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German Pages 101 Year 1971
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 173
Grenzen der Gerichtsbarkeit im sozialen Rechtsstaat
Von
Gerhard Oettl
Duncker & Humblot · Berlin
GERHARD
OETTL
Grenzen der Gerichtsbarkeit i m sozialen Rechtsstaat
Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 173
Recht
Grenzen der Gerichtsbarkeit i m sozialen Rechtsstaat
Von
Dr. Gerhard Oettl
DUNCKER
& HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany
ISBN 3 428 02560 1
Vorwort Grenzen der Gerichtsbarkeit zu konstatieren, beinhaltet ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, ist doch der Verdacht leicht zur Hand, aufgrund eines großzügigen und lockeren Rechtsstaatsverständnisses der Exekutive Refugien der Macht zu Lasten des Bürgers erhalten zu wollen. Dies umso mehr seit der — zu Recht — äußerst umstrittenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. Dezember 1970 zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, i n welcher es ohne Not den Ausschluß des Rechtsweges gegen höchst handgreifliche Maßnahmen der Staatsgewalt als m i t dem Grundgesetz vereinbar erklärte. Es scheint deshalb der Hinweis nicht unangebracht, daß es dieser Schrift, indem sie Grenzen der Gerichtsbarkeit aufzeigt, nicht darum zu tun ist, Abstriche an der rechtsstaatlichen Forderung richterlicher Kontrolle von Exekutive und Legislative vorzunehmen. I n ihrer A b sicht liegt es vielmehr, Ausuferungen des Rechtsschutzgedankens entgegenzuwirken, davon ausgehend, daß der durch die Gerichte gewährte Rechtsschutz nur ein, wenn auch ein wichtiges Erfordernis einer sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie ist und daß extrem hervorgehobene verfassungstheoretische Positionen noch stets i n Gefahr waren, das Ganze einer Rechtsstaatsverfassung zu verfehlen. — Die Arbeit wurde von Prof. Dr. Peter Lerche, dem ich zu danken habe, betreut. Sie wurde i m November 1970 abgeschlossen und konnte deswegen weder das oben angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes noch die seither erschienene Literatur, insbesondere nicht die Habilitationsschrift von Axel Görlitz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit i n Deutschland berücksichtigen. Gerhard
Oettl
Inhaltsverzeichnis Einleitung
Erster
7
Abschnitt
Grenzen der Gerichtsbarkeit, die das Rechtsstaatsprinzip nicht tangieren A. Die natürlichen Grenzen der Gerichtsbarkeit
10
I. Grenzen, die sich aus dem Wesen des Hoheitsaktes ergeben
10
I I . Grenzen, die sich aus dem Wesen der Rechtsprechung ergeben
15
B. Grenzen der Gerichtsbarkeit i m Hinblick auf den demokratisch v e r faßten Staat
21
I. Das demokratische Prinzip der Verantwortlichkeit I I . Das Rechtsstaatsprinzip u n d das Prinzip der Verantwortlichkeit C. Die faktischen Grenzen der Gerichtsbarkeit
21 23 29
I. Kenntnis des gesamten Sachverhaltes als Voraussetzung der richterlichen Entscheidung
29
I I . Die rechtlich bedingte unvollständige Kenntnis des Sachverhaltes
30
I I I . Die faktisch bedingte unvollständige Kenntnis des Sachverhaltes
33
I V . Ergebnis
39
Zweiter
Abschnitt
Rechtsstaatliche Grenzen der Gerichtsbarkeit A. Grenzen, die sich aus dem Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat ergeben I. Der Staatszweck des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates I I . Die Justizförmigkeit des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates . . . . I I I . Wandel des Staatszweckes IV. Konsequenz des Anwachsens staatlicher keiten
40 40 42 43
Einwirkungsmöglich-
46
1. Ausdehnung des Gerichtsschutzes?
46
2. Gesetzesakzessorietät i m Bereich der LeistungsVerwaltung
47
6
Inhaltsverzeichnis a) Zweck des Gesetzesvorbehalts b) Faktische Unmöglichkeit eines umfassenden Gesetzesvorbehalts
49
3. Bereich der Gerichte a) Nachträgliche u n d ursprüngliche Verwaltungsstreitigkeit b) Die Konkurrentenklage c) Folgerungen
51 51 55 62
B. Grenzen, die sich aus der Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g ergeben
64
I. Die Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g 1. Die materielle F u n k t i o n der V e r w a l t u n g
48
64 65
2. Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
74
3. Das Gewaltenteilungsprinzip
78
I I . Einfluß des A r t . 1 9 I V GG auf die Eigenständigkeit der Verwaltung
84
Schlußbemerkung
91
Literaturverzeichnis
92
Einleitung Nach A r t . 19 I V GG steht jedem, der durch einen Träger der öffentlichen Gewalt i n seinen Rechten verletzt ist, der Rechtsweg offen. Diese knappe Formulierung scheint die Möglichkeit auszuschließen, daß es unter der Herrschaft des Grundgesetzes noch Maßnahmen gibt, die, wenn sie den Rechtsträger möglicherweise i n seinen Rechten verletzen, nicht von den Gerichten nachgeprüft werden können. Und in der Tat geht die ganz herrschende Meinung davon aus, daß Art. 19 I V GG die verfassungsrechtliche Garantie eines umfassenden Rechtsschutzes1 darstelle. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes 2, wie nach der des Bundesverwaltungsgerichtes 5 , gewährleistet A r t . 19 I V GG die rechtsstaatliche Forderung nach möglichst lückenlosem gerichtlichem Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Auch i n der Literatur ist diese Ansicht vorherrschend. So äußerte Klein bereits auf der Staatsrechtslehrertagung 1950 die Ansicht, daß A r t . 19 I V GG den rechtsstaatlichen Gedanken einer allgemeinen und lückenlosen rechtlich-gerichtlichen Sicherung gegen Ubergriffe und Mißgriffe der Träger der öffentlichen Gewalt i m Bereich der individuellen Rechte zugrundeliege 4 . Ebenso sieht Dürig in A r t . 19 I V GG die Forderung nach einem umfassenden, lückenlosen Rechtsschutz durch Gerichte 5 , und nach Wernicke ist A r t . 19 I V GG die Verwirklichung der Forderung nach echter, konsequenter Rechtsstaatlichkeit durch Gewährung lückenlosen Rechtsschutzes6. Schließlich seien aus der neuesten Literatur noch Evers und Dütz genannt, die sich nachdrücklich für einen universellen Rechtsschutz als Kennzeichen der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in A r t . 19 I V GG Ausdruck gefunden habe, einsetzen7. 1 Unter Rechtsschutz ist hier u n d i m folgenden, w e n n nichts anderes gesagt ist, stets der durch Gerichte gewährleistete Rechtsschutz gemeint. 2 Vgl. BVerfGE 8, 274 (326); 13, 153 (161). 8 Vgl. B V e r w G E 16, 289 (293); 21, 184 (187). 4 Vgl. Klein , Tragweite der Generalklausel i n A r t . 19 Abs. I V des Bonner Grundgesetzes, W D S t R L 8 (1950), 67 (78); ders., Mangoldt-Klein, V I I zu A r t . 19, S. 568. 5 Vgl. Dürig , Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 9 zu A r t . 19IV. • Vgl. Wernicke , Bonner Kommentar, 4 b zu A r t . 19. 7 Vgl. Evers , Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 59 u n d passim; Dütz , Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 104 f.
8
Einleitung
Läßt man jedoch für einen Augenblick die bekenntnishaften Forderungen nach umfassendem Gerichtsschutz beiseite, so stellt sich bei näherem Zusehen heraus, daß die Zahl derjenigen Hoheitsakte, die sich einer gerichtlichen Kontrolle zu entziehen trachten, nicht eben unerheblich ist: Gnadenakte, Verleihung von Orden und Ehrenzeichen, parlamentarische Entscheidungen (Art. 44 I V GG), sogenannte Regierungsakte, Kommandoakte i m Wehrbereich, Ermessensentscheidungen, Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, Maßnahmen der leistenden Verwaltung, A k t e i m Bereich der mittelbaren Intervention und Akte der planenden Verwaltung 8 . Bei dieser Sachlage nimmt es nicht wunder, daß die Auseinandersetzung um das Problem der Lücken i m Rechtsschutz allenthalben geführt w i r d unter dem Aspekt von nicht gerechtfertigten Konzessionen zu Lasten der Rechtsstaatlichkeit und die vorfindlichen Lücken grundsätzlich als etwas Ausfüllungsbedürftiges, weil nach den Geboten des Rechtsstaates m i t dem Makel des Unvollständigen Behaftetes begriffen werden. Folgt man der herrschenden Meinung, so kann es sich also konsequenterweise nur darum handeln, die noch vorhandenen Lücken zu schließen, u m den Rechtsschutzauftrag auch i n den Bereichen zu verwirklichen, die sich der elementaren Struktur des Art. 19 I V GG zu entziehen scheinen9. Dabei ist all den oben genannten Stimmen ein Zweifaches gemeinsam. Zum einen gehen sie von der unterschiedslosen Gleichwertigkeit der Gerichtsschutzlücken aus, ohne die Ursachen für den fehlenden Gerichtsschutz näher in Betracht zu ziehen, und zum andern sind sie von einem kaum diskutierten Vorverständnis des Rechtsstaatsbegriffes getragen, wonach der Kern der Rechtsstaatlichkeit in der Forderung nach lückenlosem Rechtsschutz besteht. Damit aber w i r d von vornherein auf die Mehrgleisigkeit eines Lösungsversuches verzichtet und die gesamte Diskussion m i t dem äußerst diffizilen und vielschichtigen Begriff des Rechtsstaates belastet. Dies ist indes nicht notwendig, wenn man, die Ursachen für den mangelnden Rechtsschutz näher untersuchend, von einer Ungleichwertigkeit der vorfindlichen Lücken ausgeht. Hierbei w i r d sich nämlich zeigen, daß das Rechtsschutzsystem Lücken aufweist, die das Rechtsstaatsprinzip nicht tangieren und Lücken, die i n einer unterschiedlichen Ausdeutung des Rechtsstaatsbegriffes gründen. Es geht also zunächst einmal darum, die Auseinandersetzung durch eine Teilentlassung der Rechtsstaatsproblematik zu entflechten und Fälle von Gerichtsschutzlosigkeit auszumachen, die den Rechtsstaatsgedanken nicht berühren. Dabei soll aber, angesichts der ohnehin sehr 8 Vgl. H. Schneider , Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 47; Evers , Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 61. 9 So Evers , a.a.O., S. 62.
Einleitung
reichhaltigen Literatur, nicht i n der Weise vorgegangen werden, daß einzelne Akte, deren Justiziabilität strittig ist, herausgegriffen und einer erneuten Untersuchung unterzogen werden. Es w i r d vielmehr bewußt auf eine derartige Katalogisierung und punktuelle Ausklammerung „gerichtsfreier Hoheitsakte" verzichtet. Stattdessen soll der Versuch unternommen werden, m i t Hilfe einer Einteilung i n natürliche, faktische und demokratische Grenzen der Gerichtsbarkeit die Fälle von Gerichtsschutzlosigkeit aufzuzeigen, die i m Vorfeld der Auseinandersetzung um den Rechtsstaat angesiedelt sind. Dies bringt einerseits den Vorteil, daß der eigentliche Grund, warum die Justiziabilität des betreffenden Hoheitsaktes fraglich ist, offen zutage liegt, und hat andererseits zur Folge, daß eine Schematisierung und die häufig mit ihr einhergehende Verkrampfung des Problems vermieden werden. I n einem zweiten Abschnitt w i r d sodann die Frage, ob dem Rechtsstaat ein Prinzip lückenlosen Rechtsschutzes eignet, zweckmäßigerweise unter dem Aspekt zu erörtern sein, ob nicht etwa aus dem Wesen des Rechtsstaates selbst sich Grenzen der Gerichtsbarkeit ergeben, ob also der Rechtsstaat zwar einerseits Rechtsschutz durch Gerichte gebietet, andererseits aber nicht Fälle denkbar sind, in denen eine gerichtliche Entscheidungszuständigkeit gerade durch das Rechtsstaatsprinzip ausgeschlossen ist. Hier werden der Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat und die Eigenständigkeit und Funktionsfähigkeit der Verwaltung i m Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stehen haben.
Erster
Abschnitt
Grenzen der Gerichtsbarkeit, die das Rechtsstaatsprinzip nicht tangieren A. Die natürlichen Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Grenzen, die sich aus dem Wesen des Hoheitsaktes ergeben Eine natürliche, vorgegebene Begrenzung der Gerichtsbarkeit 1 kann sich aus dem Wesen des i n Frage stehenden Hoheitsaktes insofern ergeben, als es — wie sich aus dem Wortlaut des A r t . 19 I V GG unschwer ergibt — Voraussetzung der gerichtlichen Uberprüfbarkeit ist, daß i h m der Charakter eines Rechtsaktes eignet 2 : Denn nur dann soll nach A r t . 19 I V GG der Rechtsweg offenstehen, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt i n seinen Rechten verletzt ist, welche Rechtsverletzung aber nur durch einen Rechtsakt erfolgen kann. Es ist dabei die Frage, ob der jeweils zur Überprüfung stehende Hoheitsakt eine Verletzung von Rechten möglicherweise zur Folge haben kann, von der weiteren zu unterscheiden, ob die Maßnahme nicht zu einer Gruppe von Hoheitsakten gehört, die, weil sie Rechte ihrem Wesen nach nicht berühren können, sich von vornherein der gerichtlichen Kontrolle entziehen. Handelt es sich bei ersteren u m ein Problem der Zulässigkeit, so ist es bei letzteren ein Problem der Statthaftigkeit der Klage 3 . Nur 1 Gerichtsbarkeit soll hier verstanden werden als kompetenzieller Begriff, der den Gegenstand der Wahrnehmungszuständigkeit von Gerichten i m Gegensatz zu demjenigen anderer Staatsorgane, insbesondere der V e r w a l tungsbehörden, bezeichnet. Vgl. Menger , System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 51; Wolff, Verwaltungsrecht I, § 19 V a. 2 Vgl. Lerche , Wehrrecht u n d Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1954, 626 (628 Fn. 30). — Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 10 zu A r t . 19 I V , spricht mißverständlich davon, daß über Rechtsschutzgewährung oder -Verweigerung nicht die begriffliche Erfassung einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt, sondern p r i m ä r die Tatsache entscheide, daß die öffentliche Gewalt gehandelt habe, woraus geschlossen werden könnte, daß sich auch die Qualifizierung des Aktes als eines Rechtsaktes erübrige. I n d i r e k t gelangt er jedoch gleichw o h l zu einer „begrifflichen Erfassung", da die jedenfalls erforderliche Rechtsverletzungsbehauptung auch die Qualifizierung der Maßnahme als (möglicher) Rechtsakt i n sich schließt. _ 3 Insofern dürfte der Begriff des Rechtsaktes bei Lerche , a.a.O., 626 (628), zu eng sein, der den Rechtsaktbegriff i m Zusammenhang m i t einer ordnungs-
A. Natürliche Grenzen v o n d e n l e t z t g e n a n n t e n H o h e i t s a k t e n k a n n b e i der B e s t i m m u n g
11 der
n a t ü r l i c h e n G r e n z e n der G e r i c h t s b a r k e i t die Rede sein. D i e P r o b l e m a t i k , ob es solche a p r i o r i gerichtsfreie H o h e i t s a k t e i n e i n e m Rechtsstaat noch geben d a r f , t a u c h t v o r a l l e m b e i d e r bis i n j ü n g s t e Z e i t h i n e i n u m s t r i t t e n e n F r a g e n a c h der J u s t i z i a b i l i t ä t v o n G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n a u f 4 ' 5 . D i e A r g u m e n t a t i o n s t ü t z t sich h i e r b e i sow o h l a u f f o r m a l e w i e a u f m a t e r i a l e E r w ä g u n g e n , die f ü r unsere U n t e r s u c h u n g aber n u r i n s o w e i t b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n sollen, als sie die n a t ü r l i c h e n G r e n z e n d e r G e r i c h t s b a r k e i t sichtbar m a c h e n k ö n n e n , also a u f die F r a g e z u r ü c k f ü h r e n , ob G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n R e c h t s a k t q u a l i t ä t h a b e n u n d s o m i t g r u n d s ä t z l i c h der r i c h t e r l i c h e n K o n t r o l l e u n t e r l i e g e n 6 . 1. D i e A n t w o r t a u f diese F r a g e w i r d v o r n e h m l i c h i m Wesen der G n a d e gesucht. So geht die w o h l herrschende A n s i c h t d a v o n aus, daß es sich b e i G n a d e n e n t s c h e i d u n g e n n i c h t u m Rechtsakte h a n d e l t , da der B e g r i f f d e r Gnade n u r v e r s t ä n d l i c h ist, w e n n m a n i h n d e m Recht als w i d e r s t r e b e n d b e g r e i f t . Es w i r d h e r v o r g e h o b e n , daß G n a d e n e r w e i s e n i c h t e i n e m R e c h t s w e r t , s o n d e r n e i n e m außerrechtlichen G n a d e n w e r t z u d i e n e n b e s t i m m t s i n d 7 ; daß sie a u ß e r h a l b des V o l l z u g s d e r Rechtso r d n u n g sind, w e i l sie gerade n i c h t ergehen, u m die R e c h t s o r d n u n g zu gemäßen Rechtsverletzungsbehauptung sieht u n d i h n n u r der Zulässigkeit, nicht aber bereits der Statthaftigkeit der Klage zurechnet. 4 Die gleiche Problematik ergibt sich f ü r Ehrungen u n d Verleihungen von Orden u n d Ehrenzeichen, soweit sie Ausfluß des ius gratiarum u n d nicht durch Gesetze w i e z. B. dasjenige über Titel, Orden, Ehrenzeichen v o m 26.7. 1957, B G B l . I S. 844 oder gemäß § 8 0 a B B G geregelt sind. Vgl. auch Ule, Verwaltungsprozeßrecht, Anhang zu § 32 V I I 3 . — Die Frage, ob auch K o m mandoakte i m Wehrbereich mangels Rechtsaktqualität grundsätzlich aus dem Bereich des Gerichtsschutzes zu nehmen sind, ist zu verneinen, da hier eine Verletzung von Rechten nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Vgl. hierzu Lerche, DVB1 1954, 626 (628 m. w . N.). 5 Aus der neuesten L i t e r a t u r vgl. z. B. Seuffert, Über gerichtsfreie A k t e u n d Grenzen des Rechtes, S. 491 ff.; Vogel, Der gerichtliche Rechtsschutz des einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt, S. 123 (137); Knemeyer, A u f dem Weg zur Justiziabilität v o n Gnadenakten, D Ö V 1970, 121 ff.; Mörtel, Der Gnadenakt i m Streit der Meinungen, B a y V B l 1968, 81 ff. u n d 124 ff. Aus der Rechtsprechung siehe Beschl. des B V e r f G v o m 23.4.1969, BVerfGE 25, 352 ff. Die Entscheidung ist u. a. deshalb interessant, w e i l vier der Bundesverfassungsrichter sich f ü r u n d vier gegen die Nachprüfbarkeit der Gnadenentscheidungen aussprachen, was gemäß § 15 Abs. 2 S. 4 BVerfGG zur Z u rückweisung der gegen die Versagung eines Gnadenerweises gerichteten Verfassungsbeschwerde führen mußte. 6 Es soll daher nicht der Frage nachgegangen werden, ob bei einer Nachprüfbarkeit v o n Gnadenakten i n das Verfassungsgefüge des Bundes oder der Länder dadurch eingegriffen werden würde, daß durch den Erlaß eines U r teils die Ausübung der verfassungsmäßigen Befugnisse eines obersten B u n des» oder Landesorgans verhindert, erzwungen oder begrenzt würde. So B V e r w G E 14, 73 (76 f.); BVerfGE25, 352 (361); ablehnend Monz, N J W 1966, 137 (140); Knemeyer, D Ö V 1970, 121 (122 f.). Vgl. ferner Mörtel, B a y V B l 1968, 81 (83 f.). 7 Vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 2 I I I vor 2; Obermayer, Mang-MaunzMayer-Obermayer, S. 138; O V G Hamburg, DVB1 1961, 136.
12
1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
verwirklichen 8 . Nach OVG Münster w i r d eine Gnadenentscheidung nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten getroffen. Vielmehr liege ihr Wesen gerade darin, daß sie von der Anwendung des Rechtes absehe und eben Gnade vor Recht ergehen ließe. Denn inhaltlich sei die Gnade ein A k t der Barmherzigkeit und des Wohlwollens, der an die Stelle eines Rechtsaktes trete. Gnade ersetze das Recht 9 . Auch Wolff lehnt die Rechtsaktqualität von Gnadenentscheidungen ab, da sie Rechtsfolgen aus außerrechtlichen Gründen aufheben oder ohne Rechtsgrund gewähren 10 . Gleichwohl mehren sich i n neuerer Zeit Stimmen, die auch Gnadenakte von Gerichten überprüft wissen wollen. Dies geschieht z. T. über eine Neubesinnung auf das, was heute unter Gnade zu verstehen sei. So w i r d vor allem auf den Bedeutungswandel des Gnadenaktes hingewiesen 11 . Dieser sei i m deutschen Rechtsbereich m i t der Entstehung des Königstums i n Erscheinung getreten. Da er aufs engste m i t der Person des Herrschers und seinem Gottesgnadentum verknüpft gewesen sei, habe er bis hin zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Charakter charismatischer Barmherzigkeit und Wohlwollens, des Mitleids und der fürstlichen Großmut gehabt. M i t dem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse aber und der Ausbildung einer von der Staatsgewalt i m übrigen getrennten und vom Herrscher unabhängigen rechtsprechenden Gewalt habe die Begnadigung die Bedeutung eines Mittels erlangt, Härten des Strafgesetzes auszugleichen und Zweifeln an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidung gerecht werden zu können. Die weitere Entwicklung habe dazu geführt, daß das Gnadenrecht i n einer modernen demokratischen Gesellschaft sich des „Abglanzes charismatischen Geistes" völlig begeben, seine irrationalen Hüllen abgestreift habe und nur noch die Funktion erfülle, Gesetzeshärten, Irrtümer und Unbilligkeiten auszugleichen 12 . So sehr man nun aber dieser Charakterisierung der Gnadenentscheidung zustimmen mag, so hat sie doch nicht das gewünschte Ergebnis der gerichtlichen Nachprüfbarkeit zur Folge 13 . Denn sie vermag allein den Unterschied von irrationaler und rationaler Gnade, nicht aber den 8
Vgl. B V e r w G E 4, 298 (301). Vgl. OVG Münster AS 7, 146 (147). Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 46 I I I d. 11 Z u r Entwicklung des Gnadenbegriffes vgl. BVerfGE 25, 352 (358 ff.); ferner Engisch, Die Idee der Konkretisierung i n Recht u n d Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 207 ff.; Geerds, Gnade, Recht u n d K r i m i n a l p o l i t i k , S. 23, 36; Wilhelm Grewe, Gnade u n d Recht, 1936. 12 Vgl. auch Engisch, a.a.O., S. 208, wonach die Säkularisierung der Gnade notwendige Folge der Säkularisierung des sakralen Charakters der Strafe sein müsse. 13 A m pointiertesten Rupp, Grundfragen des heutigen Verwaltungsrechts, S. 182 F N 254, der auf diesem Wege der Gnade einen Rechtswert zuspricht, ohne allerdings schon allein aus diesem Umstand auf eine gerichtliche K o n trollbefugnis zu schließen. 9
10
A. Natürliche Grenzen
13
von Gnade und Recht zu erklären. Weiterführen (im Sinne einer gerichtlichen Nachprüfbarkeit von Gnadenakten) könnten deshalb nur Uberlegungen, die diesen Gegensatz von Gnade und Recht zu überwinden vermögen. Als Brücke bietet sich der Gedanke der Gerechtigkeit an. So w i r d argumentiert, daß es für einen Rechtsstaat ein selbstverständliches Gebot sei, daß alle hoheitlichen Maßnahmen am Gedanken der Gerechtigkeit ausgerichtet sind. Deshalb müßten auch Gnadenentscheidungen den Mindestanforderungen der Gerechtigkeit entsprechen und die elementaren Grundrechte, insbesondere das Willkürverbot, beachten 14 . Jedoch kann auch auf Grund dieser Erwägungen nicht zwingend auf die Justiziabilität von Gnadenerweisen geschlossen werden. Denn auch gerechte Gnadenentscheidungen bleiben A k t e der Gnade und verdichten sich nicht qua Gerechtigkeit zu Rechtsakten. Dies w i r d i n zweifacher Hinsicht bestätigt. Z u m einen argumentiert die gegenteilige Auffassung zu offensichtlich und zu ausschließlich vom Ergebnis her. Das w i r d besonders deutlich bei Monz 15. Er stellt zunächst zutreffend dar, daß Gnadenentscheidungen zur Gerechtigkeitsordnung gehören. U m von der Gerechtigkeits- zur Rechtsentscheidung zu kommen, folgert er: Jeder Mensch habe einen Rechtsanspruch auf die möglichst vollkommene Gerechtigkeit (S. 138 r. Sp.). Da n u n aber auch die Gnadenentscheidung den menschlichen Schwächen und Fehlern unterworfen bleibe, müsse die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle bestehen, u m einer gerechten Entscheidung wenigstens nahe zu kommen (S. 139 r. Sp.). Das heißt aber nichts anderes, daß bei Monz die Justiziabilität von Gnadenentscheidungen nicht aus deren Rechtsaktqualität folgt, sondern umgekehrt folgt bei i h m aus der sich durch das Gerechtigkeitsgefühl ergebenden Notwendigkeit einer Gerichtskontrolle, daß es sich bei Gnadenakten auch u m Rechtsakte handeln muß. Entscheidend aber ist ein anderer Punkt. Dem Versuch, die Gnade über den Gedanken der Gerechtigkeit i n den Bereich des Rechtes zu rücken, liegt der Glaube an einen vollkommenen Rechtsstaat m i t der Möglichkeit vollkommener vom Staat zu verwirklichender Gerechtigkeit zugrunde 16 . Abgesehen von anderweitigen Bedenken werden damit aber die Grenzen des Rechtes außer Acht gelassen. Denn zwar ist Recht seiner Intention nach i n Form 1 7 gefaßte Gerechtigkeit. Umgekehrt läßt sich jedoch Gerechtigkeit nicht vollständig i n die Form des Rechtes pressen. 14 So m i t unterschiedlicher Nuancierung BVerfGE25, 352 (366) (dissenting opinion); BayVerfGH n. F. 18, 140 (147); Menger-Erichsen, VerwArch57 (1966), 383 (384); Mörtel, B a y V B l 1968, 124 (125 m . w . N . ) ; Monz, NJW 1966, 137 (138). 15 Vgl. Monz, a.a.O. 16 Vgl. Seuffert, Über gerichtsfreie Akte und die Grenzen des Rechtes, S. 491 (500). 17 Form ist hier i m weitesten Sinne zu verstehen.
14
1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
Es bleibt stets ein Rest. Dieses überschießenden Teils nimmt sich die Gnade an 18 , die zwar am Postulat der Gerechtigkeit orientiert ist, ohne deswegen aber i n den Bereich des Rechtes, wie es Gegenstand der richterlichen Urteilsfindung ist, einzudringen 19 . Etwas anderes kann auch nicht aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes gefolgert werden, i n der das Gericht unter Hinweis auf Radbruch und Wieacker feststellt, daß auch eine Billigkeitsentscheidung nicht außerhalb des Rechtes stehe, da Billigkeit die Gerechtigkeit des Einzelfalles darstelle 20 . Eine Berufung auf dieses Urteil ist deshalb nicht möglich, weil die dort i n Frage stehende Billigkeitsentscheidung auf die Sozialstaatsklausel des A r t . 20 I GG zurückführt — es ging um den unbestimmten Begriff „soziale Gründe" —, welche dem Recht nicht nur nicht widerstrebt, sondern auf dieses h i n angelegt ist 2 1 , während es sich i n unserem Zusammenhang um eine aus dem Begriff der Gnade fließende Billigkeitsentscheidung handelt, die sich gerade vom Recht wegbewegt. Das Bundesverwaltungsgericht schränkt zudem seine Aussage selbst wieder ein, wenn es fortfährt, daß die oben angeführte Feststellung nicht zu der Annahme verleiten dürfe, daß eine Billigkeitsentscheidung in ihrem gesamten Umfang vom Gericht nachgeprüft werden könne. Denn daß einer Rechtskontrolle bei Entscheidungen, die dem Billigkeitsrecht angehören, Grenzen gesetzt seien, trete i n den verschiedensten Rechtsgebieten deutlich i n Erscheinung. 2. Schließlich w i r d noch auf einem formalen Wege versucht, dem Gnadenerweis die Qualität eines Rechtsaktes zuzumessen. So w i r d die Ansicht vertreten, daß angesichts der weit fortgeschrittenen „Verrechtlichung" von Gnadenentscheidungen und deren Voraussetzungen durch Gnadenordnungen nicht mehr von einem Vollzug außerhalb der Rechtsprechung gesprochen werden könne 22 . Dem ist jedoch mit Recht entgegengehalten worden, daß der Gnadenakt nicht durch eine Durchnormierung des Gnadenwesens zum Rechtsakt werden könne, da solche Gnadenordnungen selbst nicht Rechtssätze seien 23 . 18 was freilich n u r für den Bereich des Strafrechtes, i n dem Gnadenentscheidungen aktuell werden, gilt. 19 M a n k a n n also geradezu sagen, w e i l Gerechtigkeit nicht allein durch Recht möglich ist, hat die korrigierende Gnade i n einem v o m Gerechtigkeitsgedanken geprägten Rechtsstaat ihren Platz. 20 Vgl. B V e r w G E 15, 251 (253). 21 Vgl. etwa Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 67, der die soziale Frage als Rechtsfrage betrachtet. 22 Vgl. Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 169; Wolff, Verwaltungsrecht I, § 46 I I I d; Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr.27 zu A r t . 19IV. 25 Vgl. K . Müller, DVB1 1963, 18 (19); Mörtel, B a y V B l 1968, 81 (83).
A . Natürliche Grenzen
15
Indes w i r d die Argumentation auch auf Art. 60 I I GG gestützt. Danach enthalte dieser A r t i k e l eine Ermächtigung zur Ausübung des Gnadenrechtes, was nichts anderes bedeuten könne, als daß Gnadenentscheidungen auch Rechtsentscheidungen seien. Denn es sei eine nicht vollziehbare Vorstellung anzunehmen, das Recht könne kraft seiner rechtlichen Geltung sich i n der Manier Münchhausens gerade seiner Rechtsqualität entäußern und kraft Rechts zum Betreten „rechtsleerer Räume" ermächtigen. Diese Operation sei philosophischem Denken ein Schrecknis. Das Recht vermöge nur die Gewährung rechtlicher Erlaubnis, rechtlich nach Belieben zu verfahren, dieses Belieben sei aber rechtlich gewollt, bewege sich m i t h i n i m Rechtsraum 24 . Es mag nun dahinstehen, inwieweit es philosophischem Denken ein Schrecknis ist, daß es dem Recht möglich sein soll, kraft Rechtes mit konstitutiver Wirkung zum Betreten von rechtsleeren Räumen zu ermächtigen. Nichts hindert jedoch die Annahme einer nur deklaratorischen Bedeutung der Ermächtigungsnorm des Art. 60 I I GG, soweit sie über eine bloße Zuständigkeitsregelung hinausgeht. Das aber bedeutet, daß das Problem wieder auf die oben erörterte Frage des Gegensatzes von Gnade und Recht zurückgeführt wird. 3. Nach alledem läßt sich festhalten, daß Gnadenakte keine Rechtsakte sind und somit an die natürlichen Grenzen der Gerichtsbarkeit stoßen. Hieran ändert auch Art. 19 I V GG nichts. Denn weder kann das i n A r t . 19 I V GG (teilweise) zum Ausdruck kommende Rechtsstaatsprinzip den Unterschied von Gnade und Recht überwinden noch hat A r t . 19 I V GG sonstwie Einfluß auf das Wesen der Gnadenentscheidung. Denn A r t . 19 I V GG verlangt nicht, daß ihrem Wesen nach nichtjustiziable Akte justiziabel „gemacht" werden.
II. Grenzen der Gerichtsbarkeit die sich aus dem Wesen der Rechtsprechung ergeben 1. Eine zweite natürliche Grenze der Gerichtsbarkeit ergibt sich aus dem Wesen der Rechtsprechung. Über das, was den Begriff und das Wesen der Rechtsprechung ausmacht, bestand und besteht ein ausgedehnter Streit. So werden hierzu formale, funktionale, materiale, historisch-traditionelle, institutionelle Theorien vertreten, was schon anzeigt, daß der Streit i m wesentlichen darum geht, ob und inwieweit 24 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 182, der diesen Gedanken zwar auf G r u n d der Ermächtigungslehre bezüglich der Ermessenspielräume entwickelt, sie aber i n Fn. 254 auf das hier anstehende Problem anwendet. Zustimmend Menger-Erichsen, V e r w A r c h 57 (1966), 383; ferner K. Müller, DVB1 1963, 18 (19).
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
gerade rechtslogische, organisatorische, verfahrensmäßige, inhaltliche, geschichtliche oder rechtssoziologische Elemente i m Vordergrund der Begriffsbestimmung stehen 25 . A u f das Für und Wider dieser Theorien braucht hier indes nicht näher eingegangen zu werden, weil hierdurch, zumindest nicht ohne weiteres, etwas über die der Gerichtsbarkeit innewohnenden natürlichen Grenzen ausgesagt ist 28 . Für die Verifizierung der diesem Abschnitt vorausgestellten Thesen, daß sich nämlich aus dem Wesen der Rechtsprechung eine natürliche Grenze der Gerichtsbarkeit ergebe, genügt die allgemeine und wohl kaum umstrittene Umschreibung, daß man in der Recht-Sprechung jedenfalls die Anwendung von Recht, d. h. die inhaltliche Feststellung oder Gestaltung eines Sachverhaltes nach Maßgabe allgemeiner Rechtsregeln zu sehen habe 27 . Obschon diese „Erkenntnis" als reichlich selbstverständlich erscheinen muß, nimmt es doch wunder, daß sie bislang nicht i n entschiedenerem Maße nutzbar gemacht wurde, um den Umfang des richterlichen Rechtsschutzes zu bestimmen 28 , so daß eine Katalogisierung i n Regierungsakte, diplomatische Akte, Kommandoakte und dgl. weitgehend überflüssig wird. Aus ihr folgt nämlich notwendig, daß der Bereich der Gerichte überall dort eingeengt ist, wo der betreffenden Maßnahme nicht rechtliche, sondern in zulässiger Weise außerrechtliche Maßstäbe zugrundelagen 29 . Dieser Argumentationsweg ermöglicht es, die Gerichtsfreiheit einer Anzahl von Hoheitsakten zu erklären, ohne daß man bereits an dieser 25 Vgl. zum Streitstand aus der neueren L i t e r a t u r etwa Friesenhahn, Über Begriff u n d A r t e n der Rechtsprechung, S. 21 ff.; Menger, System des v e r waltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 36 ff.; Haas, DVB1 1957, 368 (371); Adolf Arndt, N J W 1959, 605 ff.; ders., Rechtsprechende Gewalt u n d Strafkompetenz, S. 5 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 87 ff.; Wolff, V e r waltungsrecht I, § 19 I. 26 Dies gilt aber n u r i n Bezug auf den Rechtsprechungsbegriff an sich. F ü r die Abgrenzung speziell der Verwaltungsbehörde von der Verwaltungsrechtsprechung kann durchaus auf materielle u n d funktionelle K r i t e r i e n zurückgegriffen werden. Vgl. hierzu unten 2. Abschn. B I I . 27 Vgl. Friesenhahn, a.a.O., S. 21 (26). 28 A. A. Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 91 ff., der es ausdrücklich ablehnt, daß aus dem Begriff der Rechtsprechung etwas über den sachlichen Umfang der rechtsprechenden Gewalt gefolgert werden könne: „Eine Aussage darüber, was geschieht, schließt keine Beantwortung der Frage ein, i n wieweit dies geschieht." Ebenso Gossrau , N J W 1958, 929 (931). 29 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 397; Rumpf, V V D S t R L 14 (1956), 136 (163 ff.). Vgl. ferner Ule, Z u r A n w e n d u n g unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 309 (328 ff.), der aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgert, daß sich die Verwaltungsgerichte auf die Rechtskontrolle zu beschränken hätten, w e i l sonst die Verteilung der staatlichen Funktionen auf die verschiedenen F u n k tionsträger nicht mehr gewährleistet sei. — Z u den Grenzen der richterlichen Entscheidungsrechte aus seiner Beschränkung auf Erkenntnis u n d A n w e n dung von Rechtsnormen für die Spruchpraxis des Supreme Courts vgl. Schäfer, I n h a l t u n d Grenzen der richterlichen Gewalt, S. 49 ff.
