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German Pages 304 [306] Year 2023
ein Duell. Kein Wunder, dass die Schlacht von frühesten Zeiten an
nach zeitlicher und räumlicher Raffung, symbolträchtiger Zuspitzung und Personalisierung des Konflikts entgegen. Zwölf Entscheidungsschlachten beschreibt Klaus-Jürgen Bremm im Kontext der Geschichte: vom Sieg der Griechen über die Perser in der Seeschlacht bei Salamis 480 v. Chr. über Napoleons Niederlage bei Waterloo bis zu Hitlers Ardennenoffensive 1944/45. Aufwendig illustriert mit über 100 Abbildungen und 40 Karten sowie Schlachtplänen und angereichert durch informative Exkurse zu Kriegsführung und Heerwesen.
Hitlers Ardennenoffensive 1944
„Alles auf eine Karte setzen“
der Weichsel zugesehen, wie deutsche Truppen in Warschau den Aufstand der westlich orientierten polnischen Exilregierung niederschlugen. Diese auffällige Passivität der Sowjets bestärkte Hitler in seiner Hoffnung, dass er den Krieg überstehen könnte, wenn es ihm gelänge, die feindliche Koalition zu sprengen. Das Vorbild des Preußenkönigs Friedrichs II., der im Siebenjährigen Krieg durch einen Thronwechsel in Russland gerettet wurde, beflügelte seine Fantasie. Die USA und Großbritannien mussten nach Hitlers Überzeugung gezwungen werden, aus dem Krieg auszuscheiden. Dazu brauchte er jedoch nach den schweren Niederlagen des Sommers einen bedeutenden Erfolg, der nach seiner Ansicht nur an der Westfront möglich war.
Das „Dritte Reich“ scheint am Ende
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€ 40,00 [D] € 41,20 [A]
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ISBN 978-3-8062-4582-0
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Umschlagabbildung: Die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815, Ausschnitt aus der Farblithografie von William Holmes Sullivan, 1898. © Bridgeman Images Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de
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römische Schule, 1521. Moskau, Staatliches Puschkin-Museum für Bildende Künste.
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202 v. Chr. Scipio besiegt Hannibal. Gemälde,
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Abb. 1 | Die Schlacht bei Zama (Nordafrika),
Wahnsinnstat oder kluge Strategie? Mit einer Streitmacht von etwa 30 Divisionen, davon zwölf Panzer- und Panzergrenadierdivisionen, wollte der Diktator die dünn besetzte alliierte Front in den Ardennen durchstoßen, zur Maas vordringen und anschließend Antwerpen einnehmen. Sämtliche anglo-amerikanischen Streitkräfte würden damit nördlich der Linie Lüttich-BrüsselAntwerpen vernichtet werden. Mit diesem Schlag hoffte Hitler die Amerikaner, vor allem aber die nach seiner Überzeugung längst kriegsmüden Engländer verhandlungsbereit zu machen. Schon am 19. August 1944, als deutsche Truppen noch in der Normandie kämpften, hatte der Diktator die Absicht geäußert, so bald wie möglich im Westen wieder offensiv zu werden.1 Mit der Planung der Offensive beauftragte Hitler am 16. September den Führungsstab der Wehrmacht unter Generaloberst Alfred Jodl. Die Kommandeure der im Westen eingesetzten Armeen waren bestürzt, als ihnen der Diktator erst volle sechs Wochen nach Beginn der Vorbereitungen am 3. November die Grundzüge seines Planes eröffnen ließ, die der Wehrmachtführungsstab unter dem Decknamen „Wacht am Rhein“ entworfen hatte. Nach Auffassung von Generalfeldmarschall Walter Model (1891 – 1945), dem Oberbefehlsha-
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Zama – Narragara 202 v. Chr.
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Roms Sieg über Hannibal
m September 1944 hatte für Hitlerdeutschland das sechste Kriegsjahr begonnen. Fast alle Eroberungen der deutschen Wehrmacht seit 1939 waren inzwischen wieder verloren. Im Westen näherten sich die Anglo-Amerikaner der deutschen Grenze zwischen Aachen und Echternach, und im Osten hatten sowjetische Truppen Ostpreußen erreicht. Hitlers ehemalige Verbündete Bulgarien und Rumänien hatten im August 1944 Waffenstillstand mit den vorrückenden Sowjets geschlossen. Finnland war ihnen im September gefolgt. Allein Ungarn konnte mit Zwang bei der Stange gehalten werden. Die deutschen Armeen waren während der Kämpfe in der Normandie weitgehend zerschlagen worden. Nur geringe Reste hatten die Reichsgrenzen erreicht. Schweres Kriegsgerät war kaum noch vorhanden, der Westwall nur an wenigen Stellen verteidigungsbereit. Die alliierte Bomberoffensive gegen das Reich näherte sich ihrem Höhepunkt. Fast jede größere deutsche Stadt war inzwischen mehrfach – trotz verzweifelten Widerstands der Luftwaffe – erfolgreich angegriffen worden. Es fehlte an ausgebildeten Piloten und an Betriebsstoff, besonders nach dem Verlust der wichtigen Erdölgebiete im rumänischen Ploesti. Doch auch die Probleme der Alliierten nahmen zu. Für die Versorgung ihrer riesigen Armeen fehlten ihnen vorläufig die frontnahen Umschlaghäfen. Erst im November 1944 konnte erstmals ein alliierter Nachschubkonvoi den Hafen von Antwerpen anlaufen. Ein hastig vorbereitetes britischamerikanisches Luftlandemanöver scheiterte Mitte September bei Arnheim unter hohen Verlusten. Nur mühsam kämpften sich die Amerikaner durch den Hürtgenwald südlich von Aachen voran. Die Verluste der amerikanischen 12th Army Group beliefen sich von September bis November auf rund 230 000 Mann, davon allein über 100 000 Fälle seelischer Erschöpfung (Battle Fatigue). Gleichzeitig zeichneten sich deutliche Differenzen zwischen den Westalliierten und den Sowjets ab. Tatenlos hatten Stalins Divisionen an
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geplante deutsche Offensive ıııı
Das Spezialgebiet des Historikers und Publizisten Klaus-Jürgen Bremm ist die Technik- und Militärgeschichte. Er ist Autor zahlreicher Bestseller wie Die Türken vor Wien. Zwei Weltmächte im Ringen um Europa (2021), Preußen bewegt die Welt. Der Siebenjährige Krieg 1756–63 (2. Aufl. 2021) oder Normandie 1944. Entscheidungsschlacht um Europa (2022).
die Schlacht, wie der Zweikampf, dem dramaturgischen Bedürfnis
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© Klaus Mai
im Mittelpunkt der Geschichtsschreibung stand. Nicht zuletzt kam
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Westwall
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Karte 1 | Der deutsche Angriffsplan für die „Wacht am Rhein“. Mit einem überraschenden Stoß dreier deutscher Armeen durch die Ardennen auf Antwerpen hoffte Hitler die feindlichen Streitkräfte zu spalten und ihren nördlichen Teil zu vernichten. Schon einmal im Frühjahr 1940 war es seinen Angriffsverbänden gelungen, mit einem schnellen Stoß durch das unwegsame Ardennengebiet die alliierte Front zum Einsturz zu bringen. Diesen Erfolg glaubte Hitler jetzt wiederholen zu können.
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Die größten Schlachten der Geschichte
Die offene Feldschlacht, der Zusammenstoß zweier Armeen, ist wie
Klaus-Jürgen Bremm
Entscheidungsschlachten der europäischen Geschichte
»Das Wesen der offenen Feldschlacht ist die Entscheidung«, schrieb der französische Historiker Georges Duby. Die allermeisten der unzähligen europäischen Kriege waren eine Abfolge von kleineren Gefechten und Scharmützeln, von Belagerungen und Zermürbungsaktionen. Eher selten kam es zur großen Entscheidungsschlacht, die ebenso verlustreich wie in ihrem Ausgang völlig unberechenbar war. Zwölf solcher Schlachten, die den Lauf europäischer Geschichte veränderten, porträtiert Klaus-Jürgen Bremm hier:
Klaus-Jürgen Bremm
Die größten Schlachten der Geschichte Entscheidungen in Europa von Salamis bis zu den Ardennen
480 v. Chr. ...Salamis 202 v. Chr. ...Zama – Narragara 52 v. Chr. .....Alesia 955 .............Lechfeld 1071 ...........Mantzikert 1268 ...........Tagliacozzo 1683 ...........Wien 1709 ...........Poltawa 1805 ...........Trafalgar 1815 ...........Waterloo 1866 ...........Königgrätz 1944/45 ......Ardennenoffensive
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Die größten Schlachten der Geschichte
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„Scotland for ever“. Attacke der schottischen Highlanders in der Schlacht bei Waterloo, Gemälde von Elizabeth Butler, 1900, Temple Newsam House, Leeds.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim Umschlagabbildung: Die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815, Farblithografie von William Holmes Sullivan, 1898. © Bridgeman Images Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4582-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4601-8
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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Im Schutz der hölzernen Mauer. Salamis 480 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Hintergrund – Antike Seekriegsführung im 5. Jahrhundert v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2 Roms Sieg über Hannibal. Zama – Narragara 202 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Hintergrund – Antike Kriegsführung mit Elefanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Hintergrund – Die römische Armee im Zweiten Punischen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3 „Seht auf das benachbarte Gallien, das zur Provinz erniedrigt ist.“ Alesia 52 v. Chr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Hintergrund – Cäsars Armee im gallischen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4 „Es sei denn, der allmächtige Gott wolle sie töten.“ Lechfeld 955 . . . . . . 67 Hintergrund – Das Heerwesen des ostfränkischen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5 Der verratene Kaiser. Mantzikert 1071 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Hintergrund – Die Kampfweise der Türken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Hintergrund – Die byzantinische Armee im 11. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6 Der Traum vom Reich im Süden. Tagliacozzo 1268 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Hintergrund – Das mittelalterliche Kriegswesen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
7 Der Griff nach dem Goldenen Apfel. Wien 1683 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Hintergrund – Die osmanische Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Hintergrund – Die kaiserlich-habsburgischen Kriegsvölker zu Beginn des großen Türkenkriegs 1683 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
8 Der König, der nie aufgab. Poltawa 1709 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Hintergrund – Schwedens Armee zu Beginn des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
9 „England erwartet, dass Sie Ihre Pflicht tun.“ Trafalgar 1805 . . . . . . . . . . . . 187 Hintergrund – Die englische Flotte bis zur Zeit Nelsons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
10 Den Sieg den Klauen des Desasters entreißen. Waterloo 1815 . . . . . . . . . . . 213 Hintergrund – Grundelemente der Taktik im Zeitalter der Revolutionskriege . . . . . . . 233
11 „Eisen und Blut“. Königgrätz 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Hintergrund – Militär und Eisenbahn in Preußen von 1833 bis 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
12 „Alles auf eine Karte setzen.“ Hitlers Ardennenoffensive 1944 . . . . . . . . . 265 Hintergrund – Die deutsche Panzerwaffe 1916 – 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Anhang Taktische Zeichen – Legende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
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„Die Brigade Gordon (27. u. 67. Inf. Reg.) verteidigt den Swiep-Wald bei Cischkowes (sic)“, Farbdruck, 1894, nach einem Aquarell von Carl Röchling.
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Einleitung dem Lechfeld beendete die jahrzehntelangen Raubzüge der Ungarn nach Mitteleuropa. Beim ukrainischen Poltawa endete die Geschichte Schwedens als europäische Großmacht und nach der Niederlage seiner Flotte bei Trafalgar versuchte Frankreich nie wieder, Großbritanniens Seemachtstellung anzufechten. Oft war erst viel später sichtbar, was durch eine Schlacht tatsächlich erreicht wurde. Die Griechen bei Salamis glaubten nicht, dass sie die Perser entscheidend geschlagen hatten und erwarteten den erneuten Angriff der feindlichen Flotte am nächsten Tag. Trotzdem fehlt die Seeschlacht von Salamis bis heute in kaum einer modernen Aufzählung entscheidender Schlachten.2 Selten stimmten die Ansichten der Zeitgenossen und der Historiker in der Beurteilung einer Schlacht überein. Die Schlacht von Cannae im Jahre 216 v. Chr. zwischen Römern und Karthagern war keine Entscheidungsschlacht. Trotz einer vernichtenden Niederlage und gewaltiger Verluste gewannen die Römer am Ende den Krieg gegen ihren nordafrikanischen Erzfeind. Diejenigen aber, die den Tag von Cannae überlebt und das mit Tausenden von Leichen bedeckte Schlachtfeld gesehen hatten, dürften keinen Augenblick daran gezweifelt haben, dass sie Zeuge des Untergangs von Rom geworden waren. Ebenso war Sedan im Jahre 1870 ein bedeutender Sieg. Frankreichs Kaiser Napoleon III. geriet in deutsche Gefangenschaft und mit ihm 100 000 Mann seiner Armee. Aber die Schlacht von Sedan entschied nicht den jahrhundertealten Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland, sie entschied nicht einmal den Krieg von 1870/71. Offenbar genügt zu einer verlässlichen Einschätzung des Geschehens nicht der erste unmittelbare und aufwühlende Eindruck, die Behauptung des Schlachtfeldes, der Anblick vielfachen Todes, der Flucht oder Auflösung der eben noch
Das Wesen einer Schlacht ist die Entscheidung, schrieb der französische Historiker Georges Duby in seinem Buch über die Schlacht von Bouvines im Jahre 1214: „Wenn ein Krieg sich in die Länge zog und keinerlei Aussicht auf erfolgreiche Verhandlungen bestand, lag der Gedanke also nahe, die Sache durch die Probe eines Zweikampfes zu entscheiden. Die Schlacht war ein Akt der Rechtsprechung, ein Streit, der durch ein Urteil abgeschlossen wurde.“ 1
Sie war allerdings ein Wagnis, auf das sich die Kriegsparteien nur ungern einließen. Kein anderes die Existenz von Völkern berührendes Ereignis enthielt so viele Unwägbarkeiten wie eine Schlacht. In dichten Massen zusammengedrängte Menschen bekämpften einander, jeden Augenblick in Lebensgefahr, und der undurchschaubare Wille obskurer Mächte oder, je nach religiöser Anschauung, Gott allein schien das endgültige Urteil über ihren Ausgang zu sprechen. Forderte einer der Anführer seinen Gegner zur Schlacht, dann wollte er die Entscheidung, wollte den Feind endgültig vernichten oder es ihm wenigstens unmöglich machen, jemals wieder gegen ihn anzutreten. Die Schlacht sollte Krieg und Feindschaft beenden, indem sie die Existenz des Feindes beendete. Die Schlacht enthielt also von Anfang an die Bedeutung der Entscheidung und der Begriff Entscheidungsschlacht wäre somit eine vollkommene Tautologie. Zur Hervorhebung bedeutender und als schicksalhaft empfundener Schlachten ist er jedoch durchaus sinnvoll. Tatsächlich haben von den zahllosen Schlachten in Europas Geschichte nur sehr wenige zu Resultaten geführt, die es rechtfertigen, von Entscheidungsschlachten zu sprechen. Nach Alesia kämpften die Gallier niemals wieder um ihre Freiheit, und erst die Schlacht auf
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bedrohlichen Streitmacht des Feindes. Triumph oder Erschütterung verstellten gewöhnlich den Blick der Betroffenen auf die neu geschaffenen Realitäten und Kräfteverhältnisse. Das Element der Entscheidung ist allerdings auch kein sinnlich wahrnehmbarer Teil der Realität. Es ist nicht mehr als eine Denkhilfe, ein Schema des Verstehens, mit der Menschen die Ereignisse interpretieren und in einen Zusammenhang mit anderen Ereignissen bringen. Erst aus einer zeitlichen Distanz, wenn andere Tatsachen sichtbar werden, die sich als Konsequenz einer Schlacht deuten lassen, kann aus der Perspektive von Historikern oder anderer später lebender Menschen über ihre Bedeutung geurteilt werden. Die Einstufung einer Schlacht als Entscheidungsschlacht ist also zunächst ein historiographisches Urteil. Eine Schlacht ist im Wesentlichen eine auf beschränktem Raum, meist in kurzer Zeit und unter Teilnahme relativ weniger Menschen ablaufende gewaltsame Auseinandersetzung, ein Ereignis, das in der militärischen Sprache der Taktik zugeordnet wird. Ergeben sich jedoch aus diesem in jeder Hinsicht begrenzten Ereignis Konsequenzen und Wirkungen auf längere Sicht, auf größere Räume oder sogar ganze Kontinente und auf Bevölkerungen, die ein Vielfaches der Zahl der an der Schlacht Beteiligten ausmachen, also auf das, was in der militärischen Fachsprache als strategischer Bereich bezeichnet wird, dann ist es gerechtfertigt, im historiografischen Sinn von einer Entscheidungsschlacht zu sprechen. Die Unumkehrbarkeit des Geschehens spielt eine Rolle. Nach einer Entscheidungsschlacht wurde von den verfeindeten Rivalen nie wieder unter ähnlichen Zielsetzungen eine Schlacht geschlagen. Die besiegte Partei hatte endgültig Abschied zu nehmen von den Plänen und Ansprüchen, für die sie jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelang zu kämpfen bereit war, auch wenn die Notwendigkeit ihres Verzichts am Tag der Niederlage noch nicht sichtbar sein konnte. Das Bild einer erst in großen Zeitabständen deutlich werdenden Entscheidung will jedoch al-
lein nicht recht befriedigen. Es widerspricht der Vorstellung, die sich oft mit dem Begriff der Entscheidung verbindet. Man vermisst das Element des Unmittelbaren, die Dramatik, die mit dem Wagnis auf Gewinn und Verlust verbunden ist. Es fehlt das Gefühl der Beklommenheit, das jeden überkommt, der inmitten einer dichten Verkettung verschiedenster Gefechtshandlungen, den schwer durchschaubaren Absichten des Feindes ausgesetzt und abhängig von den oft unberechenbaren Handlungen seiner Mitstreiter einen Kampf zu bestehen hat, der bestürzend schnell hereinbrechenden Ereignissen trotzen muss, bis der verschleiernde Nebel des Ungewissen endlich durchstoßen ist und die Sicht freigibt auf eine veränderte Welt, der die Erschütterungen des zurückliegenden Tages neue tiefe Furchen eingegraben haben. Damit ist die Frage nach einem Maßstab gestellt, der möglichst im Tun der Beteiligten, in ihren Plänen und Beschlüssen zum Ausdruck gekommen ist. Tatsächlich existiert ein solcher Maßstab. Er ist nicht im Ausgang einer Schlacht zu finden, in der Größe des militärischen Erfolges oder in seinen politischen Konsequenzen, die den Beteiligten noch unbekannt waren und ihr Handeln folglich nicht beeinflussen konnten. Dieser Maßstab findet sich vor dem Beginn einer Schlacht, noch bevor die Stellungen bezogen sind und der erste Schuss gefallen ist. Er liegt im Willen der Beteiligten, in der Absicht des Angreifers, an diesem Tag eine Entscheidung zu erzwingen und in seiner Bereitschaft, für dieses Ziel alles zu wagen und selbst den eigenen Untergang in Kauf zu nehmen. Das Ziel der meisten Schlachten war die Ausschaltung oder Vernichtung des Gegners. Doch tatsächlich war diese Absicht nur bei hoher eigener Überlegenheit oder, wenn dies nicht der Fall war, unter Inkaufnahme des höchsten Risikos zu verwirklichen. Die dem Gegner zugedachte Schwächung oder Vernichtung konnte ebenso den Angreifer selbst treffen. Oft war dieser sogar in einer ungünstigen Position und kämpfte gegen eine überlegene Koalition feindlicher Mächte.
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Die Zahl seiner Truppen war gering, und es sprachen nur Ort, Zeit und seine Entschlossenheit für ihn. Dann war die Schlacht seine letzte Chance, einen ungünstigen Kriegsverlauf doch noch zu seinen Gunsten zu wenden, also durch einen taktischen Erfolg eine Wirkung im strategischen Bereich zu erzielen. Der Anführer, der mit dieser Absicht eine Schlacht wagte, musste sein gesamtes Potenzial in die Waagschale werfen. Im Falle einer Niederlage war ihm jede Möglichkeit, den Krieg noch effektiv weiterführen zu können, versperrt. Doch eine Niederlage, die dann vernichtend ausfallen würde, dürfte ihn kaum noch geschreckt haben, da sie ihm ohnehin, wenn auch später, bevorgestanden hätte. Die Schlacht war somit seine letzte Chance, doch noch alles zu gewinnen, und eine Entscheidung, die vorher gegen ihn auszufallen drohte, durch einen letzten, mutigen und entschlossenen Kraftakt zu seinen Gunsten zu wenden. Das zweite Element einer Entscheidungsschlacht liegt folglich in der entscheidungsuchenden Absicht einer der beiden Gegner. Man könnte es somit das dezisionistische Kriterium einer Entscheidungsschlacht nennen. Im Jahre 955 brachen die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg mit ihrer langjährigen Gewohnheit des ausweichenden Kampfes und stellten sich dem ostfränkischen König Otto I. zur Schlacht. Ihre berüchtigten Plünderungszüge quer durch Westeuropa waren immer gefahrvoller geworden, und die Rückschläge hatten sich gehäuft. Nur ein Sieg über den Herrscher des ostfränkischen Reiches und die Schwächung seiner Zentralgewalt konnte den Ungarn ihre alte Bewegungsfreiheit zurückgegeben. Bei Tagliacozzo 1268 in Mittelitalien versuchte Karl von Anjou, der Bruder des französischen Königs, seine rapide zerfallende Macht im Königreich Sizilien durch eine siegreiche Schlacht gegen das numerisch überlegene Heer des staufischen Thronanwärters Konrad zu retten. Bis zuletzt versuchte der türkische Großwesir Kara Mustafa im Jahre 1683, die Habsburgerhauptstadt Wien einzunehmen. Auch als schon das polnisch-deutsche
Entsatzheer vom Kahlen Berg herabstürmte, beließ er seine Janitscharen in den Gräben vor der Stadt, die er schon fest in seiner Hand geglaubt hatte. Bei Waterloo 1815 griff Napoleon auch dann noch die britischen Stellungen an, als die Preußen schon seine rechte Flanke attackierten. Wäre er rechtzeitig auf eine rückwärtige Stellung ausgewichen, hätte das fürs Erste seine Armee gerettet, aber nicht sein usurpiertes Kaisertum. Nicht immer war der überlegene Gegner gewillt, eine Schlacht anzunehmen, die seinen strategischen Vorteil gefährdete. Bei Salamis drangen die Perser erst nach langem Zögern, angeblich durch eine List der Griechen dazu veranlasst, in die für sie verhängnisvolle Meerenge ein. Bei Poltawa versuchte König Karl XII. von Schweden, das überlegene, aber defensiv eingestellte russische Heer in seinem befestigten Lager überraschend anzugreifen und zu einer Schlacht zu zwingen. Karl von Anjou musste um jeden Preis das staufische Heer bei Tagliacozzo zur Schlacht stellen, ehe es in sein Königreich einmarschierte, um sich mit den dortigen Rebellen zu vereinigen. Es fällt auf, dass historiografisches und dezisionistisches Kriterium in einigen Fällen gemeinsam anzutreffen sind. Naturgemäß musste eine Schlacht, die mit äußerstem Risiko und unter entschlossenem Einsatz aller verfügbaren Kräfte geschlagen wurde, nachhaltigere Folgen haben als jede andere militärische Konfrontation. Nur wenn eine Partei alles wagte, war eine entscheidende Schwächung des Gegners durch Waffengewalt zu erreichen. Salamis, Alesia, Tagliacozzo, Trafalgar und Königgrätz sind Beispiele für diesen erfolgreichen äußersten Wagemut. Die Schlachten von Zama, Mantzikert, Poltawa, Waterloo und vor allem Hitlers Ardennenschlacht sind jedoch Beispiele dafür, wie aus den Schatten des Desasters die endgültige Niederlage hervortrat. Nur auf wenige Schlachten der europäischen Geschichte lassen sich historiografisches und dezisionistisches Kriterium gemeinsam anwenden. Sie waren die Grundlage für die Auswahl der hier vorgestellten Schlachten.
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1 Im Schutz der hölzernen Mauer
Salamis 480 v. Chr.
Die Griechen unter Themistokles besiegen die persische Flotte unter Xerxes. Das Aquarell von Peter Connolly zeigt sehr schön die Bauart der sogenannten Dreiruderer, der Trieren.
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Damit waren auch die kleinasiatischen Griechen, die an der Ostküste der Ägäis siedelten und Zonier genannt wurden, unter ihre Herrschaft gekommen. 539 v. Chr. fiel das babylonische Reich der neuen Großmacht zum Opfer und im Jahre 525 v. Chr. konnte Kyros’ Sohn Kambyses (529 – 522 v. Chr.) sogar Ägypten besetzen. Dessen Nachfolger Dareios I. (522 – 486 v. Chr.) musste in den Jahren 499 – 494 v. Chr. eine Rebellion der ionischen Griechen niederwerfen. Athen hatte die Aufständischen unterstützt und wurde im Jahre 490 v. Chr. Ziel einer persischen Strafexpedition. Ein persisches Korps landete in Attika, wurde jedoch bei Marathon von den Athenern geschlagen und musste sich wieder einschiffen.
Das Weltreich der Perser
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osporus und Dardanellen markieren die Grenze zwischen Europa und Asien. Hier verlief die älteste Front der Kriegsgeschichte. Seit 2500 Jahren versuchten asiatische und europäische Mächte im Wechsel, das gegenüberliegende Gebiet in ihre Hand zu bringen, und nirgendwo sonst setzten sich die Betroffenen energischer gegen ihre Unterwerfung zur Wehr als an dieser Grenze. Trotz intensiven geistigen und kulturellen Austauschs überwog auf beiden Seiten der Argwohn vor dem Fremden, hier der Abscheu vor dem asiatischen Despotismus, dort die Verachtung für die griechische Kleinstaaterei. Umso nachhaltiger waren alle Versuche, das jeweils als fremdartig Empfundene zu überwinden, zu beseitigen oder zu assimilieren. Der Makedone Alexander eroberte Vorderasien bis zum Indus. Seine Erfolge leiteten das Zeitalter des Hellenismus im Orient ein, gegen das sich der Osten wiederum in Gestalt des Islam zur Wehr setzte. Die asiatische Gegenoffensive führte über Konstantinopel zweimal bis vor die Tore von Wien. Heute verläuft die Grenze zwischen Europa und Asien wieder fast genau dort, wo vor ungefähr 2500 Jahren die große Auseinandersetzung begonnen hatte.1 Die Perser waren die erste asiatische Macht, die in geschichtlicher Zeit ihren Fuß über den Bosporus nach Europa gesetzt hatte. In atemberaubendem Tempo hatten sie in nur 30 Jahren bis zum Beginn des 5. vorchristlichen Jahrhunderts nicht allein den ganzen Vorderen Orient erobert, sondern sich auch bereits im europäischen Trazien festgesetzt. Vierhundert Jahre zuvor war erstmals von ihnen in assyrischen Kriegsberichten die Rede gewesen. Ihre angestammten Wohnsitze lagen im Südosten der Mündung von Euphrat und Tigris am Persischen Golf. Lange hatten sie im Schatten der alten Großmächte Assyrien und Babylonien gestanden, ehe ihr König Kyros (reg. 559 – 529 v. Chr.) aus dem Hause der Achämeniden im Jahre 553 v. Chr. die Vorherrschaft der Meder beendete. Nur sieben Jahre später unterwarfen die Perser das Königreich der Lydier in Anatolien.
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Xerxes’ großer Feldzug nach Westen Den zweiten und nun ernsthaften Versuch der Unterwerfung Griechenlands unternahmen die Perser erst zehn Jahre später. Seit 486 v. Chr. hatte Xerxes I. (bis 465 v. Chr.) die Nachfolge des Dareios angetreten. Seine Vorbereitungen für den Feldzug nach Griechenland übertrafen alle vorherigen Anstrengungen. Schon seit dem Jahr 483 v. Chr. war auf seinen Befehl mit dem Bau eines Kanals durch die Landenge von Athos begonnen worden. Zusätzliche Brücken in Trakien sollten die dortigen Anmarschwege verbessern. Das Ziel des Großkönigs war die Eroberung von Attika und des Peloponnes. Wie alle orientalischen Großmächte erhoben die Perser den Anspruch, die ganze Welt zu beherrschen. Natürlich war ihnen bekannt, dass es außerhalb ihres Herrschaftsbereichs noch erhebliche Gebiete und kaum bekannte Völker gab, die jedoch nach damaliger Anschauung nicht zur eigentlichen zivilisierten Welt gehörten. Griechenland jedoch war das einzige kulturell hochstehende und freie Land in Reichweite, das dem universellen Herrschaftsanspruch der Perser noch widerstand. Unter der persönlichen Führung des Großkönigs überschritt das persische Landheer im April 480 v. Chr. den Hellespont auf einer 1,5 Kilometer langen Schiffsbrücke und sammelte sich im thrakischen Doriskos. Herodot von Ha-
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Persisches Gebiet Persische Verbündete Neutrale oder den Persern freundlich gesinnte Staaten Verbündete gegen die Perser Gebiet des Ionischen Aufstands Zug 492 Zug des Datis (490) Flotte des Xerxes (480) Heer des Xerxes (480) Schlacht
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Xerxes’ Angriff auf Griechenland. Das Jahr 480 v. Chr. war das Jahr der großen persischen Invasion Griechenlands. Zehn Jahre zuvor war ein erster persischer Vorstoß nach Griechenland gescheitert. Die Athener hatten eine persische Expeditionsarmee, die bei Marathon im Norden Attikas gelandet war, in die Flucht geschlagen. Jetzt wählten die Perser den Landweg über Thrakien und Makedonien. Der persische Großkönig Xerxes I. befehligte persönlich eine Streitmacht aus angeblich 1,8 Mio. Mann und 1200 Kriegsschiffen. Nicht alle griechischen Staaten widersetzten sich der persischen Invasion. Athen, Sparta und Korinth waren die bedeutendsten Städte Griechenlands, die den Persern Widerstand leisteten.
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likamassos (etwa 484 – 434 v. Chr.) bot in seinem Geschichtswerk eine detaillierte Aufstellung aller persischen Streitkräfte und kam auf die unglaubliche Gesamtzahl von etwa 1,8 Mio. Mann allein für das Landheer. Moderne Historiker haben aufgrund verschiedenster Berechnungen seine Angaben auf 80 000 bis 180 000 Mann reduziert.2 Dazu soll Xerxes eine Flotte von rund 1207 Trieren 3 aufgeboten haben, außer den fast 700 für die Brücke über den Hellespont benötigten Schiffen. Von den griechischen Städten waren nur Sparta, Athen, Korinth und Ägina sowie einige griechische Kleinstaaten entschlossen, den Angreifern Widerstand zu leisten. Bedeutende Griechenstädte wie Argos, Theben und Delphi blieben neutral. Lieber wollte man sich dort den Persern unterwerfen, als die Herrschaft der Athener oder Peloponnesier zu ertragen. Dies wurde durchaus nicht als verwerfliche Haltung oder gar als Verrat an der gemeinsamen Sache betrachtet. Eine griechische Nation im modernen Sinne gab es nicht. Die Griechen bildeten zwar ethnisch und kulturell eine Einheit, politisch jedoch waren sie zerstritten und zudem geografisch zerstreut. Weit über das Mutterland hinaus siedelten Griechen seit Langem an fast allen Mittelmeerküsten, vor allem in Italien, Sizilien, Südfrankreich und Kleinasien. Hilfe gegen die Per-
ser war von diesen entfernten Enklaven des Griechentums kaum zu erwarten. Die Griechen Siziliens mussten sich selbst gegen die phönizischen Karthager wehren und die ionischen Griechen in Kleinasien waren schon längst den Persern unterworfen und stellten sogar Schiffe für die Flotte des Großkönigs.
Die Athener geben ihre Stadt auf Begünstigt von der Uneinigkeit und Zersplitterung der Griechen kamen Heer und Flotte der Perser schnell voran. Beide Formationen marschierten parallel nach Süden. Nach Durchbruch durch den Thermopylenpass und einer Seeschlacht bei Kap Artemision war den Persern der Zugang nach Attika und Athen geöffnet. Die akute Bedrohung zwang die Athener, ihren erst wenige Wochen zuvor gefassten Beschluss, die Stadt zu räumen und auf die Schiffe zu gehen, in die Tat umzusetzen. Eine Verteidigung der Stadt zu Lande schien gegen die persische Übermacht kaum möglich. Was den Peloponnesiern in der günstigen Thermopylenstellung nicht gelungen war, musste in dem offenen Gelände Attikas erst recht scheitern. In ihrer größten Not aber half den Athenern die Weitsicht und die Tatkraft eines Mannes, der in der langen Reihe großer Athener des 5. Jahrhunderts gewiss einen der vordersten Plätze beanspruchen kann: Themistokles wurde als Sohn eines Atheners und einer Thrakerin im Jahre 525/24 v. Chr. in Athen geboren. Als Dreißigjähriger hatte er in den Jahren 493/92 v. Chr. das Amt des Archonten bekleidet und für den Ausbau des Hafens von Piräus gesorgt. Schon damals verfolgte er die Absicht,
Teil einer griechischen Triere. Relief im Akropolismuseum von Athen. Das Fragment eines von dem Franzosen Lenormant auf der Akropolis gefundenen Reliefs aus dem 5. Jh. v. Chr. zeigt deutlich die drei Ruderreihen einer Triere. Zu erkennen ist auch die deckungslose Plattform, die auf jeder Seite die Ruderreihen überdachte. Ein durchgängiges Deck gab es nicht.
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Piräus anstelle von Athen zur neuen Hauptstadt von Attika zu machen. Doch die erste Invasion der Perser im Jahre 490 v. Chr. unterbrach seine ehrgeizigen Pläne. Bei Marathon hatte Themistokles noch als schwer bewaffneter Soldat (Hoplit) im athenischen Landaufgebot gekämpft. Nach dem Sieg seiner Stadt nahm er den Kampf für eine große athenische Flotte wieder auf. Aber erst die Verbannung seiner innenpolitischen Gegner, vor allem des adligen Aristides, machte den Weg frei zu dem großen athenischen Flottenbauprogramm der Jahre 483 – 481 v. Chr. Themistokles war der erste antike Politiker, der eine Flotte bauen ließ, die allein dem Staat gehören sollte. Bis dato hatten nur Privatpersonen Schiffe besessen, die sie im Krieg, sofern sie militärisch verwendbar waren, gegen eine Entschädigung dem Staat zur Verfügung stellen mussten. Finanziert wurde die neue Flotte aus den Erträgen der Silberminen von Laurion. Im Jahr der zweiten persischen Invasion (480 v. Chr.) hatten die Athener Themistokles in das Amt des Strategen gewählt. Somit hatte er auch das Kommando über das athenische Kontingent der griechischen Flotte. Nach dem Rückzug des Landheeres vom Thermopylenpass, der das Land vor Angreifern aus dem Norden schützte, war Themistokles nach Athen zurückgekehrt und hatte seine Landsleute gedrängt, ihre Stadt vor der Ankunft der Perser zu verlassen. Entsetzt erkannten die Athener, dass die Flucht, die viele bisher nur als vage, weit entfernte Möglichkeit betrachtet hatten, nun tatsächlich unvermeidlich geworden war. Nicht alle schlossen sich der Meinung des Themistokles an. Zum Widerstand entschlossen, verschanzten sich einige Verwegene oder Verzweifelte in der Akropolis. Die übrigen Bewohner verließen jedoch die Stadt und wurden auf die benachbarte Insel Salamis übergesetzt. Es war ein Zug ins Ungewisse. Niemand wusste, ob er jemals zurückkehren und ob die Stadt oder sein Haus dann noch stehen würde. Der Schriftsteller Plutarch hat in seiner Lebensbeschreibung des Themistokles die Stimmung der Athener zwischen Verzweiflung und Wagemut wohl treffend beschrieben:
„So fuhr die ganze Stadt aufs Meer hinaus. Ein Anblick, der viele tief erschütterte, viele andere staunen ließ, wegen des kühnen Mutes der Athener, die ihre Familien andernorts unterbrachten und selber, ungerührt vom Jammer, von den Tränen und Umarmungen ihrer Eltern, nach Salamis übersetzten.“ 4
Gegenseitiges Belauern Die Flotte der Griechen mit den Kontingenten aus Sparta, Korinth und Ägina sammelte sich unterdessen in der Meerenge zwischen der Insel Salamis und dem attischen Festland. Oberbefehlshaber der gesamten Flotte war der Spartaner Eurybiades. Die Griechen wussten, dass sie nur in der Meerenge gegen die Perser siegreich sein konnten. Auf offener See waren sie ihnen nicht nur numerisch, sondern auch taktisch unterlegen. Die Perser wiederum zögerten aus denselben Gründen, in die nur fünf Kilometer lange und etwa anderthalb Kilometer breite Meerenge einzudringen. Allerdings konnten sie auch nicht weiter zum Isthmus von Korinth, der Landenge zwischen dem Peloponnes und dem übrigen griechischen Festland, vorstoßen und die griechische Flotte intakt zurücklassen. Ebenso wenig kam für Xerxes eine Teilung seiner Flotte infrage. Nach den herben Verlusten im Sturm bei Kap Artemision war sie nicht mehr stark genug, um zugleich das persische Landheer am Isthmus zu unterstützen und die griechische Flotte bei Salamis zu blockieren. Nur vereint war seine Flotte den Griechen noch nennenswert überlegen. So verharrten die Perser wochenlang unschlüssig in ihrer Position bei Phaleron.5 Obwohl die Griechen also im Vorteil waren, mag das untätige Warten doch manchen von ihnen zugesetzt haben. Nur mit Mühe soll Themistokles, glaubt man Herodot, den Spartaner Eurybiades und die übrigen Kommandeure bewogen haben, mit ihren Schiffen bei Salamis zu bleiben. Vor allem die Spartaner schienen zu fürchten, dass ein weiteres Vordringen der Perser zum Isthmus von Korinth den Peloponnes schutzlos ausliefern würde.
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Nachbau einer attischen Triere des 5. Jh.s v. Chr. Der Nachbau einer funktionierenden attischen Triere schien lange ein unlösbares Problem. Es fehlten die genauen Abmessungen von Ruderbänken und Riemen. Einzige Vorlage war das Lenormant-Relief (siehe Abb. auf S. 14). Erst mithilfe der elektronischen Datenverarbeitung konnte die optimale Kombination aller Maße ermittelt werden. 1985 wurde auf ihrer Grundlage der Nachbau einer attischen Triere begonnen. Man verwendete dieselben Materialien wie vor 2500 Jahren. 20 000 Holzdübel aus Buche mussten angefertigt werden. 25 000 Bronzenägel wurden verarbeitet. Die Arbeiten dauerten zwei Jahre. Die neue Triere erhielt von der Initiatorin des Projekts, der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercuri, den Namen Olympias. Die Leistungsfähigkeit des Schiffes übertraf alle Erwartungen. Die Olympias bewies, dass die attischen Trieren des 5. Jh.s v. Chr. eine beachtliche Schnelligkeit besaßen und leicht zu manövrieren waren. Ihre Spitzengeschwindigkeit beträgt bis zu 12 Kn/Std., d. h. rund 22 km/Std.
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Darum wollten sie nicht mehr länger untätig bei Salamis liegen. Schließlich soll Eurybiades dem Drängen seiner Mannschaften nachgegeben haben. Nach einem, glaubt man Herodot, dramatisch verlaufenen Kriegsrat verkündete er den Verbündeten, dass er am nächsten Tag zum Isthmus aufbrechen wolle. In dieser Notlage soll Themistokles zu einer List gegriffen haben. Herodot behauptet, dass der Athener den Persern die Rückzugsabsichten seiner Verbündeten verraten habe:
dem Feind eine Nachricht, die Griechen wollten in der Nacht fliehen, von einem Mann aus Athen zugetragen worden sei. Aber der Dichter beschrieb es als List der Griechen, während Herodot von einem echten Verrat des Themistokles sprach, der ohne Wissen seiner Verbündeten erfolgt sein soll.
Die Schlacht im Sund von Salamis Herodots Bericht, der erst ein halbes Jahrhundert später in einer Phase eskalierender Rivalität zwischen Athen und Sparta entstanden ist, erfüllte jedenfalls einen doppelten Zweck. Er stellte die Spartaner, die angeblich zur Meerenge von Korinth segeln wollten, als Feiglinge dar und erklärte, weshalb die Perser ihren ursprünglichen Plan aufgaben zu warten, bis die Griechen die schützende Meerenge verließen, sondern doch die griechische Flotte sofort in ihrem Schlupfwinkel angriffen. Glaubt man Herodot, waren die Griechen am Morgen überrascht, als sie sich von der persischen Flotte umstellt sahen. Aischylos zufolge befiel jedoch die Perser die Angst, als sie merkten, dass sie auf eine kampfbereite Flotte der Griechen gestoßen waren und von einem Fluchtversuch ihrer Feinde nicht die Rede sein konnte. Auch Herodots Schilderung des Beginns der Schlacht, angeblich die athenische Version der Ereignisse, klingt höchst sonderbar. Erst wollten die Griechen dem Themistokles nicht glauben, dass sie von den Persern umstellt waren. Ein kurz zuvor bei ihnen eingetroffener Schiffsführer aus Tenos musste ihnen die Meldung bestätigen. Schließlich stachen die Griechen doch in See. Als die Perser aber über die vordersten griechischen Schiffe herfielen, wollte der Rest der Flotte gleich wieder an Land zurückrudern. Ein Schiff aus Athen jedoch war zu weit nach vorn geraten und hatte sich mit einem feindlichen Schiff verkeilt. Da eilten ihm die übrigen zu Hilfe und der allgemeine Kampf begann. Man fragt sich nun, wie aus diesem Durcheinander und dazu mit einem Führer, zu dem die Flotte nur wenig Vertrauen hatte, noch ein entscheidender Sieg gegen die persische Übermacht zustande kommen konnte.
„Als Themistokles von den Peloponnesiern überstimmt wurde, ging er heimlich aus der Versammlung und schickte einen Mann in einem Boot mit einem bestimmten Auftrag ins persische Lager. Dieser Mann hieß Sittannos, gehörte zum Gesinde des Themistokles und war Erzieher seiner Kinder [...]. Er erschien damals mit seinem Boot bei den Führern der Barbaren [der Perser] und richtete folgenden Auftrag aus: ‚Mich sendet der Feldherr der Athener ohne Wissen der anderen Griechen zu euch. Denn er steht auf des Königs Seite und wünscht eher euch den Sieg als den Griechen. Er lässt euch sagen, dass die Griechen voller Angst an Flucht denken. Ihr könntet jetzt den größten Erfolg erringen, wenn ihr sie nicht auseinanderlaufen lasst. Untereinander sind sie uneins und werden euch keinen Widerstand mehr leisten. Ihr werdet vielmehr sehen, dass eure Freunde und eure Feinde zur See miteinander im Kampf liegen.‘ Nach dieser Erklärung entfernte er sich sofort wieder. Die Feinde glaubten die Botschaft; sie landeten zuerst mit einer starken persischen Truppe auf der kleinen Insel Psyttaleia zwischen Salamis und dem Festland. Um Mitternacht stachen die Schiffe des westlichen Flügels gegen Salamis in See, um die Griechen einzuschließen.“ 6
Herodot dürfte diese Geschichte dem athenischen Dichter Aischylos (525 – 456 v. Chr.) zu verdanken haben, der die Schlacht auf einem der athenischen Schiffe selbst miterlebt hatte. In seinem Stück Die Perser erzählte Aischylos später, dass
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Schlüssiger als Herodots Bericht erscheint die Schilderung der Schlacht von Aischylos. Wenn auch als Teil eines Dramas poetisch ausgeschmückt, enthält seine Darstellung doch erstaunlich viele taktische und technische Hinweise und gibt vor allem ein Bild der Schlacht, das wohl beim athenischen Publikum ohne Beifall geblieben wäre, wenn es sich nicht auf Tatsachen gestützt hätte. Kämpften doch bei Salamis auf den 180 athenischen Schiffen ungefähr 36 000 Mann, fast die gesamte männliche Bevölkerung der Stadt. Aischylos berichtet zunächst, dass die Griechen, und nicht die Perser, die Schlacht eröffneten:
zugespitzten Schnäbeln schlugen sie sich“, so Aischylos, „selber und zerbrachen das ganze Ruderwerk.“ Was allerdings genau den Griechen den entscheidenden Vorteil gebracht hat, erwähnen weder er noch Herodot. Offenbar bewirkte nicht ein besonderes taktisches Manöver, sondern eine Vielzahl erfolgreicher Einzelgefechte die Entscheidung zugunsten der Griechen. Bald entstand ein heilloses Durcheinander hin- und herrudernder persischer Schiffe. Manche Besatzungen versuchten jetzt auch, aus der Meerenge herauszurudern und der Umzingelung der Griechen zu entkommen. Es folgte das Abschlachten des geschlagenen Gegners, das noch stundenlang gedauert haben mag. Von dieser letzten Phase der Schlacht gab Aischylos folgendes Bild:
„Wohl aufgereiht, in guter Ordnung fuhr zuerst der rechte Flügel vor. In zweiter Staffel kam der ganze Zug ihm nach. [...] ein Schiff der Griechen fing das Rammen an.“
„Die Griechenschiffe umringten sie [die Perser] mit Vorbedacht und stießen auf sie los. Nach oben wurden da der Schiffe Bäuche gewälzt. Man sah die Flut nicht mehr.“
Die antike Seekriegsführung kannte zwei wichtige Manöver, die Durchfahrt (Diekplus) durch die feindliche Formation und die Umfahrt (Periplous). Die Angreifer fuhren dabei dicht an den gegnerischen Schiffen vorbei, um deren Ruderstangen zu zerbrechen. Bewegungsunfähig waren die angegriffenen Schiffe nun dem zweiten Manöver, der Umfahrt, hilflos ausgesetzt. In einem Bogen machten die Angreifer kehrt und versuchten nun die Flanke ihres Opfers zu rammen. Dazu besaß jedes Schiff am Bug einen dreizackigen Bronzesporn, der „Embolon“ genannt wurde. Das Manöver konnte jedoch nur gelingen, wenn das bewegungsunfähige Schiff nicht durch ein zweites, noch fahrtüchtiges Schiff gedeckt wurde. Jeder Angreifer, der seine eigene Formation verlassen hatte, lief natürlich Gefahr, selbst in der Flanke gefasst zu werden. Doch das brauchten die Griechen bald nicht mehr zu fürchten. Die persischen Formationen gerieten schnell durcheinander. Aischylos weiter: „Doch als die vielen Schiffe in der Enge sich versammelten, bot keines mehr dem anderen Schutz.“ Die wichtigste Voraussetzung eines Schiffsverbandes, die Fähigkeit, sich gegenseitig zu decken, war dahin. Die persischen Schiffe behinderten sich nun sogar gegenseitig. „Mit ihren
Viele Schiffe sanken nicht, nachdem sie gerammt wurden, sondern kenterten, weil sie nur einen geringen Tiefgang von nicht mehr als einem Meter hatten. Oft waren die Kielräume der Schiffe deshalb auch mit Steinen gefüllt, um den Schwerpunkt zu verlagern und dem Schiff mehr Stabilität zu geben. Der Rest der persischen Flotte floh auf die offene See. Sie sollte in diesem Krieg keine Rolle mehr spielen. Xerxes befahl sie zurück zum Hellespont, um den Übergang über die Meerenge zu sichern. So eindeutig war der Sieg der Griechen, dass der Großkönig um seinen Rückzug fürchtete. Die Schlacht bei Salamis endete mit der Einnahme von Psyttalaia. Etwa 400 Perser, die vor der Schlacht die Insel am südlichen Ausgang der Enge besetzt hatten, wurden niedergemacht. Der Sieg des verbündeten athenisch-spartanischen Landheeres bei Platää im folgenden Jahr vervollständigte den griechischen Abwehrerfolg, was den Großkönig, der nun auch durch Aufstände in seinem Reich abgelenkt wurde, zum Abbruch seines Eroberungszugs bewog. Einen dritten Versuch, die
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Griechen zu unterwerfen, unternahmen die Perser danach nicht mehr. Kaum ein Ereignis der Geschichte schien so sehr von dem Wirken eines einzigen Mannes bestimmt gewesen wie der Sieg der Griechen über die Perser im Jahre 480 v. Chr. Ohne die Weitsicht und die beinahe rücksichtslose Entschlossenheit des Atheners Themistokles hätten die Griechen bei Salamis wohl kaum gesiegt. Obwohl er im Kampf selbst nicht hervortrat, hatte er doch die
Schlacht an günstiger Stelle herbeigeführt und den Athenern das Mittel in die Hand gegeben, sie siegreich zu beenden. „Er machte seine Landsleute zu Matrosen und Seeleuten“, schrieb sein Biograf Plutarch, „nahm ihnen Schild und Speer des Hopliten aus der Hand und fesselte sie an die Ruderbank.“ Oft stand Themistokles allein mit seinen Einsichten und musste List und sogar Verschlagenheit anwenden, wenn seine überragende Beredsamkeit Landsleute und Verbündete nicht
Die Seeschlacht von Salamis. Erst nach wochenlangem Zögern drang die persische Flotte noch vor Tagesanbruch in die Meerenge von Salamis ein, wo sie von den Griechen, die sich angeblich trennen wollten, erwartet wurden. Unklar ist, aus welchen Gründen die Griechen am Ende siegreich blieben. Vermutlich fanden die persischen Schiffe von Anfang an nicht ihre gewohnte Ordnung und gerieten in vielen Einzelkämpfen sehr bald gegen die aggressiv angreifenden griechischen Schiffe ins Hintertreffen. Die übrigen persischen Schiffe flohen nach stundenlangem Kampf aufs offene Meer. Allerdings schien die persische Flotte nicht völlig vernichtet worden zu sein, denn die siegreichen Griechen erwarteten für den nächsten Tag einen neuen Angriff
Eleusis-Bucht
der Perser.
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überzeugen konnte. Etwa ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod in der Verbannung (459 v. Chr.) schrieb der Historiker Thukydides, der mit seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg seiner Zunft Maßstäbe gesetzt hatte, über seinen großen Landsmann:
Ausbruch des Peloponnesischen Krieges entwickelte sich die athenische Demokratie zu einem mächtigen und effektiven Staatswesen, dessen Bürger in direkter Abstimmung ohne gewählte Volksvertreter ihre Beschlüsse fassten. Aus heutiger Sicht war Athen ein einmaliges politisches Gebilde, das selbst jetzt, da sich viele Staaten der Welt mit Vorliebe als demokratisch bezeichnen, nicht seinesgleichen hat. Mit dem Sieg über die Perser wurde nicht nur dem äußeren Feind ein entscheidender Schlag versetzt, sondern auch der eigenen Tradition. Nicht mehr die alten Mythen erklärten seither die Welt und stützten die politische Herrschaft weniger Aristokraten. Die Philosophen lehrten nun, dass jeder Einzelne durch den Gebrauch der Vernunft die wahre Struktur der Dinge erkennen konnte. Das Maß aller Dinge wurde der Mensch. Der einzelne Mensch, das Individuum, erhielt einen neuen, höheren Wert, den das Christentum später ins Unendliche steigerte. Alles, was die freien Griechen außerdem in den 50 Blütejahren vor dem Peloponnesischen Krieg in Kunst und Literatur leisteten, wäre vielleicht auch unter einer moderaten persischen Oberhoheit möglich gewesen. Wohl kaum aber hätten sie die Grundlagen des europäischen Individualismus schaffen können, der über einige sonderbare Umwege bis heute die moderne westliche Kultur prägt.
„Was er auch in die Hand nahm, stets stand ihm dabei das rechte Wort zu Gebote und selbst in Dingen, von denen er keine Erfahrung hatte, wusste er sich zugleich zurechtzufinden. Mit seinem angeborenen Verstand traf er in jedem Augenblick den Nagel auf den Kopf und sein Urteil über das, was die Zukunft bringen würde, ging kaum jemals fehl.“ 7
Athens Aufstieg zur beherrschenden Seemacht Die politischen Folgen des griechischen Sieges sind kaum übersehbar. Athen und seine Verbündeten hatten ihre Freiheit verteidigt. So begrüßte noch der Althistoriker Hermann Bengtson in seiner griechischen Geschichte den Sieg über die Perser. Aber der Gegensatz zwischen griechischer Freiheit und barbarischer Despotie kann nicht so groß gewesen sein, wie es eine dem Griechentum nahestehende Geschichtsschreibung gern behauptete. Die persische Oberhoheit über die ionischen Griechen war keine größere Tyrannei als die spätere Herrschaft der Athener im I. Attischen Seebund. Viele Griechenstädte fürchteten sich nicht vor den Persern, paktierten sogar mit ihnen. Verglichen mit ihren altorientalischen Vorgängern war die Politik der persischen Achämeniden gegenüber Unterworfenen durchaus moderat. Eine Ausnahme bildeten natürlich Verrat und Rebellion. Aber in solchen Fällen griffen auch Athener und Spartaner mit aller Härte durch. Trotzdem bleibt ein wichtiges Resultat des Sieges. Athen wurde Seemacht und seine Bürger gewannen gegenüber der traditionellen Führungsschicht politische Macht. Wer auf den Schiffen Dienst leistete, erwarb auch politische Rechte. In den folgenden 50 Jahren von Salamis bis zum
Hintergrund
Antike Seekriegsführung im 5. Jahrhundert v. Chr. „Die Schlacht werde ich aus freien Stücken nicht im Golf schlagen. Denn gegen eine Überzahl ungeübter Schiffe ist für wenige geschickte und besser gebaute der enge Raum nicht vorteilhaft; man kann keinen gehörigen Anlauf nehmen zum Rammstoß, wenn man den Feind nicht schon von Weitem sieht; man kann nicht richtig zurück, wenn man bedrängt wird; es gibt kein Zwischendurchstoßen, keine Überflügelung, was die Waffen der flinkeren Schiffe sind, sondern notwendig wird der Schiffskampf zu einem
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Form eines nach unten gerichteten Schnabels. Vielleicht diente diese Vorrichtung dazu, sich in das angegriffene Schiff zu haken, um der Besatzung das Entern zu erleichtern. Das griechische Schiff war dagegen mit einer Bugspitze knapp oberhalb der Wasserlinie versehen. Ob diese Spitze nur zur Verzierung oder bereits als Rammsporn diente, ist nicht eindeutig zu klären. Jedenfalls markierte der Einsatz des Rammsporns den Beginn einer neuen Form der Seekriegs, die darauf zielte, das gegnerische Schiff durch einen Rammstoß in seine Flanke zu versenken oder manövrierunfähig zu machen.
Kampf des Fußvolkes werden, [...].“ 8 Rede des athenischen Admirals Phormion vor einer Seeschlacht gegen Sparta
Die Ilias erwähnte im 8. Jahrhundert den militärischen Einsatz von Schiffen zum Transport von Truppen zum Kampfplatz. Vermutlich reichte diese Praxis noch viel weiter in die Vergangenheit zurück. Als älteste Ruderschiffe wurden die sogenannten Pentekonteren (Fünfzigruderer) mit 25 Ruderplätzen je Seite genannt. Seit Beginn des 7. Jahrhunderts sind in Phönizien Schiffe mit doppelter Ruderreihe je Seite belegt, die wegen ihrer höheren Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit auch für den Kampf direkt zur See geeignet waren. Folgt man dem Geschichtsschreiber Thukydides, so sollen als erste Griechen die Korinther im Jahre 664 v. Chr. eine Seeschlacht gegen ihre Tochterstadt Kerkyra geschlagen haben. Ein Krug (Krater), vermutlich aus der Hand des damals bekannten Künstlers Aristonothos aus der Mitte des 7. Jahrhunderts, zeigt ein griechisches Schiff im Kampf mit einem vermutlich karthagischen Schiff im westlichen Mittelmeer. Beide Schiffe besaßen eine Plattform für ihre schwer bewaffneten Kämpfer. Der Bug des karthagischen Schiffes hatte die
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Seitenansicht einer athenischen Triere (Plan eines modernen Nachbaus). Nach dem sogenannten Dekret des Themistokles aus dem Jahre 481 v. Chr. mussten die Kommandanten einer Triere über Grundbesitz in Attika verfügen und durften nicht älter als 50 Jahre sein. Für die vollzählige Bemannung der Trieren mit Ruderern waren sie allein zuständig. Ein Steuermann, ein Bootsmann am Bug der Triere und ein Befehlsübermittler in der Mitte des Schiffes komplettierten das Führungspersonal einer Triere. Für die reibungslose Übermittlung der Kommandos war absolutes Schweigen der Mannschaft nötig. Auch war während des Gefechts jede Bewegung auf Deck untersagt.
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Krater des Aristonothos. Zwei unterschiedliche Schiffstypen mit schwer bewaffneten Kriegern. Das linke Schiff besitzt eine besondere Plattform für die Schwerbewaffneten, darunter ist eine Ruderreihe zu erkennen. Ob der spitze Schnabel des Schiffs bereits einen Rammsporn darstellt, ist ebenso unklar wie der Zweck der ungewöhnlichen Form des zweiten Schiffsbugs. Möglicherweise handelt es sich um eine besondere Vorrichtung, um sich zum Entern in das feindliche Schiff einzuhaken.
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In letzter Konsequenz führte diese Entwicklung zum Verzicht auf die bis dato üblichen gepanzerten Kämpfer (epibatai), die das Gewicht des Schiffes zu sehr erhöhten und seine Manövrierfähigkeit einschränkten. Zum endgültigen Durchbruch verhalf dieser Rammtaktik die Entwicklung von Dreiruderern, den sogenannten Trieren (griech. triereis), die je Seite drei übereinanderliegende Ruderreihen besaßen. Nun war es möglich, die Zahl der Ruderer eines Schiffes auf etwa 170 zu steigern, ohne die bereits im Verhältnis zu ihrer geringen Höhe extreme Länge der Schiffe vergrößern zu müssen. Thukydides zufolge wurden die ersten griechischen Trieren in Kerkyra und in einigen Griechenstädten Siziliens gebaut. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts sollen sie bereits Trieren in beträchtlicher Anzahl besessen haben. Laut Herodot hatte allerdings schon der ägyptische Pharao Necho (reg. 610 – 595 v. Chr.) Trieren auf dem Nil bauen lassen. Die Athener vollendeten zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Entwicklung dieses neuen Schiffstyps und sicherten sich mit seiner Hilfe für fast 100 Jahre die Seeherrschaft in der Ägäis. Die Invasion der Perser vor Augen, bewog Themistokles seine athenischen Mitbürger zum Bau von 200 Trieren, die einzig dazu ausgelegt waren, gegnerische Schiffe durch einen Rammstoß in ihre Flanken zu versenken. Die taktische Wirkung der Trieren kann durchaus mit einem modernen Torpedo verglichen werden. Schnelligkeit und Beweglichkeit der Triere waren bis an die Grenze des damals technisch Machbaren gesteigert worden, um sie zu ihrer einzigen Aufgabe im Gefecht, dem Rammstoß, zu befähigen. Die 170 Ruderer einer Triere waren in drei Klassen aufgeteilt. In der obersten Reihe saßen die Thraniten, auf jeder Seite ca. 31 Mann. Es mussten die größten und kräftigsten Ruderer sein, da sie wegen des steilen Winkels der Riemen den meisten Aufwand vor allem beim Herausziehen aus dem Wasser hatten. Eine halbe Körperlänge und seitlich versetzt unter den Thraniten saßen die Zygiten und ganz unten die Thalamiten, die in einer Kömodie von
Aristophanes auch Thalamaxe genannt werden. Die Bezeichnung leitete sich wohl von dem altgriechischen Wort thalamos für Laderaum ab, was auf die ursprüngliche Nutzung dieser Plätze bei früheren Schiffstypen hindeutet. Von den beiden unteren Ruderreihen gab es wegen des zum Kiel hin abnehmenden Raumes nur je 27 Ruderer je Reihe. Da sie die Bewegungen ihrer Riemen nicht sehen konnten, mussten die höher sitzenden Thraniten darauf achten, dass sie ihre Riemen immer genau zwischen denen der Zygiten und der Thalamiten eintauchten. Theophrast, ein im 4. Jahrhundert lebender Schüler des Philosophen Aristoteles, erwähnt in seiner Pflanzenkunde, dass Fichtenholz wegen seiner Leichtigkeit am besten für den Bau von Trieren geeignet sei. Für den Kiel verwendete man aber offenbar das härtere Eichenholz. Das Leergewicht des Schiffes dürfte nicht mehr als 25 Tonnen betragen haben. Vollständig bemannt und ausgerüstet, wiegt der moderne Nachbau einer athenischen Triere etwa das Doppelte. Trieren erreichten eine Marschgeschwindigkeit von bis zu acht Knoten je Stunde und konnten an einem Tag ohne Segel in Ausnahmefällen bis zu 120 Seemeilen zurücklegen. Ihre Rammgeschwindigkeit lag mit Sicherheit höher. Der moderne Nachbau erreichte schon bei den ersten Versuchen auf kurze Distanz eine Geschwindigkeit von bis zu sieben Knoten. Obwohl die Athener zur Zeit des ionischen Aufstands gegen die Perser (ca. 495/4 v. Chr.) offenbar noch keine Trieren besessen hatten, wurden sie nach ihrem Sieg bei Salamis schnell Meister im Einsatz des neuen Schiffstyps und entwickelten für ihn neue taktische Formationen. Die Annäherung an den Feind erfolgte in Kiellinie, Schiff für Schiff hintereinander. Aus dieser Formation konnte man sehr leicht eine Dwarslinie aufbauen, indem alle Schiffe gleichzeitig nach rechts oder links eine Drehung von 90 Grad ausführten. Dabei bildeten sie jedoch keine gerade Front, sondern einen halbmondförmigen Bogen, dessen Enden nach vorn exponiert waren. Aus dieser Formation war es möglich, die feindliche Linie entweder zu durchbrechen, wozu sich
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Salamis 480 v. Chr.
Kiellinie
Dwarslinie
Verteidigungsaufstellung im Kreis
Die wichtigsten Gefechtsformationen für Trierenverbände.
die Trieren wieder teilweise zur Kiellinie formierten, oder aber, wenn man dem Feind an Schiffen überlegen war, zu überflügeln. Wurde ein Verband dagegen von einem stark überlegenen Feind angegriffen, konnte er sich zu einem Kreis formieren. Herodot beschrieb eine solche Situation während der Seeschlacht von Artemision im Jahre 480 v. Chr., die das hohe taktische Können der Athener zur See dokumentiert:
den konnten, desto weniger Feuchtigkeit konnte in das Holz einziehen und desto schneller waren die Schiffe im Einsatz. Für die Griechen bei Salamis war es ein unschätzbarer Vorteil, dass sie mit ihren Trieren direkt vom Land ins Gefecht gehen konnten, während die persischen Verbände schon einen fast sechsstündigen Anmarsch hinter sich hatten. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt des Peloponnesischen Krieges (431 – 404 v. Chr.), verfügten die Kriegsparteien Athen, Sparta und Syrakus zwar über hohe Werftkapazitäten, mit deren Hilfe sie den Verlust ganzer Flotten rasch ausgleichen konnten. Ausgebildete Rudermannschaften waren dagegen immer weniger ersetzbar. Das Rudern eines Schiffes mit 85 Riemen je Seite erforderte einen hohen Aufwand an Training, Koordination und Erfahrung. Herodot beschreibt die Vorbereitungen der ionischen Griechen auf den Kampf gegen die persische Flotte:
„Auf das Signal hin stellten sich die Griechen zunächst auf, die Schnäbel den Feinden zugekehrt, die Hecks in der Mitte gegeneinander. Auf das zweite Zeichen fuhren sie trotz des engen Raumes gerade nach vorne los. Dabei nahmen sie dreißig Barbarenschiffe [...].“
Die Seegefechte wurden meist in Ufernähe ausgetragen. Je länger die Schiffe an Land behalten wer-
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Flotte verschwand auch allmählich die Triere aus der antiken Seekriegsführung. Die Römer bevorzugten im Seekrieg die althergebrachte Form des Kampfes von Schiff zu Schiff. Der letzte Einsatz von Trieren in einer Seeschlacht ist für das Jahr 323 n. Chr. bezeugt, als Kaiser Konstantin (306 – 337) seinen östlichen Mitkaiser Licinius am Hellespont besiegte.
„Dionysios ließ jedes Mal die Schiffe in Kiellinie ausfahren, um die Ruderer zu üben. Sie mussten zwischen einander durchfahren, um den Durchbruch zu üben, und die kämpfende Besatzung musste ihre volle Ausrüstung tragen. So waren die Ioner den ganzen Tag beschäftigt.“ 9
Plutarch erwähnt in seiner Biografie des Atheners Perikles, dass um die Mitte des 5. Jahrhunderts die Ausbildung einer Rudermannschaft mindestens acht Monate in Anspruch genommen haben soll. Der hohe Bedarf an Ruderern für eine Triere zwang schon zu Beginn des Krieges die Korinther, im Kampf gegen Korkyra auf andere Schiffstypen mit Schwerbewaffneten für den Infanteriekampf zurückzugreifen, was den zeitgenössischen Historiker Thukydides von einer Rückkehr der Korinther zur alten, unbeholfenen Kampfweise sprechen ließ. Mit dem Niedergang der athenischen Seemacht bald nach der Seeschlacht von Amorgos im Jahre 322 v. Chr. gegen die makedonische
Die 170 Ruderer einer Triere waren in drei Klassen aufgeteilt. In der obersten Reihe saßen die Thraniten, auf jeder Seite ca. 31 Mann. Es mussten die größten und kräftigsten Ruderer sein, da sie wegen des steilen Winkels der Riemen den meisten Aufwand vor allem beim Herausziehen aus dem Wasser hatten. Eine halbe Körperlänge und seitlich versetzt unter den Thraniten saßen die Zygiten und ganz unten die Thalamiten. Von den beiden unteren Ruderreihen gab es wegen des zum Kiel hin abnehmenden Raums nur 27 Ruderer je Reihe. Da sie die Bewegungen ihrer Riemen nicht sehen konnten, mussten die höher sitzenden Thraniten darauf achten, dass sie ihre Riemen immer genau zwischen denen der Zygiten und der Thalamiten eintauchten.
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2 Roms Sieg über Hannibal
Zama – Narragara 202 v. Chr.
Die Schlacht bei Zama (Nordafrika), 202 v. Chr. Scipio besiegt Hannibal. Gemälde, römische Schule, 1521. Moskau, Staatliches Puschkin-Museum für Bildende Künste.
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Zama – Narragara 202 v. Chr.
Stadt bedrohte, schickten die Söldner diesmal ein Hilfegesuch an den Senat in Rom. Die Ratsherren zeigten sich zunächst zurückhaltend, zumal ein Vertrag mit Karthago aus dem Jahre 306 v. Chr. ein Eingreifen in Sizilien ausschloss. Die Konsuln und das römische Volk forderten jedoch vehement die Unterstützung der Söldner von Messina. Der Senat gab schließlich nach und ließ das kompromittierende Schriftstück aus dem Archiv entfernen. Zwei römische Legionen setzten vom Festland auf die Insel über. Die überraschten Karthager bemühten sich zwar, den Frieden mit den Römern zu bewahren und schickten Boten an den befehlshabenden Konsul, doch die Römer waren längst zum Krieg entschlossen. Dass die Auseinandersetzung mit Karthago über 20 Jahre dauern würde, ahnten wohl auch die kriegsfreudigen Römer nicht.1 Erst nach einer Reihe empfindlicher Rückschläge konnten sie den Krieg endlich durch eine siegreiche Seeschlacht bei den Ägathischen Inseln im Jahre 241 v. Chr. beenden. Die Karthager mussten ihre Festungen im Westen Siziliens räumen und innerhalb von zehn Jahren eine Kriegsentschädigung von 2200 Talenten an Rom zahlen. Nur drei Jahre später nutzten die Römer einen Aufstand karthagischer Söldner auf Sardinien und Korsika, die trotz des Kriegsendes noch keine Entlohnung erhalten hatten, und besetzten vertragswidrig beide Inseln. Die Erbitterung in Karthago war groß. Um einen Ersatz für die an Rom verlorenen Kolonien zu gewinnen, begannen die Karthager im Jahre 237 v. Chr., ihre Besitzungen in Spanien auszuweiten. Unter ihrem Feldherrn Hamilcar Barkas unterwarfen karthagische Truppen zahlreiche keltische Stämme und besetzten den Südteil der iberischen Halbinsel. Nach Hamilcars Tod im Jahre 229 v. Chr. setzte zunächst sein Schwiegersohn Hasdrubal die karthagischen Eroberungen fort. Ihm folgte nur acht Jahre später Hannibal, Hamilcars ältester Sohn, als Oberbefehlshaber in Spanien. Als Neunjähriger, so berichtet der griechische Geschichtsschreiber Polybios (200 – 120 v. Chr.), der über die drei römisch-karthagischen Kriege, die sogenannten Punischen Kriege, das wichtigste
Von der Koexistenz zur Erbfeindschaft
D
ie nordafrikanische Stadt Karthago war der gefährlichste Gegner Roms auf seinem Weg zur Weltmacht. Gegen kaum einen anderen Feind kämpften die Römer erbitterter. Nicht eher fanden sie Ruhe, bis die Stadt im Golf von Tunis, deren Bewohner sie wegen ihres phönizischen Ursprungs Punier nannten, völlig besiegt und ausgelöscht war. Vom alten phönizischen Karthago existieren nur noch wenige Schriftzeugnisse, so gründlich war das Vernichtungswerk der Römer, als die Stadt endlich nach dreijähriger Belagerung im Jahre 146 v. Chr. in ihre Hand fiel. Lange bevor Rom seine Herrschaft über Italien festigen konnte, war Karthago die reichste und mächtigste Stadt im westlichen Mittelmeerraum mit zahlreichen Stützpunkten und Niederlassungen in Sizilien, auf Sardinien, den Balearen und in Spanien. Zweihundert Jahre lang scheinen beide Mächte recht gut miteinander ausgekommen zu sein. Ein Vertrag vom Anfang des 5. Jahrhunderts, wohl kurz nach dem Ende der Königsherrschaft in Rom, regelte einvernehmlich die Interessensphären beider Mächte. Der Anlass zur ersten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen der Tiberstadt und Karthago war ein Streit um das sizilische Messina. Campanische Söldner hatten die Stadt an der Nordostspitze der Insel in ihre Hand gebracht. Der Herrscher von Syrakus, Hieron II., hatte ebenfalls Ansprüche auf Messina erhoben und deshalb einen Krieg gegen die Söldner begonnen. Nach anfänglichen Rückschlägen siegten die Syrakuser im Jahre 269 v. Chr. in der Schlacht am Longanos. Die bedrängten Söldner riefen die Karthager zu Hilfe, die ihnen nur zu gern ein Hilfskorps nach Messina schickten. Denn die Griechen von Syrakus waren alte Rivalen der Karthager im Kampf um die Vorherrschaft auf Sizilien. Mit Unterstützung der Karthager konnten die Söldner Hierons Truppen abwehren. Einige Jahre später schienen jedoch die Söldner ihrer karthagischen Helfer überdrüssig geworden zu sein. Als Hieron im Jahre 264 v. Chr. erneut ihre
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Roms Sieg über Hannibal
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(209–207)
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(202)
Armeebewegungen der Karthager Armeebewegungen der Römer/Bundesgenossen
(209)
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(203)
Tarentum Thurii
Ägatische Inseln (241) (204) SCIPIO
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Schlacht/Sieg der Römer
(216)
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Schlacht/Sieg der Karthager
(216)
(216, 211)
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Karthagisches Gebiet 264–241 v. Chr. Karthagische Verluste 241–238 v. Chr. Karthagisches Eroberungen seit 238 v. Chr. Karthagisches Gebiet zu Beginn des 2. Punischen Krieges 218 v. Chr. Röm.-italischer Machtbereich um 264 v. Chr. Röm. Erwerbungen seit 241 v. Chr. HASDRUBAL Karthagische Bundesgenossen (207) nach 216 v. Chr. Röm. Bundesgenossen nach 216 v. Chr. Röm. Erwerbungen bis 201 v. Chr.
Thapsus
HANNIBAL (203)
0
100
200
300 km
Der Verlauf des Zweiten Punischen Krieges 218 – 201 v. Chr. Nach der Einnahme von Sagunt marschierte Hannibal mit einem Heer von 50 000 Mann, 9000 Reitern und 37 Elefanten (die Angaben finden sich bei Polybios, Buch III, 35 u. 42) im Frühjahr 218 v. Chr. über die Pyrenäen und die Alpen nach Italien. In vier Schlachten besiegte er die Römer, wagte es jedoch nicht, ihre Hauptstadt anzugreifen. Vergeblich wartete er mit seiner Armee in Süditalien auf den Abfall der römischen Bundesgenossen, während die Römer außerhalb Italiens bedeutende Erfolge erzielten. Sie besetzten Sizilien, gewannen Spanien und landeten zuletzt im Jahre 204 v. Chr. in Afrika. Im eigenen Land bedroht, befahlen die Karthager ihrem Feldherrn, seinen längst zwecklosen Aufenthalt in Italien zu beenden. Hannibal landete in Hadrumetum an der Ostküste Tunesiens und verlor einige Monate später bei Zama die entscheidende Schlacht gegen die Römer.
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Geschichtswerk hinterlassen hat, habe Hannibal seinem Vater kurz vor dem Aufbruch nach Spanien schwören müssen, „niemals ein Freund der Römer zu werden“. Diese in der Antike weit verbreitete Geschichte passte sehr gut in die römische Sicht vom Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges. Demnach war Hannibal als notorischer Feind der Römer allein für den Ausbruch des zweiten Waffengangs zwischen Rom und Karthago verantwortlich. Trotz der Warnungen einer römischen Gesandtschaft, die ihn in seinem Winterlager im spanischen Karthago Nova aufsuchte, belagerte er im Jahre 219 v. Chr. die spanische Stadt Sagunt, deren Bewohner karthagisches Gebiet überfallen hatten. Die Römer behaupteten, so berichtet es Polybios, dass die Stadt seit dem Jahre 226 v. Chr. unter ihrem Schutz stand.2 Dabei hatte Hannibals Vorgänger Hasdrubal mit den Römern den Ebro als Grenze beider Einflussgebiete vertraglich vereinbart, allerdings Sagunt, das weit südlich des Ebros lag, wohl aus der Regelung ausgenommen. Wenn die
Stadt somit tatsächlich unter ihrem Schutz gestanden haben soll, ließen sich die Römer damit viel Zeit. Erst nach dem Fall Sagunts, dessen Belagerung immerhin acht Monate in Anspruch genommen hatte, reiste eine römische Gesandtschaft nach Karthago, um Hannibals Auslieferung zu fordern. Die Gesandten scheuten sich auch nicht, vor dem karthagischen Rat mit Krieg zu drohen.3 Mit einer theatralischen Geste stellte der Führer der römischen Abordnung, Fabius Buteo, die karthagischen Ratsherren vor die Wahl zwischen Krieg und Frieden. Die Karthager nahmen die Herausforderung einstimmig an. Unbeirrt von den Drohungen der Römer und mit voller Unterstützung seiner Heimatstadt bereitete Hannibal in seinem spanischen Winterlager den nun unvermeidlichen Krieg vor.
Mit 37 Kriegselefanten über die Alpen Anders als die karthagischen Feldherrn im ersten Krieg gegen Rom plante Hannibal dieses Mal, die Römer in ihrem eigenen Land anzugreifen und ihre italische Bundesgemeinschaft zu zersprengen. Mit einem knapp 60 000 Mann starken Heer zog der Karthager zu Beginn des Jahres 218 v. Chr. von
Links: Büste des römischen Befehlshabers Scipio Africanus (236 – 183 v. Chr.), Archäologisches Nationalmuseum Neapel; rechts: Scipios Gegenspieler Hannibal, Büste aus dem Pushkin Museum in Moskau.
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Spanien über die Pyrenäen und die Alpen nach Italien. War schon sein Alpenübergang ein strategisches Meisterstück, so machten ihn seine Erfolge in den beiden ersten Kriegsjahren zu einem der größten Feldherrn der Antike. An der Trebia, am Trasimenischen See und bei Cannae bereitete er den Römern verheerende Niederlagen. Beinahe 100 000 römische und verbündete Soldaten wurden entweder gefangen genommen oder getötet. Doch das Bündnissystem, das die Römer in Italien errichtet hatten, hielt trotz aller Siege Hannibals und ermöglichte es ihnen, ihre gewaltigen Verluste aus den ersten verlorenen Schlachten gegen die Karthager auszugleichen. Vier Jahre nach Cannae standen in Sizilien, Italien und in Spanien schon wieder 23 römische Legionen unter Waffen. Nur einen einzigen Rückschlag mussten die Römer nach Cannae noch in Spanien hinnehmen. Dort befehligten die Brüder Publius und Gnaeus Scipio eine römische Armee, die durch rund 20 000 angeworbene Iberer verstärkt worden war. Im Jahre 212 war es ihnen zunächst gelungen, das sieben Jahre zuvor von Hannibal eroberte Sagunt den Karthagern wieder zu entreißen. Im Jahr darauf erlitten sie jedoch gegen Hasdrubal, einen jüngeren Bruder Hannibals, innerhalb nur eines Monats zwei Niederlagen. Die beiden römischen Befehlshaber wurden getötet und die Reste ihrer Armee mussten sich hinter den Ebro zurückziehen. Nach einer unglücklich verlaufenen Aktion des zunächst nachfolgenden römischen Befehlshabers erhielt noch im selben Jahr (211 v. Chr.) Publius Cornelius Scipio, der Sohn des gleichnamigen, zuvor umgekommenen Feldherrn, den Oberbefehl über die römischen Truppen in Spanien.
sul gewählt werden. Zuvor hatte er die gesamte römische Ämterlaufbahn zu durchlaufen. Der junge Scipio war jedoch bis dahin nur Ädil gewesen und ging mittels Beugung der römischen Rechtsauffassung als Privatmann mit konsularischer Befehlsgewalt nach Spanien. Den Senatoren war ihre Entscheidung nicht leichtgefallen, auch wenn sie in gewisser Weise durch Scipios Erfolge in Spanien schon bald gerechtfertigt wurde. Mit dem jungen Publius Cornelius Scipio betrat der Mann die Bühne, der die nächsten zehn Jahre des Krieges bis zu seinem siegreichen Ende in Afrika maßgeblich prägen sollte. Innerhalb von nur fünf Jahren eroberte er das gesamte karthagische Spanien einschließlich der Stadt Gades. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass Hasdrubal Barkas im Jahre 207 v. Chr. mit einem starken karthagischen Heer über den Ebro nach Norden entkommen konnte, um seinen Bruder Hannibal in Italien zu unterstützen. Hasdrubals Marsch über die Pyrenäen und die Alpen endete jedoch am Metaurus in Mittelitalien. Seine Armee wurde vernichtet und er selbst fand in der Schlacht den Tod.
Scipio landet mit seinem Heer in Afrika Dem allmählichen Umschwung des Krieges zugunsten der Römer musste Hannibal aus seiner Position in Süditalien weitgehend tatenlos zusehen. Während der Karthager mit seinem allmählich schrumpfenden Heer in Campanien ausharrte, debattierten die Senatoren in Rom, wo der entscheidende Schlag gegen Karthago geführt werden sollte. Scipio und seine Anhänger plädierten vehement für eine Landung in Nordafrika. Sie glaubten, dass nur ein Sieg in Afrika Hannibal zwingen würde, Italien endlich zu räumen. Das römische Volk stand auf Scipios Seite. Es wünschte ein Ende der langen Kriegsleiden. Für die einfachen Leute in Rom und in den verbündeten Städten bedeutete der Krieg, den die Senatoren gegen Karthago angezettelt hatten, nur ständige Aushebungen, hohe Steuern und unbezahlbare Brotpreise. Das Land war verwüstet, die Menschen lebten seit Jahren vom Hunger bedroht
Die Römer suchen die Wende des Krieges in Spanien Die Übertragung der konsularischen Befehlsgewalt an den erst 24 Jahre alten Mann war eine bemerkenswerte Ausnahme in der Geschichte der römischen Republik. Unter gewöhnlichen Umständen konnte ein Angehöriger der römischen Nobilität frühestens in seinem 42. Lebensjahr zum Kon-
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in den Städten. Kaum eine Familie hatte nicht den Verlust von Angehörigen zu beklagen. Jetzt sollten die Karthager endlich auch im eigenen Land den Krieg zu schmecken bekommen. Viele hofften, dass eine letzte Anstrengung den entscheidenden Sieg und den ersehnten Frieden bringen würde, und viele glaubten auch, dass kein anderer Befehlshaber außer Scipio dies schaffen könnte.
Kampfwert. Sie bestanden größtenteils aus den überlebenden Soldaten der bei Cannae vernichteten Legionen. Das Personal für die zwei bundesgenössischen Alen war nicht weniger kriegsmüde. Der Senat hatte die Entsendung dieser Soldaten durch das Einbehalten von Geiseln von den verbündeten Städten erpresst. Es war Scipios Verdienst, aus diesen Truppen innerhalb eines Jahres eine schlagkräftige Streitmacht geformt zu haben, die der Armee Hannibals nicht nur widerstehen, sondern auch den entscheidenden Sieg über den Magier der Kriegskunst davontragen sollte. Durch Zulauf zahlreicher Freiwilliger gelang es Scipio, seine beiden Legionen und die bundesgenössischen Alen jeweils auf die Höchststärke von 6500 Mann zu bringen. Dazu kamen je Legion 300 und je Ala 700 Reiter. Insgesamt hatte Scipio somit im Sommer des Jahres 204 v. Chr. eine Streitmacht von 25 000 Infanteristen und knapp 2000 Reitern zusammen. Mit einer Transportflotte von 400 Schiffen, begleitet von 40 Kriegsschiffen, setzte er im Frühjahr 204 v. Chr. seine Armee nach Afrika über und landete am dritten Tag der Überfahrt am Kap Farina, knapp westlich von Karthago. Kurz nach der römischen Landung erschien der Numider Masinissa mit zunächst 200 Reitern in Scipios Lager. Der Sohn des Königs der ostnumidischen Massylier war in Karthago aufgewachsen und als Siebzehnjähriger nach Spanien gekommen, wo er unter Hannibals Bruder Hasdrubal erfolgreich gegen die beiden älteren Scipionen gekämpft hatte. Als sich mit dem Eintreffen des jungen Scipios in Spanien das Blatt zugunsten der Römer wendete, hatte der politische Instinkt des Numiders bald über seine Loyalität gesiegt. Nach den ersten Siegen Scipios in Spanien war Massinissa mit dem Feind in Verbindung getreten und nach dem Fall von Gades schließlich offen zu den Römern übergelaufen, in denen er die zukünftigen Sieger sah. Zur selben Zeit hatte König Syphax, der Herrscher der numidischen Masaisylier und damit sein ärgster Rivale in Nordafrika, nach jahrelanger Gegnerschaft zu den Karthagern ein Bündnis mit ihnen abgeschlossen, da er gegen die Anwesenheit der Römer in Afrika war. Daher
Münzbild Hannibals. Eine gesicherte Kenntnis über das Aussehen des karthagischen Feldherrn Hannibal (247 – 183 v. Chr.) gibt es nicht. Das Münzbild zeigt einen hellenistischen Menschentyp, der Ähnlichkeit mit Porträts des Herkules auf karthagischen Münzen aus der Zeit der Barkiden aufweist. Hannibals Verehrung für den Halbgott Herakles ist bezeugt: Mit seinem Heerzug über die Alpen 218 v. Chr. ahmte er dessen mythischen Kriegszug von Spanien nach Gallien und Italien nach.
Nur widerstrebend übertrugen die Senatoren dem erfolgsgewohnten Scipio die Insel Sizilien als Befehlsbereich. Viele von ihnen dürften sich auch noch an die verheerende Niederlage erinnert haben, die im Jahre 255 v. Chr. der römische Konsul Marcus Atilius Regelus vor den Toren Karthagos erlitten hatte. Einen direkten Auftrag, nach Afrika überzusetzen, erhielt Scipio nicht. Er könne in Afrika landen, wenn er der Meinung sei, dies geschähe zum Vorteil des Staates, lautete die Weisung des Senats. In Scipios neuem Amtsbereich gab es nur zwei Legionen von eher zweifelhaftem
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Römisches Winterlager Karthagisch-numidisches Winterlager 204/203 Belagerung Schlacht
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Der Krieg in Afrika. Im Sommer 204 v. Chr. landete Scipio in Afrika und schlug innerhalb eines Jahres alle Heere der Karthager und ihrer Verbündeten. Daraufhin schloss Karthago einen Waffenstillstand mit Rom und verpflichtete sich, Hannibals Heer und das seines Bruders Mago aus Italien abzuziehen. Kaum waren jedoch beide Armeen nach Afrika zurückgekehrt, brach der Krieg erneut aus. Hannibal sammelte seine Armee in Hadrumetum, während Scipio die karthagischen Städte im Bagradastal angriff. Erst als Hannibal sich stark genug fühlte, zog er, wahrscheinlich nicht vor dem Herbst 202 v. Chr., nach Westen und lieferte den Römern bei Zama die entscheidende Schlacht des Krieges.
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setzte Massinissa nun darauf, dass nach dem Sieg der Römer das gesamte Reich des Syphax in seine Hand fallen würde. Um einen sicheren Stützpunkt in Nordafrika zu gewinnen, begann Scipio mit der Belagerung der Stadt Utica auf der Halbinsel Farina. Zum Entsatz der bedrohten Stadt erschienen nach etwa 40 Tagen die Karthager und Syphax mit je einer großen Armee. Das karthagische Kontingent führte ein gewisser Hasdrubal Gisko, der zum Strategen für Afrika ernannt worden war. Die Verbündeten schlugen zwei getrennte Lager auf, um die Römer auf der Halbinsel zu blockieren. Da beide Heere zusammen zu stark waren, um sie offen anzugreifen, bot Scipio den Feinden zum Schein Verhandlungen an. Tatsächlich aber sollten seine Unterhändler nur die Lage erkunden. Der römische Feldherr plante insgeheim, die beiden feindlichen Lager durch einen überraschenden nächtlichen Angriff in Brand zu stecken und zu zerstören. Sobald Scipio die nötigen Auskünfte über seine Gegner bekommen hatte, brach er die Verhandlungen mit Hasdrubal und Syphax ab. Schon in der Nacht darauf griffen die Römer die völlig überraschten Feinde an. Scipios Plan gelang vollkommen. Nacheinander zerstörten seine Truppen erst das numidische und anschließend das karthagische Lager. Nachdem Syphax’ Truppen in die Flucht geschlagen oder getötet worden waren, fiel eine zweite römische Abteilung über das karthagische Lager her und richtete dort die gleiche Verwüstung an. Über einen Monat brauchten Hasdrubal und Syphax, um die Reste ihrer Armeen wieder zu sammeln und kampfbereit zu machen. Dann stellten sie sich den Römern zur Schlacht. Auf den sogenannten Großen Feldern, etwa 100 Kilometer südwestlich von Karthago, wurden sie jedoch von Scipio vollständig geschlagen. Hasdrubal floh nach Karthago, wo ihm wegen seiner Erfolglosigkeit der Oberbefehl aberkannt wurde. Syphax rettete sich, scharf verfolgt von Massinissa und dem Befehlshaber der römischen Reiterei, Gnaeus Laelius, ins Innere seines Reiches und verschanzte sich in seiner Hauptstadt Cirta. Nach einer erneuten Niederlage gegen sei-
nen Rivalen Massinissa geriet er jedoch in Gefangenschaft. Die Kette deprimierender Rückschläge ließ die Stimmung in Karthago auf einen Tiefpunkt sinken. Nach der Niederlage auf den großen Feldern und der Gefangennahme ihres wichtigsten Bundesgenossen schien alle Hoffnung auf ein siegreiches Ende des Krieges verloren. Als die karthagischen Ratsherren Verbindung mit Scipio aufnahmen, um über einen Waffenstillstand und Frieden zu verhandeln, wurden ihnen erwartungsgemäß harte Bedingungen diktiert. Die Karthager hatten Italien und die Inseln zwischen Sizilien und Afrika zu räumen. Sie mussten sich verpflichten, alle Kriegsgefangenen freizulassen und sämtliche Überläufer auszuliefern. Von ihrer Kriegsflotte durften sie nicht mehr als 20 Schiffe behalten. Außerdem forderten die Römer eine gewaltige Kriegsentschädigung von 5000 Talenten. Karthagische Geiseln sollten die Einhaltung der Vereinbarungen garantieren. Mit diesen Bedingungen erklärten sich die Karthager schließlich einverstanden. Scipio schickte Boten nach Rom, um die Waffenstillstandsbedingungen vom Senat bestätigen zu lassen. Auch die Karthager schickten eine Gesandtschaft nach Rom, um mit dem Senat über den Frieden zu verhandeln. Nach langen Beratungen stimmten die Senatoren den Bedingungen zu, durch die Karthago wenigstens nominell seine Unabhängigkeit behielt. Gleichzeitig mit der nach Rom gereisten Gesandtschaft erschienen im Herbst des Jahres 203 v. Chr. auch bei Hannibal Boten aus Karthago, und überbrachten ihm den Befehl, mit seiner Armee gemäß den Bedingungen des Friedensvertrages Italien zu verlassen und nach Afrika zurückzukehren. Eine karthagische Söldnerarmee in Norditalien unter dem Kommando des Feldherrn Mago, Hannibals zweitem Bruder, wurde ebenfalls nach Afrika zurückgerufen.
Hannibals Rückkehr nach Afrika und die Schlacht bei Zama Die Rückkehr ihrer beiden letzten Armeen bewirkte bei vielen karthagischen Politikern noch einmal einen Stimmungsumschwung. Vielleicht konnte ihr
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bisher unbesiegter Feldherr Hannibal die Römer doch noch aus Afrika vertreiben und einen günstigeren Frieden erzwingen. Schon jetzt bedauerte man in Karthago den Waffenstillstand. Da half offenbar Scipio den Karthagern aus ihrer „Verlegenheit“, indem er selbst die Feindseligkeiten wieder eröffnete. Die Umstände sind jedoch umstritten. Die römische Geschichtsschreibung war bemüht, die Verantwortung für den Bruch des Waffenstillstands den Karthagern zuzuschieben, und berichtete ihrerseits von einem karthagischen Überfall auf römische Gesandte. Dass Hannibal mit seiner Armee bei der Küstenstadt Hadrumetum, gut 100 Kilometer südöstlich von Karthago, landete, war tatsächlich ein deutlicher Hinweis für die Absicht der Karthager, den Krieg unter günstigeren Umständen fortzusetzen. In Hadrumetum war Hannibal weit genug von den Römern entfernt, um sich ungestört auf die große Auseinandersetzung mit Scipio vorbereiten zu können. Viel Zeit blieb ihm dazu jedoch nicht. Hannibal brauchte einen schnellen und möglichst entscheidenden Erfolg, um seine ungeduldigen Landsleute in der Hauptstadt zu beruhigen. Schon fast zwei Jahre behaupteten sich die Römer in Nordafrika. Es war abzusehen, dass sie nach dem Abzug der Karthager aus Italien neue Truppen in Afrika landen würden. Hannibals noch verbleibende Vorteile waren seine Armee, mit der er in Italien so eindrucksvolle Siege errungen hatte, und sein Ruhm als genialer Feldherr, der noch nie eine Niederlage erlitten hatte. Beides würde nicht beliebig lange zu seinen Gunsten wirken. Die Kampfkraft seiner erfahrenen, aber alt gewordenen Veteranen würde sich schnell abnutzen und eine allzu lange Untätigkeit musste seinem Ruf abträglich sein. Schon bald trafen Gesandte aus Karthago bei ihm in Hadrumetum ein und beklagten sich, die Römer würden eine Stadt nach der anderen zerstören. Dem könne er nicht tatenlos zusehen. Hannibal erklärte ihnen, er werde selbst den Zeitpunkt seines Eingreifens bestimmen. Noch besaß er die volle Autorität gegen jede Art von fremder Einmischung.
Tatsächlich aber musste er schon kurz darauf mit seinem Heer von Hadrumetum aus nach Westen aufgebrochen sein. Scipio hatte mit seinen Truppen plündernd das fruchtbare Bagradastal in Richtung Südwesten durchzogen und erwartete, vermutlich in der Gegend von Narragara, die Rückkehr des Massinissa. Der Numider hatte inzwischen das Königreich des Syphax fast ganz in seine Hand gebracht und traf bald darauf mit 6000 Infanteristen und 4000 Reitern bei Scipio ein. Hannibal hatte gehofft, den Numiderfürsten zu stellen, ehe er sich mit dem römischen Heer vereinigen konnte. Angeblich schickte er nun einen Boten zu Scipio, um dem Römer eine Unterredung vorzuschlagen. Scipio soll seinem Vorschlag zugestimmt haben. Für antike Autoren war es gewiss reizvoll, sich auszumalen, was die beiden größten Feldherren ihrer Zeit bei dieser Gelegenheit gesagt haben könnten. Die Episode passt jedoch nicht zur Lage und entstammt vermutlich ebenso der dichterischen Fantasie wie die Geschichte von den drei karthagischen Spionen, die von den Römern entdeckt und anschließend von Scipio im römischen Lager herumgeführt wurden, damit sie ihrem Auftraggeber Hannibal alles, was sie gesehen hatten, genau berichten konnten. Andere Hinweise zur Vorgeschichte der Schlacht fehlen leider. Beide Armeen hatten wohl in angemessener Distanz zueinander ihre Lager aufgeschlagen und recht bald die Schlacht, die den Krieg endlich entscheiden sollte, begonnen. Das genaue Datum der Schlacht ist nicht bekannt. Sie muss jedoch zwischen dem 13. Juli und dem 17. Dezember 202 v. Chr. stattgefunden haben.4 Auch der Ort der Schlacht ist nicht mehr mit Sicherheit zu lokalisieren. Polybios nannte das bis heute nicht lokalisierte Margaron als Schlachtort, Livius dagegen Narragara und Nepos, der spätere Verfasser einer kurzen Hannibalbiografie, einen Ort namens Zama. Es gab jedoch mindestens drei Orte dieses Namens in der Region, wobei das den Römern bei Narragara nächstgelegene Zama Regia, das heutige Seba Biar, wohl die wahrscheinlichste Lösung ist.
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Hastati Leichtbewaffnete (Velites)
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Die Karthagische Kavallerie lockt die römische-numidische Reiterei vom Schlachtfeld. Die Römer lassen die Karthagischen Kriegselefanten durch ihre Reihen passieren.
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Die Schlacht von Zama – erste Phase. Scipio verfügte bei Zama über ca. 37 000 Mann. Zwei seiner Legionen bildeten mit den beiden bundesgenössischen alae zu je 6500 Mann und knapp 2000 Reitern den Kern seiner Armee. Dazu kamen
sammen 12 000 Mann gewesen sein. Vermutlich sind in dieser Zahl auch die 2000 ballearischen Schleuderer einbezogen, die Mago schon im Jahre 206 v. Chr. auf Menorca angeworben hatte. Als zweites Treffen folgten die erst kurz zuvor ausgehobenen Karthager und Lybier. Das letzte Treffen mit seinen Veteranen aus den Kämpfen in Italien stellte Hannibal mit einem Abstand von mehr als einem Stadium, dies entsprach ca. 200 bis 300 Metern, dahinter auf. Ausgehend von den karthagischen Verlusten, die Polybios später mit 40 000 Mann angab,5 müssen die beiden hinteren Abteilungen jeweils knapp 13 000 Mann stark gewesen sein. An Reiterei verfügte Hannibal wohl nicht über viel mehr als die 2000 Mann, die ihm der Numiderfürst Tychaios, ein Verwandter des glücklosen Syphax, geschickt hatte. An Infanterie war der karthagische Feldherr den Römern dagegen um mehrere Tausend Mann überlegen. Eine entscheidende Wirkung versprach sich Hannibal auch von dem Einsatz seiner 80 Kriegselefanten, die er in gleichen Abständen vor seinem ersten Treffen postierte. Ihre Aufstellung in einer Linie erinnert an
die numidischen Truppen Massinissas: 6000 Infanteristen und 4000 Reiter. Die Manipel der Principes und der Triarier sollen, anders als üblich, genau hinter den Hastaten gestanden haben. Durch die so geschaffenen Gassen konnten nun die Legionäre die karthagischen Kriegselefanten passieren lassen, ohne Schaden zu erleiden.
80 Kriegselefanten sollen den Sieg bringen Scipio ordnete seine Truppen in gewohnter Weise in drei Treffen. In die vorderste Linie stellte er die jüngsten Jahrgänge seiner Legionen, die Hastaten, dahinter die erfahrenen Principes und zuletzt die Triarii. Auf dem rechten Flügel sammelte sich die numidische Reiterei unter dem Kommando des Massinissa, links die römische und bundesgenössische Reiterei unter Führung des Laelius. Auf karthagischer Seite standen in der vordersten Linie die Söldner, die Hannibals Bruder Mago in Norditalien angeworben hatte: Kelten, Ligurier und Balearen. Laut Polybios sollen es zu-
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die erfolgreiche Schlacht, in der die von dem Spartaner Xanthippos instruierten Karthager im Ersten Punischen Krieg die in Afrika gelandete Armee des römischen Konsuls Regulus vernichtet hatten. Allerdings hatten die Karthager damals über eine überlegene Kavallerie verfügt. Jetzt aber waren sie hierin den Römern weit unterlegen. Im günstigsten Fall konnte Hannibal von seinen Reitern erwarten, dass sie die gegnerische Kavallerie in ein Gefecht verwickelten, sie nach Möglichkeit vom Schlachtfeld lockten und damit verhinderten, dass sie der Infanterie in den Rücken fiel. Beide Schlachtlinien müssen eine Ausdehnung von etwa 1200 Metern gehabt haben, wenn man auf römischer Seite den Einsatz von 40 Hastatenmanipeln, zehn je Legion oder ala, mit einer Breite von je 15 Metern zugrunde legt, die dann noch um die gleiche Anzahl von Zwischenräumen verdoppelt werden muss. Um nicht überflügelt zu werden, dürften daher die 12 000 Söldner der ersten karthagischen Linie, verringert um die wohl 2000
balearischen Schleuderer, eine ebenso breite Aufstellung eingenommen haben. Legt man einen Platzbedarf von 0,8 Metern je Mann zugrunde, so waren auf karthagischer Seite etwa 1500 Mann je Reihe erforderlich, bei einer Tiefe von etwa sechs oder sieben Reihen. Daran wird Hannibals Absicht deutlich, die Römer mit Unterstützung seiner Elefanten im Zentrum massiv anzugreifen und sie zu zwingen, schon frühzeitig ihre beiden hinteren Treffen einzusetzen. In diesem Fall wäre seine erste Linie zum Ausweichen gezwungen, um zusammen mit den Karthagern und Lybiern der zweiten Linie erneut Front zu machen. Gleichzeitig aber würden die Veteranen seines dritten Treffens die zur Mitte drängenden Römer an beiden Seiten umfassen. Zu diesem Zweck hatte er sie
Römischer Reiter um die Mitte des 2. Jh.s v. Chr., Musée des Antiquités, St. Germain en Laye.
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etwa 200 bis 300 Meter hinter seinen ersten Linien platziert. Zwar war so ein vollständiger Sieg wie bei Cannae ausgeschlossen, da Hannibal nun nicht mehr über die iberische Kavallerie verfügte, um die Römer auch im Rücken anzugreifen. Eine schwere Niederlage der Römer mit weitreichenden politischen Folgen schien aber dennoch möglich.6 Hannibal eröffnete seine letzte Schlacht, indem er seine 80 Kriegselefanten gegen die römischen Linien vorstürmen ließ. Es gelang den gewaltigen Tieren zwar, die ganz vorn eingesetzten, nur leicht bewaffneten römischen Velites zu zersprengen und auch den dahinter postierten Hastaten einige Verluste zuzufügen. Dann aber verloren die Lenker die Kontrolle über ihre Tiere. Hörner und Trompeten sollen, so Polybios, einige der wohl nur flüchtig ausgebildeten Elefanten kopfscheu gemacht haben. Ein Teil der Tiere wandte sich plötzlich gegen die eigenen Linien, andere flohen nach rechts und links entlang der zur Schlacht aufgestellten Infanterie ins offene Gelände. Den Rest ließen die Römer durch die eigens dazu gebildeten Lücken zwischen ihren Manipeln nach hinten passieren. Noch während die Elefanten überall Verwirrung auslösten, begann bereits auf beiden Flügeln der Reiterkampf. Schon nach kurzer Zeit ergriffen Tychaios’ Numider die Flucht, unter scharfer Verfolgung der feindlichen Reiterei, ganz wie Hannibal es gehofft hatte. Dann prallten endlich, Schild gegen Schild, die vordersten Reihen der Infanterie aufeinander. Zunächst war jede Partei bemüht, durch den Druck ihrer geschlossenen, dicht zusammengefügten Formationen die feindliche Linie aufzubrechen. Dabei versuchten die hinteren Reihen ihre Vorderleute gegen den Feind zu pressen, bis dieser schließlich nachgab und sich seine Formation auflöste. Eine Weile hielten die karthagischen Söldner dem Angriff der Hastaten stand. Schließlich setzten sich aber die Römer durch, und die Söldner wurden auf die zweite karthagische Linie zurückgedrängt. Ob sie absichtlich zurückgingen, was im Einklang mit Hannibals Plan gewesen wäre, oder aber unter massivem römischen Druck zurückwichen, wie es Polybios behauptet, scheint nicht
ganz klar. Sein Bericht von der Panik und Wut der karthagischen Söldner, die sogar die eigenen Leute des zweiten Treffens attackierten, erweckt den Eindruck, als ob die Befehlshaber des ersten Treffens die Kontrolle über ihre Leute verloren hätten. Plötzlich zwischen zwei Fronten geraten, wehrten sich die Söldner nach beiden Seiten offenbar mit so großer Tapferkeit, dass nun auch die nachsetzenden Hastaten in Unordnung gerieten. Aus eigenem Entschluss führten die Befehlshaber der Principes nun das zweite römische Treffen nach vorn, und der Wucht dieses Angriffs waren die beiden miteinander verzahnten karthagischen Treffen offenbar nicht mehr gewachsen. Laut Polybios sollen die meisten von ihnen an Ort und Stelle niedergehauen worden sein. Der Rest fiel zurück auf die dritte karthagische Linie, wo es erneut zu höchst dramatischen Szenen gekommen sein soll. Angeblich befahl Hannibal seinen Veteranen, den Fliehenden mit eingelegter Lanze den Zutritt in ihre Linie zu verwehren. Den Unglücklichen blieb nichts anderes übrig, als auf die Flügel und das offene Feld auszuweichen, wo sie allerdings noch einmal Front machen konnten. Immerhin müssen sie noch so stark gewesen sein, dass sie an beiden Flügeln den Principes und Triariern weiteren Widerstand leisten konnten. Denn Scipio ließ nun durch ein Trompetensignal die weit vorgepreschten Hastaten zurückrufen. Offenbar hatten die Principes, die ja schon den Hastaten zu Hilfe gekommen waren, nicht an deren Verfolgung des geschlagenen Gegners teilgenommen. Scipio ließ sie jetzt zusammen mit den Triariern links und rechts von den zurückgerufenen Hastaten aufschließen. Vermutlich teilte der römische Feldherr dazu seine beiden hinteren Treffen, um Principes und Triarier gemischt auf beiden Flügeln zu postieren, sodass sie gleich stark waren. Da beide Armeen, wie Polybios selbst einräumte, mit vielleicht noch jeweils 22 000 Mann nun annähernd gleich stark waren, dürften die beiden vordersten karthagischen Treffen, die sich inzwischen an den Flügeln neu formiert hatten, nicht schwächer als wenigstens 10 000 Mann gewesen sein. Andernfalls hätte Hannibal in jedem Fall das
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Gefecht abbrechen müssen, zumal Scipio den Karthagern, als er seine Hastaten zurückrief und seine Verwundeten bergen ließ, eine Atempause einräumte, die ihnen einen unangefochtenen Rückzug in das eigene Lager erlaubt hätte. Eine Fortsetzung der Schlacht mit nur noch 12 000 Veteranen gegen eine doppelt so starke Armee Scipios, zugleich unter der Gefahr, von der zurückkehrenden feindlichen Kavallerie im Rücken angegriffen zu werden, wäre eine reine Verzweiflungstat gewesen. Wenn Hannibal trotzdem die Schlacht fortsetzte, zeigt dies nur, dass er die Kräfteverhältnisse weiter zu seinen Gunsten bewertete und hoffte, die bevorstehende Frontalschlacht immer noch gewinnen zu können. Die Karthager stießen nun auf die verdoppelte römische Front. Ein beiderseitiges Überflügeln, wie Hannibal es ursprünglich beabsichtigt hatte, war damit ausgeschlossen. Als letzte Möglichkeit blieb ihm jetzt nur noch der frontale Durchbruch durch die römische Linie. Eine Zeit lang kämpften nun beide Heere unter Einsatz aller Kräfte gegeneinander, ohne dass eine Seite einen nennenswerten Vorteil erzielen konnte. Mit wachsender Anspannung dürfte Hannibal nach der schwachen
Die Schlacht von Zama – zweite Phase. Nach heftigem Kampf wichen die karthagischen Söldner des vordersten Treffens vor den römischen Hastaten zurück. Aus Wut über die fehlende Unterstützung des zweiten Treffens, das ihnen seine Reihen nicht öffnen wollte, sollen die Söldner nun angeblich angefangen haben, auch auf die eigenen Leute einzuhauen. Hannibal entschloss sich zum Einsatz seines dritten Treffens. Die Veteranen aus Italien sollten den römischen Vorstoß zum Stehen bringen. Seinen beiden angeschlagenen vorderen Treffen befahl er gleichzeitig, auf die Flügel auszuweichen, um von dort flankierenden Druck auf die vordrängenden Römer auszuüben.
