Grenzen der Religion und Naturwissenschaft: Zur Kritik von Haeckels monistischer Religion und Naturphilosophie 9783111548456, 9783111179452


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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Die Unsterblichkeit der Seele
Die Kausalität der Katar und die menschliche Freiheit
„Monistische" Moral
Die Religion
Der Gottesglaube
Wissenschaft und Glaube
Heilmittel
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Grenzen der Religion und Naturwissenschaft: Zur Kritik von Haeckels monistischer Religion und Naturphilosophie
 9783111548456, 9783111179452

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Grenzen der Religion und Naturwissenschaft

Zur Kritik von Haeckels

Monistischer Religion und Naturphilosophie von

Dr. Adolph Hansen Professor a. d. Universität Gießen

wie sind wohl die Menschen zu dem Begriff von Freiheit gelangt? (Es war ein großer Gedanke. Lichtenberg.

Verlag von Alfred Töpelmann (vormals I. Ricker) * Gießen 1908

Druck von L. G. Höbet G. m. b. h., Leipzig.

Vorwort. als ich vor Jahresfrist eine Haeckels Monismus ablehnende Schrift veröffentlichte,

warnte

man

mich,

ich

würde von Haeckels anhän-

gern mit den Theologen zusammengeworfen werden.

nicht,

datz wir Naturforscher

uns

vor

der

Ich glaube indes

Theologie

zu

fürchten

haben, nachdem die theologische wiffenschast längst begonnen hat, uns

in der Methode verwandt zu werden,

vielleicht gelingt es mir, um­

gekehrt die Theologen zu überzeugen, datz sie sich nicht vor den an­

sichten eines mechanistischen Naturforschers zu scheuen brauchen.

Ich bin

überzeugt, datz Vernunft und Logik in allen wahren Wissenschaften

dieselben sind, und sehe in dieser Beziehung zwischen Naturwiffenschast und theologischer wiffenschast keinen Gegensatz.

In den Grundfragen

des inneren Lebens sind unsere Hoffnungen auf Fortschritt in der Er­

kenntnis dieselben, und sie sind vielleicht nur in ihrer momentanen Stärke

verschieden, wenn die Naturforschung immerfort fieberhaft beschäftigt ist, die Rätsel der Natur austuklären, so bewegt sie sich damit, wenn auch

zunächst ohne absicht schon auf der Sahn zu dem Ziele, auch das Ganze

der Natur auf eine Ursache zurückzuführen. Der Naturforscher kann heute noch gar nicht wiffen, ob er nicht endlich in gewissen Ideen mit der Theo­

logie und Philosophie zusammentrifft.

Diese Schrift möchte vorwiegend

erläutern, wie diese aussichten heute stehen.

Natürlich ist hier scharf

zwischen theologischer wiffenschast und Nirche zu unterscheiden. Man kann die Theologie hochachten und zugleich mit Goethe sagen:

„(Es ist gar

viel Dummes in den Satzungen der Nirche" (Eckermann 11. 3. 1832). Herder, der Theologe, bestätigt als schlagendes Beispiel, datz man durch Naturwiffenschast nicht zum Ntheismus gelangt, datz die Ent­

wickelungslehre einem religiösen Glauben nicht widerspricht. dem wörtlichen vibelglauben widersprechen!

Mag sie

Nachdem derselbe Herder,

4 als einer der ersten, die Bibel mit Kritik ansah und ihm die wissen­ schaftliche Theologie darin längst gefolgt ist, ist der Widerspruch ebenso

begreiflich, wie deshalb ohne Belang.

Ich bilde mir nicht ein, hier neue und gewaltige Gedanken gegen Haeckel ausgesprochen zu haben.

Das ist auch nicht nötig, das Alte

genügt. Den Zachphilosophen ist das alles bekannt.

Ich glaubte aber

mitteilen zu dürfen, daß ich aus dem Gedankenerbteil unserer Literatur

etwas ganz anderes herausgefunden, als Haeckel, eine Möglichkeit, die dieser bei seinem kritischen Vorgehen, zumal gegen Kant, gar nicht in

Rechnung gezogen hat.

Daher bilden die folgenden Auseinandersetzungen

eine notwendige Ergänzung zu seinem weltberühmten Buche.

Die ab­

solute Wahrheit werden wir nicht erfahren, weder auf wiflenschastlichem noch religiösem, noch künstlerischem Gebiet, unsere Aufgabe ist nicht Ruhe,

sondern Arbeit. Aber soviel darf man wohl behaupten, die Menschen, welche

der Wahrheit am nächsten gekommen sind, sind unsere großen philosophi­ schen Geister.

Ich kann leider Haeckel zu diesen nicht zählen, so sehr ich

ihn als genialen Zoologen und als Persönlichkeit hochhalte, und ich finde alle philosophischen Zragen, über die die Welträtsel uns belehren wollen, schon viel klarer und richtiger bei Herder, Goethe, Schiller und Kant

beantwortet.

Gerade weil so viel Längstvorhandenes angeführt werden

kann (und ich habe mich absichtlich vor dem reichlichen Zitat nicht

gescheut), muß man sich doppelt wundern, daß die „Welträtsel" sich so benehmen, als ob sie uns zum erstenmal die Augen über die Elemente

der Wahrheit öffnen müßten.

Es führt namentlich die Studierenden und

Lehrer, an die sich die Welträtsel, wie in der Vorrede ausgesprochen, wen­

den, irre, wenn ganz verschwiegen wird, daß nicht die moderne Natur-

wisienschast, sondern Kant zuerst ausführlich festgestellt, daß alle unsere

Erkenntnis in letzter Linie auf Erfahrung beruhe und daß dieser große

Philosoph längst den Kampf gegen alles Scheinwisien durch Erläuterung der vernunstgesetze besser begonnen als die „Welträtsel".

Kant hat

sich freilich, in starkem Gegensatz zu dem roten Buch, das Recht auf Denken vorbehalten.

Mit der oberflächlichen und ganz unrichtigen

Kritik, welche Kant von Haeckel erfährt und womit er die studierende

Jugend ablenkt von diesem großen Lehrer, um sie „seine Straße sacht

zu führen", hat Haeckel eine große Verantwortung auf sich genommen. Man lasse einmal alle aufklärerischen Phrasen beiseite und prüfe ernstlich,

5 ob man auf moralische Gewissensfragen bei Haeckel auch nur annähernd so gültige Antworten findet wie bei Kant und anderen klassischen Den­

kern. Darauf kommt es an, nicht auf die für unser Leben ganz wertlosen Namen und Unterscheidungen von Monismus und Dualismus.

Vie

bisherige Philosophie, namentlich die Kants, ist nach Haeckel ganz un­

brauchbar, aber er behauptet das bloß, ohne es, wie das seine Pflicht

wäre, wissenschaftlich zu beweisen.

Geschichte

Vie Welträtsel werden daher in der

solange als materialistische Schwärmerei bezeichnet werden

müssen, als nicht ihr Verfasser der Forderung genügt, wenigstens Kant

Stück für Stück, nicht durch leeres Absprechen, sondern mit Gründen, zu widerlegen.

Wenn die Naturwissenschaft an Stelle der Philosophie treten soll,

was Haeckels Wille ist, dann würde sie in erster Linie auch dem ethischen Bedürfnis genügen müssen, denn das ist immer eine Hauptaufgabe jeder

Philosophie gewesen.

(Es ist doch zweifellos viel gleichgültiger zu wissen,

daß das Gehirn aus „Psychoplasma" besteht, als zu lernen, wie es ver­ nünftige und sittliche Urteile hervorbringen und dadurch vernünftiges und sittliches handeln veranlaflen kann.

Gießen, Pfingsten 1908.

fl. Hansen.

6

Man geht wohl kaum fehl, wenn man den großen Anklang, den

Haeckels Lehren in den Kreisen halbgebildeter gefunden haben, der Tatsache zuschreibt, daß diese Philosophie wesentlich negativer Natur ist.

Haeckel leugnet Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, er leugnet die Seele, er leugnet die physikalischen Theorien der Bewegung, das Gesetz der En­

tropie?)

Philosophie, Theologie, Psychologie sind Unsinn und haben

nach Haeckel ihr Dasein aufzugeben.

Vas Dasein und der Inhalt aller

dieser Dinge ist nicht leicht zu begreifen, es macht dagegen dem Men­

schen

gar

keine Schwierigkeit,

zu

glauben,

diese Dinge

existierten

gar nicht, und diese fühlbare Erleichterung des Gehirns ist für un­

geübte Denker eine so angenehme Empfindung, daß man begreift, daß sie Haeckel und seinen Ivelträtseln in Hellen Haufen zuströmen. In einer kleinen, im vorigen Jahre erschienenen Schrift?) habe ich mir erlaubt,

darauf hinzuweisen, daß ein auf naturwisienschaftlicher Grundlage auf­

gebauter, aber positiver Monismus längst bei Herder vorhanden ist, ein Monismus, der trotz der gleichen Grundlagen, wie bei Haeckel, dennoch

nicht zum Atheismus und zur vollständigen Verneinung der menschlichen Freiheit führt.

Damals habe ich vorwiegend auf die Übereinstimmung

von Herder mit den naturphilosophischen Grundlagen bei Haeckel auf» ’) (Eine Kritik von Haeckels Physik, aus der man viel lernen kann, be­ scherte uns der Physiker Thwolson. Die philosophischen und theologischen Gegenschriften von Paulsen, Kdickes, Baumann, Coofs und Nippold sind allgemein bekannt und im Nachwort der „WeltrStsel" ausführlich zitiert. Die vorliegende Schrift kann sich an philosophischer Tiefe mit diesen Abhand­ lungen nicht messen. Sie macht auch keinen weiteren Anspruch, als als Akten­ stück zur Prüfung der Wahrscheinlichkeit von Haeckels Behauptung (W.-R. S. 162) zu dienen, ob mehr als dreiviertel der denkenden Naturforscher auf dem Boden seiner weltrStsel stehen können. 8) „Haeckels WeltrStsel und Herders Weltanschauung". A. Töpelmann, Gießen 1907.

7 merksam gemacht, um dem Irrtum zu begegnen, als handle es sich in Haeckels Naturphilosophie, wie die Menge glaubt, um ganz neue Ge­

danken.

Vas Studium Herders ergab aber, daß noch viele fruchtbare

Anregungen positiver Natur für die jetzt heftig umstrittene Frage nach

der Berechtigung des Religiösen bei ihm verborgen liegen, und ich glaube

nicht unbescheiden zu sein, wenn ich auch auf diese Studien Hinweise, da­ mit sie nütze, wer mag. Den positiven Erfolg verdankt Herder seinem Vor­ gehen, im Gegensatz zu den Welträtseln, die Ergebnisse der Naturwissen­

schaft mit einer einzigen kosmologischen Hypothese verbunden zu haben,

mit

seinem besondern Pantheismus.

