsultationen zwischen Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten entgegenzukommen. Gegenüber den anderen Verbündeten könne eine solche institutionelle Reform möglicherweise mit Frankreichs Führungsrolle in der EWG begründet werden, notierte de Zulueta Ende November 1959, während die eigenen, traditionell engen und wichtigeren informellen Kontakte zur amerikanischen Regierung weiter gepflegt werden könnten.160 Kurz darauf meinte auch Lloyd, daß gegen die Einführung von trilateralen Konsultationsmechanismen nichts einzuwenden sei, wenn auf diese Weise die gespannten Beziehungen zur Regierung in Paris verbessert werden konnten.161 Macmillan intervenierte schließlich im Februar 1960 bei Eisenhower in der Hoffnung, die Amerikaner von ihrer unflexiblen Haltung gegenüber de Gaulles Forderungen abbringen zu können, allerdings ohne jeden Erfolg.162 Um sich in die EWG diplomatisch einkaufen zu können, erschienen allerdings Konzessionen an de Gaulle in bezug auf die NATO-Struktur ohnehin nicht ausreichend, so daß Macmillan sich zwischen 1959 und 1961 immer mehr darauf konzentrierte, eine nukleare Komponente für das europäische Tauschgeschäft mit den Franzosen zu entwickeln. Im Dezember 1958 hatte Julian Amery, stets auf einen dauerhaften Ausgleich zwischen Großbritanniens europäischen und Commonwealth-Interessen bedacht, erstmals gedanklich eine 157 Macmillan an Lloyd: PREM 11/2679 (22. Oktober 1959). 158 Vergl. auch Macmillan an Heathcoat-Amory: PREM 11/3132 (22. Dezember 1959). 159 Dies wird von Edward Heath bestätigt, demzufolge Macmillan weder ihm gegenüber noch im Kabinett die Möglichkeit eines solchen Arrangements mit de Gaulle mit einer nuklearen Komponente explizit angesprochen hat. Vergl. Edward Heath Interview (1. April 1993). 160 de Zulueta an Macmillan: PREM 11/2679 (27. November 1959). 161 Lloyd an Macmillan: PREM 11/2998 (15. Februar 1960). 162 Macmillan an Eisenhower: PREM 11/2998 (17. Februar 1960).

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enge Verbindung von Europa- und Nuklearpolitik in einer persönlichen Denkschrift behauptet, die auch an Macmillan weitergeleitet wurde. Darin forderte der Parlamentarische Unterstaatssekretär im Kolonialministerium die Bereitschaft zur Weitergabe von nuklearem Know-how an Frankreich, um damit das vom Scheitern bedrohte FHZ-Projekt zu retten. 163 Macmillan n a h m diese Idee dann ein Jahr später in einer Besprechung mit Lloyd und Heathcoat-Amory auf, die jedoch beide noch davon abrieten, die Möglichkeit eines nuklearen Handels ins Spiel zu bringen. 164 Akut wurde für Macmillan die Frage nach den Konturen eines solchen Geschäfts Ende 1960 mit der Entscheidung f ü r den EWG-Beitrittsantrag. Nachdem er sein europäisches Dilemma mehrmals von allen Seiten beleuchtet hatte, blieb der Premierminister davon überzeugt, daß zwar die Bereitschaft seiner Regierung zu umfassender Hilfe beim A u f b a u der französischen Nuklearstreitmacht nicht automatisch de Gaulies Zustimmung zu Großbritanniens EWG-Beitritt nach sich ziehen würde, aber jedenfalls die unverzichtbare Vorbedingung d a f ü r war. 165 In seiner aufschlußreichen Denkschrift zum „Grand Design" stellte Macmillan fest: „De Gaulle's second - and to him vital - ambition is the nuclear weapon. Can we give him our techniques, or our bombs, or any share of our nuclear power on any terms which i) (...) are publicly defensible (...) and ii) the United States will agree to? At first this seems hopeless. But since I think it is the one thing (Hervorhebung, der Verf.) which will persuade de Gaulle to accept a European settlement (...) - 1 think it is worth serious examination." 166 Ende Januar 1961 notierte Macmillan dann in sein Tagebuch, es hänge jetzt, abgesehen von den innerparteilichen und innenpolitischen Problemen, „alles" davon ab, ob die USA dazu gebracht werden könnten, Frankreichs nukleare Ambitionen anzuerkennen. 167 Diesen so wahrgenommenen kausalen Zusammenhang zwischen den Erfolgsaussichten des ins Auge gefaßten EWG-Beitrittsantrags und einem britisch-amerikanischen Quidproquo im Nuklearbereich erklärte der Premierminister schließlich Kennedy A n f a n g April 1961. 168 Er machte bei diesem Treffen eindeutig klar, daß es nach seiner Auffassung keineswegs ausreichte, de Gaulle nur unter der Bedingung nukleares Know-how oder W a f f e n s y s t e m e zu überlassen, daß die französische Nuklearstreitmacht der N A T O unterstellt würde, weil de Gaulle eine nominell mindestens genauso unabhängige Verfügungsgewalt über Frankreichs Nuklearkapazität verlange wie die britische Regierung über die ihre. 169 Kennedy sicherte lediglich zu, diese Bitte prüfen zu lassen, und bat Macmillan darum, seine Vorschläge noch einmal in einer Denkschrift zusammenzufassen, die dieser schließlich Ende April 1961 durch den britischen Botschafter in Washington, Harold Caccia, überreichen ließ. 170 163 „The General, The Bomb and the Free Trade Area": Amery an Lennox-Boyd und Macmillan: PREM 11/2696 (Dezember 1958). 164 PREM 11/2679 (29. November 1959). 165 Vergl. auch Macmillan an de Zulueta: PREM 11/3131 (22. August 1960). 166 PREM 11/3325 (29. Dezember 1960 - 3. Januar 1961). 167 HMD (29. Januar 1961), zitiert bei Macmillan, Pointing, S.327. Zu den britisch-amerikanischen Beziehungen in der Nuklearfrage siehe auch Ian Clark: Nuclear Diplomacy and the Special Relationship, Oxford 1994, S.322-325. 168 PREM 11/3554 (6. April 1961). 169 Vergl. besonders das „Grand Design" für Macmillans Einschätzung von de Gaulles Ambitionen: PREM 11/3325 (29. Dezember 1960 - 3. Januar 1961) 170 Macmillan an Kennedy: PREM 11/3311 (28. April 1961).

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Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch die Aussichten, die Kennedy-Administration zu einer kooperativen Haltung in dieser brisanten Frage bewegen zu können, extrem gering. De Gaulle hatte den Amerikanern schließlich seit drei Jahren Kopfzerbrechen bereitet. Die FrankreichLobby, die für amerikanische Hilfe beim Aufbau der force de frappe eintrat und auf die Macmillan in dieser Frage paradoxerweise setzen mußte, war auch in der neuen Administration in Washington eine Splittergruppe geblieben. Nichts deutete daher Anfang 1961 darauf hin, daß die Amerikaner zu einer so fundamentalen Richtungsänderung bereit sein würden. Entsprechend ließ Außenminister Dean Rusk Ende Januar bei seinem ersten Gespräch mit Caccia schon durchblicken, möglicherweise sehe sich die britische Regierung wegen der ungeklärten Beziehungen zur EWG zu einer Beschwichtigungspolitik gegenüber de Gaulle genötigt, dagegen gebe es für seine Regierung keine solche Notwendigkeit.171 Noch bevor der britische Premierminister dann im April die letzten Zeilen seiner Denkschrift an Kennedy zu Papier gebracht hatte, berichtete Caccia aus Washington, das State Department habe in der Zwischenzeit bereits klar gemacht, daß eventuellen Zugeständnissen an de Gaulle ausgesprochen enge Grenzen gesetzt seien.172 Kennedys offizielle Antwort datiert vom 8. Mai 1961.173 Darin erklärte der amerikanische Präsident in dem für Macmillan entscheidenden Punkt, er sei nach einer sorgfältigen Prüfung des Problems zu dem Ergebnis gekommen, daß es nicht wünschenswert sei, Frankreich beim Aufbau einer unabhängigen Nuklearkapazität zu helfen. Mit dieser nüchtern formulierten Absage wollte sich Macmillan zunächst nicht abfinden. Nur einen Tag später beauftragte er Caccia, die Amerikaner weiter zu bearbeiten.174 Selbst als der Botschafter am 12. Mai meldete, Sicherheitsberater McGeorge Bundy habe ihm gegenüber erneut erklärt, die amerikanische Antwort sei definitiv und durch weitere Interventionen aus London nicht modifizierbar, 175 schrieb Macmillan am 15. Mai noch einen zweiten Brief an Kennedy.176 Darin bekräftigte er wiederum, daß andere Konzessionen, etwa in bezug auf die NATO-Struktur, sicher nicht als Eintrittskarte zur EWG ausreichten, und bat den Präsidenten ein letztes Mal, dem geplanten nuklearen Handel mit de Gaulle zuzustimmen, jedoch ohne Erfolg.177 Die Geheimverhandlungen mit Kennedy im Frühjahr 1961, vor allem jedoch die britische Reaktion auf die amerikanischen Gegenvorschläge, machen deutlich, wo auch für Macmillan die Grenzen eines trilateralen Arrangements mit de Gaulle lagen. Zwar war er zur Durchsetzung des EWG-Beitritts bereit, die formale Gleichbehandlung Frankreichs durch die Washingtoner Regierung als notwendiges Übel hinzunehmen, nicht jedoch eine, wenn auch nur symbolische, Vorzugsbehandlung. Deshalb war Macmillan entsetzt über den Vorschlag, den Kennedy bei dem Treffen im April gemacht hatte, die Amerikaner könnten den Posten des NATO-Oberbefehlshabers Europa dauerhaft an Frankreich abtreten, wenn de Gaulle im Gegenzug zu einer konstruktiven Allianzpolitik bereit sei.178 Offiziell begründete Macmillan seine Ablehnung damit, ein solcher Schritt könne von den Russen als erste Etappe in einem 171 172 173 174 175 176 177 178

Caccia an Hoyer Miliar an Macmillan: PREM 11/3326 (30. Januar 1961). Caccia an Hoyer Miliar an Macmillan: PREM 11/3319 (22. April 1961). Kennedy an Macmillan: PREM 11/3319 (8. Mai 1961). Macmillan an Caccia: PREM 11/3319 (9. Mai 1961). Caccia an Macmillan: PREM 11/3319 (12. Mai 1961). Macmillan an Kennedy: PREM 11/3311 (15. Mai 1961). Kennedy an Macmillan: PREM 11/3555 (22. Mai 1961). Vergl. zu diesem Vorschlag sowie zu Macmillans Reaktion darauf besonders de Zulueta an Caccia: PREM 11/3255 (29. April 1961).

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Rückzug der USA aus Europa interpretiert werden.179 Dahinter verbarg sich jedoch die Furcht vor einer symbolischen Degradierung Großbritanniens auf den dritten Rang innerhalb der Atlantischen Allianz. Der Premierminister war noch weniger bereit, für einen nuklearen Handel mit Frankreich auf eigene Privilegien zu verzichten, vor allem nicht auf die nationale Kontrolle über den Einsatz der britischen Nuklearwaffen. Das wurde sofort klar, als die Multilateralisten in der Kennedy-Regierung den Versuch unternahmen, Macmillans diplomatischen Vorstoß zur nuklearen Kastration Großbritanniens zu nutzen, und dafür die Pläne für eine gemeinsame NATO-Nuklearstreitmacht wiederbelebten. Kennedy schlug nun sogar vor, die Vereinigten Staaten sollten einen Teil und Großbritannien alle eigenen strategischen Nuklearwaffen der NATO unterstellen.180 Angeblich sollte auf diese Weise auch ein Anreiz für de Gaulle geschaffen werden, mit der force de frappe ähnlich zu verfahren, sollte diese jemals einsatzbereit sein. Für eine analoge Lösung, allerdings verbunden mit Hilfe an de Gaulle, gab es in der Londoner RegierungsVerwaltung durchaus Unterstützung.181 Der Gedanke an die Aufgabe der nationalen Kontrolle über die britische Nuklearstreitmacht veranlaßte jedoch Macmillans außenpolitisches Sprachrohr in Whitehall, de Zulueta, zu dem ironischen Kommentar, für diesen Fall sei er geneigt auszuwandern.182 Für den Premierminister war das Ende einer formal unabhängigen britischen Nuklearkapazität undenkbar. Welchen enormen Wert Macmillan diesem innen- und außenpolitischen Statussymbol beimaß, verdeutlicht sein dramatischer und letztlich erfolgreicher Appell an Kennedy in Nassau im Dezember 1962, Großbritannien als Ersatz für Skybolt Polaris zu überlassen.183 Die Vorschläge der amerikanischen Regierung, die Kennedy trotz Macmillans ablehnender Haltung bei seinem Besuch in Paris Anfang Juni 1961 de Gaulle, wenngleich lediglich in Form von Andeutungen, unterbreitete,184 bewegten sich strikt im Rahmen des bestehenden transatlantischen Sicherheitssystems und waren daher für den französischen Präsidenten unattraktiv. 185 Insofern hätte Macmillan, wäre er auf Kennedys Pläne eingegangen, außenpolitische Zugeständnisse ohne jede Hoffnung gemacht, im Gegenzug de Gaulles Zustimmung zum EWG-Beitritt Großbritanniens zu erhalten. Europapolitisch aussichtsreich war daher nach den Geheimverhandlungen mit Kennedy allenfalls noch die seit Lloyds „Grand Design" vom Januar 1957 in Whitehall diskutierte, verbleibende nukleare Option, nämlich 179 Ebd. 180 Kennedy an Macmillan: PREM 11/3319 (8. Mai 1961). 181 Vergl. etwa das Schreiben des Deputy Secretary of State im Außenministerium, Evelyn Shuckburgh, an Macmillan: PREM 11/3325 (26. Dezember 1960). 182 de Zulueta an Macmillan in einer Randbemerkung zu Shuckburghs Schreiben: PREM 11/3325 (17. Januar 1961). 183 Für die britische Reaktion auf Kennedys Vorschlag vergl. auch Home an Macmillan: PREM 1 1 / 3 3 2 8 (24. Mai 1961). Ähnlich eingeschätzt wird die Bedeutung der Nuklearpolitik für Macmillan bei Hennessy, Cabinet, S. 142. 184 Vergl. Macmillans Kabinettsbericht über seine Unterhaltung mit Kennedy über dessen Gespräche mit de Gaulle in Paris: CAB 128/35,1/30. Sitzung (6. Juli 1961); siehe ebenfalls Schlesinger, S.322. 185 Don Cook: Charles de Gaulle. A biography, London 1984, S.350. Auf die vergleichbaren Andeutungen Eisenhowers, die Vereinigten Staaten könnten Frankreich bei der Entwicklung von Nuklearwaffen helfen, wenn diese anschließend innerhalb der NATO einer kollektiven Einsatzkontrolle unterworfen würden, war de Gaulle schon im September 1959 nicht eingegangen. Siehe ebd., S.345.

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eine bilaterale Kooperation mit den Franzosen anstelle der von Macmillan und Eisenhower auf Bermuda erneuerten transatlantischen Nuklearpartnerschaft. Zuletzt war diese Möglichkeit wieder vor der Wahl Kennedys im November 1960 für den Fall erwogen worden, daß sich eine mögliche Nixon-Regierung in Washington entscheiden sollte, die Vorzugsbehandlung Großbritanniens einzustellen. Nachdem dann die Reaktion des amerikanischen Präsidenten auf die britischen Avancen so unbefriedigend ausgefallen war, fragte de Zulueta im Juni 1961 bei Macmillan an, ob nun die Idee einer britisch-französischen Streitmacht als Alternative zu dem Plan für einen trilateralen nuklearen Handel mit Paris aufgegriffen werden solle.186 Innerhalb des Kabinetts und der Regierungsverwaltung gab es für diese bilaterale europäische Lösung durchaus Unterstützung, so etwa von Thorneycroft. Jedoch handelte es sich dabei wie schon 1957 um eine Minderheitenposition, die von Macmillan gezielt übergangen wurde. Der britisch-französischen Option standen einerseits die viel höheren finanziellen Kosten und andererseits die vertragliche Verpflichtung entgegen, nukleares Know-how oder Waffensysteme nicht ohne die Zustimmung der amerikanischen Regierung an Drittstaaten weiterzugeben. Für Macmillan war sie jedoch aus einem anderen Grund ausgeschlossen: Ein Alleingang seiner Regierung in der Frage eines nuklearen Handels mit dem französischen Präsidenten wäre gleichbedeutend gewesen mit der endgültigen Aufgabe einer Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten. Dieser Pfeiler der britischen Außenpolitik sollte mit dem EWG-Beitritt jedoch gerade untermauert werden. Aus der betont transatlantischen Orientierung von Macmillans Außenpolitik ergab sich insofern im Hinblick auf die diplomatischen Mittel zur Durchsetzung der britischen Ziele in Europa sicherheitspolitisch unausweichlich eine totale Abhängigkeit von den Prioritäten und der Politik der KennedyRegierung. Sie verhinderte, daß Macmillan in die Beitrittsverhandlungen ein für de Gaulle attraktives Angebot einbringen konnte.187 Wenn die britisch-französische Option nicht in Frage kam, hieß das jedoch, daß der britische EWG-Beitrittsantrag mit Kennedys Absage bereits zwei Monate vor dessen offizieller Ankündigung im Unterhaus als gescheitert gelten mußte. Schließlich war Macmillans Kalkül zufolge ein erfolgreicher Abschluß von Verhandlungen mit den Sechs allenfalls für den Fall eines sicherheits- und nuklearpolitischen Quidproquo an de Gaulle denkbar, das Frankreichs Etablierung als vierte Nuklearmacht entscheidend beschleunigen würde. Seit Ende 1959 hatte diese feste Überzeugung zu den wenigen Konstanten im europapolitischen Denken des Premierministers gezählt. Daß sich Macmillan jedenfalls zeitweise durchaus mit der bitteren Wahrheit abzufinden bereit war, daß er in seinem diplomatischen Schachspiel bereits matt gesetzt war, bevor er öffentlich den ersten Zug gemacht hatte, läßt sich anhand seiner privaten Aufzeichnungen belegen. Beispielsweise bezeichnete er den Konflikt in Europa in einer Tagebucheintragung vom 15. Juni 1961 als „offensichtlich unlösbar".188 In einer letztlich für Kennedy bestimmten Botschaft an Caccia in Washington hatte er sich zuvor diplomatischer, aber im Ergebnis bereits ähnlich geäußert: „In order to bring the General around, the President may be able to offer something on tripartism and some review of N.A.T.O.. This may be 186 de Zulueta an Macmillan: PREM 11/3557 (18. Juni 1961). 187 Zur Frage eines bilateralen Nuklearhandels mit Frankreich vergl. ausführlich Wolfram Kaiser: The Bomb and Europe. Britain, France, and the EEC entry negotiations, 1961-1963, in: Journal of European Integration History 1/1 (1995), S.65-86. 188 HMD (15. Juni 1961), zitiert bei Macmillan, Pointing, S.374.

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enough (...) (but) he may well make his general Cooperation conditional on some satisfaction for his nuclear ambitions. I should be very glad i f l were wrong about this, but I do not think that I am (Hervorhebung, der Verf.)." 189 Damit drängt sich jedoch die Frage auf, warum die britische Regierung 1961 den EWGBeitritt unter derart ungünstigen diplomatischen Rahmenbedingungen überhaupt beantragte. Immerhin hatte der Lee-Ausschuß noch ein Jahr zuvor die auf Ministerebene geteilte Meinung vertreten, es wäre „verhängnisvoll", eine neue Initiative in Europa zu lancieren und dann nach dem FHZ-Debakel ein zweites Mal zurückgewiesen zu werden. 190 Deshalb hatte das Kabinett im April 1961 auch noch auf Druck der Skeptiker festgelegt, daß der ins Auge gefaßte EWGBeitrittsantrag nur unter der Bedingung in Frage kam, daß der amerikanische Präsident bei seinem bevorstehenden Staatsbesuch in Frankreich in bezug auf die Frage einer möglichen EWG-Mitgliedschaft Großbritanniens eine „günstige Antwort" von de Gaulle erhalten sollte.191 Stattdessen kam Kennedy mit dem ernüchternden Eindruck aus Paris zurück, offenbar habe General de Gaulle nach wie vor keinen besonderen Wunsch, Großbritannien in der EWG zu sehen.192 Macmillans Entscheidung, sich darüber hinwegzusetzen, basierte auf einer Kombination unterschiedlicher Motive und Gründe. Gewiß spielte dabei eine Rolle, daß die Diskussion über die Europapolitik innerhalb der Regierung sowie inzwischen auch in den Medien und Verbänden im Frühjahr 1961 bereits eine solche Eigendynamik entwickelt hatte, daß es schwierig gewesen wäre, die politische Notbremse zu ziehen, zumal Macmillan den eigentlichen Grund dafür, also das Ergebnis der Geheimverhandlungen mit Kennedy, nicht hätte offenbaren können. Außerdem mangelte es auch an einer wenigstens für eine Übergangszeit tragfähigen Alternative. Der Status quo galt als unhaltbar, während alle anderen, politisch ohnehin unbefriedigenden Optionen wegen der Politik Frankreichs und der USA ausschieden. Am politisch gefährlichsten erschien es Macmillan zu zaudern. 193 Mit der Entscheidung für den Beitrittsantrag konnte die Regierung wenigstens eine Klärung der Fronten herbeiführen und dadurch de Gaulle den Schwarzen Peter zuschieben. Dieses Motiv kommt auch in Macmillans Antwort auf die Fragen des Parteichefs der Liberalen, Jo Grimond, und eines Hinterbänklers am 31. Juli 1961 im Unterhaus zum Ausdruck, ob der Beitrittsantrag bedeute, daß der Premierminister davon ausgehe, die Verhandlungen mit der EWG auch erfolgreich abschließen zu können. Er sei keineswegs zuversichtlich, höchstens hoffnungsvoll, sagte Macmillan zunächst ausweichend, und fügte dann hinzu: „I feit certain that it would be far better for everybody to bring this matter to an issue and not to allow it to drag on indefinitely. (...) I am sure that we have now reached a point where merely going on with uncertainty would injure rather than benefit the life and strength of the free world." 194 Charakteristisch für Macmillan war jedoch gerade eine komplexe Mischung aus rationalem Kalkül und Wunschdenken, was sich gleichfalls im Beitrittsantrag widerspiegelt. Einen Moment konnte er niedergeschlagen sein und das ganze Vorhaben des EWG-Beitritts, seiner eigenen Logik folgend, für aussichtslos halten, nur um wenig später wieder, aus wechselnden und sich teilweise auch widersprechenden Gründen, Hoffnung zu schöpfen. Hin und wieder 189 190 191 192 193 194

Macmillan an Caccia: PREM 11/3319 (9. Mai 1961). CAB 129/102,1/107(6. Juli 1960). CAB 128/35,1/24. Sitzung (26. April 1961). CAB 128/35,1/30. Sitzung (6. Juli 1961). Vergl. auch Harold Macmillan: At the end of the Day 1961-1963, London 1973, S.16. Hansard 645/935,938 (31. Juli 1961).

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spekulierte Macmillan etwa darauf, daß sich während der Verhandlungen vielleicht doch noch eine Übereinkunft zwischen Kennedy und de Gaulle erzielen ließe, durch die alle Hindernisse auf dem Weg zum EWG-Beitritt in letzter Minute aus dem Weg geräumt werden könnten. Besonders hoffnungsfroh war Macmillan meistens nach seinen Treffen mit de Gaulle, der sich stets bedeckt hielt. Nach einem Besuch des französischen Präsidenten in seinem Privathaus notierte er beispielsweise Ende November 1961 in sein Tagebuch, er habe das Gefühl, de Gaulle habe noch nicht endgültig abschlägig über die Beitrittsfrage entschieden.195 Erneut optimistisch scheint Macmillan dann kurzzeitig Mitte 1962 gewesen zu sein, als er die Warnung des britischen Botschafters in Paris, Pierson Dixon, de Gaulle werde noch die Parlamentswahlen im Oktober abwarten, um danach die Verhandlungen abzubrechen, als „unglaublich" bezeichnet haben soll.196 Er war sich jedoch jederzeit bewußt, daß de Gaulle keiner besonderen Begründung bedurfte, um den verbliebenen britischen Hoffnungen ein jähes Ende zu bereiten. Deshalb erscheint Macmillans Behauptung in einem Interview mit seinem offiziellen Biographen unglaubwürdig, seine Regierung habe den Beitrittsantrag trotz der widrigen äußeren Bedingungen eingereicht, weil er geglaubt habe, daß de Gaulle nicht mehr Nein sagen konnte, sobald die Verhandlungen aufgenommen worden waren und solange er ihm keine Entschuldigung dafür lieferte, sie abzubrechen.197 Die Alternativlosigkeit des eingeschlagenen europapolitischen Kurses sowie Macmillans Wunschdenken waren allerdings nur ergänzende Gründe, warum die Regierung 1961 trotz Kennedys frühzeitiger Absage an einen nuklearen Handel den Beitrittsantrag stellte. Ausschlaggebend waren strukturelle außen- und innenpolitische Veränderungen, die den Antrag kurz- und mittelfristig aus taktischen Erwägungen sogar notwendiger erscheinen ließen als den Beitritt selbst. Außenpolitisch sollte mit ihm die neue Regierung in Washington beschwichtigt und überzeugt werden, die Vorzugsbehandlung Großbritanniens, besonders im Nuklearbereich, weiterhin fortzusetzen. Innenpolitisch war ein gescheitertes Beitrittsgesuch dagegen ideal geeignet, um die Konservative Partei zusammenzuhalten und die Arbeiterpartei zu spalten. Diese beiden Ersatzfunktionen des ersten Beitrittsantrags sind im Kontext der systematischen Analyse der Rahmenbedingungen für die britische Europapolitik noch näher zu untersuchen.

5. Macmillans Wunderwaffe Die Interpretation der Entscheidung von 1961 als eine radikale Kehrtwende in der britischen Außen- und Europapolitik, die nach wie vor vertreten wird,198 erweist sich auf einer erweiterten Quellengrundlage als unhaltbar. Einerseits war 1961 die Auffassung innerhalb von Kabinett und Regierungsverwaltung weitgehend konsensfähig, daß zum frühestmöglichen EWG-Beitritt keine Alternative existierte. Anstatt einen mutigen Schritt nach vorn zu wagen, ergab sich die Regierung in ein mittelfristig unabwendbar erscheinendes Schicksal. An195 HMD (29. November 1961), zitiert bei Macmillan, Pointing, S.428. 196 Vergl. Fisher, S.317. Zum britischen Botschafter in Paris siehe Piers Dixon: Double Diploma. The Life of Sir Pierson Dixon, Don and Diplomat, London 1968. 197 Interview mit Macmillan (September 1979), zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.257. 198 Zuletzt wieder Deighton, S.17; Bernard Porter: Britain, Europe and the World 1850-1986: Delusions of Grandeur, 2. Auflage, London 1987, S.124.

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dererseits führt die Analyse der politischen Motive hinter der Entscheidung von 1961 zu der Schlußfolgerung, daß der Beitrittsantrag das genaue Gegenteil einer abrupten Wende in der britischen Außenpolitik in Form einer europäischen Neuorientierung war. In der innerhalb der Regierung vorherrschenden transatlantischen Perspektive des Premierministers erschien der Beitritt Großbritanniens zur EWG und zu den „inneren Zirkeln" der Sechs hauptsächlich zur Stabilisierung der vermeintlichen Sonderbeziehung zu den USA notwendig, besonders in bezug auf die bilaterale Nuklearpartnerschaft. Durch die Übernahme einer politischen Führungsrolle in der EWG sollte die Rolle des atlantischen Juniorpartners abgesichert und auf diese Weise der symbolisch definierte britische Weltmachtanspruch gerettet werden. Mit dem Beitrittsantrag entschied sich die britische Regierung keinesfalls für Europa, sondern unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, das etablierte System der drei Kreise durch eine pragmatische Anpassung an die gestiegene wirtschaftliche und politische Bedeutung des institutionell neu organisierten Westeuropa zu retten. Die Entscheidung von 1961 stellte nur einen durch die gewandelten internationalen Rahmenbedingungen erforderlich gewordenen Wechsel in der Taktik zur Verfolgung derselben strategischen außenpolitischen Ziele dar. Von daher stimmt die provokative Formulierung des Kennedy-Beraters Dean Acheson ein Jahr nach dem britischen Beitrittsantrag nur bedingt, Großbritanniens alte Rolle als Weltmacht sei ausgespielt, ohne daß bisher eine neue gefunden worden sei.199 Nicht nach einer solchen neuen Rolle suchten nämlich Anfang der sechziger Jahre die meisten führenden Entscheidungsträger in London, sondern nach einer geeigneten Maske, mit der die überkommene Rolle weitergespielt werden konnte. Die britische Regierung orientierte sich um so mehr nach Westeuropa, je deutlicher, befördert durch die politischen Nachbeben des Suez-Schocks, das Phänomen des kontinuierlichen Rückgangs an unabhängigem internationalem Einfluß wahrgenommen wurde. Entsprechend ist die Politik britischer Regierungen gegenüber der europäischen Integration zutreffend als eine Funktion des relativen Niedergangs des Landes interpretiert worden. 200 Geklärt ist damit allerdings noch nicht die umstrittene Frage, ob eher wirtschaftliche oder politische Gründe für den allmählichen Wandel in der Europapolitik bis zum EWG-Beitritt 1972/73 ausschlaggebend waren. Hieraufhat Sanders zuletzt die pointiert ökonomistische Antwort gegeben, beide Beitrittsanträge seien, unabhängig von den erklärten Kalkulationen der Entscheidungsträger, nichts anderes als die Reaktion eines politischen Systems gewesen, das mit den geänderten wirtschaftlichen Realitäten Schritt zu halten versuchte. 201 Langfristige ökonomische Trends, also in erster Linie die Reeuropäisierung des britischen Außenhandels, spielten zweifelsfrei eine große Rolle. Möglicherweise läßt sich sogar sagen, daß wegen dieser strukturellen Veränderungen der EWG-Beitritt langfristig unausweichlich wurde. Jedoch greift Sanders' Interpretation insofern viel zu kurz, als sie nicht zu erklären vermag, warum die britische Regierung ausgerechnet 1961 den EWG-Beitritt beantragte, nachdem sie 1955 noch die Teilnahme an einer westeuropäischen Zollunion aus prinzipiellen Gründen strikt abgelehnt hatte. Wie hier gezeigt worden ist, blieb in diesem Zeitraum die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Argumente innerhalb der Regierung gerade erstaunlich kon199 In einer Rede am 5. Dezember 1962 in West Point, zitiert bei Barker, S.3. 200 Stanley Henig: The Europeanisation of British Politics, in: Chris Cook und John Ramsden (Hrsg.): Trends in British Politics since 1945, London 1978, S.181-193 (181). 201 Sanders, S. 136/156.

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stant. Wenn einzelne Minister oder Beamte in der Beitrittsdiskussion 1960/61 ökonomische Gründe für ausschlaggebend hielten, konnten diese in Abhängigkeit von der jeweiligen Perspektive, nach der die Mitgliedschaft in erster Linie als externes Druckmittel zur Modernisierung der britischen Wirtschaft oder als Verstoß gegen die Freihandelsdoktrin erschien, entweder für oder gegen den Beitritt sprechen. Entscheidend waren deshalb nicht die wirtschaftlichen Argumente, sondern die Wahrnehmung des politischen Niedergangs Großbritanniens, die sich Anfang der sechziger Jahre so rasch änderte, weil der grundlegende strukturelle Wandel in den außenpolitischen Rahmenbedingungen durch die Krise im Commonwealth und die Politik der Kennedy-Regierung viel deutlicher hervortrat als zuvor. Die Dominanz des Politischen im regierungsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß hatte sich seit 1955 fortgesetzt, als aus Sicht der Wirtschaftsministerien die Summe der ökonomischen Argumente bereits für die Teilnahme an einer westeuropäischen Zollunion für den Fall gesprochen hatte, daß diese auch ohne Großbritannien zustande kommen sollte. Für die meisten Minister war diese pragmatische Empfehlung nicht nachvollziehbar gewesen, weil sie auf einer ungewohnt langfristigen Analyse beruhte und ihnen der notwendige ökonomische Sachverstand fehlte. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wirtschaftlichen Argumente auch systematisch an den Rand gedrängt wurden, weil sie nach der vorherrschenden Auffassung dort von untergeordneter Bedeutung waren, wo sie im Widerspruch zu etablierten außenpolitischen Dogmen standen. Für Macmillan, der sich in einem Gespräch mit de Gaulle im Dezember 1959 ausdrücklich zu einem Primat der Politik bekannte, 202 war das ein Bestandteil seiner politischen Philosophie, aber auch eine Frage der praktischen Politik, weil er hoffte, auf der politischen Ebene leichter zu informellen Übereinkommen wie dem nuklearpolitischen Handel mit de Gaulle zu kommen. 203 Diese Analyse der politischen und wirtschaftlichen Motive, die sich hinter dem ersten britischen EWG-Beitrittsantrag verbargen, illustriert auch die Genese bestimmter langfristiger Belastungen in den Einstellungsmustern der politischen Elite und der öffentlichen Meinung Großbritanniens in bezug auf die europäische Integration. Schon weil Großbritannien kein Gründungsmitglied der EWG war und die Regierung deshalb keinen Einfluß auf deren institutionelle Struktur gehabt hatte, konnte schwerlich jene Identifikation mit der Organisation entstehen, die sich in Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Italien und den BeneluxStaaten allmählich zu entwickeln begonnen hatte. Hinzu kam, daß Anfang der sechziger Jahre der angestrebte EWG-Beitritt innerhalb der Regierung als Ergebnis von wirtschaftlichen und außenpolitischen Zwängen wahrgenommen und in der Öffentlichkeit auch so ähnlich dargestellt wurde. Solange jedoch der Beitritt in erster Linie den eigenen Niedergang als Welt- und Kolonialmacht zu symbolisieren schien, war nicht zu erwarten, daß sich in der politischen Elite oder der Bevölkerung Enthusiasmus im Hinblick auf die vermeintlich bevorstehende Mitgliedschaft entwickeln würde. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang auch die überzogene Erwartungshaltung der Regierung. Inchyras rückblickende Deutung, der EWG-Beitritt habe hauptsächlich den drohenden Abstieg Großbritanniens zu einem peripheren europäischen Staat ohne nennenswerten internationalen Einfluß verhindern sollen, 204 beschreibt zwar zutreffend das 202 PREM 11/3132 (21. Dezember 1959). 203 Vergl. zur Gewichtung politischer und wirtschaftlicher Argumente auch das BBC-Interview mit Heath, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.234. 204 In einem BBC-Interview, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.304f.

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Hauptmotiv für die Entscheidung von 1961, jedoch waren Macmillans Ambitionen weitaus weniger bescheiden. Dessen Annahme, Großbritannien werde nach dem geplanten Beitritt automatisch eine herausragende politische Führungsrolle innerhalb der EWG übernehmen, stand in keinem Verhältnis zur Realität der deutsch-französischen Partnerschaft, die sich seit Mitte der fünfziger Jahre entwickelt hatte. Auch deshalb war Macmillans Hoffnung von Anfang an illusorisch, die EWG-Mitgliedschaft könne den Weltmachtstatus retten, für den Großbritannien längst die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen fehlten. Während Macmillan den EWG-Beitritt als diplomatische Wunderwaffe gegen den politischen Niedergang Großbritanniens betrachtete, hofften die Anhänger des Beitritts im weiteren Verlauf der sechziger Jahre immer mehr auf die Gesundung der britischen Wirtschaft als Ergebnis der Schocktherapie des Anschlusses an den Gemeinsamen Markt. Auch diese Erwartung erwies sich als unrealistisch. Der EWG-Beitritt konnte nicht die notwendige strukturelle Modernisierung der Binnenwirtschaft ersetzen, vor der die wechselnden Regierungen noch aus politischer Schwäche oder ideologischer Überzeugung zurückschreckten. Von daher war damit zu rechnen, daß in Großbritannien im Vergleich mit den meisten anderen westeuropäischen EWG-Staaten mit dem späteren Beitritt kaum positive Konnotationen verbunden sein konnten. Von Anfang an war es stets wahrscheinlicher, daß die EWG-Mitgliedschaft etwa einen Beitrag zum Schutz von Dänemarks Agrarinteressen, zur Stabilisierung der jungen Demokratie in Spanien oder zur Industrialisierung Portugals würde leisten können. Die Analyse des ersten Beitrittsantrags verdeutlicht schließlich auch, in welchem Maße die EWG-Mitgliedschaft von der britischen Regierung noch als Mittel zum Zweck gesehen wurde, ohne daß damit eine nennenswerte politische Selbstverpflichtung zum Aufbau einer Gemeinschaft westeuropäischer Staaten als solcher verbunden gewesen wäre. Auch für die sechs Gründungsmitglieder erfüllte die EWG immer bestimmte wirtschaftliche und politische Funktionen. Für die Bundesrepublik war sie unter anderem ein Instrument zur politischen Rehabilitierung und Gewinnung neuer außenpolitischer Handlungsfreiheit, für Frankreich dagegen ein Mittel zur weiteren Einbindung Deutschlands und zur binnenwirtschaftlichen Modernisierung. Verbindend wirkte jedoch nach den verheerenden Folgen, die Nationalsozialismus und Faschismus auf dem Kontinent gezeitigt hatten, die gemeinsame Hoffnung auf die elementare friedensstiftende Wirkung der westeuropäischen Integration, die selbst de Gaulies betont nationalstaatlicher Konzeption keineswegs fremd war, aber in Großbritannien weitgehend fehlte. Hier war der Zweite Weltkrieg gerade nicht als moralische Katastrophe empfunden worden, die unter anderem eine grundsätzliche Neuorientierung in den Beziehungen der europäischen Staaten untereinander erforderte, sondern als Rechtfertigung für eine Sonderrolle Großbritanniens. Während auf dem Kontinent die Einsicht gestärkt worden war, daß das westliche Europa nur durch neue Formen der Zusammenarbeit wieder zu sich finden und eine Rolle in der Welt spielen konnte, hatte der Dünkirchen-Mythos, in schwerer Stunde auf sich allein gestellt die Aggression des nationalsozialistischen Deutschlands abgewehrt zu haben, in Großbritannien die Illusion genährt, so weitermachen zu können wie zuvor. Hätte Hitler dagegen, wie es Macmillan einmal bezeichnet hat, auch in London „getanzt", 205 wäre das Verhältnis von Großbritanniens politischer Elite und Bevölkerung zu den EWG-Europäern sicherlich nicht in demselben Maße von dem für die Nachkriegszeit so charakteristischen und 205 In einem Interview mit seinem Biographen im September 1979, zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.91.

