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German Pages 52 Year 1908
Grenzen der Religion und Naturwissenschaft
Zur Kritik von Haeckels
Monistischer Religion und Naturphilosophie von
Dr. Adolph Hansen Professor a. d. Universität Gießen
wie sind wohl die Menschen zu dem Begriff von Freiheit gelangt? (Es war ein großer Gedanke. Lichtenberg.
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals I. Ricker) * Gießen 1908
Druck von L. G. Höbet G. m. b. h., Leipzig.
Vorwort. als ich vor Jahresfrist eine Haeckels Monismus ablehnende Schrift veröffentlichte,
warnte
man
mich,
ich
würde von Haeckels anhän-
gern mit den Theologen zusammengeworfen werden.
nicht,
datz wir Naturforscher
uns
vor
der
Ich glaube indes
Theologie
zu
fürchten
haben, nachdem die theologische wiffenschast längst begonnen hat, uns
in der Methode verwandt zu werden,
vielleicht gelingt es mir, um
gekehrt die Theologen zu überzeugen, datz sie sich nicht vor den an
sichten eines mechanistischen Naturforschers zu scheuen brauchen.
Ich bin
überzeugt, datz Vernunft und Logik in allen wahren Wissenschaften
dieselben sind, und sehe in dieser Beziehung zwischen Naturwiffenschast und theologischer wiffenschast keinen Gegensatz.
In den Grundfragen
des inneren Lebens sind unsere Hoffnungen auf Fortschritt in der Er
kenntnis dieselben, und sie sind vielleicht nur in ihrer momentanen Stärke
verschieden, wenn die Naturforschung immerfort fieberhaft beschäftigt ist, die Rätsel der Natur austuklären, so bewegt sie sich damit, wenn auch
zunächst ohne absicht schon auf der Sahn zu dem Ziele, auch das Ganze
der Natur auf eine Ursache zurückzuführen. Der Naturforscher kann heute noch gar nicht wiffen, ob er nicht endlich in gewissen Ideen mit der Theo
logie und Philosophie zusammentrifft.
Diese Schrift möchte vorwiegend
erläutern, wie diese aussichten heute stehen.
Natürlich ist hier scharf
zwischen theologischer wiffenschast und Nirche zu unterscheiden. Man kann die Theologie hochachten und zugleich mit Goethe sagen:
„(Es ist gar
viel Dummes in den Satzungen der Nirche" (Eckermann 11. 3. 1832). Herder, der Theologe, bestätigt als schlagendes Beispiel, datz man durch Naturwiffenschast nicht zum Ntheismus gelangt, datz die Ent
wickelungslehre einem religiösen Glauben nicht widerspricht. dem wörtlichen vibelglauben widersprechen!
Mag sie
Nachdem derselbe Herder,
4 als einer der ersten, die Bibel mit Kritik ansah und ihm die wissen schaftliche Theologie darin längst gefolgt ist, ist der Widerspruch ebenso
begreiflich, wie deshalb ohne Belang.
Ich bilde mir nicht ein, hier neue und gewaltige Gedanken gegen Haeckel ausgesprochen zu haben.
Das ist auch nicht nötig, das Alte
genügt. Den Zachphilosophen ist das alles bekannt.
Ich glaubte aber
mitteilen zu dürfen, daß ich aus dem Gedankenerbteil unserer Literatur
etwas ganz anderes herausgefunden, als Haeckel, eine Möglichkeit, die dieser bei seinem kritischen Vorgehen, zumal gegen Kant, gar nicht in
Rechnung gezogen hat.
Daher bilden die folgenden Auseinandersetzungen
eine notwendige Ergänzung zu seinem weltberühmten Buche.
Die ab
solute Wahrheit werden wir nicht erfahren, weder auf wiflenschastlichem noch religiösem, noch künstlerischem Gebiet, unsere Aufgabe ist nicht Ruhe,
sondern Arbeit. Aber soviel darf man wohl behaupten, die Menschen, welche
der Wahrheit am nächsten gekommen sind, sind unsere großen philosophi schen Geister.
Ich kann leider Haeckel zu diesen nicht zählen, so sehr ich
ihn als genialen Zoologen und als Persönlichkeit hochhalte, und ich finde alle philosophischen Zragen, über die die Welträtsel uns belehren wollen, schon viel klarer und richtiger bei Herder, Goethe, Schiller und Kant
beantwortet.
Gerade weil so viel Längstvorhandenes angeführt werden
kann (und ich habe mich absichtlich vor dem reichlichen Zitat nicht
gescheut), muß man sich doppelt wundern, daß die „Welträtsel" sich so benehmen, als ob sie uns zum erstenmal die Augen über die Elemente
der Wahrheit öffnen müßten.
Es führt namentlich die Studierenden und
Lehrer, an die sich die Welträtsel, wie in der Vorrede ausgesprochen, wen
den, irre, wenn ganz verschwiegen wird, daß nicht die moderne Natur-
wisienschast, sondern Kant zuerst ausführlich festgestellt, daß alle unsere
Erkenntnis in letzter Linie auf Erfahrung beruhe und daß dieser große
Philosoph längst den Kampf gegen alles Scheinwisien durch Erläuterung der vernunstgesetze besser begonnen als die „Welträtsel".
Kant hat
sich freilich, in starkem Gegensatz zu dem roten Buch, das Recht auf Denken vorbehalten.
Mit der oberflächlichen und ganz unrichtigen
Kritik, welche Kant von Haeckel erfährt und womit er die studierende
Jugend ablenkt von diesem großen Lehrer, um sie „seine Straße sacht
zu führen", hat Haeckel eine große Verantwortung auf sich genommen. Man lasse einmal alle aufklärerischen Phrasen beiseite und prüfe ernstlich,
5 ob man auf moralische Gewissensfragen bei Haeckel auch nur annähernd so gültige Antworten findet wie bei Kant und anderen klassischen Den
kern. Darauf kommt es an, nicht auf die für unser Leben ganz wertlosen Namen und Unterscheidungen von Monismus und Dualismus.
Vie
bisherige Philosophie, namentlich die Kants, ist nach Haeckel ganz un
brauchbar, aber er behauptet das bloß, ohne es, wie das seine Pflicht
wäre, wissenschaftlich zu beweisen.
Geschichte
Vie Welträtsel werden daher in der
solange als materialistische Schwärmerei bezeichnet werden
müssen, als nicht ihr Verfasser der Forderung genügt, wenigstens Kant
Stück für Stück, nicht durch leeres Absprechen, sondern mit Gründen, zu widerlegen.
Wenn die Naturwissenschaft an Stelle der Philosophie treten soll,
was Haeckels Wille ist, dann würde sie in erster Linie auch dem ethischen Bedürfnis genügen müssen, denn das ist immer eine Hauptaufgabe jeder
Philosophie gewesen.
(Es ist doch zweifellos viel gleichgültiger zu wissen,
daß das Gehirn aus „Psychoplasma" besteht, als zu lernen, wie es ver nünftige und sittliche Urteile hervorbringen und dadurch vernünftiges und sittliches handeln veranlaflen kann.
Gießen, Pfingsten 1908.
fl. Hansen.
6
Man geht wohl kaum fehl, wenn man den großen Anklang, den
Haeckels Lehren in den Kreisen halbgebildeter gefunden haben, der Tatsache zuschreibt, daß diese Philosophie wesentlich negativer Natur ist.
Haeckel leugnet Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, er leugnet die Seele, er leugnet die physikalischen Theorien der Bewegung, das Gesetz der En
tropie?)
Philosophie, Theologie, Psychologie sind Unsinn und haben
nach Haeckel ihr Dasein aufzugeben.
Vas Dasein und der Inhalt aller
dieser Dinge ist nicht leicht zu begreifen, es macht dagegen dem Men
schen
gar
keine Schwierigkeit,
zu
glauben,
diese Dinge
existierten
gar nicht, und diese fühlbare Erleichterung des Gehirns ist für un
geübte Denker eine so angenehme Empfindung, daß man begreift, daß sie Haeckel und seinen Ivelträtseln in Hellen Haufen zuströmen. In einer kleinen, im vorigen Jahre erschienenen Schrift?) habe ich mir erlaubt,
darauf hinzuweisen, daß ein auf naturwisienschaftlicher Grundlage auf
gebauter, aber positiver Monismus längst bei Herder vorhanden ist, ein Monismus, der trotz der gleichen Grundlagen, wie bei Haeckel, dennoch
nicht zum Atheismus und zur vollständigen Verneinung der menschlichen Freiheit führt.
Damals habe ich vorwiegend auf die Übereinstimmung
von Herder mit den naturphilosophischen Grundlagen bei Haeckel auf» ’) (Eine Kritik von Haeckels Physik, aus der man viel lernen kann, be scherte uns der Physiker Thwolson. Die philosophischen und theologischen Gegenschriften von Paulsen, Kdickes, Baumann, Coofs und Nippold sind allgemein bekannt und im Nachwort der „WeltrStsel" ausführlich zitiert. Die vorliegende Schrift kann sich an philosophischer Tiefe mit diesen Abhand lungen nicht messen. Sie macht auch keinen weiteren Anspruch, als als Akten stück zur Prüfung der Wahrscheinlichkeit von Haeckels Behauptung (W.-R. S. 162) zu dienen, ob mehr als dreiviertel der denkenden Naturforscher auf dem Boden seiner weltrStsel stehen können. 8) „Haeckels WeltrStsel und Herders Weltanschauung". A. Töpelmann, Gießen 1907.
7 merksam gemacht, um dem Irrtum zu begegnen, als handle es sich in Haeckels Naturphilosophie, wie die Menge glaubt, um ganz neue Ge
danken.
Vas Studium Herders ergab aber, daß noch viele fruchtbare
Anregungen positiver Natur für die jetzt heftig umstrittene Frage nach
der Berechtigung des Religiösen bei ihm verborgen liegen, und ich glaube
nicht unbescheiden zu sein, wenn ich auch auf diese Studien Hinweise, da mit sie nütze, wer mag. Den positiven Erfolg verdankt Herder seinem Vor gehen, im Gegensatz zu den Welträtseln, die Ergebnisse der Naturwissen
schaft mit einer einzigen kosmologischen Hypothese verbunden zu haben,
mit
seinem besondern Pantheismus.
Er begründete damit eine An
schauung, welche $• Paulsen in seiner anerkannt ausgezeichneten Ein
leitung in die Philosophie als idealistischen Monismus und zugleich
als das heutige Ziel philosophischen Denkens bezeichnet hat.
Haeckel
versucht dagegen die Naturforschung mit zwei metaphysischen Hypo
thesen zu verbinden, außer mit einem unklaren Pantheismus zugleich mit dem materialistischen Atomismus.
