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German Pages 238 [226] Year 2012
Elke Goez
Mathilde von Canossa
Abbildungsnachweis: Biblioteca Apostolica Vaticana/Vita Mathildis: S. 12, 29, 58, 128; bpk: S. 32 (Dietmar Katz); Peter Palm: Karte S. 142; picture alliance: S. 105, 210 (akg-images), 110 (United Archives/DEA PICTURE LIBRARY), 188 (YAN TRAVERT/ akg-images); WBG-Archiv: S. 100.
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ISBN 978-3-534-24081-4 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagbild: Mathilde von Canossa, anonymes Gemälde. Foto: picture-alliance / dpa / dpaweb www.primusverlag.de
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Inhalt
Inhalt
I. Aufbruch aus dem Chaos: Die Etablierung der frühen Canusiner in Oberitalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Neuankömmling zur dominierenden Kraft in der Emilia: Adalbert-Atto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufstieg und früher Zenit: Thedald und Bonifaz . . . . . . IV. Die Welt um die Mitte des 11. Jahrhunderts . . . . . . . . . V. Schwere Kindheit und frühe Gefangenschaft . . . . . . . . VI. Mathildes Jugendjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der ungeliebte Gemahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Lange Lehrzeit: Beatrix und Mathilde als Vermittlerinnen IX. Eskalation des Investiturstreits . . . . . . . . . . . . . . . . X. Ohne Rücksicht auf Verluste – die harten Jahre des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Hofkultur trotz knapper Kassen . . . . . . . . . . . . . . . XII. Lohn der Beharrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Neue Weggefährten und alte Getreue . . . . . . . . . . . . XIV. Mathildes späte Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Ein kaum beachteter Tod? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Mathilde – Mythos und Realität . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Mathilde von Canossa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Quellen (in Auswahl) Literatur . . . . . . . . Personenregister . . . Ortsregister . . . . . .
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I. Aufbruch aus dem Chaos: Die Etablierung der frühen Canusiner in Oberitalien
I. Die frühen Canusiner und ihre Etablierung in Oberitalien
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ls im ersten Drittel des 10. Jahrhunderts der älteste mit Sicherheit nachweisbare Ahnherr der Canusiner in der historischen Überlieferung fassbar wird, bieten Ober- und Mittelitalien ein trauriges Bild. Obwohl Kaiser Karl III. in der Spätzeit des zerfallenden karolingischen Imperiums mit aller Macht versuchte, sein gewaltiges Riesenreich zusammenzuhalten und dafür zwischen 879 und 886 zwölf Mal die Alpen überschritt, gelang es ihm trotz dieser schier übermenschlichen Anstrengung nicht, Italien eine tragfähige Ordnung zu geben. Angesichts der Unmöglichkeit, persönlich alle Teile des karolingischen Machtbereiches zu stabilisieren, förderte Karl III. den Aufstieg regionaler Kräfte und Potentaten; es begann die Zeit der sogenannten ,italienischen Nationalkönige‘. Der Begriff führt in die Irre: Zum einen stammten die dominierenden Familien der knapp achtzig Jahre bis 962 überwiegend aus fränkischen Geschlechtern, waren also im strengen Wortsinn eigentlich Landfremde; zum anderen wissen wir nichts darüber, ob und wie stark sie sich mit Oberitalien identifizierten, und das heißt: ob sie dort selbst integrierend, einheits- und identitätsstiftend wirken konnten oder wollten. Zudem war Italien noch sehr weit von einer nationalen Einigung entfernt, so dass der Begriff ,Nationalkönige‘ ein völlig falsches Bild evoziert. Wenn die vielen Regionen Italiens in den turbulenten Zeiten des ausgehenden 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts überhaupt eine Gemeinsamkeit besaßen, dann diejenige der Sprache, drang doch das italienische Volgare langsam, aber unaufhaltsam sogar bis in die Gerichtssphäre vor. Politisch versank Oberitalien immer mehr im Chaos, obwohl sich 896 Lambert, der Sohn des verstorbenen Kaisers Wido, und sein stärkster Widersacher Berengar von Friaul verständigten und die Herrschaft
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vertraglich untereinander aufteilten: Vernünftigerweise wollten sie ihre begrenzten Kräfte nicht in sinnlosen Kämpfen unnütz verschleißen. Als Lambert nur zwei Jahre später 898 starb, lag die Macht allein in der Hand des tatkräftigen Berengar. Doch brach 899, gerade im Augenblick berechtigter Hoffnung auf politische Stabilität, ein neuer, fürchterlicher Feind in Italien ein und verheerte das Land in nacktes Entsetzen erregenden Raub- und Beutezügen: die Ungarn. Nichts und niemand schien die wilden Reiterhorden stoppen zu können, die bei ihren Plünderungen alles an sich rissen, was wertvoll schien und nicht niet- und nagelfest war. Als deutlich wurde, dass Berengar der Wucht der ungarischen Überfälle nichts entgegenzusetzen vermochte – die Verwüstungen nicht beenden oder ihnen wenigstens wirkungsvoll Einhalt gebieten konnte – bildete sich rasch eine Opposition gegen ihn, die im Jahr 900 Hilfe bei König Ludwig von der Provence suchte. Zwar gelang Ludwig schon 901 der Griff nach der Kaiserkrone; dennoch vermochte der Frischgekrönte weder gegen Berengar noch gegen die Ungarn einen entscheidenden Sieg zu erringen. Vielmehr fiel Kaiser Ludwig III. 905 in die Hände Berengars, wurde grausam geblendet und trat damit definitiv von der Bühne der inneritalienischen Politik ab. Aber auch der zunächst siegreiche Berengar konnte Italien nicht einen. 922 spitzte sich die Situation so sehr zu, dass seine eigenen Gefolgsleute Rudolf II. von Hochburgund ins Land riefen, der zwar Berengar militärisch niederrang, jedoch zu schwach war, um auf Dauer eine selbständige Rolle in Italien spielen zu können: Zeitlebens blieb er von der Unterstützung seines Schwiegervaters abhängig. So trugen seine Gegner, nunmehr enttäuscht, die Königskrone dem Grafen Hugo von Vienne an, der den ohnmächtigen Rudolf II. aus Italien verjagte. Obwohl auch Hugo letztlich an den Kräften scheiterte, die Italien zersplitterten und die Reste der öffentlichen Ordnung in den Staub traten, schien mit ihm doch zunächst eine neue, tragfähige politische Struktur zu entstehen. Zur Sicherung seiner Dynastie ließ er raschestmöglich seinen Sohn Lothar zum Mitkönig erheben. Diese noch immer ungeordneten und chaotischen, teilweise geradezu anarchischen Zustände boten neuen Kräften die einmalige Chance zum Aufstieg. Auf die Seite der beiden Herrscher, Hugo und Lothar, schlug sich ein Adliger aus der Grafschaft Lucca, der wohl zum Dank für seine Partei-
I. Die frühen Canusiner und ihre Etablierung in Oberitalien
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nahme von König Lothar in der Emilia den Hof Vilianum bei Parma erhielt: Siegfried (Sigefredus), der Stammvater der Canusiner. Das Schicksal des ersten Canusiners bleibt weitestgehend im Dunkel. Selbst der sonst so erzählfreudige, wortgewandte und bisweilen sehr fabulierlustige Geschichtsschreiber Donizo, Autor der Vita Mathildis, dem wir die Geschichte der Canusiner und ganz besonders ihrer letzten Vertreterin Mathilde verdanken, hüllt sich fast gänzlich in Schweigen. Donizo wurde um 1070 / 72 geboren und starb irgendwann nach 1136; in der Zeit um 1087 / 90 trat er in das Kloster Sant’Apollonio in Canossa ein, wo er mehr als fünfzig Jahre seines Lebens verbrachte und sogar zum Abt aufstieg. Trotz aller berechtigten Kritik an seiner Glaubwürdigkeit vor allem in seinen Darstellungen der canusinischen Frühzeit ist dieser ausgesprochene Panegyriker unsere wichtigste Informationsquelle für die Geschichte der Canusiner. Über Siegfried jedoch weiß selbst Donizo kaum etwas zu erzählen. Allerdings berichtet er – und daran ist trotz aller Übertreibungen und Verzerrungen, deren sich Donizo bewusst und unbewusst schuldig gemacht hat, nicht zu zweifeln – dass Siegfried aus der Grafschaft Lucca stammte – was freilich nicht bedeutet, dass er diese Grafschaft selbst innegehabt haben muss. In den Quellen zur canusinischen Familiengeschichte tritt er zu keinem Zeitpunkt als ,Graf‘ in Erscheinung. Sein Sohn Adalbert-Atto bezeichnet sich selbst stets als filius beatae memoriae Sigefredi de comitatu Lucensi (Sohn des Siegfried seligen Angedenkens aus der Grafschaft Lucca). Innerhalb der für die Legitimität und Kontinuität einer Familie so immens wichtigen Erinnerung an die Vorfahren hat man also nicht versucht, den Rang des Ahnherrn über Gebühr zu erhöhen. Für die Annahme, Siegfried sei nicht Graf in Lucca gewesen, spricht auch, dass er die Region verlassen hat, um gemeinsam mit seinen drei Söhnen – dem jüngeren Siegfried, Adalbert-Atto und Gerhard – eine glücklichere Zukunft und bessere Aufstiegschancen in Oberitalien zu suchen. Wann genau er sich mit seiner Familie nach Norden wandte, ist unbekannt. Als sich Hugo von der Provence 926 zum König krönen ließ, dürfte sich Siegfried jedoch bereits in seinem Umfeld befunden und ihm seine Dienste angetragen haben. Wie er Kontakt mit dem Herrscher aufgenommen hatte und welchen Adelsgruppen er angehörte, ist ebenfalls unbekannt. Er muss allerdings mächtige Fürsprecher besessen haben; anders ist sein rascher Aufstieg nicht zu erklären. Donizo betont ausdrücklich die Fürsorglich-
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keit Siegfrieds, aber auch dessen enorme Wehrhaftigkeit – Qualitäten, die ihn nicht nur als Gefolgsmann begehrt gemacht, sondern die auch nicht wenig zum persönlichen Aufstieg des ersten Canusiners beigetragen haben dürften, dessen Macht sich Donizo zufolge ebenso ausbreitete wie „die Rebe sich spreizt in die Länge und Breite“ (Donizo v. 104). Bei aller Vorsicht, mit der Donizos Berichte aus der Frühzeit der Canusiner betrachtet werden müssen, scheint es Siegfried gelungen zu sein, im Gebiet um Parma und wohl auch schon in den Vorbergen des Apennin Fuß zu fassen und seinen Einflussbereich dorthin auszudehnen. Dass er und seine Söhne „verschiedene Völker und Stämme“ unterworfen hätten (Donizo, v. 109), ist wohl eher eine maßlose panegyrische Übertreibung. Schließlich ist nicht einmal zweifelsfrei bekannt, ob und in welchem Umfang Siegfried König Hugo und seinem Sohn König Lothar Waffenhilfe geleistet hat. Man darf aber mit Sicherheit annehmen, dass seine Etablierung im Apennin und seine Machterweiterung mit wohlgefälliger Duldung beider Herrscher erfolgte und deren mehr oder weniger stillschweigendes Einverständnis voraussetzte.
II. Vom Neuankömmling zur dominierenden Kraft in der Emilia: Adalbert-Atto
II. Adalbert-Atto
Nach dem Tode des älteren Siegfried scheinen sich seine drei Söhne, Siegfried, Adalbert-Atto und Gerhard, getrennt zu haben. Nach Aussage Donizos zogen Siegfried und Gerhard nach Parma, wo sie eigene Familien gründeten, deren weitere Verbindungen zu den nachfolgenden Canusinern im Dunkel liegen. Adalbert-Atto, von dem wir nicht wissen, ob er der älteste Sohn Siegfrieds war, wandte sich nicht einem Leben in der Stadt zu, sondern trat in die Fußstapfen seines Vaters und baute den ererbten Machtbereich energisch aus. Unter seiner Ägide gelang die endgültige Festsetzung der Familie im Apennin, weshalb er in der Literatur gemeinhin als Ahnherr der Canusiner betrachtet wird. Donizo zeichnet aus einem zeitlichen Abstand von gut hundert Jahren ein knappes, aber eindrucksvolles Charakterbild, doch ist angesichts der idealisierenden Darstellung des Mönches aus Canossa Vorsicht geboten. Adalbert-Atto sei schlau wie die Schlange gewesen, aufstrebend, zielorientiert und in der Lage, eine günstige politische Gelegenheit nicht nur zu erkennen, sondern auch sofort zu ergreifen. Eine zweite Quelle, die spätestens am Ende des 11. Jahrhunderts und damit vor Donizo entstanden ist, scheint diese Beschreibung zu bestätigen. Die Cronica sancti Genesii betont die Intelligenz des Canusiners und bezeichnet Adalbert-Atto als „prudentissimus marchio“, der seine Macht in beeindruckender Weise ausgedehnt habe. Leider ist auch diese Quelle nicht objektiv, denn sie entstand im Umfeld des Klosters San Genesio in Brescello, einer Gründung des ersten Canusiners. Der sicher nachweisbare Aufstieg Adalbert-Attos lässt aber auch jenseits aller Quellenkritik eine beeindruckende Persönlichkeit aufscheinen. Auf Adalbert-Atto geht der festungsmäßige Ausbau der Burg Canossa zurück. In der unwirtlichen, von Wind und Regen ausgewaschenen Crete-
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II. Adalbert-Atto
Vom Neuankömmling zur dominierenden Kraft: Atto links neben seiner Frau Hildegard, darunter die Söhne Rudolf, Gottfried (Gotofred) und Thedald. Darstellung aus Donizos Vita Mathildis.
II. Adalbert-Atto
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Landschaft des Apennin gelegen, thront Canossa am Ende eines Bergsporns, nur auf einem einzigen schmalen Grad zu erreichen und damit praktisch uneinnehmbar. Kein Gegner konnte sich der Burg unbemerkt nähern, und es war undenkbar, Canossa von mehreren Seiten mit einer größeren Menge Bewaffneter anzugreifen. Derartige Befestigungsmaßnahmen waren nicht nur das Gebot der Stunde. Burgen manifestierten auch den Anspruch ihrer Herren auf ein bestimmtes Gebiet. Sie schufen Tatsachen, die nur noch mit Waffengewalt revidiert werden konnten. Es galt aber auch, Bollwerke gegen die Ungarn zu schaffen, deren erfolgreiche Raubzüge ganz auf der überlegenen Geschwindigkeit ihrer schnellen Pferde basierten; an dauerhafte Landnahme und Siedlung dachten sie nicht, und mit langwierigen Belagerungen hielten sie sich nicht auf. Daher kam es im Verlauf der Ungarneinfälle in Italien zu erheblichen Bevölkerungsverschiebungen, die das Erscheinungsbild des Landes nachhaltig geprägt haben. Die Menschen flohen aus ihren offenen Siedlungen auf dem platten Land und suchten den Schutz der Berge und der wehrhaften Burgen. Es begann die Zeit des ,incastellamento‘, der Ummauerung. Der Burgherr konnte wenigstens ein gewisses Maß an Sicherheit versprechen, und deshalb liefen ihm die Menschen in Scharen zu. Im Jahr 958 erwarb Adalbert-Atto Landbesitz, dessen Wert und Ausdehnung kaum erwähnenswert wäre, wenn er nicht zwischen zwei Bergen gelegen hätte und zwei Burgen einschloss, die freilich nicht von großen Ländereien umgeben waren, sondern eher bescheidene, aber ausbaufähige Ausmaße aufwiesen. Die Berge und damit die Burgen lagen sehr nahe bei Canossa: Es handelte sich um Sarzano und Selvapiana, Besitz, den die Canusiner nie wieder veräußern würden. Der Kauf war also kein beliebiger Landerwerb, sondern Teil einer systematischen Arrondierung des Familienbesitzes im Apennin, wodurch vor allem die militärische Präsenz und der damit verbundene Anspruch in der Region wirkungsvoll unterstützt wurden. Außerdem konnte Adalbert-Atto nun auf eine Dreiergruppe von Burgen zurückgreifen, die ihn auch als Gefolgsmann immer wertvoller werden ließ. Die rasche und erfolgreiche Ausbreitung der canusinischen Herrschaft ist nicht nur der Tüchtigkeit des älteren Siegfried und Adalbert-Attos zu verdanken, sondern auch einem Mangel an echter Konkurrenz. Zudem
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II. Adalbert-Atto
waren die frühen Canusiner gewillt, neues Land für sich zu gewinnen. Vito Fumagalli hat dies mit der Formulierung „terre nuove per un signore nuovo“ – „neue Ländereien für einen neuen Herrn“ – treffend umschrieben. Die Wälder und Sümpfe der Po-Ebene waren keine heiß begehrten Landschaften, um die sich alle regionalen Kräfte gerissen hätten. Sich hier festzusetzen, versprach keinen schnellen Reichtum aus blühendem Ackerland, sondern ließ viel und mühevolle Arbeit erwarten. Adalbert-Atto zeichnete aus, dass er ganz offensichtlich das enorme Potential dieses Landes, seine Strukturierbarkeit und seine geostrategische Bedeutung erkannte. Zudem scheute er nicht vor den zur Verwirklichung dieses Potentials notwendigen Aufbaumaßnahmen zurück, wobei sich sein Blick stets zunächst auf die militärische Potenz einer Region und einzelner Besitzungen richtete und erst in zweiter Linie auf ihren unmittelbaren (land-)wirtschaftlichen Nutzen. Ein großer Vorzug inmitten der unwirtlichen Sümpfe war der Umstand, dass die alte Konsularstraße der Via Emilia über die Zeiten hinweg intakt geblieben war. Ihre Beherrschung ergänzte sich auf das vorteilhafteste mit der Dominanz der canusinischen Aufsteiger am mittleren Po. Im Zuge seines rasanten Machtzuwachses erkannte Adalbert-Atto klar, dass isoliert liegende Ländereien kaum gewinnbringend zu bewirtschaften waren und allzu leicht entfremdet werden konnten, weshalb er alles daran setzte, nicht einfach planlos Land zusammenzuraffen, sondern stets danach trachtete, geschlossene Güterkomplexe zu erwerben (beziehungsweise bereits vorhandene Liegenschaften durch geschickte Zukäufe zu arrondieren). Der Erwerb des Kastells auf der Insel des heiligen Benedikt im Po (Polirone) illustriert Adalbert-Attos Erwerbspolitik in aller Deutlichkeit: Das bereits vorhandene Kastell sicherte die Liegenschaft. Obwohl das dazugehörige Umland nicht kultiviert war, erkannte der Canusiner den militärischen Wert der Insel und erwarb in der Folgezeit die angrenzenden Gebiete aus der Hand des Bischofs von Mantua, was nicht nur den Besitz Adalberts vorteilhaft erweiterte, sondern auch dessen Beziehungen zum Bistum und damit auch zur Stadt Mantua intensivierte – eine für den Ortsbischof keineswegs immer ganz erfreuliche Entwicklung. Weit früher jedoch war Adalbert-Atto bereits mit einer spektakulären Aktion auf der internationalen politischen Bühne hervorgetreten – einem Coup, der ihm die Ausdehnung seines Machtbereiches wohl erst ermöglicht haben dürfte. Im Jahr 950 war überraschend König Lothar verstor-
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ben; er hinterließ eine erst zwanzigjährige Witwe, Adelheid, und eine kleine Tochter. Berengar von Ivrea riss die Macht in Italien an sich, und Adelheid floh nordwärts. Da die junge Witwe leicht zum Mittelpunkt einer Opposition gegen Berengar hätte werden können, setzte dieser ihr nach, nahm sie gefangen und inhaftierte sie auf einer Burg am Gardasee. Nach etwa viermonatiger Haft gelang Adelheid eine abenteuerliche Flucht. Ihre unmittelbaren Helfer vor Ort bleiben unbekannt, doch fand sie sicheres Obdach bei Bischof Adalhard von Reggio Emilia, der seinen erlauchten Gast in die Obhut seines wichtigsten Vasallen gab: Adalbert-Atto. Fortan lebte Adelheid also eine Zeitlang in der schier uneinnehmbaren Burg Canossa. War der Canusiner bis zu diesem Zeitpunkt lediglich eine regionale Größe gewesen, so stand er nun im Zentrum des internationalen politischen Interesses. Es ist unklar, ob Adelheid selbst König Otto I. nach Italien rief, um ihm ihre Hand und mit dieser die Krone Italiens anzubieten; ob der Herrscher von sich aus nach Süden zog oder ob Adalbert-Atto gemeinsam mit dem Bischof von Reggio und nach Rücksprache mit dem Papst – wie Donizo nahelegen möchte – als Heiratsvermittler tätig geworden war. Donizos Berichterstattung ist fehlerhaft und erinnert streckenweise an die Konventionen der Heldenepik, so etwa, wenn er die – erfolglose – Belagerung Canossas durch Berengar, der Adelheid aus der Burg rauben wollte, statt der anzunehmenden sieben Tage auf drei Jahre und sechs Monate ausdehnt. Dementsprechend ist seine Darstellung der Ereignisse von 951 wohl eher unglaubwürdig. Wie lange die Belagerung auch immer gedauert haben mag: Otto I. hat Adalbert-Attos Hilfe nie vergessen. Dreimal tritt der Canusiner in Urkunden des ottonischen Herrschers als Fürsprecher zugunsten des Bischofs von Reggio auf, was seine Bedeutung für den Raum Reggio Emilia verdeutlicht. Außerdem wurde Adalbert-Atto die Ehre zuteil, Otto den Großen 967 nach Ravenna geleiten zu dürfen. Es handelte sich nicht um einen Routinebesuch oder einen willkürlich angesetzten Termin, sondern um ein politisches Highlight, denn Otto I. hielt in Ravenna gemeinsam mit Papst Johannes XIII. eine Synode ab, auf der unter anderem die Gründung des Erzbistums Magdeburg zum Abschluss kam, des geistlichen Lieblingsprojektes Ottos I. Den Kaiser auf einem derart wichtigen Zug zu begleiten, stellte eine besondere Auszeichnung dar – umso mehr, da Adalbert-Atto
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II. Adalbert-Atto
an einer kaiserlichen Gerichtssitzung teilnahm und im Gefolge des Ottonen erstmals Kontakt mit dem Papsttum aufnehmen konnte, das in der weiteren Geschichte der Familie eine immer wichtigere Rolle spielen würde. Die Treue zum Kaiser hatte für Adalbert-Atto neben ehrenvollen Privilegien auch erheblichen praktischen Nutzen. Denn wem, wenn nicht dem Ottonen, kann er die Verleihung der Grafschaften Reggio und Modena zu verdanken gehabt haben? Diese Verknüpfung ist mehr als wahrscheinlich, wenn auch zwischen der Eheschließung Ottos I. mit Adelheid 951 und der ersten Nennung des Canusiners als comes (Graf) 962 mehr als zehn Jahre ins Land gegangen sind. Warum der kaiserliche Dank so lange auf sich warten ließ, ist unklar. Möglicherweise mussten vor der Rangerhöhung Adalberts die Erbansprüche des Sohnes des vormaligen Grafen abgewiesen werden, was nicht ohne Konflikte abgegangen sein dürfte. Eine vorübergehende Verstimmung zwischen dem Kaiser und dem Canusiner ist nicht anzunehmen; die anhaltende kaiserliche Wertschätzung wird in der Anrede Adalberts als fidelis noster mehr als deutlich. Die lange Zeit zwischen der Hilfeleistung und der Belohnung darf daher auch nicht als Phase der Bewährung des Canusiners verstanden werden, in welcher der OttonenHerrscher die Entwicklung des Aufsteigers beobachtete, sondern als Indiz für die Durchsetzungsprobleme, mit denen Otto I. in Italien vor seiner Kaiserkrönung zu kämpfen hatte. Spätestens 977 erhielt Adalbert-Atto zudem noch die Grafenwürde von Mantua. Die Canusiner erlangten so binnen einer einzigen Generation eine dominierende Stellung in der Po-Ebene und in den angrenzenden Vorbergen des Apennin. Doch war es mit einem rein materiellen Machtgewinn im Sinne einer Anhäufung verschiedener Besitzungen und Rechte nicht getan: Es galt, die maßgeblichen Verkehrswege zu dominieren und die auf den rasch erworbenen Besitzungen lebenden Menschen an sich zu binden. Da erwies es sich als besonders glücklich, dass ein Sohn Adalbert-Attos, Gottfried (Gotofred), für die geistliche Laufbahn bestimmt worden war und das Bistum Brescia übernehmen konnte. Durch seine Vermittlung gelang Adalbert der Erwerb des Kopfes sowie des rechten Armes des heiligen Apollonius. Dem bislang in der Gegend kultisch nicht verehrten Märtyrer wurde ein Wunder zugeschrieben: Adalbert-Attos Gemahlin, Hildegard, sei erblindet
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oder drohte, zu erblinden, als ihr durch die Fürsprache des Heiligen ihr Augenlicht zurückgegeben worden sei. Ihm wurde die Burgkapelle in Canossa geweiht, der allerdings erst unter Adalberts Sohn und Nachfolger Thedald mit Erlaubnis Papst Benedikts VII. ein Kanonikerstift angeschlossen wurde; dies war aber wohl von Anfang an geplant gewesen. Man hoffte, der Heilige werde die Grafenfamilie beschützen und seine segnende Hand auch über deren Gefolgsleute und Hintersassen halten. Man war davon überzeugt, dass reich beschenkte Heilige eben nicht nur die Herrschenden, sondern auch die Beherrschten behüteten. In jedem Fall war ein herrschaftseigener ,Santo‘ ein stabilisierender Faktor im canusinischen Machtgefüge – zumal in Canossa mit der Grablege der frühen Canusiner das erste geistliche Kristallisationszentrum einer immerwährenden, den eigenen gesellschaftlichen Rang vergegenwärtigenden Memoria errichtet wurde. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade Donizo aus dem Kloster Canossa die Familiengeschichte der Canusiner geschrieben hat, lebte er doch an dem Ort, an welchem dergestalt die Erinnerung an die gesamte Familie wachgehalten wurde. Wahrscheinlich gab es in Canossa schriftliche Aufzeichnungen über die wichtigsten Ereignisse und die bedeutendsten Rechtsverfügungen der Canusiner. Donizo erwähnt, dass er auf entsprechende Notizen zurückgreifen konnte; über die Zeiten gekommen ist davon aber nichts. Von weit größerer geostrategischer Bedeutung war die zweite Klostergründung Adalbert-Attos zu Ehren des Bischofsheiligen Genesius in Brescello. Genesius gehört gemeinsam mit Antonius von Piacenza, Prosper von Reggio Emilia, Geminianus von Modena und Petronius von Bologna zu einer ganzen Gruppe spätantiker Bischofsheiliger, die keine Märtyrer waren, sondern vorzügliche Oberhirten ihrer Diözesen und zugleich geschickte Verwalter. Während der Entstehung der Kommunen im 11. und 12. Jahrhundert wurden diese Bischofsheiligen zu Identifi kationsfiguren der städtischen Emanzipationsbewegung. Dass Adalbert-Atto absichtlich einen solchen ,Heiligen neuen Typs‘ ausgewählt hat, um damit eine Brücke zu den urbanen Zentren der Po-Ebene zu schlagen, ist indessen unwahrscheinlich. Vielmehr zählte auch in diesem Fall, wie schon bei ,Sant’Apollonio‘, die Tatsache, dass der Heilige in der Region bislang nur wenig Verehrung gefunden hatte und damit im Bewusstsein der Bevölkerung – und gleichsam ,exklusiv‘ – mit den Canusinern verbunden war.
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II. Adalbert-Atto
Das auf dem Grund eines alten römischen Municipiums erbaute Kloster Brescello kontrollierte einen wichtigen Po-Übergang und markierte einen stark frequentierten Abschnitt des Schifffahrtsweges auf dem mittleren Po. In Brescello kreuzten sich zudem zwei wichtige Straßen: Zum einen die Route von Pisa und Lucca über Luni, den Monte Bardone und Parma nach Brescia und Verona; zum anderen die Straße von Bologna nach Cremona und Mailand. Da der Po bis ins Spätmittelalter hinein die wichtigste Kommunikationslinie in ostwestlicher Richtung bildete, musste eine Zollstätte in Brescello gleich in dreifacher Hinsicht zu einer sprudelnden und daher hochwillkommenen Einnahmequelle für die Canusiner werden. Zugleich bot der Platz ihnen eine Ausgangsbasis für zukünftige Herrschaftserweiterungen in Richtung Mantua, Cremona, Parma, Reggio und Modena sowie in der Veroneser Tiefebene. Doch Adalbert-Atto arbeitete auch mit bereits bestehenden Klöstern zusammen – so beispielsweise mit der altehrwürdigen Abtei San Benedetto in Leno in der Diözese Brescia. In Gegenwart Kaiser Ottos I. tauschte Adalbert 967 in Ravenna Streubesitz mit der Abtei und erhielt den wertvollen, riesigen Gutskomplex Gonzaga, der nicht nur kostbarer war als das, was Adalbert im Gegenzug dem Kloster übereignete, sondern sich geradezu perfekt in seinen Gebietsausbau am Po einpasste. Wohl nur wenig später gelang es ihm, auch das Kastell Gonzaga hinzuzuerwerben; besser hätte es für den Canusiner nicht laufen können! Nun mussten die weiten Sumpf- und Auenwaldflächen urbar gemacht und bestellt werden. Darf man den wenigen Quellen glauben, so strömten Klein- und Kleinstbauern, Landarbeiter und kleine Lehensleute in Scharen dem mächtigen ersten Canusiner zu, der dank seines immensen Landbesitzes ein erträglicheres, ein besseres und sichereres Leben versprach. Im Gegenzug für seinen Schutz rodeten, entsumpften und bestellten sie sein Land und errichteten unter unvorstellbaren Mühen seine Burgen. Zwar war Adalbert selbst zum Zeitpunkt seines Todes 988 allen Erfolgen zum Trotz keineswegs der vermögendste und reichste Herr der Emilia, aber seine Beharrlichkeit schuf die Basis, auf der seine Nachfolger aufbauen konnten. Früh erkannte Adalbert die Notwendigkeit, seiner Herrschaft durch die öffentliche Präsentation eines Nachfolgers Stabilität und Kontinuität zu geben. Daher trat er 973 gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Thedald
II. Adalbert-Atto
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und Rudolf auf, als er in Bergamo einem Güterverkauf durch eine gewisse Adelchinda zustimmte. Die Dame war eine Nichte Adalberts, die Tochter seines Bruders Siegfried, des Ahnherrn der Parmenser Familie Baratti. Warum ausgerechnet Adalbert-Atto und seine Söhne den Verkauf unterfertigen mussten, ist unklar. Vieles spricht für die Vermutung Paolo Golinellis, es habe sich bei den veräußerten Gütern um eine Erbschaft gehandelt, die zwischen den beiden Familienlinien noch nicht sauber aufgeteilt worden war. Um spätere Anfechtungen zu vermeiden, holte man lieber gleich die Zustimmung der Canusiner ein. Für Adalbert-Atto zählte die willkommene Gelegenheit, seinen präsumptiven Nachfolger Thedald öffent lich zu präsentieren und so dessen alleinigen Anspruch auf das canusinische Erbe zu demonstrieren, sicher weit mehr als das Umgehen eines möglichen Erbstreits. Gelegentlich ließ Adalbert seinen Erben sogar ganz ohne väterliche Aufsicht agieren, worauf noch zurückzukommen sein wird. Damit hatte bereits Adalbert-Atto alle für die Zukunft entscheidenden und wegweisenden Komponenten canusinischer Machtpolitik vereint: Dominanz über mehrere Grafschaften; systematische, strategisch weitblickende Besitzarrondierung; Kooperation mit geistlichen Institutionen; Kontrolle wichtiger Verkehrs- und Kommunikationswege; erhebliche Kapitaleinkünfte und – last, but not least – die Zusammenarbeit mit den römisch-deutschen Herrschern. Hinzu kam die haushälterische Ader der Canusiner. Hatten sie einen Besitz arrondiert und damit optimal nutzbar gemacht, bewahrten sie die Liegenschaften generationenlang, was nur möglich war, wenn sie ihre Einnahmen und Ausgaben stets im Griff hatten und finanzielle Schieflagen zu vermeiden wussten. Zwar stattete Adalbert-Atto seine Klostergründungen angemessen (wenn auch nicht überreich) aus, aber er behielt, wie auch seine Nachfolger, die größtmögliche Kontrolle über die jeweilige Abtei – und damit auch über deren Besitz – in seiner eigenen Hand. So gelang es ihm, die Förderung von Kirchen und Klöstern mit der gedeihlichen Vermögensentwicklung seiner Familie auf das beste zu kombinieren.
III. Aufstieg und früher Zenit: Thedald und Bonifaz
Thedald
Nach dem Tod Adalbert-Attos 988 setzte sein Sohn Thedald (976 –1015) III. Thedald und Bonifaz
die überaus erfolgreiche Politik seines Vaters fort und intensivierte die von ihm geknüpften Kontakte. Hierbei galt es, zunächst die Nähe zum ottonischen Herrscherhaus zu pflegen und sich beim König positiv in Erinnerung zu rufen. Der überraschend frühe und völlig unerwartete Tod Ottos II. (983) und die darauf folgende lange Regentschaft für Otto III. hatte in Italien zu einem Machtvakuum geführt, das die diversen lokalen Kräfte – und nicht zuletzt auch die Canusiner – zu ihren Gunsten zu nutzen verstanden. Doch gebot es die politische Vernunft, schnellstmöglich Kontakt zum Herrscher zu suchen – und das bedeutete: sobald sich dieser in der Nähe aufhielt. Als Otto III. im Frühjahr 996 zu seinem ersten Italienzug aufbrach, reiste ihm Thedald daher nach Verona, bis an den Fuß der Alpen also, entgegen. Gemeinsam mit den Bischöfen Rozo von Treviso und Lambert von Vicenza wohnte Thedald einer Gerichtssitzung des jugendlichen Königs bei und unterfertigte als erster der weltlichen Zeugen mit dem neuen Titel dux et marchio. Wie und wann der Canusiner diesen Titel – mit dem eine erhebliche Rangerhöhung verbunden war – erworben hatte, ist unbekannt. Eine Usurpation während der langen Regentschaft für Otto III., als Italien weitgehend sich selbst überlassen war, ist jedenfalls nicht auszuschließen. Widerstand gegen die neue Titelführung regte sich scheinbar nirgends, denn künftig nannten sich alle Nachfolger Thedalds dux et marchio, ohne dass Kritik laut geworden wäre. Ob Thedald gemeinsam mit den beiden Bischöfen nach Verona gelangt war oder ob sie sich dort erst getroffen haben, ist ebenso unbekannt wie das Verhältnis des Ca-
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III. Thedald und Bonifaz
nusiners zu den Kirchenleuten. Allerdings hatte Bischof Rozo unmittelbar zuvor im Streit mit Venedig eine bittere Niederlage einstecken müssen, weshalb er sich womöglich nach neuen politischen Koalitionen umsah. Ob Thedald den jungen Herrscher im Anschluss an das Treffen weiter südwärts nach Pavia geleitete, wo Otto III. die Huldigung der italischen Fürsten entgegennahm, überliefern die Quellen nicht. Ebenso fraglich ist, ob Thedald den bereits 1002 verstorbenen Kaiser nach ihrem ersten Zusammentreffen noch einmal wiedergesehen hat. Thedald war jedoch nicht nur zur Stelle, wenn es galt, sich bei glanzvollen Huldigungsakten vorteilhaft zu präsentieren; er wusste auch in Krisenzeiten überlegt und zielführend zu handeln. Nach dem völlig überraschenden Tod Ottos III. am 23. Januar 1002 in der Burg Paterno nahe Rom riss Arduin von Ivrea die Macht in Italien an sich und ließ sich nur zwei Wochen später zum König von Italien krönen. Arduin war ein großzügiger Mann und privilegierte die Bischöfe Oberitaliens reich, um ihren Widerstand gegen seine Herrschaft aufzuweichen. Der Glanz des Geldes erwies sich als überaus verlockend, und selbst Bischof Peter von Como, immerhin der Erzkanzler des Reiches für Italien, erlag der Versuchung und lief zu Arduin über. Anders Thedald! Wie die Bischöfe von Ivrea, Vercelli, Brescia und Novara sowie der mächtige Erzbischof von Mailand – etwas später auch derjenige von Ravenna – suchte er den Schulterschluss mit dem letzten Ottonen, Heinrich II., der freilich anfangs wenig Neigung zeigte, sich in Italien zu engagieren. Thedald wollte nicht warten, sondern möglichst rasch ein unmissverständliches Zeichen setzen: Am 28. Februar 1003 intervenierte er zugunsten des ihm eng verwandten Bischofs Siegfried von Parma bei König Heinrich II., der dem Bischof daraufhin die traditionsreiche Abtei Nonantola übertrug. Thedald wurde bei dieser Gelegenheit – höchst ehrenvoll für ihn – von Heinrich als fidelis noster bezeichnet. Er hatte eine weite, angesichts der winterlichen Jahreszeit besonders beschwerliche Reise auf sich genommen, um dem neuen König zu huldigen und zugleich seine oberitalienischen Netzwerke zu pflegen, denn die Urkunde wurde in Nimwegen ausgefertigt, mehr als 1100 Kilometer vom politischen Machtbereich des Canusiners entfernt. Die zweite Begegnung Thedalds mit Heinrich II. erfolgte in Rho, in der Provinz Mailand. Im Frühjahr 1004 hatte der letzte Ottone den Usurpator Arduin zurückgeschlagen und empfing in Bergamo die Huldigung der
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mächtigen Vasallen und Bischöfe, unter ihnen, wie Heinrichs II. Biograph eigens erwähnt, Thedald, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein festes Mitglied im Kreis der Einflussreichen war. Am 31. Mai 1004 verlieh der König den Söhnen des Ribaldus Zoll und Uferabgaben von der Schiffahrt auf dem Po entlang ihren ufernahen Besitzungen. Ausschlaggebend für die Verleihung war die Intervention Thedalds, der auch im Fall dieser Urkunde fidelis noster genannt wird. Die Söhne des Ribaldus sollten durch die Verleihung für ihre treue Hilfe bei der Unterstützung des Ottonen belohnt werden, und der Verdacht liegt nahe, dass sie im Umfeld der Canusiner für den Herrscher tätig geworden waren. Nimmt man hinzu, dass zwei Söhne Ribalds Atto und Thedald hießen, also canusinische Leitnamen trugen, so kann dies zwar ein Zufall sein, wahrscheinlicher ist jedoch, dass durch die Namengebung die Nähe und Verbundenheit zu den Burgherren von Canossa unterstrichen werden sollte. Angesichts der immensen Bedeutung des Po als wichtigster Verkehrs- und Kommunikationslinie Oberitaliens konnte es Thedald nicht gleichgültig sein, wer innerhalb seines Machtgebietes entlang des Flussufers Zölle einfordern durfte. Neben den Ottonen, deren Anspruch auf das Kaisertum sich zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit verfestigte, gab es ja aber noch eine andere Universalgewalt, zu der die Canusiner bislang kaum merkliche Kontakte unterhalten hatten: das Papsttum. Hier eröffnete Thedald seiner Familie ganz neue Perspektiven, politische Optionen und Netzwerke, die für die späten Canusiner zunehmend wichtiger werden sollten. Ob Thedald im Auftrag seines Vaters tatsächlich eine Pilgerfahrt zu den römischen Apostelgräbern unternommen hat, ist fraglich; sichere Belege für diese Reise existieren nicht. Nachweislich jedoch knüpfte er bereits 975 – offenbar unabhängig von seinem Vater, auch von seinem Bruder Rudolf ist keine Rede mehr – persönliche Kontakte zum Papsttum. Auf seine Bitte hin bestätigte Benedikt VII. 975 die Einrichtung eines Kanonikerstifts in der Burgkapelle von Canossa. Die Stifterfamilie behielt sich die Einsetzung der Pröpste vor und behielt so die Kontrolle über den Konvent und seine Verwaltung ebenso in der Hand wie die Aufsicht über den Umgang mit dem Schenkungsgut. So großzügig die Ausstattung dieser Stiftung auch anmutet (vor allem, stellt man die Lage der Burg in den unwirtlichen Vorhöhen des Apennin in Rechnung), so gering war angesichts dieser Steuerungsmöglichkeiten der
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tatsächliche Verlust der Canusiner. Die Burgkapelle in Canossa diente wohl vor allem familiären Zwecken. Möglicherweise dachte bereits Thedald an eine Grablege für seine Vorfahren unter dem Schutz des heiligen Apollonius, dessen wundertätige Kraft dem Vernehmen nach bei der Heilung eines Augenleidens seiner, Thedalds, Mutter wirkmächtig geworden war. Aber erst Mathilde sollte die Gebeine ihrer frühen Vorfahren prunkvoll in Canossa beisetzen lassen und der Familie so ein geistliches Kristallisationszentrum schaffen. Politisch, wirtschaftlich und auch strategisch bedeutender wurde die zweite Klostergründung Thedalds. Eine Tagesreise flussabwärts von Brescello, der Gründung seines Vaters, errichtete Thedald 1003 auf einer Insel zwischen dem Hauptlauf des Po und dem südlichen Seitenarm Lirone eine Eigenkirche, die er 1007 in ein Kloster umwandelte: Polirone (San Benedetto Po). Die Bedeutung des Ortes hatte bereits sein Vater erkannt, der dort planhaft Ländereien erwarb, die im neuen Kloster nun ihren Verwaltungsmittelpunkt erhielten. Um den Konvent nicht aus den Händen gleiten zu lassen, löste Thedald ihn aus der Zuständigkeit des Bischofs von Mantua heraus und reservierte sich und seinen Erben die Bestätigung der Abtwahl. Doch noch zwei andere Dinge waren dem Markgrafen wichtig, und er ließ sie in zwei Klauseln festschreiben, die seine Nachfolger in eigene Schenkungs- und Gründungsdokumente übernahmen: Zum einen sollte die Dotation nur so lange Gültigkeit besitzen, wie die Mönche den Regeln entsprechend lebten; zum anderen war es den Brüdern strengstens untersagt, Liegenschaften welcher Art und Größe auch immer ohne Wissen und Zustimmung Thedalds zu verkaufen, zu verschenken, zu verpachten oder auf irgendeine andere erdenkliche Weise zu veräußern. So sollte die Klosterzucht eingeschärft und jedweder Besitzverschleuderung ein mächtiger Riegel vorgeschoben werden, um die geistliche wie die wirtschaftliche Rendite Polirones stets gleichermaßen zu gewährleisten. Zugleich erhielten die Mönche aber noch eine weitere Aufgabe. Die Schenkungsurkunde umfasste große Sumpfgebiete und ausgedehnte Ödlandflächen, wobei hervorgehoben wurde, dass die Jagd auf Wasservögel in diesen Regionen besonders lohnend sei. Die unwirtlichen Gebiete sollten aber nicht dem Zeitvertreib dienen; vielmehr oblag den Brüdern die Rodung und Urbarmachung des fruchtbaren Schwemmlandes. Sie leiste-
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ten damit den Canusinern unschätzbare Dienste bei der Kultivierung und Strukturierung ihres rasch erworbenen Großgrundbesitzes im Po-Gebiet. Aber Klosterneugründungen waren selbst für einen vermögenden Herrn eine sehr kostspielige Angelegenheit. Daher engagierte sich Thedald als erster der Familie auch in bereits bestehenden Klöstern, was ihn weniger teuer zu stehen kam, aber nahezu gleichen Ertrag versprach. Vor allem Nonantola, für dessen Übertragung an den Bischof von Parma er sich vor Heinrich II. stark machte, verschaffte ihm durch sein weit verzweigtes Netz von Wirtschaftshöfen, Pfarrkirchen und Kapellen hervorragende Einflussmöglichkeiten am Po und entlang der Via Emilia. Wiederholt saß Thedald daher zugunsten dieser altehrwürdigen Abtei zu Gericht, wodurch er sich in der Öffentlichkeit gleichzeitig als Förderer geistlicher Institutionen sowie als Hüter der Ordnung und des Gesetzes profi lierte. Freilich blieben seine Bemühungen um Nonantola und dessen Herauslösung aus dem Zuständigkeitsbereich des Bischofs von Modena nicht ohne negative Begleiterscheinungen, beharrte doch der Modeneser Oberhirte hartnäckig auf seinem Recht und dachte gar nicht daran, die mächtige und reiche Abtei einfach aufzugeben, bevor er nicht bis zum Letzten um sie gekämpft hatte. Neben Nonantola erfreuten sich die Nonnen von San Salvatore und Santa Giulia zu Brescia der Fürsorge Thedalds; zu ihren Gunsten hielt er ebenfalls Gericht. Ganz uneigennützig war sein Engagement freilich auch hier nicht. In Brescia hatten die Canusiner mit Gottfried den Bischofsthron besetzen und so erheblichen Einfluss innerhalb der Stadt erringen können. Am Ende dieser zielstrebigen Politik stand die Übertragung der Grafschaft Brescia an Thedald, wobei der genaue Zeitpunkt unbekannt ist. Ganz bestimmt jedoch gewannen die Canusiner spätestens um 1001 unmittelbaren Einfluss auf die Gerichtsbarkeit in Brescia. Immer deutlicher wird schon zu Thedalds Lebzeiten das neue Profi l der Canusiner: Die landfremden Emporkömmlinge mausern sich binnen zweier Generationen zu den wichtigsten Hütern der Ordnung und zu Garanten der Rechtssicherheit in den von ihnen dominierten Regionen. Willkürakte lokaler Potentaten, wozu sie gerne auch bestimmte Entscheidungen ihnen missliebiger Bischöfe zählten, versuchten sie zu unterbinden. Der ordnende, organisierende Aspekt ihrer Herrschaft sollte vor allem unter Markgräfin Beatrix zu einer immer wichtigeren, ja in ihrer
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besonderen Situation vielleicht sogar entscheidenden Säule canusinischer Herrschaft werden. Jegliche Machtanhäufung jedoch wäre vergebens, stürbe die Familie aus. Es galt daher, frühzeitig an eine vorteilhafte Heirat zu denken. Donizo nennt den Namen von Thedalds Gemahlin, Willa (oder Guilla), und erwähnt den Umstand, dass ihre Frömmigkeit allgemein Aufsehen erregt habe. Viel ist das nicht! Über die Identität Willas gibt es mehrere Vermutungen und Spekulationen. Am plausibelsten ist die These, sie sei eine Schwester des Markgrafen Hugo von Toskana gewesen. Hierfür spricht, dass Hugos Mutter ebenfalls Willa hieß und der Name in dieser Familie mehrfach bezeugt ist; man kann also wohl von einem weiblichen Leitnamen sprechen. Des weiteren findet sich in der Familie der toskanischen Markgrafen der männliche Vorname Bonifaz, den Willas und Thedalds Sohn tragen sollte, ebenfalls; dies ein Zeichen der Ehrerbietung gegenüber der Schwiegerfamilie? Zudem befand sich, wie Margherita Giuliana Bertolini festgestellt hat, die Burg Zola Predosa in der Umgebung Bolognas einst im Teilbesitz der Mutter Markgraf Hugos, Willa; unter Bonifaz jedoch ist sie als alleiniger Besitz der Canusiner belegt. Gut möglich, dass Zola Predosa als Mitgift an die Canusiner gelangte. Und noch ein drittes Indiz könnte für Willas Abkunft aus der Toskana sprechen: In Arezzo amtierte bis 986 Bischof Everard, ein Bruder Willas der Älteren. Unter seinen Nachfolgern findet sich ein Sohn Thedalds und der jüngeren Willa – also ein Neffe Everards –, der ebenfalls Thedald hieß. Paolo Golinelli hat noch ein weiteres Mosaikteilchen beigesteuert: Zwar erhielt erst Thedalds Sohn Bonifaz die Markgrafschaft Toskana, doch ist zu fragen, warum gerade er damit belehnt wurde. Hätten die Canusiner bereits durch Thedalds Heirat mit Willa Einfluss südlich des Apenninenhauptkamms erlangt gehabt, wäre die Entscheidung für Bonifaz umso leichter nachzuvollziehen. In keinerlei Zusammenhang mit seiner Heirat stand die Übertragung der Grafschaft Ferrara an Thedald, welche den Canusinern nicht nur eine erhebliche Ausdehnung ihres Macht- und Einflussbereiches nach Osten eintrug, sondern auch entscheidende Vorteile bei der Überwachung und Kontrolle des Po verschaffte. Die Umstände dieser Übertragung liegen allerdings im Dunkeln. Donizo berichtet, der Papst habe Thedald die
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Grafschaft verliehen, weil er den Markgrafen besonders hoch schätzte – dürftige Informationen, die kaum helfen. Faktisch hatte das Erzbistum Ravenna auch dank kaiserlicher Privilegien sehr gut begründbare Anrechte auf Ferrara. Diese waren indes im 11. Jahrhundert nicht durchzusetzen, da es den Canusinern gelang, die Macht in Ferrara und dessen Umland an sich zu reißen. Als rein usurpatorischer Akt wäre dies aber wohl nicht möglich gewesen, was berechtigten Grund zu der Annahme gibt, dass de facto eine päpstliche Übertragung stattgefunden haben muss; dafür wiederum kommt nur Papst Johannes XVIII. (1003–1009) in Frage. Möglicherweise könnte eine solche Übertragung im Zusammenhang mit der Gründung Polirones und dem deutlich sichtbaren Engagement der Canusiner für die Klosterreform gestanden haben. Dass der Papst mit der Verleihung einen überaus wichtigen Erzbischof düpieren musste, unterstreicht augenfällig, welchen politischen Rang Thedald zwischenzeitlich offenbar erlangt hatte. Die Canusiner waren gesellschaftlich und politisch zu überaus gefragten und umworbenen Partnern aufgestiegen. Päpstliche Unterstützung allein ermöglichte es Thedald indessen noch lange nicht, sich in Ferrara durchzusetzen; die praktische Herrschaftsentfaltung vor Ort war immer eine Frage der Durchsetzungsfähigkeit und der faktischen, von Fall zu Fall ausübbaren Macht. In Ferrara arrangierte Thedald sich – ebenso wie seine Nachfolger – mit den Erzbischöfen von Ravenna. Die Canusiner dominierten den nordwestlichen Teil der Grafschaft, und Ravenna behauptete seine Position im Osten. In der Stadt selbst dürfte freilich Thedald die Oberhand gewonnen haben, weist doch der bis heute gebräuchliche Name eines Viertels, des ,Quartiere di Castel Tedaldo‘, auf eine Befestigungsmaßnahme des Markgrafen hin, mit der das urbane Zentrum Ferraras gesichert werden sollte. Nach dem Erwerb Ferraras war es nur eine logische Konsequenz, auf die Salinen von Comacchio auszugreifen, sich das überaus kostbare Salz zu sichern und an die Adria vorzustoßen. Eine Produktionsstätte für dieses wichtigste Konservierungsmittel des Mittelalters zu gewinnen und sich gleichzeitig einen direkten Zugang zum Meer zu verschaffen, war aller Mühen wert. Nur einmal erlitt die schier ungebremste Machtentfaltung Thedalds einen empfindlichen Rückschlag. Weit im Norden gelang es ihm, sich handstreichartig die curtis Riva del Garda anzueignen. Die Freude hierüber kann jedoch nur kurz gewährt haben, denn der Herzog von Kärnten
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zwang Thedald, den Fronhof an den Bischof von Verona zu restituieren, den er ihm kurz zuvor entrissen hatte. Das geostrategisch wichtige Umland Veronas, das den Brennerpass und das Tor zur Po-Ebene hütete, verschloss sich den Canusinern zu Lebzeiten Thedalds. Am Ende seines Lebens konnte Thedald auf eine Abfolge schier unglaublicher Machtzugewinne zurückblicken, wobei sich der Schwerpunkt der canusinischen Herrschaft freilich verschoben hatte. War die Familie zunächst im Apennin stark und mächtig geworden, hatte sich ihr Interesse bald in die fruchtbare Po-Ebene verlagert, wo leichter Landerwerb und geringe Konkurrenz lockten. Das unwirtliche Sumpfland bot energischen Kräften ungeahnte Möglichkeiten zur Strukturierung – und damit zur Schaffung zusammenhängender, gut arrondierter Machtbereiche, die nicht nur Ansehen, sondern auch erhebliche Einnahmen eintrugen. In nur zwei Generationen waren die Canusiner reich geworden und wurden von Papst und Kaiser als lokale Partner umworben.
Bonifaz von Canossa Nach dem Tode Thedalds folgte ihm sein Sohn Bonifaz nahtlos in der Herrschaft nach. Wann genau Thedald verstarb, ist unklar, doch wird seiner in einer 1012 erfolgten Schenkung seines Sohnes an das Kloster Polirone gedacht. Bonifaz war nicht der einzige männliche Nachkomme gewesen, aber sein Bruder Thedald war früh für eine geistliche Laufbahn bestimmt worden und stieg zum Bischof von Arezzo auf; sein zweiter Bruder Konrad starb noch als junger Mann. So gelangte das canusinische Erbe ungeschmälert in Bonifaz‘ Hände. Mit Kalkül hatte der alternde Thedald den um 985 geborenen Bonifaz zur Herrschaft erzogen und ihn bei passenden Gelegenheiten einer möglichst breiten Öffentlichkeit als Nachfolger vorgestellt. In einer überwiegend illiteraten Gesellschaft war es wichtig, körperliche Präsenz zu zeigen und sich durch demonstrative Akte in das kollektive Gedächtnis der regionalen Bevölkerung einzuprägen. Da die Canusiner besonderes Gewicht darauf legten, sich als Garanten einer stabilen, Sicherheit versprechenden Ordnung darzustellen, ließ Thedald seinen Sohn Ende September 1001 an einer Gerichtssitzung in Carpi teilnehmen. Die Verhandlung über den
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Erbe canusinischer Macht: Nach dem Tode Thedalds übernahm Bonifaz die Amtsgeschäfte und sah sich sogleich in einen Bruderkrieg mit Konrad verwickelt. Darstellung aus Donizos Vita Mathildis.
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wenig bedeutenden Besitz Viniolo des Klosters Santa Giulia in Brescia geriet zur öffentlichen Demonstration. Neben dem Markgrafen und seinem präsumptiven Erben waren ein Königsbote Ottos III., mehrere Hofrichter und wichtige Vertreter der mächtigsten Familien der Po-Ebene, aus Modena, Bologna, Parma, Cremona und Bergamo anwesend. Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass Thedald den illustren Kreis eigens organisiert hatte, um seinen Sohn würdig in das sorgsam ausbalancierte Machtgefüge der Po-Ebene einzuführen. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen ließ der hinfällige Markgraf auf seinem Sterbebett, so überliefert es wenigstens Donizo, seine Vassallen einen Eid schwören, künftig seinem Sohn die Treue ebenso zu halten wie ihm selbst. Dennoch gab es Probleme bei der Machtübernahme. Donizo weiß zu berichten, dass die mit den Canusinern konkurrierenden Familien von Neid zerfressen gewesen seien und danach trachteten, Zwietracht zu säen. Angeblich hätten sie versucht, einen Keil zwischen die Brüder, vor allem aber zwischen Konrad und Bonifaz zu treiben. Dem jugendlichen Konrad sollen sie sogar eine lukrative Heirat in Aussicht gestellt haben. Glaubt man Donizo, dem einzigen Gewährsmann, so herrschte bald kriegsähnlicher Unfriede zwischen den Brüdern, da sich Konrad wohl übergangen fühlte. Der Zwist kulminierte in der Schlacht bei Coviolo. Bonifaz, dessen strategische Begabung hier erstmals zu Tage trat, ging als Sieger vom Platz; Konrad blieb offenbar schwer verwundet zurück und starb geraume Zeit später mittelbar an den Folgen seiner Verletzungen: Sein ausschweifender Lebensstil soll seinem geschwächten Körper den eigentlichen Todesstoß versetzt haben. Angeblich gab sich Konrad gewohnheitsmäßig reichlichem Essen und dem Spiel hin, wobei ihn wohl in einem Kampfspiel ein heftiger Schlag traf. Die im Ringen mit Bonifaz empfangene Wunde öffnete sich wieder und Konrad verstarb. Nun, da keine Gefahr mehr von ihm ausging, sorgte Bonifaz für ein ehrenvolles Begräbnis bei den Vorfahren auf der Burg von Canossa. So war, wenn auch mit erheblichen Schwierigkeiten, das canusinische Erbe ungeteilt auf Bonifaz übergegangen, der sich mit Feuereifer an die Vermehrung des familiären Besitzes und Einflusses machte. Hierzu war es vor allem nötig, so bald wie möglich eine gute Partie zu machen und für den Fortbestand der Familie zu sorgen. So heiratete Bonifaz wohl um 1010 Richilde, die Tochter des Pfalzgrafen Giselbert von Bergamo, die ihm eine
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gewaltige Mitgift im Nordwesten Italiens einbrachte, wo die Canusiner bislang eher schwach aufgestellt gewesen waren. Neben seinen Besitzungen am Po gebot Bonifaz nun auch über befestigte Siedlungen und Burgen im Umland Veronas; eine Genugtuung nach den Rückschlägen, die sein Vater in dieser Region hatte hinnehmen müssen. Aber die Hochzeit wertete die Canusiner nicht nur materiell auf: Sie trug ihnen auch den Zugang zu den weitverzweigten politischen und regionalen Netzwerken der Obertenghi und der Markgrafen von Turin ein. Da die Hochzeit die prokaiserlichen Kräfte Oberitaliens stärkte, wurde Bonifaz zum geschätzten und gesuchten Partner. Das zahlte sich aus, als mit Konrad II. der erste Salier den Thron bestieg. Offenbar hatte Bonifaz nach dem Tode Heinrichs II. 1024 nicht mit jenen Kreisen geliebäugelt, die Italien eine eigenständige Position zu verschaffen und es – in letzter Konsequenz – vielleicht sogar vom Reich abzutrennen hofften. Unmittelbar nachdem die Nachricht vom Tod des letzten Ottonen bekanntgeworden war, hatten die Bürger von Pavia die innerstädtische Pfalz niedergerissen, das alte, freilich nicht mehr effiziente Verwaltungszentrum des Reiches in der Region. Von Konrad II. später zur Rede gestellt, verteidigten sich die Pavesen mit dem Hinweis, dass es zum Zeitpunkt des Abrisses keinen König im Reich gegeben habe und sie daher auch nicht dessen Rechte verletzt hätten. Der Biograph Konrads II., Wipo, überliefert die Antwort des Herrschers: Das Reich bestehe auch dann fort, wenn der König tot sei; ebenso wie ein Schiff auch dann weiter fahre, wenn der Steuermann gestorben sei. Solche transpersonalen Staatsvorstellungen waren den Pavesen fremd und stießen auf wenig Verständnis. Obwohl sich die Stadt schließlich unterwarf, verhinderte sie doch erfolgreich die Errichtung einer neuen Pfalz. Pavia war kein Einzelfall gewesen, und vielerorts spürte man die Versuchung, die Herrschaft des Reiches abzuschütteln. Zudem sah sich Konrad II. in Oberitalien mit einem Phänomen konfrontiert, das er bislang nicht kannte: Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Städten, in die der neue König hineingezogen wurde, sobald er die Alpen überschritt. So machte Konrad II. 1026 Bekanntschaft mit den Feindseligkeiten zwischen Ravenna und Mailand sowie mit dem Dauerstreit zwischen Pisa und Lucca. Rasch wurde klar, welch schwer kalkulierbare Risiken und Belastungen diese Städtefeindschaften für das kaiserliche Regieren bargen. Also suchte Konrad II. politische Partner vor Ort, die wenig oder gar nicht in
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Stammbaum der Salierfamilie: An der Spitze thront Konrad II., der seit 1024 römisch-deutscher König und ab 1027 Kaiser war, mit Reichsapfel und Krone. Darunter Heinrich III., Heinrich IV., dessen zweite Ehefrau Adelheid von Kiew, Heinrich V. und Konrad. Aus Ekkehard von Aura, Chronicon universale, Bl. 81 verso.