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bis heute nicht überwundenen kollektiven Gefühl nationaler, vor allem kultureller Überlegenheit geprägt gewesen. Möglicherweise hätten sich die Briten dann viel natürlicher in das neu entstehende Westeuropa eingefügt. Mit seinen tief in der Vergangenheit verwurzelten Motiven für den Beitrittsantrag und dessen einseitig auf die Gefahren des Ausschlusses von dem Gemeinsamen Markt der Sechs abgestellter öffentlicher Rechtfertigung trug Macmillan nicht zur Bewältigung dieser britischen Erblasten bei, sondern verlängerte sogar deren politische Halbwertzeit.

Teil II Divide et impera

KAPITEL 5

Von Bauern und Sozialisten: Innenpolitik

Während bisher der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung im Vordergrund stand, sollen im folgenden sowohl die innen- als auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen für die Europapolitik der britischen Regierung zwischen der Konferenz von Messina und dem ersten EWG-Beitrittsantrag analysiert werden. Einzelne Faktoren, wie zum Beispiel die Parteipolitik oder die transatlantischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem Beitrittsantrag, sind bereits angesprochen worden, sollen nun jedoch systematisch auf ihre jeweilige Bedeutung für die britische Europapolitik untersucht werden. Nur eine solche Analyse erlaubt tragfähige Aussagen über den Grad an Handlungsfreiheit, über den die Regierung in der Europapolitik verfügte, und damit auch eine abschließende Bewertung von deren Leistungen und Versäumnissen. Die innenpolitischen Rahmenbedingungen werden im wesentlichen durch die öffentliche und veröffentlichte Meinung, die Politik der sogenannten organisierten Meinung, also vor allem der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, und schließlich durch das parteipolitische Umfeld bestimmt. Zu allen drei Faktoren liegen Studien vor, die allerdings kaum zu aussagekräftigen Feststellungen über Kausalbeziehungen gelangen, beispielsweise im Hinblick auf die wichtige Frage, welchen praktischen Einfluß Anfang der sechziger Jahre die überwiegend beitrittsfreundliche Haltung der britischen Industrie auf den Wandel in der Regierungpolitik hatte. Hierin liegt ein Manko, das nun zumindest teilweise durch die Einbeziehung der Regierungsakten behoben werden kann, an denen die bisher gewonnenen Erkenntnisse überprüft werden sollen. Diese Quellen müssen allerdings zurückhaltend interpretiert werden. Das gilt beispielsweise für Zusammenfassungen von Gesprächen zwischen Beamten oder Ministern und Vertretern einzelner wirtschaftlicher Interessengruppen, deren Bedeutung nicht so sehr in direkter Einflußnahme auf die Regierung zu sehen ist, sondern in ihrem Beitrag zur Herausbildung eines bestimmten politischen Klimas, in dem die Regierung handelte. Hinzu kommt, daß sich die oft wichtigeren informellen Kontakte nur selten in den schriftlichen Quellen nachweisen lassen, wodurch erschwert wird, jene in ihrer Bedeutung für die Regierungspolitik einzuordnen.

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1. Umerziehung: Öffentliche und veröffentlichte Meinung Als sich die Außenminister der sechs EGKS-Staaten im Juni 1955 in Messina trafen, um die verschiedenen Pläne für eine Fortführung der europäischen Integration zu diskutieren, wurde dies in der britischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.1 Trotz der anfänglichen Teilnahme eines Vertreters der Londoner Regierung wurde in den britischen Medien auch über die anschließenden Gespräche im Spaak-Ausschuß nur sehr spärlich berichtet.2 Auch diese neue Initiative schien nach dem Zusammenbruch des EVG-Projekts im Vorjahr zunächst zum Scheitern verurteilt und insofern wenig beachtenswert zu sein. Der europäischen Integration wurde erst nach der Veröffentlichung des Plans für eine industrielle Freihandelszone im Herbst 1956 allmählich wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet, wenngleich hauptsächlich unter dem Blickwinkel der von einem möglichen Ausschluß Großbritanniens von einem Gemeinsamen Markt der Sechs drohenden wirtschaftlichen Gefahren. Nicht nur die Regierung, sondern auch die Medien behandelten den FHZ-Plan von Anfang an überwiegend als handelspolitisches Thema ohne nennenswerte politische Implikationen. Als solches wurde es von der Regierung mit dem stillschweigenden Einverständnis der oppositionellen Arbeiterpartei auch gezielt aus der parteipolitischen Auseinandersetzung herausgehalten. Genauso verfuhr die Regierung im Jahr 1959 mit dem Alternativprojekt der kleinen FHZ der äußeren Sieben. Auf diese Weise blieb die Europapolitik weitgehend entpolitisiert und spielte bis 1960 nur eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Diskussion. Dies wird auch durch das Ergebnis einer zeitgenössischen Analyse der britischen Unterhauswahl von 1959 illustriert, derzufolge die Frage der Beziehungen Großbritanniens zur EWG von keinem der Kandidaten der Arbeiterpartei und nur von acht Prozent der Kandidaten der Konservativen Partei in Wahlreden angesprochen wurde. Eine Ausnahme bildeten lediglich 45 Prozent der Kandidaten der Liberalen Partei, deren politische Renaissance jedoch nach dem absoluten Tiefpunkt Mitte der fünfziger Jahre gerade erst begonnen hatte.3 Als die Europapolitik dann zu Beginn der sechziger Jahre kontinuierlich innenpolitisch an Bedeutung gewann und von den Konservativen schließlich mit dem Beitrittsantrag auch in die parteipolitische Auseinandersetzung gezogen wurde, ergaben die nun regelmäßig durchgeführten Umfragen zur Frage einer britischen EWG-Mitgliedschaft kein einheitliches Bild der öffentlichen Meinung, die bis zu de Gaulies Veto ambivalent und unbeständig blieb. 4 Der Grad an Zustimmung zum EWG-Beitritt variierte stark und war wenigstens teilweise abhängig von der - genauso ausgeprägten Schwankungen unterliegenden - generellen Unterstützung für die Regierung Macmillan, die für den Schwenk in der Europapolitik verantwortlich war.5 Dennoch konnten in den Meinungsumfragen zwei Trends identifiziert werden, die im Hinblick auf den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung bemerkenswert sind. Einerseits überwog in beinahe allen Umfragen nach 1961 die Zahl der Befürworter des EWG-Beitritts diejenige der Gegner, während etwa ein Drittel der Befragten 1 Moon, S.153f. 2 Ebd., S. 152. 3 Uwe Kitzinger: Für und wider den Beitritt Großbritanniens zur EWG. Der gegenwärtige Stand der Diskussion, in: Europa-Archiv 16/14 (1961), S.379-390 (379). 4 Vergl. zur Entwicklung der öffentlichen Meinung Peter Spang Goodrich: British Attitudes Towards Joining Europe: 1950-1972, M.A., University of Maryland 1972. 5 Moon, S.205ff.

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unentschlossen war.6 Die Regierung sah sich also vor oder auch während der Beitrittsverhandlungen nie in der politisch prekären Situation, gegen eine stabile Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung handeln zu müssen. Hinzu kam, daß andererseits der Grad der Zustimmung auch mit der Parteipräferenz korrelierte. So lag unter den Anhängern der Konservativen Partei die Zahl der Befürworter konstant über derjenigen der Gegner, während es sich bei der Arbeiterpartei umgekehrt verhielt. Wichtig für die Regierung war dabei, daß die Beitrittsbefürworter in den eigenen Reihen über eine größere Mehrheit verfügten als die Beitrittsgegner bei der Arbeiterpartei. So war es von Anfang an unwahrscheinlich, daß diese die Europapolitik ohne Schaden für ihre eigene politische Position erfolgreich zu einem zentralen Wahlkampfthema machen konnte. Während die öffentliche Meinung, oder auch „mass opinion", gespalten blieb, hatte sich das Meinungsbild bei der politischen und wirtschaftlichen Elite, also bei den Führungsspitzen in Politik, Verwaltung, Justiz, Industrie und im Dienstleistungssektor, bis 1961 eindeutig zugunsten eines EWG-Beitritts verschoben. In dieser Kategorie der „informed opinion" votierten bis zu siebzig Prozent für die Mitgliedschaft, während weniger als zwanzig Prozent dagegen und der Rest unentschieden war.7 Eine noch größere Mehrheit der kleineren Gruppe der außenpolitischen Elite, zu der hauptsächlich Außenpolitiker, Diplomaten und mit Fragen des Exports befaßte Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft gezählt werden, sprach sich ebenfalls für den EWG-Beitritt aus.8 Dieser Meinungsumschwung, der ähnlich wie im Fall der Regierung auf einen sehr raschen Wandel in der Wahrnehmung sowohl der binnenwirtschaftlichen Strukturprobleme als auch der sich so eindeutig zum Nachteil Großbritanniens verschiebenden außenpolitischen Rahmenbedingungen zurückging, spiegelte sich auch in der Haltung der veröffentlichten Meinung wider, also damals noch in erster Linie der Presse. Schon im Dezember 1958 hatte die einflußreiche Wochenzeitschrift Economist erstmals den EWG-Beitritt gefordert.9 Dieser Linie schlössen sich dann bis zum Sommer 1961 beinahe alle Qualitäts- und Massenblätter an, und zwar einschließlich des Daily Mirror, der der Arbeiterpartei nahestand. Nur die Express-Gruppe bildete wegen der unverwüstlichen EmpireGesinnung ihres Herausgebers Lord Beaverbrook eine Ausnahme.10 Diese breite Unterstützung für die EWG-Mitgliedschaft durch eine Mehrheit der wirtschaftlichen und politischen Elite und der Presse erleichterte der Regierung die Entscheidung für den Beitrittsantrag sowie die anschließende Präsentation in der Öffentlichkeit. Insofern sich hier überhaupt Probleme ergaben, also besonders durch die vorhersehbar kämpferische Haltung der Beaverbrook-Presse, wurde dies als Frage eines erfolgreichen Managements innerhalb der Regierungspartei betrachtet. In bezug auf die Entscheidungsfindung vor dem Beitrittsantrag wurde dagegen die stark fluktuierende „mass opinion" in der Regierung weitgehend ignoriert. In den internen Debatten im Frühjahr 1961 wurde die innenpolitische Durchsetzbarkeit des geplanten Beitrittsantrags als Präsentationsproblem wahrgenommen. Solange dies zufriedenstellend gelöst werden und Macmillan auf eine genügend breite Unterstützung in der Bevölkerung hoffen konnte, worauf die meisten Meinungsumfragen hin6 7 8 9

Ebd. Wallace, The Foreign Policy Process, S. 100. Ebd. Nigel Ashford: The Conservative Party and European Integration 1945-1975, Ph.D., University of Warwick 1983, S. 123. 10 Vergl. zur Entwicklung der Haltung der Presse Moon, S.198ff.

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deuteten, erschien dies als zusätzliche innenpolitische Legitimationsquelle für die neue Europapolitik völlig ausreichend. Diese Annahme war durchaus begründet. Außenpolitische Herausforderungen, zu denen die Beitrittsfrage zählte, sind von den Briten traditionell in höherem Maße als in anderen westeuropäischen Demokratien als ein Problem politischer Führung durch die Regierung aufgefaßt worden, die insofern über einen recht weiten Handlungsspielraum verfügte." Gestützt wird diese Sichtweise auch durch die Ergebnisse der damals bahnbrechenden Vergleichsstudie der politischen Kulturen fünf westlicher Industriestaaten von Almond/Verba, die diejenige Großbritanniens als eine Bürgerkultur mit einer sehr ausgeprägten Ehrfurcht gegenüber der unabhängigen Autorität der Regierung charakterisiert haben.12 Nach dieser Analyse ist der sogenannte Systemaffekt in Großbritannien besonders ausgeprägt, also die Bereitschaft, und zwar besonders in politischen und ökonomischen Streßsituationen, zur Solidarisierung sowohl mit dem politischen System als solchem als auch mit der gerade im Amt befindlichen Regierung.' 3 Obwohl Almond/Verba in ihrer Studie nicht speziell auf die Außenpolitik Bezug nehmen, geht daraus doch hervor, daß der Systemaffekt hier besonders stark ausgeprägt sein sollte. Bei Almond/Verba erscheint Großbritannien wegen seines politischen Systems und der vermeintlich Toleranz, Pragmatismus und Gradualismus betonenden politischen Kultur als Modell einer stabilen Demokratie. Sowohl über die Gültigkeit der zugrunde liegenden Zustandsbeschreibung in bezug auf die sechziger Jahre als auch über diese Bewertung ließe sich selbst aus einer zeitgenössischen Perspektive streiten, bei der demokratischer Legitimation der Institutionen und Partizipation der Bürger eine zumindest gleich große Bedeutung beigemessen wird wie der Regierbarkeit, auf die das Westminster-Regierungssystem einseitig ausgerichtet ist. Die Vergleichsstudie vermag erst recht nicht die Gründe für die latente Krise des politischen Systems Großbritanniens in den neunziger Jahren zu erklären, in denen die Kritik an der fehlenden demokratischen Legitimation und der Ineffektivität zentraler Institutionen wie Krone und Oberhaus sowie am Mangel an fairer Repräsentation und an dem lähmend wirkenden Zentralismus kontinuierlich zunimmt.14 Davon unberührt bleibt jedoch die generelle Gültigkeit der Systemaffektanalyse und der Solidarisierungsthese bei Almond/Verba, jedenfalls im Hinblick auf den Bereich der Außenpolitik, wofür zuletzt 1982 der Falklandkrieg ein anschauliches Beispiel lieferte. Mit der ausgeprägten Bereitschaft der Regierten, außenpolitische Führung zu akzeptieren, korrespondierte Anfang der sechziger Jahre die Erwartung der Regierenden, daß die Öffentlichkeit irgendwie davon überzeugt werden konnte, daß der EWG-Beitritt notwendig war. Immerhin sah sich die Regierung 1961 in einem gewissen Erklärungsnotstand, weil sie noch bis zum Vorjahr darauf beharrt hatte, daß eine Ratifizierung der Römischen Verträge durch Großbritannien auf gar keinen Fall ohne deren Neuverhandlung in Frage kam, die von der EWG jedoch katagorisch abgelehnt wurde. Bemerkenswert ist die ausgeprägt paternalistische Einstellung, mit der die Regierung diesem Problem begegnete: Nicht von der Über11 Vergl. zu dieser konsensfähigen Auffassung Goodrich, S.62. 12 Gabriel A. Almond und Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Boston 1965, S.315. 13 Ebd., S.63ff. 14 Für eine kritische Analyse siehe Dennis Kavanagh: Political Culture in Britain: The Decline of the Civic Culture, in: Gabriel A. Almond und Sidney Verba (Hrsg.): The Civic Culture Revisited, London 1989, S. 124-176.

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zeugung der Bevölkerung, sondern von deren „Umerziehung" mit Hilfe einer öffentlichen Kampagne war in den Diskussionen innerhalb der Regierung die Rede. 15 Die Briten hatten sich an ihren neuen Platz in Europa ähnlich zügig zu gewöhnen wie die Deutschen fünfzehn Jahre zuvor an die Demokratie. Aufgeklärt werden sollte die Bevölkerung gerade nicht über die eigentlichen Gründe für den EWG-Beitrittsantrag. 16 In besonderem Maße galt das für das transatlantische Argument, daß die amerikanische Regierung den Beitritt Großbritanniens erwartete. Dieses Motiv wurde ohnehin wegen de Gaulles Vorbehalten besser verschwiegen, wäre aber nicht zuletzt wegen der Politik der USA im Suez-Krieg auch innenpolitisch unpopulär gewesen. Wie Macmillan in einem Interview nach seinem Rückzug aus der Politik meinte, sei es für den Premierminister oft leichter, das eine zu tun, wenn er vorgebe, etwas anderes zu wollen. 17 Aus dieser Sicht erschien es 1961 noch am klügsten, die Entscheidung für den Beitrittsantrag als Versuch zu begründen, die Spaltung Westeuropas in EWG und EFTA zu überwinden sowie vor allem die ökonomischen Vorteile einer umfassenden Marktintegration für die britische Industrie zu sichern. Schließlich hatten alle Meinungsumfragen seit langem eine größere Unterstützung für eine wirtschaftlich als für eine politisch motivierte Assoziierung mit der EWG ergeben. 18 Insofern beeinflußte die öffentliche Meinung zwar nicht die Entscheidung der Regierung für den Beitrittsantrag, wohl aber deren defensive Präsentation. Wie die EGKS war die EWG in Großbritannien lange Zeit als eine Organisation der Verliererstaaten des Zweiten Weltkriegs gesehen worden. Die Idee einer engen politischen Verbindung mit Deutschland oder Frankreich hatte gerade auch wegen dieser historischen Vorbelastung in Großbritannien traditionell wenig Anziehungskraft. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, daß die infolge des Zweiten Weltkriegs besonders ausgeprägten nationalistischen Affekte in der Bevölkerung allein für die ausgesprochen nüchterne und betont defensive innenpolitische Darstellung verantwortlich waren, die jeden Enthusiasmus für die Aussicht auf eine Koexistenz mit den Kontinentaleuropäern innerhalb der EWG vermissen ließ. Vielmehr entsprach die Strategie des „backing into Europe" gerade auch einem natürlichen Selbsterhaltungstrieb der noch immer sozial erstaunlich homogen zusammengesetzten und durch einen ähnlichen Bildungshintergrund verbundenen politischen Elite Großbritanniens. Deren Herrschaftslegitimation beruhte inzwischen zu einem erheblichen Teil auf der sorgfältigen Pflege historischer Mythen, deren erfolgreiche Bewahrung durch den EWG-Beitritt bedroht war. Dazu zählte unter anderem, daß der Anspruch auf eine Sonderrolle in der internationalen Politik neben den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion unbegrenzt aufrechterhalten werden konnte. Durch die Übernahme einer Führungsrolle in der EWG sollte der Weltmachtanspruch untermauert werden. Dies öffentlich zuzugeben, wäre jedoch nicht nur diplomatisch schädlich gewesen, sondern hätte auch ein bezeichnendes Licht auf die sehr engen Grenzen geworfen, die dem unabhängigen außenpolitischen Einfluß Großbritanniens seit langem gesetzt waren. Wenn Macmillan weiterhin die Rolle des internationalen Staatsmanns spielen wollte, empfahl es sich daher, die Grundlage für den eigenen Weltmachtanspruch, der innen-

15 Heath an Macmillan: FO 371/158264/12 (7. Februar 1961). 16 Vergl. etwa Heaths Bemerkungen zu diesem Problem in einer Sitzung des Foreign Policy Committee der Konservativen Partei: Conservative Party Archives, CRD 1/34/4 (10. Mai 1961). 17 Gegenüber Nigel Lawson in The Listener (8. September 1966), zitiert bei Sampson, S. 127. 18 Goodrich, S.95.

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politisch stabilisierend wirkte, nicht zu diskutieren. Aus dieser Sicht erschien es ratsam, im Hinblick auf den Beitrittsantrag bei der Selbstdarstellung als Bewahrer der inneren Einheit, der äußeren Sicherheit und des ökonomischen Wohlstands der freien Welt zu bleiben, um zu vermeiden, als Bittsteller in Bonn und Paris zu erscheinen. Die nüchterne Präsentation, die Großbritanniens relativen Niedergang als eigentlich ausschlaggebenden Faktor für den angestrebten Beitritt zu verschleiern half, entsprach außerdem dem politischen Eigeninteresse der Regierung. Mit ihr konnte der „Mythos von der Einzigartigkeit" Großbritanniens und der Briten etwas länger gerettet werden, der der Machterhaltung einer vergangenheitsfixierten politischen Elite in einer immer undynamischeren und auf die Sicherung des Status quo ausgerichteten Gesellschaft diente.19 Als geistige Basis für diesen Mythos wurde bei den Konservativen der britische Kolonialimperialismus Anfang der sechziger Jahre gerade durch einen betont englischen Sentimentalnationalismus ersetzt, der jedoch genauso unverträglich mit einer neuen Rolle Großbritanniens in Europa als Gleicher unter Gleichen war.

2. Distanz: Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften Neben der öffentlichen und veröffentlichten Meinung bildete die sogenannte organisierte Meinung der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften ein weiteres wichtiges Element der innenpolitischen Rahmenbedingungen für die britische Europapolitik. Von der Frage der Beziehungen Großbritanniens zu den sechs EGKS-Staaten und der späteren EWG war hauptsächlich die Industrie betroffen. Auf Arbeitgeberseite spielte daher die Federation of British Industries eine führende Rolle, in der knapp 300 verschiedene Fachverbände und 7000 Einzelunternehmen zusammengeschlossen waren. Diesem Dachverband gehörte auch die besonders innerhalb der Konservativen Partei einflußreiche Interessenvertretung der Bauern an, die National Farmers Union (NFU). Daneben gab es noch die organisatorisch eigenständige, sehr viel kleinere und weniger wichtige National Union of Manufactures (NUM), die die Interessen der mittelständischen Industrie zu vertreten bemüht war und als besonders protektionistisch ausgerichtet galt. In dem Zusammenschluß der Handelskammern, der Association of British Chambers of Commerce (ABCC), spielten schließlich die einflußreichen exportund finanzwirtschaftlichen Interessen eine dominante Rolle.20 Innerhalb dieser Verbände entwickelte sich erst ab 1957 ein ausgeprägtes Interesse an den wirtschaftlichen Einigungsbemühungen in Westeuropa.21 Eine grundlegende Neuregelung der Beziehungen Großbritanniens zur EWG wurde dann nach dem Scheitern der FHZVerhandlungen immer mehr als dringliches Problem betrachtet. Dagegen wurde die Frage einer Teilnahme Großbritanniens an den Plänen für eine Fortführung der wirtschaftlichen Integration innerhalb der britischen Wirtschaft 1955 noch kaum diskutiert, als der SpaakAusschuß in Brüssel tagte. Dem damaligen FBI-Präsidenten Harry Pilkington zufolge wurde 19 Coker, S.l 11. 20 Siehe hierzu Schneider, Großbritanniens Weg, S.68. FBI, NUM und ABCC schlössen sich 1965 zur Confederation of British Industries (CBI) zusammen. 21 Vergl. in bezug auf die Federation of British Industries die vorzügliche Studie von Stephen Blank: Industry and Government in Britain. The Federation of British Industries in Politics, 1945-65, Farnborough 1973, S.143.

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dieses intern sehr umstrittene Thema von der Führung des Industrieverbands zunächst gezielt gemieden. 22 Da ohnehin nicht mit einer Mehrheit für die Teilnahme Großbritanniens an einer westeuropäischen Zollunion zu rechnen war, sollte eine verbandsinterne Polarisierung möglichst vermieden werden. Immerhin richtete die FBI-Führung 1955 eine Arbeitsgruppe des Ausschusses für Außenhandelsfragen ein, an der später auch Vertreter von NUM und ABCC beteiligt wurden. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sollten die Brüsseler Vorgespräche verfolgen und sich mit den Auswirkungen der Messina-Initiative auf die britische Wirtschaft befassen. 2 3 Konsultationen mit der Regierung, die immerhin bis Anfang November 1955 durch Bretherton in Brüssel vertreten war, fanden allerdings nicht statt. Weder die Regierung noch die Verbände suchten anfangs den gegenseitigen Kontakt, da die Teilnahme Großbritanniens an den Vorhaben der Sechs ohnehin ausgeschlossen schien. In den regelmäßig stattfindenden gemeinsamen Sitzungen mit Beamten der Wirtschaftsministerien wurde der Zollunionsplan von den Verbandsvertretern 1955 nicht erwähnt. Erst Anfang 1956 sollten führende FBIFunktionäre erstmals persönlich mit ihrer Sorge um die Folgen eines Ausschlusses der britischen Wirtschaft von einem Gemeinsamen Markt der Sechs an Außenhandelsministerium und Schatzamt herantreten. 24 Auch die Gewerkschaften führten 1955 keine Gespräche mit der Regierung über die Brüsseler Vorverhandlungen und die britische Europapolitik. Für sie kam zu diesem Zeitpunkt eine Teilnahme Großbritanniens an einer europäischen Zollunion nicht in Frage, da sie im Widerspruch zu den bestehenden Bindungen an das Commonwealth zu stehen schien. Von einem engeren Zusammenschluß mit den Sechs befürchteten die Gewerkschaften außerdem, daß Errungenschaften des britischen Wohlfahrtsstaates geopfert werden könnten, um für die britische Wirtschaft in einem Gemeinsamen Markt Chancengleichheit im Wettbewerb mit den anderen Westeuropäern zu schaffen, die angeblich wegen niedrigerer Lohnkosten und Sozialleistungen über ungerechtfertigte Vorteile verfügten. 25 Zwischen den Einzelgewerkschaften war diese Linie konsensfähig. Daher blieb es anfangs weitgehend dem General Council des TUC überlassen, die gewerkschaftliche Europapolitik näher auszugestalten, obwohl dieses Gremium in diesem Bereich keinerlei formale Kompetenzen hatte. Diese interne Aufgabenverteilung im TUC hatte in der „Phase der pragmatischen Beteiligung der Gewerkschaften an der britischen Europapolitik" bis zum ersten EWG-Beitrittsantrag Bestand. 26 Formelle, institutionalisierte Kontakte mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern pflegten die konservativen Regierungen Eden und Macmillan hauptsächlich auf der mittleren und höheren Beamtenebene in gemeinsamen Ausschüssen ohne direkte Anbindung an den eigentlichen Entscheidungsprozeß innerhalb von Whitehall. Drei dieser Ausschüsse sind im Hinblick auf die britische Europapolitik zwischen 1955 und 1961 von besonderer Bedeutung: In dem bereits 1947 gegründeten Consultative Committee on Industry (CCI), in dem das Außenhandelsministerium den Vorsitz führte, erörterten Vertreter aller Wirtschaftsverbände und der 22 Interview mit Stephen Blank (ohne Datum), zitiert bei Blank, S.143. 23 Lieber, S.51. 24 FBI-Generaldirektor Norman Kipping und Peter Tennant, Direktor für Überseefragen, an Lee: BT 11/5402 (24. Februar 1956). 25 Schneider, Großbritanniens Weg, S. 118. 26 E.N. Farthing: British Trade Unions and European Integration: The Development of Attitudes 1945-1982, M.A., University of Warwick 1984, S.8.

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Gewerkschaften gemeinsam allgemeinere Fragen der britischen Wirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik. Dieser Ausschuß trat etwa alle zwei Monate zusammen. Im Economic Planning Board (EPB) saßen dagegen neben den Spitzenbeamten der beiden Wirtschaftsministerien nur Vertreter von FBI und TUC. Nachdem 1955 und 1956 nur je zwei EPB-Sitzungen stattgefunden hatten, veranlaßte das hier federführende Schatzamt auf einer Sitzung im Oktober 1956, daß diese Gespräche ab 1957 regelmäßig, nämlich sieben- bis zehnmal im Jahr, anberaumt wurden. Diesen Schritt begründete der Joint Permanent Secretary im Schatzamt, Roger Makins, ausdrücklich mit der Notwendigkeit einer engen Konsultation während der bevorstehenden FHZ-Verhandlungen in Paris. 27 Diesem Zweck diente schließlich auch die Einrichtung der Palmer-Arbeitsgruppe im Februar 1957, 28 in der Fragen der Außenwirtschaftspolitik, besonders im Hinblick auf die FHZ-Verhandlungen, zwischen Führungspersönlichkeiten der britischen Wirtschaft und Spitzenbeamten aus Außenhandelsministerium und Schatzamt auf einer informellen Basis beraten wurden. In diesen institutionalisierten Gremien wurde die britische Haltung zu den Brüsseler Zollunionsverhandlungen vor Macmillans Pressekonferenz zum FHZ-Plan am 3. Oktober 1956 nicht diskutiert. Besonders CCI und EPB mit ihrer gemischten Zusammensetzung dienten der Regierung hauptsächlich zur allgemeinen Kontaktpflege mit den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften und zu deren Information über Initiativen der Regierung. Zu Konsultationen kam es daher vor Abschluß des eigentlichen Entscheidungsprozesses innerhalb der Regierung nur auf einer mehr informellen Basis aus Anlaß von gesondert anberaumten Treffen zwischen Beamten oder auch Ministern mit Verbands- oder Gewerkschaftsvertretern. Erst im Zusammenhang mit der geplanten Lancierung der FHZ-Idee im Rahmen der OEEC im Juli traf sich Thorneycroft erstmals mit FBI-Vertretern, um zunächst allgemein die Stimmungslage in der Industrie in bezug auf eine mögliche Assoziierung mit einer westeuropäischen Zollunion der Sechs zu sondieren. 29 Bald darauf kam es dann auch zu einem ersten Gespräch zwischen dem Außenhandelsminister und dem ABCC-Vorsitzenden Percy Mills. 30 Als Ergebnis dieser Unterredungen sah sich die Regierung in ihrer Erwartung bestätigt, daß zumindest die meisten führenden Verbandsvertreter für den Fall eines erfolgreichen Abschlusses der Brüsseler Verhandlungen ebenfalls die Notwendigkeit einer Assoziierung mit der geplanten Zollunion sahen. Wo von Thorneycrofts Gesprächspartnern unterschiedliche Meinungen vertreten wurden, lag das hauptsächlich an voneinander abweichenden Vorstellungen von der Wettbewerbsfähigkeit britischer Unternehmen innerhalb eines gemeinsamen Wirtschaftsraums mit den dynamischeren Volkswirtschaften der Sechs. Daraus ergaben sich verschiedene Auffassungen von den Konturen eines Vertrags und von den angeblich notwendigen politischen Garantien für wettbewerbsschwache Industriezweige wie die Optik und Feinmechanik, etwa in Form von Beihilfen aus dem Staatshaushalt. 31 27 CAB 134/881/2. Sitzung (26. Oktober 1956). 28 Benannt nach dem Vorsitzenden, William Palmer, dem Präsidenten der British Man Made Fibres Association. 29 BT 11/5402 (13. Juli 1956). 30 BT 11/5716 (21. September 1956). 31 Vergl. hierzu die Konsultationen mit Vertretern zahlreicher FBI-Mitgliedsverbände nach der Veröffentlichung des FHZ-Plans in BT 258/176 und BT 258/229-231 (1956/57); siehe auch die Forderungen des NUM-Vorsitzenden C.S. Garland in einem Brief an Eccles: CAB 134/1860/121 (2. April 1957).

Distanz: Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften

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Erst nachdem Schatzkanzler Macmillan Anfang Oktober mit dem FHZ-Plan an die Öffentlichkeit getreten war, führten FBI und ABCC verbandsinterne Umfragen durch, um die Meinungen der Mitgliedsverbände und -firmen zur Frage einer Assoziierung mit der geplanten Zollunion systematisch zu erfassen und die Regierung anschließend über das Ergebnis zu informieren. Von zehn FBI-Regionalverbänden sprachen sich neun für die Freihandelszone aus, von 664 befragten Einzelunternehmen waren 479 für das Konzept, nur 147 dagegen und 38 unentschieden.32 Der Zustimmungsgrad variierte je nach Industriezweig. Bei stark exportorientierten Unternehmen war er besonders hoch. Wegen des drohenden Wettbewerbs aus Skandinavien sprach sich nur die Papierindustrie mehrheitlich gegen die FHZ aus. Dagegen lag das Verhältnis von zustimmenden zu ablehenden Äußerungen beim metallverarbeitenden Gewerbe und der Chemie bei 3:1, beim Maschinenbau bei 4:1 und bei Transportwesen und Bauwirtschaft sogar bei 5:1.33 Die grundsätzliche Zustimmung zu dem FHZ-Projekt erfolgte in den meisten Fällen vorbehaltlich bestimmter allgemeiner Bedingungen, die in dem FBI-Bericht zusammengefaßt werden. So sollte das Vertragswerk effektive Anti-Dumping-Bestimmungen enthalten und das Ursprungsproblem eindeutig regeln. Einzelne Industriezweige oder -unternehmen verlangten außerdem auch eine Harmonisierung der Lohnkosten innerhalb der FHZ und Anpassungssubventionen, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit vor allem im Vergleich mit der deutschen Konkurrenz erhöht werden sollte.34 Diese Forderungen wurden allerdings in den Wirtschaftsministerien überwiegend als verbandsinterne Konzessionen an die weniger wettbewerbsfähigen und deshalb protektionistisch orientierten Industriezweige und -unternehmen interpretiert, auf die in den anstehenden Verhandlungen keine besondere Rücksicht genommen werden müsse.35 Bestärkt wurden sie in dieser Auffassung noch durch die mündliche Versicherung der FBI-Vertreter gegenüber Thorneycroft, die „besseren Elemente" der Industrie seien fast einheitlich für die FHZ. Das bedeute keineswegs eine plötzliche Bekehrung zum Freihandelsprinzip, so erläuterte der FBI-Präsident Graham Hayman, sondern sei eine Reaktion auf die Gefahren eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt der Sechs.36 Noch eindeutiger als beim Industrieverband fiel das Ergebnis der internen Mitgliederbefragung bei den Handelskammern aus. Etwa neunzig Prozent waren für die FHZ, solange dadurch die verbliebenen Präferenzen im Commonwealth nicht gefährdet wurden.37 Weil die ABCC die Interessen der Exportwirtschaft vertrat und daher in besonderem Maße an einer Ausweitung des Außenhandels interessiert sein mußte, kam dieser höhere Grad an Zustimmung zur FHZ für die Regierung nicht überraschend.38 Die Möglichkeit systematischer Konsultationen mit den Wirtschaftsverbänden war in der ursprünglichen Entstehungsphase von „Plan G" in der Regierung gar nicht erwogen worden. Den Wirtschaftsministerien lag daran, ein Konzept entwickeln und vorlegen zu können, das noch nicht von Anfang an durch den Einfluß der protektionistisch ausgerichteten Ministerien in Whitehall, vor allem derjenigen für Commonwealth-Beziehungen und für Landwirtschaft, 32 33 34 35 36 37 38

Für den FBI-Bericht siehe CAB 134/1240/74 (31. Oktober 1956). Ebd. Ebd. Vergl. CAB 134/1240/84 (13. November 1956). CAB 134/1240/77 (6. November 1956). Für den ABCC-Bericht siehe CAB 134/1240/80 (12. November 1956). Die insgesamt ebenfalls eher positive NUM-Stellungnahme in CAB 134/1239/92 (4. Dezember 1956).

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verwässert war. Über deren Sektorinteressen noch hinausgehende Ansprüche an die neue Politik sollten möglichst ausgeschlossen werden. Die erste Beratungsrunde mit den Wirtschaftsverbänden vor der abschließenden Kabinettsentscheidung und der Unterhausdebatte im November erfüllte dann zwei konkrete politische Funktionen: Sie war zum einen nach innen gerichtet, indem sie Thorneycroft und Macmillan als ergänzender Nachweis der innenpolitischen Akzeptanzfähigkeit des Konzepts diente und so als unterstützendes Argument für eine möglichst frühzeitige Entscheidung des Kabinetts. Die überwiegend positive Reaktion der Wirtschaftsverbände auf die FHZ-Idee war insofern willkommen, obwohl für den regierungsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß die Haltung der CommonwealthStaaten wesentlich wichtiger war, da hier die größeren Bedenken der Skeptiker im Kabinett lagen. Die Beratungen waren zum anderen auch nach außen gerichtet. Über die Ziele und Motive der neuen Politik wurden die Wirtschaftsverbände auch deshalb vorab informiert, weil die Regierung sowohl für die innenpolitische Diskussion als auch für die außenpolitische Werbung für das FHZ-Projekt in Westeuropa deren Beistand erwartete. Die Unterstützung durch die Industrie nahmen die Konservativen als selbstverständlich.39 Die Wirtschaftsverbände schienen zwar einer gewissen politischen Pflege zu bedürfen, aber sie verfügten deshalb noch lange nicht über das Privileg bevorzugter Vorab-Konsultation während des eigentlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses. Besonders im Vergleich mit dem Patronat, den französischen Arbeitgebern, die direkt auf die französischen Positionen in den Brüsseler und später in den Pariser Verhandlungen Einfluß nahmen, wurde die britische Industrie von der Londoner Regierung geradezu stiefmütterlich behandelt. Damit korrespondierte auf Arbeitgeberseite eine passive und apolitische Haltung in politischen Grundsatzfragen. Die Welt der Politik blieb auch führenden Vertretern der Federation of British Industries weitgehend fremd. Sie strebten nicht politische Führung an, sondern fühlten sich eher in der beschränkteren technischen Welt der Zölle, Subventionen und Geschäftsverträge wohl. Zwar wollten sie von der Regierung regelmäßig konsultiert werden, Druck auf Beamte oder Minister auszuüben, galt jedoch als unanständig und entsprach nicht der Tradition der Beziehungen zwischen Industrie und Regierung. 40 Hinzu kam, daß die FBIFührungsspitze, anders etwa als im Fall des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, kaum Eigenständigkeit gegenüber den Mitgliedsverbänden und -firmen entwickelte und ihre politische Handlungsfreiheit auch insofern eingeschränkt war. Die außenwirtschafts- und europapolitischen Interessen innerhalb des Verbandes erwiesen sich außerdem als so disparat, daß die Einflußmöglichkeiten der Verbandsführung selbst bei einer stärker interventionistischen Mentalität gering gewesen wären.41 Dennoch hatte die Industriemeinung 1956 bei der Entwicklung des FHZ-Plans durchaus eine gewisse unterstützende Wirkung. Weniger relevant waren nur die eigentlichen Verbandsinteressen. Es gab jedoch auch noch zahlreiche persönliche Kontakte zwischen Industrievertretern und mittleren und höheren Beamten in den beiden Wirtschaftsministerien sowie führenden Politikern. Diese Beziehungen wurden von den Konservativen ohnehin den 39 Blank, S. 123. 40 Blank, S.204f. 41 Siehe hierzu auch die Beratungen zwischen Thorneycroft und Hayman, Tennant und dem Vorsitzenden des FBI-Ausschusses für Überseefragen, Lincoln Steel: BT 11/5716 (21. September 1956). Die Meinungsunterschiede innerhalb der Wirtschaftsverbände und zwischen ihnen erschwerte auch die Formulierung einer gemeinsamen Position als Antwort auf das Weißbuch der Regierung zum FHZ-Plan: FBI/NUM/ABCC: A Joint Report on the European Free Trade Area, London 1957.