Er begründete damit eine An­

schauung, welche $• Paulsen in seiner anerkannt ausgezeichneten Ein­

leitung in die Philosophie als idealistischen Monismus und zugleich

als das heutige Ziel philosophischen Denkens bezeichnet hat.

Haeckel

versucht dagegen die Naturforschung mit zwei metaphysischen Hypo­

thesen zu verbinden, außer mit einem unklaren Pantheismus zugleich mit dem materialistischen Atomismus.

Da diese beiden Hypothesen aber

nicht harmonieren und der Atomismus auch nicht ohne weiteres zur Entwickelungslehre stimmt, entsteht um so mehr Verwirrung, als Haeckel

dies philosophische Gemenge ebenfalls als „Monismus" bezeichnet. Herder, der bei der Darstellung in seinen „Ideen" nicht von seinem meta­

physischen Prinzip ausgeht, sondern den Anfang macht mit der Er­

forschung der Natur, zunächst der Erde, ist überdies Haeckels Forderung, mit der Naturerkenntnis anzufangen, längst nachgekommen.

Herder

hält sich aber, indem er hervorhebt, daß die Naturwissenschaft noch einen bedeutenden Rest unerklärbarer Tatsachen übrigläßt, die man nur auf

philosophischem

Wege

zu

begreifen

versuchen

kann, frei

von

dem

materialistischen Dogmatismus, in den Haeckel immer wieder unrettbar

verfällt, weil es ihm mit der Philosophie, ich bebaute, das sagen zu müssen, nicht ernst sein kann, da er sie mehr verunglimpft als benutzt.

Herder befindet sich dagegen mit seinem Streben auf dem geraden Wege

zu Kant, welcher gleichfalls die Idee einer systematischen Einheit in der Natureinheit erkennen will.

„Die Naturforschung geht ihren Gang

ganz allein, an der Kette der Naturursachen nach allgemeinen Gesetzen

derselben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweckmäßigkeit, der sie allerwärts nachgeht, von demselben abzuleiten,

sondern sein Dasein aus dieser Zweckmäßigkeit, die in dem Wesen der

8 Naturdinge gesucht wird, womöglich auch in dem Wesen der Dinge überhaupt, mithin als schlechthin notwendig zu erkennen." v. Rettern S. 537.)

(Kritik d. r.

Kernt ist hier weit entfernt von der modernen

biologischen Teleologie, welche jede einzelne Erscheinung aus Zweck­

mäßigkeit erklären will,

er

setzt nur die zweckmäßige Einheit des

weltganzen als formale Einheit voraus.

viel klarer und bescheidener als Haeckel, aber mit Kant überein­

stimmend, spricht auch Herder sich über unser Erkenntnisvermögen in den „Ideen" aus:

„Ins innere Reich der Kräfte der Natur schauen wir

nicht, es ist also so vergebens als unnötig, innere wesentliche Rufschlüsse von ihr, über welchen Zustand es auch sei, zu begehren. Aber die Wir­

kungen und Formen ihrer Kräfte liegen vor uns, sie also können wir vergleichen und etwa aus dem Gange der Natur hienieden aus

ihrer gesamten herrschenden Ähnlichkeit Hoffnungen sammeln." Was Herder hier sagt, ist ganz modern gedacht.

Naturvorgängen

Mit inneren

kann der Naturforscher wenig anfangen.

Um die

Natur der „Materie", um die Dinge an sich, kümmert sich der heutige

Naturforscher wenig oder gar nicht.

Die Unsterblichkeit der Seele. Herder deutet mit dem Wort „Hoffnungen" auf seine späteren

Ausführungen über den Unsterblichkeitsglauben hin.

Vieser Glaube

wird in den Welträtseln als eines der schädlichsten Dogmen auf das

schärfste verurteilt,

warum, ist nicht einzusehen.

Vieser Glaube kolli­

diert am allerwenigsten mit der Naturwissenschaft, denn er greift nicht

im mindesten in diese Welt ein, sondern bezieht sich auf eine andere,

gedachte. Vieser Glaube hat auch gar keine Beziehung und keinen Einfluß aus unsere Naturanschauung, sondern höchstens auf moralisches handeln.

Also haben wir Naturforscher gar keinen Grund, uns über diesen Glauben mit Haeckel zu erregen.

Man darf dagegen behaupten, daß der Gegen­

stand nirgends in einer solch würdigen Kürze und Einfachheit unter Wahrung

des

naturwissenschaftlichen Standpunktes und in

edelster Form behandelt ist, wie im 4. Buch der „Ideen" von Herder. Er behauptet gar nicht, der Mensch ist unsterblich, sondern „der Mensch

9 ist

zur Hoffnung

der Unsterblichkeit

Unsterblichkeit glaubt

wenigstens

einer

Naturvölkern,

oder nicht,

psychologischen

bei

geistiger

gebildet".

so entspricht

Tatsache,

Einfachheit

daros bis auf Goethe, gefunden wird.

die

man

Db

nun an

Herders Standpunkt

bei

kultivierten und

wie beim Genie, von pin-

Haeckels auf bloßem Unglauben

beruhende Behauptung, es gibt keine Unsterblichkeit, ist jedenfalls nicht wiffenschaftlich, weil wir darüber überhaupt nichts wißen können.

Geben

wir Haeckel zu, Hoffnungen ohne Begründung hätten keinen wert,

so

bleibt immer eine Frage bestehen, die die Menschheit aufs tiefste bewegt

und bis heute in ihrer moralischen Lebensgestaltung beeinflußt hat, eine

Frage, die Haeckel ganz mit Unrecht aus „menschlichem Größenwahn" ableitet, denn sie entspringt nur der „Sehnsucht", den Sinn dieses Lebens zu erfaßen.

Darum ist es tief zu beklagen, daß Haeckel diesem

Glauben nicht mit Vernunftkritik, sondern mit banalen Witzen über „Schwiegermütter" und „beßere Hälften" begegnen will. (W.-R. S. 85.) *) Jede Schilderung eines „Himmels", wenn sie nicht etwa wahre Poesie

ist, ist sinnlos.

Der von Haeckel, S. 85 d. W.-R., erstattete Bericht über

himmlische Aussichten ist es daher doppelt, und man würde darüber lieber Kein Wort verlieren, wenn nicht gerade dieser Abschnitt die Aufmerksam­

keit der Leser erregte und von ihnen noch für besonders „naturwiffenschaftlich"

gehalten würde.

Haeckel stellt als Programm der Welt­

rätsel auf: wißenschaft gegen Glauben und Aberglauben.

darf man fragen: sind das Gründe der wißenschaft?

Aber hier

Die Unsterb­

lichkeit ist ein Problem und wird stets ein unlösbares bleiben, aber

durch bloßes Ableugnen läßt es sich nicht beseitigen.

Haeckels Gegen­

beweise gegen die Unsterblichkeit der Seele im XL Uap. S. 83 u. 84

der W.-R. sind nur Beweise gegen die Unsterblichkeit des Gehirns und

seiner Funktionen, die noch niemand verfochten hat.

Nach Haeckel ist

fteilich Seele —Gehirn oder, wie er sagt, gleich der Summe der Gehirnfunktionen.

Das wird aber durch die Erfahrung widerlegt. Jeder

denkende Mensch empfindet deutlich genug, ich denke, nicht, mein Gehirn

denkt.

Das bleibt Tatsache, auch wenn man sie nicht weiter erklären

kann,

wir Kennen unsere Seele nicht, kein Anatom kann sie uns zeigen.

’) Ich zitiere stets di« Seitenzahlen der verbreiteten und besonders für unsere Studierenden und Lehrer bestimmten Volksausgabe der welträtsel.

10 Wenn also der Naturforscher die Realität der Seele nicht beweisen Kann, so mag er zweifeln oder für seine Person verzichten.

Keinesfalls aber

darf er behaupten, eine glatte Verneinung folgere aus der Logik des Naturforschers,

von einem in seinen Eigenschaften ganz unbekannten

Gbjekt eine Eigenschaft, hier die Unsterblichkeit, leugnen, ist gänz­ lich

unlogisch.

Mit solchen Behauptungen kann man das Zutrauen

zur Naturwissenschaft nur leichtsinnig untergraben.

(Es fällt Haeckel

doch nicht ein, die Elektrizität zu leugnen, weil wir bloß ihre Wir­

kungen,

nicht ihr

Wesen

Ein

kennen.

Physiker würde

uns be­

lächeln, wenn wir mit einer analogen Definition, wie der Seele Haeckels, die Elektrizität als Summe ihrer Wirkungen bezeichnen wollten,

wenn

wir auch das Gehirn als Substrat der Seele anerkennen können, so

sind beide noch lange nicht identisch.

Man müßte sonst auch, um bei

dem vergleich zu bleiben, den Begriff der Elektrizität aufgeben und behaupten, es gäbe gar keine Elektrizität, sondern nur ihr Substrat,

den Kupferdraht,

wenn das ganze Weltall mit dem in seinen Eigen­

schaften noch kaum bekannten Äther durchdrungen ist, wie die Physik lehrt, dann wäre es ja auch möglich, daß zwischen die Gehirnmoleküle

der Äther sich verbreitet und

daß

im Äther sich Kräfte entwickeln,

die erst die Gehirnstrukturen in Bewegung setzen.

Haeckel hat also

nicht einmal die naturwissenschaftlichen Möglichkeiten erwogen. Begründung

gegen

eine Seele ist

Naturforscher respektieren kann.

keinesfalls

Wissenschaft,

die

Seine ein

Er behauptet, wenn es eine Seele

gäbe, so müsse sie sich verflüssigen lassen, da man sich die Seele all­ gemein als Gas vorstelle.

stellung und Bild.

Er verwechselt aber im günstigen Falle Vor­

Aber die ganze Ableitung ist überhaupt falsch, da

sich tatsächlich niemand die Seel« als Gas vorstellt.

Das ist von vorn-

herein auch unwahrscheinlich, weil die meisten Menschen, sofern sie nicht

Naturforscher sind, gerade von einem Gas gar keine klare Vorstellung

haben.

Der wiederholte vergleich Haeckels von Ideen mit Gasen be­

weist, daß seine Vorstellungsweise im Laufe der Jahre zu einem immer gröberen Materialismus verknöchert ist.

Leider geht dieser Materialis-

mus endlich ins Abgeschmackte und pathologische über, z. B. in der

Behauptung, auch das höchste Wesen werde als ein Gas vorgestellt, und durch

die Ausstattung der Gottesidee mit menschlichen Eigenschaften

komme man zu dem paradoxen Begriff „eines gasförmigen Wirbeltieres"

11 (to.*R. S. 11).