Stelle in der römischen Schlachtordnung gesucht haben. Er ahnte wohl, dass er nicht beliebig Zeit hatte, die Römer zu schlagen. Und dann geschah das, was der Karthager im Verlauf der Schlacht immer mehr verdrängt hatte, so sehr, dass er es nicht einmal mehr als eine Möglichkeit in Betracht gezogen zu haben schien. Als Hannibal in seinem Rücken die Staubwolke erkannte, die allen Kämpfern auf dem Schlachtfeld die Rückkehr der numidischen und römischen
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Reiterei ankündigte, muss ihn die Gewissheit der Niederlage wie ein Blitz getroffen haben. Panik und Entsetzen breitete sich in Windeseile in den Reihen der Karthager aus. Schon verließen die Ersten aus den hinteren Linien ihre Plätze und warfen ihre Rüstungen fort, um schneller fliehen zu können. Vergeblich stemmten sich zunächst noch die karthagischen Offiziere gegen die Flucht, bis sie selber einsahen, dass ein Verbleiben auf dem Schlachtfeld sinnlos geworden war. Noch ehe Massinissas und Laelius’ Abteilungen auf Kampfweite heran waren, befand sich Hannibals Heer bereits in voller Auflösung. Dass die meisten von Hannibals Leuten an ihrem Platz verharrten und dort niedergehauen wurden, wie Polybios behauptet, klingt recht unwahrscheinlich. Es würde angesichts der für jeden ersichtlichen Gefahr einen stoischen Untergangswillen bei den Karthagern voraussetzen, den nicht einmal ihr Feldherr, dem ja die Flucht gelang, aufgebracht hatte. Gegen Polybios’ Version spricht außerdem, dass eine zwar siegreiche, aber sicherlich abgehetzte und dezimierte Reiterei allein schon wegen ihrer leichteren Bewaffnung kaum fähig gewesen wäre, eine angeblich zum letzten Widerstand entschlossene Infanterie zu zersprengen. Die numidischen Reiter schwärmten nach allen Seiten aus, um die fliehenden Karthager einzufangen oder zu töten. Der Rest von Hannibals Armee wurde von der römischen Infanterie niedergemacht. Über 20 000 Karthager sollen getötet worden sein. Eine gleich hohe Zahl geriet laut Polybios in Gefangenschaft. Eine nennenswerte Zahl an Entkommenen, die noch das karthagische Lager, den einzigen halbwegs sicheren Platz in der Nähe des Schlachtfelds, hätten besetzen können, hatte sich wohl nicht mehr sammeln können.
Numidischer Reiter, Louvre, Paris. In einem Grab im apulischen Canosa in der Nähe von Cannae wurde diese nur 18 cm hohe Terracottafigur aus dem späten 3. Jh. v. Chr. gefunden. Die ursprünglich bemalte Figur zeigt einen fliehenden numidischen Reiter, vermutlich aus Hannibals Heer. Der Mann wurde durch einen Pfeil im Rücken schwer verwundet. Als
Zama – eine Entscheidungsschlacht?
Waffen hatte er nur einen kleinen, runden Schild und vielleicht ein Schwert. Die Figur ist ohne Helm und
Nur ein Ziel konnte sich Hannibal gesetzt haben, als er die Römer irgendwo in dem kargen Gelände zwischen Zama Regia und Narragara zur Schlacht stellte. Er wollte das römische Heer entscheidend
Panzer und nur mit einer kurzen Tunika dargestellt. Die Karthager verwendeten die Reiter aus Numidien hauptsächlich für leichte Aufgaben.
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Laelius Die Schlacht von Zama – letzte Phase. Noch ehe seine Hastaten von den Karthagern in der Flanke bedroht werden konnten, ließ Scipio sie auf der Stelle haltmachen und befahl zugleich seinen Principes und
schlagen, auch wenn er wusste, dass er die Römer nicht wie am Trasimenischen See und bei Cannae vernichten konnte, da ihm die Kavallerie für eine vollständige Einschließung fehlte. So lange hatte er gerüstet, bis er seine Armee für stark genug hielt, diese Aufgabe zu erfüllen. Sein Schlachtplan beruhte daher auf drei Voraussetzungen:
Triarern, an beiden Flügeln zu den Hastaten aufzuschließen. So vereitelte er Hannibals Umfassungsplan. Die nun einsetzende Frontalschlacht blieb zunächst ohne Entscheidung. Erst die Rückkehr von Scipios Reiterei brachte den Römern den Sieg.
wäre, sich ins Lager zurückzuziehen. Denn mit der baldigen Rückkehr der feindlichen Kavallerie musste Hannibal rechnen. Dennoch kämpfte er in der Hoffnung weiter, seine Infanterie würde bis zur Rückkehr der Reiterei doch noch die Oberhand gewinnen. Für den Fall eines Scheiterns hatte Hannibal offenbar keine Vorkehrungen getroffen. Es gab keine Infanterieabteilung, die als Reserve dem übrigen Heer den Rücken freihalten sollte. Alle seine Truppen setzte der Karthager gegen Scipios Infanterie ein. So reichte schon das Erscheinen von wenigen Tausend feindlichen Reitern im Rücken seiner vielleicht noch 20 000 Mann starken Armee, um diese in Panik auseinanderlaufen zu lassen. Hannibal hatte im eigenen Land einen entscheidenden Sieg über die Römer erringen wollen. Die Folge wäre ein strategisches Gleichgewicht gewesen, das die Römer zu einem für Karthago akzeptablen Frieden bewogen hätte. Ohne diesen entscheidenden Sieg war der Krieg ohnehin
1. Die feindliche Kavallerie musste ausgeschaltet werden. 2. Die Aufgabe, das feindliche Heer zu umfassen und zu vernichten, fiel seiner numerisch überlegenen Infanterie zu. 3. Die flankierende Bewegung musste sehr schnell erfolgen, noch ehe die feindliche Reiterei erneut in die Schlacht eingreifen konnte. Während seine beiden ersten Treffen die Römer frontal binden sollten, war es die Aufgabe seines dritten Treffens, sie in ihren beiden Flanken anzugreifen und wenn möglich ganz einzuschließen. Als dieser Plan nicht gelang, weil die Römer ihre Kampflinie mithilfe des zweiten und dritten Treffens weit genug gegen eine Überflügelung ausdehnen konnten, setzte Hannibal den Kampf fort, obwohl es nun, nachdem eine schnelle Entscheidung nicht erreicht worden war, ratsam gewesen
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Kriegselefant mit Turmaufbau. Campanischer Teller aus dem 3. Jh. v. Chr., Museo Archeologico di Villa Giulia, Rom.
verloren. Die eigene, zum Schluss vernichtende Niederlage schien Hannibal in Kauf genommen zu haben, da sie letztlich nicht schädlicher als eine gewöhnliche Niederlage hätte sein können. Nach der Niederlage bei Zama musste Karthago endgültig die harten Friedensbedingungen der Römer akzeptieren. Die einstige Großmacht im westlichen Mittelmeerraum verlor nach 17 Jahren Krieg alle ihre Kolonien in Spanien und dazu wichtige Teile ihres afrikanischen Reiches. Ohne Zustimmung Roms durfte die Stadt keine Kriege mehr gegen ihre immer begehrlicher werdenden nordafrikanischen Grenznachbarn führen. Aber
auch die knebelnden Klauseln schienen den Siegern letztlich nicht zu genügen. Im Jahre 146 v. Chr. wurde die Stadt von den Römern nach einem erneuten, willkürlich von ihnen begonnenen Krieg erobert und zerstört, das Umland zur römischen Provinz gemacht. Mit dem Sieg bei Zama übernahm Rom für mehr als 600 Jahre die Herrschaft über das westliche Mittelmeer. Erst im Jahre 439 n. Chr. verloren die Römer Karthago mit der Provinz Nordafrika an die germanischen Vandalen, denen auch gelang, was Hannibal versagt geblieben war. Im Jahre 455 eroberten und plünderten sie die ewige Stadt.
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getötet und 33 verwundete Tiere erbeutet hätten, was auf einen harten Kampf schließen lässt. Erfolgreicher waren die Elefanten im Kampf gegen die Römer, als der Konsul Regulus sieben Jahre später mit einem Korps von 15 000 Mann in Afrika landete. Nach einer anfänglichen Schlappe vernichteten die Karthager in einer zweiten Schlacht, vermutlich in der Nähe der Küstenstadt Aptis, mithilfe von etwa 100 Kriegselefanten die römische Armee und nahmen den Konsul gefangen. Auch bei dem großen Söldneraufstand, der Karthago an den Rand des Untergangs brachte, leisteten die Kriegselefanten der Stadt wertvolle Dienste. In ihren Kolonialkriegen in Spanien setzten die Karthager daher immer wieder Elefanten ein. Zu Beginn des zweiten Krieges gegen Rom sollen sie etwa 58 Tiere besessen haben. Hannibal zog im Jahre 218 v. Chr. mit 37 Kriegselefanten über die Alpen. Die Tiere überstanden zwar den strapaziösen Alpenübergang, nicht aber das raue Klima Norditaliens. Nach der Schlacht an der Trebia soll Hannibal nur noch sieben Elefanten besessen haben. Bei Hannibals weiteren Siegen in Italien spielten Kriegselefanten keine Rolle mehr. Erst bei Zama im Jahre 202 v. Chr. verfügten die Karthager wieder über eine größere Zahl von Elefanten. Die Tiere waren aber offenbar nicht ausreichend ausgebildet, da sie schon beim ersten Klang von Trompeten und Signalhörnern in Unruhe gerieten und unkontrollierbar über das Schlachtfeld irrten. Die siegreichen Römer zogen daraus ihre Konsequenzen. In ihren beiden entscheidenden Schlachten gegen Makedonien bei Kynoskephalai 197 v. Chr. und bei Pydna 168 v. Chr. setzten sie erstmals selbst in geringer Zahl Kriegselefanten, nicht mehr als zehn oder fünfzehn Tiere, auf jeweils einem Flügel ein. Der Erfolg gab ihnen recht. Kleine Gruppen von Kriegselefanten waren besser auszubilden und in der Schlacht leichter zu kontrollieren und konnten trotz ihrer geringen Zahl, konzentriert auf nur einem Flügel, eine Schlacht entscheiden. Alle Feldherren, die Kriegselefanten einsetzten, verwendeten große Mühe darauf, ihre anderen
Die antike Kriegsführung mit Elefanten Als erste Europäer lernten die Makedonen Alexanders des Großen den Einsatz von Kriegselefanten kennen. In der Schlacht am Hydaspes (326 v. Chr.) setzte der indische König Poros 85 Elefanten gegen das makedonische Heer ein. Allerdings ohne großen Erfolg. Alexander nahm ihm die Elefanten ab und brachte später insgesamt 200 Tiere aus Indien mit in den Westen, wo sie in den Schlachten seiner Nachfolger zum Einsatz kamen. Im Laufe dieser Kämpfe gelangten einige Dutzend der Tiere auch nach Makedonien und Griechenland. Die Römer begegneten Kriegselefanten zum ersten Mal im Jahre 280 v. Chr. in der Schlacht von Heracleia gegen König Pyrrhos, der mit 25 000 Mann und 20 Kriegselefanten zur Unterstützung der Tarentiner von Epirus nach Italien übergesetzt war. Pyrrhos war vermutlich auch der Erste, der die Tiere mit Türmen für eine kleine Besatzung ausstattete, die feindliche Nahkämpfer mit Wurfgeschossen ausschalten sollten. Der auf der linken Seite abgebildete Teller zeigt vermutlich einen der Kriegselefanten des Pyrrhos. Die Römer nannten die ihnen völlig unbekannten Elefanten „Lucanische Ochsen“. Nach zwei weiteren Niederlagen gegen Phyrrhos gelang es ihnen in der Schlacht von Benevent 275 v. Chr. erstmals, einige Elefanten zu erbeuten. Einen militärischen Einsatz der Tiere lehnten sie jedoch zunächst ab, da sie fürchteten, dass die Tiere sich in Panik auch gegen ihre Herren wenden könnten. Dagegen übernahmen die Karthager die neuartige Waffe, die sie ebenfalls in den Kämpfen gegen Pyrrhos, der im Jahre 277 v. Chr. auch nach Sizilien übergesetzt war, kennengelernt hatten. Zum ersten Mal sind aufseiten der Karthager Kriegselefanten, die sie in Afrika gefangen hatten, im Jahre 262 v. Chr. in der Schlacht von Agrigent gegen die Römer bezeugt. Die Römer blieben allerdings siegreich und erbeuteten fast alle karthagischen Elefanten, die Polybios zufolge gar nicht zum Einsatz gekommen waren. Ein anderer Geschichtsschreiber, Philemon, behauptete dagegen, dass die Römer in dieser Schlacht acht Elefanten
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Heeresteile an die Tiere zu gewöhnen. Allgemein übliche Grundsätze zum Einsatz dieser neuartigen „Waffe“ schien es jedoch nicht gegeben zu haben. Am häufigsten stellte man die Elefanten in gleichmäßigen Abständen vor die vorderste Linie. In die Zwischenräume kamen Schützen und Schleuderer, um die gegnerischen Schützen zu bekämpfen und daran zu hindern, mit ihren Geschossen die Elefanten zu verwunden und in Panik zu versetzen. Verschiedentlich wurden Elefanten auch zur Abwehr der feindlichen Kavallerie auf den Flügeln aufgestellt, wie es Hannibal in der Schlacht an der Trebia tat. Vielleicht geschah es aber auch nur, weil er nicht mehr genügend Tiere hatte, um seine ganze Front abzudecken. Weniger gute Erfahrungen sammelten vor allem die Karthager, wenn sie ihre Elefanten als Reserve hinter die vordere Linie stellten. Sobald diese wie in der Schlacht bei Agrigent zurückgeschlagen wurde, gerieten auch die Elefanten in Panik und verursachten auf der eigenen Seite mehr Schaden als beim Feind. Für die Kriegselefanten war ebenes Gelände am besten geeignet, da es ihnen ein schnelles Vorpreschen gegen den Feind gestattete. Gegen gut verschanzte Truppen, die mit genügend Geschossen versehen waren, sanken ihre Chancen erheblich. Als die Karthager im Ersten Punischen Krieg ihre Tiere im hügeligen Gelände gegen die Römer aufstellten, erlitten sie zunächst gegen Regulus eine verheerende Niederlage. Nach dem Ende der römischen Bürgerkriege wurden Kriegselefanten kaum noch militärisch eingesetzt. Fast 300 Jahre dienten sie den römischen Kaisern nur noch zu zeremoniellen Zwecken oder wurden bei Gladiatorenkämpfen verwendet. Erst um die Mitte des 3. Jahrhunderts, als mit den persischen Sassaniden ein neuer gefährlicher Gegner für das Römische Reich auftrat, spielten Elefanten in zahlreichen Schlachten im Osten wieder eine militärische Rolle. Diese letzte Phase der Kriegsführung mit Elefanten endete erst im 7. Jahrhundert, als die Araber das neupersische Reich eroberten und die Römer nach Kleinasien zurückdrängten.
Hintergrund
Die römische Armee im Zweiten Punischen Krieg Von Beginn seiner Existenz an beruhte die Wehrfähigkeit des römischen Staates auf der allgemeinen Dienstpflicht. Das römische Heer war das Aufgebot aller Bürger. Die politische Einteilung der Römer in Wahlkörperschaften war zugleich auch das Muster für ihre militärische Gliederung in Zenturien. Ursprünglich schien die römische Armee aus 84 Zenturien zu je 100 Mann bestanden zu haben. Mit der Einführung der Republik und der jährlichen Wahl zweier Konsuln, die im Krieg die höchste Befehlsgewalt, das Imperium, besaßen, wurde die römische Streitmacht in zwei Legionen zu je 42 Zenturien aufgeteilt. Jeder Konsul führte im Krieg eine Legion. Obwohl sie gewöhnlich nur 4000 Mann umfasste, war die römische Legion ein zu selbstständigen Operationen befähigter Großverband, der auch auf sich allein gestellt auf einem Kriegsschauplatz eingesetzt werden konnte. Bis zum Beginn des Zweiten Punischen Krieges im Jahre 218 v. Chr. wuchs die Zahl der römischen Legionen von zwei auf sechs. Zugleich war die Zahl der Zenturien je Legion auf 60 erhöht worden. Schon während ihrer Kriege gegen Gallier und Samniten im Laufe des 4. Jahrhunderts hatten die Römer jedoch erkannt, dass der geschlossene Einsatz einer Menge von etwa 6000 Mann in der Schlacht erhebliche Nachteile hatte. Elementare Aufgaben wie die Sicherung der Flanken oder die schnelle Verstärkung der vordersten Linie waren in dem primitiven Phalanxsystem der römischen Armee nicht möglich. Als neue Befehlsebene über der alten Zenturie wurde daher das Manipel (abgeleitet vom Lateinischen manus: die Hand) geschaffen. Ein Manipel bestand aus zwei Zenturien und wurde von dem ältesten der beiden Zenturienbefehlshaber geführt. Zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges bestand eine römische Legion aus 30 Manipeln. Ihre 120 bis 200 Mann waren sechs bis zehn Mann tief und 20 Mann breit gestaffelt. In der Gefechtsaufstellung hatte jedes Manipel zu den benach-
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Roms Sieg über Hannibal
barten Manipeln jeweils einen Abstand in Größe seiner Gefechtsbreite. In der römischen Infanterie gab es drei Klassen Bewaffneter, die Hastaten, die Principes und die Triarier. In einer Milizarmee ohne staatliche Arsenale hatte anfangs jeder Wehrpflichtige je nach seinem Vermögen selbst für seine Ausrüstung zu sorgen, wodurch eine einheitliche Bewaffnung der Armee nicht möglich war. Aufgrund staatlicher Vorschriften und Waffenzuteilungen aus der umfangreichen Kriegsbeute wurde die Bewaffnung allmählich homogener. In der alten dreigeteilten Gliederung der Infanterie wurden jetzt die verschiedenen Jahrgänge bis zum Alter von 46 Jahren zusammengefasst. Davon wurden die jüngsten Jahrgänge den Hastaten zugeteilt. In jeder Legion bildeten die zehn Manipel Hastaten in der Schlachtordnung die vorderste Linie. Zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges trugen sie allerdings längst nicht mehr die alte Hasta, die längliche Stoßlanze aus der Phalanxzeit, sondern den kurzen Wurfspeer, das pilum, dazu das Kurzschwert, das gladius genannt wurde, und einen länglichen, gewölbten Schild, das scutum. Die jüngeren Hastaten sollten den ersten Stoß gegen die feindliche Linie führen. Dazu schleuderten sie ihre Speere aus kürzester Distanz, möglichst in einer vernichtenden Salve, und stürmten sodann dicht geschlossen, Schild an Schild, gegen die feindliche Schlachtlinie. Allein durch den Druck des gesamten Truppenkörpers sollte dieser zersprengt werden. Im anschließenden Einzelkampf kam das Kurzschwert, das sowohl als Hieb- wie auch als Stichwaffe zu verwenden war, zum Einsatz. Die Lücken zwischen den Hastatenmanipeln und auch deren Flanken sicherten die älteren Jahrgänge der Principes in der zweiten Linie. Ihr Name, der übersetzt „die Ersten“ lautet, lässt vermuten, dass sie ursprünglich die erste Linie gebildet haben müssen, um dann irgendwann den jüngeren Jahrgängen der Hastaten, die für den ersten Angriff besser geeignet waren, den Vortritt zu lassen. Die zehn Manipel der Principes waren seitlich versetzt hinter der Linie der Hastaten aufgestellt. Ebenfalls auf Lücke und seitlich versetzt zu den Principes standen wiederum die hinteren
zehn Manipel der Triarier, der ältesten Jahrgänge einer Legion. Sie waren die Reserve einer Legion und griffen gewöhnlich als letzte Formation in die Schlacht ein. Die Erfahrung und Abgeklärtheit der Älteren sollte vor allem bei Flucht und drohender Auflösung den vorderen Treffen der Legion Rückhalt gewähren. Ihre Manipel waren jedoch nur halb so stark wie die der Hastaten und Principes. Ein Gefecht wurde gewöhnlich von den Velites eröffnet. Zu einer Legion gehörten rund 1200 Mann dieses leicht bewaffneten Fußvolks, das mit Schleudern sowie leichten Speeren ausgerüstet und allenfalls von einem Lederpanzer geschützt war. Die Velites sollten die gegnerische Schlachtlinie in Unordnung bringen und sich anschließend, vermutlich durch die Lücken zwischen den Hastatenmanipeln, ins zweite Glied zurückziehen, um Platz für den eigentlichen Infanterieangriff zu schaffen. Zu einer Legion gehörten auch drei Reiterzenturien. Die 300 Reiter der Legion waren in zehn Turmae zu je 30 Mann aufgeteilt. Ihre Zahl blieb auch später konstant. Die Stärke der römischen Armee lag jedoch nicht in der Reiterei, darum versuchten die Römer auch immer wieder, sich mit fremden Hilfstruppen, den sogenannten Auxiliae, in diesem Bereich zu behelfen. Außer den sechs römischen Legionen konnte Rom zu Beginn des Zweiten Punischen Krieges auch sechs vergleichbare Verbände der italischen Bundesgenossen aufstellen. Diese alae besaßen die gleiche Gliederung und Bewaffnung wie eine römische Legion. Die Kavallerieabteilung war jedoch mit 600 Reitern doppelt so stark wie die einer Legion. Sie unterstanden wie die Legion dem Imperium eines Konsuls. Im Krieg gegen Hannibal verfügten die Römer zunächst über zwölf Legionen oder alae mit insgesamt 70 000 Mann. Eine Reserve von ungefähr 70 000 Wehrfähigen aus ganz Italien erlaubte es den Römern, auch nach den Verlusten von Cannae jedes Jahr ungefähr 20 Legionen auf allen Kriegsschauplätzen einzusetzen. Wohl hauptsächlich diesem gewaltigen Menschenpotenzial verdankten die Römer am Ende ihren Sieg über das militärische Genie des Karthagers Hannibal.
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Vercingetorix wirft seine Waffen zu Füßen Cäsars. 1899, Musée Crozatier, Le Puy en Velay.
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den gallischen Provinzen. Noch im selben Jahr ergriff er die Gelegenheit, sich in die inneren Angelegenheiten des nördlichen, noch freien Galliens einzumischen und vereitelte einen Versuch der Helvetier, sich in Gallien niederzulassen. In der Nähe des heutigen Mühlhausen im Elsass besiegte er anschließend seinen ärgsten Konkurrenten um die Herrschaft in Gallien, den Germanenführer Ariovist (58 v. Chr.). In den folgenden fünf Jahren besetzte Cäsar ganz Gallien bis zum Rhein. Doch die eroberte Provinz hatte die neuen Herrscher noch längst nicht akzeptiert. Nur ein dünnes Netz von römischen Lagern und befreundeten lokalen Fürsten sicherte vorerst die Herrschaft der Römer in dem riesigen Gebiet zwischen Atlantik und Rhein.
Die Kelten – Roms alte Feinde
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eit dem Ende der Bronzezeit um etwa 800 v. Chr. hatte sich an den Oberläufen von Donau und Rhein eine neue Gruppe von Stämmen indogermanischer Herkunft niedergelassen, die sich später auch nach Südfrankreich und Spanien ausbreiteten. Die moderne Archäologie spricht, nach einem bedeutenden Fundort in der Schweiz, von der LaTène-Kultur. Die zahlreichen Stämme verband nur eine kulturelle Gemeinsamkeit, eine umfassende politische Organisation gab es nicht. Die Namen Keltoi oder Gallatoi verdankten sie den Griechen. Von den Römern wurden sie Gallier genannt. Wie so oft fasste erst der verallgemeinernde Blick der Fremden begrifflich zusammen, was nur lose zusammengehörte. Im vierten vorchristlichen Jahrhundert geriet ein Teil der Kelten in Bewegung und drang über die Alpen nach Süden. Den Balkan durchstreifend, plünderten sie im Jahre 279 v. Chr. das griechische Delphi und gelangten bis nach Anatolien, wo eine starke Gruppe von ihnen sogar dauerhaft Fuß fassen konnte. Noch zu Zeiten des Apostels Paulus siedelten dort Kelten, die als Galater bezeichnet wurden. In Italien erschienen zuerst die keltischen oder gallischen Insubrier und gründeten in der heutigen Lombardei die Stadt Mailand. Andere keltische Stämme folgten und besetzten das Land in der Poebene. Dann zerstörten sie das Etruskerreich in Mittelitalien. Im Jahre 387 v. Chr. eroberten sennonische Gallier die Stadt Rom. Mit großer Beute und einem hohen Lösegeld zogen sie wieder ab, blieben aber noch lange ein gefährlicher Nachbar der Tiberstadt. Im Laufe des 3. Jahrhunderts gelang es den Römern, die Gallier nach Norden zurückzudrängen. Vor dem Zweiten Punischen Krieg unterwarfen sie die Insubrier in der Poebene und gründeten die Provinz Gallia Cisalpina. Später (121 v. Chr.) errichteten sie auch jenseits der Alpen beiderseits der Rhône eine nach den Galliern benannte Provinz, die Gallia Transalpina.2 Nach Ablauf seines Konsulats übernahm Gaius Julius Cäsar im Jahre 58 v. Chr. die Statthalterschaft (Proconsulat) in bei-
Gallia est omnis divisa in partes tres Während sich Cäsar im Winter 52/53 v. Chr. (wie immer in der schlechten Jahreszeit) in seiner zweiten Provinz in Norditalien aufhielt, erhoben sich zu Beginn des neuen Jahres die keltischen Carnuten im Loiregebiet gegen die römische Besatzungsmacht. Alle römischen Bürger in der Stadt Cenabum (Orléans) wurden getötet. In Windeseile gelangte die Nachricht zu den südlich der Loire wohnenden Arvernern. Ein ehrgeiziger Adliger namens Vercingetorix stellte sich an die Spitze der Aufständischen. Viele Stämme schlossen sich ihm sofort an. Kaum hatte Cäsar die ersten Nachrichten vom Aufstand erhalten, eilte er über die Alpen in die Gallia Narbonensis. Truppen hatte er zunächst nur wenige zur Verfügung, da sich seine Legionen noch über ganz Gallien verteilt in ihren Winterlagern befanden. Nachdem er Maßnahmen zur Sicherung der alten gallischen Provinz getroffen hatte, zog er mit wenigen Reitern und einigen Ersatzmannschaften von Vienne an der Rhône nach Norden zur Stadt Agedincum im Gebiet der Lingonen, wo zwei seiner Legionen überwintert hatten. Noch ehe die Gallier von seinem Gewaltmarsch erfuhren, hatte Cäsar bereits mit Boten seine übrigen Legionen in Agedincum zusammengezogen.
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Cäsars Feldzug in Gallien 52 v. Chr. Von Vienne an der Rhône marschierte Cäsar noch vor Ende des Winters nach Agedincum, zog dort alle seine Legionen zusammen und eroberte anschließend Cenabum (Orléans) und Noviodunum. Danach entsetzte er die Stadt Gorgobina und belagerte Avaricum, die Hauptstadt der Biturigen. Nach dem Fall der Stadt vefolgte er das Heer des Vercingetorix nach Gergovia, konnte den Ort jedoch nicht einnehmen und musste sich über die Loire in das Gebiet der Sequaner zurückziehen. Auf dem Marsch dorthin wurde seine Armee von den Galliern angegriffen, konnte aber den Feind zurückschlagen. Vercingetorix verschanzte sich daraufhin mit seiner Armee von 80 000 Mann in Alesia, dem heutigen Alise-Sainte-Reine.
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entgegen, die inzwischen Cenabum eingenommen hatte und nun Noviodunum im Gebiet der Biturigen belagerte. Den Galliern gelang es jedoch nicht, die belagerte Stadt zu befreien. In einer Reiterschlacht unterlagen sie Cäsars germanischen Hilfstruppen und mussten wieder abziehen. Nach diesen ersten Rückschlägen änderte Vercingetorix seine Strategie. Da seine Truppen den Römern im offenen Gelände nicht gewachsen waren, überzeugte er seine Anhänger, alle ihre Städte, Dörfer und Gehöfte in Reichweite der Römer zu zerstören. Der Feind dürfe keine Möglichkeit mehr haben, sich aus dem Land zu versorgen. Dies allein, so versprach er, würde die Römer zum Abzug aus Gallien zwingen. Den dringenden Bitten der Biturigen, ihre Hauptstadt Avaricum zu verschonen, gab Vercingetorix jedoch nach. Die Entscheidung sollte sich schon bald als Fehler erweisen. Cäsar begann sofort mit der Belagerung der Stadt, in der Hoffnung, durch ihre Einnahme auch den Widerstand der Biturigen brechen zu können. Außerdem
Vercingetorix einigt die Gallier Vercingetorix ließ sich von den ersten geglückten Schritten Cäsars nicht entmutigen. Er begann sogleich mit der Belagerung der vom Stamm der Boier bewohnten Stadt Gorgobina im Gebiet der Häduer. Der Gallier hoffte, dass Cäsar seinen Schützlingen, die er dort nach dem Helvetierkrieg (58 v. Chr.) angesiedelt hatte, zu Hilfe kommen würde, wenn er nicht wollte, dass ganz Gallien zu den Aufständischen überlief. Tatsächlich brach Cäsar sofort mit allen Legionen von Agedincum auf, um die Boierstadt zu entsetzen. Er zog allerdings nicht auf direktem Wege nach Süden, sondern eroberte zuerst die von den Aufständischen besetzten Städte Cenabum und das südlich davon gelegene Vellaunodunum, um seinen Getreidenachschub zu sichern und keinen Feind, wie er betonte, in seinem Rücken zu lassen. Vercingetorix brach daraufhin die Belagerung von Gorgobina ab und zog der römischen Armee
Gaius Julius Cäsar (100 – 44. v. Chr.). Auf eigene Faust führte Cäsar in Gallien einen brutalen Eroberungskrieg. Zu Beginn seiner Statthalterschaft hatte er vier Legionen, am Ende des gallischen Krieges waren es zehn. Als der Senat ihm befahl, seine Truppen zu demobilisieren, überschritt er am 10. Januar des Jahres 48 v. Chr. den Rubicon, der seine Provinz vom übrigen Italien trennte, und begann einen Bürgerkrieg, den er nach drei Jahren siegreich beendete. Cäsar entmachtete faktisch den Senat und ließ sich zum Diktator auf Lebenszeit wählen. Seine Gegner, die fürchteten, er wolle in Rom die Monarchie wieder einführen, töteten ihn am 15. März 44 v. Chr. während einer Sitzung im Senat. Der erneut ausbrechende Bürgerkrieg zwischen Cäsars Anhängern und ihren Feinden endete erst 13 Jahre später mit dem Sieg des Octavian Augustus, Cäsars Neffen, bei Actium und der Errichtung einer neuen Herrschaftsform, des Principats.
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benötigte er dringend die in Avaricum gelagerten Vorräte für die Versorgung seiner Truppen. Die Belagerung erwies sich jedoch schwieriger als erwartet. Avaricum fiel erst nach fast 30 Tagen in die Hände der Römer. Von ihren Bewohnern sollen nur 800, die kurz vor der Einnahme zu Vercingetorix fliehen konnten, überlebt haben. Für die Gallier war diese Niederlage ein schwerer Schock. Aber durch seine geschickte Rhetorik meisterte Vercingetorix auch diese Krise. Ganz Gallien, so versprach er, wolle er gegen die Römer aufwiegeln und einer solchen Macht könne niemand auf der Welt standhalten. Tatsächlich waren die Verluste von Avaricum durch den Zuzug neuer Anhänger schon bald wieder ausgeglichen. Auch die Biturigen kämpften trotz des Verlusts ihrer Hauptstadt weiter. Zwar hielten sich die Römer immer noch im Land, aber Vercingetorix war überzeugt, dass Versorgungsprobleme Cäsar bald zum Abzug aus Gallien zwingen würden.
sar musste um seinen letzten Bundesgenossen in Gallien fürchten. Spätestens jetzt wurde ihm klar, dass er es nicht nur mit vereinzelten Revolten zu tun hatte, sondern mit einer Erhebung ganz Galliens. Er beschloss, die Blockade von Gergovia aufzugeben, um sich so schnell wie möglich wieder mit Labienus’ Legionen im Norden zu vereinigen. Damit sein Abzug jedoch nicht wie eine Niederlage oder Flucht aussah, versuchte er zuvor einen Handstreich auf eine Außenbastion der Stadt. Der Angriff war zunächst ein voller Erfolg, aber dann missachteten die angreifenden Kohorten Cäsars Befehle und setzten ihren Angriff bis vor die Stadtmauern fort. Dort aber konnten sie sich nicht halten und wurden mit hohen Verlusten zurückgeschlagen. Es war Cäsars größte Niederlage im gesamten Gallischen Krieg. Fast 700 Mann, davon 46 Centurionen, wurden von den Galliern getötet. Für Vercingetorix war der Sieg vor den Toren von Gergovia der erste greifbare Erfolg dieses Krieges. Dass er sich trotz seines Sieges nicht zu leichtfertigen Handlungen hinreißen ließ und es auch verstand, seine euphorisch gestimmten Anhänger von einer neuen Schlacht abzuhalten, beweist seine Qualitäten als Feldherr und Führer. Er ließ Cäsar, der seine Legionen zwei Tage vergeblich zur Schlacht aufgestellt hatte, unbehelligt nach Norden abziehen. Nun schlossen sich auch die Häduer endgültig seinem Aufstand an. Auf seinem Weg nach Norden erhielt Cäsar die deprimierende Nachricht, dass aufständische Häduer das römische Nachschublager in Noviodunum, dem heutigen Nevers, mit seinen großen Getreidevorräten und zahlreichen Ersatzpferden zerstört hatten. Er überquerte die Loire in Richtung Norden und befahl Labienus, der an der Seine einige Erfolge errungen hatte, mit seinen vier Legionen zu ihm zu stoßen. Zum Ausgleich für die Verluste in Noviodunum rief Cäsar germanische Reiter zu Hilfe und zog weiter ostwärts in das Gebiet der Sequaner, die in der heutigen Bourgogne siedelten. Über den Zweck seines Marsches gab Cäsar denkbar wenig Auskunft. Von dort könne er der alten Provinz schneller Hilfe bringen, schrieb er lapidar und wenig überzeugend in seinem Bericht.3
Die Römer scheinen geschlagen Der Gallier hatte jedoch seinen Gegner unterschätzt, wenn er glaubte, Cäsar würde kampflos seine Eroberungen aufgeben. Der römische Feldherr ergriff nun die Initiative. Mit Beginn des Frühjahrs teilte Cäsar sein Heer. Vier Legionen unter dem Kommando des Legaten Labienus marschierten nach Norden, um aufständische Stämme im Gebiet der Seine niederzuwerfen. Cäsar selbst führte seine übrigen Legionen nach Süden ins Land der Arverner, um deren Hauptstadt Gergovia einzunehmen. Inzwischen hatte Vercingetorix die Stadt, die auch seine Heimatstadt war, mit seinem ganzen Heer besetzt und zusätzliche Befestigungen anlegen lassen. Cäsar musste bald erkennen, dass er die Stadt nicht vollständig einschließen konnte und eine Belagerung somit aussichtslos war. In diesem höchst kritischen Moment zettelten Anhänger des Vercingetorix bei den Häduern, deren Stammesgebiet in der Nähe lag und die bisher Cäsars treueste Bundesgenossen gewesen waren, eine gegen Rom gerichtete Verschwörung an. Cä-
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stand. Sie hatten nicht mit den Germanen gerechnet und fürchteten nun, abgeschnitten zu werden. Falls Cäsar tatsächlich beabsichtigt hatte, das freie Gallien zu räumen und dies in seiner Darstellung kaschierte, ist die Schnelligkeit, mit der er nun wieder in die Offensive ging, umso erstaunlicher. Sofort setzte er den geschlagenen Galliern nach und schloss Vercingetorix in dem zwei Tagesmärsche entfernten Oppidum Alesia 4 ein. Die Stadt lag auf dem Mont Auxois, einer etwa 400 Meter hohen Bergkuppe zwischen zwei Flüssen, der Oze im Norden und der Ozerain im Süden. Vor der Stadt in Richtung Westen bildete das Tal der Brenne eine breite Ebene. Cäsar erkannte, dass Alesia, anders als Gergovia, durch einen Wall ganz eingeschlossen werden konnte, und ließ sofort mit den Erdarbeiten beginnen. Anfangs versuchten die Gallier, die Römer beim Schanzen zu stören. Als jedoch ihre Ausfälle verlustreich abgewiesen wurden, beschloss Vercingetorix, seine gesamte Reiterei, noch ehe die römische Umwallung fertig war, zu allen gallischen Stämmen zu schicken, um weitere Truppen anzufordern. Er selbst blieb mit angeblich 80 000 Mann in der belagerten Stadt 5, in der Hoffnung, dass nach spätestens 30 Tagen, länger reichten seine Vorräte nicht, ein Entsatzheer der Gallier vor Alesia eintreffen würde. Von den Plänen der Gallier dürfte Cäsar schon sehr bald durch Überläufer und Gefangene erfahren haben. Er stand nun vor der Entscheidung, die Belagerung abzubrechen oder eine Schlacht mit zwei Fronten zu schlagen. Zog er sich von Alesia zurück, würden die Gallier dies als Sieg feiern. Vielleicht wäre Gallien in diesem Fall überhaupt nicht mehr zu halten. Das Entsatzheer würde sich mit den Belagerten aus Alesia vereinigen, und dieser Übermacht hätte nicht einmal die römische Armee standhalten können. Cäsar entschied sich, die Blockade von Alesia fortzusetzen. Nur so konnte er die Vereinigung der beiden gallischen Heere verhindern. Gelang es ihm, Vercingetorix weiterhin in der Stadt zu blockieren, musste er nur gegen das gallische Entsatzheer kämpfen. Bei Alesia konnte der Wi-
Gallische Münze, ca. 50 v. Chr. Die Münze zeigt möglicherweise den Gallier Vercingetorix. Cäsar bezeichnete ihn als sehr befähigten jungen Mann (adulescens). Vercingetorix kann darum im Jahre 52 v. Chr. nicht älter als 30 Jahre gewesen sein. Ob er mit Cäsar befreundet oder bekannt war, wie der Geschichtsschreiber Cassius Dio behauptet, ist ungewiss. Möglicherweise hatte er vor dem Aufstand des Jahres 52 in ömischen Diensten gestanden. Seine genaue Kenntnis des römischen Heerwesens spricht dafür. Vercingetorix war der Sohn des Arverners Celtullus, der 82 oder 80 v. Chr. vergeblich versucht hatte, die Königsherrschaft im freien Gallien wieder zu etablieren und von seinen adligen Widersachern getötet wurde.
Alesia – Kampf an zwei Fronten Die Gallier jedenfalls glaubten, Cäsar wolle ihr Land verlassen. In einer Versammlung beschlossen sie, den Römern einen letzten Schlag zu versetzen und sie auf dem Marsch anzugreifen. Über den Ort der Schlacht erfährt man aus Cäsars Bericht wiederum nur wenig. Er erwähnt einen Fluss in der Nähe, hinter dem Vercingetorix mit seiner Armee Stellung bezogen hatte. Vor Beginn der Schlacht hatten die gallischen Reiter geschworen, die römische Marschkolonne wenigstens zweimal zu durchbrechen. In drei Abteilungen aufgeteilt, griffen sie die römische Kolonne an den Flanken und von der Spitze her an. Schnell waren die Römer eingekreist. Jetzt zeigte sich der Wert der germanischen Reiter, die Cäsar in seinen Dienst gestellt hatte. Sie besetzten einen Hügel in der rechten Flanke der Gallier und fielen von dort über die Angreifer her. Die Gallier flohen über den Fluss, hinter dem Vercingetorix mit dem Rest der Armee
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Die römische Außenbefestigung vor Alesia. Cäsar hatte zunächst nur einen Wall zur Blockade von Alesia errichten lassen. Um zu verhindern, dass die Gallier aus der Stadt nachts überraschend an den Wall herankamen, befahl er, im Vorfeld im Abstand von etwa 120 Metern drei Gräben anzulegen. Der vorderste war ungefähr sechs Meter breit, die beiden anderen viereinhalb Meter und zum Teil mit Wasser aus einem nahen Flusslauf gefüllt. Der Wall war mit einer dreieinhalb Meter hohen Palisade mit Brustwehr und Zinnen verstärkt. An der Stelle, wo die Pfähle der Palisade in den Wall eingesetzt waren, befahl Cäsar, zusätzliche gabelförmige Spitzpfähle einzurammen, um den Feinden das Hinaufklettern zu erschweren. Entlang der gesamten Belagerungslinie wurden im Abstand von ca. 20 Metern Türme errichtet. Unmittelbar vor dem Wall zogen die Belagerer außerdem noch in kurzen Abständen kleinere, anderthalb Meter tiefe Gräben und spickten sie mit starken Ästen, die so weit herausragten, dass sie von Angreifern nicht übersprungen werden konnten. Zwischen diesem kleinen Graben und den drei Gräben im Vorfeld ließ Cäsar zusätzlich kleinere, trichterförmige Gruben ausheben, die knapp einen Meter tief waren und je einen Meter voneinander entfernt. Jede Grube enthielt einen unten fest verankerten, oben jedoch angespitzten und im Feuer gehärteten Pfahl, der vier Finger oder wenige Zentimeter herausragte und mit Flechtwerk getarnt war (BG VII, 73). Neuere Ausgrabungen haben gezeigt, dass die beschriebenen Hindernisse nicht überall zugleich vorhanden waren, sondern einander abwechselten.
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derstand der Gallier endgültig gebrochen werden. Hier musste die Entscheidung des inzwischen sechs Jahre dauernden Krieges fallen. Die Römer hatten Alesia zunächst mit einem etwa 16 Kilometer langen Wall eingeschlossen. Sieben Lager und 23 kleinere Kastelle verstärkten ihre Befestigungen. Nun ließ Cäsar zusätzlich eine 21 Kilometer lange Außenbefestigung anlegen, um den Einschließungsring nach beiden Seiten verteidigen zu können. Während in der Ebene die Römer fieberhaft schanzten, wurde den Verteidigern in Alesia das Getreide knapp. Die Frist von 30 Tagen war inzwischen abgelaufen. Völlig von der Außenwelt abgeschnitten und über die Bewegungen des Entsatzheeres nicht informiert, entschlossen sich die Gallier in einer dramatischen Versammlung, alle nicht kampffähigen Bewohner der Stadt auszuweisen, damit der Rest der Vorräte für die Verteidiger ausreichte.6 Frauen, Kinder und Greise wurden zu den römischen Befestigungsanlagen geschickt, wo Cäsar ihnen jedoch die Aufnahme, kaum weniger unerbittlich als die Eingeschlossenen, verweigerte. Von dem weiteren Schicksal der Ausgewiesenen ist nichts überliefert. Nicht lange danach füllte sich die Ebene im Westen der Stadt mit einer riesigen Anzahl von Bewaffneten. Das Entsatzheer war endlich eingetroffen: Abteilungen aus ganz Gallien, insgesamt 250 000 Mann, wenn man Cäsars Angaben glaubt. In Alesia erhob sich gewaltiger Jubel. Hastig bereiteten die Belagerten alles für einen Ausbruch vor. Über die Stimmung seiner Truppen sagt Cäsar nichts. Vielleicht überwog auch bei den Römern die Erleichterung, dass das wochenlange mühevolle Schanzen nun vorüber war und endlich die entscheidende Schlacht bevorstand. Eine Überraschung war das Eintreffen des Entsatzheeres für die Römer jedenfalls nicht. Dennoch dürfte der Anblick dieser gewaltigen Schar von Feinden bei einigen Legionären Beklommenheit verursacht haben. Die meisten von Cäsars Soldaten werden jedoch die Übermacht der Gallier mit grimmiger Entschlossenheit registriert haben. Immerhin gehörten sie zu einer der stärksten römischen
Armeen, die jemals im Einsatz gewesen war, über 50 000 Mann, die Hilfstruppen nicht gerechnet. Und sie standen unter dem Befehl ihres sieggewohnten Kommandeurs in Stellungen von bisher nie gesehener Stärke. Schon am nächsten Tag begann die insgesamt viertägige Schlacht um Alesia und um Gallien. Die Gallier griffen mit ihrer Reiterei in der Ebene an und drängten die römische Kavallerie zurück. Abgesessene Bogenschützen zwischen den Reitern fügten den Römern hohe Verluste zu. Gleichzeitig versuchten die Eingeschlossenen, den römischen Wall von innen her anzugreifen. Vercingetorix’ Männer hatten Reisigbündel und anderes Material mitgebracht, um damit die drei römischen Gräben im Vorfeld des Walls auszufüllen und passierbar zu machen. Dann aber trieb ein entschlossener Gegenangriff von Cäsars germanischer Reiterei die Gallier draußen vor den Befestigungen in die Flucht. Die Besatzung von Alesia, die immer noch nicht die römischen Gräben überwunden hatte, kehrte entmutigt in die Stadt zurück. Ohne Unterstützung des Entsatzheeres wagte es Vercingetorix nicht, seinen Angriff fortzusetzen. Ihren nächsten Sturm bereiteten die Gallier sorgfältiger vor. Um Mitternacht des dritten Tages näherten sich die gallischen Entsatzkräfte dem römischen Wall in der Ebene, ausgerüstet mit Leitern, Haken und Mauersicheln zum Einreißen der Palisaden. Ihr Rufen alarmierte die Gallier in der Stadt, die sich nun ebenfalls zum Ausbruch bereit machten. Ein anderes Nachrichtenmittel zwischen den beiden gallischen Armeen gab es offenbar nicht. Die Gallier griffen von außen beherzt und ohne Rücksicht auf Verluste an, schafften es aber nicht, an den römischen Wall heranzukommen. Ihre Angriffe scheiterten vor allem an den Geländehindernissen der Römer.
Entscheidung am vierten Tag Bei Tagesanbruch zog sich das gallische Entsatzheer aus Furcht vor Flankenangriffen aus den anderen römischen Kastellen zurück. Auch Vercingetorix’ Männern blieb darauf keine andere Wahl,
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(mit 20 Kohorten) Lager des gallischen Entsatzheers
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(COMMIUS)
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200
400
Äußerer römischer Wall mit Brustwehr und Zinnen
600 m
Die Entscheidungsschlacht bei Alesia. Am vierten und entscheidenden Tag der Schlacht um Alesia versuchte das Entsatzheer der Gallier unter Führung von Vercassivellaunus, von Norden aus die römischen Befestigungsanlagen zu durchbrechen, um sich mit den in der Stadt eingeschlossenen Galliern des Vercingetorix zu vereinigen. Gleichzeitig bemühte sich Vercingetorix, den inneren Ring der Römer im Süden aufzubrechen.
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Alesia. Das Oppidum Alesia lag auf dem Mt. Auxois, einer
Bergkuppe des Mt. Rea nicht in sein Wallsystem einbeziehen können. Vercassivellaunus ließ seine Gallier den Abschnitt aus überhöhten Positionen angreifen. Bei den Römern spitzte sich die Lage zu, da ihnen die Geschosse bald ausgingen. Die Gallier hatten inzwischen viel von ihren Gegnern gelernt und wandten dieselben Angriffstechniken wie die Römer an. Ausdrücklich erwähnt Cäsar, dass die Gallier bei der Annäherung an den Wall eine Schildkrötenformation bildeten, das heißt, die Soldaten einer Abteilung schoben ihre Schilde zu einem lückenlosen Schutz dicht und teilweise sogar überlappend zusammen. Das erste Glied und die Soldaten an den Flanken deckten die Front und die Seiten ab, während die Übrigen in der Mitte mit ihren Schilden ein Dach formten. Schon zwangen die Gallier die römischen Verteidiger auf den Türmen und Wällen in Deckung. Kaum ein Legionär war noch ohne Verletzung.
etwa 400 Meter hohen Bergkuppe zwischen den Flüssen Oze im Norden und Ozerain im Süden. Das Luftbild zeigt die Ausgrabungen der antiken Stadt auf der Bergkuppe.
als sich in die Festung zurückzuziehen. Wieder hatten sie die römischen Wälle nicht erreicht. Die Entscheidung der Schlacht fiel am vierten Tag. Mit angeblich 60 000 ausgewählten Galliern versuchte Vercassivellaunus, ein Vetter des Vercingetorix, die römischen Wälle diesmal vom Mt. Rea im Nordwesten von Alesia zu durchbrechen. Nachdem seine Leute in der Nacht ihre Ausgangsstellungen auf der Anhöhe bezogen hatten, griffen sie nach kurzer Rast die römischen Stellungen an. Die Gallier hatten den schwachen Punkt der römischen Befestigungen erkannt. Cäsar hatte die
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Plötzlich erhob sich auch im Süden lautes Kampfgeschrei. Vercingetorix hatte mit seinen Leuten begonnen, den römischen Wall über den Oserain anzugreifen. Zum Teil waren die römischen Hindernisse hier schon während der Kämpfe zuvor passierbar gemacht worden. Von beiden Seiten hart bedrängt, versuchten die Römer verzweifelt, eine Vereinigung der beiden gallischen Armeen zu verhindern. Cäsar setzte jetzt seine letzten Reserven ein. Seinen bedrängten Truppen im Norden schickte Cäsar zur Unterstützung sechs neue Kohorten, knapp 2000 Mann. Er selbst eilte zu den erschöpften Soldaten auf den Wällen in der Ebene, um allen zu demonstrieren, dass er sich mit ihnen der Gefahr aussetzte. Als Vercingetorix merkte, dass die Wälle in der Ebene nicht zu nehmen waren, entschloss er sich, die weniger gut befestigten römischen Anlagen anzugreifen. Er rechnete offenbar damit, dass die Römer dorthin nicht so schnell Reserven bringen konnten. Tatsächlich erreichten seine Truppen den römischen Wall, zwangen die Verteidiger mit einem dichten Regen von Geschossen hinter den Brustwehren in Deckung und begannen schon, die Palisaden einzureißen. Sofort kehrte Cäsar mit Truppen aus der Ebene in den bedrohten Abschnitt zurück. Als diese nicht ausreichten, entschloss er sich, auch Verstärkungen aus dem östlichen Teil des Belagerungsringes, den die Gallier bisher noch nicht angegriffen hatten, heranzuziehen. Damit gelang es, den Feind wenigstens für kurze Zeit zurückzuwerfen. Aber Cäsar hatte keine Muße, sich über seinen Erfolg zu freuen. Im Norden blieb die Lage kritisch. Mit vier neuen Kohorten und einigen Reiterabteilungen eilte er zum bedrohten nördlichen Abschnitt. Von Weitem erkannten die Gallier seinen roten Feldherrenmantel. Cäsars Anblick schien auch die Männer des Vercassivellaunus zum Kampf zu reizen. Unter lautem Rufen und Getöse warfen sie sich erneut gegen die römischen Wälle, und jetzt gerieten beide Heere zum ersten Mal im Nahkampf aneinander. Die Römer mussten sich mit ihren Schwertern gegen immer neue Scharen von Galliern zur Wehr
setzen. Jeden Augenblick drohte die römische Linie zusammenzubrechen. Da griff plötzlich Cäsars germanische Reiterei die Gallier, die sich dem Erfolg schon so nahe gefühlt hatten, im Rücken an. Cäsar hatte seinen Reitern befohlen, den Feind zu umgehen. Soeben noch wild entschlossen, den römischen Wall zu stürmen und die Römer endgültig zu vernichten, gerieten die Gallier nun in Panik. Es mag ein Schock für sie gewesen sein, dass die Römer, sosehr sie auch bedrängt waren, immer noch neue Truppen mobilisieren konnten. Als die vordersten Gallier sahen, dass ihre hinteren Reihen vor den germanischen Reitern flohen, begannen sie ebenfalls kehrtzumachen. Innerhalb kürzester Zeit befand sich die ganze Armee des Vercassivellaunus auf der Flucht. Die Römer setzten ihnen nach und erbeuteten 74 gallische Truppenabzeichen. Nur ein Rest der Gallier entkam ins Lager, wo die anderen, die nicht an den Kämpfen beteiligt waren, nun ebenfalls die Flucht ergriffen, um der Rache der Römer zu entgehen. Die Entscheidung war gefallen. Den Galliern in Alesia blieb nur noch die Kapitulation. Nach einer letzten Beratung mit seinen Anhängern begab sich Vercingetorix in Cäsars Gefangenschaft. Nur für ein knappes Jahr hatte er
Der Krieger von Vachères. Die aus dem 1. Jh. v. Chr. stammende Figur eines gallischen Kriegers trägt den traditionellen Halsreif (torques) und ist mit einem Kettenhemd sowie einem Langschwert ausgerüstet. Er lehnt auf einem hölzernen Schild.
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im Mittelpunkt der Ereignisse gestanden, war aus der Masse der jungen ehrgeizigen Adligen Galliens hervorgetreten und hatte erreicht, was vor ihm und auch danach nie wieder ein Gallier zustande gebracht hatte. Er hatte die in Stämmen zersplitterten und zerstrittenen Gallier vereint, wenn auch nur für kurze Zeit. Trotz zahlreicher Rückschläge hatte er dem Aufstand immer größere Dimensionen gegeben, immer mehr Stämme und Aufgebote mobilisiert. Schon in Alesia eingeschlossen, reichte seine Autorität noch über ganz Gallien. Siege und Erfolge hatte er nur wenige vorzuweisen, aber seine Entschlossenheit half ihm, auch in Niederlagen nicht zu verzagen, und seine Redekunst weckte bei seinen Landsleuten immer wieder neue Hoffnungen. Er beging keine nennenswerten Fehler, seine Befehle waren zweckmäßig und von ungewöhnlicher Weitsicht, an Härte übertrafen sie oft noch das von den Galliern gewohnte Maß. Vercingetorix war ohne Frage eine überragende Persönlichkeit. Sein Verhängnis war, dass er einen noch Größeren zum Gegner hatte. Nach sechs Jahren Gefangenschaft in Rom ließ Cäsar ihn hinrichten. Milder verfuhr er mit den angeblich 20 000 gefangenen Häduern. Cäsar ließ sie frei, da sie seine alten Bundesgenossen waren. Die übrigen Gefangenen aus Alesia verteilte er als Sklaven an seine Soldaten.7 Außer einigen regionalen Revolten gab es nie wieder einen gesamtgallischen Aufstand gegen Rom. Mit ungewöhnlicher Schnelligkeit übernahm das Land die römische Zivilisation und wurde bald eine der am stärksten romanisierten Provinzen des Römischen Reiches. Knapp 100 Jahre später nahm der römische Kaiser Claudius (41 – 54 n. Chr.) zum ersten Mal gallische Adlige in den römischen Senatorenstand auf, und zu Beginn des 3. Jahrhunderts erhielten alle freien Bewohner Galliens das römische Bürgerrecht.
Vercingetorix-Denkmal auf dem Mt. Auxois bei Alise-Sainte-Reine. Errichtet unter Napoleon III., in dessen Auftrag die ersten Ausgrabungen auf dem Mt. Auxois erfolgten.
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sehen werden, zu dem die Kohorte gehörte. Mit einem Bataillon des 18. Jahrhunderts kann die Kohorte daher nicht verglichen werden. Anders als eine Zenturie hatte sie auch keinen direkten Befehlshaber. Diese Aufgabe erfüllte vermutlich in einer Art von Personalunion der erste Zenturio, der sogenannte Primipilus des zur Kohorte gehörenden Hastatenmanipels. Oft bildete Cäsar aus mehreren Kohorten neue Verbände unterhalb der Legionsebene und unterstellte sie einem Legaten, etwa zum Schutz eines Brückenkopfes (Bellum Gallicum = BG 11,5). Mitunter teilte Cäsar sie sogar auf oder er dünnte sie aus. Während des Marsches nach Gergovia im Jahre 52 v. Chr. verringerte Cäsar nur die Mannschaftsstärke seiner Kohorten, um Vercingetorix eine komplette, marschierende Armee vorzutäuschen. Aus den abgezogenen Soldaten bildete Cäsar zwei neue Legionen und ließ sie, vom Feind unbemerkt, eine zerstörte Brücke über die Allier wiedererrichten (BG VI1, 35). In kritischen Lagen musste Cäsar die Kohorten wieder zur alten Manipelordnung umgliedern. Während der Schlacht gegen die Nervier (57 v. Chr.) fand Cäsar die Soldaten der 12. Legion derart vom Feind zusammengedrängt, dass sie sich im Kampf gegenseitig behinderten. Er befahl daher den Kohorten, sich in Manipel zu formieren, damit man leichter mit dem Schwert kämpfen konnte, was offenbar bedeutete, dass sich die Zenturien auflockerten, indem sie sich nach links und rechts in die Kohortenlücken verschoben (BG 11,25). Gewöhnlich war eine römische Legion zehn Kohorten stark und wurde in drei Linien oder Treffen geordnet (Bellum Civile = BC I, 83). Die vorderste Linie besetzten vier Kohorten. Die übrigen sechs Kohorten bildeten zu gleichen Teilen die beiden hinteren Treffen. Im Gegensatz zur früheren Aufstellung in Manipel, die Lücken in Manipelbreite vorsah, war die Kohortengliederung dichter. Sechs Zenturien mit je 60 bis 80 Mann standen mit geringem Abstand nebeneinander, jede vermutlich acht Reihen tief gestaffelt und etwa 50 Mann breit, sodass eine Kohorte auf eine Gefechtsbreite von ca. 350 Metern kam. Die Abstände zwischen den Kohorten des vordersten Treffens müssen
Hintergrund
Cäsars Armee im Gallischen Krieg Als Cäsar im Jahre 58. v. Chr. den Befehl über die in seinen Provinzen stationierten vier Legionen übernahm, hatten sich in der römischen Armee schon lange weitreichende Änderungen vollzogen. Noch im 2. Jahrhundert v. Chr. war ein Vermögen von zuletzt 1500 Assen die Voraussetzung zum Armeedienst gewesen, da jeder Wehrpflichtige im Prinzip seine Ausrüstung selbst zu beschaffen und zu unterhalten hatte. Die langen Kriege Roms vor allem in Spanien hatten jedoch den bäuerlichen Mittelstand, aus dem die Masse der Truppe kam, hart getroffen. Durch kriegsbedingte Abwesenheit blieben viele Höfe jahrelang unbewirtschaftet und konnten später günstig von Großgrundbesitzern aus dem Senatoren- und Ritterstand aufgekauft werden. Spätestens seit den Kriegen gegen die Kimbern und Teutonen (113 – 101 v. Chr.) war die Personalnot so groß, dass der militärische Zensus praktisch abgeschafft werden musste. Seitdem konnten alle römischen Bürger in der Armee dienen. Die alte Dienstpflicht von 16 Jahren blieb jedoch im Prinzip bestehen. Seit Marius, dem Sieger über die Kimbern und Teutonen, wurde die Truppe durch den Staat ausgerüstet. Allmählich wurde aus den Angehörigen der Legionen ein Berufsstand mit festem Sold. Neben diesen sozialen Entwicklungen der späten Republik sind auch taktisch-organisatorische Änderungen in der römischen Armee zu verzeichnen. Seit Roms Kriegen in Spanien und Südgallien waren die Legionen in Kohorten gegliedert. In Cäsars Armee bestand eine Kohorte aus je einem Manipel der Hastaten, Principes und Triarier8, insgesamt sechs Zenturien, und hatte somit eine Sollstärke von 360 bis 480 Mann. Die Angaben sind nicht einheitlich. Tatsächlich hatte Cäsar während des Gallischen Krieges kaum einmal mehr als 350 Mann je Kohorte zur Verfügung gehabt.9 Ihre taktischen Möglichkeiten waren jedoch sehr beschränkt und können nur in engem Zusammenhang mit den Bewegungen des jeweiligen Treffens, der acies ge-
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der Römer (BG I, 52). In der Helvetierschlacht (58 v. Chr.) ließ Cäsar sein drittes Treffen gegen einen plötzlich in seiner Flanke auftretenden Feind eindrehen (BG I, 25). Bei Pharsalus (48 v. Chr.) bildete Cäsar aus Legionären aller drei Treffen ein weiteres viertes Treffen gegen die pompejanische Kavallerie, wodurch die Schlacht später auch entschieden wurde (BC III, 83). In kritischen Lagen bildeten die Kohorten einen Igel oder Kreis (orbis) zur Rundumverteidigung, aus dem einzelne Kohorten zu Gegenangriffen vorstießen (BG V, 34; 35). In der Nervierschlacht fand Cäsar die Soldaten der 12. Legion dicht zusammengedrängt und die Feldzeichen an einem Ort zusammengestellt (BG II, 25). Dies sollen während des Bürgerkriegs auch die Soldaten des Lucius Afrianus in Spanien getan haben, als sie von Cäsars Truppen bedrängt wurden (BC I, 71). Falls sich eine Legion gegen einen überlegenen Feind ins eigene Lager durchkämpfen musste, formierten sich die Kohorten zu einem Keil, dem sogenannten Cuneus (BG VI, 40). In der Schlacht waren die Legionen auf die gewohnten drei Treffen aufgeteilt. Wo dies nicht möglich war, wie etwa in der Schlacht gegen die Nervier, erwähnt Cäsar es ausdrücklich. Nach seinen Ausführungen war dieser Umstand auch die Hauptursache für die kritische Lage, in die seine Armee während der Schlacht geriet (II, 25). Ein taktisch selbstständiges Operieren einer Legion in einer Schlacht war somit kaum möglich. Tatsächlich waren die einzelnen Treffen das wichtigste operative Element innerhalb einer römischen Schlachtordnung. Während einer Schlacht konnten nur sie allein Bewegungen ausführen. Direkte Befehlshaber für diese Treffen schien es aber in Cäsars Armee nicht gegeben zu haben. Während der Nervierschlacht musste Cäsar, da er selbst in vorderster Linie stand, einigen Kriegstribunen die Aufgabe übertragen, die bedrängten Legionen zur Rundumverteidigung einzurichten und danach den Feind in zwei Richtungen anzugreifen, was ein geschicktes Manövrieren der einzelnen Treffen voraussetzte (BG II, 26). In der Schlacht gegen Ariovist fehlte offenbar ein verantwortli-
Römische Legionäre in Schlachtordnung, Relief im Musée de la Civilisation Gallo-Romain, Lyon. Die Soldaten sind mit Kettenhemden, Helmen mit Wangen- und Nackenschutz sowie viereckigen, abgerundeten Schilden ausgestattet – wie wahrscheinlich auch schon Cäsars Truppen.
wiederum so breit gewesen sein, dass die Kohorten des zweiten Treffens bei Bedarf geschlossen durch die Lücken nach vorn rücken konnten, um in das Gefecht einzugreifen.10 Offenbar wechselten die beiden vorderen Treffen einer Schlachtordnung häufiger einander ab, da ein einzelnes Treffen kaum über mehrere Stunden allein ein Gefecht durchstehen konnte. So soll die Schlacht gegen die Helvetier von Mittag bis in den Abend gedauert haben (BG I, 26). Das dritte Treffen wiederum muss somit die echte Reserve gewesen sein. In der Schlacht gegen Ariovist (58 v. Chr.) entschied sie das Gefecht zugunsten
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cher Führer der Reserve. Ein junger Reiterführer namens P. Crassus gab aus eigenem Entschluss den Befehl für das entscheidende Eingreifen des dritten Treffens (BG 1, 52). Die Befehlshaber der Legionen waren Legaten. Sie kamen gewöhnlich aus dem Senatorenstand und hatten zum Teil schon hohe politische Ämter in Rom oder in den Provinzen bekleidet, wozu eine langjährige Militärdienstzeit die Voraussetzung war. Sie schienen allerdings nicht auf Dauer ihre Kommandos gehabt zu haben. So unterstellte Cäsar erst unmittelbar vor der Schlacht gegen Ariovist seine Legionen einzelnen Legaten oder Quästoren. Offenbar wurden sie unter seinem direkten Befehl nur fallweise mit Kommandos betraut, die gewöhnlich mit dem Marschtag wieder endeten. Längere Kommandos vergab Cäsar nur für Legionen, die er für einen Nebenkriegsschauplatz vorgesehen hatte oder die allein ein Winterlager beziehen sollten (BG V, 24).
eben erst ausgehobene Legion, die wegen des allgemeinen Getreidemangels allein ein Winterlager bei den Eburonen und Treverern beziehen sollte, übergab er dem Titurius Sabinus 11, der als erfahrener Legat gelten konnte, und fügte zur Verstärkung noch fünf altgediente Kohorten bei (BG V, 24). Der Verlust dieser insgesamt 15 Kohorten beim Aufstand der Eburonen gegen die Römer im Winter 53/54 v. Chr. muss Cäsar schwer getroffen haben. Sein in ganz Gallien angeschlagenes Ansehen sollte die sofortige Aushebung zweier neuer Legionen in Oberitalien und die Abstellung einer Legion durch Pompeius wiederherstellen. Auf dem Höhepunkt des Krieges gegen Vercingetorix im Jahre 52 v. Chr. verfügte Cäsar über zwölf Legionen, die vor Alesia noch insgesamt knapp 35 000 Mann stark gewesen sein müssen, ohne die stets wechselnde Zahl von Hilfstruppen.
Ausrüstung Über Aussehen und Ausrüstung von Cäsars Legionen ist nur wenig verbürgt. Abbildungen von Legionären auf dem Altar des Domitius Ahenobarbus (vgl. Abb. S. 62) liegen zeitlich rund ein halbes Jahrhundert vor Cäsar. Die nächsten Darstellungen stammen wiederum erst aus frühkaiserlicher Zeit. Archäologische Befunde deuten auf die häufige Verwendung von haubenartigen Helmen mit beweglichem Wangenschutz hin. Der übliche Körperschutz wird wohl das Kettenhemd gewesen sein. Dazu kam das ovale Scutum. Ob der Legionär mit einem oder zwei Pila ausgestattet war, ist unklar. Das Kurzschwert dürfte schon der Typ „Mainz“ gewesen sein, mit der sich zum Griff hin leicht verjüngenden ca. 40 – 55 cm langen Klinge. Gewisse Ähnlichkeiten mit der Ausrüstung der Gallier oder der Helvetier muss es gegeben haben. Anders lässt sich der Irrtum des P. Considius, eines erfahrenen Soldaten, kaum erklären. Er hatte Cäsar im Helvetierkrieg fälschlicherweise gemeldet, dass ein bereits von Legionären besetzter Hügel noch vom Feind gehalten würde, und dadurch den römischen Angriff auf das feindliche Lager verhindert. (BG I, 21).
Stärke der römischen Armee während des Gallischen Krieges Zu seinen anfänglichen vier Legionen ließ Cäsar für den Krieg gegen die Helvetier in Oberitalien zwei neue Legionen ausheben. Die Mehrheit seiner Soldaten dürften Rekruten gewesen sein, oft auch mit handwerklichen Qualifikationen, die sich Cäsar häufig zur Lösung pioniertechnischer Aufgaben nutzbar machte. Bedingung für den Dienst in der römischen Legion war das Bürgerrecht. Nichtrömer aus den unterworfenen Provinzen dienten als Auxiliar- oder Hilfstruppen und konnten jedoch durch ihren Dienst das Bürgerrecht erwerben. Die Römer bevorzugten besondere Truppengattungen wie die gallische und germanische Reiterei sowie kretische Bogenschützen oder Schleuderer von den Balearen. Nach Möglichkeit gab Cäsar seinen neuen, noch unerfahrenen Legionen zunächst weniger riskante Aufträge. Für den Krieg gegen die Belgier hob Cäsar zwei weitere Legionen aus, die er in Feindnähe zunächst zum Schutz des Trosses einsetzte, während seine sechs altgedienten Legionen vorausmarschierten (BG 11, 8; II, 19). Eine
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Danach drückte er die Waffe gegen eine Wand oder gegen den Boden und stieß die hinten noch hervorragende untere Leiste mit seinem ganzen Körper nach vorn, bis sie in einer Sperrklinke der oberen Leiste einrastete und mit ihr wieder bündig abschloss. Die Waffe war nun gespannt. Damit der Schütze seine Körperkraft besser einsetzen konnte, war die untere Leiste mit einem konkaven Querholz versehen. Das Katapult wurde wegen dieser Ladetechnik auch Bauchschusswaffe (Gastraphetes) genannt. Die bis dato maximal für einen Bogenschützen mögliche Zugkraft von 450 Newtonmeter war auf diese Weise fast verdoppelt worden. Die große Reichweite der Geschosse wirkte demoralisierend auf den Feind. Eine Weiterentwicklung dieser ersten Geschütze waren die Torsionsgeschütze, die der Makedonenkönig Philipp II. etwa im Jahre 340 v. Chr. zum ersten Mal bei den Belagerungen von Perinthus und Byzanz zum Einsatz brachte. Die beiden Arme des Bogens steckten nun einzeln in jeweils einem Strang aus tordierten Bändern, der mit seinen Enden an Boden und Deckel eines senkrechten Kastens befestigt war. Eine Schraube am Kopf der Säule ermöglichte die gleichmäßige Einstellung der Spannung für beide Torsionsstränge, was für die Treffsicherheit des Geschützes besonders wichtig war. Die antiken Techniker hatten bald die optimalen Abmessungen für die einzelnen Geschützteile ermittelt und so detailliert überliefert,12 dass es modernen Wissenschaftlern möglich war, antike Geschütze nachzubauen. Allerdings ist so gut wie nichts über das Verfahren zur Herstellung der Torsionsbänder bekannt. Ein Inventarverzeichnis des athenischen Arsenals auf der Akropolis belegt jedenfalls, dass sie hauptsächlich aus Pferdehaar hergestellt waren, wohl unter Beimischung von Tiersehnen. Die Römer übernahmen die Geschütztechnik von den Griechen. Ein Zentrum des Geschützwesens war die Stadt Marseille, die spätestens seit dem Jahre 121 v. Chr. zum römischen Machtbereich gehörte. Cäsar erwähnt zwar keine Einzelheiten über Anzahl und Gliederung seiner Geschütze, aber es kann aus späteren Angaben über das kai-
Römische Legionäre. Auf dem sogenannten Altar des Domitius Ahenobarbus, der wohl aus der Spätzeit der römischen Republik stammt, erkennt man römische Legionäre mit Kettenpanzern, die Helme mit Wangen- und Nackenschutz tragen sowie das Kurzschwert und den typischen ovalen Schild.
Scorpio und Ballista in Cäsars Armee Im Jahre 399 v. Chr. gelang einer Gruppe von Technikern, die Dionysos I. von Syrakus in seiner Stadt zusammengerufen hatte, die Entwicklung des ersten Katapults auf der Grundlage des traditionellen Bogens. Die neue Konstruktion bestand aus zwei beweglichen, übereinanderliegenden und durch eine Schwalbenschwanzführung miteinander verbundenen Holzleisten. An der unteren Leiste waren vorn die beiden Bogenarme befestigt, während die obere Leiste die Abzugsvorrichtung enthielt. Gespannt wurde die neuartige Waffe, indem der Schütze zunächst die obere Leiste so weit nach vorn schob, dass er die noch ungespannte Bogensehne in die Abzugsvorrichtung einlegen konnte.
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serzeitliche Heer geschlossen werden, dass auch in seinen Legionen bereits jede Zenturie ein Geschütz besessen haben muss, was einen Gesamtbestand von rund 60 Geschützen ergab. Geschütze kamen vor allem bei Belagerungen und im Schiffskampf zum Einsatz. Die Römer nannten ihre Geschütze tormenta und unterschieden zwischen leichten Pfeilgeschützen (Scorpiones) und Wurfmaschinen oder schweren Geschützen (Ballista). In offener Feldschlacht wurden Letztere wegen ihrer geringen Beweglichkeit nur selten eingesetzt. Torsionsgeschütze verfügten über eine beachtliche Reichweite. Angeblich soll das Katapult eines gewissen Agesistratus bis zu 3,5 Stadien weit, etwa 650 Meter, geschossen haben. Experimente mit modernen Nachbauten, die immerhin eine Reichweite von 400 Metern erzielten, ergaben, dass der Geschossbolzen eines Katapults mit zwei Ellen Spannbreite in einen drei Zentimeter dicken, mit Eisenplatten bestückten Schild bis zur Hälfte eindrang, was den Träger dieses Schildes mit Sicherheit außer Gefecht gesetzt haben dürfte. Eine Ballista aus dem Arsenal von Marseille verschoss etwa vier Meter lange Balken, die mühelos mehrere Lagen Flechtwerk durchschlugen und danach noch zur Hälfte in den Boden eindrangen. Bei der Belagerung von Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. schleuderten römische Geschütze 50 Kilogramm schwere Geschosse bis zu 400 Meter weit. Erstaunlich war auch im Vergleich zu modernen Feuerwaffen die geringe Streuung antiker Geschütze. Ihre Treffpunkte lagen bei gleichem Haltepunkt der Waffe dicht beieinander. Ebenso wie die moderne Artillerie besaßen antike Geschütze außer ihrer Durchschlagskraft einen erheblichen psychologischen Effekt. Das typische Geräusch der Pfeilgeschosse und ihre Treffsicherheit auf weite Distanz mussten auf jeden Gegner, vor allem bei Kelten und Germanen, die mit dieser Technik nicht vertraut waren, in verheerender Weise wirken. In der Regel setzten die Römer ihre Geschütze ein, um bestimmte wichtige Geländepunkte zu beherrschen. Auf seinem Feldzug in Belgien (57 v. Chr.) verwendete Cäsar seine Pfeilgeschütze als
Flankenschutz (BG II, 9). Von einem Einsatz der Geschütze zur Abwehr eines Massenangriffs berichtet er jedoch nur einmal anlässlich der Belagerung von Gergovia. Während er selbst mit der Mehrzahl seiner Legionen unterwegs zu den Häduern war, musste sein Legat Gaius Fabius heftige Angriffe der Gallier abwehren, wobei ihm die Geschütze von großem Nutzen waren (BG VII, 42). Vermutlich waren hier tatsächlich alle Geschütze aus Cäsars Armee, auch die der abwesenden Legionen, zu einer Geschützfront aufgebaut. Ein Jahr später setzte er im Krieg gegen die Bellovaker seine Geschütze sogar in vorderster Linie und in offener Stellung ein, um den Feind aus der Distanz zu dezimieren (BG VIII, 15). Ähnlich der modernen Artillerie entwickelte sich das antike Geschützwesen aus einer Belagerungswaffe zur Unterstützungswaffe der Infanterie, wozu besonders Cäsars Neigung, seine Geschütze möglichst in allen Lagen einzusetzen, beitrug. Mittels der Torsionsgeschütze übertraf die antike Kriegführung erstmals in der Waffenwirkung deutlich die bloße menschliche Körperkraft. Lange vor der Einführung der Feuerwaffen hatte
Katapult auf der Basis des traditionellen Bogens. Mechanische Armbrust, die griechische Gastraphetes, erstes Katapult, um 400 v. Chr. (oben) (Rekonstruktion nach E. W. Marsden) und die Weiterentwicklung der Gastraphetes (unten), bei der bereits zwei Pfeile abgeschossen werden konnten. Aquarelle von Peter Connolly.
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Römische Ballista. Mitglieder der I. Römercohorte Opladen beim Abschuss einer originalgetreu rekonstruierten Ballista.
kaum einer Stelle seines Berichts versäumt er, darauf hinzuweisen. Oft versuchte er seine Position durch Feldbefestigungen zu verbessern und die Bewegungsfreiheit des Gegners einzuschränken. Dieses Verfahren entwickelte er vor allem im Bürgerkrieg zur Meisterschaft. Wiederholt ließ er seine Legionen in Gefechtsgliederung hart vor das feindliche Lager rücken und das hintere Treffen im Schutz der beiden vorderen Linien ein zweites Lager errichten, das er dann sofort durch Wall und Gräben mit seinem Hauptlager verbinden ließ (BG I, 49; VIII, 15; BC I, 42). Zu Beginn einer Schlacht näherten sich die Kohorten dem Feind bis auf etwa 30 Meter, die Legionäre schleuderten ihr Pilum (Wurfspeer) und stürmten dann mit lautem Geschrei gegen den Feind. Löste sich die feindliche Linie nicht schon vor dem ersten Ansturm auf, versuchten die Römer, sie durch den geschlossenen Druck ihrer Schilde zum Weichen zu bringen. Hilfreich war hierzu, dass viele Gegner ihre durch Geschosse unbrauchbar gewordenen Schilde nicht mehr einsetzen konnten. In der Schlacht gegen Ariovist verhinderte
somit der antike Geschützbau ein technisches Niveau erreicht, das bis heute bei modernen Nachbauten nicht imitiert werden konnte.
Gefechtstaktik Die römische Armee war grundsätzlich auf den Angriff eingeschworen. Cäsar wich jedoch von diesem Prinzip zugunsten einer vorsichtigeren Taktik ab. Er verzichtete bei ungünstigem Gelände lieber auf eine Schlacht, um größere Verluste zu vermeiden. Fünfzehn Tage verfolgte er die Helvetier in einem Abstand von fünf oder sechs Meilen, ehe er sich zur Schlacht entschloss (BG I, 15). Mehrmals musste er sich dem Drängen seiner Soldaten, eine Schlacht zu schlagen, widersetzen. Besonders nachdrücklich geschah dies während des Bürgerkriegs in Spanien, als sich seine Soldaten sogar weigerten, in Zukunft für ihn in eine Schlacht zu ziehen, wenn er eine so günstige Gelegenheit zum Sieg nun ausließe (BC I, 49). Ohne eine gesicherte Getreideversorgung begann Cäsar grundsätzlich keine Operation. An
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„Seht auf das benachbarte Gallien, das zur Provinz erniedrigt ist.“
jedoch der heftige Ansturm beider Heere den Einsatz der Pila. Die Römer versuchten deshalb, die Reihen der Germanen aufzureißen, indem einzelne Legionäre auf deren fest gefügte Schilderfront sprangen, um sie niederzureißen (BG I, 52). Ein geordnetes Ausweichen aus einer einmal gewonnenen Position wurde in der römischen Armee nur selten praktiziert. Vor Gergovia misslang Cäsar ein derartiges Manöver. Die Truppe hatte nicht auf die gegebenen Signale gehört und musste, von den Galliern bedrängt, zurückweichen, wobei 700 Legionäre getötet wurden (BG VII, 51). Die aufgelockerte Gefechtsweise der Briten bereitete den Legionären große Schwierigkeiten (BG V, 16). Ähnliche Erfahrungen machten seine Soldaten auch im Bürgerkrieg in Spanien, als sie in arge Unordnung gerieten, weil die Truppen des Africanus die Kampfweise der Einheimischen anwandten, indem sie sich nach kurzen Attacken immer wieder schnell zurückzogen (BC I, 44). In einer Schlacht traten tödliche Verluste oft erst ein, wenn sich die Schlachtordnung auflöste, wie in der Schlacht gegen die Eburonen (BG V, 37) oder später bei Dyrrachium gegen die Pompeianer (BC III, 70). Blieb der Zusammenhalt der Truppe gewahrt, war die Zahl der Totalausfälle eher gering, auch wenn in extremen Lagen sehr viele Soldaten verwundet wurden, wie etwa bei der Belagerung der Legion des Q. Cicero in ihrem Winterlager (BG V, 52).
derern, um einem bedrohten Abschnitt zu Hilfe zu kommen (BG II, 10). Eine Schlacht eröffnete er oft mit Reiterkämpfen und nahm auch in Kauf, wenn die Gallier dabei zunächst im Vorteil waren, da er wusste, dass die übrigen Feinde durch ihren Erfolg unvorsichtig würden und sich auf ungünstiges Gelände wagten. Die Reiterei sollte auch die Fühlung mit dem Feind halten und seine Nachhut bedrängen, Gefangene einbringen sowie Nachrichten jeder Art sammeln. Obwohl der Schwerpunkt der römischen Kriegsführung auf dem Infanteriegefecht lag, war es Cäsars germanische Reiterei, die mehrmals eine wichtige Schlacht zu seinen Gunsten entschied, so am vierten Tag der Schlacht von Alesia, als sie den Truppen des Vercassivellaunus in den Rücken fiel und dadurch die Wende der Schlacht einleitete. Aus seinen anfangs nur vier Legionen formte Cäsar im Laufe von acht Jahren ein schlagkräftiges Instrument, womit er ein riesiges und bevölkerungsreiches Gebiet eroberte, das ein Viertel des damaligen römischen Reiches ausmachte. Je zweimal stieß er über den Kanal und den Rhein vor. Wie kein zweiter Kommandeur verstand es Cäsar, die Stärken des römischen Soldaten zu nutzen. Er gewann das Vertrauen der Centurionen, die das Rückgrat der Armee bildeten, und nutzte das technische Geschick seiner Truppe zu damals unglaublich erscheinenden Leistungen, wie etwa dem Bau einer festen Brücke über den Rhein in nur zehn Tagen. Dennoch vermied er es, seine Männer zu überfordern. Sein eigenes Handeln war nicht fehlerfrei. In kritischen Situationen rettete ihn oft die Tapferkeit und Beharrlichkeit seiner Truppe. Nach zögerlichem Beginn gegen die Helvetier und einer fast verlorenen Schlacht gegen die Nervier führte Cäsar seine Armee allmählich zu unglaublichen Leistungen. Auf dem Höhepunkt des Krieges belagerte sie in nur sechs Monaten drei bedeutende Festungen (Avaricum, Gergovia, Alesia), besiegte drei große gallische Heere und marschierte dabei mehrere 100 Kilometer durch feindliches Gebiet. Kaum jemals in der Kriegsgeschichte sind solche Leistungen in so kurzer Zeit wieder erbracht worden.
Einsatz der Kavallerie In der römischen Legion zu Cäsars Zeiten gab es keine Bürgerkavallerie mehr. Die Reiterei wurde jetzt hauptsächlich von Germanen oder Galliern gestellt. Die gallischen Reiter bewährten sich in der Regel jedoch nicht. Im Helvetierkrieg wurden 4000 Reiter, die Cäsar von den Häduern erhalten hatte, von einer nur 500 Mann starken feindlichen Reitertruppe in die Flucht geschlagen (BG I, 15). Cäsar warb daher später verstärkt germanische Reiter an, deren Kampfweise im engen Verbund mit leichtem Fußvolk ihn sehr beeindruckt haben muss (BG I, 48). Mehrfach bildete Cäsar Kampfgruppen aus Reitern, Bogenschützen und Schleu-
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4 „Es sei denn, der allmächtige Gott wolle sie töten.“
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Die Schlacht auf dem Lechfeld. Buchmalerei von Hektor Muelich, 1457, Illustration zur Meisterlinchronik. Augsburg, Staatsbibliothek.
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wenige Jahre halten konnten. Eine erneute Niederlage gegen die Petschenegen zwang die Ungarn, in das ehemalige Gebiet der Awaren an der mittleren Donau zu ziehen, das damals nur von wenigen Slawen besiedelt war. Auf ihren Wanderungen durch die ukrainischen und südrussischen Steppen hatten sie die Lebensweise türkischer Nomaden übernommen. Sie lebten meist von der Pferdezucht, der Jagd und dem Raub. Von den alten Quellen ihres Wohlstandes durch ihre Erzfeinde, die Petschenegen, abgeschnitten, wandten sie sich auf der Suche nach Ersatz nach Westen. Angeführt von ihrem Fürsten Arpad, erschienen sie im Jahre 894 erstmals plündernd in der Ostmark, kurz darauf auch in Bayern. Die ungarischen Streifscharen überfielen Dörfer, Klöster und unbefestigte Städte. Sie machten Beute, nahmen die Jungen als Sklaven mit und töteten die Alten. Durch Tribute und Geschenke ließen sie sich allerdings auch von der Plünderung bestimmter Gebiete abhalten. An dauerhaften Eroberungen waren die Ungarn nicht interessiert. Der Zerfall des mährischen Reiches im Jahre 906 öffnete ihnen auch die nördliche Route ins ostfränkische Reich, nach Sachsen und Meißen.
Europa nach Karl dem Großen
Z
u Beginn des 10. Jahrhunderts zerfiel das Reich Kaiser Karls des Großen (768 – 814) in mehrere Teile. Östlich des Rheins bildete sich aus den Herzogtümern Sachsen, Schwaben, Bayern und Mainfranken das ostfränkische Reich. Im Westen entstand jenseits von Maas, Saône und Rhône Westfranzien, der Kern des späteren Frankreichs. Um die mittleren Gebiete der schon bald ausgestorbenen Lotharinger stritten sich Ost- und Westfranken fast 100 Jahre. Im Jahre 911 starb der letzte ostfränkische Karolinger und Nachkomme Karls des Großen im Alter von 18 Jahren, ohne einen Erben zu hinterlassen. Die Herzöge des ostfränkischen Reiches wählten daraufhin Konrad, den fränkischen Grafen des Lahngaus, zu ihrem neuen König. Konrads glücklose Regierungszeit endete schon nach acht Jahren. Seine bedeutendste Tat vollbrachte er erst auf dem Sterbebett, als er Heinrich, den mächtigen Herzog der Sachsen, zu seinem Nachfolger bestimmte. Unter dem neuen Herrscher und seinen Nachfolgern stieg das ostfränkische Reich in nur 50 Jahren zur bedeutendsten Macht Westeuropas auf. Zum Gebiet des ostfränkischen Reiches gehörte damals auch ein Landstreifen im Südosten, der Ostmark genannt wurde und aus dem später das Herzogtum Österreich hervorgehen sollte. Karl der Große hatte die Mark im Jahre 798 zur Abwehr von Awaren und Slawen errichtet. Kaum 100 Jahre später erschien an dieser stets umkämpften Grenze jedoch ein neuer und noch gefährlicherer Feind. Es waren acht oder neun verschiedene Stämme, die von den Byzantinern, auf die sie zunächst gestoßen waren, Türken oder auch Ouggroi genannt wurden. Daraus entstand schließlich das Wort Ungarn. Die Stämme selbst bezeichneten sich allerdings als Magyaren. Sprachlich waren sie entfernt mit den Finnen und Lappen verwandt. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts hatten sie ihre Wohnsitze zwischen Ural und Wolga auf Druck der turkmenischen Petschenegen verlassen und waren nach Westen gezogen, zunächst in das Gebiet zwischen Dnjepr und Pruth, wo sie sich jedoch nur
Schlimmer als die Hunnen – Die Ungarn als neue Geißel der Christenheit Im Jahre 907 schlugen die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg ein bayerisches Aufgebot. Plündernd durchquerten ihre Reiter das Herzogtum Schwaben und drangen bis bis zum Rhein vor. Zehn Jahre später fielen ihnen sogar die Städte im Elsass und in Lothringen zum Opfer. Über Norditalien streiften sie bis nach Südfrankreich und Burgund und erreichten im Jahre 924 die Pyrenäen. Eine dritte Angriffsrichtung der Ungarn war der Weg über Mähren und Böhmen nach Sachsen. Dreißig Jahre lang waren die Ungarn der gefährlichste Feind des nachkarolingischen Europas. Der Chronist Luitpold von Cremona nannte sie ein gottloses und gieriges, aber auch verwegenes Volk, das vor keiner Untat zurückschreckte. Ein-
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Nomadenreiter. Das Relief auf einer Goldkanne aus dem Schatz von Nagyszentmiklos befindet sich im Wiener Kunsthistorischen Museum. Es zeigt einen Nomadenreiter, vielleicht einen Ungarn, der einen gefesselten Gefangenen führt. An seinem Sattel hängt der Kopf eines getöteten Feindes.
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König Otto I., seit 963 röm.-dt. Kaiser, mit seiner
Edith [Edgitha] lernte er die Schrift,die er vorher nicht
englischen Gemahlin Edgitha. Die beiden Figuren
kannte, so gut, dass er Bücher durchaus lesen und ver-
am Magdeburger Dom stammen aus dem 13. Jh. und
stehen konnte. Außerdem verstand er in romanischer
gelten als Abbildung des ottonischen Königspaars.
und slawischer Spreche zu reden. Auf die Jagd ging er
Widukind von Corvey beschreibt Otto I. in seiner
häufig, liebte das Brettspiel, übte zuweilen die Anmut
Sachsengeschichte: „Er selbst also […] war vor allem
des Ritterspiels mit königlichen Anstand. Hinzu kam
ausgezeichnet durch Frömmigkeit, in seinen Unter-
noch der gewaltige Körperbau, der die volle königli-
nehmungen unter allen Sterblichen der Beständigste,
che Würde zeigte, das Haupt mit dem ergrauenden
abgesehen von den Schrecken der königlichen Straf-
Haar bedeckt, die Augen funkelnd und wie ein Blitz
gewalt immer freundlich, im Schenken freigiebig, im
durch plötzlich treffenden Blick einen eigenen Glanz
Schlafen mäßig [...]. Seine Geistesgaben waren be-
ausstrahlend, das Gesicht rötlich und der Bart – gegen
wunderungswürdig, denn nach dem Tode der Königin
den alten Brauch – reichlich niederwallend.“
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zelne christliche Potentaten schien diese Wildheit der Ungarn jedoch nicht davon abgehalten zu haben, sich ihrer Hilfe zu bedienen, wenn es um die eigenen Interessen ging. Die bedrohte Christenheit trat gegenüber den Ungarn alles andere als einmütig auf. Allein König Heinrich I. und seinem Sohn Otto I. (912 – 973) war es zu verdanken, dass trotz aller Uneinigkeit der regionalen Fürsten und Potentaten die Ungarn empfindliche Rückschläge einstecken mussten, die schließlich ihre Raubzüge beendeten. Noch im Jahre 937 hatten die Ungarn einen ihrer größten Züge quer durch Bayern, Schwaben bis nach Paris und Orléans unternommen. Doch die Risiken solcher Unternehmungen nahmen jetzt zu. Schon König Heinrich I. hatte in Sachsen und Meißen ein System von befestigten Plätzen angelegt, das schnelle Gegenangriffe auf plündernde Ungarnhorden ermöglichte. Das zeigte Wirkung. Seit 938 hatte Sachsen keinen Ungarnüberfall mehr erlebt. Für das Jahr 943 verzeichneten die Chronisten auch einen bedeutenden Sieg der Bayern über die Ungarn bei der Stadt Wels an der Traun. Sieben Jahre später unternahm der Bayernherzog Heinrich, ein Bruder König Ottos I., sogar einen erfolgreichen Zug zu den Wohnsitzen der Ungarn und kehrte mit großer Beute zurück. Immer enger wurde der Kreis um die Ungarn gezogen. Otto, der älteste Sohn Heinrichs, hatte 936 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters angetreten und seine Macht seither bedeutend erweitert. Nachdem auch die Böhmen seine Lehnshoheit anerkannt hatten, war er im Jahre 951 zu seinem ersten Zug über die Alpen aufgebrochen und hatte in Norditalien die Langobarden besiegt. Adelheit, die junge Witwe des früh verstorbenen Königs Lothar von Italien, hatte die Franken zu Hilfe gerufen, da der Nachfolger ihres Mannes, König Berengar, sie in Como gefangen hielt. König Berengar musste vor Ottos Truppen fliehen, Adelheit wurde befreit und heiratete kurz darauf ihren Retter. Ottos erste Frau, Edgitha, eine englische Königstochter , war schon vier Jahre zuvor überraschend verstorben. Die territoriale Beute des Italienzuges waren die Grafschaften von Verona und
Aquileia, das heutige Venezien, die an das Herzogtum Bayern angegliedert wurden. Damit war den Ungarn außer der nördlichen Route durch Mähren und Böhmen auch der südliche Weg durch die Poebene versperrt. Die Ursache dieser für sie bedrohlichen Entwicklung sahen die Ungarn vor allem in Ottos gewaltigem Machtzuwachs. Es war ihnen klar, dass sie seine Macht brechen oder wenigstens eindämmen mussten, wenn sie ihre alte Bewegungsfreiheit zurückgewinnen wollten. Einer der wichtigsten Führer der Ungarn zu dieser Zeit war ein Mann namens Bolksu oder Boulcu. In einer französischen Chronik aus Cambrai, die über die Plünderungen des Jahres 954 berichtet, wird er als „Rex Bulgio“ bezeichnet. Bolksu war längst nicht mehr der räuberische Anführer wilder Nomaden. Er nutzte die Mittel der Diplomatie und unterhielt sogar Kontakte zum byzantinischen Hof. Der oströmische Kaiser hatte ihm nach seiner Bekehrung zum östlichen Christentum sogar den Titel eines Patricius verliehen.
Die Ungarn wollen die Entscheidung Im Jahre 954 sah König Bolksu die ersehnte Gelegenheit gekommen, alle Rückschläge des zurückliegenden Jahrzehnts wieder wettzumachen. Der ärgste Feind der Ungarn, Otto I., war in einen gefährlichen Bürgerkrieg verwickelt. Ottos Sohn Liudolf, Herzog in Schwaben, hatte sich gegen seinen Vater erhoben. Liudolf fürchtete um sein Erbe, nachdem sein Vater ein zweites Mal geheiratet hatte und aus dieser Ehe ein Sohn hervorgegangen war. Hilfe fand Liudolf bei Herzog Konrad von Lothringen und vielen anderen jungen Adligen des ostfränkischen Reiches. Die Aufständischen hatten zunächst große Erfolge und kontrollierten bald den südlichen Teil des Reiches. Da erschienen Bolksus Ungarn in Bayern und plünderten wie so oft das flache Land. Über Franken gelangten sie anschließend an den Rhein. In der Stadt Worms, die sich in den Händen der Aufständischen befand, wurden die ungarischen Anführer in aller Öffentlichkeit festlich bewirtet und beschenkt. Zwar hatten Liudolf und
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seine Bundesgenossen die Ungarn nicht, wie es ihnen damals schon nachgesagt wurde, ins Land gerufen, wohl aber mit ihnen paktiert, nachdem sie nun einmal gekommen waren. Mithilfe der Aufständischen überquerten die Ungarn den Rhein und plünderten die Klöster und Städte Lothringens und Belgiens. So schnell er konnte, war König Otto mit einem Heer nach Süden gezogen, um die Ungarn noch in Bayern zu stellen. Aber die Eindringlinge zogen längst plündernd durch das Westfrankenreich und kehrten schließlich unbeschadet durch Norditalien in ihre Wohnsitze zurück. Wenn auch Ottos Unternehmen der militärische Erfolg versagt blieb, so war die politische Wirkung im Reich umso größer. Der Zug gegen die Ungarn stärkte in den Augen der Untertanen seine Königsautorität gegenüber den Aufrührern, die nichts gegen die Ungarn unternommen hatten. Viele Rebellen kehrten nun auf die Seite des Königs zurück. Mit dem Rest arrangierte er sich. Liudolf und Konrad verloren ihre Herzogtümer, behielten aber sonst alle Würden. Für die Ungarn war der Zug des Jahres 954 ein Misserfolg. Bolksu hatte das Gegenteil von dem bewirkt, was er beabsichtigt hatte. Sein ärgster Feind Otto war mächtiger als zuvor. Der nächste Schlag musste darum direkt gegen den ostfränkischen Herrscher geführt werden. Im Sommer des Jahres 955 fielen Bolksus Scharen erneut in Bayern ein und verwüsteten das Land zwischen Donau und Alpen bis zur Iller. Der Bayernherzog Heinrich sandte einen Boten um Hilfe an seinen Bruder. Wie der zeitgenössische Chronist Widukind aus dem Kloster Corvey schrieb, soll er dem König gemeldet haben: „Die Ungarn dringen in Gruppen verteilt in dein Gebiet ein und sind entschlossen, einen Kampf mit dir zu wagen.“ Tatsächlich schienen die Ungarn das Eintreffen des Königs mit seiner Armee erwartet zu haben. Statt wie üblich weiter nach Westen zu ziehen, begannen sie, die Stadt Augsburg zu belagern. Obwohl Bischofssitz, war das alte römische Augusta Vindelicum in frühmittelalterlicher Zeit eher eine kümmerliche Siedlung, die vorwiegend aus Holzhäusern bestand. Gegen die vorangegangenen Ungarneinfälle hatte
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30 km
Römerstraße
Das bayerisch-schwäbische Grenzgebiet südlich der Donau. Otto überquerte vermutlich nahe der Reisenburg die Donau und marschierte mit seinem Heer auf der alten Römerstraße von Günzburg nach Augsburg an den Lech. Dieser Weg bot den Vorteil, dass das Heer auf der wohl noch erhaltenen Straße zügig vorankam, andererseits aber durch das unebene und schwierige Gelände, das man den Rauhen Forst nannte, gegen überraschende Angriffe der Ungarn weitgehend geschützt war.
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Augsburgs Bischof Ulrich immerhin einen Wall um die Stadt anlegen lassen. Die einzige verfügbare Quelle erwähnt eine niedrige Mauer ohne Türme. Zwei Tage verteidigten sich die Augsburger unter Führung ihres Bischofs gegen die Eindringlinge. Die Ungarn hatten sogar Belagerungsgeräte angefertigt, um die Mauern niederzureißen. Trotz allem scheint die Gefahr für die Belagerten nicht allzu groß gewesen zu sein. Die Mehrzahl der Angreifer hatte offenbar wenig Lust, wider ihre Gewohnheit gegen bewehrte Mauern anzurennen. Gerhard von Augsburg, ein Vertrauter des Bischofs und Augenzeuge der Belagerung, berichtet, dass die Angreifer sogar mit Peitschen vorangetrieben werden mussten. Noch ehe es allerdings zu einem ernsthaften Sturm auf die Stadt kommen konnte, erhielten die Ungarn die Nachricht vom Anmarsch des königlichen Heeres. Ein Adliger namens Berthold mit dem wenig schmeichelhaften Beinamen „der schyre“ war vom König wegen seiner Beteiligung an der Rebellion des Vorjahres auf die Reisenburg an der Donau verbannt worden. Wohl aus Rachsucht hatte er die Ungarn gewarnt, dass Otto mit seinem Heer die Donau überschritten habe. Vermutlich erfolgte dieser Übergang nicht allzu weit von der Reisenburg entfernt. Danach rückte das Heer auf der alten Römerstraße von Günzburg an der Donau in Richtung Augsburg vor. Die Ungarn zogen sich sofort in ihr Lager zurück, das außerhalb der Sichtweite der Augsburger lag, wahrscheinlich auf der Ostseite des Lechs, und bereiteten sich auf die Schlacht gegen Ottos Heer vor. Auch die Belagerten in der Stadt mussten erfahren haben, dass der König mit seinem Heer in der Nähe war. Noch in der folgenden Nacht schickte Bischof Ulrich seinen Bruder Diepold mit einem Teil der Verteidiger dem Entsatzheer zur Verstärkung entgegen. Hätten die Ungarn, wie bei ihren früheren Überfällen, eine Konfrontation mit Ottos Truppen vermeiden wollen, so wäre ihnen jetzt noch genug Zeit geblieben, sich nach Osten zurückzuziehen. Doch die Ungarn waren zur Schlacht entschlossen. Das fränkische Heer musste vernichtet werden. Dies allein würde ihre
Überlegenheit wiederherstellen, Ottos Macht über die fränkischen Fürsten und Grafen entscheidend schwächen und ihnen ihre alte Bewegungsfreiheit wiedergeben. Ottos Heer marschierte von der Donau durch den Rauhen Forst, ein waldreiches Gelände westlich von Augsburg. Offenbar hatte der König geglaubt, er könne die Ungarn noch während der Belagerung der Stadt angreifen. Dann aber muss ihm Graf Diepold gemeldet haben, dass die Ungarn die Belagerung bereits aufgegeben hatten und vermutlich geflohen waren. In der Sachsengeschichte des Mönches Widukind heißt es dazu: „Im Bereich von Augsburg schlug er [König Otto] sein Lager auf und hier stieß zu ihm das Heer der Franken und der Bayern, auch kam Herzog Konrad mit zahlreicher Reiterei in das Lager, und durch seine Ankunft ermutigt, wünschten die Krieger nunmehr den Kampf nicht länger zu verschieben [...]. Jetzt wurde von den Streifkorps beider Heere angezeigt, dass sie nicht mehr weit voneinander entfernt waren. Es wurde ein Fasten im Lager angesagt und allen befohlen, am folgenden Tage zum Kampf bereit zu sein. Mit der ersten Dämmerung erhoben sie sich, gaben sich gegenseitig Frieden und gelobten sodann zuerst dem Führer, darauf einer dem anderen eidlich ihre Hilfe; dann rückten sie in acht Abteilungen mit aufgerichteten Feldzeichen aus dem Lager. Das Heer wurde durch unebenes und schwieriges Gelände geführt, um den Feinden keine Gelegenheit zu geben, die Truppen mit Pfeilen anzugreifen, worauf sie sich sehr gut verstehen, wenn Gebüsch sie deckt. Die erste, zweite und dritte Abteilung bildeten die Bayern, die vierte bildeten die Mainfranken unter Führung des Herzogs Konrads. Der Führer der fünften, der stärksten, welche auch die königliche genannt wurde, war der Fürst selbst, [...]. Die sechste und siebte Schar machten die Schwaben aus, an ihrer Spitze Burchard [...]. In der achten waren tausend auserlesene böhmische Streiter, besser mit Rüstungen als mit Glück versehen; hier war auch alles Gepäck und der ganze Tross [...].“ 1
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Eröffnung der Schlacht: Ungarn greifen die Nachhut an
10. August morgens: Ungarn überschreiten den Lech
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Ungarn-Lager
Fränkische Abteilungen
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4
5 km
Die Ungarnschlacht. Die Schlacht, in der König Otto I. die Ungarn entscheidend geschlagen hat, ist allgemein als Lechfeldschlacht bekannt. Wahrscheinlich aber fand die Schlacht westlich von Augsburg im Gebiet des Rauhen Forsts statt.
Die Schlacht, die nun bald zwischen Otto und den Ungarn entbrannte, wird zwar Lechfeldschlacht genannt. Sie dürfte aber nicht auf dem eigentlichen, südlich von Augsburg gelegenen Lechfeld stattgefunden haben, sondern im Nordwesten der Stadt, außerhalb der Sichtweite ihrer Verteidiger.2 Die beiden unabhängigen Hauptquellen zu den Ereignissen, Gerhard von Augsburg und Widukind von Corvey, erwähnen das Lechfeld mit keinem Wort. Sie nennen allerdings auch keinen anderen Schlachtort, doch viele ihrer Hinweise deuten auf eine Schlacht nordwestlich von Augsburg hin, wo das Gebiet des Rauhen Forsts an die Niederungen der Flüsse Schmutter und Lech grenzt.
