Griechische Geschichte : Von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit 340602503X

5. Aufl. Ausz. aus: Handbuch der Altertumswissenschaft, Aufl. 5, Abt. 3, Bd. 4 Die Vorzüge des vorliegenden Werkes:

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German Pages [644] Year 1986

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Griechische Geschichte : Von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit
 340602503X

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Hermann Bengtson

GRIECHISCHE GESCHICHTE Von den Anfängen bis in die Römische Kaiserzeit

Hermann Bengtson Griechische Geschichte Von den Anfängen bis in die Römische Kaiserzeit „Die Vorzüge des vorliegenden Werkes: Eine umfassende Übersicht des Stoffes; Betonung durchweg auf der politischen Geschichte, aber durch treffliche Kul­ turschilderungen ergänzt; ein klar ge­ dachter Text. Niemand kann zweifeln, daß hier dem Studenten eine hervorra­ gende Arbeitshilfe und darüber hinaus ein überaus anregender Begleiter be­ schert worden ist.“ Historische Zeitschrift „Ein Werk, auf das seiner grundsätz­ lichen Wichtigkeit wegen mit ganz be­ sonderem Nachdruck hingewiesen wer­ den muß. Es berücksichtigt alle neuen Funde und Forschungsergebnisse, vor allem auch des Auslandes. Bedeutsam der im letzten Abschnitt gegebene Grundriß über das Griechentum im rö­ mischen Kaiserreiche, womit Bengtson den Anschluß an die byzantinische Ge­ schichte gewinnt.“ Gymnasium

Umschlagbild: Schlacht zwischen Alexander und Dareios, Pompeji, Haus des Fauns (Aus­ schnitt). Foto: © Scala/Firenze.

Verlag C. H. Beck München

BECK’SCHE SONDERAUSGABEN

HERMANN BENGTSON

GRIECHISCHE GESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN

BIS IN DIE RÖMISCHE KAISERZEIT

MIT ZWÖLF KARTEN

VERLAG C. H. BECK MÜNCHEN

Sonderausgabe (Vollständiger Text ohne Anmerkungen und Literaturverzeichnis) Siebente Auflage. 1986 Die Originalausgabe liegt vor unter demselben Titel im Handbuch der Altertumswissenschaft (Dritte Abteilung, vierter Band). Fünfte, durchgesehene und ergänzte Auflage 1977

ISBN j 406 02503 X Umschlagentwurf von Wolfgang Taube, München © C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1965 Satz: Appl, Wemding Druck: May & Co., Darmstadt Printed in Germany

VORWORT ZUR SONDERAUSGABE Die „Griechische Geschichte“ ist zuerst im Jahre 1950, und zwar im „Handbuch der Altertumswissenschaft“, erschienen. Für die Zwecke des „Handbuchs“ erhielt das Werk einen ausführlichen gelehrten Apparat mit Quellenangaben, Literaturhinweisen und Anhängen. Für diese Sonderausgabe mußte darauf verzichtet wer­ den. Die Darstellung mag nun für sich selbst sprechen. Sie bietet den Text der vor kurzem erschienenen dritten Auflage nahezu un­ verändert; das einleitende Kapitel über die neueren Forschungen zur griechischen Geschichte konnte ebenso ohne Schaden fort­ bleiben wie einige Zwischenbemerkungen am Anfang des Bandes. Der Verfasser hatte Wert darauf gelegt, eine Griechische Ge­ schichte zu schreiben, die nicht nur die klassische Zeit, sondern auch die Epoche des Hellenismus und die Entwicklung des Griechen­ tums in der Römischen Kaiserzeit berücksichtigt. Das Werk gibt in dieser Weise einen Überblick über die 2 % Jahrtausende griechi­ scher Geschichte von den ersten Anfängen bis hin zu Kaiser Justi­ nian, unter dem ein neues Zeitalter, das byzantinische, beginnt. Wenn es der Darstellung gelänge, Verständnis und vielleicht sogar Bewunderung für die Leistungen des griechischen Volkes und seiner großen Männer zu erwecken, denen die Kultur unserer Tage so viel zu verdanken hat, so wäre das Ziel des Verfassers erreicht. Für die Hilfe bei der Vorbereitung und beim Drude der Sonderausgabe dankt der Verfasser Herrn Dr. E. Buchner (Mün­ chen) aufrichtig.

Tübingen, im Frühjahr 196$

Hermann Bengtson

VORWORT ZUR FÜNFTEN AUFLAGE

Die 5. Auflage ist ein im großen und ganzen unveränderter Abdruck der vorigen, doch sind an einigen Stellen kleinere Änderungen ange­ bracht worden; sie beziehen sich auf die Beurteilung der Politik des 4. Ptolemäers (S. 400) und auf das Ende des Attalidenreiches in Per­ gamon (S. 484). München, im Dezember 1978

Hermann Bengtson

VORWORT ZUR SIEBENTEN AUFLAGE

Die 7. Auflage ist ein unveränderter Neudruck der vorigen.

München, im Sommer 1986

Der Verfasser

INHALTSVERZEICHNIS VERZEICHNIS DER KARTEN........................................................................................................ XI ERSTER ABSCHNITT VON DEN ANFÄNGEN DER GRIECHISCHEN GESCHICHTE

BIS ZUM VORABEND DER ZWEITEN KOLONISATION (ETWA I9OO-80O V. CHR.)

1. Die Einwanderung der Indogermanen inGriechenland..............................

1

2. Die minoische Kultur

8

3. Die mykenische Kultur

15

4. Die Große Wanderung..............................................................................................2$

5. Die Übergangszeit (rd. rioo-8oo v.Chr.)

.

.

31

ZWEITER ABSCHNITT DAS ZEITALTER DER GROSSEN GRIECHISCHEN KOLONISATION

(80O-5OO V. CHR.)

t. Der Orient und das Werden der griechischen Staatenwelt (800-600 v. Chr.) . . .................................................................. ...................... 47 2. Die Ausbreitung der Griechen im Mittelmeerraum (750-550 v. Chr.)

65

3. Staat und Gesellschaft der Griechen im Zeitalter der Kolonisation .

.

78

4. Das Achämenidenreich, Hellas und der Westen am Vorabend der Perserkriege (560-500 v. Chr.) . ...

102

DRITTER ABSCHNITT DAS ZEITALTER DER GRIECHISCHEN POLIS

(5OO-36O V. CHR.)

Erster Teil. Der Angriff der Perser auf Griechenland (joo-479 v. Chr.) 1. Der Ionische Aufstand (500 bzw. 499-494 v. Chr.)...................................... 125

2. Hellas und Persien bis zur SAlacht bei Marathon (500-490 v. Chr.)

132

Inhaltsverzeichnis

VIII

3. Der Flottenbau des Themistokles und die persischen Rüstungen .

137

4. Der Zug des Xerxes gegen Griechenland (480 v. Chr.).................................140 5. Die Siege der Griechen bei Platäa und Mykale (479 v. Chr.) .

6.

.

148

.

Die Westgriechen von 500 bis 480 v. Chr........................................................... 134

Zweiter Teil. Die Pentekontaetie (478-431 v. Chr.) 1. Die Gründung des Delisch-Attisdien Seebundes. Die Kimonische Ara (478-463 v. Chr.) . . ............................................................................. 160 2. Das Ende des Pausanias und des Themistokles. Der große Heilotenaufstand. Die Vollendung der attischen Demokratie...................................... 167

3. Athen in der Zeit des Perikles .

.

....................................................... 172

4. Der Delisch-Attisdie Bund und die spartanische Hegemonie bis zum

Vorabend des Peloponnesisdien Krieges............................................................ 181 5. Die Westgriechen in der Pentekontaetie: Das Erwachen der Sikeler und Italiker........................................................................................................................ 187

Dritter Teil. Der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) 1. Die Vorgeschichte des Peloponnesisdien Krieges............................................ 194

2. Der Archidamische

Krieg (431-421 v. Chr.).......................................................198

3. Die Zeit des Nikiasfriedens (421-414 v. Chr.) und die große sizilische Expedition den Athener (415-413 v. Chr.)...................................................... 208 4. Der Dekeleische und der Ionische Krieg (414-404 v. Chr.)........................... 217

Vierter Teil. Der Niedergang der hellenischen Poliswelt (404-360 v. Chr.) 1. Hellas nach dem Peloponnesisdien Kriege (404-400 v. Chr.) .

2.

.

229

Die Expedition des Jüngeren Kyros (401-400 v. Chr.) und der spar­ tanisch-persische Krieg in Westkleinasien (400-394 v. Chr.) ....

.

233

3. Die Erhebung der Griechen gegen Sparta und der Königsfriede (395 bis 386 v. Chr.)................................................................................................... ...... 4. Sparta und Theben im Kampf um die Vorherrschaft. Der zweite Attische Seebund (386-371 v. Chr.)............................................................................. ...... y. Die Zeit der thebanisdien Hegemonie (371-362 v. Chr.)............................... 252 6. Das Reich des Dionysios I. und seiner Nachfolger in Sizilien. Timoleon

(406-337 v. Chr.).................................................................................................. z61

Inhaltsverzeichnis

IX

VIERTER ABSCHNITT DAS ZEITALTER DES HELLENISMUS (360-30 V. CHR.)

Der Beginn einer neuen Zeit............................................................. 169

Erster Teil. Das Zeitalter Philipps II. von Makedonien (359-336 v. Chr.) 1. Makedonien vor Philipp II......................................

277

2. Philipps erste Regierungsjahre (359-354 v. Chr.)........................................... 281 3. Hellas und Makedonien in der Zeit des dritten Heiligen Krieges (356-346 v. Chr.)........................................................................................................ 285

4. Hellas und Makedonien vom Frieden des Philokrates bis zum Tode König Philipps II. (346-336 v. Chr.)................................................................. 293

Zweiter Teil. Alexander und die Grundlegung der griechischen Weltkultur (336-323 v. Chr.) 1. Alexander bis zu seinem Aufbruch nach Asien (334 v. Chr.) ....

304

2. Der Alexanderzug vom Hellespont bis Persepolis (334-331 v. Chr.) .

308

3. Die Eroberung Ostirans und Nordwestindiens (330-325 v. Chr.)

319

.

.

4. Alexanders letzte Jahre (324-323 v. Chr.).......................................................327

5. Alexanders Werk................................................................................................... 332

Dritter Teil. Die hellenistische Staatenwelt vom Tode Alexanders bis zum Eingreifen der Römer (323-201 v. Chr.) 1. Der Kampf um das Alexanderreidi (323-301 v. Chr.).................................338 2. Die Konsolidierung der hellenistischen Territorialreiche (301-281 v. Chr.)

355

363

3. Die Westgriechen im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos .

.

.

4. Das Gleichgewicht der hellenistischen Mächte (280-201 v. Chr.) .

.

.

373

5. Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jahrh. v. Chr.

401

6. Die Weltherrschaft des griechischen Geistes...................................................... 430

Inhaltsverzeichnis

X

Vierter Teil. Die hellenistische Staatenwelt unter römischer Vorherrschaft (200-jo v. Chr.) 1. Rom im Kampfe mit Philipp V. und Antiodios III. Der Untergang der makedonischen Monarchie (200-168 v. Chr.)........................................... 4$ 1

2. Der Niedergang der hellenistischen Oststaaten und der Aufstieg des Partherreiches. Die erste Periode der römischen Herrschaft in Hellas

und Kleinasien (167-89 v. Chr.)....................................................................... 470

3. Die Griechen im Zeitalter des Mithradates. Die Neuordnung Vorderasiens durch Pompejus. Das Ende des Ptolcmäerreiches (88-30 v. Chr.)

48;

FÜNFTER ABSCHNITT

DAS GRIECHENTUM IM RÖMISCHEN KAISERREICH

1. Die griechisdie Welt von Augustus bis Mark Aurel...................................... $03

2. Das Griechentum von Mark Aurel bis zum Ende des 3. Jahrh. n. Chr.

$28

3. Ausblick: Von Constantin zu Justinian............................................................ 539

ZEITTAFEL

REGISTER

...

....

549

569

VERZEICHNIS DER KARTEN Die Karten sind nach Angaben des Verfassers gezeichnet. Nur wenn sie auf besonderen Vorarbeiten anderer beruhen, ist dies angegeben.

1. Die griechische Welt um 800 v. Chr.

... nachS. 116

....

2. Die große griechische Kolonisation (750-550 v. Chr.)

nach S. 148

3. Das Perserreich und die griechische Welt um 480 v. Chr.

nach S. 180

4. Griechenland am Vorabend des Peloponnesischen Krieges nach S.2 J2

(451 v.Chr.) 5. Der Aufstieg Makedoniens unter Philipp II. (359—336 v. Chr.) 6. Griechenland im Jahre 362 v. Chr.............................................................

S.287 nach S. 372

auf der Grundlage von Ä /. Beloch, Griechische Geschichte* III 2

(1923), Beilage

nach S. 404

7. Das Alexanderreich

8. Die hellenistische Staatenwek, Griechenland und der Westen um 240 v. Chr.

nach S. 436

9. Die hellenistischen Städtegriindungen.......................................................... S. 440 auf der Grundlage der Cambridge Ändert History Bd. VII, Karte 4

10.

Die hellenistische Staatenwelt um 185 v. Chr.

..

.

nach S.468

auf der Grundlage von W. Sieglin, Adas Antiquus, Taf. 10,5

11. Die Neuordnung Vorderasiens durch Pompejus (63 v. Chr.)

s.487

12. Romanismus, Hellenismus und Iranismus um 400 n. Chr.

s 543

ERSTER ABSCHNITT

VON DEN ANFÄNGEN DER GRIECHISCHEN GESCHICHTE BIS ZUM VORABEND DER ZWEITEN KOLONISATION

(etwa 1900-800 v. Chr.)

1. Die Einwanderung der Indogermanen in Griechenland

Das Land der Griechen ist kein Land des Reichtums und des Überflusses. Nur gering ist die Ausdehnung des anbaufähigen Bodens, vorherrschend ist das unfruchtbare Karstgebirge, dessen Wälder zum Teil schon im Altertum dem Feuer zum Opfer fielen. Starke Temperaturschwankungen, verbunden mit beträchtlichen klimatischen Verschiedenheiten in den einzelnen Landschaften, dazu die ständig wiederkehrende Dürre der Sommermonate, ma­ chen das Leben in dem sonnendurchfluteten Lande zu keiner An­ nehmlichkeit. Nichts fällt den Bewohnern Griechenlands ohne Arbeit in den Schoß, und oft erweist sich alles Menschenwerk als vergeblich, wenn der Erderschütterer Poseidon seinen Dreizack schwingt. Das Gesicht des Landes ist nach Osten gerichtet. An der reich- und tiefgegliederten Ostküste durchdringen sich Land und Meer am stärksten, hier finden sich die trefflichsten Hafenplätze. Nach Osten, in das Thrakische und Ägäische Meer, führen die meisten Flüsse ihr Wasser. Im Gegensatz zu der reichen Küsten­ gliederung am Ägäischen Meere sind die Bedingungen für die See­ fahrt im Westen sehr viel weniger günstig: nur der tiefeingeschnittene Golf von Korinth bietet den Schiffen vor den Stürmen der Adria hinreichenden Schutz, die Häfen in Nordwestgriechenland i

Bengtson, SA

2

Bis zum 'Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

und an der peloponnesischen Westküste sind immer nur von lokaler Bedeutung gewesen. Schroffe Gebirge trennen Griechen­ land vom Rumpf der Balkanhalbinsel, der Verkehr vollzieht sich im allgemeinen in den Flußtälern, den großen Einfallstoren von Norden nach Süden. Vom Pindus, der Thessalien von Epirus trennt und der geradezu als eine Völkerscheide zu bezeichnen ist, bis zum Taygetos in der südlichen Peloponnesos reicht eine Ge­ birgskette der andern die Hand. Das Land wird durch die Berge in eine große Zahl kleiner und kleinster geographischer Einheiten aufgespalten, zwischen denen eine unmittelbare Verbindung oft schwierig ist. Allein in Thessalien, in Attika und bis zu einem ge­ wissen Grade auch in den Ebenen des Alpheios, des Pamisos und des Eurotas, bleibt Raum für größere geschlossene Siedlungsge­ biete. Von der griechischen Ostküste führen Inselbrücken nach Kleinasien und nach Kreta hinüber; die Inseln haben von jeher die Verbindung mit Griechenland begünstigt. Das eigentliche Schicksal der Einwohner der griechischen Halbinsel ist die All­ gegenwart des Meeres. Sie gestaltet die Geschichte des Landes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In die Urzeit des griechischen Volkes reicht keine Kunde, kein Heldenlied zurück. Selbst das Bewußtsein, daß ihre Heimat außer­ halb von Hellas zu suchen sei, ist den Griechen in historischer Zeit verlorengegangen: sie hielten sich vielfach für Autochthonen, womit sich allerdings die Anschauung, daß die ,Pelasger* oder ,Karer‘ eine ältere Bevölkerung des Landes seien, im offenen Widerspruch befand. Was die moderne Wissenschaft von der hel­ lenischen Urzeit zu wissen glaubt, beruht auf Rückschlüssen auf Grund der Ergebnisse der vorgeschichtlichen, sprachwissenschaft­ lichen und siedlungstopographischen Forschungen; sie sind im ein­ zelnen von unterschiedlicher Bedeutung und Tragfähigkeit, im ganzen gestatten sie aber doch wohl, ein in den Umrissen zutref­ fendes Bild der Frühzeit Griechenlands zu zeichnen. Die Einwanderung der indogermanischen Vorväter der Grie­ chen in das Land, dem sie den Namen gaben, steht unzweifel­ haft im Zusammenhang mit Völkerbewegungen im Raum zwi-

Die Einwanderung der Indogermanen in Griechenland

3

sehen der mittleren Donau und den Karpaten. Von Völkern geschoben, die aus dem Norden oder aus dem Nordosten in diesen Raum hineinstießen, wurden die früheren Bewohner der ungari­ schen Tiefebene nach dem Süden abgedrängt. Die Auswandernden waren Teile des indogermanischen Urvolkes, dessen Wiege in den weiten Räumen zwischen der Ostsee und dem inneren Asien zu suchen ist. Der Übergang von der Seßhaftigkeit zur Wande­ rung hat jene völkischen Elemente neu geprägt, in ihrer Lebens­ führung ebenso wie in ihrer ethnischen Zusammensetzung. Man­ che abenteuerlustigen, volksfremden Elemente mögen sich den Wandernden angeschlossen haben. Da man für die Wanderung erprobter Führer bedurfte, war eine beträchtliche Erstarkung der fürstlichen Gewalt die unmittelbare Folge; vorher, in ruhigeren Zeiten, wird man ihrer kaum bedurft haben. Die Religion dieses Volkes, aus dem die Väter der Griechen hervorgegangen sind, zeigt eine Verbindung von fetischistischen und animistischen mit naturreligiösen Vorstellungen. Im Himmelsgott, den die späteren Griechen unter dem ehrwürdigen Namen des Zeus Pat6r (Vater) verehrten, erblickten sie eine Verkörperung der allmächtigen Na­ tur, mit deren Mächten ihr Leben aufs engste verbunden war. In dem Himmelsgott verehrten sie zugleich den Schutzherrn der menschlichen Ordnung, der Familie und des sich aus Großfamilien (Bruderschaften, griech. Phratriai) zusammensetzenden lockeren Staatsverbandes, der Angehörige eines Stammes und einer Sprache zusammenschloß. Im ungarischen Tiefland haben die Indogermanen eine bäuerliche Kultur besessen, Pflug und Webstuhl waren ihnen bekannt; Kühe, Schafe, Ziegen bildeten den Viehbestand und den Reichtum der Bauern, sie begleiteten diese auf der Wanderung, die sich in einem dauernden Rhythmus von vorübergehendem Noma­ dentum und neuer Seßhaftigkeit vollzogen hat. Die besondere Stel­ lung des Griechischen im Rahmen der großen indogermanischen Sprachfamilie reicht nicht zu dem Beweise aus, das griechische Volk mit irgendeinem anderen zu einer engeren Gruppe zusam­ menzuschließen. So ist die früher vertretene gräko-italische Hypo­ these von der Wissenschaft mit Recht längst aufgegeben worden. 1*

4

Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

Die Landnahme der Indogermanen in Hellas hat sich im Dun­ kel der Vorgeschichte vollzogen. Die Datierung dieses für das Schicksal Griechenlands epochemachenden Ereignisses wird so lange bis zu einem gewissen Grade unsicher bleiben, als es nicht gelingt, den Vorgang mit Hilfe von außergriechischen Synchronismen einwandfrei festzulegen. Soviel ist jedoch sicher, daß die indo­ germanische Einwanderung, die erste, die in Hellas festzustellen ist, vor dem Einbruch der Dorer in die Peloponnesos (12. Jahr­ hundert v. Chr.) und sehr wahrscheinlich noch vor der ersten Blütezeit der mykenischen Kultur (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts v. Chr.) erfolgt sein muß. Daß auf die Einwanderung der Indo­ germanen jene Katastrophe zurückzuführen ist, die sich am Ende des Frühhelladikums (rund 1900 v. Chr.) in der Zerstörung einer großen Zahl von Siedlungen des griechischen Festlandes, in einer breiten Zone von Westgriechenland bis zur Argolis, manifestiert, ist zwar nicht in jeder Weise gesichert, aber doch in hohem Grade wahrscheinlich. Die innere Entwicklung in Griechenland beleuch­ ten die Bodenfunde. Bis in das 4. Jahrtausend reicht hier die neolithische Kultur hinauf, die mit dem Namen des thessalischen Sesklo, der Hauptfundstätte, als „Sesklokultur“ bezeichnet wird. Sie ist am dichtesten im thessalischen Raum (etwa 150 Siedlun­ gen) und in der Gegend von Korinth vertreten. Nach Westen strahlt sie über Korfu bis in den italienischen Molfettakreis in Apulien aus. Kennzeichen der Sesklokultur sind unbefestigte Sied­ lungen mit lehmgebauten Hütten in rechteckigen und kurven­ linearen Formen. Die Keramik, zunächst mit weißen, später mit bunten Ornamenten, ist primitiv, ohne jedoch Einflüsse aus Vorderasien zu verleugnen. Außer Steinwerkzeugen finden sich auch Werkzeuge aus Obsidian von der Insel Melos. Die dem Frühhelladikum unmittelbar vorhergehende „Dimini­ stufe“ (vor der Mitte des 3. Jahrtausends) weist befestigte Sied­ lungskomplexe auf: die Zeiten scheinen demnach unruhiger ge­ worden zu sein. Beziehungen des Diminikreises zur Außenwelt bezeugen bandkeramische Motive, als deren Ausgangspunkt der siebenbürgische Raum gilt. Im übrigen steht aber die Dimini­

Die Einwanderung der Indogermanen in Griechenland

5

kultur im Schatten der kleinasiatischen Kulturprovinz mit Troja I, Poliochnia und Thermi (auf Lesbos). Sichere Anzeichen für Zu­ wanderungen aus dem Norden gibt es nicht, sooft auch das Gegen­ teil behauptet worden ist. Denn das Megaron, jener rechteckige Baum mit dem wärmenden Herd im Mittelpunkt, findet sich als sog. Doppelmegaron nicht allein schon in der Seskloschicht, sondern auch in Troja I (rund 3200-2600 nach Biegen, etwa 2700-2400 nach Milojcic u. a.): es ist nicht unmöglich, daß sich diese Bauform im Raum der Ägäis und in Anatolien selbständig, ohne innereuro­ päische Zusammenhänge, herausgebildet hat. Die frühhelladische Kultur (rund 2500-1900) mit ihrer charak­ teristischen „Urfirnis“-Keramik ist eine ausgesprochene Bauern­ kultur. Ihr Gebiet umfaßt außer Thessalien vor allem Zentralgriechenland (Phokis, Böotien, Attika) und die nördliche Peloponnesos (Argolis, Korinth). Der Hügel von Tiryns erweist sich schon in dieser Periode durch seinen großen Rundbau als Sitz eines streitbaren Herrengeschlechts. Auf den Kykladen herrscht die dörfliche Siedlungsweise vor, während das enge Zu­ sammenwohnen einer dichten Bevölkerung in Attika (Hagios Kosmas) und in Ägina ausgesprochen mediterranen Charakter hat. Sichtbare Spuren hat die altmediterrane Bevölkerung von Grie­ chenland vor allem in der Sprache zurückgelassen. Die Verglei­ chende Sprachwissenschaft hat die Ortsnamen auf -nthos und -ssos als unindogermanisch erkannt und sie auf eine Bevölkerung zu­ rückgeführt, deren Siedlungen sich über Hellas, die Kykladen und über das südwestliche Kleinasien erstrecht haben müssen. Namen wie Korinthos, Zakynthos, Ilissos, Kephissos und ähnliche Bildun­ gen sind vorindogermanisch, sie finden sich am dichtesten in Atti­ ka, in der Argolis, aber auch in Mittelgriechenland und auf den Inseln. Die Aufnahme von zahlreichen Pflanzen- und Metall­ namen, von Begriffen aus der Sphäre der Schiffahrt und des Fisch­ fanges in die Sprache der Griechen zeugt von dem tiefgehenden zivilisatorischen Einfluß der vorindogermanischen Bevölkerung auf die Lebens- und Denkweise der Einwanderer.

6

Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

Die Wissenschaft bezeichnet die vorindogermanische Bevölke­ rung von Hellas als „ägäisch“, die späteren Griechen nannten sie Karer, Leleger oder Pelasger. In welchen Formen sich der Aus­ gleich zwischen den aus dem Norden zuwandernden Indogermanen und den Ureinwohnern vollzogen hat, ist völlig unbekannt. Die Übernahme altmediterranen Zivilisationsgutes in Sprache und Le­ bensbereich der Griechen scheint auf eine längere Periode fried­ lichen und fruchtbaren Ausgleiches und Austausches hinzuweisen, bei dem die neuen Bewohner des Landes die Nehmenden, die Alt­ eingesessenen die Gebenden gewesen sind. Aus der geistigen und anthropologischen Verschmelzung der altmediterranen und der indogermanischen Elemente ist im 2. Jahrtausend das griechische Volk hervorgegangen. Die erste indogermanische Einwanderung in Hellas - wahr­ scheinlich zu Beginn des Mittelhelladikums - wird man sich kaum als einen einheitlichen Vorgang, sondern eher als ein allmähliches Fließen und Fluktuieren von Stämmen und Stammessplittern, als einen dauernden Wechsel von Krieg und Frieden, von inneren Kämpfen und friedlichem Zusammenleben vorstellen müssen. Ent­ scheidend ist die Tatsache, daß sich das indogermanische Element allmählich als das politisch führende gegenüber den hochzivilisier­ ten mediterranen Bewohnern des Landes durchgesetzt hat. Die tiefgehenden strukturellen Unterschiede der griechischen Dialekte legen die Annahme nahe, daß sich diese nicht erst auf hellenischem Boden herausgebildet haben, sondern daß sie von den Einwande­ rern mitgebracht worden sind. Drei große Gruppen heben sich aus den Dialekten heraus: das Ionische, das Arkadisch-Äolische (oft zu­ sammenfassend als „Achäisch“ bezeichnet) und das Dorisch-Nord­ westgriechische. Die frühere Forschung hat immer wieder die Er­ gebnisse der Dialektforschungen für die griechische Stammesgeschichte zu verwerten versucht - eine vergebliche Mühe, denn Sprache und Volkstum sind verschiedene Größen, die sich nicht decken. So sind alle Hypothesen über die zeitliche Abfolge der Einwanderungen der griechischen Stämme, soweit sie aus der Dia­ lektforschung gewonnen worden sind, von vornherein auf Sand

Die Einwanderung der Indogermanen in Griechenland

7

gebaut. Sicher ist nur das eine, daß die Träger der nordwestgrie­ chisch-dorischen Dialekte erst am Ende des Späthelladikums den Boden Griechenlands betreten haben. Was die Verteilung der großen Dialektgruppen vor dem Auf­ treten des Nordwestgriechisch-Dorischen betrifft, so ist Ionisch nicht nur in Attika und auf Euböa, sondern ursprünglich auch in der Argolis und in anderen Teilen der Peloponnesos sowie in Bö­ otien gesprochen worden, das Arkadisch-Äolische („Achäische“) findet sich in Thessalien und auf der gesamten Peloponnesos; hier wie in Böotien hat es sich vor dem Ionischen mehr oder weniger durchgesetzt, ein Vorgang, der immerhin mit völkischen Verschie­ bungen, mit der Überschichtung der Ionisch Sprechenden durch die Träger arkado-äolischer Dialekte Zusammenhängen mag. Im großen gesehen umspannen die Wanderungen der Indo­ germanen im zweiten Jahrtausend den weiten Raum von der Apenninhalbinsel und von dem Balkan bis nach Innerasien. Von grundlegender Bedeutung für die weitere Entwicklung in Grie­ chenland ist die Tatsache geworden, daß das inneranatolische Hethiterreich nach Südosten, nach Nordsyrien und Nordmeso­ potamien, tendierte. Die alten Hochkulturen des vorderasiati­ schen Raumes mußten allerdings auf die Hethiter eine weit grö­ ßere Anziehungskraft ausüben als der Westen, dem das He­ thiterreich gleichsam den Rücken zuwandte. Wieweit die He­ thiter in Westkleinasien politischen Einfluß ausübten, ist zudem ungewiß, da die historische Geographie Anatoliens in der Hethi­ terzeit noch so manches Rätsel aufgibt. Auf jeden Fall ist aber die Existenz eines großen anatolischen Reiches, das die Verbindungen zwischen Mesopotamien, Syrien und dem Westen durch den Besitz der Tauruspässe kontrollierte, von ganz entscheidender Bedeutung für die politische, wirtschaftliche und geistige Entwicklung in den Randländern der Ägäis gewesen. Das Reich der Hethiter stand den Griechen der mykenischen Zeit als Vorbild eines großen Rei­ ches vor Augen. Mit dem Einfluß aus Kleinasien überschneidet sich jedoch auf dem Gebiet der Zivilisation der sehr viel stärkere des minoischen Kretas, dessen erste große Blütezeit gerade mit dem

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Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

Beginn des Mittelhelladikums (rund 1900 v. Chr.) zusammenfällt, während der zweite Höhepunkt der minoischen Kultur ungefähr mit der frühmykenischen Zeit (Späthelladikum I) gleichzeitig ist. Es sind die unzähligen Monumente, die uns ein farbenreiches Bild der altkretischen Kultur zu entwerfen gestatten. Die kreti­ schen Schriftzeichen sind trotz .allen aufgewandten Scharfsinnes bis heute, da es an einer kretisch-ägyptischen oder kretisch-keil­ schriftlichen Bilingue fehlt, stumm geblieben. Das imposante minoische Erbe, das die Ausgrabungen unter Beteiligung von fast allen Kulturnationen etwa seit dem Beginn dieses Jahrhunderts ans Licht gebracht haben, ist so überwältigend reich und vielge­ staltig, daß sich mit seiner Entdeckung der Wissenschaft eine neue Welt erschlossen hat, die als ebenbürtige Schwester den alten Hoch­ kulturen Ägyptens und Mesopotamiens an die Seite tritt.

2. Die minoische Kultur

Kreta, die größte Insel des östlichen Mittelmeeres, nannten die Al­ ten wegen ihrer glücklichen Lage und ihres milden Klimas die „In­ sel der Seligen“. Im Zentrum vielfacher Seeverbindungen mit Ägypten, Syrien, Kleinasien, Griechenland und dem Westen ge­ legen, hat die Insel im Laufe ihrer Geschichte die verschiedensten Einflüsse von fremden Kulturen empfangen, anderseits aber auch solche in alle Richtungen ausgestrahlt. Wie in einem großen Hohl­ spiegel vereinigen sich im minoischen Kreta viele Strahlen zu einem mächtigen Bündel, das mit seiner Leuchtkraft das Dunkel der ägäischen Frühgeschichte durchdringt. Die Namen von Kreta und Mykene sind Symbole für eine Epoche der griechischen Früh­ geschichte, die um 1700 v. Chr. beginnt und die im 12. Jahrhundert v. Chr. endet. Während sich die Griechen zunächst dem übermäch­ tigen Einfluß der kretischen Kultur willig hingegeben haben, hat sich dieses Verhältnis seit etwa 1400 v. Chr. geändert: von da an greifen die Hellenen, die sich ihrer Kraft bewußt geworden sind,

Die minoische Kultur

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auf dem Meere kühn nach Süden und Osten aus: in einem „Wi­ kingerzeitalter“ erwächst in Griechenland ein neues Lebensgefühl, eine neue Einstellung zur Umwelt ist die Folge. Um 2200 v. Chr. beginnt mit dem Frühminoikum III die erste Hochblüte der kretischen Kunst; sie erhält durch bandkeramische Einflüsse aus dem Norden einen starken Auftrieb. Es folgt der Bau der großen Paläste von Knossos und Phaistos, in denen die Nachwelt die Symbole der minoischen Kultur erblidtt. In einer großen Katastrophe findet die erste kretische Hochkultur ausgangs des 18. oder zu Beginn des 17. Jahrhunderts, d. h. etwa zu der­ selben Zeit, da die Hyksos ihre Herrschaft über Ägypten begrün­ deten, ein jähes Ende. Die erste Zerstörung ist jedoch nur von vor­ übergehender Bedeutung. In Knossos, Phaistos, Mallia erheben sich neue geräumigere Paläste aus dem Schutt, noch einmal erlebt die Insel eine Zeit hoher kultureller Blüte, in deren eigenartig modern anmutendem Charakter sich das unbeschwerte Lebensgefühl der kretischen Menschen spiegelt. Dies alles ist um 1400 v. Chr. in einem abermaligen totalen Zusammenbruch zugrunde gegangen: das sagenumwobene Reich des kretischen Königs Minos sinkt da­ mit in das Meer der Vergessenheit. Die kretische Siedlungskarte in minoischer Zeit gibt ein auf­ schlußreiches Bild. Während der Osten und das Binnenland, vor allem die fruchtbare Ebene der Mesarä, zahlreiche Siedlun­ gen aufweisen, ist der Westen nahezu leer. Mag dieses Ergebnis auch durch den Stand der Forschung mitbedingt sein - die Orien­ tierung der Insel nach dem Osten, Süden und Norden tritt hierin deutlich zutage, und zwar gilt dies ebenso für die frühen wie für die späteren Perioden der kretischen Geschichte. Bis in die erste Hälfte des 3. Jahrtausends erstreckt sich in Kreta das Neolithikum. Die Bevölkerung, verwandt mit den „karischen“ Bewohnern des frühen Griechenlands und des westlichen Klein­ asiens, siedelt in offenen Dörfern; dabei ist, zumal an der Ostküste, der Zug zum Meere ganz unverkennbar. An der Küste stehen die Hütten der Fischer, während sich in der Fruchtebene der Mesarä eine ausgeprägte bäuerliche Kultur entfaltet. Nach bescheidenen

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Anfängen erhebt sich seit dem Ende des 3. Jahrtausends die kre­ tische Kultur zu einer wunderbaren Kraft und Vitalität: es ist die „Kamareszeit“, die ihren Namen nach jener Keramik trägt, die man in der Höhle gleichen Namens am Südabhang des Idagebirges gefunden hat. Es ist dies eine polychrome Keramik mit einer Fülle von Mustern, Linien, Kurven und Vegetabilien auf dunkelgrundi­ gem Firnis. Besonders eigenartig sind Gefäße mit eierschalendün­ ner Wandung, die offenbar als Nachahmungen von Metallgefäßen entstanden sind. Im Schatten der älteren Paläste von Knossos und Phaistos bildet sich mit dem Beginn des Mittelminoikums I (rund 2000 v. Chr.) in Zentralkreta eine charakteristische höfische Kul­ tur, gleichzeitig konzentriert sich das Leben vor allem in den städ­ tischen Siedlungen. Es beginnt eine Epoche aristokratischen Ge­ präges, die zugleich das Ende der älteren vorwiegend bäuerlichen Kultur bezeichnet. Die Paläste sind gleichzeitig die Zentren der Wirtschaft: Ölmühlen und Werkstätten aller Art sind ihnen an­ gegliedert. Vor allem aber prägt sich ein neuer Lebensstil, nicht Kampf und Krieg, sondern sinnenfroher Genuß erscheint als das Ziel des Daseins. Der Charakter dieses genießenden Zeitalters wird durch die äußere Sicherheit noch verstärkt. So fest ist die kretische Sicherheit begründet, daß die Paläste durchweg des Schut­ zes durch Mauern und Bastionen entbehren. Man ist sich seiner Kraft bewußt geworden, der Kretername (Keftiu, Kaphtor) hatte in Ägypten, Babylonien und Syrien einen guten Klang. Griechen­ land bedeutete damals für die Kreter noch nichts, seine bäuerlichen Bewohner bedurften der Schätze nicht, die ihnen die minoische Kultur zu bieten hatte. Die Kamareszeit fällt zeitlich ungefähr mit der XII. ägypti­ schen Dynastie des Mittleren Reiches zusammen (etwa 1950-etwa 1750). Vielleicht sind damals kretische Handwerker in das Nil­ land gekommen, kretische Keramik findet sich im Faijüm ebenso wie im fernen Oberägypten. Zwischen Kreta und dem Vorderen Orient entwickelte sich ein lebhafter Austausch. Babylonische Siegelzylinder sind in den kretischen Palästen häufig zu fin­ den, und zwar gerade Siegel der Hammurabizeit. Über den

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Weg, den der Handel genommen hat, kann es nach den fran­ zösischen Ausgrabungen in Mari am Mittleren Euphrat (Tell-Hariri) kaum noch einen Zweifel geben: zwischen Kreta (Kaphtor) und Ras Samra (Ugarit) in Nordsyrien fuhren damals die Han­ delsschiffe hin und her, und von Ras Samra führte die Straße in das Euphrattal und nach Babylon. Noch enger sind die Berührun­ gen der kretischen und der ägyptischen Kultur. Aus dem Nilland stammt die Idee der Hieroglyphenschrift, wenn es auch an piktographischen Vorstufen für die Entwicklung der kretischen Schrift auf der Insel selbst nicht mangelt. Aus Ägypten kommt vor allem der als Beschreibstoff unentbehrliche Papyrus. Auf dem Gebiet der Kunst und der Architektur haben die Kreter die komplizierte Deckenornamentik den Ägyptern abgesehen. Von der Insel hat sie ihren Weg auf das griechische Festland, in die Paläste von Tiryns und Mykene gefunden. Eine tiefere Abhängigkeit Kretas von Ägypten ist indes kaum wahrscheinlich. Als die erste kretische Hochkultur gegen Ende des 18. Jahrh. oder wenig später in einer jähen Katastrophe zugrunde ging, da hatte die erste große indogermanische Wanderung der Welt be­ reits ein neues Gesicht gegeben. Den Fund eines Alabasterdeckels mit dem Namen des Hyksoskönigs Chian im Brandschutt des Pa­ lastes von Knossos hat Eduard Meyer als einen Beweis für die Zer­ störung der älteren kretischen Paläste durch plündernde Hyksosscharen betrachtet; in König Chian sah er einen „Weltbeherrscher“, dessen Reich sich über Ägypten, Kreta und Babylonien erstreckt hätte. Für eine derartige Hypothese reichen jedoch die Indizien bei weitem nicht aus. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß eines der auf Kreta so häufig auftretenden verheerenden Erdbeben die Städte in Trümmer gelegt hat. Der Palast von Knossos war übri­ gens schon vorher einmal das Opfer einer ähnlichen Katastrophe geworden. Von den Folgen der Zerstörungen hat sich Kreta rasch wieder erholt. Friede im Inneren und Ruhe vor äußeren Gefahren haben die Palastbauten in neuem Glanz erstehen lassen. Damals hat sich eine Hegemonie von Knossos herausgebildet. Mit wenigstens

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50000 Bewohnern steht diese Stadt unbestritten an der Spitze aller kretischen Siedlungen. An der Seite der Paläste erheben sich zahlreiche neue Villen der Vasallen und königlichen Würdenträger. In der höfischen Umwelt wird ein neuer naturalistischer Kunst­ stil geboren; in seiner Modernität ist er ein lebendiges Dokument der sinnenfrohen und lebensbejahenden Bevölkerung der glück­ lichen Insel. Daß man die kretische Kunst im Ausland besonders zu schätzen wußte, erhellt daraus, daß die eindruckvollsten, am meisten charakteristischen Werke des neuen Stils außerhalb Kre­ tas, in den Schachtgräbern von Mykene und im Kuppelgrab von Vaphiofin der Nähe von Amyklai), gefunden wurden. Fresken wie der Krokospflücker im kretischen „Zaubergarten“ aus dem knossischen Palast, lebendige Darstellungen sportlicher Wettkämpfe, wundervolle Einlegearbeiten wie die Dolchklinge mit einer Jagd­ szene im ägyptischen Papyrusdickicht sind in der ganzen antiken Kunst unübertroffen. Der farbige Abglanz eines an das Märchen­ hafte grenzenden Lebens spiegelt sich in den bunten Fresken, von Beobachtungsschärfe und Aufgeschlossenheit zeugen Kunstwerke wie die Schnittervase von Hagia Triada. In dem sog. Palaststil spürt man das allmähliche Abklingen, und als um 1500 v. Chr. (?), vielleicht infolge eines neuen großen Erdbebens, die Paläste aber­ mals vernichtet wurden, da hatte sich die minoische Kultur bereits überlebt, während in Griechenland die Saat aufgegangen war, die das Vorbild des kretischen Kunstschaffens ausgestreut hatte. Die kretische Kultur, die ihren unbestrittenen Höhepunkt etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte, ist als Gewächs der Städte und vor allem der Paläste ein Ausdruck des kretischen Le­ bens selbst. Im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens steht die Frau, die Dame, wie in dem Zeitalter des abendländischen Minnesanges. Der eigentümliche „westische“ Charakter dieser Kultur verleiht dem kretischen Wesen etwas Überfeinertes, ja Morbides, das dem griechischen Volkscharakter durchaus fremd ist. Dies gilt in erster Linie für die kulturell führende Schicht in Kreta; was das Volk bedeutete, ist unbekannt. Die Anlage von Siedlungen, die geschlos­ sene Wohnweise (z. B. in Gurniä), zeigt eine weitgehende Ver­

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schachtelung der Gebäudekomplexe von ausgesprochen mediterra­ ner Eigenart, wie sie noch heute in den ostkretischen Siedlungen zu beobachten ist. In minoischer Zeit wird dieser Siedlungstyp durch Pseira, Mochlos, Palaikastro, bis zu einem gewissen Grade auch durch Mallia und Knossos repräsentiert. An der Seite der geschlossenen Siedlungen erheben sich vielfach regelrechte Villen­ bezirke, vor allem in der Umgebung der Paläste. Die Villen sind augenscheinlich die Wohnsitze von begüterten Bürgern, von Lehns­ leuten und Funktionären der Herrscher. Diese wohlhabenden Schichten geben dem Hofleben den glänzenden Rahmen, für sie und ihresgleichen feiert man die Feste, Stierspiele, Box- und Ring­ kämpfe. Den harten Kampf um das Dasein kennt diese Welt offenbar nicht, alles ist hier sublimiert und dient dem verfeinerten Genuß. Aus den Bedürfnissen der Hofhaltung und der allgemei­ nen Verwaltung ist die kretische Schrift erwachsen; ist die Schrift doch überall und zu allen Zeiten, in denen sie auftritt, das Sym­ bol der Bürokratie. Über ihre Struktur mag hier nur so viel gesagt sein, daß von älteren piktographischen Vorstufen eine direkte Entwicklungslinie zur kretischen Hieroglyphenschrift führt, von dieser weiter zur „Linearschrift“, die in zwei ausgebildeten Syste­ men (Linearschrift A und B) vertreten ist. Daneben gibt es aber noch andere Systeme, von denen die Schrift H als die Mutter der berühmt gewordenen Linearschrift B zu gelten hat (E. Grumach). Die Linearschrift B kommt nur in dem jüngeren Palast von Knos­ sos vor; sie kann wohl als eine speziell für die Erfordernisse der Hofhaltung geschaffene Schrift bezeichnet werden. Inventarien und Rechnungen in dekadischem System bilden, so scheint es, den haupt­ sächlichen Inhalt der Tontafeln. Beide Linearschriftsysteme haben 48 Zeichen gemeinsam, die Hofkalligraphie hat außerdem noch 16 neue Zeichen. Es handelt sich um eine Silbenschrift, aus der sich die kyprische Schrift (bekannt aus dem 7. und aus den folgen­ den Jahrhunderten v. Chr.) in griechischer Sprache entwickelt hat. Von dieser späten Rezeption abgesehen, ist die kretische Schrift ausgestorben. Einen tieferen Einfluß auf die mykenische Kultur hat sie nicht gezeitigt - trotz des Fundes von zahlreichen Ton­

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tafeln mit kretischer Schrift (wohl Inventarverzeichnisse) im sog. „Palast des Nestor“ in AnoEnglianos (Messenien) und in Mykene. Anders die kretische Religion. Sie hat zur Bildung des Götter­ und Dämonenglaubens der Griechen wesentlich beigetragen. War doch die Vorbevölkerung von Hellas mit den Kretern stammesverwandt und hatte sich doch immer wieder auch bei den Ein­ wanderern die Kultur der seßhaften Bevölkerung durchgesetzt. Be­ sonders augenfällig ist die enge Naturverbundenheit der kreti­ schen Religion, aber auch das Vorwiegen des weiblichen Elementes ist sehr bemerkenswert. Eine wichtige Rolle spielen die Große Mutter, ferner eine Schlangengöttin und die „Herrin der Tiere“. In Grotten, Höhlen, aber auch in den Hauskapellen der Paläste werden ihnen Opfer dargebracht. Unter den Kultsymbolen neh­ men Hörner und Doppeläxte einen hervorragenden Platz ein. Die Herkunft der ,horns of consecration' ist ungewiß; die Doppelaxt findet sich in Kleinasien, bei den Hethitern sowie im oberen Me­ sopotamien als Attribut des churritischen Gewittergottes Teschub wieder, als Symbol des Juppiter Dolichenus hat die Doppelaxt das ganze Altertum überdauert. Das äußere Bild der kretischen Reli­ gion wird durch die Existenz zahlreicher Dämonen und Misch­ wesen, ähnlich denen der Hethiter, sowie durch den Säulen- und Baumkult ergänzt. Inhalt und Wesen der Religion bleiben uns jedoch in vielem verschlossen. Von tiefgreifender historischer Bedeutung sind die engen Be­ ziehungen zwischen Kreta und dem griechischen Festland gewor­ den, Beziehungen, die im 16. Jahrhundert ihren unbestrittenen Höhepunkt erreichen. Soviel die Griechen auch von Kreta über­ nommen haben - den griechischen Menschen hat die hohe kretische Zivilisation nicht zu wandeln vermocht. Wohl hat die minoische Zivilisation die Griechen gelehrt, sich der Kulturgüter zur Ver­ feinerung des Lebensstiles zu bedienen, im ganzen ist es jedoch bei einer äußerlichen Aneignung geblieben, die Seelen der Griechen vermochten Kretas Schätze nicht zu bezwingen.

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Die Einwanderung von Indogermanen in Griechenland hat, ebenso wie die der Hethiter in Zentralanatolien, in der Archäologie keine sichtbaren Spuren hinterlassen, dies vielleicht ein Zeichen dafür, daß die Zuwandernden sich in eine vollständige Abhängigkeit von der höheren Zivilisation der mediterranen Urbevölkerung des Landes begeben haben. Die materiellen Lebensbedingungen in Griechenland sind zunächst unverändert geblieben. Die Kultur des gesamten Mittelhelladikums (rund 1900-1550) muß als eine aus­ gesprochen bäuerliche bezeichnet werden. Charakteristisch für diese Epoche ist die einfache minyische Grauware (auch Orchomenos-Ware genannt), bzw. die gelbminyische Keramik, die keine Einflüsse von außen her aufweist. Die bäuerliche Bevölkerung des Landes hielt, auch nach der Einwanderung der Indogermanen­ stämme, am Althergebrachten zähe fest und wußte sich die neuen Bewohner des Landes bald zu assimilieren. Beziehungen zu außer­ griechischen Gebieten sind nicht vorhanden, die Neueinrichtung und der Ausgleich mit den zugewanderten Indogermanen scheinen zunächst alle Kräfte in Anspruch genommen zu haben. Die Auf­ deckung eines Schachtgräberkomplexes außerhalb der Burg von Mykene durch J. Papadimitriu im Jahre 1951 war eine der großen Überraschungen der Archäologie. Der größte Teil dieser Gräber (bisher etwa 25) gehört noch dem Ausgang der mittelhelladischen Periode an; die von Schliemann entdeckten Schachtgräber des Plattenringes innerhalb der Burg sind zeitlich später (s. S. 17 f.). Die Beigaben in den neuentdeckten Schachtgräbern halten zwar mit den Schliemannschen Gräbern keinen Vergleich aus, sie sind aber dennoch reich, vor allem an Waffen. Die Grabstelen, die sich auf Tumuli erhoben, zeigen ebenso wie die späteren Stelen Jagdszenen, allerdings noch ohne Abbildungen von Streitwagen. Die vorwiegend bäuerliche Kultur des Mittelhelladikums wird zu Beginn des sog. Späthelladikums, d. h. etwa in der Mitte des 16. Jahrhunderts, von neuen Lebensformen verdrängt. Freude am Kriege und am Waidwerk, am Besitze kostbarer Bronzewaffen,

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dazu die Einführung des Streitwagens sind Anzeigen eines neuen, wehrhaften Geistes, der einen entscheidenden Bruch mit der Ver­ gangenheit kennzeichnet: der Schluß liegt nahe, daß sich das In­ dogermanentum nunmehr, wohl nach einer längeren Inkubations­ zeit, auf sozialem Gebiet endgültig als die führende Schicht durch­ gesetzt hat. Sinnbilder des neuen Lebensstiles sind die wehrhaften Burgen, Sitze eines mächtigen, streitbaren Rittertums. Über der breiten Schicht der Gemeinfreien steht nun ein vornehmer Krieger­ adel, dessen Ideale - Kampf, Fehde und höfische Festlichkeiten von denen der bäuerlichen Bevölkerung himmelweit verschieden sind. Das heroische Zeitalter hat seinen Namen von Mykene er­ halten, der Burg im „innersten Winkel des rossenährenden Argos“ (Homer, Odyss. III 263). Neben Mykene steht Tiryns, fast in un­ mittelbarer Nachbarschaft, auch die Hügel von Nauplia und Midea tragen eine Burg, wie überhaupt die Argolis außerordentlich dicht besiedelt ist. Von den attischen Burgen ist die bedeutendste die Akropolis in Athen; sie ist durch zyklopisches Mauerwerk, das sog. Pelargikon, gesichert. Die Kultur der älteren mykenischen Zeit ist im wesentlichen auf den Osten Griechenlands beschränkt. Im Westen sind nur in jenen Gegenden Fundplätze aufgedeckt worden, für deren Bewohner eine Einwanderung zur See wahr­ scheinlich ist, so z. B. bei Pylos-Kakovatos und bei dem messenischen Pylos. Das Hauptgebiet befindet sich in Zentralgriechenland und in der Peloponnesos. So wenig der Einfluß der hochentwickelten minoischen Zivilisa­ tion auf Hellas, vor allem im 16. Jahrhundert, zu leugnen ist, so eindeutig manifestiert sich in den Monumentalbauten des mykeni­ schen Zeitalters ein ganz anderer, ein kriegerischer, heroischer Geist, der mit den kretischen Lebensidealen nicht das geringste gemein hat. Während sich die kretische Gesellschaft dem flüchtigen Reiz des Augenblickes hinzugeben scheint, errichten die Hellenen Bau­ ten für die Ewigkeit: gewaltige Steinmauern mit polygonalem Mauerwerk türmen sich zu Bergen, sorgfältig geschützte Toranla­ gen, durch Mauervorsprünge gedeckt, zeugen von dem wehrhaften Geist der Herrengeschlechter. Im Mittelpunkt der Burganlage

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erhebt sich der Palast mit der großen repräsentativen Halle, für deren Rechteckform das Hauptgemach, das Megaron mit dem wärmenden Herd im Mittelpunkt, bestimmend ist. Im Megaron hält der Burgherr mit seinen Vasallen das gemeinsame Mahl. Wer als Fremder oder Schutzflehender am Herde Zuflucht sucht, steht unter dem Schirm des höchsten Gottes, des Zeus, der sich der Fremden annimmt (Xenios). Die innere Geschlossenheit und Aus­ geglichenheit der gesamten Palastanlage - um das Megaron mit seiner offenen Halle schließt sich ringsum das Haus mit Korrido­ ren und Gemächern für die Diener an - steht in betontem Gegen­ satz zu der mittelmeerischen Bauweise in Kreta, in dessen Palästen sich in ganz unorganischer Weise die verschiedensten Gemächer um einen großen Mittelhof gruppieren, und zwar so, daß fast alle Übersicht und Raumordnung verlorengehen (vgl. das sog. Laby­ rinth). Wie in der Bauweise so haben die Indogermanen in Hellas auch in der Tracht (Chiton) am Alten festgehalten. Das gleiche gilt auch für die Sprache, wenn in diese auch so manche ägäische Wörter aufgenommen worden sind. Unverkennbare Höhepunkte der griechischen Entwicklung sind das spätere 16. und der Beginn des 14. Jahrhunderts, das 15. Jahr­ hundert ist dagegen eine Periode des Rückschritts; gerade in dieser Epoche erreicht die Überfremdung des Mykenischen durch minoische Einflüsse ihren Kulminationspunkt. Ein lebensvolles Bild der mykenischen Kultur haben Heinrich Schliemanns Grabungen in Mykene, Tiryns und Orchomenos gezeichnet. Epochemachend war die Entdeckung der Schachtgräber innerhalb der Burg von Mykene (1876). Es handelt sich bei ihnen um sechs tief in den weichen Fels getriebene Gräber, in denen eine geradezu märchenhafte Fülle von Beigaben, von goldenem Schmuck und prachtvollen Waffen, ge­ funden wurde. Die kriegerischen Grabbeigaben kennzeichnen die Schachtgräber als Grabstätten des Fürstengeschlechtes von My­ kene; vielleicht sind die in ihnen bestatteten neun Männer (zu denen acht Frauen und zwei kleine Kinder kommen) eine Herr­ scherdynastie. Fünf von den Männern trugen goldene Gesichts­ masken - es ist dies der erste Porträtversuch auf europäischem 2

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Boden. Interessant ist die Feststellung, daß nach den Masken ver­ schiedene Barttrachten anzunehmen sind, ähnlich wie bei den To­ tenmasken ausTrebenischte am Ochridasee aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. und bei nordischen Funden aus der Hallstatt- bzw. LaT^ne-Zeit. Die übergroße Zahl wertvollster Gegenstände schließt eine Herstellung durch einheimische Kunstschmiede aus. Die Her­ ren von Mykene haben die prunkvollen goldenen Diademe, das massenhafte zu Figuren und Ornamenten verarbeitete Goldblech offenbar von ihren Raubzügen heimgebracht. Der Sitte, dem Be­ sitzer die Beute als „Totenteil“ mit ins Grab zu geben, verdanken wir die Erhaltung der Kostbarkeiten, der bronzenen Schwerter und Dolche, die die Recken einst geführt oder die sie den Feinden im Kampfe abgenommen hatten. Ist schon der auffallende Reich­ tum an Waffen das Zeichen einer von der minoischen völlig ver­ schiedenen Geisteshaltung, so offenbart sich diese erst recht in den kunstlos, fast roh gearbeiteten steinernen Grabstelen. Einige von ihnen, z. T. in Fragmenten, sind erhalten. Im Mittelpunkt des Re­ liefs ist der Tote auf einem leichten zweirädrigen Streitwagen ste­ hend abgebildet - es ist das erste Mal, daß der Streitwagen in Hellas dargestellt wird. Im Gegensatz zu Kreta bedeutete die Frau in Mykene im öffentlichen Leben nichts, wenn auch der den Frauen ins Grab mitgegebene Schmuck wahrscheinlich macht, daß sie Anteil an der fürstlichen Repräsentation hatten. Die Bestattung in den Schachtgräbern wird um die Wende vom 16. zum 15. Jahrhundert durch die Beisetzung der Toten in Kup­ pelgräbern abgelöst. Mit ihren geradezu gigantischen Dimensionen - die Kuppel (in Wirklichkeit ein Scheingewölbe) des sog. „Schatz­ hauses des Atreus“ (erbaut um 1350 v. Chr.) mißt 14 >2 m im Durchmesser, eine großartige architektonische Leistung, wenn sie in der römischen Kaiserzeit auch durch die echte Kuppel des hadriamschen Pantheons, die den dreifachen Durchmesser besitzt, in den Schatten gestellt wird - sind sie der Ausdruck eines neuen Geistes und einer neuen Zeit, in der sich der Wille zum Monumen­ talen, zum Gewaltigen Bahn bricht. Auch das Löwentor von My­ kene ist wohl erst um 1350 (Späthelladikum III) erbaut worden.

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Mit der kretischen Säule, die von antithetisch angeordneten Löwen flankiert wird, findet das Tor in Hellas kein Gegenbild. Die wap­ penartige Gestaltung weist in den Alten Orient, vielleicht nach Chattusas (Boghazköi), der Hauptstadt des Hethiterreiches. Die Bauherren der Kuppelgräber haben das Terrain der Grabschächte mit einem doppelten Mauerring umfriedet (sog. Plattenring), eine Anordnung, die auf innereuropäische Zusammenhänge hinzuwei­ sen scheint. Dadurch war nunmehr die Stätte der Toten von dem Bezirk der Lebenden geschieden. Die Grabbauten in Mykene sind ausgeraubt, die Kuppelgräber in Vaphio (Lakonien) - diese nur zu einem kleinen Teil -, vor allem aber die Gräber von Dendra (Mideia) in der Argolis haben ihre Schätze erhalten: wieder ist es eine Fülle von kostbaren Waffen, goldenen Trinkbechern und Schmuck­ gegenständen, die das Zusammenklingen indogermanischen Geistes und mittelmeerischer Zivilisation bezeugen. Aus dem gleichen Gei­ ste geschaffen sind die polychromen Fresken in Mykene und Tiryns, die vor allem Kampf- und Jagdszenen abbilden. Die Frage nach dem staatlichen Aufbau Griechenlands in mykenischer Zeit ist oft gestellt und sehr verschieden beantwortet worden. Sicher ist wohl nur soviel, daß es zum Zusammenschluß größerer Gebiete allein in der Argolis und in Böotien gekommen sein kann. In der Argolis scheint Mykene, dessen Stellung zu Ti­ ryns freilich ein Rätsel aufgibt, zeitenlang eine Hegemoniestellung innegehabt zu haben, während in Böotien die Herren der riesigen Burg von Gha (Gla) im späteren Kopaissee eine führende Rolle gespielt haben. Die Ritter der umliegenden Burgen mögen als Va­ sallen die Oberhoheit dieser Fürsten anerkannt haben. Die Eini­ gung von Teilen der Argolis und der böotischen Landschaft ist wohl nur durch bitteren Zwang möglich gewesen. Die Auswirkung zeigt sich in der Schaffung eines ausgedehnten Straßensystems in der Argolis sowie in der Entwässerung des Kopaisgebietes durch die sog. „Deichbauten der Minyer“. Diese Werke konnte nur eine straffe Zentralgewalt planen und durchführen. Man brauchte für die Bauten eine große Zahl ausländischer Sklaven, die man auf Kriegs- und Raubzügen aus der Fremde holte, und nicht minder 2’

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zahlreiche einheimische Fronarbeiter. Sie haben hier Leistungen vollbracht, die sich den großen Schöpfungen des Alten Orients, den Pyramiden und Zikkuraten, ebenbürtig an die Seite stellen. Die monumentalen Grabbauten dienten der Verewigung des Ruhms von Herrschergeschlechtern, deren Andenken im Toten­ kult, z. T. sogar bis in die historische Zeit, weiterlebte. Mag auch manches einzelne dem Alten Orient abgesehen sein - die Ausfüh­ rung und Gestaltung zeugt von einer eigentümlich „nordischen“ Haltung, die überhaupt für die Schöpfungen der mykenischen Zeit charakteristisch ist. Die griechische Heldensage weiß von dem Reich des Agamem­ non in der Argolis zu erzählen, dessen Vorfahren Zeus das Szep­ ter der Herrschaft verliehen hat. In der Heraklessage gebietet Eurystheus als König von Mykene über alle Umwohner. In diesen Sagenreflexen sowie in der Existenz des zentralen Heiligtums der Hera von Prosymna zwischen Mykene und Tiryns mag sich die Erinnerung an eine vielleicht nur ganz vorübergehende staatliche Einheit der Argolis in mykenischer Zeit niedergeschlagen haben. Vielleicht hat die Sage vom Zuge der „Sieben gegen Theben“ eine historische Erinnerung an eine Fehde zwischen dem Fürsten von Mykene und den Herren Thebens erhalten. Sicher ist das alles je­ doch nicht, und dauernde größere Staatenbildungen sind vor allem schon aus dem Grunde unwahrscheinlich, weil für sie alle Voraus­ setzungen, insbesondere die Ausbildung einer „Bürokratie“, fehlen. Auch die Kenntnis der kretischen Schrift in Griechenland, die die neueren Funde erwiesen haben, kann nur in einem sehr engen Kreis verbreitet gewesen sein. Die Hypothese von einem achäischen Großkönigtum, die vor allem Eduard Meyer und M. P. Nilsson vertreten haben, hat daher wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Und ebensowenig ist die Annahme begründet, daß bei dem „Gottesgnadentum“ der mykenischen Herrscher - Homer nennt den König diiphilos - orientalische Vorstellungen mitgewirkt haben könnten. Bei größeren kriegerischen Unternehmungen mag es einen „Heerkönig“ (Hegemon) gegeben haben; im Frieden lebte jeder für sich. So scheint die Aufspaltung Griechenlands in eine unend-

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liehe Zahl von kleinen und kleinsten Territorien schon in der mykenischen Zeit eine historische Tatsache. Während der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. be­ herrschten die Minoer unbestritten die See, die Ägäis und das ganze östliche Mittelmeer. Minoische Stützpunkte finden sich auf zahlreichen Inseln (auf Ägina, Thera, Melos, vielleicht auch auf Samos). Mit dem Auftreten der mykenischen Griechen auf dem Meere verändert sich allmählich das Bild. Von dem Erfolg ihrer Raubzüge zur See zeugen die reichen Schätze der Schacht- und Kuppelgräber. Den Höhepunkt erreicht die mykenische Seeherr­ schaft jedoch erst nach dem Sturze der kretischen Thalassokratie (um 1400 v. Chr.), doch ist sie nur von relativ kurzer Dauer ge­ wesen: denn durch die Auswirkungen der großen Ägäischen Wan­ derung ist im 12. Jahrhundert v. Chr. eine völlig neue Mächte­ gruppierung entstanden. Die entscheidende Ausbreitung der Mykenäer fällt in das 14. und 13. Jahrhundert. Mykenische Scherben finden sich auf den Kykladen, mykenische Siedlungen z. B. auf Rhodos; die Sphäre des mykenischen Handels erstreckt sich im Osten bis nach Syrien - hier sind Ras Samra, Minet el Beida und Byblos wichtige Fund­ plätze mykenischer Keramik -, bis in das innerste Ägypten, im Westen bis nach Unteritalien und Sizilien. Indessen steht die For­ schung in der Differenzierung des Materials, in der Zuweisung an bestimmte Herkunftsorte erst in den Anfängen, so daß die Einzel­ vorgänge, die Wege des frühen griechischen Handels und der Han­ delskolonisation dunkel bleiben. Mit der Interessensphäre des He­ thiterreiches hat sich der Radius des griechischen Handels zwar berührt, kaum aber wirklich überschnitten. Die Verbreitung der mykenischen Keramik ist wesentlich auf jene Gebiete beschränkt, die westlich und südlich des Hethiterreiches liegen. Für eine Ko­ lonisation und Siedlung im großen Stil geben die Funde keiner­ lei Anhaltspunkte. Auf Rhodos und Cypern, auch an der nord­ syrischen Küste wird es mykenische Faktoreien gegeben haben; Kolonisten in größerer Zahl haben sich anscheinend nur in Cypern niedergelassen, wo der Name „Achäerküste“ (Achaion Akte, Strab.

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XIV 682) von den Achäern zeugt, während auf Rhodos der Name der Burg von Ialysos, Achaia, an die Zeit der achäischen Expan­ sion erinnert. Denn „Achäer“ ist sicher ein Gesamtname für die Griechen der mykenischen Zeit. Die weltweite Verbreitung der mykenischen Keramik, die den Radius der minoischen Funde im Bereich des Mittelmeergebietes weit übertrifft, wird nur unter der Annahme eines ausgedehnten Handels verständlich. Dieser setzt wiederum die Existenz einer be­ deutenden Flotte voraus, die die See beherrscht und die Schiffahrts­ straßen offenhält. In Ugarit (Ras Samra) setzt die mykenische Keramik um 1400 v. Chr. geradezu schlagartig ein. Die Ware stammt zu einem guten Teil aus cyprischen Töpfereien, eine Tat­ sache, die die Übernahme mykenischer Muster, sehr wahrscheinlich aber auch die Ansiedlung griechischer Handwerker auf Cypern voraussetzt. Eine derartig weitreichende kommerzielle Expansion ist ohne eine politische Lenkung undenkbar. Hellas hatte seit etwa 1400 v. Chr. einen relativ beträchtlichen Bevölkerungsüberschuß aufzuweisen, der bei der Kargheit des Bodens und bei den wenig intensiven Methoden des Ackerbaus im Lande nicht ernährt wer­ den konnte. So wurden gerade die kühnsten und verwegensten Elemente auf das Meer zu Abenteuern in die Ferne gelockt, wobei Kreta, die Inseln der Ägäis, Rhodos und Cypern die nächsten Zie­ le, aber auch die Zwischenstationen zum Vorderen Orient bilde­ ten. Dem Händler, der griechisches öl und griechischen Wein, da­ zu die Gegenstände der griechischen Keramik in die Ferne ver­ frachtete, folgte der griechische Handwerker, der Töpfer, Gold­ schmied, Architekt, Schiffszimmermann. Mit den Griechen wan­ derten festländische Lebens- und Bestattungsformen nach dem Osten, ja sogar der griechische Glaube fand in Ras Samra Eingang, wie die Funde mykenischer Idole beweisen. Es ist nicht unwahr­ scheinlich, daß sich das Auftreten der griechischen Eroberer auf der Insel Kreta in den Kuppelgräbern spiegelt, von denen ein beson­ ders repräsentatives Grab in Kephala (westl. Isopata) bei Knossos gefunden wurde. Das eigentliche Anatolien ist jedoch den Achäern mit der Aus­

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nähme eines schmalen Küstenstreifens im äußersten Südwesten verschlossen geblieben. Allerdings findet sich auf den hethitischen Keilschrifttafeln aus der Zeit des großen Eroberers Subbiluljuma (um 1365 v. Chr.) häufig das Land Ahhijävä (bzw. Ahhijä) ge­ nannt, eine Name, der lautlich an 'Ayaioi bzw. ’A/atFoi anklingt. Von der Sprachwissenschaft aus gesehen, erscheint eine Lösung des Problems nicht möglich. Das von Emil Forrer auf Grund geistvoller Kombinationen erschlossene „Großreich Ahhijävä“ ist wieder versunken, nachdem eine sorgfältige Nachprüfung der hethitischen Urkunden, vor allem durch Ferdinand Sommer, die Unhaltbarkeit der Forrerschen Hypothesen, insbesondere auch der Namensgleichungen, erwiesen hat. Man wird das Land Ahhijävä am ehesten in Kleinasien, und zwar im Südosten, in Kilikien, suchen müssen. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist das ^AÄi/ät'ä-Problem praktisch unlösbar. Vielleicht darf man in den Bewohnern des Landes Ahhijävä, in den „Hypachäern“ Herodots (VII 91) und in den Aqaiwasa der ägyptischen Inschriften ein und dasselbe anatolische (nicht griechische) Volk erblicken. Das Großreich Ahhijävä aber, das den Staaten des Alten Orients ebenbürtig zur Seite gestanden und das sich über viele Teile Grie­ chenlands, über die Inseln und Teile der anatolischen Küste er­ streckt hätte, hat es niemals gegeben. Die Überlegenheit der mykenischen Griechen über ihre Gegner beruhte auf der Existenz eines Standes adliger Einzelkämpfer, die auf dem Streitwagen in den Kampf zogen. Gedeckt von dem riesigen Turmschild, bewaffnet mit Speer und Kurzschwert, trat der Recke zu Fuß dem Feind entgegen. Dem Kämpfer zur Seite standen die „Gefährten“ (Hetairoi), die Gefolgsleute, die sich auch zu dem gemeinsamen Mahle im Hause des Lehnsherrn ver­ sammelten, der seine Ehre dareinsetzte, sie zu bewirten und ihnen den gebührenden Anteil an der Beute zu geben. In großen Fehden verbanden sich mehrere Fürsten, indem sie einen der Ihren als Hegemon anerkannten und sich ihm auf Grund feierlicher Eide zur Gefolgschaft verpflichteten. War die Fehde zu Ende, so zer­ fiel die Waffengemeinschaft, wie sie entstanden war.

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Unsere Kenntnis von den Grundzügen des staatlichen und ge­ sellschaftlichen Lebens der mykenischen Zeit beruht, abgesehen von den Monumenten, in erster Linie auf der unter Homers Na­ men überlieferten Ilias und auf der Odyssee. Die grundlegende Untersuchung M. P. Nilssons „Homer and Mycenae“ (1933) hat nach dem Vorgang anderer mit Glück das Alte von dem Jüngeren in den homerischen Epen zu scheiden versucht. Nilsson ist ins­ besondere der Nachweis geglückt, daß die griechische Heldensage ihre Wurzeln in der mykenischen Epoche hat, ebenso ist eine Anzahl von Elementen bei Homer mykenisch, wenn diese auch in der Dichtung vielfach mit jüngerem Gut zu einer inneren Ein­ heit verschmolzen sind. In die mykenische Zeit reicht vor allem der Totenkult zurück, der sich im Kuppelgrab von Menidi in Attika sogar bis in das 5. Jahrhundert v. Chr. erhalten hat. Das zentrale Problem der urgriechischen Religiosität ist die Haltung der Indogermanen zu dem Glauben der mediterranen Bevölkerung des alten Griechenlands. Wenn nicht alles trügt, so hat die Religion der Minoer einen tiefgehenden Einfluß auf die Seelen der Bewohner Griechenlands gewonnen. Minoisch ist die Ausgestaltung einzelner Götter wie etwa der Artemis als Britomartis, Diktynna, Aphaia; auch die „Palastgöttin“, die später unter dem Namen der Athena verehrt wurde, entstammt dem minoischen Kreise. Die Ausbreitung minoischer Ideen gerade in den breiteren Schichten des einfachen Volkes spiegelt sich in der Übernahme minoischer Kultgeräte und -formen auf dem Fest­ lande wider. Das Fehlen von Kultbildern in Menschengestalt scheint freilich dafür zu sprechen, daß die Griechen das indo­ germanische Erbe weiter gepflegt haben. In heiligen Hainen, in Höhlen, auf Bergeshöhen betete man zu den Göttern, Tempel und Heiligtümer kannte man noch nicht. In manchen Punkten haben sich die Einwandernden die Sitten der ansässigen Bevölkerung zu eigen gemacht. Ob dies auch für die Bestattungssitte anzunehmen ist, bleibt ungewiß. In der my­ kenischen Zeit ist das Begräbnis die alleinherrschende Bestattungs­ form in Griechenland. Brandspuren in mykenischen Gräbern las­

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sen vermuten, daß man die oft sehr kostbaren Beigaben dem Feuer übergeben hat. Sicher ist aber nur soviel, daß die Leichenverbren­ nung in Mitteleuropa viel weiter verbreitet gewesen ist als im Süden. Spuren von Tier- und Menschenopfern sind bisher nur vereinzelt festgestellt worden (z. B. in Mideia). „Die mykenische Religion ist die Mutter der griechischen Reli­ gion, gleichwie das mykenische Volk der Vorvater der geschicht­ lichen Griechen ist“ (Nilsson). Diese Erkenntnis ist für die Beur­ teilung der historischen Kontinuität wichtig, die sich in der Bei­ behaltung mancher mykenischer Kultstätten durch die Griechen der historischen Zeit offenbart. Das Telesterion von Eleusis, die Kontinuität des Kultes in Delphi, im Tempelbezirk von Kalaureia, in Tegea, Elateia, im Tempel der Aphaia von Ägina sind hierfür Zeugen. Selbst die starken Erschütterungen der Ägäischen Wanderung haben also die historischen Zusammenhänge des hel­ lenischen Lebens mit der mykenischen Epoche nicht überall zu zerreißen vermocht. Die Kontinuität lebt in den homerischen Epen: sie entwerfen ein Bild jener heroischen Vorzeit, das sich nur noch in der dichterischen Tradition erhalten hat, seitdem es auf Erden keine Stätte mehr besitzt.

4. Die Große Wanderung

Vor 1200 v. Chr. beginnt im Mittelmeergebiet das Zeitalter der Großen Wanderung. Ihre Erschütterungen sind fast in der ge­ samten Welt des östlichen Mittelmeeres, von der Apenninhalbinsel bis hin nach Mesopotamien, von Ungarn bis an die Grenzen Ägyp­ tens spürbar. In der Geschichte der Zivilisation bildet die Große Wanderung den entscheidenden Einschnitt zwischen der Bronzeund der Eisenzeit, die etwa gleichzeitig im Bereich der gesamten Ägäis einsetzt. Wiederum ist es offenbar die ungarische Tiefebene gewesen, aus der der erste Anstoß zu der Wanderung eines Volkes ergangen ist, das seinerseits den auf ihm lastenden Drude ver-

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stärkt an seine Nachbarn weitergegeben hat: es sind Vorfahren der Illyrer und andere Völker gewesen, die sich in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends nach Süden gedrängt sahen. Über die Ursache ihrer Wanderung ist nichts Sicheres bekannt. Die Vermutung, diese Völ­ ker hätten sich in den Besitz des von den Hethitern monopolisier­ ten Eisens setzen wollen, ist nur eine Hypothese. Die Südwande­ rung der Frühillyrer und der anderen Stämme wird in der Wir­ kung auf die Nachbarvölker spürbar: die Wandervölker haben die Thraker nach dem Osten, nach Kleinasien, griechische Stämme nach Süden, in die Peloponnesos, gedrängt; von hier sind diese dann bis nach Kreta und bis auf die Sporaden gelangt. Auch die Einwanderung einer größeren Gruppe der Italiker aus dem Nor­ den in die Apenninhalbinsel ist durch den illyrischen Druck aus­ gelöst worden. Im ganzen gesehen wiederholen sich die Vorgänge vom Beginn des 2. Jahrtausends: nach einer längeren Periode der Seßhaftigkeit aus einem Unruhezentrum hervorbrechend, sind es wiederum indogermanische Völker, die die Welt in Bewegung setzen. Dem Druck der thrakischen Stämme sind die Phryger gewichen, von denen nur Splitter in Europa (die Bryger) zurückgeblieben sind. Sie haben sich unter Aufnahme illyrischer Elemente in Mysien und auf der westlichen Hochfläche Anatoliens eine neue Hei­ mat gesucht. Mit den thrakischen Stämmen tritt in Kleinasien die sog. Buckelkeramik auf, die ursprünglich im makedonischen und thrakischen Raum zu Hause war; sie gilt als ein besonderes Kennzeichen thrakischen Volkstums. Es ist immerhin möglich, daß den eindringenden Thrakerscharen gegen 1200 v. Chr. Troja, und zwar die Stadt VII a, erlegen ist, nicht, wie man früher annahm, Troja VI (W. Dörpfeld), das vielmehr, wie die Forschungen C. W. Biegens gezeigt haben, einem Erdbeben zum Opfer ge­ fallen ist. Außer den Thrakern traf der Stoß der Illyrer die im Norden von Griechenland wohnenden Dorer (im Pindusgebiet?). Die Süd­ wanderung der Dorer, die sog. „Dorische Wanderung“, hat eine neue Epoche der griechischen Geschichte eingeleitet und die In-

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dogermanisierung Griechenlands zum Abschluß gebracht. Der „Dorischen Wanderung“ die historische Realität abzusprechen, ist eine arge Verirrung der modernen Hyperkritik, die sich da­ durch den Zugang zu einer historisch begründeten Erkenntnis der Formung des Griechentums im 2. Jahrtausend verbaut. Für die Beurteilung kommen allerdings nur die archäologischen und die dialektgeographischen Indizien, nicht aber die späten Historiker wie Herodot und Thukydides oder Dichter wie Tyrtaios und Pindar in Betracht. Unter dem Begriff der „Dorischen Wande­ rung“ werden in der frühgriechischen Geschichte Vorgänge zu­ sammengefaßt, die sich über viele Jahrzehnte, vielleicht über ein Jahrhundert oder über noch längere Zeit erstreckt haben. Die Überschichtung eines Teils der älteren Dialekte durch das Dorische legt eine Durchdringung der zu Beginn des 2. Jahrtau­ sends zugewanderten Indogermanen und der mit ihnen im Laufe der folgenden Jahrhunderte verschmolzenen bodenständigen Be­ völkerung von Hellas durch das Dorertum nahe. Und zwar wird die Umformung des ethnischen Bildes vor allem an der Ostküste der Peloponnesos sichtbar: das arkadische Element wurde von den wehrhaften Dorern - der Name Dorieis ist Kurzform von Dorimachoi, „die Speerkämpfer“ - in die Gebirgsgegend des In­ nern der Halbinsel abgedrängt. Die altachäische Kultur in Hellas hatte zur Zeit der Dorischen Wanderung ihren Höhepunkt längst überschritten. Schon vor dem Kommen des jugendfrischen Volkes aus dem Norden zeigen die al­ ten Zentren der Argolis deutliche Verfallserscheinungen: das heroi­ sche Zeitalter von Mykene ging zur Rüste, so daß es nur noch eines äußeren Anstoßes bedurfte, um die altgewordene Welt zu stürzen. Vergebens hatte man im 13. Jahrhundert an der Verstärkung der Burgmauern von Mykene gearbeitet, von unruhigen Zeiten kün­ det auch die Anlage einer Fluchtburg auf dem Hügel von Tiryns. Andere Gebiete der Peloponnesos wie die Landschaft Achaia er­ lebten freilich erst in der spätmykenischen Zeit eine wirkliche Blüte. Erst in dieser Zeit hat die mykenische Kultur ganz Hellas erfaßt.

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Die Verheerungen der Dorischen Wanderung erstrecken sich über eine breite Zone Griechenlands. Abgesehen von den großen Zentren der Argolis sanken Koraku, Zygouries-Kleonai in der Korinthia in Trümmer, auch Kreta und die Inseln der südlichen Ägäis, darunter Melos mit Phylakopi, wurden in Mitleidenschaft gezogen. Die Richtung des Vorstoßes der Dorer weist eindeutig von Norden nach Süden; die Annahme, die Dorer hätten sich zuerst Kretas und der südlichen Kykladen bemächtigt und von hier aus auf das Festland übergegriffen, ist nicht wahrscheinlich. In der Sage von der „Rückkehr der Herakliden“ hat sich eine vage Erinnerung an die Dorische Wanderung niedergeschlagen. In den Namen der Sage - dem des Herakliden Hyllos, des Dymas und Pamphylos, der beiden Söhne des Königs Aigimios - spiegelt sich offenbar der Versuch, die Entstehung der dorischen Phylen, der Hylleer, Dymanen, Pamphyler, zu erklären. Der Name der Hylleer ist illyrisch, Dymas ist der sagenhafte Ahnherr der ur­ dorischen Phyle, während Pamphylos die aus dorischen und aus anderen Elementen vermischten Volksteile symbolisiert. Die win­ zige Landschaft Doris am Oita als Ausgangspunkt der Dorischen Wanderung ist späte Konstruktion. Historisch gesichert ist die Durchsetzung der Dorer mit illyrischen Elementen, die sich übri­ gens auch bei den Makedonen und Thrakern wiederfinden. Ob auch bei dem Philistervolk, das im Laufe der Großen Wanderung bis vor die Tore Ägyptens gelangte, ein illyrischer Einschlag an­ zunehmen ist, bleibt fraglich. Auf jeden Fall muß vor dem zeit­ weilig zur Mode gewordenen „Panillyrismus“ auch heute noch gewarnt werden. Attika ist von den dorischen Wanderscharen nicht betreten worden. Vielleicht spiegelt sich in dem Opfertod des Königs Kodros von Athen eine Kunde von der Abwehr der Dorer. Das Ergebnis der Dorischen Wanderung ist eine völlige Um­ gestaltung der Stammesgruppierung im festländischen Griechen­ land. Am Ende der Wanderzeit erscheinen die Dorer als das Herrenelement im Osten und Süden der Peloponnesos, vor allem in der Argolis, später auch in Lakonien. Das achäische Volkstum ist allmählich mit dem Dorertum verschmolzen, so wie einst die

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mediterrane Bevölkerung des Landes mit den Indogermanen. Die Dorer haben den indogermanischen Blutsanteil der Griechen er­ heblich verstärkt; das gleiche gilt auch für die in das nördliche und zentrale Griechenland (Thessalien, Ätolien, Phokis) sowie in die nördliche Peloponnesos (Achaia, Elis) im Zuge der Großen Wanderung eingedrungenen „Nordwestgriechen“. Von ihnen ha­ ben die Thessaler die äolische Bevölkerung der Landschaft zum Teil verdrängt, andere in den Stand der Hörigkeit herabgedrüdct. Anders als in Thessalien ist es in Böotien wohl eher zu einem friedlichen Ausgleich zwischen dem alten äolischen und dem neuen nordwestgriechischen Element gekommen, ein Vorgang, der sich vielleicht in dem auf der Grenze zwischen beiden Sprachgruppen stehenden böotischen Mischdialekt widerspiegelt. Der Untergang der mykenischen Kultur fällt aber den Dorern und den Nordwestgriechen nicht allein zur Last. Die einst so blühende Zivilisation der mykenischen Griechen war nur noch ein Schatten ihrer selbst, und der unaufhaltsame Niedergang setzte sich in der submykenischen Zeit, ja sogar noch in der geome­ trischen Epoche weiter fort, wie die Funde aus der athenischen Nekropole am Eridanos zeigen. Das Zusammentreffen des Nieder­ ganges der mykenischen Kultur mit den Erschütterungen der Do­ rischen Wanderung im 12. Jahrhundert v. Chr. hat die entschei­ dende Zäsur der griechischen Frühgeschichte bedingt. Im weiteren Verlauf der Wanderung sind die Dorer über das Meer nach Kreta, nach den südlichen Kykladen und Sporaden, ja bis auf das kleinasiatische Festland, in das südwestliche Karien, schließlich sogar nach Pamphylien, gelangt. Die Dorer treten hier in die Fußtapfen der Achäer. Besonders bedeutungsvoll ist die Besetzung Kretas; die Urbevölkerung (Kydonen und Eteokreter) wurde im äußersten Westen und Osten der Insel zusammen­ gedrängt, die achäischen Elemente mögen im Dorertum aufge­ gangen sein. Damit erstreckte sich eine breite Zone des Dorertums von der Peloponnesos über die Ägäis bis nach Anatolien. Zu grö­ ßeren Staatenbildungen ist es freilich ebensowenig gekommen wie vorher unter den Achäern.



Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

Noch folgenschwerer als das Eindringen der Dorer und der Nordwestgriechen in Hellas ist, unter welthistorischem Gesichts­ punkt betrachtet, die Invasion thrakischer Stämme in Kleinasien geworden. Bald nach 1200 v. Chr. ist das Hethiterreich in Anato­ lien nach einer ungefähr 500jährigen Dauer im Strudel der Gro­ ßen Wanderung versunken. Es spricht heute vieles dafür, daß das Hethiterreich durch einen Einfall fremder Völker von der See her zerstört worden ist. Das gleiche gilt auch für Ugarit (Ras Samra), wie neuere Tontafelfunde gezeigt haben. Daß der Untergang des Hethiterreiches mit der Wanderung der Seevöl­ ker zusammenhängt, zeigt auch der Bericht Ramses’ III. in Medinet Habu: „Kein Land hielt vor ihren Armeen stand, von Chatti an: Qedi, Karkemisch, Arwad, Alasia wurden verwüstet.“ Die Inschrift läßt ein Fortschreiten des Angriffs der Seevölker von Kleinasien durch Kilikien (Qedi), Syrien und Phönikien gegen die Ostgrenze Ägyptens erkennen - allein Cypern (Alasia) liegt außerhalb des Landweges; man wird wohl an eine kombinierte Aktion zu Wasser und zu Lande denken müssen. Als Seevölker nennt der ägyptische Pharao die Puluseta, Zakkari, Schakalscha, Danuna und Waschesch, der Papyrus Harris führt anstatt der Schakalscha die Scherdana an. Die Identifizierung der Völker ist schwierig - mit Ausnahme der Puluseta, der Philister. Sie gehören jedoch alle in den Bereich der Ägäis, Griechen sind nicht unter ihnen. Die auf Ägypten zurollende Lawine hat Ramses III. vor den Toren des Nillandes aufgefangen, die Bewegung hatte sich totgelaufen, die Philister haben sich in jenem Lande angesiedelt, das nach ihnen den Namen Palästina erhalten hat. Das Ergebnis der Großen Ägäischen Wanderung war eine völ­ lige Umformung der Alten Welt in ethnologischer Hinsicht. Das Hethiterreich war ausgelöscht, seine Zivilisation jedoch lebte in den Kleinstaaten Nordsyriens, aber auch im Innern Anatoliens noch jahrhundertelang weiter. In der Zwischenzone zwischen Kleinasien und Mesopotamien bildete sich ein System von Mittel­ und Kleinstaaten, die unter den Einfluß des aramäischen Elemen­ tes gerieten. Vor allem aber erhob sich im 12. Jahrhundert aus

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dem Zusammenbruch das mittelassyrische Reich unter Tiglatpilesar I., das bei seiner Expansion am oberen Euphrat mit den Phrygern zusammenstieß. Neben Assur waren es vor allein die Stadt­ staaten der Phöniker, die einen bedeutenden Aufstieg erlebten. Tynsche Schiffe stießen in den folgenden Jahrhunderten weit in den Westen, bis nach Südspanien, vor, woher sie das wertvolle Zinn aus Britannien und das spanische Silber nach Hause brach­ ten. In der Zeit von etwa 1000 bis 800 v. Chr. treten die Phöniker im Mittelmeer in die Lücke, die das Ausscheiden der kretischen Seemacht und der Niedergang der Achäer offen gelassen hatten. Neben den Phönikern erscheinen im Mittelmeer die Etrusker, deren Schiffe etwa um die gleiche Zeit aus der Welt der Ägäis, vielleicht aus Mysien, die Küste des späteren Etruskerlandes in Italien, Toskana, erreichten. Sie haben durch ihre Berührung mit den östlichen Kulturen ein Stück orientalischer Zivilisation nach dem Westen verpflanzt. Einzelne Volkssplitter mögen in der Ägäis zurückgeblieben sein, so z. B. auf Lemnos.

5. Die Übergangszeit (rund 1100-800 v. Chr.)

Nach der großen Ägäischen Wanderung versinkt die griechische Welt wiederum, wie einst nach dem ersten Eindringen indoger­ manischer Stämme in Hellas zu Beginn des 2. Jahrtausends, in ein fast undurchdringliches Dunkel, das kaum eine einzige histo­ rische Nachricht erhellt. Dadurch entziehen sich Vorgänge der historischen Betrachtung, die für die Beurteilung der Formung der griechischen Völker- und Staatenwelt zu Beginn des 1. Jahr­ tausends v. Chr. von unabsehbarer Tragweite gewesen sind: we­ der die Neuordnung der griechischen Welt des Mutterlandes nach dem Einbruch der Dorer und der nordwestgriechischen Stämme noch die Vorgänge, die zur Kolonisierung der anatolischen West­ küste führten, sind anders als in groben Umrissen, und zwar allein

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auf Grund der Ergebnisse der völkischen Umschichtungen, er­ kennbar. In der materiellen Kultur bezeichnet das Zeitalter der Ägäi­ schen Wanderung auch in Hellas einen scharfen Bruch: rund um 1100 v. Chr. beginnt hier die Eisenzeit, und um die gleiche Zeit, im 11. Jahrhundert, finden sich die ersten Aschengräber in grö­ ßerer Zahl in Griechenland, und zwar in der athenischen Nekro­ pole am Eridanos, aber auch z. B. in Ialysos auf Rhodos. Ein vollständiger Bruch mit dem Alten ist allerdings nicht eingetreten; haben doch die Griechen in der überwiegenden Mehrzahl, unter ihnen auch Dorer, die Toten weiter bestattet. Besondere Beachtung verdient das immer häufigere Auftreten von Waffen als Grab­ beigaben im Gegensatz zu der mykenischen Zeit, in der sich Waf­ fen nur in den repräsentativen Fürstengräbern finden. Während das Waffenhandwerk in früherer Zeit auf den engen Kreis des Schwertadels beschränkt war, scheint sich nunmehr eine breitere Schicht von Gemeinfreien zu bilden. Das epochale Ereignis der zweiten Übergangszeit, die Koloni­ sation der kleinasiatischen Westküste, steht in Verbindung mit den durch die Ägäische Wanderung auch in Hellas ausgelösten Völkerbewegungen. Die Ansicht freilich, es habe sich vorwiegend um eine Ausweichbewegung der durch die einwandernden Dorer und Nordwestgriechen zusammengedrängten griechischen Stämme, der Nordachäer (Äoler) in Thessalien und der Ioner in Attika und auf Euboia, gehandelt, ist zu mechanisch-primitiv, ganz ab­ gesehen davon, daß die Chronologie eine unmittelbare Verknüp­ fung der Kolonisation mit der Dorischen Wanderung verbietet. Allerdings sind beide Vorgänge, die Dorische Wanderung und die westkleinasiatische Kolonisation, letzten Endes zwei verschiedene Seiten des einen großen historischen Phänomens, jener Bewegun­ gen, zu denen die Ägäische Wanderung den Anstoß gegeben hat. Gewisse Handelsbeziehungen zwischen Hellas und der klein­ asiatischen Westküste sind bereits für das Späthelladikum durch die Funde mykenischer Scherben auf anatolischem Boden bezeugt. Zur Annahme einer spätmykenischen Kolonisation reichen sie

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jedoch - mit der einzigen Ausnahme Milets - schwerlich aus. So­ lange das Hethiterreich unerschüttert aufrecht stand, scheint den Hellenen die kleinasiatische Westküste im großen und ganzen verschlossen geblieben zu sein. Die archäologischen Funde sprechen dafür, daß die ionische Kolonisation schon bald nach der Dori­ schen Wanderung, wahrscheinlich schon um 1000 v.Chr. oder noch etwas früher begonnen hat. Die Besetzung der Kykladen durch die Griechen ging der Kolonisation voraus, z. T. wohl auch parallel. An den Zügen nach Kleinasiens Küste haben sich Angehörige aller griechischen Stämme beteiligt. Sie brachten aus dem Mutter­ lande ihre Sitten, ihre Mythen und Götterfeste, dazu vielfach auch die ihnen geläufig gewordenen Ortsnamen mit in die neue Heimat. Von Norden nach Süden trifft man an der kleinasiati­ schen Küste die Äoler, die Ioner und die Dorer, und zwar in einer Schichtenfolge, die der an der Ostküste des Mutterlandes genau entspricht. Gewisse Plätze wie die Mimashalbinsel, die Insel Chios, die Städte Phokaia und Smyrna waren länger zwi­ schen den Äolern und Ionern strittig, am Ende des 8. Jahrhun­ derts hat sich jedoch das ionische Element, durch Zuzüge aus der Heimat nicht unbeträchtlich verstärkt, durchgesetzt und die Füh­ rung unter den griechischen Stämmen in Kleinasien übernommen. Schon im 8. Jahrhundert schlossen sich die Ioner zu einer Amphiktyonie politisch-sakralen Charakters zusammen. An ihrer Spitze, dem „Bund der Ioner“, stand ein von der Gesamtheit des Bun­ des bestellter Wahlherzog (Basileüs), der etwa mit dem etruski­ schen Lucumo oder dem thessalischen Tagos zu vergleichen ist. Mittelpunkt des Ionischen Bundes war das Heiligtum des Posei­ don Helikonios auf der Mykale. Die dorischen Gemeinden grup­ pierten sich um das triopische Heiligtum des Apollon bei Knidos, die Äoler vielleicht um das Apolloheiligtum in Gryneion. Alle Versuche der Griechen, weiter in das Binnenland vorzudringen, sind mißlungen. Wie sich die Besiedlung der kleinasiatischen Kü­ stenplätze vollzogen hat, zeigt die Ilias, in der sich vielleicht eine Erinnerung an einen mißglückten Zug gegen die Troas (die nicht vor 700 durch äolische Kolonisten besiedelt worden ist) niederj

Bengtson, SA

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geschlagen hat: eine Schar von Kriegern ist am Strande der Skamanderebene gelandet und kämpft, von dem befestigten Schiffs­ lager aus, um die Burg von Ilion, die von den Bewohnern tapfer verteidigt wird. Das Los der Besiegten ist hart: die männliche Bevölkerung verfällt dem Schwert oder der Versklavung, die Frauen werden die Beute der Sieger. In der neuen Heimat, mitten in einer fremden Umwelt, sind sich die griechischen Kolonisten ihres eigenen Volkstums erst recht bewußt geworden. So haben sich auf westkleinasiatischem Boden in den Jahrhunderten nach der Jahrtausend wende die ersten An­ sätze zu einem griechischen Gemeinschaftsgefühl entwickelt, dem die Ilias den schönsten Ausdrude verliehen hat. Für die staatliche Entwicklung des Griechenvolkes noch weit folgenreicher aber ist die Polis geworden, die sich zuerst auf kleinasiatischem Boden, vielleicht im Anschluß an stadtähnliche Siedlungen der Anatolier, herausgebildet hat. Der nicht zu überbrückende Gegensatz der Hellenen zu der einheimischen anatolischen Bevölkerung, die stän­ dig über den Neugründungen schwebende Gefahr eines jähen Unterganges hat die Kolonisten von allem Anfang an gezwungen, sich in den Schutz der Mauern befestigter Siedlungen zu begeben. Das Zusammenleben innerhalb des räumlich sehr begrenzten Mauerringes zwang den Hellenen auf fremdem Boden eine Le­ bensweise auf, die ihnen in Griechenland, in dem die dörfliche Siedlungsweise herrschte, ferngelegen hatte. So ist es in Klein­ asien zur Ausbildung eines zwar engen, dafür aber um so inten­ siveren Stadtlebens gekommen. In ihm wurden jener Geist und jene politische Denkweise geboren, die für die Griechen der historischen Zeit so charakteristisch sind: ein an die engere Hei­ mat, die Polis, gebundener Patriotismus, eine ungewöhnliche Intensivierung des inneren politischen Lebens der neuen staat­ lichen Gemeinwesen, Eigenschaften, wie sie in dieser gesteigerten Form in der Alten Welt einzig dastehen. Von den Schattenseiten, die durch die Entwicklung im Koloniallande bedingt wurden, muß insbesondere die Unterschätzung des politischen Machtge­ dankens durch die Griechen hervorgehoben werden: dadurch daß

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ihr Blick ausschließlich auf die eigene Gemeinde gerichtet war, verloren sie allmählich den Maßstab für das Verhältnis zu anders gearteten Staatsbildungen, vor allem blieb den Griechen der Sinn für die Bedeutung großer Räume als Grundlagen einer politischen Expansion vollständig verschlossen. Bei der Entwicklung in Klein­ asien, zumal in Ionien, handelt es sich um eine besondere Erschei­ nung, die aus den speziellen Gegebenheiten, geographischen wie politischen, zu erklären ist. Sie geht der Entwicklung im Mutter­ lande um ein Beträchtliches, wohl um mehrere Jahrhunderte, vor­ aus. So ist es sehr wahrscheinlich, daß Griechenland von dem Koloniallande nicht allein im kulturellen, sondern auch im staat­ lichen Leben entscheidende Impulse empfangen hat. Die Kultur der griechischen Übergangszeit von 1100 bis 800 v. Chr. zeigt ein eigentümliches Doppelgesicht. Die großen Er­ schütterungen der Ägäischen Wanderung hatten in Griechenland eine beträchtliche materielle Verarmung im Gefolge, die griechi­ sche Zivilisation sah sich um Jahrhunderte zurückgeworfen. Be­ sonders eigenartig ist die Aufspaltung der mykenischen Koine auf künstlerischem Gebiet in zahlreiche Teilprovinzen, die alle ein bemerkenswertes Sonderleben zu entfalten begannen - eine eigentümliche Parallele zu der Entwicklung auf dem Gebiete des staatlichen Lebens in Hellas und auf westkleinasiatischem Kolo­ nialboden. Der Übergang vom submykenischen zum protogeo­ metrischen und, seit etwa 900 v. Chr., zum geometrischen Stil bezeichnet eine grundlegende Wandlung nicht allein des künst­ lerischen Geschmacks, sondern auch der Einstellung des griechi­ schen Menschen zu seiner Umwelt. Zirkel und Lineal feiern nun ihre Triumphe, und das Bild des Menschen wird in den lang­ gezogenen eckigen Figuren gewissermaßen zu einer Abstraktion verflüchtigt. Es ist ein hartes Zeitalter, das sich in der Kunst be­ spiegelt, Kampf und Krieg sind die hauptsächlichen Themen der Kunst, die hierin als der echte Ausdruck einer unruhevollen Ge­ genwart erscheint. Zu der materiellen Ärmlichkeit der Kultur der Übergangszeit stehen die ersten großen Schöpfungen des griechischen Geistes, die 3"

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Erfindung der Buchstabenschrift und die Schöpfung der homeri­ schen Epen, nur in einem scheinbaren Gegensatz. Zu allen Zeiten wird sich der Mensch seiner geistigen Kräfte und Fähigkeiten vor allem in jenen Epochen bewußt, die nicht mit materiellem Über­ fluß gesegnet sind. Gerade in Perioden des Niederganges vermag der Menschengeist Werke zu schaffen, die erst spätere Generatio­ nen voll auszuschöpfen wissen. - Mit dem Niedergang der minoischen und der mykenischen Kultur sind die Phöniker die Herren auf dem östlichen Mittelmeer geworden (s. S. 31). In den homeri­ schen Epen sind sie verschlagene Handelsleute, kühne Seefahrer und listige Menschenräuber. Ihre Waren sind ungemein geschätzt; phönikische („sidonische“) Herkunft ist mit hervorragender Qua­ lität gleichbedeutend, und zwar vor allem bei Metallwaren und bei den bunten „sidonischen“ Stoffen. Auf dem Gebiet der Imita­ tion assyrischer, ägyptischer und hethitischer Kunst hat das phö­ nikische Kunsthandwerk in der Tat Hervorragendes geleistet, und neuere Funde prachtvoller Goldschalen mit lebendigen Tierdar­ stellungen lassen eine Revision des Urteils über die angebliche Unselbständigkeit der eigenständigen phönikischen Kunst als an­ gebracht erscheinen. Unverkennbar phönikische Einflüsse sind in der spätgeometrischen griechischen Kunst (8. Jahrhundert) nach­ weisbar; neben einer Anzahl phönikischer Lehnworte im Griechi­ schen zeugt das Auftreten semitischer, und zwar speziell phöniki­ scher Gottheiten in der Ägäis - der Kabiren in Samothrake und des vielumstrittenen Melikertes am Isthmos, der kaum von Mel­ kart zu trennen ist - von den vielfachen Berührungen der ägäischen Welt mit den Phönikern. Aus den engen Berührungen der Grie­ chen und der Phöniker ist die Rezeption der phönikischen Konsonantenschrifl durch die Hellenen erwachsen. Dieser für die Kultur­ geschichte des gesamten Abendlandes epochemachende Vorgang hat sich, wie es scheint, im 9., frühestens im 10. Jahrhundert v. Chr., vollzogen, vielleicht auf kleinasiatischem Boden. Die Phöni­ ker sind übrigens auf dem Gebiete der Schrift keineswegs die ori­ ginalen Schöpfer gewesen, für die man sie in Hellas und für die sie die moderne Wissenschaft lange gehalten hat. Die seit den Ta­

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gen des Alten Reiches nicht abreißenden Berührungen mit der ägyptischen Kultur (vgl. die Byblosfunde) haben den Phönikern und den Syrern entscheidende Anregungen auch für die Ausgestal­ tung der Schrift vermittelt. So ist das Alphabet von Ras Samra (in Nordsyrien) aus dem 13. oder 14. Jahrhundert v. Chr., das unter Zugrundelegung von lautschriftlichen Elementen bereits eine ausgebildete Buchstabenschrift in Keilschriftzeichen darstellt, die Erfindung eines einzelnen hellen Kopfes in einer Zone, in der sich die verschiedensten Einflüsse aus Ägypten, Mesopotamien, Klein­ asien und aus dem ägäischen Raum überschnitten. Neuere Funde und Forschungen haben erwiesen, daß die minoische Schrift im mykenischen Zeitalter in Hellas verwandt worden ist. Doch hat sie keinesfalls breitere Kreise erfaßt, sondern sie ist eine „Geheimschrift“ der wenigen gewesen, die sie zu erlernen im­ stande waren. Ganz anders die Schrift, die die Griechen von den Phönikern übernommen haben! Das griechische Alphabet ist dem Kopfe einer einzelnen genia­ len Persönlichkeit entsprungen, die, auch mit den Besonderheiten des Phönikischen vertraut, den Eigentümlichkeiten der griechischen Sprache hervorragend gerecht geworden ist; dieser Mann hat aus der phönikischen Konsonantenschrift eine vollständige Lautschrift entwickelt - die erste reine Lautschrift in der Geschichte der menschlichen Zivilisation! Von den 22 Konsonanten des phöniki­ schen Alphabets sind 4 Zeichen, das Aleph, He, Iod und ‘Ajin, unter Benutzung des „akrophonischen“ Prinzips, zur Bezeichnung der griechischen Vokale, des A, E, I und O, verwandt worden; zur Wiedergabe des U wurde das nordsemitische Waw benützt. Hin­ zuerfunden ist das V (F). Bereits die ältesten Alphabete der Grie­ chen weisen in der Verwendung der Zischlaute, für die in dem Semitischen nicht weniger als 4 Laute zur Verfügung standen, so­ wie der sog. Zusatzbuchstaben (E, 4>, X, ’P) im einzelnen starke Unterschiede auf, die die lokalen Sonderentwicklungen widerspie­ geln. Dem Uralphabet am nächsten steht das auf Kreta und auf den südlichen Kykladen heimische Alphabet (sog. „grünes“ Al­ phabet), in dem die Zusatzbuchstaben fehlen. Von allen griechi-



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sehen Lautfolgen hat die von Chalkis auf Euboia die bei weitem größte Bedeutung erlangt. Durch die chalkidische Kolonie Kyme in Unteritalien (Cumae) ist das Alphabet von Chalkis die Mutter aller italischen Systeme, wohl auch des etruskischen Alphabets, geworden. Wie die Hymettosscherben aus Attika und korinthische Ostraka zeigen, war die Kunst des Schreibens in Hellas schon im 8. Jahr­ hundert v. Chr. verbreitet. Siegerlisten, Künstlersignaturen, Na­ men hat man in jener Zeit aufzuzeichnen begonnen. Und zwar ist die griechische Schrift infolge der leichten Erlernbarkeit von Anfang an Besitz des ganzen Volkes oder doch wenigstens einer breiten Schicht von Gebildeten gewesen - im Gegensatz zu den Schriftsystemen des Alten Orients, die alle nur einer zahlenmäßig sehr begrenzten Klasse, den Priestern und den berufsmäßigen Schreibern, zugänglich gewesen sind. Für die Entwicklung des hel­ lenischen Geisteslebens ist dies von grundlegender Bedeutung ge­ wesen: weder die Tradition noch die Sonderinteressen eines be­ stimmten Standes haben es vermocht, die geistige Entwicklung des hellenischen Volkes in ihrem Sinne zu beeinflussen oder gar in Fes­ seln zu schlagen. Der Erfindung der Buchstabenschrift durch die Griechen tritt die Schöpfung der Großepen in der Zeit des Überganges ebenbürtig zur Seite. Die überragende Stellung der homerischen Dichtungen im griechischen Geistesleben von der archaischen bis in die byzan­ tinische Zeit, ihre Bedeutung für die Erziehung des griechischen Volkes, der in ihnen verborgene unerschöpfliche Schatz praktischer Poetik (E. Bethe) lassen die homerischen Epen als eine der über­ ragendsten Leistungen des griechischen Geistes erscheinen, die um so bewundernswerter ist, als sie den Anfang der griechischen Li­ teratur überhaupt bezeichnen. Das griechische Heldenepos, von dessen Schöpfungen lediglich die beiden bedeutendsten, die Ilias und die Odyssee, erhalten sind, ist zweifellos das Ergebnis einer langen, sich über Jahrhunderte erstreckenden Entwicklung, deren Anfänge in die Zeit vor der Dorischen Wanderung zurückreichen. In ein entscheidendes Stadium ist diese Entwicklung getreten, als

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die Pflege des Heldensanges von dem Adel auf den berufsmäßigen Stand der Sänger überging, zunächst der Aöden, dann der Rhap­ soden, die an den Höfen der Herrenschicht den Ruhm der Vor­ fahren sangen. Es ist kaum ein Zufall, daß die homerischen Epen auf griechischem Kolonialboden, in Ionien, entstanden sind. Die griechischen Herrengeschlechter in Ionien waren vor allen andern auf die Pflege der Traditionen bedacht, die sie mit dem Gesamt­ leben des griechischen Volkes verbanden. Die räumliche Nähe des griechischen Mutterlandes, zu dem ständig die engsten Verbindun­ gen unterhalten wurden, hat diese Bestrebungen entscheidend ge­ fördert. Man ist sich in der modernen Forschung darüber einig, daß die Ilias und die Odyssee, wie wir sie heute lesen, das Ergebnis einer langen Entwicklung sind. Risse und Fugen, Unebenheiten und se­ kundäre Verklammerungen in der Komposition, ja sogar direkte Widersprüche zwingen zu der Annahme, daß an der Schöpfung der Großepen eine Reihe von Dichtern beteiligt gewesen ist, deren Anteile im einzelnen voneinander zu scheiden wohl niemals in be­ friedigender Weise gelingen wird. Die Frage, wie die Epen ent­ standen seien, die „homerische Frage“, die der Hallenser Professor Friedr. Aug. Wolf in seinen „Prolegomena ad Homerum“ (1795) aufgeworfen hat, ist seitdem nicht mehr zur Ruhe gekommen: adhuc sub iudice lis est. In den verwickelten Gang der homerischen Forschung cinzuführen, ist hier nicht des Ortes. Das historische Problem besteht, kurz gesagt, darin, daß in der Ilias und in der Odyssee, vor allem aber in der Ilias, durch die dichterische Phantasie zwei Welten mit­ einander zu einem unauflöslichen Ganzen verschmolzen sind: das heroische Zeitalter der Griechen, die mykenische Zeit, und die Welt des Mannes, der die Ilias nach einheitlichem Plan geformt und ihr den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat: es ist die Welt des 9. oder allenfalls des 8. Jahrhunderts. In die mykenische Zeit weisen zahlreiche Elemente der materiellen Kultur, so z. B. der in der Ilias beschriebene „Becher des Nestor“, dessen Gegenstück im 4. mykenischen Schachtgrabe gefunden wurde. Auch die Angaben

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Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

des Schiffskataloges (Ilias II 484 ff.) stehen zu den siedlungsgeo­ graphischen Verhältnissen der mykenischen Zeit nicht in entschei­ dendem Widerspruch. Mit den älteren sind zahlreiche jüngere Ele­ mente verbunden: der Gebrauch der Schrift, der Turmschild, den man mit dem sog. Dipylonschild (Langschild in der Form einer 8) gleichgesetzt hat, die Beschreibung des Schildes des Achilleus mit den orientalisierenden Motiven - dies und so manches andere ge­ hört zweifellos der nachmykenischen Zeit an. Dem Nebeneinander des Alten und des Jüngeren in der Schilderung der materiellen Kultur entspricht auch das Doppelgesicht des Stils der Ilias und der Odyssee. In den vielfach zur Formel erstarrten schmückenden Beiwörtern, in dem Vorkommen äolischer Formen enthüllt sich eine ältere Geisteswelt, die durch die poetische Tradition kunst­ voll mit der Gegenwart verschmolzen ist. Beide Epen, die Ilias und die um einige Generationen jüngere Odyssee, entstammen einer ritterlichen Sphäre; sie führen in die Welt des streitbaren, ahnenstolzen Adels, dessen Ideale in Kampf und Sieg, in einem unbezähmbaren Streben nach Beute, in der Freude an agonalem Denken und Handeln bestehen. Dieser ritter­ lichen Welt gehörte der Mann an, der der Ilias die entscheidende äußere und innere Form gegeben, sie als ein unübertreffliches Kunstwerk geschaffen hat. Wie die berühmten Verse über das Schicksal der in der Troas bis gegen 700 v. Chr. gebietenden Aeneaden zeigen, fühlte er sich dem Herrscherhause verbunden; am Hofe dieser Fürsten mag er seine Dichtungen rezitiert haben. Die homerischen Epen haben die Grundlagen gelegt, auf denen das griechische Nationalgefühl erwachsen ist. Alle griechischen Stämme ohne Unterschied haben sich zu Homer bekannt. Herodots Wort (II 53), Hesiod und Homer hätten den Hellenen ihre Götterwelt geschaffen, ist die volle Wahrheit. Wie die Phantasie des Dichters die Göttergestalten gebildet hatte, so sind sie in den Glauben der Hellenen eingezogen, und jene aristokratische Götter­ welt, das Gegenbild der mykenischen Zustände in Griechenland, hat dank den homerischen Gedichten über die ungezählten grie­ chischen Lokalgottheiten triumphiert, sie hat sich diesen gegen­

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über eine echt panhellenische Anerkennung erworben. Wenn im Glauben der Hellenen die Welt des Göttlichen stets als et­ was Gegenständliches, als etwas im Leben des einzelnen ständig Gegenwärtiges erscheint, so beruht dies auf der Wirkung der ho­ merischen Dichtungen. In der Schöpfung eines alle griechischen Stämme umfassenden Sagenkreises wird in der Übergangszeit zum ersten Male die Idee der griechischen Einheit sichtbar; nicht durch Zufall wurde sie auf dem jungen Kolonialboden Westkleinasiens geboren. In einem Zeitalter, in dem sich die Polis anschickt, zum Symbol des staatlichen Lebens der Griechen zu werden, hält die Welt der großen Epen die Erinnerung an jene mythischen Zeiten wach, in denen Helden aller griechischen Stämme um Trojas Feste rangen. So haben die homerischen Gedichte den Griechen nicht nur eine Literatursprache gegeben, sie sind darüber hinaus zu einem wirksamen Ferment des griechischen Nationalbewußtseins und der gemeingriechischen Religiosität geworden. Ihr eigentliches Gepräge erhielt die griechische Welt der Über­ gangszeit durch die dominierende Stellung des hellenischen Adels. Was der Adel damals gewann, das ging dem Königtum verloren. Nach dem Abschluß der Landnahme wurde eine straffe Führung und Zusammenfassung der griechischen Stämme und Stammessplitter durch die königliche Gewalt entbehrlich, die großen, nur gemeinsam und unter einheitlicher Führung zu lösenden Aufgaben, die die Umschichtung des griechischen Volkes im Gefolge hatte, existierten nicht mehr. Kein Wunder, wenn der Adel, gestützt auf seinen Landbesitz und auf die Gefolgschaft zahlreicher Hinter­ sassen und Höriger (wie z. B. in Thessalien), allmählich die ge­ samte politische Macht an sich riß und das öffentliche Leben bald vollständig beherrschte. Die Beseitigung der königlichen Gewalt, ein Vorgang, der sich fast in der ganzen griechischen Welt vor dem Beginn der zweiten großen Kolonisation (Mitte des 8. Jahrhun­ derts), und zwar wohl durchweg auf evolutionärem Wege, voll­ zogen hat, ist das wichtigste Ergebnis des Aufstiegs der adligen Geschlechter. Wo das Königtum erhalten blieb wie in Lakonien, in Argos, Arkadien, Elis, aber auch am Rande der griechischen Welt

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Bis zum Vorabend der 2. Kolonisation (rd. 1900-800)

wie in Makedonien, wurden seine politischen Befugnisse einge­ schränkt, was jedoch nicht ausschloß, daß sich auch später noch einzelne Herrschergestalten über die Schranken der ihnen belasse­ nen Rechte kühn hinwegsetzten. Den Gang des öffentlichen Lebens aber bestimmte in den Versammlungen der Wehrfähigen allein der Adel, der gemeine Mann hatte sich den Beschlüssen zu fügen. Diese Zustände spiegelt das homerische Epos getreu wider. Von der Pracht und Macht des hellenischen Adels zeugen die atheni­ schen Vasen vom Dipylon, vor allem die auf ihnen abgebildeten prunkvollen Leichenbegängnisse. Im übrigen hallte die ganze grie­ chische Welt wider von Kampf und Kriegslärm. Und zwar wur­ den die Kriege vor allem um der Beute und um des Ruhmes willen geführt: Gold, Erz, Eisen und Frauen waren der Preis des Siegers, und mit vollem Recht hat man von der ungeheuren Sucht nach Beute gesprochen, die das Epos wie ein roter Faden durchzieht. Selbst die größten homerischen Helden rühmten sich des Vieh­ raubes, und der Seeraub galt allgemein als ein legitimer Erwerb von Eigentum, bei dem niemand etwas Ehrenrühriges empfand, es sei denn, die Raubzüge richteten sich gegen die eigenen Stammesgenossen oder gegen Verbündete. Wer in die Fremde ging, war rechtlos; nur der Mächtige, der unter seinen adligen Standesgenossen viele Freunde hatte, vermochte sich durchzusetzen. Die starke Vermehrung der Völker des griechischen Mutter­ landes, vor allem der Dorer, aber auch der andern Stämme, ließ das neugewonnene Land bald als zu eng erscheinen. Da an eine Intensivierung des Ackerbaues bei den primitiven Methoden der Landwirtschaft nicht zu denken war, trieben die Dinge am Ende der Übergangszeit immer mehr in die Richtung auf eine neue Ex­ pansion: es war - neben anderen Motiven - das Streben nach neuem Siedlungsland, das um die Mitte des 8. Jahrhunderts zu der zweiten großen hellenischen Kolonisation geführt hat.

ZWEITER ABSCHNITT

DAS ZEITALTER DER GROSSEN GRIECHISCHEN KOLONISATION

(800-500 v. Chr.)