Da diese beiden Hypothesen aber
nicht harmonieren und der Atomismus auch nicht ohne weiteres zur Entwickelungslehre stimmt, entsteht um so mehr Verwirrung, als Haeckel
dies philosophische Gemenge ebenfalls als „Monismus" bezeichnet. Herder, der bei der Darstellung in seinen „Ideen" nicht von seinem meta
physischen Prinzip ausgeht, sondern den Anfang macht mit der Er
forschung der Natur, zunächst der Erde, ist überdies Haeckels Forderung, mit der Naturerkenntnis anzufangen, längst nachgekommen.
Herder
hält sich aber, indem er hervorhebt, daß die Naturwissenschaft noch einen bedeutenden Rest unerklärbarer Tatsachen übrigläßt, die man nur auf
philosophischem
Wege
zu
begreifen
versuchen
kann, frei
von
dem
materialistischen Dogmatismus, in den Haeckel immer wieder unrettbar
verfällt, weil es ihm mit der Philosophie, ich bebaute, das sagen zu müssen, nicht ernst sein kann, da er sie mehr verunglimpft als benutzt.
Herder befindet sich dagegen mit seinem Streben auf dem geraden Wege
zu Kant, welcher gleichfalls die Idee einer systematischen Einheit in der Natureinheit erkennen will.
„Die Naturforschung geht ihren Gang
ganz allein, an der Kette der Naturursachen nach allgemeinen Gesetzen
derselben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweckmäßigkeit, der sie allerwärts nachgeht, von demselben abzuleiten,
sondern sein Dasein aus dieser Zweckmäßigkeit, die in dem Wesen der
8 Naturdinge gesucht wird, womöglich auch in dem Wesen der Dinge überhaupt, mithin als schlechthin notwendig zu erkennen." v. Rettern S. 537.)
(Kritik d. r.
Kernt ist hier weit entfernt von der modernen
biologischen Teleologie, welche jede einzelne Erscheinung aus Zweck
mäßigkeit erklären will,
er
setzt nur die zweckmäßige Einheit des
weltganzen als formale Einheit voraus.
viel klarer und bescheidener als Haeckel, aber mit Kant überein
stimmend, spricht auch Herder sich über unser Erkenntnisvermögen in den „Ideen" aus:
„Ins innere Reich der Kräfte der Natur schauen wir
nicht, es ist also so vergebens als unnötig, innere wesentliche Rufschlüsse von ihr, über welchen Zustand es auch sei, zu begehren. Aber die Wir
kungen und Formen ihrer Kräfte liegen vor uns, sie also können wir vergleichen und etwa aus dem Gange der Natur hienieden aus
ihrer gesamten herrschenden Ähnlichkeit Hoffnungen sammeln." Was Herder hier sagt, ist ganz modern gedacht.
Naturvorgängen
Mit inneren
kann der Naturforscher wenig anfangen.
Um die
Natur der „Materie", um die Dinge an sich, kümmert sich der heutige
Naturforscher wenig oder gar nicht.
Die Unsterblichkeit der Seele. Herder deutet mit dem Wort „Hoffnungen" auf seine späteren
Ausführungen über den Unsterblichkeitsglauben hin.
Vieser Glaube
wird in den Welträtseln als eines der schädlichsten Dogmen auf das
schärfste verurteilt,
warum, ist nicht einzusehen.
Vieser Glaube kolli
diert am allerwenigsten mit der Naturwissenschaft, denn er greift nicht
im mindesten in diese Welt ein, sondern bezieht sich auf eine andere,
gedachte. Vieser Glaube hat auch gar keine Beziehung und keinen Einfluß aus unsere Naturanschauung, sondern höchstens auf moralisches handeln.
Also haben wir Naturforscher gar keinen Grund, uns über diesen Glauben mit Haeckel zu erregen.
Man darf dagegen behaupten, daß der Gegen
stand nirgends in einer solch würdigen Kürze und Einfachheit unter Wahrung
des
naturwissenschaftlichen Standpunktes und in
edelster Form behandelt ist, wie im 4. Buch der „Ideen" von Herder. Er behauptet gar nicht, der Mensch ist unsterblich, sondern „der Mensch
9 ist
zur Hoffnung
der Unsterblichkeit
Unsterblichkeit glaubt
wenigstens
einer
Naturvölkern,
oder nicht,
psychologischen
bei
geistiger
gebildet".
so entspricht
Tatsache,
Einfachheit
daros bis auf Goethe, gefunden wird.
die
man
Db
nun an
Herders Standpunkt
bei
kultivierten und
wie beim Genie, von pin-
Haeckels auf bloßem Unglauben
beruhende Behauptung, es gibt keine Unsterblichkeit, ist jedenfalls nicht wiffenschaftlich, weil wir darüber überhaupt nichts wißen können.
Geben
wir Haeckel zu, Hoffnungen ohne Begründung hätten keinen wert,
so
bleibt immer eine Frage bestehen, die die Menschheit aufs tiefste bewegt
und bis heute in ihrer moralischen Lebensgestaltung beeinflußt hat, eine
Frage, die Haeckel ganz mit Unrecht aus „menschlichem Größenwahn" ableitet, denn sie entspringt nur der „Sehnsucht", den Sinn dieses Lebens zu erfaßen.
Darum ist es tief zu beklagen, daß Haeckel diesem
Glauben nicht mit Vernunftkritik, sondern mit banalen Witzen über „Schwiegermütter" und „beßere Hälften" begegnen will. (W.-R. S. 85.) *) Jede Schilderung eines „Himmels", wenn sie nicht etwa wahre Poesie
ist, ist sinnlos.
Der von Haeckel, S. 85 d. W.-R., erstattete Bericht über
himmlische Aussichten ist es daher doppelt, und man würde darüber lieber Kein Wort verlieren, wenn nicht gerade dieser Abschnitt die Aufmerksam
keit der Leser erregte und von ihnen noch für besonders „naturwiffenschaftlich"
gehalten würde.
Haeckel stellt als Programm der Welt
rätsel auf: wißenschaft gegen Glauben und Aberglauben.
darf man fragen: sind das Gründe der wißenschaft?
Aber hier
Die Unsterb
lichkeit ist ein Problem und wird stets ein unlösbares bleiben, aber
durch bloßes Ableugnen läßt es sich nicht beseitigen.
Haeckels Gegen
beweise gegen die Unsterblichkeit der Seele im XL Uap. S. 83 u. 84
der W.-R. sind nur Beweise gegen die Unsterblichkeit des Gehirns und
seiner Funktionen, die noch niemand verfochten hat.
Nach Haeckel ist
fteilich Seele —Gehirn oder, wie er sagt, gleich der Summe der Gehirnfunktionen.
Das wird aber durch die Erfahrung widerlegt. Jeder
denkende Mensch empfindet deutlich genug, ich denke, nicht, mein Gehirn
denkt.
Das bleibt Tatsache, auch wenn man sie nicht weiter erklären
kann,
wir Kennen unsere Seele nicht, kein Anatom kann sie uns zeigen.
’) Ich zitiere stets di« Seitenzahlen der verbreiteten und besonders für unsere Studierenden und Lehrer bestimmten Volksausgabe der welträtsel.
10 Wenn also der Naturforscher die Realität der Seele nicht beweisen Kann, so mag er zweifeln oder für seine Person verzichten.
Keinesfalls aber
darf er behaupten, eine glatte Verneinung folgere aus der Logik des Naturforschers,
von einem in seinen Eigenschaften ganz unbekannten
Gbjekt eine Eigenschaft, hier die Unsterblichkeit, leugnen, ist gänz lich
unlogisch.
Mit solchen Behauptungen kann man das Zutrauen
zur Naturwissenschaft nur leichtsinnig untergraben.
(Es fällt Haeckel
doch nicht ein, die Elektrizität zu leugnen, weil wir bloß ihre Wir
kungen,
nicht ihr
Wesen
Ein
kennen.
Physiker würde
uns be
lächeln, wenn wir mit einer analogen Definition, wie der Seele Haeckels, die Elektrizität als Summe ihrer Wirkungen bezeichnen wollten,
wenn
wir auch das Gehirn als Substrat der Seele anerkennen können, so
sind beide noch lange nicht identisch.
Man müßte sonst auch, um bei
dem vergleich zu bleiben, den Begriff der Elektrizität aufgeben und behaupten, es gäbe gar keine Elektrizität, sondern nur ihr Substrat,
den Kupferdraht,
wenn das ganze Weltall mit dem in seinen Eigen
schaften noch kaum bekannten Äther durchdrungen ist, wie die Physik lehrt, dann wäre es ja auch möglich, daß zwischen die Gehirnmoleküle
der Äther sich verbreitet und
daß
im Äther sich Kräfte entwickeln,
die erst die Gehirnstrukturen in Bewegung setzen.
Haeckel hat also
nicht einmal die naturwissenschaftlichen Möglichkeiten erwogen. Begründung
gegen
eine Seele ist
Naturforscher respektieren kann.
keinesfalls
Wissenschaft,
die
Seine ein
Er behauptet, wenn es eine Seele
gäbe, so müsse sie sich verflüssigen lassen, da man sich die Seele all gemein als Gas vorstelle.
stellung und Bild.
Er verwechselt aber im günstigen Falle Vor
Aber die ganze Ableitung ist überhaupt falsch, da
sich tatsächlich niemand die Seel« als Gas vorstellt.
Das ist von vorn-
herein auch unwahrscheinlich, weil die meisten Menschen, sofern sie nicht
Naturforscher sind, gerade von einem Gas gar keine klare Vorstellung
haben.
Der wiederholte vergleich Haeckels von Ideen mit Gasen be
weist, daß seine Vorstellungsweise im Laufe der Jahre zu einem immer gröberen Materialismus verknöchert ist.
Leider geht dieser Materialis-
mus endlich ins Abgeschmackte und pathologische über, z. B. in der
Behauptung, auch das höchste Wesen werde als ein Gas vorgestellt, und durch
die Ausstattung der Gottesidee mit menschlichen Eigenschaften
komme man zu dem paradoxen Begriff „eines gasförmigen Wirbeltieres"
11 (to.*R. S. 11).
Fromme Menschen nehmen diesen Ausdruck wohl zu
ernst, wenn sie ihn als Gotteslästerung zurückweisen. hier nur um leere logische Gedankenspielerei, Voraussetzungen ausgeht.
die
(Es handelt sich von willkürlichen
Aber eine Äußerung der Unkultur bleibt sie
trotzdem, die zwar natürlich, aber niemals naturwissenschaftlich ist.
wie
kann jemand immer Goethe im Munde führen und so sprechen/)
Ls
versteht sich
von
selbst,
daß
als Naturforscher
ich
Beweis für die Unsterblichkeit der Seele beibringen will, ebensowenig,
da
aufstellen kann.
kein Theologe bin,
ich
keinen
daß ich sie
als Dogma gegen Haeckel
Aber soviel darf gesagt werden, wenn Haeckel außer
den trüben Argumentationen in seinen Welträtseln keine andere gegen
die Unsterblichkeit der Seele zur Hand hat, dann bleibt dieser Gegen
des Glaubens und der
stand als Gegenstand
Monismus
ganz
unberührt,
Haeckels
Hoffnung von
derartige Ideale zertrümmert,
wer
der
muß die volle Berechtigung dazu belegen, und diese kann nur in voll
gültigen Beweisen des Vie
große
Mühe,
die
Irrtums,
Haeckel
nicht in bloßer Überredung sich
gibt,
die
liegen.
