Gottmenschliche Einheit bei Hegel: Eine logische und theologische Untersuchung 9783110921267, 9783110195316

Christianity says that Jesus Christ was both true man and true god. But how can this exactly be thought? This book provi

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German Pages 395 [396] Year 2007

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Gottmenschliche Einheit bei Hegel: Eine logische und theologische Untersuchung
 9783110921267, 9783110195316

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Martin Wendte Gottmenschliche Einheit bei Hegel



Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jens Halfwassen, Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler

Band 77

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gottmenschliche Einheit bei Hegel Eine logische und theologische Untersuchung von

Martin Wendte

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG)

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-019531-6 ISSN 0344-8142 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII I.

Einleitung: Verortungen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1.1. Zur gegenwrtigen Relevanz des Chalcedonense I.1.2. Hegel als Ausleger des Chalcedonense . . . . . . . I.1.3. Kritik an Hegel und gegenwartshermeneutische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Forschungsberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.1. Die Vertreter der religiçsen Lesart Hegels . . . . I.2.1.1. Die religiçse Lesart ohne Bezug auf die WL . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.1.2. Die religiçse Lesart mit Bezug auf die WL . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.2. Die Vertreter der philosophischen Lesart Hegels I.2.2.1. Die philosophische Lesart ohne Bezug auf die WL . . . . . . . . . . . I.2.2.2. Die philosophische Lesart mit Bezug auf die WL . . . . . . . . . . . I.3. Das Buch im Horizont der bisherigen Forschung . . . . .

II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel . . . . . . . . . . . . II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem . . . . . . . . . . . . . II.1.1. Die WL als transzendentalphilosophische Onto-Theo-Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.2. Zum Verhltnis von WL und Realwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.1. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der absoluten Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.2. Der Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 5 9 12 16 16 22 35 35 45 52 55 55 55 61 68 68 74

VI

Inhalt

II.2.3. Die erste Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.3.1. Das Allgemeine ist das Besondere: eine immanente Erklrung des ersten Fortgangs . II.2.3.2. Methodische Zwischenberlegung . . . . . . . . . II.2.3.3. Der Widerspruch – zu der Explikation eines operativen Terminus . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.3.3.1. Der Widerspruch Selbstndiger in der Wesenslogik . . . . . . . . . . II.2.3.3.2. Die bertragung des wesenslogischen Widerspruches auf die absolute Idee . . . . . . . . . II.2.3.3.3. Die allgemeinen Charakteristika der widersprchlichen Selbstndigkeit . . . . . . . . . . . . . II.2.3.4. Die bestimmte Negation als die Begrndung und die Aufhebung der anfnglichen Allgemeinheit . II.2.3.5. Das Gesamte der ersten Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.3.5.1. Die Darstellungsweise: das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.3.5.2. Dialektik und Subjektivitt . . . . II.2.3.6. Der bergang in die zweite Negation: die Verschiedenheit . II.2.4. Die zweite Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.4.1. Das Besondere ist das Einzelne: die Entwicklung von der Verschiedenheit zum Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . II.2.4.1.1. Das scheinbar Unmittelbare als das in Wahrheit Widersprchliche . . . . . . . . . . . II.2.4.1.2. Die Entwicklung und ihre Widersprche . . . . . . . . . . . . . . II.2.4.2. Der Widerspruch als Motor und als erste Form der Einheit . . . . .

77 77 79 81 81 86 88 100 102 102 102 106 108

109 109 112 114

Inhalt

Der Widerspruch als Motor der gesamten Entwicklung . . . . . . . II.2.4.2.2. Der Widerspruch als Totalitt . II.2.4.3. Die Auflçsung des Widerspruches – vom Wendungspunkt bis zur vollentwickelten Einheit . . . . . . II.2.4.3.1. Die Auflçsung des Widerspruches in der Wesenslogik . . . . . . . . . . . . . . . II.2.5. Die vollentwickelte Einzelheit . . . . . . . . . . . . . II.2.5.1. Die Einteilungsschemata des Gesamtverlaufes der absoluten Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.5.2. Die absolute Subjektivitt . . . . . II.2.5.3. Letztbegrndung und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.1. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2. Der Begriff von Hegels Religionsphilosophie . . II.3.2.1. Die Grundstruktur des absoluten Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2.2. Die Vorstellung als die Form, in der sich der absolute Geist in der Religion weiß . . . . . . . . . . . . . . II.3.2.3. Die Aufgabe der Religionsphilosophie . . . . . . . . . II.3.2.3.1. Es ist zu begreifen, was ist . . . . II.3.2.3.2. Rechtfertigung, Bildungspraxis und Aufhebung der Religion . . II.3.2.3.2.1. Zur Rechtfertigung der Religion II.3.2.3.2.2. Zur bildungspraktische Funktion: Die Vermittlung des religiçsen Bewusstseins mit der philosophischen Perspektive auf den Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2.3.2.2.1. Zur Notwendigkeit der bildungspraktischen Funktion . .

VII

II.2.4.2.1.

114 116

118 120 129 133 142 147 155 155 159 159 165 168 168 171 171

173 173

VIII

Inhalt

II.3.2.3.2.2.2. Zur Durchfhrung der bildungspraktischen Aufgabe . . . II.3.2.3.2.3. Zur Aufhebung der Religion in die Philosophie . . . . . . . . . . . . . II.3.3. Die Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3.1. Funktion und Einteilung der Religionsgeschichte . . . . . . . . . . II.3.3.2. Kurze materiale Darstellung der Religionsgeschichte . . . . . . . . . . II.3.3.2.1. Die Naturreligionen . . . . . . . . . II.3.3.2.1.1. Zauberreligionen als Religionen, die kaum den Namen Religion verdienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3.2.1.2. Beginnende Entzweiung im Buddhismus und bei den Indern II.3.3.2.1.3. Die Religionen des ersten berganges bei den Persern und gyptern . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3.2.2. Die Religionen geistiger Individualitt . . . . . . . . . . . . . . . II.3.3.2.2.1. Griechentum und Judentum . . . II.3.3.2.3. Die Religion der Rçmer als die des zweiten berganges . . . . . . II.3.4. Das Christentum als die vollendete Religion . . II.3.4.1. Das organisatorische Zentrum des Christentums . . . . . . . . . . . II.3.4.2. Die immanente Trinitt . . . . . . II.3.4.3. Die Schçpfung und das Bçse . . II.3.4.3.1. Die Schçpfung . . . . . . . . . . . . . II.3.4.3.2. Das Bçse . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.4.4. Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.4.4.1. Jesus Christus als die unmittelbare Einzelheit . . . . . . . II.3.4.4.2. Leben und Lehre Jesu Christi . . II.3.4.4.3. Tod und Auferstehung Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.4.4.4. Ostern und Pfingsten an einem Tag: zur Vermittlung von Christologie und Ekklesiologie . II.3.4.5. Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . .

178 181 186 186 196 197 197 202 205 210 211 217 220 220 232 241 241 245 253 256 260 264 271 275

Inhalt

II.3.4.6.

IX

Die weltgestaltende Seite der Religion und die Aufhebung in die Philosophie . . . . . . . . . . . . . 279

III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1. Kritik an Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.1. Die theologische Kritik: zu Hegels Vermischung von Gesetz und Evangelium . . . . . . . . . . . . . . III.1.2. Perspektiven einer philosophischen Kritik . . . . III.1.2.1. Zur unaufhebbaren Vorgngigkeit der Praxis vor der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.2.2. Die Leere des Selbsts absoluter Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.3. Bemerkungen zu einer zu Hegel alternativen Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.4. Die zu Hegel alternative Grundstruktur und die Ausgangsfrage des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.1. Zu der expliziten Verwendung Hegels . . . . . . . III.2.1.1. Jngels selektiver Gebrauch Hegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2. Gegen den impliziten Hegelianismus in der gegenwrtigen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2.1. Moltmanns Unterscheidung von Konstitutions- und Relationsebene . . . . . . . . . . . . . III.2.2.2. Gibt es einen impliziten Hegelianismus? Das Beispiel Gisbert Greshakes . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung: Verortungen der Arbeit . . . . . . . . . II. Gottmenschliche Einheit bei Hegel . . . . . . . . . II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem . . . . . . . . . . . . . . II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie . . . . . . . . .

289 289 293 298 301 308 317 320 327 327 328 330 333 336 342 342 344 344 344

X

Inhalt

II.3. III.

Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee . Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik . . . . . . . . III.1. Kritik an Hegel . . . . . . . . . . . . . III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven .

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. G.W.F. Hegel, Gesammelte Werke, Hamburg 1968 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. G.W.F. Hegel, nach der Ausgabe im Meiner-Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

348 354 354 357 360 360 360 360 361

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Vorwort Dieses Buch ist die gekrzte und berarbeitete Fassung einer Arbeit, die im Juli 2006 von der Evangelisch-Theologischen Fakultt der EberhardKarls-Universitt zu Tbingen unter dem Titel „Gottmenschliche Einheit bei Hegel. Rekonstruktion und Kritik von Hegels Verstndnis der Personeneinheit Jesu Christi als absoluter Vermittlung im Horizont eines trinitarischen Gottesbegriffes“ als Dissertationsschrift im Fach Systematische Theologie angenommen wurde. Ich htte mich Hegel nicht nhern kçnnen ohne eine Vielzahl von Personen, die mir bei der Arbeit des Begriffs geholfen haben. An erster Stelle ist mein Doktorvater, Herr Prof. Dr. Christoph Schwçbel, zu nennen, der sich whrend der gesamten Zeit meiner Arbeit an dem Thema als idealer Betreuer erwies. Zunchst htte ich mich ohne seine Ermutigung nicht fr das Thema der Arbeit entschieden. Dann ließ er mir alle Freiheiten, die ich mir wnschte. Zugleich war er trotz der Flle seiner anderen Aufgaben stets zu ausfhrlicher, ußerst anregender Beratung bereit. Zudem gab er mir in dem von ihm und Prof. Dr. Wilfried Hrle geleiteten Doktorandenseminar mehrfach die Mçglichkeit, die Arbeit in grçßerem Kreis zu diskutieren. Herr Prof. Dr. Eilert Herms bernahm die Mhen des Zweitgutachtens. Herr Prof. Dr. Joachim Ringleben fhrte mich in seiner Soziett noch whrend der Studienzeit an Hegel heran. Wesentliche Vertiefungen meines Verstndnisses von Hegel verdanke ich den Oberseminaren, die Herr Prof. Dr. Jens Halfwassen und Herr Prof. Dr. Hans Friedrich Fulda gemeinsam und auch getrennt voneinander abhielten. Herr Prof. Dr. Jens Halfwassen verfasste darber hinaus das Drittgutachten der Arbeit. Ich habe whrend der gesamten Zeit mit Malte Krger eng zusammengearbeitet und dabei viel gelernt, nicht zuletzt, weil er mir Schellings Einspruch gegen Hegel nahe brachte. Zudem hat er ebenso wie Michael Brauer, Carmen Nols und Andreas Oelze Teile der Arbeit Korrektur gelesen. Constantin Prihoanca˘ war mir eine unentbehrliche Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage. Allen Genannten mçchte ich sehr herzlich danken. Ich danke dem Land Baden-Wrttemberg, das mich whrend der Promotionszeit durch ein Stipendium nach dem Landesgraduiertenfçrderungsgesetzt (LGFG) fçrderte. Ebenso danke ich der Deutschen For-

XII

Vorwort

schungsgemeinschaft (DFG) fr einen namhaften Druckkostenzuschuss. Zudem danke ich der Eberhard-Karls-Universitt zu Tbingen, die mir fr die Dissertation den Promotionspreis fr die beste Arbeit an der Evangelisch-theologischen Fakultt im Akademischen Jahr 2005/2006 verlieh. Zuletzt danke ich Herrn Prof. Dr. Jens Halfwassen, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jrgen Mittelstraß und Herrn Prof. Dr. Dominik Perler fr die Aufnahme der Arbeit in die „Quellen und Studien zur Philosophie“. Ich widme das Buch meiner Frau, die mich auch dann trgt und ertrgt, wenn ich forsche. Tbingen im Oktober 2007

Martin Wendte

Abkrzungen Smtliche Zitatbelege der Primrliteratur werden durch Siglen abgekrzt, die im Folgenden aufgeschlsselt werden. Dabei wird die Primrliteratur jeweils anhand zweier Ausgaben zitiert, soweit sie in den entsprechenden Ausgaben publiziert wurde: anhand der im Meiner-Verlag erscheinenden Studienausgabe und anhand der kritischen Gesamtausgabe, die in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft von der Rheinisch-Westflischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Entsprechend lsst sich die exemplarische Belegstelle „WL1, 35 (11, 33)“ so aufschlsseln, dass das Zitat in der Studienausgabe G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Das Sein (1812), hg. von H.-J. Gawoll, Hamburg, 2., verbesserte Auflage, 1999, auf Seite 35, und zugleich in der kritischen Gesamtausgabe G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/13), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke. Gesammelte Werke, Band 11, Hamburg 1978, auf Seite 33 finden lsst. Die Bnde der im Meiner-Verlag erscheinenden Studienausgabe werden wie folgt abgekrzt: G.W.F. Hegel, Phnomenologie des Geistes, hg. von H.-F. Wessels und H. Clairmont, Hamburg 1988: PhG G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Das Sein (1812), hg. von H.-J. Gawoll, Hamburg, 2., verbesserte Auflage, 1999: WL1 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen (1813), hg. von H.-J. Gawoll, Hamburg, 2., verbesserte Auflage 1999: WL2 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), hg. von H.-J. Gawoll, Hamburg 1994: WL3 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Sein (1832), neu hg. Von H.-J. Gawoll, Hamburg 1990: WL1B G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Mit Hegels eigenhndigen Randbemerkungen in seinem Handexemplar der Rechtsphilosophie, hg. von J. Hoffmeister, Hamburg, 5., neu durchgesehene Auflage, 1995: GPhR G.W.F. Hegel, Vorlesungen ber die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion, hg. von W. Jaeschke, Hamburg 1993: VL1 G.W.F. Hegel, Vorlesungen ber die Philosophie der Religion. Die bestimmte Religion, hg. von W. Jaeschke, Hamburg 1994: VL2

XIV

Abkrzungen

G.W.F. Hegel, Vorlesungen ber die Philosophie der Religion. Die vollendete Religion, hg. von W. Jaeschke, Hamburg 1995: VL3 G.W.F. Hegel, Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hg. von F. Nicolin und O. Pçggeler, Hamburg, 8., um ein Literaturverzeichnis erw. Auflage, 1991: Enz. Die Bnde der kritischen Gesamtausgabe werden wie folgt abgekrzt: G.W.F. Hegel, Phnomenologie des Geistes, hg. v. W. Bonsiepen und R. Heede, Gesammelte Werke, Band 9, Hamburg 1980: 9 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/13), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke. Gesammelte Werke, Band 11, Hamburg 1978: 11 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke. Gesammelte Werke, Band 12, Hamburg 1981: 12 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke. Gesammelt Werke, Band 21, Hamburg 1985: 21 G.W.F. Hegel, Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Hg. v. W. Bonsiepen und H.-C- Lucas, Gesammelte Werke, Band 20, Hamburg 1992: 20

I. Einleitung: Verortungen der Arbeit I.1. Einleitung In diesem Buch kreuzen sich drei Diskurse. Zum ersten steht ein primr theologiegeschichtlicher im Hintergrund, der zentrale Folgen fr das christliche Wirklichkeitsverstndnis bis in die Gegenwart zeitigt. So kann das ganze Buch als der Versuch gelesen werden, die in dem Konzil von Chalcedon getroffene und fr alle großen christlichen Kirchen verbindliche Festlegung zu begreifen, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott in einer Person ist. Zum besseren Verstndnis von Chalcedon wird als zweiter Diskurs das Denken eines der interessantesten Philosophen der Neuzeit rekonstruiert, das Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Denn Hegels gesamtes System und im Besonderen seine Religionsphilosophie entwirft eine solche Theorie des Absoluten, die das Absolute gerade als die Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist denkt. Das aber kann als philosophische Reformulierung der chalcedonensischen Festlegung begriffen werden. So verwundert es nicht, dass Hegel selbst vor allem in seiner Religionsphilosophie der Verbindung der menschlichen mit der gçttlichen Natur besondere Aufmerksamkeit schenkt. Daher prsentiert die vorliegende Untersuchung in ihrem Hauptteil eine genaue Untersuchung der logischen Hintergrnde und der materialen Durchfhrung von Hegels Religionsphilosophie. Aus ihr ergibt sich die folgende zentrale Beobachtung des Buches: Gerade wegen der zugrunde liegenden logischen Struktur absoluter Vermittlung kann Hegel keine sachangemessene Rekonstruktion der chalcedonensischen Festlegung liefern. Damit wird dieser zweite Diskurs mit einem dritten in Verbindung gebracht, der gegenwrtigen Debatte um Hegel. Diese ist in sich nochmals zweigeteilt. Zuerst werden gravierende theologische und vor allem zentrale philosophische Einwnde gegen Hegel vorgebracht. Abschließend wird die Hegel-Kritik zu einer Hermeneutik wichtiger Aspekte der gegenwrtigen Systematischen Theologie genutzt. Dabei werden ebenso Anmerkungen zu den in der gegenwrtigen Theologie vorhandenen expliziten Rekursen auf Hegel gemacht wie zu demjenigen weit verbreiteten Phnomen, das als „impliziter Hegelianismus“ bezeichnet werden kann. Im weiteren Verlauf der Einleitung werden die

2

I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

drei Diskurse mitsamt der zentralen Beobachtung des Buches nher erlutert. I.1.1. Zur gegenwrtigen Relevanz des Chalcedonense „Und das Wort ward Fleisch“ (Joh. 1,14); „Als aber die Zeit erfllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, unter das Gesetz getan“ (Gal. 4,4): Diese und weitere zentrale Aussagen des Neuen Testamentes versucht das Konzil von Chalcedon durch die Bestimmung auf den Begriff zu bringen, dass Jesus Christus eine Person in zwei Naturen ist. Damit gibt das Chalcedonense der Systematischen Theologie zu denken, und zwar aufgrund einer ihm selbst zukommenden Spannung. Denn einerseits trifft das Chalcedonense christologische Aussagen, die in ontologischer wie in soteriologischer Hinsicht fr die Systematische Theologie von hçchster Relevanz sind. Andererseits beschrnkt es sich allein auf die Formulierung der notwendigen Bedingungen einer sachangemessenen Christologie, ohne diese voll zu entfalten. Werden kirchliche Lehrentscheidungen auf die Festlegung dieser notwendigen Bedingungen beschrnkt, so kann das einen kircheneinenden Effekt mit sich bringen. Er ist im Fall des Chalcedonense durch die ebenso erfreuliche wie eindrckliche Tatsache dokumentiert, dass die chalcedonensischen Bestimmungen bis heute die verbindliche Lehrgrundlage sowohl der orthodoxen als auch der rçmisch-katholischen und der evangelischen Kirche bilden.1 Dennoch vermag die Systematische Theologie nicht, bei diesen Bestimmungen stehen zu bleiben. Denn es ist ihre Aufgabe, die Denkbarkeit der verhandelten Frage soweit zu erforschen, dass sie eine durch Kohrenz gekennzeichnete, konstruktive Konzeption vorzulegen vermag.2 Somit gibt das Chalcedonense der Systematischen Theologie dergestalt zu denken, nicht etwas anderes, aber auf ihm aufbauend mehr zu sagen, als es selbst festhlt. Die vorliegende Untersuchung stellt einen Versuch zur Durchfhrung dieser Aufgabe dar.

1 2

Siehe etwa Hausschildt, Lehrbuch, 183. Selbstredend stellen die hier aufgefhrten Bestimmungen selbst nur notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingungen fr eine sachangemessene Bestimmung von Wesen und Aufgabe Systematischer Theologie dar; fr eine umfassende Diskussion des Themas siehe Schwçbel, „Doing“.

I.1. Einleitung

3

Die bleibende Relevanz des Chalcedonense lsst sich in soteriologischer wie in ontologischer Hinsicht darlegen.3 Die soteriologische Hinsicht kann durch zwei Aussagen expliziert werden, die im Anschluss an die Schrift gleichsam a posteriori erhobene Minimalbedingungen fr das Gelingen des Heilsereignisses formulieren. Zum einen ist es angesichts der Sndenverstrickung aller Menschen dem Menschen unmçglich, die Erlçsung selbst zu vollbringen. Vielmehr kann nur Gott erlçsen. Zum anderen aber muss nicht nur Gott, sondern auch der Mensch an der Erlçsung beteiligt sein. Denn es gilt, dass das, was nicht angenommen ist, nicht geheilt ist.4 Dieser zweifachen Minimalbedingung entspricht das Chalcedonense, indem es als notwendige Bedingungen einer sachangemessenen Christologie festschreibt, dass Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, […], dem Vater wesenseins der Gottheit nach, derselbe auch uns wesensgleich der Menschheit nach“ ist und die beiden Naturen daher „unvermischt [und] unverwandelt“ vorliegen.5 Zugleich wird die Einheit der beiden Naturen betont durch die prgende Aussage Chalcedons, die besagt, dass die beiden Naturen „ungetrennt [und] ungesondert […] einer Person und einer Hypostase“ und daher „einem und demselben Sohn“ zukommen. Die ontologische Relevanz dieser Festlegung Chalcedons ist nun nicht nur darin zu sehen, dass die ontologischen Aussagen die Basis fr die soteriologischen bilden. Sondern mit der christologisch gefassten Einheit der zwei Naturen werden zentrale Aussagen ber das Wirklichkeitsverstndnis berhaupt getroffen. Denn wenn Jesus Christus der Ort der Selbstoffenbarung Gottes ist, so stellt die innerhalb der Christologie vorgenommene Bestimmung von der Einheit der zwei Naturen nur scheinbar einen Unterpunkt von einem dogmatischen locus unter vielen dar. Vielmehr sagt sie Grundstzliches ber das Verhltnis Gottes zur Welt aus6 und strahlt dementsprechend weit in andere loci hinein. Um nur die naheliegendsten Beispiele zu nennen, so werden etwa die Gotteslehre und die Ekklesiologie wesentlich von ihr geprgt. 3 4 5 6

Aus der umfangreichen Literatur zu Chalcedon siehe vor allem Grillmeyer, Jesus, 751 – 775. Siehe dazu Gregor von Nazianz, ep. 101. In diesem und dem folgenden Zitat des Chalcedonense wird der bersetzung Grillmeyers, Jesus, 754 f., gefolgt. Grillmeyer, Jesus, 774, betont, dass alle im engeren Sinne christologischen Streitigkeiten der Alten Kirche immer schon wesentlich auch das Verhltnis Gottes zur Welt mitverhandeln.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Obwohl die chalcedonensischen Bestimmungen somit von großer Relevanz sind, werden sie dennoch gegenwrtig faktisch oftmals in Frage gestellt. Seitenblicke auf die gegenwrtige Lage der Christologie einerseits und auf die auf Jesus Christus gerichtete Frçmmigkeit andererseits besttigen diese Einschtzung. In beiderlei Hinsicht ist die Personeneinheit der zwei Naturen durch Auflçsungserscheinungen bedroht. So lsst sich in allergrçbster Verkrzung konstatieren, dass es wohl auch als Erbe eines im Abendland tief verwurzelten Platonismus, sicher aber durch bestimmte Rationalittskonfigurationen der Aufklrungszeit im Gefolge der Auflçsung der vorkantischen Metaphysik dazu kommt, Endliches und Unendliches oder „Geschichtliches und Metaphysisches […] als logischen und ontologischen Gegensatz“ zu begreifen.7 In den Christologien der Aufklrungszeit bedroht dieser tief sitzende Dualismus die chalcedonensische Bestimmung von der Einheit der zwei Naturen etwa dergestalt, dass ein philosophischer Theismus und eine historische Jesulogie nebeneinander gestellt werden. In der gegenwrtigen Christologie ußert sich dieser Dualismus vor allem als Methodenfrage in der Debatte um den Ansatzpunkt einer Christologie „von oben“ oder „von unten“. Zugleich zeitigt dieser Dualismus seine Effekte auch im empirisch erhebbaren Gemeindeglauben. So zeigen Untersuchungen, dass im Glauben vieler Menschen die Einheit der zwei Naturen mehr und mehr zugunsten einer Reduktion auf die bloße Menschlichkeit Jesu aufgegeben wird, etwa im Gefolge des hufig zu hçrenden Ausspruchs: „Dass Jesus wirklich Mensch war, mag ich gerne glauben, aber dass er auch Gott war, vermag ich kaum zu glauben, und es sagt mir wenig“.8 Angesichts der soteriologischen und ontologischen Zentralitt der chalcedonensischen Bestimmungen einerseits und ihrer faktischen Infragestellung in gegenwrtiger Theologie und Frçmmigkeit andererseits verwundert es, dass zumindest in der heutigen deutschsprachigen evangelischen Theologie keine Debatte um die Denkbarkeit der Personeneinheit der zwei Naturen gefhrt wird. Soll mit dieser Arbeit die gottmenschliche Einheit bedacht werden, so gelingt das allein durch das Heranziehen von Denkbestimmungen, die durch die Bearbeitung der 7 8

Schwçbel, „Christologie“, 259 f. Die in diesem Absatz vorgebrachten, bergreifenden zeitdiagnostischen Aussagen zur Christologie lehnen sich an diesen Aufsatz an. Unter der Vielzahl der dies besttigenden Erhebungen sei etwa auf die von Jçrns, Die neuen Gesichter, 203, verwiesen, der festhlt, dass nur ein Viertel der fast zweitausend Befragten unter „Jesus Christus“ einen Gottesnamen verstehen.

I.1. Einleitung

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Trinittslehre entwickelt werden. Diese bergreifende These mag ihre Verifikation in Teilen durch den Verlauf der vorliegenden Arbeit selbst erlangen. Sie kann aber schon dadurch an Plausibilitt gewinnen, dass sie die Arbeit einer breiten theologischen Strçmung zuordnet, der „Renaissance trinitarischer Theologie“.9 Deren Hauptmerkmal liegt darin, dass sie die Trinittslehre nicht einfach als einen locus unter anderen bestimmt, sondern dass sie die Trinittslehre als „Rahmentheorie“ des gesamten theologischen Unternehmens begreift.10 Dementsprechend beeinflussen Vernderungen in der Gotteslehre alle anderen loci dergestalt mit, dass sich aufgrund einer konsequent trinitarischen Fassung des Gottesbegriffes vielfach neue Denkmçglichkeiten alter Problemstellungen in den anderen loci ergeben. Darauf hofft auch diese Untersuchung: Durch die enge Verbindung von Trinittslehre und Christologie sucht sie Rekonstruktionsmçglichkeiten fr die Personeneinheit der zwei Naturen zu finden.11 Dabei ist die vorzunehmende Rekonstruktion zudem noch durch eine spezifische Ontologie und eine spezifische Denkform charakterisiert. So prgt die Trinittslehre eine relationale, dynamische Ontologie, der in dialektischem Denken zu entsprechen gesucht wird. Erst dadurch lassen sich die chalcedonensischen Bestimmungen konstruktiv entfalten. I.1.2. Hegel als Ausleger des Chalcedonense Mit dem bisher Gesagten ist bereits zu Hegel bergeleitet. Zwar bezieht sich Hegel nicht expressis verbis auf das Konzil von Chalcedon. Aber er teilt in seiner Religionsphilosophie mit scharfem Blick die eben angedeutete Analyse der im Gefolge der Aufklrung auftretenden Infragestellung der Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi und bewertet sie als problematisch. So konstatiert er, dass „in der neueren Theologie sehr wenige Dogmen des frheren Systems der kirchlichen Konfessionen […] brig gelassen worden sind […]. Man kçnnte leicht zu der Vorstellung kommen, daß in der allgemeinen Religiçsitt des 9 Siehe zu diesem Ausdruck und seiner nheren Charakterisierung Schwçbel, „Renaissance“, 1 – 10. 10 Zur Trinittslehre als Rahmentheorie siehe Schwçbel, „Trinittslehre“. 11 Jesus Christus ist in dem ordo cognoscendi der Trinitt vorgngig, diese aber in dem ordo essendi jenem. Ist wegen der Vorgngigkeit Jesu Christi in dem ordo cognoscendi die Christologie fr alle weiteren loci von der erwhnten, zentralen Bedeutung, so ist wegen der Vorgngigkeit der Trinitt in dem ordo essendi im Folgenden die Christologie von der Trinittslehre her zu reformulieren.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Publikums eine weitgreifende, beinahe universelle Gleichgltigkeit gegen die sonst fr wesentlich gehaltenen Glaubenslehren eingetreten ist“.12

Das gilt besonders fr die Gçttlichkeit Christi: „Christus ist herabgezogen auf den Boden des menschlichen Handelns, wenn auch nicht des gemeinen, so doch des menschlichen, in den Kreis einer Handlungsweise, deren auch Heiden wie Sokrates fhig gewesen sind“.13

Doch Hegel teilt nicht nur die eben angedeutete Analyse, sondern er teilt auch den angestrebten Weg der Problemlçsung. Hegels Religionsphilosophie kann als die erste große neuzeitliche Trinittstheologie gelesen werden14 und somit als die erste, unzeitgemße Vorluferin der „Renaissance trinitarischer Theologie“. In seiner Religionsphilosophie entwickelt Hegel die Trinittslehre als Rahmentheorie, die eine relationale, dynamische, dialektisch zu denkende Ontologie prgt. Er ist so in der Lage, konstruktiv eine umfassende Christologie zu entwerfen, die die chalcedonensischen Bestimmungen aufnimmt. Doch damit wurde noch nicht der eigentlich interessante Kern der Sache prsentiert. Dieser wird erst sichtbar, wenn die Relevanz der chalcedonensischen Zentralbestimmungen fr das Ganze des Denkens des reifen Hegels verdeutlicht wird. Es gilt somit, nicht nur einige Aspekte der Religionsphilosophie Hegels dem vorher Gesagten zuzuordnen, sondern das Chalcedonense mit grundlegenden Charakteristika des gesamten Hegelschen Systems in Verbindung zu bringen. Dabei wird schnell deutlich, dass das Chalcedonense dem Hegelschen System sowohl in materialer wie in struktureller Hinsicht zutiefst eingeschrieben ist. Kann die materiale Affinitt in drei Schritten dargelegt werden, so ist zum ersten festzuhalten, dass Hegel als Philosoph eine philosophische Theologie entwickelt. Um mit denjenigen programmatischen Worten gleich zu Anfang der religionsphilosophischen Vorlesungen zu sprechen, die zugleich das System als Ganzes charakterisieren: Gott „ist der eine und einzige Gegenstand der Philosophie […]. Die Philosophie ist daher Theologie“.15 Wichtig ist zum zweiten, dass Hegel Gott als das Absolute dergestalt fasst, dass das Absolute im Anderen bei sich ist. In theologi12 VL1, 66 f. 13 VL1, 67. 14 So schreibt Jaeschke, Religionsphilosophie, 83, dass „Hegel der Theologie, zumindest der protestantischen, die Trinittslehre als Problem zurckgegeben hat“. 15 VL1, 3 f. Siehe auch das berhmte Zitat aus Enz., §1, 33 (20, 39): Religion und Philosophie „haben beide die Wahrheit zu ihrem Gegenstand, und zwar im hçchsten Sinne, – in dem, daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist“.

I.1. Einleitung

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scher Terminologie gesprochen, weist es damit eine trinitarische Struktur auf. Somit ist Hegels System als Ganzes als das des trinitarisch geprgten Absoluten zu lesen, das entsprechend die Rahmentheorie des Ganzen darstellt. Entscheidend ist dabei zum dritten, dass Hegels trinitarisch strukturiertes Absolutes erst im Mensch ganz bei sich ist. In dem philosophierenden Menschen als in dem das Absolute denkenden Mensch denkt sich das Absolute selbst und ist somit erst dort ganz es selbst. Damit ist der Bezug zum Chalcedonense hergestellt, wenn denn dieses in der idealistischen Lesart Hegels interpretiert wird. In dieser Lesart trifft es nicht nur Aussagen ber die Einheit der zwei Naturen dieses einen, konkreten, dann und damals raumzeitlich zu verortenden Individuums Jesus Christus. Vielmehr bezeichnet es die fr alle Menschen anzustrebende und in der Philosophie zu verwirklichende Einheit des menschlichen und des gçttlichen Geistes. Somit stellt die chalcedonensische Zentralbestimmung von der Einheit der zwei Naturen gleichermaßen den Zielpunkt des gesamten Systems der Hegelschen philosophischen Theologie dar. Wurde oben darauf verwiesen, dass die chalcedonensischen Zentralbestimmungen bereits seit ihrer Festlegung im Jahre 451 als Bestimmungen von umgreifender ontologischer Relevanz angesehen wurden, da sie wesentliche Aussagen zum Verhltnis Gottes zur Welt berhaupt treffen, so kann Hegels System als ein Hçhepunkt in der Geschichte der Ausarbeitung dieses umfassenden Verstndnisses gelesen werden. Doch die chalcedonensischen Zentralbestimmungen sind dem Hegelschen System nicht nur in ihrer materialen Bestimmung, sondern auch in der ihr zugrunde liegenden Struktur zutiefst eingeschrieben. Die Struktur der gottmenschlichen Einheit ist eben diejenige Struktur, die als „konkrete“ oder „absolute Einheit“, als „Selbstkonstitution durch Selbstausdifferenzierung“ oder als „absolute Vermittlung“ bezeichnet werden kann. Sie stellt somit diejenige dialektische Struktur dar, die das System als Ganzes und in allen seinen Teilen charakterisiert und besonders in den diese Arbeit interessierenden logischen und realphilosophischen Bereichen. Zugleich expliziert Hegel minutiçs und mit hoher Originalitt, wie die fr ihn so zentrale Struktur zu denken ist. Zudem sind sein religionsphilosophisches Material im Allgemeinen und besonders die Christologie durch diese Struktur bis ins Detail geprgt. Damit gelingt es ihm, der Forderung zu entsprechen, die das Chalcedonense der Systematischen Theologie zum Denken aufgibt: Er legt unter Bercksichtigung der vom Chalcedonense formulierten notwendigen Bedingungen einer sachange-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

messenen Christologie eine umfassende, denkerisch durchgeklrte, konstruktive Konzeption der gottmenschlichen Einheit in einer Person vor. Diese Konzeption Hegels umfassend zu rekonstruieren, ist das primre Ziel der vorliegenden Arbeit. Um ihm nachzukommen, ist der mit Abstand umfangreichste Hauptteil der Arbeit der Analyse Hegels gewidmet (II.). Dieser Hauptteil ist in sich nochmals dreigeteilt. Er beginnt mit einem kurzen ersten Teil, der einige alle spteren Ausfhrungen rahmende und verortende Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem prsentiert (II.1.). In dem zweiten Teil erfolgt eine mçglichst detailgenaue Exegese von Hegels Darlegung derjenigen Struktur, die die Inhalte seines Systems als Ganzes und die die Arbeit interessierenden Teile im Besonderen prgt (II.2.). Diese der chalcedonensischen Zentralbestimmung entsprechende Struktur absoluter Vermittlung ist zugleich die Methode des gesamten Hegelschen Systems und der logische Hintergrund fr die Religionsphilosophie. Sie wird in dem als „absolute Idee“ betitelten Schlusskapitel der WL dargelegt. Entsprechend exegetisiert der zweite Teil des Hauptteils nach einigen einfhrenden Bemerkungen die zentralen Passagen der absoluten Idee. Der dritte Teil des Hauptteils (II.3.) beginnt wiederum mit einleitenden berlegungen. Sodann analysiert er unter bestndigem Rckgriff auf die exegetisierte Struktur der absoluten Idee und anhand der entsprechenden Paragraphen der Enzyklopdie sowie anhand einer Analyse der neu edierten religionsphilosophischen Vorlesungen die Religionsphilosophie Hegels im Allgemeinen und im Besonderen sein Verstndnis der gottmenschlichen Einheit in der Religionsgeschichte und im Christentum. Dabei wird die fr die vorliegende Arbeit entscheidende Beobachtung gemacht. Sie kombiniert Aussagen zu der angesetzten zentralen Grundstruktur, zu dem Inhalt und zu der Form miteinander. Somit verbindet sie Aussagen zu der in der absoluten Idee zu analysierenden, den Inhalt zutiefst prgenden Grundstruktur absoluter Vermittlung, in der ein Selbst es selbst wird, mit Aussagen zu der Einheit der zwei Naturen als dem durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung zutiefst geprgten Inhalt und Aussagen zu Religion und Philosophie als den Formen, in denen sich der Inhalt vollzieht. Die Beobachtung lautet, dass gerade die der inhaltlichen Bestimmung der Einheit der zwei Naturen zugrunde liegende Struktur absoluter Vermittlung mit unausweichlicher Konsequenz dazu fhrt, dass sich die konkrete, absolute Einheit der zwei Naturen nicht in der Form der Religion, sondern in der Form der Philosophie vollzieht. Denn die absolute Vermittlung entspricht in geltungstheoretischer Hinsicht der Letztbegrndung. Damit aber geht die Negation der Religion als

I.1. Einleitung

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Religion einher, da dieser immer ein unvordenkliches Praxismoment eingeschrieben ist. Gottmenschliche Einheit, die durch absolute Vermittlung strukturiert ist, vollzieht sich letztlich in der reinen Theorie letztbegrndeter Philosophie. Damit geht eine deutliche Positionierung sowohl in der heranzuziehenden Primr- als auch in der vorhandenen Sekundrliteratur einher. Denn die Primrliteratur kennt divergierende Aussagen zu der Frage der Aufhebung der Religion in die Philosophie. Whrend besonders die enzyklopdischen Texte explizit von der Aufhebung reden, reden die Vorlesungen und speziell die spteren Kollegs auch von der Realisierung der Gemeinde etwa in der Sittlichkeit. Der Struktur und dem Verlauf des Gesamtsystems Hegels aber entspricht es, die Vollendung der gottmenschlichen Einheit mit der Aufhebung der Religion in die Philosophie einher gehen zu sehen. Mit dieser Rekonstruktion positioniert sich die vorliegende Arbeit zugleich in der Sekundrliteratur, in zweifacher Hinsicht. Erstens stellt es eine Besonderheit dar, die Religionsphilosophie dadurch zu rekonstruieren, dass sie auf ihre begriffliche Struktur hin durchsichtig gemacht wird. Noch seltener ist es, dazu die absolute Idee als das Schlusskapitel der WL heran zu ziehen. Denn bis heute arbeitet eine Vielzahl von Studien zu Hegels Religionsphilosophie ohne ausfhrlichen Rekurs auf die WL. Und bis jetzt hat noch keine eine umfassende Bearbeitung der absoluten Idee als der zu analysierenden Grundstruktur vorgelegt. Die Arbeit positioniert sich noch aus einem zweiten Grund in der Sekundrliteratur: Denn nicht nur in den ersten Jahrzehnten nach Hegels Tod, sondern auch in den letzten vierzig Jahren und bis heute wird eine kontroverse Debatte um die Frage nach der Aufhebung der Religion in die Philosophie gefhrt. Um die Verortung meiner Beobachtung in der Sekundrliteratur zu verdeutlichen und um eine Handreichung fr die zuknftige Forschung zu geben, wird daher dem Hauptteil der Arbeit ein Forschungsberblick ber die in den letzten vierzig Jahren erschienenen, monographischen, deutschsprachigen Arbeiten zu Hegels Religionsphilosophie vorangestellt (I.2). I.1.3. Kritik an Hegel und gegenwartshermeneutische Perspektiven Ist die Zentralbeobachtung im Forschungsberblick verortet und im Hauptteil verifiziert, so soll in einem abschließenden, letzten Teil die Rationalitt und gegenwrtige Relevanz des Analysierten bedacht werden (III.). So wird zuerst eine Diskussion um die Rationalitt der Grund-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

struktur gefhrt, indem sie aus theologischer wie aus philosophischer Sicht kritisiert wird (III.1.). Die Relevanz dieser Kritik gerade fr die gegenwrtige Systematische Theologie wird deutlich, wenn man sich nochmals die Zentralbeobachtung dieser Arbeit vergegenwrtigt. Sie besagt, dass Hegel ganz folgerichtig aufgrund seiner Struktur zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie gelangt und die dem Chalcedonense entsprechende gottmenschliche Einheit in philosophierendem Denken vollendet sieht. Fhrt also eine konsequent gedachte und kohrent ausgefhrte Christologie zu der Negation der Religion als Religion? Hat eine christliche Theologie, die darin ihrer Aufgabe zu entsprechen sucht, dass sie den chalcedonensischen Zentralbestimmungen der gottmenschlichen Einheit konsequent nachdenkt, die Aufhebung der Religion in die Philosophie zu propagieren? Stimmt die Beobachtung, dass Hegel konsequent denkt und die Aufhebung der Religion aus seiner Grundstruktur folgt, so geht damit einher, dass es intellektuell unredlich wre, „Lebendiges von dem Toten“16 an Hegel scheiden zu wollen und ihn nur in gewissen Hinsichten oder bis zu einem gewissen Punkt zu rezipieren. Zu meinen, Hegel etwa mit Verweis auf anders lautende Aussagen christlicher Orthodoxie nur bis zu dem Punkt bernehmen zu kçnnen, an dem die Aufhebung der Religion in die Philosophie beginnt, verkennt die Kohrenz Hegelschen Denkens. Vielmehr gibt es nur zwei Mçglichkeiten, auf Hegel zu reagieren. Entweder es ist der von Hegel vorgetragenen These im Ganzen zuzustimmen, so dass sich die gottmenschliche Einheit tatschlich in der Philosophie vollendet. Oder sie ist als Ganzes abzulehnen. Dass sie als Ganzes abzulehnen ist, lsst sich aus theologischer wie aus philosophischer Perspektive begrnden. Die theologische Kritik an Hegel wirft ihm vor allem die unsachgemße Vermischung von opus Dei und opus hominum vor. Bedroht diese Vermischung die Rechtfertigungslehre, so wird mit ihr das zentrale Theologumenon des Protestantismus verletzt. Denn aufgrund der Grundstruktur absoluter Vermittlung, in der ein Selbst es selbst wird, braucht der unendliche Geist den endlichen, um vollentwickelter absoluter Geist zu werden. Theologisch reformuliert, braucht Gott den Menschen, um seine Gottheit voll zu entfalten. Damit ist der sndige Mensch als Mittel zum Zweck zugleich Bedingung der Mçglichkeit der Selbstwerdung der Gottheit Gottes, die sich als Philosophie vollendet. Das aber stellt einen theologisch unhaltbaren Gedanken dar. Zielt die theologische Kritik somit auf materiale Bestimmungen, so ist als ihre letzte Ursache dennoch das auszu16 Siehe dazu Croce, Lebendiges.

I.1. Einleitung

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machen, was Hegels religionsphilosophisches Denken als Ganzes prgt: die Grundstruktur absoluter Vermittlung. Auf die Rationalitt dieser Grundstruktur zielt daher die philosophische Kritik. Sie allein (und nicht die theologische) ist die den Hegelschen Maßstben von Kritik angemessene, weil sie allein immanente Kritik vorzubringen vermag. Sie zeigt im Anschluss an Einsichten Schellings, dass Hegels Grundstruktur absoluter Vermittlung rational nicht haltbar ist. Vielmehr ist Dialektik gerade darin dialektisch, nicht nur Dialektik zu sein, sondern wesentlich von dem ihr vorgngigen Anderen zu dependieren, ohne das sie nicht sie selbst wre. Daher ist eine zu Hegel alternative Grundstruktur zu fordern. Diese setzt eine Voraussetzung an, die der Vermittlung bleibend vorgngig ist, nicht in diese aufgehoben werden kann und sie so gerade allererst ermçglicht. Begrndungstheoretisch gesprochen bedeutet dies, dass die Philosophie einsieht, dass Letztbegrndung undurchfhrbar ist. Diese durch Selbsteinsicht vollzogene Selbstbegrenzung der Vernunft heißt zugleich, dass die Religion als Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes etabliert wird. Auf den religiçsen Symbolhaushalt selbst und damit auf die Trinittslehre als die Rahmentheorie und auf die Christologie als den zentralen Fokus der vorliegenden Arbeit angewandt, impliziert das: Gegen Hegel ist dem Vermittlungsgeschehen der Trinitt ebenso wie der gottmenschlichen Einheit in aller Vermittlung Entzogenheit zu eigen, die fr jede Vermittlung konstitutiv ist.17 Die Gott wesentliche Vermittlung mit sich und den Menschen dependiert bleibend von der nie in absolute Vermittlung einzuholenden, vorgngigen Entzogenheit, welche die Gottheit Gottes garantiert. Mit dieser Einsicht soll abschließend auf zweierlei andere Weise auf gegenwrtige Debatten in der Systematischen Theologie Bezug genommen werden (III.2.). So erfolgt einerseits ein Blick auf die explizite Verwendung Hegels. Andererseits wird der gegenwrtige implizite Hegelianismus erhellt. In kritischer Auseinandersetzung mit der Hegel-Rezeption Jngels in dessen Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt wird dafr pldiert, dass es nicht Hegelgemß ist, bei Hegel Lebendiges von Totem zu trennen und daher einige Aspekte Hegels zu bernehmen, andere aber nicht. Will man Momente an Hegel bernehmen, so sind diese in einem Gesamtsystem zu entwickeln, das auf einer zu Hegel alternativen Grundstruktur aufgebaut ist. Ob die Hegelsche Grundstruktur nun selbst in der gegenwrtigen Theologie benutzt wird und ob es daher so etwas wie einen impliziten Hegelianismus in der gegenwrtigen Theologie gibt, soll danach durch 17 Siehe dazu Mhling/Wendte, Entzogenheit in Gott.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

eine kritische Analyse der Trinittslehren von Jrgen Moltmann und Gisbert Greshake erçrtert werden. Diese beiden sind nicht nur gewichtige Vertreter der zeitgençssischen protestantischen bzw. katholischen Theologie, sondern reprsentieren auch in ausgezeichneter Weise den gegenwrtigen impliziten Hegelianismus bzw. dessen Alternative. Abschließend wird eine Zusammenfassung geboten, die die wichtigsten Argumente und Ergebnisse der Arbeit prsentiert und daher von eiligen Lesern gleich zu Beginn gelesen werden kann.

I.2. Forschungsberblick Der Forschungsberblick ber die fr meinen Bereich relevanten Arbeiten sei mit dem Hinweis begonnen, dass keine der fr meinen Bereich relevanten Arbeiten mit einem Forschungsberblick beginnt.18 Wohl gibt es einerseits eigenstndige Forschungsberblicke auch in monographischer Form19 und andererseits einige in eine Arbeit integrierte Forschungsberblicke zu einem begrenzten Sachverhalt.20 Aber es fehlen solche Forschungsberblicke, die im Rahmen einer Arbeit einleitend einen ersten berblick ber die vorhandene Sekundrliteratur geben. Der Grund dafr mag die berflle der vorhandenen Literatur sein, die es verunmçglicht, den gesamten Forschungsstand zu prsentieren. Um den Rahmen des vorliegenden Buches nicht zu sprengen, muss auch die folgende Darstellung eine Vielzahl von Abgrenzungen vornehmen. Jeweils mit wenigen, eigens ausgewiesenen Ausnahmen ist der berblick daher auf folgende Literatur begrenzt: Es werden nur Monographien in deutscher Sprache bercksichtigt. Diese mssen zudem ab 1965 erschienen sein und in ihrem Inhalt wesentliche Aspekte der Religions18 Dabei wird von Splett, Die Trinittslehre, 10 f., abgesehen, der sein Buch mit einem Forschungsberblick zu Hegels Trinittslehre beginnt – seiner Zeit entsprechend verweist dieser aber nur auf eine einzige Arbeit von der Lnge von achtundvierzig Seiten. 19 Der wichtigste Forschungsberblick bietet die Monographie von Jaeschke, Die Religionsphilosophie. 20 So bietet Heede, Die gçttliche Idee, 270 – 306, bes. 276 – 283, eine vollstndige Aufarbeitung der Literatur zu den drei Schlssen der Theologie und vor allem zu denen der Philosophie in Enz., §571 und §575 – 577 (20, 553 f. und 569 – 571), und Huber, Idealismus, 91 – 103, prsentiert wichtige Etappen der Forschung betreffs der Frage der Drei- oder Einpersçnlichkeit Gottes sowie zu der Frage, ob Hegel eine Binitt oder eine Trinitt prsentiert.

I.2. Forschungsberblick

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philosophie des reifen Hegels als des Hegels des Systems nach der PhG21 thematisiert.22 Diese Abgrenzungen implizieren auch, dass die Literatur zur absoluten Idee nicht eigens dargestellt wird, obwohl das vorliegende Buch die absolute Idee ausfhrlich auslegt. Da das Buch aber primr religionsphilosophisch angelegt ist und der Umfang des folgenden Abschnittes maßlos ausgeweitet werden wrde, wenn auch die Literatur zur

21 Dazu, dass Hegel nach der PhG das Absolute explizit als konkrete Unendlichkeit fasst und daher ab hier von dem reifen oder spten Hegel gesprochen werden kann, siehe auch Halfwassen, „Der Einfluss“, 85 f. 22 Durch die monographische Form sind fast alle der fr uns wichtigen Arbeiten zum Thema erfasst, und es ist zugleich eine wesentliche Reduktion des Stoffes erreicht. Die Begrenzung auf die deutsche Sprache erfolgt zum einen aus arbeitsçkonomischen Grnden und spiegelt zum anderen die Situation einer Forschung wider, die gegenwrtig in ihren Referenzen noch zu großen Teilen innerhalb des jeweiligen Sprachraums verbleibt. Die in deutschsprachiger Literatur oft zitierte englischsprachige Arbeit von Yerkes ist die die Regel besttigende Ausnahme, die von uns auch deshalb herangezogen wird, weil sie der Christologie gewidmet ist. Auch die Begrenzung auf die Literatur ab 1965 ist dem doppelten Motiv von Arbeitsçkonomie und gegenwrtiger Forschungssituation geschuldet. So erschien 1965 die Arbeit von Splett, zu der mit Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 85, gesagt werden kann, dass sie „die gegenwrtige Phase der Thematisierung der Trinittslehre erçffnete“. Denn sie verfolgt erstmals die Trinittslehre Hegels durch das Gesamtwerk hindurch und stellt auch wegen zahlreicher, bis heute diskutierter Forschungsthesen einen wirklichen Einschnitt in der Forschungsliteratur dar. Die Begrenzung auf solche Literatur schließlich, die primr der Religionsphilosophie zuzuordnende Themen anhand der religionsphilosophischen Texte Hegels behandelt, fhrt dazu, dass auf zwei Arten von Literatur zu Hegel hier nicht weiter eingegangen wird. Zum einen werden solche Bcher nicht weiter vorgestellt, die im Rahmen eines anderen Themas oder unter Rckgriff vor allem auf nicht-Hegelsche Literatur auch Teile von Hegels Religionsphilosophie darstellen. Eine Arbeit wie etwa die von Frey, Die Reflexion, findet somit ebenso wenig einen Platz in dem Forschungsberblick wie die Arbeit von Cornehl, Die Zukunft. Zum anderen werden auch solche Arbeiten nicht eigens vorgestellt, die religionsphilosophische und theologische Aspekte Hegelschen Denkens allein anhand der WL oder anderer Logik-Entwrfe Hegels abhandeln. Somit scheiden Arbeiten wie Majetschak, Die Logik, ebenso aus wie von Dffel, Die Methode. Abschließend sei erwhnt, dass wir uns in der Primr- wie in der Sekundrliteratur auf den Hegel des Systems und somit auf die Vorlesungen zur Religionsphilosophie und auf die entsprechenden enzyklopdischen Paragraphen als die großen religionsphilosophischen Schriften nach der PhG konzentrieren, da allein sie die uns interessierende Verbindung von logischer Struktur und materialer Ausfhrung bieten.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

absoluten Idee Erwhnung fnde, kann sie hier nicht eigens besprochen werden.23 Innerhalb dieser Begrenzungen ist ein Forschungsberblick dennoch ein sinnvolles Unterfangen, aus drei Grnden. Erstens kann die Sekundrliteratur als Spiegel charakteristischer Aspekte der Primrliteratur gelesen werden. Somit wird mit der Prsentation der Sekundrliteratur ein erster Einblick in die auszulegende Primrliteratur erçffnet. Zweitens sind die letzten ausfhrlichen Forschungsberichte zwanzig Jahre alt,24 so dass der vorliegende als erste Orientierung fr zuknftige Forschungen dienen kann.25 Drittens erlaubt er, das Profil des vorliegenden Buches in Anknpfung und Abgrenzung zum gegenwrtigen Forschungsstand zu verdeutlichen. Unter I.3. wird dieser letzte Punkt eigens dargelegt. Gerade zwischen dem zweiten und dem dritten Grund besteht eine gewisse Spannung. Denn ein Forschungsberblick, der primr als erster Orientierungspunkt fr weitere Forschung entworfen ist, wird evtl. dem Aufriss und der Schwerpunktsetzung des jeweiligen Autors selbst folgen und die verschiedenen Arbeiten chronologisch ordnen. Hingegen prsentiert ein Forschungsberblick, der der Verdeutlichung des Profils der eigenen Arbeit dient, die jeweiligen Arbeiten vor allem vor der Matrix der eigenen Fragestellung. Um beiden Aspekten gerecht zu werden, wird der Forschungsberblick nicht nach Themen sortiert,26 sondern anhand zweier anderer Kriterien.27 23 Eine weitgehend vollstndige Auflistung der deutschsprachigen Literatur zur absoluten Idee findet sich als Literaturverzeichnis bei Schfer, Die Dialektik, 331 – 339. 24 Neben der erwhnten Monographie Jaeschkes, Die Religionsphilosophie, sei vor allem auf die beiden bedeutenden Aufstze Graf/Wagner, „Einleitung“, sowie Jaeschke, „Flucht“, verwiesen. 25 Selbstredend sind die meisten der im Folgenden prsentierten Monographien in den einschlgigen Zeitschriften rezensiert worden; gerade auf die Hegel-Studien sei ausdrcklich verwiesen. Neuere Sammelrezensionen oder Forschungsberblicke zur Religionsphilosophie Hegels aber fehlen auch dort. 26 Gegen die Sortierung von Themen spricht zum einen, dass sich ganz sachgemß fast alle Arbeiten unter der jeweiligen Schwerpunktsetzung dem Gesamt der Religionsphilosophie widmen, so dass die jeweilige Wahl des Schwerpunktthemas die Arbeit nur in Grenzen charakterisiert. Zum anderen wre dieser Zugriff insofern als Ordnungsschema ungeeignet, als außer einer gewissen Konzentration auf die Trinittslehre ein dermaßen bunter Strauß an Schwerpunktthemen verhandelt wird, dass fasst jede Arbeit ihre eigene Kategorie bruchte. 27 Auch als berblick ber alle im Folgenden vorgestellten Arbeiten seien hier die besprochenen Titel einmal in chronologischer Reihenfolge aufgefhrt: Splett, Die Trinittslehre, 1965; Kng, Die Menschwerdung, 1970; Theunissen, Hegels

I.2. Forschungsberblick

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Zum ersten wird mit der Gretchenfrage zu wissen begehrt, wie Hegel es mit der Religion hlt. Einig sind sich alle verhandelten Arbeiten darin, dass Hegels Gesamtprojekt als philosophische Theologie zu begreifen ist.28 Strittig aber ist, wie die positive Religion und besonders das Christentum zu der philosophischen Theologie zuzuordnen ist. Hierbei stehen sich zwei Lesarten gegenber. Die eine Lesart sei die „religiçse“ genannt und zeichnet sich durch zweierlei aus. Sie meint ausdrcklich, dass Hegels Ontotheologie geltungstheoretisch von der positiven Religion und besonders von dem Christentum bzw., vermçgenstechnisch gewendet, von der Vorstellung abhngt. Zustzlich oder getrennt davon meint sie ausdrcklich, dass es im Systemverlauf von Hegels Ontotheologie nicht zu der Aufhebung der positiven Religion in die Philosophie kommt. Vielmehr meint sie, dass die positive Religion in den ihr eigenen Vollzgen bleibend als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes zu fassen ist. Die dem entgegenstehende Lesart soll die „philosophische“ genannt werden und vertritt in Bezug auf die beiden Fragen jeweils die andere Option. Sie betont also, dass Hegels Ontotheologie geltungstheoretisch nicht von der positiven Religion abhngt, und dass, zustzlich oder getrennt davon, der Systemverlauf zu der Aufhebung der positiven Religion und ihrer Vollzge in die Philosophie fhrt. Dieses Ordnungsschema hat den zweifachen Vorteil, dass sich zum einen fast alle Arbeiten explizit in ihm positionieren oder es sogar selbst zu ihrem Schwerpunkt machen. Zum anderen verortet es die Forschungsliteratur im Hinblick auf eine fr mein Buch zentrale Frage. Denn es will unter Rekurs auf die WL die philosophische Lesart plausibilisieren.29 Damit wird anhand dieses Lehre, 1970; Wagner, Der Gedanke, 1971; Heede, Die Gçttliche Idee, 1972; Coldehoff, Das Problem, 1973; Schmidt, Hegels System, 1974; Leuze, Die Religion, 1975; Ringleben, Hegels Theorie, 1977; Yerkes, Christology, 1978; Anton, Die Religion, 1980; Huber, Idealismus, 1984; Jaeschke, Die Vernunft, 1986; Dierken, Gott, 1987; Kruck, Hegels Religionsphilosophie, 1994; Keyserlingk, Die Erhebung, 1995; Schulz, Sein, 1997; Dellbrgger, Gemeinschaft, 1998; Trawny, Zeit, 2002. 28 Um an das bereits in der Einleitung prsentierte Zitat zu erinnern, kann Hegel mit VL1, 3 sagen: „Er [Gott] ist der eine und einzige Gegenstand der Philosophie“. Siehe auch Enz., §1, 33 (20, 39). 29 Obwohl das entwickelte Ordnungsschema insgesamt von einiger Aussagekraft ist, gebietet es die intellektuelle Redlichkeit zuzugeben, dass es bei ganz wenigen Arbeiten gewisse Zuordnungsschwierigkeiten betreffs der erwhnten Kriterien gibt. So geht etwa die Arbeit von Wagner, Der Gedanke, implizit davon aus, dass Hegels System geltungstheoretisch nicht von der positiven Religion abhngt (und wre in dieser Hinsicht durchaus der philosophischen Lesart zuzuordnen). Da Wagner aber ausfhrlich darlegt, wie sich die Persçnlichkeit Gottes im Selbst-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Schemas sowohl eine fr die zuknftige Forschung relevante Einteilung angeboten als auch die Verortung der Arbeit in der gegenwrtigen Debattenlage ermçglicht. Daher sollen im Folgenden zunchst die Arbeiten der religiçsen und sodann die der philosophischen Lesart vorgefhrt werden. Zudem soll ein weiteres Ordnungsschema herangezogen werden, das wiederum sowohl an die expliziten Eigenaussagen der zu besprechenden Arbeiten anknpft als auch fr die vorliegende Arbeit von entscheidender Bedeutung ist. So wird im Folgenden notiert, ob das jeweilige Buch auf die WL zurckgreift oder nicht. Entsprechend wird im Folgenden zuerst die religiçse und sodann die philosophischen Lesart vorgestellt. Innerhalb dieser zwei Lesarten wird jeweils differenziert zwischen solchen Arbeiten, die zudem noch auf die WL zurckgreifen und solchen, die darauf verzichten. Ergeben sich somit vier Unterabschnitte, so sind die Arbeiten in den jeweiligen Unterabschnitten chronologisch geordnet. Innerhalb dieses Ordnungssystems wird die jeweilige Arbeit dann folgender Maßen vorgestellt. Zur Information auch fr die weitere Forschung werden von jeder Arbeit der Autor, der Titel und das Erscheinungsjahr notiert. Zudem werden das verwendete Material sowie die zentralen Inhalte samt der jeweiligen These kurz vorgestellt. Des Weiteren werden die fr die beiden Ordnungsschemata relevanten sowie weitere, im Verlauf der Arbeit aufzunehmenden berlegungen prsentiert. Abschließend wird die Arbeit im Petit-Druck ußerst knapp diskutiert, wobei ich mich vor allem auf die fr mein Buch besonders relevanten Aspekte konzentriere. Die Diskussion schließt mit Verweisen auf diejenigen Stellen meines Buches, an denen die zur Debatte stehende Sache ausfhrlich erçrtert wird.

I.2.1. Die Vertreter der religiçsen Lesart Hegels I.2.1.1. Die religiçse Lesart ohne Bezug auf die WL Der Forschungsberblick beginnt mit einer Arbeit, die nicht nur die Debatte um die religiçse Lesart selbst zum Schwerpunkt ihrer eigenen Untersuchung macht, sondern die zudem anhand dreier pointierter bewusstsein der Gemeinde vollendet und damit zwar implizit solche Argumente prsentiert, die fr die Aufhebung der Religion in die Philosophie sprechen, diese Konsequenz aber selber gerade nicht zieht und die Vollendung der Persçnlichkeit Gottes in der Gemeinde vollbracht sieht, wird er in die religiçse Lesart eingeordnet.

I.2. Forschungsberblick

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Thesen die religiçse Lesart Hegels vehement zu verteidigen sucht. Es handelt sich dabei um die 1973 publizierte Dissertation von Hildegard Coldehoff, Das Problem der berwindung der Vorstellung in Hegels religionsphilosophischem Manuskript. Ziel ihrer Arbeit ist es, „einen Teil des systematischen Ganzen, d. h. der Religionsphilosophie Hegels, und zwar wie sie im Manuskript der Vorlesungen von 1821 dargestellt ist, [zu] ,buchstabieren‘ unter Bercksichtigung und im Hinblick auf die Einheit des Werkes“ (2).

Wie der Titel nahe legt, geht Coldehoff der fr die Religion in der Tat entscheidenden Frage nach der Vorstellung nach und will dabei drei Thesen verteidigen. Zum ersten ist die Vorstellung bleibend Voraussetzung des Begriffs. Zum zweiten mndet der Begriff selbst wiederum in die Vorstellung ein. Zum dritten bedeutet die in der Religion und vor allem im Kultus tatschlich immer wieder auftretende Aufhebung der Vorstellung in den Begriff keineswegs die Aufhebung der Religion in die Philosophie. Vielmehr gehen Kult und Philosophie auf dasselbe aus, auf die „Versçhnung und Vereinigung mit Gott“ (210), und „die Religion soll von Hegel nicht nur nicht ,beseitigt‘, sondern vielmehr zu neuer Blte gebracht werden“ (10). Um ihre Thesen zu vertreten, geht Coldehoff in fnf Schritten vor: Nach der „Exposition des Problems“ (Kapitel A) prsentiert sie ihre erste These von der „Vorstellung als Ausgangspunkt“ (Kapitel B), ehe sie „[d]ie transzendentale Struktur des Begreifens“ (Kapitel C) und damit den Zusammenhang von Anschauung, Vorstellung und Denken prsentiert. In der „Geschichte der Religionen“ (Kapitel D) analysiert sie die Religionsgeschichte einschließlich des Christentums anhand der dort verwendeten Einteilungsschemata von Begriff, Vorstellung und Kultus, ehe sie in dem zusammenfassenden Schlusskapitel E „[d]ie Vorstellung und die Gesamtstruktur der Religionsphilosophie“ bedenkt. Doch auch nach ihren Ausfhrungen vermag keine der Thesen Coldehoffs zu berzeugen. Dass mit der ersten These die Vorstellung bleibende Voraussetzung des Begriffs ist, entspricht zwar dem empirischen Vorgehen der Menschen, nicht aber dem wissenschaftlichen Weg Hegels. Zwar vertritt Hegel Coldehoffs These am Beginn des von ihr zugrunde gelegten Manuskripts von 1821. Htte Coldehoff aber ihrem eigenen Anspruch entsprochen und das Manuskript „im Hinblick auf die Einheit des Werkes“ gelesen und sich von diesem her korrigieren lassen, so wre ihr aufgefallen, dass alle spteren Kollegs und auch der Systemaufbau Hegels seinem wissenschaftlichen Weg folgen (siehe II.1.2.). Die zweite These von der immer wieder zu konstatierenden Einmndung des Begriffs in die Vorstellung macht zwar eine zutreffende Beobachtung. Sie nimmt aber die bildungspraktische Aufgabe der Religionsphilosophie und damit Hegels Interesse,

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

sich seinen religiçs gebundenen Zuhçrern verstndlich zu machen, fr die Arbeit des Begriffs selbst (siehe II.3.2.3.2.). Die Behauptung schließlich, Hegel kçnne Religion und Vorstellung dissoziieren und es sei ihm daran gelegen, die Religion zu neuer Blte zu bringen, widerspricht schlicht dem Text (siehe II.3.4.6.). So muss auch Coldehoff die am Ende des Manuskripts nicht zu berlesende Aufhebung der Religion in die Philosophie ihrerseits so kommentiert, dass „die Ironie und der schwbische Humor Hegel hier nicht zu bersehen ist“ (208). Mit den hier vorgebrachten Argumenten jedenfalls lsst sich die theologische Lesart Hegels nicht verteidigen.

Ebenfalls eine pointiert religiçse Lesart vertritt die 1978 publizierte Dissertation von James Yerkes, The Christology of Hegel. Dessen Arbeit „is an attempt to demonstrate that Hegel’s mature speculative philosophy of the Absolute as Spirit may best be understood as an explicit function of distinctly religious presuppositions – presuppositions which ultimately are rooted in his convictions about the decisive revelatory and redemptive importance of the Christ event in human history“ (1).

Um seine These zu verteidigen, widmet Yerkes sich primr der Rekonstruktion Hegelschen Denkens, weniger dessen Verortung in dem zeitgençssischen Kontext. Letzteres zeichnet Yerkes nur in dem ersten Kapitel nach, das den Jugendschriften gewidmet ist, und in dem letzten Abschnitt des Buches als der „Conclusion“. Sie nimmt Impulse aus dem ersten Kapitel auf und sieht nicht nur den frhen, sondern auch den spten Hegel als Volkserzieher. Denn Hegel will in der Zeit einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft und in dem sich durchsetzenden Bewusstsein historischer Distanz zu Jesus Christus die existentielle Bedeutung des als Geist prsenten Christus propagieren. Die zentralen drei Kapitel verwenden alle relevanten realphilosophischen Texte des spten Hegels von der PhG ber die Enz., die GRPh und die Vorlesungen zur Religionsphilosophie, zur Philosophie der Geschichte und zur Geschichte der Philosophie und fokussieren sich auf die Inkarnation. Denn Yerkes „decided to take Hegel at his word when he insisted that the Christian doctrine of the Incarnation was the ,speculative central point‘ (Mittelpunkt) of his system“ (3).

Um das zu verdeutlichen, entwirft Yerkes im zweiten Kapitel Hegels allgemeine Religionstheorie in ihrer theoretischen wie praktischen Dimension. Die theoretische Dimension widmet sich der denkerischen Erhebung des Endlichen zum Unendlichen, welches das Ziel jedes Denkens ist, sowie einer genauen Analyse der Vorstellung als derjenigen Form, in der sich dieser allgemeine Denkvollzug in der Religion vollzieht. Die praktische Dimension befasst sich mit dem Kult, dem Staat und ihrer

I.2. Forschungsberblick

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Verbindung. Letztere besteht darin, dass die erkannte Wahrheit der Welt auch die Formung sozialer Welten beeinflusst. Diese allgemeinen Bestimmungen werden im folgenden dritten Kapitel der von Hegel vorgenommenen Rekonstruktion des Christentums zugeordnet. Dabei wird in Aufnahme der Einteilung des vorher bestehenden Kapitels wiederum eine theoretische von einer praktischen Hinsicht unterschieden. Die Zuordnung ist so zu fassen, dass alle Religionen defizitre Formen des Christentums sind, im Christentum aber der Begriff selbst vollendet prsent ist: „the unique and decisive character of these Christian Vorstellungen, however, is that their empirically objective historical occasion in the life of Jesus of Nazareth is an absolutely adequate expression of the ontological incarnational truth of the divine idea in-and-for-itself“ (181).

Whrend es somit in ontologischer Hinsicht eine Entwicklungsgeschichte der Religionen hin zum Christentum gibt, ist die Entwicklungsgeschichte in epistemologischer Hinsicht abhngig von dem Erscheinen des Christentums. Eine Abhngigkeit von der Faktizitt des Christentums besteht nun auch fr die Philosophie, und zwar nicht nur in genetischer, sondern desgleichen in geltungstheoretischer Hinsicht. Hegels „philosophy is the speculative expression of the fundamental truth of the Christian doctrine of the Incarnation“ (161), welche sie als ihre „absolute presupposition“ (161) akzeptiert. Entsprechend kann Yerkes schreiben, dass „Hegel’s philosophy of religion is clearly intended by him to be a philosophy of religion based on, i.e., epistemologically and methodologically normed by, the Christian fact“ (288).

Mit dem letztem Zitat ist bereits Yerkes‘ viertes Kapitel erreicht, das das Verhltnis von Christologie, Theologie und Philosophie bestimmt. Zwar befindet sich die Philosophie auch geltungstheoretisch in bleibender Abhngigkeit vom Christentum und kann von daher auch keineswegs die Religion aufheben. Dennoch kommt ihr eine wichtige Funktion zu, da die von ihr vorgenommenen begrifflichen Klrungen gerade fr die Theologie in der Moderne eine große Hilfe sind. Die Arbeit von Yerkes bietet eine Vielzahl oft sehr prziser Untersuchungen zu Einzelthemen und grçßeren Zuordnungen. So sind gerade seine Ausfhrungen zu der Vorstellung positiv hervorzuheben und auch die Verbindung des allgemeinen Religionsbegriffs mit dem Christentum. Seine Leitthese aber ist strikt abzulehnen. So richtig die Annahme ist, dass die neuzeitliche Philosophie und besonders die Hegels in genetischer Perspektive auch vom Christentum abhngt (auch wenn das individual-biographisch umstritten ist: Hegels entscheidende Denkfiguren erwuchsen wohl nicht in dem Maße aus seiner christlicher Erzie-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

hung wie frher gedacht), so falsch ist es, dies in geltungstheoretischer Hinsicht zu behaupten (siehe II.3.2.3.2). Denn die Analyse der einschlgigen Stellen beweist eindeutig, dass Hegel ein letztbegrndender Denker ist (siehe II.1.). Es wre sogar zu prfen, ob nicht Yerkes selbst diese Einsicht implizit in Anspruch nimmt. Denn wie bereits erwhnt, wurde die von ihm ganz richtig vorgetragene Feststellung, dass das Christentum die absolute Religion ist, damit begrndet, dass „the unique and decisive character of these Christian Vorstellungen, however, is that their empirically objective historical occasion in the life of Jesus of Nazareth is an ,absolutely adequate‘ expression of the ontological incarnational truth of the divine idea in-and-for-itself“. Kann die Absolutheit des Christentums aber nur deshalb verteidigt werden, weil das Christentum als „absolutely adequate expression“ der Wahrheit der Idee gefasst wird, dann darf die Idee begrndungstheoretisch gerade nicht von der christlichen Erfahrung abhngig sein.

Den jngsten Versuch einer entschiedenen Verteidigung der religiçsen Lesart Hegels ohne Rekurs auf das logische Fundament bietet die 1998 verçffentlichte Dissertation von Gnther Dellbrgger, Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Hegels Theorie des Kultes. Dellbrgger stellt seine Arbeit zu Hegels Kulttheorie in einen weiten Zusammenhang, stellt sie doch nur „den ersten Teil einer grçßeren Arbeit dar. Geplant ist, auf dem Hintergrund der neu interpretierten Religionsphilosophie Hegels die neuere Zuwendung zu Kultus und verwandten religiçsen Phnomenen im 19. und 20. Jahrhundert […] zu beleuchten“ (V).

In dieser Arbeit konzentriert sich Dellbrgger aber noch ganz auf Hegel, auch wenn er die Hegelschen Gedanken durch eine Vielzahl von Rekursen auf die Positionen von Zeitgenossen Hegels wie etwa Schelling und Goethe erhellt. In einem ersten Teil bietet er eine Einfhrung zu Hegels Verhltnis zum Protestantismus, ehe er in fnf weiteren Teilen chronologisch die Entwicklung der Hegelschen Religionsphilosophie dargelegt. So widmen sich die ersten vier der fnf Teile den verschiedenen Phasen dieser Entwicklung von den ersten berlieferten ußerungen Hegels zur Religion von 1785 bis zu einer ausfhrlichen Auseinandersetzung mit der Naturrechtsvorlesung von 1802/03. Der letzte Teil behandelt die PhG und die Berliner Vorlesungen, ehe Dellbrgger nochmals seine eigene These prsentiert. Diese besteht darin, dass auch der spte Hegel in Anlehnung an Schellings Idee einer johanneischen Kirche auf einen Kult abzielt, der die Wahrheit des Katholizismus wie des Protestantismus in sich aufhebt. So verbindet er die Objektivitt und In-

I.2. Forschungsberblick

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haltsflle des Katholizismus mit der Subjektivitt und persçnlichen Aneignung des Protestantismus, oder „der Kultus ist ein Tun des Individuums, und zugleich ein Gçttliches“ (3, u. ç.). In dem Kult „entsteht“ die Selbstgewissheit „der Versçhnung von Gott und Mensch“ (367). Der Kult beinhaltet nun ein philosophisches Element, ohne „daß durch solche ,Erkenntnishilfe‘ die Philosophie sich ber die Religion als solche erhebe. Denn diese [die Religion] umfaßt nicht nur das religiçse Bewußtseinsverhltnis, sondern auch die religiçse Praxis, den Kultus im weitesten Sinne“ (373).

Dellbrgger liefert fr die Unaufhebbarkeit der Religion folgende Argumentationskette: Anders als in seinen systematischen Werken betont Hegel in den Vorlesungen, dass das Christentum nicht primr als ein Wissen aufzufassen ist. Denn in seinem Mittelpunkt steht keine Lehre, sondern eine Tat. Diese Versçhnungstat Christi wird von den Menschen heute in dem fr das Christentum wesentlichen Kult angeeignet. Damit wird sie vom Menschen nicht nur in das Bewusstsein aufgenommen, sondern fhrt durch Vernderung seines Willens auch zu einer neuen Selbstgewissheit. Da aber Philosophie allein fr das Bewusstsein des Menschen und somit nur fr den Lehr-Aspekt des Christentums zustndig ist, kann und soll sie diesen zwar aufhellen. Sie kann aber die Religion als solche nicht aufheben, da die Religion auf einer Tat grndet und im Kult auf eine neue Selbstgewissheit zielt. So stellt der Schlusssatz zusammenfassend fest: „Die These, Hegel habe nicht nur das Ende der Kunst, sondern auch das Ende der Religion behauptet, ist nicht lnger haltbar“ (375). Es ist positiv hervorzuheben, dass Dellbrgger die gesamte Entwicklung des Hegelschen religionsphilosophischen Denkens darlegt und gerade die Naturrechtsvorlesung sehr ausfhrlich exegetisiert. Auch sein Ansatz verdient Beachtung, den Kult in den Mittelpunkt einer Rekonstruktion der Hegelschen Religionsphilosophie zu stellen. Der These seiner Arbeit aber ist zu widersprechen. Zum einen ist fraglich, ob Hegel tatschlich dem Protestantismus als solchen oder nicht vielmehr nur die protestantische Spielart seiner Zeit als defiziente Form von Religion ansieht. Wesentlicher aber ist, dass Hegel auch in den Vorlesungen nicht auf eine philosophische Religion Schellingscher Prgung abzielt, sondern tatschlich auf die Aufhebung der Religion in die Philosophie (siehe II.3.4.6.). Denn entgegen Dellbrggers Annahme sind die systematischen Werke Hegels von seinen Vorlesungen nicht in der vorgeschlagenen Art zu trennen. So stellen auch die systematischen Werke die Versçhnungstat Christi in den Mittelpunkt und gehen davon aus, dass diese durch eine Vernderung des Willens im Kult anzunehmen ist und zu einer neuen Selbstgewissheit der Menschen heute fhrt, siehe Enz., §§569 f., 448 f. Damit aber mssen umgekehrt auch die Vorlesungen der Folgerung der systematischen Werke entsprechen und die Re-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

ligion in die Philosophie aufheben. Denn anders als von Dellbrgger angegeben, ist die Philosophie nicht in einem abstrakten Sinne allein fr das Bewusstsein zustndig, das bloß als ein minder wichtiger Teil einer zwei- oder dreiteiligen Anthropologie aufzufassen ist. Vielmehr ist die Philosophie gerade diejenige Disziplin, in der der neuen, im Kult entstandenen Selbstgewissheit entsprochen wird. Denn gerade weil diese Selbstgewissheit von der differenzierten, aber vollstndig vermittelten Einheit Gottes und des Menschen geprgt ist, wird ihr erst in der Philosophie entsprochen, da allein der Begriff als die Form der Philosophie diese vollstndig vermittelte Einheit auszudrcken vermag. Will man mit Dellbrggers bergreifender Intention einen Kultbegriff entwickeln, von dem man aus „die neuere Zuwendung zu Kultus und verwandten religiçsen Phnomenen im 19. und 20. Jahrhundert […] zu beleuchten“ vermag, so mag man sich vielleicht an Schelling halten, nicht aber an Hegel. Denn bei Hegel wird „auch das Ende der Religion“ nicht nur „behauptet“, sondern aufgrund der Arbeit des Begriffs sogar zu beweisen versucht.

I.2.1.2. Die religiçse Lesart mit Bezug auf die WL Wurden bisher solche Arbeiten vorgestellt, die der religiçsen Lesart Hegels anhingen, ohne aber auf die WL zurckzugreifen, so sind nun solche Arbeiten zu rekonstruieren, die die religiçse Lesart vertreten und zugleich in der einen oder anderen Form die WL als Ganze oder in Teilen mit behandeln. Dieser Abschnitt beginnt mit der Vorstellung derjenigen Monographie, der das Verdienst zukommt, die erste Arbeit der jngeren Forschung zu sein, die Hegels Trinittslehre durch die gesamte Entwicklung seines Denkens hindurch verfolgt. Es handelt sich dabei um die 1965 publizierte Dissertation von Jçrg Splett, Die Trinittslehre G.W.F. Hegels. Splett will besonders in der Frhzeit Hegels Trinittslehre jeweils im Gesamthorizont des Hegelschen Denkens verorten. Entsprechend prsentiert er in dem ersten, fast die Hlfte des Buches einnehmenden Teil vor der ausfhrlichen Darstellung der PhG mit der Differenzschrift und den Jenaer Systementwrfen auch Schriften mit nicht explizit trinittstheologischem Inhalt. Das zweite Kapitel prsentiert jeweils auf wenigen Seiten Propdeutik, WL und Enz. Dabei sieht die nur fnf Seiten umfassende Auslegung der WL diese als „die Darstellung der spekulativen Wahrheit dessen, was die christliche Dogmatik als ,immanente Trinitt‘ bezeichnet“ (78). Das dritte Kapitel untersucht die „Trinitts-Aussagen in den ,untheologischen‘ Vorlesungen zur Geist-Philosophie“ (91), wobei die trinitarischen Strukturen besonders der Philosophiegeschichts-Vorlesungen betont werden. In dem vierten Kapitel werden die Inhalte der religionsphilosophischen Vorlesungen und damit der Begriff der Religion, die Religionsgeschichte und das Christentum

I.2. Forschungsberblick

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vorgestellt, ehe in dem letzten Kapitel sechs „Punkte zum Gesprch mit Hegel“ erwhnt werden. Von ihnen sind besonders drei von Interesse. Die berschrift des ersten Punktes besagt, dass „Hegel als christlicher und lutherischer Denker“ (138) zu fassen ist und behauptet, dass „Hegels Theologie keine natrliche Theologie, keine Vernunftreligion, sondern Theologie der Offenbarung sein will. Seine wiederholten Erklrungen dazu sind biographisch, philosophisch und theologisch ernst zu nehmen“ (138).

Sodann wird die Frage nach der Zwei- oder Dreipersçnlichkeit Gottes behandelt und festgestellt, dass „Hegels Trinitt also eine Zweieinheit oder sich entfaltende Einheit ist, in einem Modalismus, dem die Zahl der Momente letztlich gleichgltig ist“ (145). Schließlich wird die Frage der Prioritt von Erkennen oder Lieben behandelt (148 f.). Anhand ihrer wird „die Grundentscheidung der Hegelschen Philosophie sichtbar: die Aufhebung der Liebe in Erkenntnis (das hçchste Gebot des Christentums ist fr Hegel, Gott zu erkennen – RI, 5)“ (149). Diese Arbeit stellt in vielem eine Pioniertat dar und prsentiert etwa mit der Betonung des Theoretizismus Hegels bis heute gltige Ergebnisse. Dennoch sind an Splett mehrere Rckfragen zu stellen: So ist es bedauerlich, dass seine Auslegung der WL keine przise Auslegung logischer Strukturen bietet. Auch wird die Auslegung der WL weder mit der der Enz. noch mit der der religionsphilosophischen Vorlesungen enger verbunden (sowenig auch die Enz. und die Vorlesungen vermittelt werden), obwohl die WL als Darstellung der immanenten Trinitt gelesen wird (siehe II.1.). Anzufragen ist auch seine strittige, aber sehr wirkmchtige Behauptung, dass Hegel „in einem Modalismus endet, dem die Zahl der Momente letztlich gleichgltig ist“ (siehe II.3.4.2.). Vor allem aber ist zu beanstanden, dass Hegel als Offenbarungstheologe prsentiert wird und dies ganz offensichtlich in geltungstheoretischer Hinsicht gemeint ist. Denn mit dieser Einschtzung ist der Ansatz des Systems Hegels und der seiner Religionsphilosophie nicht sachangemessen erfasst (siehe II.3.2.3.2.).