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das Gezänk der Städte involviert waren. Einen idealen Parteigänger fand er in Bonifaz, dessen Treue in der Folge reichen Lohn erfuhr. Wohl noch auf seinem Romzug Anfang 1027 hatte sich Konrad II. Gedanken über die Markgrafschaft Toskana machen müssen. Ihr Inhaber hatte sich gegen den König gestellt und ihm die Tore Luccas verschlossen. Nach kurzer Belagerung obsiegte der Salier. Ob Markgraf Rainer daraufhin abgesetzt wurde oder ob er sich unterwarf, ist unklar. Sicher ist jedoch spätestens ab 1032 Bonifaz von Canossa als Markgraf von Toskana bezeugt; sehr wahrscheinlich wurde er schon 1027 erhoben. Mit einem Schlag hatte sich der Machtbereich der Canusiner praktisch verdoppelt: Bonifaz beherrschte nun ein Gebiet, das vom mittleren Po bis zum Nordrand des römischen Dukats und in west-östlicher Richtung vom Gardasee bis zur Adria bei Comacchio reichte. Damit kontrollierte er maßgeblich die wichtige Via Francigena – jene Straße, auf welcher die Könige von alters her zur Kaiserkrönung nach Rom zogen. Glaubt man Donizo, so hatten Konrad II. und Bonifaz einen durchaus einzigartigen Pakt geschlossen, denn – so der Geschichtsschreiber – der Salier habe dem Canusiner bei der Belehnung mit der Toskana einen Treueid abverlangt, nur um diesem – seinem Vasallen! – sogleich seinerseits einen Treueid zu leisten mit dem Versprechen, Leib und Leben seines Gefolgsmannes zu schützen. Damit hätte sich Konrad II. auf eine Stufe mit seinem Lehnsmann gestellt, was schwer vorstellbar ist und daher erhebliche Zweifel an der Darstellung Donizos aufkommen lässt. An einer ganz besonders engen Bindung zwischen dem Kaiser und dem Canusiner ist aber indessen nicht zu zweifeln. Richilde verschaffte Bonifaz aber nicht nur unschätzbare weltliche Kontakte, sondern auch die Bekanntschaft mit einem gewissen Geistlichen, die der Canusiner in jeder Hinsicht zu nutzen verstand. Angeblich auf Richildes Einladung hin ließ sich der aus Armenien stammende Simeon nach Jahren der freiwilligen Pilgerschaft (peregrinatio), die ihn nach Jerusalem, St. Martin in Tours und Santiago de Compostela geführt hatte, in einer Büßerklause nahe Polirone nieder. Glaubt man Donizo, so verließ Simeon seine kärgliche Bleibe eines Tages, um Bonifaz und Richilde in Mantua einen Besuch abzustatten, wo der Markgraf einen Löwen in seinem Palast hielt. Umringt von einer Menge Gläubiger entdeckte der
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Heilige das wilde Raubtier, streichelte es und steckte ihm sogar seine Hand in den Rachen, worauf der Löwe sich wie ein zahmes Lamm zu Füßen Simeons legte. Ob sich Bonifaz tatsächlich einen Löwen als höchst ausgefallenes Haustier hielt, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen; es ist eher unwahrscheinlich. Aber die Vita des heiligen Simeon hält es durchaus für möglich, dass ein so mächtiger Mann sich mit exotischen Tieren schmückte, die seinen Rang unterstrichen und die Gefährlichkeit ihres Besitzers gleichsam für jedermann augenfällig machten. Zudem beleuchtet die Episode die Bedeutung Simeons für die Canusiner. Der fromme Eremit wurde zum persönlichen Heiligen des Markgrafen und zum Schutzherrn derjenigen, die Bonifaz beherrschte. Die Legende berichtet daher von gelegentlichen Ausflügen Simeons, die stets mit Wundertaten verbunden waren. So besuchte er bei Eiseskälte Bonifaz in Mantua und schenkte auf dem Weg dorthin seinen warmen Mantel einem Bettler. Wer würde hierbei nicht sofort an den heiligen Martin denken, der seinen Mantel ebenfalls mit einem Bettler geteilt hatte – einem Bettler, der kein geringerer war als Christus selbst? Eine andere Reise führte Simeon nach Fidenza (damals noch Borgo San Donnino genannt), wo er eine Wunderheilung vollzog. Bei Gonzaga gebot er sogar einem Sturm Einhalt, der Schiffer auf dem Po in Lebensgefahr gebracht hatte. In Parma wohnte er der feierlichen Reliquientranslation bei, bei der die Gebeine der heiligen Felicula in das neue Nonnenkloster San Paolo überführt wurden. Simeon wurde zum geistlichen Arm und Aushängeschild des oftmals allzu weltlichen Markgrafen Bonifaz; zu einer Persönlichkeit, deren integrative Wirkung kaum überschätzt werden kann. In der Verehrung des schon zu Lebzeiten als Heiligen geachteten Simeon verschmolzen die Bewohner des canusinischen Machtbereiches zu einer Einheit. Als Simeon am 16. Juli 1016 starb, wusste Bonifaz, was zu tun war. Unverzüglich betrieb er die offizielle Heiligsprechung ,seines‘ Santo; ein besonders frühes Beispiel für einen Fall, in dem ein Laie ganz maßgeblich ein solches Verfahren vorantreibt! Papst Benedikt VIII. genehmigte den Bau einer Kirche zu Ehren des neuen Santo. So sehr sich die einfache Bevölkerung für Simeon begeistern konnte, so unwillig sahen andere die canusinischen Aktivitäten auf geistlichem Gebiet. Obwohl viele Jahre später Papst Leo IX. die Bischöfe von Modena und Mantua ausdrücklich aufforderte, höchstpersönlich die Gebeine des Heiligen in der ihm gewidmeten Kirche
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zur Ehre der Altäre zu erheben, widersetzten sie sich der Aufforderung zu Lebzeiten des Bonifaz. Ihr Widerstand richtete sich dabei keineswegs gegen Simeon, dessen Heiligkeit niemand in Zweifel zog, sondern gegen den Canusiner, der die beiden Diözesen nach Strich und Faden ausplünderte, ohne dass sich die Bischöfe wirkungsvoll dagegen wehren konnten. Einen canusinischen Hausheiligen, der für ihre eigenen territorialen Pläne nur schädlich sein konnte, wollten die geistlichen Herren angesichts dieser Situation nicht auch noch unterstützen. Erst nach Bonifaz‘ Tod beugten sie sich einem neuerlichen Schreiben aus Rom, diesmal unterfertigt von Papst Alexander II., der ihnen die Mitwirkung bei der Reliquientranslation zur unbedingten Pflicht machte. Doch auch der trotzige Widerstand der beiden Bischöfe konnte nicht verhindern, dass Bonifaz sein geistliches Engagement immer weiter ausdehnte und die Klöster viel stärker in sein Herrschaftskonzept einband, als dies seine sämtlichen Vorgänger getan hatten. Von diesem ,Tätigkeitsschwerpunkt‘ zeugen 26 Urkunden, darunter allein 13 Schenkungen, aber auch Gerichtsurkunden, Tauschgeschäfte, Lehnsbriefe und ein Versprechen, fürderhin die Besitzungen einer Abtei, in diesem Fall San Salvatore und Santa Giulia in Brescia, nicht mehr zu schädigen. Darf man hieraus auf die Frömmigkeit des Markgrafen schließen? Wohl kaum! Religiöse Schwärmerei dürfte Bonifaz zeitlebens ferngelegen haben, doch besaß er einen klaren und unbestechlich scharfen Blick für die Strukturierung seiner Machtbereiche: Als Machtpolitiker von Rang erkannte er das diesbezügliche Potential der Mönche. Dabei vergab Bonifaz seine Gunsterweise keineswegs nach dem ,Gießkannenprinzip‘, sondern wog in jedem Fall den wirtschaftlichen und machtspezifischen Nutzen der Begünstigten für seine eigene Herrschaft sorgfältig ab. Zusätzliches Gewicht erhielten die Klöster, als Bonifaz – wohl 1027 – zum Dank für seine treuen und verlässigen Dienste die Markgrafschaft Toskana übertragen wurde. Mit einem Schlag verdoppelte sich der Machtbereich der Canusiner. Angesichts mangelhafter Kommunikations- und Administrationsstrukturen war die Beherrschung eines derart weitgespannten Gebietes, das von den südlichen Grenzen Veronas bis Florenz reichte, kaum zu bewältigen. Neben weltlichen Mandatsträgern musste Bonifaz daher auch dringend geistliche Kräfte für seine Zwecke mobilisieren. Da er in der Toskana nicht über Eigenbesitz verfügte, also auch nichts
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verschenken konnte, musste er seine kreative Phantasie spielen lassen, um den toskanischen Konventen etwas zugute kommen zu lassen: um sie auf seine Seite zu ziehen. Dabei ging er äußerst selektiv und ressourcenschonend vor und konzentrierte sich auf Klöster, die im Zentrum seines politischen Interesses lagen; in erster Linie also in und um Florenz. So erklärt sich die große Aufmerksamkeit, die er San Miniato und der davon abhängigen Zelle San Pietro a Ema angedeihen ließ, vor allem aber sein Eingreifen in die inneren Wirren der Badia Fiorentina. Allerdings bewies Bonifaz hier mehr Durchsetzungskraft als Feingefühl, denn er behandelte die altehrwürdige Badia wie ein canusinisches Eigenkloster und demütigte dadurch den Stolz der Traditionsabtei. Angesichts des skandalösen Niedergangs des Konvents setzte er kurzerhand einen neuen Abt ein: Maurilius, einen aus Reims stammenden Eremiten. Aus dieser Personalentscheidung hat die Forschung auf eine Hinwendung des Markgrafen zur Kirchenreform schließen wollen, die auf den maßgeblichen Einfluss seiner zweiten Frau zurückzuführen sei. Für diese Deutung gibt es indessen schlechterdings keinen einzigen Beleg! Vielmehr erkannte Bonifaz die Autonomiebestrebungen der Florentiner Bürger, die er mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte. Da er aus der Emilia um die Bedeutung innerstädtischer Konvente wusste, versuchte er durch seine Förderung der Badia gleichsam einen Fuß in die sich stetig und letztlich unaufhaltsam schließenden Stadttore von Florenz zu setzen. Daneben gibt es nur wenige Verfügungen zugunsten toskanischer Konvente, doch darf man sich von der geringen Zahl nicht täuschen lassen: Die Position Markgraf Bonifaz‘ war so stabil, dass er es nicht nötig hatte, in allen Regionen seines Machtbereiches persönlich oder durch Privilegierungen gegenwärtig zu sein. Gerade in der Toskana ließ er sich häufig von Machtboten vertreten, die für ihn den Kontakt zur Reformabtei Vallombrosa hielten und in seinem Namen einen Rechtsstreit des Klostes Farfa entschieden. Der Einsatz von missi, die mit oder ohne Verhandlungskompetenz den Willen des Markgrafen in dessen Abwesenheit durchsetzten, wirft ein in dieser Klarheit seltenes Licht auf das Funktionieren des „stato canossiano“. Leider bleiben die Machtboten sehr oft namenlos oder werden ohne Hinweis auf ihre Herkunft genannt, so dass nicht deutlich wird, aus welchen Teilen seines Herrschaftsbereiches Bonifaz diese Emissäre rekrutierte, welche Ausbildung sie genossen hatten oder wie der
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Markgraf auf sie aufmerksam geworden war beziehungsweise sich ihrer Dienste versichert hatte. Ebensowenig gestattet es die Quellenlage, festzustellen, in welchen Gegenden seines Herrschaftsbereiches der Markgraf schwerpunktmäßig Machtboten einsetzte, oder ob es Regionen gab, in denen er seine persönliche Anwesenheit für unverzichtbar hielt. Völlig verschlossen blieben Bonifaz und seinen Mandatsträgern zeitlebens die bedeutenden Adelsklöster der Toskana; die dort führenden Familien mussten sich zwar politisch mit dem Markgrafen arrangieren, aber in ihren geistlichen Zentren duldeten sie keinerlei Einmischung. Trotz aller urkundlichen Tätigkeit war Bonifaz kein selbstloser Förderer der Kirchen und Klöster; vielmehr war er ein gefürchteter, von manchem wohl gar gehasster Fürst, welcher dank der Rückendeckung, die er zu allen Zeiten von Konrad II. erfuhr, zu einer wahren Heimsuchung für geistliche Institutionen werden konnte. So presste er dem Bischof von Modena die Übertragung dreier großer curtes (Gutshöfe) ab. Dafür erhielt der Bischof zwar einen gleichwertigen Ersatz, musste diesen jedoch Bonifaz praktisch im gleichen Atemzug als Feudalemphyteuse – eine Art Erbpacht – auf drei Generationen zurückgeben, wobei ausdrücklich das Erbrecht von Töchtern, Enkelinnen und Nichten verbrieft wurde – diese Liegenschaften sah das Bistum Modena niemals wieder! In einem Brief bat der große Vordenker der Kirchenreform Petrus Damiani Bonifaz, die Klöster nicht länger zu schädigen und ganz besonders San Vincenzo al Furlo vor Plünderungen durch die markgräflichen Truppen zu bewahren. Ob die flehentlichen Worte des bedeutenden Kirchenmannes und Asketen Wirkung zeigten, ist nicht bekannt. Der Brief beweist aber, dass Bonifaz mit einem der führenden Intellektuellen seiner Zeit in Kontakt stand. Immerhin gründete auch Bonifaz, darin ganz der Tradition seiner Familie verhaftet, ein eigenes Kloster: Santa Maria di Felonica, etwa 35 Kilometer östlich von Polirone am südlichen Po-Ufer gelegen und somit eine willkommene Ergänzung der canusinischen Kontrollpunkte entlang dieses wichtigen Stroms. Bei Felonica überquert eine Straße von Bologna nach Padua oder Venedig den Po; die Wahl des Platzes war also vermutlich von wirtschaftlichen und geostrategischen Überlegungen geleitet. Felonica markiert die Expansionsrichtung des Markgrafen, der machtvoll in das Umland von Ferrara und Bologna drängte und sich auch dieser Städte
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bemächtigen wollte. Diese Pläne mussten seine Nachfolger indessen rasch wieder aufgeben, weshalb sich Felonica wenig günstig entwickelte. Als in der Emilia die Autonomiebestrebungen der Städte immer stärker spürbar wurden, förderte Bonifaz gezielt innerstädtische Konvente, auf deren Hilfe er angewiesen war, wollte er nicht ganz die Kontrolle über die urbanen Zentren verlieren. Lediglich in Mantua war die canusinische Stellung so stark, dass Bonifaz geistliche Helfer entbehren konnte. Aber in Reggio und Parma brauchte er die Mönche. 1036 intervenierte er bei Konrad II. zugunsten der Nonnen von San Sisto in Piacenza, was nicht ohne Pikanterie war, denn der Kaiser bestätigte den Nonnen auch Besitzungen am Po, die ihnen Bonifaz zuvor entrissen hatte und die ihnen auch jetzt nicht zurückerstattet wurden. Lediglich auf dem Pergament konnten sie sich über Pegognaga, Guastalla und Luzzara freuen. So gut es für Bonifaz politisch lief, so große Sorgen dürfte ihm seine Familie bereitet haben. Seine Ehe mit Richilde blieb kinderlos. Warum der Markgraf nicht die Scheidung erzwang, ist unklar. Ob er so sehr an Richilde gehangen hat, dass er das Aussterben der Canusiner riskierte, wissen wir nicht. Sicher jedoch hätte eine Trennung die Familie Richildes brüskiert und möglicherweise sogar die Beziehungen Bonifaz’ zum Reich gefährdet. Wohl im Verlauf des Jahres 1036 starb Richilde. Im Sommer des gleichen Jahres kam Bonifaz einer höchst ehrenvollen Einladung nach, die sein Ansehen im Reich deutlich widerspiegelt. Konrad II. hatte ihn zur Hochzeit seines Sohnes und Mitkönigs Heinrichs III. mit Gunhild nach Nimwegen eingeladen. Wahrscheinlich lernte er bei diesem Besuch – wohl kaum zufällig – seine spätere zweite Gemahlin Beatrix kennen, die verwaiste Tochter Herzog Friedrichs von Oberlothringen und Mathildes, der Tochter Herzog Hermanns II. von Schwaben. Vor allem aber wurden in Nimwegen der zweite Italienzug Konrads II. und die Neubesetzung des Bischofsthrones von Arezzo besprochen, den zuvor Bonifaz’ Bruder innegehabt hatte. Am Rande jedoch dürfte der erste Salier zudem als Ehestifter aufgetreten sein. Mehrfach vermittelte er Heiraten zwischen deutschen und italischen Fürsten, um die innere Stabilität des Reiches durch derart weitgespannte Hochzeiten zu verdichten. So verheiratete er beispielsweise Azzo II. Este mit der Welfin Chuniza; Hermann von Schwaben mit Adelheid von Turin sowie Otto von Schweinfurt mit Immilla von Turin.
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Die neue Ehe würde Bonifaz nur noch enger an den Hof binden, war doch seine Braut im Umfeld der Kaiserin Gisela erzogen worden. Dass er jede Auszeichnung wert war, hatte er an der Seite Konrads II. bewiesen, als er dem Kaiser im Kampf gegen Odo II. von Blois in Burgund geholfen und die Partei des Saliers ergriffen hatte, als sich dieser gegen Erzbischof Aribo von Mailand und den mit dem mächtigen Kirchenmann verbündeten hohen Adel stellte. Eigentlich sollte Bonifaz wohl als Bollwerk gegen den Mailänder Erzbischof aufgebaut werden. Als am Weihnachtstag 1037 in Parma ein spontaner Aufstand gegen den Kaiser und seine Truppen losbrach, half Bonifaz tatkräftig, die Unruhen in kürzester Zeit blutig niederzuschlagen. Donizo berichtet, die Bewohner Parmas hätten bereits beim Anblick des Markgrafen und seiner Truppen sich zitternd Konrad II. zu Füßen geworfen. Im Frühjahr 1038 begleitete Bonifaz den Salier sogar nach Rom und Süditalien. Von Juli 1037 bis in den August 1038 weilte Konrad II. in Italien und hielt sich dabei auch als Gast bei Bonifaz auf. In dieser Zeit dürfte die Hochzeit des Canusiners mit der jungen Herzogstochter Beatrix stattgefunden haben. Donizo berichtet – leider ohne Datierung –, dass es in Marengo bei Mantua ein rauschendes Fest gegeben habe. Seine Schilderung einer ungeheuren, ja geradezu märchenhaften Prachtentfaltung gemahnt an die Lieder der Minnesänger und Troubadoure – und es ist nicht auszuschließen, dass sich Donizo von deren Beschreibungen hat leiten lassen. Auf dem Weg zum Fest habe Bonifaz seine Pferde mit silbernen Nägeln beschlagen lassen und verboten, dass die Nägel umgeschlagen würden. Daher lösten sie sich, während die Tiere liefen. Wie von Bonifaz geplant, fanden Bauern die verlorenen Silbernägel: Die Nachricht vom sagenhaften Reichtum des Canusiners verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ein dreimonatiges Festmahl mit einem eigenen Weinbrunnen, dessen Schöpfeimer ebenso aus Silber gewesen sein soll wie die Kette, an der der Eimer hing; dazu in Getreidemühlen wie Korn gemahlenen exotischen Gewürzen aus aller Herren Länder, die wegen ihrer Kostbarkeit normalerweise nur mit größter Vorsicht und in kleinsten Mengen in Mörsern zerstoßen wurden – diese Nachrichten Donizos zielen wohl zuvörderst auf das Staunen des Lesers, nicht auf Faktentreue. Und doch dürfte ein Körnchen Wahrheit in den Worten des Panegyrikers liegen, denn der Reichtum des Bonifaz und seine gesellschaftliche Stellung forderten geradezu ein verschwenderi-
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sches, weithin Aufsehen erregendes Fest. Ob er wollte oder nicht: Er musste an einem solchen Tag seinem gesellschaftlichen Anspruch mehr als gerecht werden, wollte er sich nicht zum Gespött seiner Standesgenossen machen. Diese Gelegenheit zur Repräsentation ließ er sich vermutlich nicht entgehen, zumal die Möglichkeit besteht, dass Konrad II. selbst an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilgenommen hat; sein Itinerar böte durchaus Platz dafür. Silberne und goldene Gefäße bei Tisch könnten daher durchaus zum Einsatz gekommen sein – und an der Gegenwart von Musikern, die mit Pauken, Zithern, Harfen und Hörnern für Kurzweil sorgten, ist wohl ohnehin kaum zu zweifeln. Die Braut dürfte zum Zeitpunkt ihrer Vermählung noch sehr jung gewesen sein. Ihre Eltern hatten 1012 oder wenig später geheiratet. Irgendwann zwischen 1013 und 1026 wurden ihre drei Kinder geboren, darunter auch Beatrix. Beim Tode ihres Vaters 1030 waren Beatrix und ihre Schwester Sophie noch minderjährig. Als drei Jahre später ihr einziger Bruder starb, nahm Kaiserin Gisela die Mädchen zur Erziehung an ihren Hof; die Vermutung liegt nahe, dass sie auch zu diesem Zeitpunkt die Volljährigkeit noch nicht erreicht hatten. Donizo schildert die junge Braut als große Schönheit, so tugendhaft, dass sie mit Lea und Rachel vergleichbar sei, ihre Weisheit strahle so hell wie diejenige Sarahs; doch darf dem Panegyriker in dieser Hinsicht wenig Glauben geschenkt werden: Er selbst hat die 1076 verstorbene Beatrix nie gesehen. Obwohl ihre Gebeine noch heute in Pisa ruhen, sind sie niemals untersucht worden. Angeblich bestach Beatrix durch eine majestätische Haltung, große Augen, die ihre Klugheit verrieten, und rotes Haar. Letzteres könnte stimmen, da man bei der Untersuchung von Mathildes Leichnam blondes oder rötlich-blondes Haar vorgefunden hat. Außerdem vergaß der Panegyriker nicht hervorzuheben, dass Beatrix ihrem Mann neben einer gewaltigen Prestigesteigerung auch reichen Besitz im freilich fernen Lothringen eintrug. Welchen moralischen Einfluss sie auf ihren wesentlich älteren Gemahl nehmen konnte, ist umstritten. Lange schrieb man ihr eine besänftigende Wirkung auf den grausamen Markgrafen zu und glaubte, sie hätte den Alternden für die Ideale der Kirchenreform gewonnen. Vor allem seine geplante Pilgerreise nach Jerusalem und seine Geißelung vor dem heiligmäßigen Abt Guido von Pomposa wurden ganz Beatrix‘ Einflüsterungen zugeschrieben. Allerdings lässt sich nicht feststel-
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len, dass Bonifaz während seiner zweiten Ehe Kirchen und Klöster weniger ausgebeutet hätte als zuvor; noch immer standen hinter jeder seiner Zuwendungen an geistliche Institutionen handfeste politische und wirtschaftliche Interessen. Zu der Pilgerreise ist es nie gekommen; wie ernsthaft die Planungen gewesen waren, lässt sich nicht entscheiden. Besonders kritisch ist die Geißelung durch Abt Guido von Pomposa zu bewerten: Gemeinhin nimmt man an, der Markgraf habe sich um 1048 zerknirscht dem Bußakt unterworfen, nachdem er sich im Anschluss an eine politische Krise wieder dem Reich zugewandt hatte. Abt Guido war jedoch nachweislich schon am 31. März 1046 gestorben! Sicher dürfte Guido der Beichtvater und geistliche Berater des Canusiners gewesen sein, aber das schützte die altehrwürdige Abtei Pomposa nicht vor dem eher derben Humor des Markgrafen. So soll Bonifaz während der Messe in Pomposa einen Geldregen inszeniert haben, um die Standhaftigkeit der Novizen zu testen. Wieder ist Donizo der einzige Gewährsmann für diese Anekdote, doch sie zeigt – wahr oder erfunden – was man Bonifaz zutraute. Ob Beatrix an der Auswahl des neuen Abtes für die Badia in Florenz, Maurilius, beteiligt war, ist nicht sicher. Immerhin stammte er aus Reims, hatte aber vor seiner Bestellung zum Abt lange Jahre als Eremit in den toskanischen Wäldern gelebt. Zudem beschützten ihn die Canusiner offenbar nicht ausreichend, denn nach mehreren Anschlägen auf sein Leben verließ er frustriert das Kloster und ging nach Frankreich zurück. Zweifellos jedoch erschloss Beatrix ihrem Gemahl den Kontakt zum Reformpapst Leo IX., der mit Beatrix eng verwandt war und diese schon als Kind gekannt hatte. Das Fürstenpaar präsentierte ihm 1049 am Rande einer Synode in Pavia eine Fälschung auf den Namen Hadrians I. für Nonantola, welche der Papst bestätigte. 1050 nahm er auf Bitten seiner Nichte Beatrix San Salvatore all’Isola in seinen Schutz. Doch eine wirkliche Trendwende im Verhältnis des Bonifaz zu ,seinen‘ Klöstern war dies alles nicht. Nach seinem Tod erstellten die Konvente lange Schadenslisten, um ihre durch den Markgrafen erlittenen Verluste zu dokumentieren; sie sprechen dem gängigen Bild vom altersmilden, reuigen und plötzlich frommen Bonifaz Hohn. Beim Tode Konrads II. 1039 stand Bonifaz auf dem Zenit seiner Macht; niemals sollte ein Mitglied der canusinischen Familie über mehr Besitz und Einfluss verfügen. Aber mit dem Regierungsantritt Heinrichs III. ver-
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änderte sich die Lage in kaum vorhersehbarer Weise und Geschwindigkeit. Der neue König war ein frommer, gebildeter und eher asketisch veranlagter Mann, dem die offene, zuweilen überbordende Prachtentfaltung seines oberitalienischen Vasallen ein Dorn im Auge war. Anders als die frühen Canusiner hatte Bonifaz nicht nur Sinn für Repräsentation – er wusste auch um ihre politische Bedeutung. So hielt er sich, wie bereits angesprochen, der Vita des heiligen Simeon zufolge in seinem Stadtpalast in Mantua angeblich einen Löwen. So viel Prunk erregte schnell Neid und folglich gelangten immer mehr Klagen über Bonifaz an das hierfür nur allzu offene Ohr Heinrichs III. Als der neue König 1046 zur Kaiserkrönung nach Rom zog, geleitete Bonifaz das Herrscherpaar durch Ober- und Mittelitalien, nahm an der folgenschweren Synode von Sutri, auf der gleich drei konkurrierende Päpste ihres Amtes enthoben wurden, ebenso teil wie an der Kaiserkrönung in Rom. Anschließend eskortierte Bonifaz den Kaiser auf dessen Rückweg in den Norden. Schon bald nach seiner Ankunft in Italien soll dieser – so berichtet Donizo – Bonifaz mehrere Tatenberichte gesandt haben und wollte gegen diese Lektüre einen berühmten, angeblich in Canossa hergestellten Essig eintauschen. Ob es sich hierbei um eine frühe Form des berühmten ,Aceto balsamico di Modena‘ handelte, ist unklar. Bonifaz soll einem Kunstschmied befohlen haben, sofort ein silbernes Fässchen für den Essig zu schmieden in Gestalt zweier Rinder, eines Jochs und eines Karrens. Dieses Geschenk habe er dann durch ein lebendes Ochsengespann dem König geschickt, da er als Geschenk für den Herrscher nur das Beste für angemessen hielt. Aber seit dem prächtigen Willkommensgruß war viel geschehen, und Bonifaz hatte berechtigten Grund zur Sorge. Die Amtsenthebung Papst Benedikts IX. richtete sich am Rande auch gegen Bonifaz, dessen Verhältnis zu diesem Papst recht gut gewesen war. Zudem hatte Heinrich III. Waimar von Salerno entmachtet, einen alten Verbündeten des Canusiners; diese Alarmzeichen konnte Bonifaz nicht übersehen haben. Anfang April 1047 traf der Kaiser in Ravenna seine Gemahlin Agnes wieder, die unterdessen entweder im Ravennatischen oder in Mantua ein Kind geboren hatte; möglicherweise hatte sie die Niederkunft im Schutz der Canusiner erlebt. In Mantua wurde der Säugling getauft, und dort erkrankte Heinrich III. so schwer, dass er sich in der Stadtburg der Ca-
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nusiner gesund pflegen lassen musste. Angeblich soll Bonifaz hierbei durch reiche Geschenke und die Pracht seiner Hofhaltung den Zorn des asketischen Saliers erregt haben. Donizo berichtet, der Canusiner habe in Mantua dem König einhundert tiefbraune, edelste Pferde und zweihundert Sperber, überaus kostbare Jagdfalken, geschenkt, wobei pikanterweise nicht einmal Bonifaz selbst, sondern sein Mandatsträger in Mantua als Geber aufgetreten sein soll. Dieser Prunk, mit dem der König kaum mithalten konnte, ärgerte den Salier so sehr, dass er plante, Bonifaz des Nachts zu überfallen. Donizos Geschichte dürfte die späte Verbrämung einer für die Canusiner ungünstigen politischen Entwicklung darstellen. Sicher wurde Bonifaz dem Kaiser zu mächtig und zu selbständig, und so entschloss Heinrich sich, die markgräfliche Herrschaft spürbar zu beschneiden. Zu diesem Zweck stärkte er die Position des Bischofs von Mantua und gewährte dem Oberhirten von Ferrara jedwede Unterstützung bei der Rekuperation – der juristisch gedeckten Rückgewinnung – unrechtmäßig entfremdeter Güter. Beides richtete sich eindeutig gegen Bonifaz von Canossa und gefährdete einen wichtigen Teil seiner neuen Landerwerbungen. Pikanterweise stellte Heinrich das Diplom für Ferrara auch noch in Mantua aus – der canusinischen Hochburg! Nach der Rückkehr Heinrichs III. ins Reich nördlich der Alpen setzte Bonifaz seine alte Politik fort und weigerte sich zudem, Papst Damasus II. durch Italien zu geleiten, obwohl der Kaiser ihn ausdrücklich dazu aufgefordert hatte. Aber Heinrich III. ließ diese Unbotmäßigkeit nicht auf sich beruhen, sondern drohte Bonifaz damit, selbst nach Italien zu kommen, sollte er sich weiterhin ungebärdig verhalten. Dieser Warnung beugte sich der Markgraf, und sein Verhältnis zum Salierhof normalisierte sich wieder. Positiv wirkte sich zudem aus, dass nur wenig später mit Leo IX. ein naher Verwandter der Beatrix zum Papst gewählt wurde, dem Bonifaz gern seine Unterstützung zukommen ließ. Trotz allen Wirren seiner späten Jahre durfte sich Bonifaz glücklich schätzen: Beatrix schenkte ihm drei Kinder, darunter einen Sohn: Beatrix, Friedrich und Mathilde. Der Fortbestand der Familie schien gesichert. Zudem traf Bonifaz intensive Vorbereitungen für den Fall, dass seine Frau die Vormundschaft für seinen Sohn würde übernehmen müssen: Gezielt führte er sie in die Herrschaftsgeschäfte ein, beteiligte sie an Rechtsakten und ließ sie sogar eigene Urkunden ausfertigen, so dass sich die Menschen
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langsam an die ungewohnte Machtausübung einer Frau gewöhnen konnten. Wie nötig diese Vorsichtsmaßnahme sein würde, konnte Bonifaz freilich nicht ahnen. Zeit seines Lebens hatte er sich eine Fülle von Feinden gemacht und wenig dafür getan, diese zu versöhnen. Als er am 6. Mai 1052 zu seiner Erholung in den Sumpfauen von San Martino dell’Argine bei Mantua jagte, wurde Bonifaz von einem vergifteten Pfeil getroffen und starb. Obwohl man sicher von einem persönlich motivierten Attentat auf einen verhassten Fürsten ausgehen darf, war der Mord doch zugleich Zeichen eines tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandels, der sich unübersehbar abzeichnete und dessen Dynamik vor allem die kleineren Vasallen ergriff: Ober- und Mittelitalien befand sich im Umbruch!
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IV. Die Welt um die Mitte des 11. Jahrhunderts
Wie kaum eine andere nicht-königliche historische Persönlichkeit des Hochmittelalters ist Mathilde von Canossa, deren Leben wir uns nun zuwenden wollen, mit den Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts verbunden. Gerade in Italien sprach und spricht man daher gerne von einer „epoca matildica“, die aber nicht nur das Leben und Wirken Mathildes selbst, sondern auch ihre Familie sowie den langen Streit um ihr Erbe umfasst. Für alle Zeiten ist der historische Bußgang Heinrichs IV. nach Canossa mit der Burgherrin Mathilde verknüpft, weshalb das Istituto Superiore di Studi Matildici, das sich der Erforschung aller Canusiner gewidmet hat, anlässlich der 900. Wiederkehr des Jahrestages von Canossa 1977 gegründet wurde. Doch ist der Begriff „epoca matildica“ mit Vorsicht zu genießen, mischen sich doch in die oftmals regionalen Erinnerungen an Mathilde von Canossa nicht selten verklärende Aspekte, legendenhafte Erzählungen oder der immer wieder aufscheinende Wunsch nach einer mächtigen Fürstin in einer Zeit, da Frauen in der großen Politik vermeintlich oder tatsächlich wenig mitzubestimmen hatten. Der Aufstieg der frühen Canusiner gewann, wie wir gesehen haben, im Schulterschluss mit den Königen und Kaisern enorm an Dynamik. Gerade die Zusammenarbeit des Markgrafen Bonifaz mit dem ersten Salier, Konrad II., verlief für beide Seiten mehr als erfreulich, und der Canusiner stieg, seinen vielen Gegnern zum Trotz, zur unumstrittenen Ordnungsmacht in Oberitalien auf. Als Konrad II. am 4. Juni 1039 in Utrecht starb, schien die alte Ordnung unverrückbar sicher zu stehen; die beiden Universalgewalten Kaisertum und Papsttum interagierten ohne ernsthafte Spannungen. Konrads Kaiseridee war universell, eine Einschränkung hätte er
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keinesfalls akzeptiert; sie wurde aber auch von niemandem ernstlich gefordert. Die Zeiten, da die Pavesen die Reichsburg im Inneren ihrer Stadt niedergerissen hatten, schienen lange vergangen, und Konrad dürfte in der Überzeugung gestorben sein, dass Reichsitalien – nicht zuletzt auch dank seiner kaiserlichen Heiratspolitik, die gezielt Fürstenfamilien aus beiden Reichsteilen miteinander verband – fest und unverbrüchlich mit dem Reich nördlich der Alpen verwoben war. Nichts bringt die unerschütterlich scheinende Position des ersten Saliers besser zum Ausdruck als seine Darstellung im Stammbaum der neuen Dynastie in der Chronik Ekkehards von Aura, deren Handschrift heute in der Staatsbibliothek Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) aufbewahrt wird. Ehrfurchtgebietend sitzt Konrad II. im ganzen Schmuck seiner Majestät auf dem Thron, die Krone auf dem Haupt, in der linken Hand den Reichsapfel haltend. Die rechte Hand präsentiert ein Medaillon, das seinen Sohn und Nachfolger Heinrich III. zeigt, darunter befinden sich die Abbildungen des Sohnes Heinrichs III., Heinrichs IV., sowie Darstellungen von dessen Kindern Konrad, Heinrich V. und Agnes, die auf der Umschrift des Medaillons irritierenderweise „Adelheit“ genannt wird. Umgeben wird das Familienbild von einer Palastarchitektur, die offenkundig die Wehrhaftigkeit der Salier unterstreichen soll, da das Dach mit Türmen und Zinnen bestückt ist. Hier setzt sich eine starke und siegverwöhnte Familie ein bildliches Denkmal. Erstaunlicherweise entstand dieses demonstrativ Stärke und Geschlossenheit manifestierende Bild der salischen Familie wohl 1106 / 07, also zu einer Zeit, da von einer innigen Verbundenheit der letzten Salier nicht die Rede sein konnte – hatte sich doch der noch junge Heinrich V. im Winter 1104 / 05 der Opposition gegen seinen Vater angeschlossen und diesen in der Folgezeit entmachtet. Allerdings gehört die berühmte Darstellung bei Ekkehard von Aura, darauf hat Stefan Weinfurter mehrfach nachdrücklich und zurecht hingewiesen, in das politische Umfeld Heinrichs V., der gerade wegen seiner Empörung gegen den Vater die Zusammengehörigkeit der Salier zur Stabilisierung seiner eigenen Macht gar nicht oft genug betonen konnte. Beim Tode Konrads II. war von diesen Umbrüchen noch nichts zu spüren. Sein Sohn Heinrich III. übernahm bruchlos und ohne erkennbare Widerstände die Macht, doch schnell wurde deutlich, dass der fromme
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König einen neuen Führungsstil pflegte. Nicht ohne Grund verglichen die Zeitgenossen ihn mit König David, der mit harter Hand regierte. Schon unter Konrad II. zeichnete sich die Sakralität des Königtums immer stärker ab, und die Vorstellung, die königliche Autorität sei direkt von Gott gegeben, wurde zu einer unbezweifelten Grundidee salischer Herrschaftspraxis. Aber erst unter Konrads Sohn Heinrich III. erlebte die sakrale Überhöhung des Königtums ihren Höhepunkt, stilisierte dieser sich doch als typus Christi und caput ecclesiae, dem die Sorge für das Heil der gesamten Christenheit oblag. Diese extrem exponierte Stellung forderte aber auch den ihr entsprechenden Respekt ein; es lag auf der Hand, dass ein solcher König von Gottes Gnaden Widerspruch gegen seine Entscheidungen kaum dulden würde. Auch wenn es zu Lebzeiten des Markgrafen Bonifaz zu Spannungen mit Heinrich III. kam, entfaltete sich die canusinische Macht doch ganz maßgeblich im Schutze des Königtums. Allerdings demonstrierte der Kaiser dem eigensinnigen Markgrafen seine Macht auf das nachdrücklichste, und auch das Verhalten Heinrichs III., als er auf dem Weg zur Kaiserkrönung in Rom am 20. Dezember 1046 in Sutri, nur knapp fünfzig Kilometer nördlich der Ewigen Stadt, gleich zwei Päpste, Silvester III. und Gregor VI., absetzte, stellte allen vor Augen, dass mit diesem Herrscher nicht zu spaßen war und dass er seine (kirchen-)politischen Überzeugungen mit harter Hand durchzusetzen vermochte. Der dritte Papst, Benedikt IX., war sicherheitshalber gar nicht erst nach Sutri gekommen, was ihm indessen nicht half; nur wenige Tage später wurde er in Rom seines Amtes enthoben. Mit der Einsetzung der sogenannten deutschen Päpste – Clemens’ II., Damasus’ II., Leos IX. und Viktors II. – förderte der Salier die Kirchenreform nachdrücklich, ebnete ihren Vertretern den Weg auf den Thron Petri und riss das Reformpapsttum aus den Wirren und Querelen römischer Adelsrivalitäten heraus. (Von dieser die Salierzeit und damit auch die ,epoca matildica‘ ganz entscheidend prägenden Reformbewegung wird noch zu sprechen sein.) Dass sich Mathilde von Canossa in diesem Konflikt klar auf die Seite des Reformpapsttums und damit im Grunde gegen den salischen König stellen würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen. Obwohl das harte Durchgreifen Heinrichs III. in Sutri dem Reformpapsttum enorm genützt hat, stellt sich die Frage, ob sein Vorgehen über-
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haupt rechtens war. Die Zeitgenossen waren sich nicht sicher: Einzelne Stimmen meldeten Bedenken an, doch grundsätzlich stellte niemand die Kirchenhoheit des sakral legitimierten Königtums in Frage – noch! In der Rückschau des 12. Jahrhunderts hagelte es Kritik für Heinrich III. Mit seinem Tod endet die Zeit unangefochtener christlicher Königsideologie in der Verschmelzung von Priesterkönigtum und Gottesgnadentum. Die Tage, da Wipo im Tetralogus den Kaiser als zweiten Mann im Erdkreis gleich nach dem Herrn des Himmels selbst bezeichnen konnte, waren gezählt. Als Heinrich III. mit nur 39 Jahren starb, erschütterten zahlreiche Unruhen das Reich an seinen Rändern, und an vielen Stellen rührte sich Widerstand gegen die zuvor erlittene Härte und Unbedingtheit kaiserlicher Machtausübung. Es waren dies keine leichten Voraussetzungen für Heinrich IV., der mit nur sechs Jahren dem Vater in der Bürde königlicher Herrschaft nachfolgte. Mit der Machtübernahme des kindlichen Heinrich IV. begann eine lange Phase der Minderjährigkeitsregierung, die eine eklatante Schwächung der Krongewalt zur Folge hatte. Den weltlichen Großen eröffnete das Machtvakuum Möglichkeiten, die ihnen ein starker König sicher nicht kampflos eingeräumt hätte. Die Übernahme der canusinischen Besitzungen einschließlich der Reichslehen durch Beatrix nach dem Tod ihres ersten Mannes Bonifaz konnte wohl als Regentschaft für ihren damals noch lebenden minderjährigen Sohn durchgehen. Nach dessen Tod und Beatrix’ Wiederverheiratung mit einem gegen Heinrich III. in Opposition stehenden Herzog jedoch ging der Kaiser machtvoll gegen die Fürstin vor, wovon noch ausführlich zu sprechen sein wird. Dass Mathilde von Beatrix systematisch zur Übernahme des canusinischen Erbes erzogen wurde und die Reichslehen im Grunde dauerhaft okkupiert werden konnten – eine formelle Belehnung hatte nicht stattgefunden –, ist dem Umstand geschuldet, dass die Regentschaft für Heinrich IV. allzu sehr mit eigenen Problemen im Reich nördlich der Alpen beschäftigt war, um sich auch noch um die politischen Entwicklungen südlich der Alpen mit dem nötigen Nachdruck kümmern zu können. Als Heinrich IV. dann endlich selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen konnte, hatte sich die Position der Canusiner schon so weit gefestigt, dass ein Vorgehen gegen sie kaum mehr möglich war; es sei denn, mit Waffengewalt. Als Mathilde 1076 allein das Erbe ihrer Mutter antrat, war der salische König ganz in seinem Streit mit Papst Gregor VII. gefangen und
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konnte und wollte es sich mit der Fürstin nicht verderben, hoffte er doch wohl stark auf ihre fürsprechende Vermittlung. Seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht, denn in Canossa setzte sich Mathilde nachdrücklich für einen Ausgleich zwischen den Universalgewalten ein und bedrängte Papst Gregor VII., den Salier vom Bann zu lösen. Aber auch ,nach Canossa‘ trat nicht der ersehnte wirkliche Friede ein. 1080 kam es zur neuerlichen Bannung Heinrichs IV., und bald erschütterte ein zermürbender Krieg Oberitalien, der Mathildes personelle und materielle Ressourcen so stark in Anspruch nahm, dass sie phasenweise an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geriet. Die Lage besserte sich für die Markgräfin erst, als eine Koalition aus den süddeutschen, in Opposition zum Salier stehenden Herzögen gemeinsam mit der Canusinerin den Kaiser in die Enge treiben und ihn am Gardasee geraume Zeit gleichsam festnageln konnte, wovon ebenfalls noch ausführlich zu handeln sein wird. Nachdem Heinrich IV. 1095 Italien endlich nach langem, unfreiwilligem Aufenthalt verlassen konnte, blieb das Reich südlich der Alpen praktisch sich selbst überlassen. Bis 1110 war Italien für die Salier nach Ausweis ihrer Urkunden praktisch verloren. Mathilde, aber auch andere Kräfte, nutzten das Vakuum, um ihre alten Herrschaftspositionen so gut es ging zurückzuerobern. Allerorten war eine regionalisierende Abgrenzung Italiens vom Reich nördlich der Alpen spürbar, die allerdings in keinem ursächlichen Zusammenhang zu der Herrschaft Heinrichs IV. oder Heinrichs V. stand. Während der Zeit des Investiturstreits wurde zunehmend zwischen dem regnum Italicum und dem regnum Teutonicum unterschieden; und dies nicht nur bei den Reformkräften, sondern sogar vom Gegenpapst Clemens III. (Erzbischof Wibert von Ravenna) und im Mai 1111 von Heinrich V. selbst. Sicher entsprach diese Zweiteilung nicht dem Denken und dem politischen Verständnis des letzten Saliers, aber niemand konnte dauerhaft die Augen davor verschließen, dass sich eine gewisse Abgrenzung der beiden Reiche vollzog, die kaum aufzuhalten war. Überall tauchen in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts italianisierende Namenszusätze auf; so 1073 in einer Gerichtsurkunde Mathildes von Canossa ein gewisser Rainerius Toccacoscia. Bei Frauen werden Eigennamen mit italienischem Klang immer beliebter: Bonissima, Speciosa oder gar Italia.
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Das heißt nicht, dass es allerorten aggressiv separatistische Tendenzen gegeben hätte mit dem erklärten Ziel einer Abspaltung vom Reich nördlich der Alpen und der Errichtung eines eigenen Königtums, aber es scheint, als habe sich weitflächig ein dezidiertes Eigenbewusstsein ausgebreitet: So rühmte Petrus Damiani, der große Vordenker der Kirchenreform, Petrus Bennonis, der Grundbesitz für die Klostergründung von San Gregorio in Conca zur Verfügung gestellt hatte, als „lux Italiae“. Gleichzeitig lässt sich ein zunehmendes Desinteresse an salischen Königsurkunden konstatieren. Kaum jemand machte sich noch die Mühe, für eine Königsurkunde die beschwerliche und kostspielige Reise über die Alpen nach Norden anzutreten. Man wartete lieber, bis der Herrscher selbst kam. Dann freilich nahm man seine Gunsterweise gern entgegen, obwohl dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen konnte, dass immer größere Teile Reichsitaliens sich dem letzten Salier ganz entzogen, und er in viele Regionen seines Reiches südlich der Alpen niemals den Fuss gesetzt hatte, geschweige denn dort über Einfluss verfügt hätte. Alarmzeichen waren auch die Zerstörungen herrscherlicher Pfalzen in italienischen Städten oder deren erzwungene Verlagerung vor die Stadtmauern – so geschehen in Pavia, aber auch in Pisa, Ravenna, Turin, Bologna, Cremona, Mantua und Lucca. Die dadurch entstandenen Machtlücken im Innern der Kommunen konnte Mathilde nicht füllen; sie war von der Tendenz, weltliche Fürsten aus den Zentren der Städte zu verdrängen, ebenso betroffen wie der König selbst. Schon zu Lebzeiten ihrer Mutter konnten die Canusiner nicht mehr am alten Platz mitten in der Stadt in Lucca Gericht halten, sondern mussten sich auf das offene Feld vor der Mauer zurückziehen. Dass Heinrich V. versuchte, auf vielfältige Weise der für seine Herrschaft bedrohlichen Entwicklung entgegenzuwirken, ist bekannt; einen wichtigen Meilenstein stellte für ihn dabei der Erwerb des Mathildischen Erbes dar, wobei der Salier unmittelbar nach dem Tod Mathildes in ihren Machtbereichen auf breite Zustimmung traf. Geistig-religiös geprägt wurde die Lebenszeit Mathildes – und damit die zweite Hälfte des 11. sowie der Beginn des 12. Jahrhunderts – durch die Kirchenreform und den sogenannten Investiturstreit. Dass alle Geistlichen ein möglichst sittenstrenges und vorbildliches Leben führen sollten, war keine neue Forderung des 11. Jahrhunderts; allerdings wurde sie jetzt besonders nachdrücklich gestellt. Vor allem von Nikolaitismus und Simo-
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nie sollten sich alle Geistlichen fernhalten, also nicht in eheähnlichen Verhältnissen leben und ihre Ämter nicht gegen Geld, Versprechungen oder andere Gegenleistungen erhalten. An vielen Stellen war die Kirche also reformbedürftig, und vor allem das Kirchenvolk nahm immer häufiger Anstoß an unzüchtig lebenden Geistlichen und registrierte moralisches Fehlverhalten mit Argusaugen – reagierte aber auch zunehmend sensibel und verstimmt auf offensichtlich schlecht ausgebildete oder gar unfähige Priester. Denn nicht nur die Lebensweise der Geistlichen sollte reformiert und die vita canonica eingeschärft werden: Auch die Pfarrorganisation und die seelsorgerische Betreuung bedurften der Besserung. Von dieser Melioration konnten alle nur profitieren, weshalb sich die Könige ebenso wie weltliche und geistliche Große für eine Reform stark machten. Auch die Canusiner engagierten sich in der Kanonikerreform und banden entsprechende Stiftungen an die Einhaltung der gemeinschaftlichen und regelkonformen Lebensweise der Beschenkten. Dass Stiftungsgut nicht sinnlos verprasst oder verschleudert werden durfte, kam nicht nur den Canusinern, sondern allen Donatoren zugute, versuchten doch viele, die Kontrolle über verschenkte Liegenschaften und Güter auch weiterhin zu behalten. Weit größere politische Sprengkraft beinhaltete das Simonieverbot. Zwar stand es außer Frage, dass geistliche Ämter nicht an Unwürdige verkauft werden sollten, die für ein solches Amt nicht geeignet waren, es sich aber leisten konnten. Aber so einfach es klang, geistliche Ämter künftig ohne Simonie zu vergeben, so kompliziert war die Umsetzung dieser Forderung. Bislang hatte man sich wenig daran gestört, dass geistliche Ämter gegen Bezahlung vergeben wurden. Was sollte nun mit den solcherweise in Amt und Würden gelangten Stelleninhabern geschehen? Mussten sie alle ihrer Ämter enthoben werden? Und wie verhielt es sich mit den von ihnen gespendeten Sakramenten? Waren diese womöglich alle hinfällig? Die Verunsicherung war groß und der Streit zwischen gemäßigten, pragmatischen Simoniegegnern und strengen Reformern eskalierte rasch. Bald noch brennender war das Problem der Ernennung der Bischöfe durch den König. Heinrich II. hatte in den 22 Jahren seiner Herrschaft 64 Bischöfe erhoben, Konrad II. 38 und Heinrich III. 52, ohne dass die Zeitgenossen daran Anstoß genommen hätten. Vor einer größtmöglichen Öffentlichkeit wurde dem neuen Bischof sein Amt durch die Symbole
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Ring und Stab übertragen. Dass es sich hierbei um geistliche Symbole handelte, war hinlänglich bekannt, doch erst im Verlauf des 11. Jahrhunderts nahm man Anstoß daran, dass über diese Insignien vom König verfügt wurde. Zugleich wurde unter dem Vorsitz Papst Nikolaus’ II. 1059 von den Teilnehmern der Lateransynode festgelegt, dass künftig kein Geistlicher mehr eine Kirche aus Laienhand erhalten solle – und zwar weder gegen Geld noch ohne offenkundige Gegenleistungen. Es ist fraglich, ob bei diesem ersten allgemeinen Investiturverbot bereits an die Vergabe geistlicher Ämter durch den König gedacht worden war, oder ob es sich eher auf adlige Eigenkirchen bezog. Aber einmal formuliert, enthielt das Verbot enorme Sprengkraft. In dem Augenblick, da man den König als einen ,ganz normalen Laien‘ betrachtete, würde er aus geistlicher Sicht das Recht verlieren, die Bischöfe seines Reiches einzusetzen, obwohl Ottonen und frühe Salier auf deren Auswahl besondere Sorgfalt verwandt hatten. Angesichts der immensen Bedeutung der Bischöfe für den Zusammenhalt des Reiches und dessen Administration konnte und wollte der Herrscher darauf aber nicht verzichten. Die Frage der Bischofserhebungen berührte auch die Canusiner, und es irritiert nicht wenig, dass Mathilde von Canossa in ihren späten Jahren den Erzbischof von Mailand mit einem Ring investierte, wozu sie in keiner Weise berechtigt war. Dass sie darüber hinaus – und ganz selbstverständlich – ein Symbol handhabte, das die Reformgruppe schon lange nicht mehr in Laienhänden sehen wollte, verwundert noch mehr. Es darf also berechtigterweise gefragt werden, ob sich Mathilde der aus der Reformbewegung resultierenden politischen Implikationen in ganzem Umfang bewusst war. Vielleicht schimmert hier aber auch eine Möglichkeit auf, die strengen Investiturverbote zu unterlaufen. Da es sich um einen Einzelfall handelt, muss die Interpretation vorsichtig ausfallen, aber es scheint, als habe sich die zeitweilig wichtigste Vorkämpferin des Reformpapsttums selbst nicht an dessen Verbote gehalten. Wenig Grund zur herrscherlichen Freude bot auch das neue, von Nikolaus II. 1059 erlassene Papstwahldekret, das zwar künftig Doppelwahlen verhindern sollte, die Mitwirkung des Königs an der Papstwahl jedoch nur an einer Stelle, im sogenannten Königsparagraphen, überhaupt anspricht. Dem König wird zwar Respekt gezollt, aber im Grunde nur ein Konsensrecht zugebilligt, das noch dazu jeder neue König wieder neu beim Papst
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erbitten musste. Obwohl hier erstmals der königliche Einfluss bei der Papstwahl schriftlich geregelt wurde, klingt der Passus doch recht dürftig. Faktisch würden die Einflussmöglichkeiten des weltlichen Herrschers auch weiterhin immer von der jeweils aktuellen Machtverteilung abhängen. Rasch wurde deutlich, dass die Reformpäpste mit aller Kraft danach strebten, ihre Leitungsposition in der Kirche und in der Welt auszubauen. Leo IX. lud regelmäßig zu den Fastensynoden und schuf damit zum ersten Mal ein Instrument institutionalisierter Kommunikation zwischen dem Papst in Rom und den Bischöfen in der Welt. Viktor II., Bischof Gebhard von Eichstätt, der letzte der sogenannten deutschen Päpste, nahm sich die Freiheit, bei Heinrich III. Forderungen zu stellen, ohne deren Erfüllung er, wie er sagte, die Wahl zum Papst nicht annehmen würde. Diese Pille dürfte für den Kaiser einigermaßen bitter gewesen sein – gehörte doch zu den Bedingungen, dass der Salier für die Rückgabe aller dem Apostolischen Stuhl entfremdeten Güter Sorge zu tragen habe. Trotz der unverhohlenen Emanzipationstendenzen und dem Paukenschlag gleich zu Beginn seiner Amtszeit war die Zusammenarbeit der Universalgewalten zu Lebzeiten Heinrichs III. aber weitgehend ungetrübt. Auf seinem Sterbebett in der Pfalz Bodfeld bat der Salier Viktor II. sich seines erst sechs Jahre alten Sohnes und Thronfolgers, Heinrichs IV., anzunehmen, was ihm der Papst ohne Weiteres versprach. Doch schon im Juni 1057 verstarb Papst Viktor II., und die Reformpartei ernannte – wohl ohne Rücksprache mit dem fernen Hof – Stephan IX., den Bruder Herzog Gottfrieds des Bärtigen, des Stiefvaters der Markgräfi n Mathilde, zu seinem Nachfolger. Der Herrscher als Beschützer des Papsttums hatte spürbar an Bedeutung verloren, und die Canusiner übernahmen ein Stück weit diese Rolle, was ihre Position in Ober- und Mittelitalien natürlich enorm festigte. Dass der Schutz des Papsttums nicht nur Einfluss, Ehre und Ansehensgewinn mit sich brachte, sondern auch materielle Opfer forderte und unkalkulierbare Risiken nach sich zog, musste vor allem Mathilde von Canossa während der langen Zeit des Kampfes im sogenannten Investiturstreit erfahren. Trotz des neuen Papstwahlrechts, das Doppelwahlen verhindern sollte, brach 1061 ein Schisma aus, das mit einem Schlag die Schwäche der Regentschaft für Heinrich IV. verdeutlichte. Erstmals ergriff der Hof für
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einen Papst Partei, der sich letztlich nicht gegen seinen Konkurrenten durchzusetzen vermochte. Zwischen Honorius II. (Bischof Cadalus von Parma) und Alexander II. (Bischof Anselm von Lucca) vermittelte auch kein Abgesandter der Königinmutter Agnes, sondern Herzog Gottfried der Bärtige, der Stiefvater Mathildes von Canossa, der den letztlich siegreichen Alexander II. favorisierte. Fast wäre es schon zu Lebzeiten Alexanders II. zu einer Eskalation der Spannungen mit dem seit 1065 volljährigen und allein herrschenden Heinrich IV. gekommen, doch starb der Papst überraschend, bevor sich diese gereizte Stimmung hätte entladen können. Die Pontifi kate Gregors VII., Urbans II. und Paschalis’ II. spielten im Leben Mathildes eine so maßgebliche Rolle, dass sie später ausführlich behandelt und hier nicht vorweggenommen werden sollen. Am Ende des Investiturstreites hatte sich die mittelalterliche Welt verändert: Hatte bislang das Papsttum darum gerungen, mit dem Kaisertum auf einer Stufe zu stehen, so war es nun an den Herrschern, ihre Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit zu verteidigen und zu begründen. Die salische Propaganda mühte sich redlich, doch konnte die Zwei-Schwerter-Lehre nicht vertuschen, dass das Kaisertum unter Zugzwang geraten war und sich nach dem Teilverlust seiner Sakralität um andere Begründungen seiner Herrschaft bemühen musste. Die Fürsten gingen aus den Umbrüchen gestärkt hervor und betonten nachdrücklich ihre Verantwortung für das Reich, was sie als ernstzunehmende Partner neben den König treten ließ. Für Mathilde von Canossa sah es dagegen anders aus, was nicht nur daran lag, dass sie die letzte Vertreterin ihrer Familie war, sondern auch darauf zurückzuführen ist, dass sie mit Entwicklungen zu kämpfen hatte, von denen die Fürsten des Reiches nördlich der Alpen noch wenig zu spüren bekamen: dem unaufhaltsamen Aufstieg der Städte in Italien, die sich zu einer eigenständigen Macht entwickelten, und deren Aufstreben die letzte Canusinerin keinen Einhalt gebieten konnte. Je stärker die Kommunen wurden, desto mehr bemühte sich Mathilde, wie zuvor schon ihre Mutter Beatrix, wenigstens durch die Unterstützung innerstädtischer Klöster gleichsam einen Fuß in die sich schließenden Stadttore zu bekommen. Auch versuchte sie, die Kooperation mit den Bischöfen zu stärken, die ihrerseits zusehen mussten, wie sie ihre Macht in ihren Bischofsstädten bewahrten. Auch hierbei
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konnte die Fürstin eigentlich nur verlieren, denn als langfristiger Partner kam sie angesichts ihres Alters und des Fehlens eines Nachfolgers kaum in Frage, so dass die Bischöfe sich immer öfter sogar gegen die Markgräfi n wandten, um sich in ihren Städten zu profi lieren. Vom ersten Kreuzzug hat Mathilde offenbar keinerlei Notiz genommen. Zwar gibt es in Mantua Kreuzzugs-Fresken, doch ist fraglich, ob sie tatsächlich zu Lebzeiten der Fürstin entstanden sind. Sie entsandte kein Kontingent und nahm auch in keiner anderen Weise aktiv am ersten Versuch teil, das heilige Grab in Jerusalem zu befreien. Die Kreuzfahrer müssen teilweise durch ihre Einflussgebiete gezogen sein, doch ist nicht bekannt, dass sie ihnen besondere Unterstützung gewährt hätte. Da sie damals um die Rückeroberung und Behauptung ihrer eigenen Besitzungen rang, dürfte sie wohl kaum die Mittel und die Truppen gehabt haben, um ein größeres Kontingent auszurüsten und für lange Zeit zu entbehren. Zudem konzentrierte sich das Interesse Mathildes in ihren letzten zwanzig Jahren ganz auf das canusinische Machtgebiet; für militärische Abenteuer in der Fremde scheint sie keine Kraft mehr besessen zu haben. Den Siegeszug der Zisterzienser in Europa hat Mathilde nicht mehr erlebt. Die Strenge der weißen Mönche hätte die Fürstin wohl mit Sicherheit begeistert, aber bis zum Zeitpunkt ihres Todes gab es in Italien noch keine zisterziensische Gründung. Zu Lebzeiten Mathildes waren Vallombrosa und Cluny die wichtigsten Reformimpulsgeber in den Canusinergebieten, welche die Markgräfin nach Kräften unterstützte – davon jedoch mehr im Kontext ihrer Lebensgeschichte.
V. Schwere Kindheit und frühe Gefangenschaft
V. Schwere Kindheit und frühe Gefangenschaft
Wie durch Rückrechnung aus ihrem Sterbedatum zu erschließen ist, wurde Mathilde als jüngstes der drei Kinder des Markgrafenpaares von Canossa im Jahr 1046 geboren, da sie nach Donizos Angaben im Alter von 69 Jahren 1115 starb. Ihren genauen Geburtstag und -ort kann man nicht bestimmen. Seit Jahrhunderten streiten die Historiker darüber, wo Mathilde geboren worden sein könnte. Der lucchesische Gelehrte Francesco Maria Fiorentini nahm mit Selbstverständlichkeit an, Mathilde habe in Lucca das Licht der Welt erblickt. Der Reggianer Benediktiner Camillo Affarosi plädierte stattdessen vehement für Canossa. Dagegen lässt sich einwenden, dass Donizo niemals darauf verzichtet hätte, der Nachwelt den Geburtsort zu überliefern, hätte er auch nur gerüchteweise gehört, Beatrix habe ihre dritte Niederkunft in Canossa erlebt. Mantuaner Gelehrte haben in der Vergangenheit ganz nachdrücklich Mantua zum Geburtsort erklärt, aber auch Ferrara oder der kleine toskanische Ort San Miniato wurden lebhaft diskutiert. Stets war der Wunsch, die berühmte Markgräfin möge in der eigenen Stadt geboren worden sein, der Vater des Gedankens. Zuletzt hat Lino Lionello Ghirardini Mantua als Mathildes Geburtsort ausgemacht – unter Verweis auf den Umstand, dass die Stadt am Mincio 1046 den Hof der Canusiner beherbergte und Bonifaz und Beatrix ganz in der Nähe, nämlich in Marengo, Hochzeit gefeiert hätten. Auch diese These entbehrt jeder überprüfbaren Grundlage. Grundsätzlich muss eingewandt werden, dass wir eine feste Hofhaltung weder in Mantua noch anderwärts in den Quellen wirklich greifen können. Zwar unterhielt Bonifaz dort eine Stadtburg, aber um die Mitte des 11. Jahrhunderts bereits von einer mehr oder minder festen Residenz zu sprechen, wäre ein schwerer Anachronismus. Trotzdem liegt der Gedanke nahe, dass die
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Diskussionsträchtige Niederkunft: Bis heute wird darüber gestritten, an welchem Ort Beatrix’ Tochter Mathilde das Licht der Welt erblickt haben könnte. Darstellung von Beatrix aus Donizos Vita Mathildis.
hochschwangere Beatrix urbane Annehmlichkeiten der drangvollen Enge einer Burg vorgezogen haben dürfte. Bei der Namenswahl der Bonifaz-Kinder tritt zu Tage, welche Rolle seine Schwiegerfamilie für das neue Selbstverständnis des Canusiners spielte. Er wusste sehr wohl, dass er gesellschaftlich trotz allen Reichtums
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mit dem herzoglichen Rang nicht konkurrieren konnte. Daher erhielten seine drei Kinder Namen, die bislang bei den Canusinern nicht zu finden waren, wohl aber in Beatrix‘ Familie vorkamen. So wurde Mathilde auf den Namen ihrer lange verstorbenen Großmutter mütterlicherseits getauft. Wann und wo Mathilde das Sakrament der Taufe empfing, ist unbekannt, ebenso, wer zu Paten bestimmt wurde. Angesichts der Tatsache, dass die im Patenamt eingegangene freiwillige Verwandtschaft im frühen und hohen Mittelalter sehr stark bindende Kraft besaß und in sehr hohem Ansehen stand, mag dies verwundern; jedoch sind in dieser Zeit zumeist nur die berühmten Paten der Königssöhne bekannt. Dass Mathilde ihre frühesten Kinderjahre in der Obhut ihrer Mutter in Lucca verbrachte, muss wohl in das Reich der Legenden verwiesen werden. Beatrix ist bis zum Tod ihres Mannes Bonifaz zu keiner Zeit in der Toskana nachweisbar. Mit Sicherheit dürfte sich Mathilde in der Nähe ihrer Mutter aufgehalten haben, wo auch immer dies gewesen sein mag. Nach allem, was wir wissen, blieben Kinder beiderlei Geschlechts während ihrer ersten sechs Lebensjahre im Schutz ihrer Familie. Natürlich dürfte das Hauptaugenmerk des Markgrafenpaares Mathildes Bruder Friedrich gegolten haben, dem präsumptiven Erben der Canusinermacht. Das bedeutet jedoch nicht gleich, dass die beiden Töchter missachtet worden wären. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, das Mittelalter habe nicht zuletzt wegen der hohen Kindersterblichkeit wenig Gefühle auf kleine Kinder ,verschwendet‘ und ihnen also recht kalt gegenübergestanden. Dass man Kleinkinder gerne als kleine Erwachsene abbildete, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass man Kindern in den ersten Jahren große Zärtlichkeit und Zuneigung entgegenbrachte und durch Spielen und aufmerksame Zuwendung ihre Entwicklung wirkungsvoll zu fördern suchte. Leider berichtet Donizo nichts aus den frühen Jahren Mathildes. Er hebt lediglich hervor, dass Beatrix ihre Tochter nach Anstand und Sitte erzog, was die große Markgräfin im Herzen immer bescheiden bleiben ließ. Gleichzeitig erwähnt er an anderer Stelle, dass Mathilde mehrsprachig war, sich mit Kaiser Heinrich V. in dessen Muttersprache unterhalten konnte, das Altfranzösische beherrschte und wohl auch den langobardischen Dialekt verstand. Zudem hatte Mathilde sicher Kenntnisse des Lateinischen und konnte wohl lesen und in geringem Umfang auch schreiben. (Anders als heute wurde im Mittelalter die Kunst des Lesens und
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Schreibens getrennt voneinander unterrichtet, so dass es nicht unüblich war, dass Menschen lesen, aber nicht schreiben konnten.) Ihre berühmte Unterfertigung blieb allerdings Zeit ihres Lebens eher ungelenk und man erahnt, dass Mathilde die empfindliche Schreibfeder mit allzu großer Kraft handhabte, weshalb die Linienführung ihrer Unterschrift oft sehr ungleichmäßig ausfiel. Das flüssige Schreiben eines längeren Textes dürfte ihr wohl unmöglich gewesen sein. Dass sie in späten Jahren einen Vorleser beschäftigte, könnte zwei Gründe gehabt haben: Möglicherweise hatte ihre Sehschärfe nachgelassen, so dass ihr das Lesen beschwerlich wurde – oder aber sie hatte niemals wirklich flüssig und rasch gelesen und griff deshalb gern auf fremde Hilfe zurück. In der Summe spricht dies alles, trotz gewissen Einschränkungen, für eine sehr gute, für ein Mädchen geradezu außergewöhnliche Erziehung. Zudem wurde Mathilde in all den Dingen unterrichtet, die sie für ihr späteres Leben benötigte, wobei ihre Zukunft vorgezeichnet schien: Im Sinne der Canusiner war es, dass die Töchter möglichst vorteilhafte Partien machten, welche der Familie große, weiträumige, vielleicht sogar internationale Beziehungsnetzwerke erschlossen. An einer Übernahme der canusinischen Herrschaft durch Mathilde hat während ihrer Kinderjahre mit Sicherheit niemand gedacht. Ihre Einführung in die Religion dürfte durch Geistliche im Umfeld ihrer Eltern erfolgt sein, wobei nichts darüber bekannt ist, woher diese kamen und welchen Bildungshorizont sie besaßen. Man darf jedoch mit Sicherheit annehmen, dass Mathilde und ihre Geschwister schon früh mit dem Leben der canusinischen Hausheiligen bekannt gemacht wurden, wobei Heiligenviten nicht nur der Erinnerung an große santi dienten, sondern immer auch der Erziehung der Lesenden, denen die vorbildhaften Heiligen den Weg zu einem gottgefälligen Leben weisen sollten. Eine klassische Ausbildung in den septem artes liberales, dem Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und dem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie), hat Mathilde bestimmt nicht genossen, ebensowenig wie ihre Geschwister. Da sich ihr Großvater Thedald für Musik und Architektur interessiert hatte, wäre es möglich, dass sie in ihrem Elternhaus Anregungen auf diesen Gebieten empfangen hat; nachweislich beschäftigte sich Mathilde später mit Kunst und vor allem mit Büchern. Die ersten sechs Jahre ihres Lebens dürften sorgenfrei verlaufen sein. Bis zu jenem Tag, an dem Markgraf Bonifaz auf der Jagd ermordet wurde,
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war die Welt für seine Kinder in Ordnung. Mit dem gewaltsamen Tod des Vaters änderte sich alles. Die vermeintlich sichere Zukunft wich der Notwendigkeit, um das väterliche Erbe zu kämpfen, damit der gesellschaftliche Rang und mit ihm die allgemeine Anerkennung gewahrt werden konnte. Erst in dieser Zeit finden sich die Namen von Bonifaz Kindern erstmals in Urkunden. Anfang Januar 1053 stiftete Beatrix im Namen ihres unmündigen Sohnes Friedrich zum Seelenheil ihres verstorbenen Mannes den Hof Volta mit der dazugehörigen Burg und der dortigen Kapelle der Petruskirche von Mantua. Der männliche Erbe des Markgrafen sollte an möglichst prominenter Stelle, in der Canusiner-Hochburg Mantua, der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dass seine beiden Schwestern in dem Dokument keine Rolle spielen, darf nicht verwundern. Es unterlag keinem Zweifel, dass der männliche Nachkomme die Herrschaft fortführen und die Mutter bis zu seiner Volljährigkeit die Regentschaft für ihn ausüben würde. Die beiden Mädchen hatten damit nichts zu tun. Es war höchste Zeit, in Mantua ein Zeichen zu setzen, denn in der Stadt breiteten sich Unruhen aus. Als Papst Leo IX. am 21. Februar 1053 an den Mincio kam, wurde er von Rebellen verjagt, die in Opposition zu den Canusinern standen: ein Skandal! Die Machtdemonstration der Fortsetzung der canusinischen Herrschaft durch Mutter und Sohn hatte offenbar nicht die gewünschte Wirkung gezeitigt. An vielen Orten regte sich Widerstand; allzu hart hatte das Joch der Herrschaft des Markgrafen Bonifaz auf der Bevölkerung gelastet. Nun witterte man eine Gelegenheit, diese Last abzuschütteln. In ihrer Not sandte Beatrix die Bischöfe Arnald von Arezzo und Wido von Volterra zu Heinrich III., um den Kaiser günstig zu stimmen. Aber dieser sah die Chance, die für seinen Geschmack allzu mächtig gewordene Markgrafenfamilie in ihrer Herrschaft zu beschneiden und zog die beiden Geistlichen – angeblich durch besondere Großzügigkeit – auf seine Seite: Ihre Mission scheiterte. Als Beatrix am 17. Dezember 1053 an die Klostergründung ihres Mannes Felonica die Kirche Santa Maria in Badigusula mit zugehörigen Ländereien (heute Provinz Bologna) schenkte, tat sie dies nicht nur zum Seelenheil ihres verstorbenen Gemahls, sondern auch zu ihrem eigenen und demjenigen ihrer Kinder: Zum ersten Mal werden in einem rechtsverbindlichen Dokument Friedrich sowie Beatrix und Mathilde genannt.
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Lange herrschte in der Forschung die Meinung vor, sie habe lediglich Friedrich und Beatrix in die Seelgerätstiftung einbezogen und dies dahingehend gedeutet, dass die beiden Kinder zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben gewesen seien, doch spricht die Urkunde eindeutig von mehreren Töchtern. Die Erwähnung der gesamten Familie sollte zukünftige Kontinuität sichern und – in der Erinnerung an die Macht und den Einfluss des verstorbenen Bonifaz – die weitere Herrschaft der Familie stabilisieren. Nur wenig später kam es zu einer weiteren Katastrophe: Der kleine Friedrich starb; möglicherweise auch schon zu diesem Zeitpunkt seine Schwester Beatrix. Bonizo von Sutri streut in seinem Liber ad amicum das Gerücht, die Kinder seien vergiftet worden, äußert sich aber nicht zu möglichen Attentätern. Hier ist Vorsicht geboten, nimmt es der äußerst polemische Liber ad amicum doch mit der Wahrheit häufig nicht so genau. Zudem gibt es keine weiteren Nachrichten über einen angeblichen Mord an den Erben des Bonifaz. Nach dem Tode Friedrichs wurde Beatrix’ Lage praktisch unhaltbar; wie sollte sie allein das Erbe für sich und ihre überlebende Tochter Mathilde behaupten? Die Familienbesitzungen der Canusiner stellten dabei ein geringeres Problem dar als die großen Reichslehen; an eine förmliche, reichsrechtlich einwandfreie Belehnung einer Frau war in der Mitte des 11. Jahrhunderts in Ober- und Mittelitalien oder auch anderwärts im Reich nicht zu denken. Nur die raschestmögliche Wiederverheiratung bot Beatrix einen Ausweg. Aber wer kam als Bräutigam in Frage? Wohl 1049 / 50 dürfte Herzog Gottfried der Bärtige von Oberlothringen gemeinsam mit seinem Bruder, dem späteren Papst Stephan IX., im Gefolge Papst Leos IX. nach Italien gekommen sein. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit Heinrich III. war Herzog Gottfried der Acht verfallen und musste seine Heimat verlassen. Laurentius von Lüttich berichtet in diesem Zusammenhang, dass der entmachtete Herzog Markgraf Bonifaz als Gefolgsmann gedient habe. Diese Behauptung kann durch keine weiteren Quellen erhärtet werden. Sollte Gottfried tatsächlich dem Canusiner seine Dienste angetragen haben, so lernte er schwerlich Beatrix erst bei dieser Gelegenheit kennen. Gottfried und Beatrix waren verwandt und dürften sich schon lange gekannt haben; möglicherweise schon aus Kindertagen.