Fromme Menschen nehmen diesen Ausdruck wohl zu

ernst, wenn sie ihn als Gotteslästerung zurückweisen. hier nur um leere logische Gedankenspielerei, Voraussetzungen ausgeht.

die

(Es handelt sich von willkürlichen

Aber eine Äußerung der Unkultur bleibt sie

trotzdem, die zwar natürlich, aber niemals naturwissenschaftlich ist.

wie

kann jemand immer Goethe im Munde führen und so sprechen/)

Ls

versteht sich

von

selbst,

daß

als Naturforscher

ich

Beweis für die Unsterblichkeit der Seele beibringen will, ebensowenig,

da

aufstellen kann.

kein Theologe bin,

ich

keinen

daß ich sie

als Dogma gegen Haeckel

Aber soviel darf gesagt werden, wenn Haeckel außer

den trüben Argumentationen in seinen Welträtseln keine andere gegen

die Unsterblichkeit der Seele zur Hand hat, dann bleibt dieser Gegen­

des Glaubens und der

stand als Gegenstand

Monismus

ganz

unberührt,

Haeckels

Hoffnung von

derartige Ideale zertrümmert,

wer

der

muß die volle Berechtigung dazu belegen, und diese kann nur in voll­

gültigen Beweisen des Vie

große

Mühe,

die

Irrtums,

Haeckel

nicht in bloßer Überredung sich

gibt,

die

liegen.

Unsterblichkeit

der

Seele zu widerlegen, ist vollständig verloren, da das ebenso unmöglich ist, wie sie zu beweisen,

hätte Haeckel seine Absicht klar erfaßt, dann

hätte er diesen Glauben damit bekämpft, daß er darin einen Wider­ spruch mit der Naturwissenschaft nachzuweisen versucht hätte.

Vie Aus­

sicht auf Erfolg ist freilich gering bei einer Sache, die sich naturwissen­

schaftlich gar nicht untersuchen läßt.

Haeckel hat die Grenze übersehen!

*) Haeckels Kritik anderer venkungsweisen ist allgemein durchaus ungerecht. (Es ist für den Naturforscher nicht ungefährlich, allen Aberglauben der Theologie und Philosophie aufbürden zu wollen. Wir haben manches im eigenen Hause erlebt. Vie falsche Ernährungslehre der Pflanzen mit ihrer Humustheorie, d. h. der Aberglaube an eine mystische vodenkraft, diese Hemmung der ratio­ nellen Landwirtschaft, stammt so gut von Naturforschern, wie das Goldmachen und der Stein der weisen u. a. Vie Signatur der Gewächse, den Aderlaß, die Homöopathie haben Arzte entdeckt, wurde nicht der größte abergläubische Unfug der Neuzeit, der Spiritismus, von dem großen Naturforscher Zöllner vertreten, und verteidigen nicht Naturforscher die alberne Wünschelrute als Huellenfinderin? hat nicht, um auch dem Humor zu seinem Recht zu verhelfen, Haeckel selbst den „klugen Hans" ernst genommen, noch zu einer Zeit, wo man in Amerika, wie ich selbst gesehen, „kluge Hänse", d. h. rechnende und ratende Pferde, auf jedem Jahrmarkt zeigte, aber freilich, ehrlicher als bei uns, des Rätsels Lösung dadurch erleichterte, daß man den klugen Hans zum Schluß auch zeitgemäße Witze machen ließ?

12 Eigentlich müßte man gerade von Haeckel eine Verteidigung der Unsterblichkeit der Seele erwarten.

Sie bleibt solange schwer begreiflich,

als man nicht weiß, ob die Seele etwas Materielles ist.

Nun ist Haeckel

der erste und einzige Naturforscher, der behauptet (W.-R. 47), es gäbe

eine

„Seelensubstanz",

„Psychoplasma" voraus.

das

„Psychoplasma".

Leider gibt er diesem

nichts vor dem gewöhnlichen sterblichen

Zellplasma

Es liegt kein Recht vor, diese Meinung zu bestreiten.

Ein

Widerspruch ist es dagegen, wenn in demselben Satze die Seele auch als bloßer Sammelbegriff ähnlicher Vorgänge („Rollektivbegriff für die

gesamten psychischen Funktionen" und zugleich als „physiologische Ab­ straktion") bezeichnet wird,

was tragen die Monisten denn nun eigent­

lich im Busen, eine Substanz oder eine „Abstraktion" ? Da S. 39 vier­

tens die Seele eine „Naturerscheinung", die der Beobachtung und dem Experiment unterliegt, genannt wird, so gerät die monistische Psychologie

vollends in Verwirrung, und kein Naturforscher wird ihr zustimmen können.

Solange ein Naturforscher in seiner Sphäre bleibt und sich nur mit dem befaßt, was Beobachtung und Experiment erkennen laflen, hat die

„Seele" für ihn gar kein besonderes Interesse.

Ihn ziehen nur die

Seelenerscheinungen an, geradeso wie der Physiker die

Schwerkraft

selbst auf sich beruhen läßt und nur ihre Wirkungen studiert.

Einen

andern Standpunkt gibt es für den Naturforscher nicht, aber er wird

sich zugleich hüten, die „Schwerkraft" und die „Seele" und sein theo­ retisches Interesse daran abzuleugnen, wer kann ohne weiteres wissen, was es gibt und nicht gibt, das kann man nur erfahren,

hundert Jahren hätte

vor

man einen Physiker belächelt, der behauptet

hätte, es könne auch Lichtstrahlen geben, die man gar nicht sehen könne, die durch eine dicke Holzwand durchgingen und mit denen man in

einem dunkeln Schrank photographieren könne.

Und seit Röntgen sie

entdeckt, findet man das kaum mehr sonderbar. Haeckel verhöhnt den Physiker Lhwolson, weil er es ablehnt, sich

auf die zweideutige vegriffsbisdung der haeckelschen Psychologie einzu­

lassen, wodurch bei dem großen Monistenpublikum die Meinung erweckt wird, ein Naturforscher dürfe überhaupt nicht von der Seele reden, ohne mit seinen wissenschaftlichen Prinzipien zu kollidieren.

Die Sache

liegt aber ganz anders. wir begreifen fteilich nur das, was wir nach wissenschaftlichen Pritt»

13 zipien selbst machen können. Vies Programm hat die glänzende Entwicke­ lung der Naturwissenschaft tausendfach erfüllt.

Mit der Seele als Ob­

jekt läßt sich ein Experiment nicht machen, d. h. es läßt sich experimentell

nicht feststellen, ob die psychischen Vorgänge blotze physiologische Erschei­ nungen sind, wie Haeckel behauptet, oder ob sie einer einheitlichen Ur­ sache entspringen.

Der Naturforscher bleibt aber seiner Methode voll­

kommen treu, wenn er in einem solchen Falle sich selbst als Objekt

setzt und an sich selbst das Experiment macht, ob die Seelenäußerungen ihm verständlicher werden mit oder ohne den Begriff einer Seele als

Einheit.

Trifft das erstere zu, dann darf er annehmen, datz etwas

dem Begriffe Entsprechendes

«xabten Naturwiffenschaft.

auch

existiert.

Das ist die Logik der

Nicht die Naturwiffenschaft, sondern bloß

der Materialismus bestreitet alles, was man nicht greifen und analyfteren kann.

Die Kausalität der Katar und die menschliche Freiheit. Bei Haeckel gibt es keine Seele, kein Ich.

Das Gehirn denkt,

das Gehirn und Nervensystem geben den Anstotz zum handeln.

Das

kann man doch nur für das Traumleben und für den Geisteskranken gelten lasten, wo die unbekannte Regulation, die wir Seele nennen,

ausgeschaltet oder zerstört ist.

leicht.

Gäbe es kein Ich, so wäre die Erziehung

Haeckels Auftastung ist eine grobmaterialistische und trägt nur

scheinbar der Kausalität in der Natur bester Rechnung. Dos Kausalitätsgesetz sagt nur, datz jede Erscheinung ihre Ursache hat, woraus folgt, datz beim genauen Gleichbleiben sämtlicher Bedingungen,

für die Erscheinung vernunstgemätz stets dieselbe Ursache vorausgesetzt

werden darf. Uber die Natur der Ursache sagt das Kausalgesetz aber gar

nichts.

Darüber kann nur die Erfahrung, die Forschung, entscheiden.

So kann man auch nur sagen, das Denken mutz eine Ursache haben.

Die Behauptung, diese Ursache sei mit der Anatomie des Gehirns er­ kannt, ist unkritischer Materialismus.

(Es ist klar, daß die Psychologie,

die Haeckel so gering wertet, viel konsequenter kausal denkt Materialismus.

als der

Nach seiner Lehre ist Denken blotze Bewegung der

14 Gehirnsubstanz, also Molekularbewegung.

Eine Ursache für diese wird

gar nicht angegeben, die Bewegung ist also ursachlos.

da die Kausalität im Seelenleben?

Wo bleibt denn

Die Psychologie nimmt dagegen

wenigstens für diese Molekularbewegung eine einheitliche Bewegungs­

ursache an, die sie Psyche nennt.

Sie steht also wissenschastlich höher

als der Materialismus. höher als die Unsterblichkeit und von weit gröberer Tragweite

gelten die Ideen Gott und Freiheit, welche Haeckel ebenfalls verkün­ digt, mit naturwiffenfchastlichen Gründen beseitigt zu haben.

Uber auch

hier vermißt man jede versprochene naturwissenschaftliche Beweisfüh­ rung.

Weil es in der Natur keine Freiheit gibt, soll auch der Mensch

Ls läßt Haeckel

nicht frei sein, das ist die ganze Schlußfolgerung.

kalt, daß ohne den Begriff der Freiheit unser praktisches Leben zum Unsinn wird, oder vielmehr merkt er das gar nicht.

Die Kausalität der Naturerscheinungen ist ein feststehendes allge­ meines Gesetz, von der es keine Ausnahme gibt.

Es bezweifeln zu

wollen, gliche dem Selbstmord, denn auf der Anerkennung dieses Gesetzes beruht unsere Wissenschaft und Technik und damit unsere Kultur.

Das

ist keine neue Weisheit. Noch ehe diese Überzeugung Allgemeingut aller

Naturwissenschaften wurde, hat Kant sie zuerst auf das schärfste und unbeugsamste formuliert. Herder hat in seinen „Ideen" ebenso bestimmt

gesagt, daß das gleiche Gesetz der Kausalität, das im Weltall herrsche, auch im Mikrokosmus des menschlichen Organismus Geltung habe, und

diesen Satz des haeckelschen Monismus schon vorweggenommen.

Der

Naturforscher mutz die Frage, ob er die Natur richtiger und besser mit den Begriffen Gott und Freiheit kennen lerne, verneinen.

Und

wenn man die Ansicht Haeckels teilt, alles, was ist, ist nur Natur­

erscheinung, dann gibt es keine Freiheit irgendwo.

Wie Blitz und

Donner ist dann jede unserer Bewegungen so gut, wie die größte geistige

Leistung bis zum Musikdrama Wagners und zu den Schöpfungen Michel­ angelos nur Endresultat einer in unendliche Fernen sich verlierenden

Kausalitätskette. Kein Naturforscher kann ohne weiteres diese Ansicht verwerfen. Wenn

er

aber zu

den von Haeckel mit Recht allein respektierten

„Denkenden" gehört, wird er sich hüten, sich und andere über die un­

gemeine Schwierigkeit hinwegzutäuschen, mit dieser Ansicht zu einer

15 wirklichen Einsicht in alles Geschehen zu gelangen, und das ist doch die Hauptsache, nicht die Begriffe an sich.