A. Natürliche Grenzen
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Stelle zu komplizierteren Konstruktionen, problematischen Vergleichen mit der Rechtssituation i n anderen Ländern 3 0 und dgl. greifen müßte. Nun ist die Rechtsanwendung zwar kein spezielles K r i t e r i u m der rechtsprechenden Gewalt allein, da auch die Tätigkeit anderer Hoheitsträger in der Anwendung von Recht besteht. Aber sie grenzt den Bereich der Gerichte negativ dahingehend ab, daß ihnen immer dann die Wahrnehmungszuständigkeit fehlt, wenn die betreffende Maßnahme nicht auf Grund rechtlicher Maßstäbe getroffen worden ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht, ohne überhaupt auf die Auseinandersetzung in der Literatur über die Frage der Justiziabilität von Akten der Regierung einzugehen, entschieden, daß die Anordnung des militärischen Bereitschaftsdienstes durch die Bundesregierung (§ 6 V I I des Wehrpflichtgesetzes i. d. F. vom 28. 11. 1960) ein der richterlichen Kontrolle nicht unterliegender politischer A k t sei, da er nicht an rechtliche, der gerichtlichen Nachprüfung zugängliche Voraussetzungen geknüpft sei, sondern stets nur auf einer Einschätzung einer politischen Situation beruhe. Da dem Gericht aber lediglich die Rechtskontrolle zugewiesen sei, könne es nicht eingreifen, wenn die Regierungsgewalt ein gesetzlich vorgesehenes Mittel nach ihrem politischen Gutdünken handhaben dürfe 31 . Die Entscheidung ist deshalb bemerkenswert, weil sie es erst gar nicht unternimmt, die Anordnung des Bereitschaftsdienstes gegebenenfalls in die Kategorie der Regierungsakte einzureihen — weil sie etwa auf staatspolitischem Feld erfolgt ist —, um dann zu fragen, ob es i m Bereich des Art. 19 I V GG noch justizfreie Hoheitsakte geben dürfe 32 . Stattdessen stellt das Gericht darauf ab, daß nur die Anwendung von Rechts-Regeln durch einen Hoheitsträger Grund und Maßstab für richterliches Eingreifen abgeben könne. Hierdurch w i r d vermieden, daß die entscheidende Frage nach einer möglichen gerichtlichen Nachprüfbarkeit abhängig gemacht w i r d von dem schillernden und schwierig zu fassenden Begriff des Regierungsaktes. 2. Hiergegen ist jüngst eingewandt worden, daß die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes für die Lehre vom „Regierungsakt" i m Sinne einer Nichtjustiziabilität nicht beweiskräftig sei, da nach dem System des Wehrpflichtgesetzes die Anordnung des Bereitschafts30
Vgl. van Husen, DVB1 1953, 70 1. Sp. Vgl. B V e r w G E 15, 63 (65 f.). 32 Z u m Begriff des Regierungsaktes vgl. etwa: van Husen, DVB1 1953, 70 ff.; H. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte; Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 92 f.; Steinberger, DVB1 1963, 729 ff.; Wolff, Verwaltungsrecht I, § 46111b; Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 24 zu A r t . 19 I V ; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 466 ff.; Kassimatis, Der Bereich der Regierung, Diss. B e r l i n 1965. 31
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
dienstes abstrakt ergehe und als solche noch i n niemandes Recht eingreife 33 . Auch Dürig, der den Begriff des Regierungsaktes ablehnt 3 4 und jeden A k t öffentlicher Gewalt schlicht zu einem „Verwaltungsakt" i m technischen Sinne erklärt 3 5 und damit unterschiedslos alle Hoheitsakte i n den grundsätzlichen Machtbereich gerichtlicher Kontrolle rückt, stellt lediglich auf die mögliche Verletzung eines dem Kläger zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechtes ab. Dadurch w i r d aber m. E. eine Stufe zu spät angesetzt. Bevor nämlich auf die Frage einer möglichen Rechtsverletzung eingegangen werden kann, ist i n Grenzfällen — und nur auf die kann es hier ankommen — vorweg zu prüfen, ob überhaupt ein Fall von Rechtsanwendung vorliegt. Denn es sind Statthaftigkeit der Klage und deren Zulässigkeit i m engeren Sinne zu unterscheiden. Erst wenn die grundsätzliche Justiziabilität des Aktes bejaht, die Klage m i t h i n statthaft ist, kann über deren Zulässigkeit i m engeren Sinne, nämlich über das mögliche Vorliegen einer Rechtsverletzung (Klagebefugnis) entschieden werden. Der praktische Unterschied w i r d an einem Beispiel deutlich, das Ehmke i m Zusammenhang m i t funktionell-rechtlichen Int erpr et ations-Prinzipien gebracht hat, und auf das hier zurückgegriffen werden soll 36 . Zwei Exporteure A und B nehmen — von ihrer Regierung ermuntert — jeweils umfangreiche ausländische Regierungsaufträge an. Der eine vom Land A und der andere vom Land B. Nach einiger Zeit bricht die Regierung alle, einschließlich der Handelsbeziehungen zum Land A, nicht aber zum Land B ab. A kann seinen Auftrag, auf den er alles gesetzt hat, nicht ausführen. I h m droht der Verlust seines Vermögens und Unternehmens. Er erhebt Klage und rügt die Verletzung der A r t . 2, 3, 12 und 14 GG. Nach der Auffassung Dürigs wäre diese Klage zulässig, da ein Träger öffentlicher Gewalt gehandelt hat und es auch nicht ausgeschlossen ist, daß der Kläger i n einem seiner Rechte verletzt ist. Noch bevor das Gericht in die Prüfung der materiellen Rechtslage einträte, stünde aber deren Ergebnis, die Unbegründetheit der Klage schon fest, da es ausgeschlossen ist, daß die Außenpolitik der Regierung, hier der Abbruch 33
Vgl. Vogel, Der gerichtliche Rechtsschutz, S. 123 (135). Vgl. Dürig, a.a.O., Rdnr. 24 sub aa zu A r t . 19 I V . Vgl. ferner Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 467. Auch van Husen, a.a.O., 70 (72), lehnt eine Anwendung des „schwimmenden" Begriffes des Regierungsaktes ab, muß aber selbst zugeben (S. 71 1. Sp.), daß f ü r die von i h m ins Feld geführte Unterscheidung zwischen Verfassungsrecht u n d Verwaltungsrecht, auf die es nach i h m ankommen soll, eine befriedigende Definition bisher noch nicht gefunden ist. 35 Vgl. Dürig, a.a.O., Rdnr. 24 sub cc zu A r t . 19IV. 36 Vgl. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, V V D S t R L 20 (1963), S. 53 (76). 34
A. Natürliche Grenzen
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der diplomatischen Beziehungen, durch das Gericht „korrigiert" wird. Nach der hier vertretenen Ansicht dagegen muß die Klage bereits wegen mangelnder Statthaftigkeit scheitern, da die Maßnahme (in zulässiger Weise) nicht den Maßstäben des Rechtes, sondern denen der Politik unterworfen und m i t h i n nicht justiziabel ist. Wenngleich für das letzte Ergebnis spricht, daß die ohnehin überlasteten Gerichte sich nicht mehr mit den vom Kläger vorgebrachten Rügen i m einzelnen auseinanderzusetzen haben, sondern die Klage bereits bei der Prüfung der Statthaftigkeit m i t Hilfe leicht zu handhabender Kriterien entscheiden können, so kann dies letztlich doch nicht ausschlaggebend sein. Entscheidend ist vielmehr, daß bei der Dürig'schen Auffassung zur Abweisung der Klage materiell-rechtliche Gründe bemüht werden müssen, obwohl der eigentliche Grund für die Erfolglosigkeit der Klage i n der eingeschränkten Möglichkeit des Gerichts liegt, durch die es lediglich auf eine Rechtskontrolle verwiesen ist. Aber nicht nur die Tatsache, daß durch diese Meinung über den wahren Grund der Klageabweisung hinweggetäuscht wird, läßt diese Auffassung bedenklich erscheinen. Größere Zweifel bestehen noch, wie bereits oben angesprochen, hinsichtlich der Richtigkeit ihres theoretischen A n satzes. Die Abweisung einer Klage als unbegründet setzt nämlich voraus, daß das Gericht Wahrnehmungszuständigkeit besitzt. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der A k t nicht justiziabel ist, weil er nicht rechtlichen Regeln zu folgen brauchte 37 . Dies bedeutet aber, daß die Klage in solchen Fällen nie als unbegründet, sondern nur als unzulässig abgewiesen werden kann. Auch Mörtel versucht die Kompetenz der Gerichte einzugrenzen, indem er unterscheidet zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Maßstäben, die zum Erlaß der Maßnahme geführt haben. Als Beispiel bringt er die unbestimmten Rechtsbegriffe. Diese seien dergestalt komplex, daß sie von nahezu reinen Rechtsbegriffen bis zu Begriffen variieren, deren Ausfüllung überwiegend nach außerrechtlichen Maßstäben erfolge. Als Beispiele führt er an Begriffe wie: wohnungspolitische Bedürfnisse, anständige Baugesinnung, lebensnotwendiger Bedarf, geordnete Entwicklung des Gemeindegebietes. Da hier nach Ansicht Mörtels die Subsumtion des Sachverhaltes unter den unbestimmten Begriff qualitativ und quantativ überwiegend nach verwaltungsmäßigen und nicht nach rechtlichen Maßstäben erfolge, sei es gerechtfertigt, nicht von unbestimmten Rechtsbegriffen, sondern von unbestimmten Verwaltungs37 Voraussetzung ist natürlich stets, daß die Außerachtlassung rechtlicher Gesichtspunkte auch zulässig ist. Nicht k a n n die hier vertretene Ansicht gelten, w e n n eine Maßnahme, die von Rechts wegen (vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht I, § 46 I I I b 2) auf G r u n d rechtlicher Maßstäbe zu ergehen hat, mißbräuchlich nach politischen K r i t e r i e n erlassen w i r d , bzw. w e n n dies gerade i m Streite steht.
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
begriffen zu sprechen, welche nicht von den Gerichten überprüft werden dürften 3 8 . Jedoch ist dieser Fall von Anwendung außerrechtlicher (verwaltungsmäßiger) Maßstäbe nur scheinbar ähnlich gelagert wie der Ausgangsfall und vermag nicht die der Gerichtsbarkeit innewohnenden natürlichen Grenzen zu erklären, die sich aus der Beschränkung auf Rechtskontrolle ergeben. Denn ganz abgesehen von der Schwierigkeit der Abgrenzung, ob ein unbestimmter Begriff noch ein Rechtsbegriff oder schon ein Verwaltungsbegriff ist 39 , macht auch die Ausfüllung eines Verwaltungsbegriffes den Hoheitsakt als solchen nicht injustiziabel. W i r d etwa eine gemäß § 30 I S. 1 des Bundessozialhilfegesetzes i. d. F. vom 18. 9.1967, BGBl I I I Nr. 2170-1, beantragte Hilfe versagt, weil die zuständige Behörde der Ansicht ist, daß eine „ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage" vorhanden sei, so w i r d man nicht etwa deshalb, weil hier ein unbestimmter Verwaltungs- und nicht ein Rechtsbegriff ansteht, sagen wollen, daß eine gerichtliche Uberprüfung von vornherein ausgeschlossen sei. Hier bestehen also keine Grenzen, die sich aus dem Wesen der Rechtsprechung ergeben. Vielmehr bleibt der A k t als ganzes nachprüfbar. Allenfalls ein bestimmter, durch den Verwaltungsbegriff gekennzeichneter Bereich bleibt der gerichtlichen Kontrolle entzogen, so daß man sagen kann, daß innerhalb eines justiziablen Aktes ein zwar nicht gerichtsfreier, wohl aber ein gerichtsentlegener Bereich entsteht, der sich, wie an anderer Stelle dargetan werden soll, aus der Eigenständigkeit der Verwaltung erklärt. 3. M i t der Erklärung der Injustiziabilität von Hoheitsakten aus dem Wesen der Rechtsprechung erledigt sich auch der Einwand, daß die rechtsstaatliche Forderung nach lückenlosem Gerichtsschutz, die in A r t . 19 I V GG ihren Niederschlag gefunden habe, nicht-justiziable Akte eben nicht mehr zulasse. Denn es kann nicht zu bestreiten sein, daß weder das Rechtsstaatsprinzip noch konkret A r t . 19 I V GG Einfluß auf Begriff und Wesen der Rechtsprechung haben, soweit man diese mit einer Minimaldefinition als Anwendung und Uberprüfung der A n wendung von allgemeinen Rechtsregeln umschreiben kann. 4. Zusammengefaßt ergibt sich folgendes Bild: Voraussetzung für die Überprüfung von hoheitlichen Maßnahmen ist die Justiziabilität. Diese kann ausgeschlossen sein aus dem Wesen des i n Frage stehenden 38 Vgl. Mörtel, A u s w i r k u n g e n der veränderten verwaltungsgerichtlichen Generalklausel, S. 137 (165). 89 Die Frage, ob eine solche Unterscheidung möglich u n d tunlich ist oder ob es nicht besser wäre, v o n (Subsumtions-)Tätigkeiten zu sprechen, die typischerweise den Gerichten bzw. typischerweise gerade den Behörden zugeordnet sind, soll hier nicht vertieft werden.
B. Demokratiebedingte Grenzen
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Hoheitsaktes, wobei dessen Qualifizierung jedoch nur insoweit eine Rolle spielt, als es sich jedenfalls u m einen Rechtsakt handeln muß. Weiter kann sich die Injustiziabilität aus dem Wesen der Rechtsprechung insofern ergeben, als die Wahrnehmungszuständigkeit der Gerichte immer dann ausgeschlossen ist, wenn die zu überprüfende Maßnahme in zulässiger Weise auf Grund außerrechtlicher Maßstäbe ergangen ist. Fehlt i m ersten Fall also bereits ein tauglicher Prüfungsgegenstand, so mangelt es i m zweiten an einem Prüfungsmaßstab. Da diese Injustiziabilität auf natürliche Grenzen der Gerichtsbarkeit zurückzuführen ist, auf die der Rechtsstaatsgedanke nicht einzuwirken vermag, stellt sich i n diesem Stadium der Untersuchung nicht das Problem der Vereinbarkeit von hier entstehenden Gerichtsschutzlücken m i t dem Rechtsstaatsprinzip.
B. Grenzen der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf den demokratisch verfaßten Staat I. Das demokratische Prinzip der Verantwortlichkeit Daß der Gerichtsbarkeit durch den demokratisch verfaßten Staat Grenzen gesetzt sind, mag an einem Beispiel verdeutlicht werden: Die Bundesregierung handelt m i t einem Staat einen Vertrag über gegenseitigen Gewaltverzicht aus. Dieser Vertrag w i r d von den Regierungen unterzeichnet und den Parlamenten ratifiziert. Kann nun die Frage einem Gericht vorgelegt werden, ob durch diesen Vertrag dem Grundgesetz, etwa dem i n der Präambel festgelegten Auftrag zuwidergehandelt wird, die nationale und staatliche Einheit zu wahren und die Einheit und Freiheit Deutschlands i n freier Selbstbestimmung zu vollenden? Sind die Gerichte befugt, über die Einhaltung einer „grundgesetzmäßigen Politik" zu wachen? Wo verlaufen die Grenzen der „Richtermacht"? Es soll nun nicht entschieden werden, ob eine gemäß A r t . 931 Nr. 1 GG i. V. m. §§13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht erhobene Klage schon deswegen scheitern muß, weil keine Rechte 40 verletzt (§ 64 I BVerfGG) oder sonstige Zulässigkeitsvoraus40 Insofern v o m Ansatz her falsch Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 95, der die Diskussion u m die gerichtsfreien Hoheitsakte schon dann abbrechen w i l l , w e n n der Hoheitsakt nicht unmittelbar i n die Rechte des Bürgers eingreife u n d daher ohnehin mangels potentieller Rechtsverletzung als „gerichtsfrei" angesehen werden müsse. Dies ist deshalb nicht richtig, w e i l es j a gerade Aufgabe der Gerichte ist festzustellen, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Dies können sie aber n u r dann, w e n n sie zur
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
Setzungen i m engeren Sinne nicht gegeben sind. Es soll vielmehr auf das Grundsätzliche zurückgegangen und gezeigt werden, daß hier ein nicht aufgebbares demokratisches Prinzip vorherrscht, das die Gerichte von einer Kontrolle ausschließt. Die Demokratie unterscheidet sich von jeder anderen Staatsform dadurch, daß die i n ihr Herrschenden den Beherrschten verantwortlich sind 41 . Die Beherrschten sind nicht Objekte, sondern Subjekte des staatlichen Willens 4 2 . Dies äußert sich u.a. in dem formalen Prinzip der Wählbarkeit und Abberufbarkeit: Der Gewählte soll seiner Entscheidung wegen, wenn sie nicht den Vorstellungen der Wählenden entspricht, abgewählt werden können 43 . So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die Herrschaftsordnung des Grundgesetzes eine erkennbare Verantwortlichkeit i m Staat voraussetze, und daß die selbständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung und ihre Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zwingende Gebote der demokratischen Verfassung seien 44 . Dem steht das aus dem Rechtsstaatsgedanken resultierende und in Art. 97 I GG niedergelegte Prinzip der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber, welches den praktischen Gehalt des Rechtsschutzprinzipes darstellt. Erst die Unabhängigkeit prädestiniert die Gerichte zur Rechtsschutzgewährung. Ohne sie wäre der durch die Gerichte gewährleistete Rechtsschutz nicht herauszuheben von Institutionen gleicher Zweckrichtung in der rechtsetzenden und vollziehenden Gewalt 4 5 . Beide Prinzipien, das demokratische der Verantwortlichkeit 4 6 von Exekutive und Legislative, und das rechtsstaatliche der Unabhängigkeit Überprüfung befugt sind, es sich also nicht u m einen von vornherein gerichtsfreien Hoheitsakt handelt. Vgl. hierzu oben S. 17 ff. — Zur Frage der Verbindlichkeit der Präambel vgl. Mangoldt-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, S. 40 f. u n d 49 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 49; BVerfGE 5, 85 (127). 41 Z u m Prinzip der demokratischen Verantwortlichkeit vgl. neuestens Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, Festschrift f ü r Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 379 (384 ff.). 42 Vgl. Bäumlin, Die K o n t r o l l e des Parlamentes über Regierung u n d Verwaltung, S. 165 (220, 224). 43 Vgl. Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung, S. 109 (111), der es als eine fundamentale Frage der rechtsstaatlichen Demokratie betrachtet, ob u n d w i e sich verselbständigte Verantwortlichkeiten der herrschenden Organgruppen u n d Organwalter vollziehen. 44 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281 f.). Allerdings k a n n dem Bundesverfassungsgericht nicht zugestimmt werden, w e n n es betont, daß der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verlange, daß ein Staatsorgan, das eine Entscheidung zu treffen hat, dafür die Verantwortung trage. Die Verantwortlichkeit i m p o l i t i schen Bereich, die hier i n Rede steht, ist vielmehr ein demokratisches Prinzip. Vgl. auch Bäumlin, a.a.O., S. 165 (238 ff.). 45 Vgl. Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 73 f. 46 Daß das Prinzip der Verantwortung i n einen anderen Zusammenhang
B. Demokratiebedingte Grenzen
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der rechtsprechenden Gewalt, stehen in einem unüberwindbaren Gegensatz zueinander 47 . Eine Harmonisierung ist nicht möglich. Beide beanspruchen absolute Geltung. Das aber kann nur heißen, daß sich aus dem Verhältnis dieser Grundsätze zueinander ergeben muß, daß der Gerichtsbarkeit Grenzen insofern gesetzt sind, als sie nicht Entscheidungen treffen oder ihrer Kontrolle unterwerfen darf, die ihrem Wesen nach nur von wählbaren und abberufbaren Organen getroffen werden können. Diese Organe sollen nicht dadurch aus ihrer Verantwortung entlassen werden können, daß sich unabhängige und insofern demokratisch nicht verantwortliche Gerichte eine Kontrolle vorbehalten 48 . Aus dieser Sicht ist auch der Satz Carl Schmitts zu verstehen, daß bei Ubergriffen der Rechtspflege i n die Politik diese nichts zu gewinnen — weil sie sich nämlich ihrer Verantwortlichkeit begibt —, die Justiz aber alles — nämlich ihre Unabhängigkeit — zu verlieren habe 49 .
I I . Das Rechtsstaatsprinzip und das Prinzip der Verantwortlichkeit Dieses Ergebnis begegnet aber dem strengen Vorwurf, daß obige Argumentation i m Rechtsstaat „nichts" gelte, wenn nur die Gerichte den Ermessensraum der Exekutive respektieren würden, wodurch sie ja durch Gesetze angehalten werden könnten. Denn es dürfe i m Hinblick auf den Rechtsstaat nicht hingenommen werden, daß m i t der Theorie des gerichtsfreien Hoheitsaktes u m des Gemeinwohles willen dem Bürger die Anrufung der Gerichte verwehrt und seine Rechtsstellung materiell und formell geschmälert und m i t h i n dem Gemeinwohl der Vorrang vor dem Individualrechtsschutz eingeräumt werde, da bei der Abwägung von Gemeinwohl und Individualinteresse dem letzteren durch Art. 19 I V GG der Vorzug gegeben worden sei 50 . Dieser E i n w a n d d a r f n i c h t l e i c h t g e n o m m e n w e r d e n , zeigt er doch die Tendenz, a l l e P r o b l e m a t i k , sei sie n u n verfassungsrechtlicher,
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gestellt, auch rechtsstaatliche Züge tragen kann, hat Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 340, hervorgehoben. 47 Z u A n t i n o m i e n v o n Rechtsstaat u n d Demokratie vgl. Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 87 ff.; Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, S. 107 ff.; Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 10 I I vor 4. — Z u einer sehr eingehenden Auseinandersetzung m i t dem Problem aus sozialistischer Sicht vgl. Schultes, Rechtsstaat u n d Gerichtsbarkeit i m Verfassungssystem einer realen Demokratie, N J 1948, 1 (3). 48 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 467 ff.; Klein, W D S t R L 8 (1950), 67 (111); Draht, ebenda, S. 153 (Diskussionsbeitrag); H.Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, S.42; Ehmke, W D S t R L 20 (1963), 53 (75 f.). 49 Vgl. auch die Warnung W. Webers, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 31, vor der doppelten Gefahr einer J u r i d i flzierung der P o l i t i k u n d der Politisierung der Justiz. 50 Vgl. Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 96 f.
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waltungsrechtlicher oder verwaltungsprozeßrechtlicher A r t , unter dem gemeinsamen Dach der Rechtsstaatlichkeit abzuhandeln und dem Begriff des Rechtsstaates somit die Tauglichkeit zum Patentrezept für sämtliche Konfliktsfälle zuzusprechen. So w i r d auch hier, an der Nahtstelle zwischen Demokratie und Rechtsstaat, die Diskussion um die Gerichtsschutzlücken entscheidend vom Gedanken des Rechtsstaates beeinflußt. Dies macht einen rechtsstaatlichen Exkurs notwendig. Der oben zitierten Evers'sdhen Auffassung liegt ein Verständnis des Rechtsstaates zugrunde, das dem liberalen Rechtsstaat 51 verpflichtet ist. Dieser ist gekennzeichnet durch das Prinzip der individuellen Freiheitsrechte. Dem einzelnen ist eine nichtstaatliche Sphäre garantiert, wobei die Freiheit des Individuums als grundsätzlich unbegrenzt, die Kompetenz des Staates dagegen zu Eingriffen in die Freiheitssphäre als grundsätzlich begrenzt erscheint 52 . Als Gegenbild des liberalen Rechtsstaates erscheint der ungebundene Machtstaat, der seine Tätigkeit beliebig ausdehnt und i n seiner letzten Konsequenz als totaler Staat die menschliche Existenz nur als staatliche, politische Existenz anerkennt 5 3 . Wenngleich es sich niemand w i r d angelegen sein lassen, die Idee der Freiheitsverbürgungen i m liberalen Rechtsstaat anzutasten, so gilt es doch die Zeitbedingtheiten des liberalen Rechtsstaates zu sehen. Diese bestehen darin, daß man das individualistische Element aus einer i m Grunde genommen antistaatlichen Haltung heraus zu sehr überbetonte und den Staat auf die Aufgabe einer „Rechtsschutzanstalt" für den einzelnen reduzieren wollte 5 4 . Es ist Kägi zuzustimmen, wenn er ausführt, daß die Haltung der Staatsablehnung i m liberalen Rechtsstaatsdenken zwar als Reaktion gegen Absolutismus und Polizeistaat verständlich sei 55 , daß sie aber nicht zu einem dauernden staatsrechtlichen System gemacht werden konnte, da eine zum Prinzip erhobene „ M i n i malisierung des Staates" sich gemeinschafts- und staatszerstörend auswirken müsse 58 . Sieht man die Meinung Evers auf dem Hintergrund dieser Ausführungen, so w i r d deutlich, daß der Rechtsstaat bei i h m in bedenk51
Vgl. hierzu näher unten 2. Abschn. A I . Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 53 Vgl. Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 49 ff. 54 Vgl. Kägi, Rechtsstaat—Sozialstaat—sozialer Rechtsstaat, S. 129 (139). 85 Vgl. hierzu auch Becker, W D S t R L 14 (1956), 96 f. Vgl. ferner Werner Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungsgefüge, S. 32, der die „unerhörte Ausbreitung" justizstaatlicher Elemente i m Verfassungsgefüge des Grundgesetzes als verständliche Reaktion auf die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit betrachtet, zugleich aber auch warnt, i n i h r ein A l l heilmittel zu sehen, da sie, ins Unangemessene erweitert, schließlich i n neue Unordnung u n d Not umschlägt. 56 Kägi t a.a.O., S. 129 (139). 62
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liehe Nachbarschaft zu jener von Kägi beschriebenen grundsätzlichen Staatsfremdheit rückt. Als Beweis für seine These zieht er A r t . 19 I V GG heran. Das ist aber nicht unproblematisch. Denn zum einen stellt diese Vorschrift nicht, wie Evers annimmt, das Ergebnis einer Abwägung von Gemeinwohl und Individualinteresse dar, da A r t . 19 I V GG eine Sekundärnorm ist und eine allenfalls auf der materiell-rechtlichen Ebene vorgenommene Abwägung nur prozeßrechtlich absichern kann 5 7 . Zum andern aber findet eine Interpretation des A r t . 19 I V GG i m Sinne eines liberalistischen Rechtsstaates keine Stütze i m Grundgesetz. Denn weder kann es i n der Absicht des Grundgesetzgebers gelegen haben, mit der Generalklausel des A r t . 19 I V GG „ein System gegen den Staat" zu errichten und somit den Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft, wie er typisch für den Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts war 5 8 , zu restaurieren, noch sollten durch Art. 19 I V GG die mit einer Demokratie untrennbar verbundenen Prinzipien, hier dasjenige der Verantwortlichkeit 5 9 , i n Frage gestellt werden. Sieht man den Rechtsstaat wie hier und versucht nicht, ihn i n eine antistaatliche Haltung zu drängen, so zeigt sich auch, daß bereits die Evers'sche Fragestellung nicht richtig ist. Denn es geht nicht darum, ob die Logik der Demokratie der Logik des Rechtsstaats weichen muß oder umgekehrt die demokratischen Prinzipien den rechtsstaatlichen den Rang ablaufen. Dieses Problem stellt sich deshalb nicht, weil das hier i n Frage stehende rechtsstaatliche Prinzip (Unabhängigkeit der Gerichte) und das demokratische Prinzip (Grundsatz der Verantwortlichkeit) nicht i m Widerspruch, sondern i m Gegensatz zueinander stehen, sofern man nur den Rechtsstaatsbegriff seiner liberalistischen Komponenten beraubt. Als solche Gegensätze, die das rechtsstaatliche als Bestandteil des demokratischen und das demokratische als Bestandteil des rechtsstaatlichen Prinzips ausweist, können sie, ohne nach Ausgleich zu verlangen, dergestalt bestehen bleiben, daß der Machtbereich der Gerichte dort eingeschränkt ist, wo das demokratische Prinzip der Verantwortlichkeit eine Überprüfung der Maßnahme verbietet. 57
Vgl. BVerfGE 15, 275 (281); B V e r w G E 11, 95 (97); Jesch, AÖR82 (1957), S. 163 (244); vgl. auch Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der V e r waltungsbehörde, S. 50, wonach A r t . 19 I V GG keine materiell-rechtliche Schrankenfunktion hat. Ebenso Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 130. A . A . Bachof, Reflexwirkung u n d subjektive öffentliche Rechte i m öffentlichen Recht, S. 287 (304), da auf diese Weise der ganze A r t . 19 I V GG „ h i n t e n herum aus den A n g e l n gehoben w ü r d e " ; vgl. auch Bachof, A n m . zum Bundesverwaltungsgericht, DVB1 1961, 125 (128 ff., 131). 68 Vgl. hierzu näher unten S. 57 ff. 59 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281 f.); Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 93.
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
Es soll nun nicht der Versuch unternommen werden, den Verlauf dieser Grenzen näher zu bestimmen 60 . Es geht vielmehr darum, deren Existenz zu verdeutlichen gegen die heute starken Bestrebungen, den Staat möglichst weitgehend unter die Kontrolle der Gerichte zu stellen. Neuen Auftrieb hat die Diskussion um die Grenzen der Gerichtsbarkeit durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. 6. 1968, BGBl I 709, gewonnen 61 . Hier war es vor allem Herzog, der sich in seiner Kommentierung zu den Art. 115 äff. GG für eine Justiziabilität der sogenannten Notstandsakte eingesetzt hat. Nach ihm sprechen hierfür sowohl Gründe der Entstehungsgeschichte als auch Gründe des systematischen Zusammenhangs und des Gesetzgebungsstils 62 . So w i l l Herzog, der den Verteidigungsfall nur als Beispiel für die Justiziabilität sämtlicher Notstandsakte anführt, aus der Tatsache der näheren Umschreibung und Ausgestaltung der materiellen Voraussetzungen des Verteidigungsfalles, also aus der Bestimmtheit der verwendeten Begriffe, die grundsätzliche Wahrnehmungszuständigkeit des Gerichtes folgern, weil der Gesetzgeber, was durch die Begründung zum Regierungsentwurf nahegelegt sei, damit allererst eine gerichtliche Kontrolle habe ermöglichen wollen 6 3 . I n der von Herzog herangezogenen Stelle heißt es: „Dem Bundesverfassungsgericht kommt i m Verteidigungsfall besondere Bedeutung zu: Es soll gerade i n Notzeiten ein Garant der Rechtsstaatlichkeit sein. Es trägt die Mitverantwortung dafür, daß von den i m Verteidigungsfall gegebenen besonderen und erweiterten Befugnissen nur soweit und solange Gebrauch gemacht wird, als das zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Ziel des Entwurfes ist es daher, die Aktionsfähigkeit des Gerichtes auch im Verteidigungsfall so gut wie möglich sicher zu stellen 64 ." Da jedoch die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe nicht entscheidend ist und der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zukommt, als sie die Richtigkeit einer nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die 60 Diese werden i n jedem einzelnen F a l l von dem Gericht zu bestimmen sein. Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 468; H.Schneider, Gerichtsfreier Hoheitsakt, S. 46. 61 Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes; Dürig, Verfassungswidrigkeit des A r t . 10 I I Satz 2 GG; Badura, Bonner Kommentar, Rdnr. 60 zu A r t . 10; Dürig, ZRP 1968, 11; Ule, DVB1 1967, 681. Vgl. ferner Hall, JZ 1968, 159; Herzog, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 28 ff. zu A r t . 115 g; zu A r t . 115 g der Rechtsausschußfassung 1965 vgl. Evers, AÖR91, S. 193 (210); Ule, DVB1 1967, 681 ff. 62 Vgl. Herzog, a.a.O., Rdnr. 39 zu A r t . 115 g. 63 Vgl. Herzog, a.a.O., Rdnr. 36 u n d 37 zu A r t . 115 g. 64 BT-Ds V/1879, S. 28.
B. Demokratiebedingte Grenzen
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mit Hilfe dieser Grundsätze nicht ausgeräumt werden können 65 , ist zunächst einmal die Richtigkeit der Herzog'schen Auffassung zu überprüfen. Dieser begegnen indes erhebliche Zweifel. Denn der Schluß von der Bestimmtheit der verwandten Begriffe auf deren Justiziabilität ist keineswegs zwingend, liegt es doch näher, davon auszugehen, der Gesetzgeber habe m i t der bestimmtgehaltenen Ausgestaltung der materiellen Voraussetzungen der einzelnen Maßnahmen die Regierung an eine straffere Leine legen und vor allen Dingen die politische Kontrolle der Regierung durch das Parlament effektiv ermöglichen und erleichtern wollen. Nicht hier ist also der Ansatzpunkt für die Frage der Justiziabilität zu suchen. Aber selbst wenn man dieser Ansicht nicht zustimmen wollte, so gibt jedenfalls die Entstehungsgeschichte nichts für die These von Herzog her. Denn die von ihm zitierte Passage belegt nur, was insbesondere aus deren letzten Satz zu entnehmen ist, daß sich der verfassungsändernde Gesetzgeber lediglich ganz allgemein für die „Aktionsfähigkeit" des Gerichtes „auch i m Verteidigungsfalle" einsetzte, ohne damit auch etwas über den Umfang der Aktionsfähigkeit auszusagen. Zwar räumt auch Herzog ein, daß der Bereich des Gerichtes eng bleibe, da die Feststellung und Verkündigung des Verteidigungsfalles und auch der Erlaß anderer Notstandsakte „häufig" vollendete Tatsachen schaffen werde, die durch einen entgegengesetzten Spruch des Gerichtes nicht mehr rückgängig zu machen seien 66 . Es mutet aber einigermaßen illusorisch an, wenn Herzog die Justiziabilität i m verbleibenden Rest der Kontrollbefugnis u. a. damit begründet, daß dem Gericht eine Überprüfung jedenfalls in Form der Mißbrauchskontrolle sowohl insgesamt als auch insbesondere beim Vorliegen einer flagranten Staatsstreichgefahr zuzubilligen sei 67 : Als ob ein Staatsstreich je durch den Spruch eines Gerichtes verhindert oder rückgängig gemacht worden wäre! Aber wenngleich die Einsicht i n das der rechtsprechenden Gewalt Mögliche von großem Nutzen ist, so liegt der Ansatz zu einer Lösung doch auf einem anderen Feld: Vor der praktischen Unmöglichkeit steht hier das theoretische Bedenken. Dieses Bedenken ergibt sich, wie oben angedeutet wurde, aus der Forderung eines demokratisch verfaßten Staates, der es nicht zulassen kann, daß alle staatliche Handlungseffizienz restlos der „Richtermacht" überantwortet ist 68 . 65 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312); 10, 234 (244); 11, 126 (130 f.) m. w. N. Vgl. auch Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 9 I I 1. 66 Vgl. Herzog, a.a.O., Rdnr. 36 u n d 31 zu A r t . 115 g. 67 Vgl. Herzog, a.a.O., Rdnr. 44 zu A r t . 115 g. 68 Vgl. die Kommentierung von Dürig zu dem früheren A r t . 53 a GG, zitiert bei Herzog, a.a.O., Rdnr. 29 zu A r t . 115 g.