Nach dem Corveyer Chronisten überquerten die Ungarn überraschend den Lech, umgingen das ganze christliche Heer und attackierten die am Ende marschierende böhmische Abteilung mit Pfeilen. „Dann folgte unter ungeheurem Geschrei ihr Angriff. Ein Teil der Böhmen wurde gefangen genommen, viele von ihnen getötet, der gesamte Tross ging verloren, und die Überlebenden ergriffen die Flucht. In gleicher Weise griffen sie die siebte und sechste Schar an, streckten viele zu Boden und schlugen die übrigen in die Flucht.“3 Zugleich attackierten die Ungarn auch die Spitze von Ottos Marschkolonne, die von drei bayerischen Abteilungen gebildet wurde. Die Böhmen
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am Ende des Zuges waren inzwischen aufgerieben und die Überlebenden gefangen genommen. Den Schwaben vor ihnen war es wohl nicht besser ergangen. Nach diesem Erfolg schienen die Ungarn plötzlich das Interesse am Kampf zu verlieren. Im Gefühl des sicheren Sieges begannen sie, den eroberten Tross zu plündern. Ihre ganze militärische Erfahrung reichte offenbar nur zu einem schnellen Schlag, um sich danach auf die Beute zu stürzen. König Otto schickte nun das fränkische Kontingent unter Führung Herzog Konrads zurück, um seinem Heer zunächst den Rücken freizukämpfen. Es war derselbe Konrad, der sich noch im Jahr zuvor gegen Otto erhoben hatte. Der vormalige Rebell erfüllte seine schwierige Aufgabe mit Bravour und großer Schnelligkeit. Die Schlacht sollte er jedoch nicht überleben. Als er in einer Kampfpause seinen Panzer öffnete, um besser Atem schöpfen zu können, traf ihn ein tödlicher Pfeil in den Hals.
der Ungarn von Menschen überwunden werden könne, es sei denn, der allmächtige Gott wolle sie töten. Auch nach ihrer Niederlage strömten die Ungarn immer noch so zahlreich an Augsburg vorbei zum Lech, dass die Verteidiger auf den Stadtmauern zunächst fürchteten, die siegreichen Ungarn kehrten zurück, um die Belagerung ihrer Stadt fortzusetzen. Bei Widukind ermahnt der König in der obligatorischen Rede vor der Schlacht, sich nicht von der Menge der Ungarn erschrecken zu lassen. Wenn er dies oder etwas Ähnliches tatsächlich gesagt hat, müssen die Ungarn zahlenmäßig deutlich seinem Heer überlegen gewesen sein. Ohne Not würde kein Anführer die Überlegenheit des Feindes erwähnen, wenn es nicht eine für alle offenkundige Tatsache gewesen wäre. Aber die Ungarn hatten das Überraschungsmoment, ihren wichtigsten Vorteil, bereits verspielt. Ihr Angriff auf die Nachhut war zwar erfolgreich gewesen, aber nicht genutzt worden. Otto hatte jetzt den Rücken frei und konnte die Ungarn vor ihm angreifen. Was nun geschah, dürfte in dem heroisierenden Schlachtengemälde des 19. Jahrhunderts recht zutreffend dargestellt sein. Der König mit der sogenannten Heiligen Lanze in der Hand, gefolgt vom Bannerträger des heiligen Michael, stürzte sich mit seinen Reitern auf den Feind. Diesem Angriff einer dicht zusammengefügten und schwer bewaffneten Reitermasse vermochten die nur leicht ausgerüsteten Ungarn kaum standzuhalten. Wer von ihnen nicht mehr fliehen konnte, wurde umzingelt und niedergemacht. Noch am selben Tag fiel das Lager der Ungarn. Auch die Feinde, die vom Schlachtfeld hatten entkommen können, entgingen nicht dem Tod oder der Sklaverei. Die Verfolgung des geschlagenen Gegners war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hartnäckig und gut organisiert. Die Bayern riegelten sämtliche Flussübergänge und Pässe in der Nähe ab. Burgbesatzungen zogen überall aus und fingen die flüchtigen Ungarn ein, umstellten die Dörfer und brannten sie samt den darin verschanzten Ungarn nieder. Erst diese konsequente Verfolgung vervollständigte die Niederlage der Ungarn. Sie hatten dem Herrscher des aufstrebenden ostfrän-
Sieg und Verfolgung Nun schlug die Stunde der gepanzerten Ritter. Wie viele der König davon zur Verfügung hatte, ist genau wie der Ort der Schlacht strittig. Widukind von Corvey bezeichnet die einzelnen Abteilungen als Legionen, in Anlehnung an die altertümliche römische Namengebung. Verschiedene Stellen in seiner Sachsengeschichte belegen, dass damit alle möglichen Stärken zwischen 300 und 1000 Mann gemeint sein konnten. Acht Abteilungen führte Otto in die Schlacht. Drei bayerische, zwei schwäbische, eine fränkische, die Reste der Böhmen sowie eine starke Gruppe, die unter dem persönlichen Kommando des Königs stand. Das reguläre sächsische Kontingent nahm jedoch nicht an der Schlacht teil, weil es an der Ostgrenze in Kämpfe mit den Slawen verwickelt war. Wie stark auch immer eine dieser Legionen gewesen sein mag, ob nun 300 oder 1000 Mann, Ottos Heer dürfte kaum mehr als 8000 bis 10 000 Streiter gezählt haben. Über die Zahl der Ungarn sprechen beide Quellen nur in reichlich dramatisierenden Umschreibungen. Der König glaubte nicht, so der Chronist Gerhard von Augsburg, dass das gewaltige Heer
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Die Ungarnschlacht bei Augsburg. Gemälde, 1860, von Michael Echter, München, Stiftung Maximilianeum. Widukind von Corvey beschreibt die Szene in seiner Sachsengeschichte: „Und nachdem er [der König] so geredet hatte, ergriff er den Schild und die Heilige Lanze und wandte zuerst selbst sein Pferd gegen die Feinde, zugleich die Aufgabe des tapfersten Kriegers und des besten Feldherrn erfüllend.“
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„Es sei denn, der allmächtige Gott wolle sie töten.“
kischen Reiches einen entscheidenden Schlag zufügen wollen, doch nun waren sie selbst fast vernichtet worden. Mit der Niederlage des Jahres 955 endeten ihre Streifzüge abrupt. Die Ungarn wurden an der mittleren Donau sesshaft und nahmen bald den katholischen Glauben an. Für das Jahr 1001 ist die Taufe eines gewissen Vajk überliefert, ein Nachkomme des legendären Arpad, der danach als König Stefan I. über die Ungarn herrschte. Für Otto brachte der vollständige Sieg über die Ungarn einen gewaltigen Prestigegewinn. Sieben Jahre nach der Schlacht zog der ostfränkische König zum zweiten Mal mit seinem Heer über die Alpen und ließ sich in Rom von Papst Johannes XII. zum Nachfolger Karls des Großen krönen. Aus den ostfränkischen Stämmen, die bereits eine gemeinsame, nicht romanische Sprache, das sogenannte teodiscus, sprachen, entstand in den folgenden Jahrzehnten, nicht zuletzt begünstigt durch den gemeinsamen Sieg über die Ungarn, die Nation der Deutschen.
der Nachfolgestaaten. Die Einfälle der Normannen und Ungarn zwangen jedoch die Nachfolger Karls des Großen, im Heerwesen einige bedeutende Änderungen vorzunehmen. Die lokale Verteidigung musste gestärkt werden. Durch seine Burgenordnung aus dem Jahre 926 sorgte König Heinrich I. (919 – 936) dafür, dass in den bedrohten Gebieten seines Reiches ein System von Fliehburgen errichtet wurde, die der umliegenden Bevölkerung bei Gefahr Schutz boten und von einem festen Stamm von Verteidigern (urbani) besetzt waren. Aus dem übrigen Heer bildete er eine bewegliche Reitertruppe, die von den Aufgaben einer lokalen Verteidigung weitgehend entbunden, dem König eine offensive Kriegsführung gegen Slawen und Ungarn ermöglichte. Erstmals setzte Heinrich I. im Jahre 933 schwer bewaffnete Reiter (armati oder loricati) in der Schlacht an der Riade gegen die Ungarn ein. Die zweite bedeutende Änderung im Heerwesen des ostfränkischen Reiches war die genaue Festlegung der Kontingente, die jeder Lehnsherr bei Bedarf zu stellen hatte. Ein Verzeichnis aus dem Jahre 981, der Indiculus Loricatorum (Anzeiger der Panzerreiter), bestimmte, welche Vasallen dem Kaiser Otto II. Truppen zur Verstärkung nach Italien zu schicken hatten. Die Zahl der Kontingente war genau festgelegt und änderte sich auch in den folgenden Jahrzehnten nicht. Ein Grundbesitz von 120 Hektar verpflichtete den Grundherrn zur Stellung eines Panzerreiters. Eine Grafschaft oder eine Abtei hatten 40 bis 60 Reiter zu stellen, und für den Bischof von Augsburg waren 100 Reiter das Soll. Die Ausrüstung eines schwer bewaffneten Reiters stellte den Gegenwert von 18 Rindern dar. Das Panzerhemd war ein langes Lederwams, das mit geschmiedeten Eisenplättchen verstärkt wurde. Es scheint einen gewissen Schutz gegen Pfeilgeschosse geboten zu haben. Von Herzog Konrad berichtete Widukind von Corvey, er sei in der Ungarnschlacht genau in dem Moment von einem Pfeil in den Hals getötet worden, als er die Bänder seines Panzers zum leichteren Luftschöpfen gelöst hatte. Das Verzeichnis der Loricatorum zeigt die Flexibilität des ostfränkischen Heerwesens. Nur in
Hintergrund
Das Heerwesen des ostfränkischen Reiches Das ostfränkische Reich ging aus dem Reich Karls des Großen hervor. Ebenso entwickelte sich das ostfränkische Heerwesen aus dem Heer des ersten fränkischen Kaisers. Das fränkische Reich wie auch seine Nachfolgestaaten waren als Lehnsordnung organisiert. Als oberster Lehnsherr setzte der König in seinen Reichsteilen Herzöge (duces) ein. Diese wiederum ernannten für ihr Gebiet weitere Lehnsherren, Grafen (comites) und Äbte (abbati). Die Lehnsherren besaßen in ihrem Lehen (feudum) die oberste politische und militärische Gewalt. Bei Bedarf waren sie ihrem eigenen Lehnsherrn oder dem König zur Heerfolge verpflichtet. Ausrüstung, Verpflegung und Besoldung seiner Truppen hatte der Lehnsherr selbst aus den Erträgen seines Lehens zu tragen. Die wirtschaftliche Grundlage des Heeres war somit der Besitz von Boden. Auch nach dem Aussterben der Karolinger und der Aufteilung des fränkischen Reiches blieb die Lehnsordnung weiterhin die politische Grundlage
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Lechfeld 955
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seltenen Fällen wurde das gesamte Aufgebot des Reiches, das vermutlich rund 15 000 Panzerreiter umfasste,4 mobilisiert. Nicht einmal auf dem Lechfeld kämpfte Otto mit seiner gesamten Heeresmacht. Die Lothringer und ein großer Teil der Sachsen nahmen an der entscheidenden Schlacht gegen die Ungarn nicht teil. Auch nach Italien zog Kaiser Otto II. später nicht mit voller Heeresstärke, wie seine Anforderung von Verstärkung aus dem Reich belegt. Ein selbstständig agierendes Heer wurde unabhängig von seiner Größe als exercitus bezeichnet, seine Unterabteilungen als Legionen. Auch deren Stärke schwankte nach Bedarf und Verfügbarkeit. In der Schlacht auf dem Lechfeld soll die sogenannten Legion der Böhmen nach Widukind von Corvey 1000 Mann stark gewesen sein. Ottos Legion war sogar noch stärker, obwohl ihm die meisten seiner Sachsen fehlten. Die Stärke der anderen Legionen, insbesondere der drei bayerischen, dürfte dagegen deutlich unter 1000 Reitern gelegen haben. Die Armee des ostfränkischen Reiches war eine der stärksten und schlagkräftigsten ihrer Zeit, auch wenn das Urteil eines der bekanntesten zeitgenössischen Militärexperten, des oströmischen Kaisers und Heerführers Nikephoros Phokas (963 – 976), über die ostfränkischen Soldaten denkbar ungünstig ausfiel. Zu Bischof Liutprand von Cremona, den Otto als Gesandten nach Kon-
stantinopel geschickt hatte, soll der Kaiser gesagt haben: „Die Krieger deines Herrn verstehen weder zu reiten noch zu Fuß zu kämpfen. Die Größe ihrer Schilde, die Schwere ihrer Panzer, die Länge ihrer Schwerter und die Last ihrer Helme erlauben ihnen weder auf die eine noch auf die andere Art zu fechten, auch ihre Gefräßigkeit hindert sie, für die der Bauch ihr Gott, der Rausch ihr Mut und Trunkenheit Tapferkeit ist, die mit leerem Magen schwach und nüchtern voll Angst sind.“ 5
Immerhin erkämpften die so geschmähten Truppen, die sich angeblich kaum bewegen konnten, die sich nur die Bäuche vollschlugen und keine Strapazen ertragen konnten, in nur fünf Dekaden ein Reich, das von Dänemark bis nach Apulien reichte und von der Maas bis an die Oder und das einen Vergleich mit dem oströmischen Imperium nicht zu scheuen brauchte. In 50 Jahren hatten sich diese Soldaten gegen Ungarn, Slawen, Westfranken und Langobarden durchgesetzt. Im Zeitraum von 919 – 1056 kämpften sie in 148 Kriegen und schlugen über 70 Schlachten. Dazu kommen 88 Feldzüge anlässlich innerer Konflikte und 118 Belagerungen, davon 90 erfolgreich. Im Durchschnitt fanden jedes Jahr zwei Feldzüge statt. Nur in 12 der 137 Jahre herrschte Frieden.6
Gefechtsszene ungarischer Reiterscharen zur Zeit Heinrichs I. Buchmalerei aus einer Handschrift des Klosters St. Gallen, um 912. Bibliotheek van de Rijksuniversiteit, Leiden.
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5 Der verratene Kaiser
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Der „tapfere Löwe“, Sultan Alp Arslan, Statue in Malazgirt, Türkei. Er brachte dem oströmischen Kaiser Romanos IV. Diogenes 1071 eine empfindliche Niederlage bei.
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rige sich nach ihrem sagenhaften Anführer Seldschuken nannten und die zuvor, wie viele andere türkische Gruppen, seit Jahrhunderten über die Steppen um das Kaspische Meer gestreift waren, hatten inzwischen ihre Begehrlichkeit auf die griechischen Städte Anatoliens gerichtet. Die Türken1 und die ihnen verwandten Stämme waren seit jeher hervorragende berittene Bogenschützen und dienten als Söldner dem Kaiser in Konstantinopel ebenso wie dem Kalifen in Bagdad. Doch die Seldschuken begannen nun, auf eigene Rechnung zu kämpfen.
Die byzantinische Renaissance um das Jahr 1000
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m Jahre 330 gründete der römische Kaiser Konstantin I. (reg. 306 – 337) am Bosporus an der Stelle der alten griechischen Siedlung Byzanz eine neue Kaiserstadt, die seinen Namen erhielt: Konstantinopolis. Nach der Teilung des Reiches im Jahre 395 wurde sie endgültig die Hauptstadt des oströmischen Reiches. Während das weströmische Reich an inneren Wirren, den Germaneneinfällen und schrumpfenden Steuereinnahmen infolge von Gebietsverlusten vor allem in Nordafrika zugrunde ging, bestand die östliche Reichshälfte noch gut 1000 Jahre weiter. Im oströmischen Reich übernahmen die Griechen, die schon seit der Zeit des Makedonenkönigs Alexander (336 – 323 v. Chr.) den Orient dominiert hatten, bald eine führende Rolle. Griechisch wurde Amtssprache und verdrängte das zum Teil noch gesprochene Latein. Das östliche Christentum entwickelte sich zu einer eigenständigen Religion, und das Hofleben nahm orientalische Züge an. Trotz dieser erheblichen Veränderungen fühlten sich die byzantinischen Kaiser und der Adel weiterhin als Römer und Nachfolger des römischen Imperiums und nannten sich selbst Romaier. Unter der makedonischen Dynastie (ca. 843 – 1028) erlebte das oströmisch-byzantinische Reich eine Renaissance. Im Osten eroberten die Byzantiner große Teile des an den Islam verlorenen Kleinasiens, Armeniens und Palästinas zurück. Auf dem Balkan vernichtete Kaiser Basileios II. das Bulgarenreich (1014) und stellte die alte Donaugrenze wieder her. Nach seinem Tod im Jahre 1025 verfiel das byzantinische Heerwesen jedoch zusehends. Die zivile Bürokratie in der Hauptstadt misstraute den Generälen und suchte deren Macht zu beschränken, indem sie die Armee vernachlässigte. Die Nachfolger von Kaiser Basileios II. mussten vermehrt auf Söldner zurückgreifen, die unzuverlässig waren und den Staat viel Geld kosteten. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts erschien ein neuer, gefährlicher Feind an der Ostgrenze des Reiches. Ein türkischer Stamm, dessen Angehö-
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Ein neuer Gegner für Byzanz
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Zwischen 1040 und 1055 eroberten die Nachfolger des sagenhaften Seldschuk ganz Persien und Mesopotamien und bekehrten sich mit ihrem Stamm zum Islam. Ihr Anführer Toghrul Beg nannte sich seither Sultan und nahm seine Residenz in Bagdad, der alten Hauptstadt der abbasidischen Kalifen. Es war ihm nur recht, dass seine Vasallen, die ihm bei seinen Eroberungen geholfen hatten, sich nun nach Westen orientierten, nach Armenien und weiter ins byzantinische Anatolien, wo es gute Weiden und reichere Beute gab, statt die soeben in Besitz genommenen Gebieten zu plündern. Die Schwäche der byzantinischen Armee verleitete die türkischen Streifscharen zu immer kühneren Überfällen auf die anatolischen und armenischen Provinzen des Reiches. Erstmals im Jahre 1047 hatte Kaiser Konstantin IX. (reg. 1042 – 1055) Truppen von den Grenzen im Osten abziehen müssen, um die Rebellion eines ehrgeizigen Generals auf dem Balkan niederzuschlagen. Schon ein Jahr später konnte eine größere türkische Truppe die östlichsten byzantinischen Provinzen Vaspuracan und Iberia fast ungehindert plündern und die bedeutende Stadt Artze, zwischen dem heutigen Erzurum und der Küstenstadt Trabzon gelegen, erobern. Diese Einfälle wiederholten sich in den folgenden zehn Jahren. Im Jahre 1056 behauptete sich eine ungefähr 3000 Mann starke türkische Gruppe längere Zeit im nördlichen Anatolien. Rebellierende westeu-
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Nikomedeia Kibotos Nikaia Ankyra Dorylaion
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Das Byzantinische Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Fast ein ganzes Jahrtausend war das oströmische Reich die Brücke zwischen Orient und Okzident. Auf dem Höhepunkt seiner Macht beherrschte es den Balkan bis zur Donau und Anatolien bis zum Euphrat. Das Ende der byzantinischen Hegemonie zeichnete sich ab, als um die Mitte des 11. Jahrhunderts ein türkischer Stamm, dessen Angehörige Seldschuken genannt wurden, an der Ostgrenze des Reiches erschien.
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ropäische Söldner hatten mit ihnen gemeinsame Sache gemacht und tatkräftig bei der Plünderung der ihrem Schutz anvertrauten Gebiete mitgewirkt. Als ob ihn die anhaltenden Grenzverletzungen in seinem Befehlsbereich nichts angingen, erhob sich im Jahre 1057 der griechische Befehlshaber in Anatolien, General (Domesticos ton Anatolicon) Isaac Comnenos, gegen den Kaiser in Konstantinopel und zog mit seiner Armee zum Bosporus, um den Thron zu usurpieren. Für die Ostgrenze des Reiches war dies eine Katastrophe. Die dort dringend benötigten Truppen wurden in der verlustreichen Schlacht bei Nikaia, in der General Comnenus seine Widersacher bezwang, in verheerender Weise dezimiert. Schon bald mussten viele Städte des byzantinischen Ostens den Griff des Generals nach der Kaiserkrone mit ihrer Zerstörung bezahlen. Noch im selben Jahr gelang es einer seldschukischen Gruppe, bis nach Melitine vorzudringen, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, und die wohlhabende Stadt zu plündern. Zwei Jahre später verwüsteten türkische Streifscharen das unverteidigte Sebasteia. Die Eindringlinge blieben jedoch nie lange an einem Ort und wichen stärkerem Widerstand geschickt aus. An eine dauernde Eroberung byzantinischen Territoriums dachten sie noch nicht. Die Mehrzahl der türkischen Banden handelte auf eigene Faust und oft nicht einmal im Einverständnis mit dem Sultan. Nach einer nur kurzen Regierungszeit des Kaisers Isaac Comnenos – er starb schon im Jahre 1059 – setzten die Bürokraten der kaiserlichen Zentralverwaltung in Konstantinopel, unbeeindruckt von den deprimierenden Rückschlägen im weit entlegenen Ostanatolien, ihre alte Politik der Vernachlässigung des Heeres fort. Eine kaum wiedergutzumachende Schwächung der gesamten byzantinischen Armee war die Folge. Während der Regierungszeit Kaiser Konstantins X. Dukas (reg. 1059 – 1067) wurde die Versorgung der Armee mit Verpflegung, Sold und personellem Ersatz gekürzt, und das wenige, was noch blieb, wurde nur unregelmäßig zugeteilt. Landzuweisungen an verdiente Soldaten wurden immer seltener. Beförderungen unterblieben. Viele Offi-
ziere der Armee wechselten in die lukrativere zivile Verwaltung. Die Truppe war ohne Disziplin, unzuverlässig und bestand aus den unterschiedlichsten ethnischen Gruppen: Russen, Petschenegen, Uzen und selbst Türken, auch Söldner aus Westeuropa, die von den Byzantinern unterschiedslos als „Franken“ bezeichnet wurden. Der Geschichtsschreiber Johannes Skylitzes schildert ungeschminkt den elenden Zustand der byzantinischen Armee am Ende der Regierungszeit Kaiser Konstantins X.: „Die so berühmten römischen Regimenter, die Ost und West unter ihre Gewalt gebracht hatten, bestanden nun gerade noch aus einer Handvoll Männer, die von Armut und Krankheit gezeichnet und nicht einmal mehr vollständig bewaffnet waren. Statt Schwertern und anderen Waffen trugen sie wie in biblischen Zeiten Piken und Sicheln. Und dies nicht etwa zu Friedenszeiten. Weil es so lange her war, dass ein Kaiser hier [d.h. in Anatolien] gekämpft hatte, fehlte es ihnen an Streitrossen und aller anderen Ausrüstung. Und da sie als schwach und feige und als nicht ernsthaft zu gebrauchen galten, hatten sie auch keine Unterhaltsgelder erhalten, nicht einmal ihren üblichen Zuschuss, um Getreide zu kaufen. Selbst ihre Standarten klangen dumpf; sie waren schmutzig und wie von Rauch geschwärzt. Nur wenige machten sich etwas daraus. All dies erweckte eine große Trauer bei denen, die sie erblickten, wenn sie an den Stand dachten, auf dem sich die römische Armee einst befunden hatte.“ 2
Ein General wird Kaiser Im Januar 1068 wurde der General Romanos IV. Diogenes neuer Kaiser des Reiches. Romanos hatte sich im Kampf gegen die gefährlichen Petschenegen im Donauraum bewährt. Eudokia, die Witwe des verstorbenen Kaisers Konstantin X., hatte den erfolgreichen General zu ihrem Gatten und zum Kaiser bestimmt, entgegen dem Eid, den sie ihrem Gatten vor dessen Tod hatte leisten müssen, nie wieder zu heiraten, um die Thronfolge ihres noch
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Kaiser Romanos IV. Diogenes und seine Gemahlin Eudokia. Romanos hatte als Befehlshaber von Sofia erfolgreich gegen die Petschenegen gekämpft. Wegen einer Rebellion gegen Kaiser Konstantin machte man ihm in der Hauptstadt den Prozess und verurteilte ihn zunächst zum Tode. Später wurde er zum Exil begnadigt. Aber noch ehe er seine Güter in Kappadokien erreicht hatte, wurde er nach Konstantinopel zurückgerufen, wo ihn die Kaiserinwitwe Eudokia zu ihrem Gatten und zum Kaiser machte.
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unmündigen Sohnes Michael nicht zu gefährden. Die erbitterte Feindschaft der Verwandten des verstorbenen Kaisers, der Familie Dukas, war dem neuen Herrscher in Konstantinopel somit sicher und sollte schließlich zu seinem Untergang beitragen. Aber das bedrohte Reich brauchte kein unmündiges Kind in den Händen verantwortungsloser Höflinge, sondern einen erfahrenen General, der endlich die viel zu lange vernachlässigten Aufgaben tatkräftig anging.
meisten von ihnen benutzen sogar zwei dieser Waffen. Gewöhnlich tragen sie den Speer geschultert und den Bogen in der Hand und benutzen beide je nach Lage. Wenn sie verfolgt werden, ist ihnen der Bogen allerdings von größerem Nutzen. Die Pferde ihrer Späher haben sie vorn teilweise mit kleinen Eisenplatten geschützt. Mit größtem Eifer üben sie den Gebrauch ihrer Bogen zu Pferde. Ständig treiben sie auf ihren Zügen eine unbestimmte Menge von Pferden und Vieh mit sich, teils um sich von deren Milch zu ernähren, aber auch, um den Anschein einer großen Menge zu erwecken. Anders als die Römer 4 leben sie nicht in Garnisonen, sondern sind in Friedenszeiten in zahllose Stämme und Clans verstreut. Ihre Pferde treiben sie im Sommer wie im Winter auf die Weide. Sobald die Zeit zum Krieg gekommen ist, sammeln sie die notwendige Menge von Pferden auf den Ebenen in der Nähe ihrer Wohnsitze und beginnen sich gegen Abend für den Kampf zu rüsten. Sie stellen ihre Reiter massiert und mit einiger Distanz zum Gegner auf, um nicht durch einen plötzlichen Angriff in Bedrängnis zu geraten. Sie ordnen sich auch nicht nach Art der Römer in drei Treffen, sondern verteilen sich auf verschieden starke Haufen, allerdings mit so geringen Abständen zueinander, dass sie wie eine einzige Schlachtlinie wirken. Darüber hinaus stellen sie immer eine starke Abteilung ab, die sie entweder für Hinterhalte gegen allzu unvorsichtige Feinde einsetzen, oder aber zur Unterstützung bedrängter eigener Teile. Ihren Tross lassen sie gewöhnlich mit einer geringen Bewachung ein bis zwei Meilen zurück. Oft binden sie ihre überzähligen Pferde hinter ihrer Schlachtlinie zusammen, teils zu ihrer Bewachung, aber auch, um ihre Schlachtlinie tiefer erscheinen zu lassen. In dieser Absicht lockern sie auch gern ihre hinteren Reihen auf, lassen aber die vorderste Linie gleichmäßig und fest gefügt. Die Türken bevorzugen den Kampf aus der Distanz oder aus Hinterhalten. Sie sind stets darauf aus, ihre Feinde zu umgehen. Vor hartnäckigem Widerstand weichen sie gewöhnlich
Hintergrund
Die Kampfweise der Türken Aus der sogenannten Taktika 3 des oströmischen Kaisers Leo IV. (Übersetzung K.-J. Bremm): „Die Türken sind eine volkreiche und freiheitsliebende Nation. Ihr Interesse gilt ausschließlich kriegerischen Tätigkeiten. Aufwand und Pracht, wonach die meisten anderen Menschen streben, verachten sie. Als ob sie alle einer Herrschaft unterstünden, nehmen sie es hin, dass ihre Anführer gegen Verbrecher harte und grausame Strafen verhängen. Denn nicht eine gute Gesinnung, sondern allein ihre Furcht hält sie von Übeltaten ab. Mühen und Strapazen sind sie von Geburt an gewohnt. Leicht ertragen sie Hitze oder Kälte, und Entbehrungen nehmen sie mit Gleichmut auf sich. Das Volk der Türken ist voller Tatendrang, dabei aber verschlagen, treulos, ungesellig und von Habgier beherrscht. Sie missachten jeden Eid, und weder mit Verträgen noch durch Geschenke sind sie zu verpflichten. Denn noch ehe sie überhaupt irgendwelche Gaben erhalten haben, sinnen sie schon hinterlistig auf Verrat. Mit besonderem Gespür ahnen sie den passenden Augenblick für ihre kriegerischen Unternehmungen. Dann beeilen sie sich, gerade mit so vielen Männern ihre Feinde anzugreifen, wie es mit der ständigen Knappheit ihrer Vorräte und ihrer Kampfweise, die auf List und Täuschung beruht, vereinbar ist. Als Bewaffnung haben sie Schwerter, Speere und Bogen. Dazu tragen sie Lederhauben. Die
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Grunde nur eine aus vielen Stämmen zusammengewürfelte Horde, ohne großes gegenseitiges Kennen und Verstehen. Man muss also diejenigen, die überlaufen wollen, ohne Zögern freundlich aufnehmen, weil sich dann eine Menge von ihnen anschließen wird. Darum aber machen sie es auch all jenen, die fliehen wollen, besonders schwer. Wenn man gegen die Türken eine Schlacht wagen will, muss man zusehen, dass möglichst viele Reiter zur Verfügung stehen, die in geringen Abständen voneinander aufgestellt sein sollten. Überhaupt muss man in diesem Fall mit allen Unwägbarkeiten des Schicksals rechnen, und falls man tatsächlich eine Niederlage gegen sie erleidet, ist es wichtig, dass man zuvor einen befestigten Ort ausgewählt hat, der mit Truppen, Vorräten und vor allem mit Trinkwasser versehen ist, sodass man einige Tage darin ausharren kann. Wenn die Infanterie den ersten Angriff führt, wie es in unserem Heer üblich ist, muss man die Kavallerie hinter ihr als Reserve aufstellen. Hat man dagegen nur Reiterei zur Verfügung, muss man sie so aufstellen, wie es schon ausgeführt wurde. Die Mehrzahl der Reiter, vor allem die Tapfersten, werden auf den Flügeln postiert. Dahinter müssen ebenfalls genügend von den schon erwähnten Reitern als sogenannte Defensoren bereitgehalten werden, gleichsam als Rächer. Bei der Verfolgung der Feinde dürfen die Angriffstruppen (Kursores) sich nicht weiter als drei oder vier Bogenschussweiten von der Linie der Defensoren entfernen. Unter allen Umständen muss man darauf achten, ein offenes und ebenes Gelände für die eigene Schlachtordnung auszuwählen, um alle seine Truppen in richtiger Ordnung aufstellen zu können. Dagegen sind Wälder, Sümpfe oder anderes bewachsenes Gelände wegen der Vorliebe der Türken für Hinterhalte zu meiden. Es ist von Vorteil, einen schwer passierbaren Fluss, Sumpf oder See zum Schutz im Rücken zu haben. Hat der Kampf einen günstigen Ausgang, soll man die Feinde nicht zu heftig, aber auch nicht zu nachlässig verfolgen. Denn die Türken geben
aus, lösen dabei ihre Formationen auf, um dann aus irgendeiner anderen Richtung überraschend wieder anzugreifen. Bei der Verfolgung ihrer Feinde ist ihnen alles andere nebensächlich. Rücksichtslos stellen sie den Fliehenden nach und haben keinen anderen Gedanken als die Jagd. Im Gegensatz zu den Römern oder anderen Völkern begnügen sie sich nicht damit, ihre Feinde so lange zu verfolgen, bis sie alle ihre mitgeführten Schätze erbeutet haben, sondern sie setzen ihnen so hart nach, bis sie auf jede nur erdenkliche Art zugrunde gerichtet sind. Falls sich einige ihrer Feinde in einen befestigten Ort retten können, schätzen sie ab, wie viele Menschen und Pferde darin sein könnten, und dann harren sie so lange davor aus, bis der Mangel an Vorräten die Belagerten zwingt, sich zu ergeben und ihnen die ganze Beute zu überlassen. Dabei stellen sie ihren Feinden zunächst günstigere Bedingungen in Aussicht, um sie später umso härter zu bedrücken [...]. Da die Türken stets eine große Menge Vieh mit sich führen, ist der Mangel an Weideplätzen für sie das größte Problem im Krieg. Am meisten Schaden kann man ihnen jedoch zufügen, wenn man sie in der Schlacht im richtigen Moment mit starker Infanterie angreift. Denn da jeder von ihnen beritten ist, sind sie den Kampf zu Fuß nicht gewohnt. Seit ihrer Jugend kämpfen sie zu Pferde und können darum der Infanterie nicht standhalten. Lässt man sich auf einer ausgedehnten Ebene mit ihnen zum Kampf ein, muss man starke Kavallerie gegen sie einsetzen, auch, um sie anschließend energisch verfolgen zu können. Vor allem muss man sie ständig in Nahkämpfe verwickeln. Auch durch überraschende nächtliche Vorstöße, wenn sie ohne Risiko durchgeführt werden können, setzt man ihnen hart zu. Dabei sollte eine Abteilung offen zum Kampf aufgestellt sein, die andere dagegen muss versteckt in Reserve gehalten werden. Am heftigsten kränkt es sie, wenn einer von ihnen zu den Römern überläuft. Denn sie kennen ihr schwankendes Gemüt ebenso wie ihre Habgier nur zu genau. Schließlich sind sie im
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bescheidenen Resultate seines ersten Feldzugs. Immerhin kam im Herbst ein Waffenstillstand mit dem Sultan zustande. Auch der Feldzug des nächsten Jahres stand unter keinem glücklichen Stern. Nach einem bescheidenen Sieg über ein türkisches Streifkorps in Zentralanatolien beauftragte Romanos einen armenischen General mit dem Schutz der Euphratlinie. Dann zog er mit dem übrigen Heer nach Norden, um die von den Türken eroberte Festung Khiliat am Vansee einzunehmen. Aber die Besatzungen, die Romanos am Euphrat zurückgelassen hatte, flohen schon beim ersten Anblick des Feindes. Romanos musste umkehren und seine zerstreute Armee wieder sammeln. Inzwischen plünderten und zerstörten die Türken Iconion, eine der größten Städte Anatoliens. Romanos versuchte, den Türken den Rückweg zu verlegen und ließ die wichtigsten Pässe in Kilikien sperren. Sein gut durchdachter Plan scheiterte wieder einmal an der Unzuverlässigkeit seiner Kommandeure. Die Türken konnten im Schutz der Nacht entkommen, wobei sie allerdings ihre Beute zurücklassen mussten. Entmutigt von der offenkundigen Unzulänglichkeit seiner Armee, zog sich der Kaiser schon im Herbst nach Konstantinopel zurück. Das folgende Jahr (1070) musste Romanos in der Hauptstadt verbringen. Innenpolitische Auseinandersetzungen mit der Familie der Dukas nahmen ihn zu sehr in Anspruch. Die schon bald über Anatolien hereinbrechenden neuen Katastrophen ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass der Waffenstillstand der Byzantiner mit dem Sultan wertlos und ein neuer Feldzug gegen die Türken unvermeidbar war. Trotz der erneut eskalierenden Feindseligkeiten sah Sultan Alp Arslan in den Byzantinern nicht
sich nicht, wie manch andere Völker, schon nach der ersten Niederlage geschlagen, sondern sie attackieren ihre Feinde, wo sie nur können, bis die anfängliche Schmach wieder wettgemacht ist. Wenn eine Schlachtlinie, die größtenteils aus Fußtruppen besteht, in Unordnung geraten ist, muss man unter diesen Umständen auch an den Schutz der Lasttiere denken. Denn falls die Reiterei nicht zusammenbleibt, muss man dem schon bedrohlich nahen Feind den Nachschub überlassen. Dies also sind die Kriegsgewohnheiten der Türken.“
Erosion des byzantinischen Anatoliens Während der Regierung Kaiser Konstantins X. hatten die Einfälle der Seldschuken in die östlichen Provinzen des Reiches stark zugenommen. Im Jahre 1064 war der neue Sultan Alp Arslan, ein Neffe Toghrul Begs, mit einer eigenen Armee auf byzantinischem Gebiet erschienen und hatte die Stadt Ani im nordöstlichen Armenien erobert. Nur drei Jahre später fiel Caesarea, die bedeutendste Stadt Anatoliens, den Türken zum Opfer. Dem neuen Herrscher blieb nicht viel Zeit, um sich der türkischen Bedrohung zu stellen. Kaum drei Monate nach seiner Krönung im Januar 1068 führte Kaiser Romanos zum ersten Mal eine Armee in den Osten. Er versuchte, einige größere Streifkorps im östlichen Anatolien zu stellen. Als dies misslang, begnügte er sich damit, die Ostgrenze durch Garnisonen zu sichern, und zog weiter nach Nordsyrien, um die im Jahr zuvor an die Türken verlorene Stadt Hierapolis zurückzuerobern. Die Einnahme der Stadt und einige kleinere Siege gegen die Türken in ihrem Umkreis waren die
Byzantinischer Soldat. Die Wandmalerei aus dem 10. Jahrhundert zeigt einen byzantinischen Soldaten mit der auch später verwendeten Ausrüstung, die noch sehr der eines altrömischen Legionärs ähnelte. Anders als die vollgepanzerten westeuropäischen Ritter trug der byzantinische Soldat nur einen bis zur Taille reichenden Brustpanzer, einen Metallhelm ohne Gesichtsschutz und Lederstiefel. Waffentechnisch war er somit den Normannen in Süditalien und den späteren Kreuzfahrern weit unterlegen.
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seine Hauptfeinde. Die Abtretung einiger armenischer und syrischer Grenzgebiete hätte ihn durchaus zufriedenstellen können. Seine tatsächlichen Feinde waren die Fatimiden in Ägypten, die sich trotz ihres schiitischen Glaubensbekenntnisses als „wahre Nachfolger des Propheten“ (Kalifen) betrachteten und überdies die Herrschaft über Palästina und Syrien beanspruchten. Der Waffenstillstand mit Byzanz schien Alp Arslan nun endlich Gelegenheit zu geben, einen schon lange geplanten Feldzug gegen sie zu führen. Noch im Sommer des Jahres 1070 rief er seine Vasallen zum Kriegszug zusammen. Nicht alle Stämme gehorchten jedoch seinem Befehl. Ein Bandenführer namens Arisiaghi flüchtete mit seinen Leuten vor dem Sultan auf byzantinisches Gebiet. Das Plündern kaum verteidigter byzantinischer Städte schien ihm mehr zu behagen als ein Kriegszug gegen die ägyptischen Fatimiden. Auf ihrem Weg ins Landesinnere trafen die abtrünnigen Vasallen des Sultans nördlich der Stadt Sebasteia auf die Armee des Generals Manuel Comnenos. Arisiaghi bat den General um Aufnahme ins Reichsgebiet. Da seine Leute jedoch seit Überschreiten der Grenze keine Gelegenheit zum Plündern ausgelassen hatten, misstraute der General dem Angebot des Türken. Er beschloss, die Eindringlinge anzugreifen, erlitt aber eine schwere Niederlage. Die meisten seiner Truppen gerieten in einen Hinterhalt, als sie sich auf eine allzu hitzige Verfolgung der nur zum Schein fliehenden Türken einließen, und wurden aufgerieben. Der Rest der Armee rettete sich in die nahe gelegene Stadt Sebasteia. Der General selbst geriet in Gefangenschaft. Arisiaghi begriff jedoch schnell, dass ihm sein Sieg keinen Vorteil gebracht hatte. Er konnte sich nicht wie die anderen türkischen Streifkorps über die Grenze nach Aserbaidschan in den Einflussbereich des Sultans zurückziehen, gegen den er eben noch rebelliert hatte. Da er sich mit den Byzantinern irgendwie einigen musste, ging Arisiaghi auf das Angebot des gefangenen Generals ein, der ihm für seine Freilassung den Schutz des Kaisers in Aussicht gestellt hatte. Damit schien zunächst die Ruhe wiederhergestellt zu sein.
Als kurz darauf Afsin, ein Vertrauter des Sultans, mit seinen Truppen auf byzantinischem Gebiet erschien und im Namen Alp Arslans unter unverhohlenen Drohungen die Herausgabe des Rebellen Arisiaghi forderte, ließ Kaiser Romanos den Türken durch einen Boten wissen, dass es gegen seine Ehre sei, einen Mann, der sich unter seinen Schutz gestellt habe, auszuliefern. Hinzu kam, dass Romanos als römischer Kaiser sich unmöglich den Drohungen eines in seinen Augen barbarischen Nomadenhäuptlings beugen konnte. Romanos war jedoch zunächst nicht imstande, seinen beherzten Worten auch entsprechende Taten folgen zu lassen. Machtlos musste er hinnehmen, dass Afsin sogleich in gewohnter Manier die schutzlosen anatolischen Gebiete zu verwüsten begann. Nicht einmal den Vorstoß einer türkischen Bande weit nach Westen ins griechische Siedlungsgebiet konnte die byzantinische Armee verhindern. Die Plünderung der Stadt Chonai am Mäander, kaum 100 Kilometer vom Ägäischen Meer entfernt, war ein tiefer Schock für die Bewohner der Hauptstadt. Anders als die schon oft heimgesuchten Städte Ostanatoliens, die größtenteils von Syrern und Armeniern bewohnten waren, hatten in Chonai fast nur Griechen gelebt. Alle Einwohner, die in den Katakomben unter der Stadt Zuflucht gesucht hatten, waren von den Türken, die dazu den Fluss umgeleitet hatten, ertränkt worden. In der Hauptstadt verbreitete sich eine tiefe Mutlosigkeit. Nicht nur die Feinde, sondern auch die Elemente schienen sich gegen das Reich und seine Bewohner gewendet zu haben. Die Zeit für einen neuen großen Feldzug gegen die Seldschuken schien gekommen. Im März 1071 setzte Romanos mit seiner Armee über den Bosporus. Sein Ziel waren die Festungen Mantzikert, das heutige Malazgirt, und Khiliat in Ostarmenien, die Sultan Alp Arslan erst im Vorjahr eingenommen hatte. Beide Festungen kontrollierten die Einfallswege ins nordöstliche Anatolien und mussten wieder in byzantinische Hand gelangen, ehe es Romanos wagen konnte, weiter nach Nordsyrien zu ziehen, wo er den Sultan endlich zur entscheidenden Schlacht zu stellen hoffte.
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sicheren Positionen abfangen und aufreiben. Doch mit ihrer Halbherzigkeit konnten sie Romanos nicht überzeugen. Der Kaiser war mit dieser Strategie bereits zweimal gescheitert. Er hatte seine gewaltige Armee nicht zusammengezogen, um einige türkische Streifkorps zu zerschlagen. Er wollte den Sultan angreifen und ihn zwingen, sich zur entscheidenden Schlacht zu stellen. Romanos befahl den Weitermarsch und ließ Verpflegung für zwei Monate an die Truppen verteilen, da die Armee von jetzt an durch wüstes, entvölkertes Gebiet nach Mantzikert, dem ersten Ziel des Feldzuges, marschieren musste. Alp Arslan belagerte gerade die nordsyrische Stadt Aleppo, die von den ägyptischen Fatimiden gehalten wurde, als er vom Anmarsch des kaiserlichen Heeres erfuhr. Von den bedrohlichen Meldungen aus Armenien überrascht, gab der Sultan sofort die Belagerung auf und zog mit seiner Armee nach Norden. Der Rückmarsch verlief jedoch so überstürzt, dass sich ein großer Teil seiner Armee unterwegs zerstreute. Das Überqueren des Euphrat kostete ihn auch noch die meisten seiner Reittiere. Bei seiner Ankunft im armenischen Grenzgebiet soll er nur noch 4000 Mann bei sich gehabt haben; 10 000 kurdische Reiter waren zunächst die einzige Verstärkung, die der Sultan mobilisieren konnte. Er selbst blieb im Grenzgebiet, schickte aber seinen Wesir mit dem Auftrag nach Aserbaidschan, dort neue Truppen auszuheben und schnellstens wieder zu ihm zu stoßen. Inzwischen hatte sich Romanos der Festung Mantzikert genähert und seine Armee aufgeteilt. Offenbar hatte er es eilig, weiter nach Syrien zu ziehen, wo er den Sultan mit seiner Armee vermutete. Darum schickte er seine besten Truppen, vor allem den größten Teil seiner Infanterie, unter dem Kommando des Generals Tarchaniotes nach Süden, um gleichzeitig auch Khliat am Nordufer des Vansees einzunehmen. In der Festung Mantzikert befand sich nur eine kleine türkische Besatzung, die sich sofort kampflos den Byzantinern ergab, weshalb sie unbehelligt mit ihrem Besitz abziehen durfte. Der Kaiser ließ nach dem leichten Erfolg ein Lager vor der Stadt aufbauen. Gleich
Ein Feldzug unter bedrohlichen Vorzeichen Zunächst marschierte das kaiserliche Heer über Doryläum zum Sangarius. Von Beginn an begleiteten ungewöhnliche Hemmnisse und unglückliche Vorfälle den Zug der Armee durch Anatolien. Den in der Mehrzahl abergläubischen Soldaten mussten sie jedoch als schlechte Vorzeichen erscheinen. Besonders ein großes Feuer, das die kaiserliche Unterkunft und viele Pferde, Wagen und Ausrüstungen vernichtete, schien ihnen nur ein Vorbote weiteren Unglücks zu sein. Eine Ungeschicklichkeit war es auch, dass der Kaiser, immerhin ein ehemaliger Soldat, sich mehr und mehr von seiner Truppe absonderte. Für mehrere Tage bezog er in einem neu errichteten Kastell am Halys Quartier, während das Heer bereits weitermarschierte. Der Geschichtsschreiber Michael Attaleiates, der als Militärrichter am Feldzug bis zur Schlacht von Mantzikert teilgenommen hatte, bemerkte beim Kaiser eine wachsende Gereiztheit und einen fatalen Hang zur Grausamkeit. Wegen des Diebstahls eines Esels befahl Romanos, dem Täter, einem einfachen Soldaten, die Nase abzuschneiden. Diese Verstümmelung war seit Jahrhunderten nicht mehr in der Armee vollstreckt worden und schockierte viele. Wenig Erfolg hatte Romanos bei der Aushebung neuer Truppen. Viele der Bewohner waren vor den herumstreifenden Türken in die Berge geflohen und hielten sich dort versteckt. Allen Widrigkeiten zum Trotz erreichte der Kaiser Anfang August 1071 die Stadt Sebasteia. Von dort schwenkte das Heer nach Norden, vorbei am Schlachtfeld des Vorjahres, auf dem die Gefallenen der geschlagenen Armee des Manuel Comnenos noch unbestattet lagen. Ein bedrückender Anblick für die Soldaten des Kaisers. Über Coloneia erreichte Romanos die Stadt Theodosopolis, das heutige Erzerum. Hier kam es zu einem heftigen Disput zwischen dem Kaiser und seinen höchsten Kommandeuren. Die Generäle Tarchaniotes und Bryennios stimmten für ein defensives Vorgehen und wollten die türkischen Streifkorps erst hinter der Grenze aus
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Das Byzantinische Reich (um 1050) Das Byzantinische Reich zur Zeit von Manuel I. Komnenos (um 1180)
Krim
Cherson
Pliska
Schwarzes Meer Sinope Dokeia März 1071
Konstantinopel
ROMANOS
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März 1071
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ALP ARSLAN
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Aphrodisias
Sommer 1071
Martyropolis Mosul
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Korinth
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Mantzikert
August 1071
Juni/Juli 1071
Rumseldschuken nach 1071
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Der Feldzug des Jahres 1071. Für seinen dritten Feldzug gegen die Türken hatte Kaiser Romanos die nach Zahlen stärkste byzantinische Arme aufgestellt, die je ein oströmischer Kaiser unter seinem Kommando hatte. Truppen aller Reichsteile und die Eliteregimenter der kaiserlichen Garde hatte er zusammengezogen. Romanos wollte zunächst die armenischen Festungen Mantzikert und Khliat am Vansee zum Schutz seiner Nordflanke zurückerobern, um dann weiter nach Nordsysrien in den Raum Aleppo und Hierapolis zu ziehen, wo er Sultan Alp Arslan zur entscheidenden Schlacht zu stellen hoffte.
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am nächsten Tag wollte er weiter nach Khliat marschieren, um sich wieder mit dem Rest seiner Armee zu vereinigen. Noch vor Einbruch der Nacht gerieten jedoch byzantinische Fouragetrupps in der Umgebung von Mantzikert in ein Gefecht mit türkischen Reitern. Die Byzantiner erkannten zunächst nicht, dass der Sultan schon mit seiner ganzen Armee in bedrohlicher Nähe war. Überzeugt, nur einen der üblichen türkischen Streiftrupps vor sich zu haben, befahl der Kaiser dem General Bryennios, mit einer schwachen Abteilung die Türken zu vertreiben. Als aber der General schon bald Verstärkung anforderte, schickte ihm Romanos nur höchst widerwillig den General Basilacius mit einer weiteren Abteilung zu Hilfe. Basilacius griff die Türken jedoch zu hastig an. Bei der Verfolgung der wieder einmal nur zum Schein fliehenden Feinde geriet er mit seinen Leuten in einen Hinterhalt und wurde gefangen genommen. Bryennios und seine Leute retteten sich, viele von türkischen Pfeilen verwundet, ins eigene Lager. Ihr Anblick war keine Ermutigung für das übrige Heer. In der folgenden Nacht kam niemand im Lager zur Ruhe. Plötzlich waren die Türken wieder zurück, umritten lärmend das Lager und schossen ihre Pfeile ab. Die Verwirrung unter den Byzantinern wuchs, als uzische Söldner, die außerhalb des Lagers auf der Suche nach Verpflegung gewesen waren, überstürzt ins Lager flohen und aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit mit den Türken überall Panik verbreiteten. Man glaubte, die Feinde würden schon im nächsten Augenblick das Lager stürmen. Als sich am nächsten Morgen die Lage beruhigt zu haben schien, lief eine Gruppe der Uzen zu den Türken über. Byzantinische Bogenschützen bezogen hastig vor dem Lager Stellung und vertrieben die türkischen Störtrupps, um den Rest der Uzen von einem Seitenwechsel abzuhalten. Inzwischen dürfte es Romanos klar geworden sein, dass er es mit der ganzen Armee des Sultans zu tun hatte. Er schickte Boten nach Khliat, mit dem Befehl an Tarchaniotes, auf schnellstem Weg zu ihm zu stoßen. In diesem Moment erschienen
überraschend Gesandte des Sultans, um dem Kaiser einen Waffenstillstand anzubieten. Vermutlich wusste Romanos inzwischen, dass General Tarchaniotes nicht mehr bei Khliat stand. Der General hatte sich beim überraschenden Anmarsch des Sultans mit seinen Truppen ins Landesinnere zurückgezogen. Die Gründe hierfür sind nicht klar. Es mag Verrat im Spiel gewesen sein oder einfach nur Feigheit und Inkompetenz. Jedenfalls hatte der Kaiser nun keine Zeit mehr zu verlieren. Die Schlacht gegen den Sultan musste sofort geschlagen werden. Noch war der Rest seiner Armee den Türken deutlich überlegen.
Ein schwarzer Tag für Kaiser und Reich Die Aussichten auf einen Sieg der Byzantiner waren trotz allem nicht schlecht. Auf keinen Fall aber durften die Truppen von der Flucht des Generals Tarchaniotes erfahren. Mit Sicherheit würde sich dann auch der Rest der kaiserlichen Armee auflösen. Das Angebot des Sultans zu einem Waffenstillstand lehnte Romanos entschieden ab. Alle bisherige Erfahrung hatte gezeigt, dass derartige Abkommen mit den Türken keinen großen Wert besaßen. Der Kaiser hatte jetzt endlich die Gelegenheit, den Sultan mit seiner ganzen Armee zu schlagen, anstatt wie bisher einzelnen türkischen Banden hinterherzujagen. Wozu also ein Waffenstillstand? Die Sache musste jetzt ausgefochten werden. Ob er noch einmal eine so große Armee aufstellen konnte, war höchst ungewiss. Die Kosten für die Rüstung waren immens gewesen. Die europäischen Provinzen des Reiches konnten nicht dauernd von Truppen entblößt werden. Ohne einen bedeutenden Erfolg gegen die Türken wollte und konnte Romanos nicht in die Hauptstadt zurückkehren. Zu groß war die Zahl seiner Gegner, die ihm einen Misserfolg nicht verziehen hätten. Am nächsten Tag musste die Schlacht geschlagen werden, die den jahrzehntelangen türkischen Einfällen endlich ein Ende setzen würde. Die türkischen Gesandten wurden daher mit überzogenen Forderungen zurückgeschickt. Der Sultan solle
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Die Nachhut bildete ein Korps junger Adliger unter dem Kommando des Andronicos Dukas. Diese Maßnahme war vermutlich Romanos größter Fehler. Andronicos war ein Neffe des letzten Kaisers Konstantin X. und verwandt mit dem rebellischen Cäsar Dukas, den Romanos im Vorjahr aus der Hauptstadt verbannt hatte. Den jungen Dukas hatte der Kaiser mitgenommen, um ihn während des Feldzuges unter seiner Kontrolle zu haben. Dass dieser erklärte Feind des Kaisers nun aber einen wichtigen Truppenteil befehligte, musste verhängnisvolle Folgen haben. In dem bevorstehenden Kampf würde die Nachhut eine entscheidende Rolle spielen. Jeder byzantinische Kommandeur wusste, wie wichtig es war, im Kampf gegen die Türken den Rücken seines Heeres zu schützen. Er hätte es in der Taktika des Kaisers Leo VI. nachlesen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist Romanos Entscheidung kaum nachvollziehbar. Vor dem in Schlachtordnung vorrückenden Heer der Byzantiner wichen die Reiter des Sultans erwartungsgemäß aus. Auf der großen Ebene, die unterhalb der Stadt Mantzikert in südwestlicher Richtung verlief und ein Rechteck von etwa fünf bis sechs Kilometern Breite und fast dreifacher Länge bildete, hatten sie keine Chance gegen die Byzantiner. Der Sultan hoffte deshalb, sie in das die Ebene im Südosten begrenzende Höhengelände zu locken, wo zahlreiche Schluchten und Einschnitte ihm die Möglichkeit gaben, den Verfolgern Hinterhalte zu legen. Romanos kannte die Absicht des Sultans nur zu gut. Wie alle erfahrenen byzantinischen Kommandeure war er mit der oft erlebten Taktik der Türken bestens vertraut. Sorge machte ihm jetzt auch, sich zu weit von seinem Lager zu entfernen und nicht mehr rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit umkehren zu können. Als das Heer fast den ganzen Nachmittag vorgerückt war und nichts erreicht hatte, als eine Anzahl türkischer Plänkler vor sich herzutreiben, gab der Kaiser das Zeichen zur Umkehr. Er ließ die kaiserlichen Standarten wenden und machte mit seiner engsten Begleitung kehrt. Wegen seiner Ungeduld und seinem Ärger über die offenkundi-
Mögliche Angriffsrichtungen des Romanos
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Murat
Mantzikert
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Haraberes
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Richtung Vansee
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4
6 km
Die Schlacht von Mantzikert. Auf der großen Ebene südwestlich von Mantzikert rückte das byzantinische Heer in breiter Front gegen die ausweichende Armee des Sultans vor. Die Quellen sagen leider nicht, wo genau der Gegenangriff der Türken stattfand, aber aus dem Ablauf der Ereignisse lässt sich mit einiger Sicherheit schließen, dass dafür das ansteigende Gelände am südlichen oder südöstlichen Rand der Ebene am ehesten infrage kam.
sein Lager abbrechen und sich zurückziehen, ließ der Kaiser die Gesandten wissen. Dann erst könne man weiter verhandeln. Erwartungsgemäß lehnte Alp Arslan die Forderungen der Byzantiner ab. Kurz darauf ließ Romanos sein gesamtes Heer aus dem Lager rücken. Seinen linken Flügel mit den Truppen aus den europäischen Provinzen kommandierte der erst zwei Tage zuvor verwundete General Bryennios. Den rechten Flügel hatte ein anatolischer General namens Alyattes unter sich.5
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Blick in die weite Ebene vor Mantzikert (Malazgirt).
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ge Vergeblichkeit seiner Anstrengungen mag die Kehrtwendung wohl zu abrupt ausgefallen sein. Die nachfolgenden Truppenteile gerieten sofort in Unruhe, da sie das Wenden der kaiserlichen Feldzeichen nicht deuten konnten. Die hintersten Abteilungen, denen die Sicht nach vorn verstellt war, mochten sogar gefürchtet haben, dass der Kaiser angegriffen worden sei und nun fliehe. Die türkischen Reiter vor der byzantinischen Front erkannten schnell die Verwirrung, die im kaiserlichen Heer um sich griff, meldeten dies dem Sultan und drängten ihn, die Byzantiner sofort anzugreifen. Von allen Seiten stürmten plötzlich die Türken auf Befehl des Sultans gegen die Byzantiner, die immer mehr in Unordnung gerieten. Einer ihrer Angriffskeile trennte sofort das byzantinische Hauptheer von der Nachhut unter dem Kommando des Andronicos Dukas. Anstatt angriffsweise die Verbindung wiederherstellen, gab der hohe Adlige den Befehl zum Rückzug. Der Geschichtsschreiber Michael Attaleiates beschuldigte den jungen Dukas, ohne allerdings seinen Namen zu erwähnen, mit seinen Männern geflohen zu sein und auch noch die anderen zur Flucht aufgefordert zu haben. Der Kaiser sei gefallen und die Schlacht verloren, soll Dukas gerufen haben, um dann sein Pferd zu wenden und zum Lager zurück zu fliehen. Die meisten in seiner Umgebung folgten ihm und überließen das kaiserliche Heer seinem Schicksal. Die Einkreisung durch die türkischen Reiter war keineswegs lückenlos und hätte unter normalen Umständen keine tödliche Gefahr für die Byzantiner bedeuten müssen. Gegen eine fest gefügte Formation wären auch die Reiter des Sultans machtlos gewesen, selbst wenn sie ihre Angriffe von allen Seiten vortrugen. Wütend forderte Romanos seine Truppen auf, geschlossen zu bleiben und zu kämpfen, aber kaum jemand hörte in der immer mehr um sich greifenden Panik auf ihn. Wer fliehen konnte, durchbrach den noch lockeren türkischen Einschließungsring und rettete sich ins Lager. Beide Flügel der Byzantiner lösten sich jetzt schnell auf. Nur das Zentrum mit den Eliteregimentern widerstand noch verzweifelt dem immer heftiger werdenden türkischen Pfeilregen. Den kaum
für möglich gehaltenen Sieg vor Augen, wurden die Türken kühner und ließen sich schließlich auf einen Nahkampf mit dem eingekreisten Feind ein.
Gefangennahme, Blendung und Tod Der Kaiser soll inmitten seiner sich auflösenden Armee, auch als er schon vom Pferd gestürzt war, weiter gekämpft haben. An seiner Schwerthand verletzt, wurde er schließlich von den Türken gefangen genommen. Damit endete die Schlacht. Die Türken plünderten das kaiserliche Lager und machten angeblich eine gewaltige Beute. Es war das erste Mal seit 800 Jahren, dass ein römischbyzantinischer Kaiser in Gefangenschaft geraten war.6 Der Sultan behandelte seinen hohen Gefangenen allerdings recht milde. Innerhalb nur einer Woche einigte er sich mit Romanos auf einen neuen Waffenstillstand und ließ den Kaiser nach Zahlung eines Lösegeldes wieder frei. Er wusste genau, dass Romanos in Freiheit seiner Sache mehr nutzen würde als in Gefangenschaft. Denn kaum hatte Cäsar Dukas in seinem Exil von der Niederlage des Kaisers und seiner Gefangenschaft gehört, war er nach Konstantinopel zurückgekehrt und hatte seinen Neffen Michael Dukas zum neuen Kaiser ausgerufen. Ein Bürgerkrieg zwischen der Partei der Dukas und dem freigelassenen Romanos war die Folge. Das Glück, das Romanos auf den Kaiserthron gebracht hatte, schien ihn nach Mantzikert endgültig verlassen zu haben. Nach zwei verlorenen Schlachten wurde er von Andronikus Dukas, dem Verräter von Mantzikert, gefangen genommen und geblendet. Romanos starb kurz darauf an den Folgen dieser Verletzung. Auch nach seinem Tod kehrte keine Ruhe in der Hauptstadt ein. Die Byzantiner waren zu sehr mit ihren inneren Machtkämpfen beschäftigt. Die überall nachdrängenden Türken wurden immer noch nicht als Existenz bedrohende Gefahr für das Reich wahrgenommen. Ein ernsthafter Widerstand gegen sie fand kaum statt. Die Gunst der Stunde nutzend, mischten sich die Türken sogar immer wieder auf beiden Seiten in die nicht abreißenden Bürgerkriege ein
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und besetzten eine anatolische Stadt nach der anderen. Noch vor dem Ende der Regierungszeit Michaels VII. Dukas (reg. 1071 – 1077) erreichten sie die ägäische Küste und setzten sich in Zentralanatolien fest, wo sie das Sultanat von Konya (das alte griechische Ikonion) gründeten. Von dem Verlust seines Kerngebiets hat sich Byzanz nie mehr erholt. Mantzikert markiert den Wendepunkt der byzantinischen Geschichte. Kaum 200 Jahre später war das ehemals mächtige Reich auf den Status einer regionalen Macht herabgesunken und kontrollierte nur noch das Hinterland der Hauptstadt und einige Inseln in der Ägäis. Am 29. Mai 1453 eroberte der türkische Sultan Mehmed II. die Kaiserstadt und machte sie zur neuen Hauptstadt seines Osmanischen Reiches. Das ehemals griechisch geprägte Kleinasien befindet sich bis heute in der Hand der Türken, den Nachfahren der Seldschuken.
war in einer Turma oder einem Meros (Korps) mit etwa 5000 bis 6000 Mann zusammengefasst und bestand mehrheitlich aus leichter Infanterie und Reiterei. Ein Korps wurde aus drei größeren Verbänden in Regimentsstärke (druggoi oder moirai) unter dem Kommando eines Duks gebildet. Der kleinste, taktisch selbstständige Verband der byzantinischen Armee war das Bandon. Das Wort stammte vermutlich aus der indogermanischen Sprache. Bei den germanischen Goten wie bei den Persern bezeichnete es die Fahne oder ein Feldzeichen. Die Truppenzahl eines Bandon lag zwischen 300 bis 400 Mann. Der Führer eines Bandon war ein Komes. Bis zu zehn Banda konnten zu einem Regiment zusammengefasst werden. Die byzantinische Verteidigung verzichtete auf die Behauptung einer starren Grenzlinie. Ihr System zur Abwehr äußerer Feinde war sehr flexibel und tief gestaffelt und bezog das gesamte Grenzgebiet ein. Je nach Art der Bedrohung konnten die lokalen Kommandeure mehrere Verbände mobilisieren und zusammenfassen, im Kriegsfall auch die Aufgebote mehrerer Themata. Dann übernahm ein Douks oder Domestikos, oft aber auch der Kaiser selbst den Oberbefehl. Seit Beginn des 8. Jahrhunderts verstärkte eine zentrale Reserve aus der Hauptstadt die regionalen byzantinischen Truppen. Die schweren Kavalleriebrigaden (Tagmata) waren aus der Palastwache hervorgegangen und hatten die Kaiser auf ihren Kriegszügen begleitet. Bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts waren vier Tagmata (Scholai, Exkubitai, Biglai, lkantoi) mit Panzerreitern (Kataphraktoi) aufgestellt worden, mit bis zu 18 Banda unter Führung eines Domestikos. Nach der Heeresreform des Kaisers Nikephoros II. Phokas (963 – 969) wurden die Tagmata grenznah in den zurückgewonnenen Gebieten im Orient und in Bulgarien stationiert. Ihre Zahl wurde vergrößert. In den beiden Reichsteilen (Balkan und Orient) wurde je ein Oberbefehlshaber ernannt. Im Osten trug er den Titel Domestikos ton Anatolikon. Die Heeresreform des Nikephoros sah außerdem die Bildung von Taxiarchai mit jeweils 1000 Mann vor, eine gemischte Truppe, die im Kern aus etwa 500 schwer bewaffneten Infanteristen (Sku-
Hintergrund
Die byzantinische Armee im 11. Jahrhundert Die Regierungszeit von Kaiser Herakleios (609 – 640) markierte den Übergang vom oströmischen zum byzantinischen Staat. Nach den großen Gebietsverlusten an Slawen und Araber ordnete Herakleios das verbliebene Staatsgebiet neu. Themata mit einem Strategen an der Spitze ersetzten die alten Provinzen. Der Stratege hatte zivile und militärische Befehlsgewalt. Zur Abwehr örtlicher Bedrohungen unterstand ihm das sogenannte Themenaufgebot. Die milizartigen Streitkräfte konnten je nach Bedarf an gefährdeten Stellen zusammengezogen werden. Die Angehörigen der regionalen Aufgebote waren Bauern, die als Entlohnung für ihren Wehrdienst eine Landparzelle, das Stratioton Ktemata, erhielten. Wie in allen mittelalterlichen Staaten war auch im Byzantinischen Reich der Grundbesitz die wichtigste Finanzierungsquelle für alle militärischen Lasten. Aus den Erträgen ihres Lehens hatten die Wehrpflichtigen, die sogenannten Stratioten, auch die Kosten ihres Militärdienstes zu bestreiten. Das regionale Lehensaufgebot des Strategen
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Byzantinische Kavallerie bei der Verfolgung arabischer Reiter. Die Buchmalerei aus der im 13. Jh. angefertigten Chronik des Johannes Skylitzes soll eine Kampfszene aus dem Krieg gegen die Araber im Jahre 842 darstellen. Tatsächlich dürften aber Ausrüstung und Bewaffnung der abgebildeten Reiter eher der byzantinischen Armee des 12/13. Jh.s zuzuordnen sein.
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tatoi oder Hoplitai) bestand. Dazu kamen andere Infanteriegattungen: Leichtbewaffnete, Schleuderer und Bogenschützen. Seit dem 11. Jahrhundert nahm das byzantinische Heer in wachsendem Umfang Söldner in seine Reihen auf. Die älteste Söldnertruppe war die kaiserliche Warägergarde, in der hauptsächlich Schweden dienten. Während des Zerfalls der byzantinischen Armee in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts verblieben immer häufiger Söldnertruppen auch unter dem Befehl ihrer Führer, die zum Teil versuchten, ihre Truppe zum eigenen Vorteil gegen den Auftraggeber einzusetzen. Über die Organisation der byzantinischen Armee heißt es im Strategikon des Mauriskos:
umfassen. Wenn es aber vorkommt, dass ein Heer mehr Truppen hat als das genannte Maß, ist es besser, außer den Korps einen Teil als Reserve in zweiter Linie aufzustellen, zum Schutz der Flanke und des Rückens, für Hinterhalte und Umfassungsmanöver [...].“ 7
Eine byzantinische Armee zählte somit drei Korps mit insgesamt 18 000 bis 20 000 Mann. Der Verfasser bezeichnete jedoch schon eine Armee von 10 000 bis 12 000 Mann als „wohlproportioniert“. Rechnet man für jeden der beiden Reichsteile eine Armee, die notfalls durch die vier Tagmata der zentralen Reserve verstärkt werden konnte, betrug die Gesamtstärke des byzantinischen Heeres knapp 50 000 Mann. Auf eine Bedrohung des Reiches versuchte die Armee in abgestufter Weise zu reagieren. War der Angriff regional begrenzt, überließ man die Verteidigung dem örtlichen Strategen oder Duks des gefährdeten Themas. Genügte das nicht, musste der Domestikos mit seinen Tagmata den bedrohten Bereich unterstützen. Das Eingreifen des Kaisers mit den Korps aller Reichsteile war die Ausnahme. Dreimal führte Kaiser Romanos ein Heer in den Orient. Zuletzt sogar mit den Korps des westlichen Reichsteils. Scheiterte ein solches Unternehmen, besaß das Reich kaum noch Reserven. Die mühsam unter Kontrolle gehaltenen Grenzvölker brachen an vielen Stellen ins Reichsgebiet ein. Die Folge war regelmäßig eine Staatskrise. Eine der schwersten Krisen erlebte das Reich nach der Niederlage des Kaisers Romanos bei Mantzikert gegen die Seldschuken. Was sich an Verbänden aus der Niederlage retten konnte, wurde anschließend in einem jahrelangen Bürgerkrieg aufgerieben. Die Seldschuken waren die Nutznießer. Zum Teil sogar von den Bürgerkriegsparteien zu Hilfe gerufen, besetzten sie in weniger als zehn Jahren ganz Anatolien. Von dem Verlust seines Kerngebiets und seiner Hauptrekrutierungsbasis haben sich das Byzantinische Reich und seine Armee nie wieder erholt.
„Das Haupt und der Führer einer Armee ist der Stratege. Der Hypostratege ist sein Stellvertreter. Ein Korps [Meros] wird von einem Strategen geführt, ein Regiment [Moira] von einem Duks. Das Korps besteht aus drei Regimentern, die Regimenter wiederum aus Schwadronen oder Kompanien [Banda]. Der Führer eines Bandon ist ein Komes oder Tribun. Der Führer der ersten Hundertschaft ist ein Ilarchos. Er ist zugleich Stellvertreter des Komes. Wie der Ilarchos oder Hekatonarchos das Kommando über 100 Mann hat, so führt der Pentarchos [Gruppenführer] eine Gruppe von zehn oder fünf Männern [...]. Angriffstruppen [Kursores] werden diejenigen genannt, die vor dem Heer reiten und den fliehenden Feinden heftig nachsetzen; Schutztruppen [Defensores] diejenigen, die ihnen folgen, aber nicht aus der Formation ausbrechen oder sie auflösen, sondern in Ordnung vorgehen zum Schutz der Angriffstruppen. Die verschiedenen Banda dürfen höchstens aus 400 Mann bestehen. Die Banda aber muss man auf die Regimenter verteilen, und diese haben aus 2000 bis 3000 Mann zu bestehen, entsprechend der Stärke des Heeres. [...] Diese Regimenter bilden drei gleich starke Korps [...], kein Korps darf mehr als 6000 bis 7000 Mann
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6 Der Traum vom Reich im Süden
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Hinrichtung Konradins und seiner Mitgefangenen am 29. Oktober 1268 auf der Piazza Mercato in Neapel. Miniatur aus den Chroniken des Giovanni Villani, 14. Jh. Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom.
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Bedingungen einer Lehnsübertragung zu verhandeln. Doch erst Karl von Anjou, ein Bruder des französischen Königs Ludwig IX., erklärte sich bereit, das päpstliche Lehen zu übernehmen. Allerdings musste er sein Königreich von päpstlichen Gnaden noch erobern. Sizilien und Süditalien befanden sich damals in der Hand König Manfreds, eines Sohnes Kaiser Friedrichs II., der das Königreich gegen den Willen vieler einheimischer Adliger regierte. Ohne die volle Unterstützung seiner Gefolgsleute unterlag Manfred dem Franzosen in der Schlacht von Benevent am 26. Februar 1266. Der Staufer kämpfte bis zuletzt und fand in der Schlacht den Tod. Auch der Franzose war in seinem neuen Reich nicht sonderlich willkommen. Viele einheimische Adlige hassten den fremden König und richteten erwartungsvoll ihre Blicke über die Alpen, wo in Bayern ein Enkel Kaiser Friedrichs heranwuchs. Der letzte Nachkomme des großen Stauferkaisers hieß Konrad (1252 – 1268) und war der einzige Sohn des 1254 verstorbenen Königs Konrad IV. Schon die zeitgenössischen Quellen gebrauchten für den kaum 15-jährigen Jüngling das Diminutiv Konradin oder Corradino. Während diese Verniedlichung im Deutschen wohl eher verächtlich klang und auf das Missverhältnis von Machtlosigkeit und überkommenen staufischen Ambitionen verwies, die man in der Person des jungen Konradins verkörpert sah, war das italienische Corradino eher liebevoll gemeint und Ausdruck der großen Erwartungen, die in Italien an diesen letzten Staufer geknüpft wurden. Schon kurz nach der Schlacht von Benevent waren die ersten Gesandten der staufischen Anhänger aus Italien bei Konradin in Bayern erschienen, um ihn zum Eingreifen aufzufordern. Ihr Schmeicheln und wohl auch der Ehrgeiz des jungen Mannes, der sich seinem großen staufischen Namen verpflichtet fühlte, müssen ihn bewogen haben, nach Süden zu ziehen, um für sein Erbe zu kämpfen. Doch die Schwierigkeiten des Unternehmens waren beträchtlich. Um Geld für seinen Italienzug zu erhalten, musste Konradin die letzten staufischen Besitzungen in Schwaben an seinen
Die Normannen in Süditalien und Sizilien
S
eit dem Ende des Weströmischen Reiches hatten sich verschiedene Mächte die Herrschaft über den Süden Italiens geteilt. Abwechselnd kontrollierten Byzantiner und Langobarden die Gebiete von Apulien und Kalabrien. Die Araber besetzten bis zum Ende des 9. Jahrhunderts ganz Sizilien. Im Laufe des 11. Jahrhunderts brachten jedoch normannische Ritter aus Frankreich mit Billigung und Unterstützung der Päpste alle diese Gebiete in ihre Hand und gründeten das normannische Königreich Sizilien und Unteritalien. Im Jahre 1194 heiratete Constanze, die Tochter des Normannenkönigs Roger II., den staufischen Kaiser Heinrich VI. (reg. 1190 – 1197). Da Rogers Bruder und Nachfolger, König Wilhelm II., im Jahre 1190 kinderlos verstorben war, fiel Constanze und ihrem staufischen Gatten das gesamte Königreich Sizilien zu. Als Kaiser des römisch-deutschen Reiches beherrschte Heinrich VI. bereits den Norden Italiens und die Toskana. Nur der Kirchenstaat, ein Landstreifen von der Adriaküste bis nach Rom, den die Päpste seit dem 8. Jahrhundert beanspruchten, entzog sich der kaiserlichen Macht. Die bevorstehende Vereinigung des staufischen Imperiums im Norden mit dem südlichen Normannenstaat erfüllte daher die Päpste in Rom mit Sorge. Dass die verhassten Staufer nun auch im Süden ihres Kirchenstaates herrschten, konnten sie niemals akzeptieren. Während der Herrschaft Kaiser Friedrichs II. (reg. 1220 – 1250), des Sohnes von Heinrich VI., verschärfte sich der päpstlichstaufische Streit und steigerte sich zu unversöhnlicher Gegnerschaft.
Der staufisch-päpstliche Gegensatz Seit Beginn der Normannenherrschaft betrachteten die Päpste das Königreich Sizilien und Süditalien als ihr persönliches Lehen. Jedes andere europäische Herrscherhaus mochte dort regieren, nicht aber die Staufer. Sogleich nach dem Tod Friedrichs II. im Jahre 1250 begann Papst Innozenz IV., mit verschiedenen Kandidaten über die
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1265
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zilien im Jahre 1194 erreichte das römisch-deutsche Imperium den Zenit seiner Macht, geriet jedoch damit auch in einen scharfen Gegensatz zu den Päpsten, die
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300 km
ihren Kirchenstaat bedroht sahen.
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Konradin, der letzte Staufer. Die Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse) aus der Zeit zwischen 1310 – 1320 zeigt den jungen Staufer (rechts mit Krone) mit seinem Freund Friedrich von Baden auf der Falkenjagd. Die italienischen Anhänger der Staufer setzten alle ihre Hoffnungen in den jungen Prinzen, dessen Persönlichkeit die zeitgenössischen Quellen in den wärmsten Tönen schildern.
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Onkel, Herzog Ludwig II. von Oberbayern, verpfänden. So bekam er ein Heer von mehreren Tausend Rittern zusammen, das sich im Sommer 1267 auf dem Lechfeld bei Augsburg einfand, dem traditionellen Versammlungsort deutscher Italienzüge.
Joinville, das Spiel über Bord geworfen haben. Karl soll auch Geld gegen Zinsen an seine Spielpartner verliehen haben, was nach damaliger Ansicht als anrüchig galt. Diese Gleichgültigkeit des jungen Mannes gegenüber den moralischen Anforderungen seiner Zeit stach merkwürdig von seiner späteren, oft demonstrativ geäußerten Frömmigkeit ab. Auch seine Qualitäten als zäh verhandelnder Geschäftsmann und ehrgeiziger Fürst wollten nicht so recht zu seiner Religiosität passen. Den Zeitgenossen war er oft unheimlich, und viele spätere Geschichtsschreiber haben Karl
Konradins Siegeszug nach Italien Schwerwiegender als die finanziellen Probleme war jedoch, dass der junge Staufer nicht nur den kriegserfahrenen Karl mit seiner kampfkräftigen Armee zum Gegner hatte. Der Papst drohte mit der Verhängung des Kirchbanns gegen ihn und seine Gefolgsleute, falls er Italien betrete. Karl von Anjou, der Jüngste der sieben Söhne des französischen Königs Ludwig VIII., war bereits 41 Jahre alt, als ihn der junge Staufer herausforderte. Als Sechzehnjähriger hatte der Franzose seine ersten Kriegserfahrungen gesammelt, und mit 20 Jahren die Grafschaft Anjou an der Loiremündung als Erbland erhalten. Als junger Mann hatte Karl von Anjou im Jahre 1250 an der Seite seines Bruders König Ludwigs IX. das Desaster des 6. Kreuzzugs bei Mansurah im Nildelta erlebt. Das gesamte Kreuzheer war damals in ägyptische Gefangenschaft geraten, und nur gegen ein hohes Lösegeld hatten die Sieger den König und seinen jüngeren Bruder wieder freigelassen. Der zweite Bruder des Königs, Robert von Artois, war bei Mansurah gefallen. Scheinbar unberührt von der Katastrophe, die Frankreich und das Königshaus getroffen hatte, widmete sich Karl auf der Rückfahrt nach Akkon dem Würfelspiel. Empört soll König Ludwig, so sein Biograf Join de
Thronbild Karls I. von Anjou, Musei Capitolini, Rom. Karl I. von Anjou (1226 – 1285) zählte neben seinem Bruder, König Ludwig IX. von Frankreich, und Kaiser Friedrich II. zu den bedeutendsten Herrschern des 13. Jh.s. Seine Siege über die letzten Staufer bei Benevent und Tagliacozzo, vor allem aber die Hinrichtung Konradins in Neapel (1268), haben sein Bild, besonders in Deutschland, lange verdunkelt.
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Bigotterie vorgeworfen. Von einem erhaltenen Thronbild blickt er düster und entschlossen herab. Als König in Italien soll er jedoch später ein gerechtes Regiment geführt haben. Erfahrung im Umgang mit einer widerspenstigen Bevölkerung hatte er schon als junger Mann in der Provence sammeln können. Die damals noch zum römischdeutschen Reich gehörende Grafschaft war ihm im Jahre 1246 durch Heirat zugefallen. Seinem staufischen Herausforderer war Karl somit an Alter, Erfahrung und Entschlossenheit weit überlegen. Trotz der überragenden Persönlichkeit seines Gegners und der zu erwartenden Widerstände war Konradins Italienzug aber durchaus kein aussichtsloses Unternehmen. Der junge Staufer kam seinem Ziel sehr nahe, und es war nicht der Mangel an Unterstützung, der seinen Untergang herbeiführte, sondern allein ein verzweifeltes taktisches Manöver seines französischen Widersachers. Im Oktober 1267 erreichte Konradin mit seinem Heer über den Brennerpass die Stadt Verona. Gleichzeitig landeten seine italienischen Verbündeten in Sizilien und brachten überraschend schnell den größten Teil der Insel in ihre Hand. Nur in den Festungen Palermo, Messina und Syrakus hielten sich noch französische Besatzungen. Konradin konnte daraus jedoch zunächst keinen Nutzen ziehen. Er musste den Winter in Verona verbringen, da ihm die traditionell stauferfeindlichen Lombardenstädte den Weg nach Süden versperrten. Scheinbar ohne Ausweg in Verona blockiert, kehrten viele deutsche Verbündete Konradins im Frühjahr wieder nach Deutschland zurück. Vielleicht war auch die päpstliche Drohung, das Interdikt über ihre Ländereien zu verhängen, nicht wirkungslos geblieben. Der junge Staufer war jedoch entschlossen, den Kampf um sein Erbe trotz der offenen Feindschaft des Papstes fortzusetzen. Nach einem gewagten Marsch durch feindliches Gebiet erreichte er mit seinem Heer, das inzwischen auf 3000 Mann geschrumpft war, am 20. Januar 1268 unbehelligt die Stadt Pavia, deren Mächtige mit seiner Sache sympathisierten. Karl hatte zunächst versucht, den Staufer bereits in Norditalien zum Kampf zu stellen. Sein Angriff auf
die den Staufern freundlich gesonnene Stadt Pisa schlug jedoch fehl, ebenso misslang ihm die Sperrung der wichtigen Appenninpässe. Ende März musste der Franzose zurück in sein Königreich eilen, um der immer mehr um sich greifenden Rebellion zugunsten des Staufers entgegenzutreten. Vor allem der Aufstand der Araber im nordapulischen Lucera machte Karl zu schaffen. Kaiser Friedrich Il. hatte sie 40 Jahre zuvor aus Sizilien deportiert und in Apulien angesiedelt. Später jedoch hatte sie Friedrichs religiöse Toleranz zu treuen Anhängern der Staufer gemacht. In der Hoffnung, dass sein Enkel sie ähnlich tolerant behandeln würde, versuchten sie, die Herrschaft des streng katholischen Karl abzuschütteln. Einen Monat belagerte der Franzose ihre Stadt, musste aber schon Ende Juli wieder abziehen. Konradins Heer hatte inzwischen Rom erreicht und war somit nur noch wenige Tagesmärsche vom Königreich Sizilien entfernt. Über Pisa und Siena hatte die staufische Armee die Toskana durchquert. Viele italienische Parteigänger hatten Konradin gegen die Zusage von Handelsprivilegien in seinem künftigen Königreich mit neuen Geldmitteln ausgestattet. An der Arnobrücke, nicht weit von Laterina, war es dem staufischen Heer gelungen, eine Nachhut der Franzosen, die Karl unter dem Kommando des Marschalls Jean de Braiselve im Norden zurückgelassen hatte, vollständig aufzureiben. Wenige Wochen später, am 24. Juli 1268, war die staufische Armee unter dem Jubel der Bevölkerung in Rom eingetroffen. Herzog Heinrich von Kastilien, der das Amt des Senators von Rom innehatte, eine Würde, die ihm die Macht in der Stadt sicherte, verbündete sich nun gleichfalls mit dem Staufer. Heinrich war ein spanischer Abenteurer, eine Konquistadorengestalt, getrieben von dem Wunsch nach einer eigenen Herrschaft. Eine misslungene Verschwörung gegen seinen Bruder, König Alfons von Kastilien, hatte ihn gezwungen, ins Ausland zu fliehen. Später war er in den Dienst nordafrikanischer Emire getreten. Im Konflikt zwischen Karl von Anjou und König Manfred hatte er noch auf der Seite des Franzosen gestanden. Als Karl ihm
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weiter Konradin mit seinem anfangs kleinen Heer nach
ebenso eine Rolle wie lokale Rivalitäten, aber auch die
Süden vorstieß, desto sicherer schien der erfolgreiche
alte Anhänglichkeit an die Staufer, die fast 60 Jahre lang
Ausgang seines Italienzugs. Im Winter 1267/68 hatten
große Teile Italiens beherrscht hatten. In Rom wurde
ihn noch die lombardischen Städte, seit Kaiser Friedrich
Konradin mit einer Begeisterung empfangen, die für
Barbarossa traditionelle Feinde der Staufer, in Verona
den Augenblick zeigte, wie sehr viele Einheimische
blockiert. Mit seinem Marsch auf Pavia gewann Konra-
hofften, dass der junge Konradin die glanzvollen Tage
din auch die Unterstützung vieler Italiener in Mittelita-
Friedrichs II. zurückbringen würde.
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jedoch die versprochene Belohnung verweigerte, war die Loyalität des Spaniers in tödlichen Hass umgeschlagen. Und dieser Hass trieb ihn nun auf die Seite des jungen Staufers. Verstärkt um einige Hundert spanische Ritter unter dem Kommando Herzog Heinrichs verließ Konradin am 18. August 1268 Rom. Das staufische Heer war nun stattliche 5000 bis 6000 Mann stark. Auf der Via Valeria marschierte Konradin über Tivoli in zunächst südöstlicher Richtung. Bei Arsoli überschritt die Kolonne endlich die Grenze jenes Königreichs, das er zu
gewinnen hoffte. Konradin und seine Berater hatten den Umweg nach Osten gewählt, um sich mit den Aufständischen in Apulien, vor allem aber mit den Arabern von Lucera zu vereinigen. Dann erst glaubten sie sich stark genug, um eine Schlacht gegen Karl zu wagen. Genau damit schien der Franzose gerechnet zu haben. Nach dem Abbruch der Belagerung von Lucera war er in aller Eile nach Norden marschiert, um den Staufer schon an der Grenze seines Königreichs zu stellen. Er wusste, dass jedes weitere Vordringen Konradins nach Süden unweigerlich zum Zusammenbruch seiner
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Der Ort der Schlacht. In der Nähe der
Herrschaft führen musste. Sizilien war vorerst verloren, und auch große Teile des süditalienischen Festlands befanden sich in Erwartung des staufischen Heeres im Aufruhr. Nur das Gebiet um Capua und Neapel blieb noch ruhig.
Ortschaft Magliano de’ Marsi am Fuß des Mt. Velino hatten die Staufer ihr Lager aufgeschlagen. In der Palentinischen Ebene kam es zur entscheidenden Schlacht.
Karl von Anjou erwartet die Staufer auf der Palentinischen Ebene Karl erwartete in den letzten Augusttagen seinen Gegner auf einer weiten Ebene, die sich zu Füßen des 3000 Meter hohen Mt. Velino von Tagliacozzo
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bis nach Alba im Osten erstreckte und seit alters her als Palentinische Ebene bekannt war. Es war der einzige Ort in weitem Umkreis, wo eine große Schlacht möglich war. Karl schien alles auf eine Karte zu setzen. An vielen Stellen seines Reiches loderten bereits Revolten. Nur ein Sieg konnte vielleicht noch alles zu seinen Gunsten wenden. Auf staufischer Seite war man durch Späher über die Bewegungen des Feindes im Bilde. Deshalb hatte man zunächst versucht, die Palentinische Ebene im Norden über das Gebirge bis nach Aquila zu umgehen und war hinter Arsoli von der Via Valeria in nördliche Richtung abgebogen. Dann aber hatte sich gezeigt, dass der Weg durch das Gebirge für das Heer zu beschwerlich war. So war man gezwungen, wieder nach Süden zu schwenken und näherte sich nun der Palentinischen Ebene entlang eines ein von Nord nach Süd verlaufenden Tals, durch das ein Fluss namens Salto floss. Wo sich das Tal zur Ebene öffnete, in der Nähe der Ortschaft Magliano de’ Marsi, schlugen die Staufer ihr Lager auf. Jeder im Lager wusste, dass man sich am nächsten Tag mit dem Franzosen direkt messen würde. Karls Heer war den Staufern um etwa 1000 Mann unterlegen. Immerhin war es für ihn ein Erfolg, seinen Gegner endlich zur Schlacht zu stellen. In der folgenden Nacht lagerten beide Heere in Blickweite des Feindes. Bis zu dieser Stunde hatten sich die beiden Kontrahenten noch nie gesehen. Bis dato hatte jeder nur gegen Verbündete und Parteigänger des Feindes gekämpft. Jetzt trafen sie zum ersten Mal direkt aufeinander. Gleich am nächsten Morgen formierte sich das staufische Heer in drei Treffen. Die deutschen Truppen unter Führung des Marschalls Kroff von Flüglingen besetzten die vorderste Reihe. Dahinter folgten die Römer und Spanier unter dem Kommando des Senators von Rom, Heinrich von Kastilien. In der letzten Reihe standen die lombardischen Anhänger des Staufers. Bei ihnen, an verhältnismäßig sicherer Stelle, befand sich auch Konradin, den man wohl wegen seiner Jugend nicht unmittelbar an dem bevorstehenden Kampf teilnehmen lassen wollte.
Karl stellte sein Heer ebenfalls in drei Abteilungen auf. In die vorderste Linie kamen die provenzalischen Truppen und seine italienischen Verbündeten unter Führung des Marschalls Henri de Courances, der zur Täuschung das Lilienemblem Karls und dessen Banner mit sich führte. In der zweiten Reihe standen französische Söldner und weitere Provenzalen. Das dritte Treffen wurde von Karl selbst geführt. Dazu hatte er seine Elitetruppe bestimmt, etwa 1000 Franzosen, und sie zwei bis drei Kilometer abseits vom übrigen Heer hinter dem Höhenzug südwestlich von Albe postiert, wo sie vom Feind nicht gesehen werden konnten.
Die Schlacht schien bereits verloren Der Einsatz einer zweiten, geheimen Reserve war der mittelalterlichen europäischen Kriegsführung bis dahin kaum bekannt. In Palästina hatten jedoch vor allem die Türken auf diese Art erfolgreich gegen die Kreuzfahrer gekämpft und orienterfahrene Ritter waren mit dieser Taktik vertraut. Érard de Valéry war einer dieser Ritter, die lange in den Kreuzfahrerstaaten in Syrien gekämpft hatten. Im Sommer 1268 war er auf dem Rückweg aus dem Orient nach Frankreich in Brindisi gelandet und mit seinen Gefolgsleuten zum Heer seines Landsmanns Karl gestoßen. Sehr wahrscheinlich geht Karls Schlachtplan auf eine Anregung Érards zurück. Zwischen beiden Armeen verlief der Riale, ein heute ausgetrockneter Nebenlauf des Salto. Er durchschnitt die Palentinische Ebene ungefähr von Osten nach Westen und war wegen seines abschüssigen, stark bewachsenen Ufers ein ernsthaftes Geländehindernis. Nur über eine hölzerne Brücke, etwa in der Mitte seines Laufs, konnten ihn Truppen ohne Umstände überqueren. Der Franzose beabsichtigte, mit seinem vorderen Treffen die Brücke zu überschreiten, die Staufer in ein Gefecht zu verwickeln, um sie danach durch eine vorgetäuschte Flucht über den Bach auf die französische Seite zu locken. War dies gelungen, sollte seine dritte Gruppe dem vorwärtsdrängenden Feind in die Flanke fallen und ihn zerschlagen. Der zeitgenössische italienische Chronist
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Konradin und Karl von Anjou in der Schlacht von Tagliacozzo, 11.8.1268. Franz. Buchmalerei, um 1335/40. Aus den Grandes Chroniques de France. British Library, London.
Saba Malaspina, ein Parteigänger des Papstes, erwähnte ein drittes Treffen Karls, das aus 800 Rittern bestanden haben soll. „Dieses Treffen mit seinen wohl besten Truppen stand unter der persönlichen Führung des Königs.“ Das vorderste Treffen formierte sich dagegen auf freiem Feld. Dahinter auf dem abfallenden Hang eines Hügels stellte sich die zweite Abteilung auf, um den anderen möglichst schnell Hilfe bringen zu können. Karls drittes Treffen dagegen befand sich hinter einer dicht mit Bäumen bestandenen Hügellinie. „Wie ein angeketteter Hund“, so schrieb Malaspina, „der beim ersten Brüllen eines
Ochsen zitternd darauf brennt, den Gegner zu Gesicht zu bekommen, sollte es erst im günstigsten Moment auf die Ebene hinunter stürmen und den Feind überraschend angreifen.“1 Der Plan des Franzosen war sehr riskant. Er riss sein Heer weit auseinander und lief Gefahr, dass seine vordersten Abteilungen aufgerieben wurden, noch ehe seine dritte Gruppe zur Unterstützung eintraf. Gegen einen zunächst siegreichen Feind konnte auch eine überraschend eingreifende Reserve von kaum 1000 Mann der Schlacht nur noch schwer eine Wende geben. Tatsächlich hatte Karl jedoch gar keine Wahl. Er war dem Staufer zahlen-
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Tagliacozzo
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Lager Konradins Lager Karls Treffen Konradins: Kroff von Flüglingen Heinrich von Kastilien Konradin Treffen Karls: Henri de Courances Guillaume de L’Estendart Karl (Hinterhalt) Umgehung und Verfolgung d. Heinrich v. Kastilien Eingreifen Karls
Capistrello
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4
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Die Schlacht von Tagliacozzo. Obwohl der Ort Tagliacozzo etwa zehn Kilometer westlich des vermuteten Schlachtfelds liegt, hat er der Schlacht seinen Namen gegeben, was vor allem auf den Dichter Dante Alighieri zurückzuführen ist, der diesen Namen aus der Toskanischen Chronik übernommen und verbreitet hat. Korrekter ist es, das entscheidende Treffen zwischen Konradin und Karl die Schlacht auf den Palentinischen Feldern zu nennen.
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mäßig deutlich unterlegen und durfte es auf ein bloßes Sichabkämpfen beider Heere nicht ankommen lassen. Allein ein mutiger und unberechenbarer Einsatz seiner Truppen konnte ihm noch den erhofften Erfolg bringen. Erwartungsgemäß hielten die staufischen Abteilungen an, sobald sie den Bach erreicht hatten. Zwar gerieten die vordersten Reihen sogleich mit Karls Provenzalen an der Brücke ins Gefecht, doch konnten sie sich nicht entschließen, den Bach auf breiter Front zu überqueren. Inzwischen waren auch die Spanier und Römer von hinten auf das erste staufische Treffen aufgelaufen. Bald drängten sich Hunderte von Reitern vor dem Bach. Die Abteilungen gerieten durcheinander. Ein schneller Entschluss war notwendig. Vermutlich war es Herzog Heinrich, der jetzt ein Umgehungsmanöver begann. Mit der Masse seines zweiten Treffens schwenkte er nach Südwesten in Richtung Salto, überquerte zügig den Bach an seinem Unterlauf und griff die immer noch an der Brücke verharrenden Provenzalen aus der Flanke an. In kurzer Zeit wurde das erste Treffen Karls zersprengt. Nun konnten auch die Deutschen den Bachlauf direkt überqueren und das zweite Treffen Karls angreifen, das dieser deutlichen Übermacht nicht lange standhielt. Im Getümmel des Kampfes stürzte sich Heinrich von Kastilien auf den Marschall de Courances, im Glauben, es mit seinem Feind Karl zu tun zu haben. Der Franzose wurde samt seiner Deckungsmannschaft buchstäblich in Stücke gehauen. Als mit ihm Karls Lilienbanner niederfiel, erhob sich auf staufischer Seite begeisterter Jubel. Der Usurpator war tot, so glaubte jeder in Konradins Heer. Schlacht und Königreich schienen gewonnen. Die staufische Schlachtordnung löste sich nun auf. Heinrich verfolgte mit seinen Rittern die Reste des Feindes in Richtung Norden, der einzigen für sie verbleibenden Fluchtmöglichkeit. Die Deutschen des ersten Treffens machten sich ans Plündern oder sie ritten zum Salto, um nach der Anstrengung des Kampfes Wasser für sich und ihre Pferde zu holen. Wieder andere versammelten sich um Konradin, um ihm zu seinem Sieg und
dem Rückgewinn seines Erbes zu gratulieren. Für kurze Zeit wird sich der junge Staufer im Hochgefühl des Sieges eine glänzende Zukunft ausgemalt haben.
Mit einer orientalischen List rettet Karl sein Königreich Ganz anders müssen in diesen Momenten die Gefühle seines Gegners gewesen sein. Von einem Übersichtspunkt auf dem Höhenkamm südwestlich von Albe hatte Karl mit wachsender Anspannung die Vernichtung seiner beiden vordersten Treffen mitangesehen. Sein ursprünglicher Plan war gescheitert, zwei Drittel seines Heeres waren bereits vernichtet oder in die Flucht geschlagen. Kaum mehr als 1000 Mann hatte er jetzt noch gegen eine mindestens vierfache staufische Übermacht. Ob er in diesem Augenblick gehofft hatte, die Schlacht doch noch zu gewinnen oder nur den Staufern in einem Vergeltungsschlag möglichst hohe Verluste beizubringen und damit vielleicht ihren Einmarsch in das Königreich zu verzögern, ist nicht mehr zu klären. In seinem nach dem Sieg verfassten Bericht an den Papst ist von solchen Zweifeln keine Spur mehr zu finden. Jedenfalls wird es den Franzosen große Nervenkraft gekostet haben abzuwarten, bis sich die staufischen Ritter allmählich über das Schlachtfeld zerstreut hatten. Doch er durfte sich mit seinem Angriff nicht zu viel Zeit lassen, da er jeden Moment mit der Rückkehr seines Erzfeindes Heinrich von Kastilien zu rechnen hatte. Seine letzte, hauchdünne Chance bot sich ihm nur für einen Augenblick, und Karl hat sie mit dem Instinkt des erfahrenen Kriegers genutzt. Als er mit seiner Truppe das Hügelgelände zum Bachgrund hinabritt, traf er zunächst wohl nur auf wenig Widerstand. Über diese Phase der Schlacht berichten die Quellen nur sehr vage, und auch Karl bemühte sich in einem Brief an den Papst, sein nach den Maßstäben der Zeit nicht sehr ritterliches Täuschungsmanöver möglichst im Dunkeln zu lassen. Konradins Truppen, so schrieb er später über den Verlauf der Schlacht,
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gehörten. Erst als sie sich näherten, erkannten sie ihren Irrtum. Heinrich entschloss sich, seine Ritter kurz ausruhen zu lassen. Dann formierte er sie zum Angriff. Auch nach einer längeren Verfolgung war seine Truppe immer noch ein gefährlicher Gegner, homogen und diszipliniert, vor allem aber geführt von einem Mann, den sein alter Hass auf Karl umtrieb. Die Scham, dass ihn der Franzose getäuscht hatte, würgte in seiner Kehle. Entschlossen, sich den schon sicher geglaubten Sieg nicht mehr aus der Hand nehmen zu lassen, stürmte Heinrich seinen Leuten voran. Der Kampf mit den wenigen Hundert Spaniern war für Karls Truppen mühevoller, als das vorherige Zersprengen des staufischen Hauptheeres. Wieder half ihnen eine List des findigen Érard. Noch ehe die spanischen Angreifer heran waren, wandte er sich mit einem Teil der Franzosen zum Schein zur Flucht, um sich dann aber ganz plötzlich den Verfolgern wieder zum Kampf zu stellen. So löste sich das Gefecht sehr bald in ein Handgemenge auf, in dem die wendigen französischen Ritter den schwer gepanzerten Spaniern überlegen waren. Wie lange diese letzte Phase dauerte und was im Einzelnen dabei geschah, ist nicht überliefert. Gegen Abend behaupteten die Franzosen unangefochten das Schlachtfeld. Doch besaß der Sieger kaum noch Truppen, um die zersprengten Feinde einzufangen. Dies übernahmen nun seine Parteigänger im ganzen Land. Nach Karls Sieg gab es keine Bedenken mehr, sich offen auf seine Seite zu stellen. Schon drei Wochen nach der Schlacht waren sämtliche Anführer der staufischen Seite, soweit sie nicht gefallen waren, gefangen genommen und zum Teil sofort hingerichtet worden. Auch Konradin blieb nicht verschont. Als er versuchte, nach Sizilien zu fliehen, um von dort den Kampf gegen Karl fortzusetzen, wurde er, bereits auf See, von einem einheimischen Adligen gefangen genommen und an Karl ausgeliefert. Karl nahm seinen Gefangenen mit in seine Hauptstadt Neapel, wo dem Staufer der Prozess gemacht wurde. Die Hinrichtung Konradins und seiner Mitgefangenen am 29. Oktober 1268 auf
„rückten bis zu einem Bach vor, der zwischen unseren beiden Heeren verlief, ein schlechtes Vorzeichen auf ihrem Weg. Gleichzeitig rückte auch ich in drei getrennten Abteilungen, schon zur Schlacht geordnet und auf einen plötzlichen Angriff des Feindes vorbereitet, auf die Palentinische Ebene hinunter. Entgegen meiner Hoffnung, dass die Feinde noch weiter vorrücken würden, verharrten die Feinde am Bachufer bei dem Dorf Pontius, ohne jedoch ihre Schlachtordnung aufzulösen. Erst als sie sahen, dass meine Truppen nun ebenfalls eine Rast einlegten, stürmten sie plötzlich mit ungeheurer Wucht über den Bach. Ich aber stürzte mich mit meinen Truppen, im Vertrauen auf den göttlichen Beistand Eurer Gebete, mitten in die Feinde. Es kam zu einer auf beiden Seiten mit Erbitterung geführten Schlacht, in der schließlich der größte Teil der Feinde getötet wurde, während die wenigen Überlebenden, die meinem Heer nicht mehr standhalten konnten, ihr Heil in der Flucht suchten. Von meinen Leuten unverzüglich verfolgt, wurden die meisten von ihnen in den nahen Wäldern und Bergen niedergemacht.“ 2
Es muss Karl von Anjous Rittern ein Leichtes gewesen sein, die verstreuten staufischen Kämpfer einzeln oder in kleinen Gruppen niederzumachen. Vermutlich gelang es ihnen auch, auf die andere Seite des Bachlaufes zu gelangen, wo noch Konradins drittes Treffen stand, das offenbar nicht in die Schlacht eingegriffen hat. Geschockt über das unvermutete Auftreten der besiegt geglaubten Franzosen und ohne feste Führung, leisteten Konradins Truppen kaum Widerstand. Nach dem Verlust der Standarte flohen die meisten das Saltotal hinauf. Unter ihnen auch der junge Staufer. Drei Tage später traf Konradin mit nur noch 500 Rittern wieder in Rom ein. Die Deutschen hatten das Schlachtfeld nicht einmal bis zur Rückkehr Heinrichs und seiner Ritter halten können. Karl war nun in der Lage, sich mit freiem Rücken auch diesem letzten Feind zu stellen. Aus der Distanz hatten die Spanier gar nicht bemerkt, dass die Ritter auf dem Schlachtfeld zu den Feinden
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Das Kastell dell’Ovo im Hafen von Neapel. In dieser Burg, die zu staufischangiovinischer Zeit noch San Salvador hieß, verbrachte Konradin seine letzten Tage.
der Piazza Mercato in Neapel veranlasste Karl wohl weniger aus Rachegefühlen als aus dem politischen Kalkül, dass allein mit dem Tod des Staufers die Gefahr eines neuen Aufstands restlos gebannt sei. Um Sizilien wieder völlig in seine Hand zu bekommen, benötigte der Franzose allerdings noch vier weitere Jahre. Doch auch dann konnte er sich nicht lange am unangefochtenen Besitz seines Königreichs erfreuen. Ein Volksaufstand am 30. März 1282, bekannt als sizilianische Vesper, entriss die Insel endgültig seiner Herrschaft. Das Scheitern Konradins leitete unwiderruflich das Ende der mittelalterlichen Universalmonarchie ein, wie sie im römisch-deutschen Kai-
sertum verkörpert war. An ihrer Stelle entstanden allmählich Nationalstaaten, vor allem in Frankreich und Spanien. Spanier und Franzosen lösten in den folgenden Jahrzehnten die Deutschen als Hegemonialmacht in Italien ab. Der Italienzug Kaiser Heinrichs VII. im Jahre 1312 war nur noch ein letztes, fast schon anachronistisches Kapitel des deutschen Traums vom Reich im Süden. Das Reich und Italien gingen fortan getrennte Wege. Die deutschen Kurfürsten regelten mit der Konstitution von Rhens (1338) die Wahl des Kaisers ohne Einflussnahme des Papstes. Zweihundert Jahre später zerriss durch die Reformation in Deutschland auch das religiöse
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Band zwischen beiden Völkern, denen es bis ins 19. Jahrhundert nicht gelang, wie ihre westlichen Nachbarn Nationalstaaten zu bilden. Seit dem Zeitalter der Renaissance wurde Italien zunehmend zum Ziel der Bildungsreisen junger Adliger aus ganz Europa. Aus der Sicht seiner nördlichen Nachbarn und vor allem der Deutschen war Italien bald nur noch ein kulturelles Phänomen, ein Land, das, wie Joachim Fest einmal sagte, die Geschichte schon hinter sich hatte. Vollends im frühen 19. Jahrhundert wurde Italien, im Anschluss an Goethes berühmte italienische Reise, das bevorzugte Ziel deutscher Künstler und Literaten, die hofften, in den romantischen Trümmerlandschaften ihre idealisierte Vorstellung eines unpolitischen Arkadien erfüllt zu finden. Der Traum vom Reich im Süden, den schon Goten, Langobarden und Franken geträumt hatten, nahm oft nur für kurze Zeit Gestalt an, aber er hörte nie völlig auf. Er kehrte in anderen Formen zurück und blieb sogar bis in die jüngste Vergangenheit wirksam, als Italien nach dem Krieg zum bevorzugten Urlaubsziel der Deutschen aus der Bundesrepublik wurde, als ob jenseits aller touristischen Interessen immer noch die Erfüllung einer uralten, tiefen Sehnsucht im Spiel zu sein scheint.
Lehnsherren eines Landes und herrschten dank ihres Rechts, vakante Lehen an verdiente Vasallen zu geben. Das sicherte ihnen die persönliche Gefolgschaft ihrer Lehnsträger, was im Bedarfsfall auch ihre Heeresfolge einschloss. Den Vasallen standen die regelmäßigen Erträge ihrer Territorien zu, woraus sie auch ihre militärischen Verpflichtungen gegenüber dem Lehnsherrn zu finanzieren hatten. Sie bildeten somit nicht nur die oberste gesellschaftliche Klasse der Grundbesitzer, sondern waren zugleich auch eine militärische Waffengattung im Heer ihres Lehnsherrn. Zusammen mit ihren eigenen berittenen Lehnsträgern waren sie der Kern eines jeden mittelalterlichen Heeres. Für die kriegführenden Parteien des Mittelalters gab es im Wesentlichen drei militärische Optionen: 1. Die Verheerung des feindlichen Territoriums, 2. die Belagerung des Gegners in seinen Burgen und schließlich 3. die Schlacht. Je nach Kriegsverlauf und verfügbaren Kräften waren diese drei Methoden der Kriegsführung auch in kombinierter Form möglich. Am häufigsten führte man Krieg, indem man das Territorium seines Feindes verheerte. Zu diesem Mittel griffen auch die großen Herrscher, selbst Könige – besonders wenn sich ihre Gegner hinter nur mühsam zu stürmenden Befestigungen verschanzten.
Hintergrund
„So geschah es, dass Rudolf [von Habsburg] gegen die Stadt Basel einen heftigen Krieg führte, ihre Mauern belagerte und ihre Äcker und Weinberge verwüstete, auch alle Obstbäume im Umkreis ausriss und dem Besitz des Bischofs und der Bürger durch Raub und Brand größten Schaden zufügte.“ 3
Das mittelalterliche Kriegswesen im Überblick Ein einheitliches Kriegswesen mit stehenden Heeren, festgelegten Verbänden und einer militärischen Befehlshierarchie hat es im Mittelalter aufgrund der territorialen Zersplitterung Europas in zahllose Grundherrschaften nicht gegeben. Formal existierten in West- und Mitteleuropa zwar Königreiche, wie Frankreich, England, Aragon und Deutschland, aber es fehlten ihnen eine sich als Nation fühlende Bevölkerung und das einheitliche Rechtssystem moderner Staaten. Kriege wurden nicht wie in der Neuzeit von Staaten, sondern von Personen geführt, von Königen, deren Macht niemals absolut war, oder von Fürsten und Grundherren. Die Könige waren lediglich die obersten
Diese Art des Krieges erforderte weder hohen Aufwand, noch barg sie ein größeres Risiko für Leib und Leben. Sie war ein Abenteuer und machte den meisten Grundherren Spaß. Für einen Ritter wie den aus Südfrankreich stammenden Bertrand de Borns war sie sogar der Lebensinhalt: „Ich versichere Euch, dass mich weder die Aussicht auf Essen oder Trinken noch auf Schlaf
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und nur selten, und nicht ohne zuvor ihr Gefolge befragt zu haben, wagten darum mittelalterliche Kriegsherren, sich darauf einzulassen. Die Schlacht sollte einen Streit entscheiden, der anders nicht mehr gelöst werden konnte. Gewöhnlich endete sie mit der Gefangennahme oder der Flucht eines der beiden Kriegsherren, im Extremfall auch mit seinem Tod. George Duby hat in seinem Buch Der Sonntag von Bouvines darauf hingewiesen, dass die Schlacht von den mittelalterlichen Kriegsparteien als ein Gottesurteil angesehen wurde, gegen das es keine Berufung mehr gab. Die Schlacht hatte somit religiösen Charakter und wurde als etwas Heiliges angesehen. Man stellte die Entscheidung Gott anheim, wie im Jahre 1247 die verbannten Ritter aus Parma, die ihre Heimatstadt zurückerobern wollten. Vor einer Schlacht versöhnten sich die Kämpfer einer Partei miteinander und machten auch mit Gott ihren Frieden. Das Heer König Ottos I. legte sogar einen Fasttag ein, ehe sie die Ungarn am nächsten Tag auf dem Lechfeld zur Schlacht stellten.
davon abhalten kann, mich ins Getümmel zu stürzen, sobald von beiden Seiten der Ruf ertönt ‚Auf sie.‘ Und wenn ich die reiterlosen Pferde sehe und die Schreie höre ‚Zu Hilfe! Zu Hilfe!‘ und die gestürzten Körper, hingestreckt in Gräben liegend oder im Gestrüpp, mit durchbohrten Seiten, in denen noch die hölzernen Lanzen stecken.“ 4
Natürlich dienten solche Feldzüge immer auch dazu, sich und sein Gefolge zu bereichern, denn kriegerischer Raub galt im Mittelalter als eine legitime Art des Besitzerwerbs. Musste jedoch ein Kriegsherr seinen Gegner in seiner Burg oder Festung belagern, war die nächste Stufe der Eskalation erreicht. Ganz West- und Mitteleuropa war um das Jahr 1100 von einem Netz herrschaftlicher Burgen überzogen, die dem Grundherrn und seinem Gefolge, nicht aber der umliegenden Bevölkerung für begrenzte Zeit Schutz bot. Über den Grafen Hugo von Abbeville stellte ein zeitgenössischer Chronist fest: „Weil die anderen nicht alle Burgherren waren, gewann Hugo von Abbeville mehr Macht als der Rest seiner Standesgenossen. Denn er konnte im Vertrauen auf den Schutz seiner Burg ohne Angst tun, was er wollte, während andere, wenn sie irgendetwas versuchten, leicht zu besiegen waren; denn sie hatten kein Refugium.“ 5
Ausrüstung und Bewaffnung Gegen Ende des 11. Jahrhunderts hatte der schwer gepanzerte Ritter die traditionell bei den Germanen dominierende Rolle des Fußkämpfers übernommen und beherrschte völlig das europäische Kriegswesen. Die Rüstung eines voll gepanzerten Ritters beanspruchte etwa 50 Pfund Eisen. Ein Schmied konnte damals an einem Tag gerade einmal zwei bis drei Pfund davon herstellen. Eisen war so knapp, dass man fast überall in Europa die Felder noch mit Holzpflügen bestellen musste. Der Hauptteil der Rüstung eines Ritters bestand aus einem Kettenhemd, meist mit Kapuze, das bis über die Oberschenkel reichte und Brünne, Loricutus oder Halsperge genannt wurde. Dazu kam eine Eisenhose und Fäustlinge, die innen mit Leder gefüttert waren. Die Ringe des Kettenpanzers waren aus Draht gebogen. Ein Ring griff dabei in vier andere Ringe, später waren es sogar sechs Ringe. Ein gutes Kettenhemd bestand aus 40 000 bis 46 000 Ringen und wog allein fast 24 Pfund.