Unsterblichkeit
der
Seele zu widerlegen, ist vollständig verloren, da das ebenso unmöglich ist, wie sie zu beweisen,
hätte Haeckel seine Absicht klar erfaßt, dann
hätte er diesen Glauben damit bekämpft, daß er darin einen Wider spruch mit der Naturwissenschaft nachzuweisen versucht hätte.
Vie Aus
sicht auf Erfolg ist freilich gering bei einer Sache, die sich naturwissen
schaftlich gar nicht untersuchen läßt.
Haeckel hat die Grenze übersehen!
*) Haeckels Kritik anderer venkungsweisen ist allgemein durchaus ungerecht. (Es ist für den Naturforscher nicht ungefährlich, allen Aberglauben der Theologie und Philosophie aufbürden zu wollen. Wir haben manches im eigenen Hause erlebt. Vie falsche Ernährungslehre der Pflanzen mit ihrer Humustheorie, d. h. der Aberglaube an eine mystische vodenkraft, diese Hemmung der ratio nellen Landwirtschaft, stammt so gut von Naturforschern, wie das Goldmachen und der Stein der weisen u. a. Vie Signatur der Gewächse, den Aderlaß, die Homöopathie haben Arzte entdeckt, wurde nicht der größte abergläubische Unfug der Neuzeit, der Spiritismus, von dem großen Naturforscher Zöllner vertreten, und verteidigen nicht Naturforscher die alberne Wünschelrute als Huellenfinderin? hat nicht, um auch dem Humor zu seinem Recht zu verhelfen, Haeckel selbst den „klugen Hans" ernst genommen, noch zu einer Zeit, wo man in Amerika, wie ich selbst gesehen, „kluge Hänse", d. h. rechnende und ratende Pferde, auf jedem Jahrmarkt zeigte, aber freilich, ehrlicher als bei uns, des Rätsels Lösung dadurch erleichterte, daß man den klugen Hans zum Schluß auch zeitgemäße Witze machen ließ?
12 Eigentlich müßte man gerade von Haeckel eine Verteidigung der Unsterblichkeit der Seele erwarten.
Sie bleibt solange schwer begreiflich,
als man nicht weiß, ob die Seele etwas Materielles ist.
Nun ist Haeckel
der erste und einzige Naturforscher, der behauptet (W.-R. 47), es gäbe
eine
„Seelensubstanz",
„Psychoplasma" voraus.
das
„Psychoplasma".
Leider gibt er diesem
nichts vor dem gewöhnlichen sterblichen
Zellplasma
Es liegt kein Recht vor, diese Meinung zu bestreiten.
Ein
Widerspruch ist es dagegen, wenn in demselben Satze die Seele auch als bloßer Sammelbegriff ähnlicher Vorgänge („Rollektivbegriff für die
gesamten psychischen Funktionen" und zugleich als „physiologische Ab straktion") bezeichnet wird,
was tragen die Monisten denn nun eigent
lich im Busen, eine Substanz oder eine „Abstraktion" ? Da S. 39 vier
tens die Seele eine „Naturerscheinung", die der Beobachtung und dem Experiment unterliegt, genannt wird, so gerät die monistische Psychologie
vollends in Verwirrung, und kein Naturforscher wird ihr zustimmen können.
Solange ein Naturforscher in seiner Sphäre bleibt und sich nur mit dem befaßt, was Beobachtung und Experiment erkennen laflen, hat die
„Seele" für ihn gar kein besonderes Interesse.
Ihn ziehen nur die
Seelenerscheinungen an, geradeso wie der Physiker die
Schwerkraft
selbst auf sich beruhen läßt und nur ihre Wirkungen studiert.
Einen
andern Standpunkt gibt es für den Naturforscher nicht, aber er wird
sich zugleich hüten, die „Schwerkraft" und die „Seele" und sein theo retisches Interesse daran abzuleugnen, wer kann ohne weiteres wissen, was es gibt und nicht gibt, das kann man nur erfahren,
hundert Jahren hätte
vor
man einen Physiker belächelt, der behauptet
hätte, es könne auch Lichtstrahlen geben, die man gar nicht sehen könne, die durch eine dicke Holzwand durchgingen und mit denen man in
einem dunkeln Schrank photographieren könne.
Und seit Röntgen sie
entdeckt, findet man das kaum mehr sonderbar. Haeckel verhöhnt den Physiker Lhwolson, weil er es ablehnt, sich
auf die zweideutige vegriffsbisdung der haeckelschen Psychologie einzu
lassen, wodurch bei dem großen Monistenpublikum die Meinung erweckt wird, ein Naturforscher dürfe überhaupt nicht von der Seele reden, ohne mit seinen wissenschaftlichen Prinzipien zu kollidieren.
Die Sache
liegt aber ganz anders. wir begreifen fteilich nur das, was wir nach wissenschaftlichen Pritt»
13 zipien selbst machen können. Vies Programm hat die glänzende Entwicke lung der Naturwissenschaft tausendfach erfüllt.
Mit der Seele als Ob
jekt läßt sich ein Experiment nicht machen, d. h. es läßt sich experimentell
nicht feststellen, ob die psychischen Vorgänge blotze physiologische Erschei nungen sind, wie Haeckel behauptet, oder ob sie einer einheitlichen Ur sache entspringen.
Der Naturforscher bleibt aber seiner Methode voll
kommen treu, wenn er in einem solchen Falle sich selbst als Objekt
setzt und an sich selbst das Experiment macht, ob die Seelenäußerungen ihm verständlicher werden mit oder ohne den Begriff einer Seele als
Einheit.
Trifft das erstere zu, dann darf er annehmen, datz etwas
dem Begriffe Entsprechendes
«xabten Naturwiffenschaft.
auch
existiert.
Das ist die Logik der
Nicht die Naturwiffenschaft, sondern bloß
der Materialismus bestreitet alles, was man nicht greifen und analyfteren kann.
Die Kausalität der Katar und die menschliche Freiheit. Bei Haeckel gibt es keine Seele, kein Ich.
Das Gehirn denkt,
das Gehirn und Nervensystem geben den Anstotz zum handeln.
Das
kann man doch nur für das Traumleben und für den Geisteskranken gelten lasten, wo die unbekannte Regulation, die wir Seele nennen,
ausgeschaltet oder zerstört ist.
leicht.
Gäbe es kein Ich, so wäre die Erziehung
Haeckels Auftastung ist eine grobmaterialistische und trägt nur
scheinbar der Kausalität in der Natur bester Rechnung. Dos Kausalitätsgesetz sagt nur, datz jede Erscheinung ihre Ursache hat, woraus folgt, datz beim genauen Gleichbleiben sämtlicher Bedingungen,
für die Erscheinung vernunstgemätz stets dieselbe Ursache vorausgesetzt
werden darf. Uber die Natur der Ursache sagt das Kausalgesetz aber gar
nichts.
Darüber kann nur die Erfahrung, die Forschung, entscheiden.
So kann man auch nur sagen, das Denken mutz eine Ursache haben.
Die Behauptung, diese Ursache sei mit der Anatomie des Gehirns er kannt, ist unkritischer Materialismus.
(Es ist klar, daß die Psychologie,
die Haeckel so gering wertet, viel konsequenter kausal denkt Materialismus.
als der
Nach seiner Lehre ist Denken blotze Bewegung der
14 Gehirnsubstanz, also Molekularbewegung.
Eine Ursache für diese wird
gar nicht angegeben, die Bewegung ist also ursachlos.
da die Kausalität im Seelenleben?
Wo bleibt denn
Die Psychologie nimmt dagegen
wenigstens für diese Molekularbewegung eine einheitliche Bewegungs
ursache an, die sie Psyche nennt.
Sie steht also wissenschastlich höher
als der Materialismus. höher als die Unsterblichkeit und von weit gröberer Tragweite
gelten die Ideen Gott und Freiheit, welche Haeckel ebenfalls verkün digt, mit naturwiffenfchastlichen Gründen beseitigt zu haben.
Uber auch
hier vermißt man jede versprochene naturwissenschaftliche Beweisfüh rung.
Weil es in der Natur keine Freiheit gibt, soll auch der Mensch
Ls läßt Haeckel
nicht frei sein, das ist die ganze Schlußfolgerung.
kalt, daß ohne den Begriff der Freiheit unser praktisches Leben zum Unsinn wird, oder vielmehr merkt er das gar nicht.
Die Kausalität der Naturerscheinungen ist ein feststehendes allge meines Gesetz, von der es keine Ausnahme gibt.
Es bezweifeln zu
wollen, gliche dem Selbstmord, denn auf der Anerkennung dieses Gesetzes beruht unsere Wissenschaft und Technik und damit unsere Kultur.
Das
ist keine neue Weisheit. Noch ehe diese Überzeugung Allgemeingut aller
Naturwissenschaften wurde, hat Kant sie zuerst auf das schärfste und unbeugsamste formuliert. Herder hat in seinen „Ideen" ebenso bestimmt
gesagt, daß das gleiche Gesetz der Kausalität, das im Weltall herrsche, auch im Mikrokosmus des menschlichen Organismus Geltung habe, und
diesen Satz des haeckelschen Monismus schon vorweggenommen.
Der
Naturforscher mutz die Frage, ob er die Natur richtiger und besser mit den Begriffen Gott und Freiheit kennen lerne, verneinen.
Und
wenn man die Ansicht Haeckels teilt, alles, was ist, ist nur Natur
erscheinung, dann gibt es keine Freiheit irgendwo.
Wie Blitz und
Donner ist dann jede unserer Bewegungen so gut, wie die größte geistige
Leistung bis zum Musikdrama Wagners und zu den Schöpfungen Michel angelos nur Endresultat einer in unendliche Fernen sich verlierenden
Kausalitätskette. Kein Naturforscher kann ohne weiteres diese Ansicht verwerfen. Wenn
er
aber zu
den von Haeckel mit Recht allein respektierten
„Denkenden" gehört, wird er sich hüten, sich und andere über die un
gemeine Schwierigkeit hinwegzutäuschen, mit dieser Ansicht zu einer
15 wirklichen Einsicht in alles Geschehen zu gelangen, und das ist doch die Hauptsache, nicht die Begriffe an sich.