Eine ganz eigentmliche Fassung der religiçsen Lesart begegnet mit dem ursprnglich als Habilitationsschrift verfassten, 1970 erschienenen Buch von Hans Kng, Menschwerdung Gottes. Eine Einfhrung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer knftigen Christologie. In bereinstimmung mit dem Untertitel verfolgt Kng mit dem Buch ein zweifaches Interesse. Zum einen mçchte er eine Einfhrung in Hegels gesamtes theologisches und vor allem in sein christologisches Denken geben. Zum anderen mçchte er mit dieser Arbeit die „Prolegomena zu einer knftigen Christologie“ (7) vorlegen. Dementsprechend prsentiert er zuerst in sieben Kapiteln Hegels Denkentwicklung, ehe er in dem

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

abschließenden achten Konsequenzen fr eine zuknftige Christologie zieht. Dabei lobt er Hegels Dynamisierung der Ontologie gegenber der klassischen Metaphysik, fordert aber zugleich eine Integration des von David Friedrich Strauss stark gemachten Ansatzes einer „Christologie von unten“. Fnf theologiegeschichtliche Exkurse zu einigen fr das Buch zentralen Fragen wie der nach dem „Weg zur klassischen Christologie“ (611) sowie der nach der Leidensfhigkeit und Unvernderlichkeit Gottes beenden dieses umfangreiche Werk. Die sieben sich mit Hegel beschftigenden Kapitel gehen chronologisch vor und prsentieren jeweils die Werke Hegels aus einem Abschnitt seines Lebens. Somit exegetisieren sie zuerst seine Jugendschriften als Produkte seiner Zeit in Stuttgart, Tbingen, Bern und Frankfurt (Kapitel I-III), sodann die Schriften seiner Jenaer Jahre vor der PhG (Kapitel IV), die PhG selbst (Kapitel V), schließlich die WL, die Enz. und die GRPh als die Produkte seiner Nrnberger und Heidelberger Jahre und den Beginn der Berliner Zeit (Kapitel VI), ehe abschließend die großen Vorlesungen ausgelegt werden (Kapitel VII). In jedem Kapitel folgt Kng dabei einem eigens fr dieses Buch entwickelten Verfahren und durchluft „spiralenfçrmig nach innen fnf ineinandergreifende Schichten: Hegels Leben und Wirken, die allgemeine Entwicklung seines Denkens, den geistesgeschichtlichen Kontext, dann die Entfaltung seiner Christologie und schließlich die theologische Auseinandersetzung“ (503).

Da Kng allein an dem theologischen Denken Hegels interessiert ist, meint er, verzichten zu kçnnen „auf viele philosophische Fragen, Analysen und Entfaltungen von Voraussetzungen und Konsequenzen im großen und kleinen […] zugunsten einer spezifisch theologischen Initiation und Diskussion, die sich ihren Maßstab von der ursprnglichen christlichen Botschaft, auf die sich Hegel in seiner Weise ebenfalls bezog, geben lßt“ (7).

So hlt er „eine mittlere Linie zwischen Theologie und Philosophie“ (8) ein. Diese fhrt dazu, dass er selbst in der Prsentation der WL auf eine genauere Analyse des Textes verzichtet zugunsten philosophiegeschichtlicher berlegungen, ganz allgemeiner Bemerkungen zum Anfang der WL und eines Vergleichs des „immanenten Zwangs einer Dialektik“ (331) mit der freien Gnade im Neuen Testamentes. Entsprechend spielt der logische Hintergrund bei seiner Analyse der religionsphilosophischen Vorlesungen keine Rolle. Mehr noch: weil diese Texte „fr sich selbst sprechen, sind sie, ohne daß man sie im Detail kommentiert, ihrerseits der beste Kommentar fr all das, was sich an Theologie und

I.2. Forschungsberblick

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Christologie vordergrndig und hintergrndig […] in den anderen Werken des jungen und reifen Hegels gefunden hat“ (428).

Entsprechend prsentiert Kng im Folgenden alle religionsphilosophischen Themen fast durchgehend allein als Zitatenkollage. In den abschließenden Kritikpunkten wird Hegel vom Christentum aus die Identifizierung Gottes mit der Welt sowie das Fehlen freier Gnade und einer futurischen Eschatologie vorgeworfen. Zuletzt und in Entsprechung zu der „mittleren Linie zwischen Theologie und Philosophie“ meint Kng mit einer Doppelfeststellung, dass „das Christentum von der Philosophie nicht abgeschafft, sondern bewahrt wird. Und doch kommt es gerade in der Philosophiegeschichte mehr als anderswo zum Ausdruck, daß Christus ein vorbergehendes, und bei aller Notwendigkeit beschrnkt gltiges Ereignis in der Weltgeschichte ist“ (465). So beeindruckend Umfang und Aufbau des Buches sind, so problematisch ist dann Kngs faktisches Vorgehen. Mit dem Hinweis darauf, allein an der Theologie Hegels interessiert zu sein und daher zu verzichten „auf viele philosophische Fragen, Analysen und Entfaltungen von Voraussetzungen und Konsequenzen im großen und kleinen“, verweigert er sich faktisch einer genaueren Analyse Hegels und bekommt somit dessen intellektuelle Kraft erst gar nicht in den Blick. Das zeigt sich nicht nur daran, dass er die WL ohne die Arbeit des Begriffes darin prsentiert (siehe II.2.). Es wird vor allem daran deutlich, dass er die Religionsphilosophie nicht nur nicht mit der WL in Verbindung bringt, sondern sie ohne weitere Analyse fast nur in Zitaten prsentiert. Aus der fehlenden Analyse ergeben sich auch die Vielzahl der (zudem inhaltlich zu beanstandenen) Ungenauigkeiten wie etwa die, dass Hegel laut Kng das Christentum nicht abschafft, aber Christus ein nur begrenzt gltiges Ereignis ist (siehe II.3.4.6.). Ein Buch ber Hegel, das sich allein auf den theologischen Aspekt konzentriert, erfasst nicht die Hlfte seines Denkens, sondern verfehlt dieses ganz. So sehr Kngs Buch einen ersten Eindruck vom Leben und der Zeit Hegels vermittelt, so wenig hilft es in einer wissenschaftlichen Diskussion ber Hegels Religionsphilosophie.

Das nun vorzustellende Buch ist von erheblicher intellektueller Dignitt und zudem das erste Buch in der religiçsen Lesart, das die WL heranzieht, um die Arbeit des Begriffs in der Religionsphilosophie angemessen zu begreifen: Die Rede ist von der 1971 erschienene Dissertation von Falk Wagner, Der Gedanke der Persçnlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel. Wagner geht von der Beobachtung aus, dass die Annahme der Persçnlichkeit Gottes fr das Christentum von entscheidender Bedeutung ist, zugleich aber die Theologie sich kaum darum kmmert, wie denn die Persçnlichkeit Gottes zu denken ist. Daher werden in zwei etwa gleichlangen Teilen Fichte und Hegel exegetisiert, um anhand paradigmatischer Positionen die fr die Frage wesentlichen Argumente zu rekonstruieren.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Vor allem in Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre von 1794 wird die zum Atheismusstreit fhrende Argumentation Fichtes vorgestellt. Sie besagt, dass Gott keine Persçnlichkeit zugesprochen werden kann, da sonst die Gottheit Gottes nicht gewhrleistet ist. Denn das spontane Sichsetzen im ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre von 1794 ist „bewußtlose Spontaneitt“ (57), so dass die fr den Begriff der Persçnlichkeit wesentlichen Momente des Selbstbewusstseins und der Individualitt hier noch fehlen. Diese werden letztlich erst im empirisch bestimmten Dasein erreicht. Da fr dieses aber „die Entzweiung von Ich und Anderem grundlegend ist […], sieht Fichte vçllig zu Recht, dass Gott weder als Persçnlichkeit noch als Selbstbewußtsein adquat erfasst werden kann“ (201).

Demgegenber versucht zumindest der spte Hegel, die Denkbarkeit der Persçnlichkeit Gottes zurckzugewinnen. Wagner beginnt seinen zweiten Teil jedoch mit einer Auslegung der theologischen Jugendschriften Hegels, in denen Hegel im Banne Fichtes ebenfalls den Gedanken der Persçnlichkeit Gottes ablehnt. ber die Entwicklung in Frankfurt und die PhG, in der Hegel Gott nicht „als Persçnlichkeit oder auch nur personhaft“ (258) fasst, werden schließlich die VL exegetisiert. In ihnen gelingt es Hegel, die Persçnlichkeit Gottes zu denken. Denn die spte Religionsphilosophie „betrachtet die in geschichtlichen Erscheinungen sich manifestierenden logischen Bestimmungen Gottes“ (204), welche die Grundlage fr die gesuchte Denkbarkeit sind. Vorher jedoch wird kurz die Religionsgeschichte als der Weg einer zunehmenden Personifizierung des Gottesbildes gezeichnet. Im Christentum als der Totalitt der Religionsgeschichte ist der Gedanke der absoluten Subjektivitt und der Persçnlichkeit Gottes erreicht. Zur Darstellung dessen werden nacheinander die immanente Trinitt als „Darstellung der Theo-Logie in der Form des reinen Denkens“ (227), die „Christologie als Darstellung der Theo-Logie in der Form des vorstellenden Bewußtseins“ (260) und die „Ekklesiologie als Darstellung der Theo-Logie in der Form des selbstbewußten Wissens der christlichen Gemeinde“ (273) vorgestellt. Um Hegels Denken der Persçnlichkeit Gottes und eingangs die immanente Trinitt zu verstehen, wird der Beginn der subjektiven Begriffslogik der WL exegetisiert. Es wird somit der Logik von Allgemeinem, Besonderen und Einzelnem als den der Trinitt zugrundeliegenden logischen Momente nachgegangen. Entscheidend ist dabei die Struktur der Einzelheit, denn diese ist als Selbstbestimmende gerade Subjekt, also das Prinzip der Persçnlichkeit. Indem sie nun zugleich wesentlich die „gesetzte Einheit

I.2. Forschungsberblick

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von Allgemeinheit und Bestimmtheit“ (237) ist, kann Gott als Persçnlichkeit gedacht werden. Denn ist Gott Trinitt, also die Beziehung dreier Personen, so ist die Mçglichkeit dieser Beziehung der Personen dadurch gesichert, dass der Persçnlichkeit das logische Moment von Allgemeinheit inhrent ist. War fr Fichtes Persçnlichkeitsbegriff die Entzweiung von Ich und Anderem wesentlich, so ist fr Hegels die Vermittlung des Ichs durch das Moment der Allgemeinheit prgend. Da somit jedem der Personen diese logische Struktur von Persçnlichkeit zugrunde liegt, kann Gott als Trinitt oder als drei Personen gedacht werden. Wird nach der immanenten Trinitt die Christologie als die Form der Theologie fr das vorstellende Bewusstsein exegetisiert, so ist besonders Wagners Rekonstruktion des Kreuzes von Interesse. Denn am Kreuz stirbt Jesus Christus als die dem vorstellenden Bewusstsein gegenberstehende oder als die ausschließende Person. Damit ist das Kreuz die Negation des Fichteschen Begriffs der Persçnlichkeit. In der Auferstehung schließlich sind die Persçnlichkeiten Gottes und des Menschen in dem Selbstbewusstsein der Gemeinde wesentlich miteinander vermittelt. Diese scharfsinnige Arbeit durchdringt gerade fr eine Promotion ein weites Feld auf gedanklich tiefe Art. So gilt sie zu Recht bis heute als eine der wirkungsmchtigsten Neuanstze der gegenwrtigen Forschung zu Hegels Religionsphilosophie. Dennoch ist dreierlei an ihr zu kritisieren. So ist es zwar ganz richtig, die immanente Trinitt anhand der Bestimmungen von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem rekonstruieren zu wollen. Diese sind allerdings als Momente der Entwicklung der absoluten Idee als dem logischen Hintergrund des Christentums zu begreifen, nicht aber aus dem Beginn der Begriffslogik heraus auszulegen (siehe II.1.2.). Zweitens ist Wagner in der Annahme zu korrigieren, dass Hegel tatschlich von drei Personen in der Trinitt spricht. Denn wie Wagner selbst sagt, ist die immanente Trinitt durch die drei logischen Momente von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem als logischer Struktur der Persçnlichkeit gekennzeichnet, nicht aber durch drei Einzelheiten, die allein von drei Personen zu sprechen erlauben wrden (siehe II.3.4.2.). Diese Fehlzuordnung mag ein Grund dafr sein, dass Wagner die Entwicklung der Persçnlichkeit Gottes entgeht. So wird Gott erst im Verlauf der Heilsçkonomie ganz er selbst (siehe II.3.4.4.4.). Diese Selbstwerdung vollendet sich zwar mit Wagner im Selbstbewusstsein der Gemeinde – dass das aber gerade die Aufhebung der Gemeinde in die Philosophie bedeutet, wird von Wagner ignoriert (siehe II.3.4.6.). Damit begeht Wagner nicht nur einen sachlichen Fehler, sondern widerspricht sich in einer Hinsicht auch selbst. Denn gerade seine Betonung des Kreuzes als der Durchkreuzung der Fichteschen Persçnlichkeit Gottes als einer ausschließenden htte ihn zu der Einsicht fhren mssen, dass die ins Selbstbewusstsein der Menschen hinein auferstandene, sich ganz vermittelnde Persçnlichkeit Gottes von der Religion nicht mehr darzustellen ist. Ihr wird erst im Begriff der Philosophie entsprochen.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Die 1974 erschienene Arbeit Erik Schmidt, Hegels System der Theologie, tritt mit dem Anspruch auf, dass „alles, was Hegel in seinen Werken zur Theologie geschrieben und gesagt hat, hier verarbeitet und in einen Zusammenhang gebracht ist, der sich so in seinen Werken nicht findet“ (V).

Der Entwicklung dieses Zusammenhangs im zweiten Hauptteil des Buches geht ein erster Hauptteil voraus, der die „erkenntnistheoretische und methodologische Grundlegung der Theologie“ (8) vorstellt. Dazu bedenkt Schmidt zuerst das Problem der Gotteserkenntnis und trgt dabei vor allem Hegels Antikritik gegen die Kantischen Kritiken vor. Sodann erfolgen u. a. berlegungen zum Problem von Glauben und Denken sowie zum Verhltnis von Theologie und Logik. Zusammenfassend wird ber das Verhltnis von Religion und Philosophie gesagt, dass zum ersten beide denselben Gegenstand haben, die Philosophie aber „das begreift, was die Religion vorstellt“ (53). Das heißt aber zum zweiten weder, dass Philosophie eine neue Religion zu schaffen habe, noch, dass „es die Aufgabe der Philosophie ist, die Religion zu ersetzen oder irgendwie berflssig zu machen“ (54). Ehe zu dem System der Theologie selbst bergegangen wird, wird noch die Methode Hegels prsentiert und als Dialektik bestimmt, die wesentlich durch den Widerspruch in Bewegung kommt. Dabei widerspricht „der Widerspruch, der hier gemeint ist, nicht dem Satz der formalen Logik. Er besteht nicht darin, daß einem Begriff ein widersprechendes Merkmal beigelegt wird, sondern daß ein Etwas sowohl positiv gesetzt als auch negativ verneint wird“ (57).

Hegels System der Theologie nun wird von Schmidt als dreiteiliges rekonstruiert. Ist der Anfang der Darstellung auch nicht ein unmittelbarer Anfang, da Hegel eine wechselseitige Bedingung der Systemteile denkt, so kann doch von einem relativen Anfang gesprochen werden. Dieser ist als immanente Trinitt vor der Erschaffung der Welt zu fassen. Da die WL als die Bestimmungen Gottes vor der Erschaffung der Welt genommen wird, kommt es in dem ersten Teil zu einer fnfzigseitigen Auslegung der WL. Zwar werden nicht alle Kategorien exegetisiert, wohl aber jeweils zentrale aus der Seins-, der Wesens- und der Begriffslogik. Dabei werden zuerst Grundzge der jeweiligen Bestimmungen vorgefhrt, ehe diese als Definitionen Gottes expliziert werden. Sie kulminieren in der Definition Gottes als Persçnlichkeit als der Bestimmung der absoluten Idee. In dem zweiten Teil wird Hegels Verstndnis von Schçpfung, Geschichtsphilosophie, Anthropologie und Hamartiologie referiert und sodann in einem

I.2. Forschungsberblick

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abschließenden dritten Teil die Versçhnung vorgestellt, die die Christologie und die Ekklesiologie umfasst. Abschließend erfolgen einige zusammenfassende Reflexionen auf den Begriff Gottes als des absoluten Geistes, der alle anderen Gottesbestimmungen umfasst und die „adquate begriffliche Fassung des biblischen Bekenntnisses: Gott ist Geist ist“ (203). Positiv hervorzuheben an Schmidts Arbeit ist, dass er darauf abzielt, alle ußerungen Hegels zur Theologie zu bearbeiten und dabei auch eine Vielzahl wichtiger Kategorien der WL in beeindruckend klarer und verstndlicher Weise prsentiert. Auch die Bestimmung der Methode als Dialektik, fr die der Begriff des Widerspruchs zentral ist, ist sachangemessen. Trotz dieser Leistungen aber vermag Schmidt nicht zu berzeugen, aus zwei Arten von Erwgungen heraus. So besteht der Stil der von Schmidt vorgenommenen Rekonstruktion Hegels darin, fast ununterbrochen direkte oder paraphrasierte Zitate Hegels aneinander zu reihen, ohne die sachlich dahinter stehenden Probleme herauszuprparieren. Auch inhaltlich bleibt vieles fragwrdig. Um nur drei Punkte zu nennen, wird man erstens kaum die WL direkt mit der immanenten Trinitt gleichsetzen kçnnen, sondern vielmehr die WL (oder Teile von ihr) als logischen Hintergrund der immanenten Trinitt (als eines Teils der Realphilosophie) ausweisen mssen (siehe II.1.). Dann aber wird man die Struktur des theologischen Systems kaum so rekonstruieren kçnnen, wie von Schmidt vorgeschlagen. Zweitens lsst sich zeigen, dass Hegels Begriff des Widerspruchs kein anderer ist als derjenige, auf den der Satz der formalen Logik abzielt (siehe II.2.3.3.). Schließlich erstaunt drittens, dass eine Rekonstruktion, die alle ußerungen Hegels zur Theologie rekonstruieren will, ohne Begrndung all diejenigen ußerungen Hegels in den VL und der Enz. auslsst, die von der Aufhebung der Religion in die Philosophie sprechen. Dann aber zu konstatieren, dass es nicht „die Aufgabe der Philosophie ist, die Religion zu ersetzen oder irgendwie berflssig zu machen“, berzeugt nicht (siehe II.3.4.6.).

Eine fr das vorliegende Buch besonders relevante Fragestellung verfolgt die 1980 erschienene Dissertation von Karl-Heinz Anton, Die Religion unter Aspekten von Begriff und Vorstellung. Studie zur Religionsphilosophie Hegels. Um das Thema umfassend zu behandeln, bearbeitet Anton in einem ersten Kapitel die theologischen Jugendschriften, in einem zweiten die PhG, in einem dritten die WL, sodann die Enz. und abschließend, mehr als die Hlfte des Buches einnehmend, die VL. Die WL im dritten Kapitel wird dergestalt verhandelt, dass zentrale Kategorien als Gottesprdikate aufgefasst werden. Denn der Inhalt der WL ist „die Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“ (101). Entsprechend wird anhand des Beginns der Seinslogik Hegels Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung eruiert, anhand der Wesenslogik Hegels Begriff der Notwendigkeit und anhand des Endes der Begriffslogik Hegels Verstndnis der absoluten

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Persçnlichkeit mitsamt der ihr eigenen Freiheit. Alle Bestimmungen werden Gott zugeschrieben. In dem vierten Kapitel wird die Religion in der Enz. kurz zwischen Kunst und Philosophie verortet und mit den begrifflichen Bestimmungen Allgemeines, Besonderes und Einzelnes in Verbindung gebracht, ehe in dem fnften Kapitel ausfhrlich und getrennt voneinander die Begriffs- und die Vorstellungsebene der VL prsentiert werden. Dabei besteht die wesentliche Leistung Antons darin, folgenden Rekonstruktionsvorschlag fr die Begriffsebene der VL vorzulegen. Folgen die drei Teile der VL dem begriffslogischen Dreischritt von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem, so ist der erste Teil als der „Begriff“ der Religion anhand der wesenslogischen Einteilung von Identitt, Unterschied und Grund zu strukturieren. Der zweite Teil als die „Religionsgeschichte“ ist anhand von Bewusstseinsstufen aus der PhG gegliedert. Und das Christentum als der dritte Teil entspricht schließlich Charakteristika des wahren Begriffs und beinhaltet somit das Zusammengehen mit der Realitt, absolute Persçnlichkeit und dialektische Bewegung. Die Zuordnung der Vorstellungs- zur Begriffsebene schließlich beurteilt Anton so, dass Hegel faktisch eine „duale Struktur“ prsentiert, in der sich „beide Bereiche letztendlich als abgekoppelt voneinander strukturieren“ (264). Aus der Stoßrichtung des eigenen Systems heraus aber sollte Hegel fr eine Vermittlung beider pldieren, da die Vorstellung die Seite der endlichen Subjektivitt oder des Sinns, der Begriff aber die der absoluten Subjektivitt oder der Wahrheit reprsentiert und sich daher beide ergnzen. So sehr das Bemhen um eine Rekonstruktion der begrifflichen Struktur der VL und die Klrung der Zuordnung von Vorstellung und Begriff zu begrßen ist, so wenig kann Antons Durchfhrung berzeugen. Es ist nicht nur fraglich, ob die Kategorien der WL tatschlich direkt als Gottesprdikationen (und nicht etwa als die logischen Strukturen auch Gottes) verstanden werden drfen (siehe II.1.1.). Unklarer aber noch ist, warum „wir es allerdings fr fundamental halten“ (101), gerade die von ihm ausgewhlten Kategorien der WL und nicht etwa einige oder alle anderen heranzuziehen. Mehr noch: Indem die in der WL entwickelten Strukturen spter nur in Teilen wieder aufgenommen werden und sowohl die Enz. als auch vor allem die VL vornehmlich anhand anderer Kategorien rekonstruiert werden, wird der Systemcharakter Hegels verfehlt (siehe II.1.2.). Das gilt umso mehr, als zur Rekonstruktion des begrifflichen Gehaltes der Religionsgeschichte Bewusstseinsgestalten der PhG herangezogen werden. Dass aber materiale Figurationen der PhG die logischen Strukturen anderer Systemteile darstellen, ist, vorsichtig gesagt, eine extravagante These. Dieser ußerst problematischen Durchfhrung entspricht eine schwierige Zuordnung von Vorstellung und Begriff. So bleibt nicht nur eine systematische und umfassende Klrung ihrer Verhltnisbestimmung aus, sondern es lassen sich auch die von

I.2. Forschungsberblick

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Anton dann doch vorgenommenen Bestimmungen infrage stellen. Denn Anton meint, dass bei Hegel faktisch Vorstellung und Begriff als „letztendlich als abgekoppelt voneinander“ zu begreifen sind und es stattdessen zu einer Vermittlung beider kommen msste, die beide in ihrem Eigenrecht belassen wrde. Demgegenber kann gezeigt werden, dass bei Hegel in Wahrheit gerade der begriffliche Gehalt in den Vorstellungen zu der Aufhebung der Vorstellung in den Begriff fhrt (siehe II.3.2.3.2. u. ç.).

Konzentrieren sich die bisherigen Arbeiten trotz der Rckgriffe auf die WL doch wesentlich auf die realphilosophischen Ausfhrungen Hegels, so stellt die folgende Arbeit gerade den logischen Hintergrund von Hegels Religionsphilosophie in den Vordergrund der Untersuchung. Es handelt sich dabei um die 1995 publizierte Dissertation von Alexander von Keyserlingk, Die Erhebung zum Unendlichen. Eine Untersuchung zu den spekulativ-logischen Voraussetzungen der Hegelschen Religionsphilosophie. In dem ersten Abschnitt des ersten Teils legt Keyserlingk sein Vorgehen dar. Hegels Religionsphilosophie ist durch die Vermittlung der subjektive Aneignung mit der objektiven Vernnftigkeit der Gehalte gekennzeichnet. Zeigt sich dies in den verschiedenen religiçsen ußerungsformen von Gefhl, Andacht und Kultus, so liegt dem jeweils eine spekulative Grundfigur zugrunde, die als die „Erhebung zum Unendlichen“ gefasst werden kann. Genauer gesagt, ist diese Grundfigur als „Vermittlung der Vermittlung“ (13) aufzufassen. Denn zuerst liegt der Gegensatz von Endlichem und Unendlichem als erste Vermittlung vor, ehe dieser Gegensatz selbst aufgehoben wird und es zur Vermittlung der Vermittlung kommt. Obwohl diese Grundfigur fr die gesamte Religionsphilosophie zentral ist, wird sie doch in ihr nicht weiter expliziert. Dies geschieht vielmehr in der WL, und zwar in dem entsprechenden Kapitel der Seinslogik. Daher erfhrt dieses Kapitel in dem zweiten, mehr als die Hlfte des Buches einnehmenden Teil eine ausfhrliche Auslegung. Vorher aber prsentiert Keyserlingk in den letzten drei Abschnitten des ersten Teils noch einen vor allem auf die Neuzeit konzentrierten berblick ber die Geschichte des Unendlichkeitsbegriffs sowie Hegels Beschftigung mit diesem von seinen Berner bis zu den Jenaer Schriften und sodann einige Bemerkungen zur PhG als „Einleitung in die Logik“ (43). Im zweiten Teil wird „[d]ie Entwicklung des Begriffs der Unendlichkeit in der Wissenschaft der Logik“ (57) vorgefhrt. Dabei legt Keyserlingk faktisch den gesamten Beginn der WL aus. Er beginnt mit der Problematik des Anfangs mit Sein, Nichts und Werden und gelangt bis hin zu dem Kapitel ber die affirmative Unendlichkeit als der ersten Kategorie der WL, die die konkrete Totalitt und damit das Unendliche als Einheit

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

von Endlichem und Unendlichem darstellt. Zugleich macht er des çfteren das von Hegel meist nur implizit gefhrte Gesprch mit anderen Philosophen explizit und setzt sich zudem mit wichtigen Positionen der gegenwrtigen, gerade theologischen Forschung auseinander. Der abschließende Teil ist damit berschrieben, „[r]eligionsphilosophische Aspekte des Begriffs der affirmativen Unendlichkeit“ zu prsentieren. Er widmet sich aber zuerst einem erweiterten Rckblick ber das bisher Entwickelte sowie der Explikation der in der Religionsphilosophie oftmals mit der Unendlichkeit in Verbindung gebrachten, wesenslogischen Kategorie absoluter Notwendigkeit. Sodann werden Hegels Neufassungen des kosmologischen und des ontologischen Gottesbeweises vorgefhrt. Sie stellen Spielarten der spekulativen Vermittlung von Endlichem und Unendlichem dar und sind damit auch als Reaktionen auf die durch die Kritiken Kants vernderte Situation zu begreifen. In einem letzten Abschnitt schließlich wird zunchst expliziert, wie sich die endliche Subjektivitt als nur formal unendliche setzt, ehe sie sich im Kult und in der Philosophie zum wahrhaft Unendlichen erhebt. Dabei besteht „fr Hegel kein Anlaß, die kultisch-religiçse Erhebung gegen die spekulative Erhebung, wie sie die Philosophie vollzieht, auszuspielen“ (216). berzeugend an der Arbeit Keyserlingks ist der Ansatz, eigens die spekulativen Grundfiguren der VL auszulegen. Mindestens ebenso berzeugend ist die Souvernitt, mit der er die von ihm gewhlten Kapitel der WL rekonstruiert. Diese zeigt sich auch in der klaren Sprache, in der er von seinem Stoff berichtet, ohne je zu unangemessen zu vereinfachen. Fragwrdig ist aber die Auswahl der Kapitel der WL selbst. So sehr die Religionsphilosophie in der Tat durch die Erhebung zum Unendlichen charakterisiert ist, so fraglich ist es, ob sich diese am ehesten anhand seinslogischer Kategorien rekonstruieren lsst (siehe II.1.2.). So ist es kein Zufall, dass Keyserlingk seine spekulative Grundfigur kaum auf die Texte der religionsphilosophischen Vorlesungen selbst appliziert, da diese die erwhnte Grundfigur anhand einer Vielzahl begriffslogischer Bestimmungen prsentieren. Zudem widerspricht es wichtigen ußerungen der VL und der Enz., abschließend ein schiedlich-friedliches Nebeneinander der sich in der Philosophie vollziehende Erhebung mit der im Kult zu konstatieren (siehe II.3.4.6.).

Die neueste Arbeit der hier vorgestellten Kategorie einer theologischen Lesart, die zugleich Teile der WL auslegt, ist die 2002 erschienene Habilitationsschrift von Peter Trawny, Die Zeit der Dreieinigkeit. Untersuchungen zur Trinitt bei Hegel und Schelling. Dem Untertitel entsprechend stellt Trawny nach einer Einleitung in zwei großen Teilen zuerst Hegels Trinittslehre vor und dann die Schellings. Dabei konzentriert er sich auf den spten Hegel der VL und nimmt Rekurse auf die WL vor. Bei Schelling dagegen wird zwischen dem der Weltalter und dem der

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Philosophie der Offenbarung differenziert. Abschließend vergleicht Trawny nicht nur beide hinsichtlich der ihn leitenden Fragestellung, sondern stellt dazu auch noch eigene Thesen auf. Die ihn leitende Fragestellung entwickelt er vor dem Hintergrund des ontotheologischen Problemkreises, wobei er selbst sein „systematisch-hermeneutisch-phnomenologisches Interesse“ (7) offen legt. Er meint im Anschluss an Hegel und Schelling, dass die Erkenntnis Gottes auch gegen die Einsprche Kants mçglich bleibt. Die Differenz zwischen Hegel und Schelling sieht er darin, „daß diese Interpretationen alternative Zeit- und Geschichtsauffassungen enthalten, deren Gltigkeit auch das Denken des 20. Jahrhunderts kaum berwunden hat“ (6).

Gemeinsam ist Hegel und Schelling wiederum, dass sie das Ganze zu denken versuchen, indem sie annehmen, dass der Geschichte eine Substanz zukommt, die der Geist ist, und dass Geschichte einen Anfang und ein Ende hat. Das wird verbunden mit dem nicht-griechischen, da nichtzyklischen Verstndnis von Zeit, das durch Anfang, Mitte und Ende strukturiert ist. Die Dreieinigkeit von Zeit und Gott ist somit das von den beiden und jetzt von Trawny zu bedenkende Problem. Die Rekonstruktion Hegels beginnt mit einer Exegese von Hegels Fassung des ontologischen Gottesbeweises. Denn in ihm zeigt sich, dass Begriff und Sein oder Gott und Gegenwart einander nicht fremd sind. Mehr noch: Der ontologische Gottesbeweis ist der Gott vergegenwrtigende Gottesbeweis, da Gott im Denken Gottes gegenwrtig ist. Sodann wird der Anfang der subjektiven Begriffslogik mit den Strukturmomenten des Allgemeinen, des Besonderen und des Einzelnen expliziert. Diese entsprechen der Trinitt und zeigen damit „theologische Motive in der ,Logik des Begriffs‘“ (40) auf. Darauf aufbauend wird die Entwicklung des Geistes bei Hegel von der immanenten Trinitt ber die Schçpfung und Versçhnung hin zu dem Sein der Gemeinde vorgestellt. Die Gemeinde stellt das Ende der Entwicklung des Geistes dar, und der Stand der Philosophen als einer der drei Stnde der Gemeinde begreift gerade dies. Damit vollendet sich hier die im ontologischen Gottesbeweis vorgestellte Einheit von Gott und Gegenwart und verbindet sich mit folgender Zeittheorie Hegels: Zeit ist Negation und wird primr als Gegenwart verstanden. Zukunft ist die doppelte Negation, die nur als Vorstellen in der Gegenwart existiert, Vergangenheit ist begriffene Gegenwart. Somit ist die Gegenwart absolut und dreieinig. Begreift der Philosophenstand dies, so hebt sich die Zeit als vollstndig begriffene nun

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

selbst auf. Denn ihr vollstndiges Begriffen-werden fhrt zur Negation der Negation und somit zu ihrer berwindung in ein reines Kreisen als bloßer Er-innerung. Im Reichtum dieses Greisenalters hat die Zukunft keinen Ort, so dass bei Hegel die Zeit ihre Geschichtlichkeit verliert. Der hier nicht im Einzelnen vorzustellende Schelling hingegen lsst Begriff und Sein nicht wie bei Hegel ineinander fallen, sondern grndet seine Philosophie auf einem Ungrund, der die Wirklichkeit auf die Zukunft hin zu çffnen vermag. Da er aber letztlich noch in dem ontotheologischem Denkrahmen verbleibt, vermag auch er der Offenheit der Zukunft nicht voll zu entsprechen. Gegen beide wechselt Trawny den philosophischen Bezugsrahmen und argumentiert phnomenologisch. Er mçchte „die Behauptung fundieren, dass die abendlndische Zeiterfahrung christlich, das heißt geschichtlich begrndet ist, dass also die Geschichte zeitlich und die Zeit geschichtlich erfahren wird“ (25).

Um die Geschichtlichkeit der Zeit zu sichern, endet er mit zwei Thesen, die er begrndungstheoretisch fr nicht ausweisbar hlt, die aber aus phnomenologischer Sicht unabweisbar wesentlich sind. Zugleich kommen sie in unberbietbarer Weise in der Predigt Jesu als der Verkndigung des kommenden Gottesreiches zu Wort. Die Thesen lauten „1. Es gibt keine Geschichte ohne Erwartung einer anderen, geheilten Welt […]. 2. Zukunft ist als solche heilende Zukunft“ (190). Die Themenwahl als die Erkenntnis der wesentlichen Verbindung von Trinittslehre, Zeit- und Geschichtstheorie bei Hegel und Schelling ist ganz berzeugend. Ebenso sachangemessen ist die vorgenommene Rekonstruktion dieser Konstellation bei Hegel und damit die Beobachtung, dass die begriffene Zeit als das Telos Hegels einen Reichtum des Greisenalters darstellt, das keine Zukunft hat und damit die Zeit selbst aufhebt. Darin bleibt Trawnys Arbeit hochinteressant, auch wenn vielerlei zu monieren ist. So ist Trawny fast durchgehend eigentmlich ungenau. Das zeigt sich etwa in Kleinigkeiten wie der von Trawny eingangs (6) aufgestellten Behauptung, dass die Trinittslehre in der gegenwrtigen Theologie keine Rolle spielt (was mit einem Harnack-Zitat begrndet wird!) (siehe I.1.). Bevor die Hegel-Auslegung kritisiert wird, sei erwhnt, dass es zum einen verwundert, dass Trawny abschließend ohne ausgefhrte Begrndung aus einem ontotheologischen Denken in die Phnomenologie wechselt, um von letzterer her ersteres zu kritisieren. Zum anderen erstaunt, dass eine Arbeit, die sich dem Verhltnis von Zeit und Trinitt widmet, mit einer Zeitanalyse ohne Trinittslehre endet. Vor allem aber scheint einiges an Trawnys Hegel-Auslegung fragwrdig. Um nur auf dreierlei zu verweisen, ließe sich zum ersten zeigen, dass der ontologische Gottesbeweis ebenso wie Allgemeines, Besonderes und Einzelnes aus dem Beginn der subjektiven Begriffslogik als die beiden von Trawny zum logischen Hintergrund der Religionsphilosophie erwhlten Konstellationen darin vermittelt werden mssen, dass sie verschiedene Hinsichten der absoluten Idee als

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dessen tatschlichen logischen Hintergrundes sind (siehe II.2., besonders II.2.5.3.). Zum zweiten erstaunt, dass die Versçhnungstat Christi ohne eigene Diskussion der anderslautenden enzyklopdischen Einteilung dem Moment der Schçpfung oder des Besonderen zugeordnet wird (und sie dann aber doch an einer Stelle als „ausschließende Einzelheit“ (68) gefasst wird) (siehe II.3.4.4.1.). Zum dritten ist fraglich, ob die Philosophen tatschlich nur einen von drei Stnden innerhalb der Gemeinde darstellen und die bei Trawny sehr eigenwillig interpretierte Rede Hegels von dem Vergehen der Gemeinde nicht gerade die Negation der anderen beiden Stnde als Orte der Wahrheit des absoluten Geistes bezeichnet. Nur das wrde doch der ganz sachangemessenen Rekonstruktion von der Negation der Zeitlichkeit der Zeit in ihrem Begriffen-Sein entsprechen (siehe II.3.4.6.). Htte Trawny seine eigene Zeittheorie angemessen auf das Verhltnis von Religion und Philosophie angewendet, so htte er selbst die Aufhebung der Religion in die Philosophie vertreten mssen. So aber wird Trawny in der religiçsen Lesart belassen und ohne ihn in die philosophische fortgegangen.

I.2.2. Die Vertreter der philosophischen Lesart Hegels I.2.2.1. Die philosophische Lesart ohne Bezug auf die WL Auch im Weiteren wird der dargelegten Ordnung gefolgt und die jeweiligen Arbeiten innerhalb einer Gruppe chronologisch sortiert. Daher beginnt der berblick ber die philosophische Lesart ohne Ausfhrungen zur WL mit einer Arbeit, die ein bis heute fast ganz vernachlssigtes Forschungsfeld bearbeitet. Es handelt sich um die 1975 publizierte Dissertation von Reinhard Leuze, Die außerchristlichen Religionen bei Hegel. Wie der Titel andeutet, beschftigt sich Leuze in drei großen Teilen mit der chinesischen, der griechischen und der rçmischen als den wichtigsten der von Hegel sogenannten „bestimmten“, also außerchristlichen Religionen. Leuze untersucht vor allem den oftmals erhobenen Vorwurf, dass Hegel seine Quellen zurechtbiege, um sie in die eigene Theorie einzupassen. Entsprechend geht Leuze dergestalt vor, dass er in den jeweiligen Teilen in einem ersten berblick Hegels eigene Darstellung der zur Debatte stehenden Religion referiert, wobei er bei den Griechen zudem noch entwicklungsgeschichtliche Differenzierungen vornimmt. Sodann rekonstruiert er, welche Quellen Hegel zur Verfgung gestanden haben mçgen und prsentiert diese im Hinblick auf die wichtigsten Themenbereiche. Schließlich vergleicht er die Darstellung der Quellen mit Hegels Lesart von ihnen. In einem Schlussabschnitt kann er zusammenfassend resmieren, „daß im großen und ganzen der Befund der Quellen in die Ausfhrungen Hegels ber die einzelnen Religionen eingegangen ist“ (237) und somit von einer gewaltsamen Manipulation

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

der Quellen keine Rede sein kann. Neben einigen Nebeneinwnden wie dem, dass der Islam von Hegel ignoriert wurde, trgt Leuze aber zwei Haupteinwnde gegen Hegel vor. Zum einen ist es fraglich, ob es sachangemessen ist, die Religionsgeschichte im Allgemeinen als Selbstwerdungsgeschichte des absoluten Geistes und im Besonderen als eine schrittweise Entwicklung von der Substantialitt zur Subjektivitt darzustellen. Zum anderen liest Hegel die fremden Religionen oftmals doch allzu sehr von der christlichen her. Zwar lsst Leuze eine Vielzahl von Religionen unerwhnt (siehe v. a. II.3.3.2.1.), differenziert nur sporadisch nach den verschiedenen Kollegs und lsst die Frage nach bergreifenden logischen Einteilungsschemata fast unbeantwortet (siehe II.3.3.1.). Dennoch ist seine Arbeit als Pionierleistung auf dem Gebiet der Forschung ber die Hegelsche Darstellung der Religionsgeschichte bis heute von großem Wert.

Von dem Ausgangspunkt der Sndenlehre und damit von einem scheinbar peripheren Thema her wird Hegels gesamte Religionsphilosophie rekonstruiert in der 1977 erschienenen Dissertation von Joachim Ringleben, Hegels Theorie der Snde. Die subjektivitts-logische Konstruktion eines theologischen Begriffs. Ringleben liest Hegels Philosophie als „universelle Selbstauslegung der neuzeitlichen Subjektivitt“ (16). Er bestimmt daher, dass „die Konstitution des Prinzips freiheitlich verfaßter Subjektivitt, in dem sich das Selbstverhltnis neuzeitlicher Humanitt erfllt, im christlichen Gottesglauben als den zentralen Problemhorizont der Hegelschen Religionsphilosophie durchsichtig zu machen“ (13)

ist. Entsprechend ist auch die „Sndenlehre nur im Zusammenhang seiner Theorie von Subjektivitt zu begreifen und zu beurteilen“ (14) und stellt dabei zugleich ein wesentliches Moment zum Begreifen der Konstitution von Subjektivitt dar. Im Rckgriff auf alle Texte Hegels, die die Sndenthematik ab 1806 bearbeiten, geht Ringleben zur Explikation seiner These in sieben Kapiteln vor. Die ersten drei Kapitel stellen eine Rekonstruktion von Hegels Exegese von Genesis 3 dar. Entwickelt Ringleben in dem ersten Kapitel in formaler Hinsicht die Zuordnung von Vorstellung und Begriff, so folgen in dem zweiten und dem dritten Kapitel die Explikation der fr den Sndenbegriff zentralen beiden materialen Bestimmungen von Unschuld und Fall. Der Unschuld liegt derjenige Widerspruch zugrunde, dass sie als gedachte immer schon vergangene ist, denn begriffene Unschuld ist nicht mehr sie selbst. Vielmehr ist sie immer schon in den Fall bergegangen, der „nichts anderes ist als

I.2. Forschungsberblick

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Vollzug der im Unschuldsgedanken angelegten Dialektik“ (52). Mit dem Fall vollzieht sich der bergang ins denkende Erkennen, so dass Gen. 3 „derjenige Mythos ist, der – nach Hegel – Emanzipation vom Mythos thematisiert“ (64). Entsprechend werden in den folgenden Kapiteln die philosophischen Implikationen des Sndenbegriffs expliziert und die Einordnung in die Subjektivittsthematik vollzogen, aus der heraus der Sndenbegriff aller erst verstndlich wird. Denn Subjektivitt, so das vierte Kapitel, vollzieht sich genau als die Struktur, die mythologisch als immer schon vergangene Unschuld und Fall ausgesagt wird. Sie ist eine Entzweiung, oder existiert nur als Krise, die zugleich sich als eine immer schon vergangene Einheit voraussetzt, von der sie sich abstçßt. Somit erzhlt Genesis 3 die Geschichte jedes Menschen. Im Anschluss an dieses Kapitel steht der erste von im Ganzen vier Exkursen. Beschftigt sich der zweite der vier mit dem Pantheismusproblem und verbleibt somit innerhalb der Auslegung Hegelscher Texte, so beschftigen sich die anderen mit Hegel-kritischen Positionen. Der letzte Exkurs ist der Hegelkritik J. Mllers (des „Snden-Mllers“) gewidmet, die anderen beiden verstehen sich als Antikritiken der Hegelkritik Kierkegaards. Sie wollen vor allem zeigen, dass Kierkegaard Hegel nicht trifft, wenn er seine Subjektivittstheorie gegen Hegels angeblich blinde logische Notwendigkeit stellt. Denn beide Denker vertreten gleichermaßen Subjektivittstheorien, wenn auch in verschiedenen Varianten. Im fnften Kapitel schließlich wird auf eine Entwicklung reflektiert, die bereits im vierten vorgestellt wurde, wurde doch dort die Differenz zwischen Fall und Snde expliziert. Whrend der Fall als die Entzweiung die Subjektivitt als Krise konstituiert, aber noch nicht selbst Snde ist, ist die Snde erst in der Entfremdung als der Absolutierung der entzweiten Momente erreicht. Da letzteres faktisch passiert, wird im fnften Kapitel Gott oder die absolute Subjektivitt vorgestellt. Sie gleicht der endlichen Subjektivitt darin, sich nur prozessual als Entfremdung einer immer schon vergangenen Einheit zu haben. Zugleich aber ist sie darin von ihr unterschieden, dass bei ihr dieser Prozess nicht misslingt. Somit ist erst mit der absoluten Subjektivitt die Identitt der endlichen garantiert. Bevor angesichts des misslingenden Prozesses endlicher Subjektivitt im sechsten Kapitel von der Versçhnung die Rede ist, wird die Frage nach der Notwendigkeit der Snde gestellt und in einer dialektisch komplexen Zuordnung von Modalittsbestimmungen beantwortet. Stark verkrzt besagen zwei von ihnen, dass die Mçglichkeit zur Snde notwendig, ihre jeweilige Wirklichkeit aber zufllig ist. Snde schließlich wird als auf Versçhnung hin angelegt begriffen. Denn Versçhnung nimmt die Einheit des gçttlichen

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Geistes auch in der Entfremdung als Resultat, und die Snde als Versuch der Negation dieser Einheit dependiert von ihr. Versçhnung realisiert sich schließlich in der Sittlichkeit, so dass Hegels Philosophie wesentlich praktisch ist. „Als totale Theorie der Freiheit muß sie den sogen. Primat der praktischen Vernunft universal zur Geltung bringen. […] Ihr Theoriemoment ist ihr Sich-selbst-Wissen als Praxis“ (228), und die Subjektivittstheorie als Freiheitstheorie wird im letzten Kapitel noch kurz expliziert. Diese bemerkenswerte Arbeit ist nicht nur aufgrund der Originalitt ihrer Rekonstruktionsperspektive von außergewçhnlicher Qualitt, sondern auch aufgrund des berzeugenden Aufbaus. Denn er erlaubt es, aus der scheinbar begrenzten Fragestellung die wichtigsten Zge der Hegelschen Religionsphilosophie zu entwickeln. Zudem ist die Fhigkeit des Autors hervorzuheben, Hegel fast unter vollstndigem Verzicht auf Zitate textnah zu rekonstruieren. Zugleich vermag er auch solche Probleme in einem Hegel sachangemessenem Denken zu explorieren, ber die sich Hegel selbst so gut wie gar nicht explizit geußert hat – die Ausfhrungen zu der Frage nach der Notwendigkeit des Bçsen sind dabei das vielleicht hervorragendste Beispiel. Dennoch ist dreierlei zu kritisieren. So ist es erstens bedauerlich, dass zwar die Struktur der Versçhnung, nicht aber die Christologie selbst rekonstruiert wird (siehe II.3.4.4.). Zweitens ist fraglich, ob tatschlich die Sndenlehre oder nicht eher ihre begrifflichen Gehalte fr die Entwicklung der Subjektivitt notwendig sind. Denn ansonsten droht ein Beharren der Vorstellung gegenber dem Begriff.30 Drittens aber und vor allem ist es umstritten, ob sich Hegels Philosophie als Subjektivittstheorie tatschlich in der Sittlichkeit vollendet und daher im letzten praktische Philosophie ist. Zumindest die Enz. weist aus, dass Hegels Philosophie zwar als Subjektivittstheorie zu fassen ist, diese sich aber als Denken des Denkens vollendet und somit wesentlich theoretische Philosophie ist (siehe II.3.4.6.).

Nach der originellen Rekonstruktionsperspektive Ringlebens ist nun eine Arbeit vorzustellen, die sich mit der Trinittslehre und damit zu einem bereits mehrfach bearbeiteten Thema ußert, darin aber zu durchaus eigenstndigen Thesen gelangt. Es handelt sich um die 1984 publizierte Dissertation von Herbert Huber, Idealismus und Trinitt, Pantheon und Gçtterdmmerung. Grundlagen und Grundzge der Lehre von Gott nach dem Manuskript Hegels zur Religionsphilosophie. Dabei „besagt die Grundeinsicht, welche der folgenden Beschftigung mit dem religionsphilosophischen Teil der hegelschen Philosophie Ansatz und Richtung vorgibt, daß Hegels Theorie der Religion nicht abgekoppelt vom philosophischen Grundthema behandelt werden kann“ (1). 30 In diesem Fall wre ein Argument dafr vorgebracht, Ringleben unter die theologische Lesart einzuordnen.

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Entsprechend ist die Trinitt im Rahmen des Idealismus zu verhandeln. Daher prsentiert Huber in einem ersten Teil Hegels „idealistische Grundberzeugung“ (12), die die Frage nach Wahrheit und Totalitt stellt und diese in einer Geisttheorie beantwortet sieht. Da der Geist in sich differenzierte Totalitt ist, weist er dieselbe Struktur auf wie die Trinitt. Diese Strukturanalogie erklrt Hegels Interesse an der Religion im Allgemeinen und am Christentum im Besonderen. Sie erlaubt es Huber somit, in seinen zweiten Teil als der Analyse der Trinitt berzugehen. Nach einigen einleitenden berlegungen und einer Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen der Forschung wie der nach der Bi- oder Trinitt bei Hegel rekonstruiert er zuerst kurz die Religionsgeschichte und schlgt sodann eine Einteilung der Gçtter in drei verschiedene Arten vor. So gibt es zum einen die „Einzelsphrengçtter“ (121) wie Zeus, der das Prinzip aller Blitze ist. Sodann gibt es die totalittsdarstellenden Gottheiten als deren Metaebene sowie schließlich den trinitarischen Gott als eine wiederum darauf aufbauende Metaebene. Im Anschluss daran prsentiert Huber seine These. Sie besagt, dass der trinitarische Gott dadurch absoluter Gott ist, dass er die anderen Gçtter der Religionsgeschichte in sich schließt. Dazu muss er ein zweifaches Strukturmoment aufweisen, das „als die Doppelheit von Bestehen aller Momente fr sich einerseits und ber das einzelne Moment hinausgehendes Negieren der Vereinzelung des jeweiligen Moments andererseits beschrieben werden muß“ (5).

Das erste Strukturmoment findet sich bereits in der rçmischen Lehre vom Pantheon, das zweite in der germanischen Lehre von der Gçtterdmmerung als dem Vergehen der Gçtter. Daher ist die Trinitt die Aufhebung von Pantheon und Gçtterdmmerung. Nach der so entfalteten Rekonstruktion Gottes wird dessen Inkarnation in Jesus Christus und die Entstehung der Gemeinde prsentiert, die sich letztlich in die Philosophie hinein aufhebt. In einem letzten, als „Epilog“ bezeichneten Teil wird Goethes „Iphigenie auf Tauris“ mit Hilfe der Struktur der in sich differenzierten Totalitt analysiert. Diese ebenso sorgfltige und treffende wie in Teilen originelle Arbeit htte noch gewonnen, wenn Huber nicht nur das frhe Manuskript zur Religionsphilosophie als Textgrundlage benutzt htte. Dann wre auch deutlich geworden, dass Hegel in spteren Jahren die Idee der Gçtterdmmerung in der gyptischen Religion entdeckt (siehe II.3.3.2.1.3.). Damit aber htte Huber zu der Explikation seiner These nicht auf die germanische als auf eine solche Religion zurckgreifen mssen, die Hegel selbst in den religionsphilosophischen Vorlesungen gar nicht behandelt.

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1986 wurde eine Arbeit verçffentlicht, die eine Zsur in der Forschungsgeschichte darstellt: Es erschien die Habilitationsschrift von Walter Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Das bergreifende Sachproblem dieser Arbeit ist in der Verhltnisbestimmung von Religionsphilosophie und philosophischer Theologie zu suchen. Ist die vorkantische Religionsphilosophie Teil der sie grndenden philosophischen Theologie und diese wiederum eine Teildisziplin der Metaphysik, so zerstçrt die Kantische Kritik diese Grundlage. Zugleich wird deutlich, dass eine Religionsphilosophie, die nicht in einer philosophischen Theologie gegrndet ist, „sich billigerweise darauf beschrnken muß, die Religion als eine spezifische menschliche Lebensußerung zu betrachten“ (14). Widmet sich „die vorliegende Studie einem, und wohl dem bedeutendsten der damaligen Versuche […] zur Rckgewinnung der gedanklichen Fundamente der Religionsphilosophie“ (15),

so rekonstruiert Jaeschke diesen Versuch in vier Teilen, die zugleich auch jeweils als Einzelstudien gelesen werden kçnnen. In dem ersten Teil werden die „historischen und systematischen Voraussetzungen der spekulativen Religionsphilosophie“ eruiert. Dabei wird zuerst rekonstruiert, wie Kant die Gottesfrage aus der theoretischen in die praktische Philosophie berfhrt. Sodann wird dargestellt, warum nicht nur Kant s Lçsung, sondern auch die anderen ethikotheologischen Anstze unhaltbar sind, so dass es zu der Frage der Erneuerung des metaphysischen Ansatzes kommt. Der zweite Teil widmet sich wiederum in historischer und systematischer Explikation „der Begrndung der spekulativen Religionsphilosophie in Hegels Jenaer Schriften“ (138). Er zeigt zum einen, wie Hegel in dieser Phase von Anfang an auf eine Neubegrndung der Religionsphilosophie abzielt, die spter in der WL ihre ausgereifte Form findet. Zum anderen weist das Religionskapitel der PhG bereits entscheidende Charakteristika des reifen Religionsbegriffs auf. Denn die Religion wird von der Sittlichkeit gelçst und mit der Kunst und der Philosophie in eine in sich differenzierte Sphre zusammengebunden. Der dritte Teil als das Herzstck der Untersuchung prsentiert diesen reifen Religionsbegriff, der in der Form von Hegels Berliner Vorlesungen vorliegt. Der dritte Teil stellt insofern ein Novum der Forschungsgeschichte dar, als die VL erstmals aufgrund der von Jaeschke selbst herausgegebenen, neuen Edition entwicklungsgeschichtlich analysiert werden. Somit werden erstens die Einleitung und der Begriff der Religion, zweitens die Religionsgeschichte und drittens das Christentum als die drei

I.2. Forschungsberblick

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Teile der VL je getrennt nach den verschiedenen Jahrgngen exegetisiert. Dabei kommt es Jaeschke darauf an, „solche Entwicklungsdifferenzen zu thematisieren, die die systematische Form der Vorlesungen betreffen“ (224). Als Ergebnis stellt sich heraus, dass gerade die VL1 erhebliche Entwicklungen durchmacht, ehe sie in dem dritten, 1827 gehaltenen Kolleg eine begriffsgemße Fassung finden. Denn whrend Hegel in den vorherigen Kollegs versucht, die Notwendigkeit der Religion aufzuweisen, „spart er im dritten Kolleg den vermeintlichen Erweis der Notwendigkeit ein, der ohnehin nur im Verweis auf den Gang des Systems besteht“ (258).

Wohl noch gravierender sind die Vernderungen in der VL2, der Darstellung der Religionsgeschichte. Denn zum einen erweitert Hegel hier bestndig seinen Stoff, da sich seine Kenntnisse der ihm bekannten Religionen vertiefen und er je weitere Religionen integriert. Zum anderen verndert Hegel in jedem Kolleg die logische Struktur, anhand derer er die Religionen zu einer einheitlichen Religionsgeschichte ordnet. Dadurch kann zwar einerseits der Annahme widersprochen werden, dass Hegel sein Material in vorgefertigte Schemata presst, aber es wird andererseits keine befriedigende Endfassung erkennbar. Vielmehr scheint Hegel die Religionsgeschichte als eine Religionsgeographie organisiert zu haben. In der VL3, der Darstellung des Christentums, gibt es kaum entwicklungsgeschichtliche Differenzen, dafr aber wiederum eine Vielzahl pointierter Forschungsergebnisse Jaeschkes. Um nur zwei zu nennen, so verwendet er sich erstens ausdrcklich fr eine philosophische Lesart der Religionsphilosophie. Denn diese ist keine Dogmatik in nuce. Vielmehr hat sie das Ziel, „dem bedrohten Inhalt die Flucht in den Begriff zu ermçglichen“ (300), indem die bereinstimmung der christlichen Vorstellung mit der Idee und damit die Vernunft in der Religion aufgewiesen wird. Zweitens wird Hegels Christologie durch einen Verweis auf die lutherische Abendmahlslehre expliziert. So wie das Brot, so ist auch Christus an sich nur historisches Fakt. Erst im Glauben der Gemeinde ist eine wirkliche Verbindung Gottes mit dem Brot bzw. mit Christus vorhanden. Nach der Auslegung des Christentums prsentiert Jaeschke in dem vierten und letzten Teil des Buches den Zerfall der Hegelschen Verbindung von philosophischer Theologie und Religionsphilosophie in den verschiedenen Schulrichtungen. Legt die von Jaeschke herausgegebene, nach Kollegs differenzierte Neuedition der Vorlesungen die Grundlage fr ein neues Kapitel in der Forschungsgeschichte, so schreibt Jaeschke mit seiner Habilitation wichtige Grundlinien dessen gleich

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

selbst. Im Rahmen seiner bergreifenden Fragestellung berzeugt er gerade in seinem dritten Teil durch eine Vielzahl von Beobachtungen zum Text, die oftmals von großer systematischer Schrfe und Relevanz sind und daher das Problembewusstsein der Forschung erheblich erweitern. Zugleich setzt er sich meist indirekt mit einer Vielzahl von bisherigen Forschungsergebnissen auseinander und kritisiert sie aufgrund der neuen Editionslage und seinen Beobachtungen dazu. Eine Anfrage wre allenfalls an die Anlage der Arbeit zu richten. Denn sein Projekt, das sich der Verhltnisbestimmung von Religionsphilosophie und philosophischer Theologie widmet, kommt ganz ohne Auslegung der WL aus, obwohl diese die philosophische Theologie Hegels darstellt (siehe II.1.1. und II.2.).

Noch nicht die Arbeit Jaeschkes beachten konnte die 1987 erschienene Dissertation von Jçrg Dierken, Gott und Religion. Zum Verhltnis von Theologie und religiçsem Bewußtsein in der Religionsphilosophie Hegels. Dierken behandelt das Ganze Hegelscher Religionsphilosophie unter dem Blickwinkel der Verhltnisbestimmung von Gotteslehre und Religion. Nach einem einleitenden ersten Kapitel, einem den jungen Hegel aufarbeitenden zweiten und einem die PhG reprsentierenden dritten Kapitel prsentiert das weit mehr als die Hlfte der Studie einnehmende vierte Kapitel „Die Religionsphilosophie des Berliner Hegels“ (89). In ihm wird zuerst der Begriff der Religion als der erste Teil der Vorlesungen und sodann Hegels Interpretation der Gottesbeweise exegetisiert. Schließlich erfolgt eine ausfhrliche Darstellung von Hegels Rekonstruktion des Christentums. Fokussiert wird diese Darstellung durch die Grundfrage der Arbeit, die von der Beobachtung ausgeht, dass zu unserer wie zu Hegels Zeiten eine Trennung zwischen der Theologie als der Wissenschaft, die nach Gott fragt, und einer oft rein empirisch verfahrenden und auf den Menschen konzentrierten Religionswissenschaft besteht. Dagegen wird Hegels philosophisches Konzept gesetzt. Denn Hegel denkt Gott als dreipersçnlichen Geist und damit so, dass er gerade dadurch seiner Absolutheit und seiner Freiheit entspricht, dass er im Menschen als in seinem Anderen bei sich ist. Das ermçglicht dem Menschen, von seinem abstrakten Selbststand abzulassen und seinerseits in Gott als in seinem Anderen bei sich zu sein. Legt diese inhaltliche Bestimmung betreffs der Disziplinen eine Vermittlung von Theologie und Religionswissenschaften nahe, so fhrt sie innerhalb der Rekonstruktion des Christentums zu der Vermittlung von Theo-logie und Ekklesiologie: Gott ist dadurch Geist, dass er sich im Selbstbewusstsein des glubigen Menschen selbst weiß. Diese Vermittlung fhrt aber zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie. Denn die Religion ist durch Vorstellungen geprgt, und diese wiederum durch das Auseinander von Darstellung und Dargestelltem. Daher ist die Religion nicht in der Lage,

I.2. Forschungsberblick

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die verwirklichte Vermittlung Gottes mit den Menschen im Selbstbewusstsein der Menschen zu reprsentieren. In dem Schlusskapitel „Sprachformen des Glaubens und Spekulation“ wendet Dierken dagegen ein, dass etwa im Gebet und dabei vor allem in der Doxologie als einer fr die Religion wesentliche Sprachform eine „Zweiheit“ (246) Gottes und des Menschen konstitutiv ist. So schlgt er gegen Hegels Buchstabe, aber in seinem Geist vor, ob der „in der Figur der Aufhebung gedachte Sachverhalt nicht seiner Hçhe und seinem absoluten Charakter dadurch entsprechen muß, daß der philosophische Begriff im Akt des bersetzenden Aufhebens zugleich aus sich heraustritt“ (254)

und somit die Religion bleibend als Form der Wahrheit anerkennt. Diese ebenso sorgfltige wie tiefsinnige und damit ausgesprochen hochstufige Arbeit ist zu den gegenwrtig unbedingt zu konsultierenden Monographien zu Hegels Religionsphilosophie zu zhlen. Dennoch wre sie neben einiger Detailkritik wie der Frage, ob Hegels Trinittslehre tatschlich eine Dreipersçnlichkeit reprsentiert (siehe II.3.4.2.), vor allem auf zweierlei hin zu befragen. Erstens: Warum verzichtet eine Interpretation, die zu Recht die prozessualen Selbstwerdung des Geistes stark in den Vordergrund rckt, auf eine Rekonstruktion der Religionsgeschichte (als der Geschichte der Selbstkonstitution des absoluten Geistes) (siehe II.3.3.1.)? Zum zweiten: Lautet die Schlussthese, dass die Philosophie bei der Aufhebung der Religion zugleich aus sich heraustreten muss, so fordert dies angezielte Ergebnis eine strkere Revision Hegels als von Dierken intendiert. Denn wird das angezielte Ergebnis konsequent verfolgt, so zielt es auf eine Vernderung der Hegelschen Grundfigur. Zwar wird auch in dem vorliegenden Buch die These vertreten, dass sich Hegels Philosophie in der Selbstrelativierung absoluter Vermittlung vollendet. Allerdings sieht das vorliegende Buch damit gerade eine Revision des „absoluten Charakters“ Hegelscher Philosophie einhergehen (siehe III.1.2. und III.1.3.).

Wie die Arbeit von Dierken bildet auch die folgende Arbeit insofern einen bergang zu der philosophischen Lesart mit Bezug auf die WL, als sie zwar nicht Teile der WL auslegt, sich aber ausfhrlich mit den Gottesbeweisen auseinandersetzt und auf diesem Wege Grundbewegungen Hegelschen Denkens erschließt. Es handelt sich um die 1994 erschienene Dissertation von Gnter Kruck, Hegels Religionsphilosophie der absoluten Subjektivitt und die Grundzge des spekulativen Theismus Christian Hermann Weisses. Kruck verortet seine Arbeit in einem dreifachen Bezugsrahmen. Dieser ergibt sich daraus, dass die Debatte um Hegels Religionsphilosophie zum ersten bereits ab den 1830ern solche Argumente austauscht, die auch heute noch relevant sind und daher den Rckgriff auf den Sptidealisten Weisse rechtfertigen. Zum zweiten liegt durch die

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Neuausgabe der religionsphilosophischen Vorlesungen ein vernderter Standard der Sekundrliteratur zu Hegel selbst vor, so dass es sich lohnt, die Diskussion erneut aufzunehmen. Zum dritten sind gerade die verhandelten Fragen um das Verhltnis von Religionsphilosophie und System auch fr die heutige Theologie von Relevanz. In einem ersten Teil stellt Kruck „Hegels Religionsphilosophie der absoluten Subjektivitt“ (27) dergestalt vor, dass er zuerst die religionsphilosophische Situation der Zeit prsentiert. Durch den Einfluss v. a. Kants wird Gott als fr die theoretische Vernunft unerkennbar deklariert und daher in die praktische Philosophie relegiert. Demgegenber mçchte Hegel durch seine Philosophie die traditionelle theologia naturalis und Kant aufheben und Gott als Thema der theoretischen Vernunft zurckgewinnen. Dafr ist zum einen wesentlich, dass die Kantische Trennung von Denken und Sein selbst Produkt des Denkens ist. Zum anderen ist zu bedenken, dass subjektives Bewusstsein einerseits und Gott als Gegenstand andererseits „keine Relationierung an sich unabhngiger Momente sind. Diese Verbindung liegt eben letztendlich im Gottesgedanken selbst, der seinem philosophischen Begriff nach Geist ist“ (37).

Gott und Mensch haben je durch den Fortgang Selbstbezug, und diese Korrelationsstruktur wird von Hegel absoluter Geist oder, in der Religionsphilosophie, absolute Subjektivitt genannt. Fr Hegel ist das Christentum nun deshalb die absolute Religion, weil er die christlichen Vorstellungen von Trinitt, Inkarnation und Pneumatologie als Ausdruck dieser Korrelationsstruktur versteht. Daher expliziert Kruck die Korrelationsstruktur durch einen ausfhrlichen Rckgriff auf Hegels Auslegung der Gottesbeweise und stellt sie als Freiheitstheorie des Absoluten vor. Im letzten Abschnitt dieses ersten Teils der Arbeit legt er die Aufhebung der Vorstellung in den Begriff dar und bedenkt das Problem von Hegels Systemabschluss. Beansprucht Hegel, dass die Philosophie in der Aufhebung Kunst und Religion „nicht nur okkupiert, […] sondern darber hinaus eliminiert“ (123), so vermag die Philosophie in den abschließenden drei Schlssen ihrem Anspruch, Systemabschluss zu sein, nicht zu entsprechen. Denn „das Problem einer universalen Metawissenschaft zeitigt bei Hegel das Paradox, daß die Philosophie in einem die Vermittlung des Kompendiums des Wissens (1. Schluß) und somit die objektive ,Verallgemeinerung‘ des subjektiven Erkennens hervorbringen soll (2. Schluß), das seinerseits in der Anwendung auf die Realitt erst rektifiziert wird. Damit gert die Philosophie in die ausweglose Situation, daß die ber das subjektive Erkennen gewonnene Evidenz der bewhrten Allgemeinheit selbst nur im Diskurs der

I.2. Forschungsberblick

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enzyklopdischen Wissenschaft ausweisbar ist, wodurch sich der Zirkel der letztbegrndungstheoretischen Reflexion – die Philosophie betreffend – ins Unendliche perpetuiert“ (140).

Im zweiten Teil von Krucks Arbeit wird Weisses Reaktion auf dieses Scheitern vorgestellt. In Aufnahme von Positionen Schellings besteht sie darin, das Denken selbst zu beschrnken, indem „die Wissenschaft des Denkens durch eine Wissenschaft des ,Aposteriorischen‘ – wie er es nennt –, das heißt einer Wissenschaft der Wirklichkeit, zu ergnzen“ (24)

ist und somit die Freiheit Gottes gegenber dem Begriff wiedergewonnen wird. Diese interessante Arbeit ist unter anderem darin zu positiv hervorzuheben, dass sie sich auch ausdrcklich um das Gesprch mit der gegenwrtigen Literatur bemht. Ihr wre allein vorzuwerfen, dass sie ihre treffenden und auch in der bergreifenden Lesart sehr bedenkenswerten Beobachtungen oftmals allzu knapp und verrtselt vortrgt.

I.2.2.2. Die philosophische Lesart mit Bezug auf die WL Der Abschnitt ber die Arbeiten der philosophischen Lesart mit Bezug auf die WL beginnt mit dem 1970 erschienenen Buch von Michael Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Damit beginnt dieser Abschnitt mit einer der wirkmchtigsten Arbeiten der neueren Diskussion. Das Buch ist in drei Teile geteilt. Fhrt der erste Teil in das Problem ein und stellt die eigene Doppelthese vor, so erfolgt im zweiten Teil als Verifikation der Doppelthese eine ußerst ausfhrliche Auslegung der enzyklopdischen Paragraphen zum absoluten Geist in der Fassung von 1830. Im dritten Teil wird im Anschluss an Hegel ein eigener Begriff von Philosophie entwickelt. Die im ersten Teil entwickelte Doppelthese lautet, dass bei Hegel Philosophie immer Geschichtsphilosophie ist, Geschichtsphilosophie aber als Religionsphilosophie zu fassen ist. Philosophie ist Geschichtsphilosophie, da Hegels Philosophie eine Philosophie des Geistes ist, der Geist aber als Geschichte und Geschichte als Geist zu begreifen ist. Theunissen ist nun darin Rechtshegelianer, dass er meint, dass sich diese Geist-Geschichte auf drei Ebenen vollzieht. „Wir haben drei Grçßen im Spiel: das Bewußtsein [des Menschen], das abstrakte Selbstbewußtsein [des absoluten Geistes] und das sich konkretisierende, sich mit dem Bewußtsein vermittelnde, […] Selbstbewußtsein. Ihnen entsprechen ebenso viele Weisen von Geschichte: die zumindest un-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

mittelbar vom subjektiven Geist ausgefhrte Weltgeschichte, die ewige Geschichte des absoluten Geistes […] und die zeitliche Geschichte des absoluten Geistes“ (69).

Der absolute Geist existiert somit nicht nur im Bewusstsein der Menschen. Vielmehr „hat der absolute Geist außer dem Selbstbewußtsein, zu dem er im Menschen erwacht, ein ihm von Haus aus zukommendes Selbstbewußtsein“ (224). Dass Philosophie als Geschichtsphilosophie als Ganze zugleich Religionsphilosophie ist, liegt zuerst daran, dass Philosophie in Gnze Religionsphilosophie ist. Die Religionsphilosophie bezeichnet somit nicht nur den mittleren Teil der Lehre des absoluten Geistes, sondern die gesamte Philosophie, da die Philosophie denselben Inhalt wie das Christentum hat. Und da die Religion prgend fr alle drei Ebenen von Geschichte ist, ist die Philosophie, die Philosophiegeschichte ist, zugleich Religionsgeschichte. Im dritten Teil wird genauer erklrt, dass die Philosophie „als Tat des Philosophierens selber zur Religion gehçrt“ (93), da sie nicht nur in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit der Versçhnung nachdenkt, sondern auch selbst, als Tat, versçhnend in der Praxis wirkt. Somit ist der Lehre vom absoluten Geist nicht nur durch einen theologischen, sondern durch einen theologisch-politischer Traktat zu entsprechen. Davor aber kommt es zu einer ausfhrlichen Auslegung der §§553 – 577 der Enz., die die vorher aufgestellten Thesen zu besttigen sucht. Die Auslegung ist dadurch geprgt, dass die Andeutung in §571 aufgenommen und der logische Hintergrund von Hegels Rekonstruktion des Christentums als Schlusslehre gefasst wird. In einer minutiçsen Auslegung versucht Theunissen, sein Ziel zu erreichen, „die Applikation der Logik des Schlusses auf den theologischen Bereich bis in Detail durchsichtig zu machen“ (255). Dabei wird der immanenten Trinitt in §567 der Schluss E-B-A, der Schçpfung in §568 der Schluss A-E-B, und der Versçhnung in §§569/570 der Schluss B-A-E zugeordnet. Jedes Extrem stellt zugleich das entgegengesetzte Extrem dar, und der abschließende Doppelparagraph birgt in sich nochmals einen dreifachen Schluss. All die erreichten Zusammenschlsse fhren einerseits zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie, andererseits aber nicht zu der Aufgabe einer noch ausstehenden, futurisch-eschatologischen Zukunft. An der Vorstellung ist nur die abstrakte Trennung der drei Zeiten zu kritisieren, „nicht aber die Ausrichtung auf Vergangenheit und Zukunft als solche“ (296). Im dritten Teil als der Vorstellung des Philosophiebegriffes will Theunissen daher „die von der encyclopdischen Religionslehre verschwiegene Eschatologie aus dem Gesamtentwurf Hegels her-

I.2. Forschungsberblick

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auslocken“ (297). Dieser Eschatologiebegriff weiß um die Verbindung mit der Vergangenheit, so dass Archologie und Eschatologie zu vermitteln sind. Im Anschluss an das Christentum vermittelt Hegel die zurckschauend-archologische Denkweise der Griechen mit der radikalfuturischen Eschatologie der Juden. Denn die Eschatologie trat schon jetzt in Jesus Christus auf, hat sich aber noch nicht durchgesetzt. In dieser Vermittlung von Archologie und Eschatologie findet zugleich eine Vermittlung von Theorie und Praxis statt, da Hegel durch die Vernderung des Bewusstseins auf das politische Handeln Einfluss nehmen will. Dieser Klassiker der Forschungsliteratur bietet nicht nur die eindrucksvolle Vermittlung aus oftmals minutiçser Exegese und bergreifender Thesen, die aus der Exegese erwachsen und diese zugleich entscheidend prgen. Er gewinnt seine Qualitt zudem dadurch, dass die Exegese ebenso dicht wie przise ist und die Thesen ebenso eigenstndig wie pointiert. Dennoch ist dieser Arbeit aus inhaltlicher Sicht an entscheidenden Punkten zu widersprechen. So ist die rechtshegelianische Lesart Theunissens durchaus fraglich, da mit gutem Grund bestritten werden kann, dass der absolute Geist außerhalb des Bewusstseins des Menschen „ein ihm von Haus aus zukommendes Selbstbewußtsein“ hat. Denn Gott durchkreuzt am Kreuz doch gerade diese Substanzhaftigkeit und steht auf als Geist, der allein in der Gemeinde wohnt (siehe II.3.2.1., II.3.4.1. und vor allem II.3.4.4.4.). Betreffs des zweiten Teils ist zum einen allein schon aus textkritischen Grnden fraglich, ob die Schlusslehre berhaupt geeignet ist, als logischer Hintergrund des Christentums zu fungieren. Denn Hegel charakterisiert das Christentum weder in den Vorlesungen noch in der Erstauflage der Enzyklopdie durch die Schlusslehre, so dass die einmalige Erwhnung in §571 eine nachtrgliche Bemerkung zu einem schon fertigen Text darstellt. Zudem scheinen sich die in §571 erwhnten drei Schlsse eher auf §§569/570 zu beziehen als auf das gesamte Christentum (siehe aber II.2.5.1.1.). Theunissens Version jedenfalls liefert eine zwar sehr detaillierte, aber zugleich sehr elastische Interpretation, die bei wenig Textanhalt allzu viel zu leisten versucht. Zudem prsentiert sie anstatt der von Hegel angedeuteten drei letztlich fnf Schlsse. Schließlich ist auch die zentrale These des dritten Teils abzulehnen. Denn es geht gerade gegen Hegels Verstndnis von Philosophie, ihr eine noch nicht erfllte Gegenwart und somit eine (wenn auch mit der Archologie der Griechen vermittelte) futurische Eschatologie zuzuschreiben. Die Versçhnung ist an sich vollbracht und in der Philosophie je in der Wirklichkeit realisiert. Daher kann nicht von einer bloßen Antizipation noch ausstehenden Heils die Rede sein, die nach einer Praxis der Philosophie ruft, die diese zu verwirklichen hilft (siehe III.3.4.6.).

Gerade auch die Auseinandersetzung mit der Arbeit Theunissens sucht die 1972 vorgelegte Dissertation von Reinhard Heede, Die gçttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhltnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel. Ganz in bereinstimmung mit dem Untertitel sucht sie die logische Struktur der religionsphilosophi-

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

schen Materialien Hegels zu erhellen. In dem ersten, als „Hinfhrung“ apostrophierten Teil wird zuerst Hegels Religionsphilosophie in dem Kontext der philosophischen Theologie seiner Zeit verortet. Dabei wird betont, dass sie sowohl das Erbe der natrlichen Theologie mit ihrer Fokussierung auf Gott wie auch das Erbe Jacobis und Schleiermachers mit ihrer Fokussierung auf das menschliche Subjekt antritt und zwischen beiden vermittelt. In dem zweiten, als „Durchfhrung“ benannten Teil wird in einem ersten Kapitel das Verhltnis von Logik und Realphilosophie dahingehend bestimmt, dass die Realphilosophie in genetischer Hinsicht zuerst kommt, betreffs der Geltung aber von der Logik abhngt. Daher kann „das genetisch Abknftige sich gleichwohl als apriorisch verselbstndigen und […] sich kritisch auf seinen empirischen Ursprung zurckwenden“ (85), so dass die Realphilosophie von der Logik her zu entschlsseln ist. In dem zweiten Kapitel wird diese Grundeinsicht auf die religionsphilosophischen Vorlesungen angewandt, in dem dritten auf Hegels Zuordnung von Urteil und spekulativem Satz und in dem vierten auf die Diskussion um die drei Schlsse in den entsprechenden Paragraphen der Enz. zur Religion und Philosophie. Mit großer Sorgfalt differenziert Heede in den religionsphilosophischen Vorlesungen nach Editionen und Jahrgngen und rekonstruiert sodann die Gesamtstruktur der Vorlesungen anhand einer ineinander verschachtelten Vielzahl von Triaden. Sind die drei Vorlesungsteile als eine erste Triade zu begreifen, so sind die Naturreligionen, die Religionen der geistigen Individualitt als die beiden Großeinteilungen der Religionsgeschichte und das Christentum eine zweite. Genauere Analysen der Religionsgeschichte ergeben intern eine dritte und sogar eine vierte. Zudem erkennt Heede, dass die Religionsgeschichte der Entwicklung des Begriffs folgt und insofern die anfnglichen Religionen seinslogische Strukturen widerspiegeln und zugleich einseitig das Reelle betonen, die weiteren wesenslogische Strukturen widerspiegeln und zugleich einseitig das Ideelle betonen und das Christentum als die alle Begriffsmomente aufhebende Religion der Idee gleicht. Sie vollzieht somit die Vermittlung von Reellem und Ideellem, ohne dass aber die Religionsgeschichte im Einzelnen dem Kategorienverlauf der WL folgt. Legt Heede somit fr die religionsphilosophischen Vorlesungen eine eigene Rekonstruktion vor, so destruiert er in dem vierten Kapitel nur bereits vorliegende Interpretationen zu Hegels drei Schlssen. Dabei setzt er sich detailliert mit allen vorhandenen Interpretationen und auch mit Theunissen auseinander und behauptet gegen die bergroße Mehrheit der Forschung dreierlei. Erstens sind die in §571 erwhnten drei Schlsse fr die die Religion betreffenden Paragraphen

I.2. Forschungsberblick

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recht unerheblich, da sie erst in der zweiten Auflage in einen ansonsten fertigen Text eingefgt wurden und auch in den Vorlesungen nie als Interpretationsschema erwhnt werden. Zweitens sind die zweifellos vorhandenen und fr das Verstndnis zentralen drei Schlsse der Philosophie in den §§575 ff. nicht mit den §§567 – 570 der Religion zu parallelisieren, sondern, wenn berhaupt, mit den §§569 f. Und drittens berzeugt keine derjenigen Interpretationen, die bestimmte formale Schlsse aus der WL auf die Paragraphen der Religion bertragen wollen. Daher rt Heede abschließend dazu, nur auf die tatschlich vorhandenen Hinweise zur logischen Struktur der Realphilosophie einzugehen und warnt davor, Hegel vollendeter prsentieren zu wollen, als er ist. Diese Arbeit ist wegen ihrer Fragerichtung, ihrer Genauigkeit und ihrer intensiven Auseinandersetzung mit alternativen Interpretationen gerade im letzten Kapitel von großem Wert. Besonders die soeben nher referierten Einsichten werden zu einem guten Teil in die vorliegende Arbeit bernommen. Dennoch ist einige Detailkritik vorzubringen wie die Frage, ob im ersten Teil des Kollegs von 1824 tatschlich der empirische Weg als eine neben dem wissenschaftlichen Wege gleichwertige Hinfhrung zur Religion verstanden wird, und ob die Differenzen in den verschiedenen Kollegs zur Religionsgeschichte in der Eruierung ihrer logischen Grundlegung gengend Beachtung finden (siehe II.3.3.1.). Vor allem aber ist zum einen zu bedauern, dass Heede keine eigene, nun gltige Rekonstruktion von Hegels drei Schlssen vorlegt. Zum anderen fllt auf, dass es Heede nicht gelingt, seine Vielzahl von ebenso interessanten wie intelligenten Einsichten zu den jeweiligen Texten zu einer bergreifenden These oder Synthese zusammenzufassen. So lesen sich die einzelnen Kapitel des zweiten Teils doch sehr wie voneinander unabhngige Einzelstudien zu den jeweiligen Themen.

Eine Arbeit hingegen, die ber viele hundert Seiten einen großen Bogen zu spannen versteht, ist die bis heute wohl umfassendste Aufarbeitung einer trinitarischen Ontologie mit Schwerpunktsetzung auf Hegel, die 1997 erschienene Dissertation von Michael Schulz, Sein und Trinitt. Systematische Erçrterungen zur Religionsphilosophie G.W.F. Hegels im ontologiegeschichtlichen Rckblick auf J. Duns Scotus und I. Kant und die Hegel-Rezeption in der Seinsauslegung und Trinittstheologie bei W. Pannenberg, E. Jngel, K. Rahner und H.U. v. Balthasar. Gegenber manchen Tendenzen in der gegenwrtigen Theologie besteht die Grundannahme der Arbeit darin, dass „Ontologie und christliche Gottes- und Trinittslehre untrennbar miteinander verknpft sind“ (1). Wesentlich geht es darum, „ob und wie ein bestimmtes Seinsverstndnis philosophische und theologische Gotteslehre ermçglicht, inhaltlich kennzeichnet oder ihr aber den wissenschaftlichen Boden entzieht“ (2).

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

Wird somit unter den genannten Hinsichten primr der Einfluss der Ontologie auf die Trinittstheologie eruiert, so wird auch umgekehrt dem Einfluss einer Trinittslehre auf die Erschließung bestimmter ontologischer Einsichten nachgegangen. Damit wird „ein Rederecht der Theologie in Sachen Ontologie erstritten“ (9). Die Arbeit besteht aus vier Teilen, deren erster die Ontologie und das Seinsverstndnis des Johannes Duns Scotus eruiert. Handelt der zweite, hier primr interessierende Teil von Hegel, so besteht die Verbindung zwischen beiden darin, dass Hegel bei aller Differenz zu Duns darin wesentlich von ihm beeinflusst ist, dass „Seiend“ bei Duns eine „letzte formal-objektive Bestimmtheit ußerster Abstraktheit und Leere“ markiert. Sie gleicht darin Hegels Begriff des anfnglichen Seins, und wird „der durch die scotische Form der Metaphysik als Explikation der disjunktiven Bestimmung von ,Seiend‘ vorgegebenen Gedanken der Fortbestimmung in Hegels Philosophie zur dialektischen Fortbestimmung der primordialen Unbestimmtheit von Sein als Sein des Absoluten“ (5).

