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German Pages XV, 275 [280] Year 2020
Tanja Fink-Cvetnik
Grenzen der Technisierung im Flugverkehr Die Bedeutung menschlicher Arbeit in hoch automatisierten Systemen
Grenzen der Technisierung im Flugverkehr
Tanja Fink-Cvetnik
Grenzen der Technisierung im Flugverkehr Die Bedeutung menschlicher Arbeit in hoch automatisierten Systemen
Tanja Fink-Cvetnik Augsburg, Deutschland
ISBN 978-3-658-31151-3 ISBN 978-3-658-31152-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ..................................................................................................... 1 Teil A – Was muss der Pilot (noch) machen? ............................................... 13 2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion.......................................... 15 2.1 Pilot und Technik.................................................................................. 15 2.1.1 Pilot im Cockpit – Einsatz der Sinne .............................................. 15 2.1.2 Technik im Cockpit – Einsatz von Logik ........................................ 17 2.1.3 Flugzeugunfälle – Menschliches vs. technisches Versagen.............. 19 2.1.4 Konstruktionsphilosophien im Flugzeugbau – Sicht der Ingenieure ..................................................................................... 24 2.1.5 Das Cockpit von morgen - Zukunftszenarien .................................. 25 2.1.6 Mixed Governance im Luftverkehr................................................. 33 2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit ............................................................ 41 2.2.1 Arbeits- und techniksoziologische Untersuchungen ........................ 41 2.2.2 Auswirkungen der Technisierung auf die Arbeit von Piloten........... 51 2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung ........................................... 65 3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse ............................................... 73 3.1 Der Cockpitarbeitsplatz – Pilot und Technik in einem System Verteilter Handlungsträgerschaft ........................................................... 73 3.1.1 Arbeitsplatz Cockpit – Was hat sich verändert? .............................. 74 3.1.2 Ein Arbeitsablauf – Wer macht Was? ............................................. 83 3.1.3 Anforderungen an Mensch und Technik – Wer kann Was (und Was nicht)? ................................................................................... 94 3.1.4 Formen der Kooperation .............................................................. 104 3.1.5 Zwischenfazit .............................................................................. 112 3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen.............................. 114
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Inhaltsverzeichnis
3.2.1 Die Arbeitsphasen im Flugprozess ............................................... 115 3.2.2 Topologie Kritischer Situationen .................................................. 132 3.2.3 Der Normallauf im dynamischen Flugprozess .............................. 137 3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag ....................... 140 3.3.1 „Abfliegen nach Plan“ – Kooperation in (kritischer) Standardsituation ......................................................................... 142 3.3.2 „Irgendwas ist eigentlich immer“ – Bewältigung Kritischer Situationen durch externe Anforderungen..................................... 148 3.3.3 „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ – Bewältigung Kritischer Situationen durch systemimmanente Unwägbarkeiten .. 152 3.3.4 Zwischenfazit .............................................................................. 157 3.3.5 Selbst- und Technikbild des Piloten.............................................. 159 3.4 Fazit: „Master of Desaster“ – Offizielle Anforderungen und der Alltag des Piloten ............................................................................... 167 Teil B – Wie muss der Pilot das machen? .................................................. 173 4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion ................................................................................................ 175 4.1 Wissenschaftsbasiertes Fachwissen und planmässiges Handeln............ 175 4.2 Anderes Wissen und Handeln.............................................................. 179 4.2.1 Informell-situative Kooperation – Die Workplace-Studies ............ 179 4.2.2 Routinisierung – Arbeit in High-Risk-Situations........................... 181 4.2.3 Erfahrungswissen und Subjektivität – Arbeitssoziologie ............... 184 4.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung ......................................... 193 5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse ................................. 199 5.1 Offizielle Arbeitsweise ....................................................................... 199 5.1.1 Das objektivierende Handeln ....................................................... 199 5.1.2 Routinetätigkeiten ........................................................................ 203 5.1.3 Stellenwert von Subjektivität und Erfahrungswissen im Flugzeugcockpit .......................................................................... 205 5.2 Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln im Cockpit ......... 207 5.2.1 Sinnliche Wahrnehmung .............................................................. 208 5.2.2 Mentale Prozesse ......................................................................... 220
Inhaltsverzeichnis
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5.2.3 Vorgehensweise........................................................................... 230 5.2.4 Beziehung zum Flugzeug und den Kollegen ................................. 237 5.3 Fazit: „Man muss erst mal herausfinden, wie sich das Flugzeug anfühlt“ – Erfahrungsgeleitetes Handeln im Cockpit ........................... 242 6 Der Pilot – unterschätzter Gewährleister mit A****gefühl .................... 249 Anhang ........................................................................................................ 253 Untersuchungsansatz und methodisches Vorgehen .................................... 253 Literaturverzeichnis ................................................................................... 259
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Maßnahmen in der Prozessführung im Hinblick auf Kritische Arbeitssituationen (vgl. Schulze, Carus 1995) ............................ 62 Abbildung 2: Cockpit einer Embraer 195. (Quelle Foto: „Air Dolomiti“ Embraer 195 entnommen: forum.airliners.de) ............................. 75 Abbildung 3: Hauptaufgaben des Piloten und Hauptfunktionen der Technik .. 103 Abbildung 4: Differenzierungen des Flugprozesses ....................................... 118 Abbildung 5: Zusammenhang zwischen situativen Anforderungen im Flugprozess und dem Auftreten Kritischer Situationen (KS = Kritische Situation). ................................................................. 135 Abbildung 6: Rolle von Pilot und Technik in Abhängigkeit vom Grad der Technisierung .......................................................................... 166
Abkürzungsverzeichnis
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A 320: Airbus 320 A 340: Airbus 340 ACARS: Aircraft Communications Addressing and Reporting System Anm.: Anmerkung der Verfasserin ANT: Actor Network Theory ATC: Air Traffic Control B 737: Boeing 737 B 747: Boeing 747 BEA: Bureau d’Enquêtes et d’Analyses pour la sécurité de l’aviation civile BFU: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung bspw.: beispielsweise bzw.: beziehungsweise CA: Canadair CPT: Kapitän (engl. Captain) DFG: Deutsche Forschungsgemeinschaft d.h.: das heißt ebd.: ebenda ECA: European Cockpit Association engl.: englisch ENV: Environment etc.: et cetera et al.: et alii bzw. et aliae (und andere) e.V.: eingetragener Verein F.: Folie f: folgende ff: folgende FAA: Federal Aviation Administration
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Abkürzungsverzeichnis
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FHP: Forschungsnetzwerk für die Verkehrspilotenausbildung e.V. FMS: Flight Management System FO: Copilot (engl. First Officer) FSF: Flight Safety Foundation ggf.: gegebenenfalls GPWS: Ground Proximity Warning System HIL: Hold Item List HOC: Hub Operations Center Hrsg.: Herausgeber HUM: Human Factors I: Insufficient Data IATA: International Air Transport Association ILS: Instrument Landing System i.S.v.: im Sinne von Jg.: Jahrgang lt.: laut NOTAM: Notification To Airmen NTSB: National Transportation Safety Board ORG: Organisation PF: Pilot flying PNF: Pilot not flying resp.: respektive S.: Seite SFO: (diensthöherer) Copilot (engl. Senior First Officer) s.o.: siehe oben s.u.: siehe unten sog.: sogenannt TCAS: Traffic Alert and Collision Avoidance System TEC: Technical u.a.: unter anderem u.a.m.: und andere(s) mehr UAS: Unmanned Aerial System UAV: Unmanned Aerial Vehicles v.a.: vor allem vgl.: vergleiche
Abkürzungsverzeichnis
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www: world wide web z.B.: zum Beispiel z.T.: zum Teil zit. n.: zitiert nach
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1 Einleitung
Menschliche Arbeit in hoch technisierten Systemen Technische Errungenschaften haben unser aller Leben in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Ob es sich dabei um Dinge des täglichen Gebrauchs handelt – wie Waschmaschinen, Computer und sogar Staubsaugroboter – oder um Anlagen in hoch technisierten Produktionsbetrieben oder auch Verkehrssystemen, nahezu überall sind technische Systeme in Arbeitsabläufe integriert. Dank fortgeschrittener Technik muss schwere manuelle Arbeit heute oftmals nicht mehr durch den Menschen verrichtet werden. Die Nutzer bzw. Bediener dieser Techniken müssen sich in ihrem Arbeits- und Bedienverhalten dabei jedoch diesen Errungenschaften anpassen und neue, spezielle Kompetenzen und Qualifikationen im Umgang damit entwickeln. Neue Berufsfelder bzw. Aufgabenschwerpunkte entstehen. Notwendig werden dafür ebenso neue und den dynamisch-innovativen Konstellationen entsprechende Qualifikations- und Ausbildungskonzepte. Dabei ist die Technisierung in vielen Bereichen so weit vorangeschritten, dass die Zahl der Beschäftigten in ehemals üblichen Berufen deutlich zurückgegangen ist. Da Arbeitslast und Prozesstätigkeit „vor Ort“ für den Menschen zusehends weniger werden, finden sich in hoch technisierten Anlagen nur mehr wenige (oftmals lokal getrennte) Systemsteuerer bzw. -überwacher. Ganz generell stellt sich dabei die Frage, inwieweit der menschliche Bediener bei automatisierten Prozessen überhaupt noch notwendig ist bzw. ob er dabei lediglich noch eine anspruchslose ‚Knöpfchendrückerfunktion‘ innehat. Insbesondere im Bereich von Fortbewegungsmitteln bzw. der Verkehrslenkung sind enorme Entwicklungssprünge gelungen und haben so Vorstellungen, welche noch bis vor wenigen Jahrzehnten eher der Kategorie ‚Science Fiction‘ angehört haben, wahr werden lassen. So stellt aktuell der Automobilhersteller BMW in Aussicht, bereits im Jahr 2021 ein Automobil auf den Markt zu bringen, welches zumindest teilweise ohne Fahrer am Verkehr teilnehmen kann1. Bereits 1
„iNext – Kommt 2021 der erste selbstfahrende BMW?“, www.welt.de vom 02.02.2018).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_1
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1 Einleitung
im Jahr 2017 fanden die ersten Testläufe autonom gesteuerter Fahrzeuge in der Münchner Innenstadt statt.2 In Großstädten wie Peking, New York, Barcelona und auch Nürnberg verkehren U-Bahnzüge im vollautomatischen Betrieb. Im militärischen Bereich werden fliegende Drohnen für spezielle Zwecke eingesetzt und auch im Bereich des zivilen Luftverkehrs ist die Vision angekommen, den Piloten3 an Bord technisch substituieren zu können. Im Projekt Ifats4 wurde bereits im Jahr 2006 ein Flug von New York nach Frankfurt am Main simulierte Wirklichkeit. Gerade aus technischer Sicht scheinen also auch im zivilen Flugverkehr bereits viele Schritte getan. Von einer ehemals fünf Personen starken Cockpitbesatzung in Verkehrsflugzeugen, bestehend aus zwei Piloten, Funker, Navigator und Bordingenieur, verbleibt heute der momentan noch notwendige „Rest“ von nur mehr einem Kapitän und einem Copiloten. In den Medien wurde mehrfach berichtet, dass die verbliebenen Piloten beim Fliegen einschliefen. Folgt man diesen Berichten, entsteht der Eindruck, das Cockpit eines Verkehrsflugzeugs sei heute mit so vielfältigen automatisierten Bordsystemen ausgestattet, dass die Piloten nur wenig zu tun hätten und deshalb mit dem Schlaf kämpfen müssten.5 Innovative Technikkonzepte, insbesondere autonome Techniken in Verkehrssystemen, geraten damit zunehmend in die öffentliche Diskussion. Dabei bestätigen Experten, dass unter normalen Standardbedingungen schon heute nahezu der gesamte Flugprozess eigentlich ganz ohne Zutun des Piloten möglich wäre.6 Auch der menschliche Bediener im Cockpit – der Pilot – sieht sich daher mit der Frage konfrontiert, ob er
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Am Steuer sitzt aus Sicherheitsgründen ein dafür ausgebildeter Testfahrer („Autonomes Fahren – Ab 2017 Testfahrzeuge in München“, www.br.de vom 05.04.2017). Lediglich aus Gründen der Lesefreundlichkeit werden in dieser Arbeit unter dem Begriff Pilot sowohl Pilotinnen als auch Piloten zusammengefasst. Ifats (Innovative Future Air Transport System): Siehe ausführlicher Teil A –2.1.5. Siehe u.a.: „Airbus-Piloten schlafen während Flug ein“ (www.n-tv.de vom 21.10.2014); „Pilot schläft ein: Boeing 777 sackt 1500 Meter ab“ (www.focus.de vom 14.08.2014); „Piloten schlafen gleichzeitig während Flug ein“ (www.welt.de vom 26.09.2013). Neben dem Faktor zeitweiser praktischer Unterforderung steht insbesondere auch die Thematik der Übermüdung durch zu lange Flugdienstzeiten in der Diskussion – siehe hierzu: „Pilot fatigue – Barometer“ (Ergebnisse einer Studie der europäischen Pilotenvereinigung ECA (European Cockpit Association) 2012, in den deutschen Medien wurden die Ergebnisse u.a. unter dem Titel „Jeder dritte Pilot ist schon im Cockpit eingeschlafen“, www.sueddeutsche.de vom 18.11.2012, veröffentlicht. Schmitt, Le Tallec 2009 (S. 23) erklären, der Start müsse zwar noch durch den Piloten vorgenommen werden, danach könne jedoch bereits fast alles – bis hin zum Abbremsen nach der Landung – automatisiert erfolgen. Eingreifen müssten die Piloten eigentlich nur noch, um das Fahrwerk auszufahren und um das sog. Air Traffic Management durchzuführen.
1 Einleitung
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überhaupt noch notwendig ist bzw. ob ihm nur mehr wenige anspruchslose Restfunktionen verbleiben.
Abbau des Human Factor Dabei haben die (technikzentrierten) Bemühungen, den Flugverkehr weiterzuentwickeln, nicht nur einen bedeutenden wirtschaftlichen bzw. technisch-innovativen Motivationshintergrund. Vielmehr werden die kontinuierlichen technischen Fortschritte in erster Linie dem Anspruch zugeschrieben, den Flugverkehr sicherer zu gestalten, denn, so Tom Enders (seit 2007 Unternehmensleiter bei Airbus und seit 2012 Vorstandsvorsitzender von Airbus SE), es gingen immer noch „90 Prozent der Fehler bei Flugunfällen […] auf menschliches Versagen zurück“ (Enders 2017 auf der DLD7). Katastrophen der zivilen Luftfahrt enden nicht selten mit einer hohen Zahl menschlicher Verluste. Umso verständlicher scheinen hier die Anstrengungen, sämtliche Fehler zu identifizieren und zu vermeiden. In technischer Hinsicht ist dabei ein enormer Sprung nach vorne gelungen. Waren in den frühen Jahren der Fliegerei die Absturzursachen hauptsächlich auf die Maschine zurückzuführen, so haben sich die Unfallursachen nun deutlich von technisch induziertem zu menschlich bedingtem Fehlverhalten verlagert. Der sog. Human Factor8 scheint die gefährlichste Komponente im Luftverkehr. Diese Tatsache dient als fundamentaler Antrieb für die Konstruktion neuer, immer stärker automatisierter Flugzeuge, welche mit möglichst wenig menschlicher Bedienung auskommen sollen. Dabei reicht der technische Fortschritt auch in den Bereich der Flugverkehrssteuerung hinein. So finden sich bereits heute Systemkomponenten an Bord, welche in der Lage sind, drohende Kollisionen zu erkennen und Ausweichempfehlungen zu generieren. Die Aufgaben der klassischen Flugsicherung, welche zentral vom Boden aus den Luftraum überwacht und die Flugzeuge per Funkspruch durch entsprechende Kursvorgaben sicher voneinander separiert, verlagern sich damit an Bord der mit diesem System ausgestatteten Flugzeuge.9 Menschlichem Fehl7
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DLD: Digital Life Design ist eine in München stattfindende Konferenz auf der Basis einer internationalen Konferenz- und Innovationsplattform. Human Factor (engl.): Menschlicher Faktor. Zum System TCAS siehe ausführlich Teil A - 2.1.6.
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verhalten soll vorgebeugt werden und so erhält auch der menschliche Fluglotse technische Konkurrenz.
Grenzen der Technisierung Die Befürworter einer menschenzentrierten Technik rechtfertigen ihren Standpunkt bislang hauptsächlich aus einer humanistischen Perspektive. Die Leistungen menschlicher Arbeit bzw. deren Output sind gewöhnlich nicht das Argument und menschliche Arbeit scheint aufgrund modernster technischer Neuerungen immer weniger notwendig zu sein. Wenn hauptsächlich menschliche Fehler Unfälle verursachen, ist die logische Konsequenz, den menschlichen Bediener zunehmend technisch zu substituieren. Die Argumente für eine umfangreiche Automatisierung in der Verkehrsluftfahrt scheinen daher mehr als überzeugend und eine schrittweise Ersetzung des Piloten durch fortgeschrittene technische Systeme wird als zukunftsweisend betrachtet.10 Allerdings gibt es vermehrt wissenschaftliche Hinweise darauf, dass diese technikzentrierte Vorstellung einen sehr wesentlichen Aspekt nicht berücksichtigt. Denn vielfältige Erfahrungen in der Praxis offenbaren schon heute grundlegende Grenzen der Technisierung und der Ersetzbarkeit menschlicher Arbeit. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre werden im Rahmen der Arbeits- und Industriesoziologie neue Ansätze zur Analyse von menschlicher Arbeit bei fortschreitender Technisierung entwickelt. Im Hinblick auf anhaltende Automatisierungstendenzen erweisen sich die Befunde aus der industriellen Produktion, wonach „Grenzen in der technisch-wissenschaftlichen Beherrschung […] bei fortschreitender Verwissenschaftlichung und Technisierung in immer wieder neuer Weise entstehen“ (Bauer et al. 2006, S. 20; vgl. hierzu auch Perrow 1987, S. 179 und Woods 1996, S. 6), in diesem Zusammenhang als bedeutsam. Jede technische Weiterentwicklung beinhaltet gleichzeitig einen Anstieg der Komplexität des Gesamtsystems und kann nicht unbedacht grenzenlos vorangetrieben werden – zumindest nicht ohne neue Unwägbarkeiten der Technik zu kreieren und an Grenzen der Kontrol10
Siehe bspw.: „Ferngesteuerte Fernreisen“ (Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2007); „Fliegen ohne Pilot“ (Focus vom 22.01.2007); „Die Zukunft hat schon begonnen“ (www.fr.de vom 02.12.2008); „Fliegen ohne Piloten rückt näher“ (www.welt.de vom 16.01.2017); „Boeing will Flugzeuge ohne Piloten fliegen lassen“ (www.aerotelegraph.com vom 11.06.2017).
1 Einleitung
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lierbarkeit zu stoßen. Es gibt Anhaltspunkte, wonach im Flugverkehr unplanbare Abweichungen aufgrund vielfacher Einflussgrößen (wie z.B. Wetter) bei fortschreitender Technisierung weiterhin und in zunehmend komplexer Form auftreten. Dabei kann das Unplanbare, das gerade dort auftritt, wo Planung erfolgreich ist, nach Schulze, Carus (1995) als Kritische Situation11 bezeichnet werden (vgl. Schulze 2001, S.67 ff; Schulze, Carus 1995). Dies würde für den Bereich der Verkehrsfliegerei bedeuten, dass der Einsatz zunehmend komplexerer und vernetzter arbeitender Bordsysteme zwar im Idealfall (!) eine risikomindernde Unterstützung darstellt. Da jedoch auch hier eine vollständige Erfassung sämtlicher einflussnehmender Faktoren nicht möglich ist und die „Lücken“ einer technischen Programmierung ohnehin nicht zugänglich sind, steigen schon im Normallauf die nicht bestimmbaren Wechselwirkungen unzähliger alter und neu hinzugekommener Einflussgrößen an (zusätzlich zur schlechteren Einsicht in die Zusammenhänge). Die Beherrschung unbekannter Situationen verbleibt dabei bislang – analog den bereits untersuchten Arbeitsfeldern (vgl. z.B. Böhle 2004; Bainbridge 1987) – dem menschlichen Operateur. Weyer erklärt diesbezüglich, dass dieser „neue Typus von Arbeit“ sich daher durch den „Umgang mit Unsicherheit“ auszeichnet (Weyer 1997, S. 239). Grote weist in diesem Zusammenhang eindringlich auf die „Grenzen der Kontrollierbarkeit komplexer Systeme“ (Grote 2009b) hin. Da die Technik bislang (noch) nicht auf unbekannte Situationen sachgerecht zu reagieren vermag, erscheinen die Argumente, die den Piloten und seine menschliche Kreativität und Problemlösefähigkeit als grundsätzlich entbehrlich einstufen, als fraglich. Bereits 1992 erhob Caesar daher die Forderung: „Solange die Wissenschaft nicht in der Lage ist, den Menschen im Cockpit völlig zu ersetzen, muß die Herstellerphilosophie eine andere sein: Ansprüche, Fähigkeiten und Begrenzungen des Menschen müssen die Standards setzen, nicht der technologische Fortschritt“ (Caesar 1992, zit. n. van Beveren 1997, S. 170). Denn noch fällt es weiterhin auf den Piloten und seine Verantwortung zurück, sämtliche Kritischen Situationen zu beherrschen und in jedem erdenklichen Fall eine Lösung zu finden – auch für den Umgang mit der Technik an Bord. Daher fordert Faber als Vorsitzender des Forschungsnetzwerks 11
„Damit sind Situationen und Ereignisse gemeint, die keineswegs permanente und umfassende chaotische Strukturen aufweisen; vielmehr treten kritische Situationen im Zusammenhang mit geordneten und planmäßig ablaufenden Prozessen auf, und zwar unerwartet sowohl hinsichtlich ihrer sachlichen Ausprägung als auch ihres Zeitpunktes“ (Böhle 2004, S. 20).
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für Verkehrspilotenausbildung (FHP)12 eine höhere Qualifizierung des Piloten als notwendig ein. Und genau hier bestehen deutliche Kontroversen in der aktuellen Diskussion. Denn, so verkündete Mehdorn 13 – ehemals Vorsitzender der Geschäftsführung von Airbus in Deutschland – einst nachdrücklich, ein moderner Airbus könne doch mittlerweile auch von einer Sekretärin oder einem Schuljungen geflogen werden (vgl. van Beveren 1997, S. 108). Dringend zu bedenken ist dabei allerdings der Umstand, dass es bislang „keine Statistiken über Ereignisse bzw. Unfälle, die durch hoch qualifizierte, erfahrene Piloten verhindert wurden“ (Faber 2009b, S. 7), gibt. Offensichtlich existieren sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle des Piloten im Mensch-Technik-System Cockpit. Denn obwohl Experten vermuten, dass es unter normalen Bedingungen bereits heute möglich wäre, weite Strecken des Flugprozesses ohne Zutun des Piloten durchzuführen, verbleiben offenbar Herausforderungen, welche nur durch einen Menschen bewältigt werden können. Und so sind, nicht zuletzt gestützt auf Prognosen bisheriger Forschung, trotz fortschreitender Automatisierung und trotz der Visionen von pilotenlosen Verkehrsflugzeugen in absehbarer Zeit weiterhin Technikkonzepte zu erwarten, die grundsätzlich davon ausgehen, dass auf die menschliche Beteiligung bei der Steuerung im Luftverkehr (noch) nicht verzichtet werden kann. Allerdings ist dabei unklar, wie genau die Rolle des Piloten bzw. sein Handlungsspielraum angesichts der hohen Technisierungsgrade eigentlich aussieht.
Menschliches Handeln mit komplexen technischen Systemen Zur Analyse von Arbeitsinhalten und Handlungsweisen von Piloten bietet es sich an, als konzeptionellen arbeitssoziologischen Einstieg eine allgemeine Interpretation von Arbeit in und mit hoch technisierten Anlagen zu betrachten. In herkömmlichen Ansätzen wird angenommen, dass – gemäß einem gesellschaftlich gepräg12
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FHP: Bei der FHP „handelt es sich um einen interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitskreis aus Wissenschaftlern, Verkehrspiloten, Fluglehrern, Mitarbeitern von Fluggesellschaften, von Pilotenverbänden, der Luftfahrtadministration und der Flugsicherung aus dem deutschsprachigen Raum“ (www.fhp-aviation.com vom 27.09.2017). Von 1989 bis 1992 war Mehdorn Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Airbus GmbH in Hamburg. Von August 1992 bis 1995 war Mehdorn Vorstandsmitglied der Deutschen Aerospace AG (DASA) in München. (www.Wikipedia.de vom 20.04.2016)
1 Einleitung
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ten Leitbild der Technisierung – für jede technisch geleitete Steuerung und Ausführung von Arbeitsschritten eine wissenschaftlich-systematische Durchdringung der relevanten Bedingungen und Abläufe grundlegend ist. Deutlich wird diese Annahme insbesondere an den Vorstellungen, wie eine optimale Handlungsweise in einem hoch technisierten Arbeitsprozess auszusehen hat. Indem vom Piloten ein rationales, logisches und systematisierbares Wahrnehmen, Denken und auch Handeln unter den Prämissen der Zweckmäßigkeit und Effizienz gefordert wird, erfolgt eine Anpassung des vorausgesetzten Wissens und auch der Arbeitsweise des Menschen an eine objektivierte Logik. Für den sicheren Flugprozess sollen sämtliche Sinne demzufolge nur verstandesmäßig eingesetzt werden. Konstitutive Elemente von Subjektivität, wie Gefühle und Empfindungen, sollen im Arbeitshandeln vermieden werden und erfahren eine deutliche Abwertung. Insbesondere Unwägbarkeiten scheinen geradezu danach zu verlangen, möglichst objektiv bewertet und einem logischen Vorgehensmuster gemäß abgehandelt zu werden. Hierbei schwingt eine gewisse Ausschließlichkeit mit und andere, subjektive Elemente einer möglichen Handlungs- bzw. Vorgehensweise gelten somit als unerwünscht. Etliche Entwicklungen in verschiedensten Arbeitsbereichen legen weitgehend diese Annahmen zugrunde und unterbinden durch das entsprechende wissenschaftliche Fundament zunehmend die Möglichkeiten, Arbeitsprozesse auf eine nicht systematisierbare Weise zu beherrschen (Böhle, Rose 1992). Dies führt schließlich dazu, dass das sogenannte Erfahrungswissen der Subjekte, als spezifische Wissensform, verdrängt wird. Lediglich ein objektivierbares Wissen gilt als zielführend. Jedoch zeigen Untersuchungen in anderen Arbeitsbereichen, dass insbesondere Facharbeiter – im Sinne von Experten in einem Fachgebiet – „vielfach eher intuitiv statt planmäßig-rational handeln“ (Bauer et al. 2006, S. 31, unter Bezug auf z.B. Dreyfus, Dreyfus 1986; Anderson 1989; Brödner 1997) und ihre Handlungsweise damit keineswegs rein objektivierend und rational ist. Subjektive Erfahrungen scheinen eine Rolle zu spielen – zumindest in den bereits untersuchten Arbeitsgebieten in der industriellen Produktion. Demnach ergänzen die untersuchten Anlagenfahrer ihre in der Aus- und Weiterbildung vermittelten objektivierten Qualifikationen offenbar durch weitere Wissens- und Praxisformen. Entgegen der Annahme, insbesondere Bediener hoch technisierter Systeme würden sich in ihrer Arbeitsweise optimalerweise ausschließlich den Logiken des
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1 Einleitung
technischen Systems angleichen, erkennt man hier auch andere, erfahrungsgeleitete Vorgehensweisen der menschlichen Akteure. Böhle und Rose (1992) und Bauer et al. (2006) unterscheiden in diesem Zusammenhang das objektivierende vom subjektivierenden Arbeitshandeln. Während ersteres von technisierungsaffinen Leitvorstellungen geprägt ist und das als adäquat erachtete Handeln als planmäßig und zweckrational versteht, ist das subjektivierende Arbeitshandeln durch individuelle und erfahrungsgeleitete Fähigkeiten gekennzeichnet. Dabei wird das „Erfahrungswissen zur Prozeßbeherrschung […] vor allem in unvorhersehbaren Arbeitssituationen abgefordert und eingesetzt. Da in diesen Situationen eine andere Arbeitsweise notwendig wird, sind sie gegenüber derjenigen für vorwegplanbare Situationen kritisch“ (Schulze, Carus 1995, S. 30). Fraglich ist jedoch, ob dies auch bei Piloten im Cockpit vorzufinden ist, sind sie doch mit der Forderung konfrontiert, die in der Aus- und Weiterbildung vermittelten Handlungs- und Entscheidungsprozesse rein rational und objektiv auszuführen – und dies insbesondere auch in sämtlichen Konstellationen Kritischer Situationen. Zwar finden sich in der Ausbildung gewisse Hinweise auf die Notwendigkeit praktischen erfahrungsgeleiteten Wissens, aber konkrete Ausführungen dazu fehlen. Die Ähnlichkeit der Arbeitsplätze von Leitwarten in der Prozessleitindustrie und modernen Flugzeugcockpits lässt vermuten, dass eine Analyse vergleichbare Ergebnisse zeitigen würde. Eine bereits durchgeführte Voruntersuchung zur Arbeit von Piloten (Cvetnic 2006b) weist bereits in diese Richtung. Hier konnten eindrucksvolle Ergebnisse sowohl zu Unwägbarkeiten als auch zur Rolle des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns erzielt werden. Entgegen der Auffassung, die technische Ausgestaltung im Flugzeugcockpit reduziere die Arbeitstätigkeiten des Piloten auf Restaufgaben, ließen sich deutliche Hinweise finden, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Streben nach Vollautomatisierung kreiert Situationen, die eine deutliche Erschwernis darstellen, da der Pilot mit neuen komplexen Schwierigkeiten umgehen muss. Diese Anforderungen werden in ihrer Qualität bislang völlig unterschätzt und in der technischen und organisatorischen Auslegung des Cockpits kaum berücksichtigt. Die Piloten werden durch die Technik ausgegrenzt und zudem auf eine rein systematisierbare Handlungsweise beschränkt. Jedoch zeigt die Flugpraxis deutlich, dass „nie alles so funktioniert, wie die Konstrukteure es sich vorstellen“. Die Piloten sind sich daher einig, für die sichere Ausübung ihres Berufs
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unabdingbar „auch ein Arschgefühl“ für ihren Flieger zu benötigen. Gemäß den Interviewergebnissen lässt sich dieses subjektive Empfinden am ehesten mit den Kriterien für erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln erfassen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden u.a. bereits auf mehreren Fachtagungen und Symposiumsveranstaltungen vorgestellt (vgl. Cvetnic 2006a, 2008a, 2008b; Böhle, Cvetnic 2006) und speziell von Praktikern als ein bisher weithin verdecktes und tabuisiertes Praxisfeld verstanden. Eine weitere wissenschaftliche Klärung wurde durchweg begrüßt und als dringlich bewertet. Die Voruntersuchung und die daran anschließenden Diskussionen bekräftigen die Vermutung, dass im Zuge der Automatisierung des Flugverkehrs und den damit verbundenen neuen Konfigurationen der Kooperation von Mensch und Technik (i.S.v. verteilter Handlungsträgerschaft) in der Praxis Unwägbarkeiten auftreten, die bisher weitgehend verdeckt sind. Sie unterliegen der gleichen Paradoxie, wie sie in der industriellen Produktion festgestellt wurde: Je besser sie durch die (verbleibende) menschliche Arbeit ausgeglichen werden, je besser die menschliche Arbeit also das Funktionieren gewährleistet, umso weniger werden sie offensichtlich. Entscheidend ist hier, dass nicht die spektakulären Störungen im Fokus liegen, sondern kleine, alltägliche Vorkommnisse, welche durch den fortwährenden gewährleistenden Einsatz des Menschen gar nicht erst als Störungen wahrgenommen werden und daher bislang den offiziellen Sichtweisen weitgehend entgehen.
These und Zielsetzung der Untersuchung Die These dieser Untersuchung lautet, dass auch dann, wenn menschliche Arbeit grundsätzlich als unverzichtbar betrachtet wird, nach wie vor wichtige menschliche Leistungen und Kompetenzen offenbar unterschätzt und ausgeblendet werden. Dies betrifft im Besonderen die Bewältigung von Grenzen der Planbarkeit und von Unwägbarkeiten technischer Systeme, wie sie in Form Kritischer Situationen im Normallauf auftreten.14
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Mit dem Begriff „Normallauf“ wird in vorliegender Arbeit der „normale“ Berufsalltag ohne jegliche Un- oder Vorfälle mit Gefährdungspotenzial beschrieben.
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In den bisherigen Qualifikations- und Ausbildungsprofilen15 von Verkehrsflugzeugpiloten moderner, hoch technisierter Flugzeuge wird die Wichtigkeit einer rein kognitiv-rationalen und objektivierenden Arbeitsweise stets hervorgehoben. Die Bedeutung von Erfahrungswissen und damit einhergehendem informellsituativen Arbeitshandeln taucht dort jedoch kaum auf und wird bislang grundsätzlich unterschätzt. Diese Feststellung basiert sowohl auf den Ergebnissen der eigenen Voruntersuchung (Cvetnic 2006b) als auch auf weiterführenden Gesprächen mit Piloten und der regelmäßigen Teilnahme an fachspezifischen Veranstaltungen. Piloten selbst sehen demnach nicht selten ihre Fähigkeiten als unterschätzt an. Ziel der Untersuchung ist somit eine arbeitssoziologische Analyse der Tätigkeit von Piloten. Ausgehend von den Befunden zur veränderten Rolle des Menschen in komplexen Systemen, stehen der Umgang mit Grenzen der Planbarkeit und die Bewältigung von Unwägbarkeiten technischer Systeme im Flugverkehr im Mittelpunkt. Die Untersuchung richtet sich auf das Zusammenwirken von Mensch und Technik nach dem Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft und fragt in diesem Rahmen nach in der Praxis auftretenden, aber bei der Auslegung technischer Systeme und im Personaleinsatz nicht berücksichtigten Anforderungen an menschliche Arbeit. Für die vorliegende Arbeit interessiert demnach vor allem, inwieweit im Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft zwar einerseits von Grenzen der Technisierung und einer damit einhergehenden Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik ausgegangen wird, andererseits aber zugleich bei den der Technik zugewiesenen Aufgaben eine weitgehend funktionierende Technik unterstellt wird. Damit wird im Kontext Verteilter Handlungsträgerschaft die Annahme eines grundsätzlich funktionierenden technischen Kooperationspartners kritisch hinterfragt. Das Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft lässt sich so mit den in der Arbeitssoziologie entwickelten Konzepten der Unwägbarkeiten technischer Systeme und der Kritischen Situationen verbinden. Es wird vermutet, dass die Unwägbarkeiten in automatisierten Prozessen zu bislang unterschätzten Anforderungen an den Piloten führen. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeiten des Piloten im Normallauf. Demzufolge wäre sein alltäg-
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Detaillierte Auflistungen dazu finden sich u. a. bei Dittrich (2000, S. 120f), Faber (1994, S. 53f), Hanke (2003) und allgemeiner bei Schwahn (2009) und Stünkel (2015).
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licher Aufgabenbereich um einen wesentlichen Teil, der bislang weder in der Praxis noch in der Forschung vollständig erfasst wird, bedeutsamer. Die Herausforderungen im Arbeitsalltag beherrscht der Pilot dabei nicht nur, wie herkömmlich angenommen, basierend auf seinen objektiven und rein rationalen Kenntnissen und Handlungsweisen. In dieser Untersuchung wird vielmehr angenommen, dass der Pilot auch anders handelt. Um das informell-situative Handeln von Piloten kenntlich zu machen, wird auf das Konzept des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns zurückgegriffen und es wird für die empirischen Erhebungen operationalisiert. Es ist hier speziell darauf hinzuweisen, dass mit dem Konzept des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns unterschiedliche Forschungsansätze, die sich auf ein informell-situatives Handeln beziehen, wie z.B. das Konzept des situativen Handelns (Suchmann 1987), des intuitiv improvisierenden Handelns (Volpert 2003) und des impliziten Wissens (Polanyi 1985), integriert werden (vgl. Böhle 2009a). Hiermit erweitert sich die Verbindung konzeptueller Ansätze erneut, indem die Frage nach dem Arbeitshandeln der Piloten gestellt und mit den Konzepten der Verteilten Handlungsträgerschaft und den Kritischen Situationen in Beziehung gesetzt wird. Die leitenden Fragestellungen ermöglichen es so, die Ansätze in originärer Weise miteinander zu verbinden. Letztlich ist es durch eine systematische Verbindung sämtlicher angewandter Konzepte möglich, zu einer integrierten Sichtweise zu gelangen (Ansätze hierzu finden sich bereits bei Schubert 2006). In Erweiterung bisheriger Untersuchungen zum Umgang mit Unwägbarkeiten technischer Systeme wird mit vorliegender Arbeit ein weiteres, bisher noch wenig beachtetes, jedoch aktuell brisant diskutiertes Arbeitsfeld berücksichtigt und als technisches Setting in den Blick genommen. Dessen hohe Bedeutung ergibt sich aus dem Umstand, dass Risiken in Verkehrssystemen noch weit unmittelbarer auf die Gefährdungen menschlichen Lebens durchschlagen, als dies beispielsweise im Rahmen industrieller Produktion der Fall ist. Eine realistische Einschätzung der Grenzen der Automatisierung und der notwendigen Rolle menschlicher Arbeit ist daher von hoher sicherheits- und gesellschaftspolitischer Bedeutung. 16 Vorliegende Arbeit zielt damit auch auf einen praktischen Nutzen: Sie beabsichtigt, auf technische Risiken hinzuweisen, die auch dort weitgehend unterschätzt werden,
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In der industriellen Produktion (die ehemals als Domäne der Technisierung galt) hat mittlerweile eine realistischere Einschätzung Einzug gehalten.
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wo grundsätzlich menschliche Arbeit als nicht ersetzbar angesehen und von einer Kooperation von Mensch und Technik ausgegangen wird. Die Fokussierung auf – im Erfolgsfall – weitgehend unsichtbar bleibende Leistungen kann als Grundlage für neue Perspektiven auf zukunftsorientierte Wege der Arbeitsgestaltung – insbesondere im Bereich Personalplanung und -einsatz – sowie der Qualifizierung von Cockpitpersonal betrachtet werden. Gemäß der Zielsetzung, ein möglichst differenziertes Bild über die Tätigkeit des Piloten zu erstellen, bietet es sich an, die Arbeit in zwei Teile zu gliedern: → Teil A: Was muss der Pilot (noch) machen? Was sind seine Anforderungen? → Teil B: Wie muss er das machen bzw. wie bewältigt er diese Anforderungen? Beide Schwerpunkte werden der Übersichtlichkeit halber getrennt abgehandelt, jeweils mit eigenen Abschnitten zum Stand der Diskussion, zu offenen Fragen und zu den empirischen Ergebnissen. Teil B baut auf den Ergebnissen von Teil A auf und bezieht sowohl die dort formulierten theoretischen Grundlagen wie auch die empirischen Befunde stets mit ein. Da eine strikte Trennung insbesondere innerhalb der Interviewsequenzen bzw. Beobachtungen thematisch nicht möglich ist, finden sich in den Ergebnissen wiederholt Hinweise auf die im jeweils anderen Hauptteil fokussierten Themen. Auch werden einzelne Sequenzen mehrfach analysiert.
Teil A – Was muss der Pilot (noch) machen?
2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
2.1 Pilot und Technik Die technische Ausgestaltung von Verkehrsflugzeugen hat seit den Anfängen der Fliegerei eindrucksvolle Veränderungen erfahren. Erstmals gelang es Otto Lilienthal im Jahr 1891, einen Gleitflieger zu entwickeln und zu testen. Etwas mehr als eine Dekade später waren bereits deutliche technische Fortschritte erreicht, als die Gebrüder Wright 1903 den ersten motorisierten und gesteuerten Flug – über stolze 45 Meter – durchführten. Es begann eine nahezu beispiellose technische Weiterentwicklung, welche stets auch die Anforderungen an den jeweiligen Lenker der Maschine bestimmte.
2.1.1 Pilot im Cockpit – Einsatz der Sinne In den frühen Jahren der Fliegerei bestand das Aufgabengebiet eines Piloten noch aus abwechslungsreichen manuellen Stell- und Steueraufgaben, verbunden mit dem vielseitigen Einsatz aller zur Verfügung stehenden menschlichen Sinne. „Das waren noch Zeiten, als Lufthansa-Piloten beim Blindflugtraining auf der Junkers W 33 ihre Position nach den vom Boden aufsteigenden Gerüchen bestimmten. ‚Jetzt sind wir über Spandau-West’, sagt zum Beispiel Robert Lissau zu seinem Fluglehrer, als der Geruch von frisch geröstetem Kaffee bis ins Cockpit aufstieg. Denn sie hatten gerade die Kaffeerösterei von Kaisers Kaffeegeschäft überflogen“ (Braunburg 1994, S. 44). Zu dieser Zeit reichte die Vorstellungskraft für die technische Komplexität, wie sie in modernen Flugzeugen existiert, bei weitem nicht aus, befanden doch viele Piloten der damaligen Zeit sogar, dass Instrumente im Cockpit eigentlich nicht erforderlich seien. „Die Flughöhe ließ sich doch einwandfrei durch einen einfachen Blick zum Erdboden abschätzen, das Pfeifen der Spanndrähte gab Auskunft über die Geschwindigkeit und der Motor konnte ganz hervorragend anhand seiner ohnehin unüberhörbaren Geräuschkulisse kontrolliert werden. Bei der Navigation kam der individuellen Ortskunde des Piloten herausra© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_2
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
gende Bedeutung zu und über die Lage im Raum informierte präzise das eigene Gefühl und der sichtbare Horizont“ (Littek 2002, S. 8). Der Anspruch, die Flugdurchführung nachhaltig zu verbessern, brachte die menschlichen Sinne im Laufe der Zeit an ihre Grenzen. Zunächst wurden einfache Bord-(Assistenz-)Systeme entwickelt, welche dem Piloten sinnvolle Informationen beispielsweise über die Flughöhe vermittelten. Die immer zahlreicheren Einzelinformationen erforderten schließlich die Einteilung in verschiedene Arbeitsbereiche. Diese wurden noch bis in die 1960er Jahre auf eine bis zu fünfköpfige Cockpitbesatzung übertragen. Neben den zwei Piloten befanden sich ein Bordingenieur und, bei Überseeflügen, zusätzlich ein Funker und ein Navigator an Bord (vgl. Littek 2002, S. 10).17 Durch die zunehmende Etablierung innovativer Bordsysteme sank die Arbeitsbelastung im Cockpit deutlich. Dabei spielten vor allem diejenigen Systemneuerungen eine bedeutende Rolle, welche nicht lediglich einer Darstellungsfunktion dienten, sondern automatisiert bestimmte Abläufe des Flugprozesses übernehmen konnten. Von den vormals bis zu fünf Besatzungsmitgliedern sind heute nur mehr zwei Piloten im Cockpit verblieben. Sämtliche Aufgaben der weggefallenen Besatzungsmitglieder werden heute technisch substituiert bzw. sind in das Aufgabengebiet der beiden Piloten integriert. Seither sind die Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten im Cockpit stark durch automatisierte Prozessabläufe der Bordtechnik geprägt. Dank moderner Systeme wie dem FMS18 werden die Piloten heute nicht nur von Routineaufgaben entlastet, sondern zunehmend auch von Steueraufgaben. Steuerkommandos der Cockpitcrew werden zunächst an die Flugkontrollcomputer weitergegeben und von diesen geprüft und verarbeitet. Die Übertragung der Steuereingaben erfolgt dabei – herstellerabhängig – über das im Frontbereich des Piloten angebrachte Steuerhorn oder mittels Sidestick (seitlich angebrachter Steuerknüppel, vergleichbar mit einem Joystick). Statt der vormals üblichen mechanischen Übertragung der Steuerbefehle durch Stahlseile oder Hydrauliksysteme werden die Kommandos heute durch die sog. Fly-by-wire-Technik (Kabelsteuerung) mittels Sensoren erfasst. Elektrische Signale erzeugen dann die Bewegung 17
18
Zur historischen Entwicklung von Flugzeugcockpits von den Anfängen bis ins Jahr 1968 siehe ausführlich Schuivens 2015. Ein FMS (Flight Management System) ist ein hoch entwickelter Autopilot mit erweiterten Funktionen.
2.1 Pilot und Technik
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des Flugzeugs. Hierbei ist es möglich, dass sämtliche äußere Einflüsse bereits einberechnet und ausgeglichen werden. Flugzustände, welche nicht erwünscht sind, wie z.B. eine zu hohe oder zu niedrige Geschwindigkeit oder große Schräglagen, können damit vom Flugzeug selbst, ohne Zutun der Piloten, automatisch kompensiert werden. Der Pilot muss diese fliegerischen Anforderungen in seiner Arbeit daher nicht mehr berücksichtigen (vgl. Hanke 2003, S. 58). Je weiter das Ausmaß der Technisierung voranschreitet, desto weniger erscheinen die vielfältigen menschlichen Fähigkeiten und Sinne, wie sie noch in den ersten Flugmodellen notwendigerweise zum Einsatz kamen, in ihrer Funktionalität und Bandbreite erforderlich. Mit dem Abnehmen mühseliger Rechen- und manueller Steueraufgaben erhöht sich allerdings gleichzeitig die Anzahl technisch hochentwickelter und nur noch bis in gewisse Subebenen durchschaubarer Bordsysteme. Die Konzentration bei der Informationsaufnahme verlagert sich zunehmend auf die (sichtbaren und von den Herstellern als notwendig empfundenen) Systemanzeigen und damit auf den visuellen Kanal des Piloten.
2.1.2 Technik im Cockpit – Einsatz von Logik Eine der wesentlichen Triebfedern, die Automatisierungstechnik weiterzuentwickeln, ist das Wissen um die unvermeidliche Fehlerhaftigkeit des Menschen. Sobald Aufgaben in sicherheitskritischen Bereichen komplexer werden, können sich schon kleine Fehler verheerend auswirken. Da Computeranlagen schneller und präziser reagieren und zudem wesentlich mehr Komponenten gleichzeitig steuern und überwachen können, ist die Diskussion, inwieweit Technisierung und Automatisierung in Verkehrsflugzeugen zum Einsatz kommen sollten, in bestimmten Teilbereichen bereits zugunsten der Technik entschieden.19 Bedenkt man die Anforderungen, die beispielsweise die Verkehrsdichte in der Luft mit sich bringt, oder die Notwendigkeit, auch in schlechten Wetterverhältnissen Flüge durchzuführen, stellen die Bordsysteme wie auch die technischen Systeme der Flugsicherung eine unverzichtbare Unterstützung dar. So sind Landungen unter schlechtesten Sichtbedingungen heute durch moderne Autopilotensysteme vollautomatisiert 19
Ausführlicher zur Diskussion um die Vorteile von Technisierung bzw. Automation wie auch zu sicherheitskritischen Bedenken siehe www.skybrary.aero/index.php/Cockpit vom 20.09.2017 (Cockpit Automation – Advantages and Safety Challenges).
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durchführbar und ersparen aufwendige Ausweichlandungen und gefährliche manuelle Manöver. Es werden Systeme wie das GPWS20 (Bodenannäherungswarnsystem) eingesetzt, die rechtzeitig vor einer Bodenberührung warnen. Mit Hilfe von Wetterradar und Windscherungswarnsystemen21 lassen sich environmental hazards (gefährliche Wettererscheinungen) frühzeitig auf den Anzeigen erkennen und damit leichter beherrschen. Dank trouble shooting (organisierte Fehlerbehebung) stehen Techniker bei Bedarf sofort zur Stelle und können via Funkverbindung die Piloten unterstützen (vgl. Braune R.J. 1994, S. 37). Ohne hoch technisierte Bordsysteme könnten auch wirtschaftliche Aspekte, wie z.B. Treibstoffeinsparungen (durch eine automatisierte und daher sehr präzise Flugführung) oder eine optimale Verkehrsplanung, nicht annähernd so effizient berücksichtigt werden (vgl. Klampfer 2002, S. 38; Perrow 1987, S. 180). Die Reduzierung der Cockpitcrew auf zwei Piloten bedeutet letztendlich auch wesentliche Einsparungen im Personalaufwand. Bei den Überlegungen zu den Kosteneinsparungen muss außerdem beachtet werden, dass die Entwicklungskosten für computergestützte Systeme, insbesondere auf dem Gebiet der Mikroelektronik, mittlerweile enorm gefallen sind (vgl. Kruse 1995, S. 226). Leistungsverstärkende Bordrechner ermöglichen folglich nicht nur eine höhere Wirtschaftlichkeit, sondern sind durch die gesunkenen Anschaffungskosten auch schnell amortisiert. Dabei sind diejenigen Abläufe, die in der Vielzahl ihrer Ausprägungen und in ihrem Zusammenwirken eindeutig erfasst und festgelegt werden können, für eine technisch-wissenschaftliche Beherrschung zugänglich (vgl. Böhle, Rose 1992, S. 6) und entsprechen den Kriterien für eine (plausible) Übertragung der Arbeitsaufgabe an die Maschine. Auf Basis einer möglichst vollständigen Erfassung aller wesentlichen Einflussfaktoren entwickeln Ingenieure hoch technisierte Systeme, die Arbeitsabläufe im Flugverlauf automatisch ausführen bzw. technisch unterstützen, welche in den vorhergehenden Flugzeuggenerationen noch manuell, unter Zuhilfenahme menschlicher Fähigkeiten und Kompetenzen, durch die Cockpitcrew verrichtet werden mussten. Die technischen Systeme stützen sich dabei auf vorab programmierte Daten und funktionieren nach algorithmisierbarer Gesetzmäßigkeit. 20 21
Die Abkürzung GPWS (engl.) steht für Ground Proximity Warning System. Mit Windshear Alerting Systems (engl. für Windschwerungswarnsystem) arbeiten sowohl die Flugsicherung als auch die Besatzung im Flugzeug, um die Gefahr des Auftriebsverlustes durch Scherwinde in Bodennähe im Voraus zu erkennen.
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Heute genügt oftmals die Eingabe eines zu erreichenden Zielzustands. Die dazu erforderlichen Arbeitsschritte veranlassen und erfüllen die technischen Systeme selbsttätig im Hintergrund – gemäß ihrer eigenen objektivierbaren Logik. Konsequenz für den Menschen ist, dass der Computer nicht mehr lediglich eine vermittelnde Rolle zwischen ihm und dem technischen Ablauf spielt, sondern zunehmend autonome Verantwortlichkeit erhält (vgl. Kolrep 1996, S. 12) und der Mensch als Folge davon die Abläufe nur mehr begrenzt bzw. stark verzögert und erschwert nachvollziehen kann.
2.1.3 Flugzeugunfälle – Menschliches vs. technisches Versagen In Verbindung mit tragischen Unfällen in der Verkehrsluftfahrt ist „menschliches Versagen“ das meistgenannte Schlagwort in den Medien. Harald Schaub (2017, F.2) erklärt hierzu: „Die meisten tödlichen Unfälle, etwa 70 Prozent, sind auf menschliches Versagen zurückzuführen.“22 Tom Enders23 (Airbus) spricht sogar davon, dass „90 Prozent der Fehler bei Flugunfällen […] auf menschliches Versagen zurück“ (Enders 2017 auf der DLD24) gehen. Auf den Seiten des Operator’s Guide to Human Factors in Aviation, veröffentlicht von der Flight Safety Foundation (FSF)25 liest man dazu ausführlicher: “In spite of these excellent advances, accidents and incidents are still occurring and can be expected to increase in number as aviation continues to grow. In order to continue to improve safety, there must inevitably be a strong focus on the human element of the air transport system. Research indicates that 85% of all aviation accidents and serious incidents involve human error, and over 60% of these accidents have human factors as their primary cause.”26
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23 24
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Vortrag auf der VDE/DKE-Tagung „20 Jahre IEC61508“ zur funktionalen Sicherheit und IT-Sicherheit im März 2017 in Erfurt. Seit 2007 Unternehmensleiter bei Airbus und seit 2012 Vorstandsvorsitzender von Airbus SE. DLD: Digital Life Design ist eine in München stattfindende internationale Konferenz- und Innovationsplattform. Auf den Seiten der FSF (www.flightsafety.org 13.07.2017) wird zur eigenen Zielsetzung erklärt: “The Foundation is an international non-profit organization whose sole purpose is to provide impartial, independent, expert safety guidance and resources for the aviation and aerospace industry”. Aus: OGHFA (Operators Guide to Human Factors in Aviation) “An Introduction” (www.skybrary.aero 13.07.2017).
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Diese Schuldzuschreibungen und der Wunsch nach solider Sicherheit machen es nachvollziehbar, dass eine zunehmend technikzentrierte Gestaltung im Luftverkehr betrieben wird. Die Technik, als kalkulierbare und unbeirrbare Größe, soll verlässliche Sicherheit schaffen. Seit den 1950er Jahren lässt sich insgesamt ein steil abfallender Trend bezüglich der Todesopfer im Luftverkehr im Verhältnis zu den geflogenen Passagiermeilen feststellen. Die Statistiken der IATA27, der internationalen Luftverkehrsvereinigung, weisen für das Jahr 2016 (als aktuellste Hochrechnung28) folgende Zahlen auf: Bei insgesamt 40,4 Millionen Flügen weltweit kam es zu insgesamt 65 Flugzeugunfällen – zwei davon mit tödlichem Ausgang auf Passagierflügen. Insgesamt sind 268 Todesopfer zu beklagen. Daneben kam es zu einer unbekannt hohen Anzahl an Zwischenfällen bzw. sogenannten „Minimalen Ereignissen“. Deutlich wird: Es gibt keine endgültige Sicherheit im Luftverkehr. Das Unfallrisiko ist dabei je nach Flugphase unterschiedlich hoch. Die Startund die Landephase machen insgesamt nur etwa 7% der Gesamtflugzeit aus. Jedoch passieren hier alleine 75 bis 85% aller Totalverluste. Auch der menschliche Anteil am Arbeitsprozess ist in diesen Phasen am höchsten. Anhand detaillierter Analysen werden die Gründe für Unfälle29 erforscht und darauf aufbauend geeignete Maßnahmen für verbesserte Sicherheitsstandards getroffen. Dabei erfolgt eine Kategorisierung des Geschehens bzw. des Unfalls nach Ursachentypus. Verwendet werden dabei TEC (Technik), ENV (Environment = Umgebungsfaktoren), ORG (Organisation; seit 1993), HUM (Human Factors = menschliches Versagen) und I (Insufficient Data = ungeklärter Datenbestand; seit 1993) (vgl. Hanke 2003, S. 4). Noch in den Anfängen der Fliegerei galt das sog. „technische Versagen“ als der signifikanteste Faktor für Zwischenfälle und Unfälle. Dies hat sich deutlich gewandelt. Zwar haben Flugzeugunfälle relativ gesehen bis heute deutlich abge27 28
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IATA steht für International Air Transport Association. Sitz ist in Montreal, Kanada. Aus www.iata.org/pressroom/pr/Pages/201 vom 12.06.2017: IATA Releases 2015 Safety Performance Pressebericht vom 10.03.2017 Zur Definition eines Unfalls in der Verkehrsluftfahrt: „- Unfall: erhebliche Beschädigung des Flugzeuges oder erhebliche Verletzung einer Person, solange sich Menschen an Bord zum Zweck des Transports aufhalten. Ausgeschlossen sind in diesen Statistiken Sabotageakte, Militärangriffe, Selbstmorde oder Selbstmordversuche sowie Unfälle mit Ladegut außerhalb der Reichweite von Passagieren und Crew.- Tödlicher Unfall: Unfall mit mindestens einem tödlich Verletzten – Totalverlust (Hull Loss): Der Reparaturaufwand übersteigt den Zeitwert des verunglückten Flugzeugs“ (Ebermann, Jordan 2010, S. 3).
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nommen, jedoch gilt nun der Mensch in hohem Maße als für Fehler verantwortlich. Die Technik hat im Gegenzug nur noch einen sehr kleinen Anteil an den Unfallursachen. Die HUM-Kategorie – gleichzusetzen mit „menschlichem Versagen“ – ist weiter unterteilt in vier verschiedene Unterklassen. H1: [activ failure -] bewusster, vorsätzlicher Arbeitsfehler, wie das Missachten von Regeln und Vorschriften oder mangelnde Disziplin (25%) H2: [passive failure -] unbewusster, unbeabsichtigter Arbeitsfehler, verursacht beispielsweise durch mangelnde Aufmerksamkeit, Missverständnisse, Verständigungsschwierigkeiten, Stress oder Vergesslichkeit (20%) H3: [proficiency / skill failure -] durch Ausbildungsfehler und Fehleinschätzung verursachte Fehlbedienung des Flugzeugs bzw. der entsprechenden Systeme (50%) H4: [Incapacitation –] Fehler infolge Unwohlsein/Krankheit (5%) (vgl. Faber 1994, S. 16 und Bergmann 2015, S. 395 zu den aktuellen prozentualen Anteilen) -
Allein in den Jahren 1983 bis 1992 haben sich die H3-Unfälle innerhalb des HUMSektors von 11% auf 54% vervierfacht (vgl. Faber 1994, S. 17). Sie sind nach wie vor30 am häufigsten. Die genaue Definition lautet gemäß IATA: ”Proficiency / skill failure (inappropriate handling of aircraft or its systems – this can include misjudgement, making an incorrect decision – it can be exacerbated by lack of experience, lack of training or simple incompetence)” (IATA Accident/Incident Cause Classifications, zit. n. Hanke 2002, S. 115).
Gemäß der Definition sind Mängel im Verständnis der technischen Bordsysteme ein zentraler Grund. Der Pilot weist also im Umgang mit dem Flugzeug Defizite in Qualifikation und Geschicklichkeit auf (vgl. Hanke 2003, S. 7). Hierunter erfasst man generelle Mängel oder Fehler in der Ausbildung, welche zu fehlender Kompetenz und Erfahrungsmangel führen und dadurch Fehlentscheidungen und/oder eine fehlerhafte Bedienung verursachen (vgl. Faber 1994, S. 17; vgl. Bergmann 2015, S. 395).
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Stand 2003 sogar 66% (vgl. Hanke 2005, S. 87).
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In der Zeitspanne, in der es zu dem sprunghaften Anstieg der H3-Werte kam, wurden vermehrt Flugzeuge der so genannten dritten Jet-Generation – das sind intensiv automatisierte Maschinen – auf den Markt gebracht (vgl. Faber 1994, S. 17). Die jährliche Verteilung der so genannten Totalverluste oder Hull Losses31 von Linienflugzeugen offenbart außerdem eine augenfällige Erhöhung von Totalverlusten jeweils nach Einführung einer neuen Flugzeuggeneration. Kurz nach 1960, 1971, 1983 und etwa um 1988 zeigt sich jeweils ein deutlicher Anstieg der Unfallzahlen. Ziemlich exakt zu diesen Zeitpunkten wurden neue, revolutionäre Flugzeugmodelle eingeführt (vgl. Hanke 2003, S. 2). Die neuen Flugzeuge heben sich von ihren Vorgängermodellen dadurch ab, dass sie aufgrund technischer Weiterentwicklungen veränderte Cockpitarbeitsplätze und damit einhergehend auch neue Arbeitsbedingungen für die Piloten generieren. Die dahinterstehende Problematik der H3-Unfallursachen hat an Aktualität nichts eingebüßt. Der in den Medien viel diskutierte Absturz der Air France (AF 447) im Jahr 2009 ist hierfür ein prominentes Beispiel. Die offizielle Auswertung der Unfallanalyse ergab, dass die Piloten offenbar den Flugzustand, welcher sich durch ein Abschalten des Autopiloten aufgrund zeitweiser ausgefallener sog. Pitot-Sonden32 ergab, nicht richtig interpretieren konnten. Sie reagierten daraufhin fehlerhaft, da sie, vermutlich aufgrund mangelnden Trainings bzw. Ausbildungsdefiziten, nicht wussten, wie sie in dieser großen Höhe das Flugzeug richtig handhaben mussten. Eine Kette weiterer Fehlhandlungen folgte, was schließlich dazu führte, dass die vollbesetzte Maschine mit 228 Insassen an Bord in den Atlantik stürzte. Keiner überlebte. 33 Bereits nach 1993 veränderte sich die Auffassung, wonach jeweils nur ein Hauptgrund für einen Flugzeugunfall als ursächlich angenommen wurde. Die nun mittlerweile fünf Kategorien34 erlauben jetzt die Zuordnung eines Unfalls zu mehreren kausal verbundenen Gründen. Die Unfallkategorie ORG weist hierbei auf betriebsinterne Strukturmängel hin. So kann das Fehlverhalten eines Piloten dadurch begründet werden, dass es für ihn gar nicht möglich war, die entsprechenden Zusammenhänge zu erfassen, da er diesbezüglich nicht in ausreichender Weise 31 32 33
34
Auch Total Losses genannt. Sensoren zur Geschwindigkeitsmessung. Vgl. offizieller Abschlussbericht (Final Report) vom July 2012, veröffentlicht auf den Seiten der BEA (Bureau d’Enquêtes et d’Analysespour la sécurité de l’aviation civile), der französischen Flugunfallbehörde. Neu hinzu kamen ORG und I; siehe oben.
2.1 Pilot und Technik
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geschult wurde oder die vorhandenen Checklisten bei der Fehleranalyse versagten (vgl. Hanke 2003, S. 5). Dieser Bereich nimmt seitdem einen nicht unerheblichen Anteil in der Ursachenaufteilung ein. Hanke (2003) berichtet, dass bereits 1998 in mehr als 80% der Totalverluste, Mängel in der dargebotenen Ausbildung der Piloten als ursächlich angesehen wurden.35 Diese Entwicklungen zusammengenommen erlauben den Rückschluss, dass mit der technischen Ausreifung der Flugzeuge die menschlichen Fehler im Flugprozess vergleichsweise stark zugenommen haben, während die technischen Ursachen deutlich zurückgegangen sind. Die Etablierung der ORG-Kategorie offenbart dabei jedoch betriebsbedingte Mängel in der Ausbildung der Piloten, welche diese nicht zu verantworten haben. Manfred Müller, selbst Kapitän auf dem A 380 und zugleich Leiter der Sicherheitsforschung bei der Deutschen Lufthansa, gibt zu bedenken: „Man ging von der These aus, dass hoch automatisierte Flugzeuge automatisch immer sicherer werden. Heute wissen wir, dass diese Erwartung nicht erfüllt werden konnte. Der entscheidende Faktor für einen sicheren Flugbetrieb und damit den Erfolg einer Airline sind nach wie vor die Menschen im System. […] Die Hoffnung, dass komplexe Technik hohe menschliche Kompetenz überflüssig macht, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Je anspruchsvoller die Technik wird, umso fundierter müssen die Menschen geschult werden“ (Müller 2014, S. 37). Überdies ist zu berücksichtigen, dass zwar zu „60-80% menschliches Versagen als Fehlerursache in sozio-technischen Systemen“ (Schaub 2017) vorliegt, jedoch auch „60-80% menschliches Handeln als Retter in Beinaheunfällen“ (ebd.). Es hat sich bei der Recherche zu vorliegendem Thema gezeigt, dass es nicht zuletzt aufgrund dieser Zusammenhänge bereits eine seit mehreren Jahren andauernde Auseinandersetzung mit diesem Diskussionsgegenstand gibt. Insbesondere die Neugestaltung der bisherigen Pilotenausbildung steht hierbei im Fokus. Die nachdrückliche Forderung einer an die fortgeschrittene Technisierung im Cockpit angepassten Ausbildung, welche den tatsächlichen Ansprüchen des Berufs gerecht wird, erhebt im Besonderen die Forschungsgruppe um Prof. Faber. Dazu trifft sich in jährlichen Abständen das Forschungsnetzwerk für Verkehrspilotenausbildung (FHP e.V.) – zuletzt im September 2017. Fachleute unterschiedlicher Disziplinen 35
Laut IATA-Unfallstatistik für das Jahr 2000 (vgl. Hanke 2003, S. 12, unter Bezug auf IATA: Safety Report (Jet) 2000, Montreal/Geneva, 2001, S. 34) entfallen sogar etwa 90% der ORG-Gründe auf Schulungsdefizite.
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und allen voran aktive Verkehrsflugzeugpiloten setzen sich hier mit den Fragen einer „Verbesserung der Sicherheit des Luftverkehrs“ auseinander, um eine „Erhöhung der Qualifikation von Verkehrsflugzeugführern“ sowie die „Optimierung von Mensch-Maschine-Schnittstellen und die Begründung einer Operatorwissenschaft“ zu erzielen (vgl. Faber 2005b, S. 229). Grundsätzlich muss bedacht werden, „dass alle Vorkommnisse und Unfälle, mit Ausnahme z.B. der Hudson-RiverNotwasserung vor Manhattan, […] Human Factor-Ereignisse [sind], denn Flugzeuge werden nicht nur von Menschen geflogen, sondern auch von Menschen konstruiert, gebaut, gewartet, dirigiert und administriert“ (Faber 2014, S.10). Das betrifft auch die technischen Systeme selbst. Im Falle von Vor- bzw. Unfällen in der Verkehrsluftfahrt muss die Frage nach dem Verursacher sehr differenziert betrachtet werden. Eine vorschnelle Schuldzuweisung an die Cockpitcrew – und damit an den Faktor Mensch – entbehrt jeder soliden Grundlage und darf begründet angezweifelt werden.
2.1.4 Konstruktionsphilosophien im Flugzeugbau – Sicht der Ingenieure Mit der Ausreifung technischer Möglichkeiten entwickelten sich unterschiedliche Sichtweisen einer optimalen Kombination technischer und menschlicher Aufgabenerfüllung. Es etablierten sich zwei wesentliche Konstruktionsphilosophien im Flugzeugbau. Das Ausmaß des technischen Einsatzes und dessen Ausgestaltung sind dabei entscheidend durch die grundsätzliche Frage geprägt, welcher Faktor – Mensch oder Maschine – bei der Flugdurchführung als die größere Gefahrenquelle für Fehlhandlungen angesehen wird. Die beiden bis zum heutigen Zeitpunkt den Markt dominierenden Flugzeugbauer – Airbus und Boeing – können jeweils als Vertreter der divergierenden Philosophien angesehen werden Airbus, als Befürworter einer technikzentrierten Bauweise, ist bemüht, Gefahren, die vom menschlichen Bediener ausgehen, durch den radikalen Einsatz von Systemtechnik einzudämmen. Bestehenden Sicherheitsmängeln soll durch den zunehmenden Einsatz autonomer Systemtechnik begegnet werden (vgl. Lüdtke 2005, S. 15). So stattet Airbus seine Flugzeuge z.B. zusätzlich mit einer sogenan-
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nten Flight Envelope Protection36 aus. Ein festgelegter Steuer-Spielraum erlaubt dem Piloten nur solche Flugzeugbewegungen, dass gefährliche Fluglagen grundsätzlich verhindert werden. Der Flugkontrollcomputer unterbindet somit eine analoge Steuerübertragung – sollte dies einen überzogenen Flugzustand hervorrufen können – und beschneidet damit den Piloten in seinem Handeln. Boeings Sicherheitsphilosophie sieht hingegen vor, die Systeme an Bord so zu gestalten, dass diese in ihrer Hauptfunktion der Assistenz der Cockpitcrew dienen. Mit diesem menschenzentrierten Ansatz wird die Notwendigkeit kreativer und flexibler menschlicher Fähigkeiten in den Vordergrund gestellt und diese Fähigkeiten als nicht substituierbar eingestuft. Boeing erhält somit die „grenzenlose“ Entscheidungshoheit des Piloten an Bord aufrecht, da unbekannte Situationen möglicherweise ein nicht vorgesehenes bzw. auch ein gefährliches Eingreifen des Piloten erforderlich machen können. Die Flugzeugelektronik „warnt“ den Piloten zwar durch starke Vibrationen am Steuerhorn vor einer gefährlichen Fluglage, überlässt ihm jedoch die Korrektur. 37
2.1.5 Das Cockpit von morgen - Zukunftszenarien Die Frage, wie der Luftverkehr der Zukunft – und dabei insbesondere die Rolle des Piloten – aussehen wird, führt zu unterschiedlichsten Prognosen. Stark beeinflussende Faktoren sind dabei insbesondere die schon angesprochenen Sicherheitsaspekte, darüber hinaus die kommerzielle Branchenentwicklung, ökonomische Erfordernisse, die gesellschaftliche Akzeptanz (d.h. die öffentliche Meinung) und schließlich die innovativen Möglichkeiten durch technologische Entwicklungen (vgl. Borchers, Borchers 2009, S. 65). Auf Grundlage dieser Bedingungen lassen sich potenzielle Entwicklungstrends der zivilen Luftfahrt nachzeichnen. Im Zentrum der Diskussion um die zukünftige Ausgestaltung des Arbeitsplatzes Cockpit stehen dabei im Wesentlichen fünf grundlegende Visionen.
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Flight Envelop Protection (engl.) “is a human machine interface extension of an aircraft’s control system that prevents the pilot of an aircraft from making control commands that would force the aircraft to exceed its structural and aerodynamic operating limits“ (www.wikipedia.org 01.10.2017). Zu den Unterschieden von Airbus und Boeing siehe detaillierter bei Ibsen (2009).
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Die Beibehaltung des klassischen Zwei-Mann38-Cockpits Die Beibehaltung des Status quo mit zwei Piloten im Cockpit scheint nicht nur angesichts verschiedener Innovationen im technischen Bereich fragwürdig, sondern auch wegen der sich bereits gegenwärtig abzeichnenden Branchenentwicklung. In der Airbus Global Market Forecast 2017-2036 lässt sich nachlesen, dass etwa alle 15 Jahre von einer Verdopplung des Flugverkehrs ausgegangen werden muss. Im Jahr 2016 wurden weltweit bereits 3,7 Milliarden Menschen in Flugzeugen befördert. Bis ins Jahr 2036 werden somit vermutlich 34 170 neue Passagierflugzeuge benötigt. 39 Dementsprechend wird der Bedarf an geeigneten Piloten steigen. Unter Rückgriff auf die derzeitigen Bewerberzahlen z.B. bei der Lufthansa wird diesem nur schwer entsprochen werden können. Global geht man bis zum Jahr 2036 von einem Mehrbedarf von 534 000 weiteren Piloten weltweit aus. Deutlich ins Gewicht fällt auch der steigende Kostendruck auf die Unternehmen (Personalkosten der Piloten). Diese Faktoren werden lt. Borchers, Borchers (2009, S. 69) langfristig eine Abkehr von diesem Arbeitsmodell erzwingen. Da es sich hierbei jedoch um sog. weiche Bedingungen40 handelt, wird diese Entwicklung nur langsam voranschreiten.
Vollautomatisierung Neben einem vollständigen Ausschluss des Menschen besteht die Zukunftsvision eines vollautomatisierten Lufttransportsystems. Hierunter wären der Einsatz und die Organisation pilotenloser Flugzeuge wie auch der Ersatz der konventionellen Flugsicherung durch einen globalen Luftverkehrsdienst zu verstehen. Im Rahmen des Projekts Ifats (Innovative Future Air Transport System) wurde dies bereits simulierte Wirklichkeit. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) fand am 14. Dezember 2006 ein Simulationsexperiment gemeinsam mit internationalen Partnern statt. Organisator des Projekts war die französische 38
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Die Bezeichnung „Mann“ wird hier nur stellvertretend und weil allgemein üblich so verwendet. Ebenso gemeint sind natürlich Frauen resp. Pilotinnen. Davon entfallen circa 40% auf den Ersatz bereits eingesetzter Maschinen und 60% davon entsprechen einem reinen Wachstum. Zum Unterschied zwischen weichen und harten Bedingungen siehe: Borchers, Borchers 2009, S. 63f.
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Partnerorganisation des DLR, Onera (siehe Schmitt, Le Taullec 2009, S. 22). Das Projekt, welches von der Europäischen Kommission mit fünf Millionen Euro bezuschusst wurde, berücksichtigt alle Teilnehmer des Luftverkehrs. Voraussetzung ist, dass diese allesamt miteinander kooperieren und untereinander Daten austauschen (unter Einbezug von Satellitenkommunikation und -navigation). Die Erfassung nicht integrierter Teilnehmer (bspw. kleine Sportflugzeuge) erfolgt durch Sensoren. Ein dann noch möglichenfalls an Bord befindlicher Pilot hätte nur mehr eine reine Überwachungsfunktion (vgl. Schmitt, Le Tallec 2007, S.17f). Der Flugablauf selbst basiert dabei auf einem weltweit koordinierten Flugplan, welcher von einem globalen Luftverkehrsdienst erstellt wird. Die vollautomatisierten Flugzeuge würden diesen auf Basis einer sog. 4-D-Trajektorie abfliegen (vgl. Weyer 2009, S. 18; Schmitt, Le Tallec 2009, S. 23). Man geht davon aus, dass diese Variante in etwa 30 Jahren umsetzbar wäre. Einer realistischen, zeitlich absehbaren Verwirklichung stehen jedoch einige erhebliche Schwierigkeiten im Wege. Damit dieses komplexe globale System im Sinne eines Netzwerks (Schmitt, Le Tallec 2009, S. 18) funktioniert, müsste eine kostenintensive technische Systemanpassung bei nahezu allen beteiligten Luftverkehrsteilnehmern erfolgen. Dass dies umgesetzt werden kann, darf ob der finanziellen Möglichkeiten beteiligter Institutionen wie auch aus umfassenden systemorganisatorischen Gründen angezweifelt werden. Zudem basiert Ifats auf der Grundlage der Antizipation. Ein komplexes System wie den Luftverkehr möglichst lückenlos (voraus-)planen zu können erscheint fragwürdig. Die dem Menschen in diesem Szenario verbleibende LückenbüßerRolle wirft laut Weyer begründet „die Frage nach dem Situationsbewusstsein automatischer Systeme“ (Weyer 2009, S. 18) auf, wenn Notfälle künftig allein durch technische Systeme bewältigt werden müssten.
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
UAS41 Im Konzept der Unmanned Aerial Systems (unbemannte Flugsysteme) ist geplant, die Automatisierung derart auszubauen, dass auf den Piloten im Flugzeug zwar grundsätzlich verzichtet werden kann. Jedoch ist die Steuerung des Systems vom Boden aus durch einen Operateur vorgesehen (vgl. Weyer 2009, S. 19). Die Entscheidungsgewalt bleibt in diesem Szenario weitgehend beim Menschen, auch wenn dieser weit entfernt von einer Bodenstation aus die Maschine steuert (ebd.). Der entscheidende Unterschied für den Piloten besteht darin, dass er nicht mehr körperlich anwesend, sondern lediglich durch technisch aufbereitete Informationsund Steuerungssysteme mit dem Flugzeug verbunden ist. Die unmittelbare sensorische Wahrnehmung – wie sie der Pilot im klassischen Cockpit erfährt – kann dadurch allerdings nicht genutzt werden. „Während der Pilot im MAV [Anm: Manned Aerial Vehicles ~ bemanntes Flugzeug] mit allen Sinnen fliegt, müssen die Informationen für den UAV-Piloten in irgendeiner Form ‚synthetisch‘ aufbereitet werden“ (Scheck 2011, S.79). Bislang werden unbemannte Luftfahrzeuge dieses Typs in erster Linie vom Militär zu Erkundungs- und Aufklärungsflügen eingesetzt (Dittrich et al. 2011)42. Über deren Vorteile lässt sich auf den Seiten des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) im Newsarchiv nachlesen, dass UAS in erster Linie für kritische Einsätze wie bspw. für die Vermessung atomarer, chemischer oder biologischer Wolken geeignet sind. Scheck (2009, S. 31) fasst die Argumente für UAS-Einsätze mit den drei „D’s“ zusammen. Dabei steht D für DIRTY (schmutzig), DULL (langweilig) und DANGEROUS (gefährlich), d.h. sollte der Flugeinsatz in irgendeiner Form gefährlich (Kampfgebiet, Brandbekämpfung) und/oder problematisch und/oder ermüdend resp. belastend sein (bspw. extrem lange Flugdienstzeit der Crew), so sind UAS im Vorteil. Zudem sind sie meist kleiner, leiser und flexibler als herkömmliche Flugzeuge. UAS wären somit im Prinzip auch für den zivilen Bereich attraktiv (Dittrich et al. 2011).
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Zur Definition siehe Scheck (2011, S. 75) unter Rückgriff auf Udovic und Bothe (2010): „Unmanned Aircraft/Unmanned Aerial Vehicle (UAV): An aircraft which is intended to operate with no pilot on-board. Unmanned Aircraft System: An aircraft and its associated elements which is operated with no pilot on board […] Für die Thematik […] ist es wichtig festzuhalten, dass der Begriff ‚unbemannt‘ potentiell irreführend ist, da menschliche Interaktion fester Bestandteil des erfolgreichen und sicheren Betriebs von UASs ist, und auf absehbare Zeit auch bleiben wird.” Siehe: http://www.dlr.de (Bericht vom 10.08.2011: Der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge für die zivile Sicherheit auf den Seiten der DLR – Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt).
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Allerdings ist deren Nutzung im zivilen Luftraum bislang nicht gestattet.43 Noch fehlen Lösungen für einige wesentliche Punkte, bspw. die notwendige automatische Reaktion von UAS auf andere Flugobjekte, um drohende Kollisionen zu vermeiden, oder der abgestimmte Einsatz von bemannten und unbemannten Luftfahrzeugen in einem gemeinsamen Luftraum. Zu bedenken wäre auch – sollten UAS im kommerziellen Betrieb eingesetzt werden –, dass ein sicheres, den Datenschutz gewährleistendes und über nationale Grenzen hinweg reichendes Datenübertragungssystem etabliert werden müsste (Scheck 2009, S. 40f). Einige der wesentlichen Vorzüge von UAS scheinen bei einem Einsatz mit Passagieren zudem hinfällig, da im Gegensatz zu „menschenleeren“ Maschinen trotzdem sämtliche Lebenserhaltungssysteme an Bord sein müssten. Somit würde kaum Gewicht eingespart bzw. könnte keine höhere Flugleistung durch das Ausreizen höherer Belastungslimits umgesetzt werden. Bezeichnend für die Betrachtung dieser Zukunftsvariante ist die Einschätzung des DLR selbst, wonach „die Zuverlässigkeit der Fluggeräte als auch die der automatischen Flugsteuerung […] noch nicht die Standards bemannter Flugzeuge und menschlicher Piloten“ (Dittrich et al. 2011) erreicht.
Das Ein-Mann-Cockpit Eine vierte Variante bestünde in der Entwicklung eines Ein-Mann-Cockpits für die Verkehrsluftfahrt – ähnlich den im militärischen Bereich bereits standardmäßig etablierten Pilotenkanzeln. Eine grundlegende Problematik hierbei ist jedoch, dass die Forderung redundanter Komponenten44 als wesentliche Sicherheitsvoraussetzung (vgl. Borchers, Borchers, 2009, S. 69) damit nicht erfüllt wird. Das nach dem sog. Fail-Safe-Prinzip formulierte Postulat im zivilen Flugzeugbau, wonach alle Systeme, welche eine sicherheitskritische Funktion ausüben, mehrfach vorhanden sein müssen, um im Falle eines Ausfalls in ihrer Funktion ersetzt wer-
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Ausnahmegenehmigungen werden unter speziellen Auflagen bzw. für besonders leichte Geräte erteilt. Das Prinzip der Redundanz ist fester Bestandteil des Sicherheitssystems in der Verkehrsluftfahrt. Demnach müssen bei einem Systemausfall durch den Einsatz weiterer Systeme die Abläufe abgesichert werden.
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den zu können, gilt auch für den menschlichen Bediener (vgl. u.a. Klußmann, Malik 2007, S. 81). Befindet sich lediglich ein Pilot an Bord, so kann dieser bei einem potenziellen Ausfall nicht ersetzt werden. Die Forderung nach Redundanz (Borchers, Borchers 2009, S. 64) ist demnach nur im Zwei-Mann-Cockpit (ein Pilot ersetzt bei Bedarf den anderen), im UAV-Szenario (es ist gar kein Pilot an Bord notwendig und er muss daher auch nicht ersetzt werden) und im UAS-Szenario (ein Operator am Boden ersetzt den anderen) erfüllt. Da es sich hierbei um eine sog. harte Bedingung45 handelt, ist eine Ein-Mann-Version für den zivilen Luftverkehr nicht zu erwarten.
Das 1+1-Szenario Geht man von einer unausweichlichen Veränderung des Cockpitarbeitsplatzes in der zivilen Luftfahrt aus, so scheint das 1+1-Szenario von Borchers (Borchers, Borchers 2009, S. 69; Weyer 2009, S. 19), im Sinne eines gemischten Systems, angesichts der Umsetzbarkeit wie auch hinsichtlich sicherheitspolitischer Überlegungen eine gelungene Verknüpfung relevanter Lösungsmöglichkeiten darzustellen. Es ist vorgesehen, einen Piloten im Cockpit zu belassen, während ein zweiter von einer Bodenstation aus für den Flug eingesetzt wird – vergleichbar mit dem Operator in einem UAS. Fällt der Pilot an Bord des Flugzeugs aus, kann der am Boden befindliche Pilot – mit dem gleichen Qualifikationsprofil und den gleichen Befugnissen – einspringen und die (Fern-)Steuerung des Flugzeugs ausführen. Durch die elektronische Vernetzung ist ein ständiger Austausch beider Bediener möglich (Weyer 2009, S. 20). Es findet somit nach wie vor eine Verteilung der Arbeitsaufgaben wie auch eine wechselseitige Ergänzung in einem räumlich getrennten Zwei-Mann-Cockpit statt, und falls notwendig, kann einer der beiden die Aufgaben des anderen übernehmen. Der Forderung menschlicher Redundanz könnte somit trotz örtlicher Entfernung entsprochen werden. Ökonomischen Ansprüchen würde man gerecht, da zwar ein Ausbau der Kommunikationstechnolo-
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Zum Unterschied zwischen weichen und harten Bedingungen siehe: Borchers, Borchers 2009, S. 63f.
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gie notwendig wäre, jedoch insgesamt deutliche Kosteneinsparungen (v.a. im Personalaufwand46) zu erzielen wären.
Aktuelle Tendenzen und wissenschaftliche Einschätzung „In vielen Bereichen der neueren Technologieentwicklung zeichnet sich ein Trend ab, […] die Interaktivität zwischen menschlichen Aktionsteilen und technischen Operationssystemen in ihrer wechselseitigen Abstimmung als hybride sozio-technische Konstellation zu optimieren. Wissensbasierte und Expertensysteme werden beispielsweise nicht mehr als autonome Systeme geplant, sondern als intelligente und kooperative Informationsassistenten (vgl. Kuhlen 1999). Auto-Pilot-Systeme für Fahrzeuge werden nur noch zu Versuchszwecken für fahrerloses Fahren erprobt; ihre Zukunft liegt jedoch längst auf der angemessenen persönlichen Abstimmung auf die menschliche Fahrerin. Die Herausforderung liegt in der Optimierung der Verteilung von Aktionen auf Fahrerin, Fahrzeug, Elektronik, Programme und Navigationsdienste, was einen hohen Grad der wechselseitigen Wahrnehmung und Berücksichtigung erfordert“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002a, S. 5).
Rammert beschreibt hier wegweisend die Herausforderungen der zukünftigen Entwicklung (hoch) technisierter Systeme – nicht nur für Auto-Pilot-Systeme in Fahrzeugen. Die Einbeziehung menschlicher Kompetenz ist seiner Meinung nach fraglos notwendig. Angesichts der Vielzahl einflussnehmender Faktoren auf die Entwicklungen in der zivilen Luftfahrt wird zwar deutlich, dass eine weitere Veränderung des Cockpitarbeitsplatzes unausweichlich ist. Ob dies jedoch im nächsten Schritt die Umsetzung der Vollautomatisierung sein wird, welche mit einem weitgehenden (entscheidungsbezogenen und ggf. lokalen) Ausschluss des Menschen einhergeht, ist zu Recht anzuzweifeln. Bestätigung finden diese Zweifel regelmäßig auf fachspezifischen Veranstaltungen wie bspw. den Symposien der FHP. Hier erklären Borchers, Borchers (2009) einen radikalen Bruch, also einen Wandel von zwei Piloten auf autonome Flugzeuge, als unwahrscheinlich, „da in diesem Fall einige signifikante technologische und soziale Systeme grundlegend und nicht inkrementell, sondern radikal verändert werden müssten“ (Borchers, Borchers 2009, S. 69). Eher anzunehmen ist daher eine Variante, in der der Mensch als wesentliche
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Gemäß diesen Überlegungen würde der Bodenpilot ggf. mehrere Flüge gleichzeitig betreuen können. Es würden für ihn auch keine Übernachtungskosten anfallen (Borchers, Borchers 2009, S. 69f).
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Komponente weiterhin integriert ist. Auch Badke-Schaub und Wiedemann (2008, S. 218) schätzen die aktuelle Lage ähnlich ein: „Die Luftfahrt macht […] mit der Weiterentwicklung der UAVs ihre ersten Schritte. Die neueste Generation von Verkehrsflugzeugen wird allerdings immer noch von mindestens 2 Piloten überwacht.“47 Diese Prognosen sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass insbesondere im Bereich der Human-Factors-Forschung ausführliche Analysen von schwerwiegenden Unfällen in sicherheitskritischen Arbeitsbereichen, bspw. des Reaktorunglücks von Tschernobyl 1986 oder der Chemiekatastrophe von Bhopal 198448, deutliche Hinweise darauf lieferten, dass der Mensch – trotz seiner Fehlerhaftigkeit – notwendigerweise in die Sicherheitskonzepte fest integriert bleiben muss (Badke-Schaub et al. 2011, S. 13). Das Magazin „Der Spiegel“ – als ein Indikator der öffentlichen Meinung – widmete den Fragen: „Führt mehr Digitaltechnik wirklich automatisch zu mehr Sicherheit? Und wie viel Macht darf der Flugcomputer haben, ohne dass eine verhängnisvolle Ohnmacht der Piloten droht?“ in seiner Ausgabe 31/2009 die Titelgeschichte. In dem Artikel wird u.a. Thomas Haueter, Direktor für Luftfahrtsicherheit der NTSB49 (US-Flugunfallbehörde), zitiert. Dieser fordert eindringlich, „dass Piloten niemals die ganze Macht über ihr Flugzeug verlieren dürften“ (Spiegel 31/2009, S. 110). Bezogen auf den Luftverkehr weist auch Giesa (2003) aus ingenieurwissenschaftlicher Blickrichtung mit Nachdruck darauf hin, dass die nur begrenzt systematisierbaren Anforderungen eines Flugprozesses und die vielfältigen, großteils unplanbaren Einflussfaktoren wie etwa Wettererscheinungen (vgl. Giesa 2003, S. 40) eine Reduzierung menschlicher Arbeitskraft im Cockpit verbieten. Angesichts der zunehmenden Etablierung automatisierter Systeme betont Manzey (2008, S. 309), dass damit unvermeidbar immer neue Risiken entstehen – gerade dann, wenn die Automation nicht so funktioniert wie erwartet. Letztlich bleibt es dann am Menschen, diese Situationen erfolgreich zu meistern. „Unabhängig von ihrer Komplexität bleiben auch weitgehend automatisierte Arbeitssysteme damit im Kern immer soziotech47
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UAV : engl. Unmanned Aerial Vehicles (=unbemanntes Flugzeug) als Element des UAS (=Unmanned Aerial System). Aus Wikipedia: „Die Katastrophe von Bhopal, auch Bhopalunglück, ereignete sich am 3. Dezember 1984 im indischen Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaats Madhya Pradesh. In einem Werk des US-Chemiekonzerns Union Carbide Corporation traten aufgrund technischer Pannen mehrere Tonnen giftiger Stoffe in die Atmosphäre. Es war die bisher schlimmste Chemiekatastrophe und eine der bekanntesten Umweltkatastrophen der Geschichte. Tausende von Menschen starben an ihren unmittelbaren Folgen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Bhopal 11.01.2016) NTSB steht für National Transportation Safety Board (engl.).