Nach der dunklen Übergangszeit bedeutet die Epoche der großen griechischen Kolonisation einen entscheidenden Wendepunkt der griechischen Geschichte. Nicht zufällig beginnt fast gleichzeitig mit der Expansion der Griechen in die Weite des Mittelmeerraumes auch die erste geschriebene historische Überlieferung in der Form von Beamtenlisten, Siegerverzeichnissen und ähnlichen Katalogen, die vielleicht durch die Berührung mit der Welt des Alten Orients entstanden sind. Im Zeitalter der großen Kolonisation hebt sich zum ersten Male die Persönlichkeit aus der breiten Masse des na­ menlosen Volkes ab. Die Persönlichkeit nimmt von nun an in Po­ litik, Dichtung und bildender Kunst ihren Platz ein und entkleidet die hellenische Geschichte ihres kollektiven Charakters. Zum er­ sten Male in der 2*/2 Jahrtausende umspannenden griechischen Geschichte steht die schöpferische Persönlichkeit im Vordergrund. Während die Poesie in Hesiod und Archilochos, Alkaios und Sappho, Anakreon und Simonides glänzende Namen aufweist, be­ ginnt mit dem Milesier Thales, der die Sonnenfinsternis des Jahres 585 V. Chr. auf Grund der Kenntnis babylonischer Berechnungen voraussagte, und mit den ionischen Naturphilosophen die Ur­ geschichte der abendländischen Wissenschaft. In dem athenischen Staatsmann Solon, seinem Zeitgenossen Pittakos von Mytilene so­ wie in dem mächtigen Tyrannen Penandros, Peisistratos und Polykrates verkörpert sich das konstruktive griechische Ingenium im

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-joo)

Staatsleben: es sind dies die ersten Menschen von Fleisch und Blut, die die politische Geschichte unseres Erdteils aufweist. Polykrates von Samos und den Peisistratossöhnen in Athen gebührt der Ruhm, der Dichtung und den Dichtern an ihrem Hof eine Heimstatt be­ reitet zu haben: Ibykos und Anakreon weilten am Hofe des sami­ schen Herrschers, in Athen gaben Lasos von Hermione, Pratinas, Simonidcs, der Seher Onomakritos dem Peisistratidenhofe Fülle und Glanz. Das Mäzenatentum der Ptolemäer, des Kaisers Augu­ stus und seiner Nachfahren in Rom und Konstantinopel ist hier vorgebildet. Die Welt des Geistes schlägt über die Vielheit der hel­ lenischen Stämme und Staaten die Brücke und erbaut ein größeres, allen Griechen gemeinsames ideelles Vaterland. Diese Einheit des hellenischen Geisteslebens ist das Gegenbild zu der weitgehenden politischen Zersplitterung im archaischen Griechenland. Ein Sym­ bol des griechischen Geistes sind die Gestalten der „Sieben Weisen“, die, aus allen Teilen der griechischen Welt stammend, dem ganzen Hellenenvolke gehören und in deren Persönlichkeiten sich dieses erste Zeitalter des Individuums spiegelt. Eine Grundlage der hellenischen Einheit ist auch die Religion, die durch den Kult aufs engste mit dem staatlichen Leben der Griechen verflochten ist. Neben den olympischen Göttern, deren Gestalten Hesiod und Homer geprägt haben, lebt die unüberseh­ bare Schar der lokalen Gottheiten ein eigenes Leben - ein buntes Abbild von der Vielfalt des hellenischen Geistes, der die Natur des Landes mit den Gestalten übernatürlicher Wesen belebt. Von allen Kultstätten hat im Archaikum Delphi mit dem Orakel des aus dem Osten in Hellas eingebürgerten Apollon den tiefsten Einfluß auf die Seele der Griechen gewonnen. Die Ethik, die der delphische Gott verkündete, ist zur Richtschnur der Haltung des hellenischen Adels geworden, sie hat zur Formung des griechischen Menschen­ tums Entscheidendes beigetragen. Von Delphi sind die Anfänge zur Regulierung des hellenischen Kalenderwesens ausgegangen, das im übrigen in seiner unabsehbaren Buntheit ein getreues Abbild der hellenischen Staatenwelt ist. Es kann als sicher gelten, daß das delphische Orakel im 6. Jahrhundert schon weithin, auch außer-

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-joo)

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halb der griechischen Welt, Anerkennung genoß. Zum Erfolge beigetragen hat vor allem die Inspirationsmantik der Pythia, die zu einem unbekannten, aber sicherlich recht frühen Zeitpunkt das bis dahin ausschließlich angewandte Losorakel in den Hintergrund gedrängt hat. Zur Ausbildung einer „Kirche" und einer kirchlichen Hierarchie ist es jedoch damals wie später in Hellas nicht gekommen. Der hellenische Geist, dessen freies Walten sich am Ende des Archai kums so eindrucksvoll in den ionischen Naturphilosophen mani­ festiert, hat sich niemals einem Dogma gebeugt. Die Kraft des griechischen Individualismus offenbart sich in der Religion in dem Umsichgreifen der orphischen Lehren und des Dionysoskultes. Diese Strömungen, von denen die Orphik aus dem Osten, die Dionysosverehrung aus Thrakien stammt, haben am Ende des Archai­ kums weite Volkskreise ergriffen. Boten doch ihre Mysterien den suchenden Menschen ein neues persönliches Verhältnis zum Gött­ lichen, das der Glaube an die Olympier in dieser Weise nicht zu geben vermochte. Der Dionysoskult ist zudem als echte Bauern­ religion von den Tyrannen, vor allem von Peisistratos, gefördert worden. Die Dionysosreligion hat für die Kultur der abendländi­ schen Menschheit insofern die größte Fernwirkung gehabt, als aus ihrem kultischen Spiel die attische Tragödie erwachsen ist. Freilich mußte nach den ersten Anfängen in der Zeit des Peisistratos noch über ein Menschenalter vergehen, bis die Tragödie, vor allem durch Aischylos, die Form erhalten hat, unter der sie das klassi­ sche Vorbild geworden ist. Auf dem Gebiete der bildenden Kunst bedeutet das Archaikum einen neuen Anfang. Die vorhergegangene geometrische Epoche bezeichnet eine Aufsplitterung der hellenischen Kunst in zahlreiche Sondergebiete; es ist dies ein Vorgang, der der staatlichen Auf­ splitterung Griechenlands in der Übergangszeit parallel geht. Hierin änderte sich wenig, doch strömten aus Ägypten, aus Meso­ potamien und Kleinasien Anregungen in Fülle nach Griechenland, Zeichen eines wachsenden Verkehrs und eines immer reicheren Austausches zwischen Griechenland und den alten Kulturen des

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-joo)

Vorderen Asien. Die klassisch gewordene Kunst des ägyptischen Alten Reichs ist es vor allem gewesen, die der griechischen Kunst neue Wege gewiesen hat. Und wie haben die Griechen die An­ regungen des Orients fruchtbar zu machen gewußt! Die Ausge­ staltung des Münzbildes, das sie im 7. Jahrhundert mit dem Münzgeld von den Lydern übernahmen, die Belebung und Neu­ formung der aus dem mesopotamischen Kulturkreis stammenden Siegelbilder, die Interpretatio Graeca der ägyptischen Sphinxgestalt - diese und so manche anderen künstlerischen Motive be­ zeugen die starke umschaffende Kraft des griechischen Genius in der Begegnung zwischen Abend- und Morgenland. Ein Zeichen des Individualismus ist das nun hervortretende Bekenntnis des schöpferischen Künstlers zu seinen Werken durch die Künstler­ signatur, die der Orient nicht gekannt hat. östlichen Anregungen verdanken auch die vielen Monumental­ bauten ihre Entstehung, die seit dem Beginn des 7. Jahrhunderts, vor allem aber im Verlauf des 6. Jahrhunderts, auf griechischem Boden errichtet worden sind. Das Heraion von Samos, der Zeustempel der Peisistratiden in Athen, das der großen anatolischen Muttergottheit geweihte Artemision von Ephesos, der Tempel des Apollon von Didyma bei Milet, das Apolloneion von Selinus in Sizilien - sie. alle sind aus einer neuen Geisteshaltung erwachsen, in der sich der Wille zum Monumentalen Bahn bricht. Nie wieder haben die Griechen eine so große Zahl von Tempeln geschaffen wie in dieser Epoche - ein untrügliches Zeichen für die religiöse Ergriffenheit weiter Volkskreise und der Regierenden. Maß und Gewicht, astronomische Kenntnisse wie Tierkreis, Son­ nenuhr und Sonnenfinsterniszyklen hat das Alte Babylonien den Griechen, und zwar zunächst den Ionern, gegeben. Aus Lydien übernahm man das Münzgeld, die griechische Musik verdankt kleinasiatischen Völkern, Lydern und Phrygern, wesentliche An­ regungen. Dem Mythus von den fünf Weltaltern in Hesiods „Wer­ ken und Tagen“ (v. 106 ff.) liegt eine orientalische Auffassung vom Kreislauf des Weltgeschehens zugrunde, auch auf die Entstehung der Tierfabel mögen Anregungen aus dem Orient eingewirkt ha­

Orient und griechische Staatenwelt (800-600)

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ben. Großes Aufsehen haben die Berührungen erregt, die zwischen dem hethitischen „Kumarbi“-Epos und Hesiods „Theogonie“ nach­ zuweisen sind: wenn wir auch noch nicht wissen, auf welchen We­ gen sich die Übertragung der altanatolischen Mythologie nach Grie­ chenland im einzelnen vollzogen hat, die Verbindungen sind nicht mehr zu leugnen; auch hier heißt es: ex Oriente lux, ex Oriente dei. Was die Griechen empfingen, das haben sie bald dem Osten viel­ fältig zurückgegeben. Im 6. Jahrhundert sind in aller Welt grie­ chische Techniker, Ärzte und Künstler zu finden. Insbesondere ist der Beitrag des Griechentums zum Aufbau des späteren Achämenidenreiches ganz beträchtlich. So ist die Angliederung des von Griechen besiedelten westkleinasiatischen Küstensaumes sowohl für die Hellenisierung der Lyder wie später für die griechisch­ persischen Beziehungen von epochaler Bedeutung gewesen.

1. Der Orient und das Werden der griechischen Staatenwelt (800-600 v. Chr.)

Die griechische Geschichte im Archaikum wird dadurch charakte­ risiert, daß sie aufs engste mit der gleichzeitigen Geschichte des Vorderen Orients verflochten ist. Vor allem ist das Schicksal Ioniens mit dem Gesamtanatoliens untrennbar verbunden. Außerdem wurden durch die um die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. ein­ setzende große griechische Kolonisation gerade auch Randgebiete der vorderasiatischen Welt erfaßt wie die Cyrenaika und die Süd­ küste des Schwarzen Meeres, und die Ansiedlung griechischer Kaufleute und Söldner in Ägypten hat im 7. Jahrhundert erst­ malig auch einen engen Kontakt zwischen dem Land der Pharao­ nen und Hellas hergestellt. Um 600 v. Chr. erstreckt sich der grie­ chische Siedlungsraum von Spanien bis zum Kaukasus, von Süd­ rußland bis Ägypten, eine koloniale Expansion gewaltigen Um­ fanges, die die beachtlichen Leistungen der Phöniker weit hinter sich läßt. Die ständigen Wechselbeziehungen der Griechen, ins­

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-foo)

besondere der Ioner, zu den Mächten des Vorderen Orients machen es notwendig, im Rahmen einer Skizze der vorderasiatischen Ge­ schichte auf die west-östlichen Zusammenhänge des näheren ein­ zugehen. Nach dem Untergang des Hethiterreiches (bald nach 1200 v. Chr.) bildete sich in Anatolien das Reich der indogermanischen Phryger. Sein Kerngebiet lag an den Quellflüssen des Sangarios. Es wurde von einer wehrhaften ländlichen Aristokratie beherrscht, deren Angehörige als mächtige Grundherren über eine große Zahl von Lehnsleuten geboten. Bald versuchten die Phryger nach Osten Raum zu gewinnen: am oberen Euphrat stießen sie am Ende des 12. Jahrhunderts mit dem Mittelassyrischen Reich zusam­ men, die Expansion kam zum Stehen. Erst in der Zeit des Kö­ nigs Midas und seines Zeitgenossen, des Assyrers Sargon II. (722 -705 v. Chr.), sind am Euphratknie, in Kilikien und Kataonien, neue wechselvolle Kämpfe bezeugt. Zu den Griechen bestanden enge politische und kulturelle Beziehungen. Wie einst die indo­ germanischen Hethither, so haben auch die Phryger und die Hel­ lenen anatolische Gottheiten in ihr Pantheon aufgenommen, vor allen anderen die Große Mutter, deren Abbild die Artemis von Ephesos ist. Durch ionische Vermittlung ergaben sich auch zwi­ schen den Phrygern und dem griechischen Mutterland manche Verbindungen. Unter den königlichen Stiftern für das Heiligtum des delphischen Apollon war auch Midas, der Herrscher der Phry­ ger. Im Schatten der phrygischen Reichsgründung standen zunächst auch die Lyder im Gebiet des Hermos. Der Aufstieg des Volkes ist mit dem Namen des Gyges, des Gründers der Mermnadendynastie, verknüpft (erste Hälfte des 7. Jahrhunderts). 2*/2 Jahrhun­ derte lang haben die Lyder die Geschicke Kleinasiens maßgebend bestimmt. Im Gegensatz zum Phrygerreich, das sich um Gordion und um die alte Priesterstadt Pessinus kristallisierte, lag der Schwerpunkt der lydischen Macht näher dem Ägäischen Meere. Residenz der Lyderkönige war Sardes mit seiner hochgelegenen Burg, die als uneinnehmbar galt. Im Laufe von weniger als einem

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Jahrhundert errangen die Lyder die Herrschaft über das gesamte westlich des Halys gelegene Kleinasien; allein das kilikische Für­ stentum, das unter seinem einheimischen Herrscher, dem Syennesis, die wichtigen Tauruspässe kontrollierte, vermochte sich nicht nur als selbständiger Staat zu behaupten, sondern sogar noch Teile Kappadokiens, vielleicht auch Pamphyliens unter seine Herrschaft zu bringen (um 600 v. Chr.). Das Rückgrat des lydischen Staates bildeten die großen Grundbesitzer, aus deren Kontingenten sich das Feudalheer des Königs zusammensetzte. Überhaupt trug das Lyderreich ein ausgesprochen feudales Gepräge, das der Kernland­ schaft, Lydien, bis in die Diadochenzeit, ja sogar bis in die römi­ sche Zeit erhalten geblieben ist. Solange die Kraft der Lyder durch den Aufbau des Reiches voll in Anspruch genommen wurde, blie­ ben sie den Griechen in Westkleinasien ungefährlich. Zudem stell­ ten die Einfälle der Kimmerier (um 675 v. Chr.), eines iranischen, aus dem Steppengebiet Südrußlands stammenden Volkes, die junge Reichsgründung des Gyges auf eine harte Probe. Die Beute, die die schweifenden Barbaren im Artemision von Ephesos zu finden hofften, lodete sie bis an das Ostufer des Ägäischen Meeres. Das Artemision ging in Flammen auf, eine Reihe von Griechenstädten mußte schwere Plünderungen über sich ergehen lassen. Die Kriegs­ lieder des Kallinos von Ephesos künden von dem Schredcen, mit dem die gewalttätigen Barbaren Ionien bedrohten. Das Phrygerreich hat die Kimmerierstürme nicht überlebt, das Reich der Lyder vermochte sich dank der Tatkraft des Ardys, Gyges’ Nach­ folgers, bald wieder zu erholen. Unter Ardys und seinen Nach­ folgern Sadyattes und Alyattes begannen die Lyder ihr Antlitz gen Westen zu richten. Die Kämpfe des vordringenden Lydertums, dessen Oberschicht sich übrigens bald weitgehend hellenisierte, mit den unter sich uneinigen Ionern rissen nun nicht mehr ab. Doch blieben entscheidende Erfolge dieser Generation der lydischen Kö­ nige noch versagt. Immerhin vermochte Alyattes Smyrna in seine Gewalt zu bringen. Die Stadt schied aus dem Bunde der Ioner aus, sie verlor ihr Stadtrecht, das ihr erst Lysimachos zurückgeben sollte. In dem Zusammenstoß der Lyder unter Alyattes und der 4

Bengtson, SA

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-foo)

Meder unter Kyaxares am Halys - der fünfjährige Krieg wurde schließlich im Jahre $8$ durch einen von dem kilikischen Syennesis vermittelten Bündnispakt beendet - zeichnete sich eine neue Mächtegruppierung im Osten ab, die auch von den Lydern ihren Tribut forderte. Nicht minder weitreichende Rückwirkungen auf die griechische Welt ergeben sich im Kolonisationszeitalter aus der politischen Entwicklung im Mittleren Osten; die Bildung eines von den Assy­ rern beherrschten Machtzentrums in Vorderasien hat die koloni­ satorische Ausbreitung der Griechen an der Küste Syriens und Phönikiens vereitelt, und erst nach dem Zusammenbruch der Assy­ rerherrschaft in Ägypten haben sich den Griechen die Tore des Nil­ landes geöffnet. Die Geschichte des Vorderen Orients wird nach der Katastrophe der Ägäischen Wanderung durch eine weitgehende Auflockerung, ja geradezu durch eine Atomisierung auf staatlichem Gebiete ge­ kennzeichnet, eine auffällige Parallele zu der gleichzeitigen Ent­ wicklung in Griechenland. Besonders auf nordsyrischem Boden, auf dem sich von jeher die mächtigen Kulturströme und die macht­ politischen Aspirationen von Nord, Süd und Ost kreuzten, er­ wuchs eine größere Zahl von Mittel- und Kleinstaatsgebilden. Sie alle zeigen eine Verbindung von Elementen des hethitischen Volks­ tums und der hethitischen Zivilisation mit einem sich immer mehr verstärkenden aramäischen Einschlag. Diese politische Aufsplitte­ rung hat die Voraussetzungen für den Aufstieg des Assyrerreiches im 9. Jahrhundert v. Chr. geschaffen. Anders als die vorüber­ gehende Expansion des sog. Mittelassyrischen Reiches (seit dem Ende des 12. Jhrh. v. Chr.) war die Ausbreitung der assyrischen Macht diesmal von längerer Dauer. Unter Assurnasirpal (883-859) war das Assyrerreich der bei weitem mächtigste Staat der ganzen Welt. Um das Kerngebiet des Reiches, die jenseits des Tigris ge­ legene Arbelitis, in der Kalach als glanzvolle zweite Residenz neben dem diesseits des Stromes gelegenen Assur empor wuchs, gruppierte sich eine große Zahl kleinerer, ausgezeichnet organi­ sierter Provinzen; ihre Statthalter vereinigten die militärische und

Orient und griechische Staatenwelt (800-600)

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zivile Gewalt in einer Hand und garantierten dadurch eine straffe Verwaltung. Assurs Stolz war sein gefürchtetes Heer; es hat sich als ein hervorragendes Machtinstrument der in die Weite zielen­ den Pläne der assyrischen Könige erwiesen. Vor den Belagerungs­ maschinen der Assyrer hielt weit und breit keine Mauer stand, und das schon damals mit Virtuosität geübte Verpflanzungssystem ganzer Völker und Stämme war wie kein anderes geeignet, jeden Widerstand zu ersticken. Dem ersten Höhepunkt der assyrischen Macht unter Assurnasirpal folgte zunächst ein Rückgang, sodann, unter Salmanassar IV. (782-772), ein unverkennbarer Niedergang. In dem aufstreben­ den urartäischen Staate (zwischen Van- und Urmiasee) war den Assyrern ein gefährlicher Rivale erwachsen, der seine Machtsphäre zeitweilig weit nach Westen vorschob. Unter Sardur I. (um 830) gehörten die Fürsten von Melitene und Kommagene zu den Va­ sallen der neuen Großmacht des Nordens. Nach der Thronbestei­ gung des Usurpators Tiglatpilesar III. (745-727) begannen die Assyrer an allen Grenzen zur Offensive überzugehen; das Aramäerreich von Damaskus wurde unterworfen, Babylon in Perso­ nalunion mit der Krone Assurs verbunden, unter Sargon II. (722 -705) auch das israelitische Nordreich mit der Hauptstadt Samaria bezwungen. Auch das späte „Hethiterreich“ von Karkemisch, durch seine wichtige Zwischenstellung zwischen den Eu­ phratübergängen und den Tauruspässen von ungewöhnlich gro­ ßer strategischer und handelspolitischer Bedeutung, fiel 717 den Assyrern als Beute zu. In der Zeit Sargons II. kam es zur ersten Berührung der Grie­ chen mit den Assyrern, von der die historische Überlieferung Zeugnis ablegt. Im Jahre 711 v. Chr. wurde ein griechischer Aben­ teurer - die Keilinschrift nennt ihn lamäni, den „Ioner“ -, der sich zum Herrscher in der Philisterstadt Asdod aufgeworfen hatte, von den Assyrern beseitigt. Zwei Jahre später empfing Sargon II. in Babylon den Tribut von sieben griechischen Stadtkönigen Cyperns. Die nach dem Westen ausgreifende Politik des Assyrerrei­ ches beleuchtet endlich der von späten, aber glaubwürdigen Quel4*

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-500)

len berichtete Zusammenstoß zwischen Assyrern und Griechen im Ebenen Kilikien in der Zeit des Sanherib (703-681), des Nach­ folgers des Sargon. Die Eroberung Ägyptens durch Asarhaddon im Jahre 671 v. Chr. bezeichnet den äußeren Höhepunkt von Assurs Macht: sein Gebiet reichte nun vom armenischen Bergland bis tief in den Su­ dan, von Zentralanatolien bis zum Persischen Golf. Das in kleine, straff organisierte Provinzen eingeteilte Kerngebiet des Reiches umrahmte in weitem Bogen ein Kranz von Vasallenstaaten, die durch die ständige Furcht vor dem assyrischen Heer in Schach gehalten wurden. Unter Asarhaddons Nachfolger Assurbanipal (668-631?), dem die Nachwelt die Schätze seiner „Schloßbiblio­ thek“ von Ninive (Kujundschik) verdankt, war auch Kyros I., der Achämenide, Herr in der Landschaft Parsumasch, ein Vasall des Assyrerkönigs. Während das Assyrerreich zur Weltmacht emporwuchs, erlebte Ägypten Zeiten tiefen Niederganges. Unter der Herrschaft der thebanischen Priesterkönige und der libyschen Generäle ging der harmonische Ausgleich der Stände verloren, das Söldnerheer wuchs zu einem Giftbaum im Staate empor, der die besten Kräfte ver­ zehrte. Ähnlich wie die späteren ptolemäischen Kleruchen wurden die Söldner an bestimmten Punkten im Lande angesiedelt. Das Kriegshandwerk vererbte sich vom Vater auf den Sohn, und wäh­ rend die anderen Stände, die gleichfalls zu Kasten geworden wa­ ren, nur noch Lastenträger im Dienste des Staates waren, fühlten sich die Soldaten als erster Stand des Reiches. Das alte sinnenfrohe, für alles Schöne in Literatur und Kunst aufgeschlossene Ägyptertum fiel einer regelrechten Barbarisierung anheim. Unter den äthio­ pischen Herrschern der XXV. Dynastie (seit dem Ende des 8. Jahr­ hunderts) trat an die Stelle einer Zentralgewalt eine Vielzahl lo­ kaler Stadtfürsten, vor allem in Unter- und Mittelägypten, denen ein hierarchisches Zentrum, wie es der Priesterstaat des Ammon von Theben war, fehlte. Indem er eine günstige Konstellation in der Weltlage, die Bedrängnis, in die die Assyrer durch die Kimme­ rier gekommen waren, geschickt ausnutzte, vertrieb der Gaufürst

Orient und griechische Staatenwelt (800-600)

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Psammetich von Sai's (663-609) die assyrischen Besatzungen aus Ägypten. Dabei waren ihm griechische und karische Söldner wert­ volle Helfer. Mit den hellenischen Söldnern, die in Daphne, Pelusion, vielleicht auch in Elephantine garnisoniert wurden, kamen auch griechische Händler und Kaufleute in größerer Zahl in das Nilland. Als ersten wurde den Milesiern die Ansiedlung an der Mündung des bolbitinischen Nilarmes in einer befestigten Nieder­ lassung (Milesion Tcichos, „Mauer der Milesier“) durch Psamme­ tich I. gestattet. Wahrscheinlich geht auch die Gründung der Grie­ chenstadt Naukratis bereits in die 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts zurück. Schon um 650 v. Chr. setzen die Funde griechischer Kera­ mik im Delta ein, noch vor der Jahrhundertwende tauchen die ersten attischen Vasen in Naukratis auf. Die weitgesteckten Pläne des Necho, des Nachfolgers des Psammetich I., eröffneten dem ägyptischen Handel ein großes Feld: Necho plante den Bau eines Kanals durch den Isthmus von Sinai, es ist eines der vielen Kanal­ projekte des Altertums, die zunächst unvollendet geblieben sind. Wenn auf die Angaben eines aus der römischen Kaiserzeit stam­ menden Papyrus Verlaß ist, so fällt die erste Niederlassung von Griechen in Rhakoti bereits in die Zeit Psammetichs II. (593 v. Chr.?); dies wäre dann die Urzelle des im Jahre 331 v. Chr. ge­ gründeten Alexandrien. In den beiden letzten Jahrzehnten des 7. Jahrhunderts erfuhr die Weltlage im Vorderen Orient eine grundlegende Wandlung: mit dem Aufstieg der indogermanischen Meder unter dem Dejokidenhause, vor allem unter der Regierung des Kyaxares, des Soh­ nes des Phraortes, sowie mit der Begründung des Neubabyloni­ schen Reiches durch Nabupolassar (626) bereitete sich jene Kräfte­ koalition vor, der das Assyrerreich erlegen ist. Wie die von C. J. Gadd im Jahre 1923 veröffentlichte Chronik gezeigt hat, ist die Königsstadt Assur im Jahre 614, das alte Ninive im Jahre 612 von den verbündeten Medern und Chaldäern erobert worden. Der letzte Assyrerkönig, Sin-sar-tskun, kam, wie es scheint, in den Flammen seines Palastes ums Leben. Die assyrischen Residenzen aber hat man so gründlich zerstört, daß ihre Stätten erst um die

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Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die modernen Ausgräber wiedergefunden worden sind. Mit dem Falle Assurs und Ninives endete eine große Epoche der vorderasiatischen Geschichte. Das Reich von Charran (Karrhai) im oberen Mesopotamien, eine assyrische Sekundogenitur mit dem Herrscher Assuruballit, ging schon im Jahre 610 zugrunde; es ist historisch ohne Bedeutung. Die ganze Welt aber atmete nach Ni­ nives Ende auf von dem furchtbaren Schrecken, der Jahrhunderte auf ihr gelastet hatte. In wahrhaft ergreifenden Jubelliedern machte sich die überschäumende Freude der unterjochten Völker Luft. Über all den unleugbaren Schattenseiten dürfen aber die großen Leistungen des harten Assyrervolkes nicht übersehen wer­ den. In dem Staate der Assyrer, der ersten vollkommenen Verkör­ perung des Machtstaates auf Erden, hat Vorderasien jahrhunderte­ lang eine Macht besessen, die für Ordnung in dem auseinander­ strebenden Völkerchaos gesorgt, es zu einem Ganzen zusammen­ geschlossen und ihm seinen Willen eingeimpft hat. Es ist wohl zu begreifen, daß sich die Völker Vorderasiens dem Bestreben der Assyrer widersetzt haben, das dahin ging, sie zu einem nivellier­ ten Völkerbrei zu verschmelzen und ihre Eigenarten in Sitte und Sprache zu verwischen, um sie, wie die assyrischen Inschriften es ausdrücken, „eines Mundes zu machen“. Die Beute wurde zwischen den Siegern geteilt. Das obere Me­ sopotamien und Syrien fiel dem Neubabylonischen (chaldäischen) Reiche zu, die Meder wurden im Besitze des oberen Tigrisgebietes zu gefährlichen Nachbarn der Chaldäer, nach Eroberung der ehe­ mals urartäischen Kernlande auch der Lyder. Nach dem Sieg der Neubabylonier über den Pharao Necho (605 v. Chr.) im Kampf um Syrien entstand ein Gleichgewicht der Kräfte in Vorderasien, ein neubabylonisch-medischer Dualismus, der über kurz oder lang entschieden werden mußte. Die Ereignisse in Vorderasien blieben bei den Griechen nicht ohne Widerhall. Besonders in Ionien muß stets eine genaue Kennt­ nis der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Vorderasien vorhanden gewesen sein. Der Untergang des Assyrerreiches wurde

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auch hier als die große Wende erkannt, und noch ungefähr ein hal­ bes Jahrhundert nach Ninives Ende lobte sich der Milesier Phokylides die kleine, geordnete Polis gegenüber dem gewaltigen, aber mit Unverstand regierten Ninive. Anders als Vorderasien wird die Landkarte von Griechenland im 8. und 7. Jahrhundert durch die Existenz einer fast unüber­ sehbaren Zahl von Kleinstaaten bestimmt. Sie sind aus der Auf­ splitterung der Stammesverbände nach dem Abschluß der Land­ nahme in Griechenland hervorgegangen, wobei die Entwicklung durch die geographischen Gegebenheiten, aber auch durch die partikularistische Veranlagung der Hellenen stark gefördert worden ist. Für die Kleinstaaten ist es charakteristisch, daß in dem Staats­ gebiet jeweils nur eine städtische Siedlung existiert, die dem Staate den Namen gibt. Ein staatsrechtlicher Unterschied zwischen Stadt und Landgebiet ist von Hause aus nicht vorhanden; nur hat die Stadt, die „Polis“, in der sich das staatliche und kultische Leben konzentriert, allmählich ein immer größeres Übergewicht über das flache Land erlangt. Die Polis, der erste Rechtsstaat der abend­ ländischen Geschichte, ist, wahrscheinlich durch die schnellere Ent­ wicklung auf kleinasiatischem Kolonialgebiet beeinflußt (s. S. 34), auf dem Boden des griechischen Mutterlandes wohl gerade in je­ nem Zeitalter entstanden, in dem das Assyrerreich als vollendete Inkarnation des irdischen Machtstaates seinen Kulminationspunkt erreichte, im 8. vorchristlichen Jahrhundert. So grundverschieden in bezug auf die rechtliche Stellung der Regierenden und der Re­ gierten beide Erscheinungsformen des Staates in Ost und West ge­ wesen sind - darin stimmen sie überein, daß in beiden die Gottes­ idee die Grundlage des Staatswesens bildet. Und zwar ist es bei den Assyrern der Reichsgott ASSur, der aus einem Stadtgott zum Herrscher der Welt geworden ist; als sein Stellvertreter auf Erden schaltet der assyrische König, für all sein Tun und Lassen legt er in den Königsinschriften dem Gott Rechenschaft ab. Bei den Grie­ chen ist es die große Vielzahl der Stadtgötter; sie sind die gött­ lichen Monarchen, die ideellen Lenker der Polis. In dem Kult des Stadtgottes ist die Sphäre des Politischen mit der Welt der Reli-

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giosität verbunden. Ist doch die Polis - im Idealfall - eine Ge­ meinschaft des Rechtes, des Glaubens und vielfach auch der Wirt­ schaft. Das äußere Charakteristikum der Polis ist die Engräumigkeit. Sie bedingt eine ungewöhnliche Konzentration des politischen, kultischen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens im Bereich der vielen Kleinstaaten. Sie zwingt die einzelnen „Gemeindestaaten", in der Außenpolitik Maß zu halten und sich mit anderen Staaten zu verbinden, wenn es weitgesteckte Ziele zu erreichen gilt. Von dem lakedämonischen und dem attischen Staatsgebiet abgesehen beide sind für die allgemeinen Verhältnisse in Griechenland nicht charakteristisch, da sie sich unter besonderen Bedingungen heraus­ gebildet haben; Lakonien mit Messenien umfaßte etwa 8400 qkm, Attika etwa 2550 qkm -, liegen selbst die Gebiete von Gemeinde­ staaten wie Argos (1400 qkm) und Korinth (880 qkm) noch sehr beträchtlich über dem allgemeinen Durchschnitt. In Phokis gab es beispielsweise nicht weniger als 22 selbständige Staaten auf einem Raum von nur etwa 1650 qkm, was einem durchschnittlichen Areal von 70 bis 75 qkm entspricht. In Kreta (8500 qkm) existier­ ten wohl an die 100 Kleinstaaten, Rhodos (1460 qkm) besaß bis zum Ende des 5. Jahrhunderts deren 3, Lesbos (1750qkm) sogar 6. Auf den kleineren Inseln war allerdings die Existenz eines einzigen Gemeindestaates die Regel. Größere Staaten auf dem Boden des griechischen Mutterlandes haben sich in den dunklen, auf die Dorische Wanderung folgenden Jahrhunderten nur in jenen Gegenden gebildet, in denen geogra­ phische Lage und Bodengestalt den Zusammenschluß entscheidend gefördert haben: in der Ebene des Peneios und seiner Zuflüsse in Thessalien, in der weit nach Süden vorspringenden attischen Akte, in der von der übrigen Peloponnesos abgeschlossenen Argolis so­ wie im Eurotastal, in der Ebene zwischen den Bergmassiven des Taygetos und des Parnon - alles Gebiete im Osten Griechenlands. Der Westen verharrte dagegen im Zustand weitgehender staat­ licher Zersplitterung. Auch die Ioner jenseits der Ägäis, auf einen schmalen Saum des anatolischen Küstenlandes von geringer Tiefe

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beschränkt, sind infolge des Druckes der Reiche der Phryger und Lyder nicht zu größeren Machtbildungen gelangt. Alle anderen griechischen Staatenbildungen stellt der Aufstieg des spartanischen Kriegerstaates im 8. und 7. Jahrhundert in den Schatten: es ist dies ein einzigartiger Vorgang, der nur aus der Verflechtung historischer, geographischer und sozialer Bedingun­ gen zu erklären ist. Als die Scharen der Dorer zu Beginn des 1. Jahrtausends das hohle Lakedaimon überfluteten, vermochten sich die ehemaligen Herren des Landes, die Achäer, nur in wenigen Siedlungen zu behaupten; so hat sich vor allem das feste Amyklai, das einem Sperrfort gleich am Eurotas liegt, längere Zeit gehalten. Schließlich kam es hier zu einem friedlichen Ausgleich zwischen Dorern und Achäern, die Amyklaier wurden als gleichberechtigte Glieder in den dorischen Staatsverband aufgenommen. In der offenen Siedlung Sparta erhielt das neue Staatswesen seinen Mit­ telpunkt. Die Anlage eines völlig unbefestigten Ortes setzt die Unterwerfung und Befriedung des gesamten umliegenden Gebietes voraus. In Form von Landlosen (kleroi) wurde es unter die dori­ schen Krieger aufgeteilt, und zwar wurde das ergiebigere Land des Eurotastales den vornehmen spartanischen Herren zugesprochen, während die weniger begehrten Randgebiete in der Masse der übrigen Eroberer ihre Besitzer fanden. Die Größe der ursprüng­ lichen spartanischen Hufe ist auf 30 ha berechnet worden, was ungefähr der ostdeutschen Kolonisationshufe entsprechen würde. Doch kann diese Zahl nicht als gesichert gelten. Die Masse der vordorischen Bevölkerung, die vorher den achäischen Herrenge­ schlechtern zinste, drückten die Eroberer zu einer Art von Staats­ sklaven, Heiloten genannt, hinab. Die Heiloten bebauten von nun an für die neuen Herren, deren Leben sich in Sparta konzentrierte, das Land. Die Bodenerträge gestatteten der dorischen Herren­ schicht, sich ganz auf Krieg, Jagd, sportliche Übungen und auf das Abhalten von politischen Ratsversammlungen zu beschränken. Schon im 8. Jahrhundert führte die starke Zunahme des spar­ tanischen Herrenvolkes zu jener chronischen Landnot, die das ge­ samte spartanische Leben und die spartanische Politik bis zur

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-500)

Mitte des 6. Jahrhunderts beherrscht. Zu lindern vermochten das Übel nur Eroberung oder Kolonisation. Die Spartaner sind im Vertrauen auf ihre kriegerische Überlegenheit den Weg der Er­ oberung gegangen. In zwei großen Kriegen, deren Ernst aus den Kriegsliedern des Tyrtaios hervorleuchtet, unterwarfen sie das jenseits des Taygetos gelegene messenische Fruchtland, dessen Kern die Ebene des Pamisos bildet. Die Überlieferung der Messeni­ schen Kriege ist größtenteils legendär. Sicher ist nur so viel, daß schon der erste Krieg, der wohl in das letzte Drittel des 8. Jahrhun­ derts fällt, ungemein langwierig war. Angeblich haben die Messe­ nier erst im 20. Kriegsjahr die Bergfeste Ithome verlassen und den Widerstand aufgegeben. Die Heilotisierung durch die siegreichen Spartaner legte dem tapferen messenischen Volke ein furchtbares Schicksal auf: es bedeutete die völlige Versklavung und den Ver­ lust des Grund und Bodens. Damit hatte Sparta das Land gewon­ nen, dessen es zur Versorgung seiner Bürger bedurfte: schon am Ende des 1. Messenischen Krieges war Sparta der bei weitem mächtigste und größte Staat der ganzen Peloponnesos. Der um die Mitte des 7. Jahrhunderts ausgebrochene große Heilotenaufstand in Messenien schuf für die Spartaner eine hochkritische Lage: mehrfach standen sie am Rande einer vollständigen Niederlage. Die Messenier hatten zudem in der Peloponnesos mächtige Bun­ desgenossen gefunden. Außer den Pisaten, die vorübergehend die Eleer vom Vorsitz in den Olympischen Spielen verdrängten, schlugen sich die Arkader unter König Aristokrates von Orchomenos und vor allem die Argiver auf die Seite der Messenier. Sparta stand überdies mitten in einer schweren inneren Krise: es erscholl der Ruf nach Neuaufteilung des Bodens, und der Nimbus der unbedingten militärischen Überlegenheit Spartas hatte durch mehrere Niederlagen im Lande der Aufständischen viel von sei­ nem Glanz verloren. In den Kriegsliedern des Tyrtaios spiegelt sich die schwere Not der Zeit. Durch den Spartanersieg am „Gro­ ßen Graben“ erschüttert, zogen sich die Messenier in die unzu­ gängliche Bergfeste Hira zurück. Um Aristomenes, den Führer der messenischen Aufständischen, hat die Sage einen Kranz von

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Heldentaten geflochten, er ist geradezu zum Typus des nationalen Bandenführers geworden, wie ihn die Peloponnesos immer wieder hervorgebracht hat. Hiras Fall besiegelte den Untergang der messenischen Freiheit. Die spartanischen Landherren kehrten zurück, im Norden und Süden wurden in den Periökengemeinden feste militärische Stützpunkte geschaffen, die das Land nunmehr wie mit eisernen Klammern umgaben. Die peloponnesische Symmachie gegen Sparta hatte in König Pheidon von Argos ihren Mittelpunkt. Er gehört, wie neuere Forschungen erwiesen haben, in die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. Herodots Behauptung (VI 127), Pheidon habe den Peloponnesiern die Maße gemacht, eine Angabe, die von späteren Quellen (Ephoros) erweitert worden ist, indem die Erfindung der Gewichte und der Münze hinzugefügt wurde, ist offenbar in dieser Form nicht korrekt; die Tatsache, daß der argivische Herrscher mit grundlegenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaft in Verbindung gebracht wird, spricht aber für seine historische Bedeutung. Doch ist das von einem Teil der früheren Forschung angenommene „Argivische Großreich“ nur ein Phantasiegebilde. Zankapfel zwischen Sparta und Argos war die zwischen dem Parnon und dem Argolischen Meerbusen gelegene Landschaft Kynuria, einst zum Siedlungsgebiet des ionischen Stammes ge­ hörig. Sie blieb nach langen, wechselvollen Kämpfen schließlich in spartanischer Hand. Auch die an sie im Norden angrenzende Thyreatis wurde den Argivern, freilich erst in der Mitte des 6. Jahrhunderts, abgenommen. Weniger erfolgreich blieben Spar­ tas Anstregnungen gegenüber Arkadien, obwohl gerade hier die Aussichten auf einen durchschlagenden Erfolg in Anbetracht der weitgehenden politischen Zersplitterung der Landschaft gegeben zu sein schienen. Vor den Mauern des aus einem Synoikismos (,Zusammensiedlung') mit benachbarten Gemeinden hervorgegan­ genen Tegea blieb alle spartanische Tapferkeit umsonst. Es kam (Mitte des 6. Jahrhunderts) zu einem Vertrag, in dem sich die Tegeaten zur Ausweisung der in ihr Gebiet geflüchteten Messenier und zur Heeresfolge gegenüber den Spartanern verpflichteten.

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Der spartanisch-tegeatische Vertrag bezeichnet einen entschei­ denden Wendepunkt in Spartas auswärtiger Politik. Hatte bis dahin die starke Volkszunahme die Spartaner immer mehr auf die Bahn der Eroberung getrieben, so scheint Sparta nunmehr, und zwar für alle Folgezeit, saturiert: die Kurve der Bevölke­ rungsbewegung hatte ihren Gipfelpunkt überschritten. In Mittelgriechenland ist allein die Landschaft Attika unter politischer Führung Athens zu einem Einheitsstaat zusammen­ gewachsen. Die Sage führt die Entstehung des attischen Staates auf den Synoikismos des mythischen Helden Theseus zurück. Ge­ wisse Kulttraditionen weisen darauf hin, daß dem attischen Ein­ heitsstaat eine Periode der Kleinstaaterei voraufgegangen ist. Die Einigung Attikas, bei der sich unter der Führung des auf der athenischen Akropolis wohnenden Herrschergeschlechtes die übri­ gen attischen Landschaften, die „Mittelebene" (mesogaia), die marathonische Tetrapolis, die Akte (mit Thorikos und Sunion), zusammengeschlossen haben, ist gewiß das Ergebnis einer längeren Entwicklung; sie war bereits im 8. Jahrhundert abgeschlossen. Doch ist der Anschluß des eleusinischen Priesterstaates wohl erst im 7. Jahrhundert (?) erfolgt. Als Polis ist Athen eine ganz sin­ guläre Erscheinung in Hellas: das völlige Aufgehen einer ganzen Landschaft in einen „Stadtstaat“ in der Weise, daß beide mit­ einander verschmelzen, findet kaum irgendwo ein Gegenbild. Der Vorgang zeugt von der politischen Klugheit der athenischen Burg­ herren, die in dieser frühen Zeit durch die Konzentrierung des gesamten politischen Lebens in ihrer Stadt, an dem der Adel der umliegenden attischen Landstädte seinen Anteil erhielt, eine neue, eigenartige Form eines „Gemeindestaates“ geschaffen haben. Trotz der Herausbildung des Gemeindestaates auf griechischem Boden hatten die alten griechischen Stämme in manchen Gegenden noch eine gewisse praktische politische Bedeutung. In der Pelo­ ponnesos trafen sich die Arkader, die Achäer und die Eleer immer noch an ihren altgewohnten Thingstätten, um über die gemein­ samen Angelegenheiten unter dem Schutze des Zeus zu beraten.

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Beschlüsse der Eleer sind in Inschriften von Olympia erhalten. Vor allem in Zentralgriechenland, bei den Ätolern und Akarnanen, aber auch bei einer Reihe kleinerer Stämme wie den Ainianen, den Dolopern, Phokern u. a., sind die Institutionen der alten Stammesstaaten in Geltung geblieben. Bei den Ätolern und Akarnanen blieb zudem die dörfliche Siedlungsweise bis in das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. vorherrschend. Es ist kein Wunder, wenn die Stammesstaaten an dem politischen Leben der Griechen kaum Anteil genommen haben; fehlte ihnen doch gerade das Ele­ ment, das den Gemeindestaat auszeichnete: die straffe Zusammen­ fassung und die Unterordnung der gesamten Politik unter den Willen einer zahlenmäßig begrenzten Führungsschicht. Wie ver­ hängnisvoll das Fehlen einer wirklichen Zentralgewalt sein konnte, zeigt die Entwicklung in Böotien. Hier hat der Antagonismus der führenden Gemeinden, vor allem von Theben und Orchomenos, den politischen Zusammenschluß der Landschaft jahrhundertelang vereitelt, während die ideelle stammesmäßige Einheit durch die gemeinsame Pflege des Kultes der Athena Itonia bei Koroneia und des Poseidon bei Onchestos unterstrichen wurde. Alle anderen griechischen Stammesstaaten wurden an Bedeutung durch den thessalischen Bundesstaat in den Schatten gestellt. Er ist offenbar aus der Landschaft Thessaliotis als Urzelle hervorgegangen, mit der sich (im 8. Jahrhundert v. Chr. ?) die Kantone der Pelasgiotis, Hestiaiotis und Phthiotis zu einer „Tetrarchie“ zusammenschlos­ sen. An der Spitze des Bundes stand der Tagos, ein Wahlherzog. Im Frieden bedeutete er wenig, im Krieg war er der Führer des gesamten thessalischen Heerbannes. Dadurch daß der politische Einfluß Thessaliens bald auch die Nachbarn erfaßte, die Magne­ ten, Perrhäber, Ainianen, Doloper, und dadurch daß die Thessaler eine überragende Stellung in der Amphiktyonie von Antliela, später, seit etwa 600 v. Chr., in der delphischen Amphiktyonie behaupteten, wurde der thessalische Bund zu der bedeutendsten Staatenbildung in Hellas neben Sparta um 600 v. Chr. Die Rivali­ täten der Kantone und der mächtigen thessalischen Adelsgeschlech­ ter untereinander haben es jedoch verhindert, daß Thessalien vor

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dem 4. vorchristlichen Jahrhundert die ihm zustehende Rolle in der griechischen Geschichte gespielt hat. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts (?) sind schließlich die Make­ donien unter Führung ihres Königs Perdikkas I. vom Gebirge in die Ebene des Haliakmon eingedrungen und zur Küste der Ägäis vorgestoßen. Mittelpunkt der makedonischen Monarchie wurde das Felsennest Aigai; es ist auch später, nachdem das Land in Pella eine neue Hauptstadt erhalten hatte, die Grabstätte der makedonischen Könige geblieben. Mit der Besetzung des Küsten­ gebietes im Unterlauf des Haliakmon und Axios durch die Makedonen geht das Zeitalter der Landnahme in Griechenland zu Ende. Bereits etwa zwei Menschenalter früher hatte die zweite große koloniale Expansion der Griechen im Westen und Osten mit kraftvollem Auftakt eingesetzt. Das Bild der griechischen Welt des Archaikums ist im großen und ganzen das einer weitgehenden Zersplitterung. Überall be­ finden sich die partikularistischen Elemente im Vordringen, die Stammesstaaten haben ihre praktische politische Bedeutung ein­ gebüßt. Die bedeutendste größere Machtbildung auf griechischem Boden ist die spartanische; sie beruht auf der brutalen Unter­ drückung der Messenier. Trotz des unbedingten Vorwiegens der zentrifugalen Kräfte sind freilich gewisse einigende Tendenzen nicht zu übersehen; allerdings gebricht es ihnen an Durchschlags­ kraft im politischen Leben des griechischen Volkes, um so mehr bedeuten sie aber für die ideelle Einheit der griechischen Nation. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Menschen griechisdier Zunge ist in diesem Zeitalter geboren worden, das durch die Kolonisation und die weitreichenden Handelsbeziehungen das gegenseitige Kennenlernen der Griechen entscheidend gefördert hat; es sind die Ioner in Kleinasien, aber auch die Kolonisten aller griechischen Stämme, die sich in fremder Umgebung, in fremdem Lande und unter Menschen fremder Zunge der Gemeinsamkeit ihrer griechischen Sprache, Sitte und Lebensart bewußt geworden sind. Wie es gekommen ist, daß gerade die kleine Landschaft Hellas im Süden Thessaliens dem ganzen Lande den Namen ge-

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geben hat, ist unbekannt. Daß der Hellenenname zuerst bei Archilochos (Mitte des 7. Jahrhunderts) erscheint, der viele Län­ der sah und der an der Kolonisation beteiligt war, wird schwer­ lich ein Zufall sein. Das von neun griechischen Städten gemeinsam erbaute Heiligtum in Naukratis (in der Zeit des Amasis, 569-526) hieß Hellenton. Weihinschriften galten den „Göttern der Hel­ lenen“, auch dies ein Zeichen für die Bildung eines gemeingrie­ chischen Bewußtseins in fremdem Lande. Auch im Mutterlands selbst fehlte es an panhellenischen Institutionen nicht. Eine all­ gemein griechische Bedeutung gewann, und zwar wohl schon im Verlauf des 8. Jahrhunderts, das delphische Orakel des Apollon, dessen Rat schon in dieser Zeit auch für politische Angelegen­ heiten gern gehört wurde (vgl. das über die Rhetra Bemerkte, S. 89). Der Einfluß der delphischen Priesterschaft war es, der dem aus Babylonien stammenden achtjährigen Schaltzyklus (Oktaeteris), wohl im späteren 7. Jahrhundert, in Griechenland all­ gemeine Anerkennung verschafft und damit ein wichtiges Element der Einheit in die Vielzahl der griechischen Kalendersysteme ein­ gefügt hat. Erst jetzt, da die Götterfeste für ganz Hellas zeitlich festgelegt werden konnten, war der Grund zu einer Einheit we­ nigstens auf dem Gebiete des Kultes gelegt. Die Urzelle der delphischen Amphiktyonie war der Bund der umwohnenden Staaten, der sich um das uralte Demeterheiligtum von Anthela an den Thermopylen gebildet hatte. Erst als dieser verfiel, ge­ wann die delphische Amphiktyonie größere Bedeutung (etwa 7. Jahrhundert v. Chr.). Obwohl sie gegen 600 v. Chr. schon alle Staaten von Mittelgriechenland umfaßte, blieb ihr Einfluß auf die griechische Politik sehr bescheiden, kein Wunder übrigens, da alle Mitgliedstaaten, große wie kleine, in ihr das gleiche Stimm­ recht besaßen und das große Thessalien sich unter Umständen dem Widerspruch des kleinen ozolischen Lokris und Phokis beu­ gen mußte. Je weniger Einhelligkeit auf dem Gebiete der Politik zu erreichen war, um so mehr ließen sich die Amphiktyonen die Verwaltung des Heiligtums, die Fragen des Kultes und des hei­ ligen Rechtes angelegen sein. Delphis Amphiktyonie ist es ge-

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wesen, die die Anerkennung gewisser völkerrechtlicher Verpflich­ tungen von ihren Mitgliedern im Falle des Krieges erreicht hat: es galt als verpönt, dem Gegner das Wasser abzuschneiden und eine Bundesstadt zu zerstören - Grundsätze, die den agonalen Geist des Zeitalters vortrefflich widerspiegeln, mögen sie auch in der Praxis so und so oft außer acht gelassen worden sein. Mit Delphi wetteiferte Olympia an panhellenischer Bedeutung. Seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts traf sich hier alle vier Jahre die Jugend zu sportlichem Wettkampf, zuerst die der Pelopon­ nesos, seit dem Beginn des 6. Jahrhunderts nahmen auch die an­ deren Gebiete der hellenischen Welt, selbst Ionien und die Ko­ lonien Unteritaliens, an den Spielen teil. Mit dem Olympischen Fest war ein Gottesfriede (Ekecheiria) in der ganzen griechischen Welt verbunden, unter dessen Schutz die Teilnehmer und Zu­ schauer sicher den Festort erreichen und wieder in die Heimat zurückkehren konnten. Vorbedingungen der Teilnahme waren griechische Abstammung und freie Geburt. Die Kampfrichter führten den Titel „Hellanodiken“. Als eine der wenigen pan­ hellenischen Institutionen des frühen Griechenlands haben die Olympischen Spiele zur Bildung eines griechischen Nationalbe­ wußtseins zweifellos ihren Teil beigetragen, und dies um so mehr, als der Alte Orient den sportlichen Wettkampf um seiner selbst willen niemals gekannt hat; daß es weder damals noch später zu einer politischen Einigung der Griechen gekommen ist, wird ver­ ständlich, wenn man sich der Parallele der modernen Olympischen Spiele erinnert. Die allmähliche Formung eines griechischen Nationalgefühls in der archaischen Zeit steht vor allem in untrennbarer Wechsel­ wirkung zu der großen griechischen Kolonisation, die um die Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzt. Sie hat die Griechen aus der Enge der Heimat herausgeführt, griechische Art, griechische Kultur und Gesittung zu einem bestimmenden Faktor der Welt gemacht.

Ausbreitung der Griechen im Mittelmeerraum (jfo—ffo)

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2. Die Ausbreitung der Griechen im Mittelmeerraum (750-fjo v. Chr.)

Um die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr., also fast ein halbes Jahrtausend nach dem Ende der achäischen Kolonisation, beginnt die zweite Periode der griechischen Ausbreitung im Mittelmeer­ gebiet. Sie wird von den breitesten Schichten des griechischen Volkes, vom Adel bis zu den Menschen ohne Ar und Halm, dem ländlichen Proletariat, getragen. In ihrer Entstehung und in ihrem Verlauf ist sie ein Phänomen, das letztlich jeder historischen „Er­ klärung“ spottet. Sie ist, welche Gründe man auch immer an­ führen mag, vor allem der Ausdruck eines elementaren neuen Lebensgefühles, dem die Grenzen der Heimat zu eng geworden sind. So ist es kein Zufall, wenn sich das Leben jenes Mannes, der als erster in seiner Individualität vor uns steht, Archilochos von Paros, in diese Bewegung, handelnd und leidend, mit einfügt. Gegenüber der achäischen Expansion sind die Dimensionen, räum­ lich und bevölkerungspolitisch, fast bis in das Unendliche ge­ wachsen: als die Kolonisation um die Mitte des 6. Jahrhunderts nach einer Dauer von zwei Jahrhunderten allmählich abklingt, schließt sich ein weiter Kranz blühender hellenischer Pflanzstädte fast um das ganze Becken des großen Mittelmeeres, nur im Osten haben die vorderasiatischen Großreiche die Festsetzung der Grie­ chen an Syriens Küste verhindert. Eine Expansion, die um so erstaunlicher ist, als sie sich ganz als Planung und Tat griechischer Einzelgemeinden und Einzelpersönlichkeiten darstellt; irgendeine Art zentraler Lenkung hat es nie gegeben. Die Initiative ruhte bei den griechischen Gemeinden, den Poleis, oder bei gewissen Gruppen innerhalb ihrer Bevölkerung. Für die Geschichte der abendländischen Welt ist es von weitreichender Fernwirkung ge­ wesen, daß mit den griechischen Auswanderern zugleich die poli­ tischen Institutionen in die Ferne verpflanzt wurden, insbesondere der Typus des Gemeindestaates, die Polis; sie hat gerade in fremder Umwelt ihre Lebenskraft bewiesen. Erst durch die große Koloni­ sation sind die Griechen zu einem wahrhaft führenden Volk der 5

Bengtson, SA

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Alten Welt geworden; das Schicksal der griechischen Nation ist von nun an untrennbar mit dem des Ostens und des Westens ver­ flochten. Die Führung der großen Massenbewegung hatte der griechische Adel. Ihm entstammten die Gründer der neuen Pflanzstädte, die Oikisten. Die Scharen der Auswandernden sammelten sich in den Hafenstädten des Mutterlandes, in Chalkis, Eretria, Megara, Ko­ rinth, auf kleinasiatischem Boden vor allem in Milet, das im 7. Jahrhundert geradezu eine Monopolstellung errungen hat. Die Gemeinde, die die Schiffe stellte, entsandte im allgemeinen auch den Oikisten; ihm wurden nach seinem Tode von den Kolonisten heroische Ehren zuteil. Die enge Verbindung zwischen Mutter­ stadt und Kolonie dokumentiert sich in erster Linie auf kultischem Gebiet: Phyleneinteilung, Beamtennamen, Kalendersystem, der Kult der Stadtgötter - sie alle zogen aus der Metropolis mit in die neue Heimat, in der die Bindungen an die Mutterstadt pietät­ voll gepflegt wurden. Wesentlich war es, daß die Mehrzahl der Apoikien selbständige, von der aussendenden Polis unabhängige Gemeinwesen darstellten: es war der ausgeprägte politische Indi­ vidualismus der Griechen, der im allgemeinen eine Beherrschung der Kolonie durch die Mutterstadt verhindert hat. Ausnahmen bilden etwa das korinthische Kolonialreich des Periandros (um 600 v. Chr.) und das Verhältnis der späteren syrakusanischen Kolonien zu ihrer Mutterstadt. Die Gründe zur Auswanderung liegen in den inneren Ver­ hältnissen des griechischen Mutterlandes. Es ist einmal die (rela­ tive) Übervölkerung von Hellas, eine periodisch wiederkehrende Erscheinung der griechischen Geschichte. Sie wird für das Archai­ kum durch mancherlei Angaben bezeugt: rät doch z. B. Hesiod (Werke 376), die Zahl der Kinder auf ein einziges zu beschrän­ ken! Bekanntlich ist die Aussetzung von Neugeborenen in Grie­ chenland ganz allgemein geübt worden. Es ist übrigens unwahr­ scheinlich, daß sich Gebiete wie Thessalien, Böotien und Attika nicht - oder auch nur zunächst nicht - an der Auswanderung be­ teiligt hätten. Vielmehr müssen auch sie den Überschuß an Men-

Ausbreitung der Griechen im Mittelmeerraum (750-550,)

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sehen über die großen Häfen in die Ferne abgegeben haben. Neben der Übervölkerung sind es die tiefgehenden sozialen Gegensätze, wie sie aus den inneren Auseinandersetzungen in Städten wie Megara, Korinth, Athen und Mytilene zu erschließen sind, die wieder­ um viele Tausende zum Verlassen der Heimat veranlaßt haben. Auch der Gegensatz von Teilen der Bürgerschaft zu den Tyrannen hat immer wieder Menschen aller Stände außer Landes getrieben. Mit dem Streben nach neuem Ackerland verbinden sich, und zwar von allem Anfang an, handelspolitische Gesichtspunkte. Für die bedeutende Ausweitung der griechischen Schiffahrt und des griechischen Handels in jener Periode, die der Kolonisation unmittelbar vorausgeht, liegen zuverlässige Angaben bisher nur für den Westen vor. An nicht weniger als 30 Stellen im Raum von Apulien bis Marseille ist griechischer Import, vor allem von Vasen, im 8. und 7. Jahrhundert durch Bodenfunde nachgewiesen; die Vasen stammen aus dem Bereich nahezu der gesamten grie­ chischen Welt, aus Kreta, von den Kykladen, aus Böotien und Korinth. Es sprechen sogar Anzeichen dafür, daß man schon in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr. mit griechischen Künstlern in Etrurien, in Falerii und Tarquinii, ja sogar mit einer spürbaren ersten Hellenisierung des etruskischen Kunsthandwerks rechnen darf. Die Kunde von der Geographie des Westens und Nordens - sie hat sich in der Odyssee und in der Argonautensage niedergeschlagen - bestätigt die Ergebnisse der Archäologie, und nicht durch Zufall stehen auf den Bildern der attischen Dipylon­ vasen Kämpfe zur See und Darstellungen von Schiffen an erster Stelle. Der Kolonisation ist ein Zeitalter der Entdeckungen vor­ aufgegangen; an ihnen hatten im Westen chalkidische Handels­ kapitäne einen hervorragenden Anteil. Was wir heute unter dem Begriff der zweiten Kolonisation zusammenfassen, stellt sich in Wirklichkeit dar als eine unüber­ sehbare Summe von vielfach unkontrollierbaren Einzelvorgängen, von Plänen, Versuchen, Erfolgen und Mißerfolgen in bunter Reihe. Wer mit K. J. Beloch eine systematisch von Unteritalien als Basis über Sizilien und den ganzen Westen, von der Inbesitz-

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nähme der Propontisküste über die Ufer des Schwarzen Meeres fortschreitende Kolonisationsbewegung annehmen wollte, würde sich nicht allein zu den Quellenzeugnissen in Widerspruch setzen, er würde auch die zahlreichen verschiedenen, sich oft miteinander verbindenden Faktoren übersehen, die bei den Gründungen mit­ gewirkt haben. Verschieden wie die Motive, die die Griechen dazu bestimmten, das Mutterland zu verlassen - bei den einen der Trieb in weite, unbekannte Fernen, bei anderen bittere Not, oft aber auch die Hoffnung auf märchenhafte Schätze und reichen Handelsgewinn -, so verschieden waren auch die Gesichtspunkte, nach denen die Plätze für die Koloniegründungen ausgewählt wurden: es war die wirtschaftliche Bedeutung des Hinterlandes, die Qualität des Ackerbodens, die Einstellung der eingeborenen Bevölkerung zu den Fremden, die geschützte Lage, die Verbin­ dung mit den Verkehrswegen und manches andere mehr, das teil­ weise überhaupt unwägbar ist. Die Richtung der griechischen Kolonisation, die sich vor allem auf den Westen und Norden der Mittelmeerwelt erstreckte, erklärt sich durch die Weltlage: im Osten, in Vorderasien, befand sich damals das Assyrerreich unter Tiglatpilesar III. in ständigem Ausgreifen. Der Zusammenstoß zwischen Griechen und Assyrern im Ebenen Kilikien unter Sanherib (s. S. 52) zeigt, daß Assur den Griechen im Osten eine Schranke gesetzt hat. In Syrien sind nur ganz ver­ einzelte griechische Handelsniederlassungen zu finden, an der Orontesmündung, vielleicht auch in Teil Sukas; sie haben dem unmittelbaren Austausch zwischen Hellas und Vorderasien unter Umgehung des Landweges durch Anatolien gedient. Um so günstiger lagen die Bedingungen für eine koloniale Expansion im Westen. Hier fehlte es an einer politischen Macht, wie es das Assyrerreich im Osten war; die italischen Stämme, in sich uneinig, zeigten sich ebenso wie die aus dem Osten stammen­ den Etrusker für den griechischen Handel und für die griechische Zivilisation ganz besonders aufgeschlossen. Eine wichtige allge­ meine Voraussetzung für die Kolonisation waren die großen Fortschritte der Nautik, das allmähliche Wachsen der Schiffsgröße

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und -tragfähigkeit, endlich die seit dem Ausgang der mykenischen Zeit durch griechische Seefahrer vermittelten geographischen Kenntnisse von der westlichen Welt. Auf ihrer Fahrt durch die Straße von Messina erreichten als erste die Chalkidier die fruchtbare, von der Natur besonders be­ günstigte Landschaft Campanien. In einer Gegend, die in Klima und Vegetation dem hellenischen Mutterlande ähnlich war, grün­ deten sie, spätestens um die Mitte des 8. Jahrhunderts, die Stadt Kyme (Cumae). Vorher hatten sie sich wohl auf der vorgelagerten Insel Ischia einen Stützpunkt geschaffen. Keiner anderen helleni­ schen Gründung im Westen war eine so weitreichende kulturelle Bedeutung beschieden wie Kyme, der ersten chalkidischen Ko­ lonie: sie hat wahrscheinlich nicht allein den Etruskern und durch diese den Römern das Alphabet von Chalkis vermittelt - wenn wir heute den Buchstaben X als „x“ und nicht wie sonst die Grie­ chen als „ch“ lesen, folgen wir chalkidischem Brauch -, Kyme hat wohl auch die Italiker zuerst mit den griechischen Göttern be­ kannt gemacht, die dann von jenen rezipiert worden sind. Kolo­ nisten aus Kyme (Cumae) waren es, die (um 600 v. Chr.) Neapolis gründeten, das in späterer Zeit die Mutterstadt weit über­ flügelte. Auch Siziliens Ostküste war das Ziel chalkidischer Seefahrten. Am Fuße des Ätna entstand die Gründung Naxos (gegr. nach der Tradition 735 v. Chr.), in dem fruchtbaren zum Symaithosflusse abfallenden Hügelland Katana, auch die kleine Insel Ortygia, Urzelle des später von Korinthern gegründeten Syrakus, erhielt von Chalkis griechische Siedler. In die Fußtapfen der Chalkidier traten in Sizilien außer den Korinthern vor allem die Megarer; durch sie wurde dem dorischen Element der Vorrang vor dem ionischen auf der Insel gesichert. Während Megara Hyblaia noch im Namen die Erinnerung an die Mutterstadt be­ wahrte, ist Syrakus eine korinthische Gründung; es ist zur mäch­ tigsten Stadt in Sizilien emporgewachsen. Überhaupt wußte sich die große korinthische Handelsmetropole, gestützt auf den Besitz der Insel Korkyra, im 7. Jahrhundert im Westen eine überragende

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Position zu schaffen, vor allem seitdem Chalkis in der Fehde um das Lelantische Gefilde mit seinem Rivalen Eretria verstrickt war (ca. 700 bis 6jo v. Chr.). Zunächst blieben aber die Chalkidier im Westen noch tonangebend. Zu beiden Seiten der Meerenge setzten sie sich fest: Zankle auf Sizilien und Rhegion an der Süd­ spitze Italiens waren chalkidische Gründungen. Mit der Anlage des Kastells Mylai und mit der von Zankle aus gegründeten Ko­ lonie Himera schufen sie sich an Siziliens Nordküste feste Stütz­ punkte. Im Süden setzten sich dagegen die Dorer durch (Grün­ dung von Akrai und Kasmenai in der Mitte des 7. Jahrhunderts und von Kamarina, um 600). Von allen Ostgriechen haben sich allein die Rhodier an der sizilischen Kolonisation beteiligt (Gela, gegr. etwa 688; Akragas,Pflanzstadt Gelas, gegr. um j8o v.Chr.). Der Versuch, im äußersten Westen, in Lilybaion, Fuß zu fassen, ist, vor allem am Widerstand der Elymer, zunichte geworden. Anstatt dessen fanden aber die dorischen Kolonisten auf den öden Liparischen Inseln eine neue Heimat. Zu einer Durchdrin­ gung des Inneren der sizilischen Insel reichten die Kräfte der Hellenen bei weitem nicht aus. Hier behauptete sich die Urbe­ völkerung, im Osten die Sikuler, im Westen die Sikaner; beide sind bald in regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit den Griechen getreten. Die Westspitze der Insel blieb punisch. Die Karthager behaupteten ihre Stützpunkte in Motye, Panormos (Palermo) und Solus, vor allem zu den aus dem Bereich der Ägäis zugewanderten Elymern unterhielten sie enge Beziehungen. Für die Annahme einer hellenischen (chalkidischen) Kolonisation in Tunis reichen die Belege bei weitem nicht aus. Ein wesentlich anderes Bild zeigt die griechische Kolonisation Unteritaliens. Hier waren nicht handelspolitische Erwägungen maßgebend, sondern es war die Landnot, die Tausende von Aus­ wanderern aus dem Norden der Peloponnesos und aus Lokris in die fruchtbaren Ebenen Unteritaliens hinaustrieb. So wuchs um den Busen von Tarent eine Fülle von Siedlungen empor, jede, auch die kleinste Küstenebene wurde ausgenutzt, und als an der Ostküste kein Land mehr zu vergeben war, drangen die Griechen

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quer durch Italien zum Westmeer vor, an dessen Ufer von Rhegion (Reggio di Calabria) bis Poseidonia (Paestum) sich ein Kranz blühender hellenischer Pflanzstädte zusammenschloß. Kroton, Sybaris und Metapont waren Gründungen achäischer Siedler, I.okroi Epizephyrioi zeigt in dem Namen die Herkunft seiner Siedler aus Lokris an. Tarent, von den sagenhaften Partheniern gegründet (um 700 v. Chr.), blieb die einzige spartanische Ko­ lonie überhaupt. Von den Siedlungen in Unteritalien unterwarfen sich Kroton und Sybaris ein ausgedehntes Landgebiet, Sybaris soll schließlich über vier italische Völkerschaften und 25 Städte geboten haben, die Zahl von 300000 Bewaffneten, die es angeblich ins Feld stellen konnte, ist gewiß beträchtlich übertrieben. Noch heute zeu­ gen die großartigen Bauten der dorischen Tempel am Strande von Poseidonia (Paestum), einer Pflanzstadt von Sybaris, mit ihrer herben Schönheit von der Kraft und dem Machtwillen der Hellenen in Unteritalien. In dem Heraion an der Mündung des Silaros ist ein anderes großartiges Heiligtum freigelegt worden, dessen archaische Metopen mit ihren Sagendarstellungen eine der großen Überraschungen der großgriechischen Skulptur bilden. Neben Ionien ist es vor allem das unteritalische Griechentum und in ihm das achäische Element aus der Peloponnesos, das im 6. Jahrhundert als politisch und kulturell führend in der griechi­ schen Geschichte hervortritt. Moderne Theorien, die den Aufstieg des unteritalischen Hellenentums auf allen Gebieten des Lebens mit dem angeblich von Anfang an bestimmenden Einfluß des italischen Elements in den griechischen Kolonialstädten erklären, gehen völlig in die Irre. Wenn irgendwo, so haben in diesem Raum die griechische Kultur und das griechische Geistesleben ihre werbende Kraft auf eine Umwelt ausgestrahlt, die willig die Geschenke einer höheren Zivilisation, vor allem die griechische Sprache, aufgenommen hat. Ist es nicht wie ein Wunder, daß bis zum heutigen Tage die griechische Mundart in einzelnen Ort­ schaften im Süden Bruttiums, an den Hängen des Aspromonte, den südlichen Ausläufern des Silagebirges, ebenso wie im Raum zwischen Lecce und Otranto unverkennbare Elemente der alten

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-foo) „dorischen“ (d. h. der vorbyzantinischen) Gräzität erhalten hat, die auf die einstige griechische Bevölkerung des Landes zurück­ zuführen sind? Im 6. Jahrhundert ist für Unteritalien der Name „Großgriechenland“ auf gekommen; es ist möglich, daß er den Gegensatz des weiten Raumes im unteritalischen Kolonialgebiet zu den um vieles engeren Verhältnissen im Mutterland bezeichnen sollte. In Unteritalien hat man auch den Namen „Graeci“ für die Hellenen geprägt; er hängt irgendwie mit den böotischen Graiern zusammen. Wohl um die Mitte oder gegen Ende des 7. Jahrhunderts er­ reichte zum erstenmal ein griechisches Schiff, das des Kolaios von Samos, nach einer Fahrt durch die „Säulen des Herkules“ (Straße von Gibraltar) den offenen Ozean und das alte Tartessos, eine Gründung der Iberer, Mittelpunkt des regen mit den britischen Inseln unterhaltenen Zinnhandels. Die Verbindung mit dem fer­ nen Westen haben vor allem die Phokaier ausgenutzt. Unweit der Rhonemündung gründeten sie (um 600) Massalia-, durch seine günstige Lage als Endpunkt der rhoneabwärts führenden großen Handelsstraße wuchs es bald zur reichsten und größten Griechen­ stadt am westlichen Mittelmeer empor. Sein Kultureinfluß er­ streckte sich weit hinein in das Hinterland, und wenn sich die Helvetier zu Cäsars Zeit griechischer Buchstaben bedienten, so steht hinter der Schriftrezeption der massaliotische Einfluß. Auch in einigen südfranzösischen Dialekten scheinen sich Spuren der alten phokäischen Gräzität erhalten zu haben. Als Stützpunkte für den Spanienhandel entstanden an der südfranzösischen Küste bis hin zu den Pyrenäen zahlreiche von Massalia begründete Fak­ toreien, auch Mainake, die Vorgängerin Malagas, die am weite­ sten westlich gelegene Niederlassung der Griechen, ist eine massa­ liotische Pflanzstadt. Dem Handel mit Italien dienten die Nieder­ lassungen am Meere zwischen der Rhone und den Seealpen, dar­ unter Nikaia (Nizza). Auf Korsika (Kyrnos) setzten sich die Phokaier fest, und fast schien es so, als ob das Westbecken des Mittelmeeres eine Binnensee der Phokaier und der Massalioten werden sollte, als die Koalition der Etrusker und Karthager der

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griechischen Expansion in der Seeschlacht bei Alalia (nach 540 v. Chr.) ein Ziel setzte. An der Kolonisation des Westens waren Griechen fast aller Stämme beteiligt; die Besiedlung der Küste des Schwarzen Meeres ist nach der Überlieferung das Werk einer einzigen Stadt, Milets, das mehr als 90 Pflanzstädte am Pontos und an der Propontis gegründet haben soll. Nadi einem ersten Vorstoß in das Schwarz­ meergebiet um die Mitte des 8. Jahrhunderts - damals sind die Handelsfaktoreien von Sinope, Trapezunt, vielleicht auch von Amisos gegründet worden; sie wurden ebenso wie Kyzikos an der Propontis von dem Kimmeriersturm sehr in Mitleidenschaft ge­ zogen, so daß sie aufgegeben werden mußten - setzte im Laufe des 7. Jahrhunderts die eigentliche Kolonisation des Pontos durch milesische Apoikien ein. Mit dem Streben nach Ackerland ver­ banden sich handelspolitische Erwägungen: es ging um die Er­ schließung des reichen südrussischen Hinterlandes, das durch die Handelsstraßen mit der baltischen Bernsteinküste ebenso verbun­ den war wie mit Innerasien, und um die Verbindung mit dem metallreichen Iberien am Kaukasus und mit dem Vanseegebiet. Wie die Propontis (Marmarameer), so waren die Mündungsarme der großen südrussischen Ströme berühmt durch ihren Fischreich­ tum. Das Binnenland spendete Getreide, dazu Flachs und Wolle die Fülle, und nicht weniger begehrt waren die skythischen Skla­ ven, die auf milesischen Schiffen den Weg nach Ionien fanden. Die Bewohner der südrussischen Steppe, die Skythen, ein Volk irani­ scher Abkunft, standen den Griechen freundlich gegenüber. Vor allem der vornehme skythische Adel fand Gefallen an den Er­ zeugnissen griechischer Kunst; milesische Vasen und prachtvolle Goldschmiedearbeiten finden sich in den vielen Hügelgräbern (Kurganen) der südrussischen Steppe. Die griechischen Siedler wurden ihrerseits von den skythischen Lebensformen, der Tracht und der Kampfesweise beeindruckt, so daß mancherorts eine griechisch-skythische Zivilisation im Entstehen war. Eine der ältesten Siedlungen der Milesier lag auf der Berezaninsel im Liman des Dnjepr (Borysthenes); hier sind eine große Zahl von

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Fundstücken ausgegraben worden; die Siedlung mußte nämlich von den Griechen wegen Überflutung aufgegeben werden. Zur wichtigsten Stadt in Südrußland aber erwuchs Olbia an der Mün­ dung des Bug (Hypanis), gegründet am Ende des 7. Jahrhunderts. Weniger bekannt und weniger bedeutend war Tyras (Akkerman) am Dnjestr. Zahlreich sind die hellenischen Siedlungen auf der Krim, der taurischen Chersonesos. Das milde Klima und der er­ giebige Boden, der in geschützten Lagen sogar den Anbau der Rebe gestattet, übten eine besondere Anziehungskraft auf die hel­ lenischen Siedler aus. Außer Chersonesos, als Kolonie von Herakleia am Pontos (einer Tochterstadt von Megara) gegründet, das seinen dorischen Charakter niemals verleugnete, entstanden hier als Apoikien Milets Theodosia (Feodosia) und Pantikapaion (Kertsch); gegenüber, auf der Tamanhalbinsel, gründeten teische Siedler um 540 v. Chr. Phanagoreia. In Tanais an der Donmündung entstand die am weitesten nach Norden und Osten vorge­ schobene Griechenstadt, an der antiken Grenzscheide zwischen Europa und Asien. Auch die Westküste des Pontos wurde von einem Kranze blü­ hender Kolonien umsäumt: Istros, Tomi (Constantza), Odessos und Apollonia waren milesische Pflanzstädte. In den Besitz der Küsten der Propontis und der Meerengen mußten sich die Milesier mit den dorischen Megarern teilen, die ihnen hier zuvorgekommen waren und schon in der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts Kalchedon und dann erst Byzanz gegründet hatten, während sich Milesier in Abydos am Hellespont, auf der Insel Prokonnesos und in Kios niederließen. Nicht unmöglich ist es, daß Megara und Milet im 7. Jahrhundert eine Art entente cordictle geschlossen haben. Sogar die ungastliche Südküste des von kriegerischen Stämmen bewohnten Thrakiens war im 7. und 6. Jahrhundert das Ziel von Kolonisationsunternehmen. Auf der waldreichen Insel Thasos und in ihrem Hinterland setzten sich (um 680) die Parier fest; 1000 Kolonisten sollen am Zuge teilgenommen haben. An den späteren Kämpfen mit den Einheimischen beteiligte sich Archilochos: er nennt die Kolonisten bissig das „Elend von ganz Griechenland“

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(fr. 54 Diehl). Zwischen Paros und Thasos bestand auch fernerhin ein engeres Verhältnis, als dies gewöhnlich zwischen einer Mutter­ stadt und einer Apoikie anzunehmen ist. Das von Klazomenai aus um 650 gegründete Abdera fiel, wie so manche andere Nieder­ lassung, Angriffen thrakischer Stämme zum Opfer. Teier, die ihre Heimat vor den Persern verließen, besiedelten den Ort von neuem; er blühte nun rasch auf und nahm am Geistesleben der griechischen Nation lebhaften Anteil. Siedler aus Chalkis auf Euboia gaben der Chalkidike den Namen; Poteidaia aber ist eine korinthische Apoikie aus der Zeit des seebeherrschenden Periandros; es blieb der einzige korinthische Stützpunkt im Bereiche der Ägäis. Das Hauptfeld der kolonialen Expansion der mächtigen Isthmosstadt lag im Westen, in Sizilien, an den Küsten des Ionischen Meeres, in Akarnanien, Epirus, Illyrien; hier wurde eine ganze Anzahl korinthischer Kolonien angelegt, u. a. Ambrakia, Apollonia, Epi­ damnos, z. T. in Gemeinschaft mit der Tochterstadt Korkyra ge­ gründet. In Nordafrika waren Kyrene in Libyen und Naukratis am kanopitischen Nilarm die wichtigsten griechischen Ansiedlungen. Nachdem sie auf der kleinen Insel Platea Fuß gefaßt hatten, dran­ gen Kolonisten aus Thera (um 6jo) in das libysche Binnenland ein und legten in quellenreicher Gegend den Grund zur Stadt Ky­ rene. Im Gegensatz zu den fast ausnahmslos unter Führung grie­ chischer Adliger gegründeten Kolonien hat sich in Kyrene das von der Mutterstadt Thera übernommene Königtum gehalten. Seine enge Verbindung mit dem Heiligtum des libyschen Ammon in der Oase Siwa, sein Reichtum an Rossen und Schafherden, dazu die Ausfuhr der heilkräftigen Silphionpflanzen haben Kyrene, vor allem nachdem es im 6. Jahrhundert Tochterstädte auf dem Pla­ teau von Barka und an der nahen Küste gegründet hatte (Barke, Taucheira, Euhesperides), zu einer achtunggebietenden Macht in Libyen emporwachsen lassen, die sich auch gegen Ägypten zu be­ haupten wußte. Im politischen und kulturellen Leben des griechischen Volkes bezeichnet die zweite Kolonisation einen entscheidenden Einschnitt.

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Dadurch daß die Hellenen überall, wo sie sich eine neue Heimat gründeten, der Ansiedlung die Form des „Gemeindestaates“ ga­ ben, haben sie die Idee der autonomen, sich selbst genügenden Po­ lis hinausgetragen in ferne Länder und Kontinente. Erst in diesem Zeitalter ist die Polis vor dem Stammesstaat die maßgebende, cha­ rakteristische Staatsform in der ganzen griechischen Welt gewor­ den. Die Überwindung der engen Verhältnisse des Mutterlandes, die dauernde Berührung mit fremden Kulturen und Völkern - mit Skythen und Kleinasiaten, Thrakern und Illyrern, Sikelern und Italikern, Ligurern und Iberern, Libyern und Ägyptern - haben den Sinn der Griechen für fremdes und eigenes Wesen geschärft und sie gelehrt, sich in Sprache und Kultur, in Sitte und Religiosität als eine große Gemeinschaft zu fühlen, der gegenüber dieStammesunterschiede mehr und mehr zurücktraten. Griechische Kultur und griechischer Glaube zogen in fremde Länder ein, und immer von neuem erkannten die Hellenen in fremden Gottheiten vertraute Züge einheimischer Göttergestalten wieder. So hoch die Griechen auch vielenorts über den Einheimischen standen, die sie wegen der unverständlichen Sprache „Barbaren" nannten, - zur einheimischen Aristokratie knüpften sie durch Verschwägerung manch dauern­ des Band wie in Skythien und Libyen. Tausend Bande aber ver­ knüpften die Kolonisten mit dem Heimatland: es war der beson­ dere Stolz der Gemeinden in Übersee, ihre Jugend zum olympi­ schen Hochfest in das Mutterland zu senden; vor allem Kyrene, Kroton und die sizilischen Gemeinden haben eine stattliche Zahl von Olympioniken aufzuweisen. Die Welt war für die Griechen weiter geworden als in früheren Tagen: der Bruder des Alkaios von Lesbos, Antimenidas, diente mit anderen Genossen als Söld­ ner dem König Nebukadnezar von Babylon (Alkaios fr. 50 Diehl), Keilschrifttexte aus der Südburg von Babylon nennen die Namen ionischer Handwerker, auf den Kolossen von Abu Simbel in Nu­ bien verewigten sich unter Psammetich II. (Anfang des 6. Jahr­ hunderts) karische und griechische Söldner. Mit dem schnellebigen Wachstum der Kolonialstädte kontra­ stierten hier und dort eigentümlich archaische Züge in Kultur und

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Lebensform. So finden sich in Südrußland, von ionischen Koloni­ sten vermittelt, typische Elemente der mykenischen (!) Zivilisa­ tion wieder, z. B. in der Anlage von Kuppelgräbern sowie in den Ornamenten des als Grabbeigabe massenhaft verwandten Gold­ schmuckes. Goldene Gesichtsmasken fand man sogar noch in skythischen Königsgräbern des 3. Jahrhunderts n. Chr. Die oft erörterte Frage, ob die griechischen Kolonien Ackerbau­ oder Handelskolonien gewesen seien, ist in dieser allgemeinen Form falsch gestellt; es kommt vielmehr darauf an, jeden einzel­ nen Fall für sich zu betrachten. Bei der Beurteilung der antiken Häfen ist nicht zu übersehen, daß bei den geringen Größenver­ hältnissen und dem geringen Tiefgang der Seeschiffe in vielen Fäl­ len ein flacher Strand als Landeplatz genügt hat. Für eine gewisse Intensivierung des Handelsverkehrs im Archaikum spricht u. a. die rund um 700 v. Chr. beginnende Differenzierung der Kriegs­ und Handelsschiffe. Eine wirkliche Epoche im griechischen Fern­ handel bedeutete jedoch zweifellos erst die Zeit des Peisistratos und des Polykrates; erst damals, in der Mitte des 6. Jahrhunderts, hat er in Verbindung mit der Ausbreitung der Münzgeldwirtschaft jene Formen angenommen, die den Wirtschaftscharakter der grie­ chischen Welt bis tief ins 4. Jahrhundert hinein bestimmt haben. Ein ausgedehnter Fernhandel mit besonders wertvollen Gütern ist aber schon für das 7. Jahrhundert durch Funde korinthischer Vasen in Italien, von milesischen in Südrußland bezeugt, und neuere Untersuchungen haben für die erste Hälfte des 6. Jahrhun­ derts das Vorkommen attischer schwarzfiguriger Vasen in den Räumen von Massalia bis Inneranatolien, von Südrußland bis Naukratis erwiesen, mögen die Vasen nun an Bord attischer, ko­ rinthischer oder anderer Schiffe dorthin gebracht worden sein.

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j. Staat und Gesellschaft der Griechen im Zeitalter der Kolonisation Die innere Entwicklung Griechenlands und der griechischen Ge­ sellschaft im Zeitalter der großen Kolonisation hat sich in allen wesentlichen Zügen ohne entscheidende Einwirkungen außergrie­ chischer Kräfte vollzogen. Der Übergang vom Adelsstaat zur timokratischen „Hoplitenpolis“, von dieser zu einer demokratisch gefärbten Staatsform wie z. B. in Chios (bald nach 600 v. Chr.), oder später, am Ende des 6. Jahrhunderts, auch in Athen, stellt sich dar als das Ergebnis von sozialen Auseinandersetzungen im Inneren wie von militärischen Notwendigkeiten, die dazu führ­ ten, immer weitere Kreise zum Waffendienst heranzuziehen. Wie später im alten republikanischen Rom, so bedingen sich in Hellas die Staatsverfassung und die Heeresordnung gegenseitig. Vielfach wird die Entwicklung durch die formende Hand bedeutender Ein­ zelpersönlichkeiten gelenkt, durch die machtvollen Tyrannen und durch die griechischen Gesetzgeber, Männer wie Zaleukos, Charondas, Drakon und Solon. Abgesehen von dem verschiedenen Zeitmaß der inneren Entwicklung in den einzelnen griechischen Gemeinden, von denen die ionischen Städte als die fortschrittlich­ sten erscheinen, lassen sich gewisse Grundzüge feststellen und zu einem bis zu einem gewissen Grade im Konventionellen bleiben­ den Gesamtbilde zusammenfügen, von dem sich dann die Eigen­ entwicklung Spartas und Athens um so deutlicher abhebt. Die Grundlage der hellenischen Wirtschaft im Archaikum ist eine agrarische, ihre Formen sind nahezu primitiv. Bis ins 4. Jahr­ hundert v. Chr. bestand in Griechenland die Zweifelderwirtschaft; dies bedeutet, daß alljährlich ein unverhältnismäßig großer Teil des anbaufähigen Bodens unbebaut blieb. Die eiserne Pflugschar ist Hesiod unbekannt, und wie einst zur Wanderungszeit war im gesamten Westen des Mutterlandes die Weidewirtschaft vorherr­ schend. Der Beginn der Münzprägung im griechischen Raum, zu­ erst in Ionien (7. Jahrhundert), dann in einigen Gemeinden des Mutterlandes wie Ägina, Korinth und Athen (seit etwa 600 v.

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Chr.), änderte an dem agrarischen Grundcharakter der Wirtschaft wenig. Es fehlte an Prägungen kleiner Nominale, wie sie für die Ausbildung eines regeren lokalen und interlokalen Handels not­ wendig sind. Charakteristische Zeiterscheinungen sind die allmäh­ liche Aufsaugung des mittleren und kleineren Bauerntums durch die großen Landbesitzer und die weite Verbreitung des Instituts der Schuldknechtschaft. Zum ersten Male in der griechischen Ge­ schichte hat die Sklaverei eine volkswirtschaftliche Bedeutung er­ langt; der erste griechische Staat, der fremde, gekaufte Sklaven beschäftigte, war Chios, aber auch im übrigen Griechenland ist ein allmähliches Ansteigen der Sklaverei in Landwirtschaft und Ge­ werbe spürbar. Eine verhängnisvolle Entwicklung, die einsichts­ volle Tyrannen wie Periandros von Korinth einzudämmen ver­ suchten, im ganzen, wie die spätere Entwicklung zeigt, ohne Erfolg. Die Führung auf politischem Gebiete ruhte bereits im 8. Jahr­ hundert ausschließlich in den Händen des griechischen Adels (s. S. 41). Dem Königtum war fast in der ganzen griechischen Welt die Herrschaft adliger Geschlechter, der Bakchiaden in Korinth, der Penthiliden in Mytilene, der Basiliden in Ephesos und Erythrai, gefolgt. In einzelnen Gemeinden war an die Stelle des le­ benslänglichen Königtums ein befristetes, ein Jahrkömgtum ge­ treten, so z. B. im nisäischen Megara und in Athen. Das erbliche Königtum ist in Athen um die Mitte des 8. Jahrh. durch ein auf 10 Jahre befristetes, dieses wiederum im Jahre 683/2 v. Chr. (dem Beginnjahre der attischen Archontenliste) durch das alljähr­ lich wechselnde Archontenamt abgelöst worden. Mit der Namens­ änderung - Archon statt Basileüs - verband sich eine wesentliche Minderung der Befugnisse; dem Archon wurde für die Kriegfüh­ rung der Polemarchos (Feldoberst), für die Rechtsfindung das sechs­ köpfige Kollegium der Thesmothetai („Rechtssetzer“) zur Seite gestellt; dem König {Basileüs), dessen durch die Tradition gehei­ ligte Würde man nicht vollständig zu beseitigen wagte, blieben mitsamt der Königin {Basilinna) nur die sakralen Funktionen er­ halten (vgl. den rex sacrorum in Rom). Anders als später in Rom ist aber die Monarchie in Griechenland nirgendwo verfemt wor-

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den, auch dies ein Zeichen dafür, daß sich der Übergang vom Kö­ nigtum zur Adelsherrschaft auf evolutionärem Wege vollzogen hat. Die Herrschaft des griechischen Adels, die auf der überlegenen wirtschaftlichen und sozialen Stellung der Aristokratie beruhte, war eine ausgesprochene Kastenherrschaft. Vor allem vereinigten die Adelsgeschlechter in ihrer Hand den größten Teil des Grund­ besitzes. Ein besonderes Kennzeichen des adligen Standes war die Rossezucht; Hippobotai („Pferdenährer“) nannten sich voll Stolz die Adligen von Chalkis auf Euböa. Mit Schwert und Lanze bewehrt, durch Schild und kostbare Rüstung gedeckt, zo­ gen die Adligen zu Pferde in den Kampf, um sich in agonaler Weise, die den Einsatz von Fernwaffen wie Pfeil und Schleu­ der verbot, miteinander zu messen. Die panhellenische Ver­ flechtung des Adels zeigt sich am deutlichsten in der „Lelantischen Fehde“, dem jahrzehntelang geführten Kampfe zwischen Chalkis und Eretria um die breite Fruchtebene der Insel Euböa in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Die Herren von Chalkis wurden durch Zuzüge aus Thessalien und Samos, Eretria wurde von Milet unterstützt. Gegen die schwergepanzerten Ritter (Hip­ pels) kam der Heerbann der Gemeinfreien nicht auf. So zählte die breite Masse weder im Kriege noch im Rate. Die Kleinbauern sanken vielerorts zu Hintersassen der großen Grundbesitzer her­ ab, und es ist wohl möglich, daß die in Hellas weitverbreitete Hö­ rigkeit in dem Bauernlegen eine ihrer Wurzeln hat. Die griechi­ sche Adelsgesellschaft blickte auf die Masse vielfach mit hochmüti­ ger Verachtung herab. So prägte man für die Bevölkerung von Epidauros, die außerhalb der auf nur 180 Mitglieder beschränkten Zahl der Vollbürger stand, den Spottnamen „Staubfüßler“. Die vielen Mühen und Widrigkeiten des alltäglichen kleinbäuerlichen Lebens in Böotien hat Hesiod aus Askra (um 700 v. Chr.) geschil­ dert. Es war ein hoffnungsloses, an Arbeit und Enttäuschungen reiches Leben, und nur ein unerschütterlicher Glaube an die gött­ liche Gerechtigkeit vermochte die Menschen über die Widrigkeiten des irdischen Daseins zu trösten. Das Gegenbild zu dem harten Existenzkampf des Bauern war das Leben der Adelsgesellschaft:

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Kampfspiele, Wagenrennen, Jagd und Muße bildeten seinen In­ halt. Es ist kein Zufall, wenn im 7. Jahrhundert die Festspiele in Olympia, später auch die Pythien, die Nemeen und die Isthmien, panhellenische Bedeutung erlangten. Hier traf sich der durch viel­ fache Verschwägerung und Gastfreundschaft miteinander verbun­ dene Adel, um die Ideale seines Lebens in sportlichem Wettkampf zu verwirklichen. Der Ruhm des olympischen Siegers war zugleich der Ruhm der adligen Sippe. Die politische Exklusivität der re­ gierenden Adelskaste beleuchtet die Beschränkung der Vollbürger­ zahl auf einen numerus clausus, oft auf „die Tausend“ oder auf die „100 Häuser“. Es sind Begriffe einer ursprünglich militärischen Sphäre. Sie bestätigen das Urteil des Aristoteles (Politik II c. 3,9), wonach sich die adlige Politeia in der Kriegerkaste verkörperte. Mit der Abschaffung des Königtums fielen dem Adel alle wich­ tigen Funktionen und Ämter im Staate zu. Besonders folgenreich aber wurde die Übernahme des gesamten Gerichtswesens. Die Eupatriden in Athen, sagt Plutarch (Leben des Theseus 25), sind die Kenner der göttlichen Dinge (d. h. sie bekleiden die Priesterämter), sie stellen die Archonten, sind Lehrer der Gesetze, Erklärer des göttlichen und des irdischen Rechts. In vielen Fällen kam es zur Ausbildung einer regelrechten Klassenjustiz, unter der die breite Masse, Gemeinfreie und unter ihnen vor allem die kleinen Bauern, empfindlich zu leiden hatten. In dem Gleichnis vom Habicht und von der Nachtigall hat Hesiod diesem ungerechten Zustand tref­ fenden Ausdruck verliehen. Die Not des Kleinbauern in Böotien, dem sein Recht nicht gegeben wird, spiegelt sich in dem Bild von den „geschenkefressenden Königen“: es sind die adligen Rich­ ter, die das Recht des kleinen Mannes beugen, der sich nur auf die Rache des Zeus berufen kann. In dem Bilde der griechischen Adelsherrschaft im 8. und 7. Jahr­ hundert fehlen jedoch die lichteren Züge nicht. Die Lenkung der vielen Kolonisationsunternehmen ist das schönste Ruhmesblatt des Adels, der den Massen der landsuchenden Bauern die Führer ge­ stellt hat. Von hoher politischer Bedeutung war die Existenz eines aus den Angehörigen der Aristokratie gebildeten Rates in vielen 6

Bengtson, SA

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griechischen Gemeinden. Dieser Rat hat wie der vom Areiopag zu Athen ein Element der Stetigkeit in das wechselvolle politische Leben eingefügt, ein Element, das gegenüber den alljährlich wech­ selnden Beamten von der gleichen Bedeutung gewesen ist wie der römische Senat gegenüber den Magistraturen. Im ganzen wird jedoch der aristokratische Staat des Archaikums, dessen Höhepunkt die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts bezeichnet, durch ausgesprochen konservative Züge bestimmt. Daß er sich den neuen Lebensbedingungen, wie sie die Umbildung der hellenischen Wirtschaft im Zeitalter der Kolonisation zwar sehr langsam, aber dafür mit um so größerer Stetigkeit heraufführte, nicht anzupas­ sen vermochte, ist der eigentliche Grund seines Niederganges. Die kommerzielle Entwicklung ist über den wesentlich auf dem Grund­ besitz beruhenden Adelsstaat hinweggeschritten, sie mündete zu­ nächst in die „Hoplitenpoliteia“, später in mehr demokratische Staatsformen ein, wobei vielfach das Zwischenstadium der Ty­ rannis passiert werden mußte. Die entscheidende Wende ging von der Wehrverfassung aus: zu Beginn des 7. Jahrhunderts bildete sich in Griechenland die Tak­ tik der in geschlossenem Verbände kämpfenden Phalanx heraus, noch vor 600 v. Chr. hat sie sich in fast allen griechischen Staaten durchgesetzt. Die entwickelte Schmiedekunst vermochte nunmehr den Griechen jene Waffen zur Verfügung zu stellen, deren die Masse der gepanzerten Fußkämpfer bedurfte: Speer und Schwert, den zwar nur die Brust deckenden, dafür aber um so leichter zu handhabenden Rundschild, Harnisch und eherne Beinschienen. Die Phalanxtaktik hatte eine vollständige Umgestaltung des Kriegs­ wesens und darüber hinaus des bisherigen Lebens im Gefolge. Hatten vorher die adligen Einzelkämpfer trotz ihrer geringen Zahl den Kampf entschieden, so erweiterte sich jetzt der Kreis der aktiven Kombattanten um ein Vielfaches, und was das Wich­ tigste war: die Entscheidung lag jetzt bei der Masse der in der Phalanx zusammengefaßten Hopliten, an deren unerschütterlicher Disziplin die Attacken der Streitwagengeschwader ebenso zer­ schellten wie die der ritterlichen Einzelkämpfer. Stritten einst die

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Ritter um des Ruhmes und der Beute willen, so war die Aufgabe der Hopliten die Erfüllung ihrer Pflicht: sie mußten ihre Plätze im Glied halten, durften ihre Kameraden nicht verlassen, selbst nicht um den Preis des Lebens; denn die Vernichtung der Phalanx war gewiß, wenn der Feind in eine Lücke einzudringen vermochte. Unablässige Übung und schärfste Disziplin auf der Grundlage eines festen Zusammengehörigkeitsgefühles formten die Phalanx zu einem hochwertigen taktischen Körper, wie ihn die Kriegstech­ nik des Abendlandes vorher nicht gekannt hatte. Sparta war der erste bedeutende Staat, der durch die Krise des 2. Messenisdien Krieges hindurch den Übergang von den Formen des Einzelkamp­ fes zur Taktik der Phalanx gefunden hat; andere Griechen sind den Spartanern nach dem Gesetz der historischen Entwicklung gefolgt. In Sparta führte der Weg über die Einführung der Phalanxtaktik zum ausgeprägten Militärstaat, im übrigen Hellas vie­ lenorts zur Ausbildung der „Hoplitenpoliteia“. Sie wurde durch jene Bürger repräsentiert, die sich zu equipieren imstande waren. Ein Beispiel der neuen Heeresordnung ist die sog. solonische Klassenordnung. Mit ihrer Einteilung der Bürger in drei Heeresklassen - Ritter, Zeugiten, Theten - ist sie übrigens sicher vorsolonisch und gehört den letzten Jahrzehnten des 7. Jahrhunderts an. Neben den Rittern, die das adlige Reiterkorps bildeten, erscheint hier bereits die aus den „Zeugiten“, der Masse des Ackerbürger­ tums, gebildete Phalanx. Die Bürger ohne Ar und Halm, die The­ ten, folgten dem Heere als Leichtbewaffnete, Speerwerfer und Schleuderet, als Handwerker und Troßknechte. Solons Tat be­ stand darin, daß er die als Wehrordnung bestehende Klassenein­ teilung zur Grundlage einer politischen Einteilung der athenischen Bürgerschaft genommen hat. Ein anderes wesentliches Element der allmählichen Demokrati­ sierung des Adelsstaates war die AufZeichnung des geltenden Rechts. Wenn auch vorderasiatische Anregungen (über Ionien?) kaum ganz von der Hand zu weisen sind, so ist die griechische Gesetz­ gebung des 7. und 6. Jahrhunderts dennoch ein echtes Kind des hellenischen Geistes. Allerdings drang mit der Aufzeichnung der 6'1

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Gesetze, die an die Stelle des bisher nur mündlich fortgepflanzten Rechtes trat, ein Fremdkörper in das hellenische Kulturleben ein. Die Griechen haben es aber verstanden, dieses fremde neue Ele­ ment wie so vieles andere ihrem Wesen anzugleichen. Sie haben damit nicht allein den Grund zum europäischen Rechte gelegt, sondern einer für alle Folgezeit epochemachenden Entwicklung des Rechtswesens und des Rechtsdenkens im Abendlande den Weg ge­ bahnt. Echt hellenisch war der Glaube, das Leben des Staates wie das der einzelnen Bürger durch eigens geschaffene Gesetze regeln und lenken zu können. Die Einzelbestimmungen der Gesetze ge­ gen Luxus, Üppigkeit, Verschwendung, auch gerade bei den mit der Entfaltung eines ungeheuren Pomps verbundenen Leichenbe­ gängnissen, lassen das Wehen eines demokratischen Geistes ver­ spüren, der den adligen Lebensformen offen den Kampf ansagt. Kein Wunder, wenn der Widerstand des das Gerichtswesen be­ herrschenden Adels erst nach schweren inneren Kämpfen gebro­ chen werden konnte. Was man im Altertum von den Gesetzgebern, von Zaleukos von Lokroi in Unteritalien (vor der Mitte des 7. Jahrhunderts), von Charondas aus dem sizilischen Katana (6. Jahrhundert?), von Drakon von Athen (um 624 v. Chr.), zu wissen glaubte, ge­ hört zu einem Teil in das Reich der Legende. Nichts berechtigt jedoch dazu, die Gesetzgeber vollends zu mythischen Gestalten zu erklären, zu denen sie eine hyperkritische Forschung gemacht hat. Von besonderer Bedeutung für die Kenntnis vom altgriechi­ schen Recht sind die Aufzeichnungen des sog. „Rechtes von Gortyn“ (auf Kreta), das freilich in der vorliegenden inschriftlichen Form erst aus der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts stammt; es spie­ gelt jedoch beträchtlich ältere Rechtsinstitute wider. Von älteren Satzungen sind übrigens im Original Bruchstücke auf den Wän­ den des Tempels des Apollon Pythios in Gortyn erhalten. Die griechischen Rechtsaufzeichnungen geben das geltende Ge­ wohnheitsrecht, natürlich mit mehr oder weniger bedeutsamen Modifikationen durch die Gesetzgeber, wieder. Hinter den Einzel­ bestimmungen, vor allem auf dem Gebiet des Strafrechts, läßt sich

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die Absicht erkennen, das Strafmaß gesetzlich festzulegen und es dadurch der richterlichen Willkür zu entziehen. Vielfach ist eine erzieherische Absicht unverkennbar. Besonders zahlreich waren die neuen Satzungen auf dem Gebiet des Obligationen-, des Erb- und Sklavenrechtes. Die Strafen waren von geradezu unmenschlicher Härte. Nach dem drakontischen Gesetz stand in Athen auf Dieb­ stahl die Todesstrafe. Wer mit den Schulden in Verzug geriet, wurde mitsamt seiner Familie Eigentum des Gläubigers. Ein großer Fort­ schritt war Drakons Unterscheidung zwischen Mord und unab­ sichtlicher Tötung (Totschlag). Den Mörder traf die Todesstrafe, den Totschläger die Verbannung. Die Zeit, in der sich die Sippe des Getöteten der Rache annahm, gehörte der Vergangenheit an, die private Blutrache, die oft zu entsetzlichen Morden geführt hatte, wurde durch die staatliche Rechtspflege ersetzt, auch dies ein Zeichen für das Vordringen des Staatsgedankens, der allmäh­ lich die familiären Bindungen überwindet. Sparta nahm übrigens an der Rechtsaufzeichnung nicht teil, im Gegensatz zu dem stamm­ verwandten dorischen Kreta. Unter den angeblichen Bestimmun­ gen Lykurgs fand sich ein Verbot, sich geschriebener Gesetze zu bedienen. Aus den inneren Zwistigkeiten und aus den Parteiungen der herr­ schenden Adelsklasse ist die griechische Tyrannis hervorgegangen. In ihr verkörpert sich der Durchbruch des Individuums auf dem Felde der Politik. Der Name Tyrannos ist sicher ungriechisch, vielleicht ägäisch (?). Das Wort Tyrannis findet sich zum ersten Mal in der griechischen Literatur bei Archilochos (fr. 22 Diehl). Seit etwa der Mitte des 7. Jahrhunderts, zuerst in den griechischen Isthmosstaaten (Korinth, Megara, Sikyon), dann in Ionien auf­ tretend, beherrschen die großen Tyrannen fast ein volles Jahr­ hundert griechischer Geschichte. Athen hat sogar erst in der Mitte und in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts seine Tyrannis, die des Peisistratos und seines Hauses (s. S. 111 f.), erlebt. Die Tyrannen haben dem griechischen Staate das gegeben, wessen dieser am mei­ sten bedurfte: eine einheitliche, zielbewußte Handhabung der Re­ gierungsgewalt, der inneren und äußeren Politik, die bisher zer-

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splittert und vielfach Spielball adliger Familieninteressen gewesen war. Die Tyrannis bedeutet somit eine beträchtliche Aktivierung der Kräfte und Machtmittel der hellenischen Staaten in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaße. Nicht allein die Herrschaft über die Bürgerschaft der eigenen Polis, vor allem auch die Unterwer­ fung anderer Gemeinden war das Ziel der Tyrannen, wobei sie sich bemühten, die eigene Stellung durch politische Bündnisse und durch Anknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen zu fremden Staa­ ten zu fundieren. Alle griechischen Tyrannen ohne Ausnahme trieben eine ausgesprochene Familienpolitik; mit ihr wußten sie allerdings die Interessen der von ihnen abhängigen Staaten treff­ lich zu vereinbaren. Noch besser als der Adel verstanden es die Tyrannen, sich durch Verschwägerung gegenseitig zu stützen und eine regelrechte Interessengemeinschaft der Herrschenden zu grün­ den. Das Bild der frühen griechischen Tyrannis ist von einer großen Buntheit und Vielfältigkeit. Selbst der spätere Tyrannenhaß hat es nicht vermocht, die Erinnerung an die großen Männer in Hel­ las’ Frühzeit auszulöschen. In Ionien, in Milet, ist die Tyrannis mit Thrasybul im Kampf gegen die Lyder hochgekommen, und zwar um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert. Der ephesische Gewaltherrscher Melas war dagegen der Schwiegersohn des Lyderkönigs Alyattes. In Samos ging aus erbitterten Kämpfen unter dem Adel der Grundbesitzenden die Tyrannis des Damoteles hervor, sie wurde jedoch bald wieder (um 600) gestürzt. In Mytilene auf Lesbos schuf nach heftigen inneren Auseinander­ setzungen, nach der Tyrannis des Melanchros, Myrsilos und Meleagyros, Pittakos als Aisymnetes, als anerkannter Schiedsmann, wieder Ordnung. Im Mutterlande wurden die Isthmosstädte im 7. Jahrhundert eine Beute der Tyrannen. In Sikyon herrschte nahezu ein Jahr­ hundert lang das Geschlecht der Orthagoriden; unter Kleisthenes erreichte es den Gipfel seiner Macht. Um Kleisthenes’ Tochter Agariste warben adlige Freier aus der ganzen hellenischen Welt; der Alkmeonide Megakies aus Athen führte sie schließlich heim

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(um 575). In Korinth regierte nach dem Sturze der Adelsoligar­ chie der Bakchiaden (nach der Tradition 657 v. Chr.) der Tyrann Kypselos. Unter seinem Sohn Periandros erreichte Korinth den unbestrittenen Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und politischen Macht in der archaischen Zeit. Um die Wende vom 7. zum 6. Jahr­ hundert blühte die keramische Industrie in Korinth kräftig auf, die Funde der Amerikaner auf dem Kerameikos der Stadt und die der englischen Ausgräber in dem korinthischen Hafen Perachora sind hierfür die besten Zeugen. Ausgesprochen imperialistische Züge, die der frühen griechischen Geschichte sonst fremd sind, ver­ raten die Anlage von korinthischen Kolonien, die in fester politi­ scher Verbindung mit der Mutterstadt geblieben sind, an der epi­ rotischen und illyrischen Küste, die Bezwingung Korkyras - in dem Kriege zwischen Korinth und Korkyra ist nach Thukydides (I 13, 4) um 660 v. Chr. die erste Seeschlacht zwischen Griechen ausgefochten worden -, die Gründung Poteidaias auf der Chalkidike sowie die Unterwerfung von Epidauros. Nicht mit Un­ recht hat Eduard Meyer Periandros als den mächtigsten Herrscher der griechischen Welt um 600 v. Chr. bezeichnet. Die besondere Aufmerksamkeit der Tyrannen galt der Wirtschaft. Nicht in dem Sinne freilich, als ob die Tyrannen große Gewerbetreibende, Fa­ brikanten und königliche Kaufleute gewesen wären. Abgesehen von dem geringen Umfang und der geringen Intensität des helle­ nischen wirtschaftlichen Lebens im Archaikum würde dem die Überlieferung widersprechen, die eine unbestrittene Vorherrschaft der Agrarwirtschaft erkennen läßt (s. S. 78). Dadurch daß Pe­ riandros den Erwerb von Sklaven verbot und den Müßiggang unter Strafe stellte, sollten wohl die Rentabilität der freien Arbeit gesichert, der bürgerliche und staatliche Wohlstand gehoben, die Bürger von politischer Projektemacherei abgelenkt werden. Indem der Tyrann die saisonbedingte Zuwanderung der Landarbeiter in die Stadt verbot, schüttete er eine Quelle ewigen Haders zwischen den Besitzenden und dem zwischen Stadt und Land fluktuieren­ den Proletariat zu. Nicht zufällig gehören die großartigen alt­ dorischen Plastiken aus Korkyra dem Zeitalter des Periandros an:

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auch die Insel, wichtige Zwischenstation des korinthischen West­ handels, hatte an dem Aufblühen der Mutterstadt bedeutenden Anteil. Die Gewaltherrscher gaben sich vielfach als Vorkämpfer der brei­ ten Masse des Demos, so daß sich die Tyrannis dem späteren Be­ trachter geradezu als eine „antizipierte Demokratie“ (Jakob Burckhardt) darstellt. Dies gilt beispielsweise für die Orthagoriden wie für Theagenes von Megara, den die ärmere Bevölkerung auf die Höhe der Herrschaft emporgetragen hatte. Die Tyrannen begün­ stigten in vielen Fällen - so später auch Peisistratos in Attika die ländlichen Kulte wie den des Dionysos, der als Schutzpatron des Weinbaues bei der ländlichen Bevölkerung besondere Vereh­ rung genoß. Die gegen den Adel gerichtete Einstellung der Ty­ rannen zeigt unter anderem das von Kleisthenes in Sikyon er­ lassene Verbot des Rezitierens der homerischen Epen; hierdurch wurde die adlige Erziehung an der Wurzel getroffen. Die inneren Kämpfe zwischen den Tyrannen und den Adelsfamilien vermehr­ ten ständig die Zahl der griechischen Verbannten; überall waren sie zu finden, ein Element der ständigen Beunruhigung, immer bereit, bei einer Umwälzung in die Heimatgemeinde zurückzukeh­ ren und Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Viele von ihnen führte der Kriegsdienst in ferne Länder, denn sie waren bereit, ihr Leben für jeden in die Schanze zu schlagen, der ihre Dienste nur zahlen konnte. Auch im Westen der griechischen Welt schlug die Tyrannis feste Wurzeln, zuerst in Sizilien, und zwar in Leontinoi (Panaitios, um 61 j v. Chr.). Die bedeutendste Figur der westlichen Gewaltherr­ scher aber ist Phalaris von Agrigent (um 570); seine Grausamkeit war in aller Munde. Die einst so berühmten Phalarisbriefe hat der englische Philologe Richard Bentley in seinen Schriften v. J. 1697 und 1699 schlagend als eine Fälschung erwiesen; es ist dies die erste Großtat der philologischen Wissenschaft. Es war von gro­ ßer Bedeutung für die weitere Entwicklung der griechischen Ge­ schichte, daß Athen erst spät, Sparta dagegen niemals unter die Herrschaft von Tyrannen gekommen ist. Sparta und Athen sind

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im übrigen die einzigen griechischen Staaten, deren innere Ent­ wicklung im Zeitalter der Kolonisation sich mit Hilfe eines wenn auch sehr lückenhaften Quellenmaterials in den Grundzügen ver­ folgen läßt. Es kann als sicher gelten, daß die spartanische Staatsordnung in ihrer Eigenart allmählich geworden ist, sie ist nicht das Werk eines einzelnen Gesetzgebers. Weder die mythische Gestalt des Lykurg noch der von einem Teil der Forschung für die grund­ legende Umgestaltung des spartanischen Staatswesens im 6. Jahr­ hundert verantwortlich gemachte Ephor Cheilon sind mit Sicher­ heit mit irgendwelchen Änderungen in Verbindung zu bringen. Wie sie sich gegen Ende des 6. Jahrhunderts darstellt, ist die spar­ tanische Staatsordnung das Ergebnis eines jahrhundertelangen „Be­ lagerungszustandes“, in dem sich die wenigen Spartaner gegen­ über der gewaltigen Zahl der unterworfenen Bevölkerung befun­ den haben. Die Grundlagen des Staatslebens nennt die Große Rhetra, die älteste Urkunde der griechischen Geschichte, die zum mindesten in den Anfang des 7. Jahrhunderts, vielleicht sogar in das ausgehende 8. gehört: es sind dies das Doppelkönigtum, der aus 30 Mitgliedern (mit Einschluß der beiden Könige) gebildete „Rat der Alten“ (Gerusia) und die Heeresversammlung, die Apella. Auf das Zusammenwirken dieser Organe gingen in der Frühzeit alle politischen Entscheidungen von Bedeutung zurück. Die Entstehung des eigenartigen Doppelkönigtums, das in den Häusern der Agiaden und Eurypontiden erblich war, ist dunkel, wenn es auch an allerdings nicht ganz vollgültigen Parallelen in Griechenland nicht fehlt. Der „Rat der Alten“, in der Frühzeit vielleicht aus den Häuptern der vornehmsten Geschlechter ge­ bildet (vgl. die römischen patres), stand den Königen, die beide wie die römischen Consuln das volle königliche Imperium be­ saßen, beratend zur Seite und hatte gewisse Kompetenzen in der Kriminalgerichtsbarkeit. Er entspricht ungefähr den „Protoi Makedonon“, die in Makedonien des öfteren neben der Heeresversamm­ lung erscheinen. Die Große Rhetra spiegelt die Einschränkung der königlichen

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-500) Macht zugunsten des Damos wider, sie bezeichnet das Ende einer Periode innerer Zwistigkeiten, in deren Verlauf das spartanische Heerkönigtum seine überragende Stellung eingebüßt hat. Der genaue Zeitpunkt ist unbekannt, insbesondere ist die von einem Teil der Forschung vorgeschlagene Verbindung des delphischen Spruches mit der angeblich im hohen 8. Jahrhundert erfolgten Eingliederung Amyklais in den spartanischen Staatsverband ganz unmöglich. Die besondere Bedeutung der Großen Rhetra liegt darin, daß sie die maßgebende Entscheidung dem Damos über­ läßt, d. h. der Wehrgemeinde der Spartiaten. Die Nennung regel­ mäßiger Fristen für die Einberufung der Apella scheint anzuzei­ gen, daß dies vorher eben nicht der Fall gewesen ist. Der Be­ stimmung über die Abhaltung regelmäßiger Volksversammlungen untergeordnet ist der Befehl der Großen Rhetra, ein Heiligtum des Zeus Syllanios und der Athena Syllania zu gründen, Phylen und Oben zu ordnen und eine Gerusie von 30 Mitgliedern (mit Einschluß der Archagetai, der Könige) zu konstituieren. Die Ge­ rusie war eine Neuerung; ob man ihre Aufstellung zugleich als eine Einschränkung der Rechte der Heeresversammlung deuten darf, scheint zweifelhaft. Der Beiname des Zeus und der Athena ist ungeklärt. Was die „Ordnung der Phylen und Oben“ betrifft, so scheinen mangels konkreter Angaben in der Rhetra alle Ver­ mutungen auf Sand gebaut. Da die urdorischen Phylen der Hylleer, Dymanen und Pamphyler noch im 2. Messenischen Kriege als besondere Abteilungen des spartanischen Heeres durch Tyrtaios bezeugt sind (fr. 1), kann es sich nur um eine Reorganisation dieser Phylen handeln. Die Oben stehen in Verbindung mit den Dörfern, aus denen sich das offene Sparta zusammensetzt: sie bilden die ursprüngliche Ordnung der spartanischen Vollbürger­ schaft, deren Leben sich in Sparta konzentriert. Sparta selbst ist aus dem Synoikismos von fünf Dörfern, dar­ unter auch von dem eine Wegstunde entfernten Amyklai, ent­ standen, und zwar spätestens um 800 v. Chr. Die Ephoren nennt die Große Rhetra nicht. Sie waren in den Anfängen sakrale Funk­ tionäre, „Himmelsbeschauer“; erst mit der fortschreitenden De-

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mokratisierung des spartanischen Staatswesens sind sie eine „poli­ tische Behörde“ geworden, die schließlich sogar von den Königen Rechenschaft verlangen durfte. Als Exponenten des Damos haben sie die Macht des Königtums, besonders seit dem 6. Jahrhundert, immer mehr zurückgedrängt, bis sich dieses im wesentlichen auf die Heerführung beschränkt sah. Der Beginn der Ephorenliste (754/3 v. Chr.) datiert den Aufstieg des Ephorats bereits in das 8. Jahrhundert. Ob die Fünfzahl der Ephoren mit den fünf Dör­ fern Spartas in Verbindung zu bringen ist, bleibt zweifelhaft. Obwohl die Bürgerschaft in der Frühzeit recht ansehnlich war (etwa 9-10000 Waffenfähige), so bildete sie dennoch nur eine kleine Minderzahl gegenüber der um ein Vielfaches größeren vor­ dorischen Bevölkerung in Lakonien. Und durch die Unterwerfung Messeniens gestaltete sich das zahlenmäßige Verhältnis für die Spartaner noch sehr viel ungünstiger. Neben den Spartiaten, den Vollbürgern, stand die große Zahl der lakedaimonischen Periöken. Sie bewohnten, auf etwa 100 Städte verteilt, vor allem die ge­ birgigen Randgebiete Lakoniens, daneben aber auch den Süden und Norden Messeniens. Auch die Periöken waren Dorer und wie die Spartiaten Glieder des Staates der Lakedämonier; ihre Kon­ tingente bildeten den größten Teil des spartanischen Heeres. Von der Teilnahme an der Apella wie von der spartanischen Staats­ erziehung waren sie jedoch ausgeschlossen. Ganz anders war die Lage der Heiloten, der Masse der vordorischen Bevölkerung La­ koniens und der völkisch nicht einheitlichen Messenier. Als eine Art von Staatssklaven waren sie an die Scholle gefesselt und den spartanischen Herren abgabepflichtig. Der ihnen auferlegte Grund­ zins, in Messenien die Hälfte des gesamten Bodenertrages, ge­ stattete der spartanischen Herrenschicht, fern von ihren Gütern in Sparta ein militärisches Lagerleben zu führen, dessen Sinn in der Erhaltung und dauernden Stärkung der spartanischen Wehr­ kraft bestand. Grundlage des Staates war die spartanische Erziehung, die Agoge. Das fast vollständige Fehlen einer privaten Sphäre im Leben des spartanischen Vollbürgers, das sich hierin grundlegend

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von den Lebensformen der übrigen Griechen unterscheidet, ist zu aller Zeit, auch schon im Altertum, als etwas Fremdes und Un­ natürliches empfunden worden. Primitive Lebensformen der Wan­ derungszeit und harter Zwang, der sich aus der ständigen Kriegs­ bereitschaft der spartanischen Mannschaft ergab, führten zu einem ausgeprägten militärischen Gemeinschaftsleben, wie es in der ge­ samten Geschichte des Altertums kein Gegenbild findet. Wie der spartanische Staat so sind auch die besonderen Formen des spar­ tanischen Gemeinschaftslebens das Ergebnis einer längeren Ent­ wicklung. Es ist nicht unmöglich, daß die schwere Not des 2. Mes­ senischen Krieges am Ende des 7. Jahrhunderts entscheidend zur Ausbildung der Agog6 beigetragen hat. Zu der Ausprägung der militärischen Lebensformen in Sparta steht im 7. und teilweise auch noch im 6. Jahrhundert v. Chr. die Aufgeschlossenheit der Spartaner für fremde Kulturleistungen in einem eigentümlichen Kontrast. Eine Fülle von Funden archaischer Kleinkunst im Eurotastale, Monumentalbauten wie der neue Tempel der Artemis Orthia (um 600 v. Chr.) und der Thron des Apollon von Amyklai, die Anwesenheit so mancher fremder Dichter, unter ihnen der Musiker Terpandros von Lesbos und der Lyriker Alkman von Sardes (7. Jahrhundert), die Feiern froher Götterfeste, vor allem der Kameen und der Hyakinthien, - all dies bezeugt, daß Sparta an dem reichen kulturellen Leben der Zeit eifrig teilgenommen und sich insbesondere dem befruchten­ den Einfluß des Ostens, Lydiens und Ioniens, geöffnet hat. Audi die rege Teilnahme der Spartaner an den olympischen Festspielen vom Ende des 8. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts läßt die Ver­ bundenheit seiner Bewohner mit dem Leben von ganz Griechen­ land erkennen. Etwa seit dem Ende des 7. Jahrhunderts mischen sich in das bunte Bild düstere Farben: in dem gleichen Maße, in dem die Bevölkerungszahl abnimmt, wächst der Wille der spartanischen Staatsführung, die in der Peloponnesos errungene Stellung zu be­ haupten, und sei es auch um den Preis alles dessen, was bisher dem Leben der Bürger Reichtum, Glanz und Fülle verliehen hatte.