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stärker formalisierten Konsultationsmechanismen vorgezogen.42 Vor den von dem möglichen Ausschluß Großbritanniens von einer Zollunion der Sechs drohenden Gefahren warnten einzelne Industrievertreter die Regierung frühzeitig nach Brethertons Rückzug aus dem SpaakAusschuß. So schrieb der FBI-Generaldirektor Norman Kipping Ende Februar 1956 an Lee im Außenhandelsministerium mit einer persönlich verantworteten Denkschrift zur Europapolitik des FBI-Direktors für Überseefragen, Peter Tennant. 43 Darin werden die gescheiterten Umlenkungsversuche der Regierung Ende 1955 drastisch als „OEECChauvinismus" bezeichnet, der völlig ungerechtfertigt sei, weil die EGKS-Staaten mit der Messina-Initiative keine Konkurrenz zur OEEC beabsichtigten, sondern neue Ziele verfolgten. Interministerielle Rivalitäten und Konflikte im Kabinett hätten die Entwicklung einer mittel- und langfristig durchzuhaltenden Strategie unmöglich gemacht, kritisierte Tennant und forderte die Rückkehr zu einer konstruktiven Politik, die die mögliche Teilnahme Großbritanniens in der einen oder anderen Form so lange offenhalten solle, bis sich das Schicksal der Messina-Initiative endgültig entschieden habe.44 Mit der Analyse des FBIDirektors sympathisierte Lee, war jedoch nach Brethertons Ausscheiden aus dem SpaakAusschuß in anderer Hinsicht desillusioniert und hielt die Zeit des letztlich unverbindlichen Mitdiskutierens endgültig für beendet. Zunächst, so schrieb Lee an Kipping, müsse sich die Regierung über die Ziele und Mittel ihrer Europapolitik klarwerden.45 Die Entwicklung des FHZ-Plans in den Wirtschaftsministerien fand also zumindest vor dem Hintergrund einer latenten Unruhe in der Industrie statt, die die beteiligten Beamten und Politiker noch in ihrer Überzeugung bestärkt haben dürfte, daß es unbedingt den Ausschluß von einer westeuropäischen Zollunion zu vermeiden galt.46 Dagegen hatte die Gewerkschaftsmeinung keine nennenswerten Auswirkungen auf den Entscheidungsprozeß. Ohnehin blieben Konsultationen mit dem TUC im wesentlichen auf Fragen der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialpolitik beschränkt. In der Außenwirtschaftspolitik betrachteten die Konservativen die Gewerkschaften dagegen nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner. Zu Konsultationen zwischen Macmillan und Thorneycroft und TUC-Vertretern kam es daher erst im Oktober 1956, nachdem die Wirtschaftsverbände längst über die laufenden regierungsinternen Beratungen informiert worden waren.47 Die offizielle Stellungnahme des TUC zum FHZ-Plan fiel positiv aus 48 Ihr lag eine äußerst pragmatische ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, weshalb die Auffassungen der Einzelgewerkschaften auch im wesentlichen mit denjenigen der jeweiligen Industrieverbände übereinstimmten. 49 Die Gewerkschaften wandten sich gegen Souveränitätsverzicht im Rahmen der FHZ. Die von ihnen vertretene britische Variante der Idee des Sozialismus in einem Land machte die Erhaltung der wirtschaftspolitischen Handlungsfreiheit der Regierung 42 43 44 45 46

Blank, S.125. Kipping an Lee: BT 11/5402 (24. Februar 1956). Ebd. Lee an Kipping: BT 11/5715 (27. Februar 1956) und ebd. (16. März 1956). Am Rande einer rückblickenden Analyse von Figgures nach dem Scheitern der FHZ-Verhandlungen schrieb Clarke daher auch über „Plan G": Thorneycroft „seized upon the idea of an industrial free trade area, with the support of an influential group in the Federation of British Industries". T 234/720 (17. Juli 1959; 18. Januar 1961). 47 CAB 134/1240/63 (23. Oktober 1956). 48 Für den TUC-Bericht siehe CAB 134/1240/73 (2. November 1956). 49 Farthing, S.42.

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absolut unverzichtbar. Wenngleich aus anderen Gründen, so teilte die Regierung doch die Meinung, daß die Freihandelszone zwischenstaatlich organisiert sein sollte, so daß es hier keine Reibungspunkte gab. Nur zwei konkrete Forderungen richtete der TUC an die Regierung: Zum einen mußte in einer FHZ der allgemeine Lebensstandard der Arbeiter erhalten bleiben. Kam es zu einer Harmonisierung bei den Löhnen und Sozialleistungen, die von den Gewerkschaften grundsätzlich befürwortet wurde, so mußte diese unbedingt in Richtung auf die höheren britischen Standards erfolgen. Zum anderen sollte sich die Regierung verpflichten, in den Verhandlungen dafür zu sorgen, daß sich die Vertragsparteien auf die Vollbeschäftigung als gemeinsames, rechtlich verbindliches wirtschaftspolitisches Ziel festlegten.50 Im März 1957 legte der TUC erstmals einen eigenen Entwurf für eine entsprechende Vertragsklausel vor," und in den Gesprächen mit der Regierung während der FHZVerhandlungen setzten sich die Gewerkschaftsvertreter vor allem für dieses Ziel ein.52 Von der Regierung wurden diese Forderungen allerdings weitgehend ignoriert. Eine Harmonisierung der Sozialleistungen lehnte sie ohnehin ab, und in bezug auf das Vollbeschäftigungsziel wurden die Gewerkschaften mit dem Angebot abgespeist, eine rechtlich unverbindliche Formulierung in die Präambel des Vertrags einzuarbeiten. Im Zusammenhang mit der späteren EFTA-Gründung konzentrierten sich die Gewerkschaften in ähnlicher Weise auf eine einzelne Forderung. Für das für die EFTA vorgesehene Konsultativorgan aus Vertretern der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, das im wesentlichen dem Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG vergleichbar sein sollte, wenngleich mit weniger Rechten ausgestattet, verlangten sie eine paritätische Besetzung. Anfangs ließ sich die Regierung darauf auch ein, bestand dann jedoch nach einer Intervention der Arbeitgeber auf der Berufung von fünf anstatt vier Mitgliedern, von denen jeweils zwei Vertreter der Gewerkschaften und der Wirtschaftsverbände sein sollten und einer von den Banken und Dienstleistungsunternehmen entsandt werden konnte.53 Auch hier blieben also die limitierten Wünsche des TUC letztlich unberücksichtigt. Während der Einfluß der Gewerkschaften auch in bezug auf die Verhandlungen in Europa sehr eng begrenzt war, ist den Wirtschaftsverbänden bescheinigt worden, sie hätten in den FHZ-Verhandlungen eine „entscheidende bremsende Rolle" gespielt und frühzeitigere Konzessionen der Regierung verhindert. 54 Auf der Basis der Konsultationen zwischen Regierung und Verbandsvertretern erweist sich diese Einschätzung jedoch in bezug auf die Industrieverbände als unhaltbar.55 Über bedeutendere Konzessionen wurden deren Vertreter erst nach regierungsinternen Beratungen und einem Beschluß des Kabinetts von den Wirtschaftsministerien informiert. Das galt etwa für die weitreichende Entscheidung 1958, auf die Forderung der französischen Regierung nach einer partiellen Zollharmonisierung in 50 CAB 134/1240/73 (2. November 1956). 51 CAB 134/1857/67 (20. März 1957); Lieber, S.39. 52 Die Konsultationen erfolgten hauptsächlich mit Vertretern des TUC-Wirtschaftsausschusses. Für die Gesprächsaufzeichnungen siehe T 234/230 (1957/58). Für das Problem der Vollbeschäftigungsklausel vergl. auch das Gespräch zwischen dem neuen Außenhandelsminister Eccles und TUCVertretern in CAB 134/1860/159 (30. Mai 1957). 53 Für die Gespräche zwischen Außenhandelsministerium, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften über dieses Thema im Jahr 1960 siehe BT 241/1115 sowie Schneider, Großbritanniens Weg, S.131. 54 Lieber, S.viii. 55 Vergl. besonders die Sitzungen der Palmer-Arbeitsgruppe von Februar 1957 bis Dezember 1958: BT 241/554.

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der Freihandelszone einzugehen.56 Während der gesamten Verhandlungen blieb die Politik der Industrievertreter betont kooperativ. Ihre Kommentare und Ratschläge bezogen sich meistens nicht auf die Grundzüge der Regierungspolitik, sondern auf technische Details des geplanten FHZ-Vertrags.57 Die FBI-Repräsentanten verstanden sich sogar insoweit als verlängerter Arm der Regierung, als sie ihre eigenen europäischen Kontakte, vor allem mit den deutschen und französischen Industrieverbänden, sehr eng mit den Wirtschaftsministerien und dem Außenministerium abstimmten.58 Lediglich der im Hinblick auf die von ihm vertretenen Interessen sowie die Verbandsstruktur besonders homogene Bauernverband NFU übte während der Verhandlungen zwischen 1957 und 1959 direkten Druck auf die Regierung aus und verzögerte auf diese Weise Zugeständnisse in diesem speziellen Bereich, die sich früh als diplomatisch erforderlich erwiesen. Die NFU bekämpfte anfangs das geplante Landwirtschaftsstatut und widersetzte sich später auch bilateralen Konzessionen an Dänemark und Norwegen, als die Regierung 1959 über die Gründung der kleinen FHZ verhandelte. Sie verfügte über sehr enge Kontakte im Landwirtschaftsministerium und in der Konservativen Partei und war deshalb so einflußreich, weil die von ihr vertretenen Interessen von der Regierung aus wahltaktischen Gründen nach wie vor für wichtig gehalten wurden. Das wurde zum Beispiel während der regierungsinternen Diskussion über das Landwirtschaftsstatut deutlich, das Butler in einem Vermerk für Macmillan als „Dynamit für die ländlichen Wahlkreise" bezeichnete.59 Nur zwei Jahre später sprach Macmillan während einer Sondersitzung mit einigen Ministern im Zusammenhang mit der Frage des Schinkenimports aus Dänemark davon, beim Schwein handele es sich gerade vor der bevorstehenden Unterhauswahl um „ein Nutztier von wahltaktischer Bedeutung".60 Obwohl sie also aus innenpolitischen Gründen zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Bauernverbandes neigte, gelang es der Regierung noch jedesmal, dessen Widerstand zu überwinden, sobald dies außenpolitisch erforderlich erschien. Die Bedeutung der NFU-Politik für den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung sollte auch deshalb nicht überbewertet werden, weil die FHZ-Verhandlungen letztlich nicht hauptsächlich am Streit über die Landwirtschaft, sondern an der Unvereinbarkeit der breiteren politischen Interessen scheiterten. In bezug auf die Formulierung und Durchführung der Europapolitik spielten die Wirtschaftsverbände nur dort eine größere Rolle, wo sich die Regierung selbst unklar über die einzuschlagende Politik war. Das galt besonders in der Endphase der FHZ-Verhandlungen und nach deren Abbruch durch de Gaulle, als es um eine mögliche Alternative zu dem ursprünglichen Konzept ging. In dieser Zeit kooperierte die Federation of British Industries sehr eng mit den Industrieverbänden der sogenannten äußeren Sieben, zu denen die Briten bereits in einem frühen Stadium der FHZ-Verhandlungen enge Kontakte geknüpft hatten. Im April und November 1958 fanden zwei Konferenzen dieser Verbände statt, auf denen deren Vertreter gemeinsame Positionen zu den laufenden Verhandlungen erarbeiteten und auch bereits

56 BT 241/554/12. Sitzung (12. Mai 1958). 57 Ähnlich bereits Blank, S.212, der den Einfluß der Wirtschafts verbände auf die Regierungspolitik insgesamt für gering hält. 58 Vergl. etwa BT 241/554/9. Sitzung (22. Januar 1958). 59 Butler an Macmillan: PREM 11/2531 (24. August 1957). 60 PREM 11/2827 (6. Mai 1959).

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Alternativen für den Fall eines Scheiterns des Plans für eine große FHZ diskutierten.61 Dieses Thema sprach ein FBI-Vertreter im Mai 1958 erstmals im Rahmen der Palmer-Arbeitsgruppe gegenüber den Beamten der Wirtschaftsministerien an, die allerdings eine Diskussion darüber noch für verfrüht hielten.62 In der Folgezeit setzten sich die Wirtschaftsverbände sehr für die Gründung einer kleinen FHZ ein. Übernahm die Londoner Regierung nach dem Scheitern des ursprünglichen Konzepts keine Führungsrolle, so drohte der britischen Industrie nämlich nun auch noch der Ausschluß von einem zweiten Gemeinsamen Markt in Europa als Ergebnis der möglichen Gründung einer skandinavischen Zollunion, die 1958/59 im Gespräch war.63 Die Wirtschaftsverbände beschleunigten so die Entscheidung der zögerlichen Regierung für das Ersatzprojekt EFTA als Notlösung. Allerdings machten die FBI-Vertreter deutlich, daß sie die kleine FHZ nur als Brücke zur EWG wollten und nicht als Ziel für sich betrachteten.54 Auch 1959 blieb der Bestimmungsbahnhof für die britische Industrie ein gesamteuropäischer Wirtschaftsverbund, der den Anschluß an den Gemeinsamen Markt der EWG-Staaten garantieren sollte.65 Daß sich die EFTA dann so bald nach ihrer Gründung als diplomatische Sackgasse erwies, trug Anfang der sechziger Jahre maßgeblich zu dem Meinungsumschwung in der britischen Industrie zugunsten der Beitrittsoption bei. Wie bei der Untersuchung des Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses innerhalb der Regierung nachgewiesen worden ist, waren für die Entscheidung der Regierung für den ersten britischen Beitrittsantrag 1961 hauptsächlich im engeren Sinne politische Gründe ausschlaggebend. Von daher ist es nicht überraschend, daß die Positionen der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften hier eher eine noch geringere Rolle spielten als zwischen der Konferenz von Messina und der Unterzeichnung des EFTA-Vertrags in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Von stärkerem Gewicht waren wiederum persönliche Kontakte. Das gilt allem Anschein nach in besonderem Maße für die bedauerlicherweise kaum dokumentierten Verbindungen zwischen führenden Politikern der Konservativen Partei und einzelnen einflußreichen Repräsentanten der finanzwirtschaftlichen Interessen der City,66 wo infolge der strukturellen Schwäche und internationalen Bedeutungsabnahme des Pfund Sterling in Verbindung mit dem Aufschwung der EWG die Sorge um die Zukunft Londons als internationaler Finanz- und Kapitalmarkt sehr gewachsen war und inzwischen eine breite Mehrheit für den EWG-Beitritt existierte.67 Eine geordnete Konsultation mit den Wirtschaftsverbänden fand dagegen vor der Kabinettsentscheidung für den EWG-Beitrittsantrag schon deshalb nicht statt, weil Macmillan 61 Schneider, Großbritanniens Weg, S.88; Blank, S. 146. 62 BT 241/554/12. Sitzung (12. Mai 1958). 63 „Nordic Common Market": FO 371/134544. Vergl. auch Derek Urwin: The Community of Europe. A History of European Integration Since 1945, London 1991, S.88ff. 64 Vergl. die Sitzungen des CCI: BT 11/5729/55. Sitzung (27. Mai 1959), BT 11/5729/56. Sitzung (29. Juli 1959) sowie des EPB: CAB 134/1813/3. Sitzung (1. Juni 1959). 65 Siehe hierzu auch das Plädoyer für einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum von Peter Tennant: Britischer Appell an Deutschland und die EWG, in: Aussenpolitik 11/8 (1960), S.152158. 66 Eine seltene Ausnahme bildet etwa die Wiedergabe von Gesprächen mit führenden Mitarbeitern der Handelsbank Lazard: FO 371/158269/108 (4. Mai 1961). Bestätigt wird diese Sicht vom damaligen Europaminister Heath: Edward Heath Interview (1. April 1993). 67 Wallace, The Foreign Policy Process, S.81.

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die Europapolitik in die parteipolitische Auseinandersetzung hineinziehen und dafür alle Vorteile einer möglichst langen Geheimhaltung der eigenen Taktik wahren wollte. Als sich die FBI-Vertreter im Mai und Juli 1961 in der Palmer-Arbeitsgruppe nach der Entwicklung der Regierungspolitik in der Beitrittsfrage erkundigten, antworteten die Beamten daher auch ausweichend.68 Fixiert auf das Ziel der außenpolitischen Einfluß- und Statuserhaltung und, wie im Fall Macmillans, fasziniert von den mit dem geplanten Beitrittsantrag verbundenen Ränkespielen der internationalen Politik, nahmen führende konservative Politiker nur en passant den Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Federation of British Industries wahr, mit deren Unterstützung ohnehin fest gerechnet wurde. Charakteristisch für diese vorherrschende indifferente Haltung war, daß sich der später auch für die Beitrittsverhandlungen zuständige Europaminister Heath erst Ende Juni 1961 innerhalb des Außenministeriums erstmalig nach der zu erwartenden Reaktion der Wirtschaftsverbände auf die Regierungsinitiative erkundigte.69 Innerhalb des Industrieverbandes FBI hatte sich seit 1960 abgezeichnet, daß sich vor allem die exportorientierten Großunternehmen wie General Electric (GEC) oder Imperial Chemical Industries (ICI) zu energischen Befürwortern des EWG-Beitritts entwickelten. Unter den kleineren, binnenmarktabhängigen Firmen kamen dagegen skeptische bis ablehnende Stellungnahmen öfter vor.70 Insgesamt überwog jedoch bis Mitte 1961 die Zahl der Befürworter des EWG-Beitritts eindeutig die der Gegner, wenngleich die Zustimmung in der Regel von den auszuhandelnden Beitrittsbedingungen abhängig gemacht wurde. Wie bereits beim FHZKonzept fünf Jahre zuvor lag der Zustimmungsgrad bei der ABCC noch wesentlich höher. Hier ergab eine interne Umfrage Ende Juni 1961, daß 30 von 36 Handelskammern unter bestimmten Bedingungen für den Beitritt und nur zwei dagegen waren.71 Die vorherrschende Ansicht war jedoch auch innerhalb dieses Verbandes, daß die Abwägung der politischen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines Beitrittsantrags letztlich Sache der Regierung war. Die Wirtschaftsverbände wollten vor allem eine frühzeitige Entscheidung, damit ihre Mitglieder ihre Unternehmensplanung danach ausrichten konnten.72 Daß die Verbände Anfang der sechziger Jahre erneut keine treibende Kraft in der Europapolitik waren, lag allerdings wie beim FHZ-Konzept nicht nur an deren anti-interventionistischer Mentalität. Gerade bei der Federation of British Industries war die von der Regierung geplante Reorientierung auf den EWG-Beitrittsantrag noch so umstritten, daß sich deren Verbandsspitze erneut gezwungen sah, dem internen Interessenausgleich Vorrang zu geben und die Zustimmung zum EWG-Beitritt an allerlei Bedingungen zu knüpfen. In besonderem Maße galt das für die Mitte Juli ohne vorherige Mitgliederbefragung veröffentlichte Stellungnahme, die FBI-Generaldirektor Kipping auch an Europaminister Heath schickte.73 Darin wandte sich die Verbandsführung sogar gegen die Aufnahme von Verhandlungen, wenn nicht bestehende Meinungsverschiedenheiten mit der EWG über die Zukunft der 68 69 70 71 72

BT 241/555 (11. Mai 1961; 17. Juli 1961). Robinson an Heath: FO 371/158274/186 (28. Juni 1961). Blank, S. 198; Lieber, S .95. Hutchinson an Home: FO 371/158274/189 (28. Juni 1961). Vergl. auch die Denkschrift des Vorsitzenden der Palmer-Arbeitsgruppe, C.M.P. Brown vom Außenhandelsministerium, an den Deputy Under-Secretary of State im Außenministerium, Roderick Barclay: FO 371/158278/236 (21. Juli 1961). 73 Kipping an Heath: FO 371/158277/222 (13. Juli 1961); Federation of British Industries: British Industry and Europe, London 1961.

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Commonwealth-Importe, der Landwirtschaft und der EFTA sowie in bezug auf andere Probleme zuvor weitgehend überwunden werden konnten. Von der Regierung, die diese Haltung für illoyal hielt und ihre innenpolitische Strategie durchkreuzt sah, wurden die FBIVertreter dafür hinter den Kulissen allerdings derart heftig kritisiert, daß Kipping bald die Stellungnahme so auszulegen begann, daß sie mit der sich inzwischen deutlicher abzeichnenden Linie der Regierung vereinbar erschien.74 Damit sollte bei der Regierung verlorengegangenes Wohlwollen zurückgewonnen werden, um eine enge Konsultation während der bevorstehenden Verhandlungen sicherzustellen. Der in Anbetracht des deutlichen Meinungsumschwungs innerhalb der Industrie zugunsten des EWG-Beitritts überraschend negative Ton der ersten FBI-Stellungnahme ging vor allem auf die vehemente verbandsinterne Opposition der Commonwealth Industries Association und des Bauernverbandes NFU zurück. Von den britischen Bauern wurde der EWG-Beitritt und die damit verbundene Umstellung des Subventionssystems keineswegs einheitlich negativ bewertet. Wie eine Meinungsumfrage während der Beitrittsverhandlungen ergab, hielten sich Zustimmung und Ablehnung sogar in etwa die Waage.75 Die zu erwartende Gewinn- und Verlustrechnung würde Analysen des Landwirtschaftsministeriums zufolge stark produktabhängig sein, und einzelne Zweige der Landwirtschaft konnten damit rechnen, von der Teilnahme an der EWG-Agrarpolitik zu profitieren.76 Deshalb hatte sich beispielsweise der Präsident des zur NFU gehörenden Verbandes der nahrungsmittelverarbeitenden Industrie bereits im Juni 1960 gegenüber Beamten des Ministeriums ausdrücklich für einen EWGBeitritt ausgesprochen.77 Jedoch war die Verbandsführung nach Auffassung von Landwirtschaftsminister Soames vor allem an der Sicherung ihres eigenen innenpolitischen Einflusses interessiert, den sie in der hergebrachten Form innerhalb der EWG verlieren würde.78 Wie es schon 1960 in einer Denkschrift des Ministeriums geheißen hatte, wollten die Funktionäre nicht ihren etablierten Platz an der Sonne aufgeben, von wo aus sie die Regierung bei der alljährlichen Preisrevision unter Druck setzen konnten.79 Soames war zwar froh, den Schwarzen Peter in dieser Frage an die EWG-Kommission in Brüssel weiterreichen zu können, aber das mußte wegen des Einflusses der NFU innerhalb der Konservativen Partei aus parteitaktischen Gründen möglichst gut kaschiert werden. Die ablehnende Position des Bauernverbands, die durch die feindselige Haltung seines Vorsitzenden noch akzentuiert wurde, verstärkte daher 1961 noch den ohnehin defensiven Charakter der einseitig auf die wirtschaftlichen Nachteile des fortgesetzten Ausschlusses von dem Gemeinsamen Markt der Sechs abgestellten innenpolitischen Präsentation des Beitrittsantrags und schränkte anschließend die Freiheit der Regierung in den Verhandlungen mit der EWG ein. Die Grundsatzentscheidung der Regierung zugunsten des EWG-Beitritts konnte die NFU jedoch nicht verhindern. Während die Regierung den Interessen der Wirtschaftsverbände, teilweise mit der Ausnahme des Bauernverbandes, während des Entscheidungsprozesses kaum Aufmerksam74 FO 371/158277/222 (13. Juli 1961), besonders die handschriftlichen Anmerkungen von Robinson (25. Juli 1961) und Barclay (27. Juli 1961). 75 Danach waren 39 Prozent der Bauern für den EWG-Beitritt und 42 Prozent dagegen. Ashford, S. 186. 76 Vergl. die Sitzungen des Minister's Policy Committee: MAF 255/961/42. Sitzung (15. Mai 1961); MAF 255/961/43. Sitzung (5. Juni 1961). 77 MAF 255/430 (30. Juni 1960). 78 MAF 255/961/42. Sitzung (15. Mai 1961); siehe auch Lieber, S.l 17. 79 MAF 255/430 (9. Juni 1960).

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keit schenkte, wurden die Gewerkschaften sogar völlig ignoriert, obwohl sie der Beitrittsoption durchaus offen gegenüberstanden. Im EPB hatten die TUC-Vertreter diese Möglichkeit bereits im Sommer 1960 angesprochen.80 Ab August 1960 hatten sich mehrere Einzelgewerkschaften mit betont beitrittsfreundlichen Stellungnahmen zu Wort gemeldet.81 So war es dann nicht überraschend, daß sich auf der TUC-Jahreskonferenz im September 1961 eine große Mehrheit für den EWG-Beitritt unter bestimmten Bedingungen aussprach, die jedoch mit den erklärten Verhandlungsabsichten der Regierung im wesentlichen übereinstimmten. 82 Ausschlaggebend für den allmählichen Meinungsumschwung im TUC war neben im engeren Sinne ökonomischen Gründen vor allem die Einsicht, daß die Lebens- und Sozialstandards innerhalb der EWG längst genauso hoch waren und von einer Harmonisierung in Kürze nur noch Fortschritte erwartet werden durften. Die Gewerkschaften hatten auch erkannt, daß ihre Schwesterorganisationen in den einzelnen Mitgliedstaaten und in der EWG selbst von besseren Konsultationsmechanismen profitierten, als sie dem TUC in Großbritannien und innerhalb der EFTA offenstanden. Der TUC war Anfang der sechziger Jahre noch kein Forum für „intellektuelle Grundsatzdebatten".83 Der Prozeß der Politisierung der Gewerkschaften begann erst später und setzte sich Anfang der siebziger Jahre beschleunigt fort. Daher blieb die Haltung des TUC trotz der sehr engen organisatorischen und politischen Verflechtung mit der Arbeiterpartei auch während der Brüsseler Beitrittsverhandlungen pragmatisch, und zwar sogar in der Zeit nach der de facto-Ablehnung des Beitritts durch Parteichef Hugh Gaitskell im September 1962. Dennoch waren die Verbindungen des TUC zur Regierung noch weniger eng als im Zusammenhang mit dem FHZ-Plan, als die Beziehungen zur EWG noch als Problem der Handelspolitik galten. Nach 1961 wurden die Gewerkschaften von den Konservativen zunehmend aus der Perspektive einer gezielt betriebenen parteipolitischen Polarisierung in der Europapolitik gesehen und immer mehr als verlängerter Arm der Arbeiterpartei behandelt. Innerparteilich und innenpolitisch war die Europapolitik der Gewerkschaften für die Konservativen ohnehin kaum von Bedeutung. Die betont pragmatische Position des TUC trug allenfalls in Verbindung mit der zunehmend beitrittsfreundlichen Haltung der Wirtschaftsverbände 1960/61 zu der Entstehung eines politischen Gesamtklimas bei, das einem Wandel in der Europapolitik förderlich war. Die Politik der Interessenverbände erleichterte der Regierung insofern eher die Grundsatzentscheidung für den Beitrittsantrag, erschwerte jedoch andererseits wegen der zahlreichen, an die Unterstützung für den neuen Kurs geknüpften Bedingungen deren öffentliche Präsentation.84 Darüber ging der Einfluß der Verbände auf die Regierungspolitik jedoch Anfang der sechziger Jahre nicht hinaus. Als Macmillan 1961 auf die Verhandlungen mit der EWG zusteuerte, spielten parteitaktische Erwägungen längst eine viel größere Rolle.

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CAB 134/1815/6. Sitzung (4. Juli 1960). Lieber, S.106f. Ebd. Schneider, Großbritanniens Weg, S. 140. Vergl. hierzu auch die Beratungen des Parliamentary Foreign Affairs Committee der Konservativen Partei: Conservative Party Archives, CRD 2/34/4 (22. März 1961).

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3. Von Kooperation zu Konfrontation: Parteipolitik Wie an anderer Stelle bereits gezeigt worden ist, wurde die Europapolitik von der Regierung ab 1955 im Innern als weitgehend entpolitisiertes Problem der Handelspolitik behandelt. Weder in der breiteren Öffentlichkeit noch im Parlament wurde die Haltung zur MessinaInitiative ausführlich debattiert. Erst im Juni 1956 gelangte das Thema im Unterhaus zum erstenmal auf die Tagesordnung, als der konservative Abgeordnete Boothby eine schriftliche Anfrage zur Europapolitik an die Regierung richtete, 85 die dann zu einer halbstündigen Kurzdebatte Anfang Juli führte. 86 Die Durchsetzung des FHZ-Projekts wurde von der Regierung danach hauptsächlich als ein Binnenproblem der Konservativen Partei angesehen. „Plan G" müsse sowohl für den Empire- als auch für den Europa-Flügel annehmbar sein, schrieb Macmillan im Juli 1956 in einer Denkschrift für das Kabinett.87 Aus dem innenpolitischen Streit sollte die Regierungsinitiative möglichst herausgehalten werden, damit sie nicht außenpolitisch gefährdet wurde. Deshalb bemühte sich Macmillan in einem Gespräch mit dem Schatzkanzler im Schattenkabinett der Arbeiterpartei, Wilson, frühzeitig und gezielt darum, die Zustimmung der Opposition vor der für November geplanten Unterhausdebatte sicherzustellen.88 Daß ihm dies gelang, lag in erster Linie daran, daß die Arbeiterpartei die Haltung Großbritanniens zur Messina-Initiative der Sechs gleichfalls unter dem pragmatischen Imperativ der Handelspolitik beurteilte. Zu Beginn der sechziger Jahre veränderten sich jedoch die innenpolitischen Rahmenbedingungen rasch. Die Frage nach Großbritanniens zukünftiger Rolle in Europa wurde nun zunehmend öffentlich und kontrovers debattiert. Seit 1960 kämpften zwei überparteiliche Organisationen, die Common Market Campaign und die Anti-Common Market League, für bzw. gegen den EWG-Beitritt. Die gestiegene innenpolitische Bedeutung der Europapolitik kam jetzt auch darin zum Ausdruck, daß dieser im Unterhaus deutlich mehr Zeit gewidmet wurde als jemals zuvor seit der Diskussion über den Marshall-Plan. Zwischen der ersten europapolitischen Grundsatzdebatte im Juli 1960 und der Ankündigung des Beitrittsantrags durch die Regierung 1961 nahm die Europapolitik 1,5 Prozent der gesamten Debattierzeit ein und damit etwa doppelt soviel wie zur Zeit des Schuman-Plans und sogar zwanzigmal soviel wie in den ersten Jahren der Existenz der EGKS.89 Von dem vor diesem geänderten innenpolitischen Hintergrund eingereichten EWGBeitrittsantrag ist behauptet worden, er habe eigentlich in völligem Widerspruch zu allen traditionellen und auf die Verteidigung der nationalen Souveränität um jeden Preis fixierten politischen Instinkten der Konservativen Partei gestanden. Die europapolitische Reorientierung zu Beginn der sechziger Jahre ist danach hauptsächlich als Ergebnis von Macmillans persönlichem Einsatz für den EWG-Beitritt zu verstehen.90 Zwar spielte das Souveränitäts-

85 Hansard 554/1209 (19. Juni 1956). Für die ausweichende mündliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs für Wirtschaftsfragen im Schatzamt, Edward Boyle, siehe Hansard 555/1685 (5. Juli 1956). 86 Hansard 555/1678ff. (5. Juli 1956). 87 CAB 129/82/192 (28. Juli 1956). 88 Vergl. Clarkes Notiz: T 234/198 (10. Oktober 1956). 89 Moon, S.155. 90 T.F. Lindsay und Michael Harrington: The Conservative Party 1918-1978, 2. Auflage, London 1979, S.214.

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argument in der öffentlichen Beitrittsdiskussion eine hervorgehobene Rolle,91 dessen Bedeutung für den Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Regierungspartei sollte jedoch auf keinen Fall überbetont werden. Konservative Parteiführungen sind nämlich schon immer zu pragmatischen Modifikationen an überlieferten Traditionen und zu Politikinnovation bereit gewesen, wenn es um die Sicherung des internationalen Einflusses Großbritanniens oder die Gewinnung eines parteipolitischen Vorteils ging. Aus dieser Perspektive sowie vor dem Hintergrund der betont konservativen Motive hinter dem Beitrittsantrag und dessen einseitig auf die wirtschaftlichen Gefahren des Ausschlusses von dem Gemeinsamen Markt der Sechs abgestellter öffentlicher Rechtfertigung erscheint die Entscheidung von 1961 durchaus mit dem Selbstverständnis der Regierungspartei vereinbar. Außerdem nahm bei den Konservativen zu Beginn der sechziger Jahre die Zahl derjenigen stetig zu, die aus politischen oder ökonomischen Gründen für eine Aufwertung des europäischen Kreises in den britischen Außenbeziehungen eintraten. Die Zeit schien für sie zu arbeiten und nicht für diejenigen, die dem Empire nachtrauerten und einseitig auf die politische Führungsrolle Großbritanniens im Commonwealth setzten. Zum Zeitpunkt von Macmillans Regierungserklärung am 31. Juli 1961 war die Meinungsbildung in der konservativen Unterhausfraktion bereits im wesentlichen abgeschlossen, und es zeichnete sich eine klare Mehrheit für den Beitritt ab.92 Dabei war die Haltung zur europäischen Integration in gewissem Maße auch eine Generationenfrage. So war 1961 der Grad der Zustimmung zu der neuen Europapolitik unter den Abgeordneten bei weitem am höchsten, die 1955 und 1959 erstmals ins Unterhaus gewählt worden waren.93 Es ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend, daß die Schüler- und Studentenorganisationen der Konservativen bereits im Frühjahr 1961 Resolutionen zugunsten des EWG-Beitritts verabschiedeten, ohne auf eine Entscheidung der Parteiführung zu warten.94 Selbst als die Brüsseler Verhandlungen 1962 durch die Obstruktionspolitik der französischen Delegation ins Stocken gerieten und sich die möglichen Beitrittsbedingungen als erheblich schlechter erwiesen, als die Regierung ursprünglich gehofft hatte, zählte die Gruppe der erklärten Beitrittsgegner in der konservativen Unterhausfraktion ähnlich wie dreißig Jahre später bei den Maastrichter Verträgen nie mehr als 40 Abgeordnete.95 Auch damals kam die Opposition bereits überwiegend von den erzkonservativen Nationalisten, die ihrer eigenen Position in der Beitrittsfrage durch fremdenfeindliche Äußerungen und persönliche Angriffe auf den Premierminister schadeten.96 Daher war Macmillan auch nach der Unterhausdebatte Anfang August 1961 nicht mehr so besorgt über die parteiinterne Opposition gegen seine neue Politik. In seinem Tagebuch notierte er am 5. August, bei seinen Gegnern handele es sich zum einen um die noch verbliebenen „ehrlichen Imperialisten" und zum anderen um eine 91 Jürgen Jansen: Britische Konservative und Europa. Debattenaussagen im Unterhaus zur westeuropäischen Integration 1945-1972, Baden-Baden 1972, S.147. 92 Besonders aufschlußreich für den Meinungswandel innerhalb der Unterhausfraktion sind die regelmäßigen Sitzungen des Parliamentary Foreign Affairs Committee in Conservative Party Archives, C R D 2/34/2-4, besonders diejenigen v o m 25. Mai 1960, 22. Juni 1960 und 22. März 1961. 93 Ashford, S.102ff. 9 4 Conservative Central Office an Heath: FO 371/158267/70,80 (Frühjahr 1961). 95 Ronald Butt: The Common Market and Conservative Party politics, 1961-2, in: Government and Opposition 2/3 (1967), S . 3 7 2 - 3 8 6 (383). 9 6 Für Beispiele siehe Ashford, S. 150.