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
Denn gleichgültig, wie man den Begriff der Demokratie i m einzelnen auch immer ausfüllen mag, so ist jedenfalls m i t i h m die Auffassung der Verantwortlichkeit des Beherrschenden gegenüber dem Beherrschten verbunden. Diese w i r d aber dann sinnlos, wenn alles staatliche Handeln in den Machtbereich unabhängiger, d. h. demokratisch nicht verantwortlicher Gerichte fällt. Dieser Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit w i r d auch von Bachof übersehen. Er ist der Meinung, das Argument, die Richtermacht sei undemokratisch, sei nicht gewichtig genug, um etwas für die Eingrenzung des richterlichen Zuständigkeitsbereiches herzugeben 69 . Bachof begründet seine Ansicht u. a. damit, daß der Richter „ i m Namen des Volkes" rechtspreche, wie das Parlament i m Namen des Volkes Gesetze erließe und die Regierung i m Namen des Volkes regiere. Damit berührt er aber nicht den wunden Punkt der „undemokratischen Richtermacht". Dieser liegt vielmehr in der Frage der Verantwortlichkeit. Denn „undemokratisch" ist die Richtermacht deshalb, weil der Richter, anders als Parlament und Regierung, nicht dem Volk, sondern allein dem Recht verantwortlich ist. Dies bedeutet, auf unseren Ausgangsfall angewandt, daß die Frage, ob die Politik der Regierung m i t behaupteten Grundsätzen der Verfassung in Einklang steht, keinem Richterspruch unterliegt. Die Korrektur einer für „grundgesetzwidrig" erachteten Politik liegt hier nicht beim Gericht, sondern muß nach einem demokratischen Verfassungsverständnis der Wachsamkeit der Bürger, der politischen Diskussion und der Auseinandersetzung der politischen Kräfte überlassen bleiben 70 . Somit sind die Grenzen der Gerichtsbarkeit dort zu ziehen, wo der notwendige, freie demokratische Prozeß durch ein richterliches Eingreifen gefährdet ist und damit das demokratische Prinzip der Verantwortlichkeit geschmälert zu werden droht. Es w i r d dabei nicht verkannt, daß m i t dieser Formel das Problem des gerichtsfreien Hoheitsaktes i m politischen Bereich nicht dergestalt gelöst ist, daß man nur noch an einer Skala abzulesen brauchte, ob es sich u m einen justiziablen A k t handelt oder nicht. Das ist aber auch, wie ein Blick i n die Literatur zeigt, nicht möglich 71 . So hat sich der Weg als nur schwer gangbar er89 Vgl. Bachof, Die richterliche K o n t r o l l f u n k t i o n i m westdeutschen V e r fassungsgefüge, S. 26 (43 ff.). 70 Z u der für den Wirtschaftsbereich entwickelten „preferred freedoms"D o k t r i n i m amerikanischen Recht vgl. Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 437 ff., 442. 71 Gleichwohl k a n n die Formel an K o n t u r e n gewinnen, w e n n m a n sich vergegenwärtigt, daß der Begriff der Verantwortlichkeit durchaus zwei Aspekte aufweisen kann. Z u m einen einen politischen, w i e er hier ausschließlich ins Blickfeld gerückt w i r d . Z u m anderen u n d darüber hinaus einen rechtlichen, m i t der Folge, daß m a n sich — unabhängig davon, welche K o m ponente man i m Einzelfall f ü r die durchschlagendere hält — auch bei einer
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wiesen, wonach es zunächst galt, die betreffende Maßnahme als „Regierungsakt" zu katalogisieren, um dann in der besonderen Qualität des Regierungsaktes den Grund für dessen Injustiziabilität zu sehen 72 . Folgt man dagegen der hier vertretenen Auffassung und sieht die Funktion der rechtsprechenden Gewalt und das Rechtsschutzprinzip nicht isoliert, sondern eingebettet in eine Verfassung, die rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien gleichermaßen berücksichtigt, so sind die Voraussetzungen geschaffen, die eine sachgerechte Lösung des Problems ermöglichen.
C. Die faktischen Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Kenntnis des gesamten Sachverhaltes als Voraussetzung der richterlichen Entscheidung Bereits oben (S. 27) klang das Problem des Faktischen an. War dort jedoch die Rede davon, daß die Entscheidung eines Gerichtes sinnlos sei, soweit es ihm faktisch nicht möglich ist, die durch die zu überprüfende Maßnahme geschaffenen Tatsachen zu beseitigen 73 , so geht es hier darum, daß das Gericht eine Entscheidung nicht treffen kann, weil es die zur Uberprüfung der Maßnahme notwendigen Tatsachen nicht oder nicht vollständig zu kennen vermag. Es versteht sich von selbst, daß der Richter seiner Kontroll- und Rechtsschutzfunktion nur dann gerecht werden kann, wenn er Kenntnis von dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt hat. Kennt er nur einen Ausschnitt des Sachverhaltes, so ist die Richtigkeit seiner Entscheidung i n Frage gestellt. Der Richter stößt deshalb an die faktischen Grenzen dort, wo er seinen Subsumtionsauftrag nicht in vollem Umfang erfüllen kann. Dies kann aus rechtlichen 74 , aber auch aus tatsächlichen Gründen der Fall sein. Berufung auf das Prinzip der Verantwortlichkeit nicht von vornherein außerhalb des Spannungsfeldes von Demokratie u n d Rechtsstaat begibt. Das aber n i m m t der Formel eine auf den ersten Blick nicht ungefährlich anmutende Weite. 72 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 478; Eisenmann, Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 1 (27). 73 Diese Feststellung k a n n n u r i m Zusammenhang m i t der oben erörterten Problematik der Notstandsakte gesehen werden, w o das Faktische u n d die verselbständigte Macht des Politischen einem Richterspruch wenig Raum u n d k a u m Chancen eröffnen. — Daß f ü r einen anderen Bereich etwas anderes gelten kann, geht bereits aus § 113 I S. 4 V w G O hervor. 74 Die rechtliche Bedingtheit hindert nicht, auch i n diesen Fällen von faktischen Grenzen zu sprechen, da deren Bezugspunkt allein die (tatsächliche) Möglichkeit oder Unmöglichkeit zur vollständigen Erforschung des Sach-
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II. Die rechtlich bedingte unvollständige Kenntnis des Sachverhaltes Rechtliche Gründe hindern den Richter an seinem Subsumtionsauftrag dann, wenn das Gesetz eine vollständige Erforschung des Sachverhaltes unmöglich macht. So, wenn es beispielsweise durch § 99 I S. 2 VwGO die Behörde berechtigt, Schriftstücke nicht vorzulegen oder Auskünfte nicht zu erteilen, wenn andernfalls dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile entstehen würden, oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Eine solche Weigerungserklärung ist selbständig nicht anfechtbar 75 . Das Gericht kann auf Antrag der Beteiligten in einem Zwischenstreit nur prüfen, ob die Voraussetzungen der Weigerungserklärung glaubhaft gemacht sind, wobei es ihm untersagt ist, die Schriftstücke oder die Auskunft, u m die es geht, inhaltlich wiederzugeben. Steht aber fest, daß die Schriftstücke nicht vorgelegt oder die Auskünfte nicht erteilt zu werden brauchen, so ist die Entscheidungsbefugnis des Gerichtes in dem Maße eingeschränkt, in dem der Inhalt des Schriftstückes oder der Auskunft der zu überprüfenden Maßnahme zugrundegelegen hat 7 6 . Es ist nun fraglich, ob durch diese Einschränkung der richterlichen Entscheidungsbefugnis — i m Hinblick auf Art. 19 I V GG — der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen in unzulässiger Weise eingeschränkt wird. Das Problem hat vor allem Bedeutung erlangt i n den Fällen, i n denen es um die Frage ging, ob die Prüfungsämter verpflichtet sind, die vollständigen Prüfungsakten vorzulegen, um so dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, nachprüfen zu können, ob die Prüfungsentscheidung, gegen die sich die Klage richtet, ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Die Entscheidung der Streitfrage hängt davon ab, ob die Prüfungsakten ihrem Wesen nach geheimzuhalten sind. W i r d dies bejaht, so Verhaltes ist, ohne daß damit zugleich gesagt sein müßte, daß notwendigerweise auch deren Ursachen ausschließlich i m Faktischen zu suchen sind. 75 Vgl. Eyermann-Fröhler, Rdnr. 8 ff. zu § 99. Nach Forsihoff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 469 Fn. 3, stellt die E r k l ä r u n g einen justizlosen Hoheitsakt dar, da sie n u r so den i h r v o m Gesetz zugedachten Sinn entfalten könne. — F ü r § 96 StPO vgl. BGHSt 20, 189: Staatsanwalt u n d Gericht sind an die Weigerung gebunden; ferner Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 29. Aufl., M ü n chen 1970, A n m . 2 zu § 96. — Vgl. auch die ähnlichen Vorschriften der §§ 26 I I , 28 I I S. 1 BVerfGG; § 39 I I I S. 1 BRRG. 76 Insofern ungenau Eyermann-Fröhler, Rdnr. 15 zu § 99, wonach das U r t e i l i n solchen Fällen „nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichtes" zu fällen sei. Ungenau deshalb, w e i l die beschränkte Sachverhaltskenntnis des Gerichtes (und der Beteiligten) n u r die Beschränkung der Entscheidungskompetenz des Gerichtes zur Folge haben k a n n und für eine „freie Beweiswürdigung" insofern also kein Raum mehr bleibt. Vgl. auch F. Klein i n Maunz-Sigloch-Schmidt-BleibtreuKlein, Rdnr. 7 zu § 26.
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ist, sollte man meinen, die Rechtslage eindeutig, da der Wortlaut des § 99 I S. 2 VwGO unmißverständlich vorschreibt, daß für diesen Fall die Prüfungsakten 77 nicht vorzulegen sind. Anders jedoch OVG Koblenz. Zwar bekennt sich das Gericht ausdrücklich zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit dieses die Randbemerkungen und Bewertungsvorschläge der Prüfer für ihrem Wesen nach als geheimhaltungsbedürftig ansieht 78 . Gleichwohl sieht es sich aber nicht zu der von § 99 I S. 2 VwGO vorgezeichneten Schlußfolgerung genötigt, sondern schreitet zu einer Güterabwägung. Denn die Geheimhaltung des Prüfungsvorganges sei kein absoluter Wert, hinter dem alle anderen Rechtsgüter stets und ausnahmslos zurückzutreten hätten. Vielmehr könne sich aus einer Konfliktsituation zwischen Prüfungsgeheimnis einerseits und einem „öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung vor Gericht" andererseits die Notwendigkeit ergeben, das Prüfungsgeheimnis zu durchbrechen 79 . Diese Argumentation hält jedoch in verschiedener Hinsicht einer näheren Nachprüfung nicht stand. So w i r k t die Abwägung zwischen der Gewichtigkeit des Prüfungsgeheimnisses und der des „öffentlichen Interesses an der Wahrheitsfindung vor Gericht" doch sehr weit hergeholt, mit einem Hauch von Lebensfremdheit versehen. Denn ein „öffentliches Interesse", ob sich der Kandidat X zu recht ungerecht behandelt fühlt, besteht m i t Sicherheit nicht und ebensowenig w i r d hiervon das „Gemeinwohl" berührt. Was ausschlaggebend ist, ist einzig das Interesse des Betroffenen an einer gerechten und willkürfreien Entscheidung. Dies w i r d von dem Gericht auch bestätigt, wenn es nämlich, vom Abstrakten zum Konkreten übergehend, feststellt, daß dem Prüfer etwaige Mißhelligkeiten, die sich für ihn aus der Offenlegung seiner nur für einen internen Kreis bestimmten Vermerke ergeben könnten, eher zuzumuten seien als dem Betroffenen der Verzicht darauf, i n einer für ihn lebenswichtigen Angelegenheit einen zweifelhaften Sachverhalt klären zu lassen 80 . W i r d also eine Güterabwägung 77 Ob hierunter n u r die Prüfungsarbeit selbst fällt oder auch die Randbemerkungen u n d Bewertungsvorschläge der Prüfer, soll hier ebensowenig abschließend entschieden werden w i e die Frage, ob Prüfungsentscheidungen n u n tatsächlich ihrem Wesen nach geheimzuhalten sind oder nicht. Wichtig sind f ü r unser Problem n u r die (möglichen) Ausstrahlungswirkungen des A r t . 19 I V GG auf § 99 I S. 2 V w G O . 78 Vgl. OVG Koblenz, N J W 1968, 1899 (1900 r. Sp.). Dies verkennt Hummel, Gerichtsschutz gegen Prüfungsbewertungen, S. 66 Fn. 80. Denn das O V G K o blenz k o m m t n u r aufgrund einer Güterabwägung zum Ergebnis der Vorlagepflicht, nicht aber, w e i l es die Prüfungsvermerke f ü r ihrem Wesen nach nicht als geheimhaltungsbedürftig ansieht. 79 Vgl. O V G Koblenz, a.a.O., 1899 (1900 r. Sp.). 80 Vgl. O V G Koblenz, a.a.O., 1899 (1901 1. Sp. Mitte). — Vgl. zu ähnlichen Überlegungen BadWürtt. V G H E S V G H 14, 142 (145); zustimmend Evers, U n antastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 81.
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1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
vorgenommen, so kann es sich allenfalls darum handeln, über die Wertigkeit des Prüfungsgeheimnisses und den Anspruch des Einzelnen auf effektive Rechtsschutzgewährung abwägend zu befinden. Jedoch ist m. E. für eine Güterabwägung, wie immer sie i m einzelnen auch aussehen mag, ein Raum gar nicht mehr vorhanden, da diese bereits abschließend vom Gesetzgeber dergestalt getroffen worden ist, daß immer dann, wenn Vorgänge ihrem Wesen nach geheimzuhalten sind, das Interesse des Einzelnen zurückzutreten hat. Denn hätte der nachkonstitutionelle Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des A r t . 19 I V GG eine erneute Interessenabwägung i m Interesse des Rechtsstaatsgedankens für erforderlich erachtet, so hätte er die Vorschrift des § 99 I S. 2 VwGO i n dem Sinne fassen müssen, daß die Vorlage von, ihrem Wesen nach geheimzuhaltenden, Schriftstücken verweigert werden könne, es sei denn, daß die Interessen des Einzelnen an der Wahrheitsfindung überwiegen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Gesetzgeber wollte zwar offen lassen, was dem Wesen nach als geheimzuhalten zu bezeichnen ist. Entschieden aber hat er, daß einer einmal festgestellten Geheimhaltungsbedürftigkeit der Vorrang einzuräumen ist 81 . Um zu dem (begrüßenswerten) Ergebnis einer Vorlagepflicht der vollständigen Prüfungsakten durch die Prüfungsämter zu gelangen, wäre vom Gericht ein anderer Weg einzuschlagen gewesen. Es hätte sich nämlich dazu verstehen müssen, die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Prüfungsvermerken überhaupt zu verneinen. Dies hätte umso leichter fallen können, als das Bundesverfassungsgericht i n einem Beschluß vom 5. 2.1963 festgestellt hat, daß zwar Art. 19 I V GG nicht selbst Rechte gewähre, sondern die zu schützenden Rechte voraussetze, daß aber aus der — von Art. 19 I V GG entscheidend mitgeprägten — Gesamtansicht des Grundgesetzes folge, daß i m Zweifel diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug verdiene, die dem Bürger einen 81 Aus diesem Grunde k a n n es auch nicht i n Betracht kommen, die v o m Bundesverfassungsgericht zur Meinungsfreiheit entwickelte u n d jüngst ausdrücklich auf die Informationsfreiheit ausgedehnte „Wechselwirkungstheorie" (vgl. BVerfGE7, 198 [207 ff.]; BVerfG N J W 1970, 235 [237]; kritisch zum LüthU r t e i l vgl. Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 150; ders., DVB1 1958, 524 [526 F N 28]; ders., Z u r verfassungsgerichtlichen Deutung der Meinungsfreiheit [insbesondere i m Bereich des Boykotts], Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 197 ff.; vgl. ferner Esser, N J W 1970, 784 ff.; Herzog, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 248 ff. zu A r t . 5) auf unseren F a l l zu übertragen, indem man etwa argumentierte: Z w a r könnte A r t . 19 I V G G durch § 99 I S. 2 V w G O eingeschränkt werden, jedoch sei letztere Vorschrift stets i m Hinblick auf A r t . 19 I V GG auszulegen u n d daher i n ihrer die Rechtsweggarantie einschränkenden W i r k u n g gegebenenfalls selbst wieder einzuschränken. Diese Argumentation k a n n jedoch deshalb nicht durchgreifen, w e i l eine solche Wechselwirkung letztlich wieder auf eine Güterabwägung hinausläuft, f ü r die indes, w i e oben gezeigt, kein Raum ist.
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Rechtsanspruch einräume". M. a. W.: Zum Ergebnis des OVG Koblenz gelangt man nur, wenn man bereits das Tatbestandsmerkmal: dem „Wesen nach geheimzuhalten" i m Lichte des A r t . 19 I V GG sieht 83 , die Ausstrahlungswirkung dieser Vorschrift also schon auf dieser Interpretationsstufe i n Rechnung stellt und die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Prüfungsakten eben i m Hinblick auf A r t . 19 I V GG ablehnt. Beides aber, Geheimhaltungsbedürftigkeit und Vorlagepflicht, verträgt sich nicht m i t § 99 I S. 2 VwGO. Unabhängig von dem Problem der Vorlagepflicht von Prüfungsakten aber findet eine solcherart verfassungskonforme Auslegung 84 des § 99 I S. 2 VwGO ihre Grenzen in dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. D. h., werden die Ausstrahlungswirkungen des A r t . 19 I V GG zur Interpretation des § 99 I S. 2 VwGO i n einer Weise intensiv gemacht, daß sich der m i t § 99 I S. 2 VwGO gewollte Sinn nicht mehr zu entfalten vermag und die Vorschrift praktisch leerläuft, dann wären die Grenzen der Gerichtsbarkeit insofern überschritten, als es sich i m Grunde genommen nicht mehr um einen A k t der Rechtsanwendung, sondern um einen A k t der Rechtssetzung handeln würde 8 5 . Es würde indirekt der Verfassungswidrigkeit des § 99 I S. 2 VwGO das Wort geredet. Daß aber diese Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen A r t . 19 I V GG verfassungswidrig ist, w i r d man nicht von vornherein sagen können, und es ist auch noch — soweit ersichtlich — nirgendwo behauptet worden. Es zeigt sich somit, daß in § 99 I S. 2 VwGO und in den ihm verwandten Verfahrensvorschriften die — rechtlich bedingten — faktischen Grenzen der Gerichtsbarkeit sichtbar werden 86 .
I I I . Die faktisch bedingte unvollständige Kenntnis des Sachverhaltes Neben rechtlichen Gründen können aber auch tatsächliche Gründe den Richter an seinem Subsumtionsauftrag hindern. Jesch hat dies am 82 Vgl. BVerfGE 15, 275 (281). Vgl. auch B V e r w G E 16,289 (292), wonach i m Hinblick auf den Vorrang der Verfassung bei der Auslegung u n d A n w e n d u n g einfachen Rechtes der Einfluß verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen (gemeint ist A r t . 19 I V GG) zu berücksichtigen sei. — 83 Vgl. Dagtoglou, A n m . zum Urt. des Hess. V G H , JZ 1965, 319 (320 [321]); Pipkorn, Auskunftsanspruch gegenüber Verwaltungsbehörden, D Ö V 1970, 171 (174 f.) 84 Vgl. hierzu BVerfGE 2, 266 (282); 8, 28 (34); 18, 97 (111). 85 Vgl. BVerfGE 2, 380 (406). 89 Vgl. auch BVerfGE 10, 264 (267 f.), wonach A r t . 1 9 I V G G nicht alle herkömmlichen Grundsätze des Prozeßrechts, die rechtlich oder tatsächlich eine Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bewirken, außer K r a f t setzt, da diese Grundsätze i n einem weiteren Sinne ebenfalls dem Rechtsschutz des Bürgers dienen.
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Beispiel des unbestimmten Rechtsbegriffes zutreffend dargetan 87 . Danach erfolgt eine Beschränkung der richterlichen Wahrnehmungszuständigkeit aus der Unmöglichkeit, die unbestimmten Begriffe in beschreibende Tatsachenbegriffe vollständig aufzulösen, was aber zu deren Überprüfung durch das Gericht notwendig sei. Diese Unmöglichkeit ergebe sich weniger aus der Unbestimmtheit der Begriffe, als vielmehr aus der Vielschichtigkeit des durch den Begriff angesprochenen Sachverhaltes. Hierbei genüge aber vielfach die Beachtung der offen zutage liegenden Tatsachen nicht. Es müßten auch die Gesamtsituation und die sie konstituierenden Impoderabilien, die den der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt darstellten, berücksichtigt werden. Da dieser Sachverhalt praktisch aber nur begrenzt mitteilbar sei, sei die Entscheidung über den Sachverhalt auch nur begrenzt überprüfbar 88 . Dieser Teilverzicht auf Gerichtskontrolle rechtfertige sich aus dem Prinzip der Äquivalenz von M i t t e l und Aufgabe. Denn wo das Recht die M i t t e l zur Erfüllung der Aufgabe versage, verlange es auch nicht deren Erfüllung 8 9 . Es geht hier also, anders als oben, nicht u m ein rechtlich bedingtes, sondern u m ein tatsächliches Nicht-Können. Diese Ansicht hat vielfach K r i t i k erfahren. So ist ihr insbesondere von Kellner entgegengehalten worden, daß sie „illegitim" sei, da in Tatfragen der Richter durch das ihm zur Verfügung stehende Instrumentarium von Aufklärungsmöglichkeiten den Behörden grundsätzlich nicht unterlegen sei. Auch i m Zwischenfeld wertender Entscheidungen dürfe nicht übersehen werden, daß erst durch die beste tatsächliche Aufklärung, die dem Richter ja z. B. durch Sachverständige möglich sei, die beste Grundlage für eine richtige Wertung geschaffen werde 90 . Auch Rupp wendet sich gegen das Kann-Nicht-Argument von Jesch. Er räumt zwar ein, daß es durchaus unbestimmte Gesetzesbegriffe gebe, die sich nicht restlos i n Einzelfakten auflösen ließen, sondern einen Erfahrungsschatz voraussetzten, der erst aus einer Unzahl nicht mitteilbarer Imponderabilien erwachse. Es sei aber falsch, daraus den Schluß ziehen zu wollen, daß deshalb die eine gerichtliche Kontrolle ausschließende letzte Erkenntnis bei der Verwaltung liege 91 . Betrachtet man dieses Argument von Rupp isoliert, so ist es nicht zu widerlegen. Denn es ist in der Tat nicht einzusehen, daß aus der Tat87
Vgl. Jesch, AöR 82 (1957), S. 163 ff. Vgl. Jesch, a.a.O., S. 194 ff. Vgl. auch Wolf, Verwaltungsrecht I, § 311 c 4, der von nicht diskursiv begründbaren Einschätzungsbegriffen spricht. 89 Vgl. Jesch, a.a.O., S. 242. 90 Vgl. Kellner, N J W 1966, 857 (860); ebenso Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 225; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 220. 91 Vgl. Rupp, a.a.O., S. 213 f.; ebenso Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 46. 88
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sache einer möglichen subjektiven Divergenz von Erkenntnissen allein irgendwelche Folgerungen für die Frage abzuleiten seien, welche Erkenntnis nun die letztverbindliche sein solle 92 . Aber in dieser isolierten Betrachtungsweise steckt bereits der Fehler. Denn es ist i m Grunde genommen nicht i n erster Linie darauf abzustellen, was die Kenntnisse, die Fähigkeiten, der Erfahrungsschatz des Richters zur „Lösung" alles vermögen, ob er beispielsweise in der Lage ist zu beurteilen, ob ein m i t der Note 5 bewerteter Abituraufsatz tatsächlich die Note 5 verdient oder ob die Beurteilung eines Beamten zu beanstanden ist oder nicht 9 5 , um bereits von hier aus einen Schluß auf die Letzterkenntniszuständigkeit zu ziehen. Entscheidend ist vielmehr, den Zusammenhang herzustellen zwischen dem, was der Richter „kann" und i n welchem Rahmen er dieses „Können" ausübt. Der Bezug auf das Nicht-Können erweist seine Richtigkeit nur, wenn er i m Licht von Aufgabe und Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesehen wird. M. a. W.: Das KannNicht-Argument von Jesch ist in der Weise zu modifizieren, daß dadurch nicht die Grenzen des Richters, sondern die Grenzen des Gerichtes als eines Kontrollorgans markiert sind. Das „Nicht-Können" bezeichnet also keine Abstriche an den „Fähigkeiten" des Richters, sondern bedeutet eine Eingrenzung der (rechtlich gewollten) Möglichkeiten des Gerichtes. Dies w i r d deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß Gegenstand des Verwaltungsprozesses die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist. Dabei braucht hier nicht auf die Auseinandersetzung eingegangen zu werden, ob der Verwaltungsprozeß dem Individualrechtsschutz oder der Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung oder beidem mit unterschiedlicher Gewichtung zu dienen bestimmt ist 94 . Denn in unserem Zusammenhang kommt es nicht auf die Frage an, ob 92
Vgl. Rupp, a.a.O., S. 216 f., der zu Recht auf den methodischen Fehler hinweist, der i n der Annahme besteht, daß bei möglicher Divergenz der E r kenntnis ein Prioritätsprinzip dergestalt herrsche, daß es immer auf die A n sicht dessen ankomme, der den N o r m w i l l e n i n die von i h m geforderte Tat umzusetzen habe. 93 I n dieser Richtung scheint auch Hummel, Gerichtsschutz gegen P r ü fungsbewertungen, S. 26 f., das K a n n - N i c h t - A r g u m e n t von Jesch zu verstehen, wenn er eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen anführt u n d darauf hinweist, daß hier die Gerichte nicht „überfordert" gewesen seien. — Auch Fuss, Z u r richterlichen Prüfung von Gesetz u n d Gesetzesanwendung, S. 11 (12), geht von dieser unzutreffenden Sicht aus, w e n n er die Einräumung eines Beurteilungsspielraumes als materiell-rechtliche Handhabe betrachtet, u m die Kontrollzuständigkeit der Gerichte einzuengen, w e i l an diese offenbar A n forderungen gestellt würden, die w e i t über den juristischen Bereich hinausgingen u n d die zu erbringen n u r einem Universalexperten möglich wäre. 94 Vgl. hierzu Becker, W D S t R L 14 (1956), 96 (114); Rumpf, ebenda, 136 (139f.); Bachof, ebenda, 177 (Diskussionsbeitrag); Lerche, B a y V B l 1956, 295 ff.; Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 158 f.; Luke, JuS 1967, l f t ; Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 7 zu A r t . 1 9 I V ; Ule, V e r waltungsprozeßrecht, § 1 I I I . *
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die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre Rechtfertigung i m Schutz individueller Rechtsansprüche oder i n der Sicherung des objektiven Gefüges des Rechtsstaates findet 95 . Entscheidend ist es vielmehr darzutun, daß die Verwaltungsgerichte, i m Gegensatz zu den ordentlichen Gerichten, eine ausschließlich kontrollierende, repressive 96 und nicht eine originär rechtszuteilende Funktion innehaben 97 . Denn Verwaltungsgerichtsbarkeit ist ihrem Wesen nach Schranke und Korrektiv von Verwaltungshandeln 98 . Hiergegen hat Czermak eingewandt, daß sich für eine Rechtskontrollzuständigkeit i m geltenden Prozeßrecht Anhaltspunkte nicht finden ließen. Gemäß § 40 I VwGO sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte nicht „Kontrolle", sondern Entscheidung „ i n allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten" 9 9 . Daß dieser Einwand jedoch fehlgeht, liegt auf der Hand. Denn w i r d das Gericht angerufen, u m eine öffentlich-rechtliche „Streitigkeit" zu entscheiden, so heißt das doch, daß ein Handeln der Verwaltungsbehörde bereits vorliegt, m i t h i n das Gericht als Kontrollinstanz über die Rechtmäßigkeit dieses Handeln entscheiden soll. Dem steht auch nicht, wie Czermak meint 1 0 0 , entgegen, daß § 75 VwGO eine Untätigkeitsklage vorsieht. Diese Vorschrift bestätigt vielmehr als Ausnahmeregelung diese Ansicht. Ebensowenig kann der Argumentation zugestimmt werden, die eine Beschränkung der richterlichen Entscheidungsbefugnis auf Kontrolle von Verwaltungshandeln m i t dem Hinweis darauf ablehnt, daß es ein allgemein anerkannter Satz sei, daß das Gericht auch dann sachlich entscheide, wenn die Behörde in Verpflichtungssachen den Antrag irrtümlich lediglich aus Verfahrensgründen (Fristversäumnis, Unzuständigkeit) abgelehnt oder wenn sie nach Ansicht des Gerichtes auf unzutreffende Rechtsnormen oder Tatbestandsmerkmale abgestellt habe. Das Gericht habe dann die richtigerweise eingreifende materielle Rechtsnorm heranzuziehen und „originär" auf den Sachverhalt anzuwenden, d. h. ohne daß insoweit eine „kontrollierbare" Rechtsanwendung der Behörde vorausgehe 101 . Diese Ansicht ist indes reichlich kühn. Denn wäre dem wirklich so, dann wäre jedes aufhebende oder abändernde Urteil, indem 95
Vgl. Hesse, Rechtsstaat i m Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 77. Vgl. A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt u n d Strafkompetenz, S. 5 (13 f.), der zwischen präventiver u n d repressiver Rechtskontrolle unterscheidet u n d n u r letztere A r t . 1 9 I V GG zugeordnet wissen w i l l . I m Grundsatz zustimmend Lerche, Z u m „Anspruch auf rechtliches Gehör", Z Z P 7 8 (1965), 1 (8 Fn. 10). 97 Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 311 c 3. — Ob diese K o n t r o l l - bzw. originär rechtszuteilende F u n k t i o n dann dem Individualrechtsschutz oder der Sicherung o b j e k t i v rechtmäßigen Verwaltungshandelns dient, ist, w i e gesagt, eine andere Frage, die hier nicht entschieden werden soll. 98 Vgl. Menger, a.a.O., S. 62, 165. Siehe auch Lerche, Ordentlicher Rechtsweg, S. 29; Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 15 I I I 1. 99 Vgl. Czermak, JuS 1968, 399 (401). 100 Vgl. Czermak, a.a.O., S. 402. 101 Vgl. Czermak, a.a.O., S. 402. 96
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a t i c h e Grenzen
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es einen anderen, von der Behörde nicht eingeschlagenen Weg geht, nicht mehr kontrollierende Tätigkeit. Das aber hieße doch den Begriff der Kontrolle gründlich mißverstehen. Denn gerade, daß das Gericht sachlich anders oder auf Grund anderer Rechtsnormen oder Tatbestandsmerkmale entscheidet, zeigt, daß es das Handeln der Verwaltungsbehörde vorab auf seine Richtigkeit h i n untersucht und überprüft hat. Nichts anderes aber ist gemeint, wenn von der nachvollziehenden, sekundären, kontrollierenden i m Gegensatz zur originär rechtsanwendenden Funktion der Gerichte die Rede ist. Geht man also von der Kontrollfunktion der Verwaltungsgerichte aus — und hier schließt sich der Kreis —, so ist die Entscheidungsbefugnis der Gerichte überall dort eingeschränkt, wo eine Entscheidung als Kontrolle nicht mehr möglich ist 1 0 2 , weil das Gericht den der Verwaltungsentscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht mehr nachvollziehen kann. Würde es in einem solchen Fall gleichwohl entscheiden, so hätte dies zur Folge, daß die richterliche Entscheidung zum einen auf einem teilweise anderen als dem vorgelegten, aber nicht vollständig mitteilbaren Sachverhalt beruhen würde 1 0 3 , zum anderen, daß sich das Gericht i n originärer Rechtsanwendung betätigte und sich somit i n Verkennung seiner Funktionszuständigkeit an die Stelle der Verwaltungsbehörde setzte und unter dem Deckmantel der richterlichen Kontrolle materielle Verwaltungsfunktionen ausübte. Nach Rupp soll allerdings letzterer Einwand nicht gegen den Umfang der richterlichen Wahrnehmungszuständigkeit gekehrt werden können, da man aus einer (vom Verwaltungsgesetz generell oder speziell statuierten) Verwaltungskompetenz nicht darauf schließen könne, diese Zuständigkeit sei zugleich eine letztverbindliche, die richterliche Kontrolle ausschließende Kompetenz 104 . Daß dies so ist, leuchtet durchaus ein, nur verkennt Rupp, daß die Argumentationslinie i n umgekehrter Richtung läuft: Nicht die Verwaltungskompetenz ist es, die die Befugnis des Gerichtes beschränkt, sondern die richterliche Zuständigkeit als Kontrollkompetenz weist der Verwaltung die Letzterkenntnis zu, insofern die richterliche Tätigkeit nicht mehr Kontrolle zu sein vermag. Steht m i t h i n die Grenze der Gerichtsbarkeit fest, die aus der faktischen Unmöglichkeit erwachsen kann, Kontrollfunktion wahrzunehmen, so ergibt sich indes aus dieser Tatsache allein noch nicht, daß dies auch i m Hinblick auf den Rechtsstaat hingenommen werden müßte. Es genügt 102 A n dieser Stelle k o m m t das K a n n - N i c h t - A r g u m e n t v o n Jesch zum Tragen. 103 So Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 79, 92. 104 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 217 Fn. 371.