Die kausal verbundenen

Naturerscheinungen haben den gemeinsamen Lharakter, daß wir sie behandeln

mathematisch

und

als

zahlenmäßige

formulieren

Gesetze

Wir berechnen das Äquivalent von Wärme und Arbeit und

können.

die elektrolytische Leistung des elektrischen Stromes. Man berechne aber einmal den Menschen „Goethe" oder versuche einzusehen, daß der Zaust bloß

Endglied

das

Sonnensystems ist.

des Kausalitätsablaufes

seit

Entstehung

unseres

Erscheint die Forderung abgeschmackt, so wirst sie

ein Licht auf die philosophische Ansicht, welcher sie entspringt.

Die

Möglichkeit der Behauptung zugegeben, hat sie doch keinen reellen Wert, da man sie nicht einsehen kann, denn wer wagt zu behaupten:

es mutz so sein! Wir brauchen Goethe nicht zu berufen.

Jedes unserer Kleinsten

psychologischen Erlebnisse macht uns dieselben Schwierigkeiten. Ich sehe einen Bettler, der Sinneseindruck setzt durch Vermittelung von Gehirn

und Nerven meine Hand in Bewegung, ich reiche ihm eine Gabe, und er

dankt mir.

Wenn das bloße Kausalverknüpfung ist, dann muß dieser

Vorgang in allen Fällen ganz gleich verlaufen, genau so sicher, wie ich

stets Sauerstoff in bestimmter Menge erhalte, wenn ich Csuecksilberoxyd erhitze.

Das ist aber nicht der Fall,

viele gehen an dem Armen vor­

über, sehen und erkennen ihn genau wie ich, es erfolgt aber keine Handbewegung und Darreichung, weil das Gefühl des Mitleids fehlt.

Wo ist da die volle Einsicht in die Kausalität aller menschlichen Hand­ lungen.

Der

gewöhnliche Mensch

seines Willens, der Freiheit. suchen, ob er sich nicht täuscht.

empfindet

hier

Das beweist nichts.

die

Mitwirkung

Es ist zu unter­

Das ist eine Aufgabe.

Falsch ist es

daher zu behaupten, die Freiheit sei ein „Zentraldogma der Philosophie", das man einfach zertrümmern könne, statt das Problem zu lösen. Falsch

ist ferner, zu behaupten, dies „Dogma" stamme von Kant.

Kant hat

weder die Wirklichkeit, noch die Möglichkeit der Freiheit behauptet,

sondern, getreu seinem eminent kritischen Denken, nichts gesagt, als daß die Freiheit der Naturkausalität nicht widerspreche und begründet, wie und warum sie wohl neben ihr bestehen könne.

Wie kommt ein

Gelehrter vom Range Haeckels dazu, über Kant derartige falsche Be­ richte unter Hunderttausende zu verbreiten, die nicht ahnen, daß das

16 Gegenteil bei Kant gedruckt steht?

Freilich sind das Kritiken, keine

Romane, die man durchfliegen kann, aber wenn man sich Mühe gibt, versteht gottlob auch der gesunde Durchschnittsmensch, wofür ich mich als

Beispiel anführen kann, vortrefflich, was Kant sagt und sagen will, und die Verbreitung von Irrtümern ist darum unverzeihlich.

In den Naturerscheinungen gibt es bloß Kausalität und keine Freiheit, daran kann kein Gebildeter, er sei Thrift oder Heide, rütteln und zweifeln. Über ist denn alles Naturerscheinung?

Diese Hauptfrage, ohne

die die Erörterung gar keinen Boden hat, stellt und beantwortet Haeckel gar nicht.

Für ihn ist eo ipso alles Naturerscheinung.

Das ist be­

quem, das ist dogmatisch im härtesten Sinne des Worts.

Statt die

Probleme aufzudecken, wie Kant das so meisterhaft versteht, werden sie beseitigt, und darin liegt das Tadelnswerte und herzlich Betrübende bei

einem als Forscher und Persönlichkeit so hochstehenden Manne, daß er die Probleme, an denen die größten Geister mit heißem Bemühen ge­ arbeitet haben und fortarbeiten, zum Spielzeug für „Kinder und Affen” herabsetzt.

3a, - ist alles, was geschieht, Naturerscheinung, d. h. etwas rein Dbjektives, das ist die Frage! Ich maße mir nicht an, sie zu lösen. Dafür haben wir unsere Philosophen, die die Arbeit mit Begriffen bester verstehen als ein Naturforscher, dafür haben wir die Fachmänner der

experimentellen Forschung, die die Grundlagen zu schaffen haben.

Aber fragen darf und muß man zunächst: Inwiefern sind unsere Seelenregungen, unsere Gefühle, bloße, der Kausalität unterliegende Naturerscheinungen? Daß sie bedingt sind, be­ sonders physiologisch, wird nicht bezweifelt, aber Bedingung ist nicht gleich der Ursache.

Also wo liegt der Vergleichspunkt dafür, daß Ge­

fühle und Seelenvorgänge überhaupt Naturerscheinungen sind? wo und wie kann ich Liebe und haß sehen und den Gedanken?

Kann ich sie

messen, wägen, analysieren, photographieren, denn das ist bei Natur­

erscheinungen möglich,

wenn die Seelenvorgänge Naturerscheinungen

(bas ist wohl von ihrer Zugehörigkeit zur Natur zu unterscheiden, denn sie

sind nicht übernatürlich) sind,

dann

muß doch irgendeine

Ähnlichkeit zwischen beiden wirklich festgestellt werden.

Ehe diese Vorfrage nicht erledigt ist, hat die ganze Behauptung, es gibt nur Kausalitätsketten, keine Freiheit, nur den wert der subjek-

17 tiven Meinung.

Die gegenteilige Ansicht kann sich immer wenigstens

auf bas tatsächlich vorhandene Gefühl der Freiheit stützen. Haeckel weise wissenschaftlich nach, daß dies Gefühl Täuschung sei, bann wollen

wir uns als Naturforscher wieder sprechen.

Kein Physiker würbe sich

unterstehen, eine optische Erscheinung als Täuschung zu bezeichnen, ohne dafür den Beweis zu bringen. warum begibt sich Haeckel nicht auf den Weg der physiologischen

und experimentellen Psychologie, die sich schon lange die Aufgabe gestellt hat, festzustellen, ob und inwiefern die psychologischen Vorgänge Natur­ erscheinungen sind,

hier sind die Grundlagen für die Entscheidung zu

erwarten, aber daß sie heute schon auch nur Halbwegs vorhanden wären, hat noch kein experimenteller Psychologe behauptet, warum wird nicht in den Welträtseln auf die Werke Ziehens, wundts u. a. als (Quellen der Einsicht hingewiesen, anstatt solche wahre wisienschast zu ironisieren

und davon abzuschrecken. wenn die Frage: Kausalität oder Freiheit oder beides nebenein­

ander, bloß eine rein theoretische wäre, hätte der Naturforscher keinen

Beruf, sich hineinzumengen.

Ls handelt sich aber vielmehr um prak­

tische Fragen, die alle Menschen angehen.

Lebensführung und Moral

werden grundverschieden ausfallen, je nach der Entscheidung. bloßer Kausalität ohne Freiheit aufgebaute

Die auf

„monistische Sittenlehre"

wäre keine gleichgültige Neuerung für die Menschheit.

Daß die Freiheit keine absolute, sondern nur relativ ist, ist selbst­

verständlich, denn alles in der Welt ist für uns bloß relativ,

wer

aber freiwillig die Entschließung des gesunden Menschen aufgibt, der

macht sich selbst zum kranken Mann. Es kommt mir, wie gesagt, nicht

in den Sinn, mich ausführlich in die scharfsinnigen Untersuchungen der Philosophie über die Freiheit mischen zu wollen.

AIs bloßer unbe­

fangen denkender Naturforscher darf ich mir aber um so mehr die

Worte Schillers zu eigen machen: „Übet diejenigen Ideen, welche in dem praktischen Teil des Kantischen Systems die herrschenden sind, sind nur die Philosophen

entzweit, aber die Menschen, ich getraue mit es zu beweisen, sich jederzeit einig gewesen." *)

*) Schiller, Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. 2

Hansen. Grenzen der Religion und Naturwissenschaft.

18 fln dieser Einigkeit wird Haeckels negative Philosophie scheitern.

(Er

verheißt uns zwar ein neues Zeitalter der Kultur, wird aber die Mensch­ heit nicht über das hinausbringen, was Schiller in seinem Aufsatz „über

das Erhabene" treffend physische Kultur nennt, dings die Freiheit nicht herrschen.

hier wird aller­

Der Mensch wird trotz seiner Herr­

schaft über die Natur nichts weiter sein als ein angstvoll herrschender Gewalthaber, denn die Natur bleibt eine gefeffelte Bestie, die jeden

Moment die Fesseln zu zerreißen strebt.

Das Leben wird unter der

physischen Kultur entweder Anmaßung und Herrenmoral oder kleinliche Angst werden, wahre Lebensfreude, die dem Gefühle der Freiheit

entspringt, hätte in dieser Weltanschauung keinen Platz.

Daß dieser physische Standpunkt der höhere sei, weil er auf größerer Willensenergie beruht, wegen seines Verzichtes auf das Moralische, ist

eine kühne predigt.

(Es kommt darauf an, worauf man verzichtet, um

von Fortschritt oder Rückschritt reden zu können.

Schiller kennzeichnet

den moralischen Standpunkt als den höheren durch Schilderung eines

Menschen im Unglück.

Für den Physiker gibt es auch hier bloß ge­

fühllose Anerkennung der Kausalität.

Wenn ein Mensch stirbt, so ergibt

die Krankengeschichte, daß er sterben mußte. Ihm ist er tot, und damit

gut

Aber wie viele Tote haben den Lebenden Segen gebracht, welche

die rohe Kausalität moralisch überwanden.

Wir wollen an die Kämpfer

fürs Vaterland denken, deren Namen doch nicht umsonst auf ehernen Tafeln stehen.

Jeder greife aus seinem eigenen Leben Erinnerungen

an seine Gräber heraus: Betracht sie genauer, Und siehe, so melden 3m Busen der Helden Sich wandelnd« Schauer Und ernste Gefühle. Doch rufen von drüben Die Stimmen der Geister, Die Stimmen der Meister: „versäumt nicht zu üben Die Kräfte des Guten."

3m Lande der physischen Kultur hat es keinen Sinn mehr, sein

Leben für ein Ideal zu opfern, das ist einfach Dummheit, es wider­ spricht dem ehernen Gesetze der Selbsterhaltung.