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Um so bedeutender ist die Leistung der Spartaner auf militäri­ schem Gebiet: ständige Übung und dauernde Bereitschaft schmie­ den aus dem spartanischen Heer ein zahlenmäßig zwar nur klei­ nes, dafür aber um so geschmeidigeres Machtinstrument, wie es die Alte Welt vorher nur in dem Heere der Assyrer gesehen hatte. In Tyrtaios’ Kriegsliedern kündet sich die Umstellung von der Taktik des Einzelkampfes zu der geschlossenen Phalanx an, voll durchgeführt wurde die Hoplitentaktik wohl erst gegen Ende des siebenten Jahrhunderts. Gleichheit auf dem Schlachtfeld, wie sie die Phalanx erfordert, bedingt gleiches Recht im bürgerlichen Leben: so nennen sich die Spartiaten, die an den gemeinsamen Mahlzeiten (Syssitia, Phiditia) teilnehmen, mit Stolz die „Glei­ chen“ (Hömoioi, vgl. pares und engl. Peers) - mochten die wirt­ schaftlichen Unterschiede zwischen den einzelnen auch noch so bedeutend sein. Wer den für das gemeinsame Mahl zu entrichten­ den Betrag nicht zu leisten vermag, sinkt in die Schar der „Min­ deren“ (Hypomeiones) hinab; er scheidet damit aus der Lebens­ gemeinschaft der Vollbürgerschaft aus. Mit der Ausrichtung der gesamten Erziehung auf das Militärische, dem auch die Gymnastik dient, wird schon dem Knaben das Ideal der unbedingten Pflicht­ erfüllung, des Gehorsams und des Verzichts auf die Güter des Lebens in das Herz gepflanzt. Mit sieben Jahren dem Elternhaus entrissen, wächst er unter der Aufsicht älterer Jungen auf, 14jährig wird er in die Klasse der Eirenes, mit 20 Jahren in die Gemeinschaft der Krieger aufgenommen, der von nun an sein Leben gehört. Ehe und Familie, für die wenig Raum bleibt, dienen im wesentlichen nur der Erzeugung des Nachwuchses. Um so eifriger wurde in Sparta die Knabenliebe gepflegt, sie wurde ge­ radezu zu einem anerkannten Bestandteil des spartanischen Le­ bens. Die Schattenseiten der spartanischen Staatsordnung traten zuerst im 6. Jahrhundert v. Chr. zutage; schärfste Überwachung der Heiloten durch das Institut der „Krypteia“, Fernhaltung aller Landesfremden, Verbot der Gold- und Silbermünzen (an ihrer Statt kursierte in Sparta als Scheidemünze das berühmte Eisen­ geld), Verzicht auf Teilnahme an dem kulturellen Leben von Grie­

Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-joo) chenland - diese Maßnahmen haben Sparta geradezu das Gesicht eines „reaktionären Militär- und Polizeistaates“ (U. Wilcken) ge­ geben. Ganz anders die innere Entwicklung Athens'. Sie mündet nicht in einen Militärstaat ein, sondern sie führt durch das Medium der solonischen Reformen und durch die Tyrannis des Peisistratos und seiner Söhne zu einer den einzelnen Bürgern eine weitgehende Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten verbürgenden „Isonomie“, zu einer Verfassung, die die Späteren als „Demokratie“ bezeichneten. Soweit man in der Geschichte Athens zurückgelangt, bietet sich das Bild eines ausgeprägten Adelsstaates: alle staat­ lichen und sakralen Funktionen befinden sich in den Händen der großen Geschlechter. So ist die Geschichte Athens und Attikas bis tief hinein in das 7. Jahrhundert weniger die Geschichte eines Staatswesens als die der großen Adelsfamilien, der Alkmeoniden, Medontiden, Eteobutaden, Lykomiden, Philaiden und vieler an­ derer Geschlechter. Durch die fehlende Überlieferung ist es be­ dingt - gleichzeitige historische Aufzeichnungen haben, sieht man von der Archontenliste ab, weder im 7. noch im 6. Jahrhundert existiert -, wenn sich nur die Umrisse der allgemeinen sozialen Entwicklung, teilweise auf Grund von Rückschlüssen aus Ein­ richtungen späterer Zeit, erkennen lassen. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts findet man den größten Teil des anbaufähigen Landes in den Händen der großen adligen Familien, eine Erscheinung, die mit der Stabilisierung von nahezu der gesamten wirtschaftlichen Macht beim Adel gleichbedeutend ist. Die breite Masse der Bevölkerung, die freien Lohnarbeiter (Theten) und ein beträchtlicher Teil der ehemaligen Kleinbauern, befand sich in strikter Abhängigkeit von den großen adligen Grundherren; sie waren diesen entweder als Schuldner verpflich­ tet, oder sie waren in den Stand der Hörigkeit hinabgesunken; für die Nutznießung des Bodens hatten sie den Grundherren den sechsten Teil des Ertrages als Zins zu entrichten (sog. „Hektemoroi“, eine Bezeichnung, die die spätere Zeit nicht mehr ver­ standen hat, da das Institut offenbar durch Solon abgeschafft wor­

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den ist). Die grausame Härte des Obligationenrechts, das bei Zah­ lungsunfähigkeit die Versklavung der Person und der Familie des Schuldners nach sich zog, muß zu einer unerträglichen Verschär­ fung der sozialen Gegensätze in Attika wesentlich beigetragen haben. Als der junge Olympionike Kylon, gestützt auf eine Söldner­ truppe, die sein Schwiegervater, der Tyrann Theagenes von Megara, zur Verfügung gestellt hatte, eine Tyrannis in Athen errichten wollte (im Jahr 636 oder 632 v. Chr.), ist er nicht zuletzt daran gescheitert, daß die attischen Kleinbauern den Adelsgeschlechtern die Treue hielten. Kylon entkam, seine Anhänger riß man von den Altären hinweg und brachte sie auf Befehl des regierenden Archon Megakies aus dem Geschlecht der Alkmeoniden um, ein Frevel, der sich an den Alkmeoniden und an Athen schwer rächen sollte. Mit der Aufzeichnung des geltenden Rechts in Athen durch Drakon (um 624 v. Chr.) wurde eine der wichtigsten Forderungen der breiten Masse erfüllt, der Staatsgedanke war im Vordringen. Ob mit der drakonischen Gesetzgebung eine Verfassungsreform verbunden war, ist unbekannt. Was sich unter dem Namen der sog. „drakonischen Verfassung“ in der „Staatsverfassung der Athener“ des Aristoteles (c. 4) verbirgt, zeigt unzweifelhaft Rück­ spiegelungen späterer Ideen, insbesondere der oligarchischen Be­ strebungen des Jahres 411 v. Chr., so daß es nicht als authentisch gelten kann. Nicht Drakon, sondern der um eine Generation jün­ gere Solon ist es gewesen, der die innere Entwicklung Athens in neue Bahnen gelenkt hat; er ist nicht nur die erste Persönlichkeit von Fleisch und Blut der attischen Geschichte, sondern der erste Staatsmann auf dem Boden Europas, der diesen Namen verdient. Solons Leben und Wirken fielen in eine Krise der griechischen Welt. Um 600 v. Chr. begannen Handel und Gewerbe aufzu­ blühen, die allmähliche Verbreitung des Münzgeldes in Griechen­ land bedeutete eine bemerkenswerte Umstellung der bisher vor­ wiegenden Agrarwirtschaft. Erst damals schaltete sich Athen in die große griechische Kolonisationsbewegung ein. Der erste Ver­ such, sich einen für den Seeverkehr besonders günstigen Stütz­

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punkt am asiatischen Ufer des Hellespontes, Sigeion, zu sichern, führte gegen Ende des 7. Jahrhunderts zu Kämpfen mit den Mytilenäern. Um 600 v. Chr. wurde der Krieg durch einen Schiedsspruch des Periandros vorläufig beendet: die Athener be­ hielten Sigeion, die Mytilenäer das Achilleion, ein Sperrfort, das die Athener am direkten Zugang zum Hellespont behinderte. Auf gespanntem Fuße stand Athen auch zu seiner Nachbarstadt Megara. Jahrzehntelang wurde zwischen beiden um den Besitz der Insel Salamis gerungen, erst Peisistratos gewann die Insel endgültig für Athen. Die ersten Schritte Athens auf dem Wege der maritimen Expansion waren die schwersten: es war außer­ stande, den großen Vorsprung der anderen wieder aufzuholen, insbesondere Korinth und Megara hatten ihre Positionen durch weitreichende Handelsbeziehungen so gefestigt, daß Athen ihnen gegenüber zunächst nur eine Rolle zweiten Ranges spielte. Von einer Seegeltung Athens kann im ausgehenden 7. Jahrhundert noch keine Rede sein. Die Bedeutung der 48 Naukrarien, in die Attika eingeteilt war, ist umstritten. Vielleicht handelte es sich um eine Bezirkseinteilung zum Schutze der Küste gegen die Seeräuber. Die Voraussetzungen zu einer Aktivierung der äußeren Politik Athens mußten erst durch eine Neuordnung der inneren Verhält­ nisse geschaffen werden. Es ist das große Verdienst Solons, der aus dem alten königlichen Geschlecht der Medontiden stammte, in seinen eindrucksvollen Elegien auf den notwendigen Ausgleich der Stände hingewiesen zu haben; insbesondere sein Gedicht, die „Eunomie“, war ein Weckruf zur Eintracht, in dem hesiodeische Motive von der gerechten und ungerechten Polis anklingen. Der Erfolg im Kampf um Salamis trug Solon auf die Höhe empor: im Jahr 594/3 wurde er zum Schiedsmann (Diallaktes) zwischen den Ständen mit großen Vollmachten gewählt. Seine Stellung ent­ spricht der eines Aisymneten (z. B. Pittakos von Mytilene). Solons Neuordnung bestand in drei scharf voneinander zu trennenden Akten: in der Entschuldung der Bürgerschaft, in der Reform von Münze, Maß und Gewicht, sowie in der Gesetzgebung, welche die solonische Verfassungsreform mit einschließt. Von den Zeitgenos­

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sen ist die sog. Lastenabschüttelung (Seisachtheia.) als ganz be­ sonders revolutionär empfunden worden. Ihr Wesen ist umstrit­ ten. Sicher ist soviel, daß Solon das „Leihen auf den Körper“ für alle Zukunft verboten hat; dadurch daß er dem Gesetze rück­ wirkende Kraft verlieh, hat er die in Attika weithin verbreitete Schuldknechtschaft, die Quelle so vieler sozialer Mißstände, an der Wurzel getroffen. Solon rühmt sich (fr. 24), die Hypotheken­ steine \H6roi), die sich überall in der schwarzen attischen Erde erhoben, beseitigt und das vordem geknechtete Land in freien Besitz umgewandelt zu haben. Was Solon durchführte, war also eine Art von „Bauernbefreiung“. Hektemoroi gab es jedenfalls später nicht mehr; sie scheinen unter Solon Eigentümer des von ihnen gegen Abgabe eines Grundzinses bebauten Landes geworden zu sein. Dadurch daß Solon für den Grundbesitz ein bestimmtes Höchstmaß festsetzte, wurde die Erhaltung eines mittleren und kleineren Bauernstandes begünstigt. Die Lastenabschüttelung als Ganzes bedeutete einen ungemein starken Eingriff in das Privat­ eigentum, wie ihn Attika und ganz Griechenland vorher wohl niemals erlebt hatten. Tausende von Grundbesitzern wurden schwer geschädigt, eine noch größere Zahl von hörigen Bauern gelangte wieder in den freien Besitz des Landes. Solons Agrar­ reform hat den attischen Staat auf eine völlig neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlage gestellt und die dominierende Stellung des Adels stark erschüttert. Die solonische Reform setzt eine feste Verwurzelung des Staatsgedankens in Athen voraus. Der Grundsatz jedes echten Rechtsstaates, daß Gemeinnutz vor Eigennutz geht, ist durch Solon verwirklicht und von der über­ wiegenden Zahl der athenischen Bürger, auch vom Adel, an­ erkannt worden. Mit der Lastenabschüttelung bringt ein Teil der späteren Über­ lieferung (Androtion) Solons Münz-, Maß- und Gewichtsreform in Verbindung, mit Unrecht. Die Maßnahmen bleiben im ein­ zelnen dunkel, fest steht nur, daß Solon sich vom peloponnesischen (äginetischen) Münzsystem ab- und dem euböisch-ionischen System zugewandt hat.

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Von weittragenden Folgen war die von Solon im politischen Leben durchgeführte Klasseneinteilung auf der Grundlage der bestehenden Wehrverfassung (s. S. 83). Indem er der Klassen­ ordnung die Bodenerträge zugrundelegte, hat Solon die einzelnen Klassen fest gegeneinander abgegrenzt, und zwar mußten die Ritter mindestens 300, die Zeugiten, d. i. die Masse des Hoplitenkorps, mindestens 200 Scheffel (oder Maß) Jahresertrag aufwei­ sen. Wer darunter blieb, gehörte zu den Theten. Aus den Rittern wurden die „500-Scheffler" eigens herausgehoben und zu einer besonderen Klasse zusammengefaßt. Die Übertragung der Wehr­ verfassung auf das politische Leben war letztlich nur eine Konse­ quenz der allgemeinen Entwicklung des ausgehenden 7. Jahrhun­ derts. Sie bedeutete aber eine radikale Abkehr von den Grund­ sätzen des alten Adelsstaates: nicht mehr Geblüt, sondern Besitz, und zwar Landbesitz, war für die Abstufung der politischen Rechte des einzelnen Bürgers maßgebend. Die wichtigsten Ämter blieben einzig den Angehörigen der Sonderklasse, den „jooSchefflern", vorbehalten; sie allein konnten Archonten undSchatzmeister werden, während zu den andern Ämtern auch die Ritter und die Zeugiten, nicht aber die Theten zugelassen waren. Diese zählten nur in der Volksversammlung (Ekklesia) und im Volks­ gericht (Heliaia), das als Berufungsinstanz den höchsten Gerichts­ hof der Athener bildete. Solons auf den Bodenertrag, die Produktion, eingestellte Klas­ senordnung bedeutete die entscheidende Hinwendung zur Timokratie. Es ist unwahrscheinlich, daß Solon die wohlhabenden Bürger ohne Grundbesitz von den öffentlichen Leistungen aus­ geschlossen haben sollte. Um diese Kreise zu erfassen, wurde das Vermögen in Drachmen umgerechnet, eine Maßnahme, die Ulrich Wilcken mit Recht bereits in die solonische Zeit gesetzt hat. Die solonische Gesetzgebung bildete kein irgendwie geschlos­ senes System, sie war vielmehr nach den Tätigkeitsbereichen der einzelnen Beamten eingeteilt. Sie trat an die Stelle des drakon­ ischen Rechts, nur die auf die Blutgerichtsbarkeit bezüglichen Gesetze des Drakon blieben in Geltung. Durch das Medium des

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attischen Rechts im i. Seebund haben Solons Gesetze geradezu Weltgeltung erlangt, im hellenistischen und im römischen Recht leben sie fort, die Bestimmungen über das Vereinsrecht haben durch die justinianische Kodifikation (Digesten XLVII 22, 4) und durch die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter sogar Eingang in das Recht des modernen Europa gefunden. Zwei Grundgedanken treten in Solons Gesetzen hervor: der Versuch, die Emanzipation des einzelnen aus dem Rahmen des Geschlech­ tes zu begünstigen und ihn in die höhere Einheit des Staates hineinzustellen, und das Bestreben, den Handel und das Gewerbe zu fördern. Der erste Gedanke zeigt sich in der Bestimmung über die Testierfreiheit des kinderlosen Erblassers; von noch größe­ rer Bedeutung für alle Folgezeit aber war die Einführung der Popularklage: jedermann, nicht nur die Sippengenossen, konnte jetzt öffentlich Klage erheben, wenn er der Ansicht war, daß jemandem Unrecht geschehen sei. Indem Solon die Ausfuhr aller anderen Bodenprodukte verbot, den Ölexport jedoch erlaubte, kam er den Bedürfnissen der attischen Volkswirtschaft entgegen: das Korn war knapp, es mußte schon jetzt zum Teil eingeführt werden, während sich das attische öl und mit ihm die attischen Vasen immer weitere Absatzgebiete eroberten. Die Bestimmung, daß niemand im Alter Unterstützung von seinen Söhnen zu for­ dern habe, es sei denn, er habe sie ein Gewerbe lernen lassen, unterstreicht ebenso wie Solons Bestreben, fremde Gewerbetrei­ bende nach Athen zu ziehen, die steigende Bedeutung der gewerb­ lichen Arbeit in Athen um die Jahrhundertwende. Der Gesetz­ geber ist hier, wie es scheint, Anregungen aus Ionien, dem am weitesten fortgeschrittenen Lande der griechischen Welt, gefolgt. Eine geschriebene Verfassung, ein „Verfassungsgrundgesetz“, hat Solon nicht hinterlassen. Wohl aber griff seine Gesetzgebung bei dem Unvermögen der Hellenen, zwischen Recht und Verfas­ sung eine Trennungslinie zu ziehen, auf viele Gebiete der Staats­ verfassung über. Aristoteles’ Behauptung, Solon habe die Archontenerlosung eingeführt, verdient keinen Glauben. Dagegen hat Solon den Rat der 400 geschaffen, zu dem je 100 Mitglieder 7"

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aus den 4 Phylen erlöst wurden. In ihm wurde (wie in Chios) offenbar ein Gegengewicht gegen den aus der Königszeit stammen­ den Adelsrat auf dem Areopag geschaffen, der die Aufsicht über die Staatsangelegenheiten führte und als „Wächter der Gesetze“ bezeichnet wird (Plut. Sol. 19). Von weitreichender politischer Be­ deutung war endlich die Amnestie, die den wegen des kylonischen Frevels verbannten Alkmeoniden wieder die Tore der Stadt öffnete. Solons Gesetze wurden auf drehbaren hölzernen Tafeln (Äxones) aufgezeichnet, Auszüge aus ihnen (oder Nachträge) standen auf steinernen Säulen (Kyrheis) in der Königshalle. Es ist keine Frage, daß die Publizität des solonischen Rechtes voraussetzt, daß die meisten athenischen Bürger zu lesen imstande waren. Solons Werk ist von der Nachwelt verschieden beurteilt wor­ den. Den Griechen des 4. vorchristlichen Jahrhunderts erschien er neben Kleisthenes als der Vater der attischen Demokratie, eine Auffassung, die den besonderen Verhältnissen in Athen um 600 v. Chr. sicherlich nicht gerecht wird, wenn sie auch ein Körnchen Wahrheit enthält. Von den Neueren glaubte U. v. Wilamowitz Solon das Prädikat eines großen Staatsmannes vorenthalten zu müssen: „Daß er ein großer Staatsmann gewesen wäre, wird sein Gewissen verneint haben, so gut wie wir es verneinen müssen“. Demgegenüber ist zu betonen, daß Solons Neuordnung in ihrer Verbindung eines sicheren Gefühls für die Tradition mit dem Willen zu einer kraftvollen Neugestaltung unbedingt als die Schöpfung eines echten, bedeutenden Staatsmannes erscheint, auch darin, daß sie der künftigen wirtschaftlichen und gesellschaft­ lichen Entwicklung Athens vorausschauend den Weg bereitet hat. Solon steht am Anfang der Entwicklung, die über Peisistratos, Kleisthenes, Themistokles zu Perikies herabführt, er hat den Grund zu jenem attischen Staate gelegt, der im 5. Jahrhundert die Führung in Hellas übernommen hat. Ja mehr noch! Solon hat den ersten modernen Staat des griechischen Mutterlandes, der diesen Namen überhaupt verdient, geschaffen, mit Solons Schöp­ fung beginnt die Geschichte der Staatsidee in Europa. Von den Schwächen, die seinem Werke anhafteten, war wohl die folgen-

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schwerste das Fehlen einer ausgeprägten Zentralgewalt: das jähr­ lich wechselnde Archontat, die äußeren Einflüssen und schwan­ kenden Stimmungen unterworfene Ekklesie, der von Solon ent­ thronte Areopag und der neue Rat der 400 standen konkurrierend nebeneinander, ein Zustand, der mit mancherlei Veränderungen im einzelnen auch für die attische Demokratie von der Wiege bis zum Grabe kennzeichnend geblieben ist. Wie es Reformern zu gehen pflegt, fand Solon nur bei einem Teil seiner attischen Mitbürger rückhaltlose Anerkennung. Dem reichen Adel war sein Vorgehen zu radikal gewesen, die Masse der Besitzlosen sah sich in der Hoffnung auf eine Neuaufteilung des Bodens getäuscht. Zweimal innerhalb eines Jahrzehnts blieb das Amt des eponymen Archon unbesetzt. Schließlich versuchte sich der Archon Damasias zur Tyrannis emporzuschwingen, 2 Jahre und 2 Monate hielt er sich im Amt (582-580), dann wurde er gestürzt. An die Stelle des eponymen Archon trat eine Kommis­ sion von 10 Männern, ein „Dezemvirat“ (Ed. Meyer), das sich aus 5 Eupatriden, 3 Agroiken (nichtadlige Großbauern) und 2 Demiurgen (Gewerbetreibende) zusammensetzte. In den beiden folgenden Jahrzehnten dauerten die inneren Kämpfe in Athen an. Es kam zur Bildung von lokalen Gruppen, die durch ehrgeizige Führer zur Erreichung politischer Ziele benutzt wurden. Lykurg, wahrscheinlich ein Angehöriger der altadligen Eteobutaden, führte die „Leute aus der Ebene“ (Pediakoi oder Pedieis)y Bewohner des Kephisostales, d. h. vorwiegend die konservativen Kreise des grundbesitzenden Adels mit dessen Anhang; der Alkmeonide Megakies die „Leute von der Küste“ (Paralioi), d. h. die Be­ wohner der Akte von Sunion; die „Bergbewohner“ (Diäkrioi oder Hyperdkrioi), d. i. die ärmere Bevölkerung des Parnes und des Brilessos, die radikalste Gruppe, betrachteten Peisistratos von Brauron als ihren Anführer. Wieder einmal, wie vor mehr als einem Menschenalter, im 7. Jahrhundert, boten Athen und Attika das Bild eines von persönlichen Rivalitäten der Adelsgeschlechter aufgewühlten Ständestaates. Wieder war der Staatsgedanke, den Solons Neuordnung begründet hatte, in größter Gefahr. Aller-

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dings waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen andere als die der vorsolonischen Zeit, Handel und Gewerbe befanden sich in aufsteigender Linie, ein Umstand, der den schließlichen Sieg des Peisistratos entscheidend begünstigt hat. Anders als in der attischen Timokratie und im spartanischen Kriegerstaat erscheint im übrigen Griechenland in der i. Hälfte des 6. Jahrhunderts der patriarchalische Adelsstaat noch fest ver­ wurzelt, besonders in Thessalien, aber auch noch in Teilen der Peloponnesos. Daß der Geist der Demokratie nicht auf das grie­ chische Mutterland beschränkt war, ist in hohem Grade wahr­ scheinlich; nennt doch eine Inschrift aus Chios, die wohl aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts stammt, einen „Volksrat“, der augenscheinlich ein Gegengewicht zu dem Adelsrat bildete. Ebenso gewiß ist es freilich, daß in Wahrheit nicht das Volk, sondern die Tyrannen die politische Entwicklung bestimmt und gelenkt haben. Zwischen den Gewaltherrschern und dem Adel entbrannten im­ mer von neuem heftige Kämpfe, wie z. B. auf Lesbos. So erscheint in der i. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. der Konflikt zwischen der machtvollen Einzelpersönlichkeit und dem Staatsganzen in vollem Gange, allein in Sparta haben die Staatsidee und die aus­ geprägte Form der staatlichen Erziehung alles individuelle Stre­ ben der Bürger in sich aufgenommen.

4. Das Achämenidenreich, Hellas und der Westen am Vorabend der Perserkriege (}6o-foo v. Chr.)

Die politische Situation im Mittelmeerraum wird um die Mitte des 6. Jahrhunderts durch das Entstehen größerer Machtbildungen im Osten und Westen gekennzeichnet. Sie haben dem bisher herr­ schenden Gleichgewicht ein Ende bereitet. In dem Aufstieg des indogermanischen Perserreiches im Osten und der Bildung des karthagischen Kolonialreiches um das Becken des westlichen Mit-

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telmeeres spiegelt sich eine große Zeitenwende. Beide Ereignisse haben sehr bald die griechische Welt in ihren Bann gezogen. So ist die hellenische Geschichte der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts, rück­ wärts betrachtet, das Vorspiel zu der großen weltgeschichtlichen Auseinandersetzung zwischen Griechen und Persern zu Beginn des 5. Jahrhunderts. Wenn die Griechen dem gewaltigen Drucke von Ost und West standhielten, so verdankten sie dies dem Umstand, daß sie in der spartanischen Hegemonie der Peloponnesos und dem syrakusamschen Staat im Westen Vorkämpfer für die Frei­ heit fanden, unter deren Führung sich die übrigen Hellenen zur Abwehr des gemeinsamen Feindes zusammenzuschließen ver­ mochten. Als um die Mitte des 6. Jahrhunderts die Perser unter Führung des Achämeniden Kyros II. (559-530 v. Chr.) die medische Ober­ herrschaft abwarfen, gelangten von den inneriranischen Vorgän­ gen nur widerspruchsvolle Berichte nach Ionien, Berichte, die sich später um die Personen des Mederkönigs Astyages (Istuwegu), seiner Tochter Mandane und seines Schwiegersohnes Kyros zu einem Novellenkranz zusammenrankten. Die Expansion des Persertums binnen weniger Jahrzehnte ist eine einmalige Erscheinung in der Geschichte der antiken Welt. Wer den Vorgang verstehen will, der wird, abgesehen von der Persönlichkeit des Reichsgründers Kyros, in erster Linie den eigentümlichen Aufbau der persischen Staats- und Gesellschaftsordnung, nicht zuletzt aber auch die für eine Expansion außerordentlich günstige allgemeine Weltlage in Vorderasien in Betracht ziehen müssen. Gegen den Achämeniden Kyros verbanden sich der Lyderkönig Kroisos, der chaldäische Herrscher Nabonid und Amasis von Ägypten. Gestützt auf die Rückendeckung, die ihm die große Koalition gewährte, eröffnete Kroisos im Jahr 547 (?) den Angriff durch einen Einfall in Kappa­ dokien, das seit dem Jahr 585 iranisches Interessengebiet war. Der Gegenstoß der Perser zwang die Lyder, das eben gewonnene Land rasch zu räumen und sich über den Halys, ehedem der Grenzfluß zwischen dem Lyder- und Perserreich, nach Westen zurückzuziehen. Ein entscheidender Sieg des Kyros bei Sardes (die

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (8oo-joo)

lydische Kavallerie soll durch die persischen Kamelreiter in große Verwirrung gebracht worden sein) zwang die Lyder in die Knie. Nach kurzer Belagerung der lydischen Hauptstadt war Kroisos Gefangener des Perserkönigs; Kyros sandte ihn nach Medien und gab ihm eine Stadt zu Lehen (noch im Herbst 547 ?). Die ganze Welt des östlichen Mittelmeeres, vor allem aber die Griechen, die wie das delphische Orakel zustiefst von der Unüberwindlichkeit des Kroisos überzeugt gewesen waren, standen unter dem Ein­ druck des überwältigenden persischen Sieges. Die veränderte Welt­ lage spürte Ionien zuerst. Die Perser gingen unter Mazares und Harpagos an die Unterwerfung der ionischen Küstenstädte, sie wurden größtenteils mit Gewalt bezwungen, allein das mächtige Milet erhielt von den Persern die Erneuerung seines einst mit den Lydern geschlossenen Bündnisvertrages zugestanden. Zum Ab­ schluß der kleinasiatischen Neuordnung errichtete man die Satra­ pien Sardes und Daskyleion; ihnen wurden die Griechen Ioniens und der Äolis entsprechend der geographischen Lage angegliedert. Die Bewohner von Phokaia und Teos hatten vorher ihre Städte auf Schiffen verlassen. Die Phokäer fanden zunächst in dem fer­ nen Alalia auf Korsika, später in Elea in Unteritalien eine neue Heimat, die Teier besiedelten Abdera an der thrakischen Küste und Phanagoreia am kimmerischen Bosporus. Bias von Priene soll angeblich seinen Landsleuten auf der Tagsatzung des Ionerbundes geraten haben, alle Städte zu evakuieren und im Westmeer ein neues Ionien zu gründen. Der Rat - wenn er wirklich historisch ist - wurde nicht befolgt. Etwas grundsätzlich Neues bedeutete die Herrschaft der Perser für die kleinasiatischen Griechen nicht. Jedoch standen ihnen die neuen Herren, die das Land durch Besatzungen und Militär­ kolonien sicherten, viel ferner als die Lyder, mit denen die Grie­ chen in regem geistigen und materiellen Austausch gestanden hat­ ten. Für die Lyderkönige war die von den Griechen besiedelte Küste Kleinasiens ein Juwel gewesen; ihres besonderen Wertes waren sie sich immer bewußt geblieben. Der im fernen Susa oder in Ekbatana residierende Perserkönig überließ Kleinasien und mit

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ihm die dortigen Griechen der Herrschaft seiner Satrapen, die nahezu als unumschränkte Herren schalteten. Der Perserkönig war weit, Klagen der Untertanen im Westen erreichten nur selten sein Ohr. Die Eroberung des Neubabylonischen Reiches durch Kyros, der im Oktober 539, von den Babyloniern jubelnd begrüßt, seinen Einzug in die heilige Stadt des Gottes Marduk hielt, schuf mittel­ bar auch für die kleinasiatischen Griechen eine neue Lage. Es ist wahrscheinlich, daß die großen phönikischen Handelsmetropolen die Herrschaft des Kyros anerkannt haben. Sie werden einen Teil des neuen mit dem Perserreich in Personalunion verbundenen Landes „Babylonien und das Gebiet jenseits des Stromes“ (d. i. des Euphrats) gebildet haben, für das Kyros im Jahre 534 erst­ mals einen Statthalter in der Person des Gubaru bestellte. Der Handel mit den Gütern des Ostens fand nunmehr auf den alten Karawanenstraßen durch die syrisch-arabische Wüste den Weg zu den Häfen Phönikiens, die durch ihre Lage vor den ionischen wesentlich begünstigt waren. Die letzten Jahre des persischen Reichsgründers waren dem Kampfe gegen die Saka, die Steppennomaden des iranischen Nordostens, gewidmet, Völker, die immer wieder die offenen Grenzen des Reiches mit ihren Reiterscharen überfluteten. Im Gebiet des unteren Oxus ist Kyros d. Gr. 530 gefallen. Sein Sohn Kambyses (530-522) vollendete durch die Eroberung des Pharaonenlandes Ägypten (525 v. Chr.) das Werk des Vaters. An die Stelle des letzten Königs Psammetich III. trat Kambyses mit allen Rechten und Titeln der ägyptischen Herrscher. In der Liste des Manetho (3. Jahrhundert v. Chr.) werden die Perserkönige als eine besondere ägyptische Dynastie, die XXVII., gezählt. Wie vorher das Neubabylonische Reich, so wurde nun auch Ägypten in Personalunion mit der Krone Persiens verbunden. Am Ende der Regierung des Kambyses wurde das Perserreich durch den Aufstand des Magiers Gaumäta (griech. Smerdis) er­ schüttert. Gaumäta gab sich für den von Kambyses ermordeten Kyrossohn Bardya aus (der „falsche Bardya“) und fand durch

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-joo)

volksfreundliche Maßnahmen und durch einen allgemeinen Steuer­ erlaß reißenden Zulauf. Kambyses starb auf dem Rückmarsch von Ägypten in Syrien, und zwar, wie es scheint, eines natürlichen Todes (522). Aus den Wirren ging nach mehr als einjährigem wechselvollen Ringen der aus einer achämenidischen Nebenlinie stammende Dareios, Sohn desHystaspes (Vistaspa), als Sieger über Gaumäta und eine Reihe anderer Prätendenten hervor (Ende 521 v. Chr.). Mit seiner Herrschaft beginnt eine neue Ära in der Ge­ schichte des Achämenidenreiches. Dareios I. (522-486) hat dem Reich, dessen Grundlagen Kyros gelegt hatte, jene innere und äu­ ßere Form gegeben, unter der es nahezu zwei Jahrhunderte lang der wichtigste Machtfaktor der Alten Welt gewesen ist. Innerhalb seiner Grenzen, die sich vom Indus im Osten bis zur Ägäis im Westen, von den Bergen des Kaukasus bis in das heiße Nubien dehnten, umschloß das persische Weltreich eine ganze Fülle von Völkern und Stämmen der verschiedensten Kulturstufen. Das Herrenelement war das arische; es wurde in erster Linie durch die Bewohner der achämenidischen Stammlandschaft, der Persis, repräsentiert. Aber auch die Meder und die Elamiter hatten schon seit Kyros’ Zeiten eine Sonderstellung und wurden zur Verwal­ tung des Riesenreiches bevorzugt herangezogen. Die Spitze des Reiches bildete der König; er bekannte sich mit Stolz als Verehrer des Gottes Abura Mazda, des persischen Hauptgottes, dem Herr­ scher und Untertanen auf Feueraltären unter freiem Himmel ihre Opfer darbrachten. Eine in Persepolis gefundene ungemein wert­ volle Inschrift aus der Zeit des Dareiossohnes Xerxes hat erwiesen, daß die Perserkönige Anhänger des von Zarathustra propagierten Glaubens gewesen sind, wie er vor allem von der Priesterkaste der Magier vertreten worden ist. Mit der Anerkennung eines höch­ sten Wesens, das von den Verehrern sittliche Bewährung fordert, steht die persische Religion der Achämeniden turmhoch über den meisten Religionen des Vorderen Orients. Anderseits waren die Perser gegenüber den Religionen der anderen Völker von einer kaum zu überbietenden Toleranz. Zwischen dem König und dem persischen Adel bestand ein auf ethischen Bindungen beruhendes

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Treueverhältnis; es fand indem unbedingten Gehorsam und in der Gefolgschaftspflicht der Vasallen gegenüber dem obersten Lehns­ herrn seinen Ausdruck. Dem Könige zu dienen war die vornehm­ ste Pflicht des persischen Mannes; Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit zu sagen hatte er von Jugend auf gelernt. Nach der Niederwerfung der großen Aufstände gab Dareios (im Jahr $18?) dem Riesenreiche eine neue Organisation. Das ge­ samte Reichsgebiet wurde in 20 Steuerbezirke eingeteilt (von Herodot als Nomoi bezeichnet). Daneben behielt Dareios die Satrapien als Verwaltungseinheiten bei: sie sind der markanteste Ausdrude der alten feudalen Struktur des Perserreiches, wie es Kyros d. Gr. er­ richtet hatte. Die Zahl der Satrapien war Schwankungen unter­ worfen, die sich in den inschriftlichen Länderlisten des Dareios und Xerxes widerspiegeln. Den Satrapien gegenüber sind die Steuerbezirke, die sich nur zum Teil mit ihnen deckten, zum Teil mit ihnen überschnitten, Ausdruck eines neuen, mehr absolutistisch gefärbten Regierungssystems, das sich nach dem Vorbild der gro­ ßen altorientalischen Reiche, des assyrischen und des neubabyloni­ schen, ausrichtete. Als Amtssprache der Kanzleien führte Dareios das sog. Reichsaramäische ein. Dokumente in dieser Sprache haben sich in Elephantine an der Südgrenze Ägyptens, in den indischen Gebieten sowie in Lydien gefunden. In den Monumentalinschrif­ ten, auch in der großen Inschrift von Behistun, steht neben dem altpersischen Text, geschrieben in einer neuen Keilschrift, auch eine babylonische und eine elamische Version. In Persepolis fand sich ein Archiv mit 5-7000 Tontafeln in elamischer Sprache - auch dies ein Zeichen für die besondere Stellung Elams und seiner uralten Kultur im Perserreich. Durch Entsendung von persischen Offizieren, Soldaten und Be­ amten entstanden überall im Reiche persische Kolonien. Die wich­ tigsten Funktionäre waren die Satrapen-, ihr Name (xsathrapävan, „Schirmer der Herrschaft“) ist wohl medischen Ursprungs. Mit ihren Hofhaltungen, Palästen und Tiergärten waren die Sa­ trapenresidenzen Abbilder des großköniglichen Hofes im kleinen. Manche Satrapien (wie z. B. die daskylitische in Nordkleinasien)

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blieben Generationen hindurch gleichsam im erblichen Besitz ein und derselben Familie. Die Zusammenfassung der gesamten mili­ tärischen und zivilen Gewalt in einer Hand verlieh den Satrapen eine weitgehende Selbständigkeit, auch gegenüber der Reichszen­ trale. Dies ist neben der bedeutenden Hausmacht der Provinzial­ statthalter der wichtigste Grund für die zahlreichen Satrapenauf­ stände, die seit etwa der Mitte des 5. Jahrhunderts nicht mehr ab­ rissen. Ein gewisses Gegengewicht gegen die Selbständigkeit der Satrapen bildeten Kontrollorgane, die „Augen“ und die „Ohren“ des Großkönigs. Freilich traten die Schattenseiten des Systems nur zu bald zutage: gegenseitige Bespitzelung und Denunziationen waren schließlich an der Tagesordnung. Das persische Reichsheer bestand aus den Besatzungen der Reichsfestungen sowie aus dem Aufgebot, das der Großkönig im Kriege zu den Fahnen rief. Dazu kamen die in Bewaffnung und Kampfwert höchst unterschiedlichen Kontingente der zahllosen Untertanenvölker, die von Satrapen oder von einheimischen Für­ sten geführt wurden. Den Kern des gesamten Heeres bildete das persische Fußvolk der zehntausend „Unsterblichen“, aus deren Zahl eine Tausendschaft unter dem Befehl des Chiliarchen, des Hazarapatis, als Leibwache des Königs diente, während ihr Füh­ rer unter Abstreifung der ursprünglichen militärischen Befehls­ gewalt zum ersten Minister des Reiches, zum „Großvezir“, empor­ stieg. In dem von Dareios, wohl nach assyrischem Vorbild, ge­ schaffenen Zentralschatzamt (ganzaka) flössen die Tribute der Pro­ vinzen des Reiches zusammen. Der großzügige Ausbau des Straßennetzes, wahrscheinlich nach dem Vorbild der Assyrer, im Reiche diente in erster Linie den Zwecken der Verwaltung, mittelbar aber auch dem Handel und der Wirtschaft. Mit ihren 111 Poststationen war die „Königs­ straße“ ein Symbol der Größe und der Leistungsfähigkeit des Reiches: sie führte von Ephesos über Sardes nach Gordion am Sangarios, von dort nach Pteria in Kappadokien; nach dem Über­ gang über die armenischen Berge gelangte man auf ihr, dem Lauf des Tigris folgend, durch die Arbelitis nach Susa. Einen besonders

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charakteristischen Ausdrude fand die Erhabenheit des riesigen Weltreichs in den Monumentalbauten des Dareios und des Xerxes: zum Bau der Pfalz von Susa verpflichtete Dareios die Völker des gesamten Reiches: das Land Babylonien stellte die Lehmziegel, Syrien die Zedern des Libanon, Lydien und Baktrien lieferten das Gold, Ägypten das Silber, Nubien das Elfenbein, als Handwerker und Künstler nahmen Ioner und Karer am Burgbau teil. Wirtschaftlich standen die Länder des Reiches auf sehr verschie­ dener Stufe. Während in Lydien bereits seit dem 7. Jahrhundert in gewissem Umfange die Münzgeldwirtschaft herrschte, wurden in Vorderasien und Ägypten Barren von Edelmetall als Wert­ messer gebraucht. Daneben bestand im ganzen Reiche der Tausch­ handel in Naturalien, in den östlichen Satrapien herrschte er ohne Einschränkung. Durch die Schaffung einer Reichsmünze hat Da­ reios I. Ordnung in das Chaos gebracht. Der „Dareikos“, eine Goldmünze mit dem Bilde des Großkönigs als knienden Bogen­ schützen, entsprach mit seinen 8,42 g dem halben Gewicht des Staters von Phokaia, der gebräuchlichsten ionischen Münze und anderseits dem 60. Teil der babylonischen Mine. Die Münze des Dareios schlug also gewissermaßen für den Handel eine Brücke zwischen Ost und West, sie schuf die Voraussetzung für eine wirt­ schaftliche Einheit des Perserreiches. Um neue Wege des Handels zu erschließen, unternahm der Kapitän Skylax von Karyanda in Karien eine Entdeckungsfahrt den Kabulfluß und den Indus ab­ wärts und gelangte an der Küste nach Westen fahrend südlich um die arabische Halbinsel herum in das Rote Meer bis nach Suez, angeblich im 30. Monat nach dem Antritt der Entdeckungsfahrt. Eine Ergänzung der glänzenden seemännischen Leistung - erst die Alexanderzeit hat mit der Fahrt des Nearchos etwas an­ nähernd Vergleichbares aufzuweisen - bildete die Vollendung des schon von dem ägyptischen König Necho begonnenen Kanalbaues vom Nildelta durch das Wadi Tumilät zum Roten Meer. Die Beherrscher des Weltreiches der Achämeniden betrachteten sich als die Nachfolger der altbabylonischen und assyrischen Uni­ versalherrscher und brachten den Anspruch in ihrem Titel - Da-

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reios I. nannte sich mehrfach „König der Länder aller Stämme“ zum Ausdruck. Politische und militärische Notwendigkeiten zwan­ gen immer von neuem dazu, die Grenzen des Reiches vorzuver­ legen, um die Sicherheit der Reichsbewohner zu gewährleisten. Als sich der persische Koloß nach der Annexion Kleinasiens bis an den Ostrand des Ägäischen Meeres vorgeschoben hatte, mußte die Politik der Achämeniden mit innerer Notwendigkeit auch die Inselstaaten der Ägäis, von denen ein Teil wie Samos und Chios Besitzungen auf dem anatolischen Festland hatte, dazu die Helle­ nenstädte an den Küsten des Schwarzen Meeres, endlich Griechen­ land selbst in ihre Kreise miteinbeziehen. Nicht nur auf dem Ge­ biet des wirtschaftlichen Austausches, auch in politischer Hinsicht waren die Schicksale der griechischen Gemeinden des Mutterlandes und Ioniens so eng miteinander verflochten, daß die Eingliederung der von Griechen bewohnten Gebiete Kleinasiens zwangsläufig ein weiteres Ausgreifen der Perser nach Westen nach sich ziehen mußte. Auch die innere Lage in Griechenland selbst mußte die Perser dazu verlocken. Wohin man auch blickte, beherrschten Zwietracht, Hader, Parteikämpfe zwischen dem Adel, dem Demos und den Tyrannen das Bild; eine Einigung der unzähligen Staats­ wesen schien völlig unmöglich, so daß sie mit Leichtigkeit einer starken auswärtigen Macht zum Raube fallen mußten. Den Helle­ nen dagegen mußte allein schon die riesenhafte Ausdehnung des Perserreiches als etwas Fremdartiges erscheinen. Sie haben sich denn auch nie bemüht, die ethischen Kräfte, auf denen das Reich beruhte, zu ergründen und tieferes Verständnis für die eigentüm­ lich feudalistische Gestaltung des Verhältnisses zwischen dem Großkönig und seinen Lehensleuten aufzubringen. Für die Grie­ chen blieben vielmehr immer die negativen Seiten der Perserherr­ schaft die charakteristischen, vor allem die orientalisch gefärbte Günstlingswirtschaft am großköniglichen Hofe und die „byzan­ tinischen“ Formen des persischen Hofzeremoniells, die sich mit dem griechischen Freiheitsgefühl nicht vereinbaren ließen. Ferner waren die oft willkürliche Amtsführung der persischen Satrapen in Kleinasien und die Begünstigung der Tyrannenherrschaft in

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den ionischen Städten durch die Perser, die auch hierin an der bewährten Gefolgschaftsidee festhielten, den Hellenen ein Greuel. Die ionischen Poleis waren als Gemeinwesen freier Bürger Fremd­ körper in einem Riesenreich, in dem allein der Wille des Groß­ königs über das Wohl und Wehe von Millionen Untertanen ent­ schied. Nicht aus dem Gegensatz von Freiheit und Knechtschaft, sondern aus der Unfähigkeit, sich gegenseitig zu verstehen, aus der inneren Fremdheit der Völker heraus ist der weltgeschichtliche Kampf der Griechen und Perser geboren worden. Die bedeutendste überstaatliche Kräftebildung im griechi­ schen Mutterlande war der von Sparta geführte Peloponnesische Bund. Er hat sich auf Grund besonderer spartanischer Bündnis­ verträge mit einzelnen peloponnesischen Staaten - Tegea, Mantineia, Orchomenos, Korinth, außerhalb der Halbinsel mit Megara und Ägina - im Laufe der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts heraus­ gebildet. Kraft seiner unbedingten militärischen Überlegenheit hatte Sparta als Hegemonialmacht die absolute Führerschaft in dem Bunde inne; die Bündner, deren Souveränität unangetastet blieb, mußten, wenn Sparta sie aufbot, mit zwei Dritteln ihrer Streitmacht Folge leisten. Spartas Peloponnesischer Bund stellte als Machtbildung alle anderen griechischen Staaten in den Schatten, auch Thessalien, um von Athen ganz zu schweigen. In Thessalien hatten die Adelsgeschlechter der Aleuaden von Larisa, der Skopaden von Krannon und der Herrscher Antiochos von Pharsalos eine überragende Stellung inne. Ihren Ruhm und ihre königliche Freigebigkeit besingt Simonides von Keos. Athen begann im Jahr j6i/o v. Chr. mit der Tyrannis des Peisistratos eine neue Ära seiner Geschichte. Der Führer der Gruppe der Diäkrioi (s. S. 101) hatte sich im Kampfe gegen Megara be­ sonders ausgezeichnet. Seine kriegerischen Erfolge trugen ihn zur Tyrannis empor: man bewilligte ihm zum Schutze für seine Per­ son eine Leibwache von Keulenträgern; Peisistratos setzte sich in den Besitz der Akropolis und war damit der Herr von Athen. Die erste Phase seiner Alleinherrschaft war nur kurz. Dem Druck der sich gegen ihn verbündenden Gruppen der Pedieer und

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Paralier mußte der Tyrann weichen und außer Landes gehen, doch rief ihn der Alkmeonide Megakies bald zurück. Die Koalition des Peisistratos und der Alkmeoniden - sie wurde durch die Ehe des Tyrannen mit der Tochter des Megakies befestigt - hielt jedoch nicht lange; eine zweite Verbannung des Peisistratos war die Folge. Gestützt auf seine großen Hilfsquellen, insbesondere die Erträge der Goldminen in Makedonien und Thrakien, und auf die Verbindung mit dem eretrischen Adel kehrte derTyrann ein zwei­ tes Mal nach Athen zurück, dieses Mal an der Spitze eines Söldner­ heeres, das das athenische Aufgebot bei Pallene zu Paaren trieb. Unter dem Jubel der athenischen Bevölkerung zog er in die Stadt ein, deren Herrschaft er bis zu seinem Tode (528/7 v. Chr.) nicht mehr aus den Händen gab. Die Herrschaft des Peisistratos beruhte auf ungesetzlicher Ge­ walt. Sie beraubte das athenische Volk dessen, was sein Palladium gewesen war: des Rechtes, über sein eigenes Wohl und Wehe zu bestimmen. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß breite Schichten der attischen Bevölkerung, insbesondere die Masse der Klein­ bauern, die Tyrannis offen begünstigten. Die Förderung des Bau­ ernstandes ließ sich Peisistratos besonders angelegen sein: er gab Vorschüsse für den Betrieb der Landwirtschaft (wahrscheinlich Saatdarlehen), er schuf die Einrichtung der Demenrichter und stellte dadurch die ländliche Rechtspflege auf eine neue Grundlage. Die sozialen Bestrebungen des Tyrannen waren eine notwendige Ergänzung des solonischen Programmes: sie dienten der Förderung eines lebenskräftigen Mittelstandes, der seit dieser Zeit als ein be­ stimmender Faktor in Athen in Erscheinung getreten ist. Besonders ausgeprägt war das Streben des Peisistratos, seine Tyrannis durch Machtpositionen außerhalb des Rahmens der athe­ nischen Polis zu untermauern. Der Besitz der Goldminen im Pangaion und bei Rhaikelos schuf ihm die finanziellen Voraussetzun­ gen für den Unterhalt einer Söldnertruppe, in die zahlreiche Thraker, vielleicht sogar auch Skythen, eingereiht wurden. Da die Mittel nicht ausreichten, um die großen Ausgaben, vor allem auch für die Bauten, zu decken, sah sich der Tyrann gezwungen, eine

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Einkommensteuer (Bodenertragsteuer) von 5% (?) einzuführen, die von der athenischen Bürgerschaft als ganz besonders drückend empfunden wurde. Peisistratos’ Machtwille ist es gewesen, der Athen auf die Bahn der Expansion gedrängt hat. Seine überseeische Politik steht in untrennbarem Zusammenhang mit dem allgemeinen Aufschwung des Handels um die Mitte des 6. Jahrhunderts und mit der Aus­ breitung der Münzgeldwirtschaft. Funde attischer Münzen, die Peisistratos nun anstatt mit den Wappen der Eupatriden mit dem Bilde der Stadtgöttin Athena und mit ihrem Emblem, der Eule, prägte, in dem weiten Raum von Ägypten bis zum Athos, von Tarent bis Chios und Kos und die noch weitere Verbreitung atti­ scher schwarzfiguriger Vasen dokumentieren den steilen Aufstieg des attischen Seehandels, der ebenbürtig neben den der großen Konkurrenten des Mutterlandes, Aiginas und Korinths, tritt und ihn bald überflügelt. Der attische Handel erreichte im 6. Jahrhun­ dert v. Chr. auch Etrurien, wie sich aus attischen Vaseninschriften aus Caere schließen läßt. Ob man freilich in diesem Ort sogar eine attische Kolonie annehmen darf, bedarf wohl noch der Klärung. Den ausgeprägten handelspolitischen Charakter der athenischen Kolonisation im Zeitalter des Peisistratos beleuchten die Neu­ besiedlung Sigeions sowie die Kolonisierung der thrakischen Chersonesos durch den Älteren Miltiades aus der Familie derPhilaiden. In Sigeion setzte der Tyrann nach dem Vorbild der Kypseliden einen seiner Söhne, Hegesistratos, zum Regenten ein; die Ent­ sendung der attischen Kolonie nach der Chersonesos wurde durch Peisistratos begünstigt. Der Ausgang des Hellesponts, den die mit südrussischem Getreide beladenen Handelsschiffe passieren muß­ ten, befand sich unter athenischer Kontrolle. Der Sicherung seiner Herrschaft in Athen diente ein besonders kunstvoll ausgestaltetes System von Bündnissen. Nicht allein mit der „Sozietät der Tyrannen“, mit Lygdamis von Naxos und Polykrates von Samos, stand er in enger Verbindung, auch zu dem rei­ sigen Adel der Thessaler, zu Eretria und Argos unterhielt er Be­ ziehungen. Auch die makedonische Monarchie, ja selbst Sparta, 8

Bcngcson, SA

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Das Zeitalter der großen griechischen Kolonisation (800-500)

das sich später so tyrannenfeindlich gebärdete, fehlte unter Peisistratos’ Verbündeten nicht, nur die delphische Priesterschaft ver­ mochte der Tyrann nicht zu gewinnen. Dem Peisistratos, der im Jahr 528/7 eines natürlichen Todes starb, folgten seine beiden Söhne Hippias und Htpparchos, von denen Hipparchos, der jüngere, als Herrscher und als Privatmann mehr in den Vordergrund tritt. Tatsächlich handelte es sich um die quasi­ monarchische Herrschaft eines Tyrannenhauses, in der sich der tatkräftige Hippias und der künstlerisch interessierte Hipparchos trefflich ergänzten. Das über allen Tyrannenherrschaften schwe­ bende Schicksal erfüllte sich zuerst an Hipparchos; er wurde an den Großen Panathenäen 514 v. Chr. das Opfer eines Mordan­ schlages, zu dem sich eine Anzahl junger Athener, unter ihnen Harmodios und Aristogeiton, angeblich wegen einer persönlichen Kränkung, zusammengefunden hatte. Die attische Demokratie hat die Tyrannenmörder in Bild und Lied hoch gefeiert, ihre Tat wurde das Symbol der athenischen Freiheit. Die Dolche, die Hip­ parchos hinwegrafften, trafen auch die Tyrannis des Hippias ins Herz: das Freiheitsgefühl ließ sich nun nicht mehr unterdrücken, mochte Hippias die Zügel auch noch so straff anziehen. Das del­ phische Orakel bestimmte die Spartaner, das alte Proxenieverhältnis zu den Peisistratiden zu lösen. Nach einem mißglückten Ver­ such, in Phaleron festen Fuß zu fassen, erschien der Heerbann der Peloponnesier unter dem Befehl des Königs Kleomenes I. vor Athen. Hippias, auf der Akropolis eingeschlossen, kapitulierte und suchte in Sigeion Zuflucht (510). Es war letztlich das Vor­ dringen der Perser nach dem Westen gewesen, das die wirtschaft­ lichen Grundlagen der Tyrannis vernichtet hatte. Schon vor dem Sturz des Peisistratiden hatte Polykrates von Samos, wohl die bedeutendste Persönlichkeit der älteren griechi­ schen Tyrannen, ein Ende von Henkershand gefunden. Die List des persischen Satrapen Oroites von Sardes, der den Aiakiden auf persisches Gebiet nach Kleinasien lockte, hatte ihn zur Strecke gebracht (um 522 v. Chr.). Polykrates war einst mit Hilfe des Lygdamis von Naxos an die Macht gelangt, die er, auch gegen

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seine eigenen Brüder, zu behaupten wußte. Außer einem Söld­ nerheer verfügte er über eine beachtliche Kriegsflotte, wie sie die Ägäis bis dahin nicht gesehen hatte. Wie die Peisistratidcn ver­ sammelte er an seinem Hofe zahlreiche Künstler und Dichter, unter ihnen Ibykos und Anakreon. Berühmt sind seine Bauten geworden: der Architekt Eupalinos von Megara erbaute eine groß­ artige Wasserleitung, Rhoikos aus Samos schuf das Heraion mit seinen riesigen Dimensionen, auch eine große Hafenmole wurde unter Polykrates angelegt. Zu der gesamten griechischen Welt stand Polykrates in Handelsbeziehungen (eine späte, aber nicht unglaub­ würdige Quelle nennt Epirus, Lakedaimon, Skyros, Naxos, Milet, Attika und Sizilien), mit Amasis von Ägypten war er eng befreun­ det. Sein Ende durch die Perser bezeichnet den Beginn einer neuen Zeit: gegenüber einer Expedition der Lakedaimonier und Korin­ ther (um 524) hatte sich der Tyrann behauptet, der Expansion des persischen Weltreichs war er auf die Dauer nicht gewachsen. Nach Polykrates’ Tode riß zunächst sein ehemaliger Geheimschreiber Maiandrios die Herrschaft über die Insel an sich. Er wurde durch eine Expedition der Perser beseitigt, die Polykrates’ Bruder Syloson als persischen Vasallen mit der Herrschaft über Samos be­ lehnten (vor 513/2 v. Chr.). So war nun auch Samos in das persi­ sche Herrschaftsgebiet eingegliedert. Eine Epoche in den Beziehungen zwischen Hellas und dem Per­ serreich bildete der Skythenzug, den König Dareios I. um 513/2 v. Chr. zum Schutz der offenen Nordgrenze des Reiches gegen die ständigen Invasionen der skythischen Reitervölker unternommen hat. Dareios hatte den gigantischen Plan gefaßt, das gesamte pontisch-kaspische Steppengebiet von der Donau bis zum Jaxartes (Syr-darja) zu unterwerfen. Dabei wurden aber die gewaltigen Entfernungen beträchtlich unterschätzt und die Schwierigkeiten der Kriegführung in dem wege- und wasserlosen Gebiet der süd­ russischen Steppe nicht in Rechnung gestellt. Dareios wollte offen­ bar die Skythen durch einen von Westen, von der unteren Donau her, geführten Angriff im Rücken fassen. Der Größe des Planes entsprachen die Vorbereitungen: der Bau einer riesigen Schiffs«•

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brücke über den Bosporus durch den Ioner Mandrokles, das Auf­ bieten großer Kontingente der Satrapen und Vasallen, unter de­ nen auch die ionischen Tyrannen mit Histiaios von Milet an der Spitze erscheinen. Der Feldzug wurde als eine verbundene Opera­ tion des Heeres und der Flotte durchgeführt. Nadi dem Brücken­ schlag über die Donau hart oberhalb des Deltas rückte Dareios mit dem Gros des Heeres in die bessarabische Steppe ein. Die Sky­ then wichen jedoch jedem entscheidenden Kampfe aus. Die wasser­ lose Steppe war es, die die Perser zur Umkehr zwang, wahrschein­ lich ohne auch nur einen einzigen der großen südrussischen Ströme überschritten zu haben. Die Donaubrücke war unversehrt, den Rat des Jüngeren Miltiades, des Herrschers der thrakischen Chersonesos, der sich unter den Vasallen des Königs befand, die Brücke ab­ zubrechen, hatten die Ioner nicht befolgt. Das Ziel der Expedition, die Befriedung der Nordgrenze des Reiches, hatte Dareios nicht erreicht. Mit der Unterwerfung der Griechenstädte an der Propontis (Byzantion, Kalchedon u. a.), die zum Teil auf die Nachricht vom Scheitern des Skythenzuges von den Persern abgefallen waren und durch die persische Flotte unter Otanes zum Gehorsam gebracht werden mußten, hatten sich die Perser einen wichtigen Brückenkopf auf europäischem Boden gesichert. Auch das Fürstentum des Jüngeren Miltiades auf der Halbinsel Gallipoli war in ihn eingeschlossen. Nachdem die Per­ ser die thrakische Südküste mit ihren reichen Goldgruben am Strymon und im Pangaiongebirge annektiert und die Unterwerfung des Amyntas, des Königs der Makedonen, entgegengenommen hatten, erstreckte sich das persische Herrschaftsgebiet vom Nord­ rand der Ägäis bis an die untere Donau. Aus dem eben gewonne­ nen, durch Stützpunkte in Doriskos und Eion gesicherten Thra­ kien wurde eine neue Satrapie gebildet. Trotz des unleugbaren Prestigeverlustes infolge des unglück­ lichen Skythenzuges war der Eindruck des sich immer näher an Griechenland heranschiebenden persischen Kolosses ungeheuer. Die persische Expansion, die Herodot als die Ursache der Perserkriege gekennzeichnet hat, warf ihre Schatten über Hellas hinaus bis in

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den Westen des Mittelmeeres. Ein tarentinischer Verbannter er­ hoffte von Dareios seine Rückführung in die Heimat, und die Fahrt des griechischen Arztes Demokedes von Kroton zusammen mit persischen Offizieren auf sidonischen Schiffen in den Westen zeigt die weltweiten Dimensionen der achämenidischen West­ politik. Im Westen hatten Karthager und Etrusker der kolonialen Ex­ pansion der Griechen in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts ein Ende gesetzt. In Mittelitalien war im Laufe des/. Jahrhunderts der etruskische Städtebund zur führenden Macht herangewachsen, sein Einfluß erstreckte sich im 6. Jahrhundert im Norden bis in die Poebene (Felsina-Bologna), im Süden bisCampanien. Doch wiees dem Bunde an innerer Festigkeit mangelte, so gebrach es dem etruski­ schen Volkstum an der Fähigkeit, sich anderen Völkern zu assimi­ lieren, ein Umstand, der eine wirkliche Durchdringung Italiens durch das von der griechischen Kultur stark beeinflußte Etruskertum verhindert hat. Außerhalb des etruskischen Kerngebietes blieb ihre sich auf eine dünne Oberschicht stützende Herrschaft nur eine Episode, auch in Rom, das sich am Ende des 6. Jahrhunderts von den Etruskern emanzipierte und eigene Wege ging. Eine viel grö­ ßere Bedeutung für das westliche Griechentum hatte jedoch die karthagische Expansion. Die Stadt Karthago ist nach der Über­ lieferung als Kolonie des phönikischen Tyros im Jahr 8 14/3 v. Chr. gegründet worden (Karthago bedeutet „Neustadt“); sie war auf ein Landgebiet von geringer Tiefe im heutigen Tunis beschränkt, wofür die Einwohner bis in das 5. Jahrhundert den Libyern einen Grundzins entrichten mußten. Im Laufe des 7. und 6. Jahrhun­ derts wuchs die Stadt zum bedeutendsten Handelsplatz unter den phönikischen Kolonien auf nordafrikanischem Boden empor, die anderen Phönikerstädte im Westen unterwarfen sich ihrer Herr­ schaft, nur Utika vermochte seine Sonderstellung zu behaupten. Im Schnittpunkt der wichtigsten Seeverbindungen aus allen Him­ melsrichtungen gelegen, wurde Karthago das Zentrum eines gro­ ßen Handelsreiches. Karthagische Faktoreien erstreckten sich von Gades in Südspanien über die Pityusen, Sardinien, Sizilien und

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Malta bis an die Große Syrte (Arae Philaenorum). Den kartha­ gischen Händlern, die sich vor allem auf Inseln und Vorgebirgen niederließen (Thukydides VI 2), folgten die karthagischen Heere erst viel später nach. Wie es scheint, bildete die für die Griechen so ungemein verlustreiche Seeschlacht bei Alalia auf Korsika (nach 540 v. Chr.), in der die vereinigten Flotten der Karthager und Etrusker gegen die Phokäer kämpften, eine entscheidende Wende in der Politik der aufstrebenden Handelsmetropole. Seit dieser Zeit kämpften Heere karthagischer Bürger und fremde Soldtrup­ pen in Westsizilien, auf Sardinien und auf afrikanischem Boden. Um 500 v. Chr. scheint die altiberische Metropole Tartessos von den Puniern zerstört worden zu sein, seitdem war die Meerenge von Gibraltar für die Griechen gesperrt. Unbestrittene Meister waren die Karthager im Abschluß von Verträgen. Die Etrusker, Massalioten, Kyrenäer und Römer (1. Vertrag i. J. 508/7 v. Chr.) waren ihre Partner, und immer von neuem wurde ihnen die Be­ achtung karthagischer Sperrzonen im Westmeer eingeschärft. Um 600 v. Chr. hatte die griechische Kolonisation im Westen ihren Höhepunkt überschritten. In zähen Kämpfen mußte man nun das Errungene zu behaupten versuchen. Massalia schob aller­ dings seine Kolonien im 6. Jahrhundert sogar bis nach Spanien vor. Die älteste aller griechischen Pflanzstädte im Westen, Kyme, hielt dem Ansturm der Etrusker und der mit ihnen verbündeten Umbrier und Daunier stand (um 525 v. Chr.). Retter der Stadt wurde Aristodemos. Er warf sich später zum Tyrannen auf, im Stile der Gewaltherrscher jener Tage schmückte er Kyme mit glän­ zenden Bauten; um sie zu finanzieren und um seine Söldner zu entlohnen, zog er das Vermögen zahlreicher Aristokraten ein. Sei­ ner Herrschaft gab er durch die Aufnahme von Sklaven in die Bürgerschaft den notwendigen Rückhalt. Dennoch endete das 6. Jahrhundert mit einem schweren Rückschlag für das Hellenentum in Großgriechcnland: im Jahr 511/0 fiel Sybaris der Eifersucht seiner Nachbarstadt Kroton zum Opfer und wurde vollständig zerstört. Gegensätze auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet entluden sich in einer furchtbaren Katastrophe, deren Erschütte-

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rungen weithin, bis nach Ionien (Milet), spürbar waren. Auch sonst waren die Griechenstädte vielfach miteinander verfeindet; es gab immer wieder Fehden, in die oft eine ganze Reihe von Städten verwickelt war. In Unteritalien ist am Ende des 6. Jahrhunderts die Sekte der Pythagoreer zu besonderer Bedeutung gelangt. Ihr Gründer, Pythagoras, hatte unter der Tyrannis des Polykrates seine Heimat, die Insel Samos, verlassen, er hatte in Großgrie­ chenland als Philosoph und Mathematiker, aber auch als Refor­ mer des religiösen und sittlichen Lebens eine tiefgreifende Wirk­ samkeit entfaltet, die vor allem der Herrschaft der Aristokraten in Kroton und in Metapont - hier ist Pythagoras bald nach der Jahrhundertwende gestorben - zugute gekommen ist. Krotons besonderes Ansehen beruhte auf dem Weltruhm seiner Ärzte (Demokedes) und seiner wehrhaften Jugend, die sich mit Begei­ sterung und großen Erfolgen an den Olympischen Spielen be­ teiligte. Doch dies alles vermochte nicht darüber hinwegzutäu­ schen, daß die großen Tage des unteritalischen Griechentums um die Jahrhundertwende unwiederbringlich dahin waren, zu einer Zeit, in der sich in Sizilien die Tyrannenherrschaft des Hippokrates von Gela festigte, die Keimzelle eines machtvollen syrakusanisch-gelaischen Doppelstaates (s. S. 154 f.). Der Sturz des Hippias (510 v. Chr.) bezeichnete eine Zeiten­ wende in der Entwicklung des attischen Staates im Innern und nach außen hin. Es ist einmal die säkuläre Bedeutung der kleisthenischen Staatsreform, zum andern sind es außenpolitische Ereignisse, die Athen in den Brennpunkt der Politik gestellt haben. Die Reformen des Alkmeontden Kleisthenes sind auf den hart­ näckigen Widerstand der Mehrzahl der attischen Adelsgeschlechter unter Führung des Isagoras gestoßen. Der Adel war unter den Tyrannen im Lande geblieben, während die Alkmeoniden, zum mindesten vorübergehend, das Brot der Verbannung essen muß­ ten. Erst als Isagoras und der Spartanerkönig Kleomenes I., in der Akropolis belagert, gegen freien Abzug kapitulieren mußten, konnte Kleisthenes die Reformen fortsetzen (508/7 v. Chr.), sie

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wurden aber, wie es scheint, erst allmählich, Schritt für Schritt, durchgeführt. Kleisthenes’ Neuordnung ist aus den Notwendig­ keiten der Tagespolitik geboren worden. Wenn sie gleichwohl ein der Zukunft zugewandtes Antlitz trägt, so kennzeichnet sie diese Tatsache als eine Schöpfung aus echt staatsmännischem Geiste. Die Reformen waren notwendig geworden, um die Neubildung geschlossener Ständegruppen im Staate zu zerschlagen und für alle Zeiten unmöglich zu machen. Es handelte sich vornehmlich um die Gruppe der großen Landbesitzer der Binnenebene, um die vorwiegend Handel und Fischerei treibende Bevölkerung der Küste sowie um die kleinbäuerliche Bevölkerung des gebirgigen Nordostens von Attika, die einst Peisistratos zur Macht verholfen hatte. Die Sonderinteressen dieser Gruppen, die sich mit den Be­ strebungen der verschiedenen Adelsgeschlechter teils verbanden, teils mit ihnen kreuzten, drohten das Staatsgefühl zu untergraben und den Staat selbst zum Spielball von Klassenleidenschaften zu machen. Um dies zu verhindern, schuf Kleisthenes eine terri­ toriale Einteilung Attikas und Athens von der Art, daß er die Stadt, das Binnenland und die Küste in je io Drittelstücke (Tnttyes, tribus) zerlegte. Je eine Trittys aus den drei Zonen wurde nun (angeblich wie das Los es fügte) zu einer Phyle zusammen­ geschlossen, die geographische Lage der Trittyen zueinander spielte dabei keine Rolle. Die zur „Mischung des Demos“ geschaffenen io lokalen Phylen traten an die Stelle der uralten 4 gentilizischen Phylen, die nur noch auf sakralem Gebiet ihre Bedeutung be­ hielten. Es ist nicht zu übersehen, daß Attika schon vor Kleisthe­ nes neben der gentilizischen Einteilung des Adels auch schon eine lokale, die Gesamtbevölkerung umfassende, gekannt hat, und zwar zerfielen die 4 Stammesphylen in insgesamt 12 Trittyes und 48 Naukrariai. Die Reform des Kleisthenes machte auf diesem Gebiete ganze Arbeit: durch die Schaffung einer ausschließlich territorialen Ein­ teilung wurden die gentilizischen Verbände vollständig ausein­ andergerissen. Die kleinste Selbstverwaltungseinheit bildete von nun an der Demos, die „Gemeinde". Sie wurde ebenso auf dem

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flachen Lande wie im Stadtgebiet von Athen mit dem Demarchos an der Spitze konstituiert. Den ursprünglich wohl 100 Demen (die Zahl vermehrte sich später durch Abspaltungen beträchtlich) fielen die Führung der Bürgerliste, der Stammrolle, die lokale Selbstverwaltung auf dem Gebiete der Finanzen und des Kultus zu. Offiziell nur nach dem Demos, in dem er zur Zeit der Neu­ ordnung wohnhaft war, nannte sich nun der attische Vollbürger; aus den adligen Geschlechtern mit ihren Gefolgschaften war durch Verschmelzung von Stadt und Land das attische Volk geworden. Die neuen Trittyen hatten keine besonderen Funktionen; die 10 nach attischen Heroen benannten lokalen Phylen stellten je ein Regiment des Fußvolkes der Phalanx mit einem gewählten Stra­ tegen an der Spitze, dazu je eine Reiterschwadron. Die Strategen unterstanden bis ins 5. Jahrhundert hinein dem Feldobersten, dem Polemarchen. Der solonische Rat der 400 wurde durch einen Rat von $00 Bürgern ersetzt. Jede Phyle hatte 50 Ratsherren zu stel­ len, und zwar wurden diese den einzelnen Demen, entsprechend ihrer Bürgerzahl, entnommen: es ist dies „vielleicht das erste Bei­ spiel einer der Bevölkerung proportionalen Repräsentation, das die Geschichte verzeichnet“ (K. J. Beloch). Die 500 Mitglieder des Rates teilten sich gemäß ihrer Zugehörigkeit zu den 10 lokalen Phylen in 10 Sektionen („Prytanien“) zu je $0 Buleuten. Jede Sektion („Prytanie“) tat als „geschäftsführender Ausschuß“ den 10. Teil des Jahres Dienst, ihre Ratsherren wurden im Prytaneion gespeist. Ein Teil der Mitglieder, unter ihnen der tageweise wech­ selnde Epistates (der „Vorsteher“), verblieb bei Tag und Nacht im Dienstgebäude, das nach dem Rundbau Tholos genannt wird. Da jeder Antrag an die Ekklesie vorher von der Bule durch­ beraten werden mußte, war der Rat die wichtigste Institution des gesamten Staatsapparates. Um eine Wiederkehr der Tyrannis zu verhindern, erfand Kleisthenes den Ostrakismos, das „Scherben­ gericht“. Alljährlich in der 6. Prytanie wurde in der Volksver­ sammlung die Frage aufgeworfen, ob ein Ostrakismos zu halten sei. Wurde sie bejaht und wurden bei der Abstimmung in der 8. Prytanie 6000 Stimmen erreicht, so mußte der Bürger, der die

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höchste Stimmenzahl erhalten hatte, ohne Schaden an seiner Ehre und an seinem Eigentum auf io Jahre Attika verlassen. Zum erstenmal wurde das Scherbengericht im Jahre 487 gehalten - ein Zeichen dafür, daß die Entmachtung des Adels eine vollständige gewesen war. Es erscheint wie ein Wunder, daß die kleisthenischen Reformen trotz der großen außenpolitischen Belastungen Athens, vor allem von Seiten der Spartaner, die zweimal binnen kurzer Zeit (508 und jo6) in Athen intervenierten, durchgeführt werden konnten. Bedeutungsvoll ist die Hinwendung Athens zu Persien: aus Furcht vor ihren griechischen Gegnern unterwarf sich die Stadt gegen Zusicherung eines persischen Bündnisses dem Satrapen von Sardes, Artaphernes (um 507). Als die Athener über Böoter und Chalkidier im Jahre 506 die Oberhand behalten hatten, versuchte man freilich, den Schatten des persischen Kolosses dadurch wieder zu bannen, daß man die Gesandten desavouierte. Es war ein gefähr­ liches Spiel, das man in Athen spielte. Die attische „Isonomie“ war im Gegensatz zu dem spartani­ schen Militärstaate entstanden, sie war ein Fremdkörper inmitten der aristokratisch regierten Gemeindestaaten in Griechenland. Wenn es dennoch gelungen ist, Athen aus seiner Isolierung zu be­ freien, so war es das Ergebnis der außenpolitischen Entwicklung: die Persergefahr ist es gewesen, die die Griechen aller Stämme zusammengeführt hat; in dem Kampf um die hellenische Freiheit hat neben Sparta, dem Prostates von Griechenland, auch die attische „Isonomie“ ihre große Probe bestanden.

DRITTER ABSCHNITT

DAS ZEITALTER DER GRIECHISCHEN POLIS (500-360 v. Chr.)

Die griechische Geschichte von den Perserkriegen bis Philipp II. von Makedonien erhält ihr Gepräge durch den Aufstieg und den Niedergang der Polis. Die Polis hat sich in dieser Periode zu einem Organismus entwickelt, der höchste Konzentration des poli­ tischen Lebens im Inneren mit weitester Aufgeschlossenheit für alle äußeren kulturellen Einflüsse vereinigt. Es ist darum kaum ein Zufall, wenn gerade in diesem Zeitalter das Geistesleben auf griechischem Boden seinen ersten Höhepunkt in der Geschichte Europas erreicht hat: die Philosophie, das Drama, die Geschichts­ schreibung haben damals jene Formen angenommen, die für alle Folgezeit die klassischen Vorbilder geblieben sind. Auf politischem Gebiete treten aber auch starke Schattenseiten des griechischen Lebens hervor, vor allem das Unvermögen der einzelnen Ge­ meindestaaten, sich zu größeren Machtbildungen zusammenzu­ schließen, eine Tatsache, die nicht allein auf das Fehlen verwal­ tungstechnischer Voraussetzungen für die Beherrschung und poli­ tische Durchdringung größerer Gebiete zurückzuführen ist. Da jede einzelne Polis, auch die kleinste, eifersüchtig über ihre eigene Autonomie wachte, waren alle Ansätze zu „Reichsbildungen“ von vornherein stark erschwert und auf die Dauer zum Mißerfolg verurteilt. Hatte das Zeitalter der großen Perserkriege die Hel­ lenen zum ersten Male in der Geschichte ihrer nationalen Ver­ bundenheit bewußt gemacht, so begünstigte der spartanisch-athe­ nische Dualismus gerade die trennenden Faktoren des politischen

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^as Zeitalter der griechischen Polis (500-360)

Lebens der Griechen. Die innere Zerrissenheit von Hellas war der Boden, auf dem die persische Einmischung seit dem Ende des Peloponnesischen Krieges ihre Triumphe feierte. Auch die seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts in Hellas propagierte Idee eines alle Griechen umfassenden Friedensbundes (Koine Eirene) hat trotz verheißungsvoller Ansätze das Nationalgefühl nicht wesentlich kräftigen können. In der Geschichte des hellenischen Menschentums bedeutete das Zeitalter der Polis eine wesentliche Stufe der inneren Entwick­ lung. Damals ist der griechische Bürger zum „politischen Lebe­ wesen“ geworden: hatten noch im 6. Jahrhundert weitgehend be­ deutende Einzelpersönlichkeiten, vor allem aus den Kreisen der hellenischen Adelsgeschlechter, die Politik der Gemeindestaaten bestimmt, so erscheint jetzt die Vollbürgerschaft als die Lenkerin der Griechenstaaten, und zwar in der Form, daß sie sich als eine politische Gefolgschaft um die Person eines Führers zusammen­ schließt und ihm die verfassungsmäßige Macht in die Hand gibt, mit deren Hilfe er seine Pläne durchführen kann. An die Stelle der Familiengefolgschaft der archaischen Zeit tritt die politische Gefolgschaft; damit wird die unbedingte Priorität der staats­ politischen Zielsetzung vor der familienpolitischen aufgerichtet, ein Vorgang, der sich in ähnlicher Weise wenig später im alten Rom abgespielt hat. Die welthistorische Bedeutung des Zeitalters der griechischen Polis aber liegt darin, daß sich das Griechentum i’/j Jahrhunderte als autonomer Faktor im Weltgeschehen behauptet hat. Zwischen den Schlachten bei Platää (479) und Chäronea (338) hat kein fremdes Heer griechischen Boden betreten, und so stark auch die Wandlungen der griechischen Politik, vor allem seit dem Ausgang des Peloponnesischen Krieges, in Griechenland spürbar waren, die Entwicklung des inneren staatlichen und kul­ turellen Lebens ist von diesen Einflüssen so gut wie ganz unbe­ rührt geblieben. Die griechische Geschichte des 5. Jahrhunderts aber ist als Ganzes ein hervorragendes Beispiel dafür, daß Wir­ kung und Weltbedeutung einer Nation nicht unbedingt abhängig sind von der Weite des von ihr beherrschten Raumes, von der

Der lonische Aufstand (500 bzw. 499-494)

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Zahl der abhängigen Völker, ja nicht einmal von den großen Einzelpersönlichkeiten: sie beruht vielmehr auf der politischen Reife und Einsicht einer breiten Bürgerschicht, die hier, zum ersten Male in der Weltgeschichte, als Träger der politischen Verant­ wortung hervortritt. Es ist die tiefgehende Intensivierung des politischen und kulturellen Lebens, die diesem Zeitalter eine Be­ deutung verleiht, durch die es alle anderen Epochen der griechi­ schen Geschichte weit überragt.

ERSTER TEIL

DER ANGRIFF DER PERSER AUF GRIECHENLAND (500-479 v. Chr.)

1. Der Ionische Aufstand (500 bzw. 499-494 v. Chr.)

Mit dem Aufstand der ionischen Griechen gegen die Herrschaft der Perser i. J. 500 (oder 499) v. Chr. beginnt eine neue Zeit. Zum erstenmal in seiner Geschichte ist das persische Weltreich auf den nationalen Widerstand eines Volkes gestoßen, der den Ein­ satz bedeutender Machtmittel zu Wasser und zu Lande durch die Perser erforderlich machte und der erst nach einem halben Jahr­ zehnt erbitterten Kampfes niedergeschlagen werden konnte. Die Tatsache, daß der Aufstand der kleinasiatischen Ioner der erste in der langen Kette der offenen Rebellionen im Achämenidenreich gewesen ist, kennzeichnet die allgemeine geschichtliche Bedeutung des Ereignisses zur Genüge. Dabei will es wenig besagen, daß der Freiheitskampf der Ioner auch auf wirtschaftliche Ursachen und gewiß auch auf persönliche Motive der ionischen Politiker zurück­ zuführen ist. Von einem tiefgehenden Mangel an hohem ethischen Wollen, an Disziplin und Berechnung bei den Ionern zu sprechen,

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Der Angriff der Perser (500-479)

ist eine arge Übertreibung, und selbst wenn eine derartige Be­ hauptung in vollem Umfange berechtigt wäre, so würde sie doch gegen die allgemeine historische Bedeutung des großen Ereignisses nicht das Geringste besagen. Die tieferen Ursachen des Aufstandes lagen in der persischen Politik gegenüber den Hellenen in Kleinasien begründet. Dem feudalen Aufbau ihres Herrschaftssystems entsprechend hatten die Perser überall in den griechischen Städten ihres Machtbereichs griechische Vertrauensmänner des Großkönigs ans Ruder gebracht, auf deren erprobte Freundschaft die Perser rechnen zu können glaubten. In den Augen der Bürger der Griechenstädte waren diese Männer nichts anderes als Tyrannen, die das Eigenleben der Poleis in Fesseln schlugen. Die Stadtherren dagegen fanden einen Rückhalt an den persischen Satrapen und an den perserfreund­ lichen Kreisen innerhalb der Bürgerschaft, an denen es in Ionien nicht fehlte. Es war verständlich, wenn man die Perser und ihre Parteigänger für die wirtschaftlichen Rückschläge verantwortlich machte, die Ioniens Handel im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts erlitten hatte. Die Eroberung des Nillandes durch Kambyses (525) bedeutete eine empfindliche Beeinträchtigung des griechischen, im besonderen aber des ionischen Ägyptenhandels; der Rückgang des griechischen Handelszentrums Naukratis spricht eine sehr deut­ liche Sprache. Dazu hatte Dareios I. nach dem Skythenzug (513/2?) seine Hand auf die Meerengen zwischen Europa und Asien gelegt; die Perser kontrollierten insbesondere den griechi­ schen Nordhandel mit dem Schwarzmeergebiet, der für eine Stadt wie Milet von geradezu lebenswichtiger Bedeutung war. Für die große ionische Metropole bedeutete endlich der Verlust des west­ lichen Absatzmarktes durch den Untergang des befreundeten Sybaris (511/0) einen weiteren schweren Schlag, der den Wohl­ stand Milets vollends zu ruinieren drohte - kein Wunder, wenn die Milesier auf die Kunde von Sybaris’ Zerstörung sich zum Zeichen der Trauer das Haupthaar schoren (Herodot VI 21). So tief die wirtschaftlichen Rückschläge von den Ionern empfunden wurden - für die Erhebung waren nicht die ökonomischen, son-

Der Ionische Aufstand (500 bzw. 499-494)

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dem die politischen Motive ausschlaggebend, vor allem die Ein­ schränkung der kommunalen Autonomie durch die persische Ad­ ministration und durch die von den Persern gestützten Tyrannen. Nur ein Grieche konnte empfinden, was es bedeutete, wenn über sein eigenes Schicksal nicht mehr durch die Ekklesie der Heimat­ stadt, sondern durch den Satrapen oder durch den persischen Großkönig im fernen Susa entschieden wurde. Wenn man Herodot Glauben schenkt, so hätte sich der Auf­ stand allerdings an persönlichen Motiven des milesischen Tyran­ nen Aristagoras entzündet. Ermutigt durch naxische Verbannte, habe Aristagoras den persischen Satrapen von Sardes, Artaphernes, für eine gemeinsame Expedition gegen die Kykladeninsel Naxos gewonnen. Das Ziel des milesischen Tyrannen war un­ zweifelhaft, ein großes Herrschaftsgebiet in der Ägäis zu gewin­ nen. In dem sardischen Satrapen Artaphernes, der das Unter­ nehmen dadurch unterstützte, daß er den andern ionischen Ge­ meinden befahl, Schiffe zu stellen, die persische Landungstruppen beförderten, tritt zum ersten Male der persische „Vizekönig von Kleinasien“ als der Träger einer weitausgreifenden Westpolitik auf den Plan, eine Erscheinung, die sich, solange das Perserreich existierte, ständig wiederholt und die den großköniglichen Be­ auftragten in Sardes für die Griechen zu der wichtigsten Persön­ lichkeit des Achämenidenreiches gemacht hat. Da man wider Er­ warten die Stadt Naxos nicht bezwingen konnte, erwies sich die großangelegte Expedition als ein Fehlschlag. Beide, der Satrap wie der Tyrann, waren in den Augen des Großkönigs zweifellos kompromittiert. Wie Herodot (V 35) uns glauben machen will, soll Aristagoras in einem Aufstand der Ioner die letzte Rettung vor der Rache der Perser gesehen haben. Er legte die Tyrannis in Milet nieder, wenig später wurden auch die in den anderen ioni­ schen Gemeinden von den Persern eingesetzten Stadtherren verjagt, von Milet aus ergriff der Aufstand die gesamte kleinasiatische Kü­ ste, überall wurden für die zu erwartenden militärischen OperationenStrategen gewählt, die an dieStellederTyrannen traten. Wenn die Bewegung in Kleinasien so rasch um sich greifen konnte, so

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zeigt dies, daß der Boden für einen Aufstand gut vorbereitet war. Aristagoras wird es für das Klügste gehalten haben, sich der all­ gemeinen Stimmung nicht zu widersetzen, die in den breitesten Schichten der Bevölkerung lauten Widerhall fand. Mit der Vertreibung der Tyrannen und der persischen Besat­ zungen war es jedoch nicht getan. Es galt jetzt, einen gemein­ samen Kriegsplan zu entwerfen und sich nach Bundesgenossen umzusehen. In diesem entscheidenden Stadium trat die politische Schwäche des ionischen Hellenentums offen zutage: es gab weder einen einheitlichen Oberbefehl noch eine gemeinsame Strategie. Der weitgereiste Hekataios soll schon auf der Versammlung der Ioner in Milet, in der man sich zum Aufstand entschloß, (an Hand einer von ihm entworfenen Erdkarte?) auf die gewaltigen Dimensionen des Perserreiches hingewiesen und vom Aufstand abgeraten haben; man hörte nicht auf ihn, auch seinen anderen Rat, die Weihgeschenke des Tempels von Didyma cinzuschmelzen und sie für die Ausrüstung einer Flotte zu verwenden, soll man in den Wind geschlagen haben. Die Perser traf der Aufstand ganz unvorbereitet; er bedrohte einen neuralgischen Punkt des Reiches, die Nordwestgrenze, zu deren Sicherung Dareios I. die Satrapie Thrakien eingerichtet hatte (s. S. 116). Für die kleinasiatischen Griechen kam allesdarauf an, die Brüder des Mutterlandes zur Hilfeleistung aufzurufen: man benötigte dringend die spartanischen Hopliten und die Flot­ ten der griechischen Seestädte Korinth, Aigina und Athen. Im Winter 500/499 (oder 499/8) begab sich Aristagoras nach Grie­ chenland. Der Erfolg seiner Mission war enttäuschend. Sparta versagte sich den Ionern, in der Peloponnesos stand die entschei­ dende Auseinandersetzung zwischen Lakedaimon und Argos be­ vor. Von den Seestädten entschloß sich nur Athen, ein Geschwader von 20 Schiffen über die Ägäis zu schicken: man befürchtete die Rückführung des Hippias durch die Perser und hoffte vielleicht, die Inseln Lemnos und Imbros zu gewinnen. Zu den athenischen Schiffen stießen noch fünf eretrische - das war alles, was Hellas den Ionern in Asien zu bieten hatte.

Der Ionische Aufstand (500 bzw. 499-494)

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Die Operationen in Kleinasien begannen mit einem überraschen­ den Vorstoß der Ioner gegen Sardes, das Zentrum der persischen Macht in Anatolien. Die Stadt ging in Flammen auf, sogar das Nationalheiligtum der Lyder, der Tempel der Kybele, wurde eingeäschert. Die persische Besatzung aber hielt sich in der Akro­ polis. Die Ioner gingen vor einem herannahenden persischen Ent­ satzheer auf die Küste zurück; bei Ephesos wurden sie zum ersten Male geschlagen. Die Flammen des brennenden Sardes wurden zum Fanal für die unterdrückten Völker Kleinasiens, für die Griechen am Hellespont, die Karer, Lykier, ja sogar für die griechisch-orientalische Mischbevölkerung der Insel Cypern - sie alle schlossen sich nunmehr dem Aufstand an. Dagegen verließen die Athener in Ephesos ihre ionischen Brüder und kehrten nach Hause zurück (498 v. Chr.). Die persischen Gegenmaßnahmen lassen auf einen großange­ legten strategischen Plan schließen: zuerst wurde das wichtige, im Schnittpunkt zahlreicher Verkehrslinien gelegene Cypern zurück­ erobert (497). Der nächste persische Stoß richtete sich gegen die Meerengen, er sollte den Persern die Kontrolle über die wichtigen Meeresstraßen zurückgewinnen. Die Griechenstädte an den Dar­ danellen, am Marmarameer und in der Aiolis waren bald unter­ worfen. Aristagoras gab die Sache der Freiheit verloren, er fühlte sich in Milet nicht mehr sicher und flüchtete nach dem thrakischen Myrkinos am Strymon, das der Großkönig einst dem Histiaios, dem Schwiegervater des Aristagoras, seinem Vorgänger in der milesischen Tyrannis, geschenkt hatte. In Thrakien fand Arista­ goras 496 im Kampf mit den Edonen den Tod. Um den militärischen Erfolg mit den Waffen der Diplomatie zu vollenden, entsandte der Großkönig Dareios I. den Histiaios, den er vor Beginn des Aufstandes an seinen Hof in Susa befohlen hatte, nach Ionien. Histiaios aber täuschte das Vertrauen des Perserkönigs, er sympathisierte offen mit den Aufständischen, doch mißtrauten ihm die Ioner, Milet verschloß ihm seine Tore; so blieb ihm nichts anderes übrig, als auf eigene Faust sein Glück zu versuchen; er trieb von Byzanz und später von Lesbos aus als 9

Bengtson, SA

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Der Angriff der Perser (joo-479)

Freibeuter an den Meerengen sein Unwesen, bis er bei einem Raubzug in der Äolis den Persern in die Hände fiel und ans Kreuz geschlagen wurde (493 v. Chr.). Inzwischen war der Kampf um Ioniens Freiheit mit der Blokkade Milets durch die persische Flotte in die Endphase getreten. Zwistigkeiten, offener Verrat, strafwürdige Sorglosigkeit besiegel­ ten in der Seeschlacht bei der Insel Lade das Schicksal der Ioner (495 oder 494). Milet, zu Wasser und zu Lande von den Persern eingeschlossen, wurde im Sturm genommen (494). Die Stadt, die kostbarste Perle im Kranz der ionischen Gemeinden, ist offenbar zum großen Teil zerstört worden. Sie hat bis in die hellenistische Zeit ihre alte Bedeutung nicht wieder erlangen können. Nach dem Vorbild, das einst die Assyrer den Völkern des Vorderen Orients gegeben hatten, wurden die Milesier von den Persern de­ portiert und im Innern des Riesenreiches, am unteren Tigris, an­ gesiedelt; Ioner und Karer trifft man später als Handwerker beim Palastbau des Dareios in Susa wieder. Der hochberühmte Tempel des didymäischen Apollon vor den Toren Milets wurde zerstört, die Schätze und die Priesterschaft verschleppt. Ein ehernes Weih­ geschenk aus Didyma (einen Astragal) fanden französische Aus­ gräber in Susa wieder. Auch die reichen Inseln Chios und Lesbos wurden hart mitgenommen, eine Reihe von Städten an der Propontis sank in Schutt und Asche. Die Herrschaft der persischen Satrapen wurde von neuem aufgerichtet. Auch das Tributsystem führte man - übrigens ohne Erhöhung der Steuersätze - wieder ein. Von einer Wiederherstellung aller Tyrannenherrschaften war jedoch nicht die Rede. Dadurch daß sie ein geordnetes Gerichts­ verfahren zwischen Angehörigen verschiedener Gemeinden mög­ lich machten, sorgten die Perser für die Rechtssicherheit, an der es bisher infolge der zahllosen innergriechischen Streitigkeiten so sehr gefehlt hatte. Das Land wurde neu vermessen und in Kataster eingetragen, eine Maßnahme, die sich in späterer Zeit Alexander und die Seleukiden zum Vorbild genommen haben. Das ionische Geistesleben ist offenbar durch den unglücklichen Ausgang der Erhebung nicht entscheidend getroffen worden. Hekataios von

Der Ionische Aufstand (joo bzw. 499-494)

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Milet, bei Griechen und Persern gleich angesehen, stand damals auf der Höhe seines Schaffens, neben ihm der Philosoph Herakleitos von Ephesos. Beide blieben in der Heimat, dagegen ließ sich Xenophanes von Kolophon nach einem langen Wanderleben im unteritalischen Elea (Velia) nieder. So lebte der Geist Altioniens weiter, in der Heimat und in der Fremde, trotz des Unter­ ganges der ionischen Freiheit. In ursächlichem Zusammenhang mit der Niederwerfung des ionischen Aufstandes steht der Zug des Persers Mardonios nach Thrakien und Makedonien: es galt hier die persische Autorität wiederaufzurichten. Zu Beginn des Jahres 492 brachen das per­ sische Heer und die mit dem frischen Siegeslorbeer von Lade ge­ schmückte Flotte von ihren Stützpunkten in Kilikien auf. In Thrakien erlitt das persische Landheer durch die Überfälle der wilden einheimischen Bevölkerung, vor allem der Bryger, emp­ findliche Verluste - ähnlich wie drei Jahrhunderte später das Heer der Scipionen und des Cn. ManJius Volso. Die Flotte scheiterte bei der Rückfahrt in den Herbststürmen am Vorgebirge Athos auf der Chalkidike. Auch hier waren die Verluste erheblich, die von der Tradition gegebenen Zahlen - 300 Schiffe und 20000 Mann verdienen jedoch keinen Glauben. Das Ziel der Expedition aber war erreicht: die thrakische Satrapie befand sich wieder fest in persischer Hand, Makedonien war wieder ein persischer Vasallen­ staat (Herodot VI 44). In der neueren Forschung hat sich, vor allem durch die Autorität K. J. Beiochs, mit vollem Recht die Anschauung durchgesetzt, daß die Expedition des Mardonios nicht gegen Hellas selbst gerichtet gewesen sei, wie dies, Herodot folgend, Georg Busolt, Eduard Meyer und andere behauptet hatten. Die griechische Tradition von dem sog. 1. Perserzug des Jahres 492 ist in der Tat eine Legende; sie verdankt ihre Entstehung einer rückwärts gerichteten Betrach­ tungsweise, die die Züge des Datis (490) und des Xerxes (480) voraussetzt.

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Der Angriff der Perser (500-479j

2. Hellas und Persien bis zur Schlacht bei Marathon (400-490 v. Chr.)

Die Griechen des Mutterlandes hatten an dem Freiheitskampf der kleinasiatischen Ioner nur in einem minimalen Umfange teilge­ nommen. In Sparta hatten die bevorstehende Auseinandersetzung mit Argos und die Abneigung der Lakedämonier gegen über­ seeische Expeditionen, in Athen die Schwankungen der inneren Politik eine wirksame Unterstützung der Ioner verhindert. Die attische Politik der nachkleisthenischen Zeit wird durch den Gegensatz der Alkmeoniden und der Gruppe der Tyrannen­ freunde bestimmt. Beide „Parteien“ standen den Persern nicht unfreundlich gegenüber, die Anhänger der Tyrannis erhofften von ihnen sogar die Rückführung des in Sigeion lebenden Hippias. Wenn i. J. 496 ein Verwandter oder ein Anhänger der Peisistratiden, Hipparchos, Sohn des Charmos, zum eponymen Archon von Athen gewählt werden konnte, so zeigt dies, daß von irgend­ welchen Ressentiments gegen die Tyrannenfreunde keine Rede mehr war. Als der Tragiker Phrynichos den „Fall von Milet“ auf die Bühne brachte und durch die Darstellung der Einnahme der großen ionischen Schwesterstadt die Zuschauer tief bewegte, da schritten die attischen Behörden gegen den Dichter ein und be­ legten ihn mit einer Strafe. Hinter Phrynichos aber stand der Lykomide Themistokles, Sohn des Neokies und einer Akarnanin. Seine Wahl zum Archon i. J. 493 bezeichnet einen entschiedenen Umschwung der öffentlichen Meinung in Athen; inzwischen hatte das Schicksal der Ioner in Kleinasien den Athenern die Augen darüber geöffnet, was sie von den Persern zu erwarten hatten. Ohne den Ausbau einer Flotte schien jeder Gedanke an Wider­ stand gegen die Weltmacht des Ostens vergeblich. Um sie zu be­ mannen, mußten breite Kreise der Bürgerschaft zum Dienst auf den Schiffen herangezogen werden. Themistokles beantragte als Archon zunächst die Anlage eines Kriegshafens mit den notwen­ digen Docks und Arsenalen in der Bucht des Piräus - bisher hatte der Strand von Phaleron für die flachgebauten Schiffe genügt.

Hellas und Persien bis zur Schlacht bei Marathon (f00-490)

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Mehr als die ersten Ansätze zum Flottenbau wurde damals jedoch nicht erreicht. Das große Ansehen des i. J. 493 von seinen Be­ sitzungen auf der thrakischen Chersonesos zurückgekehrten Philaiden Miltiades drängte Themistokles zunächst wieder in den Hintergrund; erst zehn Jahre später nahm er seine Flottenpläne wieder auf, und erst dann konnte er sie auch zu Ende führen (s. S. 137). Miltiades, von seinen Gegnern (den Alkmeoniden?) vergeblich der Tyrannis auf der Chersonesos angeklagt, galt den Athenern als der gegebene Führer in dem bevorstehenden Kampfe, den man nach Väterart mit der Hoplitenphalanx zu führen gedachte. In enger Verbindung mit Miltiades stand Aristeides aus Alopeke, auch er ein erklärter Gegner der Alkmeoniden. Die führende Macht in Griechenland aber war Sparta, der Hegemon des Peloponnesischen Bundes, einer Wehrgemeinschaft, der übrigens Athen nicht angehörte. In der schwankenden spar­ tanischen Außenpolitik spiegelte sich der latente Gegensatz zwi­ schen dem Königtum, das in Gestalt des Kleomenes I. eine aktive und expansive Außenpolitik betrieb, und dem Ephorat, das die Prärogative der Könige zu beschneiden suchte und das sich in der auswärtigen Politik eine vorsichtige Zurückhaltung auferlegte. Der König Kleomenes I. ist es gewesen, der den letzten ernst­ haften Gegner Spartas auf der Peloponnesos, Argos, zu Boden warf. In einer gewaltigen Feldschlacht bei Sepeia blieb der Heer­ bann des Peloponnesischen Bundes Sieger über die Argiver (um 494). Daraufhin traten Tiryns und Mykene zu Sparta über, wäh­ rend Argos durch schwere innere Auseinandersetzungen an den Rand des Abgrundes geriet. Als ernsthafte Konkurrenten Spartas schieden die Argiver damit aus. Eine volle Ausnützung des spar­ tanischen Sieges verhinderte der Gegensatz der Könige Kleo­ menes I. und Damaratos. Kleomenes erzwang mit Hilfe eines delphischen Orakelspruches die Absetzung seines Mitkönigs wegen illegitimer Geburt, Damaratos ging an den Hof des Perserkönigs. Über Kleomenes’ Lebensausgang (488?) liegt ein undurchdring­ liches Dunkel; als sein Nachfolger bestieg Leonidas den Thron.

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Der Angriff der Perser (500-479)

Dareios’ Politik gegenüber den Griechen zeigt in dem entschei­ denden Jahrzehnt von 500 bis 490 v. Chr. all jene Züge, die auch für die spätere persische Politik charakteristisch sind. Durch An­ knüpfung enger persönlicher Beziehungen zu einem Teil der grie­ chischen Aristokratie versuchten die Perser den Boden für eine allmähliche politische Durchdringung Griechenlands vorzuberei­ ten. Der Großkönig nahm manche hellenische Adlige, Metiochos, den Sohn des Jüngeren Miltiades, den vertriebenen Spartaner­ könig Damaratos, in den hohen persischen Reichsadel auf und stattete diese Männer mit Landbesitz aus. Für das delphische Hei­ ligtum und seine Priesterschaft trugen die Perser eine geflissent­ liche Verehrung zur Schau. Besonders eng aber waren die Bande zwischen den Persern und den Thessalern, vor allem dem Ge­ schlecht der Aleuaden, Beziehungen, die in der Münzprägung von Larisa nach persischem Fuße ihren Ausdruck fanden. Herodots Behauptung (VI 48), der Perserkönig Dareios I. habe i. J. 491 Herolde nach Griechenland entsandt, um die Hellenen aufzufordern, sich den Persern zu unterwerfen, verdient keinen Glauben. Um diese Zeit lag Athen im Streit mit der seemächtigen Nachbarstadt Ägina, der Herrin des Saronischen Meeres. Spartas Machtspruch entschied den schon länger dauernden Zwist, es zwang die Aigineten, Geiseln zu stellen; Athen aber hatte den Rücken bei dem zu erwartenden Angriff der Perser frei. Das Ziel der persischen Expedition, die im Sommer 490 unter dem Befehl des Datis, eines erfahrenen medischen Offiziers - die Flotte stand unter dem Kommando des Artaphernes, des Sohnes des sardischen Satrapen gleichen Namens - in See ging, war Eretria und Athen. Beide Städte sollten für ihre Unterstützung der Ioner bestraft werden. Jedoch war diese Absicht nur ein Vor­ wand, um auf griechischem Boden jene Konstellation herzustellen, die für die Errichtung der persischen Suprematie in Griechenland die Voraussetzung bildete: Sparta mußte isoliert, die übrigen Staaten in eine Anzahl von ohnmächtigen Gruppen aufgespalten werden. Die Zahl der Kriegsschiffe (angeblich 600 Trieren) ist stereotyp und gewiß übertrieben. Die auf den Lastschiffen mit-

Hellas und Persien bis zur Schlacht bei Marathon (joo-490) geführten Landungstruppen müssen auf etwa 20000 Mann be­ ziffert werden. Bei der Fahrt der persischen Flotte durch das Ägäische Meer unterwarfen sich die meisten Kykladen; Naxos wurde für sein Verhalten i. J. 500 bestraft. Datis, der eigentliche Führer der Expedition, brachte in Delos dem Apollon ein feierliches Opfer dar. Nach der Landung auf Euboia traf der erste vernich­ tende Schlag die Stadt Eretria. Ihr Schicksal wurde durch Ver­ rat besiegelt, die Bewohner wurden verschleppt und in der fernen Susiana, in Arderikka, neu angesiedelt. Mehr als ein Men­ schenalter später hat Herodot die eretrische Kolonie besucht (Herodot VI 119). Auf den Rat des Hippias gingen die Perser dann in der marathonischen Ebene in Attika an Land. Für die Wahl des Ortes scheinen politische Erwägungen (die Kleinbauern der Gegend gal­ ten als besonders tyrannenfreundlich) und strategische Gesichts­ punkte in gleicher Weise maßgebend gewesen zu sein; ein erfolg­ reicher Einsatz der persischen Reiterei war zudem nur in einem ebenen Gelände möglich. Gegenüber der persischen Invasion wa­ ren die Athener völlig auf sich allein gestellt. Eine äußerst ge­ fährliche Situation, die durch die Existenz einer starken tyrannen­ freundlichen Gruppe in den Mauern der Stadt noch verschärft wurde! Ein Hilferuf an Sparta, den Prostates von Hellas, blieb zwar nicht vergeblich, aber das spartanische Hilfskorps traf, aus welchen Gründen auch immer, zu spät in Attika ein. Die mit Athen befreundeten Platäer halfen dagegen nach Kräften aus. Die Gesamtstreitmacht zählte etwa 10000 Mann, d. h. sie war dem persischen Landungskorps zahlenmäßig beträchtlich unterlegen. Ob­ wohl Athen eine Ummauerung hatte, entschloß man sich dennoch, und zwar auf Antrag des Miltiades in der Ekklesie, zum Auszug gegen die Perser, um sie am weiteren Vordringen auf der von Marathon nach Athen führenden Straße zu hindern - es war dies ein Entschluß von ungewöhnlicher Kühnheit, der alles auf eine Karte setzte. Die Athener nahmen auf den Nordostabhängen des Agrieliki Stellung und lagen hier tagelang den Persern gegenüber,

Der Angriff der Perser (joo-479) die im Gefühl ihrer Überlegenheit wiederholt die Schlacht an­ boten. Es war Miltiades, einer der zehn Strategen, der den Polemarchen Kallimachos bestimmte, sie anzunehmen. Der Verlauf ist strittig, auch die topographischen Probleme geben einige Rätsel auf. Soviel ist jedoch sicher, daß es sich um eine rangierte Feld­ schlacht, nicht um ein Rückzugsgefecht der Perser gehandelt hat. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Perser, nicht die Athener, die Angreifenden waren (gegen Herodot). Einmal ent­ schlossen, den persischen Angriff zu parieren, legte die Phalanx der athenischen Hopliten die letzte Distanz in „beschleunigtem Anmarsch“ zurück, um den persischen Pfeilhagel zu unterlaufen. Während das Zentrum den Kerntruppen der Perser weichen mußte, warfen die starken Flügel den Feind und vollendeten durch Einschwenken nach innen den Sieg. Zu einer vollen Aus­ nützung des Sieges kam es nicht, wohl weil die Schwerbewaffne­ ten zu stark erschöpft waren. Die Perser, die an einem Bach (der Charadra) und am Schiffslager hinhaltenden Widerstand leiste­ ten, vermochten den größten Teil des Landungskorps einzuschif­ fen. Den Versuch, nach Umsegelung der Akt6 von Sunion Athen im Handstreich zu nehmen, mußte Datis auf geben; denn das sieg­ reiche attische Aufgebot war in Gewaltmärschen nach Süden ge­ eilt und hatte zur Deckung der Stadt ein Lager im Gymnasium des Kynosarges bezogen. Obwohl die Schlacht bei Marathon (September 490) in dem Ringen zwischen Persern und Griechen keine Entscheidung brach­ te, so war sie doch von größter Bedeutung: es war ein Sieg der besseren athenischen Waffen und der überlegenen griechischen Taktik. Der moralische Auftrieb, den die Griechen - nicht nur die Athener - durch den Sieg empfangen haben, ist kaum zu über­ schätzen. Marathon ist unzertrennlich mit dem Namen des Mil­ tiades verbunden; er ist der erste bedeutende Feldherr des Abendlandes. Er hat das entscheidende Psephisma herbeigeführt und er hat den Kallimachos bestimmt, die Schlacht anzunehmen. In den Ruhm der gewonnenen Schlacht muß sich Miltiades mit dem Polemarchen Kallimachos teilen, der den Tod auf dem

Der Flottenbau des Themistokles und die persischen Rüstungen

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Schlachtfeld gefunden hat. Kallimachos’ Name war mit Unrecht in Vergessenheit geraten, erst die Nikestatue mit der Inschrift, die die Angehörigen dem Gedächtnis des Kallimachos weihten, hat seinen Anteil am Siege in das rechte Licht gerückt.

j. Der Flottenbau des Themistokles und die persischen Rüstungen Der Sieg bei Marathon war die Voraussetzung für die Flotten­ expedition des Miltiades gegen die westlichen Kykladen (Früh­ jahr 489). Das Unternehmen rannte sich jedoch nach einigen An­ fangserfolgen an den Mauern von Paros fest und mußte abge­ brochen werden. Miltiades wurde in Athen vor Gericht gestellt und unter dem Vorwand, das Volk „getäuscht“ zu haben, zu einer enormen Geldbuße verurteilt. Sein Tod machte die Bahn für seine Gegner frei. Nach der Beseitigung des Miltiades ereilte das Schicksal in Athen eine Reihe von führenden Männern aus dem Kreise der Tyrannenfreunde und der Alkmeoniden. Erstmalig bediente man sich dabei des vor zwei Jahrzehnten von Kleisthenes geschaffenen Ostrakismos. Zuerst traf das Los der Verbannung Hipparchos, den Sohn des Charmos (487), dann den Alkmeoniden Megakies (486) und seinen Schwager Xanthippos (484). Im Jahre 482 mußte auch Aristeides weichen. Die Ostrakisierungen entbehren nicht einer gewissen Systematik, vielleicht ist Themistokles, zum wenig­ sten bei einem Teil von ihnen, die treibende Kraft gewesen. Auch bei der entscheidenden Verfassungsreform des Jahres 487/6 mag der Lykomide Pate gestanden haben; sie bedeutete, obwohl alles einzelne dunkel bleibt, einen Schritt vorwärts zur Ausbildung der vollen Demokratie. Das Archontat wurde als Wahlamt beseitigt, die neun Archonten, für die jetzt auch die Angehörigen der 2. Zensusklasse, die Ritter, in Frage kamen, wurden nunmehr in einem kombinierten Vorwahl- und Losungsverfahren bestellt, und zwar in der Weise, daß die einzelnen attischen Demen je 50 Kan-

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didaten pro Phyle vorwählten, aus deren Zahl dann das Los die neun Archonten bestimmte. Das Archontat verlor seine über­ ragende Bedeutung, an seine Stelle trat jetzt die Strategie, die nach wie vor ein Wahlamt blieb. Der Polemarch, der bei Mara­ thon der Oberbefehlshaber des gesamten attischen Aufgebots ge­ wesen war, verlor jetzt alle Bedeutung, während die Strategen alsbald auch eine Anzahl administrativer und finanztechnischer Befugnisse übernahmen und allmählich zu den wichtigsten Reprä­ sentanten des attischen Staates emporstiegen. Die Behauptung, es sei das Amt eines „Oberstrategen“ geschaffen worden, findet an den Quellen keinen Rückhalt. Die Verbannung der politischen Gegner räumte die letzten Hindernisse für die Flottenpläne des Themistokles hinweg. Den Anstoß gab der langwierige Konflikt zwischen Athen und dem auf der Höhe der Macht stehenden Ägina, ein Streit, der i. J. 488/7 von neuem ausbrach und der mit einer tiefen Demütigung Athens endete. Zu den politischen Gründen kamen auch wirt­ schaftliche: insbesondere der Schutz der Getreideschiffe mag für den Plan, eine Kriegsflotte zu bauen, bis zu einem gewissen Grade mitbestimmend gewesen sein. Die Kunde von den gewaltigen per­ sischen Rüstungen und vom Bau des Athoskanals auf der Chalkidike beseitigte die letzten Widerstände in Athen. Mit dem Flot­ tenbau stand eine tiefgehende politische Umformung des atheni­ schen Staats in untrennbarem Zusammenhang. Um die neuen Schiffe zu bemannen, mußte auf die breite Schicht des vierten Standes, auf die Theten, zurückgegriffen werden, auch sie hatten jetzt einen vollen Beitrag zum Wehrdienst zu leisten. Die Er­ kenntnis, daß man nunmehr den Theten die vollen bürgerlichen Rechte nicht gut länger verweigern konnte, schreckte Themistokles und seine Freunde nicht ab. Der Zeit nach dem zu erwartenden Kampfe mußte es vorbehalten bleiben, die innenpolitischen Pro­ bleme zu lösen. Um das Bauprogramm, das i. J. 482 anlief, zu finanzieren, wurde auf Vorschlag des Themistokles auf die Er­ träge der staatlichen Silberminen des Laureion zurückgegriffen, die eben durch die Erschließung einer neuen Grube erheblich an-

Der Flottenbau des Themistokles und die persischen Rüstungen

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gewachsen waren. Für die Ausrüstung der Kriegsschiffe hatten die wohlhabendsten athenischen Bürger mit persönlichen Beiträgen aufzukommen (System der Trierarchie). Nach dem Urteil Eduard Meyers hat der Flottenbau die Wehrkraft Athens binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt, und dies, obwohl die vorgesehene Zahl von 200 Trieren nicht erreicht wurde. Athen aber wurde zur ersten Seemacht des griechischen Mutterlandes, wobei es seine Rivalen, selbst Korinth und Ägina, weit überflügelte. Nur noch ein einziges Mal weist die Geschichte des Altertums einen Flotten­ bau auf, der mit dem, was Themistokles in noch nicht zwei Jahren geschaffen hat, auch im Hinblick auf die allgemeine historische Bedeutung verglichen werden kann: es ist die Geburt der römi­ schen Seemacht in den ersten Jahren des i.Punischen Krieges. In der athenischen Flotte trat dem Hoplitenheer des Peloponnesischen Bundes, dessen Kern von den Lakedämoniern gebildet wur­ de, ein ebenbürtiger Machtfaktor zur Seite, der athenisch-spar­ tanische Dualismus war damit begründet, ehe noch der große Perserkrieg begonnen hatte. Die persischen Rüstungen wurden durch den Ausbruch innerer Unruhen verzögert. Im Jahre 486/5, also nur sieben Jahre nach der Niederwerfung des Ionischen Aufstandes, erhoben sich die Ägyp­ ter gegen die Perserherrschaft; dies war um so bemerkenswerter, als gerade die Ägypter - soviel wir wissen - wenig Grund hatten, sich über die Herrschaft der Achämeniden zu beklagen. Nahezu zwei Jahre lang blieb das Nilland selbständig, bis es (i. J. 484) durch Xerxes, den Nachfolger des i. J. 486 gestorbenen Dareios I., wie­ der unterworfen wurde. Xerxes beseitigte auch ein für allemal die Sonderstellung Ägyptens; das Land, bisher in Personalunion mit der persischen Krone verbunden, wurde jetzt auf die Stufe der übrigen Satrapien herabgedrückt und verlor seine Vorrechte. Fast zur gleichen Zeit wie die Ägypter regten sich auch die Baby­ lonier; keilinschriftliche Datierungen nennen Namen einheimischer Usurpatoren. Xerxes’ Antwort war die Beseitigung des babyloni­ schen Sonderkönigtums, ein Ereignis, das indes wohl erst in das Jahr 479 oder 478, in die Zeit nach dem griechischen Feldzug, zu

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setzen ist, nachdem sich die Babylonier ein zweites Mal erhoben hatten. Die Vorbereitungen, die Xerxes seit dem Jahre 483 für den Feldzug gegen Hellas getroffen hat, stellen in ihrem Ausmaße alles vorher Dagewesene in den Schatten. Sie zeigen ein imponie­ rendes Bild von der Kraft und von der Organisation des achämenidischen Weltreiches, das sich damals im Stadium seiner höch­ sten Leistungsfähigkeit befand. Die Spuren vom Athoskanal ha­ ben moderne Bodenforschungen festgestellt. Um die Verpflegung des Heeres sicherzustellen, wurden zahlreiche Magazine in Make­ donien und Thrakien errichtet. Auf ein enges Zusammenarbeiten zwischen Landheer und Flotte wurde besonders Wert gelegt; im ganzen Reich fanden Aushebungen statt: es war kein Grenzkrieg, den Xerxes führen wollte, sondern er plante einen Eroberungs­ krieg größten Stiles. Unmöglich kann er dabei nur das kleine Griechenland ins Auge gefaßt haben. Es ist im Gegenteil wahr­ scheinlich, daß Griechenlands Unterwerfung nur die erste Etappe auf dem Wege zur Eingliederung des gesamten europäischen Süd­ ostens in das persische Herrschaftsgebiet sein sollte. Was der Skythenzug des Dareios I. und was die Expedition des Mardonios vorbereitet hatten, das wollte Xerxes vollenden.

4. Der Zug des Xerxes gegen Griechenland (480 v. Chr.)

Die persischen Rüstungen waren im Herbst 481 im wesentlichen beendet. Von allen Mächten im Bereich der griechischen Welt war außer dem von Sparta geführten Peloponnesischen Bunde das syrakusanische Reich Gelons das einzige, das den persischen Plä­ nen gefährlich werden konnte, wenn es seine Machtmittel zugun­ sten der Hellenen des Mutterlandes in die Waagschale warf. Aus dieser Erkenntnis ergab sich der Abschluß eines persisch-karthagi­ schen Bündnisses, an dessen Geschichtlichkeit man nicht zweifeln

Der Zwg des Xerxes gegen Griechenland (480)

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sollte. So umspannte der Kriegsplan des Xerxes fast das ganze Mittelmeer, er war das Ergebnis einer vorausschauenden, die Kräfte der Gegner abschätzenden Politik des Achämenidenkönigs, der, beraten durch persische Große und griechische Emigranten, rasch die Möglichkeiten ergriff, die ihm die allgemeine Lage an­ bot. Hatte Xerxes Glück, so war ihm die Herrschaft über das ge­ samte von Griechen besiedelte Gebiet am Mittelmeer gewiß. Anfang Juni 480 überschritten die persischen Heeresmassen auf zwei Schiffsbrücken, dem Werk des Griechen Harpalos, den Hellespont zwischen Abydos und Sestos; von hier aus erreichten sie auf der Küstenstraße den Raum von Thermai in Makedonien. Dem persischen Heereszuge gingen Gesandte voraus, die die Griechen auffordern sollten, sich zu unterwerfen. Angesichts der bevorstehenden persischen Invasion herrschte in Griechenland eine außerordentlich niedergeschlagene Stimmung; sie wurde durch die Sprüche des delphischen Orakels, die Zerstörung und Vernichtung prophezeiten, noch gesteigert. Ein Nachgeben kam aber gerade für die beiden führenden Staaten in Hellas, für Sparta und Athen, nicht in Betracht, und diese ihre Haltung war es, die eine Reihe der griechischen Staaten dazu bestimmte, an dem Abwehrkampf teilzunehmen. Manche hielten sich aber abseits, insbesondere blieb Argos neutral, Korkyras Haltung war zweideutig, während der sizilische Herrscher Gelon seine Hilfe von Bedingungen abhängig machte, die die Hellenen des Mutterlandes zu erfüllen nicht im­ stande waren. In Thessalien und Böotien herrschte eine offen promedische Stimmung; Pindar pries die Segnungen des Friedens angesichts des größten Krieges der griechischen Geschichte. Auf einem Kongreß der griechischen Staaten, die zur Abwehr der Perser entschlossen waren und die sich zu einer Eidgenossen­ schaft verbunden hatten, war schon im Herbst 481 ein allgemeiner Landfriede in Hellas verkündet worden. Alle Fehden sollten auf­ hören, alle Verbannten in ihre Heimatgemeinden zurückkehren. Diejenigen von den Griechen, die mit den Persern sympathi­ sierten, waren mit der Vernichtung bedroht worden, der Zehnte ihres Besitzes sollte dem delphischen Apollon verfallen sein. Zum

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Der Angriff der Perser (joo-479)

ersten Male in der griechischen Geschichte wurde damals eine grie­ chische Wehrgemeinschaft (Symmachia) begründet, die es als ihre Aufgabe betrachtete, alle antipersischen Kräfte des Mutterlandes zusammenzufassen. Es war die große Not der Zeit, die die Grie­ chen das Trennende vergessen und sich auf das Verbindende, auf die gemeinsame Abstammung und das gemeinsame Volkstum, be­ sinnen ließ. Der Kriegsplan wurde von Themistokles in Gemeinschaft mit den spartanischen Ephoren festgelegt. Die Entscheidung sollte zur See fallen, die Hoffnung der Griechen war die junge athenische Flotte. Mit einem kriegsentscheidenden Sieg über die Massen des Perserheeres zu Lande wagte niemand zu rechnen. Aufgabe des griechischen Landheeres mußte es sein, im Zusammenwirken mit den eigenen Seestreitkräften den Vormarsch des Perserheeres in Hellas so lange aufzuhalten, bis es der griechischen Flotte gelang, an einem für sie günstigen Punkte die persische entscheidend zu schlagen. Schon in den ersten Maßnahmen der Griechen kam der strategische Grundgedanke zum Ausdruck. Die Griechen bezogen zunächst eine weit vorgeschobene erste Verteidigungslinie im Tempetal südlich des Olympos; da sie leicht von Westen her um­ gangen werden konnte, mußte sie bald aufgegeben werden, viel­ leicht auch mit Rücksicht auf die unsichere Haltung der Thessaler, die später offen zu den Persern übergingen. Demgegenüber bot die Thermopylenstellung jene Vorteile, deren die Griechen gegen die persische Übermacht bedurften: die Engen verhinderten die Entfaltung des großen persischen Landheeres, während der schmale Sund des Euripos eine Überwältigung der kooperierenden grie­ chischen Flotte unmöglich machte. Vermochte man an den Thermopylen den Vormarsch des persischen Landheeres für begrenzte Zeit aufzuhalten, so konnte die griechische Flotte, wenn die Vor­ aussetzungen günstig waren, vielleicht währenddessen eine Ent­ scheidung erzwingen. Die Streitmacht, die unter dem Befehl des Spartanerkönigs Leonidas die Thermopylensperre besetzte, be­ stand aus 4000 Peloponnesiern (darunter 300 Spartiaten), aus 700 Thespiern, aus Aufgeboten der Phoker und opuntischen

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Lokrer; auch 400 Thebaner, die mit ihrem Herzen auf medischer Seite standen, gehörten dazu - alles in allem ein Korps von nur etwa 7000 Mann, das jedoch für die Durchführung des zeitlich be­ grenzten Auftrages genügen mußte. Die griechische Flotte faßte mit insgesamt 270 Schiffen an der NW-Spitze Euböas, bei Kap Kephala, Posto. Sie sollte die per­ sische Flottenmacht im Sunde zwischen der Insel Euböa und dem Festlande aufreiben und dadurch das Heer des Xerxes zum Rückzug zwingen. Bei der Fahrt nach Süden hatten die Perser an der SO-Spitze der Halbinsel Magnesia (bei Kap Sepias) durch ein Unwetter erhebliche Ausfälle zu beklagen: 400 Schiffe, die an der Steilküste vor Anker lagen, gingen verloren. Herodot (VIII 15) berichtet, die Schlachten an den Thermopylen und beim Artemision hätten an denselben Tagen - im Hoch­ sommer 4S0 - stattgefunden, eine Angabe, die durch die Forschun­ gen A. Kösters als zutreffend erwiesen ist. Am fünften Tage nach der Ankunft vor den Thermopylen begannen die Perser mit dem Frontalangriff gegen die griechische Riegelstellung. An diesem Tage begann die Seeschlacht beim Artemision. Die Griechen hatten vor dem mittleren der drei hintereinander liegenden „Tore“ (Engen) Aufstellung genommen. Zwei Tage lang blieb der Ansturm der Perser ohne jeden Erfolg, am dritten Tage umgingen persische Kontingente unter Hydarnes mit Hilfe ortskundiger Führer die Stellung im Süden und erschienen, nachdem sie das zur Deckung des Umgehungspfades aufgestellte sorglose phokische Detachement überrumpelt hatten, in Leonidas’ Rücken. Trotz der Umgehung seiner Stellung mußte Leonidas die Perser wenigstens so lange aufzuhalten versuchen, bis das letzte griechische Kriegsschiff in einer z. T. nur 15 m breiten, leicht zu sperrenden Fahrtrinne die Westspitze Euböas mit Kurs nach Süden passiert hatte; andern­ falls war die kostbare griechische Flotte verloren, der Krieg ent­ schieden. Die ihm gestellte Aufgabe hat Leonidas trotz allem, was man gegen sein Verhalten eingewandt hat, vorbildlich gelöst. Einem beträchtlichen Teil der Kontingente gab der Spartaner­ könig den Rückzug frei, er wurde durch 700 Thespier und 300

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Spartiaten gedeckt. Auf einem Hügel zusammengedrängt, fanden sie bis auf den letzten Mann den Untergang. Das Opfer war nicht vergeblich, die Tat des Leonidas hat den Hellenen in ihrem Frei­ heitskampf ein leuchtendes Beispiel erfüllter Pflicht gegeben. An dem entscheidenden dritten Tage versuchte die persische Flottenleitung - sie hatte inzwischen über den Untergang des von ihr östlich Euböas nach Süden zur Umgehung der Griechen deta­ chierten Geschwaders Gewißheit erlangt - durch rücksichtslosen frontalen Angriff den Durchbruch durch die griechische Seesperre, die sich an Euböa und an die kleine Insel Argyronesi anlehnte, in Richtung auf den Euripos zu erzwingen. Unter schweren Ver­ lusten hielten die Griechen dem ungeheuren Drucke stand - bis die Nachricht vom Falle der Thermopylen die strategische Ge­ samtsituation grundlegend veränderte. Die griechische Flotte löste sich daher am folgenden Tage vom Feind und zog sich, von die­ sem unbemerkt, durch den Euripos in den Saronischen Golf zu­ rück. Trotz empfindlicher Verluste konnten die Perser die Doppel­ schlacht an den Thermopylen und beim Artemision als einen stra­ tegischen Erfolg buchen: das operative Ziel, die Öffnung des Zuganges zu Zentralgriechenland, war erreicht. Die Griechen be­ trachteten zwar Artemision mindestens als einen taktischen Erfolg, doch im Zusammenhang mit Thermopylai war das Treffen zur See unzweifelhaft eine Niederlage. Sie ist für die weiteren Opera­ tionen von entscheidender Bedeutung gewesen. Ganz Zentralgriechenland stand nach dem Fall der Thermo­ pylen dem Perser offen, dessen Vormarsch durch brennende Städte und Dörfer gekennzeichnet wurde. Theben, das nur mit halbem Herzen für die Sache der Freiheit gekämpft hatte, wurde ver­ schont. Durch offenen Anschluß an den Meder konnte Delphi die Schätze des Heiligtums retten. Attika mußte von den Einwohnern geräumt werden, nur auf der athenischen Akropolis blieb eine schwache Besatzung zurück; sie wurde nach einer regelrechten Be­ lagerung von den Persern überwältigt, die Burg planmäßig ver­ wüstet. Während man noch fieberhaft an der Befestigung des schmalen

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Isthmos, der letzten Verteidigungsstellung von Griechenland, ar­ beitete, konzentrierte sich die hellenische Flotte unter dem Befehl des Spartaners Eurybiades im Sunde von Salamis. Es waren ins­ gesamt wenig mehr als 300 Schiffe, das weitaus größte Kontingent hatte Athen gestellt vor Korinth und Ägina. Für die Wahl des Kampfplatzes war die Ansicht des Themistokles maßgebend ge­ wesen; er allein hatte sich von dem an dem Landkrieg orientierten Denken losgelöst, indem er als erster von den Griechen die Auto­ nomie der Flotte und die Kriegsentscheidung zur See verfocht. Die Absicht, die Perser dort zum Schlagen zu bringen, wo es Themistokles wünschte, offenbart seine geheime Botschaft an Xer­ xes, deren Authentizität man nicht in Zweifel ziehen sollte, da sie schon von Aischylos in den nur acht Jahre nach Salamis aufge­ führten „Persern“ bezeugt wird: Xerxes solle bald zupacken, denn die Griechen seien zur Flucht entschlossen. Die Entscheidung ist denn auch an der engsten Stelle im Sunde von Salamis, in den Gewässern zwischen dem Aigaleoshügel, der Insel Psyttaleia (Lipsokutala) und der spitz nach Osten vorsprin­ genden Halbinsel Kynosura gefallen, d. h. genau an der Stelle, an der Themistokles die Perser haben wollte. Die persische Anlage der Seeschlacht bei Salamis weist gewisse Ähnlichkeiten mit der Taktik in der Schlacht beim Artemision auf. Wiederum war ein Umgehungsgeschwader detachiert worden, es sollte südlich um die Insel Salamis herumfahren und die Landenge zwischen der Insel und der Megaris sperren, so daß die griechische Flotte wie in einem Sack gefangen gewesen wäre. Dazu wurde die Insel Psyttaleia (Lipsokutala) von einem persischen Landungs­ korps besetzt, das die griechischen Schiffbrüchigen abfangen sollte. Die persische Flotte kämpfte mit Front nach Süden, mit den Höhen des Aigaleos im Rücken, von dem aus Xerxes das grandiose Schau­ spiel zu seinen Füßen betrachtete. Der rechte persische Flügel stand wohl eher bei Hagios Georgios als bei dem an der engsten Stelle des Sundes, dem heutigen Perama, gelegenen Herakleion (so jedoch J. Keil). Bei Hagios Georgios kämpften die Phöniker; das ionische Kontingent, das sich an Psyttaleia anlehnte, stand am linken Flügel. 10

Bengtson, SA

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Die Griechen standen mit Front nach Norden, am rechten Flügel die Ägineten, am linken die Athener. Der Verlauf der schicksalsent­ scheidenden Schlacht gibt noch so manches Rätsel auf, es kann je­ doch als sicher gelten, daß die Entscheidung durch einen überra­ schenden Flankenstoß der Athener von Westen her (vielleicht nach Umfahren der Insel Hagios Georgios?) herbeigeführt worden ist ein Manöver, das die ohnehin schon sehr dicht stehenden persischen Schiffe noch mehr zusammendrängte und in ihrer Manövrierfähig­ keit behinderte. Doch leisteten die Perser energischen Widerstand. Ihre Streitmacht auf Psyttaleia wurde durch attische Hopliten und Schützen unter Aristeides niedergemacht. Nach zwölfstündigem Kampfe endete die Schlacht mit einem vollständigen griechischen Siege. Was an persischen Schiffen der Vernichtung entgangen war, segelte zur Rede von Phaleron zurück. Auch an eine Fortsetzung der persischen Operationen zu Lande war nicht mehr zu denken. Ohne überhaupt einen Angriff auf die Isthmosstellung versucht zu haben, führte Xerxes das Landheer nach Athen zurück. Fragt man nach den tieferen Gründen der persischen Nieder­ lage, so darf nicht übersehen werden, daß die Schiffe der Perser an sich seetüchtiger und manövrierfähiger als die griechischen wa­ ren; dazu verfügten die phönikischen und ionischen Seeleute über eine bessere Seekenntnis als die Griechen des Mutterlandes, was jene zu einem ausgeprägten Überlegenheitsgefühl gegenüber ihren Gegnern verleitete. Andererseits war aber die persische Flotte durch den dreitägigen Sturm bei Kap Sepias vor der Schlacht beim Artemision immer noch schwer mitgenommen, nautische Unzulänglich­ keiten, geringe Vertrautheit mit den griechischen Gewässern, Un­ fähigkeit der Admiräle aus dem persischen Hochadel, sklavische Ab­ hängigkeit von der Landkriegsführung - all diese Momente geben Erklärungen für die schwere Niederlage. Dazu kämpften die Grie­ chen bei Salamis um Heimat und Freiheit, den Persern winkte gün­ stigenfalls nur eine Belohnung aus der Hand des Großkönigs. Das irrationale Element hat sich als das entscheidende erwiesen; es hat über zahlenmäßige Überlegenheit und bessere Erfahrung dank der genialen Strategie des Themistokles den Sieg davongetragen.