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kleine Gruppe enttäuschter Störenfriede, die der Regierung bei jedem denkbaren Anlaß Schaden zufügen wollten. In einer Zeit, in der die Popularität seiner Regierung nach einem Jahrzehnt ununterbrochener konservativer Herrschaft rasch abnahm, sah Macmillan unter ihnen „keinen Disraeli", der es vermocht hätte, aus Anlaß des EWG-Beitrittsantrags die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der Partei zu bündeln und gegen ihn zu wenden.97 In welchem Maße sich das Meinungsbild innerhalb der Konservativen Partei bis zum Sommer 1961 bereits zugunsten der Beitrittsbefürworter verschoben hatte, zeigt die parteiinterne Diskussion über die mögliche Teilnahme an der noch im Entwicklungsstadium befindlichen EWG-Agrarpolitik, die hauptsächlich in dem im März 1960 neu gegründeten Agricultural Policy Committee stattfand. Dessen Sekretär Peter Minoprio betonte von Anfang an die Vorzüge einer gesamteuropäischen Agrarmarktordnung für die britischen Bauern und bemühte sich frühzeitig, eine Festlegung des Parteiausschusses auf das Ziel des EWG-Beitritts zu erreichen.98 Dies gelang zwar wegen des anhaltenden Widerstands einzelner Mitglieder auch bis Juni 1961 nicht, als Butler an der letzten Sitzung vor der Regierungserklärung teilnahm." Die Ausschußmitglieder verständigten sich lediglich auf eine beschränkte Liste mit unverzichtbaren Sicherungen für die heimische Landwirtschaft, die der Unterhausabgeordnete Anthony Hurd an Butler als wichtigstem Vertreter der Landwirtschaftslobby im Kabinett weiterleitete.100 Dennoch erlaubt die Analyse der Sitzungsprotokolle die Schlußfolgerung, daß die Bereitschaft unter den Agrarexperten der Partei, der notwendigen Umstellung des Subventionssystems zu Lasten der Verbraucher und der Commonwealth-Produzenten zuzustimmen, bis Mitte 1961 bereits wesentlich größer war, als Macmillan anfangs befürchtet hatte, der die regierungsinternen Beratungen über dieses Thema im Frühjahr 1961 als „streng geheim" einstufen ließ.101 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Neubewertung von Macmillans Rolle in bezug auf die europapolitische Wende erforderlich. Sein Einfluß war allem Anschein nach weitaus weniger entscheidend, als bisher zumeist angenommen worden ist.102 Ohne die ausgeprägte Bereitschaft des Premierministers, die notwendige Führung innerhalb der Regierung zu übernehmen, wäre der EWG-Beitrittsantrag sicherlich nicht so bald eingereicht worden. Gleichzeitig reflektierte die neue Politik aber auch den deutlichen Stimmungsumschwung in seiner eigenen Partei zugunsten einer größeren Rolle Großbritanniens in Europa. Auf organisierten Widerstand in den eigenen Reihen traf Macmillan kaum mehr, und die noch verbliebene parteiinterne Opposition ließ sich mit Ausnahme des nationalistischen Flügels durch die defensive Rechtfertigung des Beitrittsantrags beschwichtigen. Gerade diese auf einen parteiinternen Ausgleich abgestellte Präsentation einer Grundsatzentscheidung verdeutlicht den 97 HMD (5. August 1961), zitiert bei Macmillan, At the end, S.26. 98 Für die Sitzungen des Agricultural Policy Committee siehe Conservative Party Archives, CRD 2/11/12. 99 Conservative Party Archives, CRD 2/11/12 (26. Juni 1961). 100 Hurd an Butler: Conservative Party Archives, CRD 2/11/12 (21. Juli 1961). 101 Siehe hierzu auch die Sitzungen des Parliamentary Agricultural Committee in Conservative Party Archives, CRD 1/11/9, besonders diejenigen vom 5. Juli 1960, 16. Mai 1961 und 31. Juli 1961. Auch die Bereitschaft der Parteimitglieder, die neue Linie in der Europapolitik mitzutragen, scheint von Anfang an relativ stark ausgeprägt gewesen zu sein. Dies geht aus den Berichten von Parteifunktionären über insgesamt sechs zur Erläuterung der neuen Politik kurzfristig anberaumte regionale Delegiertentreffen hervor. Siehe hierfür CCO 500/31/2. 102 Wie beispielweise bei Butt, S.376.

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ausgesprochenen Kompromißcharakter des EWG-Beitrittsantrags. Dessen Genese bestätigt eher die sogenannte pluralistische Sicht der Konservativen Partei. 103 Danach können deren Führer zwar wegen der Verbindung der Ämter des Partei- und Regierungschefs und der ausgesprochen hierarchischen inneren Strukturen relativ großen Einfluß auf die Entwicklung der Programmatik der Partei ausüben. Jedoch verfügten sie dennoch auch in den sechziger Jahren keinesfalls über unbeschränkte Möglichkeiten, die Politik ihrer Regierungen zu gestalten, sondern waren selbst im Bereich der Außenpolitik gezwungen, auf konkurrierende parteiinterne Strömungen Rücksicht zu nehmen. Für Macmillan war der EWG-Beitrittsantrag, so wie er in der Öffentlichkeit präsentiert wurde, der geeignetste Weg, seine Partei zusammenzuhalten. Der großen Mehrheit der Befürworter einer Annäherung an Europa blieb trotz der ausgesprochen ungünstigen internationalen Interessenkonstellation die vage Hoffnung auf einen erfolgreichen Verhandlungsabschluß. Dagegen konnten die Skeptiker darauf verweisen, daß 1961 formal lediglich die Entscheidung zur Einleitung von Verhandlungen mit der EWG getroffen wurde. Mit Hilfe dieses Schachzugs, den Regierungsantrag ohne verbindliche Festlegung auf das Ziel des Beitritts ins Unterhaus einzubringen, gewann der durch die neuerliche Wirtschaftskrise zusätzlich innenpolitisch unter Druck stehende Macmillan zunächst einmal Zeit. Dieses kurzfristige taktische Ziel zu verwirklichen, war ihm besonders angesichts der ohnehin ausgesprochen geringen Aussichten auf einen erfolgreichen Verhandlungsabschluß dermaßen wichtig, daß er die Warnungen des Außenministeriums ignorierte, die unverbindliche und außerdem einseitig auf den erwarteten ökonomischen Nutzen abgestellte Rechtfertigung des Beitrittsgesuchs im Parlament werde dem Ansehen der Regierung bei den Verhandlungspartnern in Europa erheblichen Schaden zufügen. 104 Der Premierminister strebte aus übergeordneten außenpolitischen Gründen den EWGBeitritt an. Hätte sich während der Brüsseler Verhandlungen doch noch eine Gelegenheit ergeben, dieses längerfristige außenpolitische Ziel schon zu verwirklichen, so hätte Macmillan wohl alles daran gesetzt, den EWG-Beitritt in seiner Partei und im Parlament durchzusetzen, zumal er sich davon wieder andere Vorteile in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit den Oppositionsparteien versprach. Aus einer ausschließlich parteiinternen Sicht war jedoch das Scheitern der Verhandlungen geradezu ein Glücksfall für Macmillan.' 05 Mit dem Antrag von 1961 hatte er die EWG-Mitgliedschaft als langfristiges Ziel etabliert und außerdem die Beitrittsbefürworter zufriedengestellt, während die parteiinternen Gegner durch de Gaulles Veto im Januar 1963 von der Gewissensfrage entlastet wurden, ob sie gegen den Beitritt stim103 Vergl. Robert Behrens: The Conservative Party from Heath to Thatcher. Policies and politics 1974-1979, Farnborough 1980. Für die bisher besonders im Hinblick auf die Europapolitik der Nachkriegszeit vorherrschende monolithische Interpretation siehe beispielsweise Samuel Beer: Modern British Politics: a study of parties and pressure groups, 2. Auflage, London 1969; Robert McKenzie: British Political Parties, 2. Auflage, London 1964. 104 Vergl. für den alternativen Redeentwurf des Außenministeriums, in dem überraschend offen die wichtigsten eigentlichen Gründe für den Beitrittsantrag diskutiert wurden, Barclay an Heath: FO 371/158277/225 (18. Juli 1961); ähnlich bereits Shuckburghs Denkschrift: FO 371/158270/131 (24. Mai 1961). 105 Ähnlich in seiner Studie des innerhalb der Konservativen Partei in programmatischer Hinsicht einflußreichen Conservative Research Department (CRD) John Ramsden: The Making of Conservative Party Policy. The Conservative Research Department Since 1929, London 1980, S.213.

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men oder sich gegenüber der eigenen Regierung loyal verhalten sollten. Weil Macmillan von Anfang an mit dem Scheitern der Verhandlungen rechnen mußte, erscheint es insofern gerechtfertigt, die Entscheidung, das Beitrittsgesuch trotz der ausgesprochen schlechten Aussichten einzureichen, auch als parteiinterne Beschwichtigungsstrategie zu bewerten. In der für ihn typischen Weise dachte und handelte Macmillan allerdings auch parteipolitisch mehrgleisig. Von der neuen Europapolitik erhoffte er sich einen wichtigen Beitrag zur programmatischen Erneuerung der Konservativen Partei, die nach zehn Jahren in der Regierung politisch verbraucht wirkte. Selbst die erbitterten Grabenkämpfe um Verstaatlichung und einseitige nukleare Abrüstung, die 1960/61 zwischen den verschiedenen Flügeln der oppositionellen Arbeiterpartei ausgetragen wurden, konnten darüber nicht hinwegtäuschen. Macmillan wollte der Konservativen Partei ein modernes Image verschaffen, mit dem sie besonders für Jungwähler und die in bezug auf ihre wirtschaftliche und soziale Stellung aufstiegsorientierten Mittelschichten wieder an Attraktivität gewinnen sollte. In Abgrenzung von dem so dargestellten insularen Sozialismus der Arbeiterpartei, die auf ihre alte Klassenkampfideologie fixiert zu sein schien, sollte die eigene Partei unter Beibehaltung ihrer konservativen Identität in der Innen- und Rechtspolitik als dynamische und zukunftsorientierte Fortschrittspartei erscheinen. Macmillan reklamierte für die Konservativen die Kompetenz für die notwendige wirtschaftliche Modernisierung im Innern und die Erneuerung einer führenden Rolle in der internationalen Politik. Zu beiden Zielen sollte der EWG-Beitritt einen wichtigen Beitrag leisten. Die von Macmillan zur Schau gestellte neue Offenheit gegenüber dem Europa der Sechs bildete von Anfang an eine widersprüchliche Liaison mit dem englischen Jingoismus, der bis heute den rechten Flügel der Konservativen prägt. Nur wegen der großen inneren Zerstrittenheit der Arbeiterpartei in dieser Frage gelang es dem Premierminister Anfang der sechziger Jahre, die Konservativen als die Europapartei Großbritanniens zu etablieren. Hier lag auch die dritte innenpolitische Funktion des EWG-Beitrittsantrags: Mit ihm sollte nicht nur kurzfristig die Regierungspartei zusammengehalten und ihr langfristig ein modernes Image verliehen, sondern auch die bereits bestehende Spaltung der Arbeiterpartei in der Europapolitik noch weiter vertieft werden, um so den Konservativen einen propagandistischen Vorteil für die spätestens für 1964 anzuberaumenden Unterhauswahlen zu sichern.106 Die Sozialisten hatten bis Anfang der sechziger Jahre eine pragmatische, an der Haltung des TUC orientierte Politik verfolgt und sich deshalb auch dem von der Regierung seit der Veröffentlichung des FHZ-Plans gezielt gesuchten parteipolitischen Konsens angeschlossen, solange die Beziehungen zu Europa als Frage der Handelspolitik behandelt worden waren. Wie eng die Abstimmung mit der Regierung vorübergehend gewesen war, verdeutlicht Wilsons Anfrage noch Anfang Mai 1961 bei Schatzkanzler Lloyd, wie er bei dem anstehenden Treffen der europäischen Sozialistenchefs am besten die Europapolitik der Regierung darstellen und rechtfertigen solle.107 Innerhalb der Partei blieb die europäische Integration

106 Ähnlich wie Macmillan dachte etwa auch der junge Kolonialminister (1959-1961) und spätere Führer des Unterhauses und Parteivorsitzende (1961-1963), Iain Macleod. Vergl. Ashford, S.139. Zur Frage eines parteipolitischen Vorteils als Ergebnis des Beitrittsantrags vergl. auch die Diskussion im Parliamentary Foreign Affairs Committee: Conservative Party Archives, CRD 2/34/4 (22. März 1961). 107 FO 371/158269/102(1. Mai 1961).

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zunächst ein Randthema.108 Sobald die Konservativen allerdings die Europapolitik durch den Beitrittsantrag in die parteipolitische Auseinandersetzung hineinzogen, wurde der erbitterte Kampf um das sozialistische Selbstverständnis, wie von den Konservativen erhofft, sofort auf die Frage der EWG-Mitgliedschaft übertragen. Hier setzte sich die Auseinandersetzung zwischen linken Fundamentalisten auf der einen und reformorientierten Revisionisten auf der anderen Seite fort. 109 Sie wurde noch überlagert durch taktische Manöver des Parteichefs Gaitskell, der mit Konzessionen in der Europapolitik in anderen Bereichen zu programmatischen Waffenstillstandsvereinbarungen mit der Parteilinken zu kommen und so die Gesamtpartei zusammenzuhalten hoffte. Für die weitverbreitete Opposition gegen die EWG-Mitgliedschaft innerhalb der Arbeiterpartei gab es unterschiedliche Gründe: Die Parteilinke setzte weiterhin auf die politische Führungsrolle Großbritanniens im Commonwealth, die ein geeignetes Instrument zur Überwindung des Nord-Süd-Konflikts durch den Export der sozialistischen Ideologie in die Dritte Welt zu sein schien. Dieser von dem parteiinternen Kritiker Roy Jenkins provokativ so genannte „neue Imperialismus" der Linken" 0 bildete das sozialistische Gegenstück zu dem englischen Sentimentalnationalismus der politischen Rechten. Mit einer solchen Sonderrolle Großbritanniens in der Weltpolitik, das eine Brücke zwischen Industrie- und Entwicklungsländern schlagen sollte, erschien jedoch die Mitgliedschaft in einer regionalen westeuropäischen und auch noch christdemokratisch-konservativ dominierten Staatenorganisation unvereinbar. Hinzu kam bei der Parteilinken noch, daß die Existenz der EWG als Hindernis auf dem Weg zu der erhofften politischen und ideologischen Annäherung der beiden Supermächte galt. 1 " Dagegen stand bei zahlreichen Vertretern der Parteimitte die Vorstellung im Vordergrund, daß die Führungsrolle im Commonwealth noch immer die einzige Garantie für den vermeintlichen Weltmachtstatus bildete. Die EWG-Mitgliedschaft stellte danach, anders als in dem geänderten Kalkül des Außenministeriums, keinen angemessenen Ersatz dar. Außerdem war in der gesamten Partei nach wie vor der Glaube an die Fähigkeit des britischen Nationalstaats verbreitet, allein die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen und sozialen Wandel bewirken zu können." 2 Bei der Arbeiterpartei gingen politischer Internationalismus und wirtschaftspolitischer Nationalismus eine widersprüchliche Verbindung ein, die für die Idee einer neuen europäischen Interdependenz wenig Raum ließ. In den zuständigen Parteiausschüssen war die Beitrittsfrage bereits seit November 1960 kontrovers diskutiert worden." 3 Obwohl es auch in der Arbeiterpartei einen Flügel entschiedener Beitrittsbefürworter gab, zeichnete sich früh ab, daß es keine Mehrheit für den EWGBeitritt geben würde. Anfang August 1961 hielt sich Gaitskell in der Unterhausdebatte über den Beitrittsantrag noch alle Optionen offen, ging allerdings bereits auf kritische Distanz zur neuen Regierungspolitik." 4 Auf dem Parteitag im Herbst wurde dann eine Resolution verabschiedet, in der sich die Delegierten gegen den Beitritt aussprachen, außer wenn bestimmte 108 Clemens A. Wurm: Sozialisten und europäische Integration: Die britische Labour Party 1945-1984, in: GWU 38/5 (1987), S.280-295 (283). 109 Ebd., S.284. 110 Hansard 645/1590 (2. August 1961). 111 Lieber, S.167f. 112 Wurm, Sozialisten, S.292. 113 Michael Newman: Socialism and European Unity. The Dilemma of the Left in Britain and France, London 1983, S. 163ff. 114 Hansard 645/1494ff. (2. August 1961).

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strenge Bedingungen ausgehandelt werden konnten, vor allem im Hinblick auf die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Commonwealth und die Erhaltung der nationalen Handlungsfreiheit in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dieses komplizierte „Nein, außer" zum EWG-Beitritt war Gaitskells Pendant zu Macmillans „Ja, wenn" und galt als der einzige Weg, nach außen wenigstens halbwegs die Einheit der Partei zu wahren. Als sich dann im weiteren Verlauf des Jahres 1962 die möglichen Beitrittsbedingungen deutlicher abzuzeichnen begannen, ging Gaitskell zu einer Politik der immer offeneren Ablehnung über. Auf dem Jahresparteitag beschwor der Sozialistenchef schließlich sogar „tausend Jahre englischer Geschichte", die nun angeblich eine Verbindung mit den Kontinentaleuropäern unmöglich machen sollten.115 Gaitskells Rede, die mindestens in demselben Maße zur Beschwichtigung der Parteilinken nach innen gerichtet war wie an die britische Öffentlichkeit nach außen, ließ sich leicht als rückwärtsgewandt und charakteristisch für eine innovationsunfähige Partei darstellen. Die Politik der Sozialisten hatte sich genauso entwickelt wie von Macmillan vorhergesehen. In Abgrenzung zur Arbeiterpartei vertrat der Premierminister den geplanten Beitritt nun auf dem Parteitag der Konservativen im Oktober 1962 erstmals offensiver als eine richtungsweisende außen- und wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung. Nach Gaitskells polemischen Angriffen stellte sich jetzt auch bei den Konservativen der erhoffte Solidarisierungseffekt ein: In einer nicht von der Parteiführung inszenierten freien Aussprache und in der anschließenden Abstimmung sprach sich eine überwältigende Mehrheit der Delegierten für den Beitritt aus, obwohl die sich inzwischen abzeichnenden Bedingungen wesentlich schlechter waren als ein Jahr zuvor erhofft und die Regierungschefs der Commonwealth-Staaten gerade eine betont kritische Stellungnahme zu den Brüsseler Verhandlungen abgegeben hatten. Für einen parteipolitischen Kreuzzug hätte Macmillan den EWG-Beitritt nur für den Fall eines erfolgreichen Verhandlungsabschlusses in Brüssel nutzen können. Als innenpolitisch gewinnbringend erwies sich der Beitrittsantrag jedoch bereits insofern, als er 1962 wesentlich dazu beitrug, die Partei in einer schweren Krise mit mehreren Nachwahlschlappen und der Kabinettsumbildung der berüchtigten „Nacht der langen Messer", bei der zahlreiche Minister ausgewechselt wurden, zu einigen und die Arbeiterpartei in dieser wichtigen Zukunftsfrage weiter zu spalten. Verglichen mit dem parteipolitisch harmloseren späteren Premierminister Heath hat Jenkins Macmillan in seinen Erinnerungen einen „teuflischen und machiavellistischen Charakter" in der innenpolitischen Auseinandersetzung bescheinigt.116 Dessen Absicht, die innere Krise der Arbeiterpartei mit Hilfe des Beitrittsantrags noch zu verschärfen, scheint dieses Urteil im Kern zu bestätigen. Macmillan schaffte es 1961 tatsächlich, einen zusätzlichen Konflikt in der Arbeiterpartei auszulösen, der zu einer programmatischen Dauerkrise wurde." 7 Wegen der provozierten parteipolitischen Polarisierung in der Beitrittsfrage mangelte es in Großbritannien von Anfang an an Konsens und Kontinuität in der Europapolitik, was wesentlich zum Image der Londoner Regierungen als besonders schwierige Partner in der heutigen Europäischen Union beigetragen hat. Obwohl der strukturelle Grund dafür in dem durch das einfache Mehrheitswahlrecht am Leben gehaltenen und einseitig auf Konfrontation 115 Vergl. hierzu die kritische Innenansicht von Roy Jenkins: A Life at the Centre, London 1992, S.146f. 116 Jenkins, S.324. 117 Zum parteipolitischen Kalkül konservativer Europapolitik vergl. Wolfram Kaiser: Using Europe and Abusing the Europeans: The Conservatives and the European Community 1957-94, in: Contemporary Record 8/2 (1994), S.381-399 (390-391).

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ausgerichteten Zweiparteiensystem Großbritanniens liegt," 8 handelt es sich dabei auch um Macmillans Erblast. Ergänzend kam schließlich hinzu, daß Macmillan mit dem Beitrittsantrag auch den Liberalen den Wind aus den Segeln nehmen wollte, die Mitte der fünfziger Jahre noch vor der Auflösung gestanden hatten, dann jedoch 1958 einen ersten Nachwahlerfolg erzielten und besonders seit 1961 in den Meinungsumfragen wieder wesentlich besser abschnitten." 9 Sie hatten sich bereits in den fünfziger Jahren als „Wortführer der europäischen Sache" profiliert. 120 Da ihr erneuter Aufschwung hauptsächlich zu Lasten der Konservativen zu gehen drohte, mußte Macmillan sie Anfang der sechziger Jahre auch programmatisch wieder ernster nehmen. Auf keinen Fall sollte ihnen erlaubt werden, solche Politikfelder zu besetzen, die ihm für die Entwicklung eines modernen parteipolitischen Image für seine eigene Partei wichtig erschienen. Gerade das attraktive Feld der Europapolitik wollte Macmillan nicht kampflos den Liberalen überlassen, die bereits 1960 den EWG-Beitritt gefordert hatten. Dies war noch ein zusätzlicher Anreiz, den Beitrittsantrag möglichst bald einzureichen. Ein Jahr später nutzte Macmillans eigene Initiative den Konservativen während der anhaltenden Regierungskrise zumindest insofern, als den Liberalen ein Thema weniger zum Angriff auf die Regierungspartei zur Verfügung stand.121 Diese und die anderen diskutierten parteipolitischen Ersatzfunktionen von Macmillans Europapolitik verdeutlichen, daß das langfristige Ziel des EWG-Beitritts zwar außenpolitisch, die Entscheidung, den Beitrittsantrag 1961 trotz der extrem geringen Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen einzureichen, dagegen in hohem Maße innenpolitisch motiviert war. Nach außen sollte der EWG-Beitritt Großbritanniens diplomatische Wunderwaffe zur Sicherung der vermeintlichen Weltmachtrolle sein, während der Beitrittsantrag im Innern Macmillans politische Probleme lösen sollte. Selbst ein gescheiterter Beitrittsantrag erschien aus dieser Perspektive noch innenpolitisch vorteilhaft. Die Entscheidung von 1961 sollte einfach auf alle Fragen geeignete Antworten geben. Wie vielfältig die Hoffnungen waren, die die Konservativen in ihre neue Europapolitik setzten, erinnerte sich ein leitender Parteifunktionär nach der Unterhauswahl 1964 in einem vertraulichen Hintergrundgespräch: „Europe was to be our deus ex machina; it was to create a new contemporary argument with insular Socialism, dish the Liberais by stealing their clothes, give us something new after 12-13 years; act as a catalyst of modernisation; give us a new place in the international sun. It was Macmillan's ace, and de Gaulle trumped it." 122 118 Vergl. zu diesem Problem grundlegend Andrew Gamble und S.A. Walkland: The British Party System and Economic Policy 1945-1983. Studies in Adversary Politics, Oxford 1984. 119 John Stevenson: Third Party Politics since 1945. Liberais, Alliance and Liberal Democrats, Oxford 1993, S.44ff. 120 Rolf Breitenstein: Großbritanniens Weg nach Europa, in: Europa-Archiv 21/24 (1966), S.875-884 (875). 121 Siehe hierzu auch The Economist (2. Juni 1962). 122 Zitiert bei David Butler und Anthony King: The British General Election of 1964, London 1965, S.79.

KAPITEL 6

Mißglückter Spagat: Außenpolitik

Während die innenpolitischen Rahmenbedingungen in erster Linie wichtig für die Frage nach der Akzeptanzfähigkeit der Regierungspolitik sind, bestimmten die äußeren Einflüsse die Bedingungen für die diplomatische Durchsetzbarkeit der britischen Ziele in Europa zwischen der Konferenz von Messina 1955 und dem ersten EWG-Beitrittsantrag 1961. Wie die Analyse des Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses innerhalb von Regierungsverwaltung und Kabinett verdeutlicht hat, gelang es der Regierung weder im Zusammenhang mit dem FHZ-Projekt noch beim EWG-Beitrittsantrag, eine für ihre Initiativen günstige europäische und internationale Interessenkonstellation zu schaffen. Eine systematische Analyse der außenpolitischen Beziehungen Großbritanniens kann Aufschluß darüber geben, warum das so war und ob für den Fall einer anderen Prioritätensetzung und diplomatischen Vorgehensweise eine erfolgreichere Verwirklichung der europapolitischen Ziele denkbar gewesen wäre. Wie hier bereits deutlich geworden ist, waren innerhalb der Regierung neben dem Außenministerium andere Ministerien maßgeblich am Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß in wichtigen europapolitischen Grundsatzfragen beteiligt, und zwar besonders die Wirtschaftsministerien und zuletzt in zunehmendem Maße das Landwirtschaftsministerium. Der Premierminister vermochte zwar vor allem aufgrund seiner hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung und seiner starken politischen Position als Führer einer Einparteienregierung mit einer klaren Mehrheit im Parlament einen bestimmenden Einfluß auf den Prozeß der Meinungsbildung auszuüben, jedoch traf das Kabinett die abschließenden Entscheidungen. Anders verhielt es sich dagegen mit der diplomatischen Durchsetzung der europapolitischen Ziele. Dafür war das Außenministerium sowie im Hinblick auf die Konsultationen mit den Regierungen der Commonwealth-Staaten das Ministerium für Commonwealth-Beziehungen verantwortlich. In dieser Hinsicht verfügte außerdem der Premierminister über einen sehr weiten Handlungsspielraum, den Macmillan intensiv nutzte. Wie sein Versuch, zu einer nuklearpolitischen Übereinkunft mit Kennedy und de Gaulle zu gelangen, anschaulich verdeutlicht, betrachtete er die Beitrittsdiplomatie als persönliche Domäne. Das galt in besonderem Maße für die bilateralen Beziehungen zu den wichtigsten Partnern, in denen Macmillan eine vom sonstigen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß innerhalb der Regierung weitgehend abgekoppelte Nebenaußenpolitik betrieb. Die britische Europapolitik blieb im Untersuchungszeitraum an Churchills Konzept der drei Kreise orientiert. Die propagierte Mittlerstellung Großbritanniens zwischen diesen Kreisen, nämlich dem Commonwealth, der transatlantischen Partnerschaft mit den USA

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sowie Westeuropa, sollte durch den Beitrittsantrag als pragmatische Anpassung der außenpolitischen Mittel an die neuen internationalen Rahmenbedingungen stabilisiert werden. Daher erscheint es zweckmäßig, diese Dreiteilung als analytisches Modell für die Untersuchung der britischen Außenbeziehungen bis 1961 zu übernehmen. Dabei sollen hier zunächst die Beziehungen innerhalb des Commonwealth sowie zu den Vereinigten Staaten analysiert werden. Besondere Bedeutung im Hinblick auf das Problem der Durchsetzbarkeit der britischen Ziele kam allerdings dem dritten, dem europäischen Kreis zu. Zwar werden in diesem Zusammenhang auch die Positionen der EWG-Kommission seit 1958 sowie der EFTA-Staaten angesprochen, jedoch soll der Schwerpunkt auf den bilateralen Beziehungen Großbritanniens zu Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland liegen, deren sich allmählich entwickelnde innereuropäische Allianz Macmillan zu Recht europapolitisch für entscheidend hielt.1

1. Wirtschaftliche und politische Desintegration: Commonwealth Nachdem das Commonwealth/Empire noch bis Mitte der fünfziger Jahre als wichtigste Grundlage für den britischen Weltmachtanspruch gegolten hatte, verlor es bis 1961 im außenpolitischen Kalkül der Londoner Regierung rasch an Bedeutung. Der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß wurde nun von einer betont pragmatischen Einschätzung von dessen langfristiger wirtschaftlicher und außenpolitischer Nützlichkeit bestimmt. Der Bedeutungsverlust des Commonwealth spiegelte sich nun auch in einer weniger engen Konsultation vor grundlegenden europapolitischen Entscheidungen wider, wie der Vergleich zwischen dem FHZ-Projekt und dem Beitrittsantrag verdeutlicht. So wurden die Commonwealth-Staaten 1956 noch während der Beratungen im Kabinett vom damaligen Schatzkanzler Macmillan am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington zu „Plan G" befragt. 2 Die relativ positive Resonanz dort zusammen mit den späteren Lageberichten der britischen Hohen Kommissare aus den Commonwealth-Staaten trugen wesentlich zu der abschließenden Entscheidung für die geplante Initiative bei. Fünf Jahre später informierten einige britische Minister die Regierungen der Commonwealth-Staaten und die Verwaltungen der verbliebenen Kolonien zwar vor Ankündigung der neuen Politik im Unterhaus persönlich über den zu erwartenden Richtungswechsel, jedoch war zu diesem Zeitpunkt de facto die Entscheidung für den Beitrittsantrag auf einer Sondersitzung führender Kabinettsmitglieder bereits gefallen.3 Diese Commonwealth-Tour erfüllte also, anders als die Konsultationen über das FHZ-Projekt, hauptsächlich die Funktion, die innerparteiliche und innenpolitische Akzeptanzfähigkeit des Beitrittsantrags zu erhöhen. Anfang der sechziger Jahre hatte das Commonwealth nicht nur für Großbritannien, sondern auch für die anderen Mitgliedstaaten im Vergleich mit der Zwischenkriegszeit und dem ersten Nachkriegsjahrzehnt erheblich an Bedeutung verloren. Die ökonomische und politische Abhängigkeit vom ehemaligen Mutterland war weiter zurückgegangen. So wie das Commonwealth für Großbritannien hatte sich erst recht Großbritannien für das Commonwealth als stagnierender Markt erwiesen. Zwischen 1938 und 1956 war der Anteil Groß1 Macmillan an Lloyd: PREM 11/2679 (22. Oktober 1959). 2 CAB 128/30,11/68. Sitzung (3. Oktober 1956). 3 CAB 134/1821/21 (18. Juni 1961).

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Mißglückter Spagat: Außenpolitik

britanniens an den Exporten der Commonwealth-Staaten bereits von 39 auf 27 Prozent zurückgegangen und nahm bis Anfang der sechziger Jahre weiter ab. Allerdings variierte die verbliebene Bedeutung des britischen Marktes stark. So gingen 1956 noch immer 64 Prozent der neuseeländischen Exporte nach Großbritannien, dagegen nur noch 31 Prozent der australischen und 17 Prozent der kanadischen. 4 Der schleichende Prozeß der Desintegration der ökonomischen Verflechtungen des Commonwealth war zumindest teilweise das Ergebnis des allgemeineren und in Europa bei der Gründung von EWG und EFTA zu beobachtenden Phänomens einer wirtschaftlichen Regionalisierung, die sich in der Nachkriegszeit weltweit vollzog. Während sich Großbritanniens Handelsinteressen allmählich nach Europa verlagerten, orientierte sich Australien zunehmend am pazifischen und Kanada noch stärker am nordamerikanischen Wirtschaftsraum. Verglichen damit war der britische Markt langfristig relativ unattraktiv. In Anbetracht der Politik der britischen Regierung, die eigene Agrarindustrie weiter auf- und auszubauen, gab es einerseits kein Potential für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Exporte, die vor allem für Australien und Neuseeland noch immer von großer Bedeutung waren. Andererseits erschien bei den wachsenden Exporten von Industriegütern eine einseitige Konzentration auf den viel zu kleinen und wachstumsschwachen britischen Markt ebenfalls nicht ratsam. Von daher lag Anfang der sechziger Jahre die größere wirtschaftliche Bedeutung Großbritanniens für die meisten Commonwealth-Staaten bereits in den Auslandsinvestitionen und im Kapitalexport anstatt im Handel. 5 Nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die außen- und sicherheitspolitische Bedeutung Großbritanniens für das Commonwealth hatte in der Nachkriegszeit stark abgenommen. Der Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatte auf drastische Weise verdeutlicht, wie unzureichend das militärische Potential Großbritanniens vor allem für die Verteidigung seiner wirtschaftlichen und politischen Interessen im südostasiatischen und pazifischen Raum war. Angesichts der neuen Bedrohung durch die Sowjetunion zogen Australien und Neuseeland daher nach Kriegsende die neue pazifische Schutzmacht USA vor, mit der sie 1951 unter ostentativem Ausschluß Großbritanniens den ANZUS-Pakt abschlössen. Schon lange vor dem endgültigen militärischen Rückzug östlich von Suez Ende der sechziger Jahre spielte Großbritannien in dieser Region nur noch eine eher untergeordnete militärische und sicherheitspolitische Rolle. Wegen der allmählichen Verlagerung ihrer eigenen geopolitischen Interessen erschien den meisten Commonwealth-Staaten eine stärkere wirtschaftliche und politische Orientierung Großbritanniens auf Europa bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um die geplante Freihandelszone 1956 wesentlich weniger problematisch als anfangs von der Londoner Regierung erwartet. Durch den kategorischen Ausschluß der Landwirtschaft schien gewährleistet, daß die elementaren wirtschaftlichen Interessen der meisten Commonwealth-Staaten gewahrt blieben. Von dem erhöhten Wettbewerb durch kontinentaleuropäische Unternehmen bei Industrieprodukten wäre nur Kanada in größerem Maße betroffen gewesen. Um ihre Interessen in diesem Bereich zu wahren, schlug die Regierung in Ottawa deshalb 1957 die

4 Schneider, Großbritanniens Weg, S.222. Allerdings fiel der Anteil Großbritanniens an den neuseeländischen Exporten bis 1961 bereits auf 50 Prozent. Vergl. Financial Times (29. Juni 1961). 5 Vergl. Brinley Thomas: Intra-Commonwealth Flows of Capital and Skills, in: W.B. Hamilton, Kenneth Robinson und C.D.W. Goodwin (Hrsg.): A Decade of the Commonwealth 1955-1964, Durham 1966, S.407^128.

Wirtschaftliche und politische Desintegration: Commonwealth

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Maßnahmen zur Intensivierung des bilateralen kanadisch-britischen Handels vor. 6 Während der FHZ-Verhandlungen wurde allerdings frühzeitig deutlich, daß das britische Konzept auf keinen Fall in seiner ursprünglichen Form umgesetzt werden konnte und die Briten zu Zugeständnissen an die EWG- und andere OEEC-Staaten gezwungen sein würden, die das Commonwealth nicht unberührt ließen. Das betraf in besonderem Maße den Agrarsektor. Mit ihrem Vorschlag für ein europäisches Landwirtschaftsstatut wollte die britische Regierung zunächst noch den Status quo festschreiben. Im weiteren Verlauf des Jahres 1958 stellte sich jedoch heraus, daß wie bei der EFTA-Gründung ein Jahr später bilaterale Konzessionen an europäische Agrarexporteure auf Kosten der Bauern in Großbritannien und im Commonwealth notwendig waren, wenn ein Scheitern der Verhandlungen aus wirtschaftlichen Gründen noch vermieden werden sollte. Dennoch sahen einige Commonwealth-Staaten in den FHZ-Verhandlungen nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen. Sie hofften, durch das Angebot einer weiteren Kürzung der britischen Präferenzen im Commonwealth auf Kosten des früheren Mutterlandes mit der EWG einen besseren gegenseitigen Marktzugang aushandeln zu können. Die französische Forderung, die Commonwealth-Präferenzen in die Verhandlungen einzubeziehen, schien dafür 1958 zwischenzeitlich einen geeigneten Ansatzpunkt zu bieten. 7 Die Regierungen der Commonwealth-Staaten unterschätzten zweifellos, in welchem Maße sich die EWG-Staaten zu diesem Zeitpunkt schon auf den gemeinsamen europäischen Agrarprotektionismus als unverzichtbaren Bestandteil des wirtschaftlichen Gesamtpakets des EWG-Vertrags festgelegt hatten, der keinen Freiraum für eine Steigerung der Importe ließ. Sie überschätzten insofern das Potential für eine separate handelspolitische Übereinkunft mit den EWG-Staaten. Der französische Vorstoß war auch in erster Linie taktisch gemeint und darauf abgestellt, die FHZ-Verhandlungen zu verzögern. Außerdem war die britische Regierung entschlossen, die Commonwealth-Staaten in Brüssel nicht auf ihre Kosten mitverhandeln zu lassen. Dennoch kamen gerade die Regierungen Australiens und Neuseelands im Zusammenhang mit der Diskussion über einen gesamteuropäischen Wirtschaftsraum aus EWG und EFTA erneut darauf zurück, weil sie einen schrittweisen Ausverkauf ihrer Interessen durch bilaterale Konzessionen Großbritanniens an seine westeuropäischen Partner verhindern wollten. Auf einer Konferenz führender Wirtschaftsbeamter der CommonwealthStaaten im April 1960 schlug der Vertreter Australiens vor, in möglichen Verhandlungen in Europa den Landwirtschaftssektor in Verbindung mit dem Angebot eines weiteren Abbaus der Commonwealth-Präferenzen einzubeziehen. 8 Im Februar 1961 berichtete dann der britische Hohe Kommissar in Wellington, die dortige Regierung stehe der Möglichkeit eines EWG-Beitrittsantrags Großbritanniens aufgeschlossen gegenüber. Sie setze darauf, in den sich anschließenden Verhandlungen im Gegenzug zu einer Reduzierung der britischen Präferenzen eine spürbare Öffnung des europäischen Marktes für neuseeländische Produkte erreichen zu können. 9 Anfang der sechziger Jahre hoffte die Regierung in Wellington noch

6 Vergl. Ursula Lehmkuhl: Fuss about the „holy grail": Diefenbaker's Handelsinitiative vom Juni 1957 und die britisch-kanadischen Handelsbeziehungen, 1955-1965, in: Gustav Schmidt und Jack L. Granatstein (Hrsg.): Canada at the Crossroads? The Critical 1960s, Bochum 1994, S.177-214. 7 Vergl. hierzu bereits die Diskussion im Economic Steering Committee: CAB 134/1835/6. Sitzung (23. September 1957). 8 CAB 134/1823/26 (7. Mai 1960). 9 FO 371/158311/37 (24. Februar 1961).