19 Freiheit ist ein Bewußtsein und als solches von der Naturforschung als Tatsache zu behandeln. Vie Naturforschung kennt Kein Ableugnen,

sondern nur Untersuchung. (Es wäre also nachzuweisen, daß und warum dies Bewußtsein bloße Täuschung sei, wie Haeckel behauptet.

Das ist

in den „Weiträt,ein" nicht geschehen. Solange das aber nicht geschieht, ist es ein verzweifelter Verzicht, bloß einer Analogie mit der Natur wegen anzunehmen, daß wir nur Sklaven der Kausalität wären. Da der Monistenbund noch länger die Minorität der Menschheit bilden wird, so Kann man ruhig abwarten, wie er sich praktisch ohne

den Begriff der Freiheit zurechtfindet. ungefährlich.

Das Experiment scheint mir

Denn zunächst ist es wohl ausgeschlossen, daß es den

Monisten gelingt, die politischen Staaten in philosophische umzuwandeln. Gelänge dies bei uns zuerst, dann wäre es mit der politischen Freiheit

bei uns

in Deutschland

vorbei, und wir würden ein Vasallenstaat

glücklicherer, nicht monistischer Staaten werden, dem Monistenbund nicht

hoch.

zu

Nach

vielleicht ist der Preis

unserer Ansicht wäre das

freilich nach dem jahrhundertelangen Ringen des deutschen Volkes kein

grandioses

wäre auch

Endziel.

Wollen

wir

politisch

noch

etwas

bleiben,

so

aus diesem Grunde der Monismus Haeckels abzuweisen,

solange Treitschke recht hat mit dem Satze:

„Nur ein Volk starken

Sinnes für die persönliche Freiheit kann die politische Freiheit er­

ringen und erhalten."

„Monistische" Moral. Es wäre Verleumdung zu behaupten, Haeckel wolle in seinem

Monismus die Immoralität predigen, aber wenn er die Freiheit als schädliches Dogma verwirft, befehdet er auch jede vom Dogma freie Moral.

Ghne den Begriff des Ich, ohne den Begriff der Freiheit kann

eine Moral nicht bestehen.

Es ist nichts damit gesagt

schaffenes Leben", das ist die wahre Moral!

Haeckel der Maßstab für die Rechtschaffenheit?

„ein recht­

Was ist denn bei

Ghne das Bewußtsein 2*

20

der Freiheit zu moralischen Entschlüssen und Gesinnungen und ohne

Maßstab gibt es gar keine Rechtschaffenheit, im Gegenteil nur Unsicher­ heit und Willkür, wie gerade das moderne richtungslose Leben so viel­ fach beweist.

3m praktischen Leben muß Haeckels Ansicht von der Freiheit, z. B.

bei der Rechtsprechung, bei der Erziehung, irreführend wirken.

Das

Rind in der Schule, der angeklagte Verbrecher dürfen sagen, ich bin straflos, mein Gehirn hat das Schlechte gedacht und meine Hand bewegt,

die Urkunde zu fälschen.

Eine Verantwortlichkeit gibt es in keinem

Beruf mehr, denn der Mensch ist bloß Sklave seiner „grauen Hirnrinde". Das sind die praktischen Ronsequenzen des „neuen Monismus".

Die

Richtigkeit meiner Schlußfolgerung wird Haeckel um so weniger abweisen

können, als ein hervorragender Vertreter der physiologischen Psychologie, der gleich Haeckel in den psychologischen Vorgängen strenge Kausalität

annimmt. Th. Ziehen, ihre Selbstverständlichkeit schon belegt hat. (Leit­

faden der physiologischen Psychologie (1896, S. 224.)

(Es heißt dort:

„Der Begriff der Verantwortlichkeit widerspricht in der Tat den Ergebniffen der physiologischen Psychologie.

Diese lehrt: unser han­

deln ist streng nezessitiert, das notwendige Produkt unserer Empfin­

dungen und Erinnerungsbilder. Man könnte also dem Menschen eine

schlechte Handlung ebensowenig als Schuld zurechnen, wie einer Blume ihre Häßlichkeit. — Der Begriff der Schuld und der Verantwortlichkeit ist — um den Gegensatz kurz zu bezeichnen



ein religiöser oder

sozialer." wir sehen, daß bei Ziehen die Sache mit dem physiologischen

Resultat nicht erledigt ist.

Er sagt zunächst bloß, „man könnte"!

Er denkt nicht daran, den Begriff der Verantwortlichkeit zu leugnen. Er weist ihn, indem er hier, wie anderswo die Grenzen der physiologi­ schen Psychologie offen aufzeigt, der Religion oder Soziologie zu.

Haeckels

Monismus kennt aber gar keine andere Instanz als die Raturwiffenschast, das ist ja das Programm dieses Monismus.

Seine naturwiffen-

schaftliche Psychologie soll an Stelle der Religion und anderer Träume

des Gemüts treten.

Begriffen,

Sie sind ganz zu beseitigen, natürlich mit ihren

was daraus wird, ist gleichgültig.

untergehen, wenn nur „mein Monismus" bleibt.

Die Menschheit mag (Es ist merkwürdig,

21 wie wenig Verständnis dieser große Biologe für die Forderungen

des Lebens hat.

Haeckel mag noch so sehr die Rechtschaffenheit des Lebens persön­ lich empfehlen, ohne die theoretische Grundlage der Freiheit kann es

keine Verantwortlichkeit geben,

wenn der Mensch nicht mehr frei ist

vom Zwange, etwas gegen die Vernunft zu tun, tut er eben das Un­ vernünftige und Unrechtschaffene.

Mit Haeckels Grundsätzen hört aber

nicht bloß die Moral auf, sondern auch die Kultur.

Kein Handwerk,

kein Gewerbe ist ohne das Bewußtsein der Verantwortlichkeit möglich.

Jeder Eisenbahnbetrieb, jede Schiffahrt über den Gzean muß aushören, wenn niemand mehr verantwortlich sein will, sondern sagen darf, ich

bin nicht frei, sondern nur ein blinder Sklave meines Körpermechanis­

mus.

(Es wird weder wissenschaftliches noch künstlerisches Verdienst

geben, denn der Mensch arbeitet nur als komplizierter, aber willenloser

Automat und da die Anerkennung ein Hauptimpuls in wiffenschaft und Kunst ist, so wird für beide das Motiv fehlen.

Wenn jemand behauptet, das folgere alles aus naturwiffenschaftlichen Gesetzen, so ist das falsch, die Naturwiffenschaft hat mit diesen

Dingen gar nichts zu schaffen. Dhne Freiheit gibt es kein moralisches Gesetz!

Nach Haeckel sind Gott und Natur ein und dasselbe.

Demnach

gibt es für uns, die wir nicht Gott, sondern nur die Natur mit den

Sinnen erkennen, bloß Naturgesetze, die bei Haeckel in die Einheit des „Substanzgesetzes" zusammenfließen. Es ist klar, daß daraus folgt: das

physisch Mögliche ist auch das moralisch Mögliche, und der Unmündige

macht daraus mit Sicherheit: das Natürliche ist auch gut.

Zwar wird

er vielleicht überlegen, ob es nicht Ausnahmen von dieser Regel gibt.

Aber diese Frage führt ihn nur weiter in den Irrtum hinein.

Die

Naturerscheinungen der lebendigen Welt sind, praktisch angesehen, ent­

weder zweckmäßig oder unzweckmäßig oder gleichgültig.

Es wird also

sogleich das Gute als das Zweckmäßige im weitesten Sinne definiert

werden, da es andere empirische Motive des handelns nicht gibt.

Die

monistische Moral folgert auch, wir halten uns im praktischen Leben streng an die Beobachtung der Naturgesetze, weil das für unsere technische

Lebensgestaltung zweckmäßig ist, und so sind wir auch moralisch, weil das zweckmäßig ist.

(Es ist nun aber ganz ausgeschloffen, daß die Be-

22 folgung nach

wirklicher

gleichfalls

Moral

menschlichen Begriffen

ergibt.

immer

Resultate

zweckmäßige

Vie persönlichen Nachteile,

die

oft durch moralisches handeln entstehen, müssen einer naturalistischen

Philosophie ganz unzweckmäßig für die Existenz des Individuums und

damit sinnlos erscheinen.

Durch solche Erlebnisse würde die Moral

schließlich im besten Falle nur als Zwang erscheinen und eine moralische Gesinnung sich nicht befestigen können. lich und zur Heuchelei werden.

Vie Moral würde rein äußer­

Dahin kommt man sicher mit Haeckels

Empirismus, der sich unter dem schönen Namen „Monismus" verbirgt. Es handelt sich hier nicht um Deutungen des haeckelschen ethischen

Monismus.

Vas von Haeckel

(W.-R. S. 140)

verlangte

„auf dem

realen Boden der sozialen Instinkte erwachsene naturgemäße Gleichge­

wicht zwischen Egoismus und Altruismus" ist, trotz der schönen Worte,

eine bloße Moral der Zweckmäßigkeit und des gegenseitigen Vorteils, die Moral wird bloße Geschästssache.

Zweckmäßigkeit ist immer etwas

Empirisches, kann also gar nicht als allgemeines Gesetz gelten, weil sie vor

der Handlung noch gar nicht erkennbar ist, sondern man gar nicht weiß, ob das, was man tut, wirklich zweckmäßig ist. Was Pflicht ist, weiß dagegen jeder gesunde Mensch ziemlich genau aus seiner Rinderlehre, und wenn er es nicht mehr weiß, wird er es durch physische und mora­

lische Rippenstöße von neuem lernen.

Kant hat ganz recht, wenn er

den Empirismus für noch gefährlicher hält, als den Mystizismus.

Was

die monistische Moral uns bescheren kann, sind im besten Falle alte,

abgetane Dinge:

Epikureismus oder Glückseligkeitslehre,

hier, in

der Zerstörung der Freiheit und damit der Moral, nicht in dem

orthodoxen Atheismus liegt die pathologische Stelle der Welträtsel, von der eine schlimme Infektion ausgeht. Atheismus hat es immer gegeben,

und er ist niemals der Vernunft ernstlich gefährlich geworden.

Zugrunde richten wird der Empirismus die Moral nicht, weil nur

bei ganz gedankenlosem Dahinleben der Widerspruch übersehen werden kann, der entsteht, wenn man den Begriff des Ich als praktische Ein­ heit, welcher doch etwas mehr umfaßt als die „graue Hirnrinde", und wenn man die Freiheit aufgibt.

Eines bleibt wieder unverständlich: daß Haeckel auch hier seinen eigenen Widerspruch nicht gewahr wird.

Haeckel leugnet nicht die

Notwendigkeit der Moral, er will vielmehr selbst eine „monistische Sit-

23 tenlehre" aufstellen.

Vas ist, da die Freiheit die Vorbedingung jeder

Moral ist, schlechterdings unmöglich, wenn Haeckel die Freiheit leugnet. So widerspricht seine grandiose „Zertrümmerung der menschlichen Frei­

heit" seinem eigenen Programm vollständig.