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Die Schlacht bei Salamis (Ende September 480) hat den Feldzug des Jahres entschieden. Xerxes’ Siegeszug vom Olymp bis an den Isthmos von Korinth war zum Stehen gebracht. Den errungenen Sieg strategisch auszunützen waren die Griechen jedoch nicht im­ stande. So wurde der Vorschlag des Themistokles, einen Flotten­ vorstoß gegen den Hellespont zu unternehmen, von den Peloponnesiern abgelehnt. Die Bedrohung Griechenlands durch das unter Mardonios’ Befehl in Thessalien überwinternde Gros des persi­ schen Landheeres blieb bestehen. Der Großkönig begab sich nach Sardes, um der für das folgende Frühjahr geplanten Eröffnung eines neuen Feldzuges in Griechenland nahe zu sein. Für Xerxes* Entschluß, den griechischen Boden zu verlassen, ist schwerlich der umstrittene Ratsdilag des Themistokles maßgebend gewesen; denn wahrscheinlich ist diese zweite Botschaft des Atheners eine unhisto­ rische Dublette zu der ersten vor der Schlacht bei Salamis. Der tiefe Eindrude der persischen Niederlage spiegelt sich in den Aufständen, die auf der Chalkidike, aber auch im Herzen des Perserreiches, in Babylonien, ausgebrochen sind. Während Olynth bald überwältigt wurde, hielt Poteidaia stand; seine Bürger er­ scheinen deshalb mit Fug und Recht auf der Schlangensäule von Delphi unter den Mitkämpfern im Freiheitskriege. In Babylon wurde der prachtvolle Tempel des Bel-Marduk von den Persern zerstört, das Sonderkönigtum Babel beseitigt. Es ist dieser baby­ lonische Aufstand des Jahres 479 gewesen, der eine Wiederauf­ nahme des Heereszuges durch Xerxes und den Einsatz neuer Trup­ pen in Griechenland vereitelt hat. Die griechischen Operationen nach der Schlacht bei Salamis wa­ ren praktisch bedeutungslos. Man trieb von den Kykladen Kon­ tributionen ein, um sie für ihre promedische Einstellung zu be­ strafen. Der von dem Spartaner Kleombrotos geplante Vorstoß zu Lande über den Isthmos nach Mittelgriechenland kam nicht zustande. Wäre er mißglückt, so hätte er alles bisher Erreichte in Frage gestellt. Es galt vielmehr, das griechische Heer intakt zu halten, denn die Entscheidung zu Lande stand noch bevor.

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Der Angriff der Perser (500-479) 5. Die Siege der Griechen hei Platää und Mykale

(479 v. Chr.)

Während des Aufenthaltes des Themistokles in Sparta im Winter 480/79 wurde der gemeinsame Kriegsplan der Verbündeten fest­ gelegt. Wieder kam es nur zu halben Maßnahmen; der Spartaner­ könig Leotychidas führte zum Schutze der Kykladen eine Flotten­ demonstration durch, die völlig ergebnislos verlief. Anderseits ent­ faltete der wendige Mardonios von seinem thessalischen Haupt­ quartier aus eine lebhafte diplomatische Tätigkeit; sein Ziel war es, den Block der Hellenen zu spalten, indem er sich vor allem um Athen bemühte. Im Frühjahr 479 erschien der makedonische Kö­ nig Alexander I. als Unterhändler in Athen; er hatte weitgehende Angebote der Perser zu übermitteln, falls sich die Athener zu einem Bündnis bereit erklären würden. Im Winter 480/79 war es jedoch in Athen zu einem folgen­ schweren politischen Umschwung gekommen: an Stelle von The­ mistokles waren Xanthippos, durch Heirat mit den Alkmeoniden verschwägert, und Aristeides zu Strategen gewählt worden. Offen­ bar war man in Athen mit dem von Themistokles auf dem Kon­ greß in Sparta Erreichten nicht zufrieden. Im Sommer 479 mußte man vor dem von Norden herannahenden Perserheer noch einmal das attische Land und die Stadt Athen räumen. Während die Be­ völkerung in Salamis Zuflucht suchte, vollendeten die Perser ihr Zerstörungswerk in Athen. Den dringenden Bitten der Athener konnten sich die Spartaner nun nicht länger verschließen. Pausa­ nias, der Vormund des jungen Königs Pleistarchos, des Sohnes des Leonidas, führte das Aufgebot der Peloponnesier über den Isthmos. Mit ihm vereinigten sich die Kontingente der griechischen Eidgenossen, von Athen, Platää, Megara, Ägina, von Korinth und seinen Kolonien, alles in allem etwa 30000 Mann - das war nahe­ zu alles, was Hellas, soweit es nicht von den Persern abhängig war, aufzubringen vermochte; Mardonios hatte sich nach Böotien zurückgezogen und erwartete im Gebiet von Platää mit etwa 4050000 Mann den Feind.

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Der eigenartige Verlauf der Schlacht bei Platää ist nur zu ver­ stehen, wenn man annimmt, daß die einzelnen griechischen Kon­ tingente in einer gewissen Isolierung den Kampf durchgefochten haben, ohne sich viel um die Direktiven des Oberfeldherrn Pau­ sanias zu kümmern. Die eigentliche Schlacht hat im Gebiet nörd­ lich von Platää (westlich der Straße Theben-Athen) im Gelände des Asoposbaches stattgefunden. Durch eine von Pausanias befoh­ lene Rückzugsbewegung, die den Sinn hatte, den wichtigen DryosKephalai-Paß zu decken, entstand im griechischen Heere ein voll­ ständiges Durcheinander. Die Athener unter Aristeides machten nämlich nicht mit, sondern rückten im Gegenteil sogar noch weiter nach Norden, in den Bachgrund, vor. In dieser prekären Lage traf die Griechen der persische Angriff; er wurde jedoch von der spar­ tanischen Phalanx aufgefangen. Wieder triumphierte die griechi­ sche Lanze über den persischen Bogen, Mardonios fand mit zahl­ reichen Persern den Tod. Von dem Kampf des athenischen Kon­ tingentes ist nichts Sicheres bekannt. Mit Recht durfte Pausanias den Ruhm des Sieges für sich in Anspruch nehmen, er hatte die Lage trotz des Versagens eines Teils des Heeres gemeistert. Auf dem Schlachtfelde errichteten die Hellenen dem Zeus einen Altar und stifteten ein penteterisches (alle vier Jahre wiederkehrendes) Soterienfest, dessen Leitung man den Platäern übertrug. Ihr Ge­ biet wurde von den Eidgenossen für unverletzlich erklärt. Noch blieb die Rechnung mit Theben, der Hochburg des Medismos auf griechischem Boden, zu begleichen. Trotz ihrer festen Mauern verloren die Thebaner den Mut, sie lieferten die führen­ den Perserfreunde aus, die Pausanias auf dem Isthmos zum Tode führen ließ. Damit war der Feldzug der Griechen beendet; fast 1 % Jahrhunderte lang - bis Chaironeia (338) - hat kein fremder Feind griechischen Boden betreten. Die Griechen aber traten nun aus der Defensive, in die sie durch den Angriff des Xerxes gedrängt worden waren, heraus; so bildete Platää einen entscheidenden Wendepunkt der griechischen Geschichte; in seiner historischen Be­ deutung ist er nur mit dem Übergang Alexanders nach Asien i. J. 334 v. Chr. zu vergleichen.

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Dem Siege bei Platää folgte trotz der vorgerückten Jahreszeit eine griechische Flottenexpedition nach Ionien, den Befehl führte der Spartanerkönig Leotychidas. Am Vorgebirge Mykale, in der Mündungsebene des Mäander, traf man das persische Schiffslager; es wurde von einem überlegenen griechischen Landungskorps er­ stürmt; die Schiffe gingen in Flammen auf, ein Teil der Perser kam im Gebirge durch die Waffen der Ioner um. Mykale war das Signal zum allgemeinen Abfall der Ioner von den Persern: über­ all vertrieb man die Tyrannen und die nur noch schwachen per­ sischen Besatzungen. Um nicht in Zukunft der Rache der Perser ausgeliefert zu sein, baten die Ioner um Aufnahme in die hellenische Eidgenossenschaft, falls Sparta gewillt sei, als Hegemon den Schutz der Ioner zu übernehmen. Die Spartaner lehnten dies in klarer Erkenntnis der politischen Möglichkeiten ab. Sie forderten vielmehr die Ioner zur Umsiedlung nach Griechenland auf; hier sollten sie jene Städte erhalten, die sich den Persern angeschlossen hatten, ein Plan, der praktisch undurchführbar gewesen wäre. Allein die Inseln Lesbos, Chios und Samos wurden, und zwar auf Fürsprache Athens, in die hellenische Kampfgemeinschaft aufgenommen. Athen selbst aber schloß mit einigen Gemeinden in Ionien und am Hellespont besondere Bündnisverträge ab: sie sind die Keimzelle des 1. Atti­ schen Seebundes. In der delphischen Amphiktyonie gab es noch ein Nachspiel (Herbst 479 oder Frühjahr 478): die Spartaner verlangten den Ausschluß all jener Staaten, die sich nicht am Kampf gegen die Perser beteiligt hatten. Themistokles trat diesem Antrag entgegen und rettete damit die Amphiktyonie. Mit der Einnahme von Sestos am Hellespont wurde der Flotten­ zug abgeschlossen. Es ist dies das letzte Ereignis, das Herodot in seinem Geschichtswerk beschrieben hat. Zu Lande hatte der Ab­ wehrkampf der Hellenen einen noch späteren Abschluß. Im Jahre 477 unternahm der Spartanerkönig Leotychidas eine Expedition nach Thessalien, vor allem um den promedisch gesonnenen Adel zu bestrafen. Ein durchschlagender Erfolg wurde nicht erzielt;

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man mußte sogar die Aleuaden im Besitze der Herrschaft über Larisa belassen. Die Griechen haben den Mißerfolg dadurch zu er­ klären versucht, daß sie annahmen, Leotychidas sei bestochen worden. Salamis und Platää haben die Entscheidung im griechischen Freiheitskampf gebracht. Wenn auch die Perserkriege erst ein vol­ les Menschenalter später, durch den Frieden des Kailias (449), ihren vertragsmäßigen Abschluß fanden, so wird doch die große Zeitenwende durch die griechischen Siege bei Salamis und Platää bezeichnet. In den Freiheitskämpfen ging es nicht nur um die ma­ terielle Existenz der Griechen; daß ihnen im Falle der Niederlage Versklavung und Deportation gewiß waren, das haben die Grie­ chen nur zu gut gewußt. Es ging in dem großen Ringen um mehr, um die höchsten Güter der griechischen Menschen und des griechi­ schen Volkes, um äußere und innere Freiheit, um Menschenwürde, um staatliche Autonomie - kurz, um alles, was dem Leben der Hellenen, des einzelnen wie der Gesamtheit, Wert und Fülle ge­ geben hatte. Wer die Zeichen der Zeit zu deuten wußte, wem das Schicksal der ionischen Brüder in Kleinasien vor Augen stand, der wußte, daß die dunkle Wolke des persischen Despotismus auch das griechische Mutterland verschlingen würde, wenn sich die Griechen nicht zu einmütiger Abwehr zusammenfanden. Gewiß haben auch die Perser, das führende Volk des achämenidischen Weltreiches, Ideale besessen, deren Wert den Griechen nicht verborgen geblieben war: die Treue der Vasallen zu ihrem angestammten Herrn, die unbedingte Hingabe des persischen Mannes für das Herrscherhaus, der Stolz der Ritterschaft auf die eigene, arische Art, die Freude am ritterlichen Kampf, das Ein­ treten für Recht und Wahrheit. Das enge Zusammenleben mit den alten KuJturnationen des Vorderen Orients, vor allem mit den Babyloniern, war jedoch nicht spurlos an den Persern vorüber­ gegangen. Religion und Sitte, Denken und Fühlen hatten sich unter vorderasiatischem Einfluß binnen einem halben Jahrhun­ dert entscheidend gewandelt; es war eine neue Generation ans Ruder gekommen, die sich in die einfachen, patriarchalischen Vcr-

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hältnisse, wie sie zur Zeit des großen Kyros geherrscht hatten, nicht mehr zurückfand. Den Großkönig und den persischen Mann trennte eine große Kluft, die sich ständig erweiterte, und insbeson­ dere die Formen, in denen sich der Verkehr zwischen dem Herr­ scher und den Untertanen vollzog, mußten auf die Griechen fremd, ja geradezu abstoßend wirken; das gleiche galt von dem Schreiber­ regiment, das im Gefolge der persischen Satrapen in Ionien ein­ gezogen war. Die große Persernot hat zum ersten Male in der griechischen Geschichte die Flamme des hellenischen Gemeinschaftsgefühls ent­ zündet. Wenn die Athener, wie Herodot (VIII 144) erzählt, dem Perser Mardonios auf sein Bündnisangebot i. J. 479 antworte­ ten, es sei nicht ihre Sache, an dem Griechentum Verrat zu üben, das sich in der gemeinsamen Abstammung und Sprache, in den ge­ meinsamen Heiligtümern und Opfern sowie in der Gemeinsamkeit der Sitten manifestiere, so spiegelt die Antwort den Geist der Zeit ausgezeichnet wider, mag sie nun historisch sein oder nicht. Wenn es einen griechischen Staat gegeben hat, der den Sinn des Freiheitskampfes zutiefst begriffen hatte, so war es Athen ge­ wesen: seine Bewohner hatten zweimal den Heimatboden ver­ lassen müssen, und die athenische Staatsführung hatte dadurch, daß sie die Flotte bedingungslos dem spartanischen Oberbefehl unterstellte, vor aller Augen dokumentiert, daß die Sache der Na­ tion über die Prärogative der Einzelstaaten gestellt werden müsse. Von einer praktischen Verwirklichung der panhellenischen Idee im Leben der einzelnen griechischen Gemeinden war man freilich auch nach den Siegen bei Salamis und Platää noch weit entfernt. Der Beschluß der Griechen, zur Fortführung des Kampfes nach der Schlacht bei Platää eine gemeinsame Streitmacht von 10000 Hopliten und 1000 Reitern aufzustellen, ein Beschluß, der wie eine Vorwegnahme der Organisation des Korinthischen Bundes d. J. 338/7 v. Chr. anmutet, ist jedenfalls, was seine Geschicht­ lichkeit betrifft, nicht über alle Zweifel erhaben. Die welthistorischen Perspektiven des griechischen Sieges über die Perser sind fast unabsehbar. Dadurch, daß die Hellenen den

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Ansturm des Ostens meisterten, haben sie der politischen und kul­ turellen Entwicklung des Westens auf ein volles Jahrhundert hin­ aus Ziel und Richtung gegeben. Erst durch den siegreichen Frei­ heitskampf der Griechen ist Europa als Idee und Wirklichkeit ge­ boren worden. Die Güter, für die einst die Griechen ihr Leben einsetzten, sind auch heute noch die höchsten Werte im Leben der abendländischen Menschheit. Daß die griechische Kultur in voller innerer und äußerer Freiheit den Aufstieg zu jenen Leistungen finden konnte, die das Abendland als die unerreichten, klassischen Vorbilder in der bildenden Kunst, im Drama, in der Philosophie und in der Geschichtsschreibung verehrt, das verdankt Europa den Kämpfern von Salamis und Platää, dem Themistokles nicht min­ der als dem Pausanias. Nicht nur die politische Freiheit, auch die geistige Unabhängigkeit des abendländischen Menschen haben die Griechen verteidigt, und wenn wir uns heute als denkende, freie Menschen fühlen, so haben jene die Voraussetzungen dafür ge­ schaffen. Gemessen an der Riesengröße des persischen Weltreiches war Hellas nur ein Land zweiten oder dritten Ranges, das, in eine Vielzahl von Kleinstaaten aufgespalten, für eine wirkliche welt­ politische Rolle alles andere als prädestiniert schien. Das Beispiel des griechischen Freiheitskampfes beweist, daß die Geschichte des menschlichen Geistes nicht an geographische und machtpolitische Gegebenheiten gebunden ist, sie beruht vielmehr auf der Leistung des schöpferischen Ingeniums, nicht auf dem kollektiven Faktor der Masse, die der Staatsmann für seine Pläne nicht entbehren kann. Ist es ein Zufall, wenn das Perserreich, von den Herrscher­ gestalten abgesehen, die ihre Taten im Stile der Assyrerkönige in monumentalen Prunkinschriften verewigten, keine einzige Indivi­ dualität aufzuweisen hat, deren Leistungen in irgendeinem Bereich des menschlichen Geistes sichtbar würden? Trotz unverkennbarer Begabung sind die Perser gar bald der Umarmung des Orients er­ legen, das Ende der persischen Kultur ist die Nivellierung, nicht die Individualisierung wie in Griechenland. Dagegen hat Hellas durch seine Künstler, Ärzte und Gelehrten dem Perserreich in lan-

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gen Jahrhunderten immer wieder neue Kräfte und neues Leben zugeführt; empfangen hat es dafür nichts, oder doch nur wenig, und meistens nur materielle Gegengaben. Der griechische Geist aber ist wahrlich zum Sauerteig einer ganzen Welt geworden, des Okzidents und des Orients.

6. Die Westgriechen von 500-480 v. Chr.

Das Charakteristikum der sizilischen Geschichte um die Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert ist die Tyrannis. In der Regel durch soziale Umwälzungen entstanden, die gelegentlich durch völkische Gegensätze wie z. B. in Syrakus durch den Kampf der griechischen Landbesitzer (Gamoren) und der sizilischen Hörigen noch verschärft worden sind, hat die Tyrannis auf sizilischem Boden die Kräfte des Hellenentums stark aktiviert und zu bedeutenden Macht­ gruppierungen zusammengefaßt. Als Vorkämpfer des Griechen­ tums gegen die karthagische Aggression haben die Tyrannen eine neue Epoche in der Geschichte des Westgriechentums eingeleitet. Zum erstenmal wurde hier die Idee der Polis durch die Idee des Flächenstaates nicht allein ergänzt, sondern bis zu einem gewissen Grade auch überwunden. Indem sie die politische und wirtschaft­ liche Bedeutung des in einem möglichst ausgedehnten Territorium liegenden Machtfaktors erkannten, waren die sizilischen Tyrannen die Schöpfer einer neuen politischen Konzeption und eilten hierin der Entwicklung im Osten um mehr als ein Jahrhundert voraus Freilich wurde die politische Macht um einen teuren Preis erkauft. Leben und Freiheit der Mitbürger galten den Gewaltmenschen wenig. Das Ziel ihrer Herrschaft: war die Errichtung einer Haus­ macht, die sie durch politische Heiraten möglichst fest zu verankern suchten. So haben die machtvollen Herrscher Anaxilaos von Rhegion, Hippokrates von Gela, sein Nachfolger Gelon und Terillos von Himera das sizilische Kleinstaatenidyll mit rauher Hand zer­ stört, sie haben die sizilische Polis aus einer Periode der Macht-

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losigkeit herausgeführt und vor den Griechen Siziliens neue Ziele, und zwar nationale Ziele, aufgerichtet. Nur so ist es gelungen, die karthagische Gefahr zu bannen, die das Griechentum des Westens zu erdrücken drohte. Von den sizilischen Tyrannenherrschaften kommt der des Kleandros in Gela an der sizilischen Südküste (seit etwa 505 v. Chr.) deshalb eine besondere historische Bedeutung zu, weil sie die Ur­ zelle des späteren syrakusanisch-gelaischen Doppelstaates der Deinomeniden gewesen ist. Kleandros’ Bruder, Hippokrates, errich­ tete in Gela eine Militärmonarchie, deren Stütze ein starkes Söld­ nerkontingent bildete. Sie vermochte nur zu bestehen, wenn sie die Bahn der Eroberung beschritt. Dadurch, daß Hippokrates eine Anzahl von Sikelergemeinden im Innern der Insel unterjochte, und dadurch, daß er die chalkidischen Kolonien, Kallipolis, Naxos und Leontinoi, seinem Herrschaftsgebiet eingliederte, dehnte er seinen Machtbereich bis jenseits des Ätna aus; wie ein breites Band erstreckte sich der gelaische Staat quer durch die ganze Insel, die er in zwei Teile, einen größeren westlichen und einen viel kleine­ ren östlichen, zerschnitt. Nach einem durchschlagenden Sieg über die Syrakusaner am Helorosfluß zwang sie Hippokrates, Kamarina abzutreten. Seinem Nachfolger Getön, dem Sohn des Deinomenes, der nach Hippokrates’ Tode 491 (?) unter Zurückset­ zung der Söhne des Tyrannen die Herrschaft an sich riß, gelang es, das Werk seines Vorgängers dadurch zu krönen, daß er Syrakusai in den werdenden ostsizilischen Flächenstaat einfügte. Von verbannten syrakusanischen Gamoren in Kasmenai um Hilfe angerufen, führte er sie in die Heimat zurück, zog aber den Fuß, den er einmal auf die Schwelle von Syrakusai gesetzt hatte, nicht wieder zurück. Die Angliederung von Syrakusai (um 485 v. Chr.) an den im Entstehen begriffenen, bisher von Gela aus re­ gierten Staat der Deinomeniden ist nach dem treffenden Urteil E. A. Freemans eines der hervorragendsten Ereignisse der sizi­ lischen Geschichte. Denn anders als Gela war Syrakus durch seine trefflichen Häfen, durch die Ausdehnungsmöglichkeiten auf dem Plateau der Epipolai, zur Hauptstadt eines sizilischen Staates

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geradezu prädestiniert. Durch Umsiedlung von Bewohnern aus Megara Hyblaia, aus dem sizilischen Euböa, aus Gela und Kamarina, durch die Anlage starker Befestigungen, die Besiedlung der syrakusanischen Achradina und durch den Bau einer Kriegsflotte etwa zu der gleichen Zeit, in der Themistokles Athen zur ersten Seemacht des griechischen Ostens erhob - hat der Deinomenide Gelon den Grund zu Syrakusens späterer Größe gelegt. Er selbst bekleidete in der Stadt dem Namen nach die verfassungsmäßige Stellung eines „bevollmächtigten Strategen“, an der Herrschaft als solcher aber hatte die ganze Familie der Deinomeniden Anteil. So gebot Gelons jüngerer Bruder Hieron als Statthalter in Gela; ihm als dem nächstältesten Mitglied des Hauses ist die Nachfolge des Tyrannen zugefallen. Wenn der ganze Staat als Besitz des Ty­ rannenhauses angesehen und gewissermaßen als Privateigentum vererbt wurde, so war dies der Ausfluß einer echt patrimonialen Auffassung, die sich später die hellenistischen Herrscher zu eigen gemacht haben. Die äußere Form der bürgerlichen Selbstregierung blieb übrigens in Syrakusai (und wohl auch in den anderen Grie­ chenstädten) unter Gelon bestehen. Noch immer tagte dieEkklesia, doch hatte sie ein anderes Gesicht bekommen, denn auf Geheiß des Tyrannen hatte man zahlreiche Söldner, vor allem Arkader, in die Bürgerschaft aufnehmen müssen, ein Vorgang, der gleichfalls wie eine Vorwegnahme späterer hellenistischer Gepflogenheiten erscheint. Der zweite bedeutende Tyrannenstaat entstand zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. an den sizilischen Meerengen. Die Urzelle war die Stadt Rhegion (Reggio di Calabria). Ihr Herrscher, Anaxilaos (494-476 v. Chr.), dehnte seine Macht auch auf das sizilische Zankle (Dankle) aus; er bediente sich dabei der Hilfe flüchti­ ger Samier und Milesier, die nach der Schlacht bei Lade ihre Hei­ matverlassen hatten. Bald wurde Anaxilaos ihrer jedoch überdrüs­ sig und ließ Siedler aus Messenien kommen; nach ihnen wurde Zankle in Messana (heute Messina) umbenannt. Rhegion und Messana schmiedete der Herrscher zu einem Staat zusammen, der u. a. gemeinsame Münzen schlug.

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In dem Staat des Theron von Akragas, dessen Gebiet sich nach der Vertreibung des Terillos von Himera (483/2) vom Libyschen zum Tyrrhenischen Meere erstreckte, fand Gelon einen wertvollen Bundesgenossen. Durch gegenseitige Verschwägerung wurde ein enges Band zwischen den beiden Machthabern geknüpft. Die Über­ macht der Koalition des Gelon und des Theron hatte zur Folge, daß sich die anderen Tyrannen an jene Macht anlehnten, die das größte Interesse daran besaß, eine weitgehende Einigung Siziliens zu verhindern: Karthago. Terillos’ Hilferufe gaben den Puniern den längst ersehnten Vor­ wand, die fortschreitende Einigung der Insel unter der Führung der Deinomeniden zu vereiteln. Es war kein Zufall, wenn der karthagische Angriff mit der Offensive des Xerxes gegen das grie­ chische Mutterland zeitlich zusammentraf; beide Aggressionen waren aufeinander abgestimmt als das Ergebnis eines großen Pla­ nes, der sich die politische Vernichtung der Hellenen in Ost und West zum Ziele gesetzt hatte. Es war dies eine der „großartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die phönikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlage die Freiheit und die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen“ (Th. Mommsen). Ein großes Söldnerheer aus Libyern, Phönikern, Sarden, Korsen, Iberern und Ligurern betrat unter dem Kommando Hamilkars in Panormos (Palermo) sizilischen Boden; es sollte Himera dem Theron wieder entreißen. Die gemeinsame Leitung der Streitkräfte der Griechen lag in Gelons Händen, Theron ordnete sich ihm unter. In der Schlacht am Himerasfluß, deren Verlauf sich nicht mehr rekonstruieren läßt, sieg­ ten die Griechen, Hamilkar gab sich den Tod in den Flammen (480 v. Chr.). Aus der karthagischen Beute und Kriegsentschädi­ gung errichtete der Sieger Gelon zahlreiche Tempelbauten und übersandte den panhellenischen Heiligtümern von Delphi und Olympia prachtvolle Weihgeschenke. Seit der Schlacht am Himeras war Gelon der mächtigste Herrscher im Westen, seinen Ruhm verkündete Pindar (Pyth. I 75 ff.), der den sizilischen Sieg den Schlachten von Salamis und Platää an die Seite stellte.

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Die Pentekontaetie (478-4jr)

So endete die Geschichte der Westgriechen im Zeitalter der gro­ ßen Perserkriege mit einem weltgeschichtlichen Erfolg. Auch im Westen war es die große Einzelpersönlichkeit, die den Hellenen die Freiheit erkämpft und verteidigt hat. Neben Sparta und Athen, die führenden Staaten des Mutterlandes, stellt sich der syrakusanisch-gelaische Doppelstaat des Gelon, der nach seinem Tode i. J. 478 auf Hieron überging. Unter ihm ist Syrakus der kulturelle Mittelpunkt des hellenischen Westens geworden.

ZWEITER TEIL

DIE PENTEKONTAETIE

(478-431 v. Chr.) Die Politik der Pentekontaetie erhält durch den Gegensatz Athens zu Persien und durch den wachsenden attisch-spartanischen Dua­ lismus ihr Gepräge. In dem Delisch-Attischen Seebund ist in die­ ser Epoche die bedeutendste Machtbildung entstanden, die jemals von einer griechischen Polis begründet und gelenkt worden ist. Athen und der von ihm geführte Seebund, nicht mehr Sparta, sind nun die Träger des Nationalkrieges gegen Persien, der nach anfänglichen großen Erfolgen der Griechen i. J. 449 durch den Vertrag des Kailias beendet worden ist. Die politische Entwick­ lung in Griechenland wird in dieser Epoche nicht von der ein­ zelnen Polis, sondern vielmehr von den großen hegemonialen Bundesorganisationen getragen, von dem Peloponnesischen Bund und von dem Delisch-Attischen Seebund. In der Weltpolitik ist das Ergebnis ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte zwischen dem Osten und dem Westen, ein Zustand, der freilich in hohem Maße durch die Inaktivität des Perserreiches infolge innerer Unruhen bedingt wird. Das wichtigste innenpolitische Ereignis der Pentekontaetie ist die Schöpfung der radikalen athenischen Demokratie durch Ephial-

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tes und Perikies. Dadurch, daß man die Idee der staatspolitischen Gleichheit der Bürger bis zur äußersten Konsequenz verwirklichte, hat man letzten Endes der Herrschaft der Demagogen Tür und Tor geöffnet. Wenn die negativen Folgen zunächst noch nicht ein­ getreten sind, so ist dies das Verdienst des Perikies, der seit dem Tode des Ephialtes (461) die dominierende Figur der athenischen Politik gewesen ist. Unter Führung des Perikies hat die attische Demokratie der Welt das Schönste und Dauerhafteste geschenkt, wessen ein Staat, eine Gemeinschaft von Führenden und Geführ­ ten, überhaupt fähig ist: in den Werken der großen Meister der Dichtung und der bildenden Kunst hat sie dem Abendland die für alle Zeiten klassischen Vorbilder gegeben, die noch heute einen untrennbaren Teil der europäischen Kultur darstellen. Gewiß hatte die Konzentration des politischen und geistigen Lebens in Athen, dem Vorort des Delisch-Attischen Seebundes, auch ihre Schattenseiten; den Bündnern brachte sie einen kulturellen Rück­ gang, vielfach sogar den Niedergang: aus Ioniens Städten wander­ ten die Künstler nach dem Westen ab, die Zeiten des 6. Jahrhun­ derts, in denen Städte wie Knidos, Siphnos, Klazomenai ihre prächtigen Schatzhäuser in Delphi errichteten, waren unwieder­ bringlich dahin. Neben dem griechischen Mutterlande, in dem Sparta, vor allem infolge der rückläufigen Bevölkerungsbewegung, weltpolitisch we­ niger hervortritt, steht der hellenische Westen, stehen Sizilien und Großgriechenland. Mit dem Sturz der Tyrannen in Sizilien hebt im Westen ein neues Zeitalter an; es ist gekennzeichnet durch in­ nere Unruhen, Kämpfe der einzelnen griechischen Gemeinden ge­ geneinander, vor allem aber durch das Erwachen des einheimischen Volkstums, der Sikeler und der italischen Stämme. Noch waren diese Kräfte des einheimischen Volkstums zu sehr zersplittert, um den Hellenen im Westen ebenbürtig zu sein - aber die neue Zeit pochte vernehmlich an die Tore der griechischen Städte und mahnte sie zur Einigkeit, wollten sie nicht das Höchste verlieren, das das Griechentum überhaupt besaß: die Freiheit und die Fähigkeit, das Schicksal nach eigenem Ermessen zu bestimmen.

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1. Die Gründung des Delisch-Attischen Seehundes.

Die Kimonische Ära (478-463 v. Chr.) Die Geschichte Griechenlands in den ersten 15 Jahren nach dem Xerxeszuge hat als ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung den Aufstieg Athens zur Großmacht gezeitigt. Durch den Aufbau des Delisch-Attischen Seebundes hat sich Athen ein Machtinstru­ ment geschaffen, das dem Peloponnesischen Bunde unter Spartas Hegemonie ebenbürtig an die Seite tritt. In diesen Jahren wird der spartanisch-attische Gegensatz zu einer historischen Tatsache. Er ist zum erstenmal in dem wegen des athenischen Mauerbaues entstandenen Konflikt aufgebrochen. Der von Themistokles angeregte Mauerbau sollte Athen zu einer starken Festung ausbauen und die Stadt für jeden auswärtigen Feind uneinnehmbar machen. Der Mauerbau ist gewissermaßen die Ergänzung zu der von Themistokles geschaffenen athenischen Kriegsflotte: auf beiden beruht in der Tat die überragende stra­ tegische Position, die Athen vor allen anderen griechischen Staa­ ten bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges auszeichnete. Themistokles’ Plan stieß nicht nur auf den Widerstand der näch­ sten Nachbarn Athens, vor allem Äginas, sondern auch auf die unverhüllte Abneigung der Spartaner. Während sich Themistokles nach Sparta begab, um dem Bundesgenossen beruhigende Zusiche­ rungen zu machen (Winter 479/8), errichtete man in Athen binnen kürzester Frist einen etwa 6 km langen Mauerring (Steinsodtel mit einem Oberbau von Lehmziegeln), und zwar verwandte man dafür jedes nur irgendwie verwertbare Material; sogar Grab­ stelen wurden in ihn mit eingebaut. Im Anschluß an den Bau der Stadtmauer wurde mit der Errichtung von Befestigungsanlagen im Piräus begonnen, die Arbeiten scheinen im Laufe der 70er Jahre vollendet worden zu sein. Nadi dem Plan des Themistokles sollte Athen zu einer gewaltigen Land- und Seefestung werden, doch erst gegen Ende der 60er Jahre wurde das Werk durch den Bau der Nordmauer und der phalerischen Mauer gekrönt: Stadt

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und Hafen waren damit in eine einzige Festungsanlage ver­ wandelt. Eine eigentümliche Rolle hat in den ersten Jahren nach Mykale (479) der Spartaner Pausanias gespielt. Nachdem eine gemein­ same hellenische Flottenexpedition nach Cypern mit der Unter­ werfung und dem Beitritt zahlreicher cyprischer Gemeinden zur hellenischen Symmachie geendet hatte (Winter 478), führte das herrische Auftreten des Pausanias bei der Belagerung des festen Byzanz zur direkten Unbotmäßigkeit ionischer Kontingente; nach der Einnahme von Byzanz mußte Sparta den Regenten ab­ berufen (477). Die Haltung des Pausanias - er hatte sich mit einer aus Persern und Ägyptern gebildeten Leibwache umgeben, dazu medische Tracht und Lebensweise angenommen - kennzeichnet ihn als den großen Einzelmenschen, der sich über die durch die spartanische Staatsordnung gegebenen Schranken hinwegsetzte, um sich, fern von der Heimat, durch seinen persönlichen Einfluß eine eigene Machtstellung aufzubauen. Daß er dabei mit den Per­ sern konspiriert hätte, wie es ihm bei dem späteren Prozeß die Spartaner vorwarfen, ist freilich in keiner Weise erwiesen. Zu einer Verurteilung kam es damals nicht; Pausanias kehrte viel­ mehr auf eigene Faust nach Byzanz zurück, wo er sich noch eine kurze Zeit (wohl bis 476) als unabhängiger Machthaber zu be­ haupten vermochte. Spartas Rücktritt vom Seekrieg machte die Bahn für Athen in der Ägäis frei. In Athens Flotte sahen die ionischen Griechen das einzige Machtinstrument, das die Wiederkehr der persischen Herr­ schaft zu verhindern vermochte. Im Jahre 478/7 (unter dem Archontat des Timosthenes) kam es zum Zusammenschluß einer Reihe von ionischen und äolischen Gemeinden sowie einer Anzahl von Inseln unter der Hegemonie Athens: es ist dies die Geburts­ stunde des berühmten Delisch-Attischen Seebundes, bei dessen Or­ ganisation sich neben Themistokles vor allem Aristeides ausge­ zeichnet hat. Damit hatte sich innerhalb der großen panhelleni­ schen Symmachie, deren Führer Sparta war, ein Sonderbund ge­ bildet, der die Fortsetzung des Perserkrieges und den Schutz der ri

Bengtson, SA

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kleinasiatischen Hellenen vor dem Zugriff der Perser auf seine Fahnen geschrieben hatte. Der äußeren Form nach handelte es sich bei der Vereinigung um ein Schutz- und Trutzbündnis auf ewige Zeiten. Von den Bundesmitgliedern waren die größeren Staaten, insbesondere die Inseln Chios, Samos und Lesbos, ver­ pflichtet, Kriegsschiffe zu stellen. Wer über keine Flotte verfügte, mußte Beiträge (Phorot) zur Bundeskasse entrichten, die im Tem­ pel des Apollon und der Artemis in Delos deponiert wurden. Diese Beiträge - ursprünglich kein Tribut, sondern „Ausgleichs­ zahlungen“ - wurden von Aristeides auf insgesamt 460 Talente festgesetzt. An dieser Summe hat man über 50 Jahre lang, bis in den Anfang des Peloponnesischen Krieges (425 v. Chr.) hinein, festgehalten, mochten sich auch die Grundlagen der Beitragserhe­ bung durch den Eintritt zahlreicher Gemeinden in den Seebund und durch Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähig­ keit beträchtlich verschoben haben. Bei der ersten Veranlagung wurden, so scheint es, das Einkommen der einzelnen Staaten und ihre Bodenerträge zugrunde gelegt. Die Summe von 460 Talenten ist niedrig, hatte doch die erste persische Satrapie in Kleinasien einst 520 Talente aufbringen müssen. Zur Zahlung wurden die einzelnen Staaten im allgemeinen alle 4 Jahre neu veranlagt. Die Bundeskasse wurde von dem Kollegium der Hellenotamiai ver­ waltet, Beamten, die durch den Demos von Athen bestellt worden sind. Der Bund hielt seine Versammlungen in Delos ab, und zwar verfügte jedes Bundesmitglied ohne Rücksicht auf seine Größe und Leistungsfähigkeit über je eine Stimme, auch Athen, das jedoch im Besitze der Hegemonie die Beschlüsse der Bundesversammlung nach seinem Willen zu lenken wußte. Als ein schwerwiegender Nachteil sollte es sich für die Mitgliedsstaaten herausstellen, daß der Bund auf ewige Zeiten abgeschlossen war; Athen hat dies später dazu benützt, alle Emanzipationsversuche mit brutaler Härte zu unterdrücken. Der Bund, der auf seinem Höhepunkt den weiten Raum der gesamten Ägäis, von der ionisch-äolischen Küste Kleinasiens bis Euböa, von der Chalkidike bis Rhodos, um­ spannte, ist nicht an einem Tage errichtet worden. Noch in den

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50er Jahren traten ihm neue Mitglieder bei; die Zahl der jeweils zum Bunde gehörenden Staaten schwankte stark, eine genaue Schätzung wird durch den fragmentarischen Zustand der Tribut­ listen unmöglich gemacht. Wenn i. J. 425 mehr als 400 Poleis als Angehörige des Delisch-Attischen Seebundes nachzuweisen sind, so beträgt diese Zahl gewiß ein Vielfaches von dem, was im Jahre 478/7 angenommen werden kann. Bei der Fortsetzung des Angriffskrieges gegen den Perser fan­ den die Athener in den spartanischen Bundesgenossen eine wert­ volle Rückendeckung, ein Umstand, der letzten Endes erst die Konzentration der athenischen Machtmittel gegen den Osten er­ möglicht hat. Die moderne Hypothese, Sparta habe durch Ver­ mittlung des in Byzanz lebenden Pausanias mit Persien einen Sonderfrieden geschlossen, findet an den Quellen keinen Rückhalt, sie ist nicht zum wenigsten auch deshalb unwahrscheinlich, weil das an Athen gerichtete Hilfegesuch der Spartaner im 3. Messeni­ schen Kriege die Existenz der Eidgenossenschaft noch am Ende der 60er Jahre beweist. In der attischen Politik der 70er Jahre spiegelt sich der Gegen­ satz zwischen Themistokles und Kimon wider. Während der Sie­ ger von Salamis, in klarer Voraussicht einer künftigen Ausein­ andersetzung mit dem spartanischen Verbündeten, seinen Blick in die Zukunft richtete und Athens Stellung ohne Rücksicht auf Sparta möglichst zu stärken suchte, trat der konservativ einge­ stellte Kimon, der Sohn des Miltiades, für ein vertrauensvolles Zusammengehen mit den Spartanern ein, für einen Standpunkt, den er auch in seiner persönlichen Haltung gegenüber Sparta und in seinen Sympathien für spartanisches Wesen zum Ausdruck brachte. Einig waren sich beide Männer in dem Gedanken, daß der Perserkrieg auf jeden Fall fortzusetzen sei. In Athen hielt in jenen Jahren die Aufführung der „Perser“ des Aischylos (472) und vorher der „Phönikerinnen“ des Phrynichos (476) das Andenken an die große Vergangenheit wach, in der Athens Flotte die Frei­ heit von Hellas erstritten hatte. In Kimon verkörpert sich noch einmal die große, überragende 11*

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adlige Persönlichkeit, die sich jedoch, anders als ihre Vorgänger im 6. Jahrhundert v. Chr., vollständig in das Staatsganze einfügt und in ihm aufgeht. Von Kimons königlicher Freigebigkeit zeugen die Bauten am athenischen Markt und die „kimonischen Gärten“. Sein Reichtum war ihm Verpflichtung, seine vornehme Herkunft und sein militärisches Können prädestinierten ihn zum Feldherrn des attischen Staates, mit dessen Zielen er sich durch die Tradition seines Hauses eins wußte. Mag auch sein Privatleben manche Züge aufweisen, die nur aus der Tradition der Adelswelt heraus zu verstehen sind - dies gilt insbesondere für das enge, persönliche Treueverhältnis, das zwischen Kimon und seinen Demengenossen bestanden hat, ebenso auch für seine Doppelehe und für das Hervortreten seiner Schwester Elpinike in der Öffentlichkeit -, als Staatsmann und Feldherr war er der „Arm des attischen Staa­ tes“ (H. Berve), dessen sich dieser zur Führung der Außenpolitik gegen die Perser und, wenn es sein mußte, auch gegen die Bundes­ genossen bediente. Im Jahre 476 ist es Kimon gelungen, Pausanias aus dem festen Byzanz zu vertreiben; Sparta hatte keine Hand zugunsten des Pausanias gerührt. Mag sein, daß er durch die beherrschende Position, die er sich an den Meerengen aufgebaut hatte, nicht nur dem attischen Handel, sondern auch den übrigen Hellenen lästig geworden war. Kimon fuhr mit der Flotte von Byzanz nach Ei'on und Skyros, die beide, ebenso wie Karystos, i. J. 475 erobert werden konnten. Doriskos in Thrakien vermochte sich jedoch noch jahrelang als persischer Stützpunkt zu halten. Erst gegen Ende der 70er Jahre rafften sich die Perser zu grö­ ßeren Rüstungen auf; zur Aufnahme des Angriffskrieges wurde in Pamphylien eine große phönikische Flotte stationiert, weitere Verstärkungen wurden erwartet. Dem persischen Vorstoß kamen die Athener unter Kimon zuvor. Nachdem sie das lykische Phaselis besetzt und zum Eintritt in die Delisch-Attische Symmachie gezwungen hatten, entbrannte an der Mündung des EurymedonFlusses zu Lande und zu Wasser eine gewaltige Doppelschlacht, das persische Schiffslager fiel in athenische Hand, eine frische per­

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sische Flotte wurde geschlagen. Mit diesem großen Siege am Eurymedon (1, Hälfte der 60er Jahre) war die persische Vorherr­ schaft in den Gewässern zwischen Cypern und Kleinasien gebro­ chen, die Ägäis war zu einem griechischen Binnenmeer geworden. Wie bei Salamis, so hatte sich auch am Eurymedon griechischer Seemannsgeist dem hohen technischen Können der phönikischen Besatzungen überlegen gezeigt. Der Sieg war mit den Macht­ mitteln des Seebundes erfochten worden, er war zugleich die große Bewährungsprobe der Delisch-Attischen Symmachie, die auch in den folgenden Jahrzehnten - bis zum Frieden des Kailias (449) als der bedeutendste Gegenspieler des Perserreiches erscheint. Themistokles hatte bei Salamis den Griechen die Freiheit er­ kämpft, durch Kimons Sieg am Eurymedon ist Athen zu einer Großmacht geworden. In der inneren und äußeren Entwicklung des 1. Seebundes be­ zeichnet dieEurymedonschlacht einen bemerkenswerten Einschnitt. Es ist wohl das Wahrscheinlichste, daß die große Masse der lykischen und karischen Gemeinden, vielleicht auch einzelne ionische Poleis (Ephesos?), damals der Symmachie beigetreten sind. An­ derseits befestigte sich bei manchen Bündnern der Glaube, daß man nunmehr, nach Beseitigung der unmittelbaren Persergefahr, des Schutzes der athenischen Flotte nicht mehr bedürfe; man emp­ fand die Bevormundung durch die Hegemonialmacht als lästig, zumal Athen seine überragende Stellung im Seebund dazu be­ nützte, sich wichtige wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der Bun­ desgenossen zu sichern. Schon vor der Eurymedonschlacht war Naxos abgefallen und wieder unterworfen worden. Es war das erste Beispiel offenen Widerstandes in der Delisch-Attischen Sym­ machie gewesen. Im Jahre 465 richtete sich eine Expedition unter Kimon gegen die persischen Besitzungen auf der thrakischen Chersonesos. Ein anderes, mit besonders großem Aufwand durchgeführtes Unter­ nehmen hatte die Ebene am unteren Strymon zum Ziel, d. h. jene Gegend, zu der schon seit der Peisistratidenzeit gewisse Beziehun­ gen bestanden hatten. Wenn es gelang, das reiche thrakische Hin­

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terland politisch und wirtschaftlich zu durchdringen, so mußte sich dem attischen Handel ein neues weites Feld erschließen. Die Be­ setzung der Ebene bei den Neunwegen (Enneahodoi) mit 10000 Kolonisten führte zu einem schweren Konflikt mit dem reichen Thasos, das gerade aus dem thrakischen Hinterland beträchtliche Einkünfte bezogen hatte. Thasos fiel ab, es wurde durch Kimon zu Wasser und zu Lande eingeschlossen (465). Die Niederlage, wel­ che die attischen Siedler im Kampfe gegen die thrakischen Edonen bei Drabeskos erlitten, setzte der attischen Expansion am Strymon ein Ziel (464). Die thasischen Hoffnungen auf eine bewaffnete Intervention der Spartaner wurden enttäuscht. Das große Erd­ beben, das i. J. 464 die Stadt Sparta völlig zerstörte und dort bedeutende Menschenverluste verursachte, machte ein aktives spartanisches Eingreifen unmöglich. Nach zweijähriger Belage­ rung mußte Thasos die Waffen strecken. Die Kapitulationsbe­ dingungen lauteten auf Auslieferung der Flotte, Schleifung der Mauern, Verlust der festländischen Besitzungen und des Anteils an den Goldminen des Pangaion. Der Wohlstand der Insel war auf Jahre hinaus vernichtet, ein warnendes Beispiel für die übri­ gen Bundesgenossen. Es ist für die Entwicklung der ganzen antiken Welt von weit­ reichender Bedeutung gewesen, daß der Kriegszustand zwischen Athen und Persien nun schon über ein volles Menschenalter seitdem eine attische Flotte in den Ionischen Aufstand eingegriffen hatte - ohne Unterbrechung andauerte. Dies mußte zu einer im­ mer schärferen Trennung der östlichen und der westlichen Welt, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im geistigen Leben führen. Die Fäden, die das griechische Mutterland und Ionien einst mit dem Orient verbanden, waren zerrissen, beide Welten lebten ihr eigenes Leben, dessen Formen sich nach eigenen Ge­ setzen bildeten, nach Gesetzen, die für die kommende Entwick­ lung maßgebend gewesen sind.

Das Ende des Pausanias und des Themistokles

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2. Das Ende des Pausanias und des Themistokles. Der große Heilotenaufstand. Die Vollendung der attischen Demokratie

Während der Delisch-Attische Seebund unter Athens Führung den Kampf gegen die Perser fortsetzte, während Sparta, in seiner Vormachtstellung auf der Peloponnesos schwer bedroht, in erbit­ tertem Ringen mit den Nachbarn verstrickt lag, haben die Grie­ chen jene Persönlichkeiten aus ihrer Mitte ausgestoßen, denen sie vor allen anderen ihre Freiheit verdankten: die Sieger von Sala­ mis und Platää, Themistokles und Pausanias. Der Vorgang, der den Triumph des Staates über den großen Einzelmenschen sym­ bolisiert, ist ein Zeichen für die innere Wandlung des staats­ politischen Denkens der Hellenen in den 70er und 60er Jahren des 5. Jahrhunderts. Das sich immer mehr verstärkende Bestreben der athenischen Bürgerschaft, sich selbst zu führen, war mit dem Übergewicht, das Themistokles kraft seiner Leistungen und der ihm ergebenen Gefolgschaft im Staate besaß, unvereinbar, und nicht minder widersprach das selbstherrliche Auftreten des Pau­ sanias der spartanischen Staatsordnung, als deren berufene Hüter sich die Ephoren betrachteten. Es war kein Zufall, wenn in Athen dem Sturze des Themistokles die Aufrichtung der extremen De­ mokratie, wenn in Sparta dem Tode des Pausanias die mehr­ hundertjährige Herrschaft des Ephorats gefolgt ist. Beide Staaten, Athen wie Sparta, standen an dem entscheidenden Wendepunkt ihrer inneren und äußeren Geschichte: von nun an führte sie der Weg auseinander, und nach dem Ostrakismos des Kimon (461) fand sich hüben und drüben kein Staatsmann mehr, der beide Staaten zu gemeinsamem Handeln im Interesse von ganz Grie­ chenland zusammengeführt hätte. Sparta befand sich - ähnlich wie Schweden während des Auf­ enthaltes Karls XII. in Bender (Tighina) - infolge des Erstarkens der antilakonischen Bewegung in der Peloponnesos in einer ungemein schwierigen außen- wie innenpolitischen Lage. Doch be­ hielten die Spartaner trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit in ver­

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lustreichen Feldschlachten bei Tegea und Dipaia noch einmal über Tegeaten, Argiver und Arkader die Oberhand (Ende der 70er Jahre?). Spartas Hegemonie in der Peloponnesos wurde insbeson­ dere durch eine demokratische Bewegung in dem verbündeten Elis erschüttert. Hier führte man (um 470), wie es scheint, nach atti­ schem Vorbilde, zehn Phylen und einen Rat der 500 ein, die Vor­ herrschaft der aristokratischen Geschlechter war damit gebrochen, d. h. jener Familien, deren erprobte Freundschaft mit den Lakedämoniern bisher das Unterpfand des engen spartanisch-elischen Bündnisses gewesen war. Diese schweren peloponnesischen Aus­ einandersetzungen sind einer der wesentlichen Gründe für die außenpolitische Inaktivität Spartas gegenüber dem Osten in den beiden ersten Jahrzehnten nach Platää. Aus Byzanz i. J. 476 vertrieben, flüchtete Pausanias in die Troas und ließ sich in der Feste Kolonai, offenbar in stillem Ein­ vernehmen mit dem persischen Satrapen von Phrygien, nieder. Themistokles wurde i. J. 471 ostrakisiert und ging von Athen nach Argos; von hier aus soll er die antispartanische Bewegung in der Peloponnesos geschürt haben. Überraschenderweise leistete Pausanias (i. J. 469?) dem Befehl der Ephoren, nach Sparta zurückzukehren, wiederum Folge. Dort warf man den Sieger von Platää ins Gefängnis. Für eine landesverräterische Verbin­ dung mit den Persern vermochte man keine Beweise zu erbringen; anstatt dessen führte aber die Unvorsichtigkeit des Pausanias, der sich mit den Heiloten eingelassen hatte und dadurch an den Grundfesten der spartanischen Staatsordnung rüttelte, zu seinem Untergang. Er wurde bei den Ephoren denunziert und starb, nachdem er in das Asyl der Athena Chalkioikos geflüchtet war, eines elenden Hungertodes (467?). Nur wenige Jahre zuvor war der spartanische König, Leotychidas, auf Grund alter Anschuldi­ gungen wegen seines Verhaltens auf dem thessalischen Feldzuge des Jahres 477 der Bestechung für schuldig befunden worden und in der Verbannung in Tegea gestorben. Der Sieg des Ephorats war vollständig, jedoch um einen sehr teuren Preis. Gegen den in der Verbannung lebenden Themistokles erhob

Der große Heilotenaufstand

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man die Anschuldigung, er habe mit Pausanias konspiriert; die Anklage lautete auf Landesverrat („Medismos"). Auf Grund be­ lastenden Materials, das man in den Papieren des Pausanias ge­ funden zu haben behauptete, stellten die Ephoren die Forderung auf Einschreiten gegen Themistokles. In Athen erhob ein Alkmeonide (Leobotes) mit Kimons Unterstützung die Anklage in der Form der Eisangelie. Themistokles stellte sich nicht dem Gericht, er verteidigte sich schriftlich. Er wurde in contumaciam zum Tode verurteilt und verfiel der Atimie, der Ächtung, im gesamten Ge­ biete der griechischen Eidgenossenschaft. Wenn man auch in Athen wie in Sparta von Themistokles’ Schuld überzeugt war, so bleibt doch die Verurteilung des großen Politikers und Strategen wegen Medismos ein ungeheuerliches Fehlurteil. Themistokles mußte auf abenteuerlichste Weise vor den Häschern flüchten, von Argos nach Korkyra, von hier zum König der Molosser Admetos, sodann nach Makedonien, von Pydna über die Ägäis nach Ephesos. Der Perserkönig Artaxerxes I. - er hatte i. J. 465/4 nach der Er­ mordung des Xerxes den Thron der Achämeniden bestiegen empfing ihn in zuvorkommendster Weise am Hofe und gab ihm die Städte Magnesia am Mäander, Myus, Lampsakos und einige kleinere Ortschaften in der Troas zu erblichem Lehen. In Mag­ nesia hat Themistokles bis zum Anfang der 50er Jahre gelebt. Es war das Unglück seines Lebens, daß seine athenischen Mit­ bürger dem Fluge seiner Ideen nicht zu folgen vermochten. So fand der überragende Politiker, der sich vermessen hatte, die Lö­ sung politischer Fragen in Angriff zu nehmen, deren wirkliche Bedeutung erst kommende Generationen erkennen sollten, in dem innenpolitischen Machtkampf keinen wirklichen Rückhalt; denn seine Gefolgschaft erwies sich gegenüber seinen zahlreichen ein­ flußreichen Gegnern als zu schwach, sie vermochte seinen Sturz nicht zu verhindern. Die furchtbare Erdbebenkatastrophe in Sparta (Sommer 464), die die wehrfähigen Jahrgänge anscheinend erheblich dezimierte, war das Signal zu einem großen Heilotenaufstand in Messenien (sog. 3. Messenischer Krieg). Auch einige Periökenstädte schlossen

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sich der Bewegung gegen Sparta an. Der in langen Jahrhunderten bei den Messeniern angesammelte Haß entlud sich in schlimmen Greueltaten gegen die spartanischen Herren, in Greueln, wie sie wohl nur im großen deutschen Bauernkriege Parallelen finden. Doch die spartanische Disziplin gewann auch diesmal wieder die Oberhand. Wie im 1. Messenischen Kriege (s. S. 58) zogen sich die Aufständischen auf den Ithomeberg zurück; zu einer wirk­ samen Belagerung sahen sich die Spartaner außerstande. In dieser Lage richtete Sparta einen Hilferuf an Athen. In Kimons Ab­ wesenheit war hier die radikale Richtung an das Ruder gekom­ men, als deren Wortführer sich Ephialtes der Hilfesendung ener­ gisch widersetzte. Doch Kirnon, der nach der mißglückten An­ klage seiner Gegner (unter ihnen erscheint zum ersten Male der Name des Perikies) wieder zum Strategen gewählt worden war, setzte die Entsendung eines attischen Hilfskorps von 4000 Hopliten durch. Die Spartaner aber sandten die Athener bald wieder nach Hause zurück, da man ihrer nicht mehr bedurfte (Herbst 462). Dieser Affront führte in Athen zur Aufkündigung der Eid­ genossenschaft, die man angesichts der Invasion des Xerxes ge­ schlossen hatte. Damit war das Band zerrissen, das Athen seit 481 mit Spana verknüpfte; der wachsende Dualismus der beiden größten griechischen Staaten fand in diesem Akt einen symboli­ schen Ausdruck. Übrigens mußte der Berg Ithome noch einige Zeit zerniert werden; i. J. 460/59 kapitulierten die Messenier auf freien Abzug; sie wurden von den Athenern in Naupaktos angesie­ delt. Noch während Kimons Aufenthalt in Messenien war in Athen (im Sommer 462) durch Ephialtes eine grundlegende Verfassungs­ änderung eingeleitet worden; sie richtete sich vor allem gegen die überragende Stellung des alten Adelsrates, des aus den ehemaligen Archonten bestehenden Areiopages. Der Areiopag ging damals aller politischen Rechte verlustig, er behielt nur die Blutgerichts­ barkeit und ein gewisses Aufsichtsrecht im Bereich der sakralen Angelegenheiten. In die Lücke traten nunmehr der Rat (Büle), die Ausschüsse des Geschworenengerichts (Heliata) und die Volks­ versammlung (Ekklesia). Der Rat, der neben dem Aufsichtsrecht

Die Vollendung der attischen Demokratie

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über die meisten „Beamten" auch über weitgehende Strafgewalt verfügte, hatte jeden Antrag an die Ekklesie vorher durchzube­ raten und mit eigener oder ohne eigene empfehlende Begutachtung für die Abstimmung zu genehmigen. Über die Entlastung der Beamten nach Ablauf der Amtszeit entschieden die Ausschüsse der Heliaia, die sich aus 6000 durch das Los bestimmten Bürgern zu­ sammensetzte. Mit der Einführung der Klage auf Gesetzeswidrig­ keit erhielt jetzt jeder Bürger ohne Unterschied das Recht, gegen den Antragsteller eines ihm gesetzwidrig erscheinenden Beschlusses Klage zu erheben; sie hatte aufschiebende Wirkung. Nach der Ermordung des Ephialtes (461) trat Perikies an die Spitze der demokratischen Richtung und setzte die Reformtätigkeit fort. Perikies hat Tagegelder für die Geschworenen, später auch für die Ratsherren sowie für alle durch das Los bestellten „Beamten“ ein­ geführt; i. J. 458/7 wurden erstmalig auch die Zeugiten, der dritte Stand, zum Archontenamt zugelassen. Die Theten haben jedoch als solche niemals das passive Wahlrecht erlangt. Niemals in der Geschichte - so urteilt Ed. Meyer - hat man so bitter Ernst gemacht mit der Selbstregierung des Volkes wie in der Verfassungsreform des Ephialtes in Athen. Das Volk war jetzt Herr der Gerichte und Herr des gesamten öffentlichen Le­ bens. Getragen waren die Reformen von einem auf die Spitze ge­ triebenen Mißtrauen gegen die freie, selbständige Persönlichkeit, die nur noch als ausführendes Organ oder als Korrektiv der Ver­ fassung geduldet wurde. Und doch wurde ihre Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben keineswegs erreicht. Der Umsturz des Ephialtes ist die Geburtsstunde der attischen Demagogen, die sich nun, von den Wogen der wetterwendischen Volksgunst empor­ getragen, in das Getriebe des öffentlichen Lebens einschalteten. Einen wirklichen Einblick in das kunstvolle Räderwerk der Außenpolitik, in das Funktionieren einer geordneten Finanzver­ waltung vermochte aber nur der zu gewinnen, der sich die Politik zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Voraussetzung hierfür war aber wirtschaftliche Unabhängigkeit, wie sie nur die reichen adligen Geschlechter besaßen; es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn

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diese Kreise auch in der nächsten Generation (bis zum Beginn des Peloponnesischen Krieges) führend hervorgetreten sind. Über­ haupt ist die attische Demokratie, die breite Massen, insbesondere die zahlreichen Metoiken und die Sklaven, von den politischen Rechten ausschloß, in Wahrheit immer die Herrschaft einer aristo­ kratischen Minderheit, der Vollbürgerschaft, gewesen. Ihrer poli­ tischen Einsicht und ihrer Opferbereitschaft für das gemeine Wohl, das sich in den Leiturgien (Trierarchie, Choregie) manifestierte, wird man die Anerkennung nicht versagen dürfen. Der Reformer, Ephialtes, mußte seine Erfolge mit dem Leben bezahlen; seine Ermordung ist wohl die Tat politischer Heiß­ sporne gewesen. Sein Tod und die Verbannung des Kimon haben die Bahn für einen Größeren, für Perikies, freigemacht.

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Athen in der Zeit des Perikies

Das Urteil des Klassizismus über Perikies spiegelt sich in der Charakteristik, die der Jenenser Historiker und Philologe Adolf Schmidt in seinem Buch über das perikleische Zeitalter gegeben hat. Danach ist Perikies nicht nur der Repräsentant einer kurzen Zeitspanne und eines kleinen Staatswesens, der attischen Repu­ blik, ja er ist nicht allein der bedeutendste Vertreter einer großen Nation und ihrer Geschichte, sondern er ist der eigentliche Re­ präsentant des ganzen Weltalters und einer universalen Entwick­ lungsstufe der Menschheit. Perikies steht für diesen Forscher im Zenit des gesamten antiken oder klassischen Zeitalters und stellt in seiner Person und in seinem Werk eine jener weit- und hoch­ geschwungenen Kulturwellen dar, die in ihrer Aufeinanderfolge bestimmt sind, die Menschheit ihren höchsten Kulturzielen, ihrer höchsten Vollendung, entgegenzuführen. Die neuere Forschung, die durch Julius Beiochs Untersuchung „Die attische Politik seit Perikies“ (1884) eingeleitet wurde, ist demgegenüber zu einem sich vielfach widersprechenden Urteil über die Leistung des atti-

Athen in der Zeit des Perikies

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sehen Staatsmannes gelangt. Während Beiochs kritischer Verstand Perikies weder als Staatsmann noch als Feldherrn anerkannte und nur den bedeutenden „Parlamentarier“ übrigließ, hat sich in der Gegenwart eine sehr viel günstigere Beurteilung, und zwar mit Recht, durchgesetzt. Der in der Tat ganz einzigartige harmonische Zusammenklang zwischen dem perikleischen Staatsbau und der perikleischen „Kulturpolitik“ muß in seiner Wirkung in erster Linie auch auf den Mann zurückstrahlen, dessen ordnender Geist das einzelne zu einem organischen Ganzen zu verbinden wußte. Wohl nur selten in der Weltgeschichte hat es einen Staat gegeben, der es verstand, mit seiner politischen Mission die Durchführung einer hohen kulturellen Aufgabe so ausgezeichnet zu verflechten, wie Athen in der Generation vor dem Peloponnesischen Kriege. Allerdings war der attische Staat bestrebt, durch die Entfaltung eines fast überirdisch anmutenden Glanzes seine führende Stel­ lung und seine überragende Macht in Hellas zu dokumentieren, doch war dieser Glanz nicht nur der vergängliche Ausdruck äuße­ ren Machtstrebens, sondern vielmehr „die für alle Zeiten gültige Erfüllung einer aus der tiefsten Seele des griechischen Genius quellenden Kulturmission“ (E. Hohl). Wenn das athenische Volk die ihm aus seiner politischen Hegemonie erwachsenden Verpflich­ tungen mit heiligem Eifer ergriffen hat, so ist dies Perikies’ Werk; seine zündende Begeisterung hat den Ideen Form und Gestalt, sie hat den Plänen der Architekten und Künstler durch die Bereit­ stellung riesiger Mittel aus den Beiträgen der Bündner die Aus­ führung zuteil werden lassen. Wenn die Bauten, mit denen Peri­ kies Athen schmückte, eine einheitliche Monumentalität, innere Geschlossenheit, vollendete Harmonie aufweisen, so ist dies das Verdienst seines rastlos schaffenden Geistes, der sich damit ein Denkmal für alle Zeiten gesetzt hat. Das perikleische Stadtbild von Athen wurde vornehmlich ge­ prägt durch die gewaltigen Befestigungsanlagen im Piräus sowie durch die Monumentalbauten, vor allem auf der Burg, der Akro­ polis. Die Monumentalbauten sind es, die das Bild Athens für alle Zeiten gestaltet haben, und ihre noch in den Ruinen verehrungs­

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würdigen Überreste zeugen bis in unsere Tage von der Kraft des Geistes, der sie einst in strahlender Schönheit ins Leben rief. Kaum war das attische Hilfskorps durch die Spartaner aus Messenien nach Hause zurückgesandt worden (462), da wurde der themistokleische Befestigungsplan Wirklichkeit: Athen, durch die sog. Nordmauer und die phalerische Mauer mit dem Piräus und mit Phaleron verbunden, verwandelte sich in eine riesige, für die damalige Belagerungskunst uneinnehmbare Festung. Später kam noch eine dritte Mauer, die „mittlere“, eine Parallele zur Piräus­ mauer, hinzu. Im Falle einer feindlichen Invasion vermochte nun der Raum innerhalb der Schenkel der Langen Mauern zwischen der Stadt und dem Piräus die gesamte attische Landbevölkerung autzunehmen. Die Zeiten, in denen man nach Salamis und Troizen fliehen mußte, waren für alle Zeiten vorüber, als die Lan­ gen Mauern nach ijjähriger Bauzeit i. J. 445 so gut wie voll­ endet waren. Der Piräus mit seinen drei Hafenbuchten wurde stark befestigt, mit Bastionen und Türmen bewehrt, mit Schiffs­ häusern zur Aufnahme der Trieren, mit Werften und Arsenalen ausgestattet; er war der stärkste Flottenstützpunkt der griechi­ schen Welt, nur Syrakus hatte Ähnliches aufzuweisen. Der Anlage der Befestigungen folgten die Monumentalbauten in der Stadt und auf der Burg. Die Zeiten der zweimaligen per­ sischen Okkupation (480 und 479) hatten von dem alten Glanz des peisistratidischen Athen wenig übriggelassen, viele Tempel standen halbzerstört, ihr Mauerwerk war rauchgeschwärzt. Ki­ mons fürstliche Munifizenz hatte den Anfang zur Errichtung eines schöneren Athen gemacht. Nach dem Siege bei Eion (476/5) er­ richtete der Philai'de die sog. Hermenhalle, während sein Schwa­ ger Peisianax die Stoa Poikile erbaute und sie durch Gemälde der ersten Künstler seiner Zeit, des Polygnot, Mikon, Panainos, aus­ schmücken ließ. In Kimons Zeit wurde auch das Theseion erbaut; es barg die angeblichen Gebeine des Theseus, die man von Skyros nach Athen übergeführt hatte. Dies alles war jedoch nur ein Präludium zu der Bautätigkeit des Perikies, die sich auf die Beiträge der Bündner zum Bundes­

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Schatze stützte und mit ihrer Hilfe aus vergänglichem Gut Werke für die Ewigkeit erschuf. Mit der Idee, die Burg auszuschmücken, nahm Perikies die Pläne der Peisistratiden wieder auf, jedoch in sehr viel größerem Umfange. Um die Fläche der Akropolis zu erweitern, wurden große Stützmauern angelegt. In der Aufschüt­ tung, dem sog. „Perserschutt“, haben die modernen Ausgräber eine Fülle archaischer Kunstwerke und altattische Inschriften ge­ funden. Auf der Burg erhielt als Wahrzeichen Athens der Tempel der Pallas Athena, der von Iktinos und Kallikrates erbaute Par­ thenon, seine Stätte. Erst nach dem Frieden des Kailias (449) be­ gann man ihn auf den Fundamenten des alten Heiligtums aus dem weithin leuchtenden pentehschen Marmor zu errichten, i. J. 438 hielt das erhabene, von des Pheidias Hand geschaffene Standbild der Göttin seinen Einzug in das Allerheiligste. Auf dem Fries des Parthenon verkündete die Darstellung des Festzuges der Panathe­ näen die Größe und Herrlichkeit Athens, dessen Bürger das attische Nationalfest zu einer in aller Welt bekannten Feier gestalteten. Den Burgeingang schmückten die Propyläen des Mnesikles, ein monu­ mentales Festtor mit fünf Eingängen; in der Gestalt der Säulen reichten sich dorische und ionische Art die Hand. Gegenüber dem Parthenon erhob sich der Neubau des Heiligtums der Athena Polias, gewöhnlich nach dem attischen Heros Erechtheus das „Erechtheion“ genannt, auch dies wohl schon unter Penkles in Angriff genommen, aber erst am Ende des 5. Jahrhunderts voll­ endet. Mit dem auf dem Markthügel (nordwestlich der Akropolis) gelegenen Theseion (wahrscheinlich ein Hephaistosheiligtum) und dem im Südosten am Fuße der Burg erbauten, für musikalische Aufführungen bestimmten Odeion gewann Äther, binnen weniger Jahre eine ganze Fülle von Prachtbauten: die Stadt hüllte sich in ein schimmerndes Festgewand aus kostbarem Marmor, dessen Glanz die engen Gassen der in Eile nach dem Perserbrand neu­ errichteten Wohnstätten überstrahlte und aus Athen ein Wunder­ werk der Alten Welt machte. Die Anforderungen, die das perikleische Bauprogramm an die Finanzen stellte, waren ungewöhnlich hoch. Aus den Tributen der

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Mitglieder des Delisch-Attischen Seebundes, aus dem Gelde der zu Untertanen herabsinkenden Angehörigen der großen gegen die Perser gerichteten Kampfgemeinschaft erstand ein neues Athen, dessen Weltgeltung sich jedem fremden Besucher in seinen Bauten manifestierte. Für die Bevölkerung Athens stellten die Bauten auf lange Jahre hinaus eine unerschöpfliche Quelle der Arbeit und des Einkommens dar. Von der Vielzahl der Gewerbe und Han­ delszweige, die an den Bauten verdienten, entwirft Plutarch (Perikl. 12) ein farbenreiches Bild: Zimmerleute, Bildhauer, Stein­ metzen, Erzgießer, Färber, Gold- und Elfenbeinarbeiter, Maler, Sticker, Graveure, Fuhrunternehmer zu Wasser und zu Lande, die Arbeiter in den Marmorbrüchen fanden hier lohnende Beschäfti­ gung. Und jedes Gewerbe, so fügt Plutarch hinzu, besaß wieder wie der Feldherr sein Heer, das durch die Massen der Tagelöhner und Handlanger dargestellt wurde, und so erhielten jedes Alter und jeder Beruf Anteil an Arbeit und Wohlstand. Neuere For­ schungen über die Lebenshaltungskosten im Altertum (G. Glotz) haben ergeben, daß diese zu keiner Zeit der Antike niedriger ge­ wesen sind als damals: selbst der Arbeitssklave der perikleischen Zeit hatte ein besseres Auskommen als der freie untere „Beamte“ und als der qualifizierte freie Arbeiter während des gesamten späteren Altertums - dies eine besonders eindrucksvolle Bestäti­ gung der antiken Quellen, in denen das Zeitalter des Perikies als die goldene Zeit des Altertums erscheint. Athens neues Verhältnis zu seiner Geschichte fand seinen Aus­ druck in der Historienmalerei; riesige Fresken, Gemälde der Ama­ zonenschlacht, der Zerstörung Trojas, der Schlachten bei Mara­ thon und Oinoe (s. S. 182), schmückten die Stoa Poikile und stellten den Athenern die Größe der Vergangenheit und der Ge­ genwart lebendig vor Augen. Der überragenden politischen und wirtschaftlichen Stellung Athens entsprechend gewann im späteren 5. Jahrhundert, vor allem durch die Schöpfungen der attischen Bühnendichter, das attische Idiom gegenüber dem auf dem Gebiete der Geschichts­ schreibung und der Wissenschaft (z. B. der Medizin) bisher füh-

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renden Ionischen erheblich an Boden. Durchgesetzt hat sich das Attische als Schriftsprache erst, als es mit Athens Herrlichkeit zu Ende ging. Das älteste Denkmal attischer Prosa ist die pseudoxenophontische „Staatsverfassung der Athener“, eine anonyme Flugschrift, wohl aus den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges. Wie der Bildhauer des Parthenon, Pheidias (etwa 500420), der Schöpfer des Sitzbildes des Zeus von Olympia und der Statue der Athena Promachos, der Kunst dieser Epoche den Stem­ pel seines Wesens aufgeprägt hat, so wurde die attische Bühne durch Sophokles beherrscht, der erstmals an den Großen Dionysien 468 v. Chr. auf Grund eines Schiedsspruches des Kimon den Sieg über den älteren Aischylos davongetragen hat. Während Aischylos’ Leben (gest. 456) nur noch eben in das perikleische Zeitalter hineinreicht, ist Sophokles sein eigentlicher geistiger Re­ präsentant. Die Gestalten seiner Tragödien sind Fleisch und Blut gewordene Menschen jener Tage, mögen sie auch noch vielfach hierin den Hermen vergleichbar - der Individualität entbehren. Wie der Historiker Herodot aus Halikarnassos, der Philosoph Anaxagoras von Klazomenai, der Städtebauer Hippodamos von Milet, der Schöpfer des ersten Idealstaates, so gehörten auch Sophokles und Pheidias dem Kreise des Perikies und der Aspasia an, die als gebürtige Ionerin an dem Wirken des attischen Staats­ mannes lebendigen Anteil genommen hat. Die Kultur des perikleischen Athen wurde von breiten Schich­ ten seiner Bevölkerung getragen. Die meisten Athener konnten schreiben, und der Besuch der Gymnasien durch die Knaben der wohlhabenden und der mittleren Schichten war eine Selbstver­ ständlichkeit. Homer, Hesiod und die Lyriker lernte der Athener in früher Jugend in der Schule auswendig, Homerverse bildeten die Vorlagen beim Elementarunterricht der Schreiblehrer. Die Verse des weisen Solon und des adelsstolzen Theognis sang man bei fröhlichen Gelagen. Wenn im Dionysosthcater vor einer nach Tausenden zählenden Zuschauermenge die Dramen des Sophokles in Szene gingen, so konnten Dichter und Schauspieler darauf rechnen, ein Publikum vor sich zu haben, das die Feinheiten der 12

Bengtson, SA

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dramatischen Technik und nicht wenige der literarischen Anspie­ lungen zu würdigen wußte. Und doch unterschied sich die attische Gesellschaft in einem Punkt grundlegend etwa von derjenigen der Renaissance: die attische Frau hatte an ihr keinen Anteil, mochte auch ein Euripides mit feinstem Einfühlungsvermögen ihre Seele schildern. Seit Kimons Sturz und seit Ephialtes’ gewaltsamem Tode (461) war Perikies der Mittelpunkt des attischen Staates. Nach dem Ostrakismos seines Gegners Thukydides, Sohnes des Meiesias (i. J. 443 v. Chr.), wurde er Jahr um Jahr zum Strategen ge­ wählt. Die Strategie war die formale Grundlage seiner beherr­ schenden Stellung. Die tatsächliche war seine Autorität beim atti­ schen Volke, durch die er seine jeweiligen Mitstrategen weit über­ ragte. Das Wesen seiner Stellung hat Thukydides (II 65, 9) in die berühmten Worte gefaßt: die athenische Verfassung sei nur dem Namen nach eine Demokratie gewesen, in Wirklichkeit aber die Herrschaft des ersten Mannes. Perikies lenkte die Bürgerschaft in der Ekklesie vermöge seiner überragenden Rednergabe, die die Massen immer von neuem in den Bann schlug. Unter Perikies vollzog sich eine allmähliche, in ihren Auswir­ kungen jedoch ungemein folgenschwere innere Wandlung des atti­ schen Staatswesens, der Übergang vom Leistungsstaat zum Für­ sorge- und zum Wohlfahrtsstaat. Die Einführung der Diäten, eine Konsequenz der vollendeten Demokratie des Ephialtes, hat zum mindesten einen Teil der Bürger allmählich korrumpiert und diese, nachdem sie sich an die Versorgung gewöhnt hatten, der produktiven Arbeit entfremdet. Der Versorgung der ärmeren, landlosen Schichten der attischen Bevölkerung, aber auch ausge­ sprochen machtpolitischen Zielen im Bereich des Seebundes, diente die Aussendung von Kolonien, von Apoikien und Kleruchien. Während die Apoikien als selbständige Gemeinwesen mit eigenem Bürgerrecht nach dem Vorbild der alten Kolonien der archaischen Zeit konstituiert wurden, blieben die Kleruchien in engster poli­ tischer Verbindung mit dem attischen Staate. Die Kleruchen be­ hielten ihr attisches Bürgerrecht, ihr Gebiet war ein Teil des atti-

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sehen Staatslandes. Derartige Kleruchien finden sich u. a. auf Naxos, Andros, Lesbos, in Oreos auf Euböa, auf der thrakischen Chersonesos, in Amphipolis, zum Teil mit attischen Garnisonen un­ ter Phrurarchoi. Die mächtige Ausdehnung der athenischen Macht­ sphäre zog auch den Westen und Norden der hellenischen Welt in ihren Bann. An der Gründung der panhellenischen Kolonie Thurioi (unweit des alten zerstörten Sybaris) in Unteritalien i. J. 444/3 be­ teiligten sich die führenden Köpfe der Zeit: der Sophist Protagoras von Abdera, der Philosoph Empedokles von Agrigent, der Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos, der Baumeister Hippodamos von Milet, der den Stadtplan entworfen hatte. Mit der Aussendung dieser Kolonie warf die athenische Politik ihre Schatten bis nach Unteritalien, Athen trat hier, wie die Erneue­ rung der Verträge mit Rhegion und Leontinoi (433) zeigt, als Konkurrent der korinthischen Handelsmacht auf, die, gestützt auf ihre engen Beziehungen zu Syrakus, den Westhandel als ihr Monopol betrachtet hatte. Mit der Expedition in den Pontos (Mitte der 30er Jahre) stieß Perikies in die Sphäre des bosporanischen Reiches vor, das die Getreideausfuhr aus Südrußland kontrollierte. Die weltweiten Verbindungen des athenischen Han­ dels und die bunte Vielzahl der Einfuhrgüter schildert der Ko­ mödiendichter Hermippos in den „Phormophoren“ (aufgeführt vor 425), deren Angaben aber auch gerade für das Jahrzehnt vor dem Peloponnesischen Kriege Geltung haben: „Aus Kyrene bringen uns die Schiffe Silphionstengel und Rindshäute, vom Hellespont Thunfisch und gepökelte Fischwaren aller Art, aus Italien Graupen und Rippenstücke vom Rind. Syrakus liefert Schweine und Käse, Ägypten Segel und Papyrusrollen, Syrien Weihrauch, Kreta Zypressenholz für die Götter, in Libyen gibt es viel Elfenbein zu kaufen, aus Rhodos kommen Rosinen und getrocknete Feigen, von Euböa Birnen und feiste Schafe, aus Phry­ gien Sklaven, Söldner aus Arkadien, nichtsnutzige Knechte aus Pagasai, Kastanien und Mandeln liefert Paphiagonien, Phönikien Datteln und feines Weizenmehl, Karthago Teppiche und bunte Kopfkissen.“ 12“

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Auf zwei Gebieten sollte sich die innere Politik des Perikies als gefährlich, ja geradezu als verhängnisvoll für die Zukunft Athens erweisen: in der Bürgerrechtspolitik und in der Finanzverwal­ tung. Je radikaler die attische Demokratie wurde, um so intole­ ranter gebärdete sie sich gegenüber den breiten Schichten der nicht vollbürtigen Elemente. Die egoistische Sorge, durch die Beteili­ gung einer verhältnismäßig großen Zahl von formal Gleichberech­ tigten etwas von den Vorteilen einzubüßen, die der entstehende Wohlfahrtsstaat gerade den Ärmeren unter den Bürgern durch die Diäten und Getreideverteilungen zu bieten hatte, machte den Demos blind für alle Schäden, die sich aus einer völlig unorgani­ schen Abschließung der staatstragenden Schicht ergeben mußten. So schloß ein von Perikies im Jahre 451/0 v. Chr. eingebrachtes Gesetz die Söhne aus Ehen mit nichtattischen Frauen aus dem Kreise der Vollbürger aus, eine Maßnahme, die im Adelsstaat un­ denkbar und auch undurchführbar gewesen wäre. Die starke Belastung der Finanzen durch die sich ständig stei­ gernde Bautätigkeit hatte es in den Jahren von 454-434 über­ haupt unmöglich gemacht, eine angemessene Rücklage im Staats­ schatz zu bilden. Die hohen Kosten der Kriege seit 460, insbeson­ dere die kyprische und die ägyptische Expedition, müssen die Bundesbeiträge vollständig verschlungen haben. Was blieb an­ deres übrig, als auf den Schatz der Athena Polias in Athen zu­ rückzugreifen, der bisher totes Kapital gewesen war? Erst das in der neueren Forschung oft diskutierte Finanzdekret des Kallias (434/3 v. Chr.) versuchte, durch den Antrag auf Zufüh­ rung von 3000 Talenten an die Kasse der Athena eine stille Re­ serve zu bilden, auf die man im Bedarfsfälle, d. h. im Kriege, der seine Schatten bereits vorauswarf, zurückgreifen konnte. 6000 Talente waren im Schatz der Athena, als der Peloponnesische Krieg begann (Thuk. II 13, 3). In den Anordnungen des Kalliasdekretes wird man gleichzeitig eine Kampfmaßnahme des Perikies sehen müssen, durch die sich der Staatsmann vor dem Vorwurf zu decken suchte, er habe durch seine Bauten Millionen verschleudert. Jedoch, was man in Dezennien versäumt hatte, das ließ sich bin­

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nen weniger Jahre nicht mehr einholen. So steht über dem Ende der Pentekontaetie, des Zeitalters, das Athen auf eine ungeahnte Höhe geführt hatte, das böse Wort „Versäumnis“ geschrieben.

4. Der Delisch-Attische Bund und die spartanische Hegemonie bis zum Vorabend des Peloponnesischen Krieges

Die Rücksendung des attischen Hilfskorps durch die Spartaner vom Ithomeberg im Herbst 462 v. Chr. bezeichnet die endgültige Trennung der beiden Bundesgenossen. Wenn unmittelbare außen­ politische Rückwirkungen zunächst noch ausgeblieben sind, so ist der Grund die allgemeine Lage: insbesondere waren die Kräfte Athens und seiner Symmachie noch immer durch den Perserkrieg gebunden. Freilich blieben die Perser im Westen vollständig in­ aktiv. Das Riesenreich hatte unter der Regierung des Artaxerxesl. (465-425/4) einen Tiefpunkt seiner Entwicklung zu überwinden; es wurde von gefährlichen Aufständen erschüttert, die Baktrien, Syrien und Ägypten in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Er­ hebung der einheimischen Fürsten Inaros und Amyrtaios im west­ lichen Nildelta, der entscheidende Sieg der Aufständischen über den persischen Satrapen Achaimenes bei Papremis waren die Ur­ sache des Eingreifens der Athener im Nillande. Im Hintergrund standen Erwägungen macht- und handelspolitischer Art. Ägypten, neben Sizilien und Südrußland das reichste Kornland der Alten Welt, bot mit seinem wertvollen Papyrus dem attischen Handel ein weites Feld, sofern man es nur verstand, das Land zu er­ schließen. Mit der Einnahme von Memphis, der persischen Zwing­ burg, nahm das durch einen Sieg der Athener auf dem Nil ein­ geleitete Unternehmen einen vielversprechenden Fortgang (460). Die Zitadelle von Memphis vermochte sich jedoch mit der per­ sischen Besatzung zu halten. Sparta war bis zum Jahre 460/59 durch den Aufstand der Messenier gefesselt. Da warf sich Argos, Spartas Erbfeind, auf My­

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kene, bezwang es durch Hunger und schickte die Bevölkerung in die Sklaverei. Sparta vermochte seinen Verbündeten nicht zu ret­ ten. In der Schlacht bei Oino'e (an der Straße von Argos nach Mantineia) wurde der spartanische Heerbann durch die Argiver und athenische Freiwillige geschlagen (460?). Die Schlacht haben auch die Athener als einen bedeutenden Erfolg gewertet, war doch der spartanische Nimbus der Unbesiegbarkeit in offener Feld­ schlacht dahin. Die werbende Kraft der demokratischen Ideen spiegelte sich in dem Anschluß von Mantineia und Megara an Athen. Das megarische Bündnis brachte den Athenern freilich die offene Feindschaft des handelsmächtigen Korinth, das sich seiner­ seits mit Aigina, der Herrin des Saronischen Meeres, der alten Rivalin Athens, zusammenschloß. Nach empfindlichen Rückschlä­ gen, die durch die starke Anspannung der athenischen Kräfte in dem gleichzeitigen ägyptischen Feldzug zu erklären sind, gelang im Frühjahr 4J9 die Einschließung Aiginas. Bisher hatte sich Athen trotz empfindlicher Verluste überall im Felde behauptet; aber noch war Sparta, der Hauptgegner, der die Fäden der anti-athenischen Politik in Griechenland aus der Ferne lenkte, nicht zum offenen Kampf angetreten. Erst auf ein drin­ gendes Hilfegesuch der Dorer vom Oita erschien ein großes Auf­ gebot des Peloponnesischen Bundes in Mittelgriechenland. Erst jetzt fühlte sich Sparta, gestützt auf ein Bündnis mit den Böotern, stark genug, die Entscheidung dort herbeizuführen, wo man Athen am empfindlichsten treffen konnte. Spartas Sieg beiTanagra (Sommer 457) über Athen und seine Bundesgenossen blieb jedoch ohne nachhaltige politische Folgen; das spartanische Heer zog wieder ab, und die Schlacht bei Oinophyta. stellte schon nach zwei Monaten die athenische Vorherrschaft in Böotien wieder her. Eine Folge davon war die Kapitulation Aiginas (456); es wurde un­ ter harten Bedingungen zum Eintritt in den Delisch-Attischen See­ bund gezwungen. Die Blüte der Stadt hat Athen mit brutaler Faust geknickt, das künstlerische Leben in Aigina ist bald voll­ ständig erloschen. Das Jahr 455 v. Chr. bezeichnet den unbestrittenen Höhepunkt,

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die Akme, der athenischen Macht in der Pentekontaetie. Das ganze Gebiet vom Isthmos von Korinth bis zum Malischen Golf stand unter attischer Kontrolle. Thessalien war, zum mindesten nominell, von Athen abhängig, die dorischen Handelsstädte Aigina, Megara, Troizen Mitglieder des Seebundes, das Ägäische Meer war eine athenische See geworden. Ausdruck des gesteiger­ ten Machtwillens war die Expedition des Tolmides: er umfuhr i. J. 455 die Südspitze der Peloponnesos, nachdem er den Spar­ tanern durch Landungen in Lakonien beträchtlichen Schaden zu­ gefügt hatte. Durch den Anschluß Achaias, der „glücklichen Land­ schaft ohne Geschichte“, faßte Athen indirekt im Norden der peloponnesischen Halbinsel Fuß, seit der Ansiedlung messenischer Heiloten in Naupaktos hielt es den Zugang zum Korinthischen Golf unter Aufsicht. Am schwersten aber wurde die große dorische Handelsstadt am Isthmos durch Tolmides’ Einbruch in das korin­ thische Kolonialreich im Ionischen Meere getroffen; hier schlossen sich Zakynthos und Kephallenia den Athenern an. Schon richtete die athenische Staatsführung ihre Augen auf den fernen Westen, als der Umschwung im Nillande zu einer Frontstellung gegen Osten zwang. In Ägypten hatte der Perser Megabyzos, nachdem er den baby­ lonischen Aufstand niedergeschlagen hatte, in Zusammenwirken mit einer phönikischen Flotte einen großen Erfolg über die Ägyp­ ter und ihre athenischen Bundesgenossen im Delta davongetragen (456). Sie wurden auf der Nilinsel Prosopitis eingeschlossen und dort nach eineinhalbjähriger Zernierung durch die Perser bis auf geringe Reste niedergemacht (454). Inaros geriet in persische Ge­ fangenschaft. Amyrtaios setzte dagegen mit seinen Getreuen im Westdelta den Widerstand gegen die Perser fort. Die Folgen der Niederlage auf der Prosopitis, der ersten, die Athen seit Jahr­ zehnten von den Persern hinnehmen mußte, waren unabsehbar. Cypern ging verloren, und in äußerster Bestürzung verlegte man die Kasse des Seebundes (auf einen Antrag der Samier) von Delos nach Athen (Sommer 454). Doch waren weder Persien noch Sparta imstande, ihren Vorteil auszunutzen. Im Anschluß an eine zweite

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Expedition der Athener in das Westmeer (unter Perikies’ Füh­ rung) kam es vielmehr i. J. 453 zum Abschluß eines fünfjährigen Waffenstillstandes zwischen Athen und Sparta. Athen mußte ihn mit der Preisgabe des argivischen Bundesgenossen bezahlen, der nun seinerseits i. J. 451 (?) einen dreißigjährigen Frieden mit Sparta schloß. Erst jetzt waren die Spartaner wieder Herren im eigenen Hause, in der Peloponnesos. Kimons Rückkehr aus der Verbannung entfachte noch einmal die Flamme des Perserkrieges. Ein gewaltiges Aufgebot des See­ bundes von 200 Segeln erschien auf der Höhe von Cypern und errang bei dem kyprischen Salamis (450) einen glänzenden Sieg über die Perser; er wurde als eine der größten Taten Athens ver­ herrlicht, obwohl auch er keine Entscheidung in dem nun schon über 30jährigen Ringen brachte. Kimon selbst hatte ihn übrigens nicht mehr erlebt; er war kurz zuvor bei der Belagerung Kitions gestorben. Die Zurückberufung der Flotte aus den kyprischen und ägyptischen Gewässern durch Perikies und die Entsendung des reichen Kallias nach Susa kennzeichnen eine Wende der attischen Politik gegenüber Persien. Nach schwierigen Verhandlungen einig­ ten sich die Gegner i. J. 449 endlich auf eine Abgrenzung der Interessenssphären: kein persisches Schiff sollte in Zukunft in die Ägäis einlaufen dürfen; der Osteingang des Bosporos im Norden, die lykische Stadt Phaselis im Süden waren die Demarkations­ punkte an der Küste; in Westkleinasien wurde an der Ägäis eine entmilitarisierte Zone, einen Pferdelauf, d. h. drei Tagemärsche, breit geschaffen; sie durfte von persischen Truppen nicht betreten werden. Ein regelrechter Friedensvertrag wurde jedoch nicht ge­ schlossen, da der Perserkönig an dem Anspruch, alle im Bereich seiner Herrschaft lebenden Menschen als seine Untertanen zu be­ trachten, nach wie vor festhielt. Doch wurde der Vertrag durch eine bindende Erklärung des Königs Artaxerxes I. bekräftigt. Der sog. Kailiasfriede war kein Ruhmesblatt für Athen; hatte es doch lediglich die de-facto-Anerkennung des Zustands in Kleinasien erreicht. Das Friedenswerk sollte durch einen Kongreß gekrönt werden,

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den Perikies unter Beteiligung der gesamten griechischen Welt, auch Spartas, in Athen abzuhalten gedachte. Da sich Athen durch den Vertrag des Kailias seiner großen nationalen Aufgabe, der Führung des Perserkrieges, selbst entäußert hatte, so war das perikleische Friedensprogramm von entscheidender Bedeutung, sollte der attische Anspruch auf die Führerschaft in Griechenland neben Sparta aufrechterhalten werden. Das Programm lautete: Erhaltung des Friedens, Sicherheit der Meere, Wiederaufbau der durch die Perser zerstörten Heiligtümer. Sparta war jedoch nicht bereit, den Plan zu unterstützen. Daran ist das Vorhaben geschei­ tert. Der zeitliche Ansatz des Kongresses ist umstritten; man wird entweder an das Jahr 448-447 oder an die ersten Jahre nach 446 denken müssen. Einen empfindlichen Rückschlag für Athen bedeutete der oli­ garchische Umsturz in Böotien (Sommer 447?); die Athener wur­ den bei Koroneia geschlagen und mußten ganz Böotien mit Aus­ nahme Platääs räumen. Dank Thebens Initiative bildete sich ein böotischer Bund; er zerfiel in 11 Kreise, von denen jeder 60 Buleuten zum Bundesrat, je 1000 Hopliten und 100 Reiter zum Bundesheere stellte, das Beispiel einer frühen griechischen Re­ präsentativverfassung. Im folgenden Jahr (446) fielen Euböa und Megara von Athen ab, und Perikies vermochte nur durch Be­ stechung des spartanischen Königs Pleistoanax und seines Rat­ gebers Kleandridas das peloponnesische Bundesheer, das Megara zu Hilfe eilte, zur Umkehr zu bewegen. Nun hatte Perikies freie Hand in Euböa; Chalkis und Histiaia wurden hart bestraft, in Histiaia eine attische Kleruchie (Oreos) angelegt. Mit dem auf 30 Jahre abgeschlossenen Frieden zwischen Athen und Sparta (446/y) war ein Ruhepunkt in der großen Auseinandersetzung der beiden griechischen Rivalen erreicht. Der Friede brachte die Bestä­ tigung des Status quo, Athen mußte auf seinen Einfluß in Zentral­ griechenland und in der Peloponnesos verzichten, seine Suprema­ tie über Aigina blieb jedoch bestehen. Was die äußere Zusammensetzung und die innere Form des Delisch-Attischen Seebundes betrifft, so waren diese seit der

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Gründung i. J. 478/7 dauernden Veränderungen unterworfen. Eine Epoche in der Entwicklung bedeutete auch für den Seebund der Vertrag des Kailias (449), der zwar den Perserkrieg, nicht aber die Gefahr von Seiten des Weltreiches beseitigte. Das stän­ dig wachsende Übergewicht der athenischen Vormacht hatte schon seit den sechziger Jahren immer wieder einzelne Bündner ver­ anlaßt, sich der drückenden Herrschaft zu entziehen (s. S. 165). So kann keine Rede davon sein, daß erst der „Kalliasfriede“ die innere Umwandlung des Bundes von einer Symmachie zur Arche gebracht hat; auch die erst seit 446/5 (in den Tribut­ listen) erscheinende Bezirkseinteilung des Seebundsgebietes be­ weist für diese Frage nichts. Von größerer Bedeutung ist es schon, wenn, wie es scheint, im Jahre des „Kailiasfriedens“ (449/8) die Zahlung der Bundesbeiträge entweder überhaupt eingestellt oder nur von einer geringen Zahl von Seebundsangehörigen ge­ leistet worden ist - ein untrügliches Zeichen für die Rückwirkung, die der Vertrag auf das innere Gefüge des Bundes gehabt hat. Dem politischen und wirtschaftlichen Übergewicht Athens ent­ sprach die führende Rolle der attischen Kultur, das Vordringen des Attischen in Sprache und Schrift, auch im Rechtswesen im See­ bunde. Das Geld der Bundesgenossen wurde z. T. durch attische Münzen verdrängt. Die Prägungen der Seebundsangehörigen, vor allem die des Inselbezirkes, weisen seit etwa 450 v. Chr. beträcht­ liche Lücken auf, dies unzweifelhaft eine Wirkung des attischen Münzgesetzes; erst im Peloponnesischen Kriege haben die rebellie­ renden Seebundsmitglieder die eigene Münzprägung nach und nach wieder aufgenommen. Wenn Athen 450/49 in die inneren Ver­ hältnisse Milets, wenn es 442 in Samos zugunsten der demokrati­ schen Richtung eingriff, so bedeuteten diese Interventionen eine ganz entscheidende Beeinträchtigung der Autonomie der Bundes­ angehörigen: die „Mitkämpfer“ wurden vielfach zu „Untertanen“ Athens. Wie sorgfältig Athen die Tributzahlungen der Bündner überwachte, hat ein Inschriftenfragment gezeigt: den Bündnern wurden Siegel übergeben. Mit ihnen wurden die Abrechnun­ gen der Tribute versiegelt. - Im übrigen zeigt die völlige Unter­

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werfung von Samos durch Perikies nach dem samischen Aufstand (441-439), wessen sich die Seebundsangehörigen von Athen zu ver­ sehen hatten, wenn sie gegen den Stachel zu löken wagten. Zu einer politischen Durchdringung des Seebundes fehlten Athen jedoch ganz entscheidende Voraussetzungen, vor allem eine ausgebildete Büro­ kratie, die es in Griechenland nicht gab und die nur das Perserreich aufzuweisen hatte. Ein ebenso großes Hindernis war das Fehlen eines „Reichsgefühls“ bei den Seebundsstaaten; es vermochte bei dem politischen und materiellen Übergewicht Athens nicht aufzu­ kommen - ganz anders als etwa der Hansegeist im deutschen Mittelalter! Es ist das hellenische Freiheitsgefühl gewesen, das sich einer Umschmelzung des Bundes zu einer attischen „Provinz“ entgegengestellt hat. Die letzten Jahre vor dem Peloponnesischen Kriege sind durch eine wachsende Opposition gegen Perikies in Athen gekennzeich­ net. Zwar war schon i. J. 443 der Hauptgegner des Perikies, Thukydides (Sohn des Meiesias), der die Sache der Bundesgenos­ sen zu seiner eigenen gemacht hatte, dem Ostrakismos verfallen. In der Komödie und in Prozessen gegen Anhänger des „Olym­ piers“ zeigte sich jedoch der zunehmende Widerstand. Anaxagoras, Pheidias und Aspasia wurden nacheinander angeklagt. Von einer ernstlichen Erschütterung der führenden Stellung des Perikies in den 30er Jahren kann jedoch nicht die Rede sein.

j. Die Westgriechen in der Pentekontaetie: Das Erwachen der Sikeler und Italiker Während im Osten nach den griechischen Siegen bei Salamis und Platää der Krieg gegen die Perser noch volle 30 Jahre andauerte, brachte im Westen die Schlacht am Himeras (480) Sizilien für 70 Jahre Ruhe vor den Karthagern, eine Zeitspanne, die vor allem der kulturellen Entfaltung des Westgriechentums zugute gekom­ men ist. Nach Gelons Tode (478) ergriff sein Bruder Hieron das

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Szepter des syrakusanisch-gelaischen Doppelstaates. Er umgab sich in Syrakus mit einem glänzenden Musenhof, seine Gäste waren die bedeutendsten Dichter der Zeit: Pindar und Bakchylides, Simonides und Aischylos haben vorübergehend in Syrakus geweilt und den Ruhm des Herrschers im Lied verherrlicht. Sein Sieg über die Etrusker bei Kyme (Cumae), 474 v. Chr., machte Hieron zum Retter des westlichen Griechentums vor der etruskischen Gefahr. Mit Recht sagt Pindar (Pyth. I 140), Hieron habe „den Etruskern von den schnellfahrenden Schiffen die Jugend ins Meer gestürzt und Hellas vor tiefer Knechtschaft errettet“. Auch für die Anfänge des römischen Staates ist Hierons Sieg von Bedeutung gewesen: er hat die Unabhängigkeit Roms endgültig gesichert. Die Hochblüte der sizilischen Tyrannis nach den Siegen über Karthager und Etrusker vermochte über ihre innere Schwäche, die Illegitimität, nicht hinwegzutäuschen. Mochten Hieron, Anaxilaos, Theron auch bedeutende Söldnerheere unterhalten, mochten sie glänzende Städte aus dem Boden stampfen (so hat z. B. Hieron das dorische Aitne gegründet), nach Belieben Bürger verpflanzen, Bastionen und Prunkbauten aufführen - zu einer festgegründeten Herrschaft sind sie nirgends gelangt. Nicht einmal ein einziges Jahr lang konnte sich Thrasybul nach dem Tode seines Bruders Hieron (466) im Besitze der Tyrannis über Syrakus und das Reich der Deinomeniden behaupten. An dem Aufstand der Syrakusaner entzündete sich die Freiheitsbewegung in ganz Sizilien, als letzte ist die Tyrannis in Rhegion-Messana i. J. 461 gefallen. An der Neuordnung des Staatswesens von Akragas war der Philosoph Empedokles maßgebend beteiligt. Er hat das klassische Wort über den Lebensstil seiner griechischen Landsleute geprägt, das wie kein anderes das Wesen des kolonialen Hellenentums im Westen cha­ rakterisiert: „Die Akragantiner schwelgen, als ob sie morgen sterben müßten, und sie bauen, als ob sie ewig leben würden.“ In der Tat wird die Zeit nach dem Siege am Himeras gekenn­ zeichnet durch eine überraschend große Zahl von prachtvollen Tempelbauten in Akragas, Syrakus, Selinus und Himera, von denen das akragantinische Olympieion mit seinen riesigen Aus­

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maßen eine besonders eindrucksvolle architektonische Leistung darstellt. Kaum hatte man die Freiheit wieder errungen, da erhob der innere Hader in den sizilischen Gemeinden von neuem sein Haupt. Syrakus, Gela, Akragas, Himera, Rhegion wurden von inneren Streitigkeiten zerrissen; dabei bildeten die von den Tyrannen be­ günstigten Söldner gefährliche Unruheherde, so vor allem in Sy­ rakus. Ein völlig neuer Zug im Bilde der sizilischen Geschichte war das Erwachen des einheimischen sizilischen Elements, das in Duketios den nationalen Führer fand. Das Ziel der Sikeler war es, die Griechen gänzlich von der Insel zu vertreiben. In Palike gründete Duketios die Hauptstadt des sizilischen Bundesstaates, der seine Machtsphäre aus dem Inneren gegen das Meer vorzu­ schieben versuchte. Erst die Niederlage des Duketios gegen die vereinte Kraft der Syrakusaner und Akragantiner brachte die Wende: Duketios mußte vor seinen eigenen Anhängern in Syrakus Zuflucht suchen, die Syrakusaner schickten ihn in ehrenvolle Haft nach Korinth außer Landes (451 oder 450). Wenn der Sikeler auch noch einmal in die Heimat zurückgekehrt ist, Einfluß auf die politische Entwicklung der Insel hat er nicht mehr genommen. Vielmehr ist es den Syrakusanern gelungen, ihre Hegemonie wie­ der zu errichten; gegen Ende der 30er Jahre ist Syrakus wieder die weitaus stärkste Macht in Sizilien, ja im ganzen griechischen Westen. Die äußere Geschichte Großgriechenlands im 5. Jahrhundert ist nur eben in den äußeren Umrissen zu erkennen. Überall standen die Griechenstädte in harten Abwehrkämpfen gegen die erwachende Völkerwelt Altitaliens; Tarent und Rhegion erlitten gegen die Iapyger eine furchtbare Niederlage (473). Im Innern erhob sich der Demos in vielen Städten gegen die aristokratische, von den Pythagoreern gestellte Führungsschiclit, überall gab es Bürgerkrieg, Raub, Mord, Plünderung - ein betrübendes Bild hellenischer Un­ einigkeit. Wie eine Oase in der Wüste erscheint die kleine Stadt Elea (später Velia) an der Westküste Lukaniens. In ihren Mauern lebten die bedeutendsten griechischen Denker der Zeit, Parmeni-

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Die Pentekontaetie (4/8-431)

des und Zenon. In der Form eines großartigen Lehrgedichtes hat Parmenides seine Naturerklärung verewigt, die mit der Annahme eines ätherischen Flammenfeuers und einer lichtlosen Finsternis ein eigenartig dualistisches Gepräge hat. Seine sich auf die An­ schauung von der Kugelgestalt der Erde gründende Zonenlehre ist für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Menschen von großer Bedeutung geworden. So ist das kleine Elea ein Beispiel dafür, wessen der hellenische Geist fähig war, wenn er einen ge­ eigneten Nährboden gefunden hatte. Anders als die hellenischen Gemeinden Unteritaliens war Massalia im 5. Jahrhundert ein Hort der Ruhe und der Sicherheit. Mit ihren großartigen Handelsverbindungen, die sich im Westen bis tief hinein nach Spanien, im Norden die Rhone aufwärts nach Nordfrankreich und in das Rheingebiet, im Osten bis weit in den italischen Raum erstreckten, war Massalia die bedeutendste See­ stadt des Westens neben Karthago. Ganz besonders eng gestalte­ ten sich die Verbindungen zwischen der Griechenkolonie im We­ sten und dem aufstrebenden römischen Staate, Beziehungen, die sich aus der gemeinsamen Kampfstellung gegen die Etrusker er­ klären. Als die Römer nach der Eroberung Vejis (vulg. 396) dem Apollon von Delphi einen goldenen Dreifuß weihten, da stellten sie ihn im delphischen Schatzhaus der Massalioten auf. Wie die Sage von Roms Gründung durch die Griechen geprägt worden ist, so verdankt Rom seine Freiheit von der Etruskerherrschaft letzt­ lich den Hellenen. Siege der Griechen standen an der Wiege des römischen Staates, und erst die Durchdringung des Römertums mit hellenischer Kultur hat Rom in späteren Jahrhunderten zur Weltherrschaft befähigt.

Der Peloponnesische Krieg (431-404)

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DRITTER TEIL

DER PELOPONNESISCHE KRIEG

(431-404 v. Chr.)

Dem unbestrittenen Höhepunkt des klassischen Hellenentums im Zeitalter des Perikies folgte die Krisis in dem nahezu 30jährigen Peloponnesischen Kriege. Die weltweiten Kriegszusammenhänge das Kriegstheater erstreckte sich vom griechischen Festland nach Osten über die Ägäis, über Makedonien, Thrakien bis nach Klein­ asien, im Westen über das Ionische Meer bis nach Sizilien und Unteritalien - kennzeichnen ihn als das größte Ereignis der grie­ chischen Geschichte seit dem Kriegszuge des Xerxes gegen Grie­ chenland. Dadurch, daß das Perserreich und der hellenische We­ sten in seinen Bannkreis mit einbezogen wurden, ist der Krieg zugleich ein universalhistorisches Ereignis ersten Ranges, ja ge­ radezu ein Wendepunkt in der Geschichte der Alten Welt. Es ist mehr als ein Symbol, daß der Krieg von Thukydides, dem größ­ ten Historiker des Altertums, beschrieben worden ist. Aus dem weltweiten Machtkampf ist nicht Sparta, sondern das Perserreich als Sieger hervorgegangen; so ist das 4. Jahrhundert zunächst ein persisches, später ein makedonisches Jahrhundert ge­ worden. Die gewaltigen Kräfte, die durch den Krieg innerhalb und außerhalb von Hellas entfesselt worden sind, haben auf vie­ len Gebieten, vor allem in der Politik und in der Wirtschaft, zer­ störend, ja zum Teil sogar vernichtend gewirkt. Griechenland, seit Salamis und Platää der Mittelpunkt der Welt, wurde durch die Folgen des Kriegs allmählich an die Peripherie gedrängt, während der Osten, Persien, und der Westen, insbesondere das Reich des Dionysios I. von Syrakus, emporgestiegen sind. Die Uhr der hel­ lenischen Polis ist allmählich abgelaufen. Athens Schöpfung, der Seebund, hatte sich der schweren Belastungsprobe nicht gewachsen gezeigt; an dem Übermaß von Freiheit, an der Unfähigkeit, zu einem befriedigenden Ausgleich zwischen Freiheit und Bindung

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Der Peloponnesische Krieg (431-404)

zu gelangen, sind nicht allein Athen und seine Arche, sondern ist auch Hellas als politischer Machtfaktor zugrunde gegangen. An dem griechischen Menschentum sind die Erschütterungen des großen Krieges nicht spurlos vorübergegangen. Die hochgehen­ den Wogen des Hasses, die furchtbaren Grausamkeiten, oft an wehrlosen Gefangenen und an den Einwohnern eroberter Städte begangen, werfen düstere Schatten auf das lichte Bild des helleni­ schen Wesens, wie es durch die unvergänglichen Werke der Kunst des 5. Jahrhunderts geprägt wird. Erstaunlich ist und bleibt jedoch die unversiegbare Schöpferkraft des hellenischen Geistes noch in den dunkelsten Jahren des großen Krieges. Die meisten Werke des Euripides (f 406), die Mehrzahl der politischen Komödien des Aristophanes, der zum erstenmal i. J. 427 hervorgetreten ist, gehören der Kriegszeit an; sie zeugen von einem blühenden gei­ stigen Leben in Athen, in dem die alljährlichen Aufführungen von Tragödien und Komödien nicht abrissen, obwohl Werften und Werkstätten in der Stadt und im Piräus vom Arbeitslärm der Rüstungen widerhallten. Auch Meißel und Säge der Bauarbeiter ruhten nicht ganz; an dem Erechtheion baute man weiter, und die Schatzmeister vergaßen nicht, unter den Aufwendungen für den Krieg die Abrechnungen für Bürger, Metoiken und Sklaven zu verewigen. In den ersten Jahren des Krieges hielt die „neue Lehre“, die Sophistik, in der Gestalt des redegewaltigen Gorgias, des Ge­ sandten aus Leontinoi, ihren offiziellen Einzug in Athen. Die Sophistik ist an der Prägung des neuen hellenischen Menschentums maßgebend beteiligt. Sie hat geradezu eine Umwälzung im grie­ chischen Geistesleben hervorgerufen, ihre Wirkungen sind auf allen Gebieten des Lebens, nicht zum wenigsten in der Politik, spürbar. Über den negativen Folgen dürfen die positiven jedoch nicht über­ sehen werden: die Sophisten haben die Grundlagen wissenschaft­ lichen Denkens gelegt; indem sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen, haben sie eine neue Betrachtungsweise der Welt eingelei­ tet. Die Beschäftigung mit der Natur des Menschen ist überhaupt ein moderner Zug, der diese Zeit durchweht. Der neue, Wissenschaft-

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liehe Geist spricht aus den Schriften des Arztes Hippokrates von Kos, des Begründers der neuen Heilkunst (* um 460 v. Chr.), und sei­ nes gleichgesinnten Kreises; vor allem die Abhandlung über die „Heilige Krankheit“ und das Büchlein über das Klima sind ein­ drucksvolle Zeugnisse echt wissenschaftlichen Denkens, das sich nicht mehr mit den metaphysischen Erklärungen begnügen will. Es ist kein Zufall, wenn die Terminologie des thukydideischen Ge­ schichtswerkes unverkennbare Anklänge an das hippokratische Corpus aufweist. Auf keinem anderen Gebiet aber offenbart sich der neue helle­ nische Geist so deutlich wie auf dem des Glaubens. Die Aufge­ schlossenheit des hellenischen Wesens für fremde Art manifestiert sich in der Einbürgerung zahlreicher fremder Gottheiten in Grie­ chenland; die thrakische Bendis, der phrygische Sabazios, der liby­ sche Ammon und viele andere erlangten Heimatrecht in Hellas, mag es auch oft die Politik gewesen sein, die dem Glauben den Weg bereitete. Zu allen Zeiten aber lehrt Not beten, und so haben sich auch im Peloponnesischen Kriege die Gläubigen in Scharen den geheimnisvollen Mysterienkulten ergeben, um in ihnen Trost und Hoffnung zu finden. Anderseits hat sich das neue durch den Krieg und seine Erbar­ mungslosigkeit geprägte Menschentum gar oft über die Schranken von Recht und Sitte, von Treu und Glauben hinweggesetzt. Macht­ menschen vom Schlage eines Alkibiades und Lysander beherrschen die Bühne der Politik, nicht weniger aber ist die Masse vom Macht­ wahn ergriffen. In den Volksversammlungen obsiegen oft Rache­ gefühle über Regungen nüchterner Besonnenheit. Zumal das Ver­ halten des attischen Demos straft jene Anschauung Lügen, die in dem souveränen Volk ein Instrument unfehlbarer politischer Ein­ sicht zu sehen vermeint. In dem dunklen Gemälde fehlen jedoch die helleren Farben nicht ganz. Dem hohen Menschentum und dem Bekennermut des Sokrates, der treuen und geduldigen Pflicht­ erfüllung so vieler unbekannter Tausende, der hohen Opferbereit­ schaft Athens wird auch die Nachwelt die Anerkennung nicht ver­ sagen können. Es ist ein tragisches Schicksal, das sich in dem 13

Bengtson, SA

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Der Peloponnesische Krieg (431-404)

attisch-spartanischen Machtkampf in und an Hellas erfüllt. Die Unfähigkeit des spartanischen Siegers, ein neues, freies Hellas aufzubauen, das Übergewicht der persischen Großmacht haben den Niedergang der griechischen Nation besiegelt. Erst der Makedone Alexander hat das Griechentum nach mehr als zwei Genera­ tionen zu neuem Leben erweckt.