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nische Systeme, deren Verlässlichkeit maßgeblich von der Qualität der Interaktion zwischen Mensch und Automation abhängt“ (Manzey 2008, S. 309). Grote et al. (1999) und Ryser (2002) weisen auf die – auch in Zukunft – dem Menschen verbleibende Verantwortung hin und erklären eine sinnvolle Kontrollmöglichkeit des Menschen über die Technik für unerlässlich (vgl. Grote 1999, S. 23; Ryser 2002, S. 18). Letztlich nimmt der Mensch nach wie vor eine „Schlüsselrolle ein, da nur der Mensch in der Lage ist, Ereignisse als Gefahren oder Bedrohungen zu klassifizieren […] und adäquate Maßnahmen zu entwickeln“ (Badke-Schaub et al. 2008, S. 4). Fran Hoyas von der Europäischen Pilotenvereinigung ECA fordert daher, „Computer und Mensch zu einer gemeinsam operierenden Einheit“ zu machen. Mehr Technik dürfe in keinem Fall weniger Mensch im Cockpit bedeuten (Spiegel 31/2009, S. 111). Bestätigt werden diese Prognosen auch von Weyer. So geht dieser aus einer techniksoziologischen Perspektive davon aus, dass sich die MenschMaschine-Schnittstelle zwar „in die eine oder andere Richtung verschieben, aber nicht vollständig eliminieren“ (Weyer 2008b, S. 253) lässt. Erst wenn menschliche Eigenschaften50 durch technische Systeme dargestellt werden könnten, wäre ein vollautomatischer Modus denkbar (vgl. Weyer 2008a, S. 224). Eine solche Entwicklung entspräche jedoch einem bislang noch nicht absehbaren Quantensprung in der Systementwicklung.51 Aktuell an Bedeutung gewinnt daher vielmehr das sich ändernde Aufgabenverhältnis von Mensch und Technik im hybriden Arbeitssystem Cockpit.
2.1.6 Mixed Governance im Luftverkehr Die Veränderung des Zusammenspiels von Technik und Mensch zeigt sich nicht nur in den Auswirkungen auf den Arbeitsplatz Cockpit. Auch im Bereich der Kontrolle und Steuerung des (gesamten) Luftraums, in welchen das einzelne Flugzeug eingebettet ist, lassen sich deutliche Veränderungen durch höhere Technisierungsgrade nachvollziehen und Prognosen für weitere Entwicklungen ableiten. Dabei
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Collins/Kusch (101, S.58) sprechen von sog. polimorphen Handlungen, welche nicht technisch substituiert werden können. Hierzu ausführlicher in Teil A - 2.2.1. Voraus ginge vermutlich eine kaum noch „fassbare“ bzw. unüberschaubare Komplexität informationstechnologischer Systeme, bei welcher sich dann allerdings die Frage stellt, ob dies überhaupt noch einen Mehrwert generiert (vgl. Borchers, Borchers 2009, S. 62).
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werden in der aktuellen Situation durch den zunehmenden Einsatz hoch technisierter – insbesondere auch vermehrt autonom handelnder – Systeme neue Uneindeutigkeiten generiert. Der Einzug neuer autonomer Technik verläuft nicht reibungslos und Piloten sehen sich mit einer neuen, nahezu paradoxen Verantwortlichkeit konfrontiert. Neue Steuerungsstrukturen durch bordautonome Technik Mit der Zunahme an Flugbewegungen gewann notwendigerweise die Flugsicherung (ATC 52) – als koordinierende Verkehrslenkung vom Boden aus – eine wichtige Funktion. Anfänglich noch auf Peil- und Fernmeldedienste beschränkt, etablierten sich seit den frühen 1960er Jahren Radargeräte, welche den Nachvollzug der Streckenführung einzelner Flugzeuge auf Bildschirmen ermöglichten (vgl. Schlönhardt 2009, II - S. 26f). Somit konnte der stets ansteigende Verkehr dichter gefasst werden, da nun die genauen Positionsdaten durch den sog. Transponder – als aktive, d.h. Informationen sendende Komponente (Schlönhardt 2009, II-S. 29) an Bord – an die Flugsicherung übermittelt wurden.53 Die Aufgabe der Flugsicherung ist die Verhinderung von Zusammenstößen unter den Verkehrsteilnehmern (sowohl am Boden als auch in der Luft). Dafür geben die Fluglotsen den Piloten Anweisungen zur Kurseinhaltung oder -änderung, welche diese strikt zu befolgen haben (Weyer 2008a, S. 217), um in sicherem Abstand separiert voneinander einzelne Luftsektoren durchfliegen zu können. Die Flugsicherung selbst agierte dabei noch bis in die frühen 90er Jahre des letzten Jahrhunderts im Sinne einer hierarchisch strukturierten und zentralisierten Kontroll- und Steuerungsinstanz für den Luftverkehr. Diese Steuerungsstruktur unterliegt im Zuge der technischen Ausgestaltung des Flugzeugcockpits einer schrittweisen Modifikation (Weyer 2008a, S. 220). So existieren heute technisch hoch entwickelte und vernetzte Systeme, welche in der Lage sind, selbstständig Problemlösungen zu generieren. Beispiel für ein solches Bordsystem ist das sog. TCAS. Die Abkürzung steht für engl. Traffic Alert and
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ATC: Abkürzung für Air Traffic Control; zu Deutsch: Flugverkehrskontrolle. Mit Hilfe dieses Bordsystems werden nach der elektronischen Anforderung durch das Bodenradar individuell festgelegte Codes versandt. Die Flugsicherung empfängt diesen Code, welcher auch noch weitere Informationen wie bspw. die aktuelle Höhenangabe enthalten kann. Nach der Decodierung ist das Flugzeug auf dem Radarbild sichtbar. (Fecker 2003, S. 99).
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Collision Avoidance System. TCAS wurde einesteils für Gebiete entwickelt, in denen die Flugsicherung nur eingeschränkt arbeitet (Fecker 2003, S.99). Den anderen und hauptsächlichen Grund sahen die Entwickler jedoch vor allem im wachsenden Problem vermehrter Beinahe-Zusammenstöße (Weyer 2008a, S. 217) in überfüllten Lufträumen. TCAS ist im Grunde eine Weiterentwicklung des oben beschriebenen Transponders (Stünkel 2010, S. 123). Indem das TCAS die bordeigenen Informationen mit den Informationen der anderen „sendenden“ Flugzeuge (bodenunabhängig, vgl. Stünkel 2010, S. 123) zueinander in Beziehung setzt, werden Kollisionswarnungen in den betroffenen Maschinen generiert.54 Sobald die Gefahr eines Zusammenstoßes besteht und eine Warnung ertönt, sollen die Piloten die Lage möglichst schnell beurteilen. Weicht der Kontakt nicht von selbst aus, so erzeugt TCAS eine simple Ausweichempfehlung nach oben oder unten – und dies genau entgegengesetzt in der jeweils anderen Maschine (Stünkel 2010, S.124). Durch den beiderseitigen Kurswechsel entfernen sich die Flugzeuge (im Normalfall) voneinander und fliegen somit aus der Gefahrenzone. Durch bordautonom generierte Anweisungen erhält das Mensch-MaschineSystem Flugzeug nun „im Modus des „Free-flight […] eine höhere Autonomie in Fragen der Navigation, der Koordination und der Kollisionsvermeidung“ (Weyer 2007, S. 7). Ihr Einsatz führt dabei – so die Diagnose Weyers – „zu einer schleichenden Systemtransformation […], die die Rollen von Mensch und Technik, aber auch die Formen der Governance grundlegend verändern wird“ (Weyer 2008b, S. 206; vgl. Woods 1996, S. 355). Indem nun auch bodenunabhängig lokale Problemlösungen ausgehandelt werden können, verschieben sich die Mechanismen der Verkehrssteuerung von einer vormals zentralen Verkehrslenkung durch die Flugsicherung (ATC) in Richtung einer dezentralen Selbst-Koordination. Weyer (2008a, S. 205ff; 2008b, S. 264f) spricht von einer „Mixed Governance“ zukünftiger Luftverkehrsstrukturen. Diese wird angesiedelt sein zwischen zwei divergierenden Szenarien:
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Voraussetzung für das „Erkennen“ sich nähernder Flugzeuge ist, dass auch diese mit TCAS ausgestattet sind. „New forms of cooperation and coordination emerge when automated systems are capable of independent action“ (Woods 1996, S. 3).
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1) Autonome Agenten – also bordautonome und bodenunabhängige Systeme – handeln durch dezentrale Abstimmungsprozesse Lösungen aus, wodurch lokale Optima erreicht werden sollen. 2) Meta-Agenten – im Sinne der Flugsicherung als koordinierende Instanz – sorgen im Rahmen einer zentralen Verkehrssteuerung für die Einhaltung bzw. Erfüllung globaler Optima. Diese ‚Verschiebung‘ ist nicht problemlos. Flugkapitän Stünkel (2010) erklärt die heutige Situation im Cockpit folgendermaßen: „Im dreidimensionalen Luftraum schützen normalerweise festgelegte Flughöhen und Sicherheitsabstände sowie Anweisungen der Flugsicherung vor Kollisionen. TCAS ist nur ein – wenn auch äußerst wirkungsvolles – Zusatzgerät für den letzten Moment“ (Stünkel 2010, S.124). Die Implementierung von TCAS als zusätzliches Sicherheitssystem führt offenbar zu neuen Unsicherheiten (Weyer 2008a, S. 219). Problem ist, dass die bisherige Sicherheitsstruktur durch die Flugsicherung als zentrale Steuerungsinstanz nicht mit den Vorgängen der TCAS vernetzt ist. Das heißt, der Fluglotse am Boden erhält keine Daten darüber, was die jeweiligen TCAS anordnen. Dies wäre lediglich per Sprechfunk möglich, wobei dies in zeitkritischen Situationen nicht zuverlässig scheint (vgl. Weyer 2008a, S. 218f). Somit finden sich parallel zwei unterschiedliche Steuerungslogiken – nämlich einerseits die zentralisierte Koordination durch die Flugsicherung und andererseits die dezentrale Abstimmung durch das bodenunabhängige TCAS an Bord.
Exkurs: Der Fall Überlingen Dass dies zum Verhängnis werden kann, zeigt das Beispiel der über Überlingen kollidierten Flugzeuge im Jahr 2002. Bis dahin war noch nicht einheitlich geregelt, welcher Anweisung – der des Fluglotsen oder der des TCAS – Folge zu leisten ist, sollten sich diese widersprechen. Und genau diese Situation zeichnet für die Kollision zweier Flugzeuge in der Nacht zum 1. Juli 2002 verantwortlich. Die Flugbetriebs-Anweisungen und Sicherheitskulturen beider Crews (ein russisches Passagierflugzeug vom Typ Tupolev und eine amerikanische Frachtmaschine vom Typ Boeing) sahen hier unterschiedliche Verfahrensweisen vor. An Bord russischer Flugzeuge galt zu diesem
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Zeitpunkt der Grundsatz, dass die Anweisungen des Fluglotsen befolgt werden müssen und die TCAS-Warnungen in einem solchen Fall ignoriert werden dürfen. Genau anders herum verhielt es sich für die amerikanische Besatzung. Diese folgte strikt den Empfehlungen des TCAS – wie dies gemäß ihren Flugbetriebs-Anweisungen vorgesehen war. Der Lotse am Boden verfügte zu diesem Zeitpunkt nicht über die Informationen zur empfohlenen Kurskorrektur, welche in den Maschinen durch TCAS generiert wurden. Er gab der russischen Besatzung die Anweisung zu sinken. Fatalerweise leiteten somit beide Maschinen einen Sinkflug ein, da TCAS der amerikanischen Maschine ebenfalls zu sinken empfahl (und der russischen Maschine zu steigen) (vgl. Fecker 2003, S. 102; Stünkel 2010, S. 125; Weyer 2008a, S. 218-219). Bei der darauffolgenden Kollision kamen insgesamt 71 Personen ums Leben.
Status Quo – Unsicherheit durch Entscheidungsprobleme bleibt bestehen Vor dem Hintergrund dieses und weiterer tragischer Unfälle und verschiedener (Beinahe-)Unfälle resp. Vorfälle wurden hinsichtlich dieser Uneindeutigkeit verschiedene Empfehlungen der BFU56 veröffentlicht. Zwar ist nun weltweit vereinbart, dem TCAS oberste Priorität einzuräumen. Dies ist jedoch mit dem Hinweis versehen, dass letztlich dennoch der Pilot für die Kursänderung verantwortlich bleibt. Dahinter steht der Umstand, dass TCAS bislang noch nicht absolut zuverlässig arbeitet und es dadurch auch immer wieder zu Fehlalarmen kommt (vgl. Grote 2009c, S. 85). Gleichzeitig koordiniert die Flugsicherung anhand der Radarbilder den Flugverkehr und gibt bei drohendem Kontakt weiterhin ihrerseits Empfehlungen. Das damit momentan bestehende „unkoordinierte und riskante Nebeneinander“ (Weyer 2008a, S. 219) beider Sicherheitsstrukturen birgt für die Piloten völlig neuartige Entscheidungsprobleme. „Trotz hochgradig automatisierter Prozesse erleben wir hier also ein – geradezu paradoxes – Re-entry des menschlichen Entscheiders in Prozesse, die sich auf einem höheren Level der Unsicherheit abspielen als zuvor“ (Weyer 2008a, S. 219).
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BFU: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung mit Sitz in Braunschweig.
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Zukünftige Entwicklungen in fünf Szenarien Neue Steuerungsmodi erfordern es, die neuen technischen Bordsysteme adäquat einzubeziehen. Welche Tendenz dabei die Oberhand gewinnt, ist noch unklar, jedoch ist die „prekäre Koexistenz zweier unterschiedlicher Systeme der Flugsicherung (ATC und TCAS) […] nur ein Vorbote weiterer Transformationen, die sich in den nächsten Jahren abspielen und den Luftverkehr […] revolutionieren“ (Weyer 2008a, S. 221) werden. Gemäß Weyer (ebd.) ist auch hier die Einteilung in (fünf) verschiedene Entwicklungspfade möglich. Vollständige Dezentralisierung mit Verantwortung des Piloten Hierbei würde die Navigations-, Koordinations- und Separationsverantwortung vollständig von der Flugsicherung in das Cockpit abgegeben. Voraussetzung wäre, dass TCAS sich von einem Kollisionswarngerät für den Nahbereich zu einem Bordsystem für umfassendes Navigieren, Koordinieren und Planen weiterentwickelt (Weyer 2008a, S. 221). Die Fluglotsen hätten nur mehr die Aufgabe des Air Traffic Management (ATM) (ebd.). Dezentrale Selbstkontrolle bei Vollautomatisierung Ebenso wie bei den Zukunftsvisionen zur Cockpitbesatzung angesprochen, muss auch hinsichtlich der Überlegungen zur zukünftigen Steuerungsstruktur die Möglichkeit vollautomatisierter Fluggeräte (UAV) einbezogen werden. Im Unterschied zum zuvor erörterten Entwicklungspfad wäre hier kein menschlicher Entscheider mehr an Bord. Die Bordsysteme der Flugzeuge müssten folglich autonom untereinander Lösungen bei drohenden Konflikten aushandeln (vgl. Weyer 2008a, S. 222). Zentrale Steuerung pilotenloser Fluggeräte Die Steuerung im Sinne der dargestellten UAS (Szenario 3) beinhaltet weiterhin den menschlichen Operator als fernsteuernden Piloten. Im Zusammenhang mit dieser ohnehin vorhandenen Bodenkontrolle würde in diesem Entwicklungspfad
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die Verkehrssteuerung weitgehend zentralisiert erfolgen – jedoch auch hier in Verbindung mit prinzipiell autonomen Steuerungssystemen an Bord, was auf die aktuelle Problematik zweier gleichzeitiger Steuerungsmodi hinausläuft. Verbesserte Ko-Existenz unterschiedlicher Steuerungsarchitekturen Setzt man voraus, dass weder die eine noch die andere Steuerungsarchitektur vollständig aufgegeben wird, so lässt sich die Anforderung einer verbesserten Kommunikation zwischen den Bordsystemen im Cockpit und den Fluglotsen ableiten. Dies beinhaltet automatische Datentransfers zwischen Flugzeug und Bodenkontrolle. Switch-Konzepte als umfassende Lösung Da es sich im weiteren Verlauf dieser Entwicklung nicht um eine rein technische Fragestellung handelt, sondern darüber hinaus vor allem auch die organisationale Einbettung verschiedener Operationsmodi notwendig wird, werden sog. SwitchKonzepte erforderlich (Weyer 2008a, S. 223). Mit ihnen wird es möglich, entsprechend der jeweiligen Situation zwischen den zentralen und den dezentralen Steuerungsmechanismen zu wechseln.
Aktuelle Tendenzen und wissenschaftliche Einschätzung Es bleibt abzuwarten, welche Formen der Mixed Governance sich für den Luftverkehr etablieren werden. Ein Trend lässt sich aus der geplanten Weiterentwicklung von TCAS und deren Implikationen ableiten. So bestehen bereits Überlegungen der Flugzeughersteller, das TCAS künftig so anzupassen, dass der Autopilot ohne Mitwirkung des Piloten die Kursänderung vornehmen wird. Die Aufgaben der Fluglotsen verlagern sich im Zuge dieser Neustrukturierung auf das reine Verkehrsmanagement (vgl. Weyer 2008a, S. 225). Es ist zwar geplant, die TCAS-Empfehlungen durch automatische Datenübertragung an die Flugsicherung weiterzuleiten – ein Eingreifen der Lotsen ist jedoch nicht mehr vorgesehen. Entscheidungen über Kursänderungen bei drohenden Kollisio-
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nen werden somit komplett ins Cockpit delegiert. Einhergehend mit dieser Dezentralisierung der Verkehrssteuerung erfolgt eine höhere Automatisierung im Cockpit, „wodurch die Kontrolle der beteiligten Menschen de facto reduziert wird“ (Grote 2009c, S. 85). Jedoch geht man in dieser Automatisierungsdebatte noch davon aus, dass der Pilot auch weiterhin die letztendliche Verantwortung behalten wird. Das bedeutet, er soll – wenn ihm das sinnvoll erscheint – manuell eingreifen und das System übersteuern (Grote 2009c, S. 85). Grote fasst dieses Dilemma zusammen: „Den Piloten wird einerseits suggeriert, dass die TCAS-Informationen und Anweisungen als sicher anzusehen sind. Andererseits wird durch die nicht vollständige Automatisierung von TCAS auch offengelegt, dass TCAS nicht unfehlbar ist und von den Piloten die letztliche Kontrolle über und Verantwortung für die Flugsicherheit erwartet wird“ (Grote 2009c, S. 85). Zusammenfassend muss die derzeitige Situation „als ambivalent beschrieben werden: Die Technik, welche die Autonomie des Piloten im Mensch-MaschineSystem Cockpit einschränkt, erweitert zugleich den Handlungsspielraum des soziotechnischen Systems Flugzeug im Gesamtsystem Luftverkehr“ (Weyer 2007, S. 41). In Bezug auf den Einsatz derartiger Technik erklärt Fecker (2003), dass TCAS in seiner derzeitigen Version zwar als Hilfsmittel geeignet ist, jedoch weder Gelände noch Pilotenabsicht erkennen kann. Faber mahnt: „Die Fähigkeit solcher Systeme, logische Entscheidungen zu treffen, bedeutet […] nicht, dass sie kreativ handeln können. Nach wie vor sind sie determiniert, jedoch mit größeren Freiheitsgraden und Variationsmöglichkeiten“ (Faber 2009a, S.1). Daher wirft Weyer folgerichtig die Frage „nach der Konstruktion neuer, innovativer Formen einer ‚Mixed governance‘ des Luftverkehrs auf, die nicht nur in der Lage sein muss, die prognostizierten Zuwächse zu bewältigen, sondern auch zumindest das gleiche Niveau an Sicherheit zu gewährleisten wie bisher – und dies insbesondere in einem Luftverkehr der Zukunft, der durch ein Neben- und Miteinander von menschlichen Entscheidern und (teil-)autonomer Technik geprägt sein wird“ (Weyer 2008b S. 225).
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
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2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit 2.2.1 Arbeits- und techniksoziologische Untersuchungen Um den Wandel der beruflichen Tätigkeitsinhalte von Piloten, als Bediener hoch technisierter Systeme, einer gezielten Analyse zu unterziehen, bieten sich arbeitswie auch techniksoziologische Ansätze an. So sind die Auswirkungen auf die gesellschaftlich organisierte Arbeit fliegenden Personals bereits Bestandteil arbeitssoziologischer Forschungen. Im Rahmen techniksoziologischer Untersuchungen gelingt es, Mensch-Technik-Interaktionen an hoch technisierten Arbeitsplätzen in Form einer Verteilten Handlungsträgerschaft zu interpretieren. Unter Berücksichtigung theoretischer Annahmen über die jeweilige Handlungsträgerschaft wird versucht, menschliche und technische Beteiligung am Arbeitsprozess anhand empirischer Beobachtung adäquat zu beschreiben.
Multiple Entgrenzung – Arbeitssoziologische Analyse Voß et al. erweitern mit ihrem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt: „Multiple Entgrenzung der Arbeit des fliegenden Personals im kommerziellen Luftverkehr“ (Voß 2005) den Bereich der Arbeitssoziologie um eine wertvolle Perspektive, indem sie erstmals die Tätigkeit von Piloten in das Zentrum der Betrachtung stellen. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, ein Konzept multipler Entgrenzung zu entwickeln, womit die Dynamik und die Wechselbeziehungen von Entgrenzungsprozessen bestimmt und präzisiert werden können. Damit soll ein theoretisch gehaltvolles Konzept geschaffen werden, mit Hilfe dessen aktuell stattfindende Veränderungen gesellschaftlich organisierter Arbeit erkennbar werden. Der momentane (ökonomische, organisatorische und statusbezogene) Umbruch in den ohnehin schon traditionell räumlich entgrenzten Arbeitsbedingungen des fliegenden Personals macht den Flugverkehr zu einem überaus geeigneten Forschungsfeld. So können mit Hilfe des Projekts auch empirische Erkenntnisse zum Themenfeld der Erwerbsarbeit im kommerziellen Luftverkehr gewonnen werden. Huchler (2013, S. 248ff) erfasst dabei auch den Bereich der technischen Entgrenzung. Er erklärt, im Beruf des Piloten gehe die Tendenz im Zuge der Technikentwicklung immer mehr hin zu einem Informationsmanager und
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damit weg von einem aktiven Flugzeugflieger. Durch die komplexer werdende Technik in Flugzeugen gehen auf der einen Seite Wissensarten verloren, welche durch die Informationstechnologie quasi vorgearbeitet werden. Auf der anderen Seite jedoch generieren diese Umstände neue Anforderungen an die Piloten, welche mit der Technik umgehen müssen (vgl. Huchler 2013, S. 252). Voß et al. fokussieren Fragestellungen, welche den Bereich der Arbeits-, der Organisations- und der Berufssoziologie berühren. Dies stellt eine bedeutsame Erweiterung dar und bringt wichtige Veränderungen des Flugverkehrs zum Vorschein. Bisher wurde dieser Ansatz weder in der Wissenschaft noch in der Praxis aufgegriffen. Gleiches gilt für den konkreten Arbeitsbereich der Mensch-TechnikInteraktion im Flugzeugcockpit, welcher angesichts einer hohen Technikorientierung die virulente Frage aufwirft, ob der klassische Pilot überhaupt weiterhin nötig ist.
Verteilte Handlungsträgerschaft – Techniksoziologische Analyse Der zunehmende Einfluss selbstständig agierender Systemkomponenten an hochtechnisierten Arbeitsplätzen, wie im Cockpit, stellt die Sinnhaftigkeit althergebrachter dualistischer (techniksoziologischer) Konzepte zur Betrachtung von Mensch und Technik in Frage. Eine adäquate Erfassung der menschlichen und technischen Anteile (und deren Kombinationen) im modernen Arbeitsprozess bildet die Basis, um das Verhältnis von menschlichen und technischen Einheiten zueinander – und die durch den Einsatz neuer Techniken hervorgerufenen Auswirkungen auf den konkreten Arbeitsprozess – bestimmen zu können. Neue Ansätze berücksichtigen hierbei, dass aus einem vormals „instrumentellen Verhältnis zur Technik […] schrittweise ein interaktives Verhältnis“ (Weyer 2008b, S. 253) wurde und damit „die Technik zu einem Partner und Mitentscheider in kooperativen Prozessen“ (ebd.) geworden ist. Das traditionelle Technikverständnis Bevor die Frage nach dem Stellenwert der Technik im soziologischen Diskurs eine neue Bedeutung erlangte, wurde die Technik vielfach als „außersozial“ verstanden – und damit auch nicht als Gegenstand der Soziologie (vgl. Rammert, Schulz-
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Schaeffer 2001, S.1). Begründet wurde dies damit, dass es sich bei technischen Abläufen um „sinnfremde Vorgänge“ (ebd.) handelt. Demzufolge galt die Technik, bestehend aus rein funktionalen und sachlichen Gegenständen, als den „Regeln des Sachzwangs“ (Rammer, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 11) unterworfen; demzufolge blieben ohne das Einwirken des Menschen technische Geräte unbewegt und funktionslos. Der Begriff „Handeln“ war somit exklusiv für den Menschen reserviert. Nur ihm wurde die Fähigkeit zu rationalen, kreativen und kontingenten Entscheidungen zugesprochen (ebd.). Laut Rammert neigen geistes- und sozialwissenschaftliche Ansätze in der Regel zu dieser Auffassung. „Demnach bewegen sich die menschlichen Akteure in der sinnhaften Sphäre der Intersubjektivität, aus der die technischen Objekte in die Umwelt verbannt sind“ (Rammert 2003, S. 9). Damit erklärt sich die traditionelle Trennung von technischem Funktionieren einerseits und menschlicher Handlung andererseits. Die Frage „Wer handelt und was funktioniert, wenn ein Flugzeug fliegt?“ (ebd., S.13) kann unter Bezugnahme auf diese dualistische Sichtweise damit beantwortet werden, dass der Pilot das Flugzeug fliegt. Er betätigt die Bordsysteme und steuert das Flugzeug. Das Flugzeug reagiert auf diese Steuerbefehle und funktioniert gemäß physikalischen Gesetzen. Ist diese Antwort für die Anfänge der Fliegerei noch zutreffend, so gilt dies keinesfalls mehr für den hoch technisierten Flugprozess (vgl. Rammert 2003, S. 13). Theoretische Impulse für ein neues Technikverständnis Neue (Arbeits-)Konstellationen an hoch technisierten Arbeitsplätzen wie dem Cockpit lassen das bislang noch weit verbreitete instrumentalistische Technikverständnis (Rammert 2006a, S. 14), welches einen „Typ zweckrationalen Handelns“ im Umgang mit den technischen Geräten bzw. Instrumenten impliziert, (endgültig) als überholt erscheinen. Die Entwicklung von analogen Stell- und Informationssystemen hin zu hoch technisierten, digital vernetzten Computersystemen, welche zunehmend auch autonom agieren, macht es erforderlich, Technik aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Eine diese neuen Umstände erfassende, nicht-dualistische soziologische Sichtweise entwickelten seit Mitte der 1980er Jahre im Wesentlichen Latour und Callon mit der Actor-Network-Theory (ANT) (vgl. Latour 2007). Wenn Aufgabenanteile,
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welche ursprünglich durch den Menschen verrichtet werden mussten, an die Technik delegiert werden, müssen, so Latours Forderung, dieselben begrifflichen Kategorien Verwendung finden, sobald die gleiche Wirkung auf den Handlungszusammenhang resultiert – egal ob die Handlung vom menschlichen Akteur oder durch das technische Artefakt verrichtet wird (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 32; Latour 1988, S. 299). Indem die ANT nichtmenschliche Instanzen den menschlichen Akteuren gleichstellt, führt sie einen für beide geltenden symmetrischen Begriff ein: den Aktanten57 (vgl. Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 33). Dadurch lässt sich der sozio-technische Arbeitsprozess neu in den Blick nehmen. Technischer und menschlicher Akteur bzw. Aktant ergeben in ihrem Zusammenwirken wiederum weitere ‚Aktanten‘ (klassisches Beispiel hierfür wäre der Aktant: Mensch + Pistole). Legt man die ANT zugrunde, lässt sich hinsichtlich sozio-technischer Konstellationen der Frage nachgehen, wie bestimmte Aktivitäten auf technische und menschliche Einheiten verteilt sind (Rammert, SchulzSchaeffer 2002b, S. 59). Collins und Kusch widersprechen der völligen Gleichstellung von Mensch und Technik. Sie argumentieren dabei mit der grundsätzlichen Verschiedenheit menschlichen und technischen Verhaltens. Dazu unterscheiden sie mimeomorphes von polimorphem Verhalten. Ersteres kann von Maschinen imitiert werden. Allerdings sind dies lediglich Vorgänge, die ohnehin denen einer Maschine ähneln, also algorithmisch ablaufen (vgl. Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 33f). Komplexer gestaltet sich das polimorphe Verhalten. Collins und Kusch (vgl. Collins, Kusch 1998, S. 36ff) ziehen eine klare Trennungslinie, indem sie feststellen, dass ein intendiertes Verhalten – also Handeln „in einem Intentionalität einschließenden Sinne“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 34) – nicht durch Maschinen realisierbar ist. Technische Systeme sind lediglich in der Lage, menschliches Verhalten zu imitieren, also sich mimeomorph zu verhalten. Demzufolge gibt es eine unüberwindbare Differenz zwischen Mensch und Maschine (vgl. Schubert 2006, S. 57 und S. 70; Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 33f).
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Aktant ist ein analytischer Begriff der ANT, der im Grunde genommen eine begriffliche Symmetrisierung von humans und nonhumans in ihrer agency (Handlungsträgerschaft) umfasst. Mit diesem Begriff wird also die Handlungsfähigkeit der nonhumans reklamiert. Beide sind als „entities that do things“ (Latour 1988, S. 303) zu verstehen. Ein Akteur ist dabei ein Aktant, der mit einem Charakter ausgestattet ist.
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Einen weiteren theoretischen Impuls liefert Pickering (vgl. Schubert 2006, S. 13, S. 66f). Er legt seinem Konzept der “mangle of practice” exemplarisch den praktischen Vollzug eines wissenschaftlichen (Forschungs-)Prozesses zugrunde. Dabei unterstellt er – angelehnt an die Grundsätze der ANT – eine gewisse Symmetrie von Mensch und Technik. Jedoch erlaubt sein Konzept es noch, zwischen menschlichen und technischen Einheiten zu unterscheiden. Schließlich weist Hutchins mit seinem kognitionswissenschaftlichen Konzept der Distributed coginition (vgl. Hutchins 1995) auf die Robustheit sog. verteilter kognitiver Systeme hin. Aufgaben können effizienter und störungsärmer gelöst werden, wenn Mensch und Technik zusammenwirken. Er schreibt dabei den kollektiven Lösungen insbesondere in unvorhersehbaren Situationen eine zentrale Bedeutung zu (Schubert 2006, S. 29f). Es existieren also sehr unterschiedliche, mitunter widersprüchliche soziologische bzw. kognitionswissenschaftliche Ansichten, in welcher Art und Weise die Technik als Element eines (fortschrittlichen) sozio-technischen Systems wahrgenommen werden muss und wie sich das Verhältnis von Mensch und Maschine zueinander gestaltet. Dies reicht von einer absoluten Gleichstellung von menschlichen und technischen Einheiten (Aktanten) bei Latour bis hin zu einer grundsätzlichen Unterscheidung, da polimorphes Verhalten nicht auf Maschinen übertragbar sei, bei Collins und Kusch. Allen Konzepten gemein ist jedoch die Erkenntnis, dass angesichts einer neuen und autonomeren Technik, die Technik neu bewertet werden muss und nun erstmals einen kooperativen Stellenwert einnimmt. Technik in Aktion Rammert schafft mit seinem Konzept der „Techniken in Aktion“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 43ff; Rammert 2006a, S.12f) als einem gradualisierten Handlungskonzept, welches die Eigenaktivität technischer Systeme in entsprechender Weise berücksichtigt, eine neuartige und unvoreingenommene Möglichkeit zur genaueren Analyse der Beziehung von Mensch und Technik bzw. der jeweils stattfindenden Aufgabenverteilung. Dabei greift er auf die traditionelle Sichtweise zurück, wonach Menschen handeln und Maschinen nur funktionieren, und stellt diesen Dualismus grundsätzlich in Frage. Seiner Ansicht nach obliegt das Handeln nicht allein den Menschen, ebenso wenig wie die Technik lediglich
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ein passives Instrument darstellt. Vielmehr ist entscheidend, dass eine zunehmend autonome Technik in ihrer Einflussnahme auf das Handlungsgeschehen einen wachsenden Stellenwert erhält. Wenn Rammert im Zusammenhang der „Techniken in Aktion“ (Rammert 2006a, S. 12) von einer Handlungsdelegation an technische Einheiten (= Agenten) im Sinne eines „Stellvertreterhandelns“ spricht, dann lässt sich dies problemlos auf das Cockpit übertragen. „Die Agenten können so programmiert werden, dass sie pro-aktiv tätig werden. Dann greifen sie, wenn auch nur nach Maßgabe der vorgegebenen Ziele, in bestimmten Situationen und mit gewissen Spielräumen von sich aus in Handlungszusammenhänge ein“ (Rammert 2006a, S. 13).58 Um den Part der Technik sinnvoll in soziologische Konzepte einzugliedern, fragen Rammert und Schulz-Schaeffer daher: „Wie stark darf oder wie schwach muss – gemessen am traditionell intentional orientierten Handlungsbegriff der Soziologie – ein Handlungsbegriff sein, der sich auf technische Artefakte anwenden lässt?“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2001, S. 1). Mit Hilfe eines gradualisierten Handlungsbegriffs gelingt es Rammert (vgl. u.a. Rammert 2006a, S. 14), eine objektive und vorurteilslose Basis zur soziologischen Analyse menschlicher und nicht-menschlicher Handlungen zu schaffen. Dies ist möglich, indem alle Aktivitäten – einerlei ob von Lebewesen oder von Maschinen verrichtet – ausschließlich nach dem Niveau (vgl. Rammert 2006c, S. 26) und den „Grade[n] der Handlungsträgerschaft“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002a, S. 23f) bewertet werden. Damit kann in verteilten Handlungen der Handlungsbegriff nach dem Stand der technischen Entwicklung eingestuft werden. Auf der Ebene der Kausalität, der untersten Ebene im Sinne einer verändernden Wirksamkeit, ist es im Prinzip unerheblich, ob Mensch oder Maschine die Veränderung hervorgerufen hat, denn das Ergebnis ist hier dasselbe (z.B. die Geldauszahlung am Bankschalter oder am Bankautomaten). Der Bereich erstreckt
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Dabei bliebe allerdings zu fragen, ob alle Elemente – also Mensch und Maschine – in Bezug auf Handlungsfähigkeit grundsätzlich gleichgesetzt werden sollen (wie dies den Ansätzen von Latour entspräche). „Immerhin gibt es viele gute Gründe, die feinen Unterschiede zwischen Bewirken, Anders-handeln-Können und Intendieren nicht einfach fallen zu lassen“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 8). Hierin zeigt sich letztlich der Unterschied der jeweiligen Handlungsfähigkeit von Mensch bzw. Maschine. Die Frage „Können Maschinen handeln?“ wurde schon früh, bereits 1950, von Alan Turing in seinem Werk: Computing Machinery and Intelligence (dt. Titel: Kann eine Maschine denken?) gestellt.
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sich dabei von einer „kurzfristigen Störung bis hin zur dauerhaften Umstrukturierung von Handlungszusammenhängen“ (Rammert, 2006a, S. 224). Kontingenz, in der Form des „Auch-anders-handeln-Könnens“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 48; Rammert 2006a, S. 224), erweitert die soeben beschriebene Kausalität um die Fähigkeit, auf Veränderungen einzugehen, d.h. das Verhalten anzupassen (z.B. möchte der Bankkunde den Auszahlungsbetrag im Nachhinein korrigieren, was die Bankangestellte kann, der Automat nicht). Das gilt für die „Auswahl zwischen wenigen vorgegebenen Handlungsalternativen bis hin zur ‚freien‘ Selbstgenerierung wählbarer Alternativen“ (Rammert, SchulzSchaeffer 2002b, S. 49). Letztlich findet sich auf der höchsten Ebene, der Ebene der Intentionalität, die Fähigkeit, eine zielgerichtete Erklärung für ein bestimmtes Verhalten bzw. eine bestimmte Handlung abgeben zu können. Dies reicht von „der Zuschreibung einfacher Dispositionen bis hin zur Verhaltenssteuerung und -koordination mittels komplexer intentionaler Semantiken“ (ebd.). Dabei ist entscheidend, dass avancierte Techniken durch ihre interne Komplexität eine „intentionale Beschreibungssprache“ (ebd., S. 47) nicht nur für ein Nachvollziehen erforderlich machen, sondern dass diese technischen Systeme für die Organisation der eigenen Abläufe wie auch zur Interaktion mit anderen selbst auf ein solches Vokabular zurückgreifen. Mit dem von Rammert eingeführten gradualisierten Handlungsbegriff wird es möglich, „Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und technischen Aktivitäten zu beobachten, ohne solche Ähnlichkeiten begrifflich vorauszusetzen“ (ebd., S. 50f) und „Unterschiede zu beobachten, ohne eine Unterschiedlichkeit beider Phänomenbereiche begrifflich zu zementieren“ (ebd.). Basierend auf einem neuen und angepassten Technikverständnis und unter Berücksichtigung des gradualisierten Handlungsbegriffs, ist die traditionelle Betrachtungsperspektive, wonach eine getrennte Analyse von Mensch und Technik zweckmäßig scheint, überholt. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, stellt sich nun die Frage nach „dem gemeinsamen Geflecht ‚vermischter‘ Aktivitäten“ (ebd., S. 13) und danach, wie diese Gegebenheiten in einen „nicht-dualistischen Theorierahmen“ (Rammert 2003, S. 11) eingebettet werden können.
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Verteilte Handlungsträgerschaft im Cockpit? Die Antwort auf die Frage: „Wer handelt und was funktioniert, wenn ein Flugzeug fliegt?“ (Rammert 2003, S. 15; vgl. Weyer 2007, S. 37) muss in einem modernen sozio-technischen System also neu überdacht werden. Einen entscheidenden Anhaltspunkt liefert Rammert (2003, S. 3), wenn er von einer „distributed agency“ oder Verteilten Handlungsträgerschaft spricht. „Handeln verteilt sich dabei auf verschiedene Instanzen, wie Menschen, Maschinen und Programme, die jeweils unterschiedliche Grade von Handlungsautonomie aufweisen und die jeweils in unterschiedlich balancierter Relation am Zustandekommen der Handlung beteiligt sein können“ (Rammert 2006a, S. 228). Das Handeln geschieht dabei stets im „Kontext eines Handlungsstroms“ (Rammert, SchulzSchaeffer 2002b, S. 42) und nicht in einer Aneinanderreihung einzelner Handlungssequenzen, welche wiederum einzelnen Handlungssubjekten zugeschrieben werden müssten (ebd., S. 41). Weyer erklärt, dass durch das „Neben- und Miteinander menschlicher und künstlicher Sozialsysteme“ (Weyer 2007, S. 37) nun „hybride Systeme verteilten Handelns“ (ebd.) entstehen, in welchen menschliche Akteure und (teil-)autonome Maschinen jedoch nicht nur neben- bzw. miteinander, sondern teils „auch gegeneinander agieren“ (ebd.). Die entscheidende Frage lautet daher nicht mehr: Wer oder was fliegt das Flugzeug?, sondern: „Welche Aktivitäten von welchen Agenten tragen alle zur Flugaktion bei?“ (Rammert 2003, S. 14). Die moderne Verkehrsluftfahrt erscheint dabei als „ein anschauliches Beispiel für das Konzept der verteilten Handlungsträgerschaft (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002): Im Cockpit wirken Piloten (‚Humans‘ im Sinne von Bruno Latour) und eine Vielzahl von Assistenzsystemen wie TCAS (‚Non-humans‘) zusammen, um eine Lösung für eine gegebene Situation zu finden“ (Weyer 2007, S. 38). Ausgehend von hoch komplexen Techniken, welche sich zunehmend pro-aktiv und kooperierend verhalten, sowohl untereinander wie auch in Interaktivität mit menschlichen Akteuren,59 ist die Antwort auf diese Frage 59
Avancierte technische Systeme können sowohl in der Beziehung mit anderen technischen Komponenten als auch in der Kooperation mit menschlichen Bedienern in ihrer Funktion betrachtet werden. Sogenannte Multiagenten-Systeme, als Systeme von verteilter künstlicher Intelligenz, sind als
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in der hier angeführten nichtdualistischen Perspektive komplex und reicht vom Reiseveranstalter, der die Buchungen vornimmt, über die Flugsicherung, die sog. Slots60 vergibt, und den Autopiloten an Bord, der über weite Strecken das Flugzeug entlang einer durch die Piloten vorprogrammierten Strecke abfliegt, bis hin zum Düsenaggregat, das den nötigen Schub erzeugt (vgl. Rammert, SchulzSchaeffer 2002b, S. 42; Rammert 2003, S. 14). Erst in ihrem Zusammenwirken ermöglichen die einzelnen Aktivitäten der unterschiedlichen menschlichen wie auch nicht-menschlichen Instanzen das Fliegen des Flugzeugs. Rammert (2006b, S. 184) konkretisiert dies wie folgt: „Das Fliegen als technisches und soziales Handeln findet in einer aus Maschinen, Menschen und Programmen vermischten Konstellation statt, wobei den menschlichen und nichtmenschlichen Instanzen des Handelns unterschiedliche und situativ wechselnde Grade von Handlungsträgerschaft („agency“) […] und unterschiedliche Grade von Technisierung („technological fix“) zukommen.“
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ein Zusammenschluss verschiedener technischer Akteure zu verstehen, welche in Abstimmung untereinander und miteinander kooperative Entscheidungen für eine Aufgabe bzw. Problemlösung generieren. Dabei gibt es stets mehr als nur ein mögliches Ergebnis. „Wenn technische Agenten als ‚interaktive‘, ‚kooperative‘ oder ‚soziale‘ Agenten bezeichnet werden, dann wird auf diese, der sozialen Interaktion nachgebildete Wechselwirkung hingewiesen, ohne zu unterstellen, dass sie mit Interaktion unter Menschen identisch ist“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 16). Diese Art der Interaktion – Rammert verwendet den Begriff „Intra-Aktion“ (Rammert 2006c, S. 26) – bezieht sich lediglich und ausschließlich auf das Zusammenwirken technischer Einheiten. Davon abzugrenzen ist die sog. „Interaktivität“, welche sich auf die Interaktion von Mensch und Technik bezieht (ebd.). Der Bediener einer hoch technisierten Maschine ist nicht mehr der alleinige Entscheider über den Ablauf eines von ihm an das technische System gegebenen Prozessbefehls. „Diese Sequenz wird unterbrochen, Informationen werden mit aktuellen Daten verglichen, dem Nutzer wird eine Prognose seines Befehls und seiner Folgen geboten, die Sequenz wird mit Blick auf die veränderte Situation eigenmächtig verändert“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 16). Auf den Befehl des Bedieners folgt daher nicht mehr eine unmittelbare Ausführung durch das technische System. Ein geeignetes Beispiel für eine derartige Mensch-Maschine-Schnittstelle ist das Abbremsen eines Kraftwagens mit intelligenter Bremse. Dem durch den Fahrer getätigten Bremsbefehl folgt eine Prüfung des Bordcomputers in Sekundenbruchteilen. Indem Geschwindigkeit, Gewicht und weitere Determinanten berücksichtigt werden, wird der eingegebene Bremsbefehl derart modifiziert, dass ein unbeabsichtigtes Schleudern verhindert wird (Bsp. aus Rammert, SchulzSchaeffer 2002b, S. 16 mit Verweis auf Rammert 2002a). In dieser Art der sozio-technischen Konstellation sind Mensch und Technik „enger miteinander verflochten als je zuvor“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 7) und erzeugen so den Eindruck eines „hybriden Netzwerk[s] aus menschlichen und nicht-menschlichen Handlungsinstanzen“ (Rammert, Schulz-Schaeffer 2002b, S. 7). Slot (engl.) ist ein feststehender Begriff in der Luftfahrt, welcher ein festes Zeitfenster beschreibt, in welchem ein Flugzeug starten oder landen muss. Diese Vorgabe erlässt der zuständige Flughafen.
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Die soziologische Theorie der Interaktion von Mensch und autonomer Technik ist dabei nicht nur nützlich, um den Gegenstand adäquat verstehen, beschreiben und modellieren zu können, sondern auch, „um mikrosoziologisch fundierte Aussagen über mögliche gesellschaftliche Folgen des Einsatzes und der Nutzung autonomer Technik in praktischen Anwendungszusammenhängen zu treffen“ (Weyer, Fink 2011, S. 40). Wird die Handlungsträgerschaft technischer Instanzen angemessen berücksichtigt, erweitert dies den Fokus, um (letztlich) ein optimiertes Gleichgewicht in der Aufteilung menschlicher und nicht-menschlicher Instanzen herzustellen (vgl. Rammert,Schulz-Schaeffer 2002b, S. 60). Dabei wird in der Interaktivität von Mensch und Technik sogar eine „Art von sozio-technischer Intelligenz“ (ebd., S. 18) vermutet, welche weder auf den darin handelnden Menschen reduziert werden kann noch auf die nicht-menschlichen, d.h. technischen Elemente. Der Ansatz der Verteilten Handlungsträgerschaft ist auch in anderen Berufsfeldern, wie der Medizintechnik (Schubert 2006), mit aufschlussreichen Ergebnissen angewandt worden, wodurch sich seine generelle Bedeutung bestätigt. Schubert geht in seiner Untersuchung der Frage nach, „welchen Anteil die Artefakte an der Konstitution von chirurgischen Operationen haben und speziell, welche Qualität die Technik in den Konstitutionsprozess mit einbringt“ (Schubert 2006, S. 11). Dabei gelingt ihm mit seiner Analyse eine umfassende empirisch fundierte Beschreibung des Verhältnisses und des Zusammenwirkens von Mensch und Technik im Operationssaal als einem hoch technisierten Arbeitssetting. So weist er nach, dass „in unterschiedlichen Phasen der Prozedur unterschiedliche Mischungsverhältnisse von menschlichen und technischen Aktivitäten vorliegen, unterschiedliche Koordinierungsmuster zu Tage treten und unterschiedliche Aufgabenbereiche definiert sind“ (Schubert 2006, S. 64). Dabei haben der OP und das Cockpit eines Verkehrsflugzeugs gemein, dass in beiden hoch technisierte und komplexe Arbeitsprozesse stattfinden, in denen ein hohes Maß an Risiko und Unsicherheit herrscht. Darüber hinaus bringen die jeweiligen Prozessabläufe ebenfalls ein hohes Maß an Unvorhersehbarkeit mit sich, was laut Schubert „einen Spielraum für alternative Prozeduren und kreative Problemlösungen verlangt“ (ebd., S. 16). Abweichend von anderen klassischen hoch technisierten Arbeitsplätzen mit Elementen autonom agierender Systeme ist der Pilot jedoch – als Bediener der Maschine – zusätzlich auch noch selbst in das System bzw. in die Anlage inte-
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griert, sozusagen von ihr umschlossen. Diese körperliche Anwesenheit (ohne Ausstiegsmöglichkeit) steigert (vermutlich) automatisch (und unbewusst) das Bedürfnis des Piloten, einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen – über den Wunsch hinaus, „nur“ ein gutes Arbeitsergebnis zu erzielen. Denn die konkreten Gegebenheiten bedingen, dass auch das eigene Leben des Piloten vom Gelingen des Prozesses abhängen kann. Aspekte der Interaktion von Mensch und Technik wurden bislang noch nicht unter diesem Blickwinkel betrachtet.
2.2.2 Auswirkungen der Technisierung auf die Arbeit von Piloten Idealerweise ergäbe die Betrachtung der Technik als Kooperationspartner im Sinne einer Verteilten Handlungsträgerschaft, dass sich der Umgang mit der Technik weitestgehend reibungslos bzw. unkompliziert und arbeitserleichternd gestaltet – und die Technik selbst stets verlässlich funktioniert. In Bezug auf die Arbeit im Cockpit finden sich allerdings zahlreiche Hinweise auf gefährliche Situationen einerseits durch hohe Automatisierungsgrade, andererseits aufgrund der menschlichen Arbeitsweise. Für den Bereich der industriesoziologischen Analyse konnten darüber hinaus auch grundsätzliche Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik aufgezeigt werden. Eine realistische Analyse der Arbeitsbedingungen an Bord eines Verkehrsflugzeugs erfordert daher nicht nur eine Betrachtung der – bereits bekannten – Gefahren durch hohe Cockpitautomatisierungsgrade. Auch wissenschaftlich noch nicht erfasste Grenzen technischer Beherrschung in Form Kritischer Situationen dürfen nicht übersehen werden. Es wird in diesem Zusammenhang angenommen, dass der Pilot Aufgaben (mit-)erfüllt bzw. gewährleistet, die offiziell eigentlich dem technischen System zugeteilt sind. Hohe Technisierungsgrade erschweren ihm dabei seine „Gewährleistungsarbeit“.
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Eine Einbindung der technischen Unwägbarkeiten und Grenzen der Planbarkeit in den Kontext der Verteilten Handlungsträgerschaft stellt eine interessante und bislang nicht erfolgte Erweiterung der Perspektive dar.61
Dokumentierte Gefahren im Cockpit Es finden sich in der wissenschaftlichen Literatur zahlreiche Hinweise auf Gefahren durch hohe Automatisierungsgrade im Cockpit. Die Befunde beziehen sich insbesondere auf den Ausschluss des Menschen aus dem Regelkreis im Arbeitssystem Cockpit im Normallauf und auf die hohe plötzliche Belastung in einer Störsituation. Ironies of Automation Ursprünglich als arbeitserleichternd und sicherheitsförderlich eingesetzt, verursacht die Automatisierungstechnik zugleich ernstzunehmende Probleme für ihren Bediener. Die Konstrukteure und Programmierer technischer Anlagen wollen den Risikofaktor Mensch aufgrund seiner Fehleranfälligkeit weitgehend technisch unterstützen, im Extremfall sogar substituieren, sind jedoch paradoxerweise allesamt selbst Menschen. Daher erlangen in hoch komplexen technischen Systemen Programmier- und Designfehler (vgl. Weyer 1997, S. 245) neben den klassischen Bedienungsfehlern einen neuen gewichtigen Anteil an den Ursachen für Störungen. Zudem müssen zwangsläufig diejenigen Arbeitselemente dem menschlichen Operator überlassen bleiben, welche sich nicht automatisieren lassen. Das bedeutet, dass zwar solche Aufgaben, die aufgrund ihrer Voraussetzungen – also Berechenbarkeit und Systematisierbarkeit – dafür geeignet sind, automatisiert zu werden, von der Technik übernommen werden, diejenigen jedoch, welche dies aufgrund ihrer Unberechenbarkeit und Komplexität nicht gestatten, dem Piloten verbleiben. Damit tritt vor allem eine Entlastung von körperlich auszuführenden Tätigkeiten 61
Bei Weyer (2008b, S. 260) findet sich der Hinweis, dass Rammert und Schulz-Schaeffer sich – über die von ihnen entworfene dreistufige Taxonomie gradualisierten Handelns hinaus – nicht mit der konkreten Interaktion zwischen Mensch und Technik befassen. Er verweist darauf, dass der Ansatz der Verteilten Handlungsträgerschaft die durch spezifische Verteilungen der Handlungsträgerschaft möglicherweise entstehenden Risiken in diesen verteilten Systemen nicht erfasst.
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ein, wohingegen der Anspruch an überwachende, planende und kognitive Arbeitselemente zunimmt (vgl. Weyer 1997, S. 244). Mit der Notwendigkeit des Eingreifens durch den menschlichen Bediener, die (offensichtlich) gerade dann eintritt, wenn die Technik die Situation nicht länger im Griff hat, offenbaren sich die von Bainbridge (1987) treffend als Ironies of automation (Ironien der Automation) bezeichneten Phänomene. „By taking away the easy part of his task, automation can make the difficult parts of a human operator‘s task more difficult”62 (Bainbridge 1987, S. 271). Das Cockpit ist eine Arbeitsumgebung, die von den realen Bewegungen der Flugzeugsteuerung relativ weit abgekoppelt ist. Daher ist der Pilot darauf angewiesen, ein „kognitives Modell“ (Weyer 1997, S. 244) der ablaufenden Prozesse sowie für die Zustandsinterpretation des Flugzeugs generell zu entwickeln, basierend auf den zur Verfügung stehenden Daten. Die technisierten, durch die Bordsysteme generierten Prozessabläufe erfolgen im Vergleich zum menschlichen Denkprozess erheblich schneller und umfangreicher. Indem ein Pilot nicht in der Lage ist, die Entscheidungen der Computersysteme in Echtzeit nachzuvollziehen, ergeben sich verständlicherweise Schwierigkeiten für ihn als Bediener des Systems, den ablaufenden Prozess nachzuvollziehen und, wenn nötig, einzugreifen, zu übernehmen oder zu korrigieren. In diesem Zusammenhang ist die von Hanke (2003) aufgeworfene Frage interessant, ob es den Piloten aufgrund zunehmender Automatisierungstechnik leichter fällt, die Systeme zu verstehen und mit ihren Fehlern umzugehen. Er kam nach Auswertung seiner Umfrageergebnisse zu dem Resultat, dass 70% der befragten Verkehrsflugzeugpiloten angaben, „mehrfach Situationen erlebt zu haben, in denen sie unbekannte Zustände des Flugzeugs beobachteten“ (Hanke 2003, S. 87). Außerdem gaben 20% an, „manchmal (59% = selten) nur noch beurteilen zu können, ob sich die Systeme ‚akzeptabel’ verhalten, anstatt zu wissen, ob sie korrekt arbeiten“ (ebd.). Zu denken gibt dabei die Feststellung Bainbridges, wonach die Bedeutung des menschlichen Bedieners jedoch grundsätzlich mit dem Grad an Automation zunimmt, weil die Aufgabe letztlich dann von ihm übernommen werden muss, wenn die Technik insbesondere in Kritischen Situationen dazu nicht mehr in der Lage ist (vgl. Badke-Schaub et al.2011, S. 5). 62
Indem die einfachen Aufgaben übernommen werden, kann Automatisierung dazu führen, die komplizierten Aufgabenelemente eines menschlichen Bedieners noch schwieriger zu machen [frei übersetzt].
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Ausschluss des Menschen Die Verlagerung des Aufgabenschwerpunktes auf überwachende Funktionen birgt für den Piloten die Gefahr einer sog. Vigilanzreduktion63. Heutigen Piloten fällt es schwerer, sich selbst zur notwendigen Aufmerksamkeit zu zwingen, da vor allem bei eintönigen und monotonen Überwachungsaufgaben diese natürlicherweise nachlässt. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass insbesondere auch kognitive Funktionen verstärkt durch die Maschine selbst bewältigt werden und somit der Mensch noch weiter aus den ablaufenden Prozessen ausgeschlossen wird. Es besteht die Gefahr, dass ein Pilot out of the loop64 (vgl. Giesa 2003, S. 44) gerät und dem Flugzeug ‚mental hinterherfliegt‘. Er muss für ein stabiles Sicherheitsniveau jedoch stets in der Lage sein, sich anbahnende bzw. bereits eingetretene Störungen blitzschnell richtig zu diagnostizieren. Dafür ist eine stabile situation awareness (ein Situationsbewusstsein) Voraussetzung. In Anlehnung an Giesa (2003, S. 22) zeichnet sich situation awareness dadurch aus, dass der Pilot alle relevanten Elemente wahrnimmt, Verständnis für das aktuelle Geschehen hat und in der Lage ist, zukünftige Situationen zu antizipieren. Problem ist nun, dass es sehr schwierig ist, einen solchen hoch konzentrierten Zustand zu erreichen und ein vollständiges Abbild des Status quo nur schwer aus dem Stegreif zu konstruieren ist, wenn die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit derart erschwert ist. Hierzu erklärt Weyer (1997): „Vielmehr bedarf es einer intensiven Einstimmung auf die Gesamtsituation und einer Integration der Ereignisse in ihren zeitlich-räumlichen Kontext, bis das ‚geistige Bild‘ steht. Routine und Monotonie, die eine zwangsläufige Folge von Automation sind, können also zu einer eigenständigen Quelle von Gefahren werden“ (Weyer 1997, S. 245). Die Charakteristik moderner Anzeigeaufbereitung im Cockpit (die Zusammenfassung der Einzelinstrumente auf wenige Monitore mit begrenzter Darstellungstiefe) ermöglicht es lediglich, bestimmte Ausschnitte des Systems einzusehen (vgl. Helfrich-Hölter, Seidler-Brandler 2001, S. 22). Ein Gesamteindruck, wie er für eine hohe situation awareness notwendig ist, wird dadurch zusätzlich erschwert.
63
64
„Betont man den operationalen Aspekt, so bedeutet Vigilanz den Zustand der Funktionsbereitschaft des Organismus, auf zufällige, schwellennahe, selten auftretende Ereignisse kritisch zu reagieren. [...] In diesem Sinne bedeutet Vigilanz Fähigkeit zur Daueraufmerksamkeit“ (Artikel „Vigilanz“ auf de.wikipedia.org, Version 26.4.2015). Dem Geschehen nicht mehr vollständig folgen können [frei übersetzt].
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
55
Menschliche Handlungskompetenz beschnitten Ein weiterer risikoträchtiger Umstand ist, dass die Bordcomputer in hoch modernen Flugzeugen mitunter so ausgerichtet sein können, dass sie selbsttätig Plausibilitätsprüfungen vornehmen. Das beinhaltet, dass die vom Piloten gemachten Eingaben, wie z.B. Steuersignale, erst vom Computer auf Folgerichtigkeit geprüft werden. Der Pilot wird somit in seiner Verfügungsgewalt und letztendlichen Entscheidung durch die technischen Systemkomponenten beschnitten und eingeschränkt. Faber (1994) erklärt hierzu: „Der Mensch ist in vielen Bereichen aus diesem hochautomatisierten Regelkreis ausgeschlossen. Der Computer analysiert Situationen und trifft selbständig notwendige Maßnahmen oder verhindert (!) Maßnahmen der Piloten“ (Faber 1994, S. 39). Hierfür liefert ein 1993 in Warschau verunglückter Airbus ein tragisches Beispiel. Wie für Flugzeugunglücke typisch, lag dem Unfall auch hier die Verkettung mehrerer Faktoren zugrunde.65 Wesentlich für vorliegende Thematik ist, dass der landende Airbus aufgrund einer technisch unterbundenen Abbremsung über das Ende der Landebahn hinausschoss und mit einem Erdwall kollidierte. Sobald ein Flugzeug dieses Typs Bodenkontakt hat, sorgen die ausgefahrenen Störklappen dafür, dass das Flugzeug seinen Auftrieb verliert. Bei der Landung muss außerdem durch Einleiten der Schubumkehr Gegenschub erzeugt werden, um das Flugzeug abzubremsen. Diese Funktionen wurden jedoch bei diesem Unfall durch eine bei Airbus vorgesehene Sicherheitseinrichtung unterbunden. Die Störklappen waren beim A 320 gegen ein unabsichtliches Ausfahren in der Luft abgesichert: Der Bordrechner aktiviert die Störklappen erst dann, wenn das Signal übertragen wird, dass sich beide Fahrwerke am Boden befinden. Hiermit ist auch die Freigabe der Schubumkehrfunktion gekoppelt. Da der Airbus in Warschau aufgrund schlechten Wetters leicht schräg aufsetzte, wurde das entscheidende Signal lediglich vom rechten Fahrwerk übermittelt. Für ganze neun Sekunden gab es für die Piloten keinerlei Möglichkeit, das Flugzeug abzubremsen, da kein Hebel oder Schalter vorgesehen war, um manuell einzugreifen. Das Flugzeug raste in einen Erdwall hinter der Landebahn. Zwei Personen kamen bei dem Unfall ums Leben.
65
Zum detaillierten Unfallhergang siehe Van Beveren 1997, S. 51.
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
Dieser Konstruktionsfehler führte zur Umrüstung der betroffenen Maschinen, jedoch ist angeführtes Beispiel nur eines von vielen dokumentierten Ereignissen, welche im Zusammenhang mit hoch technisierten Systemen standen.66 Van Beveren (1997, S. 95) zitiert in diesem Zusammenhang die Airbus-Sprecherin Barbara Kracht: „Der Mensch kann irren, der Computer nicht. Und wir wollen unnötige Belastungen von den Piloten fernhalten.“ Konsequenz steigender Komplexität in Echtzeitsystemen Die heutigen Piloten sind jedoch nicht nur mit der Gefahr konfrontiert, dass moderne Bordsysteme ihr Arbeitshandeln beschneiden können. Im Zusammenhang damit stehen sie auch vor dem Problem, dass sie die Flugzeuge, welche sie fliegen, aufgrund der steigenden Komplexität grundsätzlich in ihren Abläufen weniger durchschauen und nachvollziehen können. Neben der Gefahr der Vigilanzreduktion durch automatisierte Entlastung in den ohnehin weniger anspruchsvollen Flugphasen und damit einhergehend einer instabilen situation awareness ergeben sich für den Piloten in Phasen grundsätzlich hoher Arbeitsbelastung, wie der Start- und Landephase, regelmäßig stressintensive Belastungsspitzen.67 „Da sich im Cockpit immer mehr kognitive Funktionen vom Menschen zur Maschine hin verschieben, nimmt das Ausmaß der Operateurbeteiligung bei der Ausführung von bestimmten (Teil-)Aufgaben ab, während die Komplexität des Gesamtsystems steigt“ (Giesa 2003, S. 44). Piloten sehen sich mit dem Konflikt konfrontiert, dass sie einerseits immer weiter aus dem Regelkreis des Mensch-Maschine-Systems ausgeschlossen werden, während sie andererseits jedoch gesteigerten Ansprüchen aufgrund einer erhöhten Komplexität des Gesamtsystems ausgesetzt sind. So müssen Piloten mit den zunehmend unübersichtlichen technischen Auswirkungen zurechtkommen, die auftreten können, wenn sich beispielsweise Softwarefehler einschleichen oder wenn Systeme ausfallen, sich abschalten oder widersprüchliche Informationen erzeugen. Giesa (2003, S.44) weist angesichts des stetigen Zuwachses technischer Neuerungen eindringlich auf die drastisch
66 67
Siehe z. B. Van Beveren 1997; Perrow 1994; Weyer 1997. Es sei hier auf die Unfallzahlen aus Teil A - 2.1.3 verwiesen, die einen eindeutigen Zusammenhang der Flugphase mit dem Unfallrisiko bezeugen.
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
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gesteigerten und sicherheitskritischen Probleme hin, die auftreten, sobald nicht definierte Zustände unbekannter Situationen durch das Standardrepertoire der Bordsysteme nicht mehr beherrscht werden und Piloten folglich mit all ihrem Können gefordert sind, die Situation – quasi aus dem Stegreif – zu bewältigen. So führt insbesondere im „Störfall [...] die hohe Komplexität zu großer Informationsdichte, die die Beherrschbarkeit des Systems durch die Piloten gefährden kann“ (Faber 2005a, S. 9). Weyer (1997, S. 249) schreibt dem Umstand, dass es sich bei einem Flugzeug um ein sogenanntes „Echtzeitsystem“ handelt, eine besondere Brisanz zu, denn generell besteht im Unterschied zu „zeitunkritischen Systemen“ keine Möglichkeit, den Ablauf im Störfall zu stoppen. Piloten können dabei, neben ihrer eigenen, zeitlich streng limitierten Fehlerbearbeitung an Bord, lediglich auf funkübertragene „Ferndiagnosen und unterstützende Hinweise“ zurückgreifen. Sie unterliegen damit einem potenzierten Druck, die erforderliche Qualifikation für die jeweilige Störsituation sofort aufzubringen. Die von Faber (2005a, S. 9) formulierte Forderung: „Hohe Cockpit-Automatisierungsgrade dürfen nicht – wie anfangs fälschlich vermutet – eine Dequalifizierung der Piloten einleiten. Das Gegenteil – eine Höherqualifizierung – wird notwendig!“, macht die Konsequenz der Cockpitautomatisierung deutlich.
Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik im Cockpit? Im Rahmen der Arbeits- und Industriesoziologie wurden seit Mitte der 1980er Jahre neue Ansätze zur Analyse von menschlicher Arbeit bei fortschreitender Technisierung entwickelt. In diesen Ansätzen wurden die Unberechenbarkeit von Technik und die Grenzen der Kontrollierbarkeit aufgegriffen und thematisiert. Leitbild der Verwissenschaftlichung und Grenzen technischer Beherrschung Um eine automatisierte Unterstützung, wie sie an hoch technisierten Arbeitsplätzen vorzufinden ist, zu ermöglichen, ist es notwendig, entsprechend verlässliche maschinelle Systeme zu entwickeln. Eine derartige technisch geleitete Steuerung und Verrichtung von Arbeitsschritten basiert dabei gemäß dem Leitbild der Technisierung auf einer wissenschaftlich-systematischen Durchdringung der relevan-
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
ten Bedingungen und Abläufe des jeweiligen Arbeitsprozesses. Dabei ist die Annahme grundlegend, „daß die jeweils relevanten Parameter mittels objektiver Kriterien eindeutig und exakt bestimmbar sind und ihren Wirkungszusammenhängen Regelhaftigkeit, wenn nicht Gesetzmäßigkeit, unterlegt werden kann, die allgemeinen Prinzipien formaler Logik folgen bzw. hiermit erfassbar sind“ (Böhle, Rose 1992, S. 6). Gelingt dies, geht man davon aus, die entsprechenden Prozessabläufe seien plan- und beherrschbar. Allerdings stößt die wissenschaftliche Erfassung bzw. Theoretisierung sämtlicher relevanter Parameter an ihre Grenzen. Selbst in Arbeitsbereichen, welche rein naturwissenschaftlich-technisch orientiert sind, kommt es zu „Diskrepanzen zwischen wissenschaftlicher Abstraktion“ (Böhle 2001, S.123) einerseits und „konkreten Gegebenheiten“ (ebd.) andererseits. Befunde aus der industriellen Produktion bestätigen dies. Aufgrund der enormen Fülle z.T. unbekannter und/oder in ihren Auswirkungen nicht planbarer Einflussfaktoren wird es nahezu unmöglich, die Prozessabläufe vollständig theoretisch vorab in entsprechenden Modellen festzulegen. Eine derartige „wissenschaftlich-technische Durchdringung und Beherrschung konkreter Gegebenheiten“ (Böhle 2009a, S.73) insbesondere im Zusammenhang mit zunehmender Technisierung wäre lediglich unter Laborbedingungen möglich – jedoch nicht im praktischen betrieblichen Alltag.68 Denn dort, in der Praxis, entstehen aufgrund der vielen einwirkenden Parameter stattdessen „Grenzen in der technisch-wissenschaftlichen Beherrschung [...], die bei fortschreitender Verwissenschaftlichung und Technisierung in immer wieder neuer Weise“ (Bauer et al. 2006, S. 10; vgl. hierzu auch Perrow 1987, S. 179 und Woods 1996, S. 6) in Erscheinung treten. Derartige Unwägbarkeiten als Folge einer nicht vollständigen wissenschaftlichen Erfassung resp. Beherrschbarkeit existieren somit nicht nur fort, sondern nehmen darüber hinaus auch immer wieder neue und unbekannte Zustände an. Die 68
Böhle (1995b, S.28) erklärt hierzu: „Die Gründe hierfür liegen im Zusammenwirken einer Vielzahl von Parametern, die im konkreten Fall nicht vollständig erfaßt und vorherbestimmt werden können […] Insbesondere bei […] einer beständigen (Weiter-) Entwicklung von Materialien, Maschinen, Anlagen und Steuerungstechnik entstehen nicht exakt vorhersehbare und ex ante ‚bestimmbare‘ Einflüsse auf die Produktionsabläufe und technischen Systeme. Damit wird nicht behauptet, daß eine vollständige wissenschaftlich-technische Beherrschung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Jedoch hängt die Möglichkeit hierzu nicht nur vom Grad der wissenschaftlichen Durchdringung und vom Niveau der technischen Entwicklung ab, sondern ebenso auch davon, ob und inwieweit es gelingt, die konkreten Produktionsgegebenheiten kontrollier- und berechenbar ‚zu machen‘, d.h. Parameter und Einflußfaktoren zu reduzieren und ihre Wirkungen zu neutralisieren.“
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
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im Vorhinein nicht bestimmbaren Wechselwirkungen alter, aber auch neu hinzugekommener Einflussfaktoren steigen an – und das in einer Situation, in der die ohnehin komplexen Zusammenhänge bereits grundsätzlich die Einsicht erschweren. Grote (2009c) definiert ein komplexes System als eine Verknüpfung einer Vielzahl von Elementen: „Insbesondere durch die vielfältigen Verknüpfungen entstehen Interaktionsvarianten der Elemente eines Systems, die in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit und in ihren Effekten nur begrenzt vorhergesagt werden können“ (Grote 2009c, S. 82). So stellt in der Praxis der Einsatz zunehmend autonomer und vernetzter arbeitender Bordsysteme optimalerweise zwar eine risikomindernde Unterstützung dar, aber es gibt eine Kehrseite, die Charles Perrow bereits 1987 treffend so beschrieb: „Mit jeder automatischen Vorrichtung [...] wird zwangsläufig auch ein Restrisiko hinzugefügt“ (Perrow 1987, S. 179). Jede technische Neuerung birgt neue „Fehlermöglichkeiten“ (ebd.) in sich. An die Stelle der Annahme, der Bereich der Technik sei vollständig berechenbar und planbar, tritt so angesichts einer fortschreitenden technisch induzierten Komplexität „zunehmend das Bild eines unberechenbaren und risikohaften Systems“ (Böhle 2004, S. 15). Der Partner Technik bzw. dessen Arbeitsbeitrag erweist sich als nicht durchweg verständlich bzw. durchgängig vertrauenswürdig. Das Unplanbare im Normallauf Das Unplanbare wird gemäß Böhle (2004, S. 19) „gerade dort virulent, wo geplant wird und die Herstellung von Planbarkeit als notwendig und möglich eingeschätzt wird“. Schulze und Carus (1995) verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der Kritischen Situation (vgl. auch Schulze 2001, S.67ff). In dem Forschungsprojekt Computergestützte erfahrungsgeleitete Arbeit – CeA (1995) ging es zentral um die Frage, inwiefern die in der Produktionsarbeit eingesetzte Technik den heutigen und zukünftigen „Anforderungen an eine flexible Produktion mit hohen Qualitätsstandards entspricht“. Es zeigt sich, dass es nicht ausreicht, hierbei lediglich die Arbeitsorganisation und die Qualifikation der Arbeitskräfte an die vorhandene Technik anzupassen. Als „zentrale Schwachstelle“ erweist sich die Konzeption der eingesetzten modernen CNC-Werkzeugmaschinen. Diese orientieren sich stark an der Logik bzw. Funktionsweise eines „Automaten“, der „eingerichtet, programmiert und in Gang gesetzt wird und ansonsten ohne wei-
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
teres menschliches Zutun das gewünschte Produktionsergebnis herstellt“ (Böhle 1995, S. 7). Die abgeschottete Bauweise der Maschinen lenkt und konzentriert die menschliche Arbeit mehr auf die Programmierung denn auf den Umgang mit der Werkzeugmaschine selbst. Dabei wird, gemäß dem Leitbild der Verwissenschaftlichung, davon ausgegangen, dass es möglich ist, eine Programmierung auch unabhängig von der praktischen Durchführung von Arbeitsschritten an der Maschine zu erstellen, nach der Maxime: „Wenn das Programm erstellt ist, läuft die Bearbeitung automatisch ab“ (Böhle 1995, S .8). In den Untersuchungen im Projekt CeA (und auch schon in früheren Untersuchungen) erwiesen sich hier jedoch die Kritischen Situationen als höchst bedeutsam. „Unter kritischen Situationen werden […] solche Situationen verstanden, die in ihrem Auftreten und Verlauf im voraus nicht exakt erfaßbar und planbar sind. Kritische Arbeitssituationen zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht durch regelartige Verknüpfungen in der Form von Algorithmen zwischen definierten Ist- und Sollzuständen bewältigen lassen“ (Schulze, Carus 1995, S. 31). Demzufolge ist eine lückenlose Planbarkeit der Abläufe nicht möglich – höchstens unter vollständig einflussreduzierten bzw. einflussregulierten Laborbedingungen. Die Vielzahl und Komplexität unterschiedlichster nicht oder nur begrenzt kontrollierbarer Einflussfaktoren bedingen reale Situationen, die sich in ihrem konkreten Zustand nicht vorhersagen lassen. Wichtig ist hierbei der Hinweis, dass derartige Situationen in Verbindung mit einer durchaus geordneten und vorab geplanten Prozessstruktur auftreten (Böhle 2004, S. 20) und gerade nicht eine insgesamt komplex-chaotische Situation beschreiben. Vielmehr ist die Planung hier im Großen und Ganzen sogar erfolgreich, beinhaltet allerdings – wenn auch nur kleine – „Abweichungen“ (ebd., S. 19), welche jedoch „unerwartet sowohl hinsichtlich ihrer sachlichen Ausprägung als auch ihres Zeitpunktes“ (ebd., S. 20) auftreten. Obwohl es sich zunächst um völlig unwesentliche minimale Abweichungen in den Prozessabläufen handelt, stellen „Kritische Arbeitssituationen […] eine Art Störgröße dar, die potentiell eine automatisierte Bearbeitung unterbrechen, abändern oder gefährden“ (Schulze, Carus 1995, S. 31). Zu einer sich „anbahnenden Störung“ (Böhle 2004, S. 19) kommt es, sobald sich diese Abweichungen kumulieren und gegenseitig verstärken. Hierin liegt der deutliche Unterschied zu „Störungen und Unfällen, die durch plötzlich auftretende Fremdeinwirkungen oder Ausfälle entstehen – wobei allerdings die Grenzen oft fließend sind“ (ebd.). Kritische Situationen sind daher durch eine „prozesshaftdynamische Entwicklung“ (ebd.) gekennzeichnet. Somit wird deutlich, dass „mit
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
61
fortschreitender Verwissenschaftlichung technisch-organisatorische Prozesse sich zwar planen lassen und Planbarkeit herstellbar ist, zugleich aber immer ein Rest von Unwägbarkeiten bleibt – nicht abgegrenzt ‚außerhalb‘ des Geplanten, sondern ‚in‘ dem, was geplant wird und planbar erscheint“ (ebd.). Systematik und Topologie Kritischer Situationen Um den Gegenstand der Kritischen Situation genauer zu definieren und schließlich eine Topologie dieser Situationen zu erstellen, erfassten Schulze und Carus (1995) im CeA-Projekt potenzielle Kritische Situationen zunächst hinsichtlich ihrer Spezifika in den Prozessphasen der Vorbereitung, der Prozesslenkung und der Prozessauswertung (Schulze, Carus 1995, S. 30). Mit diesem „Ordnungs- oder Kategorienschema zur Einordnung und Verortung von kritischen Arbeitssituationen […], die einer exakten Voraussage des Zerspanungsprozesses und seiner automatischen Regulierung entgegenstehen“ (ebd., S.31), soll es möglich werden, die Grenzen der Vorausplanung und vollautomatisierter Abläufe gezielt herauszuarbeiten und aufzuzeigen (vgl. ebd., S. 31).69 Darauf basierend wurden die den erfassten Kritischen Situationen „zugrundeliegenden Merkmalsstrukturen […] in einer abstrahierten Weise abgeleitet“. Damit wird es möglich, Kritische Situationen systematisch anhand des so erstellten Ordnungsschemas zuzuordnen. Unterschieden wird – grob gesagt – in den Arbeitsprozess bedingende Faktoren und die Aufgabe der Prozessführung selbst. Die Bedingungen sind einerseits sämtliche auf die Fertigung bezogenen Qualitätsanforderungen und andererseits die Maßgaben bzw. Beschränkungen durch den Zustand der Fertigungsmittel (z.B. Materialart und -beschaffenheit). Die Prozessführung wiederum unterliegt diesen genannten Bedingungen. Es müssen daher sowohl vor Prozessbeginn – also bei der Festlegung und Einstellung von Bearbeitungsfolgen etc. – als auch während des laufen-
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In der Phase der Prozessvorbereitung offenbaren sich Kritische Situationen u.a. bei der Übernahme der relevanten Unterlagen, der Bestimmung von Fertigungsmaßen oder der Festlegung der Bearbeitungsschritte. Die Phase der Prozesslenkung umfasst als potenzielle Quellen Kritischer Situationen den Moment der Erfassung und der Reaktion auf Veränderungen im maschinellen Zerspanungsablauf, die Erfassung und Vermeidung von Maßabweichungen oder einen Werkzeugwechsel. Schließlich finden sich Kritische Situationen auch in der Phase der Prozessauswertung, hier vor allem in der Erfassung und Kompensation von Maßveränderungen, der Erfassung und Kompensation von Werkzeugverschleiß und in der Dokumentation der Arbeitsergebnisse (vgl. Schulze, Carus 1995, S. 39f).
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
den Prozesses – bei Veränderung bzw. Modifikation der maschinellen Bearbeitung – notwendige Maßnahmen der Prozessführung getroffen werden. Die Zusammenhänge zusammenfassend: „Grundlage der Entscheidung über Maßnahmen zur Prozeßführung sind also die vorgegebenen Fertigungsmaterialien und die Qualitätsanforderungen. Maßnahmen der Prozeßführung müssen in den Bearbeitungsphasen Prozeßvorbereitung, -lenkung und -auswertung auf die jeweilige Konstellation der Faktoren in den vorgegebenen Bereichen hin abgewogen und abgestimmt werden“ (Schulze, Carus 1995, S. 44). Um die Zuordnung entsprechender Maßnahmen in der Prozessführung nach Ausmaß bzw. Charakteristik der Bedingungen im Hinblick auf Kritische (Arbeits-) Situationen kenntlich zu machen, verwenden Schulze und Carus folgende Darstellung (Schulze, Carus 1995, S. 45).
Komplexe Zerspanung
I geringe Anforderungen an Qualität
II Qualitätsanforderungen
III
Hohe Anforderungen an Qualität
IV
einfache Zerspanung
Abbildung 1:Maßnahmen in der Prozessführung im Hinblick auf Kritische Arbeitssituationen (vgl. Schulze, Carus 1995)
2.2 Der Wandel der Pilotentätigkeit
63
Dabei werden die Bedingungen der Fertigung (Fertigungsmittel und Qualitätsanforderungen) als Achsen in einem Koordinatensystem dargestellt. Je nach Situation (vergleichbar einer Koordinate im Schaubild) ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Kritischen Situation unterschiedlich. So ist in Segment II (mit einer hohen Anforderung an Qualität und unter der Bedingung einer komplexen Zerspanung) am ehesten mit Kritischen Situationen zu rechnen, in Segment III hingegen am wenigsten, d.h. hier ließe sich am ehesten eine automatisierte Prozessbearbeitung durchführen. Die Segmente I und IV liegen dazwischen und haben eine mittlere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Kritischen (Arbeits-) Situationen. Bedeutsam erscheint den Autoren insbesondere das Segment II, da hier die „Grenze für eine vorweg geplante und vollautomatisch ablaufende Bearbeitung“ (Schulze, Carus 1995, S.47) am deutlichsten in Erscheinung tritt. Vor allem in diesem Abschnitt, aber auch in den Segmenten I und IV werden der menschliche Bediener und die Leistungen seiner qualifizierten Facharbeit bedeutsam (vgl. ebd., S.47). Neue Anforderungen entstehen In den bereits erfolgten Untersuchungen in Arbeitsbereichen der industriellen Produktion zeigt sich, dass mit der Abkehr von der tayloristischen Rationalisierung – und damit einer Abkehr von der Konzentration dispositiv-planerischer Tätigkeiten in organisatorischen Abteilungen – fachübergreifende Kompetenzen zunehmend und grundsätzlich bedeutsam werden. Gemäß Böhle (Böhle 2004, S. 29) „fällt nun den Arbeitskräften – im Prinzip – auf allen Ebenen die Aufgaben und Verantwortung zu […], den sachgerechten und effizienten Ablauf zu gewährleisten“. Eine ganz wesentliche neue Anforderung entsteht. Denn nicht nur die Planung, sondern auch das Unplanbare muss bewältigt werden. Das heißt konkret, dass „es hier nicht nur um ein Mehr an planend-dispositiven Aufgaben, sondern vor allem auch um ein Mehr an Verantwortung für die Bewältigung der in laufenden Prozessen auftretenden Unwägbarkeiten geht“ (ebd., S. 30). Dass ein Eingreifen des menschlichen Bedieners einer hochautomatisierten Anlage erforderlich wird, wenn es zu konkreten Störfallen kommt, ist naheliegend (vgl. Weyer 2008b, S. 242). Dass dies jedoch auch im Normalfall notwendig ist, noch lange bevor Abweichungen bzw. Unwägbarkeiten sich zu Störungen entwickeln, ist lange Zeit
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
viel weniger beachtet worden. Insbesondere erfahrene Facharbeiter scheinen hierbei „zu wissen, DASS es Unwägbarkeiten gibt, ohne zu wissen, mit WELCHEN demnächst zu rechnen ist“ (Bauer et al. 2006, S. 65). „Dieses Hintergrundwissen um die potentielle Existenz von Unwägbarkeiten “ (ebd., S.65) ist jedoch für die kompetente Arbeit mit dem technischen System insofern notwendig, als es den menschlichen Bediener befähigt, in z.T. zeitkritischen Situationen angemessen zu handeln. Und obwohl diese Kompetenz aufgrund der zunehmend fachübergreifenden Arbeitsaufgaben deutlich an Bedeutung gewinnt, wird dies von offizieller Seite oftmals „weder als Anforderung definiert noch honoriert“ (Böhle 2004, S. 34). Bauer et al. erklären die insbesondere im sog. Normallauf vorkommenden Unwägbarkeiten: „An- und Abfahrroutinen, die im Gegensatz zu unvorhergesehenen Störungen ja geplant durchgeführt werden und deren Ablauf von einer Vielzahl von Betriebsanweisungen abgedeckt ist, kennzeichnen sich […] als Vorgänge mit erwarteten Unwägbarkeiten und weder vollständig planbaren noch umfassend beschreibbaren Situationen. Störungen sind eher die Ausnahme. Dies resultiert […] aus der ‚erfolgreichen‘ präventiven Vermeidung von Störungen“ (Bauer et al. 2006, S.60). Der kompetente und erfahrene Facharbeiter sieht sich folglich mit der besonderen Anforderung konfrontiert, Unwägbarkeiten adäquat zu beherrschen – und zwar im besten Fall, bevor sich daraus eine Störung ergibt. In Bezug auf ein offiziell nach wie vor vorherrschendes, „eher technikzentriertes Rationalisierungskonzept mit engem Aufgabenzuschnitt“ erklären Böhle und Rose dazu (1992, S. 56): „Dieses stößt jedoch in seiner praktischen Realisierung auf Grenzen, mit der Folge, daß eher verdeckt und ungeplant Anforderungen an die Überwachung und Steuerung der Produktionsprozesse entstehen, die von den Anlagenfahrern bewältigt werden müssen, ohne daß dies in der Auslegung der technischen Systeme, der Arbeitsorganisation und des Personaleinsatzes berücksichtigt wird.“ Vorliegende Arbeit knüpft an diese Feststellungen an und sucht nach entsprechenden Hinweisen im Bereich der Arbeit von Piloten. Denn auch die moderne Cockpitarbeit unterliegt gewissermaßen einer Abkehr von der tayloristischen Arbeitsteilung. Wie bereits erläutert, wurden die zuvor auf eine bis zu fünfköpfige Crew verteilten Aufgaben auf die beiden verbliebenen Piloten übertragen. Nachdem der Pilot von heute also bei weitem nicht mehr nur für die Steuerung des Flugzeugs verantwortlich ist, sind auch hier fachübergreifende Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig und werden angewandt. Wie die oben angerissene technische
2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
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Entwicklungsgeschichte des Cockpitarbeitsplatzes zeigt, sind heute neben fliegerischen Fertigkeiten Kompetenzen im Bereich organisatorischer Planung, ein ökonomisch sinnvolles Management, technische Programmierungen u.a.m. erforderlich. Ebenso unterschiedlich, wie sich die Inhalte des Aufgabenspektrums eines Piloten lesen, werden vermutlich die ihn im Normallauf hierbei konfrontierenden Unwägbarkeiten im Arbeitsvollzug (durch unvorhersehbare Grenzen der Planbarkeit und die Notwendigkeit der technischen Beherrschung) im Sinne Kritischer Situationen sein. Allerdings gibt es für den Bereich der Verkehrsluftfahrt bzw. die Arbeit von Piloten zwar ausreichend Analysen zu den bekannten Gefahren der Cockpitautomatisierung, jedoch fehlen konkrete Untersuchungen, welche das Auftreten von Unwägbarkeiten bzw. Grenzen der Planbarkeit in hoch technisierten Abläufen innerhalb des Normallaufs fokussieren. Zudem ist der Luftverkehr durch die Charakteristika einer sog. dynamischen Umwelt (Grote 2009c, S. 83) gekennzeichnet. Statt dem Versuch, potenzielle Unsicherheiten bzw. Grenzen der Kontrollierbarkeit durch „komplexe, zentrale Planungssysteme und eine Reduktion operativer Handlungsspielräume durch Reglementierung und Automatisierung […] ‚wegzuplanen‘“, kann hier lediglich die Strategie der Bewältigung von Unsicherheiten zum Erfolg führen (vgl. ebd., S.83) – und dies insbesondere im hier fokussierten Normallauf, der ja reibungslos zu funktionieren scheint. Ob es in der Arbeit von Piloten zu Herausforderungen in Form von Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik kommt, ist angesichts der, im Vergleich zur Prozessleitindustrie unkontrollierbareren Einflussfaktoren (das Flugzeug bewegt sich in einer dynamischen Umwelt), eine interessante, bislang nicht untersuchte Frage.