Um diesen Fortbestimmungsprozess des Absoluten bei Hegel angemessen darstellen zu kçnnen, wird in einem ersten Kapitel die Kant-Kritik Hegels vorgestellt und somit mit Hegels Infragestellung der Behauptung von der Unerkennbarkeit Gottes die Rckgewinnung der philosophischen Theologie. Das zweite Kapitel widmet sich der WL als der Grundlegung von Hegels philosophischer Theologie. Es erçrtert eingangs einige berlegungen zu Hegels Systemaufbau wie dem Verhltnis von PhG zur WL und dem der WL zur Realphilosophie. Sodann wird die WL dergestalt als „Onto-THEO-Logik“ (208) vorgestellt, dass die logischen Bestimmungen als Definitionen der Logik des Absoluten zu fassen sind. Dabei werden Widerspruch, Dialektik und Negation als besonders wichtige trinitarische Strukturmomente hervorgehoben, ehe anhand einer Auslegung von Sein, Nichts und Werden als den drei ersten Kategorien der WL die wesentlichen Bestimmungen der drei Glieder der Methodentriadik erhoben werden. Im Anschluss daran und erwachsend aus der immanenten Kritik des Anfangs der WL prsentiert Schulz sein an Siewarth angelehntes, alternatives Verstndnis von Sein. Wie in dem vierten Teil der Arbeit ausfhrlich dargelegt, ist Sein gegen Hegel nicht als Mangel zu fassen, sondern als primordiale Flle. Sie ist die dem Denken immer schon vorgngige Positivitt, die sich allein aus Freiheit, nicht aber aus Bedrftigkeit fortbestimmt. Ohne diese Flle, so Schulzens Kritik an Hegel, wrde die Methodentriadik gar nicht erst beginnen kçnnen. Erfolgt im dritten Kapitel des Hegel-Teil eine ausfhrliche Auslegung der

I.2. Forschungsberblick

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Religionsphilosophie mit Rckgriff auf die neu edierten Vorlesungen und die Enzyklopdie, so ist diese von der eben dargelegten Perspektive geprgt. So wird etwa konstatiert, dass die dritte Person in der immanenten Trinitt Hegels faktisch ausfllt. Das wird damit begrndet, dass „fr Hegel Wahrheit nicht zugleich in ihrer Spitze das Ereignis fruchtbarer Liebe ist, die sich in einem eigenen Dritten darstellt […], weil die primordiale, Sein rekapitulierende Fortbestimmungsbedrftigkeit Gottes einen solchen Reichtum trinitarischen Lebens nicht freizugeben vermag“ (350 f.).

Und nach der Darstellung von Schçpfung und Versçhnung wird nicht nur die Aufhebung der Religion in die Philosophie rekonstruiert, sondern vorher noch auf Hegels positive Einstellung zum Krieg eingegangen. Sie grndet letztlich darin, dass das bestimmungsarme anfngliche Sein des Staates Anderes verbrauchen muss, um selbst reich zu werden. Bevor im letzten Teil die eigene Position im Anschluss an das bereits Skizzierte ausfhrlich dargelegt wird, stellt Schulz mit Pannenberg, Rahner, Jngel und von Balthasar vier Theologen vor, die ihre eigenen Position zu gewichtigen Teilen im kritischen Dialog mit Hegel entwickeln. Dabei halten es die beiden Erstgenannten anders als die beiden Letztgenannten und in bereinstimmung mit der Position Schulzens fr sinnvoll, ein ontologisches Vorverstndnis der Offenbarung zu entwickeln. Nicht nur, aber gerade auch wenn man bedenkt, dass Schulzens Arbeit eine Dissertation ist, beeindruckt sie allein schon durch ihre schiere Quantitt: Einen derartigen Bogen von Duns ber Hegel bis zu Jngel bewltigen zu kçnnen und im Anschluss einen eigenen Vorschlag zu prsentieren, nçtigt Respekt ab. Das umso mehr, als gerade die Darstellung Hegels in Auseinandersetzung mit breiten Strçmungen der gegenwrtigen Diskussion von hohem Problembewusstsein zeugt und vor allem in der Realphilosophie eine sehr treffende Rekonstruktion Hegels bietet. Auch die Hegel-Kritik und die daraus erwachsenden eigenen Positionen sind sehr ponderabel. Anlass zur Kritik bieten dagegen einige Hinsichten in der Darlegung der WL. Vor allem ist es fraglich, ob es angemessen ist, die Grundcharakteristika der Methodentriadik anhand von Sein, Nichts und Werden als dem Beginn der WL zu eruieren. Denn es gibt eine breite Debatte darber, ob diese nicht einen Sonderstatus in der Kategorienentwicklung einnehmen, so dass die Kategorienentwicklung recht eigentlich erst mit dem Werden beginnt. Htte Schulz Hegels Methode anhand der absoluten Idee als des von Hegel selbst als Methodenkapitels ausgewiesenen Textes dargelegt (siehe II.1.2.), so htte sich zudem nicht die unelegante Situation ergeben, dass Schulz einerseits den Anfang der WL zur Erhellung der Grundcharakteristika der Methodentriadik auslegt, dazu aber andererseits, in einem davon getrennten Abschnitt, mit dem Widerspruch und der Negation weitere wesentliche logische Strukturmomente der Trinitt erçrtert.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

I.3. Das Buch im Horizont der bisherigen Forschung Als Abschluss des Forschungsberblicks und zugleich als Ausblick auf das Folgende soll der Forschungsberblick dadurch zusammenfassend kommentiert werden, dass das vorliegende Buch in ihm verorten wird. In thematischer Hinsicht ist festzuhalten, dass allein die in den 1970ern verfassten Arbeiten von Kng, Menschwerdung, und Yerkes, Christology, der Christologie gewidmet sind. Beide fokussieren sich aber nicht auf das besondere Problem der Einheit der zwei Naturen. Zudem bedenken sie weder die logischen Hintergrnde mit, noch gehçren sie der philosophischen Lesart an. Auch wenn die Christologie von einer Vielzahl anderer Arbeiten mitbehandelt wird, ist die im Folgenden vorgenommene Fokussierung auf das Thema der Personeneinheit der zwei Naturen somit ein relatives Novum. Nutzt die vorliegende Arbeit die Beobachtungen zu der Einheit der zwei Naturen dazu, gewichtige Argumente fr die philosophische Lesart zu entwickeln, so begibt sie sich damit auf ein bis heute heftig umkmpftes Feld. Denn noch in den letzten Jahren erschienen nicht nur solche Arbeiten wie die von Keyserlingk, die die religiçse Lesart als einen Nebenkrater ihrer eigentlichen Forschungen verteidigen. Vielmehr wurden auch solche Arbeiten wie etwa die von Dellbrgger publiziert, die die Verteidigung der religiçsen Lesart zum zentralen Beweisziel ihres Projektes erheben. Auf der anderen Seite gibt es zwar bis heute eine Vielzahl von Arbeiten, die der philosophischen Lesart angehçren. Aber es gibt kaum solche, die dafr auf die WL zurckgreifen, und keine, die die absolute Idee ausfhrlich mit der Religionsphilosophie Hegels in Verbindung bringt. Damit ist zu dem in vielem verwunderlichen Umgang der religionsphilosophischen Forschungsliteratur mit der WL bergeleitet. Besonders einige frhe Arbeiten wie die von Splett oder Kng rekurrieren im Rahmen ihrer Arbeiten auf die WL, ohne die Ergebnisse zur Auslegung der Religionsphilosophie heranzuziehen. Verfehlen sie damit den Systemgedanken Hegels, so beginnt mit der Arbeit von Wagner der Rckgriff auf bestimmte Passagen der WL mit dem Ziel, durch die dort erhobenen Strukturen die Religionsphilosophie angemessen zu begreifen. So sehr diesem Vorgehen im Prinzip zuzustimmen ist, so sehr erstaunt an seiner faktischen Durchfhrung dreierlei. Zum ersten verwundert, dass auch eine Vielzahl von Vertretern der religiçsen Lesart auf die WL zurckgreifen. Dagegen soll im Folgenden gezeigt werden, dass gerade die Arbeit des Begriffs in der Religion zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie fhrt. Es gibt also einen inneren Nexus zwischen dem

I.3. Das Buch im Horizont der bisherigen Forschung

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Rckgriff auf die WL und der philosophischen Lesart. Zum zweiten erstaunt das Folgende: Zwar wurden bereits eine Vielzahl von Kategorien aus der WL exegetisiert. Die Auswahl dieser Ausschnitte aber wurde meist nur ganz flchtig begrndet, und eine Rechtfertigung der eigenen Position durch die Auseinandersetzung mit alternativen Anstzen fehlt ganz. Dementsprechend stehen Auslegungen seinslogischer Kategorien wie dem Beginn der WL bei Schulz oder der Kategorie konkreter Unendlichkeit bei Keyserlingk unkommentiert neben Auslegungen wesenslogischer Kategorien wie der von Identitt und Grund bei Anton. Auch die Auslegungen begriffslogischer Kategorien wie der Beginn der subjektiven Begriffslehre bei Wagner und Trawny oder die Schlusslehre bei Theunissen stellen keine Beziehung zu den anderen Optionen her. Zum dritten verwundert, dass die absolute Idee erst ein einziges Mal als logischer Hintergrund der Religionsphilosophie herangezogen wurde und dabei auch nur in kursorischer Auslegung.31 Dabei gibt es gute Grnde dafr, gerade auf sie zurckzugreifen. Denn es tauchen nicht nur wichtige Schlsselbegriffe der absoluten Idee bestndig in der Religionsphilosophie auf. Wichtiger noch ist, dass die absolute Idee zum einen das Methodenkapitel und damit ein wichtiger Bezugspunkt der gesamten Realphilosophie darstellt. Zum anderen aber und als Hauptargument ist sie aus Grnden des Systemaufbaus eindeutig als derjenige logische Hintergrund anzusehen, der der Religionsphilosophie zuzuordnen ist.32 Bietet die vorliegende Arbeit somit erstmals eine ausfhrliche Auslegung der absoluten Idee als logischen Hintergrund der Religionsphilosophie, so geht damit keineswegs die abstrakte Negation der alternativen Zuordnungen einher. Denn als Abschluss- und Methodenkapitel hebt die absolute Idee die wesentlichen Strukturmomente der alternativen Zuordnungen in sich auf. Auch in ihr wird das Anfangsproblem, das Problem konkreter Unendlichkeit, das Problem von Identitt und Grund, von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem sowie das der Schlusslehre diskutiert. Verhandelt die vorliegende Arbeit somit die in den bisherigen Arbeiten untersuchten logischen Figuren gleich mit, so verhandelt sie diese auf der der Religionsphilosophie entsprechenden logischen Hçhe der absoluten Idee. Auf dieser aber werden die logischen Figuren nicht isoliert voneinander entwickelt, sondern in derjenigen Vermittlung untereinander, die diesen Figuren in Wahrheit zukommt. Somit will das vorliegende Buch eine relative thematische Lcke schließen und zugleich 31 Siehe Dierken, Glaube, 229 – 243, bes. 239 – 242. 32 Siehe II.1.2.

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I. Einleitung: Verortungen der Arbeit

eine relative methodische Innovation durchfhren, um in einer der zentralen Debatten um Hegels Religionsphilosophie entschieden Stellung zu beziehen. Durch einen in dieser Grndlichkeit bisher noch nicht vorgenommenen Rckgriff auf die absolute Idee wird die Christologie Hegels sowie seine gesamte Religionsphilosophie begrifflich aufgeschlossen und damit zugleich ausfhrlich fr die philosophische Lesart argumentiert. In der Einleitung wurde berblicksmßig ber die theologische und philosophische Verortung, den Aufbau und die These dieser Arbeit informiert (I.1.). Zudem wurde die Arbeit mit Rckgriff auf den Forschungsberblick (I.2.) in der gegenwrtigen Diskussionslage loziert (I.3.). Daher kann nun zu der eigentlichen Auslegung Hegels fortgeschritten werden. Dabei werden eingangs einige Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem vorgestellt (II.1.). Sodann erfolgt sowohl eine ausfhrliche Auslegung der absoluten Idee (II.2.) als auch eine genaue Exegese der durch die absolute Idee geprgten Religionsphilosophie (II.3.), ehe Hegel aus verschiedenen Perspektiven kritisiert wird (III.).

II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem Um einen ersten berblick ber Hegels Denken zu geben, wird im Abschnitt II.1. kurz Hegels Gesamtsystem skizziert. Das Gesamtsystem behandelt wesentlich ein Thema, die absolute Idee. Damit ist die Vernunft bezeichnet, die sich als das Absolute erkennt und sich somit letztbegrndet. Dies geschieht durch die Selbstmodifikation der absoluten Idee in Logik, Natur und Geist als den drei Teilen des Systems.33 Im Folgenden soll zuerst kurz die WL als die Darstellung der Logik charakterisiert werden (II.1.1.). Sodann werden Perspektiven der Zuordnung der Logik zu Natur und Geist prsentiert. Diese erklren zugleich die fr das vorliegende Buch zentrale Einsicht, dass die Religionsphilosophie durch die absolute Idee auszulegen ist (II.1.2.). II.1.1. Die WL als transzendentalphilosophische Onto-Theo-Logik Die WL stellt Hegels Logik dar. Zu einem genaueren Verstndnis soll die WL eingangs durch Nherbestimmung derjenigen Disziplinen charakterisiert werden, denen sie zuzuordnen ist. Die WL kann als die Nachfolgedisziplin von vier traditionellen Disziplinen aufgefasst werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sie das ursprngliche Verstndnis der vier Disziplinen wesentlich modifiziert. So erfllt sie wichtige Funktionen einer Transzendentalphilosophie, einer Logik, einer Ontologie und einer Theologie.34 Sie ist erstens Transzendentalphilosophie, 33 Siehe dazu Fulda, Hegel, 99. 129. 34 Siehe dazu Hçsle, Hegels System, 61 – 68. Utz, Notwendigkeit, 24 f., betont zu Recht, dass aus der Binnenperspektive der WL heraus anfnglich gerade nicht gesagt werden kann, welcher Disziplin die WL zuzuordnen ist. Denn die fr die WL wesentliche Voraussetzungslosigkeit schließt ein, dass ihr auch kein vorher festgelegter Begriff von Wissenschaft vorausgegeben werden kann. Daher ist die im Haupttext angefhrte Einordnung in Disziplinen als ein Vorbegriff der WL zur ersten Annherung zu begreifen, so wie auch Hegel selbst in seinen Vorworten und Einleitungen zur WL Vorbegriffe der WL bereitstellt. Entsprechend stammen auch die im Folgenden verwendeten Zitate aus eben diesen Texten.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

wenn unter der Transzendentalphilosophie im Gefolge Fichtes die methodisch strenge Reflexion auf die eigenen Geltungsansprche verstanden wird, die auf eine letztbegrndende Disziplin zielt.35 Als letztbegrndende Disziplin behandelt sie eine reflexive, sich selbst begrndende und damit letztbegrndete Struktur, die als das sich selbst begreifende Denkens zu fassen ist. Denn das Denken vermag in seiner Unhintergehbarkeit, alle Voraussetzungen in die eigene Regie zu bernehmen.36 Somit wird der Forderung entsprochen, dass „der Anfang der absoluten Wissenschaft selbst absoluter Anfang sein muß, er darf nichts voraussetzen“.37 Somit ist die WL die „Wissenschaft des reinen Denkens“.38 Zweitens ist sie somit gerade als Transzendentalphilosophie zugleich das, was ihr den Namen gibt: Sie ist Nachfolgedisziplin der traditionellen Logik als der Lehre vom Denken. Entsprechend werden die klassischen Themen der Logik wie etwa die Urteils- und die Schlusslehre in ihr ausfhrlich verhandelt.39 Entgegen dem traditionellen Verstndnis von Logik wird sie von Hegel aber nicht als rein formale Disziplin verstanden. Vielmehr stellt sie eine inhaltlich gefllte Logik dar, die auch die allgemeinen Inhalte der jeweils verhandelten Denkbestimmungen verhandelt.40 Zugleich sind die Denkbestimmungen nun aber nicht nur als Bestimmungen des Denkens, sondern auch als die des Seins zu begreifen. Denn die WL operiert auf der Hçhe des absoluten Wissens, auf dem der Bewusstseinsgegensatz berwunden ist.41 So „ist der Begriff der Wissen35 Siehe dazu auch Schulz, Sein, 173 – 176. 36 Siehe dazu Bubner, Zur Sache, 43 – 47. 37 WL1, 35 (11, 33). Koch, „Sein“, 17, differenziert verschiedene Aspekte von Voraussetzungslosigkeit bei Hegel: den schwachen der Alternativlosigkeit, den absoluten, und den einer Norm, die sich durch Erfllung aufhebt. Koch zeigt im gesamten Aufsatz, wie sich die Norm der Voraussetzungslosigkeit im Verlauf der WL durch Aufhebung der anfnglich angesetzten (schwachen) Voraussetzungen von Sein und Negativitt erfllt. 38 WL1, 29 (11, 30). 39 Siehe dazu ausfhrlich Krohn, Die formale Logik. 40 Siehe dazu etwa Schick, „Einleitende berlegungen“, 3. Schick erlutert anhand des Beispiels des Schlusses, warum Hegel meint, dass eine Logik, die sich aller Inhalte enthlt, nicht konsistent durchfhrbar ist. So verliert der Schluss der Allheit seine Notwendigkeit, wenn seine Bestimmungen A, B und C rein formal gefasst werden, da dann letztlich allein Tautologien ausgesagt werden. Erst wenn nicht ein beliebiger Inhalt, wohl aber der allgemeine Inhalt der Begriffe Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit selbst analysiert wird, gewinnt der Schluss an Notwendigkeit und wird somit er selbst. 41 Es ist Aufgabe der PhG, den Bewusstseinsgegensatz zu berwinden, indem das natrliche Bewusstsein durch die immanente Widerlegung verschiedener Aus-

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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schaft, […] daß das an sich Seiende der Begriff und der Begriff das an sich Seiende ist“.42 Daher nennt Hegel sein Denken „objektive[s] Denken“.43 In Disziplinen ausgedrckt bedeutet das, drittens, dass die WL als Logik zugleich Nachfolgedisziplin der Ontologie ist. Denn sie ist diejenige Disziplin, die die Kategorien prsentiert, die dem Seienden als Seienden zukommen.44 Mit dem objektiven Denken vollbringt Hegel zugleich eine Synthese aus Realismus und subjektivem Idealismus:45 Denn weder richtet sich das Sein nach unseren Gedanken noch unsere Gedanken nach dem Sein, sondern beide richten sich nach den objektiven Gedanken des objektiven Denkens. In Aufnahme der idealistischen Hinsicht sind diese a priori durch das reine Denken erfassbar. In Aufnahme der realistischen Hinsicht gehen sie zugleich dem subjektiven Geist voraus, der sich aller subjektiven Beigaben enthalten muss, um sie zu begreifen. Damit sind die objektiven Gedanken ideell, objektiv und absolut. Dadurch erklrt sich, viertens, dass die WL auch als Nachfolgedisziplin der Theologie verstanden werden kann, denn traditioneller Weise kommen diese Zuschreibungen Gott zu. Entsprechend kann Hegel sagen, „daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes

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prgungen des Bewusstseinsgegensatzes zu dem absoluten Wissen empor gefhrt wird, das sich dadurch auszeichnet, dass Gewissheit und Wahrheit oder wissendes Bewusstsein und gewusster Gegenstand zusammenfallen. In genetisch-psychologischer Hinsicht dependiert die WL somit von der PhG und ist somit nicht voraussetzungslos. In geltungstheoretischer Hinsicht aber kommt der PhG nur der Status einer Propdeutik zu, und die WL beansprucht, auf der erreichten Hçhe des absoluten Wissens voraussetzungslos vorzugehen. Diese Zuordnung von PhG zu WL kann als Konsens der Forschung angesehen werden, siehe etwa Schulz, Sein, 176 – 179, oder Fulda, Hegel, 81 – 84. Dass aufgrund der berwindung des Bewusstseinsgegensatzes in der PhG die WL in dieser Hinsicht der traditionellen Ontologie hnelt, sagt auch Fulda, Hegel, 99 f. WL1, 16 (11, 21). WL1, 16 (11, 21). Siehe auch Enz., §24, 57 (20, 67): „Die Gedanken kçnnen nach diesen Bestimmungen objektive Gedanken genannt werden, worunter auch die Formen, die zunchst in der gewçhnlichen Logik betrachtet und nur fr Formen des bewußten Denkens genommen zu werden pflegen, zu rechnen sind. Die Logik fllt daher mit der Metaphysik [als dem, was im Fließtext Ontologie genannt wurde] zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafr galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrcken“. Allerdings besteht eine wichtige Eigentmlichkeit der Hegelschen WL darin, dass bereits einzelne Kategorien oder Denkformen und nicht erst Urteile wahr oder falsch sein kçnnen, siehe dazu Schick, Einleitende berlegungen, 7 f. Siehe dazu Hçsle, Hegels System, 66 f.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

ist“.46 Bedenkt man das bisher Gesagte mitsamt der jeweils wesentlichen Nherbestimmungen der klassischen Verstndnisse, so kann die WL mit ihrem einen Thema der absoluten Idee somit als transzendentalphilosophische Onto-Theo-Logik gefasst werden. Ein zentrales Charakteristikum der WL wurde bisher noch nicht erwhnt, obwohl es zugleich eine weitere Neuerung darstellt, die die Vorgngerdisziplinen stark verndert. So ist zu betonen, dass es einen Entwicklungsgang der Bestimmungen des „objektiven Denkens“ gibt. In ihm entwickeln sich die Bestimmungen mit immanenter Notwendigkeit auseinander und gewinnen dadurch an Konkretheit. Durch die Dialektik als die den Bestimmungen eigene Methode prfen sich die jeweiligen Bestimmungen, erweisen sich als widersprchlich und resultieren sodann in der nchsten. Dadurch gewinnen sie an Bestimmtheit, ehe in der absoluten Idee die Dialektik selbst bestimmt wird. In Bezug auf die WL als der Nachfolgedisziplin der Transzendentalphilosophie folgt daraus, dass die reflexive, sich selbst begrndende Struktur nicht etwa am Anfang, sondern erst am Ende als gesetzte erreicht ist. Dadurch kann sie in zweifacher Hinsicht ihrer Voraussetzungslosigkeit entsprechen. So beginnt sie zum einen mit ganz einfachen Bestimmungen. Diese entwickeln sich aus sich selbst heraus und werden erst sukzessive zu der vollentwickelten, reflexiven Struktur. Zum anderen erweist sich die Struktur erst durch den Entwicklungsgang als wahrhaft letztbegrndet und als voraussetzungslos. Denn alle im Verlauf anfnglich evtl. doch gemachten Voraussetzungen werden in den Entwicklungsgang integriert und so als selbst gesetzte ihres Status als vorausgesetzte enthoben.47 Werden dabei die Bestimmungen sukzessive „in ihrer eigenen immanenten Ttigkeit, oder was dasselbe ist, in ihrer notwendigen Entwicklung“48 dargestellt, so ist damit zugleich ein wesentlicher Vorteil gegenber der traditionellen Logik und Ontologie gewonnen. Denn deren Schwche besteht in dem Selbstwiderspruch, dass sie einerseits fordern, dass alles abzuleiten sei, whrend sie andererseits selbst ihre eigenen Grundvoraussetzungen nur 46 WL1, 17 (11, 21). Zu betonen ist, dass Hegel dies in uneigentlicher Rede sagt: Denn die WL fasst weder eine außerirdische Entitt, sondern die „Intellektualansicht der Welt“ (WL1, 17 (11, 21)). Noch fasst die WL Gott so, wie es die Religionsphilosophie tut, also als reales Wesen. Vielmehr stellt sie, so man einen gefllten Begriff von Struktur anzusetzen erlaube, die Struktur der Vernunft als des Absoluten dar, die sich in der absoluten Idee als solche selbst weiß und daher absolute Subjektivitt ist. 47 Siehe dazu Hçsle, Hegels System, 53 f.; und unten, II.2.5.3. 48 WL1B, 9 (21, 10).

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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gleichsam empirisch aufraffen.49 Hegel hingegen begrndet auch die Grundvoraussetzungen seiner Logik und Ontologie. Zuletzt impliziert dieser Entwicklungsgang eine zentrale Beobachtung, die die WL als Nachfolgedisziplin der Theologie und damit auch die vorliegende Untersuchung betrifft. Denn das Absolute ist am Anfang noch nicht es selbst in seiner vollendeten Form, sondern das Absolute wird erst im Entwicklungsgang zu sich. Die Zentralitt des Entwicklungsgangs in der WL fr sie selbst und fr das vorliegende Buch fordert dessen nhere Charakterisierung. Dazu sollen die verschiedenen Formen der Dialektik in der WL kurz erlutert werden. Diese sind nicht nur deshalb von Interesse, weil im Folgenden an wichtigen Stellen auf sie Bezug genommen werden wird. Vielmehr ist in der WL der jeweilige Inhalt mit der Dialektik als der Form seiner Entwicklung vermittelt. Daher gelangen durch die Charakterisierung der verschiedenen Formen der Dialektik zugleich wichtige Seiten des dabei verhandelten Inhalts in den Blick. Hegel definiert die verschiedenen Formen wie folgt: „Die abstrakte Form des Fortgangs ist im Sein ein Anderes und bergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene kontinuiert und als Identitt mit ihm ist“.50

Hegel unterscheidet somit drei Formen von Dialektik, die er den drei Teilen der WL zuordnet. In der Seinslogik vollzieht sich die Dialektik des bergehens, in der Wesenslogik das „Scheinen im Entgegengesetzten“ als die Reflexionsdialektik und in der Begriffslogik „Kontinuierung in das von ihr Unterschiedene“ als die Entwicklungsdialektik. Wesentlich zur Erfassung der Unterschiede der drei Formen der Dialektik ist, dass die 49 So schreibt Hegel, WL1, 22 f. (11, 25 f.): „In den anderen Wissenschaften sind solche Vorausbestimmungen und Einteilungen gleichfalls nichts anderes, es heißt darin bloß assertorisch, selbst in der Logik zum Beispiel, ,die Logik hat zwei Hauptstcke, die Elementarlehre und die Methodik‘, alsdann unter der Elementarlehre findet sich ohne weiteres die berschrift: Gesetze des Denkens; – alsdann erstes Kapitel: von den Begriffen. Erster Abschnitt: von der Klarheit der Begriffe u.s.f. – Diese ohne irgendeine Deduktion und Rechtfertigung gemachten Bestimmungen und Einteilungen machen aber das Gerst und den ganzen Zusammenhang solcher Wissenschaften aus. Eine solche Logik spricht selbst davon, daß die Begriffe und Wahrheiten aus Prinzipien mssen abgeleitet werden; aber bei dem, was sie Methode nennt, wird auch nicht von weitem an ein Ableiten gedacht“. 50 Enz., §240, 195 (20, 230).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Formen der Dialektik in bereinstimmung mit dem Inhalt, an dem sie sich vollziehen, zunehmend komplexer werden. Schließlich kommt es zur Aufhebung der beiden ersten Formen in die dritte. So sind die Kategorien der Seinslogik durch einfache Sichselbstgleichheit charakterisiert. Sie scheinen somit nicht relational zu sein, so dass sie die jeweils anderen Kategorien abstrakt von sich ausgrenzen. Daher haben sie substanzhafte Zge. Entsprechend ist die Weiterbestimmung einer Kategorie oder ihre Dialektik als ein bergehen zu fassen, da die eine Kategorie in die andere bergeht und dabei nicht mehr sie selbst ist. So ist, um ein Beispiel zu bringen, „Etwas“ eine sichselbstgleiche Kategorie, die es auch ohne das Andere zu geben scheint. Entwickelt sich dann die Dialektik des Etwas und wird das Etwas zu dem Anderen, so wird es dabei zu etwas anderem als dem Etwas, was es ursprnglich war: Es geht in das Andere ber.51 Scheinen die Kategorien der Seinslogik nicht-relational zu sein, so sind die Kategorien der Wesenslogik wesentlich relational. Sie sind nur dadurch sie selbst, dass sie sich auf ihr anderes beziehen, das sie nicht sind.52 Entsprechend ist ihre Dialektik als ein „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ und damit als Reflexionsdialektik zu fassen. Das hier anzufhrende und spter in der Arbeit genauer auszufhrende Beispiel ist das der Kategorien des Positiven und des Negativen. Das Positive ist genau das, was das Negative nicht ist. Entwickelt sich seine Dialektik und wird es zu dem Negativen, so geht es nicht zu einem ihm scheinbar unwesentlichen Anderen ber, sondern es wird als das gesetzt, was es in sich reflektiert.53 Die Begriffslogik verbindet nun die wesentlichen Aspekte der Dialektik der Seins- und der Wesenslogik. Denn whrend die Kategorien der 51 Siehe dazu nher Schfer, Die Dialektik, 297 – 303. Schfer erlutert auch, was hier nur beilufig erwhnt werden kann: Gerade weil in der WL Form und Inhalt oder Dialektik und die jeweilige Kategorie selbst dialektisch vermittelt sind, gibt es auch innerhalb der bergangsdialektik der Seinslogik eine breite Entwicklung. Sie reicht von der Dialektik von Sein und Nichts, in der die Kategorien immer schon ineinander bergegangen sind, bis zur Dialektik des Maßes, in dem sich ein doppelter bergang vollzieht, da nicht nur in anderes bergegangen wird, sondern zudem damit der Rckgang in es selbst mitgesetzt wird. Am reinsten findet sich die bergangsdialektik in den Kategorien der Qualitt. Entsprechende Entwicklungen vollziehen sich auch in der Wesens- und der Begriffslogik. 52 So heißt es in Enz., §119, 128 (20, 149): „Jedes hat seine eigene Bestimmung nur in seiner Beziehung auf das Andere, ist nur in sich reflektiert, als es in das Andere reflektiert ist, und ebenso das Andere; jedes ist so des Andern sein Anderes“. 53 Siehe dazu nher Schfer, Die Dialektik, 303 – 311.

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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Wesenslogik sie selbst sind im Bezug auf das Andere, das sie nicht sind, so vermitteln die Kategorien der Begriffslogik diesen Aspekt mit der Sichselbstgleichheit der Seinslogik. Dementsprechend sind sie sie selbst im Bezug auf ihr Anderes, das sie aber selbst sind. So kommt es zu einer positiven Bestndigkeit in dem Entgegengesetzten.54 Die jeweilige Bestimmung „kontinuiert sich als solche in das von ihr Unterschiedene und ist als Identitt mit ihm“. Um wiederum ein Beispiel anzufhren, so wird spter genauer dargestellt, dass etwa das Einzelne das Allgemeine und das Besondere positiv in sich enthlt und gerade nur so es selbst ist. Die absolute Idee als der Schluss der Begriffslogik ist die voll entwickelte Entwicklungsdialektik, die sich als solche weiß. Hier erweist und weiß sich das Setzen der Anderen als aktives Selbstverhltnis, als die vollendete Form des Selbstseins. Damit ist zweierlei erreicht. Der eigene Fortgang begreift sich selbst in vollstndiger Selbstdurchklrung. Daher ist die absolute Idee als Abschlusskapitel zugleich das Methodenkapitel der WL. Zugleich ist die absolute Idee in ihrer absoluten Vermittlung die vollendet durchgefhrte Voraussetzungslosigkeit. II.1.2. Zum Verhltnis von WL und Realwissenschaften Die Logik der WL kontinuiert sich ber die absolute Idee hinaus, weil „die Idee noch logisch ist, sie ist in den reinen Gedanken eingeschlossen, die Wissenschaft nur des gçttlichen Begriffs“.55 Auch wenn die absolute Idee die absolute Vermittlung des Begriffs mit der Realitt ist, so ist sie dennoch noch keine Realphilosophie. Vielmehr verbleibt sie auch in der absoluten Idee noch im Element des Denkens56 und ist daher noch nicht alle Wirklichkeit. Deshalb ist die absolute Idee als Abschluss der WL gerade der Beginn eines neuen Systemteils. Die Idee entlsst sich frei aus sich57 und wird Natur als die „Idee in der Form des Andersseins“.58 Das Anderssein besteht darin, dass sich die Idee in einem neuen Element bewegt, in dem Element des Reellen. 54 Siehe dazu nher Schfer, Die Dialektik, 311 – 319. 55 WL3, 305 (12, 253). 56 Siehe dazu Enz., §19, 53 (20, 61) und Nuzzo, „Die Differenz“, 54 – 56. Mit Nuzzo, „Die Differenz“, 54, kann das Element gefasst werden als „das alldurchdringende Medium, worin alle Bestimmen einer Sphre oder eines Teils des Ganzen entwickelt bzw. abgeleitet werden kçnnen“. 57 Siehe zu diesem bergang WL3, 305 f. (12, 253) und Enz., §18, 51 (20, 59 f.). 58 Enz., §247, 200 (20, 237).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Die Natur entwickelt sich dergestalt, dass „die Idee sich als das setze, was sie an sich ist“.59 Sie entwickelt sich aus der toten Vereinzelung der Mechanik ber die Bestimmung der Besonderheit in der Physik zur lebendigen Einheit der Organik.60 Doch die Idee treibt sich in ihrer Prozesslogik auch ber die Natur hinaus zum Geist, indem sie „ferner auch diese Bestimmtheit, in welcher sie nur Leben ist, aufhebe und sich zur Existenz des Geistes hervorbringe, der die Wahrheit und der Endzweck der Natur und die wahre Wirklichkeit der Idee ist“.61

Der Geist ist davon geprgt, dass er sein Dasein im Wissen hat.62 Darin bestimmt er sich wiederum triadisch weiter, als subjektiver, objektiver und absoluter Geist.63 Der subjektive Geist ist der Geist in der Form der Selbstbeziehung an sich.64 Er entfaltet sich entsprechend als Anthropologie, Phnomenologie und Psychologie.65 Der objektive Geist realisiert sich in der Welt66 und entfaltet sich entsprechend als Recht, Moralitt und Sittlichkeit. Der absolute Geist hingegen hebt beide vorherigen Entwicklungen dergestalt in sich auf, dass er reflexiv wird. Ist es dem subjektiven, dem objektiven und dem absoluten Geist gemeinsam, dass er jeweils sein Dasein im Wissen hat, so weiß erst der absolute Geist von seinem Dasein im Wissen. Der absolute Geist hat somit sein Dasein im Wissen als ein Wissen um sein Dasein im Wissen. Denn sein Dasein im

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Enz., §251, 204 (20, 241). Zu diesen Charakteristika siehe Enz., §252, 204 f. (20, 241 f.) Enz., §251, 204 (20, 241). Der erste Satz von Enz., §553, 440 (20, 542), ist als zusammenfassende Charakterisierung der gesamten Geistphilosophie zu verstehen und lautet: „Der Begriff des Geistes hat seine Realitt im Geiste“. Hçsle, Hegels System, 127 – 154, hat zu Recht darauf verwiesen, dass in der Religionsphilosophie die Triadik von Logik, Natur und Geist dergestalt mit einer Tetradik vermittelt ist, dass dem zweiten Moment der Triadik als dem Moment des Urteils nicht nur die Natur, sondern auch der endliche Geist (als Entsprechung des subjektiven Geistes des Gesamtsystems) zugeordnet wird. Die sachlichen Vorzge dieser Einteilung bestehen unter anderem darin, dass dem geurteilten zweiten Moment tatschlich zwei Bestimmungen zukommen. So richtig diese Beobachtung auch ist, so sollen sie hier gegen Hçsle dennoch nicht auf die Analyse des Gesamtsystems angewendet werden, weil es berwltigende Evidenz dafr gibt, dass Hegel selbst die Enzyklopdie als eine Triadik entwarf, die nicht mit der Tetradik vermittelt ist. Siehe dazu Enz., §385, 315 (20, 383) sowie Lewis, Freedom, bes. 39 – 46. Siehe dazu einleitend auch Fulda, Hegel, 184 – 196. Siehe dazu Enz., §385, 315 (20, 383).

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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Wissen ist gerade der Inhalt seines Wissens.67 Dabei erkennt er sein Wesen und somit sich als alle Wirklichkeit. Der absolute Geist vollzieht diese durch Selbstthematisierung erfolgende Selbstkonstitution in den Formen von Kunst, Religion und Philosophie. Ihnen ist derselbe Inhalt gemeinsam. Sie unterscheiden sich aber in vermçgenstheoretischer Hinsicht und damit in der Form, in der sich der absolute Geist vollzieht.68 In der Kunst vollzieht sich der absolute Geist in der Form der Anschauung, in der Religion in der Form der Vorstellung, in der Philosophie in der Form des Begriffs. Im Folgenden seien die beiden fr das vorliegende Buch wesentlichen Implikationen des eben skizzierten Gesamtverlaufes kurz expliziert. Damit wird erklrt, warum zuerst die absolute Idee und sodann die Religionsphilosophie genauer auszulegen sind. Hegel wurde dahingehend zitiert, dass der Geist als die Wahrheit der Natur „die wahre Wirklichkeit der Idee“ ist.69 Der Fortgang der Idee aus ihrem Anderssein erweist sich somit als ein Rckgang in ihren konkreten Anfang. Daher ist der Fortgang der Idee im Gesamtsystem als ein Kreisgang zu fassen.70 Genauer gesagt, ist das System als ein „Kreis von Kreisen“ anzusehen, weil nicht nur der gesamte Verlauf des Systems, sondern auch jede einzelne Wissenschaft selbst wiederum als Kreisgang zu fassen ist.71 In einer zweiten Perspektive auf das Gesamtsystem gilt es aber zugleich zu betonen, dass der absolute Geist durch die Logik geprgt ist. Denn die Logik ist nicht nur der erste Schritt des Kreisganges, der im weiteren Verlauf zurckgelassen und vielleicht ganz am Ende wieder eingeholt werden wrde. Vielmehr fungiert die Logik durchgehend als der „innere Bildner“72 der Realphilosophie. Um das Bild vom „inneren Bildner“ zu begreifen, seien die in der Darstellung des Gesamtsystems angesprochenen verschiedenen Elemente genauer betrachtet, in denen sich die Logik und die Realphilosophie 67 Siehe dazu auch Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 392. 68 Zu der Frage von Inhaltsidentitt und Formdifferenz siehe unten, II.3.2.3.2. 69 Enz., §381, 313 (20, 381), nennt den Geist deshalb auch „die zu ihrem Frsichsein gelangte Idee“; siehe dazu auch Fulda, Hegel, 162. 70 Siehe WL3, 304 (12, 252), und Schndelbach, „Philosophie“, 53 – 57. Da die Rckkehr in den Anfang etwa auch aus begrndungstheoretischer Perspektive zentral ist (siehe II.2.5.3.), ist gegen Kimmerle, „Die allgemeine Struktur“, 206 f., die Visualisierung dieser Bewegung nicht als Spirale, sondern eben als Kreis zu prferieren. 71 Siehe WL3, 304 (12, 252) und Enz, §15, 48. 72 WL3, 23 (12, 25).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

vollziehen. Im Element des Denkens als dem Element der Logik fllt die Bestimmung des Begriffs mit dem Element zusammen, in dem sich der Begriff bestimmt. Im Element des Reellen als dem Element der Realphilosophie hingegen entwickelt sich der Begriff zugleich auch nach seiner realen Seite. Denn es ist gerade dadurch konstituiert, dass „der Begriff in der Natur und im Geist eine ußerliche Darstellung hat“.73 Zugleich ist immer zu betonen, dass es der Begriff ist, der sich im ußeren darstellt und der daher „innere Bildner“ des ußeren ist. Denn die Realitt kann doch berhaupt nur deshalb in einer Realphilosophie gefasst werden, weil sich in der Entwicklung des Realen die Entwicklung des Begriffs mit vollzieht und die Entwicklung des Realen prgt. Die damit angedeutete Entsprechung zwischen der Logik und der Realphilosophie ist in ihrer geltungstheoretischen Grundstzlichkeit zu betonen. Wie fr die Religionsphilosophie genauer auszufhren sein wird, wird die Realphilosophie dadurch philosophisch in Geltung gesetzt, dass der Begriff in ihr begriffen wird. Die Realitt ist in dem Maße in Geltung gesetzt, in dem sie von dem Begriff durchgebildet ist.74 Ebenso ist diese Beobachtung in ihrer werkgeschichtlichen Grundstzlichkeit zu betonen. Denn der Versuch der genaueren Explikation der fr die Realphilosophie zentralen Begriffe ist ein wesentliches Motiv fr Hegel, die WL berhaupt zu schreiben.75 Damit ist zu der letzten Perspektive bergeleitet, unter der die angedeutete Verbindung von Logik und Realphilosophie zu bedenken ist. Sie ist die umfassendste, da durch sie die Philosophie als Philosophie charakterisiert wird. Denn der Philosophiebegriff Hegels wie der des gesamten Deutschen Idealismus besagt, dass Philosophie „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“76 ist. 73 74 75 76

WL3, 255 (12, 213). Siehe auch Nuzzo, „Die Differenz“, 58. Siehe dazu II.2.5.3. und II.3.2.3.2. Siehe dazu Fulda, Hegel, 102 f. GPhR, 16. Dass die Verbindung von Realphilosophie und Logik als das Fassen einer Zeit in die ihr zukommenden Gedanken das zentrale Anliegen des Idealismus darstellt, wird besonders von Gamm betont. So schreibt Gamm, Idealismus, 13, zusammenfassend, dass „das zentrale und strkste Motiv des Idealismus, das ber alle Differenzen hinweg diese Bewegung des Denkens verklammert, eine originre Einheit von Fundamentalphilosophie und Zeitdiagnose“ ist. Auch in dieser Beziehung ist Hegel laut Gamm als der konsequenteste der Idealisten anzusehen, weil er seinen Begriff des Absoluten grundlegend mit dem der Geschichte verzahnt. Denn indem die Reflexion in den Methodenbegriff eingebaut wird, somit alle vorgegebenen Sicherheiten destruiert werden und entsprechend das Verstndnis des Geistes davon geprgt ist, fhrt Hegels Philosophie des Geistes zu einer Philosophie absoluter Kontextualitt, in der der Geist als ge-

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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Die Entsprechung zwischen der Begriffsentwicklung in der Logik und in der Realphilosophie ist einerseits als zyklische, andererseits als lineare zu fassen.77 In der Perspektive der zyklischen Entsprechung kann im eben skizzierten Kreisgang des Gesamtsystems folgende Zuordnung vorgenommen werden: Der Logik wird die Seinslogik zugeordnet, der Naturphilosophie die Wesenslogik und der Geistphilosophie die Begriffslogik. Die zyklische Entsprechung lsst sich aber auch auf die einzelnen Wissenschaften anwenden, so dass etwa der Begriff der Religionsphilosophie als „einfache Beziehung auf sich“ der Seinslogik zugeordnet werden kann, die bestimmten Religionen den Differenzen der Wesenslogik und die christliche, absolute Religion der synthetisierenden Begriffslogik.78 Hegel selbst gebraucht diese und hnliche Zyklen auch auf einer nochmals untergeordneten Systemebene, wenn er in dem Kolleg von 1821 die Entwicklung der bestimmten Religionen durch die Kategorien von Sein, Wesen und Begriff zu ordnen sucht.79 In der Enz. wird die Entwicklung des Christentums anhand von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit strukturiert.80 Durch diese zyklische Zuordnung wird somit die bestehende Strukturquivalenz auf den verschiedenen Systemebenen verdeutlicht. Dadurch wird klar, dass sich die Begriffsbewegung in all ihrer bereichsspezifischen Differenziertheit doch jeweils als dieselbe dialektische Grundbewegung vollzieht. Der Vorteil der zyklischen Perspektive ist jedoch zugleich ihr Nachteil. Denn aufgrund dieser Zuordnungsstruktur fllt etwa der Begriff der Religion undifferenziert genauso unter die Seinslogik wie die Naturphilosophie. Gerade aus der Logik aber wird deutlich, dass die Selbigkeit des dialektischen Fortganges im Verlauf wesentliche Vernderungen erfhrt. Wie bereits dargelegt, stellt die der Begriffslogik zugeordnete Entwicklungsdialektik eine andere Form der Dialektik dar als die der Seinslogik

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schichtlich aufzufassen ist. So schreibt Gamm, Idealismus, 123: „Die Reflexion (das Rsonnierende, Trennende, Negative usf.) aber dem Absoluten einzuschreiben, die Medialisierung des Absoluten, ist ein fr alle Metaphysik vor Hegel undenkbarer Gedanke. Man kçnnte sagen: Fortan bewegt sich das Absolute durch die Niederungen der Reflexion (und der Geschichte) wie einst der Sohn Gottes durch das Jammertal irdischer Verhltnisse. Das absolute Wissen wird radikal kontextualisiert/historisiert/medialisiert. […] Der Geist ist ein geschichtlicher, nicht allein, weil er Geschichte hat, sondern weil er Geschichte ist“. Diese Terminologie entstammt Hçsle, Hegels System, 101 – 115. Siehe hierzu auch Schulz, Sein, 184. Siehe dazu VL2, 2 ff. Zu der Einteilung der bestimmten Religion siehe auch unten, II.3.3.1. Siehe dazu Enz., §§567 – 569, 447 – 449 (20, 551 – 554) und unten, II.3.4.1.

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zugeordnete bergangsdialektik. Entsprechend sind auch die realphilosophischen Ablufe durch wesentliche Vernderungen geprgt. Um die je spezifische logische Verfasstheit der Realphilosophie aufzuhellen, bedarf es somit einer zweiten Zuordnungsstruktur, die der linearen Entsprechung von Logik und Realphilosophie.81 Sie betont, dass der Kategorienfolge der Logik linear die Abfolge der Bestimmungen der Realphilosophie entspricht. Die lineare Entsprechung wrde das Gesamtsystem somit nicht als einen Kreis von Kreisen visualisieren, sondern als zwei parallel verlaufende Striche. Der untere reprsentiert die Logik, der obere die Realphilosophie. Der untere und der obere Strich fangen am selben Punkt an (etwa dem Koordinatenpunkt 0) und hçren am selben Punkt auf (etwa dem Koordinatenpunkt 1). Damit wre visualisiert, dass das „Sein“ als erster Kategorie der Logik dem „Raum“ als der ersten Bestimmung der Naturphilosophie entspricht. Fr das vorliegende Buch ist von besonderem Interesse, dass die absolute Idee als die letzte Kategorie der Logik dann dem absoluten Geist als der letzten Bestimmung der Geistphilosophie entspricht. In bereinstimmung damit ist auch die Dialektik des bergehens dem Beginn der Realphilosophie und die Entwicklungsdialektik der Begriffslogik ihrem Ende zuzuordnen. Klare Signale in den den absoluten Geist einleitenden, programmatischen Enz.Paragraphen sttzen die Zuordnung, dass der absolute Geist durch die absolute Idee prinzipiiert ist. So sei nur die Wendung erwhnt, dass der absolute Geist „das Wissen der absoluten Idee sei“.82 Diese durch zahl81 Hçsle, Hegels System, 104, benennt noch ein weiteres Problem der zyklischen Entsprechungen, das fr unsere Perspektive nur von untergeordnetem Interesse ist, fr die Architektonik des Hegelschen Gesamtsystems aber zentral. Werden nur zyklische Entsprechungen angenommen, so ist das Abschlussproblem der Realphilosophie unlçsbar. Denn wenn bereits die Organik der Begriffslogik entspricht, warum soll dann noch zum absoluten Geist fortgeschritten werden? Bzw. warum soll dann gerade der absolute Geist als Abschluss des Systems angesehen werden? 82 Enz., §553, 440 (20, 553). Zu der Entsprechung von absoluter Idee und absolutem Geist siehe auch die zahlreichen Rckgriffe in den VL, etwa VL1, 222, VL3, 197, 204 u. ç. Hçsle, Hegels System, 104 – 115, hat eine umfangreiche Diskussion darber begonnen, ob die Realphilosophie tatschlich durchgehend von der Logik prinzipiiert wird, oder ob die Realphilosophie nicht eigentlich ab dem objektiven Geist ohne logisches Prinzipat ist, da die dafr wesentlichen intersubjektiven Strukturen von der Logik selbst gerade nicht entwickelt werden und einige Sphren der Logik wie etwa die „Objektivitt“ der Begriffslogik von Hegel selbst falsch loziert sind und eigentlich in die Wesenslogik gehçren. Wir schließen uns derjenigen Position an, die etwa mit Schulz, Sein und Trinitt,

II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem

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reiche Signale erhrtete, auf der Architektonik des Systems beruhende Argumentation begrndet, dass in der vorliegenden Arbeit im Gegensatz fast zu der gesamten anderen Forschungsliteratur die absolute Idee als der „innere Bildner“ der Religionsphilosophie angesetzt und entsprechend ausfhrlich exegetisiert wird. Die lineare Zuordnung ist die fr das Verstndnis der Realphilosophie entscheidende. Dennoch ist sie in zweifacher Hinsicht zu relativieren. Zum ersten operiert Hegel an bestimmten Stellen unbersehbar mit einfachen zyklischen Zuordnungen und der damit einhergehenden, eigenen Freiheit. Positiv gewendet kann dies als besondere Nhe zum jeweiligen Material gefasst werden.83 Zum zweiten ist vorblickend auf ein Phnomen zu verweisen, das fr die vorliegende Auslegung zentral ist, aber die klare Aufteilung in zyklische oder lineare Einteilungen in Frage stellt. Es besteht in Folgendem: Der Gesamtverlauf der Religionsgeschichte kann als der Schritt von anfnglicher Einheit in den Naturreligionen, folgender Urteilung und erst vorlufiger, sodann vollentwickelter Einheit im Christentum gelesen werden. Innerhalb des Christentums folgt nochmals eine Entwicklung von der anfnglichen Einheit der immanenten Trinitt ber die Urteilung in Schçpfung und Kreuz bis hin zur vollentwickelten Einheit der Auferstehung in Kirche und Philosophie hinein. Darin eingeschlossen ist der Weg von der anfnglichen Einheit des Lebens Jesu Christi ber die Urteilung am Kreuz hin zu der neuen Einheit der Auferstehung. Nun kann diese Entwicklung als zyklische oder als lineare gedeutet werden. In zyklischer Perspektive wiederholen sich die immergleichen Bewegungen von der anfnglichen Einheit ber die folgende Urteilung bis hin zur neuen, vollentwickelten Einheit als drei Kreise in Kreisen. In linearer Perspektive wird die angesprochene Ent186 – 197, gegen Hçsle und mit Hegels Selbstaussagen davon ausgeht, dass etwa die „Objektivitt“ der Begriffslogik Ausdruck von fr die Dialektik notwendigen Retardierungen im Gesamtverlauf sind, so dass den von Hçsle vorgenommenen Umbauten der WL nicht zu folgen ist und daher eine durchgehende lineare Prinzipiierung auch der objektiven und absoluten Geistphilosophie angenommen werden kann. 83 So werden etwa Kunst, Religion und Philosophie der Seins-, der Wesens- und der Begriffslogik zugeordnet. Damit kann erklrt werden, dass die Religion gerade in der Enz. immer wieder durch wesens- und besonders durch reflexionslogische Kategorien charakterisiert wird, siehe besonders Enz., §565 – 569, 447 – 449 (20, 551 f.). Da aber im Folgenden die absolute Idee auch durch Rckgriffe auf reflexionslogische Kategorien ausgelegt werden wird, werden die meisten der zu der Charakterisierung der Religion benutzten reflexionslogischen Kategorien in der nun folgenden Auslegung der absoluten Idee gleich mit erklrt.

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wicklung als die sukzessive Selbstklrung des absoluten Geistes gelesen, der bestndig bemht ist, erneut durch Ausdifferenzierung zu sich zu gelangen. Die lineare Perspektive sowie die Vermittlung zwischen zyklischer und linearer Perspektive erhalten ihre Erklrung durch eine charakteristische Korrespondenz in der Entwicklung des absoluten Geistes. Sie besteht zwischen dem Weg zu seinem Resultat und dem Resultat dieses Weges. Denn das Resultat des Weges ist der Weg zum Resultat, aber als gesetzter.84 Entsprechend vollzieht sich auch im Resultat jene Bewegung des Weges, die als Selbstkonstituierung durch Selbstausdifferenzierung zu fassen ist. Damit aber kann diese Bewegung anfnglicher Einheit, darauf folgender Urteilung und neu erreichter Einheit, die die gesamte Religionsgeschichte umfasst und sich dann sowohl im Christentum wie im Schicksal Jesu Christi wiederholt, entweder als zyklischer Kreis in Kreisen oder als lineare Repetition des Weges in dessen Resultat gefasst werden. Zyklizitt und Linearitt kçnnen miteinander vermittelt werden, weil die Wiederholung als erneuter Weg zu einem erneuten Resultat zugleich als der sich perpetuierende Weg im bereits erreichten Resultat gelesen werden kann.85 Um dies und vieles weitere genauer zu begreifen, erfolgt nun zuerst eine ausfhrliche Exegese der absoluten Idee, ehe die darin gewonnenen Einsichten dadurch vermehrt werden, dass sie in die Auslegung der Religionsphilosophie selbst eingebracht werden.

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie II.2.1. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der absoluten Idee Der kurze berblick ber den Gesamtverlauf der absoluten Idee soll mit dem vielleicht bekanntesten Zitat Hegels begonnen werden: „Es kçmmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrcken“.86

84 Siehe dazu II.2.5.2. 85 Siehe auch II.3.2., II.3.4.1. und II.3.4.4. 86 PhG, 13 f. Den Ansatz, diesen Satz als Ausgangspunkt zur Explikation Hegelschen Denkens zu whlen, teilen wir mit Gamm, Idealismus, 85 – 124.

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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Die Gemeinsamkeit von Substanz und Subjekt besteht darin, dass sich beide als die umfassende und „wahrhafte Wirklichkeit“87 verstehen. Zugleich sind sie durch eine wesentliche Differenz geschieden. Denn die Substanz ist dadurch definiert, unvermittelt und statisch zu sein, so dass Relationen und Dynamik nur als ihre Akzidenzien aufzufassen sind. Das Subjekt hingegen vollzieht sich gerade als Vermittlungsdynamik. Weil dem Subjekt dynamische Relationalitt substantiell zukommt, ist es keine Substanz, sondern Subjekt. Fordert Hegel, die Substanz ebenso sehr als Subjekt aufzufassen, so fordert er somit, dynamische Relationalitt als wesentlich zu denken fr die zur Verhandlung stehende Entitt. Ist diese das Wahre und somit das Absolute, so wird zugleich die Relevanz der Forderung fr das vorliegende Buch deutlich. Denn das relationale Absolute ist das Absolute absoluter Vermittlung seiner Relate. Als solches stellt es einen konstruktiven Vorschlag fr die Denkbarkeit der Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi dar. Wird zudem die grundlegende ontologische Dimension des dabei Verhandelten bedacht, so wird die umgreifende Relevanz der Hegelschen Forderung deutlich. Mit der Aufforderung, die Substanz ebenso sehr als Subjekt aufzufassen, geht die Forderung einher, Abschied von der Substanzontologie zu nehmen und die gesamte Ontologie als dynamische und relationale zu denken. So wird verstndlich, dass Hegel in dem Zitat erklrt, dass „alles darauf ankommt, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt aufzufassen“. Es kommt in zweifachem Sinne „alles darauf an“: zum einen, da sich alles verndert, wenn man dies tut, mit dem Absoluten die gesamte Ontologie. Zum anderen, da es um alles geht, wenn sich alles ndert, so dass es deshalb die wesentlichste der zu verhandelnden Fragen ist. Hegel trgt seine Forderung nun nicht gleichsam ußerlich an die alternative Position einer Substanzontologie heran. Vielmehr demonstriert er, dass sich die Substanz von selbst in das Subjekt berfhrt. Das Argument dafr kann wie folgt angedeutet werden: Die Substanz hat ebenso wie das Subjekt den Selbstanspruch, sich als umfassende und wahrhafte Wirklichkeit zu verstehen. Zugleich widerspricht sie dem, da sie ihr Anderes wegen ihrer Relationslosigkeit nicht als ihr Eigenes zu begreifen vermag. Daher hebt sich die Substanz in das Subjekt auf, und die gesamte WL kann als der Weg dieser Entwicklung gelesen werden. Fr den vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist nun, dass sich diese Selbstaufhebung substanzhafter Strukturen nicht nur in der WL als 87 VL1, 269.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Ganzer vollzieht. Vielmehr wiederholt sie sich, gleichsam wie in einem Brennglas fokussiert, in der absoluten Idee als dem Methodenkapitel der WL.88 Somit ist auch der folgende Entwicklungsgang der absoluten Idee als der von den Strukturen mit substanzhaften Zgen zu Beginn der Entwicklung hin zu den Strukturen vollentwickelter Subjektivitt am Ende der Entwicklung zu begreifen. Zugleich wird sich auch hier herausstellen, was sich im Entwicklungsgang der WL als Ganzer zeigt: In einer zweiten Perspektive wird sich vom Ende her erweisen, dass der gesamte Entwicklungsgang in Wahrheit von Anfang an eine Entwicklung des Subjektes selbst ist. Liegt es am Anfang allerdings nur als Subjekt an sich und somit als Subjekt mit substanzhaften Zgen vor, so ist es erst am Ende vollentwickeltes Subjekt an und fr sich. Als solches erkennt es den Entwicklungsgang als Weg des „Werdens zu sich“.89 Damit muss der Weg unter zwei Perspektiven gefasst werden. Die erste betont die Diskontinuitt der Entwicklung, da sie die Entwicklung als die des Ganges von substanzhaften Strukturen hin zu denen des Subjektes rekonstruiert. Die zweite betont die Kontinuitt der Entwicklung, da die Entwicklungsbewegung als die der Subjektivitt an sich hin zu der vollentwickelten an und fr sich gefasst wird.90 88 hnlich wie wir exegetisiert auch Dierken, Glaube, 229 – 243, die Entwicklung des Absoluten als die Entwicklung von der Substanz zum Subjekt. Anders als wir aber expliziert er diese Entwicklung anhand einer kurzen Rekonstruktion des Gesamtverlaufes der WL. Der Vergleich von Dierkens Rekonstruktion mit der unsrigen wrde aufgrund nicht unerheblicher sachlicher bereinstimmungen betreffs der allgemeineren der dargelegten Charakteristika die oben aufgestellte These strken, die besagt, dass sich die Gesamtentwicklung der WL in der absoluten Idee fokussiert wiederholt. 89 So der Titel der Monographie von Guzzoni, die die damit verbundenen Problematiken ausfhrlich bedenkt. 90 Dies kann auch als ein Zuwachs an Sein begriffen werden, kennt Hegel doch Grade an Sein, eine sukzessive „Realisierung des Begriffs“ (WL3, 288 (12, 240)). Hegels gesamtes System, aber auch die WL als Ganzes und dann nochmals, wiederum wie im Brennglas fokussiert, die absolute Idee, ist die Darstellung dieser Realisierung, und jede Kategorie und jeder Schritt innerhalb der Kategorie ist die Darstellung eines dieser Seinsgrade. Dieser Zuwachs an Sein auf verschieden Arten beschrieben werden: etwa als eine „grçßere Ausdehnung“, die „ebenso sehr hçhere Intensitt“ ist (WL3, 302 (12, 251); siehe dazu auch Fulda, „Begriffsbewegung“, 137). Damit wird darauf verwiesen, dass jeweils mehr umfasst wird, weil etwas zustzliches gesetzt wird. Dadurch wird zugleich die Binnenstruktur intensiviert, weil das bisher nur Vorausgesetzte nun gesetzt ist. Genauso kçnnte man den Anfang als „vage“ und daher als instabil bezeichnen und darauf verweisen, dass er wegen seiner Vagheit nicht bestehen kann und erst

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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Diese Doppelperspektive von Kontinuitt und Diskontinuitt ist dem Weg selbst so wesentlich, dass sie ein Moment der Beschreibung jedes Entwicklungsschrittes ist. Denn der jeweilige Fortgang wird als „analytisch“ und als „synthetisch“ definiert.91 Analytisch ist ein Fortgang, der in den Dingen nur das, „was in ihnen immanent ist, zum Bewusstsein bringt“.92 Synthetisch hingegen ist er, „indem sein Gegenstand […] als ein Anderes sich zeigt“93 und zugleich eine Verbindung dieses Anderen mit dem Ersten entsteht: Es ist auch die „Beziehung des Unterschiedenen als solchen auf sein Unterschiedenes“.94 Wesentlich ist nun, dass der Fortgang nicht entweder analytisch oder synthetisch ist, sondern „sosehr synthetisch als analytisch“.95 Denn es ist der jeweiligen Entitt immanent, sich weiter zu entwickeln. Daher hat der Fortgang ein analytisches Moment. Indem er sich aber im Fortgang verndert, wird er das Andere seiner selbst und entspricht damit dem synthetischen Moment. Die Vermitteltheit beider Aspekte des Fortgangs lsst sich mit Verweis auf das Phnomen der Bewegung oder der Entwicklung selbst nher explizieren: Das Subjekt der Entwicklung bleibt strukturell dasselbe, zugleich aber finden Vernderungen statt, die dem Subjekt nicht nur ußerlich bleiben.96 Diese Explikation des Weges durch Verweis auf Bewegung ist dem verhandelten Sachgehalt durchaus sachangemessen. Denn die auf dem Weg zu sich werdende Subjektivitt ist wesentlich Bewegung, relationale Dynamik. Auf dem Weg wird sie die Bewegung, die sie in Wahrheit immer schon war. Die Wahrheit der relationslosen, statischen Substanz ist die Vermittlungsbewegung Subjekt, die sie an sich immer schon ist. Trotz der Dynamik des Fortgangs ist es mçglich, ihn zu unterteilen, und zwar in vier Schritte: in den Anfang, die erste Negation, die zweite Negation und die vollentwickelte Einzelheit97 So wird im Folgenden zuerst der Anfang der absoluten Idee genauer expliziert und um der Anfnglichkeit des Anfangs willen eine relationslose, erste Entitt mit substanzhaften Zge gesetzt: das Allgemeine. Auf diesen Anfang folgt der zweite Schritt, die erste Negation. Der Fortgang aus dem Anfang erfolgt

91 92 93 94 95 96 97

im Verlauf der Nherbestimmung der Vagheit stabiler wird (der Begriff der „Vagheit“ ist der Schlsselbegriff von Fulda, „Bemerkungen“). Siehe zum folgenden auch Schfer, Die Dialektik, 258 f. WL3, 291 (12, 242). WL3, 291 (12, 242). WL3, 297 (12, 246). WL3, 291 (12, 242). Zu diesem Vergleich siehe Fulda, „Begriffsbewegung“, 136 f. Siehe dazu im Einzelnen unten, II.2.5.1.1.

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dadurch, dass das Allgemeine aus sich heraus zum Besonderen wird. Denn als Allgemeines steht es gegen das Besondere und ist somit selbst nicht alles, sondern nur etwas Besonderes. Das Allgemeine macht sich somit aus sich heraus zu seinem Anderen, so dass es zu dem „sosehr synthetischen als analytischen“ Fortgang kommt. Dabei wird deutlich, dass nicht mehr nur das anfngliche, relationslose Allgemeine vorhanden ist, sondern vielmehr das Allgemeine und das Besondere. Die anfngliche Entitt mit ihren substanzhaften Zgen hat sich geurteilt, und die beiden Bestimmungen sind in dieser Urteilsstruktur durch eine Relation verbunden. Sie ist am Anfang denkbar schwach ausgeprgt und tritt so als Gleichgltigkeit auf. Die weiteren berlegungen in der zweiten Negation werden diese Gleichgltigkeit als bloßen Schein erweisen. Ehe auf diese berlegungen eingegangen wird, sei die Bewegung der ersten Negation anhand eines weiteren zentralen Begriffs beschrieben, anhand des Widerspruches. Ein erheblicher Teil der Darlegungen zur ersten Negation wird darin bestehen, Hegels Begriff des Widerspruches zu rekonstruieren. Denn seit dem Beginn der Forschung ber Hegel scheiden sich die Geister an der Frage, ob Hegel wirklich den Widerspruch in sein System integriert, und, wenn das der Fall ist, warum er so handelt, und ob das ein legitimes Vorgehen ist. Ist nicht der Widerspruch dasjenige, was undenkbar ist oder unmçglich sein kann und daher aus jedem System auszuschließen ist? Die hier vertretene Auslegung legt dar, dass Hegel den Widerspruch in der Tat an zentraler Stelle in das System integriert, und zwar wegen der konstruktiven Seite, die er im Widerspruch entdeckt. Denn der Widerspruch endigt nicht im Nichts, sondern fhrt zu einer neuen Entitt. Das ermçglicht Hegel, sein System durch Widersprche aufzubauen. Indem die jeweils verhandelte Entitt als widersprchlich bestimmt wird und daher zugrunde geht, dabei aber je eine neue Entitt entsteht, kommt es zu dem Fortgang der Entitten und somit zu dem Aufbau des Systems. Zugleich geht damit die Selbstaufhebung der Substanz in das Subjekt einher. Denn die Widersprchlichkeit der ersten Entitt besteht gerade darin, ihre dynamische Relationalitt zu ignorieren und sich als starre, relationslose Substanz zu behaupten. Der Widerspruch dynamisiert und relationalisiert die Entitt also, so dass die Dinge durch den Widerspruch in Bewegung geraten. Der Systemaufbau organisiert sich somit als Subjektivierung der Substanz, und der Motor dieser Entwicklungsbewegung ist der Widerspruch. Die Widersprchlichkeit des anfnglichen Allgemeinen in der ersten Negation fhrt zu der Urteilung und damit zu dem Besonderen, dem das Allgemeine scheinbar gleichgltig gegenbersteht. In der zweiten Nega-

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tion als dem dritten Schritt der Darstellung entsteht aus der Urteilung eine neue Einheit der beiden Bestimmungen. Sie kann als Einzelheit gefasst werden. Dabei fhrt der Weg zu der neuen Einheit ber die Steigerung der Differenzen des Allgemeinen und des Besonderen, da Hegel seine Positionen durch die denkbar grçßte Verschrfung der vorliegenden Spannungen gewinnt. So sind Allgemeines und Besonderes gerade nicht als einander gleichgltig, sondern als gegenstzlich, gar als widersprchlich zu fassen, und nur daraus ergibt sich die Einzelheit als die neue Einheit beider. Die vollentwickelte Einheit ist die Struktur absoluter Vermittlung und die des vollentwickelten Subjekts, die alle substanzhaften Zge abgearbeitet hat. Sie stellt somit den vollentwickelten logischen „Bildner“ der Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi dar und soll als vierter Schritt eigens dargelegt werden. Wird sie als absolute Vermittlungsbewegung des Allgemeinen und des Besonderen gefasst, so ist sie aufs engste mit dem Weg zu ihr verbunden ist, aus zwei Grnden. Zum einen sind in dem Resultat all diejenigen Bestimmungen prsent, die auf dem Weg gesetzt werden und deren Setzung der Weg ist. Zum anderen ist die gesetzte Einheit selbst dynamisch, in Bewegung. Diese Bewegung vollzieht sich als gesetzte, ist aber ansonsten genau dieselbe Bewegung, die der Weg zum Resultat war. Das Resultat des Weges ist der Weg zum Resultat, aber als gesetzter. Somit ist auch das Resultat des Weges nicht zu verstehen, ohne den Weg zum Resultat zu verstehen. Gilt das fr Hegels gesamtes Denken und somit neben seinen Ausfhrungen zur absoluten Idee auch fr seine realphilosophischen berlegungen zur Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi, so folgt daraus, dass im weiteren zuerst die gesamte Entwicklung und dann die Vollgestalt dieser Entwicklung als ihr Resultat vorgestellt werden mssen. Zudem folgt daraus, dass in dem abschließenden vierten Schritt als der Explikation der vollentwickelten Einheit verschiedene, teils auch in diesem Abschnitt angerissene Perspektiven auf den Gesamtverlauf der absoluten Idee weiter expliziert werden. Damit ist ein erster berblick ber den Gesamtverlauf gegeben. Im Folgenden soll dieser Gesamtverlauf in der Perspektive immanenter Reflexion in detaillierter Exegese wesentlicher Passagen des Textes der absoluten Idee rekonstruiert werden. Anzufangen ist dabei mit dem Anfang – mit der Frage, worin ein recht begriffener Anfang besteht.

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II.2.2. Der Anfang Zu Beginn wird der Anfang durch einen Satz bestimmt, der scheinbar tautologisch ist, aus dem in Wahrheit aber das wesentliche inhaltliche Charakteristikum des Anfangs folgt: „Es ist dabei erstens von dem Anfang anzufangen“.98 Jeder Anfang kann nur mit sich selbst anfangen. Wrde er mit etwas anderem anfangen, so wre dieses Andere der Anfang. Daher kann dem Anfang auch keine Begrndung vorausgehen, die dafr argumentiert, dass gerade diese Entitt der Anfang sein muss. Denn dann wre diese dem Anfang vorlaufende Begrndung der Anfang selbst.99 „Dieses Monstrieren und Herleiten betrifft eine Vermittlung, die mehr als ein bloßer Anfang ist“.100 Der Anfang ist somit nur ein „Aufgenommenes, Vorgefundenes, Assertorisches“.101 Dennoch kann nicht jede beliebige Entitt der assertorisch aufgenommene Anfang sein. Denn der Anfang ist sehr przise bestimmt, und zwar genau dadurch, dass er nicht vorlaufend bestimmbar ist. Er ist mithin das „Unmittelbare“.102 Um die Unmittelbarkeit des Anfangs zu sichern, muss auch von dem vorherigen Absatz selbst abgesehen werden, wenn von dem Anfang die Rede ist. Ansonsten wre er selbstwidersprchlich: Bedenkt er doch dem Anfang vorlaufend, dass man den Anfang als Anfang verpasst, wenn man ihn vorlaufend bedenkt. Entsprechend schreibt Hegel bereits zu Beginn der WL ber seine eigene berlegung zum Anfang, dass „diese Vorlufigkeit von Rsonnement ber ihn nicht die Absicht haben konnte, ihn herbeizufhren, als vielmehr alle Vorlufigkeit zu entfernen“.103 Daher gilt: So wie der allererste Anfang immanenter Reflexion in der WL mit dem Anakoluth des „Seins, reines Sein – ohne alle weitere Bestimmung“104 beginnt, so beginnt der Anfang mit dem Begriff des „Unmittelbaren“. Der Anfnglichkeit des Anfangs wohnen aber noch andere Bestimmungen inne als die der Unmittelbarkeit. Sie fungieren als Wechselbe-

98 99 100 101 102

WL3, 287 (12, 239). So auch Schfer, „Hegels Ideenlehre“, 257. WL3, 288 (12, 239). WL3, 288 (12, 239). WL3, 287 (12, 239). Guzzoni, Werden, 36, schreibt dazu, dass „die Unbeweisbarkeit des Anfangs ihn nicht zu einem Zuflligen macht“. 103 WL1, 44 (11, 40). 104 WL1, 47 (11, 43).

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griffe fr die anfngliche Unmittelbarkeit.105 Weil der Anfang nicht vermittelt ist, ist er auch nicht bestimmt. Denn es gibt Bestimmung immer nur durch Vermittlung, als Negation von Anderem. Das aber ist in der Unmittelbarkeit per definitionem nicht gegeben. Daher ist der Anfang zudem „von hçchst einfacher Natur“.106 Denn mangelnde Vermittlung und damit mangelnde Bestimmtheit implizieren, dass keine Differenz thematisch in Anspruch genommen werden kann. Ohne Differenz aber ist nur die Einfachheit vorhanden. Entsprechend kann der Anfang auch keine Beziehung auf anderes haben. Er ist also nur „Beziehung auf sich“.107 Aus dieser Selbstbezglichkeit folgen drei weitere Bestimmungen des Anfangs. Erstens ist dem Anfang der begriffslogische Terminus der Allgemeinheit zuzuschreiben, da die Besonderheit und die Einzelheit als die anderen begriffslogischen Bestimmungen der absoluten Idee durch Fremdbeziehungen charakterisiert sind. Mit dem Selbstbezug der anfnglichen Einheit ist zweitens eine rudimentre Struktur absoluter Subjektivitt garantiert, da absolute Subjektivitt gerade durch Selbstbezglichkeit konstituiert ist. Allerdings hat sie noch wesentlich substanzhafte Zge, da ihre Selbstbezglichkeit ganz abstrakt ist. Dennoch vermag sie zu erklren, dass die absolute Idee durchgehend Selbstbewusstsein ist, dass also die Methode von sich als reiner Methode weiß. Ohne diesen anfnglichen Selbstbezug ist nicht zu erklren, wie es zu dem Wissen von sich kommt, das die absolute Subjektivitt auszeichnet.108 Drittens teilt der Anfang der Methode diese Selbstbeziehung wiederum mit dem Anfang der WL, dem Sein. Genauer: Das Sein ist als „unbestimmte Unmittelbarkeit nur sich selbst gleich“.109 Es ist nichts als Sichselbstgleichheit, also als diese Selbstbeziehung.110 Damit fallen reines Denken und reines Sein unmittelbar zusammen, der Anfang „hat ebenso sehr die Bedeutung des Seins“.111 So stellt sich der Anfang als unbestimmtes, einfaches, allgemeines, selbstbezgliches Unmittelbares dar, das durch 105 Siehe dazu auch Schfer, „Hegels Ideenlehre“, 257 f. Gegen Schfer ist darauf hinzuweisen, dass Unmittelbarkeit nicht in jeder Hinsicht Voraussetzungslosigkeit impliziert. Eine Voraussetzung, die als Voraussetzung selbst gesetzt ist und ganz vom Gang der Sache eingeholt wird, widerspricht nicht der geforderten Unmittelbarkeit des Anfangs. Siehe zu dieser Voraussetzung unten II.2.5.3. 106 WL3, 287 (12, 239). 107 WL3, 288 (12, 240). 108 Siehe dazu auch Schfer, Die Dialektik, 248. 109 WL1, 47 (11, 43). 110 Siehe dazu WL3, 288 (12, 239) und ausfhrlicher WL1, 47 f. (11, 43 f.). 111 WL3, 288 (12, 239).

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seine Strukturen rudimentr von sich wissende absolute Subjektivitt mit substanzhaften Zgen als Zusammenfall von Denken und Sein ist. Wegen der Anfnglichkeit des Anfangs gibt es am Anfang nur diese einfache, allgemeine Unmittelbarkeit mit substanzhaften Zgen. Sie ist daher die Totalitt, das Absolute. „Man kann daher wohl sagen, daß mit dem Absoluten aller Anfang gemacht werden msse“.112 Allerdings ist dies Absolute, diese Totalitt nur „an sich die konkrete Totalitt, aber die noch nicht gesetzt, noch nicht fr sich ist“.113 Zur Totalitt an und fr sich wird sich der Anfang erst noch entwickeln. Genauer gesagt, weiß sich der Anfang auch noch nicht als Totalitt oder Absolutes an sich, sondern einfach nur als das Absolute. Ihm fehlt der Vergleichspunkt, um einordnen zu kçnnen, dass er lediglich das Absolute an sich ist und damit noch nicht das Absolute an und fr sich. Diese Differenz weiß erst das Absolute an und fr sich, am Ende seines Entwicklungsweges. Somit ist der Weg, auf dem das anfngliche Absolute erkennt, dass es nur das Absolute an sich war, nicht nur der Weg, auf dem das anfngliche Absolute sich zum Absoluten an und fr sich setzt. Zudem und zugleich wird erst dadurch das anfngliche Absolute zum Absoluten an sich. Damit sind zwei Beobachtungen gemacht. Erstens: In der Theorie des Absoluten fallen Selbsterkenntnis und Selbstsetzung in eins, der ordo cognoscendi ist der ordo essendi. Wird etwas gedacht, so ist es damit als Gedachtes – und war schon immer etwas anderes als das, was es ursprnglich von sich dachte. Die mit der Selbsterkenntnis in eins fallende Selbstkonstitution hat also, zweitens, auch retroaktive Kraft: Indem das Absoluten das Absolute an und fr sich wird, wird aus dem anfnglichen Absoluten das Absolute an sich. Die bisher vorgenommene Auslegung des Anfanges der absoluten Idee erfolgte unter dem Blickwinkel, die absolute Idee als Methodenkapitel der WL und vor allem als logischen „Bildner“ der Religionsphilosophie zu exegetisieren und daher die Anfnglichkeit des Anfanges in ihrer einfachen, unbestimmten Unmittelbarkeit zu betonen. Zugleich ist die absolute Idee auch als letzte Kategorie der WL und somit als begriffslogische Kategorie das Resultat eines langen Anreicherungsprozesses zu begreifen. Letztere Perspektive wird besonders fr die Auslegung der immanenten Trinitt von Bedeutung sein.114 In ihr ist zu betonen, dass 112 WL3, 289 (12, 241). 113 WL3, 289 (12, 240). 114 Siehe II.3.4.2.

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die Allgemeinheit als Begriffsbestimmung bereits eine sehr reiche Kategorie ist. „Es ist aber gerade die Natur der Allgemeinheit, ein solches Einfaches zu sein, welches durch die absolute Negativitt den hçchsten Unterschied und Bestimmtheit in sich enthlt“.115

Es hat bereits Reichtum in sich, aber noch fehlt diesem Reichtum die Gesetztheit der Unterschiede. So sehr diese Perspektive fr die Erklrung der „immanenten Trinitt“ von Wichtigkeit sein wird, so gilt fr den hiesigen Zusammenhang aber, das Allgemeine nur als Anfang des reinen Denkens zu sehen. Als solchem kommt ihm nur reine Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit zu, so dass es als „abstrakte Allgemeinheit“116 gefasst wird. Der Anfang ist somit die Einheit, die der Vermittlung vorausliegt und aus der Verschiedenheit entsteht. Dies sei nun genauer ausgefhrt. II.2.3. Die erste Negation II.2.3.1. Das Allgemeine ist das Besondere: eine immanente Erklrung des ersten Fortgangs Bisher wurde der Anfang nur als reine, ruhige Unbestimmtheit gefasst. Dann aber konstatiert Hegel, dass „das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte und mit dem Triebe begabt ist, sich weiterzufhren“.117 Soll dieser Trieb der Weiterfhrung begriffen werden, so ist es von entscheidender Bedeutung, dass er nicht durch eine ußerliche Reflexion an die ruhige Unbestimmtheit herangetragen wird.118 Eine Spielart der ußerlichen Reflexion bestnde darin, unvermittelt darauf zu verweisen, dass das anfngliche Absolute als Absolutes an sich wegen seiner Selbigkeit mit dem Absoluten an und fr sich bereits allen Reichtum in sich enthlt. Dann wre der Fortgang „als eine Art von berfluß“ zu denken.119 Mit diesem Verweis aber wre wiederum nicht erklrt, woher denn der Bewegungsimpuls des Reichtums oder dieser selber kme. Damit wre das Problem also nur verschoben, aber nicht gelçst. Deshalb darf in methodischer Hinsicht zu der geforderten Er115 116 117 118 119

WL3, 34 (12, 33). WL3, 287 (12, 239). WL3, 289 (12, 240). So WL3, 289 und 290 f. (12, 240 f.) WL3, 290 (12, 241).

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klrung nur in derjenigen Art auf den Anfang Bezug genommen werden, in der er bisher thematisch wurde: „Das Wesentliche ist, daß die absolute Methode die Bestimmung des Allgemeinen in ihm selbst findet und erkennt. […] Die absolute Methode […] verhlt sich nicht als ußerliche Reflexion, sondern nimmt das Bestimmte aus ihrem Gegenstand selbst, da sie selbst dessen immanentes Prinzip und Seele ist“.120

In materialer Hinsicht folgt daraus, dass nur von der Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit des Anfangs her argumentiert werden darf, wenn der Trieb der Weiterfhrung begriffen werden soll. Fr die Weiterfhrung bringt Hegel ein entscheidendes Argument vor: „Selbst das Abstrakte als solches, im Begriff, d.i. nach seiner Wahrheit betrachtet, ist nicht nur das Einfache, sondern als Abstraktes ist es schon gesetzt als mit einer Negation behaftet“.121

Zum besseren Verstndnis sei dies Argument wie folgt analysiert: 1. Da der Anfang anfnglicher Anfang ist, ist er Einfaches, Unbestimmtes. 2. Er ist aber gerade als Einfaches, Unbestimmtes zugleich die Negation von Bestimmtem: Es ist un-bestimmt. 3. Somit ist es schon „gesetzt als mit einer Negation behaftet.“ Die Negation aber ist eine Form der Bestimmung 4. Indem sich der anfngliche Anfang als Einfaches, Unbestimmtes ausgibt, abstrahiert er somit von derjenigen Negation und damit von derjenigen Bestimmtheit, die zu ihm gehçrt. 5. Wird wiederum von dieser Abstraktion abstrahiert, so ergibt sich, dass die Unbestimmtheit als die Negation von Bestimmtheit selbst Bestimmtheit ist. 6. Somit konstituiert und zerstçrt die Negation die Unbestimmtheit zugleich, so dass sich die Unbestimmtheit zur Bestimmtheit weiterfhrt. Diese materiale Beobachtung erfllt auch den methodischen Anspruch immanenter Reflexion. Denn die Bestimmtheit, die das Unbestimmte gerade als Unbestimmtes in Wahrheit ist, ist „aus ihrem Gegenstand selbst“ genommen. Im Anschluss an dieses Argument versucht Hegel, durch eine Vielzahl von Begriffen den erreichten Fortgang nher zu beschreiben. So sagt er etwa, dass es hierbei zu einer „Aufhebung“ gekommen wre, zur „Urteilung“, zur „Dialektik“ etc. Bevor diese Begriffe nher untersuchen werden, soll zuerst ein anderer Begriff expliziert werden, der hilft, das 120 WL3, 290 f. (12, 241) 121 WL3, 289 (12, 240).