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auf eine weltweite Liberalisierung des Agrarhandels, die mit einer solchen Vereinbarung mit der EWG befördert werden sollte.10 Daran lag jedoch der britischen Regierung gerade nicht mehr. Zu dieser Zeit begann das Landwirtschaftsministerium, die möglichen Vorteile des Anschlusses an eine europäische Agrarmarktordnung für die heimischen Bauern zu betonen. Macmillan war sich darüber im klaren, daß der EWG-Beitritt Großbritanniens ökonomisch nur auf Kosten des Commonwealth erfolgen konnte. Beschwichtigt werden sollten die Commonwealth-Staaten mit der Zusicherung, daß bei den Verhandlungen über die Integration Großbritanniens in die EWG-Agrarpolitik langfristige Übergangsregelungen für die wichtigsten Produkte angestrebt wurden. Darüber hinausgehende Versprechungen erschienen dagegen ausgeschlossen, besonders im Hinblick auf die mögliche Vereinbarung von Dauerregelungen für landwirtschaftliche Importe aus dem Commonwealth, was in London für unrealistisch gehalten wurde." Als die britische Regierung 1961 auf den Beitrittsantrag zusteuerte, kamen die Minister daher auch zu dem Ergebnis, daß die europapolitische Wende gegenüber den CommonwealthStaaten nur in ihrem breiteren politischen Kontext verteidigt werden konnte.12 Bei den geplanten Reisen in die Commonwealth-Staaten sollten die Minister betonen, daß sich die Regierung von der Übernahme einer neuen politischen Führungsrolle in Europa eine Stärkung der westlichen Welt im Konflikt mit dem sowjetischen Block erhoffe, was letztlich auch in ihrem Interesse liege. In bezug sowohl auf die diplomatische Vorbereitung des EWG-Beitrittsantrags als auch die folgenden Verhandlungen zählten für die konservative Regierungspartei außen- wie innenund parteipolitisch nur die Regierungen der drei „weißen" Commonwealth-Staaten Kanada, Australien und Neuseeland. Diese frühzeitig im Hinblick auf eine mögliche europapolitische Reorientierung Großbritanniens vorzuwarnen, entschloß sich Macmillan nach seiner Unterredung mit Kennedy Anfang April 1961. Direkt im Anschluß informierte er persönlich den kanadischen Premierminister John Diefenbaker, der der Beitrittsoption mißtrauisch bis feindselig gegenüberstand und dahinter ein Komplott der Amerikaner vermutete. 13 Mitte April schickte Macmillan dann den australischen und neuseeländischen Premierministern Robert Menzies und Keith Holyoake ausführliche Briefe, in denen er die Gefahr betonte, daß Großbritanniens wirtschaftliche und politische Bedeutung außerhalb der EWG weiter abzunehmen drohte und dadurch die Fähigkeit seiner Regierungen, sich weltweit für die Interessen des Commonwealth einzusetzen.14 So blieb diesen drei Regierungen bis zum Besuch des Commonwealth-Ministers Duncan Sandys im Juli 1961 ausreichend Zeit, ihre jeweilige Position zur Frage des EWG-Beitritts Großbritanniens zu präzisieren. Nach seiner Rückkehr berichtete Sandys dann, daß selbst die neuseeländische Regierung stärker die langfristigen politischen Gefahren für das Commonwealth als Folge einer fortschreitenden Integration in Europa betont habe als die wirtschaftli-

10 Siehe hierzu auch die Sitzung der Wirtschafts- und Finanzminister der Commonwealth-Staaten im Oktober 1960: CAB 134/1826/105 (5. Oktober 1960). 11 Vergl. den Vortrag des Commonwealth-Ministers Duncan Sandys im European Economic Association Committee: CAB 134/1821/21 (20. Juni 1961). 12 Sitzung des European Economic Association Committee: CAB 134/1821/3. Sitzung (9. Mai 1961). 13 FO 371/158316/125 (21. Mai 1961); PREM 11/3556 (12. Juni 1961). 14 Macmillan an Menzies und Holyoake: FO 371/158163/61 (15. April 1961).

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chen Folgen.15 Die drei Regierungen befürchteten eine deutliche Schwächung des inneren Zusammenhalts des Commonwealth durch die neue Akzentuierung seiner europäischen Interessen durch Großbritannien,16 hätten jedoch Verständnis für das Argument gezeigt, daß Großbritannien außerhalb eines integrierten Westeuropa ein weiterer Verlust an internationalem Einfluß drohe.17 Von einem möglichen EWG-Beitritt Großbritanniens wären Kanada, Australien und Neuseeland unterschiedlich betroffen gewesen. Die Regierung Kanadas, das am wenigsten wirtschaftlich auf den britischen Markt ausgerichtet war, setzte seit langem auf multilaterale Handelsliberalisierung im Rahmen des GATT. Gegen EWG und EFTA als regionale Wirtschaftsblöcke hatten in Ottawa schon in den fünfziger Jahren grundsätzliche Vorbehalte bestanden. Der EWG-Beitritt Großbritanniens drohte nun die europäische Regionalisierung noch zu verfestigen. Hinzu kam, daß Kanada stark von der geographischen Nähe zu seinem übermächtigen Nachbarn geprägt war. Premierminister Diefenbaker war in besonderem Maße auf die Gefahr einer zunehmenden kulturellen und ökonomischen Absorption durch die Vereinigten Staaten und eine noch größere politische Abhängigkeit von der Regierung in Washington fixiert.' 8 Hierzu hatten die Beziehungen zu Großbritannien aus der Perspektive der Kanadier traditionell ein willkommenes Gegengewicht gebildet, das durch den geplanten EWG-Beitritt weiter an Bedeutung verlöre. Für Australien spielten die handfesten wirtschaftlichen Folgen eines EWG-Beitritts Großbritanniens schon eine wesentlich größere Rolle. Die Antwort des australischen Premierministers auf Macmillans Brief fiel zwar moderat aus.' 9 Menzies erkannte darin an, daß die Australier hoffen durften, daß ein größerer und expandierender europäischer Markt zumindest langfristig erhöhte Absatzchancen böte. Er machte jedoch unmißverständlich klar, daß seine Regierung von Macmillan in den bevorstehenden Beitrittsverhandlungen die Verteidigung ihrer landwirtschaftlichen Exportinteressen im britischen Markt erwartete. Menzies rechnete zu Recht nicht damit, daß dies für die Londoner Regierung eine hohe Priorität haben würde.20 So schrieb der britische Hohe Kommissar in Canberra bereits Anfang Mai nach London, die Australier hätten es satt, von der Londoner Regierung laufend Versicherungen zu hören, sie werde ihre Interesse schon angemessen vertreten. Stattdessen erwarteten sie handfeste Informationen über die Auswirkungen des EWG-Beitritts auf „Weizen, Zucker, Butter und Bananen".21 Noch weitaus wichtiger als für Australien waren die landwirtschaftlichen Exporte nach Großbritannien für Neuseeland, dessen Wirtschaftsstruktur sehr stark agrarisch geprägt war. Butter und Lammfleisch gehörten zu den wichtigsten Exportprodukten, für die in den EWG-Beitrittsverhandlungen Sicherungen unverzichtbar erschienen.22 In seinen Schreiben an Macmillan vom April und Juni 1961 warnte Holyoake deshalb auch davor, seinem Land drohe ein „wirtschaftliches Desaster", falls den neuseeländischen Agrarprodukten zukünftig kein 15 16 17 18

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CAB 134/1821/5. Sitzung (19. Juli 1961). CAB 129/106/111 (21. Juli 1961). CAB 128/35,11/42. Sitzung (21. Juli 1961). Siehe hierzu bereits die Äußerungen der kanadischen Vertreter auf der Sitzung der Wirtschafts- und Finanzminister der Commonwealth-Staaten im Oktober 1960: CAB 134/1826/105 (5. Oktober 1960); ebenfalls CAB 134/1821/5. Sitzung (19. Juli 1961). Menzies an Macmillan: PREM 11/3556 (30. Mai 1961). Vergl. CAB 129/106/111 (21. Juli 1961). FO 371/158312/47 (10. Mai 1961). CAB 129/106/111 (21. Juli 1961).

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bevorzugter Zugang zum britischen Markt mehr gewährt werden sollte.23 In der Folgezeit setzte die neuseeländische Regierung erfolgreich darauf, durch eine Politik der grundsätzlichen politischen Unterstützung für die Beitrittspolitik die Briten darauf zu verpflichten, der Abhängigkeit Neuseelands vom britischen Markt in den Verhandlungen Rechnung zu tragen. Bei deren Abbruch durch de Gaulle Anfang 1963 waren wichtige Sicherungen für dieses Land bereits vereinbart, während die britische Regierung angesichts der harten Verhandlungsführung der Franzosen auf die Interessen der wirtschaftlich weniger anfälligen Kanadier und Australier weitaus weniger Rücksicht genommen hatte. Auf grundsätzlichen Widerstand gegen den geplanten EWG-Beitritt als solchen trafen die Minister auch nicht in den anderen Commonwealth-Staaten oder bei den Verwaltungen der Kolonialgebiete. So berichtete Thorneycroft von seiner Asienreise, Pakistan und Malaysia versprächen sich davon sogar langfristig größere Exportchancen in Europa. Sri Lanka und Singapur waren lediglich an den Regelungen für wichtige Exportprodukte wie Tee, Baumwolltextilien und Jute interessiert. Für die indische Regierung äußerte Jawaharlal Nehru Zweifel, ob sich der politische Zusammenhalt des Commonwealth wahren ließe, hatte jedoch keine grundsätzlichen Bedenken gegen das britische Vorhaben. 24 In Afrika hatte Arbeitsminister John Hare den Eindruck gewonnen, die Regierungen von Ghana, Nigeria, Sierra Leone und Rhodesien hätten sich schon auf einen EWG-Beitritt Großbritanniens eingestellt. Aus wirtschaftlichen Gründen sei besonders Rhodesien sehr daran interessiert, als Überseegebiet eingestuft zu werden, rechne allerdings nicht damit, daß sich die britische Regierung dafür einsetzen werde. 25 Nach seiner Reise in die Kolonialgebiete berichtete Kolonialminister Ian Macleod schließlich, in Anbetracht der wirtschaftlichen Konkurrenz der Überseegebiete und der mit der EWG assoziierten ehemaligen Kolonien der Kontinentaleuropäer hoffte dort jeder, daß die britische Regierung für sie die Klassifizierung als Überseegebiet erreichen könne. Nur Hongkong schien sich damit abgefunden zu haben, daß die eigene Wirtschaft inzwischen in bestimmten Sektoren wie der Textilproduktion eine so große Konkurrenz für britische Unternehmen darstellte, daß mit einer derartigen Vorzugsbehandlung nicht zu rechnen war.26 Diese Konsultationen vor der offiziellen Ankündigung des Beitrittsantrags im Unterhaus Ende Juli 1961 verdeutlichen erneut, in welchem Maße sich die Wirtschaftsinteressen der Briten immer weniger mit denjenigen der anderen Commonwealth-Staaten deckten. Die britische Regierung entdeckte Anfang der sechziger Jahre ihr Eigeninteresse an einem weiteren Ausbau der heimischen Landwirtschaft unter dem Schutz eines europäischen Agrarprotektionismus. Außerdem sah sie im EWG-Beitritt bereits ein geeignetes Mittel, durch gemeinsame vertragliche Absprachen in Europa unliebsame Konkurrenz aus dem Commonwealth zurückzudrängen, wie zum Beispiel im Textilsektor aus Hongkong oder Indien. An einem effektiven Schutz der Commonwealth-Interessen in den bevorstehenden Beitrittsverhandlungen war die britische Regierung daher aus einer rein wirtschaftlichen Sicht nur noch insoweit interessiert, wie sie die verbliebenen eigenen Präferenzen im Commonwealth teil23 24 25 26

Holyoake an Macmillan: FO 371/158312/44 (27. April 1961); PREM 11/3557 (22. Juni 1961). CAB 129/106/104(18. Juli 1961). CAB 129/105/96(11. Juli 1961). CAB 129/106/103 (18. Juli 1961). Eine eindeutig negative Reaktion rief die britische Initiative lediglich in Zypern hervor, dessen Regierung um die landwirtschaftlichen Exporte nach Großbritannien fürchtete. Vergl. den Bericht von Heath über das Gespräch mit Erzbischof Makarios: CAB 129/106/108(19. Juli 1961).

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weise zu erhalten hoffte, sowie im Fall des nach wie vor in sehr hohem Maße vom britischen Markt abhängigen Neuseeland. Daß die Belange des Commonwealth dennoch in der öffentlichen Rechtfertigung des Beitrittsantrags und während der Verhandlungen in Brüssel so stark von der Regierung akzentuiert wurden, lag in erster Linie an der noch immer großen innenpolitischen Bedeutung der hergebrachten Führungsrolle Großbritanniens im ehemaligen Empire für das kollektive Selbstbewußtsein einer zunehmend vom ökonomischen und politischen Niedergang gezeichneten Nation. Dagegen wurde der britischen Regierung die Grundsatzentscheidung für den EWG-Beitrittsantrag durch die Politik der Commonwealth-Staaten nicht erschwert. Spätestens bei ihrer Rundreise im Juli wurde den Ministern klar, daß deren Regierungen ohnehin längst mit einer solchen Entwicklung rechneten und die Aufwertung des europäischen Kreises in den Außenbeziehungen des ehemaligen Mutterlandes trotz der eigenen Bedenken für eine Angelegenheit der Briten hielten. 27 Die Beitrittsverhandlungen wurden dann zwar durch die Hartnäckigkeit erschwert, mit der die Agrarexporteure ihre wirtschaftlichen Interessen verteidigten, sie scheiterten jedoch nicht daran. Sollte es zwischen 1961 und 1963 eine Chance für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluß gegeben haben, so lag der Schlüssel dazu in dem ursprünglich von Macmillan ins Auge gefaßten Übereinkommen mit Frankreich. Daß die Regierungen der Commonwealth-Staaten schon vor und dann während der Beitrittsverhandlungen öffentlich Maximalforderungen aufstellten, war genauso innenpolitisch bedingt wie Macmillans taktische Manöver in bezug auf die Rechtfertigung seiner neuen Politik. 28 In Kanada und Australien standen 1961 Parlamentswahlen an, so daß deren Regierungen besonders darauf angewiesen waren, den Eindruck zu erwecken, unnachgiebig die nationalen Interessen zu verteidigen. Vertreter der oppositionellen neuseeländischen Arbeiterpartei sagten sogar dem britischen Hohen Kommissar offen, den Briten bleibe ohne Frage keine andere Wahl, als der EWG beizutreten, nur um entschuldigend hinzuzufügen, sie würden dennoch das Thema der Zukunft der neuseeländischen Agrarexporte so weit wie irgend möglich innenpolitisch auf Kosten der Regierung ausschlachten. 29 Wie dieses Beispiel verdeutlicht, war in den Commonwealth-Staaten die beste Politik zur Wahrung der eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen in den bilateralen Beziehungen zu Großbritannien Gegenstand der politischen Auseinandersetzung, nicht dagegen die neue Europapolitik der Briten. Längst waren auch aus Sicht der Regierungen der anderen Commonwealth-Staaten die Interessen der Mitglieder dieser Staatengruppe so disparat, daß sogar der Beitritt des ehemaligen Mutterlandes zu einer europäischen Organisation mit gewissen supranationalen Zügen keinesfalls mehr ungewöhnlich erschien. So meinte auch der australische Premierminister Menzies 1962 aus Anlaß eines Besuchs in Brüssel über den geplanten EWG-Beitritt Großbritanniens und das Commonwealth: „For most of its members (the Commonwealth) is in a sense functional and occasional. The old hopes of concerting common policies have gone. Under these circumstances, it may well prove to the fact that even if federation could be achieved in Western Europe, the anomalous position of Great Britain in the Commonwealth which would then emerge would be regarded as no more anomalous than many other things which have been accepted, and with which we have learned to live." 10 27 28 29 30

Bericht des Commonwealth-Ministers Sandys: CAB 129/106/111 (21. Juli 1961). Ebd.; FO 371/158312/43 (21. April 1961). FO 371/158313/65 (2. Juni 1961). Zitiert bei Dennis Austin: Regional Associations and the Commonwealth, in: Hamilton/Robinson/ Goodwin, S.325-348 (325).

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2. Einfluß durch Anpassung: Vereinigte Staaten Je mehr zwischen 1955 und 1961 die Bedeutung des Commonwealth für das außenpolitische Kalkül der britischen Regierung abnahm, desto wichtiger wurde die Aufrechterhaltung einer Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten. Diese atlantische Verbindung sollte Anfang der sechziger Jahre durch die Übernahme einer politischen Führungsrolle in Europa als Juniorpartner der Regierung in Washington gestärkt werden. Die Wahrnehmung der Politik der Vereinigten Staaten bestimmte insofern zuletzt wesentlich die Richtung der britischen Europapolitik. Beeinflußt hatte sie zuvor bereits die Wahl der diplomatischen Mittel, die die Londoner Regierung zur Durchsetzung ihrer Ziele in Europa einsetzte, und die Erfolgsaussichten ihrer Initiativen. So wie in anderen Fragen der internationalen Politik setzten die Briten auch in der Europapolitik darauf, ihre persönlichen Kontakte zu den Amerikanern zu ihren Gunsten ausspielen zu können. Das gilt besonders für Macmillan, der allerdings stets zu einer Kurskorrektur bereit war, sobald er mit seiner Politik in Washington auf Widerstand stieß. Wie sehr Macmillan in der Außenpolitik trotz der Bemühungen, eine gewisse Resteigenständigkeit zu wahren, schon 1955 auf die Erhaltung harmonischer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten fixiert war, wird im Zusammenhang mit seinem erfolglosen Versuch deutlich, die Messina-Initiative der EGKS-Staaten zu durchkreuzen. Daß Eisenhower und Dulles die Sechs in ihren neuen Vorhaben beinahe vorbehaltlos unterstützen würden, war den Beamten des Außenministeriums frühzeitig aus der amerikanischen Botschaft in London und von ihrer eigenen Mission in Washington signalisiert und immer wieder von neuem bestätigt worden.31 Die amerikanischen Botschaften in den EGKS-Staaten und in Großbritannien waren schon am 30. Mai 1955, also noch vor der Konferenz von Messina, erstmals angewiesen worden, die neuen Pläne ausdrücklich gutzuheißen. Eine Gefahr der Überschneidung mit OEECKompetenzen gebe es nicht, hieß es in dem Telegramm außerdem bereits in Antizipation der späteren Einwände der Briten.32 Nach einem seiner regelmäßigen Treffen mit amerikanischen Beamten Anfang September hielt MAD-Abteilungsleiter Edden nochmals schriftlich fest, die Regierung in Washington stehe voll hinter Messina als Schritt zur Verwirklichung ihres „Traumes von den Vereinigten Staaten von Europa".33 Von seinen amerikanischen Kollegen hatte Edden erfahren, daß die Regierung in Washington auch den fortgesetzten Ausschluß des OEEC-Generalsekretärs von den Brüsseler Vorgesprächen unterstützte, worauf die EGKSStaaten zu diesem Zeitpunkt noch bestanden. 34 Am Tag zuvor hatte die amerikanische Botschaft von Dulles entsprechende Anweisungen erhalten.35 Selbst wenn die Qualität des Informationsaustausches in seinem Ministerium möglicherweise zu wünschen übrig ließ, kann Macmillan diese eindeutig positive Haltung der amerikanischen Regierung gegenüber der Messina-Initiative, die in der Tradition ihrer Europapolitik bis zum Scheitern der EVG stand, kaum entgangen sein. Als das Kabinett in London Ende Juni erstmals über die Frage der britischen Haltung zur Messina-Initiative beriet, war Mac31 FO 371/116041/97 (13. Juli 1955); FO 371/116042/102 (18. Juli 1955); FO 371/116043/136 (27. Juli 1955); FO 371/116054/341 (10. November 1955). 32 FRUS, S.290. 33 FO 371/116047/204 (2. September 1955). 34 Ebd. 35 FRUS, S.328f.

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millan sogar gerade zu seinem Antrittsbesuch als Außenminister in Washington, wo dieses Thema zumindest am Rande zur Sprache gekommen sein dürfte. Trotzdem glaubte er, die Amerikaner mit seiner persönlichen Intervention bei Dulles im November 1955 noch umstimmen und für eine Ablehnung des Plans für einen Gemeinsamen Markt und eine Atomenergiebehörde in Europa gewinnen zu können. Diese vergebliche Hoffnung beruhte auf einer beinahe mythischen Verklärung der Intensität der bilateralen Partnerschaft mit der Regierung in Washington, zu der Macmillans großes politisches Vorbild Churchill am Ende des Zweiten Weltkriegs maßgeblich beigetragen hatte, als er den Begriff einer „special relationship" zwischen beiden Staaten prägte.36 Die ablehnende Antwort von Dulles führte bei Macmillan keineswegs dazu, daß er grundsätzlich darüber nachgedacht hätte, inwieweit es führenden britischen Politikern und Diplomaten möglich war, persönlichen Einfluß in Washington geltend zu machen und auf diese Weise eine abrupte Wende in der amerikanischen Außenpolitik bewirken zu können. Jedoch ließ er sofort den Versuch wieder abblasen, die Messina-Initiative in die OEEC umzulenken, um sie dort auslaufen zu lassen, als deutlich wurde, daß Eisenhower und Dulles bei ihrer resoluten Unterstützung der Integrationsbemühungen auf dem europäischen Kontinent bleiben würden. 17 Auf keinen Fall wollte Macmillan die britische Außenpolitik in dieser wichtigen Frage in einen fundamentalen Gegensatz zur Position der amerikanischen Führung bringen. Vorübergehend hoffte er danach noch, zumindest genügend Spielraum für eine OEEC-Initiative zu haben, die zunächst nur ein neues Diskussionsthema schaffen sollte. Möglicherweise ließen sich die EGKS-Staaten so auf eine diplomatisch verträglichere Weise doch noch zur Aufgabe ihrer Integrationspläne bewegen. 38 Unmittelbar nach dem Washington-Besuch von Eden und Lloyd Anfang Februar forderte Macmillan dann bereits die Ausarbeitung eines substantiellen und langfristig tragfähigen Europaprojekts. Allem Anschein nach war sein Denken erneut von der Wahrnehmung der Politik der Regierung in Washington beeinflußt, die auf eine konstruktive Haltung der britischen Regierung drängte und besonders die Notwendigkeit einer weiteren Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in neue europäische Organisationen betonte. Mit der geplanten begrenzten wirtschaftlichen Selbstverpflichtung in Europa in Form des FHZ-Konzepts verband die britische Regierung dann die Hoffnung, ihre eigenen Interessen bestmöglich durchsetzen zu können und dennoch von der amerikanischen Regierung diplomatische Rückendeckung zu erhalten. Vor allem Macmillan setzte darauf, daß Eisenhower und Dulles honorieren würden, daß die britische Regierung nun überhaupt zu einem engeren Schulterschluß mit den Kontinentaleuropäern bereit war. In seiner ersten Stellungnahme zu der zu erwartenden Reaktion der Amerikaner warnte allerdings der britische Botschafter in Washington, Roger Makins, bereits im August 1956, diese Einschätzung könne sich als zu optimistisch erweisen. Er könne sich jedenfalls nicht vorstellen, daß das FHZ-Projekt weit genug gehe, um in Washington „echten Enthusiasmus" hervorzurufen. Im Gegenteil bestehe sogar die Gefahr, daß Großbritannien beschuldigt werden könnte, sich erneut die Beste aller Welten sichern zu wollen.39

36 37 38 39

Reynolds, S.2. Für Macmillan und Churchill vergl. Hörne, Macmillan II, S.89. FO 371/116057/390 (31. Dezember 1955). Macmillan an Bridges: T 234/100 (1. Februar 1956). CAB 134/1240/11 (14. August 1956).

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Noch bis weit in das Jahr 1957 hinein fiel es der britischen Regierung schwer, die Amerikaner davon zu überzeugen, daß ihr FHZ-Projekt nicht der Sabotage sowohl der Brüsseler Verhandlungen als auch später der Ratifizierung der Römischen Verträge in den Parlamenten der Sechs diente, sondern zumindest inzwischen als handelspolitisches Dach über der Zollunion der EGKS-Staaten gedacht war.40 Ständig wurde die Regierung in Washington von den Franzosen gewarnt, sie könnten höchstens die höhere ökonomische Belastung durch den schärferen Wettbewerb innerhalb der Zollunion verkraften, nicht jedoch die Teilnahme an einer größeren Freihandelszone. Angeblich gefährdete der FHZ-Plan eine erfolgreiche Entwicklung der EWG. Deshalb fürchtete vor allem Dulles um die Zukunft seines europäischen Hauptprojekts. Immerhin wies die EWG zumindest einige supranationale Züge auf und schien nach dem Scheitern der EVG endlich eine dauerhafte und wesentlich über die Leistung der EGKS hinausgehende organische institutionelle Verbindung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland zu garantieren, wenngleich auf einer wirtschaftlichen und nicht auf einer verteidigungspolitischen Grundlage. Eine industrielle FHZ wäre dagegen mit zusätzlichen ökonomischen Nachteilen für die amerikanischen Exporte nach Europa verbunden gewesen, ohne daß diese aus Sicht der Regierung in Washington durch andere Vorteile in Form von Fortschritten bei der politischen Integration ausgeglichen worden wären. Dieses Argument spielte eine zunehmend wichtigere Rolle, als sich Ende der fünfziger Jahre die wirtschaftliche Situation in den USA merklich verschlechterte und das Zahlungsbilanzdefizit stark anwuchs. So gab die Regierung in Washington 1957/58 zwar höfliche Stellungnahmen zum FHZProjekt ab, gewährte Macmillan jedoch weder gegenüber Adenauer in Bonn noch bei den Regierungen der krisengeschüttelten Vierten Republik in Paris diplomatische Unterstützung hinter den Kulissen. Wegen dieser aus Londoner Sicht bestenfalls neutralen Haltung trug die amerikanische Regierung nach Auffassung des britischen Verhandlungsleiters Maudling eine Mitschuld am Scheitern des FHZ-Projekts.41 Daß den Amerikanern der kurz bevorstehende Verhandlungsabbruch durch de Gaulle durchaus in ihr außenwirtschafts- und europapolitisches Konzept paßte, verdeutlicht das Gespräch zwischen Lloyd und Dulles im Oktober 1958.42 Gegenüber seinem britischen Kollegen meinte der amerikanische Außenminister betont nüchtern, es wundere ihn doch sehr, daß die Briten weiterhin auf einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen in Paris hofften. Ihm gegenüber habe de Gaulle nämlich schon im Juli bei ihrem ersten Treffen kategorisch erklärt, Frankreich werde die FHZ auf keinen Fall akzeptieren. Aus der nicht zuletzt in bezug auf die vermeintliche transatlantische Sonderbeziehung ausgesprochen enttäuschenden FHZ-Episode schloß Macmillan, daß eine stärkere Berücksichtigung der amerikanischen Interessen in Europa bei der Wahl der diplomatischen Mittel der britischen Politik allein nicht ausreichte, um insgesamt harmonische bilaterale Beziehungen zu garantieren. Inzwischen erschien auch eine Anpassung der Richtung der Europapolitik an die außen- und außenwirtschaftspolitischen Interessen der USA erforderlich. Wie schon im Dezember 1955 das Gespräch mit Dulles am Rande der NATO-Ministerratstagung trug im 40 Vergl. etwa FO 371/128346/567 (10. Mai 1957). 41 Maudling an Macmillan: PREM 11/2678 (27. November 1959). Daß die intransingente Haltung der französischen Regierungen vor de Gaulies Machtübernahme zumindest teilweise auf die Politik der Amerikaner zurückzuführen war, glaubte auch der deutsche Wirtschaftsminister Erhard. Vergl. die Unterredung zwischen Erhard und Maudling: FO 371/134494/285 (11. März 1958). 42 PREM 11/3002 (19. Oktober 1958).

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Herbst 1959 erneut eine Unterredung mit einem führenden Vertreter der Regierung in Washington dazu bei, daß Macmillan europapolitisch umdachte. Erst nachdem Unterstaatssekretär Dillon während seines Besuchs in London kategorisch erklärt hatte, seine Regierung werde niemals eine rein wirtschaftliche Verbindung zwischen EWG und EFTA ohne eine integrative politische Komponente dulden, begann Macmillan, über die Option des EWGBeitritts nachzudenken. Außerdem beraumte er direkt im Anschluß auch das Gespräch mit Lloyd und Heathcoat-Amory an, auf dem er erstmals die Frage eines sicherheitspolitischen Handels mit de Gaulle ins Spiel brachte. 43 In ähnlicher Weise beförderte dann Kennedys positive Reaktion Anfang April 1961 Macmillans Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag. Dieser ist außenpolitisch in hohem Maße als Beschwichtigungsstrategie gegenüber der Supermacht USA zu verstehen. Indem die britische Regierung ihre Politik weitgehend auf die amerikanischen Ziele in Europa abstimmte, wollte sie die Regierung in Washington dazu bewegen, eine Vorzugsbehandlung Großbritanniens in der internationalen Politik, vor allem im Bereich der Sicherheits- und Nuklearpolitik, fortzusetzen. Je mehr sich der relative ökonomische und politische Niedergang Großbritanniens beschleunigte, um so stärker hoffte Macmillan darauf, in Washington durch Anpassung Einfluß zu gewinnen. Dieses Phänomen war keineswegs auf die Europapolitik beschränkt. So hatte sich der britische Premierminister bereits im Suez-Konflikt für eine bedingungslose diplomatische Kapitulation vor der Nahostpolitik der Vereinigten Staaten entschieden und danach auf eine rasche Aussöhnung mit Eisenhower hingearbeitet, die dann auf der Bermuda-Konferenz im März 1957 auch erfolgreich gelang. Dagegen wurden in diesem Zeitraum die Beziehungen zu Frankreich als Verbündeter Großbritanniens im Suez-Krieg und zu den anderen Kontinentaleuropäern vernachlässigt. Immerhin ging Macmillans außenpolitische Rechnung im Dezember 1962 insofern auf, als Kennedy sich in Nassau auf Drängen des britischen Premierministers doch noch überreden ließ, den Briten Polaris unter Bedingungen zu überlassen, die es ihnen erlaubten, weiterhin von einer „unabhängigen" Nuklearstreitmacht zu sprechen. 44 Da zu diesem Zeitpunkt eine Übereinkunft mit dem französischen Präsidenten in der Beitrittsfrage längst nicht mehr möglich erschien, war das nuklearpolitische Abkommen mit den Amerikanern keinesfalls ein taktischer Fehler des Premierministers. Dagegen scheiterte Macmillan in Europa mit seiner transatlantischen Strategie kläglich. In erheblichem Maße lag das an einer in dreifacher Hinsicht fehlerhaften Wahrnehmung der amerikanischen Außenpolitik: Macmillan übersah erstens, daß die Amerikaner die involvierten sicherheitspolitischen Fragen anders als er nicht einseitig unter dem Blickwinkel des britischen EWG-Beitrittsantrags sahen. Er überschätzte zweitens die Bedeutung, die Großbritannien für die amerikanische Europapolitik haben konnte, und unterschätzte drittens das Ausmaß der innenpolitischen Rückkoppelung der amerikanischen Außenpolitik, durch die Kennedys Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt war. Den EWG-Beitritt Großbritanniens befürwortete die Kennedy-Regierung 1961, weil sie sich davon ein Gegengewicht zu den Exzentrizitäten Adenauers und de Gaulies erhoffte, deren Politik eines deutsch-französischen Bilateralismus den Zusammenhalt der Atlantischen Allianz zu gefährden schien. 45 Doch handelte es sich dabei für Kennedy nur um ein außen43 PREM 11/2679 (29. November 1959). 44 Zu Nassau vergl. John Baylis: Anglo-American Defence Relations 1939-1984. The Special Relationship, 2. Auflage, London 1984, S.103ff. 45 Schlesinger, S.720.

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politisches Ziel neben anderen, auf dessen Verwirklichung notfalls verzichtet werden mußte, wenn sich der Preis, bezogen auf notwendige Abstriche an anderen amerikanischen Interessen, als zu hoch erwies. Die amerikanische Regierung war jedenfalls nicht bereit, de Gaulies eigenwillige NATO-Politik auch noch zu honorieren, indem sie beim Aufbau einer unabhängigen Nuklearstreitmacht half, die der französische Präsident dann als Instrument seiner nationalen Außenpolitik betrachten würde. Kennedys Politik zielte gerade auf die Nichtverbreitung von Atomwaffen und eine Zentralisierung der Verfügungsgewalt über die vorhandenen Potentiale. Wie der amerikanische Präsident im Mai 1961 in seinem ablehnenden Schreiben an Macmillan ausdrücklich hervorhob, fürchteten die Amerikaner außerdem, daß eine Entscheidung zugunsten der Franzosen unweigerlich eine Stärkung der deutschen Kreise um Verteidigungsminister Franz Josef Strauß nach sich zöge, die auch für die Bundesrepublik den Status einer Atommacht anstrebten.46 Außerdem betrachtete die amerikanische Regierung die Briten zwar als wichtigen Partner in Europa, jedoch nur noch als einen neben anderen. Aus Sicht der Regierung in Washington war Großbritannien Anfang der sechziger Jahre längst keine Weltmacht mehr, sondern „eine Inselnation, über der die Sonne inzwischen jeden Abend unterging, sofern es nicht gerade wieder regnete", wie der damalige amerikanische Unterstaatssekretär Ball in Anspielung auf vergangene koloniale Größe süffisant angemerkt hat.47 Im Vergleich mit Großbritannien hatten andere europäische Mittelmächte für die USA stark an Bedeutung gewonnen, und zwar vor allem die Bundesrepublik Deutschland, was keineswegs nur auf deren wachsenden wirtschaftlichen Einfluß zurückzuführen war. Selbst unter der Führung des frankophilen Adenauer verband nämlich nur die Bonner Regierung eine verläßliche NATO-Politik mit dem Einsatz für ein stärker integriertes Europa nach amerikanischen Vorstellungen. Das Beharren der Briten auf zwischenstaatlichen Organisationsstrukturen wurde dagegen in Washington mißtrauisch registriert. Die Europakonzepte der Briten und Amerikaner waren noch in einer anderen Hinsicht miteinander unvereinbar, wie der Vergleich der Interpretationen eines zukünftigen weltpolitischen „Grand Design" durch Macmillan auf der einen und Kennedy auf der anderen Seite verdeutlicht. Der britische Premierminister strebte nämlich mit dem EWG-Beitritt, genau wie von de Gaulle zu Recht vermutet, die Übernahme einer politischen Führungsrolle in Europa zur Aufrechterhaltung einer Sonderbeziehung mit den Vereinigten Staaten an. Macmillans Auslegung der Idee einer atlantischen Partnerschaft war bilateral geprägt. Bei dem amerikanischen Vorschlag handelte es sich dagegen um ein multilaterales Konzept für neue Strukturen der amerikanisch-europäischen Zusammenarbeit. Die Regierung in Washington war überhaupt nicht an einer Sonderbeziehung zu der in einem anhaltenden Prozeß des wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlusts befindlichen Mittelmacht Großbritannien interessiert, sondern an einer neuen Basis für die transatlantischen Beziehungen zur aufstrebenden, möglichst erweiterten EWG. Daß der EWG-Beitritt Großbritanniens für die amerikanische Regierung nicht genügend hohe Priorität hatte, um einen nuklearpolitischen Handel mit dem französischen Präsidenten zu rechtfertigen, hing zusätzlich noch mit den Auswirkungen der erheblich intensiveren innenpolitischen Rückkoppelung der amerikanischen im Vergleich mit der britischen Außenpolitik zusammen. Macmillans unter britischen Bedingungen konzipierte Geheimdiplomatie stieß in 46 Kennedy an Macmillan: PREM 11/3319 (8. Mai 1961). 47 Ball, S.209.