1. Abschn.: Nicht rechtsstaatlich bedingte Grenzen
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deshalb nicht, wenn Schmidt-Salzer sich m i t dem Hinweis zufrieden gibt, daß vor den tatsächlichen Grenzen das theoretische Strukturmodell der vollen gerichtlichen Nachprüfbarkeit seine Schranke finden müsse 105 . Denn es sind ja nicht, wie gezeigt, die tatsächlichen Grenzen allein, die eine gerichtliche Wahrnehmungszuständigkeit ausschließen. Es muß vielmehr das Verständnis des Gerichtes als eines die Verwaltungsentscheidungen jeweils nur nach-vollziehenden Organs hinzutreten. Demnach könnte es immerhin sein, daß die Beschränkung des Gerichtes auf eine Kontrolltätigkeit und den sich daraus ergebenden Grenzen m i t Prinzipien des Rechtsstaates nicht in Einklang steht. Dies w i r d aber nicht angenommen werden können. Denn bereits die Geschichte der Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zeigt, daß der Rechtsschutz des Bürgers gegen Übergriffe der Verwaltung lediglich i n der Form der Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung und nicht in einer originären Rechtszuständigkeit der Gerichte stattfinden sollte und konnte. So blieb etwa die rechtsstaatliche Forderung nach der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und deren Verwirklichung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts solange nur ein halber Schritt auf dem Wege zum Rechtsstaat, als wirksame Schutzeinrichtungen, in Form unabhängiger Gerichte, nicht vorgesehen waren, die dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung i m Streitfalle Achtung zu schaffen vermochten. Dies war es auch, was Anschütz zu der bekannten Feststellung veranlaßte, daß der Rechtsstaat damals zwar proklamiert gewesen sei, der Polizeistaat aber fortgedauert habe 106 . Es zeigt sich also deutlich die „nachgeordnete", auf Nach-Prüfung abzielende Funktion der Gerichte. Dasselbe hat zu gelten, wenn man davon ausgeht, daß die Verwaltungsgerichte nicht nur den Schutz des Bürgers, sondern auch (oder allein) die Sicherung des objektiven Gefüges des Rechtsstaates zum Ziele haben 107 . Denn auch für diesen Fall ist die Funktion der Gerichte nur als repressive denkbar, andernfalls der Sinn der Unterscheidung von Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung und damit auch das Gewaltenteilungsprinzip i n Frage gestellt wäre 1 0 8 . Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß der Gerichtsbarkeit faktische Grenzen insofern gesetzt sind, als durch die beschränkte Auf105
Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 79; ebenso, Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 225. 106 Z i t i e r t bei Klein, V V D S t R L 8 (1950), 67 (69). Auch Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 112, v e r t r i t t die Auffassung, daß i m Verlaufe der rechtsstaatlichen Gerichtsschutzentwicklung die Forderung nach einer gerichtlichen Kontrolle der Exekutive i m Vordergrund gestanden habe. Vgl. ferner Menger, Sozialer Rechtsstaat, S. 14 f. 107 So Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 77. Z u m Streitstand vgl. die auf S. 52 Fn. 94 angegebene Literatur. 108 Vgl. hierzu unten 2. Abschn. B I I 3.
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a t i c h e Grenzen
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lösungsfähigkeit unbestimmter Begriffe die Gerichte gehindert sind, ihre Funktion bestimmungsgemäß als Kontroll-Funktion wahrzunehmen. IV. Ergebnis Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß es zahlreiche Fälle von Gerichtsschutzlücken gibt, deren Ursachen nicht i n einem, vom Standpunkt der herrschenden Lehre aus, lockeren und großzügig gehandhabten Rechtsstaatsbegriff liegen. Vielmehr haben diese Lücken ihre Ursache i n den natürlichen, faktischen und den Grenzen, die der Gerichtsbarkeit durch den demokratisch verfaßten Staat gesetzt sind, und die ihren Bestand unabhängig von einem bestimmten Rechtsstaatsverständnis behaupten 109 .
109 Es k a n n an dieser Stelle schon angedeutet werden, daß eine Überstrapazierung der Gerichte weniger dem Rechtsstaatsgedanken zuzuschreiben ist, als vielmehr auf das Konto eines, sei es berechtigten oder unberechtigten grundsätzlichen Mißtrauens gegen die V e r w a l t u n g geht. — Vgl. auch Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 187, wonach die umfassende V e r waltungsgerichtsbarkeit u. a. Ausdruck eines Autoritätsverlustes der V e r waltung, ja, der aktiven Staatsgewalt überhaupt sei.
Zweiter
Abschnitt
Rechtsstaatliche Grenzen der Gerichtsbarkeit Ist i m 1. Abschnitt der Versuch unternommen worden, die Grenzen der Gerichtsbarkeit zu markieren, die das Rechtsstaatsprinzip nicht tangieren, so sollen nun die rechtsstaatlich bedingten Grenzen der Gerichtsbarkeit näher untersucht werden. U m es genauer zu formulieren: Es geht in diesem 2. Abschnitt nicht mehr darum, ob Lücken i m Gerichtsschutz mit dem Rechtsstaatsgedanken vereinbar sind; die Frage ist vielmehr, ob es nicht der Rechtsstaatsbegriff selbst ist, der die Grenzen der gerichtlichen Kontrollzuständigkeit zu bezeichnen vermag. Dies w i r d von Ule für nicht möglich gehalten. Seiner Ansicht nach ist von der Idee des Rechtsstaates her kein Gesichtspunkt denkbar, der eine Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Verwaltungsbehörden zulasse1. Es w i r d i m folgenden jedoch zu zeigen sein, daß der Rechtsstaat zwar einerseits Rechtsschutz durch Gerichte unabdingbar gebietet, daß aber die Verwirklichung der Idee des (sozialen) Rechtsstaates der Gerichtsbarkeit andererseits auch Grenzen setzt.
A. Grenzen, die sich aus dem Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat ergeben I. Der Staatszweck des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates U m die sich aus dem Wandel zum sozialen Rechtsstaat 2 ergebenden Grenzen der Gerichtsbarkeit sichtbar machen zu können, ist es notwendig, m i t wenigen Strichen das B i l d des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates, so wie er sich idealtypisch i m 19. Jahrhundert entwickelt hat 3 , 1 Vgl. Ulc, Verwaltungsprozeßrecht, § 2 I I I vor 2. Ebenso Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 61. 1 Z u r Frage, ob sich diese Schrankenfunktion nicht auch u n d vielleicht u n gezwungener aus dem Gedanken des Sozialstaates ableiten ließe, vgl. unten Fn. 103. 3 Da die Erkenntnisse über das Wesen des bürgerlichen Rechtsstaates als weitestgehend gesichert erachtet werden können, glaubt der Verfasser auf
A. Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Rechtsstaat
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und die sich daraus ergebende Sicht für den Rechtsschutzgedanken nachzuzeichnen. Der Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts ist geprägt von der Geisteshaltung des Liberalismus, dessen ideengeschichtliche Grundlagen auf den Individualismus und den Rationalismus der Aufklärung zurückgehen. Er findet seine wesentliche Basis i m Bekenntnis zur menschlichen Personenwürde und zur Humanität und i n dem von Kant 4 und Wilhelm v. Humboldt entwickelten ethischen Freiheitsprinzip 5 . Demzufolge war Hauptziel des politischen Liberalismus die Überwindung des absolutistischen Staates durch einen neu verfaßten Staat, der es unternahm, die Rechte des einzelnen zu respektieren und zu sichern. So stand i m Mittelpunkt des damaligen Rechtsstaatsdenkens6 der Primat des Individuums und die Freiheit der menschlichen Persönlichkeit. Rechtsstaatlichkeit bedeutete demnach, daß der Staat dem einzelnen einen grundsätzlich unbegrenzten Freiheitsraum beließ, wohingegen die Kompetenz des Staates zu Eingriffen i n die Freiheitssphäre des einzelnen grundsätzlich beschränkt war 7 . Es herrschte i m liberalen Rechtsstaat das Prinzip der Subsidiarität der staatlichen Wirksamkeit, wonach der Staat nur dort tätig werden durfte, wo weder der einzelne noch Gruppen den gestellten Anforderungen zu genügen vermochten 8 . Ansonsten aber hatte der Staat den unantastbaren Freiheitsbereich des einzelnen zu achten und unüberschreitbare Grenzen für seine Tätigkeit anzuerkennen 9 . Diese apriorischen Beschränkungen staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten erklären sich aus dem Zweck und den Aufgaben, die dem Staat aus der Idee der Freiheit der Menschen zugewiesen wurden. Danach eine eingehendere Analyse verzichten zu dürfen. Entscheidend f ü r den F o r t gang der A r b e i t sind n u r die Folgerungen, die sich aus dem gewandelten Rechtsstaatsverständnis ergeben. — Z u r Entwicklungsgeschichte u n d zum Wesen des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates vgl. z. B. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte i m 19. Jahrhundert, Monarchie u n d Volkssouveränität, Freib u r g - Basel - Wien 1964, S. 137 ff. u n d 219 ff.; Scheuner, Neuere Entwicklung des Rechtsstaates, S. 229 ff.; Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 49 ff.; ders., Ev. Staatslexikon, Stichwort „Rechtsstaat", Sp. 1733 ff.; Garzoni, Die Rechtsstaatsidee i m schweizerischen Staatsdenken des 19. Jahrhunderts, S.74ff.; C.Schmitt, Verfassungslehre, S. 129ff.; Menger, Sozialer Rechtsstaat, S. 6 ff. u n d passim; ders., Moderner Staat, S. 13 f.; Klein, Bonner Grundgesetz u n d Rechtsstaat, S. 390 (406 ff.). 4 Vgl. Garzoni, a.a.O., S.74ff.; Scheuner, a.a.O., S. 229 (239). 5 Vgl. Hinweise bei Menger, Sozialer Rechtsstaat, S. 9; ferner Radbruch, Einführung i n die Rechtswissenschaft, S. 60; Garzoni, a.a.O., S. 78 ff.; Benedetto Croce, Geschichte Europas i m 19. Jh., S. 7 ff. • Der Begriff „Rechtsstaat" w u r d e erstmals von Robert v. Mohl i n die Wissenschaft eingeführt, vgl. Hinweis bei Menger, a.a.O., S. 10 Fn. 27; ferner Schnabel, a.a.O., S. 138. 7 Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 8 Vgl. Garzoni, Die Rechtsstaatsidee, S. 12. 9 Vgl. Radbruch, Einführung i n die Rechtswissenschaft, S. 59.
42
. Abschn.:
echtsstaatlich bedingte Grenzen
h a t t e der S t a a t n u r Sorge zu t r a g e n , G e f a h r e n a b z u w e n d e n , die die Rechtssphäre des B ü r g e r s z u b e e i n t r ä c h t i g e n d r o h t e n 1 0 . N e b e n dieser gefahrenabwehrenden u n d freiheitsverbürgenden Tätigkeit w u r d e n d e m Staat k e i n e a n d e r e n A u f g a b e n z u e r k a n n t . Insbesondere w a r es i h m g r u n d s ä t z l i c h v e r w e h r t , a u f die G e s t a l t u n g d e r S o z i a l o r d n u n g E i n fluß z u n e h m e n . Diese g a l t d e m Staat als vorgegeben, seiner Disposit i o n s f r e i h e i t entzogen 1 1 . U n d n i c h t n u r , daß i h r F a k t i z i t ä t zugesprochen w u r d e , sie w u r d e i m P r i n z i p auch als gerecht angesehen, da n u r u n t e r dieser V o r a u s s e t z u n g die staatlichen M a c h t m i t t e l l e g i t i m e r w e i s e zu d e r e n A u f r e c h t e r h a l t u n g eingesetzt w e r d e n konnten 1 2 » 1 3 .
I I . Die Justizförmigkeit des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates Diese A u f f a s s u n g v o m Z w e c k des Staates h a t t e z u r Folge, daß d e m Staat, s o l l t e n die Rechte n i c h t n u r a u f d e m P a p i e r stehen, e i n I n s t r u m e n t a r i u m z u r V e r f ü g u n g gestellt w e r d e n m u ß t e , das diese Rechte, d. h. L e b e n , F r e i h e i t u n d E i g e n t u m zu sichern i m s t a n d e w a r . N e b e n der W a h l v o n Volksvertretern, dem Gewaltenteilungsprinzip u n d dem G r u n d s a t z d e r G e s e t z m ä ß i g k e i t d e r V e r w a l t u n g , die die M a c h t des Staates e i n g r e n z e n u n d ü b e r h a u p t k o n t r o l l f ä h i g m a c h e n sollten, w a r die eigentliche S c h u t z f u n k t i o n v o r a l l e n D i n g e n u n a b h ä n g i g e n G e r i c h t e n 1 4 10 Vgl. Menger, Moderner Staat, S. 13; Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 51. Einschränkend Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, S. 12, wonach auch der klassische liberale Rechtsstaat Sozialgestaltung betrieben, z. B. Zünfte u n d Feudallasten abgeschafft u n d die überlieferte Sozialordnung durch seine eigene, seinen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechende Ordnung ersetzt habe. Vgl. auch Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 52 ff. — Wenn Scheuner, Neuere Entwicklung des Rechtsstaates, S. 229 (247), demgegenüber behauptet, daß die damalige Rechtsstaatsauffassung es vermieden habe, i n den Begriff des Rechtsstaates Aussagen über die Begrenzung des Staatszweckes aufzunehmen, so k a n n dem nicht zugestimmt werden. Denn indem sich das Staatsdenken dieser Zeit an einer bestimmten Idee, nämlich der der Freiheit orientiert, umschreibt es damit zugleich auch den Bereich erlaubter Staatstätigkeit u n d damit auch den des Staatszweckes. 11 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 61; W.Weber, Spannungen u n d Kräfte i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 32. 12 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 66; Menger, Moderner Staat, S. 14. 13 Hieraus ergibt sich auch, daß der liberale Rechtsstaat oft zu Unrecht m i t einem n u r formalen Rechtsstaatsbegriff i n Verbindung gebracht w i r d (vgl. z . B . Menger, Sozialer Rechtsstaat, S. 12f.; Schultes, N J 1948, 1 [4]; Scheuner, Neuere Entwicklung des Rechtsstaates, S. 229 [245, 247]). Denn w i r d die Sozialordnung dadurch geschützt, daß Eingriffe i n sie nicht zugestanden werden, w e i l sie als i m Grunde genommen gerecht gilt, so bedeutet das, daß i m liberalen Rechtsstaat das formelle Prinzip zugleich auch das materielle Prinzip ist. 14 Der damals die Rechtswissenschaft sehr bewegende Streit, ob die K o n trolle der V e r w a l t u n g den ordentlichen Gerichten oder eigens zu schaffenden Verwaltungsgerichten überantwortet werden sollte (vgl. hierzu z.B. Klein, V V D S t R L 8 [1950], 67 [70 ff.]; Wolff, Verwaltungsrecht I I I , §167), braucht hier
A. Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Rechtsstaat
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übertragen, da nur durch diese ein voller Rechtsschutz des Bürgers gewährleistet war 1 5 . Das führte dazu, daß der bürgerliche Rechtsstaat i n seiner letzten Ausprägung als ein Konglomerat von Rechtsschutzansprüchen gegen den Staat verstanden werden konnte, dessen einzige Aufgabe i m Schutz von Rechten und i n der möglichst ungehemmten Ausdehnung dieser Rechtsschutzmöglichkeiten bestand 16 . Daß eine durchgängige Kontrolle der Exekutive durch die Justiz damals, blickt man auf die heutige Verfassung, vergleichsweise nur bescheiden durchgeführt worden ist, widerspricht dem nicht, war doch das systembedingte Prinzip einer Durchgängigkeit richterlicher Kontrollbefugnis — und nur darauf kommt es hier an — entwickelt 1 7 1 8 . Der folgerichtig durchdachte bürgerlich-liberale Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts war deshalb Justizstaat 19 . Sein vollendetes Ideal gipfelte i n einer allgemeinen Justizförmigkeit des staatlichen Lebens 20 . Alle staatlichen Machtäußerungen unterlagen, da sie nur als Eingriff in Rechtspositionen denkbar waren, von ihrer Funktion her (im theoretischen Ansatz) der richterlichen Kontrolle. I I I . Wandel des Staatszweckes Diese Justizförmigkeit staatlichen Lebens war jedoch, wie w i r gesehen haben, bedingt durch die Auffassung vom Zweck des Staates. Dieser hatte sich aber m i t dem ausgehenden 19. Jahrhundert grundlegend zu wandeln begonnen. Die Ursache hierfür lag i n der sich annicht nachgezeichnet zu werden. Entscheidend ist, daß die K o n t r o l l f u n k t i o n überhaupt den Gerichten zugeordnet wurde. 15 Z u Recht weist Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 61 f., darauf hin, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Freiheitsrechte auch zu verwirklichen waren, ohne daß richterliche Gewalt daran wesentlich beteiligt gewesen wäre, da die Idee der bürgerlichen Freiheit als Antithese zum Absolutismus noch lebendig w a r u n d Demokratie u n d Legalitätsprinzip zur Sicher u n g der Realisation der Rechte als ausreichend erschienen. Daß dies eine einmalige politisch-historische Konstellation, eine A r t historische Chance war, die nicht von Dauer sein konnte, wurde alsbald empfunden, als sich das Defacto-Weiterbestehen des de j u r e abgeschafften Polizeistaates dennoch bemerkbar zu machen begann, so daß schließlich die Forderung nach unabhängigen, d. h. gerichtlichen Kontrollinstanzen nicht unerfüllt bleiben konnte. 16 Vgl. Koellreuther, Nationaler Rechtsstaat, S. 26; zustimmend Klein, Bonner Grundgesetz u n d Rechtsstaat, S. 390 (407). 17 Vgl. Werner Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 32. 18 Bereits an dieser Stelle w i r d deutlich, daß das Prinzip eines lückenlosen Gerichtsschutzes als die am Rechtsstaatsgedanken orientierte Forderung der Nachprüfbarkeit grundsätzlich aller Äußerungen staatlicher Macht m i t dem hier aufgezeigten liberalen Rechtsstaatsbegriff u n d somit auch m i t den damit verbundenen Vorstellungen v o m Zweck des Staates aufs engste verbunden ist. 19 Gemeint ist das Gesamtsystem der gerichtsförmigen Kontrollmöglichkeiten u n d nicht n u r die ordentliche Gerichtsbarkeit. 20 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 133.
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bahnenden Einsicht, daß die Freiheit des Individuums nicht allein auch dessen menschenwürdige Existenz in einer sich mehr und mehr ändernden Gesellschaft garantierte. Es gewann allmählich die Erkenntnis an Boden, daß die Gewährleistung und der Schutz individueller Freiheit durch den Staat, wenngleich sie notwendige Voraussetzung der freien Entfaltung der Persönlichkeit waren, nur für den kleineren Teil der Bürger auch gleichbedeutend m i t Freiheit war. Dem weitaus größeren Teil war es infolge wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeiten verwehrt, sich i n dem vom Staat gehüteten Feld der Freiheit wirklich frei zu bewegen und zu entfalten. Was früher als Ideal des Rechts-Staates empfunden wurde, nämlich die Begrenzung des Staates i m Interesse eines weit bemessenen Freiheitsraumes, entpuppte sich nun auch als Nachteil. So konnte es nicht ausbleiben, daß i m Laufe der Zeit die Idee der Freiheit erweitert wurde durch die Hereinnahme der Idee der Gerechtigkeit, was schließlich dazu führte, daß die von Wilhelm v. Humboldt entwickelte liberale Lehre, daß der Staat sich als Rechtsstaat auf die Sicherung seiner Glieder vor Unrecht zu beschränken habe, durch den sozialen Gedanken des Inhalts abgelöst wurde, daß der Staat als „Kulturstaat" auch auf die positive Förderung seiner Angehörigen bedacht sein müsse 21 . Denn m i t der Entwicklung der modernen Industrie und den damit verbundenen sozialen Spannungen wurde immer deutlicher, daß eine Beeinträchtigung der Freiheit weniger vom Staat als von „außerstaatlichen", gesellschaftlichen Kräften drohte 22 . Ebenso hatten die Massenverelendung des Industrieproletariats i n der Anfangsentwicklung des Kapitalismus und die damit einhergehende Bedrängung des Staates durch revolutionäre Kräfte den Ruf nach staatlicher Sozialpolitik ausgelöst 23 . Es setzten sich i n zunehmendem Maße „wohlfahrtsstaatliche" 21 Vgl. Radbruch, Einführung i n die Rechtswissenschaft, S. 60; B. Croce, Geschichte Europas i m 19. Jh., S. 280. Wenn Croce allerdings behauptet, daß trotz (oder gerade wegen) des Vordringens der sozialen Frage, der Liberalismus ganz allmählich einen ideellen Sieg über den Sozialismus davongetragen habe (S. 277), so bedeutet das nicht, daß der auf das Staatsdenken bezogene politische (wirtschaftliche) Liberalismus, den er als „Liberismus" bezeichnet, weiter unangefochten bliebe. Croce meint vielmehr, w e n n er v o m Sieg des Liberalismus spricht, die ethische auf die Menschenwürde h i n angelegte Idee des Liberalismus, der aus einem dialektischen u n d historischen Denken heraus (S. 18) Menschenwürde u n d Gerechtigkeit u n d nicht Freiheit als oberste Werte ansieht, die jedoch eine unerläßliche Voraussetzung f ü r die V e r w i r k lichung dieser Werte ist. 22 Vgl. Herrfahrdt, W D S t R L 8 (1950), 126 (129 ff.). 23 Die Frage, ob die Änderung der Staatszielbestimmung mehr auf G r u n d ethischer, a m Gerechtigkeitsgedanken orientierter M o t i v a t i o n oder aus der Furcht vor revolutionärem Umsturz beruhte, soll hier nicht vertieft werden (im letzteren Sinne Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaats, S. 20 f.). H i e r interessiert n u r die Tatsache der Entwicklung des bürgerlichen Rechtsstaates zum Staat, der sich sozialer Aufgaben bewußt ist.
A. Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Rechtsstaat
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Tendenzen durch, die den „Nachtwächterstaat" überwunden wissen wollten 2 4 . M i t dieser Neuorientierung des Staatszweckes aber wuchsen auch die Aufgaben des Staates. Sie waren nun nicht mehr nur auf Freiheit und Sicherheit der Person gerichtet, die Sozialordnung erschien dem Staat nicht mehr als vorgegeben, seiner Gestaltungsfreiheit entzogen. Der Staat hatte vielmehr durch seine Organe den sozialen Lebensbereich seiner Bürger mitzugestalten. Wurde vor der Industrialisierung die soziale Sicherheit nicht als Problem empfunden, so wurde sie dem modernen Staat immer mehr zur zentralen Frage 25 . Dabei ging die Entwicklung von der Sozialversicherungsgesetzgebung des BismarckReiches über die staatlichen Eingriffe i n den Wohnungs- und Arbeitsmarkt nach dem ersten Weltkrieg 2 6 und die Wirtschafts- und Sozialartikel der Weimarer Verfassung bis zum ausdrücklichen Bekenntnis des Bonner Grundgesetzes zum sozialen Staat als einem Verfassungsgrundsatz 27 . Was dabei der Inhalt dieser Sozialstaatsklausel ist, läßt sich der Natur der Sache nach nicht exakt fassen 28. Sie bedeutet mehr als Sozialfürsorgestaat und weniger als Wohlfahrtsstaat 29 . Sie ist Auftrag an den Staat, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit durch Schaffung und Erhaltung von Einrichtungen annähernd zu verwirklichen, die jeder Schicht oder Gruppe i n der Bevölkerung die ihr zukommenden Rechte, sowohl i n wirtschaftlicher wie i n kultureller Hinsicht, einzuräumen 30 und die dem einzelnen die Risiken des Alters, der Invalidität, der Krankheit, des Arbeitsunfalles und der Arbeitslosigkeit mitabzudecken vermögen 31 . Verfassungstechnisch gesprochen kann die Formel vom sozialen Staat die Garantie vorhandener sozialer Institutionen, den Auftrag an den Gesetzgeber zur Beseitigung sozialer Mißstände und die Ermächtigung des Gesetzgebers zur Aufrichtung neuer sozialer Ordnungen zum Inhalt haben 32 . 24 Vgl. Menger, Sozialer Rechtsstaat, S. 18 f. Ferner Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 61, der Änderungen i n der Staatsauffassung erst m i t dem Beginn des Ersten Weltkrieges konstatiert. Nach Stern, Ev. Staatslexikon, Sp. 2096, „ k a n n mehr oder weniger allgemein gültig festgestellt werden, daß der Sozialstaat die A n t w o r t des 20. Jh. auf industrielle Revolution, K r i e g u n d W i r t schaftskrise darstellt, m i t dem Ziel der Herstellung sozialer Gerechtigkeit u n d Sicherheit". 25 Vgl. Rüfner, W D S t R L 28 (1970), 187 (188 f.). 26 Vgl. hierzu Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 62 ff. 27 Einen Uberblick über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Sozialstaatsprinzip (bis zum Jahre 1965) gibt Werner Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, S. 409 (419 ff.). 28 Eine Zusammenstellung der verschiedensten Deutungsversuche des Begriffs des Sozialstaates bringt W.Reuss, i n Reuss-Jantz, Sozialstaatsprinzip u n d soziale Sicherheit, S. 8 ff. 29 Vgl. Stern, Ev. Staatslexikon, Sp. 2096. 30 Vgl. Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 10 I I 4. 31 Vgl. hierzu i m einzelnen Rüfner, a.a.O., S. 192 ff. 32 Vgl. Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 231 ff., 276 f.; Wolff, V e r waltungsrecht I I I , § 1381 a.
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. Abschn.:
echtsstaatlich bedingte Grenzen
Nach diesem notwendig kurzen Überblick über den Wandel bürgerlich-liberalen Rechtsstaates zum sozialen Staat 33 , soll nun Frage nachgegangen werden, inwieweit auch die m i t der Erfüllung sozialen Aufgabe verbundenen Äußerungen staatlicher Macht einer richtlichen Kontrolle zugänglich sind.
des der der ge-
IV. Konsequenz des Anwachsens staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten 1. Ausdehnung des Gerichtsschutzes?
Anschließend an die obige Frage könnte man zunächst darauf hinweisen, daß es angesichts der unvermeidlichen Ausweitungen der Kompetenzen des Staates eine rechtsstaatliche Forderung sei, daß parallel hierzu auch der rechtsstaatliche Schutz weiter ausgebaut werden müßte. Diese Ansicht Kägis 34 w i r d auch von Ule vertreten. Nach ihm hat der Wandel des modernen Staates vom liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhundert zum Leistungsstaat unserer Tage den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz notwendiger gemacht denn je. Denn die Abhängigkeit des einzelnen vom Staat sei i m modernen Wohlfahrts- und Leistungsstaat mindestens ebenso drückend wie die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei und der Steuerverwaltung, die für den Staat des 19. Jahrhunderts kennzeichnend waren. Die Entscheidung des Grundgesetzes für einen umfassenden Rechtsschutz auf dem Gebiet der Verwaltung sei demnach keine willkürliche, sie folge vielmehr aus der Idee des Rechtsstaates und dem Wesen der rechtsstaatlichen Ordnung, die eine Beschränkung gerichtlichen Rechtsschutzes unter keinem Gesichtspunkt zulasse35. Auch H. Schneider vertritt die Auffassung, daß der Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Anbetracht des Ausmaßes der Bürokratie und der eingetretenen Erweiterungen des behördlichen Tätigkeitsfeldes nur folgerichtig sei, nicht aber ohne die Einschränkung anzufügen, daß das Folgerichtige ebensowenig wie das Unentrinnbare auch immer gut sein müsse 36 . A m entschiedensten t r i t t Bachof für eine umfassende Justiziabilität auch der neuen Aufgaben des Staates ein. Denn der Zuwachs an Macht, 33
Es w i r d bewußt der Ausdruck sozialer Rechtsstaat vermieden, u m die Diskussion nicht schon an dieser Stelle unausgesprochen m i t der Frage zu belasten, inwieweit rechtsstaatliche u n d sozialstaatliche Forderungen zu A n t i nomien führen. 34 Vgl. Kägi, Rechtsstaat—Sozialstaat—sozialer Rechtsstaat, S. 129 (144). 35 Vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 2 I I I 1. 36 Vgl. H.Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, S.31; ders., Die neue V e r waltungsgerichtsbarkeit i n ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung, D V 1949, 142 (143).
A . Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen R e c h t s s t a a t 4 7
den das Grundgesetz durch A r t . 19 I V GG der rechtsprechenden Gewalt zugeteilt habe, sei nur eine notwendige Korrektur des Machtzuwachses, den Legislative und Exekutive i m Laufe der letzten Jahrzehnte durch das Anwachsen ihrer Funktionen erfahren haben. So bedinge das i m modernen Sozialstaat durchgängige Angewiesensein des Menschen auf den Staat, seine fast totale Abhängigkeit von der staatlichen Apparatur, auch eine entsprechend totale Kontrolle dieses Apparates 37 . 2. Gesetzesakzessorietät im Bereich der Leistungsverwaltung
Dieser Ansicht Bachofs begegnen jedoch erhebliche Bedenken. Sie verkennt nämlich zum einen, daß die Forderung der totalen Kontrolle des Apparates i n Wahrheit die Forderung der Totalität dieses Apparates ist. Denn total kontrollunterworfen kann nur der total, d. h. i n allen nur denkbaren Fällen an Gesetze gebundene Staatsapparat sein. Eine vollständige Gesetzesakzessorietät ist aber nur solange sinnvoll und notwendig, solange es sich darum handelt, den Staat in seine Schranken zu verweisen. Geht es jedoch darum, die soziale Stellung des Bürgers durch positive Inpflichtnahme des Staates zu bessern, dann verliert die vollständige Gesetzes- und damit Gerichtsunterworfenheit 38 den ihr zugedachten Sinn. U m Mißverständnissen vorzubeugen, ist der Hinweis nicht unangebracht, daß hier, versteht sich, nicht einer apriorischen Gesetzesungebundenheit der leistenden Verwaltung das Wort geredet werden soll 39 . Die Verwaltung kann selbstverständlich auch i m sozialen Aufgabenkreis nicht gegen Gesetzesdirektiven frei schalten und verwalten. Auch hier gilt der Vorrang des Gesetzes. Es soll aber die Auffassung in Frage gestellt werden, die den Vorbehalt des Gesetzes und in dessen Gefolge die Gerichtsunterworfenheit i m Bereich der leistenden Verwaltung i n dem gleichen umfassenden Maße gelten lassen w i l l wie bei der Eingriffsverwaltung. Dabei soll es an dieser Stelle der Arbeit nicht um die verfassungsrechtliche Problematik 4 0 , sondern darum gehen, ob es sinnvoll (a), faktisch und rechtstechnisch (b) möglich ist, die Leistungsverwaltung vollständig unter den Vorbehalt des Gesetzes zu stellen. 37 Vgl. Bachof, Richterliche K o n t r o l l f u n k t i o n i m westdeutschen Verfassungsgefüge, S. 26 (42). 38 Z u r Gerichtsunterworfenheit der V e r w a l t u n g als Ergänzung ihrer Gesetzesunterworfenheit vgl. Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 10 ff. 30 Eine Argumentation, m i t der die Auffassung, daß eine totale Gesetzesakzessorietät der leistenden V e r w a l t u n g nicht besteht, unterschwellig i n ein dubioses Licht gestellt werden soll. Vgl. z. B. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 113 ff. (insbes. S. 119); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 84 unten. 40 Vgl. hierzu unten B I I 1 u n d 3.
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echtsstaatlich bedingte Grenzen
a) Zweck des Gesetzesvorbehalts Es ist also zunächst zu fragen, ob ein auf die Leistungsverwaltung ausgedehnter Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes noch den ihm ursprünglich zugedachten Sinn zu erfüllen vermag. Der eigentliche Grund, der zur Entwicklung des Gesetzesvorbehaltes i m 19. Jahrhundert führte, lag in dem begründeten Mißtrauen, das der Verwaltung entgegengebracht wurde 4 1 . Es war deshalb eine notwendige Forderung an den Rechtsstaat Gesetzesstaat zu sein 42 . Das Prinzip der strengen Legalität erwies sich als eine der erforderlichen Voraussetzungen der Rechtsstaatlichkeit überhaupt. Das fand seine innere Berechtigung aber nur solange, als staatliche Machtäußerungen allein denkbar waren als Eingriff in Rechtspositionen. Solange vom Staat „ n u r " etwas zu befürchten war, war es notwendig, die Voraussetzungen und Grenzen belastender staatlicher Akte durch Gesetze festzulegen, um sie voraussehbar und meßbar zu machen. Etwas anderes gilt aber für das gewährende und gestaltende Wirken des Staates. Hier den Staat denselben strengen Anforderungen zu unterstellen und die Verwaltung an unzählige kasuistische Gesetze und bis ins kleinste gehende Regelungen zu binden, hieße, die Erfüllung seiner Aufgaben i m sozialen Bereich nicht unerheblich zu erschweren, und somit den Zweck des Vorbehalts des Gesetzes — Besserung der rechtlichen Stellung des Bürgers gegen den Staat — i n sein Gegenteil wenden: Denn darf der Staat Leistungen nur auf Grund von Gesetzen gewähren, so bedeutet dies eine Schlechterstellung des Bürgers insofern, als es ausgeschlossen ist, alle Fälle, insbesondere auch Ausnahme- und Notsituationen, die eine Leistung des Staates unabwendbar erfordern, durch eine generell-abstrakte Regelung zu erfassen m i t der Folge, daß es dem Staat verwehrt ist, in diesen Fällen Leistungen zu gewähren 43 . Die Rechtsstellung des Bürgers wäre also bei einer umfassenden Geltung des Gesetzesvorbehaltes nicht besser, sondern schlechter. 41 Vgl. Rupp, a.a.O., S. 139 unten. Vgl. ferner zur geschichtlichen E n t w i c k l u n g des Grundsatzes v o m Vorbehalt des Gesetzes H.Peters, Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung?, S. 206 (210 ff.); Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (177); Selmer, JuS 1968, 489 (490). 42 Otto Mayer: „Der Staat, der f ü r seine V e r w a l t u n g k e i n Gesetz h a t . . . , ist k e i n Rechtsstaat." Zit. bei Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, S. 24. 43 Vgl. Hess. V G H 14, 50 (60). — Aus diesem G r u n d geht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes denn auch dahin, öffentlich-rechtliche A n sprüche auch aus Verwaltungsvorschriften oder Richtlinien oder bei V e r letzung des Gleichheitssatzes aus der Ü b u n g der Behörden abzuleiten (vgl. BVerwG, N J W 1961, 137 [138]; DVB1 1963, 104; 182). — M i t Recht weist auch Lerche, N J W 1961, 1758 (1759), darauf hin, daß das Vorhandensein einer Handlungsfreiheit der V e r w a l t u n g nicht n u r f ü r eine i n sich funktionierende Staatsleitung u n d -Verwaltung, sondern i n erster L i n i e auch für den Bürger unentbehrlich sei, da n u r durch entsprechende F l e x i b i l i t ä t Einzelfallgerechtigkeit verbürgt sei.
A. Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Rechtsstaat
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b) Faktische Unmöglichkeit eines umfassenden Gesetzesvorbehalts Über die Frage hinaus, ob es noch dem ursprünglichen Sinn des Gesetzesvorbehaltes entspricht, die Leistungsverwaltung diesem Prinzip und damit auch von vornherein der Gerichtskontrolle zu unterwerfen, ergeben sich Grenzen der Gerichtsbarkeit aber auch aus der Überlegung, daß das Prinzip lückenlosen Rechtsschutzes ein formales, prozessuales Prinzip ist, dem die Lückenlosigkeit des materiellen Rechtes auf der anderen Seite notwendigerweise gegenüberstehen muß. Eine solche Lückenlosigkeit ergibt sich, wenn überhaupt, noch relativ unschwierig, soweit es sich um die klassischen negativen Statusrechte des Bürgers handelt 44 . Nicht annähernd dagegen ist sie i m Bereich der positiven Statusrechte möglich. Je umfangreicher die Aufgaben des Staates werden, umso schwieriger ist es, sie in die überkommenen und überschaubaren gesetzlichen Bahnen zu lenken. Denn die Gestaltung des Soziallebens läßt sich durch Gesetzgebung nicht beliebig bestimmen und erschöpfend begrenzen 45 . Dies hat seinen Grund einmal in der Schwerfälligkeit des gesetzgeberischen Apparates überhaupt, die es unmöglich macht, notwendig zu erfüllenden „Augenblicksbedürfnissen" zu genügen, zum anderen gibt es aber auch weite Bereiche der das allgemeine Wohl betreifenden Einzelerscheinungen, die außerhalb der Möglichkeit normativer Regelung und damit des Gesetzgebers liegen 46 . Das aber hat zur Folge, daß die hier i m materiellen Recht entstehenden Lücken auch die Lückenhaftigkeit des Gerichtsschutzes zeitigen 47 . Man könnte nun gleichwohl versucht sein, das materielle Recht durch eine Flut von Gesetzen zu vervollständigen und damit auch die materiell-rechtlich bedingten Gerichtsschutzlücken zu schließen. Das würde, ganz abgesehen davon, daß es letztlich doch zum Scheitern verurteilt 44 Dürig erklärt sich i n seiner Kommentierung zu A r t . 2 I GG i n MaunzDürig-Herzog (vgl. Rdnr. 3, 6, 10, 42) f ü r ein „lückenloses Wertschutzsystem" der Grundrechte. Vgl. hierzu kritisch Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 59, wonach m i t dieser moralphilosophisch bestimmten statischen K o n s t r u k t i o n i n nicht unerheblichem Maße die Bedeutung der Grundrechte verfehlt werde; ders., V V D S t R L 20 (1963), 56 (82 ff.). Vgl. ferner Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 161. 45 Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 17 I V . 46 Vgl. H.Peters, V e r w a l t u n g ohne gesetzliche Ermächtigung?, S.206 (215), der darauf hinweist, daß heute bereits ein „ganz großer T e i l " der Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung erfolgt (S. 217 f.). Vgl. auch Becker, V V D S t R L 24 (1966), 183 (208 Leitsatz 6). Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 227 f., hebt hervor, daß durch einen umfassenden Gesetzesvorbehalt eine rasche Anpassung an eine veränderte wirtschaftliche Situation, der gerade die Leistungsverwaltung Rechnung tragen müsse, verhindert werde. 47 Vgl. Menger, Moderner Staat, S. 28; ders., DöV 1955, 587 (592); zustimmend Bachof, V V D S t R L 14 (1956), 176 f.
4 Oettl
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wäre, aber zu dem führen, was man gerade verhindern w i l l , nämlich zu einer Hypertrophie des staatlichen Apparates 48 . Aber auch der Richter vermag hier nicht die Funktion einer rechtsfindenden Lückenfüllung zu übernehmen. Zwar ist die Montesquieu'sehe Vorstellung von der vollständig unschöpferischen Natur der richterlichen Entscheidungstätigkeiten, wonach der Richter nur „der Mund des Gesetzes" und sein Urteil die „genaue Kopie des Gesetzes" ist, längst überwunden. Weder ist die richterliche Gewalt „en quelque façon nulle" noch ist der Richter nur Subsumtionsapparat und Rechtsautomat. Vielmehr besteht die richterliche Tätigkeit auch in der Rechtsschöpfung zur Ergänzung eines unvollständigen, widersprüchlichen oder unklaren Gesetzes49. So hebt das Bundesverfassungsgericht die rechtsschöpferische Tätigkeit des Richters hervor, wenn es sagt, daß die „rechtsfindende Lückenfüllung gerade i m modernen Rechtsstaat mehr und mehr zur echten richterlichen Aufgabe geworden" sei 50 . Dieses Verständnis von der Aufgabe des Richters hilft uns indes nicht weiter. Denn die richterliche Rechtsschöpfung als Lückenfüllung kann nur bei Lücken innerhalb einer anzuwendenden Norm i n Betracht kommen, nicht aber bei Lücken i m Gefüge der Gesamtheit der Gesetze. Wäre es anders, nähme der Richter die Stelle des Gesetzgebers ein. Nur das Schweigen des Gesetzes also, nicht dessen Fehlen ermächtigt den Richter zur „Lückenfüllung". U m ein solches Fehlen des Gesetzes handelt es sich aber, wenn von Lücken i m materiellen, sozialstaatlich geforderten Recht die Rede ist, die die Lücken i m Gerichtsschutz i m Gefolge haben. Der Richter kann daher dem Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat stets nur insoweit Rechnung tragen, als es durch weitere inhaltliche Präzisierung durch den Gesetzgeber justiziabel gemacht worden ist 51 . Als Zwischenergebnis läßt sich somit festhalten: Eine totale Gesetzesund damit auch Gerichtsunterworfenheit der leistungsgewährenden Verwaltung läßt sich weder realisieren noch würde sie eine Verbesserung der Rechtsposition des Bürgers zur Folge haben. Anders ausgedrückt: Die Verwaltung kann kraft der faktischen Notwendigkeit, die sich 48 Vgl. Henke, W D S t R L 28 (1970), 149 (182), der allerdings sehr mißverständlich vor einer „Sozialisierung" u n d „sozialen Überschwemmung" der Institutionen des liberalen Verwaltungsrechtes warnt. 49 Vgl. statt vieler Bachof, Die richterliche K o n t r o l l f u n k t i o n i m westdeutschen Verfassungsgefüge, S. 26 (28). 60 Vgl. BVerfGE 3, 225 (242). — Diese Auffassung v o n der Tätigkeit des Richters k a m bereits i n der berühmten Vorschrift des französischen Code C i v i l zum Ausdruck, wonach ein Richter, der sich, unter dem V o r w a n d des Schweigens, der Dunkelheit oder der Unzulänglichkeit des Gesetzes weigerte, Recht zu sprechen, wegen Justizverweigerung verfolgt werden konnte. 51 Vgl. Werner Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, S. 409 (431).
A. Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Hechtsstaat
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aus den sozialstaatlichen Anforderungen ergeben kann, Leistungen gewähren, ohne vom Gesetzgeber hierzu ermächtigt und Leistungen gewähren bzw. verweigern, ohne daran durch die rechtsprechende Gewalt gehindert zu sein. 3. Der Bereich der Gerichte
Aber auch aus anderen Erwägungen ergibt sich, daß die Frage des Umfangs der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Leistungsverwaltung nicht gleich behandelt werden kann wie bei der Eingriffsverwaltung 5 2 . So soll i m folgenden gezeigt werden, daß der Gerichtsbarkeit i m Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung Grenzen insofern erwachsen, als der Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat auch eine Aufhebung des Gegensatzes von „Gesellschaft und Staat" bedingt, ein Umstand, der insbesondere i m Subventionsrecht bei der Heranziehung und Interpretation des Art. 2 I GG Bedeutung erlangt. Bevor hierauf jedoch anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes eingegangen wird, soll noch die Frage Erörterung finden, ob es sich bei Klagen auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung um nachträgliche oder ursprüngliche Verwaltungsstreitigkeiten handelt, und welchen Einfluß dies auf die Grenzen der Gerichtsbarkeit hat. a) Nachträgliche
und ursprüngliche
Verwaltungsstreitigkeit
aa) Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihrem Wesen nach Schranken und Korrektiv von Verwaltungshandeln ist 53 . Dies t r i t t besonders deutlich zutage bei den nachträglichen Verwaltungsstreitigkeiten, i n denen das Gericht auf die Nachprüfung einer bereits potentiell verbindlichen Entscheidung der Verwaltungsbehörde beschränkt ist, so daß die nachträgliche Verwaltungsstreitigkeit gekennzeichnet ist durch ein vorausgegangenes Handeln der Verwaltungsbehörde i n der Handlungsform des Verwaltungsaktes 54 . Folgerungen sind hieraus insofern zu ziehen, als das Problem der Gerichtskontrolle bei der Leistungsverwaltung — i m Gegensatz zur Eingriffsverwaltung — i. d. R. immer erst dann akut wird, wenn die 52
Einer ungleichen Behandlung steht von vornherein nicht, w i e oft behauptet w i r d (vgl. Nachweise bei Wolff, Verwaltungsrecht I I I , § 138 I I I b), eine mögliche Interdependenz von Eingriff und Leistung entgegen. Denn die T a t sache, daß die Ablehnung einer Leistung dem Eingriff i n Freiheit u n d Eigent u m materiell durchaus gleichkommen kann, besagt noch lange nicht, daß diese A r t „Eingriff" der Leistungsverwaltung auch i n den gleichen H a n d lungsformen u n d gleichen Kontrollmechanismen, w i e sie der Eingriffsverwaltung eignen, vor sich gehen muß. 53 Vgl. oben S. 35 ff. 54 Vgl. Menger, System des Verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 137 f. 4*
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echtsstaatlich bedingte Grenzen
Behörde nicht gehandelt hat, indem sie die Leistung entweder ganz oder teilweise verweigert hat. Zwar ist i n dieser Verweigerung auch ein „Handeln" der Behörde zu sehen, das herkömmlicherweise als der Erlaß eines ablehnenden Verwaltungsaktes qualifiziert wird. Jedoch w i r d man i m Bereich der Leistungsverwaltung in zunehmendem Maße nicht mehr auf die Handlungs- und Rechtsform des Verwaltungsaktes allein abstellen können. Man w i r d i n Rechnung stellen müssen, daß die leistende Verwaltung unter Bedingungen arbeitet, die sich der Technik der Freiheitsverbürgung und Rechtskontrolle, wie sie der bürgerliche Rechtsstaat hervorgebracht hat, durchaus entziehen 55 . Gleichwohl glaubt man noch weithin, auf die an der Eingriffsverwaltung orientierte Handlungsform vor allem des Verwaltungsaktes und der ihr nachfolgenden nachträglichen Verwaltungsstreitigkeit nicht verzichten zu können 56 . So meint Becker, daß eine Klage auf Vornahme einer Handlung nur dann erwogen werden könne, wenn die Entscheidung der gewährenden Verwaltung als Verwaltungsakt erkannt wird 5 7 . Es werden damit, indem Ansprüche auf öffentliche Leistungen bei deren Versagung dem Denkschema der Eingriffsverwaltung eingordnet werden, über die Konstruktion des negativen Verwaltungsaktes die Voraussetzungen für eine Anfechtungs- bzw. Weigerungsgegenklage geschaffen 58. Diese Konstruktion konnte aber nur solange als berechtigt angesehen werden, als der Verwaltungsakt notwendige Voraussetzung zur Erlangung des Rechtsschutzes überhaupt war 5 9 . M i t Anerkennung der allgemeinen Leistungsklage aber ist dieser Grund v/eggefallen. 55 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 71; Stern, Verwaltungslehre i m heutigen Sozialstaat, S. 219 (224). 56 Vgl. hierzu Salzwedel, Die Lehre v o m Verwaltungsakt i n der Rechtsprechung des BSG, S. 197 (220), der i n seiner Untersuchung nachweist, daß das BSG i n weitem Umfang die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts trotz der Eigenheit u n d der A u t a r k i e des Sozialrechtes i n dessen N o r men bestätigt gefunden habe u n d dort, wo das geschriebene Sozialrecht offenk u n d i g echte Lücken aufweist, die Lehre v o m Verwaltungsakt nutzbar gemacht habe, u m diese Lücken i n Wahrung des inneren Zusammenhangs dieser Materie zu schließen. Vgl. auch Haueisen, Das allgemeine Verwaltungsrecht i n der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, DVB1 1969, 709 (717). 57 Vgl. Becker, V V D S t R L 14 (1956), 96 (113). 58 Vgl. Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 193 ff., 205 ff. 59 Nach Renck, Verwaltungsakt u n d Feststellungsklage, JuS 1970, 113 (115 Fn. 15), liegt die Bedeutung des Verwaltungsaktes i n seiner T i t e l f u n k t i o n u n d stellt keine Zweckschöpfung zur Erlangung des Rechtsschutzes dar. — Diese Behauptung t r i f f t zwar w o h l f ü r die Entstehung des Verwaltungsaktbegriffes zu. Jedenfalls aber k a n n die Bedeutung, die der Verwaltungsakt f ü r die Z u lässigkeit von Klagen i n der späteren Zeit u n d bis heute noch hat, k a u m bestritten werden (vgl. Menger, V e r w A r c h ö l [1960], 375 [376]; B V e r w G E 19, 19; BVerwG, B a y V B l 1970, 256). M a n sehe sich etwa den ausgedehnten Streit an, ob bestimmte Maßnahmen der Behörden Verwaltungsakte sind oder nicht z. B. A u s k u n f t einer Behörde, Festsetzung von Wasserschutzgebieten, Beantwortung parlamentarischer Anfragen, Schutzbereichsanordnungen, Ent-
A . Grenzen aufgrund des Wandels zum sozialen Rechtsstaat
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A b e r n i c h t n u r , daß diese K o n s t r u k t i o n e i n e n u n n ö t i g e n U m w e g d a r s t e l l t , sie w i l l auch n i c h t so recht i n die K o n z e p t i o n des V e r w a l t u n g s a k t begriffes passen 6 0 . Dieser geht als A u s f l u ß o b r i g k e i t l i c h e n H a n d e l n s a u f P o l i z e i b e f e h l u n d Steuerbescheid z u r ü c k 8 1 , w e l c h e n die E r w ä g u n g z u g r u n d e l a g , daß die B e h ö r d e n i c h t u n m i t t e l b a r aus d e m Gesetz heraus m i t Z w a n g s m i t t e l n gegen d e n B ü r g e r v o r g e h e n dürfe, sondern v o r der V o l l z i e h u n g e i n e n V e r w a l t u n g s a k t erlassen müsse, ä h n l i c h w i e i m Z i v i l recht v o r die V o l l s t r e c k u n g das U r t e i l gesetzt sei 6 2 . E i n e solche T i t e l f u n k t i o n ist aber i n der L e i s t u n g s v e r w a l t u n g w e i t h i n e n t b e h r l i c h . D e n n h ä l t die B e h ö r d e e i n e n gesetzlich festgelegten A n s p r u c h f ü r gegeben, so k a n n sie i h m d u r c h schlichte E r f ü l l u n g s h a n d l u n g genügen. H ä l t sie i h n dagegen f ü r n i c h t berechtigt, so k a n n sie d e n A n t r a g s t e l l e r ebenso schlicht a u f eine L e i s t u n g s k l a g e v e r w e i s e n 6 3 . W a r u m auch s o l l i n d e r E r k l ä r u n g , daß d i e B e h ö r d e n i c h t l e i s t e n w e r d e , w e i l sie die gesetzlichen V o r a u s s e t z u n g e n n i c h t f ü r gegeben h ä l t , e i n V e r w a l t u n g s a k t z u sehen sein, ist es doch genau besehen n i c h t m e h r als das Schreiben eines (möglichen) Schuldners, der z u seiner ( b e s t r i t t e nen) V e r b i n d l i c h k e i t S t e l l u n g n i m m t 6 4 ? W a s gäbe es a n dieser E r k l ä r u n g auch z u vollstrecken? W o ist d e r S i n n e i n e r T i t e l f u n k t i o n b e i Verweigerung(l) einer Leistung? W a r u m soll der Betroffene auf einen Scheidungen nach § 9 I I , I I I Bundesfernstraßengesetz usw.). Daß dieser Streit n u r i m Hinblick auf die Erlangung von Rechtsschutz geführt w i r d , versteht sich. I n w i e w e i t dies allerdings angesichts der Möglichkeit v o n Leistungs-, Unterlassungs- u n d Feststellungsklage noch sinnvoll ist, ist eine andere Frage. (Vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht I, §46 vor I ; B a y V G H B a y V B l 1968, 324 [325 1. Sp.]). 60 Vgl. hierzu u n d zum Folgenden Rüfner, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das allgemeine Verwaltungsrecht, W D S t R L 2 8 (1970), 187 (204 ff.). 61 Vgl. Badura, Verwaltungsrecht i m liberalen u n d sozialen Rechtsstaat, S.II. 62 Z u r T i t e l f u n k t i o n des Verwaltungsaktes vgl. Renck, a.a.O.; Schwerdtfeger, JUS 1969, 519 (520); Gottfried Arndt, Der Verwaltungsakt als G r u n d lage der Verwaltungsvollstreckung, K ö l n 1967, insbes. S. 63. 63 W a r u m dies allerdings n u r dann gelten soll, w i e Rüfner, a.a.O., S. 205, meint, w e n n der Anspruch nach A r t u n d Umfang gesetzlich genau fixiert ist u n d ein Ermessensspielraum nicht besteht, ist nicht recht einzusehen. Denn k a n n der Betroffene bei einer ablehnenden gebundenen Entscheidung i m Wege der Leistungsklage die Rechtslage klären lassen, so k a n n er dies genausogut bei einer ablehnenden Ermessensentscheidung. Rechtfertigen ließe sich diese Unterscheidung nur, w e n n m a n auf die Verbindlichkeit abstellt, die dem „Leistungsversprechen" durch die Rechtsform des Verwaltungsaktes zukommt, was zu einer an sich begrüßenswerten Stabilisierung des Rechtsverhältnisses führt, da ein Verwaltungsakt nicht ohne weiteres zurücknehmbar ist. Indes macht auch diese Argumentation einen Verwaltungakt nicht notwendig, da eine solche Stabilisierungsfunktion selbstverständlich nach den allgemeinen Regeln des Vertragsrechtes auch einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, u m den es sich dann j a handeln würde, innewohnt. 64 Götz, DVB1 1961, 433 (437 f.), bestreitet dies, w e i l ansonsten der das Verwaltungsverfahren abschließenden Zahlungsverweigerung eine rechtliche Erheblichkeit nicht mehr zugesprochen werden könne.
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echtsstaatlich bedingte Grenzen
Leistungsbescheid und nicht gleich auf Leistung klagen? Wozu eine „obrigkeitliche" „Verfügung" als Zwischenschaltung? A n dieser Stelle w i r d besonders deutlich, daß dem Handeln der Leistungsverwaltung eine wesentlich andere Struktur eignet als der Eingriffsverwaltung. Sie ist nicht mehr gekennzeichnet durch Befehl und Zwang. Es fehlt — gerade i m Bereich des Sozialrechtes — das für die Eingriffsverwaltung typische auf Unterordnung hin angelegte Subordinationsverhältnis 65 . Das aber bedeutet, daß die Handlungsformen der Verwaltung, die wie der Verwaltungsakt aufs engste m i t der Eingriffsverwaltung verbunden sind, nicht einfach losgelöst und auf die Leistungsverwaltung übertragen werden können. So hat Menger den Verwaltungsakt als ein Instrument bezeichnet, das i n der heutigen verwaltungsrechtlichen Situation nur mehr bedingt brauchbar sei 86 und in der Regel zu eigenartig konstruiert und verzerrt wirkenden Lösungen führe 67 . Für unsere Argumentation einer eingeschränkten Kontrollmöglichkeit der Leistungsverwaltung durch die Gerichte aus dem Gesichtspunkt der nachträglichen Verwaltungsstreitigkeit hat dies zur Folge: Setzt die nachträgliche Verwaltungsstreitigkeit, wie oben dargetan, ein Handeln der Behörde i n der Handlungsform des Verwaltungsaktes voraus, ist ein solches aber i n der (teilweisen) Verweigerung einer Leistung nicht zu erblicken, so ergibt sich hieraus für die Verwaltungsgerichte i m Bereich der nachträglichen Verwaltungsstreitigkeit eine grundsätzliche Wahrnehmungsunzuständigkeit. bb) W i r d somit der Rechtssuchende, der eine Leistung begehrt, mit der Leistungsklage auf das Gebiet der ursprünglichen Verwaltungsstreitigkeit verwiesen, so führt dies wieder auf das Problem der Lücken i m materiellen Recht zurück. D. h. der Betroffene w i r d dort auf Lücken i m Gerichtsschutz stoßen, wo sich das materielle Recht als lückenhaft erweist 88 . 65 Vgl. Rüfner, Formen Öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 349 ff.; Badura, D Ö V 1968, 452 ff. 66 Vgl. Menger, V e r w A r c h 51, (1960), 375; a. A. UZe, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 13 (1962), S. 206 (Diskussionsbeitrag). 67 Vgl. Menger, DöV 1955, 587 (590). — Wenn Haueisen, DVB1 1969, 709 (717), dem entgegenhält, daß bislang nicht nachgewiesen sei, daß m a n m i t der Rechtsfigur des Verwaltungsaktes i n der Praxis der Leistungsverwaltung nicht arbeiten könne, so t r i f f t das nicht den K e r n der Sache. Natürlich legt auch das Hantieren m i t dem Verwaltungsakt die Leistungsverwaltung nicht lahm. Es fragt sich nur, ob es vernünftige Gründe gibt, die es rechtfertigen, die LeistungsVerwaltung i n das Prokrustesbett der Eingriffsverwaltung zu zwängen. 68 Auch über die K o n s t r u k t i o n eines negativen Verwaltungsaktes u n d die nachträgliche Verwaltungsstreitigkeit w i r d m a n letztlich auf die Lücken i m materiellen Recht stoßen. Jedoch zielt die ursprüngliche Verwaltungsstreitigkeit unmittelbar auf diese Lücken und b r i n g t damit offenkundiger u n d deut-
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cc) Gleichwohl werden die Gerichte eine Kontrolle insoweit auszuüben haben, als die Tätigkeit bzw. Untätigkeit der Leistungsverwaltung einem Eingriff i n Rechte gleichgestellt werden muß. Dies festzustellen ist relativ unproblematisch, wenn ein Anspruch auf eine Leistung positiviert ist und dem Anspruch nicht oder nur teilweise entsprochen worden ist. Anders, wenn ein Leistungsanspruch nicht gesetzlich festgelegt ist. Er ergibt sich dann nicht etwa schon aus dem Sozialstaatsprinzip allein oder verbunden mit dem Haushaltsplan. Hieraus kann der potentiell Begünstigte i. d. R. nur einen (Abwendungs-)Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch geltend machen, der sich allerdings insofern i n einen Leistungsanspruch umwandeln kann, als durch das Sozialstaatsprinzip die notwendigen Lebensbedürfnisse gewährleistet sein müssen 89 . Zum anderen ist eine gerichtliche Kontrolle dann geboten, wenn in der (teilweisen) Verweigerung der Leistung ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gesehen werden kann. Hier ist es nunmehr vorherrschende Meinung, daß auch bei Leistungen, die lediglich auf Grund von Etattiteln oder verwaltungsbehördlichen Richtlinien vergeben worden sind, dem sachwidrig Ausgeschlossenen ein Anspruch auf Gleichbehandlung und damit auf Leistungsgewährung zusteht 70 . Ergibt sich bis zu diesem Punkt zunächst nur ein scheinbar äußerlicher Unterschied, den man, wenn man so w i l l , auf eine juristische Geschmacksfrage: Leistungsklage oder Verpflichtungsklage? reduzieren könnte 71 , so zeigt sich i m folgenden doch der grundlegende Unterschied der Ausgangspositionen 72 . b) Die Konkurrentenklage War bislang stets davon ausgegangen worden, daß der Nichtbegünstigte selbst die Leistung begehrte, so ist die Frage offen geblieben, ob er dann, wenn bei i h m selbst die Voraussetzungen der Leistungsgewährung (auch über Art. 3 GG) nicht vorliegen, wenigstens verhindern licher die Grenzen der Gerichtsbarkeit i m Bereich der Leistungsverwaltung zum Vorschein. 89 Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I I I , § 138IV b 3. 70 Vgl. Friauf, DVB1 1966, 729 (737); Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 37 ff., 288; O V G Berlin, N J W 1966, 2328 f.; Wolff, a.a.O., § 138 I V b 3; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 72; Abendroth, Z u m Begriff des demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates, S. 114 (124 f.). 71 Vgl. hierzu auch Schlichter, Klageformen bei der verwaltungsgerichtlichen Durchsetzung v o n Subventionsansprüchen, DVB1 1966, 738 (740), der sich gegen die Leistungs- u n d f ü r die Verpflichtungsklage ausspricht, da die Entscheidung über den Subventionsantrag ein Verwaltungsakt sei. 72 E i n Unterschied, der auch erhellt, w a r u m hier versucht w i r d , die bestehenden Gerichtsschutzlücken zu erklären, während die h. M . — hierin durchaus konsequent — n u r bemüht ist, die noch bestehenden Lücken zu schließen.
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kann, daß Dritte staatliche Begünstigungen erhalten. Ein Problem, das besonders auf dem Gebiet des Subventionsrechtes auftaucht (sog. Konkurrentenklage). Nach dem Bundesverwaltungsgericht, das mit der herrschenden Meinung 7 3 davon ausgeht, daß die Subvention ein begünstigender Verwaltungsakt mit D r i t t w i r k u n g zum Nachteil des Konkurrenten ist, ist eine solche Klage i n Form der Anfechtungsklage möglich, weil eine Verweisung auf die Verpflichtungs- oder Bescheidungsklage nach Art. 3 GG mit dem Ziel, selbst an der Begünstigung beteiligt zu werden, nicht immer zum Rechtsschutz ausreiche. Denn es seien Fälle denkbar, in denen der Dritte den Förderungsberechtigten nicht gleichstehe, aber seine schutzwürdigen Interessen dennoch durch die Begünstigung einer bestimmten Gruppe geschädigt werden könnten. Als verletztes Recht käme dabei ein Eingriff i n die Wettbewerbsfreiheit, die durch Art. 2 GG geschützt sei, i n Betracht, da die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit auch den grundrechtlichen Anspruch umfasse, durch die Staatsgewalt nicht m i t einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet sei 74 . Garantiert A r t . 2 I GG nun aber tatsächlich die Wettbewerbsfreiheit? Ist die Prämisse dieser Entscheidung, die von einer bestimmten durch das Grundgesetz gesicherten Wirtschaftsverfassung ausgeht, zutreffend? Oder ist die Entscheidung nicht von einem Rechtsstaatsverständnis getragen, das den Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat außer Acht läßt? Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geht aus von „schutzwürdigen" Interessen des Betreffenden, die dadurch „geschädigt" werden können, daß nicht er, wohl aber eine „bestimmte Gruppe" staatliche Begünstigungen erhält. Damit könne durch den „Staat die Chancengleichheit zerstört" und zugleich die „Wettbewerbslage verzerrt" werden. Sieht man diese Argumentation unter dem Aspekt, daß sie nicht etwa einen Leistungsanspruch, sondern einen Abwehranspruch gegen staatliche Intervention begründen soll, so w i r d die Tendenz deutlich, das Grundrecht des A r t . 2 I GG durch die Hervorhebung der Chancengleichheit auf einen status negativus hin auszulegen und den Staat aus dem Be73 Vgl. z.B. Hamann, DVB1 1963, 486 (488); Bellstedt, D Ö V 1961, 161 (168f.); Rinck, Wirtschaftsrecht, 1963, Rdnr. 360; Götz, a.a.O., S. 263 f. 74 Vgl. B V e r w G E 30, 191 (196 ff.). F ü r eine Garantie der Wettbewerbsfreiheit sprechen sich aus: BVerwG, N J W 1964, 2075 (2076); B G H Z 2 3 , 365 (371); Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 48 u n d 52 zu A r t . 2 I ; Wolf, Verwaltungsrecht I I I , § 154 V b 1; Bernhardt, JZ 1963, 305 f. (308); Bellstedt, D Ö V 1961, 161 (165). — Ablehnend BVerfGE4, 7 (17 f.); Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 18ff.; Abendroth, Z u m Begriff des demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates, S. 114 (121 f.); Scheuner, D Ö V 1956, 65 (66).
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reich der Wirtschaftsgestaltung herauszudrängen, um so die i m „freien Wettbewerb" hergestellte und vom Staat vorgefundene wirtschaftliche Ausgangsposition zu erhalten 75 . Zielrichtung dieser Rechtsprechung ist es, die wirtschaftliche Freiheitssphäre des einzelnen zu wahren, indem der Staat an wirtschaftslenkenden Maßnahmen gehindert wird, soweit dadurch die Wettbewerbslage gestört wird. Diese Tendenz schlägt sich auch i n der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu Art. 3 I GG i m Subventionsrecht nieder 76 , in der das Gericht i m Grunde genommen weniger auf die Rechtsgleichheit (was allein zu vertreten ist) als vielmehr auf die (wirtschaftliche) Chancengleichheit abstellt. Dies hebt sich von der obigen Entscheidung insofern nicht ab, als der Staat auch hier aufgefordert ist, die durch die einseitige Begünstigung gestörte Wettbewerbslage wiederherzustellen, nun allerdings nicht durch Aufhebung, sondern durch Ausweitung der Subvention. Ausgangspunkt wäre demnach auch hier die vom Staat vorgefundene Wirtschaftsordnung, in die er von Rechts wegen nicht wirtschaftslenkend, sondern allenfalls wirtschaftsausgleichend i m Sinne einer Wiederherstellung der wirtschaftlichen Chancengleichheit eingreifen darf. Damit zieht sich das Bundesverwaltungsgericht aber, wie i m folgenden näher dargestellt werden soll, auf eine Position zurück, wie sie vor allem den bürgerlich-liberalen Rechtsstaat kennzeichnete. Auch ihm war die wirtschaftliche Situation vorgegeben, seiner Gestaltungsfreiheit entzogen. Der Grund hierfür lag in dem defensiven Charakter, den man dem Begriff des Rechtsstaates zumaß 77 . Er wurde verstanden als ein Instrumentarium von vielfältigen Schutzvorrichtungen gegen die Staatsgewalt, was damit zusammenhing, daß man Staat und Rechtsstaat als etwas Gegensätzliches begriff. Der Staat wurde m i t dem Bedrohlichen der Macht identifiziert 78 , die dem Rechtsstaat als vorausgesetzt galt. Infolgedessen war rechtsstaatliches Denken gleichbedeutend mit dem Bestreben, die Staats-Macht zu beschränken. Weil Staat also gleich (bedrohliche) Macht war und es diese Macht durch Recht einzudämmen galt, war der Rechts-Staat „wie von selbst" gegen den Staat gerichtet. Unlösbar hiermit verbunden ist die gedankliche und tatsächliche Trennung von Staat und Gesellschaft, m i t der dem Staat als „juristischer Person" die Gesellschaft als Trägerin „geistiger und materieller 75 So auch Ipsen, V V D S t R L 25 (1967), 257 (303). Nach i h m gibt es i m Subventionsrecht einen Grundrechtsschutz auf hoheitliche Respektierung der wettbewerblichen Ausgangslage. 76 Vgl. B V e r w G E 23, 347 (350); 27, 360 (364); 21, 58 (60 f.); BVerwG, M D R 1965, 326; N J W 1966, 1286 (1288). 77 Vgl. hierzu Bäumlin, Ev. Staatslexikon, Sp. 1737 f. 78 Vgl. etwa Ehmke, Staat u n d Gesellschaft, S. 23 (41 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 7.
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Werte" gegenübergestellt wurde. Es wurde die staatlich-politische Sphäre von der bürgerlich-privaten Sphäre unterschieden, wobei das in Gesetz umgeformte Recht die Schrankenfunktionen zu übernehmen hatte. Interessant ist nun, daß dieser Dualismus von Staat und Gesellschaft auf der tatsächlichen Ebene als weitgehend überwunden angesehen werden kann. Zu augenfällig ist der soziale, wirtschaftliche, kulturelle, nicht mehr entpolitisierte, weniger auf das Individuum als mehr auf die Gemeinschaft gerichtete Bezug „staatlicher" Wirklichkeit. Die gegenseitige Durchdringung von „staatlichen" und „gesellschaftlichen" Elementen, wie sie i n der Gesetzgebung des Staates und der Politisierung der Gesellschaft i m weitesten Sinne 79 zutage treten, hebt deren tatsächliche Gegensätzlichkeit auf. Andererseits existiert jedoch der Dualismus von Staat und Gesellschaft auf der theoretisch-gedanklichen Ebene weiter. Dies w i r d besonders deutlich i m „öffentlichen Recht", ja schon in der Trennung von „öffentlichem" und „privatem" Recht selbst 80 - 81 . Hier lebt sich munter die „Staatssphäre" aus i n „allgemeinen" und „besonderen" „Gewaltverhältnissen", i n „Uber- und Unterordnungen", i n „subjektiv-öffentlichen Rechten", die gegen den Staat, und bloßen „Rechtsreflexen", die nicht gegen den Staat gekehrt sind. Weite Teile der juristischen Begriffsapparatur i m Verwaltungs- und auch Verfassungsrecht sind an den „obrigkeitlichen" „hoheitlichen" Eingriffs-Maßnahmen, der „Staatsgewalt" orientiert. Auch die Tendenz, den eigentlichen Kern des Rechtsstaates i n seiner Justizförmigkeit, d. h. i m Ausbau des gerichtlichen Rechtsschutzes zu sehen 82 , erklärt sich aus dem tradierten Denkschema, die staatliche Sphäre stehe der gesellschaftlichen Sphäre ihrem Wesen nach feindlich gegenüber 88 . 79 Vgl. hierzu W. Weber, Spannungen u n d Kräfte i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 39 ff. 80 Die Tatsache, daß es diese Unterscheidung i n dieser Intensität i m angelsächsischen Rechtsbereich nicht gibt, erklärt sich u. a. auch dadurch, daß es dort das Problem „Staat—Gesellschaft" nicht gibt. Vgl. hierzu Ehmke, a.a.O., S. 23 (25 f.). 81 Rüfner k o m m t i n seiner Habilitationsschrift, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, zu dem Ergebnis, daß die „lieb gewordene Vorstellung eines v ö l l i g selbständigen öffentlichen Rechtes" auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung ebensowenig haltbar sei (S. 327) w i e die „längst überlebte" „eifersüchtige A b l e h n i m g zivilistischer Rechtsbegriffe" (S. 328) und spricht sich f ü r eine grundsätzliche „Vertauschbarkeit öffentlichen u n d p r i v a ten Rechtes i n vielen Bereichen der Leistungsverwaltung" aus (S. 365). 82 Vgl. Scheuner, Neuere Entwicklung des Rechtsstaates, S. 229 (232). 88 A u f die Tatsache, daß auch die gängige extensive Grundrechtsinterpretation, die Behandlung des Gesetzbegriffes u n d die These von der „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte ihren Impuls aus dem dualistischen Denken erhalten, weist Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 56 ff., 61 ff., 78 ff., m i t Recht hin. — Vgl. auch Zeidler, Bemerkungen zum Verwaltungsrecht, S. 321 (325).