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gegebene Argument besser zu verstehen: Abgezielt ist auf den Begriff des Widerspruchs. II.2.3.2. Methodische Zwischenberlegung Im Folgenden wird ein scheinbarer methodischer Widerspruch begangen: Gerade um den Gang der immanenten Reflexion in diesem Text einsichtig zu machen, wird auf andere Texte als auf diesen zurckgegriffen. Dieser Schritt ist in der Literatur zu Hegel durchaus blich, weil bereits vielfach beobachtet wurde, dass Hegel seine eigene Methode zwar virtuos beherrscht, sie aber nicht annhernd so virtuos expliziert.122 So besteht selbst die absolute Idee als das Methodenkapitel Hegels zu großen Teilen aus historischen Exkursen oder der Abwehr verstandesgeschuldeter Missverstndnisse. Die immanente Reflexion reduziert sich dagegen auf einige Dutzend Stze. Selbst diese aber vermitteln oftmals den Eindruck, nur „Formeln zu wiederholen“.123 Zu erklren ist dieses Phnomen nicht allein mit der allgemeinen Beobachtung, dass Hegel „sich – wie nahezu alle historisch wirksam gewordenen Denker – mehr um die Ausarbeitung als um die Beschreibung seiner Methode bemhte“.124 Vielmehr ist darauf zu verweisen, dass Hegels Methode durch Begriffe getrieben wird, die im Methodenkapitel gar nicht eigens expliziert werden. Im Methodenkapitel liegt mithin „ein Unterschied zwischen den operativen Begriffen des Denkens und ihrer Thematisierung vor“.125 Die andernorts eigens thematisierten operativen Begriffe sind in der absoluten Idee zu kaum verstndlichen Formeln verknappt. Es gilt daher, den Prozess umzukehren und die operativen Begriffe dort aufzusuchen, wo sie ausfhrlich thematisiert werden. Nur so gewinnen sie an Verstndlichkeit.126 122 Siehe dazu Henrich, „Hegels Logik“, 100 – 106; Fulda, „Begriffsbewegung“, 128; Hçsle, Hegels System, 179 f.: Wandschneider, Grundzge, 25; Schfer, Die Dialektik, 252. 123 Henrich, „Hegels Logik“, 103. 124 AaO., 104. 125 Diese fr die Seinslogik entwickelte Einsicht Gadamers, „Die Idee“, 71, gilt ebenso fr die absolute Idee. 126 In der neueren Forschung kommt Henrich, „Hegels Logik“, 95 – 156, das Verdienst zu, diesen Weg erstmals konsequent beschritten zu haben. Er erkennt auch, dass die Differenz zwischen dem Gebrauch der operativen Termini und ihrer Thematisierung in der Reflexionslogik am geringsten ist, positiv formuliert: die meisten methodischen Termini sind reflexionslogischer Natur. Auch der fr unsere Fragestellung zentrale Begriff des Widerspruchs ist in der Reflexionslogik verortet und zwingt uns zu einer ausfhrlichen Auslegung dieses laut Hegel „schwersten Teils der Logik“ (Enz., §114, Anm., 124 (20, 145)). Henrich meint

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Genauer gesagt, liegt im Folgenden eine noch etwas kompliziertere Lage vor. Denn der auszulegende Begriff des Widerspruches wird in dieser Passage noch gar nicht eigens erwhnt, nicht einmal als Formel. Erst in der zweiten Negation wird mit ihm als gesetzten Widerspruch operiert. In der ersten Negation ist er dagegen nur als Widerspruch an sich oder als latenter Widerspruch vorhanden.127 Dennoch ist er bereits dort von entscheidender Bedeutung. Denn er fungiert von Anfang an und auf jeder Stufe der Entwicklung als wichtige Bestimmung. Seine Wichtigkeit kann durch den Verweis auf die Tatsache erklrt werden, dass er von Hegel explizit dargelegt wird als eine der Bestimmungen des zweiten Kapitels des zweiten Buches der Wesenslogik. Dieses zweite Kapitel thematisiert mit der Identitt, dem Unterschied und dem Widerspruch dasjenige, was Hegel „Reflexionsbestimmungen“ nennt. Damit sind diejenigen Explikationsmittel bezeichnet, mit denen die Kategorien selbst und die Beziehungen der Kategorien untereinander analysiert werden, und zwar die Beziehungen aller Kategorien der WL.128 Um also zu begreifen, wie die Kategorien der WL operieren, sind die in den anderen Teilen der WL zu Formeln verknappten oder nur latent auftauchenden Reflexionsbestimmungen eigens zu thematisieren. Das gilt im Besonderen fr den Widerspruch, da dieser die Wahrheit der anderen Reflexionsbestimmungen darstellt.129 nun, dass dieser Zusammenfall der operativen Begriffe mit ihrer Thematisierung ein hinreichendes Argument dafr sei, Hegels Methode allein anhand der Reflexionslogik und gar nicht mehr mit Bezug auf die absolute Idee als grundlegendem Text zu explizieren: Hegels „Grundoperation“ sei allein reflexionslogisch zufassen (siehe dazu Henrich, „Hegels Grundoperation“). Dem ist mit Hinweis darauf zu widersprechen, dass in der Reflexionslogik die Struktur der Subjektivitt noch nicht gesetzt ist. Es kme dann zu der problematischen Annahme, dass sich eine Methode vollzieht ohne ein sie vollziehendes Subjekt. Anders gesagt: das Prinzip der WL ist die Subjektivitt. Sie wird vollstndig gesetzt in dem Methodenkapitel, der absoluten Idee. Dieser Zusammenfall von Prinzip und Methode weist Hegel als einen Hçhepunkt in der Geschichte der Metaphysik aus; ihn zu verpassen heißt, eine der großen Strken Hegels zu verpassen – siehe dazu Schfer, Die Dialektik, IX. 127 Es ist der Fehler Kimmerles, „Allgemeine Struktur“, 195, diese Unterscheidung nicht zu machen. Daher ordnet er bereits der ersten Negation den gesetzten Widerspruch zu und verpasst damit, dass die erste Negation nicht der gesetzte Widerspruch ist, sondern die gesetzte Verschiedenheit. 128 Siehe dazu auch Iber, Metaphysik, 243. 129 So ist die Identitt in Wahrheit absoluter Unterschied (siehe WL2, 28 f. (11, 261 f.). Und vom Unterschied (inklusive seiner Nherbestimmung als absoluter Unterschied, Verschiedenheit und Gegensatz) heißt es wiederum: „Der Unterschied berhaupt ist schon der Widerspruch an sich“ (WL2, 51 (11, 279)).

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Muss entsprechend im Folgenden das Widerspruchskapitel der Wesenslogik exegetisiert werden, um die absolute Idee angemessen zu begreifen, so nçtigt auch das Widerspruchskapitel zu einem kurzen Rckgriff auf die ihm vorausgehenden berlegungen zum Gegensatz. Die sich dann aus dem wesenslogischen Kapitel ergebenden Einsichten sind selbstredend auf die Latenz des Anfangs und auf das Niveau der Begriffslogik zu bertragen. Diese berlegungen geben einen Einblick darein, dass die WL ein großer Verweiskosmos ist. Auch in dieser methodischen Hinsicht entspricht die WL somit ihrer sich am Ende der absoluten Idee erweisenden materialen Spitzenbestimmung, in Wahrheit absolute Vermittlung zu sein.130 II.2.3.3. Der Widerspruch – zu der Explikation eines operativen Terminus II.2.3.3.1. Der Widerspruch Selbstndiger in der Wesenslogik Der anfngliche Anfang prsentiert sich als Selbstndiger. Um ihn in seiner Dialektik genauer zu verstehen, hilft es, sich Hegels explizite Strukturanalyse Selbstndiger vor Augen zu fhren. Diese wird entwickelt in den Kapiteln „Der Gegensatz“ und „Der Widerspruch“, so dass einige Aspekte beider Kapitel genauer analysiert werden sollen. Bevor die Detailanalyse beginnt, sei die im Folgenden auftretende Grundfigur prsentiert: Jedem Selbstndigen (und damit jeder Kategorie) kommen wesentlich zwei Bestimmungen zu. Erstens steht es in Beziehung zu seinem Anderem und erlangt gerade so seine eigene Bestimmtheit als Selbstndiges. Zweitens aber schließt es in seiner Bestimmtheit als Selbstndiges sein Anderes aus. In dieser Doppelbestimmung liegt seine Widersprchlichkeit, die dazu fhrt, dass es sich selbst aufhebt. Das sei genauer vorgefhrt. Zuerst wird anhand einiger Stationen des Gegensatzkapitels die Genese des Selbstndigen vorgefhrt, sodann anhand einiger Stationen des Widerspruchskapitels dessen Widersprchlichkeit. Hegel kennt drei Formen des Gegensatzes. Sie sind einander dergestalt zugeordnet, dass zuerst die wesentliche Beziehung der Entgegengesetzten gesetzt wird – Hegel nennt diese ihr „Gesetztsein“. Sodann wird ihre sie von dieser Beziehung auch emanzipierende Internstruktur gesetzt, die Hegel „Re130 Oder es kann erneut die bereits angefhrte Grundbestimmung Hegels zitiert werden, die in PhG, 15, besagt, dass „das Wahre das Ganze“ ist.

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flexion in sich“ nennt. Schließlich wird die Einheit beider gesetzt, die dann die gesetzte Vollstruktur der Selbstndigkeit ist. Hegel nennt die beiden Selbstndigen im Gegensatzkapitel „das Positive“ und „das Negative“. In der ersten Form des Gegensatzes sind die beiden allein Momente einer sie bestimmenden Gegensatzbeziehung. „Das Positive und das Negative sind erstens absolute Momente des Gegensatzes; […] es ist Eine Vermittlung, in welcher jedes durch das Nichtsein seines Anderen, damit durch sein Anderes oder sein eigenes Nichtsein ist“.131

Weitere oder eigenstndige Bestimmungen kommen ihnen noch nicht zu. Sie sind somit allein Momente der Beziehung, in der sie bestimmt werden. Damit ist indirekt ein Satz aufgegriffen, von dem Hegel an anderer Stelle betont, dass er „ein Satz [ist], der von durchgehender“ – spter heißt es sogar: von „unendlicher“ – „Wichtigkeit“ ist:132 „omnis determinatio negatio est“. Denken findet immer in Bestimmtheitsrelationen statt.133 Fr die WL als die Darlegung objektiver Gedankenbestimmungen bedeutet das, dass jede Entitt durch die Negation ihres Anderen bestimmt ist. Somit ist immer, wenn eine erste Entitt gesetzt wird, schon eine zweite Entitt gesetzt, die negiert wird. Ohne die zweite Entitt und ihre Negation wrde die erste Entitt ihre eigene Bestimmtheit gar nicht erst erlangen. Die Besttigung des Satzes, dass „omnis determinatio negatio est“, vollzieht sich bereits am Beginn der WL: dadurch nmlich, dass die Negation dieses Satzes vorgefhrt wird. Wird mit dem Satz gesagt, dass jede Bestimmtheit Negation ist, so heißt das umgekehrt, dass eine nur einzelne Entitt ohne Negationsbestimmung gerade Nichts ist. Entsprechend wird zu Beginn der WL konstatiert, dass „reines Sein“, das „nicht ungleich gegen Anderes“ ist und „keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen“ hat, „in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts“ ist.134 Damit steht es an der Grenze zum Unsagbaren und wird daher nur als Anakoluth ausgesagt: „Sein, reines Sein – ohne alle weitere Bestimmung“.135 So wre es auch unangemessen zu behaupten, dass dieses reine Sein zuerst wirklich sei und dann erst ins Nichts bergingen – vielmehr ist das Sein immer schon ins Nichts 131 WL2, 44 (11, 273). 132 WL1, 87 (11, 76); in der zweiten Auflage wird die „durchgehende“ zur „unendlichen“ Wichtigkeit gesteigert, siehe WL1B, 107 (21, 101). Hegel kommt wiederholt auf den Satz zurck, siehe etwa auch WL2, 169 (11, 376). 133 So auch Schfer, Die Dialektik, 249. 134 WL1, 47 (11, 44). 135 WL1, 47 (11, 43).

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„bergegangen“,136 weil es ein solches reines Sein nie gab. Es ist ein Konstrukt, das sich allein den berlegungen zur Anfnglichkeit des Anfangs verdankt.137 Als solches ist es notwendig,138 es bleibt aber dennoch nur ein Konstrukt, ein Schein.139 Kehren wir nach diesen berlegungen zu dem Satz, dass „omnis determinatio negatio est“, zu der ersten Form des Gegensatzes zurck, die ihn in ausgezeichneter Weise instantiiert. In ihr erreichen die Seiten des Gegensatzes allein durch die Negation des jeweils Anderen ihre Bestimmung und sind so nur Momente der Gegensatzbeziehung.140 In einer zweiten Form des Gegensatzes aber kommt Hegel darauf zurck, dass den 136 WL1, 48 (11, 44). Damit ist auf den Sonderstatus von Sein, Nichts und Werden im weiteren Verlauf der WL verwiesen. So sehr auch alle anderen Anfnge immer schon bergegangen sind, so prsentiert doch allein der erste Anfang der WL die vollstndige Strukturlosigkeit, die als negativer Kommentar zum Satz, dass „omnis determinatio negatio est“, verstanden werden kann. Daher sagt Gadamer, „Die Idee“, 74 – 79, dass, recht betrachtet, die WL nicht eigentlich mit Sein und Nichts anfange. Sein und Nichts seien nicht die ersten Kategorien der WL, eben weil solch ganz unrelationales Sein gerade Nichts ist. Eigentlich fange die WL mit dem Werden an, und Sein und Nichts sind von Anfang an nur analytische Momente im Begriff des Werdens. 137 Dass die anfngliche Unbestimmtheit ein „Konstrukt“ sei, sagt auch Schfer, Die Dialektik, 245. 138 Eine Schwche von Wandschneider, Grundzge, besteht darin, die Notwendigkeit diese ersten Konstrukts nicht zu bedenken. Im Anschluss an Hegels Diktum, dass „omnis determinatio negatio est“, beginnt seine Rekonstruktion der Dialektik sogleich mit der jeder Entitt notwendig zukommenden Beziehung. Diese Beziehung bezeichnet er mit Platon als „Dihairese“ und fhrt sie auf ein grundlegendes Prinzip zurck, das er das „Komplimentarittsprinzip“ nennt (aaO., 55). Damit aber wird die Frage nach einer ersten, der Anfnglichkeit des Anfangs entsprechenden Bestimmung ebenso bergangen wie die Einsicht, dass Hegels Diktum auf ein echtes Sachproblem antwortet. 139 Dementsprechend schreibt Hegel in der absoluten Idee: „Es gibt deswegen auch, es sei in der Wirklichkeit oder im Gedanken, kein so Einfaches und so Abstraktes, wie man es sich gewçhnlich vorstellt. Solches Einfache ist eine bloße Meinung, die allein in der Bewußtlosigkeit dessen, was in der Tat vorhanden hat, ihren Grund hat“ (WL3, 289 (11, 240). Dass der anfngliche Anfang ein reines Konstrukt ist, kann auch anhand der Logik des Scheins expliziert werden, siehe dazu WL2, 7 – 13 (11, 244 – 249). 140 Hegel liefert eine przise Beschreibung dieser Struktur, wenn er in WL2, 44 (11, 274), schreibt: „Jedes ist so berhaupt erstens, insofern das Andere ist; es ist durch das Andere, durch sein eigenes Nichtsein, das, was es ist“, oder es braucht das Andere seiner, um durch dessen Negation Bestimmtheit zu erlangen; „zweitens, es ist, insofern das Andere nicht ist; es ist durch das Nichtsein seines Anderen das, was es ist“, weil es eben durch die Negation seines Anderen Bestimmtheit erlangt.

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Bestimmungen neben ihrer Momenthaftigkeit auch eine sie davon relativ emanzipierende Internstruktur zukommt. Diese wird die „Reflexion in sich“ genannt und im Folgenden eigens gesetzt: „Aber ferner ist dieses bloße Gesetztsein in sich reflektiert berhaupt“.141 Entsprechend sind die Bestimmungen auf dieser Stufe des Gegensatzes „gleichgltig […] gegen ihr eigenes Gesetztsein“.142 Ohne die hier vorliegende Struktur genauer analysieren zu wollen,143 sei sogleich die dritte Form des Gegensatzes prsentiert, die die Einheit der beiden vorher gesetzten Aspekte darstellt. Die Vereinigung beider vollzieht sich dergestalt, dass jede der Bestimmungen die ihre Bestimmtheit generierende Beziehung auf ihr Anderes in sich selbst zurcknimmt. Ihre Beziehung auf ihr Anderes wird zu ihrer Internstruktur oder ihr Gesetztsein zu ihrer Reflexion in sich. Begrndet werden kann das dadurch, dass Positives und Negatives ihr Bestehen gerade nur im Gegensatz zu ihrem Anderen haben und ihnen dieser Sachverhalt daher als Internstruktur zugeschrieben wird.144 Um auf einen Terminus vorzugreifen, den Hegel spter an zentraler Stelle fr diesen Sachverhalt verwenden wird: Indem die eine Bestimmung ihre Beziehung auf ihr Anderes in sich zurcknimmt, „enthlt“ sie ihr Anderes.145 Das wird sodann fr das Positive wie fr das Negative eigens dargelegt: „Das Positive hat die Beziehung auf das Andere, in der die Bestimmtheit des Positiven ist, an ihm selbst; ebenso das Negative ist nicht Negatives als gegen ein Anderes, sondern hat die Bestimmheit, wodurch es negativ ist, gleichfalls in ihm selbst“.146 Aus diesen Bestimmungen wird der nchste, entscheidende Schritt geschlossen: „So ist jedes selbstndige, fr sich seiende Einheit mit sich“.147 Daraus sind zwei Folgerungen zu ziehen. Erstens ist die erste Form von Gegensatz als die Form, in der die beiden

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WL2, 44 (11, 274). WL2, 44 (11, 274). Siehe dazu Iber, Metaphysik, 407 – 410. Hegel selbst erklrt den bergang nicht weiter, siehe zu unserer Erklrung aber auch Schfer, Die Dialektik, 269. Das Ergebnis formuliert Hegel wie folgt: „Aber das Positive und Negative ist drittens nicht nur ein Gesetztsein“ – wie die erste Form des Gegensatzes – , „noch ein bloß Gleichgltiges“ – wie die zweite Form des Gegensatzes – , „sondern ihr Gesetztsein oder die Beziehung auf das Andere in einer Einheit, die nicht sie selbst sind ist in jedes zurckgenommen“ WL2, 44 (11, 274). 145 Siehe dazu WL2, 50 (11, 279). 146 WL2, 44 f. (11, 274). 147 WL2, 45 (11, 274).

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Bestimmungen nur Momente sind, damit aufgehoben.148 Zweitens und fr den nheren Kontext noch zentraler: Da beide Seiten nicht mehr Momente sind, sondern jeweils ganze Selbstndige, schließen sie einander aus. Vom Positiven aus argumentiert: „Aber das Andere seiner, das Negative, ist selbst nicht mehr Gesetztsein oder Moment, sondern ein selbstndiges Sein; so ist die negierende Reflexion des Positiven in sich bestimmt, dieses sein Nichtsein von sich auszuschließen“.149

Mit der soweit entwickelten Struktur kann zu der Exegese des Widerspruchskapitels fortgeschritten werden. Nach einleitenden Worten im ersten Absatz rekapituliert der zweite Absatz des Widerspruchskapitels die bisherige Entwicklung. Er stellt dementsprechend fest, dass das Positive und das Negative ihr Anderes jeweils an ihm selbst haben, zugleich aber als Selbstndige ihr Anderes aus sich ausschließen. Mit dieser Doppelbestimmung kommt es nun zu der alles entscheidenden Folgerung, die zuerst in Gnze zitiert und dann kommentiert werden soll: „Indem die selbstndigen Reflexionsbestimmungen in derselben Rcksicht, als sie die andere enthlt und dadurch selbstndig ist, die andere ausschließt, so schließt sie in ihrer Selbstndigkeit ihre eigene Selbstndigkeit aus; denn diese besteht darin, die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein ußerliches zu sein, aber ebensosehr unmittelbar darin, sie selbst zu sein und die ihr negative Bestimmung von sich auszuschließen. Sie ist so der Widerspruch“.150

Zur Explikation ist zweierlei zu unterscheiden: Zum einen ist darzulegen, worin die Widersprchlichkeit des Widerspruchs besteht, zum anderen, was aus ihr folgt. Die Widersprchlichkeit besteht darin, dass das Selbstndige sein Anderes in derselben Rcksicht enthlt und ausschließt. Denn indem das Selbstndige es selbst ist nur in Beziehung auf sein Anderes, enthlt es sein Anderes. Gerade dadurch wird es das Selbstndige. Als Selbstndiges aber schließt es sein Anderes aus sich aus.151 Die Widersprchlichkeit des Selbstndigen besteht somit darin, dass sie ihre 148 Entsprechend heißt es auf WL2, 45 (11, 274): „Das Positive ist wohl ein Gesetztsein, aber so, daß es fr es das Gesetztsein nur Gesetztsein als aufgehobenes ist“. 149 WL2, 45 (11, 274). 150 WL2, 50 f. (11, 279). 151 Mit Bezug auf das zu explizierende Zitat ausgedrckt, besteht seine Selbstndigkeit „darin, die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein ußerliches zu sein“, sondern eben das Selbstndige, „aber ebenso sehr unmittelbar darin, sie selbst zu sein“, also das Selbstndige, und daher „die ihr negative Bestimmung von sich auszuschließen“.

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andere Reflexionsbestimmung „in derselben Rcksicht, als sie die andere enthlt und dadurch selbstndig ist“, gerade als Selbstndige „ausschließt“. Was folgt nun aus der Widersprchlichkeit des Selbstndigen? Das Selbstndige schließt als Selbstndiges das Andere seiner aus und damit das, wodurch es selbstndig ist. Damit aber schließt es mit dem Anderen seiner vor allem sich selbst aus. Daher tritt der Widerspruch auf als Selbstausschluss des Selbstndigen. „Indem die selbstndigen Reflexionsbestimmungen in derselben Rcksicht, als sie die andere enthlt und dadurch selbstndig ist, die andere ausschließt, so schließt sie in ihrer Selbstndigkeit ihre eigene Selbstndigkeit aus sich aus“.

II.2.3.3.2. Die bertragung des wesenslogischen Widerspruches auf die absolute Idee Die eben entwickelte Struktur des Widerspruches liegt auch dem zentralen Zitat der absoluten Idee zum Fortgang der anfnglichen Allgemeinheit zugrunde, das lautet: „Selbst das abstrakte Allgemeine als solches, im Begriff, d.i. nach seiner Wahrheit betrachtet, ist nicht nur das Einfache, sondern als Abstraktes ist es schon gesetzt als mit einer Negation behaftet“.152

So gibt sich das anfngliche Allgemeine wegen des anfnglichen Anfangs als „das Einfache“ aus. In Wahrheit aber ist es ein „Abstraktes“, weil es von demjenigen Anderen abstrahiert, in Bezug auf das es allererst Bestimmtheit erlangt. Unabhngig davon, ob dieses Andere seiner nun als Bestimmtheit bestimmt wird, die gegen die Unmittelbarkeit des Anfanges steht, oder als die Besonderheit, die der anfnglichen Allgemeinheit entgegensteht, entscheidend ist, dass der Anfang immer schon „als mit einer Negation“ behaftet ist. Denn Denken ist immer Bestimmen, „omnis determinatio negatio est“. Somit ist die erste Entitt in Wahrheit doch immer „gesetzt“ gegen sein Anderes, in Bezug auf das es allererst Bestimmtheit und Selbstndigkeit erlangt. Dieses Anderes aber schließt es in seiner Selbstbeschreibung gerade aus, indem es sich als „Einfaches“ tituliert. Dadurch schließt es dasjenige aus, wodurch es allererst es selbst ist. So ist es gerade als scheinbar Selbstndiges der Widerspruch, der nur als zugrunde gehender sein Dasein hat.153 Deshalb ist der Anfang „mit dem Triebe begabt, sich weiterzufhren“.154 152 WL3, 289 (11, 240). 153 Siehe dazu auch Schfer, Die Dialektik, 276.

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Die bertragung der Widerspruchsstruktur aus der Wesenslogik auf die absolute Idee kann dadurch weiter plausibilisiert werden, dass der nchste Schritt Hegels innerhalb des Widerspruchskapitels der Wesenslogik vor Augen gefhrt wird. Denn im nchsten Schritt expliziert Hegel, wie sich die eben fr den Widerspruch als solchen entwickelte Struktur nun aus der Sicht des Positiven darstellt. Das Positive aber entspricht der Struktur des anfnglichen Anfanges in ausgezeichneter Weise. Denn die Dialektik des Ein- und Ausschlusses des Anderen entwickelt sich bei beiden vom Ausschluss, und nicht, wie bei dem Negativen, vom Einschluss her. Die Dialektik entwickelt sich wie folgt: Zuerst wird wiederholt, dass das „Positive das Gesetztsein als in die Gleichheit mit sich reflektiert; das Gesetztsein, das nicht Beziehung auf ein Anderes ist, das Bestehen also, insofern das Gesetztsein aufgehoben und ausgeschlossen ist“.155

Das Positive ist nicht das Gesetztsein der ersten Form des Gegensatzes, sondern ein solches, bei dem das Gesetztsein „aufgehoben und ausgeschlossen ist“. Nun aber stellt sich heraus, dass das Ausschließen selbst eine Form von Beziehung ist. Daher ist das Ausschließen, das als Ausschließen Ausschließen von Gesetztsein oder von Beziehung ist, selbst eine Form von Gesetztsein oder Beziehung, nmlich eine Gegensatzbeziehung: „Damit aber macht sich das Positive zur Beziehung eines Nichtseins – zu einem Gesetztsein“. Indem es das Andere ausschließt, steht es im Gegensatz zu dem Anderen. Oder es ist, indem es das Andere ausschließt, negativ gegenber dem Negativen. „So ist der Widerspruch, daß es als Setzen der Identitt mit sich durch Ausschließen des Negativen sich selbst zum Negativen von einem macht“.156 Ist es aber negativ gegenber dem Negativen, so ist es selbst negativ und „enthlt“ so das Negative. Damit ist auch hier dieselbe Grundstruktur von Widersprchlichkeit erreicht wie eben: Das Positive schließt als Positives das Negative aus und enthlt zugleich selbst das Negative. Kommt ihm aber die Widersprchlichkeit des Ein- und Ausschlusses seines Anderen zu, so schließt es sich in seiner Selbstndigkeit selbst aus und ist so der Widerspruch. Mehr noch, und weitergehend als in den bisherigen berlegungen: Es wird nicht nur der Widerspruch prsentiert, sondern ineins damit dessen Resultat. 154 WL3, 289 (11, 240). 155 WL2, 51 (11, 279). 156 WL2, 51 (11, 280).

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„So ist der Widerspruch, daß es als Setzen der Identitt mit sich durch Ausschließen des Negativen sich selbst zum Negativen von einem macht, also zu dem Anderen, das es von sich ausschließt“.157

Das Positive, das als Positives das Negative ausschließt und darin negativ gegen das Negative ist, ist eben nicht das Positive, sondern das Negative. Es macht sich „zu dem Anderen, das es von sich ausschließt“, oder das Positive ist das Negative. Um das auf die absolute Idee zu bertragen: Dasjenige anfngliche Einfache, das als solches gerade alles andere ausschließt, ist, weil Ausschließen Entgegensetzen heißt, selbst mit einer Negation behaftet. Denn es ist negativ gegen sein Anderes. Damit ist auch hier dieselbe Grundstruktur von Widersprchlichkeit erreicht wie eben: das anfngliche, einfache Allgemeine schließt das Besondere aus und ist so zugleich selbst besondert. Kommt ihm aber die Widersprchlichkeit des Ein- und Ausschlusses seines Anderen zu, so schließt es sich in seiner Selbstndigkeit selbst aus und ist so der Widerspruch. Als Resultat des Widerspruches folgt dann: Das Allgemeine, das sich, in dem es das Besondere ausschließt, selbst besondert, ist das Besondere. Bevor die weiteren Perspektiven vorgestellt werden, mit denen Hegel den Fortgang des Anfangs charakterisiert, seien einige allgemeine Charakteristika des Widerspruchs dargelegt. II.2.3.3.3. Die allgemeinen Charakteristika der widersprchlichen Selbstndigkeit Wie die bertragung auf die absolute Idee andeutet, erfolgte die vorgenommene Rekonstruktion von Hegels Kategorie des Widerspruchs deshalb, weil diese spezielle wesenslogische Kategorie fr die gesamte WL von Bedeutung ist. Denn als Reflexionsbestimmung steht der Widerspruch als latenter hinter jeder Kategorie der WL und prgt sie entscheidend. Entsprechend kann Hegel in der absoluten Idee „das Denken des Widerspruchs das wesentliche Moment des Begriffs“158 nennen. Wesentlich ist der Widerspruch nun vor allem auch wegen der von ihm erfllten Funktion, fungiert er doch als der Motor fr das gesamte System. Denn es wird sich im Folgenden noch genauer zeigen, dass der Begriff des Widerspruchs diejenige logische Kategorie ist, die ins ontologische gewendet als Bewegung, als Fortgang zu bezeichnen ist. Zum 157 WL2, 51 (11, 280). 158 WL3, 296 (12, 246).

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genaueren Verstndnis jedes Fortganges innerhalb des Systems ist es also unerlsslich, Hegels allgemeine Charakteristika des Widerspruches zu begreifen. Diese sollen nun genauer vorgefhrt werden. Hegel folgt der Tradition in dem Verstndnis dessen, worin die Widersprchlichkeit des Widerspruches besteht. Mit der aristotelischen und somit der klassischen Definition des Satz vom Widerspruch gesprochen: „Dass nmlich dasselbe demselben in derselben Beziehung […] unmçglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien“.159

Dem entspricht Hegels zentrale Formulierung, die die Widersprchlichkeit des Widerspruchs dadurch bestimmt, dass eine Entitt „in derselben Rcksicht, als sie die andere enthlt […], die andere ausschließt“. Etwas zu enthalten, was zugleich ausgeschlossen wird, trifft nun gerade auf die Entitt zu, die Hegel die „selbstndige Reflexionsbestimmung“ nennt. Sie enthlt das Andere ihrer und wird dadurch konstituiert, schließt es als Selbstndige aber zugleich von sich aus. Entscheidend ist nun, dass mit den Selbstndigen nicht nur diese eine Entitt gemeint ist, die im Gegensatz- und Widerspruchskapitel auftaucht. Jenseits dessen und also nicht im Sinne eines terminus technicus nur fr diese beiden Kategorien ist mit dem „Selbstndigen“ eine Struktur bezeichnet, die in allen Kategorien und in den verschiedenen Phasen der Kategorien auftaucht. Dabei schreiben sich die Kategorien ihre Selbstndigkeit durch eine Vielzahl verschiedener Vokabeln zu: indem sie sich etwa durch Unmittelbarkeit, Einfachheit, Unabhngigkeit von Anderen oder zumindest nicht vollstndige Vermittlung mit Anderen etc. charakterisieren. Fr diese Selbstndigkeit werden verschiedene Grnde aufgefhrt so wie etwa der, dass die Kategorie um der Anfnglichkeit des Anfanges willen nur als erste, einfache Entitt anzusetzen ist. Damit aber schließt sie ihr Anderen aus, durch das sie konstituiert wird und das sie daher in Wahrheit einschließt, und ist so der Widerspruch. Aus dem bisher Entwickelten resultiert, dass Hegel mit der Tradition die Widersprchlichkeit des Widerspruches dadurch bestimmt, dass einer Entitt etwas in einer Hinsicht zukommt und nicht zukommt. Wichtig ist allerdings, dass dieses Zukommen und Nicht-Zukommen bei den 159 Aristoteles, Metaphysik, 1005b 19 f. Einen kurzen Abriss ber die verschiedenen Formulierungen und Verortungen des Satz des Widerspruches bietet Wolff, Der Begriff, 17 – 36.

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Hegelschen Entitten nicht sogleich offen zu Tage liegt. Vielmehr prsentieren sich die widersprchlichen Entitten jeweils so, dass nur eines von beiden, und zwar zumeist das Nicht-Zukommen, explizit vorhanden ist. Das Andere und somit zumeist das Zukommen liegt zwar auch immer schon vor, ist aber zuerst nur impliziert. Erst durch weitergehende Reflexion auf die gegebene Bestimmung wird es explizit.160 Weil der Wi160 So richtig es ist, dass die beiden sich widersprechenden Bestimmungen der jeweiligen Entitt nicht zugleich offen zu Tage liegen, sondern zuerst nur die eine explizit vorhanden ist, whrend die andere als implizite eigens zu explizieren ist, so falsch ist es, daraus zu folgern, dass hiermit vor allem oder ausschließlich ein pragmatischer Widerspruch vorliegt. Im Anschluss an Wieland, „Bemerkungen“, meint etwa Hçsle, Hegels System, 198, folgende Widerspruchsstruktur bei Hegel vorzufinden: „Der Widerspruch kann somit nur in einem Mißverhltnis zwischen Prsupponiertem und explizit Ausgedrckten bestehen; d. h., er ist pragmatischer Natur. (Der Terminus ,pragmatisch‘ ist in diesem Zusammenhang nicht in dem speziellen Sinne gemeint, in dem ihn die Sprechakttheorie verwendet; ,pragmatisch‘ heiße ein Widerspruch vielmehr genau dann, wenn er nicht auf Inhaltsebene besteht bzw. nicht durch Deduktion aus dem explizit Gesagten zu erzielen ist, sondern wenn er zwischen dem durch die Form (eines Begriffs bzw. eines Urteils) immer schon Implizierten und dem ausdrcklich Behaupteten besteht und nur in der Reflexion auf derartige Prsuppositionen zugnglich ist)“. Hegels Widerspruch besteht aber gerade auf der Inhaltsebene und ist so nicht pragmatischer Natur, auch wenn er jeweils erst sukzessive explizit wird. Das Motiv fr die Explikation des vorher nur Implizierten liegt nicht in einer Differenz zwischen Form und Inhalt (als zweier Kategorien, die im Widerspruchskapitel selbst berhaupt keine Rolle spielen), sondern in der notwendig jeweils weitergehenden Bestimmung der jeweiligen Bedeutung selbst. Immerhin gibt Hçsle, Hegels System, 176, selbst zu, dass sein Begriff vom Widerspruch nicht dem des Widerspruchs-Kapitels entspricht und meint, dass Hegel mit zwei Begriffen von Widerspruch operiere: mit dem einen, den er im Widerspruchskapitel expliziert, und mit dem anderen, den er faktisch benutzt. Dem Problem, dass Hegel damit faktisch seine eigene Methode nicht expliziert, wird von Hçsle nicht nur mit Verweis auf die generelle Defizienz von Hegels Darlegung seiner eigenen Methode zu begegnen gesucht, sondern auch mit dem eigenartigen, von McTaggart bernommenen Argument, dass „der Widerspruch doch der Grund dafr sei, eine Kategorie als endliche zurckzulassen; also kçnne er nicht selbst eine Kategorie sein“. Diese Argument verfehlt nicht nur den Status des Widerspruchskapitels innerhalb der WL, der gerade darin besteht, die Reflexionsbestimmungen und damit diejenigen Kategorien zu explizieren, die zur Bestimmung anderer Kategorien und ihrer Verhltnisbestimmung notwendig sind. Vielmehr ist damit zugleich der von Hçsle an Hegel sonst so hochgeschtzten Anspruch der Letztbegrndung aufgegeben. Eine der Ursachen fr Hçsles Fehleinschtzung liegt wohl darin, dass Hçsle, Hegels System, 177, in seiner Auslegung des Widerspruchskapitels selbst defizitr ist, da er dem „Widerspruch“ zuschreibt, was erst dem „Grund“ zuzuschreiben ist: Einheit zweier

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derspruch zwischen dem ausdrcklich Behaupteten und dem immer schon Implizierten besteht, ist er nicht auf den ersten Blick erkennbar.161 Dafr gibt sogar noch einen zweiten Grund: So ist auch auf der Seite der expliziten Behauptungen der Ausschlusscharakter nicht sogleich erkennbar. Denn ist diese Seite die der Selbstbeschreibung der selbstndigen Entitten, so behaupten diese meist nicht explizit von sich, Anderes auszuschließen. Vielmehr schreiben sie sich Beschreibungen zu, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen geben, dass sie Anderes ausschließen. So behaupten sie etwa von sich, Unmittelbares zu sein – dass das aber gerade den Ausschluss von ihrem Anderen, von Vermittlung bedeutet, bedarf eines zweiten Blickes. Somit ist sowohl in Bezug auf die explizite Selbstzuschreibung der Entitt als auch in Bezug auf die dem implizierte Bedeutung ein zweiter Blick vonnçten, um den Widerspruch zu entdecken. Damit sind zwei weitere Sachverhalte erklrt. Erstens ist die Begrndung fr die oftmals auftretende Schwierigkeit gegeben, den Widerspruch korrekt zu bestimmen, ja, ihn berhaupt einmal zu entdecken. Diese Schwierigkeit ußert sich in grundlegender Form im Denken des Verstandes. Denn der Verstand meint, bei den einfachen Bestimmungen oder den Selbstndigen stehen bleiben zu kçnnen, weil sich diese nur als einfache Identitten prsentieren und daher gerade nicht widersprchlich zu sein scheinen.162 Zweitens ist damit zugleich die auf den ersten Blick verwunderliche Tatsache erklrt, dass der Widerspruch bei scheinbar ganz Bestimmungen zu sein, die in ihrer Einheit ihre Gegenstzlichkeit auch negiert haben. Diese Struktur ist tatschlich nicht der Motor des gesamten Systems, sondern dessen Resultat. Bei aller eben vorgetragenen Kritik kann man dennoch bei Hegel die Widersprche in gewisser Hinsicht so beschreiben wie von Hçsle vorgetragen. Das liegt aber wohl daran, dass die Differenz zwischen „dem durch die Form (eines Begriffes bzw. eines Urteils) immer schon Implizierten und dem ausdrcklich Behaupteten“ in der Semantik des Verhandelten selbst verankert ist. Denn Hegels letztbegrndete Theorie des Absoluten entwickelt eine Semantik, die die pragmatische Dimension in sich integriert. Gegen Hçsles Rekonstruktion des Widerspruchs bei Hegel argumentiert auch Wladika, Kant, 279 – 285. 161 Gegen Wandschneider, Grundzge, 46, machen es Hegels Bestimmungen im Widerspruchskapitel, v. a. WL2, 50 f. (11, 279 f.), klar, dass dieses Nacheinander der Darlegung des Zukommens und Nicht-Zukommens nicht so verstanden werden darf, dass dadurch der Widerspruch nicht mehr der traditionell verstandenen Widersprchlichkeit anheim fllt, etwa weil die Bestimmungen auf zwei Reflexionsstufen verteilt wren. Das Nacheinander in der Explikation fhrt zu einem Zugleich der nun voll explizierten Bestimmungen. 162 Dass die Identitt in Wahrheit der absolute Unterschied ist, siehe WL2, 28 f. (11, 261 f.).

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einfachen Entitten auftritt. Da durch die WL hindurch zuerst nur die Selbstzuschreibung der Entitten geliefert wird und sich diese erst durch Reflexion auf ihr immer schon implizite, weitere Bestimmungen als widersprchlich herausstellt, ist es ein wesentliches Charakteristikum der WL, dass gerade die der Selbstzuschreibung nach einfachen Entitten als widersprchlich zu fassen sind. Entgegen dem gesunden Menschenverstand tritt der Widerspruch also weder erst auf der Ebene komplexer Entitten oder hochentwickelter Vermittlungsstrukturen auf, noch berhaupt erst dann, wenn zwei sich widersprechende Entitten eigens thematisch geworden sind. Hegel schreibt somit nicht erst Urteilen Wahrheits- und Widerspruchsfhigkeit zu, sondern siedelt beides bereits auf der Ebene einzelner Entitten oder Begriffe an. Entsprechend ist sein Wahrheitsbegriff so gefasst, dass er die bereinstimmung eines Inhaltes mit sich selbst bezeichnet, und sein Widerspruchsbegriff verweist auf die zu konstatierende Nicht-bereinstimmung. Der Grund fr diesen eigentmlichen Wahrheitsbegriff wird in dem Programm der WL als der Selbstentwicklung und Selbstprfung der Denkformen oder Kategorien zu finden sein.163 Denn eine Wahrheitstheorie, die von Urteilen dependiert, setzt die Trennung der Denkform von einem Anderen voraus, in Bezug auf das sie wahr wre. Wre dies Andere ein Inhalt, so wrde er außer der Denkform bestehen und wrde somit gerade nicht gedacht werden. Damit aber kçnnte er nicht der gesuchte Kandidat sein. Wre dies Andere aber eine weitere Denkform, so stellt sich die Frage, warum die erste Denkform gerade in Bezug auf die zweite als wahr ausgewiesen werden kçnnte. Es wrde sich somit die Forderung nach der immanenten Prfung der zweiten Denkform stellen. Damit ist darauf verwiesen, warum Hegel nicht erst Urteilen, sondern bereits einzelnen Entitten Wahrheitsfhigkeit zuschreibt. Es ist zugleich begrndet, warum Hegel gerade dem scheinbar Einfachsten, Unabhngigen und Nicht-Vermittelten mit substanzhaften Zgen zuschreibt, das in Wahrheit Widersprchliche zu sein, so dass eine einzelne, selbstndige Entitt der Widerspruch ist. Whrend Hegel schon seit der PhG weiß, dass „das Wahre das Ganze“164 ist, ist das einem Anderen gegenber Selbstndige der Widerspruch. Unter Bezugnahme auf die wichtige dritte Anmerkung zum Widerspruchskapitel sei der Widerspruch noch weiter charakterisiert: vor allem dadurch, dass es den Widerspruch wirklich gibt! Diese Aussage ist eigens 163 Siehe hierzu Schick, „Einleitende berlegungen“, 7 f. 164 PhG, 15.

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zu betonen, steht sie doch in Differenz zur Tradition. Denn in der Tradition wird der Widerspruch allein als Satz vom Widerspruch behandelt und damit der subjektiven Logik zugeordnet oder als aussagenlogisches Problem behandelt.165 Demgegenber ontologisiert Hegel den Satz vom Widerspruch; der Widerspruch erhlt seine Basis im Wesen der Dinge.166 Denn aus der eben dargelegten Grundstruktur des Widerspruches ist ersichtlich, dass er in allen Kategorien der WL sowie berall in der Realphilosophie auftaucht: immer dann also, wenn einer Entitt in ihrer Selbstbeschreibung ihre Selbstndigkeit wesentlich ist. Mit Bezug auf die Realphilosophie beschreibt Hegel, was a fortiori auf die Logik und auf den selbstndigen Anfang der absoluten Idee zu bertragen ist: „Der Widerspruch wird gewçhnlich frs erste von den Dingen, von dem Seienden und Wahren berhaupt, entfernt; es wird behauptet, daß es nichts Widersprechendes gebe. Er wird frs andere dagegen in die subjektive Reflexion geschoben, die durch ihre Beziehung und Vergleichung ihn erst setze. Aber auch in dieser Reflexion sei er nicht eigentlich vorhanden, denn das Widersprechende kçnne nicht vorgestellt noch gedacht werden. Er gilt berhaupt […] fr eine Zuflligkeit, gleichsam fr eine Abnormitt und vorbergehenden Krankheitsparoxysmus“.167

Diese Versuche der Verstandesdenker, den Widerspruch fern von den Dingen zu halten, ist eine ganz unangemessene „Zrtlichkeit fr die weltlichen Dinge“.168 Dagegen betont Hegel nicht nur, dass es den Widerspruch gibt, sondern sogar, dass „alle Dinge an sich selbst widersprechend sind“.169 Dies ist keine nebenschliche Bestimmung, vielmehr „drcke dieser Satz […] die Wahrheit und das Wesen der Dinge aus“.170 Die Dinge sind die Dinge, weil sie selbstndig sind. Als solche aber sind sie widersprechend. Damit gilt gegenber dem Satz von der Identitt:

165 Innerhalb dieses Rahmens begegnen durchaus unterschiedliche Nherbestimmungen: So tritt laut Aristoteles die Widersprchlichkeit des Widerspruches zwischen Satzsubjekt und Prdikat auf, laut Kant hingegen zwischen Ding und Prdikat (siehe dazu Iber, Metaphysik, 452). Beide aber meinen, dass in der Realitt keine Widersprche auftreten. 166 Es kann als das Beweisziel der gesamten Untersuchung Wolffs, Der Begriff, verstanden werden zu zeigen, dass, wie, warum und mit welchen Folgen Hegel den Widerspruch ontologisiert; siehe etwa besonders ebd., 9 – 11., 24 – 36. u. ç. 167 WL2, 60 (11, 286 f.). 168 So das berhmte Zitat aus der Enz., §48, 72 f. (20, 84). 169 WL2, 59 (11, 286). 170 WL2, 59 (11, 286).

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„Wenn von der Rangordnung die Rede und beide Bestimmungen als getrennte festzuhalten wren, so wre der Widerspruch fr das Tiefere und Wesenhaftere zu nehmen“

– denn die wahre Identitt der Dinge ist ihre Selbstndigkeit und damit der Widerspruch.171 Das impliziert, dass es das Widersprechende in einer Hinsicht gibt, dass dieses andererseits aber nichts Bestndiges, Konstantes, Ruhendes ist. Obwohl Hegel gegen die Tradition den Widerspruch ontologisiert, meint er mit der Tradition, dass Widersprechendes keinen Bestand hat, sondern sich vielmehr in seiner Selbstndigkeit selbst negiert. Diese Beobachtung ist zentral zur Abwehr des hufig vorgetragenen Vorwurfes, der besagt, dass sich Hegel allein deshalb, weil er den Widerspruch in sein System integriert, als rational rekonstruierbarer Denker desavouiert.172 Dem ist entgegenzuhalten, dass zweierlei zu unterscheiden ist. Eine Theorie desavouiert sich in der Tat genau dann, wenn sie die in Frage stehende Entitt als widersprchlich erkennt und zugleich meint, dass dies die in Frage stehende Entitt nicht desavouiert. Eine solche Theorie wrde tatschlich das Ende jeder rationalen Kritik bedeuten. Eine Theorie hingegen, die damit operiert, Widersprche in der in Frage stehenden Entitt zu entdecken und die dann die Schlussfolgerung zieht, dass die in Frage stehende Entitt deswegen als Selbstndige zu negieren ist, bedeutet gerade nicht das Ende jeder rationalen Kritik. Vielmehr prsentiert sie eine hochentwickelte Stufe ihrer, da sie die in Frage stehende Entitt intern kritisiert. Indem Hegel letzterer Position folgt, ist er an diesem Punkt nicht anzugreifen. Indem Hegel festhlt, dass sich Widersprechendes sich auflçst, lsst sich die wesentliche Verbindung erklren, die Hegel zwischen dem Widerspruch und der Bewegung ansetzt. Durch den Widerspruch gelangen 171 WL2, 60 (11, 286). Indirekt wird schon aus dem Haupttext ersichtlich, dass die wahre Identitt der Dinge der Widerspruch ist. Der erste Absatz des Widerspruchskapitels nmlich resmiert den bisherigen Gang des Reflexionskapitels, lsst aber die Identitt als die erste Bestimmung aus und fngt sogleich mit dem Unterschied an: denn die anfngliche Identitt ist genau so ein Konstrukt wie die anfngliche Unbestimmtheit der absoluten Idee, siehe WL2, 50 (11, 279). Dieser erste Unterschied aber ist nicht nur, mit WL2, 51 (11, 279), „berhaupt schon der Widerspruch an sich“, sondern findet auch explizit seine Wahrheit im Widerspruch. Siehe zu dem ersten Absatz des Widerspruchskapitels auch Iber, Metaphysik, 441 f. 172 So etwa der Vorwurf von von Hartmann oder von Popper gegen Hegel. Siehe dazu und zum Folgenden Hçsle, Hegels System, 156 – 161.

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die Dinge in Bewegung, so dass es nur folgerichtig ist zu sagen, dass Bewegung „der daseiende Widerspruch selbst“ ist.173 Will man innerhalb der bei Hegel vorliegenden Vermittlung von Logik und Ontologie beide dennoch relativ voneinander unterscheiden, so lsst sich konstatieren, dass die ontologische Entsprechung der logischen Kategorie des Widerspruches die Bewegung ist. Damit ist die wesentliche Einsicht erlangt, die besagt, dass in der Bewegung die tiefere Wahrheit des Widerspruchs vor der Identitt liegt. Dementsprechend heißt es im Anschluss an die Bemerkung, dass der Widerspruch das „Tiefere und Wesenhaftere“ gegenber der Identitt sei: „Denn die Identitt ihm gegenber ist nur die Bestimmung des einfachen Unmittelbaren, des toten Seins; er aber ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Ttigkeit“.174

Das Widersprechende, das es gibt, gibt es nicht – es ist immer schon in Bewegung, weil es Bewegung ist. Der Widerspruch hat nur als ein sich auflçsender sein Dasein.175 Mit einem in der Realphilosophie wieder aufgenommenen Begriff aus der absoluten Idee gesagt: Er markiert keine feste Position, sondern ist selbst nur ein „Wendungspunkt“.176 Es gibt das Selbstndige als den Widerspruch – es gibt es aber nur so, dass es sich als diese Bestimmung immer schon auflçst. So ist der Widerspruch die Selbstaufhebung des Selbstndigen177 oder die Subjektivierung der Substanz. Hegel, so wurde festgehalten, folgt der Tradition in der Bestimmung der Widersprchlichkeit des Widerspruchs. Zugleich ontologisiert er gegen die Tradition den Satz vom Widerspruch. Mit der Tradition meint er wiederum, dass der Widerspruch nur als sich auflçsender sein Dasein hat. Diese drei Charakteristika geben zu einem weiteren Vergleich zwischen Hegel und der Tradition Anlass. Whrend die Tradition dem Satz vom Widerspruch axiomatischen Status zuschreibt, versucht Hegel, den 173 WL2, 61 (11, 287). 174 WL2, 60 (11, 286). 175 Entsprechend beginnt der zweite Unterabschnitt des Widerspruchskapitels mit dem als berschrift fungierenden Satz: „Der Widerspruch lçst sich auf“. Dieser zweite Unterabschnitt ist nur als Explikation einiger bei der Darlegung des Widerspruchs implizit gebliebener Hinsichten zu verstehen, keineswegs aber als ein eigener, neuer Schritt, so als ob es den Widerspruch zuerst stabil gibt, ehe er sich auflçst; so auch Iber, Metaphysik, 463 f. 176 WL3, 296 (12, 246). 177 Siehe auch Iber, Metaphysik, 450, und Fulda, „Begriffsbewegung“, 145.

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Satz vom Widerspruch selbst zu begreifen, um damit seinen axiomatischen Status zu negieren.178 Genauer: Hegel folgt der Tradition in dem Verstndnis dessen, was das Widersprchliche des Widerspruches ist, nimmt dieses aber nicht unbesehen hin. Vielmehr entwickelt er eigens diese Struktur, und das zeigt sich als Ontologisierung des Satzes vom Widerspruch. Mit der entwickelten Struktur gibt es den Widerspruch, und damit verstçßt Hegel gegen die Tradition. Dieser Verstoß dient dazu zu begreifen, was der Widerspruch selbst eigentlich ist. Ist das begriffen, so ist erklrt, dass der Widerspruch nur als sich auflçsender sein Dasein hat und was also mit dem Satz vom Widerspruch eigentlich gesagt ist. Aus dem Begreifen folgt die wichtige Konsequenz, dass der Satz vom Widerspruch seinen axiomatischen Status verliert. Das, was in der Geschichte des Denkens geradezu als Axiom fr das Undenkbare stand, wird von Hegel eigens gedacht und verliert so seinen axiomatischen Status.179 Daraus folgt dreierlei: Begrndungstheoretisch ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf ein letztbegrndetes System gemacht. Hegel geht darauf aus, alle Axiome des Denkens zu begreifen und alle Unvermitteltheiten des Seins als vermittelt zu erkennen, um einen letztbegrndeten, sich vollstndig durchsichtigen Kosmos des Denkens und Seins zu entwickeln. Weil kaum einem Satz in der Geschichte des abendlndischen Denkens mit solcher berzeugtheit und in solcher Breite ein axiomatischer Status zugeschrieben wurde wie dem Satz vom Widerspruch, ist die Aufhebung von dessen axiomatischen Status durch Aufklrung der ihm zugrunde liegenden Struktur ein wichtiger Schritt hin zum angestrebten Ziel.180 Zum zweiten aber geht der Verlust des axiomatischen Status des Satzes vom Widerspruch keineswegs mit dessen Außerkraftsetzung einher. Vielmehr wird der Satz gerade dadurch in Geltung gesetzt, dass die Struktur von Widersprchlichkeit begriffen wird. Indem der axiomati178 Nicht nur der Widerspruch, sondern alle Reflexionsbestimmungen und damit alle in dem zweiten Kapitel des ersten Abschnitts der Wesenslogik verhandelten Bestimmungen werden in der traditionellen Logik als axiomatische Stze angesetzt, und Hegels Darlegung der Reflexionsbestimmungen kann als der Versuch gelesen werden, den axiomatischen Status aller dieser Stze zu unterminieren. Das von uns im Folgenden Dargestellte ist somit nur ein kleiner Ausschnitt eines insgesamt viel anspruchsvolleren Projektes, das auch mit einigen hier nicht dargelegten anderen Methoden arbeitet, siehe dazu Iber, Metaphysik, 253 – 268. 179 Siehe auch Iber, Metaphysik, 449. 180 Dass Hegel im Gesamtverlauf alle Voraussetzungen seines Systems eigens setzt, den Voraussetzungen dadurch den Status der Voraussetzungshaftigkeit nimmt und somit letztlich ein letztbegrndetes System erreicht, wird nochmals eigens dargelegt unter unten II.2.5.3.

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sche Status des Satzes vom Widerspruch durch sein Begriffen-Werden aufgehoben wird, wird der Satz in Geltung gesetzt. Zum dritten ist allerdings zu beachten, dass dieses begrndete In-Geltung-Setzen nicht die Rcknahme der Ontologisierung des Satzes vom Widerspruch bedeutet. Vielmehr gibt es sich Widersprechendes, und daraus folgt, dass der Satz vom Widerspruch an sich noch kein Zeichen von Falschheit ist. Vielmehr kann er eine Entitt durchaus angemessen beschreiben.181 Diese Existenz von Widersprechendem widerspricht nun selbst nicht dem In-GeltungSetzen des Satzes, sondern ermçglicht es gerade erst. Denn der Satz macht erst dann Sinn, wenn er anwendbar ist, wenn also zumindest nicht prinzipiell die Mçglichkeit ausgeschlossen wird, dass es Widersprechendes geben kann.182 Gibt es somit Perspektiven, die das traditionelle Verstndnis vom Satz vom Widerspruch mit Hegels Ontologisierung und Integration des Widerspruches vermitteln, so liegt mit dem Folgenden eine gravierende und bleibende Differenz zwischen beiden vor. Es ist von entscheidender Bedeutung fr das gesamte System Hegels, dass das Ergebnis des Widerspruchs nicht einfach nichts ist, sondern etwas ganz Bestimmtes. Selbstredend geht mit dem Widerspruch auch die Negation einher, weil die vorherige Identitt als Selbstndige negiert wird.183 Entscheidend fr Hegel ist nun aber, dass diese Nichtung nicht das einzige Resultat des Widerspruchs ist. Vielmehr fhrt er durch die Vernichtung hindurch zu einer neuen Entitt. Zweierlei wird von Hegel somit ausgeschlossen: Weder resultiert aus dem Widerspruch „das leere Negative, das Nichts, das als das gewçhnliche Resultat der Dialektik genommen wird“,184 noch folgt daraus etwas vçllig Beliebiges. In beiden Fllen wre Hegel gescheitert, weil damit der stringente Fortgang seiner Methode verunmçglicht wre. Vielmehr folgt aus dem Widerspruch etwas sehr Bestimmtes, so dass Hegel diesen Schritt auch die „bestimmte Negation“ nennt. Ihre Wichtigkeit betont er seit der programmatischen Vorrede zur PhG185 immer wieder und so auch in der absoluten Idee186 und am Anfang der WL.187 181 Siehe dazu Wolff, Der Begriff, 33 – 36. 182 Zu dieser Einsicht siehe Hçsle, Hegels System, 160. 183 Eine genauere Analyse des negativen Resultates des Widerspruches wird ergeben, dass die Selbstndigkeit der Entitt der neu entstehenden Gesamtstruktur zugeschrieben wird, ihre Gesetztheit als bloße Gesetztheit hingegen aufgehoben wird – siehe dazu unten II.2.4.3. 184 WL3, 294 f (12, 244 f.). 185 Siehe PhG, 62.

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Es pflegt also nur die formale Verstandeslogik das „Grundvorurteil“,188 dass „das sich Widersprechende sich in Null, in das abstrakte Nichts auflçst“. In Wahrheit resultiert das sich Widersprechende nicht nur in der Selbstaufhebung der Selbstndigen, sondern fhrt sich zu positiven Bestimmungen weiter. An dieser Stelle seien dazu nur folgende Bemerkungen gemacht:189 Trat der Widerspruch dadurch auf, dass eine bisher nur implizit vorhandene Bedeutung der jeweiligen Bestimmung expliziert wird, so wird die positive Folgebestimmung diese neue Bedeutung in sich integrieren. So gelangt die vorherige Bestimmung, die sich als Selbstndige gerade aufgehoben hat, in ihre Wahrheit. Damit ist zum einen das „sosehr analytische“ Moment des Fortganges garantiert. Zugleich ist ein Moment der Selbigkeit, der Identitt zwischen der ersten Entitt und der zweiten begrndet und mit dieser Selbigkeit die latente Struktur von Subjektivitt. Zum anderen ist mit der neuen Entitt zugleich auch eine neue Hinsicht oder das „sosehr synthetische“ Moment des Fortganges betont, so dass es zu einer wirklichen Weiterbestimmung kommt. Welche das im Einzelnen ist, lsst sich nur situativ bestimmen. Denn sie verndert sich abhngig von der jeweiligen Stelle in der WL. Genauer: Diese Vernderung ist der Fortgang der WL. Die WL ist nichts 186 Siehe WL3, 295 (12, 245). 187 So schreibt er auf WL1, 21 (11, 25): „Das einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflçst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhaltes, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflçst, somit bestimmte Negation ist, daß also im Resultat wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert – was eigentlich eine Tautologie ist, denn sonst wre es […] kein Resultat“. 188 WL3, 293 (12, 243). 189 Zu einer ausfhrlichen Analyse der Resultate des Widerspruches anhand des Textes der WL siehe unten, II.2.4.3. Hier sei nur bemerkt, dass die Folgeentitt, auf die eben verwiesen wurde, nicht mit dem positiven Resultat des Widerspruches des Widerspruchskapitels verwechselt werden darf. Denn hier wird nur eine einzelne Bestimmung als der Widerspruch entwickelt, nicht aber beide Bestimmungen wie im Widerspruchskapitel. Erst wenn beide Bestimmungen als der Widerspruch entwickelt sind, kann das positive Resultat als die neue Einheit beider auftreten. Die hier auftretende Folgeentitt hingegen ist noch nicht dieses positive Resultat, sondern allein ein erster Schritt dahin: ist es doch erst diejenige zweite Bestimmung, die sich im Folgenden auch als der Widerspruch herausstellen wird. Somit ist zwischen der Folgeentitt als der bestimmten Negation des latenten Widerspruches und dem positiven Resultat des vollentwickelten und gesetzten Widerspruchs als einer Bestimmung zweier Entitten zu unterscheiden.

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als die Aufeinanderfolge der verschiedenen, jeweils aus dem Widerspruch resultierenden Bestimmungen der bestimmten Negation: „und was die Beispiele von Beweisen hierzu betrifft, so besteht die ganze Logik darin“.190 Damit ist auf die in der Tat revolutionre Funktion des Widerspruches in Hegels System angespielt: Der Widerspruch baut das System als System auf.191 Weil die jeweils Selbstndigen die in Wahrheit Widersprchlichen sind, deshalb negiert werden, aber in neuen Entitten resultieren, entsteht die Kategorienfolge, und das System baut sich selbst auf. Um diese berlegungen zusammenzufassen, so sieht Hegel mit der Tradition die Widersprchlichkeit des Widerspruchs dadurch definiert, dass „dasselbe demselben in derselben Beziehung […] zugleich zukommt und nicht zukommt“. Gegen die Tradition aber ontologisiert Hegel den Satz vom Widerspruch, weil er das Wesen aller selbstndigen Entitten ausmacht. Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch kann somit durchaus eine Entitt korrekt beschreiben. Zugleich meint Hegel mit der Tradition, dass „dasselbe demselben in derselben Beziehung […] unmçglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann“, dass der Widerspruch also eine Unmçglichkeit ist. Er ist eine Unmçglichkeit: Er ist also, er ist sogar mit Notwendigkeit, aber er ist nur als etwas, das unmçglich ist und somit nur als sich auflçsender sein Dasein hat. Daher entspricht der logischen Kategorie des Widerspruches die ontologische Bestimmung der Bewegung. Mit diesen Ausfhrungen greift Hegel den axiomatischen Status des Satzes vom Widerspruch an, indem er ihn erklrt. Als begriffener aber wird er gerade in Geltung gesetzt. Allerdings betont Hegel gegen die Tradition, dass der Widerspruch nicht nur in die abstrakte Negation fhrt, sondern in die bestimmte Negation mit einem positiven Resultat. Wegen dieses positiven Resultates und der damit mitgegeben Identitt zwischen erster und zweiter Entitt ist im Widerspruch latente Subjektivitt vorhanden. Fasst man all diese Vergleiche zusammen, so wird die fr die Tradition revolutionre Funktion des Widerspruchs im System sichtbar: Der Widerspruch wird nicht als das Undenkbare bestimmt und daher aus dem System ferngehalten, sondern er wird erkannt als das Wesen aller Entitten und fungiert daher konstruktiv als der Motor des Systems. Nicht obwohl, sondern gerade weil die Widersprchlichkeit des Widerspruchs mit der Tradition dadurch 190 WL3, 295 (12, 245). 191 Zu der Funktion des Widerspruches im Gesamtsystem siehe auch ausfhrlich Iber, Metaphysik, 479 – 482.

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bestimmt wird, dass einer Entitt etwas zugleich in derselben Hinsicht zukommt und nicht zukommt, gehen die Entitten als Selbstndige zugrunde und resultieren in neuen Entitten. So also bewirkt der Widerspruch den Aufbau der Kategorienfolge und mit ihr die Subjektivierung der Substanz und den Aufbau des Systems als System.192 Nachdem der Widerspruch als latenter Motor des anfnglichen Fortganges vorgestellt wurde, seien die weiteren Perspektiven, mit denen Hegel die erste Negation in der absoluten Idee charakterisiert, kurz dargelegt. II.2.3.4. Die bestimmte Negation als die Begrndung und die Aufhebung der anfnglichen Allgemeinheit Bisher wurde analysiert, dass sich das anfngliche Allgemeine als der daseiende Widerspruch immer schon auflçst und in dasjenige Besondere berfhrt, das es in Wahrheit ist. Durch diese bestimmte Negation geschieht zudem noch etwas, was in den bisherigen berlegungen noch nicht erwhnt wurde: Durch sie wird der Anfang in einer Hinsicht begrndet. „Die Beglaubigung des bestimmten Inhaltes, mit dem der Anfang gemacht wird, scheint rckwrts zu liegen; in der Tat aber ist sie als Vorwrtsgehen zu betrachten, wenn sie nmlich zum begreifenden Erkennen gehçrt“.193

Anfangs wurde konstatiert, dass der Anfang nicht vorlaufend begrndet werden darf, weil sonst die dem Anfang vorlaufende Begrndung selbst der Anfang wre. Jetzt wird ersichtlich, dass der Anfang dennoch begrndet werden kann, und zwar nachlaufend.194 Indem sich der Anfang als Anfang der bestimmten Negation herausstellt, ist er als Anfang beglaubigt. Denn ein Anfang ist dadurch als Anfang ausgewiesen, dass er der Anfang von etwas ist.195 Zugleich aber gilt, dass der Anfang nicht mehr der reine Anfang ist, sobald dasjenige anfngt, dessen Anfang der 192 Hçsle, Hegels System, 210, und Iber, Metaphysik, 511, bemerken zu Recht, dass der Widerspruch, indem er die Einheit zwischen verschiedenen Bestimmungen stiftet, sich als Hegels Antwort auf Kants Frage nach den synthetischen Stzen a priori erweist. 193 WL3, 289 (12, 240). 194 Siehe dazu auch WL3, 303 (12, 251). 195 Diese Strategie des Begrndens durch Vorwrtsgehen, das sich als „Rckgang in den Grund“ herausstellt, wird etwas ausfhrlicher dargelegt in WL1, 36 – 41 (11, 34 – 38).

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Anfang ist. Der Anfang ist immer schon durch das zerstçrt, was ihn beglaubigt.196 Die bestimmte Negation begrndet und zerstçrt den Anfang aber nicht nur, sondern sie hebt ihn zugleich auch auf.197 Entsprechend wird in der absoluten Idee zunchst festgestellt, dass „das Andere wesentlich nicht das leere Negative ist, das Nichts, das als das gewçhnliche Resultat der Dialektik genommen wird, sondern das Andere des Ersten“.

Sodann wird betont, dass dieses Andere des Ersten „berhaupt die Bestimmungen des Ersten in sich enthlt. Das Erste ist somit wesentlich auch im Anderen aufbewahrt und erhalten. – Das Positive in seinem Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultat festzuhalten, dies ist das Wichtigste im vernnftigen Erkennen“.198

Aus der bestimmten Negation lassen sich somit die drei spekulativen Bedeutungen des Begriffs der Aufhebung entnehmen, also das Verneinen oder negare, das Bewahren oder conservare und das Erheben auf eine hçhere Stufe oder sublare.199 Das Verneinen kommt der bestimmten Negation deshalb zu, weil sie bestimmte Negation ist, ist doch das Bestimmte nicht das anfngliche Allgemeine. Zugleich aber ist die bestimmte Negation bestimmt durch den negierenden Bezug auf das anfngliche Allgemeine. Durch diesen Bezug ist das Allgemeine in dem Besonderen aufbewahrt. Genau genommen aber ist das Allgemeine, das im Besonderen enthalten ist, gerade nicht mehr das anfngliche Allgemeine, sondern es ist als das Besondere das Allgemeine einer neuen Stufe. Es wird auf eine neue Stufe erhoben und erweist sich als das Andere seiner selbst.200 Das Allgemeine ist dadurch das Besondere, dass die bestimmte Negation das anfngliche Allgemeine in sich aufhebt: Nachdem dergestalt

196 Siehe dazu auch Guzzoni, Werden, 36 f. 197 Recht besehen, folgt das schon aus dem Begriff des Resultates selbst. Dazu sei an das Zitat erinnert, das beilufig zur Erklrung der bestimmten Negation des Widerspruches angefhrt wurde und das betont, „daß also im Resultat wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert; – was eigentlich eine Tautologie ist, denn sonst wre es ein Unmittelbares, nicht ein Resultat“ (WL1, 21 (11, 25)). 198 WL3, 294 f. (12, 245). 199 Siehe dazu auch Schfer, „Hegels Ideenlehre“, 257. 200 Hegel kommentiert diese Aufhebungsbewegung des weiteren in WL3, 302 (12, 250 f.).

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das Resultat des Fortganges genauer beschrieben wurde, soll abschließend die erste Negation als Ganze betrachten werden. II.2.3.5. Das Gesamte der ersten Negation II.2.3.5.1. Die Darstellungsweise: das Urteil Anfangs schien der anfngliche Anfang alles zu sein, was ist, so dass er als das Absolute zu begreifen war. Entsprechend konnte das Absolute in einem einzigen Begriff ausgesprochen werden: eben in dem Begriff des „Absoluten“, des „Unbestimmten“ oder eines seiner anderen Wechselbegriffe. Dann aber stellt sich heraus, dass das Absolute immer schon fortgegangen ist: Aus dem Unbestimmten ist immer schon das Bestimmte geworden. Somit kann dem Absoluten eine Ur-Teilung zugesprochen werden, denn das Absolute hat sich immer schon geurteilt.201 Dementsprechend ist das Absolute in einem Urteil auszusprechen: „Das Unbestimmte ist das Bestimmte“, „das Allgemeine ist das Besondere“. Spter wird sich dann herausstellen, dass dieses Urteil die erste Prmisse des die gesamte Begriffsentwicklung zusammenschließenden Schlusses ist.202 In gewisser Hinsicht kann sogar bereits diesem Urteil selbst schon Schlussqualitt zugesprochen werden. Denn das Urteil urteilt nicht nur den anfnglichen Begriff, sondern es besteht in dem Urteil zugleich eine wesentliche Verbindung zwischen beiden Bestimmungen. Sie wird deutlich, wenn man sich das Urteil als sosehr analytisches wie synthetisches vor Augen fhrt und die darin bestehende Dialektik und latente Subjektivitt erçrtert. Das sei im Folgenden vorgefhrt. II.2.3.5.2. Dialektik und Subjektivitt Die Dialektik ist die Methode Hegels und beschreibt die erste Negation als Ganze. Die Dialektik ist mit dem Begriffspaar des „analytischen“ und des „synthetischen“ zu beschreiben, und da beide Begriffe schon unter II.2.1. dargelegt wurden, kann an das dort Gesagte erinnert werden. So ist Hegels Methode insofern analytisch, als sie in den Gegenstnden allein das, „was in ihnen immanent ist, zum Bewußtsein bringen […]. – Daß sie die weiteren Bestimmungen ihres anfnglichen Allgemeinen ganz al201 Da diese Arbeit keine entwicklungsgeschichtlichen Studien betreibt, sei zu dem Einfluss Hçlderlins und seinen berlegungen zur Ur-Teilung des Seins in „Urteil und Sein“ nur etwa auf die Studien Henrich, „Hegel und Hçlderlin“, 9 – 40, oder Frank, Mangel, 103 – 115 verwiesen. 202 Siehe II.2.5.1.

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lein in ihm findet“.203 Dass Synthetische hingegen meint zweierlei: Zum einen, dass „ihr Gegenstand, unmittelbar als einfaches Allgemeines bestimmt, durch die Bestimmtheit, die er in seiner Unmittelbarkeit und Allgemeinheit selbst hat, als ein Anderes sich zeigt“

– dass der Fortgang dem Anfang zwar immanent ist, dass das Resultat aber etwas Anderes ist als der Anfang. Zum anderen bezeichnet die Synthesis die „Beziehung des Unterschiedenen als solchen auf sein Unterschiedenes“.204 Sie bezeichnet also die Einheit des Ersten mit seinem Anderen. Dialektik ist nun nicht entweder das Synthetische oder das Analytische, sondern beides gemeinsam: „Dieses sosehr synthetische als analytische Moment des Urteils […] ist das Dialektische zu nennen“.205 Dialektik bezeichnet eine Einheit, eine Synthesis, die durch das gegenseitiges Voraussetzungsverhltnis des Analytischen, Identischen, und des Synthetischen, Anderen, konstituiert ist. Sie ist eine solche Einheit, die dadurch mit sich selbst gleich ist, dass sie sich verndert, und die, indem sie sich verndert, mit sich selbst gleich ist.206 Das Analytische ist nur durch das Synthetische das Analytische, und das Synthetische nur durch das Analytische das Synthetische. Beide setzen einander gegenseitig voraus, um sie selbst zu sein – sie sind nur als die Einheit von Analytischem und Synthetischem. Diese Einheit ist die Dialektik. Um dieser Einheit in einer anderen Hinsicht auf den Grund zu gehen, sei in systematischer Absicht auf den lngeren, vornehmlich die Antike sowie Kant behandelnden philosophiegeschichtlichen Exkurs eingegangen, den Hegel an seine Definition von Dialektik in der absoluten Idee anschließt.207 Darin wendet sich Hegel gegen eine Vielzahl von Missverstndnissen von Dialektik, die erst durch ihn in ihre Wahrheit gefhrt werden.208 Nicht zuflliger Weise gleichen diese Missverstndnisse denen ber den Widerspruch, da der Widerspruch und die Dialektik beide wesentlich Bewegung sind. Das sei kurz dargestellt. Die Parallelitt 203 WL3, 291 (12, 242). 204 WL3, 297 (12, 246). Auch in WL3, 291 (12, 242) wird auf hnliches verwiesen, wenn das Synthetische „diese Beziehung eines Verschiedenen“ genannt wird. 205 WL3, 291 (12, 242). 206 Siehe zu diesen berlegungen auch Schfer, „Hegels Ideenlehre“, 258 f. 207 Fr eine ausfhrlichere und weniger systematisch reorganisierte Auslegung des Exkurses siehe de Vos, Hegels Wissenschaft, 91 – 98. Als monographische Aufarbeitung des Verhltnisses Hegels zu der Geschichte der Philosophie siehe die als Forschungsbericht klassifizierte Arbeit von Dsing, Hegel. 208 Siehe WL3, 291 – 294 (12, 242 – 244).

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der Missverstndnisse zeigt sich nicht nur ußerlich darin, dass beide im Bezug auf die Realphilosophie formuliert sind, sondern vor allem sachlich darin, dass auch die Dialektik zumeist nicht als eine konstruktive, das Wesen der Dinge begreifende (Denk-)Bewegung angesehen wird. Entsprechend wird gegen die Dialektik angefhrt, dass das Wesen der Dinge und des Erkennens ein „sicher zugrunde Liegenbleibendes“,209 also ein hypokeimenon, eine feste Substanz sei, die sich nur durch „eine ußerliche Verknpfung dialektisch zeige“.210 Das gleicht ganz der Verstandesmeinung, die nicht den Widerspruch, sondern die einfache Identitt, das „tote Sein“,211 als das Wesen der Dinge betrachtet. Kommt die ußerliche dialektische Verknpfung zu der festen Substanz hinzu, so fhrt das laut der Verstandesmeinung nur in die Nichtigkeit, denn „die Dialektik habe nur ein negatives Resultat“.212 Auch hiermit gleicht die Meinung zur Dialektik ganz der zum Widerspruch, dessen Resultat allgemein ja auch als „Null, das abstrakte Nichts“213 angesehen wird. Diese dialektische Nichtigkeit kann entweder mit den Eleaten in den Dingen selbst verortet werden,214 oder sie wird mit Diogenes in das subjektive Erkennen verlegt.215 Die Skeptiker schließen daraus sogar auf die generelle Nichtigkeit des Erkennens berhaupt.216 Das gleicht wiederum ganz dem, was als gewçhnliche Meinung ber den Widerspruch kolportiert wurde: Auch der Widerspruch kann in den Dingen verortet werden und fhrt zu der Behauptung, „daß es nichts Widersprechendes gebe“; oder er wird in der subjektiven Reflexion verortet, die dann als „vorbergehendes Krankheitsparoxysmus“ angesehen wird.217 In der Geschichte des Nachdenkens ber die Dialektik wird erst durch Kant ein neues Kapitel aufgeschlagen. Obwohl auch er an der Nichtigkeit des Dialektischen festhlt, kommt ihm dennoch das „unendliches Verdienst“218 zu, erstmals wieder die Denkbestimmung der Dialektik selbst untersucht und sogar als notwendig erkannt zu haben. Entscheidend ist, dass mit dieser Denkbestimmung nichts den Gegen209 210 211 212 213 214 215 216 217 218

WL3, 294 (12, 244). WL3, 294 (12, 244). WL2, 60 (11, 286). WL3, 293 (12, 243). WL1, 21 (11, 25). Siehe WL3, 292 (12, 242). Siehe WL3, 292 f (12, 242). WL3, 293 (12, 242). Beide Zitate WL2, 60 (11, 286 f.). WL3, 293 (12, 243).

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stnden ußerliches in den Blick kommt, sondern das den Gegenstnden Eigenste, nmlich die ihnen wesentliche Methode. Die Denkbestimmungen „sind der wahrhafte Gegenstand und Inhalt der Vernunft, und ein solches, als man sonst unter Gegenstand und Inhalt im Unterschied von ihnen versteht, gilt nur durch sie und in ihnen“.219 Damit kommt den Dingen das zu, was der Dialektik selbst zukommt: Sie sind durch Bewegung geprgt. Denn Dialektik ist Bewegung, die als „daseiender Widerspruch“ von dem Widerspruch getrieben ist. Dementsprechend kann Hegel in diesem Abschnitt die Begriffe „Dialektik“, „Widerspruch“ und „bergehen“ geradezu als Synomyne verwenden.220 Wird nun betont, dass die Dialektik wesentlich Bewegung ist, so wird auch die fr die Dialektik charakteristische Einheit des Analytischen und des Synthetischen nochmals eigens begrndet. Denn Bewegung ist dasjenige, das mit sich selbst gleich ist, indem es sich verndert, und zugleich dasjenige, das sich verndert und gerade dadurch mit sich selbst gleich ist. Dialektik ist die Einheit des Analytischen und des Synthetischen als Bewegung. Als so Konstituierte ist die Dialektik nicht nur Dialektik, sondern zugleich auch Subjekt, absolute Subjektivitt. Dialektik und absolute Subjektivitt sind strukturquivalent, so dass die Methode der absoluten Idee mit ihrem Prinzip in eins fllt.221 Ausfhrlich wird Hegel selbst die absolute Subjektivitt erst als das Resultat der zweiten Negation behandeln, weil sie erst dort vollstndig gesetzt ist. Entsprechend nimmt auch die vorliegende Arbeit erst dort eine ausfhrliche Explikation der Struktur absoluter Subjektivitt vor. Weil aber Dialektik und absolute Subjektivitt strukturquivalent sind und bereits die erste Negation die Struktur der Dialektik hat, ist es sachangemessen, wenn auch Hegel selbst schon im Verlauf der ersten Negation zumindest en passant auf die absolute Subjektivitt zu sprechen kommt, und diese ersten Hinweise seien hier bereits 219 WL3, 293 f. (12, 244). 220 So schreibt Hegel, WL3, 294 (11, 244), dass laut Vorstellung und Verstand Erkenntnis und Gegenstand „erst durch die fremde und zufllige Verbindung in und von einem Dritten in dialektische Verhltnisse und in Widerspruch gesetzt werden“. In Wahrheit aber sind alle Gegenstze „nicht etwa durch eine ußerliche Verknpfung in Widerspruch, sondern […] an und fr sich selbst das bergehen“. 221 Dass Hegel insofern eine Vollendungsgestalt neuzeitlicher Philosophie ist, als er mit der Frage nach dem Prinzip und der nach der Methode die beiden großen Themen neuzeitlicher Philosophie nicht nur zu vermitteln weiß, sondern sie sogar als identisch erkennt, ist die Großthese von Schfer, Dialektik, etwa programmatisch IX, 326. Zu Hegels Identifizierung von Methode und Prinzip siehe schon Dsing, Das Problem, 313, 335 f.

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prsentiert. So schreibt Hegel: „Das Unmittelbare aber ist als sich auf sich beziehende Allgemeinheit, als Subjekt, auch die Einheit dieser Verschiedenen“.222 Aus diesem Zitat lassen sich die beiden entscheidenden Charakteristika der absoluten Subjektivitt entnehmen, also ihre relationale „Einheit“ als Einheit Verschiedener und ihre Bewegung als „sich auf sich beziehend“. Sie ist sie selbst gerade in der Vermittlungsbewegung mit dem Anderen ihrer, oder sie konstituiert sich in der Ausdifferenzierungsbewegung. Bevor das aber als Resultat der zweiten Negation nher erlutert wird, ist zuerst einsichtig zu machen, warum es nach der ersten Negation berhaupt noch zu einer zweiten kommen muss. II.2.3.6. Der bergang in die zweite Negation: die Verschiedenheit Die Notwendigkeit einer zweiten Negation wird einsichtig, wenn die bisher erreichte Form der Einheit genauer untersucht wird und dabei ihre Defizite aufgedeckt werden: „Die konkrete Totalitt, welche den Anfang macht, […], ist als Konkretes in sich unterschieden; wegen ihrer ersten Unmittelbarkeit aber sind die ersten Unterschiedenen zunchst Verschiedene“.223

Die anfngliche Totalitt hat sich unterschieden in den anfnglichen Anfang und die aus ihm resultierende Besonderheit. Die so Unterschiedenen sind zwei Verschiedene, die dementsprechend durch die Relation der Verschiedenheit aufeinander bezogen sind. Weil aus ihr der Fortgang in die zweite Negation resultiert, sei sie genauer untersucht. hnlich wie beim Widerspruch ist auch die Verschiedenheit ein operativer Begriff, der in der absoluten Idee dermaßen knapp dargestellt wird, dass zu seinem angemessenen Verstndnis der Rckgriff auf denjenigen Ort der WL notwendig ist, an dem er ausfhrlicher thematisiert wird. Da die Verschiedenheit wiederum eine reflexionslogische Kategorie ist und dort entsprechend breit expliziert wird, ist ein erneuter, nun aber ganz kurzer Rckgriff auf die Wesenslogik unumgnglich. Die Verschiedenheit ist eine frhe wesenslogische Kategorie, die den im obigen Exkurs zum Widerspruch dargestellten Kategorien des Gegensatzes und des Widerspruches vorangeht. Das ist insofern von Wichtigkeit, als sich in der Verschiedenheit noch nicht ergeben hat, was fr den Gegensatz und den Widerspruch entscheidend ist: nmlich das Bewusstsein ber die kon222 WL3, 290 (12, 241). 223 WL3, 290 (12, 241).

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stitutive Bedeutung der Negationsbeziehung.224 Aus diesem Moment von Unmittelbarkeit ergibt sich die Notwendigkeit der zweiten Negation. Die Argumentation dafr ist die Folgende: Verschieden ist etwas, das gleich ist mit sich und ungleich gegen anderes.225 Obwohl dem Verschiedenen somit sowohl Gleichheit wie Ungleichheit zukommt, wird das Verschiedene wesentlich nicht durch seine Ungleichheit gegen das Andere definiert, sondern vor allem durch seine Gleichheit mit sich: „Verschiedene sind sie als in sich selbst reflektierte, sich auf sich beziehende […]: so ist der Unterschied ihnen ußerlich“.226 Daraus folgt, dass „die Verschiedenen sich […] nur als Verschiedene zueinander verhalten, die gleichgltig gegeneinander sind“.227 Diese „Gleichgltigkeit“ ist die fr den hiesigen Zweck entscheidende Konnotation. Mit ihr wird auf zweierlei angespielt. Zum einen sind die beiden Verschiedenen gleich gltig, verlangen also beide Geltung. Zum anderen ist den beiden Verschiedenen ihre Beziehung gleichgltig, oder sie sind aneinander „uninteressiert“.228 Daher kann die Beziehung auch wieder ausfallen, so dass eine neue Form der Unmittelbarkeit entsteht. Genau dieser Vorgang ist in der absoluten Idee zu beobachten. Dort entsteht die neue Unmittelbarkeit dadurch, dass es scheint, als ob das anfngliche Allgemeine als das noch Ungesetzte ganz verschwindet. Denn das vermittelnde Allgemeine wird in der Aufhebung von dem vermittelten Besonderen absorbiert. Damit bleibt allein das Bestimmte brig: „Was hiermit nunmehr vorhanden ist, ist das Vermittelte, zunchst oder gleichfalls unmittelbar genommen, auch eine einfache Bestimmung; denn da das Erste in ihm untergegangen ist, ist nur das Zweite vorhanden“.229

Es kommt mithin zu einer neuen Form der Unmittelbarkeit, in der nur das ehemals Vermittelte vorhanden ist. Das Unmittelbare aber ist der Widerspruch, der nur so ist, dass er immer schon in Bewegung ist, und so ergibt sich die Notwendigkeit der zweiten Negation.