Die kausal verbundenen
Naturerscheinungen haben den gemeinsamen Lharakter, daß wir sie behandeln
mathematisch
und
als
zahlenmäßige
formulieren
Gesetze
Wir berechnen das Äquivalent von Wärme und Arbeit und
können.
die elektrolytische Leistung des elektrischen Stromes. Man berechne aber einmal den Menschen „Goethe" oder versuche einzusehen, daß der Zaust bloß
Endglied
das
Sonnensystems ist.
des Kausalitätsablaufes
seit
Entstehung
unseres
Erscheint die Forderung abgeschmackt, so wirst sie
ein Licht auf die philosophische Ansicht, welcher sie entspringt.
Die
Möglichkeit der Behauptung zugegeben, hat sie doch keinen reellen Wert, da man sie nicht einsehen kann, denn wer wagt zu behaupten:
es mutz so sein! Wir brauchen Goethe nicht zu berufen.
Jedes unserer Kleinsten
psychologischen Erlebnisse macht uns dieselben Schwierigkeiten. Ich sehe einen Bettler, der Sinneseindruck setzt durch Vermittelung von Gehirn
und Nerven meine Hand in Bewegung, ich reiche ihm eine Gabe, und er
dankt mir.
Wenn das bloße Kausalverknüpfung ist, dann muß dieser
Vorgang in allen Fällen ganz gleich verlaufen, genau so sicher, wie ich
stets Sauerstoff in bestimmter Menge erhalte, wenn ich Csuecksilberoxyd erhitze.
Das ist aber nicht der Fall,
viele gehen an dem Armen vor
über, sehen und erkennen ihn genau wie ich, es erfolgt aber keine Handbewegung und Darreichung, weil das Gefühl des Mitleids fehlt.
Wo ist da die volle Einsicht in die Kausalität aller menschlichen Hand lungen.
Der
gewöhnliche Mensch
seines Willens, der Freiheit. suchen, ob er sich nicht täuscht.
empfindet
hier
Das beweist nichts.
die
Mitwirkung
Es ist zu unter
Das ist eine Aufgabe.
Falsch ist es
daher zu behaupten, die Freiheit sei ein „Zentraldogma der Philosophie", das man einfach zertrümmern könne, statt das Problem zu lösen. Falsch
ist ferner, zu behaupten, dies „Dogma" stamme von Kant.
Kant hat
weder die Wirklichkeit, noch die Möglichkeit der Freiheit behauptet,
sondern, getreu seinem eminent kritischen Denken, nichts gesagt, als daß die Freiheit der Naturkausalität nicht widerspreche und begründet, wie und warum sie wohl neben ihr bestehen könne.
Wie kommt ein
Gelehrter vom Range Haeckels dazu, über Kant derartige falsche Be richte unter Hunderttausende zu verbreiten, die nicht ahnen, daß das
16 Gegenteil bei Kant gedruckt steht?
Freilich sind das Kritiken, keine
Romane, die man durchfliegen kann, aber wenn man sich Mühe gibt, versteht gottlob auch der gesunde Durchschnittsmensch, wofür ich mich als
Beispiel anführen kann, vortrefflich, was Kant sagt und sagen will, und die Verbreitung von Irrtümern ist darum unverzeihlich.
In den Naturerscheinungen gibt es bloß Kausalität und keine Freiheit, daran kann kein Gebildeter, er sei Thrift oder Heide, rütteln und zweifeln. Über ist denn alles Naturerscheinung?
Diese Hauptfrage, ohne
die die Erörterung gar keinen Boden hat, stellt und beantwortet Haeckel gar nicht.
Für ihn ist eo ipso alles Naturerscheinung.
Das ist be
quem, das ist dogmatisch im härtesten Sinne des Worts.
Statt die
Probleme aufzudecken, wie Kant das so meisterhaft versteht, werden sie beseitigt, und darin liegt das Tadelnswerte und herzlich Betrübende bei
einem als Forscher und Persönlichkeit so hochstehenden Manne, daß er die Probleme, an denen die größten Geister mit heißem Bemühen ge arbeitet haben und fortarbeiten, zum Spielzeug für „Kinder und Affen” herabsetzt.
3a, - ist alles, was geschieht, Naturerscheinung, d. h. etwas rein Dbjektives, das ist die Frage! Ich maße mir nicht an, sie zu lösen. Dafür haben wir unsere Philosophen, die die Arbeit mit Begriffen bester verstehen als ein Naturforscher, dafür haben wir die Fachmänner der
experimentellen Forschung, die die Grundlagen zu schaffen haben.
Aber fragen darf und muß man zunächst: Inwiefern sind unsere Seelenregungen, unsere Gefühle, bloße, der Kausalität unterliegende Naturerscheinungen? Daß sie bedingt sind, be sonders physiologisch, wird nicht bezweifelt, aber Bedingung ist nicht gleich der Ursache.
Also wo liegt der Vergleichspunkt dafür, daß Ge
fühle und Seelenvorgänge überhaupt Naturerscheinungen sind? wo und wie kann ich Liebe und haß sehen und den Gedanken?
Kann ich sie
messen, wägen, analysieren, photographieren, denn das ist bei Natur
erscheinungen möglich,
wenn die Seelenvorgänge Naturerscheinungen
(bas ist wohl von ihrer Zugehörigkeit zur Natur zu unterscheiden, denn sie
sind nicht übernatürlich) sind,
dann
muß doch irgendeine
Ähnlichkeit zwischen beiden wirklich festgestellt werden.
Ehe diese Vorfrage nicht erledigt ist, hat die ganze Behauptung, es gibt nur Kausalitätsketten, keine Freiheit, nur den wert der subjek-
17 tiven Meinung.
Die gegenteilige Ansicht kann sich immer wenigstens
auf bas tatsächlich vorhandene Gefühl der Freiheit stützen. Haeckel weise wissenschaftlich nach, daß dies Gefühl Täuschung sei, bann wollen
wir uns als Naturforscher wieder sprechen.
Kein Physiker würbe sich
unterstehen, eine optische Erscheinung als Täuschung zu bezeichnen, ohne dafür den Beweis zu bringen. warum begibt sich Haeckel nicht auf den Weg der physiologischen
und experimentellen Psychologie, die sich schon lange die Aufgabe gestellt hat, festzustellen, ob und inwiefern die psychologischen Vorgänge Natur erscheinungen sind,
hier sind die Grundlagen für die Entscheidung zu
erwarten, aber daß sie heute schon auch nur Halbwegs vorhanden wären, hat noch kein experimenteller Psychologe behauptet, warum wird nicht in den Welträtseln auf die Werke Ziehens, wundts u. a. als (Quellen der Einsicht hingewiesen, anstatt solche wahre wisienschast zu ironisieren
und davon abzuschrecken. wenn die Frage: Kausalität oder Freiheit oder beides nebenein
ander, bloß eine rein theoretische wäre, hätte der Naturforscher keinen
Beruf, sich hineinzumengen.
Ls handelt sich aber vielmehr um prak
tische Fragen, die alle Menschen angehen.
Lebensführung und Moral
werden grundverschieden ausfallen, je nach der Entscheidung. bloßer Kausalität ohne Freiheit aufgebaute
Die auf
„monistische Sittenlehre"
wäre keine gleichgültige Neuerung für die Menschheit.
Daß die Freiheit keine absolute, sondern nur relativ ist, ist selbst
verständlich, denn alles in der Welt ist für uns bloß relativ,
wer
aber freiwillig die Entschließung des gesunden Menschen aufgibt, der
macht sich selbst zum kranken Mann. Es kommt mir, wie gesagt, nicht
in den Sinn, mich ausführlich in die scharfsinnigen Untersuchungen der Philosophie über die Freiheit mischen zu wollen.
AIs bloßer unbe
fangen denkender Naturforscher darf ich mir aber um so mehr die
Worte Schillers zu eigen machen: „Übet diejenigen Ideen, welche in dem praktischen Teil des Kantischen Systems die herrschenden sind, sind nur die Philosophen
entzweit, aber die Menschen, ich getraue mit es zu beweisen, sich jederzeit einig gewesen." *)
*) Schiller, Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. 2
Hansen. Grenzen der Religion und Naturwissenschaft.
18 fln dieser Einigkeit wird Haeckels negative Philosophie scheitern.
(Er
verheißt uns zwar ein neues Zeitalter der Kultur, wird aber die Mensch heit nicht über das hinausbringen, was Schiller in seinem Aufsatz „über
das Erhabene" treffend physische Kultur nennt, dings die Freiheit nicht herrschen.
hier wird aller
Der Mensch wird trotz seiner Herr
schaft über die Natur nichts weiter sein als ein angstvoll herrschender Gewalthaber, denn die Natur bleibt eine gefeffelte Bestie, die jeden
Moment die Fesseln zu zerreißen strebt.
Das Leben wird unter der
physischen Kultur entweder Anmaßung und Herrenmoral oder kleinliche Angst werden, wahre Lebensfreude, die dem Gefühle der Freiheit
entspringt, hätte in dieser Weltanschauung keinen Platz.
Daß dieser physische Standpunkt der höhere sei, weil er auf größerer Willensenergie beruht, wegen seines Verzichtes auf das Moralische, ist
eine kühne predigt.
(Es kommt darauf an, worauf man verzichtet, um
von Fortschritt oder Rückschritt reden zu können.
Schiller kennzeichnet
den moralischen Standpunkt als den höheren durch Schilderung eines
Menschen im Unglück.
Für den Physiker gibt es auch hier bloß ge
fühllose Anerkennung der Kausalität.
Wenn ein Mensch stirbt, so ergibt
die Krankengeschichte, daß er sterben mußte. Ihm ist er tot, und damit
gut
Aber wie viele Tote haben den Lebenden Segen gebracht, welche
die rohe Kausalität moralisch überwanden.
Wir wollen an die Kämpfer
fürs Vaterland denken, deren Namen doch nicht umsonst auf ehernen Tafeln stehen.
Jeder greife aus seinem eigenen Leben Erinnerungen
an seine Gräber heraus: Betracht sie genauer, Und siehe, so melden 3m Busen der Helden Sich wandelnd« Schauer Und ernste Gefühle. Doch rufen von drüben Die Stimmen der Geister, Die Stimmen der Meister: „versäumt nicht zu üben Die Kräfte des Guten."
3m Lande der physischen Kultur hat es keinen Sinn mehr, sein
Leben für ein Ideal zu opfern, das ist einfach Dummheit, es wider spricht dem ehernen Gesetze der Selbsterhaltung.
19 Freiheit ist ein Bewußtsein und als solches von der Naturforschung als Tatsache zu behandeln. Vie Naturforschung kennt Kein Ableugnen,
sondern nur Untersuchung. (Es wäre also nachzuweisen, daß und warum dies Bewußtsein bloße Täuschung sei, wie Haeckel behauptet.