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Wohl im Sommer oder Herbst 1054 heiratete Beatrix Herzog Gottfried. Angesichts der politischen Lage war dies eine ebenso mutige wie problematische Entscheidung. Die Versöhnung des rebellischen Herzogs mit Heinrich III. hatte zwar Fortschritte gemacht, war aber noch keineswegs zum Abschluss gekommen. Zudem hatten die Brautleute nicht – wie dies nötig gewesen wäre – beim Kaiser um Erlaubnis für die Eheschließung gefragt und ihn durch ihre Hochzeit gleichsam hinter seinem Rücken aufs Äußerste brüskiert; als Lehnsherr stand ihm das Konsensrecht bei einer solchen Verbindung fraglos zu. Doch war allen bewusst, dass Heinrich niemals sein Einverständnis gegeben hätte. Dass dazu auch noch das kanonische Ehehindernis der zu nahen Verwandtschaft einen dunklen Schatten auf die Hochzeit warf, wiegt gegen die Verärgerung des Kaisers eher gering. Hatten Beatrix und Gottfried gehofft, Heinrich III. würde sich – beschäftigt mit anderen Krisen im Innern des Reiches – mit den einmal geschaffenen Tatsachen zähneknirschend abfinden, hatten sie sich getäuscht! Er wollte und konnte nicht dulden, dass sich einer seiner notorischen Gegner mit der Witwe des Markgrafen Bonifaz verband und so die Kontrolle über etliche Grafschaften, wichtige Apenninenpässe und eines erheblichen Abschnitts der Via Francigena erlangte. Der polemische Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld berichtet, Herzog Gottfried habe ein antikaiserliches Bündnis mit den Normannen geplant und Oberitalien komplett vom Reich abspalten wollen. Für diese Behauptung gibt es keinerlei Belege; sicher jedoch wollte sich Herzog Gottfried als Erbe des gewaltigen canusinischen Machtbereiches etablieren. Aber das war in den Augen des Kaisers schon schlimm genug! Die Reaktion Heinrichs III. erfolgte recht prompt. Seit längerem war eine Reichssynode zu Pfingsten 1055 in Florenz geplant gewesen, doch darauf wollte der wütende Salier nicht warten. Schon am 22. März 1055 stand er mit seinen Truppen in Brixen. Jeder wusste, was das bedeutete. Herzog Gottfried ergriff die Flucht und ist für mehr als ein Jahr völlig verschwunden – aus den Quellen, aber wohl auch in Wirklichkeit: Beatrix stand allein da. Was sollte sie tun? Es gab nur eine einzige Möglichkeit, die Macht für sich und ihr Kind doch noch zu erhalten: Sie musste sich dem Kaiser auf Gedeih und Verderb unterwerfen, auf seine Gnade hoffen. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Mathilde, die damals wahrscheinlich schon mit
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ihrem Stiefbruder Gottfried dem Buckligen verlobt gewesen ist, zog sie nach Florenz. Ihr schwante wohl nichts Gutes, denn noch auf der Reise verkaufte sie am 31. Mai 1055 in Pisa einem gewissen Wilhelm ihren Anteil an Hof und Burg Porcari mit einem Rückkaufrecht binnen eines Jahres. Offenbar wollte sie wenigstens einen kleinen Teil ihres Besitzes in Sicherheit bringen und benötigte, zum anderen, Bargeld. Für eine wirkungsvolle Bestechung hätte der eher geringe Kaufpreis von 10 Pfund Luccheser Silber jedoch niemals ausgereicht. Möglicherweise befürchtete sie, in Gefangenschaft zu geraten und hoffte, sich und ihrer Tochter mit dem Geld kleine Vergünstigungen erkaufen zu können. Um keinen Anstoß zu erregen, nannte sie sich bei dieser Gelegenheit nur Tochter Herzog Friedrichs; eine bescheidene, fast demütige Titulatur gegen die wirklich niemand etwas hätte einwenden können. Zu allem Übel war im Jahr zuvor Papst Leo IX. gestorben, der sich mit Nachdruck für eine Versöhnung Herzog Gottfrieds mit Heinrich III. eingesetzt hatte. Von dem neuen Papst, Viktor II., durfte Beatrix weit weniger Entgegenkommen erwarten. Der dem Kaiser ungefähr gleichaltrige und noch dazu verwandtschaftlich nahestehende Papst war seit seiner Erhebung zum Bischof von Eichstätt ein zunehmend unentbehrlicher Ratgeber Heinrichs III. geworden. Nach seiner Wahl zum Papst bemühte er sich an der Seite des Saliers um eine möglichst rasche und weitgehende Umsetzung der Ideale der Kirchenreform. Beatrix hatte sich auf diesem Gebiet noch keineswegs so sehr hervorgetan, dass sie auf die Fürsprache Viktors II. hätte vertrauen dürfen. Im Juni 1055 war die Witwe des Markgrafen Bonifaz nichts als ein politisches Problem, das im Sinne Heinrichs III. gelöst werden musste. Angeblich – so berichtet jedenfalls Lampert von Hersfeld, dessen Glaubwürdigkeit aber nicht überschätzt werden sollte – hat Beatrix in Florenz versucht, sich durch eine Rede vor dem Kaiser zu rechtfertigen – ohne Erfolg! Gnadenlos ließ Heinrich III. Beatrix und ihre Tochter Mathilde gefangennehmen und über die Alpen nach Deutschland bringen. Doch damit nicht genug. Sein Zorn traf auch den Bruder Herzog Gottfrieds, immerhin ein Kardinal. Nur seine Flucht auf das Inselkloster Tremiti und sein anschließender Eintritt in das uralte Kloster Monte Cassino konnten ihn retten. In Oberitalien versuchte Heinrich III. in der Folgezeit, den Macht-
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block der Canusiner zu schwächen, verzichtete aber merkwürdigerweise darauf, die großen Reichslehen des verstorbenen Bonifaz anderweitig zu vergeben. Offenbar plante er, die riesigen Ländereien in seiner eigenen Hand zu behalten; eine Politik, die er auch im Reich nördlich der Alpen verfolgte. Gleichzeitig schmiedete er eine Koalition als Gegengewicht zu den Canusinern: Er verlobte seinen Sohn, Heinrich IV., mit Bertha von Turin und band damit die mächtige Markgrafschaft Turin im Westen der Po-Ebene noch enger an das Reich. Dass er seinen Erben gleichsam unter Wert verheiratete und internationale Ehestrategien zugunsten eines rein situativen politischen Kalküls opferte, verdeutlicht, welchen Stellenwert er den Canusinern und der Beseitigung ihres Einflusses einräumte. Aus deren Sicht schien die Situation derweil völlig aussichtslos. Wohin Beatrix und Mathilde gebracht wurden, ist unbekannt. Ebensowenig weiß man, wann sie die Alpen überquerten. Es ist wahrscheinlich, dass die wertvollen Gefangenen im Tross des Kaisers reisen und der Demontage ihrer Herrschaft zusehen mussten; bewiesen werden kann dies aber nicht. In Deutschland dürften Mutter und Tochter wohl einem Nonnenkloster übergeben worden sein, wahrscheinlich weit entfernt vom alten Einflussgebiet von Beatrix’ lothringischer Familie, aber es gibt noch nicht einmal Gerüchte über ihren genauen Aufenthaltsort. In dieser Ausweglosigkeit starb am 5. Oktober 1056 in der Pfalz Bodfeld Heinrich III. mit nur 39 Jahren. Nur die schlichte Tatsache, den Kaiser überlebt zu haben, ermöglichte Beatrix und Mathilde die Rückkehr nach Italien. Glaubhafte Anzeichen für eine Versöhnung des Saliers mit Herzog Gottfried, Beatrix und Mathilde vor seinem Ableben oder auf dem Sterbebett gibt es nicht. Gleichwohl war mit seinem Tod auf einen Schlag alles anders. Von einem Tag auf den anderen war aus dem gejagten, geächteten, im Verborgenen lebenden Herzog wieder einer der mächtigsten und einflussreichsten Fürsten des Reiches geworden, kurz: ein Mann, dessen Wort erhebliches Gewicht besaß. Ebenso schlagartig endete die Gefangenschaft der beiden Canusinerinnen, die an der Seite Gottfrieds nun wiederum beruhigt in die Zukunft blicken konnten, denn schon auf dem Kölner Hoftag im Dezember 1056 gehörte Herzog Gottfried zu denjenigen Fürsten, die sich für einen reibungslosen Übergang der Macht auf den erst sechsjährigen König Heinrich IV. stark machten. Die Schmach der Gefangenschaft sowie der völligen Entmachtung war somit Geschichte.
VI. Mathildes Jugendjahre
VI. Mathildes Jugendjahre
Im Anschluss an des Kaisers Tod gelang es Gottfried dem Bärtigen sehr rasch, in die Führungsgruppe des Reiches zurückzukehren und beim friedlichen Übergang der Herrschaft auf den minderjährigen Heinrich IV. eine glückliche Rolle zu spielen. Unmittelbar nach dem Tod Heinrichs III. erlangten auch Beatrix und Mathilde wieder die Freiheit. Es wird nicht deutlich, ob (und wenn ja, bei wem) sich Gottfried für ihre Freilassung verwandt hat; doch dürfte seine Einflussnahme auch gar nicht nötig gewesen sein. Ihre Haft galt für die Lebenszeit des Herrschers und war mit dessen Ableben eindeutig beendet. Ein paar Monate gingen aber doch noch ins Land, bevor Beatrix im Februar 1057 mit ihrer Tochter Mathilde nach Oberitalien aufbrechen konnte. Die Verzögerung dürfte sich ergeben haben, weil Gottfried der Bärtige wohl erst seine Position im Reich nördlich der Alpen sichern wollte, bevor er sich im Süden um die Rückgewinnung der Canusinermacht kümmern konnte. Vermutlich war Papst Viktor II. ganz maßgeblich an der Integrierung Gottfrieds in das Reich beteiligt. Zum einen hatte ihm der sterbende Kaiser die Fürsorge für den kleinen Thronfolger angetragen; zudem konnte sich das während einer Minderjährigkeitsregierung ohnehin schwache Reich keinen inneren Konfl ikt leisten. Außerdem handelte der Papst nicht gänzlich selbstlos, würde er doch selbst in Zukunft machtvolle Verbündete in Italien benötigen. Gemeinsam mit dem Herzog gelangten Mutter und Tochter schließlich in die Toskana. Obwohl die Wiedererlangung der alten canusinischen Stärke noch in weiter Ferne lag, war es nach dem Abschied als Gefangene, von denen kaum jemand erwartet haben dürfte, sie jemals wiederzusehen, doch eine triumphale Rückkehr. Die Wiederherstellung der alten canusi-
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nischen Machtstrukturen konnte also beginnen, und sie wurde auf das Nachdrücklichste unterstützt durch den Umstand, dass die Familie nicht allein reiste. Kein Geringerer als Papst Viktor II. hatte sich ihrem Tross angeschlossen. Wahrscheinlich gaben die Canusiner ihm sicheres Geleit in Ober- und Mittelitalien. Dass der Papst, der Beatrix’ Demütigung in Florenz miterlebt hatte, nun gemeinsam mit ihr in die Toskana zurückkehrte, rehabilitierte die Fürstin vollständig. Viktor II. musste sich arrangieren, was ihm umso leichter gefallen sein dürfte, als er sich mit Sicherheit von Gottfried und Beatrix Hilfe in allen Bereichen der Kirchenreform versprach und sich wahrscheinlich auch Waffenhilfe für die Lösung des leidigen Normannenproblems erhoffte. Auf den König konnte er für lange Zeit nicht zählen und andere Fürsten, deren Macht ausgereicht hätte, dem Papsttum wirkungsvolle Hilfe zu leisten, gab es in Italien nicht. Im Juni hielt Viktor II. eine Synode in Florenz ab; eine programmatische Ortswahl. An der gleichen Stelle, an welcher die Canusiner entmachtet worden waren, kehrten sie nun gestärkt an der Seite des Papstes auf die internationale politische Bühne zurück! Im Herzen der Toskana demonstrierte der Papst, mit wem er künftig zusammenarbeiten wollte und musste: Innerhalb weniger Monate waren Gottfried und Beatrix zu einflussreichen Größen in Reichsitalien geworden; zu den wichtigsten Statthaltern der Reichsinteressen südlich der Alpen. Dass dies alles in einer rechtlichen Grauzone geschah, da Gottfried noch immer keine reichsrechtliche Sanktionierung seiner Stellung innehatte und Beatrix niemals mit den großen Reichslehen des verstorbenen Bonifaz belehnt worden war, spielte 1057 offenbar keine Rolle, da von der Haltung der Canusiner „der Erfolg der Rom- und Italienpolitik des deutschen Hofes“ (Schieffer, R., Zeit, 154) abhing. Die Rehabilitierung betraf nicht nur das Fürstenpaar allein. Am 24. Juni 1057 weihte Viktor II. Gottfrieds Bruder Friedrich in einer feierlichen Zeremonie zum Abt von Monte Cassino und erhob ihn gleichzeitig zum Kardinalpresbyter von San Crisogono. Der Schulterschluss des Papstes mit der Familie Gottfrieds und Beatrix’ war nun in aller Öffentlichkeit und unübersehbar vollzogen worden. Obwohl die Quellen darüber schweigen, dürfte Mathilde die glanzvolle Rückkehr ihrer Familie nach Florenz miterlebt haben. Die Elfjährige gewann Einblicke in eine politische Welt, die ihr künftiges Leben bestimmen sollte – auch wenn dies zum damaligen Zeitpunkt noch niemand vorhersehen konnte.
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Nur einen guten Monat später starb Viktor II. am 28. Juli 1057 in Arezzo. Er hatte angesichts der Schwäche des kindlichen Königs bei den Canusinern einen Schutz für das Reformpapsttum gesucht und gefunden; dass damit das Reformpapsttum „seine Verwurzelung im salischen Kaisertum verlor“ (Haverkamp, Aufbruch, 99), dürfte nicht in seinem Sinne gewesen sein und entsprach wohl kaum seiner längerfristigen Planung. Mit Sicherheit profitierten Gottfried, Beatrix und Mathilde erheblich von der neuen Allianz mit dem Papst, gewannen an politischem Gewicht und an moralischem Prestige. Die Kooperation mit dem Reformpapsttum erreichte einen ersten Höhepunkt, als nur wenige Tage nach dem Tod Viktors II. Friedrich, der Bruder Herzog Gottfrieds des Bärtigen, am 2. August 1057 in San Pietro in Vincoli in Rom zum Papst gewählt und am nächsten Tag in St. Peter inthronisiert wurde. Er nannte sich Stephan IX. Eile war geboten gewesen, sollten doch innerrömische Kräfte keine Gelegenheit bekommen, ihrerseits rechtzeitig einen Kandidaten aufzustellen. Möglicherweise war man auch gut vorbereitet: Da Viktor II. bereits in Florenz schwer krank gewesen war und es zu Beratungen mit Gottfried, Beatrix, aber auch mit den führenden Köpfen der Kirchenreform, allen voran Humbert von Silva Candida und Hildebrand, gekommen war, ist es denkbar, dass bereits bei dieser Gelegenheit mögliche Nachfolger Viktors diskutiert wurden; Näheres dazu ist allerdings nicht bekannt. Da ihre Mutter und ihr Stiefvater im Zentrum europäischer Politik standen, lernte Mathilde schon sehr früh die wichtigsten Vordenker der Kirchenreform kennen, unter ihnen vor allem jenen Hildebrand, dem sie als Papst Gregor VII. im Kampf gegen Heinrich IV. alle nur erdenklichen Ressourcen zur Verfügung stellen würde. Während des Pontifi kats Stephans IX. intensivierten sich dann auch noch die Kontakte der Canusiner zu Petrus Damiani, da sich Stephan bevorzugt durch Mönche beraten ließ. Wie eng die Zusammenarbeit zwischen dem sogenannten ersten lothringisch-tuszischen Papst und den Canusinern war, zeigt eine Stelle in der Chronik von Monte Cassino: Es wird berichtet, Stephan habe mit dem Gedanken gespielt, seinen Bruder Gottfried zum Kaiser zu krönen. Ob ein solcher Plan jemals ernsthaft erwogen wurde, ist unbekannt; sollte Stephan aber tatsächlich derartige Absichten gehegt haben, so zerstörte sein früher Tod diese hochfliegenden und wohl kaum in die Tat umzusetzenden Pläne jäh.
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Da die Wahl Stephans IX. gleichsam blitzartig hatte erfolgen müssen, war kaum Zeit gewesen, den fernen Hof vorher um Erlaubnis zu fragen. Nun schickte man eine Gesandtschaft unter Führung Hildebrands nach Norden, um nachträglich den Konsens der Minderjährigkeitsregierung einzuholen. Doch noch während Hildebrand auf Reisen war, erkrankte Stephan IX. schwer und starb ganz plötzlich am 29. März 1058. Die Kürze seines Pontifi kats lässt Stephan blass erscheinen; wohl zu Unrecht. Auf dem Totenbett zeigte er, dass er klar sah, wer in Zukunft die Geschicke des Reformpapsttums lenken und die Richtung vorgeben würde: Er bat darum, mit der Neuwahl seines Nachfolgers zu warten, bis Hildebrand von seiner Reise an den Salierhof zurückgekehrt sein würde. Wohl gleichzeitig richtete er eine erste Form der dauerhaften Kommunikationsverbindung des Papsttums mit den Markgrafen von Tuszien-Canossa ein: Der Kardinalbischof Petrus von Tusculum sollte diese möglichst permanente Verbindung zu Gottfried und Beatrix aufbauen und unterhalten. Ob der sterbende Stephan seinen beiden wichtigsten weltlichen Helfern auch nahelegte, engere Beziehungen zur weithin berühmten Reformabtei Cluny zu knüpfen, ist unklar. Mit großer Sicherheit befand sich Abt Hugo von Cluny in der Nähe; er dürfte dem sterbenden Papst die letzte Beichte abgenommen, den Toten gewaschen, bekleidet und für seine Bestattung in Santa Reparata in Florenz gesorgt haben. Bis 1076 jedoch gibt es keine Hinweise, dass die Canusiner engere Kontakte zu diesem zweifellos mächtigsten und einflussreichsten Abt des 11. Jahrhunderts pflogen. Man darf jedoch annehmen, dass Mathilde bereits Ende der 1050er Jahre auch Abt Hugo kennengelernt hatte – eine Begegnung, die zweifellos Spuren in der für geistliches und monastisches Leben sensiblen jungen Fürstin hinterlassen haben muss. Im Gegensatz zu ihren Eltern wird Mathilde die Ausbreitung Clunys in ihrem Herrschaftsgebiet unterstützen. Wie schon nach Viktors II. Tod musste auch nach dem Tod Stephans IX. rasch gehandelt werden, denn die römischen Adelsgruppen blieben nicht untätig und erhoben ihrerseits Benedikt X., Johannes von Velletri, der den wenig schmeichelhaften Beinamen ,Mincius‘ (der Dummkopf) trug. Obwohl Benedikt X. der Kirchenreform nicht gänzlich abgeneigt war, konnten und wollten die Reformer seinen Pontifi kat nicht anerkennen. Mitte Mai kehrte Hildebrand aus dem Norden zurück und traf sofort mit Gottfried dem Bärtigen zu Beratungen zusammen. Wenig später besprach er sich in
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Florenz oder Siena mit Humbert von Silva Candida, um einen geeigneten Papstkandidaten zu finden. Da Beatrix und Gottfried am 9. Juni 1058 in Florenz nachweisbar sind, spricht vieles dafür, dass sie an den Beratungen teilnahmen und aktiv in die Suche nach einem neuen Nachfolger Petri eingriffen; es ist zudem anzunehmen, dass auch Mathilde zugegen war. Am 12. Juni war eine Entscheidung gefallen: Bischof Gerhard von Florenz, der noch mit Unterstützung des Markgrafen Bonifaz den Bischofsthron am Arno übernommen hatte, wurde als Kandidat vorgeschlagen. Da es mit Benedikt X. bereits einen Papst gab, verhandelte Hildebrand mit den römischen Parteien, hielt sich vor allem aber gemeinsam mit den anderen Reformern aus Sicherheitsgründen bei Beatrix und Gottfried in der Toskana auf. In dieser Phase knüpfte Mathilde Kontakte, die ihr weiteres Leben und ihre politische Ausrichtung maßgeblich prägten. Vor allem dürfte sie in dieser Zeit hautnah miterlebt und nachhaltig begriffen haben, wie die Zusammenarbeit mit dem Reformpapsttum funktionierte, wie Kommunikationsbrücken aufzubauen und welche Leistungen und Gegenleistungen zu erwarten beziehungsweise zu erbringen waren. Am Beispiel der Kooperation ihrer Mutter und ihres Stiefvaters mit den Kirchenreformern konnte sie ablesen, welch hohes Ansehen den weltlichen Partnern aus der Zusammenarbeit mit den Reformpäpsten erwuchs, aber auch, welchen Aufwand diese Zusammenarbeit erforderte und welche horrenden Kosten dabei entstehen konnten. So belegte Nikolaus II. wunschgemäß Ancona mit dem Interdikt, weil sich die Stadt gegen die Herrschaft des Markgrafenpaares aufgelehnt hatte. Allerdings schrieb schon bald darauf Petrus Damiani an Nikolaus II. und bat um die Aufhebung der harten Kirchenstrafe, wobei er einen Tyrannen erwähnte. Ob damit Herzog Gottfried gemeint war, ist bislang nicht eindeutig geklärt; aber wer sonst sollte wohl gemeint sein? Wann immer sich Nikolaus II. in Rom unsicher fühlte, zog er sich in die Toskana zurück, in den Schutz des Markgrafenpaares, das sich bei feierlichen Gelegenheiten gemeinsam mit dem Papst der Öffentlichkeit präsentierte. So, als Nikolaus II. den Neubau des Nonnenklosters Santa Felicita weihte, das Beatrix nur wenig später begünstigte. Zudem erhob Nikolaus II. in rascher Folge drei Florentiner Geistliche auf die Bischofsthrone von Perugia, Aquino und Todi, was zweifellos auch für die Canusiner einen erheblichen Vorteil darstellte. Allerdings reiste der Papst natürlich niemals allein und konnte – ebenso wie sein Gefolge – nicht einfach irgendwo einquartiert werden. Zwar
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lassen sich die Kosten für längere Gastaufenthalte eines Papstes kaum auf Heller und Pfennig genau beziffern, doch dürften sie rasch astronomische Höhen erklommen haben. Im 12. Jahrhundert konnte ein Herrscherbesuch sogar als Strafmaßnahme erfolgen, um den Besuchten finanziell zu ruinieren. Klöster versuchten verzweifelt, möglichst umfangreiche Befreiungen von Gastungspflichten zu erreichen. Im monastischen Bereich kamen zwei Faktoren zusammen: Zum einen störten die weltlichen Gäste die Ruhe und die strenge Lebensführung im Kloster, zum anderen wollten die Gäste angemessen bewirtet werden, wozu neben einer gehörigen Menge Wein auch ordentliche Portionen Fleisch zählten, dessen Verzehr in Benediktinerklöstern durch die Regel verboten war. Wenn man annimmt, dass der Papst auch nur mit einem Gefolge von fünfzig Personen unterwegs war, was sicher viel zu niedrig angesetzt ist, so wird deutlich, welchen logistischen Aufwand die Canusiner betreiben mussten, um den Nachfolger Petri und seine Begleitmannschaften angemessen zu bewirten und zu beherbergen. Neben den Menschen stellten zudem die Pferde ein Problem dar, denn auch sie mussten mit Futter und Stallungen versorgt werden. Die wichtigsten politischen Partner des Reformpapsttums zu sein, stellte die Canusiner daher finanziell vor große Herausforderungen. Obwohl sie diese Probleme aus nächster Nähe erlebte, scheute Mathilde zeitlebens weder Mühen noch Kosten, wenn es darum ging, Anhängern der Kirchenreform sicheres Asyl und jede erdenklich Hilfe zu gewähren. Während der Aufenthalte Nikolaus’ II. in Florenz dürfte er Beatrix auch die Anliegen der Kanonikerreform nähergebracht haben, wofür sich der jetzige Papst schon seit seiner Zeit als Bischof einsetzte. Ob und in welchem Umfang Mathilde diesen Gesprächen beiwohnte, ist unbekannt. Man darf aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Politik der Mutter tiefe Spuren im politischen und religiösen Bewusstsein ihrer Tochter hinterlassen hat. Mathilde führte die Reformunterstützung ihrer Mutter nicht nur konsequent weiter, sondern wurde sogar zur absoluten Vorkämpferin der Kirchenreform südlich der Alpen, wobei sie sich stets mit aktiver Hilfe einbrachte. Ob sie zu allen Zeiten die Ziele und Anliegen der Reformgruppe intellektuell durchdrang, kann mit ziemlicher Berechtigung in Frage gestellt werden; immerhin wird sie sich in ihren späten Lebensjahren unbekümmert über zentrale Forderungen der Reformer in der Frage der Bischofsinvestitur hinwegsetzen, ohne sich eines Vergehens bewusst zu sein.
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Im Hochsommer 1061 erkrankte Nikolaus II. schwer und kehrte, in Rom vielfach bedrängt, nach Florenz zurück, wo Beatrix gerade allein die alltäglichen Geschäfte leitete, während Gottfried in seinen lothringischen Besitzungen weilte. Sie dürfte in der Nähe des Papstes gewesen sein, als dieser am 27. Juli 1061 starb. Wieder galt es, rasch einen Nachfolger zu wählen. Herzog Gottfried der Bärtige konnte nicht hinzugezogen werden, da seine Rückkehr aus Lothringen viel zu lange gedauert hätte. Daher ist anzunehmen, dass sich Hildebrand mit Beatrix beriet, bevor er persönlich nach Lucca reiste, um den dortigen, reformbegeisterten Bischof Anselm zu einer Kandidatur für den Stuhl Petri zu bewegen. Hildebrand hatte Erfolg, und so wurde Anselm am 30. September 1061 unter dem Namen Alexander II. inthronisiert. Doch zogen dunkle Wolken am politischen Horizont auf, denn nur wenige Wochen später kam es zur Erhebung eines Gegenpapstes: Cadalus von Parma wurde Honorius II. Ohne Zögern hatte sich Markgräfin Beatrix für Alexander II. entschieden und unterstützte ihn mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln. Geschickt nutzte sie im Winter 1061 / 62 sogar eine schwere Überschwemmung, um den Zug des Cadalus von Parma durch die canusinischen Gebiete nach Rom zu vereiteln. Damit war aber lediglich Zeit gewonnen, denn im März 1062 brach Cadalus erneut nach Süden auf, und diesmal war sein Heeresaufgebot zu stark, als dass Beatrix ihm hätte Widerstand leisten können. Eilends kehrte Herzog Gottfried nach Italien zurück und erreichte durch geschickte Verhandlungen, dass sich beide Päpste in ihre Bistümer zurückzogen. Die Lage war schwierig, denn Kaiserinwitwe Agnes hatte Partei für den unbescholtenen Cadalus ergriffen, und der noch minderjährige Heinrich IV. hatte die Insignien eines römischen Patricius angenommen, welche ihm die Anhänger des Cadalus aus Rom übersandt hatten. In diesem Augenblick wandte sich das Blatt entschieden: Im April 1062 entführte Erzbischof Anno II. von Köln den jugendlichen König bei einer Spazierfahrt auf dem Rhein und riss die Macht an sich. Anno II. favorisierte Papst Alexander II., der interimistisch die päpstlichen Amtsgeschäfte übernahm. Pfingsten 1064 entschied sich eine von Gottfried und Beatrix sorgsam bewachte Synode in Mantua endgültig für Alexander II. Doch die Beziehung der Markgrafen zum neuen Papst blieb nicht unbelastet. Der Florentiner Bischof Petrus Mezzabarba, der seit langem im
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Verdacht der Simonie stand, gehörte zu den erklärten Parteigängern der Markgrafen von Canossa und konnte daher nicht einfach seines Amtes enthoben werden. Als sich der Bischof 1068 unter dem Druck der von den Vallombrosanern aufgeheizten Öffentlichkeit nicht mehr halten konnte und Alexander II. ihn fallen ließ, zeugte dies auch von der Emanzipation des Reformpapsttums vom Schutz und Schirm der Canusiner. Zugleich verübelte es der Papst Herzog Gottfried, dass er die Romzugsversuche Heinrichs IV. in den Jahren 1065 und 1067 nicht unterstützt hatte und der von Alexander II. so dringend gewünschte Romzug des Saliers so gänzlich unterblieben war. Besonders erschwert wurde das Verhältnis des Papstes zu seinen ehemaligen Beschützern aber durch den Umstand, dass Gottfried Gespräche mit Cadalus von Parma aufnahm, wofür er auch von Petrus Damiani, dem eremitischen Vordenker der Kirchenreform heftig getadelt wurde. Bei einem bloßen Tadel ließ es Alexander II. hingegen nicht bewenden: Er forderte die Auflösung der Ehe Gottfrieds mit Beatrix wegen zu naher Verwandtschaft. Da reiste Beatrix – wahrscheinlich ohne ihren Gemahl – zur Ostersynode 1068 nach Rom, um in direkten Gesprächen in eigener Sache zu verhandeln. Möglicherweise versprach sie die Stiftung eines Klosters, woraufhin Alexander II. von weiteren Maßnahmen gegen die Canusiner absah. Bei welchen Gelegenheiten Mathilde ihre Mutter begleitete, ist weitestgehend unbekannt. Die Kontakte zum Reich nördlich der Alpen hielt überwiegend Herzog Gottfried; Mathilde indessen dürfte nach ihrer Rückkehr 1057 Italien nicht verlassen haben. Ob sie eines der beeindruckendsten Naturschauspiele jener Zeit, das sogar im Wandteppich von Bayeux verewigt worden ist, miterlebte, ist unbekannt. In der Dekade nach dem Osterfest des Jahres 1066 zeigte sich für einen längeren Zeitraum der Halleysche Komet, dessen Lichtschweif auch von Oberitalien aus gut zu sehen war, wie Andreas von Strumi in der Vita Arialds berichtete. Aber Mathilde dürfte in dieser Zeit bereits andere, drängendere Sorgen gehabt haben, die sie weit mehr bewegt haben dürften als die Erscheinung eines Kometen. Noch 1067 begleitete Mathilde Gottried und Beatrix auf einem Feldzug gegen die Normannen nach Süden (wobei die Damen wahrscheinlich in Rom Aufenthalt nahmen, um sich nicht den Gefahren eines Feldzuges auszusetzen). Die neuen Eindrücke aus der Ewigen Stadt müssen für die von tiefer Frömmigkeit
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erfüllten Mathilde überwältigend gewesen sein; aber sie wurden rasch von persönlichen Problemen verdrängt, denn die Markgrafentochter musste sich ernsthaft mit ihrer eigenen Lebensplanung beschäftigen und konnte ihre Verheiratung nur noch kurz aufschieben.
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Wann Beatrix begann, die Zukunft ihrer einzig überlebenden Tochter Mathilde konkret zu planen, ist unbekannt. Manches spricht aber dafür, dass die Fürstentochter vielleicht schon zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung ihrer Mutter dem Sohn ihres Stiefvaters, Herzog Gottfrieds des Bärtigen, Gottfried dem Buckligen, versprochen wurde. Eine Schenkungsbestätigung von Gottfried und Beatrix an das Kloster Florennes, in der Mathilde als Verlobte erwähnt wird, ist zwar eine Fälschung, geht aber auf eine echte Vorlage aus dem Jahr 1064 zurück. Wahrscheinlich nutzten die Eltern die Unmündigkeit König Heinrichs IV., um gleichsam hinter seinem Rücken die Ehe ihrer Kinder einzufädeln und damit die Verbindungen ihrer Besitzungen in Lothringen und Oberitalien auf Dauer festzuschreiben. Wie gut Mathilde und ihr zukünftiger Mann sich zu diesem Zeitpunkt bereits kannten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Sie dürften sich wohl am Ende der Gefangenschaft der Canusinerinnen in Deutschland getroffen haben; zudem begleitete Gottfried der Bucklige seinen Vater 1067 nach Italien, doch in den langen Jahren zwischen diesen beiden kurzen und noch dazu nicht mit Sicherheit nachweisbaren Treffen wissen wir nichts über mögliche Briefkontakte oder andere Gelegenheiten, bei denen Mathilde und der jüngere Gottfried sich hätten annähern können. Da Mathildes Mutter selbst aus Lothringen stammte, konnte sie ihrer Tochter die andersartige Kultur näherbringen, die sie nach ihrer Verheiratung in der neuen Heimat erwarten würde. Gleiches galt für die fremde Sprache, die Mathilde in Unterhaltungen mit ihrer Mutter lernen konnte. Es bestand also kein Grund, die jugendliche Mathilde in Lothringen auf ihre künftige Rolle als Frau des Herzogs vorbereiten zu lassen.
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Es hätte demnach alles so einfach sein können. Aber die lange Verlobungszeit nährt den Verdacht, dass sich zumindest einer der zukünftigen Ehepartner gegen die Hochzeit sträubte, denn Mathilde wäre spätestens mit dem Erreichen ihres vierzehnten Lebensjahres verheiratungsfähig gewesen. Dass es sich bei dem Eheprojekt nicht um eine Liebesheirat handelte, war wohl allen Beteiligten bewusst, aber um persönliche Vorlieben und privates Glück ging es bei einer solchen Heirat auch nicht. Im hohen Adel wurden Ehen unter Macht- und Nützlichkeitsaspekten geschlossen; die Individuen traten hinter Strategien zur Sicherung des Familienbesitzes und des Platzes in der gesellschaftlichen Hierarchie zurück. Nicht nur über Mathildes, sondern auch über Gottfrieds Kopf hinweg entschieden die Eltern über die günstigste Partnerwahl und es wurde erwartet, dass sich Braut und Bräutigam stillschweigend in das Arrangement fügten. Als Herzog Gottfried der Bärtige Ende des Jahres 1068 oder Anfang 1069 so schwer erkrankte, dass seine Ärzte ihm rieten, nach Lothringen zurückzukehren, da Luft und Nahrung dem Leidenden dort besser bekommen würden, drängte die Zeit, denn alle wussten, was diese Entwicklung zu bedeuten hatte: Gottfried der Bärtige war dem Tod geweiht. Umgehend verließ der Herzog in Begleitung seiner Gemahlin Beatrix und seiner Stieftochter Mathilde Italien und begab sich auf die Ardennen-Burg Bouillon. Den Tod vor Augen rief Gottfried der Bärtige den Abt des Klosters Saint-Hubert zu sich, um mit ihm die Einzelheiten der versprochenen Konventsgründung zu vereinbaren; zugleich ließ er seinen Sohn schwören, das väterliche Gelübde in die Tat umzusetzen, sollte Gottfried selbst nicht mehr dazu kommen. In größter Angst bewog Beatrix den Sterbenden dazu, noch weitere Stiftungen zur Rettung seines Seelenheils zu tätigen. So übertrug das Paar die Kirche des heiligen Dagobert zu Stenay an das Kloster Gorze; die Bischofskirche von Verdun wurde ebenfalls mit einer Schenkung bedacht. Als sich der Zustand des Herzogs weiter verschlechterte, ließ er sich nach Verdun bringen, da er im dortigen Dom bestattet werden wollte. Am 24. Dezember 1069 starb Gottfried der Bärtige. Vielleicht noch in Bouillon, vielleicht auch erst in Verdun rief Herzog Gottfried seinen Sohn und Mathilde zu sich; die Hochzeit fand in Gegenwart des Todkranken statt. Aus dem solchermaßen von den Umständen erzwungenen Bund wird keine glückliche Ehe. Lampert von Hersfeld, ein gut informierter, aber nicht eben zuverlässiger, zu gehässiger Nachrede
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und bewusster Falschinformation neigender Geschichtsschreiber des 11. Jahrhunderts, charakterisiert den Bräutigam wie folgt: Gottfried sei ungewöhnlich tapfer und beeindrucke durch seine Klugheit und Reife ebenso wie durch die Macht seines stolzen Heeresaufgebots, das er geschickt zu befehligen wisse. Aber er sei durch einen Buckel verunstaltet und von eher kleinem Wuchs. Ob Mathilde die Vorzüge nicht sah und von der körperlichen Missgestaltung abgestoßen wurde? In seiner Treue zu König Heinrich IV. war der junge Herzog stets vorbildlich gewesen; der Salier hielt große Stücke auf ihn – aber genügten Zuverlässigkeit und Tapferkeit für eine glückliche Paarbeziehung? Zunächst scheint alles gut gegangen zu sein. Schon zu Beginn des Jahres 1070 kehrte Beatrix allein nach Italien zurück, wo sie am 25. Mai zu Florenz Gericht hielt. Die Frischvermählten blieben in Lothringen. Im Verlauf des Jahres 1070 wird Mathilde schwanger. Freudig scheint Herzog Gottfried sogar den salischen Königshof über das bevorstehende Ereignis informiert zu haben, denn in einer Urkunde Heinrichs IV. vom 9. Mai 1071 spricht dieser von Herzog Gottfried oder dessen Erben. Danach jedoch herrscht Schweigen. Über Mathildes Kind wissen wir irritierenderweise nichts; nicht einmal zweifelsfrei, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen gehandelt hat. Ging die ältere Forschung ohne konkrete Beweise von einem Knaben aus, so findet sich in einer Urkunde von Mathildes Mutter ein Hinweis darauf, dass Mathilde einer Tochter das Leben geschenkt hatte. Am 29. August 1071 stiftete Beatrix an das von ihr selbst gegründete Kloster Frassinoro zu ihrem Seelenheil, demjenigen ihrer verstorbenen Ehemänner Bonifaz und Gottfried, für das Seelenheil ihrer Tochter Mathilde und dasjenige ihrer neptis Beatrix. Neptis ist leider zweideutig und kann sowohl die Nichte als auch die Enkelin bezeichnen. Zwar hatte Beatrix Schwester Sophie eine Tochter mit Namen Beatrix, diese starb jedoch erst 1092 und kann daher hier nicht gemeint sein. Auch ihre eigene Tochter Beatrix, die wohl 1053 verstarb, dürfte Beatrix nicht im Sinn gehabt haben, da sie zu ihrem und dem Seelenheil ihres ebenfalls verstorbenen Bruders Friedrich schon 1053 eine große Stiftung an das Kloster Felonica getätigt hatte. Da es sich bei der Donation an Frassinoro um ein Seelgerät für die gesamte Familie handelt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Beatrix ihre gleichnamige Enkelin der Fürbitte des Konvents anvertrauen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind also bereits tot. Wie lange es
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gelebt hat, ist völlig unbekannt. Aus den besorgten Worten der Beatrix darf man entnehmen, dass Mathilde eine sehr schwere Geburt durchlitten hatte, denn ausdrücklich bittet Beatrix in der Frassinoro-Schenkung um die Unversehrtheit der Tochter, die sich offenbar noch Ende August 1071 nicht von den Folgen der Niederkunft erholt hatte. Geburten waren während des ganzen Mittelalters gefährlich und die Mittel der Ärzte und Hebammen, die Not der Wöchnerinnen im Ernstfall zu lindern, begrenzt. Wenn Mathilde tatsächlich von einem Mädchen entbunden wurde, so stellte die Geburt neben allem Leid auch noch eine herbe Enttäuschung dar, denn natürlich dürfte das Paar auf einen männlichen Erben gehofft haben. Zwar war das Erbrecht von Frauen im Westen des Reiches und in Oberitalien besser als in anderen Teilen des Reiches, doch die Nachfolge in einem Herzogtum stand einem Mädchen noch lange nicht offen. Allenfalls die Allodien, also den Privatbesitz der herzoglichen Familie sowie der Canusiner, hätte Mathildes Tochter erben können. Dies wäre zwar ein mehr als stattliches Vermögen gewesen, hätte aber über den Verlust der bedeutenden Reichslehen nicht hinwegtrösten können. Es scheint, als habe die Geburt und der frühe Tod des Kindes in den Windeln die Zerrüttung von Mathildes Ehe überdeutlich werden lassen; eine Fortsetzung des Zusammenlebens mit Gottfried schien ihr wohl einfach undenkbar und so floh sie, sobald sie körperlich dazu in der Lage war, zu ihrer Mutter nach Italien, wo sie am 19. Januar 1072 in Mantua zu fi nden ist. Wie groß Mathildes Verzweiflung gewesen sein muss, lässt sich an dem Umstand ermessen, dass sie im Winter die beschwerliche Reise nach Süden antrat. Lampert von Hersfeld beschreibt die Gefahren eines Alpenübergangs in der schlechten Jahreszeit, als er über den Gang Heinrichs IV. nach Canossa berichtet, wozu der König im Winter den Mont Cenis überwinden musste. Ob der Dezember und Januar 1071 / 72 ebenso kalt und schneereich waren, ist unbekannt, aber Eis und Schnee, Glätte und schlechte Wege machten das ohnehin beschwerliche Reisen zusätzlich gefährlich und nur mit Mühe erträglich. Hinzu kam, dass Mathilde noch immer geschwächt gewesen sein dürfte. Ob sie die Reise zu Pferd bewältigen konnte oder auf einen Wagen angewiesen war, der kaum mehr Komfort zu bieten hatte, wissen wir nicht. Da anzunehmen ist, dass Mathilde Lothringen heimlich verließ, war eine schnelle Fortbewegung das Gebot der Stunde, weshalb sie wohl die Strecke im Sattel zurückgelegt haben dürfte. Wo sie auf der Reise
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Quartier nahm und welchen Klöstern oder Getreuen sie sich auf ihrer Flucht anvertraute, ist unbekannt. So peinlich das Verschwinden seiner Frau für Herzog Gottfried auch gewesen sein dürfte, wollte er doch nicht einfach stillschweigend Gras über die Sache wachsen lassen. Er konnte die eigenmächtig durch Mathilde herbeigeführte Trennung nicht hinnehmen. Schon 1072 zog er über die Alpen, um seine Frau zurückzuholen und die mit ihrer Hand gewonnenen canusinischen Gebiete für sich zu bewahren. Dabei konnte er auf die Unterstützung von Mathildes Mutter zählen, die in dieser Angelegenheit nicht bedingungslos hinter ihrer Tochter stand, sondern den Fortbestand der Ehe dringend wünschte und in der Folgezeit mehrfach an der Seite ihres Schwiegersohnes agierte. Gottfried war klug und sensibel genug, um nicht mit leeren Händen über die Alpen zu kommen. Als Geste seines guten Willens und wohl als Versöhnungspräsent brachte er ein Reliquienkästchen mit, das ursprünglich aus dem Besitz des Markgrafen Bonifaz, von Mathildes Vater also, stammte, und um dessen Rückgabe Mathilde ihren Gemahl dringend gebeten hatte. Ihre Bitte beweist, dass sie einen Weg gefunden hatte, von Italien aus mit ihrem Mann zu kommunizieren. Allerdings hatte sie wohl kaum damit gerechnet, dass Gottfried selbst den Boten spielen und das Kästchen übergeben würde. Wie es letztlich in Mathildes Hände zurückgelangte, ist unbekannt; es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie Gottfried wiedergesehen hat. Wahrscheinlich wurde Beatrix zur Überbringerin des wertvollen Stückes. 1073 saß Gottfried in Pisa zu Gericht und versammelte die Großen der Toskana um sich; er zelebrierte bei dieser Gelegenheit gleichsam den Amtsantritt eines neuen Markgrafen in der Toskana. Neben den Bischöfen von Pisa, Florenz und Volterra fanden sich Vertreter der mächtigen Grafenfamilien der Gherardesca und Ardenghesca sowie der Vizegraf Hugo bei Gottfried ein, um ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu bekunden. Auch seine Schwiegermutter Beatrix befand sich in der Nähe, wobei jedoch beide darauf achteten, sich in ihren jeweiligen Amtsgeschäften nicht zu beeinträchtigen. Mathilde hielt sich während dieser Zeit zwar ebenfalls in der Toskana auf, allerdings in Lucca; es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie ihren Mann getroffen hätte, obwohl zwischen Lucca und Pisa gerade einmal knapp 25 Kilometer lagen. Wahrscheinlich reiste Gottfried Mitte des Jahres 1073 nach Rom; möglicherweise gemeinsam mit Beatrix.
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Bereits am 28. April 1073 hatte Gregor VII. Markgräfin Beatrix seine Wahl zum Papst angezeigt. Offenbar hatte sie diesen Brief auch Herzog Gottfried mitgeteilt, der Gregor VII. daraufhin gratulierte, denn in seinem Dankschreiben erläuterte der Papst nicht nur seine Haltung zu Heinrich IV., sondern versprach auch seine Hilfe bei privaten Problemen, ohne freilich konkreter zu werden. Dennoch kann es sich wohl nur um ein Vermittlungsangebot in Eheangelegenheiten gehandelt haben. Während Markgräfin Beatrix mit Sicherheit bei der feierlichen Weihe Papst Gregors VII. am 30. Juni 1073 zugegen war, ist unklar, ob auch Gottfried der Zeremonie beiwohnte. Man darf aber davon ausgehen, dass Gottfried den neuen Papst in Rom getroffen und gesprochen hat. Bei dieser Gelegenheit war offenkundig nicht nur Belangloses geplaudert worden, denn Gregor erinnerte den Herzog Anfang April 1074 höchst ungehalten daran, dass er ihm Versprechen geleistet, diese aber nicht eingehalten habe. Eigentlich konnte der Lothringer nur bei einem Zusammentreffen in Rom Zugeständnisse gemacht haben, an die er später offenbar nicht mehr erinnert werden wollte. Mathilde dürfte schweren Herzens der Papstweihe ferngeblieben sein, um eine Begegnung mit ihrem Ehemann zu vermeiden. Im Sommer 1073 gab Gottfried auf, verließ Italien und kehrte nach Lothringen zurück. Er hatte erkennen müssen, dass seine Ehe nicht mehr zu retten war. Mathilde hatte deutlich gemacht, dass eine Versöhnung für sie nicht in Frage kam und sie auch nach außen hin nicht den Schein einer glücklichen Beziehung wahren wollte. Mit ihrer hartnäckigen Verweigerungshaltung hatte sie einen wichtigen Teilerfolg errungen. Nur ein einziges Mal erwähnte Mathilde in der Folge den Namen ihres Gemahls und den Umstand, dass sie noch immer verheiratet war. Als sie am 18. August 1073 in Mantua für das Kloster San Paolo in Parma urkundete, bezeichnete sie Gottfried als ihren Ehemann. In der nur eine Woche zuvor ausgefertigten Urkunde für San Zeno in Verona erwähnt sie ihn nicht. Ob sich Gottfried damals in der Nähe Mantuas befand und Mathilde ihn nicht über die Maße reizen wollte, oder ob er das Land bereits verlassen hatte und Mathilde auf Grund einer nicht mehr nachvollziehbaren Verbindung des Herzogs mit dem Kloster San Paolo ausnahmsweise seiner gedachte, muss dahingestellt bleiben. In der Folgezeit versuchte Mathilde verzweifelt, ihre Ehe annullieren zu lassen. Ihre dem Anschein nach flehentlichen Briefe an Papst Gregor VII.
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haben sich nicht erhalten, wohl aber dessen Antworten, die eine deutliche Sprache sprechen. Am 3. Januar 1074 lud Gregor die junge Fürstin dringend nach Rom ein, da es sich günstig füge, dass sie auf der Reise ihre Mutter begleiten könne. Offenbar wollte der Papst im persönlichen Gespräch die Ehekrise Mathildes lösen und scheute sich, seine Ratschläge einem Brief anzuvertrauen. Diese Zurückhaltung legte er in seinem nur wenige Wochen später verfassten Pastoralschreiben an Mathilde ab. Am 16. Februar empfing die Fürstin einen langen Brief, in welchem der Papst ihr den häufigen Genuss der Eucharistie und eine innige Verehrung der Gottesmutter Maria empfahl, um die Qual ihrer Seele zu lindern. Dabei kommt er ihrem offenbar deutlich ausgesprochenen Wunsch nach einer Ehescheidung keinen auch nur noch so kleinen Schritt entgegen – im Gegenteil! Unmissverständlich mahnt er sie, gegenüber Gottfried Milde und Nachsicht walten zu lassen und sich in ihr Schicksal zu fügen, da sie in der Welt gebraucht werde. Ganz konkret benötigte der Papst Herzog Gottfried als Bündnispartner, um mit König Heinrich IV. in engem Kontakt bleiben zu können, und war daher weder Willens noch in der Lage, Mathildes Ehe aufzulösen. Aber Mathilde blieb hart. Dass sie sich der Madonna zu Füßen warf und bittere Tränen über ihr Schicksal vergoss, wie Gregor VII. es ihr geraten hatte, ist angesichts ihrer tiefen Frömmigkeit kaum zu bezweifeln, doch ließ sie sich deshalb noch lange nicht auf Lebenszeit an einen ungeliebten Mann fesseln. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Mathilde zu sehr von Gottfrieds Missbildungen abgestoßen war, ob ihr Wunsch nach einem kontemplativen Leben im Kloster übermächtig wurde oder ob sie sich einfach nicht in eine Ehegemeinschaft einfügen konnte, in der sie neben ihrem Gemahl eine zweitrangige Rolle hätte spielen müssen; sicher ist, dass sie und ihre Mutter keinen männlichen Beschützer mehr brauchten, um ihre Position in Ober- und Mittelitalien zu behaupten. Auch wenn sie Gregor durch ihre Unbeugsamkeit brüskierte, konnte sich Mathilde doch im Wesentlichen auf seine Rückendeckung verlassen, denn der Papst brauchte die canusinischen Fürstinnen zur Umsetzung und Finanzierung seiner Politik. So blieb Mathilde zwar die förmliche Scheidung der Ehe verwehrt, aber an der faktischen Trennung der Ehegatten war nicht mehr zu rütteln; weder die Mahnungen ihrer Mutter noch diejenigen des Papstes hätten sie je zu einer Rückkehr nach Lothringen bewegen können.
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Im September 1075 rückte dann auch Gregor VII. von Herzog Gottfried ab, da dieser unverrückbar fest auf der Seite König Heinrichs IV. stand und sich dessen Verhältnis zum Reformpapsttum rapide verschlechterte. Ausdrücklich warnte der Nachfolger Petri die beiden Fürstinnen vor den Versprechungen des Lothringers, denen nicht mehr zu trauen sei. Ob es allerdings überhaupt noch eine Kommunikation zwischen den Damen und dem Herzog gab, deren Inhalt sie misstrauen hätten können, ist fraglich. Als Gottfried der Bucklige das Obödienzaufkündigungsschreiben des Königs und der Fürsten an Gregor VII. am 24. Januar 1076 mit unterfertigte, war der Bruch vor aller Augen vollzogen. Allerdings hatte sich die politische Lage bereits derart zugespitzt, dass sich Gregor VII. nun nicht mehr um die Trennung von Mathildes Ehe kümmern konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Lange blieb die Markgräfin aber dennoch nicht mehr an den ungeliebten Gemahl gebunden, denn sein gewaltsamer Tod erlöste Mathilde aus den verhassten Fesseln ihrer Ehe, ohne dass sie dabei die Hand im grausamen Spiel gehabt hätte. Lampert von Hersfeld schildert den Tod des Herzogs recht anschaulich, der in Antwerpen einem Attentäter zum Opfer fiel. Des Nachts habe der Herzog den Abtritt aufgesucht, als sein Mörder ihm ein Schwert zwischen die Pobacken stieß und stecken ließ. Noch eine ganze Woche habe sich der Gottfried elend quälen müssen, bis er endlich an seinen scheußlichen Verletzungen gestorben sei. Lediglich der Mailänder Geschichtsschreiber Landulf verdächtigte Mathilde, den Mörder ihres Mannes gedungen zu haben, doch fand seine haltlose Anklage kein Gehör. Obwohl Mathilde froh gewesen sein dürfte, von ihrem Gemahl befreit zu sein, sah sie sich doch plötzlich mit dem Problem konfrontiert, nun selbst für ihre lothringischen Besitzungen sorgen zu müssen; eine Aufgabe, die Gottfried bis zu seinem Tod offenbar stillschweigend erledigt hatte – allerdings sicher nicht uneigennützig, sondern in Ausübung seiner Rechte als Ehemann der Canusinerin. Da Mathilde wusste, dass sie einen permanenten Statthalter vor Ort brauchte, um die aus italienischer Sicht exzentrisch gelegenen Besitzungen behaupten und Einkünfte aus ihnen erzielen zu können, ernannte sie Albert von Namur zu ihrem Sachwalter, der sich allerdings nicht gegen Gottfried von Bouillon durchzusetzen vermochte, einen Vertrauten Gottfrieds des Buckligen.
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Nur wenige Wochen nach Herzog Gottfried starb am 18. April 1076 Mathildes Mutter Beatrix. So wenig sie des Herzogs Tod belastet haben dürfte, so schwer traf sie der Verlust ihrer Mutter. Plötzlich stand die Fürstin ganz allein und war mit allen Entscheidungen auf sich gestellt. Aber wir haben vorgegriffen, denn unvorbereitet hat Beatrix ihre Tochter nicht zurückgelassen, sondern sich in den Jahren nach ihrer Rückkehr nach Italien intensiv um die Einarbeitung Mathildes in die Amtsgeschäfte gekümmert und sie im ganzen Canusinergebiet als die kommende Fürstin präsentiert.
VIII. Lange Lehrzeit: Beatrix und Mathilde als Vermittlerinnen
VIII. Beatrix und Mathilde als Vermittlerinnen
Nach ihrer Flucht aus Lothringen fand Mathilde bei ihrer Mutter Beatrix zwar kein begeistertes Verständnis für ihr Handeln, immerhin aber sichere Aufnahme in ihre gewohnte Umgebung. Offenbar sah Beatrix sofort, wie ernst es ihrer Tochter war, nie mehr zu Gottfried dem Buckligen zurückzukehren. Dies warf enorme Probleme auf, denn die Fürstin musste ihre gesamte Zukunftsplanung für ihr Kind und für die dauerhafte Sicherung des canusinischen Besitzes neu überdenken. Obwohl sie lange auf eine Versöhnung gehofft haben dürfte, begann sie nach Mathildes mehr als überraschender Rückkehr umgehend, ihre Tochter für die kommenden Herrschaftsaufgaben vorzubereiten. Da weibliche Fürstenherrschaft einen Sonderfall darstellte, musste alles daran gesetzt werden, einen möglichst breiten öffentlichen Konsens herzustellen und Mathilde als präsumptive Nachfolgerin zu präsentieren. Wohl bereits ganz kurz nach ihrer Rückkehr urkundet Mathilde am 19. Januar 1072 in Mantua gemeinsam mit ihrer Mutter für das dortige Andreaskloster. Obwohl es sich um eine namhafte Schenkung handelt, wird keine Seelgerätstiftung eingerichtet. Angesichts der Frömmigkeit und tiefen Gläubigkeit Mathildes wäre zu erwarten gewesen, dass sie raschestmöglich für ihr verstorbenes Kind stiften würde, aber es scheint, als habe Mathilde jeden Gedanken an ihren schmerzlichen Verlust verdrängt. Für die beiden Fürstinnen galt es, das Beste aus der ungewöhnlichen Situation zu machen und in ihrem gesamten Herrschaftsbereich möglichst präsent zu sein, um ihren Anspruch auf die Macht durch körperliche Gegenwart zu bekräftigen. Da ihre Position in der Toskana weniger stark war als in der heutigen Doppelprovinz Emilia-Romagna, waren sie südlich des Apennin verstärkt auf Helfer angewiesen und brauchten Unterstützer
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auch außerhalb ihrer unmittelbaren Klientel. Daher sahen es die Canusinerinnen sicher sehr gerne, dass im Februar 1072 Bischof Trasmund von Fiesole eine Schenkung zum Seelenheil des Königs und seiner Gemahlin, aber auch der Markgräfin Beatrix und ihrer Tochter Mathilde tätigte. Da die Fürstinnen in der Toskana nur über wenig Eigenbesitz verfügten, konnten sie sich nicht durch reiche Schenkungen Anerkennung und Gefolgschaft gleichsam erkaufen; südlich des Apennin mussten die Canusinerinnen durch andere Qualitäten überzeugen. Daher bemühten sie sich, hier als Hüter der Gerechtigkeit und der öffentlichen Ordnung aufzutreten und sich als zuverlässige politische Partnerinnen zu präsentieren. Schon im Frühsommer 1072 zogen Mutter und Tochter südwärts. Anfang Juni saßen sie zugunsten des Salvatorklosters auf dem Monteamiata zu Gericht. Nur einen Monat später hielten sie erneut Gericht. Sie sicherten dem Eremo (Einsiedlerkloster) Santa Croce di Fonte Avellana durch ihren Bann mehrere Kirchen, dazu Landbesitz. Bei dieser Gelegenheit trafen sie den Prior von Fonte Avellana, Petrus Damiani, einen der bedeutendsten Vordenker der Kirchenreform, bewundernswerten Asketen und sprühenden Geist. Dem Gerichtstermin wohnten zudem die Bischöfe von Perugia und Assisi bei, was juristisch keinesfalls nötig gewesen wäre. Möglicherweise hatten sie sich zu Gesprächen mit den Fürstinnen getroffen, um sich deren Obsorge nicht nur für die Klöster, sondern auch für die gesamten Bistümer zu versichern. Denn nicht nur Klöster brauchten den jurisdiktionellen Schutz der Canusinerinnen, sondern auch Privatleute und Bischofskirchen. Nachdem sie im Juli 1072 Besitz und Freiheit eines gewissen Wido durch ihren Richterspruch mit dem Bann gesichert hatten, wandten sich Beatrix und Mathilde Anfang September nach Lucca, um zugunsten der dortigen bischöfl ichen Kirche Gericht zu halten. Danach wurde es höchste Zeit, wieder nördlich des Apennins nach dem Rechten zu sehen. Im Spätherbst zogen sie über den Pass der Foce di Radici, der Lucca mit Modena verbindet, über die Berge und machten in Frassinoro Station, wo die beiden Fürstinnen eine Woche lang den soeben aus Rom zurückkehrenden Abt Theoderich von St. Hubert beherbergten. Die von den Canusinern gestifteten Klöster, aber auch ihre Burgen, standen hochrangigen Reisenden jederzeit offen. Sie fanden dort nicht nur angenehme Unterkunft, sondern – im günstigsten Fall – auch die Großzügigkeit der Fürstinnen. Der Abt durfte sich über reiche Geschenke freuen, darunter
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etliche Chormäntel, da die Damen ihm, glaubt man den Worten des Chronisten von St. Hubert, täglich einen dieser kostbaren Mäntel schenkten. Nachdem sich Beatrix und Mathilde von dem Geistlichen verabschiedet hatten, treffen wir sie im Dezember in Reggio Emilia wieder, wo sie zugunsten des Klosters des heiligen Prospero eine Stiftung tätigten. Ruhelos geht es weiter: Die Notwendigkeit, im gesamten Machtbereich möglichst auch körperlich präsent zu sein, gestattete keine langen Pausen. Mutter Beatrix ist bereits Mitte Januar 1073 schon wieder in der Toskana, hatte also im Winter den schneereichen Apennin überquert, um an der Seite ihres Schwiegersohnes Gottfried Gericht in Pisa zu halten. Aber wo ist Mathilde? Offenbar hat sie es verstanden, eine belastende Begegnung mit ihrem ungeliebten Gemahl zu vermeiden und ihrer Mutter die Erlaubnis abgerungen, selbständig in der Toskana agieren zu dürfen. Ein gewagter Stimmungstest darüber, ob Mathilde allein über genügend Autorität verfügte und entsprechende Akzeptanz und Anerkennung vor Ort fand. Am 8. Februar 1073, sie dürfte die Reise über den Apennin also wohl gemeinsam mit Beatrix zurückgelegt haben, sitzt sie in Lucca zugunsten des dortigen Klosters San Salvatore e Santa Giustina zu Gericht. Ganz ohne Aufsicht war sie dabei freilich nicht, denn ihr zur Seite stand der erprobte Königsrichter und Missus Flaipert, der bereits zuvor gemeinsam mit Mutter und Tochter Gerichtssitzungen geleitet hatte. Zudem konnte sie auf den bewährten Notar Gerardus vertrauen, der mehrfach für Beatrix Urkunden ausgefertigt und die Fürstin wohl eine Weile als ständiger Notar begleitet hatte. Danach verliert sich Mathildes Spur für ein gutes halbes Jahr. Während ihre Mutter in der Toskana urkundet und an den Inthronisationsfeierlichkeiten Papst Gregors VII. in Rom teilnimmt, schweigen die Quellen über den Aufenthaltsort der Tochter; sie hatte sich gleichsam unsichtbar gemacht. Zwar hatten Mutter und Tochter vor Ende Juni an Gregor VII. geschrieben, um ihn zu fragen, wie sie sich fürderhin gegenüber dem neugewählten Bischof von Lucca, Anselm II., verhalten sollten, doch bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Damen längere Zeit gemeinsam in der Toskana verbracht hätten. Angesichts der tiefen persönlichen Frömmigkeit Mathildes darf man annehmen, dass es ihr ein Herzensanliegen war, an der Inthronisation des neuen Papstes teilzunehmen, aber die Gefahr, dort mit Gottfried dem Buckligen zusammenzutreffen, war wohl einfach zu hoch. Sie wusste,
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dass sowohl ihre Mutter als auch der Papst die Fortsetzung ihrer Ehe befürworteten; wie hätte sie sich in Rom ihrem Drängen widersetzen sollen? Noch hatte sie von Gregor VII. nicht definitiv erfahren, dass er gar nicht daran dachte, ihre Ehe aufzulösen; aber die Tendenz war ihr sicher bewusst. Erst im August 1073 ist Mathilde wieder an der Seite ihrer Mutter in Oberitalien zu finden, als die beiden Fürstinnen gemeinsam zugunsten des Klosters San Zeno in Verona auf mehrere Besitzungen verzichten. Das scheinbar harmlose Dokument ist ein bemerkenswertes Stück Schadensbegrenzung und zugleich der Versuch, in Verona für gute Stimmung zu sorgen. Die Güter, auf welche die Canusinerinnen scheinbar großzügig verzichteten, stammten aus einem Gütertausch des Klosters mit Markgraf Bonifaz. Nur leider hatte der mächtige Markgraf vergessen, seine Tauschgüter dem Konvent auch wirklich zu übereignen. Dies wurde nun durch seine Witwe und seine Tochter nachgeholt, um die Mönche von San Zeno gegenüber der canusinischen Herrschaft günstig zu stimmen. Begleitet wurden die beiden Damen von Bischof Anselm II. von Lucca, der die Urkunde sogar selbst gemeinsam mit den Canusinerinnen unterfertigte. Ob der Geistliche seine Vermittlung angeboten hatte oder von den Fürstinnen beziehungsweise dem Kloster darum gebeten worden war, geht aus dem Text nicht hervor. Während die Damen den Rest des Jahres 1073 offenbar gemeinsam in der Po-Ebene verbrachten und für das Kloster San Paolo zu Parma sowie für den Dom zu Mantua stifteten, teilten sie im Folgejahr die Last der Herrschaftsverpflichtungen wieder auf. Für Mathilde waren diese selbständigen Aktionen wichtig, um sich als kommende Kraft im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Zudem war jedes Auftreten der jungen Fürstin allein, ohne die Mutter, ein Gradmesser für die Stimmung im canusinischen Herrschaftsgebiet: Würde man die Fürstin ebenso kritiklos akzeptieren, wie dies bei ihrer Mutter der Fall war? Offenbar war man sich im Umfeld der Canusinerinnen sehr sicher, dass dieser Übergang reibungslos ablaufen würde, denn immerhin begann Mathilde ihre alleinige Machtausübung nicht mit einer mehr oder minder belanglosen Schenkung oder einer Urkundenbestätigung, sondern mit einer Gerichtsurkunde! Die Jurisdiktion spielte bei den Canusinern schon seit den Tagen des Markgrafen Bonifaz, verstärkt noch unter Beatrix eine herausragende Rolle; Mathilde sollte diese Tradition fortsetzen und intensivieren. Von
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ihrer Mutter übernahm sie eine Gruppe seit langem erprobter, vorzüglich ausgebildeter Juristen, die mehrfach in der Umgebung der Fürstinnen nachweisbar sind, also nicht mehr oder minder zufällig für einen speziellen Fall hinzugezogen wurden, sondern wohl dauerhafter für diese tätig waren. Bis zu ihrem Lebensende lassen sich in Mathildes Urkunden 42 causidici, 29 iudices sacri palatii, 44 iudices und 8 legis doctores sowie 42 advocati nachweisen. Damit darf Mathildes Hof als herausragendes Beispiel der Indienstnahme gelehrter Juristen in der Rechtsprechung durch Laienfürsten bezeichnet werden. Wohl nicht zuletzt deshalb ist Mathilde immer wieder mit der Wiederentdeckung des römischen Rechts und der Gründung der bedeutenden Rechtsschule in Bologna in Zusammenhang gebracht worden. Aber obwohl sie sich seit ihrer Lehrzeit bei Beatrix auf juristisch Sachverständige stützte, die Zahl ihrer juristischen Berater enorm hoch ist, sie sich zeitlebens als Hort der Gerechtigkeit stilisierte und Gerichtsurkunden eine wichtige Säule ihrer Herrschaft darstellten, ist eine Beteiligung der Markgräfin an der Gründung der Bologneser Rechtsschule unwahrscheinlich. Noch vor dem beginnenden Frühjahr 1074 reisen die Fürstinnen wieder in die Toskana. Hier erfahren wir, dass sie über ein eigenes Netz von Machtboten verfügten, die ihr Herrschaftsnetzwerk verdichteten und für die Canusinerinnen beispielsweise zu Gerichtsterminen luden. Zweifellos handelte es sich bei diesen Männern um Vertraute, denen die Markgräfinnen Aufträge mündlich erteilen und sich sicher sein konnten, dass der Wortlaut ihrer Anweisungen bei der Übermittlung nicht verändert oder gar mutwillig verfälscht werden würde. Dass sie ihren Boten auch Briefe mit schriftlichen Anweisungen mit auf den Weg gaben, ist zwar anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Während Mathilde ohne ihre Mutter in Pisa zugunsten des Klosters San Ponziano in Lucca zu Gericht saß, erreichte die Fürstinnen ein Schreiben Papst Gregors VII., sie möchten sich des Streites zwischen Bischof Dodo von Roselle (Grosseto) und dem Grafen Ugolino annehmen, wobei er sie ausdrücklich ermahnte, unbestechliche Richterinnen zu sein und dem großen Vertrauen Ausdruck verleiht, das er in die beiden Fürstinnen setzt; doch hiervon später mehr. Die Jahre bis zum Tod der Beatrix am 18. April 1076 waren geprägt von den intensiven Vorbereitungen für Mathildes Herrschaftsübernahme, wobei immer mehr Aufgaben an diese delegiert wurden und sie – vor allem in
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der Toskana – immer häufiger allein agierte. Ob dies auf eine schwerere Erkrankung der Mutter schließen lässt, ist unsicher, denn Beatrix ist auch in ihren späten Jahren viel auf Reisen, vor allem in diplomatischer Mission. Auch auf diesem Gebiet muss Mathilde viel lernen. Standen zunächst offenbar die alltäglichen Herrschaftsgeschäfte auf dem ,Lehrplan‘, so führte Beatrix ihre Tochter auch in die weit kompliziertere und komplexere Welt von Schlichtung und Diplomatie ein. Die Canusinerinnen spielten hierbei gleich in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselrolle: Sie waren mit dem regierenden römisch-deutschen König, Heinrich IV., verwandt und gelangten so leichter mit einem Anliegen an das Ohr des Herrschers als viele andere. Zudem waren sie die wichtigste Stütze des Reformpapsttums und konnten auch in diese Richtung vermitteln. Außerdem hüteten sie dank der Lage ihrer Besitzungen einen sehr langen Streckenabschnitt der Via Francigena und kontrollierten dadurch eine der wichtigsten Verbindungstrassen nach Rom. Rasch hatte man am Salierhof die Bedeutung der beiden canusinischen Damen erkannt. Als sich das Verhältnis Heinrichs IV. zu Gregor VII. immer weiter verschlechterte, könnte sogar Herzog Gottfried der Bucklige dem König geraten haben, doch Markgräfin Beatrix als Vermittlerin einzuschalten. Aus einem Brief Gregors VII. geht hervor, dass sowohl Beatrix als auch Mathilde die Kaiserinwitwe Agnes besonders verehrten; warum hätte man diese gegenseitige Wertschätzung nicht zugunsten des Friedens und des harmonischen Miteinanders der Universalgewalten nutzen sollen? Beatrix widmete sich dieser neuen Aufgabe mit vollem Einsatz und ohne Schonung ihrer Gesundheit. Schon am 24. Juni 1073 schrieb Gregor VII. an beide Canusinerinnen und trug drei Probleme vor: die Neuwahlen in Mailand und Lucca sowie die Aussöhnung mit Heinrich IV. Die Fürstinnen scheinen prompt reagiert zu haben, denn nur wenige Monate später erreichte den Papst ein sanftmütiges Schreiben des Königs. Allerdings – und dies dürfte der Hauptgrund für den überaus friedvollen, schmeichlerischen Brief des Saliers gewesen sein – stand der Herrscher innerhalb seines Reiches in einem ernsten Konflikt mit den Sachsen. Er musste im Verhältnis zu Rom einen Ausgleich finden, um sich mit ganzer Kraft dem Sachsenproblem widmen zu können; dass er nach deren Niederwerfung ganz andere Töne gegenüber dem Nachfolger Petri anschlug, ist sattsam bekannt.