1. Die Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges

In seinem Geschichtswerk ist Thukydides der Auffassung ent­ gegengetreten, daß Perikies zur Überwindung innenpolitischer Schwierigkeiten den Peloponnesischen Krieg vom Zaun gebro­ chen habe. Mit vollem Recht sieht der bedeutende Historiker die tieferen Gründe, die er erstmals von den äußeren Anlässen scheidet, in dem historischen Faktum des athenisch-spartanischen Dualismus sowie in dem Gegensatz der von den beiden führenden griechischen Staaten vertretenen innenpolitischen Grundsätze. Die moderne Forschung ist in der überwiegenden Mehrzahl dem Thukydides gefolgt, nur K. J. Beloch hat sich bemüht, der von Thukydides bekämpften Auffassung, die für uns vor allem in der Komödie sichtbar wird, zum Siege zu verhelfen. Der Ablauf der Ereignisse bis zum Ausbruch der offenen Feindseligkeiten im Frühjahr 431 ist jedoch ein schlagender Beweis für die Richtigkeit der thukydideischen Ansicht. Wenn irgend etwas sicher ist, so ist es dies: Perikies hat den Krieg nicht gesucht, er ist ihm allerdings auch nicht aus dem Wege gegangen, als der Bruch unheilbar schien und die Ereignisse ohne eine tiefe und zwecklose Demütigung Athens dem attischen Staatsmann keine andere Wahl mehr ließen. Entzündet hat sich die Flamme des großen Krieges an dem Zwist der Handelsmächte Athen und Korinth. Die Königin der Isthmosstädte war im 6. Jahrhundert, gestützt auf ihren ausge­ dehnten, in straffer politischer und ökonomischer Abhängigkeit gehaltenen Kolonialbesitz auf den Inseln und an der Küste des

Die Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges

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Ionischen Meeres, nahezu die unumschränkte Herrin der Verbin­ dungen zwischen Griechenland und dem Westen gewesen. In der reichen Insel Korkyra besaß sie einen wichtigen Zwischenstütz­ punkt, von dem aus der korinthisch-korkyräische Handel fast den gesamten Westen - Sizilien, Unteritalien und die ganze Apennin­ halbinsel - erfaßte. Einen ernsthaften Konkurrenten fand Korinth erst in der Zeit nach den großen Persersiegen in dem aufblühen­ den athenischen Westhandel; für ihn legen attische Vasenfunde in Italien ebenso Zeugnis ab wie die athenischen Verträge mit Städten des griechischen Westens und nicht zuletzt die Gründung von Thurioi (s. S. 179). Seine unvergleichlich günstige Lage an zwei Meeren hätte es Korinth gestattet, sich auch am Osthandel führend zu beteiligen, wäre seine Aktivität im Osten nicht durch die Rivalität Aiginas und Megaras stark eingeschränkt worden. Der steile Aufstieg Athens zwang Korinth im Laufe der Pentekontaetie zu einer neuen Frontstellung: in dem sog. 1. Pelopon­ nesischen Kriege stand Korinth auf Seiten der Gegner Athens, in­ dem es den Aigineten als den Schwächeren seine offene Unterstüt­ zung zuteil werden ließ. Athen antwortete durch das Bündnis mit Achaia und vor allem mit der Festsetzung in Naupaktos, dem „athenischen Gibraltar“ am Korinthischen Golf (s. S. 170). Da­ mit hatte Perikies der korinthischen Handelsmetropole das Mes­ ser an die Kehle gesetzt: wollte sie nicht zugrunde gehen, so mußte die einst so stolze Königin des Ionischen Meeres alles auf­ bieten, um sich aus der tödlichen Umklammerung zu befreien. Anders als das in seinen Lebensinteressen bedrohte Korinth war Sparta, die Hegemonialmacht des Peloponnesischen Bundes, nichts weniger als kriegsgeneigt. Die rückläufige Bevölkerungsbewegung, das Gespenst der Furcht vor neuen Heilotenaufständen, die knap­ pen finanziellen und wirtschaftlichen Hilfsquellen, die Lockerheit der peloponnesischen Bündnisorganisation im Vergleich zu dem fest zusammengehaltenen Attischen Seebund - dies alles hat Spar­ tas Initiative gelähmt. Es hat den Krieg nicht gewählt, sondern es ist in ihn hineingezwungen worden, und zwar durch Korinth und seine Bundesgenossen. xj*

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Der Peloponnesische Krieg (431-404)

Um die Mitte der dreißiger Jahre, als der Kriegslärm des sami­ schen Aufstandes verstummt war, zogen sich über dem Ionischen Meere dunkle Wetterwolken zusammen: aus der Verfeindung Korinths mit seiner Tochterstadt Korkyra entstand ein regelrechter Krieg, in dem die Vorherrschaft im Westmeer auf dem Spiele stand. Innere Streitigkeiten in der korkyräischen Kolonie Epi­ damnos (später Durazzo) zwischen Oligarchen und Demokraten riefen das Eingreifen beider Staaten herbei. Die Korinther, die ein von Korkyra vorgeschlagenes Schiedsgericht abgelehnt hatten, erlitten in einer Seeschlacht am Vorgebirge Leukimme (an der Südspitze Korkyras) eine vernichtende Niederlage; Epidamnos ergab sich den Korkyräern, die korinthische Besatzung wanderte in die Gefangenschaft (435). Während Korinth, von Leukas und Ambrakia unterstützt, fieberhaft rüstete, richtete Korkyra einen Hilferuf an Athen und erlangte den Abschluß eines Defensiv­ bündnisses (Epimachia)-, allerdings hatte sich die attische Volks­ versammlung erst nach längerem Schwanken zu diesem Ent­ schluß durchringen können. Im Hochsommer 433 standen sich bei den Sybota-Inseln (im Sunde zwischen Korkyra und dem Fest­ lande) 150 korinthische und 110 korkyräische Trieren gegenüber. Das Eingreifen eines sich zunächst abwartend verhaltenden atti­ schen Hilfsgeschwaders brachte die Korinther um die volle Aus­ nutzung des errungenen Sieges. Auch auf der Chalkidike, in Poteidaia, stießen athenische und korinthische Interessen zusammen. Als Kolonie der Isthmosstadt von Periandros gegründet (s. S. 87), hatte sich Poteidaia als fester Hort der hellenischen Freiheit im Norden erwiesen. Es war in den Delisch-Attischen Seebund eingetreten, ohne jedoch seine Bindungen an die Mutterstadt, die alljährlich die leitenden Magi­ strate Poteidaias entsandte, aufzugeben. Als der korkyräische Konflikt auf dem Höhepunkt stand, im Sommer 433, richtete Perikies an Poteidaia das Ansinnen, die korinthischen Epidamiurgen auszuweisen und die südliche, quer durch die Halbinsel Pallene gezogene Mauer nicderzulegen. Poteidaia beantwortete die athenische Herausforderung, gestützt auf das Bündnis mit dem

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Makedonenkönig Perdikkas II., mit offenem Abfall (etwa im Mai 432), dem sich auch die Bottiaier und die Chalkidier an­ schlossen. Den Höhepunkt des Konfliktes bezeichnete das „me­ garische Psephisma“; hierdurch hat Perikies den Megarern, den Bundesgenossen Korinths und Konkurrenten Athens, sämtliche Häfen im Bereich des Seebundes verschlossen und dadurch dem Handel Megaras einen vernichtenden Schlag versetzt (432). Die Zeitgenossen haben dieses Psephisma - Perikies hat es mit un­ bedeutenden Zwischenfällen begründet, wie sie in Krisenzeiten überall und jederzeit vorkommen - als den eigentlichen Kriegs­ grund betrachtet, jedoch mit Unrecht. Ist doch das Psephisma nur der Ausdruck einer der vielen Differenzen, die zwischen Athen und den Peloponnesiern entstanden waren. So hat es auch Thukydides (I 67) dargestellt. Auf Megaras Beschwerde stellte zunächst die spartanische Apella, dann die Tagsatzung des Peloponnesischen Bundes den Bruch des 30jährigen Frie­ dens durch die Athener fest. Der Krieg war unvermeidlich ge­ worden. Der Winter 432/1 wurde von Scheinverhandlungen ausgefüllt. Beide Parteien, vor allem Sparta, versuchten auf diplomatischem Wege eine günstige Ausgangsposition zu gewinnen und die öffent­ liche Meinung in Griechenland von ihrem Recht zu überzeugen. Dies ist den Spartanern entschieden besser gelungen als ihren athenischen Gegenspielern. Wenn Sparta schließlich von Athen die Vertreibung der fluchbeladenen Alkmeoniden, d. h. des Peri­ kies, sowie die Wiederherstellung der Autonomie der attischen Bündner verlangte, so hatte es sich damit in den Bereich der pro­ pagandistischen Kriegsvorbereitung begeben. Als Kriegsziel hatte man die Autonomie der Hellenen proklamiert, in der sicheren Er­ wartung, daß diese Parole im Seebund nicht ohne Widerhall blei­ ben würde. Perikies aber blieb gegenüber den peloponnesischen Forderungen fest. Als die Gegner das von dem attischen Staats­ mann auf Grund des Friedensvertrages von 446/5 v. Chr. ange­ botene Schiedsgericht ablehnten, war es vor aller Welt klar, wer den Krieg wollte: Korinth und seine Bundesgenossen sind es ge­

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Der Peloponncsische Krieg (431-404)

wesen, die Sparta durch die Drohung mit fortgerissen haben, man werde andere Hilfe zu finden wissen - ein Hinweis auf Argos, das dem Peloponnesischen Bund nicht angehörte.

2. Der Archidamische Krieg (431-421 v. Chr.)

Die Gegner, die zu dem entscheidenden Waffengang antraten, waren in ihrem inneren Aufbau und, gemessen an ihren Macht­ mitteln, grundverschieden. Athen, unbestritten die größte See­ macht im östlichen Mittelmeer, standen die reichen Hilfsquellen aus dem gesamten Seebundsbereich zur Verfügung, im Ionischen Meere besaß Athen in Zakynthos, Korkyra, im Westen, in Sizilien und Unteritalien, in Segesta, Leontinoi, Rhegion bedeutende Bun­ desgenossen, in Mittelgriechenland standen die Messenier in Naupaktos, die Akarnanen, die Amphilocher und vor allem die Thessaler zu Athen. Zu Lande sah sich die Stadt allerdings rings von Feinden umgeben: Megara, Korinth, die Böoter warteten nur auf einen günstigen Augenblick, über den verhaßten Nachbarn herzu­ fallen. In der Peloponnesos blieben nur Argos und Achaia neutral, alle anderen Staaten stellten ihre Kontingente zum peloponnesi­ schen Bundesheere, das auch durch Zuzüge der Phoker und der östlichen Lokrer verstärkt wurde. So stand fast die ganze helle­ nische Welt von Ionien bis Sizilien in zwei Lager geteilt im Kriege. Der Feldarmee des Peloponnesischen Bundes in Stärke von 40000 Mann hatte Athen nur etwa 13000 Hopliten entgegen­ zustellen, dazu 1200 Reiter und 1600 Bogenschützen, diese nur von bedingtem Kampfwert. Der attische Landsturm von 16000 Mann kam nur für defensive Aufgaben und als Besatzungstruppe in Betracht. Ganz anders war die Lage zur See. Die große Flotte von 300 attischen Trieren, die dazu noch durch Kriegsschiffe von Chios, Lesbos und Korkyra verstärkt wurde, suchte im Mittel­ meer ihresgleichen. Bemannung stand in den Theten, Metöken

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und Sklaven von Athen sowie durch Anwerbungen im Gebiet des Seebundes in ausreichender Zahl zur Verfügung. Während der Peloponnesische Bund über keinerlei finanzielle Reserven ver­ fügte, ja nicht einmal eine Kriegskasse besaß, vielmehr auf Geldund Naturalbeiträge der Bündner angewiesen war, hatte Athen an den regelmäßig einlaufenden Tributen sowie an dem auf An­ trag des Kailias begründeten Reserveschatz einen festen finan­ ziellen Rückhalt, mochte auch der attische Staatsschatz infolge der großen Ausgaben für die perikleischen Prachtbauten seinen Höchst­ stand überschritten haben. Auf der Verschiedenheit der militärischen Kräfte der beiden Gegner zu Wasser und zu Lande beruhte der Kriegsplan des Perikies. Unter Preisgabe des flachen Landes von Attika - nur eine Reihe von Kastellen an der böotischen Grenze sollte ge­ halten werden - sollte die gesamte attische Landbevölkerung in den Raum zwischen den Schenkeln der Langen Mauern zurück­ gezogen werden. Eine Belagerung der riesigen Doppelfestung, die Athen mit dem Piräus bildete, mußte in der Tat so lange voll­ ständig wirkungslos sein, als die athenische Flagge souverän das Meer beherrschte. Als Gegenaktionen waren Landungsunterneh­ men attischer Seestreitkräfte im Gebiet der Peloponnesier geplant. Bewußt verzichtete der perikleische Kriegsplan auf eindrucksvolle äußere Erfolge; dafür stellte seine Durchführung an die Moral und an die Disziplin der Bevölkerung, und zwar gerade derNichtkombattanten, höchste Anforderungen. Nie und nimmer kann ein derartiger Plan im Hirn eines Staatsmannes und Strategen ent­ standen sein, der den Krieg mutwillig vom Zaune brach, um in ihm billige Lorbeeren zu pflücken. Der Krieg wurde im Frühjahr 431 durch einen Handstreich der Thebaner auf Platää eröffnet. Platää war mit Athen von jeher aufs engste verbunden; es stellte eine dauernde Bedrohung des knapp drei Wegstunden entfernten Theben dar. Die in Platää eingedrungenen thebanischen Hopliten wurden aber überwältigt, 180 von ihnen mußten über die Klinge springen; eine Warnung Athens kam zu spät. Dem blutigen Vorspiel folgte binnen zwei

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Monaten der Einfall des peloponnesischen Heerbannes unter dem Spartanerkönige Archidamos in das attische Landgebiet. Trotz starker Demoralisierung der in dem Bereich der Langen Mauern zusammengepferchten attischen Bevölkerung, denen Tempel und rasch angelegte Baracken als Notunterkünfte dienen mußten, hielt Perikies strikte Defensive inne, mit dem Erfolg, daß die Peloponnesier schon nach einem Monat wieder abzogen. Athens Gegen­ schlag bestand in der Entsendung eines Geschwaders gegen die Peloponnesos. In Methone von Brasidas abgewiesen, fuhr die Flotte in das Ionische Meer und brachte Kephallenia zum An­ schluß an Athen, auch Sollion in Akarnanien wurde genommen. Mit der Vertreibung der Ägineten - sie wurden durch attische Kleruchen ersetzt - schuf Perikies im Saronischen Meerbusen rei­ nen Tisch; der Plünderungszug in das Gebiet von Megara war da­ gegen nichts als ein Racheakt, an der Kriegslage hat er nicht das geringste geändert. Auch die Invasion der Peloponnesier im Frühjahr 430, die ganz besonders schwere Verheerungen in Attika anrichtete, brachte keine Wende. Da brach im Sommer 430, von Vorderasien einge­ schleppt, in der überfüllten Stadt und auf der athenischen Flotte eine furchtbare Epidemie aus: es ist die sog. „Pest“, deren Verlauf Thukydides (II 48—54) in so unübertrefflich anschaulicher Weise geschildert hat. Der Charakter der Krankheit ist noch heute um­ stritten. In vier Jahren raffte die Seuche nicht weniger als ein volles Drittel der attischen Bevölkerung dahin. Im Bann der To­ desfurcht begannen Kleinmut und Verzweiflung in der auf engem Raume zusammengedrängten Bevölkerung die Oberhand über alle Regungen politischer Vernunft zu gewinnen. Man suchte nach dem Schuldigen und fand ihn in Perikies. Unter der Beschuldigung, öffentliche Gelder unterschlagen zu haben, entsetzte man ihn (Herbst 430) in verletzender Weise seines Amtes, der Strategie, die er 15 Jahre lang ohne Unterbrechung innegehabt hatte. Der Prozeß und die Verurteilung des Perikies bezeichnen eine neue Phase des Krieges. Hatte man in Athen bisher nur mit hal­ ber Kraft den Krieg geführt, so ging es jetzt um die nackte Exi­

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stenz. Eine Verschärfung der Kriegführung auf beiden Seiten war die Folge, röteten doch die Peloponnesier jeden Athener, der in ihre Hände fiel, um auf diese Weise die volle Quarantäne auf­ rechtzuerhalten! Mit der Kapitulation Poteidaias, das im Frühjahr 429 nach zweijähriger heldenhafter Verteidigung die Waffen strecken muß­ te, trat für Athen im Norden eine fühlbare Entspannung ein. Das i J. 431 zwischen Athen und dem mächtigen Thrakerkönige Sitalkes abgeschlossene Bündnis hatte der athenischen Herrschaft im Norden einen festen Rückhalt gegeben, vor allem auch gegen­ über dem schwankenden Makedonien. Die großen Hoffnungen, die man in Athen auf Sitalkes setzte, sind jedoch nicht in Erfül­ lung gegangen. Ein beachtlicher Bundesgenosse blieb der Thraker­ könig aber in jedem Falle; umfaßte sein Reich doch den weiten Raum zwischen dem Strymon, dem Schwarzen Meer und der un­ teren Donau und bot so dem athenischen Handel gewaltige Mög­ lichkeiten. Größere Erfolge im Norden sind jedoch ausgeblieben: das vor Poteidaia freigewordene Belagerungsheer erlitt sogar bei Spartalos im Kampf mit Chalkidiern und Bottiaiern eine emp­ findliche Niederlage; sie ist insofern von kriegsgeschichtlicher Be­ deutung, als hier zum ersten Male Leichtbewaffnete und Reiter über Hopliten obsiegten: der ein Menschenalter später vor allem von Iphikrates herbeigeführte Umschwung in der Taktik kündete sich hierin von ferne an. Im Westen brachte dagegen die Flottenexpedition des Phormion (Herbst 429) einen glücklichen athenischen Doppelerfolg; um die Beseitigung der würgenden Seesperre bei Naupaktos be­ mühten sich die Peloponnesier vergebens. Die athenische Flotte hielt die Blockade der Peloponnesos aufrecht, die Preise stiegen an, das Korn aus Sizilien blieb aus, so daß nicht nur die Korin­ ther, sondern alle Peloponnesier merkten, was es bedeutete, mit Athen im Kriege zu stehen. Bei den Wahlen im Frühjahr 429 war Perikies rehabilitiert worden, doch seine Kraft war gebrochen; er hatte seine beiden vollbürtigen Söhne durch die Pest verloren; er selbst, von ihr ge­

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zeichnet, war nach wenigen Monaten ein toter Mann. Niemand in Athen verfügte über seine große politische Erfahrung, nur ihm war es gegeben gewesen, die vielfach ineinander verschlungenen Fäden der Strategie, der Diplomatie und des Finanzwesens fest in der Hand zu halten. Bedeutende Helfer hatte Perikies nie be­ sessen, und nicht ganz mit Unrecht hat Beloch ihm vorgeworfen, er habe sich mit ausgesprochenen geistigen Nullen umgeben. Aus der Schicht der Gewerbetreibenden, die, anders als die vielfach um Haus und Hof gekommene Landbevölkerung, entschlossen waren, den Krieg um jeden Preis fortzusetzen, stammten Eukrates, Lysikles - ein Freund des Perikies - und Kleon, der „Gerber“, ein Demagoge reinsten Wassers. Früher hatte er in scharfem Ge­ gensatz zu der perikleischen Kriegspolitik gestanden, nach dem Tode des Rivalen wurde er ihr eifrigster Anhänger, der Typ des „Durchhaltepolitikers“, wie ihn nahezu jeder lange und harte Krieg der Geschichte hervorbringt. Von der Komödie, vor allem von Eupolis und Aristophanes, aufs grimmigste angegriffen, von Thukydides ein Menschenalter später mit überlegener Ironie cha­ rakterisiert, erscheint Kleon als der echte Totengräber der atti­ schen Größe - trotz aller Tatkraft, die ihm niemand abstreiten kann. Neben Kleon ist als sein Rivale Nikias, Sohn des Nikeratos, hervorgetreten. Nikias ist als Stratege emporgekommen, wie sich überhaupt nach Perikies’ Tode die Wege der militärischen Fach­ leute von denen der Demagogen trennten, im ganzen nicht zum Schaden der militärischen Belange. Infolge der Auswirkungen der Pest war die beiderseitige Krieg­ führung i. J. 429 wenig aktiv gewesen, ein Handstreich des unternehmenden Spartaners Brasidas auf den Piräus war fehl­ geschlagen. Im Jahre 428 führte der Abfall der reichen Insel Les­ bos mit der Hauptstadt Mytilene zu einer Krise für Athen. Nur unter Anspannung aller Kräfte, der finanziellen und der mili­ tärischen Leistungsfähigkeit, dazu unter Heranziehung der atti­ schen Kleruchen in Übersee, gelang es, Mytilene einzuschließen. Die Stadt mußte schließlich wegen Hungers auf Gnade und Un­ gnade kapitulieren (Sommer 427). In der athenischen Ekklesie

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beantragte Kleon eine ganz exemplarische Bestrafung der Abtrün­ nigen, alle (!) erwachsenen Männer sollten hingerichtet, Weiber und Kinder in die Sklaverei geführt, das Land unter attische Kleruchen aufgeteilt werden. Erst am folgenden Tage kam man wieder zur Besinnung. Das endgültige Urteil war hart genug: Mytilene mußte mit dem Verlust der Autonomie, der Schleifung seiner Mauern, der Auslieferung der Flotte, dem Verluste seines Territoriums büßen; nicht weniger als tausend Bürger, die sich am schwersten kompromittiert hatten, verfielen dem Beile des Hen­ kers. Die unerhörte Bluttat, die von der attischen Volksversamm­ lung ausdrücklich befohlen wurde, erscheint so ungeheuerlich, daß ein Teil der früheren Forschung sie aus der Geschichte zu elimi­ nieren oder in ihren Ausmaßen zu reduzieren versucht hat. Die Peloponnesier blieben ihren Gegnern an Brutalität nichts schuldig. In Platää, das kurz nach Mytilene kapitulierte, mußte die gesamte Besatzung, mehr als 200 Platäer und Athener, über die Klinge springen (Herbst 427). Zu der Verschärfung der Kriegführung trug die Verflechtung des äußeren Kriegsgeschehens mit inneren Parteikämpfen erheb­ lich bei. Dies zeigt etwa die Niederwerfung einer oligarchischen Revolution auf Korkyra mit athenischer Hilfe (Hochsommer 427). Für Athens Stellung im Westen war der Besitz der Insel im Ionischen Meere gerade damals von größter Bedeutung, da die Ereignisse in Sizilien eine Wendung nahmen, die für eine direkte Intervention Athens günstig zu sein schien. Die überragende Stel­ lung von Syrakus, das sich in den dorischen Gemeinden Gela, Selinus, Messana, Himera sowie in Lokroi Epizephyrioi eine be­ achtliche Symmachie geschaffen hatte, rief die Bildung einer gegnerischen, in der Mehrzahl aus ionisch-chalkidischen Städten (Naxos, Katana, Leontinoi, Rhegion, als einzige dorische Polis Kamarina) und aus Sikelern gebildeten Koalition hervor, die jedoch den Gegnern nicht gewachsen war. Da sandte Athen im Herbst 427 eine kleine Flotte unter Laches nach Sizilien (sog. 1. sizilische Expedition der Athener). Mit Rhegion und Leontinoi war Athen seit Jahren verbündet, das Bündnis mit Segesta wurde

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durch Laches erneuert, und auch Halikyai scheint sich (427/6 oder spätestens 426/5) den Athenern in die Arme geworfen zu haben. Das Jahr 426 brachte den Peloponnesiern wenig Fortschritte. Nur der Gründung und militärischen Besetzung von Herakleia Trachis (am Nordausgang der Thermopylen) kam strategische Be­ deutung zu, da man nun einen Stützpunkt gewonnen hatte, von dem aus man gegen Mittelgriechenland operieren konnte. In Athen fand ein folgenschwerer innerer Kurswechsel statt: kein einziger der früheren Strategen wurde wiedergewählt; anstatt dessen nahm Kleon, bereits seit 427/6 Hellenotamias, und mit ihm die Kriegspartei das Heft in die Hand. Der Umschwung hatte eine erhebliche Aktivierung der attischen Politik zur Folge: man entsandte ein zweites, größeres Geschwader nach Sizilien (April 425); auf ihm befand sich der für 425/4 zum Strategen gewählte Demosthenes. Das militärisch geschulte Auge des Mannes erkannte in dem Hafen von Pylos an der peloponnesischen Westküste die Stelle, von der aus man dem Gegner entscheidend zusetzen konnte: von Pylos aus konnte man Verbindung mit den Messeniern auf­ nehmen und dadurch das Gespenst eines neuen Messenischen Krieges für Sparta heraufbeschwören. Die Landung in Pylos war ein durchschlagender Erfolg. Alle Angriffe der Peloponnesier von der Land- und Seeseite wurden abgewiesen, 420 lakedämonische Hopliten, ein Zehntel der gesamten lakedämonischen Streitmacht, wurden nach ihrer Landung auf der vorgelagerten Insel Sphakteria abgeschnitten. Unter dem Eindrude der Katastrophe war Sparta zu Friedensverhandlungen bereit, im Raum von Pylos trat Waffenruhe ein. Was Sparta anbot, war nicht nur die Wiederher­ stellung des 30jährigen Friedens von 446/5 v. Chr., sondern dar­ über hinaus sogar ein Schutz- und Trutzbündnis (Symmachia). Kleon aber schlug das Angebot in den Wind. In einer bewegten Volksversammlung - die Vorgänge sind von Thukydides in un­ übertrefflicher Weise beschrieben worden - wurde Kleon durch Nikias gezwungen, das Kommando in Pylos zu übernehmen; er verließ sich aber ganz auf Demosthenes und zwang schon am

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zweiten Tage nach seiner Ankunft die abgeschnittenen Lakedämonier - immer noch fast 300 Hopliten - zur bedingungslosen Kapi­ tulation (August 425). Es ist Kleons unbestreitbares Verdienst, unter dem Eindruck des überraschenden Erfolges von Sphakteria, der ihm außer­ ordentliche Ehren, u. a. die lebenslängliche Speisung im Prytaneion und einen Ehrensitz im Theater, eingebracht hat, auf die Reorganisation der Tributlcistungen der Bundesgenossen gedrun­ gen zu haben. Durch die sog. Kleonschatzung des Jahres 425/4 wurden die Tribute neu festgesetzt. Anstatt des Aristeidesphoros von 46c Talenten, an dem man über ein halbes Jahrhundert fest­ gehalten hatte, wurde jetzt die Gesamtsumme auf 1460 Talente erhöht. Da die finanziellen Reserven Athens erschöpft waren, blieb keine andere Wahl. Mochten also die Bündner zahlen, wenn nur die athenische Flotte, das kostspielige Machtinstrument des Demos, weiterhin die See beherrschte. Durch die Erhöhung des Heliastensoldes von 2 auf 3 Obolen täglich wußte sich Kleon die Masse der attischen Kleinbürger auf das engste zu verbinden. Mit der Besetzung der Insel Kythera (424) durch Nikias nah­ men die Operationen zur See einen für Athen außerordentlich günstigen Fortgang, die Blockade der Peloponnesos war damit zu einer fast lückenlosen geworden, es schien nur noch eine Frage der Zeit, wann Sparta in die Knie gezwungen werden würde. In die­ ser Not ist Brasidas, Sohn des Tellis, Spartas Retter geworden. Schon bei Methone (im ersten Kriegsjahr), dann bei Pylos hatte er sich durch ungewöhnliche Umsicht und Tapferkeit ausgezeich­ net. Jetzt übergab man ihm das Kommando über eine kleine Streitmacht, die Sparta den Chalkidiern i. J. 424 zu Hilfe sandte. Nach einem bewundernswerten Landmarsch über den Isthmos - dabei wurde Megara mit Ausnahme des Hafens Nisaia den Athenern entrissen -, durch Böotien, über Herakleia Trachis und durch Thessalien erreichte Brasidas die Grenze Makedoniens. Der König Perdikkas II. hatte die Aktion diplomatisch vorbereitet. Brasidas wußte das attische Reich an seiner Achillesferse zu tref­ fen: als erste chalkidische Gemeinden schlossen sich ihm Akanthos

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und Stageira an, und mit der Einnahme von Amphipolis im Strymongebict, das Thukydides, der spätere Historiker des Krie­ ges, als attischer Stratege nicht zu decken vermochte - nur die Hafenstadt Ei'on konnte gehalten werden -, hatte Brasidas dem Ansehen Athens im Norden der Ägäis einen schweren Schlag ver­ setzt. Die Goldminen des Pangaiondistriktes fielen ihm zu, und der Abfall der Städte des thrakischen Bezirkes von Athen nahm größeren Umfang an (Herbst 424). Überhaupt war das Jahr 424 ein Unglücksjahr für Athen. Ein großangelegter konzentrischer Angriff der Athener auf Böotien mißlang. Auf dem Rückzug wurde die attische Phalanx bei Delion durch einen überraschen­ den Flankenstoß der am rechten Flügel 2$ Mann tief aufgestellten Böoter völlig geschlagen: es ist die einzige große Feldschlacht des ganzen zehnjährigen Archidamischen Krieges und in ihr sind die Athener unterlegen, auch dies ein Zeichen für die Richtigkeit des perikleischen Kriegsplanes! Zum ersten Male haben die Böoter bei Delion die Taktik der „schiefen Schlachtordnung“ angewandt, die später von Epameinondas mit so großem Erfolg ausgebaut wor­ den ist und die dann eine völlige Umwälzung im griechischen Kriegswesen im Gefolge hatte (s. S. 251). Übrigens ging es auch im Westen, in Sizilien, mit Athens Einfluß bergab. Angesichts der attischen Verstärkungen, die das Geschwader des Sophokles und Eurymedon von Pylos nach Sizilien führte, legten die sizilischen Griechen auf dem Kongreß von Gela (424) ihren Streit bei, nach­ dem der Syrakusaner Hermokrates das zündende Schlagwort „Sizilien den Sikelioten“ unter die Kongreßteilnehmer geworfen hatte. Der attischen Hilfe bedurfte man nicht mehr, die athenische Flotte kehrte in die Heimat zurück. Im Jahre 424/3 ist, wie es scheint, eine Revision der attischen Bürgerliste vorgenommen wor­ den, da eine größere Menge von Getreide zur Verteilung stand. Zahlreiche Prozesse gegen attische Strategen (Laches, Eury­ medon, Sophokles, Thukydides) lassen die Nervosität der Athe­ ner erkennen; man war mit der Kriegführung unzufrieden, die Kriegspartei verlor an Boden, und mit dem i. J. 423 durch Laches zustande gebrachten Waffenstillstand auf ein Jahr schien in der

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Tat der Friede, nach dem sich die Menge sehnte, in Sicht. Mit Persien hatten die Athener nach dem Ableben des Artaxerxes I. den Vertrag des Kailias erneuert (424 oder spätestens 423), so daß von Osten her keine unmittelbare Gefahr drohte. Die rasche Entwicklung auf der Chalkidike hat jedoch die Friedensaussichten zunichte gemacht. Um Skione, das in eben den Tagen von Athen abfiel, in denen man den Waffenstillstand unterzeichnete, erhob sich ein Streit; die Athener bestanden auf der Rückgabe, während sich die Spartaner lediglich bereit erklärten, ein besonderes Schiedsgericht einsetzen zu lassen. So ging der Krieg denn weiter, und Kleon, der neue Heros der attischen Demokratie, erntete nun auch im Norden Erfolge: bereits im Winter 423/2 hatte Nikias den Anschluß des ewig schwankenden Makedonenkönigs Perdikkas II. an Athen zustande gebracht und ihn obendrein zur Liefe­ rung von Schiffsholz aus den Wäldern des Königreiches durch Vertrag verpflichtet. Kleon gelang es, Torone und andere Städte in Thrakien, darunter Galepsos, zu nehmen; bei einem Aufklä­ rungsvorstoß gegen Amphipolis gab er sich jedoch eine schwere Blöße; 600 Athener und Kleon selbst blieben auf dem Felde, unter den wenigen Toten des Gegners aber war Brasidas. Die Amphipoliten errichteten ihm ein Denkmal auf dem Markt und erwiesen ihm heroische Ehren. Mit dem Tode des Kleon und des Brasidas war das entschei­ dende Hindernis für einen Verständigungsfrieden beseitigt. In Athen drang die Friedenspartei des Nikias durch, und in Sparta, in dem man in baldiger Zukunft ernste Schwierigkeiten von dem Erbfeind Argos befürchtete - denn das Ende des 30jährigen Frie­ dens stand bevor -, war man nicht weniger friedensbereit. Sparta verlangte die Rückgabe der Gefangenen von Sphakteria, die Räu­ mung von Pylos, Kythera und Methana, war aber seinerseits be­ reit, alle jene Gemeinden den Athenern auszuliefern, die während des Krieges aus der attischen Symmachie ausgeschieden und auf die Seite der Peloponnesier übergewechselt waren. Trotz des Wi­ derstandes der von dem „Lampenfabrikanten“ Hyperbolos und von Peisandros geführten athenischen Radikalen kam es, nachdem

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Sparta seinen Forderungen durch ein Ultimatum den nötigen Nachdruck gegeben hatte, im April 421 zum Abschluß eines 50jährigen Friedens zwischen den Athenern, Lakedämoniern und den beiderseitigen Bundesgenossen. Unstreitig war der „Friede des Nikias“ ein bedeutender Erfolg Athens. Das Ziel, für das einst Perikies in den Krieg gezogen war, die Behauptung des Besitzstandes, war erreicht. Dagegen hatte sich die von den Peloponnesiern ausgegebene Parole der Freiheit und Autonomie der Hellenen als ein leeres Wort erwiesen. Frei­ lich, das attische Land lag wüste, und noch waren die großen Men­ schenverluste durch die Pest in Athen nicht verschmerzt. Im Ge­ füge des Seebundes hatten sich, besonders im thrakischen Bezirk, klaffende Risse gezeigt. Die Zeit mußte lehren, ob Athen imstande sein würde, den zentrifugalen Tendenzen eines Teils der See­ bundsangehörigen wirksam entgegenzutreten, und zwar nicht nur mit Waffengewalt, sondern mehr noch durch eine neue konstruk­ tive Idee. Sie war vor allem vonnöten, denn die Entscheidung in dem hellenischen Dualismus war noch nicht gefallen.

3. Die Zeit des Nikiasfriedens (421-414 v. Chr.) und die große sizilische Expedition der Athener (413-413 v. Chr.)

Die in dem Nikiasfrieden übernommenen Verpflichtungen wur­ den von beiden Parteien nicht loyal erfüllt, da sie dazu weder willens noch imstande waren. Von den Mitgliedern des Pelopon­ nesischen Bundes haben Korinth, Megara, Elis und Böotien den Frieden gar nicht ratifiziert. Der spartanische Harmost von Amphipolis, Klearidas, weigerte sich, die Amphipoliten der Rache Athens auszuliefern, nur zur Räumung der thrakischen Küsten­ plätze ließ er sich herbei. Die Athener antworteten mit Repres­ salien: sie hielten Kythera nach wie vor besetzt und versagten den Gefangenen von Sphakteria die Heimkehr nach Lakedaimon. Am unzufriedensten war man in Korinth: man hatte weder Kor-

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kyra noch Potcidaia erhalten, auch Sollion und Anaktorion hatte man nicht wiedergewonnen, da die Akarnanen die Stützpunkte besetzt hielten. Die Krise des Peloponnesischen Bundes trieb Sparta den Athenern in die Arme: im Frühsommer 421 wurde ein attisch­ spartanisches Defensivbündnis auf 50 Jahre unterzeichnet. Das Mißtrauen der übrigen Peloponncsier wurde dadurch noch gestei­ gert, es kam zu einer offenen Revolte im Peloponnesisdien Bunde. F.lis und Mantmeia traten aus der Vereinigung aus und schlossen mit Korinth, Argos und den Chalkidiern ein Separatbündnis, mit dem Erfolg, daß Sparta auf der Peloponnesos nunmehr so gut wie isoliert war. Die treibende Kraft war wie immer Korinth; es machte sich die in der Peloponnesos um sich greifende demokratisdie Bewegung zunutze und spielte sie geschickt gegen das aristo­ kratische Sparta aus. Einst hatte Sparta eine ähnliche Taktik ge­ gen Athen und seinen Seebund angewandt, nun wurden ideologi­ sche Gegensätze gegen den lakedämonischen Führungsanspruch mobilisiert. Es war nur ein sehr schwacher Elrsatz für den ver­ lorenen Boden in der Peloponnesos, wenn es der spartanischen Diplomatie gelang, im Frühjahr 420 ein Bündnis mit Böotien ab­ zuschließen. Das offene Mißvergnügen über den faulen Frieden hatte einen völligen Umschwung in der attischen Politik zur Folge. Von Nikias und seinem Frieden wollte man nichts mehr wissen, die Schrecken des zehnjährigen Krieges waren nur zu rasch vergessen. So gewann die radikale Richtung Oberwasser; ihre Führer waren Hyperbolos und Alkibiades, der Sohn des Kleinias und einer Alkmeonidin. Alkibiades war nach dem Tode seines Vaters im Hause des Perikies aufgewachsen, die eminenten Gaben seines Geistes und Körpers schienen ihm eine ruhmvolle Laufbahn vorzuzeich­ nen. Doch hatte er es in seiner Jugend, auch im Umgang mit So­ krates, nicht gelernt, sich selbst zu beherrschen und in seinen Lei­ denschaften Maß zu halten. Seine unbestrittene Begabung mußte daher zerstörend wirken, um so mehr, als all sein Tun und Lassen von einem unbezähmbaren Ehrgeiz bestimmt wurde. Daß er seine Zeitgenossen in Athen an geistiger Kraft weit überragte, wußte 14

Bengtson, SA

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er selbst nur zu gut, und es war kein Wunder, wenn nur zu oft selbst nüchtern denkende Politiker sich durch den bestrickenden Zauber seiner Persönlichkeit und durch den unverkennbaren Ab­ glanz seiner Genialität blenden ließen. Das politische Ziel des Alkibiades war die völlige Isolierung Spartas. Ihr diente der Ab­ schluß eines athenischen Bündnisses mit Argos, Mantineia und Elis, zunächst auf der Grundlage eines Defensivvertrages auf hun­ dert Jahre (Sommer420). In diesem Bündnis wie in dem argivischepidaurischen Konflikt des folgenden Jahres, in den sich Athen und Sparta einmischten, war die kommende Entwicklung bereits vcrgezeichnet. Sie wurde jedoch dadurch verzögert, daß Alkibiades bei den Strategen wählen des Frühjahrs 418 nicht wieder zum Zuge kam Der Kampf um die Vorherrschaft in der Peloponnesos zwischen Sparta und Argos kulminierte in der Schlacht bei Mantineia (418 v. Chr.). Obwohl von einem attischen Hilfskorps verstärkt, unter­ lagen die Argiver und die Streitkräfte des Sonderbundes der von König Agis geführten Phalanx der Lakcdämonier. Es war die größte Feldschlacht, die seit Platää auf griechischem Boden ge­ schlagen worden ist. Die uneingeschränkte Wiederherstellung der spartanischen Hegemonie in der Peloponnesos war die Folge. Ar­ gos, Mantineia, Achaia traten dem Peloponnesischen Bunde bei, allein Elis hielt sich noch abseits. Das Gebilde des sich an Athen anlehnenden Sonderbundes war zerstoben und mit ihm die Illu­ sionen, die man sich in Athen, betört durch die Sirenengesänge des Alkibiades, gemacht hatte. In Athen hing alles ab von dem Ausgang des innenpolitischen Duells zwischen Alkibiades und Nikias: Krieg oder Friede, das war die Frage. Da verfiel man auf den Ausweg, sich einer Insti­ tution zu bedienen, die längst in die Rumpelkammer der attischen Demokratie gehörte, des Ostrakismos. Der gegen ihn gerichteten Institution wußte Alkibiades jedoch dadurch die Schärfe zu neh­ men, daß ihm das schier Unmögliche gelang, Nikias, seinen Geg­ ner, auf seine Seite herüberzuziehen und sich mit ihm in einem „Wahlkartell“ zu verbinden. Der leidtragende Dritte war Hyper-

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bolos, den das Scherbengericht zur Verbannung verurteilte (Früh­ jahr 417?). Der Ostrakismos hatte damit seine völlige Unbrauch­ barkeit so drastisch bewiesen, daß man in Athen nie mehr auf ihn zurüdtgekommen ist. Nikias und Alkibiades, für das Jahr 417/6 v. Chr. zu Strategen gewählt, strebten beide nach raschen äußeren Erfolgen. Während Nikias i. J. 417 in Thrakien wenig erreichte, legten Teisias und Kleomedes den Athenern die Insel Melos zu Füßen. Unter Nicht­ achtung ihrer Neutralität wurde sie vergewaltigt; wer von den Bürgern nicht den Tod durch Henkershand fand, wanderte auf den Sklavenmarkt. Die Expedition der Athener gegen das dorische Me­ los ist eine Manifestation brutalen Machtwillens, wie dies Thuky­ dides in dem berühmten „Melierdialog" geschildert hat. Sparta aber ließ sich weder durch diese Provokation noch durch Raubzüge der athenischen Besatzung in Pylos aus der Reserve herauslocken. Es ist möglich, daß für Spartas passive Haltung das Wiederauf­ leben von Streitigkeiten mit Argos mitbestimmend gewesen ist. Argos war überdies (im Frühjahr 416) wieder in ein Bundesver­ hältnis zu Athen getreten. Die große Wende des griechischen, nicht nur des athenischen Schicksals brachten die Ereignisse im Westen, in Sizilien. Die Strei­ tigkeiten der griechischen Gemeinden der Insel hatte der Friedens­ kongreß von Gela (424) nur vorübergehend beendet. Das dorische Syrakus unterwarf das ionische Leontinoi, Athens Verbündeten, und gliederte das Gebiet der Stadt in den syrakusanischen Staat ein. Da wandte sich Segesta, das im Streit mit Selinus lag, auf sein Bündnis mit Athen pochend, an die große Schutzmacht im grie­ chischen Mutterland. Daß die athenische Hilfesendung schließlich einen derartig großen Umfang annahm, daß sie selbst bei den athe­ nischen Bundesgenossen in Sizilien Bedenken erregte, ist das Er­ gebnis einer Politik gewesen, für die in erster Linie Alkibiades verantwortlich war. Für die Griechen des Mutterlandes galt Si­ zilien von jeher als der „Goldene Westen“. Die unvergleichlich größeren wirtschaftlichen Möglichkeiten, der Reichtum der sizilischen Fluren an Korn und Viehherden, der Glanz der stolzen 14*

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Tempel und der reichen Weihgeschenke - dies alles machte die In­ sel zu einem Märchenland, das seine Schätze dem darbot, der sie zu ergreifen gewillt war. Den Seeweg in das Westmeer beherrschte Athens Flotte uneingeschränkt. Die Streitigkeiten der sizilischen Poleis schufen für eine überlegene auswärtige Macht eine geradezu ideale Gelegenheit zu einer erfolgreichen Intervention. Für den kleinen Mann in Athen war es gewiß, daß eine Ausdehnung der athenischen Machtsphäre auf Sizilien den Wohlstand jedes einzel­ nen Bürgers verdoppeln, ja verdreifachen würde. Den blinden Glauben der Menge hat Alkibiades mit Absicht genährt, und zwar aus eigensüchtigen Gründen. Das sizilische Kommando, das er er­ strebte, sollte für ihn die Grundlage für eine große persönliche Machtstellung werden, wie sie nur die Weite des Westens, nicht die Enge des Mutterlandes zu geben vermochte. Nach dem Vor­ bild der Tyrannen hatte Alkibiades an den Olympischen Spielen des Jahres 416 V. Chr. nicht weniger als sieben Gespanne rennen lassen, zur Ausstattung seines Prachtzeltes hatten die attischen Bündner willfährig beigetragen, und wie die sizilischen Herrscher Gelon und Hieron einst bei Pindar, so hatte Alkibiades bei Euri­ pides ein Siegeslied bestellt. So riß die glänzende Erscheinung des jungen Löwen die große Masse bis auf wenige Pessimisten mit sich fort. Die attische Volksversammlung beschloß (April 415), Segesta zu Hilfe zu kommen und für die Wiederherstellung der Auto­ nomie von Leontinoi zu sorgen. Auf 134 Trieren mit über 25000 Mann Besatzung (dazu 6400 Mann Landungstruppen) belief sich das Kontingent, das man unter dem Befehl des Nikias, Lamachos und Alkibiades den sizilischen Bundesgenossen zu Hilfe sandte; die drei Feldherren wurden für die Führung der Operationen und für den Abschluß von Verträgen mit besonderen Vollmachten ausgestattet. Die Würfel waren gefallen: Athen kehrte Hellas den Rücken, es wandte seine Augen gen Westen in der Hoffnung, von hier aus mit den, wie man meinte, unbegrenzten Machtmitteln Siziliens sich später Griechenland zu Füßen zu legen. Die politische Erregung in Athen war auf das Höchste gestie­ gen. Unmittelbar vor der Ausfahrt der Sizilienflotte entlud sich

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die ungeheure Spannung in dem Hermenfrevel. Der Bubenstreich, der von der abergläubischen Menge als ein schlimmes Vorzeichen angesehen wurde, ist in seinen Motiven niemals geklärt worden. Es spricht manches dafür, daß die Täter, die in frevelhaftem Über­ mut die Hermen nächtlicherweise verstümmelt haben, in den Krei­ sen der oligarchischen Klubs zu suchen sind. Durch Denunziatio­ nen wurde auch Alkibiades betroffen. Man warf ihm vor, er habe im Hause eines Freundes die heiligen Mysterien von Eleusis pro­ faniert. Klarheit wurde nicht geschaffen, die Untersuchung wurde bis zur Rückkehr der Expedition vertagt, obwohl Alkibiades dringend um Aufklärung des Falles ersuchte. In Sizilien fand die große Flotte, auch bei den athenischen Bun­ desgenossen, nur eine kühle Aufnahme. Verhängnisvoll war es, daß die attischen Strategen keinen klaren Kriegsplan hatten. So wollte sich Lamachos zuerst gegen das Bollwerk des westlichen Dorertums, gegen Syrakus, wenden; Alkibiades opponierte: es sei besser, erst die kleineren Gemeinden zum Anschluß zu brin­ gen, um eine Operationsbasis zu gewinnen. Wenn man gehofft hatte, auf diesem Wege schneller voranzukommen, so hatte man sich getäuscht: allein die chalkidische Kolonie Naxos schloß sich freiwillig an, Katana mußte mit Gewalt bezwungen werden. Nichts schadete dem Fortgang der Operationen so sehr wie die Rückberufung des Alkibiades. Durch eine Anzeige des Thessalos, des Sohnes des Kimon, der Teilnahme am Hermenfrevel bezich­ tigt, erhielt Alkibiades Order, nach Athen zurückzukehren und sich vor Gericht zu verantworten. In Thurioi fand er Gelegenheit, von Bord seiner eigenen Triere zu entkommen; sofort begab er sich nach Elis und von dort nach Lakcdaimon. So ist Alkibiades, der Heros der attischen Demokratie, zum Landesverräter geworden; die Befriedigung persönlicher Rachegefühle hat er höher gestellt als das Wohl und das Leben seiner Vaterstadt, die er in das größte Abenteuer ihrer Geschichte gestürzt hatte. Mit dem Ausscheiden des Alkibiades war das sizilische Unter­ nehmen der Athener seiner Seele beraubt. Nach planlosen Einzel­ aktionen landete man endlich (Spätherbst 415) im Großen Hafen

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von Syrakus. In einem ersten Treffen blieb Nikias über das Auf­ gebot der Stadt Sieger. Da richtete Hermokrates, der führende Staatsmann von Syrakus, einen dringenden Hilferuf an Korinth und Sparta, die großen Schirmherren des westlichen Dorertums, und forderte sie auf, den Krieg gegen Athen in Hellas aufzu­ nehmen. Im Mai 414 landeten die Athener zum zweitenmal im Raum von Syrakus, diesmal im Norden der Stadt. Durch die Einnahme der Höhe der Epipolai und durch die Anlage eines Walles von der Höhe zum Großen Hafen wurde die Stadt vom Hinterlande ab­ geschnitten. Die Belagerten errichteten Gegenwerke, mit deren Hilfe sie sich aus der Umklammerung wieder freizumachen ver­ suchten. Als die Not in der Stadt aufs höchste gestiegen war, ent­ sandte Sparta Gylippos, einen erfahrenen Offizier, nach Sizilien. Er ging in Himera an Land und schlug sich mit Hilfstruppen sizilischer Gemeinden durch die ungenügend überwachte athenische Zernierungslinie hindurch in die Stadt. In dem gleichen Maße, wie sich der Mut der Belagerten hob, griffen beim Belagerungs­ heer der Athener Demoralisierung und Zuchtlosigkeit um sich, insbesondere in der großen Masse der untätigen Flottenmann­ schaften, deren Reihen sich durch Desertionen zusehends lichteten. Als Gylippos die beherrschenden Epipolai zurückgewonnen und ein neues großes Gegenwerk von der Achradina zum Euryalos geschaffen hatte, war die Belagerung gesprengt. Das athenische Heer sah sich fortgesetzten Angriffen aus der Stadt und aus dem Binnenlande ausgesetzt. Dazu kam der Verlust des Flottenstütz­ punktes Plemmyrion. In der Bedrängnis richtete Nikias einen Hilferuf an die Heimatstadt. Die im Spätherbst 414 in Athen eintreffende Hiobspost zerstörte mit einem Schlage das Gespinst der Illusionen, das bisher selbst die ungünstigsten Gerüchte nicht hatten zerreißen können. Erst im Dezember 414 schickte man 10 Trieren unter Eurymedon, einige Monate später weitere 65 unter Demosthenes auf die Fahrt nach dem Westen. Der Entschluß war den Athenern nicht leicht geworden; denn seit dem Sommer 414 war der Krieg zwischen Athen und den Peloponnesiern er­

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neut ausgebrochen, der faule Friede des Nikias war zu Ende, aus dem sizilischen Abenteuer war ein allgemeiner hellenischer Krieg geworden. Im Frühjahr 413 überschritt das peloponnesische Bundesheer, zum ersten Male seit 12 Jahren, wieder die Grenzen Attikas. Der spartanische König Agis bezog auf den Rat des Alkibiades nur 20 km von Athen entfernt in Dekeleia ein festes Lager und verwü­ stete den Norden Attikas mit Feuer und Schwert. In Attika hörten Handel und Wandel auf, die Staatssklaven in den Bergwerken liefen in hellen Scharen davon, über der Stadt selbst schwebte das Damoklesschwert eines spartanischen Überfalls, Nervosität und Angst ergriffen die Menge, deren sizilische Hoffnungen so grau­ sam enttäuscht worden waren. Wenig später, im Spätsommer 413, ist die große sizilische Ex­ pedition der Athener in einer furchtbaren Katastrophe zugrunde gegangen. Zwar hatte die Ankunft der neuen Verstärkungen die Lage der Athener vor Syrakus vorübergehend erheblich gebessert, aber bei einem unglücklichen nächtlichen Überfall auf die Epipolai hatte sich Demosthenes eine völlige Niederlage geholt (Juli 413). Die Krise wurde durch Unstimmigkeiten zwischen Nikias und Demosthenes verschärft. Kostbare Wochen ließ man in voll­ ständiger Untätigkeit verstreichen, endlich erklärte sich Nikias, der seine Aburteilung in Athen befürchtete, mit dem Abbruch der längst sinnlos gewordenen Belagerung einverstanden. Wegen einer Mondfinsternis - am 27. August 413 - verschob der zaudernde, abergläubische Nikias die Abfahrt der vor Anker liegenden Flotte um einen vollen Monat. Damit war das Schicksal der athenischen Expedition entschieden. Die Syrakusaner versperrten der Flotte die Ausfahrt aus dem Großen Hafen. Ein Durchbruchsversuch führte nicht zum Ziel; der Rat des Demosthenes, den Versuch am folgenden Tage zu wiederholen, wurde trotz der Zustimmung des Nikias nicht befolgt. So blieb nur der Rückzug in das Landesinnere übrig, die gesam­ ten Schiffe mußten preisgegeben werden. Und selbst bei der Durch­ führung dieses strategisch wenig aussichtsreichen Plans gab es in­

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folge der Unentschlossenheit des Nikias noch Verzögerungen, als Hermokrates die Botschaft aussprengen ließ, alle Wege und Stra­ ßen in das Binnenland seien schon gesperrt. Wenn irgend einmal in der Kriegsgeschichte, so beweist das Verhalten des Nikias die Richtigkeit des militärischen Grundsatzes, daß Unterlassen und Versäumen ungleich schwerer ins Gewicht fallen als ein Fehlgrei­ fen in der Wahl der Mittel. Der Rückzug der Athener, deren Zahl von Thukydides, wohl zu hoch, mit 40000 Mann angegeben wird, wurde zu einem Passionsgang. Es war kein Heer, das endlich den Weg über Eloros nach Kamarina in südwestlicher Richtung ein­ schlug, sondern es war eine undisziplinierte Masse, zum Großteil kampfesungeübte Flottenmannschaften, völlig ohne Selbstvertrau­ en, ohne ordentliche Führung, ohne Verpflegung, ohne Wasser, ständig vom Feinde bedroht. Bald ging die Fühlung zwischen dem Gros und den Nachzüglern verloren; zuerst mußte Demosthenes mit 6000 Mann der letzten Staffeln kapitulieren, zwei Tage spä­ ter ereilte das gleiche Geschick das Gros unter Nikias am Assinarosflusse. Die Gefangenen wurden in die Steinbrüche geworfen. Wer von ihnen nicht in den beiden folgenden Monaten an Hun­ ger und an den Unbilden der Witterung zugrunde ging, der wurde in die Sklaverei verkauft. Nikias und Demosthenes hätte der Spar­ taner Gylippos gern gerettet, in Syrakus aber bestand man auf ihrer Hinrichtung. Der Untergang des athenischen Heeres in den Steinbrüchen von Syrakus ist im Ausmaß wie in den Folgen die schwerste Kata­ strophe, die je ein griechisches Heer betroffen hat. Bedingt war sie durch die unzureichende Kenntnis der wahren Lage in Sizilien sowie durch die unzulängliche militärische Führung des Nikias. Die Bedeutung der Niederlage für den Verlauf des großen Krie­ ges war ganz unabsehbar: sie ist die Peripetie des Krieges gewor­ den, wie dies schon Thukydides zum Ausdruck gebracht hat.

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4. Der Dekeleische und der Ionische Krieg (414-404 v. Chr.)

Der Untergang der athenischen Expedition in Sizilien ist ein Wendepunkt nicht allein in der Geschichte Griechenlands, sondern der gesamten Alten Welt. Die politische Entwicklung von Hellas steht von nun an, ein volles halbes Jahrhundert lang, unter dem Zeichen des Übergewichtes des Perserreiches, dessen Außenpolitik, geführt von den westlichen Satrapen, von Jahr zu Jahr an Ak­ tivität gewonnen hat. Mit Dareios II. Ochos, der nach dem Tode des Artaxerxes I. (425/4) und nach einer sehr kurzen Zwischen­ regierung des Xerxes II. und des Sogdianos den Thron der Achämeniden bestiegen hatte, war von den Athenern i. J. 424/3 in dem sog. Epilykosvertrag der „Kailiasfriede“ erneuert worden - auf ewige Zeiten, so daß von dieser Seite dem attischen Reich keine Gefahr drohte. Es war ein höchst unbesonnener und gefähr­ licher Schritt, wenn Athen i. J. 414 den karischen Dynasten Amorges, der von den Persern abgefallen war, offen unterstützte. Es war die allgemeine Schwächung der athenischen Position, welche die Perser veranlaßte, aus ihrer Zurückhaltung in Kleinasien her­ auszutreten: Dareios II. befahl dem Tissaphernes, dem Satrapen von Lydien und militärischen Befehlshaber von ganz Kleinasien, und Pharnabazos, dem phrygischen Satrapen, den rückständigen Tribut von den kleinasiatischen Griechenstädten einzutreiben. Per­ sien betrachtete den Vertrag des Kailias als gelöst, es nahm offen gegen Athen Stellung und zahlte den Spartanern Subsidien. Die Spartaner gaben dafür ihrerseits die kleinasiatischen Griechen den Persern preis (Sommer 412). Der Abfall der Insel Chios, der Städte Mytilene und Methymna auf Lesbos von Athen war die Folge; auch auf kleinasiatischem Boden (Milet) begann die attische Herrschaft zusammenzubrechen (412). In Athen selbst wuchsen die Schwierigkeiten; die Finanzreserven waren fast ganz erschöpft, so daß man sich (wohl schon im Laufe des Jahres 413) gezwungen sah, den nur noch unregelmäßig eingehenden Tribut durch einen Wertzoll von 5% auf alle in das Gebiet des Seebundes eingeführ­

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ten und alle aus ihm ausgeführten Waren zu ergänzen. Im Jahre 412 mußte man sogar die letzte Notreserve von 1000 Talenten angreifen. Die außenpolitischen Mißerfolge hatten zudem politi­ schen Untergrundbewegungen einen beträchtlichen Auftrieb ge­ geben. Was in Sizilien geschehen war, hatte die Demokratie zu verantworten - es war kein Wunder, wenn die Hetairien der Oli­ garchen eine fieberhafte Tätigkeit entfalteten. An der Spitze der Oligarchen standen vier Persönlichkeiten: Antiphon, einer der hervorragendsten Anwälte (Logographen) seiner Zeit, Peisandros, einst ein radikaler Demokrat und Intimus des Kleon, Phrynichos und Theramenes von Steiria. Der erste „Ruck nach rechts“ war die Wahl von zehn Probuloi i. J. 413 gewesen; sie bildeten die höchste Behörde in Athen und zogen einen Teil der Befugnisse des Rates an sich. Besonderes Gewicht erhielt die oligarchische Strömung durch ihre Verbindung mit Al­ kibiades. Nachdem er zunächst im Sinne der Spartaner in Ionien gegen seine Heimatstadt gewirkt hatte, überwarf er sich völlig mit ihnen und streckte seine Fühler nach der in Samos vor Anker liegenden athenischen Flotte aus, deren Offiziere bereits stark in oligarchischem Sinne beeinflußt waren. Das Anerbieten des Alki­ biades, einen Vertrag mit dem Perserkönig zu erwirken, falls es in Athen zu einer Änderung der Verfassung in oligarchischem Sinn käme, machte, von Peisandros nach Athen überbracht, einen tiefen Eindruck. Die hochgespannten Erwartungen der Athener wurden jedoch enttäuscht: 1. J. 411 erneuerten Tissaphernes und Pharnabazos den Vertrag mit Sparta. Die phönikische Flotte konnte jedoch nicht eingesetzt werden, vielleicht weil in Ägypten ein Aufstand ausgebrochen war. Im Jahre 411 v. Chr. brach in Athen das, was von der Demo­ kratie noch übrig war, durch die Aushöhlung von innen und außen zusammen. Der Umsturz wurde im Mai des Jahres dadurch eingeleitet, daß man eine Kommission von 30 „bevollmächtigten Gesetzgebern“, unter ihnen die 10 Probuloi, einsetzte. In der Ekklesie, die am 8. Juni unter außergewöhnlichen Umständen nicht wie bisher auf der Pnyx, sondern auf dem Kolonos außer­

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halb Athens - abgehalten wurde, ging man zum Generalangriff auf die Demokratie über. Peisandros stellte den Antrag, alle Diä­ ten und Besoldungen, das Palladium der Demokratie, abzuschaf­ fen, die regierende Bürgerschaft auf jooo zu beschränken; sie soll­ ten bei politischen Entscheidungen, vor allem bei dem Abschluß von Verträgen, hinzugezogen werden, falls dies der Rat - er sollte sich aus 400 mit unbeschränkter Gewalt bestellten Mitgliedern zusammensetzen - für richtig befände. Das Ziel des Umsturzes war also nicht eine Herrschaft der $000, sondern eine Diktatur der 400. Der Vorgang war nicht mehr und nicht weniger als eine Revolution-, das zeigt vor allem auch die Schilderung des oligar­ chischen Terrors durch Thukydides (VIII 65), mag auch die auf oligarchischen Quellen beruhende Darstellung des Aristoteles durch Vorlage des Urkundenmaterials eine scheinbar ruhige Evolution vorspiegeln. Athens Demokratie aber war damit fast 100 Jahre, nachdem Kleisthenes ihre Fundamente gelegt hatte, zu Grabe ge­ tragen. Hatte man in Athen geglaubt, sich durch den oligarchischen Umsturz eine bessere Plattform für die ausländische Politik zu schaffen, so hatte man sich gründlich geirrt. In Samos hatte i. J. 412 eine Erhebung des Demos gegen die aristokratischen Geo­ moren mit der Restitution der Demokratie geendet, und athcnischerseits hatte man damals den Samiern die Autonomie, die sie durch ihren Aufstand in perikleischer Zeit verloren hatten (s. S. 186 f.), zurückgegeben. Von dem Umsturz auf der Insel blieb die in Samos vor Anker liegende athenische Flotte nicht unbe­ rührt; die oligarchische, hauptsächlich von den Flottenoffizieren getragene Bewegung wurde erstickt, ehe sie recht ans Licht treten konnte. Man wählte neue Strategen, unter ihnen Thrasyllos und den nachmals so berühmten Thrasybul - damit stand die Flotte, das Machtinstrument Athens, als Flort der Demokratie gegen die oligarchisch regierte Heimatstadt! Während man sich in Samos bemühte, Alkibiades’ Vermittlung zwischen der Flotte und der Heimat zu gewinnen, sah die attische Oligarchie ihre letzte Stunde gekommen. Um sich an der Macht

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zu halten, erstrebten Antiphon und seine Freunde einen Frieden mit Sparta um jeden Preis. Die Befestigung der Eetioneia am Pi­ räus erregte jedoch beim Demos den wohl nicht unbegründeten Verdacht, daß man die Peloponnesier in den Hafen hereinlassen wolle, um das Volk zu terrorisieren. Im Strudel der sich überstür­ zenden Ereignisse des Sommers von 411 v. Chr. - dem Abfall Euböas folgte der Verlust der Dardanellenstraßc und des wichti­ gen Byzanz, so daß die Getreidcflotten aus dem Pontos in Athen ausblieben - ist die Herrschaft der 400, die extreme Oligarchie, untergegangen. Es kam nun zu einem Kompromiß zwischen der demokratischen und der oligarchischen Richtung, die Regierungs­ gewalt ging nach Absetzung der 400 in die Hände der 5000 Bür­ ger über, die „sich equipieren konnten". Sie bildeten einen Rat, der, in vier Sektionen gegliedert, im Turnus die Führung der Staatsgeschäfte übernahm. Dies ist die nach dem böotischen Vor­ bild geschaffene Verfassung des Theramenes; sie ist möglicher­ weise identisch mit der von Aristoteles (Staatsverfassung der Athe­ ner, 30) wiedergegebenen „künftigen Verfassung“, die man seiner­ zeit in der ersten außerordentlichen Versammlung auf dem Ko­ lonos dem Demos vorgelegt hatte. Sie ist aber nur acht Monate in Geltung geblieben. Die Kette der außenpolitischen Mißerfolge Athens war unter­ dessen nicht abgerissen. Zum Verluste Euböas und nahezu des ge­ samten hellespontischen Bezirkes war der Abfall der Insel Thasos gekommen, eines der finanziell leistungsfähigsten Bündner, und der von Abdera (Herbst 411). Die Tage der athenischen Seeherr­ schaft gehörten der Vergangenheit an; die persischen Subsidicn gestatteten Sparta, eine größere Flotte zu halten, der ein vor­ treffliches syrakusanisches Kontingent unter Hermokrates den nötigen Rückhalt gab. Nun konnten den Athenern nur noch au­ ßerordentliche Maßnahmen und Menschen mit neuen Ideen hel­ fen, und so richteten sich die Augen der Athener auf Alkibiades, den die Flottenmannschaft in Samos zum Strategen gewählt hatte und der sich dort wie ein Souverän gebärdete. Unter Thrasybul blieben die Athener gegen Ende des ereignisreichen Jahres 411 in

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zwei ungemein verlustreichen Treffen bei Kynossema und bei Aby­ dos Sieger über die spartanische Flotte. Die Wende aber brachte die Seeschlacht bei Kyzikos (Mai 410). Alkibiades’ Strategie ma­ növrierte hier die Spartaner in Grund und Boden, kein ein­ ziges Schiff vermochte zu entkommen, der spartanische Admiral Mindaros kam im Kampfe um. Die Wiederherstellung der athe­ nischen Seeherrschaft an den Meerengen war die Folge. An einem gegenüber Byzanz errichteten Kastell hob man einen Sundzoll von den Pontosfahrern ein, dessen Erträge den athenischen Finanzen sehr zugute kamen. Sparta traf die Niederlage bei Kyzikos wie ein Donnerschlag. Unter dem Eindruck des völligen Verlustes der kostspieligen Flotte war es sogar zum Frieden auf Grund des bis­ herigen Besitzstandes bereit; Dekeleia sollte gegen Pylos und Kythera ausgetauscht werden. Die Verantwortung, das günstige An­ gebot ausgeschlagen zu haben, fällt dem Kleophon zur Last. We­ nig später brach die auf schwachen Füßen stehende Herrschaft der 5000 zusammen, und mit ihr verschwand die gemäßigte oligarchi­ sche Verfassung des Theramenes. Im Juli 410 übernahm der alte Rat der 500 wieder die Amtsgeschäfte, der Volksgerichtshof, die Heliaia, begann wieder mit seinen Sitzungen. Zum ersten Male in der Geschichte Athens wurde die Aufzeichnung des gesamten geltenden Rechtes beschlossen und einer besonderen Kommission übertragen. Es ist dies der erste bekannte Versuch der Antike, die Verfassung, das öffentliche, private und sakrale Recht eines Staa­ tes, durch eine großangelegte Kodifikation zusammenzufassen. Der Versuch ist übrigens gescheitert, da sich die Kommissionsmit­ glieder als korrupt erwiesen und die Aufzeichnung aus eigensüch­ tigen Motiven verschleppten. Um den Lebensunterhalt der Bür­ ger sicherzustellen, die kein öffentliches Amt bekleideten und die nicht im Heer oder in der Flotte dienten, führte Kleophon die Diobelie, eine regelrechte „Staatspension“, ein. Dazu wurde mit Notstandsarbeiten, z. B. am Ercchtheion, begonnen. Insbeson­ dere die Diobelie bedeutete auf die Dauer eine untragbare Be­ lastung der attischen Finanzen, zumal sich die Bündner mit allen Mitteln mehr und mehr den Zahlungen zu entziehen versuchten.

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Unter dem Eindruck der glänzenden äußeren Erfolge - Kalchedon, Selymbria und sogar Byzanz hatte Alkibiades zurückgewon­ nen, überdies war ein Waffenstillstandsvertrag mit Pharnabazos, dem Satrapen von Phrygien, zustande gekommen (409) - wählte man für das Amtsjahr 408/7 Alkibiades zum Strategen. Am Plynterienfcst des Jahres 408 hielt er seinen triumphalen Einzug in die Vaterstadt, die er sieben Jahre zuvor an der Spitze der stolzen Sizilienflotte verlassen hatte. Von allen Anschuldigungen offiziell freigesprochen, nach Überreichung einer Ehrengabe als Ersatz für das eingezogene Vermögen, erhielt Alkibiades ein unumschränk­ tes Kommando zu Wasser und zu Lande als Generalissimus. Als er dann unter dem Schutze der bewaffneten Macht die heilige Prozession zu Lande von Athen nach Eleusis führte - sie hatte bisher wegen der spartanischen Okkupation unterbleiben müs­ sen -, stand sein Ansehen auf schwindelnder Höhe: er galt als der Retter des Vaterlandes. Seinen Siegeszug am Hellespont und in Ionien fortzusetzen, war Alkibiades nicht imstande. So gründlich hatte sich inzwischen die allgemeine Lage geändert, daß auch Alkibiades das Schicksal Athens nicht mehr zu wenden vermochte. In der Person des Ly­ sander hatte die spartanische Staatsführung endlich den Strategen gefunden, dessen sie für die Flotte, das kostbare Kriegsinstrument, bedurfte. Lysander, der dem Feinde gegenüber auch vor den ver­ werflichsten Mitteln nicht zurückschreckte, war in seinem persön­ lichen Leben bedürfnislos und, was bei Griechen besonders schwer ins Gewicht fällt, vollkommen unbestechlich. Von brennendem Ehrgeiz getrieben, verzehrte er sich in seinem Leben im Dienste für sein Vaterland. Lysander ist es gewesen, der dem persischen Großkönig die Überzeugung einimpfte, daß nur ein vollständiger Sieg Spartas, nicht die Wiederherstellung des alten Gleichgewich­ tes in Griechenland, den wahren Interessen des Perserreiches ent­ spräche. Insbesondere wußte der zielbewußte spartanische Staats­ mann den jungen Königssohn Kyros, seit 408 Vizekönig von Sar­ des, völlig für seine Sache zu gewinnen. Die erste Probe seines großen strategischen Könnens legte Ly-

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Sander in der Seeschlacht bei Notion ab (Frühjahr 407). Mit der Niederlage der Athener erfüllte sich zugleich das Schicksal des Alkibiades. Der aufgebrachte Demos entsetzte ihn seines Kom­ mandos. Der ehemalige Generalissimus Athens aber begab sich auf seine Burgen in der thrakischen Chersonesos und führte dort das Leben eines unabhängigen großen Herrn. Nadi Athens Fall (404) flüchtete er an den Hof des persischen Satrapen Pharnabazos, der ihn auf Betreiben Lysanders umbringen ließ. So ist Al­ kibiades, der Typus des Gewaltmenschen, dem in seinem Leben nichts heilig war, durch Gewalt umgekommen. Die wechselnden Schicksale seines ungewöhnlichen Lebens haben die Nachwelt im­ mer wieder in ihren Bann gezwungen; so hat der Kaiser Hadrian den Ort Melissa in Phrygien, an dem Alkibiades durch Mörder­ hand geendet hat, besucht und das Andenken des berühmten Atheners durch eine Statue geehrt. Wie Alkibiades durch Konon ersetzt wurde, so erhielt Lysander nach dem Ablauf der einjährigen Nauarchie in Kallikratidas, einem Spartaner von altem Schrot und Korn, einen Nachfolger. Obwohl sich Kallikratidas mit dem Jüngeren Kyros überwarf, worauf die persischen Subsidien ausblieben, nahm die spartanische Offensive zur See einen glänzenden Fortgang. Konon wurde nach dem Verlust von Teos und Methymna (auf Lesbos) mit seinen Schiffen im Hafen von Mytilene eingeschlossen. Die furchtbare Ge­ fahr weckte noch einmal die alte Tatkraft der Athener. Unter den größten Opfern stellte man mit Hilfe des treuen Samos noch ein­ mal eine Flotte von über 150 Trieren auf. Bei den Arginusen (am südlichen Eingang des Sundes von Lesbos) wurden die Spartaner vollständig geschlagen, mehr als 70 Schiffe des Kallikratidas blie­ ben in athenischer Hand (August 406). Der Schmerz über die emp­ findlichen Mannschaftsverluste - größtenteils athenische Bürger führte in Athen zum Arginusenprozeß. Die Ekklesie - nicht die ordentlichen Gerichte - verurteilte in einem tumultuarischen Ver­ fahren sechs Strategen, unter ihnen Perikies’ Sohn gleichen Na­ mens, en bloc zum Tode, weil sie es unterlassen hätten, die Schiff­ brüchigen zu retten. Gegen das ungesetzliche Verfahren hatten

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einige Prytanen, unter ihnen Sokrates, Einspruch erhoben - ohne Erfolg. Die Verurteilung der Feldherren war ein warnendes Mene­ tekel für Athen und seine Bürgerschaft, die ein allen Gesetzen der Vernunft widersprechendes Urteil gefällt hatte. Um das Unglück voll zu machen, schlug man in Athen auf Kleophons Einspruch hin ein neues spartanisches Friedensangebot auf Grund des gegenwär­ tigen Besitzstandes kurzerhand aus. Denn wie hätte Sparta die athenische Forderung, die von Athen abgefallenen Städte zurück­ zugeben, erfüllen sollen, selbst wenn cs den aufrichtigen Willen dazu gehabt hätte? Im Jahre 406, als das Wasser den Athenern bis zum Halse ging, begab sich eine Gesandtschaft nach Sizilien, um Verhandlungen mit den Karthagern aufzunehmen. Hatte man an diese Mission, die uns durch Inschriftenfunde bekanntgewor­ den ist, Hoffnungen geknüpft, so sind sic nicht in Erfüllung ge­ gangen. Die Kriegsentscheidung brachte die spartanische Flotte, deren Operationen der dem Nauarchen Arakos als Flaggoffizier bei­ gegebene Lysander leitete. Die Verbindung der Besetzung des at­ tischen Dekeleia mit der Sperrung der Dardanellen führte zum wirtschaftlichen Ruin Athens. Dazu kam die Niederlage in der Seeschlacht bei Aigospotamoi (Hochsommer 405); in ihr ist die Größe Athens ins Grab gesunken. Tausende von Gefangenen fie­ len in die Hände der Spartaner, die Athener unter ihnen, etwa 3-4000 Mann, mußten zur Vergeltung athenischer Grausamkeiten über die Klinge springen. Konon, dessen sträflicher Leichtsinn den Sieg der Spartaner begünstigt hatte, floh nach Cypern, der Rest des einst so stolzen attischen Seebundes brach auseinander, die hellespontischen Städte und die thrakischen Gemeinden wandten sich dem Sieger zu. Nur die Samier blieben treu, sie erhielten zum Dank das späte Geschenk des attischen Bürgerrechtes. Mit dem Verluste der letzten Flotte war Athens Schicksal be­ siegelt. Während Lysander mit 150 Schiffen im Saronischen Golf kreuzte, vereinigten sich die peloponnesischen Landstreitkräfte unter dem Befehl der Könige Agis und Pausanias (II.) in einem festen Lager bei der Akademie, unmittelbar vor den Toren der

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Stadt. Zwar zog das Heer im Winter wieder ab, aber die Blockade blieb bestehen. In Athen schwand alle Hoffnung, man war zu Verhandlungen bereit, sogar zum Verzicht auf das attische Reich, sofern nur Samos und die zur Versorgung der Bürger unbedingt notwendigen Kleruchien erhalten blieben. Als die Spartaner aber darauf bestanden, daß die Langen Mauern auf eine Strecke von zehn Stadien niedergelegt und alle Besitzungen Athens bis auf die altattischen Kolonien Lemnos, Imbros und Skyros abgetreten wer­ den sollten, da schlug die Stimmung in der belagerten Stadt wie­ der um. Unter Kleophons Einfluß wurde jede Diskussion der Be­ dingungen verboten. Nun begab sich Theramenes zu Lysander, angeblich um günstigere Bedingungen zu erwirken, in Wahrheit aber, um einen Stimmungsumschwung in Athen abzuwarten. In der Tat hatte Kleophon bald ausgespielt, man entledigte sich sei­ ner durch eine Anklage wegen militärischer Pflichtverletzung. Theramenes aber ging als bevollmächtigter Gesandter nach Sparta. Den haßerfüllten Feinden Athens, an ihrer Spitze Korinth und Theben, trat Sparta mit Entschiedenheit entgegen; an einer Ver­ nichtung Athens war es nicht interessiert. Dennoch waren die Friedensbedingungen ungemein hart: Athen verlor alle auswärti­ gen Besitzungen, alle Befestigungswerke und die Langen Mauern sollten niedergerissen, die gesamte Flotte bis auf 12 Einheiten aus­ geliefert, die Rückkehr der Verbannten gestattet werden. Darüber hinaus mußte sich Athen den Spartanern zur Heeresfolge ver­ pflichten, d. h. es wurde zum Eintritt in den Peloponnesischen Bund gezwungen. Bereits einen Tag nach der Rückkehr des The­ ramenes ratifizierte die athenische Ekklesie die Bedingungen man hatte keine andere Wahl. Am 16. Munichion (Ende April) 404 v. Chr. hielt der Sieger Lysander auf der Flotte seinen Ein­ zug in den Piräus. Mit der Unterwerfung von Sarnos, das nach einer mehrmonatigen Belagerung die Waffen streckte, war der große Krieg beendet, Athen und das attische Reich lagen dem Sie­ ger zu Füßen.

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Bengtson, SA

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Niedergang der Poliswelt (404-360) VIERTER TEIL

DER NIEDERGANG DER HELLENISCHEN POLISWELT

(404-360 v. Chr.) Das Ende des Peloponnesischen Krieges machte die große Krise der hellenischen Welt auf allen Gebieten des staatlichen, wirt­ schaftlichen und sozialen Lebens offenbar. Zu den empfindlichen Menschcnverlustcn kam die Verödung weiter Strecken fruchtbaren Acker- und Gartenlandes, zumal in Attika, aber auch in Teilen der Peloponnesos. Weite Kreise der Bevölkerung waren bettel­ arm geworden, und auf allen lastete wie ein Alpdruck eine all­ gemeine Rcchtsunsicherheit; in den Willkürakten der Dreißig in Athen erreichte sie ihren Höhepunkt. All diese Erscheinungen waren aber nur Symptome der schweren Erkrankung, die den hellenischen Staat, die Polis, ergriffen hatte. Für sie führte die Krisis nicht zum Leben, sondern zum Tode: am Ende des 4. Jahr­ hunderts ist nicht mehr die hellenische Polis, sondern sind die hel­ lenistischen Monarchien makedonischer Prägung die Träger der Weltpolitik, die Polis aber hat auf immer ihre Bedeutung auf jenem Felde verloren, aus dem sie einst immer wieder neue Kraft zu ihrer inneren Regeneration gezogen hatte. Der grundlegende Wandel, die Abwendung von der Politik zu einer vorwiegend auf dem Gebiet des Ethischen, des Kulturellen liegenden Mission des Hellenentums, ist im Leben Platons vorgezeichnet. In der Tat hat Hellas das, was es auf dem Gebiet der Politik verlor, im Reiche des Geistes doppelt zurückgewonnen: Platon und Aristo­ teles haben im 4. Jahrhundert die Weltherrschaft des griechischen Geistes begründet, sie haben die Fundamente dazu in einer Zeit gelegt, in der Hellas in politische Ohnmacht versank und ein Spielball auswärtiger Mächte, insbesondere des Perserreiches, ge­ worden war. Für die politische Entwicklung war es von folgenschwerer Be­ deutung, daß Sparta, der Sieger des großen Krieges, keinerlei

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konstruktive Ideen für eine Neugestaltung der hellenischen Welt besaß, in der Athens Niedergang ein unausfüllbares Vakuum zurückgelassen hatte. Insbesondere ermangelte die spartanische Arche einer großen nationalen Idee, wie sic einst der Seebund unter Athens Führung in der Idee des Abwehrkampfes der Hel­ lenen gegen die Perser besessen hatte. Die ephemere thcbanische Hegemonie (371-362) aber beruhte im Grunde allein auf der Ausnutzung einer einmaligen machtpolitischen Situation durch das Genie des Epameinondas und des Pclopidas. Sie ist daher ein kur­ zes Zwischenspiel geblieben. Der Schwerpunkt der Weltpolitik hatte sich bereits am Ende des 5. Jahrhunderts von Hellas nach dem Osten verlagert; von dorther rollte das persische Gold in Strömen nach Griechenland. Im Westen, in Sizilien, hat sich in der großen Karthagernot das freie Hellenentum unter die harte Faust des syrakusanischen Herrschers Dionysios I. gebeugt. Der Tyrann ist unbestritten die größte Gestalt unter den Griechen in dem ersten Menschenalter nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges. In Sizilien und auf dem Boden des westlichen Anatolien nehmen eigentümlich moderne Züge im Staatsleben und in der Kultur die Entwicklung kommender Jahrhunderte voraus. Überschattet wird das 4. Jahrhundert durch das Sterben des Sokrates von Athen (399). In einer Zeit, in der sich die staatlichen, sozialen und ethischen Bindungen zusehends lockerten und auf­ lösten, hat Sokrates, den man der Einführung neuer dämonischer Wesen und der Verführung der Jugend anklagte, seine Überzeu­ gung, gehorsam den Gesetzen seiner Vaterstadt, mit dem Leben bezahlt. In einem Zeitalter, in dem die Masse keine Ideale mehr kannte, in dem sich die Gebildeten dem Relativismus der Sophistik erschlossen, hat Sokrates als Lehrer seiner Schüler, als ihr Er­ zieher und Erwecker zur Wahrheit einen wenig zeitgemäßen ethi­ schen Intellektualismus gelehrt: Wissen um das Wesen der Tugend und ihre praktische Betätigung, Einsicht und Handeln flössen für ihn in eins zusammen. Leben und Lehre bildeten bei Sokrates eine untrennbare Einheit. Aus dem tiefen sittlichen Ernst seiner Per­ sönlichkeit erklärt sich der unvergleichliche Einfluß, den er auf die

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Mitwelt und auf die Nachwelt ausstrahlte, vor allem auf seine Schüler, von denen Platon (427-347) zum eigentlichen Künder der sittlichen Größe des Lehrers geworden ist. Platon selbst ist zuerst als Dichter von Tragödien hervorgetre­ ten. Das Erlebnis des Sokrates aber lenkte sein Streben in eine neue Richtung, es formte ihn zu einem der größten Erzieher der Menschheit. Durch sein Wirken an der von ihm nach seiner Rück­ kehr von der 1. italischen Reise (um 387 v. Chr.) gegründeten Akademie - sie lag auf der Feldmark außerhalb Athens, die man nach dem Heros Akädemos benannte - legte Platon in der Unter­ weisung seiner Schüler den Grund zur Ausbildung einer wissen­ schaftlichen Methode. Darüber hinaus schuf Platon ein großartiges dualistisch gestaltetes Weltbild: er stellte der Welt des Körper­ lichen, der Welt des Scheins, eine andere, die Welt des wahren Seins, gegenüber, die durch selbständige Wesenheiten, die „Ideen“, verkörpert wurde. Indem er unter dem Einfluß orphisch-pythagoreischer Lehren den Gedanken der Unsterblichkeit der Seele über­ nahm, richtete er das Denken des griechischen Diesseitsmenschen auf das Ewige und Unvergängliche - es war die größte Umwäl­ zung, die das abendländische Denken vor dem Auftreten Jesu Christi erfahren hat. Platons persönliches Schicksal aber war der erzwungene Ausschluß von einer praktischen politischen Betäti­ gung in seiner Vaterstadt, wie er dies im Alter selbst in ergreifen­ der Weise ausgesprochen hat (Brief VII 325). Der griechische Stadt­ staat hatte sich überlebt, gerade den besten seiner Bürger hatte er keinen Platz mehr anzuweisen. So flüchtete der Geist in die Welt des Unwirklichen, der Utopie, und in diesem Bereich haben Pla­ tons staatstheoretische Schriften, sein „Staat“ und seine „Gesetze", eine unvergängliche Bedeutung gewonnen. Je mehr das Interesse am Staatsleben dahinschwand, um so stär­ ker konzentrierte sich das Hoffen der Menge auf die großen Per­ sönlichkeiten, die das 4. Jahrhundert in so reicher Fülle wie kaum ein anderes hervorgebracht hat: Lysander und Dionysos I., Euagoras und Agesilaos - sie sind der Gegenstand der Historiographie, aber auch der zeitgenössischen Publizistik. Und immer wieder brach

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sich in der Verherrlichung der Einzelpersönlichkeit der Gedanke Bahn, daß allein die Herrschaft des machtvollen Individuums Hellas die Rettung aus politischer Ohnmacht bringen könne. Isokrates und Xenophon haben den Männern des Schwertes literari­ sche Denkmäler errichtet, den sizilischen Tyrannen fehlte es nicht an Bewunderern, und nicht zufällig ist Lysander der erste Hellene gewesen, dem man gottgleiche Ehren erwiesen hat. Ehe die griechische Polis als Machtfaktor verschwindet, hatte sich das griechische Staatsdenken in der Idee eines allgemeinen, alle Griechen einschließenden Friedens (Koine Eirene) ein Instru­ ment geschaffen, das, elastisch gehandhabt, zu einer politischen Neugestaltung der hellenischen Staatenwelt Entscheidendes bei­ zutragen imstande gewesen wäre, hätte sich ihr nicht die allge­ meine Weltlage hindernd in den Weg gestellt. Aber auch so ist die panhellenische Friedensidee eine der wichtigsten gemeingriechi­ schen Manifestationen in dem an innergriechischen Kämpfen so überreichen 4. Jahrhundert v. Chr.

1. Hellas nach dem Peloponnesischen Kriege (404-400 v. Chr.)

Mit dem Zusammenbruch Athens ist die spartanische Herrschaft an die Stelle des Delisch-Attischen Seebundes getreten, sie hat einen feingegliederten Organismus durch ein grobschlächtiges, ja geradezu gewalttätiges System ersetzt. Spartas Hegemonie be­ ruhte auf der Allianz mit Persien, dessen Gold die spartanische Flotte geschaffen und die Herrschaft der Athener unterminiert hatte. Im übrigen aber war Sparta ganz ungeeignet, die athenische Vorherrschaft auch nur bis zu einem gewissen Grade zu über­ nehmen. Es verfügte weder über eine Bevölkerungszahl, wie sie zur Beherrschung so großer Räume und zur politischen Durch­ dringung der abhängigen Staaten nötig gewesen wäre, noch gab es irgendein ideelles oder wirtschaftliches Band, das die Hegemo­

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nialmacht des Peloponnesischen Bundes mit den Griechen des Mut­ terlandes, in Thrakien und Kleinasien verknüpft hätte. Zu allem Überfluß beging Sparta schwerwiegende Fehler, die bald alle Sympathien für den Sieger erstickten: Lysander nahm Chios die Flotte fort, und auch die übrigen athenischen Bündner, die einst unter der Last der Seebundsbeiträge geseufzt hatten, mußten nur zu bald merken, daß Spartas Herrschaft nicht weniger drückend war als die der einstigen Hegemonialmacht. Dazu machte das spartanische System, das überall die Herrschaft der oligarchischen Minderheiten durch die Konstituierung von sog. Dekarchien (Zeh­ nerausschüssen) unterstützte und diese durch militärische Besatzun­ gen unter spartanischen Offizieren (Harmosten) zu befestigen suchte, viel böses Blut. Die Autonomie, die Sparta versprochen und von der man nach der Niederlage Athens geträumt hatte, erwies sich gar zu bald als ein bloßer Schatten. Man war in Hellas nicht freier, sondern vielfach noch unfreier als je zuvor. Drückend wurde auch die Unsicherheit auf den Meeren empfun­ den, die nach dem Verschwinden der athenischen Seepolizei bald zu Tummelplätzen der Piraten wurden. An den Spartanern selbst war der Aufstieg des Staates zum Herrn von Griechenland nicht spurlos vorübergegangen: durch das einströmende Edelmetall wur­ den weite Kreise korrumpiert. Da es den Spartanern durch das Gesetz verboten war, Edelmetall zu besitzen, deponierte man es jenseits der Landesgrenzen wie in Tegea und Delphi. Bestechungs­ fälle waren an der Tagesordnung. Schwere soziale Spannungen ergaben sich aus dem zahlenmäßigen Mißverhältnis zwischen der abgesunkenen Zahl der Vollbürger und der großen Masse von verarmten Spartanern (den sog. Hypomeiones); sie gipfelten in der Verschwörung des Kinadon. Sein Versuch, die herrschenden Besitzverhältnisse in Sparta völlig umzustürzen, wurde jedoch entdeckt und mit der Hinrichtung der Revolutionäre geahndet (398 v. Chr.). Nach Athens Fall war Lysander der „ungekrönte König von Hellas“ (Ed. Meyer). Die Griechen überhäuften ihn mit über­ schwenglichen Ehren. Die Samier benannten das Herafest in „Ly-

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sandreia“ um, man errichtete ihm Altäre, brachte ihm Opfer dar, und in den griechischen Heiligtümern standen seine Standbilder neben denen der olympischen Götter. Lysander ist der erste Grie­ che gewesen, den seine Zeitgenossen in die göttliche Sphäre er­ hoben haben, ein Vorläufer des hellenistischen Gottmenschentums. Auch in dieser Hinsicht wuchs er weit über die Grenzen hinaus, welche die spartanische Staatsordnung dem einzelnen gesetzt hatte. In Athen sah der Friedensvertrag die Wiederherstellung der „von den Vätern ererbten Verfassung" vor, eine Bestimmung, die von den Oligarchen natürlich in ihrem Sinne interpretiert wurde. Unter dem Druck der Flotte des Lysander wurde im Hochsommer 404 die attische Demokratie zu Grabe getragen - zum zweiten Male innerhalb von sieben Jahren (s. S. 219)! Nachdem die Oli­ garchen zunächst ein „Aktionskomitee“ von 5 Ephoren gebildet hatten, wurde eine Regierungskommission von 30 Bürgern ein­ gesetzt; Theramenes und der hochbegabte, aber gewalttätige Kritias (Platons Oheim) waren die Wortführer. Anstatt die neue Verfassung auszuarbeiten, rissen die Dreißig unter Duldung Lysanders die gesamte Macht in Athen an sich. In die Akropolis zog eine spartanische Besatzung unter einem Harmosten ein, und bald entpuppte sich die Herrschaft der Dreißig als ein Schreckensregi­ ment; alle unbequemen Elemente wurden mit Hilfe von Denun­ zianten aus dem Wege geräumt. Nicht weniger als 1500 atheni­ sche Bürger verfielen dem Tode durch Henkershand, zahlreiche andere, unter ihnen Thrasybul, retteten ihr Leben durch die Flucht. Theben, Argos, Megara und andere Orte gewährten ihnen Asyl. Schließlich überschlug sich der Terror der Dreißig - er ist von dem timiden Metöken Lysias aus eigener Anschauung vortrefflich ge­ schildert - und richtete sich gegen die eigenen Reihen, und zwar gegen den unter Theramenes’ Führung stehenden gemäßigten Flü­ gel der Oligarchen. Theramenes wurde, obwohl er sich in ein­ drucksvoller Weise verteidigte, hingerichtet. Um jede Regung der Kritik zu unterdrücken, schreckte man sogar vor dem Verbot des Redelehrens nicht zurück! Die Rettung kam der Stadt von außen. Eine kleine Schar athe­

Niedergang der Poliswelt (404-360) nischer Verbannter und Emigranten unter Thrasybul setzte sich von Böotien aus im Handstreich in den Besitz des Kastells Phyle auf den Vorhöhen des Parnes. Nach einem Erfolg über die spar­ tanische Besatzung und nach der Einnahme der Munichia kontrol­ lierte Thrasybul die Lebensader Athens, den Piräus. Kritias und sein Genosse Charmides fielen im Straßenkampf, die Herrschaft der Dreißig brach zusammen (Ende 404 oder Anfang 403). An ihre Stelle trat ein Zehnmännerkollegium der gemäßigten Rich­ tung, wie sie einst Theramenes vertreten hatte. Von einem Aus­ gleich zwischen den Demokraten und Oligarchen war man aber noch weit entfernt. Lysander stellte sich gegen Thrasybul und blockierte den Piräus. Da erschien, von den Ephoren entsandt, der spartanische König Pausanias II. mit einem Heer in Attika, Ly­ sander mußte sich ihm unterstellen, und nachdem die Spartaner in einem Gefecht gegen die Demokraten gezeigt hatten, daß sie ge­ willt waren, Ernst zu machen, waren die streitenden Parteien in Athen und im Piräus zur Aussöhnung bereit. Es wurde eine allge­ meine Amnestie (unter dem Archontat des Eukleides, 403/2 v.Chr.) beschlossen; allein die Angehörigen der Ausschüsse der „Dreißig“ und der „Zehn“ wurden davon ausgenommen. Im September 403 hielten die Demokraten aus dem Piräus ihren Einzug in die Stadt, der Rat der 500 trat wieder in Funktion, das oligarchische Zwi­ schenspiel war zu Ende, Athen war wieder eine Demokratie. Eine vollständige Aussöhnung kam jedoch erst i. J. 401/0 v.Chr. zu­ stande, als der von den radikalen Oligarchen i. J. 403 begründete Sonderstaat Eleusis sich wieder mit dem attischen Staatswesen vereinigte. Das folgenschwerste Ereignis der ersten Nachkriegsjahre aber war der Sturz Lysanders (Ende 403 v. Chr.?). Schon längst war seine unumschränkte Machtstellung den Ephoren ein Dorn im Auge gewesen; so war es nicht verwunderlich, daß man in Sparta den von überallher einlaufenden Klagen über Lysander und über das Verhalten seiner Harmosten nur zu bereitwillig das Ohr lieh. Alle Versuche des einst so Mächtigen, durch Intrigen in Sparta und auf dem Umwege über die großen panhellenischen Heilig-

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tiimer von Dodona, Delphi, ja sogar über das Ammonsorakel in Libyen seinen früheren Einfluß wiederzugewinnen, erwiesen sich als fruchtlos. Noch einmal hatte der spartanische Staatsgedanke über die machtvolle Einzelpersönlichkeit triumphiert. Lysanders Sturz war mit dem Abbau der spartanischen Macht­ politik gleichbedeutend. Die neue Parole lautete: Rückkehr zur traditionellen peloponnesischen Politik. Vor den Toren Spartas wurde Elis, der einzige Staat der Halbinsel, der nicht dem Pelo­ ponnesischen Bunde angehörte, nach wiederholtem Feldzuge zu Boden gezwungen (402-400). Elis büßte die Hälfte seines Ge­ bietes ein, behielt aber die Leitung der Olympischen Spiele. Die Hegemonie Spartas in der Peloponnesos schien damit fester denn je begründet. Die Zukunft sollte jedoch lehren, daß Sparta nicht die Welt der Ägäis ihrem Schicksal überlassen durfte, insbeson­ dere die Frage der kleinasiatischen Griechenstädte und ihr Ver­ hältnis zu den Persern bedurften dringend einer grundsätzlichen Klärung. Sparta hatte sie für Gold an den Perserkönig verscha­ chert, doch hatte es diesem bisher an Machtmitteln gefehlt, seine Oberherrschaft in Ionien wirklich geltend zu machen. Ein auf die Dauer ganz unhaltbarer Schwebezustand war die Folge.

2. Die Expedition des Jüngeren Kyros (401-400 v. Chr.) und der spartanisch-persische Krieg in Westkleinasien (400-394 v. Chr.)

Unter Artaxerxes II., der i. J. 404 als Nachfolger seines Va­ ters Dareios II. den Thron der Achämeniden bestieg, trat der äu­ ßere und innere Niedergang des Perserreiches offen zutage. Wäh­ rend die Haremsintrigen in Susa nicht mehr abrissen, wurde das Reich durch den Abfall Ägyptens, das i. J. 404 seine Selbstän­ digkeit unter dem Deltafürsten Amyrtaios wiedererlangte und sie volle 60 Jahre behauptete, schwer getroffen. Dazu wurde die ohnehin stark gesunkene Autorität der Zentralregierung durch un­ aufhörliche Streitigkeiten der partikularen Gewalten, der Satra­

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pen, auf das ernsteste gefährdet. Mit ihrem riesigen Grundbesitz, umgeben von Tausenden von Lehnsleuten, schalteten die Satrapen in ihren Gebieten nahezu als unumschränkte Herrscher, ohne sich um die Befehle des fernen Großkönigs noch viel zu kümmern. In Kleinasien führte der Zwist des jungen Prinzen Kyros, eines Bru­ ders des Artaxerxes II., mit dem einst allmächtigen Satrapen Tissaphernes zu chaotischen Zuständen, die jeder geordneten Reichs­ verwaltung Hohn sprachen. Kyros, seit 408 v. Chr. Vizekönig (Karanos) von Kleinasien und als solcher von seinem Bruder schließlich bestätigt, betrieb im Besitze der Satrapien Lydien, Großphrygien und Kappadokien eine rücksichtslose Hausmacht­ politik, indem er sein eigenes Gebiet durch Annexionen auf Ko­ sten der Nachbarsatrapien zu erweitern suchte. So lag er mit Tissaphernes im Streit um das wichtige Milet. In Wirklichkeit hatte er sich weit höhere Ziele gesteckt: was er erstrebte, war das achämenidische Großkönigtum, das ihm, dem Jüngeren, aber im Pur­ pur Geborenen, beim Tode seines Vaters, des Dareios II., versagt geblieben war. Die notwendigen Voraussetzungen für das Unternehmen wur­ den durch Anwerbungen griechischer Söldner, die in den Jahren nach dem Ende des großen Krieges überall für billiges Geld zu haben waren, und durch ein Geheimabkommen zwischen Kyros und Sparta geschaffen. Die Spartaner sandten ein Hilfskorps un­ ter Cheirisophos, das in Kilikien zum Heere des Kyros stieß; auch die spartanische Flotte beteiligte sich an den Operationen. Das Unternehmen wurde als eine lokale Aktion gegen die aufständi­ schen Pisider maskiert. Im Einverständnis mit dem kilikischen Syennesis überwand Kyros die wichtigen Taurospässe, auch in Nordsyrien regte sich kein Widerstand. Der Großkönig Artaxer­ xes II. zog, durch Tissaphernes gewarnt, in Babylonien die Kon­ tingente des Ostens zusammen; an Kampfwert hielten sie freilich mit den griechischen Hopliten und Peltasten im Heere des Kyros keinen Vergleich aus. Im Herbst 401 kam es bei dem Dorfe Kunaxa (nördlich von Babylon) zur Schlacht. Kyros, der sich toll­ kühn auf das Zentrum des großköniglichen Heeres gestürzt und

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seinen Bruder mit eigener Hand verwundet hatte, fand, als er sich schon als Sieger fühlte, im Getümmel den Tod. Die Expedition hatte ihren Sinn verloren. Der Rückmarsch der Griechen, die durch eine List des Tissaphernes ihrer Führer beraubt worden wa­ ren, den Tigris aufwärts durch die unwirtliche Bergwclt Arme­ niens zum Schwarzen Meer, das man bei Trapezunt erreichte, ist ein unvergängliches Ruhmesblatt der griechischen Kriegsgeschichte. Niemals ist die militärische und moralische Überlegenheit der Griechen gegenüber den zahlenmäßig weit überlegenen Asiaten so hell ans Licht getreten wie auf diesem Zuge von Babylonien zum Schwarzen Meer. Es ist dies eine Leistung, die sich in ihrer psy­ chologischen Wirkung nur mit der von Thermopy lai vergleichen läßt. Die Rückkehr der 8600 Söldner (so viele waren von 13000 üb­ riggeblieben) kam so manchen ungelegen, am meisten den Spar­ tanern: sie sahen sich dem Großkönig gegenüber aufs peinlichste kompromittiert und wiesen alle Gemeinschaft mit den „Kyreern“ von sich. Zu der von Xenophon geplanten Koloniegründung am Pontos und in Bithynien kam es infolge des Widerstandes des Sa­ trapen Pharnabazos nicht. Man schob den Rest der 10000 - ihre Taten waren in aller Munde - nach Thrakien ab, wo sie in den Dienst des Seuthes, eines depossedierten Häuptlings, traten. Das war das Ende eines Unternehmens, das das große Perserreich in den Grundfesten hatte erbeben lassen. Der Tod des Jüngeren Kyros und die Rückkehr des Tissa­ phernes nach Kleinasien i. J. 400 v. Chr. machten die Frage der Stellung der kleinasiatischen Griechenstädte brennend. Tissapher­ nes, der einst den persischen Subsidienvertrag mit den Spartanern unterzeichnet hatte (s. S. 217), machte Ernst mit der Bestim­ mung, die die kleinasiatischen Hellenen dem Großkönige aus­ lieferte. Nicht nur Gründe des Prestiges waren hierfür maßgebend. Hatte sich Persien in den Besitz der ionischen Häfen gesetzt, so war es imstande, mit seiner Flotte die Ägäis zu beherrschen, die durch den Zusammenbruch Athens und seines Seehundes herren­ loses Gebiet geworden war. Der Hilferuf der Ioner stellte Sparta vor die Entscheidung, zwischen der persischen Allianz und der

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Freiheit der Ioner zu wählen. Die Spartaner aber sicherten den ionischen Griechen ihre Hilfe zu (400 v. Chr). Das von den Spartanern unter Thibrons Führung nach Klein­ asien entsandte Heer zählte nur wenig über jooo Mann und war zu größeren Operationen unfähig. Das Erreichte hielt sich dem­ entsprechend in engen Grenzen. Immerhin gelang es wenigstens, die Griechenstädte der Äolis vor dem persischen Zugriff zu sichern. Pharnabazos und Tissaphernes, die persischen Satrapen, waren uneins, sie führten, jeder für sich, den Krieg auf eigene Faust, bis es i. J. 397 zum Abschluß eines Waffenstillstandes zwischen ihnen und dem Spartaner Derkylidas kam. Erst nach der Über­ nahme des Kommandos durch den König Agesilaos, der i. J. 399 mit Lysanders Hilfe den Thron bestiegen hatte, wurde die spaitanische Kriegführung aktiver. Agesilaos gerierte sich als Nachfolger des Agamemnon, er versuchte dem Kriege mit den Satrapen ein panhellenisches Gepräge zu geben. Mit einem Opfer in Aulis - wie einst vor dem Zuge gegen Troja - wurde der Kriegszug des neuen Agamemnon inauguriert - übrigens ein be­ merkenswertes Zeichen für die praktische Bedeutung des Mythos im Leben der Griechen -, überzeugende Erfolge blieben jedoch nach der Landung des Agesilaos in Ephesos aus. Am Paktolos­ flusse, vor den Toren von Sardes, kam cs zu einem Zusammenstoß mit der persischen Reiterei, die Einnahme der Stadt durch die Spar­ taner mißlang (395). Hatte man persischerseits eine Wendung durch den Seekrieg er­ hofft - in Cypern war eine bedeutende Flotte gebaut worden, wo­ bei der Athener Konon als Ratgeber des Euagoras, des Königs von Salamis, eine wichtige Rolle spielte -, so blieb diese zunächst noch aus, da Konon im Hafen von Kaunos in Karien eingeschlos­ sen und blockiert wurde (396). Die Rivalität der persischen Gro­ ßen machte die Spartaner ihres gefährlichsten Gegners, des Tissa­ phernes, ledig; er wurde von dem nach Kleinasien entsandten Chiliarchen Tithraustes umgebracht. So blieb der Krieg in West­ anatolien im wesentlichen, was er gewesen war: eine Kette von Plünderungszügen, von geruhsamen Winterquartieren, von Waf­

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fenstillstandsverträgen, die in der Regel nicht ratifiziert wurden, und von gegenseitigen Täuschungsversuchen. Die Hauptleidtra­ genden waren die Ioner, die die Quartierlasten des spartanischen Korps zu tragen hatten. Im übrigen hatten die Spartaner mili­ tärisch ein leichtes Spiel: Agesilaos, der sich die Uneinigkeit des Tithraustes und des Pharnabazos zunutze machte, trieb die per­ sischen Scharen vor sich her und machte riesige Beute. Da traten im griechischen Mutterlande Ereignisse ein, die eine Rückführung der spartanischen Streitmacht von Kleinasien nach Griechenland notwendig machten.

3. Die Erhebung der Griechen gegen Sparta und der Königsfriede (393-386 v. Chr.)

Die Entwicklung in Griechenland in den ersten Jahren des 4. Jahr­ hunderts steht unter dem Zeichen einer überlegenen persi­ schen Politik, die unter reichlicher Verwendung des persischen Goldes die Mißstimmung der Griechen gegen das gewalttätige spartanische Herrschaftssystem geschickt zu schüren wußte. Im Auftrage des Satrapen Pharnabazos kam der Rhodier Timokrates nach Griechenland, er ließ das persische Gold in Theben, Korinth, Argos und Athen rollen, so daß es nur noch eines geringen An­ stoßes zu einer allgemeinen Erhebung der Griechen gegen Spartas Zwangsherrschaft bedurfte. Entzündet hat sich der von Persien gewünschte Konflikt an dem Gegensatz der Lokrer und der Phoker (395). Hinter den Lokrern stand Theben, die erste Macht des böotischen Bundes, über dessen eigenartige Repräsentativverfassung die Hellenika von Oxyrhynchos (c. XI) Aufschluß gegeben ha­ ben: das böotische Koinon zerfiel in 11 „Kreise“, von denen jeder einen Boiotarchen, dazu 60 Mitglieder zum Bundesrat sowie ein Bundeskontingent von 1000 Hopliten und 100 Reitern stellte. Vier „Kreise“ umfaßte Theben (zusammen mit ein paar kleine­

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ren Gemeinden) allein. Die Phoker fanden an Sparta einen Rück­ halt. Athen, auf dessen Haltung viel ankam, schloß mit Böotien ein Defensivbündnis. Die Spartaner operierten zunächst wenig glücklich. Bei dem Versuch, Haliartos am Kopaissee zu nehmen, wurde Lysander von dem böotischen Aufgebot geschlagen und blieb selbst auf der Walstatt (Herbst 39$). Der Rückschlag hatte zur Folge, daß die spartanischen Bundesgenossen in Mittelgrie­ chenland, dazu Korinth, Argos und die Chalkidier, zum Gegner überwechselten. Der spartanische König Pausanias (II.) war in Haliartos zu spät gekommen, überdies hatte er Böotien ohne Schwertstreich preisgegeben. Als ihm die Verurteilung in Sparta bevorstand, floh er nach Tegea außer Landes. Nun blieb den Spar­ tanern keine andere Wahl mehr als die Zurückberufung des Age­ silaos aus Asien, die persische Politik hatte ihr Ziel vollständig erreicht. Vor dem Eintreffen des Agesilaos in Griechenland hatte das Aufgebot des Peloponnesischen Bundes in einer gewaltigen Schlacht am Nemeabach bei Korinth die Oberhand behalten (Juli 394). Agesilaos blieb es vorbehalten, nach einem siegreichen Tref­ fen bei Koroneia (August 394) die spartanische Suprematie in Böotien wiederherzustellen. Die Entscheidung ist jedoch nicht auf griechischem Boden, son­ dern im kleinasiatischen Raum gefallen, d. h. dort, wo sie fallen mußte. Mit kyprischen, rhodischen und phönizischen Schiffen er­ rangen der Athener Konon und der persische Satrap Pharnabazos bei Knidos einen entscheidenden Sieg über den spartanischen Nauareben Peisandros (Anfang August 394). In den Gewässern von Knidos ist das spartanische „Seereich“ nach einer kurzen Herrlich­ keit von gerade zehn Jahren im Meere versunken. Die Folgen der spartanischen Niederlage waren in Kleinasien und in der Ägäis ganz unabsehbar. Überall vertrieb man die spartanischen Besat­ zungen mitsamt den verhaßten Harmosten, eine Reihe von Grie­ chenstädten öffneten ihre Tore den Persern, nur am Hellcspont vermochte Derkylidas die spartanische Herrschaft aufrechtzucrhalten. Persiens Erfolg war geradezu überwältigend: es war der größte und folgenschwerste, den es seit dem Siege über das athe­

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nische Expeditionsheer auf der Prosopitis im Nil (s. S. 183) je über Griechen errungen hat. Zum ersten Male seit den Zeiten des Xerxes wagte es die persische Flotte, vor Griechenlands Küste aufzukreuzen; sie stieß gegen die Peloponnesos vor und eröffnete von Kythera aus einen lebhaften Kaperkrieg auf griechische Kauf­ fahrer. Im folgenden Jahre, 393 (Frühjahr oder Sommer), kehrte Konon nach Athen zurück. Dort war sein Verhalten nach Aigospotamoi vergessen, und man beeilte sich, dem Abgesandten des Großkönigs ungewöhnlich hohe Ehren zu erweisen. Mit persi­ schem Gold wurden der Piräusring und die Langen Mauern wie­ der aufgebaut, dazu kam es zum Abschluß einer Reihe von Bünd­ nissen, u. a. mit Chios, Mytilene, Kos, Knidos und Eteokarpathos. Endlich wurden die für die Versorgung der ärmeren Bevölkerung Athens geradezu lebenswichtigen alten Kleruchien Lemnos, Imbros und Skyros wieder mit dem athenischen Staate vereinigt. Die persischen Zuschüsse gestatteten überdies, den Ekklesiastcnsold von einem auf drei Obolen täglich zu erhöhen. Im übrigen war es ausschließlich das persische Interesse, das für die Restituierung Athens maßgebend war. Das Werkzeug des Großkönigs aber war der Athener Konon - nichts zeigt deutlicher den Abstand von jenen Zeiten, in denen ein Perikies die athenische Politik gegen­ über Persien bestimmt hatte. Zu Anfang des Jahres 392 brach in Korinth eine demokratische Revolution aus; ihr folgte ein staatlicher Zusammenschluß mit Argos. Als ein früher Versuch, die engen Schranken der Polis zu überwinden, verdient der kurzlebige korinthisch-argivische Dop­ pelstaat (er wurde nach dem Frieden des Antialkidas, 386, wie­ der aufgelöst) besondere Beachtung. Die Vereinigung schuf am Isthmos und in der Argolis ein beachtliches Gegengewicht gegen die spartanische Hegemonie, und es bedarf kaum eines Beweises, daß auch bei diesem Vorgang persisches Gold die Entwicklung entscheidend gefördert hat. Ein schwerer Schlag für Sparta war die Niederlage eines seiner Regimenter, das durch athenische Peltasten unter Iphikratcs über­ fallen wurde und empfindliche Verluste erlitt (Ende 392). Die

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Niederlage ist übrigens das Anzeichen einer künftigen Wandlung der hellenischen Kriegskunst. Die Zukunft gehörte nicht der schwerbewaffneten, schwerbeweglichen Phalanx der Hopliten, sondern den mit leichten Schilden (P61tai), mit Stoßlanzen und Wurfspeeren ausgerüsteten „Peltasten“, d. h. den Söldnern, die sich, anders als die Bürgermilizen, in ständiger Übung befanden. In Verbindung mit der äußeren Umwandlung des griechischen Kriegswesens hat sich in der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. die Theorie der Kriegskunst als eigener Zweig der Wissenschaft herausgebildet. Durch Dionysios I. von Syrakus und Philipp II. von Makedonien ist schließlich auch die Belagerungstechnik (Poliorketik) zum Range einer Wissenschaft erhoben worden. Ihre Blüte gehört jedoch erst der Zeit der Diadochen an. Den persischen Schatten über Griechenland zeigen die i. J. 392 (noch vor der Vernichtung der lakedämonischen Mora) ein­ geleiteten Friedensverhandlungen zwischen Athen und Sparta. Andokides, der als einer der bevollmächtigten athenischen Ge­ sandten nach Sparta ging, hat darüber in seiner „Friedensrede“ (or. III) einen offiziellen, übrigens nicht untendenziösen Bericht erstattet. Der umstrittene Punkt war das Prinzip der Autonomie der griechischen Einzelstaaten, für das Sparta einst in den Pelo­ ponnesischen Krieg eingetreten war und das es auch jetzt mit un­ gewöhnlicher Beharrlichkeit verfocht. Im übrigen war Sparta be­ reit, nicht nur den athenischen Mauerbau, die Vergrößerung der athenischen Flotte, ja sogar die Vereinigung der alten attischen Kleruchien Lemnos, Imbros und Skyros mit Athen hinzunehmen (was einer praktischen Annullierung des Friedens von 404 gleich­ gekommen wäre), sofern sich Athen nur mit der spartanischen Forderung auf Autonomie aller Griechenstaaten einverstanden er­ klärte. Zum ersten Male ist bei diesen Verhandlungen, und zwar von Sparta, der Begriff der Koine Eirene, die Idee eines alle Grie­ chen in gleicher Weise umfassenden Friedens, in die Debatte gewor­ fen worden, d. h. jener Begriff, der im weiteren Verlauf des 4. Jahr­ hunderts eine geradezu zentrale Bedeutung in der hellenischen Poli­ tik erlangen sollte. Die Idee des allgemeinen Friedens zog aus der

Die Erhebung der Griechen gegen Sparta in der hellenischen Welt überall verbreiteten tiefen Friedenssehn­ sucht ihre Nahrung, sie kam der Zeitstimmung weitgehend ent­ gegen. In Athen lehnte man jedoch das spartanische Angebot ab. In Wirklichkeit lag die Entscheidung über das Schicksal von Grie­ chenland längst nicht mehr diesseits, sondern jenseits der Ägäis, beim persischen Großkönige, mit dem sich Sparta immer noch im Kriegszustand befand. Um mit den Persern ins reine zu kommen, entsandten die Spartaner den Antialkidas, Leons Sohn, nach Sar­ des zu dem Satrapen Tiribazos. Als Preis für den persischen Frie­ den bot Sparta den Verzicht auf ganz Kleinasien, was einer völ­ ligen Kapitulation vor dem Großkönig gleichkam (U. Wilcken). Der in Sardes einberufene Friedenskongreß, an dem sich auch Ge­ sandte aus Athen, Böotien und Argos beteiligten, scheiterte je­ doch an der kleinasiatischen Frage: im Gegensatz zu den anderen Griechen weigerten sich die Athener, die ionischen Stammesbrüder in Kleinasien den Persern preiszugeben. Der Frontwechsel des Satrapen von Sardes - Tiribazos hatte Konon gefangengesetzt, der Athener entkam jedoch und ist am Hofe des Euagoras von Salamis auf Cypern gestorben - fand nicht den Beifall der persi­ schen Zentralregierung, die nach wie vor Sparta als den gefähr­ licheren Gegner betrachtete. Es kam zu einem bedeutungsvollen Verwaltungsrevirement in Kleinasien: die überragende Stellung des sardischen Vizekönigs wurde beseitigt, Tiribazos abberufen. Ionien, bisher mit Lydien gemeinsam verwaltet, erhielt in Struthas einen eigenen Satrapen, Lydien wurde dem Autophradates, Karien dem einheimischen Dynasten Hekatomnos von Mylasa übertragen. Das Wiederaufleben des spartanisch-persischen Ge­ gensatzes entfachte noch einmal die Kriegsfackel in Kleinasien; die Entsendung des Spartaners Thibron über die Ägäis endete jedoch mit einem schweren Mißerfolg: sein Heer wurde von dem Satrapen Struthas überfallen, Thibron selbst getötet (391). Viel folgenschwerer aber war die Veränderung der Lage in der Ägäis. Zwischen dem kyprischen Dynasten Euagoras, der sich vom Perserreich emanzipiert hatte, dem ägyptischen König Akoris und den Athenern kam es i. J. 389/8 v. Chr. zum Abschluß eines :6

Bengtson, SA

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Dreierbündnisses, das vor allem Athen sehr zustatten kam. Seine Flotte unter Thrasybul errang schon i. J. 389 überraschende Er­ folge: Thasos, Samothrake, die thrakische Chersonesos, Byzanz und Kalchedon wurden gewonnen, auch Halikarnassos und Klazomenai zum Anschluß an Athen gebracht. Kein Wunder, wenn Thrasybuls Siegesfahrt in Athen die kühnsten Hoffnungen weckte! Man hoffte auf goldene Berge und auf ein Schlaraffenleben, wie es der 2. aristophanische Plutos (aufgeführt 388 v. Chr.) schildert. Als die hochgespannten Erwartungen enttäuscht wurden, richtete sich der Groll der Menge gegen Thrasybul: er entzog sich jedoch der Verantwortung und kam auf einem Raubzug in Pamphylien um. Die Spartaner hatten ihrerseits die Insel Aigina besetzt und von hier aus einen Kaperkrieg gegen athenische Schiffe eröffnet. Da man die Meerengen zunächst nicht zu sperren vermochte, griff man Athen nach der Kehle. Die Bedrohung bestand bis zum Ende des Krieges fort, selbst der Piräus war vor spartanischen Über­ fällen nicht sicher. Die Entscheidung fiel auf asiatischem Boden, nicht in Griechen­ land. Um das Jahr 388 v. Chr. war Tiribazos nach Sardes zurück­ gekehrt. Struthas war abberufen worden. Den Umschwung in Kleinasien machte sich Sparta sogleich zunutze. Wiederum begab sich Antialkidas nach Sardes, von dort zusammen mit Tiribazos nach Susa an den Hof des Großkönigs. Die Bedingungen, unter denen sich der Perserkönig bereit erklärte, mit Sparta Frieden und Bündnis zu schließen, lauteten: Überlassung des kleinasiatischen Festlandes einschließlich Klazomenais undCyperns an Persien, Au­ tonomie aller Griechenstädte mit Ausnahme der altattischen Kleruchien. Bei den Feinden Spartas stießen diese Forderungen auf hartnäckigen Widerstand: nahm man sie an, so verlor Athen alles, was es soeben durch Thrasybul gewonnen hatte, Argos mußte auf die Vereinigung mit Korinth verzichten, Theben auf seine Hege­ monie im Böotischen Bund - mit anderen Worten: alle bedeuten­ den Machtbildungen in Hellas, die irgendwie ein Gegengewicht gegen Sparta darstellen konnten, wurden zunichte gemacht. An­

Der Königsfriede

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derseits fehlte es nicht an Griechen, die das vom Perserkönig ge­ forderte Autonomieprinzip freudig begrüßten. Im ganzen aber überwog der Widerstand, und erst als Antialkidas mit einer star­ ken Flotte - sie war mit Hilfe der kleinasiatischen Satrapen und des mit Sparta verbündeten Dionysios I. von Syrakus aufgestellt worden - die Meerengen blockierte und das Gespenst des Hungers vor den Toren Athens stand, war man auch hier zum Nachgeben bereit. Den Gesandten aller am Kriege beteiligten griechischen Staaten, die sich i. J. 387 in Sardes versammelt hatten, gab Tiribazos als Repräsentant des Großkönigs folgendes Aktenstück zur Kennt­ nis (es ist in Xenophons Hcllenika V 1, 31 im Wortlaut überlie­ fert): „Artaxerxes, der Großkönig, hält es für gerecht, daß die Städte Asiens ihm gehören und von den Inseln Klazomenai und Cypern, daß die anderen Griechenstädte aber, kleine wie große, autonom sein sollen außer Lemnos, Imbros und Skyros, die wie in alten Zeiten den Athenern gehören sollen.“ Wer sich weigerte, diese Bedingungen anzunehmen, den bedrohte eine Sanktionsfor­ mel mit Krieg. Das Aktenstück ist im übrigen nichts anderes als ein Auszug aus den in Susa zwischen Persien und Sparta verein­ barten Friedensbedingungen. Sie wurden von den Persern als Grundlage eines alle Griechen umfassenden Friedens genommen. Das Machtbewußtsein des orientalischen Großkönigs zeigt die Form der Veröffentlichung: es war ein Edikt, ein Diktat, wie Isokrates (Panegyr. 176) den Frieden treffend charakterisiert hat. Es war den Spartanern übertragen, die Bestimmungen des vom Großkönig den Griechen „herabgesandten“ Friedens auszuführen. Unter ihrem Vorsitz fand i. J. 386 ein allgemeiner Friedens­ kongreß in Sparta statt; hier erklärten sich die Griechen, die Ko­ rinther und Thebaner erst nach heftigem Sträuben, bereit, die Be­ dingungen anzunehmen. Dadurch, daß der Großkönig den Frie­ den mitbeschworen hatte, wurde er zu seinem Garanten, zum „Wächter des Friedens“ (Isokr. Panegyr. 17j). Um das Autono­ mieprinzip in Hellas durchzuführen, brachte Sparta einen allge­ meinen Frieden unter den Griechen zustande, der mithin eine Teil­

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Wirkung des Königsfriedens gewesen ist. Die Tatsache, daß der Königsfriede unbefristet war, hat man früher mit den diplomati­ schen Gepflogenheiten des Orients zu erklären versucht. Sicher ist dies keineswegs; gibt es doch auch griechische Verträge, die auf ewige Zeiten abgeschlossen worden sind. In der Geschichte der Griechen bedeutete der Königsfriede einen der tiefsten Tiefpunkte aller Zeiten. Indem Persien jenes Prinzip, das den Hellenen das A und das O ihres staatlichen Lebens bedeu­ tete, das Prinzip der Autonomie der Einzelstaaten, dazu verwandte, um Hellas in ohnmächtige Zwergstaaten aufzuspalten, und indem sich der Großkönig zum Garanten dieses Zustandes machte, hatte die Großmacht des Ostens den Griechen den Fuß auf den Nacken gesetzt: ewige Ohnmacht und Knechtschaft schienen das Los der Griechen geworden zu sein, und in der Tat steht das folgende halbe Jahrhundert bis zurGründung des Korinthischen Bundes i. J. 338/7 v. Chr. unter dem dunklen Schatten des Königsfriedens. Einst hatte der hochbetagte Gorgias von Leontinoi vor den versammelten Hel­ lenen auf dem olympischen Hochfest eine flammende Rede gegen die Perser gehalten und die Griechen zur Eintracht ermahnt, in dem Epitaphios zu Ehren der im Korinthischen Kriege gefallenen Athener hatte er an die Siege über die Barbaren erinnert. Von diesem Geist war kein Hauch in einem Hellas mehr zu verspüren, das über dem Danaergeschenk der Autonomie seine große Ver­ gangenheit vergaß.

4. Sparta und Theben im Kampf um die Vorherrschaft. Der zweite Attische Seebund (386-371 v. Chr.)

Während der Königsfriede in Kleinasien die Lage stabilisierte, so daß mit ihm für die Ioner eine Periode neuen wirtschaftlichen Auf­ schwungs begann, dessen Wirkungen im griechischen Muttcrlande und im fernsten Anatolien zu verspüren waren, hatte das Diktat

Sparta und Theben

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des Großkönigs Hellas selbst in unzerreißbare Fesseln geschlagen. Der einzige Staat, der durch die Paragraphen des Königsfriedens begünstigt wurde, war Sparta; seine Hegemonie im Peloponnesi­ schen Bunde, die ja die Autonomie der Bundesmitglieder achtete, war durch den Frieden nicht angetastet worden. Es war kein Wunder, wenn Sparta unter Führung des Ephorats und des Agesi­ laos alles daransetzte, seine Position in Hellas weiter zu verstär­ ken. Die Zeiten, da die Weltpolitik in Griechenland gemacht wurde wie in den Tagen des Perikies, waren allerdings unwieder­ bringlich dahin, insbesondere war es keine Frage, daß jede macht­ politische Verschiebung von Bedeutung in Hellas nur geschehen konnte, wenn sie von Persien geduldet oder begünstigt wurde. Be­ reits i. J. 385 wurde Mantineia in das lakedämonische Bünd­ nis hineingepreßt. Die Stadt wurde (durch einen „Dioikismos“) in fünf selbständige Landgemeinden aufgespalten, die einzeln ihre Kontingente zum peloponnesischen Bundesheer zu stellen hatten. Auch in Phleius setzte Sparta seinen Willen durch und erzwang die Zurückführung oligarchischer Exulanten. Spartas Hegemonie in Mittelgriechenland beruhte vornehmlich auf seinen Bündnissen, die es mit den einzelnen Gemeinden Böo­ tiens geschlossen hatte, wobei man das Autonomieprinzip ein­ seitig gegen Theben, aber zugunsten der spartanischen Hegemo­ nie angewandt hatte. Als Theben im Olynthischen Kriege i. J. 382 Sparta die Heeresfolge verweigerte, besetzte der Lakedämonier Phoibidas, wahrscheinlich auf einen Geheimbefehl des Epho­ rats hin, die Kadmeia in Theben. Dabei wurde ihm die Hilfe thebanischer Oligarchen zuteil. Ismenias, ein geschworener Feind der Spartaner - er hatte einst als Genosse des Timokrates das persi­ sche Gold in Griechenland rollen lassen - wurde hingerichtet, der Tod mit seinem Verrat an der Sache der Hellenen begründet. Spartas Übergriff rief in ganz Griechenland eine Welle der Em­ pörung hervor, so daß die spartanischen Verantwortlichen sich ge­ zwungen sahen, in der Öffentlichkeit davon abzurücken: man be­ legte Phoibidas mit einer Geldstrafe, die Besatzung auf der Kad­ meia aber blieb.