Das ist
in den „Weiträt,ein" nicht geschehen. Solange das aber nicht geschieht, ist es ein verzweifelter Verzicht, bloß einer Analogie mit der Natur wegen anzunehmen, daß wir nur Sklaven der Kausalität wären. Da der Monistenbund noch länger die Minorität der Menschheit bilden wird, so Kann man ruhig abwarten, wie er sich praktisch ohne
den Begriff der Freiheit zurechtfindet. ungefährlich.
Das Experiment scheint mir
Denn zunächst ist es wohl ausgeschlossen, daß es den
Monisten gelingt, die politischen Staaten in philosophische umzuwandeln. Gelänge dies bei uns zuerst, dann wäre es mit der politischen Freiheit
bei uns
in Deutschland
vorbei, und wir würden ein Vasallenstaat
glücklicherer, nicht monistischer Staaten werden, dem Monistenbund nicht
hoch.
zu
Nach
vielleicht ist der Preis
unserer Ansicht wäre das
freilich nach dem jahrhundertelangen Ringen des deutschen Volkes kein
grandioses
wäre auch
Endziel.
Wollen
wir
politisch
noch
etwas
bleiben,
so
aus diesem Grunde der Monismus Haeckels abzuweisen,
solange Treitschke recht hat mit dem Satze:
„Nur ein Volk starken
Sinnes für die persönliche Freiheit kann die politische Freiheit er
ringen und erhalten."
„Monistische" Moral. Es wäre Verleumdung zu behaupten, Haeckel wolle in seinem
Monismus die Immoralität predigen, aber wenn er die Freiheit als schädliches Dogma verwirft, befehdet er auch jede vom Dogma freie Moral.
Ghne den Begriff des Ich, ohne den Begriff der Freiheit kann
eine Moral nicht bestehen.
Es ist nichts damit gesagt
schaffenes Leben", das ist die wahre Moral!
Haeckel der Maßstab für die Rechtschaffenheit?
„ein recht
Was ist denn bei
Ghne das Bewußtsein 2*
20
der Freiheit zu moralischen Entschlüssen und Gesinnungen und ohne
Maßstab gibt es gar keine Rechtschaffenheit, im Gegenteil nur Unsicher heit und Willkür, wie gerade das moderne richtungslose Leben so viel fach beweist.
3m praktischen Leben muß Haeckels Ansicht von der Freiheit, z. B.
bei der Rechtsprechung, bei der Erziehung, irreführend wirken.
Das
Rind in der Schule, der angeklagte Verbrecher dürfen sagen, ich bin straflos, mein Gehirn hat das Schlechte gedacht und meine Hand bewegt,
die Urkunde zu fälschen.
Eine Verantwortlichkeit gibt es in keinem
Beruf mehr, denn der Mensch ist bloß Sklave seiner „grauen Hirnrinde". Das sind die praktischen Ronsequenzen des „neuen Monismus".
Die
Richtigkeit meiner Schlußfolgerung wird Haeckel um so weniger abweisen
können, als ein hervorragender Vertreter der physiologischen Psychologie, der gleich Haeckel in den psychologischen Vorgängen strenge Kausalität
annimmt. Th. Ziehen, ihre Selbstverständlichkeit schon belegt hat. (Leit
faden der physiologischen Psychologie (1896, S. 224.)
(Es heißt dort:
„Der Begriff der Verantwortlichkeit widerspricht in der Tat den Ergebniffen der physiologischen Psychologie.
Diese lehrt: unser han
deln ist streng nezessitiert, das notwendige Produkt unserer Empfin
dungen und Erinnerungsbilder. Man könnte also dem Menschen eine
schlechte Handlung ebensowenig als Schuld zurechnen, wie einer Blume ihre Häßlichkeit. — Der Begriff der Schuld und der Verantwortlichkeit ist — um den Gegensatz kurz zu bezeichnen
—
ein religiöser oder
sozialer." wir sehen, daß bei Ziehen die Sache mit dem physiologischen
Resultat nicht erledigt ist.
Er sagt zunächst bloß, „man könnte"!
Er denkt nicht daran, den Begriff der Verantwortlichkeit zu leugnen. Er weist ihn, indem er hier, wie anderswo die Grenzen der physiologi schen Psychologie offen aufzeigt, der Religion oder Soziologie zu.
Haeckels
Monismus kennt aber gar keine andere Instanz als die Raturwiffenschast, das ist ja das Programm dieses Monismus.
Seine naturwiffen-
schaftliche Psychologie soll an Stelle der Religion und anderer Träume
des Gemüts treten.
Begriffen,
Sie sind ganz zu beseitigen, natürlich mit ihren
was daraus wird, ist gleichgültig.
untergehen, wenn nur „mein Monismus" bleibt.
Die Menschheit mag (Es ist merkwürdig,
21 wie wenig Verständnis dieser große Biologe für die Forderungen
des Lebens hat.
Haeckel mag noch so sehr die Rechtschaffenheit des Lebens persön lich empfehlen, ohne die theoretische Grundlage der Freiheit kann es
keine Verantwortlichkeit geben,
wenn der Mensch nicht mehr frei ist
vom Zwange, etwas gegen die Vernunft zu tun, tut er eben das Un vernünftige und Unrechtschaffene.
Mit Haeckels Grundsätzen hört aber
nicht bloß die Moral auf, sondern auch die Kultur.
Kein Handwerk,
kein Gewerbe ist ohne das Bewußtsein der Verantwortlichkeit möglich.
Jeder Eisenbahnbetrieb, jede Schiffahrt über den Gzean muß aushören, wenn niemand mehr verantwortlich sein will, sondern sagen darf, ich
bin nicht frei, sondern nur ein blinder Sklave meines Körpermechanis
mus.
(Es wird weder wissenschaftliches noch künstlerisches Verdienst
geben, denn der Mensch arbeitet nur als komplizierter, aber willenloser
Automat und da die Anerkennung ein Hauptimpuls in wiffenschaft und Kunst ist, so wird für beide das Motiv fehlen.
Wenn jemand behauptet, das folgere alles aus naturwiffenschaftlichen Gesetzen, so ist das falsch, die Naturwiffenschaft hat mit diesen
Dingen gar nichts zu schaffen. Dhne Freiheit gibt es kein moralisches Gesetz!
Nach Haeckel sind Gott und Natur ein und dasselbe.
Demnach
gibt es für uns, die wir nicht Gott, sondern nur die Natur mit den
Sinnen erkennen, bloß Naturgesetze, die bei Haeckel in die Einheit des „Substanzgesetzes" zusammenfließen. Es ist klar, daß daraus folgt: das
physisch Mögliche ist auch das moralisch Mögliche, und der Unmündige
macht daraus mit Sicherheit: das Natürliche ist auch gut.
Zwar wird
er vielleicht überlegen, ob es nicht Ausnahmen von dieser Regel gibt.
Aber diese Frage führt ihn nur weiter in den Irrtum hinein.
Die
Naturerscheinungen der lebendigen Welt sind, praktisch angesehen, ent
weder zweckmäßig oder unzweckmäßig oder gleichgültig.
Es wird also
sogleich das Gute als das Zweckmäßige im weitesten Sinne definiert
werden, da es andere empirische Motive des handelns nicht gibt.
Die
monistische Moral folgert auch, wir halten uns im praktischen Leben streng an die Beobachtung der Naturgesetze, weil das für unsere technische
Lebensgestaltung zweckmäßig ist, und so sind wir auch moralisch, weil das zweckmäßig ist.
(Es ist nun aber ganz ausgeschloffen, daß die Be-
22 folgung nach
wirklicher
gleichfalls
Moral
menschlichen Begriffen
ergibt.
immer
Resultate
zweckmäßige
Vie persönlichen Nachteile,
die
oft durch moralisches handeln entstehen, müssen einer naturalistischen
Philosophie ganz unzweckmäßig für die Existenz des Individuums und
damit sinnlos erscheinen.
Durch solche Erlebnisse würde die Moral
schließlich im besten Falle nur als Zwang erscheinen und eine moralische Gesinnung sich nicht befestigen können. lich und zur Heuchelei werden.
Vie Moral würde rein äußer
Dahin kommt man sicher mit Haeckels
Empirismus, der sich unter dem schönen Namen „Monismus" verbirgt. Es handelt sich hier nicht um Deutungen des haeckelschen ethischen
Monismus.
Vas von Haeckel
(W.-R. S. 140)
verlangte
„auf dem
realen Boden der sozialen Instinkte erwachsene naturgemäße Gleichge
wicht zwischen Egoismus und Altruismus" ist, trotz der schönen Worte,
eine bloße Moral der Zweckmäßigkeit und des gegenseitigen Vorteils, die Moral wird bloße Geschästssache.
Zweckmäßigkeit ist immer etwas
Empirisches, kann also gar nicht als allgemeines Gesetz gelten, weil sie vor
der Handlung noch gar nicht erkennbar ist, sondern man gar nicht weiß, ob das, was man tut, wirklich zweckmäßig ist. Was Pflicht ist, weiß dagegen jeder gesunde Mensch ziemlich genau aus seiner Rinderlehre, und wenn er es nicht mehr weiß, wird er es durch physische und mora
lische Rippenstöße von neuem lernen.
Kant hat ganz recht, wenn er
den Empirismus für noch gefährlicher hält, als den Mystizismus.
Was
die monistische Moral uns bescheren kann, sind im besten Falle alte,
abgetane Dinge:
Epikureismus oder Glückseligkeitslehre,
hier, in
der Zerstörung der Freiheit und damit der Moral, nicht in dem
orthodoxen Atheismus liegt die pathologische Stelle der Welträtsel, von der eine schlimme Infektion ausgeht. Atheismus hat es immer gegeben,
und er ist niemals der Vernunft ernstlich gefährlich geworden.
Zugrunde richten wird der Empirismus die Moral nicht, weil nur
bei ganz gedankenlosem Dahinleben der Widerspruch übersehen werden kann, der entsteht, wenn man den Begriff des Ich als praktische Ein heit, welcher doch etwas mehr umfaßt als die „graue Hirnrinde", und wenn man die Freiheit aufgibt.
Eines bleibt wieder unverständlich: daß Haeckel auch hier seinen eigenen Widerspruch nicht gewahr wird.
Haeckel leugnet nicht die
Notwendigkeit der Moral, er will vielmehr selbst eine „monistische Sit-
23 tenlehre" aufstellen.
Vas ist, da die Freiheit die Vorbedingung jeder
Moral ist, schlechterdings unmöglich, wenn Haeckel die Freiheit leugnet. So widerspricht seine grandiose „Zertrümmerung der menschlichen Frei
heit" seinem eigenen Programm vollständig.
Die Religion. Haeckel hält auch bekanntlich die Religion für überflüssig, für eine
„abgetane Sache".
Um so seltsamer
wird
man berührt, am
Schlufle der lvelträtsel einem Kapitel zu begegnen, überschrieben „Unsere monistische Religion".