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Nach der Mitte des Monats Oktober 1074 brach Beatrix zu Konsultationsgesprächen mit Heinrich IV. nach Deutschland auf; gut zwei Monate später kehrte sie zurück. In der schlechten Jahreszeit war die Alpenüberquerung eine enorme Strapaze. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr schrieb Beatrix gemeinsam mit Mathilde an Gregor VII., um ihm von den Verhandlungen zu berichten. Dieses Engagement und die rasche Informationsübermittlung dürfte nicht nur Heinrich IV., sondern eben auch Gregor VII. geschätzt haben. Hatten bereits Beatrix und ihr zweiter Mann Gottfried der Bärtige unverzichtbare Schutzfunktionen für das Reformpapsttum übernommen, so hatten sich die Beziehungen der Reformpäpste zu den Canusinern während der Pontifi kate Nikolaus’ II. und Alexanders II. spürbar gelockert. Ein neuerlicher Wandel trat unter Gregor VII. ein, in dessen Dienste Mathilde ihre gesamten Ressourcen stellen sollte. Obwohl Mathilde den Archidiakon Hildebrand bereits in den 1060er-Jahren kennengelernt haben dürfte, begegnete sie ihm als neuem Papst wohl vom 9. bis zum 17. März 1074 in Rom zum ersten Mal. Gemeinsam mit ihrer Mutter besuchte sie die Fastensynode in der Ewigen Stadt, wozu Gregor VII. sie brieflich ausdrücklich aufgefordert hatte. Mathilde erhoffte sich sicher eine Möglichkeit, im privaten Gespräch den Papst doch noch zu bewegen, ihre Ehe aufzulösen – ohne Erfolg. Der Papst brauchte gerade zu diesem Zeitpunkt Mathildes Mann Gottfried, vertraute er doch darauf, dass er ihm militärisch gegen Robert Guiscard, den mächtigsten Normannen im Süden Italiens beistehen würde. Gottfried hat seine diesbezüglichen Versprechen nicht eingehalten; wohl aber Beatrix, die ein stattliches Kontingent zur Verfügung stellte. Der Geschichtsschreiber Amatus von Montecassino berichtet, sie habe 30 000 Bewaffnete aufgeboten. Bei dieser Zahlenangabe ist jedoch – wie bei allen entsprechenden Angaben mittelalterlicher Chronisten – Vorsicht geboten. Geht man davon aus, dass bewaffnete Reiter mindestens zwei Begleitpersonen und zwei weitere Pferde benötigten, so käme man auf einen Tross von 90 000 Personen und über 100 000 Pferden; eine Menge, die logistisch nicht zu handhaben war. Amatus wollte der Nachwelt wohl auch keine hieb- und stichfeste Zahl übermitteln, sondern zum Ausdruck bringen, dass die Truppen der Markgräfin Beatrix außergewöhnlich zahlreich waren. Das Aufgebot dürfte die militärischen Möglichkeiten der Canusiner bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit getrieben haben. Dass aus dem Normannenfeld-
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zug letztlich nichts geworden ist, hat andere Gründe und ist ganz gewiss nicht einem mangelnden Engagement der Canusinerinnen anzulasten. Auch künftig wollte der Papst die Machtmittel der Canusiner nicht missen. Daher war es ihm schon aus strategischen Gründen unmöglich, auf Mathildes Scheidungswünsche einzugehen. In einem langen Pastoralschreiben hatte Gregor VII. der jungen Fürstin schon Mitte Februar 1074 unmissverständlich klargemacht, dass er sie im aktiven Leben benötige. Wie dringend, dürfte Mathilde damals noch nicht geahnt haben. Aber schon am 1. März 1074 erließ Gregor VII. einen Aufruf an alle Gläubigen zur Verteidigung Konstantinopels gegen die Heiden. Bereits auf der Fastensynode dürfte der Kreuzzugsplan eines der Hauptgesprächsthemen gewesen sein. Brieflich kommt der Papst wenig später gegenüber Mathilde, von der er sich besonders gut verstanden glaubt, darauf zurück. Ihr und ihrer Mutter gegenüber schlug Gregor VII. dabei einen Ton an, der leicht zu Irritationen und üblen Gerüchten führen konnte. Dass er Mathilde seine teuerste und geliebte Tochter nannte, dürfte ihr mehr als geschmeichelt haben; allein stand sie mit diesem Ehrentitel aber nicht. Was die Zeitgenossen die Köpfe schütteln ließ, war vielmehr der private Umgangston des Papstes im Briefgespräch mit den Canusinerinnen, denen er in seltener Offenheit sein Herz ausschüttete, über die Belastungen seines hohen Amtes klagte und Selbstzweifel zum Ausdruck brachte, die man angesichts seines kraftvollen Auftretens nicht erwartet hätte. Kaum von leidvoller Krankheit genesen, empfinde er die Ängste und Schmerzen einer werdenden Mutter, wenn er an die Zerbrechlichkeit des Schiffleins Kirche denke, dem der Untergang drohe, sollte der Rettungsanker im entscheidenden Moment fehlen. Durfte der Papst so an eine junge, in religiösen Fragen sensible Fürstin schreiben? Mancher Zeitgenosse dürfte hinter den warmen Worten ein unziemliches Verhältnis gewittert haben – und schon machten böse Gerüchte die Runde, der Nachfolger Petri habe keine väterlichen Gefühle für Mathilde sondern unterhielte ein Liebesverhältnis zu ihr. Das von einem Mann, der rigoros gegen den Nikolaitismus vorging und den Klerus zu neuer Keuschheit führen wollte! Für Lästerzungen waren Gregor VII. und Mathilde ein gefundenes Fressen. Allerdings gibt es keinerlei konkreten Hinweis darauf, dass diese Gerüchte auch nur einen wahren Kern besessen hätten. Dass der im Umgang eher schwierige Papst ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Mathilde und ihrer Mutter auf-
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gebaut hatte, ist unstreitig; für den Nachweis weitergehender Intimitäten fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Gregor VII. waren die im Umlauf befi ndlichen Gerüchte rasch zugetragen worden, und er berichteten den Damen sofort davon. Allerdings änderte dies weder den familiären Tonfall seiner Briefe noch seine enge politische Zusammenarbeit mit den beiden Fürstinnen. Im Streit Bischof Dodos von Roselle mit dem Aldobrandeschi-Grafen Ugolino forderte er die Canusinerinnen auf, eine Lösung zu finden. Beatrix handelte entschlossen und nahm den Grafen fest. Wo er gefangengehalten wurde und gegen welche Sicherheitsleistungen er wieder die Freiheit erlangte, ist unbekannt. Auch um den auf einer Romreise befindlichen Bischof Werner von Straßburg sollten sich Mathilde und Beatrix kümmern, doch scheinen sie hier zunächst etwas falsch verstanden zu haben. Auf der Rückreise von Rom nahmen die Canusinerinnen den Bischof kurzerhand gefangen. Bald darauf erreichte sie ein empörtes Protestschreiben Gregors VII. Plötzlich war von liebevoll-familiärem Umgangston nichts mehr zu spüren. Zornig schärfte er den Fürstinnen ein, künftig Reisende zu beschützen und sie nicht in einen gefährlichen Hinterhalt zu locken. Umgehend sollten sie den Bischof nach Mailand geleiten und ihn durch besondere Liebenswürdigkeit vergessen lassen, was sie ihm angetan hatten. Gleichzeitig spricht Gregor sehr offen darüber, dass er Bischof Werner nicht mit voller Härte hätte bestrafen können, denn man wisse schließlich nie, wer diesem im Amt nachfolgen werde. Schließlich könne man sich bei Hof mit viel Geld große Würden kaufen und womöglich werde dann bald ein noch Unwürdigerer auf dem Straßburger Bischofsthron sitzen. Warum war Gregor VII. so heftig empört, wenn er doch selbst an Werners Qualitäten zweifelte? Zum einen dürfte ihn die unkorrekte Umsetzung einer seiner Anweisungen verärgert haben. Zum anderen war der sichere Geleitschutz der Canusinerinnen für Romreisende unentbehrlich. Die reibungslose Verbindung der Kurie nach Norden stand und fiel mit der Willfährigkeit der Canusinerinnen. Auf ihre Hilfe musste sich der Papst blind verlassen können; Pannen wie die ungerechtfertigte Inhaftierung eines hohen Geistlichen konnte er sich ebensowenig leisten wie ein ernstes Zerwürfnis mit Beatrix und Mathilde. Daher war der päpstliche Zorn auch nicht von langer Dauer; Gregor bemühte sich sei-
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nerseits, Wünsche der Markgräfinnen auch dann zu erfüllen, wenn sie ihm selbst politische Probleme bereiten konnten. So unterstützte er auf ihre Intervention hin Abt Theoderich von St. Hubert im Streit mit Herzog Gottfried dem Buckligen, obwohl er dessen Hilfe noch immer nicht ganz abgeschrieben hatte. Aber der Abt sollte die Canusinerinnen bei der Verwaltung ihrer lothringischen Besitzungen unterstützen, weshalb die Fürstinnen darauf drängten, dass sich der Papst auf seine Seite schlug. Wie stark Gregors VII. Vertrauen zu Mathilde und Beatrix war, bewies der Papst im Rahmen seiner Kreuzzugspläne. Nachdem er schon Anfang März alle Christen zur Verteidigung Konstantinopels gegen die Heiden aufgefordert hatte, lenkten ihn zunächst viel näher liegende Probleme von seinem großen Vorhaben ab. Erst nachdem sich die Lage an der Normannengrenze beruhigt hatte und er selbst von schwererer Krankheit genesen war, konnte er sich wieder dem geplanten Kreuzzug widmen. Am 7. Dezember 1074 bat er Heinrich IV., während der Abwesenheit des Papstes die Kirche zu hüten. Nur wenige Tage später forderte er Mathilde und die Kaiserinwitwe Agnes auf, ihn persönlich bei dem gefährlichen Unternehmen zu begleiten, während Beatrix in Italien zurückbleiben sollte, um dort die Tagesgeschäfte zu versehen. Fürs erste freilich sollten diese Pläne noch geheim bleiben. Offenbar wollte Gregor VII. vermeiden, dass neue Gerüchte über ihn und Mathilde die Runde machten, wie es nach dem Bekanntwerden seines Vorhabens unvermeidlich gewesen wäre. Wie er sich das kriegerische Unternehmen an der Seite der alten Kaiserin und der Canusinerin konkret vorgestellt hat, ist völlig unbekannt. Die Quellen berichten auch nicht, welches Truppenkontingent Mathilde hätte aufbieten können und müssen oder wer es hätte befehligen sollen. Da die erhoffte militärische Unterstützung von Getreuen jenseits der Alpen vollständig ausblieb, musste der Kreuzzugsplan aufgegeben werden, bevor realistische Vorbereitungen überhaupt einsetzen konnten. Dennoch machen die diesbezüglichen päpstlichen Briefe deutlich, dass Gregor VII. in Mathilde von Canossa nicht nur militärisch, sondern vor allem auch menschlich seine wohl wichtigste Stütze, Vertraute und Helferin sah. Kaum waren Gregors Kreuzzugshoffnungen begraben, spitzte sich ein Konflikt zu, der die hochmittelalterliche Weltordnung in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Nach einer kurzen Phase der Entspannung verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen dem Reformpapsttum
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und Heinrich IV. zunehmend. Noch einmal setzte Gregor VII. auf die Vermittlungsfähigkeiten der beiden Canusinerinnen, deren unermüdliche Bemühungen um die concordia zwischen den Universalgewalten der Papst schon in einem seiner ersten Briefe an Rudolf von Rheinfelden hervorgehoben hatte. Nun bat der Nachfolger Petri Beatrix dringend, zu Konsultationen nach Rom zu kommen. Allerdings dürfte sie oder ihre Tochter schon im Herbst 1074 nach Deutschland aufgebrochen sein, um zu retten, was noch zu retten war und Heinrich IV. gegenüber Gregor VII. versöhnlich zu stimmen. Im Itinerar der Fürstinnen wäre eine vorherige Romreise nur mit größter Mühe und geradezu mörderischer Hast unterzubringen. Die Beratungen über das weitere Vorgehen am Hof dürften wohl, wenn überhaupt, schriftlich erfolgt sein. Welche Canusinerin auch immer mit Heinrich IV. gesprochen hat, sie errang einen Teilerfolg in Gestalt eines versöhnlich formulierten Briefes des Königs, der in Rom durchaus als Friedensinitiative gewertet werden konnte. Darin deutet Heinrich IV. wohl seinen Wunsch nach der Kaiserkrone an; bat den Papst jedoch, vorerst nur seine Mutter sowie die Markgräfinnen Beatrix und Mathilde in sein Vorhaben einzuweihen. Beide Konfliktparteien setzten also auf die Beziehungen und diplomatischen Fähigkeiten der Canusinerinnen. Aber trotz aller Anstrengungen spitzte sich die Krise immer weiter zu, und Mathilde und ihre Mutter hatten auch im eigenen Herrschaftsbereich mit Unruhen zu kämpfen. Die Opposition gegen Bischof Trasmund von Fiesole wollte einfach nicht verstummen, und in Lucca formierte sich die Bürgerschaft gegen Bischof Anselm II., wobei die Protestbewegung immer stärker anti-canusinische Züge annahm. Mithin gab es gleich zwei Konfliktherde in der Toskana, welche die Fürstinnen nicht einfach ignorieren konnten. Folglich mussten sie sich nun verstärkt um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Zwischen den Universalgewalten gab es für die Damen ohnehin bald nichts mehr zu vermitteln; jedenfalls nicht offiziell. Am 24. Januar 1076 wurde das Wormser Obödienzaufkündigungsschreiben formuliert, mit dessen Zustellung an Gregor VII. der Investiturstreit endgültig eskalierte. Am 15. Februar 1076 antwortete der Papst auf den Affront in Gestalt eines Gebetes an den Apostelfürsten Petrus, exkommunizierte König Heinrich IV. und entband kraft seiner Binde- und Lösegewalt dessen Anhänger vom Treueid. Obwohl die Rekonziliation Heinrichs IV. noch immer im Bereich des Denkbaren lag, erschütterte der ungeheuerliche Vor-
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gang die mittelalterliche Welt. Der Gesalbte des Herrn, der defensor ecclesiae im Kirchenbann! Was wenige Jahre zuvor völlig unvorstellbar schien, wurde im Februar 1076 Wirklichkeit. Nun musste jeder entscheiden, für welchen der beiden Antagonisten er Partei nehmen wollte. In dieser nie dagewesenen Krise starb am 18. April 1076 Markgräfin Beatrix. In einem prachtvollen antiken Sarkophag ruht sie bis heute auf dem Friedhof von Pisa. Ausgerechnet in dieser schweren, die Welt in ihren Grundfesten erschütternden Krise endete Mathildes Lehrzeit abrupt mit dem Tod der Mutter; plötzlich musste sie ganz allein entscheiden, welchen politischen Weg die Canusiner fürderhin einschlagen sollten.
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IX. Eskalation des Investiturstreits
Wo sich Mathilde nach dem Tod ihrer Mutter aufhielt, und ob sie in den letzten Stunden der Beatrix bei ihr gewesen war, ist ebenso unbekannt wie die Einzelheiten ihres Umgangs mit der Trauer. Grundsätzlich gibt es für das 11. Jahrhundert wenige Informationen über individuelle Trauerbewältigung, was nicht heißt, dass die Menschen damals dem Tod gleichgültig gegenübergestanden hätten. Sicher war der Tod ein selbstverständlicherer Bestandteil des Lebens als in späterer Zeit, doch wog deshalb der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen nicht geringer. Eine umfangreiche Seelgerätstiftung der Markgräfin zugunsten der Verstorbenen im unmittelbaren zeitlichen Umfeld ihres Todes gibt es auffälligerweise nicht. Erst am 27. August 1077 fand sie die Ruhe, Bischof Landulf und dem Domkapitel von Pisa ihren Hof Scanello und weiteren Grundbesitz in der Umgebung Scanellos im respektablen Umfang von 600 Mansen als Seelgerät für sich und ihre Eltern zu stiften. Aus Scanello hat sich eine Einkünfteliste erhalten, die nicht nur den Wert der Stiftung verdeutlicht, sondern auch belegt, dass Mathilde eine sehr gut organisierte und bereits administrativ strukturierte Liegenschaft verschenkt hat. Die Liste ist der einzige Hinweis darauf, dass die Markgräfin in ihren großen Höfen bereits über schriftgestützte Administration verfügte und damit ein hochmodernes Verwaltungsinstrument nutzte, um die Einkünfte aus ihren Ländereien zu optimieren. Obwohl in Italien die Schrift als Herrschaftsinstrument nahezu ungebrochen die Zeiten seit der Antike überdauert hatte, war die schriftgestützte Verwaltung bei Laienfürsten im 11. Jahrhundert noch keineswegs weit verbreitet. Wie auch in ihrer Urkundentätigkeit darf Mathilde als Vorbild für den Einsatz der Schrift zur Herrschaftsoptimierung gesehen werden.
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Schrift als Herrschaftsinstrument: Mit der schriftgestützten Administration nutzte Mathilde ein zu diesem Zeitpunkt noch eher seltenes Mittel zur Herrschaftsoptimierung. Hier eine eigenhändige Signatur Mathildes, wobei das doppelte S für „SubScripsi“ („ich habe unterzeichnet“) steht.
Entgegen der landläufigen Meinung überhäufte die Canusinerin keineswegs zu allen Zeiten ihres Lebens Kirchen und Klöster mit riesigen Stiftungen. Vielmehr unterschied sie sich zunächst nur wenig von ihren Vorgängern, die zwar opulente Dotationen getätigt hatten, um Mönche und Geistliche für ihre Machterweiterung zu vereinnahmen und ihren gesellschaftlichen Rang durch Großzügigkeit zu demonstrieren, dabei aber stets eine haushälterische Ader an den Tag legten. Etliche Schenkungen existierten de facto nur auf dem Pergament und in vielen Fällen, vor allem wenn sich die Stiftungen an canusinische Klostergründungen richteten, behielten sich die Markgrafen die Aufsicht über ,ihre‘ Stiftungsgüter vor. Auch Mathilde hielt bis etwa zur Jahrhundertwende ihren Besitz nachdrücklich zusammen, stiftete zwar großzügig, aber keinesfalls überreichlich. Erst nach 1100 lassen ihre umfänglichen Dotationen darauf schließen, dass sie – ohne Hoffnung auf leibliche Nachkommen – im Kloster
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San Benedetto Po (Polirone) den ,Erben‘ ihrer Allodien sah, dem sie in einer beeindruckenden Staffel reicher und überreicher Schenkungen große Besitztümer zukommen ließ. Davon jedoch war sie 1076 noch weit entfernt. In der Krise war Sparsamkeit ein Gebot der Stunde! Die sich überschlagenden politischen Ereignisse dürften Mathilde so sehr beansprucht haben, dass für einen Rückzug aus dem öffentlichen Leben aus Gründen privater Trauer kaum Raum blieb. Zwischen dem März und der Jahresmitte 1076 forderte Gregor VII. Bischof Heinrich von Trient auf, ihm Hilfstruppen zu senden, zuvor jedoch Mathilde von Canossa zu informieren, damit sie dem Tross sicheres Geleit würde geben können. Die Canusinerin befand sich Ende Mai in Marengo, nordwestlich von Mantua, doch deutet nichts darauf hin, dass sie bei dieser Gelegenheit Kontakt mit dem Bischof aufgenommen hätte. Vielmehr bemühte sie sich intensiv, ihre eigenen Besitzungen zusammenzuhalten und das Erbe ihres ermordeten Gemahls zu sichern. So schrieb sie im Sommer 1076 an Bischof Dietrich von Verdun, er solle die Hinterlassenschaft ihres verstorbenen Gatten in Lothringen, vor allem die Grafschaft Verdun sowie die bedeutenden Allodialgüter in Stenay und Mosay, nicht an den von Herzog Gottfried dem Bärtigen bestimmten Erben, Herzog Gottfried von Bouillon, ausgeben, sondern die Liegenschaften für sie selbst in Besitz nehmen. Da ihr diese Konstruktion berechtigterweise nicht sicher genug erschien, belehnte sie ihren Neffen, den Grafen Albert von Namur, mit der Grafschaft Verdun. Trotz ihrer schier unüberwindlichen Abneigung gegenüber Gottfried dem Buckligen hatte Mathildes Geschäftssinn keine Probleme damit, das Erbe des Ungeliebten mit aller Macht zu verteidigen. Ob der Papst durch Mathildes Aktivitäten in Lothringen unsicher wurde? Trotz der jahrelangen, sehr engen Kontakte zwischen der Canusinerin und dem Nachfolger Petri machte sich Gregor VII. jetzt offenbar Sorgen, wohin sich die Fürstin politisch wenden würde. Am 25. August 1076 schrieb er an Bischof Hermann von Metz, dass er Mathildes künftiges Verhalten nicht einzuschätzen vermöge. Sicher hatte er erfahren, dass die Fürstin Kontakt zu Heinrich IV. aufgenommen hatte, um unter Ausnutzung ihrer verwandtschaftlichen Bindungen im Sinne einer Aussöhnung zwischen den beiden Universalgewalten zu vermitteln. Arnulf von Mailand berichtet, sie habe vor dem Wintereinbruch gemeinsam mit der Kaiserinwitwe Agnes und Abt Hugo von Cluny, dem Taufpaten Hein-
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richs IV., auf den König eingewirkt und die Entscheidung des Triburer Fürstentages zugunsten des Saliers beeinflusst. Wohl mittels Bischof Dietrich von Verdun habe sie dem König zu suggerieren versucht, dass er selbst aktiv auf eine Aussöhnung mit Gregor VII. hinarbeiten müsse. Mathildes panegyrischer Biograph Donizo berichtet gar, Heinrich IV. habe Mathilde um Vermittlung gebeten, und die Vita des Bischofs Anselm von Lucca hält die Fürstin für die maßgebliche Kraft, die Gregor VII. zur Reise nach Deutschland gedrängt habe. Beide Quellen stehen der Canusinerin allerdings nahe, so dass sie ihre Rolle vielleicht zu positiv beschreiben und ihren tatsächlichen Einfluss überschätzen. Zweifel an der unbedingten Loyalität der Canusinerin gegenüber dem Reformpapsttum und speziell seiner Person hätte Gregor VII. aber zu keiner Zeit hegen müssen. Obwohl sie sich für Vermittlerdienste zur Verfügung stellte, stand Mathilde zu allen Zeiten fest an der Seite des Reformpapsttums. Ob sich die Fürstin selbst nach Lothringen begeben hat, um ihre dortigen Angelegenheiten zu regeln und möglicherweise zugleich persönlich mit Heinrich IV. zu sprechen, ist nicht sicher bezeugt, wäre aber zeitlich denkbar. Eine solche Reise würde nicht nur die Sorge Gregors VII. um die Zuverlässigkeit der Fürstin erklären, sondern auch Mathildes gute Vorbereitung auf die kommenden Ereignisse. Sollte tatsächlich sie die treibende Kraft hinter dem Treffen von Canossa gewesen sein, so hielt sie für diesen historischen Moment nicht nur die Zügel der politischen Entwicklung in ihren Händen, sondern war auch für die Inszenierung dieses außergewöhnlichen Treffens zwischen Papst und König verantwortlich. Auf Einladung der deutschen Fürstenopposition gegen den Salier machte sich Gregor VII. im Winter 1076 auf den Weg nach Norden. Am 28. Dezember urkundete er in Florenz für das dortige Domkapitel. Seit seinem Eintritt in die Toskana befand er sich in der Obhut des sicheren Geleits, das ihm Mathilde garantierte. Unter ihrem Schutz überquerte er den Apennin und reiste weiter nach Mantua, um dort auf die deutschen Geleittruppen zu warten. Stattdessen erreichte ihn in Mantua jedoch die Nachricht, Heinrich IV. habe trotz des strengen, überaus schneereichen Winters die Alpen überwunden und stünde bereits in der Po-Ebene. Neuere Forschungen haben dieses bislang vorherrschende Bild des von der königlichen Präsenz in Oberitalien völlig überraschten Papstes erschüttert: Vieles spricht dafür, dass die wenig später stattfindende historische Begegnung
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Gregors und Heinrichs in Canossa keineswegs so zufällig und unvorbereitet war, wie oftmals angenommen. Wie bereits erwähnt, dürfte Mathilde als dominierende Kraft Oberitaliens und dank ihrer exzellenten Beziehungen zum salischen König und zum Papst bestens in die Verhandlungen eingeweiht gewesen sein, ja sie wahrscheinlich sogar aktiv mitgestaltet haben. Da ihre Burgen zum Schauplatz der Gespräche wurden, muss Mathilde sehr genau gewusst haben, was geschehen würde. Ob sich Gregor VII. – vielleicht doch eine militärische Aktion des Königs fürchtend – nach Canossa gleichsam fluchtartig zurückzog oder ob er sich unter Mathildes Regie auf die Burg begab, um in den canusinischen Stammlanden ungestört mit Heinrich IV. verhandeln zu können, sei dahingestellt; letzteres ist wahrscheinlicher. Die in den Vorhöhen des Apennin auf einem Bergsporn schier uneinnehmbar gelegene Burg Canossa bot jedenfalls optimalen Schutz und absolute Abgeschiedenheit vom Gang der großen Politik, dazu aber auch eine sehr gut organisierte Informationsanbindung mittels der umliegenden Canusinerburgen. In Canossa waren die Protagonisten abgeschirmt von der Öffentlichkeit, aber keineswegs abgeschnitten von der Außenwelt. Für Mathilde bedeuteten die Tage von Canossa eine politisch-diplomatische Herausforderung, die höchste Konzentration verlangte. Zugleich stellten sie die Fürstin aber auch auf eine harte logistische Probe, wie sie noch kein Canusiner vor ihr erlebt hatte. Canossa war niemals eine große Burg gewesen, auf der man problemlos viele Gäste hätte beherbergen können, auch wenn die kümmerlichen heute noch erhaltenen Reste die Burg kleiner erscheinen lassen, als sie tatsächlich gewesen sein muss. Dennoch hatte Mathilde es nicht leicht, alle zur historischen Begegnung des Königs und des Papstes nach Canossa Anreisenden angemessen unterzubringen und mit ihrem Gefolge samt allen Pferden zu versorgen. Zudem war es Winter und der so nötige Nachschub an Speis und Trank und Viehfutter nicht gerade leicht zu organisieren. Einen geschichtsträchtigen Augenblick lang stand die canusinische Stammburg im Zentrum des Weltinteresses! Gregor VII. hatte die lange Reise selbstverständlich nicht allein angetreten. In seinem Gefolge befanden sich die Kardinalbischöfe Humbert von Palestrina und Gerald von Ostia, zudem die Kardinalpriester Petrus von San Crisogono und Conon von Sant’Anastasia sowie die Kardinaldiakone Gregor und Bernhard und der römische Subdiakon Humbert. Zudem
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hatte der Papst einen Teil seiner Kanzlei mitgenommen; namentlich ist jedoch nur der Kanzleischreiber Petrus erwähnt. Möglicherweise hatte sich auch der Abt Bernhard von St. Viktor in Marseille der Reisegruppe des Papstes angeschlossen; immerhin transportierte er bei seiner Abreise Ende Februar päpstliche Briefe nach Forchheim. Bischof Anselm von Lucca war an seinem Bischofssitz zum Tross Gregors VII. gestoßen und befand sich ebenfalls in Canossa. Er diente dem Papst nach der Bannlösung Heinrichs IV. als Legat in Mailand. Zudem berichtet Donizo, dass sich „plures sapientes“ in Canossa eingefunden hätten; wer diese Gelehrten mitgebracht hatte und woher sie stammten, ist unbekannt, sicher ließen sich jedoch beide Protagonisten von juristischen Experten beraten. Nicht in Canossa anwesend war die Kaiserinwitwe Agnes, die man zwar zur Bannlösung erwartet hatte, die aber nicht schnell genug die Alpen überqueren konnte, um ihrem Sohn beizustehen. Ebenfalls aus Rom gelangte Abt Hugo von Cluny nach Canossa. Entgegen der landläufigen Annahme wurde er indessen wohl nicht von seinem Sekretär Odo von Châtillon, dem späteren Papst Urban II. begleitet. Der bedeutende Abt dürfte in dem kleinen Burgkloster Sant’Apollonio in Canossa Unterkunft gefunden haben und wurde zu einem der entscheidenden Vermittler, stand er doch Papst Gregor VII. ebenso nahe wie seinem Patensohn Heinrich IV. Während der Vorverhandlungen dürfte sich Abt Hugo permanent in Mathildes Umgebung befunden haben. Abt Hugo hinterließ bei Mathilde offenbar einen tiefen, respekteinflößenden Eindruck, und sie unterstellte ihr Lieblingskloster Polirone dem Apostolischen Stuhl, woraufhin Gregor VII. die Abtei an das Kloster Cluny übertrug, allerdings mit der besonderen Auflage, dass die Äbte von Cluny die Äbte von Polirone nur in Stellvertretung des Papstes einsetzen durften. Bereits jetzt muss die Burg Canossa mit Gästen überfüllt gewesen sein, doch fehlten noch zwei wichtige Reisegruppen: diejenige der deutschen Bischöfe und diejenige des Königs selbst. Unabhängig von Heinrich IV. hatten sich saliertreue Bischöfe auf den Weg gemacht, um ihre Bannlösung zu erreichen. Von den Bischöfen, die das Wormser Obödienzaufkündigungsschreiben unterfertigten, sind namentlich in Canossa bezeugt Liemar von Bremen, Benno von Osnabrück, Eberhard von Naumburg / Zeitz, Werner von Straßburg, Burkhard von Basel und Burkhard von Lausanne. Sie waren sicher nicht gemeinsam über die Alpen gezogen, sondern in kleinen
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Der Gang nach Canossa: Auf Knien bittet Heinrich IV. Mathilde um Vermittlung bei Papst Gregor VII. Links daneben Abt Hugo von Cluny. Darstellung aus Donizos Vita Mathildis.
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Gruppen, was die Gefahr verringerte, von den süddeutschen Herzögen, die in Opposition zu Heinrich IV. standen und die wichtigen Alpenpässe kontrollierten, aufgespürt und gefangengenommen zu werden. Aber trotz oder gerade wegen der erforderlichen Vorsicht hatten sie sich sicher nicht allein auf den Weg gemacht, sondern Bewaffnete zu ihrem Schutz mitgenommen. Obwohl diese sicher nicht in der Burg aufgenommen wurden, war doch für ihre Unterbringung in erreichbarer, akzeptabler Entfernung zu sorgen. Last but not least musste Mathilde gewährleisten, dass der gebannte Herrscher selbst und seine Begleiter standesgemäß beherbergt wurden. Zwar hatte Bertha ihren Mann über die Alpen begleitet, dürfte dann aber im Machtbereich ihrer Mutter, Adelheid von Turin, geblieben sein; in Canossa ist sie nicht nachweisbar. Anders Adelheid von Turin; sie begleitete ihren Schwiegersohn in die Apenninenburg und fungierte neben Mathilde von Canossa und Abt Hugo von Cluny als Garantin der königlichen Eide. Mit dem König reisten drei seiner Getreuen: der Ministeriale Eberhard, Udalrich von Godesheim und Berthold von Meersburg. Zudem hatte der König seinen kleinen Sohn und präsumptiven Thronerben Konrad mit auf die beschwerliche Reise genommen; der Knabe war auch in Canossa zugegen. In Oberitalien stieß dann noch Bischof Gregor von Vercelli zum Tross des Saliers. In Lamperts Schilderung des Alpenübergangs im Winter erwähnt er Begleitmannschaften und Damen aus dem Gefolge der Königin, die mit Heinrich IV. den Mont Cenis überwanden. Die Damen dürften bei Bertha geblieben sein, die Begleittruppen jedoch standen dem König auch in Canossa zur Verfügung und stellten Mathildes gastgeberische Qualitäten auf die Probe. Wäre die Canusinerin von den Ereignissen völlig überrumpelt worden, hätte die normale Vorratshaltung einer Burg von der Größe Canossas niemals ausgereicht, um eine so gewaltige Schar von Gästen auch nur einigermaßen angemessen über mehrere Tage hinweg zu verköstigen. Die Markgräfin brachte die Reisegruppe des Königs getrennt von den anderen Verhandlungspartnern unter. Wahrscheinlich stellte sie ihm die Burg Bianello, circa 16 Kilometer von Canossa entfernt, zur Verfügung. Dass Heinrich IV. zunächst in der Bischofsstadt Reggio Emilia Quartier genommen habe, ist wegen der gut 50 Kilometer Entfernung von Canossa eher unwahrscheinlich. Reggio Emilia könnte höchstens als erste Anlaufstation gedient haben, bevor ein näher zu Canossa gelegenes Quartier be-
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zogen werden konnte. Die Vorverhandlungen fanden nach Aussage des Chronisten Donizo in einer leider nicht näher bezeichneten Nikolauskapelle statt; angeblich soll der Herrscher Mathilde dort auf Knien um ihre Vermittlung gebeten haben. Zudem traf sich Heinrich IV. mit seinem Taufpaten, Abt Hugo, sowie Mathilde in Montezane, eine der vier Burgen, die zusammen die Stadt Quattro Castella bilden. In diesen Gesprächen dürfte das Bußzeremoniell bis ins kleinste Detail besprochen worden sein. Es gab nur eine einzige Chance – nichts durfte dem Zufall überlassen werden oder gar schief gehen. Dass es keine wirklichen Vorbilder gab, an denen man sich hätte orientieren können, machte die Verhandlungen schwierig; wollten doch beide Parteien möglichst ihr Gesicht wahren. Am 25. Januar 1077 war es soweit. Trotz winterlicher Eiseskälte und hohem Schnee zeigte sich der König erstmals im härenen Büßergewand ohne Schuhe vor der Burgmauer Canossas. Nachdem er dies an drei aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt hatte, war das Bußzeremoniell erfüllt und Gregor VII. konnte gar nicht mehr anders, als den offensichtlich Reuigen vom Bann zu lösen und ihn wieder in die Kirche aufzunehmen. Der Papst stand vor einer schweren Entscheidung: Löste er den Salier nicht vom Bann, würde er sich den Vorwurf tyrannischer Ungerechtigkeit gefallen lassen müssen; löste er ihn aber vom Bann, düpierte er seine Parteigänger im Reich. In einem Brief an die deutschen Reichsfürsten schildert Gregor VII. selbst seine unglückliche Lage und hebt hervor, dass er von den Anwesenden wegen seiner großen Härte gegenüber dem König getadelt worden sei und sich der Fürsprache Mathildes, des Abtes Hugo und der Markgräfin Adelheid von Turin nicht habe dauerhaft verschließen können. Nach der Bannlösung des Königs verließen die meisten Anwesenden Canossa, nicht aber Papst Gregor VII. Während sich Heinrich IV. demonstrativ in Italien den politischen Alltagsgeschäften widmete, um den Anschein völliger Normalität zu erwecken, und sich um größtmögliche Präsenz bemühte, blieb der Papst im Schutz der Canusinerin zurück und wartete ab. Fast fünf Monate lang weilte er in Mathildes Burgen, wobei er mehrmals den Standort wechseln musste, da es in den eher kleinen Burgen wohl zu Versorgungsengpässen gekommen sein dürfte. Zunächst hielt sich Gregor VII. in Bianello auf, von dort zog er nach Bondeno und dann nach Carpineti um. Von Carpineti aus kehrte er über Carpi nach
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Bianello zurück, um nach Zwischenaufenthalten in Nonantola und Ficarolo nochmals in Carpineti Aufenthalt zu nehmen; dort ist der Papst vom 31. April bis zum 28. Juni nachweisbar. Nach Canossa kehrte er nicht zurück; die Ressourcen der Burg müssen nach den langen Verhandlungstagen vollständig erschöpft gewesen sein. Drei Kanzleiangehörige befanden sich während seines Aufenthalts im Umfeld Mathildes wohl ständig bei Gregor VII.: der Kardinalpresbyter Conon, der Kanzlist Petrus sowie der Schreiber Rainerius. Für einen kurzen Augenblick wurden die kurialen Geschäfte im Canusinergebiet abgewickelt, denn Gregor VII. bemühte sich, auswärtige Anliegen nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern sofort zu erledigen. Erkennbaren Einfluss auf die Urkundentätigkeit der Markgräfin hatte der direkte Anschauungsunterricht in kurialer Kanzleitätigkeit aber nicht. Zwar hatte Gregor VII. die Fürstin recht harsch angewiesen, künftig ihre privaten Briefe ordentlich zu datieren, doch lag diese Ermahnung vor den Tagen von Canossa und betraf auch nur ihre persönliche Korrespondenz. Die sonst eher abgelegenen Burgen der Canusiner müssen in diesen Monaten der ersten Jahreshälfte 1077 einen ungewohnt lebhaften Botenverkehr erlebt haben; Mathilde stand wieder einmal im Zentrum des historischen Geschehens. Sie war bemüht, Gregor VII. den Aufenthalt nicht beschwerlich werden zu lassen; vielleicht hat sie sogar in diesen Tagen ihre Allodien für den Fall ihres Todes an den Apostolischen Stuhl geschenkt, wovon an anderer Stelle noch zu sprechen sein wird. Im Juni konnte Mathilde ihre eigenen Herrschaftsaufgaben nicht länger ruhen lassen und eilte zu einer Gerichtssitzung nach Florenz. Anschließend kehrte sie nicht zum Papst zurück, sondern blieb in der Toskana. Wahrscheinlich organisierte sie von hier aus die Rückreise des Papstes, der am 10. August in Florenz nachweisbar ist, von wo er nach Siena weiterreiste. Die beiden Städte markieren zweifelsfrei eine Reiseroute, die sich wohl am Streckenverlauf der Via Francigena orientierte. Hier konnte er auf das sichere Geleit Mathildes vertrauen, deren eigener Reiseweg nahelegt, dass sie persönlich mit Gregors Geleittruppen zog. Der sich nach wenigen Jahren faulen Friedens erneut zuspitzende Investiturstreit verhinderte, dass Mathilde und Gregor VII. sich noch einmal persönlich trafen, und auch der bis 1077 äußerst rege Briefkontakt schlief fast völlig ein. Allerdings verloren sie sich keineswegs aus den Augen. Vielleicht schon nach dem Tod der Beatrix, möglicherweise aber auch erst 1077
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hatte der Papst seiner wichtigsten Helferin einen Ratgeber an die Seite gestellt, der sie als Beichtvater und geistlicher Berater stützen sollte: Bischof Anselm II. von Lucca. Anselm war gut zehn Jahre älter als Mathilde und mit Papst Alexander II. verwandt. Seine wissenschaftliche Ausbildung dürfte er in Frankreich erfahren haben. Ob er zeitweilig Mönch im Kloster Polirone war, ist unsicher. 1073 designierte ihn sein Onkel Alexander II. zum neuen Bischof von Lucca, wofür Anselm freilich die Investitur durch Heinrich IV. benötigt hätte. Angesichts der sehr angespannten Beziehungen zwischen dem Salier und dem Papst war mit der Investitur durch den König nicht zu rechnen. Nachdem Gregor VII. auf den Thron Petri gelangt war, zweifelte er zunächst, wie er sich gegenüber Anselm verhalten sollte und zog die beiden Canusinerinnen ins Vertrauen. Schließlich waren beide maßgeblich betroffen, lag Lucca doch als wichtiger Stützpunkt in ihrem Machtbereich. Was sie dem Papst rieten, ist unbekannt. Aber zwischen Gregor VII. und Anselm sowie zwischen dem Bischof und Mathilde entwickelte sich rasch ein besonderes Vertrauensverhältnis. Als sie im Juni 1077 Gregor VII. verließ, hielt sie in Florenz zugunsten Bischof Anselms Gericht und sprach ihm den Besitz der strategisch wichtigen Burg Montecatini zu. Noch im gleichen Monat kam sie noch einmal auf diese Angelegenheit zurück, wieder zugunsten Anselms. Zugleich unterstützte sie ihn in seinem Kampf gegen Geistliche, die sich weigerten, einen kanonischen Lebenswandel zu führen. Die Reform des gemeinschaftlichen Lebens von Klerikern lag den Canusinern schon lange am Herzen und Mathilde setzte diese Reformbemühungen nachdrücklich fort. Im Ringen um die Kanonikerreform hatte sie in Anselm II. einen Seelenverwandten gefunden. Anselm II. verlor durch seine Reformtreue letztlich sein Bistum. 1080 konnte er sich nicht mehr gegen die Opposition in seiner Stadt zur Wehr setzen und musste Lucca verlassen, um sich selbst zu retten. Er wandte sich offenbar direkt an Mathilde und weilte danach bis zu seinem Tod 1086 nahezu ständig in ihrer Umgebung, es sei denn, seine Pfl ichten als päpstlicher Legat für die Lombardei hielten ihn fern. Von seiner Bedeutung für die kulturelle Blüte am Hof Mathildes wird noch zu sprechen sein. Obwohl sich Gregor VII. und Mathilde nach 1077 nicht mehr persönlich trafen, blieben sie in Kontakt; der Papst bemühte sich, den Wünschen seiner wichtigsten Helferin entgegenzukommen. Vor allem die Besitzungen in Lothringen machten Mathilde Sorge. Schon in friedlichen, ruhigen
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Von der Natur zurückerobert: Die heutigen Überreste der einst uneinnehmbaren Burg Canossa lassen den Bau kleiner erscheinen, als er tatsächlich gewesen sein muss.
Zeiten waren exzentrisch gelegene Güter schwer zu verwalten und ständig von Okkupationen bedroht. Aber Entfremdungen waren bei weit gestreuten Besitzungen an der Tagesordnung und keineswegs ein Problem, mit dem allein Mathilde zu kämpfen gehabt hätte. Unmöglich konnte die Markgräfin ständig die weite Reise antreten, um vor Ort die Entwicklung ihrer Liegenschaften persönlich in Augenschein zu nehmen, sondern musste sich auf lokale Vertraute verlassen. Daher galt es, weitere zuverlässige Helfer in Lothringen zu gewinnen, bei deren Rekrutierung Gregor VII. nach Kräften half. So bat der Papst Erzbischof Manasse von Reims, sich der Angelegenheiten der Markgräfin in Lothringen anzunehmen. Zunächst sollte er Hilfstruppen unter dem Kommando des Grafen Fulco von Arles, die eigentlich für die römische Kirche bestimmt waren, im Sinne Mathildes einsetzen. Des Weiteren drängte er den Erzbischof, alle Lehen,
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die Herzog Gottfried der Bucklige von der Reimser Kirche besessen hatte, nun auf Mathilde zu übertragen. Baldmöglichst sollte sich der Erzbischof zudem mit Bischof Dietrich von Verdun über die Erbschaftsangelegenheiten Mathildes auseinandersetzen und deren glücklichen Ausgang herbeiführen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Stellung des von Herzog Gottfried dem Buckligen eingesetzten Gottfried von Bouillon war nur schwer zu erschüttern, und die eher schwachen Kräfte des von Mathilde eingesetzten Albert von Namur reichten einfach nicht aus, die Ansprüche der Canusinerin gegen einen schier übermächtigen Kontrahenten durchzusetzen. Außerdem bestätigte Gregor VII. Bischof Landulf von Pisa die Schenkung des Hofes und der Burg Scanello, die Mathilde zum Seelenheil ihrer Mutter getätigt hatte. Wahrscheinlich sandte Gregor auch Geistliche zu Mathilde, um sie seelsorgerisch zu betreuen. Beistand würde die letzte Canusinerin dringend brauchen, denn noch hatte der Investiturstreit nicht seine kriegerische Seite gezeigt und noch ahnte wohl niemand, welche Standhaftigkeit und Opferbereitschaft Mathilde abverlangt werden würden, wollte sie weiterhin dem Reformpapsttum mit allen Kräften dienen.
X. Ohne Rücksicht auf Verluste – die harten Jahre des Widerstands
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ach der Bannlösung von Canossa beruhigte sich die politische Lage nur vordergründig, denn die Jahre des faulen Friedens bis zur zweiten Bannung Heinrichs IV. 1080 vergingen in gespannter Atmosphäre. Im Reich nördlich der Alpen rangen der Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden und Heinrich IV. miteinander, bis die Schlacht vom 15. / 16. Oktober 1080 die Entscheidung brachte. Tags zuvor hatte der Salier der Madonna eine Stiftung zum Weiterbau des Speyerer Domes getätigt und ihren Beistand in der Schlacht erfleht. Rudolf von Rheinfelden verlor die Schlacht und seine rechte Hand; er starb an der schweren Verletzung. Die Zeitgenossen deuteten den Verlust der Schwurhand als Gottesurteil, hatte er doch mit ihr dem König die Treueide geleistet, und die Stimmung hellte sich zugunsten Heinrichs IV. deutlich auf: Sein Weg zur Kaiserkrone schien frei. Mathilde ging in den Jahren zwischen 1077 und 1080 ihren normalen Herrschaftsgeschäften nach, allerdings ist die Anspannung fast greifbar. Wenige Schenkungen markieren den Versuch, verlässliche Bastionen noch zu stärken, so die Donationen an das Bistum Lucca, die der Unterstützung Bischof Anselms II. dienten, sowie eine Stiftung an Mantua, der Canusinerhochburg in der Po-Ebene. Daneben dominieren Gerichtsurkunden, um angesichts der unruhigen Zeiten wenigstens im eigenen Machtgebiet keinen Unfrieden aufkommen zu lassen. Im Gericht erhielt das Kloster San Vito in Borgo zu Pisa den Schutz seiner Besitzungen; das Bistum Volterra ließ sich ebenfalls mehrere Güter gerichtlich zusichern. Andere indes hatten sich zu fügen: Im Gericht der Markgräfin muss Graf Ugo zugunsten des Klosters San Salvatore di Monteamiata auf seine Ansprüche an der Burg Montenero und der villa Limignana verzichten; eineinhalb
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Jahre später nimmt Mathilde die Kirche der heiligen Lucia in Paciano, die Monteamiata gehört, in ihren Schutz. Neben der Sorge um ihren eigenen Machtbereich gehörte die permanente Unterstützung Gregors VII. zu Mathildes dauernden Obligenheiten. Auf sein Geheiß nahm sie den lange durch den Bischof von Parma inhaftierten Abt Ekkehard von Reichenau bei sich auf und geleitete ihn sicher nach Rom, wo er mit Gregor VII. zusammentraf. Der Papst empfahl ihn Rudolf von Rheinfelden als Berichterstatter über die Beschlüsse der Fastensynode 1079, da Gregor Abt Ekkehard für absolut vertrauenswürdig hielt. Dass Mathilde in diesem Fall einem wichtigen Multiplikator der reformpäpstlichen Überzeugungen beistand, unterstreicht ihre herausragende Rolle während der gesamten Dauer des sogenannten Investiturstreits. Wahrscheinlich hat sie persönlich die Tendenzen und Ideale der Kirchenreform nicht in all ihren Konsequenzen und bis ins letzte Detail durchdacht und verstanden, sonst hätte sie beispielsweise im Ringen um die Besetzung Mailands anders agieren müssen, aber sie beschützte die Anhänger des Reformpapsttums nach Kräften und ohne Rücksicht auf ihre persönlichen und materiellen Ressourcen und hat so der Reformbewegung entscheidende Hilfestellungen geleistet. Da Bischof Eberhard von Parma ein vehementer Gegner der Canusiner war, dürfte es Mathilde ein doppeltes Anliegen gewesen sein, den Abt von der Reichenau schnellstmöglich aus dessen Händen zu befreien. Endgültig konnte Mathilde ihre Probleme mit dem Parmenser Bischof jedoch erst 1084 lösen: In der Schlacht bei Sorbara fiel der Geistliche in die Hände der Markgräfin und starb nur ein Jahr später, ob in Folge schlechter Behandlung durch die Canusinerin oder infolge einer katastrophalen Hungersnot, die damals in Oberitalien wütete, ist unbekannt. Bis zu seinem Tod 1088 blieb Abt Ekkehard von der Reichenau ein Parteigänger der Reformpartei. Ob er Mathilde als Kontaktmann zur süddeutschen Opposition gegen Heinrich IV. diente und eventuell ihre Beziehungen nach St. Gallen intensivierte, ist nicht zu entscheiden, aber durchaus nicht unwahrscheinlich. Noch immer hoffte die Canusinerin auf eine endgültige Aussöhnung des Papstes mit dem Salier. In einem Brief an Gregor VII. fragt sie daher nicht nur nach den neuesten Gerüchten um den gebannten Herzog von Oberlothringen, sondern gibt auch ihrer Hoffnung Ausdruck, es möge
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eine echte Versöhnung der Universalgewalten geben. Vielleicht versuchte sie, durch ihr Eingreifen zugunsten der Abtei Farfa, die traditionell eng an der Seite der Salier stand, einen Beitrag zu diesem Versöhnungswerk zu leisten und gleichsam eine kommunikative Brücke zwischen geistlicher und weltlicher Macht zu schlagen. – Vergleichbare Versuche, durch die Mittlerschaft bedeutender, allseits anerkannter Klöster gewissermaßen einen neutralen Gesprächsraum für bislang verfeindete Streitparteien zu schaffen, sind einige Jahre später aus dem Südwesten des Reiches bekannt. Im Schatten gemeinsamer Klosterförderung konnten die streitenden Parteien sich dort vorsichtig abtastend aufeinander zu bewegen – eine Annäherung, die auf dem öffentlichen Parkett der großen Politik so nicht möglich war. – Im Gericht sicherte Mathilde Farfa den seit langem umstrittenen Besitz der Kirchen San Pietro in Tarquinia und Santa Maria in Mignone. Bereits 1051 hatte ein Machtbote von Mathildes Vater versucht, in dem seit 1017 schwärenden Streit zu vermitteln – offenbar erfolglos. Nun wollte es die Tochter besser machen und ließ sich von drei Richtern und zwei weiteren juristischen Experten beraten. Dieses Aufgebot an Fachkompetenz sollte zugleich demonstrieren, dass auch in schwierigen Zeiten die Canusiner die maßgeblichen Garanten von Recht und Gerechtigkeit seien, im Fall Farfas sogar ohne Ansehen der politischen Ausrichtung der Betroffenen. Einigkeit zwischen König und Papst hätte Mathilde sicher auch in Lothringen geholfen, weshalb ihre Ausgleichsbemühungen niemals ganz uneigennützig waren. Schon in Friedenszeiten konnten exzentrisch gelegene Besitzungen kaum effektiv und gewinnbringend verwaltet werden; in unruhigen Kriegszeiten war dies praktisch unmöglich. Die Hilfe von Geistlichen vor Ort allein genügte nicht, um dauerhafte Ansprüche machtvoll zu unterstreichen. Daher sollten drei Schenkungen Mathildes Anspruch auf den canusinischen Machtbereich in Lothringen für jedermann sichtbar untermauern, dadurch begünstigte sie gleichzeitig in rascher Folge mehrere Klöster: Sie gestattete Bischof Dietrich von Verdun, Dorf und Kirche von Belleville-sur-Meuse dem Kloster Saint-Airy in Verdun zu überlassen. Wohl schon zuvor überließ sie dem Bistum Verdun die Burg Muraut mit dem dazugehörigen Wald und dem Nonnenkloster Juvigny-sur-Loison, das sie wahrscheinlich gemeinsam mit ihren Eltern dem heiligen Stuhl übertragen hatte. Einige Zeit später schenkte Mathilde den Nonnen von Juvigny die bis dato ihr selbst gehörende Hälfte des Dorfes Juvigny. Durch
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ihre Begünstigung Juvignys reihte sich Mathilde geschickt in eine legitimierende, herrschaftsbegründende Traditionslinie ein, konnte sie sich doch in diesem Fall auf eine mögliche Rechtsverfügung ihrer Eltern beziehen – in ihrem lothringischen Machtbereich ein Einzelfall. Zudem veranlasste sie den von ihr ernannten Grafen Arnulf von Chiny zur Gründung der Abtei Orval und stiftete den Grund, auf welchem sich das Kloster erheben sollte. Zwar wird im Gründungsbericht versichert, Mathilde sei 1080 selbst nach Lothringen gekommen, doch ist eine solche Reise mehr als unwahrscheinlich. Ansonsten hielt sich Mathilde in dieser Zeit mit Schenkungen auffällig zurück, als ahnte sie, dass sie bald alle materiellen Kräfte anderweitig benötigen würde. Lediglich das Kathedralkapitel von Mantua und das Bistum Lucca erhielten Zuwendungen, um diese wichtigen urbanen Plätze umso enger an sich zu binden. Dass noch in der ersten Jahreshälfte 1080 Polirone dem Apostolischen Stuhl unterstellt wurde, mag Mathilde zum Schutz ihrer Lieblingsabtei gedacht haben, entsprach aber wohl sicher auch einem Herzenswunsch der Markgräfin. Gerade im Fall dieses Konvents scheint die Frömmigkeit und innige Religiosität der Fürstin, gepaart mit ihrer lebenslangen Vorliebe für Polirone, über ihr politisches Kalkül gesiegt zu haben. Schon bald konnte Mathilde auf keine noch so kleine Hilfe mehr verzichten. Im März bannte Gregor VII. auf der Lateransynode in Rom Heinrich IV. zum zweiten Mal, doch diesmal überspannte der Papst den Bogen und ließ sich zu einer Prophezeiung hinreißen: Bis zum Tag Petri Kettenfeier (1. August) werde der Salier untergehen; sollte dies nicht eintreten, so möge man ihn, Gregor, aus dem Amte jagen. Das war zuviel! Selbst treue Parteigänger distanzierten sich nun von dem streitbaren Papst. Am 25. Juni 1080 versammelte sich der Reichsepiskopat in Brixen und verurteilte Gregor VII., der sein Amt angeblich nur durch Betrug, Gewalt und Simonie erlangt habe, also kein rechtmäßiger Papst sei. Zudem präsentierte man – anders als beim ersten Obödienzaufkündigungsschreiben – einen eigenen Kandidaten: Erzbischof Wibert von Ravenna, den späteren Gegenpapst Clemens III. Keine schlechte Wahl! Der Erzbischof war ein hochgebildeter Mann, der sich keineswegs gegen eine Reform des klerikalen Lebens gewandt hatte. Er entwickelte Ideen hinsichtlich der Frage, wie die Reform der Kirche mit den traditionellen Rechten des römisch-deut-
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schen Königtums in Einklang zu bringen wäre. Zudem konnte er sich nicht mit der Hierarchisierung der Kirche unter Gregor VII. abfinden, welche die Macht der Erzbischöfe beschnitt. Gerade in dieser Frage wusste Wibert weite Teile des oberitalienischen Episkopats auf seiner Seite. Auch bei seinen Gegnern genoss Erzbischof Wibert durchaus Hochachtung: Bischof Anselm II. von Lucca hoffte ihn zur Umkehr zu bewegen, um ihn doch noch für die gregorianische Partei zu gewinnen. Möglicherweise sollte Mathilde vermitteln. Bald nach seiner Wahl zum Gegenpapst musste Wibert versuchen, Rom oder wenigstens seine Erzdiözese Ravenna zu erreichen; von Norden kommend war dies aber fast nur möglich, wenn die Mathildischen Gebiete sicher passiert werden konnten. Ob und in welchem Umfang darüber Verhandlungen stattgefunden haben, ist völlig unklar. Eine Umkehr Wiberts wurde nicht erzielt, und der bewaffnete Konflikt war nicht mehr abzuwenden. Oberitalien lebte in gespannter Erwartung. Sowohl Mathilde von Canossa als auch Gregor VII. wussten, dass Heinrich IV. eine endgültige Entscheidung herbeiführen wollte. Sicher drangen Gerüchte von seinen Rüstungsaktivitäten über die Alpen und versetzten die Markgräfi n in höchste Alarmbereitschaft. Als sie Anfang September 1080 zugunsten des Bischofs von Ferrara zu Gericht sitzt, schart sie ihre Getreuen um sich, um sie auf den Kampf einzuschwören. Neben dem hochbetagten Markgrafen Azzo von Este fanden sich die Grafen Ugo und Ubert, der Sohn des Grafen Boso, Paganus von Corsina, Fulcus von Rovereto und Gerhard von Corviago sowie Petrus de Ermengarda und Ugo Armatus bei ihr ein. Zufällig waren die mächtigen Laien bestimmt nicht zu dem Gerichtstag gekommen. Mit Sicherheit waren zuvor zahlreiche Boten ausgeschwärmt, um sie zu laden. Mathilde musste wissen, auf welche Truppenkontingente sie zählen durfte, und sicher waren auch taktische Manöver zu besprechen. Gregor VII. hatte Bischof Altmann von Passau und Abt Wilhelm von Hirsau brieflich um militärische Unterstützung Mathildes gebeten, um diese in die Lage zu versetzen, Heinrich IV. standhalten zu können. Dass die Canusinerin aus dem Norden Hilfe in welcher Gestalt auch immer erhalten hätte, ist aber nicht bekannt; wie hätten ihr die beiden Geistlichen auch mit großen Truppenkontingenten helfen sollen? Als Mathilde am 9. Dezember 1080 eine kleine Schenkung an das Kloster San Prospero in Reggio tätigt, ist sie praktisch allein; nur ein paar lokale Gefolgsleute wer-
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den genannt. Dabei hätte sie gerade jetzt jeden Mann gebrauchen können, war ihr eigenes Heer doch bei Volta von königsnahen Truppen vernichtend geschlagen und aufgerieben worden. Atemlos und wehrlos musste die Markgräfin abwarten, was geschehen würde. Die allgemeine Unsicherheit spürend, wagten die Lucchesen den Aufstand gegen ihren ungeliebten Bischof und vertrieben Anselm, der bei Mathilde Schutz und sicheres Asyl fand. Selbst in Zeiten eigener Machtlosigkeit gelang es der Markgräfin, Anhänger Gregors VII. und der Kirchenreform dauerhaft bei sich aufzunehmen und ihnen ein sicheres Refugium zu bieten. Im Frühling 1081 überwand Heinrich IV. die Alpen und stand am 4. April in Verona. Es ist anzunehmen, dass er Verhandlungen mit Mathilde aufnahm. Sie verfügte über große Reichslehen und wäre daher verpflichtet gewesen, den König auf dem Romzug mit allen Mitteln zu unterstützen und ihm sicheres Geleit durch ihre Gebiete zu gewähren. Dass Mathilde auch nur daran gedacht hätte, dieser Pflicht nachzukommen, darf ausgeschlossen werden. Aber sie hatte auch nicht mehr die Kraft, Heinrich den Durchzug durch ihre Gebiete zu verwehren; abgesehen von den Burgen im Apennin standen die canusinischen Lande dem Salier offen. Die Lage war so verzweifelt, dass sich Gregor VII. mit einem Hilferuf für Mathilde noch einmal nach Norden wandte. In einem Brief an Bischof Altmann von Passau und Abt Wilhelm von Hirsau schreibt er unter anderem sinngemäß, ,wenn unsere Tochter Mathilde keine Hilfe von euch erhält, wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als um Frieden zu bitten und fürderhin keinen Widerstand gegen Heinrich IV. mehr zu leisten. Denn die Vasallen würden ihr vielleicht nicht länger folgen, da sie die Markgräfin wegen ihrer Hilfe für Gregor VII. für nicht mehr ganz normal hielten‘. Noch dramatischer hätte der Papst seine Worte nicht wählen können, aber sie verhallten ungehört. Selbst wenn sie gewollt hätten, wäre den beiden Geistlichen wohl keine Hilfe möglich gewesen, waren sie doch selbst in arge Bedrängnis geraten. Glaubt man der Vita des Bischofs Anselm von Lucca, so mutete sich Mathilde in den nun folgenden Jahren zu viel zu, ging über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus und schonte ihren geschwächten Körper nicht eine Sekunde lang. Oft soll der im Exil bei ihr lebende Bischof sie übermüdet und weinend vorgefunden haben, weil sie rastlos versuchte, den Kampf gegen Heinrich IV. neu zu organisieren. Anselm habe sie in solchen Situa-
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tionen durch lange Gespräche und sein eigenes Vorbild immer wieder aufgerichtet. Aber der extreme und unbedingte Durchhaltewille allein reichte nicht aus, und militärisch konnte Anselm ihr ohnehin nicht helfen. Pisa und Lucca öffneten ihre Tore für den König, wodurch Mathilde zwei ihrer wichtigsten Machtpfeiler in der Toskana einbüßte: den alten herzoglichen Vorort und die bedeutende Hafenstadt, die das Grab ihrer Mutter hütete. An mehreren Orten ihres Machtbereiches wurden antigregorianische Gegenbischöfe erhoben, ohne dass die Markgräfin etwas dagegen hätte unternehmen können. Um sie zu demütigen, saß Heinrich IV. ausgerechnet in Lucca über Mathilde zu Gericht, entzog ihr feierlich alle Reichslehen und belegte sie mit der Reichsacht. Am 21. Mai stand er gemeinsam mit ,seinem‘ Papst Clemens III. vor den Toren Roms. War dies das Ende? Mathildes Eigengüter reichten nicht mehr aus, um die Vasallen durch großzügige Geschenke und reiche Lehnsvergaben an sich zu binden und zugleich Gregor VII. Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Doch weder gab die Canusinerin auf – noch bat sie um Frieden oder flehte um Gnade. Ein kräftezehrender Kleinkrieg begann, den die Markgräfin von ihren verbliebenen Burgen im Apennin aus leitete, den letzten Plätzen, die ihr geblieben waren und in denen sie sich gefahrlos aufhalten konnte. Beide Seiten erlitten Verluste, aber Mathilde ging langsam das Geld aus. 1082 ist sie offenbar praktisch zahlungsunfähig, denn sie lässt die Kirchenschätze des Apollonius-Klosters in Canossa einschmelzen, um neues Geld für Gregor VII. aufzutreiben. – Viele Jahre später hat sie dem kleinen Kloster den Schaden ersetzt. – Auch die altehrwürdige Abtei Nonantola kommt nicht ungeschoren davon und wird gezwungen, ihre Edelmetallgefäße und andere Schätze herauszugeben; auch sie werden umgehend in klingende Münze verwandelt. Mathilde selbst verkauft ihr Allod Donceel an die Abtei Saint-Jacques zu Lüttich. Sie hatte begriffen, dass es eine Illusion war, zu glauben, aus Donceel in diesen Zeiten jemals Abgaben zu erhalten. Sie konnte keinen Druck auf säumige Zahler ausüben – und wie hätten Boten das Geld sicher durch das Kriegsgebiet transportieren sollen? Daher war es besser, das Gut zu verkaufen, solange dies noch möglich war. Um die Vasallen zu halten, die noch nicht von ihr abgefallen waren, sah sich Mathilde genötigt, ihnen aus dem geringen in ihrer Verfügungsgewalt verbliebenen Besitz Lehnsübertragungen zu machen.
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Nur auf Mantua kann Mathilde vorerst noch bauen. Ihre einzige Schenkungsurkunde aus den schweren Jahren bis 1088 richtet sich an San Michele in Mantua. Stolz nennt sie sich mit vollem Titel, erinnert an ihren Vater Bonifaz und gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass gute Werke im Jenseits hundertfach vergolten werden und so den Weg zum ewigen Leben sichern. Aber der Schein trügt: Die Schenkung beläuft sich nur auf sieben Grundstücke in der Umgebung Mantuas, und der Verdacht drängt sich auf, dass Mathilde versuchte, im letzten Augenblick Liegenschaften in Sicherheit zu bringen, um sie nicht an den Salier zu verlieren. Vielleicht hoffte sie, die Grundstücke irgendwann wieder auslösen zu können. Bitter wenige Getreue bezeugen die Schenkung: Es war einsam geworden um die starrköpfige Markgräfin. Aus Rom kommen immer neue, immer beunruhigendere Nachrichten. Schließlich kann Heinrich IV. in die Stadt selbst einrücken und nimmt die Gebiete westlich des Tibers in seinen Besitz. Verhandlungen mit Gregor VII. scheitern, da dieser nicht bereit ist, auch nur einen Millimeter von seinen Positionen abzuweichen. Als Rom zur Gänze in die Hand des Saliers fällt, verschanzt sich Gregor in der Engelsburg. Von dort muss er aus nächster Nähe zusehen, wie Heinrich IV. von Clemens III. am Ostersonntag 1084 zum Kaiser gekrönt wird. Lange kann der Salier den Triumph nicht genießen, denn die von Gregor VII. zu Hilfe gerufenen Normannen nähern sich der Ewigen Stadt. Aber auch Gregor kann sich in Rom nicht halten, denn seine normannischen Befreier wüten am Tiber wie die Furien. Der Papst muss mit ihnen nach Süden, nach Salerno, ziehen; die Römer hätten ihn sonst in ihrem Zorn über die Verwüstungen elend erschlagen. Bei ihrem Abzug hatten die Truppen Heinrichs IV. offenbar den päpstlichen Bullenstempel erbeutet. Damit wäre es möglich gewesen, Briefe und Verlautbarungen kaiserlichen Inhalts mit dem Beglaubigungsmittel Gregors VII. zu siegeln und so den Reformanhängern als echte Meinungsäußerungen Gregors ,unterzujubeln‘. Dieser Missbrauch musste unbedingt verhindert werden! Obwohl sie selbst nicht aus noch ein wusste, richtete Mathilde in aller Eile ein Schreiben an alle Getreuen des Reformpapsttums, um sie vor möglichen Fälschungen zu warnen. Als alles verloren scheint, wendet sich das Blatt. Im Hochsommer 1084 erringen Mathildes zahlenmäßig stark unterlegenen Truppen einen Erfolg gegen die scheinbar übermächtigen Anhänger Heinrichs IV. bei Sorbara.