2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung Trotz anhaltender Bestrebungen, zu einem pilotenlosen Flugverkehr zu kommen, und entsprechender Visionen verweisen die Prognosen aus der bisherigen Forschung darauf, dass der Mensch noch eine Rolle spielt. Bezugnehmend auf die Frage, was der Pilot (überhaupt) noch macht, wird gemäß der aktuellen Forschungslage deutlich, dass dieser – ähnlich wie menschliche Bediener vieler anderer hoch technisierter Systeme – notwendig bleibt. Und dabei ist seine Rolle
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
nicht etwa bedeutungsloser geworden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zusammenfassung mehrerer einst voneinander getrennter Arbeitsbereiche (Fünf-MannCockpit) in die Funktionen der zwei verbliebenen Piloten im Cockpit wurde nicht zuletzt möglich durch die Etablierung zunehmend ausgefeilter, mitunter autonom agierender technischer Systemkomponenten an Bord. Diese sehr komplexen technischen Systeme wie auch die Vielzahl einflussnehmender Faktoren in einer stets dynamischen Umwelt erfordern gut ausgebildete Piloten mit einer hohen Bandbreite an Qualifikationen. Unklar bleibt bislang jedoch, wie die Rolle des Piloten konkret aussieht bzw. angesichts weiterer technischer Neuerungen in naher Zukunft aussehen wird. Denn die momentane Situation scheint eine Art konfuse Übergangsphase darzustellen, in der Mensch und Technik in noch nicht eindeutig geklärter Weise neben- und miteinander im Cockpit kooperieren. Das Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft erscheint – angewandt auf den Cockpitarbeitsplatz – geeignet, das Arbeitsverhältnis menschlicher und technischer Komponenten im Arbeitsprozess zunächst einmal grundsätzlich zu erfassen und zu beschreiben. Angesichts zunehmend automatisierter Systemkomponenten stellt sich die Frage, wie die Anforderungen konkret aussehen, mit denen sich ein moderner Pilot dabei konfrontiert sieht. Von wesentlicher Bedeutung ist es daher, klar zu definieren, welchen Anteil am Flugprozess der Mensch und welchen die Maschine tatsächlich übernimmt. Im empirischen Teil dieser Arbeit wird dies analysiert. Die Gefahren einer hohen Cockpitautomatisierung sind vielfältig dokumentiert, ebenso die Un- und Vorfälle aufgrund unterschiedlichster Ursachen. Bislang zu wenig beachtet werden jedoch Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik im Normallauf. Somit wird die Frage „Was macht ein Pilot?“ noch um einen Teil erweitert, der bislang nicht im Zusammenhang mit der Frage „Wer oder was fliegt ein Flugzeug?“ diskutiert wurde. Vernachlässigt wurde nämlich, ob der Kooperationspartner Technik verlässlich funktioniert bzw. inwiefern sich (ungeplante) Grenzen der Technik in hochtechnisierten Abläufen zeigen. Diese Frage greift das Konzept der Unwägbarkeiten der Technik auf. Hierzu werden die Befunde aus industriesoziologischen Untersuchungen (vgl. Böhle 2004; Böhle, Rose 1992) herangezogen. Insbesondere der Umstand, dass erfahrene Facharbeiter an hoch technisierten Systemen durchaus mit Kritischen Situationen rechnen und diese erfolgreich beherrschen, bevor daraus überhaupt eine Störung resultiert, ist
2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
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für vorliegende Untersuchung wegweisend. Hier anzusetzen ist der Kernpunkt für die weiteren Analysen der empirischen Untersuchung. Indem die Frage gestellt wird, wie Pilot und Technik die Herausforderungen des Arbeitsalltags – insbesondere auch Kritische Situationen im Normallauf – kooperativ meistern, soll eine Zusammenführung der Konzepte der Verteilten Handlungsträgerschaft und der Kritischen Situationen gelingen. Die nachfolgend aufgeführten Fragestellungen sind leitend für die empirische Analyse. Es sind hier alle leitenden Fragestellungen aufgeführt (auch diejenigen, welche den zweiten Teil vorliegender Arbeit betreffen), um die Gesamtstruktur der Arbeit und die aufeinander aufbauenden Fragestellungen deutlich zu machen. ▪
In welcher Weise treten im Flugverkehr – als einem System Verteilter Handlungsträgerschaft – Grenzen der Planbarkeit und/oder Unwägbarkeiten technischer Abläufe in Form von Kritischen Situationen auf? Die Aufmerksamkeit richtet sich auf den Normallauf.
Bislang geht die Thematisierung von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten technischer Systeme in der Luftfahrt über eine grundsätzliche Ebene kaum hinaus. Außer der von Weyer in den 1990er Jahren getroffenen Feststellung über die grundsätzliche Unsicherheit technischer Systeme im Luftverkehr liegen hierzu bisher keine systematischen Untersuchungen vor (Weyer 1997). Geraten Unsicherheiten der Technisierung in den Blick, richtet sich dies hauptsächlich auf spektakuläre Störungen und Unfälle und kaum auf die alltäglichen Unwägbarkeiten im Normallauf, die durch Piloten erfolgreich bewältigt werden. Doch, so die These, diese spektakulären Ereignisse stellen nur die Spitze des Eisberges der Unwägbarkeiten dar. Eine detaillierte Untersuchung und Kenntnis der Grenzen der Planbarkeit und der Art und Weise, wie diese sich im Flugverkehr zeigen, fehlt. Weder für den Flugverkehr noch für hoch technisierte Verkehrssysteme im Allgemeinen können bislang Kriterien benannt werden, welche Situationen kennzeichnen, in denen innerhalb des geregelten Normallaufs Grenzen der Planbarkeit und Grenzen technischer Beherrschung in Form von nicht eliminierbaren Unwägbarkeiten auftreten.
68 ▪
2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
Welche Konstellationen Kritischer Situationen ergeben sich im Kontext Verteilter Handlungsträgerschaft? Wie beeinflussen sie dabei die Kooperation von Mensch und Technik im Sinne der Verteilten Handlungsträgerschaft?
Das moderne Flugzeugcockpit ist durch seine hochtechnisierten Bordsysteme repräsentativ für einen Arbeitsplatz, an dem Mensch und Technik im Arbeitsprozess zusammenwirken. Kritische Situationen sind in der Arbeit von Piloten alltäglich und müssen in ihrer jeweiligen Ausprägung adäquat bewältigt werden. Aus techniksoziologischer Sicht interessiert zunächst, inwiefern sich die Arbeitssituationen im Flugprozess nicht nur hinsichtlich einer Verteilten Handlungsträgerschaft, sondern auch im Hinblick auf das Auftreten Kritischer Situationen kategorisieren lassen. Die unterschiedlichen Konstellationen Kritischer Situationen müssen durch Mensch und Technik bewältigt werden. Bestimmte Voraussetzungen beeinflussen dabei die Kooperation. Noch unerforscht sind neben den Auswirkungen der Kritischen Situationen auf die Mensch-Technik-Interaktion im Sinne einer Verteilten Handlungsträgerschaft die Einflüsse durch den Grad der technischen Autonomie der bedienten Bordsysteme. ▪
In welcher Weise sind zur Bewältigung dieser Situationen zusätzliche menschliche Leistungen notwendig, die neben Fachwissen und planmäßigrationalem Handeln sowie Routine andere erfahrungsbezogene und informelle Formen des Wissens und Handelns beinhalten?
Diese Frage wird im zweiten Teil vorliegender Arbeit untersucht. Für die empirische Untersuchung des ersten Teils ergibt sich der im Folgenden ausgeführte, in Untersuchungsschwerpunkte untergliederte Aufbau.
Der Cockpitarbeitsplatz – Pilot und Technik in einem System Verteilter Handlungsträgerschaft Es ist vorgesehen, das Aufgaben- und Qualifikationsprofil des Piloten zunächst gemäß den offiziellen Vorgaben zu betrachten. Eine Arbeitsplatzbeschreibung und die Darstellung eines exemplarischen Arbeitsablaufs dienen der Zielsetzung,
2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
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das Ausmaß und die Bedeutung technischer Systemelemente im Cockpit aufzuzeigen. Bereits in der Voruntersuchung zeigte sich, dass Piloten den Flugprozess zwar an gewissen Standards orientiert durchführen, jedoch kreative Gestaltungsräume verbleiben, denen kein offizielles Verfahren zugeordnet werden kann. Das Anliegen dieses Schwerpunktes ist es, ein realistisches Abbild des Cockpitarbeitsplatzes zu erstellen. Daher dient das Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft als Erfassungsgrundlage. Da die technische Einflussnahme auf die Arbeitsrolle des Piloten die Ausgangsfrage wesentlich mitbegründet, wurde darüber hinaus ein weiterer Schwerpunkt auf das von den Piloten subjektiv empfundene Kooperationsverhältnis von Pilot und Bordtechnik gelegt. In diesem Zusammenhang wird auch das persönliche Selbstbild der Piloten (von ihrer Rolle) und das Bild bzw. die Rolle, die sie der Technik zuschreiben, erfasst. Insbesondere dienstältere Piloten werden hierbei speziell zu den Veränderungen durch Technisierung und Automatisierung befragt. Im Hinblick auf das Anliegen, die Kooperation zwischen Mensch und Technik zu erfassen, ist eine reine Beobachtung und Darstellung der Arbeitsabläufe im Flugprozess weder aussagekräftig noch weiterführend. Erst die subjektive Einschätzung des Piloten, wie die Arbeit mit und an den technischen Systemen verläuft, kann Aufschlüsse über die Kooperation von Mensch und Technik geben und für die anschließenden Untersuchungsschwerpunkte als Grundlage verwendet werden.
Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik – Identifizierung Kritischer Situationen Entgegen der herkömmlichen Auffassung, Technisierung sei grundsätzlich eine verlässliche und kalkulierbare Größe im Arbeitssystem Cockpit, wird hier die These zugrunde gelegt, dass es in hoch technisierten komplexen Systemen laufend zu Grenzen der Planbarkeit und technischen Unwägbarkeiten kommt, die durch kreativen menschlichen Einsatz bewältigt werden müssen. Bei der Interaktion und Kooperation mit technischen Systemen kann sich der Mensch folglich nicht darauf verlassen, dass sich die Technik vollständig berechenbar und planbar verhält. Es treten daher in der Praxis Anforderungen an menschliche Arbeit auf, die neben den im Rahmen der Verteilten Handlungsträgerschaft definierten Aufgaben virulent werden. Sie ergeben sich aus Wirkungs-
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2 Die Arbeit von Piloten – Stand der Diskussion
zusammenhängen, die weder präzise bekannt noch vollkommen erfassbar und damit formalisierbar sind. Sie weisen eine Charakteristik auf, wie sie in neueren arbeits- und techniksoziologischen Untersuchungen als Kritische Situationen bezeichnet werden. Kritische Situationen entstehen demnach aus Einflussgrößen, die im Stadium der Planung nicht oder nicht vollständig bekannt sind, sowie durch die Komplexität von Einfluss- und Wirkungszusammenhängen, die sich in ihrer konkreten Konfiguration nicht vollständig vorhersehen und kontrollieren lassen (vgl. Böhle 2004). In dieser Perspektive fokussiert dieser Untersuchungsschwerpunkt: Unwägbarkeiten in Form Kritischer Situationen im ‚Normallauf‘ In der bisherigen Diskussion werden im Flugverkehr – wenn überhaupt – Unwägbarkeiten und menschliche Eingriffsnotwendigkeiten in technische Systeme am ehesten für Start-, Lande- und explizite Gefährdungssituationen angenommen. Sowohl anknüpfend an Befunde in der industriellen Produktion als auch an die eigenen Vorarbeiten werden in der vorliegenden Arbeit Unwägbarkeiten im Flugverkehr jedoch gerade auch in überwiegend standardisiert ablaufenden Flugprozessphasen im regulären Normallauf vermutet. Ein weiterer Schwerpunkt der Begleitung von Flugvorbereitungen und Flügen liegt demnach darauf, Situationen herauszufiltern, welche Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik im Normallauf offenbaren. Die erfassten Kritischen Situationen sollen aus einer techniksoziologischen Sicht analysiert, differenziert und schließlich klassifiziert werden. Die Differenzierungsmerkmale werden dabei auf den Bereich der Cockpitarbeit abgestimmt. Ziel ist es, unter Beachtung der wesentlichen situativen Bedingungen im Flugprozess eine Topologie Kritischer Situationen zu erstellen. Gelingt eine derartige Klassifizierung, ließe sich damit eine Art ‚Auftretenswahrscheinlichkeit‘ Kritischer Situationen – je nach situativer Konstellation der Bedingungsfaktoren – für den Normallauf ableiten.
Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag – Konzeptzusammenführung In der Zusammenführung beider Konzepte gelingt es, die Frage, was ein Pilot macht bzw. was seine tatsächlichen Anforderungen sind, unter Beachtung der
2.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
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realistischen Bedingungen im Flugprozess noch konkreter zu beantworten. Erst unter Einbezug aller situativen Herausforderungen – und dieses sind neben den bekannten Gefahren der Cockpitautomatisierung auch die bislang wenig beachteten Kritischen Situationen im Normallauf – kann die Rolle des Piloten und seine Bedeutung im Flugverkehr richtig eingeschätzt werden. Bei Berücksichtigung der funktionalen Verwobenheit menschlicher und technischer Aufgabenerfüllung (Verteilte Handlungsträgerschaft) stellt sich die Frage, wie die Kooperation bei der Bewältigung Kritischer Situationen im Normallauf konkret erfolgt. Der in diesem Teil fokussierten Frage, was der Pilot macht, schließt sich im zweiten Teil die Frage an, wie er dies macht. Hinweis zur Methodik der empirischen Untersuchung Das Untersuchungsdesign der empirischen Erhebungen beruht auf Methoden konzeptuell geleiteter, explorativer, qualitativer empirischer Forschung. Dieses methodische Vorgehen wurde gewählt, da über das empirische Feld noch vergleichsweise wenige Kenntnisse vorliegen und es vor allem um einen möglichst detaillierten Einblick in die relevanten empirischen Sachverhalte geht. Erst auf dieser Basis war es möglich, bestimmte empirische Phänomene zu verdichten und zu systematisieren, so dass sie einer quantitativ repräsentativen Erhebung und einer thesengeleiteten Überprüfung zugänglich werden.70 Zur näheren Beschreibung des Untersuchungsansatzes und des methodischen Vorgehens: siehe Anhang.
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Vgl. hierzu auch Kardorff et al. 2008; Przyborsky, Wohlrab-Sahr 2009.
3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz – Pilot und Technik in einem System Verteilter Handlungsträgerschaft Als systematischer Einstieg in die Thematik des ersten Untersuchungsschwerpunktes werden der Arbeitsplatz und das Aufgaben- und Qualifikationsprofil des Piloten unter Bezugnahme auf das techniksoziologische Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft in den Blick genommen. Es soll damit der konkreten Frage nachgegangen werden, welchen Anteil des Flugprozesses die technischen Systeme gemäß den offiziellen Beschreibungen übernehmen und welcher Anteil demnach dem Piloten zugedacht ist – und wie dieser dabei den Vorgaben gemäß vorzugehen hat. Als wesentlich wird dabei die Zunahme der Technisierung erachtet, weshalb gezielt der Vergleich zwischen hoch technisierten und wenig technisierten Cockpits fokussiert wurde. Die Kernfrage lautet: „Was macht der Pilot (überhaupt) noch? Was sind seine konkreten Anforderungen – angesichts der fortgeschrittenen Technisierung?“ Teil A – 2.1 lieferte bereits Hinweise auf die Merkmale eines modernen Flugzeugcockpits. Die Anwendung des Konzepts der Verteilten Handlungsträgerschaft soll dazu dienen, den Arbeitsalltag eines Piloten hinsichtlich des Einflusses technischer Aktivitäten auszuleuchten. Damit kann „speziell in sozio-technischen Konstellationen der Frage nachgegangen werden, wie viel Handlungsträgerschaft die jeweiligen Instanzen im Gesamtkomplex der Aktivitäten übernehmen“ (Schubert, S. 63). Dabei beziehen sich die nachfolgenden Analysen ausschließlich auf den sogenannten „Normallauf“ im Arbeitsalltag von Piloten. Gerade der Flugverkehr bietet ein geeignetes Forschungsfeld, um den alltäglichen, d.h. „normal ablaufenden“ Umgang menschlicher Bediener mit hoch technisierten Systemen zu untersuchen. Ein Blick in das moderne Cockpit genügt, um die immense Einflussnahme technischer Systeme auf den Flugprozess abschätzen zu können.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_3
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
3.1.1 Arbeitsplatz Cockpit – Was hat sich verändert? Insbesondere die Arbeit mit, an und neben technischen Systemen und deren Abläufen hat sich mit dem technischen Fortschritt gewandelt. Zwar sind die Anfänge der Fliegerei zu lange her, als dass es heute noch aktive Piloten gäbe, die in ursprünglichen Cockpits Erfahrungen gesammelt haben könnten. Jedoch beginnen Piloten ihre Ausbildung auf einmotorigen Ausbildungsflugzeugen, deren Technisierung im Wesentlichen auf dem gleichen Stand wie vor 60 Jahren liegt. Dies und das Wissen um die Ausstattung früherer Verkehrsmaschinen erlaubte es den befragten Piloten, sich in die Aufgaben ihrer Vorgänger hineinzudenken. Dabei entstand ein lebendiges Bild der Arbeit von Piloten vor und nach der Eroberung des Cockpits durch hoch technisierte Systeme. Die Besichtigung zeitgemäßer Cockpits und die Erläuterung wesentlicher – als unverzichtbar bewerteter – Funktionen technischer Komponenten durch die Piloten zeigte den Wandel der Pilotentätigkeit in aller Deutlichkeit. Das enorme Ausmaß technischer Elemente und dazugehöriger Schnittstellen wird von den Piloten für ihre Arbeit heute als selbstverständlich angesehen. Verkehrsfliegerei in einer wenig technisierten Form scheint geradezu unvorstellbar geworden zu sein. Der grundsätzliche Aufbau eines Cockpits war und ist bei allen Modellen prinzipiell der gleiche, ebenso der erste Eindruck für den Laien. Ein Cockpit ist ein relativ enger, niedriger Raum mit einer Vielzahl unterschiedlicher Monitore, Schalter, Hebel, Anzeigen etc. Die Sitze der Piloten befinden sich direkt vor den vorderen und seitlichen Cockpitfenstern. Die Aussicht – bei einem parkenden Flugzeug – wirkt auf den Betrachter unerwartet eingeschränkt.
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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Abbildung 2: Cockpit einer Embraer 195. (Quelle Foto: „Air Dolomiti“ Embraer 195 entnommen: https://killerwal.com/von-der-business-class-auf-den-jumpseat-bei-air-dolomiti-erstflug-von-muenchen-nach-bergamo)
Jeweils vorne links sitzt der CPT der Crew. Neben ihm rechts sein FO. Daneben gibt es abhängig von der Flugzeuggröße noch ggf. einen nach hinten versetzten, mittig angebrachten Klappsitz für den dritten Piloten (SFO) bei Langstrecken sowie bis zu zwei weitere klappbare Sitze für Gäste im Cockpit. Die Sitzplätze der beiden aktiven Piloten verfügen über spiegelbildlich angeordnete Bedienungs- bzw. Eingabemodule und Anzeigen. Alle Bedienelemente/ Schalter können von beiden Sitzen aus erreicht werden. Die Steuerung erfolgt ebenfalls spiegelbildlich. Während der CPT mit der linken Hand steuert und mit der Rechten den Schubhebel bedient, verläuft die Eingabe beim FO entgegengesetzt. Modellabhängig erfolgt die Steuerung selbst über ein frontal angebrachtes Steuerhorn (BO, EM, CA) oder über seitlich (beim CPT links, beim FO rechts) angebrachte Sidesticks (AI). Im Unterschied zu konventionell ausgestatteten Flug-
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
zeugkanzeln wird im hoch modernen Glass-Cockpit71 bei Airbus auf eine synchrone Übertragung der Steuervorgänge in Form von spürbaren und sichtbaren Bewegungen des Sidesticks verzichtet. Weder die Flugaktionen des Autopiloten noch die des Kollegen werden beim Airbus heute noch, wie es früher der Fall war, auf beide Steuerelemente und Fußpedale übertragen. Sie können daher auch nicht mehr über taktiles Feedback wahrgenommen werden. Lediglich optische Anzeigen dienen dazu, den Piloten das Steuerverhalten des jeweils anderen aufzuzeigen. Bei den anderen Flugzeugtypen Boeing, Embraer und Canadair hingegen gibt es nach wie vor noch eine synchrone Übertragung der Steuerinputs. Insbesondere bei hoch technisierten Airbus-Maschinen verläuft die Steuerung zudem „nicht mehr so direkt. Das läuft alles erst über Computer. Man gibt dem Computer Inputs und der lenkt dann – nach seinen Maßgaben“ (FO; AI). Auf den Unterschied zu konventionellen, wenig technisierten Flugzeugmodellen angesprochen, erklärt ein CPT, früher habe man bei der Steuerung noch „richtig Bewegung (gehabt). Da brauchteste ordentlich Kraft bei Wetter, das Flugzeug stabil zu halten“ (CPT; BO). Dabei hat „der Flieger […] gehorcht – aber nicht mitgedacht“ (ebd.), was moderne Flugzeuge durch die sog. Flugkontrollcomputer jedoch längst tun. Hoch technisierte Flugzeuge „denken mit“ (ebd.), denn sie kontrollieren die vom Piloten gemachten Inputs auf Logik und Ungefährlichkeit und führen deren Anweisungen daher nur in den programmierten Limitationen aus. Hierbei können sich jedoch auch konfliktträchtige Situationen ergeben. Die komfortable Lösung, derer sich heutige Piloten gerne bedienen, nämlich in bestimmten Phasen des normalen Flugverlaufs den Autopiloten einzuschalten, gab es früher nicht. Daher hielt der Pilot sein Steuerhorn stets fest – ähnlich „wie ein Autofahrer, der lässt das Lenkrad beim Fahren ja auch nicht los“ (CPT; EM/CA). Die Pedale im Fußraum gibt es immer noch. Hiermit kann der Pilot durch Kippbewegung bremsen und durch Schieben das Seitenruder ansteuern, was 71
Ein Glass-Cockpit ist ein hochmodernes Cockpit, in welchem die relevanten Systemanzeigen in digitalisierter Form auf LCD-Anzeigen anzulesen sind. Im Gegensatz dazu werden ältere Cockpits mit entsprechend vielen analogen Anzeigen gerne als „Uhrenladen“ bezeichnet (Erklärung von CPT; BO). Genauer lässt sich bei Wikipedia nachlesen: “A glass cockpit is an aircraft cockpit that features electronic (digital) flight instrument displays, typically large LCD screens, rather than the traditional style of analog dials and gauges. While a traditional cockpit (nicknamed a "steam cockpit" within aviation circles) relies on numerous mechanical gauges to display information, a glass cockpit uses several displays driven by flight management systems, that can be adjusted (multifunction display) to display flight information as needed” (Quelle: Artikel “Glass cockpit” auf en.Wikipedia.org, 09.05.2016).
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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bei Landungen mit Seitenwind oder Triebwerksausfällen zur Kompensation des plötzlich auftretenden Quermoments benötigt wird. Mit der freien Hand bedient er dabei den Schubhebel und ohne zweiten Piloten auch alle anderen Bedienelemente wie z.B. Fahrwerks- oder Landeklappenhebel. Darüber hinaus mussten die Flieger der ersten Stunden natürlich den Luftraum ständig mit den Augen kontrollieren, da es dafür noch keine technischen Hilfsmittel gab. Die Fähigkeiten der Piloten im Umgang mit ihrem Flugzeug waren entscheidend. Je mehr Erfahrung ein Pilot hatte, desto leichter fiel ihm das Multi-Tasking an Bord. Im Vergleich zu heute waren die damaligen Piloten „noch mehr sowas wie Sportler“ (CPT; BO). Da war die „Bewegungsführung des Körpers“ beim Steuern „eng verbunden mit den Augen und Ohren“ (CPT; AI; W). Konzentration war damals und ist heute stets gefordert, jedoch lässt die temporäre Delegation der Flugführung an das technische System den Piloten „komfortable Verschnaufpausen“ (CPT; AI; W). Vor den Zeiten automatischer Flugführung „war nix mit Kaffeetrinken oder so“, denn „nur man selbst hatte es in der Hand. Da war man ständig am Tun, musste den Flieger gewissermaßen tragen. Da war man am Ende dann auch körperlich im Eimer“ (CPT; AI; W). Körperliche Anstrengungen beim Steuern eines Flugzeugs entstanden durch die mechanische Übertragung auf Seilzüge. Dies war keine leichte Aufgabe, musste doch das Flugzeug stabil durch sämtliche Wetterlagen gelenkt werden. Diese Balance zu halten „war ähnlich wie in einem Ruderboot bei starkem Seegang […] da war der ganze Körper involviert“ (CPT; BO). Heute hingegen gleicht das Flugzeug selbsttätig aus, wo früher noch „gerudert“ (CPT; BO) werden musste. Dass der Computer dies besser kann, erklären die befragten Piloten einstimmig. „Der Großteil der Kotztüten bleibt heute unbenutzt. Früher waren die Passagiere echt arme Schweine“ (SFO; AI). Während in den Anfängen demnach sensumotorische Fertigkeiten einen Großteil der benötigten Kompetenz darstellten, sind heute aufgrund der hauptsächlich visuell erfassbaren Informationen dagegen vermehrt wissensbasierte und kognitive Fähigkeiten gefordert (vgl. Berheide, Dörfel, Döring 1995, S. 61). „Du musst ja immer irgendwie parat haben, was die einzelnen Daten bedeuten, und das dann verbinden. Erst dann kriegt man ja ein Bild“ (CPT; AI; W). Durch die bewusste Delegation von Arbeitsabläufen und -entscheidungen an die Bordtechnik ergibt sich eine Qualifikationsverschiebung von überwiegend manuellen, z.T. körperlich schweren Tätigkeiten in konventionellen Flugzeugen hin zur Bedienung und
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Überwachung der nun dafür eingesetzten Systeme. Das so genannte Monitoring wird damit zu einer der zentralen Aufgaben, denn „die Anzeigen muss man eigentlich immer irgendwie im Blick haben […] das gehört zu den absoluten Hauptaufgaben“ (CPT; AI; W). Aus Redundanzgründen befinden sich in modernen Cockpits vier bis sechs baugleiche Bildschirme, die alle wichtigen navigatorischen und technischen Informationen darstellen können. Die ehemals zahlreichen Einzelinformationen sind damit nahezu alle in einer Art Black Box72, dem sog. Flight data indication and recording system zusammengefasst. Das Cockpit wirkt durch die wenigen Monitore „aufgeräumter“ (CPT; AI; W) und übersichtlicher. Da jeweils nur eine Darstellungsmaske pro Bildschirm einzusehen ist, hat sich der Umfang der ständig präsenten Anzeigen beträchtlich reduziert. Der Bordcomputer selektiert nun die Anzeigen nach Sinnhaftigkeit für die jeweilige Flugphase. So ist im Reiseflug beispielsweise die Fahrwerksanzeige bedeutungslos, also blendet das System diese aus. Auch eine Hydraulikpumpe, „die friedlich ihren Dienst verrichtet, braucht den Piloten nicht zu interessieren. Erst wenn da der Druck unter ein Minimum fällt, muss ich das erfahren“ (CPT; AI; W). Dadurch ist das Cockpit „jetzt besser im Blick […] Da ist nicht mehr so viel drin und man hat ein ruhigeres Auge“ (ebd.). Jedoch wird die Aufgeräumtheit auch als nachteilig empfunden, denn „man hat halt nun nicht mehr alle Anzeigen sofort da“ (ebd.), das sei früher besser gewesen. Da hatte man zwar „einen überfrachteten Uhrenladen mit etlichen Einzelanzeigen“ (ebd.). Was man heute im Monitor abrufen muss, war damals meist eine analoge Anzeige, „aber die [Anm.: die Anzeige] war halt dann da. Heute muss man erst mal danach suchen“ (ebd.). Das heißt, wünscht sich einer der beiden Piloten zusätzliche Informationen, „warum auch immer“ (ebd.), so muss er diese heute über die Menüfunktion im Bordcomputer selbst anwählen. Dabei macht es die komplexe Computeraufbereitung aufgrund der enormen wechselseitigen Verflochtenheit – was eine Unmenge an Informationsdetails impliziert – erforderlich, die Informationsdarbietung für die Piloten auf bestimmte Subsystemebenen zu reduzieren. Auf diese Weise können die tiefer liegenden Aufgliederungen von den
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Mit dem Begriff Black Box, ist hier nicht der an Bord befindliche Apparat gemeint, der für die Sammlung von Flugdaten bei einer potenziellen Unfallanalyse vorgesehen ist, sondern allgemein lt. Definition: „Als Black Box bezeichnet man in Kybernetik und Systemtheorie ein (möglicherweise sehr komplexes) System, von welchem im gegebenen Zusammenhang nur das äußere Verhalten betrachtet werden soll“ (Artikel „Black Box“, de.Wikipedia.org, Version 01.08.2015).
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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Piloten nicht mehr eingesehen werden, was von den Herstellern auch nicht als notwendig empfunden wird. Die Bordcomputer selektieren daher die Informationen vor und stellen nur die als erforderlich bewerteten Daten bereit (vgl. Hanke 2003, S. 87). „Man ist damit gewissermaßen darauf angewiesen, dem System zu vertrauen“ (CPT; AI; W). Damit einhergehend hat sich auch das Procedure (Verfahrensvorgabe) bei definierten Störfällen verändert, denn heute generiert der Bordcomputer selbst eine schrittgenaue Handlungsanweisung für die Piloten, während dies früher von der Cockpitcrew erarbeitet und festlegt werden musste. „Heute sagt Dir erst mal der Flieger selbst, wo es weh tut und was du dagegen tun sollst “ (SFO; AI). Auf die Frage, inwiefern man sich darauf denn verlassen könne, sind sich die Piloten „schon ziemlich sicher, dass das zutrifft“ (CPT; AI). Jedoch, so wird erklärt, sei es „immer gescheit“ (ebd.), also ratsam und vernünftig, die Plausibilität der Daten stets „mit allem, was du sonst noch hast“ (ebd.), sprich: allen zur Verfügung stehenden Mitteln, zu prüfen. Ein Kapitän erklärt, bei älteren Flugzeugmodellen sei der Flugingenieur noch der „Regelungskreis“ (CPT; BO) gewesen und habe das Monitoring der vielen Systeme übernommen. Die Piloten waren, wie auch heute, für die Flugführung verantwortlich. Sich verändernde Parameter oder Störungen konnten durch diese „Arbeitsteilung“ (ebd.) eher mal durch „die Lappen gehen“ (ebd.), jedoch hatten beide (Flugingenieur und Pilot) einen insgesamt tieferen Einblick in die Funktionsweise und das Verhalten des Flugzeugs und seiner Systeme. Die Zuverlässigkeit der Systeme reichte allerdings wiederum nicht an die der heutigen Geräte heran. So wurde beispielsweise die Superconstellation, das Interkontinental-Flugzeug der 1950er Jahre schlechthin, scherzhaft auch das beste dreimotorige Flugzeug genannt – obwohl es eigentlich vier Motoren hatte, denn es kam häufig auf der anderen Seite des Atlantiks mit nur noch drei funktionierenden Triebwerken an. Beim CPT links bzw. beim FO (spiegelbildlich) rechts befindet sich heute das PFD (Primary Flight Display), welches die essentiellen Informationen liefert, wie die Lage im Raum, Geschwindigkeit und Höhe. Im Falle eines Verlusts aller Hauptgeneratoren und des „Notstrombetriebs“ des Flugzeugs muss bzw. sollte das PFD des CPT funktionstüchtig bleiben (so geschehen bei der Notwasserung auf dem Hudson River), der CPT übernimmt dann automatisch die Steuerung. Die PFDs dienen den Piloten während des Flugprozesses zur ständigen Überprüfung des Flugzustandes und zum Abgleich getätigter Eingaben.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Die beiden Displays links des CPT-PFD bzw. rechts des FO-PFD sind die NDs (Navigations Displays). Sie stellen ähnlich wie beim Navigationssystem im Auto die Flugstrecke, Wegpunkte, Flughäfen, Gewitterzellen (Wetterradar) und andere Flugzeuge (TCAS) dar, meist auf dem 120-Grad-Ausschnitt einer Kompassrose. „Das sind die Dinge, die man früher nur durch Rausschauen gesehen hat – oder besser gehofft hat rechtzeitig zu erkennen [...] Sozusagen sind diese Informationen, grob gesagt, eine Erweiterung meiner Augen nach draußen“ (CPT; AI; W). Je nachdem, wie viele Bildschirme insgesamt verbaut sind (vier, fünf oder sechs), werden technische Informationen dargestellt oder können mit einer Maus oder Druckknöpfen aufgerufen werden. Auf den Bildschirmen 5 und 6 in der Mitte, den sogenannten SDs (System Displays), werden technische Systeminformationen dargestellt. Über den Bildschirmen befindet sich die FCU (Flight Control Unit), die für die Bedienung der verschiedenen Flightmodes, also für die unterschiedlichen „Flugführungsmöglichkeiten“ zuständig ist. Diese Flightmodes sind in laterale Modes, z.B. HDG (bestimmte Kursrichtung), NAV (einprogrammierte Flugroute), und vertikale Modes wie z.B. VS (Steigen/Sinken mit vorgegebener Vertikalgeschwindigkeit) bzw. ALT (Höhe halten) unterschieden. Der Laie versteht darunter im Prinzip den Autopiloten. Dieser kann einen eingegebenen Flugplan vollautomatisch in der sogenannten Managed-flight-Funktion abfliegen. Im Overhead Panel, der Konsole über den Köpfen der Piloten, befinden sich Schalter und Warnlampen der einzelnen Systeme, wie z.B. Hydraulik, Elektrik oder Pneumatik, die bei Normalbetrieb aufgrund der hohen Automatisierung kaum angefasst werden. In der Mittelkonsole zwischen den Piloten befinden sich der Schubhebel, der Landeklappenhebel, die Funkgeräte und die beiden MCDUs, Eingabegeräte mit Tastatur und kleinem Bildschirm zur Programmierung der Flugnavigations-Computer. Diese dienen auch zur Interaktion mit ACARS73, einem Datenkommunikationssystem zur Übermittlung von Nachrichten der Bodenstationen oder zum Hochladen von Flugplänen. Zudem gibt es meist an der Cockpit-Rückwand oder den Seitenwänden Sicherungen, welche aber mittlerweile mehr als Resetknöpfe 73
ACARS: Aircraft Communications Addressing and Reporting System. Dies ist ein von Aeronautical Radio Incorporated in den 1970er Jahren entwickeltes digitales Datenfunksystem zur Übermittlung von Nachrichten zwischen Verkehrsflugzeugen und Bodenstationen. Es erlaubt Fluggesellschaften die Kommunikation mit ihren Luftfahrzeugen mittels Austausch von einfachen Nachrichten und erspart so Funksprüche auf den besonders in Ballungsgebieten verstopften Sprechfunkfrequenzen (vgl. Artikel „ACARS“ auf de.wikipedia.org, Version 05.04. 2016).
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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für die vielen Computer an Bord zu verstehen sind. „Resets74 gehören heute zum täglichen Geschäft. Oft ist das die einzige Möglichkeit, den Flieger wach zu kriegen. So vorgesehen sind sie aber nicht […] Ein bisschen erinnert mich das immer an meinen ersten Fernseher. Da musste ich rechts oben dagegen hauen, damit überhaupt ein Bild erschien“ (CPT; AI; W). Der Großteil der Sicherungen ist im für den Piloten im Flug nicht zu erreichenden E+E Compartment, meist unterhalb des Cockpits, angebracht. Dort befinden sich auch die zahlreichen Computer. Die Einblicke in die besichtigten Flugzeugcockpits machen den immensen Einfluss technischer Komponenten am Arbeitsplatz eines Piloten deutlich. Die Schilderungen der Piloten vermitteln hierbei einen selbstverständlichen Eindruck davon, wie diese heute mit der Technik an Bord umgehen bzw. welch hohen Stellenwert die technischen Systeme einnehmen. Die Technik ist hierbei „nicht nur Hebel und Schalter“ (CPT; AI), sondern „Mitdenker“ (ebd.) und wird wie z.B. im Falle der „Hallo-wach-Resets“ (ebd.) auch als „gewissermaßen eigenwillig“ (ebd.) empfunden. Dabei bringt die moderne Cockpitgestaltung eine Verlagerung von den komplexen menschlichen Sinnen auf überwiegend visuell wahrnehmbare Signale mit sich (vgl. Weyer 1997, S. 247). Man gewinnt den Eindruck, dass Piloten heute sehr viel weniger bzw. kaum noch „richtig selbst fliegen, sondern mehr überwachen, programmieren und organisieren“ (CPT; AI; W). Das Fliegen selbst scheint dabei völlig neue Anforderungen hervorzubringen. Es wird erklärt: „Fliegen war mal eine sehr körperliche Arbeit. Das ist heute anders. Da arbeitet fast nur noch der Kopf“ (CPT; AI; W). Dabei reicht „die Systemkenntnis nicht mehr in die Tiefe. Kann ja auch gar nicht. Das wäre viel zu viel“ (CPT; AI; W). Piloten sehen sich heute daher vor allem mit einer bestimmten Art von Problemen konfrontiert: „Komplexe Fehler. Die werden zum echten Problem – auch wenn sie selten sind“ (CPT; EM/CA). Interessant ist die die Feststellung, dass der Trainings- und Lernaufwand umso größer empfunden wird, je höher der Grad der Technisierung ist. Die Piloten, welche einen Vergleich zwischen (meist älteren) Boeing-Maschinen und (hochmodernen) Airbus-Maschinen ziehen können, sind sich darin einig. Ein Kapitän – mittlerweile auf A 320 – erklärt dies mit folgenden Worten: „Ich muss immer noch, auch heute, deutlich mehr Zeit investieren, um auf dem Flieger [Anm.: 74
Reset (engl.): bedeutet Neustart, also Ausschalten und wieder Einschalten.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
A 320] fit zu bleiben. Und das ist manchmal schon frustrierend. Den Bobby [Anm.: Boeing 737], den haben wir relativ schnell verstanden – der ist ja auch einfach. Auch den Jumbo [Anm.: Boeing 747]. Den A 320, da muss man sich einfach abfinden, dass man das Systemverständnis, wie man es bei den anderen zwei Mustern hat, nie haben wird“ (CPT; AI; W). Der faktische Arbeitsaufwand wird heute in hochtechnisierten Zwei-MannCockpits von allen befragten Piloten weder höher noch niedriger als früher eingestuft, jedoch vom Anspruch an die Qualifikation her völlig anders eingeschätzt. Dies nicht nur wegen der höheren Technisierungsgrade der Bordsysteme, die im Störfall schwieriger zu handhaben sind bzw. „einfach hochkompliziert“ (CPT; AI; W) sein können, sodass „man natürlich erst mal durchsteigen muss, was ist da überhaupt los?“ (ebd.). Sondern auch „aufgrund der enormen Anzahl von Zusatzaufgaben, die dazugekommen sind. Rein fliegerisch ist es zwar weniger geworden, aber das haben ja auch andere erkannt und haben es sehr gut verstanden, das mit anderen Aufgaben aufzufüllen. Überproportional aufzufüllen“ (CPT; AI; W). Insbesondere die Flugmanagementaufgaben seien heute noch „on top“ (ebd.) zum eigentlichen Flugprozess zu erfüllen. „Wir sind ja auch kein Fünf-Mann-Cockpit mehr. Nur noch zwei. Egal wie toll die Technik da ist. Da muss man viel auffangen“ (CPT; BO). Die alltägliche Belastung ist dabei ganz unterschiedlich und reicht von „fast schon langweilig“ (SFO; AI) bis hin zu „Tagen, da sehnst du dich danach, endlich in den Reiseflug zu gehen, um da mal fünf Minuten Pause zu haben, und dann geht der Stress schon wieder weiter mit dem Anflug. Und du weißt dann schon, dass am Boden die Hölle auf dich zukommt. Ja, du weißt es schon“ (CPT; AI; W). Die Arbeitsbelastung heutiger Piloten ist nicht zu unterschätzen. So erfordern einerseits hohe Technisierungsgrade ein komplexes und weitreichendes Systemverständnis für die technischen Funktionen an Bord. Andererseits kommen zusätzlich zur eigentlichen Arbeit, das Flugzeug zu fliegen, heute Pflichten in Form flugorganisatorischer Arbeiten hinzu. Dies nicht zuletzt auch aufgrund der durch die technische Weiterentwicklung ermöglichten Reduzierung von vormals fünf auf nur mehr zwei „Mann“ im Cockpit. Die technischen Systeme haben an Bord gewisse Prozessschritte mittlerweile, z.T. sogar bereits autonom, übernommen. Damit präzisiert sich die Frage, was der moderne Pilot eigentlich konkret macht und was genau die Technik. Die Schilderung eines typischen Arbeitsablaufs liefert hier einen tieferen Einblick.
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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3.1.2 Ein Arbeitsablauf – Wer macht Was?
Um den Arbeitsablauf eines Piloten vollständig zu erfassen, wurde die Form der teilnehmenden Beobachtung gewählt. Aus organisatorischen Gründen konnte jedoch bei den Flugvorbereitungen und den begleiteten Flügen nicht zusammenhängend hospitiert werden. Insgesamt konnten vier Flugvorbereitungen begleitet werden. Erfasst wurde der Zeitraum vom Betreten des FOC (Flight-Operation-Center ~ Flugbetriebsgebäude) auf der Lufthansa-Basis in München bis zur internen Sicherheitskontrolle. Die teilnehmende Beobachtung an Bord erfolgte vom Zeitpunkt des Boardings75 bis zum Verlassen des Flugzeugs durch die Passagiere. Begleitet wurden vier Flüge der Kurz- und Mittelstrecke76 sowie zwei Langstreckenflüge. Langstrecke: München – Hong Kong und Hong Kong – München (= 2) Kurz- und Mittelstrecke: München – Warschau und Warschau – München (= 2) München – Teneriffa und Teneriffa – München (= 2) Sämtliche nicht beobachtbaren Zeiträume, wie die Crewbusfahrt zum parkenden Flugzeug, die ersten Vorbereitungen an Bord und das Bereitmachen des Flugzeugs für den anschließenden Rückflug (Kurz- und Mittelstrecke), wurden durch detaillierte Schilderungen der Piloten ergänzt. Alle beobachteten Situationen wurden durch Kommentare der Piloten erläutert, die diese meistens von sich aus beisteuerten. Vereinzelte Nachfragen bei Unklarheiten ermöglichten einen umfassenden Einblick. War zu einem bestimmten Zeitpunkt eine sofortige Nachfrage bzw. Klärung der unverstandenen Situation nicht möglich, so wurde dies anhand der gefertigten Kurzprotokolle in zeitlich nachgelagerten reflexiven Interviews mit den beobachteten Piloten nachgeholt. Die reflexiven Interviews hatten darüber hinaus den Sinn, die Arbeitsabläufe nochmals gemeinsam zu besprechen und auf richtiges Verständnis hin zu prüfen. Diese Form einer Art ‚Nachbesprechung‘ von Beobachtungen hat sich als äußerst informativ herausgestellt. Alle interviewten Piloten ergänzten die von ihnen 75 76
Boarding (engl.): Einsteigevorgang der Passagiere. Zur hier gewählten Verwendung des Begriffs Mittelstrecke siehe Fußnote 73.
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geschilderten Handlungen um typische situationsbedingte Alternativen. Es wurde darauf Wert gelegt, insbesondere die Verflochtenheit von menschlicher und technischer Aufgabenerfüllung herauszuarbeiten. Das Hauptaugenmerk lag darauf, die vielfältigen Kooperationsschnittstellen zwischen Mensch und Technik auszumachen. Um ein umfassendes Bild einer Flugvorbereitung und Flugdurchführung aufzuzeigen, wurde versucht, einen möglichst typischen und differenzierten fiktiven Ablauf77 zu kreieren. Anliegen war es, möglichst viele der zuvor beobachteten Sequenzen in die Schilderung einfließen zu lassen. Die hier dargestellte Flugvorbereitung und Flugdurchführung wurden hinsichtlich ihrer Realitätsnähe durch die interviewten Piloten nochmals geprüft und in der präsentierten Form als alltäglicher, exemplarischer Ablauf bewertet. Die folgenden Schilderungen beziehen sich auf den Arbeitsablauf von Piloten der Deutschen Lufthansa, deren sogenannte Homebase (Heimatflughafen) entweder München oder Frankfurt/Main ist. In den geschilderten Abläufen macht dies keinen Unterschied. Der folgende fiktive Ablauf bezieht sich auf die Station in München und wird aus der Perspektive eines Kapitäns geschildert. Der CPT betritt um 05.05 Uhr, zwei Stunden vor der regulären Abflugzeit, das FOC. Der bevorstehende Flug von München nach Warschau wird der erste einer sog. Drei-Tages-Tour werden. An jedem Tag finden zwischen zwei und vier einzelne Legs78 statt. Die gesamte Crew (CPT, FO und dreiköpfige Kabinencrew) wird über die drei Tage die gleiche bleiben. Erster Anlaufpunkt sind die sog. FBTTerminals79. Dieses sind bereitgestellte Computerarbeitsplätze, an denen sich das fliegende Personal, also auch die Flugbegleiter, einloggen, um ihre Flugunterlagen für den bevorstehenden Flug abrufen zu können. Nach Anmeldung erscheint eine aktualisierte individuelle Maske mit zur Verfügung stehenden Daten. Der CPT kann sich daraus die von ihm als notwendig erachteten Informationen ausdrucken. 77
78 79
Der Grund dafür, einen fiktiven Ablauf zu kreieren, war, dass die begleiteten Flüge jeweils einzelne interessante Prozesselemente enthielten. Ebenso lieferten die reflexiven Kurzinterviews in Form einer Nachbesprechung nach den Flügen ergänzende Hinweise. Um ein der tatsächlichen Praxis entlehntes und typisches Bild eines Arbeitsablaufs darzustellen, wurden die Ergebnisse zu einem fiktiven – aber realistischen – Flug zusammengefügt. Da die teilnehmende Beobachtung auf verschiedenen Flugzeugtypen stattfand, wurden die Abläufe ohne konkreten Hinweis auf ein Flugzeugmuster formuliert. Die Beobachtungsstudie hat diesbezüglich auch keine nennenswerten Unterschiede hervorgebracht. Leg (engl.): eine Flugteilstrecke vom Abheben bis zur Landung. FBT-Terminal: Flugbetriebs-Terminal.
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Er beschränkt sich dabei auf die essentiellen Daten, wie den Flugplan, die HIL (Hold Item List – ein Überblick über die technischen Beanstandungen des Flugzeugs) und eine Wetterkarte mit der eingezeichneten Flugroute, um die Lage eines Turbulenzgebietes über Ostdeutschland später im Kabinenbriefing der Crew zeigen zu können, sowie den OFP (Operational Flight Plan). Dies ist jedoch seine persönliche Selektion. Neben den vorgeschriebenen und in jedem Fall notwendigen Daten könnte man noch „einen ganzen Haufen mehr Papier“ (CPT; AI) ausdrucken, „wie es die jungen Co-Piloten meistens noch machen“ (ebd.). Anhand der Unterlagen verschafft sich der CPT einen Überblick über das zu erwartende Wetter am Zielflughafen Warschau und am Ausweichflughafen Krakau sowie deren NOTAMS (die sog. „Notification to Airmen“ beinhaltet Informationen über temporäre Besonderheiten am Flughafen wie z.B. Baustellen und defekte Systeme). In Warschau herrscht heute starke Bewölkung bei einer Wolkenuntergrenze von 3000 Fuß (etwa 1000 Meter), leichter Nieselregen, eine Sichtweite von über zehn Kilometer und Windstille. Der Anflug wird unter diesen Konditionen von beiden Piloten als unkritisch erachtet. Aufgrund des um die Ankunftszeit zu erwartenden erhöhten Verkehrsaufkommens wird jedoch entschieden, zusätzlich zur gesetzlich geforderten minimalen Spritmenge, bestehend aus Sprit zum Zielflughafen, zum Ausweichflughafen und sog. Holdingfuel für 30 Minuten (zusätzlicher Sprit für Warteschleifen am Ausweichflughafen), noch einmal Extra-Fuel für 30 Minuten mitzunehmen. Spritmengen werden dabei anhand des durchschnittlichen Verbrauchs eines Flugzeugs direkt in Zeit umgerechnet. Es wird vereinbart, dass der CPT auf dem Hinflug der sog. Pilot-Flying (PF – der fliegende Pilot) ist und der FO entsprechend Pilot-Not-Flying (PNF). Konkret bedeutet dies für das bevorstehende Leg: Der CPT übernimmt die Flugsteuerung, während der Copilot die Zusatzaufgaben wie Funken oder Ausfahren der Landeklappen übernimmt. Auf dem Rückflug, dem nächsten Leg, werden die Rollen dann getauscht. Die beiden Piloten gehen daraufhin zum Briefing (Einweisungsgespräch und Kennenlernen der Crewmitglieder) mit der Kabinencrew. Für den heutigen Flug besteht diese aus einem Purser (Chef der Kabine) und zwei Flugbegleiterinnen. Nach Beendigung des Briefings begibt sich die Crew gemeinsam zur hausinternen Sicherheits- und Zollkontrolle. Nach Passieren der Kontrolle fährt ein Bus die Crew über den internen Vorfeldbereich zum vorgesehenen Flugzeug am entsprechenden Gate. Das Flugzeug
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ist über eine Rampe mit dem Wartebereich im Flughafen verbunden. Die Crew betritt das Flugzeug von außen über bereitgestellte, fahrbare Treppen. „Wenn man dann an Bord kommt, dann sagt man erst mal irgendwie ‚Hallo, wie geht’s?‘ zum Flieger – so im Geiste. Ich bilde mir schon irgendwie ein, eine gute Stimmung zu erkennen“ (CPT; AI). Ehe jedoch der CPT an Bord geht, führt er die sog. Exterior Safety Inspection durch, eine auf wenige Kontrollpunkte reduzierte äußerliche Sicherheitsinspektion vor Inbetriebnahme des Flugzeugs. Er checkt dabei u. a., ob „die Bremsklötze vorliegen oder der Umkehrschub eingefahren ist“ (CPT; AI; W). Er verbindet dies heute gleich mit dem Outside Check, dem ausführlichen Rundgang, bei dem das Flugzeug genauer inspiziert wird. Besonderes Augenmerk wird dabei auf das Fahrwerk, die Bremsen, Beschädigungen z.B. durch Vogelschlag 80 an Rumpf, Steuer- und Tragflächen oder Leckagen des Hydraulik- oder Spritsystems gelegt – somit alle beobachtbaren äußerlichen Veränderungen. Dem CPT fällt auf, dass einer der zahlreichen static discharger (kurze Erdungskabel am Ende der Tragflächen) fehlt, weiß aber bereits, dass dies noch nicht zu einer Einschränkung der Flugtüchtigkeit führt. An Bord wird er dies aber in das TLB, das Technische Logbuch, eintragen, damit sich die Maintenance-Crew81 während einer längeren Bodenzeit des Flugzeugs darum kümmern kann. Im „dunklen“ Cockpit angekommen, wird noch ein Blick in das TLB geworfen. Bevor das Flugzeug dann unter Strom gesetzt wird, muss die Cockpit Safety Inspection (Sicherheitsüberprüfung im Cockpit vor Inbetriebnahme der Systeme) erfolgen. Zunächst wird dazu geprüft, ob das „deaktivierte“ Flugzeug sich in der Konfiguration für das sogenannte Unter-Strom-Setzen, das Einschalten meist mithilfe eines Bodenstrom-Aggregats befindet. Dabei werden im Wesentlichen die Schalterstellungen überprüft, damit z.B. nicht versehentlich Notsignale gesendet oder Landeklappen gefahren werden, außerdem ob die Batterien geladen sind, wo der Fahrwerkshebel steht und ob der Triebwerks-Startknopf auf der Position OFF steht. Dann werden die Batterien zugeschaltet und anschließend wird der Flieger über den Bodenstrom mit Strom versorgt. Zu diesem Zeitpunkt fahren alle Computer und Bildschirme hoch und auch die Kabinenbeleuchtung geht an. Da es in 80
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Vogelschlag nennt man das Vorkommnis, das ein oder mehrere Vögel ins laufende Triebwerk geraten. Populäres Beispiel hierfür ist die dadurch verursachte Hudson-River-Notwasserung im Jahre 2009. Maintenance-Crew (engl.): Das technische Wartungspersonal.
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der Kabine etwas kühl ist, wird, nach einem Feuerlösch-Systemtest, die APU (das Hilfstriebwerk im hinteren Bereich des Flugzeugs) in Betrieb genommen, die die Klimaanlange mit warmer Luft versorgt. Während die Kabinencrew den Sicherheitscheck der Kabine vornimmt, bereiten beide Piloten ihren Arbeitsbereich im Cockpit vor. Anhand der Panel Scan Sequence (systematische Überprüfung der Cockpitinstrumente) überprüfen beide Piloten jeweils ihre Seite des Cockpits. Hierbei werden in einer bestimmten Reihenfolge nacheinander alle Systeme „mit den Augen abgewandert“ (FO; AI), um sicherzustellen, dass sich alle Schalter in der richtigen Stellung für den Normalbetrieb befinden. Bei Airbus (und den meisten anderen Herstellern) gilt hier die White-Lights-Out -Philosophie: Das Overhead-Panel, das Armaturenbrett über den Köpfen der Piloten mit den Schaltern für die meist vollautomatischen Systeme wie Hydraulik oder Elektrik, ist dunkel, solange sich alle Systeme in Normalkonfiguration befinden. Ist etwas manuell verändert worden, absichtlich oder nicht, brennt ein weißes Lämpchen am jeweiligen Schalter. „So teilt sich mir die Technik mit – durch Lämpchen, Anzeigen oder Alarmsignale“ (FO; AI). Der FO stellt schnell fest, dass der kleine Bildschirm seiner MCDU – die Schnittstelle zur Eingabe der Flugroute – nicht funktioniert. Normalerweise würden die Piloten nun anhand der Flughandbücher den Ort des dazugehörigen CB (Circuit Breaker, Sicherung) für einen Reset suchen, da dies aber öfter vorkommt, wissen beide schon, wo dieser am CB-Panel zu finden ist. Ein zehnsekündiger Reset behebt das Problem, ohne das ein Techniker gerufen werden muss. „Sollte das nix nützen, wird der CB noch über eine Minute draußen gelassen. Wenn das dann nix hilft, wird nochmal der ganze Flieger ausgeschaltet, und falls das nix bringt, dann muss die Maintenance ran" (CPT; AI). Der CPT und sein FO berechnen Startleistung und -geschwindigkeiten anhand der aktuellen Wetterdaten, die sie vom Flughafen bekommen haben (Wind, Temperatur, Luftdruck, Bahn nass oder trocken usw.). Dies machen beide mit ihren Laptops – und zwar jeder für sich, um mögliche Fehlerquellen auszuschließen. Erst danach wird verglichen. Für den heutigen Flug stellt dies keine große Herausforderung dar. Der Wind kommt schwach aus westlicher Richtung, es besteht kein Niederschlag, somit kann bei der 4000 Meter langen Startbahn in München
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die Startleistung für den Take-off82 reduziert werden, um die Triebwerke zu schonen. Sind z.B. extreme Windscherungen oder Schneekontaminierung der Startbahn zu berücksichtigen, darf die Triebwerksleistung nicht reduziert werden. „Als Pilot Flying programmiere ich dann vor dem Start die Bordcomputer mit der geplanten Flugroute“ (FO; AI). Nachdem die Flugroute vom PF einprogrammiert oder – falls möglich – über Datalink83 hochgeladen wurde, überprüfen beide Piloten die Übereinstimmung mit dem Flugplan. Alle Bodenprozesse wie Beladung, Betankung, Reinigung und Einsteigevorgang laufen fast vollautomatisch über Referenzmodelle ab, also Schemata, wann was erledigt wird. Über IGCC84, ein neuartiges Telefonsystem, in dem sich jeder Beteiligte der Flugvorbereitung, wie Gate85, Ramp Agent86 und CPT, einloggen kann, werden Störungen oder Besonderheiten der Abläufe kommuniziert. Koordiniert wird das Ganze dann über das HOC (Hub Operations Control Center)87 in München. Sollte der Tanker oder das Cleaning-Personal88 nicht rechtzeitig am Flieger erscheinen, sollen der Ramp Agent oder der CPT an den zuständigen Stellen nachhaken. Am heutigen Tag funktionieren diese Abläufe zunächst reibungslos. Der Tanker hat anhand der im FOC ins System eingegebenen Spritdaten das Flugzeug bereits vor dem Erscheinen der Crew mit der gewünschten Menge betankt und das Flugzeug war bereits gereinigt. Beim Checken des Caterings stellt der Purser allerdings fest, dass zwei Business-Class-Essen fehlen. Der CPT ruft am Gate an und fragt nach der aktuellen Anzahl der Passagiere der Business Class.
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Take-off (engl.): der Start bzw. das Abheben des Flugzeugs. Datalink: VHF-Datenfunk, engl. VHF Datalink, kurz VDL, ist ein Verfahren, um Daten zwischen Flugzeugen und Bodenstationen auszutauschen. Es ist eine Weiterentwicklung des VHF-Flugfunks, der lediglich Analogdaten wie Sprache weiterleitet (Quelle: Artikel VHD Data Link, de.wikipedia.org, Version 05.04. 2016). IGCC: Das IGCC ist eine Lufthansa-interne Kommunikationsplattform für Abfertigungsprozesse, ein Intranet, auf das alle am Abfertigungsprozess beteiligten Mitarbeiter Zugriff haben. Zusätzlich ist ein Voice-over-IP-System integriert mit den Mitarbeitern, die nur über Telefone (z.B. Piloten, Rampagenten, Einsatzleitung etc.) mit dem System kommunizieren können (Quelle: http://www.xcontrol.de/kunden/lufthansa-passage/index.html, Abruf 07.04. 2016). Gate (engl.): Das Gate ist der Zugangsbereich, über den die Passagiere das Flugzeug betreten. Agent (engl.): Der Ramp Agent oder Ops Agent (Station Operation) ist ein airside (luftseitig) am Boden eingesetzter Fluggesellschafts- oder Flughafenangestellter, der Flugzeuge auf den Abflug vorbereitet (Quelle: Artikel „Ramp Agent“ auf de.wikipedia.org, Version 05.04. 2016). HOC (engl.): Hub Operations Center ist die Verkehrsleitzentrale von Lufthansa am Drehkreuz München, mit der Hauptaufgabe der „Steuerung der Passagierströme und der Flugzeugabfertigung“ (Quelle: https://www.lufthansagroup.com/themen/10-jahre-terminal-2.html, Abruf 20.04. 2016). Cleaning (engl.): Reinigungspersonal
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Es stellt sich heraus, dass es noch drei Upgradings89 gab und somit insgesamt fünf Essen fehlen. Allerdings hat das Gate bereits den Cateringservice90 kontaktiert und das Essen nachbestellt. In diesem Moment fährt schon das Catering-Fahrzeug vor und bringt die fehlenden fünf Gerichte. Anschließend stellt sich heraus, dass das Frischwasser aufgefüllt werden muss. Der CPT informiert den Ramp Agent, der die Bestellung in die Wege leitet. Nur zwei Minuten später klingelt wieder das Telefon. Der CPT wird vom HOC informiert, dass 20 umsteigende Passagiere verspätet aus Nizza eintreffen werden und dass man sich entschlossen hat, dafür bis zu 15 Minuten Verspätung in Kauf zu nehmen. „In meinen 20 Jahren kommerzieller Fliegerei hat im Bereich Bodenprozesse die größte Verschiebung stattgefunden. Wir Piloten, insbesondere die Kapitäne, sind mit einer Wahnsinns-Zusatzaufgabenbelastung am Boden bedacht“ (CPT; AI; W). Das heißt, Piloten werden heute mit immer mehr völlig flugfremden Aufgaben konfrontiert, wie z.B. der Kommunikation per ACARS (Telex-Funktion) mit dem Bodenpersonal über Buchungs- oder Gepäckprobleme der Passagiere, der Veranlassung von Reparaturen am Boden und vielem weiteren mehr. Im Hinblick auf eine Unterstützung durch technisierte Abläufe wird erklärt, dass hier (im Bereich Bodenprozesse) „als allerletztes überhaupt automatisiert werden“ (ebd.) kann. „Da spielen viel zu viele Variable mit rein. Die Situationen sind immer neu“ (ebd.). Nachdem auch die Kabinencrew ihrerseits alles geprüft und vorbereitet hat, erhalten die Passagiere Zugang. Während des Boardings begrüßt der CPT einige einsteigende Passagiere und begibt sich dann ins Cockpit. Kurz vor dem Ablegen von der Parkposition erhält die Cockpitcrew über ACARS das Loadsheet91, einen Belade- und Schwerpunktplan, anhand dessen die Trimmklappenstellung dem aktuellen Schwerpunkt und die Startleistungsberechnung dem endgültigen Gewicht angepasst werden. Die 20 verspäteten Passagiere sind noch rechtzeitig erschienen und werden nicht vom Startgewicht abgezogen. Nun sind die Cockpitvorbereitun-
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Upgrading (engl.): Neueinstufung in eine höhere Buchungsklasse z.B. von der Economy-Class in die Business-Class. Catering (engl.): Die Zubereitung, Bereitstellung und Beladung der Lebensmittel und Getränke für die Passagiere. Die Stelle Load-Control mit Sitz in Kapstadt erstellt die Load-Sheets für alle Lufthansa-Flüge – unabhängig vom Abflughafen des Flugzeugs. Dieses wird per ACARS (Datenübertragungssystem in schriftlicher Form) an die jeweiligen Flugzeuge elektronisch versandt (Erklärung von CPT; EM/CA).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
gen erledigt. Der Copilot holt über ACARS die Freigabe für das Anlassen der Triebwerke und die Abflugroute ein. Dann meldet sich der Ramp Agent über sein Headset92, das am Flugzeug außen eingesteckt ist, zu Wort. Er berichtet, dass das Schleppfahrzeug mit dem Flugzeug verbunden ist. Nach eingeholter Freigabe beim Fluglotsen wird das Flugzeug aus der Parkposition zurückgestoßen. Währenddessen lässt der CPT die Triebwerke an. Der Master Switch93 wird umgelegt und ab diesem Zeitpunkt läuft der vollautomatische Triebwerkstart. Die Piloten überwachen den Startvorgang so lange, bis die gewünschten Parameter wie Wellendrehzahl oder Triebwerkstemperatur im gewünschten Bereich liegen, und erst dann nimmt der CPT die Hand vom Master Switch. Falls irgendetwas nicht stimmt, kann er dem Triebwerkscomputer einen zweiten Startversuch einräumen oder das Ganze (z.B. bei Überhitzung) schnell abbrechen. Diverse Fehler des Triebwerkstarts werden regelmäßig im Simulator geübt. Nachdem der Triebwerkstart und auch der Pushback94 zufriedenstellend verlaufen sind, stöpselt der Ramp Agent sein Headset aus und positioniert sich mit dem Schleppfahrzeug auf der linken Seite, um dem CPT sein Freizeichen zu geben und um anzuzeigen, dass das Flugzeug bereit ist zu rollen. „Manchmal funktioniert das mit dem Headset auch nicht, dann ist man wie früher ganz auf Handzeichen angewiesen“, erklärt der CPT (CPT; AI). Nach Einholen der Rollfreigabe begibt sich das Flugzeug auf den Weg zur Startbahn. Gleich zu Anfang, bei niedriger Geschwindigkeit, wird die Funktion der Bremsen sichergestellt. Während des Rollvorgangs wird noch die Take-offCheckliste gelesen, d.h. es wird überprüft, ob sich das Flugzeug in der richtigen Konfiguration (z.B. Klappenstellung) befindet. Der CPT hält als PF noch ein Take-off-Briefing (Abflugbesprechung) ab. In diesem beschreibt er die abzufliegende Route und was im Falle eines Triebwerksausfalls oder eines Startabbruchs getan wird. Die Cockpitbesatzung erhält vom Purser die sog. Klarmeldung der Kabine, d.h. alle Passagiere sind mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut gemacht und auch die Kabinencrew sitzt angeschnallt auf den für sie vorgesehenen Sitzen. Vor dem Holding Point, der Halteposition vor der Startbahn, befinden sich noch zwei weitere Flugzeuge, welche ebenfalls hier abheben wollen. Der CPT 92 93 94
Headset (engl.): Kopfhörer. Master Switch (engl.): Hauptschalter. Pushback (engl.): Das Zurückschieben/Zurückstoßen des Flugzeugs vom Terminal.
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schätzt die verbleibende Wartezeit für den Start auf drei bis vier Minuten ein. Nachdem sich das Flugzeug wenig später an erster Stelle befindet, bekommt die Crew vom Towerlotsen95 die Freigabe, auf die Startbahn zu rollen. Dort wird noch ca. eine Minute gewartet, bis das vorausfliegende Flugzeug genügend Abstand hat und der Tower die Freigabe für den Take-off erteilt. Von nun an steuert der CPT als PF nur noch mit dem Steuerhorn bzw. Sidestick und den Pedalen. Er schiebt den Triebwerkshebel mit seiner rechten Hand nach vorne. Bevor die vollständige Startleistung gegeben wird, wird noch das gleichmäßige Hochlaufen der Triebwerke überprüft. Das Flugzeug gewinnt rasch an Fahrt und bei 80 Knoten wird ein sog. Fahrtmessercheck durchgeführt. Der FO ruft laut „eighty“, der CPT bestätigt mit „checked“. Bei der maximalen Geschwindigkeit, mit der ein Start noch abgebrochen werden kann (V1), kommt vom FO der Callout (Ausruf) „Go“ (= Los) und anschließend „Rotate“ (= rotieren/wechseln), das Kommando zum "Hochziehen der Maschine" (FO; AI). Das Flugzeug hebt vom Boden ab. Im Cockpit herrscht konzentrierte Ruhe, lediglich der Funkverkehr und Anweisungen z.B. für das Fahrwerkeinfahren sind zu hören. Der FO als PNF wechselt die Funkfrequenz vom Tower zum Abfluglotsen und erhält weitere Freigaben für eine neue Flughöhe und eine Abkürzung, die er direkt in die Bedienelemente eingibt. Nach etwa fünf Minuten Flugzeit, als sich der Flugverlauf auf kurshaltenden Steigflug beschränkt, aktiviert der PNF (FO) auf Anweisung des PF (CPT) den Autopiloten durch einen einfachen Knopfdruck. „Der [Anm.: der Autopilot] übernimmt ab dann und wir passen auf, dass er das richtig macht […] Ich gebe sozusagen ab an den technischen Kollegen“ (FO; AI). Nach Passieren von 10.000 Fuß Höhe hebt der FO durch Umlegen eines Schalters die Anschnallpflicht auf und sowohl Kabinencrew als auch Passagiere dürfen sich wieder von ihren Plätzen erheben. Auch die Cockpitcrew darf sich ab diesem Zeitpunkt wieder über „nicht-flugrelevante“ Themen unterhalten. Während die Flugbegleiter den Service für die Passagiere vorbereiten, erklingt ein Klingelton im Cockpit. Eine der Flugbegleiterinnen ruft über die bordinterne Kommunikationsanlage an und bittet damit um Eintritt. Daraufhin vergewissern sich der CPT und FO über einen Bildschirm, dass sich nur die Kollegin und niemand anderer vor der Tür befindet, und entriegeln per Knopfdruck die Cockpittüre.
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Der Towerlotse ist ein Fluglotse, welcher für die Kontrolle der Starts und Landungen wie auch die Bewegungen am Boden (Rollwege) verantwortlich ist (Erklärung von CPT; EM/CA).
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Die Kollegin erkundigt sich nach den Getränkewünschen und kurz darauf bringt sie den gewünschten Kaffee. Das beschriebene ‚Türöffnungsprozedere‘ erfolgt noch mehrmals während des Fluges auf die gleiche Weise. Die Stimmung im Cockpit ist deutlich entspannt. Beide Piloten beobachten ihren Arbeitsbereich zwar weiterhin konzentriert, jedoch findet sich nun die Gelegenheit für Gespräche mit der Beobachterin. Das noch graue und trübe Wetter beim Start ist einem leuchtenden Sonnenschein gewichen. Während des Gesprächs behält immer zumindest einer der Piloten die Monitore im Blickfeld und beide lauschen auf der Funkfrequenz, ob sie „gerufen“ (FO; AI) werden. Immer wenn der Lotse mit „Lufthansa" beginnt, horchen beide aufmerksam auf und unterbrechen ihr Gespräch, um zu hören, ob sie gemeint sind. Der CPT bemerkt dazu, dass auf der „Rhein-Radar“-Frequenz ein Flugzeug mit ähnlichem Callsign (Bezeichnung dieses Fluges) sei und dass deshalb besondere Aufmerksamkeit geboten sei, um die für sie bestimmten Anweisungen herauszuhören und nur diese zu befolgen. So verläuft der Flug sehr ruhig und ereignislos, ohne die erwarteten Turbulenzen. Vom Fluglotsen gibt es von Zeit zu Zeit Modifikationen in der Flugroute wie z.B. Abkürzungen oder Richtungsanweisungen, um Verkehr auszuweichen. Diese Kursänderungen muss der Pilot selbstständig vornehmen. Eine direkte Einflussnahme des Lotsen auf den Flugverlauf beispielsweise über Datalink ist aus sicherheitstechnischen Aspekten nicht erwünscht Nach nur ca. 40 Minuten Flugzeit und einer kurzen Streckenansage durch den CPT beginnt die Crew sich bereits auf den Anflug vorzubereiten. Es wird das Wetter von Warschau über eine zweite Funkfrequenz eingeholt und ein Approach Briefing (Anflugbesprechung) durchgeführt, in dem der Anflug analog dem Takeoff Briefing durchgesprochen wird. Der Sinkflug wird eingeleitet. Anhand des aktuellen Wetters in Warschau werden die Anfluggeschwindigkeiten berechnet und es werden die dem Anflug zugehörigen ILS96 -Frequenzen (Funkfeuer) gesetzt. Unter 10.000 Fuß beschränken sich die Gespräche im Cockpit erneut auf rein Dienstliches. Der Fluglotse führt das Flugzeug mit sog. Radar Vectors (Kursrichtungsanweisungen) auf den Endanflug, der ca. zehn Nautische Meilen (18 Kilometer) in Verlängerung der Landebahn beginnt. In den letzten Minuten des Fluges werden die Landeklappen und das Fahrwerk ausgefahren und mit einer letzten Checkliste, der Final Checklist, überprüft. Der Warschau-Tower erteilt die Lande96
ILS (engl. für Instrument Landing System): Instrumentenlandesystem.
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freigabe und der CPT setzt wenig später das Flugzeug auf der „Piste 29“ auf. Nach dem Abrollen erhält die Crew vom Bodenlotsen die Anweisungen für den zugewiesenen Rollweg zum Gate. Dort angekommen werden sie von einem sog. Marshaller, dem „Einwinker“, mit den zwei Kellen an die richtige Position gebracht. Nachdem das Bodenpersonal das Bodenstromaggregat angeschlossen hat, kann der CPT die beiden Triebwerke abstellen und die Anschnallzeichen werden wieder ausgeschaltet. Die Fluggastbrücke wird an das Flugzeug herangefahren und die Flugbegleiterin öffnet die Tür. Die letzte Aufgabe des CPT besteht nun darin, die Passagiere zu verabschieden. Anhand des exemplarisch begleiteten Flugablaufs lässt sich deutlich die hohe Menge an Mensch-Technik-Schnittstellen aufzeigen. Die Piloten befinden sich quasi ununterbrochen in Interaktion mit den technischen Bordsystemen. Viele der notwendigen Abläufe funktionieren dabei nur deshalb in der vorgegebenen Zeit, weil Mensch und Technik, aufeinander abgestimmt, Prozessschritte einleiten und durchführen. Dies betrifft ebenso das weitere Umfeld, wie die Zusammenarbeit mit der Kabinencrew, mit der Bodenstation, dem Flughafen usw. Die Interaktionen sind dabei in einem hohen Maß durchgetaktet und wirken auf den Beobachter routiniert und eingespielt. Leerläufe gibt es kaum. Momente der kurzfristigen Entspannung gibt es auf Kurzstrecke oftmals erst nach Erreichen der Reiseflughöhe. Die begleiteten Langstreckenflüge hatten hier deutlich längere ruhige bzw. ereignislose Phasen. Die in diesem Zusammenhang geschilderte Schwierigkeit für die Piloten ist daher nicht so sehr in der permanent hohen Arbeitsbelastung zu sehen, sondern eher in dem Umstand, ein hohes Konzentrations- und Aufmerksamkeitsniveau trotz „Langeweile über Stunden“ (SFO; AI) aufrechtzuerhalten. Insbesondere Nachtflüge (wie die begleiteten Flüge nach Hong Kong und zurück) fordern von den Piloten, trotz Pausen im Dreischicht-Wechsel, „stets auch einen Kampf gegen die Müdigkeit. Das ist ja nur menschlich. Da muss man gegen seine innere Uhr ankämpfen. Als Flieger lernt man das“ (ebd.). Denn es kommt durchaus vor, dass „alles nur so vor sich hinplätschert und du eben nix Konkretes machen kannst. Der Autopilot fliegt und du hast die ‚Gala‘ 97 halt schon dreimal durchgelesen – jetzt mal überspitzt gesagt“ (CPT; AI; W). 97
„Gala“ ist eine deutsche Illustrierte.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
3.1.3 Anforderungen an Mensch und Technik – Wer kann Was (und Was nicht)? Die teilnehmende Beobachtung wie auch die reflexiven Interviews ermöglichten bereits einen sehr detaillierten Einblick in die Arbeit des Piloten. Die Frage, was ein Pilot (überhaupt) noch macht, war u.a. Kernpunkt ausführlicher Experteninterviews. Die Piloten sollten hierbei deutlich unterscheiden, was sie selbst machen bzw. welche Kompetenzen sie als menschliche Akteure besitzen und was die Technik übernimmt bzw. kann. Dabei war es durchaus erwünscht, dass die Piloten ihre subjektive Meinung dazu äußerten. Die Antworten sollten unter Berücksichtigung der im Flugzeugcockpit vorhandenen technisierten und automatisierten Systemelemente und deren Einsatz erwogen werden. Die Auswertung sämtlichen Materials erlaubte es, diejenigen Aufgabenelemente herauszustellen, welche die Piloten selbst als ihre wesentlichen Arbeitsinhalte empfinden. Analog geschah dies mit den Aktionen bzw. Handlungen, welche die Piloten der Technik zuschrieben. Dies ergab zunächst eine ungeordnete Liste an Teilaufgaben, welche sich zu Handlungsoberbegriffen zusammenfassen ließen. Im Anschluss werden diese sortiert aufgelistet sowie einige typische Beispiele (welche z. T. auch mehreren Begriffen zugeordnet werden könnten) aus dem Prozessablauf eines Fluges näher dargestellt. Die unterschiedlichen ‚Aufgaben‘ und ‚Qualifikationen‘ von Mensch und Technik im Arbeitssystem Cockpit konkretisieren sich für den Normallauf folgendermaßen. Als sämtlichen Arbeitselementen übergeordnete Hauptaufgabe eines Piloten kann die Leitung des Flugprozesses als Oberbegriff formuliert werden. Der gesamte Ablauf erfolgt in einem hoch technisierten Umfeld. Dabei bestehen unterschiedliche Grade technischer Eigentätigkeit bzw. Autonomie. Die befragten Piloten kommen überein, dass die übergeordnete Hauptaufgabe der Technik demnach die Unterstützung des Piloten bei der Flugprozessleitung darstellt. Diese Hauptaufgaben weiter untergliedert, gehört nach Beschreibung der Interviewpartner die Planung und Organisation unterschiedlichster Begebenheiten zu den wesentlichen Tätigkeiten des Piloten. Dies beinhaltet beispielsweise, dass die Piloten bereits vor dem Abflug die angeforderten Flugunterlagen auf Vollständigkeit und Anwendbarkeit prüfen. Der Anmeldevorgang zum Dienstantritt erfolgt bereits elektronisch. Dabei ist das FBT-Terminal, der Computerarbeitsplatz, an dem die Flugunterlagen angefordert werden, die „erste technische Schnittstelle
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bei Arbeitsbeginn. Da sage ich gewissermaßen zum ersten Mal ‚Hallo‘, wenn auf dem Screen ‚Guten Tag Hr. XY‘ steht“ (CPT; EM/CA). Sobald der Pilot sich am FBT anmeldet, weiß der Arbeitgeber, dass er pünktlich zum Dienst erschienen ist. Technische Hilfsmittel sind von nun ab fest in die Arbeitsabläufe des Piloten integriert. So bekommt der Pilot sämtliche Flughandbücher, Anflugkarten und Software für die Flugvorbereitung vom Arbeitgeber auf einem Tabletcomputer gestellt. Diese finden auch im Cockpit Anwendung. Es müssen nun „die Wettervorhersagen für Abflug-, Ziel-, und Ausweichflughäfen und spezielle Besonderheiten, wie z.B., wenn eine Landebahn zeitweise für Reparaturarbeiten gesperrt ist“ (FO; AI), beachtet werden. Dabei sind die technisch aufbereiteten, zur Verfügung gestellten Daten stets „so aktuell wie möglich“ (ebd.). Wesentliche Aspekte, wie erwartete Verspätungen, müssen in die Organisation des bevorstehenden Flugs einbezogen werden. „Man kreiert gewissermaßen einen optimalen Ablauf mit den Daten, die man erhalten hat, und weiß aber genau – es kommt trotzdem alles irgendwie anders. Das Fliegen, das ist einfach nicht so planbar“ (CPT; EM/CA). Wegen sich ändernder Umstände, welche sich oftmals kurzfristig auftun und eine neue Flugverlaufsstrategie erforderlich machen, bleiben die planerischen und organisatorischen Aufgaben des Piloten folglich während des gesamten Flugprozesses notwendig. „Was den Verlauf betrifft, da ist das Briefing, das ist immer nur so eine Art grobe Prognose. Da ist sich die Crew eigentlich klar. Im Cockpit muss man auch mal schnell eine Änderung vornehmen, die dann notwendig ist, und neu planen […] Man muss auch mal schnell was komplett umplanen, wenn z.B. ein Passagier nicht auftaucht und der Koffer schon verladen ist. Da ist dann wahrscheinlich erst mal der Slot weg und der ganze Rattenschwanz macht deinen Plan hin“ (CPT; AI; W). Deutlich wird, dass Anpassungen an sich ändernde Bedingungen in der täglichen Routine von Verkehrsflugzeugpiloten einen festen Bestandteil darstellen, denn oft, so wird erklärt, „muss man als Pilot irgendwas neu einstellen, weil alles dynamisch ist“ (FO; BO). Auch die Einleitung der für eine Optimierung notwendigen Verfahren, welche oftmals durch ökonomische Vorgaben notwendig werden, ist in den Arbeitsinhalten eines Piloten vorzufinden. So können beispielsweise Abkürzungen erwogen werden, „wenn man weiß, dass einen der Fluglotse meist eher in eine Kurve einweist“ (CPT; AI). Um die Planung, Organisation, Anpassung und Optimierung erfolgreich durchführen zu können, braucht ein Pilot stets zuverlässige und möglichst aktuelle Daten. Die Datenerfassung, -aufbereitung wie auch Informationspräsentation
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sind wesentliche ‚Aufgaben‘ der relevanten technischen Systeme. Bereits vor Abflug erfolgt dies mit den zur Verfügung gestellten Fluginformationen an den FBTTerminals. An Bord werden die Systeme dann mit den relevanten, zur Verfügung stehenden Flugdaten „gefüttert“ (FO; AI). Im späteren Flugverlauf gemessene veränderte Zustände werden von den Bordcomputern automatisch gespeichert und von den Systemen fortlaufend als angepasste Rechnungsgrundlage verwendet. Die wesentlichen Zustands- und Prozessinformationen für die Piloten werden vor, während und nach einem Flug in (meist) digitalisierter Form auf den Monitoren zur Verfügung gestellt. Dies betrifft die über Sensoren erfassten Fluglagen und zustände (wie Ansteigwinkel und Geschwindigkeit, Höhe, aktuelle Position, Fahrwerks- und Klappenstellung, Druckaufbau in der Kabine), Flüssigkeitsmengen (wie Tank- oder Hydraulikflüssigkeit), über Thermometer gemessene Temperaturen (wie die Außentemperatur oder Triebwerkstemperatur) und per Datalink erhaltene Informationen (wie z.B. eine Aktualisierung der Windprognose an den einzelnen Wegpunkten, was bei Langstreckenflügen zu deutlichen Flugzeitänderungen führen kann, sowie aktuelle Wetterberichte der momentan naheliegenden Flugplätze). Die Piloten nehmen dabei die Rolle der Technik als zuverlässiges Informationsmedium wahr und empfinden sie „als absolut unverzichtbar“ (SFO; AI). Folgender Vergleich wird gezogen: „Mal ganz simpel: Ein unbemerkter leerer Tank z.B. zwingt einen Autofahrer halt zum Anhalten. Kein Problem. Wenn du da nicht die korrekte Info vom Flieger kriegst – biste ganz klar im Arsch!“ (ebd.). Als eine weitere vielfach angewandte und typische Arbeitshandlung haben die Piloten vornehmlich visuelle Begutachtungen und Überprüfungen anzustellen. Dies betrifft in besonderem Maße die Kontrolle des Flugzeugs auf Unversehrtheit und Funktionsfähigkeit. Bei der Exterior Safety Inspection geht der Kapitän „einmal um das gesamte Flugzeug rum“ (CPT; BO). „Man weiß zwar, dass das Flugzeug gewartet wurde, jedoch ist man der Verantwortliche – und sitzt dann auch noch selbst drin“ (CPT; EM/CA). Visuelle Begutachtungen und Überprüfungen betreffen dabei nicht nur äußerliche Kontrollen, sondern insbesondere auch das Cockpit. Wie im dargestellten Arbeitsablauf ersichtlich, wird das Cockpit bei der Cockpit Safety Inspection gründlich geprüft. Die Piloten arbeiten dabei nach einem „festgelegten Schema“ (FO; AI). Dabei ist es von enormer Wichtigkeit, dass man alles komplett erfasst, „denn dann hat man ein Bild, in welchem Zustand sich der Flieger befindet“ (SFO; AI). „Da muss man sehr sensibel sein und alles wahrnehmen. Man will sich ja keine Probleme mit hochnehmen“ (CPT; AI; W). Dabei
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kommt es durchaus vor, dass man die „Technik [Anm.: Ausdruck für den oder die Techniker] nochmal an Bord zitiert“ (ebd.). Dies sei beispielsweise dann notwendig, wenn der Reifendruck niedrig erscheint oder „man ein paar Federn im Triebwerkseingang98 findet“ (ebd.). Die Sorgsamkeit der Überprüfung ist offenbar auch dem eigenen Überlebenswunsch geschuldet. Es wird erklärt: „Auch wenn viele Prozesse mittlerweile automatisiert stattfinden, Wartung und Überprüfung erfolgen durch Menschen und da menschelt‘s halt auch, da können schon mal Sachen übersehen werden“ (CPT; AI). Und „wie sagt man so schön? Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!“ (ebd.). Nicht nur der Aufgabenbereich diverser Überprüfungen ist daher geprägt von einem ‚gesunden Misstrauen‘‘ auf Seiten des Piloten. Dieses Misstrauen betrifft den gesamten Flugprozess und wird folgendermaßen weiter konkretisiert: „Man sollte immer hinterfragen. Das hält dich im Loop99, sichert dich ab und rettet Dir vielleicht sogar mal den eigenen Arsch“ (CPT; EM/CA). Während des Fluges hat sich insbesondere in modernen Flugzeugen der dritten Jet-Generation die aufmerksame Überwachung, das sog. Monitoring, sämtlicher Zustände und Vorgänge zu einer der zentralen, permanent notwendigen Arbeitsaufgaben entwickelt. So gilt es, im Reiseflug die Flugroute im Auge zu behalten und immer wieder mit „dem eigenen mentalen Modell“ (CPT; BO) abzugleichen bzw. mit der eingezeichneten Route auf der Papierstreckenkarte zu vergleichen. Dabei werden beständig die Funktionen des Autopiloten überwacht. „Mit einem regelmäßigen Scan über die Instrumente“ (SFO; AI) stellt der Pilot sicher, „dass alles normal läuft“ (ebd.). Ein Copilot schildert die Leitfragen, an welchen er sich hierbei u. a. orientiert, folgendermaßen: „Was macht das Flugzeug? Macht der Autopilot, was ich auch machen würde? Bin ich noch mit dem richtigen Fluglotsen in Funkkontakt?“ (FO; BO). Da ein guter Pilot stets „ahead of the aircraft“ 100 (FO; EM/CA) (CPT; AI; W) ist, besteht ein wesentlicher Aufgabenbestandteil – allgemein ausgedrückt – darin, Zustände und Vorgänge unterschiedlicher Art zu antizipieren. „Wenn ich das jetzt mache, wie reagiert der Flieger dann? Was hat das für Auswirkungen?“ (FO; Federn im Triebwerkseingang könnten auf einen vorangegangenen Vogelschlag und damit auf eine Beschädigung des Triebwerks hinweisen. 99 Im Loop (engl.) bleiben: dem aktuellen Prozessgeschehen stets folgen können (Erklärung von CPT; AI). 100 Ahead of the aircraft (engl.) fliegen: gedanklich dem aktuellen Flugprozess einen Schritt voraus sein (Erklärung von CPT; AI). 98
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BO) sind hierfür typische Überlegungen. Aber auch was die Flugposition betrifft, ist es notwendig, dass der Pilot bestimmte Dinge vorwegnimmt bzw. in Erwägung zieht, z. B.: „Wo liegt der nächste Ausweichflughafen? Wie lange braucht man dahin?“ (ebd.). Dafür müssen sämtliche Informationen zunächst einmal richtig interpretiert und in einen logischen Sinnzusammenhang eingeordnet werden. Die Piloten nehmen ihre Rolle für die kompetente Durchführung eines Fluges oftmals als die eines „Kindermädchen für alles“ (CPT; AI; W) wahr. Da „nie alles so funktioniert, wie die Konstrukteure es sich vorstellen“ (ebd.), gehört es zu den essentiellen Aufgaben eines Piloten, Unregelmäßigkeiten vorzubeugen bzw. diese auszugleichen. Dies betrifft organisatorische ebenso wie fliegerische, navigatorische und insbesondere auch technische Angelegenheiten, denn „es bleibt letztlich am Piloten hängen, dafür zu sorgen, dass nichts schief geht“ (CPT; AI; W). Als eine menschliche Begabung hat es sich hierbei herausgestellt, dass es durchaus vorkommt, dass Piloten Störungen früher wahrnehmen, als diese überhaupt durch die Bordsysteme angezeigt werden. Dadurch verschaffen sie sich den Vorteil, dass sie bereits im Vorfeld intervenieren und mögliche Probleme somit schon in ihrer Entstehung unterbinden können. Da dies natürlich nicht immer gelingt, gehört es ebenfalls zu ihren täglichen Aufgaben, etwaige Störungen fachmännisch zu beheben. Zeigt einer der Tanks beispielsweise einen geringeren Wert an als die anderen, kann dies auf eine Leckage hindeuten. Bemerkt der Pilot dies, stellt er ihn „unter besondere Beobachtung. Ich addiere dann den schon verbrauchten und den noch vorhandenen Sprit. Ergibt sich da eine Differenz, ist uns Sprit ausgelaufen“ (CPT; AI). Der Computer, so wird weiter erklärt, warne erst verhältnismäßig spät vor einer Entleerung des Tanks. Da Störungen in der Luft – egal welcher Art – stets sicherheitskritisch sind, ist der Pilot durchweg bemüht, diese erst gar nicht zuzulassen. Daher sieht die Sicherheitsphilosophie guter Airlines es vor, dass die Piloten noch vor dem Start entscheiden können bzw. müssen, ob sie das Flugzeug im am Boden geprüften Zustand überhaupt für flugfähig halten. Diese Entscheidungsverantwortlichkeit zieht sich in viele weitere Bereiche und ist kennzeichnend für die Arbeit von Piloten. „Man hat das allerletzte Wort. Die Wirtschaftlichkeit der Entscheidungen ist wichtig, aber nachrangig vor Sicherheitsentscheidungen […] Gut, wenn der Arbeitgeber da hinter einem steht“ (CPT; BO). Im Bereich der Steuerung erfahren die Piloten mitunter jedoch eine Art Überprüfung bzw. Entscheidungskontrolle durch die technischen Systeme. Promi-
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nentestes Beispiel ist der bereits erwähnte Flugkontrollcomputer. Getätigte Steuerinputs durch die Piloten werden hinsichtlich ihrer Logik und Ungefährlichkeit geprüft und nur in gesetzten (programmierten) Grenzen ausgeführt. Hierbei kann es zu gefährlichen Situationen kommen, wenn die Eingaben des Piloten in einer ganz bestimmten Situation richtig wären, das technische System jedoch stur dessen Eingaben limitiert.101 Die technische Überprüfung erfolgt vielfältig. So haben auch alle Informationen, welche vom technischen System zur Verfügung gestellt werden und von ihm selbst vorab erfasst wurden (mittels Sensoren, Thermometern etc.), gewissermaßen den Zweck einer Zustandsüberprüfung und -anzeige. Es wird beispielsweise kontrolliert, dass kein Rauch in der Kabine ist, das Fahrwerk zum Landen ausgefahren ist, die Triebwerke den notwendigen Schub erzeugen, die Frachttüren geschlossen sind etc. Da der Pilot diese Zustände nicht selbst überprüfen kann, muss er sich darauf verlassen, dass sie durch die technischen Systeme zuverlässig erfasst und v.a. bei kritischen Zuständen bzw. Fehlfunktionen sofort übermittelt werden. Dabei wiederum ist die Bewertungs- und Mitteilungsfähigkeit des technischen Systems von wesentlicher Bedeutung. Über die bloße Daten- und Informationsbereitstellung hinausgehend, ‚bewertet‘ das technische System gewisse Messwerte, selektiert sie und zeigt sie, weil dringlich, in Form eines visuellen und akustischen Signals oder Alarms an. „Die Bewertung vieler Zustände übernimmt heute der Flieger. Früher haste eine analoge Anzeige gehabt, die haste dann selbst bewerten müssen. Heute erscheint automatisch ein Hinweis auf dem Monitor“ (CPT; AI; W). Es wird weiter erklärt: „Das Flugzeug redet mit dir. Es sagt dir, was es hat, indem es da blinkt und dort klingelt“ (CPT; AI; W). Dabei sind nicht alle erfassten Daten von Bedeutung. „Was irrelevant ist, wird gar nicht mitgeteilt“ (CPT; AI). Die Informationsflut für den Piloten wird „vorgekaut“ (ebd.), im Sinne von ‚vor‘-reduziert, und „beansprucht erst gar keine Kapazität“ (ebd.). Die Bordcomputer werden vom Piloten mit der geplanten Flugroute programmiert. Dies fällt dem Oberbegriff der generellen Handhabung technischer Systeme zu, was vor allem in den hoch technisierten Glass-Cockpits „einen wichtigen Teil der Arbeit“ (SFO; AI) darstellt, „weil man dem Autopiloten ja sagen muss, was er tun soll“ (ebd.). Dies beinhaltet demnach Programmier- und Rechenaufgaben sowie die richtige Interpretation der durch die Bordsysteme aufbereiteten Da101
Siehe Teil A - 2.2.2 – Lufthansa-Unfall in Warschau 1993.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
ten. Während des Reiseflugs treten immer wieder Umstände auf, die eine Neuprogrammierung erforderlich machen, wie z.B. wenn aufgrund veränderter Wetterbedingungen ein neuer Streckenverlauf notwendig wird. Analog ist es hochentwickelten technischen Systemen heute bereits möglich, sich an die Eigenheiten menschlicher Bediener anzupassen. So nimmt der Airbus beispielsweise „bewusst kurz vor dem Aufsetzen ein klein wenig die Nase runter“ (CPT; AI; W), damit der Pilot, wie er es von konventionellen Fliegern gewohnt ist, „am Sidestick ziehen“ (ebd.) muss. Ohne eine geregelte und fachkundige Kommunikation, sowohl während des gesamten Aufenthalts im Cockpit als auch mit den Kollegen der Kabine und den per Funk verbundenen Gesprächspartnern wie beispielsweise den Towerlotsen, ist kein Flugprozess darstellbar. Eine „klare Verständigung“ (CPT; EM/CA) ist „absolut essentiell“ (ebd.). Die Kommunikation bleibt bis zur letzten Minute einer Flugdurchführung ein durchweg gefordertes Arbeitselement des Piloten. Meist dient dabei der Flieger selbst als Kommunikationsschnittstelle. Auch die Technik ‚kommuniziert‘ ihrerseits, und nicht nur, indem sie anhand von Signalen den Piloten Hinweise gibt. Technische Systeme können auch miteinander kommunizieren, wie das bereits erwähnte Beispiel von TCAS zeigt. Hierbei verständigen sich die in den sich annähernden Maschinen befindlichen TCAS miteinander und geben sozusagen ‚in Absprache‘ gegensätzliche Ausweichempfehlungen an die Piloten. Führen diese die Anweisungen aus, entfernen sich die Maschinen wieder voneinander. Als weiteres Beispiel für technische Kommunikation wird das System für die Kabinendruckregelung angeführt. Für dessen Funktion während des Fluges werden Daten bezüglich der Höhe und der Vertikalgeschwindigkeit benötigt. Hierzu werden die sog. Luftdatencomputer ‚befragt‘. Dabei funktionieren manche Systeme ausschließlich in der Luft und holen sich wiederum diese Information (ob Luft oder Boden) vom sog. Air/Ground-Switch102 des Fahrwerkcomputers. Letztlich könnten alle Aufgaben nicht verrichtet werden, wenn das notwendige Know-how fehlte. Daher ist es selbstverständlich unabdingbar, dass die Piloten über einen fundierten Wissens- und Fertigkeitenbestand verfügen. Ohne flugzeugtypspezifische Kenntnisse ist keine Flugdurchführung möglich. „Als Pilot muss ich mich im Cockpit gut zurechtfinden und wissen, was ich mit den einzelnen
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Air/Ground-Switch (engl.): ein am Fahrwerk angebrachter Schalter bzw. Sensor, welcher erkennt bzw. misst, ob sich das Flugzeug am Boden oder in der Luft befindet (Erklärung von SFO; AI).