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den Vereinigten Staaten an enge verfassungsrechtliche Grenzen. Dort wäre die Regierung rechtlich verpflichtet gewesen, für die Weitergabe von nuklearem Know-how an Frankreich beim Kongreß eine Erlaubnis einzuholen. Dessen Zustimmung zu einer solchen Politik zu erhalten, sei jedoch wegen der vorherrschenden anti-gaullistischen Stimmung völlig ausgeschlossen, versicherte Sicherheitsberater McGeorge Bundy dem britischen Botschafter Caccia Anfang Mai in einer Unterredung über Macmillans Brief an Kennedy. 48 Obwohl für die Wiederaufnahme der anglo-amerikanischen Nuklearpartnerschaft 1958 genauso die Kooperation des Kongresses notwendig gewesen war, hatte Macmillan dieses zusätzliche Hindernis in seinem ursprünglichen Plan für einen trilateralen Handel mit de Gaulle nicht berücksichtigt. Daß die amerikanische Regierung dem EWG-Beitritt Großbritanniens angesichts dieser anderen außen- und innenpolitischen Interessen und Zwänge Anfang der sechziger Jahre eine so geringe Priorität gab, läßt es fraglich erscheinen, inwiefern es für den Zeitraum der fünfziger und frühen sechziger Jahre noch gerechtfertigt ist, den britisch-amerikanischen Beziehungen eine besondere Qualität zuzuschreiben.49 Hier ist deutlich geworden, daß es notwendig ist, in dieser Frage nach Politikfeldern zu unterscheiden. Außergewöhnlich eng und im großen und ganzen harmonisch waren die Beziehungen noch am ehesten in der Sicherheitspolitik.50 Allerdings verdeutlichen die Auseinandersetzungen 1961/62 über eine mögliche Unterstellung der britischen Nuklearstreitmacht unter NATO-Kommando, daß auch in diesem Bereich schwerwiegende Interessenkonflikte aufbrechen konnten, sobald die britische Regierung ihre Politik nicht nach den amerikanischen Zielen auszurichten bereit war. Dagegen waren die Beziehungen auf den Feldern der Außenhandelspolitik und der europäischen Integration, deren Bedeutung seit Ende des Zweiten Weltkriegs im Vergleich zur Sicherheitspolitik ständig zugenommen hatte, gespannt. Das System der Ottawa-Präferenzen, dem in der britischen Außenwirtschaftspolitik Mitte der fünfziger Jahre nach wie vor große Bedeutung zukam, erschien aus Sicht der amerikanischen Regierung als Verlängerung einer unzeitgemäßen und überdies moralisch verwerflichen Kolonialpolitik und stand außerdem im Widerspruch zu der seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahren in den USA etablierten Politik weltweiter Handelsliberalisierung. Das FHZ-Projekt war darauf ausgerichtet, dieses System weitgehend zu erhalten und auf Kosten von Drittstaaten wie den USA zusätzliche Vorteile in einem regionalisierten europäischen Markt zu gewinnen. Eine industrielle Freihandelszone war daher, laut Ball, „genau das, was wir nicht wollten".51 Insofern war es folgerichtig, daß die amerikanische Regierung den Briten keinerlei diplomatische Unterstützung zur Durchsetzung ihrer Initiative gewährte, sondern sie mit ihrer skeptisch-neutralen Haltung de facto sogar unterlief. Regionale Wirtschaftsintegration in Europa unterstützten die Amerikaner nur unter der Voraussetzung, daß davon ein Impuls für eine engere politische Integration zu erwarten war, von der sie sich eine stabile wirtschaftliche und politische Entwicklung Westeuropas und dessen Stärkung im globalen Konflikt mit dem sowjetischen Block versprachen. Europapolitisch wäre aus dieser Perspektive eine strikt zwischenstaatlich organisierte FHZ ein Rückschritt gegenüber der EWG gewesen, die viel eher dem amerikanischen föderalistischen Integrations48 Caccia an Macmillan: PREM 11/3319 (5. Mai 1961). 49 Wie etwa bei Reynolds, S. 10. 50 Peter Hennessy und Caroline Anstey: Money-bags and Brains: The Anglo-American 'Special Relationship' Since 1945 (Strathclyde Analysis Papers 1/1990), Glasgow 1990, S.13. 51 BBC-Interview mit Ball, abgedruckt bei Charlton, A Last Step, S.29.

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konzept entsprach. Mit der strikten Weigerung der britischen Regierungen, sich an Organisationen mit irgendwie supranationalen Strukturen zu beteiligen, hatten die Amerikaner bis Mitte der fünfziger Jahre zu leben gelernt. Sie waren jedoch nicht geneigt, sich in der Verfolgung ihrer europapolitischen Ziele von den Briten behindern zu lassen, wie etwa im Zusammenhang mit Macmillans diplomatischen Störmanövern 1955 oder den Vorgesprächen und Verhandlungen über eine FHZ zwischen 1956 und 1958. Erst Anfang der sechziger Jahre hatte dann die noch verbliebene Rücksichtnahme ein Ende, als Kennedy den Handlungsspielraum der britischen Regierung auf die Beitrittsoption verkürzte, ohne ihr allerdings die aus Macmillans Sicht unverzichtbare diplomatische Hilfestellung zu gewähren.

3. Gegen Juden, Deutsche und Franzosen: Europa Die vor allem innenpolitisch bedeutenden Verpflichtungen Großbritanniens gegenüber dem Commonwealth und die europäischen Interessen der Amerikaner schränkten zwischen 1955 und 1961 den Handlungsspielraum der Londoner Regierung in der Europapolitik merklich ein. Daß es den Briten in diesem Zeitraum nicht gelang, ihre eigene Konzeption für das neu entstehende Westeuropa durchzusetzen und darin für sich eine starke politische Stellung zu sichern, war allerdings Folge einer fehlerhaften Wahrnehmung der Interessen und der Politik der europäischen Nachbarn und später der fehlenden Bereitschaft, einer europapolitischen Übereinkunft absoluten Vorrang vor anderen außen- und sicherheitspolitischen Zielen zu geben. Für eine führende Rolle Großbritanniens gab es selbst im Europa der Sechs durchaus Unterstützung. So teilten die Niederländer die transatlantische Perspektive der britischen Regierung und befürworteten nachdrücklich deren neue freihändlerische Politik in Form der FHZ-Initiative, wenngleich sie weiterhin am Ziel stärker integrativer Organisationsstrukturen für Europa festhielten, als von dem zwischenstaatlichen Konzept der Briten zu erwarten waren. In den Niederlanden und in Belgien gab es außerdem Vorbehalte gegen die sich anbahnende informelle politische Vorherrschaft der beiden großen Nachbarn Frankreich und Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien sollte dazu ein politisches und wirtschaftliches Gegengewicht bilden. Im April 1962 erklärten die Regierungen in Den Haag und Brüssel deshalb auch kategorisch, ohne Teilnahme der britischen Regierung nicht weiter über den Fouchet-Plan für eine engere politische Kooperation der EWG-Staaten verhandeln zu wollen. Für die Londoner Regierung war diese politische Rückendeckung zwar willkommen, entscheidend für die Erfolgsaussichten ihrer Europapolitik waren jedoch die Beziehungen zu den Regierungen in Bonn und Paris. In der Bundesrepublik waren die neuen Pläne für die Gründung eines Gemeinsamen Marktes und einer Atomenergiebehörde anfangs umstritten, als die Außenminister der EGKSStaaten Anfang Juni 1955 auf Sizilien über die Fortführung der europäischen Integration berieten. So betonte der Bundesverband der Deutschen Industrie, zunächst solle die gesamteuropäische Zusammenarbeit im Rahmen der OEEC gestärkt werden. Bei führenden Industrievertretern bestanden Zweifel an der Effizienz möglicher supranationaler Institutionen neuer Organisationen, von denen sie darüber hinaus in der Atomwirtschaft eine unerwünschte Kontrolle des eigenen Entwicklungspotentials befürchteten. Außerdem erwarteten sie nachteilige Auswirkungen des traditionellen französischen Protektionismus auf eine Zollunion der

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Sechs.52 Anfangs zeichnete sich auch noch nicht der spätere europapolitische Konsens der beiden großen Parteien ab. Die oppositionellen Sozialdemokraten hatten das EVG-Projekt entschieden abgelehnt, weil es angeblich die Chancen auf eine Wiedervereinigung Deutschlands herabsetzte. Mitte 1955 waren sie erst gerade in eine Phase der europapolitischen Neuorientierung eingetreten.53 Selbst innerhalb der Bonner Regierung bestand zunächst keine Einigkeit über den einzuschlagenden Weg. So lehnte der nationale Flügel der Freien Demokraten aus ähnlichen Gründen wie vormals die SPD die Teilnahme an neuen supranationalen Organisationen ab.54 Für die kleinere Koalitionspartei war die Messina-Initiative deshalb innerparteilich politischer Sprengstoff, der 1956 sogar zur Spaltung der FDP-Führung beitragen sollte. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß Vizekanzler Franz Blücher zunächst erleichtert über den britischen Vorstoß war, die Messina-Initiative in die OEEC umzulenken, als ihm Ende November Macmillans diplomatische Note vom britischen Botschafter in Bonn, Hoyer Miliar, überreicht wurde. 55 Aber auch innerhalb der CDU/CSU gab es entschiedene Gegner der neuen Integrationspläne. So widersetzte sich der junge Atomminister Strauß lange Zeit dem Projekt für eine europäische Atomenergiebehörde, die nach seiner Auffassung nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die potentielle militärische Nutzung der Atomkraft durch die Bundesrepublik ungebührlich einzuschränken drohte. Für Wirtschaftsminister Erhard waren dagegen dogmatisch-wirtschaftspolitische Gründe ausschlaggebend für seine ablehnende Haltung gegenüber einer möglicherweise auf französischen Einfluß hin protektionistisch ausgerichteten europäischen Zollunion. Als Anhänger weltweiter Handelsliberalisierung war Erhard ein Gegner wirtschaftlicher Regionalisierung. Europapolitisch ergaben sich von daher Berührungspunkte mit der Position der britischen Regierung, mit der Erhard von Messina bis zum EWG-Beitrittsantrag einen politischen Schulterschluß anstrebte. Im Februar 1956 teilte der deutsche Wirtschaftsminister seinem britischen Kollegen Macmillan bei einem Treffen in London seine Bedenken im Hinblick auf die Brüsseler Vorgespräche mit.56 Als dann die Möglichkeit der Gründung einer Freihandelszone in der OEEC diskutiert wurde, machte er gegenüber dem Parlamentarischen Staatssekretär im Außenministerium, Anthony Nutting, deutlich, am liebsten auf die geplante Zollunion verzichten zu wollen und die FHZ als Ersatz vorzuziehen.57 Innerhalb der Bundesregierung setzte sich Erhard nach der EWG-Gründung für einen Abschluß der FHZ-Verhandlungen und Anfang der sechziger Jahre auch für einen wirtschaftlichen Ausgleich mit der EFTA in Form eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraums ein. In dem deutschen Wirtschaftsminister hatte die britische Regierung insofern einen wichtigen Verbündeten. Bis zum Abbruch der Verhandlungen 1958 machte Mamillan allerdings den entscheidenden Fehler, sich einseitig auf die Unterstützung durch Erhard und die Wirtschaftsverbände für die industrielle FHZ zu verlassen, die für die deutsche Export-

52 Werner Bührer: Der BDI und die Aussenpolitik der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, in: VfZG 40/2 (1992), S.241-261 (257ff.). 53 William Paterson: The SPD and European Integration, Farnborough 1974, S. 119ff. 54 Zur FDP vergl. Peter Jeutter: EWG - Kein Weg nach Europa. Die Haltung der Freien Demokratischen Partei zu den Römischen Verträgen, Bonn 1985. 55 T 234/700 (22. November 1955). 56 FO 371/121975/3 (23. Februar 1956). 57 Nutting, S.89.

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industrie ökonomisch außerordentlich vorteilhaft gewesen wäre. Dabei hatte es nicht an Warnungen aus der eigenen Regierungsverwaltung gefehlt, daß Erhards Einfluß auf die Europapolitik der Bundesregierung beschränkt war und letztendlich die stärker politischen Gründe ausschlaggebend sein würden. Von der Außenministerkonferenz der EGKS-Staaten Anfang Juni 1955 hatte der Beamte im Außenministerium, Coulson, bereits berichtet, die offizielle Haltung der Bundesregierung sei entgegen der auch öffentlich geäußerten persönlichen Bedenken Erhards unverändert positiv.58 Im MAC-Abschlußbericht hieß es dann sogar ausdrücklich, der Wirtschaftsminister sei allem Anschein nach von Bundeskanzler Adenauer überstimmt worden, der sich von den neuen Plänen einen Anstoß für die politische Integration erhoffe. 59 Die wirtschaftlichen Argumente verblaßten daneben. Wie der britische Verhandlungsleiter Maudling später frustriert an Macmillan schrieb, verhehle Adenauer nicht einen gewissen Stolz auf sein ausgeprägtes Unverständnis für die ökonomischen Probleme in Europa, die bis dahin noch die britische Perspektive bestimmten.60 Mit seinem Einsatz für die Messina-Pläne wollte der Bundeskanzler ein Zeichen setzen, daß die europäische Integration nach Deutschlandvertrag und NATO-Aufnahme keinesfalls als machiavellistischer Vorwand für den Wiedereinstieg der Bundesrepublik in die internationale Politik als inzwischen gleichberechtigter Partner ausgedient hatte.61 Die Brüsseler Vorgespräche sollten 1955 auch dazu beitragen, Adenauers Ostpolitik nach seiner MoskauReise integrationspolitisch auszubalancieren. 62 Eine Anschubwirkung für die deutsche Europapolitik ging schließlich noch von dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz im November 1955 aus. Danach erschien der Spielraum für eine unabhängige Wiedervereinigungspolitik als Alternative zur Westintegration noch geringer als zuvor. 63 Der Bundeskanzler war nun erst recht entschlossen, die Messina-Pläne weiterzuverfolgen. Im Januar 1956 ging er so weit, in einer schriftlichen Anweisung an seine Minister unter ausdrücklichem Hinweis auf seine Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler und unter Bezug auf die Brüsseler Verhandlungen „eine klare, positive deutsche Haltung zur europäischen Integration" anzumahnen.64

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Coulson an Caccia: FO 371/116038/18 (13. Juni 1955). CAB 134/1029/199 (24. Oktober 1955). Maudling an Macmillan: FO 371/134498/390(11. April 1958). Besson, S. 189. Das Ziel der Wiedererlangung der außenpolitischen Handlungsfreiheit spielte zweifellos eine große Rolle in Adenauers Europapolitik in der Frühphase der europäischen Integration. Vergl. besonders deutlich Adenauers briefliche Belehrung Erhards 1956 über die Ziele seiner Europapolitik im Zusammenhang mit der regierungsinternen Auseinandersetzung über die MessinaPläne, zitiert bei Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987, S.140. 62 Ludolf Herbst: Option für den Westen. Vom Marshallplan bis zum deutsch-französischen Vertrag, München 1989, S. 178. 63 Bruno Thoß: Sicherheits- und deutschlandpolitische Komponenten der europäischen Integration zwischen EVG und EWG 1954-1957, in: Ludolf Herbst, Werner Bührer und Hanno Sowade (Hrsg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990, S.475-500 (491). 64 Abgedruckt bei Adenauer, 1955-1959, S.253-255. Zur Europapolitik des Bundeskanzlers Mitte der fünfziger Jahre vergl. auch Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S.288ff.

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Von einem Gemeinsamen Markt der Sechs versprach sich Adenauer hauptsächlich einen weiteren Schritt auf dem mühsamen Weg zu einer dauerhaften deutsch-französischen Verständigung, dessen Bedeutung für die deutsche Außen- und Europapolitik von der Londoner Regierung stark unterschätzt wurde. Anders als die Briten für ihre Freihandelszone war der Bundeskanzler dafür bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis an Frankreich zu zahlen, das im EWG-Vertrag durch die Vorkehrungen für seine Überseegebiete seine Dekolonisationskosten teilweise auf die Bundesrepublik Deutschland abwälzen konnte und auch ansonsten ausgezeichnete Bedingungen für die Teilnahme an der europäischen Zollunion auszuhandeln vermochte. Adenauer wollte vor allem eine möglichst enge politische Kooperation mit den Franzosen. Dafür war er sogar zu der innenpolitisch außerordentlich umstrittenen öffentlichen Solidarisierung mit der Interventionspolitik der Regierung Mollet auf dem Höhepunkt der Suez-Krise bereit, als die Briten längst ohne Konsultation mit ihrem Verbündeten den Rückzug aus Ägypten beschlossen hatten. Psychologisch schuf dieser Besuch Adenauers in Paris am 6. November 1956 die Grundlage für eine bemerkenswerte Intensivierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, 65 die sich zuvor bereits in der Saarfrage abgezeichnet hatte, in der es im Juni zu einer grundsätzlichen Einigung zwischen Adenauer und Mollet gekommen war. Ein Europa ohne Frankreich war für Adenauer unvorstellbar. Macmillans anfängliche Hoffnung, notfalls mit Kooperation der Bonner Regierung eine Freihandelszone ohne Frankreich gründen zu können,66 stützte sich zu sehr auf das Gewicht der wirtschaftsliberalen Kreise in Bonn. Angesichts der dominanten Position Adenauers war sie von Anfang an unrealistisch. Genauso aussichtslos waren die späteren Überlegungen innerhalb der britischen Regierung, den Franzosen notfalls eine rechtliche Sonderstellung innerhalb der FHZ einzuräumen.67 Eine solche Zurücksetzung wäre für die Regierung in Paris unannehmbar gewesen, aber auch in Bonn als Gefährdung des EWG-intemen Zusammenhalts interpretiert worden. Dagegen erschien Adenauer die Teilnahme Großbritanniens an den europäischen Institutionen verzichtbar. Sie gefährdete möglicherweise sogar die angestrebte enge deutschfranzösische Kooperation, die für den Bundeskanzler höchste Priorität hatte. Zwar mochten die wirtschaftlichen Interessen im Hinblick auf die europäische Integration mit denjenigen der Briten zusammenfallen, nicht jedoch die für ihn entscheidenden politischen. Hinzu kam, daß der Rheinländer Adenauer Großbritannien weder verstand noch besonders mochte. Einem Beamten des britischen Außenministeriums zufolge, der Anfang der fünfziger Jahre in der Bonner Botschaft gearbeitet hatte, betrachtete der Kanzler die Briten als „Seepiraten", auf die in der europäischen Politik kein Verlaß war.68 Umgekehrt war auch für die Franzosen ein Europa ohne Deutschland undenkbar. Von der EGKS zur EWG dienten die europäischen Institutionen hauptsächlich der Kontrolle des Nachbarn durch Integration. Dabei erhofften sich die Regierungen der Vierten Republik von den Briten zunächst noch ein politisches Gegengewicht zur Bundesrepublik. Vor allem nach Suez erschien deren Kooperation dann allerdings in der von der Londoner Regierung vorgeschlagenen Freihandelszone als wirtschaftlich viel zu kostspielig und auch politisch nicht mehr wünschenswert. Im Gegensatz zur FHZ hatte die EWG für die Franzosen viele Vorzüge. 65 66 67 68

Schwarz, S.306. CAB 129/84/256 (6. November 1956); CAB 134/1857/26 Final (6. Februar 1957). FO 371/128365/1086 (21. Oktober 1957). BBC-Interview mit Con O'Neill, abgedruckt bei Charlton, A Last Step, S.26.

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Neben der weiteren politischen Einbindung der Bundesrepublik versprach sie hauptsächlich einen sozial verträglichen, weil rechtlich durch zahlreiche, später gar nicht in Anspruch genommene Vorzugs- und Sonderregelungen im Vertrag abgesicherten Weg der binnenwirtschaftlichen Modernisierung und zusätzliche Absatzchancen für französische Agrarprodukte. Die zeitgleiche EURATOM-Gründung sollte außerdem eine effektive Kontrolle der in der Entstehung begriffenen deutschen Atomwirtschaft und eine wirtschaftlich gewinnbringende Kooperation mit ihr gewährleisten. Der Abschluß dieser beiden Verträge im März 1957 trug schließlich auch dazu bei, daß sich die französische Regierung aus der zwischenzeitlichen außenpolitischen Isolation nach Suez befreien konnte.69 Wirtschaftlich hatte die Londoner Regierung nichts annähernd Vergleichbares zu bieten. Sie zeigte jedoch vor allem auch nicht dieselbe Bereitschaft wie die Bundesregierung zu einer engen bilateralen Bindung, sondern setzte nach Suez erst recht auf die transatlantischen Beziehungen. Während Macmillan die politische Führung Westeuropas selbst 1957 noch wie selbstverständlich für Großbritannien reklamierte, war Adenauer bereit, sie zumindest symbolisch den Franzosen zu überlassen. Die allmähliche Herausbildung einer deutsch-französischen Allianz innerhalb des neu entstehenden Westeuropa wurde von der monatelang auf die Suez-Krise fixierten britischen Regierung kaum wahrgenommen und schon gar nicht in ihrer fundamentalen Bedeutung für die Stellung Großbritanniens gewürdigt. Bis dahin baute die gesamte britische Politik auf der Vorstellung auf, den britischen Einfluß in Westeuropa zu optimieren, indem Interessengegensätze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ausgenutzt und notfalls auch geschürt wurden, um selbst als unentbehrlicher Vermittler auftreten zu können. Für eine solche, der innenpolitischen Strategie gegenüber der Arbeiterpartei ähnlichen Politik des „divide et impera", wie sie Adenauer bei einem Treffen mit de Gaulle im Juli 1962 verächtlich nannte,70 ließ das deutsch-französische Rapprochement kaum noch Spielraum. In welchem Maße dennoch der Glaube an eine ausgleichende Sonderrolle Großbritanniens selbst nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge durch die Sechs noch das europapolitische Selbstverständis der britischen Regierung prägte, wird am Beispiel einer Unterredung zwischen Lloyd und Spaak im Mai 1957 deutlich. Ohne die geplante FHZ, so betonte der britische Außenminister gegenüber seinem belgischen Kollegen, wäre der Gemeinsame Markt ein Desaster für Europa. Denn ohne die Briten käme es garantiert früher oder später zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Deutschen und Franzosen, der dann zwangsläufig zur Spaltung der Sechs und des gesamten westlichen Europa führen müsse.71 Hinter dieser Grundüberzeugung verbarg sich die charakteristische britische Gleichgewichtspolitik, die im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts erfolgreich gewesen sein mochte, der jedoch spätestens durch den Zweiten Weltkrieg endgültig die Grundlage entzogen worden war. Weltweit herrschte Mitte der fünfziger Jahre ein Gleichgewicht des Schreckens, unter das die Teilung Deutschlands und Europas subsumiert worden war und dessen Stabilität in der bipolaren Welt der Nachkriegszeit nicht von den wenigen britischen Atomwaffen abhing, auf die die Londoner Regierung um den Anschein politischer Unabhängigkeit willen so viel Wert legte. So wollte die britische Regierung wenigstens in Westeuropa weiter das Zünglein an der Waage in den deutsch-französischen Beziehungen bilden. Das Scheitern der EVG 1954 und Edens zur WEU-Gründung führende Initiative schienen diese Rolle auch ein letztes Mal 69 Herbst, S. 182. 70 Konrad Adenauer: Erinnerungen. Band III: 1959-1963 (Fragmente), Stuttgart 1968, S.160. 71 FO 371/128343/495 (3. Mai 1957).

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bestätigt zu haben. Nach drei Kriegen in drei Generationen entschieden sich Deutsche und Franzosen jedoch mit der EWG-Gründung endlich für dieselbe Seite. Die Waage war damit außer Kraft gesetzt, und Großbritannien hatte vorerst sein Gewicht in Europa verloren.72 Nachdem die EWG erst einmal entstanden war, wurde es für die britische Regierung noch schwieriger, ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Ziele in Europa durchzusetzen. Die deutsch-französische Interessengemeinschaft verfestigte sich immer mehr. Wie den Briten spätestens im Frühjahr 1958 im Zusammenhang mit der Diskussion um den sogenannten Carli-Plan für eine europaweite Zollharmonisierung und die Einführung von Kompensationszöllen klar wurde, war die Bundesregierung in den FHZ-Verhandlungen erneut zu sehr weitreichenden Konzessionen an Frankreich bereit und erwartete diese auch von Großbritannien.73 Auch nach de Gaulles Machtübernahme setzte sich die enge Zusammenarbeit zwischen Bonn und Paris unvermindert fort. Zunächst hatte Macmillan nach seinem Besuch bei Adenauer Anfang Oktober 1958 noch gehofft, dieser werde dem französischen Präsidenten nach dessen Direktoriumsvorschlag für eine Reorganisation der NATO nicht mehr über den Weg trauen. 74 Dann wurde jedoch bald deutlich, wieviel dem Kanzler das Bündnis mit Frankreich wert war. De Gaulle muß seine Ablehnung des FHZ-Plans bereits beim ersten Treffen mit Adenauer Mitte September in Colombey-les-deux-Eglises deutlich gemacht haben. Zwei Monate später in Bad Kreuznach trafen die beiden dann eine stillschweigende Übereinkunft: Während Adenauer versprach, die deutschen Wirtschaftsinteressen zurückzustellen und den Abbruch der FHZ-Verhandlungen mitzutragen, sicherte de Gaulle im Gegenzug eine harte Haltung gegenüber Chruschtschow zu, der wenige Tage zuvor das Berlin-Ultimatum gestellt hatte.75 Es war nicht nur die ausgeprägte Konzessionsbereitschaft der Bonner Regierung, die es den Briten erschwerte, ihre europapolitischen Interessen durchzusetzen. Frankreich war innerhalb der EWG auch institutionell ideal abgesichert. Da der EWG-Vertrag weder zeitlich begrenzt war noch Bedingungen für einen möglichen Austritt einzelner Mitglieder nannte, konnte die rechtliche Bindung der Sechs aneinander kaum fester sein. Hinzu kam, daß die Außenhandelspolitik eine Gemeinschaftskompetenz war, weshalb nationale Alleingänge, etwa in der FHZ-Frage, ausgeschlossen waren. Wollten sich Frankreichs Partner die Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluß der FHZ-Verhandlungen erhalten, dann waren sie auf Gedeih und Verderb auf die Kooperation der Regierung in Paris angewiesen. Nicht nur Adenauer, sondern auch den Regierungen der Benelux-Staaten und Italiens, das das FHZKonzept von Anfang an nur halbherzig unterstützt hatte, ging es hauptsächlich um eine Stärkung der Solidarität innerhalb der EWG, so daß sie bis hin zur Vorlage des OckrentBerichts über die FHZ-Verhandlungen zu sehr weitgehenden Zugeständnissen an die rigiden Verhandlungspositionen der Franzosen bereit waren. Weil sie informellen Kontakten und Konsultationsmechanismen viel größere Bedeutung beimaßen, vermochten die Briten diese 72 W. Kaiser, Austerlitz, S.29. 73 Aufschlußreich hierfür sind die bilateralen Verhandlungen zwischen den Briten und einer deutschen Delegation unter Leitung des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, Professor Müller-Armack: CAB 134/1866/81,85 (17./18. April 1958). 74 HMD (9. Oktober 1958), zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.l 10. 75 Diplomatisch verklausuliert Charles de Gaulle: Memoires d'espoir. Le renouveau 1958-1962, Paris 1970, S.190; Adenauer, 1955-1959, S.433. Für die unterschiedlichen Interpretationen des Treffens zwischen de Gaulle und Adenauer, über das keine schriftliche Gesprächsaufzeichnung existiert, vergl. Koerfer, S.206ff„ Schwarz, S.466.

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institutionell-rechtliche Dimension des sich allmählich verschärfenden Konflikts mit Frankreich selbst dann noch nicht in ihrem vollen Ausmaß zu erfassen, als die EWG-Staaten ab 1958 auch nach außen immer mehr als Gemeinschaft aufzutreten begannen. Schließlich mußte sich die britische Regierung ab Januar 1958 auch noch mit der EWGKommission auseinandersetzen, die hinter den Kulissen Einfluß auf die Verhandlungsführung der EWG-Staaten zu nehmen begann. Sie sah ihre vorrangige Aufgabe von Anfang an darin, die Identität der EWG zu stärken und möglichst ihre Fortentwicklung zu einer politischen Gemeinschaft zu beschleunigen.76 Sollten sich die Briten mit ihrem Konzept durchsetzen, so befürchtete die Kommission, könnte die EWG de facto zu einer Art Freihandelszone ohne den gewünschten politischen Zusammenhalt degenerieren. 77 Wie der französische EWGKommissar Marjolin freimütig zugestanden hat, nahm die Brüsseler Institution deshalb eine dezidiert feindselige Haltung gegenüber dem FHZ-Konzept ein.78 Ihre Europakonzeption, die der Entwicklung der EWG absoluten Vorrang einräumte, untermauerte sie im Februar und September 1959 mit zwei Denkschriften zum innereuropäischen Handelskonflikt.79 Ein Jahr später setzte sich die Kommission energisch für eine Beschleunigung des Plans zum Abbau der Binnenzölle und zur Einführung gemeinsamer EWG-Außenzölle ein, um auf diese Weise in Abgrenzung zur neu gegründeten EFTA den Zusammenhalt der Gemeinschaft weiter zu stärken. Ihre Politik lief somit erneut den Interessen der britischen Regierung zuwider, die zu diesem Zeitpunkt noch immer die Schaffung eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraums anstrebte. In der Beitrittsfrage ging die EWG-Kommission dann ein aus britischer Sicht unheiliges Zweckbündnis mit de Gaulle ein. Einen zweiten Anhänger eines „Europa der Vaterländer" hätten die Brüsseler Beamten nur sehr ungern am Verhandlungstisch gesehen. Sie hofften darauf, daß eine zukünftige französische Regierung nach einem Abtritt de Gaulles wieder zu einer stärker integrativen Europapolitik zurückfinden würde. Dagegen hatte Großbritannien traditionell zwischenstaatliche Konzepte favorisiert. Von der Londoner Regierung befürchtete die EWG-Kommission daher, daß sie als EWG-Mitglied ihre Pläne für einen europäischen Bundesstaat auch auf Dauer unterlaufen würde. Zwar konnte sie den britischen Beitrittsantrag nicht offen ablehnen. Immerhin stand Drittstaaten der Beitritt laut EWG-Vertrag grundsätzlich offen. Sie setzte sich jedoch in den Beitrittsverhandlungen zwischen 1961 und 1963 in einer informellen Allianz mit der französischen Delegation für harte Bedingungen ein und trug so dazu bei, die materielle Hürde für den Beitritt sehr hoch zu legen. Wie skeptisch die Kommission einem möglichen EWG-Beitritt der Briten von Anfang an begegnete, war bereits im März 1961 deutlich geworden, als EWG-Kommissar Robert Marjolin gegenüber Heath erklärte, seine Kollegen wollten kein Bekenntnis der Briten zur EWG, wie sie war, sondern wie sie einmal sein sollte, nämlich stärker politisch integriert.80 Die Politik der EWG-Kommission trug zwar dazu bei, den Briten die Suche nach einem europäischen Arrangement zu erschweren, ausschlaggebend für das Scheitern der britischen Initiativen von der FHZ zum Beitrittsantrag war sie jedoch nicht. Angesichts der engen deutsch-französischen Kooperation blieb ihr Einfluß eher begrenzt. Anfang der sechziger 76 77 78 79 80

Aufschlußreich Hallstein, S.73f. von der Groeben, S.66ff. Marjolin, S.316. Abgedruckt bei von Siegler, S.263ff., 302ff. FO 371/158265/34 (29. März 1961).

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Jahre begann vor allem die Bonner Regierung, sich mehr und mehr von den ehrgeizigen Plänen der Brüsseler Beamten zu distanzieren, weil sie mit de Gaulles Politik und insofern mit der bilateralen Allianz mit Frankreich unvereinbar waren. Daß die EWG-Kommission eine einseitig auf die erfolgreiche Entwicklung der Sechsergemeinschaft ausgerichtete Politik betrieb, die im Ergebnis auf ein möglichst bundesstaatliches Europa ohne den Störenfried Großbritannien hinauslief, reichte dennoch aus, bei führenden Politikern in London ein Feindbild entstehen zu lassen, das sich bis in die neunziger Jahre gehalten hat. Dem Premierminister waren die Brüsseler Beamten sogar so verhaßt, daß er sich in dem Gespräch mit Lloyd und Heathcoat-Amory über die Zukunft der britischen Europapolitik im November 1959 zu einer neuen Variante einer in Europa hinlänglich bekannten anti-semitischen Verschwörungstheorie verstieg: Danach traten lediglich drei Gruppen für das der politischen Elite Großbritanniens verdächtige Konzept eines europäischen Bundesstaates ein, die angeblich alle auch in der EWG-Kommission über großen Einfluß verfügten, nämlich „the Jews, the Planners and the old cosmopolitan element".81 Zur Konfrontation mit der EWG-Kommission kam Anfang der sechziger Jahre noch hinzu, daß der britischen Regierung auch die politischen Freunde in Europa in der als Gegenallianz konzipierten EFTA zunehmend lästig wurden, weil sie sich nicht in dem Maße, wie dies in London erwartet worden war, der Führung Großbritanniens unterzuordnen bereit waren. Wie gering der wirtschaftliche und politische Zusammenhalt der Organisation war, wurde schon 1960 im Zusammenhang mit der Beschleunigungsfrage deutlich, als die Londoner Regierung darauf drang, die zweite EFTA-Zollsenkung vom 1. Januar 1962 um ein Jahr vorzuverlegen, um mit dem geänderten EWG-Zeitplan gleichzuziehen. Während diese Position vor allem von den wirtschaftlich starken Staaten Schweden und Schweiz unterstützt wurde, ließ die norwegische Regierung bei einem Treffen hoher Beamter der EFTA-Staaten im Juli 1960 zunächst erklären, daß für sie eine solche schnellere Marktöffnung für Industrieprodukte auf keinen Fall in Frage komme.82 Auf der EFTA-Ministerratssitzung im Oktober bestanden die Norweger dann auf einer deutlichen Erhöhung ihrer Fischexportquoten als absolute Vorbedingung für ihre Zustimmung zu dem britischen Plan.83 Landwirtschaftliche Konzessionen verlangten auch die Dänen, die außerdem wegen der innenpolitischen Brisanz des Themas nichts vor der Wahl zum Folketing im November unternehmen wollten. So war spätestens hier klar, daß die EFTA hinter der EWG zurückbleiben würde, was nach Auffassung der britischen Regierung einer schweren politischen Niederlage gleichkam und die zuvor bereits im Lee-Ausschuß vorherrschende Ansicht bestätigte, daß die EFTA keine „permanently viable unit" war.84 Später gelang zumindest noch eine Vorverlegung der Zollsenkung auf den 1. Juli 1961.85 Die EFTA-interne Debatte über die Beschleunigungsfrage machte jedoch auf krasse Weise deutlich, daß die britische Regierung weder wirtschaftlich oder innenpolitisch in der Lage noch außenpolitisch willens war, einen größeren politischen Zusammenhalt der von ihr ins Leben gerufenen Gemeinschaft mit so weitreichenden ökonomischen Konzessionen zu fördern, wie sie von der Bundesrepublik innerhalb der EWG gemacht wurden.

81 82 83 84 85

PREM 11/2679 (29. November 1959). CAB 134/1825/61 (12. Juli 1960). CAB 134/1826/114 (10.-12. Oktober 1960). CAB 134/1852/3. Sitzung (13. April 1960). CAB 134/1829/25 (23. Februar 1961).

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Wie sehr die wirtschaftlichen und noch mehr die politischen Interessen der EFTA-Staaten divergierten, wurde dann erneut 1961 im Zusammenhang mit der Beitrittsfrage deutlich, nachdem Macmillan nach seinem Besuch bei Kennedy im April gegenüber den EFTABotschaftern in London informell die Möglichkeit eines baldigen EWG-Beitritts Großbritanniens hatte andeuten lassen.86 Von den Regierungen Schwedens, der Schweiz und Österreichs, die vor allem wegen ihrer Neutralität in der Beitrittsoption keine Alternative zu einem rein ökonomischen Arrangement mit der EWG sahen, wurden die Briten danach bedrängt, weiterhin an dem ursprünglichen Ziel eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraums zwischen den Sechs und den Sieben festzuhalten.87 Zum Entsetzen Macmillans, der eine Anpassung der britischen Europapolitik an die EWG-freundliche Haltung der Amerikaner anstrebte und Kennedy auf diese Weise außenpolitisch beschwichtigen wollte, beschwerten sich vor allem die Schweden und Schweizer nachhaltig bei der Regierung in Washington über deren feindselige Haltung gegenüber einer solchen Lösung, die nach Auffassung des Londoner Außenministeriums längst aussichtslos war. Auf der anderen Seite drängte die dänische Regierung die Briten, den EWG-Beitritt so früh wie möglich zu beantragen. Im Kreise seiner NATO-Kollegen sprach sich Außenminister Jens Otto Krag dafür sogar auf der Ministerratstagung des Bündnisses im Mai unter Bezugnahme auf die davon zu erwartende Stärkung des politischen Zusammenhalts Westeuropas aus.88 Schon im April hatte Krag den britischen Außenminister Home schriftlich gebeten, über eine entsprechende Entscheidung vorab unterrichtet zu werden, damit seine Regierung ihren für diesen Fall bereits ins Auge gefaßten eigenen Beitrittsantrag zeitgleich mit demjenigen der Briten einreichen könne.89 Bei einem Besuch in London einen Monat später betonte er das große dänische Interesse an der Beitrittslösung dann noch einmal gegenüber Europaminister Heath.90 Von dem EWG-Beitritt zusammen mit Großbritannien erhofften sich die Dänen vor allem eine bestmögliche Sicherung ihrer landwirtschaftlichen Interessen, die in der EFTA einerseits wegen der Bedrohung ihrer Exporte nach Deutschland als Ergebnis der EWG-Agrarpolitik und andererseits wegen der fehlenden Konzessionsbereitschaft der Briten nicht mehr ausreichend geschützt erschienen. Der dänischen Regierung war deshalb bereits von der innenpolitisch einflußreichen landwirtschaftlichen Lobby vorgeworfen worden, in Europa mit der EFTA auf das falsche Pferd gesetzt zu haben.91 Anstatt der britischen Regierung die Durchsetzung ihrer europapolitischen Ziele zu erleichtern, trug die Politik der EFTA-Staaten so dazu bei, deren Position im Hinblick auf den bevorstehenden EWG-Beitrittsantrag und die sich anschließenden Verhandlungen noch weiter zu erschweren. Insofern hatte sich die EFTA für Großbritannien etwas mehr als ein Jahr nach ihrer Gründung bereits zu einer zweiten diplomatischen Altlast neben dem Commonwealth entwickelt. Anders als an das historisch gewachsene Commonwealth, das wenigstens die romantische Erinnerung an vergangene koloniale Größe erlaubte, bestand jedoch in Großbritannien keinerlei emotionale Bindung an die EFTA. Innenpolitisch galt das von der briti-

86 FO 371/158162/52 (14. April 1961). 87 Vergl. für die EFTA-intemen Gespräche 1961 Rolf Steininger: 1961: „Europe at Sixes and Sevens". Die EFTA und Großbritanniens Entscheidung für die EWG, in: VSWG 80/1 (1993), S.4-29. 88 PREM 11/3555 (26. Mai 1961). 89 Krag an Home: FO 371/158188/70 (14. April 1961). 90 PREM 11/3555 (26. Mai 1961). 91 Siehe hierzu auch FO 371/158188/61 (29. März 1961).