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Genau dieses dualistische Denken ist aber auch der oben zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes 84 (wie auch seiner übrigen Rechtsprechung zum Recht der Subventionen) immanent. Dies w i r d bereits durch das Ubergehen des Gerichtes von der Argumentation aus Art. 3 I GG zu der aus Art. 2 I GG anschaulich dokumentiert. Das Gericht hatte in diesem Fall nämlich eine Verpflichtungsklage, die auf Teilnahme an der i n einem Etattitel i m Bundeshaushaltsplan angeordneten und durch Verwaltungsrichtlinien geregelten Subventionierung gerichtet war, als unbegründet abgewiesen, da ein sachlicher, w i l l k ü r freier Differenzierungsgrund für die Nichtbegünstigung der Klägerin gegeben sei, m i t h i n ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht vorliege. Die Behörde habe die Leistung zu Recht verweigert, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin zu subventionieren. Gleichwohl läßt das Gericht aber eine Anfechtungsklage zu, die zum Ziele hat, bereits von der Behörde gewährte Subventionen wieder rückgängig zu machen, weil durch die Subventionierung Dritter „schutzwürdige Interessen" der Klägerin beeinträchtigt sein können, Interessen, die späterhin als ein Recht qualifiziert werden, welches Eingriffe in die durch Art. 2 1 GG geschützte Wettbewerbsfreiheit untersage. Damit aber w i r d dem Denkschema von Staat und Gesellschaft wieder Raum gegeben. Denn setzt die auf Rechtsgleichheit (Art. 3 I GG) gestützte und auf eine Leistungspflicht der Behörde gerichtete Klage gedanklich eine Aufhebung des Widerspruches von „Staat" und „Gesellschaft" voraus, wodurch diese ihre Selbstwertigkeit verlieren und auf Begriffe reduziert werden, die die Sache nicht mehr treffen, so flackert mit dem Ubergang auf die Anfechtungsklage der überkommene Dualismus erneut und deutlich auf: Zwar w i r d attestiert, daß die gewährten Leistungen unter Beachtung des Gleichheitssatzes zugeteilt worden sind, zugleich aber der Standpunkt eingenommen 85 , daß der Staat i n die Gesellschaft — und hier reichern sich die Begriffe wieder m i t Selbstwertigkeit an — durch Leistungsgewährung nur intervenieren dürfe, wenn er dadurch die (vorgefundene) Wettbewerbsfreiheit nicht beein84 Vgl. B V e r w G E 30, 191 (196 ff.). Vgl. zu dieser Entscheidung neuestens ausführlich u n d zustimmend Mössner, Die öffentlichrechtliche Konkurrentenklage, JuS 1971, 131 ff. 85 Dies bestärkt auch die oben S. 57 geäußerten Zweifel, ob das Bundesverwaltungsgericht, auch w e n n es m i t A r t . 3 I G G argumentiert, mehr die Wettbewerbs- u n d damit die Staatsfreiheit i m Auge hat u n d statt der Rechtsgleichheit die wirtschaftliche Chancengleichheit durch eine Subventionierungspflicht gewahrt wissen w i l l . A u f diesen Unterschied zwischen Rechtsu n d Chancengleichheit weist auch R. Scholz, N J W 1969, 1044 hin. Indem er jedoch die Möglichkeit einer Anfechtungsklage (S. 1045 r. Sp.) zwar nicht über A r t . 2 1 GG, w o h l aber über die A r t . 12 u n d 14 G G einräumt, k o m m t auch er nicht über den dualistischen Denksatz des Bundesverwaltungsgerichtes h i n aus. — Vgl. auch Scheuner, Grundrechtsinterpretation u n d Wirtschaftsordnung, D Ö V 1956, 65 ff.
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trächtige. Die ungestörte Wettbewerbslage w i r d identifiziert mit dem gesellschaftlichen Bereich und dem m i t einem bedingten Interventionsverbot belegten Staat gegenübergestellt. Aber nicht nur das Zurückgreifen auf Art. 2 I GG, sondern auch dessen Interpretation durch das Bundesverwaltungsgericht erklärt sich nur aus einem Denken von der Gesellschaft her, die i n Gegensatz zum Staat gestellt wird. So geht das Gericht m i t der herrschenden Meinung 8 6 von einer i n Art. 2 I GG garantierten Wettbewerbsfreiheit aus 87 . Dies w i r d — auf eine Kurzformel gebracht — i. d. R. damit begründet, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit umfasse, welche aber nur möglich sei, wenn Art. 2 I GG auch die Wettbewerbsfreiheit einschließe. Es mag nun dahinstehen, inwieweit diese Behauptungskette i n sich richtig ist 88 . Jedenfalls ist sie nur denkbar, sofern sie die Trennung von Staat und Gesellschaft zur gedanklichen Voraussetzung hat. Zu Ende gedacht nämlich bedeutet sie, daß jede Subventionierung unter dem defensiven Aspekt von Eingriff und Intervention die Wettbewerbsfreiheit tangiert. Eine solche Betrachtungsweise ist jedoch weder i m Hinblick auf die i n praxi weitgehend überwundene Trennung von Gesellschaft und Staat noch i m Hinblick auf die vom Grundgesetz geforderte Sozialstaatlichkeit ädaquat. Es ist vielmehr von der ausdrücklich kaum mehr i n Zweifel gezogenen Prämisse auszugehen, daß die Gewährung von notwendigen Subventionen zu den Aufgaben des politischen Gemeinwesens gehört 89 . Von hier aus gesehen ist es auch nicht möglich, den Maßstab des A r t . 2 I GG an Subventionen zu legen. Denn dies zu tun würde außer Acht lassen, daß die — verfassungsrechtlich gebotetenen — Subventionen, einen lenkenden, strukturerhaltenden oder strukturverändernden Charakter haben. Sie sind Lenkungsmittel, mit deren Hilfe die W i r t schafts- und Sozialstruktur nachhaltig beeinflußt werden kann und 86
Vgl. oben Fn. 74. Vgl. B V e r w G E 30, 191 (198). 88 Nicht mehr zu folgen ist dieser Argumentation allerdings dann, w e n n sie sich zu der Behauptung versteigt, freie Entfaltung der Persönlichkeit heiße auch wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit eines Unternehmens. Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 32, hat dies ganz zu Recht eine „ w i l l k ü r l i c h e " (und w i e man hinzufügen möchte: ideologiebestimmte) „Uminterpretation der Freiheit persönlicher Entfaltung i n die Freiheit u n d i n den Bestand der (durchaus unpersönlichen) Unternehmen" genannt. Vgl. auch BVerfGE4, 7 (15 f.), wo nicht auf das „Unternehmen", sondern auf die Unternehmerinitiative abgestellt ist, die aber m i t Rücksicht auf das soziale Zusammenleben durch den Gesetzgeber beschränkt werden könne, vorausgesetzt, daß dabei die „Eigenständigkeit der Person" gewahrt sei. 89 Vgl. von Münch, AÖR85 (1960), 270 (275); W o l f , Verwaltungsrecht I I I , § 154 I I a; zustimmend Friauf, DVB1 1966, 729 (733). 87
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soll 90 . Damit berühren aber Subventionen ihrem Wesen nach die Wettbewerbsfreiheit. Auch das Bundesverfassungsgericht hat i n seiner Investitionshilfe-Entscheidung betont, daß jede Wirtschaftslenkungsmaßnahme, indem sie gestaltend in den Ablauf des sozialen Lebens eingreife, das freie Spiel der Kräfte mehr oder weniger korrigiere 9 1 . Wenn das aber so ist, dann kann diese lenkende, Wirtschaftsregulierende W i r kung von Subventionen, welche als sozialstaatlich notwendig erkannt wurden, nicht auf der anderen Seite mit Hilfe des Art. 2 I GG wieder weggezaubert werden 92 . So ist es also ein grundsätzlich falscher Ansatzpunkt, wenn das Bundesverwaltungsgericht als möglicherweise verletztes Recht Art. 2 I GG apostrophiert und auf die wirtschaftliche Chancengleichheit i m Sinne der Wettbewerbsfreiheit abstellt. Merkwürdigerweise beruft sich das Gericht aber auf die oben zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 93 . Das Bundesverfassungsgericht zieht jedoch den Maßstab des Art. 2 I GG nur unter dem Gesichtspunkt heran, ob die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch eine Beschränkung der „freien Unternehmerinitiative" betroffen sein könne, was es aber ausdrücklich unter Hinweis auf das Menschenbild des Grundgesetzes ablehnt 94 . Denn dieses sei nicht das eines isolierten souveränen Individuums. Das Grundgesetz habe vielmehr die Spannung Individuum—Gemeinschaft i m Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, was sich insbesondere aus einer Gesamtansicht der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 Grundgesetz ergebe. Das aber heiße: Der einzelne müsse sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen las90
Vgl. Friauf, DVB1 1966, 729 (732 m. w. N.). Vgl. BVerfGE 4, 7 (19). 92 Deshalb ist auch der von W. Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, S. 409 (439), geäußerten Auffassung zu A r t . 2 I GG entgegenzutreten, zumindest, soweit sie auch auf Wirtschaftslenkungsmaßnahmen bezogen ist. Nach i h m gilt es nämlich, die Freiheitsgarantie des A r t . 2 I GG dergestalt „ w i r k l i c h effektiv" zu handhaben, daß die Freiheitsrechte konsequenter u n d umfassender als i n den bisherigen Ansätzen i m Sinne institutioneller Gewährleistungen verstanden werden u n d auf diese Weise ein verfassungsgerichtlich justiziables Grundprinzip der Freiheitlichkeit der Sozialordnung ans Licht gehoben w i r d , das der sozialstaatlichen Gegenposition kommensurabel ist. Deutlicher k o m m t die Ansicht W. Webers an anderer Stelle zum Ausdruck, w e n n er als „Ausweg" (S. 438) vor sozialstaatlichen Weitertreibungen u n d Überwucherungen (S. 432) die Forderung erhebt, die „Auslegung u n d Anwendung der Grundrechte u n d des Rechtsstaatsprinzipes weiter ausgreifen" zu lassen. Hier w i r d das Denken von der Gesellschaft her besonders sichtbar. E i n Denken übrigens, das verkennt, daß eine Mobilisierung des A r t . 2 I GG gegen die Sozialstaatlichkeit i n gewisser Weise der inneren Logik entbehrt, w e i l sich Sozialstaatlichkeit gerade aus dem (sozial u n d nicht liberal verstandenen) Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit legitimiert. (Vgl. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des G r u n d gesetzes, S. 340 [396].) 93 Vgl. B V e r w G E 30, 191 (196). 94 Vgl. BVerfGE 4, 7 (15). 91
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sen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens i n den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren ziehe, vorausgesetzt, daß dabei die „Eigenständigkeit der Person" gewahrt bleibe. Bereits diese Bezogenheit auf das Individuum und sein Verhältnis zur Gemeinschaft machen deutlich, daß die Erörterung, die A r t . 2 I GG durch diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfahren hat, nicht das Wirtschaftsmodell der Wettbewerbsfreiheit meinte, das Bundesverwaltungsgericht sich also zu Unrecht darauf beruft. Die Frage der „wirtschaftspolitischen Neutralität" dagegen w i r d vom Bundesverfassungsgericht allein unter dem Topos des Gleichheitssatzes behandelt, der aber nach der Auffassung des Gerichtes unter Hinweis auf frühere Entscheidungen 95 nicht dazu benützt werden dürfe, den weiten Ermessensspielraum, den das Grundgesetz dem Gesetzgeber 96 eingeräumt habe, einzuengen 97 . Nach alledem läßt sich festhalten, daß die Ansicht, die eine auf Art. 2 I GG gestützte Anfechtungsklage eines Nichtbegünstigten mit dem Ziel der Rückgängigmachung bereits gewährter Leistungen für zulässig erachtet, abzulehnen ist, weil sie auf einem tradierten Rechtsstaatsverständnis, dem der Dualismus von Staat und Gesellschaft eignet, beruht, und damit dem Wandel des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat nicht gerecht wird. c) Folgerungen Versucht man dieses Teilergebnis i m Hinblick auf unsere Frage nach den durch den Rechtsstaat bedingten Grenzen der Gerichtsbarkeit zu abstrahieren, so bedeutet das: Das Bekenntnis des Grundgesetzes zum Sozialstaat — was immer auch der Inhalt der Sozialstaatsklausel i m einzelnen sein mag 98 — beinhaltet jedenfalls die Abkehr von dem defensiven Charakter des bürgerlich-liberalen Rechtsstaatsbegriffes und damit u. a. auch eine Hervorhebung und Ausbalancierung vor allem der sozialen und nicht allein der liberalen Funktion der Grundrechte 99 durch eine Überwindung des 95
Vgl. BVerfGE2, 266 (280); 3, 19 (24f.); 3, 58 (135 f.); 3, 288 (337). Z w a r spricht das Bundesverfassungsgericht hier von Gesetzen. Jedoch gilt der Maßstab des A r t . 3 1 GG auch u n d gerade dann, w e n n Subventionen nicht aufgrund von Gesetzen gewährt werden. 97 Vgl. BVerf GE 4, 7 (17 f.). — Z u r Frage der Wettbewerbsfreiheit u n d w i r t schaftlichen Chancengleichheit vgl. auch BVerfGE 21, 12 (27). 98 Vgl. einen sehr ausführlichen Überblick zu den i n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung vertretenen Ansichten bei Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, S. 340 ff. 99 Vgl. Scheuner, Grundrechtsinterpretation u n d Wirtschaftsordnung, DÖV 1956, 65 f. 96
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Denkens i n den Kategorien von Staat und Gesellschaft. Denn der praktischen Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft muß auch die gedanklich-theoretische Aufhebung folgen. Dies kann dadurch geschehen, daß man, wie Ehmke mit Blick auf den angelsächsischen Rechtsbereich vorgeschlagen hat 1 0 0 , anstatt in den Kategorien von „Staat" und „Gesellschaft" i n den Kategorien „politisches Gemeinwesen" und „government" denkt und so das Instrumentarium, die Führungs-, Koordinierungs- und Lenkungsinstitutionen und -maßnahmen des „government" als Verwirklichungsbedingungen des „politischen Gemeinwesens" begreift. Das aber heißt, daß die Kategorie des Politischen, „Staat" und „Gesellschaft" solchermaßen integrierend, selbst Eingang findet i n den Begriff der Sozialstaatlichkeit und damit auch des (sozialen) Rechtsstaates, m i t der Folge, daß das Problem der Abhängigkeit von (sozial-)staatlicher Macht und deren Kontrolle nicht lediglich als eine (den Gerichten zugeordnete) Frage individueller oder gesellschaftlicher Freiheit, sondern vor allem auch eine Frage demokratischer Teilhabe ist 1 0 1 . Insofern der Rechtsstaat also Sozialstaat ist, Sozialstaatlichkeit aber nur als m i t demokratischen Elementen verflochten denkbar ist, muß der Spielraum von Legislative und Exekutive, als der demokratischen Komponente staatlicher Funktionsausübung, stets dort weiter bemessen sein, wo es sich u m die Erfüllung sozialer Aufgaben (insbesondere i n der Form wirtschaftspolitischer Maßnahmen) handelt 1 0 2 . Die Wahrnehmungszuständigkeit der Gerichte ist demnach — wie am Beispiel der Konkurrentenklage nachzuweisen versucht wurde — in diesen Bereich eingeschränkt. Es kann somit nicht die (rechtsstaatlich scheinbar notwendige) Forderung übernommen werden, daß jede Äußerung staatlicher Macht von vornherein einem unabhängigen Gericht zur Kontrolle zugeführt werden können muß. Vielmehr haben die Erörterungen ergeben, daß es gerade der Gedanke des sozialen Rechtsstaates ist, der der Gerichtsbarkeit Schranken setzt 103 . 100 Vgl. Ehmke, Staat u n d Gesellschaft, S.23 (45f.); ders., Wirtschaft und Verfassung, S. 5 f., 669 ff. 101 Vgl. Abendroth, Z u m Begriff des demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates, S. 114 (128, 132). 102 Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, S. 83, spricht davon, daß eine an der Idee der austeilenden Gerechtigkeit orientierte staatliche Wirksamkeit wesensmäßig einer größeren Ermessensfreiheit bedürfe als eine bloße polizeiliche u n d allein der Rechtssicherheit dienende Tätigkeit. — Auch Scheuner hat wiederholt auf die Notwendigkeit eines weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgeber u n d einer entsprechenden Zurückhaltung der Gerichte i m wirtschaftspolitischen Bereich hingewiesen; vgl. etwa V V D S t R L 11 (1954), 1 (60 u n d Leitsatz 26); DöV 1956, 65 (66); DVB1 1958, 845 (849). 103 Es wäre zu erwägen, ob sich diese Schrankenfunktion nicht ungezwungener aus dem Gedanken des Sozialstaates ableiten ließe. Jedoch erscheint dies insofern nicht ganz unproblematisch, als dann — zumindest dem ersten A n schein nach — rechtsstaatliche u n d sozialstaatliche Forderungen gegeneinandergesetzt werden, was indes unberücksichtigt lassen würde, daß der
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B. Grenzen, die sich aus der Eigenständigkeit der Verwaltung ergeben I. Die Eigenständigkeit der Verwaltung Wurden oben die Grenzen gezeigt, die der Gerichtsbarkeit aus dem Verständnis des Rechtsstaates als eines sozialen Rechtsstaates erwachsen, so soll nun dargetan werden, daß den Gerichten darüber hinaus Grenzen aus Stellung und Aufgabe der Verwaltung i m Staatsgefüge des sozialen Rechtsstaates dergestalt gesetzt sind, daß der Bereich der Gerichte in dem Maße eingeschränkt ist, i n dem die Verwaltung Eigenständigkeit besitzt. Unter Eigenständigkeit der Verwaltung soll hier die fehlende Einwirkungsmöglichkeit vor allem der rechtsprechenden Gewalt i n Teilbereiche der Verwaltung verstanden werden, so daß der Eigenständigkeit der Verwaltung eine eingeschränkte richterliche Kontrollbefugnis korrespondiert 104 . Nun w i l l es allerdings i m Hinblick darauf, daß die Verwaltung einerseits gemäß Art. 20 I I I GG an Gesetz und Recht gebunden und andererseits über Art. 1 9 I V GG der Kontrolle der Gerichte unterworfen ist, scheinen, daß es mit der Eigenständigkeit der Verwaltung nicht weit her sein kann und sich dieserhalb Markierungen für Grenzen gerichtlicher Wahrnehmungszuständigkeit kaum werden finden lassen. Und in der Tat ist die Zahl derer beträchtlich, die der Verwaltung in der Zange von Gesetzgebung und Rechtsprechung keinen Spielraum für Eigenständigkeit belassen wollen 1 0 5 . Gleichwohl w i r d sich i m folgenden erweisen, daß aus der materiell verstandenen Funktion der Verwaltung (1), aus der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen (2) und aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (3) auf die Gleichwertigkeit und das eigenständige Nebeneinander der drei klassischen Staatsgewalten geschlossen werden muß, ohne daß dieses Verhältnis der Gleichrangigkeit durch Art. 19 I V GG wieder aufgehoben w i r d (II). Dabei soll hier Rechtsstaat infolge des (beschriebenen) Wandels des Staatszweckes bereits als sozialer Rechtsstaat charakterisiert, sozialstaatliche Forderungen also schon i n den Rechtsstaatsgedanken integriert sind. 104 Anders Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 273, der das Problem der Eigenständigkeit der Verwaltung hauptsächlich von der Seite der Gesetzgebung sieht und versucht, eine eigenständige V e r w a l t u n g als ein demokratiefeindliches „Kronreservat" darzustellen. Hierauf w i r d weiter unten einzugehen sein. los v g l . Bachof, Richterliche K o n t r o l l f u n k t i o n i m westdeutschen Verfassungsgefüge, S. 26 (insbes. S. 34 u n d 46); Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 9 u n d passim zu A r t . 19 I V ; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 104 f.; Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 65 ff.; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 58 f. u n d 85; Friauf, DVB1 1966, 729 (737); Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (206 f. Leitsätze 5 bis 9); Rupp, a.a.O., S. 113 ff.; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 2 I I I v o r 2.
B. Grenzen aufgrund der Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g
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das entscheidende Gewicht auf das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung gelegt werden. Jedoch muß die Bedrohung der Eigenständigkeit der Verwaltung durch die gesetzgebende Gewalt insofern Berücksichtigung finden 106, als aus der Gesetzesunterworfenheit der Verwaltung notwendig auch deren Gerichtsunterworfenheit folgt 1 0 7 1 0 8 . 1. Die materielle Funktion der Verwaltung
Das Vorhaben, Grenzen der Gerichtsbarkeit aus der Eigenständigkeit der Verwaltung zu bestimmen, scheint es zunächst nahezulegen, den Versuch einer Definition dessen zu wagen, was unter Verwaltung zu verstehen ist. Ein Blick i n die Literatur 1 0 9 zeigt jedoch, daß es eine schiere Unmöglichkeit ist, den Begriff der Verwaltung in der Weise festzulegen, daß er als definiert gelten kann. Dies hat Forsthoff zu Hecht zu der Feststellung veranlaßt, daß die Verwaltungsrechtswissenschaft um eine Definition ihres Gegenstandes, der Verwaltung, von jeher verlegen gewesen sei, was seinen Grund aber nicht in einem behebbaren Mangel der Theorie, sondern i n der Eigenart der Verwaltung habe, die sich zwar beschreiben, nicht aber definieren lasse 110 . W i r d hier auf eine Definition also verzichtet, weil sie letztlich doch ein nicht-definierendes, eher beschreibendes, denn erfassendes Segment verwaltungsbehördlicher Tätigkeit wäre, so soll es auch nicht unternommen werden, den Begriff der Verwaltung durch eine mehr oder weniger vollständige Beschreibung — wie sie etwa bei Forsthoff 111 und Wolff 112 zu finden ist — i n den Griff zu bekommen. Denn der Erkenntniswert einer solchen Beschreibung der Mannigfaltigkeit der Verwaltung wäre für die Frage nach den Grenzen der Gerichtsbarkeit nur gering zu veranschlagen. Statt dessen soll die Eigenständigkeit der Verwaltung aus der Funktion der Verwaltung bestimmt werden. Das aber heißt die Frage stellen, ob die Verwaltungstätigkeit ausschließlich in der Vollziehung von Gesetzen besteht (formelle Funktion; Gesetzes106 Vgl. hierzu Vogel u n d Herzog, Gesetzgeber und Verwaltung, V V D S t R L 24 (1966), 125 ff. u n d 183 ff.; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, Tübingen 1961. 107 Vgl. Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 10 ff.; Reuss, Gerichtsfreie und gerichtsunterworfene Verwaltung, S. 748 (754); Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 59. 108 Außer Betracht bleibt also vor allem das Problem der Rechtssetzungsbefugnis der Verwaltung. 109 v g l . d i e Literaturhinweise bei Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 1, u n d Wolff, Verwaltungsrecht I, § 2; ferner Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 25 ff. m. w. N.; Peters, V e r w a l t u n g als eigenständige Staatsgewalt, S. 7 ff. HO VGL. Forsthoff, a.a.O. 111 Vgl. Forsthoff, a.a.O. 112 Vgl. Wolff, a.a.O.
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anwendungs-Doktrin) oder ob sie darüber hinaus einen an Staatszweck und Staatsziel orientierten Gestaltungsauftrag hat (materielle Funktion) und damit auch Eigenständigkeit besitzt 113 . a) U m es ohne Umschweife zu sagen: Die notwendig fragmentarische rechtssatzmäßige Durchdringung der Aufgabenbereiche der Verwaltung, die Grenzen jeder gesetzlichen Perfektionierung 114 sind mehr als ein Indiz für die verfassungsmäßig gewollte und durch das Gewaltenteilungsprinzip gesicherte Eigenständigkeit der Verwaltung und mehr als ein Indiz gegen die Beschränkung der Verwaltung auf bloßen Gesetzesvollzug. Obwohl der Sachverhalt einer mangelnden vollständigen Durchnormierung selbst von so energischen Verfechtern der Gesetzesanwendungs-Doktrin, wie Mallmann 115, durchaus eingeräumt wird, so w i r d eine eigenständige originäre Exekutivgewalt unter Berufung auf demokratische Prinzipien gleichwohl abgelehnt 116 , ohne daß freilich gesagt wird, wie sich dann das Handeln der Verwaltung i n dem verbleibenden, nicht durchnormierten Aufgabenbereich erklärt. Jesch 117 und wohl auch Rupp 11B wollen diese Schwierigkeiten dadurch umgehen, daß sie jedenfalls eine irgendwie geartete gesetzliche Ermächtigung fordern, wenn eine Durchnormierung und damit Gesetzes-Vollzug schon nicht möglich ist. Es fragt sich jedoch, was die Rekurrierung auf eine derartige generalklauselähnliche — und nur das kann ja gemeint sein — Globalermächtigungsgrundlage noch für einen Sinn haben sollte. Würde etwa die einer näheren gesetzlichen Regelung nicht zugängliche sozialgestaltende Tätigkeit der Verwaltung nur durch einen Satz des einfachen oder des Verfassungsgesetzgebers, etwa des Inhalts: „Die Exekutive hat den Auftrag, die Sozialordnung zu gestalten", legitimiert sein? Peters hat dies zu Recht einen formaljuristischen l'art pour l'art-Standpunkt genannt 119 , der überdies, worauf i m folgenden eingegangen werden soll, indem er Demokratie nur i m Parlament ansiedelt, das Ganze der demokratischen Ordnung verfehlt. 113 Gegen Aufspaltung i n materielle u n d formelle Staatsfunktionen, Ehmke, Ermessen u n d unbestimmter Rechtsbegriff, S. 36. 114 Vgl. hierzu die überzeugende Darstellung bei Peters, V e r w a l t u n g ohne gesetzliche Ermächtigung?, S.206 (217 ff.); ferner Rüfner, W D S t R L 2 8 (1970), 187 (214); Maunz, Deutsches Staatsrecht, §24111; Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 177 ff. 116 Vgl. Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (180, 188, 192, 280, 206 Leitsatz 5); vgl. auch Jesch, Z u r Festschrift f ü r Hans Huber, S. 107 ( I I I ) . 116 So vor allem Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 175 ff., 305 f.; Zeidler, Bemerkungen zum Verwaltungsrecht, S. 321 (335); Menger, V e r w A r c h 52 (1961), 196 (197); Mallmann, a.a.O., 165 (185). 117 Vgl. Jesch, a.a.O., S. 107 (111). 118 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 132 f., 143. 119 Vgl. Peters, V e r w a l t u n g ohne gesetzliche Ermächtigung?, S. 206 (215).
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Die sich auf das demokratische Prinzip stützende Argumentation geht davon aus, daß i n einer demokratischen Staatsverfassung alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, was für eine Verfassungsordnung m i t Repräsentativsystem bedeute, daß sich alle staatliche Machtäußerung nur vom Parlament her legitimieren könne. Dies stellt jedoch eine nicht haltbare Vereinfachung der demokratischen Verfassungsstruktur dar, in der rudimentär radikaldemokratische Vorstellungen erkennbar werden: Die Exekutive erscheint vom Volkswillen zu weit entfernt, als daß sie nicht einer (erneuten) demokratischen Legitimation durch das Parlament bedürfte. Diese Vorstellung ist freilich insofern konsequent, als sie die Exekutivgewalt zwar nicht als demokratiefeindlich, wohl aber als demokratiefremd begreift, und somit eine Hereinholung der Exekutive i n den Demokratiekreis durch einen parlamentarischen A k t als notwendig erachten muß. Fragt man sich nach der Herkunft dieser Vorstellung, so w i r d man sehen müssen, daß sie sich letztlich auf einen (rechtsstaatfeindlichen) „gewaltenmonistischen Demokratismus" zurückführen läßt, dem die souveräne Volksgewalt, repräsentiert durch das Parlament, nicht als auf mehrere Funktionsträger aufteilbar galt 1 2 0 . Von hier aus gesehen, ist die Forderung allerdings nicht abwegig, der Exekutive müsse erst durch eine jeweilige parlamentarische Ermächtigung sozusagen die demokratische Weihe erteilt werden, bevor sie wirksam zu handeln imstande sei. Gerade diese Sicht der Demokratie aber ist dem Grundgesetz fremd. Denn i n Art. 20 I I GG kommt deutlich zum Ausdruck, daß die Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, nicht nur durch das besondere Organ der Gesetzgebung, sondern auch durch das der vollziehenden Gewalt ausgeübt wird. Wenn das aber so ist, dann ist die Ansicht, die die Verwaltung aus demokratischen Rücksichten auf die Vollziehung von Gesetzen beschränken w i l l , i n doppelter Hinsicht unrichtig. Einmal verkennt sie, daß m i t A r t . 20 I I GG das Handeln der Exekutive qua Grundgesetz von vornherein i n den demokratischen Willen des Volkssouveräns aufgenommen, eine nachträgliche punktuelle demokratische Sanktionierung des Verwaltungshandelns also nicht mehr erforderlich ist. 120 So ist etwa i n der Staatslehre von Rousseau, der v o n der Unteilbarkeit der Staatshoheit ausgeht (vgl. Contrat social, I I 1, S. 55 ff.), die „Regierung" nichts anderes als ein dienendes Werkzeug, der die volonté générale repräsentierenden gesetzgebenden Gewalt: „ . . . M i t h i n ist der herrschende W i l l e des Fürsten nichts anderes oder soll wenigstens nichts anderes sein als der a l l gemeine W i l l e oder das Gesetz; seine Gewalt ist n u r die i n i h m vereinte Staatsgewalt; sobald er aus eigener K r a f t irgendeinen w i l l k ü r l i c h e n u n d u n abhängigen A k t vornehmen w i l l , beginnt das Band des Ganzen sich zu lockern." (Contrat social, I I I 1, S. 97.) — Vgl. hierzu Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, S. 107 (116 f.); Garzoni, Die Rechtsstaatsidee, S. 58 f. Ferner Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, S. 165 (213 f.).
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Zum andern ist damit aber eine Entscheidung in der Weise getroffen, daß Gesetzgebung und Exekutive selbständig nebeneinander bestehen und damit die Verwaltung über die Anwendung von Gesetzen hinaus Eigenständigkeit besitzt. Denn mit der Entscheidung des Volkssouveräns für eine demokratische, gewaltenteilige Staatsform fällt zugleich auch die Entscheidung, daß nicht nur die Legislative, sondern auch die Exekutive berufen ist, die Staatsgewalt zur Konkretisierung von Staatszweck und Staatsziel auszuüben 121 . Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn die Exekutive nicht allein auf den Vollzug der vom Gesetzgeber schon getroffenen Entscheidungen beschränkt ist, sondern darüber hinaus auch einen eigenen Handlungsspielraum besitzt 122 . Dies ist rechtsstaatlich wie demokratisch um so unbedenklicher, als damit weder dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes (Art. 20 I I I GG) Abbruch getan w i r d noch sonstige Sicherungen abgebaut sind. So soll nur daran erinnert sein, daß auch die nicht gesetzesakzessorische Verwaltung rechtsgebunden ist, also allgemein gültige Rechtsgrundsätze, verfassungsgestaltende Grundentscheidungen und insbesondere das Gebot der Gleichbehandlung zu beachten sind 123 . Wenn demgegenüber Rupp behauptet, daß m i t der (teilweisen) Ausklammerung der Verwaltung aus der Gesetzesakzessorietät auch eine Ausklammerung der Verwaltung aus der Rechtsakzessorietät verbunden sei, und dies damit begründet, daß alle das Verhältnis Verwaltung— Staatsbürger berührende Rechtssätze „nach dem Sinngefüge der heutigen Verfassung nur in der Form des Gesetzes oder auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung ergehen" könnte 1 2 4 , so ist das eine petitio principii. Denn es ist ja gerade die Frage, ob das „Sinngefüge der heutigen Verfassung" verlangt, daß rechtswirksames Handeln der Verwaltung nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung möglich ist. 121 Wenn Menger, V e r w A r c h 52 (1961), 196 (198), m i t einer ähnlichen A r g u mentation dennoch grundsätzlich an der Gesetzesanwendungs-Doktrin festhalten w i l l und, n u r u m die Gefahr des „pereat mundus" zu vermeiden, der V e r w a l t u n g ein Handeln auch ohne gesetzliche Ermächtigung zugesteht, so ist das eine Halbherzigkeit, die sich n u r praktischen Bedürfnissen beugt, ohne die dahinter aufscheinenden verfassungstheoretischen Gründe aufzunehmen. 122 I m Ergebnis ebenso Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 71 (75); Peters, V e r w a l t u n g ohne gesetzliche Ermächtigung?, S. 206 (207 f.); ders., V e r w a l t u n g als eigenständige Staatsgewalt, S. 13; Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 24 I I 1; ders. Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 141 zu A r t . 20. 123 Vgl. Becker, Wandlungen der öffentlichen Verwaltung, S. 17 (20); ders., W D S t R L 15 (1956), 96 (98); Wolff, Verwaltungsrecht I, § 30 I I b, § 31 I I I ; V G H Kassel, DVB1 1963, 443 (447); ebenso Ule, Z u r A n w e n d u n g unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 309 (311); Reuss, Gerichtsfreie u n d gerichtsunterworfene Verwaltung, S. 748 (753 f.); Bäumlin, Evangelisches Staatslexikon, Stichwort „Rechtsstaat", Sp. 1741. 124 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 117. Zustimmend Spanner, V e r w A r c h 57 (1966), 192 (193).
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Bedenkt man weiter, daß die Verengung der Verwaltung auf die Funktion eines nachgeordneten Vollziehungsorganes i m Grunde von extrem positivistischen Vorstellungen geleitet ist 1 2 5 , so w i r d die auf demokratische Prinzipien abzielende Argumentation vollends unglaubwürdig. Denn die Vorstellung vom reinen Gesetzesstaat ist mehr dem (formalistisch verstandenen) Rechtsstaat als der Demokratie verpflichtet. Die Forderung an den Staat, Gesetzesstaat zu sein, war, historisch gesehen, nicht vornehmlich darauf gerichtet, das Volk am Staat zu beteiligen, in erster Linie sollte vielmehr das i n die Rechte der Bürger eingreifende Handeln des Staates an Gesetze gebunden und somit voraussehbar, meßbar und auch gerichtlich nachprüfbar gemacht werden 126 . b) Erweist sich somit, daß der Verwaltung ein eigener, originärer Wirkungsbereich nicht auf Grund der Heranziehung von demokratischen Grundsätzen strittig gemacht werden kann 1 2 7 , so bleibt immerhin zu prüfen, ob für eine Reduzierung dieser materiellen Funktion nicht wenigstens rechtsstaatliche Gründe zu Gebote stehen. Dies w i r d von Mallmann bejaht. Nach ihm ist das für die traditionelle Eingriffsverwaltung entwickelte Legalitätsprinzip auch auf die übrige Verwaltung, insbesondere also die Leistungsverwaltung, zu übertragen, da auch hier i m wesentlichen die gleichen Sicherungsbedürfnisse gegeben seien 128 . Zur Begründung verweist er sowohl auf die von Imboden herangezogene These der Interdependenz von Eingriff und Leistung 129 , wie auch darauf, daß die Macht der gewährenden und existenzielle Bedürfnisse befriedigenden Verwaltung gegenüber dem davon abhängigen Einzelnen ebenso real seien wie die Eingriffsverwaltung. I n die gleiche Richtung geht die Argumentation von Friauf, der die essentielle freiheitssichernde Aufgabe des Vorbehalts des Gesetzes heraushebt, die auch für die heutige Verwaltungswirklichkeit nach wie vor gelte, da die gewährende Verwaltung, indem sie die Markt- und Kon125 Nach Bäumlin, Verfassung u n d V e r w a l t u n g i n der Schweiz, S. 69 (89), ist die Lehre von der V e r w a l t u n g als Gesetzesvollziehung erst auf der G r u n d lage des juristischen Positivismus der Reinen Rechtslehre möglich geworden (vgl. auch Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 78). Vgl. ferner Ehmke, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S. 49, u n d Lerche, N J W 1961, 1758 (1759 m i t Fn. 10), der i m Zusammenhang m i t der GesetzesanwendungsD o k t r i n von einer „superformalistischen" Ermessenslehre spricht. 126 Daß die Frage der Gesetzesgebundenheit der Verwaltung, w e n n nicht allein, so doch zum wesentlichen T e i l i m (formellen) Rechtsstaatsgedanken wurzelt, ergeben auch die Untersuchungen von Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 43 ff. (insbes. S. 48 f.) u n d S. 78. 127 So auch Friauf, DVB1 1966, 729 (736); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 131 ff. 128 Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (190 f. m. w. N.). 129 Z u r K r i t i k an dieser These vgl. Friauf, DVB1 1966, 729 (736 1. Sp.).