Das ist freilich eine wunderliche Religion!
Sie
besteht aus einigen geretteten ethischen und ästhetischen Brocken der alten zerschlagenen Kultur, um dem Verstandesphilister des monisten knetenden Prometheus etwas Glasur zu verleihen.
Kein einziger neuer Wie sollte wohl
ethischer Grundsatz ist von Haeckel ausgesprochen.
auch? Kant hat sich schon verwahrt, daß das möglich sei. Rls Wider spruch erscheint dabei, daß Haeckel die paar ethischen Gebote, die seine
monistische Religion
enthält, dem früher verunglimpften Christentum
glatt entnimmt.
Warum heißt das Religion? Vas Wesentliche jeder Religion, das
Bewußtsein des Individuums von dem Zusammenhang seiner Endlichkeit mit einem Göttlichen, mit einer moralischen Idee, fehlt ganz.
Ruch hat
Haeckel vorher auseinandergesetzt, in seinem Monismus seien wissenschaft und Religion vollkommen in eins verschmolzen.
Wozu also dies neue Produkt? Haeckel hätte bei Herder so gut erfahren, daß Wissenschaft und Religion
nicht
zusammenfallen können, als
daß
die Religion kein
Elaborat, sondern eine kausale, d. h. natürliche Erscheinung ist. Dem nach liegt, anstatt von einer abgetanen Sache zu reden, vielmehr auch für den Naturforscher die Aufgabe vor, der Ursache der Religion, die doch einmal existiert, nachzugehen. Und wieviel veftiedigendes findet
zumal der Naturforscher in Herders Theologie?
Zwar hat er keine
eigentliche Theorie der Religion aufgestellt*), aber ich glaube, doch bei Herder die Ansicht ganz deutlich zu erkennen, daß religiöse Vorstellungen,
') vergl. wielandt S. 56.
24 so gut wie alle anderen, aus Empfindungen entstehen, die durch äußere Ursachen ausgelöst werden.
Aus dem Studium Herders haben sich die
folgenden Gedanken entwickelt, die wohl jeder Naturforscher als vor
urteilsfreie Überlegungen gelten lassen wird*). Vie Entstehung des religiösen Gefühls ist sicher ebensowohl ein
begreiflicher psychologischer Vorgang, wie andere psychologische Erschei
nungen.
Da das Substrat auch in diesem Falle unser Gehirn ist, so
ist es ganz unmöglich, durch bloßes haeckelsches Dekret die Religion
abzuschaffen, man müßte denn vorher den körperlichen Menschen und sein venkorgan erst umzüchten.
erbung"
Haeckel, der so sehr aus die „Ver
pocht, vergißt sonderbarerweise ganz, daß wir mit unserer
Gehirnstruktur auch
unsere Empfindungswelt und unsere Logik von
unserm vorfahren, dem Tertiärmenschen, geerbt haben, und beides nicht, bloß „um sich zu verändern", wie unsere Dienstboten sagen, nach Belieben
umwandeln können. Es ist geradezu unbegreiflich, daß ein Naturforscher behauptet, die
Fähigkeit zur religiösen Vorstellung sei eine Anpassung an irrtümliche Lehren der Rindheit.
Vie Ursache jeder Vorstellung ist immer eine
Empfindung, und mit dieser können Lehren gar nicht erfaßt werden, wir wiffen alle, daß Vorstellungen mit religiösem Gefühlston durch
bloße Sinneseindrücke ausgelöst werden, z. B. durch den Anblick eines religiösen Symbols, eines Tempels, eines Doms, durch Glockengeläute usw.
Meinetwegen mag man hier auf Erziehung und Erinnerung Hinweisen
und sogar das unpaffende Wort Anpassung hingehen lassen.
Damit
wird die Erklärung der religiösen Empfindung nicht geändert.
Denn
diese entsteht auch ohne jedes Symbol, beim Anblick des gewaltigen
Sternenhimmels, des Erhabenen, oft auch des Sorten und Feinen in der Natur.
Religiöse Empfindung wird also unmittelbar durch sinnlichen
Eindruck veranlaßt.
Der Keim dieses Gefühls ist die Ehrfurcht vor
*) 3m Studium von Herders Theologie bin ich wesentlich durch mehrere ausgezeichnete Bücher gefördert worden, die ich auch jedem Naturforscher empfehlen möchte. (Es sind die folgenden: Rudolf wielandt, „Herders Theorie von der Religion und den religiösen Vorstellungen". Berlin 1904. horst Stephan, „Herder in Bückeburg". Tübingen 1905. über „Herder als Philosoph" ist kürzlich ein lesenswertes Buch von Carl Siegel erschienen, (Cotta 1907.
25
dem Erstaunlichen und Unbegreiflichen.
Eindruck
selbst
betäuben,
beim
Nur künstlich laßt sich dieser
krassesten Materialisten versagt die
Kunst beim Anblick des nächtlichen Himmelsgewölbes oder anderer ge
waltiger Naturbilder.
Es ist ein ursprüngliches Gefühl und so wenig
angelernt, wie die ästhetische Bewunderung, die ein künstlerisch ganz unge lehrtes Menschenkind ergreift, wenn man es plötzlich vor den vom
von Florenz oder das Kolosseum stellt.
Auch das Religiöse ist zunächst
bloß Gefühl, keine Lehre, noch weniger ein Befehl oder unvermittelte
Erleuchtung durch ein übersinnliches Wesen oder einen heiligen Geist. Es bedarf zur Entstehung der Religion gar keiner, auch nur eingebildeten
übersinnlichen Dffenbarung. vollkommen aus.
Vie natürlichen Grundlagen reichen dafür
Es handelt sich um ganz natürliche, kausale, aus
unserer Organisation folgende Dorgänge1).
Selbstredend ist es ebenso
schwer, ja unmöglich, das religiöse Gefühl mit seinen asioziierten Vorstellungen und Gefühlstönen bis auf den Grund zu analysieren, wie andere Gefühle.
Aber der psychologische Ursprung der Religion und damit ihre natür liche Entstehung stehen fest. Herder nennt den ganzen psychologischen Vorgang, den er wohl erkannt, wenn auch nicht genau analysiert hat,
einfach Dffenbarung.
Haeckel, der diesen Begriff nur aus dem alten
Testament kennt, wird seine Respektierung durch einen Naturforscher
unbegreiflich finden.
Herder hat aber diesen Begriff ganz umgebildet
zu einem psychologischen, der mit der künstlerischen Offenbarung, d. h.
dem beweislosen psychologischen Erfaffen des Schönen, als einer Einheit, verwandt
ist.
Die
Assoziationen
von
religiösen
Vorstellungen
und
Gefühlstönen, sagen wir kurz mit Herder die psychologische religiöse Offenbarung besteht aus einem Komplex, der freilich nicht die Religion
selbst ist, so wenig wie poetische Stimmung und poetisches vermögen ein Gedicht find.
Das Gefühl bildet nur den-Boden,
das natürliche
Substrat, auf dem die Religion mit ihrer Symbolik der Vorstellungen
*) Die Ansicht von D. $• Strauß (alter und neuer Glaube), daß die Furcht und Angst vor den das Menschenleben bedrohenden Naturerscheinungen der Ursprung der Religion sei, erscheint mit sehr oberflächlich gegenüber der Tat sache, daß diese Furcht schon früh, nicht zur Religion, sondern zur technischen Abwehr geführt hat, und daß die Religion gerade die Furcht durch Ergebung in einen höheren Willen beseitigt hat. Eher könnte man annehmen, daß der Atheismus vielfach aus bloßer Angst vor einem rächenden Gotte entstehen könne.
26 erwachsen kann und mutz, denn ohne Symbole können die Vorstellungen gar nicht verständlich werden,
so wenig,
wie viele wissenschaftliche
Vorstellungen *).
Offenbar sind ursprünglich religiöse Stimmungen ohne Willensakt durch den Eindruck der Natur entstanden, was Herder ebenfalls als
seine Ansicht, wenn auch nicht ganz bestimmt in Worten, so doch ziemlich deutlich dem Sinne nach zum Ausdruck bringt. (Es läßt sich durch Selbst beobachtung feststellen, daß auch die heute gewollten, durch Erziehung
erworbenen, religiösen Stimmungen ohne eine Mitwirkung der Sinne gar
nicht oder nur sehr schwer hervorgerufen werden.
Dafür genügen aber,
weil schon Lrinnerungsvorstellungen in Menge vorliegen, oft ganz un bedeutende Sinneseindrücke, z. B. das Muskelgefühl beim Falten der
Hände oder bei der Neigung des Kopfes, welche Bewegungen nicht Folge, sondern Ursache der religiösen Stimmung sind.
Vas weiß jede
Mutter, die ihr Kind beten lehrt. Insofern sind die in den verschiedenen
Kulten üblichen Bewegungen nicht belanglos oder töricht, sondern diese meist traditionellen Bewegungen sind bei der Erregung der Stimmung
in hohem Matze beteiligt.
So können auch die gottesdienstlichen Gebräuche
nicht als blotzer Fetischdienst bezeichnet, sondern müssen als Stimmungs mittel für den gewollten Zweck, und zwar als bis zum gewiffen Grade not wendige Mittel angesehen werden. Nur ihre Übertreibung verdient scharfe
Verurteilung. 3n dieser Beziehung steht die religiöse Stimmung in ihrer Abhängigkeit von Sinneseindrücken in genauer Analogie mit den meisten anderen Gefühlen, z. B. der Liebe oder dem 3orn, in den Grenzen gesunder
Gehirntätigkeit.
Auch diese Gefühl« sind durchaus abhängig von einem
sinnlichen Eindruck der unter Umständen nur gering zu sein braucht.
Aber ohne den Anblick einer Person oder Sache,
ohne Reizung
des
Gehörs oder Gefühls wird niemand vom Zorn ergriffen, nur ein ver
rückter wird durch blotze Vorstellung veranlatzt, um sich zu schlagen. Ohne sinnlichen Reiz wird das Gefühl der Liebe gar nicht entstehen,
höchstens ein anderes, die Sehnsucht.
Es ist klar, dah, wenn unsere
religiösen Symbole nicht psychologisch notwendig wären, sie sich nicht
so lange selbst bei gebildeten Völkern erhalten hätten, denen sie doch *) Man braucht bloß an dl« Arithmethik oder an die Geographie zu er innern, die letzter« arbeitet mit dem Globus und in manchen Kartenprojektionen sogar bewußt mit, der Natur nicht entsprechenden, Symbolen.