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In demselben Jahre (382) hatte sich Sparta in die Auseinander­ setzung des Chalkidischen Bundes mit Makedonien eingeschaltet, und zwar waren die Spartaner zusammen mit dem makedonischen König Amyntas III. als die Beschützer der einzelnen chalkidischen Gemeinden gegen das übermächtig gewordene Olynth in die Schranken getreten. Ein Heer von 10000 Mann zog durch Grie­ chenland gen Norden, Olynth, das Haupt des Chalkidischen Bun­ des, mußte i. J. 379 nach einer langen Belagerung kapitulieren. Die Auflösung des chalkidischen Staates war die Folge, Amyn­ tas III. erlangte die uneingeschränkte Herrschaft in Makedonien zurück. Spartas Erfolg im Norden bezeichnet den Höhepunkt seiner Macht im 4. Jahrhundert v. Chr., den letzten Höhepunkt seiner Geschichte überhaupt. Weit von seiner Basis entfernt, war Sparta in der fernen Chalkidike als Schiedsrichter aufgetreten und hatte auch dort dem von ihm vertretenen Prinzip der einzelstaatlichen Autonomie kraft seines scharfen Schwertes Geltung verschafft. Schon i. J. 382 hatte sich Sparta eine weitgespannte Organi­ sation in Hellas geschaffen, eine militärische Kreiseinteilung; sie spiegelt die Macht der spartanischen Hegemonie vortrefflich wider. Die zehn Kreise der spartanischen Heeresgefolgschafl umspannten ganz Griechenland, von der Südspitze der Peloponnesos bis nach Thrakien im Norden. Allein sieben von ihnen entfielen auf die Peloponnesos (der 1. Kreis war rein lakedämonisch, der 2. und 3. arkadisch, der 4. eleisch, der 5. achäisch, der 6. umfaßte Korinth und Megara, der 7. Sikyon, Phleius und die Küstenstädte der Argolis), der 8. Kreis wurde von Akarnanien, der 9. von Phokis und Lokris gebildet, während im 10. Kreis vor 379 Böotien, spä­ ter Olynth und Spartas Verbündete in Thrakien zusammengefaßt waren. Wie es scheint, hatte jeder Kreis 1000 Mann zum Bundes­ heer zu stellen, wobei die Stellung des Truppenkontingentes durch Geldzahlung abgelöst werden konnte; dabei wurde ein Reiter vier Hopliten, ein Hoplit zwei Peltasten gleichgesetzt. Diodors Übersicht (XV 31) vom Jahre 378 nennt Theben nicht mehr. In Theben hatte sich i. J. 379 ein folgenschwerer Um­

Sparta und Theben

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schwung vollzogen, das erste Anzeichen für den Aufstieg einer neuen Macht in Griechenland, der erste Riß im Gebäude der von Sparta erbauten, fast ganz Hellas umspannenden Bundesorgani­ sation. Thebanische Verbannte, denen Athen ein Asyl und aktive Unterstützung gewährt hatte, beseitigten die spartahörige Regie­ rung der Oligarchen von Theben, die Besatzung auf der Kadmeia mußte im Winter 379 auf freien Abzug kapitulieren. Der Ein­ druck in Sparta war geradezu niederschmetternd: die Offiziere, die auf der Kadmeia kommandiert hatten, wurden hingerichtet bzw. mit schweren Strafen belegt; vergebens versuchte man, durch Entsendung des Königs Kleombrotos nach Böotien die Lage wie­ derherzustellen. Theben blieb für Sparta verloren, der Eckstein des spartanischen Herrschaftssystems in Zentralgriechenland war herausgebrochen. Thebens Emanzipation von der spartanischen Vorherrschaft bil­ dete die Voraussetzung für die Gründung eines attischen See­ bundes i. J. 377 v. Chr., genau einhundert Jahre, nachdem der Delisch-Attische Seebund von Aristeides und Themistokles errich­ tet worden war. Die Vereinigung beruhte auf Einzelallianzver­ trägen, die Athen seit dem Jahre 384/3 - zuerst mit Chios - ge­ schlossen hatte. Nach dem Erlaß eines förmlichen Aufrufes an die Hellenen, an die Barbaren auf dem Festland und an die Nesioten, soweit sie nicht Untertanen des Großkönigs waren, traten die meisten Inseln der Ägäis, Griechenstädte der thrakischen Küste, später auch Gemeinden im Ionischen Meere dem Bunde bei, der auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung gegen 70 Mitglieder ge­ zählt hat, d. h. er blieb gegenüber dem Ersten Seebund an Um­ fang um ein Beträchtliches zurück. Der sog. Zweite Attische See­ bund ließ gemäß den Bestimmungen des Königsfriedens die Au­ tonomie der Bundesangehörigen unangetastet, Athen selbst stand neben, nicht, wie vor einem Jahrhundert, über dem Bunde. Im Synhedrion, der in Athen zusammentretenden Bundesversamm­ lung, hatte jedes Bundesmitglied eine Stimme, für einen gültigen Beschluß war Übereinstimmung zwischen dem Synhedrion und Athen notwendig, d. h. die Beschlüsse des Synhedrions bedurften

Niedergang der Poliswelt (404-360) der Bestätigung durch die athenische Ekklesie. Die Bundesmit­ glieder entrichteten Matrikularbeiträge (Syntdxeis, keine Phoroi). Athen hatte den bei weitem größten Teil der Flotte zu stellen und die Exekutive im Bundesgebiet zu übernehmen. In Athen war in den Jahren nach dem Königsfrieden eine neue Generation ans Ruder gekommen; der führende Staats­ mann war Kallistratos von Aphidnai; er hatte an der Organisa­ tion des Zweiten Seebundes den gleichen Anteil wie einst Aristei­ des von Alopeke an der des Delisch-Attischen Bundes, wie dieser hat er sich als Kapazität auf dem Gebiet des Finanzwesens er­ wiesen. Neben ihm standen als Söldnerführer der mit Platon be­ freundete Chabrias und der taktisch hochbegabte Iphikrates. Auch Timotheos, Konons Sohn, hatte vermöge seines großen Reichtums einen bedeutenden Einfluß in Athen. Die neuen Männer wußten zu handeln und im Felde ihren Mann zu stehen. Von einem ein­ seitigen politischen Doktrinarismus waren sie weit entfernt und eben deswegen als Träger einer vorurteilslosen attischen Politik besonders geeignet. Für Theben wurden die Jahre nach der Befreiung der Kadmeia (379) die hohe Schule der Kriegführung und der Politik. Thebens Stellung, die weder Agesilaos’ noch Kleombrotos’ Feldzüge in Bö­ otien (377 und 376) erschüttern konnten, beruhte auf seiner He­ gemonie im Böotischen Bunde, der nun auch wieder nach außen hin in Erscheinung trat. Die Spitze der Bundesregierung bildeten die 7 (nicht mehr 11) Böotarchen, in Theben tagte eine Versamm­ lung aller Böoter, es gab sogar eine böotische Bundesflotte, die aber zu keiner größeren Bedeutung gelangt ist. Mit dem Seesieg des Chabrias über die Flotte der Peloponnesier im Sunde zwischen Naxos und Paros (376) errangen die Athener die uneingeschränkte Seeherrschaft in der Ägäis. Die Erfolge des Chabrias an der thrakischen Küste (375) wurden durch einen Bündnisvertrag mit dem makedonischen Könige Amyntas III., der als Lieferant des wichtigen Schiffsholzes sehr umworben war, ge­ krönt. Neben dem Zweiten Athenischen Seebund ist für das politische

Der zweite Attische Seebund

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Gesicht von Hellas in den 70er Jahren des 4. Jahrhunderts die Bildung eines bedeutenden Staates im Norden charakteristisch. Thessalien hatte bisher infolge der dauernden Kämpfe der mäch­ tigen Adelsgeschlechter untereinander in der großen Politik nur vorübergehend eine Rolle gespielt. Jetzt aber erhielt die Land­ schaft in dem großen Tyrannen Iason von Pherai, einem einstigen Schüler des Sophisten Gorgias von Leontinoi, einen überragenden Führer, der die zentrifugalen Kräfte des Landes mit eiserner Faust zur Einigung gezwungen hat. Das Werk war i. J. 372 vollendet, nachdem sich zwei Jahre zuvor der Tetrarch von Pharsalos, Polydamas, dem Iason gebeugt hatte. Keine andere Macht in Hel­ las vermochte dem Aufgebot der Thessaler - 8000 Reiter und 20 000 Mann zu Fuß - etwas Vergleichbares an die Seite zu stel­ len. Im Bunde mit dem König der Makedonen und mit Athen Iason gehörte vorübergehend dem Zweiten Attischen Seebunde an gestützt auf treue Vasallen, konnte der thessalische Tagos (Herzog) sogar dem Plan eines Perserkrieges nähertreten und sich dadurch den Beifall des Isokrates und der griechischen Patrioten verdienen. Im Jahre 375/4 hatte sich in Sparta ein Friedenskongreß ver­ sammelt. Er war das Werk der Spartaner und Athener, die beide Thebens Aufstieg mit scheelen Augen betrachteten. Bemerkens­ wert ist es, daß auch auswärtige Mächte, Dionysios I. und der persische Großkönig, ihre Hände mit im Spiel hatten. Das Neue war die Verkündigung eines alle Griechen einschließenden allge­ meinen Friedens; trotz seiner Kurzlebigkeit verdient er Beach­ tung, weil er auf hellenische Initiative zurückzuführen ist. Ein­ griffe des Atheners Timotheos in die inneren Verhältnisse von Zakynthos gaben den Spartanern bald die erwünschte Gelegen­ heit, den ihnen unbequemen Frieden als gebrochen zu betrachten. In Athen stellte man Timotheos unter Anklage. Der Prozeß en­ dete jedoch mit einem Freispruch. Iason von Pherai und der Kö­ nig der Molosser Alketas hatten sich in eigener Person für Timo­ theos in Athen verwandt. Seine Abberufung bezeichnet das Ende der außenpolitischen Erfolge Athens. Als sein Nachfolger im Kom­

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mando, Iphikrates, Korkyra aus peloponncsischer Belagerung be­ freit hatte, mußten sich die Ruderer der athenischen Flotte den Korkyräcrn als Landarbeiter verdingen, um überhaupt ihr Leben fristen zu können! Als Theben, das nominell dem Seebund angehörte, Platää, den Bundesgenossen Athens, vernichtete (374/3 oder 373/2), fanden die alten Gegner Athen und Sparta wieder zueinander. Auf An­ regung des persischen Großkönigs kam im Sommer 371 eine neue allgemeine Friedenskonferenz in Sparta zustande, auf der auch Dionysios I. von Syrakus und Amyntas III. von Makedonien ver­ treten waren. Wiederum dienten die Bestimmungen des Königs­ friedens über die Autonomie der griechischen Staaten als Grund­ lage der Verhandlungen. Athen erlangte außer der Anerkennung seines Seebundes sogar die Bestätigung seiner Ansprüche auf Amphipolis und auf die thrakische Chersonesos. Unter den Mitglieds­ staaten des Seebundes figurierte in der Friedensurkunde auch The­ ben. Über der nachträglichen Forderung des Böotarchen Epameinondas, in der Urkunde das Wort „Thebaner“ durch den Begriff „Böoter“ zu ersetzen (was mit der völkerrechtlichen Anerkennung des Böotischen Bundes gleichbedeutend gewesen wäre), kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Spartanerkönige Age­ silaos. Da Epameinondas nicht nachgab, war der Friede bereits einen Tag, nachdem man ihn unterzeichnet hatte, zu einem Stüch Papier geworden. Auf dem Kongreß in Sparta tritt Epameinondas zum erstenmal ins Licht der Geschichte. Was man im Altertum von seinem frühe­ ren Leben vor 371 zu erzählen wußte, gehört in das Reich der Legende. Allein die Tatsache, daß er ein Schüler des Pythagoreers Lysis von Tarent gewesen ist, steht fest. In seiner ganzen Haltung ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, machte er aus seiner Abneigung gegen die Demokratie kein Hehl; dennoch hat er dem Vaterland treu gedient. Mit dem etwas jüngeren Pelopidas eng befreundet, persönlich anspruchslos und unbestechlich, ist Epamei­ nondas eine der sympathischsten Erscheinungen des 4. Jahrhun­ derts. Seine historische Bedeutung liegt auf dem Gebiet der Stra­

Der zweite Attische Seehund

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tegie. Auf ihm ist er einer der kühnsten Neuerer aller Zeiten ge­ wesen. Die früheren Schlachten der griechischen Geschichte waren ausgesprochene Parallelschlachten gewesen: mittels des verstärkten rechten Flügels versuchten sich die Gegner zu umfassen und nach Überflügelung von der Flanke her aufzurollen, eine Taktik, die in vielen Varianten immer wiederkehrt. Epameinondas hat, indem er die Taktik der verbundenen Waffen anwandte, einer neuen Idee zum Durchbruch verholfen: es ist die Idee der „schiefen Schlacht­ ordnung“. Nicht mehr der rechte Flügel (wie noch bei Delion i. J. 424), sondern der bis zu 50 Mann tief aufgestellte linke Flügel wurde nunmehr der schlachtentscheidende. Die Idee des Epameinondas, am folgerichtigsten in der Schlacht bei Leuktra (371) durchgeführt, bezeichnet eine neue Epoche der Kriegführung überhaupt: die Zeiten, in denen Spartas Heer mit dem Stoß sei­ nes rechten Flügels jede Schlacht entschied, waren unwiederbring­ lich dahin. Die Entscheidung im Kampf um die Vorherrschaft in Griechen­ land ist bereits 20 Tage nach dem Ende des Friedenskongresses in Sparta gefallen. Sparta hatte an Theben ein Ultimatum gerichtet, den böotischen Gemeinden die Autonomie zurückzugeben, was Theben entschieden verweigerte. Daraufhin erhielt das in Phokis unter dem König Kleombrotos stehende lakedämonische Heer den Befehl, in Böotien einzurücken. Durch ein kluges taktisches Ma­ növer täuschte Kleombrotos die südlich des Kopai'ssees stehenden Böoter und erschien, den Helikon im Süden umgehend, in Kreusis, von dort, sich nach Norden wendend, in Leuktra, 11 km westlich von Theben. Den 10000 Mann des Kleombrotos hatte Epamei­ nondas nur 7000 gegenüberzustellen, die Schlacht endete jedoch dank der neuen Taktik des Epameinondas mit einer völligen Nie­ derlage der Spartaner. Dem Stoß des nahezu quadratisch auf­ gestellten, 50 Mann tiefen und 60 Mann breiten Gewalthaufens der Böoter, in dessen vordersten Reihen die „Heilige Schar“ unter Pelopidas kämpfte, war der rechte Flügel der Lakedämonier nicht gewachsen, aller spartanische Heldenmut war vergeblich. Von 700 Spartiaten bedeckte mehr als die Hälfte, unter ihnen König

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Kleombrotos, das Schlachtfeld, ein furchtbarer Verlust, den Sparta nie verwunden har. Die Reste des lakedämonischen Heeres (der linke Flügel war überhaupt nicht zum Schlagen gekommen) zogen sich in ein befestigtes Lager auf den Höhen zurück. Dadurch, daß man die Böoter um die Herausgabe der Gefallenen bat, erkannte man die Niederlage an. Durch Vermittlung Iasons von Pherai, des Bundesgenossen der Böoter, erlangte Sparta einen Waffenstill­ stand, unter dessen Schutz sich der Rest des Heeres über den Kithairon in Sicherheit brachte. In Sparta selbst rief der Sieg des Epameinondas tiefste Bestürzung und Niedergeschlagenheit her­ vor, auch Athen, das mit einem sicheren spartanischen Siege ge­ rechnet hatte, war bitter enttäuscht. Leuktra ist einer der bedeutendsten Wendepunkte der griechi­ schen Geschichte. In dieser Schlacht ist das spartanische Schwert zerbrochen; was die Bestimmungen des Königsfriedens beabsich­ tigten, die Aufsplitterung Griechenlands in eine unendliche Zahl ohnmächtiger Kleinstaaten, das hat diese Schlacht vollendet. So steht die griechische Geschichte in dem auf Leuktra folgenden Jahrzehnt, in der Zeit der thebanischen Hegemonie (371—362 v. Chr.), in noch höherem Grade unter dem Zeichen der Vorherr­ schaft auswärtiger Mächte, als dies schon seit dem Königsfrieden der Fall gewesen ist.

5. Die Zeit der thebanischen Hegemonie (371-362 v. Chr.) Nach der Schlacht bei Leuktra gab es in Griechenland nur noch eine einzige Macht, die neben Böotien für eine führende Stellung unter den griechischen Staaten in Frage kam: Thessalien unter dem Tyrannen lason von Pherai. Iason hatte sich in den Besitz der Feste Herakleia am Oita gesetzt und hielt damit den Schlüssel zu Mittelgriechenland in seiner Hand. Für die Feier der Pythien des Jahres 370 hatte er sein Erscheinen mit dem thessalischen Heer­

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bann in Delphi in Aussicht genommen: es schien so, als ob ein Konflikt mit Böotien unvermeidlich geworden sei, als den Ty­ rannen der Dolch von Verschwörern hinwegraffte. Thessalien fiel daraufhin inneren Wirren anheim. Böotiens steigende Bedeutung spiegelte sich in einer Reihe von Bündnissen, die ganz Mittelgriechenland umspannten: die west­ lichen und die östlichen Lokrer, die Phoker, Malier, Ainianen, die Gemeinden Euboias, die Akarnanen, ja sogar die Aitoler wand­ ten sich dem Bunde mit den Böotern zu. Zwischen Athen und The­ ben ergaben sich in zunehmendem Maße dadurch Reibungen, daß eine Anzahl der böotischen Bundesgenossen gleichzeitig dem See­ bunde angehörten. Wenn Athen in einem zweiten Friedenskongreß des ereignisreichen Jahres 371 unter Beteiligung fast aller griechi­ schen Staaten, darunter Spartas, die Autonomiebestimmungen des Königsfriedens in einer Koin£ Eir6ne beschwören ließ, so war dies eine gegen Theben gerichtete Geste ohne praktischen Wert. Das Kennzeichen der griechischen Geschichte zwischen Leuktra (371) und Mantineia (362) ist der Versuch Thebens, seinen Einfluß auch auf die Peloponnesos auszudehnen, die lakedämonische Wehr­ gemeinschaft zu sprengen und Sparta den Todesstoß zu geben. Das Eindringen böotischer Heere in die Peloponnesos spiegelt die gänz­ lich veränderte innergriechische Lage wider: Sparta, einst die He­ gemonialmacht von Griechenland, sah sich nunmehr völlig in die Verteidigung gedrängt und in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt, den es mit den eigenen Kräften kaum noch durch­ zustehen in der Lage war. Für die Weltpolitik war dieses Rin­ gen zwischen Sparta und Theben praktisch ohne jede Bedeutung. Auch Theben ist trotz der Genialität des Epameinondas und des Pelopidas, denen es seinen Aufstieg verdankte, nur ein Stein im Brettspiel der persischen Politik gewesen, genau so wie Sparta in den Jahren nach dem Königsfrieden. In der Peloponnesos führte Spartas Niedergang eine Periode innerer Wirren herauf: überall erhob die bisher unterdrückte de­ mokratische Bewegung ihr Haupt. Morde, Verbannungen, Kon­ fiskationen, wie sie Griechenland in diesem Ausmaß noch nicht ge­

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sehen hatte, kennzeichneten die neue zugleich antiaristokratische und antispartanische Ära. Die Grundfesten der peloponnesischen Staaten erbebten, alle subversiven Kräfte drängten sich an die Oberfläche, mit dem Leben und dem Eigentum der Bürger wurde ein frevelhaftes Spiel getrieben. So wurden in Argos nicht weni­ ger als 1000 Bürger buchstäblich mit Knütteln erschlagen. Unter Führung von Mantineia schlossen sich i. J. 370 die Arkader zu einem Bundesstaat zusammen, ein Akt, der unver­ kennbar gegen Sparta gerichtet war. Mit Notwendigkeit suchte der junge Staat seinen Rückhalt dort, wo er für ihn zu finden war: an Theben. Für Epameinondas war das Hilfegesuch der Ar­ kader der erwünschte Vorwand, Sparta endgültig zu erledigen. Auf dem ersten der vier peloponnesischen Feldzüge drang der böotische Heerbann zusammen mit den Bundesgenossen in das Eurotastal ein, ohne jedoch den Übergang über den durch die Winterregen stark angeschwollenen Fluß erzwingen zu können (370/69). Viel folgenschwerer wurde die von Epameinondas an­ gestiftete Erhebung der Messenier im Frühjahr 369 und die Grün­ dung eines von Sparta unabhängigen messenischen Staates. Sparta verlor damit nicht allein den dritten, und zwar den fruchtbarsten Teil seines Gebietes, es wurde geradezu der Grundlagen seiner Existenz beraubt. Beruhte doch die spartanische Lebensordnung wesentlich auf dem Fleiße und dem Frondienst der messenischen Heiloten. In der Stadt Messene am Ithomeberg schuf sich der neue Staat seinen Mittelpunkt. Unter dem Schutze der böotischen Waf­ fen kam es in der gleichen Zeit zu einem riesenhaften Synoikismos in Arkadien: durch die Zusammensiedlung von 39 Gemein­ den wurde die Hauptstadt Megalopolis gegründet. Sie war als eine Sperrfeste angelegt, die Sparta den Weg vom Eurotas zum Alpheios verschloß. Mit ihren riesigen Dimensionen ist Megalopolis eine Vorläuferin der hellenistischen, gleichfalls durch Synoikismoi entstandenen Städtegründungen. Im Zentrum der Polis errichtete man eine großartige, überdachte Halle (das Thersileion); sie war dazu bestimmt, die Versammlung des Arkadischen Bundes, die „Myrioi“ (Zehntausend), aufzunehmen. Der Bund prägte eigene

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Münzen, er verfügte über ein Bundesheer, zu dem alljährlich 5000 Arkader ausgehoben wurden. So hatte der erste Zug des Epamei­ nondas in die Peloponnesos das spartanische System vollständig zertrümmert. Wohin man in Sparta auch blickte, überall sah man sich Todfeinden gegenüber, und dazu erhob infolge des Verlustes des fruchtbaren messenischen Gefildes das Gespenst der Not im eigenen Lande das Haupt. Die Erfolge des Epameinondas auf der Peloponnesos führten zu einer Annäherung zwischen Sparta und Athen; zu Beginn des Jahres 369 schloß man einen Bündnisvertrag. Auch Dionysios I. sandte Sparta Hilfe in Gestalt von 2000 keltischen und iberischen Söldnern. Epameinondas’ zweiter Zug in die Peloponnesos (Früh­ jahr 369) blieb dagegen ohne durchschlagenden Erfolg. Bei der Wahl der Böotarchen kamen Epameinondas und Pelopidas nicht zum Zuge, man machte ihnen sogar den Prozeß (Herbst 369). Der Tod des Machthabers Iason von Pherai (370) hatte für Theben im Norden freie Bahn geschaffen. Nicht allein in Thessa­ lien, auch in Makedonien boten innere Wirren dem Eingreifen auswärtiger Mächte günstige Handhabe. In Thessalien waren Iason in der Herrschaft nacheinander seine Brüder Polydoros und Polyphron gefolgt. Beide endeten wie Iason durch Mörderhand. Daraufhin riefen die Aleuaden die Intervention auswärtiger Mächte herbei: Alexander II., der König der Makedonen, legte seine Hand auf die Städte Krannon und Larisa. Makedonien war jedoch selbst zu wenig konsolidiert, um Thessalien wirklich zu be­ herrschen. Nachdem ein Vermittlungsversuch des Thebaners Pelo­ pidas zwischen Alexander II. und dem Prätendenten Ptolemaios von Aloros gescheitert war, wurde der König Alexander II. von Ptolemaios - auf Anstiften der eigenen Mutter (Eurydike) - er­ mordet (369/8). Als Vormund des jungen Prinzen Perdikkas (III.), des Bruders Alexanders, riß Ptolemaios die Regierung an sich. Während in Athen Iphikrates für die Königsmutter Eurydike, die Witwe des Amyntas III., eintrat, schlug sich Theben auf die Seite des Ptolemaios. Als Unterpfand der Treue des neuen Regenten von Makedonien wanderte mit anderen jungen Makedonen i. J.

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368 auch der junge Bruder des Perdikkas, Philipp, nach The­ ben. Keine glückliche Hand hatte Pelopidas in Thessalien. Dem neuen Tyrannen Alexander von Pherai, einem Neffen Polyphrons, war der Thebaner nicht gewachsen; der thessalische Gewaltherr­ scher nahm Pelopidas und seinen Genossen Ismenias fest, und erst i. J. 367 vermochte die Diplomatie des Epameinondas den Tyran­ nen zu bewegen, Pelopidas wieder freizulassen. Seit dem Frühjahr 368 v. Chr. tagte in Delphi ein Friedenskon­ greß. Persisches Gold, das der Satrap Ariobarzanes durch seine Agenten mit vollen Händen über Griechenland ausgeschüttet hatte, war dabei im Spiele. Da Sparta unnachgiebig blieb, stran­ dete der Kongreß an der messenischen Klippe. Mehr Erfolg hat­ ten die i. J. 367 unter der Ägide des persischen Großkönigs in Susa aufgenommenen Verhandlungen. In dem „Wettkriechen“ (Beloch) um die Gunst des Artaxerxes II. blieb Pelopidas Sieger. Der zwischen Persien und den Böotern geschlossene Vertrag ent­ hielt als wichtigste Bestimmung die Unabhängigkeit Messeniens - dies war ein tödlicher Schlag für Sparta -, die Zession der Land­ schaft Triphylia durch die Arkader an Elis, die Autonomie von Amphipolis, endlich die Abrüstung der athenischen Flotte, die den Persern ein Dorn im Auge war. Die Gesandten Athens und Spar­ tas, die sich dem persischen Diktat gebeugt hatten, ereilte ein schlimmes Schicksal: der Spartaner Antialkidas machte seinem Le­ ben auf der Rückreise ein Ende, der Athener Timagoras wurde zu Hause angeklagt und büßte für den Mißerfolg seiner Mission mit dem Tode. Nur Theben hatte das Ziel seiner Wünsche er­ reicht: seine Hegemonie in Hellas, die auf dem Fundamente des alten thebanisch-persischen Bündnisses ruhte, schien fester denn je begründet. Niemand in Hellas hat den Gedanken auch nur er­ wogen, sich dem Machtspruch des Großkönigs zu widersetzen, ob­ wohl die Verfallserscheinungen in dem Achämenidenreiche in den Aufständen der westlichen Satrapen nun vor aller Welt offenbar wurden und auch Ägypten nach wie vor seine Unabhängigkeit behauptete.

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Der thebanische Erfolg in Susa und die Annexion der Grenz­ stadt Oropos durch die Böoter (i. J. 366 v. Chr.) hatten eine vollständige Neuorientierung der athenischen Politik im Gefolge. Vergebens hatte sich Athen um Hilfe an Sparta gewandt. Das von Kallistratos vertretene Programm eines Zusammengehens mit Persien und Sparta hatte sich als eine Chimäre erwiesen. Athen steckte nun um: es schloß eine Defensivallianz mit dem Arkadi­ schen Bunde: daraus ergab sich die interessante Konstellation, daß Athen - nominell immer noch im Bündnis mit Sparta - den Arkadern gegen Sparta, den Spartanern gegen die Arkader zur Hilfeleistung verpflichtet war, je nachdem, welcher von den bei­ den athenischen Bundesgenossen als der Angegriffene betrachtet wurde. Für einen allgemeinen Frieden in Hellas war die Zeit noch nicht reif. Im Jahre 366 wurde in Theben ein Sonderfriede zwischen den Böotern und einer Anzahl von nordpeloponnesischcn Staaten (Kcrinth, Phleius, Epidauros [?]) geschlossen. Das Fernbleiben der Spartaner machte in Griechenland einen tiefen Eindruck. In Athen ist Isokrates in seinem „Archidamos“ für den spartanischen Standpunkt eingetreten; die Sympathien, die ein machtvolles Sparta unter Lysander einst verscherzt hatte, die gewann es in diesen Jahren zurück, es war jedoch zu spät. Wenn die spartani­ sche Regierung den König Agesilaos über das Meer nach Klein­ asien sandte, damit er dem aufständischen Satrapen Ariobarzanes in seinem Kampf gegen den karischen Dynasten Maussolos und den lydischen Satrapen Autophradates Hilfe leistete, so geschah dies, um die leeren Kassen in Sparta wieder zu füllen: das Gold des Ariobarzanes wog schwerer als das spartanische Eisengeld. Im Widerspruch zu den bei der Gründung des neuen Seebundes abgegebenen Erklärungen, keine neuen Annexionen zu machen, entriß Timotheos den Persern das wichtige Samos (365), auf dem 2000 attische Kleruchen angesiedelt wurden. Auch auf der thrakischen Chersonesos (Sestos, Krithote), ja sogar in Byzanz, faßten die Athener wieder Fuß. Bedeutend waren die Erfolge des Timo­ theos im Norden. Amphipolis vermochte er zwar nicht zu ge­ 17

Bengtson, SA

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winnen, anstatt dessen nahm er aber Pydna und Methone, beide als Tore zum makedonischen Hinterland von größter Bedeutung. Die Gemeinden Torone und Poteidaia erklärten ihren Austritt aus dem Chalkidischen Bunde, Poteidaia wurde eine attische Kleruchie, ein zweites Samos. Die Straße der Bundespolitik hatte Athen längst verlassen; es träumte von einem neuen attischen Seereich, dessen Aufstieg durch die chaotischen Zustände in Grie­ chenland und vor allem durch die Lähmung der persischen Initia­ tive begünstigt zu werden schien. In Thessalien hatten indessen die Böoter an Einfluß gewonnen. Zwar war Pelopidas bei einem Einfall in siegreichem Kampfe bei Kynoskephalai gefallen, doch die Macht Alexanders von Pherai wurde auf seine eigene Tetrarchie beschränkt, er selbst durch die Böoter zur Heeresfolge verpflichtet. Um sich aber in die große Politik einschalten zu können, bedurfte die böotische Landmacht des Zuganges zum Meer und einer leistungsfähigen Flotte. Epameinondas ist es gewesen, der, vielleicht mit Hilfe eines Kartha­ gers, i. J. 365 die Wendung eingeleitet hatte. Der Hafen Larymna in Lokris wurde annektiert, Makedonien stellte das Schiffs­ bauholz. Ganz besonders wichtig für die thcbanischen Pläne war jedoch die Insel Euböa mit ihren trefflichen Häfen. Epameinondas’ erste Flottenexpedition (364) richtete sich gegen die Meerengen. Byzanz trat sogleich zu Epameinondas über, auch Chios und Rho­ dos, die bedeutendsten Mitgliedsstaaten des attischen Seebundes, wechselten die Partei. Ein dauernder Erfolg blieb dem Epamei­ nondas jedoch versagt, da das auf der ersten und einzigen Flotten­ fahrt Errungene nicht behauptet werden konnte. Zu einem offenen Bruch mit Athen ist es übrigens nicht gekommen. Das ganze Elend der hellenischen Kleinstaaterei enthüllten die Wirren in der Peloponnesos. Elis und Arkadien stritten sich um die Landschaft Triphylia, wobei sich Elis auf die Seite Spartas schlug, während Athen den Arkadern ein Reiterkorps zur Hilfe schickte (365). In der Pisatis wurde ein von Elis unabhängiger Staat von Arkadiens Gnaden geschaffen; ihm wurde die Sorge für die Festspiele in Olympia übertragen. Bei der Feier des olym-

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pischen Festes i. J. 364 entbrannte mitten im Heiligen Bezirk eine Schlacht zwischen Arkadern und Eleern. Die Arkader scheu­ ten sich nicht, die Tempelschätze von Olympia zu rauben: ihre Strategen brauchten Geld, um das Bundesaufgebot zu entloh­ nen; so blieb nichts anderes als eine Tempelzwangsanleihe übrig. Den Arkadern ist der Tempelraub nicht zum Segen geworden. Durch den alten Gegensatz zwischen Tegea und Mantineia be­ günstigt, kam es zu einer offenen Spaltung im Bunde. Während Megalopolis und Tegea am Bündnis mit den Böotern festhielten, schlossen die übrigen Arkader unter Führung Mantineias einen Bund mit Elis, Achaia und Phleius, dem auch Athen beitrat (362). Da Mantineia und Sparta den Weg zueinander fanden, sahen sich die Böoter nunmehr einer starken Koalition auf der Peloponnesos gegenüber. Seit dem Jahr 370/69 v. Chr., in dem Epameinondas zum ersten Male die Peloponnesos betreten hatte, hatten sich die Zeiten entscheidend gewandelt. Die neue Mächtegruppierung ist es gewesen, die Epameinondas i. J. 362 noch einmal - zum vierten Male - in die Pelopon­ nesos gerufen hat. Wie beim ersten Zuge unternahm man einen Handstreich auf Sparta, der jedoch ebenso mißglückte wie ein Überfall auf Mantineia. Im Vertrauen auf seine Streitmacht, die größte, die er je unter seinem Kommando vereinigte, drängte Epameinondas zur Entscheidung; auf der Hochebene von Man­ tineia ist sie am 12. Skirophorion 362 v. Chr. gefallen. Bei un­ gefähr gleicher Heeresstärke der Gegner erwies sich wiederum der Anprall des böotischen Gewalthaufens gegen den rechten Flügel der Spartaner und Mantineer als unwiderstehlich. „Wie eine Triere“ (Xenophon) durchbrachen die Böoter die gegnerischen Reihen. Als jedoch Epameinondas, der im ersten Glied gekämpft hatte, fiel, ging den Böotern der fast schon errungene Sieg wieder verloren. Die völlige Erschöpfung der Gegner führte i. J. 362/1 zum Frieden. Es kam eine Koin£ Eirene zustande, von der sich wieder­ um nur Sparta ausschloß. Die Unabhängigkeit Messeniens wurde erneut statuiert, Arkadiens Spaltung in einen Nordbund unter

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Mantineia und einen Südbund (mit Tegea und Megalopolis) aner­ kannt. Im übrigen ging der Grenzkrieg zwischen Spartanern und Messeniern noch jahrelang weiter, Messenien zurückzugewinnen reichten Spartas Kräfte nicht aus. An den Frieden von 362/1 v. Chr. knüpft sich eine interessante moderne Hypothese. Dieser Friede sei angeblich der erste ge­ wesen, den die Griechen ohne Einwirkung auswärtiger Mächte im 4. Jahrhundert abgeschlossen hätten. Wenn die Griechen damals eine Aufforderung der aufständischen westlichen Satrapen ab­ lehnten, sich am Kampfe gegen den Perserkönig zu beteiligen, so manifestiere sich hierin eine neue Haltung, die von der der letzten Jahrzehnte seit dem Königsfrieden fundamental verschieden sei: Griechenland sei zu sich selbst zurückgekehrt. - Ein derartiges Ur­ teil geht jedoch ganz in die Irre. Insbesondere übersieht es den Er­ schöpfungszustand, in dem sich Hellas seit Mantineia befunden hat. Wenn sich die Griechen weigerten, den Satrapen gegen den Großkönig beizustehen, so bedeutete dies nichts anderes als ein Eingeständnis der eigenen Schwäche; sie war so groß, daß die Hel­ lenen nicht einmal aus dem immer chaotischer weidenden Zustand des Perserreiches auch nur den geringsten Nutzen zu ziehen ver­ mochten. Mit der Schlacht bei Mantineia endet Xenophons Hellenische Geschichte. Nicht ganz mit Unrecht: in der Tat bezeichnet Man­ tineia das Ende jener Periode griechischer Geschichte, die durch die Polis ihr Charakteristikum erhalten hat. Mit den helleni­ schen Hegemoniebildungen ist es nun zu Ende. Die Polis hatte es nicht vermocht, aus sich heraus die Kräfte zu entwickeln, deren Griechenland zur Neuordnung seiner staatlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse so dringend bedurfte. Seit dem Be­ ginn des Peloponnesischen Krieges hatten sich die Griechen in einem unaufhörlichen Kampfe aller gegen alle verzehrt und da­ durch dem Eingreifen auswärtiger Mächte, insbesondere des Per­ serreiches, Tür und Tor geöffnet. Mit dem Zusammenbruch der spartanischen Hegemonie auf der Peloponnesos und der epheme­ ren thebanischen Machtbildung von Persiens Gnaden schien das

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Schicksal der Griechen endgültig besiegelt. Denn auch die seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts in den Vordergrund getretene Idee eines alle Griechen umspannenden „Allgemeinen Friedens" hatte das politische Gesicht des Landes nicht zu wandeln vermocht. Auch in den folgenden Jahrzehnten nach Mantineia bewegte sich das staatspolitische Denken in alten Geleisen; die Idee der Koine Eirene ist daher nicht zu einem konstruktiven Element des staatlichen Lebens der Griechen geworden, sie war und blieb nur der Ausdruck einer tiefen, echten Sehnsucht nach Frieden in einem seit vielen Jahrzehnten von unaufhörlichen Kriegen gepeinigten Lande. Die Idee der souveränen Polis war zwar mit dem Gedan­ ken eines allgemeinen Friedens in Hellas nicht unvereinbar, doch hat die Autonomie, das Palladium der griechischen Gemeindestaa­ ten, die Entstehung größerer Machtbildungen von vornherein sehr erschwert, ja vielfach geradezu unmöglich gemacht. So ist die grie­ chische Polis als weltgeschichtlicher Faktor letztlich an sich selbst, an dem Mißverhältnis, in dem ihre Idee zu den realen Machtver­ hältnissen gestanden hat, zugrunde gegangen. Trotz allem bleibt aber ihre Bedeutung für die Menschheitsgeschichte noch groß ge­ nug. Als Gemeinschaft der Führenden und Geführten stellt sie die höchste, die am feinsten entwickelte Form abendländischen staat­ lichen Denkens dar. Durch die Konzentration der politischen und kulturellen Kräfte auf engstem Raum hat sie auf allen Gebieten des geistigen Lebens Leistungen hervorgebracht, die einzigartig und unvergleichlich sind. In der hellenischen Polis ist sich der abendländische Mensch zum ersten Male seiner Aufgabe und sei­ ner Bestimmung bewußt geworden, Träger der Idee der politi­ schen und persönlichen Freiheit in einer Welt zu sein, aus der keine Brücke zu dem östlichen Despotismus persischer Prägung hinüberführte. Das politische Selbstbewußtsein der Griechen, ihre hohen zivilisatorischen Leistungen haben den Grund zu jener Kul­ tur gelegt, die ein unverlierbares Besitztum des Abendlandes bildet. Nur weil sie durch die Schule der Polis hindurchgegangen waren, sind die Griechen in der hellenistischen Zeit zum Salz der Erde ge­ worden. Mit den Hellenen aber fanden - wie einst zur Zeit der

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großen Kolonisation in archaischer Zeit - griechische Gesittung, griechischer Glaube, griechisches Denken in fernen Ländern eine neue Heimat. Die hellenische Polis mußte in Machtlosigkeit ver­ sinken, damit sich der griechische Geist eine neue Welt erobern konnte. Was einst in Hellas gesät worden war, das hat in den Weiten des Ostens tausendfältige Frucht getragen.

6. Das Reich des Dionysios I. und seiner Nachfolger in Sizilien. Timoleon (406-337 v. Chr.)

Die Geschichte des griechischen Westens steht im ersten Drittel des 4. Jahrhunderts unter dem Zeichen der überragenden Gestalt des Dionysios I. von Syrakus. Während sich die Poleis des grie­ chischen Mutterlandes in unaufhörlichen Kämpfen zugrunde rich­ teten, ist zu der gleichen Zeit auf sizilischem Boden ein Staat ent­ standen, der den engen Rahmen der Polis gesprengt und den Weg zum Territorialstaat gefunden hat. Unter Dionysios I. hat das Westgriechentum die Führung der Hellenen übernommen - eine folgenschwere Verlagerung des politischen Gleichgewichtes im Mittelmeerraum, die den Niedergang des griechischen Mutterlan­ des um so klarer hervortreten läßt. Bereits vier Jahre nach dem Untergang der sizilischen Expe­ dition der Athener, i. J. 409 v. Chr., brach wiederum Unheil über Sizilien herein. 70 Jahre lang, seit Gelon in der Schlacht am Himeras die Karthager aufs Haupt geschlagen hatte (480), war Sizilien vor den Puniern sicher gewesen. Da richtete Segesta, das mit Selinus im Streite lag, einen Hilferuf an die Punier (410). Die Karthager unter Hannibal machten das unglückliche Selinus dem Erdboden gleich (409), auch Himera wurde völlig zerstört, die gewaltigen Tempelruinen zeugen noch heute von der Blüte der Stadt im j. Jahrhundert. In Himera wurden nicht weniger als 3000 Griechen den Manen Hamilkars (s. S. 157) geopfert, eine

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Bluttat, die furchtbares Entsetzen im griechischen Westen her­ vorrief, Eine groß angelegte karthagische Offensive brachte Akra­ gas zu Fall (406), auch Gela und Kamarina mußten von den Grie­ chen geräumt werden. Während in Hellas persisches Gold und das spartanische Schwert Athen und seinen Seebund zugrunde richte­ ten, stand über Sizilien die dunkle Wolke der karthagischen In­ vasion - von allen bedeutenden Gemeinden der Insel vermochte nur Syrakus den Karthagern standzuhalten. Die großen Erfolge Karthagos erklären sich letztlich aus der veränderten Situation, wie sie sich durch den Untergang der großen athenischen Flotte im Hafen von Syrakus i. J. 41 j herausgebildet hatte: nicht Syra­ kus, Karthago war der Staat gewesen, der aus dem Unglück Athens den größten Nutzen gezogen hatte. In dieser Lage wurde Dionysios der Retter des griechischen Sizilien. Nach Absetzung des vielköpfigen syrakusanischen Stra­ tegenkollegiums wurde der 25jährige zum alleinigen bevollmäch­ tigten Strategen gewählt (406): dadurch wurde ihm der unum­ schränkte Oberbefehl im Karthagerkrieg übertragen. Die bevoll­ mächtigte Strategie war die Brücke, auf der Dionysios zur Tyrannis gelangt ist (405 v. Chr.). Nachdem er in dem gleichen Jahre den Krieg mit den Karthagern durch einen verhältnismäßig günstigen Frieden beendet hatte - Karthago hatte die Unabhän­ gigkeit von Syrakus anerkennen müssen, dazu war die Freiheit von Messana und Leontinoi sowie die aller Sikeler statuiert wor­ den -, war er der erste Mann im syrakusanischen Staate. Er hütete sich indessen, die äußeren Formen der Demokratie anzutasten, auch die Ekklesie wurde in ihren Beschlüssen von ihm nicht be­ hindert. Spätere attische Dekrete nennen Dionysios „Herrscher von Sizilien“, und dies könnte in der Tat der spätere offizielle Titel gewesen sein. Um den Karthagern in einem künftigen Kriege mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten zu können, errichtete der Tyrann in Syrakus, auf der Insel Ortygia und im Fort Euryalos, ein riesiges Befestigungswerk. Dadurch, daß die Epipolai in Syrakus mitein­ bezogen wurden, stieg die sizilische Metropole zur größten Stadt

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der ganzen griechischen Welt empor. Dazu wurden zahlreiche Waffenfabriken geschaffen, ein moderner Belagerungspark, Tetreren und Penteren erbaut, so daß Dionysios schließlich über eine Kriegsflotte von 300 Einheiten verfügte, die in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hatte. Diese Leistungen waren nur zu erzielen unter rücksichtsloser Anspannung der finanziellen Kräfte des von Dionysios kontrollierten Gebiets. Im Jahre 397 v. Chr. erklärte Dionysios den Karthagern den Krieg: es galt, die Fremden, die über die Hälfte der Insel, über die ganze Südküste und über die Nordküste bis einschließlich Himera, verfügten, aus Sizilien zu vertreiben. Die Kriegserklä­ rung hatte einen wilden Ausbruch des hellenischen Nationalhasses gegen die Karthager im Gefolge: die vielen semitischen Händler in den sizilischen Griechenstädten mußten teuer bezahlen, was die karthagischen Heere einst gesündigt hatten. Nach dem An­ schluß aller Griechenstädte an Syrakus endete das erste Jahr des Krieges mit der Eroberung des stark befestigten karthagischen Waffenplatzes Motye an der sizilischen Westspitze durch die Grie­ chen. Im folgenden Jahre (396) brachte die Landung des Himilko in Panormos eine Wende: die Karthager gewannen Motye und F.ryx zurück, Dionysios wurde zum Rückzug nach Syrakus ge­ zwungen, seine Flotte erlitt in einer Schlacht bei Katana große Verluste. Nur durch den Ausbruch einer schweren Epidemie im karthagischen Heere, das inzwischen zur Belagerung von Syrakus geschritten war, wurde Dionysios gerettet (Sommer 396). Durch einen geglückten Ausfall aus der Stadt versetzte der Tyrann den Karthagern einen furchtbaren Schlag, auch ihre Flotte wurde ver­ nichtet. Doch erst vier Jahre später, 392 v. Chr., kam es - nach mancherlei Rückschlägen für die Hellenen - zum Abschluß eines Friedens mit Karthago. Ganz Sizilien mit Ausnahme des Nord­ westens stand nun unter der Herrschaft des Dionysios, des Be­ freiers des westlichen Hellenentums aus punischer Unterdrückung. Wer Sizilien beherrschen will, darf an den Meerengen nicht haltmachen. Dionysios, der bereits zu Lokroi im Bundesverhältnis stand, sah in dem unteritalischen Städtebund, zu dem sich Kroton,

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Kaulonia, Sybaris (am Traeis), Thurioi, Hipponion, Tarent und andere Gemeinden zusammengeschlossen hatten, das größte Hin­ dernis für seine auf Unteritalien gerichteten Pläne. Er verbündete sich daher mit den italischen Lukanern und schlug die Streitmacht des Städteverbandes i. J. 388 am Eleporosfluß entscheidend. Im Frieden scheint die Landenge von Catanzaro als Nordgrenze des syrakusaniseben Einflußgebietes festgelegt worden zu sein. Dies bedeutete praktisch das Todesurteil für die Autonomie des isolierten Rhegion; die Stadt mußte nach einer furchtbaren Lei­ denszeit i. J. 386 kapitulieren, die Herrschaft des Dionysios war nunmehr beiderseits der Straße von Messina fest gegründet. In den Jahren, in denen das italische Festland durch die Kelten­ züge verheert wurde, ist der Herrscher von Sizilien an den Auf­ bau eines machtvollen Kolonialreiches in der Adria gegangen. Auf der Insel Issa (Lissa) legte er eine Kolonie und eine Flotten­ station an, dazu schuf er auf italischem Boden die Häfen Ankon (Ancona) und Adria (an der Pomündung). Wo einst die Flagge Korinths und Korkyras geweht hatte, da fuhren jetzt syrakusanische Handelsschiffe. Im Jahre 384 stieß die Kriegsflotte gegen Etruriens Küste vor, dabei wurde der Tempel der Leukothea in Pyrgoi, der Hafenstadt von Caere, geplündert. Audi an der Süd­ spitze Korsikas wurde ein Stützpunkt angelegt (Porto Vecchio?). Das Werk des Dionysios ist um so höher einzuschätzen, wenn man bedenkt, daß es gegen den Widerstand eines großen Teiles der syrakusanischen Bürgerschaft, gegen den Widerstand der un­ teritalischen Griechenstädte erreicht worden ist. Diese Gemeinden sind denn auch beim Wiederausbruch des Krieges zwischen Diony­ sios und Karthago i. J. 382 auf die Seite der Punier getreten. Der neue Waffengang zwischen Dionysios und Karthago endete mit einem beträchtlichen Rückschlag für das westliche Griechen­ tum: Selinus, Heraklea Minoa, Thermai gingen an die Punier verloren; von nun an bezeichneten der Himeras und der Halykosfluß die Grenze des griechischen und des karthagischen Gebietes auf der Insel - auch der letzte, von Dionysios i. J. 368 vom Zaun gebrochene Karthagerkrieg hat hieran nichts mehr geän-

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dert bis das Eingreifen Roms, mehr als ein Jahrhundert spater, neue Verhältnisse in Sizilien schaffen sollte. Dionysios, dem Retter des sizilischen Griechentums, ist zu sei­ nen Lebzeiten die Anerkennung versagt geblieben, die seine groß­ artigen Leistungen im Krieg und Frieden verdient gehabt hätten. Mit Recht hat ihn der Ältere Scipio der großen Persönlichkeit des Agathokles an die Seite gestellt (Polyb. XV 35). Allerdings ver­ mochte seine Herrschaft die abstoßenden Züge der Tyrannis nicht zu verleugnen. Dionysios umgab sich mit einer Leibwache, er schuf eine gut funktionierende Geheimpolizei, und so sehr er sich auch bemühte, in seinem persönlichen Leben das Ideal einer un­ tadeligen Haltung zu verwirklichen, - es war keine Phrase, wenn er seinen Töchtern die Namen Aret6, Dikaiosyne und Sophrosyne gab so blieb seine Herrschaft in den Augen der Griechen doch das, was sie war, eine Tyrannis, mit dem Makel der Illegitimität behaftet. Auch seine Leistung als Politiker blieb, so groß sie auch war, letztlich Stückwerk: Karthago ganz aus Sizilien zu verdrän­ gen, ist ihm nicht gelungen. So bestand der Gegensatz zwischen den Hellenen und Karthagern fort, der Nachfolger des Dionysios hat ihn als ein Erbe übernommen. Dionysios II. (367-357) verfügte weder über die Begabung noch über das Pflichtgefühl des Vaters. Er stand zunächst unter dem bestimmenden Einfluß des Dion, des Schwagers des älteren Dionysios, später, nach Dions Verbannung (366), wandte er sich dem Philistos zu. Auf Dions Rat war Platon an den syrakusanischen Hof gekommen, in der Hoffnung, hier mit dem jungen, bildsamen Herrscher den Idealstaat auf Erden verwirklichen zu können. An den harten Realitäten ist die Utopie in Nichts zer­ stoben. Der verbannte Dion kehrte 1. J. 357 mit karthagischer Hilfe nach Syrakus zurück und stellte hier (als bevollmäch­ tigter Stratege) die Ordnung wieder her. Dionysios II., der sich zunächst in der Inselfestung Ortygia behauptet hatte, entfloh nach Lokroi in Unteritalien. Dion selbst, weder ein Staatsmann noch ein Charakter, beschritt den Weg zur Tyrannis und fiel i. J. 354 einer Verschwörung der Söldner zum Opfer. Das Ende

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Dicns hatte neue Wirren zur Folge, bis Dionysios II. i. J. 347 zum zweitenmal in Syrakus an die Macht gelangte. Im übrigen boi Sizilien damals ein trauriges Bild hellenischer Uneinigkeit und Ohnmacht. In vielen Städten schossen lokale Tyrannenherrschaftcn au.- dem Boden, so in Leontinoi, Katana, Tauromenion, Messana, Agyrion - es schien, als ob das Chaos über das sizilische Griechentum hereinbrechen wollte. Die Beseitigung der syrakusanischen Hegemonie in Sizilien hatte eine wahre Drachensaat auf­ gehen lassen. Die Führer der von Dionysios II. vertriebenen Par­ tei in Syrakus wandten sich um Hilfe an die Mutterstadt Korinth. Diese sandte Timoleon als Schiedsrichter nach Syrakus (344 v. Chr.). Bei seiner Landung in Tauromenion wurde er durch den Tyrannen Andromachos als Retter Siziliens begrüßt. Sogar Dionysios II. trat zu ihm über, indem er auf die Tyrannis ver­ zichtete. In Syrakus suchte sich der Gegner des Tyrannen, Hiketas. mit karthagischer Unterstützung zu behaupten - vergeblich; der glänzende Sieg desTimoleon über die Karthager am Krimisosfluß (341) stellte die politische Vorherrschaft der Hellenen auf der Insel wieder her. In dem Frieden von 339 v. Chr. wurden die alten Grenzen am Himeras und am Halykosflusse bestätigt. Nach dem Sieg über die äußeren Feinde wandte sich Timoleon der Ordnung der inneren Verhältnisse in den Griechenstädten Siziliens zu; sämtliche Tyrannenherrschaften wurden beseitigt, mit der einzigen Ausnahme des Andromachos von Tauromenion, der einst Timoleon in Sizilien aufgenommen hatte. In dem Sohne des Andromachos, dem Historiker Timaios, hat Timoleon den be­ geisterten Herold seiner Taten in Sizilien gefunden. Im Jahre 337 war das Werk der inneren Befriedung beendet; die griechischen Gemeinden hatten sich zu einer föderativen Vereinigung zusam­ mengeschlossen, an deren Spitze Syrakus stand. Timoleon legte die ihm übertragene außerordentliche Gewalt, die bevollmächtigte Strategie, aus freien Stücken nieder und verbrachte den Rest sei­ ner Tage in Syrakus. Er ist eine der eigenartigsten Persönlich­ keiten der Zeit, eine der letzten großen Gestalten, die das Grie­ chentum des 4. Jahrhunderts hervorgebracht hat, ein Mann, der

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für sein Ideal seine ganze Persönlichkeit eingesetzt und Sizilien den äußeren und inneren Frieden gegeben hat, dessen die Insel so dringend bedurfte. In Unteritalien ist dem Griechentum kein ähnlicher Retter ent­ standen. Tarent, das durch die Lukaner bedrängt wurde, wandte sich an Sparta um Hilfe. Seit dem Jahre 342 stand der Spartaner­ könig Archidamos III. mit einem Söldnerheer auf italischer Erde, bei Mandonion fand er im Kampfe gegen die verbündeten Lu­ kaner und Messapier den Tod (338). Es war eine offene Frage, wie lange sich die untcritalischcn Griechen gegen die erwachende italische Völkerwelt noch behaupten konnten.

VIERTER ABSCHNITT

DAS ZEITALTER DES HELLENISMUS (360-30 v. Chr.)

DER BEGINN EINER NEUEN ZEIT

Die entscheidende, in das Leben des griechischen Volkes tief ein­ greifende Zäsur zwischen der alten und der neuen Zeit liegt in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Nur wenige Jahre, nach­ dem die griechische Staatenwelt mit der Schlacht bei Mantineia (362 v. Chr.) in politische Ohnmacht versunken war, hat sich am Rande der griechischen Welt jene Macht gebildet, die dazu be­ rufen war, die politische Führung des Hellenentums zu über­ nehmen: das makedonische Königreich unter Philipp II. (359336). Die tief einschneidende Wandlung des Hellenentums wird in der Mitte des 4. Jahrhunderts auf allen Gebieten offenbar, in der Politik, in der Wirtschaft und nicht minder im kulturellen Leben. Während das Alte abstirbt, zeigen sich überall neue An­ sätze, die jedoch noch planmäßiger Gestaltung bedürfen. Im gan­ zen ist das Bild, das Griechenland in dieser Übergangszeit bietet, uneinheitlich und voller Widerspruch: an die Stelle der Ordnung ist in Hellas das politische Chaos, an die Stelle des sinnvollen Planens ist vielerorts die Willkür getreten. Das Leben der Polis verfällt in zunehmendem Maße einem weitgehenden Ökonomi­ sierungsprozeß, und es ist sehr bezeichnend, wenn eine Reihe von führenden attischen Staatsmännern als Finanzexperten empor­ gekommen sind wie Eubulos und Lykurgos. Ein gewisser Auf­ schwung des Seehandels, ein Vorgang, der sich in zahlreichen

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Das Zeitalter des Hellenismus (360—30)

Handelsverträgen widerspiegelt, und des griechischen Bankwesens ist unverkennbar. Zum politischen Niedergang der griechischen Staatenwelt haben vor allem die immer mehr sich verschärfenden sozialen Gegen­ sätze zwischen arm und reich beigetragen. Während der Wohl­ habende mit unangenehmen Liturgien (Choregien, Trierarchien) belastet wird, gewöhnt sich der Arme schnell an die Versorgung aus öffentlichen Mitteln; zu den vornehmsten Pflichten des Staa­ tes gehört es jetzt, seinen Bürgern die Nahrung zu sichern, ein Gesichtspunkt, der auch auf die Außenpolitik nicht ohne Einfluß geblieben ist. Die Radikalen sehen in einer völligen Neuvertei­ lung des Bodens das Heil der Zeit; in einer Welle von Ver­ bannungen und Konfiskationen offenbart sich die soziale Unruhe, die Griechenland in seinen Grundfesten erbeben läßt. Aus den vielen heimatlosen Verbannten bildet sich ein in ganz Hellas fluktuierendes Proletariat, das Ferment neuer anarchischer Be­ wegungen. Aus dieser Masse rekrutiert sich das Söldnertum; seine Existenz ist ein wesentlicher Charakterzug des 4. Jahrhunderts. Während der Bürger den Kriegsdienst nur noch als Last empfin­ det, betreiben ihn die Söldner als ein qualifiziertes Handwerk: es gibt kein kriegerisches Ereignis in Hellas und selbst in Asien mehr, an dem nicht griechische Söldner maßgebend beteiligt wären. Die Kriege des 5. Jahrhunderts, vor allem aber die große, i. J. 430 ausgebrochene Pest, hatten die Bevölkerung einzelner Teile Griechenlands stark dezimiert. Auch die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts ist überwiegend Kriegszeit gewesen. Dennoch be­ wegt sich die Bevölkerungszahl von Hellas in aufsteigender Ent­ wicklung, eine Erscheinung, die auch auf die geringeren Kriegs­ verluste zurückzuführen ist: die Kriegführung ist humaner ge­ worden. So kommt es, daß Griechenland im 4. Jahrhundert in ständig zunehmendem Maße unter einer relativen Übervölkerung und an einer akuten Landnot zu leiden hat. Immer wieder wer­ den Kolonisationspläne erwogen: Xenophon wollte seinen Mit­ kämpfern am Schwarzen Meer eine neue Heimat gründen, und Isokrates schwebte gar ganz Kleinasien bis an den Taurus als

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griechischen Siedlungsgebiet vor (Philippos § 120). Das griechische Volk bedurfte dringend eines Raumes, der die überschüssigen Kräfte aufzunehmen imstande war, wenn es nicht im Innern am Kampfe aller gegen alle zugrunde gehen wollte. Für eine Expansion des Griechentums, besonders nach Osten hin, war die Weltlage in der Tat nicht ungünstig. Befand sich doch das Perserreich in der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts in fort­ schreitendem Niedergang. In Kleinasien brachen langdauernde Satrapenaufstände aus, es bildeten sich lokale einheimische Dyna­ stien, die sich mit Hilfe angeworbener Soldtruppen vom Groß­ könig praktisch unabhängig machten. So war das einst so macht­ volle Achämenidenreich ein „Koloß auf tönernen Füßen“ gewor­ den, und auch seine wirtschaftliche Bedeutung war nicht mehr die gleiche wie unter den Herrschern des 5. Jahrhunderts, da das reiche Kornland Ägypten seine Unabhängigkeit die ganze erste Hälfte des 4. Jahrhunderts, von 404/3 bis 342, zu behaupten ver­ mochte. Zu den weltweiten Kolonisationsplänen griechischer Patrioten stand die kleinstaatliche Enge der hellenischen Verhältnisse in einem schneidenden Gegensatz. Doch hat es, und zwar schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, nicht an Versuchen gefehlt, neue Mittel zu finden, um die Machtlosigkeit der zahllosen Ein­ zelstaaten zu überwinden. Der Zusammenschluß der Arkader und der Ätoler zu Bundesstaaten war ein erster Schritt auf einem Wege, den in der Zeit nach Alexander auch andere griechische Stämme (wie z. B. die Achäer) gegangen sind. So kehrte man am Ende der Geschichte eines freien Griechenland zu jenen staat­ lichen Verhältnissen zurück, von denen man einst, bei der Land­ nahme (s. S. 4) ausgegangen war: der Stammesstaat in der Form eines Bundesstaates schien das Symbol für eine neue Epoche des staatlichen Lebens in Hellas zu werden. Nicht nur die allgemein verbreitete Friedenssehnsucht, auch das Gemeinschaftsbewußtsein der Griechen wurde wachgehalten durch die Idee der Koin£ Eirene, eines alle Griechen umspannenden allgemeinen Friedens. Der panhellenische Gedanke findet seine publizistische Aus­

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Das Zeitalter des Hellenismus (j6o-jo)

drucksform vor allem in den Reden des Isokrates. Mit Vorliebe verwendet die Rhetorik der Zeit Beispiele aus der panhellenischen Mythologie: wenn Isokrates den Makedonenkönig Philipp II. mit dem hellenischen Völkerhirten Agamemnon verglich, so wußte man in Hellas, was damit gemeint war. Es ist ein Fehler, wenn die moderne historische Forschung die von der Rhetorik aus­ gehende geistige Vorbereitung des panhellenischen Denkens zu einem Teil beträchtlich unterschätzt. Die neue Zeit kündete sich vor allem in einem gesteigerten Kult der großen Persönlichkeiten, die vielfach in die Sphäre des Gott­ menschentums emporgehoben wurden. Schon dem Spartaner Lysander hatte man gottgleiche Ehren erwiesen. Klearchos, der Tyrann des pontischen Herakleia (er wurde nach zwölfjähriger Regierung i. J. 352 v. Chr. ermordet), hat sich selbst zum Sohn des Zeus gemacht und entsprechende Ehren von seinen Unter­ tanen gefordert - ein echter Vorläufer des Makedonen Alex­ ander. Und das Beispiel des syrakusanischen Arztes Menekrates, der seine Briefe mit „Menekrates Zeus“ zu unterschreiben pflegte, zeigt, wie eng die Spanne zwischen dem Göttlichen und dem Ir­ dischen in jener Zeit geworden ist, wenn auch in diesem Fall das pathologische Moment nicht übersehen werden darf. Auch das geistige Leben der Griechen fand neue Formen. Wa­ ren die hellenischen Dichter und Künstler, Schauspieler und Sän­ ger früher zu den Höfen der großen sizilischen Tyrannen gepil­ gert, so zog sie jetzt der Glanz der Fürstenhöfe rings um Hellas in den Bann. In Pella, der makedonischen Residenz, weilten am Ende des 5. Jahrhunderts Euripides und der Maler Zeuxis, beide als Gäste des Königs Archelaos (413-399). Als der karische Dynast Maussolos von Halikarnassos starb (353 v. Chr.), schrieb seine Schwester Artemisia für die griechischen Literaten eine Kon­ kurrenz für den Nachruf aus; weit entfernt von dem griechischen Mutterland, in Herakleia am Pontos, hat der Tyrann Klearchos die erste öffentliche Bibliothek geschaffen. Athen blieb zwar auch jetzt noch das unbestrittene Zentrum hellenischer Bildung, aber es entstanden an der Peripherie der griechischen Welt manche

Beginn einer neuen Zeit

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neuen kulturellen Brennpunkte, die ihr Licht von jenem großen Bildungszentrum empfingen. Platons Schule hat ihre Jünger in alle Welt hinausgesandt, sie erscheinen in Unteritalien und Sizi­ lien ebenso wie in den Griechenstädten des Pontos. Griechische Bildung, griechisches Denken durchdringt die weiten Räume der Oikumene, und auch am Perserhof und im Perserreich sind grie­ chische Gelehrte und Künstler, vor allem aber Ärzte, gern ge­ sehene Gäste. Die neue Zeit spiegelt sich in einer neuen Einstellung des Men­ schen zu der Umwelt. Der am Hofe des Dionysios I. in Syrakus lebende Tragiker Antiphon hat das neue Lebensgefühl mit der Sentenz: „Was übermächtig von Natur, wir zwingen’s mit der Kunst“ treffend charakterisiert. Übrigens ist Dionysios der erste Herrscher gewesen, der die Forschungsarbeit der Gelehrten für praktische Erfindungen verwertet hat. Zwei Namen stehen am Beginn einer neuen Epoche, ja eigentlich am Anfang der griechi­ schen und damit der abendländischen Wissenschaft: Eudoxos von Knidos (f um 355) und Aristoteles von Stageira (384-322), beide aus der Schule Platons, aus der Akademie, hervorgegangen. Mathematiker und Astronom, Arzt und Philosoph, Geograph und Physiker sowie praktischer Politiker in einer Person, hat sich Eudoxos einen großen Namen gemacht. So beruhen die berühm­ ten „Elemente“ der Geometrie des Eukleides (um 300 v. Chr.) wesentlich auf seinen Forschungen, und in der Astronomie ist seine Sphärenlehre zu allgemeiner Anerkennung gelangt. In sei­ ner weitgespannten Universalität erscheint Eudoxos als ein echter Vorläufer der großen hellenistischen Gelehrten, und es ist wohl schwerlich ein Zufall, wenn seine „Phainomena“, auf Anordnung des makedonischen Königs Antigonos Gonatas durch Aratos in Verse übertragen, zu einem Lieblingsbuch des gebildeten helle­ nistischen Lesepublikums geworden sind. Als Eudoxos starb, saß Aristoteles noch zu den Füßen Platons. Nach dessen Tode (Platon starb 347 v. Chr.) verließ Aristoteles Athen. Assos mit dem Hofe des kleinasiatischen Dynasten Hermias von Atarneus, Mytilene, die makedonische Residenz Pella und das 18

Bengtson, SA

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Das Zeitalter des Hellenismus (360-30)

kleine Mieza waren die Stationen seines Wanderlebens; erst i. J. 335/4 v. Chr. ist er nach Athen zurückgekehrt; in der von ihm gegründeten Schule, dem Peripatos, wurde er, von zahlreichen Schülern umgeben, der Mittelpunkt des hellenischen Geisteslebens. Aristoteles ist es gewesen, der die entscheidende Wendung von der Spekulation zur empirischen Forschung vollzogen hat. Indem er seine Schüler zum planmäßigen Mitforschen, zum Sammeln und Sichten des Materials heranzog, wurde Aristoteles der Archeget der abendländischen Wissenschaft, der Schöpfer der Idee der wissenschaftlichen Organisation. Auf fast allen Gebieten des menschlichen Wissens - nur von der Medizin hat er, der Sohn eines Arztes, sich ferngehalten - hat er mit Hilfe seiner Schüler ein riesiges Material zusammengetragen und wenigstens zum Teil in zusammenfassenden Schriften verarbeitet. 158 Staatsverfassun­ gen - von ihnen ist die auf einem Papyrus des Britischen Mu­ seums wiedergefundene „Staatsverfassung der Athener“ die be­ rühmteste geworden -, eine vollständige Liste der Sieger in den Pythischen Spielen, die Urkunden der dramatischen Aufführun­ gen in Athen, Forschungen auf dem Gebiete der Physik, der Meteorologie, der Zoologie, der Botanik - diese und viele andere Schriften zeugen von der Weite und Spannkraft seines rastlos forschenden, ordnenden und wertenden Geistes. Dadurch, daß er erkenntnistheoretische und ethische Probleme in seine Forschungen einbezog, vereinigte Aristoteles auf der Höhe seines Lebens in sich nahezu die ganze Universitas litterarum-, so steht er als echter Universalforscher am Anfänge der okzidentalen Wissenschaft, die nach seinem Tode in eine große Zahl von Teilreichen zerfallen ist. Erst nach fast zwei Jahrtausenden ist dem Abendland in Leibniz eine ähnlich überragende, wahrhaft universale Persön­ lichkeit erstanden. Der steile Aufstieg des hellenischen Geisteslebens im 4. Jahr­ hundert v. Chr. spiegelt sich in der Entstehung eines neuen Bil­ dungsideals. Isokrates’ Wort (Panegyr. § 50), nur der sei ein Hel­ lene, der an attischer Bildung Anteil habe, ist alles andere als kosmopolitisch. Dem Ausspruch liegt die Überzeugung von dem

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unbedingten Vorrang der attischen Bildung zugrunde. Der Hel­ lenenbegriff wird also nicht erweitert, sondern praktisch ein­ geengt: er ist unter Abstreifung der völkischen Bindungen zu einem Bildungsideal geworden. Mit diesem zugleich wird die Idee der Humanität geboren, auch sie nur in einzelnen, nicht in den vielen verkörpert. Gleichzeitig entsteht der Begriff des Klassi­ schen: seit dem Jahre 386 v. Chr. machte man es in Athen zur Regel, neben den neuen Tragödien stets auch eine der alten auf­ zuführen; i. J. 339 wurde diese Forderung auch für die Komödie verwirklicht. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts begannen sich die Konturen jener Entwicklung abzuzeichnen, die am besten als ein allmählich einsetzender, sich ständig verbreiternder riesiger Assimilations­ prozeß des Griechentums und der östlichen Kulturwelt zu fassen ist. Mit dem griechischen Kaufmann, der sich in den phönikischen Küstenstädten, auf Cypern und in Ägypten niederließ, hielt auch die griechische Kultur ihren Einzug in diese Länder uralter Zivili­ sation. In der kleinasiatischen Randzone, nicht minder aber auf Cypern, formte sich eine eigenartige griechisch-östliche Misch­ kultur; in Ägypten zeigt das Grab des Petosiris bei Hermopolis Magna unverkennbaren griechischen Einfluß, und der Fund des ältesten griechischen Papyrus mit den „Persern“ des Timotheos in Abusir-el-Meleq bezeugt das Vorhandensein griechischer Lite­ raturwerke in der ägyptischen Chora zum mindesten schon im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts. In der Entstehung eines neuen Stadttypus im karischen Halikarnassos wird die spätere Entwick­ lung vorweggenommen; durch einen Synoikismos von sechs be­ nachbarten Gemeinden hat der einheimische Dynast Maussolos es beträchtlich vergrößert und mit prachtvollen, von griechischen Künstlern entworfenen Bauten geschmückt. Das Grabmal des Fürsten, das seine Schwestergemahlin Artemisia erbaute, wurde zu den Weltwundern gezählt. Mit der Königsburg, einem Kriegs­ und Handelshafen, in der Gestaltung des fürstlichen Palastes er­ scheint Halikarnassos als eine Vorläuferin des ptolemäischen Alexandrien. Die Zeit war reif für eine weitgehende Aufnahme 18»

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Das Zeitalter des Hellenismus (36o-jo)

griechischer Kultur und griechischer Zivilisation in den Weiten des Ostens. So betrachtet, erscheint Alexander als der große Voll­ strecker des Weltgesetzes, das in den Grundzügen um 360/50 v. Chr. schon vorgezeichnet ist. Es empfiehlt sich daher, bereits zu diesem Zeitpunkt, d. h. um die Mitte des 4. Jahrhunderts, jenes neue Weltzeitalter beginnen zu lassen, das man seit J. G. Droysen mit dem Begriff des Hellenismus benennt. Als „Hellenismus“ hat Joh. Gust. Droysen nach dem Vorgang vor allem von Joh. Drusius (Adnotationes ad Nov. Test., 1612) und von J. G. Herder, dem Sinn des griechischen Wortes zuwider, jene Epoche bezeichnet, als deren Charakteristikum er die Ver­ schmelzung des Griechischen mit orientalischen Elementen be­ trachtete. Es muß zugegeben werden, daß diese Terminologie wenig glücklich ist. Abgesehen davon, daß sie einem sprachlichen Mißverständnis ihre Entstehung verdankt, scheint der von Droy­ sen an sich richtig beobachtete Vorgang der Vermischung des Hellenischen und des Orientalischen zu stark verallgemeinert; auf jeden Fall wird er allein den komplexen historischen Erscheinun­ gen dieser Epoche nicht gerecht. Man wird deshalb gegenüber Droysen, der auf Grund seiner Mischungstheorie in folgerichtiger Weise zunächst auch die gesamte heidnisch-griechische Periode der römischen Kaiserzeit mit in den Hellenismusbegriff einbezog, der chronologischen Auffassung des Begriffes (wie sie übrigens bei dem späteren Droysen schon im Kerne vorhanden ist) den Vor­ zug geben, allerdings mit der Variante, daß man die Epoche nicht mit Alexander, sondern schon eine Generation früher, etwa um 360 v. Chr., beginnen läßt. Den Endpunkt des Hellenismus bildet in jedem Fall die Zeit des Augustus. Diese Auffassung ist, ab­ gesehen davon, daß sie sich längst in der Forschung eingebürgert hat, insofern durchaus berechtigt, als die Periode von 360 bis 30 v. Chr. in der Tat ein eigenes Gesicht besitzt - mag man nun an die Kunst, die Literatur, die Philosophie oder an das staat­ liche Leben der Griechen denken.

Makedonien vor Philipp II.

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ERSTER TEIL

DAS ZEITALTER PHILIPPS II. VON MAKEDONIEN

(359-336 v. Chr.)

1. Makedonien vor Philipp II.

Mit König Philipp übernimmt das makedonische Volk die Füh­ rung in der Geschichte des Altertums, durch Alexanders Erobe­ rung des Perserreiches erringt es die Weltherrschaft. Es ist ein junges Volk ohne Geschichte, das seinen Aufstieg dem großen Herrscher Philipp II. verdankt. Er hat das Volk armseliger Hir­ ten und Bauern an städtisches Leben gewöhnt, die friedlosen bar­ barischen Nachbarn bezwungen, den Zugang zum Meere geöffnet und das Land selbst hellenischer Kultur erschlossen. Für die Grie­ chen aber sind die Makedonen immer ein Barbarenvolk geblieben, niemals, auch nicht auf der Höhe der Weltherrschaft, sind sie von den Hellenen als kulturell gleichberechtigt anerkannt worden. Bei der kulturellen Kluft zwischen Griechen und Makedonen ist im Altertum die Frage des makedonischen Volkstums immer nur von sekundärer Bedeutung gewesen. Für die moderne For­ schung gibt das Namenmaterial - von der Sprache der alten Makedonen ist kein einziger Satz erhalten - den Ausschlag zu­ gunsten der Ansicht, die die Makedonen zu den Griechen rechnet. Orts- und Monatsnamen sind rein griechisch, ebenso die meisten Eigennamen. Deshalb ist der von dem Indogermanisten P. Kretschmer vertretenen Hypothese, die Makedonen seien ein griechisch-illyrisches Mischvolk, wenig Wahrscheinlichkeit zuzubilligen. Die Mehrzahl der modernen Historiker, freilich mit der bemer­ kenswerten Ausnahme von Julius Kaerst, ist denn auch mit vol­ lem Recht für das Griechentum der Makedonen eingetreten: man wird sie zu der Gruppe der nordwestgriechischen Stämme zählen. Dies schließt aber nicht aus, daß an der Behauptung des Thukydides (II 99), die Makedonen seien mit den Epeiroten verwandt,

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Das Zeitalter Philipps II. (339-336)

etwas Wahres sein mag. Für die historische Beurteilung ist es ent­ scheidender, daß eine jahrhundertelange Isolierung die Makedonen in dem Lande, das ihren Namen trägt, als eine besondere Einheit in sozialer, politischer und anthropologischer Hinsicht ge­ formt hat, und zwar in allen wesentlichen Zügen von innen her­ aus, ohne das Hinzutreten hellenischen Einflusses. So war der Cha­ rakter des makedonischen Volkes längst geprägt, als die haßerfüll­ ten Reden des Demosthenes in dem großen Machtkampf zwischen Athen und Philipp immer wieder das Trennende zwischen Grie­ chen und Makedonen hervorgehoben haben. Die ältere Entwicklung des makedonischen Volkes liegt fast vollständig im dunkeln. In den ältesten Zeiten besiedelten thrakophrygische Stämme das Land. Sie sind am Ende des 2. Jahrtau­ sends im Verlaufe der großen ägäischen Wanderung nach Klein­ asien hinübergegangen. Urzelle des makedonischen Staates sind die südlichen Landschaften Elimeia und Orestis, am oberen Haliakmon an der thessalischen Grenze gelegen. Von hier aus nach Norden vordringend nahmen die Makedonen die Eordaia in Besitz, in dem auf hohem Gebirgsrande thronenden Felsennest Aigai schufen sie dem Staate einen Mittelpunkt. Der erste make­ donische König ist Perdikkas I., der wohl im frühen 7. Jahrhun­ dert (?) lebte; doch erst mit seinem fünften Nachfolger, mit Amyntas I., gegen Ende des 6. Jahrhunderts, gelangt die For­ schung auf sicheren historischen Boden. Amyntas I. war es, der dem aus Athen vertriebenen Hippias eine Zufluchtsstätte in Anthemus anbot. Damals hatten die Makedonen den Axios bereits über­ schritten und standen im Begriff, weiter nach Osten, in das Gebiet des unteren Strymon, vorzudringen. Die überragende Gestalt der makedonischen Geschichte im j. Jahrhundert ist Alexander I., dem die Nachwelt den Beinamen „Philhellen“ gegeben hat (er regierte von etwa 495 bis 450/40 v. Chr.). Mit vollem Bewußtsein hat dieser König den Anschluß seines Volkes an die hellenische Kultur erstrebt. Dadurch, daß er das makedonische Königshaus, die Argeaden, auf das peloponnesische Argos zurückführte, kam er den pseudogenealogischen Nei­

Makedonien vor Philipp II.

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gungen der Griechen entgegen; seine Zulassung zu den Olym­ pischen Spielen war der Lohn. Damit war das makedonische Königshaus als hellenisch legitimiert. Der erste, folgenschwerste Schritt zu einer Annäherung von Makedonen und Griechen war getan. Alexander I. ist es gewesen, der die entscheidende Heeresreform durchgeführt hat, und zwar in der Weise, daß er dem zu Pferde dienenden reisigen Schwertadel, den „Gefährten“ (Hetairoi) des Königs, die Masse des Bauerntums als Fußvolk unter dem Ehrennamen der Pezhetairen, der „Gefährten zu Fuß“, zur Seite stellte. Während Alexanders Nachfolger, Perdikkas II., das Land mit viel Geschick durch den Archidamischen Krieg hindurchzusteuern wußte, ist es seinem Sohn, Archelaos I. (414/3-400/399 v. Chr.), gelungen, Makedonien zum ersten Male zu einem bestimmenden Faktor in der großen Politik zu machen. Nach Thukydides’ Ur­ teil hat Archelaos für den inneren Ausbau des Königreiches und für die Organisation des makedonischen Heeres mehr geleistet als seine acht Vorgänger zusammengenommen. Er hat Pydna zurück­ gewonnen, das Verhältnis des Königtums zu den obermakedoni­ schen Fürsten der Elimeia und Orestis auf eine neue Grundlage gestellt, endlich hat er, hierin ein Vorläufer Philipps II., in die inneren Angelegenheiten Thessaliens mit starker Hand eingegrif­ fen (400/399 v. Chr.?). Durch eine Reihe wichtiger wirtschafts­ politischer Maßnahmen, durch Wegebauten und durch den An­ schluß Makedoniens an das persische Währungssystem hat er den Wohlstand des Landes beträchtlich gehoben. Vielleicht geht auf diesen Herrscher die sich auf dem Heerwesen aufbauende Landes­ einteilung von Niedermakedonien zurück, die dadurch ihr beson­ deres Gepräge erhält, daß die sich um einen städtischen Mittel­ punkt kristallisierenden Bezirke zugleich die Aushebungskantone für die einzelnen Regimenter bilden. Hell strahlte der Ruhm des Königs als Beschützer der Musen: an seinem Hofe in Pella lebte eine Reihe bedeutender Künstler, der Epiker Choirilos, der Mu­ siker Timotheos von Milet, der Tragiker Agathon. Euripides hat in Pella die Bakchen gedichtet und den königlichen Mäcen in dem

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Das Zeitalter Philipps II. (jjp-jjö)

Drama „Archelaos“ gefeiert, in dem auch die makedonische Grün­ dungsgeschichte dargestellt wurde. Der königliche Palast wurde von Gemälden des Zeuxis geschmückt; an Sokrates erging die Aufforderung, nach Pella zu kommen. Nach dem Tode des Arche­ laos - er ist wie sein Großvater Alexander Philhellen durch Mörderhand gefallen - versank das Land in Wirren und Thron­ streitigkeiten; sie erfüllten die ersten Jahrzehnte des 4. Jahrhun­ derts. In dem machtvoll um sich greifenden Chalkidischen Städte­ bund erstand Makedonien ein gefährlicher Rivale an seiner Ost­ flanke, während im Westen die Illyrer immer aktiver wurden und durch ihre Einfälle Makedonien mehrfach in schwere Be­ drängnis brachten. Es war das spartanische Eingreifen im Nor­ den in den Jahren 382-379 v. Chr. (s. S. 246), das den make­ donischen König Amyntas III. (393-370) aus einer ungemein schwierigen Lage befreite, in die er durch die Ausbreitung der Chalkidier gekommen war. Der makedonische Staat, der in offiziellen Urkunden unter dem Begriff „die Makedonen“ in Erscheinung tritt, war ein typi­ scher Feudalstaat mit monarchischer Spitze. Die unmittelbare Herrschaft der makedonischen Könige erstreckte sich nur auf Niedermakedonien, d. h. auf die am Meere gelegenen Landschaf­ ten Pieria, Emathia, Mygdonia. Obermakedonien dagegen, jene Landschaft, aus der die Makedonen einst zu ihren Eroberungen aufgebrochen waren, die Lynkestis, Orestis, Tymphaia, hatte eigene Fürsten, die sich dem Könige als Oberherrn nur beugten, wenn er sie seine Macht verspüren ließ. Der Staat war, obwohl er in der Pieria das Meer erreichte, ein typischer Binnenstaat; befanden sich doch die wichtigsten Häfen - Pydna und Methone - in den Händen der Hellenen. Die Wirtschaft des Landes war ausgespro­ chen agrarisch, besonders wertvoll war sein Holzreichtum. Als Lieferant von Schiffsbauholz, von Teer und Pech war Makedonien, wie eine Anzahl von Handelsverträgen bezeugt, den griechischen Seestaaten ein erwünschter Handelspartner und Bundesgenosse. Das patriarchalische Königtum der Makedonen, ein Heer­ königtum, reicht in die Frühzeit der makedonischen Geschichte

Philipps erste Regierungsjahre (359-354)

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zurück. Noch Alexander d. Gr. ist als König der oberste Feld­ herr, Priester und Richter seines Volkes gewesen. Im Kriege stützt sich der König vornehmlich auf den Adel, dessen Angehörige wie die Myrmidonen Achills den Ehrennamen der „Gefährten“ des Königs führen. Aus der Frühzeit stammt auch die Institution der makedonischen Heeresversammlung, die sich aus den Waffen­ fähigen zusammensetzt: sie bestätigt den neuen König durch Ak­ klamation, sie greift wohl auch in die Regelung der Thronfolge ein, wenn Wirren entstehen, endlich bildet sie den höchsten Ge­ richtshof in Fällen von Hoch- und Landesverrat. In den helle­ nistischen Staaten ist der Heeresversammlung, wenn auch in ver­ änderter Gestalt, ein langes Nachleben beschieden gewesen.

2. Philipps erste Regierungsjahre

(3S9~354 '»■ Chr.)

Philipp von Makedonien war der jüngste Sohn des Amyntas III. und der Eurydike. Die für seine innere Entwicklung bedeutungs­ vollsten Jahre, das 1$. bis 17., hatte er als Geisel in Theben ver­ lebt. Nachdem er i. J. 365 in das Heimatland zurückgekehrt war, übertrug ihm sein Bruder, der König Perdikkas III. (365359), ein Lehensfürstentum. Kurz zuvor war es dem Perdikkas gelungen, sich des Ptolemaios von Aloros zu entledigen, der sich vier Jahre lang (369/8-365) als Vormund des jungen Königs und als Gemahl der Eurydike an der Macht gehalten hatte. Die be­ deutendste Leistung Perdikkas’ III. aber ist die Gewinnung der wichtigen Hafenstadt Amphipolis. Durch eine makedonische Be­ satzung wurde sie vor dem Zugriff der athenischen Flotte ge­ sichert. Es war eine Wendung von weittragenden Folgen, die sich damit in der Politik Makedoniens vollzogen hatte: Amphipolis gehörte dem 2. Attischen Seebunde nicht an, der Friedenskongreß zu Sparta (371 v. Chr.) aber hatte Athen im Besitze der Stadt bestätigt. Unter der Regierung des Perdikkas kam der attische

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Das Zeitalter Philipps II. (339-336)

Staatsmann Kallistratos nach seiner Verbannung i. J. 361/0 nach Makedonien; er hat hier das Zollwesen neu geordnet. Alles Er­ reichte aber wurde durch die Bedrohung des Landes von Westen her wieder in Frage gestellt. In einer gewaltigen Schlacht ist der junge König Perdikkas III. i. J. 359 mit Tausenden seiner Krieger im Kampfe gegen die Illyrer gefallen. Auch die Päonen und die Thraker sahen nun ihre Stunde gekommen, das unglückliche Land durch Einfälle von Norden und Osten her zu brandschatzen. Im Lande selbst erhoben Prätendenten ihr Haupt: Pausanias, der frühere Gegner des Ptolemaios von Aloros, Archelaos (ein Sohn des Amyntas III. aus erster Ehe mit Gygaia), Argaios - sie alle strebten nach der Krone, und das Wort „Wehe dem Lande, des König ein Kind ist!“ schien furchtbare Wahrheit zu werden. In dem allgemeinen Wirrwarr hat Philipp als Vormund seines jungen Neffen Amyntas, des Sohnes des Perdikkas III., die Zügel der Regierung ergriffen. Mit List und Gewalt entledigte er sich der auswärtigen und inneren Feinde. Athen, das den Prätenden­ ten Argaios favorisierte, wußte Philipp durch förmlichen Ver­ zicht auf Amphipolis auf seine Seite zu bringen: es kam zu einem offiziellen Friedensschluß, bei dem sich Athen in einer Klausel verpflichtete, Philipp für Amphipolis Pydna auszuliefem, das zu Athen in einem Bundesverhältnis stand. In einer großen Schlacht in Obermakedonien trieb Philipp die Illyrer zu Paaren (358). Ihre östlichen Grenzbezirke am Ochridasee mußten sie an Makedonien abtreten, das dadurch eine Sicherung der gefähr­ deten Westgrenze erreichte. Auch mit der Selbständigkeit der obermakedonischen Vasallenfürstentümer der Elimeia und Orestis war es nun zu Ende; ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einem makedonischen Einheitsstaat war damit zurückgelegt. Den Königstitel, den ihm die Heeresversammlung verlieh, hatte sich Philipp redlich verdient. Nach Alexander I. Philhellen und Archelaos ist er der große Organisator des makedonischen Heeres geworden. Durch dauernde Übung und auf vielen Feldzügen schmiedete er das makedonische Volksheer zu einem geschmei­ digen Machtinstrument um, dem die benachbarten Staaten nichts

Philipps erste Regierungsjahre (jS9~334)

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Vergleichbares gegenüberzustellen hatten. Den Kem bildete nun die Phalanx der Pezhetairen. Dem Ansturm der von baumlangen Sarissen starrenden Wand war kein Gegner weit und breit ge­ wachsen. Die Kavallerie der Hetairen, in der Regel an den Flü­ geln eingesetzt, wurde zu einer die Schlachten entscheidenden Angriffswaffe ausgebildet. Durch die neue Heeresordnung hat Philipp aus dem Feudalstaat den makedonischen Volksstaat ge­ schaffen und mit ihm ein vollständig neues Element in die Ge­ schichte des Abendlandes eingefügt. Dem Aufstieg der makedonischen Monarchie ging der Nieder­ gang Athens und seines Seebundes parallel. Die Reformvor­ schläge, die Isokrates in seinem „Areiopagitikos“ (357 v. Chr.) machte - sie empfahlen die Wiederherstellung der von den Vä­ tern ererbten Verfassung und die Restituierung des Areiopages, d. h. ein ausgesprochen oligarchisch-konservatives Programm, für das die Ordnung des Theramenes das Vorbild abgab -, verhallten ungehört. Durch die Initiative des karischen Dynasten Maussolos bildete sich in dem gleichen Jahre im Bereich des Seebundes eine eigene Konföderation, der Chios, Rhodos, Byzanz, später auch Kos beitraten. Diese Staaten sagten sich von Athen los, sie konn­ ten trotz verzweifelter athenischer Anstrengungen nicht wieder zum Gehorsam gebracht werden. Als sich Athen i. J. 355 zum Frieden bequemte, da war der einst so stolze 2. Seebund nur noch ein Schatten seiner einstigen Größe: die Mitgliederzahl war auf ein Drittel abgesunken, der Bund selbst aber war auf die Kykladen, Euböa, auf die Inseln im Norden der Ägäis und auf einige thrakische Küstenstädte beschränkt. Athens Schwäche war Philipps Chance. Er stürzte sich zuerst auf Amphipolis, wobei er den Athenern vorspiegelte, die Stadt für sie erobern zu wollen. Amphipolis wurde im Sturm genom­ men (357), als wichtiger Schlüsselpunkt am unteren Strymon war es von nun an ein integrierender Bestandteil der makedonischen Monarchie, solange diese überhaupt bestanden hat. Um in den Besitz von Amphipolis zu gelangen, sollte Athen Pydna den Makedonen ausliefern. Da Athen hierzu ganz außerstande war,

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Das Zeitalter Philipps II. (339-336)

bemächtigte sich Philipp kurzerhand auch dieser Stadt (Winter 357/6). Athens Kriegserklärung parierte der schlagfertige Herr­ scher durch ein Bündnis mit den Chalkidiern, der bedeutendsten Macht des Nordens neben Makedonien. Dabei überließ er dem Chalkidischen Städtebund außer dem Gebiet von Anthemus auch das Territorium des i. J. 356 v. Chr. von ihm eroberten und zer­ störten Poteidaia, dessen attische Kleruchen er kurzerhand in die Heimat zurücksandte. Der Hilferuf der thasischen Kolonie Krenides an den Nord­ hängen des goldreichen Pangaiongebirges gab Philipp die er­ wünschte Gelegenheit, seine Hand gen Osten auszustrecken. Kre­ nides erhielt durch ihn neue Kolonisten, es wurde unter dem Namen „Philippi“ neu gegründet. Zum ersten Male in der grie­ chischen Geschichte erscheint hier ein Menschenname als Bezeich­ nung einer Stadt: Philippi steht am Anfang einer Entwicklung, die zu den Alexanderstädten und zu den Diadochengründungen hinüberführt. Die reichen Erträge der Goldbergwerke des Pangaion - angeblich mehr als 1000 Talente jährlich - stellten Phi­ lipps Politik auf eine neue Grundlage. Bald begann das make­ donische Gold mit dem persischen zu konkurrieren, und es dauerte nicht mehr lange, bis der Philippeios den Dareikos bei den Griechen aus dem Felde schlug. Als sich die Fürsten Ketriporis vcn Thrakien, Lyppeios von Päonien und der Illyrer Grabos zu einer nordischen, gegen Philipp gerichteten Liga zusammenschlos­ sen, der übrigens auch Athen beitrat (356), erwies sich drastisch die politische und strategische Überlegenheit Makedoniens. Der Päonerkönig wurde Philipps Vasall, die Illyrer wurden durch Parmenion, Philipps bedeutendsten Helfer, geschlagen, im Osten erreichten die Makedonen den Nestos, der von nun an die Grenze gegen das freie Thrakien bildete. Als Philipp schließlich im Som­ mer 354 die Griechenstadt Methone unterworfen hatte, da stand Makedonien an der großen Wende seiner Politik: es hatte seine Fesseln gesprengt, das Meer war auf der ganzen Linie erreicht, die erste Phase der makedonischen Expansion war zu Ende.

Hellas und Makedonien in der Zeit des 3. Hl. Krieges (356-346) 285 3. Hellas und Makedonien in der Zeit des 3. Heiligen Krieges (356-346 v. Chr.)

Als Philipp Methone belagerte, stand Mittelgriechenland in hel­ len Flammen. Aus dem Gegensatz zwischen den Phokern einer­ seits, den Böotern und Thessalern anderseits war ein gefährlicher Kriegsbrand entstanden, der auf immer weitere Teile von Hellas Übergriff. Es ging hier um die Vorherrschaft in der pyläischdelphischen Amphiktyonie und damit um die Vorherrschaft in ganz Mittelgriechenland. Die Amphiktyonie, der zwölf griechi­ sche Stämme angehörten - jeder von ihnen hatte zwei Stimmen im Rat der Amphiktyonen -, stand unter dem bestimmenden Einfluß Thebens. Mit ihm rivalisierten die Phoker, die den Böotern vor Mantineia die Heeresfolge verweigert hatten. In Phokis hatte man es nicht vergessen, daß das delphische Heilig­ tum bis zum 2. Heiligen Kriege (448 v. Chr.) eine Domäne der Phoker gewesen war. Auf der Frühjahrspylaia 356 v. Chr. klag­ ten die Böoter eine Reihe von führenden Phokern wegen angeb­ lichen Religionsfrevels in Delphi an; ihre Verurteilung war die Folge. Die Phoker parierten den Schlag dadurch, daß sie Delphi, den Ort und den heiligen Bezirk, besetzten (Sommer 356), nach­ dem sie sich vorher in einem Bündnis mit Sparta eine Rücken­ deckung geschaffen hatten. Unter der Führung des Philomelos, der als bevollmächtigter Stratege an die Spitze des Staatswesens trat, wurden die Lokrer von Amphissa, die die Phoker hindern wollten, Delphi zu besetzen, geschlagen. Damit war Delphi voll­ ständig den Phokern ausgeliefert. Wie die Naopoioilisten zeigen, galt an der heiligen Stätte fortan nur der Wille der Phoker und ihrer Bundesgenossen. Als Philomelos mit Hilfe der reichen Tem­ pelschätze ein Söldnerheer von 10000 Mann aufstellte, da war das kleine Phokis die stärkste Militärmacht von ganz Griechen­ land geworden. Nachdem Philomelos im Kampfe gegen die Böoter bei Neon (Herbst 354) gefallen war, trat Onomarchos als Landeshauptmann an seine Stelle. Er prägte bereits Münzen mit seinem Namen und gab sich auch sonst ganz als Herr des phoki-

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Das Zeitalter Philipps II. (339-336)

sehen Staatswesens, das unter ihm den Gipfel der Macht erreichte ein seltsames Phänomen, das nur beweist, wie groß die Ohnmacht der ehemals führenden Staaten von Griechenland geworden war. Mit seinem Übergreifen auf Thessalien zog der Heilige Krieg weitere Kreise. Während die Tyrannen von Pherai Onomarchos begünstigten, richteten die Aleuaden einen Hilferuf an König Philipp. Doch blieb dem Herrscher des Nordens zunächst ein Er­ folg versagt. Onomarchos schlug die Makedonen zweimal aufs Haupt und behauptete seine Positionen in Thessalien (Sommer 353). Seine Erfolge waren um so bedeutungsvoller, als Böotien, der andere Widersacher, stark geschwächt war. Der böotische Bund hatte sich mit einer namhaften Streitmacht unter dem Be­ fehl des Pammenes in die Wirren der kleinasiatischen Satrapen­ aufstände gestürzt, und zwar bemerkenswerterweise als Verbün­ deter des aufständischen Artabazos. Infolge der Eigenmächtigkeit des Pammenes endete die Expedition für die Böoter mit einem vollständigen Mißerfolg. Die Entscheidung in Griechenland ist im Frühjahr 352, und zwar auf thessalischem Boden, gefallen. Auf dem Krokosfelde (wohl in der Ebene am Golf von Pagasai) trug Philipp den Sieg über Onomarchos davon. Der phokische Tyrann blieb auf dem Schlachtfeld, nicht weniger als 3000 Gefangene ließ der Makedonenkönig als Tempelräuber ins Meer stürzen - ein furchtbares Strafgericht, das seine Wirkung auf die Griechen nicht verfehlte. Auch nach dem Siege blieb Philipp erwählter Bundesfeldherr des thessalischen Heerbannes. In Pagasai wurden makedonische Schiffe stationiert, eine Reihe thessalischer Gemeinden erhielten Besat­ zungen von Makedonen, aus thessalischen Zöllen flössen Philipp größere Einkünfte zu. So war die unbedingte makedonische Vor­ herrschaft über das wichtige Thessalien aufgerichtet. Philipps Ver­ such, in Mittelgriechenland einzugreifen, schlug indessen fehl. Der König fand die Thermopylenstellung durch ein großes Aufgebot von Bundesgenossen der Phoker - unter ihnen waren nicht we­ niger als 5000 athenische Hopliten - verriegelt und kehrte kluger­ weise sofort wieder um (Sommer 352).

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Hellenistische Staatenwelt (323-201)

Bestrebungen fast aller Diadochenkönige: im Streben nach dem makedonischen Königtum. Nach dem Tode des energischen, ziel­ bewußten Kassandros (298) und nach der Beseitigung seiner Söhne haben sich nacheinander fast alle Diadochen durch die Heeresversammlung zum „König der Makedonen“ ausrufen lassen: De­ metrios, Pyrrhos, Lysimachos, Seleukos, Ptolemaios Keraunos ein untrügliches Zeichen nicht nur für die große materielle Be­ deutung des Landes, das die Wiege aller Diadochenstaaten ge­ wesen ist, sondern ebensosehr auch für den unbeschreiblichen Zau­ ber, den das makedonische Königtum auf die Mitkämpfer des größten makedonischen Königs ausstrahlte. Demetrios’ Herrschaft beruhte nach Ipsos (301 v. Chr.) im we­ sentlichen auf den Küstenstädten Ioniens, Kariens und Phönikiens. Auch Cypern, die ägäischen Inseln und einige Positionen in Hellas wie Megara und Korinth vermochte er zu behaupten, obwohl sich der Panhellenische Bund des Jahres 302 auf die Kunde von dem Ausgang der Schlacht bei Ipsos auflöste (was Demetrios natürlich nicht anerkannt hat). Die Athener weigerten sich sogar, Demetrios in ihre Mauern aufzunehmen. Athen rückte damit wieder in die Reihe der souveränen Staaten ein. Zur Verschärfung der allgemeinen Lage hat der Gegensatz zwi­ schen Seleukos und Ptolemaios Wesentliches beigetragen. Während des Entscheidungskampfes gegen Antigonos Monophthalmos hatte Ptolemaios das südliche Syrien (Koilesyrien) okkupiert und gab es auch nach Ipsos nicht wieder heraus. Um seine Position zu ver­ stärken, knüpfte der Lagide dynastische Verbindungen mit Lysi­ machos, später auch mit dem Hause des Kassandros an. Der thrakisch-kleinasiatische Flerrscher Lysimachos heiratete (in dritter Ehe) Arsinoe, die Tochter des Ptolemaios, nachdem er sich von seiner zweiten Gemahlin Amastris, einer Frau persischen Geblütes, der Flerrscherin im pontischcn Herakleia, getrennt hatte. Die dro­ hende Isolierung versuchte Seleukos seinerseits durch eine dynasti­ sche Heirat zu überbrücken, er heiratete Stratonike, die Tochter des „Seekönigs“ Demetrios. Die Hochzeit wurde mit großem Ge­ pränge in dem nordsyrischen Rhossos gefeiert (299/8). Das Opfer

Die Konsolidierung der hellenistischen Territorialrciche (301-281)

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der Verbindung des Demetrios und Seleukos war Pleistarchos; er verlor seine südklcinasiatischen Besitzungen an Demetrios, ohne daß Kassandros, der Bruder des Pleistarchos, eine Hand gerührt hätte (299 oder 298). Der makedonische König Kassandros, dessen Politik sich überhaupt durch weise Beschränkung auszeichnct, starb bereits im Sommer 298; das war ein ungemein schwerer Verlust für das unglückliche Land, das nun zwei Jahrzehnte lang nicht mehr zur Ruhe kommen sollte. Bei aller Härte, die in Kassandros’ Charakter nicht zu leugnen ist, wird man seiner Energie und Ziel­ strebigkeit in der Erreichung der Herrschaft über Makedonien die Anerkennung nicht versagen. Allein die Blüte des von ihm gegiündeten Thcssalonikc, des heutigen Saloniki, durch zwei Jahr­ tausende erweist den Vorwurf eines rein negativen Wirkens, den Droysen gegen Kassandros erhob, als unberechtigt. Bei seinem Tode aber lag die Zukunft des Landes völlig im Ungewissen. Der älteste Sohn (Philipp) starb nach einer Regierung von wenigen Monaten, es folgte eine Regentschaft der Königinwitwe Thcssalonike für die jüngeren Söhne Antipatros und Alexander, von denen der letztere eine Tochter des Ptolemaios, Lysandra, heiratete. Das in Rhossos geschlossene Bündnis zwischen Demetrios und Seleukos ist bald zerbrochen. Durch die Besitzungen des Demetrios an der phönikischen Küste war das Reich des Seleukos stark ein­ geengt und der wichtigsten Zugänge zum Meere beraubt. Es scheint in Syrien zu Kämpfen gekommen zu sein, deren Verlauf im ein­ zelnen nicht feststellbar ist. Der Tod des Kassandros gab dem Streben des Demetrios eine neue Richtung: er nahm den Kampf um Griechenland wieder auf (296). Nachdem ein erster Anstuim auf Athen mißglückt war, wurde die Stadt i. J. 295 zu Was­ ser und zu Lande eingeschlosscn. Die Athener hielten diesmal bis zum äußersten stand. Der athenische .Tyrann“ Lacharcs ließ die Tempelschätze cinschmelzen, selbst das goldene Gewand der Pal­ las Athene, das den Peloponnesischen Krieg überstanden hatte, wurde nicht verschont. Als ein Entsatzversuch des Ptolemaios zur See fchlgeschlagen war, mußte Athen kapitulieren; Lacharcs ent­ wich nach Böotien (Frühjahr 294). Der Museionhügel, die Muni-

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Hellenistische Staatenwelt (323-201)

chia und der Piräus erhielten Besatzungen des Demetrios, die Stadt war ein Teil seines Reiches geworden. Inzwischen hatte Demetrios in Asien schwere territoriale Ver­ luste erlitten. Seleukos hatte Kilikien, Lysimachos eine Anzahl kleinasiatischer Griechenstädtc, Ptolemaios das wichtige Cypern besetzt; die wichtigsten Flottenbascn waren damit verlorcngcgangen. Da bot der Streit um das Erbe des Kassandros dem Deme­ trios die erwünschte Gelegenheit, in die makedonischen Thron­ wirren einzugreifen. Antipatros und Alexander, die Söhne des Kassandros, hatten das Land unter sich geteilt - eine Tatsache, die den Durchbruch des territorialen Gedankens auch in Makedo­ nien sinnfällig illustriert -, Alexander rief die Intervention des epirotischen Königs Pyrrhos und des Demetrios an. Demetrios war der skrupellosere; er bahnte sich durch blutigen Mord den Weg auf den Thron. Er ließ Alexander umbringen, worauf die make­ donische Heeresversammlung Demetrios zum König der Make­ donen proklamierte (294). Als Herr Makedoniens und Thessaliens, großer Teile von Mittel­ griechenland und der Peloponnesos sowie als Protektor des Nesiorenbundes war Demetrios damals neben dem sizilischen Flerrschcr Agathoklcs der mächtigste Mann Europas. Seine Hilfsquellen ui’d die Zahl seiner Streitkräfte überstiegen jene Philipps II. und Alexanders (vor seinem Aufbruch nach Asien) ganz beträchtlich. Im Zentrum seines Machtgcbictes, in Thessalien, auf dem Terri­ torium der Stadt Pagasai, schuf sich Demetrios in der durch Synoikismos begründeten Stadt Demetrias (südl. von Volo) eine neue große Hauptstadt. Die 7 km langen, 4 m hohen und mit 87 Tür­ men bewehrten Mauern der neuen Residenz waren ein Glanz­ stück der hellenistischen Befestigungskunst. Wenn Demetrios seine großen Vorteile nicht auszunutzen verstand, so ist dies im we­ sentlichen Schuld seines mangelnden politischen Anpassungsver­ mögens. Unangebrachte Selbstüberschätzung, geringe Zähigkeit im Festhalten an einmal gefaßten Plänen waren die Schattenseiten im Charakter des genialen Diadochen, der zwar ein großer Feld­ herr, aber kein Politiker gewesen ist. Für Makedonien war seine

Die Konsolidierung der hellenistischen Territorialreiche (joi-281)

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Herrschaft ein Unglück, und mit Recht hat W. W. Tarn gesagt, daß dieses Land niemals einen schlechteren König als Demetrios besessen hat. Mit der Unterwerfung Böotiens (292) erreichte Demetrios’Macht ihren Höhepunkt. In der Einsetzung des Historikers Hieronymos von Kardia zum Gouverneur (Harmosten) der Landschaft offen­ bart sich die Absicht des Königs, die eroberten Gebiete nach Art der Territorien in Asien auf die Stufe von „Provinzen“ herabzudrükken. Auf die Kunde von der Niederlage des Königs Lysimachos ge­ gen die Geten unter Dromichaites wandte sich Demetrios gegen Thrakien, wurde aber durch eine Erhebung in Griechenland wieder zurückgcruten. Unterstützt durch die aufstrebende Macht der Ätoler und durch die Epeiroten unter Pyrrhos hatten sich die Böoter erhoben. Demetrios gelang cs, Theben nach einer langwierigen Be­ lagerung zu nehmen (291); die Stadt wurde jedoch sehr milde be­ handelt - ganz anders als seinerzeit nach dem Aufstand gegen Alexander. Mit der Besetzung der Insel Korkyra im Ionischen Meere (291 oder 290 v. Chr.) rückte der Westen in den Blickkreis des Deme­ trios. Agathokles’ Tochter Lanassa, die Gemahlin des Epeiroten Pyrrhos, war es, die den makedonischen König zu der Expedition bestimmt hatte. Sie hatte sich von Pyrrhos getrennt und scheint mit Demetrios eine neue Ehe geschlossen zu haben. Durch ein Bündnis mit dem sizilischen König Agathokles schienen sich dem Demetrios großartige Perspektiven im Westen zu eröffnen. Er entsandte einen Vertrauten mitsamt dem Sohn des Agathokles nach Sizilien, um sich über die dortigen Verhältnisse zu unter­ richten. Die Rüstungen der nächsten Jahre galten aber nicht dem We­ sten, sondern dem Osten. Immer noch stand dem Demetrios der Traum von der Wiedervereinigung des Alexanderreiches vor seiner Seele. Mitten in den Vorbereitungen wurde er durch den Angriff seiner Gegner überrascht: von Osten und Westen her fiel zuerst Lysimachos, dann auch Pyrrhos in Makedonien ein. Der Abfall von dem unbeliebten Demetrios griff rasch im Lande um

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Hellenistische Staatcnwelt ($2j-20i)

sich, die Herrschaft des Demetrios brach zusammen, Pyrrhos und Lysimachos teilten sich das Land (Sommer 287). In den griechi­ schen Gewässern erschien eine Flotte des Ptolemaios, um Athen zum Abfall von Demetrios zu bewegen. Unter Führung des Athe­ ners Olympiodoros gelang die Befreiung der Stadt, nur der Pi­ räus wurde noch von einer makedonischen Besatzung gehalten (Sommer 287). Einst, nach der Rückkehr des Demetrios von Kor­ kyra, hatten die Athener den König in der überschwenglichsten Weise als den in Erscheinung getretenen Dionysos, Lanassa als Demeter gefeiert. Freilich hatte man damals die Hilfe des Königs gegen die Ätolcr bitter nötig gehabt. Jetzt war alles vergessen. Auch die phönikischen Hafenstädte Tyros und Sidon gingen dem Demetrios verloren, und der Nesiotenbund, bisher unter dem Protektorat des makedonischen Königs, ging zu Ptolemaios über. Trotz allem gab Demetrios die Hoffnung auf einen durchschla­ genden Erfolg in Asien nicht auf. Die Herrschaft des Lysimachos war hier wenig beliebt, und die Herrscher Bithynicns und des pontischen Kappadokiens waren mit Lysimachos keineswegs befreun­ det. Demetrios’ Erfolge in Kleinasien waren dennoch nur von kur­ zer Dauer. Als Milet und Sardes in seine Hand gefallen waren, ergriff Agathokles, der Sohn des Lysimachos, in Kleinasien das Kommando und drängte den Antigoniden nach dem Osten ab. Von seinen Anhängern verlassen, geriet Demetrios in die Gefan­ genschaft des Seleukos (286 v. Chr.). In der Nähe von Apameia am Orontes ist Demetrios i. J. 283 in königlicher Haft gestor­ ben. Mit ihm ist der Mann aus der Geschichte der Diadochenzeit geschieden, der ihr bewegendes Element gewesen war. Wenn er nach dem Untergang des Reiches des Antigonos Monophthalmos (301) noch volle 15 Jahre lang die Welt in Atem gehalten hat, so ist dies der unvergleichlichen Elastizität seines stets wachen Gei­ stes zuzuschreiben, der auch vor den größten Schwierigkeiten, die er sich zumeist selbst schuf, niemals kapituliert hat. Demetrios den „ritterlichsten, den kühnsten und genialsten der Diadochen“ (H. Berve) zu nennen, ist jedoch ein Urteil, das den Schwächen seines Charakters keineswegs gerecht wird.

Die Konsolidierung der hellenistischen Territorialreiche (joi-281)

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Die inneren Spannungen in der Familie des hellespontischen Königs Lysimachos waren es, die die Welt auch jetzt noch nicht zur Ruhe kommen ließen. Lysimachos hatte seinen Rivalen Pyrlhos aus dem westlichen Makedonien hcrausgedrängt (286?); auch Päonien unterwarf er und schob seine Einflußsphäre über Thessa­ lien bis tief hinein nach Hellas vor. Als Administrator eines gro­ ßen Reiches hat Lysimachos Vorbildliches geleistet, vor allem auf dem Gebiete der Finanzverwaltung. Seine Münzen waren be­ rühmt und sind noch lange nach seinem Tode in griechischen Städten als Handcismünzen, vor allem für den Verkehr mit den Balkanvölkern, geprägt worden. Den Griechenstädten seines Rei­ ches war Lysimachos ein gestrenger Herr. Bei den kleinasiatischen Bünden finden sich von ihm ernannte Gouverneure (Strategen), und die reichen Handelsstädte wie Milet seufzten unter den La­ sten, die er ihnen aufcrlegte. Arsinoe, Tochter des Ptolemaios, die dritte Gemahlin des Lysimachos, wußte ihn gegen seinen aus er­ ster Ehe mit Nikaia stammenden Sohn Agathokles einzunehmen, der sich eben als hervorragender Stratege gegen Demetrios be­ währt hatte. Lysimachos ließ ihn hinrichten (283). Agathokles’ Anhänger traten nunmehr mit Selcukos in Verbindung. Der Ab­ fall von Lysimachos griff in Kleinasien um sich, der Eunuch Philetairos, von Lysimachos zum Schatzwächter in Pergamon bestellt, trat auf Seleukos’ Seite, Sardes öffnete diesem die Tore. Auf dem Kurosfclde (nördlich von Magnesia am Berge Sipylos), dort, wo neunzig Jahre später Antiochos III. von den Scipionen vernich­ tend geschlagen wurde, fiel die Entscheidung. Seleukos blieb Sie­ ger, Lysimachos fiel auf dem Schlachtfeld (Fcbr. 281). Seleukos konnte am Hellespont nicht stehcnblciben, die europäischen Ge­ biete des Lysimachos brauchten einen neuen Herrn. Obendrein betrachtete sich Seleukos als legitimer „König der Makedonen“, vielleicht auf Grund einer Proklamation seines Heeres nach dem Sieg bei Kurupedion. Da wurde Seleukos, als er den Fuß auf europäischen Boden setzte, durch den Dolch des Ptolemaios Keraunos hinweggerafft (August/September 281). Ptolemaios Keraunos (der „Wetterstrahl“), ältester Sohn des 1. Ptolemäers und

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der Eurydike, war durch die Intrigen Berenikes, der Stiefmutter, zugunsten des Ptolemaios (des späteren Philadelphos) um sein Erbrecht in Ägypten gebracht worden. Vom Hofe des Lysimachos war er zu Seleukos gekommen. Mag sein, daß dieser dem Keraunos Versprechungen in bezug auf seine Restituierung gegeben, sie aber nicht gehalten hat. Das Heer rief Ptolemaios Keraunos zum König der Makedonen aus. Damit hatte das europäische Gebiet des Lysimachos einen neuen Souverän, Kleinasien hatte Seleukos als Kriegsbeute annektiert; doch war die Seleukidenherrschafl hier noch keineswegs fest gegründet. Zeitgenosse des Lysimachos war der thrakische König Seuthes III. Seine Residenzstadt, Seuthopolis, ist durch die Ausgrabungen bulgarischer Archäologen unweit der Stadt Kasanlik, in dem Ro­ sental, zwischen dem Balkan und dem Sredna-Gora-Gebirge, wie­ dergefunden worden. Die Stadt Seuthopolis war von einer Fe­ stungsmauer mit Türmen und Toren umgeben, sie besaß einen ge­ räumigen Marktplatz und eine Anzahl von Heiligtümern, von denen der Tempel der Mcgaloi Theoi (der Kabiren) und der des Dionysos inschriftlich bezeugt wird. Seuthes III., ein entschlosse­ ner Gegner des Lysimachos, hat sich in Thrakien zu behaupten vermocht, obwohl er i. J. 313 eine Niederlage von dem Diadochen hatte hinnehmen müssen. Als Zeichen seiner Königsherrschaft hat Seuthes III. gegen Ende des 4. Jahrhunderts die Königsstadt ge­ gründet, womit er sich den Diadochen an die Seite stellte. Dieser Herrscher ist es gewesen, der sein Land nach hellenistischem Vor­ bild organisiert hat; wahrscheinlich war es Seuthes UL, der sein Land in eine Anzahl von Verwaltungsbezirken, Strategien, ein­ geteilt hat. Dem Lysimachos und Seleukos war Ptolemaios (f 283) im Tode vorangegangen. Schon i. J. 285 hatte er Ptolemaios, den Sohn der Berenike, zum Mitregenten bestellt. So ging in Ägypten der Thronwechsel glatt vonstatten. Das hellenistische System aber, das seit der Schlacht bei Ipsos noch einmal zwei Dezennien der Kämpfe und Wirren erlebt hatte, hatte seine Belastungsprobe be­ standen. Die Universalreichsidee, von der zuletzt noch Seleukos

Die Westgriecben im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos

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geträumt hatte, gehörte der Vergangenheit an. Aus labilen Staats­ gebilden mit ständig wechselnden Grenzen waren stabile Reiche geworden: Ägypten mit Nebenländern unter den Ptolemäern, Asien unter den Sclcukidcn, nur in Makedonien ließ die Konsoli­ dierung infolge des Kcltcncinfalls noch wenige Jahre auf sich warten. Mit Ptolemaios II. und Antiochos I. hatte eine neue Ge­ neration die Geschicke der hellenistischen Welt in die Hand ge­ nommen. Sie kannte den großen Alexander, dessen Vorbild die Diadochen immer von neuem zum Kampf um das Universalreich angespornt hatte, nur noch aus den Erzählungen der Väter: sein Bild mußte jetzt allmählich verblassen; nicht der Kampf um das Alexanderreich, sondern die Erhaltung der errungenen Tcilreiche mußte jetzt die Devise sein. Über den schier endlosen Kriegen waren zudem die Aufgaben des Friedens viel zu kurz gekommen: das Problem der Bevölkerung, die Wirtschaft, die Ausbildung einer festgefügten Verwaltung, die Schaffung eines monarchischen Staatsrechtes und eines offiziellen Herrscherkults - dies alles und vieles andere erforderte die ganze Kraft der neuen Herrscher. Pro­ bleme, die die Väter zurückstcllen mußten, haben die Söhne auf ihre Weise zu lösen versucht.

j. Die Westgriechen im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos Die historische Entwicklung im Osten und Westen des Mittel­ meerraumes hat in den Jahrzehnten nach Alexanders Tode einen ganz entgegengesetzten Verlauf genommen. Im Osten ist Alexan­ ders Weltreich in Teilstaaten zerfallen, ein Vorgang, der mit der Schlacht bei Kurupcdion (281) als abgeschlossen zu betrachten ist. Im Westen hat sich Roms Aufstieg zur Herrin von Mittelitalicn in jahrzehntelangem schweren Ringen mit Samniten, Etruskern und Kelten vollzogen. Zu derselben Zeit standen die Griechen Si­ ziliens im Kampf mit den Karthagern, die Hellenen Unteritaliens

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mit den italischen Stämmen. Seit dem Ausgang des 5. Jahrhun­ derts v. Chr. sahen sich die Griechen an den äußersten Rand Süd­ italiens zurückgedrängt. Nur ganz schmale Streifen von geringer Tiefe vermochten sie noch zu behaupten: im südlichen Bruttium Gebiete zwischen Rhegion und Kaulonia und am Golf von Ta­ rent; Thurioi, Kroton, Elea, Neapolis waren zu hellenischen En­ klaven im Italikerlande geworden. Die zunehmende Bedrängnis der Griechen manifestierte sich in wiederholten Hilferufen an das Mutterland. Das Erscheinen des Spartanerkönigs Archidamos III. (gefallen 338 v. Chr. bei Mandonion gegen die Messapier und Lukaner), des epeirotischen Königs Alexanders des Molosscrs (er­ mordet 331/0 v. Chr. bei Pandosia), des spartanischen Königs­ sohnes Kleonymos (seit 303/2) und endlich des Epciroten Pyrrhos ist ein Zeichen der großen Notlage des unteritalischen Griechen­ tums am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. Den sizilischen Grie­ chen ist jedoch in der überragenden Persönlichkeit des Agathokles noch einmal, wie einst in Dionysios I. und Timoleon, ein Retter im Kampf gegen die Karthager erstanden. Auf Sizilien hatte der Friede von 339 den alten Zustand wie­ derhergestellt. Der Halykosfluß bildete wiederum die Ostgrenze des karthagischen Gebiets, das etwa ein Drittel der Insel umfaßte. Mit dem Tode Timolcons begannen die Machtkämpfe der Oligar­ chen und der demokratischen Richtung in Syrakus, wobei sich die nach Gela vertriebenen Oligarchen den Karthagern in die Arme warfen. In die Zeit der allgemeinen Unruhe am Ende der 30er Jahre fallen die Anfänge des Agathokles. Er war der Sohn eines Verbannten aus Rhegion und hatte nach der Schlacht am Krimisos durch Timoleon das syrakusanische Bürgerrecht erhalten. Aga­ thokles war der typische Kondotticrc. Im Inneren Siziliens, in Morgantine, schuf er sich eine eigene Machtstellung, die er gegen Syrakus und gegen die Karthager zu behaupten wußte. Seine mi­ litärischen Qualitäten machten ihn den Syrakusanern bald unent­ behrlich. Durch karthagische Vermittlung mit ihnen ausgesöhnt, erhielt er zunächst den Befehl über die syrakusanischen Kastelle in Sizilien, dann, i. J. 317/6, wurde ihm die bevollmächtigte

Die Westgriccben im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos 36$ Strategie, die erste Stelle im Staatswesen, übertragen. Auf dieser Grundlage errichtete Agathoklcs eine typische Militärdiktatur nach dem Vorbild, das einst Gelon und Dionysios I. gegeben hat­ ten. In wenigen Jahren hatte er Syrakus die Hegemonie in Ost­ sizilien errungen; i. J. 314/3 wurde der Krieg gegen Messana, Akragas und Gela mit einem für Agathoklcs günstigen Friedens­ schluß beendet, i. J. 312/1 mußte sich endlich auch Messana dem Agathoklcs beugen. Die Kämpfe mit den sizilischen Gricchcnstädten waren das Vor­ spiel zur großen Auseinandersetzung mit Karthago. Sie wurde i. J. 311 von Agathoklcs eröffnet. Der Tyrann wußte wohl, daß eine Einigung der sizilischen Griechen unter syrakusanischer He­ gemonie nur dann Bestand haben würde, wenn cs gelang, die Kar­ thager vollständig von der Insel zu vertreiben. Die einleitenden Operationen verliefen für die Griechen wenig günstig. Bei Akra­ gas geschlagen, wurde Agathoklcs auf Syrakus zurückgeworfen. Hier faßte er den kühnsten Entschluß seines Lebens. Mitten durch die karthagische Blockadcflotte führte er sein Heer nach Afrika, ließ seine Schiffe bei Kap Bone in Flammen aufgehen und rückte gegen Karthago vor, vermochte aber die Stadt selbst trotz eines Sieges über die karthagische Miliz nicht zu nehmen. Mit dem Machthaber Ophelias von Kyrene, der sich von Ptolemaios I. un­ abhängig gemacht hatte, schloß er ein Bündnis, auf Grund dessen der sizilische Tyrann dem Kontrahenten Afrika überließ. Es kam jedoch bald zu Mißhelligkeiten, Ophelias wurde getötet, sein Heer trat in den Dienst des Agathoklcs (309). Der großangelegte Ko­ lonisationszug des kyrcnäischen Machthabers, an dem Tausende von Griechen aus dem Mutterlande mitsamt ihren Familien teil­ genommen hatten, war damit gescheitert. Wäre er gelungen, so hätte er dem Griechentum im nordwestlichen Afrika eine neue Provinz erschlossen. Agathoklcs selbst riefen die Ereignisse in Si­ zilien i. J. 307 endgültig aus Afrika zurück. Der afrikanische Feldzug endete in demselben Jahre in einem Zusammenbruch. Im Frieden von 306 v. Chr. wurde wiederum der Halykosfluß als Grenze des karthagischen und syrakusanischen Sizilien bestimmt;

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das war ein Erfolg des Tyrannen, der nunmehr als erster der si­ zilischen Herrscher den Königstitel annahm. Er folgte damit dem Vorbild, das die Diadochen im Osten gegeben hatten. Enge Be­ ziehungen verbanden ihn mit dem 1. Ptolemäer, dessen Tochter Theoxene er heimführte. Mit dem Frieden von 306 v. Chr. beginnt ein neuer Abschnitt in der Politik des Agathoklcs, der sich nunmehr in den Kampf der unteritalischcn Griechen gegen die italischen Völkerschaften einschaltete. Der Anstoß war ein Hilfegesuch Tarents, das sich durch die Lukaner bedroht sah, nachdem die Expedition des spar­ tanischen Königssohnes Kleonymos (seit 303/2 v. Chr.) praktisch ergebnislos geblieben war. Nach dem Sieg über die Lukaner griff Agathokles auf die wichtige Insel Korkyra im Ionischen Meere über, er entriß sie dem makedonischen Könige Kassandros (299/8). Als Mitgift der Lanassa, der Tochter des sizilischen Herrschers, gelangte Korkyra 295 in die Gewalt des Pyrrhos, später des De­ metrios Poliorketes (s. S. 359). Mit der Besetzung Krotons gewann Agathokles eine wichtige Operationsbasis in Unteritalien. Während er mit den Peuketiern ein Bündnis schloß, lag er in jahrelangen Kämpfen mit den Brettiern, bei denen er i. J. 295 Hipponion besetzte, in demselben Jahr, in dem die Römer bei Sentinum Samniten, Kelten und Etrus­ ker zu Paaren trieben. Zu einem Zusammenstoß zwischen Aga­ thokles und den Römern ist es nicht gekommen, doch mögen Be­ ziehungen zwischen ihnen bestanden haben. Agathokles’ Endziel ist wohl die Zusammenfassung des sizilisch-unteiitalischen Helle­ nentums unter seiner Hegemonie gewesen, um mit den Kräften dieser Föderation den Kampf gegen Karthago zu erneuern. Die­ sem Ziel galten der Bau einer großen Flotte und das Bündnis mit dem Seckönig Demetrios Poliorketes. Die Ausführung wurde durch Agathokles’ Tod (289) vereitelt. Noch vor seinem Ableben war der Streit um die Nachfolge in seinem Hause ausgebrochen. Sein jüngerer Sohn Agathokles wurde durch den Enkel Archagathos etmerdet; der todkranke Herrscher gab daraufhin Syrakus die Freiheit zurück.