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Obwohl es sich eher um einen Achtungserfolg handelt – von einem alles entscheidenden Sieg ist beim besten Willen nicht zu sprechen –, macht die Markgräfin doch fette Beute, denn der aus Köln stammende Bischof Eberhard von Parma fällt ihr in die Hände: eine Geisel, für die man viel Geld fordern kann; eine willkommene Aufbesserung der mehr als klammen Kassen. Etwa gleichzeitig sterben mit Gandulf von Reggio, Thedald von Mailand und – etwas später – Eberhard von Parma einige einflussreiche, in Opposition zu Mathilde stehende oberitalienische Bischöfe. Ist dies ein Zeichen? Wurden die Kleriker für ihre Widerspenstigkeit gegenüber dem Reformpapsttum bestraft? Dank dieser ,biologischen Lösung‘ einiger drängender Probleme kann Mathilde wieder Hoffnung schöpfen, vor allem weil es ihr gelingt, die Bischofsthrone von Piacenza, Reggio und Modena mit Reformanhängern zu besetzen und damit ein Stück weit auch für sich selbst zurückzugewinnen. Aber sich zurücklehnen und endlich beruhigt aufatmen kann die Markgräfin noch lange nicht. Bis in das Jahr 1086 muss sie beharrlich Platz um Platz belagern und mühselig zurückerobern, um ihre Position wenigstens in Oberitalien wieder zu festigen. Dabei muss sie vor allem in ihren entlegenen lothringischen Besitzungen Verluste hinnehmen, die auch in der Folge nie wieder ausgeglichen werden konnten. So schenkte Heinrich IV. am 1. Juni 1085 ihre Güter Stenay und Mosay an Bischof Dietrich von Verdun, ohne dass die Markgräfin dagegen hätte einschreiten können. Gänzlich untätig sah sie dem Ausverkauf dieser Besitzungen allerdings auch nicht zu: Im Sommer 1085 hatte sie ihre Position so weit gefestigt, dass sie Bischof Anselm von Lucca bitten konnte, einen Auftrag für sie auszuführen. In ihrem Namen sollte der Geistliche Bischof Hermann von Metz bitten, für Mathilde die Gerichtsgefälle aus ihrem Machtkomplex Briey einzuziehen und ein wachsames Auge auf alle ihre Besitzungen zu haben, die in seinem Diözesanbereich lagen. Zudem bittet sie ihn, doch am besten persönlich nach Oberitalien zu kommen und sich mit ihr zu treffen. Endlich kann sie sich wieder um die Konsolidierung ihres Besitzes kümmern; die Zeit der Notverkäufe scheint vorüber. Doch in diesem Augenblick der Besserung muss sie eine neue Hiobsbotschaft verkraften: Am 25. Mai 1085 war Gregor VII. in Salerno im normannischen Exil gestorben.
XI. Hofkultur trotz knapper Kassen
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eit Anselm von Lucca 1080 / 81 seinen Bischofssitz hatte verlassen müssen und nun bei Mathilde im Exil lebte, veränderte sich das geistige Leben in ihrem Umfeld nachhaltig. Zwar hatten die frühen Canusiner Architektur und Musik gefördert, aber ein besonderes Interesse an Büchern ließ sich bislang in dieser Familie nicht feststellen. Mit Mathilde ändert sich das. Da die Fürstin dank ihrer umsichtigen Erziehung wenigstens in Ansätzen schreiben konnte, darf man davon ausgehen, dass sie auch Grundfertigkeiten im Lesen besaß. Allerdings dürfte ihr die Rezeption von längeren, komplizierteren Texten beim Selbstlesen wohl nicht schnell genug gegangen sein, denn nachweislich beschäftigte sie einen Vorleser, dessen zeitweilige Gefangennahme sie in schiere Verzweiflung stürzte. Wie gut oder schlecht es um ihre Lateinkenntnisse bestellt war, ist unbekannt. Allerdings war Mathilde wohl sprachbegabt, denn ihr Biograph Donizo berichtet, sie habe sich mit König Heinrich V. in dessen Muttersprache unterhalten können, ohne dass ein Dolmetscher helfend eingreifen musste. Dieselbe Quellenpassage belegt freilich auch, dass ein Übersetzer zur Verfügung gestanden hätte, wären doch Verständigungsprobleme aufgetreten. Ob sich permanent Dolmetscher im Umfeld Mathildes aufhielten, ist unklar – angesichts ihrer vielen Gäste aber anzunehmen. Da Latein die wichtigste Verkehrssprache der Zeit war, könnte auch ein Geistlicher ihrer engsten Umgebung diese Aufgabe übernommen haben. Es ist wohl wesentlich Anselm von Lucca zu verdanken, dass die in der Markgräfin auch dank ihrer profunden und vorbildlichen Erziehung schlummernden geistigen Interessen nicht nur geweckt, sondern intensiviert wurden und sich erweitern konnten. Wahrscheinlich wurde Anselm unmittelbar nach seiner Flucht ins Exil Mathildes Beichtvater und damit
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ihr engster Vertrauter, der bald schon erheblichen politischen Einfluss ausgeübt haben dürfte. Angesichts seiner Vertrauensstellung war es wohl Anselm, der ihr auch in der schier ausweglos erscheinenden Zeit der frühen 1080er-Jahre immer wieder Mut zugesprochen hat, den Kampf gegen Heinrich IV. und für das Reformpapsttum trotz aller Widrigkeiten fortzusetzen. Da Anselm bald nach seinem Tod heiliggesprochen wurde, ist hinsichtlich der Aussagen seiner Vita über seinen Einfluss auf die letzte Canusinerin Vorsicht geboten. Aber jenseits aller hagiographischen Schmeichelei muss man in Anselm einen entscheidend wichtigen Rückhalt für Mathilde sehen, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Schon vor seinem Gang ins Exil brachte er Mathilde die Ideale der Kanonikerreform nahe. Er dürfte auch hinter der Übertragung des Klosters Frassinoro an die Reformabtei Chaise-Dieu gestanden haben. Fast zeitgleich erhielt Abt Seguin von Chaise-Dieu das Kloster San Quirico in Monticello und konnte dort ein Priorat errichten. Da San Quirico an einer strategisch wichtigen Brücke im Serchiotal liegt, darf man mit Sicherheit davon ausgehen, dass Mathilde sowohl die Übertragung als auch die Prioratsgründung gebilligt und damit die Verwurzelung der Kanonikerreform in der Region wesentlich unterstützt hat. Anselm ging nicht allein ins Exil, sondern die hohen Dignitäre der Luccheser Domkirche Lambert und Blancard sowie der Primicerius Bardo begleiteten ihn. Zeitweilig befanden sich auch der Subdiakon Teuzo sowie der Diakon Johannes in seiner Umgebung. Außerdem dürften sich die Priester Paganus und Martinus dauerhaft bei Anselm aufgehalten haben. Während Lambert und Bardo wohl schon 1084 nach Lucca zurückkehrten, blieben die übrigen teilweise bis nach Anselms Tod in Mathildes Umgebung. Wo Anselm sich genau aufhielt, ist unklar. Zeitweilig dürfte er nach 1084 den Bischofsthron von Reggio verwaltet haben; auf einen längeren Aufenthalt dort deutet aber nichts hin. Es ist anzunehmen, dass er die meiste Zeit auf den canusinischen Burgen im Apennin verbrachte. Sie boten ihm Schutz sowie die Möglichkeit, nicht nur Mathildes Informationsnetzwerke zu nutzen, sondern auch eigene Netzwerke aufzubauen. Aber Anselm versteckte sich all die Jahre nicht ängstlich, sondern wollte ungeachtet aller Gefahren 1083 zur Lateransynode nach Rom reisen; doch wussten die Sperrmaßnahmen Heinrichs IV. dies zu verhindern. Die Prä-
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senz des Saliers und seiner Parteigänger südlich der Alpen hatten Anselm zwar diese eine Reise verdorben, doch sie vermochten ihn nicht grundsätzlich daran zu hindern, in Oberitalien unermüdlich im Dienst der Kirchenreform zu wirken – und zwar nicht nur als Theologe, sondern auch als Literat. Anselm gestaltete das intellektuelle Umfeld Mathildes in kurzer Zeit zum Kristallisationszentrum eines bedeutenden, weit über den canusinischen Machtbereich hinausreichenden geistig-geistlichen Zirkels. Im Verlauf des Investiturstreites entwickelte sich eine neue, politisierende Bibelauslegung, die tendenziös und häufig auch polemisch eingefärbt die Auseinandersetzungen der Zeit widerspiegelte. Im Umkreis Mathildes beschäftigten sich gleich drei Autoren mit dieser neuen Literaturform: Anselm von Lucca, Heribert von Reggio und Johannes von Mantua. Gerade Anselm scheint in seiner Exilzeit eine fulminante Schaffensperiode erlebt zu haben. Seine Vita berichtet, er habe viele Bücher mit eigener Hand geschrieben. Sicher bezeugt ist ein Kommentar zu den Klageliedern, der allerdings vollständig verloren ist; aber immerhin ist die Textauswahl bezeichnend. Seine Psalmenauslegung blieb unvollständig, wurde aber von Wolfger von Prüfening glossiert, fand also durchaus Rezipienten und entfaltete auf diese Weise Wirkung. Doch Anselm beschränkte sich keineswegs auf reine Bibelexegesen. Zwischen 1081 und 1083 arbeitete er an einem systematischen Handbuch der Kirchenrechtsquellen im Sinne der päpstlichen Reformbewegung; wohl um 1083 dürfte diese collectio canonum abgeschlossen worden sein. Nach dem Tode Gregors VII. schrieb Anselm den Liber contra Wibertum, der nach dem schweren Verlust die Kampfkraft der Reformgruppe neu schärfen sollte. Dass Anselm als Beichtvater Mathildes auch Gebete verfasste, versteht sich von selbst, auch wenn keine die Zeiten überdauert haben. – Es ist fraglich, ob sie überhaupt je schriftlich niedergelegt wurden. – Zudem entstand aus seiner Feder der Sermo de charitate. Angesichts dieses beeindruckenden, in nur wenigen Jahren entstandenen Werks darf man Anselm mit vollem Recht als Initiator einer erstaunlichen Kulturblüte an Mathildes Hof bezeichnen. Man muss zudem bedenken, dass es Anselm wohl unmöglich gewesen sein dürfte, all diese Werke rein aus dem Gedächtnis zu verfassen. Bei seiner Flucht aus Lucca hatte er wohl schwerlich Gelegenheit, eine Vielzahl von Büchern mitzunehmen. In den Burgen Mathildes muss es daher zumindest Keimzellen von Bibliotheken gegeben haben, welche dem Bischof und ande-
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ren Gästen oder Flüchtlingen zur Verfügung standen, und die wohl durch Geschenke der Besucher ergänzt wurden. Die Ausstrahlung Anselms von Lucca als Mensch sowie der Ruf seiner Werke machte Mathildes Umgebung auch für andere Literaten anziehend. So verfasste Heribert von Reggio, einer der führenden italienischen Gregorianer, im canusinischen Umfeld einen Psalmenkommentar. Herausragend wurde jedoch Johannes von Mantua, der zum innersten Zirkel der Exegeten im Umfeld Mathildes gehörte. Möglicherweise ist Johannes von Mantua mit dem späteren Abt Johannes von Canossa identisch, den Donizo ganz besonders positiv hervorhebt, da er der einzige gewesen sei, der 1092 in der Burg Carpineti vor Friedensverhandlungen mit Heinrich IV. gewarnt habe, als Mathilde – wieder einmal – in auswegloser Lage ihre Getreuen zusammenrief, um über die weitere Vorgehensweise Rat zu halten. Johannes war wohl grammaticus (also Lehrer) in Mantua, bevor er zu Mathilde kam; als er seinen berühmten Canticumskommentar im Umfeld der Markgräfin verfasste, dürfte er noch Laie gewesen sein. Auf Bitte der Canusinerin schrieb Johannes eine Auslegung zum Hohen Lied und eine Betrachtung über das Marienleben. Der Kommentar ist vollständig mit tagesaktuellen Anspielungen durchsetzt und zweifellos in der Zeit entstanden, als Mathilde besonders hart durch Heinrich IV. bedrängt wurde. Johannes verfasste gleichsam die biblische Rechtfertigung ihres politischen Weges und beleuchtet die religiösen Triebkräfte der Markgräfin, auch wenn ihr politisches Handeln natürlich nicht allein dadurch zu erklären ist. Johannes von Mantua eröffnet den Reigen derer, die auf Wunsch Mathildes, deren erstaunlicher Bildungsgrad nun erst deutlich sichtbar wird, Werke verfassten oder sie ihr widmeten. Neben Johannes und Anselm von Lucca gehören in diese Reihe der erste Biograph Anselms, nämlich dessen zweiter Amtsnachfolger Rangerius von Lucca, der Mathilde seinen Ende 1110 entstandenen, auf einem Lütticher Text basierenden, ganz auf die aktuelle Situation bezogenen Liber de anulo et baculo widmete; Anselm von Canterbury, der Mathilde seine Orationes sive meditationes schickte, nachdem er bei einem persönlichen Besuch zu seinem grenzenlosen Erstaunen feststellen musste, dass sie die Schrift noch nicht besaß, und schließlich Donizo, dessen Vita Mathildis – gemeinsam mit der welfischen Historiographie – am Anfang einer neuen, familienbezogenen Geschichtsschreibung steht und damit ein gänzlich neues Genre begründet.
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Dieseits und jenseits der Alpen rückt in der späten Salierzeit die „Familie in das Interesse der Geschichtsschreibung“, wobei auch die Frauen berücksichtigt werden. Donizo räumt in seiner in zwei Bücher zerfallenden Vita Mathildis schon den frühen Canusinerinnen viel Raum ein und konstruiert von Generation zu Generation die Geschichte einer Dynastie, die in einem fortlaufenden Stammbaum dargestellt wird; das zweite Buch beschäftigt sich sogar ausschließlich mit Mathilde. In einem größeren Zusammenhang gesehen, erscheint Donizos Schrift als nur ein Beispiel einer verbreiteten Entwicklung. So wusste auch die welfische Geschichtsschreibung um die Bedeutung der Frauen für die Familienentwicklung. Ähnlich wie bei Donizo wurden auch hier Verwandtschaft und Geschichte selektiv wahrgenommen und für die eigene Positionierung innerhalb des Reiches instrumentalisiert. „Gezielte Wahrnehmungen schufen geglaubte Vergangenheiten für gelebte Wirklichkeiten“ (Schneidmüller). Da nahm man es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau: Judith mutierte kurzerhand zur Königswitwe, obwohl ihr erster Mann Tostig niemals zu königlichen Ehren gelangt war, und Mathilde war angeblich von Heinrich V. zur Vizekönigin für Italien ernannt worden. Die Rangerhöhung sollte die Damen aufwerten und regionale Rahmen sprengen. Im canusinischen und im welfischen Fall schufen die von Frauen stark geförderten Hausund Reformklöster familiäre Hausüberlieferungen, welche die Erinnerung an die Verwandtengemeinschaft ordneten und „in der Erinnerung der eigenen Vergangenheit zugleich Gegenwartsbewusstsein und Gegenwartsorientierung zum Ausdruck“ brachten. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Donizo im Auftrag der Markgräfin oder wenigstens in engster Abstimmung mit ihr schrieb, und die literarische Darstellung der Familiengeschichte der Canusiner ebenso wie deren optische Vergegenwärtigung in den Miniaturen bis ins Detail mit Mathilde abgesprochen war. Da diese schriftlichen und bildlichen Darstellungen für die Repräsentation der Familie enorm wichtig waren und der Donizo-Codex zugleich der aktuellen Repräsentation als auch der ewigen Memoria diente, durfte nichts dem Zufall überlassen werden. Königsgleich bildete Donizo Mathilde von Canossa in der Vita Mathildis ab: In einem prächtigen Mantel thronend, ein Pflanzenzepter haltend, während ihr ein Mönch, wohl Donizo, ein Buch reicht. Da die Vita Mathildis in Kopien im Machtbereich der Canusiner verbreitet wurde, ist die
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Politisches Instrument und Teil der (Familien-)Geschichtsschreibung: Die bildliche und literarische Darstellung Mathildes, der hier wohl von Donizo ein Buch überreicht wird, diente der aktuellen Repräsentation und ewigen Memoria zugleich. Darstellung aus Donizos Vita Mathildis.
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Darstellung als offizielle Inszenierung zu werten; als Sinnbild gesteigerter Fürstenverantwortung für das Reich. – Auch hier war Mathilde kein Einzelfall. Zweimal lässt sich die Welfin Judith, eine Zeitgenossin der Canusinerin, in Evangelienhandschriften abbilden: Im Fuldaer Evangeliar einmal in Form eines Stifterporträts, Christus ein Buch reichend; einmal am Stamm des Kreuzes kniend. In beiden Fällen rückt sie in einen demonstrativen Zusammenhang mit Christus; eine Darstellungsform, die es so von Mathilde nicht gibt, deren Frömmigkeit dafür massiert in ihren Urkunden augenfällig wird. – Vor allem geistliche Bücher, aber auch die neue Form der Familiengeschichtsschreibung bekräftigen den Zusammenhalt zwischen den im Buch Beschriebenen und dem geistigen Umfeld, in dem die Bücher entstanden; sie förderten aber auch die kulturell-geistige Identität in den Herrschaftsräumen der beschriebenen Familien. Die Darstellungen Mathildes und ihrer Familie waren auch deshalb von enormer Bedeutung, da es andere Formen der ,Veranschaulichung‘ canusinischer Fürstenmacht nicht gegeben hat; sieht man einmal von den Siegeln der Beatrix und Mathildes ab. Die in Modena an der Domflanke angebrachte Figur der Bonissima, auf die in anderem Zusammenhang noch einzugehen sein wird, soll zwar der Ortstradition nach Mathilde darstellen, doch ist die Skulptur zeitlich kaum einzuordnen. Auch die Mosaiken in der Kirche des Klosters Polirone, die Mathilde angeblich als Kriegerin zeigen, sind stark umstritten; es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt eine Frau darstellen. Diese Formen öffentlicher Repräsentation scheinen sich parallel zur fürstlichen Residenzenbildung entwickelt zu haben; für ein figürliches oder symbolisches Denkmal der Fürstinnen war die Zeit wohl noch nicht reif. Allerdings gibt es zwei Siegel Mathildes. Eines zeigt eine antike Gemme vom Typus capita opposita, die jedoch keinen Hinweis auf das Aussehen der Markgräfin vermittelt. Das zweite Siegel zeigt die Büste der Fürstin mit offenen Haaren. Das Original ist verloren und nur eine Nachzeichnung über die Zeiten gekommen. Es lässt sich daher nicht entscheiden, ob das Siegel die weiblichen Attribute Mathildes tatsächlich so sehr unterstrich. Auf der Nachzeichnung wirkt sie mit den flatternden langen, auf einer Seite über die Schulter fallenden Haaren und der betont vollbusigen Figur überaus weiblich, geradezu aufreizend. Vergleicht man damit andere Frauensiegel, die in dieser Zeit freilich noch extrem selten sind, da doch Mathilde und ihre Mutter Beatrix als wichtige
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Wegbereiterinnen weiblicher Siegelführung gelten müssen, so werden die Damen sehr zurückhaltend dargestellt, wie beispielsweise Beatrix, oder sie verwenden gleich eine antike Gemme. Möglicherweise ging der Nachzeichner, der um 1189 das Original noch gesehen hat, ein wenig zu phantasievoll mit seiner Vorlage um. In den Kreis der Literaten um Mathilde gehört auch Bischof Ubald von Mantua, der Mathilde Wunderberichte schickte. Bonizo von Sutri schenkte der Markgräfin seinen Liber ad amicum, in welchem er biblische Frauengestalten zu einer schier grenzenlosen Verherrlichung Mathildes heranzog. Er erwartete sich allerdings als Gegenleistung tatkräftige Unterstützung. Als diese ausblieb, rächte sich Bonizo nicht nur durch eine Abkehr von der Markgräfin, sondern auch durch heftige Kritik. Galt ihm Mathilde zuvor als Ideal, verbreitete er nun, dass es den Menschen nur zum Schaden gereichen könne, wenn Frauen herrschten, wofür er unter anderem Cleopatra oder Königin Fredegunde anführt. Jeder, der den Liber ad amicum und Bonizo kannte, wusste, dass sich die harschen Worte nur auf Mathilde beziehen konnten, deren Name nun freilich explizit nicht genannt wurde. Bonizo war nicht der einzige, den Mathilde langfristig enttäuschte. Auch Rangerius von Lucca wandte sich von ihr ab, als sich die Canusinerin 1111 nicht gegen Heinrich V. wandte. Seine Verbitterung war so groß, dass er zur Strafe seine Widmung umänderte: fortan war sein Liber de anulo et baculo Johannes von Gaeta zugeeignet, dem späteren Papst Gelasius II. Mathilde behielt die ihr gewidmeten Schriften nicht und hütete sie auch nicht eifersüchtig, sondern ließ sie kopieren und an Klöster ihres Machtbereiches weitergeben, worin eine ganz eigenständige kulturelle Leistung der Markgräfin liegt. Nach ihrem Tod entstanden gleich mehrere Abschriften der Vita Mathildis des Donizo. Beweise dafür, dass die Fürstin noch zu ihren Lebzeiten Kopien in Auftrag gegeben hätte oder die Verbreitung aktiv angeregt hätte, gibt es nicht. Da die Vita erst wenige Tage nach ihrem Tod vollständig fertig geworden ist, sind solche Anweisungen auch nicht zu erwarten. Aber die Verbreitung des Codex hätte zweifellos im Interesse der Canusinerin gelegen. Trotz der prekären politischen und finanziellen Situation Mathildes entwickelte sich seit den Tagen Anselms von Lucca in ihrem Umkreis ein Hofleben, das fast schon königliches Gepränge zeigte. Unter ihren direkten Zeitgenossen wurden lediglich Heinrich IV. noch mehr Werke gewidmet!
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Die Literaturpflege an Mathildes Hof errang europäische Dimensionen, da sie nicht mehr an ein Hauskloster geknüpft war, sondern an die Personen, die sich mittel- oder längerfristig an ihrem Hof aufhielten. Freilich ließ sich das geistige Niveau nicht permanent auf diesem hohen Level halten, da es zu stark von der zentralen Gestalt Anselms abhing. Aber das kulturelle Leben im Umfeld der Canusinerin kam auch nach seinem Tod nie ganz zum Erliegen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es auch in den umliegenden Klöstern literarisches Leben gab, das sich offenbar ganz unabhängig von Mathilde entwickelte. So stand sie in keinem erkennbaren Kontakt zu Placidus von Nonantola, der in ihren späten Jahren literarisch aktiv wurde. Möglicherweise stellt ein gewisser magister Rubertus grammaticus die Brücke zu Placidus her, da Rubertus sowohl in Kontakt zu Mathilde als auch zum geistig-geistlichen Zentrum Nonantola stand; sicher ist dies aber nicht. Für wenige Jahre wird das Fragment eines Fürstenhofes sichtbar, an dem die literarische Tätigkeit also nicht mehr an ein Hauskloster gebunden war, sondern an die Personen des Hofes. Es ist dies eine Form der Hofhaltung, wie sie in Deutschland frühestens um 1170 mit der Historia Welforum greifbar wird. Die intellektuelle Prägung, die Mathilde während der Jahre nach 1080 erhielt, trugen ihr den durchaus verdienten Ruf ein, eine überaus kunstsinnige und literaturbegeisterte Frau zu sein. Da wundert es nicht, dass sie alle Hebel in Bewegung setzte, um ihren Vorleser und Übersetzer Gerardus zu befreien. Jedoch war Mathilde nicht die einzige Fürstin ihrer Zeit, die eine nachweisbare Vorliebe für Bücher hatte; genannt sei nur die Welfin Judith, die den Welfen nicht nur den Weg zur Kirchenreform, sondern auch zur literarischen Kultur gewiesen hat. Anders als die anderen genannten Literaten und Geistlichen am Hof der Fürstin erlangte Anselm von Lucca ein ganz persönliches Vertrauensverhältnis, das auch die Politik nicht aussparte. Die Vita berichtet, Mathilde sei ihm völlig ergeben gewesen, was sogar zu üblen Gerüchten unter den Anhängern des Gegenpapstes Clemens III. geführt haben soll, die sich über das allzu enge Verhältnis lustig machten. Sie warfen Anselm vor, er umschmeichle die spröde Markgräfin nur um seines eigenen Vorteils und Einflusses willen. Da Mathilde bereits durch ihre Freundschaft zu Gregor VII. ins Gerede gekommen war, dürften sie diese Gerüchte sehr verletzt haben, ohne dass wir freilich Näheres darüber wissen. Sicher hat
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Anselm nie versucht, seinen Einfluss auf die Markgräfin in nutzbare Vorrechte für Kirchen und Klöster umzumünzen, die ihm besonders am Herzen lagen. Nur im April 1085 bezeugt der Bischof von Pistoia, dass er in Anwesenheit Mathildes Anselm 100 Pfund aus einer derzeit unbesetzten Pfründe beim Domkapitel von Pistoia verliehen hat. Ob die Fürstin den Bischof darum gebeten hat, ist unbekannt. Der rigorose Reformer nahm keine Rücksicht auf die Erschöpfung der Markgräfin, die ja auch die Last der militärischen Auseinandersetzung zu tragen hatte. Um Mitternacht erhob er sich, um die Messe zu lesen, an der Mathilde offenbar stets teilzunehmen pflegte. Die innige Gemeinschaft im Glauben setzte sich in einer engen Zusammenarbeit auf weltlichem Gebiet fort. So dürfte Anselm an der Formulierung des offenen Briefes der Markgräfin an die deutschen Fürsten maßgeblich beteiligt gewesen sein. Sicher unterstützte er sie auch bei ihrem Aufruf an Erzbischof Hugo von Lyon, zur Papstneuwahl nach Rom zu kommen. Ob der französische Klerus dieser Bitte nachkam, ist unklar. Allerdings fällt auf, dass sich am Sterbebett Anselms von Lucca neben den Bischöfen Ubald von Mantua und Bonizo von Sutri, Benedikt von Modena und Heribert von Reggio auch der südfranzösische Bischof Gottfried von Maguellonne befand, der möglicherweise auf dem Weg nach Rom war. Anselm von Lucca starb am 18. Mai 1086 in Mantua. Mit ihm verlor Mathilde, die bis zuletzt bei ihm war, nur ein Jahr nach dem Tod Gregors VII. ihren wichtigsten Berater, engsten Vertrauten, intellektuellen Impulsgeber und, nicht zuletzt, ihren Beichtvater. Dass Anselm nur ein Jahr nach seinem Tod durch Papst Viktor III. heilig gesprochen wurde, mag sie zwar getröstet haben, änderte aber nichts an der Tatsache, dass sie in friedloser Zeit wieder einmal ganz auf sich allein gestellt war. Ob Mathilde als treibende Kraft hinter dieser außergewöhnlich raschen Heiligsprechung gestanden hat, ist nicht bekannt; es wäre aber gut vorstellbar. Angeblich bewahrte Mathilde einen wundertätigen Ring Anselms auf, den dieser als Geschenk von Gregor VII. erhalten hatte. Dieser Ring soll zahlreiche Wunder gewirkt haben, vor allem an Gefolgsleuten und Bewohnern Mathildischer Güter. Auch am Grabe Anselms und durch die Anrufung des Heiligen sollen sich Wunder ereignet haben, wobei Heilungen überwiegen. Angesichts der engen Verbindung Mathildes mit Anselm hatten die kursierenden Wundergeschichten einen positiven Einfluss auf
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die Neustabilisierung der canusinischen Machtbereiche. Man konnte ja mit eigenen Augen sehen oder mit eigenen Ohren hören, dass der Heilige, den Mathilde so lange beherbergt hatte, besonders den Menschen in den canusinischen Gebieten gnädig war; ein Grund mehr, Mathilde nach schweren Jahren wiederum das Vertrauen zu schenken. Offenbar war es Anselms Wunsch gewesen, in Mathildes Lieblingskloster Polirone bestattet zu werden, doch das vehemente Einschreiten Bischof Bonizos von Sutri verhinderte den Transport der Leiche, so dass er seine letzte Ruhe im Dom zu Mantua fand. Über den Tod hinaus blieb er also in Mathildes engster Umgebung.
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Zeit zu trauern blieb Mathilde auch nach diesem schweren Verlust nicht, denn noch immer war kein Nachfolger für Gregor VII. gefunden. Briefl ich empfahl Abt Desiderius von Montecassino der Markgräfin Bischof Hermann von Metz als Anwärter auf den Stuhl Petri. Hugo von Flavigny berichtet, auf den Tod erkrankt habe Gregor VII. selbst Anselm von Lucca, den Bischof von Ostia oder den Erzbischof von Lyon als mögliche Nachfolger genannt. Dagegen kann man in der Chronik von Montecassino lesen, Gregor habe drei Tage vor seinem Tod in Gegenwart des Abtes Desiderius von Montecassino eben jenen zu seinem Nachfolger ausersehen. Sollte dieser sich aber weigern, dann möge einer der drei bereits genannten Kandidaten ausgewählt werden. Diese unterschiedlichen Überlieferungen des mutmaßlichen päpstlichen Nachfolgevorschlages zeigen, dass die Reformpartei zerstritten war und sich wohl längere Zeit nicht einigen konnte. Sicher hatte Gregor VII. erkannt, dass eine längere Vakanz Clemens III. helfen würde, sich endgültig als rechtmäßiger Papst zu etablieren. Dies musste verhindert werden, weshalb Gregor aktiv in seine Nachfolgeregelung eingreifen wollte – aber die Zeit für eine wirkliche Wegbereitung blieb ihm nicht mehr. Für Desiderius von Montecassino sprach neben seiner hohen Bildung – so konnte er, unter anderem, selbstverständlich lesen und schreiben – vor allem sein gutes Verhältnis zu den Normannen, welche die dominierende Kraft in Unteritalien darstellten. Zudem hatte er mehrfach vermittelnd im Streit um den richtigen Weg der Kirchenreform eingegriffen, so dass er denkbarerweise auch in den Reihen der heinrizianisch gesinnten Geistlichen auf Fürsprecher hoffen konnte. Am 24. Mai 1086 wurde Desiderius von Montecassino zum Papst gewählt, doch einhelliger Jubel schlug ihm nicht entgegen. Begrüßt wurde
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seine Erhebung vor allem seitens der Normannen, die den Abt von zahlreichen Verhandlungen bereits gut kannten und schätzten. Aber führende Gregorianer lehnten seine Wahl ab, darunter Hugo von Lyon, der Gregor VII. lange Jahre als Legat in Frankreich gedient hatte. Brieflich wandte sich Hugo an Mathilde von Canossa, um ihr darzulegen, warum er die Wahl des Desiderius nicht gutheißen könne. Auch er ging davon aus, dass Mathilde die Papstwahl ganz erheblich beeinflussen könnte. Tatsächlich war sie aber in die Wahlvorbereitungen nur brieflich involviert; angesichts des erheblichen politischen Drucks konnte sie Oberitalien nicht verlassen. Allerdings sollte man ihren Einfluss dennoch nicht unterschätzen, selbst wenn sie den Vorbereitungen nicht persönlich beiwohnen konnte. Desiderius wählte als Papst den Namen Viktor III. und knüpfte damit sichtbar an Viktor II. an, den letzten der sogenannten deutschen Päpste. Wahrscheinlich war dies als Signal für ein mögliches Aufeinanderzugehen gedacht. Der Name sollte eine Brücke ins Reich nördlich der Alpen schlagen. Aber Viktors Situation war verzweifelt: Der Gegenpapst Clemens III. hatte in Rom eine relativ starke Stellung aufbauen können und in Deutschland und Oberitalien zahlreiche verlässliche Anhänger gefunden. Ohne tatkräftige, militärische Unterstützung konnte sich Viktor am Tiber nicht halten, obwohl sich Clemens III. zu dieser Zeit in Ravenna befand. Kurz nach seiner Wahl und noch vor seiner Weihe verließ Viktor III. die Ewige Stadt wieder und kehrte ins Kloster Montecassino zurück. Darauf scheint Clemens III. nur gelauert zu haben, denn unverzüglich zog er nach Rom und brachte sich erneut in den Besitz der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt schien für Mathilde der Moment gekommen, an dem sie einfach nicht mehr länger zögern konnte, wollte sie nicht die Reformidee gregorianischer Prägung vollends am Boden liegen sehen. Nachdem sie ihren oberitalienischen Machtbereich einigermaßen stabilisiert hatte, sammelte sie eilends ein Heer und zog an dessen Spitze selbst nach Süden. Ob die Markgräfin selbst als Heerführerin fungierte, ist intensiv diskutiert worden, bleibt aber eher unwahrscheinlich. Wichtig war, dass sie die Nähe zu ihren Truppen suchte und mit ihnen zog, um so Zusammenhalt zu demonstrieren. Die eigentliche militärische Leitung hat sie zumindest in ihren späteren Jahren Fachleuten, allen voran Arduin von Palude, überlassen, denen sie volles Vertrauen schenkte. Ein kurz zuvor empfangener Brief Erzbischof Hugos von Lyon, worin sich dieser in bissigen Worten
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darüber mokiert, in welch unwürdiger Weise Viktor III. auf der Synode von Capua am 21. März 1087 trotz seines vorherigen Verzichts auf die Papstwürde seine Wiederwahl betrieben habe, fand bei ihr kein Gehör. Sie stand auch weiterhin zu Viktor III. Anfang Juni 1087 ist Mathilde in Rom; dort gelingt es ihr, sich im Vatikan festzusetzen. Von hier schickt sie Boten nach Montecassino und fordert Viktor III. unmissverständlich auf, in die Ewige Stadt zurückzukehren, die sie bis zu seiner Ankunft und wohl darüber hinaus zu halten hoffte. Obwohl der Papst bereits von schwerer Krankheit gezeichnet war, reiste er zu Schiff nach Ostia und wurde vom Hafen aus von Mathilde sicher in die Stadt geleitet, während sein Widersacher, Clemens III., Zuflucht in der Kirche Sancta Maria ad Martyres, also im Pantheon, suchen musste. Aber Mathilde hatte sich in ihrer Hoffnung getäuscht, die Ewige Stadt lange behaupten zu können: Ihre zahlenmäßig unterlegenen Truppen vermochten dem Druck auf Dauer nicht standzuhalten. Nur wenige Tage nach der feierlichen Inthronisation Viktors III. am 9. Juni 1087 musste sich die Fürstin aus Rom zurückziehen, und Viktor sah sich genötigt, nach Trastevere auszuweichen. Zwar konnte er am 30. Juni in die Peterskirche zurückkehren, doch seine Gesundheit war wohl auch durch die Glut des Hochsommers so stark geschwächt, dass er Mitte Juli Rom verließ, um sich nach Montecassino zu begeben. Er hoffte wohl, im kühleren Klima Genesung zu finden. Mathilde dürfte Rom damals bereits nordwärts verlassen haben. Viel Zeit blieb Viktor III. nicht mehr. Zwar konnte er noch im August auf der Synode von Benevent Clemens III. mit dem Kirchenbann belegen und einen Teil seiner Gegner exkommunizieren, doch schon am 16. September 1087 starb er in Montecassino. Obwohl Gerüchte aufkamen, der rasche Tod des Papstes könnte ein Zeichen Gottes sein, ließ sich Mathilde von dem Gerede nicht anstecken oder irritieren. Die Situation der Reformgruppe war nun günstiger als beim Tod Gregors VII., da sich das Kardinalskollegium inzwischen neu konstituiert hatte. In Terracina traten also Kardinäle zusammen, um einen neuen Papst zu wählen, der die Ideale Gregors VII. verfechten sollte. Von den drei Kandidaten, die Gregor VII. sterbend selbst genannt hatte, kam nur noch einer in Frage, denn Anselm von Lucca war tot und Hugo von Lyon durch Viktor III. exkommuniziert. Es blieb nur Odo von Châtillon, Bischof von Ostia. Obwohl man letztlich keine Alternative hatte,
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schritten die Kardinäle nicht eher zur Wahl, als mittels Boten der Rat Mathildes eingeholt worden war; persönlich ist sie nicht nach Terracina gereist. Noch immer war die Canusinerin der wichtigste Rückhalt des Reformpapsttums in Ober- und Mittelitalien; ohne ihre Unterstützung und ihren militärischen Schutz konnten sich die Nachfolger Petri nicht im Entferntesten gegen ihre Kontrahenten behaupten! Am 12. März 1088 wurde Odo in Terracina gewählt und nahm den Namen Urban II. an. Er lag in Fragen der Kirchenreform ganz auf der Linie Gregors VII., aber er war diplomatischer und geschmeidiger – ohne deshalb gleich rückgratlos oder nach Belieben instrumentalisierbar gewesen zu sein. Zunächst blieb ihm Rom verschlossen, aber in Süditalien und in Oberitalien konnte er durchaus neue Anhänger werben. Doch Urban wusste, dass ohne eine langfristige Lösung der bestehenden Differenzen der Reformgedanke Schaden nehmen würde. Eine wichtige Figur in seinen politischen Planspielen war vom ersten Moment an Mathilde, deren Treue er sicher sein konnte und die er ganz für den Kampf gegen Heinrich IV. instrumentalisierte, auch auf Kosten ihrer Reputation. Es war allgemein bekannt, dass Mathilde zu dem Herzogsgeschlecht der Welfen gute Beziehungen unterhielt, und so knüpfte auch Urban II. rasch nach seiner Erhebung Kontakte zu Welf IV., einem der wichtigsten Oppositionsführer gegen Heinrich IV. Gleichzeitig setzte ein Briefwechsel ein, der einen handfesten Skandal zum Inhalt hatte: Mathilde, die zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt gewesen sein dürfte, sollte den Sohn Welfs IV., Welf V., heiraten. An einer solchen Fürstenhochzeit hätte kaum jemand Anstoß nehmen können, wenn der in Aussicht genommene Bräutigam nicht zwischen 15 und 17 Jahren alt gewesen wäre und daher unschwer Mathildes Sohn hätte sein können. Obwohl die Zeitgenossen über das ungleiche Paar spotteten, böse Witze über das mutmaßlich unerfüllte Liebesleben der beiden machten und sich an dem Skandal weideten, brachte die Verbindung für die Anhänger Urbans II. zunächst nur Vorteile. Ein neuer Angriff Heinrichs IV. stand unmittelbar bevor, und Mathilde musste sich bemühen, Bundesgenossen für die anstehenden Kämpfe zu gewinnen. Auch wenn manche meinten, Mathilde habe sich aus dieser neuen Ehe doch noch Kinder erhofft, die den biologischen Fortbestand der Canusiner gewährleisten würden, hätte sie sich die Eheschließung wohl doch gerne erspart. Ein gut informierter Zeitgenosse berichtet, Mathilde habe
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nur aus Gehorsam gegenüber dem Papst Welf V. geehelicht. Angesichts der Katastrophe ihrer ersten Ehe ist die Nachricht Bernolds, die Ehe sei auf Geheiß Urbans II. geschlossen worden, durchaus glaubwürdig. Sicher hatten Mathilde und Urban II. gehofft, Welf V. würde mit einem stattlichen Heer zu seiner Braut reisen, doch diese Erwartung wurde enttäuscht. Die Rosenfelder Annalen berichten sogar, er sei als Pilger verkleidet über die Alpen gekommen. Da in der Folgezeit keine schwäbischen Namen in den Urkunden Mathildes erscheinen, dürfte Welf V. wohl tatsächlich fast allein nach Süden gekommen sein. Allerdings entwickelte er sich rasch zu einem nicht ungeschickten Feldherrn, der von den Truppen Mathildes offenbar ohne erkennbare Probleme akzeptiert wurde. Haben Mathilde und Welf V. tatsächlich nur eine Scheinehe geführt, die der angeblichen Eheunlust der Fürstin entsprach? Gemeinhin wird als Beweis, dass Mathilde nie wieder heiraten wollte, ihre Ablehnung eines Heiratsantrages von Robert, dem Sohn Wilhelms des Eroberers gewertet. Allerdings hatte Robert einer gleichnamigen und gleichzeitig lebenden Gräfin Mathilde von Monferrato die Ehe angetragen und nicht der Canusinerin; es gab also auch nichts abzulehnen. Dass die Fürstin besonders starke sexuelle Begierden getrieben hätten, schließt der Chronist Bernold eigens aus, was wohl belegen dürfte, dass entsprechende Gerüchte über die lüsterne, alternde Fürstin und ihre jugendliche Beute im Umlauf waren. Hoffte sie auf eigenen Nachwuchs? War das mit 43 Jahren überhaupt möglich? Die Spätschwangerschaft Konstanzes von Sizilien, der Mutter Friedrichs II., beweist, dass dies in der Tat möglich war – und es wäre ja nicht Mathildes erstes Kind gewesen. Aber die Chancen standen natürlich schlecht, zumal Welf V. nicht das geringste sexuelle Interesse an seiner Frau gehabt zu haben scheint. Peinlicherweise bezeugt er selbst, dass er sie nie berührt habe. Cosmas von Prag, der in geringem zeitlichen Abstand schreibt, schmückt dieses Bekenntnis des Gatten aus und beschreibt, wie Mathilde alles daran gesetzt habe, ihren Mann nackt und in eindeutiger Pose zu verführen. Als selbst das nichts fruchtete, soll sie ihn nicht nur aus ihrem Schlafzimmer, sondern aus ihrem Leben geworfen haben. Doch bis dahin vergingen Jahre! Jahre, in denen die Canusinerin sich bemühte, ihre Ehe so normal wie möglich erscheinen zu lassen, obwohl sie darauf verzichtete, die Rechtszugehörigkeit ihres Gemahls zu übernehmen, was eigentlich unumgänglich war. Sie band
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Welf aber in die Tagesgeschäfte ein, die anfänglich freilich von einem einzigen Thema beherrscht wurden: Heinrich IV. Bedauerlicherweise hatte Welf V. nicht nur keine Truppen, sondern auch kein Geld mit in die Ehe gebracht, denn am 14. November 1088 musste sich Mathilde beim Bischof von Mantua 300 Pfund Mailänder Silberdenare leihen. Obwohl das Bistum Mantua reichlich von der Freigiebigkeit der Canusiner profitiert hatte, musste Mathilde in diesem Fall Sicherheiten stellen: ein untrügliches Zeichen dafür, dass man am Mincio nur noch wenig Solidarität mit der Markgräfin verspürte und ihre Macht ein für alle Mal abschütteln wollte. Um den Kredit zu erhalten, verkaufte Mathilde ihren Hof Barbasso, wobei in einer gesonderten Urkunde festgelegt wurde, dass sie ihr Gut binnen zehn Jahren würde zurückerwerben können – sofern sie in der Lage wäre, die Kaufsumme zurückzuerstatten. Um ihre Position zu festigen, ließ Mathilde Ende 1089 / Anfang 1090 Welf IV. durch Bischof Ubald von Mantua mit den Kirchenlehen investieren, die zuvor Markgraf Bonifaz innegehabt hatte. Wie angreifbar die Stellung Mathildes durch den herandrängenden Kaiser bereits geworden war, zeigt diese Urkunde deutlich. Bislang hatte sie die Lehen ihres Vaters wie selbstverständlich inne. Nun musste sie ihren Gemahl belehnen lassen und sogar den ausdrücklich mitbeurkundeten Vermerk hinnehmen, dass diese Verfügung natürlich nur für solche Lehen gelte, die Bonifaz auch rechtmäßig innegehabt hatte; keinesfalls jedoch für jene, die er sich gewaltsam angeeignet habe. Seit dem Tod des Bonifaz waren fast vierzig Jahre ins Land gegangen, ohne dass jemals eine solche Unterscheidung getroffen worden wäre; nun plötzlich fühlte sich der Bischof stark genug, um die Macht der Canusiner zu beschneiden. Auch die Stadt selbst witterte Morgenluft und die Bürger setzten Mathilde unter Druck. Am 27. Juni 1090 musste sie gemeinsam mit Welf V. den Bürgern der Stadt sowie der Vorstadt von Mantua die Befreiung von allen ungerechten Bedrückungen garantieren und ihnen ihre Rechte in mehreren Orten bestätigen. Aber auch dieses Entgegenkommen reichte nicht aus, um die canusinische Position in der Stadt am Mincio dauerhaft zu festigen. Bald nach der Abfassung der Urkunde sah sich Mathilde gezwungen, gemeinsam mit ihrem Gemahl Mantua zu verlassen. Enttäuscht zog sie sich auf ihre Burgen im Apennin zurück, um den Kampf gegen den heranrücken-
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den Kaiser vorzubereiten. Trotz der Rückschläge, die sie in Mantua hatte hinnehmen müssen, strich sie den Platz nicht aus ihrem Herrschaftskonzept, sondern versuchte trotz eigener Probleme, das von salischen Truppen hart bedrängte Mantua mit Lebensmitteln zu versorgen – alles vergeblich. Nur ein Jahr später – 1091– öffnet Mantua Heinrich IV. die Stadttore; jeglicher Widerstand Mathildes und Welfs war zwecklos. Der Verlust gerade dieser Stadt, in der ihr Vater Bonifaz eines seiner wichtigsten Herrschaftszentren gehabt hatte, traf Mathilde schwer; so schwer, dass sie sich genötigt sah, im Sommer 1091 Verhandlungen mit dem Kaiser aufzunehmen. Die Rückschläge in Oberitalien waren so schmerzlich, dass ihr keine andere Wahl blieb. Ihr Schwiegervater, Herzog Welf IV., schaltete sich als Fürsprecher und Vermittler ein. Alles sah schon nach einer Lösung aus, als Heinrich IV. die Anerkennung seines Papstes, Clemens’ III., als Preis für den Frieden forderte. Das jedoch war für Mathilde inakzeptabel. Sie hatte nicht zehn Jahre lang alles aufs Spiel gesetzt und mit jeder nur denkbaren Ressource gekämpft, um nun doch Clemens III. anzuerkennen und damit das gregorianische Reformpapsttum zu verraten. Also mussten die Verhandlungen scheitern. Mathilde zog sich in den Schutz ihrer verbliebenen Burgen zurück und konnte bloß tatenlos mit ansehen, wie der Kaiser ausgerechnet Governolo eroberte, wo sich die Markgräfin bis dato doch so gern aufgehalten hatte. Hektisch versuchte Mathilde, das Ruder herumzureißen. Wie wäre es, wenn man sich in einem Handstreich des Saliers bemächtigen könnte? Mathilde erhält Informationen, Heinrich kampiere mit nur geringen Truppen scheinbar sorglos am Ufer der Etsch; das ist die Gelegenheit! Sie schickt ein Überfallkommando, aber Heinrich IV. wird in letzter Sekunde gewarnt und entkommt. Donizo berichtet, die Entführung des Kaisers sei gescheitert, weil ein gewisser Ugo del Manso den Plan verraten habe. Dieser Ugo ist aber kein geringerer als Graf Hugo von Maine, ein Halbbruder Welfs IV., der sich kurzfristig zum Verkauf von Lehnsrechten am Po aufgehalten und dabei seinen Neffen Welf V. getroffen hatte. Aber die Spannungen innerhalb der Estensischen Familie waren so stark, dass es ihm gewinnbringender erschien, den Kaiser zu warnen und auf dessen Großzügigkeit zu spekulieren, als seinem Neffen im Kampf beizustehen. Der alarmierte Salier brachte daraufhin den von Welf V. geführten Truppen Mathildes bei Trecontai im Padovano eine herbe Niederlage bei.
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Hort der Sicherheit: Mathildes verstreute Ländereien dienten ihr in den Auseinandersetzungen mit Heinrich IV. vielfach als Rückzugs- und Fluchtstätte. Hier eine ungefähre Darstellung des Mathildischen Besitzes.
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Nur mit größter Mühe gelang es Mathilde und Welf, die politische Lage zu stabilisieren. Die Eroberung des belagerten Monteveglio durch die Anhänger Heinrichs konnte zwar ebenso verhindert werden wie ein Handstreich auf Canossa, aber Mathilde musste aus ihrer Stammburg in die Feste Bianello fliehen. Der Ansehensverlust war hoch; das Vertrauen der Getreuen in die Markgräfi n schwand dramatisch. Geschickt trieb Heinrich IV. durch Friedensangebote an einzelne Familien Keile in die bröckelnde Phalanx seiner Gegner. In Carpineti sammelte Mathilde am Ende des Sommers 1092 ihre letzten Getreuen, doch die Lage schien aussichtslos: Fast alle raten ihr dringend zum Frieden. Selbst Bischof Heribert von Reggio, der bislang immer auf der Seite der Fürstin gestanden hat, bietet sich als Friedensvermittler an. Nur einer spricht dagegen. Johannes, der als Einsiedler in Marola lebt, macht sich mit bewegenden und – im Nachhinein – prophetischen Worten für die Fortsetzung des den meisten sinnlos erscheinenden Kampfes stark. Mathilde klammert sich an diesen Strohhalm der Hoffnung und beschwört die Anwesenden, ihr weiterhin beizustehen und im Ringen mit Heinrich IV. nicht nachzulassen. Das Unmögliche gelingt: Die Getreuen stehen auch weiterhin zur Markgräfin. Aber sie hat wohl Zugeständnisse machen müssen, die sich in naher Zukunft zeigen und die ihre Machtposition langfristig schwächen werden. Plötzlich wendet sich das Kriegsglück, und der Kaiser erleidet mehrere spektakuläre Rückschläge. Angeblich kam es bei Madonna della Battaglia, einer Marienwallfahrtskirche zwischen Bianello und Canossa zu einer Schlacht, in der die Truppen Heinrichs IV. herbe Verluste erlitten. Allerdings ist Donizo der einzige Geschichtsschreiber, der dieses militärische Zusammentreffen überhaupt erwähnt, weshalb eine gewisse quellenkritische Vorsicht geboten ist. Möglicherweise hat er das zähe Ringen der canusinischen Truppen in seiner Phantasie zu einer einzigen Schlacht stilisiert. Tatsächlich kann Mathilde binnen kurzer Zeit vor allem mit Welfs V. Hilfe verlorene Plätze zurückerobern; bei der Belagerung von Monteveglio soll dann sogar ein illegitimer Sohn des Saliers gefallen sein. So schmerzlich dies gewesen sein mag, ein anderes Ereignis traf Heinrich IV. weit schwerer. Konrad, sein älterer Sohn und präsumptiver Nachfolger empörte sich 1093 scheinbar aus heiterem Himmel gegen den Vater und fiel von ihm ab.
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Ob Konrad in Italien ein ganz vom Reich seines Vaters losgelöstes, eigenständiges Königreich aufrichten wollte, ist unklar, ebenso der konkrete Auslöser seines Abfalls. Private Probleme mit dem Kaiser waren wohl ein Grund; möglicherweise fühlte er sich zudem durch seinen jüngeren Bruder, Heinrich V., in seiner Thronfolgerposition bedrängt. Die offen zutage tretende militärische Schwäche des Kaisers, die durch die mächtige Opposition der süddeutschen Herzöge noch verstärkt wurde, ließ die Gelegenheit günstig erscheinen. Dass die Einflüsterungen Mathildes, Konrad solle die Macht an sich reißen und den Vater am besten töten, für seinen Bruch mit Heinrich IV. verantwortlich waren, wie kaisernahe Quellen glauben machen wollen, ist mehr als unwahrscheinlich, da es – nach allem, was wir wissen – vor Konrads Auflehnung keinen engeren Kontakt zwischen Mathilde und ihm gegeben hat; zudem trachtete Konrad seinem Vater niemals ernsthaft nach dem Leben. Möglicherweise sah Konrad in seiner Empörung die einzige Möglichkeit, mit Hilfe des Reformpapsttums die Dynastie der Salier zu retten. Dies würde freilich bedeuten, dass er nicht nur ein eigenes Königreich aufrichten, sondern nach der Kaiserkrone greifen wollte. Bald nach seinem Aufruhr geriet Konrad in die Gefangenschaft seines Vaters, aus der er aber dank Mathildes und Welfs Hilfe entkommen konnte. Bald nach seiner Befreiung, sicher aber vor dem 4. Dezember 1093, dem Todestag Erzbischof Anselms von Mailand, wurde er von diesem in der Basilika Sant’Ambrogio zu Mailand gekrönt. Konrad baute rasch gute Kontakte zu Mathildes Schwiegervater auf, und das Netz der Oppositionellen zog sich immer enger um Heinrich IV., der in Oberitalien, im Raum Verona ausharrte. Die Gegner des Kaisers südlich und nördlich der Alpen verfügten nun neben Mathilde und Welf noch über einen weiteren, einen salischen Pfeiler ihrer Allianz. Die veränderte politische Situation brachte Heinrich IV. so sehr in Bedrängnis, dass er sich lange Zeit in einem eng begrenzten Gebiet zwischen dem Gardasee und Verona aufhalten musste, ohne jegliches königliche Gepränge. Es war, als hätte man ihn mancherorts schon vergessen. Er soll so verzweifelt gewesen sein, dass er – nach Aussage des Chronisten Bernold – sogar an Selbstmord dachte. Aber es sollte noch schlimmer für den Kaiser kommen. 1094 sagte sich seine zweite Gemahlin, Praxedis, von ihm los und setzte wilde Ge-
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rüchte über Heinrich IV. in die Welt: Er habe ein absolut zügelloses Leben geführt und selbst vor Vergewaltigungen in der eigenen Familie nicht zurückgeschreckt. Sogar seinen eigenen Sohn Konrad habe er ermutigt, sich an Praxedis zu vergehen. Wahr oder nicht, der Imageschaden für den Kaiser war unermesslich. Allein die Tatsache, dass man so über einen lebenden Herrscher sprechen und schreiben konnte, zeigt, wie tief sein Ansehen gesunken war. Heinrich ließ – angeblich brennend vor Eifersucht – seine Gemahlin in Verona festsetzen, doch konnte sie sich mit Hilfe Mathildes befreien. Die Markgräfin bot ihr sichere Zuflucht. Zum völligen Eklat kam es Anfang März 1095, als Urban II. im Schutz Mathildes in Piacenza eine Synode abhielt, auf der auch Praxedis auftrat. Ihren Anklagen bot sich bei dieser Gelegenheit die öffentlichste Bühne, die nur denkbar war. Peinlich genau schilderte sie die angeblichen Perversionen des Saliers, seine moralische Verworfenheit und das Unglück ihrer Ehe. Selbst Donizo, der dem Kaiser bestimmt nicht positiv gegenüberstand, erkannte, dass die Vorwürfe das Ansehen des Herrschers vernichten und diesen im Mark treffen sollten. Zu welchen Anteilen sich in den Vorwürfen der Praxedis Wahrheit und Lüge vermischten, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Auch wissen wir nicht, wie Mathilde zu ihrem seltsamen Gast stand. Ihre Abneigung gegenüber Heinrich IV. dürfte nach den langen Kriegsjahren und den schweren Verlusten immens gewesen sein – aber durfte man so über einen Mächtigen reden? Noch vor kurzem hatte sie selbst unter dem beißenden Spott über ihre Ehe gelitten, nun wohnte sie der Demontage eines Mannes bei, der in besseren Zeiten den Ehrentitel christus Domini (Gesalbter des Herrn) geführt hatte. Nach der Synode verschwand Praxedis von der politischen Bühne; letztlich kehrte sie in ihre russische Heimat zurück. Mathilde hatte nach der Synode offenbar keinen Kontakt mehr zu ihr. Nach Abschluss der Synode traf Papst Urban II. am 10. April 1095 in Cremona erstmals mit Konrad zusammen, wobei der Kaisersohn dem Papst den Stratordienst leistete. Durch diese Zeremonie, bei welcher Konrad dem Bischof von Rom in den Sattel half und sein Pferd ein Stück weit am Zügel führte, wurde für jedermann deutlich, dass Konrad Urban als rechtmäßigen Papst anerkannte – und nicht Clemens III., den Papst seines Vaters. Zusätzlich leistete Konrad Sicherheitseide und wurde dafür von Urban II. als „Sohn der Römischen Kirche“ tituliert.
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Mathilde wohnte dem Treffen in Cremona nicht bei; sie kümmerte sich weiterhin um die Rückgewinnung verlorener Gebiete. Doch auch für sie nahten Veränderungen. Im Frühjahr 1095 zerbrach ihre Ehe mit Welf V. endgültig. Offenbar zweifelten die Welfen immer stärker daran, dereinst das Mathildische Erbe antreten zu können. Hatte Welf V. erfahren, dass Mathilde ihren gesamten Besitz der Römischen Kirche vermacht hatte, also von vornherein nichts zu holen gewesen war? Sollte man den Welfen die Schenkung vor der Ehe geheim gehalten haben, so waren sie tatsächlich betrogen worden. Allerdings gibt es keine zeitgenössischen Quellen, die diese These vertreten; selbst die welfische Geschichtsschreibung nennt keine Gründe für die Trennung. Die zunehmende Entfremdung zwischen Mathilde und Welf war zu Beginn des Jahres 1095 wohl nicht mehr zu verschleiern gewesen und Welf IV. versuchte, zwischen dem Paar zu vermitteln, wollte er doch die politische Allianz, für welche die beiden standen, nicht gefährden. Aber er hatte keinen Erfolg. Gegen den Willen des Vaters verließ Welf V. Oberitalien, ohne dass die Ehe jedoch rechtskräftig geschieden oder für ungültig erklärt worden wäre. Für die welfische Hausgeschichtsschreibung galten die beiden weiterhin als verheiratet. Nach Mathildes Tod galt für die Historia Welforum Welf V., beziehungsweise nach 1120 dessen Bruder Heinrich der Schwarze, als nächster Erbe der letzten Canusinerin. Auch Mathilde drängte offenbar nicht auf eine Annulierung der angeblich nie vollzogenen Ehe, erinnerte aber in nichts daran, dass ihr Gemahl noch lebte; er spielt nach dem Frühjahr 1095 in ihrem Leben keinerlei Rolle mehr. Allerdings veränderte die Trennung des Paares nahezu augenblicklich die politische Gesamtlage. Herzog Welf IV. begann Verhandlungen mit dem noch immer bei Verona gleichsam gefangenen Kaiser, in deren Folge der Salier 1097 nach Deutschland zurückkehren konnte. Er hat nie wieder italienischen Boden betreten. Damit konnte sich Mathilde endgültig daran machen, ihren Machtbereich zurückzugewinnen und neu zu strukturieren. Ein schwieriges Unterfangen erwartete sie.