Die Religion. Haeckel hält auch bekanntlich die Religion für überflüssig, für eine

„abgetane Sache".

Um so seltsamer

wird

man berührt, am

Schlufle der lvelträtsel einem Kapitel zu begegnen, überschrieben „Unsere monistische Religion".

Das ist freilich eine wunderliche Religion!

Sie

besteht aus einigen geretteten ethischen und ästhetischen Brocken der alten zerschlagenen Kultur, um dem Verstandesphilister des monisten­ knetenden Prometheus etwas Glasur zu verleihen.

Kein einziger neuer Wie sollte wohl

ethischer Grundsatz ist von Haeckel ausgesprochen.

auch? Kant hat sich schon verwahrt, daß das möglich sei. Rls Wider­ spruch erscheint dabei, daß Haeckel die paar ethischen Gebote, die seine

monistische Religion

enthält, dem früher verunglimpften Christentum

glatt entnimmt.

Warum heißt das Religion? Vas Wesentliche jeder Religion, das

Bewußtsein des Individuums von dem Zusammenhang seiner Endlichkeit mit einem Göttlichen, mit einer moralischen Idee, fehlt ganz.

Ruch hat

Haeckel vorher auseinandergesetzt, in seinem Monismus seien wissenschaft und Religion vollkommen in eins verschmolzen.

Wozu also dies neue Produkt? Haeckel hätte bei Herder so gut erfahren, daß Wissenschaft und Religion

nicht

zusammenfallen können, als

daß

die Religion kein

Elaborat, sondern eine kausale, d. h. natürliche Erscheinung ist. Dem­ nach liegt, anstatt von einer abgetanen Sache zu reden, vielmehr auch für den Naturforscher die Aufgabe vor, der Ursache der Religion, die doch einmal existiert, nachzugehen. Und wieviel veftiedigendes findet

zumal der Naturforscher in Herders Theologie?

Zwar hat er keine

eigentliche Theorie der Religion aufgestellt*), aber ich glaube, doch bei Herder die Ansicht ganz deutlich zu erkennen, daß religiöse Vorstellungen,

') vergl. wielandt S. 56.

24 so gut wie alle anderen, aus Empfindungen entstehen, die durch äußere Ursachen ausgelöst werden.

Aus dem Studium Herders haben sich die

folgenden Gedanken entwickelt, die wohl jeder Naturforscher als vor­

urteilsfreie Überlegungen gelten lassen wird*). Vie Entstehung des religiösen Gefühls ist sicher ebensowohl ein

begreiflicher psychologischer Vorgang, wie andere psychologische Erschei­

nungen.

Da das Substrat auch in diesem Falle unser Gehirn ist, so

ist es ganz unmöglich, durch bloßes haeckelsches Dekret die Religion

abzuschaffen, man müßte denn vorher den körperlichen Menschen und sein venkorgan erst umzüchten.

erbung"

Haeckel, der so sehr aus die „Ver­

pocht, vergißt sonderbarerweise ganz, daß wir mit unserer

Gehirnstruktur auch

unsere Empfindungswelt und unsere Logik von

unserm vorfahren, dem Tertiärmenschen, geerbt haben, und beides nicht, bloß „um sich zu verändern", wie unsere Dienstboten sagen, nach Belieben

umwandeln können. Es ist geradezu unbegreiflich, daß ein Naturforscher behauptet, die

Fähigkeit zur religiösen Vorstellung sei eine Anpassung an irrtümliche Lehren der Rindheit.

Vie Ursache jeder Vorstellung ist immer eine

Empfindung, und mit dieser können Lehren gar nicht erfaßt werden, wir wiffen alle, daß Vorstellungen mit religiösem Gefühlston durch

bloße Sinneseindrücke ausgelöst werden, z. B. durch den Anblick eines religiösen Symbols, eines Tempels, eines Doms, durch Glockengeläute usw.

Meinetwegen mag man hier auf Erziehung und Erinnerung Hinweisen

und sogar das unpaffende Wort Anpassung hingehen lassen.

Damit

wird die Erklärung der religiösen Empfindung nicht geändert.

Denn

diese entsteht auch ohne jedes Symbol, beim Anblick des gewaltigen

Sternenhimmels, des Erhabenen, oft auch des Sorten und Feinen in der Natur.

Religiöse Empfindung wird also unmittelbar durch sinnlichen

Eindruck veranlaßt.

Der Keim dieses Gefühls ist die Ehrfurcht vor

*) 3m Studium von Herders Theologie bin ich wesentlich durch mehrere ausgezeichnete Bücher gefördert worden, die ich auch jedem Naturforscher empfehlen möchte. (Es sind die folgenden: Rudolf wielandt, „Herders Theorie von der Religion und den religiösen Vorstellungen". Berlin 1904. horst Stephan, „Herder in Bückeburg". Tübingen 1905. über „Herder als Philosoph" ist kürzlich ein lesenswertes Buch von Carl Siegel erschienen, (Cotta 1907.

25

dem Erstaunlichen und Unbegreiflichen.

Eindruck

selbst

betäuben,

beim

Nur künstlich laßt sich dieser

krassesten Materialisten versagt die

Kunst beim Anblick des nächtlichen Himmelsgewölbes oder anderer ge­

waltiger Naturbilder.

Es ist ein ursprüngliches Gefühl und so wenig

angelernt, wie die ästhetische Bewunderung, die ein künstlerisch ganz unge­ lehrtes Menschenkind ergreift, wenn man es plötzlich vor den vom

von Florenz oder das Kolosseum stellt.

Auch das Religiöse ist zunächst

bloß Gefühl, keine Lehre, noch weniger ein Befehl oder unvermittelte

Erleuchtung durch ein übersinnliches Wesen oder einen heiligen Geist. Es bedarf zur Entstehung der Religion gar keiner, auch nur eingebildeten

übersinnlichen Dffenbarung. vollkommen aus.

Vie natürlichen Grundlagen reichen dafür

Es handelt sich um ganz natürliche, kausale, aus

unserer Organisation folgende Dorgänge1).

Selbstredend ist es ebenso

schwer, ja unmöglich, das religiöse Gefühl mit seinen asioziierten Vorstellungen und Gefühlstönen bis auf den Grund zu analysieren, wie andere Gefühle.

Aber der psychologische Ursprung der Religion und damit ihre natür­ liche Entstehung stehen fest. Herder nennt den ganzen psychologischen Vorgang, den er wohl erkannt, wenn auch nicht genau analysiert hat,

einfach Dffenbarung.

Haeckel, der diesen Begriff nur aus dem alten

Testament kennt, wird seine Respektierung durch einen Naturforscher

unbegreiflich finden.

Herder hat aber diesen Begriff ganz umgebildet

zu einem psychologischen, der mit der künstlerischen Offenbarung, d. h.

dem beweislosen psychologischen Erfaffen des Schönen, als einer Einheit, verwandt

ist.

Die

Assoziationen

von

religiösen

Vorstellungen

und

Gefühlstönen, sagen wir kurz mit Herder die psychologische religiöse Offenbarung besteht aus einem Komplex, der freilich nicht die Religion

selbst ist, so wenig wie poetische Stimmung und poetisches vermögen ein Gedicht find.

Das Gefühl bildet nur den-Boden,

das natürliche

Substrat, auf dem die Religion mit ihrer Symbolik der Vorstellungen

*) Die Ansicht von D. $• Strauß (alter und neuer Glaube), daß die Furcht und Angst vor den das Menschenleben bedrohenden Naturerscheinungen der Ursprung der Religion sei, erscheint mit sehr oberflächlich gegenüber der Tat­ sache, daß diese Furcht schon früh, nicht zur Religion, sondern zur technischen Abwehr geführt hat, und daß die Religion gerade die Furcht durch Ergebung in einen höheren Willen beseitigt hat. Eher könnte man annehmen, daß der Atheismus vielfach aus bloßer Angst vor einem rächenden Gotte entstehen könne.

26 erwachsen kann und mutz, denn ohne Symbole können die Vorstellungen gar nicht verständlich werden,

so wenig,

wie viele wissenschaftliche

Vorstellungen *).

Offenbar sind ursprünglich religiöse Stimmungen ohne Willensakt durch den Eindruck der Natur entstanden, was Herder ebenfalls als

seine Ansicht, wenn auch nicht ganz bestimmt in Worten, so doch ziemlich deutlich dem Sinne nach zum Ausdruck bringt. (Es läßt sich durch Selbst­ beobachtung feststellen, daß auch die heute gewollten, durch Erziehung

erworbenen, religiösen Stimmungen ohne eine Mitwirkung der Sinne gar

nicht oder nur sehr schwer hervorgerufen werden.

Dafür genügen aber,

weil schon Lrinnerungsvorstellungen in Menge vorliegen, oft ganz un­ bedeutende Sinneseindrücke, z. B. das Muskelgefühl beim Falten der

Hände oder bei der Neigung des Kopfes, welche Bewegungen nicht Folge, sondern Ursache der religiösen Stimmung sind.

Vas weiß jede

Mutter, die ihr Kind beten lehrt. Insofern sind die in den verschiedenen

Kulten üblichen Bewegungen nicht belanglos oder töricht, sondern diese meist traditionellen Bewegungen sind bei der Erregung der Stimmung

in hohem Matze beteiligt.

So können auch die gottesdienstlichen Gebräuche

nicht als blotzer Fetischdienst bezeichnet, sondern müssen als Stimmungs­ mittel für den gewollten Zweck, und zwar als bis zum gewiffen Grade not­ wendige Mittel angesehen werden. Nur ihre Übertreibung verdient scharfe

Verurteilung. 3n dieser Beziehung steht die religiöse Stimmung in ihrer Abhängigkeit von Sinneseindrücken in genauer Analogie mit den meisten anderen Gefühlen, z. B. der Liebe oder dem 3orn, in den Grenzen gesunder

Gehirntätigkeit.

Auch diese Gefühl« sind durchaus abhängig von einem

sinnlichen Eindruck der unter Umständen nur gering zu sein braucht.

Aber ohne den Anblick einer Person oder Sache,

ohne Reizung

des

Gehörs oder Gefühls wird niemand vom Zorn ergriffen, nur ein ver­

rückter wird durch blotze Vorstellung veranlatzt, um sich zu schlagen. Ohne sinnlichen Reiz wird das Gefühl der Liebe gar nicht entstehen,

höchstens ein anderes, die Sehnsucht.

Es ist klar, dah, wenn unsere

religiösen Symbole nicht psychologisch notwendig wären, sie sich nicht

so lange selbst bei gebildeten Völkern erhalten hätten, denen sie doch *) Man braucht bloß an dl« Arithmethik oder an die Geographie zu er­ innern, die letzter« arbeitet mit dem Globus und in manchen Kartenprojektionen sogar bewußt mit, der Natur nicht entsprechenden, Symbolen.