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Knöpfen und Hebeln und dergleichen anfangen muss, anfangen kann, anfangen darf und was dann passiert“ (CPT; BO). Die Reaktionen des Fliegers muss er im Hinblick auf den dynamischen Zustand eines Flugverlaufs in sein eigenes Handeln einberechnen und mit den umgebenden Faktoren der Umwelt und den vielfältigen Anforderungen abgleichen. Analog dazu werden die Bordsysteme von den Piloten als Wissensspeicher empfunden. Sämtliche für den Flug relevanten Informationen können im Wesentlichen abgerufen werden. Die Datenbank des Computer „kann befragt“ (FO; AI) werden. Dabei stehen die zahlreichen benötigten Handbücher in elektronischer Form zur Verfügung. Teilnehmende Beobachtungen und Schilderungen der Piloten zeigen ein sehr vielschichtiges und komplexes Arbeitssetting, in welchem Mensch und Technik mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Qualifikationen bzw. Funktionen zusammenarbeiten. Die Anforderungen des heutigen Luftverkehrs erfordern dabei eine funktionierende Kooperation von Pilot und Flugzeug. Die interviewten Piloten empfinden die momentane Rollenverteilung als lediglich noch um wenige Arbeitsschritte verschiebbar, jedoch „nicht vollständig übertragbar“ (CPT; AI; W). „Fliegen geht heute nicht ohne Technik. Ohne Pilot aber auch nicht. Punkt“103 (ebd.). Auf die Frage, was denn nach Meinung der Piloten nur der Mensch, nicht jedoch die Maschine könne, fasst ein Kapitän (inhaltlich stellvertretend für alle interviewten Piloten) zusammen: „Nur der Mensch kann sehr schnell und sehr kreativ auf Non-Standard-Situationen reagieren“ (CPT; AI; W) und „Non-Standard-Situation-en gehören zum Alltagsgeschäft“ (ebd.). Dies betrifft dabei jedoch nicht nur die fliegerischen Aspekte in der Luft, sondern insbesondere auch die neu hinzugekommenen Aufgaben des Managements der Bodenprozesse. Diese werden als zu komplex und unübersichtlich empfunden, als das hier wesentliche Prozessschritte technisch substituiert werden könnten. Insgesamt wird offensichtlich: Mensch und Technik ergänzen sich in ihren Qualifikationen bzw. Funktionen. Der Flugprozess profitiert dabei von der Fusion der unterschiedlichen Fertigkeiten. Dabei haben sich die Anforderungen an den Menschen mit dem technischen Fortschritt verändert. Sie haben sich dahingehend angepasst, dass die Funktionen der Technik möglichst optimal im Flugprozess
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Dies bezieht sich auf die Einschätzung des befragten Piloten im Hinblick auf die Anforderungen der zivilen Verkehrsluftfahrt.
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verwendet werden können. Allerdings kann der landläufigen Meinung, dass dem Menschen im Cockpit nur mehr Restfunktionen verbleiben, entschieden entgegengetreten werden. Die menschlichen Handlungsschritte in ihrer überwachenden, regulierenden, organisatorischen und kommunikativen Funktion sind keinesfalls als anspruchslose Überbleibsel der technischen Ausstattung auszulegen. Die Beobachtungen offenbaren in jeder Hinsicht die hohe Bedeutsamkeit der Rolle des Piloten als Verantwortungsträger hoch komplexer Aufgaben. Die hier zu Oberbegriffen zusammengefasste Auflistung repräsentiert dabei nur einen Auszug aus einer weitaus größeren Fülle von Tätigkeiten und Funktionen, die sich insbesondere dann nochmals um ein Vielfaches erweitert, wenn „richtige Probleme“104 (SFO; AI) auftreten oder „heikle Situationen“ (ebd.) vorkommen – „und klar, das kann schon auch mal passieren“ (ebd.). Dass sich die Dringlichkeit menschlicher Handlungsfähigkeit im Notfall verstärkt, liegt in dem Erfordernis begründet, kreativ und situationsadäquat auf neu auftretende, oftmals unbekannte Probleme zu reagieren, weil vorgefertigte bzw. programmierte Flugverlaufsplanungen hinfällig werden. Für die aktuelle Fragestellung ist vor allem relevant, dass der Pilot mit all seinen Fähigkeiten insbesondere dann notwendig erscheint, wenn es darum geht, (nicht offensichtliche) Zusammenhänge zu erkennen, noch unbekannte Probleme zu lösen, essentielle Entscheidungen unter Einbezug vielfältiger Einflussfaktoren zu treffen sowie mit kommunikativen Mitteln einen notwendigen Abgleich und Austausch mit sämtlichen Beteiligten zu schaffen. Dabei spielt die Komplexität des Arbeitssystems, insbesondere bedingt durch die hohen Technisierungsgrade eine wesentliche Rolle; sie kann die Tätigkeit des Piloten durchaus auch bedeutend schwieriger machen. Die Technik ihrerseits hat sich von rein mechanisch eingesetzten Seilzügen längst entfernt. Zwar gibt es nach wie vor einige wenige simple technische Gegenstände, welche Piloten für ihren Arbeitsvollzug einsetzen. Das Gros der Systeme ist jedoch technisch hochentwickelt und die Piloten schreiben ihnen vielfältige Fähigkeiten zu. Dabei werten die Piloten vor allem die heutigen Anforderungen, wie Wetter, Wirtschaftlichkeit, Pünktlichkeit, Reichweite etc., als Argumente für einen hohen Technikeinsatz. So sind technisch unterstützt Landungen bei schlechtem Wetter oder schlechter Sicht möglich, die der Pilot allein, ohne tech104
Derartige Gefährdungssituationen sind nicht mehr dem hier fokussierten Normallauf zuzurechnen.
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3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
nische Unterstützung, nicht bewerkstelligen könnte. Dies ist in jedem Fall mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden, da nicht ausgewichen werden muss und man ggf. eine Hotelübernachtung für die Passagiere einspart. Ausweichlandungen, Verspätungen und dergleichen wirken sich natürlich auf die Pünktlichkeit aus – was wiederum das Image der Airline prägt. Aber auch die heute großen Reichweiten, z.B. nonstop von Europa nach Südostasien, werden durch die automatische Flugführung über weite Strecken erst möglich. Piloten empfinden die Technik daher als „notwendige Unterstützung in modernen Zeiten mit hohen Anforderungen“ (CPT; EM/CA). Die Hauptaufgaben des Piloten und die wichtigsten Funktionen der Technik sind nachfolgend tabellarisch zusammengefasst:
Hauptaufgaben Pilot:
Hauptfunktionen Technik:
→ Leitung des Flugprozesses
→ Unterstützung des Piloten
- Planen, Organisieren, Anpassen, Optimieren - Visuelle Begutachtung, Überprüfung, Monitoring - Zustände und Vorgänge antizipieren, interpretieren, einordnen - Unregelmäßigkeiten vorbeugen, ausgleichen, beheben - Verantwortung übernehmen - Handhabung der Technik - Klare Kommunikation - Anwendung von Wissen und Fertigkeiten
- Datenerfassung, -aufbereitung und zuverlässige Informationspräsentation - Technisches Monitoring, Zustände erfassen, bewerten, selektieren und mitteilen - Überprüfung bzw. Entscheidungskontrolle (Steuerinputs werden hinsichtlich Logik und Ungefährlichkeit geprüft) - Technische Kommunikation (TCAS) - Datenbank und Wissensspeicher (relevante Informationen abrufbar; Der Computer „kann befragt werden“)
Abbildung 3: Hauptaufgaben des Piloten und Hauptfunktionen der Technik
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3.1.4 Formen der Kooperation Die erfolgten Beobachtungen und Interviews ermöglichen es, die Arbeitsabläufe im Cockpit weiter zu konkretisieren. Wie sich bislang schon zeigte, ist die Kooperation von Mensch und Technik wesentlich für einen gelungenen Flugprozess. Dies lässt sich anhand verschiedener kooperativer Arbeitsschritte noch genauer darstellen.
Steuerungsmodi Der Autopilot = der automatische Pilot? Ihn schaltet der Pilot nur ein, wenn er mal eben kurz Pause machen möchte. Was so simpel und technisch mysteriös klingt, ist in Wirklichkeit ein Computer, der verschiedene Arten der Steuerung zulässt. Spricht ein Pilot davon, ‚seinen Flieger zu fliegen‘, nimmt der Laie an, dass diese Steuerung direkt passiert. D.h. der Pilot bewegt den Steuerknüppel bzw. das Steuerhorn und ‚lenkt‘ das Flugzeug – ähnlich einem Auto – durch den Luftraum. Mit dem Schubhebel reguliert er dabei den Schub und somit die Geschwindigkeit und sämtliche Klappen werden durch direkte Anwahl des entsprechenden Hebels bewegt. Der Pilot ist alleinverantwortlicher Lenker seines Flugzeugs. Soweit die Vorstellung der meisten Nichtflieger. Dieses ‚direkte‘ Fliegen findet statt – jedoch nur noch für ein paar wenige Minuten, meist nach dem Start.105 Nach dem Abheben ‚folgt‘ der Pilot dem Flight Director. Das sind Vorgaben des Flugcomputers, dargestellt in Form von zwei Balken oder einem Dreieck auf dem künstlichen Horizont, um die vorgewählte Flugroute, das Flugprofil und die Geschwindigkeit einzuhalten. Der Pilot bedient hierzu den Sidestick und den Schubhebel.106 Das Flugzeug assistiert ihm, indem es Vorgaben generiert, die der Pilot 105
106
Der Vollständigkeit halber sei hier der Verweis auf die Verkehrs- und Bodenannäherungssysteme (TCAS und GPWS) gegeben. In Not- und Störfällen wird ebenfalls manuell geflogen (da solche Situationen in vorliegender Arbeit nicht behandelt werden, erfolgt dieser Hinweis lediglich als Fußnote). Droht eine Kollision mit einem anderen Flugzeug oder einem Hindernis, schlagen TCAS und GPWS Alarm. In beiden Fällen muss schnell reagiert werden, da sie „den letzten Rettungsanker“ darstellen. Die Flugwegänderung birgt unter Umständen jedoch neue Gefahren wie z.B. eine zu langsame Geschwindigkeit oder eine erneute Annäherung an ein anderes Flugzeug. Deshalb muss der Pilot das Ausweichmanöver manuell durchführen. Das Flugzeug liefert lediglich die Ausweichempfehlung über den Flight Director und warnt akustisch sowie visuell. Dann möglich, wenn der „Auto-Throttle“ (= automatische Schubregelung) nicht aktiviert ist.
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‚abfliegt‘. (Anmerkung: Zur Landung darf bei gutem Wetter und zu Trainingszwecken der Flight Director sogar ganz ausgeschaltet werden. Das heißt, der Pilot erhält nun keinerlei Hilfestellung für die richtige Fluglage mehr. Er muss demnach die richtigen Eingaben für Schub, Anstellwinkel und Querlage selbst bestimmen, um auf dem richtigen Flugweg bzw. bei der richtigen Geschwindigkeit zu bleiben.) Bei Normalbetrieb kann dann ab einer bestimmten Mindesthöhe der Autopilot aktiviert werden (der selbst auch wiederum dem Flight Director folgt). Dazu wird an der FCU107 der sog. managed flightmode gewählt. Das entspricht einer dreidimensionalen vollautomatischen Flugführung durch die Flugnavigations-Computer anhand vorher manuell eingegebener oder hochgeladener Flugpläne. Der Laie versteht darunter das Fliegen mit Autopilot. „Das ist echte Delegation. Der Kollege [Anm. das Flugzeug bzw. der Autopilot] fliegt dann den Flugplan ab und ich trinke Kaffee“ (CPT; AI; W). Selbstverständlich bleiben die Piloten dabei jedoch „immer wachsam“ (FO; AI). Alle Systeme wie Kabinendruckregelung, Elektrik, Hydraulik usw. laufen vollautomatisch. Nach Einschalten des Autopiloten hat der Pilot in dieser Flugphase überwachende Funktionen. Sollte eine technische Störung auftreten, wird er darüber durch den Warncomputer informiert. Alle Systeme checken sich fortwährend selbst. Die beschriebene Arbeitsebene zwischen Mensch und Technik hat nun einen kooperativen Charakter. Der Pilot arbeitet mit dem technischen System zusammen. Er verlässt sich bis zu einem gewissen Grad auf dessen Performance und hat Kapazität für andere Dinge. Um die Bedeutung bzw. Gewichtung der gewählten Flightmodes und der ursprünglichen Aufgabe (ein Flugzeug wirklich ‚per Hand zu fliegen') in einem mo-
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Die sog. FCU (Flight Control Unit) ist für die Bedienung der ‚selected flightmodes‘– die direkte Steuerung des Autopiloten zuständig. Direkte Steuerung bedeutet hier manuelle Eingabe der Kursrichtung, Flughöhe, Geschwindigkeit, Vertikalgeschwindigkeit usw., zum Beispiel wenn vom Fluglotsen eine bestimmte Kursrichtung, ein sogenannter Heading, vorgegeben wird, um den Mindestabstand zu einem anderen Flugzeug einzuhalten. In diesem manuellen Mode kann wiederum der managed mode ‚armiert‘ werden. Das heißt: Würde man sich mit dem aktuellen Kurs auf die ursprüngliche Flugroute zubewegen, würde sich der Flieger auf die vorher einprogrammierte Route „einfädeln“. Man redet dabei von einer Interception der Flugroute. Führt der eingedrehte Heading von der ursprünglich einprogrammierten Route weg, bleibt das Flugzeug auf diesem Heading, d.h. es entfernt sich weiter. Es kann dann zum Ausfall des Flight Management Systems (FMS) kommen. Dann ist keine managed guidance mehr möglich und der Pilot kann nur mehr Funkfeuern (per Heading) folgen oder er bekommt Vorgaben vom Lotsen (Erklärung von CPT; EM/CA).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
dernen Flugprozess zu verdeutlichen, ist an dieser Stelle die entsprechende Interviewfrage nebst Antwort wörtlich wiedergegeben: „Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit an Bord beschäftigen Sie sich damit, das Flugzeug manuell zu steuern?“ Die Antwort: „Manuell das Flugzeug zu steuern mach ich noch etwa ein bis fünf Minuten. Und das ist dann auch Wurst, ob du eine Stunde Flugzeit hast oder 14. Das bleibt gleich“ (CPT; AI).
Techniken der Kontrolle Wie bereits bei den Steuerungsmodi deutlich wurde, haben die technischen Systeme im Flugzeug eine hohe Bedeutung erlangt. Längst jedoch sind nicht alle Instrumente derart autonom in ihrem Vollzug, dass in jedem Fall von ‚Mit-Handeln‘ bzw. Kooperation zwischen Mensch und Technik gesprochen werden kann. Neben den selbstständig arbeitenden Systemen bieten unterschiedlich stark technisierte Instrumente weiterhin lediglich Informations- und Datenpräsentation an und ‚assistieren‘ damit dem Piloten. Auch am Beispiel unterschiedlicher Formen der Kontrolle und Überprüfung lässt sich dies nachvollziehen. Piloten haben visuelle Begutachtungen und Überprüfungen anzustellen. Ziel ist dabei, sich „ein Bild vom Zustand des Fliegers“ (SFO; AI) zu machen. Dabei muss das Flugzeug zunächst äußerlich in Augenschein genommen werden. Bei schlechter Sicht, z.B. bedingt durch Dunkelheit, bedient sich der Pilot hierbei einer einfachen, an Bord befindlichen Taschenlampe (bzw. eines Punktscheinwerfers), um seine Begutachtungen besser durchführen zu können. Taschenlampe und Punktscheinwerfer stellen hier sehr einfache technische Gegenstände dar, welche der Pilot instrumentalistisch einsetzt. Er bedient sich ihrer lediglich, um seine Handlung – die Begutachtung – besser durchführen zu können. Zum Zwecke visueller Überprüfung und Kontrolle finden sich schon seit geraumer Zeit technische Informationssysteme in den Flugzeugkanzeln. Insbesondere Bereiche, die der Pilot nicht so ohne weiteres einsehen kann (z.B. Füllstand des Tanks), wurden zunächst durch simple Anzeigen im Cockpit dargestellt. Die angezeigten Informationen wurden im Laufe der Jahre immer mehr und präziser. Der Pilot kann heute anhand dieser Anzeigen den Zustand seines Flugzeugs (Tankanzeige, Geschwindigkeitsanzeige, Lage im Raum etc.), den Zustand der
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Umwelt (Wetterradar, Außentemperatur, Gelände), die Verkehrslage (andere Flugzeuge am Boden und in der Luft) und die eigene Position in Bezug auf die geplante Flugroute sehr genau erkennen. Sämtliche dieser Informationen werden den Piloten im Cockpit zur Verfügung gestellt. Sie dienen nicht nur der Kontrolle, sondern ‚assistieren‘ bei der Flugsteuerung und -organisation. Die Darstellungen erfolgen fast ausschließlich optisch (und in geringem Maße akustisch, wie z. B. ein Warnton zur Annäherung an eine vorgewählte Flughöhe), d.h. die Piloten erfassen die Informationen in erster Linie visuell auf Anzeigen. Analoge Uhrenanzeigen in früheren Maschinen konnten anhand eines farbig abgehobenen Ausschnitts den Piloten sofort – „auf einen Blick“ (CPT; EM/CA) – erkennen lassen, ob sich die Nadel im Sollbereich befindet. Die Kontrolle „war ein geübter Blick“ (CPT; BO), mit dem man die „Anzeigen abwanderte“ (ebd.). Heute erfassen Sensoren den Zustand, übermitteln diesen an den Rechner, dieser bewertet den Zustand anhand einprogrammierter Normintervalle und stellt den Piloten die Information – wenn notwendig, farbig als Warnhinweis bzw. zusätzlich akustisch in Form eines Alarms – zur Verfügung. Es wird erklärt: „Dabei werden die Warnungen schon nach Dringlichkeit vorsortiert und werden dann auch so von mir abgearbeitet“ (CPT; AI). Einen tieferen Einblick erhält der Pilot bei der Analyse der schematisch dargestellten Systemanzeigen. Die Farbe Grün wird dort für funktionierende Systemkomponenten wie Leitungen, Generatoren oder Pumpen verwendet. Störungen hingegen werden meist durch gelbe Kreuze oder gestrichelte Linien dargestellt. In den allermeisten Fällen fällt die Bewertung des erfassten Zustands somit gewissermaßen bereits in den Bereich der technischen Kontrolle. Die Informationen werden nicht mehr isoliert und einzeln erfasst, sondern bereits vom Flugcomputer miteinander verknüpft. Zahlreiche Unstimmigkeiten erkennt das System eigenständig. Der Pilot knüpft mit seinem Handeln dort an, wo in vielen Fällen sogar schon eine vom technischen System generierte Handlungsempfehlung präsentiert wird. Nicht in jedem Fall verlaufen Störsituationen nach diesem Schema, jedoch sind diese Handlungsempfehlungen bereits „täglich Brot“ (CPT; AI; W). „Man darf sich nur nicht zu sehr darauf verlassen, dass der Flieger alles weiß […], denn gerade bei unbekannten oder sehr vertrackten Situationen steigt der dann nämlich aus“ (ebd.). Unabhängig davon, ob das Bordsystem bereits mit Handlungsempfehlungen aufwartet oder ob die Informationen lediglich dargestellt werden, kann man fest-
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halten, dass der Pilot sich der dargestellten Informationen ‚bedient‘. Es bieten sich ihm eine Vielzahl an Daten, die ihm die Flugzustandskontrolle erleichtern, ggf. entlasten ihn die Bordsysteme sogar in seinen Entscheidungen durch Handlungsempfehlungen. Im Bereich der Kontrolle und Überprüfung finden sich im modernen Cockpit jedoch bereits Elemente, die noch einen (technischen) Schritt weitergehen. Einige Kontrollfunktionen verlaufen bereits weitestgehend ohne menschliche Beteiligung. So erfolgt beispielsweise während des Rollvorgangs am Boden auf dem Weg zur Startposition der sog. Takeoff-Configuration-Check. Durch Betätigen eines einfachen Knopfes werden dabei automatisch alle wesentlichen Einstellungen für den Start vom Bordsystem überprüft. Dazu gehören beispielsweise die richtige Klappenstellung, die Trimmklappenstellung und das Fahrwerk. Der Check richtet sich im Wesentlichen gegen die menschliche Vergesslichkeit bzw. Unkonzentriertheit. In der Vergangenheit gab es Unfälle, wenn die Klappen/Trimmklappen-stellung nicht bedient wurde. Das Flugzeug überprüft „sich quasi selbst“ (SFO; AI), ob es sich in der richtigen Konfiguration für den Start befindet. Weicht beispielsweise die Klappenstellung von der vorher einprogrammierten ab oder wurden diese gar nicht ausgefahren, kommt die akustische Warnung "No Take off!". Das technische System ist hier also in der Lage, die Bedingungen für einen sicheren Start selbsttätig zu überprüfen. Der Pilot gibt dazu lediglich den Befehl per Knopfdruck. Auch die sog. Fire Protection (Brandschutzsystem) unterliegt einer weitestgehend vollautomatischen Überwachung. So befinden sich in den Triebwerken, der APU, den Frachträumen und den Abfallbehältern der Toiletten hochsensible Hitzesensoren, Rauchmelder und Feuerlöschanlagen. Die Aktivierung der Feuerlöschanlagen erfolgt je nach Bereich entweder nach Alarm im Cockpit durch die Cockpitcrew oder, wie in den Bordtoiletten, bereits völlig automatisch und technisch selbstständig. Ein weiteres Beispiel für vollautomatische Funktion und Überwachung sind die Kerosintanks (Fuel) in den Tragflächen oder auch (meist bei Langstreckenjets) im Rumpf. Das sind mindestens zwei voneinander unabhängige Tanks. Zu diesem System gehören außerdem triebwerksgetriebene oder elektrische Pumpen, Leitungen, Ventile und Messsensoren. Die vollautomatische Funktion und Überwachung richtet sich auf Fehlfunktionen der Pumpen und Ventile oder Niedrigstände in den Tanks (eine Überwachung gegen Leckage ist jedoch nicht möglich). Sollte tatsächlich einmal ein Tank auslaufen, muss er vom Rest
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des Fuel-Systems durch Ventile abgeschottet werden, um einen weiteren Spritverlust zu verhindern. Sollte eine Pumpe ausfallen, übernimmt eine Ersatzpumpe.108 Neben dieser selbstständigen Zustandskontrolle des Flugzeugs gibt es auch die bereits beschriebene Kontrolle der Steuerinputs durch das technische System. Getätigte Eingaben des Piloten werden „vom Flieger überprüft und bewertet“ (CPT; AI; W). Die Kontrolle verläuft dabei gewissermaßen andersherum als erwartet. Nicht der Mensch ist in diesem Fall derjenige, der die Vorgänge des Flugzeugs „kritisch im Auge“ (CPT; AI; W) hat, sondern das Flugzeug selbst bzw. vielmehr der Flugkontrollcomputer „beäugt“ (ebd.) die Eingaben des Piloten. Diese Art der Kontrolle geht so weit, dass die Steuerbefehle des Piloten, sofern sie nicht mehr im programmierten Toleranzbereich liegen, limitiert werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Flugprozess vielfältig ‚abgesichert‘ wird. Die gegenseitige Kontrolle menschlicher und technischer Aktionen bestätigt die hohe Relevanz einer funktionierenden ‚Zusammenarbeit‘ bzw. Kooperation von Pilot und Bordtechnik im Arbeitssystem Flugzeug. Im Idealfall klappt dies reibungslos.
Formen gegenseitiger Delegation Die Kooperation von Mensch und Technik lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Delegation einzelner Aufgabenbestandteile an die Technik bzw. zurück an den Menschen betrachten. So sind gewisse Funktionen technischer Systeme mittlerweile automatisch bzw. zwangsläufig aus dem Aufgabengebiet des Piloten ausgegliedert. Dies sind alle Funktionsschritte, die ohne weiteres Zutun des Piloten bzw. nach seinem Initialinput automatisiert ablaufen. Hierunter fallen insbesondere alle Systeme, welche (aufgrund des technischen Fortschritts oder bautechnischer Limitationen) vom Piloten gar nicht ‚von Hand‘ regulierbar sind, wie z.B. das Anlassen der Triebwerke oder das vollautomatische Sauerstoffversorgungssystem. Das System Flugzeug übernimmt hier die alleinige Regulation. Der Pilot kann keine individuelle Entscheidung darüber treffen, ob bzw. wie er diese Funktionen an die Technik abgeben möchte oder nicht. Die angesprochenen Funktionen können nur technisch
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Daneben wäre sogar eine Spritversorgung durch reine Schwerkraft (Verlagerung) möglich (Erklärung von FO; AI).
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erfolgen und laufen quasi im Hintergrund ab. In der Regel sind für den Piloten hier keine bzw. nur sehr begrenzte Eingriffsmöglichkeiten vorgesehen, diese stehen ihm gar nicht oder kaum zur Verfügung.109 Daneben gibt es Zustände bzw. Momente, in welchen Piloten situationsbedingt und/oder individuell Funktionen an die Technik delegieren. Der Autopilot ist hierfür das prominenteste Beispiel. Durch Delegation der Steuerung an den Bordcomputer verschafft sich der Pilot Kapazität für andere Dinge – vornehmlich Flugmanagementaufgaben. Dabei erfordern gewisse Situationen die Aktivierung des Autopiloten ohne Wahlmöglichkeit, so z. B. bestimmte Wettersituationen. Insbesondere bei stark eingeschränkten Sichtverhältnissen, etwa durch Nebel, sind Landungen durch den Autopiloten bzw. vollautomatisierte Landungen vorgeschrieben. Der kurzen verbleibenden Flugzeit nach Sichtkontakt (des Flughafens) und der limitierten menschlichen Reaktion wird hier Rechnung getragen. Neben einer situationsabhängig erforderlichen Delegation an die Bordtechnik gibt es für jeden Piloten aber auch gewisse Spielräume, ab wann er die Flugsteuerung an die Technik abgibt. Das bedeutet, es gibt durchaus Situationen, in denen es „Geschmackssache“ (CPT; BO) ist. Der Pilot kann entscheiden, ob er lieber „von Hand“ (ebd.) fliegt oder „den Autopiloten mit reinnimmt“(ebd.). Es gibt „dann Kollegen, die übergeben relativ schnell an den Autopiloten“ (CPT; AI), aber selbst dann „ist es eher selten, dass man die Abflugverfahren komplett so abfliegt, wie sie im Computer abgebildet sind, weil die Controller110 aus vielen Gründen mal davon abweichen. Insofern gibt’s eh relativ schnell Directs111 oder ein Heading112 und das musst du dann sowieso manuell machen“ (ebd.). Egal also ob sich ein Pilot sehr schnell nach dem Abheben für den Autopiloten entscheidet oder nicht, der daran anschließende Steigflug ist meist durch manuelle Eingaben geprägt.
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Gewisse Eingriffsmöglichkeiten bestehen über die Control-Panel im Cockpit. Manche Systeme verfügen nur über Ein-/Aus-Schalter, bei anderen können Ventile und Pumpen einzeln angesteuert werden (wie z.B. beim Fuelsystem) und wieder andere verfügen über einen manual mode, wie z.B. die Kabinendruckregelung (Steuerung erfolgt dann durch den Piloten) (Erklärung von CPT; EM/CA). Controller (engl.): Ist in der Luftfahrt die gebräuchliche Abkürzung für Air traffic controller – zu Deutsch Fluglotse (Quelle: Begriffsklärung „Controller“ auf de.wikipedia.org, Version 29.04. 2016). Direct (engl.): Abkürzung in der Abflugroute, angewiesen durch die Flugsicherung (Erklärung von SFO; AI). Heading (engl.): Flugrichtung in Grad (0°bis 360°), bezogen auf magnetisch Nord (Erklärung von SFO; AI).
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„Die Arbeitsbelastung variiert dadurch nicht sehr stark“ (ebd.). Der gesamte Rest der Flugzeit ist bei normalen Verhältnissen im Prinzip automatisiert darstellbar. Ein Kapitän erklärt: „Wenn wir im Flaps up113 sind und ich den Autopiloten einschalte und das FMS entsprechend programmiert ist, dann rotz-rottelt der da alleine runter bis 3000 Fuß über Grund“ (CPT; AI; W). Im normalen Reiseflug ist es also üblich, den Autopiloten über weite Strecken die vorab einprogrammierte Flugroute abfliegen zu lassen. Insbesondere auf Langstreckenflügen ist die Delegation an den Bordcomputer absolut notwendig. Die Belastung über Stunden wäre anderenfalls viel zu hoch. Außerdem empfinden die Piloten die Flugführung durch den Autopiloten nicht nur als „komfortabel, sondern besser als von Hand“ (CPT; AI; W). Vor allem sei die Abgabe an den Autopiloten auch notwendig, um sich um andere wichtige Aufgaben kümmern zu können. Insbesondere Flugmanagementaufgaben kämen sonst deutlich zu kurz. „Besonders auf Langstrecke, da gibt’s eine Menge Feintuning. Zum Beispiel hört man, wo’s gerade Turbulenzen gibt, und versucht dann eine andere Höhe zu bekommen oder ein Rerouting114“ (CPT; AI). Gewisse Flugsituationen werden jedoch auch heute noch grundsätzlich nur manuell durch den Piloten ausgeführt. So ist ein Take-off, ein Startvorgang, (bislang noch) nicht automatisiert möglich. Die Piloten müssen diesen, „bis auf die automatische Schubregelung, von Hand“ (CPT; EM/CA) ausführen. Auch die sog. Notausweichmanöver, vorgegeben durch TCAS oder GPWS, gegen Hindernisse, Verkehr oder Wind gehören hierzu. In diesen Situationen muss ebenfalls von Hand geflogen werden, da man dies bislang nicht auf möglicherweise fehlerhafte Systeme übertragen möchte und/oder die zugrunde liegenden Informationen fehlerhaft sein können.115 Aufgrund ihrer Komplexität sind diese Flugphasen/-situationen nicht bzw. nur wenig automatisiert. Von einem „fertig konfigurierten Steigflug“ spricht man dann, wenn sowohl die Landeklappen als auch das Fahrwerk eingefahren sind. Auch Fahrwerk und Landeklappen werden manuell gefahren.116 113
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Flaps up (engl.): Das heißt, die Landeklappen sind nach dem Start eingefahren (Erklärung von FO; AI). Rerouting (engl.): Änderung der Flugroute (Erklärung SFO; AI). Lt. Auskunft einiger Piloten wird an einer vollautomatischen Funktion in diesem Bereich geforscht. Wobei manche Flugzeuge, wie z.B. Airbus, über einen Schutzmechanismus verfügen. Diese fahren Landeklappen und Fahrwerk ab einer gewissen Geschwindigkeit dann doch selbstständig ein, bevor durch zu hohe Geschwindigkeit Schäden verursacht werden (Erklärung von CPT; EM/CA).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Obwohl es noch Flugphasen und Situationen wie den Start gibt, in denen noch keine automatische Option wählbar ist, macht es doch den Eindruck, dass die Technik im Normallauf einen verlässlichen und mitunter fast schon omnipräsenten Partner im Cockpit darstellt. Insbesondere dann, wenn es um eine Entlastung des Piloten geht, verschaffen die technischen Systeme notwendige Freiräume und damit Kapazitäten für andere wichtige Aufgaben. Wie allerdings auch schon deutlich wurde, ist diese Entlastung im Normallauf auch kritisch zu betrachten, nämlich genau dann, wenn die Situationen sich ändern, d.h. der Standardablauf durch eine unplanbare Variable gestört wird. Dann kann es nämlich passieren, dass „der Autopilot dann einfach sagt: Kann ich nicht! Mach du weiter!“ (CPT; AI; W). Die Technik erlaubt es sich hier also, die an sie übertragene Funktion quasi wieder zurückzudelegieren – und zwar offenbar genau dann, wenn die Situation herausfordernd wird. Die befragten Piloten bestätigen, dass die vorgesehene Kooperation von Mensch und Technik im Flugzeugcockpit eingespielt und routiniert abläuft – solange es sich um planbare Standardsituationen handelt, also „nix dazwischenkommt“ (SFO; AI). Es zeichnet sich hier jedoch schon ab, dass die Kooperation von Mensch und Technik in anspruchsvolleren Situationen mitunter anders beurteilt wird.
3.1.5 Zwischenfazit Insgesamt machen die bislang vorgenommenen Analysen deutlich, dass sich das moderne sozio-technische System Cockpit hinsichtlich der Aufteilung menschlicher und technischer Prozessanteile adäquat mit dem Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft erfassen lässt. Es zeigt sich, dass sowohl Mensch als auch Technik wichtige und vielfältige Prozessschritte einleiten, durchführen, regulieren und abschließen. Dabei bedient der Mensch die Technik und die Technik beeinflusst wiederum die Handlungen des Menschen. Der Flugprozess erscheint als äußerst komplexer Vorgang mit vielfältigen Mensch-Technik-Schnittstellen, an denen aufgrund der permanenten Dynamik ein reger Austausch stattfindet. Über diese unterschiedlichen Schnittstellen werden Inputs eingegeben oder Verläufe programmiert und Informationen oder Handlungsempfehlungen ersichtlich. Kein Flugverlauf gleicht dabei einem anderen, jeder Flug ist durch einen dynamischen,
3.1 Der Cockpitarbeitsplatz
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situationsbedingt neuartigen Handlungs- und Funktionsstrom einzelner ineinandergreifender Prozessschritte gekennzeichnet. Wie die Darstellungen zeigen, ergänzen sich Mensch und Technik dabei meist sehr gut. Es kann bestätigt werden, dass die Frage „Wer oder was fliegt ein Flugzeug?“117 (Teil A - I.2.1) in Bezug auf den hoch technisierten Flugprozess anders formuliert werden muss. Sehr viel treffender ist die Frageformulierung: „Welche Aktivitäten von welchen Agenten tragen alle zur Flugaktion bei?“ (Rammert 2003, S. 14). Dass daran selbstverständlich eine große Anzahl cockpitexterner Akteure beteiligt ist (vgl. Rammert, Schulz-Schaeffer 2007, S. 111f), soll hier erwähnt sein, liegt jedoch nicht im Fokus dieser Untersuchung. Bezogen auf die Arbeit des Piloten im hochtechnisierten Cockpit bestätigt sich allerdings, dass das Fliegen eben nicht nur dem Menschen oder der Technik zugeschrieben werden kann. Vielmehr fliegt das Flugzeug erst dadurch, dass Mensch und Technik den Rahmenbedingungen gemäß und den situativen Ansprüchen entsprechend nahezu permanent kooperieren. Die Bordtechnik und dabei insbesondere die autonom agierenden und kontrollierenden Systemelemente vermitteln dabei den Eindruck, stets verlässlich autorisierte Prozessschritte zu vollziehen – wie dies offiziell auch vorgesehen ist. Die Piloten haben sich auf diese technische Eingriffsmöglichkeit eingestellt und arrangieren sich in allen planbaren und überschaubaren Situationen problemlos damit. Dabei sind die Aufgaben und Funktionen eindeutig verteilt – zumindest gilt dies für alle planmäßig ablaufenden Normalsituationen, sozusagen im Idealfall. Die Technik wird als kooperativ, unterstützend und verlässlich empfunden. Die Kooperation wird jedoch zur Herausforderung, wenn Situationen komplexer werden und Piloten an Grenzen der Planbarkeit stoßen und/oder Unwägbarkeiten der Technik in Form Kritischer Situationen in Erscheinung treten (siehe nächsten Untersuchungsschwerpunkt). Und dies wiederum scheint den eigentlichen, realistischen ‚Normalfall‘ widerzuspiegeln, denn „den totalen Idealfall gibt‘s eigentlich nicht“ (CPT; AI; W). Es folgt im zweiten Schwerpunkt daher die Analyse von Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik in der Cockpitarbeit.
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Vgl. „Wer handelt und was funktioniert wenn ein Flugzeug fliegt?“ (Rammert 2006b, S. 182).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen Basierend auf den Ergebnissen des ersten Schwerpunktes, wonach sich das Handeln des Piloten und die Funktion des Flugzeugs adäquat mit dem Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft erfassen lassen, stehen nachfolgend die Unwägbarkeiten der Technik und die Grenzen der Planbarkeit im Fokus. Bezugnehmend auf Ergebnisse von Forschungen im Bereich der industriellen Produktion, wonach Kritische Situationen in der Arbeit mit hoch technisierten Systemen eine bedeutsame Rolle spielen, wird hier danach gefragt, inwiefern dies auch auf die Flugprozesssteuerung zutrifft. Kritische Situationen in der Cockpitarbeit sollen erfasst und – so weit wie möglich – kategorisiert werden. In einem weiteren Schritt sollen die so erfassten Kritischen Situationen von den nichtkritischen abgegrenzt werden. Das Verständnis des Umfangs menschlicher Arbeit in hoch technisierten Systemen lässt sich so weiter konkretisieren – bevor anschließend der Frage nachgegangen werden kann, wie die Kooperation von Mensch und Technik – unter Beachtung sämtlicher realer, alltäglicher Anforderungen – konkret verläuft. Methodisch spielten hier teilnehmende Beobachtung und anschließende reflexive Interviews eine geringere Rolle als im ersten Untersuchungsschwerpunkt. Das Hauptgewicht lag auf vertieften Experteninterviews, sowohl mit den beobachteten als auch mit anderen Piloten. Anders als bei der Erfassung der menschlichen und technischen Arbeitsbestandteile im Sinne der Verteilten Handlungsträgerschaft (FP 1) war hier die Schwierigkeit gegeben, dass die Piloten zunächst ein Grundverständnis für die Thematik Kritischer Situationen (im hier gemeinten Sinne) aufbauen mussten. Bei Schulze und Carus (1995, S. 31) findet sich folgende Definition Kritischer Situationen für den Bereich der computergestützten maschinellen Zerspanung: „Unter kritischen Arbeitssituationen werden im folgenden solche Situationen verstanden, die in ihrem Auftreten und Verlauf im voraus nicht exakt erfaßbar und planbar sind. Kritische Arbeitssituationen zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht durch regelartige Verknüpfungen in der Form von Algorithmen zwischen definierten Ist- und Sollzuständen bewältigen lassen. In der Erfassung definierter Ist- und Sollzustände sowie in der Ableitung und Beschreibung von Regeln zur Überführung eines Ist- in einen angestrebten Sollzustand bestehen Voraussetzungen für automatisch zu steuernde Prozesse. Dies Verständnis von ‚kritisch‘ ist somit auf Grenzen im vorhinein geplanter und algorithmisch-regelartig kontrollierter Bearbeitungen bezogen. Kritische Arbeitssituationen stellen eine Art Störgröße dar, die potentiell eine
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
115
automatisierte Bearbeitung unterbrechen, abändern oder gefährden. In der Bewältigung kritischer Arbeitssituationen unter der Perspektive einer Sicherstellung von Teilequalität liegt gleichzeitig ein wesentliches Leistungspotential qualifizierter Facharbeit.“
Diese Definition Kritischer Situationen wurde auf den Bereich der Cockpitarbeit übertragen und der weiteren Analyse zugrunde gelegt. Insbesondere die Problematik der Unwägbarkeiten im Normallauf – also nicht gefährlicher komplexer Störungen, sondern noch ‚normaler‘ Abweichungen – überhaupt erst zu erkennen und folglich auch benennen zu können war für die befragten Piloten anfänglich schwierig. Denn dass Piloten nebenbei bzw. alltäglich Abweichungen regulieren oder nachbessern, geschieht offenbar hauptsächlich un- bzw. wenig bewusst. Wegen der Selbstverständlichkeit dieser Handlungen erscheint es den Piloten selbst so, als wären die Abläufe nahezu reibungslos. Es ist notwendig, auf die Einschätzungen der Piloten zurückzugreifen, weil die Arbeitsabläufe, Handlungen und Entscheidungen von einem zwar eingewiesenen, aber fachfremden Beobachter allein nicht verstanden und eingeordnet werden können, wie sich im Lauf der teilnehmenden Beobachtung zeigte. Die Experteninterviews lagen allesamt nach den Beobachtungsstudien. Die Abläufe waren daher bekannt und konnten in den Interviews als (Verständnis-)Grundlage für die von den Piloten genannten Beispiele dienen. Der Normallauf im hier gemeinten Sinne soll alle Flugprozessabschnitte umfassen, die keine gefährlichen Störsituationen aufweisen. Es fallen hierunter demnach sämtliche Abweichungen und Störungen, die (noch) nicht unter den Begriff Vor- oder gar Unfall subsummiert werden. Differenziert nach verschiedenen Arbeitsphasen werden im Folgenden Situationen aufgezählt, die als typische Kritische Arbeitssituationen im Zusammenhang mit Unwägbarkeiten der Technik und/oder Grenzen der Planbarkeit gewertet werden können (Schulze, Carus 1995, S. 33f).
3.2.1 Die Arbeitsphasen im Flugprozess Der Flugprozess lässt sich in verschiedene Arbeitsphasen gliedern. Die für die computergestützte Produktionsarbeit entwickelten Arbeitsphasen (Vorbereitung, Lenkung und Auswertung) können für die Cockpitarbeit nicht übernommen wer-
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
den. Die Arbeitsphasen unterscheiden sich beim Flugprozess in anderer Weise voneinander. Zusammen mit der Benennung der sog. Bedingungsfaktoren im Flugverkehr dient die nachfolgend vorgenommene Einteilung dem Entwurf einer Topologie Kritischer Situationen – vergleichbar mit der von Schulze und Carus (1995) entwickelten Topologie für den Arbeitsbereich der computergestützten Fertigung. Das Anliegen von Schulze und Carus, nämlich ein „Ordnungs- oder Kategorienschema zur Einordnung und Verortung von kritischen Arbeitssituationen und Störgrößen, die einer exakten Voraussage des Zerspanungsprozesses und seiner automatischen Regulierung entgegenstehen“ (Schulze, Carus 1995, S. 31), zu entwickeln, wird hier auf die Cockpitarbeit übertragen. Dies insbesondere, um auch hier „Grenzen einer Vorausplanung und Vollautomatisierung spezifizieren und differenzieren zu können“ (ebd., S. 31) und die Bedeutung und Wahrscheinlichkeit des Auftretens Kritischer Situationen in den alltäglichen Arbeitsabläufen aufzuzeigen. Übergeordnet erscheint es zunächst sinnvoll, sich am Merkmal on blocks oder off blocks zu orientieren. Diese in der Fliegerwelt gebräuchlichen Bezeichnungen bedeuten: Entweder parkt das Flugzeug an der vorgesehenen Position – die Bremsklötze liegen vor (on blocks) – oder es hat sich von dieser Position entfernt bzw. ist dort noch nicht angekommen (off blocks). Grob gesagt wird demnach unterschieden zwischen allen relevanten Aufgaben am Boden (Parkposition) und allen Aufgaben im Flug bzw. im bewegten Flugzeug (inklusive Rollen, Start und Landung). Die nachfolgende Analyse fokussiert daher einerseits Kritische Situationen sämtlicher Bodenprozesse und andererseits Kritische Situationen im laufenden Flugprozess. Dabei ist der Flugzustand (Luft vs. Boden118) eine für die Cockpitarbeit sehr wesentliche Unterscheidung. Denn mit dem Moment des Abhebens geht das Arbeitssetting in ein sog. Echtzeitsystem über (vgl. Weyer 2007, S. 37). Anders als alle Abläufe, welche am Boden erledigt werden und im Prinzip ohne Risiko unterbrochen werden können, müssen in der Luft Entscheidungen in Echtzeit getroffen werden. Es ist nicht möglich, ‚rechts ranzufliegen‘ und zu halten – Flugzeuge weisen einen durchgängigen Fortbewegungszwang auf. Folglich sind auch die Anforderungen an den Piloten in der Luft automatisch andere, als wenn sich das Flugzeug am Boden befindet und keine zeitkritischen Entscheidungen 118
Das Rollen, das bereits zu off blocks zählt, muss in dieser Unterscheidung als Ausnahme angesehen werden, da sich das Flugzeug noch am Boden befindet und im Prinzip jederzeit angehalten werden könnte.
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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notwendig sind bzw. zur weiteren Unterstützung sogar Techniker an Bord zitiert werden können. Letztlich kann der Pilot bei ‚Nichtfunktionieren‘ am Boden unbeschadet einfach aussteigen. Es zeigt sich, dass typische Kritische Arbeitssituationen in der Cockpitarbeit im ‚fliegenden‘ Normallauf – auch wenn sie grundsätzlich erst einmal ungefährlich sind – aufgrund des Risikopotenzials sensibler gehandhabt werden. Sich anbahnende Störungen zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren ist im bewegten Zustand von höherer Bedeutung. Innerhalb der Kategorien on blocks und off blocks lässt sich darüber hinaus nach dem Aufgabentypus differenzieren. So gibt es sowohl am Boden als auch in der Luft grundsätzlich Aufgaben, die sich mit dem direkten Flugprozess und der (technischen) Handhabung, also der Steuerung des Flugzeugs von A nach B befassen. Hierzu gehören in der Flugvorbereitung am Boden beispielsweise die Safety Inspections und in der Luft alle Aufgaben, die mit der Bedienung bzw. Steuerung und Überwachung des Flugzeugs zu tun haben. Davon sind die Flugmanagementaufgaben zu unterscheiden, welche sich mit der Organisation der konkreten Flugbedingungen befassen. Flugmanagementaufgaben müssen sowohl am Boden als auch in der Luft erledigt werden. Hierzu gehören in der Flugvorbereitung Dinge wie die Flugroutenplanung oder Passagier- und Beladungsbesonderheiten, um die sich die Piloten zusätzlich kümmern müssen. In der Luft betrifft dies alle weiteren organisatorischen Aufgaben, wie beispielsweise die Planung eines neuen Streckenverlaufs. Schließlich zeigt sich bei der Analyse der Cockpitarbeit, dass sich in allen Arbeitsphasen die situativen Belastungen (=Arbeitsbelastung) entsprechend den jeweiligen Anforderungen entweder eher einer High-Workload- oder eher einer Low-Workload-Phase zuordnen lassen. Bei der Beschreibung der Cockpitarbeit mit Hilfe des Konzepts der Verteilten Handlungsträgerschaft wurde deutlich, dass es einen klar unterscheidbaren Wechsel von automatisierter Flugführung und manueller Flugführung gibt (mit Zwischenstufen). In den High-Workload-Phasen ist der Pilot meist deutlich stärker in die Flugprozesssteuerung eingebunden bzw. übernimmt sie vollständig und/oder hat hohe organisatorische Aufgaben zu bewältigen. Die Low-Workload-Phasen sind durch eine stärker automatisierte Flugführung und planmäßige Abläufe geprägt, wobei der Pilot auch in diesen Phasen, nicht nur aufgrund seiner Überwachungsfunktion, nicht untätig ist.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Kritische Situationen ergeben sich sowohl bei der Reaktion auf Einflüsse, die die (automatische) Flugsteuerung tangieren, als auch bedingt durch organisatorische Anforderungen. Verstärkt wird das Stresslevel dabei durch das Auftreten mehrerer Faktoren gleichzeitig und/oder die zeitliche Limitierung sämtlicher Entscheidungen und Reaktionen. Besonders der abrupte Wechsel von Low Workload zu High Workload wird von den Piloten als kritischer Moment mit erhöhtem Risikopotenzial gewertet. Folgende Graphik veranschaulicht die vorgenommenen Differenzierungen für den Flugprozess:
Flugprozess
Flugzustand Aufgabentyp
Luft
Boden Flugsteuerung
Flugmanagement
Flugsteuerung
Flugmanagement
Arbeitsbelastung
Abbildung 4: Differenzierungen des Flugprozesses
In den durch den Flugzustand und den Aufgabentyp unterscheidbaren Phasen bewegt sich, je nach situativem Anspruch durch einflussnehmende Parameter, die Arbeitsbelastung zwischen den Polen High Workload und Low Workload. In allen genannten Arbeitsphasen lassen sich Merkmale für typische Kritische Arbeitssituationen feststellen. Die realen Kritischen Situationen lassen sich in unterschiedlicher Ausprägung, auf allen Differenzierungsstufen dieser Topologie
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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verorten. Sie werden jedoch, um die Ergebnisse der Analyse deutlich zu machen, nachfolgend exemplarisch für jeweils eine Kategorie aufgeführt. Die Kritischen Situationen werden zunächst für alle Bodenprozesse dargestellt. Hierbei werden die weiteren Differenzierungen (Aufgabentyp und Arbeitsbelastung) inhaltlich aufgegriffen. Daran anschließend folgt die Betrachtung Kritischer Situationen in der Luft. Auch hierbei werden wiederum die weiteren Differenzierungen nach Aufgabentyp und Arbeitsbelastung – so weit wie möglich – beachtet.
Bodenprozesse – on blocks Die befragten Piloten erklären nahezu einstimmig, dass die Aufgaben, die sie während der Bodenzeit erledigen müssen, heute einen Großteil ihres Arbeitsumfangs einnehmen. Dabei betreffen die Bodenprozesse hauptsächlich Aufgaben, die dem Typus Flugorganisation zugerechnet werden können. Ein bereits angeführtes Zitat (Kap. 2.4.1.2.) eines Kapitäns lautet: „In meinen 20 Jahren kommerzieller Fliegerei hat im Bereich Bodenprozesse die größte Verschiebung stattgefunden. Wir Piloten, insbesondere die Kapitäne, sind mit einer Wahnsinns-Zusatzaufgabenbelastung am Boden bedacht. Da kann als Allerletztes überhaupt automatisiert werden. Da spielen viel zu viele Variable mit rein. Die Situationen sind immer neu“ (CPT; AI; W). Vor Flugantritt müssen die Piloten, wie bereits im vorhergehenden Kapitel ausführlich beschrieben wurde, eine Reihe von flugvorbereitenden Aufgaben erledigen. Hierzu gehört in erster Linie, sich mit den spezifischen Flugunterlagen vertraut zu machen. Dazu geht der Pilot die vom Dispatcher119 erstellten Unterla119
Der Dispatcher sitzt in der Verkehrszentrale der jeweiligen Airline und ist verantwortlich für die Erstellung der von den Piloten benötigten Flugpläne. Diese werden von ihm auch an die zuständige ATC (Air Traffic Control) weitergeleitet. Meist ist der Dispatcher zentral tätig, d.h. auch wenn woanders gestartet wird, ist der Dispatcher am HUB (=Drehkreuz größerer Airlines) ansässig und steuert von dort aus praktisch die ganze Flotte (z.B. zwölf Flieger). Er speist dabei alle relevanten Daten in ein System ein und mit Hilfe eines Softwareprogramms werden dann individualisierte Flugpläne erstellt. Dabei gibt es Standardrouten, Standardausweichflughäfen usw. Ist jedoch eine Standardroute bereits besetzt oder sind unterwegs schwere Turbulenzen ersichtlich, muss der Dispatcher so lange umplanen, bis der Flugplan den Anforderungen entspricht. Der Pilot prüft dies alles jedoch nochmals und kann die vorgeschlagene Route bei Bedenken ablehnen (z.B. wegen schlechten Wetters) (Erklärung von CPT; EM/CA).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
gen genau durch. Er bezieht dabei alle ihm zur Verfügung gestellten Daten ein, wie Wetter, Verkehrssituation am Zielflughafen, die vorgeschlagene Route, die Ausweichflughäfen für Notfälle, die NOTAMs und HILs, und entscheidet dann zunächst, ob die vorgeschlagene Route überhaupt eine für ihn – unter Einbezug aller genannten Faktoren – passende Option darstellt. Die vom Dispatcher zur Verfügung gestellten Flugunterlagen werden von den Piloten niemals ungeprüft übernommen, „denn da kann schon mal der Wurm drin sein“ (CPT; EM/CA). So könnten die Daten zu alt sein – der Wetterbericht des Zielflughafens darf höchstens eine Stunde alt sein – oder ein Fehler könnte darin bestehen, dass versehentlich der falsche Flugzeugtyp zugrunde gelegt oder im sog. Load-Sheet (wichtig für die Piloten, um den Beladeschwerpunkt zu bestimmen) „gemurkst“ (ebd.) wurde. „Ist mir schon passiert, da wurden einfach die Koffer, sprich deren Gewicht, bei der Berechnung vergessen“ (ebd.). In diesem Fall wären die erstellten Daten im Prinzip unbrauchbar. Oder der Dispatcher empfiehlt eine Route durch eine Wetterzone, die der Pilot als zu kritisch empfindet. Sowohl der Dispatcher als auch der Pilot orientieren sich bei der Flugplanung zunächst an Normwerten, um zu beurteilen, ob beispielsweise ein Anflug bei bestimmten Wetterverhältnissen möglich ist. Allerdings, so erklärt ein Kapitän, „weiß ich‘s halt aus Erfahrung, ich hab da in Marseille momentan immer so einen extrem starken Seitenwind und es wackelt da deutlich mehr, als wie es in den Wetterdaten dargestellt ist. Und dann ist halt die Chance durchzustarten doch höher. Ich würde dann mehr Sprit mitnehmen. Der Dispatcher kann das nicht wissen“ (CPT; EM/CA). Es kommt also durchaus vor, dass der Pilot im Hinblick auf das bevorstehende Wetter oder aufgrund der ihm bekannten Verkehrssituation entscheidet, ExtraSprit zusätzlich mitzunehmen. Ein Problem könnte dann jedoch sein, dass der Flieger zu schwer wird für die Landung und es notwendig wird, Fracht oder sogar Passagiere abzuladen. Auch das muss dann gegebenenfalls organisiert werden. Es gibt auch Dinge, die vom Dispatcher einfach nicht berücksichtigt wurden. Der Flieger könnte eine technische Limitierung haben, ein kaputtes Zapfluftventil wäre ein Beispiel. „Ich weiß, damit kann ich nur auf eine bestimmte Höhe hoch, Flightlevel 310. Und der Flugplan ist aber in 350 gefiled. Das hat der also nicht berücksichtigt, der Planer. Da muss man aufpassen“ (ebd.). Die wesentliche Aufgabe der Piloten besteht demnach darin, die zur Verfügung gestellten Informationen zu prüfen, zu bewerten und schließlich einen individuellen, möglichst sinnvoll situativ antizipierenden, dabei jedoch nicht zu re-
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striktiven Flugplan „zusammenzubasteln“ (CPT; AI). Dabei gilt es, eine Vielzahl relevanter Parameter in die Überlegungen einzubeziehen. „Man puzzelt das sozusagen zusammen und hat dann schon mal eine grobe Planung. Aber im Flug kommt dann erst die Feinarbeit“ (ebd.). Würde alles immer „normal laufen“ (CPT; AI; W), so könnte man fast alles vorausplanen, wird erklärt. Aber das klappt nur „am grünen Tisch“ (ebd.). Die Anfälligkeit erstellter Flugpläne ist hoch, ersichtlich an der Verflochtenheit und Wechselwirkung unterschiedlichster Begebenheiten. Beispielsweise kommt es schon allein dadurch zu Abweichungen, dass andere Flugzeuge ihre geplanten Verläufe nicht einhalten. „Das geht schon da los, wenn dann mehr Flugzeuge ankommen als erwartet, weil eben einer wieder umkehrt – warum auch immer. Dann geht’s schon los, dass das schwierig wird mit dem Einlotsen, also dem Einfädeln in den Verkehr. Das betrifft dann auch dich“ (CPT; AI). Der befragte Kapitän gibt an, die Planung könne „zwischen 10 und 90%“ (ebd.) zutreffen oder eben nicht. „Das ist ein sehr wackliges Konstrukt“ (ebd.). Viele der zur Verfügung stehenden Daten sind nur Anhaltspunkte, denn es handelt sich insbesondere bei Faktoren wie dem Anflugverkehr oder dem Wetter um keine feststehenden Parameter. Das bedeutet für die Piloten: „Du arbeitest halt mit dem was du hast. Dann muss man aber noch weiter denken“ (CPT; EM/CA). Es wird weiter erklärt: „Da können noch etliche zusätzliche Faktoren aufploppen. Damit muss man rechnen. Vorher wissen kann man sie nicht“ (ebd.). Bestimmte Wetter- oder Verkehrssituationen auf der geplanten Flugroute können eine weitläufige Kurskorrektur, die Entscheidung für einen Ausweichflughafen oder ein Holding120 über dem Zielflughafen erfordern. Aber „man will schließlich nicht in die Lage kommen, dass es knapp wird. Dazu ist es wichtig, alle Eventualitäten einzuberechnen – auch die unwahrscheinlichen. Es kann passieren, dass das Wetter auch Plan B hinfällig macht. Dann sollte noch Plan C funktionieren bzw. genug Zeit sein, einen Plan C den Umständen entsprechend zu entwickeln“ (CPT; AI; W). Daher muss die Spritmenge in der Flugvorbereitung großzügig genug berechnet werden. Der Einflussfaktor Wetter ist in der Planung sensibel zu beachten. Die befragten Piloten stehen diesem äußerst respektvoll gegenüber. Es wird erklärt: „Darauf hat man eben keinen Einfluss. Man kann im Prinzip nur ausweichen oder durch. Hat man dementsprechend genug Sprit dabei, wählt man immer die ungefährlichere Variante“ 120
Holding (engl.): Umgangssprachlicher Ausdruck für das Abfliegen von Warteschleifen.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
(CPT; AI; W). Und: „Ich will gar nicht erst in die Lage kommen, hier eine Stresssituation zu erleben“ (CPT; EM/CA). Beliebig nach oben schrauben lässt sich die Menge des mitgeführten Kerosins jedoch nicht. Jedes mitgeführte Extra-Kilo macht den Flug insgesamt unwirtschaftlicher und es muss auch das maximal zulässige Landegewicht beachtet werden. Die Piloten sind daher bemüht, „so sicher wie nötig – aber so logisch und ökonomisch wie möglich“ (CPT; BO) zu entscheiden. Vor allem die Wetterprognose dient, neben anderen Parametern, dazu, den bevorstehenden Flug und „seine Tücken“ (CPT; EM/CA) einzuschätzen, bspw. ob ein Anflug als kritisch oder unkritisch erachtet wird. Rechnen die Piloten mit Schwierigkeiten, lassen sich diese in der gemeinsamen Flugplanung vorweg besprechen, jedoch „trifft das dann auch mal entweder nur zu einem Teil zu. Oder gar nicht. Oder ganz anders. Alles ist möglich“ (CPT; AI; W). Die Planbarkeit trifft hier offenbar auf deutliche Grenzen. Dazu ein Kapitän: „Natur ist nicht planbar. Die hat ihren eigenen Kopf“ (CPT; BO). Die „Willkür der Natur“ (CPT; EM/CA) erschwert eine möglichst konkrete Vorabplanung bzw. „zeigt dem Menschen und seiner Technik, wo Stopp ist. Weil das kann auch kein Ingenieur durchkonstruieren“ (ebd.). Eine umsichtige Einschätzung ist jedoch insbesondere auch für die Kabinencrew relevant. Denn diese kann dann die geplanten Serviceabläufe anpassen bzw. „einfach vorbereitet“ (CPT; AI) sein. „Es ist aber dann komischerweise ein ungeschriebenes Gesetz: Briefe121 ich Turbulenzen – kommen keine. Sieht alles ruhig aus – wackelt’s dann doch“ (CPT; AI; W). Bei der Flugroutenplanung müssen weitere Aspekte beachtet werden. So sind bezüglich der Wettersituation auch die Wirtschaftlichkeit und Pünktlichkeit abzuwägen, die für eine möglichst direkte Streckenführung sprechen. Weitere Faktoren wie flugroutenspezifische Besonderheiten (bspw. werden Kriegsgebiete nicht überflogen etc.) müssen ebenfalls bedacht werden. Die letztendliche Planung unterliegt also einem Konglomerat verschiedener Bedingungen, die, unterschiedlich gewichtet, berücksichtigt werden müssen. Kritische Arbeitssituationen ergeben sich folglich sowohl in der Bewertung der vorab erstellten Unterlagen als auch in der Einschätzung bzw. Vorwegnahme der später
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Zu briefen bedeutet im Fliegerjargon, im vorhergehenden Briefing mit Cockpit- und Kabinenkollegen auf etwas hingewiesen zu haben.
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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anzutreffenden Begebenheiten im Flug. Denn weil die genannten Einflussfaktoren (Wetter, Anflugsituation etc.) ihre Variation und Ausprägung erst in der Situation vor Ort zeigen, wird eine allzu konkrete vorgängige Planung oder Flugprozessfestlegung nahezu unmöglich. Das richtige Vorgehen kann erst sukzessive im Verlauf des Fluges bestimmt werden. Wichtig ist es jedoch, genügend Handlungsspielraum zu haben, indem für jeden Fall ausreichend Treibstoff verfügbar ist. Die mitgeführte Treibstoffmenge kann aber nicht beliebig nach oben geschraubt werden, da durch Gewichts- und wirtschaftliche Beschränkungen wiederum eindeutige Grenzen gesetzt sind. Die Entscheidungsfreiheit des Kapitäns kann dabei so weit gehen, dass er bereits in der Flugvorbereitung bei Prüfung der Flugunterlagen für sich und die Crew beschließt, den Flug gar nicht anzutreten. „Da bei dem Sturm ‚Niklas‘, da war alles noch offiziell im Limit. Den Daten nach wäre der Flug möglich gewesen. Also das, was der Flieger kann. Aber dann hab ich ‚Nö‘ gesagt! Leute, da draußen fliegen bald Bäume rum!“ (CPT; EM/CA). Die Erstellung der Flugplanung durch den Dispatcher geschieht in einem der praktischen Situation vorgelagerten Bereich. „Er [Anm.: der Dispatcher] guckt halt nur, ob alles im Limit ist, das reicht nicht immer. Der Theoretiker weiß es eben nur theoretisch – anders als der Praktiker“ (ebd.). Die Orientierung an Normwerten ist offensichtlich nicht immer sachgerecht. Gewisse Besonderheiten führen dazu, dass die vielfältigen Faktoren der Situation vor Ort eine vorgelagerte Planung hinfällig machen. Würde der Pilot sich zu sehr an die erstellten Pläne durch Software und/oder Dispatcher halten, würde das die Situation vor Ort deutlich erschweren. Die beschriebenen Bodenprozesse umfassen neben der skizzierten Flugplanung auch weitere organisatorische Aufgaben, welche sich durch eine Vielzahl verschiedener Parameter ergeben können. Diese situativen Anforderungen, beispielsweise durch Passagierbelange (Krankentransporte, Deportees122, unbegleitete Kinder), Frachtbesonderheiten (lebende Tiere, sensible Güter), Verzögerungen in der Passagierabfertigung, der Beladung etc. durch die Bodenstation sind vor und nach jedem Flug „noch zusätzlich obendrauf, sozusagen on top“ (CPT; AI; W) von den Piloten zu bewerkstelligen. Dabei sind die konkreten Umstände
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Deportees (engl.): Personen, welche sich illegal im Land aufhielten, aufgegriffen wurden und nun zum Zwecke der Abschiebung ausgeflogen werden (Erklärung von FO; AI).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
stets andere. „Dieses Management, das kann ganz kurz sein, kann aber riesenlang und wahnsinnig komplex werden. Dann, wenn du Verspätung hast, Blocksituationen, irgendwelche Besonderheiten, Deportees und dann noch kranke Passagiere, No-Shows123 und dann Kofferausladung und der ganze Klimbim“ (CPT; AI). Es treten nie exakt die gleichen Probleme auf. Auch ist es „oft nicht nur ein Ding oder eine Sache, die organisiert“ (CPT; AI; W) werden muss. Ein weiterer Kapitän: „Meist sind das mehrere Hochzeiten“ (CPT; AI; W). Der jeweilige Flughafen bzw. die Bodenstation ist dabei sehr entscheidend. Hier gibt es deutliche Unterschiede in der Organisation. „An manchen Flughäfen musst du halt viel mehr überwachen, dass das läuft, z.B. das Cleaning rechtzeitig kommt usw. Wenn du da keine Präsenz zeigst, dann trödeln die, wie sie lustig sind, und du kommst nicht rechtzeitig wieder weg“ (CPT; AI; W). Kritisch sind diese Arbeitssituationen vor allem dann, wenn hierdurch die Abläufe ins Stocken geraten, kurzfristig Änderungen erwogen werden müssen und Slot-Zeiten verloren gehen könnten. Nicht selten „fliegt man dann seinem Plan den ganzen Tag hinterher“ (FO; AI). Die Piloten sind bemüht darum, die Verspätungen wieder „reinzuholen“ (CPT; AI). Dies erfolgt bei Langstreckenflügen, indem etwas schneller geflogen wird, bei Kurzstreckenflügen eher, indem man versucht die Bodenprozesse beim nächsten Stopp zu verkürzen. Allerdings sind es ja genau die Bodenprozesse, in denen sich aufgrund vielfältigster Faktoren gerne zusätzliche und ungeplante Schwierigkeiten auftun. Nicht selten kumulieren sich dann die den Ablauf bremsenden Faktoren und es scheint „wie verhext“ (CPT; AI). Die Anforderungen gleiten dabei leicht in den Bereich des High Workload ab. „Es gibt Tage, da bin ich schon fertig, bevor der Flieger überhaupt in der Luft ist, so chaotisch kann das sein“ (CPT; AI; W). Die Anforderungen verschärfen sich durch den Umstand, dass die Piloten an bestimmte gesetzliche und flugbetriebsspezifische Bedingungen gebunden sind. So müssen Verspätungen anhand einer zwölfstelligen Codetabelle an das HCC124 weitergegeben werden. Mit der Tabelle wird so der aktuelle Grund für die Verspätung benannt, beispielsweise ein technisches Problem. „Klar hab ich dabei schon das Gefühl, dass ich mich auch rechtfertigen muss. Die müssen das ja aber auch wissen. Kann ja nicht jeder machen, wie er will“ (CPT; EM/CA). Aber auch 123
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No-Shows (engl.): In der Fliegerwelt gebräuchliche Bezeichnung für gebuchte Passagiere, die nicht zum Abflug erscheinen. Hub Control Center (engl.): Kontrollzentrum der Airline am Flughafen zur Überwachung reibungsloser Abfertigungs-Abläufe (Erklärung von CPT; AI).
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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aus ganz persönlichen Gründen wollen die Piloten, genauer: die ganze Crew, möglichst zeitgenau den Plan einhalten. Ausschlaggebend ist hier die gesetzlich limitierte Flugdienstzeit, denn „keiner lässt sich gerne den Plan zerschießen“ (SFO; AI). Dies könne aber leicht passieren, wenn man an irgendeinem Punkt eine massive Verspätung „nicht mehr einfliegen kann“ (FO; AI). Die Folge kann sein, dass die persönliche Freizeitplanung z.T. erheblich durcheinandergerät. „Du kannst halt nicht einfach nach acht Stunden den Stift fallen lassen und heim gehen“ (CPT; AI; W). Die Piloten „baden es aus“ (FO; AI), wenn sie den gesetzten Zeitplan aus welchen Gründen auch immer nicht einhalten. Möglicherweise kommen sie dann erst sehr viel später oder gar nicht mehr am geplanten Tag nach Hause, da sie wegen arbeitnehmerrechtlicher Beschränkungen das letzte Leg nicht mehr fliegen können und vor Ort ins Hotel müssen. Selbstverständlich versuchen sie nicht, dies um jeden Preis abzuwenden. Oberstes Postulat ist und bleibt immer der sichere Flugablauf. Die zeitlichen Vorgaben „setzen einen jedoch, ob man will oder nicht, immer ein kleines bisschen unter Druck“ (CPT; AI; W). Es gibt aber auch „Tage, da passiert dann gar nichts. Rein gar nichts. Das ist dann schon fast bisschen unheimlich“ (CPT; EM/CA). Neben der Flugplanung und der Organisation der Bodenprozesse, welche allesamt den organisatorischen Flugmanagementaufgaben zugerechnet werden können, beinhaltet die Flugvorbereitung auch Aufgaben, die sich mit den technischen Funktionen und der Flugtüchtigkeit des Flugzeugs befassen und damit bereits den Aufgabentyp der Flugsteuerung betreffen. Dies beginnt mit Kontrollaufgaben der Piloten in Form von Exterior Safety und Cockpit Safety Inspection (siehe vorhergehendes Kapitel). Hierbei kann schon mal „das ein oder andere“ (CPT; AI; W) entdeckt werden, wie z.B. das Fehlen eines „Static discharger125“ (CPT; EM/CA), das zwar nicht den bevorstehenden Flug einschränkt, jedoch ins TLB (Technische Logbuch) eingetragen werden muss, damit dies von der Maintenance Crew zeitnah repariert wird. Eine sorgsame Weitergabe bzw. Dokumentation derartiger Details soll die Sicherstellung funktionstüchtiger Flugzeuge gewährleisten. Auch könnte man entdecken, „dass irgendwo eine Delle ist oder so. Vielleicht ist ja
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Static discharger (engl.): Eine Vorrichtung zur Ableitung elektrischer Spannung auf der Flugzeugoberfläche in die Umgebungsluft. Spannung entsteht durch Reibung mit der Luft bei hohen Geschwindigkeiten (Erklärung FO; AI).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
einer vom Boden126 mit seinem Tut-Tut irgendwo versehentlich dagegen gefahren. Da muss man genau schauen“ (CPT; AI; W). Die Übertragung der Flugorganisationsdaten geschieht zunehmend digital. Das heißt, man geht mittlerweile dazu über, die ursprünglich in Papierform vorhandenen Flugunterlagen127 vermehrt in elektronischer Form über das sog. EFB (Electronic Flight Bag128) anzubieten. Der Pilot kann dann die entsprechenden Unterlagen129 „einfach ins Cockpit hochladen“ (CPT; EM/CA). Jedoch sind diese Abläufe noch keineswegs verlässlich. „Du sparst dir jetzt zwar offiziell einen Haufen Papier, aber ich habe den Eindruck, das klappt alles noch nicht, wie es soll. Da gibt’s eben noch etliche Kinderkrankheiten. Die Verbindung baut sich nicht wie gewünscht auf. Dann kann ich den Flugplan nicht hochladen. Oder dann bin ich doch deutlich leichter als gedacht und dann brauch ich einen neuen OFP (Operational Flight Plan) und dann kommt das dann nicht in einer akzeptablen Zeit. Dann kann man den nicht ranschaffen. Dann muss ich wieder telefonieren mit der Verkehrszentrale. Die sollen mir das über ACARS [Anm.: Telexfunktion] schicken. Dann geht das nicht, weil da die Verbindung gestört ist. Und dann brauch ich doch wieder den Papierflugplan. Dann ist da wieder ein Fehler drin. Dann drucken mir die wieder den alten aus, oder so. Und so weiter. Alles schon erlebt. Aber ohne korrekten Flugplan oder Load-Sheet geht eben nix. Vorher kommst du nicht weg“ (ebd.). Nicht nur die Datenübertragung über das ACARSSystem ist fehleranfällig. Die so versandten Informationen sollen – so ist es vorgesehen – von einem bordinternen Drucker ausgedruckt werden, doch auch „der 126
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Mit dem Begriff „Boden“ werden in der Fliegersprache alle Arbeitsbereiche umschrieben, welche den Flugverkehr betreffend am Boden angesiedelt sind – v.a. am Flughafen (Erklärung FO; AI). Dies ist momentan im Umbruch bzw. in einer Test-/Übergangsphase. Die begleiteten Piloten verwendeten für ihre Flugvorbereitung nach wie vor (noch) die ausgedruckten Flugunterlagen (aktueller Stand zum Zeitpunkt der Erhebung). Sie waren jedoch nicht mehr verpflichtet, alles in Papierform auszudrucken. Die aktuellste Version darf in elektronischer Form auch nur auf dem mitgeführten Tablet-PC vorhanden sein. Im Flugzeug selbst sind nochmals zwei Tablet-Computer vorhanden. Vorgesehen ist es, dass diese Computer alle miteinander synchronisiert werden können. Hier treten (noch) Probleme unterschiedlichster Art auf, z.B. aufgrund neuer Software, externer Störquellen, Cross-Verbindungsproblemen zwischen den einzelnen EFB-Geräten usw. (Erklärung CPT; EM/CA). Electronic Flight Bag (engl.): Ein EFB ist „ein elektronisches Gerät zur Informationsverwaltung, das Flugzeugbesatzungen hilft, Flugverwaltungsaufgaben leichter, effizienter und mit weniger Papieraufwand durchzuführen […] zum Beispiel Dokumente wie das Flugzeug- und Besatzungs- Betriebshandbuch sowie die Navigationskarten“ (Quelle: Artikel „Electronic flight bag” auf de.wikipedia.org, Version Mai 2016). Auch diese Unterlagen werden vom Dispatcher bereitgestellt.
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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geht oft nicht. Zumindest auf dem Embraer ist der Glump130“ (ebd.). Zwar haben die Piloten hier „so ein paar Reset-Möglichkeiten, aber meistens bringt es nichts“ (ebd.). Dann muss anders verfahren werden. Der Pilot gibt dem Ramp Agent den Auftrag, das noch fehlende für den Flug notwendige Datenblatt (z.B. Load-Sheet) auszudrucken (in dessen Büro). Dies muss alles möglichst schnell veranlasst werden, da „ja eh meistens kaum Zeit ist“ (ebd.) und dies auch für den Ramp Agent eine zusätzliche Aufgabe bedeutet. „Parallel versuche ich halt weiter den Drucker irgendwie fit zu kriegen und im besten Fall hätte ich dann halt zwei gültige LoadSheets. Aber das Wichtigste ist, wir kommen endlich vom Hof“ (ebd.). Dieses durchaus häufig anzutreffende technische Phänomen, dass ein oder mehrere Systeme bei der Cockpitüberprüfung ‚resetet‘ werden müssen, gehört zu den Unwägbarkeiten. Es ist allerdings nicht immer so leicht erklärbar, wie beim Drucker, der „Glump“ ist – also einfach als qualitativ schlecht bzw. unzuverlässig bewertet wird. Andere hochentwickelte Systeme können einen Reset oder Neustart ebenfalls notwendig haben. Warum dies manchmal notwendig ist bzw. dann auch wieder nicht, konnte keiner der befragten Piloten erklären. „Das ist so ein komisches Airbus-Phänomen. Der Flieger braucht dann halt diesen Hallo-WachReset. Wie ein Aufwecken. Was da genau dahinter steckt – keine Ahnung, ehrlich gesagt“ (CPT; AI; W). Oftmals wissen die Piloten jedoch bereits ohne umständliches Nachschlagen, wo sich die entsprechenden Sicherungen (CB) befinden, die in einem solchen Fall gezogen werden müssen. Wenn es den Piloten auf diese Weise möglich ist, die Störung umgehend auszuräumen, stellt dies einen besonderen Vorteil für die Ablaufplanung dar. Eine umständliche Analyse anhand der Flughandbücher oder das Erfordernis, Wartungspersonal hinzuzuziehen, würde es deutlich erschweren, die vorab geplanten Flugzeiten einzuhalten – was wiederum den Stress der Cockpitcrew erhöhen würde. „Man muss gewissermaßen abkürzen – sonst hinkt der ganze Flugbetrieb, wenn das alle total ausführlich streng nach Buch machen“ (CPT; AI; W). Eine pünktliche Flugvorbereitung erfordert von den Piloten im Falle eines technischen Problems bei der Datenübertragung oder beim Drucken ein alternatives Verfahren. Als Merkmal Kritischer Arbeitssituationen kann hier in diesem Beispiel die möglichst schnelle und zielgerichtete Lösungssuche (Auftrag an den Ramp Agent) angesehen werden. Dies lässt sich im Rahmen der Flugvorbereitung 130
Glump (bayrisch umgangssprachlich): „Gelump“, Gegenstand mit schlechter Qualität.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
jedoch auch generell formulieren. Die zeitliche Limitierung ist insofern kritisch, als Abweichungen von den Ablauf-Schemata direkte, aber mitunter auch weiter reichende, nicht vollständig antizipierbare Auswirkungen nach sich ziehen. So wissen die Piloten, dass sie bestimmte Verspätungen nicht mehr einholen können und alle nachfolgenden Flüge (Kurzstreckentour) ein erhöhtes Stresslevel haben werden. Das Wissen um die Anfälligkeit nachfolgender Abläufe – es könnte zu weiteren Abweichungen und/oder noch nicht bekannten Störungen kommen – steigert den Wunsch, „gleich wieder bisschen Zeit gut zu machen“ (CPT; AI). Für den Fall, dass „nichts ist, in der idealen Welt quasi“ (CPT; AI; W), wäre die konkrete Flugvorbereitung, „das, was nur das Flugzeug betrifft“ (ebd.), im Prinzip sehr kurz. „Eigentlich fasse ich dann als Kapitän nur drei Knöpfe an und dann macht der Co noch zwei Sachen. Fertig! Da ist heute wahnsinnig viel automatisiert und du musst nur checken, ob’s so ist, wie’s sein soll“ (ebd.). Es zeigt sich, dass sowohl die organisatorische Flugvorbereitung als auch die Prüfung des Flugzeugs auf dessen technischen Zustand ein notwendiges und hilfreiches Mittel darstellen, damit sich die Piloten auf den bevorstehenden Flug einstellen und diesen basierend auf den ihnen zur Verfügung stehenden Daten und Funktionen planen können. Dabei ist ihnen jedoch stets bewusst, dass sie sich in einer äußerst dynamischen Umwelt mit vielen unplanbaren Einflussfaktoren bewegen. Wesentliche Entscheidungen können erst vor Ort, d.h. situationsbezogen in der Luft getroffen werden. Aufgrund der vielfältigen potenziellen, nur schlecht antizipierbaren Einflussfaktoren in der Flugplanung lassen sich hier grundsätzliche Grenzen einer Vorausplanbarkeit feststellen. Um die Flugplanung dennoch so stabil wie möglich zu gestalten, sollten von betrieblicher Seite sämtliche erfassbaren Daten der Flugunterlagen vollständig, möglichst aktuell, eindeutig und pünktlich zur Verfügung stehen. Das Flugzeug sollte sich zudem stets in einem tadellos gewarteten Zustand befinden. Zeitliche Verzögerungen durch ‚Nachhaken‘ der Piloten oder durch ‚technische Anlaufschwierigkeiten‘ sind in den vorgegebenen Referenzmodellen (Ablaufschemata) nicht bzw. nur begrenzt vorgesehen. Wenn sie auftreten, lassen sie die Flugvorbereitung in Bezug auf den Zeitplan zu einer kritischen Arbeitssituation werden. Eine Art zeitlichen Bonus kann der Pilot herausholen, indem er bestimmte Handgriffe kennt, wie z.B., welche Sicherung er bei einem notwendigen Systemreset ziehen muss – ohne zeitintensive Nachforschung im Flughandbuch. Würde der Pilot die offizielle Vorgehensweise einer im Flughandbuch beschriebenen Analy-
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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se wählen, so „kannste im Leben nicht mehr hinterherkommen dann“ (CPT; AI; W). Keiner der befragten Piloten geht hierbei bewusst umständliche Wege. Die Arbeitsbelastung für die Piloten kann dabei nicht selten hoch sein – obgleich sich das Flugzeug noch nicht einmal in der Luft befindet. Je gewichtiger und vielzähliger die organisatorischen Einflussfaktoren einwirken und je länger die flugsteuerungsspezifischen Flugvorbereitungsaufgaben andauern, desto eher befinden sich die Piloten – obwohl noch am Boden – hierbei bereits in einer HighWorkload-Phase.