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athilde wusste, dass die Rückkehr in ihre alten Machtpositionen schwer werden dürfte. Die ehemaligen Vasallen und Getreuen hatten sich emanzipiert und waren ohne Zugeständnisse nicht bereit, sich erneut unter das Joch der Canusinerin zu beugen. Hinzu kam, dass sie nach Ausweis ihrer Urkunden fast zwanzig Jahre lang nicht mehr in der Toskana war. Hier musste sie die Herrschaft von Grund auf neu errichten und konnte sich nur noch bedingt auf die großen toskanischen Adelsfamilien verlassen, die zuvor an der Seite der Canusiner gestanden hatten. Mathilde ergriff gleich ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um sich innerhalb der canusinischen Machtbereiche neu zu positionieren. Schon ihre Mutter Beatrix hatte in schweren Zeiten die Dei-gratia-Formel in ihrer Titelführung verwendet, um deutlich zu machen, dass ihre Herrschaft nicht nur legitim nach säkularen Gesichtspunkten, sondern von Gottes Gnaden und daher nicht zu schelten sei. Mathilde nannte sich konsequent: Matilda, Dei gratia, si quid est – Mathilde, von Gottes Gnaden, was immer sie ist. Lange hat die Forschung diesen Titel als Ausdruck tiefer Unsicherheit gedeutet, doch dürfte genau das Gegenteil der Fall sein. Da sie gleichzeitig die Titel comitissa, marchionissa und ducatrix führte, wird der Hinweis auf die göttliche Beauftragung zum selbstbewussten Manifest, demütig allein gegenüber Gott. Aber Mathilde weiß, dass der Titel allein die Zeitgenossen wohl nicht beeindruckt, daher schart sie, wie schon ihre Mutter, einen beeindruckenden Stab von Beratern um sich, die ihr vor allem in Sachen Rechtsprechung beistehen; weiter oben ist bereits auf die starke jurisdiktionelle Tradition der Canusiner eingegangen worden. Besonderes Augenmerk unter den für Mathilde tätigen Rechtskundigen verdienen die legis doctores, handelt es sich bei ihnen doch um Vertreter einer
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speziell ausgebildeten, besonders gelehrten Juristen-Elite, deren Wissen sich auf dem neuesten Stand befand und die Mathilde in Kontakt mit dem römischen Recht brachten, das zu jener Zeit gerade neu entdeckt wurde. Zwar hat die Markgräfin sicher nicht bei der Gründung der Universität Bologna mitgewirkt, aber ihr gebührt das Verdienst, diese Gelehrten gefördert und an ihren Hof gezogen zu haben, womit sie aktiv an der Erforschung des römischen Rechts und der Verbreitung des Wissens darum beteiligt gewesen ist. Burchard von Ursberg berichtet, Mathilde habe den berühmten Rechtsgelehrten Irnerius mit der Herstellung eines authentischen Textes der römischen Rechtsquellen beauftragt, was sich jedoch bestimmt nicht auf die libri legales und mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht auf die Vulgatfassung der Digesten beziehen kann. Ihre Gerichtsurkunden waren zukunftsweisend. Niemals findet sich bei Mathilde eine archaische Fluchformel, und sie drohte auch nicht mit Strafen im Jenseits, sondern legte stets eine Geldbuße oder eine anderweitige Entschädigung der Opfer fest. Nachdruck verlieh sie ihren Rechtsurkunden, indem sie selbst mit diesseitiger Strafverfolgung und ihrem höchst eigenem Übelwollen drohte. Dabei war die Förderung der Jurisprudenz keineswegs ein gelehrter Selbstzweck, sondern diente Mathilde immer zur Effektivierung ihres Herrschaftshandelns. Hilfesuchende konnten sich sicher sein, bei Mathilde moderne Rechtsprechung und effektive Strafverfolgung zu finden. Dreißig Gerichtsurkunden haben sich für die Toskana erhalten: Mathildes beeindruckende Antwort auf ihre enormen Probleme, südlich des Apennin nach ihrer Ächtung von 1081 wieder Fuß zu fassen. In einer Intensität, wie sie zuvor bei keinem Canusiner beobachtet werden konnte, betont Mathilde nach 1090 die Konsensualität ihrer Herrschaft. Mehrfach sind Zusammenkünfte bezeugt, in denen Mathilde gemeinsam mit den Eliten die politische Entwicklung, vor allem aber tagesaktuelle Entscheidungen diskutiert. Es wäre jedoch ein Fehler, Mathildes starke Einbindung ihrer Gefolgsleute in die herrschaftliche Willensbildung für gänzlich freiwillig zu halten. Vielmehr war es ihr offenbar nach den tiefen Krisen des vergangenen Jahrzehnts nicht mehr möglich, im Alleingang die politische Marschrichtung vorzugeben. Ihre unbestreitbaren Führungsqualitäten allein, die sie noch 1092 in Carpineti so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, genügten einfach nicht mehr; die Zeiten hatten sich definitiv geändert. Ebenso wie der Herrscher mussten sich auch die nichtköniglichen
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Führungseliten an den Gedanken gewöhnen, die Macht zu teilen und den Konsens ihrer Getreuen nicht nur einzuholen, sondern ihn gegebenenfalls durch Zugeständnisse erst zu ermöglichen. Zudem waren konsensual gefundene Lösungswege weit verbindlicher als bloße Ratschläge; sie mussten eingehalten und umgesetzt werden. Mathildes Treffen mit geistlichen und weltlichen Großen fanden sowohl in der Toskana als auch in der Emilia statt; sie waren also selbst in den Stammlanden der Canusiner unumgänglich geworden. Nicht nur auf die Getreuen musste die Fürstin nun zugehen, deren Wünsche und Vorstellungen berücksichtigen; sie musste, so schwer es ihr gefallen sein dürfte, auch ihre eigenen Gefolgsleute in die Schranken weisen, um die wirtschaftlich und politisch immer wichtiger werdenden Städte nicht ganz zu verlieren. Hatte sie schon 1090 gemeinsam mit Welf V. erhebliche und schmerzliche Zugeständnisse an die Stadt Mantua gemacht, rollte ab 1100 eine ganze Welle von Klagen auf sie zu. Immer wieder beschwerten sich Kirchen und Klöster und verlangten nachdrücklich, vor den Eigenleuten Mathildes wirksam in Schutz genommen zu werden, hatten die Übergriffe doch offenbar ein nicht mehr zu tolerierendes Maß erreicht. Jede Klage und jedes Einlenken der Markgräfi n stellte einen empfindlichen politischen Rückschlag dar. Vor allem die Beherbergungspflichten, unter denen die geistlichen Institutionen offenbar besonders stark litten, wurden nun eingeschränkt. Der reisende Hof war natürlich eine enorme Belastung, denn Mathilde kam niemals allein. Immer befanden sich Berater, Geistliche und bewaffnete Truppen in ihrer Umgebung. Deren Zahl ist kaum abschätzbar, aber weniger als dreißig Bewaffnete dürfte Mathilde auch in Friedenszeiten kaum bei sich gehabt haben. (Zweifellos befanden sich auch Frauen – im Sinne späterer Hofdamen – in ihrem Gefolge, doch schweigen die Quellen hierüber vollständig.) Sie alle kamen zu Pferde, so dass auch die Tiere versorgt werden mussten. Dass Mathilde zu Wagen gereist wäre, ist nicht bezeugt. Gerade in ihren späten Jahren, als sie durch Krankheiten geschwächt war, sind Wagenreisen jedoch nicht unwahrscheinlich. Allerdings waren die Wagen sehr langsam und im eher unwegsamen Gelände des Apennin auch nur wenig bequem, weshalb die Markgräfin wohl nur im Notfall auf die holprigen Gefährte zurückgegriffen haben dürfte. Zudem konnte man der Markgräfin nicht einfach Irgendetwas vorsetzen; mehrere Fleisch- und Fischgänge dürften normal gewesen sein. Da konnte ein Kloster oder auch
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eine Bischofskirche nur hoffen, dass der Tross rasch weiterzog und nicht am Ort aufgehalten wurde: Der Besuch der Markgräfin war eine Ehre und eine Strafe zugleich. Ob sie ihren Besuch jedoch – wie später Kaiser Friedrich I. Barbarossa – gezielt als Strafmaßnahme eingesetzt hat, ist nicht bekannt; Beweise dafür gibt es keine. Aber die Klagen richteten sich nicht nur gegen die Besuche der Fürstin selbst. Kostenintensiv und vielfach mit Ärger aller Art verbunden waren auch die Aufenthalte der Boten und Mandatsträger der Canusinerin. Auch sie traten mit Ansprüchen auf und durften nicht brüskiert werden, wollte man eine Verstimmung der Fürstin vermeiden. Außerdem hatten sich gewaltsame Aneignungen von Kirchengütern durch Gefolgsleute Mathildes offenbar gehäuft. Vielleicht konnte sie ihre Getreuen nicht mehr so großzügig und pünktlich entlohnen, wie dies in den Zeiten vor dem langen Ringen mit Heinrich IV. der Fall gewesen war, und so nahmen sich ihre Gefolgsleute von denen, die sich am wenigsten wehren konnten, das, was ihnen vermeintlich zustand. Bedenklich, ja sogar in hohem Maße besorgniserregend war, dass immer häufiger Bischöfe an Mathilde herantraten, um sie im Namen von Geschädigten um die Abstellung von Missständen zu bitten. Eigentlich wollte ja die Fürstin selbst die wichtigste Garantin des Rechts innerhalb ihrer Machtbereiche sein. Dass die Bischöfe schrittweise in diese Rolle hineinwuchsen und dadurch ihre Stellung innerhalb ihrer Bischofsstädte und deren Umlanden ausbauten, muss Mathilde beunruhigt haben, konnte aber nicht verhindert werden. Unaufhaltsam schlossen sich die Tore der wichtigen urbanen Zentren. Nur manchmal gelang es, dank einem Glücksfall, diesem Prozess Einhalt zu gebieten. So in Lucca. Dort hatte Alluccione de Luca die Tochter des Luccheser Königsrichters Flaipert geheiratet. Flaipert war schon zu Lebzeiten von Mathildes Mutter einer der wichtigsten Berater der canusinischen Fürstinnen gewesen, und die Verbindung scheint niemals ganz abgerissen zu sein. Alluccione dagegen war Vasall der Grafen Guidi, jener toskanischen Grafenfamilie, mit der Mathilde am engsten zusammenarbeitete. Die Ehe Allucciones eröffnete der Fürstin wenigstens rudimentäre Einflussmöglichkeiten in Lucca, das ihr seit 1081 völlig versperrt gewesen war. Immer wichtiger wurde es für alle Mächtigen, auch optisch präsent zu sein und durch Repräsentation ihren Rang zu manifestieren. Die pracht-
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volle Feier des Osterfestes 1074 in Pisa war eine weithin beachtete Demonstration des Herrschaftswillens der Markgräfin Beatrix und ihrer Tochter Mathilde. Man darf davon ausgehen, dass die Fürstin auch später versuchte, hohe Kirchenfeste an besonderen Punkten ihres Machtbereiches zu feiern, auch wenn die Quellen nichts mehr darüber berichten. Um auch bei Absenz präsent zu sein, führte Mathilde – wie bereits erwähnt – zwei Siegel, wovon das eine ihre weibliche Erscheinung nachdrücklich unterstreicht. Bedauerlicherweise kann man aus dieser Darstellung nicht auf Mathildes Aussehen schließen. Eine Untersuchung ihrer Gebeine hat ergeben, dass sie erstaunlich groß und vermutlich blond oder rötlich-blond war und besonders volles, schönes Haar besaß. Zudem verfügte sie bis zum Tode über sehr schöne, breite, ebenmäßige Zähne und ein erstaunlich vollständiges Gebiss: für mittelalterliche Verhältnisse eine Seltenheit. In der neueren Forschung kursierende Gerüchte, sie habe blaue Augen gehabt, lassen sich nicht verifizieren. Aber allein durch die hellen Haare und ihre außergewöhnliche Stellung in der Gesellschaft Oberitaliens war Mathilde eine exotische Erscheinung. Ihr zweites Siegel ist eine antike Gemme, das zwei Köpfe zeigt, die sich einander zuwenden. Dabei handelt es sich mit Sicherheit nicht um eine Darstellung Mathildes mit einem ihrer Ehemänner, sondern eben um ein antikes Schmuckstück im Stil der capita opposita. Die Siegel waren zwar nicht öffentlich sichtbar, doch repräsentierten sie den Aussteller und waren in einer weitgehend illiteraten Gesellschaft das wichtigste Beglaubigungsmittel. Zu Mathildes Lebzeiten, dies sollte noch einmal betont werden, gab es noch nicht viele Frauen, die ein eigenes Siegel führten; gemeinsam mit ihrer Mutter – und einigen Damen aus dem Normannenreich und Spanien – steht sie damit an der Spitze einer europäischen Entwicklung. Ob es weitere öffentliche Darstellungen Mathildes gab, um die wegen ihrer Reiseherrschaft eigentlich permanent abwesende Fürstin zu vergegenwärtigen, ist umstritten. Die Aufstellung der Statue der sogenannten Bonissima am Palazzo Comunale am Domplatz zu Modena wurde mehrfach im Zusammenhang mit der Translation der Gebeine des hl. Geminianus 1106 gesehen und als Abbild Mathildes gedeutet. Aber die Figur dürfte frühestens in den 1130er Jahren entstanden sein. Ihre extrem starke Restaurierung erschwert die Datierung zusätzlich. Auf das angebliche Mosaik der Fürstin als Kriegerin in der Kirche von Polirone
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ist bereits verwiesen worden: Selbst wenn es sich bei diesem um eine Darstellung der wehrhaften letzten Canusinerin handeln sollte, so entstand das Mosaik doch erst deutlich nach deren Tod. Mathilde war also zur Vergegenwärtigung ihrer Person und ihrer Herrschaft auf andere Mittel angewiesen. Eindrucksvoll manifestierten ihre Burgen diesen Herrschaftsanspruch, doch lagen die wichtigsten unter ihnen eher versteckt. Weitere Maßnahmen zur ,Sichtbarmachung‘ der canusinischen Herrschaft waren daher dringend von Nöten. Neben Mathildes Urkunden, von denen sogleich noch zu sprechen sein wird, waren ihre Kommunikationsnetzwerke von entscheidender Bedeutung, um sich an allen Orten ihres Herrschaftsbereiches und auch international permanent im Gespräch zu halten. Stets ist die Canusinerin sehr gastfreundlich gewesen, empfing prominente Reisende auf ihrem Weg nach Rom, gewährte ihnen sicheres Geleit und ließ sie zumeist reich beschenkt von dannen ziehen. Ihre Großmut und ihr eigener Gestaltungswille sprachen sich auf diese Weise herum. Obwohl die Exilsuchenden nach dem Rückzug Heinrichs IV. aus Italien bis auf einen einzigen, von dem noch zu sprechen sein wird, keine Rolle mehr spielten, begrüßte die Fürstin weiterhin ranghohe Gäste, die zumeist auf ihrem Weg nach Rom eine Station bei ihr einlegten. So beispielsweise Erzbischof Anselm von Canterbury. Er wurde von Mathilde glänzend aufgenommen, als er 1103 von Rom über Florenz nach Lyon reiste. Der ihn begleitende Eadmer schildert eindrucksvoll die vielen Gefahren, die auf der Reise lauerten. Einem besonders tückischen Hinterhalt entkamen der Erzbischof und seine Begleiter nur Dank der Hilfe Mathildes, wofür Anselm, so sein eigenes, sehr herzliches Dankschreiben, ihr gegenüber in niemals begleichbarer Schuld stehe. Mathilde hatte ihre Truppen angewiesen, den Kirchenfürsten so sicher zu schützen, als handele es sich um sie selbst. In dem Brief geht Anselm darüber hinaus auch auf die intensiven Gespräche ein, die er während seines Aufenthalts an ihrem Hof mit Mathilde geführt hatte. Sie muss ihm – gequält vom Wissen um die Notwendigkeit ihres Ausharrens in einem aktiven politischen Leben – von ihrem Wunsch erzählt haben, die Welt zu verlassen und in einem Kloster ein kontemplatives Dasein zu führen. Der Erzbischof habe ihr versichert, dass beide Lebenskonzepte gottwohlgefällig sein können und regte sie an – wie schon Gregor VII. Jahre zuvor –, ihre Seelennöte Gott anzuver-
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trauen und sich seinem Ratschluss zu ergeben. Eine Wendung am Ende des Briefes könnte dahin gedeutet werden, dass er Mathilde riet, den Schleier im Verborgenen zu nehmen, ihn erst in ihrer Todesstunde öffentlich zu tragen und so im Diesseits beide Lebenskonzepte miteinander zu vereinen. Ein Gesandter des Erzbischofs wies Anselm wenig später darauf hin, dass Mathilde kein Exemplar seiner Orationes sive meditationes besaß. Grenzenlos darüber erstaunt, sandte Anselm sofort sein Werk mit einer längeren Widmung an die Fürstin. Dass er mit Selbstverständlichkeit davon ausging, Mathilde habe seine Schriften vollständig, bezeugt weniger eine gewisse Eitelkeit des Autors, als vielmehr, welcher Ruf der Bibliothek der Canusinerin vorauseilte und wie hoch man ihre Büchersammlung international einschätzte. Wahrscheinlich erhielt Mathilde eine eigens für sie angefertigte Kopie; wohl eine Redaktion von Anselms Handexemplar. Der Augenblick der Buchübergabe, die in dieser Form freilich niemals stattgefunden hat, wurde in einer sehr schönen Miniatur verewigt. Die Gebete und Meditationen Anselms zeichnen sich durch einen intensiv-gefühlvollen Ton aus und fordern zu individueller Andacht und Zwiesprache mit Gott auf. Noch ist die schwärmerische Mystik Bernhards von Clairvaux gut dreißig Jahre entfernt, doch schimmert schon hier ein neuer, individueller Zugang zu Gott auf, fernab der rituellen, gesellschaftlich geforderten religiösen Leistungen. Das meditative Eintauchen in die Suche nach dem rechten Weg der Gottesliebe deutet sich hier bereits an und dürfte bei Mathilde auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Die Fürstin hat, tief beeindruckt von den Texten, das Buch oder eine Kopie davon einem Kloster zur Abschrift und Verbreitung weitergegeben, denn es existieren bis heute mehrere Abschriften dieser Redaktion. Wahrscheinlich zeichnete sich hier Polirone als Kopierwerkstatt und Mathilde als Multiplikatorin aus. Der Umstand, dass sich Mathilde einem zwar weithin berühmten und geachteten, ihr persönlich bis dato aber unbekannten Kirchenfürsten in ihren ganzen Selbst- und Lebenszweifeln anvertraute, offenbart zweierlei: ihre permanente Sorge um die Richtigkeit ihrer Lebensführung und ihre große Einsamkeit nach den Toden Gregors VII. und Anselms von Lucca. Niemals konnte die Lücke ausgefüllt werden, die diese beiden Todesfälle gerissen hatten. Keiner der zahlreichen Besucher und auch keiner der Kar-
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dinallegaten, die schon bald in ihrer Umgebung weilen werden, erlangte jemals so sehr Mathildes Vertrauen, dass sie sich in ähnlicher Offenheit ausgesprochen und ihre Zerrissenheit in Worte gefasst hätte. In ihren Urkunden ist von diesen nagenden Zweifeln nichts zu spüren. Niemals wird auch nur angedeutet, was sie Anselm von Canterbury anvertraute. In ihren rechtsverbindlichen Texten stellt sie sich als mächtige, von Gott zu ihrem Amt berufene Fürstin dar, deren Stellung unangreifbar ist, hatte sie sie doch dei gratia inne! Urkunden waren für alle Canusiner wichtige, ja immer unverzichtbarer werdende Herrschaftsmittel. Gerade jetzt, als Mathilde sich an die mühselige Aufgabe machte, den „stato canossiano“ wieder neu aufzubauen und zu strukturieren, wurden die schriftlichen Zeugnisse ihres Macht- und Herrschaftswillens unentbehrlich und zum wichtigsten politischen Instrument der großen Fürstin. Bis heute haben sich 139 Urkunden erhalten; hinzu kommen vier Briefe und zwölf Rechtsakte, die in Mathildes Gegenwart ausgefertigt wurden. Zudem sind 115 Deperdita sicher bezeugt, also Urkunden, die zwar verloren sind, deren Rechtsinhalt aber rekonstruiert werden kann. Nördlich der Alpen kann nur Heinrich der Löwe einen vergleichbaren Schatz an schriftlichen Dokumenten vorweisen; allerdings mit einem zeitlichen Abstand von mehr als fünfzig Jahren nach Mathildes Tod. Parallel zur Notwendigkeit des Neuanfangs steigt die Zahl von Mathildes Urkunden seit 1095 steil an; aus den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens haben sich 94 Dokumente erhalten. Das moderne, zukunftsweisende Medium Schrift sollte den ins Wanken geratenen Herrschaftskomplex der Markgräfin konsolidieren. Gelegentlich verleiht sie diesem Gedanken auch in ihren Urkunden Ausdruck, wenn sie formulieren lässt, dass nur schriftlich Fixiertes dem Vergessen entgehe und damit für die Zukunft Sicherheit gewähre. Gleichzeitig wurde es nötig, die Finanzen besser zu kontrollieren als bisher. Die frühen Canusiner scheinen keine Geldsorgen gekannt zu haben; erst Mathilde musste erkennen, dass selbst große Vermögen lange Kriege nicht unbeschadet überstehen konnten. Ihre Kreditaufnahme beim Bischof von Mantua und das Einschmelzen der Edelmetallgeräte der Klöster Canossa und Nonantola sprechen eine eigene, mehr als deutliche Sprache! Dennoch finden sich nur an einer einzigen Stelle Spuren schriftgestützter Verwaltung: im Einkünfteverzeichnis der curtis Scanello. Das Verzeichnis wurde zwar erst nach Mathildes Tod angefertigt, nachdem diese den Hof
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dem Domkapitel zu Pisa geschenkt hatte. Als Vorlage diente jedoch wohl ein Teilurbar oder ein frühes Zinsbuch, das auf Anweisung der Fürstin angelegt worden sein muss. Nur wenn man wusste, welche Maximaleinkünfte bestimmte Liegenschaften idealerweise zu erzielen waren, konnte man feststellen, ob diese Leistungen wenigstens im Ansatz auch erreicht wurden. Es ist anzunehmen, dass die Markgräfin vergleichbare Wirtschaftsunterlagen auch von anderen großen Liegenschaften besaß oder anlegen ließ, auch wenn hiervon keine Spuren über die Zeiten gekommen sind. Es darf vermutet werden, dass ihr bei der Anlage administrativen Schrifttums die Klöster ihres Machtbereiches beratend und helfend zur Seite standen. Neben der wirtschaftlichen Konsolidierung musste sich Mathilde vor allem darüber Gedanken machen, wie die Zukunft ihres Herrschaftsgebietes nach ihrem Tod aussehen sollte. An eigene Kinder war nicht mehr zu denken und die Frage, wer einmal das canusinische Erbe antreten würde, drängte sich auf. Zudem gestaltete sich die Rückgewinnung der Toskana schwierig, und Mathilde suchte händeringend nach Helfern. Zwar gelang es der Fürstin, sich durch intensive Rechtsprechung als Garant der Ordnung in Erinnerung zu rufen, aber die großen Grafenfamilien hatten die Zeit canusinischer Machtlosigkeit zu ihrem eigenen Vorteil genutzt und ihre Grafschaften gegen äußere Einflüsse weitgehend abgeschottet – eine irreversible Entwicklung! Dass sie dabei Lehen okkupierten, spielte kaum eine Rolle, war deren Rückforderung doch abhängig von der Möglichkeit, diese Ansprüche auch durchzusetzen. Mathilde musste einsehen, dass es unmöglich war, einen Teil ihres Machtbereiches längere Zeit nicht aufzusuchen und danach an die alten Zustände anzuknüpfen. Sie brauchte einen Statthalter südlich des Apennins, der ihre Ansprüche vertrat. Diese Vertrauensperson musste aus der Toskana kommen und dort über eine starke Hausmacht verfügen. Unter diesen Umständen war die Auswahl eher gering! In all den Jahren seit sie allein über den „stato canossiano“ gebot, standen ihr vor allem die Grafen Guidi zur Seite, die in der Umgebung von Florenz am stärksten waren. Diese Familie, der Mathilde auch durch den gemeinsam Kampf für die Kirchenreform und die Verehrung der Abtei Vallombrosa verbunden war, musste eng an die Canusiner gebunden werden. Daher entschloss sich Mathilde zu einem gewagten Schritt: Sie adoptierte den Grafen Guido Guerra. Obwohl Donizo die Ereignisse schon aus der Nähe betrachtet haben dürfte, verschweigt er diesen
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Versuch Mathildes, einen Erben zu finden. Vielleicht glaubte der Chronist, die Erinnerung an das familiäre Wagnis könnte der Fürstin nach dem Scheitern des Vorhabens peinlich sein. Vielleicht wollte er auch die vermeintlichen Ansprüche Canossas nicht schmälern, in Donizos Augen der einzig würdige Erbe der Markgräfin. Wann die Adoption erfolgte, ist unklar; sicher wird Guido Guerra am 12. November 1099 als adoptivus filius Mathildes bezeichnet. Der Graf bestätigt eine Rechtsverfügung Mathildes, so dass die Urkunde als Manifestation und Präsentation des präsumptiven Erben gedeutet werden kann. Diese Vermutung wird durch den Umstand gestützt, dass sich ungewöhnlich viele Vasallen in Mathildes Umgebung befanden. Allerdings fehlen Sasso von Bianello, Arduin von Palude und Opizo von Gonzaga, die nach 1100 besonders häufig in Urkunden der Fürstin bezeugt sind. Da sie, abgesehen von Sasso von Bianello, eben erst ab 1100 vermehrt im Umfeld der Markgräfin anzutreffen sind, darf ihr Fehlen nicht als Blockadehaltung gegenüber der Adoption gewertet werden. 1099 scheinen Guido Guerra und sein Vater einen Heerbann zur Unterstützung Papst Paschalis’ II. angeführt zu haben; ob auch Mathilde an dem Unternehmen beteiligt war, ist zweifelhaft. Es fällt aber auf, dass sich Guido Guerra in dieser Zeit marchio nennt; einen Titel, auf den er keinen Anspruch hatte und den er legitimerweise nur aus der Adoption ableiten konnte. Die kriegerische Aktion und der ungewohnte Titel werden in einer stark beschädigten Urkunde der Guidi-Grafen für das Kloster Rosano erwähnt, die wahrscheinlich aus dem September 1099 stammt. Demnach hätte die Adoption schon vor Beginn des Herbstes 1099 stattgefunden. Zeitlich wäre das möglich, denn Mathilde traf den Grafen wohl bereits am 16. Juni 1099, als sie in Lucca zu Gericht saß und dem dortigen Bischof Güter zusprach, die Guido Guerra beansprucht hatte. Vielleicht begegneten sich die beiden aber auch schon ein Jahr früher, am 6. September 1098, denn in einer Urkunde ist ein sonst nicht nachweisbarer Graf Guido de Mutilgnano nachweisbar, der durchaus mit Guido Guerra identisch sein könnte, da dieser seinen kriegerischen Beinamen keineswegs immer trug. Der eigentlichen Adoption müssen längere Verhandlungen vorausgegangen sein; ebenso dürfen genaue Absprachen mit Guidos Vater vorausgesetzt werden. Am 20. Juni 1099 beriet sich Mathilde am Rande einer Schenkungsbeurkundung der Markgräfin für das Kloster Marturi mit ihren Getreuen, die selbstverständlich vorab in die
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Adoptionspläne eingeweiht werden mussten. Angesichts der neuen Notwendigkeit konsensualer Herrschaft durfte es sich Mathilde nicht erlauben, ihre Gefolgsleute einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen. Zudem musste die Fürstin mit Guidos Vater verhandeln, der längere Zeit auf Pilgerreise im Heiligen Land weilte und erst Ende August 1099 wieder in der Toskana bezeugt ist. Im Frühjahr 1100 zog Mathilde wieder in die Toskana, wo sie sich im März zunächst in Florenz aufhielt und gemeinsam mit Guidos Vater eine Besitzübertragung an das Florentiner Domkapitel regelte sowie gemeinsam mit ihm und Guido Guerra Kloster und Kongregation von Vallombrosa in ihren Schutz nahm. Die Hinwendung zu dieser berühmten Reformabtei war ein starkes Band zwischen den Guidi und der letzten Canusinerin. Aber Mathildes Gründe für die Adoption waren vielschichtiger und bestenfalls nachrangig von religiösen Überlegungen geleitet. Keinesfalls stand die Adoption in einem Zusammenhang mit dem aufständischen Königssohn Konrad, der 1099 keine politische Rolle mehr spielte. 1101 fand er zwar zeitweilig Aufnahme in Florenz, doch gelang es ihm nicht, sich hier eine eigene Machtposition zu schaffen. Konrad hatte niemals, auch nicht zu Zeiten seiner größten Anerkennung, eine Gefahr für Mathilde bedeutet und daher auch keinen Grund für die Adoption liefern können. Auch die durch die Literatur geisternde Freundschaft zwischen Mathilde und Guidos Frau Imilia lässt sich nicht verifizieren; über Mathildes freundschaftliche Kontakte zu ranggleichen oder rangähnlichen Frauen ist nichts bekannt. Aber selbst wenn sie mit Imilia befreundet gewesen wäre, so ist dies kein Grund, den Mann der Freundin zu adoptieren. Selbst die Vermutung, Mathilde habe nach Urbans II. Tod einen neuen Berater gebraucht, überzeugt nicht, denn niemals hatte die Fürstin diesem Papst so nahe gestanden wie zuvor Gregor VII. Sein Tod hinterließ sicher eine Lücke, aber keine, die Mathilde in eine persönliche Krise gestürzt hätte. Zudem hatte die Canusinerin im Laufe ihres Lebens etliche geistliche Berater gehabt, ohne jemals den Drang oder gar die Notwendigkeit zu verspüren, diese an Kindes statt anzunehmen. Pragmatisch wie die Politik der Canusinerin war, suchte sie in erster Linie einen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Sachwalter für die Toskana. Dass sich Guido Guerra gut mit Bernhard degli Uberti verstand, der nach 1100 zu Mathildes wichtigstem geistlichen Berater aufstieg, dürfte die Entscheidung der Fürstin nicht beeinflusst haben, da Bernhard
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erst nach der Adoption an ihren Hof kam. Aus der Rückschau erschien die Adoption aber durch das gute Einvernehmen der beiden zusätzlich gerechtfertigt. Den entscheidenden Ausschlag jedoch gab wohl der enorme politische und wirtschaftliche Aufschwung der Guidi seit dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts. Obwohl sie im Kreis der toskanischen Grafen noch immer als ihresgleichen behandelt wurden, waren sie, was ihren Rang betraf, de facto schon über die anderen führenden Familien hinausgewachsen. Guido Guerra dürfte die Annahme des Adoptionsgesuchs leicht gefallen sein; er konnte eigentlich nur gewinnen. Zum einen lockte das Erbe Mathildes (ihre erste Schenkung an den Apostolischen Stuhl dürfte, wenn sie denn in Form einer regelrechten Schenkung stattgefunden hatte, zu diesem Zeitpunkt noch immer geheim gewesen sein). Zum anderen versprach sich Guido bestimmt eine Rangerhöhung, die er dann durch das Führen des marchio-Titels selbst vollzog. Außerdem hoffte er wohl auf machtvolle Rückendeckung im Ringen der Guidi mit den Kadolingern um die Vormacht in der Toskana – eine Rechnung, die zunächst aufging, denn mit Hilfe der Fürstin erlangten die Guidi Liegenschaften der Kadolinger am mittleren Arno. Aber Mathilde setzte in der Toskana nicht nur auf eine einzige Familie, sondern versuchte, so viele Eisen wie möglich im Feuer zu haben. Daher dürfte es zu ersten ernsten Spannungen zwischen den Guidi und Mathilde gekommen sein, als der wichtigste Herrführer der Markgräfin, Arduin de Palude, eine seiner Töchter, Cäcilia, mit einem Kadolinger verheiratete. Die Kontakte Mathildes zu Alluccione de Luca, einem der bedeutendsten Vasallen der Kadolinger, dürften die Guidi zwar auch nicht gerne gesehen haben; dass daraus größere Probleme entstanden, ist aber eher unwahrscheinlich. Wie weit Guido Guerra Mathildes Herrschaftshandeln tatsächlich beeinflusste, ist unklar. Die Förderung Vallombrosas lag beiden schon seit langem am Herzen und erlebte natürlich durch gemeinsame Aktionen eine Intensivierung. So wohnten sie beide im März 1100 einer Äbteversammlung der Vallombrosaner nahe San Salvi bei, bei der es darum ging, die Disziplin innerhalb der Kongregation neu einzuschärfen. Gemeinsam schenkten sie sodann 1103 dem Kloster Vallombrosa Besitz am Fluss Vicano sowie die Hälfte der Burg Magnale mit einem großen Gutshof. Irgendwann jedoch muss es zu einer spürbaren Entfremdung gekommen sein. Es fällt auf, dass Guido Guerra nur ein einziges Mal den Titel filius
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adoptivus führte und sich bald erkennbar zurückzog. Wahrscheinlich steht sein Verhalten im Zusammenhang mit der zweiten Mathildischen Schenkung, von der noch zu sprechen sein wird. In dem Augenblick, da er nicht mehr auf das Mathildische Erbe hoffen durfte, war für den jungen GuidiGrafen kein echter Nutzen der Adoption mehr zu erkennen, und er zog die Konsequenzen daraus. Aber ganz verlassen hat er die Fürstin nie. Dreimal urkundet er gemeinsam mit Mathilde für deren Lieblingskloster Polirone; 1108 unterfertigt er dabei sogar mit einer Kreuzunterfertigung, die derjenigen Mathildes erstaunlich ähnlich sieht und die als bewusst zitierende Imitation gewertet werden muss. Anfang Mai 1115 weilte Guido dann noch einmal bei der Canusinerin; möglicherweise wollte er sie als Beistand im Ringen um das Kadolinger-Erbe gewinnen; vielleicht aber auch der schwer Erkrankten beistehen. Ob er an ihrem Sterbebett zugegen war, ist unbekannt. Neben Guido Guerra kam aber noch eine ganze Gruppe neuer Berater und Weggefährten hinzu, die bislang bei keinem Canusiner eine Rolle gespielt hatten: die Kardinallegaten. Nachdem die schriftlichen Kontakte Mathildes zur Reformkurie nach dem Tode Gregors VII. und vollends nach der Trennung von Welf V. immer mehr zurückgegangen waren, versuchte Rom neue Wege der Kommunikation zu gehen, die nicht mehr bloß auf sporadischen Briefen beruhten. Die Kurie entsandte Kardinallegaten zur Canusinerin, die über einen längeren Zeitraum – idealerweise permanent – in ihrer Umgebung weilten und eine stabile Brücke zwischen Rom und seiner noch immer wichtigsten Helferin in Oberitalien aufbauen sollten. Nicht nur in geistlichen und kirchlichen, vor allem auch in politischen Fragen sollten sie Mathilde beraten und führen. Die Fürstin sorgte im Gegenzug dafür, dass die Geistlichen vakante Bischofsthrone in der Emilia und der Lombardei übernehmen konnten, wodurch die Reformpartei in Oberitalien wesentlich gefestigt und gestärkt wurde, vor allem dort, wo die Opposition sich lange hatte behaupten können. Ob die Initiative für die Entsendung der Kardinallegaten von Mathilde ausging, die dann förmlich um Hilfe und geistlichen Beistand gebeten haben müsste, oder ob die Reformkurie eine solche stabile Verbindung und eine gewisse Kontrolle der Markgräfi n für wünschenswert hielt, lässt sich nicht mehr entscheiden. Insgesamt fünf Kardinallegaten
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agierten nach 1095 in Mathildes Umgebung; nur von einem wurde sie herb enttäuscht. Der erste Kardinallegat war Kardinaldiakon Hugo, der möglicherweise im Umfeld der Synode von Piacenza 1095 zur Markgräfin gelangte; vielleicht sogar als selbst Hilfesuchender, da er wegen seiner papalen Gesinnung Anfeindungen erleiden musste. Allerdings änderte Hugo, den Mathilde zeitweilig ganz besonders hoch schätzte, seine Einstellung und versuchte 1098, die Fürstin in einem langen theologischen Schreiben davon zu überzeugen, dass sie von Urban II. abfallen und auf die kaiserliche Seite wechseln müsse. Andernfalls ginge sie des ewigen Lohns ihrer unermüdlichen Hilfe für die Kirche verlustig. Der traktatartige Brief beweist, dass Hugo in den drei Jahren, die er im Umfeld Mathildes verbrachte, die Fürstin sehr gut kennengelernt hatte, auch wenn sich sein Schreiben wohl eher an die Geistlichen in der Umgebung Mathildes als an diese selbst richtete. Hugo scheint die Getreuen der Canusinerin aufwiegeln zu wollen, wenn er schreibt, sie allein streiche alles Lob ein, während die Vasallen alle Lasten des harten Kampfes zu tragen hätten. An keiner anderen Stelle wird Mathilde so egoistisch-berechnend dargestellt. Die Fürstin ließ sich von dem Schreiben nicht beeindrucken, sondern stellte vielmehr dem von der Reformgruppe Abtrünnigen nach, worüber sich Hugo in einem Schreiben an Clemens III. bitter beklagte, ohne freilich Namen seiner Verfolger zu nennen. Hugo war die einzige Enttäuschung, die Mathilde im Umgang mit ,ihren‘ Kardinallegaten erleben musste. Seit 1087 hielten sich Kardinal Armannus von Brescia und sein Amtsbruder Bonussenior bei ihr auf. Armannus war wohl noch durch Gregor VII. zum Kardinalpresbyter von Santi Quattro Coronati erhoben worden und dürfte sich während des gesamten Pontifi kats Viktors III. bei Mathilde befunden haben, um die Kommunikation zwischen dem Reformpapst und der Fürstin in dieser wirren und schwierigen Zeit aufrechtzuerhalten. 1087 ist er erstmals auch als Bischof von Brescia bezeugt – und sofort wird deutlich, wie der Legat und die Markgräfin zusammenarbeiteten, begünstigte doch Armannus’ erste nachweisbare Amtshandlung das Kloster Polirone, die Lieblingsabtei Mathildes. Da die Fürstin gerade in dieser Zeit nicht über die Mittel verfügte, selbst etwas für die Klöster zu tun, die ihr in besonderer Weise am Herzen lagen, sorgte sie dafür, dass diejenigen für die Konvente eintraten, die dazu in
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der Lage und ihr persönlich verpflichtet waren. Armannus hatte allen Grund, Mathilde einen Gefallen zu tun, hatte ihm doch vor allem ihrer Fürsprache den Weg in sein Bischofsamt geebnet. Trotz ihrer Rückendeckung konnte sich Armannus in Brescia nicht halten, als Heinrich IV. die Erhebung des Gegenbischofs Obertus erzwang, der in der Stadt mehr Rückhalt zu gewinnen vermochte als der Amtsinhaber. So musste dieser sein Bistum rasch wieder verlassen und hielt sich wohl längere Zeit in Mathildes Umgebung auf; von dort jedenfalls berichtete er Urban II. zeitnah über die aktuellen politischen Entwicklungen. Als es für Mathilde ganz eng wurde und sie sich in den frühen 1090er-Jahren auf ihren Burgen verschanzen musste, ging Armannus wohl nach Süditalien und hielt sich im Umfeld Urbans II. auf, in dessen Gefolge er zur Synode von Piacenza 1095 in Mathildes Machtbereich zurückkehrte. Mit aller Gewalt setzte er in Mailand Mathildes Kandidaten Anselm de Buis gegen den offenbar wesentlich besser geeigneten Kandidaten der Mailänder Oberschicht Landulf, den Propst von Sant’Ambrogio durch, indem er die patarenisch gesinnte Menge auf seine Seite zog. Für Armannus hatte die Erhebung Anselms durchaus persönlichen Nutzen, denn auf der Mailänder Reformsynode im April 1098 spendete der neue Erzbischof ihm endlich die ersehnte bischöfliche Konsekration. Während die Zusammenarbeit Armannus’ mit Mailand in den folgenden Jahren sehr gut funktionierte, ist kein Kontakt mehr zu Mathilde bezeugt – was nicht zwangsläufig auf ein Zerwürfnis schließen lässt. Vielmehr befanden sich bereits andere Kardinallegaten in ihrer Umgebung, die dauerhafter bei ihr weilten und daher enger mit ihr kooperieren konnten. Ebenfalls noch von Gregor VII. zum Kardinalpresbyter von Santa Maria in Trastevere berufen, weilte Bonussenior seit den Tagen Viktors III. bei Mathilde. Sie verhalf ihm zum Bischofsstuhl von Reggio Emilia und damit den Reformkräften zu einem großen Erfolg, denn zuvor hatte sich der Reformkandidat Heribert nicht gegen den kaiserlichen Gegenbischof Lodovicus durchsetzen können und musste zu Mathilde ins Exil flüchten. Anders als bei Armannus riss der gute Kontakt zwischen Bonussenior und Mathilde auch nach dessen bischöflicher Etablierung nicht ab; im Gegenteil. Als Urban II. Mathilde den Auftrag erteilte, dafür zu sorgen, dass die Kirche des hl. Florian an Polirone zurückgegeben werde, bat er sie ausdrücklich, sich in dieser Sache mit den Bischöfen von Reggio und Mantua zu beraten, sowie
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die Meinung anderer weiser Männer einzuholen, die er leider nicht namentlich nannte. Ihr Kaplan ist Bonussenior aber, entgegen der landläufigen Meinung, niemals gewesen; diese Annahme beruht allein auf einem fehlerhaften frühen Druck einer Urkunde Mathildes. Zur Zeit Bonusseniors beschäftigte Mathilde die beiden Kapläne Alberich und Frogerius, die permanent in ihrer Umgebung lebten. Frogerius hatte dabei selbst im Dienst Bischof Bonusseniors gestanden, bis er im Jahr 1100 in die Kanzlei der Markgräfin wechselte und sich danach ständig in deren Umfeld aufhielt. Möglicherweise ist die Übernahme eines Reggianer Adligen in die Dienste Mathildes ein Zeichen dafür, dass die städtischen, gelehrten Schichten Reggios unter dem Einfluss Bonusseniors in die Obödienz der Canusinerin zurückkehrten. Trotz seiner vielfältigen bischöflichen Pflichten hielt sich Bonussenior oft und lange im Umkreis Mathildes auf. Da ihre wichtigsten Burgen alle in der Diözese Reggio lagen, könnte man Bonussenior mit aller gebotenen Vorsicht fast als eine Art Hausbischof der Markgräfi n bezeichnen, obwohl der Geschichtsschreiber Donizos keine lobenden oder warmen Worte für ihn findet. Jedenfalls bezeichnet er ihn als simplex, was aber nicht nur ,einfältig‘, sondern eben auch ,aufrichtig‘ bedeuten kann. Da Mathilde bislang den vertrauten Verkehr mit intellektuell anregenden und bereichernden Geistlichen gesucht und favorisiert hatte, ist es nur schwer vorstellbar, dass sie für das für sie so wichtige Bistum Reggio einen eher einfältigen Geistlichen akzeptiert hätte. Mathilde kooperierte sehr gut mit Bonussenior, der sie sogar in die Toskana begleitete, wo die Fürstin über das weitere Schicksal des Passhospizes San Geminano in Alpe entscheiden musste. Anschließend unterfertigte er eine Urkunde der Markgräfin für das Domkapitel von Bologna, die nahe Lucca ausgefertigt wurde. Ob er danach noch im Umkreis der Fürstin in der Toskana blieb oder mit dem aus Rom kommenden Kardinallegaten Bernhard zurück in die Emilia reiste, ist unbekannt. Dass so hohe Geistliche Mathilde auf ihren Reisen innerhalb ihrer Machtbereiche begleiteten, war selten und zeugt stets von besonders engen Verbindungen. Trotzdem war Bonussenior der Fürstin nicht blind ergeben, sondern konnte im Ernstfall auch gegen sie auftreten. So zwang er sie, ihren Gefolgsleuten zu befehlen, die Eigenleute des Reggianer Bischofs und des Klosters San Prospero di Reggio im Umkreis von Guastalla nicht länger zu
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belästigen. Auch er versuchte, seine Position innerhalb seiner Bischofsstadt zu festigen; wenn es sein musste, auch auf Kosten Mathildes, zumal es spätestens um das Jahr 1100 für jedermann klar ersichtlich gewesen sein muss, dass die Fürstin dereinst ohne leibliche Erben sterben würde. Jeder konnte ahnen, dass die Erbverteilung nicht ohne Probleme verlaufen würde und so schien es geboten, die eigene Position schon vor ihrem Tod zu klären. Nach dem Ausflug in die Toskana scheint sich Bonussenior für gut zehn Jahre aus dem Umkreis Mathildes zurückgezogen zu haben, was aber nicht auf ein Zerwürfnis zurückzuführen ist, sondern auf die Tatsache, dass ein anderer Kardinallegat zum wichtigsten Berater der Markgräfi n aufgestiegen war: Bernhard degli Uberti, vormals Abt von Vallombrosa. Bernhard degli Uberti und Bonussenior von Reggio arbeiteten hervorragend zusammen; ihre enge Verflechtung machte sie zu idealen Beratern der Markgräfin. Aber da vielfältige Pflichten auf den Schultern des Bischofs von Reggio lasteten, sah man sich an der Kurie genötigt, ab 1099 Kardinaldiakon Paganus zu Mathilde zu schicken, bis ihn Bernhard degli Uberti ab 1101 dauerhaft ablösen konnte. Dass er gerade am 12. November 1099 in einer großen Schenkung Mathildes für Kloster Brescello erstmals in der Umgebung der Fürstin genannt wird, dürfte kein Zufall sein, sondern im Zusammenhang mit der Adoption des Grafen Guido Guerra stehen, die der Reformkurie nicht gleichgültig sein konnte. Die Adoption hatte in Rom zwar nicht erkennbar für Verstimmungen gesorgt, vor allem da sie in die unruhige Zeit eines Pontifikatswechsels gefallen sein dürfte, aber das plötzliche Auftauchen eines neuen Aspiranten auf das Mathildische Erbe muss doch Besorgnis erregt haben. In erster Linie sollte Paganus aber die Fürstin von der Erhebung Papst Paschalis’ II. unterrichten, dessen Schreiben an die Markgräfin er wohl im Gepäck hatte. Eine besonders enge Verbindung konnte Mathilde zu Paganus offenbar nicht aufbauen. Es scheint sogar, als habe sie ihn ganz bewusst von ihren Gerichtssitzungen in der Toskana ausgeschlossen, obwohl ihr der Kardinal nach Süden gefolgt war. Wahrscheinlich reiste Paganus entmutigt und frustriert zu Paschalis II., in dessen Umfeld er sich zwischen August und November 1100 in Salerno, Anagni und Rom aufhielt. Vielleicht war sein Aufenthalt bei Paschalis II. aber auch ganz harmlos und er wollte sich nur direkt vom Nachfolger Petri neue Instruktionen darüber
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einholen, wie auf die Adoption des Guidi-Grafen zu reagieren sei. Manches spricht für letztere Annahme, denn Ende März 1101 kehrte Paganus noch einmal in die Emilia zurück und urkundete auch gemeinsam mit der Fürstin, die in seiner Gegenwart ihre Gefolgsleute maßregeln musste, da diese sich inakzeptable Übergriffe auf die Reggianer Bischofskirche und das dortige Kloster San Prospero erlaubt hatten. War der Kardinal die treibende Kraft hinter der Abstellung unhaltbarer Missstände? Ein wirkliches Vertrauensverhältnis zwischen Paganus und Mathilde wollte sich ganz offenbar nicht einstellen. Schon wenige Wochen später wird Paganus abgezogen und endgültig durch Bernhard degli Uberti abgelöst. Der in jungen Jahren in das Kloster San Salvi in Florenz eingetretene Bernhard konnte bereits auf eine glänzende Karriere zurückblicken, als er zu Mathilde entsandt wurde. 1092 übernahm er die Leitung von San Salvi, und nur sechs Jahre später stieg er zum Generalabt der Vallombrosaner Kongregation auf. Unter ihm setzte die enorme Expansion der Vallombrosaner nicht nur in der Toskana, sondern auch in der Emilia und der Lombardei ein. 1099 erhob ihn Urban II. zum Kardialpriester von San Crisogono. Als Paschalis II. den Kardinal als Legaten für die Lombardei bestellte, bestimmte er ihn zugleich zum Berater Mathildes. Die Fürstin empfi ng Bernhard sehr herzlich, was wohl berechtigte Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit erweckte, wobei wiederum die gemeinsame Verehrung für Vallombrosa und die vallombrosanische Reformidee von vornherein eine tiefe Vertrauensbasis geschaffen haben dürfte. Bernhard verfügte über außergewöhnliche, sehr schnell zu Tage tretende Führungsqualitäten. Stand er in der ersten gemeinsamen Urkunde für Polirone noch gleichberechtigt neben der Canusinerin, so handelt er in der zweiten gemeinsamen Urkunde schon gleichsam kraft eigenen Rechts. Offenbar hatte der Kardinal eigens eine Versammlung einberufen, denn in dem Dokument heißt es, Prior Daniel von Sant’Andrea sei vorgeladen worden, um sich vor Kardinal Paganus, Bischof Ugo von Mantua, den Äbten Albericus von Polirone und Ariald von St. Dionysius zu Mailand sowie anderen Geistlichen zu verantworten. In seinem Beisein übertrug Bernhard sodann die Verwaltung des Hospitals zu Mantua, das Mathilde einst gegründet hatte, an Polirone, da es unter der vorherigen Aufsicht des Klosters Sant’Andrea völlig verwahrlost sei. Die haltlosen Vorwürfe dienten erkennbar nur als Vorwand, um den Konvent zu bestrafen, da dieser sich
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auf die Seite Heinrichs IV. geschlagen hatte. Im Schutz Mathildes und unter dem Deckmantel ihres Namens begann Bernhard seinen Kampf gegen Heinrich IV. und den von diesem eingesetzten Invasor des Mantuaner Bischofsthrons Conon. Der Kardinal griff sogar in die Wortwahl der Urkunde ein, denn der Terminus „simoniaca heresis“ findet sich sonst nicht bei Mathilde und kann eigentlich nur auf Bernhards Diktat zurückgeführt werden. Der inhaltliche und rhetorische Kampf gegen simonistische Priester war stets von den geistigen Eliten ihres persönlichen Umfeldes geführt worden, während Mathilde eher der praktische Kampf oblag. Bereits in dem soeben erwähnten Dokument wird die Markgräfin von Bernhard als „soror nostra“ bezeichnet, was auf ein besonders inniges Vertrauensverhältnis der beiden und auf Bernhards Stellung als Beichtvater schließen lässt. An Nonantola schenkte Mathilde „auf Geheiß und mit ausdrücklicher Genehmigung des Herrn Bernhard“. Eine solche Formulierung hatte es bei Mathilde bislang noch nie gegeben; weder zur Zeit ihrer Ehen noch zu Lebzeiten ihrer Mutter! Zielstrebig und ehrgeizig intensivierte der Kardinal seinen Einfluss auf die alternde Markgräfin. Er wich ihr kaum noch von der Seite, nachdem er von einer kurzen Romreise im Herbst 1102 wieder nach Oberitalien zurückgekehrt war. Aus der Ewigen Stadt hatte Bernhard Alberich aus der Familie der Pierleoni sowie Cencius aus der Familie der Frangipani mitgebracht; wahrscheinlich, damit diese die erste Schenkung Mathildes an den Apostolischen Stuhl bezeugen konnten. Es ist anzunehmen, dass es das erklärte Ziel des Kardinals war, eine Erneuerung der auf rätselhafte Weise verschwundenen Dotation zu erwirken. Angesichts der Kontrolle, die Bernhard zeitweilig über Mathilde gewann, ist es nicht verwunderlich, dass sie in seine Hände am 17. November 1102 die Schenkung ihrer Allodien an den Apostolischen Stuhl erneuerte, an deren Echtheit mehrfach Zweifel geäußert wurden, ohne dass die Donation hätte sicher als Fälschung entlarvt werden können. Die Wiederholung der Schenkung wurde notwendig, da die erste Fassung verloren gegangen war; ein Schicksal, das auffälligerweise auch dem zweiten Exemplar widerfuhr. (Zugegebenermaßen macht dieser doppelte Verlust stutzig und das Dokument verdächtig.) Möglicherweise war der Verlust der ersten Schenkung erst schmerzlich bemerkt worden, als Gerüchte über die Adoption Guido Guerras an den Tiber drangen. Dass es sich bei der Erneuerung
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der Donation nicht um eine Schenkungsform handelte, bei welcher der Stifter zu Lebzeiten das Stiftungsgut zur freien Verfügung zurückerhielt, erhellt eine Urkunde Paschalis’ II., in welcher dieser Mathilde eine Schenkungserlaubnis für Polirone in beliebigem Umfang erteilte. Bernhard dürfte ihr dieses Zugeständnis selbst erwirkt haben, da er sich nicht nur zur Zeit der Abfassung am 20. März 1105 in Rom befand, sondern die Urkunde auch persönlich unterfertigte. Schon vor der offi ziellen Erneuerung erwähnte Mathilde in einer Urkunde für Nonantola ihre erste Schenkung. Das war völlig neu. In keiner anderen Urkunde wird die Schenkung auch nur angedeutet, geschweige denn ausdrücklich genannt. Daher liegt der Schluss nahe, dass Bernhard bereits intensiv mit ihr über ihre erste Stiftung, deren Konsequenzen und die Notwendigkeit der Wiederholung gesprochen hatte. Als die Markgräfin gemeinsam mit dem Kardinal am 18. Oktober 1102 für das Burgkloster Canossa urkundete, um den Konvent für seine Verluste während des Kampfes gegen Heinrich IV. zu entschädigen, lässt der Wortlaut der allerdings nur fragmentarisch erhaltenen Urkunde erkennen, dass nach Bernhards Ansicht die Fürstin ohne seine Zustimmung nicht mehr frei über ihre Eigengüter verfügen konnte. Nur einen Monat später wurde die donatio Matildica an den Apostolischen Stuhl erneuert. Nicht jedem gefiel die beherrschende, extrem dominante Rolle, die Bernhard in dieser Zeit bei Mathilde spielte. So spricht der Geschichtsschreiber Donizo, der Bernhard gut gekannt haben muss, zwar stets mit ehrender Anerkennung von dem Kardinal, aber auch mit spürbarer Zurückhaltung. Zum einen wollte er das Andenken Anselms von Lucca nicht schmälern, den er wohl nicht ganz zu Unrecht für den eigentlichen Seelenvertrauten der Markgräfin hielt, zum anderen dürften sich die Lieblingsklöster der Fürstin Hoffnungen auf ihr Erbe gemacht haben; andere Erbverfügungen konnten weder Canossa noch Polirone gelegen kommen. Seltsamerweise waren bei der Erneuerung der Mathildischen Schenkung nur sehr wenige Zeugen zugegen; ungewöhnlich für ein so wichtiges Dokument. Alle treuen Begleiter der Fürstin, die sich fast permanent in ihrer Umgebung aufhielten und von den Konsequenzen der Schenkung ja unmittelbar betroffen waren, fehlen! Dagegen bezeugen zwei Männer den Rechtsakt, die in keiner anderen Urkunde genannt werden: Atto von Montebaranzone und Bonusvicinus von Canossa; zwei Männer ohne erkenn-
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baren Rang und ohne größere Bedeutung. Bernhard selbst unterfertigte nicht, nahm er das Dokument doch in Stellvertretung des Papstes entgegen. Er dürfte die Schenkungsurkunde sofort nach Rom transportiert haben, denn für mehr als ein Jahr ist er abwesend, und Mathilde urkundet wieder allein. In der Ewigen Stadt wurde das Dokument in eine Marmorplatte eingraviert, um nochmaligem Verlust vorzubeugen. Dies war kein singuläres Vorgehen, auch andere, besonders wichtige Donationen an den heiligen Stuhl wurden auf diese Weise buchstäblich in Stein gehauen. Die 1,80 Meter lange und ca. 0,90 Meter breite Marmorplatte ist tatsächlich über die Zeiten gekommen; sie befindet sich heute unter St. Peter. Wenn Bernhard nicht zugegen ist, wird in den Urkunden der Fürstin kein Wort darüber verloren, dass sie vielleicht nicht frei Güter verschenken oder veräußern darf, die ihr gar nicht mehr gehören. Hat Mathilde die Tragweite ihrer Schenkung überhaupt abzuschätzen vermocht? Fast zweifelt man daran – angesichts der Ungeniertheit, mit welcher die Markgräfin gerade in ihren letzten Lebensjahren üppige Donationen ausfertigen ließ, vor allem für das Kloster Polirone. Nur in Gegenwart Bernhards wird an die Rechte Roms am Canusinerbesitz erinnert, was sicher auf seinen Diktateinfluss zurückzuführen ist. Mathilde allein erwähnt diese Rechte nicht; und sie geht sogar noch weiter: Als die Fürstin 1106 einen Teil der Burg Rocca Tiniberga verkauft, werden Rechte anderer an diesem Besitz sogar ausdrücklich negiert. Wie ist dieses Verhalten erklärbar? Wahrscheinlich glaubte Mathilde, ihre Schenkung an den Apostolischen Stuhl beträfe nur die Eigenkirchen und alle Rechte der Canusiner an kirchlichen Institutionen. Eine vollständige Übereignung ihres Allodialbesitzes dürfte sie nie gewollt haben. Hat Kardinal Bernhard die alternde Markgräfi n über den Tisch gezogen? Obwohl Bernhards Rolle bei der Abfassung der Schenkungswiederholung den Kardinal etwas zwielichtig erscheinen lässt, agierte er durchaus nicht einseitig, allein zu Gunsten Roms. Er sah deutlich, dass die Kirche Oberitaliens während der langen Kampfphase des Investiturstreits schwer gelitten hatte und teilweise richtiggehend verarmt war. Wann immer Mathilde versuchte, im Raum Parma-Reggio-Modena stabilisierend zugunsten geistlicher Institutionen einzugreifen, war er an ihrer Seite. Weitere Reisen unternahm er in ihrem Gefolge nicht, da ihn seine Legatenaufgaben an ebenjenen Raum banden. Dort sorgte er allerdings dafür, dass
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Mathilde noch enger und intensiver als bisher mit den Bischöfen zusammenarbeiten und deren Netzwerke für den Neuaufbau ihres eigenen Machtbereiches nutzen konnte; nicht mehr in der eher gewaltsamen Art ihres Vaters, sondern auf konsensualer Basis – aber immerhin wirkungsvoll. Im Mai 1104 trifft sich die Fürstin mit Bernhard, Bonussenior von Reggio und Ugo von Mantua; noch im gleichen Jahr werden auch die Bischöfe von Modena und – ansatzweise – Pistoia mit in das kooperative Boot geholt. Dass das neue Miteinander seinen Preis hatte, beweist der Umstand, das Mathilde Pistoia zunächst einmal bestimmte Liegenschaften restituieren musste, welche sie bislang wohl zu Unrecht besessen und genutzt hatte. Der Bischof ließ sich seine Bereitschaft zum Konsens also bezahlen. Zudem begünstigten alle Urkunden, die Mathilde in dieser Zeit gemeinsam mit geistlichen Würdenträgern ausfertigen ließ, geistliche Empfänger. Hinsichtlich ihrer weltlichen Getreuen und Vasallen nutzten ihr die guten Kontakte zu den Bischöfen Oberitaliens und den Kardinallegaten nichts; im Gegenteil. Um die Geistlichen auf ihre Seite zu ziehen, musste sie immer öfter ihre eigenen Gefolgsleute in die Schranken weisen, was zwangsläufig zu Absplitterungstendenzen führte. So beherrschend Bernhards Stellung am Hof Mathildes auch anmutet: Er war auch seinerseits auf die Fürstin angewiesen, strebte er doch die Übernahme des Bischofsthrones in Parma an. Nach Beratungen mit der Markgräfin predigte er im dortigen Dom, da besondere Sicherheitsvorkehrungen nötig waren. Parma stand traditionell auf der Seite Heinrichs IV., weshalb berechtigte Sorge bestand, dass die Bürger dem Kardinallegaten nicht positiv gegenüberstehen würden. So kam es dann auch: Aufgebracht stürmte die Menge den Dom, raubte das eigens für diesen Tag von Mathilde gestiftete Messgerät und brachte Bernhard in schlimmste Bedrängnis. Nur mit knapper Not gelang es, den Geistlichen zu befreien. Angeblich wurde Parma nur auf Geheiß Bernhards von schwerwiegenden Vergeltungsmaßnahmen der Canusinerin verschont, doch dürfte diese Nachricht stark geschönt sein; denn tatsächlich verfügte Mathilde kaum über die militärischen Mittel, um Parma tatsächlich nachhaltig zu demütigen oder gar völlig in die Knie zu zwingen. Nach dieser Niederlage ließ Bernhard seine Bischofspläne erst einmal ein Jahr lang ruhen und ging nach Rom, wohin er wohl einen Brief Mat-
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hildes an Papst Paschalis II. transportierte. Anlässlich der Synode von Guastalla 1106 kehrte Bernhard zurück. Zwischenzeitlich hatte sich die Situation in Parma entspannt, und die Parmenser baten am Rande der Synode offiziell um die Bestellung Bernhards zu ihrem neuen Bischof. Mathilde und wohl auch der apostolische Legat Johannes hatten ganze Arbeit geleistet und den Boden für diese Bitte bereitet, ohne dass bekannt wäre, wie genau sie den Stimmungsumschwung in Parma haben erreichen können. Nach Abschluss der Synode weihte Paschalis II. selbst den neuen Dom in Gegenwart der Markgräfin und setzte Bernhard feierlich zum neuen Oberhirten von Parma ein. Auf dem Weg von Guastalla nach Parma gewährte der Papst der Canusinergründung San Genesio di Brescello ein großes Privileg und bestätigte alles, was Mathilde selbst für den Konvent bestimmt hatte. Die Urkunde war der Dank des Nachfolgers Petri für Mathildes unermüdlichen Einsatz für die Kirchenreform und ganz konkret für die dauerhafte Etablierung Bernhards in Oberitalien. Mit seiner Bischofsweihe hatte das Reformpapsttum eine große strategische Leistung zum Abschluss gebracht: Nach Brescia und Reggio konnte nun auch Parma mit einem Exponenten der Reformgruppe besetzt werden, was wesentlich zur Befriedung und Beruhigung Oberitaliens beitrug. Auch nach der Übernahme des Bischofsamtes behielt Bernhard seine Legatenaufgaben bei und ließ auch die Beziehungen zu Mathilde nicht gänzlich abreißen. Wann immer es möglich war, besuchte er die alternde Fürstin und hielt sich 1109 sogar für einige Wochen in San Cesario sul Panaro bei ihr auf. Da sich auch Bischof Landulf von Ferrara sowie sein Amtskollege Ugo von Mantua gleichzeitig bei der Canusinerin befanden, darf man davon ausgehen, dass diese die Bischöfe angesichts ihrer schwindenden Kräfte zusammengerufen hatte, um die Kleriker stärker in ihr politisches Konzept einzubinden und zugleich ihren Anspruch auf die Bischofsstädte zu untermauern. Nur ein Jahr vor ihrem Tod ruft sie noch einmal einige Bischöfe ihres engsten Umfelds zu sich. Bereits schwer erkrankt, gab sie dennoch nicht die Zügel in ihrem innersten Machtbereich aus der Hand, sondern versuchte immer wieder, ihre Getreuen zusammenzuhalten und für ihre Zwecke einzusetzen. Trotz aller Rückschläge und starker Erosionserscheinungen an den äußeren Rändern des „stato canossiano“ hat Mathilde niemals an Aufgeben oder kampfloses Zurückweichen gedacht.
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In den letzten fünfzehn Jahren ihres Lebens häufen sich Schenkungen Mathildes an geistliche Institutionen; erst jetzt wird sie zu jener vielgerühmten Fürstin, deren üppig fl ießende Milch die Kirchen und Klöster nährte. Ausschließen kann man, dass diese veränderte Politik auf eine nahe Todeserwartung zurückzuführen ist, die zu gesteigerter Frömmigkeit und Freigebigkeit geführt hätte. Tiefreligiös war Mathilde schon immer gewesen, nun aber dürften viele vormalige Sparsamkeitsmotive weggefallen sein: Sie wusste, dass die Canusiner mit ihr aussterben würden; für wen sollte sie also den Besitz zusammenhalten? Zudem konnte Mathilde nicht mehr die Augen davor verschließen, dass die aufstrebenden laikalen Elemente vor allem an den Außengrenzen ihres Machtbereiches und die urbanen Zentren sich immer stärker von ihr abwandten. Dieser Ablösungsprozess verlief nicht spektakulär oder kriegerisch, sondern schleichend, deshalb aber nicht minder spürbar oder effektiv. Die führenden toskanischen Familien hatten sich längst von der canusinischen Herrschaft emanzipiert. Die bedeutenden toskanischen Städte entwickelten sich so rasant, dass man sich an die alternde Fürstin kaum mehr erinnerte. Man brauchte die Herrschaft nicht in einem Gewaltakt abschütteln; es genügte, mit Nachdruck die Stadttore zu schließen, denn längst hatte sich herumgesprochen, dass Mathilde zu einem machtvollen Gegenschlag nicht mehr in der Lage war: Die Abspaltungsbewegungen fanden einfach an zu vielen Orten gleichzeitig statt. Lucca, wohin die Fürstin noch gute Beziehungen unterhielt und wo sie auch einen gewissen Einfluss gelten machen konnte, war in der Entwicklung bereits weit hinter Florenz zurückgefallen. Der einstige stolze Vorort der Toskana gehörte nur noch zur zweiten Liga. Im aufstre-
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benden Florenz jedoch hatte Mathilde kaum mehr etwas zu sagen, vor allem nicht mehr, seit ihre Beziehung zu Guido Guerra an Intensität verloren hatte. Pisa liebäugelte schon lange mit dem salischen Königtum. Zwar beherbergte der Campo Santo beim Dom die Gebeine von Mathildes Mutter Beatrix, aber was bedeutete dies schon noch? Hatte Mathilde über lange Jahre dank ihrer unentbehrlichen Hilfe für das Reformpapsttum gestaltend wirken können, blieb ihr nun nur noch, den politischen Entwicklungen hinterherzulaufen und zu retten, was zu retten war. Ohne nennenswerte Konkurrenten waren die ersten Canusiner in der Po-Ebene aufgestiegen und zu Macht und Ansehen gelangt; nun konnte sich die letzte Canusinerin vor neuer, vor allem städtischer Konkurrenz kaum mehr retten. Obwohl sie die Bischofsthrone ihrer emilianischen Umgebung mit Reformkräften hatte besetzen können, waren diese vom Augenblick ihrer Amtseinsetzung an beileibe nicht mehr so stark von ihr abhängig, wie dies früher der Fall gewesen war. Vielmehr betrieben auch ihr nahestehende Bischöfe eine eigene, manchmal auch gegen die Fürstin gerichtete Politik, und sie musste zurückweichen, wollte sie diese Parteigänger nicht verlieren. Ohne alle Einschränkungen hatte sie sich Zeit ihres Lebens immer nur auf ihre Burgen und ihre Lieblingsklöster verlassen können, wohin sie sich jetzt zunehmend häufiger zurückzog, allerdings ohne jemals auch nur eine einzige Position aufzugeben, ohne vorher alles versucht zu haben, sie zu halten. In Modena ergriff Mathilde die Gelegenheit, sich unvergesslich in das Gedächtnis der Stadt einzugraben. Ihr Beitrag sicherte den Domweiterbau! Damit ging sie auch in die Geschichtsschreibung Modenas ein, denn über Dombau und Domweihe sowie die Translation der Gebeine des hl. Geminianus entstand eine eigene Relatio, die wahrscheinlich Aimo, ein Kathedralkanoniker verfasste. Am 1. Mai 1106 erfolgte die festliche Weihe, nachdem zuvor ein heftiger Streit darüber entbrannt war, ob man die Gebeine des Heiligen bei dieser Gelegenheit zeigen dürfe oder nicht. Während die Domkanoniker die Geminianus-Reliquien unbedingt öffentlich zeigen wollten, waren die Bürger strikt dagegen. In dieser Zwickmühle gefangen, holte man den Rat Mathildes ein. Die Fürstin entschied, dass man unbedingt auf die Ankunft Papst Paschalis’ II. warten müsse, der ohnehin zur Synode nach Guastalla kommen werde. Die Gemüter beruhigten sich auf diesen Rat hin, und man wartete gespannt auf Paschalis’ Eintreffen.
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Noch immer war Mathildes Ansehen also hoch genug, um ihr entschiedenes Wort die Wogen glätten zu lassen; noch immer galt sie als Garantin der Ordnung und als Schiedsrichterin, deren Urteil auch Gehör fand – aber wie selten waren die Gelegenheiten geworden, bei welchen man ihre Meinung einholte? Nach dem Eintreffen des Papstes verlief alles vollkommen reibungslos. Mit großem Gefolge und beeindruckender Prachtentfaltung hielt Paschalis II. Einzug. Mathilde kam hinzu, und gemeinsam beging man in Modena die festliche Domweihe. Das Grab des heiligen Geminianus wurde geöffnet. Dass die Bürger sich einer Zurschaustellung der Reliquien widersetzt hatten, ging weniger auf ethische oder religiöse, sondern überwiegend auf praktische Gründe zurück. Man wollte vermeiden, dass die Situation außer Kontrolle geriet und im Getümmel Teile der kostbaren Reliquien gestohlen oder beschädigt würden. Da der Heilige zugleich der Schutzpatron der Stadt war, musste der bedeutendste Schatz des Ortes unversehrt behütet werden. Natürlich nistete auch eine gewisse abergläubische Furcht in den Herzen der Menschen, denn konnte man sich denn ganz sicher sein, dass die Gebeine auch wirklich noch in dem Sarkophag ruhten? Könnten die Knochen nicht bei Öffnung des Grabes zu Staub zerfallen und alles wäre verloren? Angesichts dieser rationalen und irrationalen Ängste fiel es schwer, einen Kompromiss zu finden; aber es gelang, was die Relatio sogar im Bild festhält. Mathilde wohnte demnach der Öffnung des Sarkophags persönlich an prominentester Stelle bei; neben ihr stehen der Modeneser Dombaumeister Lanfrancus sowie die Bischöfe von Reggio und Modena. Aber auch die Bürger müssen nicht abseits stehen: Zwölf nur leicht bewaffnete Bürger und sechs Adlige in kompletter Rüstung werden ebenfalls Augenzeugen der Graböffnung. Alle Entscheidungsträger innerhalb der aufstrebenden Kommune haben sich also am Sarg des Heiligen eingefunden, der sie noch einmal alle unter einen, seinen Hut bringt. Das Bild suggeriert ein ausbalanciertes Kräfteverhältnis in der Stadt, aber es ist eben nur ein Bild. Noch steht Mathilde im Zentrum des urbanen Lebens, aber ihre Urkunden sprechen bereits eine deutlich andere Sprache. Die kommunale Entwicklung wird von ihr nicht unterstützt; wo immer sie kann, versucht sie deren Erstarken zu verhindern. Daher urkundete sie gezielt für innerstädtische kirchliche Institutionen, um mit Hilfe von Bischöfen, Klöstern und Domkapiteln –
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wiederum drängt sich dieses treffende Bild auf – einen Fuß in die sich schließenden Stadttore zu bekommen. Noch in der Hoffnung, die Adoption Guido Guerras werde von Dauer sein, urkundete Mathilde im Jahr 1100 / 1101 für Santa Reparata zu Florenz, den Bischof von Lucca, begünstigte das Domkapitel von Pisa und stiftete für den Weiterbau des Pisaner Domes. Alles im Verlauf nur eines Jahres! Noch einmal versucht sie mit Macht, das Ruder herumzureißen und in der Toskana neu Fuß zu fassen. Doch südlich des Apennins arbeitet die Zeit noch schneller und unerbittlicher gegen sie als nördlich des Gebirges. Zwar gibt es noch Begünstigungen für Bischof und Kathedrale von Volterra sowie Kirche und Kloster San Zeno zu Pistoia, aber es hilft nichts; die toskanischen Städte kann sie nicht zurückgewinnen. In den immerhin seit 1104 fünf Jahre lang tobenden Kampf zwischen Pisa und Lucca griff Mathilde nicht ein: Sie hätte ihre Kräfte in einem aussichtslosen Ringen verschlissen. Außerdem ist es mehr als fraglich, ob eine der beiden Streitparteien Mathilde überhaupt hätte ins Boot holen wollen. Als jedoch 1107 Florenz Prato belagerte, stand sie an der Seite der Arnostadt, um ihre guten Beziehungen zu den Guidi nicht zu gefährden. Nach dem Entgleiten der Toskana verstärkte Mathilde ihr Engagement für die emilianischen und romagnolischen Städte innerhalb des schrumpfenden „stato canossiano“. 1105 erhielt der Bischof von Bologna eine Urkunde, aber dort hatten schon ihre Vorfahren mit ganz erheblichen Durchsetzungsproblemen zu kämpfen gehabt. Andererseits ist Bologna bis heute ein wichtiger Brückenkopf für die Apenninübergänge in die Toskana: ein Platz, der im frühen 12. Jahrhundert mit Nachdruck behauptet werden musste. Besser, nachhaltiger und erfolgreicher arbeitet Mathilde mit den Bischöfen von Reggio und dem dortigen Kloster des hl. Prospero, dem Oberhirten von Modena sowie dem Parmenser Kloster San Paolo zusammen. Sorge bereitete ihr Mantua. Seit die Bürger sie aus den Mauern verjagt und Heinrich IV. ihre Tore geöffnet hatten, konnte sie am Mincio nur mühsam Boden gutmachen. Die Stadt, in welcher Bonifaz wohl zeitweilig prachtvoll residierte, blieb Mathilde zunächst weitestgehend verschlossen. Aber sie kämpfte: 1110 begünstigte sie die Familie Visdomini, die innerhalb Mantuas die canusinische Partei ergriff. 1114 verbreitet sich das Gerücht, Mathilde sei verstorben, was in Mantua zu spontanen Jubelfeiern führt.