27 als bloße Gegenstände behandelt, bekanntlich oft unbedeutend genug

erscheinen. Und nicht umsonst macht die llirche so ausgiebigen Gebrauch von Grgelton und Glockenklang, von Weihrauch und Kirchenprunk. Vie meisten Menschen wissen freilich nicht, daß dieser Umstand ihretwegen

und nicht zu Ehren des höchsten Wesens gemacht wird. Warum werden nun also gerade dem religiösen Menschen seine not­ wendigen Stimmungsmittel von den Monisten verunglimpft und geraubt, während doch der ästhetisch Gebildete auch nach Ansicht der Monisten

sich immerfort zu Hause und draußen mit seinen Stimmungsmitteln

umgeben darf, ja, umgeben soll!

Was

ist

denn

auch

Leben

unser

ohne

Pracht­

Stimmung?

bauten, Denkmäler, Gartenanlagen, Reden und Festmusik, Festkleider,

Amtstrachten,

Grden

und

Titel

sind

auch

als

nichts

Stimmungs­

mittel, letztere sogar mit moralischem Effekt, solange man dem Grundsatz huldigt, noblesse oblige.

warum läßt sich Haeckel gern mit einem

Schädel oder Skelett photographieren, als um Stimmung zu erregen. Also welch ein Widerspruch in den monistischen predigten gegen das Religiöse.

Der Gebildete kann ja auch mit einem Minimum religiöser

Symbole auskommen, sie dem einfachen Menschen zu nehmen ist Unge­

rechtigkeit und Grausamkeit, die keine Naturwisienschaft entschuldigt. So­ lange man den allgemeinen Kultus der Stimmung überhaupt nicht

abschafft, und Häckel hat ihn selbst durch die Annahme des Titels Exzellenz öffentlich gebilligt, so lange hat man kein Recht, die Stim­ mungsmittel

des

religiösen Kultus

zu verdammen.

Jeder hat die

Freiheit, davon Gebrauch zu machen oder nicht, genau wie bei Titeln und Grden.

Inwieweit die auch von Kant als berechtigt anerkannten

Stimmungsmittel mit dem eigentlichen moralischen Zweck der Religion verwechselt werden können, und wie man dieser Gefahr durch richtige

Beurteilung zu entgehen habe, hat Kant kritisch-philosophisch mit einer

Ausführlichkeit

behandelt,

daß dagegen Haeckels unvollständige und

zusammenhangslose, vor allem nicht mit vernunstkritik, sondern mit

scherzhaften

Bemerkungen

operierende

Darstellung

minderwertig ist (Kant, „Vie Religion"; Abt. 4:

ganz

und

gar

„vom Dienst und

Afterdienst unter der Herrschaft des Guten Prinzips"). Religion als abgetane Sache zu bezeichnen, ist also auch vom

Standpunkt des Naturforschers bloße unwiffenschastliche Meinung.

Häckel

28 stände es frei, an den Formen der Religionen Kritik zu üben, aber

nur, wenn er ebenso gründlich zuvor Theologie studiert hätte, wie etwa Herder Naturwissenschaft.

Verspottung des

Haeckels Kritik besteht wesentlich in einer

Christentums und der Evangelien (S. 125).

Dem

gegenüber ist jedenfalls merkwürdig, daß gerade ein Physiker und Satiriker über diese ehrwürdigen Bücher das Folgende sagt: „Vas neue Testament ist ein auctor classicus,

das beste Not-

und Hilfsbüchlein, das je geschrieben worden ist, daher man jetzt auf

jedem Dorfe der Lhristenheit mit Recht einen Professor eingesetzt hat, diesen Rutor zu erklären.

Daß es viele unter diesen Professoren gibt,

die ihn nicht verstehen, hat dieser Rutor mit anderen Autoren gemein.

Aber dadurch unterscheidet sich das Buch gar sehr von anderen, daß man Schnitzer in der Erklärung desselben sogar geheiligt hat." Der Mann, der dies schrieb, heißt Lichtenberg, dem niemand das Mißtrauen eines Frömmlers entgegenbringt.

Sollte nicht also doch

unsere riesige Naturerkenntnis dies opus classicum

so gut dulden

können wie andere Klassiker, denen wir auch einige Irrtümer neben

dem Füllhorn ihrer Schätze zugute halten? Kant

sagt (Kt. d. pr. v., S. 104, Reclam):

Im Gegensatz zu

den moralischen Schwärmereien von älteren Philosophen und Tugend­

lehrern Kann man dem Evangelium mit aller Wahrheit nachsagen, daß es zuerst durch die Reinheit des moralischen Prinzips und

durch die

Rngemesienheit an die Beschränktheit der Menschen sie der Zucht der bloßen Pflicht unterworfen, und dem menschlichen Eigendünkel und seiner Eigenliebe die Schranken der Selbsterkenntnis gesetzt habe.

Daß dies richtig ist, ergibt sich daraus, daß Gottlob die Mehrzahl der Menschen wenigstens moralisch sein will und kann auf Grund bloßer

Erziehung durchs Evangelium, ganz ohne Studium theoretischer Moral.

Zur Verneinung der praktischen Frage: Brauchen wir noch eine Religion? ist Haeckel als Naturforscher gar nicht berechtigt, weil die Naturwisienschaft gar keine vollgültige Instanz sür diese Frage ist. Die

Natursorschung hat nicht mit ja oder nein, sie hat mit Tatsachen zu antworten.

Die Tatsachen drängen aber den Naturforscher zu der Ant­

wort: Wir können der Religion gar nicht entgehen, da sie sich aus

physiologisch-psychologischen Vorgängen im Menschen, also aus natür­ lichen Grundlagen

entwickelt.

Das

genügt.

Es

kommt

aber noch

29 hinzu, daß auch der Weg der Vernunft ebendahin führt.

Die Moral,

obgleich an sich unabhängig von einem religiösen Ideal, führt doch

immer zur Religion in irgendeiner Form, da der Mensch in seiner Ausübung viel zu unsicher über das Moralgesetz wird, wenn er nicht in seiner Vorstellung ein moralisches Ideal sesthält?)

Gerade die Gründe, die Haeckel für die Beseitigung des Christen­ tums

anführt,

sind

nicht

stichhaltig.

(Er

behauptet,

es

stehe

im

schärfsten Gegensatz zur Wissenschaft ($. 124) und zur Kultur (Kulturver­ achtung, S. 142).

Beide Meinungen werden jedenfalls erschüttert durch

die bemerkenswerte Tatsache, daß nur christliche Völker einen Galiläi,

Dante, Raphael, Lionardo, Shakespeare, Goethe, James Watt, Lamarck, Darwin, Lavoisier, verzelius, Liebig, Robert Mayer, Kelvin, Maxwell, Helmholtz, Bismarck hervorgebracht,

und

nicht der Islam oder die

Chinesen, obgleich sie sogar, was bei uns in Deutschland viel gilt, das Pulver

erfunden

haben

sollen.

Sollte Robert Mayer, wenn er ein

Chinese gewesen, vielleicht sogar das Substanzgesetz früher entdeckt haben?

An Stelle des Christentumes soll der Monismus treten, eine Religion ohne Religiosität, die trotzdem (W.-R. 165) mit dem reinsten Mono­

theismus zusammenfallen soll, da sie im „Sinne aufgeklärter Theologie" (?) „Gott als die Summe aller Kräfte und Wirkungen" betrachtet.

An

diesen „Gott" darf und soll auch der Naturforscher glauben. Natürlich ist es falsch, diese Ansicht reinsten Monotheismus zu nennen, es ist Pantheismus und in dieser Form nicht neu, sondern uralt.

(Er sagt

nicht mehr als die orphischen Verse: *) Vatz in der christlichen Religion dies Ideal ein Mensch ist, macht ihre Verbreitung verständlich. Die Evangelien befinden sich übrigens in der Schil­ derung der Person Lhristi in einer merkwürdigen Übereinstimmung mit Kants rein philosophischer Forderung, daß das Sittengesetz nur in dem Menschen vollkommen wirkt, der es frei von Absichten für sein Wohlbefinden ausübt. Moderne Vorbilder noch so großer und edler Menschen können mit dem Vor­ bild der Evangelien nicht konkurrieren und würden höchstens die Phantasie mit falschen Idealen versehen können, da sie hinter dem Begriffe der Moral weit zurückbleiben. Die Ungewißheit, ob Lhristus gelebt hat oder nicht, ist moralisch ohne Belang, hat er gelebt, so war er geradezu eine Verkörperung des moralischen Gesetzes, hat er nicht gelebt, so ist die Erzählung von ihm nur ein Ausdruck des Gesetzes, er ist mit diesem identisch. Für die heutige Welt ist beides praktisch gleichbedeutend. Der versuch Haeckels „Saladins gesammelte Märchen" zu verbreiten, um die Persönlichkeit des Lhristus zu beseitigen, hat daher, abgesehen von der trüben (Quelle, nicht einmal einen vernünftigen Sinn.

30

„3eus ist Haupt, 3eus Mitte, aus 3eus ist alles entsprossen, 3eus ist Wurzel der Lrde zugleich und des leuchtenden Himmels."

Bet der Haeckelschen Fassung kann man nicht mehr denken als

bei dieser und bei dem, was Tenophanes und die Cleaten sagten. Wenn das wirklich die höchste Weisheit ist, seltsam, daß sie dann die Menschen in 2500 Jahren nicht glücklich machen konnte.

Das lehrt wieder, daß

die philosophisch vollkommenere Ansicht nicht immer die ist, welche man

brauchen kann.

Auch die atomistische Ansicht ist philosophisch unvoll­

kommen, und doch will sie niemand in der wisienschaftlichen Anwendung

misten.

So wird es wohl noch lange dauern, bis dieser inhaltsleere

Monismus das lebenswarme, ethisch wirksame Christentum überwindet. Ich glaube, man darf über das Verhältnis der Religion zur Moral, woraus sich die Antwort über ihre Brauchbarkeit klar ergibt, dasselbe

sagen, was Schopenhauer über die Poesie und Philosophie sagt (parerga und Parolipomena, Reclam II, S. 11).

„Der Dichter bringt Bilder des Lebens, menschliche Charaktere und Situationen vor die Phantasie, setzt dies alles in Bewegung und

überläßt es jedem bei diesen Bildern soweit zu denken, wie seine Geisteskraft reicht.

Deshalb kann er Menschen von den verschiedensten

Fähigkeiten, ja Toren und Weisen, zugleich genügen.

Der Philosoph

hingegen bringt nicht in jener Weise bas Leben selbst, sondern die fertigen von ihm daraus abstrahierten Gedanken und fordert nun,

daß sein Leser ebenso und ebenso weit denke als er selbst.

wird sein Publikum recht klein.

Dadurch

Der Dichter ist danach dem zu

vergleichen, der die Blumen, der Philosoph dem, der die (Quintessenz

derselben bringt." Diese Worte Schopenhauers scheinen mir trefflich aus Religion und

Moral zu paffen. Denker.