Luft – off blocks Sobald sowohl die Flugvorbereitung das Flugzeug betreffend als auch alle organisatorischen Aufgaben erledigt sind, können die Türen geschlossen werden und das Flugzeug verlässt – nach Freigabe – die Parkposition. „Ab dem Moment, wo die Türen zu sind, ist meine Managementfunktion erst mal ausgeblendet. Bis man auf Höhe ist, geht es nur ums Fliegerische. Erst dann geht es wieder los: Bin ich pünktlich? Haben meine Passagiere Anschlussflüge? Muss ich schneller fliegen? Und etc.“ (CPT; AI; W). Primäre Aufgabe der Piloten ist es, die Passagiere sicher ans Ziel zu bringen. Die Prioritäten liegen, wie bereits erläutert, insbesondere bei der Sicherheit, aber auch Komfort, Pünktlichkeit und Wirtschaftlichkeit sind zu berücksichtigen. Die Anforderungen an den Piloten verändern sich hinsichtlich seiner Reaktionsmöglichkeiten in sämtlichen Entscheidungssituationen nun durch den Übergang in ein Echtzeitsystem.131 Die bereits am Boden erstellte Flugplanung gibt den zunächst gültigen Orientierungsrahmen für die Flugdurchführung vor. Ab einer gewissen Höhe kann im Normalfall an den Autopiloten abgegeben werden. Das technische System übernimmt die Flugsteuerung und die Piloten haben Kapazität für andere Aufgaben. In erster Linie ist dies das Flugmanagement – analog der Flugplanung und Organisation am Boden. Soweit hier jedoch keine Eingriffe oder Änderungen notwendig werden, beginnt mit dem Erreichen der Reiseflughöhe der „entspanntere Teil“ (FO; BO) der Arbeit der Piloten. Diese LowWorkload-Phasen laufen im Prinzip weitgehend ohne akuten zeitlichen Druck und 131
Siehe Weyer 2007, S. 37.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
meist hochautomatisiert ab. Da die Piloten in diesen Phasen die Flugführung an den Autopiloten abgegeben haben, finden sie trotz ihrer überwachenden Funktion Zeit dafür, beispielsweise Mahlzeiten einzunehmen. Diese Phasen sind auf kürzeren Legs natürlich entsprechend knapper. Je länger die Flugzeit, desto länger auch die Zeit der automatischen Flugführung – vorausgesetzt, alles läuft nach Plan. Nichtsdestotrotz bleiben die Piloten während dieser Reiseflugphasen gefordert, ein hohes Konzentrationslevel beizubehalten. Es wird beschrieben, dass es absolut notwendig ist, immer „im Loop“ (SFO; AI) zu bleiben. Hierzu zählt das Monitoring der Bordsysteme, insbesondere des Autopiloten („Macht der Autopilot, was ich auch machen würde?“ [CPT; AI]), die ständige Verfolgung des Funkverkehrs („Bin ich gemeint? Was gibt’s bei den anderen [Anm.: andere umgebende Flugzeuge] gerade? Betrifft mich das auch?“ [CPT; EM/CA]) und das „gedankliche Mitfliegen“ („Wo bin ich ungefähr? Über Wasser? Über Gebirge? Wie weit entfernt vom nächsten Ausweichflughafen? Was könnte hier alles passieren?“ [ebd.]). Die Arbeitssituationen können hier – obwohl weitgehend automatisiert – auch kritische Momente beinhalten. Im Bereich der Organisation zählt hierzu die frühzeitige Erfassung sämtlicher Faktoren, die einen potenziellen Einfluss auf den Flugweg haben könnten. Geschildert wird hier beispielsweise, dass „der Funkverkehr anderer, vorausfliegender Flugzeuge“ (CPT; AI; W) sinnvolle Anhaltspunkte für die Feinplanung liefern könne. Beispielsweise erbittet man frühzeitig eine andere Höhe, wenn „man hört, dass es vor einem ordentlich wackelt“ (CPT; AI). Die Erfassung und Reaktion kann unterschiedlich schnell erfolgen oder überhaupt für notwendig befunden werden – „da sind individuelle Spielräume“ (ebd.). Die Situationen sind dabei nicht standardisierbar zu beurteilen. Auch eine zu sensible Reaktion ist – bezogen auf Pünktlichkeit und Wirtschaftlichkeit – gegen Alternativen abzuwägen. Die Reaktion auf mitgehörte Informationen oder auch darauf, „dass man selber merkt, jetzt wird’s unruhig“ (CPT; AI; W), kann im Hinblick auf den vorweg geplanten automatisierten Flugverlauf kritisch werden. Die Piloten sind gefordert, sämtliche Anzeichen, die einer optimalen automatisierten Flugführung entgegenstehen könnten, zeitnah und richtig zu interpretieren. Ein
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Kapitän erklärt: „Erst gibt er [Anm.: das Wetterradar132] mir in 120 Meilen ein rotes Echo, und bis wir dran waren, war das Ding nur noch grün. Da gucke ich doch lieber selbst raus und deute das, wie ich es kann“ (CPT; AI). Die Bordsysteme, hier das Wetterradar, sind eben „oftmals nur so gut, wie der erfahrene Pilot damit umgehen kann“ (CPT; AI), erklärt hierzu der Kapitän. Externe Faktoren, wie das Wetter, werden auch im flugorganisatorischen Bereich bedeutsam. Für die Situationsbeurteilung setzen Piloten ihr Bild aus momentan relevanten Kriterien zusammen. Dabei beurteilen und gewichten Piloten auch „diffuse, nicht exakt bestimmbare und nur situationsabhängig interpretierbare Kennzeichen“ (Schulze, Carus 1995, S. 39). Ein Kapitän fasst dies zusammen als das, „was ich über Funk höre, das, was ich sehe, wenn ich rausschaue, das, was auf meinem Radar zu sehen ist, das, was ich über das Gebiet weiß, wo ich gerade drüber fliege, das, was der Wetterbericht vorhergesagt hat, das, was der Co. dazu meint, die Tageszeit und sogar die Jahreszeit und vor allem auch mein Bauchgefühl – und zwar genau in der Situation dann“ (CPT; AI; W). Die Beurteilung der jeweiligen Situation ist nicht algorithmisch vorab erfassbar, die Reaktion darauf ebenfalls nicht. Auch dies ist von zu vielen situativen individuellen Faktoren abhängig. Die Vorwegplanung muss hier mehr oder weniger (je nach Ausmaß der einflussnehmenden Faktoren) aufgebrochen werden. Schulze und Carus (1995, S. 39) erläutern im Hinblick auf die Erfassung von Veränderungen in den Prozessabläufen und die Reaktion darauf: „Weiterhin läßt sich nicht regelartig bestimmen, welche Eingriffe angemessen sind […] Zum einen muss über die Art und Weise des Eingriffs […] entschieden werden. Zum anderen müssen Eingriffe angemessen dosiert vorgenommen werden.“ Eine neue Höhe, eine andere Route, eventuell sogar ein neuer Zielflughafen könnte von den Piloten nun erwogen und beschlossen werden. „Der Zielflughafen ist zu und ich bin irgendwo auf halber Strecke. So, jetzt muss ich entscheiden, was mache ich? Fliege ich wieder zurück? Fliege ich zum Ausweichflughafen?“ (CPT; EM/CA). Entsprechend muss die Route umgeplant werden und in Kooperation mit der Verkehrsleitzentrale bezüglich der Frage, wo der organisatorisch und wirtschaftlich ‚günstigste‘ Flughafen wäre, wird dann 132
Das Wetterradar hat früher lediglich Wassertropfen reflektiert, ohne Interpretation oder Handlungsempfehlung. Heute interpretiert das Wetterradar die Information, es misst die Bewegung der Wassertropfen, schließt dabei auf Konvektion (Gewitter entstehen durch aufsteigende Luft) und nimmt auch den Abstand zur Wolke mit in die Berechnung auf, ebenso wie sog. Bodenechos – diese werden nicht angezeigt. Diese Radartypen neigen dazu, Manches zu dramatisch oder zu schwach darzustellen (CPT; BO).
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entschieden. Daraufhin werden die notwendigen Vorkehrungen am neuen Zielflughafen getroffen, etwa dass Treppen für die Passagiere zur Verfügung stehen, dass das Flugzeug vor Ort aufgetankt werden kann und dass ggf. eine Unterbringung für Passagiere oder auch die Crew organisiert wird. In der Regel lösen dabei die Einflussfaktoren wiederum weitere Zusammenhänge aus. Ein Beispiel: Es liegt eine Gewitterwolke über München, dem Zielflughafen. Selbst wenn diese korrekt vorhergesagt war, „weiß man aber immer noch nicht, wie viele von den Fliegern, die gerade auch in München landen wollten, wie viele davon nun auch nach Nürnberg gehen wollen oder wie viele nach Stuttgart. Und dann wird’s da plötzlich voll. Dann ist da die Kapazität eingeschränkt und so weiter“(CPT; AI; W). Erst die Situation selbst liefert genügend Anhaltspunkte dafür, eine adäquate Entscheidung darüber zu treffen. Dabei gibt es „keinen one best way“ (CPT; AI; W). Schulze und Carus (1995, S. 39) erklären weiter: „In der Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten von Eingriffen […] liegen Grenzen für eine Steuerung in Form von Regeln oder Algorithmen.“ Auch der Flugverkehr ist damit treffend beschrieben. Je komplexer die einflussnehmenden Faktoren in einer bestimmten Flugsituation auftreten, desto stärker sind wiederum die Piloten gefordert, hier „den Überblick [zu] behalten“ (CPT; AI), und dies sowohl über alle flugtechnischen Belange wie auch im Bereich der Flugorganisation. Trotz ihres High Work-load gilt es für die Piloten auch dann, eine möglichst sichere, wirtschaftlich sinnvolle und für die Passagiere komfortable Lösung zu finden.
3.2.2 Topologie Kritischer Situationen Analog der von Schulze und Carus entworfenen Ordnungsstruktur für Merkmale Kritischer Situationen in der computergestützten Produktionsarbeit werden im Folgenden für die Cockpitarbeit typische Merkmalsstrukturen „in einer von der einzelnen Arbeitssituation abstrahierten Weise abgeleitet“ (Schulze, Carus 1995, S. 42). Der Flugprozess ist durch unterschiedliche Bedingungen gekennzeichnet. Diese können folgendermaßen zusammengefasst werden: Einerseits sind dies die bereits genannten Vorgaben durch den Flugbetrieb, also die Airline. Diese strebt in erster Linie an, sowohl die Passagiere und die
3.2 Grenzen der Technisierung – Kritische Situationen
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Crew als auch das Fluggerät selbst sicher und unbeschadet von A nach B zu fliegen. Darüber hinaus bestehen Vorgaben hinsichtlich Pünktlichkeit, Wirtschaftlichkeit, Komfort und Minimierung des Verschleißes. Gesetzliche Vorgaben regeln u.a. den Arbeitnehmerschutz und die Wartung der Flugzeug, sowie generell das Einhalten sämtlicher Sicherheitsvorschriften. Der Flugprozess ist in seinem Ablauf zusätzlich von situativen Einflussfaktoren, vor allem aus dem physischen Umfeld133, abhängig. Dazu gehören sämtliche Wetterausprägungen, am Boden befindliche Hindernisse, wie z.B. Berge, Objekte in der Luft, wie Vögel oder weitere Flugzeuge etc. (vgl. Klampfer 2002, S. 30). Sie wirken sich maßgeblich auf die Aufgabenkomplexität einer Flugdurchführung aus. Von Bedeutung ist hier, dass die physikalische Umwelt in Form dynamischer Umgebungsfaktoren in der Lage ist, wesentlichen Einfluss auf die Flugbedingungen zu nehmen, umgekehrte Wirkungen bzw. Wechselwirkungen jedoch kaum stattfinden (vgl. Giesa 2003, S. 40). Ob der Flug wie geplant stattfinden kann, darüber entscheidet natürlich auch der Zustand des Flugzeugs (flugtauglich oder nicht bzw. ggf. Bestehen konkreter Einschränkungen). Und auch der ‚Zustand‘ des Flughafens kann die Planungen stören, beispielsweise durch schlechte Organisation seitens des Flughafenbetreibers oder der zuständigen Flugbetriebsstation vor Ort (Passagier- und Flugzeugabfertigung, Catering, Cleaning, Loader etc.), aber auch durch kurzfristige, nicht vorhersehbare Überlastung bspw. durch ausweichende Flugzeuge. Die von der Airline bzw. vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Bedingungen wie auch die Einflussfaktoren durch die aktuelle Arbeitssituation beeinflussen die Flugprozessführung, welche wiederum aus den Komponenten Flugsteuerung und Flugmanagement besteht. Das heißt, die konkreten situationsabhängigen Entscheidungen und Maßnahmen im Flugverlauf werden auf die jeweils in der konkreten Situation vorhandenen Bedingungen (vorgegebene und situative Bedingungen) abgestimmt. Dies betrifft alle Entscheidungen der Piloten, sowohl die am Boden als auch die in der Luft getroffenen. Kritische Situationen entwickeln sich dabei, wie aufgezeigt, aufgrund der im laufenden Flugprozess einwirkenden Einflussfaktoren. Diese Einflussfaktoren sind aufgrund ihrer Vielzahl, Komplexität und Wechselwirkung in ihrer verursachenden Auswirkung und Bedeutung für den 133
Die Faktoren des physischen Umfelds sind sehr unterschiedlich und lassen sich in ihrem Einfluss nicht festlegen – z.B. Wettererscheinungen. So müssen diese Faktoren jederzeit in ihren unplanbaren Auswirkungen ausgeglichen und hiermit zusammenhängende potenzielle Gefahren abgewendet werden.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Flugverlauf nicht im Voraus bestimmbar bzw. lassen sich grundsätzlich nicht vollständig oder abschließend erfassen. Die den Flugprozess bestimmenden Bedingungen lassen sich als Ausprägungen in einem aus zwei Achsen bestehenden Koordinatensystem verorten. Die Achsen beschreiben dabei die Anforderungen an den Piloten einerseits durch flugtechnische Steuerungsaufgaben und andererseits durch Flugmanagementaufgaben. Folgende Graphik veranschaulicht anhand der in den vier Quadranten positionierten Situationsbeispiele den Zusammenhang zwischen dem Auftreten Kritischer Situationen und den situativen Anforderungen im Flugprozess. Je nachdem, wie die jeweilige Bedingungskonstellation ausgeprägt ist, lassen sich im Koordinatensystem dazu (im Prinzip unendlich viele) passende Situationen verorten. Zur Veranschaulichung sind in der Graphik einige Beispiele eingefügt. Die jeweilige Bedingungskonstellation beschreibt als Koordinatenpunkt dabei die Wahrscheinlichkeit sowie den Anspruch der damit positionierten Kritischen Situation.
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Für Arbeitssituationen die sich im I. Quadranten verorten lassen, ist das Auftreten KS von mittlerer Wahrscheinlichkeit und unterschiedlichem Anspruch. Es bestehen hohe flugtechnische Anforderungen mit geringem organisatorischem Aufwand.
Hohe flugtechnische Anforderungen
- Technik "spinnt" - Vogelschlag - Boden-annäherungs- oder Kollisionswarnungen
- schlechtes Wetter und Routenänderung - Schwieriger Flughafen, z.B. diffiziler An-/ Abflug - Außerplanmäßiges Landen
- gutes Wetter -Abläufe reibungslos durc durch gute Flughafenund StationsQuadrant III: Die Piloten haben weder hohe flugorganisation technische Anforderungen - keine technoch einen hohen organischen „Macken“
- Passagierschwierigkeiten - Station/Flughafen schlecht organisiert: z.B Catering/ Cleaning spät oder fehlerhaft
Geringe Anforderungen an das Flugmanagement
nisatorischen Aufwand zu bewältigen. Trotz einer grundsätzlich bestehenden Dynamik und Situationsvariabilität sind KS im Sinne außergewöhnlicher Vorgänge hier am unwahrscheinlichsten bzw. leicht zu beherrschen.
-
Geringe flugtechnische Anforderungen
In den Arbeitssituationen im II. Quadranten werden die KS zur Herausforderung und kumulieren sich gerne. Der Pilot hat es mit hohen flugtechnischen und auch hohen organisatorischen Anforderungen zu tun.
Hohe Anforderungen an das Flugmanagement
Quadrant IV beschreibt Situationen in denen zwar hohe organisatorische Anforderungen bestehen, jedoch keine flugtechnischen Störungen. Hier verortete KS treten mit mittlerer Wahrscheinlichkeit und einem unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad auf.
Abbildung 5: Zusammenhang zwischen situativen Anforderungen im Flugprozess und dem Auftreten Kritischer Situationen (KS = Kritische Situation).
Die Anforderungen an den Piloten können, sowohl was flugtechnische Aufgaben betrifft als auch was die Organisation anbelangt, gering sein. Dies entspricht der Situation, auf die das obige Zitat Bezug nimmt: …dass es „Tage [gibt], da passiert dann gar nichts. Rein gar nichts. Das ist dann schon fast bisschen unheimlich“ (CPT; EM/CA). Der Flugprozess ist hier in hohem Maße automatisiert darstellbar. Der Normallauf ist frei von nennbaren Einflüssen und Kritische Situationen sind
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
eher unwahrscheinlich bzw. leicht zu beherrschen. In der Graphik entspricht dies dem III. Quadranten. In den Quadranten I und IV lassen sich Situationen verorten, welche den Normallauf beeinflussen. Dies kann durch unterschiedliche, nicht planbare flugtechnische Anforderungen oder durch organisatorische Anforderungen oder eine Kombination beider Anforderungsarten geschehen. Kritische Situationen treten hier häufiger auf und stellen aufgrund der höheren Komplexität meist auch eine größere Herausforderung an den Piloten dar. Schließlich finden sich im II. Quadraten diejenigen Situationen im Normallauf, deren Beherrschung den höchsten Anspruch an den Piloten stellt. Der Pilot ist hier unerwartet und ungeplant gefordert, sowohl hohe flugtechnische Anforderungen als auch organisatorische Aufgaben zeitgleich zu stemmen. Die automatische Prozessführung ist hier meist nicht mehr möglich bzw. gefährdet. Kritische Situationen treten hier mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auf und besitzen potenziell den höchsten Grad an Komplexität. Die graphische Darstellung der Bedingungsfaktoren (situative und vorgegebene) und ihrer Auswirkung auf die Anforderungen an die Flugprozessführung als Achsen in einem Koordinatensystem ermöglicht die Zuordnung aller Situationen des Normallaufs zu Koordinatenpunkten innerhalb der vier Quadranten. Somit kann die Wahrscheinlichkeit von Störungen in der automatischen Flugprozesssteuerung und in der Vorausplanung differenziert werden und es wird möglich, die hier fokussierten Kritischen Situationen einzuordnen und zu klassifizieren (vgl. Schulze, Carus 1995, S. 46). Die diagonale Linie kann als Trennung in zwei Bereiche verstanden werden: Die blaue Seite (links unten) zeigt eher die Tendenz an, dass Planbarkeit und automatische Prozessführung möglich sind, wohingegen auf der roten Seite (rechts oben) eher vom Gegenteil ausgegangen werden muss. Die Analyse der Cockpitarbeit im Hinblick auf Kritische Situationen im Normallauf bestätigt die Vermutung, dass es auch hier zu Grenzen in der Planbarkeit und zu Unwägbarkeiten der Technik kommt. Im Verlauf eines Flugprozesses entstehen aufgrund vielzähliger Einflussfaktoren immer unterschiedliche und daher im Prinzip unplanbare Bedingungskonstellationen, welche stets adäquat beherrscht werden müssen. Und obwohl es meist von den Piloten selbst gar nicht als „große Sache“ (CPT; BO) gesehen wird, dass „man eben hier und da mal was korrigiert oder so“ (ebd.), ist die Rolle des Piloten ganz offensichtlich von höchster Bedeutung – denn er wird zum Gewährleister des Normallaufs. Dies verdeut-
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licht nochmals, insbesondere für Situationen im II. Quadranten, die hohen Anforderungen an die Piloten und unterstreicht grundsätzlich die hohe Bedeutung menschlicher Arbeitskraft in hoch technisierten Systemen. Die alltäglichen Herausforderungen müssen unter Beachtung dieser Erkenntnisse, nämlich dass Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik fester Bestandteil der Arbeit von Piloten sind, neu beurteilt werden. Nicht nur die Komplexität des Gesamtsystems Luftfahrt und die hohen technischen Herausforderungen machen die Arbeit im Cockpit so diffizil, sondern eben auch die wenig beachteten Kritischen Situationen im Normallauf.134
3.2.3 Der Normallauf im dynamischen Flugprozess Bei dem Versuch, Kritische Situationen von ‚nichtkritischen‘ Situationen abzugrenzen, zeigte sich im Verlauf des Untersuchungsprozesses ein zunächst nicht vermutetes, jedoch bedeutsames Merkmal des Flugprozesses. In den leitenden Annahmen wurde noch davon ausgegangen, dass sich die Anforderungen an den Piloten im Flugprozess folgendermaßen unterscheiden lassen: In Start-, Lande- und expliziten Stör- bzw. Gefährdungsphasen ist der Mensch vor allem notwendig. Die davon differenzierte Flugprozessphase wäre dann die, in welcher die automatische Steuerung weitgehend ohne menschliches Zutun auskommt. Die im vorhergehenden Kapitel aufgedeckten Kritischen Situationen wären gemäß dieser Unterscheidung demnach Störphasen im Normallauf (da sie Einflüsse darstellen, welche durch den Piloten beherrscht werden müssen). Für den (alltäglichen, ungefährlichen) Normallauf hieße dies gemäß der leitenden Annahme konkreter: Der Pilot ist vor allem in der Start- und Landephase und bei Auftreten Kritischer Situationen notwendig. Es stellt sich die Frage, ob der Pilot zumindest in den dann noch verbleibenden Situationen – den Standardsituationen – eigentlich entbehrlich wäre, da hier ein „Abfliegen nach Plan“ (CPT; AI) ja grundsätzlich möglich scheint und die Flugsteuerung weitgehend automatisiert darstellbar ist. Bereits im Verlauf der ersten Beobachtungsphasen und Interviews erwies sich diese Annahme als grundlegend falsch. Und auch die weiteren empirischen Unter134
An dieser Stelle der Hinweis, das Abweichungen vom Normallauf – also etwaige Gefahrensituationen – die Bedeutung des Piloten selbstverständlich nochmals deutlich erhöhen.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
suchungen und Analysen belegten zweierlei eindeutig: 1. Die technische Einflussnahme ist in jeder Phase bedeutsam. 2. Gleiches gilt jedoch auch für den menschlichen Bediener im Flugprozess. Die Rolle des Piloten ist ebenfalls in jeder Phase ebenso bedeutsam Die Standardsituationen stellen diejenigen Situationen dar, in denen sich keine nennbaren Kritischen Situationen finden. Daraus könnte man auf den ersten Blick den Schluss ziehen, dass die Standardsituationen ‚unkritisch‘ sind. Hier offenbart die Analyse der Cockpitarbeit jedoch einen überraschenden Befund. Denn es ist eine Fehlannahme, zu unterstellen, dass ein „Abfliegen nach Plan“ gleichzusetzen wäre mit vollständig stabilen Prozessen. Zwar sind die Standardsituationen im Normallauf zunächst frei von unplanbaren Einflüssen, doch eine vollständige Standardisierung ist in einem Arbeitsumfeld wie dem Flugverkehr grundsätzlich nicht möglich. Es können immer nicht exakt erfassbare und planbare Situationen auftreten, das Vorliegen vollständiger und eindeutiger Informationen kann nie als gesichert angesehen werden und Entscheidungen erfolgen immer unter Zeitdruck. Das heißt, die Annahme, dass es vollständig stabile Prozesse gibt und hiervon eindeutig unterscheidbare Kritische Situationen, muss für den Flugverkehr zurückgewiesen werden. Die komplexen und stets dynamischen Umfeldbedingun-gen erzeugen eine nicht eingrenzbare Situationsvariabilität – was dazu führt, dass Piloten zu Recht die Anforderung an sich formulieren, stets „im Loop“ zu bleiben bzw. „ahead of the aircraft“ zu fliegen. Die befragten Piloten bestätigen, dass sie niemals davon ausgehen, dass die Abläufe stabil bleiben. Ihre unbedingte Aufgabe – unabhängig davon ob Einflüsse auftreten oder nicht – sei es, die Flugprozessabläufe immerzu „im Auge“ zu behalten, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und „einfach andauernd mit allem möglichen [zu] rechnen“ (CPT; AI; W). Denn, so wird es beschrieben, „irgendwas ist eigentlich immer“ (CPT; BO) bzw. „Unstimmigkeiten sind täglich Brot“ (CPT; AI; W). Der Flugprozess ist offenbar nur so stabil, wie die unzähligen Unwägbarkeiten der Situation es für den aktuellen Moment erlauben. Das heißt, auch die stabil erscheinenden Prozesse müssen permanent situativ abgeglichen werden. Eine gänzliche Planbarkeit ist trotz eines im Grunde planmäßigen Ablaufs nicht gegeben. Und auch die Planer selbst, also die Piloten, berücksichtigen diese Charakteristik. So ist davon die Rede, dass genau genommen „jede Situation […] anders“ (CPT; AI; W) ist und man sich immer auf die aktuelle Konstellation „neu einstellen“ (FO; BO) muss. Der Pilot, als letztendlicher Verantwortungsträger, ist immer
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gefordert, situationsadäquat die Abläufe zu beurteilen – auch dann, wenn eigentlich ‚nichts‘ passiert. So kann er zwar, wie aufgezeigt, an den „Kollegen Technik“ abgeben, dies jedoch niemals so vollständig, dass er sich ganz aus dem Geschehen herausnehmen kann. Mindestens einer der beiden vorgeschriebenen Cockpitbediener muss die Abläufe im Auge behalten. Dies wurde auch in der teilnehmenden Beobachtung deutlich. Denn auch während der Gespräche hatten die Piloten immer „ein Auge“ auf den Anzeigen und „ein Ohr“ lauschte dem Funkverkehr. Demzufolge gibt es im Flugprozess (auch offiziell) bislang keine Phase, in der der Mensch gar nicht notwendig wäre. Die heutigen Anforderungen verlangen dem Piloten ein ständiges ‚Tun‘ bzw. ‚Handeln‘ ab. Auch wenn der Flugprozess phasenweise automatisiert abläuft, ist der Pilot zumindest zur Kontrolle eben dieser Abläufe verpflichtet und muss frühzeitig Abweichungen feststellen und beheben. Seine Aufmerksamkeit bzw. Achtsamkeit stellt eine habitualisierte Fähigkeit dar, die als solche von den Piloten gar nicht bewusst als besondere Kompetenz benannt wird: Ein Pilot rechnet stets mit potenziellen Imponderabilien. Da es eine durchweg stabile und damit vollständig standardisierbare Prozessphase demnach genau genommen gar nicht gibt, gelten die Kriterien für Kritische Situationen immer – allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Damit muss selbst die scheinbar ereignislose Standardsituation als latent kritisch eingestuft werden. Als Bezeichnung dafür wird im Folgenden in dieser Arbeit der Begriff der (Kritischen) Standardsituation verwendet. Über diese Kritischen Standardsituationen hinaus gehen diejenigen Situationen, in denen besondere Einflüsse auftreten, welche ein ganz konkretes Handeln des Piloten erforderlich machen, um die Situation wieder in den normalen ‚kritischen‘ Flugprozessstandard zurückzuführen. Für die Arbeit des Piloten im Normallauf bedeutet dies, dass er es mit zwei Situationszuständen zu tun hat:
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
▪
Bewältigung der alltäglichen Dynamik und Situationsvariabilität: (Kritische) Standardsituation135 – es treten keine zusätzlichen Herausforderungen auf
▪
Bewältigung zusätzlicher Herausforderungen durch Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik: Kritische (Einfluss-)Situationen – zusätzliche Herausforderungen treten auf
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag Mensch und Technik sind gleichermaßen am Flugprozess beteiligt. Legt man das Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft zugrunde, zeigt sich die funktionale Verwobenheit menschlicher und technischer Aufgabenerfüllung im Cockpit. Eine grundsätzliche Dynamik und Situationsvariabilität wie auch unterschiedlichste nicht planbare Einflussfaktoren, die in ihrer Vielzahl und Ausprägung willkürlich erscheinen, beeinflussen und verändern den Anspruch der jeweiligen Arbeitssituation – von der (kritischen) Standardsituation hin zu den Kritischen Situationen im Normallauf. Nachdem der Blick im vorhergehenden Kapitel auf Unwägbarkeiten der Technik und die Grenzen der Planbarkeit gerichtet wurde, kann nun gezielt danach gefragt werden, wie die Kooperation im realen Berufsalltag von Pilot und Technik konkret abläuft und wie sämtliche Herausforderungen im Normallauf gemeistert werden. In seiner (Bewältigungs- bzw. Gewährleistungs-)Arbeit ist der Pilot nicht nur stets auf das technische System Flugzeug und dessen ‚Arbeitsweise‘ angewiesen, sondern er geht dabei auch unterschiedlich mit der an Bord befindlichen Technik um.
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Genau genommen stellt die (Kritische) Standardsituation die unterste Ebene Kritischer Situationen dar. Allerdings treten hier keine externen oder systemimmanenten Einflüsse durch Grenzen der Planbarkeit oder Unwägbarkeiten der Technik auf. Diese Einflüsse stellen im hier vorgestellten Projekt jedoch diejenigen Situationen dar, welche als besondere Herausforderungen an das Mensch-Technik-System aufgedeckt werden sollen. Als Kritische Situationen werden im Folgenden daher nur die durch zusätzliche Einflüsse geprägten Situationen bezeichnet – auch wenn grundsätzlich alle Situationen des Normallaufs, also auch die ohne jegliche weitere Einflüsse, als ‚kritisch‘ einzustufen sind. Daher die Unterscheidung in „(Kritische) Standardsituation“ und „Kritische (Einfluss-)Situation“ – kurz: Kritische Situation.
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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Da die Kooperation von Mensch und Technik unter Beachtung der alltäglichen Anforderungen hier im Fokus steht und möglichst umfassend analysiert werden soll, bestand ein weiteres Anliegen darin, das subjektive Empfinden der Piloten zu untersuchen. Indem konkret der Frage nachgegangen wurde, wie der Pilot sich selbst (also sein Selbstbild) und die Technik resp. die Kooperation von Mensch und Technik in den jeweiligen Situationen beschreiben bzw. bewerten würde, ließ sich zeigen, dass dies sowohl davon abhängt, auf welchen situativen Anspruch er in diesem Moment trifft, als auch davon, mit welcher ‚Art‘ von Technik (Grad der Handlungsträgerschaft) der Pilot es zu tun hat.
Differenzierung nach situativem Anspruch Der Normallauf lässt sich, wie aufgezeigt, in zwei Situationszustände differenzieren. Neben der (kritischen) Standardsituation stellen Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik in Form Kritischer Situationen regelmäßig auftretende Herausforderungen dar. Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung soll die Frage nach der Kooperation von Mensch und Technik nochmals aufgegriffen werden, dieses Mal jedoch unter Einbezug aller Anforderungen des Berufsalltags im Normallauf. Die Kritischen Situationen in der Cockpitarbeit werden entweder durch externe Faktoren oder durch systemimmanente Unwägbarkeiten ursächlich bedingt. Damit lässt sich die Kooperation von Mensch und Technik auf drei Ebenen des Normallaufs analysieren. 1. 2. 3.
(Kritische) Standardsituation – „Abfliegen nach Plan“ Bewältigung Kritischer Situationen durch externe Anforderungen (KS Typ I) – „Irgendwas ist eigentlich immer“ Bewältigung Kritischer Situationen durch systemimmanente Unwägbarkeiten (KS Typ II) – „Was macht er denn jetzt schon wieder?“
Die (kritische) Standardsituation ist weitgehend frei von ungeplanten Einflüssen. Die Piloten können sich an der von ihnen erstellten Vorabplanung orientieren. Zwar treten konkrete Kritische Situationen in diesen Momenten nicht in Erschei-
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nung, jedoch wird die Kooperation von Pilot und Technik auch herausfordernd empfunden. Der Normallauf beinhaltet außerdem Situationen, in denen Herausforderungen in Form Kritischer Situationen auftreten, welche durch die Grenzen der Planbarkeit bzw. Unwägbarkeiten der Technik bedingt sind. Unterscheiden kann man hier einerseits Situationen, in denen äußere Einflüsse die Kooperation von Mensch und Technik herausfordern. Dies wären alle Situationen, in denen diverse Variablen das „Abfliegen nach Plan“ zumindest kurzfristig stören, bspw. veränderte Wetterbedingungen, aktuelle Flughafenbesonderheiten oder andere Verkehrsteilnehmer. Diese externen Einflüsse führen dazu, dass die (kritische) Standardsituation ein anderes Niveau erreicht (KS Typ I). Davon unterscheiden lassen sich andererseits Situationen, in denen Anforderungen durch das technische Flugzeugsystem selbst – sozusagen systemimmanent – auftreten, welche den Piloten in seiner Arbeit mit dem technischen System beanspruchen. Diese Situationen sind ebenfalls nicht mehr der Ebene der (kritischen) Standardsituationen zuzurechnen (KS Typ II).
3.3.1 „Abfliegen nach Plan“ – Kooperation in (kritischer) Standardsituation Wie im Rahmen der Beobachtungsstudien festgestellt, beginnt der Flugprozess bereits mit den Vorbereitungen am Boden. Schon hier ergänzen sich die Tätigkeiten des Piloten sowohl mit bordexternen Systemelementen als auch mit bordinternen technischen Systemabläufen. Noch während der Flugvorbereitung am Boden laufen die sogenannten IRS136 -Trägheitsnavigationsinstrumente hoch, ermitteln die Flugzeugposition mithilfe des GPS137 und geben diese an andere Systeme weiter. Dies ist u.a. wichtig für die Programmierung der Flugroute. Ist die APU oder ein Bodenluft-Aggregat zugeschaltet, reguliert die Klimaanlage bereits die Kabinentemperatur auf einen vorgegebenen Wert. Dies verläuft alles automatisch im Hintergrund, während die Piloten sich um die Flugvorbereitung kümmern – ganz nach dem Motto: „Jeder weiß 136
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IRS ist ein Instrument zur Bestimmung der aktuellen Flugzeugposition. Die Berechnung erfolgt anhand gemessener Beschleunigungen (Erklärung von FO; AI). GPS: Das Global Positioning System (deutsch: Globales Positionsbestimmungssystem) ist ein globales Navigationssatellitensystem zur Positionsbestimmung (Quelle: Artikel „Global Positioning System“ auf de.wikipedia.org, Version Juni 2016).
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sein Ding“ (CPT; BO). Die Systeme orientieren sich hier an der erfassten Flugphase (am Boden oder in der Luft bzw. Triebwerke an oder Triebwerke aus). Am Boden mit abgeschalteten Triebwerken funktioniert beispielsweise die Triebwerksenteisung nicht. Direkt vor dem Start, wenn die Triebwerke bereits an sind, ändern manche Systeme ihren Modus bereits von ‚am Boden/Triebwerk aus‘ in ‚am Boden/Triebwerk an‘, z.B. würde nun die Triebwerksenteisung unterhalb einer bestimmten Temperatur automatisch eingeschaltet. Der Modus ‚in der Luft/Triebwerk an‘ nach dem Start sorgt dann zusätzlich für das Zuschalten der Tragflächenenteisung.138 „Da ist so ein Flieger heute schon ziemlich durchkonstruiert und macht vieles von alleine“ (CPT; EM/CA). Der Startvorgang selbst, als hochsensible Phase des Flugverlaufs, erfordert von den Piloten höchste Konzentration. Mehr noch als in anderen Prozessabschnitten verwenden Piloten zur Beschreibung ihres Selbstbildes hier die Bezeichnungen „Steuermann“ (CPT; AI) und „Kapitän“ (CPT; EM/CA). Alle Dinge, welche für den Startverlauf nicht von unmittelbarer Bedeutung sind, sollen und müssen jetzt von den Piloten ferngehalten werden. Die Bordsysteme übernehmen hier eine wichtige, die menschliche Arbeitsausführung schützende Funktion. Sobald der Startschub aktiviert wird – der CPT gibt über die Schubhebel die entsprechende Startleistung – geht das Flugzeug in den sog. Take-off-Mode über. Der Warncomputer filtert nun sämtliche Warnungen, „wie eine resolute Vorzimmerdame“ (SFO; AI), nach Wichtigkeit – abhängig von der Geschwindigkeit –, um unnötige Startabbrüche bei hoher Geschwindigkeit zu verhindern. So werden kleinere Störungen, die den Flug nicht unmittelbar gefährden, erst in der Luft angezeigt. Jedoch sind Feuer oder Triebwerksausfall Beispiele für Störungen, die jederzeit gemeldet werden. Diese sehr sicherheitskritischen Informationen müssen die Piloten sofort erreichen, damit sie augenblicklich reagieren können. Zum Schutz des notwendigen Konzentrationslevels filtert der Computer jedoch sämtliche anderen Meldungen so aus, dass nur die wirklich wichtigen angezeigt werden. Er übernimmt diese Selektion, damit die Piloten den Start ungeachtet kleinerer Vorkommnisse bewerkstelligen können. Erst nachdem das Flugzeug sich in der Luft befindet, ‚belästigt‘ das Bordsystem die beiden Piloten mit den weniger wichtigen Informationen. Während sich also die Piloten um den Start kümmern, arbeitet das technische System selbstständig im Hintergrund und übernimmt die erfassten Daten, bewertet 138
Funktionsweise bei Embraer 190.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
sie, speichert sie und bringt sie wenn nötig zur Anzeige. Diese Funktion bezeichnen Piloten als „gute Zusammenarbeit“ (CPT; AI; W) und erklären, „da flutscht alles“ (CPT; AI; W). Der Start verläuft in positivem Sinn kooperativ – Pilot und Bordcomputer arbeiten „Hand in Hand“ (CPT; AI; W). Auch während des Reiseflugs arbeitet das Warning System im Hintergrund weiter. Der Warncomputer ist mit allen relevanten Systemteilen des Flugzeugs verbunden. Je nach Gefährlichkeit und Dringlichkeit ist es seine Aufgabe, unterschiedliche visuelle und auch akustische Warnungen zu generieren. So werden kleinere Systemausfälle ohne große Auswirkungen als Advisory Messages139 in der Farbe Blau auf den Systemdisplays dargestellt – meist ohne akustische Hinweise über die Lautsprecher. „Blau signalisiert mir Hingucken – aber ohne Dringlichkeit“ (FO; AI). Größere Systemausfälle ohne die Notwendigkeit dringender Einflussnahme der Piloten generieren gelbe Caution Messages auf dem Systemdisplay. Außerdem wird durch einen kurzen Ton und eine zusätzliche (gelbe) Warnlampe darauf hingewiesen. „Gelb erzeugt bei mir automatisch eine höhere Aufmerksamkeit“ (ebd.). Dringende Warnungen werden in Rot auf dem Systemdisplay angezeigt, eine separate (rote) Warnlampe ist aktiviert und längere akustische Signale kommen aus den Lautsprechern. „Bei Rot bin ich sofort voll da“ (ebd.). „Da vertrau ich dem System erst mal“ (CPT; AI). Alle vom Flugzeug erkannten Systemausfälle werden auf diese Weise nach Dringlichkeit vorsortiert und im Cockpit angezeigt. Es wird erklärt, „die Warnstufen habe ich mit der zugehörigen Farbe total verinnerlicht und die laufen wie unweigerliche Trigger. Meine Reaktionen darauf sind bei mir selbst wahrscheinlich schon vollautomatisch“ (FO; AI). Die Technik wird beschrieben als „Partner“ (CPT; AI), der „warnend“ (FO; AI) eingreift, auch etwa in Fällen, wo „du dich vernavigiert hast z.B. und dann fliegst du z.B. – total überspitzt gesagt – jetzt auf nen Berg zu, und dann warnt dich die Technik, weil die merkt: Hey, der hat da was übersehen! Und ich wiederum hab gelernt, auf diese Signale zu hören und den Flieger sofort hochzuziehen“ (CPT; AI; W). Die Technik vermag es in so einem Fall, potenzielle menschliche Fehler auszugleichen und damit ein höheres Sicherheitsniveau herzustellen. „Und das einfach im Hinterkopf zu haben, dass da dann noch eine zusätzliche Instanz da ist, die im Fall der Fälle eben auch guckt, passt das jetzt, was der da macht, das ist gut“ (CPT; AI; W). 139
Advisory Message (engl.) steht für konsultative Nachricht/Meldung im Sinne eines Hinweises.
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145
Wie beschrieben, ist im Normalfall bald nach Take-off die Übergabe an den Autopiloten möglich und üblich. Zuweilen werden dann jedoch Modifikationen des Kurses erforderlich. Diese gibt der Pilot an den Autopiloten weiter. Dabei „musst du ihn [Anm.: den Autopiloten] aber ständig kontrollieren. Du fliegst den Autopiloten dann ja quasi über die Panels. Wenn du eine andere Höhe eindrehst, ziehst z.B., dann fliegt er dahin. Aber nur wenn die ganzen anderen Parameter passen. Wenn der Schubhebel auf Leerlauf ist z.B., dann macht er das nicht, dann versucht er das und dann kann er das nicht“ (CPT; AI; W). Piloten sind sich bewusst, dass sie kein „echtes Mitdenken vom Flieger“ (CPT; AI; W) erwarten dürfen. Sie müssen kontrollieren, ob der Flieger verstanden hat, was sie von ihm wollen. Trotz hoher Automationsgrade ist hier die Rede davon, zu „gucken, wie und ob der das dann umsetzt“ (CPT; AI; W) bzw. ob der Autopilot „meinen Befehl ausführt“ (CPT; AI). Eine vollständige (quasi auch verstandesmäßige) Abgabe an das technische System erfolgt nicht – zu keiner Zeit. Die Piloten geben zwar an den Autopiloten ab – behalten dabei jedoch stets im Auge, was dieser macht bzw. wie dieser die Eingaben umsetzt. Und dies auch bei ‚reibungslosen‘ Abläufen mit gut funktionierender Mensch-Technik-Kooperation. Als „verzwickter“ (CPT; AI; W), sozusagen in differenziertem Sinn kooperativ, empfinden Piloten die direkte Einflussnahme der Flugkontrollcomputer auf die Flugsteuerung, die auch dann erfolgt, wenn der Pilot manuell fliegt. Der Ausgleich von Böen etc. wird durch den Flugkontrollcomputer übernommen, was als äußerst komfortabel empfunden wird. Dies wird für den normalen Flugverlauf als eine besonders gelungene Kooperation wahrgenommen. Der Pilot muss gewissen steuerungstechnischen Feinheiten keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Dies übernimmt der Computer – während der Pilot sich um andere Aufgaben kümmern kann. Dieselbe Technik sorgt jedoch gleichzeitig dafür, dass bestimmte Fluglagen (z.B. maximal 60 Grad Querlage), Geschwindigkeiten und Anstellwinkel limitiert werden. Hier wird die Einflussnahme des Computers situationsabhängig unterschiedlich gewertet. „In 95% aller Fälle ist das ‘ne super Sache, dass da keine Extreminputs möglich sind […] Die Kiste bleibt stabil – auch wenn einer Mist baut“ (CPT; AI; W). Der Vorteil wird so erklärt, dass das Flugzeug im günstigsten Fall verhindert, überhaupt „in eine Gefahrensituation reinzufliegen“ (CPT; AI; W). Von einem weiteren Kapitän wird erklärt: „Wenn du beim Airbus stark ziehst [Anm.: am Sidestick], dann fliegt der nicht wie beim anderen Flugzeug in den
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Stall140, bis der Strömungsabriss kommt, sondern fliegt mit Minimum-Geschwindigkeit einfach weiter“ (CPT; AI). Die Technik wird hier als eindeutig unterstützend empfunden. Jedoch bleiben 5% Situationen, in denen das anders ist bzw. sein könnte. „Klar ist der Normalfall, dass nix ist, aber es könnte eben mal blöd laufen und dann haste da eben die 5%-Situation und dann weißt du einfach, da sperrt sich der Vogel. Der macht das dann einfach nicht“ (CPT; AI; W). Hierzu wird erklärt: „Das schwingt schon auch mit im Hinterkopf“ (ebd.), denn es „könnte nun mal in irgendeinem Fall ein Extremmanöver notwendig sein. Der Flieger kapiert das dann nicht“ (ebd.). Die Gefahrensituation muss also konkret noch gar nicht aufgetreten sein. Das Wissen um die Limitationen, die der Flieger dem Piloten dann setzen würde, genügt, um die Einflussnahme des Flugkontrollcomputers auch kritisch zu werten. Ein für die (kritische) Standardsituation weiteres Beispiel, in dem die Kooperation mit dem technischen System als ambivalent empfunden wird, ist der Sidestick bei Airbus. Alle befragten Piloten empfinden das fehlende haptische Feedback über selbstständig vom Autopiloten bzw. vom Kollegen ausgeführte Steuerausschläge z.B. beim Kurswechsel oder zum Ausgleichen einer Böe als nachteilig. „Ein klassisches Steuerhorn bewegt sich hier analog der Ausgleichsbewegung mit. Der Sidestick nicht“ (CPT; AI; W). Dies sei deshalb ungünstig, weil „man die Bewegungen eines klassischen Steuerhorns immer im Augenwinkel hat“ (ebd.). Die Kooperation bzw. Kommunikation, im Sinne einer Informationsweitergabe des technischen Systems an den Piloten, wird hier als deutlich schlechter bewertet als bei Boeing-Piloten, die ein derartiges Feedback an ihrem Steuerhorn sehen bzw. fühlen können. Denn dies sei „gut zur Kontrolle“ (ebd.). „Du siehst bzw. merkst dann ja direkt, was der Co oder der Autopilot anstellt. Ich hab einfach nur meine Hand auf dem Steuerhorn und spüre die Bewegung. Eigentlich muss ich nicht mal hinschauen“ (CPT; AI; W). Ein Airbus-Pilot erklärt: Um bei Airbus mitzuverfolgen, wie der Computer ausgleicht bzw. der Autopilot oder auch der Kollege fliegt, muss die entsprechende Flugkontrollanzeige aktiv angewählt werden. Eine Kontrolle ist lediglich über Anzeigen möglich. „Und hier ist es nochmal ‘ne Wahnsinns-Transferleistung, um die z.T. graphischen, z.T. digitalen Anzeigen im Gehirn so umzusetzen, dass daraus ein Bild für dich wird, welche Steuer sich
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Stall (engl.): Bezeichnung für einen Strömungsabriss auf der Tragflächenoberseite auf Grund zu langsamer Geschwindigkeit (Erklärung von FO; AI).
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gerade wie bewegen“ (CPT; AI; W). Es scheint, dass es ingenieursseitig nicht für notwendig befunden wird, dem Piloten die Steuerbewegungen deutlicher bzw. einfacher mitzuteilen, „fast als würde man ausgeschlossen“. Eine gelungene Zusammenarbeit sieht anders aus, denn das System enthält dem Piloten hier einen „kompletten Informationskanal“ (CPT; AI; W) vor, „und zwar den haptischen“ (ebd.). ‚Teamwork‘ jedoch funktioniert am besten mit offener und einfacher Informationsweitergabe. Das „haben die bei Boeing besser erkannt und z.B. auch beim Schubhebel mit viel Aufwand einen Servo da eingebaut, damit, wenn die Automatik fliegt, die auch wie von Geisterhand bewegt werden. Bei Airbus haste auch das nicht“ (CPT; AI; W). Interessanterweise scheint genau das Fehlen dieses sofort erfassbaren Feedbacks bei den Piloten zur Verringerung bzw. Erschwerung des so oft zitierten „Arschgefühls“ (CPT; AI; W) (CPT; AI) (CPT; BO) (SFO; AI) (FO; AI) zu führen – also der „Einschätzungsfähigkeit des Flugverhaltens“ (CPT; AI; W) durch den erfahrenen Piloten (hierzu detaillierter in Teil B). Eine eher langfristige Auswirkung auf die Kooperation mit dem technischen System in (kritischen) Standardsituationen darf an dieser Stelle nicht ausgeklammert werden. Denn die häufige, komfortable Delegation an den Autopiloten hat, wie bereits angesprochen, einen gravierenden Nachteil. Menschliche manuelle Fähigkeiten müssen regelmäßig trainiert werden, damit sie nicht verkümmern. Gerade Abflugsituationen, wie beispielsweise „ein ruhiger schöner Tag in München“ (CPT; AI), eignen sich eigentlich dafür. Hier hat jeder Kapitän „eine individuelle Schwelle. Dem einen ist es zu gefährlich, wenn der Co [Anm.: Copilot] von Hand fliegt, und der andere sagt, der muss das üben“ (ebd.). Die grundsätzliche Problematik dahinter bezieht sich jedoch nicht nur auf junge Copiloten, die ihre manuellen Fertigkeiten möglichst oft schulen sollten, sondern auf alle Piloten. Denn die hoch technisierte Flugführung erlaubt es im Normallauf, oft und frühzeitig auf die automatisierte Flugführung umzuschalten. Hier ist eine gewisse reflektierte Verantwortung gefragt, denn die manuellen Fähigkeiten dürfen nie mangels praktischer Ausführung verkümmern – Ausnahmesituationen erfordern ja ein sofortiges und kompetentes Eingreifen durch die Piloten. Hierzu nochmals das Zitat eines Kapitäns mit 24 Jahren Flugerfahrung: „Manuell das Flugzeug zu steuern mach ich noch etwa ein bis fünf Minuten. Und das ist dann auch Wurst, ob Du eine Stunde Flugzeit hast oder 14. Das bleibt gleich“ (CPT; AI). Gerade die Langstreckenpiloten sind also von dieser Problematik betroffen, denn sie machen ja nur vier bis fünf Flüge im Monat. Somit ergeben sich lediglich wenige Minuten direkte
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manuelle Flugpraxis im Monat. Die befragten Piloten sind sich der Problematik, ‚den Reizen der Automation‘ zu unterliegen, und der damit verbundenen Gefahren bewusst. Ein Ausbildungskapitän erklärt hierzu: „Basic flying skills – wenn du viel mit Autopilot fliegst, dann legst du die ab. Da kannste noch so ein toller Pilot gewesen sein, der Klassenbeste, der alles im Griff hatte. Wenn du nicht trainierst, dann verlernst du das. Wenn der Notfall dann da ist, du von Hand fliegen musst, das dann nicht ständig trainiert hast – das ist dann, als wenn du einen Marathon laufen musst und vorher mit der U-Bahn trainiert hast“ (CPT; AI; W). Die Kooperationsbeziehung von Mensch und Technik leidet hier quasi unter einem zeitlich verlagerten Dilemma mit weit reichenden Auswirkungen, das nicht darauf beruht, dass in der (kritischen) Standardsituation selbst, in der der Autopilot steuert, etwas nicht klappt. Vielmehr ist der Mensch hier aufgrund seiner menschlichen Eigenschaft, erlernte Fähigkeiten durch Training erhalten zu müssen, gefordert, verantwortungsvoll nicht zu viel zu ‚kooperieren‘ und zu delegieren – auch wenn die Technik an sich zuverlässig und unterstützend arbeiten würde.
3.3.2 „Irgendwas ist eigentlich immer“ – Bewältigung Kritischer Situationen durch externe Anforderungen Standardsituationen sind insbesondere in einem derart dynamischen und komplexen Arbeitsumfeld wie dem Flugverkehr nicht die Regel. Sehr viel häufiger kommt es zu Abweichungen von der ursprünglichen Planung, denn „irgendwas ist eigentlich immer“ (CPT; BO) und dann ist „man [Anm.: der Pilot] halt einfach das Kindermädchen für alles“ (CPT; AI; W). Die Abweichungen werden mitunter durch die vielzähligen externen Einflüsse verursacht und stellen das Arbeitssystem Pilot und Flugzeug vor situative Herausforderungen, welche (kooperativ) bewältigt werden wollen. Prominentestes Beispiel für externe Anforderungen im Sinne Kritischer Situationen sind nicht planbare Wetterverhältnisse. Wie bereits beschrieben, erfordern sehr schlechte Sichtverhältnisse eine automatische Landung. Dabei beschreiben die Piloten ihre Rolle auch mal als „irgendwie konfus“ (CPT; AI), „widersprüchlich“ (CPT; AI; W) oder „etwas hilflos“ (CPT; AI; W), denn sie sind in diesem Moment zwar Zuschauer, jedoch weiterhin verantwortlich. Die Kooperation mit dem bzw. Abgabe an den technischen Kollegen ist in diesen Fällen zwar vorgeschrieben und auch notwendig, jedoch keineswegs stets pro-
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blemlos. Ein Kapitän erklärt hierzu: „Ich traue dem Flieger schon einiges zu. Rechne aber auch damit, dass er plötzlich aussteigt. Wie bei einem Kleinkind. Da vertraut man darauf, die können das schon, aber irgendwie rechnest du auch damit, dass sie plötzlich nicht mehr wollen oder können oder einfach durch irgendwas überfordert sind in dem Moment. Da muss man alert141 sein. Die Situation ist gerade herausfordernd“ (CPT; AI; W). Der Pilot ist in den beschriebenen Situationen zwar aus der direkten Flugsteuerung ausgeklammert, bleibt jedoch verantwortlich und dringend notwendig. Denn er muss letztlich entscheiden, ob eine sichere Landung überhaupt möglich ist. Spricht etwas dagegen, so muss er den Flieger „blitzschnell“ (CPT; EM/CA) – weil dieser meist bereits in geringer Höhe ist – manuell durchstarten. „Und das Problem ist, wenn wir z.B. so Nebelanflüge machen, dann fliegen ja die Autopiloten. Man ist jetzt nicht direkt dran, man ist quasi einen Schritt aus der Schleife rausgenommen und das ist die Schwierigkeit, weil man ja trotzdem blitzschnell entscheiden muss, starte ich durch oder lande ich?“ (ebd.). Andere Extremwetter, wie sehr starke Scher- oder Seitenwinde oder konvektive Wettersituationen mit Gewitter und dergleichen, lassen die Automatik offenbar an ihre Grenzen stoßen. „Ab gewissen Windverhältnissen, ich hab’ das selber schon erlebt, sagt die Automatik: Tschö!“ (CPT; AI; W). Das heißt, es gibt auch Situationen, in denen die Technik die an sie übergebene Flugsteuerung einfach wieder abgibt. Hierzu wird geschildert: „Wenn sich der Kollege Autopilot verabschiedet, weil es ihm jetzt zu heikel wird, dann muss man sofort in der Lage sein, das Ganze manuell zu übernehmen. Und dafür muss man sofort alles Wesentliche parat haben“ (SFO; AI). Es ist die Rede davon, dass man als Pilot hier gewissermaßen „zweigleisig“ (ebd.) denken muss. Einerseits ist es notwendig, die situativen Gegebenheiten als solche genau zu erfassen, fähig zu sein, „das Ding sofort manuell da durchzusteuern“ (CPT; AI; W). Andererseits muss man verstehen, wie die Technik in diesem Moment arbeitet, sie kontrollieren und dort, wo es ihr gegebenenfalls zu komplex wird und sie einfach „aussteigt“ (SFO; AI), übernehmen. Die Kompetenz, mit einer schwierigen Situation umzugehen, ist beim Menschen offenbar höher, „was ja schon interessant ist, finde ich. Es ist eine entsprechende Windsituation und dann fliegt der Autopilot plötzlich raus, weil er sagt: 141
alert (engl.): wachsam.
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Da bin ich nicht für programmiert! Da müsst ihr jetzt selbst entscheiden, was ihr damit macht!“ (CPT; AI; W). Der kooperative Zusammenschluss wird hier quasi von der Technik gekündigt. Handlungsdruck und Verantwortung werden komplett an den Menschen – den Piloten – übertragen. Dieser muss dann blitzschnell „die totale Kontrolle“ (CPT; AI; W) übernehmen. Die Brisanz liegt darin, dass der Prozessschritt – hier die vollautomatische Landung aufgrund schlechter Sicht – eigentlich weitestgehend an die Technik übertragen war, der Pilot sogar aus dem Arbeitsschritt ausgeklammert war. Die Rollenverteilung schwankt also von einer völlig dominierenden aktiven Technik und einem zur Passivität verdonnerten menschlichen Beobachter hin zu einem allein steuernden Piloten, und das in einem blitzschnellen Wechsel. Auch der Flughafen muss für automatische Landungen speziell ausgestattet sein und es müssen große Abstände zwischen Flugzeugen und Fahrzeugen am Boden eingehalten werden, um die Signale nicht zu beeinträchtigen.142 Es wird erklärt, dass auch hier damit gerechnet werden muss, dass „plötzlich irgendwas am Boden nicht passt. Was das dann ist – keine Ahnung. Da ist es schon ausschlaggebend, was ist das überhaupt für ein Flughafen, den ich da anfliege“ (CPT; EM/CA). Die Piloten erklären übereinstimmend, dass die moderne Technik gerade im Bereich der automatischen Landungen heute eine enorme Reife erlangt hat. Noch vor einigen Jahren wäre undenkbar gewesen, was heute möglich ist. Allerdings sind dem technischen System noch deutliche Grenzen gesetzt. Nicht planbare und unberechenbare externe Einflüsse lassen den technischen Kollegen ganz deutlich an seine Grenzen stoßen. Der Pilot empfindet seine Rolle dabei als die eines „Papas“ oder „Kindermädchens“ bzw. eines „menschlichen Backups“ (CPT; BO). Pilot und Technik ergänzen sich durch unterschiedliche Fertigkeiten, wobei die Rollenverteilung von den befragten Piloten nie zur Gänze positiv bewertet wird. Vielmehr macht es den Eindruck, als wäre der temporäre Ausschluss des Piloten – wenn also die Flugführung an die Technik abgegeben wird bzw. werden muss – ein sich durch die moderne Cockpitentwicklung verschärfendes Problem. Die Rede ist von „Ausschluss“ (CPT; AI; W), nicht nur von Zusammenarbeit.
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Automatische Landungen stellen somit auch immer eine Beeinträchtigung des Verkehrsflusses dar. Dies ist ein Grund, weshalb mitunter sogar gänzlich auf automatische Landungen verzichtet werden muss.
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Den Piloten ist die Hilfestellung durch das technische System bewusst. Jedoch empfinden sie dieses offenbar als noch nicht ausgereift genug, um mit den unberechenbaren Anforderungen durch Kritische Situationen, bedingt durch externe Einflüsse, stets verlässlich umzugehen. „Man kann es so sagen. An sich ist ein Flieger eigentlich schon ein total verlässlicher Partner – aber halt nur, wenn alles idealerweise in seinem Rahmen bleibt“ (CPT; AI; W). Externe Einflüsse können beispielsweise auch andere Verkehrsteilnehmer in der Luft sein. Dabei kann es auch in Normalsituationen schon vorkommen, dass das TCAS anspringt. Eine wirkliche Gefahr ist dann noch nicht gegeben. Die Funktionsweise der Boden- oder Verkehrskollisionswarnsysteme wurde von mehreren der befragten Piloten als grundsätzliches Beispiel für gelungene Kooperation mit dem technischen System angeführt. Dies bezieht sich auch auf potentielle Gefahrensituationen. Dies auszuklammern, weil es nicht mehr zu den Störungen im Normallauf gehört, würde an dieser Stelle eine wesentliche Kooperationsebene vernachlässigen. Bei Ausweichmanövern, die das Boden- oder Verkehrskollisionswarnsystem (GPWS, TCAS) oder das Windscherungs-Vorwarnsystem143 verlangt, werden statt Warntönen Kommandos wie z.B. „Pull up“ (CPT; AI; W) oder „Climb, climb“ (ebd.) über die Lautsprecher generiert. „Da gibt es dann kein Vertun. Das ist in Fleisch und Blut übergegangen. Dass du da auch gar nicht darüber nachdenkst. Wenn der schreit ‚climb climb‘ 144 , dann wird erst mal geclimbt“ (ebd.). Ein weiterer Pilot erklärt: „Ich gehe davon aus, dass das entsprechende Warnsystem in dem Moment seinen Grund hat. Da vertraue ich drauf. Man hat da ja keine andere Wahl. Die Zeit haste ja in so einem Moment auch gar nicht“ (CPT; AI). Die Kooperation wird hier von den Piloten als blitzschnell ineinandergreifend beschrieben. „Das System erkennt, gibt Anweisung und ich mache das. Punkt“ (CPT; AI; W). Die Gefahrensituation ist so erst mal behoben und „anschließend schaut man. Ok, was ist das jetzt gewesen?“ (ebd.). Die Piloten empfinden die beschriebenen Warnsysteme, insbesondere das TCAS wie auch das Ground Proximity Warning System (GPWS), als für den modernen Flugbetrieb essentiell und für den gegebenen Sicherheitsstandard absolut notwendig. „Systeme zu haben, die gerade hier – auch wenn letztendlich bereits zeitkritisch – Alarm schlagen, haben 143
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Bei der Windshear-Funktion registriert das System einen schnellen Auftriebsverlust in Bodennähe, generiert durch eine starke Veränderung der Windrichtung/-geschwindigkeit, und gibt neben akustischen und visuellen Warnungen Handlungsanweisungen über den Flight Director. climb (engl.): klettern, steigen – hier im Sinne von: (die Maschine) hoch ziehen.
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wahrscheinlich schon etliche Unfälle verhindert“ (CPT; AI). Dazu eine weitere Stimme: „Die Zusammenarbeit verläuft in solchen Situationen, sagen wir mal, unhinterfragt reibungslos“ (CPT; AI; W). Externe Einflüsse können allerdings auch viel weniger offensichtlich sein. Wie vom Ablauf her bereits dargestellt, folgt der Pilot nach dem Start dem sog. Flight Director (den Vorgaben des Flugcomputers, dargestellt in Form von zwei Balken oder einem Dreieck auf dem künstlichen Horizont, um die vorgewählte Flugroute, das Flugprofil und die Geschwindigkeit einzuhalten). Nun kann es, wie ein Kapitän schildert, vorkommen, dass die auf Luftdruck basierenden Geschwindigkeitsund Höhenanzeigen, beispielsweise durch Vereisung oder nistende Insekten, gestört sind. Das System selbst kann dies jedoch so nicht erkennen und es wäre dann fatal, dem Flight Director zu folgen bzw. zu vertrauen. Im Zweifel müsste er deaktiviert werden und es würde „pitch and power“ (CPT; EM/CA) geflogen, d.h. Flugzeuglängsneigung und Triebwerksleistung würden so gewählt, dass eine bestimmte, sichere Geschwindigkeit daraus resultiert. Der restliche Flug müsste bis zur Landung so fortgeführt werden, vorausgesetzt, die „verlässlichen“ (ebd.) könnten nicht von den „unverlässlichen“ (ebd.) Anzeigen getrennt werden. Fälle wie der hier geschilderte offenbaren die meist völlig vernachlässigte Option, dass sich auch technische Systeme – wenn auch selten – ‚täuschen‘ können. Demnach wäre Irren nicht nur menschlich.
3.3.3 „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ – Bewältigung Kritischer Situationen durch systemimmanente Unwägbarkeiten Pilot und Technik müssen kooperierend die Anforderungen des Flugalltags meistern. Sie tun dies in unterschiedlicher Güte bzw. wird dies von den Piloten, wie bereits gezeigt, unterschiedlich gewertet. Neben den externen Einflüssen spielt eine weitere Quelle für Kritische Situationen im Flugalltag eine gewichtige Rolle. Dies sind systemimmanente Störungen. Das umfasst alle Situationen, in denen das technische System selbst unplanbar bzw. unwägbar reagiert. „Jeder, der einen Windows-Rechner zu Hause hat, weiß, der hat halt Macken und keiner weiß doch dann eigentlich, was da genau los ist, oder?“ (CPT; AI; W). Hierzu erklärt ein weiterer Airbus-Pilot: „Das und das müsste eigentlich funktionieren. Und die [Anm.: die Techniker am Boden] führen dann so einen Boden-
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test durch. Und da stimmt dann auch alles. Aber das ist dann wieder nur in der Luft und, weiß der Kuckuck, warum, am Boden nicht reproduzierbar. Da sitzt die Technik [Anm.: die Techniker] dann da und denkt, wie kann das sein?“ (CPT; AI; W). Doch auch wenn hier zunächst die Ursache im technischen System selbst liegt, muss der Pilot trotzdem zu gewissen Anteilen mit dem technischen System kooperieren – „soweit das halt geht“ (SFO; AI), um die entstandene Kritische Situation aufzulösen. Die Kooperation mit der Technik bei der Bewältigung dieser Aufgabe kann demzufolge positiv wie auch negativ eingestuft werden. Störungen dieser Art, so wird dies von einem Ausbildungskapitän erklärt, kämen durchaus vor – auch ersichtlich an dem viel zitierten und unter Airbus-Fliegern allseits bekannten Ausspruch: „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ (CPT; AI; W) (CPT; AI) (CPT; BO) (FO; AI). Dies beginnt meist schon, bevor der Flieger überhaupt in der Luft ist, nämlich dann, wenn man ihn in Betrieb nimmt. Dazu schildert ein Kapitän: „Ich hatte es jetzt gerade wieder. Morgens, Airbus, relativ alte Maschine. Wenn du die anmachst, kommen erst mal zig Fehlermeldungen. Im Winter ganz, ganz oft, wenn es noch kalt ist draußen. Ganz neuer Copilot – der fing sofort hektisch an hier und dort, wie er es eben gelernt hat. Ich sage: Langsam, jetzt erst mal auf die Hände setzen, warten, durchatmen, machen wir erst mal da weiter, der braucht seine Zeit. Dann machst du diese Computerresets, eine Airbusgeschichte, die für mich als ehemaliger Boeingpilot total gewöhnungsbedürftig war. Für die modernen Computerkids aber nichts Besonderes. Mein Gott, Computer hängen sich halt auf. Dann ziehst du einmal, machst einmal Ein und Aus, dann hat er sich wieder berappelt. Ein alter Gaul muss auch einmal getätschelt werden, bevor er loslegt. Und ein alter Reiter gibt ihm da kurz seine Zeit“ (CPT; AI; W). Es ist offenbar tatsächlich keine Seltenheit, dass der Pilot auf Situationen trifft, in denen er keine Begründung für das Verhalten des Bordcomputers findet. Ein Kapitän erklärt dies mit den Worten: „Auch Computer machen Fehler oder haben einfach Grenzen irgendwo. Die werden ja schließlich auch nur von Menschen programmiert“ (CPT; AI; W). Wie vielfältig und komplex technische Störungen sind oder ‚Fehler‘ auftreten können, ist an folgender Aussage ersichtlich: „Selbst bei den vielfältigen Airbusfehlern ist es ja teilweise so, dass Airbus auch gar nicht klare Anweisungen gibt, weil die selber nicht alles einfach in Schwarz und Weiß fassen können, was es da an Fehlermöglichkeiten gibt. Da ist das Wissen und Handeln vom Piloten unabdingbar und gesunder Menschenverstand durch nichts
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zu ersetzen, was das angeht“ (ebd.). Auch wird erklärt: „Optimal ist das dann nicht, dass man irgendwelche Systeme nicht durchschaut oder der was macht, was nicht im Prospekt stand“ (CPT; AI; W). Die Piloten sind in dieser Hinsicht jedoch gewissermaßen routiniert bzw. daran gewöhnt. Ziel ist es dann, die Automation so weit zu reduzieren, dass „man den Flieger wieder dirigieren kann. Dass der wieder macht, was ich will und wie ich das will“ (CPT; AI; W). Hoch leistungsfähige moderne Verkehrsflugzeuge verfügen zudem auch über einen Fail-Operational-Modus des Autopiloten, d.h. der Autopilot kann mitunter einige Systemausfälle mithilfe von Redundanz selbst kompensieren und bleibt weiterhin aktiv. Dem Piloten kommt bis zum Zeitpunkt des Ausfalls eine überwachende Aufgabe (Monitoring) zu. Für den Fall, dass ein technischer „Fehler“ auftritt, wird erklärt: „Fast alle Elektrikfehler im A320, da geht dann noch der Autopilot. Was super ist. Und was bei anderen Flugzeugen nicht unbedingt der Fall ist“ (SFO; AI). Hervorgehoben wird hier, dass es selbst dann, wenn es sich um eine technische Störung des Systems selbst handelt, Unterschiede gibt, wie die Kooperation mit der Technik weiter verläuft. Beschrieben wird hier, dass es ein Vorteil ist, dass der Autopilot – zunächst ungeachtet des Elektrikfehlers weiterfliegt. Denn bei anderen Flugzeugmodellen „muss man dann eben manuell fliegen. Und dann noch Entscheidungen treffen“ (ebd.). Bleibt der Autopilot hingegen erst einmal aktiv, „dann nimmt einem die Automation enorm was ab. Gerade die Routinesachen, das ganz normale Geradeausfliegen“ (ebd.). Der Pilot hat dadurch mehr Kapazität, sich um die Fehlersuche bzw. -behebung bzw. um die dann notwendig werdenden Flugmanagementaufgaben zu kümmern. „Das bringt wahnsinnig viel Ruhe rein, wenn der Autopilot übernehmen kann, während du dich um den Rest kümmerst“ (CPT; AI; W). Danach wird der Pilot im sog. Fail-Safe145Modus jedoch zum "Backup für den Autopiloten“ (SFO; AI). Kommen weitere technische Störungen dazu, würde sich der Autopilot abschalten und der Pilot müsste schnell und beherzt, eventuell bereits in geringer Höhe, den Flieger manuell steuern, beispielsweise in ein Durchstartmanövern (ein ähnlicher Fall war bereits oben im Kapitel über KS-Typ I geschildert worden, in diesem Fall aber nicht durch eine Störung der Technik, sondern durch externe Bedingungen ausgelöst). Dieses Szenario ist zwar eher unwahrscheinlich, wird aber im Simulator trainiert
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Fail Safe (engl.): ausfallsicher bzw. störungssicher.
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und von den Piloten als „ziemlich herausfordernd“ (CPT; AI; W) bzw. „heikel“ (CPT; AI) empfunden. Einen Grund, dass es zu technischen Unwägbarkeiten kommt, sieht ein Kapitän darin, dass die vorhandenen Computer „ja nur so agieren aufgrund der Informationen, die die Sensoren erfassen, so wie sie im Algorithmus abgedeckt sind“ (CPT; AI; W). Nun kann es vorkommen, dass bestimmte Sensoren kaputt sind oder eben fehlerhafte Daten übermitteln. Die Konsequenz wäre dann, dass die damit gekoppelte automatische Funktion, weil sie auf fehlerhaften Daten basiert, falsch reagieren würde. Die eigentlich aus Sicherheitsüberlegungen eingesetzte Technik, dass sich Systeme gegenseitig überwachen, führt hier selbst erst in eine fatale Situation. So kam es bereits vor, dass von drei sich gegenseitig überwachenden Systemen zwei ausfallen – „ein sogenannter Dual fail, second not self detected. Die machen immer so eine Plausibilitätsprüfung. Dann misst das eine System das, das andere das und das dritte das. Und dann ist irgendeine falsch, dann sagen die, ok, die Wahrscheinlichkeit, dass wir zwei recht haben und der eine falsch ist, ist höher – also wird der eine overruled146. Kann aber auch vorkommen, dass zwei falsch liegen und dann, Mehrheitsprinzip, den einen Richtigen overrulen“ (CPT; AI; W). Dies ist keine alltägliche Situation und daher im Prinzip nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit. Jedoch beeinflusst dieses Wissen um die Funktionsweise des Flugzeugs auch die Arbeit im Normallauf. Die Notwendigkeit, in einem solchen Fall genau das zu erkennen und schnellstmöglich zu reagieren, erfordert von den Piloten einen ständigen Zustand hoher Konzentration. Denn „das, was dem Computer nun mal fehlt, ist schlicht und einfach: Gesunder Menschenverstand“ (CPT; AI; W), und „da muss man als Pilot das System auch mal überlisten“ (CPT; AI; W). Obwohl das technische System insgesamt als relativ verlässlich eingestuft wird, ist die Gefahr bei einem potenziellen technischen Messfehler oder dergleichen gegebenenfalls prompt eine große. Es ist die Rede davon, dass es unerwartet schnell notwendig werden kann, das „Ruder zu übernehmen. Weil du es als Mensch halt checkst“ (ebd.), was gerade vorgeht. Dafür müsse man die Sensoren sofort alle ausschalten „und dann sagen, hier pass auf, ich weiß es jetzt eben besser!“ (ebd.). Die Verlässlichkeit technischer Systeme an Bord wird nicht nur aufgrund potenzieller Fehlfunktionen nicht als hundertprozentig eingestuft. Die Piloten sind 146
overrule (engl.): überstimmen.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
sich auch über bestimmte Funktionsgrenzen im Klaren. Dabei sind diese Grenzen nicht fixiert und z.T. sogar nicht klar ersichtlich. Beispiel hierfür ist das Wetterradarsystem. Es wird geschildert: „Ich kann auf meinen Radarbildschirm gucken und dann guck ich aus dem Fenster und in der idealen Welt deckt sich das. Das heißt, dann hab ich ein rotes Echo und dann sehe ich auch eine entsprechende Wolkenformation oder einen Regenschauer. Im richtigen Leben ist das aber nicht selten eben genau nicht so. Dann siehst du aus dem Fenster und siehst einen Riesen-Cumulonimbus und auf deinem Radar ist nichts drauf!“ (CPT; EM/CA). Sich auf das Radarsystem zu verlassen wäre hier fatal. Denn offenbar gibt es Wettersituationen, die vom System nicht der Realität entsprechend abgebildet werden. Der befragte Kapitän erklärt weiter: „Du denkst Dir dann, ok, das Radar bildet halt nur Wasser ab und die Wassertropfen in der Wolke sind halt noch nicht so, dass die das Radarecho entsprechend zurückwerfen. Und du siehst die Wolke aber und da fliegst du ganz sicher nicht rein! Umgekehrt hast du knallrote Echos und du siehst rein gar nichts vor dir. Da ist dann das System irgendwie im Argen“ (ebd.). Die direkte sinnliche Wahrnehmung des Piloten ist in diesem Fall letztlich zuverlässiger und damit ausschlaggebend. Die Piloten sprechen davon, „eben wirklich intelligent“ (CPT; AI; W) zu sein und „Dinge komplex bewerten“ (CPT; AI) zu können. Technische Systeme hingegen „erkennen keine Fehler“ (CPT; EM/CA) und „sind ganz klar immer irgendwie beschränkt“ (ebd.). Die Rolle der Technik und die eigene Rolle, das Selbstbild, werden hier von den Piloten etwa so beschrieben: Die Funktionsweise der Technik ist für den Menschen oft nicht nachvollziehbar, und das macht ihre Situation schwieriger. Die höhere Technisierung auf hochmodernen Flugzeugen betreffend, schildert ein Kapitän: „Auf der alten 737 hatten wir auch mal Systemfehler, damit muss ich halt umgehen, aber ich habe da den Überblick. Also als Dirigent sitze ich quasi oben und gebe den Takt vor. Und wenn ich was höre, einen Ton, der mir nicht gefällt, dann kann ich da hingucken und ich sehe es dann ganz genau – aha! Bei Airbus heute habe ich manchmal das Gefühl, da spielt plötzlich einer ein ganz anderes Stück Musik. Das ist nicht der Ton, der mir nicht gefällt, sondern die ganze Melodie passt nicht“ (CPT; AI; W). Dabei ist es nicht grundsätzlich so, dass es sich dabei um eine Fehlfunktion des technischen Systems handeln muss. Es kann auch schlichtweg unverständlich sein, wie die Funktionsabläufe stattfinden. Der Kapitän weiter: „Wo ich mich dann zurücknehme und sage: Hallo!? Und dann gucke ich auf meine Noten und sehe, ach ja scheiße, eigentlich wollten wir ja auch dieses Stück Musik spielen. Der Takt
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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war bei uns beiden nur ein anderer“ (ebd.). Dies ist ein häufig anzutreffendes Phänomen auf hoch technisierten Flugzeugen. „In dem Ausmaß ist mir das früher bei Boeing aber nie passiert“ (ebd.).
3.3.4 Zwischenfazit Die Anforderungen an den Piloten im Arbeitsalltag sind offenbar ganz entscheidend davon geprägt, ob Kritische Situationen auftreten und von welcher Art diese sind. Die Kooperation mit dem Flugzeug wird in den jeweiligen Arbeitssituationen unterschiedlich gewertet. Die Bewertungen reichen von „da flutscht alles“ (CPT; AI; W) über die Empfindung, als Pilot „Kindermädchen für alles“ (CPT; AI) zu sein, bis zu dem Punkt, wo „man als Pilot das System auch mal überlisten“ (CPT; AI; W) muss. Das heißt, im besten Fall einigt man sich (Pilot und Flugzeug) sozusagen übereinstimmend auf eine Lösung. Allerdings lässt sich mit der Technik im Prinzip nicht verhandeln. Vielmehr könnte man sagen, der Pilot ‚kooperiert‘ mit den Limitationen, die der Flieger ihm setzt, oder umgeht diese. Entgegen der Annahme, in der (kritischen) Standardsituation gebe es nur eine kritiklose Kooperation mit positiver Bewertung seitens der Piloten, zeigt sich, dass die technische Ausgestaltung moderner Cockpits durchaus auch im „Idealfall“ Reibungspunkte bietet, sei es das fehlende haptische Feedback am Sidestick (Airbus), das Wissen um die potenzielle Beschränkung seitens der beschriebenen Flight Envelope Protection (Flugkontrollcomputer) oder die zeitlich verlagerte Problematik des Mangels an Übung durch zu viel Delegation an das Bordsystem. Betont werden muss allerdings, dass die Kooperation von Mensch und Technik in den meisten Situationen durchaus positiv beschrieben wird und die Piloten die Funktionsweise des technischen Systems als arbeitserleichternd einstufen. Kritische Situationen im Normallauf fordern die Kooperation von Mensch und Technik jedoch heraus. Nicht selten greifen auch hier die Qualifikation des Piloten und die Funktionen des technischen Systems reibungslos ineinander und die Situation wird dadurch schnell und eindeutig aufgelöst bzw. beherrschbar. Mitunter gelingt dies jedoch nicht und der Pilot ist der ungleich schwierigeren Aufgabe ausgesetzt, die Kritische Situation zu beherrschen, und dies, obwohl er die Aktionen der technischen Systeme in dem Moment nicht ganz nachvollziehen kann. Insbesondere schwierige externe Anforderungen können sogar dazu führen, dass die
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Technik quasi ‚aussteigt‘ und die Kooperation mit dem Menschen abrupt beendet, nämlich dann, wenn es für ihre Programmierung offenbar zu komplex wird. Hier ist der Pilot natürlich einer besonderen Herausforderung ausgesetzt, da er, obwohl eben noch weitgehend aus den Abläufen herausgehalten (bei vollautomatischen Landungen aufgrund bestimmter Wetterverhältnisse beispielsweise), blitzschnell die volle Kontrolle übernehmen muss. Kritische Situationen durch systemimmanente Unwägbarkeiten fordern die Kooperation im Arbeitsalltag ebenfalls heraus. Denn die technischen Systeme funktionieren offenbar nicht immer reibungslos und der Pilot trifft daher auf das Erfordernis, auch mit den technischen Macken umzugehen. Das Wissen um diese – für ihn nicht nachvollziehbaren – Unwägbarkeiten technischer Systeme lässt ihn dabei meist völlig routiniert verfahren (z.B. die beschriebenen Resets bei der Cockpitüberprüfung). Allerdings gibt es durchaus auch komplexe technische Irrtümer (der beschriebene Sensorfehler beispielsweise), welche dann ein schnelles und sehr kompetentes Vorgehen und Erkennen des Piloten erfordern. Die Verlässlichkeit des technischen Systems muss in Frage gestellt werden. Dadurch wird die Bewältigung der Situation für den Piloten noch herausfordernder. Auch das Selbst- und Technikbild der Piloten bestätigt eine offensichtliche Divergenz der Bewertungen. Interessant ist dabei, dass nicht das Auftreten einer Kritischen Situation per se dazu führt, dass die Kooperation schlechter bewertet wird. Mitunter loben die Piloten gerade in Kritischen Situationen – und das sowohl bei Auftreten Kritischer Situationen vom Typ I als auch vom Typ II – die Kooperation mit dem technischen System. Kommt es jedoch zu Grenzen in der Verlässlichkeit oder zu Momenten der Nichtnachvollziehbarkeit technischer Abläufe, so haben die befragten Piloten schnell den Eindruck, „jetzt auch noch den Flieger hinkriegen“ (CPT; AI) zu müssen, d.h. die Technik erschwert es den Piloten dann, die Kritischen Situationen zu beherrschen. Es stellt sich an dieser Stelle folgerichtig die Frage, inwiefern hier ggf. ingenieursseitig Möglichkeiten vorhanden wären, den Arbeitsplatz Cockpit mehr an die
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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Bedürfnisse des notwendigen menschlichen Bedieners – des Piloten – anzupassen.147 3.3.5 Selbst- und Technikbild des Piloten Deutlich wurde bisher, dass die technischen Elemente im Cockpit eine sehr wesentliche Rolle spielen. Der menschliche Bediener – der Pilot – hat sich in seiner ‚Art‘ zu arbeiten dem technischen Standard angepasst. Dabei trifft er im Arbeitsalltag auf unterschiedliche Herausforderungen. Beobachtungen wie auch Interviews zeigen darüber hinaus, dass der Pilot dabei grundsätzlich unterschiedlich mit den verschiedenen Techniken umgeht bzw. sich die Techniken unterschiedlich autonom in den jeweiligen Prozessschritt einbringen. Dies lässt sich mit der dem Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft entlehnten Einteilung in unterschiedliche „Grade der Handlungsträgerschaft“ (vgl. Rammert, Schulz-Schaeffer 2002a, S. 23f) fassen. So werden gering technisierte Assistenzsysteme als Hilfsmittel für den Piloten (Beispiel: die simple Taschenlampe – als Hilfsmittel visueller Begutachtungen) heute ergänzt durch hoch automatisierte Bordcomputer, deren Vorgänge das technische System – oftmals 147
Die Frage, wie man aus einer eher menschzentrierten Sichtweise den Arbeitsplatz Cockpit verbessern könnte, kann hier nur angedeutet werden – sie ist nicht Bestandteil vorliegender Arbeit. Denkbar wären – den hier aufgezeigten Untersuchungsergebnissen nach – Ansätze zur Entwicklung eines haptischen Feedbacks beim Sidestick (Airbus), eine eventuell leichtere bzw. schnellere Ausschaltung der beschriebenen Flight Envelope Protection oder die Forderung einer höheren manuell zu verrichtenden Flugzeit zur Aufrechterhaltung manueller Flugfähigkeiten. Mit dem Thema der Technikgestaltung befasst sich regelmäßig, im Rahmen allgemeiner Diskussion um Mensch-Maschine-Systeme, die Berliner Werkstatt des Zentrum Mensch-Maschine-Systeme. Seit 1995 finden diesbezüglich von der Technischen Universität Berlin durchgeführte Tagungen statt. Ein dabei hervorzuhebendes Thema in den ingenieurspsychologischen Ausführungen zum Beruf und den Arbeitsbedingungen des Piloten sind die Überlegungen zu einer optimal gestalteten Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (z. B. Willumeit, Kolrep 1995; Marzi, Karavezyris, Erbe, Timpe 2002; Giesa 2003; Steffens, Thüring, Urbas 2004). Angesichts der fortgeschrittenen Automatisierung setzen hier vielfältige Untersuchungen an, die sich insbesondere mit den negativen Folgen einer für den Piloten kaum noch einsehbaren Komplexität technischer Systeme auseinandersetzen. Die von Bartsch (2002, 2003) eingebrachten Erläuterungen zur Zuverlässigkeit von Mensch und Technik liefern für Fragen der Flugsicherheit und einer damit zusammenhängenden Verbesserung der Gestaltung des Mensch-Maschine-Systems Cockpit einen nützlichen und aufschlussreichen Einblick aus dem Bereich der Arbeitswissenschaft bzw. Ergonomie. Diese befasst sich interdisziplinär mit den „Gesetzmäßigkeiten und Wirkungsbedingungen der menschlichen Arbeit“ (Bartsch 2003, S. 109) und bemüht sich so um eine Optimierung des Flugarbeitssystems aus einer menschzentrierten Sichtweise.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
völlig selbstständig – durchführt. Die Arbeit des Piloten mit der Bordtechnik reicht folglich – in Abhängigkeit vom Grad der jeweiligen Technik – von einem klassischen instrumentalistischen Umgang mit der Technik bis zur Kooperation mit dem technischen System. Dabei bleibt der Einfluss Kritischer Situationen (in der vorab definierten Form) für die Beschreibung des Selbst- und Technikbildes des Piloten nicht ohne Folgen und erlaubt es, die Beurteilung der Rolle des Piloten zu erweitern. Die vorhergehenden Ausführungen zeigten bereits, dass sich auch in hoch technisierten Flugzeugkanzeln Instrumente bzw. Inputs finden, welche lediglich kausal wirksam werden. Dies wären bspw. alle direkten Steuerbefehle (Boeing), das Ausfahren des Fahrwerks, das Betätigen der Schubhebel, das Entriegeln der Cockpittür oder auch die Verwendung einer einfachen Taschenlampe. Betätigt bzw. verwendet der Pilot diese Instrumente oder Schnittstellen, so geschieht dies in einem instrumentellen Sinn. Die befragten und beobachteten Piloten bestätigen diese Feststellung und sprechen in diesen Flugmomenten von sich selbst als „Master of Desaster“ (CPT; AI; W), beschreiben sich als „Macher“ (SFO; AI) oder vergleichen sich mit einem „Steuermann“ (CPT; AI) oder „Lenker“ (CPT; BO). Dabei hätten sie es „in der Hand“ (CPT; AI; W), wie die verwendete Technik reagiert, vergleichbar mit einem „Solokünstler mit einer einfachen Akustikgitarre“ (CPT; AI; W). Das Flugzeug selbst sei dann „Hilfsmittel“ (SFO; AI) bzw. „Handwerkszeug“ (CPT; AI; W) oder „mein Boot“ (CPT; BO). Den Zitaten nach zu urteilen ist das Selbstbild des Piloten in diesen Fällen selbstbestimmt und zielbewusst. Die eingesetzte Technik wird als unterstützend und notwendig empfunden, aber ihr wird keine essentielle Einflussnahme zugeschrieben. Ein Kapitän erklärt, wie er die Technik in diesen Phasen empfindet, mit den Worten: „Da ist das dann wie mein Inspektor-Gadget-Arm148 […] der Flieger macht genau das, was ich ihm quasi in seiner Gehirn-Leitzentrale [Anm.: Cockpit] vorgebe“ (CPT; AI; W). So hat z.B. die oben angeführte Taschenlampe keine weitere Funktion zu erfüllen, als den zu überprüfenden Bereich besser auszuleuchten. Ähnlich der Funktion eines Hammers, welcher vom Handwerker zum Einschlagen von Nägeln verwendet wird, ist die eingesetzte Taschenlampe ein direkt gesteuerter Gegenstand ohne Black Box (abgesehen vielleicht von den Vorgängen, die das Leuchtmittel 148
Comicfigur mit hoch technisierten Gliedmaßen.