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Lässt sie sich das gefallen, ist ihre Autorität an jedem Ort für alle Zeit untergraben. Daher wirft Mathilde noch einmal ihr volles militärisches Gewicht in die Waagschale und erobert Mantua mit aller Härte zurück. Noch am 3. April 1115, nur wenige Monate vor ihrem Tod, urkundet sie für San Michele in Mantua, um vielleicht doch noch eine geistliche Institution auf ihre Seite zu ziehen. Selbst auf dem Sterbebett blieb Mathilde beharrlich an den Städten interessiert und versuchte, sie wieder unter ihre Obödienz zu zwingen. Auch in Mailand wird sie aktiv, als es gilt, einen neuen Erzbischof einzusetzen. Die Allianz zwischen Mailand, Cremona, Lodi und Piacenza unterstützte sie ohnehin, da man sie seitens der Städte darum gebeten hatte und sich die Union gegen Heinrich IV. richtete. 1098 verzichtete sie zugunsten Cremonas sogar auf die Insula Fulcherii. Die Städteopposition gegen den Salier eröffnete Mathilde Einflussgebiete, die ihr bislang vollkommen versperrt gewesen waren. Kein Canusiner vor ihr hatte in der lombardischen Metropole Mailand über nennenswerte Gestaltungsmöglichkeiten verfügt. Allen Beteiligten dürfte klar gewesen sein, dass Mathildes Rolle in Mailand rein situationsgebunden war und keine Chance auf Dauerhaftigkeit besaß. Bei der Besetzung Mailands agierte sie dann auch ganz im Sinne der Reformkurie und dürfte doch nur mit knapper Not einem handfesten Skandal entgangen sein: Ganz selbstverständlich investiert Mathilde den neuen Erzbischof mit den geistlichen Amtssymbolen Ring und Stab! Hatte sie denn vergessen, dass diese Symbole bei der Investitur nicht mehr verwendet werden durften, und Laien bei der Bischofsinvestitur ohnehin nichts mehr zu sagen und zu suchen hatten? Angesichts ihres Verhaltens muss man sich ernstlich fragen, wie weit sie die geistlichen Probleme des sogenannten Investiturstreites jemals durchschaut hat. Für sie dürften zeitlebens der Kampf und die praktische Umsetzung im Vordergrund gestanden haben, weniger die intellektuelle Durchdringung. Dies passt zu der Beobachtung, dass erst mit Bernhard von Parma Begriffe wie Simonie Eingang in die Mathildischen Urkunden gefunden haben, und auch dies nur, wenn der Kardinal selbst zugegen war und Einfluss auf das Diktat nehmen konnte. Aber die Kurie konnte und wollte ihre wichtige Parteigängerin, die sich im langen Streit als stets zuverlässig erwiesen hatte, nicht öffentlich maßregeln und ging mit wohlwollendem Stillschweigen
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über diesen Fauxpas hinweg; niemand am Tiber hatte Interesse daran, die weltliche Galionsfigur des Kampfes für die Kirchenreform an den Pranger zu stellen. Doch alle Kooperation mit Bischöfen und Kardinallegaten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Mathildes Kontakte zum Reformpapsttum spürbar abkühlten. Schon zu Urban II. vermochte sie niemals ein so enges Verhältnis herzustellen, wie sie es zu Gregor VII. gehabt hatte, und unter Paschalis II. gibt es zwar wichtige, aber nur sporadische Begegnungen der Markgräfi n und des Papstes. Ihr Briefverkehr mit den Nachfolgern Petri, der zu Lebzeiten Gregors VII. so rege gewesen war, schlief ein. Selbst die Kardinallegaten konnten den für Mathilde aus persönlichen und politischen Gründen entscheidend wichtigen direkten Draht zum Ohr des Papstes nicht ersetzen; sie blieben in ihren Augen Mittelsmänner. Vielleicht traf Mathilde auch deshalb im Jahr 1111 eine Entscheidung, die noch heute mitunter für verständnisloses Kopfschütteln sorgt. Durch mehrere Gesandtschaften näherte sich Heinrich V., der zweite Sohn und Nachfolger Heinrichs IV., Mathilde an. 1105 hatte er sich gegen seinen Vater empört, der ihm zu Weihnachten des gleichen Jahres die Reichsinsignien hatte ausliefern müssen. Während der alte Kaiser noch versuchte, ein Heer gegen seinen Sohn zu rüsten, starb er am 7. August 1106. Donizo bricht beim Erhalt der Todesnachricht in Jubel aus; ob Mathilde ebenso empfand, ist fraglich, ja eher unwahrscheinlich. Immerhin hatte sie sich in Canossa und in den Jahren danach immer wieder für Heinrich IV. eingesetzt, und nach des Kaisers Rückzug nach Deutschland stellte dieser keine Gefahr mehr für die Fürstin dar. Heinrich V., der nun unangefochten die Macht im Reich ausübte, durfte sich auf die Unterstützung Paschalis’ II. und damit auch Mathildes verlassen. Nachdem sich die Lage nördlich der Alpen beruhigt hatte, brach der letzte Salier Ende 1110 nach Süden auf, um die Kaiserkrone zu erlangen. Allerdings schuf sich Heinrich V. bei seiner Ankunft in Italien nicht nur Freunde. Sein Heer hielt sich an dem Land schadlos, in dem es sich befand. In Kriegszeiten war das normal; in Friedenszeiten ungehörig. Die Schäden und das Leid, das die plündernden Horden verursachten, führten zu erheblichen Missstimmungen. Auch Mathilde war die Ankunft des Königs nicht geheuer, und sie verschanzte sich auf ihren Burgen im Apennin. Niemand konnte so recht einschätzen, wie sich Heinrich V. ihr gegenüber verhalten würde.
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Bislang hatte der letzte Salier keine Kontakte zu Reichsitalien gesucht, und über Mathilde schwebte noch immer das Damoklesschwert der großen Reichslehen, die sie ohne förmliche Belehnung und damit letztlich illegal innehatte. Doch Heinrich V. zerstreute ihre Bedenken, indem er eine Gesandtschaft zu der ihm verwandten Markgräfin schickte, um seine Friedensbereitschaft zu unterstreichen und ihr gleichzeitig zu schmeicheln – denn bei allem Schaden, den das Ansehen der Salier genommen hatte: eine königliche Gesandtschaft zu empfangen war eine Ehre. Mit den Gesandten wurde vereinbart, dass sich Mathilde hinsichtlich des Romzuges Heinrichs neutral verhalten sollte. Dieses Zugeständnis dürfte ihr leicht gefallen sein, denn niemand konnte ahnen, in welchem Skandal die Kaiserkrönung enden sollte. Vielmehr herrschte berechtigte Hoffnung, dass Heinrich V. und Paschalis II. eine Lösung der Investiturproblematik finden würden. Donizo spricht davon, dass Mathilde einen förmlichen Vertrag mit den Abgesandten des Königs geschlossen habe, über dessen konkreten Inhalt er aber bedauerlicherweise schweigt. Bestimmt regelte dieser Vertrag aber das sichere Durchzugsrecht durch die canusinischen Gebiete. Geleit dürfte der König wohl nicht benötigt haben, schließlich umgaben ihn eigene Truppen; wohl aber ortskundige Führer, die den besten und sichersten Weg weisen konnten. Unbehelligt erreichte der Salier Sutri, etwa fünfzig Kilometer vor Rom, wo die Verhandlungen mit Paschalis II. in die letzte, entscheidende Phase eintraten. Zur Lösung des Investiturproblems wurde vereinbart, dass Heinrich V. auf die Investitur der Bischöfe verzichten werde, wofür die Kirche ihrerseits versprach, alle Reichsgüter zurückzugeben, die sie der Munifizenz der Herrscher zu verdanken hatte. Damit wäre eine Entflechtung zwischen Reich und Kirche erreicht worden, wie sie noch nie zuvor existierte; zugleich hätte diese Regelung eine Rückkehr der Kirche zur apostolischen Armut und die ausschließliche Konzentration auf ihre rein geistlichen Aufgaben ermöglicht. Beide Vertragsparteien vereinbarten zunächst Stillschweigen über das Abkommen. Am 11. Februar 1111 erlebte Heinrich V. einen höchst feierlichen Empfang in Rom, und die Zeremonie der Kaiserkrönung begann. Allerdings wurde vor dem eigentlichen Zeremoniell zunächst die vertragliche Übereinkunft zwischen den beiden Universalgewalten öffentlich verlesen, was zu einem politischen Erdbeben führte. Alle Betroffenen waren nicht nur unzufrieden, sondern hellauf empört. Die Geistlichen sahen sich ihrer
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Machtbasis beraubt – und die Weltlichen fürchteten einen Kaiser, an den all die verschenkten Reichsgüter mit einem Mal zurückfallen würden. Die Machtbalance zwischen den Weltlichen wäre damit vollständig aus den Angeln gehoben und ein übermächtiges Königtum geschaffen worden. Tumultuarische Szenen spielten sich ab. In dem heillosen Durcheinander forderte Heinrich V. die Investiturrechte nach altem Brauch. Als Paschalis II. dies vehement ablehnte, ließ der Salier den Papst und die Kardinäle kurzerhand gefangennehmen. Unter seinen Geiseln befanden sich auch Bernhard von Parma und Bonussenior von Reggio. Wie Mathilde über den Vertrag von Sutri dachte und ob sie mög licherweise ganz oder teilweise über dessen Inhalt informiert war, wissen wir nicht. Von den Ereignissen am Tiber erhielt sie aber rasch Nachricht. Tief bestürzt bat sie um die Freilassung der beiden Kardinallegaten, mit denen sie nun schon seit Jahren eng verbunden war. Ob ihre Bitte noch weiter ging oder ob sie in diesem Augenblick nur an ihre eigenen Getreuen dachte, bleibt unbekannt. Ihr Bote, der überaus wichtige und fähige Heerführer Arduin von Palude, dem in einer modernen Publikation zu Mathilde von Canossa sogar ein Verhältnis zu der alternden Fürstin angedichtet worden ist, fand Gehör beim Herrscher, der den Bitten der Markgräfin umgehend entgegenkam: Bonussenior und Bernhard erlangten ihre Freiheit zurück. Erstaunlicherweise tat Mathilde nichts, um auch die Freilassung des Papstes und weiterer Kardinäle zu erlangen. Möglicherweise waren ihr durch das Abkommen, das sie mit den Gesandten des Herrschers geschlossen hatte, die Hände gebunden. Dass ihr der Papst so gleichgültig geworden war, dass seine Inhaftierung sie nicht interessierte, darf wohl ausgeschlossen werden. Sicher jedoch darf man davon ausgehen, dass die Fürstin des andauernden Kampfes mehr als müde und überdrüssig war. Nachdem Paschalis II., der Heinrich V. zermürbt durch die Haft schließlich weitgehende Zugeständnisse gemacht und versprochen hatte, ihn wegen der Vorfälle niemals zu exkommunizieren, am 13. April 1111 freigekommen war und den letzten Salier zum Kaiser gekrönt hatte, kehrte Heinrich V. nach Norden zurück. Möglicherweise dachte er zunächst gar nicht daran, Mathilde auf dem Rückweg persönlich zu treffen, entschied sich aber kurzfristig um. Ungeachtet des unglaublichen Skandals der Kaiserkrönung bereitete ihm die Markgräfin einen glanzvollen Empfang auf der Burg Bianello. Drei Tage lang, vom 6. bis 8. Mai 1111, weilte er dort.
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Donizo berichtet von dem Besucher, dass er sich mit Mathilde ohne Dolmetscher in deutscher Sprache unterhalten konnte und unterstreicht damit die Sprachbegabung der Canusinerin. Mit Schmeicheleien gewann er offenbar rasch die Zuneigung der Markgräfin, die er, wenn man Donizo glauben darf, als eine unvergleichliche Frau bezeichnete. Sodann habe er ihr die Herrschaft über Ligurien als Vizekönigin übertragen und Mathilde sogar seine zweite Mutter genannt. So verlockend dieser Ehrentitel gewesen sein mag, so nebulös ist sein Inhalt. Das Amt eines Vizekönigs kannte das Reich nicht und es bleibt völlig offen, was darunter zu verstehen sei. Sollte Heinrich V. Mathilde als Reichsverweserin für Italien benannt haben? Wohl kaum! Und was mag Donizo unter „Liguria“ verstanden haben? Gemeinhin bezeichnet dieser Begriff den Sprengel des Erzbistums Mailand, der Diözesen in Piemont, der Lombardei und Ligurien umfasste, bis 1133 Genua zu einem eigenen Erzbistum aufstieg. Dies waren aber Gebiete, in denen die Canusiner nicht einmal zu ihren besten Zeiten – als Bonifaz noch lebte – über besonderen Einfluss verfügt hatten. Mathilde war innerhalb der betreffenden Bistümer in vielen Fällen völlig machtlos; lediglich in Cremona hatte sie versucht, Politik zu betreiben. Sollte sie überhaupt jemals den Titel einer Vizekönigin für Ligurien verliehen bekommen haben und sich diese Ernennung nicht nur als panegyrische Erfindung Donizos herausstellen, so blieb es dennoch bloß ein reiner Ehrentitel, eine Rangerhöhung ohne nennenswerten Macht- und Kompetenzzuwachs. Paolo Golinelli verfolgt noch eine andere These: Mathilde befand sich noch immer in der Reichsacht, die 1081 in Lucca über sie verhängt worden war. Obwohl die Acht sie im täglichen Leben schon lange nicht mehr behinderte, war sie doch ein Hindernis für die Zusammenarbeit mit Heinrich V. Sollte der Kaiser die Markgräfi n in Bianello nicht nur von der Acht gelöst und mit den Reichslehen ihres Vaters neu belehnt haben, was Donizo dann entsprechend phantasievoll ausschmückte? Ein auf den ersten Blick ansprechender Gedanke, doch lagen die wichtigen Reichslehen des Bonifaz nicht in dem Gebiet, das in anderen oberitalienischen Quellen als „Liguria“ bezeichnet wird. Da Mathilde selbst den Titel einer Vizekönigin niemals geführt hat, dürfte sie ihm entweder keine Belastbarkeit zugetraut oder ihn nie erhalten haben. Wahrscheinlich nahm Heinrich V. die mit ihm verwandte Markgräfin nur feierlich wieder in den Kreis der Großen des Reiches auf, ohne ihr eine bestimmte Funktion für
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Italien zu übertragen. Das Vizekönigtum Mathildes dürfte dem Wunschdenken Donizos entsprungen sein, der in dieser herausragenden Stellung wohl die einzig mögliche Würdigung der Lebensleistung der Canusinerin gesehen hat. Bevor der Kaiser Bianello wieder verließ, schloss er mit Mathilde einen festen Vertrag, der nur bei Donizo erwähnt wird und dessen Inhalt unbekannt ist. Vielfach ist dieses Abkommen als Erbeinsetzung Heinrichs V. im Falle des Todes der Markgräfin interpretiert worden. Der Umstand, dass der Kaiser in Bianello Mathilde seine Mutter genannt haben soll, spricht dafür, dass sie tatsächlich die Vergabe ihrer Allodien im Todesfall neu disponierte. Hatte sie vergessen, dass sie nur neun Jahre zuvor ihre Schenkung an den Apostolischen Stuhl erneuert hatte? War ihr bewusst geworden, dass diese Schenkung viel weitergehend formuliert worden war, als sie dies eigentlich beabsichtigt hatte? Wohl nicht, denn 1112 und 1114 erinnert sie in zwei Urkunden deutlich an ihre Schenkung; in der späteren Donation war allerdings Bernhard von Parma gegenwärtig und dürfte sie gemahnt haben. Hatte sie verdrängt, dass mit Guido Guerra noch ein weiterer Erbaspirant lebte, den sie immerhin adoptiert hatte? Versprach sie sich vom Kaiser Hilfe in der Städtepolitik? Wie gut Heinrich V. auf die Befindlichkeiten der oberitalienischen Städte einzugehen verstand, zeigte sich allerdings erst nach Mathildes Tod. Ob sich sein politisches Fingerspitzengefühl hinsichtlich der kommunalen Bewegung bereits 1111 abzeichnete, lässt sich nicht beurteilen. Vielleicht hat sie Heinrich V. ja auch gar nicht förmlich durch eine testamentarische Verfügung zum Erben eingesetzt. (Hätte es eine schriftliche Ausfertigung gegeben, wären der Salier und seine Nachfolger im Streit um das Mathildische Erbe sicher darauf zurückgekommen und hätten die Urkunde präsentiert.) Dass der Kaiser die Blutsverwandtschaft mit Mathilde so auffällig erwähnte, spricht eine eigene Sprache. Als naher Verwandter brauchte er eigentlich gar kein Testament, um das Erbe einfordern zu können. Der von Donizo erwähnte Vertrag könnte auch ein Stillhalteabkommen beinhaltet haben, um Heinrich V. mit Blick auf seine Politik gegenüber dem Apostolischen Stuhl den Rücken frei zu halten. Ermüdet von den langen Kämpfen, gesundheitlich geschwächt und sicher auch enttäuscht über die nachlassende Kommunikation, dürfte Mathilde bereit gewesen sein, um den Preis des guten Einvernehmens mit dem Kaiser auf
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die weitere Unterstützung Paschalis’ II. zu verzichten. Dass Mathilde auf Grund ihres politischen Weitblicks durch ihr Verhalten eine Versöhnung von regnum und sacerdotium gleichsam herbeizwingen wollte, dürfte sich bei genauerer Betrachtung als Illusion herausstellen. Zum einen musste Mathilde wissen, dass nach den Vorfällen von 1111 an eine echte Aussöhnung vorerst nicht zu denken war; zum anderen wird ihr fundamentaler politischer Weitblick zwar vielfach in der Literatur beschworen – man muss aber gerade in ihren späten Jahren zweifeln, ob sie wirklich noch den politischen Überblick behalten hat. Dass sie sich in diesem Zusammenhang mit den Ideen Ivos von Chartres auseinandergesetzt habe, ist schlechterdings nicht zu beweisen und mehr als unwahrscheinlich. Wie auch immer das Abkommen zwischen den beiden gelautet haben mag: Heinrich V. war es nicht nur gelungen, sich kurzfristig Ruhe in Oberitalien zu verschaffen, sondern auch die Anerkennung der Gefolgsleute Mathildes zu erringen. Deren Unterstützung war unverzichtbar, wollte der Kaiser eines Tages tatsächlich das Erbe der Canusiner antreten. Als er ein Jahr nach Mathildes Tod nach Italien kam, ging seine Rechnung auf. Ohne Widerstand wurde er von den Getreuen der Markgräfi n als neuer Herr über den „stato canossiano“ akzeptiert. Offenbar fiel es den meisten ihrer Vasallen deutlich leichter, einen weltlichen Nachfolger Mathildes zu akzeptieren als einen geistlichen. Schon in ihren späten Jahren hatten es ihre wichtigen und mächtigen Getreuen, darunter Arduin de Palude, Albert von Sabbioneta, Ariald von Melegnano, Opizo von Gonzaga oder Sasso von Bibianello auffällig vermieden, in den Urkunden der Fürstin als Zeugen zu fungieren, wenn die Kardinallegaten in ihrer Umgebung weilten. Nun, da sich Heinrich V. anschickte, die Macht in Mathildes Herrschaftsraum zu übernehmen, strömten sie ihm in Scharen zu – wie es scheint ohne jeglichen Vorbehalt. Auch einige der juristischen Berater der Canusinerin waren gerne bereit, ihr Wissen künftig in den Dienst des Kaisers zu stellen. Sie alle versprachen sich größere Vorteile von dem Salier als vom Papst, hatte doch der lange Kampf zugunsten der Reformpäpste auch ihre Vermögen und Liegenschaften stark in Mitleidenschaft gezogen, ohne dass sie hierfür je eine entsprechende Entschädigung erhalten hätten. Heinrich V. wusste, wie man Mathilde für sich gewinnen konnte. Neben seinen Schmeicheleien und seinem Entgegenkommen in Bianello setzte er auch handfeste Zeichen seiner neuen Verbundenheit mit der Markgräfi n.
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Nicht zufällig ließ er am 21. Mai 1111 in Verona eine Schutz- und Bestätigungsurkunde für Mathildes Lieblingskloster Polirone ausfertigen. Als Vorlage für die kaiserliche Kanzlei diente ein Entwurf der Empfänger. Polirone war also von sich aus, aber sicher nicht ohne Billigung Mathildes, an den Kaiser herangetreten. Von den 32 Güterkomplexen, die in dem Dokument eigens erwähnt werden, stammten nahezu alle aus canusinischen beziehungsweise Mathildischen Stiftungen. Dass die Fürstin in dem Stück nicht eigens erwähnt wird, mag verwundern. Aber die Urkunde wurde ausdrücklich zum Seelenheil des Kaisers und seiner Eltern sowie für die Stabilität des Reiches ausgestellt, ist also ein Memorialzeugnis für den Herrscher selbst. Dennoch konnte kein Zeitgenosse daran zweifeln, dass von dieser Urkunde das überdeutliche Signal einer neuen Kooperation zwischen dem Kaiser und der Markgräfin ausging. Die Polirone-Urkunde Heinrichs V. war das letzte sichtbare Zeugnis für die Zusammenarbeit mit Mathilde von Canossa vor ihrem Tod. Ob zu ihren Lebzeiten Details aus den Besprechungen von Bianello bekannt geworden sind, ist fraglich. Allerdings dürften Gerüchte die Runde gemacht haben, und schon die Begegnung allein ließ eingefleischte Gregorianer vor Zorn erbeben. Wutentbrannt widmete Bischof Rangerius von Lucca seinen Liber de anulo et baculo um. Er sollte für die Nachwelt nicht mehr mit Mathildes Namen in Verbindung gebracht werden. Angesichts dessen, was Lucca und Luccheser Bischöfe Mathilde zu verdanken hatten, ist die Reaktion des Rangerius vielleicht nachvollziehbar, aber ungerecht. Als Mathilde nach Bianello wieder mit Bernhard von Parma zusammentraf, ist von Missstimmung allerdings nichts zu spüren. Bernhard besuchte 1116 sogar den Hoftag Heinrichs V. in Governolo, also im Herzen der canusinischen Besitzungen, wodurch er den Kaiser aber schwerlich als faktischen Erben der Markgräfin akzeptierte, sondern wohl eher eine Regelung hinsichtlich der Reichslehen, die sein Bistum tangierten, erwartete. Obwohl Mathilde im letzten Jahrfünft ihres Lebens viel an Einfluss verloren hatte, fanden sich noch immer illustre Gäste auf dem Weg von oder nach Rom bei ihr ein. Der letzte weithin berühmte Gast war Abt Pontius von Cluny. Der im Dienst der Kurie unermüdlich Reisende befand sich im Winter 1114 in Rom und hielt sich auf dem Rückweg vom 1. bis 6. Januar 1115 bei der bereits schwer erkrankten Mathilde in Bondeno auf. Der Abt hatte mittels des Cluny übertragenen Klosters Polirone seit 1111
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zunehmend Einfluss in den Kerngebieten der Markgräfin gewonnen. Zudem vermittelte Pontius ständig zwischen den beiden Universalgewalten, was ihn mit Mathilde verband. Ob er allerdings nur ein knappes halbes Jahr vor ihrem Tod mit der Schwerkranken politische Probleme diskutierte, ist angesichts des Gesundheitszustandes der Fürstin wenig wahrscheinlich. Den Tod vor Augen gab es bestimmt andere Themen, die Mathilde beim Zusammentreffen mit einem so bedeutenden Geistlichen auf der Seele gebrannt haben dürften. Donizo, der den Besuch wohl aus nächster Nähe beobachten konnte, schwärmt von Abt Pontius, dessen Frömmigkeit alle anderen Geistlichen seiner Tage überstrahlt habe. Freilich trübte zu diesem Zeitpunkt noch kein Schatten den Ruf des großen Abtes, der schließlich abgesetzt wurde und im Kerker umgekommen ist. Jede Nacht habe sich Pontius erhoben, um die Messe zu singen, berichtet Donizo, und Mathilde sei auch durch ihr schweres Leiden nicht davon abzuhalten gewesen, daran teilzunehmen. Völlig gebannt habe sie den Gottesdienst verfolgt, auch wenn die klirrende Januarkälte ihrer Gesundheit schadete und sie über heftige Halsschmerzen klagte. Nach dem Ende der Messe sei sie jeweils so schwach gewesen, dass sie nur mit Hilfe wieder in ihre Gemächer zurückkehren konnte und völlig ermattet auf ihr Lager sank. Auch tagsüber habe sie sich keine Ruhe gegönnt, denn sie habe es sich nicht nehmen lassen, gemeinsam mit Pontius zu speisen; die Faszination des Cluniazensers ließ Mathilde zumindest zeitweilig alle Schmerzen und Hinfälligkeiten vergessen. Am Epiphaniastag zog der Abt weiter, nicht ohne zuvor von Mathilde reich beschenkt worden zu sein. Messgewänder, silberne liturgische Geräte und ein gemmengeschmücktes Kreuz gab sie ihm mit auf den Weg. Ein letztes Mal tritt die Fürstin als Mäzenin des Kunsthandwerks hervor. In ihrem Auftrag waren diese Kostbarkeiten geschaffen worden. Da die Anfertigung der teuren Objekte viel Zeit in Anspruch nahm, darf man davon ausgehen, dass Mathilde stets über einen Vorrat an Geschenken verfügte, um sie bei passenden Gelegenheiten als repräsentative Gaben zu verschenken – nicht zuletzt, damit die Kunstwerke Mathildes Ruf als großzügige und feinsinnige Fürstin über die Grenzen ihres eigenen Machtbereiches hinaustrügen. Woher sie Edelmetallgefäße und kostbare Gewänder sowie Stickereien bezog, ist unbekannt. Mathilde hatte keinen engeren Kontakt zu Nonnenkonventen ihrer Umgebung, die Messgewänder hätten anfertigen können. Natürlich wurde nicht
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jeder Gast so reich beschenkt wie Abt Pontius, aber Donizo berichtet – und hier ist ihm durchaus zu glauben – dass kein einziger Besucher je ohne eine Gabe, gleichsam mit leeren Händen den Hof Mathildes verlassen habe. So erhielt beispielsweise schon Hugo von Grenoble, der im Mai 1080 auf seiner Romreise bei der Canusinerin weilte, neben einem Bischofsstab einen Psalter und die Schrift De officiis des heiligen Ambrosius. Dass die Fürstin sich mit den Geschenken an Abt Pontius ein Totengedächtnis in Cluny einrichten wollte, ist mehr als unwahrscheinlich. Hätte sie dies geplant, so hätte sie während seines Aufenthaltes sicher eine entsprechende Schenkungsurkunde ausstellen lassen. Die Pflege ihrer Memoria gab Mathilde gänzlich Polirone anheim; dem Kloster, das sie zu ihrem eigentlichen Erben machte. Auch gab es immer noch Vertriebene, die Schutz im Umfeld Mathildes suchten. Der letzte politische Flüchtling, der nachweislich längere Zeit bei der Markgräfin weilte, was Erzbischof Konrad I. von Salzburg. Er war am 7. Januar 1106 gewählt und sofort von Heinrich V. investiert worden. Aber schon von Anfang an gab es Probleme mit den Salzburger Stiftsministerialen, die sich beim feierlichen Einzug des neuen Erzbischofs am 25. Januar 1106 auf der Hohensalzburg verschanzten und für die bevorstehende Machtprobe rüsteten. Vor der entscheidenden Auseinandersetzung begleitet Konrad I. den Salier 1110 nach Rom, wobei dieser möglicherweise Kontakt zu Mathilde aufnahm. Am Tiber kam es zum Bruch, da der Metropolit, der seit seiner Zeit als Mitglied der Hofkapelle als furchtloser Mahner berüchtigt war, die Ungeheuerlichkeit der Gefangennahme des Papstes und der Kardinäle nicht einfach hinnehmen wollte. Ob Konrad gemeinsam mit dem Kaiser den Rückweg antrat, ist unbekannt. Nach seiner Rückkehr nach Salzburg fand er die Stiftsministerialität in hellem Aufruhr. Als ihr Rädelsführer Albuin geblendet wurde, klagten die Ministerialen vor dem Kaiser gegen den Erzbischof, der sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, den unbequemen Geistlichen aus dem Amt zu drängen. Zwischen August 1111 und Januar 1112 behielt er Konrad I. kurzerhand in Gewahrsam. Als der Erzbischof endlich entlassen wurde, konnte er nicht mehr in seiner Erzdiözese Fuß fassen. Da seine Lage gänzlich unhaltbar wurde, hatte er Probleme, im Reich nördlich der Alpen Exil zu finden. Seine früheren Partner in der Kirchen- und Klosterreform, wie Graf Berengar I. von Sulzbach oder Markgraf Diepold von Vohburg, stan-
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den damals noch auf der Seite des Kaisers und waren an dessen Widersacher und Kritiker nicht interessiert. So wandte sich Konrad I. nach dem 24. Mai 1112 gen Süden. Seine Vita berichtet, er habe sich fünf Jahre lang bei der sehr edlen und mehr als großzügigen Markgräfin Mathilde aufgehalten. Leider wird Konrads Vita nicht konkreter, sondern gibt als seinen Aufenthaltsort lediglich die Toskana an. Ohne zwingende Gründe ist man längere Zeit davon ausgegangen, der Erzbischof habe sich in Ferrara aufgehalten, was aber unwahrscheinlich ist. Zum einen liegt Ferrara nicht in der Toskana, zum anderen – und das wiegt weit schwerer – hatte Mathilde in Ferrara – an der äußersten Peripherie ihres Herrschaftsbereiches – kaum die Macht, einen Gast für solch einen vergleichsweise langen Zeitraum einzuquartieren. Zudem war Bischof Landulf ein erklärter Anhänger Heinrichs V. Da hat es wenig zu sagen, dass Guglielmo de Marchesella 1104 die Nähe Mathildes suchte, was auf ein politisches Umschwenken der wichtigen Ferrareser Familie zugunsten der Markgräfi n hindeutet. Im Reich wussten einige, wo der Erzbischof zu fi nden war, denn Abt Liutfried des Klosters Grafschaft (im Sauerland) schrieb Konrad I. 1115 einen längeren Brief, in dem er unter anderem über die politischen Entwicklungen im Reich berichtete. Leider gibt das Schreiben keinen Anhaltspunkt dafür, wohin es gerichtet war oder wer es transportierte. Nach 1111 weilte Mathilde nur noch je einmal in der Toskana und einmal in Ferrara; beide Aufenthaltsorte und -regionen sind für Konrad daher gleich unwahrscheinlich. Eine Bischofsstadt oder ein Kloster im Kerngebiet der Canusiner lag verkehrsmäßig günstiger und bot Konrad I. mehr Schutz. Aber es kommt noch eine andere Möglichkeit in Betracht: Nach der Rückkehr in sein Bistum 1121 widmete sich Konrad I. verstärkt der Kanonikerreform, die Möglichkeiten zur Intensivierung und Ausbreitung der Bischofsherrschaft bot. Seit wann er mit dieser Reformrichtung sympathisierte, ist nicht genau einzugrenzen. Da er wohl schon vor seiner Vertreibung Kontakt zum Reformstift Rottenbuch gesucht hatte, dürfte er bereits damals, vor seinem unfreiwilligen Italienaufenthalt der Kanonikerreform zugeneigt gewesen sein. Rottenbuch seinerseits unterhielt Gebetsverbrüderungen zu internationalen Zentren der Chorherrenreform, darunter St. Rufus in Avignon, San Giovanni in Laterano und San Frediano in Lucca. Zu San Frediano unterhielt Mathilde zwar keine nachweisbaren Beziehungen, wohl aber zu dem kleinen Stift San Cesario,
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etwa zwanzig Kilometer von Nonantola gelegen, das sie mit Regularkanonikern besetzen ließ (und dem sie kurz vor ihrem Tod noch Grundbesitz in Vilzagara schenkte), sowie zu St. Peter in Guastalla. Mathildes Interesse an der Chorherrenreform war mit Sicherheit bereits durch Anselm von Lucca geweckt worden und nicht erst durch Erzbischof Konrad I. Die Vermutung liegt aber nahe, dass Mathilde den Geistlichen in San Frediano unterzubringen versucht haben könnte, da dem strahlenden Zentrum der Reformbewegung natürlich der Vorzug vor den provinziellen Stiften San Cesario und St. Peter einzuräumen war. Ein Aufenthalt in Lucca würde zudem hervorragend zu der Nachricht der Konrad-Vita passen, dieser habe in der Toskana gelebt. Dass der Ortsbischof Rangerius Mathilde nach 1111 kritisch gegenüberstand, dürfte die Aufnahme Konrads wohl kaum verhindert haben. Nach Mathildes Tod war allerdings die italienische Exilszeit des Erzbischofs rasch beendet; spätestens beim Herannahen Heinrichs V. musste er das Land verlassen und begab sich auf Umwegen nach Sachsen – im Gepäck die Ideale der Chorherrenreform, die durch ihn im Erzdiözesansprengel von Magdeburg Verbreitung fanden. Spürbar rückten jedoch in den letzten Jahren ihres Lebens andere Fragen in das Zentrum von Mathildes Interesse: Nun trieb sie nicht mehr die große internationale Politik, die Erweiterung ihres Machtbereiches und die Effektivierung ihres Herrschaftshandelns oder die Obsorge für das Reformpapsttum an, sondern die Sorge um die eigene Memoria, um ihr Totengedenken und um die Gestaltung der Erinnerung, die das Gedächtnis der nachfolgenden Generationen prägen würde. Dass Mathilde im Jahr 1100 für den Weiterbau des dortigen Domes sowie für anfallende Ausbesserungsarbeiten ein Grundstück in Pisa mitsamt den daraus zu ziehenden Zinseinnahmen stiftete, sollte nicht nur ihren Anspruch auf die Toskana untermauern, sondern ihren Namen für alle Zeiten mit dem gewaltigen Dombauvorhaben verbinden. Eine Strategie, die einige Jahre später auch Heinrich V. anwandte: Auch er stiftete für den Domweiterbau von Pisa. Doch die Markgräfi n brauchte zudem zuverlässige Fürsprecher, deren Gebete Gott im Gericht gnädig stimmen sollten. Mathilde wusste sehr wohl, dass ihr irdisches Dasein oftmals nicht dem Gebot christlicher Lebensführung entsprochen hatte, ja einfach nicht entsprechen konnte. Hier galt es, einen Ausgleich zu schaffen, und sie spricht
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diesen Wunsch in ihren Schenkungen an geistliche Institutionen offen an: Hundertfachen Lohn erwarteten fromme Stifter im Jenseits für ihre diesseitigen Gaben, und es war nicht anstößig, sich von einer üppige Donation ein gleichsam erkauftes Stück der ewigen Seligkeit zu erwarten. Dem Dombau zu Pisa schenkte Mathilde ihren Besitz zur Tilgung ihrer eigenen Sünden und zum ewigen Seelenheil für ihre verstorbenen Eltern. Die Schenkung an Vallombrosa gemeinsam mit Guido Guerra 1103 erfolgte ebenfalls zu ihrem eigenen Seelenheil und demjenigen ihrer Eltern, wobei hier auch die Furcht vor Gott als dem ewigen Richter thematisiert wird. Die in anderen vallombrosaner Urkunden zu findende Wendung pro amore et timore Dei – also ,aus Liebe zu und Furcht vor Gott’ – zu stiften, hat in Mathildes Urkunden keinen Eingang gefunden. Zwar ist an ihrer aufrichtigen Frömmigkeit und liebenden Verehrung des Allmächtigen nicht zu zweifeln, doch bleibt die Sprache ihrer Urkunden eher traditionell. Als Mathilde an Polirone ihren Besitz in Villola sowie die Insula Sancti Benedicti schenkt und frühere Donationen ihrer Eltern bestätigt, spricht sie offen aus, dass sie hundertfachen Lohn (im Diesseits!) und – was noch besser sei – das ewige Leben als Gegenleistung erwarte. Dass dieses Ziel mit einer einzigen Schenkung eher nicht erreicht werden konnte, war der Markgräfin – ebenso wie allen ihren Zeitgenossen – natürlich bewusst. Daher erscheinen diese Formeln, die eine klare Erwartungshaltung widerspiegeln, geradezu stereotyp – wenn auch in unterschiedlichen Variationen – in allen Stiftungen. Sie waren aber keine sinnentleerten Formeln, die einfach zu einer Schenkungsurkunde dazugehörten, sondern in jedem Fall Ausdruck einer im Glauben begründeten Hoffnung auf Gnade im Jenseits. Je älter Mathilde wird, desto mehr konzentriert sich ihre Schenkungstätigkeit allein auf das Kloster Polirone, das sie zu ihrem eigentlichen Erben bestimmt hat. Allein in den letzten fünf Jahren ihres Lebens erhält ihre Lieblingsabtei zwölf Schenkungen unterschiedlichen Umfangs. Insgesamt legten die Stiftungen der Canusinerin mehr als nur den Grundstock für das zukünftige Wohlergehen der Abtei: Sie machten Polirone reich! Dabei kamen dem Kloster nicht nur die Schenkungen der Fürstin selbst zu gute, sondern auch diejenigen ihrer Vasallen und Getreuen. 1110 sprach Mathilde San Benedetto Po ausdrücklich das Recht zu, Schenkungen ihrer Vasallen annehmen zu dürfen, die sich auf Liegenschaften in Pegognaga,
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Umfangreiche Dotationen: In den letzten fünf Jahren von Mathildes Leben erhielt ihre Lieblingsabtei Polirone insgesamt zwölf Schenkungen und zählte zu den reichen Klöstern Italiens. Zudem wurde das Kloster von Mathilde als letzte Ruhestätte auserwählt.
Gonzaga, Bondeno, Palidano, Bondeno de Roncoris und anderen Ortschaften erstreckten. Da alle diese Orte in den Kernregionen der Canusiner lagen, konnten die Vasallen nur Lehnsbesitz verschenken, der eigentlich Mathilde gehörte; somit war ihre ausdrückliche Erlaubnis nötig. Zugleich band diese Erlaubnis die Gefolgschaft der Fürstin an deren Lieblingskloster und gestattete es den Vasallen, mit Lehnsgütern für ihr eigenes Seelenheil zu sorgen. Aus späterer Zeit gibt es viele Beispiele dafür, dass große Herren ihre eigene Gefolgschaft auf diese Weise an ein Hauskloster binden wollten, um damit auch die dynastie-internen Beziehungen zu stärken. Mathilde steht auch hier am Anfang einer Entwicklung. Bereits so schwer erkrankt, dass man um ihr Leben fürchtete, besuchte Mathilde am 8. November 1114 Polirone, wo man größtes Mitgefühl für ihren offenbar jammervollen Zustand zeigte und sie zugleich dafür bewunderte, dass sie sich von der Hinfälligkeit ihres Körpers nicht davon abhalten ließ, ihr Lieblingskloster zu besuchen. Einmal dort war Mathilde
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besonders daran gelegen, den ebenfalls erkrankten Abt Albericus aufzusuchen, um am Hauptaltar der Kirche eine umfängliche Stiftung ausfertigen zu lassen und zu hinterlegen. (Nur besonders wichtige Urkunden wurden auf dem Hauptaltar niedergelegt und gegebenenfalls dort auch aufbewahrt, also dem Heiligen gleichsam selbst überreicht. Daraus vermag man zu ermessen, welche Bedeutung die Schenkung weitläufiger Besitzungen in Barbasso, Sustinente, Quistello und Gonzaga sowie das Recht der Schweinemast in den Wäldern der Canusinerin für den Konvent hatte.) Dass sie gerade in ihrer allerletzten Lebenszeit Urkunden besiegeln ließ, weist darauf hin, dass sie bereits zu schwach war, um die Feder sicher zu führen. Aber sie will am Ende ihres Lebens ihren Besitz verteilen, vielleicht um spätere Erbstreitigkeiten zu vermeiden. Aber nicht nur Schenkungen und gute Werke sind wichtig für die Memoria. In Zeiten aufblühender Literalität gewinnen auch schriftliche Erinnerungen zunehmend an Bedeutung. So erhielt Nonantola ein wundervolles, miniaturengeschmücktes Evangeliar, und auch Polirone wird mit einer illustrierten, überaus kostbaren Evangelienhandschrift ausgestattet. Sie entstand wahrscheinlich in Polirone selbst, aber für die immensen Kosten, die bei der Herstellung eines solchen Werks für Material, die Buchmaler und die Farben anfielen, kam Mathilde auf. Dieses heute in Amerika aufbewahrte Buch enthielt zwei Dokumente gleichsam als Anhang. Zum einen einen sogenannten liber vitae, ein Memorialbuch, das alle wichtigen Stifter und Wohltäter des Klosters auflistet. Allerdings dürfte es sich bei den Einträgen nicht um einen wirklichen liber vitae handeln, sondern um Memorialeinträge in einem Evangeliar, die von vornherein auf die Familiaren des Klosters begrenzt bleiben sollten. Zunächst erinnern die Eintragungen an Papst Urban II. sowie Abt Hugo von Cluny. Da Polirone Cluny unterstellt war, ist die Nennung des Abtes der Mutterabtei eine Selbstverständlichkeit. Danach folgt jedoch sofort Mathilde mit allen ihren Verwandten, die sich dem Kloster gegenüber großzügig gezeigt haben. Sodann werden noch etwa 300 Namen genannt, die alle zum Umfeld Polirones und Mathildes gehören. Die Liste umfasst dabei keineswegs nur herausragende Gefolgsleute, sondern auch einfache Bedienstete wie Kunsthandwerker, Schuster, Schmiede oder Hersteller von Wandbehängen. Obwohl die Informationen der Einträge extrem knapp sind, gewähren sie doch Einblick in das personelle Umfeld der Fürstin und des Klosters.
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Das zweite Dokument beschäftigt sich mit dem Totengedenken Mathildes. Im April 1109 wurde – wohl in Polirone – von Abt Albericus ein besonderes ewiges Jahresgedenken für Mathilde eingerichtet, zu dem auch eine tägliche Armenspeisung gehörte. Für ihren in späteren Lebensjahren geradezu unverzichtbaren Getreuen Arduin de Palude wurde ein Seelengeläut festgelegt. Die Armenspeisung sollte sich in nichts von dem Essen unterscheiden, das die Mönche erhalten. Es musste also Brot und Wein beinhalten sowie das, was an jedem Wochentag auf dem Speiseplan der Klosterbrüder stand. Es gab also, da es sich ja um Benediktiner handelte, kein Fleisch von vierfüßigen Tieren, wohl aber Fisch und Geflügel sowie Gemüse und Obst in ausreichender, wenn auch nicht üppiger Menge: Benedikt selbst hat in seiner Klosterregel zwei Teller voll für hinreichend erachtet. Den Todestag Mathildes sollen die Mönche ebenfalls für alle Zeit wie einen Feiertag begehen, in denselben Formen, in denen sie der bedeutenden Äbte ihrer großen Klöster auch gedachten. Es war Mathildes ausdrücklicher Wille, dass ihr Name in das Evangelium eingetragen wurde, um so für alle Zeiten in der Messe präsent zu sein. Damit war ihr in Polirone gelungen, was ihr das Leben bislang verweigert hatte: Sie hatte einen Erben gefunden, der für ihr ewiges Gedächtnis zuverlässig Sorge tragen würde. Doch Mathilde lebt in der Erinnerung auch wegen eines anderen Werkes fort, das in dem kleinen Burgkloster Sant’Apollonio in Canossa entstand: Die Vita Mathildis des Mönchs Donizo. Zunächst schien es, als würde Canossa zum wichtigsten Zentrum der Canusiner-Memoria werden, denn Mathilde ließ ihre dort bestatteten Vorfahren in prunkvolle Sarkophage umbetten, um durch ihr ewiges Angedenken die Kontinuität der Familie zu betonen und zugleich durch die Pracht der neuen Begräbnisstätten den europäischen Anspruch der Burgherrn von Canossa zu demonstrieren. Dass sie auf die Zusammenführung wirklich aller Gebeine ihrer Vorfahren verzichtete, erklärt sich leicht durch politischen Pragmatismus. Mathilde konnte weder Pisa nach Mantua die Grabstätten ihrer Mutter beziehungsweise ihres Vaters entziehen, zumal beide Städte danach trachteten, die markgräfliche Herrschaft gänzlich abzuschütteln. Die Umbettung der Gebeine wäre ein völlig falsches Signal gewesen. Für sich selbst hatte Mathilde zu einem unbekannten Zeitpunkt Polirone als letzte Ruhestätte ausersehen, nicht mehr aus politischem Kalkül, sondern auf Grund einer Herzensentscheidung.
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Aus dem kleinen Kloster Canossa wurde ein lokal wirkmächtiger Memorialort, der aber eingebunden war in die europäische Reformbewegung. Die Klöster schufen dank ihrer Nähe zur Stifterfamilie eine familiäre Hausüberlieferung, ordneten die gesammelte Erinnerung an die Verwandtengemeinschaft und ließen aus der Erinnerung sowohl ein Bewusstsein der Vergangenheit als auch der Gegenwart und der familiären Zukunft entstehen. Die dort gesammelten Nachrichten lebten nicht im Gestern, sondern wurden mit Überlegung für das Morgen strukturiert. Das Paradebeispiel für diese in Hausklöstern entstehende Geschichtsschreibung ist gemeinhin die welfische Historiographie aus dem Kloster Weingarten, aber Donizos Vita Mathildis gehört unbedingt auch in die Gruppe der Initialtexte für diesen neuen Typ von Geschichtsschreibung. Der tagesaktuelle, praktische Nutzen der Vita Mathildis war angesichts der Kinderlosigkeit Mathildes natürlich geringer, als er es in einer Familie gewesen wäre, die über eine gesicherte Generationenfolge verfügte. Dennoch legte Mathilde größten Wert auf den Text und dürfte bei seiner Ausgestaltung mit Miniaturen aktiv mitgewirkt haben. Donizo vermied alles, was die Fürstin beim Lesen stören oder gar verärgern hätte können; daher ist die Vita Mathildis ein Familienporträt, wie Mathilde es lesen und der Nachwelt übermitteln wollte. In fast königsgleichem Gepränge bildet Donizo die Markgräfin ab: Sie sitzt auf einem Thron, eingehüllt in ein reiches Gewand, das ganz bewusst im Stil eines Herrschermantels gehalten ist. In einer Hand hält sie ein Pflanzenzepter, während ihr ein Mönch, mutmaßlich Donizo selbst, ein Buch reicht. Da die Abbildungen der Vorfahren Mathildes weit weniger prachtvoll ausgefallen sind, ist die Botschaft unübersehbar: Nach einer Phase permanenten Aufschwungs hatten die Canusiner mit der Herrschaft Mathildes ihren Zenit erreicht.
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m Sommer 1114 kursieren wilde Gerüchte: Mathilde liege im Sterben, ja sie sei bereits tot! Lange hatte man sie nicht mehr gesehen, nachdem sie sich krankheitsbedingt in ihre Burgen zurückgezogen hatte. Völlig aus der Luft gegriffen war das Gerede also nicht; vermeintlich durfte man dem Geflüster Glauben schenken. Auf die angebliche Todesnachricht hin erheben sich die Mantuaner im Befreiungsrausch und zerstören die markgräfliche Burg Rivalta. Offenbar hatte man diesem Augenblick am Mincio sehnsüchtig entgegengefiebert, und es scheint, als habe die Stadt seit den Tagen des Bonifaz auf nichts anderes gewartet, als die Herrschaft der Canusiner abzuschütteln. Doch es ist eben nur ein Gerücht: Mathilde ist zwar schon seit geraumer Zeit nicht mehr richtig gesund, aber noch lebt sie. Und sie ist nicht bereit, den Aufstand einfach stillschweigend hinzunehmen; im Gegenteil. Ihr Kampfgeist bleibt bis zum Ende ungebrochen. Zwischen August und Oktober rüstet sie auf, um stark genug für den Gegenschlag zu sein. Bislang hatten stets die Salier ihre Hand über Mantua gehalten, doch nun kann Mathilde von ihrem neuen guten Einvernehmen mit Heinrich V. profitieren. Die Drohung allein genügt – und die Mantuaner unterwerfen sich. Noch im Oktober kann in Bondeno Frieden geschlossen werden. Mathilde verzichtet auf ein grausames Strafgericht. Fehlen ihr die Mittel, der Wille oder war die Erhebung Mantuas angesichts der canusinischen Herrschaft am Mincio vielleicht nicht ganz unberechtigt? Erschien ihr Milde der bessere Weg für die künftige Zusammenarbeit? Gilt auch hier, was Gerd Althoff für die Ottonenzeit zeigen konnte: dass nämlich unter bestimmten Umständen auch bei schweren Rebellionen Gnade gewährt wurde? Eindringlich beschreibt Donizo den Zustand der Verunsicherung angesichts Mathildes angegriffener Gesundheit. Glaubt man ihm, so war
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jedermann in Furcht, die Fürstin könnte sterben – und infolgedessen die öffentliche Ordnung zusammenbrechen: „Wenn sie dereinst sterben wird nämlich werden die Armen entkleidet, auch alle Kirchen dann werden beraubet in sehr schwerem Ausmaß; dieses werden die Adligen vollbringen, die jetzt so devot tun. Ein Dieb dem andern wird Hilfe verleihen, als wäre er ein Sohn ihm, Räuber wird nagen an Räuber wie Löwe am Maul eines Löwen“ (Donizo II, vv. 1280 –1285). Donizo zeichnet ein düsteres, fast schon apokalyptisches Bild. In den letzten Jahren Mathildes wird der kleine Ort Bondeno (heute Bondanazzo) mitten in der Po-Ebene zu einem von ihr häufiger frequentierten Platz. Immer wieder kehrte sie in die Burg zurück, die südlich des Flusses zwischen Mantua und Modena liegt. Im November 1114 urkundet sie dort zugunsten der Abtei Polirone. Offenbar erkrankt sie dort wieder und kann die Burg nicht mehr verlassen. Hier empfängt sie Anfang Januar Abt Pontius von Cluny; das letzte wirklich große Ereignis in ihrem bewegten Leben. Obwohl ihre Kräfte zunehmend schwinden, klammert sie sich an die Tagesgeschäfte. So belohnt sie ihren Heerführer Ugo de Manfredis für seine vorzüglichen Dienste mit dem Hof Quarantola, der Burg Mirandola und deren Zubehör. Glaubt sie tatsächlich, jemals wieder einen militärischen Strategen zu benötigen oder ist auch diese Urkunde Teil ihres Vermächtnisses? Mathildes Zustand verschlechtert sich beständig. Schon seit Jahren dürfte sie an der Erkrankung gelitten haben, aber nun beginnt das finale Stadium. Bondeno liegt in der Po-Ebene, die im ausgehenden Winter feucht, kalt und nebelverhangen ist, dafür aber schon im fortschreitenden Frühjahr von drückender, oftmals schwüler Hitze heimgesucht wird. Die Ebene bietet nicht die kühlen, erfrischenden Winde des Apennins und die Luftigkeit der dortigen Burgen. Aber der Weg nach Canossa, Carpineti oder Bianello wäre viel zu beschwerlich gewesen; die Fürstin hätte den Transport womöglich nicht überlebt – selbst dann nicht, wenn sie nicht hoch zu Ross wie normal in ihre Burgen eingeritten wäre, sondern für ihre Reise einen Wagen (und auf dem letzten Bergstück eine Sänfte) in Anspruch genommen hätte. Ein Arzt ist in ihrer Nähe, aber seine Mittel sind schwach und armselig angesichts des Leidens. Die schmerzstillende und fiebersenkende Chinarinde, und damit das Chinin, stammt aus Amerika und war daher im mittelalterlichen Europa unbekannt. Der Medizin stehen
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nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung, Schmerzen zu lindern; gegen die Angst vor dem, was kommen wird, gibt es gar nichts. Mathilde litt an einer im Adel weit verbreiteten Krankheit: der Gicht. Verstärkt wurde das oftmals vererbte Leiden durch die Ernährungsweise des Adels, die sich scharf von derjenigen der Bauern abhob. Man demonstrierte seinen Rang auch bei der Wahl der Nahrungsmittel! Fleisch, Fleisch und wieder Fleisch stand auf dem Speiseplan. Zwar gab es nicht selten auch Fisch, jedoch eher als Vorspeise denn als Hauptgang. Zudem war es mit einem oder zwei Gängen pro Mahlzeit selten getan. Die meisten Zeugnisse für die Völlerei des Adels liegen aus späteren Jahrhunderten vor, doch auch Mathildes Tafel dürfte täglich üppig gedeckt gewesen sein, und auf ihren Tellern fand sie vor allem wohl sehr eiweißreiche Kost. Gegen das ein oder andere Glas Wein hatte sie sicher auch nichts einzuwenden und so kam es, wie es kommen musste: Die Gicht ergriff immer stärker von ihrem Körper Besitz, ein qualvolles Leiden mit stechenden Schmerzen in den Gelenken und Füßen, mit Fieberattacken und zahllosen Beschwernissen. An lange, weite Ritte war nicht mehr zu denken. Die Gicht allein birgt jedoch keine akute Todesgefahr. Zumeist kam Arthritis hinzu, was die Schmerzen noch intensivierte. Die Stoffwechselstörungen beeinträchtigen und schädigen das Herz-Kreislauf-System, was letztlich nach langem Leiden zum Tod führt. Aber Mathilde lässt sich nicht entmutigen und trotzt dem Leben weitere Monate ab; Zeit, um sich intensiv auf den Tod vorzubereiten. Die Fürstin dürfte Kraft und Zuversicht im Glauben gefunden haben. Im Angesicht ihres Todes legt sie höchsten Eifer in allen religiösen Übungen an den Tag. Sie habe sogar die Priester übertroffen, sich nächtens zur Messe erhoben und tagsüber mit nicht nachlassendem Eifer die Psalmen studiert. Bis zuletzt habe sie Bücher um sich gehabt und sich permanent um die Kirchen und deren Wohlergehen gesorgt; darin sei sie vorbildlicher gewesen als jeder Bischof. Als sie zu schwach zum Aufstehen wurde, ließ sie in Windeseile eine kleine Kirche direkt vor ihrem Krankenlager bauen, so dass sie die Messe auch im Liegen hören konnte. Die Kapelle ist dem Apostel Jakobus gewidmet, der bislang nicht zu den von Mathilde besonders verehrten Heiligen gezählt hatte. Aber in Santiago de Compostela hatten sich immer wieder Wunder ereignet, und der Apostel mit der Muschel hatte den gepeinigten Seelen der Menschen beigestanden. Seine Fürbitte würde auch ihr helfen! Ihr letzter Aufent-
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haltsort war so sehr anders als ihr bisheriges Leben. Ihre militärischen Anführer, der Lärm der Waffen und der Pferde, die Pracht ihrer Hofhaltung, ihre geliebten Bücher, das alles war weit weg in ihren Burgen, für die mächtige Fürstin unerreichbar. Aber wahrscheinlich wollte sie zweierlei mit dieser letzten Bleibe erreichen: Zum einen dürfte sie sich wohl schon darauf vorbereitet haben, wie sie dereinst vor ihren Richter treten würde; nackt und bar jeglicher irdischen Herrschaftszeichen. Zum anderen lag Bondanazzo sehr nahe an Polirone, an dessen Benediktsaltar sie ihre auf Pergament geschriebenen Schenkungen niedergelegt hatte, damit die Fürbitte der frommen Mönche ihr den Eingang in die ewige Seligkeit ebnen möge. Erst wenige Monate vor ihrem Tode führt Mathilde – nun erzwungenermaßen – das Leben, das sie sich bereits als junge Frau gewünscht hatte: ein Dasein in klösterlicher Ruhe, abgeschieden von der Welt. Physisch nicht mehr dazu in der Lage, sich ohne Hilfe auch nur von ihrem Krankenlager zu erheben, findet sie Trost und Hoffnung im Gebet. Nun, das Ende vor Augen, vereint sie die Lebensentwürfe von Martha und Maria: das aktive und das kontemplative Leben. Doch im letzten Augenblick benötigt auch sie Beistand. Eilig ruft man den Bischof von Reggio, Kardinal Bonussenior, an ihr Krankenbett. Von allen Geistlichen ihrer Umgebung, denen Mathilde immer und immer wieder mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen hat, ist nur er zugegen, als das Ende naht. Vor ihm legt sie die letzte Beichte ab und küsst das Kreuz; er versieht die Dahinscheidende mit den Sterbesakramenten. In der Nacht des 24. Juli 1115 stirbt Mathilde von Canossa mit 69 Jahren wahrscheinlich an einem plötzlichen Herzstillstand. Ihr Tod kommt keinem politischen Erdbeben gleich, das Italien und Deutschland, gar ganz Europa erschüttert hätte. In den letzten Jahren war es still geworden um die Fürstin: Das Reformpapsttum brauchte sie nicht mehr; die Zeit des Kampfes im Investiturstreit war vorbei und bereits zu einer Erinnerung verblasst. Die Chronisten vermelden ihren Tod und rühmen ihre Frömmigkeit und ihren Mut; aber einhellig fällt das Urteil nicht aus. Für manche war ihre Lebensweise zu männlich, für andere lebte sie fast schon heiligmäßig, als Musterbeispiel einer gottwohlgefälligen vita activa. Vor allem Donizo hat ihr Bild bis heute in diesem Sinne geprägt. Angeblich war er gerade damit beschäftigt, die beiden Teile seines Wer-
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kes in die hölzernen Buchdeckel einzubinden und freute sich schon auf den Augenblick, in dem er seine Vita Mathildis der verehrten Fürstin überreichen konnte – da kam ein Bote nach Canossa. Schreckensstarr ahnte Donizo bereits, welche Nachricht der Reiter bringen würde. Anstatt der feierlichen Buchübergabe blieb dem Mönch nur die undankbare Aufgabe, ein improvisiertes Schlusskapitel über den Tod Mathildes mit einer Würdigung ihres Lebens zu verfassen. Mit ihr, so Donizo, gingen Ehre und Zierde Italiens zugrunde. Zu ihren Lebzeiten hätten alle Rechtschaffenen ihren Rat gesucht, und Mathilde habe immer geholfen. Jetzt aber stehe das Land am Abgrund und werde zur leichten Beute für Diebe und Räuber, denen nun niemand mehr Einhalt gebiete. Mit Mathilde seien auch die alten Sitten und die guten Gebräuche gestorben; jeder maße sich nun einen Rang an, der ihm gar nicht zustehe. Die für die Armen bestimmten Gaben würden nun von den Reichen aufgefressen, die doch ohnehin genug hätten. Aber Donizo lässt sein Werk ganz am Ende, nachdem er die Verstorbene Gottes ewiger Güte anheim gegeben hatte, mit dem Ausblick in eine nicht ganz so düstere Zukunft ausklingen: Der Kaiser selbst werde Canossa beehren – und Donizo deutet es als ganz besonders günstiges Zeichen, dass Heinrich V. eine Frau namens Mathilde geheiratet hatte. Wie eine neue Mutter Mathilde werde diese herrschen, und beide gemeinsam – Heinrich und Mathilde – würden dem Land endlich den ersehnten Frieden bringen.