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kurrenzmechanismen i n ihren Dienst stelle, eine durchaus reale Macht sei 180 . Auch Rupp stellt i n seiner sehr eingehenden Untersuchung des Gesetzesvorbehaltes auf den Freiheitsgedanken ab, der heute die Zielrichtung habe, anstelle der verlorenen Autonomie eine ideelle, nämlich rechtliche Unabhängigkeit des Einzelnen gegenüber der Verwaltung zu schaffen, die aber nur durch das Gesetz begründbar sei, weshalb sich der an der Eingriffsverwaltung konzipierte Gesetzesvorbehalt auch auf die leistende Verwaltung ohne Schwierigkeiten ausdehnen ließe, u m so den Staatsbürger vor einer freiheitswidrigen Bettlergesinnung zu bewahren 131 . Von der Logik her scheinen diese Argumente auf den ersten Blick durchaus einleuchtend. Bedenken ergeben sich indes aus der Tatsache, daß es sich hier um eine Logik handelt, die ganz i m bürgerlich-liberalen Rechtsstaatsdenken des 19. Jahrhunderts beheimatet ist. Dies kommt am deutlichsten bei Rupp zum Ausdruck. Er charakterisiert zunächst zutreffend den Gesetzesvorbehalt aus seiner historischen Bedeutung heraus als Eingriffsvorbehalt und legt dann die Maßgeblichkeit dar, die der Eingriffsvorbehalt auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes beibehalten habe, da man dessen gegen die Verwaltung gerichtete Funktion berücksichtigen müsse. Diese bestehe i n der freiheitlichen Bewältigung des auch i n einer modernen Demokratie vorhandenen Spannungsverhältnisses zwischen Gesamtinteresse und Individualinteresse. Diese Funktion würde heute aber u m so mehr erfüllt, als sich die ehemalige Abwehrstellung der „autonomen" Gesellschaft gegenüber der monarchischen Verwaltung nicht von ungefähr als Mißtrauen gegenüber der heutigen, weithin noch bzw. wieder i n alten, autoritären Vorstellungen lebenden Verwaltung erhalten, ja sogar gefestigt habe (S. 139). Hinzu komme, daß die modernen Großverwaltungen einen immer undurchsichtigeren und zu eigener Gesetzlichkeit und Technik neigenden W i r kungsmechanismus entfalten, dem sich der Bürger hilflos, resignierend und ablehnend ausgeliefert sehe (S. 140). Es bliebe daher keine andere Wahl, als von dem überkommenen Vorbehaltsprinzip auszugehen, und die an diesem Prinzip orientierten Begriffe von „Freiheit und Eigent u m " durch eine neue Funktionendeutung i m obigen Sinne dergestalt auszuwerten, daß sie auch die Tätigkeit der leistenden Verwaltung umschließen (S. 141). Diese Argumentation vermag jedoch nicht der Verfassungsstruktur eines sozialen Rechtsstaates gerecht zu werden. Und es ist u m so erstaunlicher, sie bei Rupp zu finden, wo er doch selbst, Viehweg und 130 131
Vgl. Friauf, a.a.O. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 142.
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Ballweg zitierend, von einer Erkenntnismethode des Rechts ausgeht, die als topisches oder an der Natur der Sache orientiertes Erkenntnisverfahren zu umschreiben ist (S. 141). Das aber würde doch auch heißen, daß man das Recht, indem man es als soziales Phänomen begreift, nicht an den Maßstäben bereits entwickelter Institutionen und Formeln mißt, sondern umgekehrt neue Institutionen und Formeln für die sich ändernden Aufgaben des Rechtes i n einer sich fortentwickelnden sozialen Wirklichkeit findet. Und i n der Tat scheint Rupp davon auszugehen, daß es sich bei i h m so verhält und durch seine Sicht der Dinge die auf das Prinzip des Eingriffs Vorbehalts abgestellten Begriffe „Freiheit und Eigentum" eine Umgestaltung erfahren haben und sich so, den Eingriffsvorbehalt bestätigend, der neuen Rechtswirklichkeit einfügen. I n Wahrheit argumentiert Rupp jedoch umgekehrt. Nicht eine neue, erweiterte Formel von Freiheit und Eigentum ist es, die sich den Erfordernissen neuer sozialer Aufgaben eröffnet hätte, sondern die Erfordernisse der sozialen Umwelt haben, indem sie auf das ausschließlich am Freiheitsgedanken orientierte bürgerlich-liberale Maß zurecht gestutzt wurden, Eingang gefunden i n die alte Formel von Freiheit und Eigentum. Aber nicht nur, daß Rupp damit einen Weg beschreitet, den er selbst ablehnt. Es zeigt sich darüber hinaus auch, daß man auf diesem Weg i m Grunde genommen zu gar keiner anderen Lösung gelangen kann, da diese Methode den Blick dafür nicht frei gibt, daß die Gesetz- und Justizförmigkeit staatlichen Wirkens nicht nur einen freiheitssichernden, sondern auch einen freiheitsbeeinträchtigenden Aspekt aufweist. Dies insofern, als es i n einem Rechtsstaat, der sich auch als Sozialstaat versteht, nicht allein darum geht, Freiheit zu sichern. Vielmehr hat ein so verstandener Staat auch und vor allem den Auftrag, durch w i r t schaftslenkende Maßnahmen, soziale Leistungen und kulturpolitische Aktivitäten Freiheit, die dem Staat nicht als vorausgesetzt gilt, allererst zu schaffen. Indem man also allein auf die Freiheitssicherung und nicht auch auf die Freiheitsschaffung 132 abstellt, verfehlt man das Wesen der Freiheit, wie sie sich dem Staat als Aufgegebenheit und nicht als Gegebenheit stellt, und damit auch die Mittel, m i t denen diese Freiheit zu bewerkstelligen ist. Deshalb geht auch die von Spanner und anderen vorgetragene K r i t i k fehl, die Lehre von der Eigenständigkeit der Verwaltung hänge an Theorien aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie und hege und pflege sorgfältig Reservate monarchischer Herrschermacht, indem sie etwa die strenge Geltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Ver132 Z w a r ist das W o r t von der Freiheits-SchafTung nicht sonderlich schön, aber es bezeichnet m. E. am treffendsten die Auffassung, die i m Gegensatz zur liberalistischen D o k t r i n den Staat nicht n u r f ü r berufen hält, eine i h m vorausgesetzte Freiheit zu sichern, sondern Freiheit durch soziale Gerechtigkeit zu schaffen.
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waltung auf die Eingriffsverwaltung beschränke oder die Kategorie des Regierungsaktes beibehalte oder aber die Verwaltung als eigenständige Gewalt anerkenne, die über rechtlich nicht weiter begründete Befugnisse gewissermaßen als „Hausgut" verfüge 133 . Dieser Einwand ist deshalb nicht stichhaltig, weil er die unterschiedliche Ausgangssituation verkennt: Forderte damals die auf Sicherung von Freiheit und Eigent u m begrenzte Aufgabe des Staates i m Interesse der Bürger die unbeschränkte Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, so fordern heute die schier unbegrenzten sozialen Aufgaben des Staates i m Interesse der Bürger eine eingeschränkte Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Es geht also nicht darum, der Verwaltung Refugien der Macht zu erhalten, sondern darum, der Verwaltung Raum zur Verwirklichung des Sozialstaatsauftrages zu geben. Es versteht sich von selbst und es braucht kein Wort darüber verloren zu werden, daß der Gesetzgeber an dieser Aufgabe den Löwenanteil hat. A u f der anderen Seite muß jedoch gesehen werden, daß der schwerfällige Apparat der Gesetzgebung oft gar nicht i n der Lage ist, jeweils die für die Allgemeinheit oder die Einzelnen erforderlichen Regelungen zu treffen. Für Katastrophenfälle und sonstige Notlagen, die ein sofortiges Handeln notwendig machen, ist das offenkundig. Aber auch sonst sind Fälle 1 3 4 , insbesondere i m Subventionsrecht denkbar, in denen eine Einschaltung des Parlamentes und die damit verbundene mangelnde Flexibilität eher freiheitsbeeinträchtigend, weil hemmend, denn freiheitssichernd w i r k t . Ein streng durchgeführtes Legalitätsprinzip würde zu einer Überanstrengung des Parlamentes führen, was letztlich eine Schlechterstellung des Bürgers zur Folge hätte 1 3 5 . Nicht zu Unrecht hat Werner Weber darauf hingewiesen, daß der Staat unserer 133 Vgl. Spanner, V e r w A r c h 57 (1966), 192; Menger, V e r w A r c h 52 (1961) 196 (197); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 201, 273. Nach Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (178 f.), muß der, der der Exekutive einen gesetzesfreien Raum zuerkennt, gar fürchten, als „Partisan des Polizeistaatsgedankens entlarvt" zu werden, wenngleich M a l l m a n n einräumt, daß eine Entlarvung „nicht allein schon dadurch" möglich sein w i r d . Vgl. auch Kelsen, Justiz u n d Verwaltung, S. 21, wonach die Lehre von der „Freiheit" der V e r w a l t u n g auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie entstanden sei. Deren staatsrechtliche D o k t r i n habe die begreifliche Tendenz gehabt, den Machtverlust, den der Monarch durch den Sturz des Absolutismus erlitten habe, möglichst gering sein u n d vor allem scheinen zu lassen. A u f dem Gebiet der Gesetzgebung durch die Volksvertretung eingeschränkt, auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit durch die I n s t i t u t i o n der richterlichen Unabhängigkeit beinahe ganz ausgeschaltet, habe der Monarch i m Bereich der V e r w a l t u n g die i h m verbliebene Macht u m so stärker zu entfalten gesucht. 134 Siehe hierzu die Beispiele bei Peters, V e r w a l t u n g ohne gesetzliche E r mächtigung?, S. 206 (217 ff.); Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 222. 135 Vgl. Lerche, N J W 1961, 1758 (1759). Vgl. auch Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 185.
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Zeit nicht Gesetzes- und Justizstaat, sondern Verwaltungsstaat sei 138 , da seine Existenz ausschlaggebend von seiner wirtschafts-, sozial- und kulturpolitischen A k t i v i t ä t abhänge. Es komme deshalb entscheidend darauf an, das exekutivische Handeln des Staates nicht zu schwächen, sondern das Zentrum der staatlichen Existenz i m verantwortlichen Handeln von Regierung und Verwaltung zu sehen. Dies führt zu einem weiteren (demokratischen Prinzipien zuzuordnenden) Gesichtspunkt. Denn hält man sich vor Augen, daß die vor allem in Rede stehenden wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen nicht von nachgeordneten Verwaltungsstellen ausgehen, sondern von der Regierung als Exekutivspitze initiiert und durch Verwaltungsrichtlinien näher bestimmt werden, und berücksichtigt man weiter, daß die (immer unter einem wirtschafts- und sozialpolitischen Programm angetretene) Regierung mittelbar demokratisch legitimiert ist und unter der ständigen Kontrolle des Parlamentes steht 137 , so w i r d auch hieraus ersichtlich, daß die Exekutive nicht nur eine nachvollziehende, formale Funktion innehat, sondern neben der Gesetzgebung berufen ist, eigenständig und in einem originären Wirkungsbereich des Staates Aufgaben mitzugestalten. Dieses Ergebnis w i r d auch durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes unterstützt, in der es ausdrücklich die „selbständige" politische Entscheidungsgewalt der Regierung als zwingendes Gebot der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassung kennzeichnet, und daraus die Folgerung zieht, daß der Regierung dieserhalb die Befugnisse erhalten bleiben müssen, die erforderlich sind, damit sie „selbständig und i n eigener Verantwortung gegenüber Volk und Parlament" ihre Regierungsfunktion erfüllen kann 1 3 8 . Läßt sich somit feststellen, daß die Exekutive zu selbständigem Handeln befugt ist, ohne hierzu jeweils legislatorisch ermächtigt sein zu müssen, so soll bereits an dieser Stelle vermerkt sein, daß die Eigenständigkeit der Verwaltung gegenüber der Gesetzgebung auch Ausstrahlungswirkungen auf die Stellung der Verwaltung gegenüber der rechtsprechenden Gewalt haben muß. Denn w i r d die Eigenständigkeit aus der materiellen Funktion der Verwaltung heraus begründet, die sie zur Mitgestaltung der Staatsaufgaben notwendig haben muß, so kann 136
Vgl. Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 34; Peters, Der K a m p f u m den Verwaltungsstaat, S. 19 ff. Bereits Kelsen, Justiz u n d Verwaltung, S. 25, hat darauf hingewiesen, daß der Staat der Z u k u n f t Verwaltungsstaat sein werde. 137 Z u den Möglichkeiten der politischen Kontrollen der V e r w a l t u n g vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I I I , §166; vgl. ferner Bäumlin, Die Kontrolle des Parlamentes über Regierung u n d Verwaltung, S. 165 ff.; Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung i m schweizerischen Staatsrecht, S. 109 ff. 138 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281).
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diese Eigenständigkeit auf der anderen Seite sinnvoller Weise nicht durch eine m i t rechtsstaatlichen Erfordernissen begründeten durchgängigen gerichtlichen Kontrolle wieder eingeschränkt werden 139 . Jedoch soll auf die Frage, welchen Einfluß Art. 19 I V GG auf die Eigenständigkeit der Verwaltung hat, weiter unten eingegangen werden. 2. Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
Zuvor soll die Eigenständigkeit der Verwaltung noch anhand eines weiteren Gesichtspunktes erhärtet werden. Dabei ist an die Heranziehung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch den Gesetzgeber gedacht. Verwendet nämlich der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe, so aus der Erkenntnis heraus, daß sich die betreffenden Lebensverhältnisse wegen ihrer Vielgestaltigkeit einer konkreten Normierung entziehen 140 , m i t der Folge, daß der Verwaltung von vornherein ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht 141 , dessen Sinn sich nur dann erschließt, wenn man in i h m zugleich eine die richterliche Kontrolle ausschließende Letzterkenntniszuständigkeit der Verwaltung insoweit sieht, als sich die Behörde bei Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes innerhalb des Begriffshofes 142 hält. a) Hiergegen ist vor allem von Ule eingewandt worden, daß auch der unbestimmte Rechtsbegriff die Verwaltung rechtlich binde, und es demnach nichts weiter als ein rechtslogischer Widerspruch sei, wollte man annehmen, daß der Gesetzgeber die Verwaltung durch einen unbestimmten Rechtsbegriff habe binden, i m gleichen Atemzug aber habe von der Bindung freistellen wollen, indem er der Verwaltung i n den Grenzbereichen eine letztverbindliche Entscheidung zubillige 1 4 3 . Nach Schmidt-Salzer, der die Argumentation von Ule aufgreift, würde dies gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen. Denn wäre die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen als rechtlich relevante Einräumung eines Beurteilungsspielraumes an die Verwaltung zu verstehen, dann wäre nicht das Gesetz der verwaltungsbehördlichen Tätigkeit vorgegeben, sondern würde umgekehrt erst die Verwaltungsbehörde bestimmen, welchen Inhalt die Norm hat. A n 139 Daß die nicht gesetzesakzessorische V e r w a l t u n g insoweit gebunden u n d damit auch gerichtsunterworfen ist, als sie i h r allgemeiner Amtsauftrag v e r pflichtet, weder nach Belieben noch nach W i l l k ü r , sondern nach sachlichen Gesichtspunkten zu handeln, sei hier nochmals betont. Vgl. oben S. 68. 140 Vgl. BVerfGE 3, 225 (243). 141 Vgl. B V e r w G E 26, 8 (11); 26, 65 (74); 21, 127 (130); 24, 60 (64); 29, 279 (280); O V G Münster, N J W 1967, 1772 (1774); vgl. auch Schäfer, I n h a l t u n d Grenzen der richterlichen Gewalt, S. 130 f. 142 Vgl. hierzu Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 220. 143 Vgl. Uie, Z u r A n w e n d u n g unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 309 (312 und 329).
B. Grenzen aufgrund der Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g
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die Stelle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung träte somit i n den Grenzbereichen der unbestimmten Rechtsbegriffe eine Rechtsetzungsbefugnis der Verwaltung 1 4 4 . Dieser Einwand geht jedoch insofern fehl 1 4 5 , als die Einräumung einer Letzterkenntniszuständigkeit der Verwaltung nicht — wie die etwas unglückliche, auf Kellner 146 zurückgehende Terminologie der Beurteilungs-„Ermächtigung" nahelegen könnte — die Zubilligung einer Rechtssetzungsbefugnis bedeutet. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn es sich bei Ausfüllung des den unbestimmten Rechtsbegriff begleitenden Beurteilungsspielraumes um einen A k t der Rechtserzeugung und nicht der Rechtsanwendung handelte, da nur zu solcher eine „Ermächtigungs"-Theorie bemüht werden müßte. Damit würde aber auf eine Konstruktion zurückgegriffen werden, deren sich schon die traditionelle Ermessenslehre zur Begründung eines Ermessensspielraumes bediente 147 : Nicht Anwendung von Recht, sondern Erzeugung von Recht sei es, was bei der Ausfüllung des Ermessensspielraumes vor sich gehe. Diese Ansicht ist indes, wie Rupp überzeugend nachgewiesen hat 1 4 8 , nicht haltbar. Sie verkennt, daß auf der Stufe der Verwaltung und der Rechtsprechung jeder A k t von Rechtsanwendung ein rechtsschöpferisches Element in sich birgt, es also eine Rechtsanwendung im Sinne absoluter Eindeutigkeit schlechterdings nicht gibt, weil jede, auch eine „bestimmte" Norm zu ihrer Anwendung erst eines subjektiven Erkenntnsivorganges bedarf, der als solcher notwendig eine wenn auch oft verschieden breite Divergenzspanne möglicher Erkenntnisse umschließt und somit über eine bloße „Anwendung" von Recht hinausgeht 149 . Dies w i r d auch ausdrücklich nicht mehr in Zweifel gezogen. Die Montesquieusche Vorstellung vom Richter (und dasselbe gilt auch für den Ver144 Vgl. Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörde, S. 53. 145 Es ließe sich schon eine Stufe früher gegen die Auffassung SchmidtSalzers einwenden, daß auch sie die Therorie von der nachgeordneten, ausschließlich auf Gesetzesvollziehung beschränkten F u n k t i o n der V e r w a l t u n g zur Prämisse hat u n d somit nicht haltbar ist, soweit man die oben gegen die Gesetzesanwendungs-Doktrin angeführten Bedenken teilt. 146 Vgl. Kellner, DöV 1962, 572 (576); N J W 1966, 857 (859); vgl. auch B V e r w GE 26, 65 (74). 147 Vgl. Nachweise bei Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 182 u n d 195. — A n diesem Schnittpunkt zeigt sich übrigens das gleichermaßen scharfsinnige w i e heillose Durcheinander von Theorien u n d Begründungsversuchen zum Ermessen u n d unbestimmten Rechtsbegriff, das es schon aus Gründen der K l a r h e i t nahelegen würde, zwischen Ermessen u n d unbestimmtem Rechtsbegriff nicht zu unterscheiden, sondern von einer einheitlichen Ermessenslehre auszugehen. Vgl. hierzu Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, S. 35; Ehmke, Ermessen u n d unbestimmter Rechtsbegriff, insbes. S. 45 ff.; Lerche, B a y V B l 1957, 321 f.; ders., Staatslexikon, hrsgg. von der Görres-Gesellschaft, 3. Bd., 6. Aufl., Freiburg 1953, Sp. 12 u n d 14. 148 Vgl. Rupp, a.a.O., S. 184 ff. 149 Vgl. Rupp, a.a.O., S. 184.
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waltungsbeamten) als Subsumtionsapparat und Rechtsautomat ist auf dem (notwendigen) Umweg über die freirechtliche Bewegung längst überwunden. Andererseits ist aber auch mit Uberwindung der Freirechtsschule die Auffassung aufgegeben, jede Anwendung von Recht sei wegen der Unklarheit, Widersprüchlichkeit und Lückenhaftigkeit des Gesetzes schon deshalb i m Grunde genommen ein purer A k t der Rechtserzeugung, hinter dem die Rechtsanwendung als unbedeutend verschwinde. M i t der praktischen Aufhebung der Vorstellung von „reiner" Rechtsanwendung und „permanenter" Rechtserzeugung ist aber auch der Erkenntniswert dieser Unterscheidung für die Ermessenslehre bzw. die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff weggefallen. Der Einräumung einer Letzterkenntniszuständigkeit der Verwaltung bei Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen kann also nicht dadurch begegnet werden, daß man auf eine verfassungsrechtlich bedenkliche „Rechtsetzungsermächtigung" hinweist 1 5 0 . b) Nun ist allerdings der Zubilligung einer Letzterkenntnis der Verwaltung aus dem Wesen des unbestimmten Rechtsbegriffes und der mit ihr einhergehenden Schwankungsbreite möglicher und vertretbarer Entscheidungen entgegengehalten worden, gerade die Tatsache, daß es sich bei Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen um Rechtsanwendung handele, jede Rechtsanwendung aber, gleichgültig ob es dabei um bestimmte oder unbestimmte Rechtsbegriffe gehe, ganz i m obigen Sinn ein subjektiver Erkenntnis vor gang sei, der zwangsläufig eine Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten voraussetze — gerade diese Tatsache also sei es, die eine Unterscheidung zwischen bestimmten und unbestimmten Rechtsbegriffen hinsichtlich des Umfanges der richterlichen Kontrolle nicht zulasse 151 . Es sei ein methodischer Fehler, wollte man annehmen, bei möglicher subjektiver Divergenz der Erkenntnis herrsche ein Prioritätsprinzip dergestalt, daß es immer auf die Ansicht des erstentscheidenden Organs ankomme, nicht aber auf die Erkenntnis des Kontrollorgans. Denn zu Ende gedacht würde damit jeder gerichtlichen Kontrolle der Boden entzogen, weil nicht nur bei den unbestimmten Rechtsbegriffen, sondern bei jeglicher Konkretisierung des Rechtes auf den Einzelfall subjektive Divergenzen möglich seien 152 . Nun ist zwar zuzugegeben, daß aus der Möglichkeit subjektiver Divergenzen allein ein Schluß auf eine Letzterkenntniszuständigkeit der 150 Z u m gleichen Ergebnis (hinsichtlich des Ermessenspielraums) gelangt Rupp, a.a.O., wenngleich er nicht auf die Relativierung v o n Rechtsanwendung u n d Rechtserzeugung abstellt, sondern den Nachweis führt, daß es sich bei Ausfüllung des Ermessensspielraumes nicht u m Rechtserzeugung, sondern u m Rechtsanwendung i. S. v o n „Rechtsverwirklichung" handle (S. 193 f.). Vgl. hierzu auch Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, S. 35 f. 151 Vgl. Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 45 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 220. 152 Vgl. Rupp, a.a.O., S. 216 f.
B. Grenzen aufgrund der Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g
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Verwaltung nicht zulässig ist. Denn es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, warum bei mehreren möglichen Entscheidungen gerade die der Verwaltung verbindlich sein sollte. Jedoch läßt diese Argumentation ein Zweifaches außer acht, das, würde man es berücksichtigen, eine unterschiedliche Behandlung der Rechtsanwendung bei bestimmten und unbestimmten Rechtsbegriffen durchaus rechtfertigt und eine Letzterkenntniszuständigkeit der Verwaltung i m Bereich der unbestimmten Rechtsbegriffe als geboten erscheinen läßt. Faßt man nämlich die möglichen Ursachen der jeder RechtsanWendung immanenten Divergenz der Erkenntnisse ins Auge, so ergibt sich folgendes: Ist die Ursache der Divergenz i m Bereich der bestimmten Rechtsbegriffe nahezu ausschließlich in der beschränkten Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu sehen, welche notwendigerweise das subjektiv Richtige an die Stelle des objektiv Richtigen setzen muß, so liegt die Ursache i m Bereich der unbestimmten Rechtsbegriffe in der beschränkten Auflösungsfähigkeit der unbestimmten Begriffe in die Fakten, die dem Gericht vorzulegen sind, damit es überhaupt eine Entscheidung treffen kann. So ist insbesondere bei Wertbegriffen eine Vielzahl nicht mitteilbarer Imponderabilien 1 5 3 i m Spiele, die eine Divergenz der Erkenntnis nachgerade zwangsläufig zur Folge haben muß 1 5 4 . Dieser Unterschied von beschränkter Erkenntnisfähigkeit und beschränkter Auflösungsfähigkeit, welch letztere dem Erkenntnisvorgang praktisch vorgelagert ist, würde indes für sich allein immer noch keinen hinreichenden Grund abgeben, zwischen bestimmten und unbestimmten Begriffen bei der Rechtsanwendung zu unterscheiden und der Verwaltung i m letzteren Falle eine Letzterkenntnis zuzubilligen. Erst aus dem Zusammenhang mit der Funktion der Gerichtsbarkeit als KontrollInstanz erschließt sich die eingeschränkte richterliche Entscheidungsbefugnis auf dem Felde der unbestimmten Rechtsbegriffe. Denn steht den Gerichten, wie an anderer Stelle dargetan wurde 1 3 5 , grundsätzlich lediglich eine Kontrollbefugnis zu, die sie auf die Nach-Prüfung vorausgegangener Verwaltungshandlungen beschränkte, so ist eine Entscheidung der Gerichte funktionell immer dann ausgeschlossen, wenn wegen des vorgelegten, aber nicht vollständig mitteilbaren Sachverhaltes eine 153
Vgl. Jesch, AöR 82 (1957), 163 (231). Es versteht sich von selbst, daß diese mangelnde Mitteilbarkeit nicht für alle unbestimmten Rechtsbegriffe i n gleichem Maße gilt. Jedoch k a n n darunter die Beweisführung nicht leiden, der es n u r darum zu t u n ist, die Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g aus der Verwendung von unbestimmten Begriffen überhaupt zu begründen. Es genügt, daß es sich u m eine Gruppe handelt, die groß genug ist, u m nicht vernachlässigt werden zu können. Daß dies so ist, zeigt ein Blick auf die äußerst umfangreiche L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung, die sich allein, u m n u r ein Beispiel zu nennen, m i t dem Problem der Bewertungsbegriffe i m Schul- und Prüfungswesen beschäftigt. 155 Vgl. oben S. 35 f. u n d 38. 154
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„Kontrolle" i m Sinne eines Nach-Vollziehens begrifflich nicht möglich ist, so daß das Gericht, wollte es gleichwohl entscheiden, in Verkennung seiner Funktionszuständigkeit originär rechtsanwendend tätig würde. Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß eine Letzterkenntnisbefugnis der Verwaltung und damit auch deren Eigenständigkeit aus der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber insofern resultiert, als man sie i m Zusammenhang m i t der beschränkten Auflösungsfähigkeit des unbestimmten Begriffes einerseits und der Kontroll-Befugnis des Gerichtes andererseits zu sehen hat. Die unbestimmten Rechtsbegriffe zeigen also Grenzen der Gerichtsbarkeit in zweifacher Richtung an. Einmal bedingen sie unmittelbar deren faktische Grenzen allein durch ihre beschränkte Auflösungsfähigkeit (siehe hierzu oben 1. Abschn. C H I ) . Zum anderen weisen sie damit zugleich der Verwaltung ein Terrain eigenständigen Handelns zu, wodurch mittelbar einer ungehemmten Ausdehnung richterlicher Wahrnehmungszuständigkeit Schranken errichtet werden. 3. Das Gewaltenteilungsprinzip
Schließlich soll der Blick noch auf das Gewaltenteilungsprinzip gelenkt werden, dem das eigenständige Nebeneinander der drei klassischen Staatsgewalten immanent ist. Unabhängig davon, ob man dieses Prinzip mehr unter dem formalen Aspekt der materiellen Funktionentrennung 1 5 6 oder unter dem Aspekt der gegenseitigen Kontrolle und Begrenzung zur Mäßigung der Staatsmacht 157 sieht, so hat es doch immer die Eigenständigkeit und Selbständigkeit der drei Gewalten zur gedanklichen Voraussetzung 158 . Denn wollte man eine der Gewalten der oder den anderen so zuordnen, daß sie nur noch als ausführendes oder vorarbeitendes Organ erscheint, so würde dieses Prinzip sinnentleert und aus den Angeln gehoben werden können. Genau das aber geschieht, wenn man die Exekutive einerseits auf die Vollziehung von Gesetzen beschränken und/oder 1 5 9 sie andererseits in vollem Umfange der gerichtlichen Kontrolle unterstellen will. 156 So Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 180 f.; Bäumlin, Ev. Staatslexikon, Stichwort „Rechtsstaat", Sp. 1740. 157 So die herrschende Meinung. Vgl. z. B. BVerfGE3, 225 (247); 7, 183 (188); 9, 268 (279 f.); 22, 106 (111). B G H Z 1 1 , Anhang S. 34 (49 f.); Maunz-Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Rdnr. 78 ff. zu A r t . 20; Menger, Moderner Staat, S. 24 f. 158 Vgl. Peters, Eigenständigkeit der Verwaltung, S. 13 u n d 29. 159 Die Meinungen sind hier geteilt. Während m a n durchaus eine überwiegende Meinung feststellen kann, die der V e r w a l t u n g über die Gesetzesvollziehung hinaus einen eigenen Haiidlungsspielraum zugesteht (vgl. Peters, Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung?, S. 206 [210]), so herrscht auf der anderen Seite doch wieder die Ansicht vor, daß die V e r w a l t u n g umfassend gerichtsunterworfen ist.
B. Grenzen aufgrund der Eigenständigkeit der V e r w a l t u n g
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a) Bereits oben wurde angedeutet, daß die Forderung nach einer vollständigen Gebundenheit der Verwaltung i m Sinne eines umfassenden Gesetzesvorbehaltes eine gewaltentrennungsfeindliche Tendenz i n sich trägt 1 6 0 . Und i n der Tat w i r d dies durch einen Blick in die Geschichte bestätigt. So kommt es beispielsweise i n der Staatslehre von Rousseau 101 aufs deutlichste zum Vorschein, daß das von ihm energisch vertretene Prinzip der Legalität der Verwaltung 1 6 2 seine Wurzeln i n der Vorstellung von der Unteilbarkeit der souveränen Staatsgewalt hat. Da die Staatshoheit für Rousseau nichts anderes als die Ausübung der volonté générale 1 6 3 ist, kann für ihn die Lehre von der Gewaltenteilung nur ein Widerspruch i n sich sein 164 . Deshalb verzichtet Rousseau auch auf eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Gewaltenteilungslehre und beschränkt sich auf ironisierende Anmerkungen, die die Absurdität der Gewaltenteilung sichtbar machen sollen. So vergleicht er die Staatsrechtsdenker, die für eine Gewaltenteilung eintreten, m i t japanischen Gauklern, die vor den Augen der Zuschauer ein K i n d zerstückeln, um es, nachdem sie alle seine Glieder nacheinander in die L u f t geworfen haben, wieder lebendig und m i t heilen Gliedern herabfallen zu lassen. Ähnlicher A r t seien, so Rousseau, die „Taschenspielerstreiche" der Staatsmänner: Nachdem sie den Gesellschaftskörper durch eine Gaukelei, die sich denen auf dem Jahrmarkt zur Seite stellen könne, zerlegt hätten, setzten sie, man wisse nicht wie, die Stücke wieder zusammen. Ist für Rousseau somit eine Gewaltenteilung m i t dem Wesen der Souveränität nicht vereinbar, so hat die bei ihm gleichwohl vorgenommene Trennung von Gesetzgebung und Regierung (worunter die übrigen staatlichen Funktionen zusammengefaßt sind) nicht die Bedeutung, wie sie der Gewaltenteilung nach allgemeinem Verständnis zugemessen wird. Der puissance exécutive war lediglich die Ausführung der Gesetze übertragen. Selbständig oder unabhängig war diese „Gewalt" nicht 1 6 5 . Sie war dienendes Werkzeug der gesetzgebenden Gewalt 1 6 6 . Man w i r d zwar sicher nicht sagen können, daß die heute wieder stärker vertretene Forderung nach einer Beschränkung der Verwaltung auf eine gesetzesvollziehende Tätigkeit und die damit verbundene 160
Vgl. oben S. 67. Vgl. zum Folgenden Garzoni, Die Rechtsstaatsidee, S. 55 ff. ; Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, S. 116 f. 162 Contrat social, I I I 1, S. 97 ff. 163 Contrat social, I I I , S. 54. 164 Contrat social, I I 2, S. 55. iss v g l . die oben Fn. 120 zitierte Stelle aus dem 1. K a p i t e l des 3. Buches des Contrat social. 166 Vgl. Bäumlin, Die Kontrolle des Parlamentes über Regierung u n d V e r waltung, S. 165 (214). 161
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Negierung der Eigenständigkeit der Verwaltung in direkter Linie auf den rechtsstaatsfeindlichen Gewaltenmonismus Rousseauscher Prägung zurückzuführen ist. Der Grundgedanke von der Unteilbarkeit der Souveränität ist verschüttet. Andererseits kann aber kein Zweifel bestehen, daß diese Gedanken Rousseaus i n der Geschichte starke Nachwirkungen gehabt haben. Dies w i r d deutlich, wenn die GesetzesanwendungsDoktrin m i t demokratischen Erwägungen abgestützt werden soll. Wenn etwa Spanner zustimmend A. Merkl zitiert, wonach das Mittel der durchgängigen Volksherrschaft die Herrschaft des vom Volkswillen erzeugten Gesetzes in der Verwaltung sei 167 , dann scheinen hier Überlegungen auf, die dem Gewaltenteilungsprinzip fremd sind, da sie die Forderung der absoluten Suprematie der Gesetzgebung in sich bergen. Wo das jedoch der Fall ist, verliert das Prinzip den ihm zugedachten Sinn. Erklärte sich für Rousseau die absolute Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus dem Wesen der Demokratie, so ist es hier der (radikal-) demokratische Gedanke der Suprematie des den Volkswillen repräsentierenden Gesetzes. Hier wie dort aber liegt der Unterwerfung der Exekutive unter die Legislative eine gewaltentrennungsfeindliche Tendenz zugrunde. b) Ähnliches gilt bezüglich der Eigenständigkeit der Verwaltung gegenüber der rechtsprechenden Gewalt. Zwar steht die Forderung der Gerichtsunterworfenheit der Verwaltung einer echten Gewaltentrennung im Sinne einer Mäßigung der Staatsmacht nicht i m Wege, sondern unterstützt vielmehr unersetzlich diese freiheitsschützende Funktion. Sie geht diesen ersten Schritt also mit. Indem sie aber nach einem heute vorwiegenden Verständnis zur Forderung der vollständigen Gerichtsunterworfenheit der Verwaltung erstarkt, macht sie darüber hinaus einen zweiten Schritt zur Aufhebung der Teilung der Gewalten, indem sie alle von der Verwaltung ausgehende staatliche Handlungseffizienz der Richtermacht überantworten will. Menger hat demgegenüber die „außerordentliche Aufwertung" der rechtsprechenden dritten Gewalt so zu deuten versucht, daß erst durch sie aus einer rein formalen Funktionentrennung wieder eine echte Gewaltentrennung geworden sei: Führten nämlich Legislative und Exekutive ihren Auftrag letztlich beide auf die Volkssouveränität zurück, weshalb hier eine Gewaltenhemmung nicht stattfinden könne, so fänden die Rechtsprechungsorgane die Legitimation ihres Tuns in der Souveränität des Rechts. Indem also dem demokratischen Prinzip der Volkssouveränität das materiell-rechtsstaatliche Prinzip der Souveränität des 167 Vgl. Spanner, Empfiehlt es sich, den allgemeinen T e i l des Verwaltungsrechtes zu kodifizieren?, S. 8; zustimmend Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 165 (187).