Der neue Burgentyp war ganz auf die Bedürfnisse kriegführender Adliger zugeschnitten. Oft lagen diese Burgen an versteckten, schwer oder unzugänglichen Plätzen. Nur von geringem Umfang, besaßen sie jedoch hochragende Mauern und im Burgkern eine nochmals erhöhte Befestigung, die Motte genannt wurde. Die dritte, freilich auch seltenste Stufe der Kriegsführung war die Schlacht, der offene Kampf auf freiem Feld. Ursprünglich als reiner Zweikampf der gegnerischen Kriegsherren gedacht und eng verwandt mit dem gerichtlichen Zweikampf, nahm sie recht schnell den Charakter eines Massenkampfes an, da auf beiden Seiten auch das Gefolge der Gegner sich am Kampf beteiligte. Die Schlacht enthielt das höchste Risiko für jede Kriegspartei,
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Kettenhemd. Hüftlanges Panzerhemd mit langen Ärmeln, Halsausschnitt und seitlich jeweils kurzem Schlitz. Das schwere Geflecht besteht alternierend aus geschlossenen und vernieteten Reihen von Ringen mit rundem bzw. flachem Querschnitt.
Kettenhemd, Detail. Nürnberg, Ende 15. Jh.
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Topfhelm. Mehrteilig gearbeiteter Helm aus vernieteten Eisenplatten.
Ritter-Aquamanile. Die Skulptur aus dem 13. Jh. zeigt einen Ritter zu Pferd mit Topfhelm. Nationalmuseum, Kopenhagen.
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Paolo Uccello, Schlacht von San Romano, um 1456. Das Gemälde zeigt den Angriff gepanzerter Ritter mit der länglichen Stoßlanze.
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Seit dem 13. Jahrhundert kam ein topfförmiger, das ganze Gesicht schützender Helm in Gebrauch. Er ersetzte den normannischen Helm mit der typischen Nasenspange. Die Hauptwaffe des Ritters war die längliche Stoßlanze. Eingeklemmt unter seiner Achselhöhle hatte sie eine Reichweite von etwa zweieinhalb Metern. Mithilfe von Steigbügeln, die bereits seit dem 9. Jahrhundert in Westeuropa nachgewiesen sind, erhöhte der Ritter seine Standfestigkeit zu Pferd, sodass er nicht nur die Kraft seines Arms in den Stoß legen konnte, sondern die gesamte Wucht seiner Vorwärtsbewegung. Als zweite Waffe besaß der Ritter, falls seine Lanze zerbrach oder sonstwie verloren ging, ein zweischneidiges Schwert, das später auch als Stoßwaffe mit einer Spitze versehen war. Trotz der gewaltigen Kampfkraft eines voll gepanzerten Ritters waren die Verluste unter der Ritterschaft in den Schlachten des 11. und 12. Jahrhunderts erstaunlich gering. In der Schlacht von Bremule (1119) zwischen König Ludwig VI. von Frankreich und Heinrich II. von England gerieten 140 französische Ritter in Gefangenschaft, aber nur drei der fast 1500 Kämpfer auf beiden Seiten sollen in der Schlacht ums Leben gekommen sein, weil sie, so der Chronist Ordericus Vitalis, „von Kopf bis Fuß in Eisen waren, und wegen ihrer Gottesfurcht, aber auch, weil sie sich als alte Kampfgefährten kannten. Darum kam es nicht zu einem Gemetzel“.6 Die schweren Rüstungen schützten ihre Träger jedoch nicht vor Verletzungen. Prellungen, Quetschungen oder Knochenbrüche kamen recht häufig vor, vor allem bei einem Sturz vom Pferd.
Angriffsbewegung dagegen zwang sie, ihre Reihen aufzulockern, was die Gefahr des Zersprengens und oftmals auch ihre völlige Vernichtung zur Folge hatte. Der entscheidende Durchbruch durch die feindlichen Linien und das anschließende Zersprengen des Feindes war den schwer gepanzerten Rittern vorbehalten. „Die Reiterei muss den Feind angreifen und mit Wucht [Fureur] über ihn herfallen, aber sie soll darauf achten, dass sie beim Durchbruch in Linie bleibt, denn anzuhalten und umzukehren führt unausweichlich zur Niederlage.“ 7
Dem Aufprall einer kompakten Masse eiserner Reiter konnte kaum ein mittelalterliches Heer widerstehen. Traf ein Angriff dieser Art eine Formation in offenem Gelände, löste sich diese in wenigen Minuten, oft sogar schon vorher auf. Entscheidend war jedoch, ob es der zersprengten Truppe noch einmal gelang, sich schnell zu sammeln und einen Gegenangriff zu führen. In der Schlacht von Legnano in Norditalien, als 1176 die Lombarden unter Führung von Mailand gegen Kaiser Friedrich I. kämpften, zersprengte der erste Ansturm der Deutschen die lombardischen Ritter. Während das Fußvolk der Lombarden aber weiter den Angriffen der Kaiserlichen standhielt, konnten die lombardischen Ritter sich ungestört wieder sammeln und durch einen Angriff in die Flanke der Deutschen die Schlacht doch noch zu ihren Gunsten wenden. Von ähnlich großem Nutzen war die Infanterie während der Schlacht von Bouvines für den Grafen von Boulogne, der aufseiten Kaiser Ottos IV. kämpfte. Siebenhundert flandrische, mit Piken bewaffnete Fußsöldner bildeten einen ringförmigen Schutzwall, hinter den sich der Graf mit seinen Rittern nach jeder Attacke zurückziehen konnte, um sich vor dem nächsten Angriff eine kurze Atempause zu verschaffen. Die Infanterie wurde von den Stadtbewohnern gestellt, später bestand sie auch oft aus angeworbenen Söldnern. Sie kämpfte überwiegend mit Piken. Nicht zum eigentlichen Fußvolk zählten die Bogen- und Armbrustschützen. Sie kämpften zwar zu
Kampfweise Zwar waren an allen größeren Feldzügen des Mittelalters Fußsoldaten beteiligt, aber sie entschieden bis ins späte Mittelalter hinein keine einzige Schlacht. Das mittelalterliche Fußvolk hatte ausschließlich defensive Aufgaben. Nur in einer festen Stellung war es den Fußtruppen, denen moderner Formationsdrill völlig unbekannt war, möglich, ihre Linien geschlossen zu halten. Jede
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Bogenschützen. Sie kämpften zu Fuß und zählten zu den Spezialisten im Heer. Fresko, 12. Jh., aus der Burg von Sabbionara d’Avio.
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Fuß, zählten aber zu den Spezialisten ebenso wie die Geschützbedienungen bei Belagerungen, die sich aus Handwerkern oder Technikern mit besonderen Kenntnissen rekrutierten. Die einzelnen Waffengattungen wurden sehr unterschiedlich eingesetzt. Bei Tagliacozzo kämpften offenbar nur berittene Truppen gegeneinander. Von Fußtruppen ist nicht die Rede. Bei Dürnkrut an der March, wo im Jahre 1278 Rudolf von Habsburg seinen Widersacher Ottokar von Böhmen besiegte, beschränkte sich die Rolle der Fußtruppen auf beiden Seiten auf die Bewachung der Lager. Andererseits konnten Reiterei und Fußtruppen auch eng zusammenwirken, wie ein Bericht aus der Zeit der Eroberung Irlands durch die Normannen zeigt.
[...] ihren Feind etwas beunruhigt und verwirrt fänden“.9 Die dreigliedrige Schlachtordnung scheint für alle Armeen obligatorisch gewesen zu sein. Fast jeder mittelalterliche Schlachtbericht erwähnt die Aufteilung der verfeindeten Heere in drei Treffen, die entweder neben- oder hintereinander aufmarschierten. Die Vorteile dieser Drittelung waren evident, da drei Treffen leicht zu koordinieren waren. Je nach Lage konnte die beiden hinteren Treffen die Front des vorderen Treffens rechts und links verlängern oder aber als Reserve einen Durchbruch auffangen. Bei der Belagerung der südfranzösischen Festung Castelnaudry während des sogenannten Albigenserkrieges (1209 – 1218) stellten sich die Truppen des Grafen Foix in drei Abteilungen gegliedert gegen das Heer der Kreuzfahrer zur Schlacht:
„Im Krieg gegen die Irländer muss man darauf achten, dass immer Bogenschützen vermischt zwischen die Reiter gestellt werden, und zwar so, dass die Steingeschosse, mit denen sich die Iren gegen schwer gepanzerte Truppen zur Wehr setzen, ebenso wie ihre Art, von allen Seiten anzugreifen, um sich dann aufgrund ihrer Gewandtheit ohne Schaden zurückzuziehen, mit Pfeilschüssen in alle Richtungen bekämpft werden können.“ 8
„Jene, die auf gepanzerten Pferden saßen, bildeten die Mitte, die übrigen Reiter befanden sich auf dem einen und das mit Lanzen ausgerüstete Fußvolk auf dem anderen Flügel.“ 10
Außer den Rittern, die Lehnsträger oder Vasallen waren, gab es auch berittene Knechte, die Servientes oder Sergeantes genannt wurden. Ihre Ausrüstung ähnelte der der Ritter, war gewöhnlich jedoch weniger aufwendig. Nach der Regel des Ritterordens der Templer stand den Sergeanten alles zu,
Erfahrene Führer versuchten oft, den Gegner vor dem ersten Angriff der dicht geschlossenen Formation der Ritter in Unordnung zu bringen. Die Franzosen eröffneten die Schlacht von Bouvines, indem sie „hundertfünfzig berittene Knechte“ vorausschickten, „damit die edlen Ritter Frankreichs
„was die Ritterbrüder haben, mit Ausnahme eines Rosspanzers [...] ferner des kleinen Zel-
Kampf um einen befestigten Platz. Die französische Buchmalerei (aus der Maciejowski-Bibel), Mitte 13. Jh., zeigt im oberen Bild verschiedene Kämpfertypen. Auffällig sind die drei Berittenen mit den um diese Zeit erstmals verwendeten topfförmigen Helmen. Die übrigen Kämpfer tragen entweder noch den alten „normannischen Helm“ mit dem typischen Nasenbügel als Kopfschutz oder nur die Kapuze ihres Kettenhemdes. Rechts bereiten mehrere Söldner oder Kriegsknechte mit Armbrust, Dolch und einer Art Sichel offenbar einen Sturm auf die Mauern vor. Gut erkennbar sind ihre gewölbten, unten spitzen Schilde. Im Gegensatz zu den anderen sichtbaren Kämpfern tragen sie nur leichte Kettenhemden, die offenbar nur bis zu den Knien reichten.
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Leib und Leben, oder wenigstens das seines Pferdes. In der Schlacht von Bouvines
tes und des Kessels. Sie können jedoch ein Panzerhemd haben, ohne Panzerhandschuhe, außerdem Eisenhose ohne Schuhe und einen Eisenhut.“
„wurde Stephan von Longchamps, ein tapferer, zuverlässiger und treu ergebener Ritter, tödlich getroffen; ein Messer wurde ihm durch die Augenklappe seines Helmes bis ins Gehirn gestoßen. Die Feinde des Königs von Frankreich bedienten sich bei dieser Schlacht einer Sorte Waffen, die man nie zuvor gesehen hatte, denn sie trugen lange, schmale, von der Spitze bis zum Heft dreischneidige Messer, die sie im Kampfe anstelle von Schwertern und Degen benutzten.“ 11
Spätere Soldverträge legten jedoch fest, dass auch die Sergeanten wie die Ritter gepanzerte Pferde haben sollten. Die Zusammensetzung der Heere war höchst unterschiedlich und schwankte je nach Bündnisverhältnissen und finanziellen Mitteln der Kriegsparteien. Der französische König Philippe August überließ seinem Sohn Ludwig im Jahre 1214 zum Kampf gegen Prinz John von England 800 Ritter, 2000 berittene Knechte (Sergeanten) und 7000 Mann Fußtruppen. König Eduard I. von England schloss 1294 einen Vertrag mit dem Erzbischof Siegfried von Köln über die Entsendung von 1000 bewaffneten Reitern, wovon jedoch 350 Ritter (milites) sein sollten.
Söldner schlitzten auch den Pferden den Bauch auf und schreckten nicht davor zurück, zu Fall gekommenen adligen Herren das Gesicht zu zerfleischen. Kurzum: Söldner töteten, und das unterschied sie von den Rittern, die ehrenvoll mit der Lanze kämpften und die im Tod eines adligen Standesgenossen, auch wenn er auf der Seite des Gegners gekämpft hatte, keinen Vorteil sahen. Man zog es vor, gegnerische Ritter gefangen zu nehmen und ein Lösegeld zu erzielen. Auch scheuten Söldner nicht davor zurück, mit verbotenen Waffen zu kämpfen, etwa mit den verhassten Bogen und Armbrüsten, die fürchterliche Wunden zufügen konnten. Ein walisischer Langbogen durchschlug mühelos die Panzerung eines Kettenhemdes.
Das Aufkommen der Söldner Um die Mitte des 12. Jahrhunderts begannen die Kriegsherren, vermehrt Soldknechte für ihre Kriegszüge anzuwerben. Diese Männer kamen zuerst aus den dicht bevölkerten Gebieten im Norden Frankreichs, aus den Städten Flanderns und des Hennegaus, aber auch aus Navarra. Brabanzonen nannten die zeitgenössischen Quellen jene Söldner, die Kaiser Friedrich I. für seine Feldzüge in Italien angeworben hatte. Andere Namen waren Cottiers oder Ribaldi. Die Söldner traf die allgemeine Verachtung und der Zorn der etablierten Klassen. Der Krieg war in der durch göttliche Fügung bestimmten Ordnung der Gesellschaft in Kleriker, Bauern und Krieger ausschließlich den Rittern vorbehalten. Maßten sich andere Personen, vor allem aus den niederen Schichten, die Rolle des Kämpfers an, galt dies als verdammungswürdiger Frevel. Zudem empfanden die Ritter die Kampfweise der Söldner als unwürdig und schmutzig. Söldner benutzten häufig besondere Messer, mit denen sie in die Lücken der ritterlichen Rüstungen eindringen konnten. Kein Ritter wagte sich daher ohne Not in die Reihen feindlicher Söldner. Er riskierte dabei
„Im Krieg gegen die Waliser wurde einer der berittenen Kämpfer von einem Pfeil getroffen, den ein Waliser auf ihn abgeschossen hatte. Dieser durchschlug seinen Oberschenkel ziemlich weit oben, dort, wo er innen und außen durch die Schürze seines Kettenhemdes und durch eiserne Beinschienen geschützt war; anschließend durchbohrte er jenen Teil des Sattels, den man alva nennt, und blieb schließlich im Pferdeleib stecken. Er war aber so tief eingedrungen, dass er das Pferd tötete.“ 12
Die römische Kirche sprach sicherlich ganz im Sinne der adligen Ritterschaft – was selten genug
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geschah –, als sie diese Waffen auf dem Zweiten Laterankonzil von 1139 ausdrücklich verdammte:
genschaft, hatten sie vom Sieger keine Schonung zu erwarten. Sie wurden in den meisten Fällen erbarmungslos niedergemacht und in Massen gehängt, geköpft oder ertränkt.
„Wir verbieten fortan unter Androhung der Exkommunikation gegen Christen und Katholiken jene Gott so verhasste tödliche Kunst der Armbrust- und Bogenschützen.“
Kirche und Kriegswesen Die römische Kirche, neben der Ritterschaft die zweite große Macht des Mittelalters, hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Krieg und Gewalt. Einerseits galt das traditionelle Tötungsverbot des Evangeliums. In ihren Augen war darum die Tötung eines Feindes, selbst in Notwehr, eine Sünde, die wenigstens eine leichte Kirchenbuße zur Folge hatte. Andererseits waren jedoch auch immer wieder hohe Kirchenmänner selbst an Kriegszügen beteiligt. Kleriker wie der Bischof von Cahors ermahnten die Kreuzfahrer des Grafen Montfort beim Anrücken des Feindes, „sich tapfer zu verhalten, und sie versprachen ihnen fest, dass sie, wenn sie in dem so ruhmreichen Kampf für den christlichen Glauben fielen, den Nachlass aller Sünden [...] erhalten würden“.13 Einen Ritter, der die Nerven verloren hatte und floh, zwang der Bischof durch sein persönliches Eingreifen, in den Kampf zurückzukehren. Der Erzbischof von Köln zog sogar an der Spitze seines Heeres gegen König Konrad IV. Der Erzbischof von Salzburg unterstützte König Rudolf im Krieg gegen Ottokar von Böhmen im Jahre 1278 mit 300 Reitern. Guillaume, der Erzbischof von Paris, half tatkräftig dem Kreuzfahrerheer des Grafen Simon von Montfort bei der Belagerung von Tenere, was der junge Kleriker Pierre aus dem Kloster Vaux de Cerny bei Paris vollkommen in Ordnung fand. Sein Bericht über die Taten des Bischofs ist voll des Lobes:
Die Drohungen der Kirche halfen jedoch wenig. Viele Söldner waren hervorragende Bogen- oder Armbrustschützen und somit unverzichtbare Spezialisten für jeden Kriegsherrn. Nach dem Ende der Kriegszüge wurden Söldner jedoch oft zu einer schweren Plage. Waren sie von ihren Kriegsherren nur schlecht oder gar nicht bezahlt worden, begannen sie, auf eigene Faust das Land zu plündern und niederzubrennen. Das Dritte Laterankonzil von 1179 sah sich daher gezwungen, allen Fürsten, die Söldner anwarben oder unterstützten, mit dem Kirchenbann zu drohen. Auf Söldner konnte jedoch kein Kriegsherr verzichten, besonders dann, wenn der Feind sie ebenfalls einsetzte. Selbst die Kirche musste schließlich den Einsatz von Söldnern im Heer des Grafen Simon von Montfort hinnehmen, der in ihrem Namen den Kreuzzug gegen die Katharer führte. Dort hatten sie Gelegenheit, bei der Belagerung von Béziers im Jahre 1209 ihre militärische Tüchtigkeit schlagend unter Beweis zu stellen. Noch während die adligen Kreuzfahrer nach einem Ausfall der Belagerten unschlüssig waren und eine Beratung abhielten, drangen die Söldner in einem beherzt vorgetragenen Gegenangriff in die Festung ein, eroberten die ganze Stadt im Sturm, plünderten sie und töteten angeblich 7000 Bewohner, noch ehe ihre Auftraggeber sie daran hindern konnten. Die letzten kaiserlichen Truppen auf dem Schlachtfeld von Bouvines waren 700 Männer aus Brabant, die sogenannten Brabanzonen. Aber weniger ein besonderes militärisches Ethos wird sie zu diesem hartnäckigen Widerstand bewogen haben als vielmehr die Einsicht, dass sie nur zusammen in geschlossener Formation eine Überlebenschance hatten. Gerieten Söldner in Gefan-
„Er [Guillaume] predigte täglich, organisierte Sammlungen zur Aufbringung der Kosten für die Kriegsmaschinen und trug auch Sorge für alles, was sonst noch zur Ausführung des Vorhabens notwendig war. [...] Er bildete die kriegstechnischen Handwerker aus und unterwies die Zimmerleute; kurzum, er übertraf jeden Werkmeister
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che über alle christlichen Fürsten beanspruchte. Die daraus resultierende Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser war der erste ideologische Konflikt in der Geschichte Europas, und nichts sollte den Charakter der Kriegsführung so sehr verändern wie diese Wende in der Sicht des Feindes. Die Angehörigen der gegnerischen Seite waren nun nicht mehr im Grunde gleich geartete Konkurrenten um Besitz und Macht, sondern Vertreter der Finsternis und Erfüllungsgehilfen des Teufels, der die gottgewollte Ordnung der Welt zum Einsturz zu bringen drohte. „Voran Soldaten Christi!”, rief Papst Innozenz III. (1198 – 1216) den Kreuzfahrern zu, die gegen die Katharer zogen.
in der Unterweisung in allen mit den zur Belagerung gehörenden Dingen.“ 14
Der Bischof von Senlis, Garin, war in der Schlacht von Bouvines der militärische Berater des französischen Königs Auguste Philippe und wies persönlich den Rittern ihre Plätze für die Schlacht zu. Bei der Belagerung der Burg von Puiset (1109) durch das Heer des französischen Königs riss ein Kleriker eigenhändig im Pfeilhagel der Verteidiger die hölzernen Palisaden der äußeren Umwallung ein und ermunterte die Männer des Königs, ihm durch die Bresche zu folgen. „Gott entfachte in einem kahlköpfigen Priester den Geist der Tapferkeit und gab ihm die Kraft, was kein Mensch für möglich gehalten hätte, das zu tun, was dem Grafen [Thibaut] und allen seinen Männern nicht gelungen war.“ 15
„Ihr sollt danach trachten, den ketzerischen Unglauben auf jede Art und Weise und mit allen Mitteln, die Gott euch offenbaren wird, zu vernichten. Und ihre Anhänger sollt ihr mit kraftvoller Hand und starkem Arm und auch mit noch größerer Unbesorgtheit bekämpfen als die Sarazenen, denn sie sind schlimmer als die Sarazenen.“ 16
Lange Zeit hatte die Kirche auch im eigenen Interesse – immerhin waren ihre reichen Klöster eine besonders begehrte Kriegsbeute – versucht, das Kriegswesen, vor allem aber die ständigen Gewalttätigkeiten der Barone, wenigstens in ihren übelsten Ausprägungen einzudämmen. Sie verbot das Kämpfen an Sonntagen und anderen hohen Kirchenfeiertagen. Auch gegen das vor allem in Frankreich verbreitete Turnierwesen ging sie vor. Allerdings erkannte die Kirche damit auch grundsätzlich den Ritterstand als Teil der christlichen, von Gott vorgegebenen Ordnung an.
Im 11. und 12. Jahrhundert hatten Kriege selten lange gedauert. Die Zahl der Schlachten war gering. Ohne Berücksichtigung der Kreuzzüge verzeichnet die europäische Geschichte in der Zeit von 900 bis 1200 gerade einmal ein Dutzend Schlachten, von denen einige im Hinblick auf die geringe Zahl der an ihnen beteiligten Streitkräfte kaum diesen Namen verdienen. Das änderte sich im Laufe des 13. Jahrhunderts. Die Übertragung des Kreuzzuggedankens auf die Konflikte in Europa, der wieder aufflackernde Kampf zwischen Kaiser und Papst, aber auch das allmähliche Wachsen eines nationalen Bewusstseins spalteten die europäische Ritterschaft und bewirkten, dass die Kriege länger und grausamer geführt wurden. Die Ritterschaft schonte sich nicht mehr. Man schreckte nun nicht
Soldaten Christi Je mehr die Kirche Länder und Besitztümer anhäufte und schließlich eine von den weltlichen Fürsten unabhängige Kirchenhierarchie aufzubauen bemüht war, desto mehr wurde sie selbst zur weltlichen Macht und benötigte Kämpfer, die sie gegen die begehrlichen Übergriffe von Monarchen und Grundherren schützen sollten. Der Konflikt zwischen weltlicher und kirchlicher oder geistlicher Macht eskalierte, als Papst Gregor VII. (1073 – 1080) erstmals die Oberhoheit der römischen Kir-
Im Zeichen des Kreuzes. Reenacter im Ornat der Templer.
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mehr davor zurück, sich gegenseitig wie das niedrige Kriegsvolk zu töten. Der Kreuzzug der nordfranzösischen Ritter gegen die Albigenser dauerte neun Jahre. Kriege dieser Länge hatte man im Mittelalter bis dahin nicht gekannt. Als er zu Ende war, hatte sich das ehemals blühende Languedoc in eine entvölkerte Wüste mit rauchenden Trümmern verwandelt. Der Hass der Einheimischen auf die Kleriker und ihre französischen Handlanger entlud sich in vielen Gewaltexzessen, sogar die bereits erschlagenen Feinde wurden noch verstümmelt, wie der Chronist aus dem Kloster Vaux de Cerny in seiner Historia Albigensis voller Entsetzen schreibt:
sein Pferd abgeben und zu Fuß ins Lager zurückkehren, um auf seine endgültige Strafe zu warten. Ein Bannerträger, der befehlswidrig seine Lanze zum Kampfe senkte und seinen Posten verließ, sollte für ein Jahr aus der Gemeinschaft der Tempelritter ausgestoßen werden und durfte nur noch die niedrigsten Arbeiten verrichten. Die drei bekanntesten Ritterorden aus einer Vielzahl von Gründungen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts waren die Orden der Johanniter, der Templer und der Deutsche Orden. Einer der Protagonisten der Ritterorden war der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux. Als überragende theologische und auch politische Autorität seiner Zeit predigte er den 2. Kreuzzug (1147/1149), an dem erstmals auch europäische Könige teilnahmen. Seine Schrift über das Lob des neuen Rittertums war die ideologische Grundlegung des Templerordens:
„Jedes Mal, wenn die Feinde [die Besatzung der Albigenserburg Moissac] einen von unseren Kreuzfahrern getötet hatte, umstellten sie den Körper des Getöteten und stießen zum Hohn ihre Schwerter in ihn hinein.“ 17
„Die Ritter Christi aber kämpfen mit gutem Gewissen die Kämpfe des Herrn und fürchten niemals weder eine Sünde, weil sie Feinde erschlagen, noch die eigene Todesgefahr [...]. Denn nicht ohne Grund trägt er das Schwert; er steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut, zum Ruhm aber für die Guten. Ja, wenn er einen Übeltäter umbringt, ist er nicht ein Menschenmörder, sondern sozusagen ein Mörder der Bosheit, und mit Recht wird er als Christi Rächer gegen die Missetäter und als Verteidiger der Christenheit angesehen [...].“ 18
Das neue Rittertum Das traditionelle Rittertum war, weit über seine militärische Funktion hinaus, eine Kultur mit eigenen Zeremonien, eigener Literatur, eigenen Weltdeutungen und Mythen. Es stand somit in Konkurrenz zur klerikal-monastischen Welt, der zweiten großen Kulturform des Mittelalters. Das Konzept der Militia Christi, wie es von Papst Gregor VII. und seinen Parteigängern entwickelt wurde, half, die Kluft zwischen beiden Daseinsformen zu überbrücken. Aus der Verbindung von Rittertum und Mönchswesen entstanden schließlich die Ritterorden, die außergewöhnlichste Erscheinung des mittelalterlichen Kriegswesens. Die Angehörigen dieser Orden waren den drei monastischen Gelübden der Armut, des Gehorsams und der sexuellen Enthaltsamkeit verpflichtet. Es liegt auf der Hand, dass die Einhaltung dieser Regeln die militärische Schlagkraft der Ritterorden im Vergleich zu den damals üblichen feudalen Armeen beträchtlich erhöhte. Ein Tempelritter, der disziplinlos aus der Schlachtreihe brach, musste laut Artikel 163 der Templerregel
Die bis dahin auf die Klöster beschränkte Reglementierung des täglichen Lebens erfasste durch die Gründung der Ritterorden erstmals auch einen nicht monastischen Daseinsbereich. Im 15. und 16. Jahrhundert verstärkte sich diese Entwicklung, vor allem durch Reformation und Gegenreformation, die schließlich, im Zeichen von religiös asketischem Eifer und moralisch verbrämter Zweckrationalität die gesamte europäische Gesellschaft revolutionierten. Freiheit und Ungebundenheit, die trotz vieler materieller Beschränkungen zum Dasein aller Schichten im Mittelalter gehört hatten,
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verschwanden allmählich und machten alles bestimmenden Autoritäten Platz. Reichtum wurde nicht mehr zum Zwecke einer angemessenen Lebensführung erworben, wozu in der Ritterkultur auch immer die Großzügigkeit des Grundherrn gegenüber seiner ritterlichen Gefolgschaft gezählt hatte, sondern nun galt er – vor allem in protestantischen Kreisen – als Zeichen der eigenen göttlichen Auserwähltheit oder eines erfolgreichen Lebens. Zugleich ermöglichten es Schießpulver und Artillerie den Königen und Landesfürsten, endlich die Burgen jener Ritter und Grundherren einzunehmen, die sich ihnen bislang widersetzt hatten. In Frankreich entstand der absolutistische Zentralstaat, in Deutschland entstanden die Territorialfürstentümer. Nur noch in den Ständeversammlungen konnte der europäische Adel wenigstens einen Teil seiner Macht gegenüber dem Landesherrn wahren. Die Zeit seiner Unabhängigkeit war spätestens im 17. Jahrhundert unwiederbringlich dahin. Aus den Nachfahren der Ritter wurden Offiziere, die in neu gegründeten speziellen Kriegsakademien auf ihre Laufbahn vorbereitet wurden. Die
folgende Notiz über eine Pariser Akademie aus dem 17. Jahrhundert zeichnet zumindest eine allgemeine Tendenz: „Stets findet sie [die adlige Jugend] dort die gebotene Disziplin und besonnene Rittmeister, die darauf achten, dass ihr Genüge getan wird. Das Beispiel ihrer eigenen Tugend hat die besten Wirkungen. Moral und eine heilsame Lehre gehen Hand in Hand.“ 19
Die jungen Adligen waren zum Dienst in den neuen Regimentern vorgesehen, die bald zum Kern fast aller europäischen Armeen wurden. Vorbei war auch das Zeitalter der Reiterei. In den neuen Armeen war die Kavallerie nur noch auf militärische Nebenaufgaben beschränkt. Die schlachtentscheidende Rolle übernahm wieder wie in griechisch-römischer Zeit die in dicht geschlossener Formation vorrückende Infanterie. Absoluter Gehorsam und Todesverachtung selbst im dichtesten feindlichen Feuer waren die in den neuen Armeen geforderten Tugenden, die den Kriegern des Mittelalters, den Rittern ebenso wie den Söldnern, fremd und unverständlich gewesen wären.
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7 Der Griff nach dem Goldenen Apfel
Wien 1683
„Belagerung und Entsatz der Stadt Wien im September 1683“, Gemälde von Stephan Kessler, Heeresgeschichtliches Museum, Wien. Bezeichnet im Schriftband Mitte oben: „16 | die Belögerung Wien von Tirggn | 83“, vorn zu Pferd Johann III. Sobieski; im Zentrum Max Emanuel v. Bayern.
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Wien 1683
ben. Ferdinand I. fehlte jedoch das Kriegsglück, um seine Erbforderungen durchzusetzen. Die Osmanen besetzten im Sommer 1529 ein zweites Mal die ungarische Hauptstadt Buda, die von einer Söldnerhorde in habsburgischen Diensten nur halbherzig verteidigt worden war, und drangen anschließend bis Wien vor. Sultan Süleyman blieb jedoch nicht die Zeit, den Angriff erfolgreich abzuschließen, der vielleicht auch nur der Einschüchterung des nach Prag geflohenen Ferdinands gedient hatte. Es war bereits Herbst, und angeblich hatten die Truppen des Sultans zu wenig Artillerie für eine Belagerung mitgenommen. Jedenfalls zogen sich die Osmanen schon Mitte Oktober 1529 wieder nach Ungarn zurück. Der politische Schaden war immens. Die Reichsfürsten waren schockiert, und selbst die protestantischen Stände vergaßen angesichts der „Türkengefahr“ ihren konfessionellen Disput mit dem Kaiser. Als Süleyman nur drei Jahre später wieder mit einem großen Heer in den habsburgischen Erblanden erschien, wagte er nicht die Konfrontation mit dem numerisch gleich starken Reichsaufgebot, sondern beschränkte sich auf die Plünderung der Steiermark. Die nächsten 150 Jahre vergingen somit ohne neue ernsthafte Gefahren für die Stadt. Die Lage auf dem nördlichen Balkan blieb, wenn auch nie wirklich friedlich, so doch einigermaßen stabil. Die Habsburger hielten seit 1541 das nördliche Drittel des ehemaligen Königreichs Ungarn besetzt, während die Osmanen aus den zentralen Gebieten des Landes zwischen Donau und Theiss zwei neue Provinzen gemacht hatten. Der dritte Teil dagegen stand als formal selbstständiges Herzogtum Siebenbürgen unter der Oberhoheit Süleymans und seiner Nachfolger. Habsburger und Osmanen, die beiden großen Gegenspieler auf dem Balkan, waren vorerst durch andere Gegner gebunden. Während das Wiener Kaiserhaus mit den protestantischen Reichsständen und später mit Schweden und Franzosen um die Vorherrschaft im Reich kämpfte, versuchten die Sultane, die Seeherrschaft im Mittelmeer an sich zu reißen und eroberten Zypern und Kreta. In dieser Phase
Kein Kampf der Kaiser und Kalifen
A
us den Trümmern des alten Osmanischen Reiches entstand nach dem Ersten Weltkrieg die heutige Türkei. Der gleichzeitige Angriff der verbündeten Griechen, Serben und Bulgaren hatte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts das europäische Territorium des Sultans auf das Hinterland der alten Hauptstadt Konstantinopel beschränkt. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts aber hatten die Osmanen noch den größten Teil des Balkans einschließlich Ungarns beherrscht. Nur ein schmaler Streifen im Norden Ungarns war im Besitz der österreichischen Habsburger verblieben. Damals war die sogenannte Türkengefahr in den südostdeutschen Ländern sprichwörtlich, und im ganzen Reich wurde die Türkensteuer erhoben, um die Abwehr des „Erbfeindes der Christenheit“ zu finanzieren. Im Jahre 1683 unternahmen die Osmanen ihren größten und zugleich letzten Feldzug gegen das Reich. Ihr Ziel war die Einnahme von Wien. Die Belagerung der Kaiserstadt im Jahre 1683 hatte eine fast 200-jährige Vorgeschichte. Einen Eroberungszug in die habsburgischen Erblande hatte schon Sultan Mehmed II. (reg. 1451 – 1481), der Bezwinger Konstantinopels, geplant. Sein Urenkel und Nachfolger, Sultan Süleyman I. (reg. 1520 – 1566), gelangte immerhin vor die Tore Wiens. Was die Osmanen an dem weit außerhalb ihrer Reichweite liegenden Wien reizte, ist nicht leicht zu klären. Zwar hatte der Habsburger Ferdinand I., ein Bruder Kaiser Karls V., die Stadt zu seiner Residenz gemacht. Wien besaß aber noch längst nicht die Bedeutung der kommenden Jahrhunderte und war kaum ein realistisches Ziel für den Expansionsdrang der Sultane. Schon die Eingliederung der 1526 völlig besiegten Ungarn in sein Riesenreich hatte Süleyman nur sehr widerwillig und in Etappen betrieben. Zunächst hatte der Sultan gehofft, mit dem Adligen János Zápolya einen willigen Klientelkönig gefunden zu haben, der das Land nach seinem Willen regieren würde. Allerdings hatten die Habsburger eigene Ansprüche auf die ungarische Krone erho-
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1683
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Der nördliche Balkan gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Vor dem großen Krieg von 1683 hatten die Österreicher in jahrzehntelangen Kämpfen einen schmalen Streifen im nördlichen Ungarn gegen die Osmanen behauptet. Der Rest des Landes befand sich seit fast anderthalb Jahrhunderten in der Hand der Osmanen. Obwohl deren Reich um die Mitte des 17. Jahrhunderts seine größte territoriale Ausdehnung erreicht hatte, waren die Zeichen seiner Schwäche deutlich sichtbar. Kara Mustafas Angriff auf Wien im Sommer 1683 überforderte die Kräfte des Osmanischen Reiches und markierte den Wendepunkt seiner Macht. Nach ihrer Niederlage vor Wien verloren die Osmanen innerhalb weniger Jahrzehnte fast ganz Ungarn an die siegreichen Kaiserlichen.
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beschränkten sich die gegenseitigen Feindseligkeiten beider Parteien auf Festungskämpfe im Norden Ungarns. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unternahmen die Osmanen erneut einen ernsthaften Vorstoß auf das Reichsgebiet, wurden aber am 1. August 1664 bei St. Gotthard-Mogersdorf in der Steiermark von den österreichisch-bayerischen Truppen unter dem Befehl des Grafen Raimondo Montecuccoli (1609 – 1680) geschlagen. Es war die erste schwere Niederlage einer osmanischen Hauptstreitmacht seit der Schlacht von Belgrad im Jahre 1456. Der anschließende Waffenstillstand zwischen Wien und Konstantinopel beließ die Osmanen trotz des militärischen Erfolgs im Besitz wichtiger Festungen in Nordungarn. Die Ungarn fühlten sich deswegen von den Habsburgern im Stich gelassen, und in den folgenden 20 Jahren musste Kaiser Leopold I. (reg. 1657 – 1705) wiederholt Aufstände und Verschwörungen ungarischer Magnaten niederschlagen.
auch die Provinzstatthalter (Beglerbegis) eigene Pforten und festbesoldete Truppen in ihrem Dienst hatten, nannte man zur Unterscheidung die Kapi Kulu des Sultans die „Truppen der hohen Pforte“. Sie waren in fünf Truppengattungen gegliedert. Zur Kampftruppe gehörten die Gardereiter, die Sipahi genannt wurden, aber nicht mit den gleichnamigen Lehnsreitern identisch waren. Es gab sechs Gruppen (Regimenter) mit jeweils einem Aga an der Spitze. Dazu kam ein anfangs rund 10 000 Mann starkes Infanteriekorps, das bei den europäischen Feinden der Osmanen unter dem Namen Janitscharen berühmt und gefürchtet war. Der Name stammt von der türkischen Bezeichnung Yeni ceri, was übersetzt „die neue Truppe“ bedeutet. Die Angehörigen des Janitscharenkorps rekrutierten sich anfangs aus der sogenannten Knabenlese in den unterworfenen byzantinischen, serbischen und bulgarischen Gebieten. Oft entwickelten sich die jungen Söhne aus christlichen Familien nach ihrem erzwungenen Übertritt zum Islam zu besonders fanatischen Glaubenskämpfern. Die Janitscharen waren in 196 Orta gegliedert und wurden von einem Janitscharenga kommandiert. Die Angehörigen der 1. bis 59. Orta wurden Bölük (Haufe) genannt, die der 64. bis 95. Segban, was der Name der alttürkischen Fußtruppen war, und die Soldaten der übrigen Ortas hießen Cemaat, was übersetzt „Versammlung“ bedeutet. Besonders hervorgehoben waren die Soldaten der 60. bis 63. Ortas, die zu den Gardetruppen des Sultans zählten und die Bezeichnung „Salaks“ trugen (die zur linken Gehenden). Als weitere Befehlshaber unterstand dem Janitscharenga ein Diwan (Rat) von sechs Offizieren, die zugleich Kommandeure besonders hervorgehobener Orta waren. Das Janitscharenkorps hatte männerbundartigen Charakter und sah sich als eine von der übrigen Bevölkerung abgesonderte Familie an. Daher stammte die Eigenbezeichnung Ocak, was so viel wie „Herd“ bedeutet. Es existierte ein Asylrecht, das kleine Straftäter durch Aufnahme ins Korps vor weiterer Verfolgung bewahrte. Das integrieren-
Hintergrund
Die osmanische Armee In seinen Grundstrukturen war das osmanische Heer im Lauf des 14. Jahrhunderts entstanden. Wie alle Armeen dieser Epoche hatte es eine feudale Basis. Die Gefolgsleute des Staatsgründers Osman (gestorben um 1326) wurden für ihre Kriegsdienste mit erobertem Land belohnt. Die nicht vererbbaren Pfründe nannte man Timar, die größeren Ziyamet oder Has. Aus ihren Besitzern rekrutierte der Sultan seine Sipahi-Reiter, eine leicht gepanzerte Kavallerietruppe, die nur in Kriegszeiten aktiv war und von einem Sancakbegi geführt wurde. Neben dem Lehensaufgebot schufen Osmans Nachfolger auch ein stehendes Heer, das dem Herrscher persönlich verpflichtet war und deren Angehörige Kapi Kulu (Pfortenknechte) genannt wurden. Auf den ständigen Kriegszügen waren sie für den Schutz des Sultans verantwortlich. In Friedenszeiten bewachten die Kapi Kulu seinen Palast. Aus dem Namen Pforte für Palast wurde später die Bezeichnung „Pfortentruppen“. Da bald
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Soldat der Janitscharengruppe.
Panzerhemd eines Janitscharen, Militärmuseum Istanbul.
de Symbol war der Kazan, ein großer Kochkessel. Sinnigerweise hieß der Kommandant eines Orta Corbaci (Suppenbereiter und Verteiler). Trotz der geringen Stärke von nur 50 bis 100 Mann waren Orta Einheiten mit hoher taktischer Selbstständigkeit. Am großen Feldzug des Jahres 1683 nahmen laut einer zu Beginn in Belgrad durchgeführten Musterung 58 Orta mit insgesamt 8000 Mann teil. Andere Janitschareneinheiten waren bereits grenznah stationiert. So gehörten etwa 1200 Janitscharen zur Besatzung der Festung Neuhäusel in Nordungarn.
Weitere Truppengattungen der Kapi Kulu waren die Artilleristen (Topcu), die Sappeure und Mineure (Lagunci) sowie die Waffen- und Munitionsträger (Cebeci), geführt von einem Arsenaloberst, dem Cebecibasi. Außer den Lehnstruppen der Provinzen und der Kapi Kulu wurden auch Vasallen wie Wallachen und Moldawier für Kriegszüge herangezogen. Am großen Zug nach Wien nahmen 1683 auch 20 000 Krimtataren teil, die in der Spätzeit des Reiches zunehmend die klassische Sipahi-Reiterei verdrängten.
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Wien 1683
Kapi Kulu
(Pfortendiener)
Truppen des Sultan
Sipahi
ca. 6000 Mann schwere Kavallerie
Yeni Ceri Ocak
Janitscharenkorps ca. 20 000 Mann
(Oglar)
Sipahiburschen
Söldner des rechten Flügels Söldner des linken Flügels Fremdlinge des rechten Flügels
Gliederung des stehenden osmanischen Heeres.
ca. 4000 Mann
(Bölük)
Topcu
(Salaks)
Lagunci
(Sekban)
Cebeci
Haufe
(Artilleriekorps)
1. – 59 Orta
(Silahtar)
Waffenträger
Kampfunterstützung
Garte60. – 63. Orta truppen
Fußtruppen 64. – 95. Orta ca. 4000 Mann
Pioniere
(Waffen- und Munitionsträger)
(Cemaat)
ca. 12 000 Mann 96. – 196. Orta
Fremdlinge des linken Flügels
Acemi Ocagi
Gemäß den Traditionen eines alten Nomadenvolks zog auch der gesamte Hofstaat mit in den Krieg. Nicht zu unterschätzen war auch die Zahl der nach Beute suchenden Begleiter der Armee, meist Tagdiebe und Abenteurer, die keiner militärischen Disziplin unterstanden, wohl aber im Lager geduldet wurden, weil sie sich beim entscheidenden Angriff in ihrer Gier, als Erste zum Plündern in die Stadt zu kommen, sehr gut als stürmende Masse oder einfach als „Kanonenfutter“ verwenden ließen.
Rekrutenausbildungseinheit
Kara Mustafa (1634 – 1683), binnen zweier Jahre ganz Nordungarn zu erobern. Zur Unterstützung Thökölys zog der Großwesir im Frühjahr 1683 mit einem Heer von über 150 000 Mann von Adrianopel (Edirne) nach Norden. Den Kern seiner Armee bildeten die 20 000 Mann Elitetruppen des Janitscharenkorps, dazu kamen noch einmal rund 20 000 im Dienst des Sultans stehende Söldner. Die Provinzaufgebote des Osmanischen Reiches summierten sich auf 70 000 bis 80 000 Mann. Weitere 20 000 Mann kamen aus den abhängigen Grenzfürstentümern Siebenbürgen, der Walachai und Moldawien. 20 000 Tataren aus der Krim und den ukrainischen Steppen hatten sich ebenfalls Kara Mustafas Kriegszug angeschlossen. In Niederösterreich erinnerte man sich noch lange an ihr Wüten. Senger und Brenner wurden sie genannt, und selbst bei den Türken galten sie als „Verrückte“. Von Kara Mustafa, dem Anführer dieser Armee, ist wenig Schmeichelhaftes überliefert. Grausam, genusssüchtig und habgierig nannten ihn venezi-
Der Großwesir Kara Mustafa Das Jahr 1683 markiert das Ende des langen Friedens zwischen Wien und der „Hohen Pforte“. Ein junger ungarischer Adliger mit Namen Imre Thököly sorgte dafür, dass die alte Rivalität zwischen Osmanen und Österreichern wieder zum offenen Krieg eskalierte. Graf Thököly war als Ungar und Protestant ein natürlicher Feind der katholischen Habsburger. Er versprach dem Großwesir
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anische Autoren, die allerdings nicht gerade den Ruf der Unvoreingenommenheit genossen. Der Großwesir soll alle Christen zutiefst gehasst und den Einwohnern der polnischen Stadt Human sogar bei lebendigem Leib die Haut abziehen gelassen haben. Andere Stimmen behaupteten, Kara Mustafa sei Atheist gewesen. Seine wiederholte Unbeherrschtheit ist dagegen sicher bezeugt. Den Defterdar (Verwalter der Reichsfinanzen) Celeb Hasan Efendi hatte Kara Mustafa im Feldlager vor Wien eigenhändig geohrfeigt, als dieser es gewagt hatte, seine Ernennung zum Gouverneur der Provinz Temešvár abzulehnen. Ehrgeiz und Verschlagenheit fehlten ebenfalls in keiner Aufzählung der Eigenschaften des Großwesirs. Beide Charakterzüge dürften dem angeblich aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Kara Mustafa – ein Obsthändler aus einem ärmlichen Dorf in Anatolien soll sein Vater gewesen sein, andere Quellen berichten, sein Vater sei ein Pfründenbesitzer gewesen –, bei seinem Aufstieg in der hauptstädtischen Ämterhierarchie nicht geschadet haben. Selbst gegenüber dem Sultan (Mehmed IV., reg. 1648 – 1687) agierte er mit Hinterlist und verheimlichte ihm das Ziel seines Angriffs so lange wie möglich. Auch seine höchsten Befehlshaber erfuhren erst am 27. Juni 1683 im ungarischen Stuhlweißenburg, zweieinhalb Monate nach dem Aufbruch von Adrianopel, dass Wien das Ziel ihres Feldzugs sei. Es sei besser, ein ganzes Land zu erobern, soll er gesagt haben, darum werde er auf Wien marschieren. Dann forderte er die Anwesenden auf, ihre Meinung zu seinem Plan zu äußern. Dreimal wiederholte Kara Mustafa seine Frage, und dreimal blieb er ohne Antwort. Skepsis, Betroffenheit und Sorge standen den Ratgebern ins Gesicht geschrieben. Auch Sultan Mehmed soll den Angriff auf die Kaiserstadt höchst bedenklich gefunden haben. Der türkische Angriff auf Wien, 150 Jahre nach der ersten gescheiterten Belagerung der Stadt, erschien schon aus damaliger Sicht wie ein Anachronismus. Mit politischen oder strategischen Gründen war das Unternehmen kaum zu erklären.
Die Bedrohung Wiens, des Herzstücks des Habsburgerstaats, würde die gesamte Macht von Kaiser und Reich mobilisieren, so lauteten die Bedenken des Tatarenkhans Murat Ghirai. Noch kühner schien jedoch Kara Mustafas Plan, die Stadt nicht nur zu erobern, sondern auch dauerhaft in Besitz zu nehmen. Zahlreiche Hinweise in osmanischen Quellen belegen dies. Gleich in den ersten Tagen der Belagerung setzte das Schachern um die lukrativsten Posten der zukünftigen osmanischen Garnison ein. Mit dem Schutz Oberungarns und der Protestanten unter Graf Thököly hatte das nur noch wenig zu tun. Es gab jedoch auch religiöse Gründe für das ehrgeizige Unternehmen des Großwesirs. Für das Osmanische Reich als größte islamische Macht galt nach wie vor der Glaubensauftrag, die Lehre des Propheten so weit wie möglich und auch mit dem Schwert zu verbreiten. Als bedeutende christliche Stadt in ihrer Reichweite hielt Wien die religiöse Verpflichtung der Osmanen zum Dschihad, zum heiligen Krieg, ständig wach. Auch romantische Vorstellungen spielten eine Rolle. Viele Türken hofften, das große Ziel, das der ruhmreiche Süleyman einst verfehlt hatte, nun doch noch zu erreichen. Viel Sagenhaftes rankte sich um die Geschichte der ersten Belagerung Wiens, Mythen, die wie so oft auch hier halfen, die Niederlage zu verklären. Schon hätten die Wiener damals vor Süleyman kapituliert und sich verpflichtet, als Zeichen ihrer Unterwerfung anstelle des Kreuzes eine goldene Kugel, das Zeichen des Sultans, auf die Spitze des Stephansdoms zu setzen. Da sei der Winter gekommen und habe das Heer der Rechtgläubigen zum Abzug gezwungen. Hohe Bedeutung genoss bei den Türken auch das Standbild des Dayi Cerkes auf dem sogenannten Tscherkessenplatz, das angeblich einem türkischen Haudegen gewidmet war, der bei der ersten Belagerung durch eine Bresche allein in die Stadt gestürmt sein soll und erst von einer heidnischen Übermacht überwältigt werden konnte. Dadurch war er zu einem heiligen Krieger geworden, einem Sehid, an dessen Grab eine magische Kraft hafte-
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Wien 1683
Kara Mustafa Pascha (1634 – 1683). Mit List und Brutalität erkämpfte er sich aus einfachen Verhältnissen seinen Weg an die Spitze des Osmanischen Reiches. Auf dem Feldzug von 1683 verriet der Großwesir seinen Befehlshabern erst im letzten Moment das tatsächliche Ziel seines Feldzugs. Man sagt Kara Mustafa nach, dass er Wien nur erobern wollte, um sich ein eigenes Sultanat zu schaffen. Aber diese Spekulation offenbart nur den Mangel an begreifbaren, realpolitischen Beweggründen seines Unternehmens, dessen Ausgang den ehrgeizigen Großwesir abrupt vom Gipfel der Macht stürzte.
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Der Griff nach dem Goldenen Apfel
te, Verpflichtung und Unterpfand seiner zukünftigen Inbesitznahme durch die Rechtgläubigen. Konkret zeigte sich die legendäre Bedeutung der Ereignisse des Jahres 1529 auch in der Schonung von Schloss Neugebäude, das Kaiser Maximilian II. genau an der Stelle hatte errichten lassen, wo während der ersten Belagerung das Prunkzelt Sultan Süleymans gestanden hatte. Alle anderen Schlösser des Kaisers in der Umgebung von Wien steckten die Tataren dagegen in Brand. Die Eroberung und Behauptung Wiens hätte allerdings den Ausbau vorgeschobener Basen in Ungarn, in denen das osmanische Heer überwintern konnte, erfordert. Auch der Bau besserer Straßen wäre vonnöten gewesen, um die zweimonatige Anmarschzeit aus Thrazien zu verkürzen. Allein der Übergang der ganzen Armee über die Drau bei Ossieg beanspruchte mehr als zwei Wochen, da die einzige Brücke erst instandgesetzt werden musste. Dass die Osmanen als lange Zeit modernste Militärmacht Europas jahrzehntelang den Ausbau wichtiger Verkehrswege im Hinterland des künftigen Kampfgebiets vernachlässigten, spricht ebenfalls dafür, dass ihr Vorstoß auf Wien ein einmaliges, die Möglichkeiten osmanischer Politik im 17. Jahrhundert überforderndes Prestigeprojekt war, das im Wesentlichen dem Ehrgeiz Kara Mustafas zugeschrieben werden muss.
Hauptarmee des Herzogs Karl V. von Lothringen, an deren Flanken im Norden das Korps des Generals Johann Graf von Schultz mit 8000 Mann und im Süden General Joseph Herberstein mit 5000 Mann eingesetzt waren. Unklar war auch, ob die Reichsstände dem Kaiser in seiner Zwangslage schnell genug mit ihren Aufgeboten unterstützen würden. Immerhin war es schon am 31. März 1683 der habsburgischen Diplomatie mit Unterstützung des Papstes gegen den hartnäckigen Widerstand Frankreichs gelungen, ein Bündnis mit König Johann III. Sobieski von Polen abzuschließen. Im Falle eines Angriffes der Osmanen auf polnisches Gebiet sollte der Kaiser Sobieski mit einer Armee von 60 000 Mann zu Hilfe kommen, die Polen wiederum verpflichteten sich, bei einem feindlichen Angriff auf Reichsgebiet 40 000 Mann auszuheben. Kaiser und Papst stellten insgesamt rund 2,4 Millionen Gulden als Subsidien in Aussicht. Die Parteien hatten außerdem vereinbart, dass jede die andere mit allen verfügbaren Kräften unterstützen sollte, falls sogar eine der beiden Hauptstädte Wien oder Krakau von den Osmanen angegriffen würde. Trotz dieses Erfolgs der habsburgischen und päpstlichen Diplomatie bestand die Gefahr, dass Kara Mustafas Truppen Wien einnahmen, noch ehe ein starkes Entsatzheer die Osmanen zurückschlagen konnte. Hätte der Sultan erst einmal die Kaiserstadt in ihrer Hand, wären sie nur noch schwer aus Niederösterreich zu vertreiben gewesen. Die Einnahme von Wien wäre für den Großwesir ein überragender Erfolg gewesen, wie ihn das osmanische Heer seit 100 Jahren nicht mehr errungen hatte. Anfang Juli 1683 erreichte Kara Mustafa mit seinem Heer die Raab, einen rechten Seitenarm der Donau, der die Grenze des Osmanischen Reiches zum habsburgischen Nordungarn bildete. Zur Verteidigung der Raablinie hatte der Herzog von Lothringen nach Abstellung dreier Infanterieregimenter zu den Festungen Raab (Györ) und Komorn (Komárom) nur noch rund 12 000 Mann Infanterie und 9500 Kavalleristen zur Verfügung. Damit war
Die habsburgisch-polnische Allianz Trotz der genannten Risiken war das Unternehmen des Großwesirs nicht völlig aussichtslos. Verzweifelt hatten sich die kaiserlichen Gesandten in Konstantinopel um die Verlängerung des 20-jährigen Waffenstillstands von 1664 bemüht. Ein ungünstigerer Zeitpunkt für einen Krieg gegen die Osmanen war für Kaiser Leopold I. kaum denkbar, da zugleich ein neuerlicher Angriff Frankreichs auf die Niederlande und das Elsass drohte. Weitere österreichische Kräfte waren durch Graf Thököly in Nordungarn gebunden. Für eine Verteidigung der Raablinie gegen ein großes osmanisches Heer standen gerade einmal 45 000 Mann zur Verfügung. Davon gehörten rund 32 000 Mann zur
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Wien 1683
Herzog Karl V. von Lothringen (1643 – 1690), Gemälde, um 1680, Kunsthistorisches Museum, Wien. Da sein Herzogtum von französischen Truppen besetzt war, hatte sich Karl von Lothringen in die Dienste des Kaisers begeben. In einer Kandidatur um die polnische Krone war er später Johann III. Sobieski unterlegen. Der schien ihm aber deswegen nichts nachgetragen zu haben. Die Zusammenarbeit beider Fürsten während der Schlacht um Wien verlief ganz offensichtlich problemlos.
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nicht an eine Schlacht gegen die mindestens vierfach überlegenen Osmanen zu denken. So überschritten Kara Mustafas Truppen unangefochten, unter Zurücklassen eines 20 000 Mann starken Korps zur Überwachung der Festungen Raab und Komorn und zur Sicherung des Nachschubs, den Grenzfluss und erreichten nach einem erfolgreichen Gefecht mit der österreichischen Kavallerie bei Petronell-Regelsbrunn am 13. Juli die Umgebung von Wien.
gen Abend gegen 8 Uhr von sich erhoben, auch die ganze Nacht hindurch jedermänniglich, wer da hat geben, zu Pferd oder Wagen fortkommen können, geflohen ist.“ 1
Die Abreise des Kaisers mit seinem Hofstaat am 7. Juli steigerte noch einmal erheblich die Unsicherheit in der Stadt. An den Fürsten Georg Friedrich von Waldeck schrieb Leopold, wohl einsehend, dass seine Flucht einen wenig ermutigenden Eindruck hinterlassen würde, dass der Angriff der gesamten türkischen Macht ihn dazu zwinge, sich für einige Stunden von Wien zurückzuziehen. Seine Abwesenheit sollte schließlich 69 Tage dauern. Tatsächlich aber war die Abreise der kaiserlichen Regierung nach Linz und später nach Passau eine richtige Maßnahme. Allein der Kaiser konnte in schwierigen Verhandlungen mit den Reichsfürsten die rechtzeitige Heranführung einer Entsatzarmee bewirken. Dies wäre ihm in einer belagerten Festung kaum möglich gewesen. Seit der ersten Türkenbelagerung im Jahre 1529 war die Stadt zwischen den Flüssen Donau und Wien allmählich zu einer modernen Festung ausgebaut worden. In einer ersten Bauphase seit 1544 waren die mittelalterlichen Türme durch insgesamt zwölf spitzwinkelige, in den verbreiterten Stadtgraben ragende Bastionen mit größeren Plattformen für die Artillerie ersetzt worden. Das zuerst von italienischen Baumeistern im 16. Jahrhundert entwickelte Bastionärssystem beruhte auf dem Prinzip der flankierenden Wirkung der Bastionen vor den Stadtmauern, die ebenfalls umgebaut werden mussten. Man verringerte ihre Höhe, verbreiterte sie jedoch durch Erdaufschüttungen auf ihrer Rückseite, um Geschütze in Stellung bringen zu können. Diese neuartigen Verbindungswerke zwischen den Bastionen wurden Kurtinen genannt. In Wien war jede Kurtine wegen der maximalen Musketenreichweite von 150 Metern etwa 300 Meter lang. Zudem wurde der Burggraben nach und nach mit zehn zusätzlichen frei stehenden Bastionen, die auch Ravelins genannt wurden, zum Schutze der Kurtinen bestückt. Die der Stadt abgewandte Seite des Burggrabens war
Kaiser Leopold verlässt seine Residenz In der Kaiserstadt brach nach dem Eintreffen der Nachrichten über die Niederlage bei Petronell eine Panik aus. Jetzt war jedem Bewohner klar, dass Wien das Ziel des Großwesirs sein musste. Wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt donauaufwärts in Richtung Linz. Dagegen drängten vor allem Angehörige der ärmeren Landbevölkerung schutzsuchend in die Stadt. 60 000 Menschen sollen außer den Verteidigern in Wien geblieben sein. Ein namentlich nicht bekannter kaiserlicher Offizier, der die gesamte Belagerung Wiens miterlebt und darüber Aufzeichnungen hinterlassen hat, beschrieb das Chaos in der Stadt in der ersten Juliwoche: „Dahero den 2. Julii der erste Alarm auf Wien kommen, dass der Feind die Kais. Cavallerie verfolge, auch allbereit an und über Bruck an der Leitha senge und brenne, worauf den folgenden Tag viel Leute sich von Wien begeben haben. Den 7. ist dieser Alarm und Geschrei so stark geworden, dass der Feind nicht allein die Kais. Cavallerie, sondern auch die ganze Infanterie samt der Artiglerie geschlagen habe und den Überrest der Cavallerie biß nacher Wien in das eusserste verfolge, welcher Alarm, indem er von Stund zu Stund grösser wurde, auch nach Mittag zwischen 4 und 5 Uhr viel der Flüchtigen und eigene Abgeschickte anhero kommen, welche den üblen und gefährlichen Zustand unserer sich immerfort retirirenden Armee erinnerten, verursacht hat, dass Ihro Kais. Majr. noch selbi-
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Wien 1683
Do
B
Vorstadt „Die WarringerStraße“
3
ELENDBASTION
3
5
DOMINIKANERBASTION
X A
B
BRAUNBASTION
6
4
C
Y
WASSERKUNSTBASTION
1
8b
10
B A A
3
Geschützstellungen in der Festung Beginn der türkischen Gräben türkische Batterien türk. Gräben
5
10 6
3
9a
N
3
3
4
7
4
0
100
200
300m
B B
X
4
6
6
B
A Vorstadt „St. Ulrich“
B
7
KÄRNTNERBASTION
7
A
Vorstadt „Landstraße“
4
BURGBASTION
5
B
6
BIBERBASTION
LÖBELBASTION
4
A
4
Große und Kleine GONZAGABASTION
MÖLKERBASTION
7
B
3
3
9c
B Vorstadt „Die Alserstraße“
C
Ar m
NEUTORBASTION
6
7
u-
9
6 3
4
na
4
3
4
Vorstadt „Die Leopoldstadt“
„Be Vorst i de adt gär n Wei ber ssn“
Vorstadt „Die Rossau“
Wien
A
Vorstadt „Auf der Wieden“ Profil X – Y
12,64 m
11,37 m
Palisade Hauptumfassung
Burgravelin
Hauptgraben
C
Ravelingraben
6,85 m
Glacis Y
Gedeckter Weg
(zehnfache Vergrößerung)
Die Festungsstadt Wien. Seit der ersten Belagerung
in den Hauptgraben ragten und durch Kurtinen mit-
von Wien 1529 war die Stadt zu einer Festung ausge-
einander verbunden waren. Notbefestigungen im
baut worden, die alle für die damalige Zeit typischen
Hauptgraben, die Karponnieren (10), verstärkten
Einrichtungen enthielt. Im Vorfeld der Festung war ein
das Verteidigungssystem.
Glacis (B) angelegt, das mit einer Kontrescarpe (7), die
Als weitere Bollwerke waren jeweils hinter der
durch Palisaden verteidigungsfähig gemacht worden
Burg-, Löbel- und Kärntnerbastion drei sogenannte
war, zum Hauptgraben (6) abschloss. Insgesamt zehn
Kavalliere (5) errichtet worden. Das Bollwerk hinter
Grabenbastionen, sogenannte Ravelins (3), erschwer-
der Burgbastion hieß „Der Spanier“, die beiden an-
ten einem Angreifer die Annäherung durch den Haupt-
deren „Katze“ und „Vogel-Gesang“. Der Angriff der
graben an die Hauptverteidigungslinie, die eigentliche
Osmanen richtete sich bei der zweiten Belagerung
Stadtmauer. Die mittelalterlichen Türme waren zu
1683 von der Vorstadt St. Ulrich ausgehend auf die
zwölf Bastionen (3) ausgebaut worden, die flankierend
kaiserliche Burg.
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durch Schanzen, die Kontrescarpes genannt wurden, und durch gedeckte Gänge als erste Verteidigungslinie vorbereitet. Den Oberbefehl in Wien hatte Kaiser Leopold I. noch vor seiner Abreise dem 45-jährigen Stadtkommandanten Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg übertragen. Er traf am 8. Juli in Wien ein und beendete innerhalb kurzer Zeit das in der Stadt herrschende Durcheinander. Zuerst setzte er alle verfügbaren Kräfte für die Befestigungsarbeiten am Stadtgraben ein. Selbst Kleriker wurden zum Schanzen eingeteilt. Starhemberg ließ auch die Vorstädte niederbrennen, damit sie den Osmanen nicht als Deckung und Quartier dienen konnten. Sehr zur Beruhigung der Wiener trug das Eintreffen der Armee des Herzogs von Lothringen bei, die entgegen allen Gerüchten keine Niederlage erlitten hatte und noch ihre volle Stärke besaß. Zur Verteidigung der Stadt stellte der Herzog 72 Infanteriekompanien mit insgesamt 10 600 Mann sowie das Kürassierregiment Dupigny in Stärke von 600 Mann ab. Mit dem Rest seiner Truppen besetze er zunächst die benachbarte Taborinsel, um das Eintreffen der letzten Munitionstransporte aus Linz zu sichern. Außer den 11 200 Mann an regulären Truppen verfügte Starhemberg noch über die Kompanien der Stadtguardia, Einheiten der Zünfte, Hofbedienstete, Jäger aus den Krondomänen und 700 bewaffnete Studenten, sodass die Gesamtstärke seiner Streitmacht rund 16 000 Mann betrug. Seit dem 11. Juli kündeten zahlreiche Rauchsäulen in der Umgebung von Wien die Ankunft der türkischen Hauptarmee an. Der unbekannte kaiserliche Offizier schildert in seinem Diarium die ersten beklemmenden Tage der Belagerung.
St. Marx her bis Schönbrunn, Hiezing, Penzing, Herrnals und der Orten anmarchirn, alles in Brand stecken, biß selbiger endlich auch in Molsdorff kommen, selbiges angezündet, um 10 gegen 11 Uhr ist er abermalen stärcker ankommen, also daß gegen 1 Uhr gegen dem Lager Höltzel an biß gegen dem Hunds = Thurm zu, mit der Fronte gegen der Stadt sich viel tausend an der Höhe gesetzt, und daselbst stehend verblieben, bis man mit Stücken [Geschützen] von der Kärn[t]ner = Pastey, Paun = und Wasserkunst unter sie gespielet und selbige retiriren hat mache, unsere Cavallerie wurde rings an die Contrascarpen auch in die Wege und Strassen, welche in die Vorstadt und Stadt zu gehen, gesetzt, die Vorstädte aber, so gleich um die ganze Stadt in Brand gesteckt, also, dass deren mehrentheils in Aschen lagen.“ 2
Die Osmanen graben sich an die Festung heran Seit dem 14. Juli lagerte das Heer des Großwesirs vor Wien. Von nun an würde die Stadt für beinahe zwei Monate eingeschlossen sein. Die Wiener Vorstädte boten den Angreifern hinreichend Schutz vor der Artillerie der Verteidiger und zugleich eine günstige Ausgangsposition für ihr Grabensystem. Die Verteidiger hatten sie nur in Brand stecken, aber nicht zerstören können. „Den 14. hat der Feind von dem Lager = Höltzel an, gegen den Hundsthurm, Gumpendorff, Oberkling, Spirkenbigel, und biß an die Donau an sein Lager geschlagen, selbige Nacht annoch von dem Croaten = Dörffel an gegen und ober dem Rothen Hof Posto gefasst. Und in der Nacht des 15. nicht allein von des Secretari Reuters Haus an, gegen und biß an dem Reikhowitzschen Garten, längst den abgebrandten Häusern die Approchen [Annäherungsgräben im rechten Winkel zur Verteidigungslinie] nur ungefähr 200 Schritt von der Contrascarpe ab, eröffnet, sondern auch hinter den Approchen, in der Höhe des Croaten = Dörffel, eine Batterie verfestigt und mit
„Den 12. [Juli] hat der Feind nechst an der Stadt Schwechat, Pelndorff, Laa, Intzersdorff und andere Orte mehr abgebrannt, also, dass auch etliche Tartarn und Brenner biß an die Favorita [unmittelbar südlich der Stadt] kommen, und ein Feuer über das andere die ganze Nacht hindurch angesteckt und gesehen worden. Den 13. frühe hat man gesehen in grosser Anzahl den Feind längst den Wienerberg von
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Wien 1683
Donau
Leopoldstadt
Stadt und Festung Wien um 1683. Der Kupferstich des kaiserlichen Hofmalers Folbert von Alten-Allen zeigt die Festung und die Vorstädte Wiens von der Nordwestseite kurz vor der Belagerung. Rechts sind
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Wienfluss
Löbelbastei
Burgbastei Burgravelin
der südliche Donauarm und die Taborinsel mit der
erkennt man die Hofburg, davor die Burg- und
Leopoldstadt zu erkennen. Unterhalb der Schlagbrü-
Löbelbastei mit dem Burgravelin, auf die sich
cke mündet der südöstlich der Festung verlaufende
später der Hauptangriff der Osmanen richtete.
Wienfluss in die Donau. Im rechten Teil der Festung
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Wien 1683
Belagerungskämpfe. In der Radierung von Romeyn de Hooghe ist am unteren Bildrand rechts ein Gegenangriff der Besatzung von Wien auf Stellungen und Unterstände der Osmanen im Stadtgraben vor der Burgbastion dargestellt. Die Spitze der Bastion wurde bereits durch türkische Minen gesprengt. Im Hintergrund ist die Löbelbastion zu sehen. Im Vordergrund auf der Burgbastion bringen eine Frau und ein Mönch den Verteidigern auf der Brüstung Granaten, die mit einer Art Schleuder auf die türkischen Angreifer geworfen werden.
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punkt durch Tod oder Verwundung ausgefallen. Schon seit Ende August signalisierten Leuchtraketen aus der Stadt dem sich sammelnden Entsatzheer, aber auch den Osmanen, die kritische Lage der Verteidiger. Am 4. September schienen die Belagerer endlich vor einem entscheidenden Erfolg zu stehen. Es war ihnen gelungen, eine etwa zehn Meter breite Bresche in die Flanke der Burgbastion zu sprengen. Unmittelbar nach der Sprengung sammelten sich Tausende von Janitscharen in den Gräben vor der Bastei, um durch die Bresche in die Stadt zu stürmen. Ein kaiserlicher Offizier und Augenzeuge hinterließ eine anschauliche Beschreibung dieses dramatischen Kampfes:
samt den Tag des 15. mit Stücken zu spielen angefangen, gegen und auf die Burg = Pastey zu.“ 3
Die Osmanen begannen noch in der Nacht zum 15. Juli, Gräben, sogenannte Approchen, gegen die Festung vorzutreiben. Sie wählten dazu einen Punkt im Südwesten der Stadt, gegenüber der Burg- und Löbelbastei, wo sie vor Wassereinbrüchen aus Donau und Wienfluss sicher waren. Da eine gut ausgebaute Festung wie die Kaiserstadt selbst durch die stärkste Artillerie nicht mehr bezwungen werden konnte, sollten ihre Werke zugleich mittels Stollen, an deren Ende in luftdicht zugemauerten Kammern, den sogenannten Minenöfen, Pulverladungen platziert wurden, sturmreif gesprengt werden. In dieser Belagerungstaktik besaßen die Osmanen schon lange eine große Meisterschaft. Die Verteidiger wiederum waren bemüht, mithilfe von Gegenstollen die Minenöfen, möglichst unmittelbar nachdem sie von den Belagerern zugemauert waren, anzubohren und entweder die Pulverladung unbrauchbar zu machen oder aber den Verdämmungseffekt durch Angraben mehrerer Luftkanäle zu reduzieren. Gleichwohl explodierten schon am 23. Juli die ersten türkischen Minen an der Kontrescarpe. Zwei Wochen später waren die Vorbefestigungen sturmreif geschossen und mussten von den Verteidigern geräumt werden. Seit dem 12. August tobte der Kampf um den Stadtgraben und den Burgravelin. Er musste nach weiteren 23 Tagen Kampf in der Nacht zum 4. September von den Verteidigern geräumt werden. 41 Minensprengungen verzeichneten die Belagerten bis zum 9. September. Jeder Sprengung folgten heftige Sturmangriffe der Janitscharen durch die frei gesprengten Breschen. Die Verteidiger versuchten verzweifelt, die Lücken in den Befestigungen durch Sandsäcke und spanische Reiter zu schließen. Zahlreiche Gegenangriffe kosteten sie hohe Verluste. Aber alle Anstrengungen der Wiener schienen vergeblich. Anfang September zeichnete sich der Fall der Stadt ab. Über 6000 Mann, fast die Hälfte der Festungsbesatzung, waren bis zu diesem Zeit-
„Gegen 2 Uhr hörten wir die Explosion einer Mine, von der das ganze Haus erbebte. Wir eilten sofort auf die Bastei, wo wir Graf de Souches trafen, der hier das Kommando führte; er hatte seine Besatzung in dem neuen Abschnitt auf der Bastei aufgestellt. Als wir uns der Bresche näherten, sahen wir schon die Spitzen der türkischen Rossschweife, welche die Janitscharen auf der Höhe aufpflanzen wollten. Wir schlossen uns vorerst dem Freiherren Asty an [...] und ließen die Soldaten reihenweise vorrücken, die zurückgingen, nachdem sie Feuer gegeben hatten. So begann der Sturm, der ohne Unterbrechung mehr als zwei Stunden dauerte. Die Bresche war groß, aber steil, und wir konnten die Janitscharen ohne besondere Mühe bis hinter die großen Mauerstücke zurückdrängen, die unten stehen geblieben waren. Doch nun setzte ein furchtbares Feuer von der ganzen Kontrescarpe ein, gleichzeitig überschütteten uns die Türken mit einem Hagel von Kanonenkugeln, mit Bomben und Steinen aus Mörsern, mit Pfeilen und allen anderen Geschossen [...]. Graf Starhemberg war mit Serenyi und allen höheren Offizieren herbeigeeilt; sie alle setzten mit Todesverachtung ihr Leben aufs Spiel. Die Ablösung, die gerade antreten sollte, kam auch zur rechten Zeit, und St. Croix, Oberstleutnant des Regiments Dupigny, besetzte die linke Sei-
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Wien 1683
W
N
Kahlenbergdorf IBRAHIM PASCHA VON OFEN
S
11 000 Mann
ca. 15 000 Kaiserliche ca. 9000 Sachsen ca. 1000 Polen ca. 1000 Ungarn
O
Position der Koalitionstruppen KARL VON um 6 Uhr (Infanterie, Kavallerie) HZG. V. WALDECK LOTHRINGEN ca. 8000 Bayern Position der türkischen, tatarischen, REUSS ca. 7500 Reichstruppen moldauischen und walachischen HZG. VON Truppen um 6 Uhr (Infanterie, SACHSEN6 Uhr L AUENBURG Kavallerie)
10 Uhr
JOHANN III. SOBIESKI ca. 2200 Kaiserliche ca. 21 000 Polen
SIENIAWSKI
Grinzing
10 Uhr 10 Uhr
Nestelbach
Neustift
Untersievering
Gersthof
16 Uhr
Dornbach
17 Uhr
14 Uhr
Truppen aus Moldawien und der Walachei (ca. 6000 Mann)
Türkenschanze
18 Uhr
Weinhaus Währing 18 Uhr
Wien Leopoldstadt
20 Uhr
Ottakring 18 Uhr
St. Marx
Mariabrunn Biwak der Krimtataren
1000
22 Uhr
Hüttelsdorf
KHAN MURAD GIRAY über 10 000 Tataren
0
u
17 Uhr
Rossau Hernals
na
Heiligenstadt
Döbling
KARA MUSTAFA über 60 000 Osmanen
Neuwaldegg
Do
13 Uhr
Obersievering 10 Uhr
Feldlager der Türken und Tataren vor der Schlacht Richtung der Angriffe der Koalitionstruppen Rückzugsbewegung der türkischen, tatarischen, moldauischen und walachischen Truppen 10 Uhr Zeitliche Einordnung der Angriffe der Koalitionstruppen
Nussdorf
Breitensee Baumgarten
2000 m
Leimgruben Gumpendorf
über 10 000 Osmanen
Penzing
Der Entsatzangriff der alliierten Armee. Die am
Die Grundidee der Operation sah vor, dass der
12. September 1683 von den Höhen des Wienerwalds
linke Flügel mit den Kaiserlichen und den Sachsen
ins Wiener Becken vorrückende Entsatzarmee war
die Schlacht um Wien mit einem Vorstoß entlang der
mit einer Stärke von rund 73 000 Mann die größte
Donau auf die belagerte Stadt eröffnen sollte, um die
europäische Streitmacht, die bis dahin jemals ver-
Masse der türkischen Streitkräfte auf sich zu ziehen
einigt an einem Gefecht teilgenommen hatte. Sie
und den anderen alliierten Kolonnen den Anmarsch
bestand aus den Streitkräften Polens und vier weit-
durch den Wienerwald zu erleichtern. Sobald diese
gehend souveräner deutscher Staaten. Eine derartige
ihre Ausgangspositionen gewonnen hatten, sollte der
Armee bei ungeklärten Befehlsverhältnissen durch
Schwerpunkt auf den rechten Flügel zu den Polen
schwierigstes Terrain in getrennten Kolonnen so zum
verlegt werden. Der Aufmarsch von rund 21 000 Polen
Einsatz zu bringen, dass der Druck auf das osmani-
in seiner rechten Flanke zwang den Großwesir, am
sche Heer nie nachließ und die Initiative stets aufsei-
frühen Nachmittag starke Kräfte vom rechten Flügel
ten der Angreifer blieb, war nicht nur eine taktische,
an der Donau zugunsten seines Zentrums abzuziehen.
sondern auch eine diplomatische Meisterleistung des
Das erleichterte den Kaiserlichen und den Sachsen
Herzogs von Lothringen. Formal übte zwar in Abwe-
ihr weiteres Vordringen. Der Angriff der polnischen
senheit Kaiser Leopolds König Johann III. Sobieski
Reiterei stieß in die bereits in Panik geratenen Osma-
von Polen den Oberbefehl aus, tatsächlich gab jedoch
nen. Mit der Eroberung ihres Lagers gegen sechs Uhr
der Herzog alle Weisungen für die Operation.
abends war die Schlacht endgültig entschieden.
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zu marschieren. Rechnet man von der ursprünglich 90 000 Mann starken osmanischen Armee vor Wien etwa ein Drittel an Verlust während der fast zweimonatigen Belagerung ab, so hatte Kara Mustafa mit der Verstärkung aus Raab zunächst nur knapp 45 000 Mann zur Abwehr des Entsatzheeres zur Verfügung. Die Absicht des Großwesirs, mit seinen besten Truppen die Belagerung der Stadt fortzusetzen, ist oft und vermutlich zu Recht kritisiert worden. Aber gerade an seinem Entschluss wird deutlich, wie wichtig ihm die Einnahme der Stadt war und welche zentrale Rolle sie in seinem Feldzugsplan spielte. Im Besitz von Wien hätten seine Truppen jedes noch so starke Entsatzheer abwehren können. Darum durfte er der Stadt, die er schon sicher in seiner Hand glaubte, keine Entlastung gewähren, auch wenn das Entsatzheer schon bedrohlich nah war. Doch die Stärke der Angreifer unterschätzte er erheblich. Den Schwerpunkt seiner Verteidigung hatte Kara Mustafa erwartungsgemäß auf seinen rechten Flügel an der Donau gelegt, wo die Truppen des Herzogs von Lothringen und die Sachsen angriffen. Auf Befehl des Großwesirs waren rund 23 000 Mann Infanterie und 5400 Kavalleristen unter dem Kommando von Ibrahim Pascha im Raum um den Nussberg in Stellung gegangen, die den Kaiserlichen und den Sachsen zunächst ernsthaften Widerstand leisteten. Ein Augenzeuge aus dem belagerten Wien berichtet über die Annäherung des linken Flügels der Verbündeten:
te der Bresche mit allen Offizieren seines Regimentes und einer Abteilung seiner Leute. Der Angriff dauerte so lange, bis wir breite, auf vier Rädern vorgerollte spanische Reiter und Sandsäcke herbeigebracht hatten, um die Bresche zu schließen. Dieser Sturm kostete uns nicht weniger als 200 Mann [...]. Die Türken, welche ungleich höhere Verluste erlitten hatten als wir, haben später erklärt, dass sie fest überzeugt waren, uns an diesem Tag zu überwältigen.“ 4
1500 Janitscharen fielen an diesem Tag. Den Verteidigern schien dieser Erfolg jedoch nur eine kurze Atempause zu verschafft zu haben. Am 9. September standen die osmanischen Mineure an der Kurtine, dem letzten Hindernis vor ihrem Einbruch in die Stadt, und bereiteten die nächsten Sprengungen vor. Leuchtraketen über dem Kahlenberg im Norden der Stadt gaben den Verteidigern jedoch in der folgenden Nacht neue Hoffnung. Der Herzog von Lothringen hatte den Oberst Donatus Graf Heissler mit 600 Mann seines Dragonerregiments vorausgeschickt, um den Wienern die Ankunft des Entsatzheeres zu signalisieren. Die Gerüchte vom unmittelbar bevorstehenden Fall der Stadt trieben ihn voran. Er entschied, mit seiner Gruppe auf dem kürzesten Weg nach Wien entlang der Donau durchzubrechen. In der Nacht zum 11. September nahm ein Kommando von knapp 400 Freiwilligen den Kahlenberg im Handstreich und hielt ihn gegen alle Gegenangriffe. Auch die Osmanen hatten begriffen, dass der Entsatz der Stadt jetzt unmittelbar bevorstand.
„Denn kaum hatte die Morgenröte hervorgeblickt, da sahen wir das Gebirge überall voller Volks, welches sich in einer langen und breiten Linie mit beständig geschlossenen Gliedern langsam und allgemach herunterließ und überall einige Stücke [Geschütze] vor sich her führte, auch immerzu auf die unten am [Kahlen] Berg stehenden Türken losbrannte [schoss] und unterdessen, dass solche wieder geladen wurden, den Nachkommenden Zeit und Weile gegeben wurde, sich den Vorrückenden enger und enger anzuschließen. Alsdann rückten sie wieder
Wiens Rettung in letzter Stunde Zwar hatte Kara Mustafa in einem Kriegsrat am 9. September angeordnet, dass die Janitscharen und die übrigen Belagerungstruppen, die zusammen noch rund 30 000 Mann zählten, in den Gräben verbleiben sollten, um die Belagerung in vollem Umfang fortzusetzen. Zugleich war jedoch an Ibrahim Pascha, den Statthalter von Buda, der Befehl ergangen, unverzüglich mit rund 13 500 Mann seines Korps von Raab (Györ) nach Wien
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Polnische Armee
Rechter Flügel
Linker Flügel
Zentrum
Johann III. Sobieski
Herzog v. Sachsen-Lauenburg
insges. 21 000 Polen 28 Geschütze (+) 4 dtsche. Bataillone ca. 2200 Mann
Kaiserl., bayer. und fränk. Kav. ca. 11 100 Mann
Fränkischer Kreis insges. 7800 Mann 12 Geschütze (+) 1 Bataillon ca. 500 Mann an den rechten poln. Flügel
Bayerische Armee insges. 8300 Mann 26 Geschütze (+) 1 Bataillon ca. 600 Mann an den rechten poln. Flügel
Sächsische Armee insges. 9000 Mann 16 Geschütze (+) 1 Bataillon ca. 600 Mann an den rechten poln. Flügel
Kaiserl. Armee insges. 14 900 Mann 70 Geschütze (+) 1 Bataillon ca. 500 Mann an den rechten poln. Flügel
26 Fähnlein 53 Fähnlein Husaren und Kürassiere Arkebusiere 5100 Mann 3200 Mann
8 Rgt. Kais. Kav. je 600 Mann
4 Rgt. Infanterie je 1500 Mann
5 Rgt. Infanterie je 1200 Mann
6 Rgt. Infanterie je 1200 Mann
2 Rgt. Infanterie mit 9 bzw. 10 Kompanien zus. ca. 3100 Mann
26 Fähnlein 6 Rgt. leichte Kav. Dragoner 1900 Mann 2800 Mann
3 Rgt. Fränk. Kav. je 700 Mann
Inf. Rgt. des schwäb. Kreises ca. 1200 Mann
Erzbistum Salzburg ca. 1000 Mann
Hannov. Bataillon ca. 600 Mann
Bayerisches Kreisregiment ca. 1300 Mann
ca. 23 200 Mann
4 Rgt. Bay. Kav. je 600 Mann
Karl V. von Lothringen ca. 23 000 Mann
Graf v. Waldeck ca. 16 000 Mann
3 Rgt. Kavallerie je 600 Mann
21 Rgt. Diverse Infanterie sonst. Truppen 7100 Mann ca. 900 Mann 3 Rgt. Dragoner je 600 Mann
5 Halb-Rgt. Inf. je 5 Kompanien je 200 Mann
6 Rgt. Kavallerie je 600 Mann
2 Rgt. Dragoner je 600 Mann
Inf. Regiment Kav. Regiment Quellen: Résponse d’un officier de l’armée de l’Empereur … / J. Wimmer, Der Entsatz von Wien 1683, übs. v. M. W. Janssen, Warszawa 1983
Poln. Kavalleriekorps Lubomirski ca. 2000 Mann
Gliederung und Stärke der alliierten Entsatzarmee am 12. September 1683.
durch Busch und Stauden, durch Hecken und Sträuche die Weingärten herab auf vierzig bis fünfzig Schritte gegen die Türken, mit den Stücken vor sich her; dort brannten sie abermals das Geschütz los, hielten so lange still, bis die Nachfolger sich wieder an sie wohl angeschlossen hatten. Auf diese Weise kamen sie allgemach Fuß für Fuß mit kontinuierlich geschlossenen Flügeln
herunter, bis an den Fuß des Gebirges, wo die Türken standen [...] wie sie die große Menge des christlichen Volkes mit Panzern, Harnischen, Säbeln, Degen, Röhren, Pistolen und allen anderen erdenklichen Waffen wohl versehen und ausgerüstet heranrücken sahen und wahrnahmen, dass dessen kein Ende nahm [...] und hinter sich merkten, dass ihre Exzellenz der Kommandant von den Stadtbasteien herab mit den längsten
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und schwersten Stücken, soweit diese überhaupt reichten, ihnen grausam und unaufhörlich in den Rücken spielen ließ, da resolvierten [entschlossen] sie sich, mehr aus Verzweiflung als aus Tapferkeit, die Christen anzugreifen und sich mit ihnen in ein Gefecht einzuflechten.“ 5
kaiserlicher Kavallerie, zwei Dragonerregimenter und das polnische Korps des Kaisers (Hieron Lubomirski), das König Johann [Sobieski] noch mit einigen Eskadronen verstärkt hatte. Dazu kam die gesamte sächsische Kavallerie. Alle zuvor erwähnten Truppen der verschiedenen Korps marschierten in Gefechtsgliederung, soweit das Gelände es ihnen erlaubte. Insgesamt waren es ungefähr 65 000 Mann.“ 6
Die zur Rettung Wiens durch den Wienerwald und entlang der Donau heranmarschierende Armee bestand aus drei Gruppen. Die Gefechtsgliederung beschrieb Francois Le Bregue, während des gesamten Feldzugs der Sekretär des Herzogs von Lothringen:
Gegen zehn Uhr morgens war der Nussberg in der Hand der Kaiserlichen und Sachsen. Nach einer Umgruppierung seiner Kräfte und dem Vorziehen seiner Geschütze auf den Nussberg befahl der Herzog von Lothringen den Angriff auf die Ortschaft Nussdorf. Der Widerstand der Osmanen versteifte sich, und heftige Gegenangriffe der Truppen Ibrahim Paschas brachten die Infanterie des linken Flügels in eine kritische Lage. Ein Regiment der Sachsen wurde sogar vollständig eingekreist und musste von der Kavallerie befreit werden. Die zweite Staffel der Kavallerie drängte die Osmanen endgültig zurück. Zwar gelang es ihnen, Nussdorf noch längere Zeit im Kampf von Haus zu Haus zu halten, aber die sächsischen Regimenter stießen bereits rechts an der Ortschaft vorbei und nahmen gegen Mittag Heiligenstadt tief im Rücken der osmanischen Stellungen. Kurz darauf hatten sie die ganze Linie des Nestelbachs gewonnen. Nun trat eine Kampfpause ein, in der die mittlere Kolonne der Reichstruppen des Fürsten von Waldeck links zu den Sachsen aufschloss. Auf ihrem beschwerlichen Weg durch den Wienerwald waren sie nur auf geringen Widerstand gestoßen. Wie ihnen erging es auch der Kolonne des polnischen Königs, die den längsten und mühsamsten Anmarsch hatte. An seine Frau in Krakau schrieb der König, wie fast täglich während des Feldzugs, über diese Phase der Schlacht:
„Wie am Vortage überließ man dem König [Johann III. Sobieski] für den Marsch seiner Armee den äußerst rechten Weg. Auf der Nachbarroute marschierte der Herzog von Sachsen-Lauenberg, General der Kavallerie, mit dem rechten [deutschen] Flügel, der aus acht Regimentern kaiserlicher Kavallerie, zwei Dragonerregimentern und einem Regiment Kroaten sowie der gesamten Kavallerie und allen Dragonern des bayerischen und fränkischen Kontingents bestand [...]. Die fränkische und bayerische Infanterie unter dem Kommando des Feldmarschalls Fürst von Waldeck marschierte auf dem dritten, mittleren Weg. Bei ihm befand sich der Kurfürst von Bayern [Maximilian II. Emanuel], der auch am folgenden Tage dort verblieb und sich dabei äußerst entschlossen in die größte Gefahr begab, ohne dass er eine besondere militärische Verantwortung hatte, und einfach nichts anderes als ein, wie er erklärte, vornehmer Freiwilliger sein wollte. Die gesamte kaiserliche und sächsische Infanterie rückte auf dem linken Flügel auf zwei Routen vor. Die erste führte direkt über den Leopoldsberg, die zweite unmittelbar an der Donau entlang. An der Spitze der Infanterie befand sich Feldmarschall Prinz Hermann von Baden. Unmittelbar dahinter auf denselben beiden Wegen folgte General der Kavallerie Graf Caprara mit dem linken Flügel. Er verfügte über sieben Regimenter
„Gestern also um Mittag stieg ich mit meinem Heer herunter, und wir zogen wiederum durch diesen niederträchtigen Berg, mit einem großen dichten Wald eingehüllt und bedeckt et inaccessible [unzugänglich]; man erwäge also, was
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Das osmanische Grabensystem vor Wien in den
(3), dahinter der Kavalier „Katze“ (6). Beide Bastionen
letzten Tagen der Belagerung. Die Abbildung von
verbindet eine Kurtine (4). Die osmanischen Gräben
Samuel Suttinger, einem kaiserlichen Ingenieur-
führen links an die Kurtine heran. Offenbar hatten die
offizier, ist dem Historischen Atlas zur zweiten Türken-
Angreifer gehofft, dass dort das flankierende Feuer
belagerung, Wien 1683, herausgegeben von P. Broucek,
von der schon erheblich beschädigten Löbelbastei we-
entnommen. Rechts auf der Übersicht ist die noch an-
niger heftig sei. Die Kurtine war das letzte Hindernis
nähernd intakte Burgbastei (1) mit dem Kavalier „Der
vor dem Einbruch der Osmanen in die Stadt. Bis zum
Spanier“ (5) zu erkennen. In der Mitte des Hauptgra-
9. September 1683 hatten die Angreifer ihre Sprengun-
bens sieht man die Reste des Burgravelins (2), den
gen vorbereitet. An diesem Tag kündigte sich jedoch
die Osmanen am 3. September 1683 einnehmen konn-
durch Leuchtsignale vom Kahlenberg im Norden der
ten. Links die ebenfalls stark beschädigte Löbelbastei
Stadt das deutsch-polnische Entsatzheer an.
das für eine göttliche Gnade ist, dass wir hier sind, nachdem wir diese Plätze ohne Schaden und Impediment [Verzug] durchzogen haben. Unsere Wagen haben wir drei Meilen von hier an der Donau, an der einzigen sehr guten und wehrhaften Stelle, zurückgelassen. Hierher ha-
ben wir nur zwei leichte Wagen mitgenommen, den Rest auf Maultieren. Aber das ist alles nichts: Uns geschah eine größere Täuschung, da uns alle, sogar die Generale selbst, gesagt hatten, dass es, sobald wir auf diesen Berg herausträten, der Kahlenberg
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genannt wird, dort bereits gut sein und der Weg gen Wien sich für uns nur durch Weinberge neigen würde. Aber da wir hier anlangen, sehen wir zuvörderst das sehr große türkische Lager wie auf dem Handteller; die Stadt Wien ein gutes Dutzend Meilen weiter entfernt. Aber von uns aus dorthin ist kein freies Feld, sondern wieder Wälder und Abgründe und ein gewaltiges Gebirge auf der rechten Seite, wovon uns nie etwas gesagt wurde, und fünf oder sechs Schluchten, daher wird es also für uns kaum in zwei weiteren Tagen zur eigentlichen Aktion kommen, denn wir müssen jetzt sowohl die Schlachtordnung als auch die Kriegführung völlig verändern [...]. Jedoch [...] müsste auch der Gegner große Konfusion davontragen, der sich weder verschanzt [...] noch sein Lager zu Hauf zusammengezogen hat, sondern so steht, als seien wir hundert Meilen von ihm entfernt. Der Kommandant von Wien sieht uns: Er hat Raketen losgelassen und schießt ununterbrochen aus den Kanonen.“ 7
Johann III. Sobieski (1629 – 1696), König von Polen. Er stellte auf eigene Kosten Truppen auf, um seinen Bündnisverpflichtungen gegenüber den Österreichern nachzukommen. Gedankt wurde es ihm nicht. Die Verbündeten warfen ihm und seinen Truppen später vor, dass sie lieber das Lager des Großwesirs geplündert hätten, als sich an der Verfolgung der Osmanen zu beteiligen.
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Der Reiterangriff der Polen bringt die Entscheidung
„Der an der Spitze seiner Truppen reitende König befahl einige Eskadronen seiner Husaren nach vorne, die mit großem Eifer und gesenkten Lanzen die türkischen Stellungen angriffen. Zunächst schlugen sie die unmittelbar vor ihnen stehenden Feinde in die Flucht, dann aber drangen die Türken von allen Seiten auf sie ein, sodass sie sich zurückziehen mussten. Der Feind setzte ihnen bis zu der Stelle nach, wo der Fürst von Waldeck zur Unterstützung [der Polen] einige bayerische Bataillone und das Regiment Mercy in günstiger Stellung bereitgehalten hatte. Dieser Einsatz unserer Truppen zügelte den nachdrängenden Feind. Der König, der alles genau beobachtet hatte, bemühte sich, die Ordnung in seinen Reihen wiederherzustellen und setzte die erste Linie seiner Husaren gegen den Feind ein. Ihnen schloss sich auf Wunsch des Königs der Graf Rabata mit seinen Dragonern an. Diesem Angriff unserer Truppen konnten die Türken nicht standhalten, und sie wichen schnell auf einen kleinen Hügel aus, den ihre Infanterie, unterstützt von Geschützen, besetzt hielt. Nach diesem Erfolg befahl der König seiner ganzen Armee den Vormarsch. Der Feind leistete aus seinen verschiedenen Stellungen Widerstand, und sein Musketen- und Artilleriefeuer verursachte bei unseren Truppen einige Ausfälle, konnte sie aber nicht zurückwerfen, und so gewannen sie allmählich immer mehr Terrain. Um die feindlichen Kräfte vor dem rechten Flügel zu zersplittern, hatte sich der Herzog inzwischen mit dem linken Flügel bis an das feindliche Lager heran gekämpft, wo sich die Türken vor dem Graben ihres Lagers mit einigen Geschützen zur Wehr setzten. Obwohl es zunächst so schien, als setzten sie alles daran, diese weit und breit günstigste Position, die auch den besten Schutz für ihr Lager bot, zu halten, währte ihre Standhaftigkeit nicht lange, als unsere Truppen unter ständigem Musketenfeuer vorrückten. Gegen fünf Uhr am Nachmittag gaben sie ihre Stellungen im Graben auf, und wir drangen ohne sie weiter zu verfolgen, in ihr Lager ein. Um die-
Als der König, der nominell in Abwesenheit des Kaisers den Oberbefehl über die gesamte Armee hatte, von den Erfolgen des linken Flügels hörte, trieb er seine Leute weiter voran. Im Talkessel von Pötzleinsdorf stießen die Polen gegen Mittag auf eine erste größere Feindgruppierung, die Kara Mustafa von seinem rechten Flügel abgezogen hatte, nachdem er endlich die Gefahr erkannt hatte, die ihm hier drohte. Nördlich der Ortschaft Weinhaus hatte er eiligst beiderseits des Währingerbachs Feldbefestigungen anlegen lassen, die später im Volksmund „Türkenschanz“ genannt wurden. Dort richtete der Großwesir zugleich seinen Befehlsstand ein. Jetzt endlich zog er auch 20 000 Mann seiner Infanterie aus den Gräben vor Wien ab. Trotzdem gelang es den Osmanen nicht, die Polen an den Ausgängen des Wienerwalds aufzuhalten. Zwei polnische Infanterieregimenter vertrieben den Feind aus Pötzleinsdorf und besetzten rechts daneben den Schafberg, wodurch sich ihnen der Zugang zum Alserbachtal öffnete. Rechts davon warfen polnische Verbände gegnerische Sicherungen aus Neuwaldegg und stießen auf Dornbach vor. Am äußersten rechten Flügel erreichte polnische Kavallerie bereits den Wienfluss und nahm ein Lager der Tataren ein, das ihre vormaligen Besitzer fluchtartig verlassen hatten. Gegen vier Uhr nachmittags hatten die Polen auf ganzer Linie Anschluss an die Stellungen der Verbündeten gewonnen. Der Schwerpunkt der Operationen war nun eindeutig auf den polnischen Flügel übergegangen. Der Angriff der rund 14 000 Mann starken polnischen Kavallerie sollte die feindlichen Stellungen endgültig zerschlagen und den Durchbruch auf Wien erzwingen. Zunächst befahl der König, einige Aufklärungsvorstöße seiner leichten Kavallerie gegen die Türkenschanze, denen schließlich ein erster ernsthafter Kavallerieangriff von rund 2000 Mann auf der Linie Schafberg und Pötzleinsdorf folgte.
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Die Befreiung von Wien am 12. September 1683. Das Gemälde von Franz Geffels (ca. 1688) ist eine der vielen Darstellungen der Schlacht um Wien. Im Vordergrund erobern die Verbündeten das Lager des Großwesirs, dessen Geschütze noch auf das belagerte Wien feuern. Über den Kahlenberg (links) ziehen neue Truppen der Alliierten in die Ebene vor der Stadt.
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In dem verlassenen Lager des Großwesirs fanden die Sieger eine märchenhafte Beute, die vor allem die Begehrlichkeit der Polen und ihres Königs weckte. Schnell wurde der Vorwurf laut, die Polen hätten lieber das Lager geplündert, als sich an der Verfolgung des Feindes zu beteiligen. Ein General der Österreicher äußerte sich in einem Brief kritisch über die polnischen Verbündeten:
sen Erfolg auszunutzen, schwenkte der Herzog mit dem gesamten Flügel nach rechts, anstatt weiter entlang der Donau vorzurücken, und marschierte durch das feindliche Lager, ohne dass auch nur ein einziger Soldat seinen Platz verlassen hätte, um das zurückgelassene Gepäck zu plündern. Sobald die Türken, die noch gegen die Polen kämpften, diese Bewegung [des Herzogs] bemerkten, gerieten sie in Verwirrung und ergriffen größtenteils, aus Furcht, in ihrer Flanke gefasst zu werden, die Flucht. Der König überwand, trotz des immer noch anhaltenden Widerstandes der Janitscharen, seinerseits den Graben und drang in Verfolgung der Feinde gegen sieben Uhr in ihr Lager ein, wo sich bereits der Fürst von Waldeck mit seinen Franken und den Bayern befand.“ 8
„Der Platz war überall mit der reichsten Beute bedeckt. Unsere deutschen Truppen marschierten mitten durch diese Beute, und kein Soldat, weder zu Fuß noch zu Ross, trat auch nur einen Schritt aus dem Glied, um zu plündern. Wir schätzten den Ruhm dieser Enthaltsamkeit höher als die unermessliche Beute der Polen. Der ganze Schatz des Großwesirs fiel ihnen zu. Der König selbst gestand, dass er große Reichtümer erworben habe. Nur zwei Stunden länger Tageslicht, und wir hätten den Feind in die Schwechat getrieben. Der Herzog von Lothringen wollte mit Tagesanbruch die Verfolgung aufnehmen, aber der König von Polen meinte, dies ginge nicht an, weil sein Pferd schon 48 Stunden nicht getrunken habe. Andere jedoch, und diese lieben es vielleicht zu verleumden, sagen, dass die polnischen Truppen, denen der König in einzelnen Dingen willfahren müsse, noch einen Tag verlangt hätten, um mit der Plünderung des türkischen Lagers fertig zu werden.“ 9
Flucht und Tod Kara Mustafas Die Stärke des Entsatzheeres hatte die Truppen des Großwesirs überrascht und das stete Vordringen der Verbündeten lähmte allmählich ihren Kampfwillen. Am späten Nachmittag setzten sich die ersten Einheiten auf dem rechten Flügel von der Front ab. Viele versuchten, ihre Beute aus dem Lager in Sicherheit zu bringen. Immer mehr Osmanen verließen das Kampfgebiet über die von ihnen errichteten Brücken über die Donau. Spätestens jetzt wurde Kara Mustafa klar, dass die große Schlacht um Wien verloren war und dass es nur noch um einen geordneten Rückzug gehen konnte. Der Masse seines Heeres gelang es tatsächlich, im Schutz der bald einbrechenden Nacht über die Donau auf die Straße nach Raab zu gelangen. Einige Tausend Janitscharen in den Gräben vor der Stadt hatten weniger Glück. Sie wurden von den Siegern niedergemacht oder gefangen genommen. Eine energische Verfolgung des geschlagenen Gegners hätte vermutlich deren völligen Untergang bewirkt. Aber dazu waren die siegreichen Alliierten nach einem vollen Kampftag und den Strapazen des Anmarsches nicht mehr willens.
Das geschlagene osmanische Heer sammelte sich bei Raab. Es war trotz aller Verluste immer noch eine bedrohliche Macht, aber zunächst ohne effektive Führung. Mehrere Wochen wütete Kara Mustafa gegen seine Befehlshaber und verhängte zahlreiche Todesurteile, bis ihn selbst der Bannspruch des Sultans traf. Am 25. Dezember 1683 erschienen zwei Boten der Hohen Pforte aus Konstantinopel beim Großwesir in Belgrad und forderten im Namen des Sultans die Insignien seiner Macht, die Fahne des Propheten und die Schlüssel zur Kaaba zurück. Widerstandslos übergab ihnen der Großwesir das
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Geforderte und ließ sie genauso widerstandslos das gegen ihn verhängte Todesurteil vollstrecken. In den beiden folgenden Dekaden eroberten die Habsburger große Teile Türkisch-Ungarns und legten damit den Grundstein für ihren späteren Vielvölkerstaat. Der große Türkenkrieg von 1683 endete erst nach dem Sieg des Prinzen Eugen bei Zenta 1697 und dem Frieden von Karlowitz im Jahre 1699. Das Osmanische Reich hatte mit seinen Armeen fast drei Jahrhunderte den Südosten Europas überschwemmt und machtvoll seine Schatten auf den Rest Europas geworfen. Nach seiner zweiten Niederlage bei Wien verebbte diese Flut. Sie wich nicht endgültig zurück, aber ihre bedrohliche Kraft war für immer dahin. Im folgenden Jahrhundert konnten die Osmanen zwar ihre Herrschaft auf dem Balkan noch einmal stabilisieren, aber seit Wien waren sie in der strategischen Defensive. Das Jahr 1683 bedeutete somit noch nicht den Niedergang der osmanischen Macht, wohl aber ihren letzten Höhepunkt.
mit ihren Adelsvertretungen, den sogenannten Ständen. Den Kern der neuen Armeen bildete das Regiment, das aus den Landsknechthaufen des frühen 16. Jahrhunderts hervorgegangen war. Ursprünglich hatte ein Regiment aus zehn bis zwölf Fähnlein mit jeweils bis zu 400 Mann unter dem Befehl eines Obrist-Feldhauptmannes bestanden. In der Regel war dies ein adliger Militärunternehmer, der auf eigene Rechnung Söldner oder Landsknechte anwarb und für seine Aufwendungen von seinem Auftraggeber pauschal entlohnt wurde. Das Wort Regiment leitete sich von dem lateinischen regimen ab und bezeichnete den Befehlsbereich des Obristen. Im Gefecht führte er das Regiment von vorn. Sein Stellvertreter war der Obrist-Lieutenant, der außer seiner Stellvertreterfunktion keinen genau festgelegten Verantwortungsbereich hatte. Der dritthöchste Offizier im Regiment war der Obrist-Wachtmeister oder Major. Zu seinen zahlreichen Pflichten gehörte die regelmäßige Besichtigung des Regiments, das beinhaltete die Überprüfung von Ausrüstung, Disziplin und Ausbildungsstand der Truppe. Auf Befehl des Obristen nahm er auch alle fälligen Soldzahlungen vor. Außerdem war er für den Wachdienst zuständig. Im Gefecht war er beritten, um das Regiment nach den Befehlen des abgesessen kämpfenden Obersten zu führen. Der Regimentsquartiermeister ritt auf dem Marsch mit den Fourieres aus den Kompanien voraus und bereitete das Quartier für das Regiment. Er sollte auch ein Lager abstecken können und Kenntnisse im Fortifikationswesen besitzen. Die Kompanien eines Regiments waren aus den Fähnlein der Landsknechte hervorgegangen. Ihre Stärke betrug in allen damaligen Armeen 150 Mann. Auch die Gliederung in drei Korporalschaften (Züge) zu je 48 Mann war allgemein üblich. Zu einer Korporalschaft gehörten 48 Pikeniere, die mit fünf bis sechs Meter langen Piken bewaffnet waren, die beiden anderen Züge trugen Musketen. Ein Hauptmann führte die Kompanie, wobei er von einem Leutnant unterstützt wurde, der ihn auch gelegentlich im Kommando vertrat. Als drit-
Hintergrund
Die kaiserlich-habsburgischen Kriegsvölker zu Beginn des großen Türkenkriegs 1683 Mit dem Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa endete auch das Zeitalter der Landsknechte. Fast anderthalb Jahrhunderte hatten sie die europäische Kriegführung geprägt, aber den Ansprüchen ihrer Kriegsherren genügten sie schon lange nicht mehr. Durch den Frieden von Münster und Osnabrück im Jahre 1648 waren die deutschen Fürsten endgültig zu souveränen Landesherren ihrer Territorien geworden, die unabhängig von Kaiser und Reich ihre eigene Politik im Konzert der europäischen Mächte betrieben. Dazu benötigten sie allerdings ständig verfügbare Armeen, die aber trotz ihrer Größe bezahlbar sein sollten. Häufig wurden die Truppen nach einem Krieg nun nicht mehr entlassen, sondern wenigstens zum Teil unter Waffen gehalten. Die Steuern zur Bezahlung dieser neuen stehenden Truppe verschafften sich die Landesherren in langwierigen und zähen Verhandlungen
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ter Offizier in der Kompanie war der Fähnrich auch eine Art Vertrauensmann für die Truppe. Er kümmerte sich um die Kranken und trat für verurteilte Soldaten ein. Im Gefecht trug er die Fahne. Diese drei Offiziere waren auf dem Marsch beritten, paradierten und kämpften aber zu Fuß. Außerdem gab es in jeder Kompanie noch drei Feldwebel oder Sergeanten: Der Capitain d’Armes, eine Art Waffenmeister, ein Versorgungsoffizier (Fourier) und ein Fähnrichsadjutant, der auf dem Marsch hinter dem Fähnrich die Fahne trug und sie im Gefecht übernahm, wenn der Fähnrich ausfiel.