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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funktionieren lassen). Rammert (2003, S. 7f) beschreibt den Unterschied zwischen dieser instrumentellen Nutzung und der Kooperation mit autonomen Systemen treffend: „Wenn Techniken zu relativ autonomen Aktionen und zu Interaktionen befähigt werden, dann verändert sich auch das Verhältnis zwischen Mensch und Technik. So lange wie sie passive Werkzeuge oder festgestellte Maschinen sind, werden sie von den Menschen instrumentell benutzt.“ Dabei ist die Taschenlampe nur ein sehr simples Beispiel instrumentellen Umgangs mit Technik im Cockpit. Es finden sich auch weniger simple Beispiele. So wird auch die direkte Steuerung des Flugzeugs beim reinen manuellen Flug von den Piloten so eingestuft. Denn obwohl hier keine Seilzüge mehr zum Einsatz kommen, sondern eine computergestützte Übertragung stattfindet, empfinden die befragten Piloten hier grundsätzlich zunächst keinen Unterschied. Die von den Piloten beschriebene Arbeitsweise lässt sich daher (für Normalmanöver in störfreien Flugsituationen) durchaus einem instrumentellen Umgang zuordnen. Die dahinterstehende Technik kann jedoch aufgrund ihrer Programmierfähigkeit und der daraus resultierenden potenziellen Einflussnahme im Falle extremer Steuereingaben des Piloten nicht grundsätzlich den nur kausal wirksamen Techniken zugeordnet werden – und dann (bei tatsächlich stattfindenden Limitationen des Pilotenhandelns seitens des Flugkontrollcomputers) wird sie auch von den Piloten nicht mehr als instrumentell eingestuft. Das Ausfahren des Fahrgestells hingegen erfolgt nach wie vor über einen mechanischen Hebel. Auch die sog. Roll- und Landelichter und die Anschnallzeichen folgen diesem einfachen Prinzip ‚Ein-/Ausschalter‘. Sogar die an Bord befindlichen Funkgeräte funktionieren noch in der Art, dass, wenn einer spricht, die anderen nur zuhören können. Diese relativ einfachen Techniken werden von den befragten Piloten als „simpel, aber verlässlich“ (CPT; BO) umschrieben. Generell, so ein Kapitän weiter, sei „die einfachste Technik […] die robusteste“ (CPT; AI; W). Dabei kommt diesen einfachen Funktionen meist sogar eine hohe Bedeutung zu, sei es das Ausfahren des Fahrgestells, das zur Landung notwendig ist, oder bei Ausfall der Beleuchtung wiederum die simple Taschenlampe149. Indem der Pilot das „Ruder“ übernimmt, ergreift er auch die alleinige Kontrolle über die Situation. In der Zusammenarbeit mit kausal wirksamen Systemen sind die Handlungen des Piloten unerlässlich. Die Funktionen vollziehen sich immer im Rahmen einer Bedienung bzw. Verwendung der Technik durch den Piloten 149
Extrem wichtig beispielsweise in Evakuierungsszenarien bei Dunkelheit.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
und können nicht im Vorhinein an das System weitergegeben und somit delegiert werden. Der Pilot muss diese Handlungsschritte daher jederzeit beherrschen. Beruhen Kritische Situationen auf Fehlfunktionen kausal wirksamer Systeme, ist deren Identifizierung i.d.R. eindeutig. Wegen der relativen Einfachheit derartiger Systeme verläuft eine Problembehebung dabei in klaren und zielgerichteten Schritten. In den Bereich der Kontingenz fallen Systeme wie der Autopilot. Dieser fliegt die vorprogrammierte Flugroute selbsttätig ab, jedoch können Änderungen bzw. Anpassungen jederzeit eingespeist werden. Der Autopilot richtet sich in diesem Fall nach den neuen Eingaben, d.h. er ist nicht auf eine einmal eingegebene Route bzw. auf bestimmte Parameter fixiert. So kann er Variationen hinsichtlich Flughöhe, Geschwindigkeit und Kurs umsetzen und in die Flugroute übernehmen. Die Bedienung des Autopiloten wird dabei nicht mehr in einem instrumentellen Sinne vollzogen. Es ist die Rede „von guter Unterstützung“ (CPT; AI) und „Entlastung “ (CPT; AI; W) – sogar von einem „Partner“ (SFO; AI). Die Zusammenarbeit mit dem technischen System wird demzufolge eher als kooperativ empfunden und entsprechend umschrieben. Die Piloten delegieren Aufgabenbestandteile des Flugprozesses hier an das technische System. Während also der Autopilot im Hintergrund das Flugzeug entlang der vorgesehenen Route steuert, widmen sich die Piloten anderen Aufgaben. Diese können ganz unterschiedlicher Natur sein. Die Verlässlichkeit des Autopiloten wird als so hoch eingeschätzt, dass es zumindest für einen der beiden Piloten möglich ist, das Cockpit kurzfristig zu verlassen, dass beide Piloten gleichzeitig eine Mahlzeit zu sich nehmen oder dass sie sich neben der ständig notwendigen Überwachung der System- und Steuerungsabläufe um Flugmanagementaufgaben kümmern. Auch war in diesen Flugphasen (im normalen Reiseflug) stets Zeit für die Beobachterin und ihre Fragen. Trotz der relativ hohen Technisierung und der selbstständigen Flugsteuerung empfinden die Piloten ihre Rolle weiterhin als zentral. Dies wird deutlich in folgender Beschreibung: „Der Pilot ist der Hauptdarsteller. Und seine Nebenrollen – die anderen Darsteller – das ist dann der ganze technische Zirkus. Ohne den würde der Film nicht laufen“ (CPT; BO). Die herausragende Rolle der Piloten und ihre gleichzeitige Abhängigkeit von Co-Akteuren findet sich auch in der Selbstbeschreibung eines Copiloten auf A320 als „erste Geige150“ (FO; AI) wieder. Alle befragten Piloten 150
„Erste Geige“ lässt vermuten, dass weitere Musiker mitspielen.
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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empfinden darüber hinaus den Vergleich mit einem „Dirigenten“ (CPT; AI; W), (CPT; BO), (SFO; AI) hier als sehr passend – wobei, je nach Flugzeugtyp (Airbus oder Boeing), die Zusammenarbeit mit dem „Orchester“ (dem Flugzeug und seinen technischen Komponenten) als unterschiedlich kompliziert bzw. diffizil angesehen wird. Leichter bzw. verständlicher scheint es für die befragten Boeing-Piloten zu sein. Deren „Orchester“ spielt offenbar „nachvollziehbarer“ (CPT; AI; W), was im Vergleich der höheren Systemkomplexität bei Airbus-Maschinen zugeschrieben werden muss. Hier ist der Übergang zu Techniken der nächsten Ebene der Handlungsträgerschaft fließend. Fragen wie: „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ (CPT; AI; W) (CPT; AI) (CPT; BO) (SFO; AI) – ein unter Airbus-Piloten bekannter und viel verwendeter Satz in Bezug auf die Nichtnachvollziehbarkeit technischer Prozessschritte – verdeutlichen die Eigenaktivität des technischen Bordsystems. Hierzu wird von einem Airbus-Kapitän erklärt: „Wo sich aber dann schon meist herausstellt, dass er recht hat [Anm.: der Bordcomputer]. Meist hat man irgendwo hinten doch was falsch programmiert oder so. Aber man kommt halt nicht gleich drauf, weil alles so komplex ist. Dass ich mich frage, was der wieder macht, diesen Effekt habe ich bei Airbus deutlich öfter als noch bei Boeing“ (CPT; AI; W). Ein weiterer Airbus-Kapitän zieht folgenden Vergleich: „Da sitzt du dann also da und fühlst dich manchmal wie ein Zuschauer in einem chinesischen Film ohne Untertitel. Was ist da jetzt eigentlich los – Fragezeichen?“ (CPT; AI; W). Nun ist die Delegation an den Autopiloten aber insbesondere dann von hoher Bedeutung, wenn es zu Kritischen Situationen kommt und die Piloten ihre Aufmerksamkeit auf die Problemlösung lenken müssen. Von hohem Vorteil ist es dann, wenn die Steuerung nach wie vor zuverlässig durch das technische System erfolgt. Jedoch steigt mit dem Grad technischer Raffinesse auch die Komplexität des Systems. Kritische Situationen, die ihren Ursprung im System selbst haben bzw. mit der technischen Funktion in Zusammenhang stehen, sind dann ungleich schwerer zu handhaben. Eine manuelle Übernahme der Funktion durch den Piloten erfordert dann nicht nur eine umfassende Einsicht in die technischen Vorgänge, sondern auch die Fähigkeit, parallel hierzu eine adäquate Problembehebung durchzuführen. Der Pilot ist hier mehr denn je gefordert, sich auf die technischen Systeme und deren (z.T. nicht auf den ersten Blick verständliche) Funktionsweise einzustellen. Ein weiterer Kapitän (Airbus) erklärt die Kooperation folgendermaßen: „Wenn man will, könnte man das auch als Tanz beschreiben. Obwohl man als Mann [Anmerkung: gemeint ist der Pilot] führt, hat
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
die Frau [das Flugzeug] ihren eigenen Takt, und wenn sie will, tritt sie dir auch auf die Füße. Am besten schaust du also, dass du halt ein guter und vor allem halt auch aufmerksamer Tänzer bist. Das kann man sich dann wie eine Tanzfläche vorstellen, das alles. Also mit zig anderen Paaren, und dann hast du vielleicht auch mal ein unebenes Parkett oder so. Ja, so kann man das gut vergleichen“ (CPT; AI; W). Schließlich finden sich im modernen Cockpit auch hoch technisierte Systeme, die auf der höchsten Ebene, der Fähigkeit, eine intentionale Erklärung abzugeben, angesiedelt sind. Hierunter lassen sich diejenigen technischen Systeme subsummieren, welche eigenmächtig bestimmte Aktionen durchführen. Der Flugkontrollcomputer mit seiner Flight Envelop Protection fällt beispielsweise hierunter, ebenso wie das beschriebene TCAS-Kollisionswarnsystem. Indem beispielsweise die Steuerinputs des Piloten erst durch das technische System geprüft werden, sind – gemäß den Ausführungen Rammerts – die „Eingaben nicht direkte Instruktionen“ und werden vom „System im Dialog mit dem Eingebenden […] präzisiert“ (Rammert 2003, S. 8). Das heißt, „der Nutzer erfährt das System […] als Gegenüber, mit dem er kommuniziert“ (ebd.). Diese ‚Kommunikation‘ verläuft jedoch nicht immer reibungslos. Die ‚Intention‘ des technischen Systems wird zwar in dem meisten Fällen als „unterstützend“ (SFO; AI) und „Fehlhandlungen vorbeugend“ (CPT; AI) empfunden. Beschrieben werden jedoch auch Bedenken hinsichtlich dieser technischen Eigenmächtigkeit, da gewisse Situationen es erfordern würden, diese technische Protection (Schutzmaßnahme) – sofort! – ausschalten bzw. overrulen (überstimmen) zu können. Ebenso wie bei der Kooperation mit kontingent wirksamen technischen Systemen ist die Beherrschung Kritischer Situationen in der Zusammenarbeit mit intentional wirksamen technischen Systemen davon abhängig, wodurch die Kritischen Situationen entstanden sind. Ist das System selbst (mit-)betroffen, erhöht die technische Komplexität die Schwierigkeit bei der Problembehebung oft um ein Vielfaches. Andererseits lassen derart autonom funktionierende technische Systeme bei richtiger Funktion viel Raum und Kapazität für Problemlösungen anderer Art. Das TCAS kann als ein System, das dazu in der Lage ist, sich mit einem in einer anderen Maschine befindlichen TCAS auszutauschen, indem die Systeme untereinander Annäherungswahrscheinlichkeiten berechnen und in konkrete Ausweichempfehlungen umwandeln, als Multiagentensystem – im Sinne Rammerts 2003, S. 6f) – aufgefasst werden. Als interaktiv beschreibt er (ebd.) „Multiagentensysteme, die sich vermittels wechsel-
3.3 Kooperation von Mensch und Technik im Pilotenalltag
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seitiger Abstimmung für eine Lösung der Aufgabe koordinieren“. Rammert präzisiert weiter: „Spätestens ab diesem Aktivitätsniveau der ‚Interaktion‘ […] ändern sich das Verhalten und die Beziehungen zwischen den einzelnen technischen Teilen, so dass es sinnvoll erscheint, sie angemessener mit dem Vokabular von technischen Agenten und technischen Interaktionen zwischen ihnen zu beschreiben“ (ebd.). Befragte Piloten sagten, Systeme wie GPWS oder TCAS hätten „bestimmt schon etliche Unfälle verhindert“ (CPT; AI; W). Das Selbstbild der Piloten spiegelt den hohen und insbesondere den autonomeren Stellenwert der technischen Systeme wider. Man vergleicht sich selbst nur mehr mit „einer Komponente im Gesamtsystem“ (CPT; AI) oder eben einem „Tanzpartner“ (CPT; AI; W), der abhängig von der Kommunikation mit der Tanzpartnerin – dem Flugzeug – und ihrer Bereitschaft ist. Dabei kann die Technik offenbar nicht immer alle – insbesondere unbekannte – Situationen folgerichtig erfassen. Im schlimmsten Fall ist sie dann sogar „bockig“ (CPT; AI; W) oder „deppert“ (SFO; AI) und der Pilot empfindet sich selbst dementsprechend als „ein bisschen hilflos“ (CPT; AI; W). Die vom Piloten beschriebene eigene subjektive Rolle und diejenige, die er entsprechend der Technik zuschreibt, sind abhängig vom Grad der Technisierung und vom jeweiligen Umgang mit der Technik. In nachfolgender Tabelle ist dies zusammengefasst aufgeführt.
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Umgang mit Technik
Rolle Pilot
Rolle Technik
Instrumentelle Ebene – Technik als Handwerkszeug
„Master of Desaster“, ‚Macher“, „Solokünstler mit Akustikgitarre“, „Steuermann“, „Lenker“
„Hilfsmittel“, „mein Inspektor-GadgetArm“, „mein Handwerkszeug“, „mein Boot“
(z.B. Fahrwerk, Taschenlampe, Funkgerät)
Positive Kooperation (Autopilot, Take-Off-Mode, richtige Limitationen des Flugkontrollcomputers, Kollisionswarnungen) Konfliktträchtige Kooperation (falsche Limitationen d. Flugkontrollcomputers, fehlendes Feedback, Nichtnachvollziehbarkeit)
„Dirigent“, „Erste Geige“, „Hauptdarsteller“
„Komponente im Gesamtsystem“, „manchmal wie ein Zuschauer in einem chinesischen Film ohne Untertitel“, „ein bisschen hilflos“, „Tanzpartner“
„Orchester“, „gute Unterstützung“, „Entlastung“, „Partner“, „Nebenrolle/-darsteller“, „beugt Fehlhandlungen vor“, „Unfälle verhindernd“ „Was macht er denn jetzt schon wieder?“, „bockig“, „deppert“, „da spielt einer ein ganz anderes Stück Musik!“, „eigenwillige Tanzpartnerin“
Abbildung 6: Rolle von Pilot und Technik in Abhängigkeit vom Grad der Technisierung
Deutlich wird: Je autonomer die Technik auftritt, also je höher ihr Grad der Handlungsträgerschaft ist, desto weniger zentriert nehmen sich die befragten Piloten wahr. Im Gegenzug erhält die Technik mit zunehmendem Technisierungsgrad „menschlichere“ Attribute. Dabei kommen sowohl positive wie auch negative Bewertungen vor. Entscheidend ist vor allem die Beherrschung Kritischer Situationen durch den Piloten – entweder mit Hilfe des technischen Systems oder eben trotz dessen Mitwirkung bzw. ‚Einmischung‘. Anliegen dieses Kapitels war es, die Kooperation von Mensch und Technik im realen Pilotenalltag, d.h. unter Beachtung sämtlicher Situationsvariabilitäten, im Normallauf nochmals in den Fokus zu rücken. Die Arbeit mit und an den technischen Systemen zur Durchführung eines sicheren Flugprozesses wird ganz wesentlich davon beeinflusst, inwiefern es dabei zu Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik kommt. Zudem ist die Mensch-Technik-Kooperation
3.4 Fazit: „Master of Desaster“ – Offizielle Anforderungen und der Alltag des Piloten
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auch davon abhängig, welche Art der Technik, also welcher Grad der Technisierung vorliegt bzw. welchen Grad der Handlungsträgerschaft die eingesetzte Technik aufweist. Der subjektive Aspekt kann bei der Beschreibung bzw. Beurteilung der Kooperation nicht ausgeklammert werden. Vielmehr scheint sich die Qualität der Kooperation hauptsächlich dadurch erfassen zu lassen, wie der Pilot die Zusammenarbeit mit der Technik empfindet. Dafür lieferten das erfragte Selbstbild und das Bild der Technik zusätzliche und verdeutlichende Hinweise.
3.4 Fazit: „Master of Desaster“ – Offizielle Anforderungen und der Alltag des Piloten Im Mittelpunkt des ersten Teils vorliegender Arbeit stand die Frage: „Welche Rolle hat der Pilot überhaupt noch? Und wie sehen seine konkreten Anforderungen aus?“ Dabei richtete sich die empirische Analyse auf das Zusammenwirken von Mensch und Technik nach dem Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft und nahm gezielt die häufig unterschätzten Anforderungen durch Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik im Normallauf in den Fokus. Insgesamt kann an dieser Stelle resümierend festgehalten werden, dass Mensch und Technik gleichermaßen notwendig sind, um den hohen und vielfältigen Anforderungen des zivilen Luftverkehrs angemessen begegnen zu können und um eine sichere Passagierbeförderung zu gewährleisten. Dabei ergänzen sich die menschlichen Qualifikationen der Piloten mit den hoch technisierten Funktionen der Bordsysteme. Die Systeme werden insbesondere in allen planbaren und bekannten Situationen als unterstützend und sinnvoll assistierend empfunden. Entgegen der landläufigen Meinung wird durch den hohen Technikeinsatz und die vielfältigen teils autonom ablaufenden Prozesse die Notwendigkeit des Piloten nicht verringert. Eher ist das Gegenteil der Fall. Erst ein adäquater Umgang mit den technischen Systemen, basierend auf theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung, stellt sicher, dass den häufig nicht planbaren Flugprozessanforderungen kompetent begegnet werden kann. Auf der Basis des Konzepts der Verteilten Handlungsträgerschaft ließ sich die Aufgaben- und Funktionsverteilung von Pilot und Technik im Normallauf anschaulich nachzeichnen. Die Analyse der Tätigkeit des Piloten ergab dabei einen komplexen, zeitweilig organisationslastigen Aufgabenzuschnitt und das
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
Erfordernis eines hohen Maßes an systemtechnischem Verständnis für den eigenen hoch technisierten Arbeitsplatz. Die Piloten befinden sich quasi unentwegt in Interaktion mit den technischen Funktionen des Bordsystems. Alle befragten Piloten stimmen darin überein, dass weder Pilot noch hoch entwickelte Technik ohne den jeweils anderen auch nur annähernd in der Lage wären, eine vergleichbar gute und vor allem „sichere Performance“ (CPT; AI; W) abzuliefern. Ein Kapitän fasst dies zusammen: „Ich glaube, letztlich muss man es so sagen: So wie die Technik da ist – Status quo –, würde sie ohne mich niemals funktionieren. Nicht bei den Anforderungen. Ich könnte aber meinen Job, so wie er im Moment vorgesehen ist, ohne Technik auch nicht darstellen“ (CPT; AI; W). Der Vergleich mit einem Dirigenten wurde von allen befragten Piloten als gute Metapher bewertet. Es wurde betont, dass dieses Bild gewissermaßen dann einen Idealzustand beschreibt, wenn alles fehlerlos in der Arbeit mit dem technischen System, dem „Orchester“, läuft. Die Arbeit lässt sich dann auch ungeachtet etwaiger Schwierigkeiten gut darstellen, „wenn du dich auf deine Musiker verlassen kannst. Die vielleicht auch mal eine kleine Unachtsamkeit meinerseits abfedern und die Performance dadurch weiterhin super ist“ (CPT; AI; W). Die einzelnen „Musiker“ können dann bestenfalls sogar „gegenseitig unterstützen, abfedern, was der andere vielleicht gerade verhunzt“ (ebd.). Die Technisierung ist „hier schon top“ (CPT; AI). Piloten früherer Zeiten, „so einer auf 'ner Super-Conny151“ (CPT; AI; W), werden in Bezug auf ihr Selbstbild noch ganz anders eingeschätzt. „Der war eher sowas wie ein Bandleader. Da gab‘s gar keinen Dirigenten, nur ein paar total nebensächliche Begleitmusiker. Aber der Pilot gab da nicht nur den Takt vor – der gab da wahrscheinlich einfach alles vor. Der war der große Solist!“ (ebd.). Die moderne Umschreibung des Piloten als Dirigent erfasst in Bezug auf die Kooperation (die Verteilte Handlungsträgerschaft) von Mensch und Technik hingegen insbesondere den Umstand, dass der Dirigent zwar den Ton vorgibt, jedoch abhängig davon ist, wie das Orchester seine Vorgaben umsetzt und auch wie sensibel er selbst gewisse Unstimmigkeiten erkennt und ‚falsche Töne‘ (richtig) identifiziert. Er bleibt zwar abhängig von der ‚Performance‘, die sein Orchester bereit ist abzuliefern (das Flugzeug bzw. dessen Komponenten können im Flug nicht ausgetauscht werden), hat aber die Möglichkeit, mit bestimmten Stellhebeln Fehlverläufe zu korrigieren. Deutlich wird dabei, dass die Piloten, selbst wenn es 151
Super-Conny: Die Superconstellation (populäres Flugzeugmodell der 1950er Jahre).
3.4 Fazit: „Master of Desaster“ – Offizielle Anforderungen und der Alltag des Piloten
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zu „zusätzlichem Handlungsbedarf“ (ebd.) aufgrund technischer Unwägbarkeiten kommt, den technischen Systemen nicht grundsätzlich kritisch gegenüber stehen. Die vielfältigen, zum Teil auch anspruchsvollen Situationen, in denen Mensch und Technik positiv kooperieren, überwiegen eindeutig. Und sogar in Situationen, in denen es erst durch eine Fehlfunktion des technischen Systems selbst zu einer gewissen Herausforderung kommt, leistet die Bordtechnik noch Hilfestellung (wie im Beispiel des Autopiloten, der trotz Fehlfunktion noch weiterfliegt). Die Technik scheint mittlerweile so hoch entwickelt, dass sie theoretisch – unter Laborbedingungen – einen Flugverlauf weitgehend ohne menschliches Zutun steuern könnte. Dies bestätigen alle befragten Piloten. Die Betonung liegt jedoch darauf, dass dies niemals unter realen Bedingungen funktionieren könnte. Denn der Flugprozess findet nun mal in einer nicht planbaren Umwelt statt. Aufgrund seiner begrenzten Programmierbarkeit lässt sich der Schluss ziehen, dass das Bordsystem stets nur einen begrenzt verlässlichen Partner im realen Arbeitsalltag darstellt. Daher erfordert die Delegation einzelner Prozessschritte an die Technik stets ein sensibles und kompetentes Vorgehen der Piloten. Es kann durchaus vorkommen, dass der Autopilot in bestimmten diffizilen Situationen die an ihn übertragenen Aufgaben wieder an den Menschen rückdelegiert. Wenn der Autopilot sagt: „Kann ich nicht! Mach du weiter!“ (CPT; AI; W), muss der Pilot die schwierige – für den Autopiloten offenbar zu schwierige – Situation ad hoc beherrschen und die alleinige Prozesskontrolle übernehmen. Der landläufigen Meinung, dass dem Menschen im Cockpit nur mehr Restfunktionen verbleiben, kann daher entschieden entgegengetreten werden. Die Beobachtung zeigt deutlich eine anspruchsvolle Rolle des Piloten als alleinigen Verantwortungsträger hoch komplexer Aufgaben. Interessant ist die übereinstimmende Antwort der Piloten auf die Frage, in welches Flugzeug sie als Passagier lieber einsteigen würden: in das mit der besseren Technik oder das mit dem besseren Piloten. Alle befragten Piloten würden das Flugzeug mit dem besseren Piloten wählen. „Es reicht da der gut ausgeschlafene, gut ausgebildete Pilot da vorn im Cockpit. Der kommt so ziemlich auch jeder Ecke nochmal raus, die Technik aber eben nicht. Und das sag ich auch, obwohl ich ursprünglich Ingenieur bin“ (CPT; AI; W). Die Piloten sehen ihre Rolle als unverzichtbar an. Eine Substitution technischer Art funktioniert ihrer Ansicht nach lediglich in gut planbaren Prozessfragmenten, wie dies heute bereits auch umgesetzt wird. Verändert sich jedoch der hier betrachtete Normallauf durch Grenzen
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
der Planbarkeit oder Unwägbarkeiten der Technik und es kommt zu den beschriebenen Kritischen Situationen, stößt die hochentwickelte Bordtechnik auch mal an Grenzen. Indem die konventionellen Annahmen einer stets verlässlichen und kalkulierbaren Technik kritisch hinterfragt wurden, konnte die Betrachtung der Rolle des Piloten weiter differenziert werden und um bislang wenig beachtete Anforderungen an die menschliche Arbeit erweitert werden. So wurden in der weiteren Analyse typische Kritische Situationen im Normallauf erfasst und kategorisiert – zunächst differenziert und unterteilt nach Arbeitsphasen (Flugzustand, Aufgabentyp, Arbeitsbelastung). Unter Beachtung der Bedingungsfaktoren eines Flugprozesses (Vorgaben und Einflussfaktoren) gelang es, eine Topologie Kritischer Situationen zu entwerfen. Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik spielen in der Cockpitarbeit eine bedeutsame Rolle im Arbeitsalltag. Auffällig war, dass es in den Interviews anfänglich notwendig war, den befragten Piloten die Thematik technischer Unwägbarkeiten überhaupt erst nahe zu bringen. Dass sie in ihrem Berufsalltag mit vielfältigen Grenzen der Planbarkeit konfrontiert sind, war dahingegen sofort Gesprächsgrundlage. Im Laufe der Interviews kristallisierte sich heraus, dass es offenbar zum Alltagsgeschäft der Piloten gehört, die „nicht zu 100%“ (CPT; AI) verlässliche Technik zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren oder sogar zu manipulieren bzw. „wieder auf den Weg zu bringen“ (CPT; AI; W). Die Piloten sehen diese Sicherstellungsfunktion als notwendigen, jedoch nicht klar abgegrenzten Teilbereich ihrer Berufsanforderung („Das ist doch klar berufliches Credo“ [CPT; AI; W]). Ihre Rolle beschreiben sie dabei als „gewährleistend“ (CPT; AI; W): „Ich bin verantwortlich, dass der Laden läuft“ (CPT; AI; W). Dabei wird von den Piloten hervorgehoben, dass dies zum Alltagsgeschäft gehört. In den allermeisten Fällen handelt es sich bei den geschilderten technischen Unwägbarkeiten um harmlose Fehlfunktionen, welche dann „relativ früh abgefedert“ (SFO; AI) werden. Die Piloten selbst sind sich dabei nicht darüber im Klaren, „wie sich das weiter entwickeln würde“ (CPT; AI; W), wenn es zu keiner (Nach-)Regulation durch sie selbst käme. „Das könnte schon auch mal blöd enden. Klar! Aber das erlebst du ja nie, weil du ja deinen Job so gut wie möglich machst. Und mal ausprobieren – was wäre wenn – das machst du vielleicht besser als Buchhalter“ (SFO; AI).
3.4 Fazit: „Master of Desaster“ – Offizielle Anforderungen und der Alltag des Piloten
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Legt man die bisherigen Erkenntnisse zugrunde, zeigt sich, dass die Frage nach der Kooperation nochmals gestellt werden muss – nun allerdings unter Beachtung der tatsächlichen Herausforderungen im Normallauf, das heißt, die Frage lautet, wie Mensch und Technik im realen Alltag auch bei Auftreten Kritischer Situationen kooperieren. Durch die Zusammenführung der Konzepte der Verteilten Handlungsträgerschaft, der Unwägbarkeiten der Technik und der Grenzen der Planbarkeit ergibt sich damit ein neuer Blickwinkel auf die Rolle des Piloten. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil bei dem Versuch, die fokussierten Kritischen Situationen von nichtkritischen abzugrenzen, eine Neubewertung der Standardsituation im Normallauf vorzunehmen war. Nicht zu vernachlässigen ist der Befund, dass auch Standardsituationen immer als latent kritisch einzustufen sind, da eine Stabilität der Abläufe niemals garantiert werden kann. Selbst dann, wenn es zu keinen weiteren störenden Einflüssen kommt, bleibt der Pilot aufgrund der niemals planbaren Situationsvariabilität im Flugverkehr in jedem Augenblick in unverändertem Maße notwendig. Seine Aufmerksamkeit ist permanent gefordert, und diese Anforderung erhöht sich nochmals um ein Vielfaches, wenn es zu Einflüssen durch die Kritischen Situationen im Normallauf kommt. Dies bleibt jedoch häufig weitgehend unbemerkt bzw. wird wenig beachtet. Denn da die Kritischen Situationen in der Regel bereits im Keim erstickt werden, d.h. frühzeitig professionell vom Piloten beherrscht werden, wird dieser zum (paradoxerweise unbemerkten) Gewährleister für technische Abläufe, die aus der Sicht der technischen Planung und des Managements selbstständig zu funktionieren scheinen. Die Piloten früherer Zeiten unterschieden sich hinsichtlich ihrer Arbeitsrolle deutlich von den modernen Piloten, und zwar nicht nur hinsichtlich ihres Umgangs mit der Technik und des damit zusammenhängenden Selbstbilds. Aufgrund ihres vorwiegend instrumentalistischen Umgangs mit den technischen Systemen an Bord waren für sie andere Fähigkeiten von Nöten. Die folgenden Zitate machen für diese Zeiten einen sinnlich wahrnehmenden, erfahrungsbasierten Umgang mit dem Flugzeug deutlich. „Das waren noch Zeiten, als Lufthansa-Piloten beim Blindflugtraining auf der Junkers W 33 ihre Position nach den vom Boden aufsteigenden Gerüchen bestimmten. ‚Jetzt sind wir über Spandau-West’, sagt zum Beispiel Robert Lissau zu seinem Fluglehrer, als der Geruch von frisch geröstetem Kaffee bis ins Cockpit aufstieg. Denn sie hatten gerade die Kaffeerösterei von Kaisers Kaffeegeschäft überflogen“ (Braunburg 1994, S. 44).
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3 Was macht der Pilot? Empirische Analyse
„Die Flughöhe ließ sich doch einwandfrei durch einen einfachen Blick zum Erdboden abschätzen, das Pfeifen der Spanndrähte gab Auskunft über die Geschwindigkeit und der Motor konnte ganz hervorragend anhand seiner ohnehin unüberhörbaren Geräuschkulisse kontrolliert werden. Bei der Navigation kam der individuellen Ortskunde des Piloten herausragende Bedeutung zu und über die Lage im Raum informierte präzise das eigene Gefühl und der sichtbare Horizont“ (Littek 2002, S. 8).
Anders als früher, als die Bordsysteme lediglich Hilfsmittel bzw. Assistenzsysteme darstellten, hat die moderne Cockpittechnik heute einen bedeutenden, kooperativen Part im Arbeitsvollzug. Schlussfolgernd kann man annehmen, dass sich auch der Pilot diesen Funktionslogiken angepasst hat und eine am Leitbild der Objektivität orientierte Arbeitsweise anwendet – um mit den technischen Systemen arbeiten zu können. Wie der Pilot die an ihn gestellten Aufgaben und Anforderungen im Berufsalltag tatsächlich erledigt, ist die Kernfrage des zweiten Hauptteils vorliegender Arbeit.
Teil B – Wie muss der Pilot das machen?
4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Die konkrete Frage danach, wie der Pilot handelt, also die Frage nach dem Arbeitshandeln der Subjekte, ist in der „Tradition der industrie- und arbeitssoziologischen Forschung […] keineswegs selbstverständlich“ (Böhle et al. 2011, S. 17) gewesen. Dort steht vielmehr herkömmlicherweise die Arbeitstätigkeit als solche im Fokus (vgl. ebd.). Böhle et al. (2011, S. 17) schreiben: „Im Vordergrund steht die Analyse von Arbeitsaufgaben und Arbeitsanforderungen, aus denen dann auf Anforderungen an die Arbeitenden geschlossen wird. Dies ist zwar eine subjektbezogene Analyse, sie richtet sich jedoch nicht auf das Arbeitshandeln, sondern auf die Organisation von Arbeit. Primär wird die Frage gestellt, ‚was‘ getan wird bzw. getan werden muss und wie dies technisch und organisatorisch bestimmt wird. Die Analyse des Arbeitshandelns akzentuiert demgegenüber die Frage, ‚wie‘ gehandelt wird, und nimmt damit (notwendigerweise) die Perspektive des Subjekts ein.“ Das durch die Frage, wie Piloten ihre Tätigkeiten verrichten, fokussierte Arbeitshandeln ist gemäß Böhle et al. „ein wichtiger Referenzrahmen für die kritische Analyse von Arbeit“ (2011, S.17). Zum Ausgangspunkt des Konzepts erklären sie weiter, „dass die Analyse des ‚Wie‘ erst einen vollständigen Blick auf das ‚Was‘ der Arbeit eröffnet“ (ebd.).
4.1 Wissenschaftsbasiertes Fachwissen und planmässiges Handeln Auch wenn die Zukunftsvisionen bereits anderes prophezeien, wird der Mensch in hoch technisierten Systemen bislang nicht ersetzt, sondern hat weiterhin eine wichtige Funktion. Denn es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass der menschliche Bediener an hoch technisierten Arbeitsplätzen – insbesondere im Bereich der Verkehrslenkung – die Prozessabläufe fortwährend garantiert und vielfältige und all-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_4
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
tägliche Kritische Situationen beherrscht bzw. positiv abwendet.152 So verweisen auch Grote und Weyer (2011, S. 189f) darauf, dass erst durch fachkundiges Personal die technische Beherrschung gesichert wird. Vorherrschend ist die Sicht, dass die Fachkompetenz des Personals in erster Linie auf zunehmender Verwissenschaftlichung beruht. So erhielt das theoretisierbare Fachwissen, als zentrale Anforderung an die Qualifikation von Arbeitskräften, als Folge einer fortschreitenden Verwissenschaftlichung einen hervorgehobenen Stellenwert (vgl. Bauer et al. 2006, S. 28). Bei den Überlegungen zu den Auswirkungen zunehmender Technisierung in den 1960er und 1970er Jahren erschien es zunächst so, dass nicht eine „Transformation industrieller Produktionsarbeit in eine höherwertige geistige, überwachende und steuernde Arbeit“ (Bauer et al. 2006, S. 28., unter Bezug auf Blauner 1964) wahrscheinlich ist, sondern eher eine „fortschreitende Dequalifizierung als unabwendbare Entwicklung“ (Bauer et al. 2006, S. 28, unter Bezug auf z.B. Bright 1958) einsetzen würde. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde dies revidiert. Nun vermutete man im Zusammenhang mit zunehmender Technisierung einen deutlichen Anstieg des Bedarfs an re-qualifizierter anstelle von de-qualifizierter Arbeit (vgl. Bauer et al. 2006, S. 28, unter Bezug auf Kern, Schumann 1984). Hierbei wurde Requalifizierung oder „Höherentwicklung“ gleichgesetzt mit steigenden Ansprüchen an geistig-intellektuelle Kenntnisse. „Dequalifizierung“ beinhaltete dagegen eine „Beschränkung auf körperlich-praktische Fertigkeiten“ (vgl. Bauer et al. 2006, S. 29). Im Verlauf der Technisierung stand daher nicht mehr der „Erwerb sensumotorischer Fertigkeiten“ im Vordergrund, sondern die „geistige Durchdringung der komplexen Produktionsprozesse“ (vgl. Bauer et al. 2006, S. 30, unter Bezug auf Volpert 2000, S. 9). Der Inbegriff eines wissenschaftlich geprägten Leitbildes ist die Objektivierung. Als Voraussetzung für einen technischen Zugang zu Arbeitsprozessen müssen demgemäß auch das vorausgesetzte Wissen und die Arbeitsweise des Menschen objektiven Kriterien folgen. Die Verwissenschaftlichung basiert einerseits darauf, ein durch praktische Tätigkeit erlangtes Erfahrungswissen umzusetzen in „ein objektivierbares Wissen über Prozesseigenschaften und Abläufe“ (Böhle, Rose 1992, S. 5-6, unter Bezug auf Hack 1988, S. 224), und andererseits auf der 152
Ein spektakulärer Extremfall (und den hier formulierten Kriterien des Normallaufs nicht mehr zuzurechnen) war Cpt. Chesley Sullenbergers Notlandung auf dem Hudson River nach beidseitigem Triebwerksausfall durch Vogelschlag mit einem Airbus 320 der Fluglinie US-Airways im Januar 2009.
4.1 Wissenschaftsbasiertes Fachwissen und planmässiges Handeln
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„theoretische[n] oder modellartige[n] Erfassung konkreter Abläufe – auch unabhängig davon, ob hierzu bereits aus der Praxis gewonnene Kenntnisse vorhanden sind“ (ebd.). Ganz allgemein gilt also gegenwärtig für jede technisch geleitete Steuerung und Verrichtung von Arbeitsschritten, dass sie auf einer wissenschaftlich-systematischen Durchdringung der relevanten Bedingungen und Abläufe des jeweiligen Arbeitsprozesses basiert. Die Bedeutung dieser Entwicklung spiegelt sich deutlich im generellen Verständnis dessen wider, wie eine optimal ausgerichtete Handlungsweise in einem durch Technisierung geprägten Arbeitsbereich, wie dem Cockpit, auszusehen hat. So geht man grundsätzlich davon aus, dass insbesondere für Kritische Situationen eine an rationalen Kriterien orientierte Handlungsweise besonders zielführend ist. Auch die in der Pilotenausbildung vermittelten, objektiven Handlungsstrategien (wie z.B. FORDEC153) belegen dies. Den Piloten soll damit insbesondere in zeitkritischen Entscheidungssituationen eine formale und objektive Hilfestellung zur Findung einer möglichst rationalen Vorgehensweise geboten werden. In der Arbeitsforschung wird allgemein der Begriff des planmäßig-rationalen Handelns verwendet (vgl. Böhle 2010, S. 152). Dieses planmäßig-rationale Handeln ist sowohl ein analytisches als auch ein normatives Konzept von Arbeit. Da der Begriff „rational“ sehr unterschiedlich verwendet und verstanden wird, wurde in der arbeitssoziologischen Forschung auch der neutralere Begriff „objektivierendes Handeln“ vorgeschlagen und verwendet (vgl. Böhle 2017, S. 12). Als Voraussetzung für einen technisierten Zugang zu Arbeitsprozessen sind demnach das vorausgesetzte Wissen und die Arbeitsweise des menschlichen Bedieners einer objektivierten Logik anzupassen. Gefordert wird ein rationales, logisches und systematisierbares Wahrnehmen, Denken und Handeln unter den Prämissen der Zweckmäßigkeit und Rationalität. Menschliche Arbeiter werden daher angehalten, Gefühle und Empfindungen als Elemente ihrer Subjektivität zurückzuhalten und sämtliche Sinne rein verstandesmäßig einzusetzen. Diese Forderung steigert sich weiter, je komplexer und technikintensiver das jeweilige Arbeitssystem ist. Auf der Kehrseite wissenschaftlich-rationaler Arbeitsprozesse erfahren damit die rein subjektiven, personenbezogenen Elemente praktischer Erfahrung eine deutliche Abwertung. Sinnliche Wahrnehmung erscheint lediglich nützlich, um die Dinge zu erfassen, damit man sie dann rational bewerten und letztlich objekti153
Zu FORDEC nachfolgend in Teil B - 5.1.1.
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
vieren kann. Aus dieser Sichtweise folgt, dass Empfindungen des Menschen, als subjektive Größe, nicht zur Bewertung des sinnlich Wahrgenommenen dienen dürfen. Nicht zuletzt gilt es, intuitive, subjektivierende Handlungselemente aufgrund ihrer Unberechenbarkeit, Individualität und damit auch Gefährlichkeit zu unterdrücken. Viele Entwicklungen bis zum heutigen Zeitpunkt unterliegen weitgehend dieser Sichtweise. Die computergestützten Technologien im Bereich von Informations- und Steuerungssystemen unterbinden durch das zugrunde liegende wissenschaftliche Fundament zunehmend die Möglichkeiten, Arbeitsprozesse auf eine nicht systematisierbare Weise zu beherrschen (Böhle, Rose 1992, S. 6-8). Allerdings finden sich in der aktuellen Diskussion Hinweise darauf, dass nicht nur die beschriebene wissenschaftliche Fachkompetenz die Bedeutung des Menschen ausmacht, sondern auch noch etwas anderes. So weist der FlugsicherheitsExperte Van Beveren darauf hin, dass „tagtäglich […] überall auf der Welt Katastrophen aufgrund richtiger, konsequenter und in Bruchteilen von Sekunden, manchmal sogar eher unbewußt durchgeführter Handlungsweisen von Piloten verhindert“ (Van Beveren 1997, S. 166) werden. Hinsichtlich existierender Unwägbarkeiten im praktischen Arbeitsvollzug erscheint eine strikte, dem Leitbild der Technik entsprechende Wenn-dann-Beziehung nach dem Muster, dass bei fortschreitender Technisierung nur eine objektiv ausgerichtete, planmäßig-rationale Handlungsweise adäquat ist, welche sich auf rein wissenschaftlich begründbares Fachwissen stützt, als vorschnell und nicht ausreichend. Denn dies würde gleichzeitig dazu führen, dass andere Wissensformen, welche gleichwohl eine erhebliche Bedeutung für einen sachgerechten Umgang mit hoch technisierten Systemen haben könnten, kategorisch abgelehnt werden. Da die Vorherbestimmung sämtlicher Faktoren und deren Ausprägungen nicht realisierbar ist und der Mensch gefordert ist, diese offenen und unbekannten Bereiche ebenfalls zu regulieren, werden ihm jedoch alle zur Verfügung stehenden Fähigkeiten abverlangt. Die zentrale offene Frage lautet damit nicht nur, wie Piloten ihre Arbeit nach den offiziellen Vorgaben erledigen, sondern auch, ob es darüber hinaus weitere Fähigkeiten gibt, die bislang unbemerkt blieben.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
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4.2 Anderes Wissen und Handeln Ganz ohne Zweifel erhält in der Folge fortschreitender Verwissenschaftlichung das theoretisierbare Fachwissen als zentrale Anforderung an die Qualifikation von Arbeitskräften einen hervorgehobenen und äußerst bedeutsamen Stellenwert (vgl. Bauer et al. 2006, S. 28). Zunehmend finden sich jedoch in der Forschung Hinweise darauf, dass in der Arbeit Fähigkeiten und Kompetenzen eine Rolle spielen, die sich nicht in der offiziellen Arbeitsplatzbeschreibung wiederfinden. Hierzu wird „eine neue Perspektive aufgezeigt, die über die bisher vorherrschende Alternative – Leitbild des Planmäßigen einerseits, Defizitäres des Nicht-Planmäßigen andererseits – hinausweist: Als Gegenpol zu planmäßig-rationalem Handeln wird hier nicht negativ Unordnung, Unzulänglichkeit, Nicht-Wissen bis hin zur Ir-Rationalität betrachtet, sondern eine andere Strategie der kognitiven und praktischen Auseinandersetzung mit Unwägbarkeiten“ (Böhle 2004, S. 35).
4.2.1 Informell-situative Kooperation – Die Workplace-Studies Die Workplace Studies folgen einem Forschungsansatz, der sich in „empirisch detaillierten Untersuchungen mit Arbeit, Technologie und Interaktion in komplexen Organisationen beschäftigt“ (Knoblauch, Heath 2006, S. 141). Es sollen damit weniger theoretische Aussagen getroffen werden als vielmehr der Umgang mit komplexen technischen Systemen als praktische Handlungsleistung empirisch erforscht werden (vgl. Knoblauch, Heath 1999, S. 164). Dabei interessieren die „Feinheiten der Kooperation und Kollaboration in komplexen Organisationen“ (Knoblauch, Heath 1999, S. 168) und insbesondere die „Art und Weise, wie Instrumente und Technologien in sozialen Handlungen und Interaktionen verwendet werden“ (ebd.). Fokussiert werden so die „Praktiken und das praxisbezogene Wissen der Handelnden bei der Durchführung und gegenseitigen Abstimmung ihrer Aktivitäten“ (Knoblauch, Heath 1999, S.169f). Dabei werfen die Workplace Studies einen interessanten Blick auf die nonverbalen Kommunikationsprozesse wie auch auf Formen der informellen Kooperation, v.a. in Kritischen Situationen. Bei der Entwicklung der Workplace Studies hatten die Erkenntnisse Suchmans einen entscheidenden Einfluss (Knoblauch, Heath 2006, S.144). So griff Suchman gewissermaßen „einfach die Auffassung an, dass Handlungen durch vorab festge-
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
legte Pläne und Ziele zu bestimmen seien […]. Die Rationalität des Handelns ist in ihrer Sicht grundsätzlich eine Rationalität der Situation“ (Knoblauch, Heath 2006, S. 144). Damit hob sie „die Bedeutung des unmittelbaren Kontextes“ hervor, „der Handlungen in ihrem praktischen Vollzug zu einer fortwährenden Anpassung an situative Kontingenzen zwingt“ (Knoblauch, Heath 2006, S. 144). Zudem erklärte Suchman, dass „der Sinn von Plänen, Skripten, Regeln und ähnlichem“ (Knoblauch, Heath 1999, S. 167) sehr wesentlich davon abhängt, wie sich die Umstände in der konkreten Situation gestalten. Pläne und dergleichen sind folglich nicht zu starr zu interpretieren, da sie „weniger Leitfäden für Handlungen“ darstellen, sondern vielmehr „Ressourcen, auf die Handelnde zurückgreifen, um ihr Handeln zu organisieren“ (ebd., S. 167). Wesentlich ist Suchman dabei, „dass der Blick auf die alltäglichen Kompetenzen der Handelnden verstellt werde, wenn man darüber hinwegsieht, wie sie unter verschiedenen Umständen mit Plänen und Skripten umgehen“ (ebd.). Knoblauch und Heath erklären aus einer theoretisch-analytischen Perspektive den Begriff der situierten Handlung bzw. situated action zur Schlüsselkategorie der Workplace Studies (2006, S. 144). Deutlich hervorzuheben ist demnach die Situations- und Kontextbezogenheit sämtlicher auf Instrumente bzw. auch Computer ausgerichteter Handlungen. Die sich permanent ändernden Umstände werden demnach stets durch die handelnden Individuen berücksichtigt (vgl. Knoblauch, Heath 1999, S. 169). Untersuchungen u.a. über Leitzentralen der Londoner U-Bahn nehmen den Begriff der Arbeitsteilung in den Blick. Dabei zeigt sich, dass die offiziellen Arbeitsaufgaben von den dort Arbeitenden im Sinne einer systematischen Koordination über Funktionsgrenzen hinweg erweitert werden. Die Kooperation unter den Handelnden bedeutet einerseits, dass parallel stattfindende Aktivitäten und Interaktionen mitverfolgt werden können. Mit dem Begriff der peripheral awareness wird dieses Phänomen aufgegriffen. Darüber hinaus ist aber entscheidend, dass die individuellen Handlungen derart ausgeführt werden, dass es trotz einer eindeutigen Aufgaben- und Funktionsaufteilung gelingt, diese mit den „faktischen Aktivitäten der Mitarbeitenden sowohl innerhalb wie außerhalb der Zentrale“ (1999, S. 175) zu koordinieren. Das heißt, es wird darauf geachtet, dass „individuelle Aufgaben so ausgeführt werden, dass sie von den Beteiligten auf die Handlungen der anderen abgestimmt werden können“ (ebd., S. 176). Kooperation bedeutet also auch „die Fähigkeit, die eigenen Handlungen so zu gestalten, dass sie von anderen beobachtet und richtig verstanden werden können“ (ebd.).
4.2 Anderes Wissen und Handeln
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Nicht nur die herkömmliche Auffassung, dass eine möglichst detaillierte Flugprozessplanung die optimale Voraussetzung für eine gelungene Flugführung sei, ist im Hinblick auf Suchmans Ausführungen zu hinterfragen. Mit einer Untersuchung situativer Kontingenzen im Flugprozess kann dies kritisch beleuchtet werden. Auch das Phänomen der peripheral awareness, ebenso wie die kooperative Koordination der Aktivitäten mit anderen Beteiligten, interessiert in der Cockpitarbeit bei der Frage danach, wie Piloten handeln. Der Forschungsansatz der Workplace Studies wurde zwar auf Kontrollräume im Flugverkehr angewendet (vgl. Suchman 1993; Goodwin, Goodwin 1997), nicht aber auf die unmittelbare Arbeit im Cockpit. Allerdings bleiben die Workplace Studies weitgehend auf einer phänomenologisch deskriptiven Ebene, es fehlt ihnen ein Konzept, mit dem die empirisch beobachtbare Interaktion und nonverbale Kommunikation erfasst werden kann. Einzig der konzeptuelle Hinweis auf die peripheral awareness ist bislang verfügbar und scheint für die Arbeit im Cockpit von Bedeutung.
4.2.2 Routinisierung – Arbeit in High-Risk-Situations Sucht man in der Literatur nach weiteren praktischen Formen des Handelns in hoch technisierten Systemen, finden sich neben den offiziellen planmäßig-rationalen Handlungsweisen auch Routinen. Diese werden aufgrund ihrer quasi mechanisierten bzw. automatisierten Abfolge nicht jedes Mal vorab durchdacht und bedürfen keiner weiteren Handlungsreflexion. Routinen sind im Arbeitsalltag verschiedenster Berufe, auch dem des Piloten, fest verankert. Dabei unterscheiden sich „Routinen […] von Prozessen insofern, als dass sie sich eher aus sich wiederholenden Tätigkeiten, quasi von selbst, herausbilden“ (Pilkahn 2011, S. 206). Zum Mehrwert routinisierter Handlungsweisen erklärt Kratzheller (1997, S. 59), dass die durch „das antizipierende Durchdenken von Aufgabenerfüllungsprozessen und die darauf aufbauende Festlegung von Aktivitätsfolgen […] erreichbare Unsicherheitsreduktion vor allem auf der Tatsache [beruht], daß durch Routinisierung von Aufgabenerledigungsprozessen und ihre Festschreibung (Formalisierung) Suchkosten eingespart werden können. Hier sind die Kosten der Suche nach effizienten, risikoarmen Methoden, Abläufen und Trägerkombinationen gemeint.
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Bewährte Lösungen müssen nicht bei jedem Ablauf neu erarbeitet werden, sondern können von vorhergegangenen Fällen übernommen werden.“ Insbesondere für Arbeitsbereiche, welche in besonderem Maße anfällig sind für nicht vollständig kontrollierbare bzw. reduzierbare Risiken, sind sicherheitsrelevante Untersuchungsansätze von großem Nutzen. In der empirischen Rekonstruktion von Unfällen bzw. Zwischenfällen wird hauptsächlich nach Fehlerquellen geforscht, um diese mittels verbesserter oder ganz anderer Handlungsweisen künftig zu vermeiden. Lösungsansätze setzen dabei nicht selten gerade auf routinisierte bzw. mechanisierte Handlungsabfolgen, da „mit einer formalisierten Routinisierung verschiedene risikoreduzierende Wirkungen verbunden“ (Kratzheller 1997, S. 59) sind. Derartige Handlungsmuster, vornehmlich für Notfallsituationen, wurden ob ihrer Relevanz im Flugverkehr vielfältig dokumentiert und analysiert.154 Die Routinisierung von Handlungsweisen wie auch die verbale Kommunikation lassen sich detailliert mittels kognitionspsychologischer, linguistischer und kommunikationswissenschaftlicher Untersuchungen (vgl. Silberstein, Dietrich 2003; Sexton, Helmreich 2003; Krifka, Martens, Schwarz 2003; Dietrich, Grommes 2003; Grote, Zala-Mezö, Grommes 2003) erfassen. Bei allen Vorteilen, welche sich durch die Etablierung von Routinen ergeben, dürfen auf der anderen Seite ganz wesentliche Einschränkungen nicht vernachlässigt werden. Pilkahn (2011, S. 206) erklärt hierzu: „Routinen entstehen durch sich wiederholende Tätigkeiten. Der dadurch gewonnene Automatismus im Arbeitsablauf reduziert die Fehleranfälligkeit und erhöht dadurch die Gleichförmigkeit und die Effizienz. Routineaufgaben verhindern jedoch die Erneuerung und damit innovative Ansätze, da mit der Verfestigung von Strukturen und Abläufen eine Veränderung oder Erneuerung schwerer fällt bzw. auf Widerstand stößt.“ Das heißt, in denjenigen Situationen, in welchen Handlungsmuster jenseits einförmiger Routine notwendig werden, erschweren Routinen die Suche nach geeigneten improvisierten und neuartigen Ansätzen zur konkreten Problemlösung. Denn „die bewusste Automatisierung von Handlungsschritten und die feste Programmierung lassen kaum Freiräume, weder für Fehler, Abweichungen noch für kreative Eingriffe“ (Pilkahn 2011, S. 207). Es scheint, als würden Flexibilität, Kreativität und die Fähigkeit zur Improvisation durch ein Zuviel an Routineabläufen gefährdet
154
Zum Bereich des Safety Management in der Luftfahrt allgemein siehe u.a. Stolzer et al. 2008; Ballesteros, J. 2007.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
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(vgl. Pilkahn 2011, S. 208). Diesen Sachverhalt greifen Untersuchungen zu Organisationen auf, deren Aufgabe darin besteht, risikohafte Situationen zu bewältigen, wie bspw. Feuerwehr, Sicherheitsbereiche von Atomkraftwerken oder notfallmedizinische Einrichtungen. Die in diesen Bereichen vorgenommenen Analysen155 sind vielfach auf die Identifikation erfolgreicher Handlungen zur Risikobewältigung gerichtet. Sie zeigen, dass eine nonverbale und nicht routinisierbare Handlungsweise eine wichtige Rolle spielt und keinesfalls nur als Risikofaktor angesehen werden darf. Bestätigt wird dies von Klein (2003), indem er darauf hinweist, dass in Stresssituationen eine intuitive Vorgehensweise vielfach überlegen ist. Weick und Sutcliffe (2010) heben ausdrücklich die Bedeutung nicht-routinisierter Handlungsweisen in sog. High-Reliability-Organisationen156 hervor. Unter High-RiskSituations verstehen sie Situationen, in denen unter Zeitdruck bei oftmals unvollständigen Informationen folgenreiche und risikohafte Entscheidungen getroffen werden müssen. Insbesondere für Unternehmen wie bspw. die Flugsicherung sind „Unsicherheiten und nur begrenzt kontrollierbare Rahmenbedingungen sowie unerwartete Anforderungen konstitutiv“ (Böhle 2004, S. 42). Planmäßig-objektivierendes Handeln resp. Routine ist daher in diesen Unternehmen nur schlecht realisierbar, jedoch weisen gerade diese Unternehmen in ihrem Handeln eine hohe Zuverlässigkeit auf. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass den Beteiligten bewusst ist, „dass man nicht alles vorhersehen kann. Sie wissen, dass sie nicht alles wissen, und sie rechnen damit, überrascht zu werden. Ihnen ist klar, dass sie nicht alle möglichen Fehlerformen selbst erlebt oder theoretisch durchgespielt haben“ (Weick, Sutcliffe 2003, S. 69). Auf detaillierte Planung und Standardisierung von Prozessen kann man sich demzufolge in High-Risk-Situations nicht verlassen. An die Stelle von Planung sämtlicher Situationen tritt Achtsamkeit (mindfulness) (Böhle 2004, S. 42). Weick und Sutcliffe konstatieren, dass Pläne unter Umständen sogar Situationen verschlimmern können, da sie Handlungsmustern der Achtsamkeit zuwiderlaufen (Weick, Sutcliffe 2003, S. 99). Da Pläne spezifische Erwartungen implizieren, engen sie dadurch die Wahrnehmung ein, was bei der Be-
155 156
Vgl. u.a. Klein 2003; Weick, Sutcliffe 2010. „A High Reliability Organization (HRO) is an organization that has succeeded in avoiding catastrophes in an environment where normal accidents can be expected due to risk factors and complexity” (Quelle: Artikel „High Reliability Organization“ auf en.wikipedia.org, Version 13.06.2017).
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
wältigung krisenhafter Situationen kontraproduktiv ist. Gefragt ist eine professionelle Improvisationsfähigkeit.
4.2.3 Erfahrungswissen und Subjektivität – Arbeitssoziologie Verschiedene arbeitssoziologische Untersuchungen konnten seit Ende der 1980er Jahre aufzeigen, dass für die Bewältigung komplexer technisierter Arbeitsabläufe neben wissenschaftlich begründetem Fachwissen und planmäßig-objektivierendem Handeln auch noch weitere, andere Formen des Wissens und Handelns in der Berufspraxis erforderlich sind und angewandt werden. Demnach brauchen Fachkräfte ein „besonderes Erfahrungswissen“ (Böhle 2004, S. 37) wie auch die Fähigkeit, vor allem unbekannte Probleme auf eine situationsangepasste und individuell abgestimmte Weise zu lösen.
Die Entdeckung des Erfahrungswissens In den Kontroversen zur Thematik einer Requalifizierung stellte sich heraus, dass nicht nur die „Intellektualisierung“ der Prozesse – einhergehend mit einem hervorgehobenen Anspruch an theoretisches Fachwissen und eine abstrakte Denkweise – wesentlich ist, sondern ebenso „die Unverzichtbarkeit des besonderen ‚Erfahrungswissens’ qualifizierter Fachkräfte“ zu konstatieren ist (Bauer et al. 2006, S. 30, unter Bezug auf Schumann et al. 1994; 1994a; Pries et al. 1990; Barley, Orr 1996; Wood 1986).157 Zuvor hatte das sogenannte Erfahrungswissen, welches ausschließlich im praktischen Handeln erworben werden kann, als wenig wertvoll gegolten, und es sollte, so die damalige Auffassung, „im Zuge fortschreitender Technisierung [...] für einen sachgerechten Umgang mit technischen Systemen ersetzt werden“ (Bauer et al. 2006, S. 30, unter Bezug auf Böhle, Milkau 1988, S. 5ff). Indem eine neue Betrachtungsweise dieses ehemals als unzulänglich geltenden Wissens entwickelt wurde, wird Erfahrungswissen als eine essentielle Kompetenz qualifizierter Arbeitskräfte erkennbar. 157
Zum Wandel der Anforderungen an die Qualifikation von Arbeitskräften in hoch technisierten Produktionsbereichen und den Konzepten des Erfahrungswissens und des subjektivierenden Arbeitshandelns siehe ausführlicher Böhle et al. 2002, S. 18-22.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
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Die tatsächlichen Gegebenheiten in der Berufspraxis verdeutlichen, dass insbesondere auch an hoch technisierten Arbeitsplätzen dieses besondere Wissen bzw. die daraus resultierenden zusätzlichen Fähigkeiten jenseits einer objektiven und kognitiv rationalen Denk- und Handlungsweise notwendig werden, um die bestehenden Anforderungen angemessen bewältigen zu können (vgl. Bauer et al. 2006, S. 30). Bei der Beobachtung von erfahrenen Facharbeitern zeigte sich, „dass gerade jene, die sich in einem Fachgebiet sehr gut auskennen und souverän handeln (‚Experten’), vielfach eher intuitiv statt planmäßig-rational handeln, holistisch-bildhaft anstelle der Anwendung expliziter Regeln lösen“ (Bauer et al. 2006, S. 31, unter Bezug auf z.B. Dreyfus, Dreyfus 1986; Anderson 1989; Brödner 1997, S. 137ff). Solche Handlungsweisen widersprechen den angeführten Kriterien der Objektivität, indem sie keineswegs rein rational und zweckorientiert ausgerichtet sind. Sie basieren vielmehr auf subjektiven Erfahrungen, die die ohne Zweifel unabdingbaren rational-objektivierten Kenntnisse ergänzen. Hierzu existiert eine Reihe weiterer Begriffe, die sich in ihrer Bedeutung großenteils decken bzw. bestimmte Gesichtspunkte des Erfahrungswissens hervorheben, wie „Kontextwissen“ (Beck, Bonß 1989), „Arbeitsprozesswissen“ (Fischer 2000), „Knowledge of Familiarity“ (Göranzon, Josefson 1988) und „Experiental Cognition“ (Norman 1993) (vgl. Bauer et al. 2006, S. 22). Die menschlichen Bediener hoch technisierter Systeme verfügen über ein spezielles Erfahrungswissen und müssen sich „an mögliche Ursachen und Lösungsmöglichkeiten herantasten“ (Böhle 2004, S .37). Je mehr technische Systeme dabei selbst „nach dem Muster sozialer Interaktion und verteilter Kooperation“ (Rammert 2006a, S. 226) agieren, desto mehr gewinnen experimentelle Handlungsweisen im Umgang mit Objekten an Bedeutung – Handlungsweisen, die „zwischen routinierten und improvisierenden Praktiken wechseln (Schubert 2006), die zwischen fixierter Instrumentalität und spielerischer Kreativität changieren“ wie auch „zwischen automatischer Anpassung und erprobender Aneignung“ (Rammert 2006a, S. 226). Dabei findet sich eine Reihe von Hinweisen auf besondere menschliche Qualifikationen, durch die „zwar die Wahrscheinlichkeit des fehlerhaften Ausführens einzelner Handlungsschritte hoch, die Wahrscheinlichkeit aber, das Gesamtergebnis nicht zu erreichen, dennoch sehr klein“ (Bartsch 2002, S. 82) wird. Wesentlich ist hier, nicht davon auszugehen, diese besonderen Handlungsweisen seien weder ziel- noch problemorientiert. Das Gegenteil ist der Fall. Jedoch „unterscheidet sich die Methode, mit der Ziele erreicht und
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Probleme gelöst werden“ (Böhle 2004, S. 36), von der des rational-objektivierenden Handelns.
Ergebnisse von Untersuchungen zur Arbeit mit komplexen technischen Systemen Es stellt sich also die Frage, wann und in welcher Form diese besondere Qualifikation, welche einen kompetenten Facharbeiter an einem hoch technisierten Arbeitsplatz neben seinen wissenschaftlich begründbaren Kenntnissen auszeichnet, in der praktischen Berufsausübung wirksam wird. Untersuchungen an anderen hoch technisierten Arbeitsplätzen, beispielsweise in der Prozessleitindustrie, widerlegen die restriktive Annahme, es gebe nur eine einzige richtige Handlungsweise.158 Hier wird deutlich, dass Facharbeiter – insbesondere in Kritischen Situationen – mehr als nur objektivierendes Arbeitshandeln oder Routine anwenden, um gute bzw. erwünschte Ergebnisse zu erzielen. Die grundlegende Untersuchung, welche für die Erstellung des empirischen Designs vorliegender Arbeit Verwendung fand, wurde 1992 unter dem Titel „Technik und Erfahrung: Arbeit in hochautomatisierten Systemen“ von den Autoren Böhle und Rose veröffentlicht. Ihr Anliegen war es, die Elemente menschlicher Fähigkeiten aufzuzeigen, die zur Ausführung von Arbeitsaufgaben an ausgeprägt technisierten Arbeitsplätzen angewandt werden, in diesem Fall am Beispiel von Anlagenfahrern in modernen, komplexen Produktionsanlagen. „Die Auswahl dieses Arbeitsbereiches und seine Analyse erfolgten mit dem Ziel, die Kenntnisse über Veränderungen der Arbeit im Umgang mit hochtechnisierten Produktionssystemen zu erweitern und zugleich Einsichten in neuartige und übergreifende Probleme einer fortschreitenden Verwissenschaftlichung von Technik und Arbeit zu gewinnen“ (Böhle, Rose 1992, S. 11). Gestützt auf verschiedene Formen der Informationssammlung159, wurde die Arbeit des Anlagenfahrers hinsichtlich der von ihm angewandten Wissens- und Handlungsformen analysiert. Hierbei konnte aufgezeigt werden, dass Bediener hoch technisierter Systeme zwar durchaus den Ansprüchen einer technisch-wissenschaftlich geleiteten Arbeitsausführung gerecht werden, jedoch neben ihren objektiven, in der Aus- und Weiterbildung ver158 159
Siehe hierzu genauer Böhle et al. 1992, 2002. Expertengespräche, qualitative Interviews, Gruppendiskussionen, Beobachtungen und ergänzende Videoaufzeichnungen. Zur genaueren Vorgehensweise siehe Böhle, Rose 1992, S. 14.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
187
mittelten Qualifikationen und ihren formalen und zweckrationalen Fachkenntnissen weitere Formen des Umgangs und Wissens für die Beherrschung komplexer Abläufe in der Arbeitsausführung benötigen und in der Berufspraxis anwenden. Die Feststellung, dass mit „technisch-wissenschaftlicher Rationalität alleine [...] komplexe Produktionsabläufe und hochautomatisierte Systeme weder sachgemäß noch effizient beherrscht werden“ (Böhle, Rose 1992, S. 7) können, ist eine Kernaussage der Autoren. Weiterführende Veröffentlichungen, die sich auf den gleichen Untersuchungsgegenstand bezogen, dienen als zusätzliche Grundlagen für das hier fokussierte Untersuchungsfeld Cockpit. In „Hightech-Gespür – Erfahrungsgeleitetes Arbeiten und Lernen in hoch technisierten Arbeitsbereichen“ wurde von Bauer, Böhle, Munz, Pfeiffer und Woicke (2002, 2006) das allgemeingültige Verständnis von Arbeit unter der Bedingung fortschreitender Technisierung hinterfragt und es wurden Erkenntnisse zum Arbeitshandeln von Anlagenfahrern in der Chemischen Industrie, also ebenfalls Bedienern komplexer technischer Systeme, erzielt. Anhand dieses Modellversuchs konnten Empfehlungen zur Verbesserung beruflicher Bildung aufgezeigt werden. Die bei Böhle und Rose (1992) und Bauer et al. (2006) relevante Definition des Begriffs „Erfahrungswissen“ hebt sich von der traditionellen Sichtweise ab bzw. erweitert diese. Erfahrungswissen soll nicht nur verstanden werden als ein über die Jahre angehäufter Erfahrungsschatz – dieser könnte unter Umständen sogar als hinderlich eingestuft werden, da er auf eine zu geringe Aufgeschlossenheit hindeuten könnte (vgl. Bauer et al. 2006, S. 30) – sondern „als ein Wissen, das zur Bewältigung neuer Situationen im Sinne des ‚Erfahrung-Machens’ befähigt und insbesondere in der Auseinandersetzung mit Neuem erworben und weiterentwickelt wird“ (Bauer et al. 2006, S. 22). Somit ist nicht nur der Erwerb von Routine gemeint. Vielmehr wird Erfahrungswissen hier „als eine eigenständige Form des Wissens begriffen, die notwendig ist, um ein generelles wissenschaftlich begründetes Wissen praktisch anzuwenden wie auch zu ergänzen“ (Bauer et al. 2006, S. 22). Wesentlich ist, dass der Mensch erst im eigenen praktischen Umgang mit der jeweiligen Arbeitsmaschine selbst dazu in der Lage ist, Erfahrungswissen herauszubilden. Folglich ist Erfahrungswissen sowohl situations- als auch personenbezogen (vgl. Bauer et al. 2006, S. 22). Zudem bedarf es einer gewissen Zeit, sich dieses Wissen durch eigenes praktisches Erleben anzueignen und weiterzuentwickeln.
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Es zeigt sich, dass insbesondere die Unwägbarkeiten, welche sich durch die Grenzen der wissenschaftlich-technischen Beherrschbarkeit160 in komplexen hoch technisierten Systemen ergeben, dieses besondere Erfahrungswissen als „ein Wissen, das zur Bewältigung neuer Situationen [...] befähigt“ (Bauer et al. 2006, S. 22), erforderlich machen. Die vorgestellten Untersuchungen konnten darüber hinaus aufzeigen, dass neben dem Erfahrungswissen als einer notwendigen Form des Wissens auch eine ganz bestimmte Art des Handelns Anwendung findet. Durch die tägliche Arbeitspraxis, also das tägliche Handeln, schichtet sich das Erfahrungswissen gleichsam zu einem durchaus wertvollen praktischen Erfahrungsschatz auf und liegt diesem Handeln wiederum zugrunde.
Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln vs. objektivierendes Arbeitshandeln Das praktische Arbeitshandeln kann in zwei voneinander unterscheidbare Ausprägungen differenziert werden. Böhle und Rose (1992) und Bauer et al. (2006) sprechen hier vom objektivierenden Arbeitshandeln auf der einen Seite und dem subjektivierenden Arbeitshandeln auf der anderen Seite. Mit der Unterscheidung in objektivierendes und subjektivierendes Arbeitshandeln sollte ein Konzept geschaffen werden, um einen systematischen Zugang zu den Wissensinhalten und Arbeitsweisen zu eröffnen, welche sich nicht in die vorherrschenden Kriterien eines zweckrationalen Handelns einordnen lassen (vgl. Böhle 2001, S. 118). Dem objektivierenden Arbeitshandeln liegt hierbei das aufgrund der Leitvorstellungen der Technisierung als adäquat erachtete planmäßig-zweckrationale Handeln zugrunde, welches sich auf objektivierbares (vgl. Böhle, Rose 1992, S. 9) Wissen stützt und sich dementsprechend an personen- und situationsunabhängigen, allgemein gültigen Kriterien orientiert (vgl. Böhle 2001, S. 118). Für maßgeblich erachtet werden hier ein „kategoriales und formalisierbares Wissen sowie mentale Prozesse, die sich nach den Prinzipien formaler Logik und Analytik“ (Böhle 2001, S.118) vollziehen. Das beinhaltet eine Unterordnung der kognitiven
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Auf die Grenzen der wissenschaftlich-technischen Beherrschbarkeit wird im nachfolgenden Kapitel nochmals eingegangen.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
189
Leistungen sinnlicher Wahrnehmung unter die verstandesmäßige Analyse (vgl. Bauer et al. 2006, S. 33). Das subjektivierende Arbeitshandeln unterscheidet sich hiervon. „Die Bezeichnung subjektivierend unterstreicht zum einen die Bedeutung nicht objektivierbarer und nicht formalisierbarer Kenntnisse und Handlungsweisen und zum anderen die subjektive ‚Herstellung’ eines solchen Handelns im Sinne einer bestimmten Handlungsstrategie“ (Böhle 2009c, S. 78). Subjektivierendes Arbeitshandeln zeigt sich in der Anwendung besonderer Fähigkeiten von Fachkräften und bildet durch seine Ausrichtung auf das „Erfahren“ (Bauer et al. 2006, S. 50) im praktischen Vollzug gleichzeitig die Grundlage, auf der sowohl der Einsatz als auch der Erwerb von Erfahrungswissen beruhen.161 Daher lässt sich dem subjektivierenden Arbeitshandeln das Attribut erfahrungsgeleitet zuordnen. Dabei bezieht sich der Begriff erfahrungsgeleitet auf die zentrale Bedeutung „von Erfahrungen, die im Handeln erworben werden. Erfahrung bezieht sich dabei nicht primär auf in der Vergangenheit angesammelte Erfahrung im Sinne eines Erfahrungsschatzes, sondern auf das Erfahrung-Machen und das Erfahren im und durch Handeln“ (Böhle et al. 2012, S. 35). Entsprechend handelt es sich um eine erfahrungsgeleitete Handlungsweise, bei der die sinnliche und körperliche Erfahrung (vgl. Bauer et al. 2006, S. 24) im konkreten praktischen Arbeitsvollzug im Mittelpunkt steht. Eine solche Handlungsweise widerspricht mit ihren Merkmalen den Anforderungen an eine rein rational gestaltete und auf wissenschaftliche Erkenntnis rückführbare Bewältigung der Arbeitsaufgaben. Dies spiegelt sich im Gefühl und Gespür für technische Anlagen und deren Vorgänge wider (vgl. Bauer et al. 2006, S. 49f). Intuitive Entscheidungen bei der Suche bzw. Bewältigung von Unregelmäßigkeiten und/oder das Erahnen von sich anbahnenden Störungen zählen ebenfalls hierzu (ebd.). Technische Vorgänge werden dabei körperlich und gefühlsmäßig nachvollzogen und der Arbeiter kann sich bei der Bewältigung von risikoreichen und komplexen Situationen auf sein Improvisationsgeschick verlassen (ebd.). Nach den Kriterien einer zweckrationalen Handlungsweise gelten erfahrungsgeleitete Merkmale zwar als unzulänglich und ineffizient (vgl. Böhle 2001, S. 119). 161
Wobei an dieser Stelle darauf hingewiesen werden muss, dass Erfahrungswissen unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann und daher nicht nur im subjektivierenden Arbeitshandeln Geltung erlangt, sondern auch im objektivierenden Handeln eine Rolle spielt. Hierzu ausführlicher Bauer et al. 2006, S. 53-61 sowie Böhle et al. 2002, S. 26f.
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Es ist jedoch hervorzuheben, dass der Begriff des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns nicht lediglich darauf zielt, dass der Arbeitende als Subjekt und seine Gefühle und Empfindungen als subjektive Faktoren Berücksichtigung finden sollen. Vielmehr „wird dem subjektivierenden Handeln in gleicher Weise wie dem objektivierenden eine kognitive und strategische Kompetenz zuerkannt“ (Böhle, Schulze 1997, S. 32). Mit dem Konzept erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns ergibt sich damit eine Erweiterung dessen, was traditionell zur Beherrschung technisch geregelter Abläufe und generell zur Ausführung von Arbeit als allein geeignete Handlungsweise angesehen wurde. Die Elemente, welche man im Arbeitsprozess zuvor nicht oder nur geringfügig beachtet hat – nämlich die empathischen, gefühlsbetonten und intuitiven Anteile, welche sich durch die Erfahrung im praktischen Umgang mit den Arbeitsmitteln ergeben –, werden (erst) durch eine ganzheitliche Betrachtung des Arbeitshandelns sichtbar und in ihrer Bedeutung kenntlich gemacht. Anhand von vier unterschiedlichen Dimensionen in der Arbeitsausführung lässt sich die erfahrungsgeleitet-subjektivierende Seite des Arbeitshandelns beobachten (vgl. Böhle 2017, S. 27f): Sinnliche Wahrnehmung: Im Mittelpunkt steht nicht eine möglichst objektive Informationsaufnahme aus der Umwelt, sondern eine vom subjektiven Empfinden nicht abgelöste Wahrnehmung. Dabei spielen die Gefühle des Wahrnehmens eine wesentliche Rolle und werden als ein wichtiges Medium für die Beurteilung der jeweils neuen Situation eingesetzt. Kenntnisse und Wissen: Hierunter sind weniger geistige Prozesse zu verstehen, die sich auf personen- und situationsunabhängige Kenntnisse stützen, sondern solche, die sich in Vorstellungen, in der Erinnerung an eigene subjektive Erlebnisse im praktischen Arbeitsvollzug und die dazugehörigen Gefühle sowie generell in assoziativem Denken vollziehen. Vorgehensweise: Im hier betrachteten Zusammenhang ist nicht die rein rationale, sequentielle Abfolge des Handelns relevant, sondern eine Vorgehensweise, bei der Handlungsplanung und -ausführung nicht getrennt, sondern gleichzeitig und miteinander verschränkt prozessiert werden. Dies entspricht einem dialogisch-interaktiven bzw. explorativen Vorgehen.
4.2 Anderes Wissen und Handeln
191
Beziehung zu Kollegen und Arbeitsmitteln: Nicht die sachliche, affektneutrale und distanzierte Beziehung zu den Komponenten der Umwelt steht hier im Vordergrund, sondern eine Beziehung zur Umwelt, welche durch subjektive Nähe geprägt ist. Anders als bei einer objektiven und zweckrationalen Art des Arbeitshandelns spielen hier subjektive Empfindungen, der Einbezug sämtlicher Sinne und individuelle Erfahrungen eine übergeordnete Rolle. Die Ergebnisse sämtlicher bislang erfolgter Untersuchungen belegen diesbezüglich eine „wechselseitige Verschränkung“ (Bauer et al. 2006, S. 41) beider Handlungsformen der Bediener hoch komplexer Systeme. „Genau besehen handelt es sich daher gar nicht um einen Gegenpol zu planmäßig-rationalem Handeln, vielmehr stehen die beiden Handlungsformen in einem komplementären Verhältnis im Sinne einer wechselseitigen Ergänzung“ (Böhle 2004, S. 36). Die beiden Formen des Arbeitshandelns schließen sich folglich nicht aus, sondern erweitern im Verbund die Möglichkeiten zur Zielerreichung (vgl. Böhle et al. 2002, S. 25). Erst durch die Integration von beiden Wissensformen, so die Quintessenz der Studien zum Erfahrungswissen, kann das komplexe Zusammenspiel von Technik, Organisation und Arbeitskraft durchdrungen werden. Das Konzept erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns zielt unter einer erweiterten Perspektive auf die Erforschung dessen, was zur Beherrschung technisch geregelter Abläufe notwendig ist. Die erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen nur unter dem Gesichtspunkt technischer Rationalität zu betrachten läuft offensichtlich fehl. Entscheidende Aspekte wie die jeweiligen Erfahrungen in bestimmten Arbeitsfeldern, welche das reine Fachwissen sehr effektiv ergänzen, würden schlichtweg ausgeblendet. Wichtig ist es demnach, die als notwendig erachteten Qualifikationen und Kompetenzen in ihrer Definition nicht zu eng zu fassen.
‚Anderes‘ Handeln auch im Cockpit? Diese Befunde haben offenbar auch für Piloten eine hohe Bedeutung. BadkeSchaub et al. (2008, S. 7) heben im Zusammenhang mit der zunehmenden Komplexität technischer Systeme die sog. non-technical skills deutlich hervor. Faber
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
(2003, S. 32) fordert – aus ingenieurswissenschaftlicher Sicht – für eine vollständige Beschreibung der Operatortätigkeit von Verkehrsflugzeugpiloten als unumgänglich die Verknüpfung der Wissenskategorien von Natur-, Technik- und Ingenieurwissenschaften mit Erfahrungs- und Arbeitsprozesswissen162, das als Tacit skills (~stille Fähigkeiten/Qualifikationen) bezeichnet wird. Piloten benötigen demnach ein Hightech-Gespür163 sowie technische Sensibilität. Außerdem wird das „Erahnen von Abnormals [Anm.:Unregelmäßigkeiten]“ (Faber 2003, S. 32) als wesentlicher Bestandteil der Flugprozesssteuerung angesehen. Bestätigt wird dies durch den ehemaligen Flugingenieur und Piloten Hanke. Dieser weist darauf hin, dass Piloten neben technischem Systemwissen unbedingt auch erfahrungsgeleitetes und subjektivierendes Handlungswissen benötigen (Hanke 2003, S. 97). Bühler et al. von der Pilotenvereinigung Cockpit sprechen in diesem Zusammenhang vom sog. „Bauchhirn” oder dem „fliegerischen siebten Sinn“, was sie als ideale Ergänzung zu direktem rationalem Wissen beschreiben (Bühler et al. 2011, S. 152). Sie fordern daher, „der Intuition in der Aus- und Weiterbildung des Piloten Platz zu schaffen. Denn Gefühle und Verstand sind keine Gegner. Vielmehr arbeiten sie Hand in Hand und können nicht nur in kritischen Situationen ergänzend sein“ (ebd., S.154). Insbesondere für die Pilotentätigkeit fehlen jedoch bisher konkrete systematische Untersuchungen über besondere menschliche Fähigkeiten, welche an hochtechnisierten Arbeitsplätzen – insbesondere im Bereich der Verkehrslenkung – die Prozessabläufe fortwährend garantieren und vielfältige und alltägliche Kritische Situationen beherrschen bzw. positiv abwenden. Da sich Piloten offenbar nicht selten auf dieses Wissen (in Form menschlicher Kreativität, Intuition und Entscheidungskraft) stützen und in gewissem Maße auch verlassen müssen, erstaunt es, dass diesem Phänomen in der Luftverkehrswissenschaft bislang so wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.
162
163
Es hat sich in diesem Zusammenhang eine Reihe bedeutungsgleicher bzw. -ähnlicher Begriffe etabliert, wie „Arbeitsprozesswissen“ (Fischer 2000), „Kontextwissen“ (Beck, Bonß 1989), „Experimental Cognition“ (Norman 1993) und „Knowledge of Familiarity“ (Göranzon, Josefson 1988). Buchtitel von Bauer et al. (2002, 2006) – siehe Literaturliste
4.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
193
4.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung Der erste Teil vorliegender Arbeit beschäftigte sich mit der Frage, was der Pilot – angesichts der hohen Technisierungsgrade im Cockpit – (eigentlich noch) macht. Auf der Basis des Konzepts der Verteilten Handlungsträgerschaft zeigte die Analyse ein abwechslungsreiches, vielschichtiges und anspruchsvolles Berufsbild des Piloten. Für sämtliche bestehenden Anforderungen ist dabei der kompetente Umgang mit den vorhandenen hoch technisierten Systemschnittstellen von ganz wesentlicher Bedeutung. Es zeigt sich, dass im modernen Flugverkehr nur eine begrenzte Planbarkeit bevorstehender Flüge möglich ist. Denn, so konnte aufgezeigt werden, die Abläufe im Flugverkehr sind aufgrund der Dynamik und unvorhersehbaren Situationsvariabilität niemals wirklich stabil und Kritische Situationen beeinflussen zudem in stets unvorhersehbarer Weise den Normallauf. Diese Anforderungen verlangen ein situativ adäquates Problemlösen der Piloten. Böhle und Rose (1992, S. 46) bringen den Zusammenhang für ihre Untersuchung auf den Punkt: „Ein wesentliches Ergebnis unserer Untersuchung ist, daß in jedem Betrieb […] mehrere externe und interne Einflußfaktoren für die automatische Prozeßsteuerung gefunden wurden, auf die Betriebe reagieren mußten. In keinem Betrieb erfolgten die notwendigen Reaktionen alle automatisch. Das heißt anders herum, in jedem Betrieb bedurfte es auch der direkten Reaktion durch die Arbeitskräfte. Sie müssen aktiv werden.“ Auch die Piloten müssen reagieren und aktiv werden, um den Normallauf trotz Einflussfaktoren aufrechtzuerhalten. Die hier fokussierte Frage ist, wie der Pilot dabei konkret vorgeht. Mit welcher Art des Arbeitshandelns gewährleistet er den Normallauf und bewältigt darin vorkommende Kritische Situationen? Muss er sich dabei – so könnte es die Notwendigkeit der Kooperation mit den technischen Bordsystemen nahelegen – an den gleichen Vorgehensweisen und Logiken orientieren, welche das technische System auszeichnen – nämlich möglichst objektivierend und frei von jeglichen subjektiven Einflüssen? Oder reicht das nicht? Die Fragen, was ein Pilot macht und wie er dies macht, verfolgen die Absicht, ein möglichst detailliertes Bild des Verkehrsflugzeugpiloten zu zeichnen. Dabei kann der Beruf des Piloten zu gewissen Teilen als stellvertretend für Bediener hoch technisierter Systeme und die Anforderungen, welche sich aus der Aufgabe der Gewährleistung des Normallaufs ergeben, angesehen werden. Die hier vorgestellte Analyse erweitert die Fragestellung nach dem Was durch einen genauen
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
Blick auf die dafür notwendigen Fähigkeiten und Handlungsweisen. Indem die Praktiker selbst einer genauen Beobachtung und Analyse unterzogen werden, vervollständigt sich das Bild eines hochgradig qualifizierten Bedieners hoch technisierter Systeme. Der Ausgangspunkt der Analyse von Böhle und Rose (1992) trifft gleichermaßen auch auf die im zweiten Teil der Untersuchung gestellte Kernfrage zu, nämlich „die Frage danach, wie die Arbeitenden sich mit den in der Praxis auftretenden (Arbeits-) Anforderungen auseinandersetzen und sie – unter den jeweils gegebenen technisch-organisatorischen Bedingungen – bewältigen“ (Böhle, Rose 1992, S. 57). Bei der Frage, wie insbesondere Unwägbarkeiten und Grenzen der Planbarkeit im Flugverkehr bewältigt werden, ist die leitende These, dass dies weder allein mit einem planmäßig-rationalen Arbeitshandeln164 und hierauf bezogenem Fachwissen noch allein durch routinisiertes Handeln bewältigt wird. Böhle und Rose (1992, S. 58) schreiben in Bezug auf ihre Untersuchung: „Bei einer ‚oberflächlichen‘ Betrachtung stößt man […] hauptsächlich auf ein ‚objektivierendes‘ Handeln. In der Praxis spielt zwar das ‚subjektivierende‘ Arbeitshandeln eine wichtige Rolle, es kommt aber nur verdeckt zur Anwendung.“ Es gilt demnach herauszufinden, ob bei Piloten mit den offiziell vorgegebenen Verfahrensmustern das gesamte Handlungsspektrum bereits vollständig und erschöpfend dokumentiert bzw. richtig erfasst ist oder ob es noch unerfasste Bereiche in den Arbeitsweisen eines Verkehrsflugzeugpiloten gibt, die dementsprechend noch nicht als solche offiziell (an)erkannt wurden und eher unbemerkt angewendet werden. Grote und Weyer stellen diesbezüglich fest, dass Piloten in der Praxis offenbar Qualifikationen haben, die es ihnen ermöglichen, das Funktionieren technischer Systeme zu gewährleisten (Grote, Weyer 2011, S.189f). Dabei erfolgt jedoch keine vertiefende Betrachtung, auf welchen Qualifikationen dies beruht. Wie die Voruntersuchung zu vorliegender Arbeit und die daran anschließenden Diskussionen sowie zahlreiche Gespräche mit Piloten und Ausbildern gezeigt haben, spielen für einen sicheren Flugablauf auch Fähigkeiten und Arbeitsweisen eine Rolle, die bisher in den offiziellen Ausbildungsordnungen und Arbeitsanweisungen etc. kaum auftauchen. Soweit sie in den Blick geraten, werden sie in der Praxis wie auch in der Wissenschaft zumeist eher pauschal mit Begriffen wie „Er-
164
Siehe zum Konzept und Leitbild von Arbeit als planmäßig-rationalem Handeln allgemein Böhle 2010.