XVI. Mathilde – Mythos und Realität
XVI. Mathilde – Mythos und Realität
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elbstverständlich wird keine Person zum Mythos, die im realen Leben vollkommen bedeutungslos war. Aber im Fall Mathildes vereint sich ein exzeptionelles Leben voller Eigenheiten und welthistorischer Ereignisse mit dem glücklichen Umstand, dass eben jenes Leben extrem zeitnah von einem besonderen Autor beschrieben wurde: Donizo von Canossa, dessen Vita Mathildis am Anfang des völlig neuen Genres der Familiengeschichtsschreibung steht. Ungewöhnlicherweise wissen wir von der ersten Grabstätte Mathildes fast nichts. Obwohl schon einige Jahre vor ihrem Tod ihre Entscheidung gefallen war, sich in Polirone zur letzten Ruhe betten zu lassen, gibt es keine erhaltenen Anweisungen für die Ausgestaltung der Grabstelle. Dass es Mathilde nicht gleichgültig war, wie ihr Grab aussehen würde, darf man voraussetzen, hatte sie doch die Gebeine ihrer in Canossa bestatteten Vorfahren in prachtvolle Sarkophage umbetten lassen, die dem Rang der Familie entsprachen. Sicher hatte sie recht genaue Vorstellungen davon, wie ihr eigener Sarg einmal beschaffen sein sollte. Vielleicht schwebte ihr ein antiker Sarkophag vor, vergleichbar demjenigen, in welchem ihre Mutter Beatrix auf dem Campo Santo von Pisa bis heute ruht. Über die Ausgestaltung des Grabes des Markgrafen Bonifaz hingegen ist nichts bekannt. Paolo Golinelli geht davon aus, dass sich die Grabstelle unter und nicht in der Kirche von Polirone befand, möglicherweise im Nartex der Klosterkirche. Allerdings erschütterte 1117 ein schweres Erdbeben die Region, und eine Neukonstruktion der Grabstätte wurde nötig. Wohl nach 1130, nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten, verbrachte man Mathildes Gebeine in die Marienkapelle der Klosterkirche. Dort finden sich auch Boden- und Wandmosaiken, die vielfach mit ihr in Verbindung gebracht
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worden sind: So beispielsweise Frauengestalten, welche die Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Stärke und Mäßigkeit symbolisieren sowie eine mit einem Speer bewaffnete, möglicherweise weibliche Figur, in der man in der Vergangenheit Mathilde hat sehen wollen – wobei eine zweifelsfreie Zuschreibung natürlich völlig unmöglich ist. Ausgrabungen scheinen ergeben zu haben, dass die Grabstätte Mathildes genau unter den vier symbolischen Frauenfiguren lag, so dass man davon ausgehen darf, dass ihr Grab schon vor der Mitte des 12. Jahrhunderts zu einem besonders verehrten Mausoleum ausgebaut wurde. Paolo Golinelli deutet diese frühe Ausgestaltung der Begräbnisstätte als Geburt des ,Mythos Mathilde‘ – und wer würde ihm hierin nicht folgen wollen? Nahezu gleichzeitig mit der graduellen Mythifi zierung der Markgräfin setzte die Verbreitung der Donizo-Handschrift ein, deren Original sich bis heute in der Biblioteca Vaticana (Cod. Vat. Lat. 4922) befi ndet. Nach seiner Abfassung wurde der Codex in Canossa aufbewahrt, wo er 1234 von Mönchen aus Frassinoro eingesehen und kopiert werden konnte. Möglicherweise befand sich das Buch noch bis zum Ende des 14. Jahrhunderts in dem kleinen Burgkloster. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangt die Handschrift dann in den Besitz des Kardinals Guglielmo Sirleto, aus dessen Bibliothek sie an Kardinal Ascanio Colonna verkauft wurde; Colonna wiederum vererbte das Manuskript an den Herzog von Altemps. Dieser übereignete den Donizo-Codex gemeinsam mit 99 anderen Handschriften an Papst Paul V.; so gelangte die Vita Mathildis in den Vatikan. Die Odyssee des Codex trug allerdings nicht zur Verbreitung seines Inhalts bei. Hierfür sorgten allein Kopien, wie sie in Frassinoro entstanden. Man darf davon ausgehen, dass die Handschrift in den canusinischen Klöstern bekannt war und ihnen ganz oder teilweise abschriftlich vorlag. Seit dem 16. Jahrhundert entstanden auch in weiter von Mathildes Herrschaftszentren entfernten Städten Abschriften, was vielleicht mit der Rolle der Markgräfin für die katholische Gegenreformation zusammenhängt. An mehreren Orten entstanden Epitome, also Zusammenfassungen des Donizo-Codex, um das komplexe Werk leichter rezipierbar zu machen. Natürlich waren diese Kurzfassungen vor allem im Kern des canusinischen Machtbereiches verbreitet, so im Reggiano und Veronese, in Parma, Mantua, Polirone und Canossa, aber auch in Vigevano. Nachdem Battista Panetti, der in engem Kontakt zu Herzog Ercole I. d’Este (1475–
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1505) stand, eine Historia comitissae Mathildis verfasst hatte, nahm die Markgräfin sogar einen festen Platz in der Familiengeschichte der Este ein, auch wenn sie niemals – wie dort behauptet – mit Azzo II. Este verheiratet und damit auch niemals ein Glied des estensischen Stammbaums war. Aber die Este konstruierten nur zu gerne einen familiären Zusammenhang mit der letzten Canusinerin, waren sie doch dabei, sich in deren Herrschaftsgebiet auszudehnen. Was konnte da gelegener kommen als eine Blutsverwandtschaft mit Mathilde? Nachdrückliche Unterstützung erhielt das estensische Familienkonstrukt durch keinen Geringeren als Ariost. Im dritten Gesang des Orlando furioso geht er – ein Literat von europäischem Rang! – auf die Verwandtschaft mit Mathilde ein. Viele nachfolgende Generationen nutzten Ariost wie eine Quelle und glaubten unbesehen den Worten des großen Dichters. Als Giovan Battista Giraldi nur wenige Jahre nach dem Erscheinen des Orlando furioso sein Werk über die estensischen Fürsten schrieb, erwähnt er natürlich auch die Ehe Azzos II. mit Mathilde, dieser Frau besonderer Geistesgaben und männlicher Tüchtigkeit. Zum Beweis, dass er sich diese Verbindung nicht nur ausgedacht hatte, beruft er sich auf Ariost! Erst der große Ludovico Antonio Muratori vermochte Mathilde wieder den Fängen der Este zu entreißen; aber ein realistisches Porträt der Markgräfin zeichnete auch der berühmte Gelehrte nicht. Aufbauend auf Donizos Bild der keuschen Fürstin entwarf Muratori eine Mathilde, die streckenweise an eine Amazonenkönigin inmitten einer reinen Männerwelt erinnert; jungfräulich unnahbar und scheinbar nicht ganz von dieser Welt. Nicht unwesentlich zur Mythifizierung Mathildes trug eine Gestalt bei Dante bei, deren Zuschreibung bis heute umstritten ist: Matelda. Kurz bevor der Wanderer der Göttlichen Komödie das Reich der Erlösten betritt, begegnet ihm eine weibliche Gestalt. Die junge Frau spaziert in rührender Zartheit leise singend über blühende Wiesen. Sie pflückt Blumen, windet sie zum Kranz und setzt sich diesen aufs Haupt. Es sind rote und gelbe Blumen; angeblich die Lieblingsfarben Mathildes von Canossa. Der Dichter wollte ein Bild des tätigen Lebens im Dienste Gottes zeichnen, voller Beschaulichkeit, aber nicht in klösterlicher Zurückgezogenheit. Von der pragmatischen Machtpolitikerin ist nichts zu spüren, ebensowenig von der streitbaren Fürstin, die ihre Ansprüche nötigenfalls auch mit Waffen-
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gewalt durchsetzte. Ob Dante in seiner unsterblichen Göttlichen Komödie tatsächlich Mathilde von Canossa ein ewiges Denkmal setzen wollte – wofür doch vieles spricht –, oder ob er sich ihren Namen nur als Symbol der vita activa ausborgte, ist stark umstritten; jedenfalls blieb ihm eine durchschlagende Wirkung nicht versagt. Bis heute wird die Darstellung der Matelda aus der Divina Commedia zur Illustration Mathildes von Canossa herangezogen. Dass es sich bei Matelda um Mechthild von Magdeburg gehandelt haben könnte, ist jedoch nicht wahrscheinlich, da Dante nur schwerlich an Informationen über die Mystikerin gelangt sein dürfte. Viel wahrscheinlicher ist, dass Mathildes Bild durch die Darstellung bei Donizo schon so weit verklärt worden war, dass man sie sich durchaus als Matelda hatte vorstellen können. Vielleicht wünschte man sich auch eine weiche, weibliche, liebliche Seite an der großen Fürstin, obwohl wir gerade von diesen Charakterzügen gar nichts wissen. Seltsamerweise findet sich Mathilde nicht in Boccaccios Werk De mulieribus claris, obwohl er darin eine ganze Reihe von Amazonen und kriegerischen Königinnen Revue passieren lässt. Aber Boccaccio kannte Donizo nicht. Ähnlich verhält es sich mit Petrarca. Auch er schildert heroische Frauen, deren männlichen Kampfesmut er ebenso nachdrücklich unterstreicht wie ihre Freigebigkeit. Aber unter den großen Frauen Ita liens, denen sein Blick gilt, fehlt Mathilde – und das, obwohl man eigentlich davon ausgehen darf, dass Mathilde in der regionalen Erinnerung zu Lebzeiten Petrarcas noch keineswegs vergessen war. Im 14. Jahrhundert findet sich die Fürstin nur im Dittamondo des Fazio degli Uberti, allerdings weniger als eigenständige Figur, sondern im Zusammenhang mit den salischen Herrschern sowie dem bedeutenden Normannen Robert Guiscard. Informationen über die historische Persönlichkeit Mathilde von Canossa waren aus diesen wenigen Zeilen beim besten Willen nicht zu gewinnen. Tatsächlich hat die große Markgräfin auch innerhalb ihres engeren Machtbereiches in der Literatur des späteren Mittelalters bestenfalls eine klägliche Spur hinterlassen, wenn man von Donizo absieht. Dies änderte sich erst als Cesare Baronius in seinen Annales ecclesiastici am Ausgang des 16. Jahrhunderts Teile des Donizo-Textes veröffentlichte und damit den entscheidenden Anstoß für eine erneute Beschäftigung mit Mathilde gab. 1612 edierte Sebastian Tengnagel Donizo dann erstmals
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vollständig. Damit war der Weg auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Canusinerin wesentlich erleichtert und endgültig frei. Aber die nachträgliche Stilisierung einer Person vollzieht sich natürlich nicht nur in der gehobenen Literatur, sondern vor allem auch in regionalen Legenden, in Wundergeschichten und oralen Traditionen. Deren Entwicklung nachzuverfolgen, ist nahezu unmöglich; ebenso die zeitliche Eingrenzung der Entstehung einzelner Legenden. Wohl schon verhältnismäßig früh wurde aus der Wohltäterin Mathilde, die ja unbestreitbar viel für Kirchen und Klöster getan hatte, die alleinige Kirchen- und Klosterstifterin der gesamten Apenninenlandschaft, die nun sogar einen eigenen Baustil kreiert haben sollte. Rund einhundert Kirchen werden ihr zugeschrieben, dazu so viele Burgen, wie das Jahr Tage hat. Angeblich soll Mathilde anlässlich eines Papstbesuches in Canossa darum gebeten haben, einmal im Leben selbst die Messe zelebrieren zu dürfen. Nach anfänglichem Zögern habe der Papst, es wird leider in der Parmenser Legende nicht erwähnt welcher, der Bitte nachgegeben. Am Weihnachtstag habe sie daraufhin in priesterlichem Ornat die Messe gelesen, aber im Augenblick, da sie vor der Hostie niederkniete, erschien auf der weißen Altardecke eine schreckliche Schlange. Mathilde sei beim Anblick des Ungeheuers gestürzt und habe sich längere Zeit nicht bewegen können. Die Schlange steht seit alters für den Tabubruch. Aber Mathilde wird für ihren unziemlichen Wunsch nur leicht bestraft. Wundersamerweise wird sie nach einigen Stunden von dem Starrkrampf erlöst, der sie angesichts des Untieres befallen hatte. In leichter Abwandlung gibt es die Legende vom einmaligen Priestertum Mathildes auch aus der Umgebung von Reggio Emilia. Ob der sogenannte Mathilden-Kelch im Zusammenhang mit ihrem Wunsch, die Messe zu lesen, steht, ist unbekannt. Er wurde die meiste Zeit in der Kirche San Michele Arcangelo di Montebaranzone aufbewahrt (heute in Modena). Wahrscheinlicher wäre eine Stiftung des liturgischen Kelches durch die Markgräfin, doch stammt das edle Gefäß erst aus dem 13. Jahrhundert und wird der Fürstin daher lediglich legendenhaft zugeschrieben. In den Bereich der Wundererzählungen gehört auch eine Episode, die in Mathildes Kindheit spielt. Es war ihr gelungen, den Teufel zu fangen und einzusperren, als dieser die Seele ihres Vaters Bonifaz holen wollte. Nach einiger Zeit kam der Teufel wieder frei, aber er musste zuerst in einer Nacht die uneinnehmbare Burg Canossa mit einer Mauer in Form eines
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Fledermausflügels erbauen und dann aus dem Tal verschwinden. Dass Canossa bereits unter den Vorfahren des Bonifaz errichtet worden war, störte die populäre Sage nicht weiter. Natürlich wurde Mathilde immer wieder in Zusammenhang mit geheimen Schätzen gebracht. So sollen zur Zeit der Belagerung von Monteveglio Juwelen und Wertgegenstände in einem silbernen Behälter gesammelt und vergraben worden sein; bis heute sind diese Dinge nicht wieder aufgetaucht, doch noch immer gibt es unverdrossene Schatzsucher. Auch auf die goldene Ziege, die Mathilde in der Burg Montebaranzone aufgestellt haben soll und die angeblich ein Gastgeschenk an die Fürstin war, wird bis heute Jagd gemacht. Die Goldfigur soll bei einem katastrophalen Erdrutsch nach dem Tod der Canusinerin verschüttet worden sein und gilt seitdem als verschollen. Kaum weniger phantasievoll ist die Legende von der Erscheinung der Markgräfin. Bei Kastell Savignano, wo sie sich angeblich besonders gern aufgehalten habe, wofür es keine belastbaren Beweise gibt, kann man die Fürstin in Vollmondnächten auf einem weißen Pferd am Himmel entlanggaloppieren sehen. Auch ein Wagen Mathildes, den die Fürstin Brautpaaren aus ihrer Vasallenschaft zur Verfügung gestellt hatte, soll in besonderen Nächten nahe Quattro Castella aufscheinen. Immer wieder wird Mathilde auch mit Wundern in Verbindung gebracht. So soll sie den Papst gebeten haben, den Brunnen von Branciana zu segnen. Seither könnten, wie die Legende zu sagen weiß, Frauen nach einem Trunk des dortigen Wassers schwanger werden, selbst wenn sie zuvor lange unter Unfruchtbarkeit gelitten hätten. Ebenfalls auf spezifisch weibliche Probleme zielt eine andere Legende über Mathilde ab. Sie habe jeden Morgen die Messe gehört und die heilige Kommunion empfangen. Da sie aber habe erreichen wollen, dass auch alle Frauen ihres Gefolges und permanenten Umfeldes ebenso fleißig die Eucharistie empfängen, redete sie ihnen ein, dies führe zu ewiger Jugend und Schönheit. Über den Erfolg ihrer mit Schönheitstipps gespickten Überredungskunst berichtet die Geschichte leider nichts. Mathilde erscheint aber auch in Geschichten, die stark an andere Herrscherdarstellungen gemahnen. So verschaffte die Fürstin einer armen Witwe, die mit einem erst zwölfjährigen Sohn praktisch von nichts leben musste, Gerechtigkeit und damit eine erträgliche Lebensgrundlage. Die
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Legende aus Montebaranzone ähnelt der Darstellung Konrads II. bei Wipo, wo der König seinen eigenen Krönungszug unterbricht, um unter anderem einer Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen. Sicher ist die Mathilden-Erzählung nicht von Wipo abhängig; vielmehr dürfte sie ein spätes Zeugnis dafür sein, dass es der Canusinerin gelungen ist, sich mit großem Erfolg als einzige Garantin des Rechts und der Gerechtigkeit in ihrem Herrschaftsbereich zu etablieren. Eine Fülle von Geschichten rankt sich auch um Mathildes Ehen. So soll die Markgräfin – je nach Quelle – bis zu sieben Ehemänner gehabt haben und als junges Mädchen in unglücklicher Liebe zu Heinrich IV. entbrannt gewesen sein. Auch wenn diese wilden Gerüchte aller Wahrscheinlichkeit nach frei erfunden waren, so enthielten sie doch einen winzigen Kern historisch verlässlicher Information. Es ist nicht ganz undenkbar, dass eine sehr schwere Geburt und der ganz frühe Tod ihres Kindes Mathilde davon abhielt, künftig noch mit ihrem Mann zu tun zu haben. In der Legende handelte es sich dabei um einen gewissen Gottfried, Herzog von Spoleto, der vom Ehemann zum Feind Mathildes mutierte. Ob dieser Geschichte Nachrichten von der ersten Ehe Mathildes zugrunde lagen, ist unbekannt, aber nicht unwahrscheinlich, denn der Name des Gemahls stimmt ebenso wie die unglücklichen Umstände der Geburt. Da Donizo die Ehen der Fürstin konsequent verschweigt, muss die Legende ihre Informationen aus einer anderen, nicht zu identifizierenden Quelle bezogen haben. Hieraus zu folgern, dass es weitere Lebensbeschreibungen Mathildes gegeben habe, wäre freilich tollkühn. Deutlich kristallisieren sich in allen Berichten, Legenden und Gerüchten bestimmte Eigenschaften heraus, die Mathilde immer und immer wieder zugeschrieben werden: der Charakter einer königsgleichen Kriegerin, der Sonderstatus als mächtige Frau mit eigener Entscheidungskompetenz, die Fürstin, die über das Geschick von Päpsten und Kaisern entscheidet. Da nimmt es nicht Wunder, dass sie nicht nur häufig zu den Amazonen gerechnet wird, sondern auch ihr Charakter in diesen Darstellungen leicht monströse Züge annehmen konnte. Die kriegerische Jungfrau in einer Männerwelt, die ihre angestammte Rolle verlässt und einen singulären Lebensweg beschreitet; die einsame Außenseiterin ohne Vorbilder, an denen sie sich hätte orientieren können. Lange hat sich diese Sicht der Canusinerin behauptet, die auch dadurch genährt wurde, dass Mathilde beispiels-
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weise von Donizo selbst, aber auch von Bonizo von Sutri oder Hugo von Flavigny in die Nähe alttestamentlicher Frauen wie Deborah gerückt wurde, wodurch die außergewöhnliche Besonderheit der Markgräfin gezeigt werden sollte. Erst jüngste Forschungen haben gezeigt, dass es durchaus mächtige Frauen im Hochmittelalter gegeben hat – was Mathildes Einzigartigkeit nicht auf das Maß des Alltäglichen nivelliert, ihre Lebensführung aber einbettet in die durchaus bestehenden Möglichkeiten des 11. und 12. Jahrhunderts. Die Zeitgenossen mögen hinter vorgehaltener Hand getuschelt haben; offene Kritik an der Fürstin und an weiblicher Macht- und Herrschaftsausübung im Allgemeinen wurde aber kaum geäußert – und wenn, dann nur im Zusammenhang mit der Polemik des Investiturstreits, die eine objektive Betrachtung der wichtigsten Protagonisten unmöglich machte. Nur Bonizo von Sutri äußert in seinem Liber de vita christiana die Ansicht, dass es den Menschen ausschließlich zum Schaden gereiche, wenn Frauen herrschten, wofür er unter anderem Kleopatra oder Königin Fredegunde als Beispiele anführt. Allerdings hatte derselbe Bonizo noch wenige Jahre zuvor im Liber ad amicum, den er Mathilde von Canossa geschenkt haben dürfte, biblische Frauengestalten zur schier grenzenlosen Verherrlichung Mathildes herangezogen. Sein plötzlicher Sinneswandel resultierte wohl aus persönlicher Verbitterung, fühlte er sich doch nach dem Attentat gegen ihn (1090) von der Canusinerin nicht ausreichend unterstützt. Zur Kriegerin für Gott und die Kirche stilisierten Mathilde am Ausgang des 15. Jahrhunderts nahezu gleichzeitig Giovanni Sabadino degli Arienti und Jacopo Filippo Foresti (genannt il Bergomese), die beide in Nachahmung Boccaccios Biographien herausragender Frauen sammelten. Für Sabadino degli Arienti stand die Bannerträgerin der katholischen Kirche durchaus im Geruch der Heiligkeit; eine Sicht, die bis heute im Umland Reggio Emilias weiterlebt und sogar dazu führte, in Rom um die Einleitung eines Heiligsprechungsprozesses zu bitten – allerdings berechtigterweise ohne positives Resultat. Für die Sicht der Literaten auf Mathilde wurde vor allem die Identifizierung von Dantes Matelda mit Mathilde von Canossa durch Torquato Tasso bedeutsam, wobei Mathildes Gegenwart nicht auf ein einziges Werk Tassos beschränkt bleibt. Ihr Name steht für die Frau mit männlichen Tugenden und Mut, deren Durchsetzungsfähigkeit mit dem Ideal der Kriegerin für Gott verschmilzt zu einem Bild glücklichen, erfüllten und
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vorbildlichen Daseins. Mehrfach empfiehlt Tasso der Gemahlin von Alfonso d’Este, Margherita Gonzaga, Mathilde als nacheifernswertes Ideal. Tasso ist einer der entscheidenden Wegbereiter des Mythos Mathilde von Canossa, bilden die Verse in seiner Gerusalemme Liberata doch die Basis für das Grabmonument der Fürstin in St. Peter, für das kein Geringerer als Lorenzo Bernini die Vorlagen geschaffen hat, wovon noch zu sprechen sein wird. Ein lebhaftes Echo fand Mathilde natürlich bei Schriftstellern, die aus dem Reggiano stammten. So erwähnt Boiardo in seinem Orlando innamorato Mathilde in der Prophezeiung des Zauberers Atlante hinsichtlich des Geschlechts der Este zwar ohne Namensnennung, aber immerhin symbolisiert durch eine goldene Lilie, das Zeichen der Stadt Florenz. Wie auch bei Ariost im dritten Gesang des Orlando furioso geht es um die imaginäre Genealogie der Este, in welche Mathilde als angebliche Gemahlin Albertazzos d’Este eingefügt wird. Vor allem während der Zeit der Gegenreformation war das Bedürfnis nach Helden auch im Reggiano übermächtig, und man erinnerte sich gern an die heroische Markgräfin, die Bannerträgerin des Papsttums. So schrieb 1652 ein Benediktinermönch aus Canossa, Pietro Valestri (de Ferraris) eine bis heute ungedruckte Storia di Matilde in barockem Stil, aber wohl durchaus in bewusster Nachfolge Donizos. Nur 26 Jahre später erscheint in Venedig ein Werk Dal Pozzos, das eine Mischung aus Biographie und hagiographischem Text darstellt: Meraviglie heroiche del sesso donnesco memorabili nella duchessa Matilde, grande contessa d’Italia. Dass Mathilde nun für ganz Italien vereinnahmt wird, das zu ihren Lebzeiten nicht viel mehr als eine geographische Größe darstellte, zeigt, wie weit man sich zu dieser Zeit von einer historisch möglichst exakten Betrachtung entfernt hatte. Darum ging es auch gar nicht; vielmehr wollte man aus Mathilde ein Modell der tugendhaften Heroine machen, das den Frauen der Gegenwart zum Vorbild gereichen sollte. Damit war die Heroisierung und Monumentalisierung der Markgräfin in der Literatur im Grunde abgeschlossen; darüber hinaus konnte man nicht mehr gehen. Das 19. Jahrhundert brachte zwar noch manche literarische Betrachtung der Fürstin und ihrer Burgen, so beispielsweise durch Agostino Cagnoli, aber eine Steigerung ihrer rein positiven Stilisierung war nicht mehr möglich und wurde auch gar nicht versucht.
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Vielmehr bemühte man sich am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder zu einer historischen Sichtweise zurückzukehren. Begünstigt wurde dies durch die ersten Donizo-Übersetzungen, wie diejenige von Francesco Davoli, die den im Latein nicht einfach zu lesenden Text leichter zugänglich machte. Vor allem die großen Jubiläumstage regten die vertiefte Erforschung Mathildes an. Zwar verharrte man anlässlich ihres 800. Todestages 1915 noch in patriotisch-christlichen Betrachtungen, aber ein Anfang war gemacht – wobei es bis heute schwierig ist, die mythifizierte Figur und die regionalen Traditionen von der historischen Persönlichkeit, so weit man sie überhaupt fassen kann, zu trennen. Die idealisierende und idealisierte Erinnerung an eine außergewöhnliche Fürstin wird immer bleiben. In der deutschen Literatur findet sich eine ganz andere Sichtweise auf Mathilde, da sie ausschließlich in Dramen und Erzählungen über die Salier und speziell über Heinrich IV. und seinen historischen Konfl ikt mit dem Reformpapsttum eine Rolle spielt, wobei die Canossa-Szene in jedem Fall entscheidenden Raum einnahm. Je nach Parteinahme des Autors fällt die Charakterisierung der Fürstin aus. Etliche, so Weißbrodt oder Friedrich Rückert, sahen in Mathilde eine Beleidigung der Weiblichkeit, eine lüsterne Amazone oder auch den verkörperten, überaus langweiligen Lebensentwurf einer Frömmlerin. Richard Weiland anerkennt immerhin ihren Willen zur Vermittlung, so dass seine Mathilde in seinem Drama Kaiser und Papst nicht völlig in Passivität erstarrt. Wird Mathilde einmal kein unziemliches Verhältnis zu Gregor VII. unterstellt, wie bei Heinsius in dessen ,geschichtlichem Trauerspiel‘ Kaiser Heinrich der Vierte, so soll sie prompt eine sexuelle Beziehung zu Abt Hugo von Cluny unterhalten haben oder sich, wie bei Ferdinand von Saar, schon als ganz junges Mädchen unsterblich in Heinrich IV. verliebt haben, der sie zum Spaß am Kaiserhof geküsst habe, als sie gerade aus der Messe kam. Nicht weniger aus der Luft gegriffen ist das Schauspiel Erwin Guido Kolbenheyers Gregor und Heinrich, doch wird hier wenigstens ein einziges Mal thematisiert, dass Mathilde darunter gelitten hat, sowohl dem Reformpapsttum anzugehören als auch auf Grund ihrer Geburt und ihres Platzes in der Gesellschaft der weltlichen Herrschaftssphäre: die Fürstin, eine Zerrissene. Durch die vielen Geschichten, die sich um Mathilde rankten, wurde sie im Gedächtnis der Region gleichsam unsterblich, was das Interesse an
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ihrem tatsächlichen Grab über die Jahrhunderte wachhielt. Mehrfach wurde ihre Grabstätte geöffnet, ihre Totenruhe gestört und zuletzt sogar ihr letzter Wille, in Polirone zu ruhen, missachtet. Zum ersten Mal wurde ihr Grabmal 1445 in Gegenwart Guido Gonzagas, des Herzogs von Mantua, im Kreise der Mönche Polirones und des dortigen Abtes geöffnet. Man fand den Leichnam nahezu unverwest. 1613 wurden die Gebeine erneut einer Sichtung unterzogen, da ein Streit zwischen Pisaner und Luccheser Soldaten ausgebrochen war, wo die letzte Canusinerin denn nun ihre ewige Ruhe gefunden habe. Die Pisaner beharrten naturgemäß darauf, Mathilde liege in Pisa an der Seite ihrer Mutter begraben. Als der Streit zu eskalieren drohte und das Gerücht aufkam, die Gebeine seien entwendet und heimlich in Lucca bestattet worden, wurde das Grab geöffnet, um die Uneinsichtigen zu überzeugen. Der Körper war noch immer intakt; ihr Unterkiefer war herabgefallen und entblößte eine geschlossene Reihe starker, ebenmäßiger Zähne: im Mittelalter eine absolute Seltenheit. Wahrscheinlich war Mathilde gleich nach ihrem Tod einbalsamiert worden; ob dies auf ihren eigenen Wunsch hin geschah, ist unbekannt. Letztmals, aber mit schwerwiegenden Konsequenzen störte man Mathildes Totenruhe im Jahre 1630. Mitten in den entsetzlichen Wirren des Dreißigjährigen Krieges ließ Papst Urban VIII. die Gebeine Mathildes umbetten. Er hatte große Pläne, in St. Peter in Rom eine besondere Grabstätte für die berühmtesten Toten Italiens zu errichten. Aber Mathilde sollte vor allem als sichtbare Garantin des Triumphs der Kirche über alle ihre Widersacher dienen; sichtbar im Zentrum der katholischen Christenheit in Rom! Dass die Fürstin andere Verfügungen getroffen hatte, spielte mehr als 500 Jahre nach ihrem Tod keine Rolle mehr. Leichtes Spiel hatte der Papst auch dank der unglücklichen politischen Umstände. Mantua war von den Truppen Kaiser Ferdinands überrollt worden, und das reiche Kloster Polirone litt unter räuberischen Übergriffen. Die Mönche hatten nicht die Kraft, sich gegen eine Umbettung Mathildes aufzulehnen, zumal sie auch schlechterdings nicht für den Schutz der Gebeine vor Ort garantieren konnten. Um ganz sicher zu sein, dass sich kein Widerstand regen konnte, erfolgte die Entnahme der Gebeine in einer geheimen, nächtlichen Aktion. Geheim musste das Vorgehen auch deshalb bleiben, da Polirone mehrere tausend Dukaten für den Wiederaufbau des geistlichen Lebens
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Geheime Umbettung: Entgegen Mathildes letztem Willen wurden ihre Gebeine in einer geheimen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Rom überführt. Hier ihr reich verziertes Grabmal im Petersdom.
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erhielt, was natürlich ein sehr bedenkliches Licht auf die Graböffnung geworfen hätte und bis heute wirft. Als Grabräuber fungierten Abt Ippolito von Polirone, dessen Bruder Ludovico Andreasi (oder Andreassi) und ein Gehilfe. Ludovico wurde nach der Umbettung befragt und erklärte, der Körper Mathildes sei noch auffallend intakt und schön gewesen, insbesondere ihr Haar, das offenbar noch mit dem Schädel verbunden war. Ihr Leichnam habe gewirkt, als sei die Fürstin erst kürzlich verstorben. Allerdings sei der Körper durch das Anheben und Transportieren erheblich verletzt worden. Aber die Translation von Mathildes Gebeinen war kein lediglich aus der verzweifelten Situation des Dreißigjährigen Krieges heraus bedingter Akt, sondern gehörte in das langfristige Konzept der Barberini. Das Grabmal Mathildes in St. Peter gab ihrer theoretischen Definition des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt nach dem Konzil von Trient eine für alle sichtbare Form. Zugleich diente die Monumentalisierung der Canusinerin den Barberini als Leitbild ihrer Sicht auf alle Formen weiblicher Religiosität. Die sterblichen Überreste Mathildes wurden eilig nach Rom gebracht und zunächst in der Engelsburg zwischengelagert, da die Grabstätte in St. Peter noch nicht fertiggestellt war. Zwischenzeitlich sah es so aus, als werde man die Canusinerin gar nicht dort bestatten können, denn in Mantua hatte sich das Kriegsglück gewendet. Der Herzog war in seine Stadt zurückgekehrt und setzte zusammen mit den Bürgern von Mantua alles daran, die Gebeine der Markgräfin zurückzuerhalten. Aber Urban VIII. dachte gar nicht daran, nachzugeben. Abt Ippolito und seinem Bruder konnte er jedoch zunächst nicht helfen: Sie mussten vor dem Zorn der Mantuaner fliehen und fanden Unterschlupf in Ferrara; der Abt wurde 1639 zum Bischof von Terni erhoben, nachdem etwas Gras über die Angelegenheit gewachsen war. Während des Gezerres um ihre sterblichen Überreste war der Marmorsarkophag Mathildes fertig geworden. 1635 wurde er in St. Peter aufgestellt; aber erst 1644 konnte auch die Statue über dem Grab aufgerichtet werden. Erst jetzt, in der Nacht zum 10. März 1644 wurde der fürstliche Leichnam wiederum ganz insgeheim in die Kirche verbracht und zur endgültig letzten Ruhe gebettet. Neben dem Papst selbst waren unter anderen auch der Kardinal Barberini sowie der erfahrene Archivkustos Felice
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Contelori anwesend, als die Gebeine zunächst in einen metallenen Sarg und dann in den Marmorsarkophag gelegt wurden. Offenbar hatte die Leiche auch die Zwischenlagerung gut überstanden. Ihre rotblonden Haare beeindruckten noch immer; ihre Zähne waren groß und erstaunlich gleichmäßig und ihr Körper offenbar noch immer nicht verwest – auch wenn Augenzeugen nur von ihren Füßen sprechen. Kein Geringerer als Bernini entwarf das Bildprogramm für Mathildes Grabmal – wenn er auch nicht die handwerklichen Aufgaben der Umsetzung übernahm – und setzte Mathilde damit ein bleibendes Denkmal. Stolz aufgerichtet steht Mathilde über ihrem Grab, das Haupt in edler Haltung erhoben mit geradem, energischem Blick. In der einen Hand hält sie ein Kommandozepter, in der anderen die päpstliche Tiara sowie einen riesigen Schlüssel, der nur als Schlüssel des heiligen Petrus gedeutet werden kann. Auf dem wundervoll dichten Haar thront ein Diadem. Natürlich handelt es sich bei der Statue von Andrea Bolgi um eine idealisierende Darstellung Mathildes, doch könnte die Aussage des Bruders des Abtes von Polirone vielleicht dafür sprechen, dass die Fürstin tatsächlich über erstaunlich schönes und reiches Haar verfügt hatte. Der Sarkophag selbst zeigt die Szene, die Mathilde in das gleißende Licht der Weltpolitik rückte: Canossa. Nahe den Päpsten, die sie als allergeliebteste Tochter des heiligen Petrus bezeichneten, ruht Mathilde bis heute. Angesichts ihres ganz besonderen Lebens erstaunt es kaum mehr, dass gerade sie die erste Frau war, die in St. Peter die letzte Ruhe fand: eine Ehre, die sie sich in den 69 Jahren ihres Lebens hart erarbeitet, schwer erkämpft und mit allen Mitteln bis hin zur Selbstverleugnung erkauft hatte. Wie keine andere weltliche Gestalt des Hochmittelalters steht sie für die nahezu bedingungslose Hingabe an den Kampf für die Kirchenreform und die Durchsetzung des gregorianischen Reformpapsttums.
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XVII. Mathilde von Canossa?
Von keiner Fürstin, ja von kaum einer Königin der Salierzeit wissen wir mehr als von Mathilde von Canossa. Ihr Name und dadurch auch ihre Person sind im Gedächtnis der Nachwelt verschmolzen mit der dramatischen Begegnung zwischen Papst Gregor VII. und König Heinrich IV. in den späten Januartagen des Jahres 1077. Damit ist Mathilde für immer fest im historischen Gedächtnis verankert. Aber was wissen wir wirklich über Mathilde? In den Orten rund um ihre alten Burgen, die jetzt schon seit Jahrhunderten in Ruinen liegen (und in jüngster Zeit leider in eher bedenklicher Weise teilweise wiedererrichtet worden sind), lebt die Fürstin nicht nur in der Erinnerung der Region: Gelegentlich scheint es fast, als sei sie lebendig und könnte unversehens um die nächste Ecke kommen. Die Verehrung der letzten Canusinerin geht so weit, dass das Örtchen Quattro Castella seinen Namen in Canossa umändern ließ – eine aus geschichtswissenschaftlicher Sicht höchst fragwürdige Aktion! Das überaus lebhafte Sich-Erinnern an Mathilde birgt aber noch weitere Gefahren, denn die über die Zeiten gekommenen Quelleninformationen, die ja selbst nicht frei sind von Versehen, Irrtümern, bewussten Parteilichkeiten und unbewussten Fehlern, werden weiter verformt und ins Romanhaft-Mythische gesteigert. Nur so ist es erklärlich, dass Publikationen zur Schönheit Mathildes möglich sind, obwohl wir vom Äußeren der Fürstin abgesehen von ihrer beachtlichen Körpergröße praktisch nichts wissen. Dies gilt auch für ihre Kleidung. Im DonizoCodex gibt es zwei Darstellungen Mathildes, die aber als Idealbildnisse zu werten sind und nicht als lebensechte Porträts, die es im 11. und frühen 12. Jahrhundert generell nicht gab. Im Widmungsbild trägt die Fürstin ein langes und weit geschnittenes blaues Gewand und einen roten Mantel, der
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von einer goldenen, reich bestickten, möglicherweise mit Edelsteinen verzierten Borte gesäumt wird. Den Kopf verhüllt ein kurzer Schleier, auf dem eine spitz zulaufende Haube aus goldfarbenem Stoff sitzt. Die Gewandung ähnelt derjenigen ihrer Mutter Beatrix im gleichen Codex. Zwar wurden Kleidungsstücke im Mittelalter häufig vererbt, ja über Generationen getragen, doch dürfte dies hier nicht der Fall sein. Gewand und Mantel ähneln in frappierender Weise dem Herrschermantel und dienen eindeutig der Charakterisierung der Fürstinnen. Im berühmten Canossa-Bild des Donizo-Codex wird Mathilde auf einem Thron sitzend abgebildet. Sie trägt wieder ein weites, bodenlanges blaues Gewand, das die Figur völlig verhüllt, dazu einen reich ornamentierten Mantel; diesmal allerdings mit einer goldenen, rotverzierten Borte. Die bewusste Ähnlichkeit mit dem Herrschermantel ist auch in diesem Fall kein Zufall, sondern Programm und dient der Überhöhung der Person Mathildes und ihrer historischen Rolle. Das heißt nun aber nicht, dass Mathilde niemals ähnlich prachtvolle Gewänder getragen hätte – ausschließen lässt sich dies ebensowenig wie das Gegenteil. Mit einer gewissen Sicherheit kann man lediglich den weißen Schleier mit dem goldenen Band über der Stirn, der das Haupthaar verhüllt, als Bestandteil der Garderobe Mathildes bezeichnen, da es üblich war, dass verheiratete und verwitwete Frauen ihr Haar nicht mehr zeigten, sondern züchtig unter einem Schleier oder – später – unter einer Haube verbargen. Man sollte meinen, dass eine mit knapp 140 Urkunden für das 11. und frühe 12. Jahrhundert geradezu überreiche Überlieferung, die noch dazu durch Briefe und die Aussagen zahlreicher Geschichtsschreiber sowie die herausragende Familiengeschichtsschreibung Donizos ergänzt und belebt wird, ausreichen sollte, um eine historische Persönlichkeit fassen zu können. Doch weit gefehlt! Wir kennen zwar politische Willensbekundungen, Schenkungen und Gerichtsurteile Mathildes, doch darf man sich nichts vormachen: Oftmals sanktionierte die Fürstin nur einen ohne ihr Zutun und nicht selten wohl gegen ihren Willen entstandenen Status quo, den sie ohnehin nicht zu ändern vermochte. Viele Urkunden zeigen nur eine Reaktion der Canusinerin und eben keinen von ihr ausgehenden Handlungsimpuls. Missstände wurden ihr zugetragen, Bitten vorgelegt, Vorschläge unterbreitet: In jedem Fall konnte sie darauf reagieren oder eben nicht; aber die Initiative dürfte
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eher selten von ihr ausgegangen sein. (Das ist keine Besonderheit Mathildes und keineswegs auf den Umstand zurückzuführen, dass sie eine Frau war, deren Herrschaft teilweise auf rechtlich wackeligen Beinen stand. Auch die hochmittelalterlichen Königsurkunden haben zumeist etwas Reagierendes und verschriften nur in seltenen Fällen wirklich eine vom König selbst ausgehende Initiative.) Es ist nicht daran zu zweifeln, dass Mathilde von tiefer Frömmigkeit erfüllt war. Aber eine nicht geringe Zahl ihrer Schenkungen an geistliche Institutionen dürfte den detailliert vorgetragenen Wünschen der zu Beschenkenden entspringen. Wie hätte sie denn auch den Überblick über die wirtschaftlichen Entwicklungen und Bedürfnisse aller Klöster und Kirchen in ihrem Machtbereich behalten, wie von den Wünschen, Sorgen und Vorstellungen ihrer fernab der Hauptverkehrswege lebenden Vasallen erfahren sollen? Ihr Herrschaftsbereich, der immerhin den größten Teil der heutigen italienischen Doppelprovinz Emilia / Romagna sowie einen nicht geringen Teil der Toskana umfasste, war einfach zu groß, um über alle Entwicklungen an allen Orten zu jeder Zeit informiert zu sein. Dabei hat Mathilde alles versucht, um Neuigkeiten zu erfahren und ihrerseits zu verbreiten. Sie beschäftigte eigene Boten und nutzte diejenigen der geistlichen Institutionen ihres Umfelds sowie des Papsttums, zudem reiste sie ungeachtet der immensen Strapazen zu allen Jahreszeiten permanent in ihrem Herrschaftsgebiet herum und überquerte dabei viele Male den Apennin, um nach Möglichkeit persönlich an allen Orten präsent zu sein – natürlich stets in dem Wissen, dass sie eben wegen ihrer Reisen im Grunde überall – und dauerhaft – abwesend war: Wer zu Mathildes Zeiten versuchte, zu allen Zeiten überall in seinem Herrschaftsbereich ein persönliches Regiment zu führen, war unter den Reise- und Kommunikationsbedingungen des Mittelalters gleichsam zum Scheitern verurteilt. Natürlich standen Mathilde geistliche und weltliche Stellvertreter zur Seite, die im Gegensatz zur Markgräfin selbst ortsfest waren und in ihrem engen Umfeld versuchen konnten, die canusinische Macht gegen aufstrebende Konkurrenz zu behaupten. Allerdings entwickelten diese Helfer nach der Jahrhundertwende eine immer machtvoller zu Tage tretende Tendenz, eigene Herrschaften aufzubauen und dadurch die Macht Mathildes an allen Ecken und Enden zu unterhöhlen.
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Wir wissen nicht, wie sie diese Erosion des „stato canossiano“ empfand; war sie gekränkt, enttäuscht, verzweifelt, frustriert? Gefühlsregungen wie diese werden von den Geschichtsschreibern nur sehr selten überliefert. Dass Mathilde das Leben, das sie nach unserer Kenntnis geführt hat, eigentlich nicht führen wollte, sondern schon früh den Wunsch hatte, der Welt zu entsagen und sich in einem Kloster der vita contemplativa zu widmen, wird bereits in den frühen 1070er-Jahren deutlich. Aus politischen Gründen hat Gregor VII. ihr diesen Wunsch nachdrücklich ausgeredet; er konnte auf die weltliche Macht der Fürstin einfach nicht verzichten. An welchem Ort Mathilde Ruhe und klösterliche Erfüllung hatte suchen wollen, ist gänzlich unbekannt; unter ihren vielen Stiftungen sind solche für Nonnenkonvente extrem selten und lassen keinerlei Vorlieben erkennen. Vielleicht war in der Verzweiflung angesichts ihrer gescheiterten Ehe und ihres in den Windeln gestorbenen Kindes auch gar kein Plan ausgereift, sondern ihr dem Papst unterbreiteter Wunsch hatte mehr den Charakter eines Hilferufes in der Hoffnung, Gregor VII. würde ihr den Weg in ein für sie ideales Kloster weisen. Abgesehen von diesem, freilich schwerwiegenden, Versuch, ein ganz neues, ihrem vorgezeichneten Weg diametral entgegenstehendes Leben zu führen, für das es in der Familie der Canusiner kein Beispiel gab, ist uns die Gefühlswelt Mathildes fremd und bleibt uns trotz aller Urkunden verschlossen. Die Zeit kannte offen zur Schau getragene Tränen durchaus, doch für die Fürstin ist nichts dergleichen überliefert. Obwohl man davon ausgehen muss, dass bestimmte Todesfälle, vor allem die ihrer Mutter, Papst Gregors VII. und Anselms von Lucca, sie ins Mark getroffen haben müssen, bleibt uns ihre Trauer und ihre Form der Trauerbewältigung völlig unbekannt. Ebenso verhält es sich mit der Freude. Abgesehen von der sicher bezeugten Freude an schönen Büchern wissen wir nicht, womit sich Mathilde die Zeit vertrieb, wenn sie einmal Muße zum Ausspannen hatte. Es gibt Darstellungen der Fürstin hoch zu Ross mit einem Jagdfalken auf dem Arm, doch sind sie alle lange nach Mathildes Tod entstanden und beruhen lediglich auf der Annahme, dass alle Fürsten der Salierzeit ihre Freizeit mit den Vergnügungen der Jagd gestalteten. Aber lediglich von Bonifaz ist bekannt, dass er gerne auf die Jagd ging und sich zur Entspannung viel in den Auenwäldern des Po-Deltas aufgehalten hat, um den Wasservögeln nachzustel-
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len, die es dort in Fülle gibt. Er muss dies regelmäßig getan haben, konnte ihm doch gerade bei seinem Freizeitspaß ein Attentäter auflauern, der sicher sein konnte, den Canusiner ebendort anzutreffen. Ob Mathilde dieses Hobby von ihrem Vater übernahm, wissen wir nicht. Ebensowenig, ob sie sich mit prachtvollen Dingen wie Schmuck, Teppichen und exotischen Stoffen umgab. Mathilde stiftete prachtvolle Gewänder und Edelmetallgefäße an Kirchen und schenkte sie durchreisenden Geistlichen, so dass man annehmen darf, dass sie durchaus Gefallen an luxuriösen Gegenständen fand. Es könnte aber auch sein, dass diese Pracht nur der Repräsentation diente und mehr Herrschaftsmittel als persönliche Vorliebe war. Lediglich einen einzigen Charakterzug der Fürstin dürften wir mit Sicherheit kennen: ihre bohrende Hartnäckigkeit. Gregor VII. selbst schreibt in seinem Brief an die ihm anhängenden Fürsten in Deutschland, dass Mathilde in den Tagen von Canossa mit penetrantem Nachdruck auf ihn eingewirkt habe, Heinrich IV. vom Bann zu lösen. Auch wenn der Papst etwas übertrieben und die Situation in einer für ihn günstigen Färbung dargestellt haben sollte, bleibt doch der Eindruck bestehen, dass die Canusinerin von einem einmal gewählten Ziel kaum mehr abzubringen war. Dies deckt sich mit den vielen Momenten, in denen sie in scheinbar ausweglosen Situationen nicht den einfachen Weg des Aufgebens gewählt hatte, sondern das schier Unmögliche starrsinnig und sturköpfig probierte – und das fast immer mit Erfolg! Andere Lebensbereiche bleiben uns völlig verborgen. Mathilde muss Frauen in ihrer Umgebung gehabt haben, die mit ihr reisten und in ihrer Nähe lebten, doch ist uns nicht ein einziger Name bekannt; keine Seelgerätstiftung zeigt, um wen es sich dabei handeln könnte. Angesichts der körperlichen Belastung, die eine Reiseherrschaft mit sich brachte, muss man Mathilde als sportlich bezeichnen, ausdauernd und leistungsfähig. Ob sie sich aber darüber hinaus sportlich betätigte, ist unbekannt. Zweifellos wurde Mathilde traditionell erzogen und musste als Mädchen all das lernen, was sie für ein normales Fürstinnenleben benötigte; dazu gehörten auch Fertigkeiten im Tanzen. Ob sie sich aber wie ihr Großvater für Musik begeisterte und vielleicht sogar selbst Musiker förderte, wissen wir nicht. Wenn sich Gäste bei Mathilde befanden, war aber sicher für Abendunterhaltung bei Tisch gesorgt, wenigstens in Form von Vor-
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lesern, die Texte rezitierten, während die Gäste tafelten. Was es bei Tisch gab, könnte man höchstens erraten; mit Sicherheit wurde an teueren Lebensmitteln und edlen Weinen aber nicht gespart, denn Essen war im Mittelalter immer auch soziale Standortbestimmung und hatte in fürstlichen und königlichen Kreisen mit dem schlichten Stillen des Hungers nur am Rande zu tun. Zweifellos wuchsen auf Mathildes Ländereien weiße und rote Trauben, wo, in welchem Mengen und in welcher Qualität, bleibt freilich unbekannt. Angesichts der vielen Dinge, die uns die Quellen nicht verraten, ist es im Grunde unmöglich, über eine Persönlichkeit des Hochmittelalters eine Biographie im modernen Sinne zu schreiben, da nahezu alles, was für uns einen Menschen und seinen Charakter kennzeichnet, im Dunkel des längst Vergangenen verborgen bleibt. Daher versteht sich das vorliegende Buch auch lediglich als Annäherung an die wohl bedeutendste Fürstin der Salierzeit.
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Personenregister
Adalbert-Atto 9, 11–19, 21, 156 Adalhard, Bf. v. Reggio Emilia 15 Adelchinda 19 Adelheid v. Turin 38, 106 f. Adelheid, Ksin., Gem. Heinrichs IV. 32 Adelheid, Ksin., Gem. Ottos I. 15 f. Agnes, Ksin. 42, 54, 73, 92, 96, 101, 104 Agnes, Tochter Heinrichs IV. 46 Aimo 172 Alberich, Kaplan 162 Alberich (Pierleoni) 165 Albericus, Abt v. Polirone 164, 189 f. Albert v. Namur 84, 101, 111 Albert v. Sabbioneta 181 Albertazzo d’Este 207 Albuin 184 Aldobrandeschi 95 Alexander II. 35, 54, 73 f., 109 Alfonso d’Este 207 Alluccione de Luca 150, 158 Altmann, Bf. v. Passau 117 f. Amatus v. Montecassino 93 Andreas v. Strumi 74 Anno II., Ebf. v. Köln 73 Anselm, Ebf. v. Canterbury 152–154 Anselm, Ebf. v. Mailand 144, 161 Anselm I., Bf. v. Lucca 54, 73 Anselm II., Bf. v. Lucca 89 f., 97, 102, 104, 109, 113, 117–119, 121, 123–126, 130 –133, 135, 137, 166, 186, 216
Antonius, Bf. v. Piacenza 17 Apollonius (siehe auch Canossa), Hl. 16, 24, 119 Ardenghesca 81 Arduin v. Ivrea 22 Arduin v. Palude 136, 156, 158, 178, 181, 190 Aribo, Ebf. v. Mailand 39 Ariald v. St. Dionysius 164 Ariald v. Melegnano 181 Ariost 201, 207 Arnald, Bf. v. Arezzo 61 Armannus, Bf. v. Brescia, Kard. legat 160 f. Arnulf v. Mailand 101 Arnulf v. Chiny 116 Ascanio Colonna 200 Atto v. Montebaranzone 166 Atto, Sohn d. Ribaldus 23 Azzo II. Este 38, 201 Barberini, Kard. 211 Bardo, Primicerius in Lucca 124 Beatrix 25, 36, 38– 41, 43, 48, 54, 57–59, 61– 65, 67–74, 77–82, 85, 87–93, 95 –99, 108, 129 f., 147, 151, 172, 199, 214 Beatrix, Tochter d. Beatrix 61 f. Beatrix, Tochter Mathildes (?) 79 Benedikt VII. 17, 23 Benedikt VIII. 34 Benedikt IX. 42, 47
Personenregister
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Personenregister
Benedikt X. 70 f. Benedikt, Bf. v. Modena 132 Benedikt, Hl. 14, 190, 196 Benno, Bf. v. Osnabrück 104 Berengar I., Gf. v. Sulzbach 104, 184 Berengar v. Friaul 7 f., 15 Bernhard degli Uberti, Kard. legat 157, 162–169, 175, 178, 180, 182 Bernhard v. Clairvaux 153 Bernhard, Kard. diakon 103 Bernhard, Abt. v. St. Viktor in Marseille 104 Bernini, Lorenzo 207, 212 Bernold 139, 144 Bertha v. Turin 65, 106 Berthold v. Meersburg 106 Blancard, Dignitär der Kirche v. Lucca 124 Boccaccio 202, 206 Boiardo 207 Bonifaz 26, 28–31, 33– 45, 47 f., 57– 65, 68, 71, 79, 81, 90, 120, 140 f., 174, 179, 193, 199, 203 f., 216 Bonissima 129, 151, Bonizo von Sutri 62, 130, 132, 206 Bonussenior, Bf. v. Reggio Emilia, Kard. legat 160 –163, 168, 178, 196 Bonusvicinus v. Canossa 166 Boso, Gf. 117 Burchard v. Ursberg 148 Burkhard, Bf. v. Basel 104 Burkhard, Bf. v. Lausanne 104
Conon, Kard. presbyter v. Sant’Anastasia 103, 108 Conon, Bf. v. Mantua 165 Cosmas v. Prag 139
Cadalus, Bf. v. Parma (Honorius II.) 54, 73 f. Cäcilia 158 Cencius (Frangipani) 165 Chuniza 38 Clemens II. 47 Clemens III. 49, 116, 119 f., 131, 135 –137, 141, 145, 160 Cleopatra 130
Fazio degli Uberti 202 Felicula, Hl. 34 Ferdinand, Ks. 209 Flaipert 89, 150 Fredegunde 130 Friedrich I. Barbarossa, Ks. 150 Friedrich II., Ks. 139 Friedrich, Hz. v. Oberlothringen 38, 64
Dagobert, Hl. 78 Damasus II. 43, 47 Daniel, Prior v. Sant’Andrea in Mantua 164 Dante Alighieri 201 f., 206 Desiderius, Abt v. Montecassino (Viktor III.) 135 f. Diepold v. Vohburg 184 Dietrich, Bf. v. Verdun 101 f., 111, 115, 121 Dodo, Bf. v. Roselle (Grosseto) 91, 95 Donizo 9–12, 15, 17, 26, 29 f., 33, 39– 43, 57–59, 102, 104 f., 107, 123, 126 –128, 130, 141, 143, 145, 155 f., 162, 166, 176 f., 179 f., 183 f., 190 f., 193 f., 196 f., 199–202, 205 –208, 213 f. Eadmer 152 Eberhard, Bf. v. Naumburg 104 Eberhard, Bf. v. Parma 114, 121 Eberhard, Ministerialer 106 Ekkehard von Aura 32, 46 Ekkehard von Reichenau 114 Ercole I. d’Este 200 Este 38, 117, 141, 200 f., 207 Everard, Bf. v. Arezzo 25
Personenregister Friedrich, Sohn d. Beatrix 43, 59, 61 f., 79 Friedrich, Abt von Monte Cassino (Stephan IX.) 64, 68 f. Frogerius, Kaplan 162 Fulco v. Arles 110 Fulcus v. Rovereto 117 Gandulf, Bf. v. Reggio Emilia 121 Gebhard, Bf. v. Eichstätt (Viktor II.) 53 Gelasius II. 130 Geminianus, Bf. v. Modena 17, 151, 172 f. Genesius, Hl. 17 Gerald, Kard. Bf. v. Ostia 103 Gerardus, Notar 89 Gerardus, Vorleser 131 Gerhard 9, 11 Gerhard von Corviago 117 Gerhard, Bf. v. Florenz (Nikolaus II.) 71 Gherardesca 81 Giraldi, Giovan Battista 201 Gisela, Ksin. 39 f. Giselbert v. Bergamo 30 Gottfried d. Bärtige 53 f., 62– 65, 67–71, 73 f., 77 f., 93, 101 Gottfried d. Bucklige 63, 77–85, 87, 89, 92 f., 96, 101, 111 Gottfried v. Bouillon 84, 101, 111 Gottfried, Sohn Adalbert-Attos, Bf. v. Brescia 12, 16, 25 Gottfried v. Maguellonne 132 Gottfried, Hz. v. Spoleto 205 Gregor VI. 47 Gregor VII. 48 f., 69, 82–84, 89 f., 92–97, 101–111, 114, 116 –121, 131 f., 135–137, 152, 157, 160 f., 176, 208, 213, 216 f. Gregor, Kard. diakon 103 Gregor, Bf. v. Vercelli 106
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Guglielmo Sirleto, Kard. 200 Guglielmo de Marchesella 185 Guido, Abt. v. Pomposa 40 f. Guido Gonzaga, Hz. v. Mantua 209 Guido Guerra 155 –159, 163, 165, 172, 174, 180, 187 Guido, Gf. de Mutilgnano 156 Gunhild 38 Hadrian I. 41 Heinrich II. 23 f., 25, 31, 51 Heinrich III. 32, 38, 41– 43, 46 – 48, 51, 53, 61– 65, 67 Heinrich IV. 32, 45 f., 48 f., 53 f., 65, 67, 69, 73 f., 77, 79 f., 82–84, 92 f., 96 f., 101–107, 109, 113 f., 116 –121, 124, 126, 130, 138, 140 –145, 150, 152, 161, 165 f., 168, 174 –176, 205, 208, 213, 217 Heinrich V. 32, 46, 49 f., 59, 123, 127, 130, 144, 176 –182, 184 –186, 193, 197 Heinrich, Bf. v. Trient 101 Heinrich d. Löwe 154 Heinrich d. Schwarze 146 Heribert, Bf. v. Reggio Emilia 125 f., 132, 143, 161 Hermann, Bf. v. Metz 101, 121, 135 Hermann II., Hz. v. Schwaben 38 Hildebrand (Gregor VII.) 69–71, 73, 93 Hildegard 12, 16 Honorius II. 54, 73 Hugo v. Flavigny 135, 206 Hugo v. Vienne 8–10 Hugo, Abt v. Cluny 70, 101, 104 –107, 189, 208 Hugo, Bf. v. Grenoble 184 Hugo, Ebf. v. Lyon 132, 136 f. Hugo, Gf. v. Maine 141 Hugo, Kardinaldiakon 160 Hugo, Mkgf. v. Toskana 26 Hugo, Vizegf. 81
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Personenregister
Humbert, Kard. Bf. v. Palestrina 103 Humbert von Silva Candida 69, 71 Humbert, Subdiakon 103 Imilia, Gem. Guido Guerras 157 Immilla von Turin 38 Ippolito, Abt v. Canossa 211 Irnerius 148 Ivo v. Chartres 181 Johannes XIII. 15 Johannes XVIII. 27 Johannes, Bf. v. Velletri (Benedikt X.) 27, 70 Johannes, apostol. Legat 169 Johannes, Diakon 124 Johannes v. Mantua 125 f. Johannes, Abt v. Canossa 126 Johannes v. Gaeta (Gelasius II.) 130 Johannes, Einsiedler 143 Judith, Welfin 127, 129, 131
Landulf, Propst v. Sant’Ambrogio in Mailand 161 Lanfrancus, Dombaumeister 173 Laurentius v. Lüttich 62 Leo IX. 34, 41, 43, 53, 61, 64 Liemar, Ebf. v. Bremen 104 Liutfried, Abt v. Grafschaft 185 Lodovicus, Bf. v. Reggio Emilia 161 Lothar, Ks. 8–10, 14 Ludovico Andreasi 211 Ludwig III., Ks. 8 Ludwig v. d. Provence 8 Manasse, Ebf. v. Reims 110 Margherita Gonzaga 207 Martinus, Priester 124 Mathilde, Mutter d. Beatrix 38 Mathilde, Ksin. 197 Mathilde v. Monferrato 139 Maurilius, Eremit 36, 41 Mechthild v. Magdeburg 202 Nikolaus II. 52, 71–73, 93
Kadolinger 158 f. Karl III. 7 Konrad II. 31–33, 37– 40, 45 – 47, 51, 205 Konrad, Kg., Sohn Heinrichs IV. 106, 143–145, 157 Konrad I., Ebf. v. Salzburg 184 –186 Konrad, Bruder d. Bonifaz 28–30 Konstanze v. Sizilien 139 Lambert 7 f. Lambert, Bf. v. Vicenza 21 Lambert, Dignitär d. Kirche v. Lucca 124 Lampert v. Hersfeld 63 f., 78, 80, 84, 106 Landulf, Bf. v. Ferrara 169, 185 Landulf, Bf. v. Pisa 99, 111 Landulf v. Mailand 84
Obertenghi 31 Obertus, Bf. v. Brescia 161 Odo v. Chatillon (Urban II.) 104, 137 f. Odo II. v. Blois 39 Opizo v. Gonzaga 156, 181 Otto I. 15 f., 18 Otto II. 21 Otto III. 21 f., 30 Otto v. Schweinfurt 38 Paganus, Kard. diakon 163 f. Paganus, Priester 124 Paganus v. Corsina 117 Panetti, Battista 200 Paschalis II. 54, 156, 163 f., 166, 169, 172 f., 176 –178, 181 Paul V. 200
Personenregister Peter, Bf. v. Como 22 Petrarca 202 Petronius, Bf. v. Bologna 17 Petrus v. Tusculum, Kard. Bf. 70 Petrus, Kard.presbyter v. San Crisogono 103 Petrus Mezzabarba, Bf. v. Florenz 73 Petrus Bennonis 50 Petrus Damiani 37, 50, 69, 71, 74, 88 Petrus, Kanzleischreiber 104 Petrus de Ermengarda 117 Placidus v. Nonantola 131 Pontius, Abt v. Cluny 194 Praxedis, Ksin. 144 f. Prosper, Bf. v. Reggio Emilia 17 Rainerius Toccacoscia 49 Rainerius, Schreiber 108 Rangerius, Bf. v. Lucca 126, 130, 182, 186 Ribaldus 23 Richilde 30, 33, 38 Robert Guiscard 93, 202 Robert, Sohn Wilhelms d. Eroberers 139 Rozo, Bf. v. Treviso 21 f. Rubertus grammaticus 131 Rudolf v. Hochburgund 8 Rudolf v. Rheinfelden, Ggkg. 97, 113 f. Rudolf, Sohn Adalbert-Attos 12, 19, 23 Sasso v. Bianello 156, 181 Seguin, Abt v. Chaise-Dieu 124 Siegfried, Bf. v. Parma 22 Siegfried, Sohn Adalbert-Attos 9–11, 13, 19 Silvester III. 47 Simeon, Hl. 33–35, 42 Sophie, Schwester d. Beatrix 40, 79 Stephan IX. 53, 62, 69 f.
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Teuzo 124 Thedald 12, 17–19, 21–31, 60, Thedald, Sohn d. Ribaldus 23 Thedald, Sohn Thedalds 26, 28 Thedald, Ebf. v. Mailand 121 Theoderich, Abt v. Saint-Hubert 88, 96 Tostig 127 Trasmund, Bf. v. Fiesole 88, 97 Ubald, Bf. v. Mantua 130, 132, 140 Ubert, Sohn d. Gf. Boso 117 Udalrich v. Godesheim 106 Ugo, Gf. 113, 117 Ugo Armatus 117 Ugo de Manfredis 194 Ugo del Manso 141 Ugolino, Gf. 91, 95 Urban II. 104, 138 f., 145, 160 f., 164, 176, 189 Urban VIII. 209, 211 Viktor II. 53, 64, 67– 69, 136 Viktor III. 132, 136 f. Visdomini 174 Waimar v. Salerno 42 Welf IV. 138, 140 f., 146 Welf V. 138–141, 143 f., 146, 149, 159 Werner, Bf. v. Straßburg 95, 104 Wibert, Ebf. v. Ravenna (Clemens III.) 49, 116 f., 125 Wido 88 Wido, Bf. v. Volterra 61 Wido, Ks. 7 Wilhelm, Abt v. Hirsau 117 f. Wilhelm der Eroberer 139 Wilhelm 64 Willa 25 f. Wipo 31, 48, 205 Wolfger v. Prüfening 125
Ortsregister
Adria 27, 33 Altemps 200 Anagni 163 Ancona 71 Antwerpen 84 Apennin 10 f., 13, 16, 23, 26, 28, 63, 87–89, 102 f., 106, 118 f., 124, 140, 148, 149, 155, 174, 176, 194, 203, 215 Aquino 71 Ardennen 78 Arezzo 25 f., 28, 38, 61, 69 Arles 110 Arno 71, 158, 174 Assisi 88 Avignon 185 – St. Rufus 185 Barbasso 140, 189 Basel 104 Belleville-sur-Meuse 115 Benevent 137 Bergamo 19, 22, 30 Bianello 106 –108, 143, 156, 178 f., 180 –182, 194 Bodfeld 53, 65 Bologna 17 f., 26, 30, 37, 50, 61, 91, 148, 162, 174 Bondeno (Bondanazzo) 107, 182, 188, 193 f. Bouillon 78, 84, 101, 111 Branciana 204
Bremen 104 Brenner 28 Brescello, San Genesio 11, 17 f., 163, 169 Brescia 16, 18, 22, 25, 30, 35, 160 f., 169 Briey 121 Brixen 63, 116
Ortsregister
Canossa 9, 11, 13, 15, 17, 23 f., 28, 30, 33, 42– 45, 47, 49, 52–54, 57, 70, 74, 80, 96, 101–108, 110, 113, 117, 119, 126 f., 136, 143, 154, 156, 166, 176, 178, 182, 190 f., 194, 196 f., 199–208, 212–214, 217 Canossa, Sant’Apollonio 9, 7, 23 f., 154, 166, 190 f. Canterbury 152–154 Carpi 28, 107 Carpineti 107 f., 126, 143, 148, 194 Chaise-Dieu 124 Cluny 55, 70, 101, 104 –106, 182, 184, 189, 194, 208 Comacchio 27, 33 Como 22 Corsina 117 Corviago 117 Coviolo 30 Cremona 18, 30, 50, 145 f., 175, 179 Donceel 119
Ortsregister Eichstätt 53 Emilia 9, 11, 14 f., 17 f., 25, 36, 38, 87, 89, 106, 149, 159, 161 f., 164, 172, 174, 203, 206, 215 Farfa 36, 115 Felonica 37 f., 61, 79 Ferrara 26 f., 37, 43, 57, 117, 169, 185, 211 Ficarolo 108 Fidenza (Borgo San Donnino) 34 Fiesole 88, 97 Florennes 77 Florenz 35 f., 41, 63 f., 68–73, 79, 81, 102, 108 f., 152, 155, 157, 164, 171 f., 174, 207 – Badia Fiorentina (Abt Maurilius) 36, 41 – Santa Felicità 71 – Santa Reparata 70, 174 Foce di Radici 88 Forchheim 104 Frassinoro 79 f., 88, 124, 200 Friaul 7 Fulda 129 Gardasee 15, 33, 49, 144 Genua 179 Godesheim 106 Gonzaga 18, 34, 156, 181, 188 f., 207, 209 Gorze 78 Governolo 141, 182 Grafschaft 185 Grenoble 184 Grosseto 91, 95 Guastalla 38, 162, 169, 172, 186 – St. Peter 186 Hersfeld 63 f., 78, 80, 84 Hirsau 117 f. Hochburgund 8
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Insula Fulcherii 175 Insula sancti Benedicti 187 Ivrea 15, 22 Jerusalem 33, 40, 55 Juvigny-sur-Loison 115 Kärnten 27 Köln 65, 73, 121 Konstantinopel 94, 96 Lausanne 104 Leno, Kl. San Benedetto 18 Ligurien 179 Limignana 113 Lodi 175 Lombardei 109, 159, 164, 179 Lothringen 38, 40, 62, 79 f., 82 f., 87, 101 f., 109 f., 114 –116 Lucca 8 f., 18, 31, 33, 50, 54, 57, 59, 73, 81, 88–92, 97, 102, 104, 109, 113, 116 –119, 121, 123–126, 130 –132, 135, 137, 150, 153, 156, 162, 166, 171, 174, 179, 182, 185 f., 209, 216, 219 Lüttich 61, 126 – Saint-Jacques 119 Luni 18 Luzzara 38 Lyon 132, 135 –137, 152 Madonna della Battaglia 143 Magdeburg 15, 186, 202 Magnale 158 Mailand 18, 31, 39, 52, 84, 92, 95, 101, 104, 114, 121, 140, 144, 161, 164, 175, 179 – Sant’Ambrogio 144, 161 Maine 141 Mantua 14, 16, 18, 24, 33 f., 38 f., 42– 44, 50, 55, 57, 61, 73, 80, 82, 87, 90, 101 f., 113, 116, 120, 125 f., 130,
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Ortsregister
132 f., 140 f., 149, 154, 161, 164 f., 168 f., 174 f., 190, 193 f., 200, 209, 211 – Sant’Andrea 164 – San Michele 120, 175 Marengo 39, 57, 101 Marola 143 Marturi 156 Meersburg 106 Metz 101, 121, 135 Mincio 57, 61, 140, 174, 193 Mirandola 194 Modena 16 –18, 25, 30, 34, 37, 42, 88, 121, 129, 132, 151, 167 f., 172–174, 194, 203 Mont Cenis 80, 106 Monte Bardone 18 Montebaranzone 166, 203–205 Montecassino 93, 135 –137 Montecatini 109 Montenero 113 Monteveglio 143, 204 Montezane 107 Mosay 101, 121 Muraut 115 Namur 84, 101, 111 Naumburg 104 Nimwegen 22, 38 Nonantola 22, 25, 41, 108, 119, 131, 154, 165 f., 186, 189 Novara 22 Orval 116 Osnabrück 104 Ostia 103 135, 137 Paciano 114 Padua 37, 141 Palestrina 103 Palidano 188
Parma 9–11, 18, 22, 25, 30, 34, 38 f., 54, 73 f., 82, 90, 114, 121, 167–169, 173, 175, 178, 180, 182, 200 Passau 117 f. Paterno 22 Pavia 22, 31, 41, 46, 50 Pegognaga 38, 187 Perugia 71, 88 Piacenza 17, 38, 121, 145, 160 f., 175 Piemont 179 Pisa 18, 31, 40, 50, 64, 81, 89, 91, 98 f., 111, 113, 119, 151, 155, 172, 174, 186 f., 190, 199, 209 – San Vito in Borgo 113 Pistoia 132, 168, 174 – San Zeno 174 Po 14, 18, 23–26, 28, 30 f., 33 f., 37 f., 65, 90, 102, 113, 141, 172, 194, 216 Polirone (San Benedetto Po) 14, 24, 27 f., 33, 37, 101, 104, 109, 116, 129, 133, 151, 153, 159–161, 164, 166 f., 182, 184, 187–190, 194, 196, 199 f., 209, 211 f. Pomposa 40 f. Porcari 64 Prag 139 Prato 174 Provence 8, 9 Prüfening 125 Quarantola 194 Quattro Castella 107, 204, 213 Quistello 189 Ravenna 15, 18, 22, 27, 31, 42, 49 f., 116 f., 136 Reggio Emilia 15 –18, 38, 89, 106, 117, 121, 124 –126, 132, 143, 161–163, 167–169, 173 f., 178, 196, 203, 206 Reichenau 114 Reims 36, 41, 110, 111 Riva del Garda 27
Ortsregister Rivalta 193 Rho 22 Rocca Tiniberga 167 Rom 22 f., 33, 35, 39, 42, 47, 53, 68 f., 71, 73 f., 81–83, 88–93, 95, 97, 102–104, 110, 114, 116 –120, 124, 132, 136 –138, 145 f., 152, 159, 162 f., 165–168, 177, 182, 184, 206, 209–211 – San Crisogono 68, 103 – San Giovanni in Laterano 185 – San Pietro in Vincoli 69 – Sant’Anastasia 103 – Santa Maria ad Martyres (Pantheon) 137 – Santa Maria in Trastevere 161 – Santi Quattro Coronati 160 – St. Peter 69, 137, 167, 207, 209–212 Rosano 156 Roselle (Grosseto) 91, 95 Rottenbuch 185 Rovereto 117 Sabbioneta 181 Salerno 42, 120 f., 163 Salzburg 184 Saint-Hubert 78, 88, 96 San Cesario sul Panaro 169, 185 f. San Frediano in Lucca 185 f. San Geminiano in Alpe 162 San Gregorio in Conca 50 San Martino dell’Argine 44 San Michele Arcangelo di Montebaranzone 203 San Miniato 36, 57 San Paolo in Parma 34, 82, 90, 174 San Pietro a Ema 36 San Ponziano in Lucca 91 San Prospero in Reggio Emilia 89, 117, 162, 164, 174 San Quirico in Monticello 124 San Salvatore e Santa Giulia in Brescia 25, 35, 89
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San Salvatore all’Isola 41 San Salvatore di Monteamiata 88, 113 f. San Salvi 158, 164 San Sisto in Piacenza 38 San Vincenzo al Furlo 37 Santa Croce di Fonte Avellana 88 Santa Maria di Felonica 37 Santa Maria in Badigusula 61 Santa Maria in Mignone 115 Santiago de Compostela 33, 195 Sarzano 13 Savignano 204 Scanello 99, 111, 154 Selvapiana 13 Serchio 124 Siena 71, 108 Sorbara 114, 120 Speyer 113 Spoleto 205 St. Gallen 114 Stenay 78, 101, 121 Straßburg 95, 104 Strumi 74 Sulzbach 184 Sustinente 189 Sutri 42, 47, 62, 130, 132 f., 177 f., 206 Tarquinia 115 – San Pietro 115 Terni 211 Terracina 137 f. Tiber 120, 136, 165, 176, 178, 184 Todi 71 Toskana 26, 33, 35 –37, 59, 67 f., 71, 81, 87–89, 91 f., 97, 102, 108, 119, 147–149, 155, 157 f., 162 f., 164, 171, 174, 185 f., 215 Tours – Sankt Martin 33 Trecontai 141 Tremiti 64
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Ortsregister
Treviso 21 Tribur 102 Trient 101, 211 Turin 31, 38, 50, 65, 106 f. Tusculum 70 Ungarn 8, 13 Utrecht 45 Vallombrosa 36, 55, 74, 155, 157 f., 163 f., 187 Velletri 70 Venedig 22, 37, 207 Vercelli 22, 106 Verdun 78, 101 f., 111, 115, 121 – Saint-Airy 115 Verona 18, 21, 28, 31, 35, 82, 90, 118, 144 –146, 182
– San Zeno 82, 90, 174 Via Emilia 14, 25 Via Francigena 33, 63, 92, 108 Vicano 158 Vicenza 21 Vigevano 200 Vilianum 9 Villola 187 Vilzagara 186 Viniolo 30 Vohburg 184 Volta 61, 118 Volterra 61, 81, 113, 174 Weingarten 191 Worms 97, 104 Zola Predosa 26
Informationen Zum Buch Mathilde von Tuszien (= Toskana), besser bekannt als Mathilde von Canossa (um 1046 bis 1115), gehört zu einem der ältesten und bedeutendsten mittelalterlichen Adelsgeschlechtern Italiens. Den ihr allgemein gegebenen Namen der ›großen Gräfin‹ verdankt sie ebenso ihrer Macht wie ihren glänzenden Geistesgaben und ihrer hohen Bildung. Spätestens mit dem Tod ihrer Mutter 1076 regierte sie das weitläufige Herrschaftsgebiet selbst. Sie besaß ganze Landstriche in Italien, ihre Regierung war gerecht und mild. Sie führte einen glänzenden Hof und war mit bedeutenden europäischen Adelsgeschlechtern, mit Fürsten und Päpsten verwandt oder verbunden. 1077 bot sie Heinrich IV. die Stirn, um Papst Gregor VII. zu verteidigen; vor ihrer Burg musste Heinrich Buße leisten. Mathilde starb 1115; im Jahre 1615 wurden ihre Gebeine in den Petersdom übertragen. Anhand der Biographie dieser beeindruckenden Frau wird hier ein lebendiges Portrait des Hochmittelalters gezeichnet, in dem alle großen Themen der Zeit zum Ausdruck kommen.
Informationen Zum Autor Elke Goez, geb. 1963, studierte Mittelalterliche und Neuere Geschichte sowie Neuere deutsche Literaturwissenschaft. 2002 Habilitation und Privatdozentur für Mittelalterliche Geschichte, fränkische und bayerische Landesgeschichte an der Universität Passau, anschließend Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Bamberg, Tübingen und Düsseldorf sowie Gastprofessur an der Universität Erlangen. Seit März 2010 ist sie bei den Monumenta Germaniae Historica.