Gliederung und Taktik Die Gefechtsaufstellung eines Regiments wurde Bataillon genannt. Dazu wurden die Pikeniere und Musketiere aller Kompanien getrennt und jeweils zu großen Blöcken zusammengefasst. Die Pikeniere bildeten eine maximal sechs Glieder tiefe Front im Zentrum des Bataillons, sodass die Piken des hintersten Glieds noch über das vorderste Glied hinausragten und ein dichter Wall aus Spießen entstand, der kaum jemals von einem Kavallerieverband frontal durchbrochen wurde. Nur an den Flanken und im Rücken waren die Pikeniere, besonders, wenn sie selbst zum Angriff vorrückten, bedroht, aber dort befanden sich die Musketiere des Regiments, ebenfalls in einer Tiefe von sechs Gliedern. Die Musketiere feuerten gliedweise oder in ganzen Salven. Im ersten Fall marschierte das vorderste Glied, nachdem es geschossen hatte, durch Lücken zwischen den hinteren Rotten an die hinterste Stelle, während das zweite Glied einen Schritt nach vorn machte, um die nächste Salve abzufeuern. Diesen Ablauf nannte man „Contremarsch“. Auch das Abfeuern einer geschlossenen Salve aller sechs Glieder war möglich. Dabei knieten die vordersten Glieder ab oder die hintersten Glieder traten in die Lücken ihrer Vorderleute.
Graf Raimondo Montecuccoli (1609 – 1680), Gemälde von Elias Grießler, Heeresgeschichliches Museum, Wien. Der aus dem Herzogtum Modena stammende Montecuccoli trat im Alter von 18 Jahren in die Habsburgisch-Kaiserliche Armee ein und diente sich schnell zum Obersten empor. Eine längere schwedische Gefangenschaft nutzte er ab 1639 zu ausgiebigen militärtheoretischen Studien. Seit 1642 im Rang eines Generals, wurde er 1658 Oberbefehlshaber der kaiserlichen Streitkräfte im Nordischen Krieg. Sechs Jahre später siegte er über ein osmanisches Heer bei St. Gotthard-Mogersdorff. Nicht zuletzt deswegen erreichte er schon 1668 als Präsident des Wiener Hofkriegsrats die höchste Position in der habsburgischen Militärhierachie. Als Militärschriftsteller hinterließ Montecuccoli ein bedeutendes Werk, das noch im 18. Jahrhundert auch von Friedrich dem Großen geschätzt wurde. Späteren Strategen galt er nur noch als Exponent einer längst überholten barocken Manöverkriegsführung.
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Ein Musketier gab mit seinem Luntenschlossgewehr etwa einen Schuss in der Minute ab. Seine maximale Schussentfernung betrug ca. 150 Meter, sodass er auf einen angreifenden Kavallerieverband höchstens einmal schießen konnte. Da auch eine geschlossene Salve aller Glieder einen Angreifer nur schwächen, ihn jedoch nicht sicher aufhalten konnte, waren die Musketiere das schwache Element in einer Verteidigungsposition. Ihre Front durfte wegen der Gefahr eines Durchbruchs der Kavallerie auf den Bataillonsflügeln nicht zu sehr ausgedehnt werden. Zur Verstärkung der stets bedrohten Flügel experimentierten Kommandeure und Kriegstheoretiker lange mit Mischformen aus Pikenieren und Musketieren, ohne aber eine endgültig befriedigende Lösung zu finden. Erst die Einführung des Bajonetts gegen Ende des 17. Jahrhunderts überwand dieses Problem, da nun jeder Musketier zugleich auch ein Pikenier geworden war. Nachdem die Bajonette zunächst noch mit einem Holzschaft in die Rohrmündung gesteckt werden mussten, fand man schnell die praktikablere Lösung einer Befestigung unterhalb der Rohrmündung, sodass die Infanterie auch mit aufgepflanztem Bajonett den Feuerkampf führen konnte. Die kaiserliche Armee in Ungarn schaffte die Piken endgültig im Jahre 1689 ab. Eine weitere taktische Änderung war die Verkleinerung der Gefechtsformationen (Bataillone) von zehn auf drei Kompanien, sodass jedes kaiserliche Regiment aus drei Bataillonen zu je 600 Mann bestand.
Infanterist eines kaiserlichen Regiments. Der Soldat ist mit Steinschlossgewehr, Patronenbanduliere für ca. 12 Schuss und halblangem Spieß, der sogenannten Schweinsfeder, ausgerüstet.
Die Kavallerie
abgesehen von den hohen Kosten einer Vollpanzerung – das ständige Tragen und Transportieren der Ausrüstung vielen Kavalleristen zu beschwerlich war. Völlig außer Gebrauch kam auch die Lanze. Schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts bestand die Bewaffnung der Kürassiere aus Pistolen und leichten Gewehren, die anstelle der Luntenschlosszündung der Infanteriewaffen mit der aufwendigeren Steinschlosstechnik ausgestattet waren. Daneben gab es die Arkebusiere, die ebenso wie die Kürassiere mit Pistolen und leichten Stein-
Die Kavallerie war wie die Infanterie in Regimenter gegliedert. Ein österreichisches Kavallerieregiment bestand aus vier Eskadronen zu je 150 Mann, von denen jede noch einmal in drei Treffen (Schwadronen) zu 50 Pferden gegliedert war. Die schwere Reiterei bestand aus Kürassieren, die ebenso wie ihre ritterlichen Vorläufer ursprünglich noch voll gepanzert und mit einer Lanze bewaffnet waren. Doch schon im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges reduzierte sich der Panzerschutz der Kürassiere auf den Brustharnisch, weil – ganz
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Grenzgebiet. Für eine Armee von 24 000 Infanteristen und 1200 Reitern sah Graf Montecuccoli auch ein Kontingent von 2000 „leichten Pferden“ (Kroaten) vor. Im Kampf gegen die Infanterie versuchte die Reiterei, die Formationen der Pikeniere durch Beschuss mit Handwaffen aus nächster Nähe zu schwächen und auseinanderzubrechen. Dazu ritt sie in tiefer Gliederung bis unmittelbar an den gefürchteten Wall aus Piken heran. Nachdem die vordersten Reiter ihre Pistolen abgefeuert hatten, wendeten sie und machten, ähnlich dem Contremarsch der Musketiere, der nächsten Reihe Platz. Diese Bewegung bezeichnete man als „Caracole“, sie war jedoch bei den höheren Kommandeuren nicht sehr beliebt, weil sie von der Reiterei oft auch dann angewandt wurde, wenn die Gelegenheit zu einem Durchbruch bestand.
80 Rundtärtschner 80 Musketiere 40 Rotten
80 Rotten
40 Rotten
6 Glieder tief
480 Pikiere 240 Musketiere
240 Musketiere
60 Offiziere 80 Rundtärtschner 480 Pikiere 880 Musketiere* Insgesamt 1500 Mann *Davon 140 zur Kavallerie
180 Musketiere
Die Entwicklung der Artillerie zur Gefechtsfeldwaffe Im Verlauf des 17. Jahrhunderts gewann die Artillerie, ursprünglich eine Belagerungswaffe, auch im offenen Feld immer mehr an Bedeutung. Die Artilleristen lösten sich aus ihren handwerklichzünftigen Ursprüngen und wurden zunehmend in die militärische Struktur integriert. Eine Pionierfunktion hatte hierbei die schwedische Armee unter König Gustav Adolf (1595 – 1632), der die Kaliber der Geschütze vereinheitlichte und seine Artillerie in Belagerungs- und Regimentsgeschütze gliederte. Seine Reformen auf artilleristischem Gebiet wurden sehr schnell auch von den übrigen Armeen übernommen. Als Anhaltspunkt galt, dass auf je 1000 Mann ein Geschütz kam. Das Kursächsische Heer hatte im Jahre 1686 eine Stärke von 16 000 Mann und besaß 16 Geschütze. Sechs leichte Geschütze, nach dem Gewicht ihrer Geschosse Dreipfünder genannt, wurden den Regimentern direkt zugeteilt, die schwereren Geschütze (Sechs- und Achtpfünder) waren als sogenannte Feldstücke der Armeeführung direkt unterstellt. Dazu kamen noch zwei 16-PfundHaubitzen als Belagerungsgeschütze.
Infanterieregiment in Bataillonsaufstellung nach Montecuccoli. „Bei der Gesamtschlachtordnung kommt alles darauf an, dass die Waffen sich angemessen unterstützen können. Jedes Bataillon muss infolge der Zusammenwirkung seiner Piken und Musketen wie eine bewegliche Bastion erscheinen, von der aus ein unaufhörliches Hagelwetter in den Feind schlägt. Die ihre Flanken deckenden Musketiere beschädigen die Reiterei von fern durch unaufhörliches Feuer, und kommt sie bis auf zwölf Schritt heran, so rücken die Pikeniere gegen sie vor, und die Rundtärtschner schleichen sich in die von den Piken bewirkten Öffnungen.“ (Memorie della Guerra)
schlossgewehren bewaffnet waren, aber anstelle des Kürass einen Lederkoller trugen. Eine neue Kavalleriegattung waren die Dragoner, ursprünglich berittene Infanterie, die aber im Lauf der Zeit in Stärke, Ausrüstung und Aufgabenstellung der klassischen Kavallerie angeglichen wurde. Fast alle Armeen besaßen auch leichte Reiter zur Gefechtsaufklärung, für Handstreiche und Beutezüge. Bei den Österreichern erfüllten diese Aufgaben meist Truppen aus dem kroatischen
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Die kaiserliche Armee zu Beginn des Feldzugs von 1683. Truppenschau Kittsee
Im Zulauf
Korps Schultz
Korps Herberstein
Gesamt
10,5 Rgt (Rgt. Taaffe zu 50 %)
0,5 Rgt (Rgt. Taaffe)
2 Rgt
1 Rgt
14 Rgt
Dragoner
3 Rgt
1 Rgt
1 Rgt
1 Rgt
6 Rgt
Berittene
11 200
1200
2400
1600
16 400
2,5 Rgt
1,5 Rgt
18 Rgt
3600
33 500 Total: ca. 50 000 Mann
Kürassiere
Regimenter zu Fuß
7 Rgt (100 %) 7 Rgt (5 – 7 Kp.) (= 112 Kompanien)
Infanterie
20 800
(= 15 Kompanien) 3500
5600
Als Personal zur Bedienung und zum Transport der Geschütze und des Zubehörs waren rund 700 Mann, 80 Munitions- und Gerätewagen sowie 600 Pferde erforderlich. Geschossen wurde mit Vollkugeln und auf kurze Distanz unter 200 Meter mit Kartätschen, einer verheerenden Mischung aus Eisen- und Metallteilen. Eine gebräuchliche, drei Pfund schwere Vollkugel aus Eisen besaß zwar noch keine Sprengkraft, aber sie konnte dank ihrer hohen kinetischen Energie mehrere Soldaten in dichter Formation auf einmal töten oder verstümmeln. Besonders wirksam waren Vollkugeln, wenn sie bei tiefem Richten unmittelbar vor dem Ziel aufprallten, sodass sie wie Kieselsteine auf dem Wasser noch mehrmals aufsprangen und dabei regelrechte Schneisen in einen angreifenden Verband schlugen.
mit insgesamt 14 500 Mann und neun Kürassierregimenter mit zusammen 5000 Mann. Dazu kam noch ein Dragonerregiment zu 1000 Mann. Der Krieg in Polen 1660 zwang die Regierung, die Zahl der Infanterieregimenter fast zu vervierfachen, was nur mit Anwerbungen im alten Stil zu schaffen war. Die Zahl der Kavallerieregimenter stieg wieder auf 24. Nach dem Friedensschluss ein Jahr später wurde die Truppe wieder auf die alte Stärke von je zehn Regimentern zu Pferde und zu Fuß demobilisiert. Vor Ausbruch des Krieges von 1683 betrug die Stärke der kaiserlichen Armee knapp 50 000 Mann, gegliedert in 18 Infanterie-, 14 Kürassier- und sechs Dragonerregimenter. Jedes Infanterieregiment besaß zehn Kompanien zu je 200 Mann, die Kavallerieregimenter waren rund 600 Mann stark. Die kaiserliche Truppenbesichtigung am 6. Mai 1683 bei Kittsee erbrachte eine Stärke von 20 848 Infanteristen und 11 158 Kavalleristen mit 72 Geschützen und 15 Belagerungsmörsern. Zwei Abteilungen (Korps General Schultz und General Herberstein) mit insgesamt 13 000 Mann waren bereits im grenznahen Raum eingesetzt. 4500 Mann wurden noch vom Rhein als Verstärkung erwartet.
Die Entwicklung des stehenden Heeres in Österreich In den drei Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg schwankte die Stärke der österreichischen Armee beträchtlich. Im Herbst 1650, nach Abschluss der mit Schweden vereinbarten Abrüstungen, zählte sie noch neun Regimenter Infanterie
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8 Der König, der nie aufgab
Poltawa 1709
„Sieg bei Poltawa am 27. Juni 1709“, Gemälde von Alexander von Kotzebue, 1864. Staatliche Eremitage, St. Petersburg. Schwedens Niederlage gegen Russland besiegelte das Ende seiner Großmachtposition im Baltikum.
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abzuziehen, falls Karl nicht ebenfalls dem Waffenstillstand mit Friedrich IV. zustimmte. Der alte schwedische Traum von der Eroberung Kopenhagens, der Hauptstadt des dänischen Erzfeindes, blieb auch für den neuen König unerfüllbar. Karl tröstete sich jedoch damit, dass es im Baltikum noch genügend Gelegenheit für ihn gab, neuen Ruhm für Schwedens Waffen zu erwerben. Die Armee des Kurfürsten August von Sachsen war schon im Frühjahr ins schwedische Livland eingedrungen und hatte inzwischen mit der Belagerung von Riga begonnen.
Von Feinden umstellt
S
eit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges beherrschte das protestantische Schweden weite Küstengebiete der Ostsee. Zeitweise gehörten sogar die Bistümer Bremen und Verden zum nordischen Imperium. In Kriegen gegen Dänemark, Russland und Polen erreichte Schweden bis 1661 seine größte territoriale Ausdehnung. Die Thronfolge des erst 15-jährigen Karl XII. im Jahre 1697 erschien jedoch Schwedens ständigen Widersachern als eine günstige Gelegenheit, ihre Verluste aus den vorangegangenen Kriegen wieder wettzumachen. Friedrich August, genannt der Starke, Kurfürst von Sachsen und als August II. gewählter König von Polen, wollte das ehemals polnische Livland mit der Hauptstadt Riga zurückerobern, wie er es dem polnischen Adel bei seiner Wahl versprochen hatte. Darum verbündete er sich mit König Friedrich IV. von Dänemark, der wiederum auf das verlorene Skaneland in Südschweden hoffte. Der Dritte im Bunde war Zar Peter I. von Russland. Ihn lockte das von den Schweden besetzte Ingermanland, das vormals zu Russland gehört hatte, jetzt aber seinem aufstrebenden Reich den Zugang zur Ostsee versperrte. Eilig schloss er mit den Osmanen Frieden, um den Rücken für seine Eroberungspläne im Baltikum frei zu haben. Zur Überraschung seiner Gegner reagierte der junge schwedische Monarch energisch und kühn. Gestützt auf ein Bündnis mit den Seemächten Großbritannien und den Generalstaaten griff er im Sommer 1700 zuerst die Dänen an, durchbrach mit seiner Flotte den Öresund und vereinigte sich mit einem niederländisch-britischen Geschwader im Kattegat. Während die vereinigte Flotte die dänischen Seestreitkräfte im Hafen von Kopenhagen blockierte, landete Karl mit 10 000 Mann auf der Insel Seeland, um die dänische Hauptstadt zu belagern. Überrumpelt und isoliert lenkte der Dänenkönig ein und schloss einen Waffenstillstand mit den Niederländern und Engländern. Die beiden Seemächte waren an einer Demütigung Dänemarks nicht interessiert und drohten, ihre Flotten
Die Flucht des Zaren und Karls Triumph bei Narwa Als der König am 1. Oktober 1700 mit seiner Armee von Karlsham ins livländische Pernau übersetzte, ahnte er wohl kaum, dass er sein Heimatland erst 15 Jahre später wiedersehen würde. Noch unmittelbar vor seiner Abfahrt war Karl gemeldet worden, dass russische Truppen die Grenze zum schwedischen Ingermanland überschritten hatten und die nördlich des Peipussees gelegene Festung Narwa belagerten. Da kam es den Schweden zunächst nicht ungelegen, dass der sächsische Kurfürst mit seinen Truppen bereits in die Winterlager gezogen war. Der nasskalte November hatte alle Wege in schlammige Morastpisten verwandelt und machte eine geregelte Versorgung der Truppe praktisch unmöglich. Für jeden gewöhnlichen Heerführer wäre dies Anlass genug gewesen, auf weitere strapaziöse Unternehmungen vor dem Frühjahr zu verzichten. Karl XII. war jedoch alles andere als ein durchschnittlicher Kommandeur. Erneut düpierte er seine Gegner und brach mit seiner nur 11 000 Mann starken Armee nach Narwa auf, wo 2000 Schweden gegen eine russische Armee von etwa 40 000 Mann ausharrten. In einem über 200 Kilometer langen Gewaltmarsch durch unwegsames und knietief verschlammtes Gelände erreichte die schwedische Armee am 19. November die bedrohte Festung. Obwohl von Hunger und Strapazen erschöpft, griffen die Schweden nach kurzer Erkun-
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Lappmark
Nordsee
Schweden 1524 Erwerbungen unter Gustav Wasas Söhnen (1560 –1592) Erwerbungen Gustav Adolfs (1611–1632) und Christines (1632–1654) Erwerbungen Karls X. (1654 –1660) Brandenburg-Preußen Grenze des Heiligen Römischen Reiches
Västerbot ten Österbotten
NORWEGEN Dalekarlien
Kristiania Uppsala
Ostsee
DÄNEMARK
Malmö
Bornholm
Rügen
Bremen
Livland
Riga
Moskau
(1621/29)
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1708
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(1658/60 schwed.)
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(1617)
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(1561)
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(1645)
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Helsingfors
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Nyland
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(1617)
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SCHWEDEN Ångermanland Bot Mee tnis rbu ch se er n
(1658/60)
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OSMANISCHES REICH
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Schwedens Ostseeimperium. Im 17. Jahrhundert war Schweden eine europäische Großmacht und beherrschte große Teile der Ostseeküsten, unter anderem auch Pommern mit Stralsund und Stettin. Nur durch äußerste Bündelung seiner Kräfte vermochte das bevölkerungsarme Land, seinen umfangreichen Besitz gegen die Ansprüche der begehrlichen Nachbarn zu verteidigen. Unter Karl XII. brach die schwedische Großmachtposition in Nordeuropa nach glänzenden Anfangserfolgen endgültig zusammen. Größter Nutznießer dieser Entwicklung war Zar Peter I. von Russland (reg. 1689 – 1725).
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dung des Geländes die vierfach überlegenen russischen Belagerungstruppen in ihren Schanzen an. Dass Zar Peter nur einen Tag vor der Ankunft der Schweden das russische Feldlager verlassen und einem Ausländer das Kommando übergeben hatte, verbesserte kaum die Moral seiner Truppen. Ein plötzlich einsetzendes dichtes Schneetreiben half den Angreifern. Die Schweden durchbrachen den Belagerungsring an zwei Stellen und rollten die feindlichen Positionen nach links und rechts auf. Die Russen flohen in Panik. Der Zar verlor die Hälfte seiner Armee, etwa 8000 Mann waren tot oder verwundet, mehr als 10 000 Russen gerieten in Gefangenschaft, auch ging die gesamte russische Artillerie verloren. Der unglaubliche Sieg von Narwa ließ ganz Europa aufhorchen und verlieh dem erst 18-jährigen Monarchen schon jetzt den Nimbus der Unbesiegbarkeit.
lings Stanisław Leszczyński verzichtete, hatte Zar Peter I. das schwedische Ingermanland längst in seine Hand gebracht und auf dem offiziell noch schwedischen Gebiet seine neue Hauptstadt Petersburg gegründet.
Die Invasion Russlands Für den schwedischen Gegenschlag gegen den Zaren schien es inzwischen höchste Zeit. Statt jedoch die verlorenen baltischen Provinzen wieder in seine Hand zu bringen, beabsichtigte Karl, dem nach seinen beispiellosen Siegeszügen nichts mehr unmöglich erschien, das Zarenreich direkt anzugreifen. In Moskau wollte der Schwede dem russischen Zaren seine Bedingungen diktieren, so wie er sie zuvor dem sächsischen Kurfürsten in dessen eigenem Land diktiert hatte. Ende Dezember 1707 führte Karl die stärkste Armee, die Schweden jemals unter Waffen hatte, über die Weichsel. Auf die mehr als 40 000 Soldaten wartete jedoch ein mühsamer Marsch durch die winterlichen Wälder Ostpolens und Weißrusslands. Die Stimmung im Heer war nicht die beste. Offiziere und Mannschaften waren von den jahrelangen Feldzügen erschöpft. Im Krieg gegen den sächsischen Kurfürsten hatten sie genug für eine angenehme Friedenszeit in der Heimat erbeutet. Krieg war für die meisten Soldaten dieser Epoche immer noch eine Form des Erwerbs, ein Lebensunterhalt, und es war ihnen deshalb nur schwer zu vermitteln, warum nach ihren großen Erfolgen jetzt nicht endlich Frieden geschlossen wurde. In ihren Augen war Russland ein barbarisches und armes Land. Es lohnte sich nicht, dort Krieg zu führen. Hatte nicht Zar Peter I. ein ums andere Mal Friedensangebote an die Adresse ihres Königs geschickt und sich bereit erklärt, seine Eroberungen außer seiner neuen Hauptstadt St. Petersburg wieder an die Schweden zurückzugeben? Karl hatte alle diese Offerten zurückgewiesen. Lieber wolle er den letzten Schweden opfern, als die Festung Nöteburg abzutreten. Ein Kompromiss mit seinem monarchischen Standesgenossen, den er wegen seiner Verschlagenheit und Feigheit ver-
Sieben Jahre Krieg in Polen Der schwedische König dachte jedoch nicht daran, sich auf seinem neuen Ruhm auszuruhen. Schon im Frühjahr 1701 führte er seine Armee erneut gegen den sächsischen Kurfürsten, in dem er den tatsächlichen Urheber der feindlichen Koalition gegen Schweden sah. Karls tiefe Abneigung gegen August von Sachsen unterschied sich von dem üblichen politischen Kalkül seiner Standesgenossen. Die übrigen Monarchen verstanden nicht, weshalb der schwedische König mit aller Macht in Polen Krieg gegen König August II. führte, der doch inzwischen auf alle seine Ansprüche in Livland verzichtet hatte und nur noch seinen polnischen Königstitel behalten wollte. Obwohl er sich immer noch im Krieg mit dem Zarenreich befand, heftete sich Karl an die Fersen des König-Kürfürsten und jagte ihn durch dessen gesamtes polnisches Wahlkönigreich. Dass im Baltikum eine wichtige Position nach der anderen an die wieder erstarkten Russen verloren ging, schien ihn nicht zu kümmern. Als endlich nach sieben Jahren im Sommer 1707 August II. im Frieden von Altranstädt (bei Leipzig) auf die polnische Krone zugunsten des schwedischen Günst-
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Karl XII. von Schweden (1699 – 1718), Gemälde von David von Kraft, Nationalmuseum Stockholm. 18 Jahre führte Karl XII. ununterbrochen Krieg um Schwedens Großmachtstellung. Dass seine Soldaten im Feld und auch die Bevölkerung in der Heimat alle Strapazen und Entbehrungen der Kriegsführung ertrugen, ist sicherlich seinen überragenden Fähigkeiten als Feldherr und Menschenführer zu verdanken. Von größerer Prinzipienfestigkeit als die übrigen Monarchen seiner Zeit, lehnte er es ab, aus seinen militärischen Anfangserfolgen politischen Gewinn zu ziehen. Seine Gegner sah er im Unrecht und mochte sich daher auch nicht auf die üblichen diplomatischen Schachzüge einlassen. Ihre wiederholten Friedensangebote schlug er aus, ebenso die Bündnisofferten der Großmächte Frankreich und England. Karl XII. war der König, der niemals aufgab.
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achtete, lag außerhalb seiner Vorstellung. Hatte ihm nicht der Gesandte dieses Zaren noch im August 1700 eine russische Friedensdelegation nach Stockholm in Aussicht gestellt, während russische Truppen schon auf Narwa marschierten? Auch dieser Feind, dem noch am allerwenigsten zu trauen war, sollte in einem letzten entscheidenden Feldzug zur Kapitulation gezwungen werden. Nach den deprimierenden Erfahrungen bei Narwa wollte Zar Peter jedoch vorerst eine Schlacht gegen den gefürchteten Schweden vermeiden und wich daher, eine Schneise der Verwüstung hinterlassend, mit seinen Truppen nach Weißrussland zurück. Im Frühjahr 1708 bezogen die Schweden ihr Winterlager in Litauen. Erst als die Wege im Frühsommer wieder passierbar wurden, setzten sie ihre Offensive in Richtung Dnjepr fort. Karls Armee war bereits auf 38 000 Mann geschrumpft. Zur Unterstützung seines polnischen Marionettenkönigs Leszczyński hatte der König ein Korps von 6000 Mann zurücklassen müssen. Doch die Schweden erwarteten Verstärkungen aus dem Baltikum. Im Frühjahr hatte der König dem General Adam Ludwig Lewenhaupt befohlen, von Riga aus mit 12 500 Mann und einem Konvoi aus mehreren Tausend Versorgungswagen zum Dnjepr aufzubrechen, wo er sich mit der Hauptarmee vereinigen sollte. Karl rückte inzwischen auf das sogenannte Flusstor vor, eine Landbrücke zwischen der Düna im Norden und dem Dnjepr im Süden. Durch diese Passage verlief die Hauptroute ins Herz Russlands, über Smolensk nach Moskau. Hier stellte sich die russische Armee erstmals bei einem Dorf namens Holowczyn den Schweden zur Schlacht. Die Siedlung lag in der feuchten Niederung eines kleinen Flusses. Die drei russischen Korps der Generäle Goltz, Repnin und Scheremetjew waren durch sumpfiges Gelände voneinander getrennt und konnten sich daher kaum gegenseitig unterstützen. Als am 3. Juli 1708 die schwedische Vorhut überraschend das mittlere Korps des Fürsten Repnin attackierte und unter dem Schutz ihrer Artillerie den als unpassierbar geltenden Sumpf durchwatete, verlor der General die Nerven. Da
die Nachbarkorps seinen Hilferufen nicht schnell genug Folge leisteten, räumte Repnin vorzeitig seine günstigen Stellungen, wofür ihn der Zar später degradierte. Als auch die übrigen schwedischen Regimenter in die Schlacht eingriffen, musste sich die gesamte russische Armee zurückziehen. Ihre Verluste von 5000 Mann waren ein erneuter herber Schlag für den Zaren. Der Weg nach Smolensk und Moskau schien für die Schweden nun frei. Niemand ahnte, dass es ihr letzter großer Erfolg in diesem Krieg sein würde. Am 9. Juli erreichte Karls Armee die Stadt Mogilew am Dnjepr, nur 100 Kilometer von Smolensk entfernt. Dort blieben die Schweden bis zum 5. August, um das Eintreffen General Lewenhaupts abzuwarten. Der General war aber erst Ende Juni aus Kurland aufgebrochen und rückte nur langsam an die schwedische Hauptarmee heran. Karl versuchte durch verschiedene Vorstöße, die Armee des Zaren zu einer weiteren Schlacht herauszufordern. Insgeheim hoffte er, die russische Hauptmacht von einem Angriff auf Lewenhaupts gefährdete Kolonne abzuhalten. Aber der Gegner wich ihm aus, und wiederholt traf sein Vormarsch auf buchstäblich im letzten Augenblick verlassene Lager und niedergebrannte Dörfer. Durch diese Öde aus Asche, Staub und Rauch war keine Offensive zu führen. Nur mithilfe der dringend erwarteten Vorräte und Verstärkungen, die General Lewenhaupt den Schweden zuführen sollte, war jetzt noch an eine Fortsetzung der Offensive gegen Moskau zu denken. Aber von Lewenhaupts Kolonne fehlte immer noch jede Spur. Am 11. September stieß die schwedische Hauptarmee bis nach Starycze vor, das nur 80 Kilometer südwestlich von Smolensk lag. Es war der östlichste Punkt, den die Schweden auf diesem Feldzug erreichten. Zu behaupten war diese Position nicht. Ohne Lewenhaupts Nachschubkolonne brauchte die Armee dringend unversehrte Gebiete zu ihrer Versorgung, andernfalls drohte ihr der Untergang. Die Hoffnungen des Königs richteten sich mehr und mehr auf die Ukraine mit ihren reichen, vom Krieg bisher verschonten Gebieten. Zudem
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Schlacht vom 27. Juni
Poltawa
Kapitulation der Schweden am 30. Juni
150 km
Karl versucht, seine Winterquartiere auszudehnen
Perewolotschina
Lesnaya (2) von den Russen gestellt und zur Hälfte aufgerieben.
Der Weg nach Poltawa. Im Frühsommer 1708 überschritt Karl XII. mit seiner 38 000 Mann starken Ar-
Gerade einmal 7000 Mann konnten sich zur schwedischen Haupt-
mee die Beresina und rückte nach einer siegreichen
armee bei Starodub (3) retten. Ihr neues Bündnis mit dem Kosaken-
Schlacht bei Holowczyn (1) auf die Stadt Mogilew am
hetmann Mazeppa brachte den Schweden keinen Vorteil. Anfang
Dnjepr vor. Dort wollte er die Ankunft eines Nach-
November erstürmten die Russen dessen Hauptstadt Baturin (4)
schubkonvois aus Riga mit 12 500 Mann unter der
und vernichteten sämtliche dort gelagerten Vorräte. Ein klirrend
Führung General Lewenhaupts erwarten. Als sich
kalter Winter setzte den bedrängten Schweden zusätzlich hart zu.
Lewenhaupt jedoch verspätete und bis Mitte Sep-
Karls Versuche, im Januar wieder nach Norden vorzustoßen, schei-
tember immer noch keine verlässliche Nachricht von
terten verlustreich bei der Festung Veprik und bei Achtyrka (5). Ende
seinem Verbleib eingetroffen war, marschierte der
April 1709 waren die Schweden im Raum von Poltawa isoliert und
König nach Süden in die Ukraine, wo er eine bessere
begannen mit der Belagerung dieser Festung, in der Hoffnung, die
Versorgung für seine Armee erhoffte. Lewenhaupts
russische Hauptarmee dadurch endlich zu einer entscheidenden
isolierte Kolonne wurde am 29. September 1708 bei
Schlacht herausfordern zu können.
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siedelten dort die Kosaken, deren Hetmann Mazeppa den Schweden ein Bündnis angeboten hatte. Sicher waren auch die den Russen traditionell feindlich gesonnenen Krimtataren als Verbündete zu gewinnen, und vielleicht konnte der König sogar den osmanischen Sultan für ein Bündnis gegen Russland gewinnen. Für die Kosaken war die Lage allerdings schon prekär. Mazeppa beschwor den König, sofort in die Ukraine zu marschieren, da er seinen Abfall vor dem Zaren kaum noch länger verbergen konnte. Wollte Karl das Bündnis mit den Kosaken nicht gefährden, durfte er jetzt nicht länger auf den säumigen Lewenhaupt warten. Mitte September 1708 schwenkte der König mit seiner Armee nach Süden. Lewenhaupt sollte auf sich allein gestellt versuchen, Anschluss an die Hauptarmee zu gewinnen. Als der General jedoch mit seinem Konvoi am 29. September 1708 bei der Ortschaft Lesnaya die Soza, einen Nebenfluss des Dnjepr, überschritt, wurde er von einem russischen Korps unter dem persönlichen Kommando des Zaren Peter angegriffen. Mit Mühe konnten Lewenhaupts Männer ihre Stellungen einen ganzen Tag halten. Dann verbrannten sie im Schutz der Nacht den gesamten Nachschubtrain und versuchten, sich nach Süden zur Hauptarmee durchzuschlagen. Gerade einmal 7000 Schweden erreichten nur noch mit dem, was sie am Leib trugen, am 11. Oktober die Hauptarmee des Königs bei Starodub in der Ukraine. Der Marsch in den Süden hatte sich als eine unglückliche Entscheidung des Königs erwiesen. Für Lewenhaupts Kolonne war der Abmarsch zu früh erfolgt. Um Mazeppa und seinen Kosaken zu
helfen, erfolgte er jedoch zu spät. Die Schweden verloren den Wettlauf in die Ukraine gegen die russische Armee. Anfang November, wenige Tage vor der Ankunft der Schweden, stürmten russische Truppen Mazeppas Hauptstadt Baturin und vernichteten alle für die Schweden lebensnotwendigen Vorräte. Mit nur 4000 Reitern rettete sich der Kosakenhetmann ins schwedische Lager. Innerhalb von nur wenigen Wochen hatte sich das Blatt gegen die Schweden gewendet. Angeschlagen und ohne Vorräte saßen sie in der Ukraine, weitab von Moskau, ihrem ursprünglichen Ziel, und auch weitab von ihren Hilfsquellen in Polen und im Baltikum. Außer einem Bündnispartner von nur noch fraglichem Wert hatte Karl durch seinen Marsch in die Ukraine nichts gewonnen. Zu allem Überfluss setzte einer der strengsten Winter der neueren Zeit den Schweden hart zu. Zahlreiche Soldaten wurden durch Erfrierungen verstümmelt. Der Kampfwert der Armee nahm mit jedem Tag ab. Karls Versuche, mit Beginn des neuen Jahres die Offensive nach Norden wiederaufzunehmen, scheiterten nach kleineren Anfangserfolgen am Frühjahrstauwetter.
Die Schweden vor Poltawa Gegen Ende des Frühjahrs hatte sich die schwedische Armee in einem von den Flüssen Djnepr und Worskla begrenzten Raum festgesetzt und in der Nähe der kleinen Festung Poltawa ihr Lager aufgeschlagen. Anfang Mai 1709 begann Karl mit seiner dezimierten Armee die Belagerung der Stadt, die an einer Furt über den Fluss Worskla lag. Sein
Zar Peter I. von Russland (reg. 1689 – 1725). Zar Peter I. wehrte die erste der drei großen feindlichen Invasionen Russlands aus dem Westen ab. Mit brutaler Härte führte er sein Land aus dem Mittelalter in die Neuzeit und gewann Anschluss an die westliche Staatenwelt. Das sichtbarste Zeichen dieser Westorientierung war die Gründung seiner neuen Hauptstadt St. Petersburg an der Ostsee. Der Zar reformierte auch die russische Armee und schuf sich mit ihr ein Instrument seiner Großmachtpolitik. Trotz deprimierender Rückschläge bei Narwa gegen Karl XII. von Schweden und am Pruth gegen die Türken (1711) gehörte Russland am Ende seiner Regierungszeit unbestritten zum Kreis der europäischen Großmächte.
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Ziel war jedoch nicht die Einnahme des ziemlich bedeutungslosen Platzes, den 4000 Russen mit 28 Geschützen besetzt hielten. Der König hoffte, dass der Zar mit seiner Armee näher heranrücken würde, um die schwedische Armee im Rücken zu bedrohen und sie damit zur Aufgabe der Belagerung zu zwingen. So könnte man die Russen vielleicht zu einer Schlacht verleiten, die seiner taktisch überlegenen Armee besonders im Hinblick auf das Zögern der Osmanen einen dringend benötigten Erfolg bringen würde. Tatsächlich überschritt die gesamte russische Armee in einer Stärke von 40 000 Mann am 21. Juni 1709 die Worskla nördlich von Poltawa und errichtete fünf Kilometer von der belagerten Stadt ein befestigtes Lager. Auf eine offene Schlacht ließ sich der Zar jedoch vorerst nicht ein, sooft die Schweden sie ihm auch anboten. Zar Peter hatte nicht die geringste Veranlassung, das Risiko einer Niederlage auf sich zu nehmen und dadurch vielleicht seinen Gegner aus dessen ständig wachsenden Schwierigkeiten zu befreien. Die Lage der Schweden wurde allmählich kritisch. Eine ausreichende Versorgung der Armee im Raum von Poltawa war nicht mehr lange möglich. Der Weg nach Polen war inzwischen durch die von den Russen besetzte Festung Kiew im Westen blockiert. Einen weiteren Rückzug nach Süden zu den Krimtataren oder ins Osmanische Reich verhinderte dagegen der Dnjepr, der im Rücken der Schweden kaum Übergangsmöglichkeiten für eine ganze Armee bot. Im Norden wiederum stand die Hauptarmee des Zaren und verschloss wie ein Flaschenpfropfen die Falle, in der die Schweden sich nun plötzlich wiederfanden. Zu allem Übel war der schwedische König am 17. Juni bei einem unbedeutenden Vorpostengefecht am Fuß verletzt worden. Die komplizierte Wunde infizierte sich, und einige Tage schwebte Karl in Lebensgefahr. Die Erholung trat keinen Moment zu früh ein. Am 22. Juni waren drei ungünstige Nachrichten im schwedischen Lager eingetroffen, die ein weiteres Verbleiben der Armee im Raum zwischen Dnjepr und Worskla sinnlos machten. Die erste enttäuschende Meldung kam
aus den norddeutschen Provinzen Schwedens. Es war ausgeschlossen, so meldeten Karls Emissäre, dass die dortigen schwedischen Regimenter der Hauptarmee in absehbarer Zeit noch Hilfe bringen konnten. Zu groß war die Entfernung, selbst wenn man außer Betracht ließ, dass ihnen ein russisches Korps in Polen den Weg versperrte. Kaum verheißungsvoller lauteten die Meldungen aus dem Süden. Die Krimtataren verschlossen sich beharrlich den schwedischen Bündnisofferten und wollten erst Erfolge gegen den Zaren sehen. Ähnlich dachte der Sultan in Konstantinopel, der Karls Gesandten ohne konkrete Bündniszusage entließ. Die schwedische Armee war somit auf sich allein gestellt, und die Zeit arbeitete gegen sie. Die Russen schnürten sie immer weiter ein und errichteten bereits im Vorfeld ihres Hauptlagers neue Befestigungen (Redouten), die sie vor Überraschungsangriffen der Schweden schützen sollten.
Karls Entschluss zum Angriff auf das Lager des Zaren Am 27. Juni hatte sich der König so weit von seiner Verwundung erholt, dass er in seinem Quartier im Kloster Krestowosdwishenski nördlich von Poltawa einen Kriegsrat halten konnte. An ihm nahmen der erste Minister Graf Karl Piper, der Feldmarschall Graf Karl Gustav Rehnsköld und Oberst Siegroth, der Kommandeur des renommierten Darlecarlia-Regiments, teil. Die Lage war bedrückend. Der Bestand an Pulver war inzwischen so knapp, dass es im Lager verboten war, darüber zu sprechen. Blei für die Kugeln war kaum noch vorhanden. Die Truppe hatte sogar schon begonnen, die verbrauchten Geschosse des Gegners aufzusammeln. Die Verpflegung für Mannschaft und Pferde war fast aufgezehrt, und das Beutemachen in der Umgebung verhinderten russische Streifkorps. Keine zwei Tage könne die Truppe noch bei Poltawa aushalten, versicherte Rehnsköld, und Oberst Siegroth äußerte sogar Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Soldaten. Da war der König aufgefahren und hatte wütend erklärt, dass dann
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weder er selbst noch irgendwer sonst aus der Armee lebend zurückkehren solle. Er schien sich dann aber schnell wieder gefasst zu haben. Sein Schlachtplan zeugte jedenfalls von dem gewohnten Angriffsgeist, aber auch von einer verhängnisvollen Unterschätzung der russischen Armee, deren unbestreitbare Fortschritte der König einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Wie bei Narwa wollte Karl die Russen in ihrem Lager angreifen und sie auf engstem Raum zusammendrängen, sodass sich ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht auswirken konnte, ja sogar hinderlich sein würde. Die steil zur Worskla abfallende Rückseite des russischen Lagers begünstigte seinen Plan. Eine Flucht der Russen würde dann unausweichlich in eine militärische Katas-
trophe führen. Allerdings mussten die Schweden zunächst unbemerkt die kleine Ebene vor dem gegenerischen Lager gewinnen. Hier aber lag die Hauptschwierigkeit des Plans. Zwei Wälder, der Jakowzy-Wald im Süden und der Budistschi-Wald im Westen umgaben das russische Lager mit einer kleinen vorgelagerten Ebene. Eine etwa anderthalb Kilometer breite Anhöhe mit spärlichem Buschbewuchs zwischen beiden Wäldern war der einzige Zugang zum zukünftigen Schlachtfeld. Doch diese Lücke hatte der Zar durch sechs Schanzen im Abstand von etwa 160 Metern, jede mit 50 Metern Seitenlänge, sichern lassen. Zusätzlich hatten die Russen drei weitere Schanzen im rechten Winkel zu den ersten Befestigungen angelegt. Eine vierte war bereits im Bau.
Schwedische Gefechtsgliederung am 28. Juni 1709. I. Kolonne
II. Kolonne
General Sparre I. Kolonne 2600 Mann General Sparre
General Stackelberg II. Kolonne 1700 Mann General Stackelberg
2600 Mann
1700 Mann
Regiment Västerbotton Regiment 2 Btl. Västerbotton 2600 Btl.Mann 600 Mann Regiment Östgöta Regiment 1 Btl. Östgöta 1400 Btl.Mann 400 Mann Regiment Uppland Regiment 2 Btl. Uppland 2700 Btl.Mann 700 Mann
Regiment Västmanland Regiment 2Västmanland Btl. 1100 2 Btl.Mann 1100 Mann Regiment Närke-Värmland Regiment 2Närke-Värmland Btl. 1200 2 Btl. Mann 1200 Mann Regiment Jönköping Regiment 1 Btl. Jönköping 1300 Btl.Mann 300 Mann
III. Kolonne
General Lagercrona IV. Kolonne 1900Lagercrona Mann General
2000 Mann
1900 Mann
Regiment Dalecarlian Regiment 2 Btl. Dalecarlian 21100 Btl.Mann 1100 Mann Teile Leibgarde Teile 2 Btl. Leibgarde 2900 Btl.Mann 900 Mann
Leibgarde 2Leibgarde Btl. 900 2 Btl.Mann 900 Mann Regiment Kalmar Regiment 1Kalmar Btl. 500 1 Btl.Mann 500 Mann Regiment Skaraborg Regiment 1Skaraborg Btl. 500 1 Btl.Mann 500 Mann
Linker Flügel
General LinkerHamilton Flügel General Hamilton III. Kolonne I. Kolonne II. Kolonne III.Dragoner Kolonne I. Kolonne KavallerieII. Kolonne Dragoner Kavallerie
IV. Kolonne
General Roos III. Kolonne 2000 Mann General Roos
Infanteriebataillon Soll: 4 Kompanien Infanteriebataillon je 1504 Mann Soll: Kompanien je 150 Mann Dragonerregiment* Soll: 8 Schwadronen Dragonerregiment* je 1258Mann Soll: Schwadronen je 125 Mann Kavallerieregiment Soll: 8 Schwadronen Kavallerieregiment je 1258Mann Soll: Schwadronen je 125 Mann *berittene Infanterie *berittene Infanterie
Rechter Flügel General Crentz Rechter Flügel
General Crentz IV. Kolonne V. Kolonne IV. Kolonne V. Kolonne Kavallerie Kavallerie
VI. Kolonne VI. Kolonne Dragoner Dragoner
Östgöta Östgöta
Abo Abo
Leibdragoner Leibdragoner
Kgl. Leibtrabanten Kgl. Leibtrabanten
Småland Småland
Rgt. Taube Rgt. Taube
Nyland Nyland
Uppland Treemaning Uppland Treemaning
Rgt. Skåne Rgt. Skåne
Nordskåne Nordskåne
Südskåne Südskåne
Rgt. Dückers Rgt. Dückers
Rgt. Hielm Rgt. Hielm
Insgesamt: Insgesamt: 18 Infanteriebataillone zusammen 8200 Mann 18 Infanteriebataillone zusammen 8200 Mann 8 Kavallerieregimenter 6 Dragonerregimenter 8 Kavallerieregimenter 7800 Mann 6zusammen Dragonerregimenter zusammen 7800 Mann
Rgt. Gyllenstierna Rgt. Gyllenstierna
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Alle zehn Schanzen bildeten zusammen die Form eines T. Ihre Besatzung bestand aus drei Infanterieregimentern, insgesamt 4000 Mann, mit 16 Geschützen. Unmittelbar hinter den Schanzen waren außerdem 9000 russische Kavalleristen unter dem Befehl des Generals Menschikow als Reserve aufmarschiert. Die schwedische Infanterie musste daher zunächst unbemerkt die russischen Schanzen passieren. Gleich darauf sollte die Kavallerie der Schweden Menschikows Reiterei zurückwerfen, sodass sich die Infanterie ungehindert in der Ebene sammeln konnte. Erst dann konnte der Hauptangriff auf das russische Lager beginnen.
Infanteriekommandeure wusste genau, ob die russischen Schanzen eingenommen werden sollten oder einfach nur zu umgehen waren. Melder brachten widersprüchliche Befehle. Schließlich formierten sich einige Bataillone zur Gefechtslinie, andere verharrten weiter in ihrer ursprünglichen Marschgliederung. Wertvolle Zeit verstrich. Im ersten Morgenlicht wurden allmählich die russischen Befestigungen sichtbar. Der Lärm der Schanzarbeiten aus der vordersten, noch unfertigen Schanze drang bis zu den Schweden. Es war nur eine Frage von wenigen Augenblicken, bis die Russen den Aufmarsch der Schweden erkannt hatten. Plötzlich fiel irgendwo zwischen den russischen Schanzen ein Schuss und beendete abrupt die morgendliche Stille. Die Russen besetzten sofort ihre Geschütze und eröffneten ein heftiges Feuer auf die dicht massierten Schweden. Jetzt war Eile geboten, wenn überhaupt noch etwas von dem Schlachtplan des Königs gerettet werden sollte. Entschlossen rückten die Schweden vor, um so schnell wie möglich aus dem Wirkungsbereich der russischen Schanzen zu gelangen. Tatsächlich schafften es die äußeren Kolonnen, zügig das offene Gelände hinter der russischen Schanzenlinie zu gewinnen. Die mittleren Kolonnen unter dem Befehl von General Karl Gustav Roos griffen jedoch die vordersten Redouten an und erstürmten auch die erste von ihnen. Keiner der Russen überlebte. Gleichzeitig nahm Oberst Siegroths Darlecarlia-Regiment die zweite russische Redoute. Bei der dritten Redoute rannten sich Roos’ Männer jedoch fest. Der Widerstand war zu stark. Jetzt erwies es sich als Nachteil, dass die Schweden nur vier leichte Geschütze mitgenommen hatten. Mit Bajonetten und Piken allein war gegen die mit Wall und Graben gesicherten russischen Befestigungen nichts auszurichten. Als ob er dies nicht einsehen wollte, schickte Roos immer wieder seine vier Bataillone gegen die Feuer speiende russische Schanze. Oberst Siegroth, der mit seinem 1100 Mann starken Darlecarlia-Regiment nach der Einnahme der zweiten Redoute bei Roos erschien, befahl seinen Bataillonen, sich am Sturm auf die dritte
Der Aufmarsch der Schweden misslingt Noch in der Nacht zum 28. Juni 1709 formierten sich die Schweden etwa 600 Meter vor den vordersten russischen Schanzen. Vier parallele Kolonnen Infanterie mit 8200 Mann und vier leichten Feldgeschützen, dahinter 7800 Reiter. Zwei Bataillone mit etwa 1000 Mann Infanterie waren in den Stellungen vor Poltawa geblieben. 1800 Berittene sicherten weiter südlich die Worsklaübergänge, 2000 Kavalleristen bewachten den Train und die übrigen 28 Geschütze der Schweden. Karl hatte auf ihren Einsatz verzichtet, weil er fürchtete, sie könnten die Beweglichkeit seiner Truppe einschränken. Im Übrigen schätzte er Artillerie nur bei Belagerungen. In der offenen Feldschlacht bevorzugte er blanke Waffen wie Pike oder Bajonett. Auf einer Trage liegend, hatte sich der König mit einer Kompanie Leibtrabanten der äußerst rechten Kolonne des Generals Anders Lagercrona angeschlossen. Von Anfang an schien das Unternehmen unter einem schlechten Stern zu stehen. In der Dunkelheit verirrte sich die Kavallerie und musste von eilig ausgesandten Ordonnanzoffizieren in die zugewiesenen Bereitstellungsräume geführt werden. Der schwedische Zeitplan war längst überschritten, als sich alle Kolonnen gegen vier Uhr morgens endlich bereitgestellt hatten. Nun zeigte sich jedoch noch ein neues Problem. Keiner der
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Schanze zu beteiligen. Siegroth hatte am Kriegsrat des Königs im Kloster teilgenommen und kannte alle Einzelheiten des Angriffsplans. Offenbar war tatsächlich beschlossen worden, die vorderen Redouten wegen ihrer flankierenden Wirkung auf die äußeren schwedischen Kolonnen zu nehmen. Doch jetzt war dieser Auftrag nicht mehr gültig. Die anderen schwedischen Bataillone hatten längst das offene Gelände jenseits der Schanzenlinie erreicht, und nun galt es, mit den schon stark dezimierten Bataillonen schnellstmöglich Anschluss an die Hauptarmee zu gewinnen. Siegroth kam jedoch nicht mehr dazu, Roos entsprechende Instruktionen zu übermitteln. Gleich beim ersten Angriff seines Regiments wurde er tödlich verwundet. Nun völlig auf sich gestellt, trieb Roos seine Bataillone immer wieder gegen die dritte russische Schanze. Nach etwa zwei Stunden hatten die sechs schwedischen Bataillone von ihren anfangs 2600 Mann mehr als ein Drittel verloren, ohne auch nur einmal in das Innere der russischen Schanze gelangt zu sein. Gegen sechs Uhr morgens sammelten sich die demoralisierten Reste von Roos’ Kolonne im Schutz des Jakowzy-Walds. Der General war ratlos. Wohin sollte er jetzt marschieren? Längst war der Gefechtslärm wieder verstummt und von der schwedischen Hauptarmee fehlte jede Spur. Inzwischen hatte die schwedische Kavallerie Menschikows Regimenter bis zur PobywankaSchlucht im Norden des russischen Lagers zurückgetrieben. Nur ein Haltebefehl von Feldmarschall Rehnsköld an seine weit vorgestoßenen Schwadronen hatte die Russen vor Schlimmerem bewahrt. Die durchgebrochenen schwedischen Infanteriebataillone hatten sich planmäßig in einer Senke vor dem Budistschi-Wald formiert. Ein schwedischer Erfolg schien nun doch noch möglich. Wenn jetzt nur endlich General Roos mit den übrigen Bataillonen erschien. Der König schickte das Våstmanland-Regiment und Oberst Hielms Dragoner zu den Redouten zurück, um die vermissten Bataillone zu suchen. Als sie endlich nach einer Stunde den General und die Reste seiner Bataillone sichteten, war es schon zu spät, um
wieder aufzuschließen. Die Russen hatten die isolierten Bataillone entdeckt und griffen sie sofort mit überlegenen Kräften an. Von allen Seiten bedrängt, versuchte sich Roos mit seinen Leuten nach Süden durch den JakowzyWald zurück zu den zwei schwedischen Bataillonen vor Poltawa durchzuschlagen. Mit nur noch 400 Mann erreichte der General ein aufgegebenes Fort in den Außenwerken von Poltawa, wo er schließlich, ohne jede Aussicht auf Entsatz, kapitulierte. Damit war noch vor Beginn der Schlacht ein Drittel der schwedischen Infanterie vernichtet.
Eine dünne blaue Linie geht zum Angriff vor Für die übrigen schwedischen Bataillone vor dem russischen Lager wurde die Lage nun kritisch. Statt die Russen in ihrem Lager attackieren zu können, sahen sie, wie der Feind sich plötzlich selbst zum Angriff formierte. Für das schwedische Oberkommando war es ein Schock, als der Zar seine ganze Armee vor das Lager führte und sie hintereinander in zwei langen Linien von je 2000 Metern ordnete. Der König schickte „zu verschiedenen Malen nach dem Feldmarschall Rehnsköld, und ließ ihn fragen, warum er so stille stünde, und die Russen immer weiter ausrücken ließe. Allein dieser sonst so kluge und tapfere Feldherr war dergestalt außer sich selbst, dass er hin und her ritt, und doch selbst nicht wusste, wie er die Sache angreifen sollte. Wie er endlich zum König kam, sagte er nichts weiter, als dass die Feinde anmarschierten, und er ihnen entgegengehen wollte“.
Diesmal schienen die Schweden ihren Gegner unterschätzt zu haben. 22 000 Russen standen gegen zehn schwedische Bataillone, eine dünne blaue Linie mit kaum mehr als 4000 Mann. Nur unter Hinnahme von fast 50 Meter breiten Lücken ließ sich ihre Linie auf maximal 1500 Meter ausdehnen. Jetzt fehlten auch noch die zwei Infanteriebataillone des Västmanland-Regiments, die der König vergeblich dem glücklosen Roos zu Hil-
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Niederung und Aufstellungsraum der Schweden
O
W
N
S
Russisches Lager
7 7
Maly Budistschi
6
5
3 2
4 2
1
Maly Pavlenki
0
500
1000 m
Jakowzy-Wald
Roos’ Bataillone Andere Bataillone Russische Schanzen
Durchbruch der Schweden durch die russischen
Doch auch die zwei hinzukommenden Bataillone des Darlecarlia-
Schanzen. (1) Darlecarlia- und Västerbotten-Regi-
Regiments können das Blatt nicht wenden. (4) Mithilfe der schwedi-
ment unter dem Kommando von General Roos stür-
schen Kavallerie stoßen Lewenhaupts Bataillone durch die russische
men die erste russische Redoute. Zwei Bataillone
Schanzenlinie. (5) Das Regiment Våstmanland stürmt eine Redoute
lösen sich von der linken Kolonne und nehmen am
und passiert ebenfalls die russische Schanzenlinie. (6) Lewenhaupts
Sturm auf die zweite Schanze teil. (2) General Lewen-
Bataillone formieren sich schon zu einem Angriff auf das russische
haupts Bataillone geraten weit nach rechts. Zwei Ba-
Lager, als sie den Befehl zum Aufschließen zur Hauptarmee erhalten.
taillone der Leibgarde aus Roos’ Kolonne schließen
(7)Die Regimenter Uppland und Östgöta sammeln sich nach Erstür-
sich ihnen an. (3) Inzwischen mühten sich Roos’ vier
men einer russischen Schanze in der Senke gegenüber dem russi-
Bataillone, die dritte russische Schanze zu nehmen.
schen Hauptlager.
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fe geschickt hatte. Hinter dem rechten Flügel der Schweden sollte sich die Kavallerie sammeln. Sie hatte den Auftrag, die Infanterie vor der Überflügelung durch die überlappenden russischen Bataillone zu schützen. Vergeblich bemühte sich General Creutz, aus dem Chaos seiner umherirrenden Schwadronen eine angriffsfähige Truppe zu bilden. Eingeengt zwischen dem Budistschi-Wald hinter ihnen, dem Sumpf zur Linken und der aufmarschierten Infanterie vor ihnen, fehlte den Schwadronen der Raum zur Entfaltung. Mühsam gelang es Creutz, wenigstens einige Schwadronen zum Angriff zu formieren. Etwa 800 Meter lagen zwischen den beiden ungleichen Schlachtlinien. Die Russen hatten fast 100 Geschütze in Stellung gebracht. Die leichten Dreipfünder waren in den Lücken zwischen den Bataillonen postiert, die größeren Kaliber dahinter auf den Lagerwällen. Dagegen besaßen die Schweden nur ihre vier leichten Dreipfünder. So blieb ihnen keine andere Wahl, als anzugreifen. An Feuerkraft waren sie den Russen weit unterlegen, ihre einzige Chance war ein beherzt mit blanken Waffen vorgetragener Angriff. Das erforderte allerdings einen Marsch von knapp zehn Minuten geradewegs in ein Inferno aus Feuer und Blei. Feldmarschall Rehnsköld gab General Lewenhaupt den Angriffsbefehl. Er nahm seine Hand und sagte: „Graf Lewenhaupt, Sie müssen den Feind nun angreifen. Handeln Sie als ehrenhafter Mann im Dienste seiner Majestät. Wir wollen uns in Freundschaft brüderlich unterstützen.“ Lewenhaupt war erstaunt über die ungewohnte Herzlichkeit seines Vorgesetzten. Ob er sofort den Feind angreifen solle, erkundigte sich Lewenhaupt. „Ja, jetzt sofort!“, lautete die Antwort. „Dann in Jesus Namen, möge Gott uns gnädig beistehen“, seufzte Lewenhaupt. Er sollte das kommende Massaker überleben und schrieb später: „Mit diesen, man könnte sagen, armen unschuldigen Schafen, gleichsam fürs Schlachtopfer bestimmt, sollte ich die gesamte Infanterie des Feindes angreifen.“ Wie der General mögen die meisten seiner Männer gedacht haben. Nur ein Wunder konnte ihnen jetzt noch helfen.
Trotz aller Bedenken und aller Todesahnungen marschierten sie los. Vier Glieder hintereinander, jede Bataillonsfront noch etwa 100 Meter breit, die vier Pikenierzüge des Bataillons hintereinander in der Mitte, die acht Schützenzüge jeweils auf die Flügel verteilt. Jeder Soldat hörte wieder das vertraute Gewirr aus Trommelschlägen, Kommandos und das metallische Klirren der Waffen. Vor sich erkannte er die im Wind flatternden Fahnen und Standarten. Das Bataillon war ihre Heimat, in den langen Kriegsjahren und tief im Feindesland gab es keinen anderen Platz, zu dem sie gehörten, nur die vertraute Gesellschaft von Kameraden und Anführern, die jetzt geschlossen dem Feind entgegenmarschierte. Jedes Bataillon oder Regiment hatte lange vor ihnen bestanden, und alle, die sich gegen die imposante Wand aus grünen Leibern und Stahl vor dem russischen Lager in Bewegung setzten, hatten nicht den geringsten Zweifel, dass es auch noch lange nach ihnen bestehen würde. Man war Teil eines anderen Wesens, einer Einheit, die, so angeschlagen und dezimiert sie auch sein mochte, darauf abgerichtet war, den Feind anzugreifen, durch seine Linien zu brechen und ihn niederzumachen. Die Todesangst war ein individuelles Gefühl, aber in einem in Reihe und Glied aufmarschierten Bataillon verteilte sie sich auf viele. Gewohnheit, Korpsgeist und die Gewissheit, dass es für sie nur den Weg nach vorn gab, hielten sie zusammen. Jeder Soldat, der seinen Platz im Gefecht unverwundet verließ, wurde unverzüglich von den nachfolgenden Unteroffizieren niedergemacht. Einheiten, die flohen, wurden dezimiert. Jeder zehnte Soldat konnte gemäß den schwedischen Kriegsartikeln aufgehängt werden. Aber das geschah fast nie. Und dieser aus so vielen Banden und Klammern zusammengehaltene Körper marschierte ein letztes Mal los, trat seinen 800 Meter langen Marsch in den Untergang an. Zügig überwanden die schwedischen Bataillone die ersten 600 Meter. Ihre Marschgeschwindigkeit betrug 75 Meter in der Minute. Noch konnte ihnen die feindliche Artillerie nicht viel anhaben. Nur vereinzelt schlugen die größeren Kaliber der
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2000 m
2. Russische Linie 9 Regimenter
Gardebrigade
Astra-
Ingernmanland
Semjonowsk
Preobra-
Kasan
Pskov
Sibirien
Moskau
Butir
Grenadier Rgt. Busch
Nowgorod
NischniNowgorod
3
1 2
2. Btl. 1. Btl. Närke- 1. Btl. Rgt. Uppland Uppland Värmland Östgöta
1. Batl. Västman- 2. Batl. land Västmanland
2. Btl. 1. Btl. Rgt. 1. Btl. Grenadier 1. Btl. Btl. LeibRgt. Leib- Kalmar garde Skara- Leibgarde garde borg
6
4
7
3. Btl. Leibgarde
Tle. Leibrgt.
Tle. Rgt. Nordskåne
5
Die Krise der Schlacht. Die russische Front droht zu zerbrechen. 5. Die beiden Bataillone des Regiments Västmanland
1. Das 1. Bataillon der Leibgarde brach in die russische Linie ein und erbeutete vier Geschütze und
waren dem linken schwedischen Flügel gefolgt
sechs Fahnen.
und wurden von den vorderen Bataillonen mit in die Flucht gerissen.
2. Dem 2. und 3. Bataillon der Leibgarde im Zentrum
6. Die auf beiden Flügeln entblößten Bataillone des
gelang ebenfalls der Einbruch in die vorderste rus-
Uppland-Regiments wurden eingeschlossen und
sische Linie.
praktisch vernichtet. Am nächsten Tag zählte man
3. Vier Bataillone des Grenadierregiments Busch und
nur noch 14 Überlebende von ursprünglich 700
des Infanterieregiments Nischni-Nowgorod bilde-
Mann.
ten zur Abwehr der schwedischen Kavallerie ein
7. Einige hastig zusammengerufene Schwadronen
Karree, eine Rundumverteidigung, bei der jedes Ba-
von General Hamiltons Kavallerie versuchten zur
taillon auf einer Seite des Vierecks Stellung bezog.
Entlastung des linken Flügels der Schweden, die
4. Von überlegenen Kräften der russischen Gardebrigade in ihrer Flanke bedroht, wichen die Soldaten
russische Gardebrigade aufzuhalten. Es gelang
des Regiments Närke-Värmland als erste zurück.
ihnen aber nicht einmal ein Einbruch in die russi-
Die Masse der Angehörigen des Östgöta-Regiments
schen Linien. Zu stark war das Abwehrfeuer der
schloss sich ihrer Flucht sofort an.
russischen Infanterie.
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schweren Geschütze aus dem feindlichen Lager bei ihnen ein. Ihre Schussfolge war gering. Aber nach fünf Minuten gerieten die Schweden in die Reichweite der Regimentsartillerie. Vor ihnen lagen nun 300 Meter, auf denen die anderthalb Kilogramm schweren Stahlkugeln der russischen Regimentsartillerie breite Schneisen in ihre Reihen schlugen. Mit jedem weiteren Schritt verstärkte sich das Inferno, verdichtete sich schließlich zum Hagelsturm. Auf 200 Meter Entfernung begannen die Russen, mit Kartätschen zu schießen. Jetzt zerplatzten mit Bleikugeln oder mit rostigen Nägeln gefüllte Kanister in den schwedischen Reihen. Die Russen in der vordersten Linie wurden nervös. Nur eine gut gezielte Musketensalve schien diese Schweden noch aufhalten zu können. Die Entfernung schrumpfte schnell auf 50 Meter. Ein Krachen, ein reihenweises Umfallen blau gekleideter Körper, aber doch nur ein kurzes Stocken der Überlebenden, die über die Gefallenen hinwegsteigen mussten, um dann ihren Schritt wieder zu beschleunigen. Eine zweite Salve würden die Russen nicht abfeuern können.
Bei den Russen auf dem linken Flügel breitete sich Panik aus. Sechs russische Regimenter der ersten Linie wurden zerschlagen, die Reste wichen auf die zweite Linie zurück. Noch einmal schien ein Wunder einzutreten, wie neun Jahre zuvor bei Narwa, noch einmal schienen Mut, Entschlossenheit und Todesverachtung der Schweden über das erdrückende Gewicht der Zahlen zu triumphieren. Wenn jetzt doch nur die Kavallerie aufschloss und die Russen auf den Flügeln angriff, war ein Sieg tatsächlich noch möglich. Aber die Kavallerie folgte nicht, und auf dem linken schwedischen Flügel entwickelte sich die Lage weniger günstig. Hier kamen die angreifenden Bataillone nicht an den Feind heran. Zu offensichtlich war die Gefahr der Überflügelung von links durch die überlappenden russischen Regimenter. Die Truppe zögerte, wich teilweise schon zurück. Zudem klaffte eine breite Lücke zum erfolgreichen rechten Flügel. General Lewenhaupt galoppierte zum linken Flügel und beschwor die Kommandeure, ihre Truppen noch einmal nach vorn zu reißen. Der rechte Flügel habe den Feind schon in die Flucht geschlagen. Aber die meisten der Obristen waren schon verwundet oder tot. Die Kavallerie müsse endlich kommen, rief Oberst Appelgren, der verwundete Kommandeur des einzigen Bataillons des Östgöta-Regiments, das ganz links stand, dem General zu, sonst sei hier alles verloren. Bedrohlich schwenkte die russische Gardebrigade mit ihren vier Regimentern um die linke Flanke der Schweden, und auch rechts drangen jetzt russische Bataillone in die immer weiter klaffende Lücke zum rechten Flügel. Lewenhaupt preschte zurück, suchte General Hamiltons Kavallerie und fand schließlich einige Schwadronen, die er sofort nach vorn schickte. Aber sie kamen zu spät. Die linken schwedischen Bataillone wichen bereits zurück, zum Teil warfen die Soldaten ihre Waffen weg. Die Regimenter Östgöta und Närke befanden sich in voller Auflösung. Das rechts anschließende Uppland-Regiment hielt zwar seine Position, stand aber kurz vor der Einkreisung. Der Gegenstoß der schwedischen Kavallerie verschaffte der Infanterie dort zwar etwas Luft,
Der Untergang der schwedischen Infanterie Es waren vielleicht noch drei Viertel der ursprünglich angetretenen 4000 Schweden übrig. Bisher hatten sie nur eingesteckt, hatten furchtbare Schläge hinnehmen müssen, nun aber konnten sie endlich zurückschlagen. Der rechte schwedische Flügel erreichte zuerst den Feind. Die vorderste schwedische Linie kniete ab, die hinteren schlossen auf. Eine gezielte Salve aus kürzester Distanz traf die Russen. Dann folgte der Sturm. Wer jetzt noch von den Russen standhielt, wurde niedergestochen, die Fliehenden verfolgt und massakriert. Sechs schwedischen Bataillonen gelang der Einbruch in die erste russische Linie. Geschütze und Fahnen wurden erbeutet. Am erfolgreichsten war das äußerst rechts angreifende erste schwedische Gardebataillon. Eigenhändig richtete sein Kommandeur, Hauptmann Gadde, eines der erbeuteten Geschütze auf den fliehenden Feind.
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aber die Offiziere hatten längst die Kontrolle über ihre Leute verloren. In dem sich rasant ausbreitenden Chaos aus Staub, Pulverdampf, wütenden Kommandos und den Schreien der Getroffenen war keine Ordnung mehr in die Truppe zu bringen. Seit dem Beginn des schwedischen Angriffs war kaum eine Viertelstunde vergangen. Jetzt gerieten auch die bisher erfolgreichen Bataillone auf dem rechten Flügel in Gefahr. Die zurückgeschlagenen russischen Regimenter waren durch die zweite Linie aufgefangen worden. Verstärkt durch neue Reserven führten sie nun Gegenangriffe in Flanke und Lücken der schwedischen Linie. Die schwedischen Bataillone im Zentrum wurden eingeschlossen und aus nächster Distanz zusammengeschossen. Nur zersplitterte Gruppen konnten sich aus dem Inferno retten. Ganze 14 Überlebende des Uppland-Regiments zählte man am nächsten Tag. Vom Skaraborg-Regiment entkamen kaum 40 Mann. Nur das auf dem äußersten rechten Flügel angreifende Gardebataillon des Hauptmann Gadde und das Grenadierbataillon schafften es, sich in geschlossener Ordnung zurückziehen, sogar die erbeuteten Fahnen konnten mitgenommen werden. Ein kleiner symbolischer Erfolg in dem allgemeinen Desaster, in dem die gesamte schwedische Infanterie praktisch vernichtet wurde. In dieser letzten Phase der Schlacht gelang es der Kavallerie der Schweden auf keinem Flügel, einen geschlossenen Angriff zu führen. Sie rieb sich in zahlreichen, oft wirkungslosen Einzelattacken gegen einen weit überlegenen Gegner auf und geriet zuletzt in den Sog des allgemeinen Rückzugs. Der Rest der Armee entkam mit knapper Not vom Schlachtfeld und schlug sich durch den Budistschi-Wald zurück zum Lager nach Puschkarjowka. Die russische Infanterie hatte bereits am jenseitigen Waldrand Halt gemacht, nur Teile der Kavallerie blieben den Schweden weiter auf den Fersen. Nachdem Karl seine Detachements von Poltawa und den Worsklafurten abgezogen hatte und sich bald zeigte, dass der Zar zunächst nicht beabsichtigte, das schwedische Lager anzugreifen, brach er am nächsten Morgen mit der dezi-
mierten und sichtlich demoralisierten Armee nach Süden auf.
Untergang am Dnjepr Alle Hoffnungen der Schweden richteten sich jetzt darauf, im Süden Übergänge über den Dnjepr zu finden. Jenseits des Flusses glaubten sie sich vor den Russen erst einmal sicher. Von dort könne man auch Anschluss an die Krimtataren und Türken gewinnen. Doch als die Armee drei Tage später bei Perewolotschna den Dnjepr erreichte, fand sie nur einen Bruchteil der erhofften Boote. Ratlos verharrten die Schweden eine Nacht in der Flussniederung. Endlich fiel der Beschluss, dass der König mit einem knapp 1300 Mann starken Geleit den Fluss überqueren sollte, während das Gros der Armee unter General Lewenhaupts Führung versuchen sollte, weiter nördlich einen Übergang über die Worskla zu finden, um dann wieder nach Süden zu marschieren. Nachdem jedoch am nächsten Morgen ein etwa 9000 Mann starkes russisches Korps unter dem Befehl General Alexander Danilowitsch Menschikows auf den umliegenden Höhen in Stellung gegangen war, war es für eine Umkehr zu spät. Die Schweden saßen in der Falle. Nach Verhandlungen, die sich den ganzen Vormittag hinzogen, ergab sich General Lewenhaupt mit rund 12 500 Mann den Russen. Damit war das größte militärische Desaster in Schwedens langer Geschichte vollendet. Von den etwa 50 000 Mann, die im Frühsommer 1708 den Marsch nach Russland angetreten hatten, waren dem König kaum mehr als 1000 Mann geblieben. Mit diesem traurigen Rest seiner einst in ganz Europa gefürchteten Armee erreichte er wenige Tage später das Gebiet des Sultans.
Exil, Flucht und Tod Die folgenden fünf Jahre verbrachte Karl XII. als halbwegs geduldeter Gast in der osmanischen Grenzstadt Bender. Zwar gelang es ihm tatsächlich, den Sultan in einen Krieg mit Russland zu
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Die Schlacht von Poltawa, Gemälde von Pierre-
verwickeln, der den Zaren beinahe in eine ähnliche Katastrophe gerissen hätte, wie er sie selbst bei Poltawa und Perewolotschna erlebt hatte. Peter I. konnte jedoch den Abzug seiner am Pruth eingeschlossenen Armee durch die Rückgabe der Festung Asow erkaufen. Nach diesem aus Sicht der Türken erfreulichen Handel wurde ihnen der fremde König immer mehr zu einem Ärgernis. Karl XII. musste Bender verlassen. In einem abenteuerlichen Ritt quer durch Osteuropa erreichte der König am 11. November 1714 die damals noch schwedische Stadt Stralsund. Von dort ging es wenige Tage später per Schiff weiter in das schwedische Mutterland, das der König 15 Jahre nicht mehr betreten hatte. Er fiel
Denis II Martin, nach 1724. Das Bild zeigt den schwedischen Frontalangriff auf die vor ihrem Lager aufmarschierte russische Armee. Das russische Lager ist links am Bildrand an den sternförmigen Schanzen zu erkennen. Rechts davon liegt der Jakowzy-Wald mit dem gleichnamigen Dorf. Noch weiter rechts ist das KrestowosdwishenskiKloster zu erkennen, wo sich das Hauptquartier der Schweden befand. Im Hintergrund am oberen Bildrand links sieht man die Stadt Poltawa.
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Poltawa 1709
schließlich am 30. November 1718 bei der Belagerung der norwegischen Festung Frederiksen unter bis heute nicht geklärten Umständen. Karls Tod eröffnete endlich den Weg zu Friedensverhandlungen mit den ebenfalls längst erschöpften Gegnern, die 1721 im finnischen Nystad, 21 Jahre nach Beginn der Feindseligkeiten, zum Abschluss gebracht wurden. Schweden verlor wichtige Gebiete im Baltikum an Russland und damit seine Großmachtposition in Nordosteuropa. Seine Gebiete im Reich konnte es aber noch fast 100 Jahre bis zum Wiener Kongress 1814/1815 behalten.
aufgestellt werden. Dazu kamen acht Kavallerieregimenter zu je 1000 Mann, die ursprünglich aus Angehörigen des Adels rekrutiert wurden. Jeder Grundbesitzer, der entweder selbst als Kavallerist diente oder einen Vertreter zur Verfügung stellte, genoss vollständige Steuerfreiheit für seinen Besitz. Diese Grundstruktur der schwedischen Armee hatte bis ins Jahr 1925 Bestand. Daneben gab es vor allem in den norddeutschen und baltischen Provinzen noch lange Söldnerregimenter, deren Zahl allerdings schwankte. Ein Kriegskollegium in Stockholm kontrollierte ständig die Stärke der einzelnen Regimenter und bestimmte nach der Höhe der Verluste jährlich die neue Einberufungs- oder Konskriptionsrate. Dieses System hielt bis in die 1680er-Jahre, als Karl Xl. seine durch einen langen Krieg gegen Dänemark schwer mitgenommene Armee reorganisierte. Jede Provinz des schwedischen Kernlands hatte seither ein Regiment von 1200 Mann zu stellen und es ständig auf konstanter Stärke zu halten. Die Grundeinheit dieses Systems, das den Namen Einteilungswerk (Indelningsverket) erhielt, war die „Rota“, die je nach wirtschaftlicher Leistungskraft aus zwei bis zehn Höfen bestehen konnte. Jede Rota musste einen Soldaten bezahlen und unterhalten und hatte auch – innerhalb einer Frist von drei Monaten – für einen Ersatzmann zu sorgen, wenn der erste Mann ausfiel. Eine Gemeinde bestand aus 25 dieser Rota und hatte insgesamt eine Korporalschaft (Zug) mit 25 Mann zu stellen. Eine Kompanie zu 150 Mann besaß sechs Korporalschaften, davon waren zwei Korporalschaften mit bis zu fünf Meter langen Piken ausgerüstet, die übrigen vier bestanden aus Musketieren mit Steinschlossgewehren, Bajonetten und Degen. Eine Kompaniefront war ca. 130 Meter lang, die vier Musketierkorporalschaften flankierten die Pikeniere. Vier Kompanien in Linie hintereinander bildeten ein Bataillon zu 600 Mann, die taktische Grundformation der schwedischen Armee. Das Regiment, in dem immer zwei Bataillone zusammengefasst waren, war dagegen nur eine Verwaltungseinheit.
Hintergrund
Schwedens Armee zu Beginn des 18. Jahrhunderts Schwedens Großmachtposition im 17. Jahrhundert beruhte ausschließlich auf seiner militärischen Schlagkraft. Zum Unterhalt seiner Armee benötigte das nur eine Million Einwohner zählende Land die Einnahmen seiner Besitzungen in Finnland, im Baltikum und in Norddeutschland. Für den Schutz dieser Ländereien mit ihren weitläufigen Grenzen war wiederum eine starke Armee erforderlich. Sieben Jahrzehnte sollte es Schweden gelingen, diesen Widerspruch durchzuhalten, ehe seine Militärmacht im Großen Nordischen Krieg fast völlig zusammenbrach. Begonnen hatte Schwedens Aufstieg zur Großmacht während der Regierung von König Gustav Adolf (reg. 1611 – 1632), der in seiner Armee wichtige taktische Reformen durchführte, die das Zusammenwirken ihrer Waffengattungen verbesserten. Vor allem die Artillerie erhielt eine neue Rolle als direkte Unterstützungswaffe im Gefecht. Seine Nachfolger gaben der Armee im Jahre 1634 eine neue organisatorische Grundlage. Schwedens Kernprovinzen wurden vollständig in Rekrutierungseinheiten unterteilt. Von je 20 wehrfähigen Männern – später musste die Quote auf zehn Mann reduziert werden – wurde ein Mann zur Armee eingezogen. Für seine Ausrüstung und seinen Unterhalt mussten die Übrigen sorgen. Auf diese Weise konnten 23 Infanterieregimenter zu je 1200 Mann
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Der König, der nie aufgab
Die schwedische Kavallerietaktik beruhte auf der geschlossen angreifenden Kavallerieschwadron. Nach der im Jahre 1685 von König Karl XI. herausgegebenen Dienstvorschrift hatte sich die Schwadron zum Angriff in drei Linien zu formieren, die Reiter eng nebeneinander, sodass sich ihre Knie berührten. Im Trab näherte man sich dem Feind zunächst auf 100 bis 150 Meter, dann wechselte man in den Galopp. Auf 30 bis 40 Meter Distanz wurden die Pistolen abgefeuert, um sich danach mit gezogenem Degen auf den Feind zu stürzen. Ein Einzelkampf Reiter gegen Reiter war nicht vorgesehen. Hielt die gegnerische Partei dem ersten Angriff stand, zog sich die Schwadron zurück, um sich zu einer neuen Attacke zu sammeln. Dies geschah so oft, bis eine Partei sich nicht mehr sammeln konnte und floh. Seit den Tagen König Gustav Adolfs hatte die Überlegenheit der schwedischen Armee auf dem konsequenten Zusammenwirken ihrer Waffengattungen beruht. Karl XII. scheint dieses Konzept jedoch immer mehr zugunsten des Infanterieangriffs mit blanker Waffe aufgegeben zu haben. War Gustav Adolf noch erfolgreich bemüht gewesen, jede technische Neuerung für seine Armee nutzbar zu machen, hatte noch Karl Xl. seinen Offizieren bereitwillig Urlaub gewährt, wenn sie in anderen
europäischen Armeen Kriegserfahrungen sammeln wollten, so schien diese Lernbereitschaft seinem Sohn völlig abhandengekommen zu sein. Die Infanterie Karls XII. kämpfte zum Teil noch mit langen Piken, fast 20 Jahre, nachdem die bedeutendsten europäischen Armeen diese Waffe zugunsten des Bajonetts abgeschafft hatten. Bei Narwa hatte die schwedische Infanterie noch durch einen entschlossenen, gegen einen allerdings unerfahrenen Feind vorgetragenen Angriff einen spektakulären Erfolg erzielt. Neun Jahre später bei Poltawa endete der Angriff der auf sich allein gestellten Infanterie in der größten militärischen Katastrophe der schwedischen Geschichte. Weder die im Lager zurückgelassene Artillerie noch die sich verzweifelt um Ordnung bemühende Kavallerie konnte den Angriff der Infanterie vorbereiten. Dagegen setzte die russische Armee konsequent ihre Regimentsartillerie in vorderster Front ein. Zar Peter hatte aus seinen anfänglichen Niederlagen gelernt. Bis heute ist die Artillerie die wichtigste Waffengattung in der russischen Armee geblieben. Die von den Schweden stets als rückständig geschmähte Armee des Zaren hatte bei Poltawa nicht nur wegen ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gesiegt. Sie war inzwischen auch von beiden Armeen die modernere geworden.
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9 „England erwartet, dass Sie Ihre Pflicht tun“
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Trafalgar 1805
„The Battle of Trafalgar in 1805“, Gemälde von Clarkson Frederick Stanfield, einem zeitgenössischen Marinemaler.
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Trafalgar 1805
Versuch der Franzosen, ihre englischen Bewacher abzuschütteln, scheiterte im Januar 1805. Ein Sturm zwang die französischen Flotten von Brest und Toulon in ihre Häfen zurück. Ein zweiter Anlauf im März desselben Jahres war jedoch erfolgreicher und sollte Großbritannien an den Rand der Niederlage bringen. Das britische Mittelmeergeschwader blockierte mit 13 Linienschiffen die Franzosen im Hafen von Toulon. Seit April 1804 stand es unter dem Kommando von Vizeadmiral Lord Horatio Nelson. Nelson war damals schon eine Berühmtheit. Er galt als Persönlichkeit mit höchst unterschiedlichen Facetten. Unbestritten war er ein genialer Seeoffizier und begnadeter Menschenführer, der keinen Feind und keinen Auftrag scheute, wenn sie ihm Ruhm einbrachten, jedoch gab es auch zahlreiche Beispiele für seine übertriebene Eitelkeit und eine fast schon naive Selbstverliebtheit. Sein Eigensinn und sein Ehrgeiz verleiteten ihn wiederholt zu spektakulärem Ungehorsam, was er selbst keinem seiner Untergebenen hätte durchgehen lassen. Sechs Jahre zuvor hatte er Napoleons Flotte vor der Nilmündung bei Fort Abukir vernichtet. In den Augen vieler Zeitgenossen wurde sein militärischer Ruhm jedoch durch seine anrüchige Beziehung zu Emma Hamilton, der Frau des britischen Botschafters am Hof von Neapel, getrübt. Es war ein handfester Skandal, dass ein Admiral der Flotte Ihrer Majestät, ein verheirateter Mann, Beziehungen zu einer Frau mit zweifelhafter Vorgeschichte unterhielt. Nelson war jedoch nicht der Mann, der sich dieser Kritik gebeugt hätte. So wie in seinem ureigensten Element, der Seefahrt, versuchte er auch hier, seinen Willen gegen alle Widerstände und Kritik durchzusetzen. Nelsons Gegenspieler war der Befehlshaber des französischen Flottenverbands in Toulon, Vizeadmiral Pierre Villeneuve. Er zählte zu den wenigen adligen Seeoffizieren Frankreichs, die der Revolution nicht zum Opfer gefallen waren. Bei Abukir hatte Villeneuve die Guillaume Tell befehligt, eines der beiden französischen Linienschiffe, die aus der Bucht hatten entkommen können. Nun glückte es ihm ein zweites Mal, Nelson zu entwi-
Großbritanniens einsamer Seekrieg
U
nter Führung von William Pitt dem Jüngeren (1759 – 1806) kämpfte Großbritannien 2 seit 1793 gegen das revolutionäre Frankreich und Napoleon. Nur der kurze und für England ungünstige Friede von Amiens im Jahre 1802 unterbrach für kaum mehr als ein Jahr die epochale Konfrontation beider Mächte. Schon 1803 brach der Seekrieg zwischen Großbritannien und Frankreich erneut aus. Napoleon war entschlossen, seinen letzten und hartnäckigsten Widersacher in Europa endgültig niederzuwerfen. Die Aussichten dafür schienen gut. Seit dem 12. Dezember 1804 hatte auch die einstige Weltmacht Spanien den Briten den Krieg erklärt. Außer den 51 französischen und niederländischen Linienschiffen verfügte Napoleon jetzt auch über die spanische Flotte mit insgesamt 27 Schiffen. Damit war er der britischen Flotte, die nur 61 einsatzbereite Linienschiffe hatte, leicht überlegen. Fast alle Häfen des Kontinents waren in der Hand der Franzosen oder ihrer Verbündeten. Für Großbritannien war es deshalb lebenswichtig, alle feindlichen Flottenverbände in ihren Häfen zu blockieren und zu verhindern, dass sie sich vereinigten und geschlossen in den Kanal durchbrachen. Jeder britische Kapitän wusste, dass der Krieg verloren war, wenn es den Franzosen gelang, auch nur für 48 Stunden die Seeherrschaft im Kanal zu erringen. Genau dies hatte sich Napoleon vorgenommen.
Die drohende Invasion Im Sommer 1805 rüstete der Kaiser in Boulogne eine gewaltige Invasionsarmee von 120 000 Mann und über 2300 Landungsbooten, um im günstigen Augenblick das Inselkönigreich anzugreifen. Napoleons Weisung an seine Admirale lautete, jede sich bietende Gelegenheit sofort zu nutzen, um kampflos den britischen Blockadegeschwadern zu entkommen. Sammelpunkt für alle Flotteneinheiten sollten zunächst die weit entlegenen karibischen Besitzungen Frankreichs sein. Ein erster
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„England erwartet, dass Sie Ihre Pflicht tun“
Napoleons Kaiserreich 1812 Satellitenstaaten
KGR. NORWEGEN
N O
W
(bis 1814 zu Dänemark)
Kgr. Schottland
S
Nordsee
KGR. GROSSBRITANNIEN UND IRLAND
KGR. DÄNEMARK
Helgoland
Irland
(1807 brit.)
Wales
Atlantischer Ozean
Texel
Kgr. England
6 Linienschiffe
KEITH
11 Linienschiffe
London Portsmouth
Boulogne
2000 Boote
Brest
ein
Paris
21 Linienschiffe
25 Linienschiffe
Rh
CORNWALLIS
RHEINBUND
Lo
ire
KAISERREICH FRANKREICH
Rochefort
2 Linienschiffe
ne
El Ferrol La Coruña 15 Linienschiffe
Rhô
CALDER
10 Linienschiffe
davon 5 französische
Rep. Andorra
VILLENEUVE
Toulon
ro
Eb
11 Linienschiffe
KGR. PORTUGAL
Katalonien
KGR. SPANIEN
(1812–1813 franz.)
NELSON
13 Linienschiffe
Balearen
Cádiz ORDE
6 Linienschiffe
Trafalgar
7 Linienschiffe davon 1 französisches
Gibraltar (brit.)
Cartagena
5 Linienschiffe
Mittelmeer
1805
Marokko
Algerien
0
100 200 300 km
Großbritannien in der Defensive. Zwei Jahre, 1803 – 1805, kämpfte das Inselkönigreich gegen Frankreich in der Defensive. Alle Festlandshäfen waren in Feindeshand. 65 britische Linienschiffe standen gegen 67 der vereinigten französisch-spanischen Flotte. Nur durch die konsequente Blockade der feindlichen Geschwader in ihren Häfen konnte Großbritannien verhindern, dass die gegnerischen Seestreitkräfte in den Kanal vorstießen, um die Landungsoperation der napoleonischen Armee gegen England zu unterstützen.
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Trafalgar 1805
Lord Horatio Nelson (1758 – 1805), Gemälde von Lemuel Francis Abbott. Nelson war Vizeadmiral der königlichen Flotte und Ritter des BathOrdens. Als konservativ gesinnter Mensch und Sohn eines protestantischen Landpfarrers aus Norfolk verabscheute Nelson das revolutionäre, atheistische Frankreich und dessen seiner Ansicht nach schlimmste Verkörperung: Napoleon Bonaparte.
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schen. Am 30. März 1805 verließ Villeneuve mit einer Flotte von zehn Linienschiffen Toulon und erreichte ungehindert Gibraltar. Zwar hatte Nelson sehr schnell erkannt, dass die Franzosen aus dem Hafen von Toulon ausgebrochen waren, aber er glaubte, dass der Feind, wie schon sechs Jahre zuvor, nach Ägypten segeln würde, und blockierte mit seinen Schiffen zwischen der Südspitze Sardiniens und der tunesischen Küste die Zufahrt ins östliche Mittelmeer.
anzugreifen und nach Boulogne vorzustoßen, wo Napoleons Landungsschiffe schon warteten. Nelson erfuhr erst am 18. April, während er vor Sizilien ankerte, dass Villeneuves Flotte bei Gibraltar gesichtet worden war. Zu diesem Zeitpunkt war der Franzose allerdings schon längst unterwegs in die Karibik. Am 14. Mai erreichte Villeneuve die Insel Martinique. Nelson traf erst eine ganze Woche später in Gibraltar ein. Ein Engländer in portugiesischen Diensten informierte ihn über den Kurs des Gegners. Statt sich nun unverzüglich mit den übrigen englischen Flotteneinheiten im Kanal zu vereinigen, wie es die Weisung der Admiralität für den Fall vorsah, dass eine blockierte Flotte entkommen konnte, ohne zum Kampf gestellt zu werden, nahm Nelson sofort die Verfolgung Villeneuves auf. Die
Napoleons kühner Plan – Von der Karibik in den Kanal Villeneuves gelungener Ausbruch begeisterte Napoleon so sehr, dass er den erfolgreichen Admiral zum Oberbefehlshaber aller französischen Flottenverbände ernannte. Villeneuves Auftrag lautete, durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik vorzustoßen, sich mit der verbündeten spanischen Flotte aus acht Linienschiffen unter Admiral Gravina vor Cádiz zu vereinigen. Von dort sollte er in die Karibik segeln, um das Eintreffen der französischen Flotte von Admiral Ganteaume aus Brest abzuwarten. Zusammen stünden damit 40 Linienschiffe zur Verfügung, um die Engländer im Kanal
Vizeadmiral Pierre Villeneuve (1763 – 1806), Porträt von E. Thuirs, 1883. Villeneuve war einer der wenigen Seeoffiziere der alten französischen Monarchie, der die Revolutionswirren überlebt hatte. Nach seinem Ausbruch aus dem Hafen von TouIon im März 1805 setzte Napoleon große Hoffnungen darauf, dass Villeneuve es schaffen würde, zu seiner Invasionsarmee nach Boulogne vorzustoßen. Villeneuve gelangte aber nicht einmal in die Nähe des Kanals und nahm stattdessen im Hafen von Cádiz Zuflucht. Wohl unter dem Druck seiner drohenden Ablösung versuchte er, Napoleons Befehl, ins Mittelmeer vorzustoßen, auszuführen, obwohl ihn Nelsons Flotte vor Cádiz erwartete. Bei Trafalgar geriet er in englische Gefangenschaft. Kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich ein Jahr später beging er Suizid.
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Admiralität in London billigte jedoch sein Handeln nachträglich. Am 4. Juni erreichte Nelson nach nur 25 Tagen Fahrt die Insel Barbados. Villeneuve, der für dieselbe Strecke 34 Tage benötigt hatte, erfuhr drei Tage später von der Ankunft der englischen Flotte. Obwohl der Franzose strenge Weisung hatte, auf Admiral Honoré Ganteaume mit seinen 21 Linienschiffen aus Brest zu warten, verließ er schon am 10. Juni Westindien mit Kurs auf Europa. Es schien, als ob ihn die Furcht vor Nelson, die ihn seit der Schlacht von Abukir befallen haben soll, dazu getrieben hatte. In einem Brief an den französischen Marineminister Denis Decrès versuchte Villeneuve seine vorzeitige Abreise zu rechtfertigen:
dichten Nebel zu stellen. Calder hatte 15 Linienschiffe, Villeneuve 18. Für kurze Zeit lichtete sich an diesem Tag der Nebel und ermöglichte ein Seegefecht, in dessen Verlauf zwei spanische Schiffe die Segel streichen mussten und von den Engländern in Schlepp genommen wurden. Obwohl für beide Seiten sehr viel auf dem Spiel stand – für Calder war es die Möglichkeit, die so lange gejagten Franzosen endlich entscheidend zu schlagen, für Villeneuve dagegen die Gelegenheit, endlich nach Brest vorzustoßen –, dachte niemand an eine Wiederaufnahme der Schlacht. Resigniert schrieb Villeneuve am 6. August an den französischen Marineminister Decrès: „Im Nebel hatten unsere Kapitäne, ohne Kampferfahrung und völlig ohne Kenntnisse der Seegefechtstaktik, keinen anderen Wunsch, als sich dicht hintereinander zu halten und sich so zum Gespött ganz Europas zu machen.“
„Ich kann Ihnen nur antworten, dass ich nach dem Lauf der Dinge wegen Mangels an Lebensmitteln gezwungen sein werde, die Antillen unmittelbar zu verlassen.“
Villeneuve wählte für seine Rückfahrt die nördliche Route über den Atlantik. Sein Ziel war Brest, wo Admiral Ganteaumes Flotte immer noch von den Engländern blockiert wurde. Kurz darauf segelte auch Nelson wieder nach Europa zurück. Er schickte die Brigg Curieux mit Nachrichten nach England voraus. Am 19. Juni entdeckte sie Villeneuves Flotte auf ihrem nördlichen Kurs. Captain Bettesworth von der Curieux erkannte sofort die Gefahr, die dem Kanal drohte, falls es Villenueve gelang, nach Brest durchzustoßen und sich mit der Flotte von Admiral Ganteaume zu vereinigen. Statt zu Nelson zurückzukehren, segelte Bettesworth direkt nach England und meldete seine Beobachtung am 9. Juli der Admiralität in London. Sofort erging an Admiral Robert Calder, der mit seiner Flotte den Hafen von Ferrol an der Nordostspitze Spaniens blockierte, der Befehl, die Blockade abzubrechen und Villeneuves Schiffen den Weg nach Brest zu verlegen. Tatsächlich hatten die Engländer Glück. Calder schaffte es am 22. Juli, die Franzosen etwa 100 Seemeilen westlich von Kap Finisterre, das an der Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel liegt, im
Admiral Calder musste sich später in England vor einer Untersuchungskommission verantworten, weil er den Feind nicht energischer angegriffen und vernichtet hatte. Villeneuve konnte sich mit seiner kaum noch seetüchtigen Flotte in den Hafen von Vigo retten. Seine Schiffe hatten von den Azoren bis zur portugiesischen Küste drei Wochen lang gegen den Wind kreuzen müssen. Nach Ferrol durchzustoßen oder sogar nach Brest zu Admiral Ganteaume, traute er sich mit diesen Schiffen nicht mehr zu. Während sich Villeneuves Besatzungen im Hafen von Vigo von den Strapazen der Überfahrt erholten, wartete Napoleon ungeduldig in Boulogne auf das Eintreffen seiner Flotten. Die Zeit drängte. Längst wusste er, dass Österreich und Russland gegen ihn rüsteten. Aber ehe er sich diesem Problem widmen konnte, musste er Großbritannien besiegt haben. In seiner aufmunternd fordernden Art schrieb der Kaiser an Villeneuve: „Wenn Sie mir für drei Tage die Herrschaft in der Straße von Dover verschaffen, werde ich mit Gottes Hilfe dem Schicksal und der Existenz Englands ein Ende bereiten.“
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Immer noch ohne Kenntnis der Pläne Napoleons erreichte Nelson am 19. Juli Gibraltar. Nach wie vor glaubte er, dass Villeneuve die Absicht hatte, ins östliche Mittelmeer vorzustoßen. Erst in Gibraltar kurierte Admiral Collingwood, der über die Schlacht beim Kap Finisterre bereits unterrichtet war, seinen Freund Nelson von dessen hartnäckiger Fixierung auf Ägypten. Diese Neuigkeiten waren eine bittere Pille für Nelson. Zwei Jahre war er mit seinen Leuten ohne Unterbrechung auf See gewesen, hatte Großbritanniens Präsenz im Mittelmeer aufrechterhalten und jeden Tag gehofft, dort endlich die große, entscheidende Schlacht gegen die Franzosen zu schlagen. Aber trotz aller Fehlschläge war dies auch eine Leistung, die mehr als alle spektakulären Schlachterfolge Nelsons seine überragenden Fähigkeiten als Flottenbefehlshaber unterstreicht. Der Brief eines Freundes würdigte sein seefahrerisches Können:
wartete. Bedrückt, dass der Ausgang des ganzen Krieges nun von ihm allein abzuhängen schien, schrieb er am 6. August an Decrès: „Die Aufgabe, die ich zu erfüllen habe, ist recht schwierig. Wir manövrieren schlecht, unsere Linienschiffe sind schwerfällig, das Tauwerk und die Takelage sind größtenteils in schlechtem Zustand. Ich fühle, dass ich hier nicht lange bleiben kann und dass jeder weitere Tag unsere Lage verschlechtert. Ich habe mich in mein Schicksal ergeben. Ich wage Sie zu bitten, meine Situation seiner kaiserlichen Majestät zu unterbreiten und seine Majestät anzuflehen, in jedem Fall meine Ergebenheit, die Größe der mir gestellten Aufgabe und den Ratschluss des Schicksals zu bedenken.“4
Genau dies hat Decrès jedoch nicht getan. Einen Befehlshaber, der solche Briefe schrieb, hätte Napoleon keinen Tag länger im Kommando geduldet. Der Kaiser ahnte nichts von der Resignation und den Selbstzweifeln seines Admirals. Voller Elan setzte er immer noch darauf, dass Villeneuve so bald wie möglich nach Brest segelte, um sich mit der Flotte des Admirals Ganteaume zu vereinigen und in den Kanal vorzustoßen. Am 3. August traf Napoleon in Boulogne ein. „Ich vertraue darauf, dass Sie inzwischen in Brest sind“, schrieb er am 22. August an Villeneuve.
„Nach zweijährigem, unablässigem Hinundherkreuzen im stürmischen Golf von Lyon nach Alexandria zu fahren, ohne einen Hafen anzulaufen, von Alexandria nach Westindien, von Westindien wieder zurück nach Gibraltar, Eure Schiffe einsatzfähig, Eure Takelage instand, Eure Crews bei Gesundheit und Laune gehalten zu haben, das ist eine Leistung, die in früheren Zeiten nie erreicht wurde, und ich bezweifle, dass ein anderer Admiral sie jemals wiederholen wird.“ 3
„Segeln Sie, verlieren Sie keinen Moment und erscheinen Sie mit meinen Schiffen im Kanal. England ist unser. Wir sind bereit und eingeschifft. Kommen Sie innerhalb von 48 Stunden, und alles wird beendet sein.“ 5
Für Villeneuve begann indessen in Vigo eine Zeit des Leidens. War ihm noch während des ersten Teils seiner Reise fast alles geglückt, so schienen die Umstände nun ausnahmslos gegen ihn zu wirken. Der Gegenwind bei den Azoren, das Pech, im Nebel von den Engländern gestellt zu werden und nicht zuletzt Napoleons ehrgeizige Befehle, die nach Villeneuves Ansicht die Flotte überforderten, hatten ihn deprimiert. Am 31. Juli lief er aus Vigo aus und schaffte es tatsächlich, unter Zurücklassung dreier seeuntüchtiger Schiffe, bis zum Hafen von Ferrol. Villeneuve wusste, dass der Kaiser ihn innerhalb der nächsten Wochen im Kanal er-
Der Mann, an den diese Worte gerichtet waren, war jedoch nicht nach Brest gesegelt, sondern in die umgekehrte Richtung, nach Süden. Am 20. August traf Villeneuve mit seiner Flotte in Cádiz ein. Er fühlte sich zu diesem Schritt autorisiert. Immerhin hatte Napoleon selbst ihm diese Möglichkeit eingeräumt. Ein Befehl des Kaisers vom 16. Juli, den Villeneuve am 2. August in Ferrol vorgefunden
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hatte, lautete: Falls der Auftrag, in den Kanal vorzustoßen, undurchführbar sei, solle er nach Cádiz segeln und dort neue Befehle abwarten. Und genau dies traf zu, jedenfalls nach Ansicht Villeneuves. Am 13. August hatte er Ferrol wieder verlassen und zunächst mit der Absicht, tatsächlich nach Brest zu segeln, einen nordöstlichen Kurs eingeschlagen. Dann aber waren ihm mindestens ein Dutzend Segel im Norden gemeldet worden. Ein Handelsschiff bestätigte es. Wenigstens 25 Segel. Das konnte nur Calders Blockadegeschwader sein. Auch mit diesem Feind hätte Villeneuve es aufnehmen können. Zusammen mit dem Geschwader aus Ferrol hatte er über 30 Linienschiffe. Dennoch ergriff er die Flucht. Tatsächlich aber gehörten die gesichteten Segel zum Flottenverband Admiral Zacharie Allemends, der aus Rochefort ausgelaufen war und seit Tagen versuchte, sich Villeneuve anzuschließen. Aus französischer Sicht war es ein Trauerspiel. Etwas mehr Mut und ein wenig Aufklärung hätten diesen Irrtum verhindern können. Noch tagelang irrte Allemend im Atlantik umher und ahnte nicht, dass Villeneuve schon längst auf dem Weg nach Cádiz war. Als Napoleon von Villeneuves Flucht erfuhr, verlor er endgültig die Geduld.
schon fest die Armee des österreichischen Generals Mack bei Ulm im Visier, fand der Kaiser noch einmal Zeit, sich um die Belange seiner glücklosen Seekriegsführung zu kümmern. Er verfügte die Absetzung seines Admirals, dem ganz offensichtlich jede Zuversicht, wenn nicht sogar der Mut fehlte. Villeneuve wird es geahnt haben, auch wenn man ihn länger als notwendig im Unklaren ließ. Er solle angreifen, befahl ihm Napoleon, als sei nichts geschehen. „Unsere Absicht ist es, dass sie den Feind, wo immer sie ihn mit unterlegenen Kräften antreffen, ohne zu zögern angreifen und ihm ein entscheidendes Gefecht liefern.“
Ein größerer Zynismus ist kaum vorstellbar. Der Brief trug als Datum den 16. September. Der Auftrag bedeutete nichts anderes, als dass der Kaiser seinen Admiral, der nach seiner Ansicht bis dato nicht hatte kämpfen wollen, zum Sieg oder zum Untergang zwang. Selbst Decrès, der Villeneuve persönlich viel näherstand und an diesem unwürdigen Spiel des Kaisers nicht hätte mitwirken dürfen, äußerte einen Tag später in einem Brief an den zögernden Admiral in Cádiz die dringende Empfehlung, er möge die erste Gelegenheit zum Auslaufen nutzen.
Keine Landung in England – Napoleon marschiert gegen Österreich und Russland
In der Falle von Cádiz
„Villeneuve ist ein Schurke, den man schimpflich davonjagen muss“, schrieb der Kaiser Anfang September aufgebracht an Decrès. Aber schon am 27. August, noch ehe er überhaupt sicher wissen konnte, dass die vereinigte französisch-spanische Flotte nicht in den Kanal vorstoßen würde, hatte der Kaiser Boulogne in Richtung Paris verlassen. Die „Große Armee“, die dazu bestimmt war, in England zu landen und „sechs Jahrhunderte der Unterdrückung Frankreichs zu beenden“, sollte nun nach Osten an den Rhein und weiter zur Donau marschieren. Die Österreicher mussten in die Knie gezwungen werden, noch ehe sie sich mit den Russen vereinigt hatten. Am 15. September,
Immer enger schien sich der Kreis um Villeneuve zu ziehen. Der Kaiser und Decrès saßen ihm im Nacken, seine Ablösung nahte, und draußen vor dem Hafen hatten die Engländer ihre Blockadeflotte auf 29 Schiffe erhöht. Ein Kampf gegen dieses Geschwader, wie es der Admiral seinem Kaiser nun schuldig zu sein glaubte, musste den Untergang der Flotte zur Folge haben. Die Versorgungslage seiner Schiffe war schlecht, genauso wie das Verhältnis zu den verbündeten Spaniern. Niemand im Hafen akzeptierte mehr die französischen Wechsel. Die spanischen Magazine waren leer. Der Flotte fehlten 2200 Mann. 300 waren desertiert, über 600 Seeleute lagen in den Lazaretten der Stadt.
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Nelsons Angriff in zwei Kolonnen auf die Kiellinie des französischspanischen Geschwaders, Gemälde von Nicolas Pocock, National Maritime Museum, London. Nelsons Ziel war die Vernichtung der vereinigten französisch-spanischen Flotte. Ein bloßes gegenseitiges Abmessen beider Flotten in Kiellinie würde zu keinem entscheidenden Ergebnis führen. Der Feind musste gestellt und in seiner Bewegung gehemmt werden. Der flankierende Angriff zweier Kolonnen (ursprünglich dreier Kolonnen) sollte die feindliche Kiellinie aufbrechen und den für den vollständigen Sieg erforderlichen allgemeinen Tumult von Schiffen herbeiführen.
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Nelson wusste nicht, dass sein Gegner einen gan-
Nelson stellt Villeneuves Flotte bei Kap Trafalgar. Um 7 Uhr morgens am 19. Oktober 1805 entdeckte
zen Tag benötigt hatte, um seine Schiffe aus dem Ha-
die britische Fregatte Euryalus vor Cádiz die auslau-
fen von Cádiz zu manövrieren. Erst am 20. Oktober
fende feindliche Flotte. Zwei Stunden später war die
um 16 Uhr konnte Villeneuve den gewünschten Kurs
Nachricht an das etwa 50 Seemeilen vor der Küste
Südsüdost auf die Meerenge von Gibraltar einschla-
kreuzende britische Geschwader übermittelt.
gen. Inzwischen hatte Nelson schon wieder den halben Weg nach Cádiz zurückgelegt und bekam gegen
Nelson schätzte, dass sein Gegner zwei Alternativen hatte. Er konnte entweder nach Norden segeln,
20.30 Uhr die Meldung, dass der Feind nun doch
um seinen alten Auftrag im Kanal zu erfüllen, oder
Kurs auf Gibraltar nahm. Nelson befahl seiner Flotte,
versuchen, mit Kurs Südost durch die Meerenge von
erneut zu wenden (2. Wende), und ging auf Parallel-
Gibraltar das Mittelmeer zu erreichen. Nelson war
kurs zu seinem Gegner, wobei er jedoch den Abstand
überzeugt, dass für Villeneuve nur die zweite Mög-
vergrößerte, um Villeneuve nicht wieder in den siche-
lichkeit in Betracht kam. Er befahl seinen Schiffen,
ren Hafen zurückzutreiben.
Kurs auf die Mündung der Straße von Gibraltar zu
Erst als er Villeneuves Flotte weit genug von Cádiz
nehmen, wo er am nächsten Morgen die gegnerische
entfernt glaubte, befahl er am 21. Oktober gegen 4 Uhr
Flotte abzufangen hoffte. Als er jedoch am Zielort
morgens seiner Flotte, auf Angriffskurs Nordnordost
Villeneuves Flotte nicht entdecken konnte, ging er
(3. Wende) zu gehen. Einen letzten Kurswechsel auf
am 20. Oktober um 6 Uhr morgens auf entgegenge-
Ostnordost befahl Nelson um 6.30 Uhr, als er sich auf
setzten Kurs (1. Wende).
zehn bis zwölf Seemeilen, also auf Sichtweite, der feindlichen Flotte genähert hatte.