4.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
195
fahrung“ bzw. „Erfahrungswissen“, „im Gefühl haben“ bzw. „Intuition“ oder – mit den unter Fliegern geläufigen Ausdrücken – „Fliegen mit dem Hintern“ oder schlicht „Arschgefühl“ bezeichnet. Dahinter stehen jedoch sehr erfolgreiche menschliche Fähigkeiten in Form nicht formalisierbaren Wissens und entsprechender Handlungsweisen. Vermutet wird, dass solche Phänomene auf einer besonderen Arbeitsweise bzw. Struktur des Arbeitshandelns beruhen, welche sich mit dem Konzept des erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handelns analytisch erfassen lässt. Für eine fundierte Analyse ist es daher erforderlich, diejenigen Elemente, welche als objektivierendes Arbeitshandeln eingestuft werden können, von auch bei Piloten vorhandenen erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Anteilen im Arbeitshandeln zu unterscheiden sowie in ihrer jeweiligen Ausformung darzustellen. Auf dieser Grundlage konzentrieren sich die Arbeiten auf eine weitere leitende Fragestellung. Dabei verfolgt der nun folgende zweite empirische Teil – aufbauend auf den in Teil A getätigten Analysen zur Frage, was ein Pilot macht – die Frage, wie er dies macht. ▪
▪
In welcher Weise treten im Flugverkehr – als einem System verteilter Handlungsträgerschaft – Grenzen der Planbarkeit und/oder Unwägbarkeiten technischer Abläufe in Form von Kritischen Situationen auf? Die Aufmerksamkeit richtet sich v.a. auf den Normallauf. Welche Konstellationen Kritischer Situationen ergeben sich im Kontext Verteilter Handlungsträgerschaft? Wie beeinflussen sie dabei die Kooperation von Mensch und Technik im Sinne der Verteilten Handlungsträgerschaft?
Die Fragen I. und II. wurden im ersten Teil der vorliegenden Arbeit behandelt und beantwortet. Die für diesen Untersuchungsteil relevante Fragestellung lautet: ▪
In welcher Weise sind zur Bewältigung dieser Situationen zusätzliche menschliche Leistungen notwendig, die neben Fachwissen und planmäßigrationalem Handeln andere Formen des Wissens und Handelns beinhalten?
Eine solche Fragestellung ist im Bereich der Flugverkehrssteuerung bislang nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. In der Aus- und Weiter-
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4 Arbeitshandeln mit hochtechnisierten Systemen – Stand der Diskussion
bildung sowie in der Praxis wird eine vergleichbare Handlungsweise nur unklar etwa mit Begriffen wie „Fliegen mit dem Hintern“ umrissen. Nicht deutlich wird, was damit eigentlich genau gemeint ist. Untersuchungen, die eine Ergänzung rationalen Handelns durch erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln bzw. das Zusammenspiel beider Handlungsweisen – insbesondere in unbekannten Situationen – fokussieren, können dies konkretisieren. Eine Voruntersuchung (Cvetnic 2006b) lieferte bereits eindeutige Hinweise auf ein ‚anderes‘ Arbeitshandeln von Piloten. Eine zentrale offene Frage ist damit, worauf dieses Können konkret beruht. Auf Grundlage der vorgestellten leitenden Fragestellung richten sich die Arbeiten auf den dritten Schwerpunkt, der im Folgenden benannt wird.
Arbeitshandeln und Kompetenzen von Piloten Vor dem Hintergrund der Kernfrage, wie ein Pilot seine Arbeit erfüllt und insbesondere die alltäglichen Herausforderungen meistert, fokussiert dieser Schwerpunkt die empirische Konkretisierung dieses ‚Wie‘. Leitend ist die Frage nach der konkreten Ausprägung des Arbeitshandelns von Piloten. Zunächst steht die offiziell vorgesehene Arbeitsweise im Vordergrund. Basierend auf den dazu erstellten Befunden, wird nach Hinweisen auf ‚andere‘ Handlungsweisen gesucht. In den bislang dazu vorliegenden Untersuchungen wird als Gegenpol zum reflektierten und kognitiv-rationalen Arbeitshandeln die Routine betrachtet. Demgegenüber ist im Folgenden die Frage leitend, ob Piloten – wie dies bereits für andere hoch technisierte Berufe aufgedeckt wurde – auch erfahrungsgeleitet-subjektivierend handeln. Menschliche Bediener automatisierter Anlagen profitieren, wie die einschlägigen industriesoziologischen Studien gezeigt haben, insbesondere bei der Bewältigung von Kritische Situationen davon. Zu analysieren sind daher in einer handlungstheoretischen Perspektive die in der Voruntersuchung (Cvetnic 2006b) aufgezeigten Phänomene, dass Piloten „mit dem Flugzeug zusammenarbeiten“, eine „Einheit bilden“ oder ein „Gespür für die Vorgänge“ entwickeln.165
165
Dies sind von Piloten in den Interviews zur Voruntersuchung (Cvetnic 2006b) verwendete Beschreibungen für die Arbeit an Bord.
4.3 Offene Fragen und Ziele der Untersuchung
197
Das Ziel dieses Untersuchungsschwerpunktes kann dabei dem Erkenntnisinteresse von Böhle und Rose (1992, S. 60) gleichgesetzt werden, nämlich „den Anteil notwendiger personenbezogener, d.h. subjektiver Denk- und Handlungsweisen bei der Ökonomie der Arbeit […] aus der Sicht der Arbeitskräfte aufzudecken, und zwar als eigenständiger Leistungsfaktor“. Neben der Betrachtung, was Piloten machen, vervollständigt die detaillierte Untersuchung, wie sie es machen, das Rollenbild des Piloten. Ganz entscheidend trägt dazu die Betrachtung bislang unbemerkter Fähigkeiten bei.
5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
5.1 Offizielle Arbeitsweise
5.1.1 Das objektivierende Handeln Wie bereits im vorhergehenden Teil anschaulich aufgezeigt, ist der Arbeitsplatz Cockpit hoch technisiert. Die Arbeit des Piloten findet in permanenter Interaktion mit den Bordsystemen in einem technisch überwachten und regulierten Luftraum statt. Der heutige Flugverkehr ist ohne technische Einflussnahme und Mitwirkung nicht denkbar. Die offiziell formulierten Anforderungen an die Lenker hoch technisierter Systeme beinhalten das Anliegen, eine möglichst gute ‚Kompatibilität‘ von technischen und menschlichen Funktions- und Handlungsweisen sicherzustellen. Dementsprechend kommt nur eine von subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen losgelöste, möglichst objektivierende Handlungsweise in Frage – eben genau so, wie auch Maschinen funktionieren. Darüber hinaus verspricht eine solche objektivierende Weise des Arbeitshandelns auch eine sinnvolle Vereinheitlichung und Anpassung im (menschlichen) Kollegenkreis, denn „du kannst ja nicht wissen, wie der andere tickt. Ganz oft kennt man sich ja gerade mal zwei Stunden oder so. Da braucht man einheitliche Standards“ (CPT; AI). Dies soll zu einer stets sicheren und nachvollziehbaren Prozessperformance führen – eben auch dann, wenn sich Kollegen noch nicht oder erst kurze Zeit kennen oder, wie im Kontakt mit der Flugsicherung, weder kennen noch sehen und noch dazu ggf. unterschiedlichen Kultur- und Sprachkreisen angehören. Nicht nur aufgrund unzähliger Vor- und Unfälle mit zum Teil tragischen menschlichen Verlusten besteht insbesondere im Flugverkehr ein dringender Wunsch, Fehlerquellen – insbesondere die menschlichen – auszuschalten. Es wird erklärt: „Da konnte durch streng geregelte Verfahrensweisen und Kommunikationsrichtlinien schon einiges verbessert werden“ (SFO; AI). Wie zuvor gezeigt, unterscheiden Böhle und Rose (1992) und Böhle et al. (2002) ein objektivierendes und ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln. Dabei entspricht die offiziell eingeforderte Art und Weise, wie Piloten © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_5
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
ihre Arbeit im besten Fall erledigen sollen, den Kriterien des objektivierenden Arbeitshandelns. Kenntlich wird dies in den vier Dimensionen: sinnliche Wahrnehmung, mentale Prozesse, Vorgehensweise und Beziehung zur Umwelt. Angewandt auf die Arbeit von Piloten lassen sich die Merkmale einer offiziell eingeforderten Arbeitsweise folgendermaßen formulieren (vgl. Böhle 2001, S. 118): In der Dimension der sinnlichen Wahrnehmung geht es um eine objektiv ausgerichtete Betrachtung, welche verstandesmäßig geleitet ist. Eine generelle Beurteilung der bestehenden Zustände und Vorgänge erfolgt in der Dimension mentaler Prozesse. Hier beschränkt sich der Zugriff auf theoretisch definierbare, generalisierbare sowie personen- und situationsunabhängige Kriterien (vgl. Böhle 2001, S. 118). Handeln Piloten rein objektivierend, verfolgen sie eine planmäßig-rationale und regelhaft-systematische Vorgehensweise. Die Beziehung zu den Kollegen sowie zum Flugzeug ist sachlich-distanziert und affektneutral. Persönliche ‚Befindlichkeiten‘ werden als Nachteil gewertet Unter Zugrundelegung dieser Einteilung lassen sich die offiziell geforderten, allgemeingültigen Kriterien im Arbeitshandeln von Piloten folgendermaßen beschreiben: In den Gesprächen mit den Piloten zeigte sich, dass im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung ein sehr deutlicher Anspruch besteht, die Informationsaufnahme aus der Umwelt möglichst korrekt und sachlich zu vollziehen. Diese Forderung liegt darin begründet, dass ein Pilot vielen falschen Sinneseindrücken ausgesetzt sein kann. Einer der Copiloten (FO; AI) schildert hierzu: „Es ist sogar wichtig, sich nicht von ihnen [den falschen Sinneseindrücken] leiten zu lassen. Es könnte sich um optische Täuschungen handeln, wie beim so genannten Vertigo166.“ Beim Anflug könnte beispielsweise eine breitere Landebahn anderenfalls dazu führen, dass beim Blick nach draußen der Eindruck gewonnen würde, zu tief zu sein; ist die Bahn schmaler als üblich, verhält es sich umgekehrt, erklärt ein weiterer Copilot (FO; BO). Daher „muss man alles, was man sieht, erst mal überdenken“ (FO; AI). Das heißt, sämtliche Eindrücke sollten erst einer verstandesmäßigen und kognitiv-rationalen Interpretation und Beurteilung unterzogen werden (vgl. Böhle, Rose 1992; Böhle 2001, S. 118). Die kognitiven Leistungen der Wahrnehmung 166
„Vertigo ist der medizinische Fachausdruck für Schwindel. [...] Definiert wird Schwindel im medizinischen Sinne als wahrgenommene Scheinbewegung zwischen sich und der Umwelt“ (Artikel „Schwindel“ auf de.Wikipedia.org, Version 13.04.2016).
5.1 Offizielle Arbeitsweise
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selbst sind diesem Anspruch eindeutig unterzuordnen. Dafür ist es notwendig, dass die Piloten das sinnlich Wahrgenommene (z.B. die Landebahn) zunächst von ihren subjektiven Empfindungen und Gefühlen trennen (zu hoch bzw. zu tief zu sein), um dann eine objektiv gültige, verstandesmäßig beurteilte Schlussfolgerung (z.B. im Abgleich mit den Instrumentenanzeigen) ziehen zu können.167 Eine Auswirkung der fortschreitenden Technisierung im Cockpit ist, dass die menschlichen Sinne sehr isoliert zum Einsatz kommen und ein deutlicher Schwerpunkt auf der visuellen Wahrnehmung liegt; der befragte Copilot (FO; AI) schätzt den Anteil der visuellen Wahrnehmung sogar auf weit über 90%. Die sinnliche Wahrnehmung dient nach dieser am objektivierenden Handeln ausgerichteten Sichtweise daher lediglich als „eine unverzichtbare Grundlage für das (verstandesmäßige) Erkennen und Beurteilen, andererseits gelten ihre kognitiven Leistungen aber nur begrenzt als zuverlässig“ (Böhle, Schulze 1997, S. 28). Eine derartig ausgerichtete Wahrnehmung erfordert von einem Piloten, dass er stets ein logisches und abstraktes Denkvermögen und eine ebensolche Analysefähigkeit anwendet. Da es im Cockpit ausgesprochen wichtig ist, „immer geistig beim anderen mitfliegen“ (CPT; BO) zu können, d. h. permanent nachzuvollziehen, was der jeweils andere gerade macht, ist es umso wichtiger, einen möglichst objektiven und allgemeingültigen Sachverstand anzuwenden. Insbesondere die durch die verstärkte Technisierung neu entstandenen Anforderungen werden oftmals gleichgesetzt mit einem höheren Anspruch an theoretische Kenntnisse und Fachwissen. Im fliegerischen Bereich besteht hier die Unterscheidung zwischen der Technical Knowledge (Systemkenntnisse) und den Procedures (Verfahrensvorgaben), welche die genauen Handlungsabläufe als praktisches Wissen vorschreiben. Es handelt sich in beiden Fällen um „kategoriales und formalisierbares Wissen sowie mentale Prozesse, die sich nach den Prinzipien formaler Logik und Analytik vollziehen“ (Böhle 2001, S. 118). Die Anwendung dieses Wissens beinhaltet außerdem eine rationale Vorgehensweise, bei der die Handlungsplanung und -ausführung getrennt erfolgen. Hierfür ist wiederum eine intellektuelle und analytische Denkweise notwendig, um die bestehenden Zustände und ablaufenden Vorgänge zu erkennen, zu beurteilen und diesbezüglich Entscheidungen zu treffen. Bereits in der Flugschule erhal-
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Grundsätzlich sind die Piloten dazu angehalten, den technisch generierten Daten immer einen höheren Stellenwert beizumessen.
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ten die Piloten eine analytische Hilfestellung, um sämtliche Probleme, „nicht nur technische“, nach einer feststehenden „Abarbeitungsstrategie“ angehen zu können (CPT; AI). Mit der Gedächtnisstütze FORDEC – für Fakten (= Facts) sammeln, sämtliche Optionen (= Options) ausloten, Risiken und Vorteile (= Risks and Benefits) abwägen, eine Entscheidung (= Decision) fällen, diese ausführen (= Execution) und kontrollieren (= Control) – wird den Piloten eine hilfreiche Unterstützung geboten. Das greift „auch dann, wenn z. B. hinten ein Passagier umkippt“168 (ebd.). Zu diesem grundsätzlichen Vorgehensanspruch wird erklärt, dass der Berufsalltag (wie in Teil A ausführlich aufgezeigt) „zu einem Großteil aus Vorausplanungen und Berechnungen“ (CPT; AI; W) besteht, wie sich dies bereits am Boden bei der Flugvorbereitung zeigt. Aber auch im weiteren Flugverlauf wird erwartet, „sämtliche Handlungen schon mal vorab durchdacht“ (ebd.) zu haben. Zudem geht man von einer tendenziell affektneutralen und sachlichen Beziehung des Piloten zu den Komponenten der Umwelt aus. Mit dem Flugzeug hat er „in erster Linie einen klaren Auftrag“ (CPT; EM/CA) zu erfüllen, was einen dementsprechend instrumentellen, strategisch-manipulierenden Umgang damit erwarten lässt (vgl. Böhle, Schulze 1997, S. 28). Ein Kapitän verdeutlicht dies anschaulich: „Sagen wir es so: Gefühle hat man doch eher für sein Zwergpony. Nicht für eine Maschine, oder?“ (CPT; AI; W). In der Zusammenarbeit mit den Kollegen hat vor allem der Kontakt zu den Mitarbeitern der Flugsicherung „sehr genau und sachlich korrekt“ (SFO; AI) abzulaufen, da Missverständnisse hier „katastrophal“ (ebd.) enden könnten. Eine einheitliche objektive Sprache ist essentiell „vor allem, weil man sich ja auch nicht kennt und sich auch nicht gegenüber steht. Da muss man Fakten weitergeben und Fakten hören. Nur dann geht es – auch in Timbuktu“ (CPT; AI). Insgesamt lassen sich die hier geschilderten Handlungssequenzen, welche so auch der offiziell formulierten Arbeitsanweisung entsprechen, als zweckrational und planmäßig-zielgerichtet bezeichnen. Sie entsprechen in ihren Merkmalen ein168
„Dann heißt es erst mal: Jung? Alt? Vorerkrankung? Hat er Medikamente genommen? Oder nur zu wenig getrunken?“ und „haben wir eventuell einen Arzt an Bord, der sich den Passagier mal anschauen kann? Was meint der dazu?“ (CPT; EM/CA). Diese Informationen (Fakten) sammeln die Flugbegleiter und geben sie ans Cockpit weiter. „Für uns heißt es dann überlegen, welche Optionen haben wir? Runtergehen? Wo? Wie lange haben wir noch? Besser weiterfliegen? Etc.“ (ebd.). Dabei wägen die Piloten ab, welche Risiken bzw. Vorteile das jeweilige Handeln mit sich bringt. „Vielleicht ist die medizinische Versorgung in diesem Gebiet grenzwertig oder der Patient ist stabil. Dann fliegt man weiter“ (ebd.) wird erklärt. „Fällt man eine Entscheidung, führt man diese aus und dann, ganz wichtig, wird das nochmals kontrolliert“ (ebd.).
5.1 Offizielle Arbeitsweise
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deutig den Kennzeichen objektivierenden Arbeitshandelns. Allgemeiner formuliert, lässt sich das Arbeitshandeln von Piloten in den beschriebenen vier Dimensionen demnach folgendermaßen zusammenfassen: Es wird ein intellektuelles und analytisches Vorgehen erwartet, wenn es darum geht, Zustände zu erkennen, zu beurteilen und diesbezüglich Entscheidungen zu treffen. Dies beinhaltet ein logisches und abstraktes Denkvermögen und eine ebensolche Analysefähigkeit. Außerdem fällt hierunter eine rationale Vorgehensweise mit einer Trennung zwischen Handlungsplanung und -ausführung. Und schließlich setzt man in der Regel eine affektneutrale und sachliche Beziehung zu den Komponenten der Umwelt, wie Arbeitsmitteln und Kollegen, voraus. Jedoch sind damit offenbar noch nicht alle notwendigen Fähigkeiten beschrieben. Es finden sich Hinweise darauf, dass Piloten auch ‚anders‘ handeln.169
5.1.2 Routinetätigkeiten Stellt man die herkömmliche Annahme in Frage, dass Bediener hochtechnisierter Anlagen ausschließlich objektivierend handeln (müssen), liegt es zunächst nahe anzunehmen, dass selbstverständlich auch Routinen eine Rolle spielen. Genau hier könnte man den gesuchten Ausgleich zur rein analytischen Kopfarbeit nämlich vermuten. Indem Aufgaben durch gelernte Routinehandgriffe statt mittels verstandesmäßig ausgearbeiteter Handlungsschritte gelöst werden, könnte es den Piloten möglich sein, ihr Arbeitspensum auch ‚anders‘ als rein objektivierend und rational durchdacht zu erledigen. Hinweise darauf finden sich in der Empirie. Der normale Arbeitsalltag profitiert enorm von eingespielten Routinen. So finden sich Routineabläufe u.a. beim Abarbeiten von Checklisten in der Flugvorbereitung. Hier ist das Ziel, „nichts unter den wesentlichen Punkten“ (SFO; AI) zu vergessen. Der klare Vorteil ist hierbei, dass durch die schriftliche Fixierung auf der Liste „keine Sachen durch die Lappen gehen“ (FO; AI). Müsste der Pilot an alle diese Punkte denken bzw. sich diese verstandesmäßig herleiten, so wäre seine Kapazitätsgrenze schnell erreicht. Ein Kapitän erklärt hierzu: „Wir arbeiten im Cockpit die einzelnen Punkte einer Checkliste nacheinander ab und dann ist all das erst mal abgehakt. Das bringt viel Sicherheit und Ruhe in die Arbeitsabläufe“
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Gemäß Voruntersuchung und Untersuchungen in vergleichbaren Berufen.
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
(ebd.). Dabei entwickeln Piloten eine ganz besondere Sorgfalt, „denn die Sinnhaftigkeit der Checklisten stellt keiner in Frage“ (CPT; EM/CA). Routineabläufe finden sich jedoch nahezu durchgängig im Berufsalltag, „je nachdem, wie man Routine definiert. Wenn das so gemeint ist, dass ich quasi fast automatisiert an die Sachen rangehe, dann fängt das ja schon bei Kleinigkeiten an, denn jeder hat ja seine Routine, wie er was macht“ (CPT; AI). Der befragte Kapitän erklärt hierzu weiter, dass er beispielsweise dann routiniert vorgeht, wenn er „Anhaltspunkte in den Flugunterlagen“ (ebd.) checkt. „Ich habe dann gewisse Punkte, da schaue ich automatisch drauf, und wenn da was nicht so ist, wie ich das haben möchte, dann durchbreche ich meine Prüfroutine und schau da erst mal genauer“ (ebd.). Routinen werden demnach nicht nur in vorgeschriebenen Handlungsabläufen (Checklisten) angewandt, sondern auch individuell, wobei der Kapitän sich hier an offiziell vorgeschriebenen Parametern orientiert, wenn er seine Unterlagen überprüft. Wesentlich in beiden Fällen ist jedoch der Umstand der Arbeitserleichterung, die sich durch die Routinehandlung ergibt. Die Piloten arbeiten die Punkte in einer vorgeschriebenen oder individuell festgelegten Reihenfolge ab – und zwar ohne dass sie diese vorab durchdenken. Damit erledigen sie diese Aufgaben effizient und verlässlich. Routinen finden sich darüber hinaus auch in Form von Standardphraseologien oder Kommandos in der cockpitinternen Kommunikation bzw. auch mit weiteren Beteiligten, bspw. der Flugkontrolle (ATC). „Ich würde das schon als Routinen bezeichnen, da ich damit ja nicht nur eindeutig bin, sondern auch nicht erst lange überlegen muss, wie sag‘ ich das dem jetzt?“ (CPT; AI; W). Der befragte Kapitän erläutert hierzu ein simples Beispiel in der Kommunikation mit der Kabinencrew: „Es ist festgelegt, dass man kurz vor dem Take-off die Kabinenbesatzung darüber informieren muss. Einfach damit die sich auf die sensible Phase konzentrieren. Dazu gibt es ein verbindlich vorgeschriebenes Kommando, dass durchgesagt werden muss. Ganz einfach. Vor dem Abheben einmal klar und deutlich: Cabin Crew prepare for departure!“ (ebd.). Aber auch wenn Situationen komplexer werden, dienen fest eingespielte Verhaltensweisen unter den Cockpitkollegen als hilfreiche Unterstützung. „Durch unsere Ausbildung springen wir da gleichzeitig an“ (CPT; BO). Ganz häufig, so wird erklärt, orientiert man sich auch „routiniert“ (ebd.) an Problemlösemodellen wie „FORDEC“ (ebd.). Aber auch die Arbeit als solche, also die einzelnen Handlungsschritte, ist vielfach von Routinen geprägt. Allerdings betonen die befragten
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Piloten, dass Routinen lediglich einen Teil der Arbeitsabläufe abbilden. „Oft stellen Routinen nur einen Einstieg in eine Problemlösung dar. Zum Beispiel merke ich beim Abarbeiten in der Checkliste einen Fehler. Was dann folgt, ist nur noch bedingt routinemäßig zu handhaben. Da muss man dann schon die ganze Situation betrachten. Das geht meistens nicht mehr automatisch“ (CPT; EM/CA). Die Arbeitserleichterung durch Routinen hat offenbar eindeutige Grenzen. Das bedeutet: Obwohl Routinen eine „stoische Verlässlichkeit“ (CPT; AI) verleihen, „darfst du dann auch nicht zu starr in deinem Routineablauf festkleben. Das versperrt dir sonst auch mal die Sicht“ (CPT; AI).
5.1.3 Stellenwert von Subjektivität und Erfahrungswissen im Flugzeugcockpit Die herkömmliche Annahme, dass im Flugzeugcockpit ausschließlich planmäßigrational und objektivierend gehandelt wird, kann also ergänzt werden um quasi mechanisierte Routinetätigkeiten. Es bleibt aber offen, ob das Arbeitshandeln des Piloten damit zur Gänze beschrieben ist. Gesucht werden nun Hinweise auf erfahrungsgeleitet-subjektivierende Formen des Arbeitshandelns. Um in diese Bereiche vorzudringen, war es zunächst notwendig, „Subjektivität“ und „Erfahrungswissen“ als solches zu thematisieren. Interessant waren die anfänglichen Reaktionen auf Fragen nach subjektiven Wahrnehmungen, Gefühlen und intuitivem Vorgehen, denn diese waren nahezu bei allen Interviewpartnern gleich: nämlich dass derartiges Handeln sogar „gefährlich“ (CPT; EM/CA) sei. Im Flugverkehr müsse man sich „frei machen“ von subjektivem, gefühlsmäßigem Denken und Handeln. „Das ist ja kein Footballspiel. Da kann ich nicht intuitiv in eine Richtung laufen. Wir haben nur begrenzte Möglichkeiten zur Korrektur. Das muss alles Hand und Fuß haben“, erklärt hierzu ein Kapitän (CPT; BO). Es besteht offenbar ein allgemeiner Konsens, dass Subjektivität als Bestandteil der Arbeit von Piloten, soweit hiermit Empfindungen, Gefühle, Intuition und dergleichen angesprochen sind, nicht oder nur sehr begrenzt eingesetzt werden sollte, denn „beim Fliegen muss man rational sein“ (CPT; EM/CA). Das Problem bestünde beim subjektiven Handeln, wie es ein Kapitän schildert, nämlich darin, dass dann „der eine so und der andere so [fühlt]. Und dann?“ (CPT; BO). Befürchtet werden demnach chaotische und unklärbare Situationen aufgrund unterschiedlicher Gefühlslagen der Piloten. Eine derartige Ar-
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beitsweise wird offenbar automatisch in totalem Gegensatz zu rationalem, zielgerichtetem, objektivierendem Handeln gesehen. Andere Reaktionen erfolgten auf den Begriff Erfahrungswissen. Dieser wurde in seiner Bedeutung in der Regel hoch eingeschätzt. In diesem Zusammenhang kamen bei fast allen Interviewpartnern Hinweise auf das bereits mehrfach zitierte „Arschgefühl“ von Piloten bzw. das Vermögen, „mit dem Hintern fliegen“ zu können; ein weiterer Begriff lautete: „Hosenbodenfliegen“ (FO; BO). Diese besonders gute Art zu fliegen hätten vor allem erfahrene Kollegen den jungen Anfängern voraus. „Da beobachtest du dann als junger Flugschüler die alten Checker und bewunderst sie schon fast, wie intuitiv und fließend das bei denen läuft“ (CPT; EM/CA). Wichtig hier: „Nein, das kann man nicht objektiv erfassen oder aufschreiben. Das lernst du halt durch Erfahrung“ (CPT; AI; W). Und: „Das ist eine persönliche Kompetenz, die da jeder selbst entwickelt. Der eine besser, der andere weniger gut“ (CPT; AI). Bei der Konkretisierung dieser offenbar durch Erfahrung gewonnenen fliegerischen Kompetenz war der Sprung in den erfahrungsgeleitetsubjektivierenden Bereich des Arbeitshandelns plötzlich geschafft. Die anfängliche Polarisierung der Begriffe durch die Piloten verlor gewissermaßen ihren Schrecken. Dass es Bereiche im Handeln gibt, welche ganz offensichtlich nicht oder kaum mit den Kriterien des objektivierenden Arbeitshandelns erfasst werden können, schien nun offensichtlich – wie diese konkret aussehen, jedoch noch nicht. Die Piloten stimmten außerdem darin überein, dass gerade der Flugprozess ein bislang immer noch schlecht in seinem Ablauf festzulegender Arbeitsbereich ist, denn „es passiert immer irgendwas Ungeplantes“ (CPT; BO). Wie in Teil A deutlich wurde, ist die Flugprozessdurchführung durch stete Unsicherheiten gekennzeichnet und das ist „täglich Brot“, also Berufsalltag der Piloten. Verantwortlich sind hierfür die nach wie vor in ihrer Vielfalt nicht vollständig vorhersehbaren und planbaren Parameter, die einen Flugverlauf beeinflussen, ebenso wie die bereits thematisierten Kritischen Situationen. Dass aufgrund dieser Gegebenheiten eine Handlungsweise, welche sich nur an dem orientiert, was offiziell vorgesehen bzw. präzise und objektiv fassbar ist, nicht ausreicht, ist naheliegend und wird von den befragten Piloten vielfach bestätigt: „Da musst du auch mal zusätzlich in dich reinhorchen“ (CPT; AI; W). Demnach bewerten Piloten ihre Rolle vor allem da essentiell, wo es um die Bewältigung von „nicht vollständig strukturierbaren Situ-
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ationen“ geht, denn „vieles kann einfach nur ein Mensch entscheiden und steuern“ (FO; AI).
5.2 Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln im Cockpit Mit der Analyse des Arbeitshandelns von Piloten und der konkreten Frage nach Handlungsweisen, welche sich weder mit den offiziellen Kriterien objektivierenden Handelns erfassen lassen noch unter dem Begriff Routinetätigkeiten subsummiert werden können, soll hier aufgezeigt werden, dass die herkömmliche Annahme, dass Piloten nur kognitiv-rational handeln, nicht zutrifft. Dieses aufzudecken ist Anliegen der nachfolgenden empirischen Untersuchung. Die dahinterstehende Überlegung ist, dass – neben einer grundsätzlichen Instabilität der Prozessabläufe und Situationsdynamik – insbesondere Kritische Situationen sich dadurch auszeichnen, dass sie unvollständige und uneindeutige Informationen beinhalten und zudem unter Zeitdruck beherrscht bzw. behandelt werden müssen. Ein kognitiv-rationales Handeln stößt dadurch an Grenzen. Der Fokus liegt daher auf der unvoreingenommenen Suche nach Hinweisen auf ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln bei Piloten. In der Auswertung der Befunde liegt eine besondere Aufmerksamkeit darauf, Wissen bzw. Tacit Knowledge170 als eine übergeordnete Kategorie aufzuspüren und kenntlich zu machen. Wo immer sich zudem Anhaltspunkte in den Interviews finden lassen, wird Aspekten der Körperlichkeit (in Form leiblichen Empfindens) der Piloten nachgegangen. Die Einteilung in die vier bereits vorgestellten Dimensionen – sinnliche Wahrnehmung, mentale Prozesse, Vorgehensweise, Beziehung zur Umwelt – hilft, die Denk- und Verfahrensweisen von Piloten in ihrer Gänze zu erfassen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für das erfahrungsgeleitet-subjektivierende Arbeitshandeln zu analysieren und einzuordnen. Die Dimensionen erfahrungsgeleitetsubjektivierenden Arbeitshandelns lassen sich bei der Bewältigung sämtlicher Herausforderungen im hier fokussierten Normallauf auf allen Ebenen (vgl. Teil A) beobachten. Es folgt die Darstellung der Ergebnisse. 170
Tacit Knowledge (engl.): Implizites Wissen
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
5.2.1 Sinnliche Wahrnehmung Im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung erwies sich in erster Linie die Erschließung zusätzlicher Informationsquellen als bedeutsam. Dies erfolgt nicht nur im Hinblick darauf den Standardablauf aufrechtzuerhalten, sondern auch um potenzielle Auswirkungen in Form Kritischer Situationen durch die Kombination verschiedener Informationsquellen (objektive und subjektive) herleiten zu können. Anhand von Vorstellungen von in der aktuellen Situation nicht wahrnehmbaren Gegebenheiten ergänzt der Pilot für sich die vorhandenen Informationen sinnvoll. Es gelingt ihm so, Unstimmigkeiten in den Funktionsabläufen schnell und kompetent zu erfassen. Kritische Situationen werden so schneller erkannt und können dementsprechend frühzeitig abgewendet bzw. bewältigt werden. Im Einzelnen zeigt sich dies wie folgt: Ein aufgeschlossener Einsatz sämtlicher Sinne eröffnet den Piloten zusätzliche Informationsquellen zur Orientierung und Interpretation des Fluggeschehens. Einer der Kapitäne (CPT; EM/CA) erklärt sein Vorgehen beim Starten des Flugzeugs: Er setzt „die Gashebel ohne hinzugucken, aus dem Gefühl heraus und weiß, dass sie richtig sitzen“. Die körperliche Bewegung beim Betätigen des Hebels übermittelt ihm dabei bereits, dass er seine Handlung korrekt ausführt. Er sichert sich ab, indem er „dann auch auf die Anzeige [schaut] und 55 % sieht – also genau den gewünschten Wert“ (ebd.). Wesentlich ist hierbei seine Anmerkung: „Ein unerfahrener Pilot kann das nicht so intuitiv, der muss auf die Anzeige schauen“ (ebd.). Hieraus wird ersichtlich, dass sich eine derartige Wahrnehmungsfähigkeit erst im Laufe der Zeit durch die praktische Erfahrung des Kapitäns entwickeln kann. Das sinnlich Wahrgenommene stellt dabei bereits ein Wissen des Piloten dar, welches jedoch nicht erst durch eine in objektive Werte transformierte Einordnung in vorab theoretisch erlernte Strukturen entsteht. Denn die sinnliche Wahrnehmung selbst beinhaltet bereits die gefühlsmäßige Beurteilung eines richtigen Zustandes oder Ablaufs. Hierzu wird geschildert: „Ich weiß einfach genau, wann das stimmt […]. Das ist so ähnlich wie mit meiner Kaffeemaschine am Morgen. Da lasse ich das Wasser auch nach Gefühl in den Tank laufen – ohne auf die Skala zu schauen. Und es sind halt immer genau die zwei Tassen“ (CPT; AI; W). Auf die Frage, wie sich der befragte Pilot diese Fähigkeit erklärt, verweist er auf die „Erfahrung“ durch stete Wiederholungen. „Irgendwann verfestigt sich das in
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einem […] aber wehe, wehe, du machst ihn dir nicht jeden Tag, deinen Kaffee, dann ist das Zauberwissen auch ganz schnell wieder weg“ (ebd.). Das sei so, „als wenn sich meine Hände das Gewicht des Kaffetanks mit der richtigen Menge Wasser und mein Zeitgefühl die exakte Dauer des Wasser-laufen-Lassens und meine Hände die genau richtige Stellung des Wasserhahnhebels gemerkt und abgespeichert hätten“ (ebd.). Und weiter: „Darüber muss ich absolut nicht nachdenken – und tue ich es doch, geht’s garantiert nicht mehr.“ (ebd.). Deutlich wird an diesem Beispiel zweierlei. Zum einen erklärt der Pilot, dass erst eine regelmäßige Praxis ihm dieses ‚Wissen‘ vermittelt und damit sein Handeln ermöglicht. Das heißt, diese besondere sinnliche Wahrnehmung – passend hier der Ausdruck Tacit Knowledge – steuert die Handlung des Piloten und entsteht dabei wiederum als solche erst durch das praktische Handeln selbst. Ein solches ‚Wissen‘ steckt folglich bereits in der Wahrnehmung und ist zugleich Grundlage für das weitere Vorgehen und die mentalen Prozesse des Piloten. Der Pilot spricht u.a. davon, dass sich seine „Hände das Gewicht […] gemerkt und abgespeichert hätten“ (CPT; AI; W). Hieraus kann man schließen, dass auch die Sinne selbst über ein sensumotorisches, also sinnliches Wissen verfügen. Alleine anhand dessen, wie sich der Wassertank in der Hand anfühlt, erkennt der Pilot die richtige Einfüllmenge. An diesem Beispiel zeigt sich ganz besonders, dass ein rein objektivierendes Handeln (indem eine von der sinnlichen Wahrnehmung getrennte geistige Beurteilung und Analyse stattfindet) hier nicht gleichermaßen erfolgreich wäre. Denn wenn der Rückgriff auf objektives Handlungswissen notwendig wird (also das faktische Wissen um die richtige Einfüllmenge anhand der im/am Wassertank der Kaffeemaschine angebrachten Skala, um beim Beispiel des Kaffekochens zu bleiben), erfolgt die Handlung nicht im nahezu synchronen Abgleich mit einem bereits in der sinnlichen Wahrnehmung vorhandenen Wissen und damit weniger schnell und fließend. Genau diese beschriebene „Wahrnehmung über das Feedback des Körpers“ (SFO; AI) wird für den Flugverkehr als „sehr wichtig“ beschrieben. Dass eine der Handlung vorgelagerte oder nachträgliche gedankliche Strukturierung und Bewertung gar nicht notwendig ist, zeigt sich an der Schilderung, wie der weitere Startvorgang eines Flugzeugs erlebt wird. Hier lässt sich ebenfalls eine komplexe, sinnlich-wissende Wahrnehmungsfähigkeit bei Piloten feststellen: „Man spürt im Bauch, wie sich der Flieger vom Boden weg bewegt [...] und hört es, weil sich das Geräusch verändert“ (SFO; AI), und dabei „erkenne ich auch, ob der Startvorgang richtig verläuft“ (ebd.). Der Pilot macht deutlich, dass seine
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sinnlichen Eindrücke ihm das verlässliche Wissen um die Position des Flugzeugs sowie die richtigen Abläufe vermitteln. Bei dieser dynamischen Vorgangserfassung orientiert er sich an seinen sinnlich wahrgenommenen Eindrücken, wie Geräuschen oder dem Gefühl im Bauch. Tritt ein vergleichbares Gefühl andererseits im Reiseflug auf, „da, wo es nicht hingehört […], merke ich auf. Was ist da der Grund?“ (CPT; AI). Nicht nur anhand gesetzter objektiver Kriterien, sondern auch ‚gefühlsmäßig‘ lässt sich demnach beurteilen, ob alle Abläufe reibungslos sind. Eine komplexe sinnliche Wahrnehmung des Piloten ist dabei leitend. Und ganz offensichtlich stellt diese auch eine, neben den objektiven Kriterien, wesentliche Beurteilungsgrundlage für die Richtigkeit der Abläufe dar. Auffällig ist dabei die Verwendung leiblich spürbarer Kategorien bei der Beschreibung. So „fühlt sich das sanft und gleichmäßig an, wenn der Flieger einfach so dahinfliegt“ (CPT; AI; W), oder wie eine „dezente Geräuschkulisse, obwohl es laut ist“ (CPT; AI). Und „kracht, kratzt, zischt und pfeift nix in meinen Ohren, passt es erst mal“ (SFO; AI). Außerdem „spürt [man] auch, ob der Flieger schwer ist, er ist dann träger“ (SFO; AI). Die sinnliche Wahrnehmung des Piloten muss in den geschilderten Fällen nicht erst von seinem subjektiven Empfinden abgelöst werden. Die Information – das Wissen um ein hohes oder niedriges Startgewicht beispielsweise – wird ihm auf direktem Wege übermittelt. Selbstverständlich weiß jeder Pilot auch anhand der vorab erhaltenen Informationen und aufgrund eigener Berechnungen, wie hoch das Gewicht des Flugzeugs, ausgedrückt in numerischen Werten, genau ist. Auf die Frage, wozu dann genau diese spürende Wahrnehmung wie auch seine körperlichen Empfindungen und das entsprechende ‚sinnliche‘ Wissen nützlich seien, erklärt der befragte Pilot weiter, dass dies insbesondere dann eine entscheidende Rolle spielt, wenn es darum geht, „die Hand-Auge-Koordination besonders gut hinzukriegen, weil man dann dementsprechend, ohne viel nachdenken zu müssen, reagieren kann“ (SFO; AI). Sein subjektives Gefühl wird so zu einer maßgebenden Größe für eine harmonische und gleichmäßige Handlungsregulation in der jeweiligen Situation. Sensumotorische Fähigkeiten dieser Art dürfen dabei ganz allgemein jedoch nicht so aufgefasst werden, dass es sich um nicht mehr bewusstseinspflichtige Handlungen bzw. Abläufe handelte oder diese durch Habitualisierung und Routine quasi mechanisiert abliefen. Der hier steuernde Pilot handelt situationsbewusst und konzentriert, indem er einen komplizierten Vorgang, unter den gegebenen Umständen, mit seinen sensumotorischen Fähigkeiten und seinem Wissen bewältigt. Da die Situationen in einem dynamischen Zustand in einer
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ebensolchen Umwelt unter niemals gänzlich vergleichbaren Bedingungen eintreten, ist „kopflose Routine“ (CPT; AI) dabei ausgeschlossen. „Du musst immer in der Situation stehen, im Loop sein. Auch bei einfachen Verfahren alles im Blick haben“ (ebd.). Sein besonderes sensumotorisches Wissen und Können erlangt der Pilot, wie andere Profis auch, durch Übung und Erfahrung. Seine Sinne lernen gewissermaßen, die Situation blitzschnell zu beurteilen und dieses Wissen weiteren subjektiven (und objektivierenden) Abläufen im Arbeitshandeln (z.B. dem Denken oder dem Vorgehen) des Piloten zur Verfügung zu stellen. Ganz allgemein wird die Bedeutung der Situations- und Kontextbezogenheit im Arbeitshandeln betont. Denn hier sind sich die befragten Piloten einig, dass „jede Situation anders“ (CPT; AI; W) ist und „man […] sich immer neu auf die Situation einstellen“ (ebd.) muss. Wie bereits im vorhergehenden Teil thematisiert, werden Pläne, wie der vorab erstellte Flugplan, dabei meist lediglich als Anhaltspunkte bzw. Ressourcen verstanden, welche nicht zwingend bindend sind und geänderten Situationsbedingungen angepasst werden (müssen). Suchman (1987) hat den Begriff der „situierten Handlung“ eingeführt, in dem sie die Bedeutung des unmittelbaren Kontextes hervorhebt, der „Handlungen in ihrem praktischen Vollzug zu einer fortwährenden Anpassung an situative Kontingenzen zwingt“ (Heath et al. 2016, S. 191) (siehe zur Bedeutung der Situations- und Kontextbezogenheit auch die nachfolgenden Ausführungen zur Dimension der Vorgehensweise). Der Flugverkehr ist im Hinblick auf diese Vorannahmen ein sehr gutes Beispiel. Im Arbeitshandeln der Piloten finden sich unzählige Beispiele, welche die Bedeutung der Situationskonstellation aufzeigen. Dabei beurteilen und gewichten Piloten „diffuse, nicht exakt bestimmbare und nur situationsabhängig interpretierbare Kennzeichen“ (Schulze, Carus 1995, S. 39). Ein Kapitän fasst dies zusammen als das, „was ich über Funk höre, das, was ich sehe wenn ich rausschaue, das, was auf meinem Radar zu sehen ist, das, was ich über das Gebiet weiß, wo ich gerade drüber fliege, das, was der Wetterbericht vorhergesagt hat, das, was der Co. dazu meint, die Tageszeit und sogar die Jahreszeit und vor allem auch mein Bauchgefühl – und zwar genau in der Situation dann“ (CPT; AI; W). Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Piloten die objektiven Informationen (Funkverkehr, Sicht, Radar, Wetter etc.) um subjektiv situationsrelevante Informationen (Bauchgefühl und, gemäß den vorangegangenen Ausführungen, peripher wahrgenommene Parameter) ergänzen, um den Ablauf zu beurteilen. Denn „je sensibler du da bist, desto eher merkst du wenn was nicht passt“ (CPT; AI;
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W); „das kann dann nur einer von vielen Faktoren sein, der nicht ins Gesamtbild passt“ (ebd.). Bezeichnend ist auch die Schilderung eines Copiloten. Er erklärt im Hinblick auf die komplexe sinnliche Wahrnehmung, dass er automatisch selektiert, worauf er sich konzentriert – je nach aktueller Situation. Dies betrifft offenbar sowohl die offiziellen („Da zieht man das Gelernte heran, was man alles auf den Anzeigen im Auge behalten muss“ [SFO; AI]) als auch die inoffiziellen Informationen („Alle meine Sinne schärfen sich bei schwierigeren Situationen, z.B. einem Nebelanflug, fast wie bei einem Tier“ [ebd.]). Ein Spezialfall sinnlicher Wahrnehmung ist ein Startabbruch bei hoher Geschwindigkeit. Hierzu schildert ein Kapitän: „Da muss die Entscheidung blitzschnell fallen. In der Regel unter einer Sekunde“ (CPT; AI). Eine besonders heikle Situation ist ein „Reifenplatzer kurz vor der Maximalgeschwindigkeit“ (ebd.), denn der muss „erst mal richtig wahrgenommen werden“ (ebd.) und das ist ein „ziemliches Ding“ (ebd.). Das kann dann „ein lauter Knall [sein] – oder auch nicht, ein Ziehen zur Seite – oder auch nicht, Vibrationen – oder auch nicht. Oder irgendwas dazwischen. Vielleicht nur ein neuer Ton, ein Rattern oder so. Ich kann das vorher nicht wissen“ (ebd.), und das kann auch „relativ subtil und unklar“ (ebd.) sein. Es wird beschrieben, dass dann vermutlich einfach „etwas anders“ (ebd.) ist. Der befragte Pilot erklärt einen Startabbruch als schwierige Entscheidung, bei der es „eben auf Geräusche, Vibrationen, schwammiges Rollverhalten und so weiter“ (ebd.) ankommt. All dies sind in der Regel Eindrücke, die „noch nicht in der Form“ (ebd.) erlebt wurden – sondern höchstens als „Kombination von Einzel- oder Simulatorerlebnissen“ (ebd.). Das „fremde Gefühl“ (ebd.) alarmiert den Piloten augenblicklich und versetzt ihn in höchste Konzentration. Auf seine sinnliche Wahrnehmung folgen mentale Prozesse und ein entsprechendes Vorgehen. Das Ganze geschieht ineinandergreifend und blitzschnell. Vor allem macht dieses Beispiel deutlich, dass es nicht nur entweder ein objektives („Knall“, „Ziehen“, „Vibrationen“) oder ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Wahrnehmen („irgendwas dazwischen“, „subtil und unklar“, etwas ist „anders“) ist, was den Piloten zu einer Entscheidung bringt. Die oftmals diffusen, „subtilen“ Eindrücke bzw. die „fremden Gefühle“ und nicht definierten Geräusche, welche von dem Piloten nicht exakt geschildert werden können, ergänzen in Sekundenschnelle die eindeutig vorhandenen Informationen und erfüllen eine hilfreiche Funktion. Der Pilot entwickelt mit zunehmender Flugerfahrung einfach „ein Bauchgefühl für die richtige Geräuschkulisse“ (SFO, AI) (und wohl auch für die richtige Gefühlsku-
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lisse) und zieht dies ständig, wenn auch unterbewusst, bei der Flugprozesskontrolle zusätzlich zur Interpretation heran. Schließlich erkennt der Kapitän der Boeing (CPT; BO) den „richtigen Klang der Maschine“ je nach Flugphase, da „schnelles Fliegen nun mal laut und langsames Fliegen leiser ist“. Dies ist für ihn ein hilfreicher Anhaltspunkt, ob die Vorgänge dem gewünschten Verlauf entsprechen. Und obwohl dem Piloten seine sensible peripheral awareness offenbar besonders zu Gute kommt, vor allem wenn er Unstimmigkeiten schnell erkennt, „steht eigentlich in keiner Dienstanweisung, dass man darauf achten soll“ (CPT; AI). Der Umgang mit komplexen technischen Systemen, wie im hier fokussierten Bereich der Cockpitarbeit, lässt sich gut mit dem Forschungsansatz der Workplace Studies analysieren. Neben der Schlüsselkategorie, der situated action, spielen vor allem auch Phänomene im Arbeitshandeln der Bediener technischer Systeme eine Rolle, welche sich mit dem Begriff der peripheral awareness erfassen lassen. Gerade im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung lässt sich diese feststellen. Ein ehemaliger Boeing-Pilot schildert ein anschauliches Beispiel. Er erklärt, dass BoeingKapitäne gerne ihre Hand auf dem Steuerhorn ruhen lassen. Denn dies sei „gut zur Kontrolle“ (CPT; AI; W). „Du siehst bzw. merkst dann ja direkt, was der Co oder der Autopilot anstellt. Ich hab einfach nur meine Hand auf dem Steuerhorn und spüre die Bewegung. Eigentlich muss ich nicht mal hinschauen“ (CPT; AI; W). Und selbst wenn man gerade nicht ‚mitfühlt‘, habe „man die Bewegungen eines klassischen Steuerhorns immer im Augenwinkel“ (ebd.). Hier zeigt sich deutlich, dass die Piloten neben den meist visuell aufbereiteten Daten auf den Anzeigen weitere Informationsquellen erschließen, welche sie mit allen ihren Sinnen aufnehmen. Dabei konzentrieren sie sich nicht konkret auf nur eine Wahrnehmung, sondern es werden nebenbei – also peripher – vielseitige Sinneseindrücke aufgenommen. Die Hand, welche die Bewegung mitverfolgt, oder das Auge, welches die Bewegung des Steuerhorns peripher beobachtet, registriert eine richtige oder falsche Auslenkung. Erst wenn erforderlich, fokussiert der beobachtende Pilot den Vorgang genauer. Es findet sich eine Reihe weiterer Beispiele für eine peripheral awareness beim Piloten. So schildern einige der befragten Piloten, dass der Sprechfunkverkehr „eigentlich ständig unterbewusst mitgehört“ (CPT; EM/CA) wird. Wird dann das eigene „Callsign, z.B. ‚Lufthansa 452‘“ (ebd.) gerufen, wechselt der Pilot in die Ebene des bewussten Zuhörens. Der befragte Pilot differenziert hier folgendermaßen: „Und dann kommt es auch noch darauf an, wo
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man ist. In München oder Frankfurt, wo mindestens jeder zweite Funkspruch an irgendeine Lufthansa geht, da steige ich dann beispielsweise erst bei der ‚4‘ ein“ (ebd.). Interessant sind dabei aber auch gerade Funksprüche, welche von der sog. Standard-Phraseologie abweichen. „Da horcht man auf. Auch wenn sie einen gar nicht betreffen, sondern andere Flieger“ (ebd.). Denn „da gibt’s dann oft eine Sondersituation und die kann jetzt aber auch für mich interessant sein. Und es ist immer gut, ein möglichst großes Bild zu haben“ (ebd.). Ein anderer Kapitän schildert ein weiteres Beispiel: „Wir hatten noch zwei Minuten bis zur Landung. Die Landebahn noch nicht in Sicht. Dann kommt vom Lotsen der Hinweis, der vor uns soll sich mal mit seinem Take-off beeilen. Das könnte also knapp werden mit dem Mindestabstand. Gut, dann kann ich mich mental schon mal auf einen GoAround171 vorbereiten“ (CPT; AI). Mit der Zeit lernen Piloten es offenbar, den Funkverkehr nebenbei mitzuverfolgen. 172 Dabei hören sie nicht permanent bewusst zu, sondern selektieren die für sie notwendigen Informationen anhand bestimmter Trigger (Anreize, Auslöser). In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Schlagwörter. Es wird erklärt, „Turbulence, Windshear oder Go-Around – da krieg ich große Ohren“ (CPT; EM/CA), denn „wenn einer vor dir einen GoAround macht, dann kommt in jedem Cockpit erst mal die Frage: Warum?“ (ebd.). In den geführten Gesprächen zeigt sich, dass neben den instrumentellen Anzeigen173 und dem Funkverkehr vor allem Geräusche, insbesondere nicht definierter Art, wichtige zusätzliche Informationsquellen darstellen. „Man bekommt ständig verschiedene Geräusche mit, aber eigentlich eher unbewusst im Hintergrund“ 171 172
173
Go-Around (engl.): Durchstarten – den Landeanflug abbrechen. An dieser Stelle eine kurze subjektive Schilderung der Verfasserin, welche im Rahmen der teilnehmenden Beobachtungen die Möglichkeit erhielt, den Funkverkehr per Headset zu verfolgen. Trotz intensiver Bemühungen war es ihr nahezu unmöglich, eine nützliche Information aus dem Gehörten zu filtern. Interessant war die Erklärung zur Aufbereitung der Anzeigen. Es wird erklärt, dass diese (beispielsweise die Triebwerkswerte) früher in konventionellen Flugzeugen mit analoger Ausstattung „definitiv besser sofort auf einen Blick zu erkennen“ (SFO; AI) waren. „Das waren einfach vier Zeiger, die richtig waren, wenn sie alle die gleiche Position hatten“ (CPT; AI). Die im wörtlichen Sinn ‚augenblickliche‘ Erfassung ist bei analogen Zeigerinstrumenten leichter möglich, da die Interpretation selbst bereits Bestandteil der sinnlichen Wahrnehmung ist. „Da reicht ein Seitenblick“ (FO; AI). Der Pilot erkennt sofort, ob alle Zeiger korrekt stehen – „darüber nachdenken: unnötig“ (ebd.). Anders als bei digitalen Anzeigen muss er nicht erst nachträglich gedanklich übersetzen, was ihm in Form von numerischen Werten vermittelt wird. „Da muss nichts transferiert werden, weil niedrig logisch ist und hoch genauso“ (FO; AI). Diese Schwachstelle digitaler Anzeigen wurde erkannt. Dazu wird erklärt: „Heute ist man zwar bemüht [Anm.: die analoge Anzeigeform] auf den Bildschirmen nachzustellen, aber man kriegt das noch lang nicht so gut hin“ (SFO; AI).
5.2 Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln im Cockpit
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(CPT; BO). Damit sind nicht die akustischen Warn- und Piepstöne der Bordsysteme gemeint, sondern eher unspezifische, nicht konkret deutbare Laute. „Das kann man nicht so festmachen, was das dann genau ist. Da klingt was unrund oder kommt aus dem falschen Eck“ (CPT; BO). Der befragte Kapitän vermutet, dass sich insbesondere diese unspezifischen Geräusche ins „Bewusstsein schleichen […]. Die sind nicht sofort präsent, aber irgendwann wirst du aufmerksam“ (ebd.). Sehr interessant ist hier die weitere Schilderung: „noch bevor ich das dann überhaupt im Kopf umsetze, sind meine Augen schon auf die richtige Anzeige“‘(ebd.) gerichtet. Dies bestätigt die Vermutung, dass bereits in der sinnlichen Wahrnehmung selbst eine der verstandesmäßigen Transformierung des Wahrgenommenen vorgelagerte Intelligenz der Sinne in Erscheinung tritt. Insbesondere zeitkritische Prozesse profitieren von dieser menschlichen Fähigkeit enorm. Wie wichtig die Wahrnehmung nicht definierter Geräusche ist, wurde sehr anschaulich an einem weiteren Beispiel geschildert. Bei der Einführung so genannter Noise-compensated-Headsets (Lärmschutz-Kopfhörer) auf dem Flugzeugmodell Boeing 737 waren plötzlich die Triebwerksgeräusche nicht mehr deutlich zu vernehmen – wie angenommen wurde, lediglich eine ‚Nebensächlichkeit‘. Doch genau diese Nebensache, nämlich die Triebwerksgeräusche nicht mehr – wenn auch nur beiläufig – wahrnehmen zu können, führte in diesem Fall zu deutlicher Verunsicherung. Dies beschreibt der Pilot für sich und mehrere seiner Kollegen als sehr „irritierend“ (FO; BO) in der Umstellungsphase. „Wir haben sie daher anfänglich für den Start noch von den Ohren geschoben“ (ebd.). Es war ihm vor der Einführung „eigentlich nicht bewusst“ (ebd.), dass er in dem Maße auf Geräusche achtet und diese zur Orientierung benötigt. Er erklärt weiter, dass die entsprechenden Triebwerksgeräusche mittlerweile trotz richtig sitzender Kopfhörer wieder wahrgenommen werden können. Auch im Bereich der Kommunikation finden sich aufschlussreiche Beispiele. „Man redet mit dem Fluglotsen und du hörst am Klang seiner Stimme, dass es jetzt ein bisschen dringlicher ist“ (SFO; AI), wird beschrieben. Dies kann zu durchaus wichtigen Deutungen führen, denn „dementsprechend reagiert man darauf, auch auf diese Zwischentöne, und macht es dann auch schneller, z.B. einen Kurs wechseln“ (ebd.). Das gleiche Beispiel greift einer der befragten Kapitäne auf. Auch er schildert: „so ein Anfluglotse, der kann sich auch mal nervös und hektisch anhören. Das merkt man schon. Und dann ist da vielleicht auch noch eine
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Gewitterlage. Da denke ich mir dann: Ok – die normalen Anflugwege können jetzt nicht eingehalten werden. Der muss improvisieren“ (CPT; AI; W). Er ergänzt, dass man vielleicht genau diesen Lotsen schon kennt und weiß: „der hat das im Blut. Der arme Kerl ist einfach ein totaler Hektiker“ (ebd.). Dann „löst das bei mir erst mal keinen allzu großen Alarm aus“ (ebd.), aber „mal angenommen, der ist sonst tiefenentspannt. Ja, dann sieht die Sache ganz, ganz anders aus“ (ebd.). Der Pilot zieht hier die entscheidenden Rückschlüsse erst durch die Kombination verschiedener Informationsquellen. Die objektive Information der Kursänderung wird mit einer von der sinnlichen Wahrnehmung nicht abgelösten subjektiven Empfindung (und ggf. Erfahrung mit dem bzw. Kenntnis des Lotsen) verknüpft. Der Pilot hört aus den (offiziell nicht vorgesehenen) ‚Zwischentönen‘ die bestehende Dringlichkeit oder Schwierigkeit heraus und reagiert dementsprechend schnell bzw. versetzt sich selbst in eine Art Alarmbereitschaft. Die Beurteilung als dringlich oder schwierig erfolgt dabei ohne den Umweg über eine gedankliche Analyse des Tonfalls. Vielmehr gelingt eine sofortige Einschätzung – basierend nur auf der sinnlichen Wahrnehmung. Bei der Kommunikation zwischen der Kabinenbesatzung und der Cockpitcrew ist dies ebenfalls enorm wichtig. Meldet eine Stewardess beispielsweise „Rauch“, so hängt es von „ihrem Tonfall und der Hektik in ihrer Stimme“ (FO; AI) ab, wie diese Nachricht einzuschätzen ist. Es könnte damit einerseits lediglich eine heimlich rauchende Person gemeint sein oder andererseits – im schlimmsten Fall – ein bereits lodernder Brandherd. Der Pilot weiß, wie er bestimmte Tonlagen interpretieren muss. In der akustisch wahrgenommenen Nachricht liegt mehr als nur die faktische Aussage. Somit ergänzt der Pilot quasi augenblicklich das, was er objektiv wahrnimmt, anhand seines persönlichen Eindrucks des Gesprochenen. Damit geschieht eine Transformation dessen, was er zusätzlich – neben den Worten – akustisch aufnimmt, in eine für ihn subjektiv relevante Orientierungsgröße (z.B. weiß er augenblicklich, dass es eine ernste Situation in der Kabine gibt). Insbesondere bei der Bewältigung Kritischer Situationen stellt dies eine besonders hilfreiche Fähigkeit dar. Noch bevor die Situation objektivierend konkretisiert werden kann, indem z.B. der Fluglotse zur Eile mahnt oder die Flugbegleiterin detailliert alles erklärt, wird schon reagiert – ein besonders wertvoller Vorteil im Echtzeitsystem Luftfahrt. Auch bei der Fehleranalyse kommt der menschlichen Fähigkeit, Folgerungen aus komplexen Zusammenhängen zu ziehen, eine wichtige Rolle zu. Einen sol-
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chen Fall spiegelt folgende Aussage wieder: „Zum Beispiel hört oder fühlt man eine Geschwindigkeitsveränderung und sieht sie aber nicht auf den Anzeigen“ (SFO; AI). Der Pilot wird durch eine derartige Unstimmigkeit alarmiert und bekommt „das Gefühl, dass da was nicht stimmt“ (ebd.). Das Erahnen einer Störung erfolgt auch hier, indem der Pilot eine nicht definierte Informationsquelle (was er hört bzw. fühlt) mit einer offiziell definierten (was er auf den Anzeigen sieht) kombiniert. Aus einer Unstimmigkeit zwischen diesen beiden Informationsquellen schließt er auf einen Fehler. Offenbar verfügen Piloten, dank ihrer vielschichtigen Wahrnehmungsfähigkeit, über eine entsprechende Begabung (dies zeigte sich auch bereits in den vorhergehenden Abschnitten). Dass die Vermeidung sich anbahnender Störungen im Flugverkehr essentiell ist, liegt auf der Hand. Interessant ist hier das ‚Wie‘. Der Pilot verfügt quasi über einen gespeicherten Wissensbestand der ‚richtigen‘ sinnlichen Wahrnehmungen und Empfindungen in bestimmten Flugsituationen – ohne etwaige Störungen oder Beeinflussungen. Zusätzlich verfügt er über das objektive Faktenwissen, wie sich das, was er fühlt, auf den Anzeigen ablesen lassen müsste. Genau hier wird es ihm möglich, Abweichungen festzustellen. Es zeigt sich, dass oftmals gerade erst die Kombination unterschiedlichster (auch diffuser) Informationsquellen es den Piloten erlaubt, passende Rückschlüsse zu ziehen und ihr weiteres Handeln danach auszurichten. So merkt der BoeingKapitän, dass „ein Vogel im Triebwerk ist, am Geruch nach Brathähnchen, obwohl das Flugzeug nur einen Motorschaden nach dem Start anzeigt“ (CPT; BO). Ein anderer Kapitän bezieht sich ebenfalls auf das Beispiel mit dem Vogelschlag. Er berichtet, dass es ihm schon passiert ist, dass bei einem wohl kleineren Vogel sogar gar keine Fehlermeldung angezeigt wurde – es waren demnach nur die Gerüche, die ihn darauf aufmerksam machten. „Nach dem Start in München hat es im Flieger so nach Backhendl und verschmorter Plastiktüte gestunken. Da war eindeutig klar, da ist ein Piepmatz durch den heißen Kreis174“ (CPT; EM/CA). Der Kapitän schildert, dass „obwohl die Anzeigen […] völlig normal“ waren, er und sein Kollege entschieden, „wir bleiben in München. Und zehn Minuten später waren wir wieder unten. Und siehe da – bei der Boroskopie [Anm.: Triebwerksinspektion] haben sie [Anm.: die Techniker] einen beschädigten Ölkühler gefunden.
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Mit dem „heißen Kreis“, erklärt der befragte Kapitän, meint er das Innere des Triebwerks, wo auch die Zapfluft für die Klimaanlage entnommen wird.
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Puh! Das Triebwerk hätten wir nach 20 Minuten über den Alpen abstellen müssen“ (ebd.). Der befragte Kapitän bestätigt, dass es insbesondere bei nicht angezeigten Fehlern darauf ankommt, sinnliche Wahrnehmungen „aller und jeder Art“ (ebd.) unbedingt ernst zu nehmen.„Und du stehst dann vor der Wahnsinns-Herausforderung, wegen eines merkwürdigen Geruchs den Weiterflug abzubrechen“ (ebd.). Denn, so erklärt der Kapitän weiter, das „kann auch eine große Gefahrenquelle sein. Ein Elektrobrand oder irgendein Gefahrgut, was ausgelaufen ist“ (ebd.) Allerdings kommt es auch vor, dass der Geruch „plötzlich auftaucht und genauso plötzlich wieder verschwindet – und gar nix war“ (ebd.). Dass Piloten ihrer sinnlichen Wahrnehmung, und dabei insbesondere auch nicht eindeutigen bzw. unklaren Eindrücken, eine besondere Gewichtung in der Entscheidungsfindung beimessen, lässt sich auch am Beispiel eines Langstrecken-Kapitäns aufzeigen: „Nach dem Take-off in Sao Paulo merke ich, da kommt weißer Rauch aus der Lüftung hinter mir. Das war gleich wieder weg, stank aber ziemlich und ähnlich wie dieses Zeug, mit dem sie im Simulator Rauch simulieren. Gut. Dann ruft eine Kollegin von der 4 an [Anm.: Der hinterste Türbereich in der Passagierkabine des A 340]. Da auch. Und dann wieder nix. Wir hatten keine Ahnung was das war – aber haben entschieden: So gehen wir nicht über den Teich!“ (CPT; AI; W). Die wirtschaftliche Tragweite dieser Entscheidung war eine sehr große. Der Kapitän erzählt über sein weiteres Vorgehen, dass er „40 Tonnen Kerosin in der Luft ablassen“ (ebd.) musste und der Weiterflug nach München mit allen Konsequenzen gestrichen wurde. In diesem Fall wurde, auch nach eingehender Untersuchung, keine Quelle gefunden.175 Interessant ist jedoch die eindeutige Positionierung des Kapitäns hinsichtlich seiner Entscheidung: „Ich würde immer wieder so entscheiden“ (ebd.). Piloten bedienen sich bei der Arbeit im Flugzeugcockpit ergänzender Vorstellungen über aktuell nicht wahrnehmbare Begebenheiten. Beim Nachvollzug der tatsächlichen Abläufe schildert ein Kapitän (CPT; EM/CA), dass er, wenn er „die Landeklappen fährt oder Schub gibt“, sich zeitgleich vorstellt, „was da draußen passiert“. Hierbei vervollständigt der Pilot die technisch vermittelten Informationen im Geiste mit den Bildern der jeweiligen Abläufe am Flugzeug. Ähnlich 175
Der Kapitän erklärte, dass es sich vermutlich um Enteisungsflüssigkeit handelte, die noch aus München nach Sao Paulo mitgebracht wurde und beim Take-off durch den höheren Anstellwinkel in die Klimaanlage gelaufen ist, aber das konnte nicht bewiesen werden.
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beschreibt dies ein anderer Kapitän auf einem anderen Flugzeugmuster. Da im Cockpit lediglich „stark vereinfachte schematische Darstellungen“ (CPT; BO) zur Verfügung stehen, macht er sich „im Kopf ein Bild über die tatsächlichen Abläufe“ (ebd.). Damit gelingt es ihm, eine mentale Brücke von den formalen Daten im Cockpit zu nicht wahrnehmbaren Gegebenheiten und Abläufen am Flugzeug selbst herzustellen. Dies ist für die Fehleranalyse bei Störungen im Flugablauf immens wichtig. Ein Boeing-Kapitän (CPT; BO) bedient sich an „vorgestellten Systemstrukturen“, um Fehler im komplexen technischen System ausfindig zu machen. Mit seinem subjektiven „mentalen Abbild“ (ebd.) kann er sich so „verschiedene Dinge, die da passen könnten“ (ebd.), vorstellen und sich auch ein Bild davon machen, „welche Auswirkungen damit verbunden sein könnten“ (ebd.). Durch die gedankliche Vorwegnahme möglicher Entwicklungen kann der Pilot noch vor Eintreten weiterer Konsequenzen Gegenmaßnahmen einleiten. Entscheidend ist, dass diese Vorstellungen nicht den realen Abläufen und dem architektonischen Aufbau entsprechen müssen, denn, so wird erklärt, hat man „als Pilot hauptsächlich nur die äußerlich sichtbaren Anlagenteile schon mal gesehen. Über die anderen Systemteile entwickelt man ein subjektives Bild der Abläufe und verknüpft dies eventuell noch mit Fotografien“ (FO; AI). Die bildhaften Vorstellungen schlagen eine mentale Brücke von den sinnlich erfassbaren, formalen Informationen im Cockpit zu den nicht wahrnehmbaren Abläufen am Flugzeug. Derartige ergänzende ‚Bilder‘ helfen den Piloten grundsätzlich beim Nachvollzug von Vorgängen. Das sei oftmals die „Grundlage“ (CPT; BO), um kommende Entwicklungen im Flugablauf „mental vorwegnehmen“ zu können, erklärt der Pilot. Dieses mentale Vorwegnehmen dessen, was auf den gerade sinnlich erfassten Zustand folgen wird, ist dabei eine komplexe, insbesondere auch körperliche Vorstellung. Ein anderer Pilot erklärt dies folgendermaßen: „Da dreh ich dann eine andere Höhe ein, dann schau ich auf die Anzeige und das, was ich dann automatisch verknüpfe, ist das Gefühl im Bauch zu steigen. Das muss dann kommen […] Oder ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn die Räder gleich auf der Landebahn aufsetzen. Ich sehe, wie ich reinkomme, ich registriere die Bahn, ich spüre den Flieger und ich sehe auch die Räder irgendwie vor meinem geistigen Auge, noch bevor es so weit ist – weiß ich, wie es sein wird, wenn die gleich den Boden berühren“ (CPT; AI; W). Die Beispiele verdeutlichen, dass es bei der Analyse des Arbeitshandelns nicht darum gehen darf, ein Entweder-oder (entweder objektivierendes oder erfahrungs-
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geleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln) festzustellen. Arbeiter in hoch technisierten Systemen, wie dem Cockpit, wenden beides an, meist im Verbund bzw. sich ergänzend. Die Kombination der Informationsquellen ermöglicht den Piloten hier eine sehr kompetente Einschätzung des objektiv und subjektiv Wahrgenommenen und damit eine relevante Zustandsinterpretation. Dank ihrer Vorstellungskraft können sie sich ein ‚mentales Abbild‘ davon machen, was nach ihren Eindrücken eine mögliche Ursache der entdeckten Unstimmigkeit sein kann. Die Fehleranalyse der Piloten erfolgt demgemäß auch mittels einer erfahrungsgeleitetsubjektivierende sinnlichen Wahrnehmung, die die Sensibilität der Piloten dafür erhöht, etwaige Unstimmigkeiten überhaupt bzw. schnell zu entdecken.
5.2.2 Mentale Prozesse Kennt ein Pilot sein Flugzeug gut, kann er nicht nur einfacher einen möglichst reibungslosen Flugprozess gewährleisten, sondern gewisse Besonderheiten bzw. damit zusammenhängende Störungen schneller und effizienter erkennen. Diese besonderen erfahrungsbasierten Kenntnisse beziehen nicht nur das eigene Fluggerät, sondern auch die Umfeldfaktoren und Flugprozess-Abläufe ein. Gerade (jedoch nicht nur) bei der Bewältigung Kritischer Situationen, welche ja ungeplant auftreten, profitiert der Pilot davon, assoziative Vergleichsmöglichkeiten heranziehen zu können, um die unbekannte Situation besser in den Griff zu bekommen. Dabei orientieren sie sich auch an ihrem zeitlichen Empfinden. Der Erfahrungsaustausch mit Kollegen ist ein offiziell als wichtig eingestuftes Tool der gegenseitigen Absicherung. Dabei kommen jedoch nicht nur faktisch fassbare objektivierbare Parameter zur Sprache, sondern auch subjektive Empfindungen. Im Einzelnen zeigt sich dies wie folgt: Die interviewten Piloten offenbaren neben ihrem Fachwissen einen Wissensbestand, welcher sich nicht in allgemein gültigen Definitionen festhalten lässt, jedoch für die Abwicklung der Flugprozesssteuerung einen besonderen Stellenwert besitzt und sich erst durch praktische Flugerfahrung aufbauen kann. Dieses besondere Wissen beinhaltet spezifische Kenntnisse über die Reaktionsweise des jeweiligen Flugzeugtyps, beispielsweise „wie die Maschine auf eine starke Winddrehung reagiert oder wie lange sie braucht, um mit ausgefahrenen Bremsklappen auf eine bestimmte Höhe zu sinken“ (FO; AI). Betont wird, dass dies Kenntnisse
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sind, die „erst durch einen längeren Umgang mit dem Flieger“ (ebd.) erlernt werden können. Diesem „Wissenserwerb“ geht offenbar eine feinfühlige Art der Wahrnehmung voraus, denn, so erklärt dies ein Kapitän, handelt es sich „mitunter nur [um] Nuancen“ (CPT; AI), in denen sich je nach Flugzeugtyp Unterschiede zeigen. Insbesondere diese Feinheiten sind jedoch kaum objektivierbar und daher auch nicht einfach weiterzugeben. „Ich kann dir hier auch nicht erklären, wie sich mein Mountainbike anfühlt, aber ich kann es von anderen unterscheiden. Und das ist ein simpleres Beispiel als ein Flieger“ (CPT; AI; W). Auch ein Copilot, der nach mehreren Jahren auf der Boeing-737 auf die Boeing-747 wechselte, erklärt: „Man muss erst mal herausfinden, wie sich das Flugzeug anfühlt“ (FO; BO). Hierbei handelt es sich nicht nur um theoretische Fachkenntnisse, sondern auch um ein durch eigene praktische Erfahrung angehäuftes Wissen über die Besonderheiten des Flugzeugs, denn „jeder Flieger reagiert anders auf Inputs“ (ebd.). Die Formulierungen der befragten Piloten legen den Schluss nahe, dass den hier beschriebenen mentalen Prozessen und Kenntnissen über ihr Flugzeug jeweils eine sehr differenzierte sinnliche Wahrnehmung vorausgeht (die im vorhergehenden Abschnitt erläuterte „sinnliche Wahrnehmung“ kann von den hier thematisierten „mentalen Prozessen“ nicht getrennt werden). Basierend darauf lernen die Piloten ihr Flugzeug und seine Feinheiten über die objektivier- und theoretisierbaren Parameter hinaus kennen. Dies ist eine entscheidende Kompetenz. Denn, so wird dies auf Nachfrage erklärt, nur so können Piloten „die Reaktionen des Flugzeuges vorwegnehmen und ihnen vorher schon entgegenwirken“ (FO; AI). Die erforderlichen Handlungsschritte orientieren sich an diesen antizipierbaren Auswirkungen und können so ausgleichend eingesetzt werden (hier wiederum wird der Übergang zum „Vorgehen“ deutlich). „Je besser du dein Flugzeug kennst, desto automatischer hast du auch die passenden Ideen im Kopf. Dir fällt einfach schneller die passende Antwort ein“ (CPT; AI; W). Der befragte Pilot erklärt hierzu, dass es keine „Analyse im Kopf“ ist, die er dann durchführt, sondern „die passenden Gedanken ergeben sich einfach so“ (ebd.). Es scheint, als wüsste der Pilot, wie er denken muss – und das ohne bewusstes Zutun. Anders formuliert, könnte man sagen, er verfügt über eine Art ‚Denk-Wissen‘. Dass dieses Wissen – u.a. die Fähigkeit, Zustände zu antizipieren und damit „ahead of the aircraft“ (FO; EM/CA) (CPT; AI; W) zu sein – ein grundsätzliches Erfordernis eines guten Piloten ist, wird auch offiziell anerkannt und offiziell von einem Piloten verlangt. Dass dieses Wissen jedoch nicht nur eine objektivierbare
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Zustandsbeschreibung umfasst, wird erst in der Analyse deutlich. Die Aussage: „Wenn ich das jetzt mache, wie reagiert der Flieger dann? Was hat das für Auswirkungen?“ (FO; BO) beinhaltet ein rein subjektives Gefühl: „wie sich das anfühlt. Da dreh ich eine neue Höhe rein, und während ich da am Knopf drehe, weiß ich quasi schon, wie das Gefühl am Hosenboden gleich sein wird“ (CPT; AI) und „das sind keine Werte oder Zahlen auf den Anzeigen“ (ebd.). Auch hier wird der fließende Übergang zum Bereich der erfahrungsgeleitet-subjektivierenden sinnlichen Wahrnehmung deutlich. Die mentalen Prozesse des Piloten umfassen hier keine objektivierbaren Werte, sondern die Erinnerung an ein „Gefühl am Hosenboden“. Als passender Vergleich wird angeführt: „Du kennst ja genauso, sagen wir mal, dein Motorrad. Da weißt du auch, wie es sich anfühlt, wenn du dich in die Kurve legst. Und wie, wenn noch etwas mehr. Und das weißt du auch je nach Straßenbelag. Und dann weißt du auch sofort, wenn’s schief geht. Wenn da was nicht stimmt, mit dem du nicht gerechnet hast“ (ebd.). Das Beispiel des Motorradfahrens aufgreifend, erklärt der befragte Pilot weiter, dass die „beste Kombination“ (CPT; AI) darin bestehe, wenn ein erfahrener Fahrer eine ihm gut vertraute Maschine lenke – und genau so sei das auch beim Fliegen. „Da wird man schon so was wie ein Team“ (ebd.). Hierzu gehört auch das Wissen um „Fehler, die in bestimmten Flugzeugsystemen häufiger auftreten, also Designschwächen eines Typs“ (SFO; AI) darstellen. Schon in Teil A wurden hierzu eine Reihe Beispiele aufgeführt. Piloten berichten von sich selbst, dass sie „in der Praxis immer Dinge regeln [müssen], die in der Routine nicht so funktionieren, wie sie sollten“ (CPT; BO). Geschildert wird z.B., dass „man beim A 320 meistens ein oder zwei Computer ‚reseten‘ [erneut starten] muss, weil beim Starten der Triebwerke die Elektrik umschaltet“ (SFO; AI). Ein anderes Beispiel hierfür liefert die Klimaanlage der Kabine, „die eigentlich automatisch funktionieren soll“ (CPT; EM/CA), bei der „jedoch“, so schildert der Kapitän weiter, „in der Praxis immer ein erheblicher Nachregulierungsbedarf“ (CPT; EM/CA) besteht. Durch den anhaltenden Umgang mit einem Flugzeugtyp kann ein Pilot so ein ‚Gefühl‘ für den Flieger und seine Eigenheiten entwickeln. Dies führt dazu, dass auch die mentalen Prozesse in ihrer Qualität steigen. Durch seine besonderen Kenntnisse und die zunehmende Erfahrung geht der Pilot die Störungsbehebung „relaxter an“ (CPT; AI; W), einfach weil er „weiß, woran [er] denken muss“ (ebd.) (Stichwort ‚Denk-Wissen‘). Wesentlich ist, dass ein Pilot bereits mehrmals mit einer vergleichbaren Situation konfrontiert sein musste, um die
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Hintergründe richtig deuten zu können, denn „jemand, dem das zum ersten Mal passiert, kennt die Ursachen wahrscheinlich nicht“ (CPT; BO), erklärt der langjährige Kapitän der Boeing. Kann dann z.B. durch Erfahrung eine Kritische Situation bereits im Vorfeld erfasst (und im besten Fall abgewendet) werden, erklären dies die Piloten damit, wiederum „ahead of the aircraft“ gewesen zu sein, also mental einen Schritt vorausgedacht zu haben. Berichtet wird davon, dass sich erfahrene Piloten „automatisch innerlich auf Alarmbereitschaft programmieren“ (CPT; BO), wenn sie in Situationen geraten, in denen sie wissen, dass „bestimmte Einflüsse Macken auslösen“ (ebd.) und es dadurch zu „Schwierigkeiten kommen könnte“ (ebd.). Wenn festgestellt wird, „hier stimmt doch was nicht“ (CPT; AI) können neben systemimmanenten Einflüssen aber auch Faktoren wie unvorhergesehene Wetterlagen oder auch eigene Fehler stehen. Ein Beispiel schildert ein Kapitän. Er erklärt, dass er „ein Gefühl dafür [hat], wie wir steigen müssten. Und dann merk ich das und denk mir: Wir sind doch gar nicht so schwer! Und dabei schau ich schon auf die Anzeigen und sehe: Ja“ (CPT; AI; W). Das ungewohnte Gefühl beim Steigen (anders, als er es erwartet hat) macht den Piloten aufmerksam. Er bemerkt schließlich einen Fehler, den er selbst begangen hat, „nämlich, dass ich in 10.000 Fuß vergessen habe, die Steigleistung zu erhöhen“ (ebd.). Die Verwobenheit mit den anderen erfahrungsgeleiteten Dimensionen, hier insbesondere der sinnlichen Wahrnehmung, wird erneut deutlich. Der Pilot schildert, dass er zunächst das entsprechende Gefühl am „ganzen Körper“ (ebd.) vermisste, das er sonst von seinem Flieger in einer vergleichbaren Situation jedoch „genau kennt“ (ebd.) und „genau [weiß], dass das da sein muss. Genau jetzt“ (ebd.). In dieser Situation nimmt er den visuellen Hinweis auf seine niedrige Steigrate durch den „Vertical Speed Indicator176“ wahr (ebd.). Er bestätigt eindeutig, dass die Reihenfolge in entsprechenden Fällen so ist, dass „erst mein Beschleunigungsgefühl am Hintern was anderes sagt und dann wandert mein Blick auf die Anzeige“ (ebd.). Ganz wesentlich ist dabei der Hinweis: „Nein, darauf muss ich mich nicht konzentrieren. Das läuft automatisch ab“ (ebd.). Die Situation löst automatisch ablaufende mentale Prozesse beim Piloten aus – er weiß, an welche Sachen er objektiv (die richtige Steigrate auf der Anzeige), aber auch subjektiv (das dazu passende Gefühl, welches er 176
Der Vertical Speed Indicator (engl.) misst die Vertikalgeschwindigkeit des Flugzeugs, d.h. „das Messgerät wertet die Änderungsgeschwindigkeit des von der Höhe abhängigen Luftdrucks aus“ (Artikel „Variometer“ auf de.wikipedia.org, Version 09.11.2016).
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von seinem Flugzeug kennt) denken muss. Er verfügt, wie auch schon in anderen Zusammenhängen festgestellt, über ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes ‚Denk-Wissen‘. Die erfahrungsabhängigen Kenntnisse beziehen sich sowohl auf den Ablauf des Flugprozesses wie auch auf die Besonderheiten der Umfeldfaktoren, beispielsweise das Wetter. „Es ist so eine bestimmte Technik, wie man das Wetterradar interpretiert“ (CPT; EM/CA), wird vom Kapitän des Canadair-Jets geschildert. Nur anhand ausgereifter Kenntnisse können Piloten entscheiden, wie „nah [sie] an einer Wolke vorbeifliegen oder durchfliegen“ (FO; AI) können. Der Kapitän und zugleich auch Ausbilder erklärt: „Man bekommt zwar das Handwerkszeug dazu gelehrt, aber nur durch praktische Erfahrung kann man es richtig abschätzen lernen“ (CPT; EM/CA). Dass es durchaus notwendig ist, das Wetter auch subjektiv einzuschätzen, zeigte sich bereits in Teil A. Es wird erklärt: „Erst gibt er [Anm.: das Wetterradar] mir in 120 Meilen ein rotes Echo, und bis wir dran waren, was das Ding nur noch grün. Da gucke ich doch lieber selbst und interpretiere das, wie ich es kann“ (CPT; AI). Der Kapitän erklärt, dass dies durch seine „langjährige Erfahrung“ (ebd.) gut gelingt, denn dann „kann man fast ein bisschen hellsehen“ (ebd.). Es bestätigt sich hier allerdings wohl eher, dass der Erwerb des notwendigen Wissens auf der praktischen Auseinandersetzung der Piloten mit ihren Arbeitsbedingungen beruht – und nicht auf ‚Hellsehen‘. Dies darf jedoch durchaus so interpretiert werden, dass Piloten hierdurch eine besondere Sensibilität dem Wettergeschehen gegenüber entwickeln. Damit erschließen sie sich zusätzliche subjektiv relevante Kriterien zur Beurteilung der aktuellen Situation. Bei der Entscheidungsfindung über die Notwendigkeit eines Kurswechsels ergänzen sie so die technisch vermittelten Informationen. Dazu passend die Schilderung: „Das Flugzeug zeigt zwar an, ob man in Vereisungsbedingungen einfliegt, aber es kann nicht das Ausmaß der Vereisung einschätzen. Ich gucke mir dann an einer bestimmten Stelle des Scheibenwischers die Höhe des Eisbelags an und entscheide, wenn es mir notwendig erscheint, die Höhe zu wechseln“ (CPT; EM/CA). Die Grundlage dieses Wissens ist auf die empirische Erfahrung des Piloten zurückzuführen, denn, so erklärt der Pilot weiter, man „erkennt erst aus Erfahrung, was viel oder wenig Eis ist, das steht eigentlich nirgends. Einer, der nie in Vereisungsbedingungen fliegt, kann sich das auch nicht anlesen“ (ebd.). Allein die Rückbesinnung auf bereits erlebte Flugsituationen (vermutlich auch auf die Handlungsweise des vormals dienstälteren Kollegen) gestattet hier dem Piloten, die
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aktuelle Situation kompetent zu bewerten und gegebenenfalls eine Höhenanpassung vorzunehmen. Ein Copilot fasst dieses Wissen folgendermaßen zusammen: „Erfahrene Piloten haben für viele Dinge einfach den besseren Riecher“ (FO; BO). Dies zeigt sich an einem weiteren Beispiel: der Identifikation von Turbulenzen – und „das ist ja an der Tagesordnung“ (CPT; AI). Der befragte Kapitän erklärt, dass es durchaus vorkommt, dass man „in ruhiger Luft plötzlich durchgeschüttelt wird“ (ebd.). Dann „geht mein Blick sofort nach draußen. Ist da eine Wolke? War das eine Wake177? Hat da etwa ein anderer Flieger gerade unsere Bahn gekreuzt? Blick auf TCAS. Oder ist das doch plötzlich auftretender Starkwind? Blick auf Windanzeige. Überfliegen wir Gebirge? Oder ich weiß einfach als erfahrener Langstreckenkapitän – aha, Neufundland. Da wackelt es eben“ (ebd.). Ein anderer Kapitän schildert ein ähnliches, bereits in Teil A verwendetes Beispiel. Er beschreibt, er „weiß […] halt aus Erfahrung, ich hab da in Marseille momentan immer so einen extrem starken Seitenwind und es wackelt da deutlich mehr, als wie es in den Wetterdaten dargestellt ist. Und dann ist halt die Chance durchzustarten doch höher“ (CPT; EM/CA). Er erklärt, diese und vergleichbare Situationen hätten ein „hohes „Ungewissheitspotenzial“ (ebd.). Dank seiner Erfahrung könne er Kritische Situationen dieser Art jedoch „händeln“ (ebd.), einfach indem er „damit rechnet“ (ebd.). Die objektiv verfügbaren Informationen (Wetterdaten) reichen für die Abschätzung der Situation nicht aus. Alleine sein Wissen darüber, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Durchstartmanöver durchführen zu müssen, erhöht ist, lässt ihn praktische („Ich würde dann mehr Sprit mitnehmen“ [ebd.]) wie auch mentale Vorkehrungen („Ich gehe das in Gedanken und mit dem Kollegen mal durch“ [ebd.]) treffen. Dieser Umgang mit Kritischen Situationen, welche sich bereits in der Flugplanung vorfinden (siehe Teil A), ist mit zahlreichen Beispielen zu belegen. Allen gemeinsam ist der Rückgriff auf persönliches Erfahrungswissen, um die aktuelle Situation kompetent einzuschätzen. „Da bei dem Sturm ‚Niklas‘, da war alles noch offiziell im Limit. Den Daten nach wäre der Flug möglich gewesen. Also das, was der Flieger kann. Aber dann hab ich ‚Nö‘ gesagt! Leute, da draußen fliegen bald Bäume rum!“ (CPT; EM/CA), Zu dieser Einschätzung kam er, so erklärt der befragte Kapitän weiter, nur dadurch, „dass ich eben schon zig Wetter eingeschätzt habe. Als Flieger schaust du dir den Himmel anders an und riechst Gewitter“ (ebd.). 177
Wake (engl.): Wirbelschleppe.