224 Selbstredend wird die Negationsbeziehung auch schon fr die Verschiedenheit in Anspruch genommen. Sie ist aber fr das Selbstverstndnis der Verschiedenheit gerade nicht von entscheidender Bedeutung. 225 Siehe dazu auch Schfer, Die Dialektik, 252 – 254 und Iber, Metaphysik, 331 – 347. 226 WL2, 35 f. (11, 267). 227 WL2, 36 (11, 267). 228 Der Begriff der „Uninteressiertheit“ entstammt Schfer, Die Dialektik, 254. 229 WL3, 295 (12, 245).

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II.2.4. Die zweite Negation Relativ zu Beginn der folgenden Ausfhrungen bilanziert Hegel den bisherigen Entwicklungsgang und weist auf das Ziel des weiteren Verlaufes hin: „Weil das Erste oder Unmittelbare der Begriff an sich, daher auch nur an sich das Negative ist, so besteht das dialektische Moment bei ihm darin, daß der Unterschied, den es an sich enthlt, in ihm gesetzt wird. Das Zweite hingegen ist selbst das Bestimmte, der Unterschied oder Verhltnis: das dialektische Moment besteht bei ihm daher darin, die Einheit zu setzen, die in ihm enthalten ist“.230

Resultierte in dem bisherigen Verlauf das anfngliche Allgemeine in dem Unterschied, so resultiert der Unterschied im Folgenden in einer neuen Einheit. Ist damit zwar der Zielpunkt der weiteren Entwicklung benannt, so wird aus diesem Zitat jedoch nicht ersichtlich, auf welchem Wege er erreicht wird. Denn obwohl diese Einheit „in ihm [dem Unterschied] enthalten“ ist, erfolgt ihre Setzung nicht einfach dadurch, dass unvermittelt die Einheit der Unterschiedenen deklariert wird – etwa, indem beide Unterschiedenen einheitlich als Unterschiedene benannt werden. Vielmehr geht Hegel einen scheinbaren Umweg: Um die Einheit der Unterschiedenen zu setzen, wird zuerst ihre Differenz weiter entwickelt.231 Die Unterschiedenen stehen einander nicht gleichgltig gegenber, sondern sind in Wahrheit einander Entgegengesetzte und in sich Widersprchliche. Erst in dieser Zuspitzung der Verschiedenheit beider ergibt sich ihre Einheit. Genauer gesagt, wird es sich als notwendig erweisen, von verschiedenen Formen von Einheit zu reden. So wird sich zum einen erweisen, dass bereits der Widerspruch eine erste Form der Einheit ist. Zum anderen aber ist er der „Wendungspunkt“232, der zu der vollentwickelten Einheit weiterfhrt. Entsprechend wird im Folgenden in einem ersten Schritt die Entwicklung von dem Beginn der zweiten Negation bis hin zu dem Widerspruch analysiert (II.2.4.1.). Sodann folgen einige Beobachtungen zu dem Widerspruch selbst (II.2.4.2.). Anschließend wird die Weiterentwicklung des Widerspruches dargelegt (II.2.4.3), ehe abschließend einige ausfhrlichere Bemerkungen zu der fr diese Arbeit besonders interessierenden Vollgestalt der Entwicklung vorgetragen werden (II.2.5.). 230 WL3, 296 (12, 245 f.). 231 So auch Fulda, „Begriffsbewegung“, 144. 232 WL3, 296 (12, 246).

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II.2.4.1. Das Besondere ist das Einzelne: die Entwicklung von der Verschiedenheit zum Widerspruch II.2.4.1.1. Das scheinbar Unmittelbare als das in Wahrheit Widersprchliche In dem weiteren Textverlauf nennt Hegel das Allgemeine auch das Erste oder das Positive. Das Besondere wird das Zweite, das Negative, das Vermittelte oder die zweite Bestimmung genannt. Wie im bergang von der ersten zur zweiten Negation dargelegt, kann das durch das Allgemeine vermittelte Besondere selbst als Unmittelbares genommen werden, „denn da das Erste in ihm untergegangen ist, so ist nur das Zweite vorhanden“.233 Aber so wie die Unmittelbarkeit des anfnglichen Anfangs nicht die Wahrheit des Allgemeinen war, so ist auch die Unmittelbarkeit des Besonderen nicht die Wahrheit der zweiten Bestimmung. Das Argument dafr wird mit folgendem Satz prsentiert: „Zunchst kann sie [die zweite Bestimmung] als einfache Bestimmung genommen werden, aber ihrer Wahrheit nach ist sie eine Beziehung oder Verhltnis; denn sie ist das Negative, aber des Positiven, und schließt dasselbe in sich“.234

Das Negative ist das Negative „des Positiven“: Hegels Argument rekurriert also auf die Genese des Negativen und damit auf das, was das Negative berhaupt erst als Negatives konstituiert. Das kann anhand der Terminologie der Aufhebung und mit Bezug auf die erste Negation analysiert werden. Denn als sich das Allgemeine in sein positives Resultat hinein aufhob, wurde zwar die Selbstndigkeit des Allgemeinen negiert, es ansonsten aber konserviert und subliert. Wird abstrakt allein der negierende Aspekt der Aufhebung betrachtet, so erscheint das Negative als einfache Bestimmung. Wird hingegen ihr konservierender und sublierender Aspekt mitbedacht und somit derjenige Aspekt, der das Negative aller erst in seiner Positivitt als eigene Entitt konstituiert, so erweist sich das Negative gerade nicht als eine einfache Bestimmung. Sie ist vielmehr eine „Beziehung“, da sie das Positive in sich schließt. Anders gesagt: Das Zweite ist berhaupt nur deshalb als einfache Bestimmung vorhanden, weil das Erste im Zweiten untergegangen ist. Somit aber ist das Zweite nicht etwas Einfaches, sondern die Beziehung ihrer selbst zu dem Ersten, das ihr wesentlich immanent ist. 233 WL3, 295 (12, 245). 234 WL3, 295 f. (12, 245).

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Mit dem nachfolgenden, sehr dichten Satz differenziert Hegel das bisher Entwickelte zuerst noch weiter aus und leitet sodann daraus die entscheidenden Konsequenzen ab: „Sie [die zweite Bestimmung] ist also das Andere nicht als von einem, wogegen sie gleichgltig ist – so wre sie kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhltnis –, sondern das Andere an sich selbst, das Andere eines Anderen; darum schließt sie ihr eigenes Anderes in sich und ist somit als der Widerspruch die gesetzte Dialektik ihrer selbst“.235

Zuerst wird nochmals die anfngliche Beschreibung der zweiten Bestimmung referiert. Weil das Erste in ihr untergegangen ist, scheint sie nur eine einfache Bestimmung zu sein und somit „Anderes von einem, wogegen sie gleichgltig ist“. Ist sie aber gleichgltig gegen ihr Anderes, so kann folgerichtig von ihr behauptet werden, berhaupt „kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhltnis“ zu sein. Wegen der Gleichgltigkeit fllt die Andersheit aus und mit der Andersheit die Relationalitt, so dass nur die einfache Bestimmung brigbleibt. Sie ist aber nicht die Wahrheit der zweiten Bestimmung. Anhand der Terminologie der Andersheit wird das gegen die Einfachheit vorgebrachte Argument in ußerster Verdichtung reformuliert.236 Entgegen der anfnglichen Beschreibung ist die zweite Bestimmung das Andere „nicht von einem, wogegen sie gleichgltig ist“, so dass sie eigentlich „kein Anderes“ wre. Vielmehr ist sie „das Andere an sich selbst, das Andere eines Anderen“. Das Anderssein ist der zweiten Bestimmung nicht gleichgltig, sondern es kommt ihr wesentlich zu, da „omnis determinatio negatio est“. Die zweite Bestimmung ist nur dadurch bestimmt, dass sie die Negation von einem Anderen ist. Sie ist nur dadurch sie selbst, dass sie Anderes negiert und somit selbst Anderes gegenber dem negierten Anderen ist: als „das Andere eines Anderen“. Weil „das Andere eines Anderen“ hier fr die Negationsbeziehung steht, kann es verstanden werden als das Andere gegen ein Anderes. Die Beziehung der beiden Entitten ist somit nicht die der Gleichgltigkeit, sondern die des Gegensatzes.237 235 WL3, 296 (12, 245). 236 Siehe zum folgenden auch Fulda, „Begriffsbewegung“, 146. 237 In diesem Teil des Satzes und gerade in dem Ausdruck des „Anderen an sich“ schwingt noch eine zweite Bedeutung mit, die das bisher Gesagte untersttzt. Wie aus der Seinslogik zu entnehmen ist, ist der Ausdruck des „Anderen an sich“ auch ein terminus technicus und bedeutet dann „das Andere seiner selbst“: Das „Andere an sich“ und das „Andere seiner selbst“ sind Wechselbegriffe. Diese Bedeutung als terminus technicus kann nicht nur aus den seinslogischen, sondern parallel auch aus den eben beschriebenen berlegungen abgeleitet werden. So

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Doch der Ausdruck des „Anderen eines Anderen“ birgt neben dem Gegensatz- auch ein Implikationsverhltnis in sich. Denn der Satz verweist nicht nur darauf, dass die zweite Bestimmung das Andere eines Anderen ist, weil nur durch die Negationsbeziehung das eigene Sein gesichert ist. Vielmehr verweist der Ausdruck auch darauf, dass die zweite Bestimmung das Andere eines Anderen ist, also das Andere von genau einem ganz bestimmten Anderen: Sie ist das Andere desjenigen Anderen, durch das sie konstituiert wird. Dasjenige Andere aber, durch das sie konstitutiert wird, konserviert und subliert sie, da sie nur so ihre Bestimmung erhlt und dadurch sie selbst ist. Daher impliziert sie ihr Anderes.238 Entsprechend kann Hegel konstatieren, dass die zweite Bestimmung „ihr eigenes Anderes in sich schließt“. Die bisherige Entwicklung legte dar, dass die zweite Bestimmung der ersten gegenber nicht gleichgltig ist, sondern dass sie wesentlich das Andere ihres Anderen ist. Damit ist zweierlei gesagt. Zum einen ist die zweite Bestimmung das Andere gegen ihr Anderes und schließt ihr Anderes von sich aus, weil sie nur durch diese Negationsbeziehung sie selbst ist. Weil aber ihr Anderes das sie konstituierende Andere ist, schließt sie zum anderen ihr Anderes wesentlich in sich ein, weil sie nur durch diese Implikation sie selbst ist. Um diese Struktur mit einem Zitat aus der Wesenslogik zu beschreiben, so kann auf die Formulierung verwiesen werden, die besagt, dass sie „in derselben Rcksicht, als sie die andere behauptet die zweite Bestimmung von sich, gleichgltig und daher kein Anderes zu sein. In Wahrheit aber ist sie Teil einer Relationsbeziehung und somit das Andere ihrer: das Andere dessen, was sie von sich anfnglich behauptet hat. Dass etwas das „Andere an sich“ ist, meint somit nicht nur, dass ihm sein Anderssein wesentlich zukommt, sondern auch, dass er deshalb das Andere seiner ist. Entsprechend kçnnte man darlegen, dass die zweite Bestimmung das „Andere an sich selbst“, also das Anderer ihrer, ist, weil sie nicht gleichgltig, sondern „das Andere eines Anderen“ ist, also in einem Gegensatzverhltnis ist. – Zu dem Bezug auf die Seinslogik siehe Schfer, Die Dialektik, 263 f. Weil Schfer nicht nur die erste, sondern auch die zweite Ausgabe der Seinslogik, WL1B, 113, (21, 106) hinzuzieht, in der auch „das Andere des Anderen“ mit dem „Anderen an sich“ und dem „Anderen seiner selbst“ parallelisiert wird, erwgt Schfer berhaupt nicht mehr die erste von uns vorgefhrte Lesart des Satzes. Damit berhçrt er nicht nur die im Satz angelegte Entwicklung, sondern kann auch das „darum“ nach dem Semikolon nicht erklren. 238 Indem auf die Genese der zweiten Bestimmung verwiesen wird, wird zudem ein weiteres Argument dafr vorgetragen, dass der zweiten Bestimmung ihr Anderssein wesentlich zukommt. Denn sie ist nur dadurch berhaupt entstanden, dass sie das Andere ihres bestimmten, sie konstituierenden Anderen ist. So aber kommt ihr Anderssein ihr schon durch ihre Genese wesentlich zu.

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enthlt und dadurch selbstndig ist, die andere ausschließt“.239 Daraus folgert Hegel in der absoluten Idee dasselbe, was er auch aus der eben angefhrten Strukturbeschreibung der Wesenslogik folgert und was auch mit der Tradition daraus zu folgern ist. Da die zweite Bestimmung „ihr eigenes Anderes“, das ihr als ihr Anderes entgegengesetzt ist, zugleich als das sie konstituierende Andere „in sich schließt, ist sie somit der Widerspruch“.240 II.2.4.1.2. Die Entwicklung und ihre Widersprche In einem einzigen Satz erweist Hegel somit, dass die zweite Bestimmung der ersten gegenber nicht gleichgltig ist, sondern dass sie in Wahrheit in einer so gearteten Beziehung zu der Ersten steht, dass sie der Widerspruch ist. Wenn im Folgenden der bereits einmal ausgelegte Satz nochmals, nun aber unter der Perspektive des Widerspruches, betrachtet werden soll, so wird deutlich werden, dass der Widerspruch in dem besagten Satz nicht nur einmal, sondern gleich drei Mal auftaucht, zweimal implizit und am Schluss dann explizit. Die beiden impliziten Widersprche entsprechen dem Widerspruch in der ersten Negation. Es sind Widersprche, die den oben unter II.2.3.3.2. dargelegten allgemeinen Charakteristika des Widerspruches entsprechen. Der dritte, explizite Widerspruch entspricht nicht nur den allgemeinen Charakteristika des Widerspruches, sondern darber hinaus den speziellen Charakteristika des wesenslogischen Widerspruches, oder er entspricht dem Widerspruch, verstanden als terminus technicus fr das wesenslogische Kapitel des „Widerspruches“. Wie in dem wesenslogischen Kapitel selbst, so liegt auch hier schließlich ein vollstndig entwickeltes Anderes vor, welches die zweite Bestimmung sowohl in sich ein- wie aus sich ausschließt. Wird der Satz nun nochmals betrachtet, so wird es sich als erhellend erweisen, die Beobachtungen zu den ihm zukommenden Widersprchen zu verbinden mit einem Vorgehen, das sich bereits mehrfach als hilfreich erwies: Es soll die Entwicklung in der absoluten Idee mit der der Wesenslogik parallelisiert werden. Dabei wird zu beobachten sein, dass Hegel das Kunststck vollbringt, innerhalb von nur einem Satz die begriffslogische Entwicklung von drei Unterkapitel der Wesenslogik darzustellen. Der Satz beginnt in demjenigen Stadium, das bereits im bergang von der ersten zur zweiten Negation erreicht wurde. Wurde dieses Sta239 WL2, 50 f (11, 279). 240 WL3, 296 (12, 245).

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dium schon oben unter II.2.3.6. mit der wesenslogischen „Verschiedenheit“ parallelisiert, so gilt diese Parallelitt entsprechend fr den Beginn des Satzes. Indiz dafr ist nicht nur die beschriebene Beziehungsstruktur zwischen den beiden Bestimmungen, sondern auch das Auftauchen des Stichwortes der „Gleichgltigkeit“ zu Beginn des Satzes: Denn dieses Stichwort beschreibt nicht nur die Beziehungsstruktur zwischen den beiden Bestimmungen auf angemessene Weise, sondern es fungiert hier wie in der Wesenslogik selbst als das entscheidende Signalwort, das anzeigt, dass die Struktur der Verschiedenheit vorliegt.241 Diese aber erweist sich als widersprchlich. Denn obwohl die zweite Bestimmung von sich behauptet, der ersten gegenber gleichgltig zu sein, impliziert sie eine Negationsbeziehung zu ihr, weil sie nur durch diese Negationsbeziehung bestimmt ist. Es liegt somit ein Widerspruch vor zwischen dem, was die zweite Bestimmung ausdrcklich von sich behauptet und dem, was sie implizit ist. Der Widerspruch aber kann nicht bestehen; er erweist sich auch hier als Motor des Systems. Er treibt der Satz zu einer Struktur fort, bei der die zweite Bestimmung das ausdrcklich von sich behauptet, was ihr immer schon implizit ist. Diese neue Struktur entspricht der des wesenslogischen „Gegensatzes“. Der „Gegensatz“ zeichnet sich dadurch aus, dass sich die beiden Bestimmungen nicht mehr gleichgltig gegenberstehen, sondern sich darin bewusst werden, dass sie in einer fr sie konstitutiven Negationsrelation stehen. Das entscheidende Indiz dafr ist wiederum nicht nur die beschriebene Struktur, sondern ein weiteres Signalwort, das sowohl fr die Charakterisierung des wesenslogischen Gegensatzes wie fr das erreichte Stadium im Satz von entscheidender Bedeutung ist, also die geradezu inflationre Verwendung des Wortes des „Anderen“.242 Der Gebrauch des Wortes des „Anderen“ ist fr die verhandelte Sache besonders treffend, weil dem Wort eine performative Qualitt zueigen ist. Bei dem Lesen der Ausdrcke des „Anderen nicht als von einem, wogegen sie gleichgltig ist […], sondern das Andere an sich selbst, das Andere eines Anderen“ entsteht eine Verwirrung: Welche Entitt ist jetzt welche, und welche ist wessen Anderes? Diese Verwirrung ist performativer Ausdruck der inhaltlich wesentlichen Verwiesenheit, die in dem „Gegensatz“ zwischen den Bestimmungen besteht.243 Als Relate dieses Gegensatzes sind die beiden Bestimmungen auch schon in dem 241 Siehe WL2, 35 (11, 267). 242 Siehe dazu auch WL2, 44 (11, 273 f.). 243 Das Moment der Verwirrung wird von Fulda, „Begriffsbewegung“, 152 f., nher beschrieben.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Satz bezeichnet worden, der dem Satz vorangeht. Denn die Bezeichnung, dass die zweite Bestimmung „das Negative, aber des Positiven“ sei, benutzt mit dem „Negativen“ und dem „Positiven“ bereits Termini des Gegensatzkapitels.244 Auch dieser Gegensatz aber erweist sich als widersprchlich. Denn bisher behauptet die zweite Bestimmung, nur im Gegensatz zu ihrem Anderen zu stehen, obwohl ihr das sie konstituierende Andere zugleich wesentlich implizit ist. Dieser zweite, ebenfalls von Hegel nicht explizit gemachte Widerspruch treibt die zweite Bestimmung dazu anzuerkennen, dass sie „ihr eigenes Anderes“, das ihr entgegengesetzt ist, zugleich „in sich schließt“. Damit aber ist die Struktur des „Gegensatzkapitels“ verlassen und eine Struktur erreicht, die der des wesenslogischen Kapitels des „Widerspruches“ entspricht.245 Innerhalb eines Satzes und anhand der Darlegung der impliziten Entwicklung von nur einem Relat des Voraussetzungsverhltnisses hat Hegel also die Entwicklung von der Struktur der Verschiedenheit zu der des Widerspruches als terminus technicus vorangetrieben.246 II.2.4.2. Der Widerspruch als Motor und als erste Form der Einheit II.2.4.2.1. Der Widerspruch als Motor der gesamten Entwicklung Kaum ist der Widerspruch explizit gemacht, so widmet ihm Hegel eine geradezu hymnische Beschreibung, die seine Funktion im Gesamtsystem erklrt. Einer der Wechselbegriffe des „Widerspruches“ ist die „negative Beziehung auf sich“, da der Widerspruch das ihm entgegengesetzte Andere zugleich wesentlich in sich schließt und somit das Andere seiner 244 Siehe dazu WL2, 43 (11, 273). 245 Hiermit wenden wir uns gegen die Auslegung Schfers, Die Dialektik, 270 – 273, die behauptet, dass hier gegen Hegels Selbstaussage kein Widerspruch vorliegt. Schfer entwickelt den Widerspruch vom Gegensatz her und scheint zwei Definitionen des Widerspruches zu vermengen. Der Widerspruch kann entweder als die Einheit Entgegengesetzter gefasst werden oder so, dass etwas ein Anderes in derselben Hinsicht zugleich zukommt und nicht zukommt. So kommt dem Positiven das Negative in derselben Hinsicht zu und nicht zu, und weil es ihm auch zukommt, ist es die Einheit Entgegengesetzter, so dass dem Positiven positives und negatives zukommt. Schfer aber meint, dass ein Widerspruch laut Hegel so zu fassen wre, dass das Positive in derselben Hinsicht positiv zu sein habe, wie es negativ ist, und weil das nicht der Fall ist, liege kein Widerspruch vor. 246 Auch wenn dieser Satz recht verknappt ist, so kann gegen Schfer, Die Dialektik, 267, dennoch keine Rede davon sein, dass „es unklar bleibt, wie der Widerspruch im Einzelnen thematisch gesetzt wird“.

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selbst ist.247 Die hymnische Beschreibung benennt den Widerspruch als die „negative Beziehung auf sich“ und besagt, dass „die negative Beziehung auf sich der innerste Quell aller Ttigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele“ ist.248 Bereits in II.2.3.3.2. wurde heraus gearbeitet, dass die negative Beziehung auf sich oder der Widerspruch nichts statisches ist, sondern der Quell von Ttigkeit, von Bewegung. Diese Aussage wird in dem Zitat besttigt und erweitert, denn hier wird der Widerspruch als der innerste Quell aller Ttigkeit benannt.249 Dem Widerspruch werden somit zwei gnzlich unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben: Er ist nicht nur der Quell all derjenigen Ttigkeiten, die eine anfngliche Einfachheit als Schein erweisen und in eine immer extreme Differenz bis hin zu dem Widerspruch als eigenes Stadium hineinfhren. Sondern er ist auch der Quell aller folgenden Ttigkeiten, die durch die Differenz zu der vollentwickelten Form der Einheit fhren.250 Um die zweite Wirkung genauer zu explizieren, sei darauf verwiesen, dass die vollentwickelte Einheit nur durch die Verschrfung der Gegenstze, nur durch den Widerspruch hindurch zu erreichen ist: nur dadurch entwickelt sich der Gegensatz des Gegensatzes, also die Einheit. Dabei ist die Einheit nicht erst jenseits des Widerspruches zu finden, in einer sturmfreien Zone außerhalb der Negativitt. Vielmehr liegt sie bereits in dem Widerspruch selbst und wird durch die Entwicklung des Widerspruches hindurch ganz sie selbst. Genauso ist aber zu betonen, dass sich durch den Widerspruch hindurch wirkliche

247 Siehe dazu auch WL2, 52 (11, 280), wo die beiden Ausdrcke in folgendem Satz parallel gebraucht werden: „Dies ist also derselbe Widerspruch, der das Positive ist, nmlich Gesetztsein oder Negation als Beziehung auf sich“. 248 WL3, 296 (12, 246). 249 Wenn diese Feststellung fr das gesamte System gilt, so wird auch diejenige Grundsatzentscheidung unserer Auslegung erneut begrndet, die darin bestand, schon die erste Begriffsbewegung des anfnglichen Anfangs (und dann alle weiteren) anhand der Terminologie des Widerspruches zu rekonstruieren. 250 In einer Hinsicht entsprechen unsere Ausfhrungen somit denen von Henrich, „Hegels Grundoperation“, der die gesamte WL als die Selbstbewegung der Negation darstellt. Gegen den Vorwurf des Schematismus etwa von Seiten Bubners, Zur Sache, 67, Anm. 13, ist festzuhalten, dass es erhellend und fr die Erkenntnis des Zusammenhangs der WL von Wichtigkeit ist, diese Grundoperation herauszuarbeiten. Hingegen ist Hçsle, Hegel, 205 f., in seiner Kritik an Henrich darin rechtzugeben, dass sich aus der Negation oder dem Widerspruch heraus positive Selbstbezge ergeben und diese fr Hegels System von fundamentaler Wichtigkeit sind.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Einheit entwickelt. Beide Aspekte sind zusammengenommen in dem berhmten und programmatischen Zitat aus der Vorrede zur PhG: „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwstung rein bewahrt, sondern das ihn ertrgt, und in ihm sich erhlt, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“.251

Wenn Hegel in der absoluten Idee das jetzt erreichte Stadium des Widerspruches als terminus technicus an exponierter Stelle als den „Wendungspunkt“252 hin zu der neuen, vollentwickelten Einheit bezeichnet, so zielt er damit auf zweierlei ab. Zum einen erinnert er an den eben dargelegten Sachverhalt und sagt, dass die neue, vollentwickelte Einheit nur durch den gesetzten Widerspruch hindurch erreicht wird. Somit ist der gesetzte Widerspruch als die entwickeltste Form der Differenz der Wendungspunkt hin zur vollentwickelten Einheit. Zum anderen wird sich erweisen, dass der Widerspruch selbst bereits eine erste Form von Einheit ist. Beides sei im Folgenden genauer dargelegt. II.2.4.2.2. Der Widerspruch als Totalitt Die eben ausgelegte Beschreibung des Widerspruches als „negative Beziehung auf sich“ beginnt damit, dass die negative Beziehung auf sich als „einfacher Punkt“ charakterisiert wird. Mit der Betonung der Einfachheit wird einerseits vorgreifend darauf abgezielt, dass hiermit der Wendungspunkt hin zu derjenigen neuen, vollentwickelten Einfachheit erreicht ist, die im letzten als „einfache Beziehung auf sich“ zu charakterisieren sein wird.253 Andererseits wird damit betont, dass der Widerspruch selbst eine erste Form der Einheit ist. Dies wird ersichtlich, wenn die Definition des Widerspruches vergegenwrtigt wird. Mit der absoluten Idee ist er konstituiert durch „die entgegengesetzten Bestimmungen in einer Beziehung“.254 Oder, aus der Perspektive der Relate betrachten, so kann mit der absoluten Idee angefhrt werden, dass in dem nun erreichten Stadium und anders als im Unterschied jede Entitt „ihr eigenes Anderes in sich“ schließt. Somit aber ist jedes der Relate die ge-

251 PhG, 26. 252 WL3, 296 (12, 246). 253 Siehe WL3, 299 (12, 248). Zu dem Aspekt der hier einsetzenden Einfachheit siehe auch Fulda, „Begriffsbewegung“, 147. 254 WL3, 296 (12, 246).

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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samte Struktur, oder jedes der Momente ist Totalitt.255 Die Enzyklopdie drckt die Entwicklung dergestalt aus, dass „der Unterschied“ dadurch „sein Recht erhlt, indem jedes der beiden Unterschiedenen sich an ihm selbst betrachtet zur Totalitt vollendet und darin sich zur Einheit mit dem andern bettigt. Nur das Sichaufheben der Einseitigkeit beider an ihnen selbst lßt die Einheit nicht einseitig werden“.256 Somit ist die erste Form der Einheit nichts anderes als die jeweilige Entitt im Stadium des Widerspruches. In der absoluten Idee wird die so erreichte Einheit nicht mit dem in der Enzyklopdie gebrauchten Ausdruck der Totalitt beschrieben, sondern durch eine Anzahl anderer Ausdrcke. Der sicherlich prominenteste ist ein begriffslogischer: Das Besondere, das das Allgemeine in sich schließt, ist das Einzelne. Die bisherige Entwicklung ist somit nicht nur die von dem Unmittelbaren ber das Vermittelte zum Widerspruch als dem Vermittelnden, sondern dabei auch die von der Allgemeinheit ber das Besondere hin zu der Negation des Besonderen in der Einzelheit. Ein weiterer Ausdruck verweist nochmals auf die Genese der ersten Einheit und benennt diese daher als „das zweite Negative, das Negative des Negativen“.257 Das Besondere ist das erste Negative, weil es die Negation der ersten Position ist, die Negation des anfnglichen Allgemeinen. Nun wird diese erste Negation selbst negiert. Denn weil das Besondere das Allgemeine doch gerade auch impliziert, wird negiert, dass das Besondere das Allgemeine bloß negiert.258 Anhand der Negationsterminologie wird zudem noch ein zustzlicher Aspekt des Geschehens deutlich, sind doch auch hier wiederum Formen von Selbstbezglichkeit und daher die Subjektivittsstruktur vorhanden. Zum besseren Verstndnis dessen kçnnen zwei Erklrungen angefhrt werden. So sei zum ersten bedacht, dass die zweite Negation przise die Selbstnegation der ersten ist, so dass die erste Negation sich von sich 255 Die Vermittlung der Relate wird in der Wesenslogik anhand der Vermittlung der dort „das Positive“ und das „Negative“ genannten Relate genauer vorgefhrt; siehe dazu im Einzelnen II.2.4.3.1. 256 Enz., §241, 195 (20, 230). 257 WL3, 296 f. (12, 246). 258 Wie wir sahen, wird das Besondere dadurch konstituiert, dass es das Allgemeine in sich aufhebt und so bestimmt ist. Zugleich aber wird das Besondere dadurch als das Besondere zerstçrt und zum Einzelnen – daher kann Hegel in der subjektiven Begriffslogik an der Stelle, an der er das Einzelne einfhrt, dieses das „bestimmte Bestimmte“ nennen, siehe WL3, 53 (12, 49).

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unterscheidet.259 Mit dieser Selbstbezglichkeit aber liegt wiederum die Struktur von Subjektivitt vor. Somit kann die Selbstkontinuierung der absoluten Subjektivitt bereits im Prozess der Konstitution der ersten Form der Einheit aufgewiesen werden und sodann in dieser Einheit selbst. Besagter Sachverhalt kann zum zweiten aber auch dadurch erklrt werden, dass die Negation der Negation als spezieller Fall der berall aufzuweisenden Struktur des (zumeist impliziten) Widerspruchs anzusehen ist. Ist der Widerspruch als „negative Beziehung auf sich“ zu fassen, so erklrt sich aus dieser Strukturbeschreibung, warum die vorher ausgelegte, hymnische Beschreibung des Widerspruchs auch als „Selbstbewegung“ bezeichnete. Mit der „Selbstbewegung“ ist nicht nur auf die ureigenste Bewegung der Dinge selbst verwiesen, sondern auch darauf, dass sich in der negativen Beziehung auf sich ein Selbst bewegt, das seine Kontinuitt gerade durch die reflexive Struktur des Widerspruches erhlt. In und durch die Bewegung hindurch wird ein Selbst es selbst, oder durch die negative Beziehung auf sich wird die absolute Subjektivitt zu sich, und die Negation der Negation ist nur ein besonders ausgeprgter Fall dessen. Dennoch ist mit dem gesetzten Widerspruch als der ersten Form der Einzelheit weder die Vollstruktur der Subjektivitt noch die vollentwickelte Form der Einzelheit und Einheit gesetzt. Diese wird erst in dem nchstfolgenden Schritt gesetzt, der durch die Aufhebung des Widerspruchs die vollentwickelte Einheit bringt. II.2.4.3. Die Auflçsung des Widerspruches – vom Wendungspunkt bis zur vollentwickelten Einheit Schienen die beiden Totalitten bisher in sich ruhende, statische Entitten zu sein, so wird sich die zweite Einheit gerade dadurch ergeben, dass sich diese Statik als Schein erweist und in eine besondere Form der Vermittlungsbewegung berfhrt wird, die die neue Einheit ist. Um den Grund fr die sich einstellende Dynamik in wesenslogischer Terminologie zu beschreiben, so liegt er darin, dass der Widerspruch nicht bestehen kann, sondern nur als sich immer schon auflçsender sein Dasein hat. Daher verbindet die absolute Idee die Negation der Negation als den Widerspruch sogleich mit dem Aufheben des Widerspruchs – nur so kann der Widerspruch wirklich als „Wendungspunkt“260 der Entwicklung 259 Siehe dazu auch Schfer, Die Dialektik, 265 f. 260 WL3, 296 (12, 246).

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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bezeichnet werden. Fr diesen Vorgang gibt es in der hier gebrauchten Negationsterminologie eine eigene Formulierung. Wurde der Widerspruch als die Negation der Negation bisher als „negative Beziehung auf sich“ bezeichnet, so wird er nun die „Beziehung des Negativen auf sich selbst“ genannt.261 Denn der Widerspruch als die negative Beziehung auf sich wendet nun zugleich seine eigene Negativitt gegen sich, so dass sich der Widerspruch zugleich auflçst und damit die „Beziehung des Negativen auf sich selbst“ vorliegt. Weil der Widerspruch immer sich auflçsender Widerspruch ist, kommt es zu der Gleichsetzung beider in dem Satz der absoluten Idee, in dem es heißt: „Das zweite Negative, das Negative des Negativen, zu dem wir gekommen, ist jenes Aufheben des Widerspruches“. Als sich auflçsender erreicht der gesetzte Widerspruch eine neue, vollentwickelte Form der Einheit, die in der absoluten Idee folgendermaßen bestimmt wird: Wenn man die beiden Totalitten nicht Allgemeines und Besonderes nennt, sondern Unmittelbarkeit und Vermittlung, so lsst sich sagen, dass die Einheit „ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung ist; aber diese Formen des Urteils: das Dritte ist Unmittelbarkeit und Vermittlung, oder es ist die Einheit derselben, ist nicht vermçgend, es zu fassen, weil es nicht ein ruhendes Drittes, sondern eben als diese Einheit die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Ttigkeit ist. – Wie das Anfangende das Allgemeine ist, so ist das Resultat das Einzelne, Konkrete, Subjekt“.262

Es wird sich also erweisen, dass die beiden Entitten nicht statisch sind, sondern dass sie vielmehr in Bewegung sind, und zwar in einer Bewegung, die sich mit sich selbst vermittelt. Gerade der recht verstandene Aspekt dieser Selbstvermittlung wird sich als wesentlich fr die neue Einheit herausstellen. Denn die beiden Entitten vermitteln sich nicht nur von sich aus mit ihrem Anderen. Vielmehr vermitteln sie sich, indem sie sich mit der Anderen vermitteln, gerade auch mit sich selbst. Die Vermittlung mit dem Anderen stellt sich als Vermittlung mit sich selbst heraus, weil die Vermittlung darin besteht, dass die eine Entitt sich 261 WL3, 297 (12, 246). Zur genaueren Auslegung dieser Negationsterme siehe Iber, Subjektivitt, 180 f., der besonders die innere Verbindung des Widerspruch und seiner Aufhebung betont und darin sowohl die berwindung all solcher Positionen sieht, die eine unmittelbare Positivitt fordern, als auch die berwindung sich verabsolutierender Negativitt etwa im Skeptizismus. Dass der Widerspruch sich zugleich immer auch schon aufhebt, benennt auch Schfer, Die Dialektik, 284. 262 WL3, 299 (12, 248).

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jeweils zu ihrem Anderen macht, mit dem sie sich vermittelt. Weil sie selbst so ihr Anderes ist, ist ihre Vermittlung mit dem Anderen Selbstvermittlung, „sich mit sich vermittelnde Bewegung“. So besteht eine neue Form der Identitt zwischen dem Eigenen und dem Anderen, und es ist eine neue Form der Einheit erreicht. Ist die neue Einheit dadurch konstituiert, dass in dem Fremdbezug Selbstbezug vorliegt und Selbstbezug nur im Fremdbezug, so ist damit zugleich der Grund dafr angegeben, dass die dann erreichte Einheit der vollentwickelte logische „Bildner“ fr Subjektivitt und letztlich fr die in der vorliegenden Untersuchung interessierende Frage nach den zwei Naturen ist. Um die vollentwickelte Form der Einheit genauer zu verstehen, ist es hilfreich, in einem ersten Schritt ihre Genese als die Auflçsung des Widerspruches zu rekonstruieren. War die absolute Idee schon manches Mal recht knapp in der Darlegung der sich entwickelnden Rationalitt, so ist sie hier kurz bis an die Grenze der Unverstndlichkeit. Denn sie bietet nicht mehr Hinweise als die eben angefhrten operativen Begriffe in der Negationsterminologie und den Verweis auf die Auflçsung des Widerspruches.263 Um zustzliche Klarheit ber die hier interessierenden Ablufe zu erlangen, soll im Folgenden ein weiteres Mal ein etwas ausfhrlicherer Exkurs in die Wesenslogik erfolgen als an denjenigen Ort, der die Auflçsung des Widerspruches eigens expliziert. II.2.4.3.1. Die Auflçsung des Widerspruches in der Wesenslogik Die Rekonstruktion der Wesenslogik wird an demjenigen Punkt wieder aufgenommen, an dem sie unter II.2.3.3. beendet wurde. Auch wenn es im Folgenden um das negative Resultat des Widerspruches und vor allem um die neue Form von Einheit als das positive Resultat des Widerspruches geht, so muss doch zuerst noch einmal der Widerspruch selbst genauer prsentiert werden. Denn beide Resultate sind direkte Implikate des sich auflçsenden Widerspruches, nicht aber davon zu trennende, eigenstndige Entitten, die dann auch ohne den sich auflçsenden Widerspruch darzustellen wren. Deshalb wird im Folgenden in drei Schritten vorgegangen: In einem ersten wird nochmals der Widerspruch prsentiert, nun aber, darin teils weitergehend als in der Darlegung in II.2.3.3., aus der Perspektive des Positiven und des Negativen als der beiden selbstndigen Entitten. In einem zweiten Schritt wird das darin 263 Dass Hegel an diesem Punkte knapp bis zur Unverstndlichkeit ist, betont auch Schfer, Die Dialektik, 267.

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vorhandene negative Resultat vorgefhrt, ehe abschließend in einem dritten Schritt die neue Identitt oder die neue Einheit als das positive Resultat vorgefhrt wird. Die damit erreichte Struktur soll dann auf die neue, vollentwickelte Einheit der absoluten Idee bertragen werden. Selbstndige, so wurde unter II.2.3.3. dargelegt, schließen ihr Anderes aus und ein und sind gerade deshalb der Widerspruch. Oder, um mit der Terminologie der Enzyklopdie und der absoluten Idee zu sprechen: Die beiden Bestimmungen sind je Totalitten und darin widersprchlich. Wurde die Totalitt in der absoluten Idee anhand der dort auftauchenden, begriffslogischen Entitten des Allgemeinen und des Besonderen entwickelt, so wird sie im Folgenden nochmals anhand der wesenslogischen Entitten des Positiven und des Negativen entwickelt. Das Ein- und Ausschließen des Positiven wurde bereits unter II.2.3.3. rekonstruiert, so dass hier nur daran zu erinnern ist. Das Ein- und Ausschließen wurde von dem Ausschließen des Positiven her entwickelt. Das Ausschließen kommt dem Positiven wesentlich zu, weil das Positive „das Gesetztsein als in die Gleichheit mit sich reflektiert [ist]; das Gesetztsein, das nicht Beziehung auf Anderes ist, das Bestehen also, insofern das Gesetztsein aufgehoben und ausgeschlossen ist“.264

Nun erfolgt die Einsicht, dass Ausschließen immer schon eine Form von Gegensatzverhltnis impliziert, das hier als „Gesetztsein“ benannt wird: „Damit aber macht sich das Positive […] zu einem Gesetztsein“.265 Denn es steht als das Positive gerade im Gegensatz zu dem Negativen und ist so selbst ein Negatives, nmlich das Negative des Negativen. „So ist der Widerspruch, daß es als das Setzen der Identitt mit sich durch Ausschließen des Negativen sich selbst zum Negativen von einem macht“.266 Der eben zitierte Satz endet mit der daraus folgenden Konsequenz: Das Positive macht sich „also zu dem Anderen, das es von sich ausschließt“.267 Der hier auftretende Verlauf erinnert somit an den Anfang der absoluten Idee, in dem sich herausstellte, dass das anfngliche Allgemeine das Andere seiner ausschließt und gerade so als „schon gesetzt als mit einer Negation behaftet“268 das Besondere ist. 264 WL2, 51 (11, 279). Siehe zum folgenden auch Iber, Metaphysik, 456 f. und Wolff, Der Begriff, 151 f. 265 WL2, 51 (11, 279). 266 WL2, 51 (11, 280). 267 WL2, 51 (11, 280). 268 WL3, 289 (12, 240).

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Das Negative als die andere selbstndige Reflexionsbestimmung wird als Gegenstck zu dem Positiven eingefhrt. Wurde dieser als „Gesetztsein als in die Gleichheit mit sich“ definiert, so ist das Negative „fr sich betrachtet gegen das Positive das Gesetztsein als in die Ungleichheit mit sich reflektiert“, d. h., einfacher ausgedrckt, „das Negative als Negatives“.269 Auch das Negative zeigt sich als der Widerspruch, weil es sein Anderes ein- und ausschließt.270 Die Argumentation dafr wird mit folgendem Satz vorgebracht: „Aber das Negative ist selbst das Ungleiche, das Nichtsein eines Anderen; somit ist die Reflexion in seine Ungleichheit vielmehr seine Beziehung auf sich selbst“.271 Das Negative schließt das Positive aus oder ist „Reflexion in seine Ungleichheit mit sich“. In diesem Ausschließen aber entspricht es ganz dem, was es ist: nmlich als Negatives eben „Nichtsein seines Anderen“ zu sein. Indem es aber gerade in seinem Ausschließen sich entspricht, liegt im Ausschließen eine positive „Beziehung auf sich selbst“ vor. Diese Selbstbeziehung ist das Positive, das das Negative enthlt. Pointiert kann Hegel den Widerspruch des Negativen daher so formulieren: „Es ist dies, gegen die Identitt identisch mit sich zu sein“.272 Als der Widerspruch lçst sich das Negative auf, oder es kommt zu der Selbstaufhebung des Selbstndigen. Und wiederum lçst sich das Selbstndige nicht in Nichts auf, sondern resultiert in etwas Bestimmtem, dem Positiven. Es ergibt sich somit ein Kreislauf, der darin besteht, dass das Positive gerade als Positives zum Negativen wird, und dass das Negative gerade als Negatives Positives ist, und so weiter, „jedes ist schlechthin das bergehen oder vielmehr das sich bersetzen seiner in sein Gegenteil“.273 In dem Prozess des bergehens gibt es allerdings eine Differenz zwischen dem Positiven und dem Negativen: Das Positive ist zuerst das Positive und wird dann das Negative, whrend das Negative bereits als Negatives das Positive ist.274 Die Gleichheit mit sich wird zur Ungleichheit, whrend die Ungleichheit bereits eine Form der Gleichheit ist.275 Dieselbe Struktur kann wiederum mit der dargelegten Struktur des 269 WL2, 51 (11, 280). 270 Siehe zum folgenden auch Iber, Metaphysik, 458 – 463, sowie Wolff, Der Begriff, 152 f. 271 WL2, 52 (11, 280). 272 WL2, 52 (11, 280). 273 WL2, 52 (11, 280). 274 Hegel benennt diesen Unterschied als den zwischen dem Positiven als „an sich dieser Widerspruch“ und dem Negativen als dem „gesetzten Widerspruch“, siehe WL2, 52 (11, 280) sowie Iber, Metaphysik, 461 f. 275 Siehe dazu auch Iber, Metaphysik, 461 f.

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Allgemeinen und des Besonderen in der absoluten Idee parallelisiert werden: So wie das Positive zum Negativen wird, so wird das Allgemeine zum Besonderen, whrend nicht nur das Negative das Positive, sondern auch das Besondere sein Allgemeines bereits in sich trgt. Um zusammenzufassen, so ist in zweifacher Hinsicht ber die Ausgangssituation in der absoluten Idee hinausgegangen. Stellten sich die beiden Totalitten oder die beiden widersprchlichen Selbstndigen der absoluten Idee als statische Entitten dar, so zeigt die Rekonstruktion der wesenslogischen Selbstndigen nochmals, dass der Widerspruch nur als ein sich auflçsender sein Dasein hat. Die Statik beider Totalitten tritt nur als Schein auf. Er ist zwar ein notwendiger Schein, welcher der Selbstndigkeit der Totalitten entspricht, aber dennoch bloß ein Schein, da die Selbstndigkeit in Wahrheit immer schon aufgehoben ist, oder das Auftreten der Selbstndigen fllt mit ihrer Selbstaufhebung in eins.276 Zugleich aber fhrt die Selbstaufhebung der Selbstndigen dazu, dass sie zum Anderen ihrer wird: „Jedes ist schlechthin das bergehen oder vielmehr das sich bersetzen seiner in sein Gegenteil“.277 Mit der soweit vorgefhrten Entwicklung kann zu den nchsten beiden Schritten fortgegangen und das negative sowie, schließlich, das positive Resultat als die neue Einheit oder Identitt vorgefhrt werden. Hegel entwickelt das negative und das positive Resultat unter der Unterberschrift des Widerspruchskapitels als „2. Der Widerspruch lçst sich auf“, ehe er in einem dritten Unterabschnitt das positive Resultat eigens nher darlegt. Wie bereits mehrfach erwhnt, hat der Widerspruch nur als auflçsender sein Dasein, so dass die im zweiten und dritten Unterabschnitt verhandelten Beobachtungen Beobachtungen an denjenigen Strukturen sind, die bereits implizit oder sogar explizit vorhanden sind.278 Ist damit erklrt, dass die beiden Resultate aufs engste mit den bisherigen Ausfhrungen verbunden sind, so gilt es noch anzudeuten, dass auch die beiden Resultate untereinander aufs engste vermittelt sind. Darauf weist nicht nur bereits die Terminologie Hegels hin, die das negative Resultat als ein „zugrunde gehen“ fasst, das positive aber als das „Zurckgehen in den Grund“.279 Sondern auch die im Folgenden dar276 Zu der Notwendigkeit des Scheins der Selbstndigen siehe auch Iber, Metaphysik, 470. 277 WL2, 52 (11, 280). 278 Dementsprechend schreibt Hegel, WL2, 52 (11, 281), dass „der Widerspruch nicht bloß das Negative, sondern auch das Positive [gemeint ist: das negative und positive Resultat] enthlt“. 279 WL2, 54 (11, 282).

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zulegenden Struktur verweist darauf, die darin besteht, dass nicht nur das positive Resultat ein Implikat des negativen ist, sondern auch das negative erst in Gnze bei der Darlegung des positiven entwickelt werden wird. Beginnt die Auslegung mit dem negativen Resultat als dem Zugrundegehen der vorliegenden Struktur, so ist die Verbindung von Resultat und bisher dargelegter Struktur besonders offensichtlich. Denn das negative Resultat reformuliert nur, was bereits explizit vorhanden ist. Um das zu verdeutlichen, wird das negative Resultat ebenso wie im Folgenden das positive Resultat aus zwei Perspektiven prsentiert: aus der Perspektive der Relate wie aus der der Relation. Aus der Perspektive der Relate kçnnte auf die unter II.2.3.3. ausfhrlich ausgelegte Formulierung zurckgegriffen werden, die Folgendes besagt: „Indem die selbstndigen Reflexionsbestimmungen in derselben Rcksicht, als sie die andere enthlt und dadurch selbstndig ist, die andere ausschließt, so schließt sie in ihrer Selbstndigkeit ihre eigene Selbstndigkeit aus sich aus“.280

Das negative Resultat ist somit der Selbstausschluss der Selbstndigen, der in der fr die Selbstndigen charakteristischen Widersprchlichkeit des Ein- und Ausschließens ihres Anderen begrndet ist. Die entsprechende Passage in dem Abschnitt „2. Der Widerspruch lçst sich auf“ prsentiert das Ein- und Ausschließen nun so, dass das Selbstndige mit sich identisch ist (und so das andere ausschließt), zugleich aber damit das Negative des Anderen ist (so dass es selbst negativ ist und damit das andere einschließt). So richten sich die Selbstndigen zugrunde: „Sie richten sich zugrunde, indem sie sich bestimmen als das mit sich Identische, aber darin vielmehr als das Negative, als ein mit sich Identisches, das Beziehung auf Anderes ist“.281

Entwickelt wird diese Struktur im entsprechenden Absatz aber nicht aus der Perspektive der Relate, sondern aus der der Relation.282 Da diese Entwicklung auch fr die Darlegung des positiven Resultates eine wichtige Rolle spielt, sei sie hier kurz nachvollzogen. Dazu wird die unten unter II.2.3.3. dargelegte Entwicklung innerhalb des Gegensatz- und zu Beginn des Widerspruchskapitels in geraffter Form prsentiert. Zuerst wird auf die erste Form des Gegensatzes verwiesen als auf diejenige, in der

280 WL2, 50 f. (11, 279). 281 WL2, 53 (11, 281). 282 Siehe zu dem Folgenden auch Iber, Metaphysik, 468 – 471.

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die beiden Bestimmungen noch keine Selbstndigkeit erlangten oder nur selbstndige an sich sind, also nur Momente ihrer Gegensatzbeziehung: „Die Reflexion in sich, wodurch die Seiten des Gegensatzes sich zu selbstndigen Beziehungen auf sich machen, ist zunchst ihre Selbstndigkeit als unterschiedener Momente; sie sind so nur an sich diese Selbstndigkeit, denn sie sind noch entgegengesetzte, und daß sie es an sich sind, macht ihr Gesetztsein aus“.283

Diese Form des Gegensatzes ist nun insofern defizitr, als die Selbstndigkeit der Entitten noch nicht gesetzt ist. Daher besteht der nchste Schritt in der Internalisierung ihrer Beziehung auf ihr Anderes, durch die sie Selbstndigkeit erlangten. Mit der Selbstndigkeit geht das Ausschließen ihres Anderen einher, und „ihre Selbstndigkeit ist auf diese Weise auch gesetzt“.284 Im nchsten Schritt folgt Hegel derjenigen Prsentation des Ein- und Ausschließens, die eben bereits beim an sich Positiven vorgefhrt wurde. Entsprechend stellt sich heraus, dass das Ausschließen immer schon ein Gesetztsein ist: „Aber ferner machen sie sich durch dieses ihr Setzen zu einem Gesetztsein“,285 so dass die Widersprchlichkeit der Relation explizit ist. Der aus dieser Analyse der Relation zu ziehende Schluss betrifft nun wiederum die Relate selbst und lautet bekanntlich, dass sich die Selbstndigen selbst aufheben. Hegel kann dieses negative Resultat auch als „Null“ bezeichnen: „Dieses rastlose Verschwinden der Entgegengesetzten in ihnen selbst ist die nchste Einheit, welche durch den Widerspruch zustande kommt, sie ist die Null“.286

„Der Widerspruch enthlt aber nicht bloß das Negative, sondern auch das Positive; […] das Resultat des Widerspruchs ist nicht nur Null“.287 Zwar stellt sich das positive Resultat des Widerspruchs nur durch das negative Resultat und damit durch die Selbstaufhebung der Selbstndigen 283 284 285 286

WL2, 53 (11, 281). WL2, 53 (11, 281). WL2, 53 (11, 281). WL2, 52 (11, 280). Diese Null ist weder Kants nihil negativum als ein „leerer Gegenstand ohne Begriff“, also etwas in sich Widersprchliches und daher undenkbares, da Hegel es ja gerade denkt. Noch ist die Null Kants nihil privativum als ein „leerer Gegenstand eines Begriffs“, also der Mangel eines Gegenstandes wie der Schatten, da laut Hegel der Gegenstand ja gerade aufgehoben wird, siehe Kant, Kritik der reinen Vernunft, B347 – 349; siehe dazu Iber, Metaphysik, 466. Vielmehr markiert die erreichte Null die negierte Bestimmtheit oder eben die aufgehobene Selbstndigkeit der verhandelten Entitten. 287 WL2, 52 f. (11, 281).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

her. Aber durch und aufgrund ihrer stellt sich tatschlich ein positives Resultat her, das sich in der absoluten Idee als die vollentwickelte Einzelheit oder die gesetzte Subjektivitt darstellen wird. Das sei wiederum zuerst aus der Sicht der Relata und dann aus der der Relation dargelegt. Die neue Identitt stellt sich als die „Einheit mit sich selbst“ heraus, „welche dadurch hervortritt, daß die selbstndigen Entgegengesetzten jedes sich selbst aufhebt, und sich zu dem Anderen seiner macht, somit zugrunde geht, aber darin zugleich nur mit sich selbst zusammengeht, also in seinem Untergang, das ist, in seinem Gesetztsein oder in der Negation vielmehr erst das in sich reflektierte, mit sich identische Wesen ist“.288

In der Darlegung des negativen Resultates der Relate wurde bereits dargelegt, was in diesem Zitat so formuliert wird: „daß die selbstndigen Entgegengesetzten jedes sich selbst aufhebt, und sich zu dem Anderen seiner macht, somit zugrunde geht“. Wegen der ihnen eigenen Widersprchlichkeit heben sich die Selbstndigen in ihrer Selbstndigkeit auf und gehen so zugrunde. Das Zugrunde-Gehen bedeutet aber nicht nur, dass sich die Selbstndigen selbst aufheben, sondern auch, dass die vorher Selbstndigen „sich zu dem Anderen ihrer“ machen. Material gesprochen, wird das Positive in seiner Widersprchlichkeit zum Negativen, und das Negative ist das Positive. Das positive Resultat besteht nun in der hierbei auftretenden Identitt zwischen den beiden Relata, die darin begrndet ist, dass das Anderer ihrer, zu dem sich die Bestimmungen je machen, doch gerade sie selbst sind. Weil das Positive gerade als Positives in Wahrheit das Negative wird und weil das Negative gerade als Negatives in Wahrheit das Positive ist, machen sich die selbstndigen Entgegengesetzten im Selbstausschluss ihrer Selbstndigkeit zwar auf den ersten Blick „zum Anderen ihrer“, gehen in Wahrheit aber „darin zugleich nur mit sich selbst zusammen“. Diese im Zusammengehen mit sich selbst auftretende Identitt ist das positive Resultat des Widerspruchs. Wesentlich bleibt somit zweierlei: Zum einen wird das positive Resultat nur durch die Negation hindurch und als Implikat der Negation erreicht, so dass die jeweilige Bestimmung „also in seinem Untergang, das ist, in seinem Gesetztsein oder Negation vielmehr erst das in sich reflektierte, mit sich identische Wesen ist“. Zum anderen ist durch die Negation hindurch etwas wirklich Neues gewonnen: eben die eigens gesetzte Identitt als der 288 WL2, 55 (11, 283). Hegel entwickelt das positive Resultat wesentlich aus der Sicht der Relation, nicht aus der der Relate – erst in der Zusammenfassung der Entwicklung des Widerspruches prsentiert er obige Formulierung.

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Grund, der in der absoluten Idee als absolute Subjektivitt auftreten wird.289 Dieser Doppelaspekt zeigt sich auch, wenn nun das positive Resultat aus der Perspektive der Relation her entwickelt wird.290 In der Darlegung des negativen Resultats aus Sicht der Relation wurde erlutert, dass die Relation zwischen den beiden Selbstndigen nicht mehr das Gesetztsein der ersten Form des Gegensatzes ist, in welcher beide Bestimmungen nur Momente sind, sondern vielmehr eine Ausschlussbeziehung darstellt. Gerade als Ausschlussbeziehung aber ist sie selbst wiederum Gesetztsein und damit widersprchlich. Das positive Resultat wird nun sichtbar, wenn dieses Gesetztsein nher bestimmt wird: „Die ausschließende Reflexion der Selbstndigen, indem sie ausschließend ist, macht sich zum Gesetztsein, aber ist ebensosehr Aufheben ihres Gesetztseins“.291

Die ausschließende Reflexion ist also nicht nur Gesetztsein, sondern „ebensosehr Aufheben ihres Gesetztseins“. Denn sie ist zwar gerade als ausschließende Reflexion Gesetztsein. Als ausschließende ist sie aber zugleich auch gerade nicht gesetzt, so dass sie damit das Aufheben des Gesetztseins ist. Besteht die vollentwickelte Ausschlussrelation darin, als Ausschlussrelation gesetzt zu sein, aber als ausschließende ihr Gesetztsein zugleich aufzuheben, so wird auf die in dieser Struktur gegebene Identitt des positiven Resultates mit folgendem Zitat hingewiesen:292 „Die ausschließende Bestimmung selbst ist auf diese Weise sich das Andere, dessen Negation sie ist“. Somit ist die erreichte Form des aufgehobenen Gesetztseins „daher nicht wieder Gesetztsein als das Negative eines Anderen, sondern das Zusammengehen mit sich selbst, das positive Einheit mit 289 Damit gleicht die Entwicklung des Grundes in ihrer Struktur derjenigen des Unendlichen in der Seinslogik: Stark vereinfacht gesprochen und nherhin an der Dialektik von Schranke und Sollen entwickelt, konstituiert sich auch dort das Unendliche dadurch, dass die Endlichen zum je Anderen ihrer bergehen, damit aber, da dies wechselseitig geschieht, nur in sich bergehen. Siehe zu dem bergang vom Endlichen zum Unendlichen WL1B, 134 f. (21, 123), und Keyserlingk, Die Erhebung, 147 – 154, sowie Iber, Subjektivitt, 145. 290 Siehe dazu auch Iber, Metaphysik, 471 – 479. 291 WL2, 53 (11, 281). 292 Hegel kann das Gesetztsein auch in der Negationsterminologie als „das Negative“ bezeichnen und zu der vollentwickelten Struktur des Ausschließens auf WL2, 53 (11, 281), sagen, dass sie „sich als das Negative setzt, und dies ist erst dasjenige Negative, das sie aufhebt; im Aufheben des Negativen setzt und hebt sie zugleich es auf“.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

sich ist“.293 Strukturquivalent zu der Entwicklung der Identitt der Relata liegt auch die Identitt der Relation deshalb vor, weil die ausschließende Reflexion, die Gesetztsein aufhebt, selbst das Gesetztssein ist, das sie aufhebt. So ist sie selbst „auf diese Weise sich das Andere, dessen Negation sie ist“. Weil sie selbst das Gesetztsein als ihr Anderes ist, ist das Aufheben des Gesetztseins als ihres Anderen in Wahrheit „Zusammengehen mit sich selbst, das positive Einheit ist“. Und noch ein zweiter Grund liegt fr die Identitt des positiven Resultates vor: Nicht nur geht die Ausschlussrelation im Ausschließens des Gesetztseins, das sie selbst ist, mit sich selbst zusammen. Sondern sie schließt, indem sie als Ausschlussrelation Gesetztsein aufhebt, tatschlich auch Gesetztsein oder Negativitt aus. Sie negiert somit ihre eigene Negativitt oder das Gesetztsein. „Dies ist es, was in Wahrheit im Widerspruch zugrunde geht“,294 und erst dadurch wird die neue Identitt erreicht. Somit liegt ein Fall selbstbezglichen Aufhebens von Negativitt vor, und zwar in zweifacher Hinsicht: Die Ausschlussbeziehung hebt durch sich selbst ihre eigene Negativitt auf. Sie ist insofern wiederum in zwei Hinsichten positiv, weil sie, indem sie ihre eigene Negativitt negiert, zugleich mit sich zusammengeht. Hegel nennt die so erreichte Identitt den „Grund“: „Nach dieser positiven Seite, daß die Selbstndigkeit im Gegensatz als ausschließende Reflexion sich zum Gesetztsein macht und es ebensosehr aufhebt, Gesetztsein zu sein, ist der Gegensatz nicht nur zugrunde, sondern in seinen Grund zurckgegangen“.295

Bevor die angefhrten Strukturmomente auf die absolute Idee bertragen werden, seien noch zwei Bemerkungen zu dem Grund selbst gemacht. Zum ersten ist der Grund als Ganzer die vollentwickelte Selbstndigkeit, und das Positive und das Negative sind entsprechend nur Bestimmungen an ihm. Schienen die beiden Reflexionsbestimmungen anfangs selbstndig zu sein, so wurde ihre Selbstndigkeit aufgrund ihrer Widersprchlichkeit negiert, so dass sie in dem Grund eben nicht mehr als Selbstndige sind,296 und das Gesetztsein gerade aufgehoben ist. Die aus293 294 295 296

WL2, 53 f. (11, 281). WL2, 53 (11, 281). WL2, 54 (11, 281 f.). Daher ist es zumindest in terminologischer Hinsicht irritierend, wenn Dierken, Glaube, 232, zur Explikation des Hegelschen Absoluten als des Im-Anderen-beisich selbst-Seins den Terminus des „Selbstndigen“ unkommentiert positiv aufnimmt und auf die beiden Momente der neuen Entitt anwendet, wenn er

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schließende Reflexion „setzt dadurch ihre zunchst selbstndigen Bestimmungen, das Positive und das Negative, zu solchen herab, welche nur Bestimmungen sind“.297 Dabei aber entfllt nicht die Selbstndigkeit als solche, sondern es stellt sich die in diesem Negationsprozess herstellende neue Identitt oder Gesamtstruktur als die wahre Selbstndigkeit heraus: „Der Grund aber ist diese vollentwickelte Selbstndigkeit“.298 Zum zweiten bedeutet die Herabsetzung der vorher selbstndigen Bestimmungen zu bloßen Bestimmungen und damit die Charakterisierung des Grundes als vollentwickelte Selbstndigkeit keineswegs, dass der Grund eine in sich ruhende Entitt wre. Die Identitt, die der Grund ist, wurde durch den sich auflçsenden Widerspruch der selbstndigen Bestimmungen erlangt. Entsprechend ist auch der Grund kein eigenstndiges Substrat, sondern bleibend nur er selbst in dieser Negationsbewegung.299 Das fr das Erreichen des positiven Resultates wesentliche Aufheben des Gesetztseins meint somit keine abstrakte Negation dessen, sondern beinhaltet neben dem Aspekt der Negation auch den der Konservation. So heißt es ber den Gegensatz und den Widerspruch als den verhandelten Negationsstrukturen, dass „der Gegensatz und sein Widerspruch im Grunde so sehr aufgehoben als erhalten ist“.300 Ist damit erklrt, dass der Grund bleibend nur durch seine interne Vermittlungsbewegung er selbst ist, so ist der Exkurs in die Wesenslogik beendet, und es kann zu dem Text der absoluten Idee zurckgekehrt werden. II.2.5. Die vollentwickelte Einzelheit Der Rckgriff auf die Wesenslogik war aus zwei Grnden erforderlich: Zum ersten wird die Auflçsung des Widerspruchs in der absoluten Idee nur in einem Halbsatz prsentiert, so dass die Entstehung einiger der wesentlichen Charakteristika der vollentwickelten Einheit im Dunkel bleibt. Zum zweiten werden diese wesentlichen Charakteristika selbst in

297 298 299 300

schreibt, dass die „manifeste Absolutheit des Absoluten eine Duplizitt von Absoluten impliziert, die als gleichrangige Selbstndige auftreten“. WL2, 54 (11, 282). WL2, 55 (11, 282). So schreibt Hegel, WL2, 55 (11, 282), dass der Grund „das Positive als das in dieser Negativitt mit sich Identische ist“. Siehe zu einer genaueren Auslegung Iber, Metaphysik, 492 – 496. WL2, 55 (11, 282). Iber, Metaphysik, 493, schreibt dazu, dass „der Widerspruch im Grunde nur die Form gefunden hat, in der er sich ,bewegen‘ kann“.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

der absoluten Idee nur so kurz vorgefhrt, dass sie erst auf dem Hintergrund der Auslegung der Wesenslogik an Verstndlichkeit gewinnen. Andersherum aber erlaubt es die erfolgte Auslegung der Wesenslogik nun, diejenigen wesentlichen Charakteristika der vollentwickelten Einheit recht kurz zu prsentieren, die vorher bereits entwickelt wurden. So weiß die absolute Idee zum ersten um die neu erreichte Identitt, die in der Auflçsung des Widerspruches gesetzt wird. „In diesem Wendepunkt der Methode kehrt der Verlauf des Erkennens zugleich in sich selbst zurck. Diese Negativitt ist als der sich aufhebende Widerspruch die Herstellung der ersten Unmittelbarkeit, der einfachen Allgemeinheit; denn unmittelbar ist das Anderes des Anderen, das Negative des Negativen das Positive, Identische, Allgemeine“.301

Die genauere Begrndung dafr, dass, negationsterminologisch gesprochen, das Negative des Negativen das Positive ist, oder, in der Terminologie des Widerspruchs, der sich aufhebende Widerspruch zu der Identitt des Grundes fhrt, wurde in der Entwicklung des positiven Resultates des Widerspruchskapitels vorgelegt und braucht daher hier nicht nochmals vorgefhrt zu werden. Erwhnt sei vielmehr zweitens, dass die erreichte Unmittelbarkeit, Identitt oder neue Einheit auch darin dem „Grund“ der Wesenslogik gleicht, dass sie gerade nicht als einfache, sondern als vermittelte Identitt sie selbst ist. Sie divergiert somit von der Unmittelbarkeit des anfnglichen Allgemeinen, die eine abstrakte Form der Unmittelbarkeit ist, weil sie nicht zum Ausdruck bringt, was ihr implizit ist. Ebenso divergiert sie von der Unmittelbarkeit des Besonderen, die nur besteht, solange von der Vermitteltheit mit dem Allgemeinen abgesehen wird. Die nun erreichte Unmittelbarkeit hingegen ist eine Form der Unmittelbarkeit, die aus der Vermittlung resultiert und diesen Weg in sich aufhebt. Im Unterschied zu den anderen Formen der Unmittelbarkeit ist sie gerade darin unmittelbar, dass sie die Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung ist, oder sie ist darin unmittelbar, dass sie das explizit zum Ausdruck bringt, was ihr implizit ist.302 So heißt es in der absoluten Idee ber die neue Identitt: Sie ist „das Unmittelbare, aber durch Aufhebung der Vermittlung, das Einfache durch Aufhebung des Unterschiedes, das Positive durch Aufheben des Negativen. […] [Sie] ist ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung“.303 301 WL3, 297 (12, 247). 302 Siehe dazu auch Iber, Subjektivitt, 183. 303 WL3, 298 f. (12, 248).

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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Diese entwickelte und vermittelte Form der Unmittelbarkeit enthlt somit ihre eigenen Bestimmungen in sich. Dazu sei nun, drittens, erwhnt, dass die neu gesetzte Identitt die vormals selbstndigen Bestimmungen enthlt, aber in gewandelter Form. In der Auslegung der Wesenslogik wurde bereits dargelegt, dass das positive Resultat wesentlich aus demjenigen Negativen erwchst, das sich als Selbstaufhebung der Selbstndigen vollzieht. Damit wird gerade das Gesetztsein der Selbstndigen negiert, so dass die „zunchst selbstndigen Bestimmungen, das Positive und das Negative, zu solchen herab[gesetzt werden], welche nur Bestimmungen sind“.304 Diese Vernderung der Bestimmungen in der vollentwickelten Einheit betont Hegel an verschiedenen Stellen seines Werkes und wendet sich damit gerade gegen solche Vorwrfe, die behaupten, er wrde in einem abstrakten Sinne allein widersprchliche Einheiten prsentieren.305 So heißt es in der Enzyklopdie: „Der Verstand hat leichte Arbeit, alles, was von der Idee gesagt wird, als in sich widersprechend aufzuzeigen. […] Der Verstand, welcher sich an die Idee macht, ist der […] Mißverstand, daß er […] die Extreme der Idee, sie mçgen ausgedrckt werden, wie sie wollen, insofern sie in ihrer Einheit sind, noch in dem Sinne und der Bestimmung nimmt, insofern sie nicht in ihrer konkreten Einheit, sondern noch Abstraktionen außerhalb derselben sind“.306

Gegen den Verstand sind die Bestimmungen in der vollentwickelten Einheit nicht mehr dieselben wie außerhalb ihrer, wird doch die Einheit gerade durch die Negation der vorherigen Bestimmtheiten der Bestimmungen gewonnen.307 Von dieser Vernderung der Bestimmungen in der vollentwickelten Einheit weiß auch die absolute Idee, wenn es heißt, dass 304 305 306 307

WL2, 54 (11, 282). Siehe dazu auch Hçsle, Hegels System, 174, Anm. 34. Enz., §214, Anm., 183 (20, 216 f.). Ein lngeres Zitat aus der Seinslogik besttigt diesen Befund. WL1B, 153 (21, 139), nennt die Herabsetzung der vorher selbstndigen Bestimmungen zu Bestimmungen der Einheit das Erlangen ihrer Idealitt. So heißt es entsprechend: „Die Auflçsung des Widerspruches ist nicht die Anerkennung der gleichen Richtigkeit und der gleichen Unrichtigkeit beider Behauptungen – dies ist nur eine andere Gestalt des bleibenden Widerspruches – , sondern die Idealitt beider, als in welcher sie in ihrem Unterschiede, als gegenseitige Negationen, nur Momente sind; jene eintçnige Abwechslung ist faktisch sowohl die Negation der Einheit als der Trennung derselben. […] In diesem Sein hiermit als der Idealitt der Unterschiedenen ist der Widerspruch nicht abstrakt verschwunden, sondern aufgelçst und versçhnt, und die Gedanken sind nicht nur vollstndig, sondern sie sind auch zusammengebracht“.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

„das Dritte die Einheit der ersten zwei Bestimmungen ist, diese aber, da sie verschiedene sind, in Einheit nur als aufgehobene sein kçnnen“.308 Liegen in der Internstruktur dieser vermittelten Einheit somit Vernderungen der Momente vor, die sich aus der Aufhebung ihrer Selbstndigkeit ergeben, so bedeutet das aber viertens gerade nicht, dass die Negationsstruktur der Einheit vollstndig negiert wurde und diese deshalb als statisches Gebilde aufzufassen wre. So wie im Grund „der Gegensatz und sein Widerspruch so sehr aufgehoben als erhalten“309 ist und der Grund daher eine in sich bewegte Entitt ist, so ist auch die erreichte Identitt der vollentwickelten Einheit der absoluten Idee in sich bewegt. Entsprechend wird ein oben bereits angefhrtes Zitat weitergefhrt, wenn es von dem Resultat der bisherigen Entwicklung als der vermittelten Unmittelbarkeit heißt: „Es ist ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung; aber diese Formen des Urteils: das Dritte ist Unmittelbarkeit und Vermittlung, oder es ist die Einheit derselben, sind nicht vermçgend, es zu fassen, weil es nicht ein ruhendes Drittes ist, sondern eben als diese Einheit die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Ttigkeit ist“.310

Entsteht die neue Einheit, indem die Relate dasjenige Andere sind, das sie negieren, so ist dieser Vorgang nicht nur fr die anfngliche Entstehung der neuen Identitt konstitutiv, sondern stellt die einzige Form ihrer Selbsthabe dar. Sind somit eine Vielzahl von Parallelen zur Wesenslogik zu konstatieren, so ist die nun folgende Benennung, die Hegel fr die soweit entwickelte Struktur vornimmt, doch allein der absoluten Idee vorbehalten. Denn in der Wesenslogik impliziert der Grund noch weitere, hier nicht mehr eigens zu prsentierende Seiten von Unvermitteltheit,311 und die Wesenslogik als solche kennt das der Begriffslogik eigene Ineinander der Bestimmungen noch nicht in vollentwickelter Form.312 Dagegen ist 308 309 310 311

WL3, 298 (12, 247). WL2, 55 (11, 282). WL3, 299 (12, 248). Siehe dazu die weitere Entwicklung des Grundes in WL2, 68 – 94 (11, 294 – 314). 312 Wie bereits unter II.1.2. dargelegt, liegen in der Wesens- und in der Begriffslogik verschiedene Formen der Dialektik vor, die sich vor allem darin unterscheiden, dass die wesenslogischen Entitten zwar wesentlich miteinander vermittelt sind und so ineinander scheinen, aber dennoch einander wesentlich entgegenstehen und sich nicht auf dieselbe Art implizieren wie die begriffslogischen. Entsprechend heißt es in Enz., §240, 195 (20, 230): „Die abstrakte Form des Fortgangs

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mit den dargelegten Strukturen auf begriffslogischem Niveau eine Form dynamischer, vermittelter Unmittelbarkeit erreicht, die Hegel zu sagen erlaubt, dass hier absolute Subjektivitt vorliegt. „Wie das Anfangende das Allgemeine, so ist das Resultat das Einzelne, Konkrete, Subjekt“.313 Als Resultat der gesamten Entwicklung hat sich die absolute Subjektivitt entwickelt, jene Entitt, die sie selbst ist in der nun vollstndig durchgeklrten, absoluten Vermittlung. Hiermit also liegt der vollentwickelte logische Vorbildner der in der Realphilosophie besonders interessierenden Grçße der Einheit der zwei Naturen Jesu Christi vor. Wegen der Zentralitt der absoluten Subjektivitt soll diese im Folgenden noch genauer bedacht werden, dann aber wesentlich unter dem Aspekt, wie sie mit dem Gesamtverlauf der absoluten Idee verbunden ist (II.2.5.2.). Zuvor aber soll ein Kommentar zu den verwendeten Einteilungsschemata des Gesamtverlaufes erfolgen (II.2.5.1.). Wird sodann die absolute Subjektivitt weiter expliziert, so soll in einem letzten Abschnitt von den dargelegten Strukturen ausgegangen werden, um berlegungen zu der Begrndungsstrategie Hegels und ihrem angestrebten Ziel der Letztbegrndung zu prsentieren (II.2.5.3.). Aufgrund dieser Begrndungsstrategie sowie aufgrund der entwickelten Strukturen im Ganzen kann dann zum ersten Mal etwas fundierter fr die zentrale Beobachtung dieser Arbeit argumentiert werden, die besagt, dass der gesamte logische Hintergrund notwendiger Weise die Aufhebung der Theologie in die Philosophie bewirkt. II.2.5.1. Die Einteilungsschemata des Gesamtverlaufes der absoluten Idee Im Folgenden werden die Einteilungsschemata der Begriffsentwicklung diskutiert und damit ein Problem, das die vorliegende Untersuchung seit ihrem Beginn begleitet. Die Begriffsentwicklung ist dermaßen dynamisch, facettenreich und vielfltig miteinander vermittelt, dass es kaum mçglich zu sein scheint, die gesamte Komplexitt anhand eines einzigen Einteilungsschemas darzustellen. Andererseits kann aus Darstellungsgrnden auf Einteilungsschemata auch nicht verzichtet werden. Das Sachproblem besteht also darin, wie die Dynamik und vielfltige Verist im Sein ein Anderes und bergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene kontinuiert und als Identitt mit ihm ist“. Siehe dazu ausfhrlicher Schfer, Die Dialektik, 295 – 318. 313 WL3, 299 (12, 248).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

mitteltheit der Begriffsentwicklung einerseits und die dabei dennoch auftretenden Distinktheiten andererseits durch Einteilungsschemata darzustellen sind. Hegel selbst schlgt verschiedene Einteilungsschemata vor. Je nach Zhlweise benutzt er zwei oder drei Einteilungsschemata fr den Gesamtverlauf der absoluten Idee.314 Zhlt man drei Einteilungsweisen, so kann man erstens auf eine schlusslogische Einteilung mit zwei Prmissen und einer Konklusion verweisen, die „das Allgemeine ist das Besondere“, „das Besondere ist das Einzelne“ und „das Einzelne ist das Allgemeine“ lautet. Zweitens wre eine triplizitre mit den Elementen Unmittelbares, Vermitteltes und neues Unmittelbares anzufhren und drittens eine quadruplizitre mit den Elementen Unmittelbares, erste Negation, zweite Negation und neues Unmittelbares. Zhlt man nur zwei Einteilungsschemata und stellt die schlusslogische Einteilung einerseits neben die triplizitre und quadruplizitre andererseits, so wird hervorgehoben, dass die schlusslogische Einteilung den dynamischen Aspekt betont, whrend die triplizitre oder quadruplizitre Entwicklung auf die Distinktheit der jeweils erreichten Phasen abzielt. Zuerst sei die schlusslogische Einteilung Hegels vorgestellt. Wie vorgefhrt, benutzt Hegel zur Charakterisierung der absoluten Idee eine Vielzahl wesenslogischer Ausdrcke wie „Widerspruch“ und „Negation“. Sosehr diese Ausdrcke Grundstrukturen jeder Entwicklung beschreiben, sosehr ist Hegel dennoch daran gelegen, fr die absolute Idee eigens begriffslogische Schemata anzufhren. Aus zwei Grnden wird Hegel den Schluss als die dafr angemessene Form angesehen haben. Um die Einzelheit als die Einheit der beiden anderen Entitten in der ihr eigenen Wichtigkeit zu wrdigen und um schließlich die Vermitteltheit aller Entitten miteinander auszudrcken, muss die Einzelheit durch mehr dargestellt werden als durch die Kopula des Urteils, so dass vom Urteil zum Schluss fortgeschritten wird.315 Dies umso mehr, als bereits in der

314 Nicht erwgt er die Einteilung Allgemeines, Besonderes, und Einzelnes oder gar die von ihm nie herangezogene von These, Antithese und Synthese. 315 In der WL revidiert Hegel somit seine Auffassung aus der PhG, 46, die darin bestand, das Spekulative in einem Satz, nmlich mit dem spekulativen Satz, darstellen zu kçnnen: „Formell kann das Gesagte so ausgedrckt werden, daß die Natur des Urteils oder Satzes berhaupt, die den Unterschied des Subjekts und Prdikats in sich schließt, durch den spekulativen Satz zerstçrt wird, und der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoß zu jenem Verhltnis enthlt“. Statt dessen heißt es nun in der WL3, 299 (12, 248), dass die „Formen des Urteils“ die zumindest im Resultat erreichte Komplexitt der Vermittlung

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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traditionellen Schlusslehre der Schluss durch die Vermittlungsleistung des Mittelbegriffes charakterisiert ist und somit ein Element mit sich fhrt, das der vernnftigen Dialektik wesentlich ist.316 In seiner eigenen Schlusslehre wird dieses Element betont, so dass der Schluss als diejenige begriffliche Beziehung gefasst werden kann, die die Momente des Urteils vermittelt.317 Hegel betont daher in der absoluten Idee, was er in seiner Schlusslehre so ausdrckt: „[D]er Schluß ist […] das Vernnftige“ – es gilt sogar, dass „alles Vernnftige ein Schluß ist“.318 Da die absolute Idee der hçchste Grad der Selbstdurchklrung des Vernnftigen ist, ist es nur folgerichtig, wenn auch sie sich als Schluss darstellt, und zwar in der Form Allgemeines-Besonders-Einzelnes.319 bernimmt Hegel somit die Form des Schlusses, so ergeben sich dennoch drei gravierende Differenzen zwischen der traditionellen Lehre vom Schluss und Hegels spekulativem Gebrauch ihrer. In einem Wort: Whrend das traditionelle Verstndnis „eine Theorie der Gewinnung von Urteilen aus Urteilen ist“,320 die selbst jeweils durch fixierte Entitten gebildet sind, so ist Hegels Schluss die Selbstvermittlungsbewegung der sich im Vollzug selbstkonstituierenden und totalisierenden Momente des Begriffs. Genauer: Zum ersten sind die Urteile des Schlusses nicht als Urteilungen zu verstehen. Vielmehr sind sie zusammengehçrende, aber voneinander unterscheidbare Momente einer großen Bewegung. Vor allem die beiden Prmissen sind als Angaben einer Bewegungsrichtung zu verstehen,321 in der sich „aktive Beziehungen“ entwickeln.322 Zum zweiten geht der traditionelle Schluss davon aus, dass im Schluss drei stabile Entitten in Beziehung gebracht werden, die bereits vor dem Schluss als dessen Voraussetzung selbstndig existieren. In der absoluten Idee hingegen werden die Momente des Schlusses nicht

316 317 318 319

320 321 322

nicht auszudrcken in der Lage sind. Zu nherem siehe etwa Schfer, Hegel, 177 – 193, 260. Siehe dazu Bubner, Zur Sache, 108. Zu Hegels Aufhebung der traditionellen Schlusslehre in die seinige siehe grundlegend Krohn, Die formale Logik. Siehe dazu Enz., §180, 162 (20, 191) sowie Fulda, „Begriffsbewegung“, 154, und Dsing, „Syllogistik“, 21. WL3, 104 (12, 90). Dsing, „Syllogistik“, 36 f., betont zu Recht, dass es nicht weiter fhrt, dieser Schlussform durch Vergleich mit den aus der Tradition bekannten, von Hegel in seiner Darlegung der Schlusslehre selbst diskutierten Formen weitere Bedeutungen zuschreiben zu wollen, denn diese Formen haben sich im Durchlaufen ihrer aufgehoben. Bubner, Zur Sache, 106. Siehe dazu Schfer, „Hegels Ideenlehre“, 291. Siehe dazu Fulda, „Begriffsbewegung“, 156.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

abstrakt vorausgesetzt, sondern erst im Verlauf entwickelt:323 Whrend des Schließens schafft der spekulative Schluss seine eigenen Voraussetzungen. Das Besondere entsteht durch die Vermittlung des Allgemeinen, und in demselben Vorgang berwindet erst das Allgemeine sein Sein als Schein. In diesem Vermittlungsvorgang der beiden Bestimmungen entsteht dann die dritte Bestimmung, das Einzelne, das nichts ist als die Einheit beider. Das eine Extrem Allgemeines setzt den Mittelbegriff Besonderes aus sich heraus, gemeinsam sind sie dann das zweite Extrem Einzelnes. Damit ist auf die dritte Differenz angespielt: So variieren die Funktionen der Terme zwischen der traditionellen Schlusslehre und dem Schluss der absoluten Idee. Denn whrend in der klassischen Schlusslehre der Mittelbegriff zwischen dem ersten und dem zweite Extrem vermittelt, vollbringen in der absoluten Idee bereits das erste Extrem und der Mittelbegriff eine Vermittlungsleistung, und das zweite Extrem bernimmt sodann die Vermittlungsfunktion vom Mittelbegriff.324 Genauer: Sobald der Mittelbegriff wirkliche Vermittlung leistet, ist er das zweite Extrem. Beachtet man alle und somit auch die von Hegel nicht eigens erwhnten Funktionen der drei Terme, so ergibt sich sogar, dass alle drei Terme sowohl unvermittelt wie vermittelt und vermittelnd sind. Zu Beginn ist das Allgemeine ganz unvermittelt. Dann aber setzt es das Besondere aus sich heraus, ist somit vermittelnd und zugleich durch das Besondere selbst vermittelt. Das Besondere hingegen ist konstituiert durch die Vermittlung des Allgemeinen, scheint am Beginn der zweiten Negation aber unvermittelt zu sein und erweist sich dann als vermittelnd, weil es das Allgemeine in sich enthlt. Vermittelt durch diese Bewegung entsteht das Einzelne, das dann als Einheit des Allgemeinen und des Besonderen die Rolle des Vermittelnden von dem Besonderen bernimmt und zuletzt zu der neuen Unmittelbarkeit des neuen Anfanges wird. Kehrt man zu denjenigen Bestimmungen zurck, die Hegel selbst explizit erwhnt und rekonstruiert diese als Schluss, so ergibt sich folgender Ablauf: Die erste Prmisse fllt mit der unter II.2.3.5.1. als „Urteil“ bezeichneten ersten Negation zusammen, die material besagt, dass das Allgemeine das Besondere ist. Das Allgemeine urteilt sich, teilt sich also und teilt sich zugleich mit, und schafft damit das Besondere. Sodann erweist sich das Besondere als das Vermittelnde, welches daher das Einzelne ist. Die erste Negation negiert sich also, und es entsteht durch diese neue Bewegung ein neues Beziehungsgefge. Das kann als die 323 Dsing, „Syllogistik“, 32 f. 324 Siehe dazu Fulda, „Begriffsbewegung“, 155.