Ein ganz anderes Bild bot dagegen die englische Flotte. Am 28. September war Nelson vor Cádiz eingetroffen und von der ganzen Flotte mit großem Enthusiasmus begrüßt worden. In seinem Tagebuch vermerkte der Admiral: „Der Empfang, der mit zuteilwurde, als ich zur Flotte stieß, bewirkte die süßeste Empfindung meines Lebens. Die Offiziere, die an Bord kamen, um mich anlässlich meiner Rückkehr willkommen zu heißen, vergaßen in der Begeisterung, mit welcher sie mich begrüßten, meinen Rang als Oberbefehlshaber.“ 6 Nelson wusste, dass sein Gegner früher oder später ausbrechen würde, da die Stadt unmöglich für längere Zeit über 30 französische und spani-
sche Schiffe versorgen konnte. Am 18. Oktober schrieb er erwartungsvoll in sein Tagebuch: „Der Feind könnte kein besseres Wetter haben, um in See zu stechen.“ Tatsächlich meldete am 19. Oktober morgens die Fregatte Sirius, die vor Cádiz aufklärte, dass der Feind die Topsegel gesetzt hatte, was bedeutete, dass ein Ausbruch unmittelbar bevorstand. Dreieinhalb Stunden später hatte die Nachricht die 50 Seemeilen entfernte Victory erreicht. Nelson hatte gerade seinem Freund und Stellvertreter im Kommando, Admiral Collingwood, und anderen Kapitänen eine Einladung zukommen lassen. „Welch ein schöner Tag! Seid Ihr geneigt, Euer Schiff zu verlassen?“ Nun wurde es nichts aus dem Besuch. Doch niemand in der Flotte war
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B u c h t vo n Cádiz
N
Cádiz
O
W
20.10. 16 Uhr
S 20:30 Uhr
S PA N I E N
VILLENEUVE 19.10. 9:30 Uhr
20.10. 20:30 Uhr
NELSON
6 Uhr
Kap Trafalgar Seeschlacht von Trafalgar 21.10. 6 Uhr
A t l a n t i s c h e r O z e a n
16 Uhr 6 Uhr 21.10. 4 Uhr
0
10
20
B u c h t vo n Tr afa l ga r
Straße von Gibraltar
Tanger
30 km
darüber traurig. Freudig registrierten die Kapitäne Nelsons neuen Befehl: „Allgemeine Jagd in südöstliche Richtung.“ Bei der vereinigten Flotte in Cádiz war die Stimmung eher verhalten. Ein wenig zuversichtlicher schrieb Villeneuve an Decrès:
dafür zu erhalten, dass ich mehr Glück verdient hätte.“
Die Aussicht, nur noch der zweite Mann in der Flotte zu sein, schien ihm seinen Mut zurückzugeben. Allzu schwer hatte die alleinige Verantwortung für die Flotte und das Schicksal Frankreichs auf seinen Schultern gelastet. Nun war er davon befreit, und sein alter Unternehmungsgeist kehrte zurück. Villeneuve hatte bald erkannt, dass Nelsons Flotte geschwächt war. Fünf oder sechs seiner Linienschiffe waren ständig zur Proviantierung nach Gibraltar und Tetuan unterwegs. Am 18. Oktober meldete die Küstenwache dem Admiral, dass ein britischer Konvoi die Festung Gibraltar
„Ich habe erfahren, dass Vizeadmiral Rosiliy in Madrid eingetroffen sei. Es geht das allgemeine Gerücht, dass er den Befehl über die Flotte übernehmen soll. Ich wäre zweifellos erfreut, ihm den ersten Platz einzuräumen, wenn mir der zweite vorbehalten bliebe. Es wäre jedoch für mich schrecklich, jede Hoffnung darauf verlieren zu müssen, eine Gelegenheit zum Beweis
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Trafalgar 1805
N
Héros
Positionen ca. 12.00 Uhr
Conqueror
Santissima Trinidad
Leviathan Neptune
Bucentaure (Villeneuve)
Temeraire
Britannia
Neptune
Victory
(Nelson)
Redoutable (Lucas)
Ajax
San Justa
San Leandro
Orion
Victory (Adm. D’Alava)
Royal Sovereign (Collingwood)
Belleisle
Indomptable Fougueux
Mars
Nelsons Kolonne stieß durch die Kiellinie des Gegners und trennte Villeneuves Vorhut von der übrigen Flotte. Weiter unten hatten sich die Schiffe aus der Abteilung Collingwoods ihre Gegner ausgesucht und standen bereits im Gefecht. Das Schicksal der französisch-spa-
man ihn mit unterlegenen Kräften antraf? Villeneuve verständigte Admiral Federico Carlos Gravina, seinen spanischen Verbündeten, und gab den Befehl zum Segelsetzen. Das Auslaufen der vereinigten Flotte nahm jedoch einen ganzen Tag in Anspruch. Erst am Nachmittag des nächsten Tages, es war der 20. Oktober, waren alle 44 Schiffe Villeneuves auf See. Regen verschlechterte die Sicht. Zwischen den Wolkenfetzen erkannten die Ausguckposten die britischen Fregatten am Horizont. Villeneuve befahl Kurs Südost auf Gibraltar und
nischen Flotte war schon wenige Minuten nach der Feuereröffnung besiegelt. Auch die zunächst entkommene Vorhut konnte ihren hart bedrängten Kameraden keine Hilfe mehr bringen.
in Begleitung von vier Linienschiffen in Richtung Mittelmeer verlassen habe. War dies nicht endlich die Gelegenheit, den Befehl des Kaisers vom 16. September in die Tat umzusetzen, den Feind anzugreifen, wann immer
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versuchte, seine Flotte in drei Kolonnen zu formieren. Abends gegen 6 Uhr meldete man ihm 18 Segel in Richtung Westsüdwest. Die gesichteten Schiffe gehörten zu Nelsons Flotte, die nach ihrem ersten Vorstoß in die Meerenge von Gibraltar wieder in die Nähe von Cádiz zurückgekehrt war. Für alle Fälle ließ Villeneuve seine Schiffe eine Schlachtlinie bilden und nahm dann endlich Kurs auf Gibraltar. Noch hoffte er aber, in der einbrechenden Nacht ohne größeren Kampf das Mittelmeer zu erreichen. Nelson war jedoch dank seiner Fregatten genau über jede Bewegung des Feindes unterrichtet. Sofort ging er wieder auf Parallelkurs zu Villeneuve, hielt jedoch Abstand, um den Feind nicht zu beunruhigen. Erst als am nächsten Morgen, dem 21. Oktober, die feindliche Flotte schon zu weit von Cádiz entfernt war, um sich noch rechtzeitig dorthin zurückziehen zu können, befahl er seinen Schiffen gegen 4.30 Uhr auf Angriffskurs Nordnordost zu gehen. Nach zwei Stunden wechselte er erneut den Kurs auf Ostnordost und gab, nun in Sichtweite der feindlichen Flotte, das Signal: Marschordnung in zwei Kolonnen. Aus Seerichtung hielten die englischen Schiffe auf die parallel zur Küste segelnde feindliche Flotte zu. Nelson selbst führte die dem Wind zugewandte (obere) Luvkolonne, Admiral Collingwood befehligte die Royal Sovereign an der Spitze der Leekolonne.
mando. Es wäre ein glänzendes Ergebnis, wenn sie 14 Prisen erobern würden, meinte Blackwood. Nelson schien damit keineswegs zufrieden. Es sollten mindestens 20 Prisen sein, erwiderte er. Sein Konzept für die bevorstehende Schlacht unterschied sich von der traditionellen Flottentaktik, sich zum Gefecht in Kiellinie zu formieren. „Nach dem alten System kann kein Tag lang genug sein, um zwei Flotten Aufstellung nehmen zu lassen und eine Entscheidungsschlacht zu schlagen“, hatte er während seines letzten kurzen Urlaubs in England einem seiner Kommandanten anvertraut. Nelson beabsichtigte, Villeneuves Flotte zu vernichten. Dies war nur möglich, wenn es seinen Schiffen gelang, in zwei Angriffsformationen die Kiellinie des Feindes aufzuspalten und seine Schiffe in Nahkämpfe zu verwickeln, bei denen sich die bessere Ausbildung der englischen Artilleristen durchsetzen würde. Auch der Feind hatte die Briten inzwischen entdeckt. 33 Segel wurden Villeneuve gemeldet. Es beunruhigte ihn, dass beide gegnerischen Kolonnen auf seine Nachhut zuhielten. Das konnte nur bedeuten, dass Nelson ihm den Weg nach Cádiz abschneiden wollte. Um 8 Uhr fasste Villeneuve daher den Entschluss, nach Cádiz zurückzukehren. Es erschien ihm günstiger, sich in der Nähe eines eigenen Hafens zu schlagen. Er gab den Befehl zum Halsen, eine Richtungsänderung um 180 Grad, bei der sich die Schiffe auf der Stelle mit dem Heck durch den Wind drehten. Villeneuves Nachhut, acht Schiffe unter dem Befehl des Konteradmirals Dumanoir, wurde dadurch zur Vorhut. Das Manöver kostete etwa drei Stunden Zeit. Inzwischen näherten sich die englischen Schiffe mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Knoten in der Stunde, dem Tempo eines passablen Fußgängers, der etwas durcheinandergeratenen feindlichen Formation. Nelsons letzte Tagebucheintragung lautete:
Das erhoffte Mêlée – Nelson zerschlägt die gegnerische Flotte bei Trafalgar In seiner Kajüte fand Nelson noch die Zeit zu letzten Änderungen in seinem Testament. Er appellierte an König und Vaterland, für die er nun die entscheidende Schlacht schlagen wollte, sich Lady Hamilton und der gemeinsamen Tochter anzunehmen. Um 7 Uhr war alles Private zu seiner Zufriedenheit geregelt und er ließ sich von den eintretenden Kapitänen Blackwood und Hardy die Stärke der feindlichen Flotte melden. Es waren 44 Schiffe gesichtet worden, davon 33 Linienschiffe. Nelson hatte dagegen nur 27 große Schiffe, vier Fregatten und zwei Briggs unter seinem Kom-
„Feind mit dem Bug nach Süden. Um Sieben halst der Feind der Reihe nach. Möge der große Gott, den ich anbete, meinem Lande – auch zum Wohle Europas insgesamt – einen großen Sieg schenken, und möge niemals Missverhalten ihn
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Nelsons Flaggschiff Victory (rechts) im Kampf mit der Redoutable, Gemälde von Auguste Etienne Mayer, Musée de la Marine, Paris. Es war das Durcheinander von Schiffen, das sich Nelson gewünscht hatte. „Falls die Signale nicht gesehen oder nicht richtig verstanden werden, kann keinem Kapitän ein Vorwurf gemacht werden, der sein Schiff neben ein feindliches legt.“ Entmasten und Dezimieren war das Ziel. Trotz ihrer mörderischen Wirkung waren die Geschützsalven mit ihren Vollkugeln nicht in der Lage, ein Schiff zu versenken. Die bewegungsunfähige Redoutable ergab sich gegen 14.30 Uhr der Victory. Von ihren 643 Mann waren 300 tot und 222 verwundet, darunter auch der Kapitän. Es gab kein einziges feuerbereites Geschütz mehr.
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sollten die Männer auffangen, die aus der Takelage fielen, und außerdem verhindern, dass Stengen und sonstige Teile aufs Deck krachten. Der Zimmermann und seine Leute standen mit Holzdübeln und Werkzeug bereit, um Schäden unterhalb der Wasserlinie zu beheben.“ 7
besudeln; und möge Menschlichkeit nach dem Siege der vorherrschende Zug bei der britischen Flotte sein.“
Gegen 11 Uhr hatten Villeneuves Schiffe endlich bei schwachem Wind ihren neuen Kurs eingeschlagen und segelten in gekrümmter Linie, deren Enden sich in Richtung des Angreifers neigten. Die lange Dünung kündete schon einen Sturm an. Um 11.15 Uhr ließ Villeneuve Feuererlaubnis signalisieren. Ehe die Briten ihren ersten Schuss abgeben konnten, würden sie die Breitseiten seiner Schiffe zu spüren bekommen. Auf der Victory wurde das Signal Nr. 16 gehisst. Es befahl: näher an den Feind ran. Um 11.55 Uhr gab die französische Fagueux, ein 74-Kanonen-Schiff, die erste Breitseite auf die Engländer ab. Collingwoods Geschwader erreichte zuerst den Feind. Um 12.20 Uhr geriet auch Nelsons Geschwader ins Feuer.
Der Admiral ließ sein Schiff auf Steuerbord abfallen und hielt auf eine Gruppe von drei Schiffen im vorderen Drittel der feindlichen Schlachtlinie zu. Eines von ihnen war die Santissima Trinidad, das größte Schiff der verbündeten Flotte mit 122 Kanonen auf vier Geschützdecks, das zweite Schiff war die Bucentaure, Villeneuves Flaggschiff, und das dritte die Redoutable. Nelson ließ seinem Kapitän Hardy die freie Wahl, welches der drei Schiffe er angreifen wollte. Die Victory hatte sich mindestens 20 Minuten unter konzentriertem Feuer mehrerer Schiffe befunden, ohne selbst einen einzigen Schuss erwidern zu können. Nun konnte sie endlich alles Empfangene zurückgeben. Kapitän Hardy entschied sich zum Angriff auf die Redoutable. Die Victory umrundete das Heck der Bucentaure und gab aus kürzester Distanz eine vernichtende Breitseite mit doppelt bis dreifach geladenen Geschützen auf das feindliche Schiff ab, die 20 Geschütze zerstörte und fast 400 Mann tötete oder verwundete. Nach dieser grausigen Ouvertüre legte sich die Victory neben die Redoutable und begann an dem ausgesuchten Opfer ihr unerbittliches Vernichtungswerk. Wie mit riesigen Äxten hieben die englischen Kanoniere Salve auf Salve in den Rumpf der Redoutable, fegten das Deck frei und verwandelten das ehemals stolze 74-KanonenSchiff allmählich in einen schwimmenden Torso, einen gliederlosen Rumpf, der bald nur noch weidwund auf der schweren Dünung taumelte. Doch solange sie konnte, blieb die Besatzung der Redoutable den Engländern keine Antwort schuldig. Auch die Victory erlitt schwere Beschussschäden, während nun nacheinander die übrigen Schiffe aus Nelsons Abteilung in das Geschehen eingriffen. Jeder Kapitän suchte sich nach eigenem Ermessen einen Feind, um das Flaggschiff
Klar zum Gefecht „Die Trommler riefen die Männer auf ihre Posten. […] Die hölzernen Schotten zwischen den Räumen der Offiziere wurden ausgehängt und die Möbel und das Gerät des Kapitäns unter Deck gebracht. Man holte zusätzliche Hängematten herauf und befestigte sie neben denen, die bereits um das ganze Oberdeck gespannt waren, einige schlang man über die Jungfern und Taljereeps des stehenden Gutes. Hoch droben in der Takelage wurden die Segel mit Wasser durchtränkt. An den vorgesehenen Plätzen wurden Löscheimer aufgestellt. Auf Deck wurde nasser Sand gestreut, um die Brandgefahr zu verringern und den Matrosen besseren Halt zu geben. Die Geschützbedienungen waren an ihrem Platz, die Zündungen in Ordnung, die Lunten in Brand gesetzt, die Laschings von den Kanonen entfernt, die Stückpforten geöffnet. Pulverjungen eilten hin und her, holten die Kartuschen für die erste Salve herauf. Hoch über ihnen wurden Netze zwischen Groß- und Besanmast gespannt. Sie
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Die Schiffsgeschütze waren nach dem Gewicht der Kugeln eingeteilt. Am häufigsten wurden 36-, 24- oder 18-Pfund-Geschütze verwendet. Ein Geschütz vom Kaliber 24 Pfund erforderte eine Bedienung von 10 bis 14 Mann und wurde von vorn geladen. 24-Pfund-Geschütze gab es in drei Größen zwischen 2,74 und 3,08 Metern Länge. Ein 100-Kanonen-Schiff wie die Victory führte etwa 30 dieser Geschütze auf dem mittleren Deck.
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des Admirals möglichst zu entlasten. Die Neptun ging auf die schon angeschlagene Bucentaure los, und ihr folgte die Leviathan, entschlossen, sich mit den 122 Geschützen der Santissima Trinidad zu messen. Die vereinigte Flotte kämpfte hartnäckig, wenn auch weniger effektiv als die Engländer. Noch hoffte Villeneuve auf die Rückkehr seiner Vorhut, die weiter mit Kurs Cádiz nach Norden segelte. Nur von ihr war noch eine Rettung aus der prekären Lage seiner Flotte zu erwarten. Kurz nach 13 Uhr ließ der Admiral das Signal Nr. 5 hissen: „Jedes Linienschiff, das nicht kämpft, ist nicht auf seinem Posten und hat sofort eine Position einzunehmen, die es so schnell wie möglich ins Feuer bringt.“
Als ginge sie das Brüllen der Geschütze, das Inferno der splitternden Planken und niederstürzenden Masten, das Geschrei aus Hunderten von Kehlen nicht das Geringste an, marschierten Nelson und Kapitän Hardy gemeinsam auf dem Achterdeck der Victory umher. Ungefähr eine Stunde, nachdem das Schiff unter Beschuss geraten war, machte Hardy wieder einmal eine Kehrtwendung und merkte plötzlich, dass er allein war. Er blickte zurück und sah den Admiral auf den Knien. Die Fingerspitzen seiner linken Hand berührten gerade noch die Planken. Dann gab Nelsons Arm nach und er fiel auf die linke Seite. Ein Scharfschütze im Mastwerk der Redoutable hatte Nelson in den Rücken geschossen. Der Admiral, noch bei vollem Bewusstsein, nahm ein Taschentuch und breitete es über sein Gesicht und über seine Brust mit den Orden. Niemand sollte sehen, dass er schwer getroffen war. Solange er lebte, wollte er die Schlacht weiterleiten. Noch hatte kein Schiff der gegnerischen Flotte die Segel gestrichen. Kurz vor 14 Uhr ließ Villeneuve erneut das Signal Nr. 5 hissen. Wütend spähte der Admiral nach Norden, wo die Schiffe des Grafen Dumanoir immer noch nicht umkehren wollten. Nun schien der Graf endlich das Signal zu bemerken und begann ein umständliches Wendemanöver, das ihn zunächst auf Westkurs
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brachte. Zwei seiner Schiffe, die nicht auf ihn warten wollten, segelten direkt nach Süden ins Schlachtgetümmel. Inzwischen erlahmte auf Villeneuves Flaggschiff, der Bucentaure, der letzte Widerstand. 300 Mann waren tot, sämtliche Masten zusammengeschossen und der Kommandant des Schiffs nicht mehr am Leben. Villeneuve ließ die an einem Mastteil heruntergefallene französische Trikolore wieder an einen Maststumpf nageln. Wohl mit Absicht setzte er sich jedem Feuer aus, aber der Tod, den er verzweifelt suchte, schien den Admiral zu ignorieren. Er hatte sich ein berühmteres Opfer ausgesucht. Obwohl Nelson tödlich verwundet war, hatte er immer noch nicht sein Kommando an Admiral Collingwood übergeben lassen. Sein Eigensinn wurde belohnt. Er sollte den vollständigen Sieg seiner Flotte noch erleben. Gegen 14.30 trafen die ersten Kapitulationsmeldungen an seinem Sterbelager ein. Um 14.20 hatte sich die Santa Anna des Admirals Alava der Royal Sovereign ergeben. Kurz darauf kapitulierte auch die Redoutable, der direkte Gegner der Victory. Nach zwei Stunden Nahkampf gegen ein überlegenes englisches Schiff besaß die Redoutable kein einziges feuerbereites Geschütz mehr. Von den 643 Männern der Besatzung waren über 400 tot oder verwundet. Um 15 Uhr ergab sich auch die Fougueux, die drei Stunden zuvor als erstes Schiff der vereinigten Flotte das Feuer auf Nelsons Flotte eröffnet hatte. Sämtliche Offiziere waren gefallen oder verwundet. Als viertes Schiff der französisch-spanischen Flotte ergab sich die San Juan Nepomuce dem Kapitän der Dreadnought. Mindestens ein Dutzend anderer französischer oder spanischer Schiffe war so angeschlagen, dass ihre Kapitulation unausweichlich war. Viel zu spät war die Vorhut des Grafen Dumanoir umgekehrt, um Villeneuves Flotte vor dem Untergang zu bewahren. Nach nur wenigen Salven entfernten sie sich erneut aus der Kampfzone. Damit war die letzte Hoffnung auf eine Wende des Gefechts für die Verbündeten dahin. Als erstes Schiff verließ die spanische Principe de Asturias des schwer
verwundeten Admirals Gravina das Kampffeld. Ihr folgten bald darauf drei weitere spanische Schiffe in sichere Gewässer. Für kurze Zeit hatte Villeneuve noch die Absicht, die bewegungsunfähige Bucentaure zu verlassen und das Gefecht von einem anderen Schiff fortzusetzen. Aber es gab in seiner Nähe kein anderes kampffähiges Schiff mehr, und zudem zeichnete sich immer deutlicher ab, dass seine Flotte kurz vor dem Zusammenbruch stand. Weiterer Widerstand schien zwecklos. Eilig ließ er deshalb noch alle Geheimpapiere vernichten und um 15.30 Uhr die Flagge streichen. Auf den englischen Schiffen erhob sich unglaublicher Jubel. Nun kapitulierten auch die übrigen Schiffe der vereinigten Flotte, als hätten sie nur darauf gewartet, dass ihr Admiral diesen ersten Schritt tat. Der Lärm der Schlacht nahm allmählich ab. Kurz nach 15.30 Uhr meldete Kapitän Hardy seinem Admiral die Übergabe von zehn Feindschiffen, später noch einmal die von fünf anderen Schiffen. Bald darauf starb Nelson. Sein letzter Befehl lautete: ankern. Der unmittelbar bevorstehende Sturm bereitete ihm noch Sorgen. Er hatte in seinem Leben viele Stürme durchstanden. Dieser blieb ihm erspart. Die letzte Eintragung zur Schlacht im Logbuch der Victory lautete: „Unregelmäßiges Feuer hielt an bis 4.30 Uhr, als dem Oberbefehlshaber, dem sehr ehrenwerten Lord Baron Nelson der Sieg gemeldet wurde; er starb dann an seiner Wunde.“
Bilanz eines blutigen Nachmittags Trafalgar war der größte Sieg, den je eine Flotte über einen Feind errungen hatte. Von den 33 Linienschiffen der vereinigten Flotte hatten 17 kapituliert. Nur ein Schiff, die französische Achilles, war durch Explosion der Pulverkammer gesunken. Von den 15 Seglern, die entkommen konnten, wurden vier Schiffe des Grafen Dumanoir später aufgebracht, die übrigen 11 erreichten tatsächlich Cádiz. Nahezu 6500 Tote und Verwundete hatten Franzosen und Spanier zu beklagen, dazu kamen
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Nelsons tödliche Verwundung, Gemälde von Denis Dighton, 1825, National Maritime Museum, London. Plötzlich sah Kapitän Hardy den Admiral wanken und dann mit dem Gesicht voran, auf die Planken stürzen. Ein Sergeant und zwei Soldaten sprangen hinzu. Schon lief ein dünner Blutstrahl über den Waffenrock. „Ich bin durch den Rücken geschossen worden!“, sagte Nelson mit fester Stimme. „Die Franzosen haben mich erledigt.“ Er war leichenblass und sah plötzlich sehr alt aus. Man trug ihn ins Lazarett hinunter, wo der Schiffschirurg Beatty im Kerzenschein operierte.
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mehrere Tausend Gefangene, unter ihnen auch Admiral Villeneuve. Mit 450 Toten und 1214 Verwundeten hatten die Engländer ebenfalls herbe Verluste hinnehmen müssen, doch Nelsons Flotte hatte kein einziges Schiff verloren. Allerdings waren viele englische Schiffe kaum noch seetüchtig. Mühsam kämpfte sich die siegreiche, aber angeschlagene Flotte vier Tage durch den anschwellenden Sturm. Die bewegungsunfähigen eigenen Schiffe hatte man ins Schlepp genommen, ebenso wie die in der Schlacht gewonnenen Prisen. Doch diese mussten später wieder aufgegeben werden oder konnten sich sogar selbst befreien.
len den Leib umbinden und sie in ein hin und her schlingerndes Boot herunterlassen. Einige waren ohne Arme, andere ohne Beine und viele auf die fürchterlichste Weise über und über mit Fleischwunden bedeckt.“ 9
Eines der letzten Opfer der Schlacht war der gefangene Admiral Villeneuve. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft im April 1806 kehrte er nach Frankreich zurück. Es war jedoch nur eine kurze Rückkehr. „Am 22. April rief ein beunruhigter Diener des Hotels ‚Vaterland‘ in der Stadt Rennes die Polizei. Sie brach die doppelt verschlossene Tür des Zimmers gewaltsam auf. Ein halb nackter Mensch lag am Fußende des Bettes, ein Tischmesser bis zum Heft in die Brust gestoßen. Dieser Mensch war der Vizeadmiral Pierre de Villeneuve. Er hatte sich die improvisierte Waffe sechsmal in den Körper gestoßen. Ein Brief auf dem Nachttisch gab Aufschluss über seine letzten Gedanken. Er war an seine Frau gerichtet: ‚Ich bin an dem Punkt angekommen, an dem das Leben eine Schande und der Tod eine Pflicht ist. Leb wohl. Leb wohl.‘“ 10
„Den 22. [Oktober] kam ein äußerst heftiger Sturm auf. Die Prise im Schlepp, die Redoutable, schien ihn ungeachtet ihres schlimmen Zustandes bis etwa drei Uhr nachmittags leidlich auszuhalten, doch dann verlor sie, weil sie bei der schweren See so stark rollte, ihren Fockmast, den einzigen Mast, der noch stand. Gegen Abend gab sie uns wiederholt Notzeichen; wir setzten nun unsere Boote aus und schickten sie zu ihr hinüber, obwohl sehr hoher Seegang herrschte und wir befürchteten, die Boote würden längsseits der Prise vollschlagen, doch gelang es ihnen mit Glück, eine große Zahl zu retten.“ 8
Der Brief wurde von den Behörden auf Bitten der Familie Villeneuves zunächst verheimlicht. Schnell war jedoch in der Öffentlichkeit das Gerücht entstanden, Napoleon habe Villeneuve von seiner Geheimpolizei umbringen lassen. Unklar blieb jedoch, weshalb Napoleon dies hätte tun sollen. Wahrscheinlicher als die Mordversion war, dass Villeneuve den befürchteten Sarkasmus Napoleons und die Verachtung seiner Pariser Höflinge nicht ertragen mochte und sich deshalb selbst tötete. An persönlichem Mut fehlte es dem Admiral gewiss nicht. Aber es war ein stupider Mut, der offenbar nur in Situationen nicht versagte, die von Ehre, Pflicht und Tradition bestimmt waren und wo es im feindlichen Feuer auszuhalten galt. In unklaren Situationen, denen ein Kommandeur oft allein gegenübersteht, war sein Verhalten jedoch von Unsicherheit und Resignation geprägt. Für Napoleons großen Plan
Leutnant Edwards von der Prince kommandierte eine dieser Bergungsaktionen. Sein Bericht veranschaulicht, dass auch nach dem Ende der Schlacht die Leiden und Strapazen der Seeleute noch kein Ende hatten. „Wir hatten die Santissima Trinidad, das größte Schiff der Welt, in Schlepp. Es ist unmöglich, die Schrecken zu beschreiben, die der Morgen zeigte: nichts als Notsignale rundum. Es wurde Signal gegeben, die Prisen zu zerstören. Wir hatten zuvor nicht die Zeit gehabt, die Gefangenen abzutransportieren, doch welch ein Anblick war es, als wir kamen, um die Verwundeten zu holen, deren es zwischen drei- und vierhundert gab. Wir mussten den armen, zerfleischten Ker-
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einer Landung in England war Villeneuve wohl der falsche Mann. Frankreich hatte im Sommer 1805 eine große Chance, seinen uralten Rivalen England endgültig zu besiegen, und Villeneuve wusste nur zu gut, dass man ihm das Scheitern aller maritimen Pläne Napoleons anlasten würde. In weniger als fünf Stunden hatte Nelson mit seiner Flotte bei Trafalgar England die Herrschaft über die Weltmeere für die nächsten 100 Jahre gesichert. Nelson war das Wagnis einer neuen Taktik eingegangen, die anfangs hohe Verluste kostete und seine Schiffe und Besatzungen sehr belastete. Aber ohne dieses Risiko wäre die vereinigte französisch-spanische Flotte niemals zerschlagen worden. Der Sieg der britischen Flotte leitete Napoleons Niedergang ein, auch wenn der Kaiser am Tag vor Trafalgar im fernen Ulm die Kapitulation einer österreichischen Armee unter General Mack erzwang und sechs Wochen später in der sogenannten Dreikaiserschlacht bei Austerlitz seinen größten und berühmtesten Sieg errang. In dem noch fast zehn Jahre dauernden Kampf Großbritanniens mit dem napoleonischen Frankreich spielte die französische Flotte jedoch keine wesentliche Rolle mehr. Weder Napoleon noch ein anderer kontinentaler Herrscher sollten in den kommenden 140 Jahren das Inselkönigreich erneut mit einer Invasion bedrohen.
Im Jahre 1600 hatte England seine Ostindienkompanie gegründet, zwei Jahre später folgten die rivalisierenden Niederlande mit einer eigenen Handelsgesellschaft. Erst die hierbei erzielten Erträge ermöglichten den neuen Seemächten den Aufbau großer, permanenter Kriegsflotten, die anstelle umgebauter Handelsschiffe nun aus speziell konstruierten Linienschiffen bestanden. Größere Flotten erforderten ständig wachsende Handelsgewinne. England versuchte daher 1651, mit seiner Navigationsakte den ertragreichen Zwischenhandel seines niederländischen Rivalen durch eine Sperrung seiner Häfen zu treffen. Holland wehrte sich dagegen in drei Seekriegen, musste jedoch schließlich 1671 die Navigationsakte anerkennen. Frankreich war zu dieser Zeit auf dem Gebiet der Schiffskonstruktion führend. Seine Flotte hatte zunächst wechselweise auf beiden Seiten in die niederländisch-englische Auseinandersetzung eingegriffen. In den folgenden Dekaden wurde es jedoch zum großen maritimen Widersacher des Inselreichs, das seit 1688 in Personalunion mit den Niederlanden verbunden war. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verfügte Frankreich bereits über 135 Kriegsschiffe, von denen viele mit über 100 Geschützen bestückt werden konnten.
Schiffe und Schiffsbau Die über 60 Meter langen Dreidecker mit 100 und mehr Kanonen und ihren rund 900 Mann Besatzung wurden als Linienschiffe der 1. Klasse bezeichnet. Oft waren sie nur mäßige bis schlechte Segler, eine der wenigen Ausnahmen war später die Victory, Nelsons Flaggschiff. Doch sie besaßen eine gewaltige Feuerkraft mit Kanonen von bis zu 32 Pfund Kaliber im unteren Deck und galten mit ihren repräsentativen Aufbauten als typische Admiralsschiffe. Wegen ihrer durchschnittlich höheren Kosten begann man seit etwa 1670 kleinere Dreidecker mit nur noch 90 Kanonen zu bauen, die als Linienschiffe der 2. Klasse eingestuft wurden. Obwohl dieser Schiffstyp wegen seiner wenig befriedigenden Segeleigenschaften nur als Notlösung galt, besaß die englische Flotte 1793,
Hintergrund
Die englische Flotte bis zur Zeit Nelsons Mit der Entdeckung der Seewege nach Indien und Amerika gegen Ende des 15. Jahrhunderts verlagerte sich der Schwerpunkt der maritimen Mächte Europas vom Mittelmeer in den Atlantik. Zunächst hatten Spanien und Portugal, die klassischen Entdeckernationen der frühen Neuzeit, die transatlantischen Routen beherrscht. Ihr Niedergang nach dem Scheitern der spanischen Armada 1588 im Kanal öffnete Frankreich, England und den Niederlanden den Weg für ihre fast 200 Jahre lange Auseinandersetzung um die Kontrolle der hohe Handelsgewinne abwerfenden Überseerouten.
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zu Beginn des großen Seekriegs gegen Frankreich, noch 21 Schiffe dieser 2. Klasse. Dagegen hatte Frankreich schon um 1730 begonnen, wendigere Zweidecker mit nur noch höchstens 80 Kanonen und rund 700 Mann Besatzung zu bauen. Sie wurden als Linienschiffe der 3. Klasse bezeichnet und entwickelten sich bald zum Standardtyp aller großen Flotten. Der Bau eines ca. 50 Meter langen Zweideckers erforderte nur noch 60 Prozent der Kosten eines Dreideckers. Dank ihrer guten Segeleigenschaften waren Zweidecker trotz ihrer geringeren Bewaffnung für Dreidecker ein ernster Gegner. Auch konnten sie noch genügend Vorräte für lange Seeoperationen mitführen. Der Aufwand zum Bau eines Kriegsschiffes war enorm. Für ein Linienschiff der 3. Klasse mit 74 Geschützen benötigten englische Konstrukteure rund 2000 Eichenbäume, 100 Tonnen Eisenmaterial, 20 Tonnen Kupferbolzen sowie 4000 Kupferbleche zur Verkleidung des Schiffsrumpfes. Die Beschaffung brauchbaren Bauholzes wurde zum größten Problem für Großbritanniens maritime Rüstung. Bis 1783 war der eigene Bestand an geeigneten Bäumen auf rund 71 000 Festmeter geschrumpft, dies war jedoch zugleich schon der Jahresbedarf für Neubauten allein der Kriegsflotte. Nur Einfuhren aus der Adria oder dem Baltikum erfüllten die hohen Qualitätsansprüche der britischen Schiffsbauer, sodass die Flottenführung schließlich ein eigenes baltisches Geschwader zum Schutz der riesigen Konvois aufstellte, das den Holznachschub durch die Ostsee sichern sollte.
Verhältnis zur Admiralität, das erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch das überaus erfolgreiche Triumvirat der Admirale Russell, Montagu und Lord Anson ausgeglichen werden konnte. Die Leitung der Admiralität lag seitdem in den Händen des Ersten Lords, der gewöhnlich der dienstälteste Admiral war und seit 1793 auch oft aus dem aktiven Flottendienst stammte. Als Schöpfer der englischen Flotte gilt jedoch der langjährige erste Sekretär der Admiralität, Samuel Pepys. In seiner nur kurz unterbrochenen Amtszeit von 1673 bis 1689 wirkte er auf eine Vereinheitlichung der Schiffstypen und ihrer Bewaffnung hin und sorgte durch einheitliche Ausbildungsstandards für eine Professionalisierung des Korps der Marineoffiziere. Pepys vertrat auch die Flotteninteressen im Parlament und setzte sogar Pensionszahlungen für alte oder versehrte Seeoffiziere durch. Das später in fast allen Flotten übliche Konvoisystem ging auf ihn zurück. Seit 1748 hatte die englische Flotte für ihre Offiziere und Unteroffiziere (Midshipmen) Uniformen eingeführt. Ihre Grundform bestand aus marineblauem Tuch mit weißen Bundhosen, Flaggoffiziere trugen zusätzlich Aufschläge und goldene Verzierungen. Einer zunächst laxen Handhabung dieser Vorschrift folgten 1795 neue, verbindlichere Anordnungen zur Trageweise der Uniform. Die einfachen Seeleute erhielten erst 1857 Uniformen. Als Hoheitszeichen führte die Kriegsflotte schon seit 1634 den Union Jack, eine Kombination von St. Georgs- und St. Andrews-Kreuz.
Flottenführung
Seekriegstaktik
Schon frühzeitig hatte sich in der Leitung der englischen Flotte eine Teilung der Aufgaben etabliert. Während für ihre politische und strategische Führung seit Beginn des 17. Jahrhunderts ein Lordadmiral zuständig war, trug das bereits 1546 eingerichtete Navy Board die Verantwortung für die Logistik und Verwaltungsangelegenheiten, vor allem für die Beschaffung und Ausrüstung der Schiffe. Der größere Umfang dieser letzteren Behörde verschaffte ihr ein erhebliches Übergewicht im
Die sogenannten Admirality Instructions von 1731 sahen auch erstmals Anweisungen für die Gefechtsführung auf See vor. Freilich waren die taktischen Möglichkeiten der Flotten sehr eingeschränkt, da die Schiffe ausschließlich auf die Windkraft angewiesen waren. Die Linie bildete die Grundformation eines Gefechtsverbandes. Die Schiffe segelten in bestimmten Abständen hintereinander und feuerten im Gefecht ihre Breitseiten auf die in gleicher Formation oft entgegenkom-
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mende feindliche Flotte. Das mit dem Wind segelnde Geschwader konnte seinen Abstand zum Gegner bestimmen und auch in dessen Formationen einbrechen, besonders wenn seine Schiffe nicht richtig geordnet waren und mit zu großen Abständen segelten. Ein Durchbruch erfolgte mit einzelnen Schiffen oder sogar mit ganzen Abteilungen, wie in der Seeschlacht von Trafalgar. Vor allem die Briten bevorzugten dieses Verfahren, da sie artilleristisch den meisten ihrer Gegner überlegen waren und sie dadurch die Möglichkeit erhielten, in einem sogenannten Mêlée auf kürzeste Distanz den Gegner zu stellen und niederzukämpfen. Dies geschah meistens durch Entmasten des Gegners und Dezimierung vor allem der Geschützmannschaften. Die Versenkung eines Schiffs durch Beschuss war eine Ausnahme, meist geschah dies durch Explosion der Pulverkammer. Für den Kampf auf kürzeste Distanz setzte die englische Flotte vermehrt auch sogenannte Karronaden ein, die sie seit 1775 entwickelt hatte. Sie waren erheblich kürzer und leichter als die bisher eingesetzten Geschütze und erforderten weniger Personal zu ihrer Bedienung. Während die übliche 32-Pfünder-Kanone ein Gewicht von zweieinhalb Tonnen besaß und fast drei Meter lang war, wog die 32-Pfünder-Karronade bei einer Länge von 1,2 Metern nur rund 860 Kilogramm. Zwar betrug ihre maximale Reichweite nicht mehr als ein Drittel der mit langen Kanonen erzielbaren zweieinhalb Kilometer, doch waren wirksame Treffer auf diese Entfernung ohnehin eher selten. Die Karronaden boten also, bei geringerer Zielgenauigkeit, auf tatsächliche Kampfentfernung erhebliche Vorteile. Bis 1782 waren bereits 157 Schiffe der englischen Flotte mit ihnen ausgerüstet, während sich die rivalisierenden Flotten noch gegen ihre Einführung sträubten.
besonders das System der Bestrafungen regelten. Der Katalog umfasste nach seiner Revision 1749 noch 36 Artikel, die den Besatzungen an Bord mindestens einmal im Monat vorgelesen werden mussten. Der Artikel 36 wurde auch der Kapitänsartikel genannt, da er den Kommandanten eines Schiffes zur Bestrafung auch aller nicht gesondert aufgeführten Vergehen berechtigte. Am häufigsten wurden Körperstrafen verhängt, doch durfte ein Kapitän bis 1806 ohne Kriegsgerichtsurteil eine Zahl von 48 Peitschenhieben nicht überschreiten. Nicht die Strafen selbst, sondern ihre willkürliche Anwendung waren unter den Besatzungen verpönt und führten vereinzelt zu Meutereien. Auch die Flottenführung griff bei Bekanntwerden willkürlicher Strafverhängungen ein und verfügte notfalls sogar die Ablösung eines Kapitäns. Der Kommandant eines Schiffes war für die Vollzähligkeit seiner Mannschaft verantwortlich. Ohne allgemeine Wehrpflicht war die englische Flotte zunächst auf die Anwerbung von Freiwilligen angewiesen. Jedoch war das Freiwilligenreservoir sehr schnell erschöpft, und die Kapitäne mussten zu dem berüchtigten Presssystem übergehen, eine offiziell geduldete Form von Entführung. In Küstenregionen und auf Handelsschiffen war in Kriegszeiten kein halbwegs gesunder Mann davor sicher, von den sogenannten Presskommandos ihrer Majestät für Jahre auf ein britisches Kriegsschiff verschleppt zu werden. Entsprechend hoch war die Desertionsrate in der Flotte. Von 176 000 Seeleuten, die zwischen 1774 und 1780 für die Flotte angeworben oder „gepresst“ worden waren, hatte sich ein Viertel durch Desertion wieder dem Seedienst entzogen. Die Verluste im Kampf betrugen dagegen nicht einmal ein Prozent der Gesamtzahl. Krankheiten und Unfälle verursachten dagegen Ausfälle von etwas mehr als zehn Prozent.
Disziplin auf Deck
Die Seekriege von 1793 bis 1815
Analog zur Entwicklung der europäischen Landheere erließ König Karl II. im Jahre 1661 auch für die englische Flotte erstmals Kriegsartikel, die
Während Frankreich seinen Flottenbau in den Dekaden nach dem Spanischen Erbfolgekrieg vernachlässigt hatte, da die jahrzehntelange expan-
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sive Politik Ludwigs XIV. schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu einer Erschöpfung der französischen Finanzen geführt hatte, erweiterte Großbritannien seine Flotte von 260 Schiffen um das Jahr 1700 auf fast 480 gegen Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs im Jahre 1783. Der Verlust seiner amerikanischen Kolonien bedeutete für das Mutterland nur eine kurze Unterbrechung im Aufbau der Seemacht. Wichtige Stützpunkte in Kanada und der Karibik blieben in seinem Besitz. Mit Gibraltar, das bereits im Spanischen Erbfolgekrieg 1704 in seine Hand gelangt war, besaßen die Briten einen wichtigen Zugang zum Mittelmeer und zum nahen Osten. Im Seekrieg gegen das revolutionäre Frankreich seit 1793 war die Festung in der Meerenge als großer Flottenstützpunkt ein wesentlicher Faktor. Großbritannien verfügte damals über 121 Linienschiffe der 1. bis 3. Klasse, 12 Zweidecker mit 50 bis 60 Kanonen sowie 124 Fregatten. Von seinen neun Geschwadern waren drei in Übersee stationiert. Ihre Stärke und Gliederung wechselten mit der politischen Lage. Als wichtigstes Geschwader im Krieg gegen Frankreich galt die Kanal- oder Atlantikflotte. Sie hatte den Auftrag, die Kanaldurchfahrt für feindliche Flotten zu sperren und England vor einer Invasion zu schützen. Die bedeutendsten britischen Flottenstützpunkte lagen daher an der Kanalküste. Dazu zählten Spithhead, Portsmouth sowie Plymouth und The Dows an der Küste von Kent. Außerhalb Englands verfügte die Flotte über Marinebasen im kanadischen Halifax und in Port Royal auf Jamaica. Während der Revolutionskriege kamen mit Kapstadt, Menorca, Malta und Martinique vier weitere Flottenbasen hinzu. Ein System von Signalstationen, die sogenannten Shutter-Linien, verband seit 1794 die wichtigsten englischen Marinebasen mit der Admiralität in London. Hatte zuvor ein Meldereiter für die Strecke von der Hauptstadt nach Portsmouth viereinhalb Stunden
benötigt, so beanspruchte nun eine Nachricht von etwa 70 Zeichen nur noch 14 Minuten Übermittlungszeit. Die Shutter-Linie bis Plymouth konnte bis 1806 fertiggestellt werden. England war zunächst mit den Seemächten Niederlande und Spanien in der sogenannten 1. Koalition gegen das revolutionäre Frankreich verbündet. Die isolierte Republik war dagegen mit nur 79 Großschiffen, 6 Zweideckern und 86 Fregatten scheinbar hoffnungslos unterlegen. Doch britische Angriffe auf die französische Karibikinsel Martinique scheiterten ebenso wie der Versuch, sich in Toulon an der Mittelmeerküste festzusetzen. Schon im Dezember 1793 musste der bedeutendste französische Kriegshafen von den Briten wieder geräumt werden. Da bei der Eroberung der Niederlande im Januar 1795 ein großer Teil der im Eis festliegenden holländischen Flotte in französische Hände fiel, verkehrte sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Gegners. Als Frankreich im Jahr darauf mit Spanien einen neuen Alliierten erhielt, der über 72 Linienschiffe der 1. bis 3. Klasse verfügte, geriet die englische Flotte für fast eine Dekade in die Defensive. Ihre Hauptaufgabe bestand nun darin, eine Vereinigung der feindlichen Flotten zu einem anschließenden Durchbruch in den Kanal zu verhindern. Gleichzeitig musste Großbritannien jedoch auch seine lebenswichtigen Handelsrouten durch das Mittelmeer und die Ostsee offenhalten. Dies gelang trotz spektakulärer Erfolge in den Seeschlachten von Abukir und Kopenhagen nicht auf Dauer. Erst mit Nelsons Sieg bei Trafalgar trat eine Wende in der Seekriegsführung ein. Die Gefahr einer feindlichen Invasion Englands bestand seitdem nicht mehr. Im Gegenzug konnte die britische Flotte nun ihrerseits Operationen alliierter Landarmeen auf dem europäischen Kontinent, vor allem in Spanien und Portugal, erfolgreich unterstützen.
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„England erwartet, dass Sie Ihre Pflicht tun“
Die Docks von Plymouth um 1798, Gemälde von Nicolas Pocock im National Maritime Museum, London.
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10 Den Sieg den Klauen des Desasters entreißen
Waterloo 1815
Die Schlacht bei Waterloo, Gemälde von Felix Henri Emmanuel Philippoteaux, Wellington Museum, Apsley House, London.
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Waterloo 1815
vier Korps waren beiderseits der Maas bis hinauf nach Lüttich verteilt. Das Kommando hatte der in England sehr beliebte Marschall Gebhard Leberecht Blücher, ein Veteran des Siebenjährigen Krieges, der seine Truppen im Freiheitskrieg 1813/1814 von der Katzbach in Schlesien bis zum Montmartre geführt hatte. Napoleon hoffte, durch einen überraschenden Angriff beide Armeen zu trennen und sie einzeln zu schlagen.
Von Feinden umgeben
A
m 6. April 1814 dankte Napoleon I., von einer Koalition aus Preußen, England, Österreich, Russland und Schweden besiegt, nach zehnjähriger Herrschaft als Kaiser der Franzosen ab. Elf Monate später kehrte er im Triumph aus seinem ersten Exil nach Frankreich zurück, während in Wien die Sieger immer noch über die neue politische Ordnung Europas stritten. Rasch einigten sich die Herrscher und hohen Diplomaten nun auf eine Erneuerung des Kampfes gegen den Korsen. Gemeinsam erklärten sie den Mann, der sie mehr als zehn Jahre lang gedemütigt hatte, zum Gesetzlosen. Fünf Armeen mit insgesamt 635 000 Mann sollten Anfang Juli 1815 aus den Niederlanden, dem Rheinland und Italien in Frankreich einmarschieren. Napoleon wusste, dass er diesen umfassenden Angriff nicht abwarten durfte. Er musste selbst den ersten Schlag führen und versuchen, die Gegner einzeln zu besiegen. Als Ziel seiner Offensive wählte er die beiden nächsten Armeen der Alliierten in Belgien, das damals noch zum Königreich der Niederlande gehörte. Die Erste dieser Armeen hatte sich unter dem Kommando von Arthur Wellesley, dem ersten Herzog von Wellington, im Raum südwestlich von Brüssel versammelt. Ihr gehörten zu je einem Drittel Briten, Niederländer und Deutsche aus Braunschweig, Hannover und Nassau an. Insgesamt verfügte der 46-jährige Brite über 70 000 Mann Infanterie, 14 000 Mann Kavallerie und 196 Geschütze mit 8000 Artilleristen. Wellington hatte neun Jahre in Indien gedient, ehe er 1808 zum Befehlshaber der britischen Streitkräfte in Portugal ernannt worden war. Napoleons Marschälle mussten sich ihm bei Talavera (1809), Salamanca (1812), Vitoria und Sorauen (1813) geschlagen geben. Im August 1814 zunächst zum britischen Botschafter in Paris ernannt, hatte Wellington nach Napoleons Flucht aus Elba im März 1815 den Oberbefehl über die verbündeten britischen, niederländischen und deutschen Truppen in den Niederlanden übernommen. Die zweite alliierte Armee aus etwa 113 000 Mann und 312 Geschützen stellte Preußen. Ihre
Ein genialer Plan Noch waren die Österreicher damit beschäftigt, eine Armee von 210 000 Mann am Oberrhein zu sammeln, die Russen hatten 150 000 Mann, standen aber erst in Polen. Gegen diese Kräfte konnte Napoleon zunächst nur das Korps des Generals Jean Rapp im Elsass mit 23 000 Mann einsetzen. An den übrigen Grenzen Frankreichs standen etwa 60 000 Mann, weitere 70 000 blieben unter dem Befehl des Kriegsministers Louis Nicolas Davout in Paris. Aus dem Kern seiner Truppen, 124 000 Mann mit 344 Geschützen, bildete Napoleon die Armée du Nord und konzentrierte sie Anfang Juni 1815 an der französischen Nordgrenze im Raum Beaumont. Der Korse hatte seine Truppen in zwei Flügel zu je zwei Korps aufgeteilt. Den linken Flügel mit dem I. Korps des Generals Honoré Charles Reille sowie dem II. Korps des Grafen Jean-Baptiste Drouet d’Erlon unterstellte er dem Marschall Michel Ney. Der aus Saarlouis stammende Offizier war ein Veteran aller napoleonischen Feldzüge, der seit dem Rückzug aus Russland der „Tapferste der Tapferen“ genannt wurde. Mit insgesamt 44 000 Mann sollte er die wichtige Kreuzung Quatre-Bras, etwa 20 Kilometer nördlich von Charleroi an der Straße nach Brüssel besetzen. Ney musste um jeden Preis verhindern, dass Wellingtons Armee den Preußen zu Hilfe kam. Seinen rechten Flügel mit den Korps der Generäle Vandamme und Gérard, insgesamt 35 000 Mann, richtete Napoleon gegen Blücher. Das Kommando über diese Kräfte hatte der Kaiser dem Marschall Emanuel Grouchy übertragen, während
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(bis 1813/14)
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Kopenhagen
Kaiserreich Frankreich Königreich Preußen Länder des Rheinbunds Grenze des Rheinbunds
KG R . I TA L I E N Mitteleuropa im Jahre 1812. Auf dem Höhepunkt seiner Macht reichte das napoleonische Frankreich weit über die Rheingrenze im Norden bis nach Lübeck. Die übrigen Staaten Europas standen bis auf Großbritannien und Russland in enger Abhängigkeit zu Frankreich und waren zum Teil besetzt. Nach der ersten Abdankung Napoleons im Frühjahr 1814 wurde Frankreich auf die Grenzen von 1792, im Wesentlichen auch die heutigen Staatsgrenzen, beschränkt. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil in Elba akzeptierte Napoleon diese Grenzen, fand jedoch bei den Alliierten in Wien kein Gehör. Die Sieger von 1814 misstrauten den Friedensbeteuerungen des Korsen und mobilisierten erneut über 600 000 Mann, um Napoleon endgültig zu besiegen.
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Waterloo 1815
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Napoleons Vorstoß nach Belgien. In der Nacht zum 15. Juni 1815 überschritt Napoleon mit seiner Armée du Nord überraschend die Grenze nördlich von Beaumont und trieb einen Keil zwischen die Armeen Blüchers und Welllingtons. Der Korse hatte seine Armee in zwei Flügel geteilt. Das Kommando über den linken gab er dem Marschall Ney mit dem Auftrag, die wichtige Kreuzung bei Quatre-Bras zu nehmen. Nur über diese Kreuzung konnte Wellington Blücher zu Hilfe kommen. Mit seinem rechten Flügel und der Garde, knapp 60 000 Mann, griff Napoleon die über 80 000 Preußen im Raum Fleurus-Ligny-Sombreffe an und schlug sie nach Norden zurück.
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er seine Garde mit 20 200 Mann und das kleinere Korps des Generals Georges Mouton Graf von Lobau mit 10 400 Mann als Reserve unter seinem direkten Befehl behielt. Je nach Lage konnte er damit seine beiden Flügel verstärken. Blücher und Wellington hatten noch am 3. Mai 1815 vereinbart, ihre beiden Armeen auf einer Linie Quatre-Bras-Sombreffe zu vereinigen, wenn Napoleon sie überraschend angreifen sollte. Genau dieser Fall trat nun ein. Schon in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni hatten Sicherungen des preußischen I. Korps des Generals Hans Graf von Ziethen auffällig viele Biwakfeuer des Feindes knapp hinter der französischen Grenze ausgemacht. Am 15. Juni überschritt Napoleon frühmorgens mit drei Korps die Grenze nördlich von Beaumont und drängte die Preußen rasch auf Charleroi zurück. Blücher alarmierte sofort Wellington in Brüssel und rückte verabredungsgemäß mit drei seiner Korps auf Sombreffe vor. Das IV. Korps des Generals Friedrich Wilhelm Graf von Bülow-Dennewitz hatte er jedoch in der Eile nicht mehr aus Lüttich an sich ziehen können. Wellington schien es weniger eilig zu haben. Er fürchtete immer noch, dass Napoleon weiter westlich über Mons angreifen würde, um ihn von seinen Verbindungen zu den Kanalhäfen abzuschneiden. Nur zögerlich konzentrierte er in der Nacht zum 16. Juni seine Kräfte bei Quartre-Bras.
demonstrierte anschaulich die ungeschmälerte Überlegenheit des Korsen und den Angriffsgeist der französischen Truppen. Zur selben Zeit konnten Wellingtons zunächst unterlegene Truppen nur mit Mühe Quartre-Bras gegen Ney halten. Allein dem Ungehorsam des niederländischen Generals Hendrik George Perponcher hatte es der Herzog zu verdanken gehabt, dass die wichtige Kreuzung auf dem Weg nach Brüssel nicht schon am Morgen kampflos in die Hände der Franzosen gefallen war. Perponcher hatte Wellingtons Befehl, mit seiner Division weiter westlich nach Nivelles zu marschieren, einfach missachtet und eigenmächtig seine beiden Brigaden in der Nacht zum 16. Juni bei Quatre-Bras in Stellung gebracht, wo sie sich stundenlang heftiger französischer Angriffe erwehren mussten. Erst im Laufe des Nachmittags trafen, nachdem Wellington seinen Irrtum erkannt hatte, immer neue Verbände ein und konnten die anfangs prekäre Lage stabilisieren. Dass Ney mit mehr als 40 000 Mann die Kreuzung bis zum Abend nicht nehmen konnte, erboste Napoleon. Später stempelte er den Marschall sogar zum Sündenbock ab. Dass er im Laufe des Nachmittags Ney ein ganzes Korps weggenommen hatte, um es bei Ligny gegen die Preußen einzusetzen, verschwieg der Kaiser in seinen Memoiren. Der Flankenmarsch des französischen I. Korps, der zur Einkreisung der Preußen bei Ligny hätte führen können, sorgte jedoch nur für Verwirrung in den eigenen Reihen. Schließlich musste Napoleon seine Garde einsetzen, um wenigstens einen ordinären Sieg gegen Blücher zu erringen. Am Abend des 16. Juni schienen die Preußen plötzlich verschwunden. Sie hatten nicht nur die Schlacht und wohl 20 000 Mann verloren, sondern vorerst auch ihren Oberbefehlshaber. Der 73-jährige Feldmarschall war seit der letzten, von ihm persönlich geführten Kavallerieattacke vermisst. Napoleon war mit seiner Bilanz zufrieden und glaubte sein wichtigstes Ziel erreicht zu haben. Die Preußen schienen sich nach Osten auf Namur zurückzuziehen. Nach dieser Niederlage konnte Blücher unmöglich noch eine Hilfe für Wellington
Die Schlachten von Ligny und Quatre-Bras am 16. Juni Über die tatsächliche Stärke seiner verfügbaren Kräfte belog der Brite seine preußischen Alliierten, als er sich am frühen Nachmittag mit Blücher an der westlich von Ligny gelegenen Mühle von Brye traf. Im Vertrauen auf Wellingtons Unterstützung lies sich der alte Feldmarschall noch am selben Nachmittag auf eine Schlacht mit Napoleon ein. Den Zahlen nach schien es auch ohne die Briten eine lösbare Aufgabe. Gegen 60 000 Franzosen konnte Blücher immerhin 85 000 Preußen aufbieten. Dass seine Armee trotzdem das Schlachtfeld nicht gegen Napoleon behaupten konnte,
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Waterloo 1815
Sir Arthur Wellesley, Herzog von Wellington (1769 – 1852), Gemälde von Peter Edward (ca. 1820), National Army Museum. Dargestellt im Mantel, den er auch bei Waterloo trug. Er nannte seine Soldaten „den Abschaum der Erde, zum Trinken geboren“. Die Männer wiederum nannten ihn wenig respektvoll „Old Hookey“, wegen seiner Hakennase, oder den „Hurensohn (bugger), der die Franzosen verprügelt“.
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Gebhardt Leberecht Blücher, Fürst von Wahlstatt (1742 –
Ratkau in der Nähe von Lübeck musste er jedoch kapitulieren
1819), Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein,
und geriet in Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung diente
Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig. Blücher hatte
er zunächst weiter, wurde aber auf Napoleons Drängen wieder
als 16-Jähriger seine Soldatenlaufbahn in einem schwedischen
in den Ruhestand versetzt. Im Jahr der preußischen Erhebung
Regiment begonnen. Gleich beim ersten Gefecht hatten ihn
1813 erhielt er das Kommando über die Schlesische Armee,
die Preußen jedoch gefangen genommen. Er wechselte die
besiegte Napoleons Marschall McDonald an der Katzbach
Seiten und diente die folgenden 14 Jahre unter dem „großen“
und kämpfte erfolgreich bei Leipzig. Nach seinem Rheinüber-
Friedrich, der ihn jedoch 1772, angeblich wegen seiner Trunk-
gang in der Neujahrsnacht 1813/1814 bei Kaub siegte er bei La
und Spielsucht, aus der Armee entließ. Erst nach Friedrichs
Rothière und Laon und stürmte am 1. April 1814 den Pariser
Tod kehrte er 1787 in die preußische Armee zurück und mach-
Montmartre. Blücher war weder ein großer Stratege noch ein
te nun schnell Karriere. Im preußischen Katastrophenjahr
bedeutender Taktiker. Seine Stärke als Truppenführer war der
1806 deckte Blücher als Befehlshaber einer Kavalleriedivision
Elan, den er auf seine Leute übertrug und der ihm den Titel
den Rückzug der Armee vom Schlachtfeld bei Auerstedt. Bei
„Marschall Vorwärts“ einbrachte.
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Waterloo 1815
sein. Sicherheitshalber befahl er jedoch dem Marschall Grouchy, die besiegten Preußen mit seinen beiden Korps zu verfolgen. Diese Entscheidung sollte der Kaiser nur zwei Tage später bitter bereuen. Auf preußischer Seite hatte in Abwesenheit Blüchers sein Stabschef, Generalleutnant August Neidthard Graf von Gneisenau, der Verteidiger Kolbergs im Jahre 1807, den Befehl über die Armee übernommen. Im strömenden Regen musste der Sohn eines sächsischen Artillerieoffiziers und Wahlpreuße entscheiden, welche Richtung die Armee nun einschlagen sollte. Trotz seiner berechtigten Verbitterung über Wellingtons Unredlichkeit folgte er dem Rat seines Generalquartiermeisters Karl von Grolmann, den Weg nach Norden auf Wavre zu nehmen. Dort konnte die Armee ebenfalls noch auf ihre Versorgungslinien zurückgreifen, behielt zugleich aber die Option, den Briten innerhalb eines halben Tages zu Hilfe zu kommen, falls sie sich südlich von Brüssel noch einmal zur Schlacht stellen würden. Blücher billigte nach seiner Rückkehr die Entscheidung, die wohl wichtigste des ganzen Feldzugs, voll und ganz.
selbstständigen Kommandos wohl überfordert. Am 18. Juni erschien Grouchy nicht mit seinen Truppen bei Waterloo, sondern schlug sich mit einem einzigen preußischen Korps bei Wavre. Aber konnte er wissen, dass Napoleon ihn bei Waterloo dringend brauchte? Dazu hätte er klüger sein müssen als selbst sein Kaiser. Noch am Morgen seiner letzten Schlacht dachte Napoleon ganz anders über diese Frage. Sein Stabschef Marschall Nicolas Jean-de Dieu Soult, der ihm vorgeschlagen hatte, Grouchys Truppen sofort an die Hauptarmee heranzuziehen, musste sich von Napoleon vorhalten lassen, er habe Angst vor Wellington. Dass Napoleon später seinen Untergebenen die Schuld an der Niederlage bei Waterloo gab, kann man getrost als schlechten Stil verbuchen. Tatsache ist, dass seine Untergebenen Fehler begingen, sei es aus Mangel an eigener Einsicht oder sei es wegen fehlender Instruktionen. Klar ist aber auch, dass Napoleon keinen Ratschlag anzunehmen bereit war. Davout, einen seiner fähigsten Marschälle, hatte er mit 70 000 Mann in Paris zurückgelassen. Er solle die Hauptstadt für ihn halten. Davout hatte vergeblich dagegen protestiert: Wenn der Kaiser siege, sei diese Maßnahme überflüssig und im Falle einer Niederlage könne auch er ihm nicht mehr helfen. Napoleon schien die Realitäten, die nicht zu seinem Wunschdenken passten, zu ignorieren. In seinen Augen waren die Engländer miserable Soldaten, Wellington ein schlechter General, und die Preußen hatte er bei Ligny entscheidend geschlagen. Napoleon mochte sich über Ney beklagen, dem er doch ein ganzes Korps genommen hatte, um es zwischen beiden Schlachtfeldern herumirren zu lassen. Am nächsten Morgen beging er jedoch selbst einen schweren Fehler, als er zu spät begriff, dass Wellington immer noch ahnungslos über den Ausgang der Schlacht von Ligny mit seiner ganzen Armee an der Kreuzung von Quatre Bras verharrte. Erst gegen 10 Uhr erkannte der Herzog seine prekäre Lage und trat, von Napoleon scharf verfolgt, einen fluchtartigen Rückzug nach Norden an. Wenn die Preußen ihn mit einem Korps unterstützen würden, ließ er Blücher wissen, wolle
Die Briten entkommen nach Waterloo Man könnte Napoleons Feldzug von 1815 auch als eine Kette verpasster Gelegenheiten bezeichnen. Nur zwei Tage nach Überschreiten der Grenze hätte der Kaiser bereits auf ganzer Linie gesiegt haben können, hätte Blüchers Armee vernichtet sein müssen und Wellington im vollen Rückzug auf die Kanalhäfen. Doch nun zogen die Preußen unbemerkt auf Wavre, ohne von Grouchy gestört zu werden, und Ney war bei Quatre-Bras ohne Erfolg geblieben. Napoleon bemerkte einmal über Ney, dass er von Strategie weniger wisse als ein Tambourjunge. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, den so Gescholtenen zum Befehlshaber seines linken Flügels zu machen. Ähnlich war es bei Grouchy. Der letzte seiner Befehlshaber, den Napoleon zum Marschall ernannt hatte, war ein befähigter Kavalleriegeneral, aber mit der Führung eines
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Schlacht von Waterloo – La Belle-Alliance, Ausgangslage am 18. Juni um 11.30 Uhr. Zu Beginn der Schlacht verfügte Wellington über etwa 67 000 Mann. Zu seiner Armee gehörten rund 21 000 Engländer, 15 000 Niederländer oder Belgier und ca. 31 000 Deutsche, davon 15 000 Hannoveraner, 6400 Mann der Königlich-Deutschen Legion, 6800 Braunschweiger und 2900 Nassauer.
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Waterloo 1815
er bei Mont-St.-Jean eine Schlacht annehmen. Erst im Jahr zuvor hatte er diese Stellung etwa 15 Kilometer südlich von Brüssel eingehend erkundet. Den Franzosen glückte es bei anhaltendem starken Regen nicht mehr, Wellingtons Armee zu fassen. Abends gegen halb sieben erreichte der Kaiser mit der Spitze seiner Kavallerie auf der Straße nach Brüssel eine markante Anhöhe mit einem Gasthaus, das Belle-Alliance genannt wurde. Vor den Franzosen lag ein etwa 1000 Meter breites, seichtes Tal, das im Norden von einer parallelen Reihe von Hügeln begrenzt war. Ein sofort angesetzter Aufklärungsvorstoß seiner Kürassiere brachte Napoleon Klarheit. Hinter dem Höhenrücken war die gesamte Armee des Gegners in Stellung gegangen, bereit, sich mit den Franzosen am nächsten Tag zu schlagen.
auf. Da der schlammige Boden erst abtrocknen musste, um die Geschütze in Stellung zu bringen, scharte sich die Truppe noch um ihre wärmenden Feuer. Erst gegen 11.45 Uhr konnte Napoleon die Schlacht eröffnen, die neun Stunden dauern und schließlich seinen Untergang besiegeln sollte. Der Kaiser begann mit einem Ablenkungsmanöver und befahl seinem jüngeren Bruder Jerôme, dem ehemaligen König von Westfalen, mit seiner 6. Division das Gut Goumont anzugreifen. Das sollte Wellington verleiten, dort Reserven einzusetzen und sein Zentrum zu schwächen. Das Schloss war ein altes, teilweise befestigtes Herrenhaus, umgeben von einer hohen Mauer, einem Obstgarten und einem Wäldchen. Es wurde von vier leichten Kompanien, 300 Hannoveranern und einem nassauischen Bataillon, insgesamt etwa 1300 Mann, gehalten. Diese Kräfte wiesen den ersten Angriff der Franzosen ab. Wütend entschloss sich Jerôme zu einer neuen Attacke und forderte eine zusätzliche Brigade an. Dass sein Angriff nur eine Nebenaktion war, hatte er offenbar schon bald vergessen. Gegen Ende der Schlacht, als Napoleon jeden Mann benötigte, band Jerômes unsinniger Sturm auf Goumont die Hälfte des Reille’schen Korps. Indessen war der Kaiser beschäftigt, seinen Hauptangriff auf Wellingtons linken Flügel vorzubereiten. Dies und eine ernüchternde Entdeckung, die er etwa gegen 13 Uhr machte, mögen ihn davon abgehalten haben, das Kräfte verschlingende Treiben seines Bruders energisch zu unterbinden. Zunächst war es den Franzosen nur wie der Schatten einer tief hängenden Wolke auf den Ausgängen des Waldes von St. Lambert weit im Osten erschienen. Dann aber hatte ein gefangener preußischer Meldereiter dem Kaiser die alarmierende Gewissheit gebracht. Das preußische IV. Korps des Generals von Bülow marschierte mit 32 000 Mann in seine rechte Flanke. Zwei weitere preußische Korps folgten dicht auf. Nun blieb dem Korsen nicht mehr viel Zeit. Graf d’Erlon musste jetzt endlich zum Angriff antreten. Nach anderthalbstündiger Artillerievorbereitung aus 80 Geschützen rückten gegen 14.30 Uhr die vier Divisionen seines I. Korps gegen Wellingtons
Eine unhaltbare Position Wellingtons Schlachtlinie dehnte sich im Zug des Weges von Ohain nach Braine-l’Alleud etwa sechs Kilometer aus. Sein linker Flügel war mit der Kavallerie an den Wald von Ohain angelehnt, der rechte Flügel hatte das Gut Goumont besetzt. Auf dem abfallenden Hang vor seiner Stellung hatte der Herzog außerdem zwei Gehöfte besetzen lassen. Das Erste war La Haye Sainte genau an der Straße von Chaleroi nach Brüssel. Dort lag das 2. Leichte Bataillon der Königlich Deutschen Legion (KGL) des Majors Georg Baring, während sich das zweite Gebäude, das Gehöft Papelotte, weiter östlich vor Wellingtons linkem Flügel befand. Die Franzosen mussten beide Gehöfte einnehmen, ehe sie den Hauptangriff auf Wellingtons Stellungen wagen konnten. Während der Nacht hielt der heftige Regen an. Die Soldaten beider Armeen mussten auf freiem Felde übernachten. Viele hockten lieber auf ihren Tornistern, weil ihnen der Boden zu feucht zum Hinlegen war. Erschöpft von zwei harten Marschtagen und ohne warme Verpflegung verharrten sie in ihren nassen Uniformen in Dunkelheit und strömendem Regen und sehnten das Ende der Nacht herbei. Immerhin: Am Morgen klarte es endlich
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linken Flügel vor. Die Briten hatten inzwischen eine Hinterhangstellung bezogen, wo sie dem mörderischen französischen Artilleriefeuer weniger ausgesetzt waren. Zu ihrem Glück schwächte der immer noch feuchte Boden die Wirkung der Geschosse ab. Abpraller, die sonst mehrere Soldaten gleichzeitig niederstreckten, blieben jetzt einfach im Boden stecken. Dennoch entwickelte sich d’Erlons Angriff zunächst gut. Die Franzosen nahmen Papelotte ein und zerschlugen die belgische Brigade „Bylandt“, deren Reste auf die zweite britische Linie zurückfluteten. Das Farmhaus La Haye Sainte in d’Erlons linker Flanke blieb jedoch in der Hand von Major Barings Legionären und hinderte die Angreifer daran, sich weit genug zu entfalten. Weiter rechts hatten die Franzosen mehr Erfolg. 4000 Mann der Division des Generals Pierre Louis Marcognet, eines Offiziers mit Erfahrungen aus dem spanischen Krieg, hatten sich zu der breiteren Bataillonskolonne mit vier Kompanien nebeneinander formiert und trafen auf das zum Gegenangriff angesetzte 92. Britische Infanterieregiment. Mit einer Salve von 400 Musketen aus kürzester Distanz dezimierten Marcognets Männer ihren Gegner. Ihrem unmittelbar folgenden Bajonettangriff konnten die Briten nicht mehr standhalten. Damit schienen sich die Franzosen auf der Höhenkuppe mit dem Ohain-Weg festgesetzt zu haben, von wo aus Baron Marcognet mit seinen acht Bataillonen Wellingtons linken Flügel auszuhebeln drohte. Napoleon sah sich bereits kurz vor dem Sieg und schickte eine Kürassierbrigade zur Unterstützung seiner Infanterie. Dann aber wendete sich das Blatt innerhalb von Minuten zugunsten der Verteidiger. Soeben vom rechten britischen Flügel bei Gut Goumont zurückgekehrt, erfasste Wellingtons Kavallerieführer, Lord William Uxbrigde, sofort die krisenhafte Entwicklung auf dem Plateau und befahl seine gesamte Kavalleriereserve zum Angriff auf die vordersten Kolonnen des Gegners. Wie aus dem Nichts tauchten seine zwei Kavalleriebrigaden vor den Franzosen auf und überrannten deren Kolonnen im ersten Ansatz, noch ehe sie überhaupt Zeit hatten, sich zu Karrees zu formieren.
Der Rest war ein Massaker. Entsetzt fluteten die Überlebenden in ihre Ausgangsstellungen zurück. D’Erlons Korps war praktisch vernichtet. Allein 3000 Mann hatten sich den Briten ergeben. Damit war Napoleons erster Angriff auf Wellingtons linken Flügel im letzten Moment zusammengebrochen. Die Franzosen konzentrierten sich nunmehr auf das Bauernhaus La Haye Sainte, das unmittelbar vor Wellingtons Zentrum lag und in dem sich immer noch das Leichte Bataillon der KGL unter dem Kommando des Majors Baring hielt. Seine knapp 400 Mann stammten überwiegend aus dem ehemaligen Kurfürstentum Hannover und waren während der französischen Besatzungszeit nach England geflohen.
Verzweifeltes Anrennen der Franzosen Noch während der Kämpfe um die Gebäudegruppe glaubte Marschall Ney bei den Engländern hinter dem Hügelkamm Rückzugsbewegungen zu erkennen. Entgegen seinem Auftrag, das Farmhaus zu nehmen, entschied er sich, mit der Kavallerie den scheinbar fliehenden Engländern den Todesstoß zu versetzen. Eilig raffte er mehrere Kavalleriebrigaden zusammen, insgesamt über 5000 Reiter, und griff mit ihnen über den Hügelkamm hinweg an. Zu Neys Überraschung stießen sie jedoch nicht auf demoralisierte, zurückgehende Truppen, sondern auf etwa 20 eilig geformte Infanteriekarrees, die ein heftiges Feuer auf die Angreifer abgaben. Mit wütenden Attacken versuchten die Franzosen, die Karrees zu überrennen. Ney schaffte es aber nicht, Infanterie zur Unterstützung seines Angriffs heranzuziehen. Auch fiel es den Franzosen nicht ein, die verlassenen Geschütze gegen Wellingtons Karrees zu wenden. Mit hohen Verlusten zog sich die französische Kavallerie zurück. Davon unbeirrt sammelte Ney seine versprengten Kräfte zu einem zweiten Angriff. Verstärkt durch die beiden Kavalleriedivisionen der Garde stürmte seine Kavallerie erneut den Hang zum Ohain-Weg hinauf. Fast 10 000 Reiter drängten sich nun in dem nur knapp 1000 Meter
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„Die Verteidigung des Meierhofes La Haye Sainte bei Waterloo 1815“, Gemälde von Adolf Northen, Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover. Das Farmhaus La Haye Sainte unmittelbar neben der Straße von Brüssel nach Charleroi, der heutigen Route National 5, war eine der drei wichtigsten Positionen im Vorfeld der Stellungen Wellingtons. Es konnte von einem Bataillon der Deutschen Legion bis um sechs Uhr nachmittags gegen alle französischen Angriffe gehalten werden.
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Angriff französischer Kavallerie auf englische Karrees, Gemälde von Felix Henri Emmanuel Philippoteaux, 1874, Victoria and Albert Museum, London. Zweimal versuchte Marschall Ney am Nachmittag, mit fast allen französischen Kavallerieregimentern Wellingtons Stellungen aufzubrechen. Seine Angriffe scheiterten, weil die französische Kavallerie allein gegen Infanteriekarrees nichts ausrichten konnte.
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breiten Abschnitt zwischen Goumont und La Haye Sainte. Auch dieses Mal gelang es den Franzosen nicht, auch nur ein einziges der Karrees zu zersprengen. Einen Lichtblick gab es jedoch für den Kaiser. Kurz nach 18 Uhr fiel endlich La Haye Sainte. Dem Bataillon der KGL war schließlich die Munition ausgegangen. 42 von ehemals 376 Mann retteten sich zu den englischen Hauptstellungen. Damit hatten die Franzosen die erstrebte günstige Position für ihren Angriff auf Wellingtons Zentrum gewonnen. Von La Haye Sainte aus beherrschten sie mit ihrer Artillerie auch das Gelände hinter dem von seiner Armee besetzten Höhenkamm. Es schien Zeit für den Einsatz der kaiserlichen Garde. Doch die Zeit drängte für die Franzosen. Die Preußen griffen inzwischen ihre rechte Flanke an und hatten Placenoit bereits genommen. Napoleon musste von einem Teil seiner Garde das Dorf erst wieder freikämpfen lassen. Zwei Bataillone drangen im Bajonettangriff in die Ortschaft ein und warfen die Preußen wieder hinaus. Von Grouchy, der den Preußen auf den Fersen bleiben sollte, war dagegen nichts zu sehen.
Inzwischen dezimierte Neys Artillerie aus den soeben gewonnenen Stellungen beiderseits von La Haye Sainte die Regimenter in Wellingtons Zentrum. Die aus Deutschen bestehenden Brigaden Kielmansegg und Ompteda wurden praktisch vernichtet. Es verging jedoch noch eine weitere Stunde, bis sich Napoleons Garde zum Angriff auf Wellingtons Stellungen formiert hatte. Der Herzog nutzte diese Zeit und zog Verstärkungen von seinem linken Flügel heran, wo sich inzwischen das Eingreifen von Ziethens I. Korps bemerkbar machte. Obwohl Napoleon immer noch elf Bataillone der Garde in Reserve hatte, verweigerte er Ney bei La Haye Sainte die sofortige Unterstützung. „Soll ich etwa Truppen herbeizaubern?“, ließ er in gespielter Entrüstung seinem Marschall antworten, der in zutreffender Beurteilung der Lage Verstärkung angefordert hatte. Erst gegen halb acht, als die Preußen wieder aus Plancenoit hinausgedrängt waren, befahl der Kaiser acht Bataillone seiner mittleren und alten Garde zum Angriff auf den rechten Flügel der Engländer, insgesamt 5000 Mann. Es war sein letzter Trumpf. Mehr konnte er von seiner bedrohten Ostflanke nicht abziehen. Zugleich sollten die Reste von d’Erlons Korps Wellingtons linken Flügel angreifen und binden. Wellingtons Front war inzwischen zum Zerreißen gespannt. Dasselbe galt allerdings auch für Napoleons rechte Flanke, gegen die nun drei preußische Korps drängten. Rechnet man diese Korps zu 70 000 Mann, die Reste von Wellingtons Armee nach beinahe acht Stunden Kampf zu bestenfalls 45 000 Mann 1 und die Franzosen zu 55 000 Mann 2, so hatte es Napoleon inzwischen mit einer doppelten Übermacht zu tun. Unter diesen Umständen noch einen Durchbruch zu wagen, war mehr als kühn. Der Korse hatte jedoch keine andere Wahl. Um politisch zu überleben, brauchte er unbedingt einen Sieg. Wellington musste geschlagen werden, noch ehe sich das Eingreifen der Preußen vollends auswirkte. Ein Rückzug auf sichere Stellungen an der Grenze hätte für ihn ebenso das Ende bedeutet wie die Katastrophe, in der innerhalb der nächsten Stunde seine Armee unterging.
Die Preußen greifen ein Es war Napoleons größter Irrtum zu glauben, dass Blücher sich nach seiner Niederlage nach Osten zurückziehen würde. Obwohl die preußischen Verluste bei Ligny fast so hoch gewesen waren wie neun Jahre zuvor in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, hatte sich Blücher nicht geschlagen gegeben. Verstärkt durch das noch nicht eingesetzte IV. Korps des Generals von Bülow, war er mit insgesamt drei Korps nach Westen marschiert, dem Donner der Geschütze entgegen. Anders als 1806, als nach einer einzigen Niederlage nicht nur die preußische Armee, sondern auch der ganze Staat, den Friedrich der Große 1786 hinterlassen hatte, zusammengebrochen war, suchten die Preußen jetzt eine zweite Chance. Vor dem frühen Abend konnte sich ihr Erscheinen jedoch kaum zugunsten Wellingtons auswirken.
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Maj. Gen. C. Halkett
Maj. Gen. Maitland
30th Btl.
1
75th Btl.
Ditmer
2
1 Ohain-Weg
71st Rgt.
33rd Rgt.
4
3rd Brig. ca. 2600 Mann*
5
1 1./3. Chasseurs
32nd Rgt.
Maj. Gen. Adam
3
69th Rgt.
s eur
ss
ha 3. C 2./
4
3 4. Grenadiers
Brüssel – Charleroi
1st Food Guard ca. 1500 Mann* 95th Rifles
Braunschweiger
5th Brig. ca. 1900 Mann
Reste Korps d’Erlon
La Haye Sainte
rs
seu
Schloss Hougoumont
as . Ch
4
Brigade Division Armee Korps
3 Das in zweiter Linie folgende 4. Grenadierbataillon der Garde
Napoleons Garde weicht zurück. 1 Zusammen mit den Resten des Korps d’Erlon
zwingt Halketts Regimenter zurück in ihre Ausgangsstellungen, wo
drängt das 3. Grenadierbataillon (möglicherweise * Stärkeangaben aus W. Siborne, Waterloo Campaign noch ein weiteres Bataillon) der mittleren Garde
sie sich nur mit Mühe gegen die neuen Angreifer halten können. 4 Auch Maitlands Brigade muss die Verfolgung des geschlagenen
0 500 die Braunschweigische Brigade über den 1000 Ohain-
1500
Weg zurück.
4. Jägerbataillon überstürzt in ihre Ausgangsstellung zurückziehen. Wellington
2000 m Gardebataillons abbrechen und sich vor dem nachrückenden
67 661 & 156 Kanonen
1a Etwa zur gleichen Zeit stoßen das 2. und 3. Jäger-
5 Das 52. Regiment der 3. Brigade von General Adam, die sich rechts
bataillon unmittelbar vor dem Ohain-Weg auf
von Maitland in Stellung befand, schwenkt beinahe im rechten
General Maitlands Brigade. Mehrere verheerende
Winkel nach vorn, um die linke Flanke der Garde zu gewinnen. Zu-
Salven der Briten kosten die überraschten Fran-
nächst können die Franzosen den Angriff abwehren. Als sich dann
zosen mindestens 300 Tote und Verwundete.
aber noch weitere britische Einheiten Adams Angriff anschließen
Maitlands Gegenangriff, an dem sich auch zwei
und die Garde auch im Rücken bedrohen, ist Napoleons Elitekorps
Regimenter (33. u. 69.) der links eingesetzten 5.
endgültig geschlagen. Der beinahe doppelten Übermacht können
Brigade General Colin Halketts beteiligten, treibt
die Angreifer nicht mehr standhalten. Der Ruf: „La Garde recule“
die Garde zurück in die Senke bei La Haye Sainte.
(Die Garde weicht) geht innerhalb weniger Augenblicke durch Na-
2 Die zunächst erfolgreichen Grenadierbataillone der Garde (1. und 3.) müssen vor der eilig herbei-
poleons gesamte Armee und bricht in kürzester Zeit ihren Widerstandswillen.
geführten niederländischen Brigade des Generals Ditmer nach verlustreichem Kampf ebenfalls in die Senke bei La Haye Sainte zurückweichen.
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des Generals Peregrine Maitland. Die Engländer hatten ebenfalls schwer unter dem französischen Artilleriefeuer gelitten und waren deshalb nur zu gern dem Befehl gefolgt, sich in einer leichten Vertiefung direkt hinter dem Ohain-Weg auf den Boden zu legen. Die angreifende Garde konnte sie deshalb zunächst nicht sehen, rechnete wohl auch kaum noch mit größerem Widerstand. Als die Franzosen jedoch nur noch 20 Schritte von der Straße entfernt waren, erhoben sich plötzlich Maitlands Männer wie eine Wand und eröffneten ein verheerendes Feuer. Der britische General schrieb später über diese Phase der Schlacht:
Der letzte Angriff der Kaiserlichen Garde Noch konnte ein einziger energischer Stoß gegen die britischen Garderegimenter alles wenden und die Versäumnisse und Irrtümer der letzten Tage und Stunden ungeschehen machen. Napoleons Nerven müssen aufs Äußerste gespannt gewesen sein, als er seine Garde persönlich etwa 600 Meter vor die gegnerischen Stellungen führte. Zwei Bataillone behielt er als Reserve zurück. Das Kommando über die übrigen fünf oder sechs Bataillone übergab er Ney. Der Marschall ließ die Bataillone von der Straße nach links in das offene Gelände zwischen Gut Goumont und dem eroberten Farmhaus schwenken. Die Franzosen marschierten in Kolonne. Zwei Kompanien an der Spitze bildeten eine Front von 70 Mann, drei Glieder tief, riesige Gestalten mit Bärenfellmützen und geschulterten Musketen, dahinter die beiden übrigen Kompanien des 1. Bataillons. Insgesamt waren es noch 4000 Mann, die meisten Veteranen mit jahrelanger Kriegserfahrung, die besten Soldaten Europas, denen noch nie ein Feind widerstanden hatte. Wie ein riesiges vorzeitliches Ungeheuer wälzte sich die Masse der dunkelblauen Grenadiere durch einen Schleier aus Rauch und Staub den Hang hinauf, den englischen Stellungen entgegen. Plötzlich zerfiel die Angriffskolonne in zwei Teile. Vielleicht waren die vorderen Bataillone, die dem Abwehrfeuer der englischen Geschütze am meisten ausgesetzt waren, schneller marschiert. Die schlechte Sicht erschwerte den folgenden Verbänden das Anschlusshalten. Die vorderen Grenadierbataillone hielten die alte Richtung, etwa 300 Meter neben der Hauptstraße von Chaleroi nach Brüssel, und warfen die Reste der Braunschweigischen Brigade über den Ohain-Weg zurück. Erst das Eingreifen von General Ditmers Belgisch-Niederländischer Brigade stoppte hier den französischen Angriff. Ungefähr zur selben Zeit stieß das erste der französischen Jägerbataillone 500 Meter weiter links auf die britische Stellung, die hier nach Süden auf Gut Goumont abknickte. Dort lag die Brigade
„Die Brigade litt unter dem feindlichen Artilleriefeuer, aber sie feuerte nicht, bis die Angriffskolonne näher herangekommen war. Nachdem die Garde zügig den Hang hinaufgekommen war, machte sie ungefähr zwanzig Schritte vor unserer vordersten Linie Halt.“ 3
Captain H. Weyland Powell von der 1st Food Guard der Brigade wusste auch den Grund für das Stocken des französischen Angriffs: „Plötzlich hörte das Artilleriefeuer auf, und als sich der Rauch verzog, bot sich uns ein grandioser Anblick. Eine dichte Kolonne von Grenadieren, ungefähr 70 Mann in der Breite, marschierte zügig mit dem Ruf ‚Es lebe der Kaiser‘ gegen uns vor. Sie waren etwa bis auf fünfzig oder sechzig Schritte herangekommen, als unserer ganzen Brigade befohlen wurde, aus ihrer Deckung aufzustehen. Ob es nun daran lag, dass so plötzlich und unerwartet ein ganzes Korps vor ihnen aufgetaucht war, wie aus dem Boden emporgewachsen, oder an der mörderischen Salve, die wir auf sie abfeuerten, die Garde, die nie zuvor versagt hatte, blieb plötzlich stehen.“ 4
Über die unmittelbar folgenden Ereignisse berichtete ein englischer Gardeoffizier: „Die französischen Kolonnen schienen wie vom Blitz getroffen. Die einen waren zum Vorrücken
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hatte Napoleon seinen angreifenden Bataillonen noch zurufen lassen, es sei Grouchy, der ihnen endlich zu Hilfe komme. Die dreiste Lüge hatte nicht lange Bestand. Die preußischen Geschütze, die nun das Feuer auf die Franzosen eröffneten, verkündeten eine andere Botschaft. Plötzlich gab es für die Franzosen kein Halten mehr. Eine wilde Flucht setzte ein. Wellington schwenkte seinen Hut und gab seiner Armee das Zeichen zum allgemeinen Vormarsch. Doch der Anblick seiner dezimierten Regimenter, die nur noch ein kurzes Stück vorrücken konnten, ehe sie ein Biwak auf dem Schlachtfeld bezogen, war alles andere als eindrucksvoll. Zuletzt bestimmten mehr und mehr die Preußen das Geschehen. Ihre hartnäckige Verfolgung machte aus der französischen Niederlage eine Katastrophe, in der Napoleons Armee beinahe vernichtet wurde. General Gneisenau, Blüchers Stabschef, schilderte in seinem Bericht kurz nach der Schlacht die Verfolgung der geschlagenen Franzosen:
entschlossen, andere blieben stehen und feuerten, und wieder andere, vor allem in der Mitte und weiter hinten, schienen kehrtzumachen. Als wir vorzurücken begannen, machten alle französischen Kolonnen kehrt und nahmen Reißaus.“ 5
Das Ende der kaiserlichen Armee Tatsächlich flohen die Soldaten der hintersten Glieder zuerst, obwohl sie der Gefahr am wenigsten ausgesetzt waren und bei dem die Sicht raubenden Pulverdampf der Gewehrsalven kaum eine zutreffende Vorstellung von dem gehabt haben konnten, was vorn wirklich geschah. Vielleicht war gerade diese Unkenntnis der Grund für ihre Panik. Jedenfalls traf General Maitland genau den richtigen Moment für seinen Gegenangriff. General Colin Hacketts 5th Brigade, die links Anschluss an Maitland hielt, schwenkte ein, um die Garde in ihrer rechten Flanke zu fassen. Die Franzosen wichen zurück in die Senke bei dem Gehöft La Haye Sainte, scharf verfolgt von Maitlands und Halketts Männern. Der überraschende Angriff von zwei weiteren französischen Gardebataillonen zwang die Engländer jedoch wieder in ihre Ausgangsstellungen zurück. Maitlands Brigade stellte sich in ihrer alten Stellung dem jetzt angreifenden 4. Jägerbataillon frontal entgegen, während die rechts von ihr befindliche 3rd Brigade des Generals Frederick Adam beinahe im rechten Winkel nach links einschwenkte, um die Flanke der Franzosen zu gewinnen. Dann geschah in etwa dasselbe, was dem zuvor angreifenden Gardebataillon zugestoßen war. Unter dem frontalen und flankierenden Feuer dreier englischer Brigaden kam auch dieser Vorstoß der Franzosen zum Stehen. Die hinteren Kolonnen lösten sich zuerst auf, und ein englischer Gegenstoß, wiederum im richtigen Moment, schlug die Angreifer vollends in die Flucht. Während Wellingtons Truppen hier die Franzosen aus eigener Kraft abwehren konnten, halfen auf ihrem linken Flügel jetzt die Preußen aus. Beim Anblick der blauen preußischen Kolonnen in der rechten Flanke von d’Erlons Korps
„Mit dem Rückzug des Feindes ging es noch so lange erträglich, bis das Dorf Plancenoit in seinem Rücken, das die Garden verteidigten, nach mehreren abgeschlagenen Angriffen und vielem Blutvergießen endlich mit Sturm genommen war. Nun wurde aus dem Rückzug eine Flucht, die bald das ganze französische Heer ergriff und immer wilder und wilder alles mit sich fortriss. Es war halb neun Uhr. Der Feldmarschall versammelte jetzt die höheren Offiziere, und befahl, dass der letzte Hauch von Mensch und Pferd zur Verfolgung aufgeboten werden sollte. Die Spitze der Armee beschleunigte ihre Schritte. Rastlos verfolgt, geriet das französische Heer bald in eine völlige Auflösung. Die Chaussee sah wie ein großer Schiffbruch aus. Sie war mit unzähligen Geschützen, Pulverwagen, Fahrzeugen, Gewehren und Trümmern aller Art wie besät, aus mehr als neun Biwaks wurden diejenigen, die sich einige Ruhe hatten gönnen wollen und keine so schnelle Verfolgung erwartet hatten, vertrieben; in einigen Dörfern versuchten sie zu widerstehen, doch so wie sie die Trommeln
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Napoleons Armee vor dem Zusammenbruch. Gegen acht Uhr abends war der Angriff der Garde gestoppt. Um Plancenoit in der rechten französischen Flanke wurde hart gekämpft. Im Norden schloss Ziethens I. Korps zu Wellingtons linkem Flügel auf. Nicht Grouchy, sondern die Preußen waren gekommen. Dann folgte ein weiterer Schrecken: Die Garde wich zurück! Der Ruf breitete sich rasend schnell aus. Dies war selbst für Napoleons sturmerprobte Soldaten zu viel. Wenige Minuten später war die ganze französische Armee auf der Flucht. Nur einige Bataillone der Garde hielten zunächst stand und bildeten Karrees, um den allgemeinen Rückzug zu decken.
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Napoleon in Fontainebleau am 31. März 1814 nach Empfang der Nachricht vom Einzug der Verbündeten in Paris, Gemälde von Paul Delaroche, 1840. Nach der verheerenden Niederlage von Waterloo musste er am 22. Juni 1815 erneut abdanken – am 15. Juli bestieg er das britische Kriegsschiff Bellerophon, das ihn zu seinem letzten Exil auf der Atlantikinsel St. Helena brachte.
und Flügelhörner hörten, flohen sie und warfen sich in die Häuser, wo sie niedergemacht oder gefangen wurden. Der Mond schien hell und begünstigte die Verfolgung. In Genappe hatte sich der Feind mit Kanonen, umgeworfenen Munitionswagen und Fahrzeugen verbarrikadiert; als wir uns näherten, hörten wir plötzlich ein Lärmen und Fahren im Ort, und erhielten zugleich
vom Eingang her ein starkes Gewehrfeuer, einige Kanonenschüsse, ein Hurrah, und die Stadt war unser. Hier wurde unter vielen Equipagen Napoleons Wagen genommen, den er soeben erst verlassen hatte, um sich zu Pferde zu werfen, und in welchem er in der Eile seinen Degen zurückgelassen und beim Herausspringen seinen Hut eingebüßt hatte.“ 6
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Die Reste der französischen Armee, gerade einmal 40 000 Mann mit 27 Geschützen, konnten sich erst hinter der Grenze wieder sammeln. Napoleon hatte die Schlacht verloren und auch sein Kaiserreich. Er hatte alles riskiert und bis zum letzten Augenblick seine Chance, Wellington isoliert zu schlagen, gesucht. 25 000 Franzosen waren tot oder verwundet. Wellingtons Armee verlor 15 000 und die Preußen 7000 Mann.
den Engländern bestieg er schließlich am 15. Juli das britische Kriegsschiff Bellerophon, das ihn zu seinem neuen Exil auf der Atlantikinsel St. Helena brachte. Nach jahrhundertelangen Auseinandersetzungen, die fast bis zur Schlacht von Hastings im Jahre 1066 zurückreichten, kämpften Franzosen und Engländer bei Waterloo zum letzten Mal in ihrer Geschichte gegeneinander. Mit seiner Niederlage bei Waterloo scheiterte Napoleons und Frankreichs europäischer Hegemonialanspruch endgültig. Zugleich endete auch die über 20 Jahre dauernde Epoche der Revolutions- und Koalitionskriege, in denen Frankreich seine Grenzen bis nach Lübeck und Kroatien hatte ausdehnen können. Auf dem Wiener Kongress vereinbarten die europäischen Mächte, auch unter Einschluss des besiegten Frankreichs, ein neues europäisches Gleichgewichtssystem, das trotz aller Kritik 50 Jahre Bestand haben sollte.
„In einer etwa fünf Quadratkilometer großen offenen, wasserlosen, baumlosen und praktisch unbewohnten Ebene, wo am frühen Morgen noch wogendes Korn gestanden hatte, lagen bei Einbruch der Nacht die Leiber von 40 000 Menschen und zehntausend Pferden, von denen viele noch lebten und schlimmste Qualen litten. Die Franzosen, die ihnen hätten helfen können, waren geflohen; viele Preußen waren ihnen hart auf den Fersen; wer von den Briten übriggeblieben war, besah sich das Spektakel und schloss die Augen. Sie wussten nur zu gut, wie wenig ein Regiment, das mit nur drei Truppenärzten in die Schlacht gegangen war, ein Drittel seiner Mannschaft verloren hatte und über keinerlei beräderte Transportmittel zur Evakuierung der schweren Fälle verfügte, zur Linderung der Not tun konnte.“ 7
Hintergrund
Grundelemente der Taktik im Zeitalter der Revolutionskriege Zur Zeit Napoleons beruhte die europäische Kriegsführung auf dem koordinierten Einsatz der drei wichtigsten Truppengattungen: Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Ein Angriff auf eine feindliche Stellung vollzog sich typischerweise in drei Phasen:
Drei Tage nach der Schlacht gelangte der Kaiser am 21. Juni wieder in die Hauptstadt, wo er verzweifelt versuchte, die Verteidigung gegen die beiden siegreichen alliierten Armeen zu organisieren. Immerhin war es Grouchy gelungen, sich unbeschadet vom Gegner abzusetzen, und in Paris selbst verfügte der Kaiser noch über die 70 000 Mann, die er unter dem Befehl des Kriegsministers Davout dort zurückgelassen hatte. Doch die feindliche Haltung der Abgeordnetenkammer machte ihm sofort klar, dass an einen weiteren Widerstand nicht mehr zu denken war. Napoleon musste am 22. Juni 1815 erneut abdanken und verließ eine Woche später Paris in Richtung Rochefort, wo er ein Schiff nach Amerika zu finden hoffte. Nach einigen Tagen der Verhandlung mit
1. Phase: Artillerievorbereitung und Annäherung Die Artillerie des Angreifers beschoss aus weiter Distanz (600 – 800 Meter) die Formationen des Gegners, um die Zahl seiner Schützen zu dezimieren. Sie musste dazu entweder an ihren eigenen Angriffskolonnen vorbei richten oder diese überschießen. Bei Waterloo versuchten Wellingtons Regimenter, die Wirkung dieses Beschusses zu mildern, indem sie entweder Hinterhangstellungen bezogen oder sich einfach hinlegten. Da Infanteriegeschosse ohnehin erst auf kürzeste Distanz wirkten, bedeutete dieses In-Deckung-Gehen keinen Verlust an Feuerkraft.
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Das Schlachtfeld heute. Löwendenkmal und Blick auf die Ebene von Waterloo.
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Bataillon in Linie Bataillonskarree
1. Kompanie
I. Kolonne
2. Phase: Kavallerieangriff
2. Kompanie
3. Kompanie
4. Kompanie
II. Kolonne 1. Bataillon (450 – 600)
1. Bataillon
35 Mann
Kompanie
Kompanie
Kompanie
100 – 140
Kompanie
Kompanie
Kompanie
4. Kompanie
2. Bataillon
3. Phase: Entfaltung
3 – 4 Glieder
2. Bataillon
1. Phase: Artillerievorbereitung
Schematische Darstellung des Angriffs einer Bataillonskolonne.
2. Phase: Einsatz der 3. Phase: Einbruch der Infanterie 0 Kavallerie 500 1000 1500 2000 m Um zu verhindern, dass die schmaleren AngriffsIm Schutz des Kavallerieangriffs verdoppelten die Wellington kolonnen vor dem Einbruch von der Schützenlinie67 661 &Angriffskolonnen ihre Breite. Die zwei hinteren 156 Kanonen * Stärkeangaben aus W.und Siborne, CampaignKompanien schlossen rechts und links auf. Nur des Gegners überlappt wurden soWaterloo in einen wenn die Angriffskolonnen auf einen erschütterFeuertrichter gerieten, begleitete Kavallerie die angreifende Infanterie. Sie sollte den Feind frühten Feind stießen, dessen Feuerkraft schon erzeitig aus seiner Deckung zwingen und ihn veranheblich vermindert war, bestand Aussicht auf Erfolg. Sonst mussten die vorderen Linien der Anlassen, Infanteriekarrees zu bilden. Nur in Karrees, in denen sich die vier Komgriffskolonnen durch eigenes Feuer den Feind panien eines Bataillons zur Rundumverteidigung niederkämpfen, was jedoch nur auf Kosten ihrer aufstellten, konnte die Infanterie einem KavalleAngriffsgeschwindigkeit geschehen konnte. Im rieangriff standhalten. ungünstigsten Fall waren die Angriffskolonnen Allerdings war so die feindwärts gerichtete gezwungen, ihren Vormarsch einzustellen und Feuerkraft eines Bataillons auf ein Viertel redusich auf kürzeste Distanz auf einen Feuerkampf ziert. Führte die angreifende Kavallerie Geschütze mit dem Gegner einzulassen, wobei sie wegen ihmit, die aus kürzester Distanz Kartätschfeuer (vierer schmalen Angriffsbreite nie so viele Gewehre le kleine Kugeln statt Vollkugeln) auf die Karrees wie der Feind einsetzten konnten. Genau daran abgeben konnten, wurde es für die verteidigende scheiterte bei Waterloo der Angriff der kaiserliInfanterie besonders kritisch. chen Garde. Es war Napoleons letzter Angriff.
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11 „Eisen und Blut“
Königgrätz 1866
Die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866, zeitgenössisches Gemälde von Christian Sell, Wehrgeschichtliches Museum, Rastatt.
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Königgrätz 1866
Der habsburgisch-preußische Dualismus
Otto von Bismarck – Der Konfliktminister
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ehr als ein Jahrhundert prägte der Gegensatz zwischen dem Habsburgerstaat Österreich und dem aufstrebenden Preußen die deutsche Geschichte. Begonnen hatte der Konflikt mit der Annexion des habsburgischen Schlesiens durch Friedrich den Großen im Jahre 1740. Nur die Erfolge Napoleons und die französische Besetzung fast ganz Deutschlands (1806 – 1813) hatten eine zeitweilige Allianz beider Staaten erzwungen. Schon bald nach dem gemeinsamen Sieg über den Korsen in den Befreiungskriegen brach der alte Gegensatz zwischen den beiden deutschen Großmächten wieder auf. Anstelle des 1806 erloschenen alten Reichs war auf dem Wiener Kongress (1814/1815) der Deutsche Bund gegründet worden, eine nur lose Vereinigung von 39 souveränen deutschen Staaten. Die zentrale Frage, die darum alle Deutschen spätestens seit der Revolution von 1848 bewegte, war die Einigung ihrer Nation, die allerdings nur unter Führung Preußens zu erwarten war. Das habsburgische Österreich, dem auch etwa zehn Millionen Deutsche angehörten, musste als Vielvölkerstaat dagegen die nationale Bewegung fürchten. Anfangs noch mit Unterstützung Russlands, beharrte es auf dem monarchischen Prinzip und sah überdies im Deutschen Bund ein willkommenes Instrument seiner Dominanz über Preußen und die übrigen deutschen Staaten. Preußens Monarch Friedrich Wilhelm IV. hatte zwar lange mit der von liberalen Kräften getragenen Einigungsbewegung geliebäugelt, da er sich von ihr einen Machtzuwachs versprach, mochte aber von der festen Überzeugung seines Gottesgnadentums ebenso wenig abrücken wie die übrigen Fürsten des Deutschen Bundes. Auch Wilhelm I., der seinem älteren Bruder 1858 als Regent und drei Jahre später als König folgte, sympathisierte mit der Einheitsbewegung, ließ sich aber mit den liberalen Kräften auf einen gefährlichen Konflikt ein, als er versuchte, die monarchische Verfügungsgewalt über das preußische Heer durch eine grundlegende Reorganisation zu festigen.
Allein seiner Bereitschaft, das traditionelle Vorrecht des Königs gegen die Machtansprüche der preußischen Fortschrittspartei mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, hatte von Bismarck im September 1862 seine Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten zu verdanken. Zum Entsetzen seiner alten Parteigänger schien er aber seit seinem Amtsantritt seinen scheinbar konservativen Überzeugungen untreu geworden zu sein. Sie hatten den Junker aus Pommern, der nach der Revolution von 1848/1849 dank seiner königstreuen und antirevolutionären Gesinnung als preußischer Gesandter in Frankfurt und Petersburg rasch politische Karriere gemacht hatte, falsch eingeschätzt. Bismarck war niemals bereit gewesen, die Interessen Preußens einer konservativen Solidarität der deutschen Fürsten zu opfern, zumal dann nicht, wenn diese fürstliche Solidarität die Vorherrschaft Österreichs im Deutschen Bund begünstigte. An General Albrecht von Roon, den preußischen Kriegsminister, schrieb er: „Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée 1, aber gegen alle anderen fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben.“
Preußen hatte nach Bismarcks Überzeugung nur die Wahl, sich an die Spitze der nationalen Einigungsbewegung zu stellen oder aber prinzipientreu unterzugehen. Die Alternative lautete: Revolution der Verhältnisse von unten durch das Volk oder von oben durch das preußische Königtum. Bismarck aber wollte lieber eine Revolution machen als sie erleiden. Die kleindeutsche Einigung unter Führung Preußens müsse und werde unzweifelhaft früher oder später geschehen, und daher sei es besser, wenn es jetzt unter einer konservativen und energischen preußischen Regierung geschehe, äußerte Bismarck in einem Brief an den preußischen Militärattaché in Wien, General Hans Lothar von Schweinitz. Dazu aber musste notfalls auch mit Österreich Krieg geführt werden.
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KGR. SCHWEDEN
KGR. DÄNEMARK
O
W
N
Kopenhagen
Ostsee
S
Flensburg
Nordsee
Schleswig
Schleswig
(Personalunion mit Dänemark)
Wilhelmshaven
Ghzm.
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Bremen Ghzm. Kgr. Oldenburg Hannover
(ab 1830)
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Ghzm. L u x . Trier
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(1839 belg .)
Koblenz
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Ghzm. Hzm. Hessen N a s s a u Frankfurt
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Augsburg München
(1860 an Frankreich)
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Tirol
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Genf Savoyen
Brünn
KAISERREICH ÖSTERREICH
Innsbruck
Bern
Mgft. Mähren
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Zürich
SCHWEIZ
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Salzburg
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Basel
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Sigmaringen
Freiburg
Elbe
Prag
u
Stuttgart
Straßburg KGR. F R A N K R E I C H Ghzm.
Schlesien
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Kgr. Württemberg
(1848 Rep., 1852 Kaiserreich)
Pilsen
Nürnberg
Speyer Metz
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Dresden
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Mainz G h z m .
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Verdun
Leipzig Weimar
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(zu Kaiserreich Russland)
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Kgr. Sardinien (ab 1861 Kgr. Italien)
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Kgr. Polen
Posen
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KGR. BELGIEN
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Posen
Halle
Kassel Kfsm. Hessen
Köln
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Frankfurt/ Oder
Magdeburg Dessau
Thorn
Bromberg
Warthe
Berlin
Potsdam
Braunschweig
KGR. PREUSSEN
Stettin
KGR. PREUSSEN
Hannover
Amsterdam
(1848 –1851 zum Deutschen Bund)
Pommern
Lübeck M e c k l e n b u r g Schwerin Schwerin Elb Neustrelitz e
Oldenburg
KGR. NIEDERLANDE
Rostock
Hzm. Holstein
(brit.)
Danzig
Rügen
Kiel
Helgoland
Aachen
Königreich Preußen Kaiserreich Österreich Grenze des Deutschen Bundes 1866
Dra
u
Mailand Sav e
Lombardo-Venezien (ab 1866 Kgr. Italien)
Parma
Venedig
Adria
Modena
0
50
100 150 km
Der deutsche Bund 1866. Im Krieg von 1866 stand
Am 16. Juni 1866 marschierten preußische Truppen
Preußen isoliert gegen Österreich und die Mehrzahl
in Hannover und Kurhessen ein und besetzten inner-
der Staaten des Deutschen Bundes. Trotz der feind-
halb von nur 14 Tagen fast ganz Nord- und Mittel-
lichen Übermacht war eine defensive Kriegsführung
deutschland bis zur Mainlinie. Noch während dieser
nicht möglich. Das preußische Staatsgebiet war in
Operationen marschierte die preußische Hauptarmee
einen westlichen Teil (Rheinprovinz und Westfalen)
am 22. Juni 1866 ins nördliche Böhmen ein, wo die
und die alten ostelbischen Gebiete gespalten und nur
Entscheidung des Krieges bei Königgrätz am 3. Juli
schwer zu verteidigen.
1866 fallen sollte.
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Um die politischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Waffengang gegen den übermächtigen Habsburgerstaat zu schaffen, hoffte Bismarck, die kleindeutsche Nationalbewegung und einen Teil der liberalen Opposition auf seine Seite zu ziehen. Seit seinem Amtsantritt im Jahre 1862 regierte er gegen eine Mehrheit der Liberalen im preußischen Abgeordnetenhaus, die jedem seiner Budgets bisher die Zustimmung verweigert hatte. Vor allem aber musste er die übrigen Staaten des Deutschen Bundes, besonders Hannover, Bayern, Hessen, Sachsen und Baden, wenigstens zu einer neutralen Haltung bewegen. Gleiches galt für das französische Zweite Kaiserreich, den ambitionierten Rivalen jenseits des Rheins. Es war klar, dass Napoleon III., ein Neffe des Korsen, in dem sich abzeichnenden Konflikt nur zu bald versuchen würde, als Vermittler aufzutreten, um Kompensationen für sein wohlwollendes Zusehen zu verlangen. Der Chef des Generalstabs, Helmuth von Moltke, forderte ein Bündnis mit Italien, um einen Teil der österreichischen Armee an einer zweiten Front zu binden. Es war das einzige Ziel, das Bismarck tatsächlich erreichte. Das neue Königreich im Süden ließ sich mit der Aussicht auf das damals noch habsburgische Venezien leicht ködern. Preußens Ministerpräsident hatte keine Bedenken, durch das am 8. April 1866 mit Italien geschlossene Bündnis, in dem sich die Vertragsparteien gegenseitige Hilfe zusicherten, falls einer von ihnen angegriffen würde, die Bundesakte zu verletzen. Bismarck brauchte nur noch einen Anlass, um Österreich in den Krieg zu zwingen. Den lieferte ihm der schwelende Konflikt um die gemeinsame Verwaltung Schleswig-Holsteins, das im Dänischen Krieg von 1864 von preußischen und österreichischen Truppen erobert worden war. Am 1. Juni 1866 übertrug Österreich dem Bundestag in Frankfurt die Entscheidung über die Verwaltung der norddeutschen Herzogtümer. Bismarck sah darin einen Bruch der Konvention von Gastein, in der sich ein Jahr zuvor Österreich und Preußen die Verwaltung der sogenannten Elbherzogtümer geteilt hatten. Österreich hatte damals Holstein
Otto von Bismarck (1815 – 1898). Preußischer Ministerpräsident und ab 1867 Kanzler des Norddeutschen Bundes. „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“ Bismarck begann 1866 einen nach seiner Überzeugung unvermeidlichen Krieg mit Österreich. Der Sieg bei Königgrätz war der erste Grundstein für die von vielen Zeitgenossen ersehnte deutsche Einheit. Aber zehn Millionen DeutschÖsterreicher wurden mit dem Jahr 1866 nach über 800 Jahren Zugehörigkeit aus dem Verband der deutschen Nation ausgeschlossen.