Die Religion ist für das Leben, die Moral für den

Die Religion ist die Blume, für Toren und Weise gleicher­

weise gewachsen und tröstlich.

Der Gotterglaube. Wem die Theologie nicht Kritisch und objektiv genug erscheint, um die Frage, was man glauben und wisten kann, zu beantworten, der

31 wird mit größerer Berechtigung und größerem Erfolge als bei Haeckel

bei Kant anfragen.

Kant hat mit größter Schärfe nachgewiesen, daß

die Realität eines höchsten Wesens, die Grundlage aller Religion, logisch nicht bewiesen werden kann, daß alle früher dafür gültigen Beweise

hinfällig sind.

Dadurch hat er die Naturwisienschaft längst vor Haeckel

von jeder theologischen Feste! befreit.

Aber er hat damit auch zugleich

den Glauben befreit durch den Nachweis, daß die Existenz eines Gottes ebensowenig widerlegt werden kann. Gleiche Freiheit der wisienschaft und des Glaubens verdanken wir

diesem gewaltigen Freiheitsbringer. Noch mehr! Kant hat bewiesen, daß,

wenn den christlichen Glaubenslehren auch der Beweis der Realität fehlt,

sie dennoch als Symbole vernunftgemäßer Ideen angesehen werden

können, und damit hat er die Religion auch vom Zwange jedes Dogmas befreit.

Der versuch Haeckels, Kant bei der Allgemeinheit, ehe er ihr

überhaupt in dieser Richtung bekannt geworden ist, zu diskreditieren, arbeitet nicht der Aufklärung, sondern der Verdummung des Volkes in die Hände.

Haeckel deutet gelegentlich an, er wolle an Stelle des Kultus

eine wahre Religion der Moral setzen. bei Kant bezeichnet.

Das Ziel ist längst und bester

Kant sagt, man könne alle Religionen in die der

Gunstbewerbung (des bloßen Kultus) und die moralische, d. h. die Religion des guten Lebenswandels, einteilen und die letztere sei

die eigentliche Religion?)

Aber Kant gibt auch an, wie man zu einer

solchen Religion gelangen kann, was Haeckel nicht tut.

Es ist tat­

sächlich ein starkes Wagnis, daß Haeckel Gedanken Kants als neue, eigne hinstellt, gleichzeitig jedoch behauptet, Kant wandle auf Irrwegen.

Haeckel, der wiederholt von Kants „Widersprüchen" redet und über Kants „vernünfte" und den kategorischen Imperativ witzelt, hat an­ scheinend die Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft nicht gelesen,

obwohl die Anmerkung fast für ihn geschrieben scheint.

Sie lautet:

„Ein Rezensent, der etwas zum Tadel dieser Schrift sagen wollte,

hat es bester getroffen, als er wohl selbst gemeint haben mag, indem

er sagt: daß darin kein neues Prinzip der Moralität, sondern nur

eine neue Formel aufgestellt worden.

Wer wollte aber auch einen

*) Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. (Redam S. 54.)

32 neuen

Grundsatz

aller

Sittlichkeit,

einführen

diese

und

gleichsam

zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Wett in dem, was Pflicht

sei, unwissend, oder in durchgängigem Irrtum gewesen wäre?)

Wer

aber weiß, was dem Mathematiker eine Formel bedeutet, die das,

was zu tun sei, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt

und nicht verfehlen lätzt, wird eine Formel, welche dieses in An­

sehung aller Pflicht tut, nicht für etwas Unbedeutendes und Ent­ behrliches hatten." Vas Angeführte beweist wohl schlagend genug, wie haltlos Haeckels

Behauptungen find, der Inhalt der Kr. der reinen Vernunft und der praktischen Vernunft ständen in krafiem Widerspruch, von Widerspruch zwischen Kants Werken oder von einer Unklarheit über seine Abfichten

kann nur der Unverständige reden.

Ehe Haeckel so selbstbewußt vom

Dualisten Kant spricht, sollte er doch in der praktischen Vernunft nach­ lesen, wo Kant die berechtigte Erwartung ausspricht,

„es vielleicht

dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) zu bringen, und alles aus einem

Prinzip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfnis der

menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Ein­

heit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet." eigene Worte.

Das find Kants

Will man annehmen, daß diese Aufgabe mit dem leeren

Geklapper der Worte Monismus und Substanzgesetz gelöst sei?

Was Haeckels monistische Religion angeht, so fehlt dieser Religion vor allem das, was Goethe als die Würde, als das Geschäft aller echten Religionen bezeichnet, die Ehrfurcht.**) Mit dreifacher Ehrfurcht beginnt Goethe die Erziehung der Kinder,

damit sich daraus die Ehrfurcht

-es Menschen vor sich selbst und damit die Erhebung über das

*) Var letzte prätendieren die Welträtsel ebenso selbstbewußt, rote die Aufstellung einer neuen Grundsatzes der Sittlichkeit mit ihrem Ruf: zurück zur Natur! (S. 156) und ihrer Phrase von den „ewigen, ehernen Naturgesetzen in der moralischen Welt” (S. 140). *) Wilhelm Meisters Wanderjahr«, II. Ruch L Kap. In diesem Kapitel ist eine ganze Weltanschauung auf wenigen Blättern gegeben, wie dar nur Goethe kann. 3n wenigen Zeilen ist dar Größte über dar Christentum gesagt, dar Glaubensbekenntnis ist nirgends wie hier, philosophisch erleuchtet und der not­ wendige Übergang von symbolischen Zeichen zur „obersten Deutung“ gerade durch die Kürze der Darstellung in wunderbar würdiger Weise belegt.

33 Gemeine entwickele.

Der Mangel an dieser Ehrfurcht ist geradezu ein

Merkmal für die Welträtselweisheit.

was für Goethe „Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst" und

eine edle Duelle für das Leben ist, heißt bei Haeckel Anthropismus und menschlicher Größenwahn.

Auch über diesen ganz nagelneuen haeckelschen Anthropismus findet man schon beim alten Hont die vollste Aufklärung.

Das gewaltige

Schlagwort, womit Haeckel die monistischen Lichtgeister von denen der

geistigen Finsternis scheidet, will uns den Gebrauch unseres Köstlichsten

Geschenkes, der Sprache, verkümmern.

Man darf nicht nur nicht den

Gedanken, sondern auch die Sprache nicht mehr frei gebrauchen, ohne

dem Vorwurf „anthropistischen Größenwahns" zu verfallen.

Kant sagt

über die Vermenschlichung der moralischen 3bee:1)

„Es ist freilich eine Beschränktheit der moralischen Vernunft, die doch einmal von ihr nicht zu trennen ist, daß wir uns keinen

moralischen wert von Belang an den Handlungen einer Person denken

können, ohne zugleich sie oder ihre Äußerung auf menschliche weise

vorstellig zu machen, obzwar damit eben nicht behauptet werden

will,

daß

es an sich auch so bewandt

sei,

denn wir bedürfen,

um uns übersinnliche Beschaffenheit faßlich zu machen, immer einer gewißen Analogie mit Naturwesen."

Kant nennt diese Beschränktheit der Vernunft den Schematismus der Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht entbehren können und

sagt

dann:

„diesen

aber

in einen Schematismus der GbjeKt-

bestimmung (zur Erweiterung der Erkenntnis) zu verwandeln, ist An» thropomorphismus, der in moralischer Absicht (in der Religion)

von den nachteiligsten Folgen ist". Kant zu berücksichtigen,

den

Haeckel wirst schlankweg, ohne

Schematismus

der Analogie

mit dem

groben Anthropomorphismus zusammen und bringt alles, was bei Kant

sonnenklar dargelegt ist, wieder in laienhafte Unklarheit.*)

x) Kant, Vie Religion S. 66. ’) ®b hier Unkenntnis ober absichtliches verschweigen vorliegt, ist nicht festzuftellen. Man sollte annehmen, daß, wer Kant so verurteilt, wie Haeckel, ihn doch gelesen hat. Unter allen Umständen ist es unentschuldbar, bei diesen Fragen Kant nicht ausführlich zu zitieren, übrigens ist es interessant, daß Kant hier nicht scholastisch ist, sondern nur formuliert, was allgemein gedacht 1} ans en, Grenzen der Religion und Naturwissenschaft. 3

34

Der Gottesidee entspricht kein sichtbarer ober greifbarer Gegenstand,

Aber die Idee verschafft die Möglichkeit,

nicht einmal hypothetisch.

die Einheit wirklicher, von ihr in Gedanken abgeleiteter Dinge zu be­ greifen, auch auf moralischem Gebiet.

Kant sagt klar, verständlich und

überzeugend: „Die Dinge der Wett müssen so behandelt werden, als ob sie von einer höchsten Intelligenz ihr Dasein hätten."

3n der praktischen Lebensgestattung heißt das, wir müfien so

leben, als ob es einen Gott als höchstes moralisches Ideal gäbe, und hier möchte ich den großen Kathederatheisten wohl fragen, ob er nicht

auch so lebt?

Ich zweifle nicht daran.

Aber der unreife Nachwuchs,

der die Welträtsel liest, spricht leider anders und verkündet: Haeckel sagt, es gibt keinen Gott, und nun können wir getrost leben, wie es

Und diese Freibeuter nennen Ist Haeckel der starke Geist, die Verantwor­

unserer natürlichen Immoralität behagt.

sich dann „Freidenker"/)

tung für diesen Schluß auf lange Zukunst zu übernehmen?

Man kann Kant nicht vorwerfen, daß er hier bloß ein Dogma aufstelle, vor dem ein Naturforscher sich nicht beugen dürfe,

denn die

Naturforschung hat ganz denselben Gedankengang auf ihren Gebieten längst anerkannt.

Was die Kräfte eigentlich sind, deren Wirkungen

wir kennen und in Gesetze faffen, kann uns kein Physiker sagen.

Diese Unkenntnis verwirrt den Physiker aber nicht im geringsten. Er

vergleicht

sogar

manche

Kräfte

„anthropistisch"

mit

der Kraft

unserer Muskeln und stellt Gesetze auf, als ob die Erscheinungen durch Kräfte ähnlicher Art bedingt wären.

Der Chemiker arbeitet, als ob

es Atome gäbe, mancher Physiker, als ob es keine, sondern nur einen

kontinuierlich erfüllten Raum gäbe.

Das findet volle Billigung, und

wir sollten auf moralischem Gebiet nicht mit derselben Freiheit ver­ fahren dürfen, bloß weil Haeckels philosophische Einsicht nicht weiter reicht als sein anatomisches Meffer? wird. Ich habe mich, um Haeckels Behauptungen zu prüfen, einmal bei ein­ fachen Menschen nach ihrem „knthropismus" umgetan. (Ein Bauer, den ich fragte, ob er sich Gott als alten Mann vorstelle, lächelte und sagte dann, ob­ gleich er Kant nicht gelesen hatte: „Ja, dar tun wohl welche, aber das kommt bloß von unserem zu kleinen verstand!" *) vergl. dazu den vortrefflichen Aufsatz von