27 als bloße Gegenstände behandelt, bekanntlich oft unbedeutend genug
erscheinen. Und nicht umsonst macht die llirche so ausgiebigen Gebrauch von Grgelton und Glockenklang, von Weihrauch und Kirchenprunk. Vie meisten Menschen wissen freilich nicht, daß dieser Umstand ihretwegen
und nicht zu Ehren des höchsten Wesens gemacht wird. Warum werden nun also gerade dem religiösen Menschen seine not wendigen Stimmungsmittel von den Monisten verunglimpft und geraubt, während doch der ästhetisch Gebildete auch nach Ansicht der Monisten
sich immerfort zu Hause und draußen mit seinen Stimmungsmitteln
umgeben darf, ja, umgeben soll!
Was
ist
denn
auch
Leben
unser
ohne
Pracht
Stimmung?
bauten, Denkmäler, Gartenanlagen, Reden und Festmusik, Festkleider,
Amtstrachten,
Grden
und
Titel
sind
auch
als
nichts
Stimmungs
mittel, letztere sogar mit moralischem Effekt, solange man dem Grundsatz huldigt, noblesse oblige.
warum läßt sich Haeckel gern mit einem
Schädel oder Skelett photographieren, als um Stimmung zu erregen. Also welch ein Widerspruch in den monistischen predigten gegen das Religiöse.
Der Gebildete kann ja auch mit einem Minimum religiöser
Symbole auskommen, sie dem einfachen Menschen zu nehmen ist Unge
rechtigkeit und Grausamkeit, die keine Naturwisienschaft entschuldigt. So lange man den allgemeinen Kultus der Stimmung überhaupt nicht
abschafft, und Häckel hat ihn selbst durch die Annahme des Titels Exzellenz öffentlich gebilligt, so lange hat man kein Recht, die Stim mungsmittel
des
religiösen Kultus
zu verdammen.
Jeder hat die
Freiheit, davon Gebrauch zu machen oder nicht, genau wie bei Titeln und Grden.
Inwieweit die auch von Kant als berechtigt anerkannten
Stimmungsmittel mit dem eigentlichen moralischen Zweck der Religion verwechselt werden können, und wie man dieser Gefahr durch richtige
Beurteilung zu entgehen habe, hat Kant kritisch-philosophisch mit einer
Ausführlichkeit
behandelt,
daß dagegen Haeckels unvollständige und
zusammenhangslose, vor allem nicht mit vernunstkritik, sondern mit
scherzhaften
Bemerkungen
operierende
Darstellung
minderwertig ist (Kant, „Vie Religion"; Abt. 4:
ganz
und
gar
„vom Dienst und
Afterdienst unter der Herrschaft des Guten Prinzips"). Religion als abgetane Sache zu bezeichnen, ist also auch vom
Standpunkt des Naturforschers bloße unwiffenschastliche Meinung.
Häckel
28 stände es frei, an den Formen der Religionen Kritik zu üben, aber
nur, wenn er ebenso gründlich zuvor Theologie studiert hätte, wie etwa Herder Naturwissenschaft.
Verspottung des
Haeckels Kritik besteht wesentlich in einer
Christentums und der Evangelien (S. 125).
Dem
gegenüber ist jedenfalls merkwürdig, daß gerade ein Physiker und Satiriker über diese ehrwürdigen Bücher das Folgende sagt: „Vas neue Testament ist ein auctor classicus,
das beste Not-
und Hilfsbüchlein, das je geschrieben worden ist, daher man jetzt auf
jedem Dorfe der Lhristenheit mit Recht einen Professor eingesetzt hat, diesen Rutor zu erklären.
Daß es viele unter diesen Professoren gibt,
die ihn nicht verstehen, hat dieser Rutor mit anderen Autoren gemein.
Aber dadurch unterscheidet sich das Buch gar sehr von anderen, daß man Schnitzer in der Erklärung desselben sogar geheiligt hat." Der Mann, der dies schrieb, heißt Lichtenberg, dem niemand das Mißtrauen eines Frömmlers entgegenbringt.
Sollte nicht also doch
unsere riesige Naturerkenntnis dies opus classicum
so gut dulden
können wie andere Klassiker, denen wir auch einige Irrtümer neben
dem Füllhorn ihrer Schätze zugute halten? Kant
sagt (Kt. d. pr. v., S. 104, Reclam):
Im Gegensatz zu
den moralischen Schwärmereien von älteren Philosophen und Tugend
lehrern Kann man dem Evangelium mit aller Wahrheit nachsagen, daß es zuerst durch die Reinheit des moralischen Prinzips und
durch die
Rngemesienheit an die Beschränktheit der Menschen sie der Zucht der bloßen Pflicht unterworfen, und dem menschlichen Eigendünkel und seiner Eigenliebe die Schranken der Selbsterkenntnis gesetzt habe.
Daß dies richtig ist, ergibt sich daraus, daß Gottlob die Mehrzahl der Menschen wenigstens moralisch sein will und kann auf Grund bloßer
Erziehung durchs Evangelium, ganz ohne Studium theoretischer Moral.
Zur Verneinung der praktischen Frage: Brauchen wir noch eine Religion? ist Haeckel als Naturforscher gar nicht berechtigt, weil die Naturwisienschaft gar keine vollgültige Instanz sür diese Frage ist. Die
Natursorschung hat nicht mit ja oder nein, sie hat mit Tatsachen zu antworten.
Die Tatsachen drängen aber den Naturforscher zu der Ant
wort: Wir können der Religion gar nicht entgehen, da sie sich aus
physiologisch-psychologischen Vorgängen im Menschen, also aus natür lichen Grundlagen
entwickelt.
Das
genügt.
Es
kommt
aber noch
29 hinzu, daß auch der Weg der Vernunft ebendahin führt.
Die Moral,
obgleich an sich unabhängig von einem religiösen Ideal, führt doch
immer zur Religion in irgendeiner Form, da der Mensch in seiner Ausübung viel zu unsicher über das Moralgesetz wird, wenn er nicht in seiner Vorstellung ein moralisches Ideal sesthält?)
Gerade die Gründe, die Haeckel für die Beseitigung des Christen tums
anführt,
sind
nicht
stichhaltig.
(Er
behauptet,
es
stehe
im
schärfsten Gegensatz zur Wissenschaft ($. 124) und zur Kultur (Kulturver achtung, S. 142).
Beide Meinungen werden jedenfalls erschüttert durch
die bemerkenswerte Tatsache, daß nur christliche Völker einen Galiläi,
Dante, Raphael, Lionardo, Shakespeare, Goethe, James Watt, Lamarck, Darwin, Lavoisier, verzelius, Liebig, Robert Mayer, Kelvin, Maxwell, Helmholtz, Bismarck hervorgebracht,
und
nicht der Islam oder die
Chinesen, obgleich sie sogar, was bei uns in Deutschland viel gilt, das Pulver
erfunden
haben
sollen.
Sollte Robert Mayer, wenn er ein
Chinese gewesen, vielleicht sogar das Substanzgesetz früher entdeckt haben?
An Stelle des Christentumes soll der Monismus treten, eine Religion ohne Religiosität, die trotzdem (W.-R. 165) mit dem reinsten Mono
theismus zusammenfallen soll, da sie im „Sinne aufgeklärter Theologie" (?) „Gott als die Summe aller Kräfte und Wirkungen" betrachtet.
An
diesen „Gott" darf und soll auch der Naturforscher glauben. Natürlich ist es falsch, diese Ansicht reinsten Monotheismus zu nennen, es ist Pantheismus und in dieser Form nicht neu, sondern uralt.
(Er sagt
nicht mehr als die orphischen Verse: *) Vatz in der christlichen Religion dies Ideal ein Mensch ist, macht ihre Verbreitung verständlich. Die Evangelien befinden sich übrigens in der Schil derung der Person Lhristi in einer merkwürdigen Übereinstimmung mit Kants rein philosophischer Forderung, daß das Sittengesetz nur in dem Menschen vollkommen wirkt, der es frei von Absichten für sein Wohlbefinden ausübt. Moderne Vorbilder noch so großer und edler Menschen können mit dem Vor bild der Evangelien nicht konkurrieren und würden höchstens die Phantasie mit falschen Idealen versehen können, da sie hinter dem Begriffe der Moral weit zurückbleiben. Die Ungewißheit, ob Lhristus gelebt hat oder nicht, ist moralisch ohne Belang, hat er gelebt, so war er geradezu eine Verkörperung des moralischen Gesetzes, hat er nicht gelebt, so ist die Erzählung von ihm nur ein Ausdruck des Gesetzes, er ist mit diesem identisch. Für die heutige Welt ist beides praktisch gleichbedeutend. Der versuch Haeckels „Saladins gesammelte Märchen" zu verbreiten, um die Persönlichkeit des Lhristus zu beseitigen, hat daher, abgesehen von der trüben (Quelle, nicht einmal einen vernünftigen Sinn.
30
„3eus ist Haupt, 3eus Mitte, aus 3eus ist alles entsprossen, 3eus ist Wurzel der Lrde zugleich und des leuchtenden Himmels."
Bet der Haeckelschen Fassung kann man nicht mehr denken als
bei dieser und bei dem, was Tenophanes und die Cleaten sagten. Wenn das wirklich die höchste Weisheit ist, seltsam, daß sie dann die Menschen in 2500 Jahren nicht glücklich machen konnte.
Das lehrt wieder, daß
die philosophisch vollkommenere Ansicht nicht immer die ist, welche man
brauchen kann.
Auch die atomistische Ansicht ist philosophisch unvoll
kommen, und doch will sie niemand in der wisienschaftlichen Anwendung
misten.
So wird es wohl noch lange dauern, bis dieser inhaltsleere
Monismus das lebenswarme, ethisch wirksame Christentum überwindet. Ich glaube, man darf über das Verhältnis der Religion zur Moral, woraus sich die Antwort über ihre Brauchbarkeit klar ergibt, dasselbe
sagen, was Schopenhauer über die Poesie und Philosophie sagt (parerga und Parolipomena, Reclam II, S. 11).
„Der Dichter bringt Bilder des Lebens, menschliche Charaktere und Situationen vor die Phantasie, setzt dies alles in Bewegung und
überläßt es jedem bei diesen Bildern soweit zu denken, wie seine Geisteskraft reicht.
Deshalb kann er Menschen von den verschiedensten
Fähigkeiten, ja Toren und Weisen, zugleich genügen.
Der Philosoph
hingegen bringt nicht in jener Weise bas Leben selbst, sondern die fertigen von ihm daraus abstrahierten Gedanken und fordert nun,
daß sein Leser ebenso und ebenso weit denke als er selbst.
wird sein Publikum recht klein.
Dadurch
Der Dichter ist danach dem zu
vergleichen, der die Blumen, der Philosoph dem, der die (Quintessenz
derselben bringt." Diese Worte Schopenhauers scheinen mir trefflich aus Religion und
Moral zu paffen. Denker.
Die Religion ist für das Leben, die Moral für den
Die Religion ist die Blume, für Toren und Weise gleicher
weise gewachsen und tröstlich.