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Das Hilfsmittel assoziativer Verknüpfungen stellt Piloten einen durch praktische Tätigkeit permanent wachsenden Fundus an Vergleichsmöglichkeiten zur Verfügung und hilft ihnen so bei der Bewältigung ähnlicher, neu auftretender Situationen. So wird erläutert, dass man als Pilot „eigentlich ständig mental vergleicht“ (FO; A I). Dies gestaltet sich derart, dass der Pilot z.B. bei „Setzen der Startleistung“ (CPT; AI) den Ablauf überwacht, indem er „das Verhalten der Zeiger mehrerer Anzeigen“ (ebd.) beobachtet. Dabei ist entscheidend, „ob die [Zeiger] sich wie gewohnt bewegen“ (FO; BO). Um hier eine richtige Zustands- bzw. Vorgangsinterpretation vornehmen zu können, hat ein Pilot dafür „einen normalen Start als Vergleich im Hinterkopf - mitsamt Motorengeräusch und Schubgefühl“ (CPT; AI). Der Pilot merkt auf, „wenn irgendwas abweicht, z.B. Fluglage und Triebwerkseinstellungen resultieren nicht in die daraus erwartete Geschwindigkeit und Steigrate“ (FO; AI). Er erinnert sich hier auf der Basis einer „wahrnehmungs- und erlebnisbezogene[n] Repräsentation und Aktivierung von Wissen“ (Böhle, Rose 1992, S. 111) daran, wie ‚normal‘ erlebte Flugsituationen verlaufen sind, und folgert daraus, dass und wo ein Fehler vorliegt. Ein anderer Copilot erklärt: „Abweichungen vom Normalbetrieb können schneller erkannt werden, wenn man sie schon mal so ähnlich erlebt hat“ (FO; AI). Er weist dabei darauf hin, dass dieses Wissen nicht mit „irgendwelchen konkreten Werten“ (ebd.) zusammenhängt. Daher lässt es sich auch nicht außerhalb der jeweiligen Flugsituation umschreiben, sondern „man weiß es dann“ (FO; BO), wird berichtet. Das heißt also, ein solches Ereignis merkt er sich nicht anhand systematisch abstrahierbarer Relationen und Begriffe, sondern anhand der Erinnerung an die subjektiv erlebten Teilelemente, wie beispielsweise die Bewegung der Zeiger, das Motorengeräusch oder das „Bauchgefühl“ (CPT; AI; W). Auf Nachfrage, wie sich die Assoziation des Bauchgefühls beschreiben lässt, erklärt der befragte Pilot, dass dies heiße, „irgendwie einfach zufrieden“ (ebd.) zu sein, da sei er dann „entspannt trotz hoher Konzentration“ (ebd.). Anders herum sei es „etwas wie ein Stich im Bauch“ (ebd.) oder ein „Spannen im Brustkorb“, wenn mal was nicht stimmt. Ein Copilot ergänzt diese Beschreibung mit den Worten: „Ich merke zuerst, wie mein Gesicht heiß wird“ (SFO; AI). Assoziationen, welche in bestimmten Situationen hervorgerufen werden, umfassen dabei offenbar nicht nur die Erinnerung an ähnlich verlaufene Situationen, sondern auch die Erinnerung an die damit verknüpften Empfindungen.
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Die Anwendung eines assoziativen Wissens bestätigt sich auch hier: „Wenn ich das Gas rausziehe, hab ich gleichzeitig eine Erwartung, wie sich das gleich anhören und anfühlen wird“ (FO; AI). Wiederum wird die körperliche Komponente dieses Wissens betont (der Pilot erwartet neben dem Geräusch auch ein Gefühl). Ein Kapitän erklärt diesbezüglich, dass er automatisch weiß, woran er denken muss. „Das ist ein Automatismus, den kann ich genauso wenig abstellen wie die Sache mit dem ‚Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten‘. Ob man will oder nicht, man tut es. Und ich aktiviere quasi automatisch mein Wissen, wie sich das anfühlen muss“ (CPT; AI; W). Dies macht die automatische assoziative Verknüpfung mit subjektiven Erinnerungen an sinnliche Empfindungen deutlich. Die besagten Kenntnisse gelangen jeweils situationsadäquat ins Bewusstsein eines Piloten und stellen ihm in Form von Assoziationsanstößen ein komplexes Wissen zur Verfügung, um den Prozessverlauf zu kontrollieren. Die Zustandserfassung und Prozesskontrolle kann auch dadurch erfolgen, dass der Pilot sich an zeitlichen Abläufen orientiert. Eine beispielhafte Situation hierfür liefert der Start der Triebwerke. Denn wenn ein Pilot „es regelmäßig macht“ (CPT; EM/CA), hat er „im Gefühl, in welcher Zeit nach der Zündung die Temperatur hochgehen müsste“ (ebd.). Die gefühlten zeitlichen Abläufe dienen hier als subjektiver Schlüssel zur Überprüfung des Normallaufs. Wie ein Copilot schildert, kann er „alleine an der Geschwindigkeit, wie sich ein Zeiger bewegt bzw. wie sich mehrere Zeiger im Verhältnis zueinander bewegen“ (FO; BO), erkennen, ob ein Vorgang richtig abläuft. Dabei kann er zwar keine konkrete Zeitspanne angeben, „aber die hat man verinnerlicht“ (ebd.). Bei der Prozessüberwachung orientieren sich Piloten an ihrem eigenen Zeitempfinden, welches sich nicht in allgemeingültigen Zeiteinheiten ausdrücken lässt. Sie haben so, neben den technisch generierten Anzeigen, eine zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit, die sie meist vor einer technischen Kontrolle einsetzen. Die sogenannte „innere Uhr“ (vgl. Böhle, Rose 1992, S. 114) verhilft den Piloten im Umgang mit dem Flugzeug zu einer sensiblen Wahrnehmung der Abläufe. Wie grundlegend die Entfaltung eines derartigen Zeitgefühls ist, zeigt sich auch daran, dass damit auf jeden Fall gearbeitet werden muss, denn „gerade beim manuellen Flug ist die Reaktionszeit des Flugzeugs auf die eingegebenen Inputs wichtig, um das notwendige Gefühl für das Flugzeug zu entwickeln“ (FO, A 340), wird hierzu erklärt. „Man merkt grundsätzlich, dass was nicht stimmt, wenn man eigentlich eine Reaktion schon erwartet, aber die passiert dann nicht“ (SFO; AI) oder „wenn was zu langsam läuft oder so“ (CPT; AI; W);
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dies „setzt die Denkmaschinerie da oben [zeigt auf seinen Kopf] sofort in Gang“ (ebd.). Eine gedankliche Strukturierung findet also erst statt, wenn sich ein Ablauf nicht wie erwartet darstellt. Die innere Uhr stellt ein verlässliches Instrument dar, die Prozessabläufe sofort zu beurteilen. Es gelingt den Piloten, anhand ihrer erfahrungsbasierten subjektiven Erinnerungen an sinnliche Empfindungen – dazu zählen auch die gemerkten zeitlichen Abläufe – eine quasi automatische Kontrollinstanz durch Vergleich zu schaffen. Diese ‚Vergleichsmöglichkeiten‘ scheinen ein Grund zu sein, warum es Piloten gelingt, sich anbahnende Störungen wahrzunehmen, noch bevor diese handfest interpretiert werden könnten. Damit ist die innere Uhr ein schnelles Medium zur Beurteilung und Überwachung der Vorgänge. Keiner der befragten Piloten sah sich jedoch dazu in der Lage, dies in konkreten nummerischen Werten auszudrücken. Auch hier kam der Hinweis: „Das weiß man erst in der Situation“ (CPT; AI; W), was wiederum die Situations- und Kontextbezogenheit der erfahrungsgeleitet-subjektivierenden mentalen Prozesse unterstreicht – und damit auch in der hier untersuchten Dimension einen Hinweis auf die u.a. in den Workplace Studies thematisierte situated action liefert. Auch eine peripheral awareness lässt sich im Bereich der mentalen Prozesse klar herausstellen. Die Aussagen der befragten Piloten lassen darauf schließen, dass es sich insbesondere bei der Orientierung an zeitlichen Abläufen zunächst um eine Kontrollfunktion im Sinne eines ‚wachsamen Bei-der-Sache-Seins‘ handelt. Während der Pilot handelt, hat er die zeitlichen Abläufe im Kopf und beobachtet sie achtsam, aber nicht bewusst reflektiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Pilot hier nicht bei der Sache ist. Ganz im Gegenteil lässt sich hier eher die Aussage treffen, dass er sogar weitere Dinge um sich herum (peripher) wahrnimmt, während er bestimmte Handlungsschritte bewusst steuert. So haben Piloten oftmals lediglich ein „komisches Gefühl“ (CPT; AI; W). Möglich ist, dass sie sich dann bereits, vermutlich unterbewusst, an eine ähnlich verlaufene Situation erinnern. „Oft kann man nicht konkret definieren, was nicht stimmt, man fühlt nur, dass was nicht stimmt“ (ebd.). Wie wichtig diese ‚Gefühle‘ sind, lässt sich an der offiziellen Forderung ablesen, Derartiges immer seinem Kollegen mitzuteilen, insbesondere auch dann, wenn man nicht beschreiben kann, wo die Empfindung konkret herkommt. Manchmal lässt sich die Ursache nachträglich rekonstruieren, z. B. wenn der Pilot „die langsam sinkende Ölstandsmenge“ im weiteren Flugverlauf dann „bewusst“ (ebd.) bemerkt.
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Die kompetente Ausführung aller für den Flugprozess notwendigen Arbeitshandlungen zeigt, dass Piloten neben den formalen wie auch informalen Kenntnissen eine besondere Befähigung aufbringen, den erforderlichen Informationsund Erfahrungsaustausch mit den Kollegen sinnvoll zu gestalten. Dabei werden nicht nur objektive und faktische Daten ausgetauscht und verglichen. Auch wird der jeweils subjektive Erfahrungsschatz beider Piloten auf seine Relevanz hin überprüft und abgeglichen. Die offiziell formulierte Anforderung, mentale Modelle permanent miteinander zu vergleichen, unterstützt dies. „Der agierende Pilot führt sein Modell am Flugzeug aus, während der assistierende Pilot die Ausführung überwacht. Da herrscht ein ständiger Informationsaustausch“ (FO; AI), so ein Copilot. Dies sichert bei der Abwicklung der Arbeitsaufgaben in erhöhtem Maße gegen Fehlinterpretationen und Fehlhandlungen ab. Ein Kapitän schildert, was ihn hierbei besonders geprägt hat: „In meiner Zeit als junger Copilot gab es einen Kapitän, der hat stets dazu gemahnt, lieber zweimal das Load-Sheet zu checken […] Und dann, ist mir schon passiert, da wurden einfach die Koffer, sprich deren Gewicht bei der Berechnung vergessen“ (CPT; EM/CA). Der befragte Kapitän resümiert im Hinblick auf die Arbeit im Cockpit, dass es grundsätzlich immer von Vorteil sei, sich rege auszutauschen, denn dann „potenziert sich unser Wissen“ (ebd.). Dabei geht es nicht immer um bereits vorformulierte Anliegen, wie die stete Mahnung des Kapitäns, das Load-Sheet abermals zu überprüfen. Vielmehr findet sich in der alltäglichen Arbeit ein besonderer Mehrwert darin, situationsbedingte Eindrücke auszutauschen. So ergibt sich „während des Gesprächs mit dem Kollegen über den Anflug möglicherweise ein Umstand, der nur von einem berücksichtigt wurde, jetzt aber auch im mentalen Modell des Kollegen Verwendung findet“ (ebd.). Damit dient der Austausch – insbesondere darüber, wie die Piloten etwas ‚erleben‘ bzw. was sie ‚erfahren‘ – dazu, auch den jeweiligen subjektiven Wissensbestand durch den des Kollegen zu erweitern und eine konsistente Deckung der mentalen Modelle beider Piloten zu erreichen, denn „oft merkt oder sieht eben der eine was, was der andere nicht tut“ (CPT; AI; W). Aber gerade auch die Dinge, die sich noch nicht konkret benennen lassen, sind wichtig. „Im Cockpit spielen so Sachen wie: ‚Hast du das auch gehört? ‘ immer eine ganz wichtige Rolle, um sich selbst abzusichern“ (FO; BO), wird hierzu erklärt. Dabei stellen die subjektiven Erfahrungen der einzelnen Kollegen einen besonderen Mehrwert dar. So findet beispielsweise die Wahrnehmung des einen Kollegen, die diesem unerklärlich ist, durch den Erfahrungsaustausch mit dem anderen eine
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stimmige Erklärung, was letztlich auch dazu führt, sein Flugzeug kennen zu lernen. Ein Kapitän erzählt, er könne sich erinnern, dass er als junger Copilot bei seinem ersten Flug „verdutzt über das Geräusch und Vibration“ (CPT; AI) war. Noch bevor er nachfragte, kam schon die Erklärung des Kapitäns: „ich hab den nur mit großen Augen angeschaut und er: DAS [betont] sind die Landing-Lights, die sind noch ausgefahren“ (ebd.). Er erklärt, dass seine praktische Erfahrung enorm davon profitierte, dass ihm auch „banale Dinge erklärt wurden“ (ebd.), denn, so folgert er weiter, es „werden Dinge ja erst banal, wenn man sie kennt und einordnen kann“ (ebd.). Ein Kapitän erklärt, er habe sich jedoch angewöhnt, seine Gedanken nicht konkret zu formulieren. Also zum Beispiel statt: „Hier pfeift doch was auf der linken Seite, oder?“ lieber nach der unbeeinflussten Meinung des anderen zu fragen – also eher „Fällt dir irgendwas auf?“ (ebd.).
5.2.3 Vorgehensweise Die Vorgehensweise des Piloten ist, ebenso wie die sinnliche Wahrnehmung und die mentalen Prozesse, in erster Linie darauf ausgerichtet, den reibungslosen Ablauf aufrechtzuerhalten. Dabei dient ihm eine individuell rhythmisierte Flugprozesskontrolle vor allem dazu, frühzeitig Abweichungen festzustellen. Treten unvorhergesehene Einflüsse auf das Fluggeschehen auf, kommt im Bereich erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Vorgehens insbesondere eine reaktionsschnelle Neuausrichtung der Vorgehensweise zum Tragen. Diese verläuft dann meist explorativ, indem sich die Piloten an ein neu definiertes Ziel ‚heran tasten‘. Eine solche dialogisch-interaktive Vorgehensweise lässt insbesondere die Verwobenheit der Dimensionen erkennen, wenn sinnliche Wahrnehmung und mentale Prozesse fortwährend das Vorgehen des Piloten neu beeinflussen. Die Kooperation mit den Kollegen ist dabei essentieller Bestandteil. Im Einzelnen zeigt sich dies wie folgt: Gerade in technisch hoch ausgestatteten Fliegern, in denen viele Abläufe durch die automatisierten Bordsysteme erledigt werden, wird beschrieben, man müsse sich oftmals selbst „dazu zwingen“ (FO; AI), „mental in den Flugablauf eingebunden zu bleiben“ (ebd.). Ein individuelles Schema bei der fortlaufenden Kontrolle der Flugprozessabläufe kann in gewissem Maße die Gefahr abwenden, out
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of the loop zu geraten. „Man bleibt aufmerksam, indem man einen eigenen Prüfrhythmus entwickelt, um die Geräte zu checken“ (SFO; AI). Die fortlaufende Flugüberwachung vollzieht sich dabei als ein Synchronisationsprozess zwischen den geforderten Kontrollelementen und dem subjektiven Bedürfnis des Piloten „jetzt mal [zu] schauen, was der Flieger so macht“ (ebd.). Die befragten Piloten können jedoch nicht festmachen, was dieses Bedürfnis konkret auslöst. Gibt es keinen Anlass, so wird geschildert, dass eine „Eigenkontrolle in bestimmten Abständen“ (FO; AI) durchgeführt wird, weil „der automatisierten Systemüberwachung einfach nicht 100%ig “ vertraut wird (ebd.), denn „welcher Computer funktioniert schon ohne Macken?“ (CPT; AI). Dabei bestimmt sich der Kontrollzyklus oftmals danach, welche Flugerfahrung ein Pilot bereits besitzt, denn „erfahrene Piloten machen das routinierter“ (FO; AI). Das bedeutet, die individuelle Ausformung der Überwachung wächst in ihrer Qualität durch die zunehmende Erfahrung der Piloten. Denkbar wäre es hier, analog einer ‚sinnlich-wissenden Wahrnehmung‘ und eines ‚Denk-Wissens‘ die Kategorie eines ‚Vorgehens-Wissens‘ zu erstellen (im Sinne von: Der Pilot weiß wie er vorgehen bzw. kontrollieren muss – Stichwort „eigener Prüfrhythmus“). „Die Eckpunkte sind zwar vorgegeben, aber wie man am geschicktesten vorgeht, lernt man erst mit der Zeit. Da entwickelt jeder sein eigenes Konzept“ (FO; BO). Wiederum ist dabei die momentane Flugsituation sehr entscheidend. „Da wo es eher schwierig werden könnte, guckt man automatisch mehr und engmaschiger“ (CPT; AI; W). Trifft der Pilot nun auf eine Kritische Situation so „ist es enorm hilfreich, wenn man ein Bild abrufen kann von dem, was davor war“ (CPT; AI; W). Der befragte Pilot erklärt, dass er sich dann sozusagen an die einzelnen „Kontrollschritte“ (ebd.) erinnern kann. Dies kann ihm im besten Fall in der akuten Situation schnell zu einer passenden Schlussfolgerung verhelfen. Dienstälteren Piloten fällt es dabei meist leichter, mit schwierigen Situationen zurechtzukommen, da in Phasen erhöhter Konzentration „der unerfahrene Pilot noch einer permanent hohen Anspannung “ (SFO; AI) ausgesetzt ist und der erfahrene Pilot „hingegen relaxter [ist]. Der kann zwischendurch kurz zur Ruhe kommen“ (FO; AI). Der Erfahrungszuwachs ermöglicht es somit, die Leistungsverausgabung des Piloten zu optimieren. Es wird berichtet, dass das „Einteilen in kritische und unkritische Flugsituationen [...] differenzierter“ (FO; AI) erfolgt, „je länger man fliegt“ (ebd.). Für die Piloten ist es wichtig, vor allem die bekanntermaßen eher anstrengenden Flugphasen so zu gestalten, dass sie ihre Leistung optimal einsetzen. Von besonderer Bedeutung, so wird geschildert, sei
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es daher, „einen eigenen Rhythmus bei Start und Landung [zu finden], da in diesen Phasen viele Parameter gleichzeitig navigatorisch im Auge behalten werden müssen“ (FO; AI). Jedoch, so wird geschildert, könne man „eigentlich nicht sagen, wie das ganz genau geht. Das geht nicht in der Theorie“ (CPT; AI; W). Kann ein Pilot den Abläufen jedoch nicht mehr folgen, kann dies insbesondere in abrupt eintretenden Störsituationen fatale Folgen haben. Denn „zeitkritische Notfälle“ (FO; AI) erfordern von den Piloten, „blitzschnell von passiver Überwachung zu hochkonzentrierter Fehlerbehebung“ (ebd.) umzuschalten. Gerade weil „das System auch mal Mist bauen kann“ (SFO; AI), ist es so wichtig, stets mental eingebunden zu bleiben. Je beständiger dabei die Aufmerksamkeit des Piloten auf die Abläufe gerichtet ist, desto eher lassen sich auch sich anbahnende Fehlfunktionen identifizieren. Denn die kommen „schon mal schleichend daher“ (CPT; AI; W) und „sind dann aber mit einem großen ‚Rums‘ da“ (ebd.). Der befragte Pilot bestätigt, dass gerade technische Unwägbarkeiten bemerkt werden können, bevor diese durch die Alarmsysteme der Bordtechnik angezeigt werden. Ein Kapitän erklärt: „Ja, so manchen Fehler erkennst du frühzeitig, wenn du alle technischen Systeme im Auge hast“ (CPT; AI). Dazu schildert er das passende Beispiel: „Ich habe beim Durchschauen der Systemseiten bemerkt, dass das Reservoir vom Vierer-Triebwerk weniger Öl im Reservoir hatte als die anderen. Da bleib ich also mal dran […] Und siehe da, bei längerer Betrachtung wurde es auch schleichend weniger. Da war klar: Wir haben ein Leck!“ (ebd.). Auf dieser Beobachtung aufbauend kann der Pilot seine Vorgehensweise schnell den Situationsbedingungen anpassen. Er schildert weiter: „Schon zehn Minuten später mussten wir das Triebwerk abstellen“ (ebd.). Darauf waren die Piloten, dank des frühzeitig bemerkten Lecks, jedoch vorbereitet und konnten durch eine richtige Verfahrensweise zudem „einen Lagerschaden verhindern“ (ebd.) – „das wäre teuer geworden“ (ebd.). Um eine Kritische Situation „in den Griff“ (CPT; AI; W) zu bekommen „gibt es [allerdings] nie nur einen one best way“ (ebd.). Dies zeigt sich immer dann wenn ein unerwarteter Zwischenfall eintritt und dazu führt, dass schnell eine andere Vorgehensweise zum Einsatz kommen muss, z.B. plötzlich eine unplanmäßige Landung notwendig wird. „Das Endergebnis Landung steht dann zwar fest“ (CPT; EM/CA), aber, so wird erklärt, „wie ich das mache, entwickelt sich erst im Zusammenspiel mit all den einwirkenden Faktoren, wie Wetter, verfügbaren Flugplätzen, Eignung des Flugplatzes, Dringlichkeit und so weiter“ (ebd.). Hier ist in besonderem Maße die kreative Problemlösefähigkeit des Menschen gefordert, um
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unter Einbezug der Anforderungen der jeweiligen Situation kompetent zu verfahren. Sobald die vormals erstellte Planung hinfällig wird und das Erfordernis einer Neuausrichtung klar wird (neuer Zielflughafen), ist die einzige Orientierung oftmals die am Endergebnis (Landung). Dass die Vorgehensweise auch mal unerwartet angepasst werden muss, zeigt sich allerdings bereits schon bei der Flugvorbereitung am Boden. Es konnte aufgezeigt werden, dass mit Störungen in den geplanten Abläufen gerechnet wird. Denn die Piloten sind es zwar gewohnt, dass bei der Flugvorbereitung Resets notwendig werden („Resets gehören heute zum täglichen Geschäft“ [CPT; AI; W]) jedoch stellen diese keinen festen Bestandteil der Planung dar („So vorgesehen sind sie aber nicht“ [ebd.]). So wird es immer wieder erforderlich, dass Piloten ihr Vorgehen kurzfristig ändern. Ein bereits in Teil A geschildertes Beispiel verdeutlicht dies: „Ich hatte es jetzt gerade wieder. Morgens, Airbus, relativ alte Maschine. Wenn du die anmachst, kommen erst mal zig Fehlermeldungen […] Ich sage: Langsam, jetzt erst mal auf die Hände setzen, warten, durchatmen, machen wir erst mal da weiter, der braucht seine Zeit. Dann machst du diese Computerresets, eine Airbusgeschichte, die für mich als ehemaliger Boeingpilot total gewöhnungsbedürftig war. Für die modernen Computerkids aber nichts Besonderes. Mein Gott, Computer hängen sich halt auf. Dann ziehst du einmal, machst einmal ein und aus, dann hat er sich wieder berappelt. Ein alter Gaul muss auch einmal getätschelt werden, bevor er loslegt. Und ein alter Reiter gibt ihm da kurz seine Zeit“ (CPT; AI; W). Hier wird deutlich, dass insbesondere Unwägbarkeiten der Technik nicht zwangsläufig erklärbar sind. Piloten sind sich der Besonderheiten ihrer Flugzeugtypen bewusst. Treten Abweichungen vom geplanten Ablauf (hier der Flugvorbereitung) auf, ändert der Pilot kurzfristig die nächsten Schritte und ‚gewährt‘ dem Flugzeug die notwendigen „Hallo-Wach-Resets“ (CPT; AI). Nichtsdestotrotz behält er dabei die Zeit im Auge, „denn du musst schon zuschauen, dass du fertig wirst, bevor die [Anm.: die einsteigenden Passagiere] sich an der Tür stapeln“ (CPT; AI). Das Wissen des erfahrenen Piloten ist dabei ein enormer zeitlicher Vorteil, denn der unerfahrene Copilot hätte in dem Beispiel der Flugvorbereitung ein anderes Verfahren angewandt: „Ganz neuer Copilot – der fing sofort hektisch an hier und dort, wie er es eben gelernt hat“ (CPT; AI; W). Ein wesentlich längerer Handlungsablauf wäre damit in Gang gesetzt. Ein weiterer langjähriger Kapitän erklärt diesbezüglich: „Ich schaue halt, ob es was bringt [Anm.: der Reset]“ (CPT; AI). Er macht dann für „zehn Sekunden [einen] Reset. Sollte das nix nützen, wird der CB noch über
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eine Minute draußen gelassen. Wenn das dann nix hilft, wird nochmal der ganze Flieger ausgeschaltet, und falls das nix bringt, dann muss die Maintenance [Anm.: die technische Wartung/die Techniker] ran" (ebd.). Der Kapitän schildert, dass es häufig zu vergleichbaren (in der Regel völlig harmlosen) technischen Unwägbarkeiten kommt. Die bereits mehrmals zitierten Computerresets belegen dabei seiner Meinung nach die erste Stelle. („Das ist so ein komisches Airbus-Phänomen. Der Flieger braucht dann halt diesen Hallo-Wach-Reset. Wie ein Aufwecken. Was da genau dahinter steckt – keine Ahnung, ehrlich gesagt“ [CPT; AI; W].) Warum dieses Phänomen immer wieder in Erscheinung tritt, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Da die Piloten bereits ohne umständliches Nachschlagen wissen, wo sich die entsprechenden Sicherungen befinden, kürzen sie gewissermaßen ab. Ein besonderer Vorteil dieser Art der Störungsbearbeitung ist der Zeitfaktor. Eine umständliche Analyse anhand der Flughandbücher oder das Erfordernis, Wartungspersonal hinzuzuziehen, würden es deutlich erschweren, die vorab geplanten Flugzeiten einzuhalten – was wiederum den Stress der Cockpitcrew erhöhen würde. „Man muss gewissermaßen abkürzen – sonst hinkt der ganze Flugbetrieb, wenn das alle total ausführlich streng nach Buch machen“ (CPT; AI; W). In ihrem weiteren Vorgehen berücksichtigen die Piloten die nie vollständig kalkulierbaren Auswirkungen ihrer Handlungsschritte. Hierzu die Schilderung des Verhaltens beim Starten: „Du machst eigentlich lauter kleine Schritte und schaust zeitgleich, wie es sich entwickelt, was du da eingibst, und passt es an“ (SFO; AI), so ein langjähriger Pilot auf dem Airbus. Er schildert dazu weiter: „Ein erfahrener Pilot kennt sein Flugzeug so gut, dass er sozusagen mit den Reaktionen des Flugzeugs spielen kann, um sein Ziel zu erreichen“ (ebd.). Dabei muss man sich „auf die Macken vom Flieger einstellen, weil sich das Flugzeug ja nicht auf den Menschen einstellen kann“ (ebd.). Gewisse Besonderheiten des Flugzeugs werden vom Piloten in seinem Handeln berücksichtigt. Bereits in der Dimension der „mentalen Prozesse“ wurde herausgestellt, dass es wichtig sei, „erst mal heraus[zu]finden, wie sich das Flugzeug anfühlt“ (FO; BO). Denn, so wurde weiter geschildert: „Jeder Flieger reagiert anders auf Inputs“ (ebd.). Anhand seiner komplexen sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit erfasst der Pilot wiederum, wie seine Eingaben wirken und passt sein Vorgehen an, basierend auf seiner Wahrnehmung und seinen mentalen Prozessen. Man kann hier von einer dialogischinteraktiven Vorgehensweise sprechen, welche sich durch das eigene ‚Machen‘
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des Piloten im Umgang mit seinem Arbeitsmittel entwickelt. Erst im praktischen Handlungsvollzug ergibt sich für ihn, abhängig von den Reaktionen des Flugzeugs, die konkrete Ausgestaltung seines nächsten Handlungsschritts. Er bezieht stets die Feinheiten der momentanen Situation ein und setzt sein so gewonnenes Wissen sofort in seine weiteren Handlungen (‚Vorgehens-Wissen‘) um. „Beim Starten merkst du, ob der Flieger sehr schwer ist. Man weiß es zwar schon vorher, aber wenn man es spürt, dann nimmt man automatisch dementsprechend die Nase hoch“ (SFO; AI), wird dazu geschildert. Deutlich lässt sich der Zusammenhang mit dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung aufzeigen. Das vermittelte Gefühl hilft dem Piloten bei der manuellen Steuerung, indem er das, was er sinnlich wahrnimmt, als Medium für seine weitere Handlungsregulation verwendet. Dies geschieht ergänzend zu den technisch aufbereiteten Informationen. Die einzelnen Handlungsschritte sind hierbei im Vorfeld nicht genau geplant (Stichwort: Situations- und Kontextbezogenheit – siehe die Ausführungen zur Dimension „sinnliche Wahrnehmung“). Es besteht lediglich die Zielvorgabe, in einer bestimmten Zeit eine vorgegebene Höhe zu erreichen. Wie sich jedoch die einzelnen Handlungsschritte vollziehen, liegt im zustands- und situationsangepassten Ermessen des Piloten. „Du erlebst da gewissermaßen permanent Einflüsse, die dein Vorgehen beeinflussen“ (CPT; AI; W.). Der (bereits zitierte) Mountainbike-fahrende Kapitän zieht auch hier den passenden Vergleich. „Wenn du z.B. eine Abfahrt auf sehr holprigem Untergrund hast, dann weißt du, wo unten ist, aber nicht, wie du ganz exakt den Weg nehmen wirst, sondern du lenkst mit einer Art Minimalplan. Jetzt da über den Stein, jetzt da an der Wurzel vorbei und so weiter“ (CPT; AI; W). Er erklärt, auch für seine Arbeit als Pilot sei es unabdingbar, immer sehr flexibel auf Unvorhergesehenes reagieren zu können und grundsätzlich mit Abweichungen zu rechnen. Dies zeigt sich auch an folgender Schilderung manuellen Fliegens: „Es kommt vor, dass beim Starten schnell und unerwartet der Wind dreht und man plötzlich Auftrieb verliert – da muss man sofort reagieren“ (FO; BO). Es wird deutlich, dass hier eine blitzschnelle Reaktion notwendig wird. Wieder kommt der Flugerfahrung des Piloten eine herausragende Bedeutung zu, denn „je mehr Flugstunden man hat, desto intuitiver handelt man in bestimmten Situationen“ (FO; AI). Der Pilot verfügt dank seiner Erfahrung über ein Wissen, welches sein Vorgehen blitzschnell lenkt (‚Vorgehens-Wissen‘). Es wird hierbei ausdrücklich betont, dass die entsprechenden Handlungen in einer derartigen Situation Schlimmes verhindern können – einfach dadurch, dass sie „fast zeitgleich“
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(ebd.) passieren. Insbesondere bei manueller Steuerung kommt den raschen und situationsabhängigen Reaktionen eine besondere Bedeutung zu. Kennt man sein Flugzeug dann entsprechend gut (hier wird abermals der Zusammenhang mit den mentalen Prozessen deutlich), findet man viele Schalter auch „blind“ (FO; BO) und hat „Kapazitäten frei für andere Sachen“ (ebd.). Dass Piloten eine Vorgehensweise wählen, bei der sie weder nur aktiv agieren noch lediglich passiv aufnehmen und reagieren, zeigt sich auch an folgender Schilderung: „Wenn man einen Tick zu viel ‚reingeschoben‘ hat und man es gerade nicht sehen kann, weil man seinen Blick auf dem Horizont hat, dann hört man es zuerst nur und nimmt gleich ein bisschen raus“ (SFO; AI). Auf die Bitte, dies zu konkretisieren, erklärt der Pilot, dass er das „nicht im Kopf entscheide[t]“ (ebd.), sondern „automatisch so handel[t]“ (ebd.). Bezeichnend auch hier die dialogischinteraktive Erfassung der akustisch wahrgenommenen Reaktion des Flugzeugs und die daraufhin sensibel angepasste Steuerhandlung. Er wendet ein richtiges Verhalten an, ohne dies vorab gedanklich zu strukturieren. Dies geschieht vielmehr im Handeln selbst (auch hier: Vorgehens-Wissen), indem „ich abgleiche und ausgleiche“ (ebd.). Ein Kapitän schildert ein weiteres Beispiel: „Du spürst den Wind und da steuerst du gegen. Das macht die Hand doch von selbst“ (CPT; AI; W). Der Pilot geht nicht rein kognitiv-rational vor, sondern subjektivierende, erfahrungsbasierte Elemente spielen eine herausragende Rolle. Die Körperlichkeit, das leibliche Empfinden des Piloten, ist hier leitend178 (er „spürt den Wind“). Eine Vorgehensweise wird dann als optimal angesehen, wenn „man angeregt mit seinem Flugzeug interagiert und zusammenarbeitet wie eine Einheit. Man spürt dann, was er [das Flugzeug] macht, und ist integriert“ (SFO; AI). Diese Einstellung führt dazu, dass Piloten sich mit dem Flugzeug in einer kooperativen Verbindung sehen. Dabei beziehen sie ihre „Steuereingaben nur auf die tatsächlichen Vorgänge am Flugzeug und [betrachten] die Instrumente im Cockpit nur vermittelnd“ (CPT; EM/CA). Hierdurch ermöglicht sich der Pilot eine bessere Vorstellungskraft für die Auswirkungen, die seine Handlungen oder bestimmte Begebenheiten nach sich ziehen.
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Anschaulicher lässt sich der Zusammenhang an einem konstruierten Beispiel schildern. Beim Landevorgang erfasst der Pilot mit seinen Sinnen sensibel die Vorgänge. Seine Sinne geben die Eindrücke an seine Hände weiter, die steuern. Die Bewegungen wiederum erzeugen neue Sinneseindrücke – Bewegungen, die der Pilot leiblich spürt. Das wiederum dient sofort als Input für die weitere Auslenkung mit Steuerhorn oder Sidestick usw.
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Die Qualität der Zusammenarbeit, insbesondere die Kooperation unter den Kollegen im Cockpit, ist von erheblicher Bedeutung für das gemeinsame Vorgehen im Flugprozess. Der Austausch von Wissen und Erfahrung dient dazu, den erwünschten Konsens herzustellen. Da sich die Piloten in ihrem Handeln gegenseitig ergänzen, darf man „kein Einzelkämpfer“ (FO; AI) sein. Das Briefing dient zwar in erster Linie der Besprechung von Besonderheiten des bevorstehenden Fluges, ist jedoch auch ein wichtiges Mittel, um die im Cockpit so essentielle Kooperationsbeziehung oftmals einander fremder Kollegen zu gewährleisten. „Wir sind auch dahingehend ausgewählt, miteinander im Team arbeiten zu können“ (CPT; AI), wird erklärt. Die Arbeit an Bord eines Passagierflugzeugs ist funktional aufgeteilt. Darüber hinaus „bemüht man sich zu kooperieren“ (ebd.). Je besser dies klappt, desto reibungsloser empfinden auch Piloten die Zusammenarbeit. Diese wird durch die Kommunikation während des Aufenthalts an Bord weiter verfestigt und durch ein „gemeinsames Vorgehen“ (SFO; AI) ausgebaut. Es wird geschildert, dass, wenn „man gut miteinander kann“ (FO; AI), die Zusammenarbeit davon geprägt ist, dass „man sich regelrecht die Bälle zuspielt“ (ebd.). Dann, so wird dies umschrieben, „geht alles Hand in Hand“ und man muss „nicht viel überlegen, was der andere jetzt eigentlich macht“ (FO; BO). Die Kooperation mit den Fluglotsen oder Technikern ist ein ebenso wichtiger Bestandteil. Jedoch ist die Kommunikation mit diesen Kollegen meist nur über technisch vermittelnde Medien möglich, was als erschwerend empfunden wird, da nonverbale Kommunikationsmittel wie Gestik oder Mimik fehlen. Denn „wenn man sich nur hören kann, dann gehen wichtige Aspekte verloren“ (FO; AI). Trotzdem besteht hier eine vertrauensvolle Beziehung und „dieses Vertrauen ist essentiell“ (SFO; AI), so der Airbus-Pilot.
5.2.4 Beziehung zum Flugzeug und den Kollegen Piloten pflegen zu ihren Kollegen und auch zu ihrem Arbeitsmittel, dem Flugzeug, eine persönliche und emotionale Beziehung. Im störfreien Normallauf bietet sich die Gelegenheit, diese Beziehungen zu festigen. Dies stellt einen besonderen Vorteil dar, wenn es darum geht, Kritische Situationen gemeinsam als Team mit dem „Kollegen Flugzeug“ zu bewältigen. Im Einzelnen zeigt sich dies wie folgt:
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Es scheint eine unentbehrliche Eigenschaft eines guten Piloten zu sein, eine subjektive Nähe zu „seinem Flieger“ (SFO; AI) aufzubauen, da nur dann das notwendige Interesse besteht, der Wille zu wissen, „was da eigentlich passiert“ (ebd.). Basierend auf seiner emotionalen Beziehung zum Flugzeug, erweitert der Pilot durch seine Neugier – ohne dass dies zwangsläufig einen Bestandteil seiner Arbeitsanforderungen darstellen würde – sein Wissen um den (architektonischen) Aufbau, die Zusammenhänge, Abläufe und Reaktionen des Flugzeugs. Dabei ist vor allem hervorzuheben, dass der Pilot nicht nur die Kollegen, sondern auch das Flugzeug als Subjekt betrachtet und dementsprechend mit ihm umgeht. Das geht so weit, dass man sogar gewisse Höflichkeiten entwickelt, wie z.B. den Flieger zu begrüßen. „Wenn man dann an Bord kommt, dann sagt man erst mal irgendwie ‚Hallo, wie geht’s?‘ zum Flieger – so im Geiste“ (CPT; AI). Es wird deutlich hervorgehoben, dass „es wichtig [ist], dass man den Flieger, den man da gerade fliegt, auch mag und eine Beziehung aufbaut“ (SFO; AI). Denn dann, so schildert der langjährige Pilot auf dem Airbus, „arbeitet man mit dem Flugzeug zusammen“ (ebd.), ist „verwachsen“ (ebd.), „spürt, was das System macht, und ist integriert“ (ebd.). Es wird demnach weniger eine einseitig manipulative Vorgehensweise geschildert, sondern vielmehr eine kooperative Arbeitsgemeinschaft mit dem Flugzeug. „Man wird zu einer Einheit“ (FO; AI), umschreibt ein Copilot dieses Verhältnis und begründet diese intensive Beziehung zur Maschine letztlich auch damit, dass er „mit dem eigenen Leben involviert“ (ebd.) ist. Er ist durch seinen „eigenen Überlebenswunsch davon abhängig, gut mit dem Flugzeug zusammenzuarbeiten“ (ebd.). Es wird erklärt, dass die emotionale Beziehung zum Flieger im besten Fall daher rührt, dass man das Gefühl hat:„Mein Flugzeug lässt mich nicht im Stich“ (FO; BO). Bewältigt er Kritische Situationen erfolgreich, empfindet er dies nicht selten als Teamleistung – gemeinsam mit dem oder den Kollegen. Hat er eine schwierige Situation, wie z.B. einen reinen „Visual Approach179 unter erschwerten Bedingungen“ (FO; AI), erfolgreich gemeistert, besteht seine Interpretation dieser Leistung darin, „gut mit dem Flieger zusammengearbeitet“ (ebd.) zu haben. Ein Kapitän schildert eine Angewohnheit: „Das ist jetzt albern, aber ich tätschel meinen Flieger nach einem kniffligen Anflug auch mal, wenn er brav war, und sage: Gut gemacht – so im Geiste“ (CPT; AI; W). Ein anderer Kapitän erklärt diese besondere Beziehung, indem er sagt, er habe nie das Gefühl, „jetzt 179
Visual approach (engl.): reiner Sichtanflug, mit nur wenig technischer Unterstützung.
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stehst du ganz mutterseelenalleine vor dem Problem. Denn da ist auch noch der Co. Und da ist auch noch der Flieger und wir gehen das Problem jetzt zusammen an“ (CPT; AI). Eine (mitunter sogar freundschaftliche) Personifizierung der Maschinen ist unter den Pilotenkollegen nicht unüblich. Es wird davon berichtet, dass viele BoeingPiloten die Boeing-737 „Bobby“ (CPT; AI; W) nennen. Piloten der Embraer sprechen von der „Emmy“ (CPT; EM/CA). Darüber hinaus verwenden Piloten gerne und häufig personifizierte Beschreibungen, wenn sie ihre Arbeit mit den technischen Schnittstellen schildern (z.B. „der Kollege“ [CPT; AI; W] für Autopilot). Das Flugzeug, so wird geschildert, „redet mit dir“ (CPT; AI; W) und sagt dem Piloten anhand seiner Anzeigen und Warntöne, „was es hat“ (ebd.), oder es agiert „wie eine resolute Vorzimmerdame“ (SFO; AI), wenn es Warnungen filtert. Ein Pilot schildert, dass er das Verhalten des Flugzeugs gerade dann, wenn es sich um eine technische Störung handelt, besonders mit menschlichem Verhalten gleichsetzt. Seine Aussage macht dies deutlich: „Ich stelle mir vor, dass, wenn mal was schief geht oder was ausfällt, es dem Flieger sogar irgendwie peinlich ist“ (SFO; AI). Piloten wandeln demnach sachliche Gegebenheiten auch in ein gefühlsmäßiges Erleben um und beziehen das Verhalten des Flugzeugs auf Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Maschine. Der Effekt einer solchen Einstellung ist, dass der Pilot sich nicht zwangsläufig auf feststehende Regel- und Gesetzmäßigkeiten verlässt, sondern mit unvorhersehbaren Auswirkungen rechnet, da er dem Flugzeug durchaus einen eigenen Willen zuerkennt. So kann es durchaus vorkommen, dass man in Gedanken Sätze wie „Komm’, hör auf zu spinnen, Bobby“ (FO; BO) formuliert, wenn mal etwas nicht richtig funktioniert. Bereits in früheren Abschnitten haben sich hier vielfältige weitere Beispiele gefunden. So war die Rede von einem „Partner“ (SFO; AI) oder, bei Auftreten eines nicht nachvollziehbaren Ablaufs, von einer „eigenwillige[n] Tanzpartnerin“ (CPT; AI; W) statt von einem Flugzeug. Die Piloten erklärten die Technik an Bord bzw. den ganzen Flieger für „bockig“ (CPT; AI; W) oder „deppert“ (SFO; AI) oder fragten sich: „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ (CPT; AI; W) (CPT; AI) (CPT; BO) (SFO; AI). Die Technik wird folglich nicht nur als „Hebel und Schalter“ (CPT; AI) empfunden, sondern als „Mitdenker“ (ebd.) und, z.B. wegen der Notwendigkeit nicht nachvollziehbarer „Hallo-wach-Resets“ (ebd.), auch als „gewissermaßen eigenwillig“ (ebd.). Auch ist die Rede davon, dass „der Flieger wohl noch schläft“ (CPT; AI; W), „heute spinnt“ (CPT; AI), „brav war“ (ebd.), den Piloten offenbar „ärgern“
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
(CPT; BO) will oder „der Autopilot dann einfach sagt: Kann ich nicht! Mach du weiter!“ (CPT; AI; W). Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Emotionen und Empfindungen des Piloten dem Fluggerät gegenüber keine zu vernachlässigende Komponente im Arbeitshandeln darstellen. Entgegen einer rational-nüchternen und zweckmäßigen Arbeitsatmosphäre besteht hier keine „affektneutrale Distanz“ (Böhle, Schulze 1997, S. 35) zwischen dem Piloten und seinem Arbeitsgerät. Bei der Arbeitsausführung sind die Piloten, wie bereits aufgezeigt, weitgehend auf den Umgang mit den technischen Bordsystemen im Cockpit, als Schnittstelle von Mensch und Maschine, begrenzt. Jedoch werden die zu bedienenden Computer und Instrumente in ihrer Funktion oft nur „als Erweiterung der menschlichen Sensoren“ (SFO; AI) begriffen und nicht als das eigentliche Arbeitsmittel. Obwohl die Piloten hauptsächlich computerunterstützte Steuereingaben vornehmen, erachten sie nur die tatsächlich physisch ablaufenden Prozesse als Bezugspunkte ihres Handelns. „Ich beziehe mich nicht auf die Computer, sondern aufs Flugzeug“ (FO; BO), wird hierzu erklärt. Der Pilot löst durch seine „subjektiv hergestellte Nähe“ (Böhle, Rose 1992, S. 138) die räumliche Distanz zu den Abläufen am Flugzeug, zumindest gedanklich, auf. Hierbei ist er nicht nur durch seine Vorstellungen mental mit den Vorgängen am Flugzeug verbunden, sondern auch gefühlsmäßig involviert. Dies ermöglicht ihm, Gegebenheiten des Flugablaufs auf eine besondere Weise persönlich nachzuvollziehen und zu bewerten. Neben einer emotionalen Bindung des Piloten zum Flugzeug ist auch die Beziehung zu den Kollegen nicht rein sachlich und affektneutral. Ganz im Gegenteil beschreiben die interviewten Piloten das Verhältnis innerhalb der Crew als durch ein starkes „Wir-Gefühl“ (vgl. Böhle, Rose 1992, S. 140) geprägt. „Wir sitzen alle im selben Boot“ (FO; AI), wird dazu erklärt. Und weiter: „Die gemeinsame Teamleistung liegt uns allen gleichermaßen am Herzen“ (ebd.). Durch die spezifischen Umstände einer Flugmission sind die Piloten, ja die ganze Crew, in besonderem Maße von einer verantwortungsvollen Zusammenarbeit abhängig, denn, so wird dies begründet, hier „geht’s ja nicht nur um wirtschaftlichen Schaden, sondern in erster Linie um menschlichen“ (SFO; AI). Daher ist das Vertrauen in die Handlungen des jeweils anderen so wichtig. „Es herrscht hier im Flugbetrieb eine besondere Mentalität, könnte man sagen“ (CPT; AI; W). Denn in der Regel kennt man sich als Crew noch nicht und muss sich kurzfristig auf den oder die anderen
5.2 Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln im Cockpit
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Kollegen im Cockpit einstellen.„Ich wage zu behaupten, dass Flieger [fliegendes Personal] dies besonders schnell und effizient beherrschen. Schließlich hat keiner von uns Zeit, sich erst mal bei einem Käffchen zu beschnuppern“ (ebd.). Um die Wissenskategorie als übergeordneten Begriff weiterzuführen, darf an dieser Stelle vermutet werden, dass Piloten auch über eine Art ‚Beziehungsherstellungs-Wissen‘ verfügen. Denn mit immer neuen Kollegen zusammenzuarbeiten ist „unser täglich Brot“ (CPT; AI). Dies betrifft nicht nur die Teamarbeit im Cockpit, sondern schließt auch die Kabinenbesatzung ein. Ein gutes Verhältnis schnell zueinander herzustellen und aufrechtzuerhalten wird sogar als „essentiell“ (FO; BO) beschrieben. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass z.B. die Kabinenkollegen unbedingt „alles, was hinten passiert“ (CPT; AI; W), zuverlässig melden müssen, da die Cockpitcrew „darauf angewiesen“ (ebd.) ist, zu „wissen, was da los ist“ (CPT; AI). Ein Copilot weist darauf hin, dass insbesondere „Geräusche und Gerüche“ (FO; AI) oftmals erst durch die Kabinencrew wahrgenommen werden, und „das sind sehr wertvolle und wichtige Hinweise“ (ebd.). Dabei stellen die Kollegen in der Kabine „eigentlich eine Verlängerung der eigenen Sinne“ (FO; AI) dar. Dafür ist es wichtig, dass sie „das Gefühl haben, mit jedem Ding zu uns kommen zu können“ (FO; BO), was wiederum von einer vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre abhängig ist. „Das ist etwas, was ich immer briefe. Kommt mit egal was! Mit was auch immer euch da komisch vorkommt. Lieber einmal zu viel“ (CPT; AI; W), erklärt ein Pilot sein Vorgehen. Ein anderer erklärt: „Vom Zeitpunkt des ersten Briefings bis zur Verabschiedung im FOC ist das meine Crew […] Da lege ich viel Wert drauf, dass wir uns gegenseitig unterstützen und gut zusammenarbeiten. Schließlich haben wir alle das gleiche Ziel. Einen guten Job machen und heil wieder daheim ankommen“ (CPT; AI). Die Qualität der Beziehung wird vor allem bedeutsam, wenn es um die Bewältigung von Schwierigkeiten geht. Doch ist es grundsätzlich nie „absolut […] gleichgültig, mit wem man zusammenarbeitet“ (SFO; AI). Angesichts der Notwendigkeit einer möglichst gut funktionierenden Kooperation unter den Kollegen wird weiter erläutert: „Man kann das schon einigermaßen durch die festgelegten Verfahren und eine gewisse Höflichkeit auffangen, aber wenn man sich gar nicht riechen kann, dann funktioniert alles nicht so reibungslos“ (ebd.). Die Piloten empfinden offenbar – trotz feststehender Regelungen, welche die Zusammenarbeit absichern sollen – die persönliche und emotionale Beziehung unter den Kollegen sowohl für die Arbeitsatmosphäre als auch in gewissem Maße für das
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
Arbeitsergebnis verantwortlich. In der Regel, so bekräftigen die Piloten übereinstimmend, ist die Kollegialität in Fliegerkreisen problemlos und „man entwickelt untereinander ziemlich schnell eine meist freundschaftliche Stimmung“ (FO; AI). Ein Effekt ist, dass „die vorgeschriebenen Handlungsanweisungen auf einer individuellen Basis abgehandelt“ (ebd.) werden. Damit spielt das ‚Zwischenmenschliche‘ für die Leistungsfähigkeit insgesamt eine große, nicht zu vernachlässigende Rolle. Schließlich fördert ein freundliches Klima die dringend notwendige ‚Offenheit‘ im Cockpit. Es ist von absoluter Wichtigkeit, wird erklärt, dass die Piloten untereinander jegliche, auch unbegründbare Bedenken äußern können. „Auch nur intuitive und vage Vermutungen müssen ausgesprochen werden. Das ist ein Grundsatz im Cockpit“ (CPT; BO).
5.3 Fazit: „Man muss erst mal herausfinden, wie sich das Flugzeug anfühlt“ – Erfahrungsgeleitetes Handeln im Cockpit Die Frage, wie ein Pilot die alltäglichen Herausforderungen des Normallaufs bewältigt, findet eine differenzierte Antwort, die über die bisher in Forschung und Praxis gängigen Annahmen hinausreicht. Das offiziell definierte Arbeitshandeln basiert auf objektivierbaren und theoretisierbaren Parametern und bietet den Piloten eine fundierte Strategie, den Flugprozess erfolgreich zu bewerkstelligen. Es gibt eine enorme Vielzahl festgelegter Phraseologien und Handlungsschemata. Indem sich die Piloten, und ferner alle am Flugprozess beteiligten Akteure, an bestimmte Standardverfahren halten, ist eine weltweit sichere und unmissverständliche Flugprozessdurchführung (erst) möglich. Die Auswertung ergab ein konsistentes Bild der geschilderten Arbeitsweisen. Die leitende Fragestellung, inwiefern diese rational-kognitiven Handlungsweisen für die Anforderungen des Normallaufs genügen, erweitert die Analyse. Quasi-mechanisierte Routinetätigkeiten scheinen einen Gegenpol zu reflektiertem Handeln darzustellen. Jedoch sind Tätigkeiten dieser Art (z.B. das Abarbeiten von Checklisten) fester Bestandteil des offiziellen Arbeitshandelns. Auch genügen sie nicht dazu, ‚andere‘ Formen des Wissens und Handelns befriedigend zu erklären. Diese Dualität ist nicht ausreichend, um ein vollständiges und realistisches Bild über die Tätigkeit von Piloten zu erstellen.
5.3 Fazit: „Man muss erst mal herausfinden, wie sich das Flugzeug anfühlt“
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Die Befunde der Untersuchung belegen hingegen, dass Piloten neben einem objektivierenden Arbeitshandeln und Routinetätigkeiten auch andere erfahrungsbezogene und informelle Formen des Wissens und Handelns anwenden. Die vorab formulierte Annahme, dass Piloten nicht nur objektivierend handeln, sondern – ähnlich wie dies bereits für Facharbeiter in anderen hoch technisierten Arbeitsbereichen nachgewiesen werden konnte – darüber hinaus auch ‚anders‘ agieren, kann bestätigt werden. Die Analyse ergab, dass Piloten im Normallauf neben ihrem faktisch nachvollziehbaren, objektivierenden Arbeitshandeln Handlungsweisen aufweisen, wie sie mit den Kriterien für ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln umschrieben werden können. So finden sich eindeutige Hinweise, dass die sinnliche Wahrnehmung der Piloten weiter geht und auch eine subjektiv geartete, d.h. sämtliche Sinne einbeziehende, komplexe und von subjektiven Empfindungen nicht abgelöste Wahrnehmung (vgl. Bauer et al. 2006, S. 52) beinhaltet. -
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So erweitern sie die ihnen zur Verfügung stehende Informationsauswahl, indem sie sich zusätzliche Informationsquellen erschließen. Durch die Kombination unterschiedlicher Informationselemente können sie außerdem hilfreiche Rückschlüsse ziehen und mögliche Unstimmigkeiten erkennen. Als weiteres ‚Hilfsmittel‘ setzen sie Vorstellungen von nicht wahrnehmbaren Gegebenheiten ein und ergänzen auf diese Weise das, was ihnen an Informationen zur Verfügung steht.
Kombinieren Piloten im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung die ihnen zur Verfügung stehenden Daten und Informationen, indem sie offiziell definierte und subjektiv wirksame Eindrücke miteinander verknüpfen, so kann die Flugsituation exakter vom Piloten erkannt werden. Passend ist hier die von Böhle und Rose (1992, S. 59) getroffene Definition des Begriffs „Information“: „Er [der Begriff Information] bezieht sich im Sinne von Quellen zum Informiertwerden auf alle Möglichkeiten, durch die für eine Arbeitskraft ein Unterschied erkenntlich und vor allem erlebbar wird.“ Die Zusammenführung von objektivierendem und subjektivierendem Arbeitshandeln zeigt sich auch in der Verknüpfung mentaler Prozesse. Piloten wenden im praktischen Arbeitsvollzug weit mehr mentale Prozesse an als diejenigen, die
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5 Arbeitshandeln von Piloten – Empirische Analyse
unter rein fachlichen Kenntnissen subsummiert werden können. Ihr subjektivierendes Handeln greift auf praktische Erlebnisse zurück und zeigt sich damit in einer „wahrnehmens- und verhaltensnahen Form menschlichen Denkens“ (Böhle 2001, S. 121). -
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Das entsprechende Wissen zur Interpretation der erfassten Informationen erhalten Piloten aus bereits praktisch erlebten Flugsituationen. Dies beinhaltet sowohl Kenntnisse der Eigenschaften und Merkmale des von ihnen geflogenen Flugzeugmusters als auch Kenntnisse der Flugprozessabläufe und der relevanten Umfeldfaktoren, wie z.B. des Wetters. Darüber hinaus bedienen sich Piloten assoziativer Vergleichsmöglichkeiten bei der Bewältigung aktueller Anforderungen. Bei der Prozesskontrolle orientieren sie sich an zeitlichen Abläufen, um Abweichungen vom Normallauf festzustellen. In der Verständigung mit den Kollegen wird der subjektive Wissensbestand immer wieder auf seine Relevanz hin überprüft und im gegenseitigen Austausch modifiziert.
So lernen Piloten ihr Flugzeug nicht nur durch die in der Flugschule vermittelten Fakten zum Flugzeugtyp kennen, sondern ergänzen dies durch spezifische Kenntnisse von Besonderheiten des Flugzeugs (wie es sich „anfühlt“) wie auch der Umfeldfaktoren. Ihre praktische Erfahrung im Umgang mit dem Fluggerät im Luftverkehr (Umwelt) liefert ihnen dazu die Grundlage. Ihre Vorgehensweise richtet sich danach aus, was sie wahrnehmen und wie sie das Wahrgenommene bewerten. Dabei wenden sie neben den formalen Verfahrensrichtlinien auch nicht planmäßig-systematisierbare, eher dialogisch-interaktive bzw. explorative Handlungselemente an, welche die Flugprozesssteuerung und -überwachung besonders kompetent ermöglichen (vgl. Bauer et al. 2006, S. 53). -
Hierfür bilden sie eine individuelle Rhythmisierung bei der Zustands- und Vorgangskontrolle heraus. Eine dialogisch-interaktive Handlungsweise ermöglicht es ihnen in besonderem Maße, die Reaktionen ihres Flugzeugs wahrzunehmen und ihr Handeln daran auszurichten.
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Bestimmte Situationen erfordern dabei eine unverzügliche Neuausrichtung ihrer Vorgehensweise. Außerdem pflegen sie eine besondere Form der Kooperation mit den Kollegen.
Natürlich orientieren sich Piloten dabei an gelernten Verfahren. Dieses gelingt ihnen jedoch umso reibungsloser, je mehr sie sich dabei auf ein dialogisch-interaktives Vorgehen einlassen und sensibel wahrnehmen, wie sich die von ihnen getätigten Prozessschritte und Eingaben auswirken. Sie können dadurch besonders gut die sich stets ändernden Situationsparameter, insbesondere auch die der Kritischen Situationen, berücksichtigen. Eine situated action ist aufgrund der Dynamik im Flugprozess unabdingbar. Letztlich zeigt sich auch in der Beziehung zum Flugzeug und zu den Kollegen ein ‚Sowohl-als-auch‘ im Arbeitshandeln. Die Erzeugung einer subjektiven Nähe und einer persönlichen, emotionalen Beziehung zu sämtlichen Faktoren der Umwelt spielt dabei eine entscheidende Rolle (vgl. Böhle 2001, S. 122). -
Deutlich wird dies sowohl im Umgang mit dem Flugzeug als Arbeitsmittel als auch in der Beziehung zu den Kollegen und weiteren beteiligten Personen.
Die Piloten beziehen sich einerseits auf ein technisches System, welches sie pragmatisch als Mittel zum Zweck beurteilen. Diese Zweckmäßigkeit dem Arbeitsmittel gegenüber wird jedoch andererseits erweitert (und bereichert) um eine persönliche Beziehung. Die Bewältigung von Herausforderungen gelingt mit dem „Kollegen Technik“ gemeinschaftlich. Nicht zuletzt ermöglicht die subjektive Nähe des Piloten zum Arbeitsmittel Flugzeug eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem, welche auf Neugier und Interesse beruht. Auch hier schließen sich die Ansätze im Arbeitshandeln nicht aus, sondern ergänzen bzw. erweitern einander in ihrem Wirken. Das betrifft ebenso die Arbeit mit den Kollegen. Festgelegte Verfahren und eine klare Funktionsteilung sollen korrekte Abläufe sicherstellen. Unterschiedlichen menschlichen Ansichten und damit in Verbindung stehenden potenziellen Missverständnissen soll so der Nährboden entzogen werden. Trotz Einhaltung der vorgegebenen Sachlichkeit gelingt es Piloten jedoch, eine kameradschaftliche Atmosphäre im Cockpit entstehen zu lassen. Diese wird in ihrer Bedeutung von allen befragten Piloten klar betont. Die Bewältigung jeglicher He-
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rausforderungen hängt nicht zuletzt von der guten Zusammenarbeit mit dem/den Kollegen und dem Vertrauen in den oder die Kollegen ab. Ein wesentlicher Befund der getätigten Analyse lässt sich an dieser Stelle nochmals klar herausstellen. Das Arbeitshandeln der Piloten beinhaltet neben einem objektivierenden nicht nur ein erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln, sondern dieses ergänzt das objektivierende Arbeitshandeln zudem sehr sinnvoll. Eine Gefahr, durch Subjektivität die notwendige Rationalität und Reflexionsfähigkeit einzubüßen, lässt sich nicht feststellen. Die Untersuchung zeigte, dass alle befragten Piloten die offiziell formulierten Verfahren ernst nehmen und sich daran orientieren. Wenn sie sich sicher sind, erwägen sie „Abkürzungen“ im Ablauf.180 Sämtliche durchzuführenden Verfahren gelingen dem erfahrenen Piloten besonders gut, wenn er diese mit einer besonderen Fähigkeit verknüpft – dem „Hosenbodenfliegen“ oder „Arschgefühl“. In Fliegerkreisen gelten diese salopp formulierten Eigenschaften als diejenigen, welche einen guten Piloten ausmachen. Gemäß der Analyse des Arbeitshandelns von Piloten können solche Fähigkeiten eben genau mit einem erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandeln gleichgesetzt werden. Diese menschliche Kompetenz ist in den offiziellen Vorgaben an keiner Stelle als notwendig vermerkt, ergänzt jedoch die objektivierenden Handlungsweisen und ist, den Befunden nach zu urteilen, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Normallaufs. Die Tatsache, dass die Piloten bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Herausforderungen in ihrem Arbeitshandeln nicht ein Entweder-oder anwenden, wird durchgängig in allen Dimensionen deutlich. Eine der getroffenen Vorannahmen war die Vermutung, dass erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln vor allem dann bedeutsam wird, wenn explizit Kritische Situationen bewältigt werden müssen. Diese Annahme konnte nicht bestätigt werden. Zwar zeichnen sich Kritische Situationen vor allem dadurch aus, dass sie ungeplant auftreten, oftmals diffus sind und keine Algorithmen zur Problemlösung zur Verfügung stehen, doch dies sind offensichtlich nicht die einzigen Gründe, neben einer rein rational-kognitiven Arbeitsweise auch ‚andere‘ Arbeitsweisen zu nutzen. Vielmehr finden sich im Normallauf – unabhängig einer wie in Teil A getroffenen Situationsdifferenzierung – grundsätzlich deutliche Hinweise darauf, dass Piloten erfahrungsgeleitet-subjektivierend handeln. Das heißt selbst 180
Diese stellen zu keiner Zeit eine Gefährdung des Flugprozesses dar.
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planmäßig durchgeführte Prozessschritte werden nicht nur objektivierend, sondern ebenso auch erfahrungsgeleitet-subjektivierend angegangen. Denn auch wenn die Abläufe planmäßig verlaufen, gelingt ihnen die praktische Prozesssteuerung dann besonders gut, wenn sie die „Hand-Auge-Koordination besonders gut hinkrieg[en] […], ohne viel nachdenken zu müssen“, wenn sie mit geschärften Sinnen, „fast wie bei einem Tier“, alles Wesentliche wahrnehmen, wenn sie die fortwährende Beobachtung (Monitoring) mit einer weiten und offenen peripheral awareness ergänzen und wenn sie ihr Flugzeug und seine Macken besonders gut einschätzen und dementsprechend reagieren können – ganz einfach, weil sie „automatischer“ die „passenden Ideen im Kopf“ haben. Erst ihre Erfahrung ermöglicht es ihnen, wirklich ahead of the aircraft zu sein, wie es von ihnen gefordert wird, weil sie Zustände auch gefühlsmäßig antizipieren können. Generell stellen ihnen ihre ‚Gefühle‘ und das Wissen darum, wann sie sich wie anfühlen müssen, einen ungleich größeren Fundus an Kontrollmöglichkeiten zu Verfügung, als wenn sie sich nur auf die objektiv verfügbaren Daten beziehen würden. Die Ergebnisse der Analyse lassen vermuten, dass die erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Elemente im Arbeitshandeln der Piloten dabei eine gewisse Effizienzsteigerung bzw. Energieschonung auslösen, indem sie das objektivierende Arbeitshandeln mal mehr, mal weniger ergänzen. Es kann davon ausgegangen werden, dass all dies dazu beiträgt, die Abläufe in ihrer Reibungslosigkeit abzusichern. Insbesondere auch Dinge, welche zunächst nicht eindeutig sind oder unwesentlich erscheinen, werden durch die Piloten wahrgenommen und behoben bzw. im Rahmen der Möglichkeiten stabilisiert. Wie die Beispiele zeigen, sind dies in der Regel keine sicherheitskritischen Vorkommisse. Eine Regulation ist jedoch meist nicht nur von Vorteil, damit sich daraus kein größeres Problem entwickelt, sondern notwendig. Eine rein an objektiven Kriterien ausgerichtete Arbeitsweise würde gerade die unspezifischen Anzeichen nicht bzw. später wahrnehmen. Die Bewältigung Kritischer Situationen (auch wenn diese sich erst anbahnen) profitiert, ebenso wie der störfreie Normallauf, von einem ergänzenden erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandeln. Und Situationen, die ein „Abfliegen nach Plan“ beeinflussen und potenziell stören könnten, sind, wie die Analyse zeigt, vielfältig und „täglich Brot“ des Piloten. Piloten gelingt es, den Normallauf aufrecht zu erhalten, indem sie auf einen komplexen Fundus an kognitiv-rationalem, also objektivierendem Arbeitshandeln und gleichzeitig auf ein feinsinniges erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln zurückgreifen.
6 Der Pilot – unterschätzter Gewährleister mit A****gefühl
Die Analyse des ersten Untersuchungsteils richtete sich auf das Zusammenwirken von Mensch und Technik und befasste sich mit der Frage, was Piloten (überhaupt noch) machen – angesichts der hohen Technisierungsgrade ihrer Arbeit. Für die Untersuchung wurde das Konzept der Verteilten Handlungsträgerschaft herangezogen und durch einen besonderen Fokus auf Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik um ein weiteres Konzept ergänzt. Da gemeinhin eine weitgehend reibungslos funktionierende Technik angenommen wird, erweitert die Kenntlichmachung Kritischer Situationen die bislang definierten Anforderungen im Normallauf. Die Befunde zeigen, dass Mensch und Technik gleichermaßen dazu beitragen, dass der Flugverkehr nach den heutigen Maßstäben funktioniert. Die hohe Technisierung macht den Piloten nicht weniger notwendig, sondern erfordert von ihm noch komplexere Fähigkeiten. Denn die Gewährleistung des Normallaufs ist nicht zuletzt durch Unwägbarkeiten eben dieser Technik herausfordernder denn je. Kam in den Interviews die Zukunftsvision eines vollautomatisierten Flugverkehrs zur Sprache, dann wurde eindringlich hervorgehoben, dass sich die Piloten nicht nur aufgrund stets dynamischer, nicht theoretisierbarer und unendlich vielen Einflussparametern ausgesetzter Arbeitssituationen als „kreative Problemlöser für Non-Standard-Situationen“ (CPT; AI) empfinden, sondern eben auch als „Gewährleister“ (CPT; AI; W) für technisierte Abläufe – und dies genau aus dem Grund, dass die Technik „Macken“ (CPT; AI; W) hat und „nie zu 100%“ funktioniert“ (CPT; AI; W). Und obwohl es durchaus Situationen gibt, in denen sich die Piloten selbst nur mehr „als Komponente im Gesamtsystem“ (CPT; AI) empfinden oder wie ein „Tanzpartner“ (CPT; AI; W), bleiben sie in letzter Instanz schließlich doch „Hauptverantwortungsträger“ (CPT; AI; W) oder verantwortungsvolles „Kindermädchen für alles“ (ebd.). Die Befunde der Analyse zeigen, dass Kritische Situationen die Normalität im Fliegeralltag darstellen. Somit sind Grenzen der Planbarkeit und Unwägbarkeiten der Technik „täglich Brot“ und müssen regelmäßig bewältigt werden, zusätzlich © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0_6
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6 Der Pilot – unterschätzter Gewährleister mit A****gefühl
zu der generellen Situationsvariabilität und Dynamik. Die Notwendigkeit des Piloten bestätigt sich abermals, da er auch in den Standardsituationen nur scheinbar vollständig an die Technik abgeben kann. Auch eine hoch technisierte Prozesssteuerung vermag bislang in keiner Weise alle potenziellen Schwierigkeiten im Flugverlauf (von der Flugvorbereitung über die Flugdurchführung bis zur problemlosen Landung) kompetent zu erkennen und zu beherrschen. Die Herausforderungen im Flugalltag verlangen zeitnahe Lösungen, die nur gefunden werden können, wenn man unterschiedlichste Überlegungen einbezieht und urteilsfähig abwägt – und das in allen Bereichen, nicht nur in den Situationen, wo Computersysteme an unbekannte und daher nicht programmierbare Herausforderungen stoßen und die Prozesssteuerung wieder ‚abgeben‘. Was Piloten also tun, ist jedenfalls weit mehr als nur ‚Knöpfchendrückerei‘. Denn erst die Piloten gewährleisten die Abläufe, indem sie sich auf die Funktionsweise des technischen Systems einstellen und auftretenden Störparametern mit fachlicher Kompetenz und menschlicher Kreativität sowie einer erfahrungsbasierten Problemlösefähigkeit begegnen. Der Annahme, der Mensch könne immer mehr technisch substituiert werden, kann mit den hier festgestellten Befunden ein starkes Argument entgegengesetzt werden. Zum einen erweist sich der Flugverkehr als zu anfällig für Kritische Situationen aller Art und erfordert daher kreative menschliche Problemlösefähigkeiten. Zum anderen reicht für die Bewältigung der Anforderungen ein objektivierbares, d.h. systematisierbares und in technische Strukturen überführbares ‚Wissen‘ ganz offensichtlich nicht aus. In den bislang vorliegenden Forschungsbeiträgen zur Verteilten Handlungsträgerschaft und zum erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handeln wird zwar zwischen einem objektivierenden und einem subjektivierenden Handeln unterschieden, dabei bleiben die Routinen jedoch weitgehend unbeachtet. Indem Routinen in der Betrachtung des Arbeitshandelns genauer erfasst werden, wird die Bedeutung eines subjektivierenden Handelns sogar stärker betont, da der explizite Unterschied zwischen einem erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handeln und Routinen hervorgehoben wird. Piloten bewältigen die alltäglichen Herausforderungen erst dadurch, dass sie die offiziellen Qualifikationen (und erlernten Routinetätigkeiten) durch erfahrungsbasierte und subjektive Fertigkeiten ergänzen. Sie erhalten den Normallauf aufrecht, indem sie Störungen schnell und effizient bewältigen. Damit wird es noch dringlicher, alle ergebnisorientierten Handlungsweisen in ihrer Güte anzuerkennen und in ihrer Entwicklung möglichst zu unterstützen.
6 Der Pilot – unterschätzter Gewährleister mit A****gefühl
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Vorliegende Untersuchung brachte keine völlig unbekannte Qualifikation von Piloten ans Licht. Das in Fliegerkreisen vielzitierte „Fliegen mit dem Hintern“ ist ein gängiger Begriff. Jedoch war bislang wenig darüber bekannt, worauf diese besondere Kompetenz eigentlich beruht. Mit der Frage, wie Piloten die Herausforderungen des Normallaufs meistern, ist es gelungen, verborgene bzw. wenig beachtete menschliche Fähigkeiten bei ihnen zu entdecken und in ihrer Bedeutung für die Flugprozess zu benennen. Zu einem reflektierten, objektivierenden Handeln und Routinetätigkeiten gesellt sich mit dem hier aufgedeckten, auch für Piloten bedeutsamen erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandeln ein weiterer Bereich menschlicher Qualifikation in der Cockpitarbeit. Die arbeitssoziologische Analyse zur Tätigkeit von Piloten als Bediener eines hoch technisierten Systems beinhaltet zwar keine konkreten Hinweise für eine wie auch immer geartete Förderung bzw. offizielle Anerkennung erfahrungsgeleitetsubjektivierenden Arbeitshandelns. Dennoch ist zu hoffen, dass die differenzierte Erfassung der tatsächlichen Herausforderungen im Fliegeralltag und die Kenntlichmachung erfahrungsgeleitet-subjektivierender Handlungsweisen als besondere Qualifikation zu einer Neu- und Höherbewertung der Rolle und Notwendigkeit menschlicher Arbeit führt. Neben diesem bedeutsamen praktischen Ergebnis, dessen Implikationen auch für die weitere Technikentwicklung und Digitalisierung von Bedeutung sind, wurde darüber hinaus ein konzeptueller Ertrag erzielt. Denn die Studie gibt auch Hinweise darauf, dass es notwendig ist, die Verteilte Handlungsträgerschaft in hoch technisierten Systemen differenzierter zu betrachten. In die Kooperation von Mensch und Technik muss auch einbezogen werden, dass die Technik nicht immer zuverlässig funktioniert, und zwar nicht nur in Extremfällen, sondern auch unter alltäglichen Umständen. Nicht zuletzt hilft die hier erstellte Analyse dabei, die Grenzen der Technisierung bei der Konzeptualisierung von Verteilter Handlungsträgerschaft besser zu erkennen. Dadurch wird es möglich, ein genaueres Bild der Aufgaben zu erstellen, die für den Menschen in hoch technisierten Systemen verbleiben – insbesondere auch der verdeckten Anforderungen.
Anhang
Untersuchungsansatz und methodisches Vorgehen Konzeptuell orientiert sich die Untersuchung zum einen an dem Forschungsansatz der Grounded Theory (Strauss, Corbin 1999), zum anderen dienen im Projekt erarbeitete theoretisch-konzeptuelle Grundlagen (s.o.) als heuristische Instrumente zur Fokussierung, Sensibilisierung und Strukturierung der empirischen Erhebung. Die ganze Arbeit gliedert sich in zwei Teile, welche getrennt vorgestellt werden, jedoch inhaltlich aufeinander aufbauen. Bei allen angewandten empirischen Methoden wurde jeweils die Gesamtfragestellung der Untersuchung berücksichtigt. Das heißt: Teilnehmende Beobachtungen, reflexive Kurz-Interviews und leitfadengestützte Expertengespräche erfolgten unter zweierlei Perspektiven, beinhalteten also sowohl die Anliegen des ersten Teils als auch die des zweiten. Aufbauend auf den Ergebnissen der Literaturauswertung und den theoretisch-konzeptuellen Ansätzen und Arbeiten wurden themenspezifische Frageleitfäden für die empirische Erhebung und Analyse entwickelt. Mittels der Frageleitfäden wurde ein „Gerüst“ für die empirische Erhebung und Analyse entwickelt, das die zu eruierenden Dimensionen und Aspekte strukturiert und eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der unterschiedlichen Interviews ermöglicht. Zugleich lassen Leitfäden genügend Spielraum, um bei der empirischen Erhebung sich ergebende neue Fragen und Themen einzubeziehen oder bei der Auswertung Themen herauszufiltern, die bei der Konzeptualisierung der Leitfäden noch nicht antizipiert wurden. Und schließlich können die konkreten Formulierungen und die Reihenfolge der Fragen angepasst werden (vgl. Bortz, Döring 2006). Auf das Projekt bezogene Vorgespräche mit Piloten bestätigten die Zweckmäßigkeit direkter teilnehmender Beobachtung. Dabei wurden sowohl Flugvorbereitungen als auch Flugverläufe begleitet. Die Beobachterin hielt sich dabei so weit im Hintergrund, dass die Arbeitsprozesse der Crewmitglieder nicht beeinträchtigt wurden bzw. es zu keinen durch die Situation der Beobachtung verfälschten oder
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Fink-Cvetnik, Grenzen der Technisierung im Flugverkehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31152-0
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Anhang
übertriebenen Handlungen kam. Die beobachteten Piloten wurden über das Forschungsanliegen in Kenntnis gesetzt. Alle Piloten konkretisierten und vervollständigten fortlaufend und wann immer möglich die von ihnen getätigten Arbeitsschritte anhand von Erläuterungen und typischen Alternativhandlungen. Anhand eines Beobachtungsprotokolls wurde der Verlauf schriftlich erfasst. Ergänzend konnten mittels zeitlich nachgelagerter Kurzgespräche (Tonbandmitschnitt) mit der Crew einzelne Situationen (insbesondere die fokussierten Kritischen Situationen) abgeglichen werden und praktische Arbeitshandlungen gemeinsam mit den Piloten analysiert werden. Vorbereitend erfolgte eine Beobachtungsstudie im Flugsimulator. Grundsätzliche Arbeitsabläufe, Vokabular und generelle flugspezifische Besonderheiten konnten so erfasst werden und als Arbeitsgrundlage für die anschließenden Studien auf den Streckeneinsätzen dienen. Anknüpfend an die teilnehmende Beobachtung und die reflexiven Kurzinterviews folgten vertiefende intensive, mehrstündige Interviews mit Piloten. Diese wurden aufbauend auf den gesetzten Analyseschwerpunkten – vorrangig, jedoch nicht ausschließlich – mit den Crewmitgliedern der begleiteten Flüge durchgeführt. Die Erhebungen lieferten einen umfassenden und detaillierten Einblick in die Tätigkeit von Piloten und deren faktischen Arbeitsaufwand wie auch die von ihnen angewandten Methoden. Thematisch bezogen sie sich in einem ersten Schritt auf die Analyse der Arbeitsbeziehung von Pilot und technischem Bordsystem im Flugzeugcockpit. Vor dem Hintergrund der Frage nach der Kooperationsbeziehung von Mensch und Technik erfolgte die Identifizierung Kritischer Situationen. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Grenzen der Planbarkeit und den Unwägbarkeiten der Technisierung innerhalb technisch geregelter Abläufe. Es wurde an die Kriterien Kritischer Situationen sowie deren Differenzierung angeknüpft. Um die Bedeutung der technischen Ausstattung beurteilen zu können, wurden Piloten unterschiedlicher Flugzeugmuster (Airbusfamilie, Boeing 737/747, Embraer) wie auch mit unterschiedlicher beruflicher Erfahrung in die Befragung aufgenommen. In einem zweiten Schritt richteten sich die Interviews auf die Bewältigung Kritischer Situationen und das hier maßgebliche Arbeitshandeln.
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Hinweise zur Auswertung des Datenmaterials Alle aufgezeichneten Gesprächsmitschnitte wurden zunächst möglichst detailliert transkribiert. Stärkere Dialektfärbungen, Unterbrechungen, unvollständige Sätze, Wiederholungen und dergleichen werden in der Darstellung der Ergebnisse jedoch, mit dem Ziel einer besseren Verständlichkeit und Lesbarkeit, sprachlich geglättet dargestellt. Dabei wurde jederzeit strengstens darauf geachtet, die Aussagen inhaltlich in keinster Weise zu verändern. Um die Analysen möglichst anschaulich vorzustellen, wurden zahlreiche Interviewpassagen als Zitate eingefügt. Diese wurden hinsichtlich ihrer exemplarischen Qualität sowie ihrer Nachvollziehbarkeit ausgewählt. Mitunter war es in den einzelnen Kapiteln sinnvoll, einzelne Formulierungen mehrmals aufzugreifen. Insbesondere Abschnitte, welche vor dem Hintergrund einer thematisch umfassenden Interviewsituation beide Untersuchungsteile umfassten, mussten darüber hinaus aus zweierlei Perspektiven analysiert werden. Folglich kommt es auch die beiden Teile übergreifend zu Wiederholungen einzelner Zitate.
Vorgehen – Empirische Analyse Teil A Ein Besuch im Flugsimulator bereitete die Studien an Bord vor. Zwei Kapitäne standen für Fragen und Erläuterungen geduldig zur Verfügung, bis ein grundsätzliches Verständnis wesentlicher Begriffe, Verfahrensweisen und der Abläufe vorlag. Ergänzt wurde dies durch die Besichtigung dreier Flugzeugcockpits. Entsprechend ausgebildete Piloten begleiteten die Flugzeugbegehungen und konnten befragt werden. Vor dem Hintergrund der schon gewonnenen Erkenntnisse wurden dann sogenannte Flugvorbereitungen teilnehmend beobachtet. Daran schlossen sich Begleitungen von Flügen der Kurz-, Mittel181- und Langstrecke an. Reflexive Kurzinterviews mit den Piloten der begleiteten Flugvorbereitungen und Flüge vervollständigten die Einblicke.
181 Im
Flugbetrieb wird nur in Kurz- und Langstrecke unterschieden. Der hier gewählte Ausdruck „Mittelstrecke“ soll lediglich eine längere Flugzeit einer Kurzstrecke bezeichnen. Eine Kurzstrecke kann sehr knapp sein, mit Flugzeiten unter einer Stunde, oder aber mit bis zu fünf Stunden relativ lange dauern.
256
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Befragt wurden insgesamt 19 Piloten, davon elf Kapitäne (CPT), drei Senior First Officers (SFO) und 5 Copiloten (FO). Eine der befragten Personen war weiblichen Geschlechts. Geschlechterspezifischen Unterschieden wurde jedoch ob der begrenzten Auswahl an Interviewpartnern und aufgrund der in dieser Hinsicht neutral gewählten Forschungsfrage nicht nachgegangen. Die Untersuchung bezieht sich auf den Arbeitsplatz von Piloten. Die interviewten Piloten fliegen folgende Flugzeugmuster: -
Airbus 320, 321 auf Kurz- und Mittelstrecken; Airbus 330, 340-300, 340-600 auf Langstrecken (Airbus = AI) Boeing 737 auf Kurz- und Mittelstrecken, Boeing 747-400 auf Langstrecken (Boeing = BO) Canadair Regional Jet und Embraer 195 auf Kurz- und Mittelstrecken (Canadair = CA; Embraer = EM)
Die erfassten Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge haben eine insgesamt kleinere Größe und kürzere Reichweite als die Langstreckenmuster. Sie haben im Vergleich zu den hier vorgestellten Langstreckenmustern jeweils nur einen Kabinengang (sog. Single-Aisle). Die Langstreckenmuster (sog. Long-Range) verfügen über zwei Kabinengänge und die Boeing 747 darüber hinaus sogar über ein weiteres Passagierdeck. Abhängig von der Flugzeit legen die Vorschriften fest, wie viele Piloten einen Flug durchführen müssen. Grundsätzlich befindet sich immer ein Kapitän (CPT) und ein Co-Pilot bzw. First-Officer (FO) an Bord, bei Flugzeiten über zehn Stunden zusätzlich noch ein Senior-First-Officer (SFO), welcher in der Diensthierarchie zwischen CPT und FO angesiedelt ist. Das heißt, er hat die Befugnis, den CPT während seiner Pause zu vertreten, kann aber auch den FO vertreten. Für die Untersuchung konnten am Flughafen München drei unterschiedliche moderne Flugzeugcockpits (Airbus 321, Airbus 340-600 und Embraer 195) mit einem jeweils für diesen Flugzeugtyp ausgebildeten Piloten besichtigt werden. Das Cockpit einer Boeing 737 wurde in einem originalgetreuen Flugsimulator eingesehen. Sämtliche Schilderungen und Erklärungen der Cockpitelemente beziehen sich auf die Ausführungen der Piloten. Die Piloten wurden gebeten, bei ihren Erklärungen ihr Wissen über wenig technisierte bzw. ältere Flugzeugtypen unbedingt mit einfließen zu lassen. Besonders deutlich konnten Unterschiede in der
Untersuchungsansatz und methodisches Vorgehen
257
technischen Ausstattung von denjenigen Piloten beschrieben werden, die in ihrer Laufbahn unterschiedliche Flugzeugtypen geflogen sind. Von den befragten elf Kapitänen waren fünf vormals auf Boeing-Flugzeugtypen und wechselten mit Kapitänswerdung auf ein Airbus-Muster. Dieses Kriterium (der Wechsel) kristallisierte sich im Verlauf der empirischen Analyse als erwähnenswert heraus. „Wechslern“ von einem Flugzeugmodell auf ein anderes (hier Boeing zu Airbus) gelang eine besonders differenzierte Bewertung der Mensch-Technik-Kooperation, welche auf typspezifische Unterschiede in der technischen Einflussnahme zurückzuführen sind. In den nachfolgenden Interviewpassagen beziehen diese „Wechsler“ (nachfolgend gekennzeichnet mit W) sich i.d.R. auf ältere Boeing-Maschinen (da der Wechsel mitunter bereits vor einigen Jahren stattgefunden hat). Die Konstruktionsphilosophien von Boeing und Airbus unterscheiden sich bis heute, was das Verhältnis von Mensch und Technik angeht (I - 1.1.4.). Die Unterschiede in der Bedienung wurden von den betroffenen befragten Piloten stets betont. Grundsätzlich muss an dieser Stelle jedoch erwähnt werden, dass auch der Flugzeugbauer Boeing mittlerweile zunehmend höher technisierte Steuerelemente verbaut. Anders geartete Wechsel (z.B. von Airbus auf Embraer) scheinen für die Piloten weniger bedeutsam. Hier konnten keine erwähnenswerten Unterschiede festgestellt werden (somit werden diese nicht gesondert als Wechsler (W) aufgeführt). Damit ergeben sich folgende Bezeichnungen: (CPT; AI; W) = 5 (CPT; BO) = 2 (CPT; AI) = 3 (CPT; EM/CA) = 1 (SFO; AI) = 3 (FO; AI) = 3 (FO; BO) = 1 (FO; EM/CA) = 1 Die dahinterstehende Ziffer gibt an, wie viele Piloten mit der jeweiligen Qualifikation befragt wurden.
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Die Unterscheidung nach Kurz- und Langstreckenpiloten wurde als Auswertungskriterium nicht gekennzeichnet, da die Abläufe trotz unterschiedlicher Flugzeiten prinzipiell gleich sind. Alle zitierten Interviewpassagen sind in „Anführungsstrichen“ und in kursiv gekennzeichnet.
Vorgehen – Empirische Anlayse Teil B Das methodische Vorgehen für den zweiten Teil unterscheidet sich vom ersten in erster Linie darin, dass es sich im Wesentlichen auf ausführliche Interviews beschränkte. Eine teilnehmende Beobachtung wurde als nicht sinnvoll erachtet. Einem fachfremden Beobachter ist eine Beurteilung, ob es sich um eine objektivierende oder eine ‚andere‘ Arbeitsweise handelt, schlicht unmöglich. Den Piloten selbst fiel die Reflexion des eigenen Handelns und eine entsprechende Differenzierung nicht leicht. Zudem galt es, Situationen auszuwählen und darzustellen, welche ohne fliegerische Fachkenntnisse verständlich werden. Die Erfassung des objektivierenden (offiziellen) Arbeitshandelns verlief verhältnismäßig einfach und konnte in kurzer Zeit bewältigt werden. Ungleich schwieriger gestaltete sich das Anliegen, implizite, nicht unmittelbar bewusste und/oder schwer verbalisierbare Sachverhalte ‚zur Sprache‘ zu bringen.182 Die ursprünglich wesentlich kürzer angesetzten Interviews wurden schließlich zum Teil sogar auf mehrere Tage und Termine ausgedehnt. Die Orientierung an Frageleitfäden erwies sich dabei als gut gewählte Methode, um gerade die bislang wenig bewussten Anteile im Arbeitshandeln deutlich zu machen. Der Erzählfluss der interviewten Piloten eröffnete stets neue Ansatzpunkte, das Arbeitshandeln durch Nachfragen weiter zu konkretisieren. Die Befunde aus dem ersten Forschungsteil sind in die Analyse einbezogen.
182
Die gelang u.a. durch die Verwendung von Beispielen aus anderen empirischen Untersuchungen und Arbeitsbereichen und der Verwendung von Metaphern und Ähnlichem (vgl. Böhle 1999).
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