Die Westgriechen im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos 367

Agathokles ist unbestritten die letzte wahrhaft große Gestalt des Westgriechentums. Seiner Tatkraft war es zu verdanken, wenn die Westhellenen noch einmal ein bestimmender Machtfaktor in der Geschichte des Mittelmeerraumes geworden sind - es war die Abendröte vor dem endgültigen Untergang. In dem Urteil über seine politischen und militärischen Leistungen wird man sich durch die mißgünstige Einstellung des Timaios, seines erklärten Gegners, nicht beeinflussen lassen; eher wird man den Ausspruch des Älte­ ren Scipio beachten, der ihn dem Dionysios I. zur Seite stellt (Polyb. XV 35, 6). Daß er sich den Weg zur Macht mit brutaler Grausamkeit gebahnt hat, ist wahr, doch hat er im Besitze der Herrschaft Maß gehalten und sich seinen Gegnern gegenüber ver­ söhnlich gezeigt. Sein Leben und sein Werk sind von tiefer Tragik überschattet: er kam zu spät, die Uhr des Griechentums im Westen war abgelaufen, daran hat auch die Expedition des Epeiroten Pyrrhos (280-275) nichts mehr zu ändern vermocht. Mit dem Pyrrhoskriege, der ersten kriegerischen Auseinander­ setzung großen Stils zwischen dem Westen und der Welt des helle­ nistischen Ostens, wird die Trennung der Mittelmeerwelt in eine westliche und eine östliche Hälfte überwunden und die Grund­ lage zu einer einheitlichen Mittelmeerkultur hellenistischen Cha­ rakters geschaffen. Für Rom ist derPyrrhoskrieg der entscheidende Markstein auf dem Wege zur Herrschaft über Italien geworden. Zum ersten Male in ihrer Geschichte treten die Römer aus den Grenzen Mittelitaliens heraus, um ihre Hand auf das griechisch besiedelte Unteritalien zu legen und dadurch zu Schutzherren des dortigen Hellenentums zu werden - eine ungemein fruchtbare Be­ rührung, die Rom den Anschluß an die griechisch-hellenistische Kultur vermittelt hat. Auch für den hellenistischen Osten ist das Eingreifen des Pyrrhos in Unteritalien und Sizilien weit mehr als eine Episode. Als Pyrrhos nach fünfjährigem Kampfe Unter­ italien verließ, da war der Plan der Errichtung eines großen Westreichs an dem zähen Widerstand der Römer in nichts zer­ stoben. Der Westen hatte seine Autonomie behauptet und geht von nun an politisch seine eigenen Wege - bis Rom am Ende

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des 3. Jahrhunderts nach Niederringung Karthagos eine eigene Ostpolitik inauguriert und die hellenistischen Staaten zu Boden zwingt. Entzündet hat sich der Konflikt zwischen Osten und Westen, zwischen Rom und Pyrrhos, an dem Tarentimschen Kriege. Rom hatte der Stadt Thurioi, die von den Lukanern belagert wurde, den Konsul des Jahres 282, C. Fabricius, zur Hilfe gesandt. Die Expedition endete mit einem vollen Erfolge; die Lukaner wurden geschlagen, Thurioi durch eine römische Besatzung gesichert. Rom trat damit in die Lücke, die das Ausscheiden des Agathokles in Unteritalien gelassen hatte. Das Eingreifen der Römer führte zu einer Spannung mit der wichtigen Griechenstadt Tarent: ein rö­ misches Geschwader wurde von den Tarentinern angegriffen, die römische Besatzung in Thurioi zum Verlassen der Stadt gezwun­ gen. Während die Römer durch Gesandte Genugtuung forderten, trat Tarent mit dem König Pyrrhos in Verbindung, um ihn zu einer Expedition in den Westen zu bestimmen. Die Lage in Grie­ chenland und in Makedonien kam dem Wunsche der Tarentiner entgegen. In Makedonien hatte i. J. 281 Ptolemaios Keraunos den Thron bestiegen, der jedoch in Antiochos I., dem Sohne des Seleukos I., und in Antigonos Gonatas, dem Sohne des De­ metrios Poliorketes, Konkurrenten besaß. Die Aussichten des Pyrrhos, sich gegen diese Phalanx von Bewerbern durchzusetzen, waren gering; außerdem hatte er in seinem Stammland Epeiros, in dem die Macht des Königs durch die Bundesversammlung star­ ken Einschränkungen unterworfen war, nicht genügend Freiheit. Für 5000 Mann zu Fuß, 4000 Reiter und 50 Elefanten, die ihm Ptolemaios Keraunos für eine Zeit von zwei Jahren überließ, ver­ zichtete Pyrrhos auf den makedonischen Thron. Was hat Pyrrhos im Westen gewollt? Vor allem muß er sich Hoffnungen auf Si­ zilien gemacht haben, in dem die Verhältnisse seit dem Tode des Agathokles, seines ehemaligen Schwiegervaters, verworrener wa­ ren denn je. Alexander, Pyrrhos’ Sohn von der Lanassa, war einer der Erben des Agathokles. An einen dauernden Aufenthalt im Westen hat Pyrrhos jedoch nicht gedacht, im Gegenteil: wenn

Die Westgriechen im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos 369 man einer späten Überlieferung (Zonaras) Glauben schenken darf, so hätte sich Pyrrhos von den Tarentinern das Versprechen geben lassen, ihn nicht länger in Italien festzuhalten, als dies unbedingt notwendig sein würde. Pyrrhos’ großer persönlicher Einfluß auf seine Soldaten sowie seine reichen Kenntnisse in der Kriegs- und Belagerungskunst lassen ihn als einen der bedeutendsten Feldherrn der hellenistischen Zeit erscheinen; hat doch Hannibal in ihm so­ gar den größten Feldherrn nach Alexander gesehen. Die griechi­ sche Geschichtsschreibung hat sich den dankbaren Stoff nicht ent­ gehen lassen; der Pyrrhische Krieg ist mit weitem Abstand das erste Ereignis der italischen Geschichte, dem sich das Interesse der griechisch-hellenistischen Historiographie zugewandt hat, und hatte man bis dahin von Rom nur ganz vage Vorstellungen, so ist es jetzt in den Vordergrund des griechischen Interesses ge­ treten. Im Frühjahr 280 überquerte Pyrrhos mit seiner Armee die Adria; es waren 20000 Söldner, 3000 thessalische Reiter, 2000 Bogenschützen und 20 Kriegselefanten. In Tarent hatte er durch eine Vorhut die Burg besetzen lassen. Das unteritalische Hel­ lenentum war uneinig. Rhegion und Lokroi erbaten sogar eine römische Besatzung. In der ersten Schlacht bei Herakleia am Siris (Juli 280) behielt Pyrrhos, der den entscheidenden Stoß mit den Elefanten führte, unter schweren Verlusten die Oberhand über die Römer unter dem Konsul P. Valerius Laevinus. Kroton und Lokroi traten nunmehr zu Pyrrhos über, in Rhegion dagegen ris­ sen kampanische Söldner, die sog. Mamertiner, die Macht an sich wie wenige Jahre zuvor in dem sizilischen Messana. So wurde die Meerenge zwischen Italien und Sizilien durch zwei kampanische Söldnerrepubliken kontrolliert. Von großer Bedeutung für Pyrrhos war jedoch der Anschluß der Lukaner, Brettier und Samniten; ihre Hilfstruppen bedeuteten eine wesentliche Verstärkung seiner Streitmacht. Der erwartete Abfall der mittelitalischen Bündner von Rom blieb jedoch aus, obwohl Pyrrhos bis Anagnia (60 km vor Rom) vorstieß. Verhandlungen zwischen Rom und Kincas, dem Beauftragten des Königs, scheiterten an der Forderung des 24

Bengtson, SA

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Pyrrhos, der von den Römern die Anerkennung der Autonomie der Samniten, Brettier und Lukaner verlangte. Der ehemalige Censor Ap. Claudius war es, der seine Landsleute zur Ablehnung der Forderungen bestimmte, die, hätte man sie angenommen, Rom um die Früchte einer fast hundertjährigen zielbewußten Italien­ politik gebracht hätten. In der verlustreichen Schlacht bei Ausculnm (279) blieb wiederum Pyrrhos Sieger, doch vermochte er die Ausfälle in seinem Heer nur noch mit Mühe zu ersetzen. So boten neue Verhandlungen zwischen den Gegnern gute Aussichten auf Einigung, hätte nicht die Verbindung der Karthager mit Rom eine entscheidende Verschiebung des Schwergewichts zugunsten der Römer herbeigeführt. Es kam zum Abschluß eines römisch­ karthagischen Bündnisvertrages; es ist der dritte in der Reihe der römisch-karthagischen Verträge. Rom erhielt nicht allein die Hilfe der karthagischen Flotte zugesichert, sondern auch wirtschaftliche Zuwendungen, u. a. Silber, das man zur Entlohnung der süditali­ schen Bündner benötigte. In dieser Lage erreichte Pyrrhos der Hilferuf der Syrakusaner. Hier hatten schwere innere Kämpfe zwischen dem Tyrannen Thoinon und dem Herrscher von Akragas, Sosistratos, getobt, eine kar­ thagische Flotte blockierte den Hafen. In Tauromenion betrat Pyrrhos (Herbst 278) sizilischen Boden. Die Hellenen der Insel sahen in ihm den Retter aus innerer Zwietracht und den Vor­ kämpfer gegen Karthago. Ein Kongreß der Hellenen in Syrakus wählte ihn zum „Hegemon und Basilcus“; als „König von Sizi­ lien“ war er Nachfolger des Agathokles; Pyrrhos’ Sohn von der Lanassa, Alexander, wurde als Thronfolger in Aussicht genom­ men. Die ersten großen Erfolge des Pyrrhos schienen die kühnsten Er­ wartungen zu rechtfertigen. In raschem Siegeszuge durchzog der Epeirote die Insel, selbst die Festen Eryx und Heirkte (Monte Castellaccio bei Palermo) hielten ihm nicht stand, nur in Lilybaion vermochten sich die Karthager mit Mühe zu behaupten. Sofern ihnen nur der Besitz dieses letzten Stützpunktes garantiert wurde, waren sie sogar zum Friedensschluß bereit. Auf Drängen der Grie-

Die Westgriechen im Zeitalter des Agathokles und des Pyrrhos 371 eben hat Pyrrhos dieses Angebot, das ihn praktisch zum Herrn von fast ganz Sizilien gemacht hätte, abgelehnt. In der Folgezeit trat in den Beziehungen zwischen ihm und den Hellenen eine staike Abkühlung ein; hellenische Freiheit und strenge militäri­ sche Disziplin, wie sie Pyrrhos von den Griechen verlangte, er­ wiesen sich als unvereinbar. In Sizilien griff der Abfall unter den Griechen von Pyrrhos um sich, zugleich erforderte die Bedrängnis der unteritalischen Griechen seine Anwesenheit jenseits der Meer­ engen. Als er nach z'/sjährigem Aufenthalt die Insel verließ (Früh­ jahr 275), da hatte auch für die Griechen Siziliens die Schidcsalsstunde geschlagen: die Griechen hatten bewiesen, daß auch ein gro­ ßer nationaler Gedanke ihre inneren Streitigkeiten nicht zu über­ winden vermochte. Die jahrelangen Parteikämpfe in Sizilien nach dem Tode des Agathokles (289) waren an den Griechen nicht spur­ los vorübergegangen. In Unteritalien hatten die Römer inzwischen ihre Hand auf Kroton und Lokroi gelegt, die Samniten und Lukaner wieder zur Botmäßigkeit gezwungen. Im Kampf zwischen Rom und Pyrrhos brachte auch das letzte Treffen bei Maleventum (später Beneventum genannt) keine Entscheidung (275), doch zwang die Erschöp­ fung der materiellen Hilfsquellen Pyrrhos zur Aufgabe seiner ita­ lischen Positionen. Im Jahre 275 verließ er mit 8000 Mann In­ fanterie und 500 Reitern zu Schiff Tarent, um nach Epeiros zu­ rückzukehren. In der Akropolis ließ er eine Besatzung und seinen Sohn Helenos zurück. Vor allem die Aussicht auf den makedoni­ schen Thron scheint ihn zur Aufgabe der italischen Expedition be­ stimmt zu haben. Die erwarteten Erfolge jenseits der Adria waren freilich nur ephemer. Zwar vermochte er Antigonos Gonatas für kurze Zeit aus Makedonien zu vertreiben (274), aber die Berau­ bung der Königsgräber in Aigai entfremdete ihm die Sympathien der Makedonen. der Gewinn ging bald wieder verloren, und i. J. 272 fand Pyrrhos, vor dem Rom und Karthago gezittert hatten, im Straßenkampf in Argos den Tod. Durch Pyrrhos’ Abzug aus Italien sah sich das unteritalische Griechentum den Römern ausgeliefert. Schon i. J. 272 fiel Ta-

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rent, nachdem die epeirotische Besatzung die Stadt verlassen hatte. Seit der Zeit um 270 v. Chr. prägte die Stadt Lokroi die sog. Pistismünzen, die mit der Bekränzung der 'Rhome' durch 'Pistis’ auf das Treueverhältnis zwischen Rom und Lokroi hinwiesen. Wie die meisten unteritalischen Griechengemeinden sind auch die Lokrer socii navales der Römer geworden. Als letzte Hellenen­ stadt fiel i. J. 270 Rhegion in römische Hand. Durch die Be­ rührung zwischen Griechen und Römern in Untcritalicn waren die Tore zu einer fruchtbaren Begegnung zwischen dem griechi­ schen und römischen Geist weit geöffnet. Was die Griechen an po­ litischer Macht mit dem Verlust ihrer Autonomie einbüßten, das gewannen sie auf kulturellem Gebiet doppelt zurück. Nicht durch Zufall steht an der Wiege der römischen Literatur die Gestalt des Griechen Livius Andronicus aus Tarent. Rom wußte nur zu gut, was es an den Hellenen gewonnen hatte. In mannigfaltig abge­ stuften Verträgen, wie es die Gewohnheit der Römer und die po­ litische Praxis vorschrieben, hat Rom die Stellung der Griechen­ städte individuell bestimmt: auf den Schultern der Hellenen hat in dem i.Punischen Kriege die Hauptlast bei der Erbauung der römischen Flotte gelegen, mit der Rom das stolze, seebeherrschende Karthago zu Boden gezwungen hat. Dem ostsizilischen Griechentum aber war noch eine politische Nachblüte beschieden. In Hieron II., der i. J. 275/4 durch einen regelrechten Staatsstreich ein syrakusamsches Reich begründete, erstand den Hellenen der Insel noch einmal eine fähige Führer­ gestalt. Hieron hat Syrakus geschickt durch die große römisch­ karthagische Auseinandersetzung des 1. Punischen Krieges hin­ durchlaviert; erst nach seinem Tode (215 oder 214) und nach der Einnahme von Syrakus durch Marcellus (212) ist auch der letzte Rest Siziliens in die römische Provinz übergegangen. So steht am Ende der griechischen Geschichte des Westens die Eingliederung der hellenischen Polis in den Territorialstaat. Un­ fähig, in dem Machtkampf der Großmächte ihre politische Unab­ hängigkeit zu behaupten, sind die Griechen des Westens in Sizi­ lien und Unteritalien zu Kulturträgern ersten Ranges, zum Sauer­

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teig einer neuen Zivilisation geworden, die sich auf den Trümmern einer alten Welt unter dem machtvollen Schutz der römischen Waffen erhoben hat. Die Hellenen kamen nicht mit leeren Hän­ den: die jahrhundertelange enge Konzentration des politischen und geistigen Lebens in den Mauern der griechischen Poleis hat auch nach dem Untergang ihrer politischen Freiheit noch eine große Mission erfüllt. Die Vermählung des griechischen Geistes mit den Tugenden der Römer hat die Grundlagen jener Zivilisation ge­ schaffen, auf denen die abendländische Kultur unserer Tage we­ sentlich beruht.

4. Das Gleichgewicht der hellenistischen Mächte (280-201 v. Chr.) Mit der neuen Herrschergeneration, die in Ptolemaios II. und An­ tiochos I. in Ägypten und im Seleukidenrciche am Ausgang der achtziger Jahre den Thron bestiegen batte, hielt ein neuer Geist seinen Einzug in die hellenistische Welt. Es war die Idee des Gleichgewichts der Kräfte, die für eine Zeit von nahezu 80 Jah­ ren der hellenistischen Geschichte das Gepräge gegeben hat. Drei Großstaaten, das ptolemäische Ägypten, das Seleukidenreich in Vorderasien und das antigonidische Makedonien, haben in die­ sem Zeitraum die Geschichte der Welt bestimmt, d. h. die Ge­ schichte des östlichen Mittelmeerraumes; die Entwicklung des We­ stens haben die hellenistischen Mächte weder beobachtet noch be­ einflußt - ein Versäumnis, das sich bitter gerächt hat. Pyrrhos* Zug nach Italien und Sizilien blieb eine Episode, und das freund­ schaftliche Verhältnis des Ptolemäerreiches zu beiden kriegführen­ den Parteien im 1. Punischen Kriege ist vorwiegend von wirt­ schaftlichen Motiven bestimmt gewesen. Im übrigen aber zeigen die neuen Herrscher, ein Ptolemaios II., ein Antiochos I. und ein Antigonos Gonatas, der Sohn des Demetrios Poliorketes, keine epigonenhafte Züge, alle drei Könige sind die gleichen markanten

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Persönlichkeiten wie ihre Väter, und ihre Leistungen als Politiker sind nicht weniger bemerkenswert. Der Zusammenbruch des hcllcspontischen Reiches des Lysima­ chos hatte für die hellenistische Welt ausgesprochen negative Fol­ gen. Abgesehen davon, daß nach der Schlacht bei Kurupedion (281) ein großes, miteinander eng verflochtenes Wirtschaftsgebiet auseinandergerissen wurde, dessen kleinasiatischer und europäi­ scher Teil sich mit ihren Manufakturen und Rohstoffen aufs glück­ lichste ergänzt hatten, es entstand auch auf dem Balkan ein leerer Raum. In ihn sind die Kelten hineingestoßen. Keltische Stämme befanden sich in jenen Jahren auf der Wanderung nach Süden. Schon zu Alexanders Zeit sind sie im Bereich der unteren Donau nachweisbar. Die Kelten beschränkten sich nicht wie einst ihre Stammesgenossen bei ihrem Vorstoß gegen Rom (Schlacht an der Allia, 387) auf Beutezüge, sondern sie wanderten mit Weib und Kind nach dem Süden, um eine neue Heimat zu suchen. Auf mi­ litärischem Gebiet waren die keltischen Haufen den hochqualifi­ zierten hellenistischen Heeren weit unterlegen, ihre Bewaffnung war primitiv, und ihre Kriegskunst stand in den Anfängen. Wenn sie dennoch in der hellenistischen Welt so durchschlagende Erfolge errungen haben, so verdankten sie diese allein der Gunst der be­ sonderen Zeitumstände. Denn die Kelten erschienen in einem Augenblick, in dem die neuen Staaten des hellenistischen Systems noch in den Geburtswehen lagen. Der erste Stoß der Kelten traf Makedonien. Der König Ptole­ maios Keraunos verlor im Kampfe das Leben, das flache Land war den schlimmsten Verheerungen durch die Kelten ausgesetzt (279). Mit dem Zusammenbruch Makedoniens stand den Kelten der Weg ins Herz von Hellas offen. Angesichts der furchtbaren Gefahr aus dem Norden schlossen sich die zunächst am meisten bedrohten mittelgriechischen Stämme, Ätoler, Phoker und Böoter, zu ge­ meinsamer Abwehr zusammen; sie mußten jedoch, von den Kel­ ten unter Brennos umgangen, die Thermopylenstellung räumen. Nachdem die nordischen Barbaren bis Delphi vorgestoßen waren (das Heiligtum blieb jedoch verschont), zwang sie die vorgerückte

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Jahreszeit zur Umkehr. Auf griechischer Seite hatten sich vor al­ lem die Ätoler in den Kämpfen ausgezeichnet. Von dem Abzug der Kelten datiert die ätolische Vorherrschaft in Delphi; der bis dahin so weit hinter der allgemeinen griechischen Entwicklung zurückgebliebene Stamm ist damit in die erste Reihe der Staaten des griechischen Mutterlandes gerückt. Von den Herrschern Nikomedes I. von Bithynien und Mithradates II. von Pontos gerufen, überschritten die Kelten i. J. 278 den Hellespont. Auf kleinasiatischem Boden wurden sie bald der Schrecken des Landes, vor allem der reichen Griechenstädte. Antiochos I. überwand sie schließlich in der berühmten „Elefan­ tenschlacht“ (275/4?) und siedelte sie, nach Stämmen gegliedert (Trokmer, Tektosagen, Tolistoagier), im nördlichen Großphrygien, wahrscheinlich zwangsweise, an, doch hielten sie auch jetzt keine Ruhe und brandschatzten wiederholt die umliegenden Land­ schaften. Der Tod des Ptolemaios Keraunos (279) bezeichnet für Make­ donien den Beginn einer mehrjährigen Anarchie. Da sich die bei­ den Nachfolger des Ptolemaios, sein Bruder Meleagros und Anti­ patros (mit dem Spitznamen Etesias), ein Neffe des Kassandros, als vollständig unfähig erwiesen, die dem Königtum gestellten schweren Aufgaben zu lösen, verzichtete die makedonische Heeresversammlung auf die Wahl eines neuen Königs und bestellte an­ statt dessen einen makedonischen Adligen namens Sosthenes zum Strategen, d. h. zum „Reichsfeldherrn“. Verschiedene Prätenden­ ten, unter ihnen Antigonos Gonatas, der Sohn des Demetrios Poliorketes, hielten jedoch ihre Ansprüche auf den makedonischen Thron aufrecht. Der Tod des Strategen Sosthenes (278 oder spä­ testens 277) und vor allem ein bedeutender Erfolg des Antigonos Gonatas über einen Keltenhaufcn bei Lysimacheia (277) stärkten die Position des Antigoniden, dessen Herrschaft bis dahin allein auf wenigen griechischen Besitzungen und Stützpunkten in Thra­ kien beruht hatte; mit der Einnahme Kassandreias und mit dem Siege über den Konkurrenten Antipatros ,Etesias' gelang es ihm, seine Herrschaft in Makedonien zur Anerkennung zu bringen

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(276). Damit hatte sich - als letzter der großen hellenistischen Staaten - auch Makedonien unter dem Sohne des Demetrios Poliorketes konsolidiert. Makedonien besaß allerdings in dem Keltenreich von Tylis, das sich auf dem Boden des alten thrakischen Reiches des Lysi­ machos gebildet hatte, einen gefährlichen Nachbarn. Vor allem die Griechenstädte an der thrakischen Küste des Ägäischen Mee­ res sahen sich den Plünderungszügen der Kelten ausgeliefert; durch regelrechte Tributzahlungen mußten sie sich von den Brandschat­ zungen loskaufen. Die Gegenwart des wilden Fremdvolkes er­ innerte die Griechen und Makedonen eindringlich daran, die lo­ kalen Fehden zu vergessen und sich zum Kampf gegen den ge­ meinsamen Feind zusammenzuschließen. Der Wiederaufstieg Makedoniens unter der Herrschaft des An­ tigonos Gonatas, des Enkels des Antigonos Monophthalmos und des Antipatros, ist und bleibt in dem Jahrzehnt nach Kurupedion (281) die erstaunlichste Erscheinung der hellenistischen Geschichte. Nicht so sehr die materiellen als vielmehr die ideellen Kräfte ha­ ben sich dabei als die entscheidenden erwiesen. Antigonos Gonatas, einer der gebildetsten Monarchen der hellenistischen Zeit, hatte in seiner Jugend in Athen zu Füßen des Zenon von Kition, des Be­ gründers der Stoa, gesessen. Der philosophischen Lehre der Stoa kamen seine persönlichen Neigungen entgegen, und es war zeit seines Lebens sein Ideal, die Forderungen der stoischen Philoso­ phie auch im Staatsleben zu verwirklichen. Makedonien war da­ mals immer noch das eigentliche Kernland der hellenistischen Welt; mit seinem noch unerschöpflichen Reichtum an Menschen stellte es den hellenistischen Heeren ein unvergleichliches Menschenmate­ rial zur Verfügung. Die kriegerische Tradition der Makedonen konnte zudem seit Philipp II. und Alexander auf Erfolge zurüdtblicken, wie sie kein Volk der damaligen Welt aufzuweisen hatte. Die Phalangen Makedoniens hatten zur Zeit der Väter und Groß­ väter das Achämenidenreich zu Fall gebracht, und eben jetzt hatte Antigonos Gonatas die gefürchteten Kelten im offenen Felde zum ersten Male überwunden (277). Auch die von Seiten des Pyrrhos

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drohende Gefahr vermochte Antigonos in wechselvollen Kämpfen abzuwehren, und als der ewige Unruhestifter i. J. 272 den Tod fand, da war der makedonische König auch des letzten und gefährlichsten Konkurrenten auf den makedonischen Thron ledig geworden. Außerhalb Makedoniens beruhte die Herrschaft des Antigonos auf Thessalien und auf beträchtlichen Teilen des öst­ lichen und südlichen Griechenlands. Unter dem Schutze der make­ donischen Waffen kamen vor allem in der Peloponnesos zahlreiche Tyrannen ans Ruder; ihre Existenz war mit dem Bestand der makedonischen Herrschaft in Griechenland auf Gedeih und Ver­ derb verknüpft. In Korinth, in Chalkis auf Euböa und in dem thessalischen Demetrias, den drei „Fußfesseln“ von Hellas, lagen starke makedonische Besatzungen. Waren einst, seit dem Zusam­ menbruch der Herrschaft des Demetrios Poliorketes (286), die Ptolemäer die unbestrittenen Herren der Ägäis gewesen, so schick­ ten sich jetzt die Makedonen an, ihnen die Seeherrschaft streitig zu machen. Die Politik der beiden anderen hellenistischen Großstaaten, des Seleukiden- und des Ptolemäerreiches, wird in den ersten Jahr­ zehnten des 3. Jahrhunderts durch den tiefgreifenden Gegensatz bestimmt, der aus der „syrischen Frage“ entspringt. Über 150 Jahre lang hat der Kampf um das südliche Syrien (sog. Koilesyrien) die Kräfte der beiden Mächte verzehrt. Sooft der Konflikt auch durch einen Frieden beendet wurde, stets ist er von neuem wieder aus­ gebrochen. Seitdem sich der 1. Ptolemäer während des Entschei­ dungskampfes der Koalierten gegen Antigonos Monophthalmos in den Besitz des Gebietes gesetzt hatte (301), bildete es den Zank­ apfel zwischen Selcukiden und Ptolemäern. Die letzteren waren aus wirtschaftlichen wie aus politischen Gründen auf Südsyrien angewiesen. Abgesehen von Cypern und einigen Küstengebieten Südanatoliens war es das einzige Land, aus dem Ägypten das für den Schiffsbau benötigte Holz importieren konnte (die „Zedern des Libanon“). Somit ist es kein Zufall, wenn schon die Phara­ onen des Neuen Reiches, wie Thutmosis III. und seine Nachfolger, seit dem 15. Jahrhundert v. Chr. immer wieder nach Syrien ge­

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zogen sind. Wer sich im Besitz der syrischen Küste befand, dem stand die Flotte der großen phönikischen Seestädte, von Tyros, Sidon, Berytos, zur Verfügung. Auf den phönikischen Schiffen hatte einst die Secherrschaft des Demetrios Poliorketes beruht, bis sein weitgespanntes Seereich i. J. 286 zusammenbrach. Der Gegensatz zwischen den beiden Reichen entlud sich in den 70er Jahren in zwei Kriegen. Bereits in den Jahren 280-279 kam es zu Kämpfen zwischen dem 2. Ptolemäer und Antiochos I. Die Zahl der Gegner des Seleukiden war groß. Gegen ihn standen außer dem 2. Ptolemäer und dem damaligen makedonischen Thronprätendenten Antigonos Gonatas auch die in der sog. Nörd­ lichen Liga vereinigten Städte an der Propontis und am Pontos, vor allem das seemächtige Herakleia und Byzanz sowie Bithynien und das pontische Kappadokien unter Mithradates II. Über die Einzelvorgänge ist wenig bekannt. Antiochos I. wurde in den folgenden Jahren (277-275) durch die Kämpfe gegen die in Kleinasien eingedrungenen Kelten ge­ fesselt; i. J. 274 brach dann der sog. 1. Syrische Krieg aus. Ent­ scheidende Erfolge blieben beiden Parteien versagt, doch ver­ mochte Ptolemaios II. die syrischen und phönikischen Besitzungen (mit Ausnahme von Marathos) zu behaupten. Die große Bedeu­ tung der ptolemäischen Seemacht dokumentierte eine Flotten­ expedition in den Pontos, wo Ptolemaios II. zu Herakleia in freundschaftlichen Beziehungen stand. Eine unbedingte Schwä­ chung der ägyptischen Position bedeutete freilich der Abfall des Vizekönigs der Cyrenaica, Magas, eines Stiefsohns des 1. Ptole­ mäers. Durch seine (um 275?) geschlossene Ehe mit Apamc, der Tochter des Antiochos I., fand Magas an dem Seleukiden den ge­ wünschten Rückhalt, dessen er zur Behauptung seiner Unabhän­ gigkeit gegenüber Ptolemaios II. bedurfte. Dieser mußte ihn schließlich als König der Cyrenaica anerkennen, die formale Ober­ hoheit des 2. Ptolemäers stand nur auf dem Papier. Die Beendigung des 1. Syrischen Krieges wurde in Alexandrien durch ein großes Siegesfest gefeiert (271/0 v. Chr.). Von dem Festzug hat uns die Beschreibung des Kallixeinos (erhalten bei

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Athenaeus V 196 ff.) eine eindrucksvolle Schilderung hinterlassen, wenn bei Athenaeus auch nur ein kleiner Ausschnitt, die spezielle Dionysos-Pompe, wiedergegeben ist. Die Pompe war ein Riesen­ festzug, eine Parade des siegreichen ptolemäischen Heeres und eine eindrucksvolle Schaustellung der Macht des Reiches, wie sie die Welt bis dahin nicht gesehen hatte. Der Hofdichter Theokrit ver­ faßte zu dieser Feier einen Hymnus zum Preise der regierenden Herrscher, des 2. Ptolemäers und seiner Schwestergemahlin Ar­ sinoe, und der unter dem Namen der „rettenden Götter“ ver­ ehrten Eltern des Königspaares. Die überragende politische und wirtschaftliche Machtstellung seines Reiches nach außen hin in Er­ scheinung treten zu lassen hat Ptolemaios II. auch sonst nichts un­ versucht gelassen: die Fäden seiner Diplomatie reichten im We­ sten bis Rom und Karthago, im Osten bis nach Indien, wo er sich neben den Seleukiden zur Geltung zu bringen wußte. Die günstige zentrale Lage Ägyptens und die starke wirtschaftliche Position des Landes hat der Herrscher zur Erreichung politischer Ziele mei­ sterhaft einzusetzen verstanden. In der Politik jener Tage hat die zweite Gemahlin des Ptole­ maios II., Arsinoe, eine hervorragende Rolle gespielt. Sie war zuerst die Frau des Lysimachos, dann die des Ptolemaios Keraunos gewesen; nach Alexandrien zurückgekehrt, wußte sie ihren leib­ lichen Bruder zu bestimmen, seine Gemahlin (Arsinoe I., Tochter des Lysimachos) zu verstoßen und sie selbst zu heiraten. Für die Griechen war die Ehe zwischen Geschwistern, die von der gleichen Mutter abstammen, ein Inzest schlimmster Art, wäh­ rend nach ägyptischer Anschauung, die freilich nicht die maß­ gebende sein konnte, die Ehe zwischen Bruder und Schwester er­ laubt war. Am wahrscheinlichsten ist es, daß das Vorbild der Achämeniden hierbei von Bedeutung gewesen ist. Arsinoe II. hat auf ihren an Jahren beträchtlich jüngeren Bruder bis zu ihrem Tode (270) einen bestimmenden Einfluß auszuüben verstanden; sie ist die erste der großen Frauen in der Geschichte des Ptole­ mäerreichs, eine Vorläuferin der großen Kleopatra. In der Ägäis beruhte die ptolemäische Seeherrschaft auf dem

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Protektorat über den sog. Nesiotenbund. Der schärfste Rivale der Ptolemäer war hier nicht das Seleukidenreich, sondern das unter dem König Antigonos Gonatas neu erstarkende Makedonien. Nichts aber war für die Machtstellung des Ptolemäerreiches ge­ fährlicher als eine makedonische Herrschaft in der Ägäis; sie hätte das Wiedererstehen der Seeherrschaft des Demetrios Poliorketes bedeutet. Kontrollierte aber die makedonische Flotte die Ägäis und damit die Meerengen, so war Griechenland im Hinblick auf die Kornversorgung aus dem südrussischen Gebiet auf Gnade und Ungnade den Makedonen ausgeliefert, die ohnehin durch ihre Be­ satzungen und die von Antigonos eingesetzten Tyrannen weite Teile Griechenlands knechteten. Es mußte daher Ptolemaios II. (Philadelphos) alles daransetzen, die Griechen zum Kampf gegen die Makedonen aufzurufen und die überragende Position des Antigonos Gonatas zu Fall zu bringen. So kam es durch ptolemäische Initiative nach Abschluß eines Dreierbündnisses zwischen Ptolemaios II., König Areus von Sparta und Athen zum Kriege gegen Antigonos, dem sog. Chremonideischen Kriege (267-261?). An der nötigen Hilfe für seine griechischen Bundesgenossen ließ es Ptolemaios II. jedoch sehr fehlen; zwar fügte seine Flotte unter dem Admiral Patroklos mit der Blockade des Saronischen Meer­ busens dem Antigonos manchen Schaden zu; außerdem konnte er auf attischem Boden mehrere Kastelle errichten, aber den­ noch erwies sich das makedonische Heer bald als überlegen. Der Spartanerkönig Areus fiel im Kampf bei Korinth (265), Athen wurde eingeschlossen und mußte kapitulieren (263/2). Der Piräus und der Hügel des Museion wurden durch make­ donische Besatzungen gesichert, die attischen Behörden muß­ ten abdizieren, die Stadt selbst erhielt einen makedonischen Gou­ verneur, die Bestellung eines Teils der maßgebenden athenischen Funktionäre, insbesondere der Strategen, behielt sich der Makedonenkönig vor. Zwar traten schon i. J. 256/5 (oder 255/4) ge­ wisse Erleichterungen für Athen in Kraft, aber die Stadt, im­ mer noch neben Alexandrien der geistige Mittelpunkt der Alten Welt, sah sich für eine Zeit von 35 Jahren (bis 229 v. Chr.) poli­

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tisch auf das Niveau einer unfreien Stadt herabgedrückt; das war ein entscheidender Erfolg der hellenistischen Monarchie über die altgriechische Polis, wie ihn fast zur gleichen Stunde im Westen die Römer über die süditalischen Griechenstädte errungen hatten. Dem Chremonideischcn Kriege ist der 2. Syrische Krieg fast auf dem Fuße gefolgt (260-253). Dieses Mal stand Ptolemaios II. der Koalition des Seleukidenreiches unter Antiochos II. (261-246) und Makedoniens unter Antigonos Gonatas gegenüber. Der ge­ fährlichere Gegner war Makedonien. Antigonos hatte alles daran­ gesetzt, durch den Bau einer großen Flotte seine maritime Position zu verstärken, ein Vorgang, der im Westen in dem römischen Flottenbau i. J. 261 eine eigenartige Parallele findet. Ptolemaios mußte erhebliche Gebietsverluste in den überseeischen Besitzun­ gen, vor allem in Ionien, Pamphylien und Kilikien, in Kauf nehmen. Als geschickter Diplomat wußte er jedoch die gegneri­ sche Koalition zu sprengen und mit Antigonos Gonatas i. J. 255 zum Abschluß eines Sonderfriedens zu kommen. Im Laufe des Jahres 253 kam es dann auch zur Unterzeichnung des Friedens zwischen dem Ptolemäer- und dem Seleukidenreich. Ein Jahr spä­ ter heiratete Antiochos II. die Tochter des Ptolemaios II., Berenike, nachdem er sich von seiner ersten Frau, Laodikc, getrennt hatte. Die ptolemäische Heirat ist der Grund zu einem weite­ ren gefährlichen Krieg gewesen, dem Laodikekrieg. Der neue Konflikt zwischen dem Seleukiden- und Ptolemäerreicb wurde durch den Tod des Antiochos II. (gest. im Sommer 246 in Ephe­ sos) und seine Folgen ausgelöst. Antiochos II. hatte letztwillig den ältesten Sohn seiner ersten Gemahlin Laodike, Selcukos II., zu seinem Thronfolger bestimmt und damit das verbriefte Erbrecht des jungen Söhnchens seiner zweiten Gemahlin, der ptolemäischen Prinzessin Berenike, beiseite geschoben. Berenike, die sich in Antiocheia am Orontcs aufhielt, beschloß, für das Erbrecht ihres Sohnes mit den Waffen einzutreten. In ihrem Bruder, Ptolemaios III. - er hatte i. J. 246 als Nachfolger des 2. Ptolemäers in Ägypten den Thron der Lagiden bestiegen - fand sie einen will­ fährigen Bundesgenossen. Ägyptens Stellung war eben damals

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durch den Anschluß der Cyrenaica außerordentlich gestärkt wor­ den; durch die Verbindung der kyrenäischen Erbprinzessin Berenike, der Tochter des Magas, mit dem ägyptischen Kronprinzen, dem späteren 3. Ptolemäer, war die Cyrenaica unmittelbar vor seinem Regierungsantritt wieder mit Ägypten vereinigt worden. Durch die Aktivität der Laodikeanhänger in Antiocheia nah­ men die Ereignisse jedoch einen anderen Verlauf, als man am Hofe der Seleukidenkönigin Berenike und in Alexandrien erwar­ tet hatte. Die Vorgänge in Antiochien sind wegen der wider­ spruchsvollen Angaben der Quellen nicht mit Sicherheit zu re­ konstruieren; sicher ist nur soviel, daß Bcrenikes Söhnchen wie die Königin selbst den Tod von Mörderhand gefunden haben. Die Eindrücke, die der Ptolemäerkönig bei seinem festlichen Ein­ zug in Antiocheia empfing, hat er selbst in dem berühmten „Bul­ letin“ des Papyrus Gurob geschildet. Das Schriftstück, ein Doku­ ment von ungewöhnlichem historischen Wert, ist von vornherein zur Veröffentlichung bestimmt gewesen; es gibt die offizielle ptolemäische Version wieder. Dauernde Erfolge sind dem Erobe­ rungszug des 3. Ptolemäers in Vorderasien versagt geblieben. Ob­ zwar die ägyptische Propaganda (vgl. vor allem die Tempel­ inschrift von Esne) Ptolemaios III. zu einem großen Kriegsfürsten im Stile der alten Pharaonen gestempelt hat, sind die Eroberungen im Vorderen Asien - nach der Inschrift von Adulis hat Ptolemaios sogar den Euphrat überschritten - alsbald wieder verlorengegan­ gen (Frühjahr 245). Der Ptolemäer vermochte die großen Räume des Ostens, zu deren Okkupierung die ägyptische Streitmacht nicht ausreichte, nicht lange zu behaupten, zumal er der Treue der seleukidischen Statthalter nicht sicher war. Im Frieden des Jahres 241 behielt Ptolemaios III. von seinen Eroberungen in Nord­ syrien nur die wichtige Seestadt Seleukeia in Pieria, dazu eine Reihe von Küstenplätzen in Thrakien, denen als Flottenstütz­ punkten an der Ägäis große Bedeutung zukam - vor allem auch im Hinblick auf Makedonien, das in diesen Jahren eine Schwäche­ periode zu überwinden hatte. Der Laodikekrieg stürzte das Seleukidenreich in eine schwere

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innere und äußere Krise. Im Westen wie im Osten des Reiches erhoben die partikulären Kräfte ihr Haupt, und fast hatte es den Anschein, als ob die Tage des Reiches nach einem Bestand von wenig mehr als 50 Jahren gezählt seien. Schon um 260 v. Chr. war es in Kleinasien zur Bildung des sog. Großkappadokischen Reiches unter dem Perser Ariarathes gekommen. Zum erstenmal hatte sich damit das Iranicrtum gegenüber den Makedonen durch­ gesetzt. Begünstigt wurde die neue Gründung durch die Existenz zweier kleinasiatischer Staaten, die den Selcukiden von Anfang an feindselig gegenüber gestanden hatten: Bithynien und Pontos. Unter seinen Herrschern Nikomedes I. (280 bis etwa 255) und Ziaelas (255-235) hatte Bithynien, das durch seine reichen Wäl­ der ein begehrter Handelspartner der hellenistischen Staaten und Poleis war, sich trotz seiner geringen Ausdehnung im anatolischen Hinterland von Kyzikos und Kalchedon ebenso gegen die Seleukiden zu behaupten gewußt wie das mit zahlreichen Tempel­ territorien übersäte Pontos, das als Durchgangsland von Anato­ lien nach Armenien eine wichtige Schlüsselstellung innehatte. Über die aus den verschiedensten Elementen (Anatoliern, Iraniern, Griechen) zusammengesetzte Bevölkerung herrschte ein iranisches Fürstenhaus, in dem der Name Mithradates häufig wiederkehrt. Die Position des Seleukidenrciches wurde zudem in Kleinasien durch zwei weitere Faktoren entscheidend geschwächt: durch die Existenz der unruhigen Kelten oder, wie sie jetzt ge­ nannt wurden, der Galarer im nördlichen Großphrygien und durch dynastische Machtkämpfe im Seleukidenhause selbst. Ge­ stützt auf die Hilfe seiner Mutter Laodike wußte sich der jüngere Bruder des Königs Seleukos II., Antiochos Hierax, in Ausnützung der schwierigen Lage des Gesamtreiches in Kleinasien ein eigenes Königtum zu ertrotzen, das er, nominell als Mitregent des älteren Bruders, fast wie ein unabhängiges Reich verwaltete. Bis 228/7 v. Chr., in welchem Jahr Antiochos Hierax in Thrakien gefallen ist, waren die kleinasiatischen Besitzungen vom übrigen Reich praktisch getrennt, das Seleukidenreich war als Machtfaktor im Westen völlig ausgeschaltet.

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Noch düsterer ist das Bild des Reiches im iranischen Osten. Wie in Großkappadokien so regte sich auch hier die Opposition des iranischen Volkstums, das die Seleukiden mit ihrer einseitigen Bcvctzugung der Makedonen niemals wirklich zu gewinnen ver­ mochten, dazu die Selbständigkeitsbestrebungen mächtiger, von den Seleukiden eingesetzter Satrapen, die von der Zentralregietung nicht im Zaum gehalten werden konnten. Die Vorgänge im einzelnen sind und bleiben dunkel. Feststeht, daß sich der Satrap ven Baktrien, Diodotos, wie seine Münzprägung erweist, allmäh­ lich aus dem Reiche emanzipiert hat. Indem er sich auf die unge­ wöhnlich zahlreichen griechischen und makedonischen Militär­ kolonien in Baktrien stützte, schuf er die Grundlagen für die spä­ tere Machtentfaltung des baktrischen Kolonialgriechcntums unter Euthydemos und Demetrios. In der Satrapie Parthien verlief die Entwicklung anders. In ihr hatte sich zwar der seleukidische Satrap Andragoras selbständig gemacht, aber ein Einfall eines iranischen Reitervolkes, der dahischen Parner aus dem großen Unruhezentrum östlich des Kaspischen Meeres, fegte die Herr­ schaft der Makedonen in Parthien und Hyrkanien hinweg. Es entstand hier auf altiranischer Erde unter dem Reichsgründer Atschak (griechisch Arsakes) ein iranisches Staatsgebilde, das in seiner typisch feudalen Organisation an die Überlieferung des Achämenidenreiches wieder anknüpfte. Der griechischen Kultur, die auch in diesen entlegenen Gebieten in Gestalt von Ansiedlun­ gen Fuß gefaßt hatte, standen die Parther - so wurde das Volk nach dem Namen der Landschaft bezeichnet - nicht ablehnend gegenüber, aber in dem Aufbau des Staatswesens verfolgten sie eine bewußt national-iranische Linie, wie sie denn auch in keiner Weise bereit waren, mit den Seleukiden zu paktieren. Die parthische Ära wird in späteren babylonischen Dokumenten vom 1. Nisan 247 an gerechnet, doch ist dies offenbar eine spätere Fik­ tion, die den Beginn der parthischen Unabhängigkeit möglichst weit hinaufzudatieren sucht. Vielleicht fällt die Begründung des Partherstaates sogar erst in den Anfang der 30er Jahre des 3. Jahr­ hunderts.

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Mit den iranischen Parthern ist im Osten neben dem in der Entstehung begriffenen gräko-baktrischen Reich des Diodotos und dem vorwiegend von Makedonen regierten Seleukidcnrcich eine dritte Macht auf der politischen Landkarte erschienen, die in den folgenden Jahrhunderten einen gewaltigen Aufschwung genom­ men und sich zum ebenbürtigen Gegenspieler der Seleukiden, spä­ ter sogar der Römer, entwickelt hat. Eine 500jährige Geschichte ist dem Partherreich beschieden gewesen, eine Geschichte, genau doppelt so lang wie die des Seleukidenreiches. Eine vollständig neue Lage war in den 50er Jahren in Griechen­ land entstanden. So fest auch die makedonische Herrschaft des Antigonos Gonatas in Hellas am Ende des Chremonideischen Krieges verankert schien, so zeigten sich doch bald Risse in dem stolzen makedonischen Machtgebäude in Griechenland. Hervor­ gerufen wurde die Krise durch die Selbständigkeitsbestrebungen des makedonischen Vizekönigs in Griechenland, des Alexander (Sohnes des Krateros), sowie durch die ständig wachsende Bedeu­ tung der griechischen Staatenbünde im 3. Jahrhundert v. Chr. Die Ätoler - ihr Bund wird zum ersten Male auf einer athenischen Inschriftstele vom Jahre yGy/G genannt - breiteten sich, gestützt auf ein Bündnis mit den Akarnanen, in Mittelgricchcnland aus, sie besaßen insbesondere eine dominierende Stellung in Delphi; aber auch zur See wußten sie sich durchzusetzen. Als Seeräuber waren sie weit und breit gefürchtet, und von dem weiten Radius ihrer Operationen in den griechischen Gewässern zeugen zahl­ reiche Asylieverträge, die griechische Städte mit den Ätolern ge­ schlossen haben. Der Achäische Bund (gegründet i. J. 280 v. Chr.) hat die so lange ungenutzten Kräfte des peloponnesischen Nordens aktiviert. In Aratos von Sikyon, der seine Heimat­ stadt i. J. 251 vom Tyrannen befreite, besaßen die Achäer einen hervorragenden Staatsmann und verschlagenen Diplomaten; als langjähriger Stratege hat er das Schicksal des Bundes seit 245 v. Chr. maßgebend geformt. In den Staatenbünden hatten die politischen Kräfte des mutterländischen Hellenentums eine neue Ausdrucksform und ein neues Betätigungsfeld gefunden. Kein 2j

Bengtson, SA

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Wunder, wenn die Bünde mit Notwendigkeit mit jener Macht Zu­ sammenstößen mußten, deren Herrschaft in Hellas die griechische Freiheit am meisten in Frage stellte: mit Makedonien. Mit dem Abfall Alexanders, des Statthalters des Antigonos Go­ natas in Griechenland, 253 oder 252 v. Chr. (?), gingen Euboia und Korinth, dieses der Eckpfeiler der makedonischen Herrschaft in Hellas, dem Antigonos Gonatas verloren. Zu einer gemein­ samen Aktion der beiden großen griechischen Staatenbünde gegen die makedonische Fremdherrschaft kam es jedoch noch nicht; im Gegenteil, das Übergreifen der Ätoler auf die Peloponnesos führte zu einer erbitterten Feindschaft. Aratos hatte i. J. 243 mit der Einnahme Akrokorinths (durch Überfall mitten im Frieden) einen bedeutenden Erfolg zu verzeichnen. Er zwang die i. J. 244 nach Korinth zurückgekehrte Besatzung des Antigonos zum Abzug. Die Einigung der ganzen Peloponnesos unter achäischer Führung schien nur noch eine Frage der Zeit. Einen Rückhalt fan­ den die Achäer an dem König Ptolemaios III. Euergetes; ihm wurde i. J. 243 das Ehrenkommando über die Bundesstreitkräfte zu Wasser und zu Lande übertragen, wofür er den Achäern Subsidien zahlte. Auch mit Sparta schlossen die Achäer ein Bünd­ nis. Sparta wurde freilich am Ende der 40er Jahre durch eine schwere innere Krise erschüttert. Die Zusammenballung des Grundbesitzes in den Händen weniger hatte die Struktur des Staates so grundlegend verändert, daß von dem Ideal der al­ ten Gleichheit nicht einmal ein Schatten übriggeblieben war. Eine Reform an Haupt und Gliedern war längst notwendig ge­ worden. Die Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, und ihre Verquickung mit ausgesprochen machtpolitischen Zielen durch den König Agis IV. mündeten infolge des Widerstandes der Re­ formgegner in eine Katastrophe ein: Agis fand den Tod, viele seiner Anhänger wurden verbannt (241). Als Antigonos Gonatas i. J. 239 nach nahezu 4ojähriger wech­ selvoller Regierung starb, ging mit seinem Leben ein ganzes Zeitalter zu Ende. Das hellenistische Staatensystem, das in der Schlacht bei Kurupedion (281) geboren worden war, hatte seine

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Belastungsprobe bestanden; allcidings hatten nur die Ptolemäer ihre Positionen behauptet, ja zum Teil noch weiter ausgebaut, das Sclcukidenreich hatte dagegen im Osten und Westen empfindliche territoriale Einbußen erlitten, Makedoniens Herrschaft in Grie­ chenland war durch den Verlust Korinths und weiter Gebiete der Peloponnesos erschüttert. Der machtvollste Herrscher der helle­ nistischen Welt war damals ohne Zweifel Ptolemaios III. Euergetes - trotz des Ostfeldzuges, der im ganzen als mißglückt an­ zusprechen ist. Die ptolcmäische Vorherrschaft in dem hellenisti­ schen Staatensystem beruhte außer auf dem Heer, der starken Flotte, den weitreichenden diplomatischen und handelspolitischen Verbindungen vor allem auch auf den reichen natürlichen Hilfs­ quellen des Nillandes, deren volle Ausnützung die geduldige Ar­ beit der Fellachen und der unermüdliche Diensteifer der griechi­ schen Beamten ermöglichten. Kein anderer hellenistischer Groß­ staat vermochte sich hierin mit dem Ptolemäerreich zu messen. Im ganzen gesehen sind die 42 Jahre von der Schlacht bei Kurupedion bis zum Tode des Antigonos Gonatas (281-239) der unbestrittene Höhepunkt der gesamten hellenistischen Geschichte, Mit der Entfaltung politischer Macht durch die hellenistischen Großstaaten verbindet sich eine hohe Blüte der Kultur, vor allem der Dichtung und der exakten Wissenschaften, wie sie in der ge­ samten Geschichte des Altertums kein Gegenbild findet. So schien die Herrschaft der hellenistischen Staaten im Osten fest gegründet zu sein; im Westen dagegen hatte sich eine grundlegende Wand­ lung vollzogen. In dem 1. Punischen Kriege (264-241) fiel Sizilien den Römern als Kampfpreis zu. Mit der politischen Selbständig­ keit der sizilischen Griechengemeinden war es für alle Zeiten zu Ende. Eine Ausnahme machte zunächst noch Syrakus, dessen Herrscher, König Hieron II., durch sein kluges Paktieren, zuerst mit den Karthagern, dann mit den siegreichen Römern, dem Grie­ chentum des östlichen Siziliens noch eine letzte Nachblüte (bis 212 v. Chr.) gesichert hat. Die römische Eroberung des übrigen Si­ zilien fand ihren endgültigen Abschluß in der Errichtung der sizilischen Provinz (227 v. Chr.). Wie in den Poleis des Ostens jj’

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der Wille der hellenistischen Könige oberstes Gesetz war, so galt vcn nun an in Akragas, in Kamarina und Messana das Wort des römischen Prätors, des Repräsentanten des popnlns Romanns. Im Westen wie im Osten war die Uhr der autonomen griechischen Polis abgelaufen, ihre außenpolitischen Funktionen gingen auf die hellenistischen Großstaaten, im Westen auf die Römer über. Nur wenigen Poleis war es vergönnt, auch weiterhin eine wich­ tige Rolle im Konzert der Mächte zu spielen: es waren dies vor allem die mächtigen Stadtrepubliken am Schwarzen Meer, Sinope, Herakleia, Byzanz, Kalchedon, Kyzikos, und das seegewaltige Rhodos, dem als Vermittler des hellenistischen Handels neben dem ptolemäischen Alexandreia eine hohe Bedeutung zukam. Als Brennpunkte des kulturellen und geistigen Lebens haben jedoch die hellenischen Poleis, mochten sie unabhängig sein oder nicht, ihre große Bedeutung behauptet und zur Entfaltung der hellenistischen Weltkultur Entscheidendes beigetragen. So haben gerade die sizili­ schen und unteritalischen Griechen, aber auch eine freie Griechen­ stadt wie Massalia, eine kulturhistorische Mission ersten Ranges er­ füllt, deren Wirkung durch das Römertum hindurch mittelbar auf das westliche Europa zurückstrahlt. Die Jahre vom Tode des Antigonos Gonatas (239) bis zur Kriegserklärung Roms an König Philipp V. von Makedonien (200 v. Chr.) sind die für das Schicksal der hellenistischen Welt entscheidenden geworden. Zum ersten Male seit dem Tode des Pyrrhos wird der unmittelbare Kontakt zwischen dem Osten und Westen des Mittelmeeres wiederhergestellt; Roms Eingreifen jenseits der Adria in Illyrien i. J. 229 ist das erste Anzeichen einer neuen östlichen Orientierung der italischen Hegemonial­ macht. Die politische Zerrissenheit der hellenistischen Welt hat eine wirksame Reaktion des Ostens verhindert; Makedonien blieb in seinem Kampf allein, und der Sieg der Römer im Hannibalischen Kriege (218-201) hat letztlich auch über das Schicksal der hellenistischen Welt des Ostens entschieden. Die Geschichte der hellenistischen Staatenwelt von 239 bis 201 v. Chr. ist alles andere als die Geschichte eines in sich geschlosse­

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nen Organismus. Die hellenistische Welt teilt sich vielmehr in zwei Kreise, die sich nur eben an der Peripherie überschneiden. Der westliche Kreis wird gebildet durch Makedonien (unter der Herrschaft des Demetrios II., 239-229, des Antigonos Doson, 229-222/1, und Philipps V., 222/1-179) und durch das griechische Mutterland. Hellas und Makedonien waren durch den Zwang der politischen Verhältnisse mehr nach dem Westen als nach dem Osten orientiert. Für Makedonien stand die Herrschaft auf der Adria auf dem Spiel, und eine Festsetzung der Römer in Illyrien, wie sie i. J. 228 tatsächlich erfolgt ist, war eine schwere Be­ drohung Makedoniens. Die beiden anderen den östlichen Kreis bildenden hellenistischen Großmächte, das Ptolemäer- und das Seleukidenreich, waren mit den eigenen Problemen so sehr be­ schäftigt, daß sie weder in der Ägäis noch in Hellas einen nennens­ werten Einfluß geltend machen konnten. Charakteristisch für die Epoche ist der Aufstieg von Mittelstaaten, von Rhodos und von Pergamon; sie sind in die Lücken getreten, die das Ausscheiden der Ptolemäer aus der Ägäis und der Rückgang der seleukidischen Macht in Kleinasien offengelassen hatten. Pergamons Geburts­ stunde fällt bereits in den Krieg des Lysimachos und des Seleu­ kos 1. Damals hatte sich der Schatzhüter von Pergamon, Philetaircs, Sohn eines Makedonen und einer Paphlagonierin, dem Seleukos angeschlossen. Die Herrschaft über den Burgberg und die Stadt Pergamon nebst einem räumlich sehr begrenzten Ter­ ritorium übergab er i. J. 263 seinem Neffen Eumenes (I.), dem i. J. 241 dessen Neffe Attalos (I.) als Herrscher nachfolgte (241-197). Attalos I. verweigerte den Galatern den bisher ge­ zahlten Tribut und schlug sie in zwei Treffen aufs Haupt (um 230), worauf er den Königstitel annahm und sich damit den Kö­ nigen von Bithynien, Pontos und Kappadokien, aber auch den Seleukiden in Asien, zur Seite stellte. Als es ihm gelang, den Seleu­ kiden Antiochos Hierax aus Anatolien zu verdrängen, herrschte Attalos I. vorübergehend sogar über das ganze seleukidische Kleinasien von der Ägäis bis zum Tauros (etwa 228-223 v- Chr.). Wie die nordanatolischen Randstaaten so wurde auch Pergamon

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in die Opposition zu den Seleukiden gedrängt. So mußten die Attalidcn ihrerseits nach Bundesgenossen Ausschau halten, und nicht durch Zufall ist Pergamon später der Ansatzpunkt der rö­ mischen Interventionspolitik in Kleinasien geworden. Die Seleukiden standen in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts in einem aufreibenden Zweifrontenkrieg im Osten und Westen, der die Kräfte des Reiches stark erschöpft hat. Seleukos II. mit dem Beinamen „Kallinikos“ (246-225) hatte in Anatolien gegen sei­ nen jüngeren Bruder Antiochos Hierax gekämpft und war bei Ankyra (239?) durch diesen und die Galater entscheidend geschla­ gen worden. Die Schwäche der seleukidischen Herrschaft in Klein­ asien suchten sich auswärtige Mächte zunutze zu machen: so unter­ nahm Antigonos Doson als makedonischer Reichsverweser eine Flottenexpedition nach Karien (227), wobei er einige territoriale Erwerbungen zu verzeichnen hatte. Noch unglücklicher als sein Vater Seleukos II. war der Nachfolger, Seleukos III. Soter (225223). Als er nach größeren Rüstungen den Krieg gegen Attalos I. von Pergamon beginnen wollte, wurde er von einem seiner Offi­ ziere und dem Galater Apaturios ermordet. Dem strategischen Geschick seines Vetters, des Achaios, gelang es jedoch, in kurzem fast das ganze ehemals selcukidische Territorium von Kleinasien zurückzugewinnen und damit auch die große Expansion des pergamenischen Staates unter Attalos I. vollständig rückgängig zu machen. Eine neue Epoche der Seleukidenherrschaft begann i. J. 223 mit der Thronbesteigung des erst 18jährigen Antiochos III., eines jüngeren Bruders des 3. Seleukos. Von klugen Ratgebern, insbesondere von dem Karer Hermeias unterstützt, versuchte der junge König mit vollem Bewußtsein an die großen Zeiten des Reiches unter Seleukos I. und Antiochos I. wiederanzuknüpfen. Bei diesem Bestreben hat Antiochos III. eine ungewöhnliche Ener­ gie entfaltet und dem Reich noch einmal ein Menschenalter äuße­ ren Glanzes und eine innere Wiedergeburt gesichert. Ein starkes Seleukidenreich konnte auf die südsyrischen Gebiete, vor allem aber auf die großen phönikischen Seestädte, nicht ver-

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zicbten. Der geplante syrische Feldzug wurde jedoch zunächst durch den Ausbruch eines gefährlichen Aufstandes in den sog. Oberen Satrapien hinausgeschoben (222). Der Generalstatthalter der Ostgebiete, M0I011, und sein Bruder Alexander, Statthalter der Persis, erhoben sich; Mclon nahm sogar den Königstitel an und stieß mit seinen Truppen nach der Einnahme von Seleukeia am Tigris bis tief hinein nach Babylonien vor. Das von ihm be­ herrschte- Gebiet erstreckte sich vom unteren Euphrat bis weit hinein nach dem Iran: nicht allein in Seleukeia am Tigris, auch in Babylon, Susa, Persepolis und Ekbatana hat Molon Münzen schlagen lassen. Erst mit dem persönlichen Eingreifen des Königs Antiochos III. wandte sich das Blatt: Molon wurde aus Babylo­ nien herausgedrängt und gab sich nach verlorener Schlacht selbst den Tod (220). Erst jetzt konnten die begonnenen Operationen in Syrien wieder aufgenommen werden. Der Abfall des kleinasiati­ schen Vizekönigs Achaios vermochte Antiochos III. in seinem Vorhaben nicht zu hindern. Der Kampf um Syrien (sog. 4. Syr. Krieg) zwischen Antiochos III. und Ptolemaios IV. Philopator, der i. J. 221 seinem Vater Ptolemaios III. Euergetes auf dem Thron gefolgt war, war zugleich ein Kampf um die Herrschaft über das östliche Mittelmeer, auf dem die Ptolemäer vermöge ihrer starken Flotte immer noch dominierten. Zur gleichen Zeit rüsteten sich im Westen Rom und Karthago zu dem entscheiden­ den zweiten Waffengang um die Herrschaft über das westliche Mittelmeer. In demselben Jahr, in dem Hannibal mit der Belage­ rung Sagunts begann (219), nahm Antiochos die wichtige Seestadt Seleukeia in Pieria, eine ptolemäische Enklave in Nordsyrien, in Besitz, auch Tyros und Ptolemais (Akkon) fielen in seine Hand. Alle Erfolge des Seleukiden wurden jedoch zunichte gemacht durch die Niederlage bei Raphia (217 v. Chr.). Auf ptolemäischer Seite fochten zum erstenmal größere Kontingente einheimischer Ägypter, die sich gut bewährt haben. So hat der Sieg des 4. Ptole­ mäers bei Raphia das Selbstbewußtsein der ägyptischen Einhei­ mischen stark gehoben; sie wurden sich ihrer Unentbehrlichkeit bewußt. In dem Frieden behielt Antiochos wenigstens das wichtige

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Seleukeia in Pieria, das südliche Syrien blieb jedoch für ihn ver­ loren (217). Mit dem Friedensschluß hatte Antiochos III. in Kleinasien ge­ gen den Rebellen Achaios freie Hand bekommen. Dessen Herr­ schaft brach schnell zusammen, Achaios selbst wurde in der bar­ barischen Weise hingerichtet, wie es das achämenidische, von den Assyrern übernommene Strafrecht vorschrieb (213). Der Befrie­ dung des Westens folgte der Zug in die östlichen Satrapien auf dem Fuße. Schon i. J. 212 begann die berühmte „Anabasis“ des Antiochos. Sie führte ihn durch das ganze Obere Asien bis nach Indien. Der gräko-baktrische Herrscher Euthydemos wurde im Besitze seines Reiches belassen, auch den Königstitel durfte er weiterhin führen, doch mußte er ebenso wie der indische König Sophagasenos und der Parther Arsakes II. die Oberhoheit des Seleukiden anerkennen. Wie einst Sandrokottos dem Seleukos I., so hat auch Sophagasenos dem Antiochos Kriegselefanten für sein Heer zur Verfügung gestellt. Der tatkräftige Seleukide hatte da­ mit in den Jahren von 212-205 v. Chr. im Osten ein großartiges System von abhängigen Vasallenstaaten errichtet; es hat freilich nur so lange Bestand gehabt, als die Macht des Antiochos unge­ brochen war. Die „Anabasis“, die von fern an den Alexanderzug erinnert, hat dem Seleukiden die uneingeschränkte Bewunderung der ganzen griechisch-hellenistischen Welt eingetragen. Im An­ schluß daran nahm Antiochos den achämenidischen Titel „Groß­ könig" an, der von den Griechen im Hinblick auf Alexander d. Gr. zu „Antiochos dem Großen“ umgeprägt worden ist. An­ tiochos’ große Erfolge fallen zeitlich zusammen mit dem Entschei­ dungskampf im westlichen Mittelmeerraum zwischen Rom und Karthago, in den auch Makedonien durch sein Bündnis mit Hannibal im ersten Makedonischen Kriege (215-205) verwickelt ge­ wesen ist. Ermöglicht wurde der Aufstieg des Seleukidenreiches auf außenpolitischem Gebiet aber in erster Linie durch die voll­ ständige Passivität des Ptolemäerreichs. Während im Osten das Seleukidenreich zunächst schwere Ein­ bußen erlitt, bis es durch seinen Herrscher Antiochos III. einen

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Wiederaufstieg erlebte, stand Griechenland unter dem Zeichen fast ununterbrochener Kämpfe zwischen den Staatenbünden der Ätoler und der Achäer. Der politische Antagonismus dieser bei­ den ist es gewesen, der den politischen Niedergang von Hellas besiegelt hat. Durch seine griechischen Besitzungen wurde Make­ donien immer wieder in die inneren Auseinandersetzungen der Griechen hineingezogen. Der Krieg des Demetrios II. von Make­ donien gegen die Ätoler und Achäer brachte keine Entscheidung (seit 239/8). In die Zeit unmittelbar nach dem Tode des Deme­ trios II. (229) fällt der Höhepunkt der Macht der beiden großen griechischen Bünde: das Gebiet der Ätoler reichte damals vom Ionischen zum Ägäischen Meer quer durch Mittelgriechenland; Thessalien und Achaia Phthiotis gehörten ihm ebenso an wie Böotien, Ambrakia und Amphilochien. An beiden Meeren besaßen die Ätoler Flottenstützpunkte, und vor ihren Schiffen war kein Küstenstrich mehr sicher. Nicht minder ansehnlich war das Gebiet der Achäer: es umfaßte außer Achaia die großen peloponnesischen Gemeinden Korinth, Sikyon, Argos, Megalopolis und einen Teil Arkadiens, vorwiegend also Gebiete, auf denen einstmals die Herrschaft der Makedonen in Hellas beruht hatte. Mit dem Ab­ zug der makedonischen Besatzung aus Athen i. J. 229 - das Geld für den rückständigen Sold der Besatzungstruppen ist vor­ wiegend durch auswärtige Spenden aufgebracht worden - er­ langte die Stadt die seit dem Ende des Chremonideischen Krieges verlorene Unabhängigkeit wieder. Von der makedonischen Herr­ schaft in Griechenland war nichts übriggeblieben außer der Feste Demetrias, der Insel Euböa und einigen Kykladen. Eine neue Epoche in der Geschichte des griechischen Mutterlandes schien an­ zubrechen. Das Erbe, das Antigonos Doson als Reichsverweser und Vor­ mund für seinen jungen Verwandten Philipp i. J. 229 über­ nommen hatte, war in mehrfacher Hinsicht außerordentlich be­ lastet. Die Notwendigkeit, zunächst an der Nordgrenze Make­ doniens - hier waren die Dardaner eingefallen - Ruhe zu schaf­ fen, erklärt die Passivität des Antigonos Doson bei der römischen

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Intervention in Illyrien gegen die dortigen Seeräuberstaaten, die bisher zur natürlichen Einflußsphäre Makedoniens gehört hatten. Wenn Makedonien unter Antigonos Doson dennoch ein allmäh­ licher Wiederaufstieg zuteil geworden ist, so ist dies auf größere Machtverschiebungen in Griechenland, vor allem in der Pelo­ ponnesos, zurückzuführen. Hier war i. J. 229 v. Chr. ein er­ bitterter Kampf um die Vorherrschaft zwischen dem Achäischen Bunde und Sparta entbrannt. In Sparta hatte König Kleomenes III. wie einst Agis das Problem der Neuverteilung des Grundes und Bodens aufgegriffen, indem er sich vor allem in den Periöken eine ergebene Gefolgschaft zu sichern versuchte. In der Tat war eine grundlegende soziale Reform in Sparta kaum noch zu um­ gehen. Die schweren Einbußen an fruchtbaren Gebieten (Mes­ senien war schon seit den Tagen des Epameinondas, die Kynuria durch Philipp II. den Spartanern verlorengcgangen) und die von 8000 i. J. 479 auf nur 700 in der Mitte des 3. Jahrhunderts gesunkene Zahl der spartanischen Vollbürger, von denen nur noch einhundert Grundbesitzer und damit auch in der Lage waren, ihre politischen Rechte wahrzunehmen, hatten die inneren Spannun­ gen zwischen arm und reich so verschärft, daß nur noch eine Re­ form an Haupt und Gliedern die Schwierigkeiten zu beheben ver­ sprach. König Kleomenes war sich dessen bewußt, daß er mit seinen Reformplänen bei den Ephoren auf den stärksten Wider­ stand stoßen würde. So blieb nur der Staatsstreich übrig. Er ließ i. J. 227 alle Ephoren bis auf einen niedermachen, erklärte das Ephorat, da es in der lykurgischen Verfassung nicht vorge­ sehen sei, für abgeschafft und trieb 80 der angesehensten spar­ tanischen Großgrundbesitzer in die Verbannung. Die Wieder­ herstellung der alten lykurgischen Verfassung und des alten spartanischen Kriegerlebens diente letztlich der Hebung der mili­ tärischen Schlagkraft des Staats; die Durchführung des inner­ politischen Programms war die Voraussetzung für eine Aktivie­ rung der spartanischen Außenpolitik, deren Ziel in der Errichtung der Hegemonie über die Peloponnesos bestand. Um Spartas Aufstieg zu begegnen, vollzog Aratos als leitender

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Staatsmann des Achäischen Bundes eine vollständige Schwenkung in der Außenpolitik. Um den Preis der Rückgabe des damals von Kleomenes besetzten Korinth an die Makedonen schloß er als bevollmächtigter Stratege ein förmliches Bündnis mit Antigonos Doson (225/4). Der makedonische König wußte die Gunst des Augenblicks zu nützen; er vereinigte die Achäer, Thessaler, Epeiroten, Akarnanen, Böoter, Phoker, Lokrer und die Insel Euböa in einem großen, allgemeinen Schutz- und Trutzbündnis unter makedonischer Hegemonie (224). Das Vorbild war wohl der Korinthische Bund Philipps II. vom Jahre 338/7. Doch waren die Mitglieder nicht wie einstmals vorwiegend einzelne Poleis, son­ dern Staatenbünde, die natürlich dem Bunde viel selbständiger gegenüberstanden als einst die vielen kleinen Stadtgemeinden. Der makedonische König war der Präsident des Bundes, er führte im Kriegsfall den Befehl über das Bundesheer. Über Krieg und Frie­ den hatte die Bundesversammlung zu entscheiden, ihr oblag auch die Festlegung der von den einzelnen Mitgliedern zu stellenden Kontingente für das Bundesheer. So war zum dritten Male in der Geschichte der Griechen durch makedonische Initiative eine große nationale Bundesorganisation geschaffen worden. Im Kampfe gegen Kleomenes III. hatte Antigonos Doson bald bedeutende Erfolge zu verzeichnen. Tegea, Orchomenos und Mantineia fielen in seine Hand (223); Mantineia, dessen Bevölkerung in die Sklaverei verkauft wurde, erhielt achäische Kolonisten; wenn es auch als Antigoneia eine Wiederauferstehung erlebte, so war doch die Versklavung der gesamten Bevölkerung ein Ereig­ nis, das in ganz Griechenland Entsetzen und Abscheu hervorrief. Die Entscheidung in dem Kampf um die Vorherrschaft in der Peloponnesos brachte die Schlacht bei Sellasia (Sommer 222). In ihr wurden die Spartaner unter Kleomenes durch die Makedonen und ihre Bundesgenossen entscheidend geschlagen. König Anti­ gonos zog als Sieger in Sparta ein, das damit zum ersten Male in seiner vielhundertjährigen Geschichte von einem siegreichen Fein­ de betreten wurde. Kleomenes war nach Ägypten geflohen, seine Reformen wurden wieder aufgehoben, das Königtum blieb un­

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besetzt. Sparta wurde Mitglied der panhellenischen Symmachie. Im übrigen hatten die Spartaner bei Sellasia geradezu verheerende Verluste erlitten. Sellasia bezeichnet noch einmal einen Höhepunkt, den letzten, der makedonischen Geschichte. Schon wenige Monate später (222/1) starb König Antigonos Doson nach einem Feldzug gegen die Illyrer. Als sein Nachfolger bestieg der junge Prinz Philipp, Sohn des Demetrios II., den Thron; er übte zunächst unter der Vor­ mundschaft des von Antigonos bestellten Regentschaftsrates die Regierung aus. Philipps Persönlichkeit hat Polybios in äußerst widerspruchsvoller Weise gezeichnet, und so bleibt uns auch heute noch manches an ihm unerklärlich. Daß der junge Herrscher für die Realitäten der Politik einen scharfen Blick besaß, das beweisen nicht allein die Urkunden, insbesondere seine Schreiben an Larisa in Thessalien, in denen er im Hinblick auf die römische Praxis eine Erweiterung der Bürgerzahl empfiehlt, das beweist vor allem auch sein i. J. 215 mit den Karthagern, Roms Feinden, abgeschlos­ sener Bündnisvertrag. Doch fehlte es Philipp anscheinend an der notwendigen Energie, seine Erkenntnisse auch in die Tat umzu­ setzen. An diesem Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen ist er gescheitert. Im Jahre 220 v. Chr. spaltete der Bundesgenossenkrieg Hel­ las in zwei Lager. Die Makedonen und ihre zahlreichen helle­ nischen Bundesgenossen, unter ihnen die Achäer, standen im Kampf gegen die Ätoler, die ihrerseits an den Spartanern Ver­ bündete fanden. Sogar Kreta, das bisher abseits der großen Politik ein Eigenleben geführt hatte, wurde in die Auseinandersetzung hineingezogen. Großzügige militärische Operationen waren nicht zu verzeichnen, dafür tobte sich der Haß der Gegner in Zerstö­ rungen und Plünderungen aus; die Ätoler verwüsteten in bar­ barischer Weise das makedonische Dion am Olymp, König Phi­ lipp blieb ihnen nach der Einnahme von Thermos nichts schuldig. Im großen und ganzen hat jedoch die von Antigonos Doson begründete hellenische Symmachie ihre Belastungsprobe bestan­ den. Durch Vermittlung von Rhodos, Chios und König Ptole­

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maios IV. Philopator kam cs i. J. 217 zum Friedensschluß von Naupaktos. Es ist der letzte gewesen, der allein zwischen Griechen geschlossen worden ist. An allen späteren sind die Römer maß­ gebend beteiligt. Wie ein vaticimum ex eventu liest sich die von Polybios überlieferte Rede des ätolischen Staatsmannes Agelaos in Naupaktos (Polyb. V 104, roff.); „Wenn einst einmal die Wolken, die nun vom Westen her aufsteigen, sich über Griechen­ land entladen, dann, fürchte ich sehr, wird es zu Ende sein mit den Verträgen, Kriegen und überhaupt mit unseren Spielereien, und wir werden noch zu den Göttern beten, daß sie uns die Frei­ heit wiedergeben, uns einander zu bekriegen und Frieden zu schließen, wann wir wollen, und überhaupt alle unsere Streitig­ keiten nach eigenem Ermessen zu schlichten." In Wahrheit war die Entscheidung über das Schicksal Griechenlands schon zwölf Jahre vorher gefallen, als sich Rom zur Intervention in Illyrien gegen die Königin Teuta entschlossen hatte. Die Ausplünderung itali­ scher Kaufleute vor dem epirotischen Phoinike veranlaßte die Römer, i. J. 230 durch eine Gesandtschaft die Forderung auf Wie­ dergutmachung (rerum repetitio) zu stellen. Als Teuta dies mit neuen Herausforderungen beantwortete, entschloß sich Rom mit der Entsendung beider Konsuln zum aktiven Eingreifen in Illyrien (229 v.Chr.). Das war ein Schritt, der die Römer unfehlbar in die politischen Wirren der Balkaninsel verwickeln mußte. Durch den Anschluß des illyrischen Dynasten Demetrios von Pharos gelang es den Römern, nicht allein auf Korkyra und Issa, sondern auch in Apollonia und Dyrrhachion (Durazzo) Fuß zu fassen. Die Atintanen und Parthiner schlossen sich den Römern an. Der i. J. 228 v. Chr. zwischen Rom und Teuta geschlossene Friede be­ gründete das römische Protektorat über die genannten Städte und Völker; sie waren, rechtlich gesehen, dediticii, doch erhielten sie weder römische Besatzungen noch waren sie zu Tributzahlun­ gen an Rom verpflichtet; allein Soldaten und Schiffe hatten sie den Römern zu stellen. Das Eingreifen Roms in Illyrien, das dem Seeraub endlich einen Riegel vorschob, wurde von der Mehrzahl der Griechen mit Freuden begrüßt. Ätoler wie Achäer statteten

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den Römern offiziell ihren Dank ab, und als i. J. 228 zum er­ stenmal römische Gesandtschaften in Hellas, in Korinth und in dem eben von makedonischer Herrschaft befreiten Athen erschie­ nen, da wurden sie enthusiastisch gefeiert, die Römer wurden durch ihre Zulassung zu den Isthmischen Spielen gewissermaßen als Stammesgenossen der Hellenen anerkannt. Auch die zweite römische Intervention in Illyrien erfolgte zu einem für Rom ungewöhnlich günstigen Zeitpunkt. Der römische Vasall Demetrios von Pharos war unter dem Eindrude des Auf­ stiegs Makedoniens unter Antigonos Doson von Rom zu den Makedonen abgefallen und hatte mit seinen schnellen illyrischen Lemboi dem italischen und griechischen Handel in der Adria schweren Schaden zugefügt. Obwohl Rom unmittelbar vor der entscheidenden Auseinandersetzung mit den Puniern stand, so entsandte man dennoch unter dem Befehl der beiden Konsuln L. Aemilius Paulius und M. Livius Salinator ein starkes Expeditions­ heer über die Adria. Mit der Einnahme des Stützpunktes Dimale und der Insel Pharos war das Ziel, die Vertreibung des Demetrios, binnen weniger Wochen erreicht (219). Seitdem Rom jenseits der Adria festen Fuß gefaßt hatte, lastete auf Makedonien ein Alpdruck, und die Furcht vor Rom ist es ge­ wesen, die Philipp V. in das karthagische Lager geführt hat (Ab­ schluß eines Bündnisvertrages zwischen Philipp und Hannibal i. J. 215). Der zehnjährige 1. Makedonische Krieg (215-205 v. Chr.) ist, im ganzen gesehen, kein Ruhmesblatt der makedoni­ schen Geschichte, das Unvermögen, die karthagischen und make­ donischen Operationen gegen die Römer miteinander in Einklang zu bringen, ist zu offensichtlich. Glücklicher war die römische Diplomatie in Hellas. Unter geschickter Ausnutzung der inner­ griechischen Spannungen wußte sie den Makedonen in den Ätolern einen starken Gegner zu erwecken (212). Von dem römischätolischen Bündnisvertrag ist ein größeres Bruchstück auf einer Inschrift aus Thyrrheion wiedergefunden worden. Die Urkunde ist im Hinblick auf die literarische Überlieferung (vor allem Poly­ bios; aber auch Livius XXVI 24), die sie an entscheidenden Punk­

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ten korrigiert, von größter Bedeutung. Im übrigen zeigt der Ver­ trag, der übrigens erst zwei Jahre später in Rom ratifiziert wor­ den ist, das große Entgegenkommen, das die Römer damals den Ätolern gegenüber bewiesen haben. Dem antimakedonischen Bündnis traten bald auch noch eine Reihe peloponnesischer Staaten (darunter Elis, Messene, Sparta) und von auswärtigen Mächten Attalos I. von Pergamon bei. Die Römer beteiligten sich wenigstens mit einer Flotte an den Kämp­ fen. So wurde Philipp gezwungen, seine Kräfte zu verzetteln. Obwohl der König an vielen Fronten zu kämpfen hatte (in Illy­ rien, an der makedonischen Nordgrenze, in der Peloponnesos), wußte er sich dennoch zu behaupten, ein Beweis für seine stra­ tegischen Fähigkeiten wie für die unerschütterte Stellung Make­ doniens und der von ihm geführten hellenischen Symmachie. Die Ätoler waren schließlich so geschwächt, daß sie ohne Rücksicht auf die Römer i. J. 206 einen Sonderfrieden mit Philipp schlos­ sen, der sie erhebliche Gebietsverluste kostete. An einer ent­ scheidenden unmittelbaren Auseinandersetzung mit Philipp war den Römern nichts gelegen, hätte dies doch eine bedeutende zu­ sätzliche Belastung ihrer eigenen Kriegführung gegen Karthago bedeutet. So kam es im Herbst 205 zum Frieden von Phoinike (in Epirus) zwischen Philipp und den Römern. Der Makedonenkönig behielt Atintanien, hatte aber das Gebiet der Parthiner so­ wie einige okkupierte illyrische Stützpunkte (Dimale, Bargullum u. a.) herauszugeben. Als Bundesgenossen waren auf Philipps Seite in den Frieden miteingeschlossen König Prusias von Bithynien, die Achäer, Böoter, Thessaler, Akarnanen und Epeiroten, auf Seiten der Römer König Attalos I. von Pergamon und der Illyrerfürst Pleuratos. Die Frage, ob der Friede von Phoinike als eine Koin£ Eirene (communis pax), die letzte der griechischen Ge­ schichte, zu betrachten ist, bedarf der Klärung. Dem Frieden von Phoinike folgte eine grundlegende Neuorien­ tierung der makedonischen Politik. Schon mitten im Kriege, i. J. 208, hatte König Philipp in Kassandreia eine große Kriegs­ flotte auf Kiel gelegt, jetzt, nachdem die Gefahr im Westen ge­

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bannt schien, glaubte er die Wendung nach Osten, zur Ägäis hin, vollziehen zu können. Das durch den Rückzug der ägyptischen Macht im letzten Viertel des 3. Jahrhunderts hier entstandene Va­ kuum hatten freilich inzwischen Rhodos und Pergamon ausgefüllt. Diese Staaten waren die nächsten Gegner der Makedonen. Um Rhodos abzulenken, mischte sich Philipp V. in den sog. Kretischen Krieg (205/4) ein und setzte den Flottenbau energisch fort. In Philipps Auftrag führte der Ätoler Dikaiarchos seine gefürchteten Plünderungsfahrten in der Ägäis; wo er landete, errichtete er der „Gottlosigkeit“ und „Gesetzwidrigkeit“ Altäre - so weit war die Auflösung des hellenischen Glaubens fortgeschritten! In Ägypten hatte Sosibios, der erste Ratgeber des Königs, eine im ganzen erfolgreiche und konsequente Außenpolitik geführt, die zur Festigung der Position des Ptolemäerreiches nicht wenig beigetragen hat. Die Schlacht bei Raphia (217) war der letzte große Erfolg, der einzige des Ptolemaios IV. Philopator (221-204), gewesen. Unmittel­ bar nach Raphia begann die nicht wieder abreißende Kette der ägyp­ tischen Eingeborenenaufstände, vor allem den Süden des Landes, die Theba'is, zogen sie in Mitleidenschaft. So wurde der Süden Ägyptens von 206 bis 185 von zwei nubischen Königen regiert; die reichen materiellen Hilfsquellen in Nubien und im Somalilande gingen damit den Ptolemäern verloren. Auch die Hauptabsatzgebiete des ptolemäischen Westhandels, Italien, Sizilien und Karthago, blieben in­ folge des 2. Punischen Krieges der ägyptischen Wirtschaft verschlos­ sen. Die finanziellen Schwierigkeiten Ägyptens beleuchtet der in­ folge Knappheit an Silber um 210 v. Chr. erfolgte Übergang zur Kupferwährung. Ihre Standardisierung (im Verhältnis von 1 :6o zum Silber) vermochte das drohende Gespenst der Inflation noch einmal zu bannen. Eine neue Situation schuf der Tod des Ptolemaios IV. Philopa­ tor in Ägypten (Herbst 204). Der allmächtige Günstling des Kö­ nigs, Sosibios, hielt sein Ableben zunächst geheim: man fürchtete mit Recht außenpolitische Schwierigkeiten, war doch der Nach­ folger, Ptolemaios V. Epiphanes, noch ein kleines Kind und re­ gierungsunfähig. In der Tat verständigten sich Antiochos III. und

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh.v.Chr. 401 Philipp V. in einem Geheimvertrag über eine förmliche Auf­ teilung des Ptolemäerreiches (Winter 203/2). Dabei sollten dem Seleukiden Cypern, die ptolemäischen Besitzungen in Kilikien und Lykien sowie das südliche Syrien, also der Löwenanteil, zu­ fallen, Philipp V. hatte sich mit den ptolemäischen Kykladen und der thrakischen Küste zu begnügen. Niemand von den Beteilig­ ten ahnte, daß dieser Raubvertrag, der an die Liga von Cambrai oder an den Vertrag Rußlands, Dänemarks und Sachsen-Polens gegen den jungen Karl XII. erinnert, eine neue Epoche der Welt­ geschichte einlciten würde. Aus ihm hat sich die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Rom und der hellenistischen Welt ergeben.

y. Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jahrhundert v. Chr.

Die hellenistischen Staaten auf dem Boden des Alexanderreiches in Asien und in Ägypten sind durch Eroberung entstanden, sie sind „speergewonnenes Territorium“ ihrer Gründer, der Diadochen, und werden als Privateigentum innerhalb der neuen Dyna­ stien vererbt. Anders Makedonien, das Land, von dem einst Alex­ ander zur Eroberung des Achämenidenreiches aufgebrochen war: hier blieb bis Philipp V. (222/1-179) das alte angestammte pa­ triarchalische Heer- und Volkskönigtum bestehen: der König der Makedonen war de iure nichts anderes als der primus inter pares seiner adligen Hetairoi; nur die königlichen Ehrenrechte hatte er vor ihnen voraus. Den hellenistischen Staaten (wieder mit der Ausnahme von Makedonien) ist das Fehlen des nationalen Cha­ rakters gemein; sie sind Nationalitätenstaaten. So herrscht im Se­ leukiden- wie im Ptolemäerreich eine zahlenmäßig weit unter­ legene Minderheit von Fremden, Makedonen und Griechen, über eine breite Schicht von Landeseinwohnern. Die Fremden verdan­ ken ihre Funktionen und ihre soziale Stellung ausschließlich der 26

Bengtson, SA

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Gnade des Königs; mit ihm und mit seiner Dynastie sind sie auf Gedeih und Verderb verbunden. Mit Stolz fügen die makedoni­ schen Offiziere und Funktionäre ihrem Namen das Wort „Makedone“ hinzu, selbst der König hält an dieser Sitte fest. Mit der Eroberung des Achämenidenreichs durch Alexander ist der Terri­ torialstaat im Bereiche der griechischen Welt geboren worden: alle Reichsbewohner, mochten sie nun zu den Siegern oder zu den Be­ siegten gehören, waren Untertanen des Königs, wenn auch in einer im einzelnen vielfach abgestuften Form. Das entscheidende Merkmal der hellenistischen Staaten ist ihre Weiträumigkeit; sie hat die neuen Herren der eroberten Gebiete vor vollständig neue organisatorische Aufgaben gestellt, die von den Makedonen und Griechen in glänzender Weise gemeistert worden sind. Nicht zufällig weist gerade die Diadochenzeit, aber auch die folgende Generation, eine Fülle von überragenden Persönlichkeiten auf: was die Enge der Heimat ihnen versagt hatte, das wurde den Makedonen und Griechen in den Weiten Asiens und Ägyptens in hohem Maße zuteil: ein unermeßliches Feld für politische und wirtschaftliche Planungen. Dazu kam eine große Bevölkerungszahl, die sich als ein Machtfaktor ersten Ran­ ges erwiesen hat. Das Reich des Seleukos umfaßte beim Tode des Gründers (281) etwa Millionen qkm; zieht man die sehr dünn besiedelten Gebiete des iranischen Hochlandes und die un­ bewohnte weite Fläche der Persischen Wüste ab, so bleiben etwa 600000 qkm in Kleinasien, Nordsyrien und Mesopotamien, zum großen Teil Kulturland, übrig. Wesentlich kleiner war das Gebiet des ersten Ptolemäers. Zusammen mit den Außenbesitzungen, mit der Cyrenaica, mit Cypern, Südsyrien, mit Teilen der anatolischen Küste, Inseln der Ägäis und den Besitzungen in Thrakien, ist sein Flächeninhalt auf etwa 100000 qkm zu veranschlagen; das Antigonidenreich in Makedonien und Hellas ist nur auf etwa 70000 qkm zu schätzen. Alle übrigen hellenistischen Staaten waren we­ sentlich kleiner; der pergamenische Staat der ersten Attaliden (vor der ephemeren Eroberung des seleukidischen Kleinasien durch den 1. Attalos) war eine vergrößerte Polis, ähnlich wie Syrakus unter

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im J. Jh. v. Chr. 403 Hieron II., das nach dem Friedensschluß mit Rom nur 11 000 qkm zählte. Die Bevölkerungszahlcn sind schwer zu schätzen. Ägypten (ohne Alexandrien) hatte im 1. Jahrhundert v. Chr. angeblich 7 Millionen Einwohner; für die übrigen Staaten fehlt jede Be­ rechnungsgrundlage, so daß man auf Einzelangaben besser ver­ zichtet. In ihrem Aufbau und in ihren Institutionen weisen die aus dem Alexanderreich hervorgegangenen hellenistischen Staaten manche Ähnlichkeit auf, die sich auf dem Gebiet des Herrscherkults, der Reichsorganisation und der Wehrordnung manifestieren. Verschie­ denheit von Bevölkerung und Tradition bedingen jedoch in vielen Einzelheiten tiefgreifende Unterschiede, so daß von einer „Einheit innerhalb der Vielheit“ nur mit Einschränkung gesprochen werden kann.

Alexanders Eroberung des Achämenidenreichs ist es gewesen, die das hellenistische Königtum und mit ihm die abendländische Monarchie begründet hat. Mochte Alexanders Monarchie auch als die Verwirklichung gewisser kosmopolitischer Tendenzen der grie­ chischen Philosophie des 4. Jahrhunderts, vor allem des Kynismus, erscheinen, so war sie ihrem Wesen nach doch himmelweit ver­ schieden von jenem idealen Bilde, das sich der griechische Geist von der Herrschaft des überragenden Individuums geformt hatte. Die Berührung und Verschmelzung des makedonischen Heerkönig­ tums mit dem Großkönigtum der Achämeniden und mit den durch dieses aufgenommenen Traditionen der alten Babylonier und As­ syrer sind es gewesen, die den Charakter der Alexandermonarchie maßgebend bestimmt hatten. Im Nillande war Alexander der Nachfolger der Pharaonen, in Babylon erwies er dem Reichsgott Marduk seine Reverenz, den Persern gegenüber wollte er als der legitime Nachfolger der Achämeniden erscheinen. So haben alle alten Weltreiche an der Wiege des neuen universalen Königtums gestanden.

Was Alexander versagt geblieben war, haben seine Marschälle Seleukos und Ptolemaios erreicht: die Gründung einer Dynastie. Ihr fehlte allerdings das Wichtigste: die Legitimität. Mit Hilfe der

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Mythologie, der Aufstellung von Stammbäumen, die die Diado­ chen mit Zeus, Apollon, Herakles oder Alexander in Verbindung brachten, suchte man dem Mangel abzuhelfen. Vor allem ist es aber die hellenistische Philosphie der Kyniker und Stoiker ge­ wesen, die das neue Herrschertum legitimierte. Ausgehend von der echt griechischen Idee vom Recht der überragenden Einzel­ persönlichkeitbegründeten die Philosophen das monarchische Recht der Diadochen mit ihren Fähigkeiten, d. h. mit den Beweisen, die sie als Heerführer wie als Politiker von ihrem überragenden Kön­ nen der Welt gegeben hatten. Die monarchische Idee kam zudem der stoischen Weltanschauung weitgehend entgegen: wie Zeus im Himmel, so sollte als sein Abbild auf Erden der König regieren; das war ein Gedanke, den übrigens schon Isokrates in seiner Schrift ,Nikokles‘ (III 26) ausgesprochen hatte. Es ist kein Zufall, wenn manche stoische Philosophen im 3. Jahrhundert an den hellenisti­ schen Königshöfen, als Freunde und Berater des Antigonos Gonatas, aber auch des Spartaners Kleomenes III., zu finden waren. Der König wurde für die Untertanen zum Nomos Empsychos, zur lex animata, zum beseelten Gesetze. In der Monarchie manifestierte sich das vernünftige Prinzip im Weltgeschehen; ihm zum Durch­ bruch zu verhelfen, mußte die vornehmste Aufgabe des stoischen Weisen sein. Über alle Schranken von Herkommen, Volkstum und sozialer Stellung hinweg schuf sich die Philosophie ein Bild des idealen Staates auf Erden; in dem stoischen Bilde vom Hirten und von der Herde fand es seinen Ausdruck. Das patriarchalische Ele­ ment war es, das der unbeschränkten hellenistischen Monarchie die sittliche Rechtfertigung verlieh. Das wichtigste äußere Kennzeichen der hellenistischen Königs­ würde ist das Diadem, das Stirnband, das zuerst Alexander nach achämenidischem Vorbild getragen hat. Von den hellenistischen Höfen ist das Diadem zu den Thrakern, den südrussischen Sky­ then und Sarmaten, ja bis nach Indien gelangt. Auch Frauen ha­ ben es gelegentlich getragen, zuerst wohl die energische Arsinoe II. Dagegen haben es die ersten Antigoniden ebenso wie Agathokles von Syrakus, die Könige von Epirus und Sparta nicht angelegt.

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh.v.Chr. 405 Erst Philipp V., dessen Regierung in Makedonien den Umbruch zum Absolutismus bezeichnet, hat sich mit dem Diadem ge­ schmückt, wie er auch als erster der Antigoniden sein Bildnis auf die Münzen setzen ließ, nachdem die Diadochen und die anderen hellenistischen Könige hierin längst vorangegangen waren. An­ dere Symbole der hellenistischen Herrscherwürde waren der Sie­ gelring (an den hellenistischen Höfen hat es auch das Amt des Großsiegelbewahrers gegeben) und das heilige Feuer, das Wahr­ zeichen der Ewigkeit der Herrscherwürde, das neben dem Thron geflammt hat, auch dies ein Erbe der Achämenidenzeit. Die helle­ nistischen Monarchien haben es dem römischen Kaisertum weiter­ gegeben. Ein monarchisches Element war die im Ptolemäer-, Anti­ goniden- und Attalidenreich übliche Zählung nach den Regierungs­ jahren des Königs; in der Form der Zählung der Jahre der tribunicia potestas ist die Sitte von Augustus übernommen worden. Echt hellenistisch ist die eigentümliche Form der Mitregent­ schaft; nachdem Antigonos Monophthalmos i. J. 306/5 seinen Sohn Demetrios zum Mitregenten mit dem Titel 'Basileus’ bestellt hatte, ist sie vor allem im Seleukiden- und Ptolemäerhause viel­ fach üblich geworden (Seleukos I. und Antiochos I. seit 294/3, Ptolemaiosl. und Ptolemaios II. seit 285 sind die ersten Beispiele); sie diente offenbar dazu, den Übergang der Königswürde auf den Nachfolger zu sichern. Bei den Seleukiden war der Mitregent ge­ legentlich (wie Antiochos I. als Kronprinz) „Generalgouverneur der Oberen Satrapien“, d. h. der Gebiete jenseits des Euphrats mit der Residenz in Seleukeia am Tigris. Die Mitregentschaft erscheint unter den späteren Ptolemäern zur sog. „Samtherrschaft“ von zwei oder mehr Herrschern gesteigert, zuerst in den Personen des 6. und 8. Ptolemäers. Neuartig war die Teilnahme der Frauen an der Regierung. Hier führt eine Linie von Arsinoe II. über die Ptolemäerkönigin Kleopatra I., über die Herrscherinnen Kleopatra II. und III. zur letzten Kleopatra, neben der die männ­ lichen Inhaber des Lagidenthrones nur noch Statisten gewesen sind. Eine Übernahme achämenidischer Bräuche ist die in helleni­ stischer Zeit oft bezeugte Geschwisterheirat in den Herrscherhäu-

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sern; dabei mag der Gedanke im Hintergrund gestanden haben, Erbansprüche fremder Dynastien von vornherein auszuschalten. Bald hat sich übrigens in hellenistischer Zeit eine Art societas regum gebildet, ebenbürtige Heiraten sind durchaus die Regel (eine bemerkenswerte Ausnahme ist Antiochos III.). An den hellenistischen Höfen in Alexandrien, Antiocheia und Pella lebte die makedonische Tradition in der Institution der „Leibwächter“ und des „Pagenkorps" weiter. Die von den Achämeniden, aber auch von dem pharaonischen Ägypten übernommenen Bezeichnungen der „Verwandten“ des Königs, der „Freunde“ wur­ den in vielfach abgestufter Form ähnlich wie die Bezeichnung „Erzleibwächter“ allmählich zu bloßen Hofrangtiteln, wie dies vor allem die Entwicklung im ptolemäischen Ägypten im 2. Jahr­ hundert erkennen läßt. Gemeinsam ist den hellenistischen Reichen auch der Herrscher­ kult; nur in Makedonien existiert er nicht. Der hellenistische Kö­ nigskult ist der sinnfälligste Ausdruck für die absolutistische Re­ gierungsform, er ist die Grundlage des Königtums, an ihm haben sich alle Untertanen ohne Unterschied des Standes, der Religion und der Abstammung beteiligt. Seine Wurzeln reichen in vor­ hellenistische Zeiten zurück (s. S. 230!.); vor allem die Forderung göttlicher Ehren von den Griechen durch Alexander i. J. 324 v. Chr. ist es gewesen, die den Herrscherkult in der hellenistischen Welt begründet hat. In Ägypten muß im übrigen zwischen dem ägyptischen und dem hellenistischen Herrscherkult streng unterschieden werden. In den ägyptischen Königskult, der nur für die alten Landesein­ wohner, die Fellachen, obligatorisch gewesen ist, sind natürlich auch die Ptolemäer (wie vor ihnen Alexander d. Gr., Philipp Arrhidaios und Alexander IV.) als Nachfolger der Pharaonen auf­ genommen worden. Als solche haben sie - wie einst die Perser­ könige - die altägyptischen Titulaturen, insbesondere die Bezeich­ nung „Sohn des Re“ geführt. Nach den Ptolemäern haben die rö­ mischen Kaiser von Augustus bis Diokletian Eingang in diesen Kult gefunden, ein Beispiel für die feste Verwurzelung einer durch

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den jahrtausendealten Brauch geheiligten Tradition in diesem kon­ servativen Lande. Der eigentliche hellenistische Königskult ist im Ptolemäerreich - ebenso wie bei den Seleukiden - erst eine Schöpfung der zweiten Generation, hier des klugen Ptolemaios II., der erst seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. Philadelphos genannt wird. Dieser ge­ borene Staatsmann hat seinen Vater, Ptolemaios I., nach dessen Heimgang i. J. 283 als „rettenden Gott“ konsekrieren lassen; diesem Kult wurde dann auch der seiner Gemahlin, der Berenike I., nach ihrem Tode hinzugefügt. Später ist auch die Schwester­ gemahlin des 2. Ptolemäers, Arsinoe II., nach ihrem Ableben (9. Juli 270) unter dem Kultnamen „bruderliebende Göttin“ apotheosiert worden. Die Idee, Verstorbene zu Göttern zu erheben, entstammt der Vorstellungswelt der Griechen und bedeutete eine Steigerung der Heroisierung überragender Menschen, wie wir dies z. B. bei Städtegründern und Gesetzgebern feststellen können. Der hellenistische Königskult galt für alle Untertanen der Ptole­ mäer in gleicher Weise, mochten sie nun Makedonen, Griechen, Ägypter oder sonstige Reichsangehörige sein. Ptolemaios II. ist jedoch noch einen Schritt weiter gegangen: er hat den Kult seiner eigenen Person und seiner Schwestergemahlin Arsinoe II. unter dem Namen des „göttlichen Geschwisterpaars“ eingerichtet und damit die Verehrung der lebenden Herrscher be­ fohlen, eine Anordnung von ungeheurer Tragweite. Wurde doch der König durch die von ihm selbst angeordnete Apotheose schon zu seinen Lebzeiten über alle Untertanen emporgehoben. Das Kö­ nigtum wurde in eine höhere Sphäre gerückt, die Grundlagen des absoluten Herrschertums „von Gottes Gnaden“ waren gelegt. Die folgenden Ptolemäer haben an der Apotheose der Lebenden fest­ gehalten: nach ihrer Thronbesteigung haben sie einen Kultnamen angenommen, unter dem sie, gemeinsam mit ihren Frauen, als die „wohltätigen Götter“, die „vaterliebenden Götter“, die „in Er­ scheinung getretenen Götter“ usw. göttliche Verehrung genossen. Eigentümlich ptolemäisch war schließlich der Kult Alexanders d. Gr., den bereits der erste Ptolemäer, jedenfalls nach 311 v. Chr.,

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geschaffen hat. Es war dies ein Reichskult, und als seine Priester erscheinen die Mitglieder der vornehmsten makedonischen Fami­ lien, ja gelegentlich sogar die Ptolemäerkönige selbst. Alexander ist so zum Reichsgott des Ptolemäerreiches und zum Patron der Ptolemäerdynastie geworden, die an ihn auch genealogisch anzu­ knüpfen suchte. Unter dem Namen „Alexandros“ - er heißt nie „Gott Alexander“! - scheint Alexander den olympischen Göttern geradezu gleichgestellt. Von dem Reichskult verschieden ist der städtische Kult des Sladtgründers Alexander in Alexandrien ge­ wesen, der möglicherweise schon zu Lebzeiten des großen Make­ donen geschaffen worden ist. Von dem offiziellen Herrscherkult der Seleukiden ist wenig be­ kannt. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß er durch Aniiochos I. eingeführt worden ist. Er hat seinen Vater Seleukos I. nach dessen Tode als Zeus Nikator zum Gott erhoben und ihm einen Tempel geweiht. Vielleicht hat Antiochos I. auch den nach Satra­ pien gegliederten Reichskult für den lebenden Herrscher geschaf­ fen, der später, zu Beginn des 2. Jahrhunderts, von Antiochos III., dem großen Reorganisator des Reiches, weiter ausgestaltet worden ist. Neben dem vom König befohlenen Reichskult stand der von den griechischen Stadtgemeinden des Reiches getragene Kult der Seleukiden. Er beruhte auf freiwilliger Grundlage und wurde von den einzelnen Poleis sehr verschieden organisiert. Der hellenistische Herrscherkult hat sich als ein vortreffliches Bindemittel der völkisch uneinheitlichen Reiche der Seleukiden und der Ptolemäer erwiesen. Die kleinen hellenistischen Staaten ha­ ben ihn vielfach übernommen. Noch heute zeugt die Inschrift vom Nemrud Dagh von der Organisation des Herrscherkults im Klein­ staat des kommagenischen Fürsten Antiochos I. (1. Jahrhundert v. Chr.), wobei sich iranische mit griechischen Elementen verbin­ den. Für die geistige Entwicklung der antiken Welt ist kaum eine andere Erscheinung von so großer Tragweite gewesen: in dem geistigen Ringen zwischen dem römischen Staate und dem Chri­ stentum steht der Kaiserkult im Brennpunkt der Auseinander­ setzung, wie dies etwa der Briefwechsel des Jüngeren Plinius mit

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh.v.Chr. 409 dem Optimus Princeps Trajan (Plin. ep. X 96) oder die Libelli der decianischen Christenverfolgung aus der Mitte des 3. Jahr­ hunderts n. Chr. erkennen lassen. Gemeinsam ist den drei hellenistischen Großstaaten die Existenz der makedonischen Heeresversammlung. Die Heeresversammlung der Makedonen ist ein Überrest aus jener Zeit, in der es in Make­ donien ein Wahlkönigtum, noch kein Erbkönigtum gegeben hat. Über die Zeit Alexanders d. Gr. hinaus - sie ist auf dem Asienzuge des öfteren in Aktion getreten - hat sie sich in den hellenisti­ schen Großreichen bis ans Ende des politischen Hellenismus erhal­ ten. Die wichtigsten Befugnisse der makedonischen Heeresver­ sammlung bestanden immer noch in der formalen Bestätigung des neuen Königs (acclamatio), in der Bestellung eines Vormundes bei Unmündigkeit des Herrschers, in der Anerkennung von königlichen Testamenten sowie endlich in der Aburteilung von Staatsverbre­ chern. Eine ganz besondere Bedeutung ist der Heeresversammlung bekanntlich in der Diadochenzeit zugefallen, aber auch noch unter den Antigoniden, den Seleukiden und Ptolemäern hat sie oft Entscheidungen von großer politischer Tragweite getroffen. Aller­ dings hat in den Ostreichen später nur noch das in den Haupt­ städten Alexandrien und Antiocheia in Garnison liegende Militär die Rechte der Heeresversammlung ausgeübt. Im Laufe der Zeit hat sich auch die hauptstädtische Bevölkerung gewisse Rechte bei­ gelegt und ihren Willen oft in recht tumultuarischen Auftritten durchzusetzen verstanden. Im Wesen der altmakedonischen Hee­ resversammlung liegen die Entartungserscheinungen, die in Alex­ andrien zu einem regelrechten Prätorianerregiment geführt haben, nicht begründet. Vielmehr dokumentiert sich in ihnen der fort­ schreitende Verfall des Makedonentums, dem inmitten einer ihm fremden Umwelt die Verbindung zum Mutterland und zu seinen völkischen Kraftquellen verloren gegangen ist. Die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den einzelnen helleni­ stischen Staaten sind aus der Verschiedenheit ihrer völkischen Struktur, aus der spezifischen Tradition des Landes sowie aus der Eigenentwicklung der einzelnen Reiche zu erklären. Besonders

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deutlich spiegelt sich im Reich der Seleukiden das Erbe wider, das dieser Staat von den Persern übernommen hat. Innerhalb sei­ ner Grenzen, die sich i. J. 281 v. Chr. vom Hindukusch bis zur Ägäis, vom Kaukasus bis zum Persischen Golf erstreckten, beher­ bergte es eine fast unübersehbare Zahl von Völkern und Nationa­ litäten, Iranier (Perser, Meder, Baktrer, Parther u. a.), Semiten (Babylonier, Syrer, Phöniker, Juden), Anatolier, Makedonen und Griechen. Auch die Organisation des Reiches entsprach der der Achämeniden. Wie im Perserreich existierten drei Kategorien von Untertanen des Königs, die Dynasten, die Poleis und die Völker­ schaften. Die Dynasten, große Grundherren in Kleinasien und im Iran, erkannten zwar die Oberhoheit der Seleukiden an, waren jedoch tatsächlich nahezu unabhängig, wenn auch zur Stellung von Truppen und zur Entrichtung von Abgaben verpflichtet. Zu den weltlichen Dynastien kamen die geistlichen, dargestellt durch die ausgedehnten kleinasiatischen und nordsyrischen Tempelterrito­ rien, deren Herren, die Hohenpriester, über eine große Zahl von Hörigen und Sklaven geboten. Die griechischen Poleis standen ebenfalls außerhalb der seleukidischen Territorialverwaltung, nur die Völkerschaften waren der unmittelbaren Aufsicht durch die vom König bestellten Statthalter unterworfen. Ihr Territorium wurde offiziell als „das Gebiet“ bezeichnet. Die Gliederung des Reiches in Satrapien, Hyparchien und Toparchien war ein Erbteil der Alexanderzeit und darüber hinaus wohl schon des Perser­ reiches. Im ganzen mag das Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht, i. J. 281 v. Chr., etwa 25-30 Satrapien gezählt haben. Obwohl sich das Gesamtterritorium in den folgenden Jahrzehnten dauernd verminderte, wurde die Satrapienzahl größer; besonders im Kerngebiet des Reiches, in Syrien und Mesopotamien, aber auch in Kleinasien kam es zur Aufspaltung der großen Verwal­ tungseinheiten, zu einer Entwicklung, die vor allem von Antio­ chos III. gefördert worden ist. Gegenüber der grobschlächtigen persischen Satrapienverwaltung hatte sich das seleukidische System in vielen Punkten verfeinert. Während das unruhige Kleinasien, das durch die Galater und aus-

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im j. Jh.v.Chr. 411 wärtige Feinde ständiger Bedrohung ausgesetzt war, in Nach­ ahmung der Praxis des Antigonos Monophthalmos und des Lysimachos durch Militärgouverneure (Strategen) verwaltet wurde, lag die Administration der übrigen Satrapien in der Mitte und im iranischen Osten des Reiches noch immer in den Händen von Satrapen. Sie befanden sich im Vollbesitz der Gerichts- und Fi­ nanzhoheit und beherrschten wie Könige im kleinen die ihnen unterstellten Provinzen. Die Satrapen makedonischen Geblüts verfügten dazu über die gesamten militärischen Streitkräfte ihres Landes, während den einheimischen Satrapen in der Regel make­ donische Offiziere als Militärbefehlshaber (so in Babylonien, Kap­ padokien, Kilikien) an die Seite gestellt wurden. Im Osten wie im Westen schufen die ersten Seleukiden zwei große Generalgou­ vernements mit Seleukeia am Tigris und Sardes als Zentren. Über die Oberen Satrapien, genauer über das Land östlich des Euphrats, führte seit 294 oder 293 der Kronprinz Antiochos, der spätere Antiochos I., die Oberaufsicht; eine jüngst in Nihawend (Iran) ge­ fundene Inschrift nennt einen Menedemos, „Generalstatthalter der Oberen Satrapien“, aus den späteren Jahren des Antiochos III. In Kleinasien erscheint schon seit dem 1. Jahrzehnt der seleukidischen Herrschaft ein ähnliches Oberkommando; unter Seleukos II. wurde Sardes sogar die Residenz des Mitkönigs Antiochos Hierax (241-228), unter Antiochos III. hat sich Achaios, der Schwager des Königs, als Generalgouverneur des Westens die Krone aufs Haupt gesetzt (2 21 -213). Antiochos III. ist es gewesen, der das altgewordene Seleukidenreich an Haupt und Gliedern reformiert hat: er hat im gesamten Reich das in Kleinasien herrschende Strategensystem eingeführt und damit eine erhebliche Steigerung der militärischen Leistungs­ fähigkeit der Satrapien erreicht. Neben dem Strategen als Mili­ tär- und Zivilbefehlshaber der Satrapie stand der „Finanzbeauf­ tragte“ als Haupt- der Finanzverwaltung, die in dem „Ver­ walter“ (Dioiketes) zentralisiert war. Die iranischen Satrapien, die Antiochos III. bei seiner „Anabasis“ dem Reiche zurückge­ wonnen hatte, blieben in der Form von Vasallenstaaten (unter

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Königen oder Satrapen mit weitgehender Selbständigkeit) dem Reichskörper verbunden. Außerhalb der Territorialverwaltung standen im Seleukidenreich vor allem die großen griechischen Poleis im Westen Klein­ asiens. Die Seleukiden haben ihnen gegenüber keine einheitliche politische Linie verfolgt, sondern das Verhältnis der Gemeinden zum Reich von Fall zu Fall geregelt. Die Haltung der Seleukiden war jedoch wesentlich liberaler als die des thrakischen Königs Ly­ simachos, der die ionischen Städte mit schweren Abgaben belastet und sie der direkten Aufsicht eines königlichen Strategen unter­ stellt hatte. Doch ist es den Seleukidenkönigen nicht gelungen, die Griechenstädte organisch dem Reichskörper zu verbinden. Im allgemeinen wurde die Eleutherie und Autonomie der Poleis ge­ achtet, sofern sie nur den Seleukiden in Notzeiten die Treue hiel­ ten. Formal beruhte das Verhältnis der Polis zum Herrscher auf einem Bundesvertrag, doch vermochte der König seinen Willen ohne Schwierigkeiten auch in den inneren Angelegenheiten der Städte zur Geltung zu bringen; gab es doch in den meisten von ihnen eine seleukidische Partei und befand sich doch in vielen eine seleukidische Besatzung. Mit vollem Recht hat Polybios (XXI 41, 2) die Zahlung von Abgaben, die Besatzungen und die Ent­ gegennahme königlicher Befehle als charakteristisch für die Lage der kleinasiatischen Griechenstädte unter den Seleukiden bezeich­ net. Im übrigen haben die Poleis, die griechischen ebenso wie die großen phönikischen Seestädte, aus der schwierigen Lage des Seleukidenreiches oft Kapital geschlagen, und im ausgehenden 2. Jahr­ hundert v. Chr. gab es kaum noch eine einzige bedeutende phö­ nikische Kommune, die nicht in den Besitz der vollständigen Selb­ ständigkeit gelangt wäre. Trotz der organisatorischen Schwierigkeiten haben die Seleukiden die kulturelle Bedeutung der hellenischen Poleis wohl zu schätzen gewußt. Es ist daher kein Zufall, wenn gerade Seleukos I. und sein Sohn Antiochos I. ihrer Herrschaft durch die Gründung zahlreicher städtischer Siedlungen in den Weiten des Ostens den notwendigen Rückhalt gegeben haben. Eine große Zahl von Neugründungen

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh.v.Chr. 413 des Seleukos I. weist makedonische Namen auf. An Bedeutung ra­ gen unter den neuen Städten das als „Trutzbabylon“ gegründete Seleukeia am Tigris, die neue Reichshauptstadt Antiocheia am Orontes, die Seestadt Seleukeia in Pieria hoch hervor. Manche al­ ten orientalischen Stadtgemeinden erhielten neue Siedler und einen neuen Namen, so Nisibis (Antiocheia), Karkemisch (Europos), Thapsakos (Amphipolis) und das durch die französisch-amerikanischen Ausgrabungen in unserer Zeit so berühmt gewordene Dura-Europos (Sälihiyeh) am mittleren Euphrat. Die großen wirtschaftlichen Möglichkeiten lockten zahlreiche griechische Kaufleute, Gewerbe­ treibende und Künstler nach Vorderasien; Seleukeia am Tigris, am Schnittpunkt des Handels zwischen Indien und der phöniki­ schen Küste sowie des Durchgangsverkehrs vom Norden zum Per­ sischen Golf gelegen, soll 600000 Einwohner gezählt haben, und die Reichshauptstadt Antiocheia stand kaum hinter ihr zurück. Manche der Neugründungen mögen Kommunen nach makedoni­ schem Muster gewesen sein, d. h. sie entbehrten der vollen Frei­ heit und Autonomie, die ja für die griechischen Poleis eine Grund­ lage der Existenz bildeten, und standen unter der Aufsicht kö­ niglicher Funktionäre. Neben den Städten gab es eine bedeutende Zahl von Katoikien, „Niederlassungen“; in ihnen wurden vor allem jene Teile der Bevölkerung angesiedelt, aus denen sich das seleukidische Reichsheer rekrutierte. Dieser Siedlungstypus war im Inneren Anatoliens, im Iran, in Medien, Persien und Baktrien vorherrschend, und die Existenz einer großen Zahl von Katoikien im Osten ist die wichtigste Voraussetzung für die gewaltige Ex­ pansion des baktrischen Hellenentums in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Die Armee der Seleukiden setzte sich zusammen aus dem ste­ henden Heere (zum großen Teil Söldner) und aus den Reserven. Während die Söldner im Frieden als Besatzungen der Reichs­ festungen, von Sardes, Antiocheia am Orontes, Apameia, Baby­ lon, Susa u. a., dienten, lebten die Reservisten so lange im Be­ urlaubtenstand in den Katoikien, bis sie das Aufgebot des Königs zu den Fahnen rief. Die Heereszahlen waren beträchtlich. An-

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tiochos’ III. Heer bei Raphia (217) zählte 70000 Mann, ebensoviele standen bei Magnesia (190) gegen die Scipionen im Felde. Die Zahlen betragen etwa das Dreifache der Heere der Antigoniden. Wie einst das Perserheer so setzte sich auch die Streitmacht der Seleukiden aus den verschiedensten Elementen zusammen; das Heer war ein getreues Abbild des seleukidischen Völker- und Na­ tionalitätenstaates. Neben Söldnern aus dem Bereiche der gesam­ ten griechischen Welt bildete die als „Makedonen“ bezeichnete Schicht der Landeseinwohner den Kern, die sog. Phalanx, und zwar scheint jeder Formation und ihren Unterabteilungen (Chiliarchien, bei der Reiterei: Hipparchien) ein besonderes Gebiet als „Kanton“ zugewiesen worden zu sein, aus dem sich die Einheit im Mobilmachungsfall ergänzte, eine Fortsetzung der altmakedo­ nischen landschaftlich gegliederten Heereseinteilung (s. S. 279). Das zahlenmäßig größere Kontingent zum Heere stellten die asia­ tischen Völker des Reiches; neben Dahern, Kadusiern, Karmanen, Medern und Persern zog man vor allem auch die wehrhaften Ein­ wohner Anatoliens, die Myser, Pisider u. a., zum Heeresdienst heran, und zwar um so häufiger, je mehr die Schicht der Make­ donen zusammenschmolz. Die Fäden der gesamten Militärverwal­ tung liefen in den Händen des „Staatssekretärs für das Heer­ wesen“ zusammen. Eine nennenswerte Flotte haben die Seleuki­ den niemals besessen. Die Kosten für das Heer, den Hofhalt des Königs und für die allgemeine Verwaltung des Reiches wurden durch Steuern aufge­ bracht. Alle Untertanen des Reiches, die Dynasten, Poleis und die Völkerschaften, waren zur Entrichtung eines „Beitrages“ (Phoros) verpflichtet, der teils in Naturalien (so vor allem im Oberen Asien), teils in Geld gezahlt werden mußte. Neben dem Phoros existierten noch eine Dekate, ein „Zehnter", und verschiedene Kategorien von anderen Steuern, darunter auch die „Kranzgel­ der“, Zahlungen bei außergewöhnlichen Gelegenheiten, die später vielfach den Charakter legitimer Erpressungen angenommen ha­ ben. Von wichtigen Verbrauchssteuern ist die Salzsteuer zu nen­ nen. Die weitaus größten Einkünfte flössen dem König aus seinem

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Domänenbesitz zu. Scharen von hörigen Bauern und Sklaven ar­ beiteten auf den königlichen Gütern, die vor allem in Westklein­ asien und Babylonien bezeugt sind. Die Dienste ihrer Großen und Günstlinge belohnten die Seleukiden mit reichen Landschenkun­ gen; die vergebenen Territorien wurden aus dem „Königsland“ ausgegliedert und dem Gebiet benachbarter Poleis zugeschla­ gen. Mögen sich die ersten Seleukiden nun als bewußte Vorkämpfer einer Makedonisierungs- oder Hellenisierungspolitik betrachtet ha­ ben oder nicht - das Werk des Seleukos I. und des Antiochos I. ist von säkulärer Bedeutung gewesen. Vor allem in den neugegründe­ ten städtischen Zentren schlug mit den Ansiedlern aus Makedonien und Hellas auch die griechische Kultur feste Wurzeln, ja sogar in entlegenen Provinzen wie Media Atropatene und Kleinarmenien hat sich die griechische Sprache gegenüber dem Aramäischen durch­ zusetzen verstanden. Auch an den Bewohnern Vorderasiens ist die innige Berührung mit griechischem Menschentum, griechischem Glauben und griechischen Lebensformen nicht spurlos vorüber­ gegangen. Die Annahme griechischer Namen durch Babylonier, das griechische Formular der Freilassungsurkunden aus dem Tem­ pel der Nanaia in Susa auch noch im 2. Jahrhundert v. Chr. spre­ chen eine deutliche Sprache. In sozialer Hinsicht bedeutete das Kommen der Griechen in Asien eine völlige Umschichtung der früheren Verhältnisse: an die Seite der iranischen Landlords und der phönikischen Großkaufleute trat jetzt eine breite griechische Oberschicht, die, durch die Seleukidenherrscher gefördert, sich bald im Besitz beträchtlicher Vermögen und großen wirtschaftlichen und politischen Einflusses befand. Bedenklich war jedoch das zah­ lenmäßige Mißverhältnis zwischen den Asiaten und den Griechen: nur wenn es gelang, immer neuen Nachschub griechischen und ma­ kedonischen Menschentums in die Weiten Vorderasiens zu lenken, konnte das Werk der ersten Seleukiden von Dauer sein. Eine an­ dere Gefahr war der Einfluß der orientalischen Religionen auf die Griechen: anatolische, syrische, phönikische, arabische Götter haben sich nicht nur behauptet, sondern sie sind auch im Leben der Hel-

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lenen in Asien eine Macht geworden - ein Zeichen für den be­ deutenden Einfluß der orientalischen Geisteswelt auf das Denken und Fühlen der Griechen in der neuen Heimat. Eine gewisse Bedeutung hat die iranische Oberschicht im Seleukidenreich besessen: wir kennen nicht wenige Iranier, die in der Reichsverwaltung wichtige Stellen innegehabt haben. Natürlich darf aber ihre Rolle nicht überschätzt werden, ähnlich wie die der einheimischen Ägypter im Ptolemäerreich des 3. Jahrh. v.Chr. Von den Iraniern, den Parthern, ist bald nach der Mitte des 3. Jahr­ hunderts der erste Schlag gegen die Herrschaft der Seleukiden ge­ führt worden; auch die Absplitterung Baktriens mit seinen vielen griechischen Katoikien hat die Position des Hellenentums in Asien entschieden geschwächt, wenn den baktrischen Herrschern auch in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts die Eroberung Nordwest­ indiens gelungen ist. Denn das baktrische Griechentum orientierte sich nach dem Osten, seine Kräfte fielen für die Seleukiden aus. Mit der Gründung des Partherreichs hatte das Vorspiel zu dem Entscheidungskampf zwischen dem Hellenismus und den boden­ ständigen Kräften Asiens begonnen. Der eigentliche Kampf füllt die Geschichte Vorderasiens im 2. Jahrhundert v. Chr. Erst als Pompejus i. J. 63 v. Chr. den Euphrat zur Grenze zwischen den Römern und Parthern machte, fanden die Kräfte des Griechen­ tums unter der Herrschaft der Römer jenen Rückhalt, dessen sie, um sich zu behaupten, so dringend bedurften. Der zweite hellenistische Großstaat, das Ptolemäerreich, ist der geschlossenste staatliche Organismus gewesen, den der Hellenismus überhaupt hervorgebracht hat. Im Osten und Westen durch schwer passierbare Wüsten geschützt, hatte Ägypten in der Diadochenzeit den Invasionen des Perdikkas und des Antigonos getrotzt und dadurch Zeit gewonnen, sich unter der klugen Führung des 1. Pto­ lemaios im Inneren und nach außen zu konsolidieren. Unter dem zweiten Ptolemäer erreichte es den unbestrittenen Höhepunkt sei­ ner Macht, seine führende Rolle in der hellenistischen Welt hat es auch unter Ptolemaios III. Euergetes (246-221) behauptet, erst am Ausgang des 3. Jahrhunderts zeigen sich unter Ptolemaios IV.