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erhalten und Preußen Schleswig und Lauenburg. Nun ließ der preußische Ministerpräsident kurzerhand das von Österreich verwaltete Holstein militärisch besetzen. Daraufhin beantragte Österreich am 11. Juni im Frankfurter Bundestag, das Bundesheer gegen Preußen zu mobilisieren.
war gespannt. Am 7. Mai 1866 war Bismarck sogar auf der Straße „Unter den Linden“ nur knapp dem Pistolenattentat des Studenten Ferdinand CohenBlind entgangen. Es war dem Leiter der preußischen Politik nicht gelungen, so resümiert Lothar Gall in seiner Bismarckbiografie, „den Ring der Feindseligkeit und Isolierung zu durchbrechen, der ihn und sein Ministerium nach wie vor umgab“. Nun hing der glückliche Ausgang seines Wagnisses allein von der Schlagkraft der preußischen Armee ab. Kaum war die Frist seines Ultimatums an Hannover, Hessen und Sachsen ohne Antwort abgelaufen, überschritten preußische Truppen am 16. Juni 1866 die Grenzen. Eine einzige preußische Division besetzte innerhalb weniger Tage Kurhessen und die hannoverische Armee kapitulierte am 29. Juni bei Langensalza in Thüringen, nachdem ihr der Fluchtweg nach Süden verlegt war. Bayern lehnte es ab, sich mit den Österreichern zu vereinen und wollte sich auf den Schutz der Mainlinie beschränken. Die sächsische Armee wich mit 32 000 Mann unter dem Befehl des Kronprinzen Albert vor der preußischen Übermacht nach Böhmen aus, wo sie sich nördlich der Iser, einem Nebenfluss der Elbe, dem österreichischen 1. Korps des Grafen Eduard von Clam-Gallas anschloss.
Preußens Krieg gegen die Mehrheit der deutschen Staaten In einer hastig einberufenen Versammlung am 14. Juni stimmte die Mehrheit für den Antrag. Im Auftrag Bismarcks erklärte der preußische Gesandte in Frankfurt den Bundesvertrag für gebrochen. An Hannover, Sachsen und Kurhessen erging ein kurz befristetes preußisches Ultimatum, sich in dem bevorstehenden Krieg für neutral zu erklären. Als der österreichische Kaiser Franz Joseph in einem Manifest den bedrohten deutschen Staaten sofort militärischen Beistand zusicherte, waren die Würfel für den Krieg gefallen. Preußen stand nun isoliert gegen Österreich und die Mehrzahl der deutschen Staaten. Tatsächlich war die Lage Preußens im Frühsommer 1866 noch ungünstiger, als Bismarck anfangs geglaubt hatte. In Geheimverhandlungen hatten die Österreicher inzwischen Venezien als Preis für Frankreichs Neutralität an Napoleon III. abgetreten. Italien würde somit im Kriegsfall kampflos in den Besitz dieser Provinz gelangen, was das Königreich als Alliierten beinahe wertlos machen musste. Gewann Preußen den Krieg gegen Österreich nicht in kürzester Frist, würde sich Frankreich nach der freiwilligen Abtretung Veneziens als Vermittler zugunsten Habsburgs einmischen und Kompensationsforderungen erheben, die Berlin kaum annehmen konnte. Bismarck musste sich eingestehen, dass seine diplomatischen Bemühungen zur Vorbereitung des Krieges im Wesentlichen gescheitert waren. Auch in Preußen war der Krieg gegen den österreichischen Bruderstaat höchst unpopulär. Nur mit Mühe hatte der Ministerpräsident seinen Monarchen, König Wilhelm I., zum offenen Bruch mit Österreich bewegen können. Die Stimmung in Berlin
Der „Deutsche Krieg“ auf böhmischen Boden Die habsburgische Nordarmee hatte sich zunächst im mährischen Olmütz versammelt. Das war eine günstige Stellung für den Fall, dass die Preußen aus Schlesien auf Wien vorstoßen sollten. Außerdem konnte man von dort aus auch einen direkten preußischen Vormarsch auf das habsburgische Kerngebiet in der Flanke bedrohen. Der Nachteil dieser defensiven Strategie war, dass Österreichs Verbündete in Deutschland entgegen der Versicherung des Kaisers sich selbst überlassen sein würden. Auf Drängen Franz Josephs I. begann die Armee am 18. Juni schließlich doch, von Olmütz an die Elbe vorzurücken. Schon Anfang Juni hatten die preußischen Korps auf fünf verschiedenen Eisenbahnlinien
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Vormarsch der Preußen Rumburg
Kämpfe mit den Österreichern
Vormarsch der I. Armee Friedland
Vormarsch der Elbarmee Reichenberg Liebau
Vormarsch der II. Armee
Liebenau
Elbe
Bonin
Iser
Hühnerwasser
Podol
Elb
Turnau
Münchengrätz
Eypel
Soor
Skolitz
Miletin
Nóchod Schweinschädel
Heritz Ise
r
Moldau
Sadowa
Smidar
Nechanitz Cidlina
Politz
Steinmetz
Königinhof
Gitschin
Gardekorps
Trautenau
e
Josefstadt Horschenowes Chlum Problus Königgrätz
Bistritz
Prag Elbe
Pardubitz
Der böhmische Kriegsschauplatz. Während des Feldzugs von 1866
Tasche hinein, deren Boden der Flusslauf zwischen
spielte die Elbe eine wichtige Rolle. In einem weiten Bogen durch das
Josefstadt und Pardubitz war. Auf ihrem Weg lagen
nördliche Böhmen vom Riesengebirge über Königgrätz, Theresien-
zwei rechte Nebenflüsse der Elbe, die Iser und die
stadt und Tetschen umfloss sie den zukünftigen Kriegsschauplatz.
Cidlina, die das Operationsgebiet in drei Abschnitte
Zwei preußische Armeen marschierten in diesen Bogen wie in eine
teilten.
ihre Versammlungsräume an der sächsischen Grenze, in der Lausitz und in Schlesien erreicht. Täglich rollten rund 40 Militärzüge. Allein zum Transport eines einzigen Korps waren 94 Züge erforderlich. Drei Armeen mit insgesamt 15 Divisionen und über 250 000 Mann waren schließlich in einem Halbkreis von etwa 400 Kilometern von der Elbe bis zur Neiße aufmarschiert und warteten auf den Befehl, sich durch einen konzentrischen Vor-
marsch in Nordböhmen zu vereinigen. Der begann jedoch nach langem Zögern König Wilhelms erst am 22. Juni 1866. Die preußische 1. Armee unter dem Oberbefehl des Prinzen Friedrich Karl, einem Neffen des Königs, verfügte über sechs Divisionen zu je zwei Brigaden und einer Kavalleriebrigade. Sie war 93 000 Mann stark und im Raum Görlitz-Lauban konzentriert. Im engen Zusammenwirken mit der schwä-
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cheren Elbarmee unter dem Befehl des schon 70-jährigen Generals Karl Eberhard Herwarth von Bittenfeld sollte sie die österreichische Armee in Böhmen möglichst frontal angehen und so lange binden, bis die preußische 2. Armee unter Kronprinz Friedrich Wilhelm aus Schlesien nahe genug herangekommen war, um den entscheidenden Flankenstoß zu führen. Mit vier Armeekorps zu je vier Brigaden war sie die stärkste der drei preußischen Armeen. Der Auftrag an den Kronprinzen und an Prinz Friedrich Karl lautete: Vereinigung beider Kräfte unter Einschluss der Elbarmee in Richtung auf die Stadt Gitschin (Gícín) zu suchen. Das Telegramm mit der Weisung aus dem Berliner Hauptquartier war von einem General unterzeichnet, der bis dahin in der preußischen Armee keine große Rolle gespielt hatte. Der Mann hieß Helmuth von Moltke und war schon 66 Jahre alt, als er nun dem Zenit seiner Laufbahn zusteuerte.
ehrfurchtsvoll der große Schweiger genannt wurde, für immer mit dem des preußisch-deutschen Generalstabs. Ende Juni 1866 war man allerdings in der preußischen Armee noch weit davon entfernt, die Anweisungen eines „Schreibstubengenerals“, der nie ein höheres Truppenkommando bekleidet hatte, kritiklos hinzunehmen. Erst am 2. Juni hatte König Wilhelm General von Moltke die Vollmacht übertragen, in seinem Namen den nachgeordneten Kommandobehörden, also den preußischen Armeen und Korps, Befehle zu erteilen. Noch während der Schlacht von Königgrätz wunderte sich ein Divisionskommandeur, als ihm eine Ordonnanz einen Gegenbefehl des preußischen Generalstabschefs überbrachte, ob denn dieser General Moltke überhaupt dazu berechtigt sei.3 Moltkes Plan war ehrgeizig und unkonventionell. Mit einer beidseitigen Umfassung wollte er den Feind von den Elbübergängen zwischen Josefstadt und Pardubitz abschneiden und nach Möglichkeit vernichten. Sein Grundgedanke: Alle Korps sollten sich erst auf dem Schlachtfeld vereinigen und so den strategischen Nachteil der Trennung in den taktischen Vorteil einer völligen Umfassung des Feindes verwandeln. Bis dahin aber konnten die Österreicher, wenn sie rasch genug agierten, jeweils die eine Hälfte der preußischen Armee angreifen, ohne dass ihr andere Teile direkte Unterstützung leisten konnten. Die Strategen nannten diese Möglichkeit der Österreicher, mit kurzen Märschen ihre gesamte Macht gegen einen Teil des Feindes zu dirigieren, den Vorteil der „Inneren Linie“. Besonders die weitab operierende 2. Armee des Kronprinzen konnte schnell in eine kritische Lage geraten, wenn die Österreicher ihre Spitzen beim Durchschreiten der Gebirgspässe von Schlesien nach Böhmen mit überlegenen Kräften angriffen. Der Erfolg der preußischen Strategie hing vor allem davon ab, dass alle Armeen zügig den Vereinigungspunkt erreichten und die Österreicher in Kämpfe verwickelten, die es ihnen erschwerten, ihre Truppen an einem Punkt zu konzentrieren. Prinz Friedrich Karl, der Oberbefehlshaber der
General von Moltkes gewagtes Konzept – Getrennter Anmarsch und vereintes Schlagen Moltke war Mecklenburger von Geburt, ein Wahlpreuße wie die Generäle Scharnhorst und Gneisenau. Seine Soldatenlaufbahn hatte er in dänischen Diensten begonnen, vier Jahre war er als Militärberater in der Türkei gewesen, ehe er über verschiedene Generalstabsverwendungen schließlich 1858 Chef des Generalstabs der Armee wurde.2 Als Gelehrter und Schriftsteller hatte er sich einen Namen gemacht und die Arbeit des preußischen Generalstabs reorganisiert. Aus einem Büro, das ursprünglich nur militärische Fachfragen bearbeiten sollte, formte Moltke eine Institution zur Leitung militärischer Operationen. Erste Erfolge als Chef des Generalstabs konnte er im Dänischen Krieg von 1864 verbuchen, als er nach einem vorübergehenden Stillstand der Operationen seinen Souverän zur Eroberung Jütlands und der Insel Alsen gedrängt hatte, was die Dänen, seine ehemaligen Dienstherren, endlich zur Kapitulation zwang. Aber erst die Siege von Königgrätz und Sedan verbanden den Namen Moltkes, der
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1. Armee, schien jedoch von Moltkes Plan wenig zu halten, vielleicht konnte er sich auch nicht vorstellen, dass ein gegen die militärische Regel der Kräftekonzentration verstoßender Plan überhaupt Erfolg haben konnte. Jedenfalls gefährdete der schleppende Vormarsch seiner Armee Moltkes Planungen erheblich. Schon am 25. Juni hätten Friedrich Karls Truppen die Stadt Gitschin besetzen müssen, tatsächlich aber legten sie an diesem Tag eine Ruhephase ein und trafen erst vier Tage später dort ein. Moltke drängte den Prinzen wiederholt zur Eile. „Seine Majestät erwarten, dass die Erste Armee durch beschleunigtes Vorrücken die Zweite Armee degagiert [entlastet].“
Durchbruch der Kronprinzenarmee nach Böhmen Zuletzt griff sogar König Wilhelm persönlich ein. „Vormarsch auf Gitschin noch heute“, befahl er seinem Neffen am 29. Juni und forderte: „Sofort Antwort!“ Doch der bedrängte Prinz fürchtete, südlich der Iser auf die gesamte österreichische Armee zu treffen, und war deshalb bemüht, seine Truppen zusammenzuhalten. Erst die Nachrichten von den schweren Kämpfen der 2. Armee zeigten, dass seine Sorge unbegründet war. Die österreichischen Korps kämpften nun doch an anderer Stelle. Am 27. Juni hatte zunächst ein österreichisches Korps die Spitzen der Kronprinzenarmee bei Nachod und Trautenau angegriffen und das preußische I. Korps zum Rückzug über die Gebirgspässe gezwungen. Die Preußen wichen zurück, obwohl die Verluste der Österreicher mit 4800 Mann mehr als dreimal so hoch waren wie die eigenen von ca. 1300 Mann. Erfolgreicher als das I. Korps war das preußische V. Korps des Generals Karl Friedrich von Steinmetz bei Nachod. Zum ersten Mal zeigte hier die hohe Schussfolge des preußischen Zündnadelgewehrs ihre verheerende Wirkung auf den in dichten Kolonnen angreifenden Gegner. Eine preußische Füsilierkompanie hatte innerhalb von nur einer halben Stunde 5700 Patronen abgefeuert, was einen Durchschnitt von etwa 30 Schuss je Mann ausmachte.
Helmuth Graf von Moltke als Chef des Generalstabs der preußischen Armee. „Der Vorteil Preußens besteht in der Initiative. Wir können unsere Streitkräfte schneller aufstellen als alle unsere deutschen Gegner. Der Erfolg beruht ganz allein auf dem sofortigen und rücksichtslosen Gebrauch derselben.“ Der Chef des preußischen Generalstabs war erst am 2. Juni 1866 vom König dazu ermächtigt worden, den selbstbewussten und allmächtigen preußischen Armeekommandeuren Befehle zu erteilen.
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Schon gegen Ende der 1820er-Jahre waren preußische Offiziere auf die Gewehre mit der neuartigen Zündtechnik aufmerksam geworden, die der Konstrukteur Nikolaus Dreyse in seiner Fabrik im thüringischen Sömmerda entwickelt hatte. Dreyse hatte Bleigeschoss, Pulver und Zündpille in einer Papierpatrone zusammengefasst und zündete sie mithilfe eines länglichen Bolzens von der Größe einer Stricknadel, der durch eine Spiralfeder in Spannung gehalten wurde.
Die preußische Wunderwaffe aus Thüringen Nachdem 1831/1832 mehrere Versuche der Armee mit dem damals noch glatten Vorderlader erfolgreich verlaufen waren, wurden 1835 die ersten beiden preußischen Füsilierbataillone mit dem neuen Gewehr ausgerüstet. Bereits im August 1836 verbesserte Dreyse seine ursprüngliche Erfindung, indem er ein Gewehr mit vier Zügen entwickelte, das mit einer beweglichen Kammer erstmals von hinten zu laden war. Die hohe Schussfolge wie auch die erstaunliche Treffsicherheit bewährten sich in einem weiteren größeren Truppenversuch, den die preußische Armee 1839/1840 durchgeführt hatte. Dies bewog den neuen König Friedrich Wilhelm IV., am 4. Dezember 1840 einen Kontrakt über die Lieferung von 60 000 Zündnadelgewehren für die preußische Armee abzuschließen. Aus Sicherheitsgründen erhielt das neue Gewehr zunächst die unverfängliche Tarnbezeichnung: „Leichtes Perkussionsgewehr / I. P.G. M-41“. Bis zum Jahre 1848 waren die ersten Gewehre an die preußische Armee geliefert worden, die per Kabinettsordre vom 15. April des gleichen Jahres an das preußische 1. und 2. Garderegiment zu Fuß, das Gardereserveregiment sowie an zunächst drei Füsilierbataillone ausgegeben wurden. Bis 1858 war die neue Waffe mit Ausnahme weniger Einheiten an die gesamte preußische Infanterie ausgegeben. Dass es ihr auf den Schlachtfeldern Böhmens kaum eine Dekade später so entscheidende Vorteile verschaffen sollte, ahnten dennoch wohl nur wenige Offiziere.
Zündnadelgewehr. Zündung der Patrone durch eine vorschnellende Nadel; erfunden von Nikolaus von Dreyse.
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Treffen auf dem Schlachtfeld von Königgrätz, Gemälde, um 1885, von Emil Hünten, Deutsches Historisches Museum, Berlin. Der preußische König Wilhelm und sein Sohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm.
Erfolgs von Steinmetz rechneten der Kronprinz und sein Stab für den nächsten Tag mit einer kritischen Situation. Die beiden angeschlagenen österreichischen Korps schienen durch ein drittes Korps verstärkt zu werden. Da das I. Korps der Kronprinzenarmee wieder zurückgegangen war, stand das bei Nachod siegreiche V. Korps allein gegen eine fast dreifache österreichische Übermacht.
Das dichte Feuer der preußischen Schützenlinien riss in die massierten österreichischen Bataillone, die mit aufgepflanzten Bajonetten die preußischen Stellungen bei Nachod und Trautenau attackierten, gewaltige Lücken. Mit einem Verlust von über 7300 Mann, das war ein Viertel ihres Mannschaftsbestands, wurden die Brigaden des österreichischen VI. Korps abgeschlagen und mussten sich auf Skalitz zurückziehen. Trotz des
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Doch die Österreicher nutzten ihre Chance nicht. Sie wichen weiter aus, um sich mit der Hauptarmee zu vereinigen. Am 28. Juni nahm General von Steinmetz das nur von einer Nachhut verteidigte Skalitz. Am selben Tag siegte das preußische Gardekorps bei Soor. Der Weg für die übrigen Korps der Kronprinzenarmee war endgültig frei. Inzwischen schien auch Friedrich Karl Mut gefasst zu haben. Mit zwei Divisionen seiner Armee griff er am 29. Juni die Stadt Gitschin an und konnte sie nach wechselvollen Kämpfen gegen die Sachsen des Kronprinzen Albert und die Österreicher des I. Korps nehmen. Es war Mitternacht, als das sächsische Korps sich geschickt vom Feind löste und den Rückmarsch zur Elbe antrat. Der Rückzug der Österreicher artete jedoch in eine regelrechte Flucht aus. Aus Sorge vor einer scharfen Verfolgung durch die preußische Kavallerie trieb der Befehlshaber des Korps, Feldmarschall-Leutnant Eduard Graf ClamGallas, seine Leute zu äußerster Eile an. Demoralisiert und in völliger Unordnung traf sein Korps einen Tag später bei der Hauptarmee an der Elbe ein. Nach den erfolgreichen Gefechten bei Skalitz, Soor und Gitschin hatten die Preußen plötzlich die Fühlung mit dem Feind verloren. Wo die österreichische Hauptarmee stand, wussten am 1. Juli weder der Armeebefehlshaber Friedrich Karl noch der preußische Generalstabschef. Offenbar befanden sich die österreichischen Korps in vollem Rückzug. Moltkes Hoffnung, die Masse des Feindes noch vorwärts der Elbe zu schlagen, schien sich nicht zu erfüllen. Am Abend des 2. Juli wurde der General jedoch spät gegen 23 Uhr in seinem Quartier in Gitschin geweckt. Preußische Spähtrupps hatten jenseits der Bistriz mindestens drei feindliche Armeekorps erkannt. „Diese Nachricht beseitigte alle Zweifel und nahm mir einen Stein vom Herzen”, schrieb der preußische Generalstabschef später. „Denn nichts konnte mir erwünschter sein, als dies freundliche Entgegenkommen der Österreicher.“ Mit einem „Gott sei Dank“ sprang er aus seinem Bett und eilte über den Marktplatz ins Quartier des Königs. Nun war es klar: Die Österreicher stellten sich
noch vorwärts der Elbe zum Kampf. Am nächsten Tag würde jene Schlacht geschlagen, die er seit dem ersten Tag des Feldzugs geplant hatte. Friedrich Karls Armee hatte den Feind direkt anzugreifen und ihn zu binden, während die Elbarmee im Süden und die Armee des Kronprinzen im Norden gegen die Flanken des Feindes vorgingen. An den preußischen Kronprinzen erging noch in der Nacht folgende Weisung: „Den bei der ersten Armee eingegangenen Nachrichten zufolge ist der Feind in der Stärke von drei Korps, die jedoch noch weiter verstärkt werden können, bis über den Abschnitt der Bistriz bei Sadowa vorgegangen und ist dort ein Renconter [Treffen] mit der Ersten Armee morgen in aller Frühe zu erwarten. [...]. Eure Königliche Hoheit wollen sogleich die nötige Anordnung treffen, um mit allen Kräften zur Unterstützung der Ersten Armee gegen die rechte Flanke des voraussichtlichen Anmarsches vorrücken zu können und dabei sobald als möglich einzugreifen.“ 4
Der Kaiser drängt zur großen Schlacht Der klaren strategischen Konzeption, mit der Moltke seine Armeen lenkte, hatten die Österreicher nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Der Befehlshaber der österreichischen Nordarmee, Moltkes Gegenspieler, war Feldzeugmeister Ludwig Ritter von Benedek. Als Kommandeur eines Korps im italienischen Krieg von 1859 hatte er sich hervorragend bewährt. In der Truppe war Benedek beliebt. Mit der Führung der ganzen Armee fühlte er sich jedoch überfordert. An einen befreundeten General schrieb er im Mai 1866, nach seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber an der nördlichen Front: „Du und vielleicht alle guten Österreicher erwarten zu viel von mir. Ich habe es wahrhaft nicht ambitioniert, am späten Abend meines immer angestrengten Soldatenlebens noch eine so große Verantwortung zu übernehmen.“ 5
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Benedeks Feldzugsplanung ist oft als unentschlossen kritisiert worden. Eher gedrängt als aus Überzeugung hatte er mit der Armee die Olmützer Stellung aufgegeben und war nach Böhmen marschiert. Wie ein Vorwurf an den Kaiser klingt es später in seinem Rechenschaftsbericht.
unmöglich!“, lautete die telegrafische Rückantwort. „Ist eine Schlacht geschlagen worden?“6 Bewog nun gerade dieser Nachtrag Benedek dazu, doch noch eine Schlacht anzunehmen, da man ja wohl ohne Schlacht nicht Frieden schließen durfte, oder war es der aufgrund des Ruhetags sichtbar verbesserte Zustand seiner Armee, der ihm die alte Zuversicht wiedergab? In jedem Fall spielte Benedek mit seinem Entschluss zur Schlacht den Preußen in die Hände. Bismarcks politisches Kalkül beruhte allein auf einem schnellen und eindeutigen militärischen Erfolg über die Österreicher. Nur so war auch der Krieg rasch zu beenden und die Einmischung anderer Mächte zu vermeiden. Ein Rückzug der österreichischen Armee hinter die Elbe und weiter nach Mähren hätte seinen Plan ernstlich gefährdet. Aber Benedek schien entschlossen, noch vor der Elbe mit der gesamten Armee gegen die Preußen zu kämpfen. Allerdings eignete sich die gewählte Stellung wegen der Elbübergänge im Rücken kaum für eine Verteidigungsschlacht. Offensichtlich ging Benedek davon aus, genug Zeit zu haben, die 1. Armee des Prinzen Friedrich Karl zu schlagen, ehe die Armee des Kronprinzen ihr zu Hilfe kommen konnte. Die österreichischen Stellungen zwischen den Ortschaften Problus im Süden und Lipa im Norden beherrschten das Tal der Bistriz. Die Artillerie war eingeschossen. Zusammen mit den Sachsen waren die Österreicher den hinter der Bistritz stehenden Preußen numerisch deutlich überlegen. Der Sieg der Südarmee über die Italiener bei Custozza nur eine Woche zuvor hatte die Stimmung der Truppe sichtbar gehoben. Wenn überhaupt, dann war nur hier, noch vor der Elbe, ein Erfolg gegen die Preußen möglich. Für den Fall, dass die Truppen des preußischen Kronprinzen vorzeitig in die Schlacht eingriffen, befahl Benedek seinem II. und IV. Korps Stellungen, die im rechten Winkel zur Front der fünf übrigen Korps verliefen. Das I. und VI. Korps und die Kavallerie behielt Benedek in Reserve, um mit ihnen im günstigsten Augenblick den entscheidenden Schlag gegen die preußische 1. Armee zu führen.
„Ich ließ mich leider verleiten, früher aufzubrechen als noch alles geordnet und in Nähe war. Somit kam ich zu spät und doch überstürzt nach Josefstadt [a. d. Elbe].“
In seiner Meldung an den Generaladjutanten des Kaisers vom 20. Juni erschien er wieder recht ratlos. In der Stellung bei Josefstadt angelangt, beabsichtige er nun, nach einem unumgänglich nötigen Stillstand von einigen Tagen, die Offensive zu ergreifen. Die Richtung aber, wohin diese geführt werde, vermöge er allerdings noch nicht näher zu bestimmen, da sie von Umständen und insbesondere von der Aufstellung der Preußen abhängig sei. Der Wiener Hof erwartete eine kräftige Offensive von der Nordarmee, doch der Generalfeldzeugmeister war nicht der Mann, diesen überzogenen Ansprüchen entgegenzutreten. Nur zehn Tage später konnte von einer Offensive keine Rede mehr sein. In den Schlachten bei Nachod, Trautenau, Soor, Skalitz und Gitschin war mehr als die Hälfte der österreichischen Korps schwer angeschlagen worden. Die Verluste von über 30 000 Mann ließen Benedek vollends an einem erträglichen Abschluss des Feldzugs zweifeln. Die Reste seines I. Korps waren nach ihrem überstürzten Abzug aus Gitschin in einem erschreckenden und desolaten Zustand bei der Hauptarmee an der Elbe eingetroffen. Die Moral der Truppe war angeschlagen. Der Satz: „Gegen das Zündnadelgewehr ist nicht anzukommen“, war in der Armee inzwischen stereotyp geworden. Deprimiert telegrafierte Benedek am 1. Juli an den Kaiser in Wien: „Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis Frieden zu schließen. Katastrophe für Armee unvermeidlich.“ Erwartungsgemäß lehnte der Kaiser den Vorschlag seines Feldzeugmeisters ab. „Einen Frieden zu schließen
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Plötzlich schien aufseiten der Österreicher die alte Zuversicht wieder zurückgekehrt zu sein. Am Morgen ritt Benedek die Reihen seiner Armee ab. Den Offizieren der Regimenter rief er in seiner gewohnten Art Grüße und raue Scherzworte zu, während die Musik spielte und die Männer in Hochrufe ausbrachen. Eine Fröhlichkeit erfasste die Armee, als ob nicht eine Schlacht bevorstünde, sondern ein Fest mit Wimpeln, Fahnen und weißen Fräcken.
Verheißungsvoller Auftakt für die Österreicher – Der preußische Angriff läuft sich fest Morgens um sechs Uhr hatten Friedrich Karl und sein Stab von einer Anhöhe bei der Ortschaft Dub das gesamte Panorama der österreichischen Heeresmacht in Augenschein genommen. Vor ihnen fiel das Gelände zur Bistritz ab. Im Talgrund an der Chaussee von Gitschin nach Königgrätz lag Sadowa mit seinen Holzhäusern inmitten von Obstgärten, dazu einige Wassermühlen und eine Zuckerfabrik. Dahinter breitete sich am ansteigenden Hang ein mächtiger Wald aus, der Holawald genannt wurde. Seine Ränder hatten die Österreicher mit Flechten verstärkt und verbarrikadiert. Jenseits des Holawalds lag auf einer Anhöhe die Ortschaft Lipa mit ihrem Kirchturm, der das Zentrum der österreichischen Stellungen überragte. 240 österreichische Geschütze waren hier auf das Tal der Bistritz gerichtet. Der Kampf begann um acht Uhr, als Friedrich Karl vier seiner Divisionen die feindlichen Vorposten im Bistritztal angreifen ließ. Erst zwei Stunden später wichen die Österreicher auf ihre Hauptstellungen um Lipa aus. Die Infanterie der 3. Division folgten ihnen die Anhöhe hinauf, bis sie das Feuer aus Dutzenden von österreichischen Geschützen zu Boden zwang. Links daneben gerieten die preußische 4. und 8. Division in den Holawald und wurden gleichfalls übel zugerichtet. Der Wald bot kaum Schutz gegen das verheerende österreichische Artilleriefeuer von den beherrschenden Höhen, ebenso wenig die Häuser der angrenzenden Ortschaft Ober-Dohalitz. Ein preußischer Grenadier berichtete später:
Ludwig Ritter von Benedek (1804 – 1881), Lithografie, 1865, von Josef Kriehuber. Am 26. Juli 1866 verabschiedete sich Benedek von seinem Stab und stellte sich einer Untersuchungskommission, die seine Schuld an der Niederlage von Königgrätz überprüfen sollte. Er nahm alle Verantwortung für die Niederlage auf sich. „Alle Dispositionen im abgewichenen Teile des ungeschickt geführten Feldzuges sind teils von mir unterschrieben, teils in meinem Namen erlassen worden, sonach trifft mich die alleinige Schuld.“ Kaiser Franz Joseph verfügte am 4. Dezember 1866 die Einstellung des Verfahrens und bestätigte Benedeks Versetzung in den Ruhestand. Eine später angebotene Rehabilitation lehnte der Feldzeugmeister ab.
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nen ritt auf einem müden mageren Pferde ein krummer Vizefeldwebel mit verbundenem Kopf und einer Brille; als sie uns sahen, blieben die Leute stehen und nahmen Gewehr ab; der Anblick des Königs brachte aber nicht den geringsten Eindruck auf sie hervor. Nun kamen ihrer immer mehr, darunter auch Offiziere, sie ließen die Köpfe hängen, keiner sprach ein Wort, niemand gab ein Kommando, von taktischer Ordnung war keine Spur mehr vorhanden. Der ergrimmte alte König herrschte die Maroden an, wie sie sich unterstehen könnten, ohne Befehl zurückzugehen. Mir rief er zu: ‚Bringen Sie die Leute in Ordnung!‘ Indessen wandte er sich zu den Offizieren und sagte ihnen Worte, die mir hart erschienen, die aber nicht ohne Wirkung blieben. Die Offiziere führten ihre Leute wieder gegen den Feind; ich sah ihnen lange nach, wie die guten kleinen Bauernjungen, die Helme schief oder halb im Nacken sitzend, dem Wald zu wankten, in welchem alle Stämme krachten und splitterten.“ 8
„Die Vollgranaten schlugen durch die Lehmwände wie durch Pappe. Wir zogen uns links in den Wald hinein, aber hier war es nicht besser; Zacken und mächtige Baumsplitter flogen um uns her. Zuletzt kam es wie Apathie über uns. Wir zogen unsere Uhren und zählten. In zehn Sekunden krepierten vier Granaten und ein Schrapnell dicht vor uns. Wenn ein Schrapnell in der Luft krepiert, so prasselt es wie Hagel auf die Erde nieder, und in der Luft steigt ein schöner Ring von Rauch auf, immer mehr sich erweiternd, bis er verfließt. Jeder fühlte, er stehe in Gottes Hand.“ 7
Gegen elf Uhr war klar, dass sich der preußische Angriff im Zentrum festgelaufen hatte. Für Moltke, der im Gefolge des Königs das blutige Ringen von der Anhöhe bei Dub verfolgte, war dies jedoch noch lange keine Katastrophe. Der scheinbare Misserfolg der vorn eingesetzten Divisionen deckte sich sogar vollkommen mit seinem Auftrag an die 1. Armee. Prinz Friedrich Karl sollte die Österreicher in einer „Gesamtschlacht“ halten. Die Entscheidung des Tages musste nach Moltkes Plan auf den Flügeln fallen. Den preußischen Infanteristen im österreichischen Artilleriefeuer hätte diese Erkenntnis, wäre sie ihnen zugänglich gewesen, allerdings wenig geholfen. Fest an den Boden gepresst, seit Stunden zur Bewegungslosigkeit verurteilt, harrten sie in dem Granathagel aus, der von den Lipaer Höhen auf sie niederging. General von Schweinitz hatte sich während der Schlacht in der Nähe König Wilhelms aufgehalten. Gegen Mittag beobachtete er einen Vorgang, der an diesem Tag kein Einzelfall bleiben sollte:
Einzig der preußische Generalstabschef bewahrte unter diesen Umständen die Ruhe. Dem Prinzen Friedrich Karl, der mit seiner Nebenrolle des bloßen Festhaltens des Feindes in Front alles andere als zufrieden war und selbst mit seiner Armee die Entscheidung der Schlacht erzwingen wollte, musste Moltke befehlen, zwei schon zum Angriff angesetzte Divisionen seiner Reserve zurückzubeordern. Es hatte keinen Sinn, frische Truppen in die Feuerhölle zu schicken, solange die vorn eingesetzten Kräfte ihre Aufgabe erfüllten und die Österreicher festhielten. Trotz aller Zuversicht, die in Haltung und Äußerungen des Generalstabschefs zum Ausdruck kam, hätte niemand aus der Umgebung des Königs leugnen wollen, dass die Lage im Zentrum der Schlacht kritisch war. Auch auf den beiden Flügeln, die nach Moltkes Plan der preußischen 1. Armee Entlastung und Sieg bringen sollten, bot sich gegen Mittag kein erfreuliches Bild. Von der Kronprinzenarmee im Norden war weit und breit noch nichts zu sehen. Im Süden tat sich die Elbarmee schwer gegen die Sachsen. General Herwarth
„Als wir so dastanden, sahen wir aus dem vor uns liegenden Wald [Holawald] erst einzelne Leute, dann lange dünne Reihen heraus auf uns zukommen; nicht fliehend, aber völlig erschöpft, apathisch kehrten diese Trümmer verschiedener, fast aufgeriebener Truppenteile aus jener Hölle zurück, in der sie gegen die dreifache Übermacht stundenlang ausgehalten und fast alle ihre Führer verloren hatten. Zuerst kam ein langer Zug solcher todmatten Leute, hinter ih-
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Benatek
Ratschitz
7. Div.
tina Tro
8.
pr. 1. Armee
Swiepwald Sadowa
Unter Donalitz
Maslowed
Cistowes Holawald
4.
Ob. Donalitz
3.
Makrowous
Sendrositz
ö. III. A.K. Lipa
ö. IV. Armee Korps Chlum
ö. II. A. K.
na ch Jo se fs ta dt
Dub
Horschenowes
Trotina
Elbe
Nedelist
Lochenitz
1. s. Langenhof
ö. X.
14. Div. 16. Div.
Bis
1.Kav. Div.
2. leichte Kav. Div. Predmeritz
ö. IV. 3. s. ö. I. A. K.
Artillerie Reserve
tri
tz
Streselitz
Rosberitz
Rosnitz Problus
Lubno
Sächs. Armee Korps
Nechanitz
Bar
Oberprim
pr. Elbarmee
ö. VIII. A.K.
15. Div.
2. schwere Kav. Div. 1. leichte Kav. Div.
Hradek
Königgrätz
h nac 0
1
2
3
4
itz dub Por
5 km
Kuklena
Angriff auf das Zentrum der Österreicher. Am Morgen des 3. Juli befahl Prinz Friedrich Karl seiner Armee den Angriff auf das Zentrum der Österreicher beiderseits Lipa. Im Norden drang die 7. Division des Generals von Fransecky in den Swiepwald ein und zog die Brigaden des II. und IV. Österreichischen Korps auf sich. Diese Bewegung führte zur der die Schlacht entscheidenden Entblößung des österreichischen Nordflügels.
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von Bittenfeld fürchtete, abgeschnitten zu werden, falls die Österreicher im Zentrum siegten, und hatte daher erst eine Division über die Bistritz gebracht. Das reichte allerdings nicht, um die Sachsen zu schlagen. Als einzigen Erfolg konnten die Preußen das Vordringen der 7. Division des Generals Eduard von Fransecky am linken Flügel der 1. Armee verbuchen. Fransecky hatte mit seiner Division den Auftrag, links Anschluss an die Armee des Kronprinzen herzustellen, sobald diese auf dem Schlachtfeld eintraf. Fransecky war Generalstabsoffizier und führte erstmals in seiner Laufbahn einen großen Verband. Moltkes Plan hatte er jedoch besser verstanden als manch anderer preußischer Truppenführer. Über Benatek griff er energisch den Swiepwald an, den rechten Eckpunkt der österreichischen Stellung. Es musste der Kronprinzenarmee die Aufgabe erleichtern, wenn der Wald in preußischer Hand war. Franseckys Truppen vertrieben die Österreicher des IV. Korps aus dem Wald. Wie so oft, kam zu diesem Erfolg noch ein anderer hinzu. Auch die weitsichtigste Planung hätte nicht darauf bauen können, dass die Österreicher am Nordflügel nun einen die Schlacht entscheidenden Fehler begingen. Die beiden zum Schutz gegen die Kronprinzenarmee im Norden eingesetzten österreichischen Korps gaben angesichts der bedrohlichen Entwicklung im Swiepwald ihre Stellungen auf und griffen die dort eingedrungenen Preußen an. Im Lauf des Vormittags schickten die beiden kommandierenden Generäle Tassilo Graf von Festetics und Karl Graf von Thun-Hohenstein eine Brigade nach der anderen in den Kampf um das zwei Quadratkilometer große Waldstück. Zuletzt kämpften 40 österreichische Bataillone gegen 14 preußische der 7. und 8. Division. Den dreifach überlegenen Österreichern glückte es schließlich, den Wald fast vollständig zurückzuerobern. Dieses Eingreifen schien durchaus im Sinne der Armeeführung, denn der geplante Angriff des österreichischen Zentrums auf die preußische 1. Armee konnte nur dann erfolgreich sein, wenn der Swiepwald in eigener Hand war. Gelang es aber, diese Kräfte früh-
zeitig zu schlagen, bildete auch ihre 2. Armee im Norden keine Gefahr mehr. Der bisherige Verlauf der Schlacht schien den beiden österreichischen Generälen Recht zu geben. Die Preußen lagen fest und verbluteten vor dem österreichischen Zentrum. „Um diese Zeit – halb zwei Mittags – ging alles gut“, notierte der prominente Kriegskorrespondent der Londoner Times, William Howard Russel, der schon von der Krim und aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg berichtet hatte und sich jetzt bei Benedeks Stab in Lipa aufhielt. „Die Preußen schienen sich zurückziehen zu wollen; die [österreichische] Infanterie war in bester Stimmung, die Kavallerie fast unberührt und in der Nachhut stand eine Artilleriereserve, die, wie es schien, vollkommen genügen würde, um alle Hindernisse zu überwinden, sodass als dann nichts weiter zu tun wäre, als mithilfe der Kavallerie den ohnehin schon erschöpften Feind vollständig zu zerstreuen.“
Die Armee des Kronprinzen entscheidet die Schlacht Aber Benedek zögerte mit dem Angriff, obwohl ihn seine Kommandeure bedrängten, nun endlich seine beiden noch verfügbaren Korps gegen die preußische 1. Armee einzusetzen. Wertvolle Zeit verstrich, und niemand in Benedeks Umgebung hatte noch eine Erklärung für das Warten ihres Oberbefehlshabers. Schon gegen halb zwölf hatte der Generalfeldzeugmeister die Meldung aus Josefstadt erhalten, dass die Kronprinzenarmee nach Süden in seine Flanke marschiere. Mit Entsetzen musste Benedek nun die Entblößung seiner Nordflanke registrieren. Den Generalen Thun und Anton von Mollinary, der inzwischen an die Stelle des verwundeten Festetics getreten war, befahl er, sofort ihre alten Stellungen wieder zu besetzen. Diesen Befehl noch zeitgerecht zu befolgen, lag allerdings außerhalb ihrer Möglichkeiten. Die österreichischen Brigaden waren fast alle im Kampf gebunden. Was schließlich vom österreichischen
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Die Ortschaft Chlum. Die Nordseite der Ortschaft Chlum, aus der
II. Korps noch in seine Stellungen zurückkam, reichte nicht einmal mehr aus, um die preußische 1. Gardedivision aufzuhalten. Mit einem einzigen Stoß gelangte die preußische Garde bis nach Chlum, weit im Rücken der österreichischen Stellungen um Lipa. Wie Geister tauchten die Bataillone aus den Kornfeldern auf und überrumpelten die Brigade des Generals Karl von Appiano, der bis zuletzt nicht an einen feindlichen Angriff auf Chlum hatte glauben wollen. Es war 15 Uhr, als ein Stabsoffizier, der zum Pferdewechsel zurück nach Chlum wollte, Benedek die Katastrophenmeldung überbrachte. Der Feind stehe im Rücken des österreichischen Zentrums. Von seinem ganzen Stab gefolgt, sprengte Benedek
Angriffsrichtung der preußischen Garde gesehen. Die Einnahme der tief im Rücken der österreichischen Stellung liegenden Ortschaft innerhalb nur weniger Minuten entschied die Schlacht von Königgrätz zugunsten der Preußen.
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sofort in Richtung Chlum. Heftiges Feuer empfing sie aus der Ortschaft. Einige Offiziere brachen getroffen zusammen. Der Rest suchte eilig das Weite. Auf allen Gesichtern standen Angst und Schrecken. Nur Benedek blieb gefasst und holte selbst Reserven heran, um die Ortschaft wiederzugewinnen. Er wusste nicht, dass sich die Reste des österreichischen II. Korps inzwischen schon über die Elbe zurückgezogen hatten. In die weit aufgerissene Lücke in seiner rechten Flanke marschierten nun zwei Korps der Kronprinzenarmee. General Leonhard von Blumenthal, der Stabschef des Kronprinzen, hat den Weg der 2. Armee nach Königgrätz in seinem Tagebuch beschrieben.
Es wurden sofort Befehle zur Beschleunigung des Marsches gegeben. Ein weit in die Gegend hinschauender einzelner großer Baum, etwa tausend Schritte südöstlich Horenowes, eine wahre Landmarke, wurde als point de vue genommen, die Garde rechts, das VI. Armeekorps links davon dirigiert, das I. Armeekorps, welches leider noch weit zurück war, sollte die Lücke zwischen beiden Armeen ausfüllen, das V. Armeekorps als Reserve dem Gardekorps auf dem Fuß folgen.“ 9
Die Österreicher erholten sich rasch von ihrem Schrecken. Benedek persönlich führte das 52. Regiment zum Gegenangriff bis an den Ortsrand von Chlum. Doch die Garde ließ sich nicht mehr aus ihrer Position vertreiben. Es gelang ihr sogar, zeitweise Rosberitz zu besetzen. Diese Ortschaft nahmen ihr die Österreicher bald wieder ab. Aber Chlum blieb in der Hand der Preußen. In die massiert angreifenden Bataillone der Österreicher riss das Zündnadelgewehr, wie schon in den Schlachten zuvor, verheerende Lücken. Das Iösterreichische I. Korps verlor in ungestüm vorgetragenen Gegenangriffen mehr als 10 000 Mann. Gegen halb fünf erkannte Benedek, dass der Feind nicht mehr aus dem Zentrum seiner Stellung zu vertreiben war, zumal auch die Sachsen auf dem Südflügel schon auf dem Rückzug waren. Die Schlacht war verloren. Jetzt konnte es nur noch um den geordneten Rückzug gehen. Damit hatten die Österreicher zunächst Erfolg. Die preußische Zange schloss sich zu spät. Von drei Seiten drangen die Sieger in das österreichische Zentrum ein und verloren schnell ihre Ordnung. Das Durcheinander der Verbände war kaum zu lösen, und die Aussicht, gegen die zur Deckung des Rückzugs aufgebaute österreichische Geschützfront anzugreifen, war nicht allzu verlockend. Ein ernsteres Problem für die Österreicher als die siegreichen, aber erschöpften Preußen war jetzt die Elbe in ihrem Rücken. Vor der Festung Königgrätz (Hradec Králové) sammelten sich in Massen die Reste der geschlagenen österreichischen Korps an den Flussübergängen. Das überflutete Sumpfgebiet vor den Toren der Stadt war
„Um 4 Uhr [morgens] kam Graf Finckenstein aus Gitschin mit einem Schreiben von Moltke, wonach drei volle österreichische Korps dem Prinzen Friedrich Karl gegenüberstehen sollten und uns aufgegeben wurde, ihn zu unterstützen. Ich weckte daher den Kronprinzen, diktierte dann die abgeänderten Befehle, wonach die ganze Armee über die Elbe zur Unterstützung der Ersten Armee vorgehen sollte. Um 5 Uhr konnten die Befehle abgehen, und um 7 Uhr haben sich die sämtlichen Truppen in Bewegung gesetzt. Wir ritten ihnen um halb acht nach; es regnete und war sehr kalt, aber damit nervenstärkend. […] Die dicke Luft verhinderte uns, den Geschützdonner zu hören, aber gegen 9 Uhr sahen wir überall auf den Höhen bei Sadowa bis Horenowes den Pulverdampf; wir hatten alle das Gefühl, dass es zur Schlacht kommen würde und eilten trotz des schlüpfrigen Bodens schnell vorwärts. Auf den Höhen von Choteborek, wo wir mit den Spitzen der Garde etwa um 11 Uhr eintrafen, konnte man weithin sehen und an dem Pulverdampf die Ausdehnung des Schlachtfeldes abmessen. Der rechte Flügel der Österreicher musste danach bei Horenowes sein. Anfänglich schienen die Österreicher zu weichen, dann aber wieder Terrain zu gewinnen; es war offenbar die ganze Armee des Prinzen Friedrich Karl in hartem Kampf mit der ganzen österreichischen Armee [...].
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pr. 2. Armee I. In. Garde
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Maslowed
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Cistowes
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Lubno
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Bis
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tz
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Niederprim
Sächs. A.K. Oberprim
pr. Elbarmee 15.
Bar
1/2. Garde-Division VI. Armee-Korps
11./12./14/15/16 Divisionen
ö. VIII. Stezirek
Hradek
1/2. G V/VI. A. K.
ö. 1. l.
G. Ldw. Div.
Gardelandwehr-Division
ö. II (A. K.)
österr. II. Armee-Korps
Sächs A. K.
Sächsisches Armee-Korps österr. leichte Kav. Div. österr. schwere Kav. Div. vorbereitete ö. Battr. Stellungen Gegenangriffe ö. Reserven
0
1
2
3
4
Rückzugsrichtung der ö. Korps
5 km
Der Angriff der preußischen 2. Armee traf zunächst nur auf geringen Widerstand der österreichischen Korps am rechten Flügel. Fast ohne Gegenwehr nahm die 1. Preußische Gardedivision die Ortschaft Chlum im Rücken des österreichischen Zentrums. Auch im Süden kam jetzt die Elbarmee gegen die Sachsen voran und nahm gegen 15 Uhr die Ortschaften Oberprim und Problus, die Eckpfeiler der sächsischen Stellung.
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nur auf einigen Dämmen zu passieren, auf denen sich bei Einbruch der Dunkelheit fast 60 000 Mann drängten. Die wenigen Tore der Festungsstadt reichten längst nicht aus, um alle Flüchtigen aufzunehmen. Von der Lage vor der Stadt gibt der Festungskommandant, Feldmarschall-Leutnant Ignaz Ritter von Weigl, ein plastisches Bild:
Deutschlands, sondern Europas entschieden hatten. An diesem Tag hatte Preußen um seine Existenz als Großmacht gekämpft. Anders als im Jahre 1850, als Österreich in Ölmütz die schwächste der fünf europäischen Großmächte diplomatisch gedemütigt hatte, war Preußen 16 Jahre später der Entscheidung nicht ausgewichen. In nur zwei Wochen hatte seine Armee alle politischen Kräfteverhältnisse auf den Kopf gestellt. Das Risiko des Einsatzes war hoch gewesen. Wäre die Armee des Kronprinzen allerdings nur eine Stunde später auf dem Schlachtfeld erschienen, hätte sie wohl nur noch den Rückzug der geschlagenen preußischen Truppen decken können. Kurz nach der Schlacht soll Bismarck zu einem Begleiter gesagt haben, er fühle sich wie ein Spieler, der eine Million gesetzt hat, die er nicht besitzt. Dieses Bild des preußischen Ministerpräsidenten, der für plakative Metaphern ein ausgesprochenes Talent besaß, zeichnet einprägsam die Größe des Wagnisses, das Preußen bei Königgrätz eingegangen war. Allein die preußische Armee hatte seine riskante Konfliktpolitik vor einem Desaster gerettet. Der militärische Sieg von Königgrätz war nicht Bismarcks Verdienst, nur die Ausnutzung des Erfolgs. Bis zum Tag von Königgrätz hatte Bismarck mit hohem Risiko gehandelt, als er einen nach seiner Ansicht unvermeidlichen Krieg begonnen hatte. Erst in der Behandlung des geschlagenen Gegners und in der Neuordnung Deutschlands zeigte er seine staatsmännischen Fähigkeiten. Es kostete Bismarck sein gesamtes Prestige, König Wilhelm und die Generalität von einem Marsch nach Wien und einer nutzlosen Demütigung des habsburgischen Kaiserhauses abzuhalten. Noch ehe andere Mächte, insbesondere Frankreich, vermittelnd eingreifen konnten, einigten sich Preußen und Österreich am 26. Juli 1866 auf Schloss Nikolsburg auf einen Waffenstillstand. Im anschließenden Frieden von Prag musste Wien der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen. Hannover, Kurhessen und Frankfurt wurden ebenso wie Schleswig und Holstein preußisch. Nur Sachsen durfte auf Drängen Franz Josephs seine Unabhängigkeit
„Die dichtgedrängte flüchtige Masse war gleichsam unübersehbar geworden, und es bot sich dem Auge ein unbeschreibliches Bild des Schreckens und des Jammers dar. Alle Waffengattungen waren bunt untereinander vertreten. Heulend, tobend, flehend in namenloser Verzweiflung erfüllten sie bald Mann an Mann das Glacis, den bedeckten Weg, die Waffenplätze, deren Tore mit Gewalt eingeschlagen wurden [...]. Die einen baten kniend und händeringend um Einlass in die Festung, die anderen, gleichsam sich denselben zu erzwingen, schossen ihre letzte Patrone noch herüber! Ja, sie sprangen angezogen oder nackt in die Wassergräben, um herüber zu schwimmen. Einige ertranken. Andere, denen es gelang, erkletterten an den mit Quadern verkleideten Kanten der Bastionen der Hauptumfassung die Brustwehren, um über diese in die Festung zu gelangen, wozu auch vielen durch die Mannschaft Stangen entgegengehalten wurden.“
Die Gesamtverluste der Österreicher in der Schlacht betrugen 1300 Offiziere und 41 500 Mann an Gefallenen, Verwundeten, die auf dem Schlachtfeld zurückgelassen werden mussten, und Gefangenen. 170 000 Mann seiner Armee konnte Benedek über die Elbe retten. An eine wirksame Fortsetzung des Krieges war mit diesen Trümmern jedoch nicht mehr zu denken. Seit Beginn des Feldzugs hatte die österreichische Nordarmee beinahe 80 000 Mann verloren. Die preußischen Verluste betrugen dagegen nur knapp über 9000 Mann, davon die meisten bei der 1. Armee. Fassungslos blickten die benachbarten Mächte auf das Schlachtfeld von Königgrätz, wo sich an einem einzigen Tag nicht nur die Geschicke
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Gardelandwehr-Division
ö. II (A. K.)
österr. II. Armee-Korps
Sächs A. K.
Sächsisches Armee-Korps
Sadowa
Swiepwald
österr. leichte Kav. Div.
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Cistowes
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österr. schwere Kav. Div.
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pr. 1. Armee
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Streselitz
VI. A. K. 12. 11.
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Niederprim
pr. Elb-Armee
G. Ldw. Div.
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15. Charbusitz
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Stezirek
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ö. I. Stezer
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Hradek
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Sächs. A.K.
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ö. 2. s.
Königgrätz
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Problus
nach Pardubitz
Alt-Nechanitz
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vorbereitete ö. Battr. Stellungen
Rückzug der Österreicher. Schwer angeschlagen konnten sich die
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Österreicher der preußischen Zangenbewegung entziehen. Kavallerie
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und Artillerie deckten den Rückzug der Infanteriekorps über die Elbe. Zu einer sofortigen Verfolgung waren die siegreichen Preußen jedoch nicht mehr in der Lage.
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Die Armeegeschützreserve der österreichischen Artillerie nach der Schlacht, Gemälde von Rudolf von Ottenfeld aus dem Jahre 1897, Heeresgeschichtliches Museum, Wien.
behalten, musste aber dem im Folgejahr von Bismarck gegründeten Norddeutschen Bund beitreten und seine Armee im Kriegsfall unter preußisches Kommando stellen. Österreich schied einschließlich seiner böhmischen und mährischen Gebiete aus Deutschland aus und entwickelte sich nach dem Ersten Welt-
krieg und der Auflösung des Habsburgerreichs zu einer eigenständigen Nation. Der preußische Sieg bei Königgrätz entschied die seit den Befreiungskriegen ganz Deutschland bewegende Frage der nationalen Einigung im Sinne einer kleindeutschen Lösung, die 1871, nach dem Sieg über Frankreich, vollendet wurde.
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Seit Mitte der 1830er-Jahre begannen sich auch Offiziere in die Debatte einzuschalten. 1836 berechnete eine Militärkommission unter Vorsitz des Chefs des Generalstabs der preußischen Armee, General Johann Wilhelm von Krauseneck, dass der Transport kleinerer Truppenverbände und von Nachschub durchaus mit Zeitgewinn auf den Eisenbahnen erfolgen könnte, nicht aber der Transport ganzer Armeekorps. Vor allem der Transport von Kavallerieeinheiten und von Artillerie wäre bei den geringen, für den zivilen Verkehr ausgelegten Kapazitäten der zukünftigen Eisenbahngesellschaften nur unter größten Schwierigkeiten möglich. Dennoch unternahm die preußische Armee 1842 erste Truppenversuche mit einigen Dutzend Pferden und Artilleriefahrzeugen, die durchaus zufriedenstellend verliefen. Als unbedingt notwendig erachteten die verantwortlichen Offiziere einheitliches Betriebsmaterial der Gesellschaften, vor allem aber gleiche Spurbreiten. Als 1840 die sogenannte Rheinkrise in Deutschland, wie schon in der napoleonischen Zeit, wieder alte Ängste vor dem französischen Nachbarn aufleben ließ, veröffentlichte der sächsische Militärschriftsteller Karl Eduard von Pönitz ein Buch mit dem Titel Die Eisenbahnen als militärische Operationslinien11 Darin entwickelte er ein System strategischer Strecken zur Verteidigung Deutschlands mit einer quer durch Deutschland von Stettin über Berlin, Prag und Linz verlaufenden Operationsbasis. Von ihr sollten parallele Abzweigungen in die bedrohten Grenzabschnitte am Rhein, in Ostpreußen und in Galizien führen. Die preußische Regierung hatte wegen ihrer notorischen Kapitalknappheit zunächst den Eisenbahnbau in ihrem Eisenbahngesetz von 1838 den privaten Investoren überlassen, vier Jahre später entschloss sie sich jedoch, offenbar unter dem Eindruck des französischen Eisenbahngesetzes vom 11. Juni 1842, den Bau von fünf strategischen Bahnen durch Kapitalzuschüsse und Zinsgarantien auf das Betriebskapital zu unterstützen. Die erste dieser Linien sollte von Berlin über Magdeburg und Minden an den Niederrhein führen, die zweite parallel dazu über Thüringen und
Militär und Eisenbahn in Preußen von 1833 bis 1866 Die älteste preußische Eisenbahn wurde am 29. Oktober 1838 zwischen Berlin und Potsdam eröffnet. Ein Jahr später erfolgte auf der etwa 26 Kilometer langen Strecke der erste Militärtransport. König Friedrich Wilhelm III. hatte sich zwar ursprünglich keine große Seligkeit davon versprechen können, mit der Eisenbahn einige Stunden früher in Potsdam anzukommen. Nun aber hatte er seine Garde zum Abschluss der Manöver, „um ihr nach dem beschwerlichen Lager – und Manöverdienste den Rückmarsch nach Berlin zu erleichtern“, auf eigene Kosten mit der neuen Bahn befördern lassen. In insgesamt zehn Zügen marschierte eine vollständige Brigade mit 8000 Mann von Potsdam nach Berlin.10 Ein Jahr später führte auch die französische Armee ihren ersten Truppentransport auf der Eisenbahn durch. Ein Infanterieregiment in Stärke von 1500 Mann marschierte per Eisenbahn in einer halben Stunde von Paris nach Versailles, um an einer Truppenparade teilzunehmen. In Österreich fuhr erstmals am 31. August 1841 ein 700 Mann starkes Jägerbataillon auf der sogenannten Kaiser-Ferdinand-Nordbahn die 129 Kilometer lange Strecke von Wien nach Brünn in nur siebeneinhalb Stunden. Der militärische Wert dieser einmaligen Veranstaltungen mit Volksaufläufen und Militärkapellen war jedoch gering und sollte eher dem eigenen Prestige dienen. Allen militärischen Sachverständigen war längst klar, dass die Eisenbahnen erst dann einen strategischen Wert erhalten würden, wenn die bis dato vereinzelten und kurzen Strecken zu einem nationalen Eisenbahnnetz erweitert werden würden. Dies hatte schon der aus Württemberg stammende Ökonom und Publizist Friedrich List gefordert. Die Möglichkeit schneller Truppenverschiebungen mit der Eisenbahn zu allen bedrohten Punkten würde Deutschland nach seiner Ansicht in eine einzige Festung verwandeln.
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Kassel an den Mittelrhein, eine dritte Strecke sollte Berlin mit Hamburg verbinden, eine vierte von der Hauptstadt nach Oberschlesien führen. Problematisch war allerdings die fünfte Linie, die sogenannte Ostbahn nach Ostpreußen und Königsberg. Für die preußischen Militärs war sie unverzichtbar, da Preußen keine Flotte besaß, um im Fall eines Krieges mit Russland Ostpreußen zu versorgen oder mit Truppen zu verstärken. In den 1840er-Jahren entstand somit ein erstes deutsches Streckennetz, das von Stettin an der Ostsee über Berlin bis fast zur Adria reichte. Über Breslau hatte Preußen bereits 1847 Verbindung an das österreichische Streckennetz, ein Jahr zuvor war die Linie nach Hamburg abgeschlossen worden, und seit dem 15. Oktober 1847 war auch die strategisch wichtige Linie über Hannover und Minden an den Rhein fertiggestellt. Als im Februar 1848 in Frankreich die Monarchie gestürzt wurde, mobilisierte Preußen seine Streitkräfte und verstärkte seine Truppen am Rhein. Anfang März 1848 trafen in sechs Zügen, je zwei pro Tag, die ersten Bataillone aus Magdeburg in Köln ein. Noch im gleichen Monat ließ die Berliner Administration auf der Berlin-Hamburger Eisenbahn fast 10 000 Mann, darunter eine Gardebrigade aus Potsdam, in das zwischen Deutschen und Dänen umstrittene Schleswig-Holstein transportieren. Gleichzeitig verstärkte die Regierung kurz vor Ausbruch der Märzunruhen eilig mit Eisenbahntransporten aus den Garnisonen Halle, Erfurt und Stettin ihre Truppen in Berlin. Auch der Habsburgermonarchie gelang es, mithilfe eilig organisierter Eisenbahntransporte sich im Kampf gegen die revolutionären Kräfte im eigenen Land durchzusetzen. Im Oktober 1848 marschierten zum ersten Mal drei vollständige österreichische Armeekorps auf Befehl des Feldmarschall-Leutnants von Windisch-Grätz per Eisenbahn von Prag nach Wien, um die revolutionäre Regierung in der Hauptstadt zu stürzen. Im Mai 1849 wurden innerhalb von fünf Tagen rund 14 000 Mann der russischen Division Panjutin mit 1000 Pferden sowie 48 Geschützen per Eisenbahn zur Unterstützung der habsburgischen Armee über Krakau nach Ungarn befördert.
Den Höhepunkt der Eisenbahntransporte erlebte Europa während der sogenannten Olmützkrise zwischen Preußen und Österreich, als die Habsburgerarmee im Herbst 1850 binnen 26 Tagen fünf ihrer Korps mit insgesamt 75 000 Mann, 8000 Pferden und rund 1800 Geschützen und Fahrzeugen nach Böhmen transportierte und Preußen mit Krieg drohte, falls es seine kleindeutschen Unionspläne nicht aufgebe. Die Eisenbahnen hatten in den Revolutionswirren ihre erste militärische Bewährungsprobe bestanden, aber es hatte sich schon sehr bald herausgestellt, dass der Transport ganzer Armeen ein präzises Reglement zur Beherrschung der technischen und organisatorischen Details erforderte. Als Richtwerte für Militärtransporte ergaben sich je Zug ein bis zwei Lokomotiven und ca. 60 Waggons, gerechnet zu 120 Achsen, auf denen entweder ein Infanteriebataillon mit 1000 Mann oder eine Kavallerieeskadron mit 200 Mann und Pferden transportiert werden konnten. Ein österreichischer Reglementsentwurf für den militärischen Eisenbahntransport aus dem Jahre 1853 sah vor, dass je Waggon maximal sechs Pferde längs zur Fahrtrichtung mit den Köpfen zueinander befördert werden sollten. Alternativ war pro Zug auch die Beladung mit 50 Fuhrwerken oder etwa 6000 Zentnern Nachschub möglich. Für alle Militärzüge war eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 25 km/Std. vorgesehen. In Preußen gab es seit 1857 ein Eisenbahnreglement, das vor allem die Kompetenzen von zivilen Eisenbahnangestellten und den Begleitoffizieren regelte, da die preußischen Eisenbahnen auch im Kriegsfall unter der Leitung der Eisenbahndirektionen und des Handelsministeriums verbleiben sollten. Während Österreich und Frankreich im Krieg von 1859 ganze Armeekorps in kürzester Zeit auf den norditalienischen Kriegsschauplatz beförderten, bereitete die preußische Armee unter Leitung des neuen Chefs des Generalstabs, General Helmuth von Moltke, ihren Aufmarsch am Rhein vor. In gemeinsamen Besprechungen mit Vertretern des Handelsministeriums wurde erstmals im Juni 1859 eine zivil-militärische Organisation festgelegt, die
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Königsberg I. AK ab. 23.5. 94 Züge
Stettin Brandenburg Tle III. AK ab. 17.5. 44 Züge
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Die preußischen Eisenbahntransporte gegen Österreich 1866.
im Kriegsfall den militärischen Eisenbahnbetrieb regeln sollte. Einer zentralen Kommission unterstanden verschiedene Linienkommissionen, paritätisch mit Offizieren und Eisenbahnangestellten besetzt, die auf ihrer Linie für die Aufstellung und Einhaltung der Fahrpläne ebenso wie für die Bereitstellung des erforderlichen Betriebsmaterials verantwortlich sein sollten. Gegenüber den Befehlshabern der zu befördernden Truppe waren sie in allen Fragen des Eisenbahntransportes weisungsbefugt. Auch wenn diese Organisation im Krieg von 1859 nicht mehr zum Einsatz kam, da Österreich noch vor dem preußischen Eingreifen am Rhein mit Frankreich den Waffenstillstand von VillaFranca schloss, sollte sie für alle zukünftigen Aufmärsche gültig bleiben. Somit wurde sie erstmals
im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 wirksam, als Preußen im Zusammenwirken mit Österreich die Dänen aus Schleswig-Holstein vertrieb. Doch der Transport von nur zwei preußischen Divisionen bedeutete für die neue Organisation noch keine nennenswerte Belastung. Die tatsächliche Bewährungsprobe für das militärische Eisenbahnwesen in Preußen trat erst 1866 ein, als mithilfe der Eisenbahnen fast alle preußischen Armeekorps in ihre Aufmarschräume gegen Österreich befördert werden sollten. Während die Preußen über fünf Eisenbahnlinien verfügten, konnte die österreichische Armee nur auf eine einzige Hauptlinie über Brünn und Prag zurückgreifen. Der preußische Generalstabschef Moltke hatte berechnet, dass der Eisenbahnaufmarsch der Gegenseite somit fast sechs Wochen in An-
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Königgrätz 1866
Eisenbahnverladung der 14. Division in Düsseldorf 1866.
spruch nehmen würde, wogegen die eigenen Truppen bereits in 25 Tagen an der Grenze versammelt sein konnten. Den rechnerischen Vorsprung von 17 Tagen wollte er zum konzentrischen Vormarsch seiner in drei Armeegruppen zusammengefassten Korps nach Nordböhmen nutzen. Obwohl der Transport mit der Eisenbahn in der preußischen Armee noch nie zuvor in größerem Umfang geübt worden war, verlief der Aufmarsch von siebeneinhalb Armeekorps an der sächsischböhmischen Grenze fast reibungslos. Kritisch für Moltke und seine Planungen war jedoch der Um-
stand, dass der preußische Monarch sehr lange gezögert hatte, die allgemeine Mobilmachung der Armee anzuordnen, da er das Odium nicht auf sich nehmen wollte, in einem Krieg zweier deutscher Mächte als Angreifer zu gelten. So begannen die preußischen Eisenbahntransporte erst am 17. Mai 1866 mit dem Transport des V. Armeekorps aus Posen nach Königszelt in Schlesien, wo es zusammen mit dem dort bereits stationierten VI. Armeekorps zur 2. preußischen Armee unter dem Befehl des Kronprinzen trat. Das II. und das IV. Armeekorps marschierten zur
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gleichen Zeit in den Raum Guben (a. d. Neiße) und bildeten dort die 1. preußische Armee unter dem Kommando des Prinzen Friedrich Karl. Aus Ostpreußen wurde innerhalb von zehn Tagen das I. Armeekorps in 94 Zügen nach Görlitz transportiert, wo es je nach Lage entweder die 1. oder 2. Armee unterstützen konnte. Am 23. Mai begann die zweite Welle der Eisenbahntransporte mit dem Marsch des II. Korps aus Stettin nach Jüterbog und Herzberg. Auf dem Höhepunkt der Märsche rollten auf allen fünf verfügbaren Strecken täglich rund 20 000 Mann und 5500 Pferde in 40 Militärzügen in ihre Aufmarschräume. Der Abstand der Züge betrug, wie etwa beim Marsch der 14. Division von Duisburg und Düsseldorf nach Zeitz, ca. 90 Minuten. Auf den Zwischenstationen in Paderborn und Eisenach hatten die Transporte genau anderthalb Stunden Aufenthalt zur Verpflegungsaufnahme, ehe bereits der nächste Zug in den Bahnhof einrollte. Der erste Zug dieses Transports verließ Düsseldorf am 27. Mai um 9.30 Uhr, der letzte der insgesamt 65 Züge traf am 5. Juni nachmittags um 6 Uhr in Zeitz ein. Nach Abschluss aller Transporte am 23. Juni 1866 hatte die preußische Armee in knapp sechs Wochen in rund 660 Militärzügen über 230 000 Mann und mehr als 6200 Fahrzeuge in ihre Aufmarschräume befördert. Die Österreicher transportierten bis zum 9. Juni auf ihrer einzigen verfügbaren Bahnlinie in 458 Zügen 191 500 Mann mit 28 600 Pferden und zusätzlich rund 15 000 Tonnen Versorgungsgüter. Dabei war ihre tägliche Frequenz mit 22 Zügen in der Spitze fast doppelt so hoch wie die auf der preußischen Seite. Auch wenn die umfangreichen Eisenbahntransporte auf beiden Seiten auf den Ausgang des Feldzugs keine unmittelbare Aus-
wirkung hatten, war mit dem Eisenbahnaufmarsch von 1866 doch ein neues Kapitel in der Kriegsgeschichte aufgeschlagen worden. Erstmals waren die Generalstäbe dank der Eisenbahnen in der Lage, präzise Marschberechnungen vorzunehmen. Wechselnde Witterungen, unterschiedliche Zustände der Marschstraßen, vor allem aber die Abhängigkeit der Truppe von den insgesamt nur mangelhaft geleisteten Vorspanndiensten hatten dies bisher verhindert. Mithilfe der Eisenbahnen war es nun möglich geworden, große Truppenmassen schnell an der Grenze zu versammeln. Die Kriegspartei, die dazu am ehesten in der Lage war, gewann somit einen Vorteil, den ein langsamer aufmarschierender Gegner später kaum noch ausgleichen konnte. Aus den bislang eher behäbig und methodisch ablaufenden Versammlungen der Truppe auf den sogenannten Kriegstheatern wurde nun ein Wettlauf der Armeen zur Front. Die frühestmögliche Mobilisierung der eigenen Streitkräfte wurde immer kriegsentscheidender, dadurch drohte aber auch der Spielraum von Politik und Diplomatie immer weiter eingeengt zu werden. Waren die Eisenbahntransporte erst einmal angelaufen, mussten sie in jedem Fall zu Ende geführt werden, da ihr vorzeitiger Abbruch die einzelnen Korps unweigerlich über Hunderte von Kilometern auseinanderreißen würde. Die fatalen Folgen dieser zwingenden militärischen Logik zeigten sich schließlich beim Kriegsausbruch 1914. Zwar war diese Entwicklung 1866 noch nicht absehbar, aber rückblickend kann durchaus festgestellt werden, dass die Truppen, die 1866 ihre Garnisonen in Potsdam, Magdeburg, Stettin und Brandenburg verließen, auch bereits die erste Meile zur Marne gerollt waren.12
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12 „Alles auf eine Karte setzen“
Hitlers Ardennenoffensive 1944
Tief fliegende C-47-Transportflugzeuge liefern Nachschub zu der in Bastogne eingeschlossenen 101. US-Luftlande-Division. Links im Bild steigt Rauch von einem zerstörtem deutschen Schützenpanzer auf, während im Vordergrund amerikanische Panzer auffahren, um die Infanterie zu unterstützen.
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der Weichsel zugesehen, wie deutsche Truppen in Warschau den Aufstand der westlich orientierten polnischen Exilregierung niederschlugen. Diese auffällige Passivität der Sowjets bestärkte Hitler in seiner Hoffnung, dass er den Krieg überstehen könnte, wenn es ihm gelänge, die feindliche Koalition zu sprengen. Das Vorbild des Preußenkönigs Friedrichs II., der im Siebenjährigen Krieg durch einen Thronwechsel in Russland gerettet wurde, beflügelte seine Fantasie. Die USA und Großbritannien mussten nach Hitlers Überzeugung gezwungen werden, aus dem Krieg auszuscheiden. Dazu brauchte er jedoch nach den schweren Niederlagen des Sommers einen bedeutenden Erfolg, der nach seiner Ansicht nur an der Westfront möglich war.
Das „Dritte Reich“ scheint am Ende
I
m September 1944 hatte für Hitlerdeutschland das sechste Kriegsjahr begonnen. Fast alle Eroberungen der deutschen Wehrmacht seit 1939 waren inzwischen wieder verloren. Im Westen näherten sich die Anglo-Amerikaner der deutschen Grenze zwischen Aachen und Echternach, und im Osten hatten sowjetische Truppen Ostpreußen erreicht. Hitlers ehemalige Verbündete Bulgarien und Rumänien hatten im August 1944 Waffenstillstand mit den vorrückenden Sowjets geschlossen. Finnland war ihnen im September gefolgt. Allein Ungarn konnte mit Zwang bei der Stange gehalten werden. Die deutschen Armeen waren während der Kämpfe in der Normandie weitgehend zerschlagen worden. Nur geringe Reste hatten die Reichsgrenzen erreicht. Schweres Kriegsgerät war kaum noch vorhanden, der Westwall nur an wenigen Stellen verteidigungsbereit. Die alliierte Bomberoffensive gegen das Reich näherte sich ihrem Höhepunkt. Fast jede größere deutsche Stadt war inzwischen mehrfach – trotz verzweifelten Widerstands der Luftwaffe – erfolgreich angegriffen worden. Es fehlte an ausgebildeten Piloten und an Betriebsstoff, besonders nach dem Verlust der wichtigen Erdölgebiete im rumänischen Ploesti. Doch auch die Probleme der Alliierten nahmen zu. Für die Versorgung ihrer riesigen Armeen fehlten ihnen vorläufig die frontnahen Umschlaghäfen. Erst im November 1944 konnte erstmals ein alliierter Nachschubkonvoi den Hafen von Antwerpen anlaufen. Ein hastig vorbereitetes britischamerikanisches Luftlandemanöver scheiterte Mitte September bei Arnheim unter hohen Verlusten. Nur mühsam kämpften sich die Amerikaner durch den Hürtgenwald südlich von Aachen voran. Die Verluste der amerikanischen 12th Army Group beliefen sich von September bis November auf rund 230 000 Mann, davon allein über 100 000 Fälle seelischer Erschöpfung (Battle Fatigue). Gleichzeitig zeichneten sich deutliche Differenzen zwischen den Westalliierten und den Sowjets ab. Tatenlos hatten Stalins Divisionen an
Wahnsinnstat oder kluge Strategie? Mit einer Streitmacht von etwa 30 Divisionen, davon zwölf Panzer- und Panzergrenadierdivisionen, wollte der Diktator die dünn besetzte alliierte Front in den Ardennen durchstoßen, zur Maas vordringen und anschließend Antwerpen einnehmen. Sämtliche anglo-amerikanischen Streitkräfte würden damit nördlich der Linie Lüttich-Brüssel-Antwerpen vernichtet werden. Mit diesem Schlag hoffte Hitler die Amerikaner, vor allem aber die nach seiner Überzeugung längst kriegsmüden Engländer verhandlungsbereit zu machen. Schon am 19. August 1944, als deutsche Truppen noch in der Normandie kämpften, hatte der Diktator die Absicht geäußert, so bald wie möglich im Westen wieder offensiv zu werden.1 Mit der Planung der Offensive beauftragte Hitler am 16. September den Führungsstab der Wehrmacht unter Generaloberst Alfred Jodl. Die Kommandeure der im Westen eingesetzten Armeen waren bestürzt, als ihnen der Diktator erst volle sechs Wochen nach Beginn der Vorbereitungen am 3. November die Grundzüge seines Planes eröffnen ließ, die der Wehrmachtführungsstab unter dem Decknamen „Wacht am Rhein“ entworfen hatte. Nach Auffassung von Generalfeldmarschall Walter Model (1891 – 1945), dem Oberbefehlshaber
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Der deutsche Angriffsplan für die „Wacht am Rhein“. Mit einem überraschenden Stoß dreier deutscher Armeen durch die Ardennen auf Antwerpen hoffte Hitler die feindlichen Streitkräfte zu spalten und ihren nördlichen Teil zu vernichten. Schon einmal im Frühjahr 1940 war es seinen Angriffsverbänden gelungen, mit einem schnellen Stoß durch das unwegsame Ardennengebiet die alliierte Front zum Einsturz zu bringen. Diesen Erfolg glaubte Hitler jetzt wiederholen zu können.
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Generalfeldmarschall Walter Model (links) als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B bei einer Lagebesprechung auf einem deutschen Gefechtsstand im Westen: in der Mitte der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall von Rundstedt, rechts General der Infanterie Hans Krebs, Chef des Stabes der Heeresgruppe B, 1.12.1944. Model war ein krisenerprobter Truppenführer. Er glaubte nicht an den Erfolg einer deutschen Offensive, die über 200 Kilometer durch winterliches Gelände geführt werden sollte. Vergeblich versuchte er, Hitler von einer Angriffslösung mit wesentlich geringerer Zielsetzung im Raum Aachen (sogenannte kleine Lösung) zu überzeugen.
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der Heeresgruppe B, war die Zielsetzung der Offensive zu weit gefasst. Selbst wenn es gelänge, 30 halbwegs kampfkräftige Divisionen verfügbar zu machen, war damit nach seiner Ansicht eine Offensive über 200 Kilometer bei winterlichen Witterungsverhältnissen bis nach Antwerpen nicht durchführbar. Große Sorgen bereitete ihm auch die lange Westflanke des Angriffskeils, die zu Gegenangriffen geradezu einlud. Model schlug deshalb vor, die operative Reserve für eine begrenzte Offensive beiderseits Aachens zu nutzen, um die übrigen Frontabschnitte zu entlasten. Verlief dieser Angriff erfolgreich, konnte man auch an weiter ge-
steckte Ziele denken. Den ganzen November versuchte Model, Hitler von dieser „kleinen Lösung“ zu überzeugen. Der „Führer“ bestand jedoch hartnäckig auf seiner weiter gefassten Zielsetzung. In einer letzten Befehlsausgabe an die Kommandeure der Ardennenfront am 11. Dezember 1944 räumte Hitler zwar ein, dass das Ziel Antwerpen ein Wagnis sei und in einem Missverhältnis zu den verfügbaren Kräften und ihrem Zustand zu stehen scheine. Trotz allem aber wolle er, so erinnerte sich Generaloberst Hasso von Manteuffel, der Oberbefehlshaber der 5. Panzer-Armee, jetzt alles auf eine Karte setzen, weil Deutschland auch
Brief Hitlers an Generalfeldmarschall Model, den Kommandeur der Heeresgruppe B, am Vorabend der Ardennenoffensive.
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eine Atempause brauche. Er hoffe, durch diese Offensive die Initiative wiederzuerlangen und damit sowohl Zeit für die weitere Entwicklung und den Einsatz neuartiger Waffen als auch für die von ihm erwartete Spaltung der Alliierten zu gewinnen. Die 30 Divisionen seien sein letzter Trumpf. Nur im Westen sei damit, wenn überhaupt, ein nennenswerter militärischer Erfolg zu erzielen, denn die Engländer und Amerikaner seien nicht so zähe Gegner wie die Rote Armee und die sowjetischen Führer.2 Die Vorbereitung der Offensive kam jedoch nur unter äußersten Schwierigkeiten voran. Motorisierte Divisionen mussten mühsam zur Auffrischung aus der Front herausgelöst werden, insbesondere im Raum Aachen und am Oberrhein, wo die Alliierten weiterhin mit überlegenen Kräften angriffen. Hitler verschob mehrmals den Angriffstermin. Schließlich bestimmte er den 16. Dezember. Die geringste Sorge bereitete die Ausrüstung der Divisionen mit Gefechtsfahrzeugen. Noch im November 1944 hatte die deutsche Kriegswaffenproduktion ihren Höhepunkt erreicht. Allein in diesem Monat waren 1349 neue oder wieder instand gesetzte Kampfpanzer und Sturmgeschütze an die Westfront geliefert worden, sodass die meisten Angriffsverbände das vorgeschriebene Soll an Gefechtsfahrzeugen erreichten. Probleme gab es aber bei der Versorgung mit Betriebsstoff und Transportfahrzeugen. Statt der geplanten drei Tagesverbrauchssätze verfügten die Angriffsverbände am ersten Angriffstag gerade einmal über etwas mehr als die Hälfte. Auch Qualität und Zahl der Infanterieverbände erreichten kaum den gewünschten Stand. Es fehlte an erfahrenen Führern in den Kompanien und vor allem an der notwendigen Ausbildungszeit.
annähernd 600 Kampfpanzern und Sturmgeschützen bildeten die erste Welle. Dazu kam eine OKWReserve als zweite Staffel mit noch einmal ca. 400 schweren Gefechtsfahrzeugen. Die 6. PanzerArmee unter dem Kommando des SS-Oberstgruppenführers und Generalobersten der Waffen-SS Josef „Sepp“ Dietrich im Schwerpunkt der Offensive sollte mit vier SS-Panzer- und vier Volksgrenadierdivisionen die amerikanische Front zwischen Monschau und Losheim durchbrechen, am zweiten Angriffstag die Maas zwischen Huy und Lüttich überwinden und anschließend nach Antwerpen vorstoßen. Die Speerspitze dieser Gruppierung bildete Dietrichs ehemaliger Verband, die 1. SS-Panzer-Division Leibstandarte Adolf Hitler. Unter Führung des SS-Obersturmbannführers Jochen Peiper beging eine Kampfgruppe dieser ältesten Division der Waffen-SS im Verlauf der Kämpfe mehrere schwere Kriegsverbrechen an Amerikanern und belgischen Zivilisten. Für die Ermordung von rund 80 Kriegsgefangenen an einer Straßenkreuzung in der Nähe von Malmedy mussten sich Peiper und andere Offiziere der SS-Division später vor einem amerikanischen Militärgericht verantworten. Von den 43 verhängten Todesurteilen wurde jedoch keines vollstreckt. In der Mitte des Angriffsstreifens zielte General von Manteuffels 5. Panzer-Armee, die aus drei Panzer- sowie vier Volksgrenadierdivisionen bestand, auf die Maas zwischen Dinant und Namur. Nach Überschreiten des Flusses sollte sie rasch in den Raum von Brüssel vorstoßen. Die linke Flanke des deutschen Angriffskeils deckte die 7. Armee des Generals Erich Brandenberg, die nur über drei Volksgrenadierdivisionen, eine Fallschirmjägerdivision und wenige Sturmgeschützabteilungen verfügte. Der Durchbruchsabschnitt hätte nicht besser gewählt werden können. Die Amerikaner beurteilten die Ardennen als ruhigen Frontabschnitt und hatten ihn mit Kräften des amerikanischen VIII. Korps besetzt. Von General Troy Middletons vier Divisionen stammte die 28. US-Division, die entlang der luxemburgisch-deutschen Grenze eingesetzt war, aus den Gefechten im Hürtgenwald
Die Amerikaner werden völlig überrascht Trotz aller Einschränkungen trat in den Morgenstunden des 16. Dezember 1944 eine erstaunlich starke Angriffsgruppe gegen die amerikanische Front zwischen Monschau und Echternach an. Drei Armeen mit insgesamt 200 000 Mann und
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Durchbruch durch die amerikanische Front. Der deutsche Angriff am 16. Dezember traf die Amerikaner völlig überraschend. Im Mittelabschnitt wurde ihre Front auf einer Breite von über 70 Kilometern durchstoßen. Nur Bastogne, St. Vith und Elsenbom im Norden hielten noch stand. In den ersten fünf Angriffstagen gelang es den Amerikanern, nur fünf neue Divisionen (7. und 10. Panzer-, 82. und 101. Luftlande- sowie die 30. Infanterie-Division) in den Durchbruchsraum zu dirigieren. Insgesamt acht amerikanischen Divisionen standen somit 20 deutsche Angriffsverbände gegenüber.
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Panzerkampfwagen V „Panther D“. Seit Ende 1943 war der Panther die Standardausrüstung der deutschen Panzerdivisionen. Auffällig waren seine abgeschrägte Panzerung sowie die über die ganze Breite des Turmes reichende Geschossblende. Als Hauptbewaffnung hatte der Panther eine 75 mm-Kampfwagenkanone. Der Panther wog 45 Tonnen und erreichte eine Straßengeschwindigkeit von 46 km/h. Seine Besatzung bestand aus fünf Mann. (Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze im Turm, Fahrer und Funker im Fahrzeugbug). Der Panther war allen amerikanischen und britischen Panzertypen an Kampfkraft weit überlegen und dem sowjetischen T-34 mindestens ebenbürtig. Bis Kriegsende wurden etwa 5500 Panther gebaut und zum Einsatz gebracht. Betriebsstoffknappheit, fehlende Luftunterstützung und später der Mangel an eingespielten Besatzungen verhinderten jedoch häufig einen erfolgreichen Einsatz dieses Kampffahrzeugs.
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und war entsprechend abgekämpft. Ebenso stand es um seine 4. US-Division. Die 106. US-Division war gerade in Europa eingetroffen und sollte deshalb zunächst an der ruhigen Ardennenfront erste Kampferfahrungen sammeln. Hinzu kam als Reserve die 9. US-Panzer-Division. Insgesamt verfügte Middleton über 83 000 Mann mit 420 Panzern oder Panzerjägern.3
der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa unverzüglich die notwendigen Gegenmaßnahmen. Die 101. US-Luftlande-Division wurde auf Lastwagen von Reims nach Bastogne in Marsch gesetzt und traf dort kurz vor den ersten Panzern der deutschen Panzerlehrdivision ein. Die 82. USLuftlande-Division wiederum wurde in den Raum St. Vith beordert. General George S. Pattons 3. USArmee, die sich auf einen Angriff ins Saargebiet vorbereitet hatte, erhielt am 19. Dezember den Befehl, sofort nach Norden einzudrehen, um die südliche Flanke des deutschen Angriffskeils zu zerschlagen. Allerdings konnte zunächst nur seine 4. US-Panzer-Division in die Kämpfe eingreifen. Der Rest seiner Armee brauchte noch mehr als eine Woche, um mit ihren vordersten Teilen auf die inzwischen vollständig von den Deutschen eingeschlossene Stadt Bastogne vorzustoßen. Der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, zog am 20. Dezember aus den Rückschlägen bei der 6. Panzer-Armee die Konsequenz und verlegte den Schwerpunkt der Offensive nach Süden zur Nachbararmee. Inzwischen war St. Vith gefallen und Bastogne vollständig eingeschlossen. Die Einnahme des wichtigen Wegekreuzes schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Insgesamt hatten die deutschen Angriffsverbände eine 70 Kilometer breite Lücke in die amerikanische Front geschlagen, zu deren Schließung vorerst nur aus allen Richtungen zusammengeraffte Verbände verfügbar waren. Bereits am 21. Dezember erreichte Generalmajor Siegfried von Waldenburgs 116. Panzer-Division das Städtchen Hotton an der Ourthe und war damit nur noch 30 Kilometer von der Maas zwischen Namur und Huy entfernt. Weiter südlich stieß die 2. Panzer-Division an Marche vorbei auf Dinant vor. Der Himmel war immer noch bedeckt und erlaubte der überlegenen alliierten Luftwaffe kaum Einsätze gegen die deutschen Bodentruppen. Während der ersten fünf Tage der Offensive waren die Alliierten nicht in der Lage gewesen, mehr als fünf neue Divisionen in den Durchbruchsraum zu dirigieren. Davon war die amerikanische 3. Panzer-Division bereits schwer angeschlagen.
Durchbruch in der Mitte Schon am zweiten Angriffstag zeichnete sich bei der 5. Panzer-Armee ein Durchbruch ab. General von Manteuffels Taktik, noch vor dem Hauptangriff mit Infanteriekräften voraus durch die dünn besetzten amerikanischen Stellungen zu sickern, hatte sich bewährt. Zwei Regimenter der unerfahrenen 106. US-Division, insgesamt 8000 Mann, wurden in der Schneeeifel von den Deutschen eingeschlossen und ergaben sich am 19. Dezember. Im Norden hatte Dietrichs 6. Panzer-Armee allerdings weniger Erfolg. Dank ihrer hartnäckigen Verteidigung des wichtigen Höhengeländes bei Elsenborn blockierte die 99. US-Division den rechten Flügel von Dietrichs Armee während der ganzen Offensive. Hier halfen den Amerikanern auch ihre starken Reserven, insbesondere das V. US-Korps, das sie ursprünglich für eine eigene Offensive durch den Losheimer Graben bereitgestellt hatten. Den übrigen amerikanischen Truppen gelang es dagegen erst bei Bastogne und St. Vith, nachhaltig Widerstand zu leisten. Das alliierte Oberkommando in Reims benötigte einen ganzen Tag, um zu erkennen, dass die Deutschen eine Großoffensive in Richtung Maas begonnen hatten. Die Geheimhaltung der Offensive war der Wehrmacht trotz Ultra beinahe vollkommen gelungen. Wenn auch vereinzelt alliierte Befehlshaber die Möglichkeit einer deutschen Offensive in den Ardennen erwogen hatten, so war sie doch rasch als zu unrealistisch und unwahrscheinlich verworfen worden. Verstärkungen für diesen Raum waren deshalb ausgeblieben. Sobald sich aber General Dwight David Eisenhowers erste Überraschung gelegt hatte, befahl
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Die 10. US-Panzer-Division und 101. US-LuftlandeDivision standen in aufreibenden Abwehrkämpfen in Bastogne. Westlich von St. Vith hielt noch die 7. US-Panzer-Division zusammen mit den Fallschirmjägern der 82. US-Luftlande-Division ihre Front. Gegen zehn zum Teil abgekämpfte alliierte Divisionen standen 20 deutsche Angriffsverbände, die durch sechs weitere Divisionen aus der Wehrmachtsreserve verstärkt werden konnten.
Lehr-Division über St. Hubert auf Rochefort vor. Die Heranführung der 9. Panzer-Division aus der OKW-Reserve verzögerte sich jedoch aus Betriebsstoffmangel. Zugleich erlebte Generalmajor von Waldenburgs 116. Panzer-Division, die den Schutz der rechten Flanke der 2. Panzer-Division übernehmen sollte, einen herben Rückschlag. Der Division gelang es nicht, den wichtigen Übergang über die Ourthe bei Hotton zu nehmen. Rückwärtige Dienste der weit zersplitterten 3. US-Panzer-Division verteidigten mithilfe zweier versprengter Pakzüge den Stadtkern gegen überlegene deutsche Kräfte. Ehe Waldenburgs Division die Brücke erneut angreifen konnte, erhielt er den Befehl, weiter südlich über Marche auf die Maas vorzustoßen. Bei Verdenne stieß er jedoch auf die neu eingetroffene 84. US-Division. Die Amerikaner waren in einem Nachtmarsch aus ihrem Einsatzraum bei Geilenkirchen nördlich von Aachen herangeführt worden. Die Kompanien waren abgekämpft und auf ein Drittel ihrer normalen Gefechtsstärke geschrumpft. Die Division sollte Zeit gewinnen, bis die ebenfalls aus dem Norden herankommende 2. US-Panzer-Division die 116. Panzer-Division zerschlagen konnte. Spätestens am 26. Dezember zeigte sich aber, dass die 84. US-Division allein mit ihrem Gegner fertigwurde. Teile der Deutschen gerieten sogar in einen Kessel und hatten beim Ausbruch beträchtliche Verluste. Daraufhin wurde die 2. US-PanzerDivision gegen die rechte Flanke der deutschen 2. Panzer-Division eingesetzt. Die deutsche Spitze hatte inzwischen Foy-Notre-Dame erreicht, den äußersten Punkt der deutschen Offensive, nur fünf Kilometer von der Maas bei Dinant entfernt. Der amerikanische Angriff traf die Deutschen schwer. Die Divisionsspitze wurde abgeschnitten und zerschlagen, die übrigen Einheiten mussten sofort zurückgenommen werden. Der 26. Dezember 1944 brachte schließlich die Wende der Schlacht zugunsten der Alliierten. An diesem Tag durchbrach im Süden ein Zug Shermans der 4. US-Panzer-Division den deutschen Einschließungsring um Bastogne. Trotz dieses
Die Maas bleibt unerreichbar Allerdings bereitete die Zufuhr von Betriebsstoff der deutschen Seite zunehmend Probleme. Angriffsoperationen mussten wegen Benzinmangel oft verschoben werden oder waren nur mit einem Teil der vorgesehenen Kräfte realisierbar. In dem stark durchschnittenen Gelände ließen sich auf den unbefestigten und verschlammten Wegen nur schwer Umgehungsmanöver durchführen. Bereits am 19. Dezember hatte Eisenhower die aufgerissene amerikanische Front in einen südlichen und einen nördlichen Abschnitt geteilt. Sämtliche Angriffsoperationen im Raum Aachen und im Elsass wurden eingestellt. Über die amerikanischen Kräfte im Süden des deutschen Einbruchsraums, insbesondere über Pattons auf Bastogne rollende 3. US-Armee, behielt General Omar Bradley den Oberbefehl. Die Kräfte der 1. USArmee im Norden wurden Generalfeldmarschall Bernhard Montgomery, dem Befehlshaber aller britischen Streitkräfte in Nordwesteuropa, unterstellt. Montgomery hatte noch am 16. Dezember geurteilt, dass die Deutschen nicht mehr fähig seien, größere Offensiven zu unternehmen, da ihnen Betriebsstoff und Transportkapazität fehlten. Jetzt konnte er nicht mehr ausschließen, dass es den Deutschen sogar gelang, über die Maas in den Raum um Brüssel vorzustoßen. Vorsorglich beorderte er sein XXX. US-Korps mit vier Divisionen in den bedrohten Abschnitt. Schon näherten sich die Spitzen zweier deutscher Panzerdivisionen der Maas. Am 23. Dezember hatte die 2. Panzer-Division das nur neun Kilometer von der Maas entfernte Conneux erreicht. Südlich davon stieß die Panzer-
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Ein amerikanischer Kampfpanzer Mark 4 (Sherman) in Aubagne, August 1944. Der M 4 war das Standardkampffahrzeug aller mechanisierten alliierten Divisionen. Benannt nach dem Unionsgeneral im amerikanischen Bürgerkrieg W. T. Sherman, wurde er seit 1942 in sieben Hauptversionen A 1 – 7 in einer Stückzahl von insgesamt 49 000 Fahrzeugen gebaut. Der Sherman wog knapp 33 Tonnen und hatte eine fünfköpfige Besatzung. Da eine Weiterentwicklung des Fahrzeugs unterblieb, verlor der Sherman seine anfängliche Überlegenheit. Im direkten Duell mit den späteren deutschen Panzertypen Panther und Tiger hatte der Sherman kaum eine Chance.
Rückschlags versuchten die Deutschen weiterhin mit allen verfügbaren Kräften, die Stadt zu nehmen, um die dort kämpfenden alliierten Verbände zu zerschlagen. Längst bescheidener, hätte man aufseiten der Wehrmacht im Gelingen dieses Vorhabens bereits einen großen Erfolg gesehen. Aus der Schlacht um Antwerpen war eine Schlacht um Bastogne geworden. Aber auch hier hatten die Amerikaner nun überlegene Kräfte zur Verfügung.
Denn inzwischen drängte General Pattons 3. USArmee mit allen Teilen von Süden her gegen den deutschen Belagerungsring.
Die Offensive kommt endgültig zum Stehen Spätestens zum Jahresende 1944 waren die Deutschen gezwungen, auf ganzer Front zur Verteidigung überzugehen. Die Zahl ihrer Panzer war in
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schen Angriffsspitzen zeichnete sich spätestens seit dem 25. Dezember 1944 das Gegenangriffe ö. Reserven
der ö. Korps Scheitern der Offensive ab. Im Süden des Einbruchkeils drängte die 3. US-ArmeeRückzugsrichtung des
Generals George Smith Patton gegen die schwachen Verbände der 7. deutschen Armee. Trotz aller Anstrengungen gelang es den Deutschen nicht, Bastogne einzunehmen. Im Norden versperrten Kräfte der 1. US-Armee, die aus dem Raum um Aachen abgezogen worden waren, den Deutschen den Weg zur Maas. Zum Nachteil der Angreifer erlaubte es die günstigere Witterung seit dem 23. Dezember der alliierten Luftwaffe, vermehrt in die Bodenkämpfe einzugreifen. Damit war die letzte Chance für einen Erfolg der „Wacht am Rhein“ vertan.
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fast allen Divisionen auf ein Viertel der ursprünglichen Stärke zusammengeschmolzen. Schon seit dem 23. Dezember konnte die alliierte Luftwaffe, begünstigt durch eine winterliche Hochperiode, die Bodentruppen massiv unterstützen. Gleich am ersten klaren Tag befanden sich mehr als 3000 Luftfahrzeuge über dem Kampfgebiet. Auch in der folgenden Woche erlaubte die Witterung täglich knapp 5000 alliierte Lufteinsätze, wogegen die deutsche Luftwaffe nur auf durchschnittlich 1000 Einsätze je Tag kam. Eine Operation der deutschen Luftwaffe zur Entlastung der Bodentruppen unter dem Decknamen „Bodenplatte“ zielte am 1. Januar auf die frontnahen alliierten Flughäfen in den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich. Die 900 eingesetzten deutschen Flugzeuge zerstörten zwar 150
alliierte Flugzeuge am Boden und beschädigten weitere 110 Maschinen, doch die eigenen Verluste waren annähernd gleich hoch, wozu auch die eigene Fliegerabwehr beitrug. Aus Gründen der Geheimhaltung hatte man die Flakverbände nicht über die Operation informiert. Am 3. Januar 1945 begannen Amerikaner und Briten ihre Offensive gegen den deutschen Frontkeil. Als sich ihre Angriffsspitzen, von Norden und Süden kommend, zwei Wochen später bei Houffalize trafen, hatten sich die Deutschen jedoch durch rechtzeitige Absetzbewegungen der drohenden Einschließung entzogen. Längst war die Mehrzahl der gepanzerten Divisionen von Dietrichs 6. Panzer-Armee an die wankende Ostfront transportiert worden, wo seit dem 12. Januar 1945 Stalins große Winteroffensive begonnen hatte.
Auf dem Sprung ins Reich. Die US-Generäle Eisenhower (Mitte), Bradley und Patton (rechts) im befreiten Bastogne im Februar 1945.
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Bereits am 31. Januar erreichten die sowjetischen Panzerspitzen die Oder nördlich von Küstrin. Im Westen wurden die deutschen Truppen bis Anfang Februar wieder auf ihre Ausgangsstellungen in der Eifel zurückgeworfen. Die Kämpfe in den Ardennen hatten fast einen ganzen Monat gedauert. Die Verluste auf beiden Seiten waren mit jeweils 70 000 bis 80 000 Mann an Toten, Verwundeten und Vermissten etwa gleich hoch. Auch die materiellen Verluste beider Parteien hielten sich die Waage. Eisenhower beziffert in seinen Memoiren für die Zeit vom 16. Dezember 1944 bis zum 31. Januar 1945 die amerikanischen Panzerverluste auf 733 Fahrzeuge. Die deutschen Ausfälle dürften vor allem in der zweiten Phase der Kämpfe nicht wesentlich geringer gewesen sein. Anders als die Verluste der Amerikaner waren sie jedoch unersetzlich. Deutschlands letzte militärische Reserven waren in der Ardennenoffensive weitgehend verbraucht worden. Was übrig war, wurde schleunigst an die bedrohte Ostfront in Marsch gesetzt. Im Westen verblieben 60 abgekämpfte Divisionen mit knapp 450 Panzern und Sturmgeschützen. Dagegen verfügten die Amerikaner über 6000 Panzer und 80 Divisionen. Versorgungsprobleme gab es auf ihrer Seite nicht. Schon einen Monat später, am 7. März 1945, überschritten die Amerikaner bei Remagen den Rhein, und nur zwei Monate später kapitulierte Deutschland bedingungslos. Hitlers Entschluss, im Herbst 1944 nach den schweren Verlusten des Sommers noch einmal auf breiter Front offensiv zu werden, ist oft als der letzte und vielleicht auch größte seiner operativen Missgriffe bewertet worden. Akzeptiert man jedoch seine politische Verantwortungslosigkeit und die humanitären Defizite seiner Persönlichkeit als unüberwindliche Hindernisse für ein sofortiges Ende des Krieges, so ist seinem Entschluss zur entscheidungsuchenden Offensive an der Westfront Logik und Konsequenz nicht abzusprechen. Eine Offensive im Westen, wenn auch mit verzweifelt hohem Risiko, war fraglos die überzeugendere Alternative gegenüber der überwiegenden
Ansicht der militärischen Fachleute, Deutschlands letzte operative Reserven zur Verstärkung der überall bedrohten Fronten einzusetzen. Letzteres hätte allenfalls einen Zeitgewinn verschafft, kaum jedoch das von Hitler und seinen Paladinen erhoffte Überleben des nationalsozialistischen Terrorstaats ermöglicht. Zudem erscheint es nur schwer vorstellbar, dass die gewaltigen Schwierigkeiten, fast 30 Angriffsverbände aufzubauen, auch ohne die leitende Idee einer letzten großen Offensive bewältigt worden wären. Tatsächlich brachte die „Wacht am Rhein“ die amerikanischen Streitkräfte in Belgien und Luxemburg in ernsthafte Schwierigkeiten. Der erhoffte Durchbruch gelang den Deutschen auf breiter Front. Fast zehn Tage benötigten die Alliierten, um das Kräfteverhältnis von annähernd drei zu eins zugunsten der Angreifer zu egalisieren. Sämtliche eigenen Angriffsoperationen mussten eingestellt werden. Sieben Tage bis zum 23. Dezember dauerte die schützende Schlechtwetterfront, die den Einsatz der überlegenen alliierten Luftwaffe einschränkte. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Deutschen schon das Operationsziel Antwerpen genommen haben sollen. Die Verteidiger von Bastogne, St. Vith und Elsenborn bewahrten die Amerikaner vor einem Desaster, und ein von den Deutschen nicht erkanntes großes Betriebsstofflager auf der Straße nach Spa verhinderte mit hoher Wahrscheinlichkeit den weiteren Vormarsch der Kampfgruppe Peiper auf Lüttich. Gewiss gehören Zufälle und Unabwägbarkeiten dieser Art zu jeder Schlacht, aber es hätte auch anders kommen können, und diese Feststellung reicht aus, um deutlich zu machen, dass so ohne Weiteres nicht von einer grundsätzlichen Aussichtslosigkeit der „Wacht am Rhein“ gesprochen werden kann. Hitlers Offensive in den Ardennen war eine echte Entscheidungsschlacht. Zäher Widerstand der von ihm unterschätzten amerikanischen Infanterie und ein zweckmäßiges und effektives Krisenmanagement der alliierten Führung sorgten jedoch dafür, dass die Entscheidung gegen die Deutschen ausfiel.
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Deutscher Panzer A7V. Ein mehr als drei Meter hohes Ungetüm
Hintergrund
mit 16 Mann Besatzung und einer 57 mm-Beutekanone im Bug.