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

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und mit der zweiten Prmisse so bezeichnet werden, dass „das Besondere das Einzelne“ ist. So wie das Besondere, so ist auch das Einzelne erst im Verlauf entstanden, und es ist gerade dadurch es selbst, dass es die gesetzte Vermittlung der beiden anderen Momente ist. Ist ihm damit das neue Moment von Identitt zu eigen, so kommt ihm der Schlusssatz zu, die Konklusion: „Das Einzelne ist das Allgemeine“. Es ist allgemein, weil es die anderen Momente in sich enthlt und weil es zugleich das Moment von Identitt wiedererlangt hat. „Der Begriff selbst ist, fr uns zunchst, sowohl das an sich seiende Allgemeine als das fr sich seiende Negative als auch das dritte An-und-fr-sichSeiende, das Allgemeine, welches durch alle Momente des Schlusses hindurchgeht; aber das Dritte ist der Schlußsatz, in welchem er durch seine Negativitt mit sich selbst vermittelt, hiermit fr sich als das Allgemeine und Identische seiner Momente gesetzt ist“.325

Anders als die beiden Prmissen drckt der Schlusssatz somit nicht sosehr die Anzeige einer weiteren Bewegung aus als vielmehr das Aufzeigen dessen, was in dem vollentwickelten Einzelnen impliziert ist. Der Schlusssatz ist somit sowohl Zusammenschluss wie Abschluss.326 Er ist Zusammenschluss, weil er die in das Urteil gesetzten Momente der Entwicklung miteinander zusammenschließt. Und er ist Abschluss, weil mit diesem Zusammenschluss das Ende der Selbstwerdungsbewegung des Begriffs erreicht ist. Wird mit dem schlusslogischen Einteilungsschema die Dynamik der Begriffsbewegung betont, so ist es andererseits vonnçten, die Distinktheit der Entitten und Phasen zu betonen. Dazu bedarf es anderer Einteilungsschemata als der bisher vorgestellten Schlusslehre. Hegel zieht dafr zwei Mçglichkeiten in Erwgung: Entweder ist die Bewegung in einen Dreischritt, in die Triplizitt, oder aber in einen Vierschritt, in die Quadruplizitt einzuteilen. Die Differenzen zwischen beiden Modellen stellt Hegel dar, whrend er die neue oder zweite Unmittelbarkeit charakterisiert: „Dieses zweite Unmittelbarkeit ist im ganzen Verlauf, wenn man berhaupt zhlen will, das Dritte zum ersten Unmittelbaren und zum Vermittelten. Es ist aber auch das Dritte zum ersten oder formellen Negativen und zur absoluten Negativitt oder dem zweiten Negativen; insofern nun jenes erste Negative schon der zweite Terminus ist, so kann das als Dritte gezhlte auch als Viertes gezhlt und statt Triplizitt die abstrakte Form als eine Quadru325 WL3, 299 (12, 248). 326 Siehe dazu Fulda, „Begriffsbewegung“, 158.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

plizitt genommen werden; das Negative oder der Unterschied ist auf diese Weise als eine Zweiheit gezhlt“.327

Man kann also entweder eine Triplizitt zhlen, indem man erstens das erste Unmittelbare, zweitens die Negation und drittens das zweite Unmittelbare voneinander abgrenzt. Oder man zhlt eine Quadruplizitt, indem man erstens das erste Unmittelbare, zweitens die erste Negation, drittens die zweite Negation und viertens die zweite Unmittelbarkeit voneinander trennt. Hegel selbst fhrt in der absoluten Idee keine weiteren Argumente fr eine der beiden Varianten an, so dass der Eindruck entsteht, als ob ihm an einer Entscheidung nicht viel gelegen sei. Ein Grund dafr mag darin liegen, dass laut Hegel Zahlen als Zahlen dem Begriff nicht angemessen sind. Dazu ußert er sich in der subjektiven Begriffslogik in wnschenswerter Klarheit. So fhrt er aus, „daß die Zahl eine unpassende Form ist, um Begriffsbestimmungen darein zu fassen, aber am unpassendsten vollends fr Bestimmungen des Begriffs selbst; die Zahl, da sie das Eins zum Prinzip hat, macht die Gezhlten zu ganz Abgesonderten und einander ganz Gleichgltigen. Es hat sich im Bisherigen ergeben, daß die verschiedenen bestimmten Begriffe schlechthin vielmehr nur Einer und derselbe Begriff sind, als daß sie in die Zahl auseinander fallen“.328

Der unaufhebbare Nachteil des Zhlens und jeder Quantifizierung liegt somit darin, in der Darstellung dasjenige auseinander fallen zu lassen, was wesentlich miteinander vermittelt ist. Um der Darstellbarkeit der Sache willen aber sind Formen der Einteilung oder Quantifizierung unvermeidlich; und „wenn man berhaupt zhlen will“, so ergibt sich fr Hegel die Mçglichkeit der Dreiheit oder der Vierheit. Die Wahl fr das eine oder andere Konzept ist teils nur eine Frage der Akzentsetzung, teils aber in der Sache selbst begrndet. So wird durch die Quadruplizitt die zweite Negation hervorgehoben und betont, dass bereits und gerade in der zweiten Negation die sich dann vollstndig setzende Einheit vorhanden ist, die somit aus dem Widerspruch entspringt.329 Das Dritte der Dreiheit wurzelt in der zweiten Negation, im Widerspruch.330 Um das 327 WL3, 297 f. (12, 247). 328 WL3, 46 (12, 43). Siehe dazu auch WL3, 51 (12, 47) und WL3, 52 f. (12, 47 f.) 329 Siehe dazu auch Fulda, „Begriffsbewegung“, 158 f. Mit dieser Beobachtung ist all denen widersprochen, die etwa wie Schfer, Die Dialektik, 288 f., meinen, dass die Verschiedenheit der Einteilungen allein Hegels Gleichgltigkeit gegenber dem Zhlen geschuldet ist. 330 Von der Sache her ist aber in der Seinslogik mit ihrer Dialektik des berganges sowie in entsprechenden Passagen der Realphilosophie die Einheit im Wider-

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herauszustellen, rekonstruiere auch ich Hegel in Anlehnung an das quadruplizitre Schema. Sowenig Hegel eine ausgearbeitete Argumentation fr die triplizitre oder die quadruplizitre Einteilung vortrgt, sowenig prsentiert er eine explizite Verbindung zwischen der schlusslogischen Einteilung auf der einen Seite und der triplizitren oder quadruplizitren auf der anderen. ber die Notwendigkeit und die Mçglichkeit einer Kombination beider kçnnen entsprechend nur Vermutungen angestellt werden. Fr die Notwendigkeit der Kombination beider kçnnte etwa im Hinblick auf die Hauptcharakteristika der beiden Einteilungen Folgendes vorgetragen werden. Whrend die schlusslogische Einteilung die sich entwickelnde Dynamik darzustellen vermag, trennt die triplizitre oder quadruplizitre Einteilung die einzelnen Bestimmunen klar voneinander ab. Die Notwendigkeit der Verbindung von Statik und Dynamik lsst sich etwa im Hinblick auf den Anfang darlegen. So ist es wichtig, dass die schlusslogische Einteilung die Dynamik des Anfangs darzustellen in der Lage ist, aber sie kann nicht allein fr sich stehen. Denn da sie sogleich mit dem Urteil beginnt, vermag sie somit die anfngliche einfache absolute Subjektivitt nicht darzustellen. Diese ist zwar Schein, aber ein notwendiger Schein und insofern nicht zu ignorieren.331 Sosehr somit die schlusslogische Einteilung der triplizitren oder quadruplizitren bedarf, sosehr braucht andersherum letztere die erstere, da ansonsten die Begriffsbewegung unvermittelt in klar abtrennbare Teile auseinander zu fallen und zu erstarren droht. Als Abschluss dieser berlegungen und zugleich als berleitung zu den folgenden sei noch auf eine Eigentmlichkeit des eben Dargelegten hingewiesen. Das Ende der Entwicklung wird in der schlusslogischen Einteilung mit der Conclusio „das Einzelne ist das Allgemeine“ bezeichnet und in der tri- bzw. quadruplizitren Einteilung als „Unmittelbarkeit“. Die damit erreichte Allgemeinheit oder Unmittelbarkeit bt eine Doppelfunktion aus. Zum einen bildet sie den Abschluss der bisherigen Begriffsbewegung, zum anderen stellt sie den Beginn einer neuen Entwicklung dar. So richtig es einerseits ist, dass mit dem Abschluss der Entwicklung die logischen Strukturen eines neuen Anfanges sichtbar werden, so wichtig ist es andererseits, die erreichte Allgemeinheit und Unmittelbarkeit eigens als Moment des Abschlusses zu begreifen. Denn spruch in dieser Form noch nicht gegeben. Fr die absolute Idee hingegen ist gerade die Einheit durch den Widerspruch hindurch ein wesentliches Strukturmerkmal. 331 Gegen Wandschneider, Grundzge, 55.

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wie bereits gesehen und im Folgenden genauer auszufhren, entspricht diese Allgemeinheit und Unmittelbarkeit derjenigen Identitt, die durch die Aufhebung des Widerspruches gesetzt wird. Erst mit ihr ist die Einzelheit ganz gesetzt, und erst durch sie ist die Vollstruktur der Subjektivitt erreicht. Wird getan, was auf den ersten Blick auch terminologisch nahe liegt und die Allgemeinheit oder Unmittelbarkeit ausschließlich dem neuen Anfang zugeschlagen, so verpasst man ein wesentliches Strukturmerkmal der vollentwickelten Einzelheit.332 Hegel selbst operiert jedoch nicht mit einer durchgehenden terminologischen Unterscheidung zwischen der Allgemeinheit und Unmittelbarkeit als Moment des Abschlusses einerseits und ihrer als Moment des neuen Anfanges andererseits. Er betont somit, dass zwischen dem Abschluss der alten und dem Anfang der neuen Bewegung kein starker Bruch besteht und nicht im eigentlichen Sinne eine neue Phase der Entwicklung beginnt.333 Dennoch differenziert er zwischen beiden Funktionen der Allgemeinheit und Unmittelbarkeit. Das zeigt sich zum einen darin, dass er die Allgemeinheit und Unmittelbarkeit als Moment des Abschlusses nicht durchgehend, aber an einer wichtigen Stelle der absoluten Idee durch einen Zusatz markiert, der ihn als Moment des Abschlusses charakterisiert: „Nher ist nun das Dritte das Unmittelbare, aber durch Aufhebung der Vermittlung“.334 Zum anderen setzt er die Unmittelbarkeit des neuen Anfanges von der vorherigen Entwicklung ab. Denn er beginnt zu ihrer Prsentation einen neuen Absatz und erwhnt in ihm eigens, dass nun die vorher vorhandene „Negativitt, welche die Dialektik und Vermittlung desselben ausmachte, in dieser Allgemeinheit gleichfalls in die einfache Bestimmtheit zusammengegangen ist, welche wieder ein Anfang sein kann“.335

Vorher also war die Allgemeinheit noch mit der Negativitt verbunden und bildete das Moment des Abschlusses.

332 Fulda, „Begriffsbewegung“, 157, kann entsprechend sagen, dass „die zweite Prmisse die Wiederherstellung der einfachen Allgemeinheit in [!] der Einzelheit zum Ergebnis hat“. Siehe auch Dsing, „Syllogistik“, 36, der davon spricht, dass das Einzelne „in sich allgemein“ ist, und de Vos, Hegels Wissenschaft, 137, der betont, dass „die Einzelheit hier aber nicht mehr das Moment der ausschließenden Einzelheit, sondern die vollstndig bestimmte Allgemeinheit ist“. 333 Siehe dazu Fulda, „Begriffsbewegung“, 159. 334 WL3, 298 (12, 248). 335 WL3, 299 (12, 248).

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Diese Verbindung passt zu der Anmerkung von Enz., §164, in der es heißt: „Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind abstrakt genommen dasselbe, was Identitt, Unterschied und Grund“. Der Einzelheit wird somit nicht der Widerspruch zugeordnet als derjenigen Konstellation, in der sie als Negation des Besonderen erstmals auftaucht. Vielmehr wird der Einzelheit der Grund als der sich auflçsende Widerspruch mit der ihn auszeichnenden, erreichten Identitt zugeschrieben, die in dem hiesigen Kontext als Allgemeinheit und Unmittelbarkeit bezeichnet wird. Erst so ist die Einzelheit ganz sie selbst.336 Was fr die Einzelheit gilt, gilt im besonderen Maße fr die Subjektivitt. Sie liegt erst durch diejenige Allgemeinheit und Unmittelbarkeit in vollentwickelter Form vor, welche als Implikat der Einzelheit und als Ausdruck der neu erreichten Identitt mit dem wesenslogischen Grund zu parallelisieren ist. Entsprechend beginnt Enz., §569: „Im Moment der Einzelheit als solcher, nmlich der Subjektivitt und des Begriffes selbst, als des in seinen identischen Grund zurckgekehrten Gegensatzes der Allgemeinheit und Besonderheit […]“.337

So seien im Folgenden einige Bemerkungen zu der vollentwickelten Subjektivitt und der ihr eigenen Allgemeinheit gerade im Verhltnis zu der bisherigen Gesamtentwicklung gemacht. 336 Damit ist eine Differenz unserer Auslegung zu der von Schfer, Die Dialektik, 279, benannt, der das Einzelne mit dem Widerspruch parallelisiert und nicht, wie wir, mit dem sich ebensosehr auflçsenden Widerspruch, der sich als Grund zeigt. Entsprechend seines Ansatzes sieht Schfer die Aufhebung des Widerspruches nicht dem Einzelnen, sondern dem sich aufhebenden Einzelnen als neuem Allgemeinen und somit allein der Konklusion des Schlusses zugeordnet: dass der Widerspruch sich aufhebt, meint, dass das Einzelne das Allgemeine als die neue Unmittelbarkeit wird, siehe Schfer, Die Dialektik, 284. Aus seiner Grundentscheidung folgerichtig schreibt er diejenigen Bestimmungen, die fr unsere Auslegung des Einzelnen so wichtig sind, der neuen Unmittelbarkeit zu, nmlich, dass sie die Einheit der Bestimmungen sei, die, „da sie verschieden sind, in Einheit nur als aufgehobene sein kçnnen“ (WL3, 298 (12, 247)) und dass sie jenes Dritte ist, das „sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung“ (WL3, 299 (12, 248)) ist. Schfer widerspricht damit nicht nur direkt den eben angefhrten Enz., §§164 und 569 (20, 180 und 552), sondern begeht auch mit den letzten beiden Zitaten Zuordnungsfehler: Das erste Zitat mit den „aufgehobenen Bestimmungen“ lsst sich auch anhand von Enz., §242 (20, 230 f.) dem Einzelnen zuordnen, und die „sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung“ wird in der absoluten Idee im nchsten Satz ausdrcklich als das „Einzelne, Konkrete, Subjekt“, also als das Einzelne, bezeichnet. 337 Enz., §569, 448 (20, 552).

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II.2.5.2. Die absolute Subjektivitt Die absolute Subjektivitt ist fr das vorliegende Buch deshalb von besonderem Interesse, weil sie der vollentwickelte logische „Bildner“ der Einheit der zwei Naturen Jesu Christi ist. Daher soll sie hier etwas genauer dargestellt werden. Dazu werden zuerst in Rckgriff auf den Exkurs in die Wesenslogik sowie unter Rckgriff auf die daraus folgenden Bemerkungen zur vollentwickelten Einzelheit zwei wesentliche Elemente ihrer logischen Struktur nochmals kurz erwhnt, nmlich ihr Selbstbezug im Fremdbezug und ihre bleibende Dynamik. Sodann wird sie ins Verhltnis zu der gesamten bisherigen Begriffsentwicklung gesetzt. Die subjektive Begriffslogik ordnet die Subjektivitt der Einzelheit zu, wenn sie schreibt, dass die Einzelheit „das Prinzip der Individualitt und Persçnlichkeit“ ist.338 Nicht nur das am Ende des vorigen Abschnitts angefhrte Enzyklopdie-Zitat, sondern auch die absolute Idee selbst macht klar, dass damit die vollentwickelte Einzelheit gemeint ist, jene Einzelheit also, der das Moment der Allgemeinheit oder Unmittelbarkeit als Momente des Abschlusses zukommt. Das wird auch deutlich aus dem Zitat, durch das die Subjektivitt explizit eingefhrt wird.339 Es lautet: „Wie das Anfangende das Allgemeine, so ist das Resultat das Einzelne, Konkrete, Subjekt; was jenes an sich, ist dieses nun ebensosehr fr sich, das Allgemeine ist im Subjekt gesetzt“.340

Aus der Darlegung der logischen Struktur der vollentwickelten Einzelheit in II.2.5. ist ersichtlich, dass das jetzt eigens gesetzte Allgemeine als die neue Identitt das entscheidend Neue gegenber der noch nicht vollentwickelten Einzelheit ist.341 Begriffslogisch gesprochen und aus der Sicht der beiden Momente dargestellt, liegen nicht nur die zwei widersprchlichen Totalitten vor als ein Allgemeines, das als Allgemeines Besonderes ist und als ein Besondere, das als Besonderes Allgemeines ist. 338 WL3, 54 (12, 49). 339 Es steht in einem Absatz, der in Rekurs auf die triplizitre Einteilung die Unmittelbarkeit als Moment des Abschlusses und somit als durch die Vermittlung gewonnen beschreibt: „Nher ist nun das Dritte das Unmittelbare, aber durch Aufhebung der Vermittlung, das Einfache durch Aufheben des Unterschiedes, das Positive durch Aufheben des Negative [sic!]“ (WL3, 298 (12, 248)). 340 WL3, 299 (12, 248). 341 In wesenslogischer Terminologie gesprochen, entsteht der Grund als eine neue Identitt, weil die beiden Seiten des Gegensatzes nicht nur jeweils Totalitten und somit der Widerspruch sind, sondern sich als Widerspruch ebenso auflçsen und sich damit eine neue Form von Identitt ergibt.

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Sondern ihre darin mitgegebene, von beiden Seiten vorliegende Identitt ist eigens gesetzt, um es so auszudrcken: Das Allgemeine ist als Allgemeines Besonderes, und dabei gerade ein Besonderes, das als Besonderes Allgemeines ist. Die absolute Idee nennt das eine „sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Ttigkeit“.342 Es ist dies also eine Ttigkeit, in der wegen der gesetzten Identitt nicht mehr nur der Selbstverlust anfnglicher Selbstndigkeit und damit eine Vermittlung mit dem Anderen ihrer stattfindet, sondern sich dieses Andere ihrer als das Eigene erweist. Daher ist die absolute Subjektivitt, indem sie sich mit ihrem Anderen vermittelt, in Wahrheit „sich mit sich selbst vermittelnd.“ Anders gesagt, ist die Vermittlungsbewegung reflexiv geworden. Mit dieser Strukturbeobachtung ist die Begrndung dafr angefhrt, dass Hegel auf dieser Entwicklungsstufe der absoluten Idee die Kategorie der Subjektivitt einfhrt.343 Denn durch den Selbstverlust hindurch vollzieht sich wahrer Selbstgewinn, so dass das Andere Moment der eigenen Reflexivitt wird. Das aber ist laut Hegel die Grundstruktur von Subjektivitt.344 Aus der Darlegung der vollentwickelten Einzelheit wird zudem ersichtlich, dass sie die angesprochene Identitt nicht ein- fr allemal erreicht und dann, gleichsam statisch, besitzt. Vielmehr erlangt sie sie bestndig neu.345 Um das eben angefhrte Zitat aus der absoluten Idee zu erweitern: „Es [das Resultat, also die vollentwickelte Einzelheit] ist ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung; aber diese Formen des Urteils: das Dritte ist Unmittelbarkeit und Vermittlung, oder es ist die Einheit derselben, sind nicht vermçgend, es zu fassen, weil es nicht ein ruhendes Drittes, sondern eben als diese Einheit die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Ttigkeit ist“.346

Fr die Subjektivitt bedeutet das: Selbstgewinn durch Selbstverlust ist kein vorbergehendes Moment ihrer, sondern die einzige Form ihrer 342 WL3, 299 (12, 248). 343 Auch Iber, Subjektivitt, 188, legt mit Rekurs auf die von uns angefhrten Zitate der absoluten Idee dar, dass die Subjektivitt an dieser Stelle von Hegel eingefhrt wird. 344 Iber, Subjektivitt, 189, sagt dazu, dass die Subjektivitt die „spekulative Einheit von Selbst- und Fremdbezug ist“ – wobei hinzuzufgen wre, dass, so sehr sich der Selbstbezug nur im Fremdbezug gewinnt, der Fremdbezug dennoch Moment des Selbstbezuges ist. Um an die alte Formel zu erinnern: Es liegt eben die Identitt von Identitt und Nicht-Identitt vor. 345 Darin gleicht sie wiederum dem wesenslogischen Grund. 346 WL3, 299 (12, 248).

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Selbsthabe. Auch in ihrem gesetzten Stadium bleibt sie in sich dynamisch, weil sie keine der Vermittlungsbewegung entzogene Substanz ist, sondern immer nur sie selbst als diese. Damit stellt sich erneut die Frage, wie sich die gesetzte Subjektivitt zu dem bisherigen Verlauf der Entwicklung verhlt. Zur Beantwortung sei zu Beobachtungen zurckgekehrt, die bereits eingangs der Auslegung der absoluten Idee in dem ersten berblick ber deren Gesamtverlauf unter II.2.1. angefhrt wurden.347 Dort wurde eine Doppelperspektive auf den Gesamtverlauf vorgeschlagen: In einer ersten kann die Differenz zwischen Anfang und Ende der Entwicklung hervorgehoben werden, in einer zweiten die Selbigkeit. Ist es sachgemß, beide Perspektiven dergestalt als wesentlich vermittelt zu begreifen, wie auch der jeweilige Fortgang „sosehr synthetisch als analytisch“ ist, so sollen die beiden Perspektiven aus Darstellungsgrnden hier doch zuerst nacheinander abgehandelt werden. Besteht die grundlegende Forderung Hegels darin, die Substanz ebenso sehr als Subjekt aufzufassen, so kommt Hegel seiner Forderung dadurch nach, dass er den Entwicklungsgang als den der Selbstaufhebung der Substanz in das Subjekt prsentiert. Unter dieser Perspektive erscheint der Anfang der Bewegung mit seiner anfnglichen, ganz unentwickelten Allgemeinheit mit ihren substanzhaften Zgen in großer Differenz zu dem Resultat der Bewegung zu stehen, welches die beraus reiche, konkrete Struktur absoluter Subjektivitt besitzt. Schien das anfngliche Allgemeine in der Perspektive des Anfanges das Absolute und alle Wirklichkeit zu sein, so erweist es sich von dem Ende der Bewegung her als eine defiziente, substanzhafte Entitt. Sie ist zudem widersprchlich, ohne diese Widersprche explizit zu machen. So hat sie in allem wenig mit dem Resultat der vollentwickelten Subjektivitt gemein, sondern muss diese erst im Verlauf werden. Diese die Differenz zwischen Anfang und Ende betonende Entwicklung wird auch in der Realphilosophie von Bedeutung sein, etwa wenn es heißt, dass „der Geist erst wahrhafter Geist ist, insofern er das Letzte ist“.348 Entsprechend findet sich diese Perspektive in der absoluten Idee grundgelegt, wo festgestellt wird: „Die beiden ersten Momente der Triplizitt sind die abstrakten, unwahren, Momente, die eben darum dialektisch sind und durch diese ihre Negativitt sich zum Subjekt machen“.349 347 Siehe dazu auch Schfer, Die Dialektik, 281 f. 348 VL1, 90. 349 WL3, 299 (12, 248).

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Der Entwicklung von der Substanz als dem „abstrakten, unwahren“ hin zu dem Subjekt vollzieht sich, indem die unwahren Momente „durch diese ihre Negation“ zu dem Anderen ihrer werden und sich darin selbst als Subjekt gewinnen. Wurde unter II.2.3.3.2. noch betont, dass die Negation oder der Widerspruch zu der Dynamisierung der Kategorien fhrt und damit das System als System aufbaut, so ist jetzt deutlich, dass damit noch nicht der Endzweck der Integration des Widerspruches in das System benannt wurde. Dieser ist letztlich nicht allein als Aufbau des Systems, sondern wesentlich als sich darin vollziehende Subjektivierung der Substanz und somit als die Entwicklung vollentwickelter Subjektivitt zu fassen. Wurde bisher die Differenz zwischen dem Anfang der Entwicklung und ihrem Ende betont, so soll nun die Selbigkeit zwischen Anfang und Ende und vor allem zwischen dem Weg zum Resultat und dem Resultat des Weges hervorgehoben werden. Im Verlauf der Auslegung wurde bereits mehrfach notiert, dass schon der Anfang und dann auch der Weg zum Resultat bestndig durch Momente von Selbigkeit gekennzeichnet sind. Nur deshalb ist die Entwicklung zum Resultat als eine Entwicklungsbewegung und somit berhaupt als Entwicklungsbewegung und nicht als Abfolge erratischer Blçcke charakterisiert. Das aber ist daher von Bedeutung, weil sich allein so die vollentwickelte Subjektivitt entwickeln kann. Denn diese ist doch erst wahrhaft sie selbst, „als sie das Letzte ist“. Befindet sie sich aber noch in den Stadien vor ihrem Resultat, so ist es jeweils umstritten, ob die auftretende Selbigkeit tatschlich als Subjektivitt zu fassen ist. Denn im Verlauf dominiert bei aller zwischen jeden Schritten auftretenden Selbigkeit dennoch die Negation. Entsprechend ist es offen, ob sich das Moment der Identitt in der Negation letztlich wieder herstellt oder nicht. Ist die vollentwickelte Subjektivitt hingegen erst einmal erreicht und damit das positive Resultat des Widerspruches gesetzt, so besteht ein Moment ihrer Vollendung gerade darin, sich in ihrer Negation als sie selbst zu erkennen. Somit begreift sie, dass sie immer schon Subjektivitt war.350 Dementsprechend wird es in der Realphilosophie heißen: „Das Dritte, der Geist, ist die Einzelheit als solche, aber wir mssen wissen, alle drei sind der Geist“.351 350 Siehe dazu auch Dsing, Das Problem, 326. 351 VL3, 128. Die enzyklopdische Fassung der Darlegung der letzten Entwicklungsstufe der absoluten Idee benennt es auf Enz., §242, 196 (20, 230 f.), wie folgt: „Der Begriff, so von seinem Ansichsein vermittelst seiner Differenz und deren Aufheben sich mit sich selbst zusammenschließend, ist der realisierte Be-

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Die von dem Resultat der Entwicklung her einsehbare Identitt der vollentwickelten Subjektivitt mit der Subjektivitt in ihrer Entwicklung ist dann noch leichter zu begreifen, wenn die in der Vollgestalt vorherrschende Dynamik mitbedacht wird. Selbstgewinn durch Selbstverlust, so wurde dargelegt, ist kein vorbergehendes Moment der Subjektivitt, das etwa nur auf dem Wege zu ihrer Vollgestalt auftritt, sondern bezeichnet die einzige Form ihrer Selbsthabe. Auch die vollentwickelte Subjektivitt gewinnt sich in der Dynamik des bestndigen Selbstverlusts, weil sie keine immer schon oder irgendwann einmal bestehende Substanz hinter der Vermittlungsbewegung ist, sondern gerade sie selbst als diese. Damit ist die Art des Selbstgewinns auf dem Weg zu der vollentwickelten Gestalt der Subjektivitt dieselbe wie die Art der Selbsthabe als vollentwickelte. Die vollentwickelte Subjektivitt ist also przise der Weg der anfnglichen Subjektivitt, der als Weg, als Be-Weg-ung, in der vollentwickelten Einheit gesetzt prsent ist. Das Resultat des Weges ist nichts als der Weg zum Resultat, aber als gesetzter. Damit aber sind der Weg zum Resultat und das Resultat des Weges in ihrer Selbigkeit als Momente der einen, wesentlich strukturgleichen Subjektivitt begriffen. Die soeben dargelegte Bewegtheit der absoluten Subjektivitt kann zudem vermitteln zwischen der Betonung der Differenz und der der Selbigkeit, die zwischen Anfang und Ende sowie zwischen dem Weg zum Resultat und dem Resultat des Weges besteht. Denn Bewegung ist dadurch charakterisiert, dass sich etwas gerade dann gleich bleibt, wenn es sich ndert, und sich ndert, wenn es gleich bleibt. Weil die Subjektivitt bleibend sie selbst ist als die Vermittlungs-Bewegung ihrer Momente, bleibt sie sich selbst gleich am Anfang des Weges, im Weg zum Resultat und im Resultat des Weges, und wird dabei dennoch zu sich. Zu sich geworden aber ist sie, wenn sie die scheinbare Selbstndigkeit der einzelnen Momente in ihrer statischen, substanzhaften Unvermitteltheit vollstndig in ihre Vermittlungsbewegung integriert hat, oder wenn sie, die von Anfang an Bewegung ist, ganz Bewegung geworden ist.352 Dann griff, das Gesetztsein seiner Bestimmungen in seinem Frsichsein enthaltend, – die Idee, fr welche zugleich als absolut Erstes (in der Methode) dies Ende nur das Verschwinden des Scheins ist, als ob der Anfang ein Unmittelbares und sie ein Resultat wre; – das Erkennen, daß die Idee die Eine Totalitt ist“. 352 Auch wenn es in der eigenen Terminologie primr um die Verhltnisbestimmung von Grnden und Begrnden geht, kann vom verhandelten Sachproblem aus und dann auch von der Terminologie her die ganze Studie von Guzzoni, Werden, als Explikation des verhandelten Grundproblems von Selbigkeit und Differenz zwischen Anfang und Ende gelesen werden. Auch sie macht deutlich, dass der Schlssel zu diesem Verstndnis in der Bewegung des Absoluten liegt. Zu der

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ist das substanzhaft Andere vollstndig zu dem Anderen ihrer geworden, zu dem Moment ihrer eigenen Reflexion. Damit hat sie die in der Vermittlungsbewegung bestndig neu zu erlangende, vollstndige Selbstdurchklrung erreicht. Sie ist gerade als Einzelne unmittelbar geworden. Zudem wird dadurch nochmals begrndet, was am Ende der ersten Negation unter II.2.3.5.2. erwhnt wurde: Dialektik und absolute Subjektivitt sind strukturquivalent, Methode und Prinzip fallen in eins. Das Prinzip ist selbst Bewegung, und zwar als Selbstbewegung – als die Bewegung eines Selbst, das sich, indem es sich in sein Anderen hinein verliert, als Selbst gewinnt, weil es gerade als das Andere seiner es selbst ist. Indem damit das Prinzip Selbstbewegung ist, entspricht es der Dialektik als der Methode Hegels. Denn die Dialektik besteht darin, dass die Entitten der ihnen eigenen Bewegung folgen, mithin analytisch, aus sich heraus, synthetisch das Andere ihrer werden und gerade dadurch in ihre Wahrheit gelangen. Auch mit diesem Zusammenfall von Methode und Prinzip ist Hegel als ein Hçhepunkt neuzeitlichen Denkens ausgezeichnet. Denn seit Descartes sind die Subjektivitt als Prinzip einerseits und die Suche nach einer gesicherten Methode andererseits als die beiden vielleicht zentralsten philosophischen Fragen anzusehen. Hegel findet eine Antwort auf beide, indem er sie als wesentlich vermittelt denkt.353 Bevor zu der Realphilosophie bergeleitet wird, sei die erreichte Unmittelbarkeit noch unter begrndungstheoretischer Perspektive bedacht. Sie weist Hegel in einer anderen Hinsicht als Hçhepunkt neuzeitlichen Denkens aus. II.2.5.3. Letztbegrndung und Philosophie Ohne den Anspruch zu erheben, die auf Letztbegrndung abzielende Begrndungsstrategie Hegels in ihrer Komplexitt im Rahmen der vorliegenden Arbeit angemessen darstellen zu kçnnen, seien dennoch einige fr das vorliegende Buch relevante Bemerkungen zu dem Thema gemacht.354 Dazu sei daran erinnert, dass die absolute Idee als zweierlei Verhltnisbestimmung von dem Weg zum Resultat und dem Resultat des Weges heißt es entsprechend bei Guzzoni, Werden, 62: „Die Bewegung selbst ist das Resultat der Bewegung“. 353 Siehe dazu Schfer, Die Dialektik, IX. 354 Wrde es nicht den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, so wren jetzt ausfhrliche Verweise auf Hegels Behandlung des ontologischen Gottesbeweises am Platz, in denen herauszustellen wre, dass es gerade der vollentwickelte Begriff ist, der laut Hegel den Gottesbeweis zu fhren erlaubt, siehe dazu auch Trawny, Zeit, 31 – 40. Hçsle, Hegels System kann als der Versuch begriffen werden, Hegels

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

fungiert: als „innerer Bildner“ oder logische Struktur der Religionsphilosophie einerseits und als Methodenkapitel fr Hegels gesamtes Denken andererseits. In letzterer Hinsicht ist sie jetzt von Interesse. Meint Letztbegrndung, dass die letztbegrndete Entitt von keiner Voraussetzung abhngig ist,355 so scheint dem die Prozessualitt der Hegelschen letztbegrndeten Entitt unmittelbar zu widersprechen. Denn wenn eine Entitt erst zu sich wird, so ist sie doch wohl von den jeweiligen Stufen des Weges zu sich abhngig, da diese ihr vorausgesetzt sind. Material gesprochen: Dependiert nicht die vollentwickelte Subjektivitt von der Substanz des Anfanges? Oder, realphilosophisch gewendet, ist nicht der absolute Geist von der Natur abhngig oder das Christentum von der ersten Naturreligion? Werden somit nicht auf dem Weg der Entwicklung der letztbegrndeten Entitt gerade ihre Voraussetzungen eigens expliziert, so dass der Weg gerade nicht der zu einer letztbegrndeten Entitt sein kann? Diesem Einwand kann durch einen Rckblick auf das sich jeweils vollziehende Geschehen widersprochen werden. Denn der Weg zu der vollentwickelten Entitt besteht gerade nicht darin, die der vollentwickelten Entitt vorgngigen Entitten als selbstndige und somit tatschlich als Voraussetzungen zu setzen. Vielmehr wird die Selbstndigkeit der ersten Entitten als Schein erwiesen. Denn es zeigt sich, dass die ersten Entitten gerade wegen der behaupteten Selbstndigkeit widersprchlich sind. Daher wird die scheinbare Selbstndigkeit der ersten Entitten negiert, und die frheren Entitten werden als Momente in die spteren aufgehoben.356 Obwohl also die neue Entitt aus der Vorhergehenden folgt, so dass diese als ihre Voraussetzung angesehen werden kçnnte, so wird die Vorhergehende in Wahrheit gerade als Selbstndige und damit in ihrem Status als Vorausgesetzte negiert und in die Sptere aufgehoben.357 Gesamtsystem unter einer auf Letztbegrndung zielenden transzendentalphilosophischen Perspektive zu rekonstruieren. 355 Zu dem Begriff von Letztbegrndung siehe etwa Cramer, „Metaphysik“, 297 f. 356 Guzzoni, Werden, 64, kann dazu sagen: „Die Begrndung ist Reflektieren, ZumMoment-Machen. Es ist das Selbst-Aufheben der scheinbar fr sich seienden Bestimmungen in ihren Grund, ihre Einheit, in die Bewegung des Absoluten, welche Bewegung nichts anderes ist als eben das Aufheben selbst“. Hçsle, Krise, 159 – 168, benutzt den Grundansatz dieser Perspektive fr eine gegenwrtige Verteidigung einer letztbegrndeten Position, indem er methodisch davon ausgeht, dass Letztbegrndung durch den Selbstwiderspruch und die damit verbundene Selbstaufhebung entgegengesetzter Positionen zu erreichen ist. 357 Diese Strategie appliziert Hegel auch auf den kosmologischen Gottesbeweis. Dessen traditionelle Fassung ist von der entscheidenden Schwche geprgt, dass

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Doch Hegels Umgang mit der Voraussetzungshaftigkeit des Selbstwerdungsprozesses ist nicht hinreichend beschrieben, wenn allein auf die Momentanisierung der scheinbar selbstndigen, vorgngigen Entitten verwiesen wrde. Vielmehr gibt es (zumindest) einen zentralen Aspekt von Voraussetzungshaftigkeit des Gesamtverlaufes, der erst ganz am Ende des Gesamtverlaufes seinen Charakter als Voraussetzung verliert, und zwar, indem er selbst eigens gesetzt wird. Dadurch lçst Hegel das schwierige Problem der Unmittelbarkeit des anfnglichen Anfangs. Dieses besteht in Folgendem: Wegen der Anfnglichkeit des Anfangs kommt dem Anfang Unmittelbarkeit zu. Dies ist wohl alternativlos und damit in einem schwachen Sinne voraussetzungslos.358 Zugleich aber ist die erste Unmittelbarkeit nicht im strengen Sinne erwiesen oder abgeleitet. Denn jeder Erweis oder jede Ableitung wrde dem Anfang vorausgehen und damit die Anfnglichkeit des Anfangs zerstçren.359 Somit hat die erste Unmittelbarkeit des Anfangs einen Aspekt von Voraussetzungshaftigkeit. Material gewendet: Der Begriff hat am Anfang seine eigene Unmittelbarkeit (und damit sein Sein) als seine Voraussetzung. Hegel berwindet diesen Aspekt von Voraussetzungshaftigkeit nun dadurch, dass er selbst eigens gesetzt wird.360 Denn wird das vorher Vorausgesetzte als Resultat der Entwicklung des Absoluten selbst gesetzt und ist es somit durch den Verlauf als begrndet erwiesen, so ist es damit in seinem Status als Vorausgesetztes negiert.361 Genau das geschieht: Wie bereits mehrfach konstatiert, resultiert die Selbstwerdungsbewegung der absoluten Subjektivitt in der Unmittelbarkeit. Dadurch wird diejenige Unmittelbarkeit, die anfangs nur aufgerafft und damit als Voraussetzung vorhanden

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er, vom Endlichen zum Unendlichen fortschreitend, das Endliche als Grund oder als Voraussetzung des Unendlichen ausgeben muss. Hegel zeigt aber, dass der Verlauf vom Endlichen zum Unendlichen gerade darin besteht, dass sich das Endliche in seiner scheinbaren Selbstndigkeit und damit als Grundlage des weiteren Verlaufes negiert und sich somit zum Moment des Unendlichen macht, siehe etwa VL1, 319 f. Zu den hier und im Folgenden unterschiedenen, von Hegel miteinander kombinierten Verstndnissen von Voraussetzung als Alternativlosigkeit und als sukzessive Aufhebung von Voraussetzungen siehe Koch, „Sein“, 17. Siehe dazu die Ausfhrungen unter II.2.2. Wurde der Status der Voraussetzungshaftigkeit der Unmittelbarkeit des Anfanges schon dadurch angegriffen, dass sich die Unmittelbarkeit als die des Anfanges, der fortschreitet, erwies (siehe II.2.3.4.), so wird sie durch die folgenden berlegungen vollends in ihrem Status als vorausgesetzte negiert. Dass damit nicht notwendiger Weise der Fehler der petitio principii verbunden ist, entwickelt Hçsle, Hegels System, 53 und 184 – 187 sowie Hçsle, Die Krise, 167 f.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

war, am Ende von dem Begriff eigens gesetzt.362 So erweist sich der Begriff als voraussetzungslos. Damit geht zugleich einher, dass „das Resultat dies abwirft, Resultat zu sein“.363 Das Resultat des Weges zum Resultat negiert sich als Resultierendes, da es durch die selbst gesetzte erste Unmittelbarkeit wesentlich qualifiziert ist. Dabei wird die erste Unmittelbarkeit auf dieselbe Art und Weise gesetzt, auf die die jeweils vorhergehenden Entitten sich als Voraussetzungen negieren. Beides erfolgt durch die Vermittlungs- oder Reflexionsbewegung, die den Widerspruch zu ihrem Motor hat. Mit einem berhmten Wort Hegels geredet, erfolgt die Letztbegrndung also durch den „sich vollbringenden Skeptizismus“.364 Nun ist aber die Unmittelbarkeit das Resultat des sich so vollziehenden Weges. Das Resultat des Weges aber ist nichts als der gesetzte Weg zum Resultat. Daraus folgert, dass die neue Unmittelbarkeit nicht nur durch die Vermittlungs- oder Reflexionsbewegung gesetzt wird, sondern gerade auch als diese. Ist die Selbstvermittlungsbewegung dergestalt erfolgreich, dass sie sich mit allem Anderen vermittelt, so resultiert sie in einer selbstreflexiven, vollstndigen Selbstdurchsichtigkeit, die sich als Herstellung von sich als Unmittelbarkeit fassen lsst. Die Selbstvermittlungsbewegung stellt sich selbst als die erste Unmittelbarkeit her und ist so absolute Vermittlung. So wie das gesamte System erst in dem Verlauf in seine Wahrheit gelangt, so wird auch die dem System eigene Voraussetzungslosigkeit erst in dem Verlauf des Systems erreicht.365 Das zentrale Bild fr den Fortgang der Entwicklung in dieser Hinsicht ist dabei das des Kreises. Bisher wurde die Selbstwerdungsentwicklung der absoluten Subjektivitt von ihren ersten, substanzhaften Zgen hin zu ihrer vollentwickelten und darin unmittelbaren Vermitteltheit implizit primr als lineare Fortschrittsgeschichte analysiert. Die Setzung der eigenen Voraussetzung und somit die Negation der eigenen Voraussetzungshaftigkeit ist hingegen als ein 362 Hegel kann die Setzung der Unmittelbarkeit der vollentwickelten Einheit auch deren Herstellung nennen und in der absoluten Idee, WL3, 297 (12, 247), entsprechend schreiben: „In diesem Wendepunkt der Methode kehrt der Verlauf der Erkenntnis zugleich in sich selbst zurck. Diese Negativitt ist als der sich aufhebende Widerspruch die Herstellung der ersten Unmittelbarkeit, der ersten Allgemeinheit“. 363 VL1, 225. 364 PhG, 61. 365 Mit Koch, „Sein“, 17, gesprochen, ist die Selbstentwicklung des reinen Denkens in dem System „interpretierbar als die schrittweise Aufhebung-durch-Erfllung der Norm der Voraussetzungslosigkeit“.

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Kreisgang zu beschreiben. Dabei entfernt sich der Anfang von sich, gelangt sodann zu seinem Ende, und das Ende schlingt sich zugleich in den Anfang zurck, da es mit der ersten Unmittelbarkeit endet.366 Mit Hegel gesprochen: „Vermçge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als ein in sich geschlungener Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurckschlingt“.367

Das Zurckschlingen des Endes in den Anfang erweist den vorausgesetzten Anfang als das voraussetzungslose Ende und bedeutet somit die Herstellung eines sich selbst begrndenden und damit letztbegrndeten Kreises.368 Gerade im Hinblick auf die im Weiteren auszulegende Realphilosophie ist es vonnçten, sich die Art und Weise der Herstellung der resultierenden Unmittelbarkeit unter noch einer anderen Hinsicht zu vergegenwrtigen. Mit einem Zitat aus der absoluten Idee gesprochen, in dem die neue Unmittelbarkeit mit der triplizitren Einteilung als das Dritte gezhlt wird: „Nher ist nun das Dritte das Unmittelbare, aber durch Aufhebung der Vermittlung, […], der Begriff, der sich durch das Anderssein realisiert und durch Aufheben dieser Realitt mit sich zusammengegangen und seine absolute Realitt, seine einfache Beziehung auf sich hergestellt hat“.369

Hier wird die triplizitre Einteilung des Gesamtverlaufs der absoluten Idee dergestalt charakterisiert, dass in Anklang an den Gesamtverlauf des Systems die anfngliche erste Unmittelbarkeit dem Begriff, die Vermittlung seinem Anderssein als der Realitt und die vermittelte Unmittelbarkeit der Aufhebung der Realitt in die absolute Realitt zugeordnet wird. Aus der Sicht des spekulativen Philosophen oder aus der Sicht des Gesamtsystems sind alle drei Schritte von entscheidender Bedeutung. So ist die Realitt als das Andere des Begriffs der Begriff in seinem Anderssein und damit von dem Begriff in Wahrheit selbst gesetzt. Sodann kehrt der Begriff aus seinem Anderssein zu sich zurck und ist so absolute 366 Siehe auch Schndelbach, „Philosophie“, 55. 367 WL3, 304 (12, 252). 368 Da sich das Ende in den Anfang zurck schlingt und nur so die Negation der noch bestehenden Voraussetzungshaftigkeit erreicht wird, ist trotz des begrndungstheoretischen Fortschritts zwischen der anfnglichen und der hergestellten Unmittelbarkeit der Verlauf als Kreis und nicht als Spirale zu visualisieren, gegen Kimmerle, „Die allgemeine Struktur“, 208 f. 369 WL3, 298 f. (12, 248).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Realitt. Der Begriff, der sich in die Realitt entlsst und so zwar Realitt gewinnt, aber sich in der Realitt als in seinem Anderen zu verlieren droht, weil nur die Unmittelbarkeit der Realitt vorzuliegen scheint – dieser Begriff geht durch das „Aufheben dieser Realitt mit sich zusammen“. Das Aufheben der Realitt meint das Aufheben der Realitt als abstrakter Realitt, als ein noch nicht eigens mit dem Begriff vermittelter Bereich. Mit diesen Beobachtungen kann noch eine weitere Fragestellung bedacht werden: Wie stellt sich das Problem der Voraussetzungshaftigkeit aus der Sicht einer jeweiligen realphilosophischen Disziplin wie etwa der Religionsphilosophie dar? Ist die eben angedeutete Entwicklungsbewegung auch in der absoluten Idee und somit in der Logik vorgestellt, so ist die absolute Idee doch das Methodenkapitel des gesamten Systems, so dass sich diese Entwicklung auch realphilosophisch vollzieht. Die in der absoluten Idee verwendeten Begriffe von „Begriff“ und „Realitt“ deuten das ja bereits an. Aus der Sicht der jeweiligen realphilosophischen Disziplin gesprochen, stellt sich das Problem der Voraussetzungshaftigkeit nun aber auf eine eigene Art. Whrend sich die Realitt als das Andere des Begriffs aus der Sicht des Gesamtsystems als der Begriff im Modus seines Andersseins darstellt, ist sie aus der Sicht der jeweiligen Realphilosophie zuerst ein vorgngiges, unbegriffenes Anderes. Damit stellt sich das Problem der Voraussetzungshaftigkeit realphilosophisch als das von Genese und Geltung. Denn die Realitt als das der Philosophie genetisch Vorgngige scheint auch geltungstheoretische Voraussetzungshaftigkeit beanspruchen zu kçnnen. Die Lçsung aus der Sicht der Realphilosophie besteht darin, den Begriff in der Realitt zu entdecken. Die genetisch vorausgehende Realitt wird ihres geltungstheoretischen Status der Voraussetzungshaftigkeit gerade dadurch enthoben, dass der Begriff sich in der Realitt findet. In dem Maße, in dem die jeweilige Wirklichkeit begriffsgemß ist und die Realphilosophie den Begriff in ihr entdeckt, verliert sie ihren geltungstheoretischen Status der Voraussetzungshaftigkeit.370 Entsprechend wird die wesentliche Aufgabe der Religionsphilosophie gerade darin bestehen, den Begriff in der Religion zu entdecken.371 370 Genau dieser Vorgang wird in der Realphilosophie zu beobachten sein: Mit VL1, 10, ist es Aufgabe der Religionsphilosophie, „die Religion, die IST, zu erkennen und zu begreifen“, oder, so VL1, 175, die „Vernunft in der Religion“ zu entdecken und dadurch die Religion aus ihrer bloßen Realitt aufzuheben und zu begrnden, siehe dazu unten, II.3.2.3. 371 Siehe unten, II.3.2.3.

II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie

153

Wird somit der eine Lçsungsansatz fr das Problem der Voraussetzungshaftigkeit sowohl aus der Sicht des Gesamtsystems und als auch aus der der jeweiligen Realphilosophie beschrieben, so lassen sich beide Perspektiven folgender Maßen einander zuordnen. Dasjenige, was sich aus der Sicht des Gesamtverlaufs als die Rckkehr des Begriffes aus dem Modus seines Andersseins hin zu der ersten Unmittelbarkeit darstellt, stellt sich aus der Sicht der realphilosophischen Disziplin als die Entdeckung des Begriffes in der genetisch vorgngigen Realitt dar. Hegel lçst das realphilosophisch durch die genetische Vorgngigkeit der Wirklichkeit gegebene Problem der geltungstheoretischen Voraussetzungshaftigkeit der Wirklichkeit also dadurch, dass er den Begriff in ihr entdeckt. Dies ist nur dadurch mçglich, da es laut Hegel nichts dem Begriff bleibend Anderes gibt, kein ihm bleibend Entzogenes, in dem er sich nicht zu entdecken vermag.372 Oder, aus der Sicht des Gesamtsystems gesprochen und letztlich auch erst aus dieser zu begrnden, so ist die Realitt als das Andere des Begriffs eben der Begriff in der Form seiner Andersheit. Daher vermag sich der Begriff in der jeweiligen Realphilosophie zu entdecken. Entsprechend heißt es von der Methode als der Bewegung des Begriffes ganz am Beginn der absoluten Idee: „Die Methode ist deswegen als die ohne Einschrnkung allgemeine, innerliche, und ußerliche Weise und als die schlechthin unendliche Kraft anzuerkennen, welcher kein Objekt, insofern es sich als ein ußerliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhngiges prsentiert, Widerstand leisten, gegen sie von einer besonderen Natur sein und von ihr nicht durchdrungen werden kçnnte. […] Sie ist darum die hçchste Kraft oder vielmehr die einzige und absolute Kraft der Vernunft nicht nur, sondern auch ihr hçchster und einziger Trieb, durch sich selbst in allem sich selbst zu finden und zu erkennen“.373

Kein Objekt kann der Bewegung des Begriffes Widerstand leisten, da der Begriff in allem sich selbst zu finden vermag. Indem sich der Begriff in aller Realitt findet, da diese in Wahrheit nichts ist als er selbst im Modus 372 Selbstredend gibt es auch nach Hegel abstrakt zufllige Ereignisse, aber solange die Wirklichkeit begriffsgemß ist, vermag sich der Begriff in ihr zu entdecken. Hegels berhmt-berchtigtes Diktum, dass, was vernnftig sei, auch wirklich ist, und was wirklich ist, vernnftig (siehe GPhR, 14), besagt somit keineswegs, dass abstrakt alles Daseiende vernnftig sei. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Ereignissen, die zwar existieren, aber nicht vernnftig und daher auch nicht in Hegels hier verwendeten starken Sinne wirklich sind, siehe dazu Enz., §6, Anm., 38 f. (20, 44 f.) 373 WL3, 286 (12, 238).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

der Andersheit, wird sie als abstrakte Realitt aufgehoben. Dadurch entsteht die absolute Realitt als die Vermittlung von Begriff und Realitt, in der der Begriff im Anderen bei sich ist oder das Andere Moment seiner Reflexion wurde. Die in der absoluten Idee dargelegten Strukturelemente der sich jeweils in der absoluten Vermittlung herstellenden Identitt von Identitt und Nichtidentitt als einer Einzelheit, die unmittelbar oder allgemein ist, kann somit in subjektivitts- wie in begrndungstheoretischer Hinsicht expliziert werden. In subjektivittstheoretischer Hinsicht folgt aus ihr ein Modell von Subjektivitt, das es selbst ist als die vollendete Selbstvermittlungsbewegung seiner Momente. Es ist als es selbst gesetzt oder erreicht sich als vollentwickeltes, indem es sich selbst in dieser Vermittlungsbewegung vollstndig durchsichtig ist. Subjektivitt ist keine von dieser Selbstvermittlungsbewegung auch abhebbare oder auch entzogene Substanz, sondern die Substanz ist ganz Subjekt geworden. In begrndungstheoretischer Hinsicht erfolgt mit diesen Strukturelementen die Aufhebung aller Voraussetzungen, da im Resultat alle vorgngigen Elemente momentarisiert wurden und alle Elemente des Begriffes inklusive seiner eigenen Unmittelbarkeit von ihm selbst gesetzt sind. Realphilosophisch ußert sich diese begrndungstheoretische Hinsicht als die Rechtfertigung vernnftiger Wirklichkeit. In dem Resultat ist die vollstndige Selbstdurchklrung der Subjektivitt erreicht, oder der Begriff liegt als letztbegrndeter vor, so dass das Resultat aufhçrt, Resultierendes zu sein und allein als erste Unmittelbarkeit zu fassen ist. Werden beide Perspektiven zusammen gefasst, so ergibt sich, dass die absolute Subjektivitt die Methode und das Prinzip Hegels ist, und dies zugleich gerade so, dass sie letztbegrndet, sich selbst vollstndig durchsichtig oder gesetzte Unmittelbarkeit, also absolute Vermittlung, ist. Mit einer letzten Beobachtung sei in die Realphilosophie bergeleitet. Fr das vorliegende Buch ist es von Wichtigkeit, darauf zu verweisen, dass der explizierten Grundstruktur absoluter Vermittlung eine bestimmte Form entspricht. Wie in dem Gesamtverlauf bestndig implizit vorausgesetzt, entspricht der vollstndigen Selbstdurchsichtigkeit und damit der Letztbegrndung die Form des Begreifens und damit der Begriff, und nicht etwa die Form der Vorstellung. Oder, in Disziplinen ausgedrckt, der erreichten, vollstndigen Selbstdurchklrung im Begriff entspricht die Philosophie. Denn der Religion kommen wesentlich Momente von Entzogenheit zu, die der Vorstellung zueigen sind. Damit bedeuten die gemachten Beobachtungen fr die These dieser Arbeit Folgendes: Hegel entwickelt eine Form von Dialektik, die in ihrer voll-

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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stndigen Selbstdurchklrung endet. Wird diese vollstndig durchgeklrte Dialektik als „innerer Bildner“ der Religion angelegt, so folgt daraus, dass die Religion als defizitr erkannt wird und sich aufgrund ihres „inneren Bildners“ selbst in die Philosophie aufhebt. Die Notwendigkeit der Aufhebung ist der Religion durch ihre logische Grundstruktur zutiefst eingeschrieben. Denn eine letztbegrndete, sich selbst vollstndig durchsichtige Grundstruktur fhrt zu der Negation der Religion als Religion. Wird die Religion auch gerechtfertigt, weil die Grundstruktur in ihr entdeckt und sie somit als begriffshaltige gefasst wird, so fhrt dieselbe Grundstruktur zugleich zu der Negation der Religion als Religion. Ist diese Grundstruktur der logische „Bildner“ der gottmenschlichen Einheit, so folgert, dass sich diese in der Form der Philosophie vollenden wird. Laut Hegel vollendet sich die Christologie von Chalcedon somit in der theoria der Philosophie. Das wird im nchsten Hauptteil ausfhrlich aufgewiesen.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee II.3.1. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der Religionsphilosophie Wurde bisher die absolute Idee als der zentrale logische „Bildner“ der Religion ausgelegt, so wird nun mit Hilfe der dabei gemachten Beobachtungen die Religionsphilosophie selbst ausgelegt. Nach der Exegese des Begriffs in dem Element des Logischen soll also die Realisierung des Begriffs in dem Element des Reellen exegetisiert werden, wobei jeweils das Element des Reellen auf seinen Begriff hin durchsichtig zu machen ist. Zuerst erfolgt eine Nherbestimmung des absoluten Geistes. Denn er ist diejenige Entwicklungsstufe der absoluten Idee, die als einen ihrer Teilbereiche die Religion umfasst. Dazu sei eine methodische und eine materiale Bemerkung gemacht. In methodischer Hinsicht ist festzuhalten, dass die Nherbestimmung des absoluten Geistes primr anhand einer Auslegung der entsprechenden enzyklopdischen Bestimmungen erfolgt. Dieses Vorgehen wird fr die Exegese des gesamten realphilosophischen Bereichs prgend sein. Denn soweit mçglich und sinnvoll, werden im Folgenden stets die enzyklopdischen Texte zitiert, da ihnen große be-

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

griffliche Dignitt zukommt und es dadurch mçglich wird, die vorliegende Auslegung zu berprfen.374 Exegetisiert werden sie dabei stets unter Rckgriff auf die entsprechenden Texte der Vorlesungen.375 Zugleich wird die verhandelte Sache auf die aus der Auslegung der absoluten Idee her bekannten logischen „Bildner“ hin durchsichtig gemacht. In materialer Hinsicht hingegen wird sich herausstellen, dass der absolute Geist die Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist ist. So zeigt sich, dass das Grundthema bereits des absoluten Geistes im Allgemeinen und dann im Besonderen das der Religion die Vermittlung der gçttlichen mit der menschlichen Natur ist. Nach diesen einleitenden Bemerkungen zum absoluten Geist wird dergestalt zur Religion bergeleitet, dass die Vorstellung eingefhrt wird. Sie ist diejenige Form, in der der absolute Geist sich als Religion hat. Somit ist sie diejenige Form, in der sich die gçttliche mit der menschlichen Natur als Religion vermittelt. Dass danach auf die Aufgabe der Religionsphilosophie reflektiert wird, ergibt sich aus dieser selbst. Denn sie besteht darin, den Begriff und somit die Figuren aus der absoluten Idee in den Vorstellungen zu eruieren, um zu begreifen, was ist. Wird begriffen, was ist, so geht damit einher, dass die Religionsphilosophie die Religion zum einen rechtfertigt, zum anderen aufhebt. Indem sie den Begriff in der Religion entdeckt, rechtfertigt sie die Religion. Denn in dem Maße, in dem der Begriff und damit die Vernunft in der Religion entdeckt wird, gilt die Religion vor der Vernunft als gerechtfertigt. Zugleich aber fhrt der Begriff in der Religion zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie. In dialektischer Vermittlung gilt dabei: Gerade die die Religion als vernnftig und somit als gerechtfertigt ausweisende Vernunft in der Religion fhrt zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie. Denn gerade die der Religion wesentlich zukommende, in

374 Da die Enz. nicht alle zentralen religionsphilosophischen Themen abdeckt und etwa die Religionsgeschichte ganz ausspart und zudem in vielem sehr knapp ist, werden im Folgenden dennoch immer wieder auch die Vorlesungen auch als primre Textgrundlage herangezogen. 375 Zwar ist nur fr das Kolleg von 1821 das Hegelsche Manuskript berliefert, whrend fr die anderen Kollegs nur Nachschriften vorliegen, aber seit der hervorragenden Neuedition von Jaeschke kann der Inhalt der anderen Kollegs als so gesichert gelten, dass eine textkritisch begrndete Reduktion auf das Kolleg von 1821 ausscheidet (so wie noch von Huber, Idealismus und Trinitt, 3 f., praktiziert; zur Textkritik der Neuedition siehe Jaeschke, „Einleitung“ zu VL1, XXXVI-XLVIII).

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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der absoluten Idee exegetisierte logische Grundstruktur absoluter Vermittlung bildet die Religion zur Philosophie weiter. Somit ist das zu bearbeitende Feld skizziert und die Aufgabe der Religionsphilosophie in ihr. Daher kann in den folgenden beiden großen Teilen die Arbeit der Religionsphilosophie in diesem Feld selbst rekonstruiert werden. Das beginnt mit einer Auslegung der Religionsgeschichte (II.3.3). Denn in jeder Religion vollzieht sich die Vermittlung des endlichen mit dem unendlichen Geist zum absoluten oder eine Form der Einheit der gçttlichen und der menschlichen Natur. Dennoch liegt der absolute Geist nicht bereits am Anfang in vollentwickelter Form vor. Vielmehr ist er dadurch von der absoluten Idee geprgt, dass er erst zu sich wird oder erst im Resultat ganz er selbst ist. Wiederum gilt hier, dass der Weg zum Resultat dem Resultat selbst wesentlich ist. Die Geschichte der Selbstwerdung des absoluten Geistes ist die Religionsgeschichte, die daher in dem zweiten großen Teil der Rekonstruktion von Hegels Religionsphilosophie eigens auszulegen ist. Sie ist geprgt durch Strukturmomente, die aus der absoluten Idee bekannt sind. So kann sie erstens verstanden werden als sukzessive Subjektivierung der ersten Religionen, die durch substanzhafte Zge geprgt sind. Zweitens vollzieht sich diese Subjektivierung anhand des Schemas einer einfachen ersten Einheit, die sich urteilt und sodann zu neuer Einheit zurckstrebt, die schließlich im Christentum als vollendete vorliegt. Als wesentlicher Motor des Fortgangs erweist sich, drittens, auch hier der Widerspruch. Denn der Fortgang von der einen Religion zur nchsten vollzieht sich dadurch, dass die eine jeweilige Religion prgende Grundkonstellation sich als selbstwidersprchlich erweist und sich daher zu einer neuen Grundkonstellation und somit zu einer neuen Religion fortfhrt. Anhand dieser aus der absoluten Idee bekannten Strukturmomente entwickelt sich die Religionsgeschichte von den ersten Naturreligionen bis hin zu den Religionen der geistigen Individualitt als der griechischen Religion, dem Judentum und der rçmischen Religion. Ihre Vollendung und damit zugleich ihr Ende findet die Religionsgeschichte im Christentum. Ihm ist der dritte Teil der Rekonstruktion der Religionsphilosophie gewidmet (II.3.4). Das Christentum ist deshalb die vollendete Religion, weil sich in ihm der absolute Geist subjektiviert hat. Das ußert sich darin, dass das Christentum den Begriff der Religion oder die logische Grundstruktur selbst zu seinem Vorstellungsinhalt hat. Denn die immanente Trinitt, Jesus Christus besonders dann, wenn er als gottmenschliche Einheit begriffen wird, sowie die christliche Gemeinde sind allesamt wesentlich durch die absolute Vermittlung der logischen

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Grundstruktur geprgt. Sollen sie daher im Folgenden genauer exegetisiert werden, so erhellt zugleich, dass im Christentum eine Fortentwicklung auftaucht, die wiederum als Subjektivierung substanzhafter Zge gefasst werden kann. Diese vollzieht sich zum ersten in demjenigen Kreis, der sich im Christentum von der anfnglichen Einheit der immanenten Trinitt ber die Urteilung in Schçpfung und Kreuz bis hin zu der neuen Einheit in Kirche und Philosophie vollzieht. Zum zweiten vollzieht sie sich darin nochmals in einem Kreis, der gerade das Zentralthema dieser Arbeit betrifft, also die Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur. Denn in Jesus Christus liegt die Einheit zwar bereits in vollendeter Form vor. Dennoch trgt sie immer noch substanzhafte Zge an sich. Denn von dem religiçsen Bewusstsein aus gesehen ereignet sie sich als ein „Damals“ und ist somit noch nicht absolut mit ihm vermittelt. Die absolute Vermittlung der gçttlichen mit der menschlichen Natur und damit die vollendete Entsprechung mit dem vollentwickelten logischen „Bildner“ vollzieht sich nach dem Kreuz erst in dem Pfingstgeist der Gemeinde, der Gott als absolute Subjektivitt ist.376 Somit entspricht die Vorstellung von dem Pfingstgeist dem aus der absoluten Idee bekannten „inneren Bildner“ der Religion vollstndig und stellt daher als vollentwickelte Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur den Hçhepunkt der Religion als Religion dar. Zugleich vollzieht sich in ihm die Aufhebung der Religion in die Philosophie. Denn der Inhalt der absoluten Vermittlung der Pfingstvorstellung widerspricht der Vorstellung als Form, da diese durch das Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits und der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits charakterisiert ist und somit gerade nicht durch absolute Vermittlung. Damit kann die fr diese Arbeit zentrale Beobachtung anhand des Materials vorgefhrt werden. Die zentrale Beobachtung kombiniert Aussagen zu der zentralen Grundstruktur, zu dem Inhalt und zu 376 Somit sind hier die zweite und dritte der dreifachen Entwicklung von anfnglicher Einheit, folgender Urteilung und vollendeter Einheit erwhnt, die sich sowohl im Gesamt der Religionsgeschichte als auch innerhalb des Christentum und im Leben Jesu Christi vollzieht, und die entweder als zyklischer Kreis von Kreisen oder als lineare, sukzessive Selbstwerdung des absoluten Geistes begriffen werden kann: Beide Zuordnungen sind mçglich oder: Zyklizitt und Linearitt kçnnen miteinander vermittelt werden, weil das Resultat des Weges dem Weg zum Resultat gleicht, aber als Gesetztes, so dass sich die Wiederholung als erneuter Weg zu einem erneuten Resultat gerade als der sich perpetuierende Weg im bereits erreichten Resultat gelesen werden kann, siehe II.1.2., II.3.4.1. und II.3.4.4.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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der Form miteinander. Sie verbindet somit Aussagen zu der in der absoluten Idee zu analysierenden, den Inhalt zutiefst prgenden Grundstruktur absoluter Vermittlung, in der ein Selbst es selbst wird, mit Aussagen zu der Einheit der zwei Naturen als dem durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung zutiefst geprgten Inhalt und Aussagen zu Religion und Philosophie als den Formen, in denen sich der Inhalt vollzieht. Am Material wird gezeigt werden, dass gerade die Struktur absoluter Vermittlung, die der inhaltlichen Bestimmung der Einheit der zwei Naturen zugrunde liegt, mit unausweichlicher Konsequenz dazu fhrt, dass sich die wahre Einheit der zwei Naturen in der Form der Philosophie vollzieht. II.3.2. Der Begriff von Hegels Religionsphilosophie II.3.2.1. Die Grundstruktur des absoluten Geistes Die Religion ist Teilbereich des absoluten Geistes, so dass dieser einfhrend kurz expliziert wird. Dies soll anhand des entscheidenden einfhrenden enzyklopdischen Zitates geschehen. Dabei wird das Zitat unter Rckgriff auf einige zu der Enz. parallel laufenden Passagen aus den VL weiter ausgelegt und durch Rckgriff auf die absolute Idee in seiner logischen Struktur genauer aufgeklrt.377 Es lautet wie folgt: „Der absolute Geist ist ebenso ewig in sich seiende als in sich zurckkehrende und zurckgekehrte Identitt; die Eine und allgemeine Substanz als geistige, das Urteil in sich und in ein Wissen, fr welches sie als solche ist“.378

Der Satz beginnt mit einer ersten Definition vor dem Semikolon und wird durch zwei Nherbestimmungen weitergefhrt, die jeweils aus entscheidenden Stichworten des vorher Gesagten erwachsen. Zuerst wird die dem absoluten Geist wesentliche Prozessualitt beschrieben: Er ist „ebenso ewig in sich seiende als in sich zurckkehrende und zurckgekehrte Identitt“. In der absoluten Idee als dem logischen „Bildner“ des absoluten Geistes wurde expliziert, dass dem Geist diese Prozessualitt wesentlich zukommt. Er ist gerade dadurch in Identitt mit sich, dass er sich in dem beschriebenen Prozess der Bewegung befindet. Die Bewegung beginnt damit, dass der absolute Geist in sich seiend ist. Sodann wird deutlich, dass er sich immer bereits verlassen hat, da das Sein-in-sich 377 Zu der Verhltnisbestimmung von Enz. und VL siehe unten, II.3.2.4. 378 Enz., §554, 441 (20, 542).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

oder seine substanzhafte Unmittelbarkeit ein Schein ist. Weil er sich immer bereits verlassen hat, so ist er immer bereits „in sich zurckkehrend“, und dies mit Erfolg. Die Negation fhrt zu der Negation der Negation, so dass der Geist tatschlich in sich „zurckgekehrt“ ist. Damit kann der Kreislauf erneut beginnen, weil der Geist wiederum den Schein des Seins in sich erreicht, sich dieser berschreitet und der Geist dabei wiederum zu sich zurckkehrend ist. Diese Prozessualitt ereignet sich somit „ewig“, also nicht vor- oder außerzeitlich, sondern bestndig erneut, weil sie dem Geist als Geist wesentlich zukommt.379 In dieser Bewegung hat er seine „Identitt“. Mit der Erwhnung der „Identitt“ in der Bewegung ist der berschritt zur ersten Nherbestimmung der anfnglichen Definition des absoluten Geistes gemacht. Denn whrend zuerst die der Identitt des Geistes wesentliche Prozessualitt betont wurde, wird in der ersten Nherbestimmung die Identitt betont, die sich in der Prozessualitt konstituiert. In den drei Bewegungsschritten des Insichseins, des Zurckkehrens und des Zurckgekehrtseins kontinuiert sich der eine Geist in seiner Identitt, weil er „die Eine und allgemeine Substanz als geistige“ ist. Die entsprechenden Vorlesungspassagen exegetisieren diese Stelle nher, wenn sie zuerst die dem absoluten Geist zukommende Allgemeinheit bestimmen und diese dann in Beziehung zu ihm als allgemeine „Substanz“ setzen.380 Nachdem in der Vorlesungspassage der Anfang der Begriffsentwicklung als Allgemeinheit bestimmt wurde, heißt es weiter: „Der Anfang des Inhalts ist aber so aufzufassen, daß bei allen weiteren Entwicklungen des Inhaltes, indem das Allgemeine sich als ein absolut Konkretes, Inhaltsvolles, Reiches zeigen wird, wir zugleich aus dieser Allgemeinheit nicht heraustreten, so daß sie, die wir der Form nach einerseits

379 Mit Fulda, Hegel, 248 und Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 395, wird somit solchen Auslegungen wie Theunissen, Hegels Lehre, 118 f., widersprochen, die an dieser Stelle unvermittelt Theologumena einfhren und somit den ewigen absoluten Geist als immanente Trinitt deuten, die auch ohne die endliche Welt suisuffizient ist. Einerseits widerspricht es Hegels Verstndnis von Philosophie, wenn begriffliche oder reale philosophische Definitionen unvermittelt als theologische genommen werden. Andererseits wird das Verstndnis des absoluten Geistes als suisuffizient, verstanden als getrennt von dem endlichen Geist, durch die folgenden Nherbestimmungen unmçglich gemacht, die die Prozessualitt des absoluten Geistes wesentlich mit dem endlichen Wissen verbinden. 380 Diese Verbindung von Enz. und VL sahen bereits Theunissen, Hegels Lehre, 123, und Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 397.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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verlassen, da sie zu einer bestimmten Entwicklung, zu Reichtum, Konkreterem fortgeht, sich doch als absolut dauernde Grundlage erhlt“.381

Entsprechend seiner begriffslogischen Grundlegung kontinuiert sich das Allgemeine und damit der Geist in seiner Identitt durch seine Weiterentwicklung hindurch, er bleibt die absolut dauernde Grundlage. Damit erweist er sich als absoluter Geist, als Geist, der alle Wirklichkeit ist. Er ist somit die Aufhebung des subjektiven und des objektiven Geistes, weil ihm nichts mehr ußerlich ist.382 Hegels Bezeichnung fr den absoluten Geist ist nun aber nicht nur das Allgemeine, sondern, in enger sachlicher Korrespondenz, zugleich auch die Substanz: „Gott in seiner Allgemeinheit – dies Allgemeine, in dem keine Schranke, Endlichkeit, Besonderheit ist, ist das absolute Bestehen und allein das Bestehen; und was besteht, hat seine Wurzel, sein Bestehen nur in diesem Einen. Wenn wir diesen ersten Inhalt so auffassen, so kçnnen wir uns ausdrcken: ,Gott ist die absolute Substanz, die allein wahrhafte Wirklichkeit.‘“383

Der Geist als Substanz bezeichnet also die Absolutheit des Geistes, dass er alle Wirklichkeit ist.384 Gerade um ihrer Absolutheit willen aber muss diese Substanz „als geistige“ und somit als lebendige, dynamische begriffen werden, in anderer Terminologie: Die Substanz muss ebenso sehr als Subjekt aufgefasst werden. Denn nur so verliert sie ihre Statik und wird in die Lage versetzt, der Gesamtprozess und somit alle Wirklichkeit und daher wahrhaft absolut zu sein. Die angedeuteten Beobachtungen finden ihre entscheidende Begrndung in den berlegungen zu der absoluten Idee. Dort wurde entsprechend bestimmt, dass die absolute Subjektivitt die Substanz aller Wirklichkeit ist. Dies ist sie gerade dadurch, dass die Substanz dieses Geistes dynamische Relationalitt und somit Subjekt, oder, wie Hegel hier sagt, geistige Substanz, wird. Mit der Betonung der Substanz „als geistiger“ ist bereits zu der zweiten Nherbestimmung der anfnglichen Definition des absoluten Geistes weitergeleitet. Denn damit wird darauf verwiesen, dass sich diese 381 VL3, 268. 382 Peperzak, Selbsterkenntnis, 88, weist mit Recht darauf hin, dass der absolute Geist als Einheit des subjektiven und objektiven Geistes auch durch die im nachfolgenden Satz der Enz. auftauchende Verbindung von subjektivem „Subjekt“ und objektivem „Geist der Gemeinde“ charakterisiert wird. 383 VL1, 268 f. 384 ber die spinozistischen Wurzeln dieser Einsicht und die zu Hegels Zeit stattfindende Diskussion ber den Spinozismus siehe VL1, 269 – 277 und einfhrend etwa Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 378 f. und 397.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Prozessualitt als Urteilung vollzieht und diese Urteilung wesentlich mit Wissen verbunden ist: Der absolute Geist ist „das Urteil in sich und in ein Wissen, fr welches sie [sc. die Substanz als geistige] als solche ist“. Dass die Prozessualitt sich als Urteil vollzieht, ist aus der absoluten Idee bekannt. Diese Urteilung ist die Art, wie er „zurckkehrend“ ist, bis er dann dergestalt zu sich „zurckgekehrt“ ist, dass sich die Geurteilten in eine neue Einheit vermitteln. Dass sich diese Urteilung nun als ein Wissen vollzieht, liegt in der hier erreichten Sphre des Geistes begrndet, hat doch der Geist sein Dasein im Wissen und ist der absolute Geist gerade dadurch gekennzeichnet, dass er um sein Dasein im Wissen weiß.385 Um dieses Urteil und die Vermittlungen der Geurteilten im Wissen genauer darlegen zu kçnnen, sei auf ein enzyklopdisches Zitat aus der Darlegung der „geoffenbarten Religion“ als dem Christentum vorgegriffen, das diese allgemeine Struktur in theologischer Terminologie darlegt. Das Zitat weiß sich als Explikation der Einsicht, dass Gott Geist ist und lautet: „Gott ist nur Gott, insofern er sich selbst weiß; sein Sich-wissen ist ferner sein Selbstbewusstsein im Menschen und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht zum Sich-wissen des Menschen in Gott.“386

„Gott ist nur Gott, insofern er sich selbst weiß“: Das verweist darauf, dass Gott der absolute Geist ist und dem absoluten Geist wesentlich zukommt, von seinem Dasein im Wissen zu wissen. Nach dem Semikolon wird dieses Sich-wissen genauer bestimmt. „Sein Sich-wissen ist ferner sein Selbstbewußtsein im Menschen und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht zum Sich-wissen des Menschen in Gott“.