B. Grenzen aufgrund der Eigenständigkeit der Verwaltung
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Rechtes gegenübergestellt werde, sei für eine Ausbalancierung der Kräfte i m Montesquieuschen Sinne Sorge getragen 168 . Es ist Menger zwar zuzustimmen, wenn er i m Anschluß an Werner Weber davon ausgeht, daß nach Montesquieu die Teilung der Gewalten den Zweck hatte, die hinter den Funktionsträgern (Legislative und Exekutive) stehende politische Macht (König; Adel, Bürgertum) zum Ausgleich zu bringen 1 6 9 , diese A r t Machtausgleich mittels der drei klassischen Gewalten heute aber an verfassungstheoretischer Durchschlagskraft verloren hat, da i n unserer Verfassungswirklichkeit weder Legislative noch Exekutive noch Judikative i n diesem Sinn politische Gewalten sind 170 . Wenn Menger hieran aber den Gedanken knüpft, eine Gewaltentrennung i m Sinne Montesquieus wieder zu erneuern, indem er m i t der „außerordentlichen Aufwertung" der dritten Gewalt, die m i t der völligen Gerichtsunterworfenheit der zweiten Gewalt verbunden ist, die Volkssouveränität der Rechtssouveränität — sich gegenseitig i m Sinne der Gewaltenteilung ausbalancierend — gegenübergestellt sieht, so ist das in mehrfacher Hinsicht nicht ganz unbedenklich. Zum einen ist es nicht so, daß durch die Forderung der vollständigen Gerichtsunterworfenheit sich hier Legislative und Exekutive hier rechtsprechende Gewalt gegenüberstehen. Es verhält sich vielmehr so, daß durch diese Forderung mittelbar die Exekutivfunktionen der Rechtsprechung zugeschlagen werden, indem ihr grundsätzlich die umfassende Kompetenz der Letzterkenntnis zugestanden wird 1 7 1 . Was die Rechtsprechung an Machtzuwachs zu verzeichnen hat, schlägt sich bei der Exekutive als Machtverlust zu Buche. Das aber steht dem Gedanken der gegenseitigen Ausbalancierung und Hemmung der Gewalten gerade entgegen. So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß keine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten und keine Gewalt der für die 168
Vgl. Menger, Moderner Staat, S. 25. Vgl. auch Schulz-Schaeffer, Die Staatsform der Bundesrepublik Deutschland, S. 168 f. 189 Vgl. hierzu auch Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, S. 151 (157 ff.). Kägi v e r t r i t t die Auffassung, daß die Lehre von den drei klassischen Funktionen einer kritischen Analyse nicht mehr standhalte. Eine Entdogmatisierung müsse die Gewaltenteilung u n d »Verbindung i m umfassenden Sinne als durchgängiges Bauprinzip freiheitlicher Ordnung aufweisen (S. 164 ff.). 170 Vgl. Menger, a.a.O., S. 21 ff.; Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 43 ff.; Kägi, a.a.O., S. 162 f. 171 Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 185, weist noch auf den interessanten Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit h i n : Eine zu w e i t geführte Judifizierung treibe die richterliche Gewalt über die an rechtlichen Maßstäben zweifelsfrei zu handhabende Kontrolle hinaus, i n eine gestaltende Verwaltungsfunktion u n d i n eine politische Betätigung, die ihre Verantwortungsmöglichkeit überfordere, sie gleichsam i n die Tiefen der Verwaltungstätigkeit zerre u n d so der richterlichen Unabhängigkeit zusetze. 6 Oettl
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Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden darf 1 7 2 . Hemmung der einen Gewalt kann nicht durch Enthemmung der anderen Gewalt erkauft werden. Zum anderen werden durch die Gegenüberstellung von Volkssouveränität und Rechtssouveränität Recht und Volk i n einen Gegensatz gebracht, der der dialektischen Einheit beider insofern nicht gerecht wird, als das Recht nur so lange „souverän" ist, wie i h m das die Souveränität des Volkes gestattet 173 . Weiter läuft der Deutungsversuch Mengers letztlich auf einen Dualismus von Demokratie und Rechtsstaat hinaus 174 . Es ist hier nicht der Ort, auf das dieser Auffassung zugrundeliegende antinomische Denkmodell einzugehen 175 . Nur soviel sei gesagt: Indem man das Problem der Teilung der Gewalten auf ein Feld verlagert, auf dem sich nach einem bestimmten Vorverständnis verschiedene Verfassungsstrukturen antithetisch gegenüberstehen, verkennt man, daß das Grundgesetz gerade nicht von einer Antinomie zwischen Demokratie und Rechtsstaat, sondern von einem engen inneren Zusammenhang, einer „Schicksalsgemeinschaft" (Kägi) der beiden Postulate ausgeht, die sich i n der gemeinsamen Wertbezogenheit und gegenseitigen Ergänzung i n der sozialen Wirklichkeit 1 7 6 zeigt. Das aber heißt, daß es vom Grundgesetz ausgehend ein falscher Ansatzpunkt ist, die Gewaltenteilung in der Gegenüberstellung von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien zu sehen. Richtig kann es nur sein, die Gewaltenteilung innerhalb einer demokratisch-rechtsstaatlichen und rechtsstaatlich-demokratischen 177 Verfassungsstruktur zu finden. 172
Vgl. BVerfGE 9, 268 (279 f.). A u f die schwierige Frage, inwieweit auch der Volkssouverän an fundamentale Rechtssätze gebunden ist — hier spielt auch das Problem der U n abänderlichkeitsklauseln herein —, soll hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. hierzu Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, B e r l i n 1953; Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, S. 107 (121 ff.); Loewenstein, Über Wesen, Techn i k u n d Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin 1961; Laux, Bedeutung u n d I n h a l t der Grenzen der Grundgesetzänderung nach A r t . 79 Absatz I I I des Bonner Grundgesetzes, Diss. K i e l 1956; Zülch, Das Verbot v o n Verfassungsänderung nach dem Bonner Grundgesetz, Diss. M a r b u r g 1957. — Außerdem verkennt Menger, indem er Volkssouveränität u n d Rechtssouveränität einander gegenüberstellt, die notwendige demokratische Fundierung der richterlichen Gewalt; vgl. hierzu Eichenberger, Richterliche Unabhängigkeit, S. 103 ff., insbes. S. 110. 174 Meng er spricht ausdrücklich von einer „Gegenüberstellung" demokratischer u n d rechtsstaatlicher Prinzipien (Moderner Staat, S. 25). 175 Vgl. hierzu Bäumlin, Rechtsstaatliche Demokratie, S. 87 ff.; Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, S. 107 ff. 176 Vgl. Bäumlin, a.a.O., S. 90 ff. 177 Sowohl Kägi w i e Bäumlin gelangen zu einer Synthese von Rechtsstaat u n d Demokratie. N u r daß Bäumlin das demokratische Element betont, was sich schon i m T i t e l seiner Abhandlung kundtut, während Kägi den Akzent auf das Rechtsstaatliche legt (vgl. S. 141 f.). 173
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I n einer umfassenden, die Eigenständigkeit der Verwaltung ausschließenden Gerichtsunterworfenheit kann also nicht, wie Menger annimmt, ein das Gewaltenteilungsprinzip bestätigender Vorgang gesehen werden. Vielmehr macht sich darin, wie bereits oben zu zeigen versucht wurde, eine gewaltentrennungsfeindliche Tendenz bemerkbar. Dies w i r d durch eine weitere Überlegung nahegelegt. Gleichgültig, ob man den Sinn der Gewaltenteilung vorwiegend i n einer Funktionentrennung oder i n der gegenseitigen Kontrolle und Begrenzung sieht: Beide Male sind jedenfalls den Funktionsträgern Kernbereiche zur Verwirklichung des gemeinsamen Staatszieles zugewiesen 178 . Greift nun aber eine der Gewalten i n den Kernbereich einer anderen Gewalt über, so büßt das Prinzip der Gewaltentrennung einen Teil seiner Funktion ein, insofern dem Übergriff nicht nur organisatorisches, sondern materielles Gewicht zukommt 1 7 9 . So ist nach MangoldtKlein jede Anreicherung der Kompetenzen einer der drei Gewalten — und sei sie noch so „legal" betrieben oder als Gewaltenhemmung aufgezogen — m i t dem Grundsatz der Gewaltenteilung als Ganzes unvereinbar, wenn dadurch unter Einbruch i n den Kernbereich der Zuständigkeiten eine „irgendwie geartete Diktatur" der einen über die andere Gewalt ermöglicht wird 1 8 0 . Zutreffend stellen Maunz-Dürig fest, daß „Kompetenzanreicherung" bereits durch ihre Qualität und Intension als Übergewicht i n den Kernbereich einer anderen Gewalt gekennzeichnet sein kann. Erfolge etwa ein Übergriff in der Absicht, die Organe der anderen Gewalt „diskriminierend zu entmachten", so sei darin eine Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzipes zu sehen 181 . Genau das aber ist der Fall, wenn man die gesamte Verwaltungstätigkeit aus scheinbar rechtsstaatlichen Erwägungen grundsätzlich dem Zugriff der Gerichte offenhalten w i l l , i n der Meinung, daß Rechtsstaatlichkeit nur dort stattfinde, wo sich der Richter ihrer annehme. Zusammenfassend kann man somit feststellen, daß die Forderung der vollständigen Unterworfenheit der Verwaltung unter Gesetz und/oder richterliche Kontrolle eine gewaltenteilungsfeindliche Tendenz i n sich trägt, woraus folgt, daß umgekehrt dem Gewaltenteilungsprinzip die Eigenständigkeit der Verwaltung immanent ist. 178 Vgl. Maunz-Dürig, Maunz-Dürig-Herzog, Hdnr. 81 zu A r t . 20; MangoldtKlein, S. 599; Wernicke, Bonner Kommentar, A n m . I I 2 g zu A r t . 20; B V e r w G E 7, 294 (295); Küster, Das Gewaltenproblem i m modernen Staat, AÖR75 (1949), 397 (412). 179 Vgl. BVerfGE 10, 200 (217); 4, 331 (337); 9, 268 (280). Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 101, 180 Vgl. Mangoldt-Klein, S. 599, der dabei offensichtlich das Verhältnis Legislative—Exekutive i m Auge hat. G i l t dieser Satz jedoch hier, dann muß er auch f ü r das Verhältnis Exekutive—rechtsprechende Gewalt gelten. 181 Vgl. Maunz-Dürig, a.a.O.
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n . Einfluß des Art. 1 9 I V GG auf die Eigenständigkeit der Verwaltung 1. Fraglich ist nun, welchen Einfluß A r t . 19 I V GG auf die aus der materiellen Funktion der Verwaltung, aus der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und aus dem Gewaltenteilungsprinzip resultierende Eigenständigkeit der Verwaltung hat. Nach Forsthoff sind die von A r t . 19 I V GG ausgehenden Wirkungen auf die Gesamtstruktur der Verwaltung wesentlich folgenreicher, als der Wortlaut der Vorschrift vermuten ließe. Da der Rechtsschutz die rechtliche Kontrollierbarkeit des Verwaltungshandelns zur Voraussetzung habe, die wiederum von der Struktur der Norm abhänge auf Grund deren die Verwaltung tätig werde, impliziere die Rechtsschutzgarantie des A r t . 1 9 I V GG die möglichst vollständige Rechtsgebundenheit der Verwaltung nach Inhalt und Umfang ihrer Funktionen, was mit einer weitgehenden Einengung der Eigenständigkeit der Verwaltung verbunden sei und zur Folge habe, daß die Verwaltung innerhalb der Trias der Gewalten zum schwächsten Glied geworden sei 182 . Ebenso berufen sich weitere Stimmen in der Literatur zur Ablehnung der Eigenständigkeit der Verwaltung auf A r t . 19 I V GG, der einen effektiven und tatsächlich wirksamen Rechtsschutz gewähren wolle, was aber nicht möglich sei, wolle man der Verwaltung in bestimmten Grenzen einen Handlungsspielraum zugestehen 183 . Auch das Bundesverwaltungsgericht zieht in einigen die Eigenständigkeit der Verwaltung ablehnenden Entscheidungen Art. 1 9 I V GG heran. Das Grundgesetz habe m i t dieser Vorschrift einen umfassenden gerichtlichen Schutz normiert, weshalb die von der Exekutive vorgenommene Rechtsanwendung in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang nachprüfbar sein müsse, da andernfalls ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Raum potentieller Rechtsverletzung entstünde. Würden sich deshalb Gerichte an die von der Verwaltung vorgenommene Beurteilung gebunden fühlen und sich einer Nachprüfung enthalten, so könne dadurch A r t . 19 I V GG verletzt sein 184 . Ebenso ist nach OVG Münster ein Spielraum der Verwaltungsbehörden zu eigenverantwortlichem Handeln mit Art. 1 9 I V GG unvereinbar, 182 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 76 f.; Forsthoff konstatiert dies allerdings n u r als Tatsache, ohne es auch als wünschenswert zu fordern (vgl. etwa D Ö V 1959, 41 [43]). 183 Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 221; Reuss, Das Ermessen, DVB1 1953, 585 (588); ders., Der unbestimmte Rechtsbegriff, DVB1 1953, 649 (650 f.); Waltner, Die gerichtliche Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen i m Rahmen des sogenannten Beurteilungsspielraumes, Diss. München 1968, S. 235. 184 Vgl. B V e r w G E 5, 153 (162); 21, 184 (187); 26, 65 (78); zustimmend Schick, Z B R 1967, 297 (302).
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da andernfalls der Exekutive eine Machtvollkommenheit übertragen würde, die der Gesetzgeber durch A r t . 19 I V GG habe verhindert wissen wollen 1 8 5 » 1 8 e . A l l diesen Stellungnahmen zum Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung unter dem Blickwinkel des A r t . 19 I V GG ist ein Doppeltes gemeinsam: Erstens gehen sie m i t einer mehr oder weniger großen Selbstverständlichkeit davon aus, daß A r t . 1 9 I V GG einen möglichst ausgedehnten gerichtlichen Rechtsschutz 187 durch ein Maximum an Verwaltungskontrolle garantiere und daß zweitens diese i n A r t . 19 I V GG normierte rechtsstaatliche Forderung Vorrang vor allen anderen Forderungen genieße. 2. Ist dem aber wirklich so? Befragt man Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift, so findet sich kein Beleg dafür, der zu der sicheren Annahme führte, daß der Grundgesetzgeber m i t A r t . 1 9 I V GG einen möglichst lückenlosen Rechtsschutz garantieren wollte 1 8 8 . Vielmehr scheint festzustehen, daß m i t diesem A r t i k e l an die Stelle des Enummerationsprinzipes endgültig die Generalklausel rücken und daß, i n Reaktion auf den Unrechtsstaat, überhaupt eine verfassungsrechtlich verankerte Rechtsschutzgarantie geschaffen werden sollte 189 . Dieser Umstand, daß Wortlaut und Entstehungsgeschichte für eine eindeutige Auslegung nichts hergeben, hat Hummel i n seiner Untersuchung, ob Prüfungsbehörden ein Beurteilungsspielraum zusteht, dazu veranlaßt, von einer erst nachträglich bewußt gewordenen Prinzipoder Wertlücke, d. h. einer — gemessen an der diesem A r t i k e l immanenten Teleologie — planwidrigen Unvollständigkeit des A r t . 1 9 I V GG zu sprechen 190 . Hummel füllt diese Lücke i n der Weise aus, daß er den Begriff des „Rechtsweges" i n A r t . 19 I V GG aufspaltet: Insofern es u m die Prozeßeröffnung, die Nachprüfbarkeit überhaupt gehe, erhebe Art. 1 9 I V GG die lückenlose Eröffnung des Rechtsweges zum Prinzip (S. 63, 78). 185
Vgl. OVG Münster A S 18, 273 (279); O V G Münster, DVB1 1958, 840 (841). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist allerdings nicht einheitlich, So hat das Gericht an anderer Stelle, als es sich f ü r eine eingeschränkte richterliche Kontrollbefugnis aussprach, sich ebenfalls auf A r t . 1 9 I V G G berufen u n d dies damit begründet, daß m a n die Frage nach dem U m fang des gerichtlichen Rechtsschutzes von der nach seiner Intensität trennen müsse (vgl. B V e r w G E 15, 39 [41 f.]). Ähnliches g i l t f ü r die Rechtsprechung des O V G Münster; vgl. etwa O V G Münster A S 14, 38 (43). Vgl. zum Ganzen Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 48 ff. 187 So aber BVerfGE8, 274 (326); 13, 153 (161). 188 Vgl. Jahrb. d. öff. Rechts N . F . Bd. 1 (1951), 183 ff.; Klein, W D S t R L 8 (1950), 67 (78ff.); Ule t V V D S t R L 1 5 (1957), 133 (150), spricht sich dafür aus, daß die Bedeutung des A r t . 1 9 I V G G n u r teleologisch bestimmt werden kann. 189 Vgl. Lerche, Ordentlicher Rechtsweg, S. 28; Klein, a.a.O., 123 u n d 89; Hummel, Gerichtsschutz gegen Prüfungsbewertungen, S. 55. 190 Vgl. Hummel, a.a.O., S. 55 f. 186
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Insofern es jedoch um die Nachprüfbarkeit, die Intensität des Rechtsschutzes gehe, enthalte dieser A r t i k e l lediglich eine „Mindestgarantie" „effektiven" Rechtsschutzes, die einem Beurteilungsspielraum nicht entgegenstehe (S. 58/59); die eigentliche Schutzfunktion hinsichtlich der Nachprüfungsweite habe hier Art. 103 I GG inne, der insoweit Art. 1 9 I V GG kraft Spezialität verdränge (S. 78/79) 191 . Ohne auf Einzelheiten dieser Konstruktion angesichts dessen eingehen zu wollen, daß sie zu sehr oder fast ausschließlich an der Frage der Prüfungsbewertungen und ihrer Nachprüfbarkeit orientiert ist und insofern keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann, zeigt sie doch etwas für die Diskussion um Art. 19 I V GG Charakteristisches: Die herkömmliche Interpretation des Art. 1 9 I V GG (als verfassungsrechtliche Sicherung eines umfassenden Rechtsschutzes) hat eine derart hervorragende Stellung erlangt, daß es kaum mehr möglich scheint, Eingrenzungen der Gerichtsbarkeit vorzunehmen, ohne diesem wahrhaft „königlichen A r t i k e l " 1 9 2 zuvor seine Referenz als Garant der Gewährleistung eines grundsätzlich lückenlosen Rechtsschutzes erwiesen zu haben. Gerade aber darin zeigt sich m. E. der falsche Ansatzpunkt, der — w i l l er praktikable Ergebnisse zeitigen — zu Konstruiertheiten führen muß, die, wie die bei Hummel, allenfalls ästhetisch befriedigen können. Ursache hierfür ist ein bestimmtes Verständnis des Rechtsstaates, in dessen Mittelpunkt die rechtsprechende Gewalt steht. Dieses Verständnis w i r d an A r t . 1 9 I V GG herangetragen und schließlich m i t dem Anliegen dieser Vorschrift identifiziert 193 , was um so leichter fällt, als sie stets einer mehr oder weniger isolierten Betrachtungsweise 194 unterzogen wird. Daß dadurch aber einer der wesentlichen Grundsätze der Verfassungsinterpretation, nämlich der der Interpretation der Verfas191
Z u m Verhältnis der A r t . 1 9 I V GG u n d 1031 GG zueinander vgl. Lerche, Z u m „Anspruch auf rechtliches Gehör", Z Z P 78 (1965), 1 (insbes. 16 ff.), der i m übrigen nicht, w i e die Zitierweise Hümmels, a.a.O., S. 63, nahelegen könnte, von einer „lückenlosen" Eröffnung, sondern von einer „effektiven" Eröffnung des Rechtsweges durch A r t . 19 I V GG ausgeht (S. 19). 192 Z u einer umfassenden Zusammenstellung der Laudationes auf A r t . 19 I V GG vgl. Evers, Unantastbarkeit des lückenlosen Rechtsschutzes, S. 67 f. 193 Die Forderung eines lückenlosen Rechtsschutzes w i r d also nicht aus A r t . 1 9 I V GG herausgelesen, sondern als Ergebnis eines bestimmten Rechtsstaatsverständnisses i n diese Vorschrift hineininterpretiert (besonders deutlich bei Evers, a.a.O., S. 65 ff.). Aus diesem Grunde n a h m die Untersuchung auch nicht v o n A r t . 1 9 I V G G ihren Ausgangspunkt, sondern ging i n i h r e m 2. A b schnitt zuvörderst v o m Rechtsstaatsgedanken aus u n d ordnete i h m andere Prinzipien zu. 194 Dies k a n n etwa auch dadurch zum Ausdruck kommen, daß m a n versucht, irgendwelche einzelne Verfassungsvorschriften (Art. 281 oder A r t . 20 I I I oder A r t . 19 I V GG) zur sedes materiae für das Rechtsstaatsprinzip zu machen. So z. B. Hummel, a.a.O., S. 76 u n d 74 Fn. 122, ohne sich allerdings zu entscheiden.
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sung als einer Einheit 1 9 5 , außer acht gelassen wird, bedarf kaum eines Nachweises. Bringt man dagegen A r t . 19 I V GG bewußt i n Beziehung zur Gesamtverfassung als eines i n sich sinnvollen, zwar vielfältigen und keineswegs spannungslosen, aber doch immer auf die Einheit des politischen Gemeinswesens gerichteten Ordnungszusammenhangs (Ehmke), so ergibt sich wie von selbst, daß die herkömmliche Interpretation des Art. 1 9 I V GG korrekturbedürftig ist. Es ist deshalb kein Zufall, daß A r t . 1 9 I V GG erst am Ende der Untersuchungen ins Blickfeld gebracht wird, nachdem zuvor die Frage der Grenzen des gerichtlichen Rechtsschutzes allgemein und i n Beziehung zu anderen Verfassungsprinzipien, wie denen der Demokratie, der Sozialstaatlichkeit und des Gewaltenteilungsprinzipes erörtert worden sind. Denn erst von hier aus erschließt sich die Einsicht, daß der Rechtsstaat i n seiner — etwas überspitzt gesagt — Ausprägung als Justizstaat keinen Rückhalt i m Grundgesetz findet und daher auch A r t . 1 9 I V GG nicht als Garantie eines lückenlosen Rechtsschutzes angesehen werden kann. 3. Ergibt sich somit also bereits auf der ersten Stufe der Interpretation des Art. 1 9 I V GG, daß dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes — i m Rückgriff auf die vorausgegangenen Untersuchungen i m 1. und 2. Abschnitt — ein Prinzip lückenlosen Rechtsschutzes nicht eignet 196 und insofern A r t . 1 9 I V GG einer Eigenständigkeit der Verwaltung nicht entgegenstehen kann, so ändert sich an diesem Ergebnis auch dann nichts, wenn auf dieser ersten Stufe eine Einigkeit nicht herzustellen ist. Denn dann stehen auf einer zweiten Stufe sich zwei widerstrebende Forderungen gegenüber, die beide ihre Berechtigung aus der Verfassung ableiten. Für diesen Fall scheint es auf der Hand zu liegen, i m Wege der Güterabwägung zu einem Ergebnis zu gelangen. So neigt auch das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung, daß immer dann, wenn zwei Bestimmungen der Verfassung nur schwer miteinander i n Einklang zu bringen sind, die Lösung dieser Spannungslage nur so erfolgen könne, daß ermittelt werde, welchem Prinzip jeweils das höhere Gewicht beizumessen sei 197 . Gegen dieses Prinzip der Güterabwägung sind m i t Recht 195 Vgl. BVerfGE 1, 14 (32 f.); 2, 380 (403); 3, 225 (231 ff.); 19, 206 (220). Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, W D S t R L 20 (1963), 53 (77 ff.); Scheuner, ebenda, S. 125; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 28. 196 Nach Lerche, Z Z P 78 (1965), 1 (20), k a n n weder i n A r t . 19 I V GG noch irgendwo sonst eine Garantie umfassender Gerichtsschutzgewähr erblickt werden. Anders noch Lerche, Ordentlicher Rechtsweg, S. 100. 197 Vgl. BVerfGE 2, 1 (72 ff.): Z u A r t . 38 u n d 21 GG; 12, 1 (4): Z u A r t . 1 1 u n d 4 1 G G ; 14, 263 (281 f.) („Feldmühle-Urteil,,): Z u A r t . 2 1 (Garantie der unternehmerischen Initiative) u n d 141 GG (Eigentum der Minderheitsaktionäre); 20, 162 (214 f., 222): Z u A r t . 21 I I , 91 (Sicherheit des Staates) u n d 5 1 2 G G (Pressefreiheit).
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Bedenken vorgebracht worden, welche sich dagegen richten, i n ihm vorschnell ein Patentrezept für alle auftauchenden Konfliktfälle zu sehen 198 . Allzu groß ist die Gefahr, die Einheit der Verfassung preiszugeben und ein von der Verfassung geschütztes Rechtsgut zugunsten eines anderen zurückzudrängen 199 . Es ist deshalb ein anderer Weg zur Lösung der Spannungslage einzuschlagen. Dieser w i r d bestimmt durch den Gedanken der „Harmonisierung" 2 0 0 , der besagen w i l l , daß dann, wenn zwei Prinzipien der Verfassung sich gegenüberstehen, diese einander so zuzuordnen sind, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Das kann i n der Weise geschehen, daß bereits auf einem abstrakten Vorfeld 2 0 1 ein „nach beiden Seiten hin schonendster Ausgleich" (Lerche) erfolgt, der dann allerdings noch der Konkretisierung auf den jeweils bestimmten, zur Erörterung stehenden Fall bedarf. Das bedeutet: I n der Forderung der Eigenständigkeit der Verwaltung und der Forderung nach lückenlosem Rechtsschutz stoßen der Gedanke der Effektivität 2 0 2 staatlichen Handelns und der auf umfassenden Rechtsschutz gerichtete Anspruch des Einzelnen aufeinander. Der Ausgleich auf dem abstrakten Vorfeld muß nun dergestalt vorgenommen werden, daß der auf das demokratische Prinzip, das Gewaltenteilungs- und Sozialstaatsprinzip zurückgehenden Eigenständigkeit der Verwaltung Grenzen gesetzt werden, die durch den Anspruch des einzelnen auf umfassende Rechtsschutzgewährung bestimmt sind. Das aber heißt nichts anderes, als daß der Rechtsschutzgedanke in gewissem Ausmaße i n die eigenständige Verwaltung selbst mit hineinzutragen ist, in der Erkenntnis, daß die Funktion des Rechtsschutzes nicht allein bei den Gerichten liegt, sondern bereits i m Verwaltungsverfahren einen festen Platz beanspruchen muß 2 0 3 . Es muß also das Verfahren vor den Ver198 vgl Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 35 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 2 8 1 u n d 127; Lerche, Übermaß u n d Verfasungsrecht, S. 129. 199 Ehmke, W D S t R L 2 0 (1963), 53 (80 f.), spricht gar davon, daß i n der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (E 2, 1 [72 f.]) A r t . 38 GG durch das angeblich höhere Gewicht des A r t . 21 G G „erdrückt" werde. 200 Vgl. Scheuner, V V D S t R L 20 (1963), 125 f. (Diskussionsbeitrag). Vgl. auch Hesse, a.a.O., S. 28 f. 201 Hier sind die Grenzen zu den oben S. 85f. angestellten Überlegungen fließend. 202 Daß hier nicht ausschließlich die Effektivität eine Rolle spielt, geht aus dem oben Gesagten hervor. 205 Vgl. Lerche, DVB1 1954, 626 (63Ö); Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 71 (76 f. u n d Fn. 19); Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 73 Fn. 2; Dütz, Privatrechtlicher Gerichtsschutz, S. 107; Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, W D S t R L 1 7 (1959), 118 (164 ff.). Ausführlich Kopp, Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit i m Verwaltungsverfahren, B a y V B l 1969, 272, der zu Recht darauf hinweist, daß der Rechtsstaat sich selbst aufgeben würde, würde die Rechtsstaatlichkeit der V e r w a l t u n g n u r auf die A n r u f u n g der Gerichte erreicht werden können und
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waltungsbehörden so ausgestaltet werden, daß es dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers weitgehend entgegenkommt 204 . Das kann erreicht werden durch eine frühzeitigere und intensivere Beteiligung der Betroffenen 205 , durch eine Hervorhebung des das anglo-amerikanischen Recht kennzeichnenden Grundsatzes der vollen und fairen Ermittlung des Sachverhaltes i m Verwaltungsverfahren 206 , durch einen Ausbau der Selbstkontrollen und politischen Kontrollen der Verwaltung 2 0 7 . Dies soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. W i r d so die Eigenständigkeit der Verwaltung mit dem Rechtsschutzdenken versöhnt, so sind auf der anderen Seite dem Prinzip des lückenlosen Rechtsschutzes durch Gerichte Beschränkungen aufzuerlegen, die eine leistungs- und funktionsfähige Verwaltung 2 0 8 ermöglichen, wie sie ein moderner demokratischer und sozialer Industriestaat unabdingbar braucht. Denn i n i h m geht es — und das w i r d von den Verfechtern der Theorie eines lückenlosen Rechtsschutzes zu leicht in den Hintergrund gerückt — nicht allein um die Rechte und Rechtsschutzansprüche des Einzelnen 209 . Vielmehr sind wirtschafts-, sozial- und kulturpolitische Aufgaben zu erfüllen, die sich nur dann bewältigen lassen, wenn der Exekutive der nötige Spielraum gewährt und so ein verantwortungsbewußtes Handeln der Verwaltung nicht durch eine „generöse Einführung richterlicher Kontrollen" erschwert wird 2 1 0 . Bezogen auf die Ausgangsfrage nach dem Einfluß des A r t . 1 9 I V GG auf die die Gerichtsbarkeit eingrenzende Eigenständigkeit der Verwaltung gelangt man zu folgendem Ergebnis: Da A r t . 1 9 I V GG keine Gewährleistung lückenlosen Rechtsschutzes enthält, steht diese Vorschrift einer Eigenständigkeit der Verwaltung nicht entgegen. Aber auch dann, wenn man von der Bürger nicht einen umfassenden Anspruch auf Schutz u n d V e r w i r k lichung seiner Rechte schon i m Bereich der Tätigkeit der V e r w a l t u n g habe (S. 273). 204 Vgl. Ehmke, Ermessen u n d unbestimmter Rechtsbegriff, S. 50 f.; Scheuner, Die neuere E n t w i c k l u n g des Rechtsstaates, S. 229 (233 oben). 205 Vgl. Spanner, Grundsätzliches zum Verwaltungsverfahren, D Ö V 1958, 651 (653); Mayer, Verfahrensgrundsätze der Verwaltung, B a y V B l 1960, 332 (335 f.). 206 Vgl. Imboden, W D S t R L 17 (1959), 214 f. (Diskussionsbeitrag). 207 Vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht I I I , §§ 161 u n d 166 jeweils m i t weiteren Nachweisen. 208 V g l . V G H Kassel, DVB1 1963, 443 (449 1. Sp.). 209 Vgl. Kägi, Rechtsstaat—Sozialstaat—sozialer Rechtsstaat, S. 129 (139,143); Scheuner, W D S t R L 20 (1963), 126 (Diskussionsbeitrag); ders., Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates, S. 229 (248): Die alleinige Hervorhebung des Schutzes individueller Rechte eröffnet keinen Weg zum Verständnis des Rechtsstaates. Rumpf, W D S t R L 14 (1956), 136 (170 u n d 173 Leitsatz 10). 210 Dazu, daß ein Übermaß an gerichtlicher Kontrolle die V e r w a l t u n g lähmen u n d i n Atemnot bringen kann, vgl. Nebinger, D Ö V 1953, 626 (627). Vgl. ferner W. Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 34 f.; Ehmke, Ermessen u n d unbestimmter Rechtsbegriff, S. 51.
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einem Prinzip lückenlosen Gerichtsschutzes auszugehen geneigt ist, bleibt der Verwaltung Eigenständigkeit erhalten. Denn für diesen Fall sind i m Wege der Harmonisierung beiden Grundsätzen i n der oben beschriebenen Weise Grenzen zu ziehen, die beide zu weitestgehender Wirksamkeit gelangen lassen.
Schlußbemerkung Die Untersuchungen haben ergeben, daß das Postulat vom lückenlosen Rechtsschutz durch Gerichte i m Rechtsstaatsdenken nicht nur keinen Halt findet, sondern i h m auch widerstrebt. Die rechtsprechende Gewalt erweist sich als nur eine der Verwirklichungsbedingungen des sozialen Rechtsstaates, die aber, sobald sie sich die Forderung nach umfassender Gerichtsschutzgewährung zu eigen macht, m i t anderen Verwirklichungsbedingungen des Rechtsstaates notwendig in Konflikt geraten muß. Die Annahme, der eigentliche K e r n des Rechtsstaates liege i n seiner Justizförmigkeit, ist letztlich geprägt von einem emotionellen Mißtrauen gegen die Exekutive einerseits und von dem Glauben andererseits, daß Rechtsstaatlichkeit nur dort stattfinden kann, wo sich der Richter um sie bemüht. So ist es z. B. für Bachof eine der wesentlichsten Funktionen des A r t . 19 I V GG, dem Bürger das Gefühl einer schutzlosen Auslieferung an die Allgewalt des modernen Staates zu nehmen 1 . I n dieser Ansicht spiegelt sich das B i l d des mächtigen, bedrohlichen Staates und das des unmündigen, machtlosen und eben „schutzlos ausgelieferten" Bürgers gleichermaßen. Nur von diesem tradierten, dualistischen Denkansatz her läßt sich ein lückenloses Rechtsschutzsystem rechtfertigen, da i n einer so verstandenen Ordnung der Bürger sich i n der Tat allein i m Autoritätsbereich des Richters sicher wähnen darf. Begreift man dagegen den Rechtsstaat nicht mehr in den ausschließlichen Kategorien von Macht und Eingrenzung dieser Macht, sondern sieht i n i h m in erster Linie einen auf das Gemeinwohl gerichteten politischen(l) „Verantwortungszusammenhang" (Bäumlin), dem der Bürger nicht mehr „ausgeliefert" ist, sondern den die Gesamtheit der Bürger selbst bestimmt, dann stellt sich das Problem eines lückenlosen, totalen Rechtsschutzsystems als Scheinproblem heraus, und die Frage nach dem Umfang des Gerichtsschutzes i m Rechtsstaat reduziert sich auf eine Frage des vernünftigen Maßes.
1 Vgl. Bachof, Reflexwirkungen Recht, S. 287 (305).
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