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sehen Regierung ursprünglich geförderte europäische Zweckbündnis daher als irrelevant. Allein schon deshalb spielte dessen Zukunft nicht nur im Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Regierung bis zur Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag, sondern auch in bezug auf die Beitrittsdiplomatie nur eine sehr untergeordnete Rolle. Die außenpolitischen Rahmenbedingungen für den EWG-Beitrittsantrag konnten 1961 noch so ungünstig sein, über die Schlüssel zum Beitritt Großbritanniens verfügten letztlich, wie Macmillan im Oktober 1959 zunächst an Lloyd 92 und wenig später in einem politischen Lagebericht an Königin Elisabeth schrieb, 93 de Gaulle und dessen europäischer Partner Adenauer. Ob die Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland für die britischen Initiativen gewonnen werden konnten, hatte in London schon bald nach der EWGGründung als ausschlaggebend für Erfolg oder Mißerfolg der eigenen Europapolitik gegolten. Dabei hatte die enge Verknüpfung zwischen den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Problemen Europas, die von den Briten 1961 mit dem erhofften trilateralen nuklearen Handel mit Kennedy und de Gaulle explizit anerkannt wurde, zuvor bereits Macmillans Kalkül bestimmt. Im Zusammenhang mit den krisengeschüttelten FHZ-Verhandlungen hatte der Premierminister allerdings zunächst noch nicht über attraktive Angebote an die Franzosen oder Deutschen nachgedacht, um seine Ziele in Europa doch noch durchsetzen zu können, sondern über politische Vergeltungsmaßnahmen auf dem Feld der Sicherheitspolitik für den Fall eines Scheiterns der Gespräche. So schrieb Macmillan beispielsweise im Juni 1958 an Lloyd und Heathcoat-Amory: „I feel we ought to make it quite clear to our European friends that if little Europe is formed without a parallel development of a Free Trade Area we shall have to reconsider the whole of our political and economic attitude towards Europe. (...) We should not allow ourselves to be destroyed little by little. We would fight back with every weapon in our armoury. We would take our troops out of Europe. We would withdraw from NATO. We would adopt a policy of isolationism. We would Surround ourselves with rockets and would say to the Germans, the French and all the rest of them: ,Look after yourselves with your own forces. Look after yourselves when the Russians overrun your countries.' I would be inclined to make this position quite clear to both de Gaulle and to Adenauer, so that they may be under no illusion."94 Wie sich allerdings schon bald danach herausstellte, zeigte sich de Gaulle von solchen Drohungen wenig beeindruckt, weil er ohnehin eine unabhängigere französische Politik innerhalb der Atlantischen Allianz anstrebte. Daher beschränkte sich Macmillan gegenüber dem französischen Präsidenten im Hinblick auf mögliche sicherheitspolitische Sanktionen auf allgemeine Andeutungen95 und begann vor allem ab 1959, über mögliche Konzessionen nachzudenken, um de Gaulle auf diese Weise zu einer aus britischer Sicht kooperativeren Europapolitik zu bewegen. Dagegen war der britische Premierminister fest davon überzeugt, daß er Adenauer politisch unter Druck setzen konnte, um diesen dazu zu veranlassen, sich gegenüber dem französischen Präsidenten zunächst für den Abschluß der FHZ-Verhandlungen bzw. später für einen gesamteuropäischen Wirtschaftsraum zwischen EWG und EFTA und dann den

92 Macmillan an Lloyd: PREM 11/2679 (22. Oktober 1959). 93 Macmillan an Königin Elisabeth (23. Dezember 1959), zitiert bei Hörne, Macmillan II, S.222. 94 Macmillan an Lloyd und Heathcoat-Amory: PREM 11/2315 (24. Juni 1958). Vergl. auch PREM 11/3133(4. April 1960). 95 Siehe etwa PREM 11/2531 (29. Juni 1958).

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EWG-Beitritt Großbritanniens einzusetzen.96 Wegen der prekären sicherheitspolitischen Lage der Bundesrepublik, die durch die Berlin-Krisen noch akut verschärft wurde, glaubte Macmillan zwischen 1958 und 1961, gegenüber Bonn darauf setzen zu können, mit einer Strategie der Einschüchterung zum Erfolg zu kommen. So warnte Macmillan den deutschen Kanzler bereits bei seinem Besuch in Bonn im August 1958, für den Fall eines Scheiterns der FHZ-Verhandlungen könne niemand in Europa von den Briten erwarten, einen Kontinent verteidigen zu helfen, der ihnen den Wirtschaftskrieg erklärt habe. Großbritannien müßte dann die Kontinentaleuropäer ihrem Schicksal überlassen.97 Kurz darauf schrieb der Premierminister an Adenauer, ohne FHZ werde möglicherweise sogar die NATO auseinanderbrechen.98 Solche und ähnliche Drohungen bestimmten in der Folgezeit Macmillans Politik gegenüber der Bonner Regierung. Selbst als er im August 1960 Adenauers Unterstützung für ein wirtschaftliches Arrangement zwischen EWG und EFTA suchte, kam er erneut auf das Thema sicherheitspolitischer Vergeltungsmaßnahmen zurück. Bei dem Treffen mit dem deutschen Kanzler in Bonn warnte Macmillan sogar erstmals konkret, er werde sich möglicherweise genötigt sehen, die britische Rheinarmee komplett aus Deutschland abzuziehen, falls keine europäische Einigung zwischen EWG und EFTA Zustandekommen sollte.99 Macmillans Drohpolitik wirkte allerdings schon deshalb unglaubwürdig, weil sie noch nicht einmal von seinem eigenen Außenministerium mitgetragen wurde, in dem sich inzwischen eine nüchternere Einschätzung der britischen Interessen und Einflußmöglichkeiten durchgesetzt hatte. So vermerkte der Assistant Under-Secretary of State Anthony Rumbold bereits im Oktober 1958 respektlos am Rande einer der zahlreichen Notizen, diesmal an Lloyd, in denen sich der Premierminister immer wieder über sein Lieblingsthema politischer Sanktionen ausließ: „The reason why we keep four divisions on the continent is because it is in our interest. We are defending ourselves. It is not a favour that we are conferring on other countries."100 Zu einer ähnlichen, nach dem Treffen mit Adenauer in Bonn im August 1960 verfaßten Denkschrift notierte Hoyer Miliar, er könne den Premierminister beim besten Willen nicht mehr verstehen.101 Sein Kollege Evelyn Shuckburgh erklärte ergänzend in einer weiteren Randnotiz, Macmillan glaube wohl, an der NATO manipulieren zu können, um eine Übereinkunft in Europa zu erzwingen. Der Deputy UnderSecretary of State im Außenministerium hielt es anscheinend für notwendig, daß sich der Premierminister vor seinem nächsten Treffen mit Adenauer noch einmal das kleine Einmaleins der britischen Außenpolitik zu Gemüte führte, das er für den neuen Außenminister Home knapp und prägnant so zusammenfaßte: „No NATO, no American participation in our defence (...). No American participation, no defence (This is true however many bombs we and the French might succeed in making). Consequently, the need to preserve NATO and the principle of integrated forces, which alone guarantees us the American contribution, overrides any considerations of tactics vis-ä-vis France and Germany."102 96 Aufschlußreich Macmillan an Lloyd: PREM 11/2679 (22. Oktober 1959). Der Premierminister schreibt u.a.: „The Germans (...) are not in a strong political position, and I should have thought that there was some chance of bullying them." 97 PREM 11/2328 (8. Oktober 1958). 98 Macmillan an Adenauer: PREM 11/2706 (25. Oktober 1958). 99 PREM 11/2993 (3. August 1960). 100 Macmillan an Lloyd: FO 371/134545/3 (15. Oktober 1958). 101 PREM 11/3334 (16. September 1960). 102 Ebd.

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Macmillans wiederholte Drohungen gegenüber dem deutschen Kanzler erklären sich zumindest teilweise dadurch, daß sich der Premierminister nach dem Scheitern der FHZVerhandlungen immer mehr in ein nahezu pathologisch anmutendes außenpolitisches Bedrohungsszenario hineinsteigerte, wonach Großbritannien aus Westeuropa ausgeschlossen sei, dadurch die vermeintliche Sonderstellung gegenüber Washington verlieren müsse und so auf lange Sicht international isoliert und einflußlos bleiben werde. 103 Von de Gaulle und Adenauer, die auf den dauerhaften Ausschluß Großbritanniens aus den „inneren Zirkeln" des neuen Westeuropa hinzuarbeiten schienen, fühlte er sich hintergangen und mag sich die Umsetzung der angedrohten politischen Sanktionen gegen seine europäischen Widersacher insgeheim gewünscht haben. Dennoch ist Macmillans Drohpolitik wohl eher als diplomatischer Bluff gemeint gewesen, mit dem Adenauer eingeschüchtert und zu einer Änderung seiner einseitig auf den Ausbau der deutsch-französischen Allianz fixierten Europapolitik bewegt werden sollte. Letztlich war der Premierminister nicht wirklich bereit, so weitreichende Schritte wie den vollständigen Abzug der Rheinarmee aus Deutschland oder gar den NATOAustritt ernsthaft zu erwägen, die in jeder Hinsicht in völligem Widerspruch zur etablierten britischen Außenpolitik gestanden hätten. Der Bluff hatte jedoch nicht die erwünschte Wirkung. Adenauer zeigte sich von den Drohungen weitgehend unbeeindruckt. Sie verstärkten im Gegenteil nur noch seinen Argwohn gegenüber dem britischen Premierminister. 104 Im April 1960 schrieb der Kanzler an Bundespräsident Theodor Heuss, er traue Macmillan nicht über den Weg und finde seine Drohgebärden peinlich.105 Bei dem Treffen der beiden Regierungschefs in Bonn im August desselben Jahres sagte Adenauer dann dem britischen Premierminister auf den Kopf zu, er wisse genau, daß die Rheinarmee nicht in erster Linie Deutschland, sondern Großbritannien schütze.106 Zu offensichtlich waren Macmillans Drohungen nicht mit der Bereitschaft verbunden, ihnen konkrete Schritte folgen zu lassen. Außerdem wäre die politische Wirkung möglicher Sanktionen ohnehin begrenzt gewesen, weil die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie von der Entschlossenheit nicht der Briten, sondern der Amerikaner abhing, sie notfalls zu verteidigen. Die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland für die außen- und europapolitische Strategie der Regierung in Washington hatte bis Anfang der sechziger Jahre deutlich zugenommen. Sie leistete einen wachsenden militärischen Beitrag zur konventionellen Verteidigung Westeuropas, der nach dem Abschluß des Aufbaus der Bundeswehr denjenigen der Briten bei weitem übersteigen würde. Noch größer als die militärische war aus amerikanischer Sicht ihre symbolische Bedeutung als europäischer Eckpfeiler einer Eindämmungsstrategie, mit der die Ausweitung des sowjetischen Einflusses verhindert werden sollte. Solange Großbritannien noch nicht EWG-Mitglied war, vermochte außerdem nur die Bonner Regierung die amerikanischen Interessen in dem neu entstehenden Westeuropa zu vertre103 W. Kaiser, Austerlitz, S.26. 104 Aufschlußreich für dessen Verhältnis zu Macmillan ist auch Edens Erinnerung an ein Gespräch mit Adenauer an der Jahreswende 1957/58. Der deutsche Kanzler habe zu ihm gesagt „that during Churchill's time and mine he had known exactly where he was, but now he could not feel the same confidence in our leadership nor obtain any clear indication of our intentions". Avon Papers 23/3/18 (1. Mai 1968). 105 Adenauer an Heuss (20. April 1960), Bundesarchiv Koblenz/Nachlaß Heuss, zitiert bei Koerfer, S.399. 106 PREM 11/2993 (10. August 1960).

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ten.107 Nur sie konnte dafür sorgen, daß die Entwicklung der EWG trotz de Gaulle und der deutsch-französischen Partnerschaft mit diesen halbwegs vereinbar blieb. Während Macmillan allem Anschein nach glaubte, die Bundesrepublik wäre für den Westen notfalls verzichtbar,108 war sie für die Amerikaner insofern bereits wichtiger als Großbritannien. So betrachtet war die Londoner Regierung Anfang der sechziger Jahre europapolitisch mehr von der Bonner Regierung abhängig als diese sicherheitspolitisch von ihr. Von daher wäre es im Hinblick auf das Ziel des EWG-Beitritts sicherlich erfolgversprechender gewesen, statt der endlos wiederholten leeren Drohungen auch über mögliche Konzessionen an Adenauer nachzudenken, um diesem ein gesamteuropäisches Arrangement schmackhaft zu machen. Dies geschah jedoch zwischen 1958 und 1961 nicht.109 Stattdessen gab die britische Regierung in diesem Zeitraum gerade in der Sicherheitspolitik anderen innen- und außenpolitischen Interessen kontinuierlich Vorrang vor der Pflege der bilateralen Beziehungen zu Bonn. Besonders verärgert war Adenauer über Macmillans Berlin-Politik. Während de Gaulle zumindest nach außen zu einer harten Haltung gegenüber Chruschtschow bereit war, obwohl er durchaus eigene entspannungspolitische Ambitionen hatte, demonstrierte Macmillan mit seiner nicht mit der Bonner Regierung abgesprochenen Moskau-Reise im Februar 1959 seine Bereitschaft, auf Kosten der Deutschen Konzessionen zu machen, wie dies vom Kanzler interpretiert wurde. Gegenüber Adenauer meinte Macmillan anschließend bei einem Treffen in Bonn, für ihn sei die entscheidende Frage, ob der Westen es wegen der sowjetischen Forderungen zum Krieg kommen lassen wolle.110 Unausgesprochen blieb hier, was für Adenauer offensichtlich war, nämlich daß der britische Premierminister dazu unter keinen Umständen bereit war und alles daransetzen würde, die Krise durch Zugeständnisse an die Sowjetunion zu entschärfen. Als Zumutung hatte Adenauer zuvor schon die Entscheidung der britischen Regierung empfunden, entgegen der im WEU-Vertrag übernommenen Verpflichtung die Truppenstärke der Rheinarmee 1957 von 77 000 auf 64 000 und zwei Jahre später noch weiter auf 55 000 zu reduzieren."1 Dafür daß dem militärischen Engagement der Briten inzwischen enge wirtschaftliche Grenzen gesetzt waren, die im Weißbuch der britischen Regierung von 1957 neu gezogen wurden, hatte der deutsche Kanzler wenig Verständnis. Für Konfliktstoff zwischen London und Bonn sorgte außerdem die wirtschaftliche „Kompensationssucht" der Briten für ihr militärisches Engagement auf dem Kontinent." 2 Zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führten schon die teilweise heftigen Auseinandersetzungen nach 1955 über Ausgleichszahlungen der Deutschen für die Stationierungskosten der Rheinarmee. 113 Als Beitrag zu einer Verbesserung ihrer Handels- und Zahlungsbilanz forderten die Briten außerdem ständig eine Steigerung der deutschen 107 Alfred Grosser: French Foreign Policy under de Gaulle, Boston 1967, S.79. 108 Bishop an de Zulueta: PREM 11/2679 (17. November 1959). 109 de Zulueta kam lediglich auf die schon aus wirtschaftlichen Gründen undurchführbare Idee, anstelle einiger amerikanischer könne Großbritannien möglicherweise mehr eigene Truppen auf dem Kontinent stationieren, um so durch die zusätzliche militärische Abhängigkeit der Deutschen dort an Einfluß zu gewinnen. PREM 11/2679 (27. November 1959). 110 PREM 11/2676 (12./13. März 1959). 111 M. Dockrill, S.65ff. 112 Schmidt, Dimensionen, S.210. 113 Vergl. hierzu ausführlich Wolfram Kaiser: Money, Money, Money. The Economics and Politics of the Stationing Costs, 1955-1965, in: Gustav Schmidt (Hrsg.): Zwischen Bündnissicherung und pri-

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Waffenimporte aus Großbritannien. Vor allem um dieses Thema drehten sich zwischen 1957 und 1959 die Gespräche zwischen Sandys und Verteidigungsminister Strauß, der jedoch in erster Linie die Interessen der Amerikaner berücksichtigen mußte und langfristig auch am Ausbau der deutschen Rüstungsindustrie interessiert war.114 Daß die britische Regierung nicht bereit war, einige dieser Forderungen und Interessen zum Zweck der Pflege guter bilateraler Beziehungen zur Bonner Regierung etwas zurückzustellen, lag nicht einmal hauptsächlich daran, daß sie die gestiegene Bedeutung der Bundesrepublik für die europäische Politik unterschätzte. Vielmehr war sie auf ökonomische Zwänge und bei Macmillan auch auf anti-deutsche Affekte zurückzuführen, die seine Deutschland- und Europapolitik prägten. Das Feindbild des häßlichen Deutschen, den er für „reich und selbstsüchtig"" 5 hielt, hatte er sich viel mehr bewahrt als de Gaulle, der die Notwendigkeit einer möglichst engen Verbindung mit der Bundesrepublik sah. Ausgerechnet zu Adenauer, der seinerseits im Zusammenhang mit der Moskau-Reise des britischen Premierministers gesagt haben soll, er habe nur drei Feinde, nämlich die Kommunisten, die Briten und das Auswärtige Amt," 6 war Macmillans Verhältnis besonders schlecht. Den deutschen Kanzler hielt er für „eingebildet, argwöhnisch und habgierig"."7 Vor allem gegenüber de Gaulle und Eisenhower warnte Macmillan immer wieder vor der Gefahr eines Auflebens des Nationalsozialismus.118 Er fürchtete auch, daß die Bundesrepublik oder ein wiedervereinigtes Deutschland erst eine wirtschaftliche und später auch eine politische Hegemonialstellung in Europa erlangen könnte. Macmillan wollte nicht wahrhaben, daß das westliche Deutschland so bald nach dem Krieg schon wieder so dynamisch, wohlhabend und politisch einflußreich war. Trotzig bestand er darauf, die Bundesrepublik nach wie vor mehr als Objekt der internationalen Politik zu behandeln denn als wirtschaftlich potente und politisch innerhalb Europas zunehmend bedeutende Mittelmacht. Macmillans persönliche Abneigungen und Vorurteile, die auch in der Regierung und Verwaltung noch weit verbreitet waren, verhinderten eine offenere und konziliantere Haltung gegenüber der Bonner Regierung, die jedenfalls eher zum Erfolg geführt hätte als die unglaubwürdigen Drohungen, Großbritannien werde möglicherweise seine Truppen vom Kontinent zurückziehen und aus der NATO austreten. So hilfreich allerdings bessere bilaterale Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland gewesen wären, entscheidend für die Erfolgsaussichten der britischen Europainitiativen war letztlich die Haltung der Franzosen. So war beim EWG-Beitrittsantrag 1961 aus Macmillans Sicht ausschlaggebend, ob der von ihm ins Auge gefaßte trilaterale nukleare Handel mit de Gaulle zustandekam. Selbst für den Fall einer kooperativeren Haltung Kennedys erscheint es jedoch zumindest fraglich, ob der französische Präsident überhaupt auf ein entsprechendes Angebot eingegangen wäre. Allem Anschein nach rechnete de Gaulle damit zunächst allenfalls als Gegenleistung für seine Zustimmung zur Gründung eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraums, durch den Frankreichs politische Führungsrolle innerhalb der EWG nicht in demselben Maß in Frage gestellt worden wäre wie durch deren Erweiterung. Jedenfalls war

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vilegierter Partnerschaft: Die deutsch-britischen Beziehungen und die Vereinigten Staaten von Amerika, 1955-1963, Bochum 1995, S. 1-31. Vergl. Duncan Edwin Duncan-Sandys' Papers 6/33 (Mai 1957 - September 1959). HMD (23. Februar 1961), zitiert bei Macmillan, Pointing, S.327. Steel an Macmillan: PREM 11/2706 (27. Juni 1959). HMD (28. Mai 1959), zitiert bei Macmillan, Pointing, S.64. PREM 11/2531 (29. Juni 1958); FO 371/150269/134 (29. März 1960).

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die französische Regierung offenbar auf den britischen Beitrittsantrag unvorbereitet. Nach der ersten Stellungnahme des französischen Botschafters in London gegenüber Heath zu urteilen, kam er für de Gaulle als eine „unerfreuliche Überraschung"." 9 In ihren öffentlichen Verlautbarungen und in den Expertengesprächen mit britischen Beamten erweckte die französische Regierung zwar gelegentlich sogar den Eindruck, die Briten zu einem Beitrittsantrag ermuntern zu wollen, wie Couve de Murville am 2. März 1961 in einer Rede vor der Beratenden Versammlung des Europarats 120 oder der Direktor für Wirtschaftsfragen im Außenministerium, Wormser, gegenüber Lee.121 Dies gehörte jedoch lediglich zu der bereits in den FHZ-Verhandlungen praktizierten französischen Taktik, die diplomatische Latte für die Briten immer etwas höher zu legen, um in diesem Fall die noch laufenden Expertengespräche zu blockieren. De Gaulle selbst ließ die britische Regierung 1961 nicht wissen, ob und unter welchen Bedingungen er sich den EWG-Beitritt Großbritanniens vorstellen konnte. Macmillan bemühte sich vor seiner öffentlichen Erklärung im Unterhaus auch schon deshalb nicht mehr um persönlichen Kontakt zum französischen Präsidenten, weil er ihm nach Kennedys Absage sicherheitspolitisch nichts Substantielles anbieten konnte und den Beitrittsantrag in jedem Fall stellen wollte.122 Ohnehin, so meinte Macmillan, waren von de Gaulle nur so orakelhafte Äußerungen zu erwarten wie gegenüber dem britischen Botschafter in Paris, Dixon, daß eine europäische Übereinkunft zwar grundsätzlich wünschenswert sei, aber sicherlich noch viel Zeit brauche.123 Andererseits gibt es durchaus Anzeichen dafür, daß die Franzosen möglicherweise an einer bilateralen Nuklearkooperation mit den Briten interessiert gewesen wären. Entsprechende Kontakte hatten nach Suez schon die Regierungen der Vierten Republik anzuknüpfen versucht, als der damalige Verteidigungsminister Bourges-Maunory im Februar 1957 bei Sandys vergeblich anfragte, ob die Briten unter anderem bei der Anreicherung von Uran für den Reaktor eines noch zu bauenden französischen Atomunterseeboots behilflich sein könnten.124 Später galt de Gaulles Interesse hauptsächlich der Möglichkeit der gemeinsamen Entwicklung einer Trägerrakete, auf die er Macmillan im März 1960 direkt ansprach. 125 In seinen Erinnerungen schreibt Couve de Murville, über diese Option habe die französische Regierung noch 1961 im Zusammenhang mit den bilateralen Gesprächen über eine Fortführung des Blue Streak-Programms für zivile Zwecke nachgedacht.126 Wenn Macmillan ein entsprechendes Angebot vorgelegt hätte, ist es insofern denkbar, daß de Gaulle britische Hilfe beim Aufbau 119 PREM 11/3559 (25. Juli 1961). 120 „Our partners in the Common Market and we ourselves have always said that the Common Market was, and always remained, open to any other European country which wished to join it. We persist in thinking that therein lies, for some at least, a valid possibility, and, doubtless, the only really satisfactory Solution." Zitiert bei Camps, S.334. 121 FO 371/158172/59 (28. Februar 1961); FO 371/158178/164 (4. Mai 1961). 122 Zur Diskussion stand zunächst ein Gespräch zwischen Macmillan und de Gaulle in Chequers, am Rande eines trilateralen Treffens mit Kennedy wegen der Berlin-Frage oder als Teil einer Europareise, die zur Tarnung des eigentlichen Zwecks andere Ziele eingeschlossen hätte. Vergl. de Zulueta an Macmillan: PREM 11/3557 (18. Juni 1961). 123 Dixon an Heath: PREM 11/3557 (14. Juli 1961). 124 Duncan Edwin Duncan-Sandys' Papers 6/30 (14. Februar 1957). Vergl. auch das Gespräch zwischen Sandys und dem französischen Generalstabschef Ely: Ebd. 6/30 (22. Oktober 1957). 125 PREM 11/2998 (12713. März 1960). 126 Murville, S.397.

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eines französisch-britischen „atomaren Kondominiums" angenommen hätte und im Gegenzug bereit gewesen wäre, den EWG-Beitritt Großbritanniens zu gestatten.127 Auf britischer Seite hätte das allerdings die Bereitschaft zu einer Europäisierung der nationalen Nuklearstreitmacht vorausgesetzt, die ohne einen Bruch der nuklearen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten nicht möglich gewesen wäre und deshalb für Macmillan absolut nicht in Frage kam. Außerdem verlangte de Gaulle im Ergebnis eine Unterordnung der Briten unter die politische Führungsrolle Frankreichs in seinem nur vermeintlich „europäischen Europa", in dem in Wirklichkeit lediglich die Vorherrschaft der Amerikaner durch eine neue Führungsrolle der Franzosen ersetzt werden sollte.128 Die von Macmillan erhoffte Hilfe der amerikanischen Regierung beim Aufbau der force de frappe kam andererseits für de Gaulle, wenn überhaupt, so höchstens ohne Auflagen in Frage. Es war daher verhersehbar, daß der französische Präsident Kennedys Angebot nach dessen Treffen mit Macmillan in Nassau im Dezember 1962 ablehnte, den Franzosen Polaris zu denselben Bedingungen zu überlassen wie den Briten. Macmillan wollte dagegen kein europäisch genanntes französisches Europa, sondern ein transatlantisch orientiertes britisches, in dem die Londoner Regierung als Hauptpartner der Vereinigten Staaten die erste Geige spielen sollte. Diese transatlantische Motivation des EWG-Beitrittsantrags war nach Macmillans Treffen mit Kennedy und dessen Fürsprache zugunsten der Briten in Paris für den französischen Präsidenten offensichtlich. Zu gut war auch dessen Verständnis der britischen Politik, als daß ihm entgangen wäre, daß der Beitrittsantrag außerdem in erheblichem Maße innenpolitisch begründet war. Laut de Zulueta sagte der französische Präsident Macmillan 1962 sogar auf den Kopf zu, seine neue Europapolitik sei doch wohl in erster Linie eine ziemlich komplizierte List der Konservativen, um die nächsten Unterhauswahlen zu gewinnen.129 Daß der EWG-Beitrittsantrag unter diesen Voraussetzungen kaum erfolgreich sein konnte, erscheint einleuchtend. Angesichts der einfältigen Drohgebärden gegenüber den Deutschen und der fehlenden Bereitschaft der Briten, de Gaulle ein attraktives Angebot zu unterbreiten, konnte nicht überraschen, daß es Macmillan Anfang der sechziger Jahre nicht gelang, den gordischen Knoten der deutsch-französischen Interessengemeinschaft zu durchschlagen.

4. Gefangen in drei Kreisen Spätestens mit dem EWG-Beitrittsantrag und den anschließenden Verhandlungen wurde deutlich, daß das außenpolitische Konzept der Londoner Regierungen, in dem Großbritannien die zentrale Rolle eines wirtschaftlichen und politischen Scharniers zwischen drei Kreisen spielen sollte, nicht mehr tragfähig war. Anfang der sechziger Jahre hielten diese drei Kreise nicht mehr die vermeintliche Weltmachtstellung aufrecht, sondern die britische Regierung war in ihnen gefangen. So hatte sich das Commonwealth immer mehr zu einer diplomatischen Last entwickelt, durch die zwar nicht die Grundsatzentscheidung für den EWG-Beitritt, wohl aber die innenpolitische Präsentation des Antrags und die Verhandlungen in Brüssel erschwert

127 Wilfried Loth: De Gaulle und Europa. Eine Revision, in: HZ 253/3 (1991), S.629-660 (652). 128 Kritisch Jean Lacouture: De Gaulle. The Ruler 1945-1970, London 1991, S.345. 129 BBC-Interview mit de Zulueta, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.282.

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wurden. Auch erwiesen sich die ständig an Bedeutung verlierenden wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb des Commonwealth als nur noch sehr bedingt vereinbar mit den inzwischen langfristig als viel wichtiger eingeschätzten ökonomischen Interessen Großbritanniens in Europa. Vor allem zeigte sich jedoch Anfang der sechziger Jahre, daß eine Sonderbeziehung zu den USA nach der Entstehung der deutsch-französischen Allianz und erst recht nach de Gaulles Machtübernahme nicht mehr mit einer politischen Führungsrolle Großbritanniens in Europa vereinbar war. Die britische Regierung hätte 1961 die von de Gaulle mehrfach verlangte Entscheidung für den Vorrang der europäischen Bindung treffen müssen, um irgendeine Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluß der Beitrittsverhandlungen zu haben. Sie war stattdessen entschlossen, der transatlantischen Bindung Priorität zu geben, wie die Vereinbarung zwischen Macmillan und Kennedy in Nassau im Dezember 1962 symbolisch verdeutlichte. Während die außenpolitischen Gründe für den ersten britischen EWG-Beitrittsantrag in erster Linie in dem Wandel der transatlantischen Beziehungen durch den Niedergang Großbritanniens und den Erfolg der EWG zu suchen sind, lagen die Schlüssel zum Beitritt nicht in Washington, sondern in Bonn und vor allem in Paris. Mitte der fünfziger Jahre waren die Anfänge der immer engeren deutsch-französischen Kooperation in London zunächst nicht klar genug wahrgenommen worden. Spätestens nach de Gaulles Nein zum Plan für eine industrielle Freihandelszone in Europa war jedoch auch für die britische Regierung offensichtlich, daß die neu entstehende Allianz zwischen Bonn und Paris den Kern der sich entwickelnden Gemeinschaft bildete. Zumindest intuitiv erfaßte Macmillan von nun an die Bedeutung des Dreiecksverhältnisses zwischen Großbritannien, Deutschland und Frankreich, in dem sich die britische Regierung allerdings mit einer Kombination von Dilemmata konfrontiert sah, die sowohl eine Verbesserung ihrer bilateralen Beziehungen zu den Regierungen in Bonn und Paris als auch die Entwicklung eines diplomatischen Gesamtkonzepts für die Vorbereitung des geplanten EWG-Beitrittsantrags erheblich erschwerten.130 So hatte die Regierung in London sich zwar einerseits früh und gegen französische Widerstände für die Integration Westdeutschlands in das westliche Sicherheits- und Verteidigungssystem eingesetzt. Nach der Aufnahme in die NATO erwies sich die Bundesrepublik Deutschland auch als zuverlässiger Bündnispartner. Vor allem gelang es der Regierung in Bonn, ihre Beziehungen zu Frankreich und den Vereinigten Staaten auszubalancieren und auf diese Weise zu garantieren, daß die Entwicklung der EWG halbwegs vereinbar mit den außenund europapolitischen Zielen der Amerikaner blieb, was auch im elementaren Interesse der Briten lag. Andererseits fürchtete die britische Regierung jedoch, mit ihrer Politik die europäische Pandorabüchse geöffnet, das heißt die Bundesrepublik Deutschland in die Lage versetzt zu haben, als aufstrebende Wirtschaftsmacht langfristig eine Hegemonialstellung in Westeuropa einnehmen zu können. Macmillan scheute deshalb eine enge bilaterale Kooperation mit Bonn und suchte nach anderen Bündnissen, um die Rolle der Bundesrepublik in Europa einzuschränken. Die Angst vor einem starken Deutschland war für ihn schon ein wichtiger Grund gewesen, den FHZ-Plan zu unterstützen. Mit einer französischen Führungsrolle in Europa konnte Macmillan eher leben, wie er Ende 1959 de Gaulle versicherte.131 Allerdings war es eben jener de Gaulle, der die atlantische Sicherheitsarchitektur in Frage stellte, die für Großbritannien von so großer Bedeutung war. 130 W. Kaiser, Austerlitz, S.24f. 131 PREM 11/3132 (21. Dezember 1959).

Gefangen in drei Kreisen

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Mit einem vergleichbaren Problem war die Londoner Regierung im Hinblick auf die Frage der weiteren Entwicklung der EWG konfrontiert. Einerseits wollte sie im Einklang mit der Bundesregierung eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Gemeinschaft, die eine liberale Außenhandelspolitik verfolgen sollte. Die protektionistische Tradition Frankreichs, dessen Ruf sich erst Anfang der sechziger Jahre als Ergebnis von de Gaulies Wirtschaftsreformen allmählich zu bessern begann, stand dem entgegen. Jedoch paßte der Londoner Regierung andererseits der in der Bundesrepublik nach wie vor favorisierte institutionelle Rahmen für die europäische Integration nicht, der ihrer Meinung nach auch nach Adenauers deutlicher Distanzierung von der Politik Hallsteins und der EWG-Kommission zu starke supranationale Züge aufwies. Das „Europa der Vaterländer" des französichen Präsidenten entsprach dagegen genau den britischen Vorstellungen von einer weitgehend zwischenstaatlich ausgerichteten EWG. Allerdings war darin wiederum für das Mutterland England kein Platz.132 Schließlich befand sich Macmillan auch in seiner Haltung zu Adenauer und de Gaulle in einem ähnlichen Dilemma. Selbst zu Beginn der sechziger Jahre sah die britische Regierung die junge Demokratie und die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland nur so lange als gesichert an, wie Adenauer die Regierungsgeschäfte leitete. Während der Bundeskanzler insofern als unverzichtbar galt, wäre er aus Londoner Sicht für die europäische Politik entbehrlich gewesen, da er stets die deutsch-französische Kooperation einem Ausgleich mit der Regierung in London vorzog. Unter der Voraussetzung, daß die britische Regierung nicht wirklich eine Europäiisierung ihrer Außenbeziehungen wünschte, ließ de Gaulies Außenpolitik wiederum nur wenig Spielraum für eine engere britisch-französische Zusammenarbeit. Dennoch war Macmillan gleichzeitig davon überzeugt, nur mit dem französischen Präsidenten zu einem Arrangement kommen zu können, das den Weg zum Beitritt zu einer Staatengemeinschaft ebnen würde, deren institutionelle Struktur mit den britischen Vorstellungen vereinbar war. Was den britischen Regierungen zusätzlich erschwerte, sich in das neue Europa einzuordnen, war das Unvermögen der politischen Elite, in stärker kooperativen Kategorien zu denken anstatt in solchen politischer Führung und Unterordnung. Das galt auch für Großbritanniens außenpolitische Beziehungen: Ihr Kolonialreich hatten die Briten regiert und das Commonwealth zumindest geführt. Es verlor rasch an Attraktivität, als die Mitgliedstaaten einen höheren Grad an wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit vom ehemaligen Mutterland anstrebten. Von einem ähnlichen Verhältnis der Führung und Unterordnung waren seit dem Zweiten Weltkrieg auch die transatlantischen Beziehungen geprägt, nur daß sich die britische Regierung hier in der Rolle des Juniorpartners befand, der die partielle Sonderstellung in der Sicherheitspolitik nur noch durch eine Politik des vorauseilenden Gehorsams zu erhalten vermochte. In der Europapolitik und vor allem im Hinblick auf den EWG-Beitritt hätten sich die Briten dagegen auf eine neue Mischform zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und supranationaler Integration einstellen müssen, die von Strukturen der Kooperation und des Interessenausgleichs geprägt waren, die auch institutionell verankert waren. Nationale Allianzen spielten zweifellos auch innerhalb der EWG noch eine wichtige Rolle, wie die besonders enge deutsch-französische Zusammenarbeit zeigte. Jedoch blieb die britische Regierung völlig auf ihre traditionelle Gleichgewichtspolitik wechselnder Verbindungen und Bündnisse fixiert, die den Aufbau enger bilateraler Beziehungen ausschloß, die stabil 132 Dieses Dilemma erkannte Macmillan durchaus. Vergl. sein „Grand Design": PREM 11/3325 (29. Dezember 1960 - 3. Januar 1961).

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genug gewesen wären, die Überbrückung größerer wirtschaftlicher oder politischer Interessengegensätze zu erlauben, die durchaus auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich existierten. Aus der Vergangenheit speiste sich auch Macmillans Einkreisungsneurose, der im März 1960 gegenüber de Gaulle erklärte, Großbritannien habe Philip II., Ludwig XIV., Napoleon und Hitler bekämpft, um deren Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent zu verhindern und so die eigene Unabhängigkeit zu sichern, und werde mit der EWG notfalls genauso verfahren.133 Wenig später zog Macmillan in einer Unterredung mit Eisenhower die erwähnte Parallele mit der Kontinentalblockade gegen Großbritannien nach der Schlacht von Austerlitz, die Harold Wilson zu dem sarkastischen Kommentar im Unterhaus veranlaßte: „We all know the Prime Minister's liking for (...) historical röles. We have had him as Gladstone, Disraeli, and, last year, as Marco Polo (...). This year we saw him cast himself in the röle of the younger Pitt. We do not want to interfere with the right hon. Gentleman enjoying himself in this way, but we must ask what effect in heaven's name do utterances of this kind have on Britain's ability to get her views accepted in Europe (...)?"134 133 PREM 11/3132 (März 1960). 134 Hansard 627/1111 (25. Juli 1960).