Die deutsche Panzerwaffe 1916 – 1945 Als in der Nacht zum 21. Mai 1940 die Spitzen der 2. Panzer-Division die französische Kanalküste bei Noyelles erreichten, zeichnete sich der größte Sieg des deutschen Heeres seit dem Krieg von 1870/71 ab. In nur sechs Tagen waren die motorisierten deutschen Korps aus ihren Brückenköpfen an der Maas zum Meer vorgestoßen und hatten die alliierten Streitkräfte in zwei Teile gespalten. Drei französische Armeen und das britische Expeditionskorps waren in Belgien eingeschlossen. Hastige alliierte Gegenangriffe in die Flanken des deutschen Angriffskeils scheiterten nach nur geringen Anfangserfolgen. Zehn Tage nach seinem Beginn war der Feldzug im Westen bereits entschieden. Dieser Erfolg war umso beachtlicher, da er sich fast völlig auf eine Waffe stützte, deren Bau und Einsatz Deutschland durch den Versailler Friedensvertrag 1919 ver-
boten worden war und von der das deutsche Heer noch zehn Jahre zuvor kaum ein Dutzend Exemplare besessen hatte. Jetzt sprach man überall nur noch mit Staunen von der deutschen Panzerwaffe. Noch gegen Ende des Ersten Weltkriegs hatten die deutschen Divisionen erleben müssen, wie die alliierten Armeen mit massiven Kampfwagenangriffen immer wieder in ihre Stellungen eingebrochen waren und damit den Krieg nach mehr als drei Jahren ergebnislosen Schützengrabenkampfs an der Westfront schließlich entschieden hatten. Die neue Waffe war unter der ursprünglichen Tarnbezeichnung „Tank“ von den Engländern entwickelt und erstmals am 15. September 1916 bei Flers an der Somme eingesetzt worden. Nach zunächst deprimierenden Rückschlägen und hohen
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Verlusten auf alliierter Seite hatte das britische Tankkorps schließlich seine ersten beeindruckenden Erfolge erzielt. Am 20. November 1917 war es den Engländern gelungen, mit 378 Tanks bei Cambrai 13 Kilometer tief in die deutschen Stellungen einzubrechen und dabei über 8000 Gefangene zu machen. Überrascht wurden die Deutschen auch am 18. Juli 1918 bei Soissons durch einen französischen Angriff mit 600 Kampfwagen. Künstlicher Nebel, Artillerie und Kampfflugzeuge unterstützten wirksam den Vorstoß. Nur drei Wochen später hatten 462 englische, französische und kanadische Tanks der 2. deutschen Armee bei Amiens eine schwere Niederlage zugefügt. Fast die gesamte Stellungstruppe war aufgerieben worden, sämtliche Artillerie verloren gegangen. Im deutschen Heer sprach man noch lange von der Katastrophe des 8. Augusts. „Der Tank gewann in seiner Massenverwendung unheilvollen Einfluss auf den Gang der kriegerischen Ereignisse“, schrieb der damalige Generalquartiermeister des Heeres, General Erich Ludendorff, in seinen Kriegserinnerungen. „Der 8. August stellte den Niedergang unserer Kampfkraft fest. Die Truppe ertrug nicht mehr den Tankansturm.“ Darin spiegelt sich vollkommen das konzeptionelle Defizit auf deutscher Seite wider, wo man die Möglichkeiten der neuen Waffe zu lange unterschätzt und viel zu spät mit dem Bau eigener Panzer begonnen hatte. Den Hunderten von alliierten Tanks hatten die Deutschen im Ersten Weltkrieg zuletzt nie mehr als 50 eigene Fahrzeuge entgegenstellen können, mehr als die Hälfte davon waren Beutefahrzeuge. Von dem einzigen deutschen Panzermodell, dem A7V-Sturm-Panzer-Kampfwagen konnten bis zum Kriegsende aus Kapazitätsgründen gerade einmal 20 Stück gefertigt werden. Trotz des massierten Einsatzes ihrer Tanks war den Alliierten jedoch nie ein vollständiger Durchbruch durch die deutsche Front gelungen. In der Tiefe des gegnerischen Raums hatte die Infanterie den durchgebrochenen Kampfwagen nicht mehr folgen können. Zudem waren die Fernmeldemittel zur Führung weiträumiger Operationen noch nicht ausgereift. Auch wenn die Alliierten diese Schwie-
rigkeiten bis zum Kriegsende nicht beheben konnten, stand für sie die Bedeutung der neuen Waffe für die zukünftige Kriegsführung außer Zweifel. Dem besiegten Deutschland wurden deshalb im Artikel 171 des Versailler Vertrags die Herstellung und die Einfuhr von Panzerwagen, Tanks oder irgendeines ähnlichen Materials, das Kriegszwecken dienen könnte, verboten. Das deutsche Heer wurde von den Alliierten auf 100 000 Mann beschränkt, der deutsche Generalstab abgeschafft. Ohne schwere Artillerie und ohne Unterstützung von Kampfflugzeugen war es jedoch praktisch außerstande, seine Aufgabe der Landesverteidigung zu erfüllen. Der neue Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, trat deshalb engagiert für eine erhöhte Beweglichkeit der Truppe ein. Nur eine weitgehende Mechanisierung des Heeres ermöglichte es aus seiner Sicht, Deutschland in einem zukünftigen Krieg, der vermutlich erneut an zwei Fronten geführt werden musste, wenigstens hinhaltend bis zu einem eventuellen Eingreifen des Völkerbunds zu verteidigen. 1927 schrieb Seeckt über die militärische Bedeutung der Kraftfahrzeuge, dass aus ihnen einmal eine eigene neue Waffe hervorgehen müsse, die als besondere Truppe neben der Infanterie, der Kavallerie und der Artillerie bestehen würde. Die Motorisierung des Heeres fiel anfangs in den Zuständigkeitsbereich der Inspektion der Kraftfahrtruppen. Ihr unterstanden in den 1920erJahren insgesamt sieben Kraftfahrabteilungen, eine für jede Division. Obwohl zunächst nur für logistische Aufgaben gedacht, wurde sie schließlich zur konzeptionellen und organisatorischen Keimzelle der späteren deutschen Panzerwaffe. Auf Anforderung der Inspektion war ihr schon 1922 mit dem Hauptmann Heinz Guderian (1888 – 1954) ein junger Generalstabsoffizier zugeteilt worden, der in der Folgezeit maßgeblich an der Entwicklung der deutschen Panzerwaffe zu einer eigenständigen Truppengattung beteiligt sein sollte. Aus der Infanterie stammend, hatte Guderian im Ersten Weltkrieg zuletzt die Funkstation einer Kavalleriedivision geführt und dabei die hohe Be-
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deutung von Fernmeldeverbindungen kennengelernt. Nur über Funk war, wie sich später zeigte, eine effektive und flexible Führung von schnellen motorisierten Verbänden im Gefecht möglich. Angeregt von Leutnant Ernst Volckheim, einem Panzeroffizier des Ersten Weltkriegs, befasste sich Guderian bald mit den Einsatzmöglichkeiten von Kampfpanzern und las auch die Werke der alliierten Militärtheoretiker Fuller, Liddell Hart und Martel. Diese Offiziere hatten mit der Idee eigenständig operierender Panzerverbände bereits einen zukunftsweisenden Weg beschritten, waren aber zunächst am Widerstand konservativer Kreise im britischen Generalstab gescheitert. Erst 1931 stellten die Briten probeweise eine Tankbrigade auf, die aber immer noch der Infanterie unterstellt blieb. Ebenso wie die englischen Offiziere scheiterte in Frankreich der damalige Oberst Charles de Gaulle mit seinen Bemühungen, die Panzerwaffe aus ihrer Abhängigkeit von der Infanterie zu befreien. In Deutschland hatten die Befürworter der neuen Waffe mehr Erfolg. Urteile wie die des zeitweiligen Inspekteurs der Kraftfahrtruppe, Oberst Wilhelm Oldwig von Natzmer, der anlässlich einer erfolgreich verlaufenen Übung 1924 Guderians Pläne zum Ausbau seiner Truppe zu Kampfverbänden mit den Worten abkanzelte: „Zum Teufel mit der Kampftruppe. Mehl sollt ihr fahren“, waren allerdings kein Einzelfall. Zu den Förderern der Panzerwaffe zählte dagegen Natzmers Nachfolger, der Oberst und spätere General Alfred von Vollard-Bockelberg. Die sogleich von ihm verfügte Umbenennung der Kraftfahrtruppe zur Kraftfahrkampftruppe zeigte bereits die neue Richtung an. Im Frühjahr 1929 erhielt die Kraftfahrabteilung 6 in Münster den Auftrag, sich in ein motorisiertes Bataillon umzugliedern, das aus einer Kradschützenkompanie, einem Panzerspähwagen und einer Kampfwagenkompanie bestehen sollte. Die guten Übungsresultate der neuen Truppe bewogen das Reichswehrministerium nur ein Jahr später, auch die übrigen sechs Kraftfahrabteilungen in motorisierte Bataillone umzubilden. Die Panzer- und Panzerspähwagen waren jedoch wegen der nach
wie vor bestehenden alliierten Verbote mit Leinwand bespannte Nachbildungen von echten Gefechtsfahrzeugen. Immerhin gestatteten die oft verspotteten Attrappen in begrenztem Umfang eine taktische Ausbildung. Für die schieß- und fahrzeugtechnische Instruktion hatte die Reichswehrführung bereits 1926 mit der Sowjetunion ein Abkommen abgeschlossen, das ihr erlaubte, im russischen Kasan ein Kampfwagenausbildungszentrum unter der Tarnbezeichnung „Kama“ zu unterhalten. Die Rote Armee stellte dazu die ersten Kampfwagen MS I und MS II zur Verfügung, die mit einer 37 mm-Kampfwagenkanone ausgerüstet waren. Später kamen dort auch deutsche Kampfwagenprototypen, sechs sogenannte Großtraktoren, zum Einsatz. Zu Beginn der 1930er-Jahre begann Deutschland schließlich offen, neue Panzertypen zu entwickeln. Seit 1932 betrieb das Heereswaffenamt unter Leitung des nunmehrigen Generals von Bockelberg die Entwicklung der leichten Panzertypen I und II, die später zur ersten Grundausstattung der neuen Panzerdivisionen gehörten. Ursprünglich als reine Ausbildungsfahrzeuge vorgesehen, die schon bald durch schwerere Panzer ersetzt werden sollten, bildeten sie tatsächlich noch während der ersten beiden Kriegsjahre das Rückgrat der deutschen Panzerwaffe. Trotz ihrer nur schwachen Bewaffnung mit Doppel-MG bzw. einer 20 mm-Bordkanone erfüllten sie bereits die technischen Grundforderungen an moderne Panzer. Beide Panzertypen besaßen einen voll schwenkbaren Turm, hohe Geschwindigkeit und einen großen Fahrbereich, der auch weitreichende Operationen erlaubte. Die Pläne des Chefs des Truppenamtes, General Ludwig Beck, sahen eine Ausstattung des deutschen Heeres mit 52 Panzerbataillonen vor, die in drei Panzerdivisionen und drei selbstständigen Panzerbrigaden zusammengefasst sein sollten. In der von Beck 1932/1933 herausgegebenen Vorschrift „Truppenführung“ war schon der Einsatz von Panzerkräften in großem Umfang vorgesehen, doch nach Ansicht von Guderian waren die Panzer darin immer noch zu sehr an die Operationen
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der Infanterie gebunden. Vor allem kritisierte er, dass aus den drei neuen Panzerdivisionen kein geschlossenes Panzerkorps gebildet werden sollte. Guderian war inzwischen zum Chef des Stabes der Kraftfahrinspektion ernannt worden und setzte sich engagiert für selbstständig operierende Panzerverbände ein, die im Schwerpunkt des Gefechts die zentrale Waffe des Heeres sein sollten. Die anderen Waffen hatten sich, so Guderian, in Bezug auf Geschwindigkeit und Geländegängigkeit den Panzern anzupassen. In einem solchen Verband aller Waffen sollten die Panzer „die erste Geige“ spielen. Trotz der noch offenen konzeptionellen Differenzen waren somit bereits vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 die entscheidenden Weichen für die Entwicklung der deutschen Panzerwaffe gestellt worden. Unter Hitler konnte ihr Ausbau nun offen fortgesetzt werden. Von neuer Militärtechnik grundsätzlich fasziniert, sah er in der neuen Panzerwaffe vor allem ein Mittel, in einem zukünftigen Krieg die verhängnisvollen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs zu vermeiden. Als Hitler 1934 einer Gefechtsvorführung der neuen Panzertruppe beiwohnte, soll er ausgerufen haben: „Das ist es, was ich brauche. Das will ich haben.“ An der weiteren Entwicklung nahm er zwar lebhaften Anteil, mischte sich jedoch vorerst nicht in Detailfragen ein. Die eigentliche Geburtsstunde der deutschen Panzerwaffe fiel in das Jahr 1935. Im Oktober dieses Jahres wurden im Rahmen der allgemeinen Aufrüstung Hitlerdeutschlands die lange geplanten Panzer-Divisionen Nr. 1 – 3 aufgestellt. Die neuen Divisionen verfügten im Wesentlichen über zwei Panzerregimenter zu zwei Abteilungen, jede mit drei leichten Kompanien zu 21 Panzern und einer schweren Einheit mit zunächst neun Kampfwagen, ein motorisiertes Infanterieregiment sowie ein Artillerieregiment. Dazu kamen ein Kradschützenbataillon, ein Panzerabwehrbataillon und eine gepanzerte Aufklärungsabteilung. Von den sechs neuen Panzerregimentern wurden zwei Verbände aus dem Personal der Kavallerie aufgestellt, das Kavalleriekorps selbst zum 1. April 1936 aufgelöst.
Der inzwischen zum Oberst beförderte Guderian erhielt das Kommando über die im Raum Würzburg stationierte 2. Panzer-Division. Drei Jahre später, 1938, wurde schließlich das erste Panzerkorps aus dem früheren Kommando der Kraftfahrtruppen gebildet. Ihr Kommandeur, General Oswald Lutz, wurde auch der erste General der Panzertruppen. Die erste praktische Bewährungsprobe der neuen Truppe zeigte jedoch, dass die Fragen der Versorgung mit Betriebsstoff und der Fahrzeuginstandsetzung bis dahin nur unzureichend geklärt waren. So war die Besetzung Österreichs im März 1938 nicht nur durch das Bild jubelnder Massen am Straßenrand geprägt, sondern auch durch den Anblick Dutzender ohne Kraftstoff oder mit technischen Mängeln liegen gebliebener deutscher Panzer. Der Aufbau der Panzertruppe war, ebenso wie der des gesamten deutschen Heeres, noch längst nicht abgeschlossen, als Hitler am 1. September 1939 den Einmarsch in Polen befahl. Die Masse der Fahrzeuge bestand immer noch aus den unzulänglichen Typen I und II. Von den kampfkräftigeren Modellen III und IV besaß das deutsche Heer zu Beginn des Krieges kaum mehr als 300 Panzer, doch waren die meisten Fahrzeuge schon mit Funkempfängern ausgestattet. Obwohl ein geschlossener Einsatz der inzwischen auf sechs Divisionen angewachsenen Panzertruppe in dem nur 18 Tage dauernden Feldzug nicht zustande kam, hatte sich die neue Waffe doch bewährt. Mithilfe tschechischer Beutefahrzeuge vom Typ Skoda (35/ 38 t) wurde im Winter 1939/40 die Zahl der Panzerdivisionen auf zehn erhöht. Ein halbes Jahr nach Abschluss der Kämpfe in Polen begann nach wiederholten Verzögerungen am 10. Mai 1940 die große deutsche Offensive im Westen. Erstmals kämpften die Panzerdivisionen jetzt geschlossen in der Panzergruppe des Generals Ewald von Kleist im Schwerpunkt des Angriffs. Trotz ihrer waffentechnischen Unterlegenheit gegenüber den französischen Modellen waren die deutschen Panzer, ohne sich um ihre Flanken zu kümmern, durch die Ardennen und Nordfrankreich zur Kanalküste vorgestoßen und
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Panzerkampfwagen I. Das Motiv aus der nationalsozialistischen Propaganda zeigt Panzerkampfwagen I bei einer Parade der deutschen Wehrmacht auf der Zeppelinwiese des Reichsparteitagsgeländes während des Reichsparteitages der NSDAP in Nürnberg, September 1938.
hatten damit den Krieg gegen Frankreich in nicht einmal zwei Wochen entschieden. Ihre bahnbrechenden Erfolge ließen auch die letzten Kritiker im Heer verstummen. Im Herbst 1940 wurde die Zahl der Panzerdivisionen verdoppelt. Allerdings musste dazu die Zahl der Panzerregimenter in den alten Divisionen halbiert werden. Danach kämpfte die Panzerwaffe noch zwei weitere Jahre an der Spitze des deutschen Heeres in den großen Offensiven in Russland und Nordafrika. Als sich das Blatt nach den Niederlagen von Stalingrad und El Alamein 1942
gegen Hitlerdeutschland wendete, bewährte sie sich auch in der Defensive. Der geschlossene Einsatz von Panzerkräften gegen Flanke und Rücken der über Don und Donez durchgebrochenen sowjetischen Korps rettete im Winter 1943 die Heeresgruppe Süd. Ihr damaliger Befehlshaber, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, prägte dafür das Wort vom „Schlagen aus der Nachhand“. Längst hatten Deutschlands Gegner jedoch die Prinzipien des operativen Einsatzes großer Panzerverbände selbst anzuwenden gelernt. In der sogenannten Operation Bagration stießen die sowje-
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Tiger II (Königstiger), Gefechtsstellung im Wald, Januar 1945. Der Tiger II, von dem nur 487 Exemplare gebaut werden konnten, verfügte über eine 88 mm-Kampfwagenkanone.
tischen Panzer im Sommer 1944 mehrere Hundert Kilometer weit zur Weichsel vor und überließen der nachfolgenden Infanterie die Zerschlagung der noch isoliert kämpfenden deutschen Divisionen. Auf amerikanischer Seite war es der General George Smith Patton, der mit seiner 3. US-Armee nach dem Durchbruch bei Avranches in der Normandie in nur wenigen Wochen quer durch Frankreich bis nach Lothringen vorstieß und damit die deutsche Westfront zum Einsturz brachte.
Den großen alliierten Erfolgen des Jahres 1944 waren jedoch längere Phasen eines an den Ersten Weltkrieg erinnernden Abnutzungskampfes vorausgegangen, in denen auf beiden Seiten starke Panzerkräfte unmittelbar ohne größeren Raumgewinn gegeneinander kämpften. So schlugen deutsche und sowjetische Panzerkorps am 12. Juli 1943 bei Prochorinowka die größte Panzerschlacht der Kriegsgeschichte auf teilweise kürzeste Distanz, während ein Jahr später in dem unübersichtlichen
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Heckengelände der Normandie deutsche und alliierte Panzerverbände um jeden Meter rangen. Immer häufiger kam es auf den Schlachtfeldern zum Duell Panzer gegen Panzer. Weitreichende Kanonen und eine erheblich gesteigerte Panzerung erhöhten ihr Gewicht auf zuletzt rund 68 Tonnen beim Tiger II (Königstiger). Die 75 mm-Kampfwagenkanone bildete jedoch bis Kriegsende in den meisten Armeen die Standardbewaffnung. Mit ihr war auf deutscher Seite der Panzerkampfwagen V (Panther) ausgestattet. Der Jagdpanther sowie beide Tigertypen verfügten sogar über die von der Fliegerabwehr übernommene 88 mm-Kanone, der kaum eine Panzerung widerstehen konnte. Obwohl Hitlerdeutschland den Krieg mit hoffnungslos unterlegenen Panzertypen begonnen hatte, war es gegen Kriegsende in der Entwicklung leistungsstarker Panzer seinen Gegnern eindeutig überlegen. Hitlers Offensive in den Ardennen 1944
war der letzte Versuch, noch einmal durch den geschlossenen Einsatz großer, technisch gut ausgestatteter Panzerverbände im Schwerpunkt einen entscheidenden Erfolg zu erzwingen. Er scheiterte jedoch trotz beachtlicher Anfangserfolge an den ungünstigen Kräfteverhältnissen, an den Geländeschwierigkeiten und vor allem an der Überlegenheit der feindlichen Luftwaffe. Die Panzerwaffe hatte dem deutschen Heer nur vorübergehend einen Vorteil gebracht. Im Lauf des Krieges waren andere Faktoren, wie etwa die Luftwaffe, die Mine und auch verbesserte Panzerabwehrwaffen der Infanterie hinzugekommen, die ihre herausragende Bedeutung minderten und die Panzerverbände vermehrt auf das Zusammenwirken mit anderen Truppengattungen anwiesen. Trotz allem blieb jedoch der Kampfpanzer bis zum Kriegsende 1945 und sogar noch bis in die jüngste Vergangenheit die Schwerpunktwaffe aller Armeen.
Panzerkampfwagen V (Panther A) in Ortwig, Ostpreußen, 1945.
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Taktische Zeichen – Legende Die taktischen Zeichen sind dem in den NATOStreitkräften gebräuchlichen System entnommen. Eine sinnvolle Verwendung im vorliegenden Band ist jedoch erst für die Epochen seit dem Ende des
Kavallerie
Dreißigjährigen Krieges möglich, da in der Antike und im Mittelalter keine einem Bataillon oder einem Regiment vergleichbaren Verbände existierten.
Infanterie
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Panzergrenadier
Artillerie
Kompanie Batterie Bataillon
Regiment
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Division
Korps
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Endnoten Einleitung 1 G. Duby, Der Sonntag von Bouvines, Berlin 1988, S. 122. 2 Die bedeutendsten Gesamtdarstellungen verfassten: E. Creasy, Die fünfzehn entscheidendsten Schlachten der Weltgeschichte, New York 1896, H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 7 Bde., fortgesetzt von E. Daniels und J. F. C. Fuller, Decisive Battles of the Western World, 3 Bde. Neuere deutsche Darstellungen stammen von S. Förster u. a., Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001 und H. Schnitter, Von Salamis bis Dien Bien Phu sowie W. Markow / H. Helmert, Schlachten der Weltgeschichte, Gütersloh 1983. Die beiden zuletzt genannten Werke sind zunächst in der DDR erschienen. Neueren Datums ist auch der Band: The Age of Battles. The Quest for Decisive Warfare from Breitenfeld to Waterloo 1631 – 1815 des Amerikaners R. F. Weigley. Eine Übersicht über die wichtigsten Seeschlachten seit der Antike lieferte H. Diwald. Eine Sammlung der größten Seeschlachten der Neuzeit schrieb der Engländer O. Warner, Große Seeschlachten, Hamburg 1963, den Parallelband, Große Landschlachten, Hamburg 1964 verfasste C. Falls. Außerhalb der gewohnten Bahnen bewegte sich der Amerikaner F. Pratt, Schlachten, die Geschichte machten, Düsseldorf 1965 mit seiner Auswahl von Entscheidungsschlachten.
4 Plutarch,
Themistokles, in: Große Griechen und Römer, Bd. 1, hrsg. v. K. Ziegler (Übersetzung v. W. Wuhrmann), München 1980, S. 377. 5 Vgl. Hignett, Xerxes’ Invasion of Greece, S. 210 ff.: Nach Herodots Marschangaben traf die persische Flotte neun Tage nach der Schlacht von Artemision, die Ende August stattgefunden hatte, in Phaleron ein, also nicht später als am 10. September. Da das Datum der Schlacht von Salamis nur drei oder vier Tage vor der Sonnenfinsternis des Jahres 480 v. Chr. (2. Oktober) lag, müssen zwischen Ankunft der persischen Flotte in Phaleron und der Schlacht mindestens noch drei Wochen verstrichen sein. 6 Die Historizität dieser von Herodot im VIII. Buch seiner Historien überlieferten Episode ist oft erörtert worden, am überzeugendsten von Hignett im Anhang seines Buches Xerxes’ Invasion of Greece, S. 403 f. Hignett wies auf die zahlreichen Widersprüche bei Herodot hin, die seine Darstellung der Schlacht und ihrer Vorgeschichte als Ganzes fast wertlos machen. Abgesehen von seiner falschen Chronologie enthielt Herodots Schilderung der einzelnen griechischen Kriegsversammlungen extreme Entstellungen, die offenbar nur der dramatischen Vorbereitung der Mission des Themistokles dienten. Nach Hignetts Auffassung muss diese aber eindeutig als Legende verworfen werden. Themistokles’ Botschaft konnte für die Perser unmöglich ein Anlass zum sofortigen Angriff sein, zumal Herodot selbst behauptete, dass die Perser schon tags zuvor nur durch die hereinbrechende Nacht von einem Angriff auf die Griechen abgehalten worden seien. Unklar bleibt auch, weshalb die Perser gerade in dem Moment, da die Griechen sich angeblich trennen wollten, noch das Risiko einer Schlacht in der Enge von Salamis hätten auf sich nehmen sollen. 7 Thukydides, Geschichte des Peleponnesischen Krieges, übers. u. eingel. v. G. P. Landmann, München, Zürich 1976, I, 138. 8 Ansprache des athenischen Admirals Phormion an seine Flotte vor der Schlacht von Naupaktos gegen die Peleponnesier im Jahre 429 v. Chr. Aus: Thukydides, Geschichte des Peleponnesischen Krieges, II, 89. 9 Herodot, Historien, Bd. 2, hrsg. v. J. Feix, München 1995, VI, 12.
Salamis 480 v. Chr. 1 J. Keegan wies in seinem Buch Die Kultur des Krieges, Reinbek 1997, S. 114, darauf hin, dass bei der Stadt Adrianopel, dem heutigen Edirne im Hinterland von Istanbul, in knapp 2000 Jahren 13 größere Schlachten stattgefunden haben, die letzten beiden im Jahre 1913 zwischen Türken, Serben und Bulgaren. 2 Alle diese Versuche sind letztlich spekulativ, da verlässlichere Zahlenangaben einfach nicht verfügbar sind. Herodot war allerdings nicht der einzige Grieche, der maßlos übertriebene Zahlenangaben für persische Armeen lieferte. C. Hignett hat in seinem Buch Xerxes’ Invasion of Greece, Oxford 1963, S. 351, darauf hingewiesen, dass Xenophon (Anabasis) und Ptolomaius bzw. Arrian, die es als Augenzeugen eigentlich besser hätten wissen müssen, sich später ebenso wenig scheuten, die Größe der ihnen gegenüberstehenden persischen Armeen auf mehrere Hunderttausend Mann zu beziffern. Außer der bei Siegern verbreiteten Neigung, die Zahl der besiegten Feinde höher anzusetzen, mag auch die fehlerhafte Übersetzung der persischen Zahl für 1000 mit dem griechischen Wort Myriade, was eigentlich 10 000 Mann bedeutet, schlicht zu einer Verzehnfachung der Armee des Großkönig beigetragen haben. 3 Diese Zahl nannte als Erster Aischylos in den Persern für die persische Flotte unmittelbar vor der Schlacht von Salamis. Im Widerspruch dazu behauptete Herodot (VI1,89), dass die persische Flotte schon bei ihrem Aufbruch von Doriskos einen Bestand von 1207 Schiffen gehabt habe, wovon dann ihre Verluste in der Schlacht von Artemision und im anschließenden Seesturm abgezogen werden müssen. Hignett, Xerxes’ Invasion of Greece, S. 350, hielt dagegen eine anfängliche Zahl von höchstens 600 Schiffen für realistisch.
Zama - Narragara 202 v. Chr. 1 Die Position einer eher defensiven Außenpolitik Roms in dieser Phase vertrat A. Heuss in seiner römischen Geschichte, Paderborn / München 1998 (6. Auflage), S. 67 f. Rom sei „hier wie auch sonst in seiner Geschichte weniger der Treibende als der Getriebene“ gewesen. Allerdings räumte auch Heuss ein, dass im Falle der Unterstützung für Messina doch die „Verlockungen eines leichten Triumphes“ bei den Senatoren schließlich die Oberhand gewannen. 2 Die widersprüchlich erscheinenden Angaben bei Polybios bezüglich der Lage von Sagunt – einmal soll die Stadt südlich des Ebro gelegen haben (vgl. Buch III, 14), dann aber wieder nördlich (Buch III, 15 u. 30) – lassen sich nur sinnvoll einordnen, wenn man Polybios, Buch III,14 so interpretiert, dass der Hasdrubalvertrag von 225 v. Chr. außer der Ebrogrenze auch den Schutz Sagunts durch Rom
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ern eine Gesamtzahl an gefangenen Galliern aus Alesia von etwa 50 000 – 55 000 Mann, wovon aber kaum alle zu den Kämpfern gerechnet werden können. 8 Diese Namen dürften zu Cäsars Zeiten nur noch traditionellen Charakter gehabt haben. In Ausrüstung, Bewaffnung und Alter unterschieden sich die klassischen drei Treffen einer Legion wohl kaum noch. 9 Als er im Winter 53/54. v. Chr. die in ihrem Winterlager von den belgischen Nerviern angegriffene Legion des Legaten Q. Cicero entsetzen musste, hatte er nur zwei Legionen und 400 Reiter, kaum 7000 Mann, zur Verfügung (BG V,48). Daraus errechnet sich eine Stärke von 3300 Mann je Legion sowie 330 Mann je Kohorte. Vor der Schlacht von Pharsalus (48 v. Chr.) bestand Cäsars Armee aus 80 Kohorten mit insgesamt 22 000 Mann. Das ergibt eine mittlere Stärke von 275 Mann je Kohorte; Lucan, Der Bürgerkrieg – De bello civili III, 89, übers. und hrsg. von G. Luck, Stuttgart 2009 (im Folgenden abgekürzt BC). 10 Als Cäsar während seines zweiten Feldzugs nach Britannien den Feind mit zwei Kohorten voraus in sehr geringem Abstand angriff, hatten die Briten immer noch Raum genug, mit ihren Kampfwagen zwischen diesen Kohorten durchzustoßen und unbehelligt in ihre Ausgangsposition zurückzukehren (BG V, 15). 11 Cäsar hatte Titurius Sabinus schon wiederholt selbstständige Kommandos übertragen (BG III, 18; 19 sowie BG IV, 21). Umso mehr erstaunt das völlige Versagen dieses Offiziers, das die Mehrheit seiner Leute das Leben kostete. 12 Die wichtigsten Werke stammen von Heron aus Alexandria, Philon von Byzanz und Vitruvius, der im zehnten Buch seiner Architectura ein Torsionsgeschütz beschrieben hat. Hilfreich war auch der Fund von Resten antiker Geschütze im spanischen Ampurias, wo sich in römischer Zeit ein großes Arsenal befand.
festlegte. Polybios’ Formulierung, dass Hannibal mit der Zerstörung Sagunts „den Vertrag, der den Karthagern verbot, den Ebro zu überschreiten“ (Buch III,30) gebrochen habe, bedeutet dann nicht, dass die Karthager tatsächlich den Ebro überschritten hätten, um Sagunt zu belagern, sondern nur, dass sie den mit der Ebroklausel näher bezeichneten Vertrag, der auch den Schutz von Sagunt vorsah, verletzt hatten. 3 Die These von K. Bringmann, Geschichte der Römischen Republik. Von den Anfängen bis Augustus, München 2002, S. 108 f, dass die Römer erst nachdem Hannibal den Ebro überquert hatte, Karthago den Krieg erklärten, ist aus den Quellen nicht nachvollziehbar. 4 Am ersten dieser beiden Tage, den Ludi Appolinaris, traf laut Livius die Nachricht vom Ende des ersten Waffenstillstands in Rom ein. Das zweite Datum, der erste Tag der Saturnalien, markiert als militärischer Schlusspunkt des Krieges die Niederlage des Numiderfürsten Vermina, Karthagos letztem Verbündeten, gegen die Römer. 5 Appian (Lybicae) nannte 50 000 Mann. Livius (Ab urbe condita) erwähnte auf karthagischer Seite ein zusätzliches, 4000 Mann starkes Korps aus Makedonien. 6 Die plumpe Abnutzungsstrategie, wie sie verschiedentlich moderne Autoren (vgl. Huß und Seibert) dem Karthager unterstellten, steht jedoch im krassen Widerspruch zu Hannibals wiederholt bezeugtem Listenreichtum.
Alesia 52 v. Chr. 1 Aus der Rede des Galliers Critognatus im belagerten Alesia (C. Iulius Caesar, Der gallische Krieg – De bello gallico (lat.- dt.), hrsg. von Otto Schönberger, München / Zürich 1990., Buch VII, 77. Im Folgenden abgekürzt BG) 2 Die Römer nannten sie auch Gallia Narbonensis. Im Unterschied zu den von Cäsar 58 – 52 v. Chr. unterworfenen gallischen Gebieten wurde sie oft auch die alte gallische Provinz genannt. 3 H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, Bd. I., Das Altertum, Berlin 1920, Neudruck 1964, S. 538 f., vermutete, dass Cäsar im Zuge der Saône eine neue Verteidigungsstellung aufbauen wollte, von der aus er die Provinz schützen konnte, ohne sich völlig aus dem freien Gallien zurückziehen zu müssen. Dank der dort wieder gesicherten Versorgung aus der Gallia Transalpina wäre es ihm auch möglich gewesen, die Sequaner und Helvetier in seinem Rücken unter seine Kontrolle zu bringen, ohne dass es Vercingetorix wagen konnte, ihnen zu Hilfe zu kommen. 4 Alise-Saint-Reine, ca. 40 Kilometer nordwestlich von Dijon. 5 Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, a. a. O. S. 542, bezweifelt diese Zahl ebenso wie Cäsars Angabe über die Stärke des Entsatzheeres. Er schätzt beide Armeen nach Eintreffen des gallischen Entsatzheeres auf je 70 000 Mann, davon höchstens 20 000 Mann als Besatzung von Alesia. 6 Der Arverner Critognatus soll sogar vorgeschlagen haben, sich von dem Fleisch der Kampfunfähigen zu ernähren, wie es die Gallier auch schon zu Zeiten der Kimbern- und Teutoneneinfälle gemacht hätten. 7 Cäsars Armee muss einschließlich der sicherlich zahlreichen Verwundeten nach der Schlacht immer noch 30 000 – 35 000 Mann stark gewesen sein. Da jeder dieser Soldaten einen Sklaven bekommen haben soll, ergäbe das zusammen mit den freigelassenen 20 000 Hädu-
Lechfeld 955 1 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte, lat.-dt., in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, bearbeitet von A. Bauer und R. Rau, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Bd. VIII, Darmstadt, 5. Aufl. 2002, S. 153 f. 2 Für diese Annahme sprechen zwei wichtige Quellenangaben: 1) Widukind von Corvey schreibt, dass die Ungarn den Lech überschritten und dann das heranrückende Heer der Ostfranken umgingen. Es muss sich also um zwei aufeinanderfolgende Bewegungen der Ungarn gehandelt haben. Die Umgehung aber wäre nicht nötig gewesen, wenn sich das ostfränkische Heer tatsächlich von Norden entlang des Lechs der belagerten Stadt genähert hätte. In diesem Fall hätten die Ungarn einfach warten können, bis der Feind auf der anderen Flussseite vorbeimarschiert wäre, um dann den Lech in seinem Rücken zu überschreiten. Flussübergang und Umgehung wären dann eine einzige Operation gewesen. 2) Gerhard von Augsburg berichtet, dass die Ungarn nach ihrer Niederlage an Augsburg vorbei zum Lech flohen, was dafür spricht, dass zumindest die erste Phase der Schlacht im Westen der Stadt stattgefunden haben muss. 3 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte, a. a. O., S. 153 f. 4 Weitere Einzelheiten bei K. F. Werner, Heeresorganisation und Kriegführung im deutschen Königreich des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Settimani di Studio del Centro Italiano Bd. XV., Spoletto 1968, S. 791 – 843.
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3 Johann von Viktring, Liber certarum historiarum, zitiert nach O. Brunner, Land und Herrschaft, S. 7. 4 Zitiert nach U. Lehnart, Die Schlacht von Worringen 1288, Frankfurt 1994, S. 8. 5 Zitiert nach R. Barden, Die Geburt Europas aus dem Geiste der Gewalt, München 1998, S. 124. 6 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, zitiert nach G. Duby, Der Sonntag von Bouvines, S. 126. 7 Zitiert nach P. Contamine, La Guerre au Moyen Age, S. 381. 8 Aus der Chronik des Giraud de Barri über die Eroberung Irlands durch die Engländer, zitiert nach P. Contamine, La Guerre au Moyen Age, S. 356. 9 Wilhelm Brito, zitiert nach Duby, G., Der Sonntag von Bouvines, S. 46 10 Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensis, ins Deutsche übertragen u. hrsg. v. G. E. Sollbach, Zürich 1997, S. 157 f. 11 Wilhelm Brito, zitiert nach G. Duby, Der Sonntag von Bouvines, S. 50. 12 Giraldus Cambrensis (Giraud de Barri), Itinerarium Kambriae, zitiert nach R. Bartlett, Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt, S. 121. 13 Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensis, ins Deutsche übertragen u. hrsg. v. G. E. Sollbach, Zürich 1997, S. 157. 14 Ebd., S. 95 f. 15 H. Waquet (Hrsg. und Übs.), Sugerus Abbas Sancti Dionysii, Vie de Louis Gros [Vita Ludovici VI., lat u. franz.], 2. Aufl. 1964, S. 139. 16 Zitiert bei G. E. Sollbach, Nachwort zu: Pierre des Vauxde-Cernay, Historia Albigensis, ins Deutsche übertragen u. hrsg. v. G. E. Sollbach, Zürich 1997, S. 335. 17 Ebd., S. 207. 18 Bernard von Clairvaux, Lobrede auf das neue Rittertum, in: Sämtliche Werke, Bd. 1, Innsbruck 1990, S.269 f. 19 Michel de Morolles, Paris oder die Beschreibung dieser Stadt, zitiert bei Aries, Ph., Geschichte der Kindheit, mit einem Vorwort von H. v. Hentig, aus dem Franz. von C. Neubaur u. K. Kersten, S. 308.
5 Angeblich
soll dies der oströmische Kaiser Nikephoros Phokas (963 – 976) dem Bischof Luitprand von Cremona, der im Auftrag Ottos I. im Jahre 968 als Gesandter nach Konstantinopel gereist war, gesagt haben. Luitprands Bericht über seine Gesandtschaft am oströmischen Kaiserhof ist jedoch in einem sehr ungünstigen Ton gehalten, der kein gutes Haar an Kaiser Nikephoros und seinem Hof ließ. Es ist daher möglich, dass Luitprand eine an sich sachliche, aber bestimmt kritische Anmerkung des oströmischen Kaisers über Ottos Heer absichtlich ins Groteske verzerrt hat. 6 Die Daten stammen aus: B. Scherff, Studien zum Heer der Ottonen und ersten Salier, Diss., Bonn 1985.
Mantzikert 1071 1 Die Begriffe „Türken“ und „Seldschuken“ werden im Folgenden mit gleicher Bedeutung gebraucht. 2 Johannes Skylitzes, Breviarum Historicum, in: Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae, Bonn 1829 – 1897, Bd. 35, dt.: Byzanz – Wieder ein Weltreich. Das Zeitalter der makedonischen Dynastie, hrsg. u. übers. v. H. Thurn, Graz 1983. 3 Aus der Taktika Kaiser Leos VI., des Weisen von Byzanz, über die Türken, in: Migne, Griechische Kirchenväter, Bd. 107. Kaiser Leo (886 – 912) sprach im 18. Kapitel seiner Taktika zwar von den Türken, meinte aber damit auch die Ungarn und Petschenegen. Aus Sicht der Byzantiner unterschieden sich alle diese Völker, die im 9. Jahrhundert die Steppen nördlich der Donau besiedelten, kaum voneinander. Darum enthält sein Bericht über die Türken neben vielen interessanten Details auch die üblichen Klischees des kultivierten Großstädters über die sogenannten barbarischen Völker außerhalb des Reiches. 4 Die Byzantiner betrachteten sich selbst als Römer und ihren Staat als Fortsetzung des Römischen Reiches. 5 Die Größe der byzantinischen Armee kann nur grob geschätzt werden. Aus anderen Quellen ist belegt, dass der aus den Balkantruppen bestehende linke Flügel der Armee etwa 15 000 Mann stark gewesen sein muss. Nimmt man die gleiche Stärke für den rechten Flügel und das Zentrum an und für die Nachhut etwas weniger, dürfte die byzantinische Arme bei Mantzikert ungefähr 50 000 bis 55 000 Mann umfasst haben. 6 Im Jahre 260 war der römische Kaiser Valerianus I. (253 – 260) nach verlorener Schlacht bei Edessa gegen den persischen Sasanidenherrscher Schapur I. in Gefangenschaft geraten und bald darauf verstorben. 7 Aus dem Strategikon des Kaisers Maurikios, a. a. O., S. 87 f. Die von ihm erwähnten Truppenkörper existierten aber auch noch fünf Jahrhunderte später. Die Taktika Leos Vl. kannte noch die Unterscheidung zwischen Defen-sores und Kursores; Attaleiates benutzte weiterhin den Begriff „Moira“ für Regiment.
Wien 1683 1 Aus: Glaubwürdiges Diarium und Beschreibung dessen, was Zeit waehrenden Tuerckischen Belagerung der Kayserl. Haupt = und Residentz = Stadt Wien taeglich vorgangen, Sonderdruck der Wiener Stadt- u. Landesbibliothek, Wien 1983 (ohne Seitenzählung). 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Zitiert bei W. Sturminger (Hrsg.), Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1968, S. 300 f. 5 Ebd., S. 349. 6 F. Stöller (Hrsg.), Reponse d’un officier de l’armee de l’Empereur à un général espagnol, contenant le détail des actions de la campagne de 1683, S. 33. 7 Zitiert bei J. Zeller (Hrsg.), Jan Sobieski. Briefe an die Königin. Feldzug u. Entsatz v. Wien 1683, Berlin 1981, S. 33 f. 8 F. Stöller (Hrsg.), Reponse d’un officier de l’armee de l’Empereur à un général espagnol, contenant le détail des actions de la campagne de 1683, S. 38. 9 Aus: W. Sturminger (Hrsg.), Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten, S. 357.
Tagliacozzo 1268 1 Malaspina, ein päpstlicher Schreiber, erwähnte in seiner aus stadtrömischer und päpstlicher Sicht verfassten Chronik über die Geschichte Siziliens von 1250–1285 ausdrücklich das weit zurückgehaltene dritte Treffen Karls; eine taktische Maßnahme, die der Franzose in seinem Brief an den Papst verschwieg. Text bei G. Del Re, in: Cronisti e scittori sincroni Napolitani 2, Neapel 1868, S. 206 ff. 2 Übersetzt nach dem lateinischen Text bei P. Herde, Die Schlacht von Tagliacozzo, in: Zeitschrift f. bayerische Landesgeschichte Bd. XXV, 1962, S. 741 – 744.
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Poltawa 1709 1 Die Festung Nöteburg am Lagodasee, das spätere Schlüsselburg, war vor der Gründung von Petersburg die wichtigste Festung in Schwedisch-Ingermanland und wurde im Oktober 1702 von den Russen erobert. 2 J. A. Nordberg, Leben Carls des Zwölften, 3 Bde., o. 0., 1745 – 1751. 3 Die Zahl ergibt sich als Summe aus den 38 000 Mann der schwedischen Hauptarmee und den 12 500 Mann, die General Lewenhaupt aus Riga als Verstärkung heranführen sollte.
6 Armeebericht
der preußischen Armee vom Niederrhein, zitiert nach G. H. Pertz/H. Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt v. Gneisenau, Bd. 4., S. 703 – 709. Auch wenn General von Gneisenau hier als Unterzeichner des Berichts genannt wird, war dieser jedoch tatsächlich von dem Obersten Ernst von Pfuel verfasst worden. 7 Aus: J. Keegan, Die Schlacht, München 1981, S. 231.
Königgrätz 1866 1 Aufstandsgebiet französischer Monarchisten während der Revolution von 1789 – 1794. 2 Bereits seit Oktober 1857 war er mit der Führung der Dienstgeschäfte beauftragt. 3 Die Episode ist von dem Überbringer der Weisung, dem späteren General der Kavallerie Graf von WartenslebenCarow, überliefert worden, in: Erinnerungen des Generals der Kavallerie Grafen Wartensleben-Carow, während der Kriegszeit 1866 Major im Großen Generalstab, Berlin 1897, S. 35 f. 4 H. v. Moltke, Moltkes Militärische Korrespondenz, 2: Aus den Dienstvorschriften des Krieges 1866, hrsg. vom Großen Generalstabe, Abth. für Kriegsgeschichte, Berlin 1896, S. 243. 5 Zitiert nach O. Regele, Feldzeugmeister Benedek. Der Weg nach Königgrätz, Wien 1960, S. 408. 6 Ebd., S. 426. 7 Th. Fontane, Der deutsche Krieg von 1866, Bd. 1: Der Feldzug in Böhmen und Mähren, Berlin 1870, Nachdruck 1979, S. 512 f. 8 Denkwürdigkeiten des Botschafters General von Schweinitz, Bd. 1, Berlin 1927, S. 228 f. 9 L. v. Blumenthal / A. v. Blumenthal, Tagebücher des Generalfeldmarschalls Graf von Blumenthal aus den Jahren 1866 und 1870/71, Stuttgart / Berlin 1902, S. 34. 10 Allgemeine Militärzeitung Nr. 82 vom 12.10.1839. 11 K. E. v. Pönitz, Die Eisenbahnen als militärische Operationslinien betrachtet und durch Beispiele erläutert. Nebst Entwurf zu einem militärischen Eisenbahnnetz, Adorf (Sachsen) 1842. Zweite Auflage 1853. 12 D. Showalter, Railroad and Rifles. Soldiers, Technologiy and the Unification of Germany, Hamden, Connecticut 1975, S. 61.
Trafalgar 1805 1 So lautete Nelsons letztes Signal am 21.10.1805 morgens an seine Flotte vor Kap Trafalgar, nachdem der Feind gesichtet worden war. 2 Seit 1801 als vereinigtes Königreich. 3 Memoirs of an English Seaman, 1836, zitiert nach J. Terraine, Trafalgar. Eye-witness Accounts, London 1976, S. 171. 4 Zitiert nach R. Maine, Internationale Flottengeschichte, Bd. 1: Von Lepanto nach Trafalgar, aus d. Franz. von N. Neelsen, Oldenburg, München, Hamburg 1979, S. 238. 5 La Correspondance de l’Empereur Napoleon Ier, Vol. XIII, Nr. 9115. 6 Zitiert nach Bradford, Nelson. Admiral – Diplomat – Liebhaber, Frankfurt/Berlin 1989, S. 377. 7 Ebd., S. 125 f. 8 Seekadett Barker von der Swiftsure, zitiert nach Bradford, a. a. O., S. 397 9 Ebd., S. 398. 10 Zitiert nach R. Maine, Internationale Flottengeschichte, Bd. 1: Von Lepanto nach Trafalgar, S. 310 f. Waterloo 1815 1 Die Gesamtverluste Wellingtons betrugen ca. 15 000 Mann, wovon die meisten wohl vor dem Schlussangriff der Kaisergarde ausgefallen sind. Dazu muss man noch einige Tausend Mann an Deserteuren rechnen, sodass die obige Schätzung noch eine sehr günstige Annahme darstellt. 2 Von den 20 000 Toten und Verwundeten auf französischer Seite nach Ende der Kämpfe dürften bis dahin etwa 15 000 Ausfälle eingetreten sein. Allein 5000 Mann gingen beim Angriff von d’Erlons Korps verloren. Dazu kamen die schweren Verluste der Kavallerie, mindestens 1500 Mann, und die Ausfälle in den Kämpfen um Schloss Hougoumont. 3 Zitiert nach H. T. Siborne, Waterloo Letters, London 1893 (Neudruck 1993), S. 244 f. 4 Ebd., S. 255. 5 Ebd., S. 257 f.
Hitlers Ardennenschlacht 1944/45 1 Siehe W. Warlimont, Im Hauptquartier der Deutschen Wehrmacht 3 – 45, 3. Aufl., München 1978, S. 487. 2 H. v. Manteuffel, Die Schlacht in den Ardennen 1944/45, in: in: Entscheidungsschlachten des Zweiten Weltkrieges, hrsg. v. H. A. Jacobsen / J. Rohwer, Frankfurt / Main 1960, S. 537 f. 3 H. M. Cole, The Ardennes. Battle of the Bulge, Washington 1965, S. 650.
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Personenregister A Adelheit, um 931 geboren, aus burgund. Königshaus, Witwe des langobard. Königs Lothar und seit 951 zweite Frau Kaiser Ottos I., von 991 bis 994 Regentin für Otto III., 1097 heiliggesprochen, S. 71 Adlerfeld, Gustav, schwed. Historiker (1671 – 1709), schrieb ein dreibändiges Werk über die Kriege Karls XII., in der Schlacht von Poltawa umgekommen, S. 289 Afranius (Afrianus), Lucius, Consul im Jahre 60 v. Chr., Anhänger des Pompeius im röm. Bürgerkrieg, von Cäsar bei Ilerda in Spanien 49 v. Chr. besiegt, nach erneuter Niederlage bei Thapsos 45 v. Chr. gefangen genommen und hingerichtet, S. 60 Aischylos, athen. Tragödiendichter (525 – 456 v. Chr.), Teilnehmer an der Schlacht von Salamis und Verfasser eines die Ereignisse des Jahres 480 verarbeitenden Dramas mit dem Titel Die Perser, S. 17 f., 287 Albert, sächs. König (1873 – 1902), geb. 1828, im Deutschen Krieg von 1866 mit Österreich verbündet, führte während des böhmischen Feldzugs als Kronprinz die sächsischen Truppen, S. 247 Alexander der Große, maked. König (336 – 323 v. Chr)., eroberte das Perserreich der Achämeniden und hellenisierte den Orient, S. 12, 43, 82 Allemend, Zacharie Jacques, franz. Admiral unter Napoleon und Führer eines Geschwaders im Seekrieg 1803/1814 gegen England, S. 194 Alp Arslan, (ca. 1030 – 1072) Sultan und Führer der Seldschuken von 1063 bis 1072, besiegte 1071 das oströmische Heer in der Schlacht von Mantzikert, Gefangennahme des Kaisers Romanos IV. Diogenes, S. 81, 88, 90 ff., 94 Alten-Allen, Folpert van, niederl. Künstler (ca. 1635 – 1715), seit 1673 Hofmaler Kaiser Leopolds I., S. 146 Andronicos Dukas, Widersacher des oström. Kaisers Romanos IV. Diogenes, den er nach dessen Gefangennahme 1072 blenden ließ, S. 94, 96 Ariovist, germ. Heerführer, unterlag Cäsar in einer Schlacht in der Nähe des heutigen Mühlhausen 58 v. Chr., entkam über den Rhein, gest. um 54 v. Chr., S. 48, 60 f., 64 Aristides, athen. Politiker (um 550 – 467 v. Chr.), 490 v. Chr. einer der zehn athen. Strategen bei Marathon, 482 v. Chr. auf Antrag des Themistokles von der Volksversammlung verbannt, nach seiner Rückkehr 479 Führer des athen. Kontingents bei Platää, S. 15 Arpad, ungar. Fürst gegen Ende des 9. Jh.s, Ahnherr der späteren Könige von Ungarn, S. 68, 77 Attaleiates, Michael, byzant. Geschichtsschreiber (ca. 1028 – 1085), Militärrichter in der Armee des Kaisers Romanos IV. Diogenes, Augenzeuge der Schlacht von Mantzikert 1071. Seine Historia gilt als Hauptquelle der Ereignisse, S. 91, 96, 293
August II., genannt der Starke, Kurfürst von Sachsen (1670 – 1733), seit 1697 gewählter König von Polen und Gegner Karls XII. von Schweden, S. 166, 168 Augustus, Octavian, erster röm. Kaiser von 63 v. Chr. bis 14 n. Chr., Neffe Cäsars, beendete durch den Sieg bei Actium 31 v. Chr. das Zeitalter der röm. Bürgerkriege und legalisierte seine Alleinherrschaft durch den Prinzipat, S. 50 B Basileios II., (958 – 1025) oström. Kaiser von 976 bis 1025, genannt der Bulgarentöter, stellte die Großmachtposition des Byzantinischen Reiches wieder her, S. 82 Beck, Ludwig, dt. General (1880 – 1944), seit 1933 Chef des Truppenamtes, das 1935 wieder in Generalstab des Heeres umbenannt wurde, lehnte Hitlers überstürzte Kriegspläne ab, Rücktritt 1938, beging am 20.7.1944 nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler Selbstmord, S. 281 Benedek, Ludwig August Ritter v., österr. General und Feldzeugmeister (1804 – 1881), Befehlshaber der österr. Nordarmee im Krieg von 1866, entscheidende Niederlage bei Königgrätz, S. 247 – 254, 256 Bengtson, Hermann (1909 – 1989), Prof. u. Althistoriker in München, S. 20, 287 Berengar II., König von Italien, um 900 geb., von Otto I. 951 besiegt, musste er dessen Lehnsoberhoheit anerkennen, 963 nach Deutschland verbannt, S. 71 Bernhard v. Clairvaux (um 1090 – 1153), 1112 Mönch in Cîteaux, Zisterzienserabt und Protagonist des Zweiten Kreuzzugs von 1149, kritisierte die Eitelkeit der Ritterschaft, S. 130 Bernhard, Prinz v. Sachsen-Weimar (1792 – 1862), zunächst sächs. Offizier, wechselte 1814 in niederländ. Dienste und befehligte unter Wellington während des Feldzugs von 1815 ein niederl. Korps, S. 216, 221, 231 Bismarck, Fürst Otto v. (1815 – 1898), 1862 preuß. Ministerpräsident, seit 1871 Reichskanzler des vor allem durch seine geschickte Politik zustande gekommenen Deutschen Reiches, S. 238, 240 f., 256, 258 Bittenfeld, Karl Eberhard Herwarth v., preuß. Generalfeldmarschall (1796 – 1884), Befehlshaber der Elbarmee während des Feldzugs von 1866 in Böhmen, S. 243, 252 Blücher, Leberecht, Fürst v. Wahlstadt, preuß. Generalfeldmarschall (1742 – 1819), Oberbefehlshaber der preuß. Streitkräfte während des Feldzugs von 1815 gegen Napoleon, S. 214, 216 f., 219, 220, 227, 231, 298 Blumenthal, Leonhard, Graf v., preuß. Generalfeldmarschall (1810 – 1900), Chef des Stabes der 2. preuß. Armee während des Feldzugs von 1866, 1888 zum Generalfeldmarschall befördert, S. 254, 290, 294
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Boulcu, ungarischer Führer und Widersacher Ottos I., Gefangennahme und Hinrichtung in Regensburg, S. 71 Bradley, Omar, amerik. General (1893 – 1981), 1944/1945 Befehlshaber der 12. US-Heeresgruppe in Europa, 1949 Chef der Vereinigten Generalstäbe der US-Streitkräfte, S. 274, 277 Braiselve, Jean de, franz. Marschall im Dienst Karls v. Anjou, von den Staufern bei Laterina (am Arno) gefangen genommen und vor der Schlacht von Tagliacozzo am 23.8.1268 hingerichtet, S. 106 Bülow, Friedrich Wilhelm, Graf Dennewitz (1755 – 1816), preuß. General, während des Feldzugs von 1815 Befehlshaber des IV. preuß. Korps, Angriff in franz. Flanke bei Waterloo bzw. Plancenoit, S. 216 f., 222, 227, 231 Bryennios, Nikephoros, oström. General, führte während des Feldzugs von 1071 die europ. Kontingente, nach 1072 Befehlshaber im albanischen Dyrrhachion, unterlag 1077 im Kampf um den Kaiserthron seinem Widersacher Nikephoros Botaneiates, S. 91, 93 f.
Cornelius Scipio, Calvus Gnaeus, röm. Konsul 222 v. Chr., 217 v. Chr. Prokonsul in Spanien, sechs Jahre später dort im Kampf gegen die Karthager gefallen, Oheim des späteren Scipio Africanus Major, S. 31 Cornelius Scipio, Publius, röm. Feldherr und Konsul 205 v. Chr., genannt Africanus Major, Sieger über Hannibal in der Schlacht von Zama 202 v. Chr., S. 31 – 41 Cornelius Scipio, Publius, röm. Konsul 218 v. Chr., Niederlagen gegen Hannibal an der Trebia und am Ticinus, 211 v. Chr. in Spanien gefallen, Vater von Publius Cornelius Africanus Major, S. 31 D Dareios, pers. Großkönig (522 – 486 v. Chr.), warf 495/494 v. Chr. den Aufstand der ionischen Griechen nieder, drang erstmals bis nach Europa vor und eroberte bis 492 v. Chr. Trakien, S. 12 Davout, Louis Nicolas, Herzog v. Auerstedt u. Prinz v. Eckmühl (1770 – 1823), franz. Marschall, siegte 1806 bei Auerstadt über eine doppelte preußische Übermacht, 1815 Kriegsminister, S. 215, 220, 233 Decrès, Denis, Herzog v. (1761 – 1820), nahm an Napoleons Expedition nach Ägypten teil, seit 1801 franz. Marineminister, S. 192 ff., 197 Delbrück, Hans Gottlieb, dt. Historiker (1848 – 1929), Begründer der wissenschaftlichen Militärgeschichtsschreibung mit seinem Hauptwerk über die Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, S. 287, 289, 291 f., 294 Diepold, Graf v. Dillingen, Bruder des Bischofs Ulrich v. Augsburg, Führer des augsburgischen Kontingents in der Schlacht auf dem Lechfeld 955, S. 73 Dietrich, Josef, Generaloberst der Waffen-SS (1892 – 1966), erster Kommandeur der Leibstandarte Adolf Hitler, während der Ardennenoffensive im Dezember 1944 Befehlshaber der 6. Armee, nach dem Krieg als Kriegsverbrecher angeklagt, kam jedoch später frei, S. 270 Dionysios, Grieche aus Phokaia, einer der Führer des ionischen Aufstands gegen die Perser 495/494 v. Chr., Flottenbefehlshaber, S. 25 Domitius, Gnaeus Ahenobarbus, röm. Konsul 122 v. Chr., besiegte 121 v. Chr. die gallischen Allobroger und errichtete in Südgallien die Provinz Gallia Transalpina, S. 61 f. Dreyse, Nikolaus (1787 – 1867), Gewehrkonstrukteur und Fabrikant, entwickelte ein neuartiges Zündsystem mit spitzem Schlagbolzen, das die preuß. Armee seit 1848 einführte, 1864 in den Adelsstand erhoben, S. 245 Drouet, Jean-Baptiste, Graf d’Erlon (1765 – 1844), franz. General, seit 1810 in Spanien, führte während des Feldzugs von 1815 ein Korps, S. 214, 216, 222 f., 227 f., 230 f., 294 Duby, George, franz. Historiker (1919 – 1996), zahlreiche Werke über die Geschichte des Mittelalters, S. 7, 117, 288, 291, 293
C Calder, Robert, engl. Admiral (1745 – 1818), verhinderte im Juli 1805 mit seinem Geschwader beim Kap Finisterre den Durchbruch der franz. Flotte nach Brest und weiter in den Kanal, später kriegsgerichtliche Untersuchung, da er den Feind nicht energisch verfolgte, S. 189, 192 Cäsar, Gaius Julius, röm. Feldherr und Diktator (ca. 100 – 44 v. Chr.), eroberte Gallien in einem sechsjährigen Feldzug und begründete nach dem Sieg im Bürgerkrieg über seine innenpolitischen Gegner 45 v. Chr. eine Alleinherrschaft, S. 48 – 65 Cassius Dio Cocceianus, griech. Historiker (163 – 235 n. Chr.), zweimal Konsul, Statthalter von Afrika, Dalmatien und Oberpannonien, verfasste eine römische Geschichte in 80 Büchern, S. 52 Clam-Gallas, Eduard, Graf v., österr. General (1805 – 1891), Befehlshaber des 1. österr. Korps im Krieg von 1866 in Böhmen, später wegen seiner unglücklichen Operationsführung von seinem Kommando entbunden, in einer kriegsgerichtlichen Untersuchung jedoch wieder freigesprochen, S. 241, 247 Claudius, röm. Kaiser (41 bis 54 n. Chr.), geb. um 10 v. Chr. als Sohn des Feldherrn Drusus, von der Prätorianergarde auf den Thron gehoben, regierte er meist gegen den Senat, betrieb den Ausbau der kaiserlichen Verwaltung und stärkte die Rechte der Provinzen, Abschluss der Eroberung Britanniens, S. 58 Collingwood, Cuthbert, engl. Admiral (1748 – 1810), 1805 zweiter Befehlshaber der engl. Flotte in der Schlacht von Trafalgar 1805, S. 193, 196, 198 f., 204 Constanze (ca. 1154 – 1198), Erbin des Normannenkönigreichs in Sizilien und Neapel und Gattin Kaiser Heinrichs IV., Mutter des späteren Kaisers Friedrich II., S. 102
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E Eduard I., engl. König (1272 – 1307), eroberte bis 1295 Wales und zeitweise auch Schottland, setzte in seinen Kriegszügen besonders Söldner ein, S. 126 Eisenhower, Dwight D., amerik. General (1890 – 1969), im Zweiten Weltkrieg Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, später Präsident der Vereinigten Staaten, S. 274, 277 f., 290 Érard de Valéry, franz. Ritter und Befehlshaber im Dienst Karls v. Anjou, begleitete 1248/1250 König Ludwig IX. auf dem 6. Kreuzzug nach Ägypten, 1270 Connetable der Champagne, gest. um 1276/77, S. 110, 114 Eudokia, Witwe Kaiser Konstantins X., später Gattin des neuen Kaisers Romanos IV. Diogenes, gest. vor 1100, S. 84 f. Eugen, Prinz v. Savoyen, österr. Heerführer (1663 – 1736) zunächst im Großen Türkenkrieg von 1683 – 1699, später im Spanischen Erbfolgekrieg (1700 – 1713), siegte in den Schlachten von Zenta 1697, Höchstedt-Blindheim 1704, Turin 1706 und Belgrad 1717, S. 159 Eurybiades, spartan. Admiral, geb. um 525 v. Chr., Führer der vereinigten griech. Flotte im Perserkrieg 480 v. Chr., S. 15, 17
Friedrich II., röm.-dt. Kaiser (1220 – 1250), überragender Herrscher des Mittelalters, dessen Regierungszeit jedoch durch seinen Konflikt mit dem Papsttum belastet wurde, S. 103, 105 Friedrich III., preuß. Kronprinz (1831 – 1888), später dt. Kaiser, als Befehlshaber der preuß. 2. Armee im böhm. Feldzug von 1866 führte er bei Königgrätz den entscheidenden Flankenstoß gegen die österr. Nordarmee, S. 243, 246 Friedrich Karl, preuß. Prinz (1828 – 1885), Befehlshaber der preuß. 1. Armee während des Feldzugs von 1866 in Böhmen, S. 242 f., 247 – 254 Friedrich IV., König v. Dänemark und Norwegen (1671 – 1730), kämpfte im Großen Nordischen Krieg (1700 – 1721) in einer Koalition aus Sachsen und Russland gegen Schweden, S. 166 Friedrich v. Baden, erfolgloser Aspirant auf das Herzogtum Österreich, Begleiter Konradins auf seinem Feldzug gegen Karl v. Anjou, geriet mit ihm zusammen in Gefangenschaft und wurde ebenfalls im Oktober 1268 in Neapel hingerichtet, S. 104 Friedrich Wilhelm III., preuß. König (1797 – 1840), regierte in großer Abhängigkeit von seinem Beamtenapparat und neigte zu einer konservativ-restaurativen Politik im Sinne Österreichs, S. 259 Fuller, John Frederic Charles, engl. General und Militärschriftsteller (1878 – 1966), Stabschef der brit. Tankkorps im Ersten Weltkrieg, plante den ersten großen Panzerangriff der Kriegsgeschichte bei Cambrai (20.11.1917), S. 290
F Fabius, Maximus Buteo (der Habicht), röm. Senator zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges, Konsul 245 v. Chr., überbrachte 218 v. Chr. dem Senat in Karthago die röm. Kriegserklärung, S. 30 Ferdinand I., Herzog v. Österreich (1503 – 1564), seit 1531 dt. König, folgte 1556 seinem Bruder Karl V. als röm.-dt. Kaiser, seit 1526 auch König v. Ungarn, das aber größtenteils von den Osmanen besetzt war, S. 134 Fontane, Theodor (1819 – 1898), märkischer Schriftsteller und Journalist, während der Feldzüge von 1866 und 1870 Kriegskorrespondent, geriet dabei vorübergehend in franz. Gefangenschaft, S. 294 Fransecky, Eduard v., preuß. Gen. (1817 – 1890), im böhm. Feldzug von 1866 Divisionskommandeur, kämpfte bei Königgrätz erfolgreich gegen zwei österr. Armeekorps, 1870 kommandierender General, S. 251 f. Franz Joseph, österr. Kaiser und König v. Ungarn (1848 – 1916), wahrte trotz Niederlagen gegen Frankreich, Piemont-Sardinen (1859) und Preußen (1866) den Zusammenhalt seines Vielvölkerstaates bis zum Ersten Weltkrieg, S. 241, 256 Friedrich I. Barbarossa, röm.-dt. Kaiser (1122 – 1190), betrieb eine ehrgeizige Italienpolitik und starb auf dem Dritten Kreuzzug in Kleinasien, S. 107, 122, 126 Friedrich II., genannt der Große, König v. Preußen (1740 – 1786), führte drei Kriege gegen Österreich um den Besitz Schlesiens, begründete Preußens Großmachtstellung, S. 227, 238
G Gall, Lothar, geb. 1936, dt. Historiker und Verfasser u. a. einer Bismarckbiografie, S. 290 Ganteaume, Honoré Joseph, Graf v., franz. Admiral unter Napoleon Bonaparte (1755 – 1818), im Seekrieg von 1805 Führer eines Geschwaders in Brest, S. 191 ff. Gerhard v. Augsburg, Kleriker und Dompropst, Chronist und Zeuge der Kämpfe um Augsburg 955, Vertrauter des Bischofs Ulrich, dessen Lebensbeschreibung er bis 993 verfasste, wohl vor 996 gest., S. 73ff., 292 Gneisenau, Neithard August, Graf v., preuß. Generalfeldmarschall (1760 – 1831), Chef des Stabes der preuß. Armee während des Feldzugs von 1815, neben Blücher treibende Kraft im Kampf gegen Napoleon, S. 220, 230, 243, 294 Gravina, Frederico Carlos, span. Admiral (1756 – 1806), kämpfte auf der Seite Frankreichs gegen England, unterlag 1805 zusammen mit dem franz. Geschwader Admiral Nelson bei Trafalgar, S. 191, 198, 204 Gregor VII., röm. Papst (1073 – 1080), Streit mit dem dt. Kaiser um den Vorrang der Kirche, S. 128, 130 Grouchy, Emmanuel, Marquis de, franz. Marschall (1766 – 1847), sollte nach dem Sieg von Ligny (16.6.1815) die geschlagenen Preußen verfolgen, verhinderte jedoch
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Personenregister
Heinrich, Herzog v. Bayern (919/922 – 955), Bruder Kaiser Otto I., S. 71 Heinrich, Prinz v. Kastilien (1230 – 1304), Senator von Rom und 1268 Verbündeter des Staufers Konradin, nach der Niederlage von Tagliacozzo von Karl v. Anjou gefangen genommen, danach jahrelange Kerkerhaft, S. 106, 110, 112 f. Herakleios (575 – 641) oström. Kaiser von 610 bis 642, bekämpfte erfolgreich das pers. Sasanidenreich, führte die Themenverfassung im Reich ein, verlor aber seit 638 Palästina, Syrien und Ägypten an den Islam, S. 97 Herodot v. Halikarnassos, griech. Geschichtsschreiber und Weltreisender (um ca. 484 – 425 v. Chr.), verfasste ein Werk über den Kampf der Griechen und Perser in neun Bänden, das mit der Regierungszeit des Perserkönigs Kyros beginnt und bis zum Jahre 479 reicht, S. 12, 15, 17f., 23 f., 287, 291 Hieron II. (um 306 – 215 v. Chr.), seit 269 König v. Syrakus, S. 28 Hitler, Adolf, dt. Reichskanzler und Diktator (1889 – 1945), Oberbefehlshaber der dt. Wehrmacht, entfesselte den Zweiten Weltkrieg, der mit der totalen Niederlage Deutschlands endete, S. 266 – 270, 278, 282, 295 f. Hooghe, Romeyn d (1645 – 1708), niederl. Maler und Bildhauer, bereiste von 1673 bis ca. 1686 Ost- und Südeuropa, war um 1683 auch in Wien, wo er einen Bilderzyklus der Belagerungskämpfe anfertigte, S. 148
nicht, dass drei preuß. Korps Wellington bei Waterloo zuhilfe kamen, S. 214, 220, 227, 230 f., 233 Guderian, Heinz, dt. Gen. (1888 – 1954), Mitbegründer der dt. Panzerwaffe, Führer einer Panzergruppe im Krieg gegen die Sowjetunion, nach dem 20. Juli 1944 Treuebekenntnis zu Hitler, Vorsitzender des Ehrengerichtshofes, der die Verschwörer aus der Armee ausstieß, zuletzt Generalstabschef des Heeres, am 28. März 1945 nach heftigem Streit mit Hitler von diesem beurlaubt, S. 280 ff., 290 Gustav Adolf II. (1594 – 1632) König v. Schweden von 1611 bis 1632, griff 1630 aufseiten der protestantischen Reichsfürsten in den Dreißigjährigen Krieg ein, nach seinem Sieg bei Breitenfeld 1631 eroberte er fast ganz Deutschland, fiel aber bei Lützen am 16.11.1632, S. 162, 184 f. H Halkett, Sir Colin, brit. Gen. (1774 – 1856), kommandierte 1815 bei Waterloo die 5. brit. Brigade, die entscheidenden Anteil an der Abwehr der franz. Garde in der Schlussphase der Schlacht hatte, S. 221, 228, 231 Hamilcar, Barkas (um 290 – 229/228 v. Chr.), karthagischer Feldherr im Ersten Punischen Krieg, eroberte nach dem Verlust von Sizilien in Spanien bis 229 v. Chr. ein neues Kolonialreich, S. 28 Hamilton, Emma (1765 – 1815), Gattin des engl. Botschafters am Hof von Neapel, Willliam Hamilton, später Geliebte Admiral Nelsons, gemeinsame Tochter, S. 188, 199 Hamilton, Hugo Johann v. Hageby (1668 – 1748), schwed. General und Reiterführer bei Poltawa, S. 175 Hannibal, Barkas, karthag. Feldherr (ca. 246 – 183 v. Chr.), bereitete den Römern im Zweiten Punischen Krieg schwere Niederlagen, ehe er ihnen bei Zama 202 v. Chr. unterlag, S. 27 – 45 Hardy, Sir Thomas, engl. Admiral (1769 – 1839) und Vertrauter Nelsons, 1805 Kommandant von Nelsons Flaggschiff, der Victory, in der Schlacht von Trafalgar, S. 199, 201, 203 ff. Hasdrubal, Barkas, karthag. Feldherr, Bruder Hannibals, Niederlage und Tod in der Schlacht am Metaurus gegen die Römer 207 v. Chr., S. 31 f., 34 Heinrich I. (um 876 –) 936 ostfränk. König von 919 bis 936, erwarb 925 das Herzogtum Lothringen und festigte damit das ostfränk. Reich, Abwehrerfolg gegen die Ungarn an der Unstrut 933, S. 71, 77 Heinrich II. (1133 – 1189) engl. König von 1154 bis 1189, gewann durch Heirat mit Eleonore v. Aquitanien große Teile Südwestfrankreichs, S. 122 Heinrich VI. (1165 –) 1197, röm.-dt. Kaiser von 1190 bis 1197, erwarb durch Erbschaft d. Königr. Sizilien u. Neapel, S. 102 Heinrich VII. (1278/1279 – 1313) von 1308 bis 1313 röm.-dt. König und ab 1312 röm.-dt. Kaiser, unternahm 1312 einen der letzten Italienzüge, verstarb schon im Jahr darauf in Rom, S. 115
I Ibrahim Pascha (1789 – 1848), genannt Koca (der Alte) oder Arnavut (Albaner), Gouverneur (Beglerbegi) von Ofen und türk. Heerführer vor Wien 1683, auf Befehl Kara Mustafas nach dem türk. Rückzug von Wien wegen angeblicher Pflichtverletzung hingerichtet, S. 150 f. Innozenz III., röm. Papst (1198 – 1216), befahl den Kreuzzug gegen die südfranzösischen Katharer, S. 128 Isaac Comnenos, oström. Feldherr und Kaiser (um 1007 – 1060), S. 84 J Jerôme Bonaparte, jüngster Bruder Napoleons (1784 – 1860), vormals König v. Westfalen, führte während des Feldzugs von 1815 eine franz. Division, die während der Schlacht von Waterloo in schwere Kämpfe um das Schloss Hougoumont verwickelt wurde, S. 221 f., 231 Jodl, Alfred, dt. Gen. (1890 – 1946), Chef des Wehrmachtsführungsstabes, unterzeichnete am 7.5.1945 die dt. Kapitulation in Reims, nach dem Nürnberger Prozess hingerichtet, S. 266 Johann III. Sobieski (1629 – 1696), ab 1674 König von Polen und Großfürst von Litauen, kam den Österreichern 1683 mit seinem Heer gegen die Osmanen zuhilfe, S. 133, 141 f., 150, 152f., 155
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K Kambyses (um 558 v. Chr. – 522 v. Chr.), persischer Großkönig von 529 bis 522 v. Chr., Nachfolger des Kyros, eroberte 525 v. Chr. Ägypten, S. 112 Kara Mustafa, osman. Großwesir und Heerführer (1634– 1683), belagerte 1683 erfolglos Wien, später auf Befehl des Sultans hingerichtet, S. 138 – 141, 150f., 156, 158 Karl d. Große, (ca. 742–814), fränk. König, seit 800 röm. Kaiser, unterwarf die Bayern, Sachsen und Langobarden, Erneuerer der röm. Reichsidee, S. 68, 77 Karl V., Herzog v. Lothringen, Heerführer in habsburgischen Diensten (1643–1690), Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen im Großen Türkenkrieg von 1683, S. 141 f., 152 Karl V. (1500 – 1556) ab 1516 der erste König von Spanien, 1519 erbte er das Erzherzogtum Österreich und wurde als Karl V. zum röm.-dt. König gewählt, 1530 wurde er als letzter röm.-dt. König von Papst Clemens VII. zum Kaiser gekrönt, Habsburger u. Katholik, versuchte letztlich ohne Erfolg die religiöse Einheit im Reich wiederherzustellen, S. 134 Karl I., Graf v. Anjou, Bruder Ludwigs IX. von Frankreich (1226–1285), eroberte mithilfe der Päpste 1265/1266 Sizilien und Neapel und verteidigte es gegen seine staufischen Gegner, S. 7, 102, 105f., 109, 111 f. Karl XI. (1655 – 1697) schwed. König von 1660 bis 1697, führte nach erfolgreichen Kriegen gegen Dänemark eine Reform seiner Armee durch, die als sogenanntes Einteilungswerk bekannt wurde, S. 184 Karl XII. (1682 – 1718), schwed. König von 1682 bis 1718, unterlag Russland im Kampf um die Vorherrschaft im Baltikum, S. 9, 166 f., 169 – 172, 182 f., 185, 289 Keegan, John (1934 – 2012), engl. Militärhistoriker, eröffnete mit seinem Buch Das Anlitz des Krieges eine neue Perspektive der Militärgeschichtsschreibung, S. 290 f. Kielmansegg, Friedrich Otto Graf v., hannov. General (1768 – 1851), führte während des Feldzugs von 1815 die 1. Hannov. Brigade in der 3. Division des Generals v. Alten, S. 227 Konrad I. (um 881 – 918), ostfränk. König von 911 bis 918, mit ihm begann die eigenständige Geschichte des östlichen Teils des ehemaligen Frankenreichs, S. 68 Konrad IV. (1228 – 1254), Herzog v. Schwaben (ab 1235), röm.-dt. König (ab 1237), König v. Sizilien (ab 1250), König v. Jerusalem (ab 1228), Vater Konradins, gest. auf einem Feldzug in Italien, S. 102 Konrad, ehem. Herzog v. Lothringen (922 – 955), in der Schlacht auf dem Lechfeld getötet, S. 71 Konradin (1252 – 1268), Staufer, Enkel und letzter Erbe Kaiser Friedrichs II., unterlag seinem Gegner Karl v. Anjou in der Schlacht von Tagliacozzo 1268, in Neapel hingerichtet, S. 102, 104, 106 – 108, 110 – 115 Konstantin I., röm. Kaiser (um 270/288 – 337), reg. 306 – 337, seit 324 Alleinherrscher, legalisierte 313 das Christentum, S. 82
Konstantin IX., genannt Monomachus, oström. Kaiser (um 1000 – 1055), S. 82 Konstantin X.(1006 – 1067). Dukas, Kaiser des Byzantinischen Reichs von 1059 bis 1067, S. 84, 94 Krauseneck, Johann Wilhelm v., preuß. General (1774 – 1850) und langjähriger Chef des Generalstabs der Armee, S. 259 Kyros (um 590/580 v. Chr. – 529 v. Chr.), Gründer des pers. Großreichs, schüttelte um 550 v. Chr. die Vorherrschaft der Meder ab, Eroberung des Lyderreichs in Kleinasien und Zerstörung von Babylon 539 v. Chr., S. 14 L Labienus, Titus, röm. Legat (ca. 100 v. Chr.), 63 in Rom Volkstribun, im Gallischen Krieg (52 – 58 v. Chr.) bewährter Führer der X. Legion, danach aufseiten des Pompeius, fiel bei Munda 45 v. Chr., S. 51, 55 Laelius, Gnaeus (235 – 160 v. Chr.), Vertrauter des Scipio Africanus, entschied bei Zama 202 v. Chr. als Führer der röm. Kavallerie die Schlacht zugunsten der Römer, 190 v. Chr. Konsul., S. 33 f., 36, 39 ff. Lenormant, François, franz. Historiker, Archäologe und Numismatiker (1837 – 1883), S. 14, 16 Leo IV. (750 – 780), oström. Kaiser von 775 bis 780, Verfasser eines militärischen Handbuchs, der sogenannten Taktika, S. 86 Leopold I. (1640 – 1705), röm.-dt. Kaiser von 1657 bis 1705, schloss 1683 ein Bündnis mit Polen und den Reichsfürsten, mit deren Hilfe das von den Türken belagerte Wien befreit werden konnte, S. 136, 141, 145 Leszczyński, Stanisław (1677 – 1766), schwed. Gegenkandidat zu August II. von Sachsen auf den polnischen Thron, Verlust seines Thrones nach der Niederlage Schwedens bei Poltawa, S. 168 Lewenhaupt, Adam Ludwig (1659 – 1719), schwed. General, führte bei Poltawa die schwed. Infanterie, kapitulierte kurz darauf mit dem Rest der Armee bei Perewolotscha vor den Russen, S. 170 ff., 179, 181 f., 294 Licinius, Valerius Licinianus (um 265 – 325), röm. Kaiser von 308 bis 324, Herrscher im Ostteil des Reiches, unterlag seinem Rivalen Konstantin 324 n. Chr., S. 25 List, Friedrich, (1789 – 1846), Publizist, Ökonom und Protagonist der Eisenbahnen, S. 259 Liudolf (um 930 – 957), Herzog. v. Schwaben, ältester Sohn Ottos I., erhob sich 954 erfolglos gegen seinen Vater, S. 71 f. Livius, Titus, röm. Geschichtsschreiber (um 59 v. Chr. – 17. n. Chr.), seine röm. Geschichte umfasste 142 Bücher, von denen jedoch nur etwa 30 erhalten sind, S. 287, 292 Ludendorff, Erich, dt. General (1865 – 1937), Chef des Stabes der 8. dt. Armee bei Tannenberg 1914, später als Generalquartiermeister die bestimmende Persönlichkeit der Dritten Obersten Heeresleitung, drang im Herbst 1918 auf
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Massinissa (238 v. Chr. – 149 v. Chr.), numid. König, kämpfte im Zweiten Punischen Krieg zuerst aufseiten Karthager, lief dann zu den Römern über, später ständiger Rivale der Karthager, S. 32, 34 ff., 39, 41 Maximilian II. Emanuel, geb. 1662, Herzog v. Bayern (1679 – 1726), Kurfürst und Heerführer im Großen Türkenkrieg (1683 – 1699) und im Span. Erbfolgekrieg (1700 – 1713), von 1691 – 1709 Generalstatthalter der Span. Niederlande, S. 153 Maximilian II. (1527 – 1576), Erzherzog von Österreich und röm.-dt. Kaiser ab 1564, S. 141 Mazeppa, ukrain. Kosakenführer und Verbündeter der Schweden im Großen Nordischen Krieg, S. 171 f. Mehmed II. (1432 – 1481), osman. Sultan (reg. 1451 – 1481), Eroberer Konstantinopels im Jahr 1453, S. 97 Mehmed IV. (1642 – 1693), osman. Sultan von 1648 bis 1687, nach der Niederlage von Wien 1683 und dem Verlust Ungarns 1687 von seinem Bruder gestürzt, S. 139 Menschikow, russ. Feldmarschall und Politiker (1673 – 1729), Reiterführer Zar Peters I. im Krieg gegen Schweden. Zwang 1709 nach der Schlacht von Poltowa die Reste der schwed. Armee bei Perewolotscha am Dnjpr zur Kapitulation, S. 171, 176 Michael VII. Dukas (um 1050 – 1090), oström. Kaiser von 1071 bis 1078, kam durch Bürgerkrieg an die Macht, während seiner Regierung ging fast ganz Anatolien an die seldschukischen Türken verloren, S. 96 f. Model, Walter, dt. Generalfeldmarschall (1891 – 1945), Befehlshaber der Heeresgruppe B an der Westfront, beging im April 1945 Suizid, nachdem seine Heeresgruppe im Ruhrkessel eingeschlossen worden war, S. 226, 268 f. Moltke, Helmuth v., preuß. Generalfeldmarschall (1800 – 1891), Chef des Stabes der Armee, leitete in den Einigungskriegen von 1866 und 1870/71 erfolgreich die Operationen des preuß.-dt. Heeres, S. 240, 243 f., 247, 250, 254, 260 f., 262 Montecuccoli, Raimondo, Graf v., Militärschriftsteller und habsburgischer Heerführer (1609 – 1680), siegte 1664 in der Schlacht von St. Gotthard-Mogersdorf gegen ein osman. Heer, S. 136, 160, 162 Montgomery of Alamein, Bernhard 1. Viscount of, brit. Feldmarschall (1887 – 1976), siegte über das dt. Afrikakorps bei El-Alamein 1942, später Befehlshaber der 21. Alliierten Heeresgruppe in Europa, S. 274 Murat Ghirai, Tatarenkhan, nahm 1683 aufseiten der Osmanen am Feldzug nach Wien teil, S. 139
einen Waffenstillstand, Teilnehmer am sogenannten Hitlerputsch von 1923, S. 280 Lothar II. (928 – 950), König v. Italien von 946 bis 950, verheiratet mit Adelheit v. Burgund, aus der Familie der Karolinger, S. 71 Ludwig II. (1229 – 1294), Herzog v. Bayern und Onkel Konradins, zog mit ihm bis nach Verona, die Drohung des Papstes, den Kirchenbann über ihn zu verhängen, zwang ihn zur Umkehr, S. 105 Ludwig IX., franz. König (1226 - 1270), genannt der Heilige, starb auf dem Siebten Kreuzzug in Tunesien, S. 105 Ludwig VI. (1081 – 1137), franz. König von 1108 bis 1137, S. 122 Ludwig VIII. (1187 – 1226), franz. König von 1223 bis 1226, S. 105 Luitprand v. Cremona (um 920 – 970/72), Chronist u. Diplomat im Auftrag Ottos I., verfasste ein Geschichtswerk, das trotz seiner Parteinahme gegen seinen vormaligen Herrn Berengar als wichtigste Quelle für die Geschichte Italiens im 10. Jh. gilt, S. 293 M Mack v. Leiberich, Karl Freiherr v., österr. General und Generalquartiermeister (1752 – 1828), im Oktober 1805 von Napoleons Grande Armée bei Ulm eingeschlossen und zur Kapitulation gezwungen, S. 194, 207 Mago, Barkas, Bruder Hannibals, vermutlich schon 204 v. Chr. in Oberitalien gefallen, S. 33 f., 36 Maitland, Sir Peregrine, engl. General (1777 – 1854), Kommandeur der 1. brit. Gardebrigade bei Waterloo, schlug die letzten Angriffe der napoleonischen Garde zurück, S. 221, 228 f., 230 f. Malaspina, Saba, (um 1250 – 1297/1298), stadtrömischer Geschichtsschreiber, schilderte in seiner Chronik die Geschichte des Königreichs Neapels und Sizilien aus stadtrömischer und kurialer Sicht, S. 111, 293 Manfred, Sohn Kaiser Friedrichs II. und ab 1258 König von Sizilien und Neapel (1232 – 1266), unterlag Karl v. Anjou in der Schlacht von Benevent 1266, S. 102, 106 Manstein, Erich v., dt. Generalfeldmarschall (1887 – 1973), Befehlshaber einer Heeresgruppe im Russlandkrieg 1942 – 1944. Nach Kriegsende von einem britischen Militärgericht wegen seines sogenannten Verbrannte-ErdeBefehls zu 18 Jahren Haft verurteilt, jedoch vorzeitig wieder entlassen, S. 283 Manteuffel, Hasso v., dt. General (1897 – 1979), Befehlshaber der 5. Panzerarmee in der Ardennenoffensive 1944/45, S. 269 Manuel Comnenos, oström. Heerführer, 1070 von den Seldschuken vernichtend geschlagen, S. 90 f. Marius, siebenmal römischer Konsul (um 156 – 86 v. Chr.), reformierte die röm. Armee und siegte 102/101 v. Chr. über die germ. Kimbern und Teutonen, S. 59
N Napoleon I. Bonaparte (1768 – 1821), erfolgreicher Revolutionsgeneral und seit 1804 Kaiser der Franzosen, musste nach seiner Niederlage bei Waterloo 1815 endgültig abdanken und starb 1821 im Exil auf der Atlantikinsel St.
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Peiper, Joachim, Offizier der Waffen-SS und Panzerkommandeur, durchbrach mit seiner Kampfgruppe am 16.12.1944 die amerikanische Front, musste sich jedoch später ohne Fahrzeuge zurückschlagen, nach dem Krieg wegen ungeklärter Erschießungen von US-Kriegsgefangenen im Raum Malmedy in Abwesenheit zum Tode verurteilt, 1976 in Frankreich ermordet, S. 270, 278 Perikles, geb. um 500 v. Chr., athen. Staatsmann, seit 443 v. Chr. ununterbrochen Stratege, unter ihm stieg Athen zur Vormacht im 1. Attischen Seebund auf, starb nach 430 v. Chr. in Athen an der Pest, S. 25 Perponcher, Hendrik George (1771 – 1856), Graf, General und Befehlshaber einer niederl. Division bei Quatre-Bras und Waterloo, S. 216 f. Peter I. (1672 – 1725), russ. Zar ab 1689, führte Russland nach seinem Sieg über die Schweden bei Poltawa 1709 in den Kreis der westlichen Großmächte, S.166 f., 172 f. Philipp II. v. Makedonien (um 382 v. Chr. – 336 v. Chr., König ab 359, unterwarf bis 338 v. Chr. fast ganz Griechenland, Vater von Alexander dem Großen, S. 62 Philippe Auguste (1165 – 1223), franz. König von 1180 bis 1223, siegte 1214 in der Schlacht von Bouvines über Kaiser Otto IV. und seine engl. Verbündeten, eroberte die Normandie, S. 128 Phormion, athen. Stratege und Flottenbefehlshaber im Peloponnesischen Krieg, gest. nach 428 v. Chr., S. 21, 291 Piper, Karl (1647 – 1716), Minister Karls XII., geriet bei Poltawa in russ. Gefangenschaft, S. 174 Pitt, William (1759 – 1806), engl. Politiker, langjähriger Premierminister von 1783 bis 1801 und von 1804 bis 1806, hartnäckiger Widersacher des revolutionären Frankreichs, S. 188 Plutarch, griech. Schriftsteller und Philosoph (um 45 – um 125 n. Chr.), verfasste u. a. ein umfangreiches vergleichendes biografisches Werk mit den Lebensbeschreibungen berühmter Griechen und Römer, S. 15, 19, 25, 291 Polybios (ca. 200 – 120 v. Chr.), griech. Geschichtsschreiber und Verfasser einer röm. Geschichte, die Roms Aufstieg zur Weltmacht innerhalb nur einer Generation beschrieb, S. 28 f., 30, 35 f., 38, 40, 43, 291 Pompeius, Gnaeus (107 – 48 v. Chr.), röm. Konsul 70 und 55 v. Chr., erhielt nach der Eroberung des Orients und seinem Sieg über die Piraten den Titel Magnus, im Bürgerkrieg unterlag er seinem vormaligen Verbündeten Julius Cäsar in der Schlacht bei Pharsalus 48 v. Chr. und wurde auf der Flucht in Ägypten ermordet, S. 61 Pönitz, Karl Eduard (1795 – 1858), sächs. Militärschriftsteller und Verfechter einer militärischen Nutzung der Eisenbahnen, S. 259, 290 Poros, indischer König, trotz des Einsatzes seiner Kriegselefanten vom Makedonenkönig Alexander 326 v. Chr. in der Schlacht am Hydaspes besiegt, S. 43c
Helena, S. 188, 190 – 194, 206 f., 214 – 217, 220 – 223, 227, 230 – 233 Napoleon III., Louis Bonaparte, (1808 – 1873), Neffe Napoleons I. Bonaparte, seit 1852 franz. Kaiser, versuchte die Staatenordnung des Wiener Kongresses von 1815 zu revidieren. Seinen Erfolgen auf der Krim und in Italien folgte die Niederlage von Sedan im dt.-franz. Krieg von 1870/71 und seine Abdankung. Er starb 1873 im engl. Exil, S. 240 f. Necho, Pharao, (reg. um 610 – 595 v. Chr.), baute die ersten Trieren, unter seiner Herrschaft angeblich erste Umsegelung Afrikas, S. 23 Nelson, Horatio, Lord, engl. Admiral (1769 – 1805), besiegte die franz. Flotte in Abukir und Trafalgar, wo er tödlich verwundet wurde, S. 188 – 193, 196 – 201, 203 – 205, 207 Ney, Michel, franz. Marschall (1769 – 1815), Herzog v. Elchingen und Prinz von der Moskwa, führte während des Feldzugs von 1815 den linken Flügel der franz. Armee, nach Napoleons Niederlage Prozess und Hinrichtung wegen Hochverrats, S. 214, 216f., 220, 223, 226 f., 229 O Ordericus Vitalis (1075 – 1148), Kirchenhistoriker, engl. Herkunft, verfasste eine universelle Kirchengeschichte (Historia ecclesiastica) von der Geburt Christi bis zum Jahr 1141, die als wichtiges Quellenwerk vor allem für die Geschichte der Normannen und des Ersten Kreuzzugs gilt, S. 122, 293 Osman (1258 – 1326), zunächst Anführer eines in Westanatolien siedelnden türk. Stammes, Begründer der osmanischen Dynastie und des Osmanischen Reiches, S. 136 Otto I. (912 – 973), ostfränk. König, seit 962 röm.-dt. Kaiser, besiegte 955 die Ungarn auf dem Lechfeld, S. 9, 70 – 75, 77 Otto IV. v. Braunschweig (ca. 1175 – 1218), dritter Sohn Heinrichs des Löwen, 1208 röm-dt. König, ab 1209 röm.-dt. Kaiser, mit dem engl. Königshaus verbündet, unterlag 1214 in der Schlacht von Bouvines gegen die Franzosen, S. 122 Ottokar II. Přemysl (um 1232 – 1278), seit 1253 König v. Böhmen, unterlag dem Habsburger Rudolf in der Schlacht von Dürnkrut 1278 und fiel nach seiner Gefangennahme einem persönlichen Racheakt zum Opfer, S. 125 P Patton, George Smith, amerik. General (1885 – 1945), eroberte mit der 7. US-Armee Sizilien, wegen Differenzen mit General Eisenhower zunächst abberufen, später Befehlshaber der 3. US-Armee, stieß mit ihr 1944/1945 in spektakulären Offensiven von der Normandie bis nach Böhmen vor, S. 276 f., 284 Paulus, Apostel, Mitbegründer der christlichen Kirche, Organisator und Seelsorger zahlreicher früher Gemeinden in Griechenland und Anatolien, Briefe u. a. an die keltischen Galater, nach 60 n. Chr. in Rom hingerichtet, S. 48
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Personenregister
Pyrrhos, König der Molosser und Herrscher in Epirus (ca. 319 – 272 v. Chr.), kämpfte aufseiten der Tarentiner in Süditalien anfangs erfolgreich gegen die Römer, erster Einsatz von Kriegselefanten im Westen, S. 43
Seldschuk, halb mythischer Anführer eines türk. Stammes um die Wende zum 11. Jahrhundert, S. 82 Simon IV., Graf v. Montfort (1165 – 1218), seit 1209 Heerführer im Krieg gegen die Kartharer im Auftrag von Papst Innozenz III., 1215 Graf v. Toulouse, beim Versuch der Rückeroberung der Stadt 1218 durch ein Schleudergeschoss tödlich verwundet, S. 127 Skylitzes, Johannes, byzant. Geschichtsschreiber (1045 bis wahrscheinl. 1. Viertel des 12. Jh.s), verfasste eine „Synopsis Historion“ über die Zeit von 811 bis 1057, S. 84, 98 Starhemberg, Ernst Rüdiger, Graf v. (1637 – 1701), Kommandant von Wien während der zweiten Türkenbelagerung von Wien 1683, später Präsident des Hofkriegsrats, S. 145, 149 Steinmetz, Karl Friedrich v., preuß. Generalfeldmarschall (1796 – 1877), 1866 Führer des V. preuß. Korps, siegte bei Nachod und erzwang den Durchbruch der 2. preuß. Armee nach Böhmen, im Krieg von 1870 Führer einer Armee, aber auf Betreiben des Generalstabschefs v. Moltke vorzeitig abgelöst, S. 231, 242, 244, 246 f. Süleyman I. (um 1495 – 1566), genannt der Prächtige, osman. Sultan ab 1520, eroberte 1526 Ungarn, scheiterte jedoch 1529 vor Wien, S. 134 Suttinger, Samuel (1640 – 1690), aus Sachsen stammender kaiserlicher Ingenieur und Festungsoffizier während der Türkenbelagerung 1683, später Oberhauptmann der kurfürstlich sächsischen Feldartillerie in Dresden, S. 154 Syphax, gest. um 201 v. Chr., numid. König, zuletzt Verbündeter der Karthager im Zweiten Punischen Krieg, S. 32 – 36
R Rehnsköld, Karl Günther, Graf v., schwed. Feldmarschall (1651 – 1722), geriet in der Schlacht von Poltawa in russ. Gefangenschaft, S. 174, 177, 179 Reille, Honoré Charles, Graf v. (1775 – 1860), franz. General und Befehlshaber eines Korps während des Feldzugs von 1815, nahm an den Schlachten von Quatre Bras und Waterloo teil, S. 214, 216, 221, 231 Repnin, Nikita Iwanowitsch, russ. Gen. (1668 – 1726) im Dienst Zar Peters I., S. 170 f. Robert, Graf v. Artois, jüngerer Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, fiel 1250 bei den Kämpfen um Mansurah in Ägypten, S. 105 Roger II. (1095 – 1154), ab 1130 normannischer König von Sizilien und Neapel, S. 102 Romanos IV. Diogenes, oström. Kaiser (reg. 1068 – 1071), kämpfte gegen die Seldschuken in Anatolien, erlitt aber zuletzt bei Mantzikert eine schwere Niederlage, danach im Bürgerkrieg unterlegen, S. 81, 84 f., 88, 90 – 94, 96, 99 Roon, Albrecht v., preuß. Generalfeldmarschall (1803 – 1879), seit 1859 preuß. Kriegsminister, leitete die Heeresreform von 1860 – 62 ein, S. 238 Roos, Karl Günther, schwed. General im Großen Nordischen Krieg (1655 – 1722), geriet bei Poltawa 1709 mit den Resten seines Detachments in russ. Gefangenschaft, S. 175 – 178 Rudolf, Graf v. Habsburg (1218 – 1291), seit 1273 dt. König, unterstützte anfangs Konradins Italienzug, erwarb nach seinem Sieg über König Ottokar II. Přemysl 1278 von Böhmen das Herzogtum Österreich, S. 116, 125, 127 Rundstedt, Gerd v., dt. Generalfeldmarschall (1875 – 1953), von Hitler nach den schweren Rückschlägen im Sommer 1944 erneut zum Oberbefehlshaber der Westfront ernannt, S. 268, 273
T Tarchaniotes, oström. General während des Feldzugs von 1071, sein vorzeitiger Rückzug führte zur Niederlage des gesamten oströmischen Heeres, S. 91, 93 Themistokles, athen. Politiker und Stratege (um 524 – 456 v. Chr.), veranlasste als Stratege in Athen den Bau einer bedeutenden Flotte und legte damit den Grundstein zur Seemacht Athens, S. 11, 14 f., 17, 19, 21, 23 Theophrast, griech. Naturforscher (371 – 287/286 v. Chr.), Schüler und Nachfolger des Aristoteles, Verfasser zahlreicher Abhandlungen, darunter zweier Werke über die Botanik, S. 23 Thököly, Imre Graf v. Kesmark (1657 – 1705), Ungar und Widersacher Habsburgs, entfachte 1683 einen Aufstand gegen Österreich und rief die Osmanen zuhilfe, S. 138 f., 141 Thukydides, athen. Geschichtsschreiber und zeitweilig auch Stratege, nach dem Verlust von Amphipolis 424 v. Chr. von den Athenern verbannt, verfasste er ein Werk über den Peloponnesischen Krieg, das von 431/432 bis 411 v. Chr. reichte. Thukydides ist vermutlich noch vor dem Jahr 400 v. Chr. in Athen gestorben, S. 20 f., 23, 25, 291 Toghrul Beg, Führer der türk. Seldschuken um die Mitte des 11. Jh.s, einer der Nachfolger des Stammesgründers
S Scheremetjew, russ. Feldmarschall im Dienst Peters I., S. 170 Schweinitz, Hans Lothar, Graf v., preuß. General und Diplomat, 1861 Militärattaché in Wien, 1865 Militärbevollmächtigter in St. Petersburg, seit 1867 Gesandter des Norddeutschen Bundes in Wien, S. 238, 250 Seeckt, Hans v., dt. General (1866 – 1936), im Ersten Weltkrieg Generalstabsoffizier, 1919 Chef des neu formierten Truppenamtes, seit 1920 Chef der Heeresleitung, maßgeblich am Aufbau der Reichswehr beteiligt, 1926 nach politischen Differenzen verabschiedet, 1934/1935 militärischer Berater Tschiang Kai Schecks im chin. Bürgerkrieg, S. 280
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Seldschuk, eroberte 1055 Bagdad und nannte sich seither Sultan, gest. 1063, S. 82, 88 Tychaios, numid. Reiterführer, Verbündeter Karthagos im Zweiten Punischen Krieg, S. 36, 38
und Führer eines Kontingents aus fränk. und reichsdeutschen Truppen beim Entsatz von Wien 1683, S. 143, 150, 152 f., 156, 158 Weigl, Leopold Freiherr. v. (1810 – 1886), österr. General und Feldmarschall-Leutnant, 1866 Kommandant der Festung Königgrätz, die er bis zum Ende des Krieges halten konnte, S. 256 Wellington, Sir Arthur Wellesley, brit. Feldmarschall und Diplomat (1769 – 1852), besiegte die Franzosen in Spanien (1808 – 1813), Oberbefehlshaber der vereinigten brit., dt. und niederl. Streitkräfte während des Feldzugs von 1815, S. 214, 216 – 218, 220 ff., 227, 230 f., 233 Widukind v. Corvey, Chronist (925 – 973), verfasste eine Sachsengeschichte in drei Büchern, S. 70, 72 f., 74 f., 76 f., 79, 292 Wilhelm I. (1797 – 1888), seit 1861 preuß. König, seit 1871 auch deutscher Kaiser, setzte die Heeresreform von 1860 gegen das Parlament durch, siegte mithilfe von Bismarck und Moltke in den Einigungskriegen von 1864 – 1870/1871, S. 238, 241, 243 f., 246, 256
U Ulrich oder Udalrich (923 – 973), Bischof von Augsburg, verteidigte die Stadt 955 gegen die Ungarn, S. 73 Uxbridge, Lord Henry William Paget (1768 – 1854), brit. Feldmarschall und Politiker, Reiterführer im Spanischen Krieg und zuletzt bei Waterloo, verlor in der Schlacht ein Bein, S. 216 V Vandamme, Dominique Joseph (1770 – 1850), franz. General, führte während des Feldzugs von 1815 ein franz. Korps, nahm an den Schlachten von Ligny und Wawre teil, S. 214, 216 Vercassivellaunus, Vetter des Vercingetorix, Führer des gallischen Entsatzheers vor Alesia 52 v. Chr., S. 55 ff., 65 Vercingetorix (um 82 v. Chr. – 46 v. Chr.), gall. Adliger, organierte. 52 v. Chr. einen Aufstand ganz Galliens gegen Rom, nach Anfangserfolgen musste er bei Alesia kapitulieren, später von Cäsar hingerichtet, S. 47 – 52, 54 – 59, 61 Villeneuve, Pierre, franz. Admiral (1763 – 1806) unter Napoleon Bonaparte, 1805 Befehlshaber der vereinigten franz.-span. Flotte im Kampf gegen England, 1805 bei Trafalgar gegen Nelson unterlegen und von den Briten gefangen genommen, nach seiner Rückkehr beging er Suizid, S. 188 f., 191 – 194, 196 – 199, 201, 203 f., 206 f.
X Xanthippos, spartan. Söldnerführer im Dienst der Karthager, mit seiner Hilfe gelang es den Karthagern, 255 v. Chr. ein röm. Invasionsheer aufzureiben, zu seiner Zeit auch als Militärschriftsteller bekannt, S. 37 Xerxes I., pers. Großkönig aus der Familie der Achämeniden (486 – 465 v. Chr.), sein Feldzug nach Griechenland 480/479 v. Chr. scheiterte am Widerstand der Griechen bei Salamis und Platää, S. 11 – 15, 18 f. Z Ziethen, preuß. General (1770 – 1848), seit 1835 Generalfeldmarschall, Befehlshaber des I. preuß. Korps während des Feldzugs von 1815, kämpfte bei Ligny und Waterloo, S. 216 f., 227, 231
W Waldeck, Georg Friedrich, Graf v. Pyrmont und Culemberg, seit 1682 Reichsfürst (1620 – 1692), Reichsfeldmarschall
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ein Duell. Kein Wunder, dass die Schlacht von frühesten Zeiten an
nach zeitlicher und räumlicher Raffung, symbolträchtiger Zuspitzung und Personalisierung des Konflikts entgegen. Zwölf Entscheidungsschlachten beschreibt Klaus-Jürgen Bremm im Kontext der Geschichte: vom Sieg der Griechen über die Perser in der Seeschlacht bei Salamis 480 v. Chr. über Napoleons Niederlage bei Waterloo bis zu Hitlers Ardennenoffensive 1944/45. Aufwendig illustriert mit über 100 Abbildungen und 40 Karten sowie Schlachtplänen und angereichert durch informative Exkurse zu Kriegsführung und Heerwesen.
Hitlers Ardennenoffensive 1944
„Alles auf eine Karte setzen“
der Weichsel zugesehen, wie deutsche Truppen in Warschau den Aufstand der westlich orientierten polnischen Exilregierung niederschlugen. Diese auffällige Passivität der Sowjets bestärkte Hitler in seiner Hoffnung, dass er den Krieg überstehen könnte, wenn es ihm gelänge, die feindliche Koalition zu sprengen. Das Vorbild des Preußenkönigs Friedrichs II., der im Siebenjährigen Krieg durch einen Thronwechsel in Russland gerettet wurde, beflügelte seine Fantasie. Die USA und Großbritannien mussten nach Hitlers Überzeugung gezwungen werden, aus dem Krieg auszuscheiden. Dazu brauchte er jedoch nach den schweren Niederlagen des Sommers einen bedeutenden Erfolg, der nach seiner Ansicht nur an der Westfront möglich war.
Das „Dritte Reich“ scheint am Ende
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Umschlagabbildung: Die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815, Ausschnitt aus der Farblithografie von William Holmes Sullivan, 1898. © Bridgeman Images Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de
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Abb. 1 | Die Schlacht bei Zama (Nordafrika),
Wahnsinnstat oder kluge Strategie? Mit einer Streitmacht von etwa 30 Divisionen, davon zwölf Panzer- und Panzergrenadierdivisionen, wollte der Diktator die dünn besetzte alliierte Front in den Ardennen durchstoßen, zur Maas vordringen und anschließend Antwerpen einnehmen. Sämtliche anglo-amerikanischen Streitkräfte würden damit nördlich der Linie Lüttich-BrüsselAntwerpen vernichtet werden. Mit diesem Schlag hoffte Hitler die Amerikaner, vor allem aber die nach seiner Überzeugung längst kriegsmüden Engländer verhandlungsbereit zu machen. Schon am 19. August 1944, als deutsche Truppen noch in der Normandie kämpften, hatte der Diktator die Absicht geäußert, so bald wie möglich im Westen wieder offensiv zu werden.1 Mit der Planung der Offensive beauftragte Hitler am 16. September den Führungsstab der Wehrmacht unter Generaloberst Alfred Jodl. Die Kommandeure der im Westen eingesetzten Armeen waren bestürzt, als ihnen der Diktator erst volle sechs Wochen nach Beginn der Vorbereitungen am 3. November die Grundzüge seines Planes eröffnen ließ, die der Wehrmachtführungsstab unter dem Decknamen „Wacht am Rhein“ entworfen hatte. Nach Auffassung von Generalfeldmarschall Walter Model (1891 – 1945), dem Oberbefehlsha-
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m September 1944 hatte für Hitlerdeutschland das sechste Kriegsjahr begonnen. Fast alle Eroberungen der deutschen Wehrmacht seit 1939 waren inzwischen wieder verloren. Im Westen näherten sich die Anglo-Amerikaner der deutschen Grenze zwischen Aachen und Echternach, und im Osten hatten sowjetische Truppen Ostpreußen erreicht. Hitlers ehemalige Verbündete Bulgarien und Rumänien hatten im August 1944 Waffenstillstand mit den vorrückenden Sowjets geschlossen. Finnland war ihnen im September gefolgt. Allein Ungarn konnte mit Zwang bei der Stange gehalten werden. Die deutschen Armeen waren während der Kämpfe in der Normandie weitgehend zerschlagen worden. Nur geringe Reste hatten die Reichsgrenzen erreicht. Schweres Kriegsgerät war kaum noch vorhanden, der Westwall nur an wenigen Stellen verteidigungsbereit. Die alliierte Bomberoffensive gegen das Reich näherte sich ihrem Höhepunkt. Fast jede größere deutsche Stadt war inzwischen mehrfach – trotz verzweifelten Widerstands der Luftwaffe – erfolgreich angegriffen worden. Es fehlte an ausgebildeten Piloten und an Betriebsstoff, besonders nach dem Verlust der wichtigen Erdölgebiete im rumänischen Ploesti. Doch auch die Probleme der Alliierten nahmen zu. Für die Versorgung ihrer riesigen Armeen fehlten ihnen vorläufig die frontnahen Umschlaghäfen. Erst im November 1944 konnte erstmals ein alliierter Nachschubkonvoi den Hafen von Antwerpen anlaufen. Ein hastig vorbereitetes britischamerikanisches Luftlandemanöver scheiterte Mitte September bei Arnheim unter hohen Verlusten. Nur mühsam kämpften sich die Amerikaner durch den Hürtgenwald südlich von Aachen voran. Die Verluste der amerikanischen 12th Army Group beliefen sich von September bis November auf rund 230 000 Mann, davon allein über 100 000 Fälle seelischer Erschöpfung (Battle Fatigue). Gleichzeitig zeichneten sich deutliche Differenzen zwischen den Westalliierten und den Sowjets ab. Tatenlos hatten Stalins Divisionen an
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Das Spezialgebiet des Historikers und Publizisten Klaus-Jürgen Bremm ist die Technik- und Militärgeschichte. Er ist Autor zahlreicher Bestseller wie Die Türken vor Wien. Zwei Weltmächte im Ringen um Europa (2021), Preußen bewegt die Welt. Der Siebenjährige Krieg 1756–63 (2. Aufl. 2021) oder Normandie 1944. Entscheidungsschlacht um Europa (2022).
die Schlacht, wie der Zweikampf, dem dramaturgischen Bedürfnis
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Karte 1 | Der deutsche Angriffsplan für die „Wacht am Rhein“. Mit einem überraschenden Stoß dreier deutscher Armeen durch die Ardennen auf Antwerpen hoffte Hitler die feindlichen Streitkräfte zu spalten und ihren nördlichen Teil zu vernichten. Schon einmal im Frühjahr 1940 war es seinen Angriffsverbänden gelungen, mit einem schnellen Stoß durch das unwegsame Ardennengebiet die alliierte Front zum Einsturz zu bringen. Diesen Erfolg glaubte Hitler jetzt wiederholen zu können.
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Die größten Schlachten der Geschichte
Die offene Feldschlacht, der Zusammenstoß zweier Armeen, ist wie
Klaus-Jürgen Bremm
Entscheidungsschlachten der europäischen Geschichte
»Das Wesen der offenen Feldschlacht ist die Entscheidung«, schrieb der französische Historiker Georges Duby. Die allermeisten der unzähligen europäischen Kriege waren eine Abfolge von kleineren Gefechten und Scharmützeln, von Belagerungen und Zermürbungsaktionen. Eher selten kam es zur großen Entscheidungsschlacht, die ebenso verlustreich wie in ihrem Ausgang völlig unberechenbar war. Zwölf solcher Schlachten, die den Lauf europäischer Geschichte veränderten, porträtiert Klaus-Jürgen Bremm hier:
Klaus-Jürgen Bremm
Die größten Schlachten der Geschichte Entscheidungen in Europa von Salamis bis zu den Ardennen
480 v. Chr. ...Salamis 202 v. Chr. ...Zama – Narragara 52 v. Chr. .....Alesia 955 .............Lechfeld 1071 ...........Mantzikert 1268 ...........Tagliacozzo 1683 ...........Wien 1709 ...........Poltawa 1805 ...........Trafalgar 1815 ...........Waterloo 1866 ...........Königgrätz 1944/45 ......Ardennenoffensive