Das Sich-wissen vollzieht sich somit in einem Urteil und der Vermittlung der Geurteilten: Zuerst ist zu unterscheiden zwischen dem unendlichen Geist und dem endlichen Geist.387 Beide sind nicht dasselbe, aber beide 385 Siehe dazu auch Dierken, Glaube, 209. 386 Enz., §564, Anm., 447 (20, 550). 387 Im zitierten Satz ist das „ferner“ somit explikativ zu verstehen, nicht im Sinne eines zeitlichen oder sachlichen „danach“. Im letzten Fall wre etwa mit Theunissen von einer realen und vorgngigen immanenten Trinitt auszugehen, die sich in sich weiß, ehe sie sich im Selbstbewusstsein des Menschen weiß. Wie wir unten, II.3.4.1. und II.3.4.2., aber noch genauer sehen werden, ist die vorgngige immanente Trinitt in Entsprechung zum selbstndigen Allgemeinen der absoluten Idee nur ein notwendiger Schein. Entsprechend ist auch bei dem Zitat des ersten Satzes von Enz., §554, 440 (20, 542), das „Urteil in sich und in ein Wissen, fr welches sie als solche ist“, nicht so zu verstehen, als ob der absolute Geist sich

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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sind jeweils miteinander vermittelt. Diese Vermittlung ist aus beiden Perspektiven zu betrachten. Aus der Sicht des unendlichen Geistes ist festzuhalten, dass der unendliche Geist gerade darin der unendliche ist, dass er sich im endlichen Geist vollzieht. Hegel betont immer wieder, dass es dem unendlichen Geist wesentlich zukommt, sich zu urteilen und somit fr den endlichen Geist zu sein: „Der Geist ist wesentlich, fr den Geist zu sein, und ist nur Geist, insofern er fr den Geist ist“.388 Bezogen auf die Frage des Wissens folgt daraus, dass der unendliche Geist gerade im endlichen Bewusstsein von sich weiß. Dadurch wird der unendliche Geist zum wesentlichen Strukturmoment des absoluten Geistes. Denn der absolute Geist ist nur dann die Substanz als geistige, also alle Wirklichkeit und somit absolut, wenn beide Seiten der Urteilung jeweils wesentlich miteinander vermittelt sind und sich somit in und als diese Vermittlungsbewegung die Identitt des absoluten Geistes bilden kann. Entsprechend ist die Vermittlung auch aus der Sicht des endlichen Geistes zu rekonstruieren. So kommt es dem endlichen Geist gerade als endlichen wesentlich zu, mit dem unendlichen in Beziehung zu sein oder „das Wissen […] von Gott“ zu haben. Mehr noch: Eben weil der unendliche Geist sich im endlichen Geist weiß, steht der unendliche Geist dem endlichen nicht als ein Fremder gegenber. Entsprechend erkennt sich der endliche Geist als vermittelt mit dem unendlichen, so dass er „fortgeht zum Sich-wissen des Menschen in Gott“. Oder, wie es in den VL heißt: „Der Geist ist bewußt; und das, dessen er bewußt ist, ist der wahrhafte, wesentliche Geist; dieser ist sein Wesen, nicht das Wesen eines Anderen“.389 Dieses Sich-wissen des Menschen in Gott vollzieht sich zuerst als Kult, und Hegel widmet der Beschreibung des Kultes entsprechend einige Aufmerksamkeit.390 Im letzten aber bedeutet es die Aufhebung des Kultes in die Philosophie. Denn, wie noch ausfhrlich zu betrachten sein wird, es entspricht erst der Begriff als der Form der Philosophie dem Inhalt des Sich-wissens des Menschen in Gott. Wiederum erfhrt die hier dargelegte Struktur ihre letzte Klrung und Rechtfertigung durch den Rckgriff auf die absolute Idee. Denn die Vermittlung von unendlichem und endlichem Geist als absolutem entspricht der Vermittlung von Allgemeinem und Besonderen als dem zuerst in sich urteilen wrde, bevor er sich ad extra in ein Wissen manifestiert. Vielmehr werden mit dem „in sich und in ein Wissen“ die beiden Urteilsglieder benannt, also der unendliche und endliche Geist. 388 VL1, 279. Siehe auch Enz., §564, 446 (20, 549). 389 VL1, 86. 390 Siehe etwa VL1, 330 – 338.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Einzelnen absoluter Subjektivitt.391 Um diese Vermittlungsbewegung philosophiegeschichtlich zu reformulieren: Gegen alle links- oder rechtshegelianischen Verkrzungen gilt es festzuhalten, dass Hegels unendlicher Geist mit den Linkshegelianern seinen Ort allein im menschlichen Bewusstsein hat, dass es aber mit den Rechtshegelianern wirklich das Selbstbewusstsein des unendlichen Geistes ist, das seinen Ort im menschlichen Bewusstsein hat – so ist der absolute Geist. Zusammenfassend lsst sich sagen, dass Hegels Darlegung des absoluten Geistes die sich im Element des Reellen vollziehende Darstellung von drei entscheidenden Strukturmomenten der absoluten Idee als seines logischen „Bildners“ ist. Zuerst wird die dem absoluten Geist wesentliche Prozessualitt dargelegt. Sodann erfolgt die Explikation der sich gerade in dieser Prozessualitt bildenden Identitt, aufgrund derer der Geist absoluter Geist ist. Schließlich wird die Prozessualitt nicht nur als Urteilung und beidseitig totalisierende Vermittlung der Geurteilten weiter bestimmt. Sondern es wird auch der Sphre des Geistes angemessen festgehalten, dass diese beidseitige Vermittlung ihr Dasein im Wissen hat und sich dies Wissen als Wissen des absoluten Geistes und daher als Sichwissen des unendlichen Geistes im Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen vollzieht.392 Der so zu fassende absolute Geist vollzieht sich in dreifach verschiedener Gestalt als Kunst, Religion und Philosophie. Die verschiedenen Gestalten des absoluten Geistes unterscheiden sich in der Form, in der der Geist sich im endlichen Bewusstsein selbst weiß. In der Kunst weiß er sich in der Form der Anschauung, in der Religion in der Form der Vorstellung und in der Philosophie in der Form des Begriffs. Im 391 Dass dieser Prozess sich in der Sphre des Geistes im Wissen wiederholt, zeigen nicht nur die eben angefhrten Zitate, sondern auch ein Rckgriff auf die VL, in der das Allgemeine und das Besondere der absoluten Idee als objektive und subjektive Seite bezeichnet werden und es heißt: „Diese Behauptung, daß der religiçse Standpunkt die Wahrheit der Welt sei, enthlt nach der objektiven Seite das Wahre, das an und fr sich seiende Wahre, das wir Gott nennen, und nach der subjektiven Seite, daß die Religiçsitt die wahrhafte Wirklichkeit des Selbstbewußtseins ist, sein wahrhaftes Leben – […]. Wahrheit nur in dieser Vollendung der beiden Seiten zur Totalitt; nur in dieser sind sie und setzen sie sich als identisch“. VL1, 131 f. 392 Wie angedeutet, berschreitet die philosophische Perspektive die religiçse Binnenperspektive dann dahingehend, dass das Sich-wissen des unendlichen Geistes sich dergestalt im Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen vollzieht, dass dieses endliche Wissen vom unendlichen zugleich ein Sich-wissen des endlichen im unendlichen ist.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Folgenden sei die Form nher untersucht, in der sich das Sich-wissen des absoluten Geistes als Religion vollzieht. Dafr sollen einige Bemerkungen zur Vorstellung gemacht werden. II.3.2.2. Die Vorstellung als die Form, in der sich der absolute Geist in der Religion weiß Die Vorstellung ist die Form, in der sich der absolute Geist als Religion weiß. Methodisch parallel zu dem vorhergehenden Abschnitt soll die Vorstellung auch hier vor allem durch die Exegese des entscheidenden Enz.-Zitates vorgestellt werden: „Der absolute Geist in der aufgehobenen Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit der Gestalt und des Wissens ist dem Inhalte nach der an und fr sich seiende Geist der Natur und des Geistes, der Form nach ist er zunchst fr das subjektive Wissen der Vorstellung“.393

Mit der unmittelbaren und sinnlichen Gestalt, auf die rekurriert wird, ist im Gesamtzusammenhang des Systems die Kunst gemeint. Denn es kommt gerade den Bildern und Statuen als ihren Gestalten zu, unmittelbar und sinnlich zu sein.394 Den Betrachtern der Kunst ist eine Form des Wissens zugeordnet, die der sinnlichen Unmittelbarkeit dieser Gestalt dadurch entspricht, dass sie selbst die sinnliche und unmittelbare Form des Wissens ist, also die Anschauung.395 Die unmittelbar sinnliche Gestalt nun vergeht, weil sich an der Kunst erweist, dass sie nicht die vollendete Sphre des absoluten Geistes ist. Denn in ihrer sinnlichen Unmittelbarkeit kann sie nicht die absolute Vermittlung des absoluten Geistes darstellen. So wird sie in die Religion mit der ihr eigenen Form der Vorstellung hinein aufgehoben.396 Die Aufhebung vollzieht sich dergestalt, dass die Vorstellung einerseits nicht mehr wie die Anschauung unmittelbar auf eine ihr ußere Gestalt bezogen ist. Vielmehr ist diese Gestalt nun in dem Bewusstsein selbst zu lozieren, als Erinnerung und Vergegenwrtigung des Erinnerten. Andererseits aber ist die Unmittelbarkeit der Anschauung dergestalt konserviert, dass die vorgestellte Gestalt dem vorstellenden Bewusstsein als ein ihr Fremdes, ihr Entgegenstehendes,

393 394 395 396

Enz., §565, 447 (20, 551). Siehe dazu auch Theunissen, Hegels Lehre, 226. Siehe VL3, 152 f. Dass mit dem Tode Jesu Christi die sinnliche Anschauung in die Vorstellung bergeht, dazu siehe VL3, 152.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Gegenstndliches erscheint.397 Das trennt sie vom Begriff.398 Somit steht die Vorstellung zwischen Anschauung und Begreifen. Anders gesagt: Die Vorstellung unterscheidet sich vom Begriff durch den unterschiedlichen Umgang mit der Voraussetzungshaftigkeit, die jedem Denken mitgegebenen ist. Beginnt jedes Denken mit Voraussetzungen, so ist begriffliches Denken durch die vollstndige Selbsteinholung der eigenen Voraussetzungen geprgt. Die Vorstellung hingegen behlt ihre Voraussetzungen als etwas, was ihr bleibend vorausgesetzt ist und sich somit als ein ihr fremder Gegenstand darstellt. Dieser sinnliche, unbegriffliche Aspekt der Vorstellung findet seinen Ausdruck nun aber nicht nur in der Beziehung des vorstellenden Bewusstseins zum vorgestellten Gegenstand, sondern prgt entsprechend auch den Inhalt des vorgestellten Gegenstandes selbst. Die fehlende Vermittlungsleistung zwischen vorstellendem Bewusstsein und vorgestelltem Gegenstand prolongiert sich also in den vorgestellten Gegenstand hinein. Weil dieser nicht als im Bewusstsein prsent gewusst wird, wird er vom Bewusstsein in ein zeitliches und sachliches Nach- und Auseinander zerlegt. Entsprechend fhrt das Enz.-Zitat fort und bemerkt ber die Vorstellung: „Diese gibt den Momenten seines Inhalts einerseits Selbstndigkeit und macht sie gegeneinander zu Voraussetzungen und aufeinander folgenden Erscheinungen und zu einem Zusammenhang des Geschehens nach endlichen Reflexionsbestimmungen“.399

Als Beispiel kann etwa auf den Umgang der Vorstellung mit den nichtsinnlichen Bereichen der Wirklichkeit verwiesen werden.400 Beschftigt sich die Vorstellung mit diesen Bereichen, so fhrt das nicht nur dazu, dass Gott mit bildlichen Ausdrcken beschrieben wird und er „drei Personen“ ist, deren eine der „Sohn“ eines die Welt „erschaffenden“ 397 Enz., §20, Anm., 55 (20, 63), fasst beide Aspekte zusammen, wenn es heißt: „Das Vorstellen hat solchen sinnlichen Stoff zum Inhalt, aber in der Bestimmung des Meinigen, daß solcher Inhalt in Mir ist“. 398 Zur nheren Charakterisierung dieser Aspekte siehe Enz., §§451 – 464, 363 – 377 (20, 445 – 463). Anders als im subjektiven Geist aber liegt im absoluten vor, was oben angedeutet wurde: Jede der Formen des absoluten Geistes partizipiert an allen drei Formen des subjektiven Geistes, aber unter der jeweiligen Dominanz der sie bestimmenden Form des subjektiven Geistes. So beginnt die Religion mit der Anschauung Jesu Christi (und konserviert dieses Moment etwa in der kirchlichen Kunst) und endet mit dem selbstbewussten Begreifen der Gemeinde, siehe dazu Jaeschke, „Hegels Religionsphilosophie“, 111 – 116. 399 Enz., §565, 447 (20, 551). 400 Siehe dazu Enz., §20, Anm., 55 (20, 63 f.), und VL1, 295 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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„Vaters“ ist. Sondern es werden auch die dem endlichen Bewusstsein eigentlich selbst zukommenden Realitten dergestalt in ein Nacheinander zerlegt, dass aus der prsentischen Eschatologie der Gegenwart des unendlichen Geistes im endlichen die futurische Eschatologie wird.401 Die Vorstellung ordnet das Geschehen somit nur nach ußeren Kriterien und kommt darin mit den endlichen Reflexionsformen berein, also mit dem Verstand.402 Verstand und Vorstellung haben ihren entscheidenden Nachteil darin, dass sie nicht in der Lage sind, die begriffsgemße innere Notwendigkeit und damit die „inneren Bildner“ von Ereignissen zu begreifen, weil sie die wesentliche Vermitteltheit der Gegenstnde nicht erkennen.403 Statt dessen nimmt die Vorstellung die in einen begriffsgemßen Vermittlungszusammenhang eingespannten Momente eines Inhaltes aus diesem Vermittlungszusammenhang heraus und stellt sich die Momente als selbstndig vor. Andersherum und mit Bezug auf die absolute Idee formuliert: Die anfngliche Selbstndigkeit aller Kategorien und Dinge wird von der Vorstellung nicht als Schein erkannt und in ihre Selbstaufhebung berfhrt, sondern in ihrer Selbstndigkeit belassen. Denn die Vorstellung durchschaut die den Selbstndigen inhrenten Widersprche nicht. Deshalb werden die selbstndigen Gegenstnde als „aufeinander folgende Erscheinungen“ gefasst, die einander bloß ußerlich zugeordnet werden, nur durch „,und‘ und ,auch‘“.404 Dies gilt in doppelter Hinsicht: Im Verhltnis der Vorstellung zu den Gegenstnden werden die Gegenstnde als ebenso abstrakt getrennt von dem Vorstellenden genommen wie im Verhltnis der Gegenstnde untereinander die jeweiligen Gegenstnde voneinander. Dieser ußeren Zuordnungsform entsprechend wird die Vorstellung mit dem Genus des Erzhlens verbunden und ist geprgt von sinnlichen, erzhlenden Bildern.405 Mit dieser Beobachtung ist der bergang zu den folgenden berlegungen gemacht, die sich mit dem Inhalt, der Form und der Funktion des Genus der Religionsphilosophie befassen. Denn die Religionsphilosophie kann als diejenige Disziplin verstanden werden, die die in der Religion waltende innere Notwendigkeit begreift. Die Religionsphilosophie begreift somit, was die Vorstellung gerade verpasst, also die we401 402 403 404 405

Siehe dazu VL3, 167 und 121. Zur Nhe der Vorstellung zum Verstand siehe Enz., §20, Anm. 55 (20, 64). Die mangelnde innere Notwendigkeit legen dar VL1, 236 und 296. VL1, 296. Siehe zu diesen Aspekten auch Ringleben, Hegels Theorie, 25 – 32. Siehe dazu etwa VL1, 235 f.; 294.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

sentliche Vermittlung von Vorstellung und Gegenstand ebenso wie die der Gegenstnde untereinander. Denn sie betrachtet die Religion unter der Perspektive des spekulativen Denkens. Das sei genauer ausgefhrt. II.3.2.3. Die Aufgabe der Religionsphilosophie II.3.2.3.1. Es ist zu begreifen, was ist Die Religionsphilosophie hat „zu ihrem Endzweck, die Religion, die IST, zu erkennen und zu begreifen“.406 Die Religionsphilosophie betrachtet die Religion unter dem Blickwinkel der Philosophie, der es darum zu tun ist zu begreifen, was ist, also den Begriff in der Wirklichkeit zu eruieren.407 Die Religionsphilosophie nhert sich somit der Religion mit Vernunft, um die „Vernunft in der Religion“408 zu begreifen. Sie nimmt dafr die empirisch erhebbare Religion, also etwa die Berichte der christlichen Gemeinde, und sucht, sie auf ihre begrifflich ausweisbaren Inhalte hin durchsichtig zu machen.409 Dies Vorgehen lsst sich am besten im Vergleich mit dem Herangehen der Vorstellung nher erlutern.410 Im Vergleich zu ihr ist die Religionsphilosophie wesentlich durch zwei miteinander vermittelte Unterschiede geprgt. Whrend die Vorstellung die Wirklichkeit erzhlend und in Bildern reprsentiert, begreift die Religionsphilosophie den begriffli406 VL1, 10. 407 Es sei an das berhmte Zitat aus der Vorrede der GPhR, 16, erinnert, in der Hegel schreibt, dass „das was ist zu begreifen, die Aufgabe der Philosophie ist“. 408 VL3, 175. 409 Hegel schreibt in VL3, 246: „Die Geschichte Christi ist auch von solchen erzhlt, ber die der Geist schon ausgegossen war“. Hegel zielt nicht darauf, hinter die Gemeindeberichte etwa auf den „historischen Jesus“ zurckzugehen. Zum einen ist dieses Vorgehen allzu ungesichert, zum anderen wre dieser Rckgang auch von geringem Wert. Denn die philosophisch entscheidenden Aussagen ber Jesus Christus wie etwa die der gottmenschlichen Einheit sind auch bei einem evtl. mçglichen Rckgang nicht historisch zu verifizieren. Selbst wenn es mçglich wre, sie so zu sichern, wre diese Sicherung philosophisch von geringem Wert, da Philosophie sich nicht durch Fakten beglaubigen lassen kann, sondern die Fakten allein durch die Philosophie zu beglaubigen sind. Daher geht Hegel den oben angedeuteten Weg: Er nimmt die Berichte der Gemeinde auf, die etwa von der gottmenschlichen Einheit erzhlen, und beglaubigt sie, indem er die Vernunft in ihnen zu erweisen sucht. Das aber geschieht, indem er die bereinstimmung der Berichte mit der Struktur der absoluten Idee aufzeigt. Siehe zu dem Problemfeld der Zuordnung von Hegels Philosophiebegriff zu dem historisch-kritischen Bewusstsein seiner Zeit umfassend Jaeschke, Vernunft, 331 – 335. 410 Siehe dazu auch Dierken, Glaube, 210.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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chen und damit auch den aus der WL bekannten logischen Gehalt dieser bildlich erzhlten Wirklichkeit. Whrend die Vorstellung die Wirklichkeit nur in Bildern sieht, sieht die Religionsphilosophie somit die logischen „Bildner“ der Wirklichkeit. Begreift die Religionsphilosophie aber den Begriff in der Wirklichkeit, so ist die zweite Differenz zur Vorstellung erreicht: Unter dem Aus- und Nacheinander der Vorstellung vermag die Religionsphilosophie die wahre Vermitteltheit des Begriffs zu erkennen. Was die Vorstellung in ein abstraktes Aus- und Nacheinander zerlegt, begreift die Religionsphilosophie als zusammenhngend. Auf die bisherigen Ausfhrungen bezogen: Die bereits unter II.3.1. eingenommene und in der zuknftigen Darstellung der Religion einzunehmende Perspektive auf die Religion entspricht nicht ihrer eigenen Binnenperspektive, sondern der Perspektive der Religionsphilosophie auf sie. Um mit diesem spekulativen Blick die Wirklichkeit der Religion zu begreifen, wird die Religionsphilosophie von Hegel dergestalt konzipiert, dass sie als Disziplin ein Novum darstellt. Denn sie hebt drei zu Hegels Zeit bekannte Disziplinen in eine spekulative Gesamtperspektive hinein auf. Dies sind die theologia naturalis, die Religionsphilosophie seiner eigenen Zeit und die Religionsgeschichte. Die theologia naturalis bedenkt Gott,411 die Religionsphilosophie seiner Zeit das religiçse Bewusstsein412 und die Religionsgeschichte die außerchristlichen Religionen.413 Um darzulegen, wie Hegel die drei Disziplinen in seine Religionsphilosophie hinein aufhebt, sei an die oben unter II.3.2.1. explizierte spekulative Gestalt des absoluten Geistes als an die Identitt eines Prozesses erinnert, der die wechselseitige Vermittlungsbewegung des unendlichen und des endlichen Geistes ist. bertrgt man diese Strukturen auf die Frage nach den drei Disziplinen, so ergibt sich das Folgende. Konserviert an der theologia naturalis wird, dass sie sich mit dem unendlichen Geist beschftigt, mit Gott. Negiert wird ihre vorkritische Annahme, dass sich von Gott sprechen ließe ohne dessen Selbstvermittlungsbewegung in ein Verhltnis mit dem endlichen Bewusstsein hinein.414 Vielmehr ist Gott als Geist zu fassen, so dass sich die theologia naturalis von ihrem recht begriffenen Inhalt her und damit aus sich selbst heraus mit der Religi411 Siehe dazu VL1, 95. 412 Siehe dazu VL1, 70 – 77. 413 Siehe dazu etwa VL1, 89 – 91 und die Bemerkungen Jaeschkes in VL2, XIXXXIII. 414 Zu dieser neuen Zuordnung von theologia naturalis und Religionsphilosophie aus Hegels Zeit siehe auch Jaeschke, Vernunft, 240 – 243.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

onsphilosophie ihrer Zeit vermittelt.415 Konserviert an der Religionsphilosophie wird ihre kritische Einsicht, dass von Religion zu reden heißt, vom endlichen Geist zu reden.416 Negiert wird hingegen die Annahme, dass man allein von dem endlichen Geist und dessen unmittelbaren Wissen reden kçnnte, ohne zugleich immer schon von dem Inhalt des Wissens, von Gott zu reden.417 Weil jedes Wissen auch vermittelt und somit inhaltsreich ist und weil sich Gott als Geist gerade dem endlichen Geist als Inhalt gibt, vermittelt sich die recht begriffene Religionsphilosophie jener Zeit mit der recht begriffenen theologia naturalis. 418 Dieser Verweisungszusammenhang von endlichem und unendlichem Geist hat sich nun nur prozessual und in seiner Wahrheit nur als Resultat eines Entwicklungsprozesses. Daher wird die theologia naturalis und die Religionsphilosophie jener Zeit mit der Religionsgeschichte vermittelt.419 Konserviert an der Religionsgeschichte werden die Beobachtungen zu den verschiedenen Religionen. Negiert wird, dass diese Religionen etwas anderes wren als der zusammenhngende Entwicklungsprozess des einen absoluten Geistes.420 Somit ist Hegels Religionsphilosophie als die spekulative Durchdringung und damit als die Aufhebung der drei von der Verstandeslogik beherrschten Disziplinen der theologia naturalis, der Religionsphilosophie jener Zeit und der Religionsgeschichte zu begreifen. Die drei Disziplinen werden in eine neue Disziplin hinein aufgehoben, die von ihrer Funktion geprgt ist, ihren Inhalt als die Wirklichkeit des absoluten Geistes zu begreifen. Ist es die primre Aufgabe der Religionsphilosophie zu begreifen, was ist, um so die Wirklichkeit des absoluten Geistes zu begreifen, so vollzieht 415 Siehe dazu VL1, 96. 416 Diese positive Lesart der Religionsphilosophie seiner Zeit erlangte Hegel erst ab dem Kolleg 1827, siehe dazu VL1, 70 ff., v. a. 74 f. Vorher sah er nur die gleich folgende negative Seite an ihr, siehe dazu VL1, 42 – 44. Zu dieser Frage siehe auch Jaeschke, Die Vernunft, 255 f. 417 Siehe VL1, 72. 418 Die Rekonstruktion des Vermittlungszusammenhanges von unendlichem und endlichem Geist, der sich in dem Vermittlungszusammenhang von theologia naturalis und der Religionsphilosophie von Hegels Zeit spiegelt, stellt den Fokus der Interpretation Dierkens dar, siehe ders., Gott, 1 – 10. 419 Dass die Religionsphilosophie auch die Religionsgeschichte in sich aufhebt, wurde von den bisherigen Auslegungen nicht eigens benannt. So ist es etwa der Nachteil der Arbeit Dierkens, diese Prozessualitt nicht eigens bedacht und daher VL2 nicht interpretiert zu haben. 420 Zu einigen Problemen der Annahme einer einheitlichen Religionsgeschichte siehe Jaeschke, „Einleitung“ zur VL2, XXV-XXXIII.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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sich dabei zweierlei. Zum einen rechtfertigt die in der Religion begriffene Vernunft die Religion als Religion. Zum anderen fhrt gerade die Vernunft in der Religion zur Aufhebung der Religion in die Philosophie. Letztlich fhrt dieselbe vernnftige Grundstruktur, die durch den spekulativen Blick auf die Religion in dieser entdeckt wird und die als Grundstruktur in der absoluten Idee ausgelegt wurde, zur Rechtfertigung der Religion und zugleich zu ihrer Aufhebung. Beide Aspekte sowie ein dritter, bildungspragmatischer, seien im Folgenden in ihrem inneren Zusammenhang dargestellt. II.3.2.3.2. Rechtfertigung, Bildungspraxis und Aufhebung der Religion II.3.2.3.2.1. Zur Rechtfertigung der Religion Indem die Religionsphilosophie die Religion als begriffsgemß begreift und somit als die Wirklichkeit des absoluten Geistes, rechtfertigt sie die Religion und setzt sie so in Geltung.421 Denn indem sie begreift, was ist, setzt sie das, was sie begreift, in dem Maße, in dem es begriffsgemß ist, in Geltung.422 Dieses Vorgehen ist somit zu verstehen als die der Real421 Dass die Philosophie die Religion rechtfertigt, legt VL3, 268 dar. 422 Wrde sich unsere Arbeit der historischen Verortung Hegels widmen und nicht allein auf systematische Beobachtungen abzielen, so msste hier ein Verweis darauf erfolgen, wie revolutionr Hegels Vorgehen in seiner Zeit war: Getrieben von gewissen aufklrerischen Gedanken, erschien vielen Philosophen seiner Zeit die Religion als reiner Priesterbetrug. Andere einflussreiche Strçmungen meinten, dass in dem Gefolge der Kantischen Revolutionierung der Metaphysik Religion nur in der Umwandlung als Ethikotheologie, als Phnomenologie des glubigen Bewusstseins oder als historische Theologie philosophisch zu verteidigen sei (eine ausfhrliche Darstellung der damaligen von Kant geprgten Debatte um die Geltung der Religion bietet Jaeschke, Die Vernunft, 18 – 133; sehr viel krzer und mit etwas anderen Akzenten siehe ders., „Die geoffenbarte Religion“, 376 – 382. Siehe zu dem Thema auch Graf/Wagner, „Einleitung“). In Reaktion auf diesen Rechtfertigungsdruck von Seiten der Philosophie reduzierte auch die Theologie ihre Inhalte oftmals allein auf die subjektive Seite des Beziehungsgefges, da „Gott nicht erkannt werden kçnne“ (VL1, 72). Hegels Antwort auf diese Problemlage nun geht parallel mit seiner Lçsung des Problems von Genese und Geltung, die er fr jede Realphilosophie in Anschlag bringt: Genese und Geltung sind in der Religionsphilosophie wie in aller Realphilosophie einander dialektisch derart zugeordnet, dass die Religionsphilosophie von empirisch zu eruierenden Vorstellungen ausgeht, diese auf ihren begrifflichen Gehalt hin durchleuchtet und dadurch entsprechend in Geltung setzt, siehe dazu auch Enz., §12, Anm., 45 f. (20, 52 – 54) und Heede, Die gçttliche Idee, 81 – 86. Dass die Religion anhand desselben Vorgehens, anhand dessen es in Geltung

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

philosophie angemessenen Lçsung des Problems der Voraussetzungshaftigkeit allen Denkens, das sich in der Realphilosophie wesentlich als das Problem von Genese und Geltung stellt. Wie in der Erçrterung von Hegels Streben nach Letztbegrndung am Ende der absoluten Idee dargelegt,423 ist aus realphilosophischer Sicht und damit anders als aus der Perspektive des Gesamtsystems die Realitt als das Andere des Begriffs nicht sogleich als Begriff im Modus seines Andersseins begreiflich. Vielmehr erscheint sie zuerst als ein unbegriffenes Anderes oder als abstrakte Realitt, die genetisch vorgngig ist und somit auch geltungstheoretische Voraussetzungshaftigkeit beanspruchen zu kçnnen scheint. Indem aber der Begriff in der Realitt entdeckt wird, wird diese als abstrakte negiert und als absolute in Geltung gesetzt. Damit verliert sie ihre geltungstheoretische Voraussetzungshaftigkeit.424 In all dem arbeitet Hegel auch in der Religionsphilosophie mit einer Unterscheidung, die er in der Enz. entwickelt: Zwar vermag sich der Begriff in jeder Form der Andersheit zu finden, wenn denn diese der Begriff im Modus seines Andersseins und damit Wirklichkeit ist. Aber nicht jede Erscheinung ist begriffsgemß und damit wirklich. Entsprechend werden diejenigen Inhalte, denen begriffliche Gehalte zugrunde liegen und die daher wirklich sind, in das System integriert und somit in Geltung gesetzt.425 Andere gesetzt wird, zugleich in seiner Geltung aufgehoben werden wird (siehe dazu die folgenden Abstze), beschreibt Heede aber nicht. 423 Siehe dazu oben, II.2.5.3. 424 Dieses Vorgehen hat Hegel von der Seite Lçwiths, etwa ders., „Hegels Aufhebung“, 194 f., den bekannten Vorwurf der „Zweideutigkeit“ eingebracht, die darin besteht, dass Hegel die Religion nur dadurch zu rechtfertigen vermag, dass er sie in ihrer Vorstellungsform kritisiert. 425 Diese Zuordnung von Genese und Geltung ist auch dann beizubehalten, wenn sich aufgrund des in der Geistphilosophie erreichten Komplexittsniveaus andere Schlussfolgerungen nahe zu legen scheinen. So gehçrt es etwa zu der Geltung der Aussage, dass Jesus wirklich der Christus ist, dass eine Gemeinde daran glaubt. Denn wie wir in der Strukturanalyse des absoluten Geistes sahen, besteht der absolute Geist nur dadurch, dass der unendliche Geist sein fr sein Dasein wesentliches Sich-wissen in dem Wissen von endlichen Bewusstseinen vollzieht. In dieser Hinsicht kann man durchaus sagen, dass Gott deshalb Mensch wurde, weil das Christentum das so sagt (zu diesem Problem siehe auch Hçsle, Hegels System, 640 – 644). Doch damit ist nur die auf dem Niveau des absoluten Geistes notwendige Komplexitt der Dialektik von Genese und Geltung dargelegt, keineswegs aber eine der Realphilosophie uneinholbare Voraussetzung benannt. Denn die Vermittlung des Sich-wissens des unendlichen Geistes in dem Wissen des endlichen kann selbst nur deshalb Geltung beanspruchen, weil sie als Realisierungsform des absoluten Geistes begriffen wird und dem Begriff der absoluten Idee entspricht. Somit ist diese Vermittlungsstruktur letztlich nur Ausdruck

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Inhalte hingegen werden meist gar nicht erwhnt. Es sind solche, die zwar sind, bei denen aber nichts zu begreifen ist, da sie nicht begriffsgemß und daher allein Erscheinungen sind. Entsprechend beschftigt sich Hegel etwa ausfhrlich mit den Vorstellungen der Trinitt und der Christologie, verzichtet aber auf alle Ausfhrungen zum Papstamt oder zur Mariologie. II.3.2.3.2.2. Zur bildungspraktische Funktion: Die Vermittlung des religiçsen Bewusstseins mit der philosophischen Perspektive auf den Inhalt Wurde die Religionsphilosophie bisher mit der Funktion verbunden, die Wirklichkeit der Religion zu begreifen und so in Geltung zu setzen, so kommt ihr noch eine weitere Funktion zu. Die Religionsphilosophie sucht zwischen der ihr primr zukommenden, philosophischen, externen Perspektive auf die Religion und der Vorstellung als der internen Perspektive der Religion zu vermitteln.426 Die Religionsphilosophie nimmt daher auch eine propdeutische oder eine bildungspraktische Funktion wahr.427 II.3.2.3.2.2.1. Zur Notwendigkeit der bildungspraktischen Funktion Die propdeutische Funktion ist notwendig, da aus der Perspektive der Vorstellung die von der Religionsphilosophie vorgenommene Rekonstruktion der Religion nicht sachangemessen ist. Die Perspektive, die die Religion in Geltung setzt, nimmt also eine Perspektive auf die Religion ein, die laut der Binnenperspektive der Religion die Inhalte der Religion gerade verflscht. Dieser Vorwurf der Binnenperspektive lsst sich anhand der bisherigen Ausfhrungen zu der Differenz zwischen der Vorstellungsperspektive und der Perspektive der Religionsphilosophie leicht begreifen. Denn in der Tat verndert sich der Inhalt, je nachdem, ob er dafr, dass in der Dialektik von Genese und Geltung die Genese als die wirkliche Vermittlung der Geltung als ihrem philosophischen Begreifen wesentlich ist. Es kann nicht daraus gefolgert werden, dass dem philosophischen Begreifen ein uneinholbares Pr dergestalt vorausginge, dass „Hegel’s mature speculative philosophy of the Absolute as Spirit may best be understood as an explicit function of distinctly religious presuppositions“ (Yerkes, Christology, 1, siehe auch ebd., 288). Auch Hegels Religionsphilosophie ist Philosophie in dem Hegelschen Verstndnis als Philosophie, die letztbegrndend von keinen ihr extern bleibenden Fakten abhngt. 426 Siehe dazu grundlegend Wagner, „Religion“. 427 Zum Begriff der Bildungspraxis siehe Wagner, „Religion“, 135.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

von der Vorstellung oder von der Vernunft prsentiert wird.428 So ist es der Vorstellung wesentlich, das Verhltnis ihrer mit ihrem Gegenstand und das Verhltnis der Gegenstnde untereinander verstandesmßig als das Verhltnis abstrakt Selbstndiger zu beschreiben. Begreift die Vernunft, dass die scheinbar Selbstndigen in Wahrheit immer schon wesentlich vermittelte sind, so liegt damit eine Vernderung des Inhaltes vor. So wird etwa aus der vorgestellten wesentlichen Trennung des Vatergottes dort oben von mir hier unten der Vermittlungszusammenhang des der absoluten Idee entsprechenden absoluten Geistes. Gegen diese Darstellung der Vernunft aber erhebt die Vorstellung den Vorwurf des Pantheismus.429 Unstrittig ist also, dass sich der Vorstellungsinhalt von dem Vernunftinhalt unterscheidet. Strittig hingegen ist, wie dieser Unterschied zu bewerten ist. Vernunft und Vorstellung divergieren gerade in ihrer Sicht auf diese Verhltnisbestimmung. Indem die Vernunft den Inhalt der Vorstellung in einer anderen Form fasst als die Vorstellung, wird aus der Sicht der Vernunft der Inhalt seines Scheines entkleidet und in seine Wahrheit gefhrt. Daher liegt hier die von Hegel immer wieder beschworene, spekulativ zu fassende Inhaltsidentitt bei Formdifferenz von Religion und Philosophie vor.430 Aus der Sicht der Vorstellung hingegen wird der Inhalt durch die neue Form nicht in seine Wahrheit gefhrt, sondern vielmehr verflscht: „Es ist auf Grund der Form, daß die Philosophie von der religiçsen Seite her […] Vorwrfe und Beschuldigungen erfahren hat“.431 Um zu begreifen, warum Vernunft und Vorstellung zu so divergierenden Einschtzungen des Verhltnisses von Inhalt und Form kommen, ist zuerst Hegels dialektische Vermittlung von Inhalt und Form zu betrachten. Sodann ist Hegels Verstndnis von Vernunft und Vorstellung damit in Verbindung zu bringen. In grçbster Verkrzung lsst sich festhalten, dass Inhalt und Form einander dialektisch folgendermaßen zugeordnet sind:432 Einerseits ist die Form dem Inhalt wesentlich. Denn der 428 Siehe dazu auch Wagner, „Die Aufhebung“, 56 f. 429 Hegel wehrt sich gegen den Pantheismus-Vorwurf an mehreren Stellen, siehe etwa VL1, 246 – 249, 272 – 281, Enz., §573, Anm., 452 – 461 (20, 555 – 569); siehe dazu auch Ringleben, Hegels Theorie, 154 – 191. 430 Siehe zu der Inhaltsidentitt von Religion und Philosophie Enz., §1, 33 (20, 39), Enz., §573, Anm. 451 (20, 555 f.), sowie VL1, 3.33 u. ç. 431 Enz., §573, Anm. 452 (20, 557). 432 Siehe dazu WL2, 77 f. (11, 301 – 302) in der Auslegung von Wagner, „Die Aufhebung“, 59 – 68, besonders 67 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Inhalt ist selbst die Einheit von Form und Inhalt, um berhaupt bestimmt, also Inhalt, zu sein. Als Formeinheit von Inhalt und Form kommt die Form dem Inhalt somit wesentlich zu. Andererseits aber sind endliche Inhalte gerade dadurch geprgt, dass sie noch nicht vollstndig mit ihrer Form vermittelt sind. Das lsst sich so fassen, dass die Form als Formeinheit von Inhalt und Form dem Inhalt zwar wesentlich ist, die Form als Form dem endlichen Inhalt hingegen ußerlich. So ist der endliche Inhalt zwar jeweils von seiner Form geprgt, weil er nur als die Formeinheit von Inhalt und Form ist. Er kontinuiert sich aber zugleich durch verschiedene Formen hindurch, weil ihm die Form als Form ußerlich ist.433 Entscheidend fr den vorliegenden Zusammenhang ist nun, dass die Vorstellung selbst eine solche Zuordnung von Inhalt und Form ist, in der nur die Prgung des Inhaltes durch diese Form als wesentlich fr den Inhalt verstanden wird. Denn die Vorstellung ist gerade dadurch definiert, dass sie ihre Inhalte wie sinnliche, also gegenstndlich, versteht. Daher begreift sie nicht die dialektisch andere Seite der Zuordnung, die verdeutlicht, dass die Form als Form dem endlichen Inhalt ußerlich ist. Diese andere Seite der Zuordnung begreift nur die Vernunft. Erst indem aber begriffen wird, dass die Form als Form dem Inhalt als der Formeinheit von Inhalt und Form ußerlich ist, kçnnen auch die Vernderungen am Inhalt, die im bergang vom Vorstellungsinhalt zum Vernunftinhalt erfolgen, als die berfhrung des Scheins des Inhaltes in seine Wahrheit angesehen werden. Anders formuliert: Die Vorstellung ist gerade darin verstandesgemß, dass sie das Prinzip bestimmter Negation nicht begreift, da sie den Widerspruch mit positivem Resultat nicht in ihr Denken integrieren kann.434 Fr sie fllt mit der Vernderung des Inhaltes, die der Inhalt als Formeinheit von Inhalt und Form in der neuen Form erfhrt, der Inhalt als Ganzer. Denn sie kann nur abstrakt negieren. Demgegenber ist die Vernunft gerade dadurch sie selbst, dass sie mit der bestimmten Negation zu operieren vermag und entsprechend die Inhaltsidentitt in den verschiedenen Formen begreift. So sieht sie die 433 Hiermit folgen wir der Auslegung Wagners, „Die Aufhebung“, 59 – 68, gegen den Einwand von Kruck, Hegels Religionsphilosophie, 131 – 136, der meint, dass die dialektische Trennung der Form als Form von ihrem Inhalt dem Hegelschen Text nicht entsprechen wrde. Htte Kruck Recht, so wre damit die Mçglichkeit von Philosophie berhaupt geleugnet, da diese doch (etwa neben ihrer grundlegenden Funktion als Erstwissenschaft) immer auch Inhalte von Einzelwissenschaften in der ihr eigenen, etwa spekulativen Form bedenkt. 434 Siehe dazu Wagner, „Die Aufhebung“, 46, 72 f.

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Negation der Form der Vorstellung als die Erlangung der Wahrheit ihres Inhalts an. Die Religionsphilosophie sieht es nun auch als ihre Aufgabe an, der Vorstellung diese zweite Seite der Zuordnung begreiflich zu machen und damit die Einsicht, dass ihr Inhalt in der Religionsphilosophie nicht verflscht, sondern in seine Wahrheit gefhrt wird.435 Um es in der Terminologie von Disziplinen auszudrcken: Die Religionsphilosophie hebt in den Vorlesungen nicht nur die theologia naturalis, die damalige Religionsphilosophie und die Religionswissenschaften in sich auf, sondern als vierte Disziplin auch noch die Propdeutik.436 Deren Ziel ist es, dem religiçsen Bewusstsein so den bergang zu der spekulativen Betrachtung der Inhalte nahe zu legen, oder das religiçse Bewusstsein in das philosophische Begreifen hinein aufzuheben. Wurde bisher angedeutet, dass das religiçse Bewusstsein aus Hegels Gegenwart an das philosophische Begreifen der Inhalte heranzufhren ist, so stellt das nur die eine Seite eines umfassenderen Prozesses dar. Die andere Seite besteht darin, dass sich letztlich auch die begriffenen Inhalte mit dem endlichen religiçsen Bewusstsein vermitteln. Denn wie spter 435 Siehe dazu Wagner, „Religion“, 135 und Schulz, Sein, 312 – 314. 436 Um es auf andere Texte Hegels zu beziehen: Die Religionsphilosophie bernimmt fr das religiçse Bewusstsein in begrenzter Form die Funktion, die die PhG fr das Gesamtsystem einnimmt (zu der propdeutischen Rolle der PhG im Gesamtsystem Hegels siehe zusammenfassend Fulda, Hegel, 81 – 87 und ausfhrlich ders., Das Problem) und der „Vorbegriff“ der Philosophie in der Enz. fr die Enz. (siehe dazu Fulda, „Vorbegriff“, besonders 13 f. und ders., Hegel, 131 – 133). Eine etwas andere Anwendung des Konzeptes des „Vorbegriffs“ auf die VL1 nimmt Wagner, „Zum begrifflichen Aufbau“, 120 – 126 vor: Er spannt das Konzept in begrndungstheoretische berlegungen ein, die dahin gehen, ob Hegel ohne einen Vorgriff auf VL3 bereits ber einen gegrndeten Begriff von Religion verfgt, den er in VL1 zugrunde legen kann. Gegen Wagners Verneinung dieser Frage meinen wir, dass die Entwicklung der logischen Struktur der Religion durch den Verlauf des Gesamtsystems bereits gewhrleistet ist. berhaupt ist es nicht ein Problem, das innerhalb der VL, sondern nur innerhalb des Gesamtsystems zu behandeln ist. In Parallele zur PhG gibt es in der Religionsphilosophie eine Textpassage, die die verschiedenen defizienten Formen des religiçsen Bewusstseins in ihrer internen Prozesslogik zum Denken empor fhren mçchte (siehe dazu VL1, 281 – 329. Die auf 281 angesprochene „teils psychologische Art“ der Darstellung deutet somit nicht nur auf die Darstellung der Seite des endlichen Geistes, sondern auch auf die propdeutische Funktion der folgenden Seiten, so wie auch VL1, 88 besagt), und in Parallele zum „Vorbegriff“ gibt es viele Passagen, in der die Darstellung zwischen den Vorstellungsinhalten und ihrer begrifflich-spekulativen Erfassung hin- und herwechselt.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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ausfhrlich gezeigt wird, vollendet sich Gott als Geist im Christentum in der Pfingstgemeinde und dann in der Philosophie. Die Pfingstgemeinde und die Philosophie aber sind beide inhaltlich wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass sie die Verbindung des Inhaltes, also Gottes als des Geistes, mit dem jeweiligen endlichen Bewusstsein sind. Bedenkt man die Grundstruktur absoluter Vermittlung, so erhellt die Logik dieser Vermittlung: Jedes der scheinbar Selbstndigen berfhrt sich von sich aus mit seinem Anderen. Das religiçse Bewusstsein verbindet sich ebenso von sich aus mit dem begrifflich gefassten Inhalt wie der Inhalt mit dem Bewusstsein. Genau genommen, liegt damit sogar jeweils eine doppelte Vermittlung vor. Denn der verhandelte Inhalt ist doch selbst in sich schon vermittelt, da die verschiedenen Religionen in der Religionsgeschichte und im Christentum jeweils das Verhltnis des unendlichen zum endlichen Geist bedenken. Dieser vermittelte Inhalt vermittelt sich dann so mit dem religiçsen Bewusstsein aus Hegels Zeit, dass sich das religiçse Bewusstsein als identisch mit dem endlichen Geist des Inhaltes begreift, welcher wiederum mit dem unendlichen zum absoluten vermittelt ist. Das religiçse Bewusstsein wird somit von der Prozesslogik des absoluten Geistes als dessen Internmoment integriert. Dies wird dadurch vorbereitet, dass das religiçse Bewusstsein selbst eine eigene Vermittlungsleistung vollzieht. Denn wie im nchsten Abschnitt genauer zu explizieren sein wird, wird es durch eine Reihe von Schritten an die philosophische Perspektive herangefhrt, die selbst wiederum nichts ist als der gewusste Vollzug des unendlichen Geistes am Ort des endlichen. Dadurch wird das religiçse Bewusstsein auch von sich aus zum Internmoment des absoluten Geistes. Durch diese Vermittlung der jeweils sich vermittelnden Extreme entsteht eine Situation absoluter Vermittlung. Sie ist die Situation „absoluter Kontextualitt“437, in der Innen- und Außenperspektive, der Vollzug des Inhaltes und der vollzogene Inhalt und damit auch die (scheinbare) Vergangenheit (des Inhaltes) mit der Gegenwart (am Ort des Bewusstseins) zusammenfallen: Erst so realisiert sich der Geist als absoluter.

437 Gamm, Idealismus, 109.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

II.3.2.3.2.2.2. Zur Durchfhrung der bildungspraktischen Aufgabe Entspricht erst die Situation absoluter Kontextualitt der Hegelschen Grundstruktur absoluter Vermittlung, so gehçrt auch die propdeutische Aufgabe zum Gang der Sache selbst hinzu.438 Sie soll daher noch kurz dargestellt werden, ehe die Entwicklung des Inhaltes der Religionsgeschichte und des Christentums und seine Vermittlung mit dem religiçsen Bewusstsein der Gegenwart unter II.3.3. und II.3.4. ausfhrlich exegetisiert wird. Bei der Rekonstruktion der propdeutischen Aufgabe soll weniger ihre Durchfhrung im Einzelnen als ihr Konstruktionsprinzip dargestellt werden, und zwar gerade wegen der ihr zukommenden Verfasstheit. Denn diese besteht darin, das jeweilige religiçse Bewusstsein einer Zeit auf das philosophische Begreifen hinzufhren. Das jeweilige religiçse Bewusstsein aber setzt sich aus zweierlei Momenten zusammen. So gibt es fundamentalanthropologisch fundierte Grundstrukturen,439 die jeweils zeitbedingt material gefllt werden. So sehr es Hegels Grundstruktur absoluter Vermittlung und dem daraus folgenden Geistbegriff entspricht, die jeweiligen religiçsen Debattenlagen einer Zeit zu Internmomenten des Geistes zu erklren, so wenig sollen diese hier ausfhrlich verfolgt werden. Vielmehr ruft ein begriffsgemßer Umgang mit ihnen zu einer Auseinandersetzung mit der heutigen Debattenlage auf, so wie es am Ende des Buches unter III. (und dabei vor allem unter III.2.) geschehen wird. Hier seien statt dessen nur kurz zentrale Strukturmomente der Heranfhrung des religiçsen an das philosophische Bewusstsein erwhnt. Dazu sei der einschlgige Text Enz., §555, zitiert, der unter Rekurs auf die Vorlesungen eine kurze Auslegung erfhrt. „Das subjektive Bewusstsein des absoluten Geistes ist wesentlich in sich Prozeß, dessen unmittelbare und substantielle Einheit der Glaube in dem Zeugnis des Geistes als die Gewißheit von der objektiven Wahrheit ist. Der Glaube, zugleich diese unmittelbare Einheit und sie als das Verhltnis jener unterschiedlichen Bestimmungen enthaltend, ist in der Andacht, dem impliziten oder expliziten Kultus, in den Prozeß bergegangen, dem Gegensatz zur geistigen Befreiung aufzuheben, durch diese Vermittlung jene erste Gewissheit zu bewhren und die konkrete Bestimmung derselben, nmlich die Versçhnung, die Wirklichkeit des Geistes zu gewinnen.“440 438 Andernfalls, so ließe sich in Bezug auf sptere philosophiegeschichtliche Positionen formulieren, wrde eine einseitig rechtshegelianische Position eingenommen werden. 439 Siehe dazu Lewis, Freedom, 187 – 204, bes. 195 – 199. 440 Enz., §555, 440 f. (20, 545).

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Das subjektive Bewusstsein des absoluten Geistes ist deshalb „wesentlich in sich Prozeß“, weil es sich in einer Stufenfolge von Bestimmungen realisiert. Sie sind alle dadurch gekennzeichnet, als Glaube die „Gewißheit“ von der Wahrheit und somit den Aspekt des subjektiven Dabeiseins zu betonen. Die niedrigeren und zu Hegels Zeiten besonders populren Stufen sind gleichwohl selbstwidersprchlich, weil sie die Gewissheit von der Wahrheit und damit das religiçse Bewusstsein von dem philosophischen Begriff isolieren. „Bewhrt“ sind sie, wenn sie im Kultus und besonders im Kult der Philosophen ihre abstrakt subjektive Gewissheit mit der Wahrheit vermitteln und damit dergestalt „Wirklichkeit des Geistes“ werden, dass sie das religiçse Bewusstsein an das philosophische heranfhren. Die hier nur angedeutete Stufenfolge wird in den Vorlesungen breit ausgefhrt und erweist sich als Weg, der von der unmittelbaren Einheit ber die Urteilung hin zur vollentwickelten Einheit fhrt.441 Er beginnt mit der Gewissheit als „unmittelbarem Wissen“, das im zeitgençssischen religiçsen Diskurs von Jacobi vertreten wird.442 Es bezeichnet die Gewissheit als erste Form der Einheit, die besagt, dass Gott ist, und zwar „ungetrennt in mir“.443 Das unmittelbare Wissen tritt in zwei Formen auf, als Gefhl und als Vorstellung. Besagt das Gefhl „nichts, als daß ein Inhalt der meinige ist“,444 so ist die Gefhlsreligion deshalb zu Hegels Zeiten so populr, weil sie betont, dass das Subjekt in der Religion wesentlich mit dabei zu sein hat.445 Ist das dadurch gewhrleistet, dass das Gefhl als Quelle des Inhalts erscheint, so liegt darin zugleich ihre Unwahrheit. Denn alle im Gefhl auftauchenden Inhalte scheinen gleichermaßen gerechtfertigt zu sein, so dass der Unterschied zwischen Gut und Bçse dahin fllt.446 Erst die Vorstellung hat den Inhalt in der Form eines gegebenen und somit Gegenstndlichen vor sich und reprsentiert damit so den objektiven Aspekt der Gewissheit, wie das Gefhl den subjektiven. Sind die Inhalte der Vorstellung in der Form der Gegenstndlichkeit gegeben, so liegt darin zugleich ihre Unwahrheit, da sie deren interne Vermittlung nicht darzustellen vermag. Das kann erst das 441 442 443 444 445

Siehe VL1, 277 – 338. Siehe VL1, 284. VL1, 282. VL1, 285. Siehe VL1, 288: „,Wir finden das in unserem Herzen‘ – das ist der Punkt, dessen Betrachtung wichtig ist, da man in neueren Zeiten aussprach, man msse das Herz des Menschen fragen, um zu erfahren, was recht, sittlich sei.“ 446 Siehe VL1, 290 f.

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Denken, zu dem sich die Vorstellung daher erhebt.447 Damit erweist sich das religiçse Wissen jedes Menschen in dreifacher Hinsicht als vermittelt: zum einen wegen der in den jeweiligen Bildungsvorgngen erworbenen Genese des Wissens, zum zweiten wegen der Zweiheit von Wissendem und Gewusstem, und zum dritten wegen der inneren Verfasstheit des letzteren. Dies vermittelte Wissen sucht sich wiederum mit der Unmittelbarkeit zu vermitteln, da es sich mit seinem Gegenstand zu vereinigen sucht: Es ist wesentlich „eine Erhebung zu Gott“.448 Im zeitgençssischen Diskurs vollzieht sich die Erhebung in der Debatte um die Gottesbeweise, die entsprechend ausfhrlich dargelegt wird.449 Die dabei angestrebte Einheit wird in vollstndiger Form erst im Kult praktiziert und erreicht: „Ich habe nicht nur den Gegenstand zu wissen, erfllt zu sein, sondern mich als erfllt von diesem Gegenstand zu wissen, ihn als in mir und ebenso mich als in diesem Gegenstand, der die Wahrheit ist, und also mich in der Wahrheit zu wissen. Diese Einheit hervorzubringen ist das Tun oder die Seite des Kultes.“450

Der Kult vollzieht sich in drei Formen, in der Andacht, in der ußerlichen Form des Sakramentsgenusses und als Philosophie. In ihr hat sich das religiçse Bewusstsein ganz in den Inhalt vermittelt. Demonstriert Hegel dem religiçsen Bewusstsein seiner Zuhçrer somit an, dass es ihrer eigenen Prozessualitt entspricht, sich in philosophisches Denken zu berfhren, so vollzieht Hegel diese bildungspraktische Aufgabe zudem noch in der gleich zu exegetisierenden Darlegung der Inhalte. Hegel schlt dazu nicht nur die begrifflichen Fassungen aus den Vorstellungen heraus, sondern bersetzt diese dann immer wieder in Vorstellungen zurck. Damit wird dem vorstellenden Bewusstsein die Inhaltsidentitt des Vorstellungs- mit dem Vernunftinhalt andemonstriert451 und es so dazu verlockt, sich in das philosophische Begreifen hinein aufzuheben. 447 448 449 450 451

Siehe VL1, 298. VL1, 308. Siehe VL1, 308 – 329. VL1, 330. Wagner, „Religion“, 143. Diese Doppelperspektive auf die Religion durchzieht die gesamten Vorlesungen und prgt auch die Definition der Religion, wenn es etwa heißt auf VL1, 86: „Die Religion […] ist die Beziehung des Subjekts, des subjektiven Bewußtseins auf Gott, der Geist ist; oder ihren Begriff spekulativ genommen, so ist sie der Geist, der seines Wesens, seiner selbstFehler! Textmarke nicht definiert. bewußt ist“.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Wurde bisher skizziert, wie Hegel das religiçse Bewusstsein dazu motiviert, sich in das philosophische hinein zu vermitteln und somit mit dem Inhalt zu verbinden, so soll nun skizziert werden, wie der Inhalt der Religion in die Philosophie aufgehoben wird, wobei der Inhalt zugleich das religiçse Bewusstseins in sich integriert. II.3.2.3.2.3. Zur Aufhebung der Religion in die Philosophie Aus der Perspektive des absoluten Geistes wird sich der religiçse Inhalt im Fortgang von innen heraus in eine neue Form hinein aufheben, so dass aus der Religion Philosophie wird.452 Der Grund dafr wird ersichtlich, wenn man Form und Inhalt der Religion miteinander vergleicht: Der vollentwickelte Inhalt der Religion ist der absolute Geist als der selbstbewusste Selbstvermittlungsprozess des unendlichen mit dem endlichen Geist, der im Wissen des endlichen Geistes der Pfingstgemeinde stattfindet. Darin entspricht er seinem logischen „Bildner“ absoluter Vermittlung und ist daher vor der Vernunft gerechtfertigt. Die Vorstellung als die religiçse Form des Wissens des endlichen Geistes ist aber dadurch geprgt, dass sie sich von allen ihren Inhalten und so auch von dem unendlichen Geist wesentlich getrennt sieht. Somit liegt ein Widerspruch zwischen der Form der Vorstellung und ihrem Inhalt vor, der von der Struktur absoluter Vermittlung geprgt ist. Er hebt sich dadurch auf, dass sich der Inhalt in die seiner Struktur gemße Form des Begriffs und damit in die Philosophie berfhrt. Gerade indem der Inhalt seiner ihn rechtfertigenden Struktur ganz entspricht, kommt es somit zur Aufhebung des Inhalts in die neue Form der Philosophie. Um diesen bergang auch terminologisch zu plausibilisieren, differenziert Hegel nochmals den Vorstellungsbegriff. Er wird dergestalt dreifach unterteilt, dass in der Darstellung des Christentums den drei Sphren der immanenten Trinitt, der Schçpfung und der Versçhnung jeweils eine vermçgenstheoretische Spezifizierung zugeordnet wird. Das ist nur konsequent, weil die in den drei Sphren dargestellte Entwicklung des absoluten Geistes neben der Entwicklung des unendlichen Geistes jeweils auch die korrespondierende des endlichen mitbercksichtigen muss.453 Die drei vermçgenstheoretischen Spezifizierungen werden als „abstraktes Denken“ im Bezug auf die immanente Trinitt, als „Vorstellung“ (im speziellen Sinn) im Bezug auf die Schçpfung und als „Selbst452 Siehe dazu auch Wagner, „Die Aufhebung“, 54. 453 Siehe dazu genauer unten, II.3.4.1.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

bewusstsein“ in Bezug auf die Versçhnung benannt.454 Dass die vermçgenstheoretische Spezifizierung der immanenten Trinitt als „abstraktes Denken“ bezeichnet wird, gewinnt seine berzeugungskraft aus dem zu bedenkenden Inhalt einer unsinnlichen, vorweltlichen Geiststruktur. Dass die vermçgenstheoretische Spezifizierung der Schçpfung als „Vorstellung“ benannt ist, kann damit gerechtfertigt werden, dass in der Schçpfung die behandelten Gegenstnde dem Bewusstsein tatschlich gegenstndlich gegenberstehen. Dass die vermçgenstheoretische Spezifizierung der Versçhnung als „Selbstbewusstsein“ bezeichnet wird, ist nur scheinbar paradox. Zwar wird damit eine Sphre innerhalb der großen Form der Vorstellung mit einem Vermçgen in Verbindung gebracht, das selbst gerade nicht mehr der Vorstellung, sondern der Vernunft zugeordnet werden kann. Aber damit wird angedeutet, dass sich hier die Selbstaufhebung der Vorstellung in den Begriff und damit die Selbstaufhebung der Religion in die Philosophie vollzieht.455 In der Form des Selbstbewusstseins nun bersetzen sich Inhalt und Form bestndig ineinander. Denn die Form des Selbstbewusstseins ist gerade der absolute Geist als der Inhalt, im Anderen bei sich oder die Realisation der Struktur absoluter Selbstvermittlung zu sein, und andersherum ist der absolute Geist gerade Selbstbewusstsein.456 Somit ist der absolute Geist in der Philosophie in seiner Wahrheit.457 Damit aber ist zugleich diejenige Entwicklung der Sache selbst vollzogen, die gerade als Entwicklung der Sache selbst zugleich die bildungspraktische Aufgabe der Propdeutik vollzieht. Denn in der nun erreichten Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist gibt es kein Außen mehr. So kommt es zu derjenigen Vermittlung, die auch das religiçse Bewusstsein als Ort des Vollzuges der Sache selbst integriert.458 Es kommt damit zu dem Phnomen, dass die Religion, indem sie aufgehoben wird, nach ihrem Inhalt betrachtet in seine Wahrheit gelangt und so gerechtfertigt wird, nach ihrer Form betrachtet aber negiert wird. 454 Siehe dazu Enz., §§567 und 569 f., 447 – 449 (20, 551 – 553) und VL3, 201. 215. 251. u. ç. 455 Diesen bergang, diese Selbstaufhebung der Religion, benennt Hegel selbst auch als „Versçhnung“ der Philosophie mit der Religion, siehe VL3, 269. Siehe zu der Versçhnung auch Dierken, Gott, 231 – 242. 456 Siehe zu dieser Entsprechung von Form und Inhalt ausfhrlich Ringleben, Hegels Theorie, 145 – 153. 457 Deshalb nennt Hegel das Selbstbewusstsein auf VL1, 338, die „wirkliche Religion“ und kann auf VL3, 176, von der „Gemeinde der Philosophie“ reden. 458 Siehe II.3.4.6.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Durch den spekulativen Blick der Religionsphilosophie auf die Religion wird somit einerseits die Religion gerechtfertigt und so in Geltung gesetzt459 und andererseits zugleich in die Philosophie hinein aufgehoben. Denn die Grundfunktion der Religionsphilosophie besteht darin, dass sie begreift, was ist, und dadurch die Religion als Wirklichkeit des absoluten Geistes expliziert. Zugleich setzt sie das, was ist, in dem Maße, in dem es begriffsgemß ist, in Geltung. Das Begriffsgemße als die Arbeit des Begriffs in dem, was ist, fhrt nun aber selbst dazu, dass Religion als das, was ist, nicht begriffsgemß ist. Damit hebt sich die Religion in ihre Wahrheit hinein auf und wird etwas anderes, als sie war. Indem die Religionsphilosophie begreift, was ist, begreift sie diese selbstaufhebende Arbeit des Begriffs und setzt diese als das Begriffsgemße in Geltung. In Geltung setzt sie somit etwas, was die Geltung dessen, was ist, zugleich aufhebt.460 So ist die Religionsphilosophie immer die Einheit von Darstellung und Kritik der Religion.461 459 Siehe zu dieser Strategie Hegels, die Religion durch das Begreifen ihres Vernunftgehaltes in Geltung zu setzen, auch Jaeschke, Hegels Religionsphilosophie, 282 und 290. 460 Somit ist entschieden Graf/Wagner, „Einleitung“, 62, zu widersprechen, die behaupten, dass man die VL und die Enz. „strikt unterscheiden msse“, da die VL die „philosophisch-begriffliche Erfassung der christlichen Gehalte“ leiste, darin aber durchaus nicht zur Aufhebung der Religion in die Philosophie voranschreiten wrde. Die Aufhebung wrde sich allein in der Enz. vollziehen und sei ein „in der Systemform begrndeter Sachverhalt“, whrend die Vorlesungen „den Boden des vorstellungshaft verfaßten religiçsen Bewußtseins nicht prinzipiell verlßt. Insofern handelt es sich tatschlich um die Rechtfertigung der Religion durch die, wenn auch nur partielle Kritik der religiçsen Vorstellungsform“. Wagner verkennt, dass die Aufhebung der Religion in die Philosophie nicht der „Systemform“ der Enz. geschuldet ist, sondern dem sich entwickelnden Begriff in der Realphilosophie. Damit ist seine „strikte Unterscheidung“ der VL von der Enz. obsolet, denn beide zielen auf den Begriff in den Vorstellungsinhalten und damit auf dasjenige, wodurch die Religion gerechtfertigt und zugleich aufgehoben wird. Die Differenz zwischen der Enz. und den VL ist somit kein prinzipieller, sondern nur ein darstellungstechnischer : Denn da die VL zugleich noch der bildungspraktischen Aufgabe nachgehen, steht bei ihnen die Aufhebung weniger im Vordergrund als bei der Enz. 461 Diese Formulierung lehnt sich an das Programm von Theunissens Sein, 13 – 19, an, das in der WL die Einheit von Darstellung und Kritik der alten Metaphysik sieht. Diese Beobachtung ließe sich auf die Realphilosophie im Allgemeinen und auf die Religionsphilosophie im Besonderen bertragen. Denn dargestellt wird dort zwar nicht die alte Metaphysik, aber mit der Religion eine Konstellation, die aus denselben Grnden zugleich mit der Darstellung der Kritik verfllt, wie es bei der Metaphysik der Fall ist: Bei beiden ist zu kritisieren, dass sie Schein pro-

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Mit diesen Hinweisen kann die Auslegung des Begriffs von Hegels Religionsphilosophie und damit die Exegese der VL1 samt der entsprechenden Enz.-paragraphen beendet werden, da alle fr dieses Buch interessierenden Themen verhandelt wurden.462 Es wird daher im Folgenduzieren (siehe Theunissen, Sein, 70 – 91). Schein kann in seiner logischen Bestimmung als „Positivitt“ gefasst werden, d. h., sowohl als Vorgegebenheit wie als Affirmation (siehe Theunissen, Sein, 146 f.). Gerade die Vorstellung stellt Gott wie einen Gegenstand, als etwas vorgegebenes, vor, und gleicht damit der Ontologie der alten Metaphysik. Stellt die Religionsphilosophie diesen Schein einerseits dar, so kritisiert sie ihn in eins auch, da sie, indem sie die begrifflichen Strukturen der Religion in ihrer dialektischen Bewegung prsentiert, zugleich die Selbstaufhebung der scheinbaren Positivitt vorfhrt. Die Dialektik ist diejenige Bewegung, die mit einer scheinbaren Positivitt anfngt und diese in die erste und zweite Negation als ihre Wahrheit berfhrt (dass die Negativitt die Wahrheit der Positivitt des Scheins ist, siehe Theunissen, Sein, 150). Damit ist die Darstellung auf eine Art auch rechtfertigend: insofern nmlich der Schein auch an der Wahrheit teilhat, weil er als scheinbare Positivitt an der Negativitt als seiner Wahrheit teilhat (dass der Schein an der Wahrheit teilhat, siehe Theunissen, Sein, 144). Dasjenige, was am Schein an der Wahrheit Teil hat, wird in der Darstellung also zugleich auch gerechtfertigt. 462 Die verschiedenen Kollegs der VL1 hingegen bieten neben einer Flle von Seitenthemen und der Kritik an der theologia naturalis und an der Religionsphilosophie ihrer Zeit noch zwei andere Großthemen. Gerade bei dem ersten wird deutlich, wie sich Hegel im Verlauf der vier verschiedenen Kollegs entwickelte, die er 1821, 1824, 1827 und 1830 hielt: So versuchen die Kollegs von 1821 und von 1824 noch, die Notwendigkeit des Phnomenbereichs Religion als solchem zu rechtfertigen – siehe dazu programmatisch VL1, 95 und in der Durchfhrung 130 – 142 und 222 – 227. Das Kolleg von 1824 nimmt eine interessante Mittelstellung ein: In der Darlegung seiner eigenen Programmatik in VL1, 55 f., nimmt es bereits Einsichten des Kollegs von 1827 vorweg, whrend die Durchfhrung von dieser Programmatik abweicht und von der Intention her dem Kolleg von 1821 folgt – siehe dazu auch Jaeschke, Vernunft, 240 – 254. Hegel zielt in diesen Kollegs somit nicht auf die Rechtfertigung von bestimmten Vorstellungsgehalten von Religion, so dass er damit ganz sachangemessen die Aufgabe der Religionsphilosophie erfllen wrde. Sondern er zielt darauf, die Religion als eigenen Phnomenbereich zu rechtfertigen. Die Kollegs von 1827 und von 1830 sind gerade deshalb die den Kollegs von 1821 und 1824 gegenber begriffsgemßeren, weil sie auf den Versuch dieser Rechtfertigung verzichten. Denn Hegel begriff wohl, dass diese Aufgabe nur in einem Durchlauf durch das Gesamtsystem geleistet werden kann, dieser aber nicht in wenigen Vorlesungsstunden zu prsentieren ist. Entsprechend heißt es in dem Kolleg von 1827, VL1, 265 f.: „Die Religionswissenschaft ist eine, und zwar die letzte Wissenschaft in der Philosophie; sie setzt insofern die anderen philosophischen Disziplinen voraus, ist also Resultat. […] Wir haben hier nur von der Religion anzufangen und zu versichern, dass dieser Standpunkt der Religion bewiesen ist. […] Der ursprngliche Inhalt, die Grundlage der Religionsphilosophie ist Resultat; das ist

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den zuerst die Religionsgeschichte und sodann das Christentum ausgelegt. Dabei sind auch weiterhin die Texte der VL und die der Enz. gleichermaßen heranzuziehen.463 Denn beide ergnzen sich nicht nur darin, dass die VL die Enz. um die in ihr fehlende Darstellung der Religionsgeschichte erweitern.464 Sondern die VL kommentieren auch bei

ein Lemma, Lehnsatz, daß der Inhalt, mit dem wir anfangen, wahrhafter Inhalt ist“. Daraus folgt zweierlei: Da Hegel sein ursprngliches Anliegen, die Notwendigkeit der Religion als Phnomenbereich aufzuweisen, aus guten Grnden selbst korrigierte, kçnnen die entsprechenden Texte hier ignoriert werden. Somit folgt daraus des weiteren, dass das Kolleg von 1827 gerade in seinem ersten Teil das fr die Interpretationen hauptschlich heranzuziehende ist. Gleichzeitig aber enthalten auch die anderen Kollegs eine Flle wertvolle Einzelbestimmungen, die nicht so stark von dem Gesamtentwurf des jeweiligen Kollegs geprgt wren, dass man sie nicht aus ihrem Kontext herausnehmen und mit Gewinn in den hiesigen Diskussionszusammenhang einfgen kçnnte. Zu einer ausfhrlichen Diskussion der Unterschiede der verschiedenen Kollegs und der hier aufgefhrten Begrndung fr das Kolleg von 1827 siehe die Pionierarbeit bei Jaeschke, Vernunft, 229 – 273. Diese Meinung kann heute als weitgehender Forschungskonsens aufgefasst werden. Zu der Fragestellung des Beweises der Notwendigkeit im Gesamtsystem siehe auch oben, II.1.2. 463 Das entsprechende Kapitel der PhG, Die offenbare Religion, zeichnet sich zwar in vielem durch eine recht große sachliche Nhe zu den Darstellungen der VL und der Enz. aus (zu einem nheren Vergleich siehe Wagner, Der Gedanke, 254 – 259), so dass es unter gewissen Fragestellungen nicht sachunangemessen ist, sie in den zu exegetisierenden Textkorpus zu integrieren (so wie es etwa Ringleben, Hegels Theorie, und Dierken, Gott). Aus zwei Grnden aber soll sie hier nicht herangezogen: Zum einen denkt die PhG nur von der Seite des endlichen Bewusstseins aus, siehe dazu Wagner, Der Gedanke, 202.221. Zum anderen scheidet sie bei unserer Betonung der von der absoluten Idee herstammenden, zugrunde liegenden logischen Strukturen schon aus chronologischen Grnden aus, wurde sie doch Jahre vor der WL geschrieben und kann nicht ohne weiteres mit der in ihr entwickelten Kategorien parallelisiert werden (zu der Diskussion um die der PhG zugrunde liegende Logik siehe Schfer, Die Dialektik , 170 – 176, der auf 170, Anm. 34 auch eine bersicht ber die wesentlich von Pçggeler und Fulda initiierte Geschichte des Streites um die zugrunde liegende Logikkonzeption liefert). 464 Dass die Enz. die Religionsgeschichte ausspart, darf nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Religionsgeschichte fr die Begriffsentwicklung unwichtig sei – vielmehr prsentiert die Enz. oftmals nur die Endgestalten einer Entwicklung, und zudem hat Hegel in seinen mndlichen Vortrag der Enz. Exkurse zur Religionsgeschichte eingefgt, siehe dazu Fulda, Hegel, 243, und Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 414 f.

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den von ihnen gemeinsam behandelten Themen in großer inhaltlicher Nhe die sehr dichten Texte der Enz.465 II.3.3. Die Religionsgeschichte II.3.3.1. Funktion und Einteilung der Religionsgeschichte Analog zu dem bergang der absoluten Idee in die Realphilosophie verwirklicht sich nun auch der bisher ausgelegte Begriff der Religion.466 Denn „der Begriff ist wohl in sich selbst wahrhaft, aber zu seiner Wahrheit gehçrt auch, daß er sich realisiere“,467 weil es zum Wesen des Geistes gehçrt, ttig zu sein und sich zu manifestieren.468 Der Geist realisiert sich in der Geschichte in einer Vielzahl verschiedener Religionen, die sich als eine einheitliche Religionsgeschichte darstellen lassen. Die Einheit der Religionsgeschichte liegt darin begrndet, dass sie die Geschichte der Entwicklung des absoluten Geistes darstellt, und die Einheit des absoluten Geistes in seiner Entwicklung garantiert die Einheit der Religionsgeschichte. Seine Entwicklungsgeschichte kommt dem absoluten Geist dabei wesentlich zu, denn „daß der Geist wie in allem, so in der Religion seine Bahn durchlaufen muß, das ist im Begriff des Geistes notwendig“.469 „Der Geist berhaupt ist nicht unmittelbar, nicht in der Weise der Unmittelbarkeit; er ist lebendig, ttig, das, wozu er sich macht“.470 „Er ist nicht am Ziel, ohne den Weg durchlaufen zu haben“.471 Wie bereits in der Darlegung der Grund465 Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 387 f., zeigt in einer entwicklungsgeschichtlichen Analyse, dass Hegel selbst die neuen Auflagen der Enz. von der jeweiligen VL prgen ließ, und auch Fulda, Hegel, 243, betont, dass die Enz. und die VL aufeinander verweisen. Die teilweise differierenden Strukturen der Enz. und der VL sowie der VLs untereinander werden jeweils an dem Ort diskutiert, an dem die Materie selbst behandelt wird. 466 Siehe dazu oben, II.1.2. Jaeschke, Vernunft, 289, stellt heraus, dass Hegel verschiedene logische Begriffsentwicklungen heranzieht, um diesen bergang zu skizzieren, etwa den von der Setzung dessen, was im Begriff enthalten ist, oder dem von der Urteilung des Begriffs. Sie sind aber alle so allgemein gefasst, dass sie von geringer Erklrungskraft sind und hier nicht weiter ausdifferenziert werden sollen. 467 VL1, 84. 468 Siehe dazu VL1, 85. 469 VL1, 91. 470 VL1, 90. 471 VL1, 57.

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struktur des absoluten Geistes unter II.3.2.1. betont und in der Auslegung der absoluten Idee begrndet wurde, kommt dem Geist seine Prozessualitt wesentlich zu. Das Resultat ist nicht ohne den Weg zum Resultat, und das Resultat ist nichts anderes als der Weg zum Resultat, aber als gesetzter. Daher wird dem Wesen des Geistes nur dadurch entsprochen, dass die Religionsgeschichte als die Geschichte seiner Selbstwerdung dargestellt wird. Bedenkt man diese wesentliche Selbstwerdung des Geistes in der Religionsgeschichte, so wird deutlich, dass das Christentum nicht schon dadurch die vollendete Religion ist, dass es von der VL1 her betrachtet wird. Es reicht also nicht zu bedenken, dass im Christentum der Begriff der Religion mit seiner Realitt so zusammenfllt, dass das Christentum den Begriff der Religion als Vorstellungsinhalt hat. Vollendete Religion ist das Christentum vielmehr erst dadurch, dass es zudem von der VL2 her betrachtet wird als die Vollendung der Religionsgeschichte.472 Werden beide Aspekte miteinander vermittelt, so entwickelt sich die Religionsgeschichte dergestalt, dass die letzte Religion als vollendete ihren eigenen Begriff zum Vorstellungsinhalt hat.473 Wird diese Großperspektive zur weiteren Konkretisierung auf das Material angewandt, so sieht sie sich mit einer Vielzahl divergierender Aussagen der verschiedenen Kollegs konfrontiert. Die verschiedenen Kollegs scheinen ein einziges „Experimentierfeld“ zu sein, auf dem Hegel seine zunehmenden Kenntnisse der Religionsgeschichte ausprobiert.474 Alles scheint sich zu verndern: Erstens werden die verschiedenen Religionen in den jeweiligen Kollegs unterschiedlich dargestellt.475 Zweitens werden unterschiedliche Einteilungen angewandt, so dass Hegel in dem Kolleg von 1824 mit einer Zweiteilung der Religionen in die „Unmit472 Jaeschke, etwa „Einleitung“ zu VL2, XVIIf., fhrt nur dieses Argument dafr an, das Christentum als die vollendete Religion anzusehen; dass die Vermittlung dieser Begrndung mit der Entwicklung der Religionsgeschichte fehlt, ist als eine Unterschtzung der dem Geist wesentlichen Dynamik anzusehen. Wagner, Der Gedanke, 204 f., hingegen bezeichnet die Verbindung von VL1 und VL2 als „notwendig“ und bietet daher auch eine allerdings sehr knappe Darstellung der Religionsgeschichte. 473 Siehe VL1, 85. 474 Jaeschke, Vernunft, 288. 475 Vor allem ist hierbei auf die zunehmende Ausdifferenzierung der Naturreligionen zu verweisen: etwa auf die Differenz zwischen der nur ganz skizzenhaften Darlegung des Buddhismus in dem Kolleg von 1821, VL2, 13, die den Buddhismus undifferenziert mit den „Negerreligionen“ vermengt, und der ausfhrlichen Beschreibungen der chinesischen Religion in dem Kolleg von 1827, VL2, 445 – 458.

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telbare Religion“ und die „Religionen der geistigen Individualitt“ arbeitet, ansonsten aber mit einer Dreiteilung. Hinzu kommt, dass den jeweiligen Unterteilungen der Dreiteilungen in den verschiedenen Kollegs auch noch verschiedene Funktionen und unterschiedliche Religionen zugeschrieben werden.476 Zudem verndert sich, drittens, die begriffliche Grundlegung oder der „inneren Bildner“ der Einteilungen und der Einzelreligionen ganz erheblich.477 Trotz dieser Variabilitt lassen sich einerseits einige von Hegels Anstzen als sachunangemessen ausscheiden und andererseits durchgehende Intentionen erkennen sowie neue Entwicklungen erklren. Daher ist es mçglich, auch aus den verschiedenen Kollegs zur VL2 eine Lesart herauszuarbeiten, die sowohl Hegels Eigenaussagen wie den Intentionen des vorliegenden Buches entspricht.478 Zuerst sei begrndet, welche Einteilungen nicht bernommen werden. Hegels Anspruch besteht darin, den Ablauf der Religionsgeschichte dadurch als geordneten und vernnftigen zu legitimieren, dass er ihn an begriffliche Schemata rckbindet, so dass diese „inneren Bildner“ fr den Gesamtverlauf und die jeweilige Gestalt der Religionsgeschichte prgend sind.479 Der 1824 und ergnzend auch 1831 unternommene Versuch, die gesamte Religionsgeschichte allein anhand zweier Gottesbeweise zu strukturieren,480 operiert offensichtlich mit allzu undifferenzierten Schemata fr die dargestellte Vielfalt der Religionen.481 Ein anderer „innerer Bildner“ wre der begriffsgemßeste, wird von Hegel aber nicht so konsequent durchgefhrt, dass er hier

476 So wird der zweiten Stufe der Dreiteilung 1821 die Religionen der Erhabenheit und der Schçnheit zugeordnet und somit die Juden und die Griechen, whrend der zweiten Stufe 1831 die Entzweiung und somit die Chinesen, Inder und Buddhisten zukommen. Zudem werden etwa die gypter zwischen 1827 und 1831 von der ersten in die dritte Stufe verlegt – siehe dazu auch weiter unten. 477 Auf den ersten Blick wird das Kolleg von 1821 durch die Einteilung von Sein, Wesen und Begriff strukturiert (siehe dazu VL2, 2 – 4), das Kolleg von 1824 durch die Gottesbeweise (siehe VL2, 155 – 171 und 290 – 321), das Kolleg von 1827 gar nicht, und das Kolleg von 1831 durch den Dreischritt von Unmittelbarkeit, Entzweiung und Versçhnung (siehe VL2, 612). 478 Jaeschke, Vernunft, 287, ist darin zuzustimmen, dass sich in den VL2 nicht wie in den VL1 ein Kolleg als das einzig begriffsgemße stabilisiert hat. Dennoch wird im Haupttext gezeigt, dass die Entwicklung von grçßerer Konsequenz geprgt ist als von Jaeschke angenommen. 479 Siehe dazu programmatisch VL1, 59. 480 Siehe dazu VL2, 155 – 171. 290 – 321. 611. 481 So auch Jaeschke, Vernunft, 281.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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rekonstruiert werden kçnnte.482 So wre es begriffsgemß, wenn der Ablauf der Religionen im Einzelnen dem Verlauf der logischen Bestimmungen in der WL folgte, so dass jede neue Religion durch die jeweils folgende Kategorie der WL genau bestimmt wre. Wre die Religionsgeschichte dergestalt strukturiert, so ließe sie sich mit dem ebenso strukturierten Ablauf der Philosophiegeschichte koordinieren.483 Dann htte der von Hegel behauptete Zusammenfall der Religions- mit der Weltgeschichte484 ein die Philosophiegeschichte integrierendes begriffliches Rckgrat, das den einheitlichen Verlauf einer Geschichte ebenso ordnen wrde wie die je spezifische Charakterisierung ihrer Stationen. Trotz programmatischer Ankndigungen485 und ihres offensichtlichen systematischen Reizes hat diese Rekonstruktionsperspektive fr Hegel faktisch keine Prioritt.486 So ordnet er zum einen bei weitem nicht allen, sondern nur einigen Religionen logische Kategorien zu. Zum anderen sind diese Zuordnungen nicht immer die Glcklichsten – etwa wenn das mit dem Judentum verbundene logische Problem der Eins in der WL an sehr viel frherer Stelle verhandelt wird als das Judentum in der Religionsgeschichte. Eine Darlegung der Religionsgeschichte anhand des Ablaufs der einzelnen logischen Kategorien der WL wre somit vielmehr eine konstruierende denn eine rekonstruierende Ttigkeit und scheidet daher fr das vorliegende Buch aus. Als „innerer Bildner“ sollen vielmehr drei andere Schemata miteinander koordiniert werden. Hegel expliziert alle drei im Folgenden verwendeten „inneren Bildner“ selbst an herausgehobener Stelle und greift im Verlauf der Religionsgeschichte immer wieder auf sie zurck. Zugleich nehmen die „inneren Bildner“ wesentliche Grundmuster der Entwicklung der Kategorienabfolge der WL auf. Auch wenn die begriffsgemße Genauigkeit einer Eins-zu-Eins-Zuordnung einer Religion zu einer Kategorie nicht zu erreichen ist, so kçnnen mit diesen „inneren Bildnern“ dennoch entscheidende Entwicklungen der WL reprsentiert werden. Zugleich fallen diese wichtigen Grundmuster der WL mit solchen zu482 Siehe dazu auch die kurze Bemerkung bei Wagner, Der Gedanke, 208 f. 483 Siehe dazu Enz., §14, 47 (20, 56), und Hegel, Vorlesungen ber die Geschichte, 58 – 69, bes. 59. 484 Siehe dazu Enz., §562, Anm., 444 (20, 547). 485 VL1, 59. 486 Damit htte er das Problem einer Religionsgeschichte elegant lçsen kçnnen – Hegel deklariert zwar eine Religionsgeschichte, prsentiert de facto aber eine Religionsgeographie und kçnnte, weil der Begriff keine Historie hat, dem Problem einer Geschichte entkommen – so Jaeschke, Vernunft, 290.

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sammen, die aus der Auslegung der absoluten Idee bekannt sind. Hier zeigt sich ein bereits frher erwhnter Zusammenhang zwischen der Gesamtentwicklung der WL und der Entwicklung der absoluten Idee: Der Verlauf der absoluten Idee als des Methodenkapitels der WL kann mit dem Gesamtverlauf der WL parallelisiert werden, da sich die Entwicklung der WL in der absoluten Idee gleichsam wie in einem Brennglas fokussiert wiederholt.487 In materialer Hinsicht sind diese parallelisierten Grundmuster der Entwicklung der WL und der absoluten Idee deshalb von Wichtigkeit, weil sie das begriffliche Rckgrat der Entwicklung jenes absoluten Geistes sind, der der Garant der Einheit der Religionsgeschichte ist. Die drei „inneren Bildner“ der Religionsgeschichte entstammen somit gleichermaßen dem Gesamtverlauf der WL wie dem Verlauf der absoluten Idee und werden herangezogen, weil sie von Hegel selbst dargelegte, wesentliche Strukturen des absoluten Geistes darstellen. Der erste „innere Bildner“ der Entwicklung des absoluten Geistes als Religionsgeschichte tritt in allen Kollegs auf. Nach einer Phase der aller ersten Einheit der Zauberreligionen kann er als die Entwicklung von der Substanz zum Subjekt beschrieben werden, die sich material in einer zunehmenden Vergeistigung des Gottesgedankens ußert.488 Denn die ersten Religionen in der Religionsgeschichte sind noch wesentlich durch substanzhafte Zge geprgt.489 Der weitere Verlauf ist als die Subjektivierung der Substanz zu begreifen, ehe im Christentum die Substanz 487 Siehe dazu II.2.1. 488 Siehe etwa die programmatischen, auf die zeitgençssische Debatte eingehende Darlegungen in VL2, 469 – 472 oder die Charakterisierung in VL2, 282 f. Auch Jaeschke, Vernunft, 283, und Leuze, Die außerchristlichen Religionen, zusammenfassend 241, sehen dieses Schema als eines an, das Hegel selbst gemß ist. Huber, Idealismus, 113, benennt den materialen Aspekt dieser Entwicklung, wenn er feststellt, dass die „als Gçtter verehrten Entitten sozusagen immer geistiger werden“. 489 Wie unten, II.3.3.2.1.1., deutlich wird, liegt insofern eine Differenz zwischen der Religionsgeschichte und der Entwicklung der absoluten Idee vor, als die erste Stufe der Religionsgeschichte noch nicht mit dem Substanz-Begriff in Beziehung gebracht wird, weil der hier verwendete Substanz-Begriff eine gewisse Eigenstndigkeit Gottes gegenber der unmittelbaren Gott-Mensch-Einheit der Naturreligionen beinhaltet. Die Unmittelbarkeit der Gott-Mensch-Verbindung zu Beginn der Religionsgeschichte fhrt allerdings auch dazu, dass diese Religionen laut Hegel kaum schon verdienen, Religionen genannt zu werden (siehe VL2, 433). Dennoch verwundert es, dass Leuze, Die außerchristlichen Religionen, als die einzige vorliegende monographische Abhandlung zu Hegels Religionsgeschichte die Naturreligionen kommentarlos ausspart.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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ebenso sehr Subjekt geworden ist.490 Wie eben angedeutet und bereits aus der absoluten Idee bekannt, verfhrt diese Subjektivierung auch in der Religionsgeschichte nach einem Entwicklungsschema, das als der zweite „innere Bildner“ zu verstehen ist. Das Schema wird in dem Kolleg von 1827 zuerst kurz erwhnt und daraufhin anhand des dem Kolleg programmatisch vorangestellten Mythos von Genesis 3 in erzhlender Form prsentiert.491 1831 wird es dann begrifflich dargelegt und als die Stufen einer erster Unmittelbarkeit, der Entzweiung und der Versçhnung benannt, die in absoluter Vermittlung resultiert.492 Dieses Schema ist somit eine Umformulierung des „inneren Bildners“ des Kollegs von 1821 als „Sein, Wesen, Begriff“ und bernimmt zugleich die in den drei Teilen der Logiken vorherrschenden verschiedenen Formen der Dialektik.493 Material etwas breiter ausgefhrt: Zu Beginn der Religionsgeschichte liegt eine unmittelbare Einheit von Gott, Welt und Mensch vor. Die Subjektivierung bedeutet sodann eine zunehmende Entzweiung Gottes von seiner unmittelbaren Bindung an das Natrliche, die in der Form der seinslogischen bergangsdialektik494 zuerst noch Entitten abstrakt nebeneinander stellt. Sodann gibt es eine Stufe der Entzweiung, auf der zwei Entitten in wesenslogischer Art vermittelt sind, ohne eine umfassend neue Identitt zu erlangen. Hier dreht sich die Bewegung bereits um, so 490 Tatschlich wird die aus der Auslegung der absoluten Idee vertraute, aber ursprnglich aus der Vorrede der PhG, 14, stammende, programmatische Formulierung von der Substanz, die ebenso sehr Subjekt werden muss, in VL2, 471, auf das Christentum angewendet. 491 Siehe dazu VL2, 423 – 428 und auch 502. Da Hegel den Mythos von Genesis 3 in dem Kolleg von 1827 und auch schon in dem Kolleg von 1824 seiner Darstellung der Religionsgeschichte voranstellt, zielt die darin dargestellte Entwicklung sicher nicht nur eine auf onto-, sondern ebenso auf eine phylogenetische Ebene. Damit wre dem Buch Ringlebens, Hegels Theorie, eine einseitige Konzentration auf die ontogenetische Seite der im Mythos dargestellten Entwicklung vorzuwerfen. Anders gesagt: die, wie es im Untertitel heißt, „subjektivitts-logische Konstruktion“ bedarf einer Einbettung in die allgemeinen Strukturen von Geschichte und Gemeinschaft. Gerade eine Subjektivittstheorie, die das Ich als den Zusammenfall von Allgemeinem und Besonderem denkt, muss die Vermittlung von Onto- und Phylogenese besonders betonen. 492 Siehe dazu VL2, 612. Unsere Analyse des Textes wird zeigen, dass dieses DreierSchema bereits 1827 den inhaltlichen Ausfhrungen entspricht und damit keineswegs „einem fremden Inhalt bergestlpt [war] und daher mehr zur Konfusion als zur Erkenntnis beitrug“, wie Jaeschke, Vernunft, 282, meint. 493 Siehe VL2, 2 – 4. 494 Zu den verschiedenen Formen der Dialektik siehe Enz., §240, 195 (20, 230), sowie Schfer, Die Dialektik, 293 – 319, und oben, II.1.1.