Schlußbetrachtung

Als die Außenminister der sechs EGKS-Staaten Anfang Juni 1955 in Messina zusammenkamen, um über die Gründung eines Gemeinsamen Marktes und einer Atomenergiebehörde zu beraten, erkannte die britische Regierung zunächst nicht die potentielle Bedeutung dieser neuen Initiative zur Vertiefung der westeuropäischen Integration auf wirtschaftlichem Gebiet für die europäische Politik. Obwohl sie einen mittleren Beamten des Außenhandelsministeriums in den Spaak-Ausschuß entsandte, erwog sie zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Teilnahme an dem scheinbar ohnehin zum Scheitern verurteilten Vorhaben der Sechs. Die Einsetzung der interministeriellen MAC-Arbeitsgruppe erfüllte innerhalb von Kabinett und Regierungsverwaltung lediglich eine Alibifunktion, indem sie eine vorurteilsfreie Analyse der britischen Interessen vortäuschte. Von den Beamten wurde jedoch von Anfang an erwartet, daß sie die traditionelle Auffassung bestätigten, derzufolge der Beitritt zu europäischen Organisationen mit irgendwie supranationalen Zügen weder wirtschaftlich noch politisch wünschenswert war. Als die Zollunion dann doch als EWG zum 1. Januar 1958 gegründet wurde, beantragte die britische Regierung nur dreieinhalb Jahre später im August 1961 den Beitritt. Die indifferente Haltung von 1955 war inzwischen der Überzeugung gewichen, daß die gravierenden wirtschaftlichen und außenpolitischen Probleme des Landes überhaupt nur noch mit Hilfe des EWG-Beitritts zu lösen sein würden. Dieser rasche Wandel war nicht in erster Linie auf die geänderten binnen- und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die britische Europapolitik zurückzuführen. Die ökonomistische Interpretation des EWG-Beitrittsantrags ist hier widerlegt worden. Zwar erhöhte der wirtschaftliche Erfolg der EWG auch deren politische Anziehungskraft; auch wurde der EWG-Beitritt zu Beginn der sechziger Jahre innerhalb der Regierung von einigen, wie fünf Jahre zuvor der FHZ-Plan, als Modernisierungskonzept zur Überwindung der wirtschaftlichen Strukturkrise im Innern und beim Export betrachtet. Die Analyse der britischen Wirtschaftsinteressen in Europa blieb jedoch zwischen 1955 und 1961 gerade erstaunlich konstant. Die dauerhafte Reorientierung des britischen Außenhandels auf den dynamischen und expandierenden europäischen Markt auf Kosten des Commonwealth und Nordamerikas war von den Wirtschaftsministerien schon 1955 vorausgesehen worden. Deren Beamte gelangten damals bereits zu dem Ergebnis, daß die Summe der ökonomischen Argumente für die Teilnahme an einer westeuropäischen Zollunion als Gründungsmitglied für den Fall sprach, daß diese sonst auch ohne Großbritannien zustande kommen sollte. Andernfalls könne die britische Regierung schon nach wenigen Jahren gezwungen sein, der neuen Organisation

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Schlußbetrachtung

zu den Bedingungen der Sechs beizutreten, ohne deren innere Strukturen mitgestaltet zu haben.1 Ausschlaggebend für den Wandel in der britischen Europapolitik bis hin zum ersten E W G Beitrittsantrag war nicht die Wahrnehmung der wirtschaftlichen, sondern der sich rasch verschlechternden außenpolitischen Rahmenbedingungen. Zumindest aus Sicht der wichtigsten Entscheidungsträger innerhalb der Regierung v o l l z o g sich die Reorientierung in der britischen Europapolitik unter einem Primat der Politik, zu dem sich Premierminister Macmillan ausdrücklich gegenüber de Gaulle bekannte. 2 N o c h 1955 schien der Beitritt zu einem Gemeinsamen Markt in Europa die vermeintliche britische Weltmachtrolle zu gefährden. Eine als einseitig wahrgenommene Betonung der europäischen Bindung drohte die Symmetrie der Churchillschen drei Kreise der britischen Außenbeziehungen zu zerstören. Nach wie vor wurde dem Commonwealth, das noch immer als wichtigste Grundlage für den Anspruch auf eine Sonderrolle am Verhandlungstisch der beiden Supermächte galt, sowie den transatlantischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten Vorrang gegeben. Anfang der sechziger Jahre waren die führenden Entscheidungsträger der Regierung dann jedoch von dem genauen Gegenteil überzeugt: Der eigene Weltmachtanspruch konnte nun angeblich nur noch durch die Übernahme einer politischen Führungsrolle in der E W G und in den „inneren Zirkeln" der von de Gaulle geplanten politischen Zusammenarbeit der Sechs gewahrt werden, die als Legitimationsgrundlage für eine britische Sonderstellung in der W e l t die ursprünglich als wichtiger erachtete Führungsrolle im Commonwealth ersetzen sollte. Dieses hatte nicht nur an wirtschaftlicher, sondern durch die zweite Dekolonisationsphase auch erheblich an politischer Bedeutung verloren. V o n der angestrebten politischen Vorherrschaft innerhalb der E W G vermochte die britische Regierung freilich weder zu sagen, wie sie sich ausdrücken noch wie sie sie nutzen würde. Sie erhoffte sich davon aber einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der transatlantischen Beziehungen, die für sie um so wichtiger geworden waren, j e mehr ihr unabhängiger außenpolitischer Einfluß abgenommen hatte. Mit der Abkehr von der E F T A und dem geplanten EWG-Beitritt waren die Briten bereit, sich weitgehend den europapolitischen Zielen der Amerikaner unterzuordnen, die wegen de Gaulies Politik um die Zukunft der transatlantischen Sicherheitsarchitektur fürchteten. A u f diese Weise hofften besonders Macmillan und das Außenministerium, im Hinblick auf die Sicherheits- und Nuklearpolitik eine Fortsetzung der bisherigen Sonderbehandlung durch die neue Regierung Kennedy zu einem Zeitpunkt erreichen zu können, als diese die amerikanische Außenpolitik einer gründlichen Revision zu unterziehen begann, bei der Großbritannien als Hauptpartner in Europa durch die E W G abgelöst und die bilaterale Nuklearpartnerschaft aufgekündigt zu werden drohte. Eine Entscheidung für Europa erfolgte mit dem E W G - B ei tri ttsantrag gerade nicht. Die britische Regierung nahm lediglich einen ihr durch die gewandelten internationalen Rahmenbedingungen erforderlich erscheinenden Wechsel in der Taktik zur Verfolgung derselben strategischen außenpolitischen Ziele vor, die schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs die Europapolitik bestimmt hatten. Daß sich Macmillan entschloß, den EWG-Beitritt trotz der miserablen äußeren Bedingungen 1961 zu beantragen, war dann das Ergebnis einer doppelten Beschwichtigungsstrategie: 3 1 CAB 134/1026/35. Sitzung (2. August 1955); CAB 134/1030/201 (24. Oktober 1955). 2 PREM 11/3132 (21. Dezember 1959). 3 W. Kaiser, Appeasement, S. 152.

Schlußbetrachtung

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Außenpolitisch wollte der Premierminister mit dem de facto nahezu aussichtslosen Beitrittsantrag den Amerikanern, die ihr großes Interesse an einem EWG-Beitritt Großbritanniens bekundet hatten, bedeuten, daß die britische Regierung für sie die Rolle des europäischen Juniorpartners innerhalb der EWG zu spielen bereit sein würde, wenn de Gaulle sie nur ließe. Innenpolitisch erhoffte sich Macmillan davon mittelfristig einen taktischen Vorteil für die spätestens 1964 anzuberaumenden Unterhauswahlen. Seine Partei wirkte nach zehn Jahren an der Regierung programmatisch verbraucht. Mit der neuen Beitrittspolitik in Verbindung mit der Entscheidung für eine konservativ-britische Variante der französischen Wirtschaftsplanung wollte er ihr ein modernes parteipolitisches Image geben und gleichzeitig die oppositionelle Arbeiterpartei noch weiter spalten. Während die Regierung 1956 beim FHZ-Plan noch den überparteilichen Konsens mit der Opposition gesucht hatte, zog sie die Europapolitik nun gezielt in die parteipolitische Auseinandersetzung hinein. Die Europapolitik war also innenpolitisch rückgebunden, aber gerade nicht in erster Linie in dem bisher in der Regel behaupteten Sinn, die zweifellos vorhandenen nationalistischen Ressentiments in der Bevölkerung hätten eine frühere Entscheidung für den EWG-Beitritt oder eine optimistischere und auf die wirtschaftlichen und politischen Vorteile der Teilnahme an der europäischen Integration abgestellte Präsentation des ersten Beitrittsantrags verhindert. Hier ist deutlich geworden, daß die konservative Regierung Anfang der sechziger Jahre über einen erstaunlich weiten außen- und europapolitischen Handlungsspielraum verfügte. Die öffentliche Meinung hielt sie für weitgehend irrelevant. Macmillan war überzeugt, die Briten durch eine „Umerziehung" rasch an ihren neuen Platz in Europa gewöhnen zu können. Die europapolitische Reorientierung sah der Premierminister fast ausschließlich als innerparteiliches Problem. Es zeigte sich jedoch früh, daß die Unterstützung für die neue Linie bei den Konservativen viel breiter war, als er anfangs gehofft hatte, und der Widerstand dagegen weitgehend auf den erzkonservativ-nationalistischen Flügel beschränkt blieb. Vor allem war das politische Gesamtklima 1961 günstig für den erhofften EWG-Beitritt, der für viele inzwischen eine Aura des langfristig ohnehin Unausweichlichen angenommen hatte. Innerhalb der Regierung war die Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag 1961 deshalb auch wesentlich leichter durchzusetzen als 1956 das stärker limitierte FHZ-Projekt. Die einseitig auf die wirtschaftlichen Nachteile eines fortdauernden Ausschlusses von dem Gemeinsamen Markt der Sechs abgestellte innenpolitische Rechtfertigung des EWGBeitrittsantrags war hauptsächlich auf den Selbsterhaltungstrieb einer noch immer im Hinblick auf ihre soziale Herkunft und Bildung sehr homogen zusammengesetzten politischen Elite zurückzuführen, die bei der notwendigen antizipatorischen Anpassung der britischen Politik an den relativen wirtschaftlichen und politischen Niedergang Großbritanniens bis dahin weitgehend versagt hatte. Zu deren innenpolitischer Legitimation trug der Mythos vom fortgesetzten Weltmachtstatus Großbritanniens maßgeblich bei. Er wurde bei den Konservativen, aber auch innerhalb der Arbeiterpartei zu Beginn der sechziger Jahre um so sorgfältiger gepflegt, je mehr der unabhängige internationale Einfluß der Londoner Regierungen abnahm, und wäre als Ergebnis einer offeneren Diskussion der eigentlichen Gründe für die Entscheidung für den EWG-Beitrittsantrag kaum mehr aufrechtzuerhalten gewesen. 4 Die Art der Präsentation des Beitrittsantrags half, die sich abzeichnende latente innere Krise Großbritanniens zu verschlei4 Zur Frage der zunehmenden Status- und Prestigeorientierung konservativer Außen- und Europapolitik nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Wolfram Kaiser: Das Gesicht wahren. Die Konservative Partei und die Rolle Großbritanniens in der Welt, 1945-1964, in: Ursula Lehmkuhl und Hans-Heinrich

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Schlußbetrachtung

ern, deren tiefere Ursachen die beiden großen Parteien nur halbherzig zu analysieren begannen, weil sie ein jeweils unterschiedlich motiviertes Interesse an der Erhaltung des Status quo hatten. Solche und andere innen- wie außenpolitische Besonderheiten der britischen Einstellungsmuster und der Politik gegenüber der europäischen Integration im Vergleich mit anderen europäischen Staaten sind durchaus nachweisbar. Jedoch erscheint es nicht gerechtfertigt, daraus eine Sonderwegthese abzuleiten, derzufolge die Nachkriegsgeschichte Großbritanniens auf eigenartige Weise von der angeblichen europäischen Norm einer ausgeprägten Bereitschaft zum Aufbau gemeinsamer Organisationen mit stärker integrativen Strukturen abwich. 5 Eine solche Bewertung der britischen Europapolitik in den fünfziger Jahren und Anfang der sechziger Jahre, bei der die europäische Nachkriegsgeschichte rückwärts interpretiert wird, verkennt, daß die Briten damals mit ihrem Konzept für ein größeres Westeuropa mit stärker zwischenstaatlichen Organisationsstrukturen, das sich vor allem auf die Liberalisierung des Handels bzw. eine Integration der Märkte konzentrieren sollte, keinesfalls allein standen, sondern von den späteren EFTA-Staaten und sogar in einigen EWG-Staaten Unterstützung erhielten. Bei näherem Hinsehen erweisen sich die zeitgenössischen Kontroversen zwischen britischem Pragmatismus und kontinentaleuropäischem Konstitutionalismus ohnehin als Auseinandersetzungen über die Opportunität bestimmter Integrationsschritte, die überwiegend aus taktischen Gründen zu theoretischen Gegensätzen hochstilisiert wurden.6 Der Vergleich der britischen Europapolitik mit derjenigen der EWG-Staaten macht deutlich, in welchem Maße die Sonderwegthese Unterschiede überbetont und Gemeinsamkeiten verdrängt. So zeugt es keineswegs von einer besonderen Eigenwilligkeit der Briten, daß die Londoner Regierung die Zukunft Westeuropas aus einer betont transatlantischen Perspektive sah. Selbst auf dem Höhepunkt des deutsch-französischen Bilateralismus maß auch die Bonner Regierung, wenngleich aus anders gelagerten Gründen, stabilen Beziehungen zur Regierung in Washington sehr hohe Bedeutung bei. Eine enge Verbindung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu erhalten, war für die Niederländer und Belgier sogar ausschlaggebend für den Abbruch der Fouchet-Verhandlungen über eine engere politische Zusammenarbeit der Sechs im April 1962. Auch war es nicht ungewöhnlich, daß Macmillan die Europapolitik in erster Linie als Verlängerung der nationalen Außenpolitik behandelte. So war die europäische Integration für Adenauer zunächst ein Sprungbrett zum Wiedereinstieg der Bundesrepublik Deutschland in die Außenpolitik und später der geeignetste Rahmen für die Intensivierung der deutsch-französischen Partnerschaft. De Gaulle wollte dagegen eine politische Führungsrolle in der EWG und innerhalb der von ihm ins Auge gefaßten politischen Zusammenarbeit der Sechs hauptsächlich zur Stärkung einer von den USA unabhängigen Stellung Frankreichs in der Weltpolitik nutzen. In ihrer jeweiligen Fixierung auf eine nationale politische Führungsrolle

Jansen (Hrsg.): Großbritannien, das Empire und die Welt: Britische Außenpolitik zwischen „Größe" und „Selbstbehauptung", 1850-1990, Bochum 1995, S.245-261. 5 So im Ergebnis zuletzt wieder bei Jill Stephenson: Britain and Europe in the later twentieth Century: identity, sovereignty, peculiarity, in: Mary Fulbrook (Hrsg.): National histories and European history, London 1993, S . 2 3 0 - 2 5 4 (233ff.). Für eine kritische Sicht der Sonderwegthese siehe William Paterson: Britain and the European Union Revisited: Some Unanswered Questions, in: Scottish Affairs 9 (1994), S.l-12. 6 Loth, Der Weg, S. 139.

Schlußbetrachtung

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in dem neu entstehenden Westeuropa ähnelten sich Macmillans und de Gaulles Konzeptionen sogar in erstaunlichem Maße. Die Weltmachtrhetorik des britischen Premierministers und die Vision eines erneuten Aufstiegs der „Grande Nation" des französischen Präsidenten waren im Grunde zwei Seiten derselben Medaille, nur daß die Franzosen innerhalb der EWG institutionell abgesichert waren und darüber hinaus in den bilateralen Beziehungen zu Bonn im Gegensatz zu den Briten über ein geeignetes Mittel zur Verfolgung ihrer europäischen Ziele verfügten. Insofern sich die britische Regierung nach dem 1972/73 erfolgten EWG-Beitritt innerhalb der Organisation isoliert sah und infolgedessen anderswo als widerspenstiger Partner gesehen wurde, lag das überwiegend daran, daß sie anders als etwa die französische oder die deutsche Regierung nicht als Gründungsmitglied die Grundstrukturen der Politik der Gemeinschaft nach ihren eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen hatte beeinflussen können. Besonders nachteilig wirkte sich die Struktur des EWG-Haushalts aus, die sich maßgeblich aus den Eckdaten der bereits Anfang der sechziger Jahre von den Sechs entworfenen Agrarpolitik ergab. So sah sich die britische Regierung nach dem Beitritt in der Position des zweitgrößten Nettozahlers nach der Bundesrepublik Deutschland, obgleich die Wirtschaftskraft Großbritanniens relativ zu derjenigen der anderen Mitgliedstaaten ständig weiter abnahm. Um im inzwischen dritten Anlauf endlich in die EWG gelassen zu werden, hatte Premierminister Heath ausgerechnet zu einem Zeitpunkt einen sehr hohen finanziellen Eintrittspreis zahlen müssen, als sich die Gemeinschaft in einer politischen Stagnationsphase befand und im Zuge der Ölkrise in eine wirtschaftliche Rezession eintrat, so daß von dem Beitritt noch nicht einmal die erhofften ökonomischen Impulse ausgingen. Nicht an einem bestimmten integrationspolitischen Leitbild ist die britische Europapolitik in dieser Studie gemessen worden, sondern an der Frage, ob diese lange europäische Odyssee mit ihren bis heute anhaltenden Nachwirkungen durch eine andere Politik in der formativen Gründungs- und Aufbauphase der EWG hätte vermieden werden können. Kritisch bewertet worden ist hier vor allem, daß die britische Regierung die Interessen und die Politik ihrer europäischen Partner aus einer in der imperialen Vergangenheit verwurzelten überheblichen Grundhaltung heraus fehlerhaft wahrnahm; daß sie ferner selbst dort dogmatisch an tradierten außenpolitischen Zielen festhielt, wo diese nicht mehr miteinander in Übereinstimmung zu bringen waren; und daß es ihr schließlich auch nicht gelang, die Mittel ihrer Politik auf die Ziele abzustimmen, um so die Chancen für die Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen in Europa zu erhöhen. Wie bei der Untersuchung des europapolitischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses deutlich geworden ist, war das Außenministerium maßgeblich mitverantwortlich für die fehlerhafte Wahrnehmung der europäischen Interessen und der Politik insbesondere Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland, aber auch der Vereinigten Staaten. Vor allem im Zusammenhang mit den Brüsseler Vorgesprächen 1955 wurden Informationen und Kommentare, etwa aus der britischen Botschaft in Bonn oder vom britischen Vertreter im Spaak-Ausschuß, Bretherton, die der vorgefaßten Meinung widersprachen, die MessinaInitiative sei ohnehin zum Scheitern verurteilt, ausgeblendet. Dasselbe galt für die geradezu prophetischen Warnungen aus den Wirtschaftsministerien vor den Gefahren eines Ausschlusses von einem Gemeinsamen Markt der Sechs. Mit seinem leichtsinnigen „best case"-Denken setzte sich das Außenministerium nicht zuletzt deshalb durch, weil es den politischen Entscheidungsträgern auf komplexe Fragen einfache und insofern politisch bequeme Antworten gab.

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Schlußbetrachtung

Zum Mangel an Flexibilität in der britischen Europapolitik, durch den eine frühzeitige Anpassung an die sich rasch wandelnden binnenwirtschaftlichen und internationalen Rahmenbedingungen verhindert wurde, trug wesentlich bei, daß deren Ziele ausgesprochen dogmatisch definiert wurden. An der Vorstellung von einer Rolle als Scharnier zwischen den drei Kreisen ihrer Außenbeziehungen hielt die britische Regierung selbst dann noch fest, als 1955 längst die mittel- und langfristige Vereinbarkeit der wirtschaftlichen Interessen im Commonwealth und in Europa in Frage gestellt und 1961 offensichtlich war, daß sich wegen de Gaulles Politik eine Führungsrolle in Europa und die Fortsetzung einer Sonderstellung gegenüber den Vereinigten Staaten ausschlössen. Durch ihre Fixierung auf das Konzept der drei Kreise glaubte sich die Regierung in Westeuropa immer wieder in Zwangslagen, die in einer pragmatischeren Perspektive so nicht existierten. Bestimmte alternative Optionen, wie den Vorschlag für eine europäische Atomstreitmacht von 1957, die die Wahrung der britischen Interessen in Europa hätten ermöglichen können, erwog sie gar nicht erst oder verwarf sie überstürzt. Als ausgesprochen kontraproduktiv erwies sich schließlich der überhebliche diplomatische Stil, den die Regierung in der Europapolitik pflegte und der besonders anschaulich in Macmillans vergeblichem Störversuch gegenüber der Messina-Initiative im November 1955 und in seiner späteren Drohpolitik gegenüber den Deutschen zum Ausdruck kam. Der Premierminister erkannte zwar die enge Verknüpfung von integrations-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Problemen der europäischen Politik, war jedoch in Verkennung der machtpolitischen Realitäten in dem neu entstehenden Westeuropa weder in den FHZ-Verhandlungen noch im Zusammenhang mit dem EWG-Beitrittsantrag zu den notwendigen wirtschaftlichen und politischen Konzessionen bereit. Die diplomatischen Mittel, die die britische Regierung zwischen 1955 und 1961 zur Durchsetzung ihrer europapolitischen Ziele einzusetzen bereit war, erwiesen sich vor allem angesichts der sich allmählich herausbildenden engen und von einer ausgeprägten Konzessionsbereitschaft der Bonner Regierung getragenen deutsch-französischen Partnerschaft innerhalb der EWG als durchgängig unzureichend. Aus dieser Perspektive stellt sich Großbritanniens europäische Odyssee als das ernüchternde Ergebnis einer in erheblichem Maße von der britischen Regierung verschuldeten Selbstisolierung in Europa dar. Es bleibt nur der abschließende Hinweis auf die Last einer als erfolgreich wahrgenommenen nationalen Geschichte, unter der gestalterische Politik für die Zukunft zu betreiben, für die Briten ohne Frage weitaus schwieriger war als für Deutsche oder Franzosen. Darauf spielte auch der durchaus anglophile Jean Monnet an, als er einst in einem Interview urteilte: „I never understood why the British did not join this (which was so much in their interest). I came to the conclusion that it must have been because it was the price of victory - the illusion that you could maintain what you had, without change." 7 7 BBC-Interview mit Jean Monnet, abgedruckt bei Charlton, The Price, S.307.

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1. Quellen- und Literaturverzeichnis a) Archivalische Quellen Public Record Office, Kew, Surrey: Prime Minister's Office (PREM) PREM 11 (Prime Minister's Files): 1337, 1365, 1366, 1829A, 1830A, 1831A, 1838, 1841, 1844, 1853, 2132, 2133, 2136, 2315, 2326, 2328, 2336, 2341, 2343, 2345, 2531, 2532, 2676, 2678, 2679, 2695, 2696, 2699, 2701, 2705-2707, 2714, 2826-2828, 2870, 2978, 2985, 2986, 2993, 2994, 2998, 3002, 3024,3025,3131-3133,3255,3311,3318,3319,3321,3322,3325,3326,3328,3334,3345,3553-3559 Cabinet (CAB) CAB 128 (Cabinet Meetings): 29-35,11 CAB 129 (Cabinet Memoranda): 75-107,1 CAB 130 (Ad-hoc Committees): 120 GEN 549, 123-124 GEN 580, 132-136 GEN 613,154-157 GEN 670/671,168 GEN 699,173 GEN 717 CAB 134 (Cabinet Committees): 889, 1026-1030, 1044, 1226-1230, 1236-1237, 1238-1241, 1282-1286, 1674-1692, 1811-1817, 1818-1821, 1822-1830, 1835-1840, 1852-1854, 1884-1885, 2201-2205 Foreign Office (FO) FO 371 (Mutual Aid Department/European Economic Organisations): 116038-116057, 121972, 121975,122022-122043,122044-122046,128331-128374,134486-134520,134544,134545,142425, 142561-142569, 142588-142600, 142609-142615, 142616-142619, 142628, 142629, 150166 -150170, 150172-150180, 150217-150224, 150263-150299, 150306-150332, 150360-150369, 158160-158169, 158170-158184, 158185-158212, 158213-158216, 158238-158243, 158264 -158309,158357-158363 Treasury (T) T 230 (Economic Advisory Section): 335-336, 394-401 T 231 (Exchange Control Division): 793-801 T 232 (European Economic Co-Operation Committee): 430-433 T 234 (Home and Overseas Planning Staff Division): 67, 100-104, 181-187, 195-205, 207-221, 230, 235, 357-362, 367, 369, 373-379, 715, 717-721 T 236 (Overseas Finance Division): 4080-4081,4369-4370,4760-4766,4865-^868,

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Anhang

Board of Trade (BT) BT 11 (Commercial Relations and Exports Department): 5367, 5402, 5484-5487, 5514, 5516, 5519, 5520, 5530, 5538-5539, 5544, 5545, 5552-5559, 5562-5568, 5570-5572, 5580, 5591-5593, 5596, 5597, 5602, 5612, 5616, 5622, 5624, 5648-5650, 5693, 5708-5710, 5714-5717, 5729, 5734, 5735, 5783-5787,5800-5804,5813,5820,5852 BT 205 (Tariff Division): 261-265, 306-308 BT 213 (Commodity and General Division): 70, 95 BT 241 (Commercial Relations and Exports Division): 554, 555,1115 BT 258 (Industries and Manufactures Department): 28,176,229-231 Ministry of Agriculture, Fisheries and Food (MAF) MAF 247 (External Relations Division): 21, 22, 32, 36 MAF 255 (Minister's Papers): 430, 431, 442, 961 Bodleian Library, Oxford: Conservative Party Archives (CPA) CCO 3 (Organisation Department/Outside Organisations): 5/115,6/149,6/150 CCO 4 (Special Subjects): 7/428, 8/94,9/152 CCO 500 (Director of Organisation's Office): 31/1-4 CRD 2 (Conservative Research Department): 8/4,9/41,11/8,11/9,11/12, 34/2^1, 34/7, 34/8 Paul Gore-Booth Papers Harry Crookshank Papers Anthony Rumbold Papers University Library, Birmingham: Avon Papers (Anthony Eden/AP): 13/3/51, 13/3/52, 20/1/1-32, 20/2/5, 20/20/1-149, 20/21/1-237, 20/29/2-3, 20/49/1-17, 20/50/88-104, 23/3/1-18 Trinity College Library, Cambridge: R.A. Butler's Papers: F 1-130, G 1-46, H 1-118 Churchill Archives Centre, Cambridge: Duncan Edwin Duncan-Sandys Papers (DSND): 6/30,6/33,6/37,9,15/4,15/5 David Maxwell Fyfe Papers Interviews: Ball, George Barclay, Roderick Bretherton, Russell Butler, Richard Austen Figgures, Frank France, Arnold Glaves-Smith, Frank W. Heath, Edward

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28.04.1993 11.02.1981# 10.02.1981# 04.05.1993 19.05.1993 01.04.1993

* Durchgeführt 1980/81 für eine BBC-Serie über Großbritanniens Europapolitik seit dem Zweiten Weltkrieg und abgedruckt bei Michael Charlton: The Price of Victory, London 1983. # Die Einsichtnahme in die schriftlichen Zusammenfassungen der mündlichen Interviews erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hanns Jürgen Küsters, Forschungsstelle für Deutschlandpolitik, Lennestraße 8, 53113 Bonn.

Quellen- und Literaturverzeichnis Hoyer Miliar, Frederick Murville, Maurice Couve de Nutting, Anthony Sanders, Cyril W. Soames, Christopher Roll, Eric Rothschild, Robert Thorneycroft, Peter Zulueta, Philip de

219 mdl.* mdl.* mdl. sehr. mdl.* mdl.* mdl.* mdl* mdl*

19.01.1981 # 14.06.1993

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232

Anhang

2. Personenregister Acheson, Dean 147 Adenauer, Konrad 60, 112, 118, 188-190, 194-197,201-205,209 Amery, Julian 140 Ball, George 125,128-130,190 Beaverbrook, Lord 155 Bevin, Ernest 25 Beyen, Johan Willem 31, 54, 57, 60 Blücher, Franz 193 Boothby, Robert 73, 170 Bourges-Maunory, Maurice 206 Brentano, Heinrich von 60 Bretherton, Russell 32, 47, 55, 57-58, 62, 66, 70, 75-77,215 Bridges, Edward 69 Bundy, McGeorge 142,191 Butler, Rab 16,32,40,49,52,54-55,65, 67, 85, 89-90,132,138,172 Caccia, Harold 49, 62, 129, 141-142, 144, 191 Chruschtschow, Nikita 118,197 Churchill, Winston 21, 24-25 Clarke, Otto 43,49, 63, 69-70,73-74 Cohen, Edgar 47 Coulson, John 44,46, 62, 194 Cripps, Stafford 26 Crookshank, Harry 55 Dalton, Hugh 26 Diefenbaker, John 182-183 Dillon, Douglas 107, 121, 128, 189 Dixon, Pierson 146, 206 Dulles, John Foster 59-61,186-188 Eccles, David 83,94 Edden, Alan 44,53-54,186 Eden, Anthony 16,27, 52, 61,64-65, 67, 88, 187 Eisenhower, Dwight D. 61, 102, 118, 124, 187, 205 Elisabeth, Queen 201 Ellis-Rees, Hugh 58, 60 Erhard, Ludwig 59, 193-194 Faure, Maurice Figgures, Frank

94,98 71, 75

Gaitskell, Hugh 169,175-176 Gaulle, Charles de 104,112,119,121,127, 134,139-142,144, 146,148-149,190, 196-198,201,203-210,212-214 Grimond, Jo 145 Hallstein, Walter 62, 209 Hare, John 184 Harrod, Roy 76 Hayman, Graham 161 Head, Anthony 102 Heath, Edward 16,128,131-133,167,176, 198,200 Heathcoat-Amory Derek 80, 104, 107,119, 121,141,189, 199,201 Heuss, Theodor 203 Holyoake, Keith 182-183 Home, Lord 85-86,131-132,200, 202 Hoyer Miliar Frederick 49, 131, 148, 193, 202 Hurd, Anthony 172 Jackling, Roger William 123 Jebb, Gladwyn 58-59, 96, 98-99 Jenkins, Roy 175-176 Kennedy, John F. 125-130,138,141-146,178, 189-190,201,205-207,212 Kipping, Norman 163, 167-168 Kirkpatrick, Ivone 49,62 Krag, Jens Otto 200 Labouchere, George 97 Lee, Frank 48, 57, 82, 106, 109, 115, 122, 128-129, 163,206 Lennox-Boyd, Alan 85 Lloyd, Selwyn 61, 70, 101-102, 119, 121-122, 132-133,139-141,174,187-189,196,199, 201 McNamara, Robert 125 Macleod, Ian 184 Macmillan, Harold 13, 21, 24,48, 52-55, 58-59,61, 63-65,68, 74, 81, 83-87, 89-90, 92, 94, 96-97, 100, 103-105, 109, 114-118, 122-124,126-127, 129-133, 135, 138-146, 149,155, 157, 161-163, 165-166,170-174, 176-179,183,185,187-191,193-194,197, 199-202,204-210,212-213

Personenregister Major, John 13 Makins, Roger 160,187 Marjolin, Robert 198 Maudling, Reginald 91, 96, 109, 138, 194 Meade, James 76 Menzies, Robert 182-183 Mills, Percy 160 Minoprio, Peter 172 Mollet, Guy 94,194 Monnet, Jean 216 Murville, Maurice Couve de 206 Nehru, Jawaharlal 184 Nixon, Richard 128,144 Norstad, Lauris 125 Nutting, Anthony 21,45,193 Pilkington, Harry 158 Profumo, John 133 Reading, Lord 52 Rodgers, Gerald 53 Rothschild, Robert 64 Rowan, Leslie 63

233 Rumbold, Anthony 202 Rusk, Dean 129,142 Salisbury, Lord 86,102 Sandys, Duncan 16, 132,182, 205 Sergent, Rene 58, 86 Shuckburgh, Evelyn 202 Soames, Christopher 132,136,168 Spaak, Paul-Henri 31-32, 55-56, 59-60, 63, 92,96-99,196 Strauß, Franz Josef 190, 193, 205 Tennant, Peter 163 Thatcher, Margaret 13 Thorneycroft, Peter 47-48, 64, 68, 71, 75-76, 81-87,89-90,92,94,99,131,144,160-163, 184 Trend, Burke Watts, Nita

32-33,48,51-52,59,63 63

Wilson, Harold 108,170, 174, 210 Wormser, Olivier 206 Zulueta, Philip de 118,123,140,143, 207

GERHARD T H . MOLLIN

Die USA und der Kolonialismus Amerika als Partner und Nachfolger der belgischen Macht in Afrika 1939-1965 Reihe: Studien zur Internationalen Geschichte, Band 1 1996. ca. 540 Seiten - 18 Abb. - 170 mm x 240 mm Gb, DM 148,- / öS 1.080,- / sFr 1 3 1 ISBN 3-05-002735-5 Aus dem Inhalt: Teil I: Das „Jüngste Arsenal der Demokratie " (1939-1945) - Die europäische Kolonialherrschaft vor dem Ansturm der revisionistischen Mächte - Der Belgische Congo in der Krise des europäischen Kolonialsystems - Die Belieferung der amerikanischen Kriegsindustrie mit Congo-Rohstoffen - Die amerikanische-belgische Uran-Verbindung - Die Einbeziehung Afrikas in die amerikanische Kriegführung - Ökonomisches Vordringen der USA in den Congo - Der Weg zum kolonialen Schulterschluß von 1945 Teil II: „Das Bollwerk der amerikanischen und westlichen Sicherheit" (1945-1955) - Die USA und die koloniale Welt im Kalten Krieg - Das 'Nationale Interesse' der USA am Congo - Die USA, die Vereinten Nationen und der belgische Kolonialismus - Die strategische Rohstoffreserve der USA und der belgische Kolonialismus im Kalten Krieg - Die große Zeit des Congo-Urans in der Anfangsphase des nuklearen Wettrüstens - Die „Sicherheit Katangas" - Die ökonomischen Beziehungen Teil II: Das Schlachtfeld des Stellvertreter- Krieges (1955-1965) - Bewegung ohne Wandel: Die amerikanische Regierung am Beginn der Entkolonialisierung Afrikas (1955-1958) - Die Destabilisierung der belgischen Herrschaft über den Congo (1955-1958) - Das Projekt von Inga: Der Kolonialismus in der Sackgasse (1955-1958) - Der Konkurs der belgischen Herrschaft (Januar bis Oktober 1959) - Entstehung des Machtvakuums - Attentismus der amerikanischen Politik (Oktober 1959 bis Juni 1960) - Die Aufhebung des belgischen Kolonialismus durch das amerikanische Eingreifen in die Congo-Krise (Juli/August 1960) - Die USA als imperiale Macht in Afrika (1960-1965) - Bilanz und Ausblick: Die USA, Westeuropa und der Congo seit dem Zweiten Weltkrieg

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Bundesrepublik Deutschland und China 1949 bis 1995 Politik - Wirtschaft - Wissenschaft - Kultur Eine Quellensammlung Herausgegeben von Mechthild Leutner. Bearbeitet von Tim Trampebach. Reihe: Quellen zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen 1897 bis 1995 1995. 435 Seiten - 170 mm x 240 mm Gb, DM 1 9 8 - / öS 1.445- / sFr 1 9 0 ISBN 3-05-002804-1 Erstmalig werden 150 deutsche und chinesische Quellen zu den politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China präsentiert und alle wichtigen Ereignisse und Probleme dokumentiert, so der Zustand während des Fehlens diplomatischer Beziehungen zur Zeit des Kalten Krieges, der Wiederaufbau der Wirtschaftsbeziehungen, die Berner Gespräche über ein Handelsabkommen 1964, die Aufnahme offizieller Beziehungen 1972, der Rückschlag nach der Unterdrückung der chinesischen Protestbewegung am 4. Juni 1989, die erneute Normalisierung der letzten Jahre. Aus dem Inhalt: - Normalisierung im Widerstreit von Antihegemonismus und Entspannung (1972-1978) - Die „Blüte" der politischen Beziehungen im Jahrzehnt der chinesischen Modernisierung (1978-1989) - Umfassende Wirtschaftsbeziehungen und der Technologietransfer (1978-1995) - Ausbau der Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen (1978-1995) - Der Einschnitt des 4. Juni 1989 und die Renormalisierung sowie das Verhältnis zu Taiwan (1989-1995)

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Die DDR und China 1949 bis 1990 Politik - Wirtschaft - Kultur Eine Quellensammlung Herausgegeben von Werner Meißner Reihe: Quellen zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen 1897 bis 1995 1995. 466 Seiten - 170 mm x 240 mm Gb, DM 198- / öS 1.445- / sFr 1 9 0 ISBN 3-05-002806-8 Dieser Band präsentiert ca. 220 deutsche und chinesische Quellen zu den politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik China von der Gründung beider Staaten bis 1990. Die vielseitigen, wechselhaften und widerspruchsvollen Beziehungen werden dokumentiert auf dem Hintergrund der jeweiligen innenpolitischen Entwicklungen und des Gesamtgeflechts der internationalen Reaktionen. Erstmals war mit der Öffnung der Archive des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Zentralen Parteiarchivs der Zugriff auf bislang geheime zeitgeschichtliche Dokumente möglich. Hierzu gehören Protokolle der Sitzungen des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED aus den Jahren 1950 bis 1989 und Lageeinschätzungen und Gesprächsprotokolle der DDR-Botschaft in Beijing sowie einzelner Abteilungen des ZK der SED. Somit können das erste Mal auch Äußerungen hoher chinesischer Personen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, so neben zahlreichen Gesprächen auf Botschafterebene auch Gespräche zwischen Mao Zedong und Walter Ulbricht 1956, zwischen Erich Honecker und der Führungsspitze der KP China im Jahre 1986, und schließlich die Gespräche zwischen dem Nachfolger Honeckers, Egon Krenz, und Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KP China nach dem 4. Juni 1989. Aus dem Inhalt: - Die Beziehungen von der Gründung beider Staaten bis 1957 - Im Schatten des chinesisch-sowjetischen Konflikts 1958 bis 1965 und des Konfliktes 1966 bis 1976 - Deutschland und die Berlinpolitik - Die Kulturbeziehungen - Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen - Die Phase der Wiederannäherung 1980 bis 1988 - Vom 4. Juni 1989 bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland

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