Der Gotterglaube. Wem die Theologie nicht Kritisch und objektiv genug erscheint, um die Frage, was man glauben und wisten kann, zu beantworten, der
31 wird mit größerer Berechtigung und größerem Erfolge als bei Haeckel
bei Kant anfragen.
Kant hat mit größter Schärfe nachgewiesen, daß
die Realität eines höchsten Wesens, die Grundlage aller Religion, logisch nicht bewiesen werden kann, daß alle früher dafür gültigen Beweise
hinfällig sind.
Dadurch hat er die Naturwisienschaft längst vor Haeckel
von jeder theologischen Feste! befreit.
Aber er hat damit auch zugleich
den Glauben befreit durch den Nachweis, daß die Existenz eines Gottes ebensowenig widerlegt werden kann. Gleiche Freiheit der wisienschaft und des Glaubens verdanken wir
diesem gewaltigen Freiheitsbringer. Noch mehr! Kant hat bewiesen, daß,
wenn den christlichen Glaubenslehren auch der Beweis der Realität fehlt,
sie dennoch als Symbole vernunftgemäßer Ideen angesehen werden
können, und damit hat er die Religion auch vom Zwange jedes Dogmas befreit.
Der versuch Haeckels, Kant bei der Allgemeinheit, ehe er ihr
überhaupt in dieser Richtung bekannt geworden ist, zu diskreditieren, arbeitet nicht der Aufklärung, sondern der Verdummung des Volkes in die Hände.
Haeckel deutet gelegentlich an, er wolle an Stelle des Kultus
eine wahre Religion der Moral setzen. bei Kant bezeichnet.
Das Ziel ist längst und bester
Kant sagt, man könne alle Religionen in die der
Gunstbewerbung (des bloßen Kultus) und die moralische, d. h. die Religion des guten Lebenswandels, einteilen und die letztere sei
die eigentliche Religion?)
Aber Kant gibt auch an, wie man zu einer
solchen Religion gelangen kann, was Haeckel nicht tut.
Es ist tat
sächlich ein starkes Wagnis, daß Haeckel Gedanken Kants als neue, eigne hinstellt, gleichzeitig jedoch behauptet, Kant wandle auf Irrwegen.
Haeckel, der wiederholt von Kants „Widersprüchen" redet und über Kants „vernünfte" und den kategorischen Imperativ witzelt, hat an scheinend die Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft nicht gelesen,
obwohl die Anmerkung fast für ihn geschrieben scheint.
Sie lautet:
„Ein Rezensent, der etwas zum Tadel dieser Schrift sagen wollte,
hat es bester getroffen, als er wohl selbst gemeint haben mag, indem
er sagt: daß darin kein neues Prinzip der Moralität, sondern nur
eine neue Formel aufgestellt worden.
Wer wollte aber auch einen
*) Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. (Redam S. 54.)
32 neuen
Grundsatz
aller
Sittlichkeit,
einführen
diese
und
gleichsam
zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Wett in dem, was Pflicht
sei, unwissend, oder in durchgängigem Irrtum gewesen wäre?)
Wer
aber weiß, was dem Mathematiker eine Formel bedeutet, die das,
was zu tun sei, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt
und nicht verfehlen lätzt, wird eine Formel, welche dieses in An
sehung aller Pflicht tut, nicht für etwas Unbedeutendes und Ent behrliches hatten." Vas Angeführte beweist wohl schlagend genug, wie haltlos Haeckels
Behauptungen find, der Inhalt der Kr. der reinen Vernunft und der praktischen Vernunft ständen in krafiem Widerspruch, von Widerspruch zwischen Kants Werken oder von einer Unklarheit über seine Abfichten
kann nur der Unverständige reden.
Ehe Haeckel so selbstbewußt vom
Dualisten Kant spricht, sollte er doch in der praktischen Vernunft nach lesen, wo Kant die berechtigte Erwartung ausspricht,
„es vielleicht
dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) zu bringen, und alles aus einem
Prinzip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfnis der
menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Ein
heit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet." eigene Worte.
Das find Kants
Will man annehmen, daß diese Aufgabe mit dem leeren
Geklapper der Worte Monismus und Substanzgesetz gelöst sei?
Was Haeckels monistische Religion angeht, so fehlt dieser Religion vor allem das, was Goethe als die Würde, als das Geschäft aller echten Religionen bezeichnet, die Ehrfurcht.**) Mit dreifacher Ehrfurcht beginnt Goethe die Erziehung der Kinder,
damit sich daraus die Ehrfurcht
-es Menschen vor sich selbst und damit die Erhebung über das
*) Var letzte prätendieren die Welträtsel ebenso selbstbewußt, rote die Aufstellung einer neuen Grundsatzes der Sittlichkeit mit ihrem Ruf: zurück zur Natur! (S. 156) und ihrer Phrase von den „ewigen, ehernen Naturgesetzen in der moralischen Welt” (S. 140). *) Wilhelm Meisters Wanderjahr«, II. Ruch L Kap. In diesem Kapitel ist eine ganze Weltanschauung auf wenigen Blättern gegeben, wie dar nur Goethe kann. 3n wenigen Zeilen ist dar Größte über dar Christentum gesagt, dar Glaubensbekenntnis ist nirgends wie hier, philosophisch erleuchtet und der not wendige Übergang von symbolischen Zeichen zur „obersten Deutung“ gerade durch die Kürze der Darstellung in wunderbar würdiger Weise belegt.
33 Gemeine entwickele.
Der Mangel an dieser Ehrfurcht ist geradezu ein
Merkmal für die Welträtselweisheit.
was für Goethe „Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst" und
eine edle Duelle für das Leben ist, heißt bei Haeckel Anthropismus und menschlicher Größenwahn.
Auch über diesen ganz nagelneuen haeckelschen Anthropismus findet man schon beim alten Hont die vollste Aufklärung.
Das gewaltige
Schlagwort, womit Haeckel die monistischen Lichtgeister von denen der
geistigen Finsternis scheidet, will uns den Gebrauch unseres Köstlichsten
Geschenkes, der Sprache, verkümmern.
Man darf nicht nur nicht den
Gedanken, sondern auch die Sprache nicht mehr frei gebrauchen, ohne
dem Vorwurf „anthropistischen Größenwahns" zu verfallen.
Kant sagt
über die Vermenschlichung der moralischen 3bee:1)
„Es ist freilich eine Beschränktheit der moralischen Vernunft, die doch einmal von ihr nicht zu trennen ist, daß wir uns keinen
moralischen wert von Belang an den Handlungen einer Person denken
können, ohne zugleich sie oder ihre Äußerung auf menschliche weise
vorstellig zu machen, obzwar damit eben nicht behauptet werden
will,
daß
es an sich auch so bewandt
sei,
denn wir bedürfen,
um uns übersinnliche Beschaffenheit faßlich zu machen, immer einer gewißen Analogie mit Naturwesen."
Kant nennt diese Beschränktheit der Vernunft den Schematismus der Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht entbehren können und
sagt
dann:
„diesen
aber
in einen Schematismus der GbjeKt-
bestimmung (zur Erweiterung der Erkenntnis) zu verwandeln, ist An» thropomorphismus, der in moralischer Absicht (in der Religion)
von den nachteiligsten Folgen ist". Kant zu berücksichtigen,
den
Haeckel wirst schlankweg, ohne
Schematismus
der Analogie
mit dem
groben Anthropomorphismus zusammen und bringt alles, was bei Kant
sonnenklar dargelegt ist, wieder in laienhafte Unklarheit.*)
x) Kant, Vie Religion S. 66. ’) ®b hier Unkenntnis ober absichtliches verschweigen vorliegt, ist nicht festzuftellen. Man sollte annehmen, daß, wer Kant so verurteilt, wie Haeckel, ihn doch gelesen hat. Unter allen Umständen ist es unentschuldbar, bei diesen Fragen Kant nicht ausführlich zu zitieren, übrigens ist es interessant, daß Kant hier nicht scholastisch ist, sondern nur formuliert, was allgemein gedacht 1} ans en, Grenzen der Religion und Naturwissenschaft. 3
34
Der Gottesidee entspricht kein sichtbarer ober greifbarer Gegenstand,
Aber die Idee verschafft die Möglichkeit,
nicht einmal hypothetisch.
die Einheit wirklicher, von ihr in Gedanken abgeleiteter Dinge zu be greifen, auch auf moralischem Gebiet.
Kant sagt klar, verständlich und
überzeugend: „Die Dinge der Wett müssen so behandelt werden, als ob sie von einer höchsten Intelligenz ihr Dasein hätten."
3n der praktischen Lebensgestattung heißt das, wir müfien so
leben, als ob es einen Gott als höchstes moralisches Ideal gäbe, und hier möchte ich den großen Kathederatheisten wohl fragen, ob er nicht
auch so lebt?
Ich zweifle nicht daran.
Aber der unreife Nachwuchs,
der die Welträtsel liest, spricht leider anders und verkündet: Haeckel sagt, es gibt keinen Gott, und nun können wir getrost leben, wie es
Und diese Freibeuter nennen Ist Haeckel der starke Geist, die Verantwor
unserer natürlichen Immoralität behagt.
sich dann „Freidenker"/)
tung für diesen Schluß auf lange Zukunst zu übernehmen?
Man kann Kant nicht vorwerfen, daß er hier bloß ein Dogma aufstelle, vor dem ein Naturforscher sich nicht beugen dürfe,
denn die
Naturforschung hat ganz denselben Gedankengang auf ihren Gebieten längst anerkannt.
Was die Kräfte eigentlich sind, deren Wirkungen
wir kennen und in Gesetze faffen, kann uns kein Physiker sagen.
Diese Unkenntnis verwirrt den Physiker aber nicht im geringsten. Er
vergleicht
sogar
manche
Kräfte
„anthropistisch"
mit
der Kraft
unserer Muskeln und stellt Gesetze auf, als ob die Erscheinungen durch Kräfte ähnlicher Art bedingt wären.
Der Chemiker arbeitet, als ob
es Atome gäbe, mancher Physiker, als ob es keine, sondern nur einen
kontinuierlich erfüllten Raum gäbe.
Das findet volle Billigung, und
wir sollten auf moralischem Gebiet nicht mit derselben Freiheit ver fahren dürfen, bloß weil Haeckels philosophische Einsicht nicht weiter reicht als sein anatomisches Meffer? wird. Ich habe mich, um Haeckels Behauptungen zu prüfen, einmal bei ein fachen Menschen nach ihrem „knthropismus" umgetan. (Ein Bauer, den ich fragte, ob er sich Gott als alten Mann vorstelle, lächelte und sagte dann, ob gleich er Kant nicht gelesen hatte: „Ja, dar tun wohl welche, aber das kommt bloß von unserem zu kleinen verstand!" *) vergl. dazu den vortrefflichen Aufsatz von