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Philopator deutliche Zeichen des beginnenden Niederganges. Die Außenbesitzungen - vor allem die Cyrenaica, Cypern, Südsyrien, ferner die Stützpunkte an der südanatolischen und thrakischen Küste sowie auf den Inseln der Ägäis - verliehen dem Ptolemäer­ reich den Charakter eines um das Ostbecken des Mittelmeeres ge­ legenen Seereichs, das bis zu einem gewissen Grade das Erbe des Demetrios Poliorketes angetreten hatte. Gegenüber dem Seleukidenreich hatte der Staat der Ptolemäer den unbedingten Vorteil der äußeren und inneren Einheitlichkeit. Hatten es die Seleukiden mit einer Vielzahl von Völkern zu tun, so herrschten die Ptolemäer nur über die makedonisch-griechische Oberschicht und über die ägyptischen Fellachen, die sich seit Jahrtausenden an geduldige Fronarbeit im Dienste der Pharaonen gewöhnt hatten. Imponiert das Werk der ersten Seleukiden durch seine enorme Breitenwir­ kung, so ist die Kunst der Ptolemäer, aus den reichen Hilfsquellen des Landes und aus der Arbeitskraft seiner Bewohner das Letzte herauszuholen, im ganzen Hellenismus ohne Beispiel. Mehr noch als die persische Tradition ist im ptolemäischen Ägypten die uralte Überlieferung des Pharaonenreiches, vor allem in der Landesverwaltung, in der Organisation der Priesterschaft und der Tempel und nicht zuletzt in dem ausgeklügelten System der Liturgien und Fronden lebendig geblieben. Es kann jedoch keine Rede davon sein, daß die ersten Ptolemäer die pharaonischen Institutionen in Bausch und Bogen übernommen hätten. Mit der Einführung der griechischen Bürokratie haben die beiden er­ sten Ptolemäer vielmehr ein vollständig neues Element in die Landesverwaltung eingefügt. Das Experiment ist in vollem Um­ fange gelungen: Ägypten war ja von jeher das Land der „Schrei­ ber“, und es machte für den Fellachen kaum einen Unterschied, ob die Verwaltungssprache aramäisch oder griechisch war, da er beide nicht verstand. Die Einheitlichkeit der Landesverwaltung ließ die Gründung zahlreicher griechischer Poleis als unzweck­ mäßig erscheinen: nur in Oberägypten schuf Ptolemaios I. in der Stadt Ptolemais ein neues Verwaltungszentrum für die Thebai's. Mit den Scharen der Makedonen und Griechen schlug auch die 27

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hellenische Kultur auf dem flachen Lande feste Wurzeln; in den Gaumetropolen erhoben sich griechische Gymnasien, griechische Erziehung und griechische Bildung fanden im gesamten Niltal bis an die Grenzen Nubiens - sogar in Omboi gab es ein Gymnasium - ihre Wohnstatt. Im Gegensatz zu dem föderativen Aufbau des Seleukidenreiches war das Reich der Ptolemäer straff zentralisiert. Die Spitze der Reichsverwaltung war der König, der, wenn er seinen Beruf ernst nahm wie die beiden ersten Ptolemäer, ein geradezu gigantisches Arbeitspensum zu erledigen hatte. Jeder Untertan hatte das Recht, sich mit einer Immediateingabe an den Monarchen zu wenden, die von diesem oder von seinem Kabinettschef gelesen und durch einen Bescheid an die zuständigen Verwaltungsbehörden erledigt wurde. Der eigentliche Verwalter des Reichs, das der König als seinen privaten Besitz betrachtete, war der Dioiketes, als dessen Proto­ typ uns die Zenonpapyri den reichen Griechen Apollonios unter dem 2. Ptolemäer kennengelehrt haben. Das Land war in Gaue (Nomoi) wie zur Zeit der Pharaonen eingeteilt, deren Zahl (etwa 40) im einzelnen Schwankungen unterworfen war. In die Verwaltung des Gaues teilten sich zunächst der Stratege, der je­ doch im Laufe des 3. Jahrhunderts von dem Befehlshaber der Be­ satzungstruppen zum allmächtigen Chef der gesamten Gauver­ waltung emporgestiegen ist, der Oikonomos als Leiter der Finanz­ verwaltung und der Nomarches, dessen umfassende Kompetenzen aus der Zeit der Pharaonen und der Achämeniden durch die ersten Ptolemäer auf die Aufsicht über das Ackerland eingeschränkt wor­ den waren. Neben ihnen standen der Antigrapheus (als Kollege des Oikonomos) und der „Königliche Schreiber“, jeder mit einem ganzen Heer von untergeordneten Funktionären. Die „Gaue“ zer­ fielen in Toparchien, diese in Dörfer, dies die kleinsten Einheiten der ägyptischen Landesverwaltung, eine jede mit ihren Funktionä­ ren, den Toparchen und Topogrammateis, den Komarchen und Komogrammateis. Die Gaue des Südens von Lykopolis (Assiüt) an waren, anscheinend schon seit dem Ende des 3. Jahrhunderts, zu einem Generalgouvernement unter einem „Strategen der The-

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh.v.Chr. 419 bai’s“ zusammengefaßt. Nadi den Erschütterungen der großen Ein­ geborenenaufstände erscheint in den 70er Jahren des 2. Jahrhun­ derts ein Epistratege für die gesamte ägyptische Chora, d. h. ein Militärbefehlshaber von ganz Ägypten mit Ausnahme von Alex­ andrien. Die Außenbesitzungen des Reiches - die Cyrenaika, Cy­ pern, Südsyrien (offiziell als „Syrien und Phönikien“ bezeichnet) wurden im Namen des Königs durch Strategen verwaltet; diese waren im Besitz der gesamten militärischen, zivilen und finanziel­ len Befugnisse, also eine Art von Vizekönigen. Die Statthalter­ schaft von Kyrene und Cypern ist gelegentlich auch von Mitglie­ dern der königlichen Familie bekleidet worden, so ist Menelaos, der Bruder des ersten Ptolemäers, Stratege von Cypern gewesen, Magas, der Stiefsohn des Herrschers, Vizekönig von Kyrene. In den späteren Jahrhunderten sind aus den Statthalterschaften ge­ legentlich Sekundogenituren erwachsen; auch Reichsteilungen sind vorgekommen. Im großen und ganzen ist die Verwaltung des Pto­ lemäerreichs als zwar stark bürokratisiert, aber nicht als kompli­ ziert zu bezeichnen, wenngleich man besonders in Ägypten selbst eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den einzelnen Funktionären in der Gauverwaltung vermissen wird - dies sicher­ lich ein Erbe der Pharaonenzeit. Die Rechtsprechung in Ägypten war in den beiden alexandrini­ schen Gerichtshöfen, dem Gericht der Chrematisten (für die Make­ donen und Griechen) und dem der Laokriten (für die Einheimi­ schen), zentralisiert. Im übrigen hat aber der Gaustratege je länger desto mehr Funktionen der Rechtsprechung an sich gezogen. In den Außenländern waren wohl die Provinzialgouverneure zu­ gleich die obersten Instanzen der Rechtsprechung. Außer auf den reichen materiellen Hilfsquellen des Reiches be­ ruhte die Herrschaft der Ptolemäer auf dem Heer. Es bestand aus Makedonen und Söldnern, unter denen neben zahlreichen Griechen auch manche nichtgriechischen Elemente zu finden waren, Thraker, Galater, Myser, Phryger, Perser u.a. In Alexandrien lag eine starke Garnison, auch die Grenzfestungen, vor allem Pelusion und Elephantine, waren durch Besatzungen gesichert. In der Geschichte

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des 2. Jahrhunderts v. Chr. haben die in Cypern stationierten Truppen eine entscheidende Rolle gespielt. Um die Söldner ver­ schiedenster Nationalität enger mit dem Lande und dem Herrscher zu verbinden, haben die ersten Ptolemäer viele Soldaten in der Chora, besonders im Faijüm, angesiedelt. Auf eigenem Grund und Boden, als sog. Kleruchen (später Katoikoi genannt), haben die Berufssoldaten für die Melioration des Landes Vorbildliches ge­ leistet und das Vertrauen der Könige glänzend gerechtfertigt. Im Gegensatz zur seleukidischen Praxis wurden die Söldner nicht in Gruppen gemäß den militärischen Formationen, denen sie ange­ hörten, sondern in buntem Durcheinander angesiedelt, wo eben gerade ein Landlos frei war. Die einzelnen Nationalitäten waren - ähnlich wie die Juden in der Hauptstadt Alexandrien - als „Politeumata“ organisiert. Diese haben jedoch sehr bald ihre völkische Bedeutung verloren und sind zu „pseudoethnischen“ Verbänden geworden, wie dies etwa an den „Persern der jeweils neuen Ge­ neration“ am besten zu beobachten ist. Erst Ptolemaios IV. Philopator hat die Einheimischen für das Heer aufgeboten. Die Zahl der Makedonen ging in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Ägypten ebenso wie im Seleukidenrcich stark zurück, und die Söldner kosteten teures Geld. Bald wurden die Ägypter sich ihrer Unentbehrlichkeit bewußt, und die Kette der Eingeborenenauf­ stände ist seit dem Ende des 3. Jahrhunderts nicht mehr abgerissen. Die Flotte, das eigentliche Machtinstrument der Ptolemäer in der Außenpolitik, wurde zu einem Teil von den großen See­ städten des Reiches, griechischen wie phönikischen, gestellt. Philokles, der König von Sidon, war einer der bedeutendsten Ad­ miräle des zweiten Ptolemäers. Wie einst die Athener so bedienten sich die Ptolemäerkönige der Trierarchie: die Lasten für den Bau und die Ausrüstung der Kriegsschiffe wurden auf die Schultern der reichsten Bürger gelegt, so wie einst Alexander die Indusflotte durch seine Trierarchen hatte erbauen lassen. Den Kern der See­ macht bildete wohl die königliche Flotte, in deren Dienst zahl­ reiche Ägypter als Ruderknechte verwandt wurden. An der Spitze der Marineverwaltung stand im 2. Jahrhundert ein eigener

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh. v.Chr. 421 „Staatssekretär für das Flottenwesen“, ein Gegenbild zu dem „Kriegsminister“. Als die offiziellen Nachfolger der ägyptischen Pharaonen waren die Ptolemäer auch die Schutzherren der mächtigen, auf eine ur­ alte Tradition zurückblickenden ägyptischen Priesterschafl, die unter den Ramessiden geradezu einen eigenen Staat im Staate gebildet hatte. Anders als das teilweise feindliche Verhalten der Achämeniden, insbesondere des Kambyses, war die Haltung der Ptolemäer durch das Bestreben bestimmt, die ägyptische Kirche zwar unter strikter wirtschaftlicher Kontrolle zu halten, ihr aber in den Angelegenheiten des Glaubens und des Kultus volle Frei­ heit zu lassen. So haben sich die Ptolemäer von Eingriffen in die innere Organisation des einheimischen Klerus ferngehalten; doch behaupteten sie nach wie vor ihr Obereigentumsrecht an dem den Tempeln zur Nutznießung überlassenen Land. In dem Epistates bestellten die Ptolemäer einen königlichen Funktionär, der ins­ besondere über die Verpflichtungen der Tempel gegenüber der Krone zu wachen hatte. Im ganzen sahen die Herrscher darauf, daß ihnen die Tempel mehr eintrugen als sie kosteten. Sehr spar­ sam waren die ersten Ptolemäer auch mit der Verleihung der Asylie an Heiligtümer. Erst in der späteren Ptolemäerzeit verfuhr man großzügiger, so daß die Tempel jetzt die Zufluchtstätten der Einheimischen wurden, die sich in ihnen vor Zwangsarbeit, vor drückender Besteuerung und vor dem Zugriff der Behörden durch Flucht in Sicherheit brachten. Die Ptolemäerkönige waren zweifellos die reichsten Herrscher der hellenistischen Welt. Ihre Haupteinnahmequellen waren der Landbesitz, die Wirtschaft und der Handel. Als Nachfolger der Pharaonen nannten die Ptolemäer in Ägypten riesige Ländereien ihr Eigen. Sie wurden durch „Königsbauern“, freie Pächter, unter Aufsicht königlicher Funktionäre bestellt. Die Königsbauern hat­ ten dem Herrscher einen jährlichen Pachtzins, dazu eine große Zahl sonstiger Abgaben, teils in natura, teils in Geld, zu entrich­ ten. Bei der Aussaat, dem Dreschen und Abliefern des Getreides wurden sie scharf überwacht. Neben dem „Königsland“ gab es

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den Begriff des „konzedierten Landes“, dessen Erzeugnisse der Freigabe durch die königliche Verwaltung unterlagen. Daneben existierten noch vier weitere Kategorien, das Tempelland, das Kleruchenland, das Lehnsland, das sich zumeist im Besitz großer Würdenträger des Königs befand, sowie das Privatland. Alle Ka­ tegorien brachten dem Könige reiche Einkünfte, die mittels eines ausgeklügelten Steuerzahlungssystems beigetrieben wurden. Die Höhe der Erträge hing alljährlich von der Überschwemmung des Fruchtlandes durch den Nil ab; alles kam daher darauf an, das Kanalsystem, das eine gleichmäßige Überschwemmung der Felder gewährleistete, in Ordnung zu halten. Zahlreiche griechische Fach­ leute und ein Heer von zwangsrekrutierten Ägyptern waren stän­ dig mit Arbeiten an Dämmen und Deichen beschäftigt. Den Pto­ lemäern standen riesige Kornmengen zur Verfügung, die von der Chora auf dem Nil nach Alexandrien in die königlichen Lager­ häuser gebracht wurden. Das Getreide war der wichtigste Posten des ptolemäischen Außenhandels und spielte auch in der Außen­ politik oft eine entscheidende Rolle. Das eigentliche Rückgrat des ptolemäischen Staatswesens aber bildete die Wirtschaft. Sie war in ihren wichtigsten Teilen eine Monopolwirtschaft. Der Anbau der Ölfrüchte und die Ölherstel­ lung, die Weberei, Walkerei, die Bierbrauerei, der Bergbau, das Bankwesen, die Papyrusfabrikation und viele andere Wirtschafts­ zweige waren in den Händen des Königs monopolisiert. Am strengsten wurde das Ölmonopol gehandhabt; es war ein voll­ ständiges Produktions- und Verkaufsmonopol, die Herstellung er­ folgte ausschließlich in königlichen Betrieben. Die Einkünfte des Königs aus der Wirtschaft sowie aus den Export- und Importzöl­ len waren enorm. Mit ihrer Hilfe erzielten die Ptolemäer eine aktive Handelsbilanz, die sehr vonnöten war, da die Ausgaben für die Flotte, das Heer und die Hofhaltung in Alexandrien rie­ sige Summen verschlangen. Die ganze damalige Welt war auf die ptolemäischen Industrieprodukte eingestellt. Linnen, Glaswaren und Elfenbeinarbeiten, Weihrauch und Kosmetika fanden ihren Weg bis an die Grenzen der Oikumene; ptolemäische Erzeugnisse

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finden sich u. a. in China, in Indien, in Zentral- und Nordafrika, im Norden und Westen Europas sowie in den südrussischen Step­ pen. Papyrus, Linnen und Glas nennt Cicero (Pro Rab. Post. § 40) als ägyptische Frachten für Puteoli im 1. Jahrhundert v. Chr. Alexandrien war zudem der große Umschlaghafen für den Südund Osthandel des Ptolemäerreichs mit Indien und Ostafrika. Ptolemaios II. hatte den alten Kanal vom Nil durch die Bitter­ seen zum Roten Meer (beim heutigen Suez) wieder instand ge­ setzt, einen Teil Arabiens (die Gegend von Taima) unterwor­ fen und damit den unmittelbaren Anschluß Ägyptens an den ara­ bischen Karawanenhandel hergestellt. Die Aufnahme des direkten Seeverkehrs mit Indien fällt jedoch erst gegen Ende des 2. Jahr­ hunderts v. Chr. (117 oder 116 v. Chr.), nachdem man die Regel­ mäßigkeit des Wehens der Monsunwinde entdeckt und diese für den Verkehr über das hohe Meer nach Indien ausgenützt hatte. Vorher waren die Insel Sokotra und Arabia Eudaimon (Aden) die Umschlagplätze für den Handel zwischen Ägypten und Indien. In der modernen Forschung hat man seit J. G. Droysen gern eine Parallele zwischen der ptolemäischen Staatswirtschaft und dem Merkantilsystem des modernen aufgeklärten Absolutismus gezogen. In der Tat ist für die Ptolemäer ebenso wie für die Mer­ kantilisten das Geldbeschaffen das zentrale Problem der Wirt­ schaft gewesen. Freilich ergeben sich bei näherem Zusehen auch grundlegende Unterschiede; so geht der moderne Merkantilismus von dem Begriff des Nationalstaates aus, während das ptolemäische Ägypten doch alles andere als ein antiker Nationalstaat gewesen ist. Wie im Seleukidenreich so herrschte im Nilland eine makedonische Dynastie, die das ganze Land und die gewaltige Arbeitskraft seiner Bevölkerung als das Objekt ihrer Wirtschafts­ politik ausbeutete. Alle Einkünfte kamen dem König zugute, nur seine Beauftragten und seine Funktionäre gelangten in den Genuß der Privilegien. Wie einst in der Pharaonenzeit waren die Ein­ heimischen die Lastenträger; auf ihre Dienste (Leiturgien) konnte der König, zumal beim Korntransport, bei der Arbeit in den Berg-

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werken und Steinbrüchen sowie bei den großen Bauten und Me­ liorationen nicht verzichten. So ist das ptolemäische Ägypten das klassische Beispiel für eine von oben, vom Staate her gelenkte Wirtschaft im Altertum gewesen, und die großen wirtschaftlichen und politischen Erfolge, vor allem der ersten drei Ptolemäer, schie­ nen die Zweckmäßigkeit des Systems zu bestätigen. Erst im 2. und vollends im 1. Jahrhundert v. Chr. überwogen die Schattenseiten, bis das Ptolemäerreich als das letzte der hellenistischen Reiche das Opfer der römischen Annexionspolitik geworden ist. Von den Fremden, Makedonen wie Griechen, haben es wohl nur die Ver­ trauensleute des Königs, Männer wie der Dioiketes Apollonios un­ ter Ptolemaios II., zu großen Vermögen gebracht, aber auch die Hellenen der Griechenstädte Alexandrien, Naukratis und Ptolemais werden recht wohlhabend gewesen sein, und wenn sich im ganzen 3. Jahrhundert ein ununterbrochener Zustrom hellenischer Einwanderer in die ägyptische Chora ergoß, so müssen hier die Er­ werbs- und Lebensmöglichkeiten beträchtlich viel besser gewesen sein als im griechischen Mutterland. Auf ägyptischem Boden, im Dienst der makedonischen Dynastie der Ptolemäer verkörpern die zugewanderten Griechen, Männer der geistigen Berufe, Gewerbe­ treibende, Kaufleute, Bauern und Soldaten, den ausgesprochenen Spezialistentypus des homo oeconomtcus bzw. des homo technicus. Von der politischen Ebene verlagerte sich das Können der Griechen in Ägypten auf die Ebene des Rationalen, des Technischen in Ver­ waltung und Wirtschaft. Auf diesem Feld hat der griechische Geist mitten in einer ihm fremden Umwelt, umgeben von einer fremden Bevölkerung, Großes und Dauerndes geschaffen. Die Wirkung dessen, was die Griechen in Ägypten geleistet haben, ist in Staat und Wirtschaft noch bis tief in die Kaiserzeit hinein spürbar. Der dritte der großen hellenistischen Staaten, das Reich der Antigoniden in Makedonien und Griechenland, war zwar an Um­ fang und Bevölkerungszahl der kleinste, besaß aber vermöge der Einheitlichkeit seiner Bevölkerung vor den beiden anderen Rei­ chen entscheidende Vorteile. Wie einst unter den Argeaden war Makedonien ein Staat mit einer vorwiegend feudalen Struktur.

Wesen und Aujbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. Jh. v. Chr. 425 Der König war zugleich der größte Grundbesitzer; aus den Do­ mänen, Forsten und Bergwerken flössen ihm reiche Einkünfte zu. Das eigentliche Rückgrat des Staatswesens bildeten jedoch nicht die Magnaten und die makedonischen Adelsgeschlechter, sondern die vielen kleineren Landbesitzer, die im Kriege wie einst zu König Philipps Zeiten als Pezhetairen in der Phalanx ihren Mann standen. Enge politische und wirtschaftliche Beziehungen bestanden vor allem zwischen Makedonien und Griechenland; die makedonischen Münzen waren in Hellas weit verbreitet. Von den makedonischen Häfen entwickelte sich Thessalonike zu einem Handelsplatz ersten Ranges, besonders eng waren seine Beziehun­ gen zu Delos und Rhodos. Große Bedeutung kam Demetrias-Pagasai zu, der starken, von Demetrios Poliorketes in Thessalien geschaffenen Feste. Die Buntheit seiner Bevölkerung spiegelt sich in den Aufschriften der pagasäischen Grabstelen deutlich wider. Die Griechen haben allerdings die Herrschaft der ihnen stamm­ verwandten Makedonen in Hellas zu allen Zeiten nicht anders als eine Knechtschaft empfunden, so daß der Gegensatz zwischen Makedonen und Griechen geradezu zu einem bestimmenden Fak­ tor der Politik des 3. Jahrhunderts geworden ist. Die Makedonen ihrerseits haben es nicht verstanden, sich auf die Mentalität der Griechen einzustellen, so daß es niemals zu einer makedonisch­ griechischen Reichsbildung auf europäischem Boden gekommen ist. Der Staat des Königs Antigonos Gonatas (276-239) beruhte auf dem Treueverhältnis der Makedonen zu dem Herrscherhaus der Antigoniden, das die Tradition der Argeaden fortsetzte. Die stärkste Säule des Staates war das makedonische Volksheer, in dem die Überlieferungen Philipps II. und Alexanders eifrig ge­ pflegt wurden. Die späteren Antigoniden haben auch zahlreiche Söldner in ihre Dienste genommen, vor allem Philipp V., der über­ haupt die entscheidende Wendung vom patriarchalischen Volks­ staat zum echt hellenistischen Staat vollzogen hat. Im Frieden dienten die Söldner vornehmlich als Besatzungen in Griechenland. Der Aufbau des Antigonidenreiches war streng dualistisch. Neben dem makedonischen Hauptland und dem mit diesem durch Per-

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sonalunion verbundenen Thessalien standen die Außenbesitzun­ gen, in erster Linie die griechischen Gebiete (mit Korinth als Mit­ telpunkt), ferner die makedonischen Nebcnlande wie Päonien. Makedonien (und anscheinend auch Thessalien) zerfiel in eine An­ zahl von „Kreisen“, deren Verwaltung in einem städtischen Mit­ telpunkt unter einem königlichen „Landeshauptmann“ zentrali­ siert war. Die Einteilung galt jedoch offenbar nur für Niedermake­ donien. In dem städtearmen Obermakedonien wurde die seit Phi­ lipp II. übliche landschaftliche Organisation beibehalten, wobei der alteingesessene Adel die Häupter der allgemeinen Landesver­ waltung der Orestis, Eordaia, Tymphaia, Elimeia usw. und die Kommandeure der aus den einzelnen Landschaften rekrutierten Truppenteile stellte. Eine städtische Autonomie gab es in Make­ donien nicht: die Poleis waren vielmehr als die Mittelpunkte der Verwaltung in die allgemeine Organisation des flachen Landes miteinbezogen; ihr Eigenleben hielt sich in engen Grenzen. Das makedonische Vorbild lebte übrigens in den Neugründungen der Seleukiden in Asien, aber auch in dem ptolemäischen Alexandreia und in dem attalidischen Pergamon weiter. Die makedonischen Nebenlande standen unter der unmittelbaren Herrschaft des Kö­ nigs, der sie durch seine Beauftragten, Strategen, verwalten ließ. Dies gilt insbesondere für die päonische Grenzmark, als deren Statthalter in der Zeit Philipps V. ein einheimischer Fürst namens Didas erscheint, aber auch für das thrakische, von Philipp V. ge­ gen Ende des 3. Jahrhunderts wieder unterworfene und an Make­ donien angeschlossene Küstengebiet und nicht zuletzt für die un­ ter makedonischer Herrschaft stehenden griechischen Landschaften. Als Repräsentant des Antigonos Gonatas residierte in Korinth ein makedonischer Vizekönig, seit 280 Krateros, der Sohn des Kra­ teros und der Phila, ein Halbbruder des Königs, nach ihm Alex­ ander, Krateros’ II. Sohn, der in den 50er Jahren von Antigonos abfiel. I-Iierdurch wie durch den Verlust Korinths an den Achäischen Bund (243) wurde die makedonische Herrschaft in Hellas schwer getroffen, die makedonischen Besatzungen und die durch die Makedonen gestützten Tyrannenherrschaften, vor allem in

Wesen und Aufbau der hellenistischen Staatenwelt im 3. ]h. v. Chr. 427 der Peloponnesos, waren den Griechen ein Dorn im Auge. Erst als Antigonos Doson i. J. 224 Korinth zurückgewann, entfaltete sich das makedonische Dominat in Hellas zu neuer Kraft. Die Pe­ loponnesos stand seit 221 v. Chr. unter einem besonderen Militär­ befehlshaber, Taunon, der im sog. Bundesgenossenkrieg (220-217) eine bedeutende Rolle gespielt hat. Besondere, möglicherweise von dem Generalgouverneur in Korinth abhängige Statthalterschaften existierten in Phokis und in Dolopien. Auch die von Philipp V. in den Jahren von 201-197 okkupierten karischen Gebiete wur­ den durch einen Strategen und mehrere Epistaten verwaltet. Vom Ende des Chremonideischen Krieges bis zum Jahre 229 v. Chr. stand auch Athen unter der unmittelbaren Herrschaft der Make­ donen. Während in der ersten Phase des makedonischen Dominats, bis 255 v. Chr., ein makedonischer Gouverneur die Geschicke der Stadt lenkte, die athenischen Strategen auf Vorschlag des Makedonenkönigs gewählt wurden und außer dem Piräus und dem Museionhügel auch eine Reihe anderer Plätze in Attika durch makedonische Besatzungen gesichert blieben, wurde nach der Rück­ gabe der „Freiheit“ an Athen die Behandlung entschieden libera­ ler, wie dies etwa die in den Inschriften aufgezeichnete Formel über die Opfer „für den Demos und den König“ (der hier also erst an zweiter Stelle erscheint) erkennen läßt. Die größte Schwäche der makedonischen Position lag darin, daß es den Königen nicht gelungen ist, die Außenbesitzungen mit dem Kernland zu einem organischen Ganzen zu verschmelzen. Ein „makedonisches Reich“ hat es niemals gegeben, die Herrschaft des Antigonos Gonatas und seiner Nachfolger blieb in Hellas auf Zwang und Gewalt begründet - bis sie durch die Proklamation des T. Quinctius Flamininus an den Isthmien des Jahres 196 aus­ gelöscht wurde. Dennoch war Makedonien durch die Geschlossen­ heit seiner Bevölkerung und durch sein Volksheer, das einzige des Hellenismus, ein bedeutender Machtfaktor in der Mittelmeerwelt, und erst als die makedonische Phalanx bei Pydna von den römi­ schen Manipeln überwunden worden war (168 v. Chr.), begann ein neuer Abschnitt der Weltgeschichte, die Herrschaft der Römer.

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Neben den drei großen hellenistischen Monarchien hat es im 3. Jahrhundert keine Mächte von Bedeutung im Bereich der grie­ chischen Welt gegeben. Der Staat der Attaliden ist erst durch den römischen Diktatfrieden von Apameia (188 v. Chr.) zu einer größeren Macht in Kleinasien geworden, und von den Monarchien im Norden und Osten Anatoliens, Bithynien, Kappadokien, Pon­ tos und Armenien, hat nur der Pontos, und zwar dank der über­ ragenden Persönlichkeit dcsMithradatesEupator, zu später Stunde eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt. In Griechenland war die Zeit der Polis im 3. Jahrhundert v. Chr. endgültig vorüber. Wollte man sich gegenüber den auswärti­ gen Mächten, vor allem gegenüber Makedonien, behaupten, so mußte man den alteingewurzejten Partikularismus überwinden und sich zusammenschließen. In zwei großen Staatenbünden, dem Koinon der Ätoler und dem Bunde der Achäer, der erste schon i. J. 367/6 v. Chr., der zweite seit 280 v. Chr. bezeugt, hat diese Idee Gestalt angenommen und das Schicksal von Mittel- und Südhellas maßgebend mitgeformt. Bezeichnenderweise waren nicht die alten berühmten Poleis Träger des neuen Bundesgedankens, sondern Landschaften, die bisher keine irgendwie führende Rolle in der Geschichte Griechenlands gespielt hatten. Durch die Schaffung eines Bundesbürgerrechts wurde den Angehörigen der zum Bunde gehörigen Gemeinden (neben dem Recht, in einer anderen Bundes­ gemeinde Grundbesitz zu erwerben und mit einer Bürgerin aus einem anderen Bundesorte eine rechtsgültige Ehe zu schließen) das aktive und passive Wahlrecht im gesamten Koinon zuteil - ein außerordentlich wichtiger Schritt, der die Überwindung der engen Polisschranken anbahnte. Anderseits fehlte es den beiden Bün­ den an einer echten Hegemonie, weder die Ätoler noch die Achäer besaßen als Koinon einen Vorort, die ätolische Bundesversamm­ lung traf sich im heiligen Bezirk vonThermos, die Versammlungen der Achäer fanden regulär beim Tempel des Zeus Amarios bei Aigion statt, seit dem Ende des 3. Jahrhunderts aber auch an an­ deren Orten. So ist es zur Ausbildung einer Zentralgewalt in den Bünden niemals gekommen. Allerdings war die Spitze des Bun-

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des, bei den Achäern wenigstens seit 255 v, Chr., monarchisch geformt; für die Politik und die Kriegführung war der „Präsi­ dent“ (Stratege) verantwortlich, der jedoch, ebenso wie die ande­ ren Bundesorgane, der Hipparch, der Staatssekretär (bei den Achäern gab es auch noch einen Flottenbefehlshaber), alljährlich gewählt wurde. Gegenüber den griechischen Bundesstaaten hatten die alten Po­ leis in Griechenland nur wenig zu bedeuten. Das hellenistische Kö­ nigtum, das König Areus II. (309/8-265) und später Kleomenes III. in Sparta erstrebten, ist ein Wunschtraum geblieben. In der Schlacht bei Sellasia (222) wurden die machtpolitischen spartani­ schen Aspirationen endgültig begraben. Im östlichen Mittelmeer behauptete das reiche Rhodos seine überragende wirtschaftliche Bedeutung als Handelsmetropole. Seine weitreichenden Beziehun­ gen beleuchten die großartigen Geschenke, die dem Inselstaat nach dem schweren Erdbeben i. J. 227 (oder 226) aus aller Welt zuteil geworden sind. Was Rhodos im Osten war, das war Syrakus im Westen: es ist unter der klugen Herrschaft Hierons II. für ein halbes Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt. Indem er das Erbe des Agathokles antrat, erweiterte Hieron II. nach seinem Sieg über die Mamertiner am Longanosfluß die Herrschaft über die Stadt zu einem Dominat über das östliche Sizilien und wußte seine Stel­ lung trotz einiger Einbußen im Vertrage mit Rom (263) zu be­ haupten. Was Hieron geschaffen hat, war kein hellenistischer Staat noch gar ein hellenistisches Reich, wenn auch manche hellenisti­ schen Institutionen in Syrakus wiederkehren: das Diadem, der aus den „Freunden“ des Monarchen gebildete Kronrat (Synhe­ drion), auch die berühmte Lex Hieronica, welche die Einziehung des Getreidezehnten regulierte, ist wohl auf ptolemäische Vor­ bilder zurückzuführen - anderseits findet sich vom hellenistischen Herrscherkult in Hierons Reich keine Spur, und im Hinblick auf die Abhängigkeit Hierons von den Römern ist ein Vergleich mit den vollsouveränen hellenistischen Reichen kaum zu ziehen. Hie­ rons Staat im östlichen Sizilien ist in Wahrheit der erste römische Klientelstaat in hellenistischer Zeit gewesen, das Bündnis Hierons

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mit Rom, formal ein foedus aeqttum, war die Grundlage des Staats­ wesens und die Voraussetzung für seine Existenz. Mochte Hieron auch in engen Beziehungen zu Alexandrien und Rhodos stehen, die vitalen Interessen seines Staates wiesen ihn nach Rom, dem er sich durch großartige Getreideschenkungen gefällig erwiesen hat.

6. Die Weltherrschafl des griechischen Geistes

Mit Alexanders Siegeszug beginnt die dritte und größte Koloni­ sationsepoche der Hellenen. Tausende und Abertausende haben das übervölkerte griechische Mutterland verlassen und in den Weiten Asiens und Ägyptens, fern von Hellas, eine neue Heimat gefunden. Für die Ausbreitung des Griechentums in der Neuen Welt haben Alexanders Siege und die Reichsgründungen der Dia­ dochen die politischen Voraussetzungen geschaffen. Größere Si­ cherheit des Verkehrs, schnellere und leichtere Überwindung selbst großer Entfernungen sind für das neue Zeitalter charakteristisch; in der ausgedehnten Literatur der „Periploi“ und „Stathmoi“ ha­ ben sich die Erfahrungen der Griechen niedergeschlagen. Die ein­ wandernden Griechen brachten in die neue Heimat ihre Sprache, ihre Lebensformen und politischen Institutionen mit. Als Sprache der Armee und der Bürokratie ist das Griechische, in der Form der attischen Koine, zur Weltsprache geworden. Eine gewisse Unifor­ mität verraten auch die griechischen Urkunden aus dem gesamten Bereich der hellenistischen Welt. Durch die Übernahme des attischen Rechts wurde eine gemeinsame Grundlage für den Rechtsverkehr in den hellenistischen Monarchien geschaffen, wenn auch die Entwick­ lung im einzelnen, beeinflußt durch die Verschiedenheit der zu­ grunde liegenden einheimischen Rechtssysteme, verschiedene Wege eingeschlagen hat. Überall, in Asien wie in Ägypten, war dasGynznasium der eigentliche Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Grie­ chen; wer durch diese Schule und die mit ihr verbundene Erziehung gegangen war, galt als „Hellene“, mochte seine Wiege am Orontes,

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am Euphrat oder am Nil gestanden haben. So war die Schicht der „Leute vom Gymnasium“ die eigentlicheBildungsschicht in den Diadochenmonarchien; die Griechen selbst verhielten sich zunächst aus­ gesprochen ablehnend gegenüber den Angehörigen fremden Volks­ tums, und die Regierungen der hellenistischen Staaten unterstütz­ ten diese Haltung mit Gesetzen und Verordnungen. Es ist bezeich­ nend, daß in der gesamten, Tausende von Briefen zählenden Zenonkorrespondenz kein einziger griechisch-ägyptischerDoppelname vorkommt, ein Zeichen dafür, daß um 250 v. Chr. in Ägypten die Zugewanderten und die Einheimischen noch nicht den Weg zu­ einander gefunden hatten. Erst am Ende des 3. Jahrhunderts sind in einzelnen Fällen Angehörige der einheimischen gehobenen Klas­ sen in die Schicht der Kulturgriechen aufgestiegen; durch die An­ nahme eines griechischen Namens neben dem einheimischen haben sie dies zum Ausdruck gebracht. Neben dem Gymnasium hatte das griechische Theater überall in den neuen Städten, sogar in Baby­ lon (Mitte des 2. Jahrh. v. Chr.), seine Heimstatt gefunden. Mit dem Theater kamen die Bühnenkünstler, vor allem die Genossen­ schaften der Dionysischen Techniten, denen in den neuen Monar­ chien mit ihrem Herrscherkult ein weites, neues Betätigungsfeld erschlossen wurde. Mit den Hellenen wanderte auch das griechi­ sche Veremswesen nach Osten. Die Zahl der religiösen, sozialen und gewerblichen Vereinigungen der Griechen in Asien und Ägyp­ ten ist riesengroß. Die rational-technische Seite des griechi­ schen Geistes spiegelt sich in den Plänen der zahllosen neugegrün­ deten Städte wider: sie waren fast ohne Ausnahme im hippodamischen Schema angelegt, mit breiten, geräumigen, sich rechtwinklig schneidenden Straßen, mit einer großen Agora im Mittelpunkt. Neue Aufgaben stellte die Unterbringung des königlichen Hofes in den Diadochenresidenzen, in Alexandrien, Antiocheia, später auch in Pergamon. Nach dem Vorbild, das Maussolos in Halikar­ nassos gegeben hatte, wurden für die königlichen Residenzen ei­ gene Stadtteile reserviert, in denen die Paläste und Tempel, Ka­ sernen und Magazine zu größeren Komplexen zusammengeschlos­ sen wurden.

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Mit dem Aufstieg des Ostens unter Alexander und den Diadochcn war Hellas selbst aus dem Mittelpunkt an die Peripherie des politisehen Gesehehens gerückt. Dem politischen Niedergang folg­ te, wenn auch erst allmählich, ein Rückgang der geistigen Kraft und Originalität im hellenischen Mutterlande, das den ersten Platz an die neuen geistigen und politischen Zentren im Osten, vor allem an Alexandreia, abtreten mußte. Eine planmäßige Pflege der Kunst und Wissenschaft hatte der griechische Stadtstaat nicht gekannt. An den Höfen der Tyrannen und in den Residenzen der Könige Makedoniens und der Herrscher Siziliens hatten die Repräsentan­ ten des griechischen Geisteslebens früher vielfach eine Heimstatt gefunden. Diese Traditionen haben die makedonischen Herrscher­ geschlechter des Hellenismus fortgeführt. An den Fürstenhöfen, nicht in der Luft der freien Gemeindestaaten, hat die hellenistische Kultur, Kunst und Wissenschaft ihre höchste Blüte erreicht. Das Mäzenatentum der ersten Ptolemäer hat Alexandreia zur Heimat vieler Dichter und Gelehrten aus dem Bereich der gesamten grie­ chischen Welt gemacht. Von dem attischen Philosophen und Staats­ mann Demetrios von Phaleron beraten, hat Ptolemaios I. in dem Museion von Alexandrien eine staatliche Forschungsstätte größten Ausmaßes geschaffen, die erste, die die Welt gesehen hat. Sie ist mit ihrer Verbindung von Forschung und Lehre das Vorbild für so manche ähnlichen Gründungen der Antike und nicht zuletzt für die Akademien und Universitäten des Mittelalters geworden. Die vom Könige an das Museion berufenen Gelehrten und Dich­ ter konnten sich, von den Sorgen des Alltags unberührt, ausschließ­ lich der Wissenschaft widmen. Sie bildeten einen kultischen Ver­ ein mit einem Priester an der Spitze, der zugleich für die materiel­ len Bedürfnisse als ein vom König bestellter Kurator Sorge trug. Mit dem Museion verbunden war eine Riesenbibliothek von meh­ reren hunderttausend Papyrusrollen; den Katalog hat der Dich­ ter Kallimachos von Kyrene zu schreiben begonnen. Eine Stern­ warte, ein anatomisches Institut, ein Tiergarten mit seltenen exo­ tischen Tieren, zu denen auch die ptolemäischen Vasallenfürsten, wie der Scheich Tubias aus dem Ammoniterlande, beisteuerten,

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boten den Gelehrten ein reiches Feld für ihre speziellen Forschun­ gen. Politisiert wurde im Museion nicht; die Forscher erfreuten sich hier der Sicherheit und Ruhe, die nur das machtvolle Ptolemäcrreich, nicht aber die von den Wechselfällen der Tyche immer von neuem heimgesuchten griechischen Poleis zu bieten vermoch­ ten. Die Zahl der griechischen Gelehrten und Dichter, die kürzere oder längere Zeit Gäste der Ptolemäer in Alexandrien gewesen sind, ist groß. An ihrer Spitze stehen die Dichter Kallimachos von Kyrene und Theokrit von Syrakus. Während der Name des Kalli­ machos durch seine Elegien und Epigramme Weltruhm erlangt hat - von der „Locke der Berenikc“ hat uns ein glücklicher Papyrusfund eine Reihe von Versen wiedergeschenkt, und mit Hilfe der gleichfalls auf einem Papyrus erhaltenen Diegeseis, kurzen In­ haltsangaben, vermögen wir uns von dem Inhalt und der Kom­ position seiner Aitien eine Vorstellung zu formen -, ist Theokrit durch seine bukolischen Gedichte, die „Eidyllia“, der griechischen Welt bekannt geworden: sowohl die Aitien wie die Eidyllien sind gelehrte Dichtungen, erwachsen in einer Umwelt höchster Kultur, in Großstadtluft und Hofluft. Die reichen Bücherschätze der alex­ andrinischen Bibliotheken (auch im Sarapeion existierte eine Bü­ cherei) waren die Voraussetzungen für das Aufblühen der Philo­ logie, die in dem Grammatiker Zenodot, dem Lehrer des 2. Pto­ lemäers, in Aristophanes von Byzanz (in der Zeit des 3. Ptole­ mäers) und in Aristarch (1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr.) glänzende Namen aufzuweisen hat. Aristarch, der kühne Text­ kritik mit eindringender Exegese verband, ist durch seine Horner­ ausgaben der Vater der modernen Philologie geworden. Die Geschichte des griechischen Geistes in der hellenistischen Zeit kulminiert in dem Universalgelehrten Eratosthenes von Ky­ rene (etwa 285 bis etwa 205) und in dem Mathematiker Archimedes vonSyrakus (etwa 280-212). Beide Gelehrten haben längere Zeit in Alexandrien gelebt. Eratosthenes war Verwalter der Bi­ bliothek des Museions unter Ptolemaios III. Euergetes und Er­ zieher des späteren Ptolemaios IV. Philopator. Archimedes hat seine Studienzeit in Alexandrien verbracht, ist dann aber wieder 28

Bengtson, SA

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in seine sizilische Heimat zurückgekehrt, der er bis zu seinem Tode die Treue gehalten hat. Eratosthenes’ bedeutendste Leistungen liegen auf dem Gebiete der theoretischen und angewandten Geo­ graphie sowie der Chronographie, die er im eigentlichen Sinn als Wissenschaft begründet hat. In der Schrift „Über die Vermessung der Erde“ hat sich Eratosthenes mit dem Problem der Erdmessung beschäftigt; mit dem Ergebnis ist er dem Tatsächlichen wenigstens nahegekommen. Die Kenntnis von seinen Forschungen ist übri­ gens auf Umwegen zu Christoph Columbus gelangt, den sie zur Fahrt gen Westen angespornt hat. Für die gesamte griechische Geschichte von der Zerstörung Trojas bis zum Tode Alexanders d. Gr. hat Eratosthenes chronologische Fixpunkte aufzustellen versucht. Die von ihm angewandte Olympiadenrechnung (er hat auch ein eigenes Werk „Olympiasieger“ geschrieben) ist von Polybios übernommen und als chronologisches Gerüst seiner universalen Geschichte des Mittelmeerraumes verwandt wor­ den. Unter dem 1. Ptolemäer hat Eukleides (Euklid) das geome­ trische Wissen seiner Zeit in der Form eines Lehrbuches (die „Elemente“) zusammengefaßt. Einen entscheidenden Fortschritt in der mathematischen Wissenschaft des Hellenismus, ja der ge­ samten Weltgeschichte bedeutet jedoch das Auftreten des ge­ nialen Syrakusaners Archimedes. Die Zahl seiner mathemati­ schen und physikalischen Entdeckungen ist Legion. Er hat das Verhältnis des Kreises zum Durchmesser (rt) exakter als alle seine Vorgänger umschrieben, das Volumen der Kugel mit % des ihr umschriebenen Zylinders errechnet. Archimedes ist der Erfinder der Integralrechnung, mit deren Hilfe er Flächen und Volumina bestimmt hat. Seine Schrift „Über Konoiden und Sphairoiden“ handelt über Raummessungen von Rotationsflächen 2. Ordnung. Mit seinem Namen ist das von ihm entdeckte hydrostatische Ge­ setz verbunden, das die Bestimmung des spezifischen Gewichtes der Körper gestattet (Experiment zur Feststellung des Goldge­ haltes der Krone Hierons II.). Mit Hilfe der von ihm erfundenen Flaschenzüge, Hebel und Schrauben vermochte Archimedes große

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Lasten zu heben und zu bewegen, und durch die Konstruktion von Wurf- und Greifmaschinen hat er zur Verteidigung von Syrakus gegen die Angriffe der Römer i. J. 213/2 v. Chr. Ent­ scheidendes beigetragen. Bei der Einnahme der Stadt durch M. Claudius Marcellus ist er erschlagen worden. An die Leistun­ gen des großen Syrakusaners hat erst die moderne mathematische Wissenschaft wieder anzuknüpfen vermocht, seinen Zeitgenossen war Archimedes nicht um Generationen, sondern um mehr als ein Weltalter voraus. Etwa ein Menschenalter jünger als Archimedes ist Apollonios von Perge in Pamphylien, der in Alexandrien und Pergamon gelebt hat. Er ist der Klassiker der Theorie der Kegelschnitte; die Begriffe Ellipse, Parabel und Hyperbel hat er in die wissenschaftliche Terminologie eingeführt. Der ausgesprochen rationale Charakter der hellenistischen Kul­ tur erschließt sich vor allem auf dem Gebiet der Technik. Bereits in dem Zeitalter des Dionysios I. von Syrakus und des Philipp II. von Makedonien hatte die Belagerungskunst einen großen Auf­ schwung genommen; Alexanders Belagerung von Tyros und die Leistungen des Diadochen Demetrios, der als „Poliorketes“ in die Geschichte eingegangen ist, haben das Begonnene glänzend fort­ geführt. Auch die Befestigungskunst fand sorgsame Pflege. Demetrias-Pagasai in Thessalien und Herakleia am Latmos in Karien (Pleistarcheia) sind zwei bedeutende Festungen der hellenistischen Zeit, deren Anlage die moderne archäologische Forschung auf­ gedeckt hat. Wie zu allen Zeiten stand auch damals die Technik in erster Linie im Dienst des Krieges und der Zerstörung. Von der „Mechanik“ des Philon von Byzanz (um 250 v. Chr.) ist die Hälfte der Kriegskunst gewidmet. Der „König der Ingenieure“ aber war Philons Zeitgenosse Ktesibios, der unter dem 2. Ptole­ mäer in Alexandrien lebte. Indem er z'im erstenmal in der Ge­ schichte der Technik den Luftdruck bei seinen Erfindungen aus­ nützte, wurde er ein antiker Vorläufer Otto v. Guerickes. Die Mehrzahl seiner Erfindungen - Orgel und Feuerspritze, Auto­ maten - diente jedoch nur der Unterhaltung der alexandrinischen Hofgesellschaft. Allerdings ist mit seinem Namen ein epoche­ 28'-

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machender Fortschritt auf dem Gebiet der antiken Waffentechnik verbunden: Ktesibios hat erstmalig das Torsionsgeschütz kon­ struiert, bei dem die Spannung durch Sehnenbündel hergestellt wurde. Das Torsionsgeschütz hat die früheren Bogengeschütze bald völlig verdrängt. Große Leistungen hat die hellenistische Technik im Schiffsbau aufzuweisen. Das Prachtschiff Hierons II., die „Syrakosia“, später „Alexandris“ genannt, hatte einen Raum­ inhalt von etwa 3300 Bruttoregistertonnen; es blieb allerdings ein Schaustück ohne nautischen Wert. Schon Demetrios Poliorketes hatte Riesenschiffe gebaut, doch bewährten sie sich im Kampfe nicht, so daß man bald wieder auf die kleineren Typen der Triere, Tetrere und Pentere zurückgriff. Unter den ersten Ptolemäern wurde Alexandrien auch der Sitz einer weltberühmten Ärzteschule, die selbst die koische in den Schatten stellte. Die Namen Herophilos (unter Ptolemaios I.) und Erasistratos (unter Ptolemaios II.) bezeichnen geradezu eine neue Ära der medizinischen Wissenschaft. Beide haben eine eigene Schule gegründet, beide haben sich als Anatomen betätigt, ja so­ gar Vivisektionen an Menschen vorgenommen, angeblich an Ver­ brechern, die ihnen der König zur Verfügung stellte. Herophilos ist als der Entdecker der Nerven in die Geschichte der Medizin eingegangen, er hat als erster das Gehirn als den Sitz des Zentral­ organs des Nervensystems erkannt. Erasistratos ist der Entdekkung des Blutkreislaufes nahegekommen; an der vollen Erkennt­ nis hat ihn seine Anschauung gehindert, derzufolge die Arterien kein Blut, sondern Pneuma enthalten sollten. In der Chirurgie schreckte man selbst vor schwierigen Operationen nicht zurück. Dabei wurden die Ärzte durch treffliche medizinische Instrumente sowie durch eine hochentwickelte Kunst, Verbände herzustellen, unterstützt. Weit verbreitet war die Anwendung von Drogen; über tierische Gifte und die gegen sie anzuwendenden Heilmittel hat sich im Hellenismus eine ganze Literatur entwickelt, aus der die „Theriaka“ und die „Alexipharmaka“ Nikanders (2. Jahrh. v. Chr.?) genannt seien. Die hellenistischen Herrscher wetteiferten miteinander, die besten Ärzte für ihre Höfe zu gewinnen; in Eh­

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rendekreten vieler hellenistischer Polens werden immer wieder die Verdienste von Ärzten gerühmt. Das ptolemäische Ägypten ist of­ fenbar der erste Staat der Geschichte gewesen, in dem der Bevölke­ rung eine staatliche ärztliche Fürsorge zuteil wurde. Die anderen hellenistischen Staaten bestellten wenigstens für die Heere beson­ dere Ärzte. Neben der hochentwickelten medizinischen Kunst des Hellenismus lebte die alte Volksmedizin weiter. Die Inschriften von Epidauros (um 300 v. Chr. aufgezeichnet) sind voll von Be­ richten über Wunderheilungcn, zu denen der Heilgott Asklepios den Gläubigen im Tempelschlaf den Weg gewiesen hatte. Auch der Heros Amphiaraos von Oropos hat vielen geholfen. Vom Ruhm der koischen Ärzteschule des Hippokrates künden eine Reihe von Inschriften aus Kos, Kreta und Kleinasien. Im Jahre 219 v. Chr. hat sich der erste griechische Arzt in Rom niedergelassen. Wie die Botanik, die von dem Peripatos, und zwar durch Ari­ stoteles’ Nachfolger Theophrast, besonders gepflegt wurde, den entscheidenden Anstoß dem Alexanderzuge verdankt, so hat die­ ses Ereignis auch eine neue Epoche der geographischen Forschun­ gen eingeleitet. Nearchs Fahrt von der Indusmündung zum Euphrat, die Expedition des Androsthenes von Thasos zur Ost­ küste Arabiens sind Unternehmen, die unmittelbar auf Alexan­ ders Initiative zurückzuführen sind; die Seleukiden und Ptole­ mäer haben die Forschungen fortgesetzt. Unter dem 1. Seleukos unternahm Patrokles, der als Statthalter ein hohes Kommando in Parthien und Hyrkanien innehatte, eine Expedition auf dem Kaspischen Meere. Der Erfolg blieb dem Patrokles versagt, er kam nicht weit genug nach Norden, so daß sich der Irrtum, der Kaspisee sei ein Busen des nördlichen Okeanos, in den Köpfen der Zeitgenossen festsetzte. Im Westen gelangte zu Alexanders Zeit der wagemutige Massaliote Pytheas von Gades (Cadiz) in Spanien nach dem europäischen Nordwesten, vielleicht sogar bis zur Nordspitze Britanniens und bis zur Elbemündung. Pytheas brachte die erste Kunde von den hellen Sommernächten des Nor­ dens und von dem eisbedeckten Polarmeer mit nach Hause, seine Zeitgenossen versagten ihm den Glauben, und erst neuere For­

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schungen haben ihn glänzend gerechtfertigt. Von späteren helle­ nistischen Entdeckungen ist der Leistung des Pytheas nur die Ent­ deckung des Seewegs von Ägypten über das hohe Meer nach In­ dien an die Seite zu stellen, die dem Eudoxos von Kyzikos und dem Kapitän Hippalos i. J. 117 oder 116 v. Chr. im Auftrage der Ptolemäer gelungen ist. Die kühnen Seefahrer haben dabei zum ersten Male den Monsunwind für die Hin- und Rückfahrt ausgenützt und dadurch ein neues Zeitalter des Indienhandels er­ öffnet. Der große späthellenistische Universalgelehrte Poseidonios von Apameia (etwa 130-50 v. Chr.) hat die Fahrt in seiner Schrift „Über den Ozean“ eingehend geschildert. Gerade die große Zahl bedeutender geographischer Entdeckungen in hellenistischer Zeit zeigt, daß der alte kühne Wagemut der Griechen keineswegs er­ loschen war, sondern auch noch in dieser späten Zeit überragende Leistungen geboren hat. Auf dem Gebiet der Astronomie ist vielleicht die größte Lei­ stung des griechischen Geistes in der hellenistischen Zeit überhaupt zu buchen: das Aufstellen der Hypothese des heliozentrischen Weltsystems in voller Reinheit (A. Rehm). Aristarch von Samos, der Schüler des Physikers Straton von Lampsakos, hat nicht nur die Achsendrehung der Erde, sondern auch die Drehung der Erde um die Sonne behauptet, die für ihn den unbeweglichen Mittel­ punkt des Weltalls bildete. Ein Nachfahre Aristarchs ist Giordano Bruno gewesen. An die Forschungen des genialen samischen Ge­ lehrten des 3. Jahrhunderts v. Chr. knüpfte auch die Schrift des Domherrn Kopernikus „De revolutionibus orbium caelestium“ (mit der Praefatio an Papst Paul III.) an; denn die moderne For­ schung (Fr. Boll) hat in den handschriftlichen Entwürfen den Namen Aristarchs gefunden. Wenn Aristarchs umstürzende Hypo­ these im Altertum zwar bekanntgeworden, aber nicht durchge­ drungen ist, so mag dies auf die weitreichenden Verbindungen der Stoa zurückzuführen sein. Hat doch der Stoiker Kleanthes von Assos die Hellenen aufgefordert, Aristarch wegen Gottlosig­ keit vor Gericht zu stellen. Was Aristarch begonnen hatte, hat um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Hipparch von Nikomedeia

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in Bithynien fortgesetzt. Er war der Schöpfer des ersten wissen­ schaftlichen Sternkatalogs, auch ein Verzeichnis der Finsternisse hat er aufgestellt. Seine bedeutendste Leistung aber bestand in der Entdeckung der Präzession (Fortschreiten der Jahrespunkte längs der Ekliptik). Dabei hat Hipparch die Forschungen und Beobachtungen babylonischer Astronomen verwertet, und es ist wohl noch nicht entschieden, ob den Babyloniern, insbesondere dem Astronomen Kidinnu-Kidenas (um 314 v. Chr.), der Vor­ rang vor Aristarch gebührt. Ist dies der Fall, so wäre die Beein­ flussung der hellenistischen Wissenschaft durch den Alten Orient auf einem wichtigen Gebiet erwiesen. Von den Babyloniern über­ nahm Hipparch die Astrologie, hierin ein antiker Vorläufer der großen Astronomen und Astrologen Kepler und Tycho Brahe. Hipparch zufolge war das menschliche Schicksal aufs engste mit dem der Gestirne verknüpft, die menschliche Seele ein Teil des Himmels (Plin. n. h. II 95). Diese Anschauung hat Poseidonios übernommen und zu einem großen kosmologisch-philosophischen System ausgebaut, das eine weite Fernwirkung gehabt hat. Ein regelrechtes astrologisches System ist zuerst im ptolemäischen Ägypten geschaffen worden. Die beiden Hauptwerke gehen unter dem Namen des Nechepso und Petosiris sowie des Hermes Trismegistos, d. i. des ägyptischen Gottes Thoth. Die weitgehende Vermischung der Griechen und der eingeborenen Ägypter hat im Nillande im 2. Jahrhundert v. Chr. jene Bevölkerungsschicht ge­ schaffen, die sich mit Inbrunst den astrologischen Geheimlehren hingegeben hat. Ausdruck einer neuen geistigen Einstellung des hellenistischen Menschen zur Umwelt sind vor allem die Bauten des Zeitalters. Das Riesige und Pompöse steht bei ihnen im Vordergrund, offen­ bar unter dem bestimmenden Einfluß der großen Bauwerke des Alten Orients, der ägyptischen Pyramiden und der babylonischen Tempeltürme (Zikkurate). Alexanders Plan, seinem Vater Philipp eine Riesenpyramide zu errichten, das Projekt des Baumeisters Deinokrates, aus dem Athosberge ein Denkmal Alexanders zu formen, so groß, daß in der Hand der Statue eine ganze Polis

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o, 477 Achaia 393, 456, 505, 513 f-, J39 Achaios 390-392, 411 Actium 485, 488, 495 f., 499, 503 Ada 312, 333 Admetos 169 Adria, Stadt an der Pomündung 263 Adrianopcl 521 Ägäische Wanderung 21, 23-31, 5°. 278 Ägina (Aigina), Ägineten 78, in, 113,128, 134, 138 f., 145 f., 148, 160, 182 f., 193, 200, 242 Ägypten, Ägypter 47-53, 75.105109, 113, 115, 126, 139, 179, 181, 233, 236, 271, 273, 295; unter Alexander d. Gr. 315334; unter den Ptolemäern 339— 499; unter den Römern 5085i3 Aelius Aristides 322, 326, 330 Aemilius Paulius, L. 398, 443, 466 f. Äoler, Äolis 32h, 104, 161, 236, 3”

Ätoler (Aitoler), Ätolischer Bund 61, 233, 271, 305, 341, 360, 374 f-, 385 f-. 393. 396-399>4i8, 454 f-. 457-461,466-467, 504 Agariste 86 Agathokles, von Syrakus 266, 355-370,404 Agathokles, S. des Lysimachos 360 f. Agelaos, ätol. Staatsmann 397 Agesilaos 228, 236-238, 243, 248, 250, 257 Agiaden 89 Agis II., K. von Sparta 210, 215, 224; Agis III. 328f.; Agis IV. 386 Agog£, spart. 91 f., 305 Agrippina, Mutter Neros 511 Aigai 62, 278, 303, 371 Aigospotamoi 224, 239 Ainianen 61, 253 Aischines 291 f., 300, 329 Aischylos 43, 143, 163, 177, 188 Aisymnet 86, 96 Aitne 188 Akarnanen, Akarnanien 61, 75, 198, 209, 246, 253, 385, 395, 399, 452> 464, 5°4 Akragas 70, 188 f., 365, 388 Akrai 70 Akrokorinth 301, 386 Alalia 73, 104, 118 Aleuaden in, 134, 151, 233, 286

57°

Register

Alexander I. (Philhellen) von Makedonien 148, 278 f., 282 Alexander II. 255 Alexander III., der Große 149, 194. 272. 28i> 299> 304-538, 352 f-» 3«3. 403-409. 43°-432> 463, 486 Alexandergeld 336 Alexanderkult 344 Alexanderstädte 335 Alexander IV. 344, 346, 406 Alexander Balas 473, 479 Alexander Helios, S. d. Kleopatra VH. 499 Alexander, S. d. Kassandros 357 f. Alexander, S. d. Krateros 385 f. Alexander der Molosser 29;, 303, 33°.364 Alexander von Pherai 256, 258 Alexander, S. des Pyrrhos 368, 370 Alexandreia (Alexandrien) in Ägypten 53, 275, 316, 333, 379, 388, 406, 409, 423, 431-433, 469, 481, 499, 501, JO9f., JI2f., j26. 331, 534, 540, 545-547 Alexandreia in Arachosien ( = Kandahar?) 320, 333, 446 Alexandreia Eschate (Chodschent) 32I> 335 Alexandreia (Herät) 320, 335 Alexandreia in der Troas 524 Alexandropolis in Thrakien 303 Alkaios 43, 76 Alketas, K. der Molosser 249 Alkibiades 193, 209-223 Alkmeoniden 94, 100, 112, 119, i32f., 137, 148, 197 Amasis 63, 103, 113 Ambrakia 73, 196, 305, 442, 462 Ambrosius v. Mailand 528 Amisos 73, 490 f., 494 f.

Ammon (Ammonsoase) von Siwa 75. 193. 233> 316 Amorges, kar. Dynast 217 Amorgos, Schl, bei 341 Amphiktyonie, von Anthela 61; delphische 61, 63, 130, 283, 292, 297 f., 306, 305; der Ioner 33 Amphilocher 198, 393, 461 Amphipolis 179, 206-208, 230, 236f., 281-283, 295. 344. 467 Amphissa 298 f. Amyklai 57, 90 Amyntas I. 116, 278 Amyntas III. 246, 248, 250, 255, 280 Amyntas, S. d. Perdikkas III. 182, 305 Amyrtaios 181, 183, 233 „Anabasis Alexanders“ 523 „Anabasis“ Antiochos’ III. 392, 4H,477 Anakreon 43 f., 113 Anaxagoras 177, 187 Anaxilaos 134, 136, 188 Andokides 240 Ankon (Ancona) 265 Anthela 61, 63 Antialkidas 239, 241-243, 236; Antialkidasfriede s. Königs­ friede Antigoniden 401 f., 424-427 Antigonos Doson 389 f., 393-398, 427 Antigonos Gonatas 273, 368, 371381, 385-388, 404, 423 f., 448 Antigonos Monophthalmos 312, 333. 339-354. 356, 377. 405. 411, 416 Antinoopolis 521 Antiocheia am Orontes 382, 406, 4°9. 4i3. 43b 493, 5’3. 5’7. 532, 340, 545 f.

Register Antiodios I., Seleukide 363, 368, 373-378, 4°5> 4°8, 4” f-, 4’5 Antiodios II. 381 Antiodios III. 361, 390-392, 400, 406, 408, 410-414, 451-463, 477 Antiodios IV. 468, 471, 478, 519 Antiochos VII. Sidetes 473 f., 475 Antiochos Hierax 383, 390, 411 Antiochos I. von Kommagene 408, 492 Antiochos von Pharsalos m Antipater (-tros), General Alex­ anders d.Gr. 291, 305-308,329, 332> 339-344 Antipatros .Etesias' 375 Antipatros von Hierapolis 532 Antipatros, S. des Kassandros 3S7 fAntipatros aus Tarsos 449 Antiphon (Redner) 218, 220, 273 Antoninenzeit 522-524, 535, 538 Antonius, M. (Triumvir) 486, 495-499, 5°3> S°6 Apame, T. d. Antiodios I. 378 Apameia 360, 428, 460, 462 Apella, spartanische 89 f., 197, 505 Apion v. Kyrene 481 Apollonios v. Perge, Mathema­ tiker 435 Apologetensdiule in Alexandrien 5” Apotheose des lebenden Herrschers 327, 330 f., 337, 407, 498 Arabien, Araber 444 Arachosien 325, 348, 477 Aramäer 30, 50 f. Aratos von Sikyon 385, 394 Archelaos, K. der Makedonen 272, 279 f., 282 Archelaos, S. d. Amyntas III. 282 Ardiidamisdier Krieg 198-208,

17*

Ardiidamos II. 200 Archidamos III. 268, 364 Ardiilochos 43, 63, 65, 74, 85 Ardiimedes v. Syrakus 433-435 Archon, Ardiontat, in Athen 79, 8’, 94, 99, ’32> ’37f-, ’70, 529i in Thessalien 294; der Panhel­ lenen 519 Areiopag 82, 100 f., 170, 283 Areus II. 380, 429 Argeaden 278, 294, 340, 342, 344, 424 Arginusen 223 Argolis 16, 20, 27 f., 56, 246 Argos, Argiver 41, 56, 58 f., 133, 141, 182, 198, 207, 209, 211, 23’> 237 f-, 239, 254, 278, 189, 3°’, 37’, 393,456, 5°5, 536 Ariarathes 383 Ariarathes V. 492 Aristagoras von Milet 127-129 Aristardi, Philologe 433 Aristardi von Samos 438 Aristeasbrief 444 Aristeides 133, 137, 146, 148 f., 161 f., 205, 247 Aristodemos von Kyme ir8 Aristogeiton 114, 349 Aristomenes (Messenier) 58 Aristonikos 484 f. Aristophanes 192, 202 Aristophanes v. Byzanz 433 Aristoteles 81,95, 220> 226, 273 f., 305, 307, 323 Arkadien, Arkader 41, 58-60,156, ’79, 24«, 254_259> 27’> 3°7, 393 Armenien 235, 428, 517 Arrian, Historiker 321, 325, 523 Arschak (Arsakcs) 384 Arsinoe I., T. d. Lysimachos 379

57i

Register

Arsinoe II., T. d. Ptolemaios I. 356, 36i> 379. 4°4_4°7 Artaphernes, Satrap von Sardes 122, 127 Artaphernes der Jüngere, S. des vorigen 134 Artaxerxes I. 169, 181, 184, 207, 117 Artaxerxes II. 233 f., 243, 256 Artaxerxes III. 294 f., 303, 309, 315 Artemisia, G. des Maussolos 272, 175 Artemision 143 f., 143 Arthaüastra des Kautilya 348 Asia, röm. Prov. 483,488,490,506 Asien, in der Diadochenzeit 342, 344. 43° fAsoka (Piodasses) 446 Aspasia 177, 187 Assyrer 30-55, 68, 93, 108, 392, 4°3 Astrologie 439 Astronomie 273, 438 f. Astyages 103 Asylie 421, 473 Athanasios, Bischof 345 Athen, Athener passim Athos 113, 131, 138, 140,439 Attalidenrcich 405, 428, 460 Attalos I. von Pergamon 389, 399, 451-454. 460,484 Attalos III. 484 Attalos von Paphiagonien 492 Attalos, General Philipps II. 303, 3°5 Attika, attisch 28, 36, 60, 66, 88, 94-97, 115. 148. 198 f-, 213, 223 f., 232, 330,427,484 Attischer Seebund, (1.) 150, 158166, 181-187, 196, 229; (2.) 247 f.

Augustus 276, 405 f., 503, 304311; Augustusfriede 506; s. auch Octavian Aurelianus, Kaiser 537 Aurelius Antoninus, M. (Caracalla) 533 f. Ausculum (279), Schl, bei 370 Autonomie, Prinzip der Polis 124, 311; der Bündner des 1. See­ bundes 186; der Hellenen 197, 208, 230, 240, 244; im Königs­ frieden 243, 245 f., 250, 456; unter Philipp II. 301 f.; in Ma­ kedonien fehlend 426 Autophradates, pers. Satrap 241, 157 Babylonien, Babylonier 46, 50-52, 76, 105, 109, 139, 147, 151, 234 f., 318, 327, 329, 331, 333, 345 f-, 354. 39i. 403, 4”, 472> 475 Bakchiaden 79, 87 Baktra (= Zariaspa) 321 Baktrien 109,181, 320 f., 333,335, 34i, 384, 416, 463,477 Bardesanes 538 Basileios d. Gr. 542, 544 Bastarner 494, 530 Bauten, hellenist. 439 f. Befestigungsanlagen, in Athen 173 f.; in Syrakus 156, 214, 263 f. Belagerungstechnik (Poliorketik) 240, 314f-, 350,435^ Berenike, G. Ptolemaios’ I. 362, 4°7 Berenike, T. des Magas I. 382 Berenike, T. des 2. Ptol. 381 Berenike, T. des 9. Ptol. 497 Berossos 443 Bessos, baktr. Satrap 32of.

Register Bibliotheken 272, 432 f., 519 Bithynien 23$, 360, 378, 383, 389, 428, 462, 491, 518, 539 f. Blutkreislauf, Entdeckung 436 Böotarchen (Boiotarchen) 237, 248, 250, 255 Böotien 61, 66 f., 81, 122, 141, 182, 185, 198, 205 f., 232, 238, 241, 245-261, 285 f., 297-299, 35°. 359. 374. 393“395. 399 Brasidas 200, 202, 205-207 Buchstabenschrift, griech. Erfin­ dung 36 Bukephala, St. am Hydaspes 324 Bundesbürgerrecht im hellenist. Zeitalter 428 Bundesgenossenkrieg (357-355 v. Chr.) 283 f., 289; (220-217 v. Chr.) 396,427 Byzanz 74, 161, 220, 242, 257 f., 283, 289, 296f., 305, 378, 388, 451.47°. 503. 5 '4, 532> 547 Cäsar 331, 486, 494-498, 505, 511 Caracalla, s. Aurelius Antoninus Chabrias 248 Chaironeia 124, 299-301, 306, 489, 495 f. Chalkedon s. Kalchedon Chalkidier (Chalk. Bund) 69, 122, i97> 2°i. *05, 209, 238, 246, 258, 280, 284, 288-290, 295 Chalkidike 75, 147, 207 Chalkis, Euböa 38, 66, 69 f., 75, 80, 185, 301, 377 Chares, Athener 289 f., 297, 299 Charidemos, Athener 290, 307 Charmides 232 Charondas 78, 84, 492 Chersonesos, thrakische 113, 133, 165, 179. 223> 242> 25°> 257.

573

289 f., 297, 300; taurische (Krim) 74; St. auf der Krim 494 Chios 33, 78 f., 102, 110, 113, 130, 150, 162, 198, 217, 230, 239, 247, 258, 283, 296, 396,451 Chirurgie, hellenist. 436 Chremonideischer Krieg 380 f., 385. 393. 427 Christentum 408 f., 449, 493, 527530. 540 Chronographie des Eratosthenes 434 Cicero, M. Tullius 423, 486, 490, 493 Claudius, Kaiser 502, 511, 513 Commodus, Kaiser 531 Constantin I. 331, 337, 503, 539 Constantinopcl 503, 539 f., 542, 544. 547 Constitutio Antoniniana 533 Cumae, s. Kyme Cypern 21 f., 30, 51, 129, 161, 1 83 f., 224, 236, 242 f„ 275, 347, 356, 358, 377, 401 f., 417, 419 f-, 478 f., 481, 491, 496-499 Cyrcnaica 47, 342, 347, 378, 382, 402, 417, 419, 478, 481, 499, 507 f.; s. Kyrene Damasias 101 Dareios I. 106-109, 115-117,126I29, 134. 139f-» 3”. 32I> 334 Dareios II. Ochos 217, 233 f. Dareios III. Kodomannos 303, 307 f., 313-315, 318-320 Datis 131, 134-136 Deinomenes, Deinomeniden 155157, 188; s. Gelon, Hieron Dekeleia 215, 221, 224 Dekeleischer Krieg 217-225 Delion, Schl, bei 206, 251

574

Register

Delisch-Attischer Seebund s. Atti­ scher Seebund, (i.) Delos 425, 446, 467, 469, 482 Delphi 64, 133f., 144. 157, >59, 190, 230, 233, 253, 256, 283, 192. 299, 374 f-, 4^1. 489, 5°5. 524 Demades 300, 342 Demetrias (Pagasai) 358, 377, 393, 425, 435 Demetrios (I.) Poliorketes 337, 34i. 345-351. 355-3^0, 366, 377 f-> 4O5.4I7. 425. 435 fDemetrios II. v. Makedonien 389, 393 Demetrios II. Nikator (Seleukide) 473.475,479 Demetrios, S. des Euthydemos 384, 463.474 Demetrios von Phaleron 344, 348, 432 Demetrios von Pharos 397 f. Demokratie, athenische 100 f., 158 f-, 167, 170-172, 178, 218, 231; in der Peloponnesos 168; syrakusanische 263 Demosthenes, Redner 278, 2883°i. 306, 314, 329, 341 f., $11, 522 Demosthenes, att. Stratege 204, 214-216 Diadem, Alexanders 404; der hellenist. Herrscher 429 Diadochen 337-355,401-406,430432 Didymos v. Alexandrien 511 Dimini-Kultur 4 Diobelie in Athen 221 Diodotos, Satrap v. Baktrien 384 f. Diokletian 406, 502,529, 538 Dion (Syrakusaner) 266 f. Dion von Prusa 515, 521 f.

Dionysios I. von Syrakus 191, 227 f-. 24°, 243, 249f-, 25 5> 262-266, 273, 355, 364 f., 367, 435 Dionysios II. 266 f. Doloper, Dolopien 61, 427, 461 Domitian 448, 515 f. Dorer 26-29, 33. 57. 7°. 182 Dorische Wanderung 4, 25-31 Drakon 78, 84 f., 95, 98 „Dreißig“, die (in Athen) 231 f. Duketios 189 Dura-Europos 413, 477, 538

Eion 116, 164, 174, 206 Ekbatana 104, 319, 329, 332, 391 Elamiter (Elam) 106 f. Elateia 530 Elea 104, 131, 189 f., 364 Eleusis 213, 232, 520, 530 Elis, Eleer 41, 58, 60, 168, 2082IO> 2*3. 233. 246, 2s6, 258 f., 3°7, 399 Elymer 70 Empedokles 179, 188 Epameinondas 206, 227, 250-259; schiefe Schlachtordnung 251 Ephesos 79, 108, 129, 236, 311, 457. 460, 506, 517, 520, 525, 53°,535 Ephialtes 15 8 f., 170-172, 178 Ephoren 90 f., 133, 142, 167 f., 232> 24 5, 394, 5°5 Epidamnos 75, 196 Epidauros 80, 87, 210, 257, 437, 49° „Epigonoi* 333 Epiktet 448 f., 523 Epikur v. Samos 447 Epipolai von Syrakus 155, 214 f., 263 Epirus, Epiroten 75, 115,277,347,

Register 359. 3^8, 37b 395. 399, 404, 467,482, 505 Erasistratos, Arzt 436 Eratosthenes v. Kyrene 433 f. Eretria 66, 70, 80, 113, 134 f. Eteobutaden 94, 101 Etrusker, Etrurien 31, 67, 72, ii7f., 188, 190, 263, 363 Euagoras 228, 236, 241 Euböa 80, 179, 185, 220, 253, 258, 283, 290, 386, 393, 395,456 Eubulos 269, 289 Eudoxos von Knidos 273 Eudoxos v. Kyzikos 438, 480 Eukleides, Mathematiker 273, 434 Eumenes (Diadoche) 327,339-345 Eumenes I. von Pergamon 389 Eumenes II. von Pergamon 459465, 484 Eupatriden 81, 101, 113 Euripides 178,192,212,272,279!. Euryalos, Fort in Syrakus 263 Eurydike, G. Philipps III. 344 Eurydike, G. d. Ptolemaios I. 362 Eurykles, C. Julius 504 f. Eurymedon, Sdil. am 164 f. Eurypontiden 89 Euthydemos von Baktrien 384, 392

Flamininus, T. Quinctius 427, 454-456, 459. 5B Flottenbau, des Themistokles 138 f.; des Antigonos Gonatas 381; der Ptolemäer 377, 420; des Pompejus 494 Fulvius Nobilior, M. 442, 461 Gaius (Caligula) 506, 511-513 Galater, Galatien 383, 390, 410, 460, 492; s. Kelten Galenos, Arzt 530

575

Gallienus, Kaiser 519, 5 36 f. Gandhära-Kunst 463 Gaugamela, Schl, bei 317 Gedrosien 326, 348 Gela 70, 155 f., 189, 203, 206,211, *63, 365 Gelon von Syrakus 140 f., 154158, 187, 212, 262, 365 Genthios, Illyrer 466 f. Geographie, hellenist. 434, 437 f. Geometrie 273, 434 f. Geschichtsschreibung 369, 443, 524 Geschwisterehe 379, 407 Gesetzgebung 83-85 Geten 470 Götter, hellenist. 444-446, 447, 449 Gordion 48, 108, 313 Gorgias von Leontinoi 192, 244, 249 Gortyn, Recht von 84 Goten 536 Gottcsgnadentum 20, 331, 407 Gottkönigtum, hellenist. 301, 330 f., 511 f. Gottmenschentum 231, 272, 330 f. Granikos 310, 322 Gregor von Nazianz 542, 544 Griechisch (Sprache) 71 f., 335, 4i5, 43°, 449 f- 476, 492> 5O2> 506, 508, 527f., 537-539, 546 Gyges 48 f. Gylippos, Spartaner 214, 216 Gymnasium 177, 418, 430!., 472, 492, 5°7, 5IO> 5’9

Hadrian 223, 502, 505, 517-523 Hagia Triada (Kreta) 12 Haliartos 238, 467 Halikarnassos 242, 275, 312, 431 Halykos 265, 267, 365 Halys 49, 103

57*

Register

Hamilkar (Karthager, um 480 v. Chr.) 157, 262 Hannibal 262, 369, 388, 391 f., 398,443,449,452,458,460 Harmodios 114, 349 Harmosten 230 f., 232, 238 Harpalos, Schatzmeister Alexan­ ders 327, 329 Hasmonäer 474, 476 Heer (Heerwesen) maked. 279, 282 f., 332; Alexanders III. 320; der Diadochenzeit 352; der Seleukiden 413 f.; der Pto­ lemäer 419 f.; röm. 455 Heeresversammlung, maked. 89, 281, 322, 326, 338 f., 343, 345, 356> 358, 37S,4°9, 479 fHeerkönigtum, maked. 280 f., 332, 401, 403 „Heiliger Krieg“ (2.) 285; (3.) 285-292, 298 „Heilige Schar“ der Böoter 251, 299 Heiloten 57 f., 91, 93, 168 f., 183, *14 Hckataios von Abdcra 443, 470 Hekataios von Milet 128, 130 Heliaia, Volksgerichtshof 170 f. 221 Heliastensold 205 „Hellene“ 62 f., 276, 430 f., 507 f. Hephaistion 325, 327, 329 f., 337 Heraklea Minoa (Sizilien) 265 Herakleia am Latmos 435 Herakleia am Pontos 74, 272, 356, 378, 388,49°, 494 Herakleia am Siris, Schl, bei 369 Herakleia Trachis 204 f., 298 Herakleitos von Ephesos 131 Hermias von Atarneus 273, 296 Hermokrates von Syrakus 206, 214, 216, 220

Herodes Atticus 522 f., 524 Herodot 27, 40, 59, 107, 116, 126 f., 131, 134 f., 136, 143, 150, 152, 177, 179 Herophilos, Arzt 436 Herrscherkult 337, 406-409, 431 Heruler 529 Hesiod 43 f., 46 f., 66, 78, 80 f., 177 Hetairien in Athen 218 Hetairoi, makedonische 281, 283, 290, 318, 332, 339, 401 Hethiter 7 f., 14, 21, 26, 30, 33, 48, 51 Hieron I. von Syrakus 156, 158, 188, 212 Hieron II. von Syrakus 372, 387, 4*9 f-, 434 Hiketas, Syrakusaner 267 Himera (Stadt) 70,157,188 f., 203 Himeras (Fluß) 157, 187, 265, 167 Himilko, karthag. Feldherr 264 Hippalos 480 Hipparchos, S. des Charmos 132, *37 Hipparchos v. Nikomcdeia 438 f. Hipparchos, S. des Peisistratos 114 Hippias, S. des Peisistratos 114, 119, 128, 132, 135, 278 Hippodamos von Milet 177, 179 Hippokrates von Gela 119, 154E Hippokrates von Kos 193,437 Hippolytos, Bischof von Rom 538 Histiaios von Milet 116, 129 Homer 24, 38-42, 177, 305, 433 Hydaspes 324 Hyperbolos 207, 209-211 Hypereides 341 f. Hyphasis 324 Ialysos (auf Rhodos) 22, 32

Register Iason von Pherai 249, 252, 25$ Ibykos 44, 115 Iktinos 175 Illyr(i)er, Illyrien 26, 28, 7$ f., 280, 282, 284, 294, 388 f., 394, 397-399. 467.482 Illyr. Krieg (1.) 397; (2.) 398 Imbros 128, 225, 239 f., 243, 467 Imperialismus der Römer 452 f. Inaros 181, 183 Indien 323, 348, 379, 392, 404, 463. 474. 477 Integralrechnung 434 Ioner, Ionien 32 f., 46, 49, 54, 56, 62, 78, 83, 86, 92, 99, 103 f., 109 f., 116, 119; ion. Aufstand «25-131, 134, 150, 161, 198, 218, 235, 241, 244, 311 f., 356, 381, 506f., 520, 536, 540f. Iphikrates 201, 239, 248, 255 Ipsos 341, 346, 351 f., 355 f. Iranier, Iran 320 f., 332 f., 416, 474-477. 488, 491, 499, 501, 129 Isagoras 119 Isis, Isishymnen 445 f. Ismenias, Thebaner 245 Ismenias, Thebaner, S. des vori­ gen 256 Isokrates 229, 243, 249, 257, 270274, 283, 292 f„ 300-302, 404, 522 Issa (Lissa) 265 Issos 313 Isthmien, Isthmisdte Spiele 81, 35°. 398,456, 513 Italiker, Italien 26, 76, 117, 329!., 355, 363-372, 468 f., 482, 508 Ithomeberg 58, 170, 181 Jerusalem 472 f. Juba II. von Mauretanien 508 37

Bengtson

577

Judas Makkabaios 473 Juden, Judäa 420, 444, 462, 471, 493, 5°8, 510, 512, 519, 527, 538 Julian Apostata 331, 337, 519, 540-542 Justinian 503, $46 f. Kaiserkult, röm. 331, 408 f. Kalchedon (Chalkedon) 74, 222, 242, 388 Kailiasdekret 180, 199 Kalliasfriede 151, 158, 165, 184186, 207, 217 Kailikrates 175 Kallikratidas 223 Kallimachos, attischer Polemarch 136 f. Kallimachos von Kyrene 433 Kallisthenes 322, 337 Kallistratos 248, 257, 282 Kallixeinos von Rhodos 378 Kamarina 70, 15 5 f., 203, 216, 263, 388 Kambyses 10$ f., 126, 421 Kappadokien 49, 103, 234, 313, 334, 339, 360, 378, 383, 389, 411,428,492, 523, 540 Karer, Karien 2, 6, 109, 129 f., 241, 3«2, 3«5, 334, 356, 39°, 427, 460, 506 f. Karkemisch (Europos) 413 Karthager, Karthago 70, 72, 102, ii7f., 157, 179, 187 f., 190, 224, 227, 262-266, 363-372, 379. 387, 39«, 396,469, 482 f. Kassander (-dros) 341-354, 356358, 366 Katana 69, 203, 213, 264, 267 Katoikien (Katoiken) 413, 416, 420,463

57«

Register

Kelsos (Celsus) 527 Kelten 363, 374-376, 460 Kephallenia 183, 200, 462 Kersebleptes 289 f., 291, 296 Kidinnu (Kidenas), Astronom 439 Kilikien 30, 48, 68, 313, 352, 358, 381,401,411,460, 491,499 Kimmerier 49, 52, 73 Kimon 163-167, 174, 178, 184 Kinadon 230 Kios 74, 451 Klazomenai 75, 139, 242 f. Kleandros von Gela 133 Kleanthes von Assos 438, 448 Klearchos von Herakleia 272, 330 f. Kleinasien, Kleinasiaten 104, 125131, 162-165, 184, 217, 234, 238, 3°7, 3Iof-, 351» 36of-, 3g3, 39O-392, 484-491, 495, 302 f., 505-507 Kleisthenes von Athen roo, 119122, 137, 219 Kleisthenes von Sikyon 86, 88 Kleitos der „Schwarze“ 322 Kleitos der „Weiße“, Admiral 34b 343 Kleombrotos 247, 231 f. Kleomenes I. 114, 119, 133 Kleomenes III. 394 f., 404, 429 Kleon 202-207, 218 Kleonymos 364, 366 Kleopatra, T. Philipps II. 303, 34°, 342 Kleopatra I., G. des Ptol. V. 405, 457 Kleopatra II., T. Kleop.s I. 403, 468.479 f. Kleopatra III., T. Kleop.s II. 405.480 Kleopatra Thea, T. Kleop.s II. 476 Kleopatra Selene 476

Kleopatra VII. (d. Gr.) 405, 443, 488, 497-499 Kleopatra, Nichte des Attalos 303 Kleophon 221-223 Kleruchen, Kleruchien, attische 178 f., 200,202, 223, 239 f., 242, 237, 284, 290, 467; ptolemäische 52, 420, 510 Knidos 33, 139, 238 f. Knossos 9-13 Kodifikation von Recht und Ver­ fassung 221 Königsfriede (387/86) 243-245, 250, 252, 456 Königskult s. Herrscherkult Königstitel, maked. 280 f., 282; der Diadochen 341, 349; des Agathokles I. 366; des Attalos I. 391 Koilesyrien 356, 377f., 392, 401, 417,45tf.,454,465,468 Koin£ (Sprache) 333, 430, 492, S27 Koin& Eirdne (Landfriede) 124, 229, 240, 243 f., 249, 253, 259261, 271, 292, 295, 301, 343, 399 Koindn (Bund) 334, 306 Kommagene 31, 492 Konon, Athener 223 f., 236, 239, 241 Korinth, Korinther 56, 66 f., 69, 75, 77f-, 85, 87, 96, in, 113, 139, 145, 148, 179, 182 f., 194198, 201, 208 f., 214, 225, 237 f., 239, 242 f., 246, 257, 265, 267, 3°i, 350, 356, 377, 380, 386 f., 393, 395, 398, 426 f., 443, 446, 456, 46% 483, 494f„ 5°4, 524, 536 Korinthischer Bund (338/337 v.

Register Chr.) 152, 244, 301 f.( 308, 311, 319. 3i9> 340-343. 35° Korinthischer Krieg 237-244 Korkyra 69, 75, 87, 141, 169, 195-198, 203, 208 f., 250, 265, 339 f-. 566, 397 Koroneia 238 Korsika (Kyrnos) 72, 265 Kos 113, 239, 283, 436 f., 495 Krannon 255, 341 Krateros, Feldherr Alexanders d. Gr. 325, 327, 339, 341—343 Krateros, S. d. vorigen 426 Krenides (Philippoi) 284 Kreta 8-14, 29, 5 6, 67, 84, 179, 396 Kriegskunst, hellenist. 240; kelti­ sche 374 Krim 74, 488 Krimisosfluß 267, 364 Kritias 231 f. Kroisos 103 f. Kroton 71, 76, 118 f., 264, 364, 366. 369. 37i Ktesibios 435 f. Kunaxa, Schl, bei 234 Kurupedion 353, 361, 363, 374, 386 Kyaxares 50, 53 Kykladen 33, 67, 135, 137, 147f., 183. 393.401. I°5 Kylon 95, 100 Kyme (Cumae) 38, 69, 118, 188 Kynismus 403, 515, 528 Kynoskephalai 258, 455, 464, 481 Kynuria 59, 301, 394 Kypselos 87, 113 Kyrene, Kyrenäer 75 f., 118, 179, 317. 507 f. Kyros I. 52 Kyros II., d. Gr. 103-105, 152, 3U. 319. 334 37'

579

Kyros der Jüngere 222 f., 234 f. Kythera 205, 207!., 221, 239, 504 Kyzikos 73, 221, 388, 451, 490, 494 Lachares 357 Laches 203 f., 206 Lade 130, 156 Lakedaimon 57, 115, 246; s. Lakonien, Sparta Lakonien 28, 41, 91; s. Lakedai­ mon, Sparta Lamachos 212 f. Lamia 341 Lampsakos 169, 455, 457 Lanassa, T. des Agathokles 359 f., 366, 368 Landfriede 141, 350; s. Koini Ei­ rene Laodike, G. des Antiochos II. 381-383 Laodikeia am Meer 517, 532 Lelantisdier Krieg 70, 80 Leleger 6 Lemnos 31, 128, 225, 239 f., 243, 467 Leonidas 133, 142-144 Leonnatos 339 Leontinoi 88, 155, 179, 198, 203, 211 f., 263, 267 Leosthenes 341 Leotychidas 148, 150L, 168 Lesbos 56, 102, 129 f., 150, 162, 179. i98. 2°2, 217 Leukas 196 Leukimme 196 Leuktra 251 f., 253 Libanios 540, 542, 544 Libyen, Libyer 75 f., 179, 329, 499. 507 Licinius, röm. Kaiser 539 Livius Andronicus 372, 449

580

Register

Lokrer, Lokris 71, 237, 246, 253, 395, 455 E; ozol. (westl.) 63, 285, 297 f.; opunt. (östl.) 142 E, 198, 253, 298 Lokroi, epizephyr. 71, 203, 264, 369, 37i fLukaner 268, 329 f., 364, 366, 370 f. Lyder, Lydien 48-50, 57, 86, 92, 103 f., 109, 129, 234, 241, 310312, 3’5, 334, 5°7. 536 Lygdamis von Naxos 113E Lykier, Lykien 129, 312, 339, 401, 460, 514 Lykurg, Eteobutade 101 Lykurgos, spart. Gesetzgeber 85, 89. 394, 5°5 Lykurgos, att. Staatsmann 269, 306 Lysander 193, 222-225, 230-233, 236, 238, 257, 272, 330 Lysimacheia 375, 451, 457 Lysimachos 49, 339-362, 374, 411 f. Lysippos 442

Magas 378, 419 Magna Mater 446, 531 Magnesia am Mäander 169, 484 Magnesia am Sipylosberge, Schl, bei 4i4> 459. 489 Magneten 61, 456 Makedonien 42, 62, 112, 131, 140, 169, 191, 201, 205, 246, 255, 258, 269, 277-470 passim, 480, 492, 537 Makedonische Kriege, (1.) 392, 398; (2.) 452-456; (3.) 465 E Maller, indisches Volk 325 Mamertiner 369, 429 Manetho v. Sebennytos 105, 443, 445

Mantineia m, 182, 209 f., 245, 253 f., 259E, 269, 285, 395 Marathon 135 E, 176 Marcellus, M. Claudius, Eroberer v. Syrakus 372, 435 Mardonios 131, 140, 147-149,152 Mark Aurel 448, 517, 523, 528, 53° E Massalia, Massalioten 72, 77, 118, 190, 388,455,485,496 Mauryadynastie 348, 463 Maussolos 257, 272, 275, 283, 431 Maximinus 534 Mazaios 318, 333 Meder, Medien 50, 53, 106, 474 Medizin, hellenist. 436 f. Megakies der Ältere aus Athen 86, 95, 112 Megakies der Jüngere 137 Megalopolis 254, 259 E, 289, 301, 329. 393 Megara 66 E, 69, 74, 79, 85, 96, in, 148, 182E, 185, 195-198, 205, 208, 231, 246, 299, 301, 356 Megara Hyblaia 69, 156 Megasthenes 348 Memnon, Rhodier 307, 310, 313 Menander, gräko-baktrischer Kö­ nig 463 Menedemös 411 Mesopotamien 7 E, 317, 475, 477, 517 Messana (Messina) 156, 188, 203, 263, 267, 365, 369> 388 Messenien, Messenier 58 E, 62, 83, 90-92, 163, 169 E, 174, 181 E, 198, 204, 254-256, 259 E, 289, 3°i. 35°. 394, 399, 462 Metapont 71, 119 Methone 200,205, 258, 280, 284 f. Methymna 217, 223

Register Metoiken in Athen 172, 192, 198 Milet, Milesier 33, 53, 66, 73 f., 77, 80, 86, 104, 115, 119, 126132, 156, 186, 217, 234, 312, 360 f., 494, 520, 536 Miltiades der Ältere 113 Miltiades der Jüngere 116, 133, 135 fminoisAe Kultur 8-14; s. Kreta Mithradates I. (Arsakidc) 474, 476 Mithradates II. (Arsakidc) 476 Mithradates II. von Pontos 375, 378 Mithradates VI. Eupator, K. von Pontos 428, 486-490, 494, 496 MithradatisAer Krieg, (3.) 490 Mithras 531 Monarchie, absolute 337 Mucius Scaevola 485 Museion von Alexandrien 432 f., 5iof., 516, $20, 534, 545; von Ephesos u. Smyrna 520 Mykale 33, 150 Mykene, myk. Kultur 15-25, 27, 39f., 77, 133, 181 f. Mysien, Myser 31, 507 Mysterien 45, 193, 445, 504, 520, 53* Mytilene 67, 79, 86, 96, 202 f., 2t7> 223> 239> 273> 313 Nabatäer 476, 493, 517 Nabis, Tyrann von Sparta 456 f. Naukratis 53, 63, 75, 77, 126, 521 Naupaktos 170, 183, 195, 198, 2°i, 299> 397 Naxos, Insel 115, 127, 135, 165, 179, 248 Naxos, St. in Sizilien 69, 155, 203, 213 Neapolis (Neapel) 69, 364

581

NearAos 109, 325 f., 336, 437 Nero, Kaiser 448, 502, 511, 513 f. Nesiotenbund 346, 358, 360, 380, 469 Neuplatonismus 537 Nikaia, St. in Bithynien 517, 535 fNikaia (am Hydaspes) 324 Nikaia (in Lokris) 298, 455 Nikaia (Nizza) 72 Nikander 436 Nikias 202-216 Nikomedeia in Bithynien 517, 52«,536 Nikomedes I. von Bithynien 375, 383 Nikomedes IV. 491 Nikopolis bei Actium 504 Nikopolis ad Istrum 531, 536 Nisibis (AntioAeia) 413 Notion, SA1. bei 223 Octavian 486, 495, 499, 501, 503 f., 513; s. Augustus Odessos 74 Oinoe, SA1. bei 176, 182 Oinophyta, SA1. bei 182 Olbia (am Bug) 74, 470, 494, 515 OligarAen in Athen 218-220, 231 f.; in Theben 245, 247 Olympia 61, 64, 157, 489, 505, 524 Olympias 303-305, 340, 344 OlympisAe Spiele 58, 64, 76, 81, 92, 119, 212, 233, 258 f., 279, 54i fOlynth(os) 147, 245 f., 290 OnomarAos 285 f. Ophelias von Kyrene 365 Orakel, delphisAes 44, 63, 104, 114, 141, 544; des Ammon 316 f-

$82

Register

Ordiomenos j8, 61, in, 39$, 489 Orientalen in der hellenist. Kul­ tur 449, 471 f., 476 Origcncs $ 11 Ortygia, Insel 263, 266 Ostrakismos 121, 137, 167, 178, 187, 21 o f. Päonien 426 Palmyra $ 17 Pamphylien 49, 312, 339, 381, 460 Panhellenion, Bund 519 f. Panormos (Palermo) 70, 1 $7 Pantikapaion (Kertsch) 74, $3$ Paphiagonien 179, 339, 492 Papyri 275, 382, $10, $12, 529, 5 34 Parmenides 189 f. Parmenion 284,291, 303, 306, 322 Paros 7$, 137, 248 Parther, Partherreich 333, 384 f., 416, 473-477, 494, $01; Parthcrkriege 493 f., 499, $17, 519, 523. 529 Parysatis, G. Alexanders 327 Pasargadai 319, 326 f. Patrai $04 Pattala (Haidarabad) 32$ Paulus von Tarsos $28 Pausanias I., spart. Verweser 148 f., i$3, 161-169 Pausanias II., K. v. Sparta 224, 232, 238 Pausanias, Pericget $23 Peisandros, Athener 207, 218 f. Peisandros, spart. Nauarch 238 Peisistratos 43-45. 77. 85. 88, 94, 96, 100 f., 111-114 Pelagonia 467 ,Pelasger‘ 2, 6

Pella 62, 272 f., 279 f., 291, 406, 467, 482 Pelopidas 227, 2$o, 253, 2$$f., 258 Peloponnesisdier Bund in, 133, 139. tl8, 160, 182, 195, 197199, 409 f., 430, 238, 24$ Peloponnesisdier Krieg 162, 186, 191-22$, 240, 260, 357 Pentekontaetie 138-190 Perdikkas I., K. v. Makedonien 64, 278 Perdikkas II., K. v. Makedonien 197, 20$, 207, 279 Perdikkas III., K. v. Makedonien 2$$, 281 f. Perdikkas, Diadoche (Chiliarch) 339-344,416 Pergamon 389 f., 400, 426, 431, 461 f., 481, 484, 488, 494, $06, 5'7 Periandros 43, 66, 7$, 79, 87, 96, 196 Perikies 100, 1 $9, 171-202, 208 f., 439 Perinth 289, 297 Perrhäber 61, 436, 464 Persepolis 106 f., 318 f., 391 Perser, Persien 7$, 102-338 pas­ sim, 410 Perseus 464-467 Petra 476, $ 17 Pezhetairen 279, 283, 332 f., 42$ Phaistos 9E Phalaris von Agrigent 88 Phanagoreia 74, 104 Pharnabazos 217!., 222 f., 23$ f., 437 f. Pharnakes 462 Pharos, Insel 398, 442 Pharsalus 497 Phaselis 164, 184

Register Pheidias 175, 177, 187 Pheidon von Argos 59 Philetairos von Pergamon 36 t, 389 Philipp II., K. von Makedonien 240, 256, 269, 277, 281-304, 3°5> 33«, 336 f-. 426 Philipp III. Arrhidaios 339 f., 343 f., 406 Philipp V., K. v. Makedonien 388 f., 393, 396, 398-401, 405, 425,426!., 451-465 Philippoi, Stadt 284 Philokles, K. v. Sidon 420 Philokrates 289, 291, 293-295, 297 Philomelos 285 Philopoimen 462 Philosophie, hellenist. 403, 446449 Phiiotas 322 Phleius 245 f., 257, 259 Phöniker, Phönikien 31, 36 f., 47, 105, 145 f., 179, 314E, 356, 378, 39°> 499 Phoinike (Epirus) 397, 399 Phokaia 33, 72, 104, 109, 118 Phoker, Phokis 56, 61, 63, 198, 237 f-. 246. 251, 285, 291 f., 298 f-, 374. 395» 427, 4SÖ Phokion, att. Stratege 300, 342 Phormion 201 Phraates II. 475 Phryger, Phrygien 26, 46, 48, 57, ■79. 339. 352. 5°7, 536, 54° Phylen 90, 120 f., 168, 349 Pindar 27, 141, 157, 188, 212 Piräus 160, 173 f., 199, 202, 220, 225, 232, 242, 348, 358, 380, 427, 489 Pittakos von Mytilene 43, 86, 96

$8j

Platää, Platäer 124, 135, 148-153, 185, 199. 203, 250 Platon 226, 228, 266, 273, 448 Pleistarchos, Bruder des Kassander 352, 357 Pleistoanax 185 Pleuratos, Illyrerfürst 399 Plinius der Jüngere 408, 518 Plotinos 536 f. Plutarch 81, 176, 495, 522 Polis 34 f., 55 f., 65, 76, 288, 349, 354. 372 f-, 388, 412 f., 426, 428, 448, 493. 512, 538-541; Zeit­ alter der Polis 123-268 Polybios 396-398, 434, 444, 450, 468, 483 Polykrates 43 f., 77, 113-115, 119 Polyperchon 343 f., 347 Pompejus 331, 416, 486, 491-493 Pontos (Landschaft) 313, 383, 389, 428, 488 f., 491, 535 Pontos (Schwarzes Meer) 73 f., 179. 220, 235, 273, 378, 470 Porus, ind. König 324 Poseidonia (Paestum) 71 Poseidonios von Apameia 438 f., 45' Poteidaia 75, 87, 147, 196, 201, 209, 258, 284, 295 Proletariat 65, 270, 514, 525 Propontis 68, 73 f., 539 Proskynese 323, 337 Prusa 517, 524, 536 Prusias I. 399, 462 Prusias II. 464 Ptolemäer 352, 377, 496 f.; s. die einzelnen Herrscher Ptolemäerreich 373 f., 377 f., 387, 400, 402!., 406 f., 416-424, 432 f., 457, 465, 468 f., 470 f., 475. 479-48i, 496-499

584

Register

Ptolemaios I. 316, 321, 339—355, 356-362, 365, 377, 402, 403405. 4°6,416 f., 432, 44y Ptolemaios II. Philadelphos 362!., 373-381, 405, 416, 418, 423 f., 442 f. Ptolemaios III. Euergetesl. 381 f., 386 f., 416, 433 Ptolemaios IV. Philopator 391, 396 f., 400, 416 f., 420,433 Ptolemaios V. Epiphanes 400, 457 Ptolemaios VI. Philometor 405, 468, 471, 478 f. Ptolemaios VII. Neos Philopator 479 Ptolemaios VIII. Euergetes II. 405, 468, 471,478-481 Ptolemaios IX. Soter II. 481, 496 f. Ptolemaios X. Alexander I. 481, 496 Ptolemaios XI. Alexander II. 497 Ptolemaios XII. Neos Dionysos 497 Ptolemaios XIII. 497 f. Ptolemaios Philadelphos, S. der Kleopatra VII. 499 Ptolemaios von Aloros 255, 281 Ptolemaios von Cypern 497 Ptolemaios Eupator 479 Ptolemaios Keraunos 356, 361 f., 368, 374 f. Ptolemai's, Stadt 417, 521 Punischer Krieg, (1.) 139, 372 f., 387; (2.) 400 Pydna 258, 279-283, 295, 344, 427, 467, 470 f., 481 f., 501 Pylos 16, 204-207, 2ir, 221 Pyrrhos 355-361, 366-371, 373, 376

Pythagoras, (-reer) 119, 189 Pytheas v. Massalia 437 f.

Raphia 391, 400, 414 Ras Samra (Ugarit) 11,21 f., 30 Recht, attisches 430; Rechtsauf­ zeichnung 83,99 f., 221; Rechts­ pflege im ptol. Ägypten 419 Reichskult 408 Rhegion 70 f., 156, 179, 188 f., 198, 203, *65, 364, 369, 372 Rhetoren, Rhetorik 272, 289, 522 f., 542-544 Rhetra 89 f. Rhodos, Rhodier 21 f., 56, 70, 179, 258, 283, 296, 350, 388 f., 396, 400, 425, 429, 451 f., 460, 464-466, 469, 481, 489, 514 Rom, Römer 118, 188, 190, 363539 passim Roxane, G. Alexanders III. 321, 339. 344. 346 Sai'taphernes 470 Salamis 96, 145-153, 157 Salamis, auf Cypern 184, 349 Samos, Samier 80, 86, 110, 114 f., 119, 150, 156, 162, 186 f., 218225, 257, 328, 514 Sandrokottos (Tschandragupta) 348, 392 Sappho 43 Sarapis 445 f., 531 Sardes 48, 103 f., 108, 127, 129, 147, 222, 236, 241, 311, 360E, 4'1.459 Sassaniden 501, 529 Satrapen, Satrapien, der Perser 104-m, 116, 233 f-, 256 f., 271, 286, 296, 309 f.; unter Alex­ ander 310, 312 f., 318,325, 327, 333; Diadochenzeit 339, 353;

Register Seleukidenzeit 384, 410-412, 477 Scherbengericht s. Ostrakismos Scipio, P. Cornelius 266, 331, 366, 431 f., 458 Seehund, 1. Attischer 99, 161-166, 181-187, i9b 224, 227, 229, 247; 2. Attischer 247-249, 253, 281, 283, 300 Seeräuber 96, 230, 385, 394, 397, 469, 490 f. Segesta 198, 203, 211 f., 262 Seleukeia in Pieria 382, 391 f., 413 Seleukeia am Tigris 391,405, 411, 413. 475 Seleukiden 352 f.; s. die einzelnen Könige Selcukidenreich 362, 373, 377, 402, 410, 468-471, 476, 492h Seleukos I. 327, 347-362, 389, 402, 403, 405, 408, 4i2f., 415, 437. 458 Seleukos II. 381, 390, 411 Selcukos III. 390 Seleukos IV. 462, 464 Selinus 188, 203, 262, 265 Sellasia 396, 429 Sentinum, Schl, bei 366 Sepeia 133 Septimius Severus 513, 531-533 Sesklo-Kultur 4 Sestos 150, 257, 290, 310 Seuthes III. 362 Sidon 314, 360, 378 Sigeion 96, 113 f., 132 Sikaner 70 Sikeler, Sikuler 70, 76, 159, 189, 203, 263; s. Sizilien Sikyon 85 f., 246, 289, 385, 393 Simonides 43 f., in, 188 Sinope 73, 388, 490 f., 494

585

Sitalkes 201 Siwa (Oase) 75, 316 f. Sizilien 65-77, 88, 115, 117-119, 154-159. 187-217, 224, 227, 262-268, 355, 359, 363 f., 372 f„ 387,429,485 Skione 207 Sklaven, Sklaverei 79, 87, 172, 192, 199, 353, 4i5, 482, 484, 516 Skylax von Karyanda 109, 325 Skyros 115, 164, 225, 2jgf., 243, 467 Skythen 73, 76 f., 112, 115 f., 126, 140, 297, 321, 404, 478,488 Smyrna 33, 49, 455, 457, 506, 517 Sokrates 193, 209, 224, 227 f., 280 Solon 43, 78, 83,95-102, 177 Solus 70 Sophistik (1) 192, 227, 338; (2) 522 Sophokles, att. Stratege 206 Sophokles, Tragiker 177 Sosibios 400 Sparta, Spartaner 57-60, 83, 85, in, 113, 122, 132-135, 141, 148, 158-170, 181-185, 195260, 285, 301, 328 f., 350, 386, 394-396, 399. 404, 429, 456, 462, 483, 504 f., 536 Spartalos 201 Sphärcnlehre 273, 434 Sphaktcria 205, 207 f. Spitamenes 321 Staatspension in Athen 221 Stadtanlagen 275, 316,431 Städtegründungen, Alexanders 334 f.; der Diadochen 354; der Seleukiden 412 f., 415, 426; des Pompejus49i; iul.-claud. 505 f.; Hadrians 519, 521 Stateira, G. Alexanders 327

j86

Register

Steuern, im Seleukidenreich 414; in Ägypten 422; in der Kaiser­ zeit 525 f. Stoa, Stoiker 376, 404, 438, 447449, 518 Strabon, Geograph 504 f. Strategen, attische 121, 138, 178, 380, 426 f.; in der Diadodienzeit 353; im Seleukidenreich 411; im ptol. Ägypten 418 f.; in den griech. Bünden 429; bei den Parthern 476; im Kaiser­ reich 508 Sulla 489 f., 497 Susa 104, 108 f., 130, 233, 242, 256 f., 318, 391,415 Sybaris 71, 118, 126 Sybaris (am Traeis) 265 Sybota-Inseln 196 Synesios v. Kyrene 507 f. Synoikismos 59, 90, 254, 275, 354, 358, 5°4 Syrakus 69, 103, 140, 154-158, 174, 179, 188 f., 203, 211-216, 262-267, 364, 370. 372. 3®7> 429 Syria, röm. Provinz 492 f., 532 Syrien, Syrer 65, 105 f., 109, 179, 181, 313, 352, 377 f., 381, 391 f., 457. 479. 485. 495. 499. 539. 546 Syssitien 93, 505 Tanagra 182 Tanai's 74 Tarent 70 f., 113, 189, 265, 268, 330, 363.365-371 Tarsos 495, 498, 535 Tartessos 72, 118 Taurion, maked. Vizekönig 427 Tauromenion 267, 370 Taxila, Taxiles 323

Tegea 59, in, 168, 230, 238, 259f., 301, 395 Telmessos 460 Teos, Teier 75, 104, 223, 520 Terillos 154, 1 57 Testament des Ptolemaios VIII. 478-480; des Ptolemaios XI. 497; des Apion 481; des Attalos III. 484; des Nikomedes IV. 491 Teuta, illyr. Königin 397 Thales 43 Thapsakos (Amphipolis) 413 Thasos 74 f., 166, 220, 242, 490 Theagenes 88, 95 Theben 20, 61, 144, 149, 199, 225, 231, 237, 242-260, 285, 298, 300, 305, 307, 359 Themistios 542 Themistokles roo, 132!., 137-139, 142-153, 160-169, 247 Theodosius I. 541 Theokrit 379, 433 Theophrast 437, 443, 471 Thera 21, 75 Theramenes 218, 220 f., 225, 231 f., 283 Thermopylen 142-144, 286, 292, 298, 458 Thermos (Ätolien) 396, 428, 442 Theron von Akragas 157, 188 Thespier 142 Thessalien, Thessaler 4, 56, 6163, 66, 80, in, 113, 134, 141, i47f., 150, 183, 198, 205, 249, 252-258, 279, 285 f., 294 f„ 306, 35°, 358, 361, 377, 393, 395, 399, 425, 455,464, 505 Thessalonike 357, 425, 446, 467, 482 Theten 83, 94, 98, 138, 171, 198 Thibron, Spartaner 236, 241

Register Thora der Juden 444 Thrakien, Thraker 16, 28, 30, 45, 74f., 116, 128, 131, 296, 339, 426, 458 f., 470 Thrasybul (Athener) 219 f., 231 £., 242 Thrasybul von Milet 86 Thrasybul von Syrakus 188 Thrasyllos 219 Thukydides, Historiker 87, 118, 191, 193 f., 197, 200, 202, 204, 206, 211, 216, 219, 277, 279 Thukydides, S. d. Mclesias 178, 187 Thurioi 179, 195, 213, 265, 363, 367 Tiberius, Kaiser 5 11, 513 Tigrancs I., K. v. Armenien 476, 492 Timaios 367 Timokrates von Rhodos 237, 245 Timoleon 267 f., 364 Timotheos, athen. Staatsmann 248 f., 237 Timotheos, Dichter aus Milet 275, 179 Tiribazos, Satrap 241-243 Tiryns j, 16, 19 f., 27, 133 Tissaphernes 217 f., 234-236 Tolmides 183 Tomi (Constantza) 74 Torone 207, 258 Trajan 331, 409, 517 f-, 521, 326 Trapezunt 73, 235 Triballer 297, 306 Triparadeisos 343 Trittyen iaof. Troas 33, 169, $36 Troizen 183 Troja 5, 26 Tyche (Gottheit) 444 f. Tylis, Keltenreich 376

5«7

Tyrannen, Tyrannis 67, 78, 82, 85-89, 95, ’oif., no-115, n8f., r2i, 126-133, I5°> ’54_ 158, 188 f., 227, 263-267, 272, 377,426,489,495, 514 Tyros 117, 3U, 345, 36°, 37«, 39i Tyrtaios 58, 90, 93 Übersetzungen 443 f. Unteritalien 67-72, 189 f., 195, 198, 264 f., 267 f., 366-372 Verschmelzungspolitik Alexanders 321, 327, 334, 339, 354 Vespasian 514-516

Währung, in Alexanders Reich 336; Silberwährung 336, 449, 535; Kupferwährung 400, 535 Waffentechnik, antike 435 f. Wahlkönigtum in Makedonien 4°9 Wahlrecht, passives 171; aktives u. passives 428 Weiträumigkeit der hellenist. Staaten 402 Welthandel, unter Alexander 335 h; in der Diadodienzeit 347 Westgriechen 154-158, 187-190, 262-268, 363-373 Wirtschaft 78 f., 87, 96 f., 109, 279, 3’8, 336, 352 f., 400, 422424, 478, 5°9

Xanthippos 137, 148 Xenophanes 131 Xenophon 229, 235, 243, 259, 260, 270, 289

$88

Register

Xerxes (I.) io6f., 109, 139-149. 1 S7> r7°> 303, 318f. Xerxes II. 217

Zakynthos 183, 198, 249, 462 Zaleukos 78, 84 Zalmodegios 468

Zama, Schl, bei 452 Zankle 70, i$6 Zenobia von Palmyra $37 Zenodot, Grammatiker 433 Zenon von Elea 190 Zenon von Kition 376, 447-449 Zeuxis 272, 280

KARTE I

Die griechische Welt um 800 v. Chr.

^Troia (Ilion)

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Arkader. ’J

UcAäer Die vo/kische Zugehörigkeit- der Bewohner Messeniens ist- umstritten.

Thessalien und Böotien mit nordwesbgriechischem Einschlag

Orte mit Funden aus der mykenischen Zeit in Kteinasien sind unterstrichen

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100

200

300km

KARTE II

Die große griechische Kolonisation (750-550 v. Chr.)

Korsika (Kyrncs)

— ionische Kolonien ••• äolische » — achäische » — dorische »» (mitAusnahme der korinthischen u. megarischen) **» korinthische >» x * megarische »

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KARTE VIII

Die hellenistische Staatenwelt, Griechenland und der Westen urn 240 v. Chr.

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