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dass sich die Subjektivierung als eine zunehmend konkretere Einheit des absoluten Geistes vollzieht. Stellt die rçmische Religion noch eine unvollendete Form von Vermittlung dar, so entwickelt sich im Christentum schließlich diejenige Einheit von Gott, Welt und Mensch, die die realphilosophische Verwirklichung absoluter Vermittlung ist. Somit gleicht Jesus Christus dem am Anfang der Religionsgeschichte auftretenden Zauberer der Naturreligionen, da beide die gottmenschliche Einheit reprsentieren und beide Macht ber alle Welt haben. Der Unterschied zwischen ihnen besteht allerdings darin, dass der Zauberer in so unvermittelter Weise Gott reprsentiert und die Welt beherrscht, dass, Recht verstanden, von Gott und der Welt noch gar keine Rede sein kann. In Jesus Christus hingegen bezaubert Gott alle Welt.495 Der zweite Adam ist der erste in seiner wahren Vermittlung.496 Die einzelnen Religionen als Schritte auf dem Weg vom ersten zum zweiten Adam sind durch den dritten „inneren Bildner“ charakterisiert: dadurch nmlich, dass jeweils ein Moment des Begriffs der Religion eigens gesetzt wird.497 Zwar kommen allen Religionen als Religionen alle Momente des Begriffes zu. Aber bei den vorchristlichen Religionen sind noch nicht alle Momente gleichermaßen gesetzt.498 Vielmehr wird im Verlauf der Religionsgeschichte jeweils mit einer neuen Religion je ein Moment des Begriffes gesetzt, das dann die Religion als Ganze prgt.499 495 Zu dem Vergleich beider siehe VL2, 13 f. 496 So wie die absolute Idee das wahre Sein ist und die Einzelheit die wahre Allgemeinheit, siehe WL3, 284 und 299 (12, 236 und 248). 497 Siehe dazu VL1, 90 f., 28, 57, und Huber, Idealismus, 111 f. 498 Entsprechend heißt es in VL1, 276: „Die ganze Philosophie ist nichts anderes als ein Studium der Bestimmung von Einheit; ebenso ist die Religionsphilosophie nur eine Reihenfolge von Einheiten, wo immer die Einheit, aber diese Einheit immer weiter bestimmt wird“. 499 Da jeder Religion alle Momente des Begriffs zukommen, weisen trotz der eben angedeuteten Entzweiungen alle Religionen etwa Formen der Vereinigung des Gçttlichen und des Menschlichen auf – die Religionsgeschichte kçnnte auch als die Geschichte dieser defizienten Vereinigungen geschrieben werden. Scheint das bei unserer Thematik eine nahe liegende Alternative zu sein, so gilt zu bedenken, dass bei den vorchristlichen Religionen noch nicht alle Momente gleichermaßen gesetzt sind. Gerade die Vereinigung Gottes mit dem Menschen (als, wie wir sehen werden, nicht nur ein weiteres Moment, sondern als Ausdruck der Totalitt der Momente) ist nicht das prgende organisatorische Zentrum der vorchristlichen Religionen und daher fr deren Gotteslehren und Anthropologien nicht von bestimmender Kraft. Eine Geschichte der Religionen zu schreiben, die sich allein auf die jeweiligen Vorstellungen der Verbindung von Gott und Mensch fokussiert, wrde die jeweiligen Religionen daher aus einem derart peripheren

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Dadurch schreitet die Religionsgeschichte voran. Der Motor dafr ist in der Religionsgeschichte derselbe wie in der WL als Ganzer und wurde in der absoluten Idee ausfhrlich dargelegt: Das vorher prgende Moment stellt sich als widersprchlich heraus, weil es eine jeweils behauptete Unmittelbarkeit mittransportiert, die in Wahrheit ein nicht eigens expliziertes Moment von Vermittlung impliziert. Der damit vorliegende Widerspruch treibt jeweils zu der Setzung eines neuen Momentes, das ein zustzliches Maß an Vermittlung ermçglicht und damit die neue Gestalt der Religionsgeschichte prgt. Das Ziel der Bewegung der Religionsgeschichte nun stellt das Christentum dar. Denn sie ist diejenige Religion, die den bisher in der Religionsgeschichte gesetzten Momenten nicht einfach ein weiteres hinzufgt, sondern die Einheit aller bisher gesetzten Momente ist.500 Verbindet man den zweiten mit dem dritten „inneren Bildner“, so wird deutlich, dass die jeweils neu gesetzten Momente Charakteristika der jeweiligen Stufe des erwhnten Entwicklungsganges darstellen. So werden in den ersten Religionen solche Momente gesetzt, die einer anfnglichen Einheit entsprechen, spter dann solche, die prgend fr die Entzweiung sind und schließlich solche, die fr die vermittelte Einheit stehen. Allerdings ergibt sich hierbei eine gewisse Ungenauigkeit der Zuordnung. Denn da es mehr als drei Religionen gibt, kann einerseits nicht einfach dem Ablauf der absoluten Idee gefolgt und nacheinander Allgemeines, Besonderes und Einzelnes gesetzt werden. Andererseits aber wurde bereits dargelegt, dass ebenso wenig eine sukzessive Eins-zu-Eins-Zuordnung je einer Religion zu einer jeweiligen Kategorie der WL vorliegt. So eindeutig die jeweils neu gesetzten Momente zu identifizieren sind, so wenig ergeben sie in ihrer Abfolge ein in sich vollstndig geschlossenes Bild.501 Es Blickwinkel beschreiben, dass die fr unser Projekt ebenfalls wesentliche Entwicklungsgeschichte des Geistes kaum in den Blick kme. 500 Siehe dazu programmatisch VL1, 91. 591. 611, VL3, 193 sowie Heede, Die gçttliche Idee, 148 f., Huber, Idealismus, 125 f. 501 So wird etwa mit der gyptischen Religion ein Moment an Dynamik, an Selbstbewegung der entscheidenden Entitt gesetzt, das dann wiederum verloren geht, so dass bei den Rçmern erneut Dynamik gesetzt wird, die aber der bei den gyptern gesetzten unterlegen ist, weil sie zwar Bewegung, aber keine Selbstbewegung darstellt. Selbst wenn man also einrumt, dass Grundmuster des Begriffs auf verschiedenen Stufen mehrfach gesetzt werden, so bleibt festzuhalten, dass die gypter eine Form von Bewegung erreichten, die der begriffslogischen nher steht als die der Rçmer, obwohl die Rçmer in allen Kollegs die letzte Religion vor dem Christentum ist. Hier aber eine Umstellung vorzunehmen und mit einer

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bleibt zu konstatieren, dass Hegels Texte in dieser Hinsicht keine vollstndig begriffsgemße Durchklrung der Religionsgeschichte anbieten. Evtl. ist dieser Mangel darin begrndet, dass Hegel gar nicht so schnell das Gesamt der Vernunft in all der rapide anschwellenden religionswissenschaftlichen Literatur seiner Zeit entdecken konnte, wie sie ihm je neu auf den Schreibtisch kam, so dass, im Bilde gesprochen, die Eule der Minerva bereits vor dem Einbruch der Dmmerung ihren Flug begann.502 Trotz dieser Ungenauigkeiten kann der dritte „innere Bildner“ neben dem zweiten auch mit dem ersten „inneren Bildner“ folgendermaßen verbunden werden: Die Subjektivierung der Substanz (erster „Bildner“) durch die Urteilung und in der Wiedervereinigung in einer vollentwickelten Einheit (zweiter „Bildner“) bedeutet die schrittweise Entwicklung eines Vermittlungszusammenhanges, der letztlich die Totalitt der im Verlauf der Religionsgeschichte einzeln gesetzten Momente des Religionsbegriffs darstellt (dritter „Bildner“). Der absolute Geist ist im Christentum somit ein solches Subjekt, das alle Momente des Religionsbegriffes als gesetzte miteinander vermittelt, so dass das Christentum den gesamten Begriff der Religion als seinen Vorstellungsinhalt hat.503 Damit ist das oben propagierte Ziel erreicht, fllt doch das Christentum als die vollendete Entwicklung der Religionsgeschichte aus der VL2 mit

Anordnung aufzuwarten, die durch keines von Hegels Kollegs gedeckt ist, wrde den rekonstruierenden Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. 502 Ansonsten meint Hegel bekanntlich, dass, so GRPh, 17, „die Eule der Minerva erst mit der einbrechenden Dmmerung ihren Flug beginnt.“ 503 Mit den folgenden berlegungen befinden wir uns in einiger Nhe zu der von Ringleben, Hegels Theorie, 178 – 189, vorgenommenen kurzen Darlegung der Religionsgeschichte. Wohl auch bedingt durch den Rckgriff auf unterschiedliche Ausgaben von Hegels Texten, kommen wir in den einzelnen Religionen aber oftmals zu durchaus unterschiedlichen Einschtzungen (so halten wir es z. B. fr nicht richtig, dass die Inder Substanz, nicht aber Vielheit setzen, dass Buddhismus und Lamaismus erst relativ spt in der Religionsgeschichte gesetzt werden oder dass die Integration des Widerspruches in das Gottesbild der gypter als entscheidend wichtigen Schritt schlicht nicht erwhnt wird, siehe dazu Ringleben, Hegels Theorie, 182. 184). Ebenso ist es ein prinzipieller Mangel von Ringlebens Darlegung, nur das Gottesbild der jeweiligen Religionen vorzufhren. Dennoch liest auch Ringleben die Religionsgeschichte erstens als Verlauf von der Substanz zum Subjekt, auf dass die Substanz im Christentum ebenso sehr Subjekt und so Totalitt sei, wobei zweitens jeweils in einer Religion einzelne Momente dieses Vorganges gesetzt werden, die im Christentum in ihrer Totalitt versammelt sind (siehe Ringleben, Hegels Theorie, 179. 187).

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der vollstndigen Realisierung des Begriffes der Religion aus der VL1 zusammen.504 Das sei im Folgenden kurz materialiter dargestellt.505 504 Zu dem Zusammenfall beider Perspektiven siehe auch VL1, 92. Beide Perspektiven fhren dazu, dass das Christentum als Religion unberholbar ist. 505 Recht verstanden, stimmen wir damit mit denjenigen drei Kollegs berein, die die Religionsgeschichte in ein Dreier-, und nicht, wie das Kolleg von 1824, in ein Zweier-Schema einteilen (eine vollstndige Auflistung der verschiedenen Dreierschemata der VL bietet Heede, Die gçttliche Idee, 112 – 115). Allerdings ist das von uns verwendete Dreier-Schema innerhalb der Religionsgeschichte dann falsch verstanden, wenn es etwa im Anschluss an die triplizitre Einteilung der absoluten Idee insinuieren wrde, dass sich die Religionsgeschichte innerhalb des zweiten Teiles der Vorlesungen vollendete. Vielmehr ist das Christentum als die Vollendung der Religionsgeschichte zu begreifen, so dass die rçmische Religion (als der dritte Entwicklungsschritt innerhalb des Dreier-Schemas des zweiten Vorlesungsteils) der noch nicht vollentwickelten Einheit der quadruplizitren Einteilung der absoluten Idee entspricht. Entsprechendes besagen auch die jeweils in den dritten Teilen dargelegten Inhalte selbst, wenn sie festhalten, dass sie nur vorlufige Endpunkte der dargelegten Entwicklung sind, weil sie die bençtigte Vermittlung nicht vollstndig zu erbringen vermçgen. Sie sind daher auch nach Eigenaussage in den verschiedenen Kollegs als bergnge zu dem Endpunkt zu begreifen, nicht aber als dieser Endpunkt selbst (siehe dazu VL2, 142. 282. 419, 580 f. 612). Genauer: Unsere Rekonstruktion lehnt sich eng an den Aufbau des Schemas des Kollegs von 1827 an, das zugleich in weiten Teilen mit den Grundintentionen des Schemas des Kollegs von 1831 bereinstimmt. Dabei begreifen wir das Schema des Kollegs von 1827 in seiner inhaltlichen Ausformung als konsequente Entwicklung der vorhergegangenen Kollegs und mçchten zudem die hinter der großen ußeren Differenz des Schemas des Kollegs von 1827 zu dem von 1831 zu konstatierende inhaltliche Kontinuitt zwischen beiden sichtbar machen, die trotz einiger bleibender Unterschiede besteht. Im Einzelnen: Auf den ersten Blick scheint das Schema des Kollegs von 1831 eine vollstndige Umorganisation des Schemas des Kollegs von 1827 zu sein. Zwar ist beiden das Dreier-Schema innerhalb der VL2 zu eigen, jedoch werden die Chinesen, die Inder und der Buddhismus in dem Kolleg von 1827 unter die Naturreligionen in den ersten Teil des Dreierschemas gefasst (siehe VL2, 445 – 499), whrend sie 1831 dessen zweiten Teil bilden (siehe VL2, 618 – 623). Die Perser und gypter als diejenigen Religionen, die 1827 zwar bereits einen bergang markieren, aber noch innerhalb der Naturreligionen aufgefhrt werden (siehe VL2, 504 – 532), werden 1831 sogar in dem dritten Teil plaziert (siehe VL2, 624 – 631). Bilden die Juden und die Griechen in dem Kolleg von 1827 den zweiten Teil des Schemas (siehe VL2, 532 – 579) und die Rçmer den dritten (siehe VL2, 579 – 591), so finden sich die Griechen mit den Rçmern in dem Kolleg von 1831 als verschiedene Stufen von dessen drittem Teil wieder (siehe VL2, 631 – 642). Diese Umorganisation ist wesentlich als Folge des Lernprozesses zu verstehen, den Hegel mit den ehemaligen Naturreligionen macht: Je mehr er deren Eigenstndigkeit begreift, desto mehr sieht er sich gezwungen, ihnen eigenen Raum zuzugestehen. Diese Entwicklung von 1821 bis 1827 findet 1831

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II.3.3.2. Kurze materiale Darstellung der Religionsgeschichte Eine Religion zu bewohnen heißt, einen eigenen Kosmos zu bewohnen. Dasjenige Moment, das in der jeweiligen Religion neu gesetzt wird, bestimmt den absoluten Geist in seiner Totalitt und somit das jeweilige Gottes- ebenso wie das Menschen- und das Weltbild. „Das Prinzip, nach dem Gott fr den Menschen bestimmt ist, ist auch das Prinzip dessen, wie der Mensch in sich bestimmt ist, fr den Menschen in seinem Geiste“.506

Deswegen „ist es schwer, sich in fremde Religionen hineinzuempfinden. […]. Wir erkennen die Natur solcher lebendigen Gegenstnde, aber was das heißt, sich hineinversetzen, so daß wir solche Bestimmungen empfinden kçnnten, das ist nicht mçglich; denn das hieße, die Totalitt seiner Subjektivitt ganz mit solchen Bestimmungen zu erfllen“.507

Um trotz dieser Schwierigkeiten einen Einblick in die umgreifende Prgekraft einer Religion zu geben, soll im Folgenden jeweils zuerst das eigens gesetzte Moment als das jeweilige organisatorische Zentrum einer Religion benannt werden. Sodann wird das davon geprgte Gottesbild ihren Hçhepunkt darin, dass Hegel die Chinesen, die Inder und den Buddhismus aus den Naturreligionen herausnimmt und sie in einem eigenen Kapitel als Religionen der Entzweiung Gottes von der Natur und somit als Religionen einer zunehmenden Subjektivierung durch Urteilung begreift. Verschieben sich die anderen Religionen daher 1831 entsprechend in den dritten Teil des DreierSchemas, so bleibt ihre Aufgabe dort dennoch dieselbe wie bisher: Es sind diejenigen Religionen, in denen sich der Geist dergestalt entwickelt hat, dass er Schritte auf dem Weg hin zu einer konkreten Einheit darstellt. Um abschließend unsere Einteilung der Stufen inhaltlich weiter zu konkretisieren, sei darauf verwiesen, dass innerhalb der ersten Stufe mit dem Kolleg von 1831 eine Aufteilung vorgenommen wird in solche Religionen einer unmittelbaren ersten Einheit, die kaum den Namen der Religion verdienen (wir nennen sie die „Zauberreligionen“) und solchen, bei denen einzelne Momente bereits gesetzt sind, so dass bei ihnen die Entzweiung beginnt. Die zweite Stufe prsentiert die Griechen und die Juden und damit diejenigen Religionen, die den Geist als Geist wissen und in der die Entzweiung ausgeprgt ist, ehe schließlich die dritte Stufe mit den Rçmern die Religion des berganges zu dem Christentum als der Religion vollentwickelter Einheit expliziert. All das wird hauptschlich dargelegt anhand des Kollegs von 1827 als demjenigen Kolleg, das zum einen material die am weitesten entwickelte Variante prsentiert und das zum anderen zumindest im Rckblick in seiner Eigenaussage unserer Rekonstruktion auch sehr nahe steht, siehe VL3, 191 – 195. 506 VL2, 413. 507 VL2, 434.

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und entsprechend das Menschen- und Weltbild in seiner Buntheit ausgebreitet und schließlich der Kult dargestellt. Die Religionsgeschichte beginnt mit den fremdesten aller Religionen: den Naturreligionen. II.3.3.2.1. Die Naturreligionen II.3.3.2.1.1. Zauberreligionen als Religionen, die kaum den Namen Religion verdienen Mit den Naturreligionen sind nicht jene Konstrukte der Aufklrung gemeint, die von einer Uroffenbarung ausgehen und daher einer ersten Religion vollendetes Wissen von Gott und der Natur zuschreiben.508 Diesen Konstrukten fehlt nicht nur das historische Beweismaterial, sondern auch das philosophische. Denn nicht nur dem absoluten, sondern entsprechend auch dem endlichen Geist kommt es erst am Ende einer Entwicklung zu, alle Weisheit zu haben. Um den Mythos heranzuziehen, war das Paradies ein bloßer Tiergarten, dessen imaginierter vollendeter Zustand nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart als Resultat einer langen Entzweiungs- und Vereinigungsgeschichte zu suchen ist.509 Die tatschlichen Naturreligionen entsprechen vielmehr dem tatschlichen Zustand des Paradieses als Tiergarten. Sie stellen eine Welt dar „ohne Bewußtsein von etwas Allgemeinem berhaupt;“510 ohne theoretische Fragen oder Entfremdungen von der unmittelbaren Umgebung. Diese Unmittelbarkeit ist das organisierende Zentrum der Naturreligionen. Entsprechend ist das Gottesbild geprgt: Weil die Stufe des absoluten Geistes erreicht ist und daher von Gott als Geist rudimentre Kenntnisse vorhanden sind, ist die Bezeichnung der Naturreligion nicht so auszulegen, dass dem Menschen einfach ein natrlicher Gegenstand als Gott gilt. Es wird also nicht etwa in direktem Zugriff die Sonne fr Gott gehalten werden.511 Doch obwohl dem Menschen das Geistige hçher steht als die Natur, hat es das Geistige nur in unmittelbarer, natrlicher Art, „der Geist ist noch in Einheit mit der Natur“.512 Die unmittelbarste Form der Vermischung des Geistes mit der Natur liegt nun im Menschen vor, und entsprechend „fngt die Religion damit an, daß der einzelne 508 Zu der Auseinandersetzung Hegels mit diesem Verstndnis der Naturreligion siehe VL2, 144. 419 – 425. 612. 509 Zu der Auslegung der Genesis-Geschichte siehe VL2, 146 – 153 und v. a. VL2, 425 – 428. 510 VL2, 434. 511 Siehe dazu VL2, 429. 512 VL2, 416 f.

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Mensch fr die hçchste, absolute Macht gilt, sich dafr hlt und dafr gehalten wird“.513 Somit findet sich also bereits zu Beginn der Religionsgeschichte die Einheit der gçttlichen und der menschlichen Natur vor – allerdings besteht diese Einheit hier in so unmittelbarer Form, dass von solchen Allgemeinbegriffen wie dem einer „Natur“ durchaus noch nicht die Rede sein kann.514 Vielmehr liegt der unendliche Geist als eine unmittelbare Macht in einem je einzelnen Menschen vor und wirkt sich aus als die Fhigkeit zur Zauberei. Der Unmittelbarkeit dieses Geistbegriffs entspricht die bereits erwhnte Unmittelbarkeit des Menschen- und Weltbildes: Die bei den Afrikanern und Eskimos verbreitete Religion der Zauberei fhrt dazu, dass die Menschen ohne die Allgemeinbegriffe eines Sitten- oder Naturgesetzes und ohne eines Begriffes des Weltganzen allein durch die jeweilige Verwobenheit in die eigenen Begierden und in die Gegenstnde der unmittelbaren Umgebung geprgt sind.515 Entsprechend werden die Regelmßigkeiten der ußeren Ablufe nur als ein bloßes „das ist eben so“ wahrgenommen, und es interessieren nur die jeweiligen Stçrungen dieser Ablufe.516 Die den jeweiligen Menschen innewohnende Macht ermçglicht ihnen dann eine unmittelbare, nicht durch Werkzeuge oder die besondere Qualitten der Dinge vermittelte Beherrschung ihrer direkten Umgebung.517 Wegen dieser direkten Verwobenheit der Macht in den Menschen und des Menschen in seine Umgebung kann auch von einem eigenstndigen Kult nur in rudimentrer Form die Rede sein. Kultische Zge mçgen einerseits der Ausbung der Macht des Menschen ber seine Umgebung zugeschrieben werden, da der Mensch sich dabei in einen besonderen Zustand versetzt fhlt.518 Andererseits mag das Fetischwesen als eine erste Form kultureller Handlung eingestuft werden. Insgesamt aber ist die Unmittelbarkeit fr diese Religion so prgend, dass „wir [sie] des Namens ,Religion‘ nicht wrdig halten kçnnen“.519 Denn Religionen beginnen doch eigentlich erst mit dem Bewusstsein einer Differenz Gottes vom Menschen.520 513 VL2, 417. 514 Hegel selbst exemplifiziert das Fehlen der Allgemeinbegriffe in VL2, 429 anhand der Unangemessenheit solcher Ausdrcke wie dem des „Urmenschen und des Sohnes Gottes“ fr die Naturreligionen, denn „das sind weiter gebildete, nur durch und fr den Gedanken vorhandene Vorstellungen“. 515 Siehe VL2, 434 f. und 438 f. 516 Siehe dazu VL2, 438 f. 517 Siehe dazu VL2, 437. 518 Siehe VL2, 436. 519 VL2, 433.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Ein erster Widerspruch gegen diese Unmittelbarkeit erfolgt durch dasjenige Phnomen, das fr Hegel durch die Religionsgeschichte hindurch immer wieder Unmittelbarkeit durchbricht und somit zunehmende Vermittlung und Subjektivierung bewirkt: Der erste Widerspruch erfolgt durch den Tod. Der Tod spielt in der Religionsgeschichte an prominenten Stellen eine wichtige Rolle. Denn er ist der realphilosophische Ausdruck fr diejenige Hinsicht von Negation, die dem Widerspruch laut der Ausfhrungen in der absoluten Idee immer auch zukommt.521 Der Tod ist diejenige Form von Bewegung, die dem „toten Sein“ eines unvermittelt identischen Lebens widerspricht und zu denjenigen vermittelteren Formen von Bewegung fhrt, die dem Geist gemß sind.522 Zwar zwingt der Tod nicht alle Religionen der Zauberei zur Aufgabe ihrer Unmittelbarkeit, so dass die Eskimos auf die Frage, was denn nach ihrem Tode mit ihnen geschieht, zu antworten wissen, dass sie dann wohl begraben werden wrden.523 Bei den Afrikanern aber fhrt er zu einer ersten Erhebung ber die Unmittelbarkeit ihres Kosmos.524 Denn da den Toten weiterhin Macht zugeschrieben wird, mssen sich die Lebenden mit ihnen auseinander setzen. Dazu aber ist die Vorstellung als ein erster Schritt hin zu allgemeinen Vermittlungsstrukturen vonnçten. Auch wenn die chinesische als die nchste Religion erste, vorsichtige Spuren dieser Vermittlung zeigt, so ist doch wesentlich noch als „ausgebildete Zauberreligion“ zu verstehen.525 Denn sie ist weiterhin dergestalt 520 Siehe dazu VL1, 277. 521 Siehe oben, II.2.3.3.2. In VL2, 516, heißt es entsprechend: „Das Moment der Negation, insofern es als natrlich gesetzt, in Bestimmung der Natrlichkeit ist, ist der Tod“. 522 Entsprechend sei erinnert an das Diktum aus der Vorrede der PhG, 26: „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwstung rein bewahrt, sondern das ihn ertrgt, und in ihm sich erhlt, ist das Leben des Geistes“. Daher zitiert obiger Satz eine Einsicht, die Hegel in WL2, 60 (11, 286), vortrgt: Unvermitteltheit oder abstrakte Identitt sind das „tote Sein“, so dass man umgekehrt folgern kann, dass die vermittelte Bewegung, die Leben ist, nicht ohne den Tod zu haben ist. Daher wird die aus der WL bekannte Zuordnung der logischen Kategorie des Widerspruches mit der ontologischen der Bewegung (siehe dazu oben, II.2.3.3.2.) dadurch erweitert, dass mit dieser Bewegung das realphilosophische Phnomen des Todes verknpft wird. 523 Siehe VL2, 439. 524 Siehe dazu VL2, 440 – 445. 525 VL2, 445. Hier zeigt sich eine der großen, bleibenden Differenzen zwischen dem Kolleg von 1827 und dem von 1831. Das Kolleg von 1827 kann als die konsequente Weiterentwicklung der Kollegs von 1821 und 1824 gelten, da es die chinesische Religion zwar in strkerem Maße als die vorherigen Kollegs als ei-

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

durch Unmittelbarkeit geprgt, dass bei ihr nach wie vor „der einzelne Mensch, das empirische Selbstbewusstsein, der Wille des Individuums das Hçchste ist“.526 Dieses alles beherrschende Individuum ist der Kaiser. In ihm konzentriert sich alle Macht in hnlich unvermittelter Weise wie bei den afrikanischen Zauberern, so dass er in hnlichem Maße ber den gesamten Kosmos herrscht. Allerdings gibt es erste Momente einer Entwicklung von Allgemeinbegriffen, die die chinesische Religion von der afrikanischen abzusetzen erlauben. So gibt es neben dem Kaiser noch eine weitere Instanz, in der Macht zu verorten eine Mçglichkeit wre, nmlich „Tian“, der Himmel. Faktisch aber bleibt Tian eine nur ganz abstrakte, unbestimmte Allgemeinheit, und der Kaiser bleibt alleiniger Herrscher ber alles.527 Anders als bei den Afrikanern konzentriert sich alle Macht tatschlich in dieser einen Person, so dass zwar gleichzeitig eine Vielzahl afrikanische Zauberer existieren kann, keineswegs aber mehrere Kaiser. Diese Konzentration bedeutet nun nicht nur eine derartige Erweiterung des unmittelbaren Wirklichkeitszusammenhanges, dass viele Menschen und die gesamte Natur auf diesen einen Menschen bezogen sind. Sondern es werden zudem auch alle Verstorbenen in seinen Herrschaftsbereich integriert. Der Tod hat die erste Unmittelbarkeit afrikanischer Zauberei auf die Art transformiert, dass die toten Geister bei der Inthronisation genstndige Grçße begreift, sie aber immer noch innerhalb der Zauberreligion verortet. Das Kolleg von 1831 hingegen begreift die chinesische Religion dergestalt als eigenstndige Einheit, dass sie durch ein eigenes Prinzip strukturiert ist, durch das Maß. Entsprechend wird sie aus der Zauberreligion herausgenommen und an den Anfang der Religionen der Entzweiung platziert. Dass unsere Darstellung dem Kolleg von 1827 folgt, liegt in der einfachen Tatsache begrndet, dass die berlieferte Textbasis des Kollegs von 1831 zu schmal fr eine angemessene Darstellung ist. Die Differenz zwischen beiden Kollegs arbeitet faktisch auch Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 9 – 16 heraus – allerdings entwickelt er die Differenz anhand der Differenz der Lassonschen zur Jubilumsausgabe. Es bleibt eine Inkonsequenz der Arbeit Leuzes, die Differenzen der ersten Religionen der Religionsgeschichte anhand der verschiedenen Ausgaben herauszuarbeiten, aber erst bei den spteren die Differenzen anhand der verschiedenen Kollegs zu benennen. 526 VL2, 446. 527 Siehe dazu VL2, 446. Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 23 – 55, urteilt, dass Hegel zwar insgesamt angemessen mit seinen Quellen zur chinesischen Religion umgeht, dass aber an diesem speziellen Punkt eine Verzeichnung vorliegt: Aus den Quellen sei ersichtlich, dass der Tian inhaltlich strker ausgeprgt und daher im Verhltnis zum Kaiser aktiver sei als von Hegel dargestellt. Damit aber ist die gesamte Einordnung der chinesischen Religion in die der Zauberei fraglich. Vielleicht liegt hiermit ein Grund dafr vor, im Kolleg von 1831 die Chinesen gnzlich anders darzustellen.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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eines neuen Kaisers genauso in bestimmte Herrschaftsbereiche eingesetzt werden wie die jeweiligen Mandarine und Beamte.528 Die Machtkonzentration auf den einen Kaiser prgt das Menschen- und Weltbild nun dergestalt, dass allen anderen Menschen ein innerer Halt und damit die Entwicklung innerer Freiheit und Vernnftigkeit versagt bleibt.529 Daher sind sie auf direkte Art von allem ußerlichen abhngig, so dass ihr gesamtes Leben durch Aberglaube, Wahrsagerei und Prophezeiungen auch fr die Regelungen des Alltags bestimmt ist.530 Dies scheint die der chinesischen Religion entsprechende Form des Kultes zu sein.531 Von vorwrtsweisender Kraft ist die chinesische Religion, weil sich in ihr mit der Sekte des Dao eine Bewegung etablierte, die die geltende unmittelbare Gleichsetzung der Macht mit dem jeweiligen Menschen zu unterlaufen beginnt. Bei ihr erreicht die bei den Chinesen auf den Kaiser fokussierte Konzentration insofern eine neue Qualitt, als sie zu der Entdeckung von Innerlichkeit vorstçßt und damit als der erste Ansatz von abstraktem Denken gelten kann.532 Denn die Anhnger der Sekte des Dao beginnen zu meditieren und ziehen sich so in ihr Bewusstsein zurck. Bemerkenswert ist, dass der hier zu verzeichnende Beginn des Denkens sogleich in Dreierstrukturen verluft. Wird berhaupt gedacht, wird also auf Allgemeines und damit auf Gott gezielt, so werden rudimentre Formen von Dreieinigkeit gedacht. Denn es wird erstens ein Allgemeines gedacht, dem zweitens irgendeine Form von Bestimmung zukommt, die drittens durch irgendeine Verbindung zum Allgemeinen vollendet wird.533 An dem kaum als Religion einzustufenden Beginn der Religionsgeschichte begegnete also eine unmittelbare Einheit der beiden Naturen, und bei den allerersten Anfngen des Denkens begegnet eine unmittelbare Form von Trinitt – die dazugehçrigen Momente aber werden erst im Folgenden eigens entwickelt und gesetzt werden. Die ersten Denkversuche des Dao verbleiben noch innerhalb der Religion der Zauberei, weil das bedachte Allgemeine so abstrakt bleibt, dass die hçchste Macht nach wie vor mit einem konkreten Individuum zusammenfllt. Dennoch fhrt die Sekte des Dao zum nchsten Schritt der Religionsgeschichte hin. Denn mit ihr beginnt das Individuum seine 528 529 530 531

Siehe dazu VL2, 449 – 453. Siehe VL2, 457. Siehe VL2, 458. Hegel benennt diese Handlungen nicht ausdrcklich als kultische, sie scheinen aber dazu funktionsquivalent zu sein. 532 Siehe VL2, 453 f. 533 Siehe VL2, 455 f.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Innerlichkeit zu entdecken und fngt somit an, etwas oder sich von seinen unmittelbaren Bedrfnissen unterscheiden zu kçnnen. Um einen von Hegel selbst nicht gezogenen Vergleich anzufhren: So wie der Beginn der WL mit dem Sein, dem Nichts und dem Werden innerhalb der WL einen Sonderstatus einnimmt, da diese drei Bestimmungen ganz unvermittelt in eins fallen und kaum eigene Kategorien genannt werden kçnnen,534 so nehmen die bisherigen Religionen einen Sonderstatus einen, da sie ein erstes, unmittelbares Ineinsfallen Gottes mit dem Menschen darstellen und somit kaum den Namen der Religion verdienen. Die folgenden Religionen hneln der Kategorienfolge der WL nun auch darin, dass nun „Dasein“ mit der ihm eigenen „Realitt“ da ist, in dem eigene Momente gesetzt werden kçnnen.535 II.3.3.2.1.2. Beginnende Entzweiung im Buddhismus und bei den Indern Die „Religion des Insichseins“ ist dadurch definiert, dass sie die bisherige unmittelbare Gleichsetzung der absoluten Macht mit den natrlichen Bedrfnissen eines Individuums negiert. Vorbereitet durch die Erfahrung des Todes und in einer zum Dao parallelen Bewegung der Einkehr, widerspricht der Geist als Geist seiner Gleichsetzung mit dem jeweiligen natrlichen Wollen des unmittelbar vorhandenen Menschen. Entsprechend wird Gott bestimmt als „die Negation alles Besonderen“,536 und das heißt material: als das Nichts. So ist die Religion des Insichseins die des Buddhismus und Lamaismus, in der Gott als die Leere gefasst wird.537 Ihr großer Fortschritt gegenber den Religionen der Zauberei besteht darin, dass sie eine eigene Entitt gegen die Unmittelbarkeit weltlicher Begierden etabliert, eine Entitt, die in vielem der spinozistischen Substanz oder dem antiken „nous“ gleicht.538 Diese Entitt ist die wahre Macht aller Wirklichkeit, die alles durchstrçmt und alles beherrscht. Dass diese substanzhafte Entitt zugleich mit den Defiziten des frhen Sta534 Siehe dazu auch Iber, Subjektivitt, 119. 535 „Dasein“ und „Realitt“ sind bekanntlich die ersten Kategorien der WL nach den Kategorien „Sein“, „Nichts“ und „Werden“, siehe WL1, 66 – 73 (11, 59 – 65). 536 VL2, 464. 537 Hier wiederum bestehen große hnlichkeiten zu den knappen Ausfhrungen des Kollegs von 1831, siehe dazu VL2, 623. 538 Strker noch als an anderen Stellen setzt sich Hegel in seiner Darstellung des Buddhismus zugleich mit den philosophischen Gegnern seiner Zeit auseinander – wobei es ein Ausdruck ausgemachter Boshaftigkeit ist, die Argumentationsstrategien der Aufklrungsphilosophie mit einer Religion gleichzusetzen, die kaum der Zauberei entkommen ist, siehe dazu VL2, 470 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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diums der Religionsgeschichte behaftet ist, zeigt sich darin, dass sie nichts ist als die Negation der ersten Unmittelbarkeit und daher ganz unbestimmt bleibt und unbewusst wirkt. Die erste wirkliche Religion beginnt somit mit der Setzung eines ganz abstrakten Allgemeinen, einer Substantialitt, der die allgemeine Geistigkeit der Subjektivitt abgeht.539 In ihrer Unbestimmtheit bleibt sie daher in direkter Weise an ein unmittelbares Individuum gebunden, „sie ist so vorzustellen, daß dieses Vertiefen in sich, dies abstrakte Denken an sich die wirksame Substantialitt ist, die Erschaffung und Erhaltung der Welt“.540

Das diesem Gottesbild entsprechende Menschenbild bestimmt die Vernichtung der eigenen Bedrfnisse als die primre Aufgabe menschlicher Existenz und zielt auf die ewige Ruhe und Klarheit in sich, in welcher der Mensch unsterblich ist.541 Entsprechend ist der Kult als eine Vereinigung mit dem Nichts zu verstehen.542 Zuerst droht dem Menschen noch die Seelenwanderung, die Bindung der entleerten und daher unsterblichen Seele an andere Formen sinnlicher Existenz, ehe die vollstndige Vernichtung erreicht ist.543 Um die Religion der Innerlichkeit anhand der drei „inneren Bildnern“ zu charakterisieren: Der erste Geistbegriff, durch den die Religion den Namen der Religion verdient, wird durch die Etablierung des Substanzbegriffs erreicht (erster „Bildner“). Durch ihn wird nicht nur das erste Moment eines konkreten Geistbegriffes gesetzt (dritter „Bildner“), sondern er bildet zugleich den Ausgangspunkt einer beginnenden Entzweiung des aller ersten unmittelbaren Zusammenfalls der Macht des Geistes mit dem jeweiligen Individuum (zweiter „Bildner“). Die Entzweiung zeigt sich in der nun folgenden indischen Religion, da sich in ihr die innerliche Substanz in die ganze Welt verstreut, so dass Vielheit gesetzt wird. Aus der Allgemeinheit der Substanz entwickelt sich Besonderheit in Form von Vielheit.544 539 540 541 542

Siehe VL2, 471. VL2, 472. VL2, 462 – 464. Zu einer ausfhrlicheren Darstellung des Buddhismus siehe Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 61 – 75. 543 VL2, 465 f. 544 Im Anschluss an Hegels Verwendung der Termini stehen Allgemeines und Besonderes hier und im Folgenden nicht fr jene speziellen Kategorien aus dem Beginn der Begriffslogik, sondern fr jene Grundstrukturen der dialektischen Methode berhaupt, wie sie in der absoluten Idee dargelegt werden.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Der Widerspruch des Buddhismus besteht darin, dass diejenige allgemeine Substanz, die als Negation von Besonderem auftritt, in Wahrheit doch selbst als Besonderes zu bestimmen ist. Die Religion der Inder folgt der Bewegung des Begriffs darin, dass sich in ihr die einfache, allgemeine Substanz besondert und damit als Vielfalt setzt. Ganz begriffsgemß stellt sich auch ein drittes Moment ein, das als die Vermittlung der vielfltigen Besonderheit mit der anfnglichen Einheit fungieren msste. Da die Vermittlung aber noch nicht gesetzt, kommt es zu einer der Seinslogik entsprechenden Konstellation. So steht allein das neu gesetzte Besondere im Mittelpunkt. Da dieses aber nicht ohne das Allgemeine sein kann, kollabiert es unvermittelt in jenes.545 So kommt es zu den Widersprchen der indischen Religion. Genauer: Dem Entwicklungsstand der Religionsgeschichte entsprechend ist die „Brahm“ genannte, alles erzeugende allgemeine Substanz546 noch fest mit Menschen verbunden. Sie erlangen diesen Status als Yogi durch bung oder als Brahmanen durch Geburt.547 Brahm entlsst nun aus sich Besonderheit, Vielfalt, und setzt damit ein neues Moment in der Religionsgeschichte: „Das zweite ist dann der Unterschied als viele Mchte, und diese Mchte als viele Gçtter – ein ungebundener Polytheismus“.548 Die Ungebundenheit rhrt daher, dass mit Schiwa oder Mahadewa zwar ein drittes Moment vorhanden ist, dieses aber allein fr Vernderung steht und die Geistigkeit wirklicher Vermittlung noch nicht erreicht hat.549 Daher prgt die neu gesetzte Vielfalt mit mangelnder Vermittlung die Religion als Ganze. Im Gottesbild bewirkt sie die „ungeheure Inkonsequenz“,550 dass den vielen Gçttern als Ausdrcke der Besonderheit Selbstndigkeit zukommt, dass sie aber zugleich als Gçtter von der allgemeinen Substanz dependieren 545 Um es mit der Enz., §240, 195 (20, 230), auszudrcken, liegt hiermit die Form der bergangsdialektik vor (siehe dazu oben, II.1.1.). Somit wird hier ein anderer Schwerpunkt gesetzt als bei Huber, Idealismus, 114 f. Denn Huber zhlt mit seiner Beschrnkung auf das Kolleg von 1821 nur solche Religionen zu den Naturreligionen, die Gott als den unbestimmten Einen kennen – entsprechend gibt er dieses Merkmal als fr die Seinslogik charakteristisch aus. Wir hingegen nehmen auch sptere Kollegs zur Kenntnis, zhlen daher auch die Inder zu den Naturreligionen und verbinden mit der Seinslogik daher eine bestimmte Form von Dialektik, nicht aber die Beschrnkung auf einen nur abstrakte Allgemeinheit reprsentierenden Gott. 546 Siehe VL2, 483 f. 547 Siehe VL2, 490 f. 548 VL2, 479. 549 Siehe dazu VL2, 487. 550 VL2, 481.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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und sich daher immer wieder in die erste Substanz auflçsen, ohne dass diese Substanz dadurch aber konkreter wrde. So liegt eine ganz unvermittelte Verbindung von Person und Wesen der Gçtter vor. Die unvermittelte Selbstndigkeit der vielen Gçtter prgt das Welt- und Menschenbild dergestalt, dass der Mensch seine Umwelt als eine Vielzahl selbstndiger Gottheiten wahrnimmt: „Der nchste beste Vogel auf dem Zweige ist Gott der Liebe; die Kuh, der Affe genießen große Verehrung“.551 Auch das Zwischenmenschliche ist durch die Abwesenheit von Vermittlungsstrukturen geprgt. Fhrt dies zur Abwesenheit verbindlicher Regeln und Gesetze, so sind die Inder als sittlich tief stehendes Volk zu bewerten.552 Damit einher geht ein tief sitzender Aberglaube, der hnlich wie bei den Chinesen seine Begrndung darin findet, dass der Mensch seiner selbstndigen und vielfach vergçtterten Umwelt mangels entsprechender Vermittlungen keine innere Freiheit entgegensetzen kann. Daher gilt das menschliche Leben nicht mehr als ein Schluck Wasser.553 Allein in der Negation, nicht durch Affirmation, vermag der Mensch, an Wert gegenber seiner Umgebung zu gewinnen. Entsprechend ist der Kult durch verschiedene Formen des Opfers geprgt.554 In der Selbstauslçschung wird der Mensch mit Brahm vereinigt und gelangt so in Kontakt mit der wertschenkenden absoluten Substanz. II.3.3.2.1.3. Die Religionen des ersten berganges bei den Persern und gyptern Der sich auf den verschiedenen Ebenen auswirkende Widerspruch der indischen Religion besteht also darin, dass die absolute, allumfassende Allgemeinheit Besonderes in der Form von Vielheit aus sich entlsst, ohne sich selbst mit ihr vermitteln zu kçnnen. Entsprechend ist Vermittlung das neu zu setzende Moment und daher das organisatorische Zentrum der folgenden beiden Religionen. Da die Integration von Vermittlung den Fortschritt von der Substanz zum Subjekt ausmacht, wird im Folgenden mit der zunehmenden Vermittlung zugleich eine zunehmende Subjektivierung des Geistbegriffes erreicht.555 Sie ermçglicht dem unendlichen Geist, sich vom endlichen zu lçsen, da er durch die ihm nun 551 552 553 554 555

VL2, 490. Siehe VL2, 498. Siehe VL2, 497 f. Siehe VL2, 497. Die folgenden Ausfhrungen stellen die wesentlichen Gedanken und Begriffe von VL2, 499 – 504, dar.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

immanente Vermittlung Eigenstndigkeit erreicht. Die Subjektivierung bedeutet somit eine Objektivierung, da sich der unendliche Geist erstmals von dem endlichen Geist trennt, dadurch Objektivitt gewinnt und dem endlichen Geist eigenstndig gegenbertreten kann. Damit aber wird der unendliche Geist erstmals als Geist begriffen. Die damit erreichte Urteilung einer anfnglichen Einheit fhrt zur Etablierung einer Konstellation, in der zwei eigene Entitten aufeinander bezogen werden mssen und die daher den Grundzgen der Wesenslogik gleichen. Die folgenden beiden Religionen bilden den „bergang“ zu dieser neuen Stufe.556 War bei dem Brahma der Inder die aus der Substanz herstammende Bestimmung der Substanz selbst noch ußerlich, so tritt die aus der Substanz herstammende Bestimmung nun als Selbstbestimmung der Substanz auf. Die Substanz integriert das erste Mal Vermittlung, erreicht damit ein gewisses Maß an Eigenstndigkeit und kann daher als das Gute definiert werden. Allerdings liegt das Gute noch in natrlicher Form vor und tritt daher als Licht auf. Das Licht ist diejenige vermitteltste Form von Allgemeinheit, die noch als Natrlichkeit und noch nicht als Geist auftritt. Das Licht ist also im Hçchstmaß durchgeistigte Natur.557 Als Natur aber kommt dem Licht noch ein solches Maß an Abstraktion zu, dass es das ihm Entgegengesetzte nicht zu integrieren vermag. Dem guten Licht steht die bçse Finsternis abstrakt gegenber, so dass die hier dargestellte Religion der Pallas die Religion des Dualismus ist.558 Dennoch 556 VL2, 499. Mit den „Religionen des berganges“ liegt eine der wesentlichen strukturellen Parallelen zwischen dem Kolleg von 1824, dem von 1827 und dem von 1831 als den drei Kollegs vor, die eine in einzelne Religionen aufgeteilte Entwicklung der Religionsgeschichte vor den Juden und Griechen kennen. Zweifelsohne variiert die Platzierung der Religionen des berganges innerhalb der einzelnen Dreier-Schemata, platziert doch das Kolleg von 1824 die Religion des bergangs in den ersten der beiden Teile, das Kolleg von 1831 aber in den dritten, da die Chinesen und die Inder als Religionen beginnender Entzweiung einen eigenen zweiten Teil bekommen. Auch die Anzahl der darin zusammengefassten Religionen erweitert sich bestndig, von den gyptern 1824 bis hin zu Persern, Juden, Phçniziern und gyptern 1831. Dennoch und wesentlich aber haben alle drei Kollegs diese Religionen des berganges, und alle verbinden dieselben Funktionen mit ihnen – die Funktionen also, die im Fließtext anhand des Kollegs von 1827 exemplarisch dargestellt wurden, vgl. VL2, 259 – 281. 624 – 631. 557 Siehe zu dieser Darstellung VL2, 504 f. und 508 f. Eine ausfhrliche Prsentation der und Auseinandersetzung mit Hegels Darstellung der Perserreligion bietet Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 115 – 125. 558 Siehe VL2, 506 f. 510. Hegel zieht hier wiederum eine Verbindung zu der philosophischen Debatte seiner Zeit und vergleicht das Problem der Vermittlung des

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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wird die persische Religion im wesentlichen als die Religion des Lichtes prsentiert. Das Licht ist der Gott der persischen Religion, es ist die Macht, die alles schafft und alles durchstrçmt.559 Dies Gottesbild prgt das Welt- und Menschenbild dergestalt, dass alle Dinge und alle Menschen als gut gelten. Mussten die Inder in der Vermittlung durch Opfer fr ein Leben mangelnden Wertes Wert schaffen, so ist hier alles durch das gute Licht vermittelt und daher „von Haus aus in Gnaden angenommen“.560 Entsprechend wird auch vielerlei verehrt, die Sonne voran, aber ebenso die Bume wie der Staat und besonders der Frst. In allem aber werden nicht die irdischen Dinge selbst, sondern das in ihnen enthaltene gute Licht verehrt.561 Ist das Licht so umfassend vorhanden, so soll auch der Kult das gesamte Leben der Perser prgen. Der Perser „soll das Gute ausben in Worten, Taten und Gedanken, […] daß das Gute, das Licht allenthalben gedeihe“.562 Der Widerspruch der persischen Religion besteht darin, dass das Licht als das umfassend Allgemeine behauptet wird, ihm aber zugleich die bçse Finsternis als sein Gegenteil dualistisch gegenbersteht. In diesem Dualismus findet die Integration des Besonderen in das Allgemeine eine der Allgemeinheit des Allgemeinen widersprechende Grenze. Der Widerspruch der persischen Religion tritt somit auf, weil der Widerspruch vermieden werden soll.563 Die gyptische als die nun folgende Religion entspricht der umfassenden Allgemeinheit des Geistes gerade dadurch, dass sie als erste Religion dem Geist selbst den Widerspruch zuschreibt.564

559 560 561 562 563 564

Guten mit dem Bçsen mit dem von Endlichem und Unendlichem – wobei das Bçse gerade in der Verabsolutierung des Endlichen besteht, siehe dazu auch II.3.4.3.2. Siehe VL2, 506. 512. VL2, 506. Siehe VL2, 512. Alle bisher genannten Charakteristika finden sich auch in der sehr knappen Darstellung der Perser in dem Kolleg von 1831, VL2, 624 f. VL2, 514. Siehe dazu VL2, 510. Die sehr anregende Rekonstruktion der Religionsgeschichte bei Huber, Idealismus, findet darin ihre Grenze, dass er nur das Kolleg von 1821 bearbeitet und daher meint, aus systematischen Grnden die von Hegel dargestellten Religionen um eine Ausfhrung zu den germanischen Religionen erweitern zu mssen. Denn nur diese, so Huber, Idealismus, 135 – 137, bieten das Moment der Selbstbewegung der Gçtter, das fr den trinitarischen Gott unabdingbar ist. So richtig es ist, dass die Vermittlung aller Momente ohne die Selbstbewegung derselben nicht begriffsgemß ist, und so richtig es auch ist, dass Hegel die germanischen Religionen ignorierte, so falsch ist es, die germanischen Religionen deshalb zu integrieren, weil sonst das Moment der Selbstbewegung unbedacht

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Mit dieser erheblichen Vermittlungsleistung ist ein wesentlicher Schritt hin zur Subjektivierung der Substanz getan, ist doch die Subjektivitt gerade „dies, die entgegengesetzten Prinzipien in sich zu vereinigen, die Gewalt zu sein, diesen Widerspruch in sich zu ertragen und aufzulçsen“.565 Mit dem „ertragen und auflçsen“ ist angedeutet, dass sich die Subjektivitt als Geschichte vollzieht, als Prozessualitt. Es gibt ein „Drama der Subjektivitt“,566 in dem sich die anfngliche Subjektivitt erst selbst widerspricht oder negiert und dann wiederfindet, da der Widerspruch in ein positives Resultat mndet. Allerdings findet dieser Prozess in dem jetzt erreichten Stadium der Religionsgeschichte nur in der Vorstellung statt. Mit dem Modus der Vorstellung ist zugleich die Grenze der gyptischen Religion markiert, denn die Vorstellung vermag nur eine oberflchliche Form der Allgemeinheit zu reprsentieren.567 Dennoch ist diese in der Vorstellung stattfindende prozessuale Integration des Widerspruches das gesetzte neue Moment der gyptischen Religion und damit das die Religion organisierende Zentrum. Es prgt besonders das Gottesbild. Vor allem die dem Widerspruch zukommende Hinsicht der Negation prgt das Gottesbild. Dies geschieht in der Form, dass diese Negation „als natrlich gesetzt, in Bestimmung der Natrlichkeit, der Tod ist. Die Bestimmung also, die hier eintritt, ist der Tod Gottes“.568 Zum zweiten Mal nach dem Beginn der Religionsgeschichte in den Naturreligionen begegnet der Tod als wesentliches Moment der Entwicklung der Religionsgeschichte. Hier entspricht er insofern der weiteren Entwicklung, als er nicht nur als der Tod des jeweiligen Menschen, sondern erstmals explizit als der Tod Gottes auftritt – wenn auch nur in der Vorstellung.569 Osiris als der hçchste Gott durchluft die Negation, stirbt, und erreicht das positive

565 566 567 568 569

bliebe – wird doch in Anstzen schon ab dem Kolleg von 1824 und bis zu dem Kolleg von 1831 dieses Moment in der gyptischen Religion gesetzt, siehe VL2, 259 – 281 und VL2, 629 f. VL2, 515. VL2, 515. Siehe VL2, 522 f. VL2, 516. Eine kurze Darstellung und ausfhrliche kritische Wrdigung von Hegels Darstellung der gyptischen Religion findet sich bei Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 127 – 144. Die aus der bisherigen Religionsgeschichte bekannten Tode bleiben der Substanz jeweils ußerlich. Auch die bei der Seelenwanderung auftretenden Tode werden nicht in die Seele selbst integriert, vielmehr vermeidet die jeweilige SeelenSubstanz eine wirkliche Vernderung gerade dadurch, dass sie in einen anderen Kçrper einzieht – siehe dazu VL2, 517 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Resultat des Widerspruches, da er von der Vorstellung als Wiederhergestellter gewusst wird. Die Vorstellung weiß, dass er nach seinem Tod als der Richter und Herrscher im Reich der Toten regiert. Damit ist bereits ein wesentlicher Zug des Menschenbildes erwhnt: Nicht nur dem Gotte, sondern auch den Menschen kommt Unsterblichkeit zu, so dass die Mumifizierung zu einer hohen Kunst entwickelt wird.570 Darber hinaus verluft auch die gesamte Natur in den Bahnen, in denen Osiris vorgestellt wird. Allem voran die Sonne, aber auch alle Pflanzen und der Nil ersterben und werden mit neuer Kraft wiedergeboren.571 Das vorgestellte Schicksal des Osiris ist somit prgend fr alle irdischen Ablufe. Es ist die herrschende innere Seite, die in dem ußeren seinen symbolischen Ausdruck findet. Damit ist die innere Antriebskraft fr alles kultische Verhalten der gypter benannt: Weil das Wesentliche in der Vorstellung vorhanden ist und nicht mehr in einem konkreten Menschen wie bei den Naturreligionen, besteht der Drang, den Vorstellungsgehalt anschaulich zu machen und somit in die Natur einzuprgen. Daher ist das gyptische Leben im Ganzen durch Arbeit geprgt.572 Dieser Impuls der Durchgestaltung der Natur ußert sich in dem Kult in einem Drang zur Schçnheit. Denn Schçnheit ist gerade dies, dass „alle ußerlichkeit […] vom Inneren als Freiem bestimmt“ wird und so als Offenbarung des Geistes dient.573 Gerade die Architektur wird hierzu entwickelt. Die vorgestellte Subjektivitt als die Wahrheit der gyptischen Religion erweist sich nun aber zugleich als ihre Unwahrheit: Denn als nur vorgestellte bleibt die Subjektivitt so abstrakt, dass sie vergeblich danach strebt, das Natrliche ganz von dem Geiste zu durchdringen. Daher bleibt die mit wahrer Schçnheit verbundene Klarheit den gyptern versagt, so dass die gyptische Religion zugleich die des Rtsels ist mitsamt der dieses Rtsel symbolisierenden Sphinx.574 Erst die Griechen werden die wahre Schçnheit erreichen, indem sie das Rtsel der Sphinx lçsen und den Menschen als den freien Trger des Geistes erkennen.

570 571 572 573 574

Siehe VL2, 519 f. Siehe VL2, 524 f. Siehe VL2, 525. VL2, 529. Siehe VL2, 530 – 532. In dem Kolleg von 1824 ebenso wie in dem von 1831 finden sich ebenfalls die wesentlichen der eben dargelegten Charakteristika der gyptischen Religion, allerdings fgen beide eine Interpretation des gyptischen Tierdienstes hinzu, siehe VL2, 259 – 281, bes. 266 f., und VL2, 629 – 631.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

II.3.3.2.2. Die Religionen geistiger Individualitt Mit den folgenden Religionen ist eine neue Stufe der Religionsgeschichte erreicht. Denn die in den bisherigen Religionen erlangte Subjektivierung der Substanz fhrt dazu, dass nun „das Geistige sich ber das Natrliche erhebt zur Freiheit teils ber der Natrlichkeit, teils in der Natrlichkeit, so daß die Vermischung von Geistigem und Natrlichem aufhçrt“.575 Denn die freie Subjektivitt erreicht einen solchen Grad von interner Vermittlung, dass sie erstmals explizit als Geist gewusst wird. Dadurch nimmt das Natrliche eine ihr gegenber nur dienende Funktion ein: Es dient zur Offenbarung des als Geist gewussten Geistes. Auch wenn die Religionen der neuen Stufe durch diese Charakteristika von den Religionen der vorherigen Stufe grundlegend unterschieden sind, geht doch auch innerhalb der neuen Stufe der Prozess sukzessiver Subjektivierung weiter.576 Denn so wie in der absoluten Idee das Besondere und in der WL die Wesenslogik jeweils als die zweite Stufe der Entwicklung auch eine neue Form der Unmittelbarkeit darstellt, so ist das Griechentum als der erste Vertreter der neuen Stufe in der Religionsgeschichte ebenfalls an entscheidender Stelle durch Unmittelbarkeiten geprgt. Vor allem muss ihre vermittelte Einheit ein ber allem thronendes, als dunkles Fatum auftretendes abstraktes Allgemeines dulden, aber auch Reste des unvermittelten Besonderen etwa in der Form einer eigenstndigen Natur. Das Judentum bedeutet demgegenber eine Vermittlung dieser Unmittelbarkeit und damit eine zunehmende Subjektivierung. Denn es vermag das abstrakte Fatum ebenso in den Gottesbegriff zu integrieren, wie es das Endliche wahrhaft als ideelles zu fassen in der Lage ist.577 Die Rçmer schließlich beginnen durch die Setzung von Dynamik und einer neuen, umgreifenden Identitt eine noch weitergehende Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem, die im Christentum ihr endgltiges Ziel findet. Schon aus dieser ersten Skizze des nun folgenden Prozesses zunehmender Subjektivierung wird deutlich, dass der Wendepunkt des Ordnungsschemas von anfnglicher Einheit, zunehmender Entzweiung, 575 VL2, 530. 576 Siehe VL2, 545. 577 Den Begriff des „ideellen“ benutzt Hegel in VL2, 533. Dieser Begriff ist deshalb von großer Wichtigkeit, weil laut Hegel, WL1B, 156 f. (11, 142), von ihm her sein Begriff des Idealismus geprgt ist: „Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen“, siehe dazu auch Iber, Subjektivitt, 172.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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sukzessiver und vollendeter Vereinigung erreicht ist. Denn bewirkte die Subjektivierung auf der vorherigen Stufe die Entzweiung des Geistes von der Vorherrschaft der Natur und daher die Dissoziierung des unendlichen vom endlichen Geist, so zielt sie nun auf ihre vom Geist bestimmte absolute Vermittlung. II.3.3.2.2.1. Griechentum und Judentum Das Griechentum als erste Religion der neuen Stufe der Geistigkeit zu prsentieren, entspricht seinem eigenen Selbstverstndnis. Denn es ist in seinen Mythen und damit in seiner Selbstauslegung dadurch geprgt, dass die Gçtter als die geistigen Mchte in den Kampf gegen die Titanen als die Naturmchte ziehen und diesen Kampf siegreich beenden, so dass die geistigen Mchte nun ber die Naturmchte herrschen. „Es ist dieser Krieg mit den Titanen nicht so ein bloßes Mrchen, sondern das ist das Wesen der griechischen Religion“.578 Zu dem Wesen gehçrt allerdings auch, dass der Geist diesen Kampf zwar gewinnt, aber keine vollstndige Vermittlung mit der Natur erreicht. Oder, im Mythos gesprochen: „Die Titanen werden verwiesen an den Saum der Erde; sie existieren also noch“ in durchaus eigenstndiger Form.579 Der Mythos spricht damit aus, was auch fr das Besondere in der absoluten Idee zu beobachten ist: Gerade das erste Resultat einer Urteilung und damit der Beginn einer neuen Stufe der Entwicklung ist wesentlich durch Unmittelbarkeit geprgt. Anders als die Religionen der ersten Stufe und in bereinstimmung mit den Grundkonstellationen der Wesenslogik stehen hier nicht mehr alternierend Allgemeines oder Besonderes im Mittelpunkt, sondern es sind beide gesetzt, so dass nun die rechte Vermittlung beider entwickelt werden muss. Zu Beginn dieser Stufe aber ist die erreichte Vermittlung so rudimentr, dass neben dem tatschlich erreichten Vermittlungszusammenhang ein alles dominierendes abstraktes Allgemeines ebenso existiert wie die Vielheit nur zuflliger Besonderer.580 Ganz in Entsprechung zu 578 VL2, 537. Dort heißt es weiter: „In diesem Gçtterkrieg liegt der ganze Begriff der griechischen Gçtter. Dies ist ihr eigentliches Tun, ihre eigentliche Geschichte, daß sich das geistige Prinzip erhoben, daß es das natrliche sich unterworfen hat. Sonst haben ja die griechischen Gçtter nichts getan“. Entsprechend prsentiert Hegel in einer Vielzahl von Beispielen, wie sich das Natrliche zunehmend durchgeistigte: so galt etwa beim Orakelwesen in frher Zeit das Rauschen der Quelle als Orakel, whrend spter Priester sprachen. 579 VL2, 538. 580 Siehe VL2, 544 f.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

diesem organisatorischen Zentrum des Griechentums ist das Gottesbild durch drei Entitten geprgt ist: Erstens gibt es die Vielzahl der Gçtter, die der erreichten Stufe der Religionsgeschichte gemß als geistige Mchte ber das Natrliche herrschen, aber noch in enger Verbindung mit diesem stehen. Deshalb werden sie des çfteren in Menschengestalt vorgestellt oder stehen in direkter Nachfolger zu den alten Naturmchten. Zweitens ist in dieses Gçtterbild unvermitteltes Besonderes und damit der Zufall gemischt – etwa wenn die Zahl der Gçtter im Olymp ohne begriffliche Notwendigkeit als zwçlf bestimmt wird.581 Drittens und vor allem aber werden auch die Gçtter von einem abstrakten Allgemeinen beherrscht. So wie der gesamte Kosmos der Griechen, so stehen auch die Gçtter unter der unerbittlichen Macht des Fatums, unter der Herrschaft abstrakter Notwendigkeit, die willkrlich in alles Leben eingreift.582 Eine der Einteilung des Gçtterbildes entsprechende Dreiheit prgt auch die Menschen und ihren Weltumgang. Wesentlich ermçglicht die erreichte Vermittlung eine Freiheit des Menschen, die als Sittlichkeit auftritt.583 Prgt die Sittlichkeit zentrale Bereiche des Umgangs der Menschen untereinander, so wird sie zugleich von Schçnheit begleitet. Die Gçtter wollen erscheinen, so dass das Natrliche durch das Geistige geprgt und so schçn ist. Den Plastiken als den Sinnbildern dieser Schçnheit kommt jedoch zugleich die Begrenztheit der griechischen Religion zu: Sie hat das Geistige noch derart stark mit dem Natrlichen vermischt, dass die Erscheinung des Gottes Menschenwerk ist.584 Dieser Nachteil gilt entsprechend auch fr den Bereich der Sittlichkeit, fllt der sittliche Inhalt doch zugleich in eine Vielzahl von Bestimmungen fr die einzelnen Bereiche des Lebens auseinander und wird zudem durch herrschende Naturmchte begrenzt. Vor allem aber wird die Freiheit des Menschen bestndig durch die unerbittliche Macht des Fatums bedroht, so dass sie nur in relativ abstrakter Form vorliegt.585 Es ist nur konsequent, dass diese drei Gesichter der griechischen Religion auch im Kult ihren entsprechenden Ausdruck finden. Ein Moment des Kultes ist die aus der relativen Freiheit geborene Heiterkeit der selbstverstndlichen Vereinigung des Menschen mit dem Gotte, so dass etwa bei der Feier von Pallas Athene die feiernde Menschenmenge die Stadtgottheit selbst ist. Ihr Sinnbild findet diese 581 582 583 584 585

Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe

VL2, VL2, VL2, VL2, VL2,

545 f. 543 f. 536. 549. 543 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Seite des Kultes in den Spielen, in denen der Mensch „an ihm selbst das Gçttliche sehen lßt in seiner Frçhlichkeit, Heiterkeit, im Aufzeigen seiner kçrperlichen Geschicklichkeit“.586 Daneben gibt es ein blhendes Orakelwesen, in der sich die Zufallsglubigkeit Bahn schlgt. Von noch grçßerer Wichtigkeit aber sind die Tragçdien, da sich in ihren Protagonisten verkçrpert, wie zwei jeweils berechtigte sittliche Prinzipien durch den Zwang des Fatums in die Vernichtung getrieben werden.587 Aus der soweit gegebenen Beschreibung des Griechentums folgt seine Unwahrheit, verfehlt der Geist doch die ihm als Geist zukommende Vermittlungsleistung. Die notwendige Integration der abstrakten Allgemeinheit des Fatums, der Vielheit der Gçtter und des unvermittelten Besonderen des Zufalls in eine konkrete Einheit wird erst im Judentum erreicht. Damit zeigt sich, dass die Wahrheit des Polytheismus der Monotheismus ist.588 Das organisatorische Zentrum und damit das neu gesetzte Moment des Judentums ist eine Form von Vermittlung, die kein abstraktes Allgemeines und kein unvermitteltes Besonderes außerhalb seiner erlaubt. Sie ermangelt aber der Lebendigkeit, so dass auch sie noch mit einem Grad von Abstraktheit verbunden ist.589 Dennoch wird mit der erreichten Form der Durchgeistigung der Boden sinnlicher Reprsentationen verlassen, so dass das Judentum auf dem „Boden des reinen Gedankens“ stattfindet.590 Das organisatorische Zentrum prgt die Gotteslehre dergestalt, dass Gott als konkrete Einheit und damit wesentlich als Subjekt wahrgenommen wird. Er hat das Besondere in Form der Gçtter und des Zufalls von seiner Natrlichkeit gereinigt und ebenso in sich integriert, wie er die abstrakte Allgemeinheit in der Form des Fatums seinem eigenen Wesen zuschreibt und dadurch in konkrete Notwendigkeit verwandelt. Beide Aufhebungsschritte fhren zu einer geistigen, subjektiven Einheit, die Zwecke besitzt, „und diese erst verdient fr uns den Namen Gott“.591 So wie in der absoluten Idee beobachtet wurde, dass Subjektivitt an sich von Anfang an vorhanden ist, sich aber zugleich entwickelt und erst am Ende vollstndig sie selbst ist, so kann auch in der Religi586 VL2, 556. 587 Siehe VL2, 556 – 559. 588 Dies beschreibt Hegel der Sache nach auf VL2, 561. Eine ausfhrliche Darlegung der Auseinandersetzung Hegels mit seinen Quellen zum Griechentum bietet Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 204 – 221. 589 Siehe dazu VL2, 565. 574. 590 VL2, 561. 591 VL2, 561.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

onsgeschichte von den Naturreligionen an die sukzessive Selbstwerdung der Subjektivitt verfolgt werden, die sich zunehmend mehr den Namen „Gott“ verdient. Die hier erreichte Konkretionsstufe erlaubt es, Gott als Subjekt zu verstehen. Dabei kommen ihm Weisheit und Heiligkeit zu: Weisheit, da Gott in sich bestimmt ist und kein Fatum ber sich hat, und Heiligkeit, da Gott nicht mehr in die Vielheit des Besonderen auseinandergelegt und so nur schçn ist.592 Der weise und heilige Gott hat einen solchen Grad von Vermittlung erreicht, dass er alle Formen sinnlicher, bildlicher ußerlichkeit aufgehoben hat und daher gestaltlos ist. Gott als reine Subjektivitt ist nur fr das Denken. Zugleich aber liegt noch eine abstrakte Form des Monotheismus vor. Denn obwohl die sich als Weisheit ußernde konkrete Einheit Gottes selbst Weiteres bestimmt, bestimmt Gott sich in seiner Weisheit nicht selbst weiter. Gott ist nicht in sich dynamisch, er ist nur der Anfang, nicht aber das Resultat. Die mit der eigenen Bestimmtheit einhergehende Urteilung vollzieht sich daher nicht in Gott selbst als die Erschaffung eines Sohnes, sondern richtet sich auf ein unmittelbares Anderes und bedeutet die freie Erschaffung der Welt.593 Der entwickelten Subjektivitt des Gottesbildes entsprechend ist die Welt eine unselbstndige Entitt. Sie dependiert in ihrem Sein ganz von Gott und ist daher selbst nicht Gott. „Oder die Welt ist jetzt prosaisch, sie tritt uns wesentlich als eine Sammlung von Dingen entgegen, ist entgçttert“.594 Damit geht einher, dass sich der Verstand ihrer zu bemchtigen wagt. So entdeckt er mit den Verstandeskategorien von Grund und Folge einerseits erstmals natrliche Zusammenhnge. Andererseits konstatiert er demgegenber erstmals Wunder als eine Form der Manifestation Gottes.595 Die zentrale Manifestation Gottes aber ist seine bestndige Beziehung zur Welt und erscheint in der Form der Erhabenheit. Sie gibt der jdischen Religion bei Hegel ihren Namen und drckt sowohl die souverne Heiligkeit Gottes aus als auch die Dependenz und Unangemessenheit der Welt.596 Es ist somit eine neue Form der Verbindung Gottes mit der Welt erreicht, die durch die zunehmende Geistigkeit Gottes geprgt ist. Sie zeigt sich auch darin, dass die Welt 592 Siehe VL2, 561 f. Einen um den Begriff der Weisheit herum organisierten, in vielem aber recht kurzen Vergleich der Darstellung des Judentums in den verschiedenen Kollegs bietet Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 169 – 180. 593 Siehe VL2, 563. 594 VL2, 567. 595 Siehe VL2, 568. Dort schreibt Hegel folgerichtig: „In der indischen Religion z. B. gibt es keine Wunder; da ist alles verrckt von Haus aus“. 596 Siehe VL2, 569 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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durch die von der Weisheit Gottes gesetzten Zwecke bestimmt ist. Sie bestimmen die geregelte Einrichtung der Natur, vor allem aber bestimmen sie wesentlich das Menschenbild. Denn der ganz entgottete Mensch soll sich in bereinstimmung mit den von Gott gesetzten Zwecken befinden: zum einen durch das Lob der geordneten Natur, zum anderen durch die Befolgung der von Gott gesetzten Gesetze, die Sittlichkeit und Recht prgen. Dient der Mensch in seinem Willen Gottes Gesetzen, so soll ihm die von Gott gesetzte Welt dienen.597 So prgt nicht mehr das Fatum als die Gottheit blinder Schicksalsmacht das Leben des Menschen, sondern der weise Gott konkreter Notwendigkeit. Allerdings wird der Mensch zugleich durch die Momente mangelnder Vermittlung in Gott und somit wesentlich durch das Moment mangelnder Entwicklung bestimmt. So kommt es zu dem Widerspruch, dass der jdische Gott als Schçpfer der ganzen Welt dennoch nur ein Nationalgott bleibt, der zudem unvernderliche Gesetze erlsst. Letztere verbieten etwa den Verkauf des Bodens, so dass zum einen kein wirklicher Begriff von Eigentum vorhanden ist, zum anderen innerhalb der Nation eine relative Konzentration auf die Familie als der jeweils landbesitzenden Einheit vorherrscht.598 Auch der Kult ist von diesen ewigen Gesetzen geprgt, die als Ausdruck immer noch relativ abstrakter Macht so willkrlich sind, dass sie eine wirkliche innerliche Aneignung verunmçglichen.599 Die rçmische 597 Siehe VL2, 571 f. 598 Siehe VL2, 574 – 579. 599 Siehe VL2, 578. Erst nach der Darstellung des Griechentums und des Judentums sind genug Informationen geliefert, um folgenden wichtige Frage zu diskutieren: Ist es begriffsgemßer, das Griechentum dem Judentum folgen zu lassen oder das Judentum dem Griechentum? Die Frage stellt sich, da Hegel in den Kollegs von 1821 und 1824 Judentum und Griechentum in der umgekehrten Reihenfolge zu dem Kolleg von 1827 prsentiert: In ihnen wird das Judentum den Griechen vorangestellt, so dass das Judentum die erste Religion der neuen Stufe darstellt. Um sich fr eine der beiden Varianten zu entscheiden, ist es wichtig zu betonen, dass die dahinter stehende Idee jeweils dieselbe ist: Ganz in bereinstimmung zu der Entwicklung der absoluten Idee wird sowohl in den Kollegs von 1821 und 1824 einerseits als auch in dem Kolleg von 1827 andererseits jeweils darauf abgezielt, die neue Stufe der Religionsgeschichte mit der Religion mit den abstrakteren Zgen zu beginnen, um durch die nachfolgenden Religionen zunehmende Vermittlung zu erreichen, siehe fr das Kolleg von 1821 etwa VL2, 66, fr das Kolleg von 1824 VL2, 287 – 290. 323 f., 355 – 364. 398 und fr das Kolleg von 1827 VL2, 587. Bleibt das angewandte Prinzip dasselbe, so schwankt allein die Durchfhrung: In den ersten beiden Kollegs meint Hegel, dass das Judentum unmittelbarer als das Griechentum ist, in den folgenden beiden Kollegs hlt er das Griechentum fr die unmittelbarere Religion. Es fllt

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

durchaus nicht leicht, den begriffsgemßeren Ablauf zu bestimmen, da die jeweilige Darstellung der Religion je nach ihrer Stellung verndert wird: In den ersten beiden Kollegs hebt Hegel die unmittelbaren Zge des Judentums hervor, in den spteren Kollegs die des Griechentums. Folgende Charakteristika mssen gegeneinander abgewogen werden. Mit den ersten beiden Kollegs wre das Judentum deshalb als die unmittelbarere Religion anzusehen, da es mit großer Betonung den Einen Gott einfhrt und diesen zudem gestaltlos und nur fr das Denken prsentiert, so dass hier eine ganz unbestimmte Entitt im Mittelpunkt steht, siehe dazu etwa VL2, 325. Dieser Unbestimmtheit einerseits entspricht andererseits sowohl die Negativitt der Welt als auch die Partikularitt des Handelns Gottes in ihr, die sich etwa in den nur ußerlich zu befolgenden Gesetzen spiegelt, siehe VL2, 335 – 352 und 349 f. Demgegenber scheint das Griechentum mit seiner lebendigen Vielzahl der Gçtter, ihrer Verbindung mit den Menschen sowie der freien Sittlichkeit der Menschen untereinander die vermitteltere Alternative zu sein, siehe VL2, 356 – 364. Wenn somit vieles fr die Anordnung der ersten beiden Kollegs spricht, so haben wir uns doch fr die alternative Anordnung entschieden. Das liegt nicht so sehr daran, dass die Griechen das Rtsel der Sphinx lçsen und auch nicht so sehr daran, dass die Griechen auch in ihrer Selbstbeschreibung den bergang vom Natrlichen zum Geistigen vollziehen, was auch das Kolleg von 1824 schon erwhnt, siehe VL2, 364 f. Entscheidend ist vielmehr das Fatum, die ganz abstrakte Notwendigkeit, die im Griechentum ber allem thront, was auch das Kolleg von 1824 zugesteht, siehe VL2, 360. Mit dem Fatum liegt strukturell eine Form von Unmittelbarkeit vor, die zweifelsohne abstrakter ist als der gestaltlose eine Gott der Juden, dem doch immerhin Weisheit, Gte und Gerechtigkeit und somit etwa auch die Berechenbarkeit der Naturgesetze in der prosaischen Welt zuzuschreiben sind, was auch das Kolleg von 1824 zugesteht, siehe VL2, 324 – 333. Um es an der Wirkung auszudrcken: Auch wenn die Gesetze des jdischen Gottes laut Hegel keine innerliche Aneignung zulassen, so stellen sie dennoch eine ungleich grçßere Vermittlungsleistung dar als die ganz unberechenbare Willkrherrschaft des ber allem drohenden Fatums. Somit ist das Griechentum als diejenige Religion der zweiten Stufe anzusehen, die am strksten durch Unmittelbarkeit geprgt ist und daher den Beginn der neuen Stufe markiert. Darauf aber hat das Judentum zu folgen, so dass der Anordnung des Kollegs von 1831 zu widersprechen ist. Das Kolleg von 1831 nmlich platziert zwar das Griechentum hinter die gypter als die erste Religion einer neuen Stufe, meint aber, das Judentum in die Religionen des berganges hinter die Perser und vor die Phçnizier und gypter platzieren zu sollen, siehe VL2, 625 f. Der Fortschritt bestehe darin, dass die Perser Eines als hçchste Entitt haben, die Juden aber Einen, whrend die Juden andererseits den Tod Gottes nicht kennen wrden und daher abstrakter seien als die Phçnizier und gypter. Wre dies das Kriterium, so mssten die gypter die letzte Religion vor dem Christentum sein, da sie ein sehr viel klareres Bild vom Tode Gottes haben als alle anderen Religionen außer dem Christentum. Sinnvoller scheint es, mit allen anderen Kollegs eine Stufe einzufhren, in der Gott als Geist gewusst wird – und zu dieser gehçrt zweifelsohne das Judentum dazu.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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als die nchste Religion sucht die verbleibende Abstraktheit des in sich statischen Judentums mit dem zuflligen Besonderen der Griechen dadurch zu verbinden, dass sie eine umfassende Einheit mitsamt der dafr nçtigen Dynamik setzt. Da die eingefhrte Dynamik den verhandelten Entitten aber ußerlich bleibt, stellt die rçmische Religion nur den bergang zu dem Christentum als der wahrhaft lebendigen Religion dar. Oder die rçmische Religion reprsentiert nur die schon aus der absoluten Idee bekannte Vorstufe zu dem letzten oder vierten Entwicklungsschritt vollentwickelter Einzelheit. II.3.3.2.3. Die Religion der Rçmer als die des zweiten berganges Die rçmische Religion sucht die relative Abstraktheit des Judentums dadurch zu berwinden, dass sie das zufllige Besondere der Griechen mit dem nicht mehr vollstndig abstrakten Allgemeinen des Judentums in eine neue Identitt hinein vermittelt, die als „relative Totalitt“ auftritt.600 Zwar gewinnt sie dadurch an Konkretheit, stellt aber dennoch nicht die vollendete Vermittlung des Judentums mit dem Griechentum dar.601 Denn obwohl die fr die neue Identitt notwendige Dynamik aufzutreten beginnt, bleibt sie den jeweils verhandelten Entitten ußerlich, da sie als Sollen bzw. als reine Addition auftritt. Als solche findet sie noch nicht die Erfllung, die der im Christentum als vollendete Realisierung der absoluten Idee erreichte Zusammenfall von Begriff und Realitt darstellen wird.602 Vielmehr tritt die Dynamik hier in der Formation auf, die als „ußerlicher Zweck“ bezeichnet wird, so dass die rçmische Religion die der Zweckmßigkeit ist.603 Gerade das Gottesbild ist von dem 600 Siehe VL2, 579 f. Hegel arbeitet mithin mit einer zweifachen Perspektive auf das Griechentum: Zum einen liegt mit dem Fatum das dominierende Moment von abstrakter Allgemeinheit vor, das das Griechentum an den Anfang der neuen Religionsstufe zu setzen erlaubt. Zum anderen fhrt gerade die Abstraktheit des Allgemeinen zu unvermittelten Formen von Besonderen. Somit kann der Fortschritt der Religionsgeschichte sowohl als die zunehmende Konkretisierung der abstrakten Allgemeinheit des Griechentums als auch als die zunehmende Integration ihrer zuflligen Besonderen gelesen werden – wobei beide Betrachtungsweisen selbstredend nichts anderes darstellen als die zwei Seiten der einen Medaille zunehmender Vermittlung. 601 Eine kurze Darstellung der vor allem aufgrund der Umstellung des Judentums und des Griechentums unterschiedlich charakterisierten rçmischen Religion durch die verschiedenen Kollegs hindurch bietet Leuze, Die außerchristlichen Religionen, 223 f. 602 Siehe VL2, 580 f. 603 Siehe VL2, 580.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

eben beschriebenen organisatorischen Zentrum geprgt. So gibt es den einen Gott, der das Allgemeine in der Form des bestimmten Zweckes reprsentiert. Dieser eine Gott ist die Fortuna publica, die mit Roma oder Jupiter zusammenfllt und die Herrschaft ber alle Welt als den inhaltlichen Ausdruck des vorherrschenden Zweckes der Rçmer darstellt.604 Der Allgemeinheit des Jupiters stehen die besonderen Gçtter nicht beziehungslos gegenber. Vielmehr sind alle in dem vom Jupiter beherrschten Pantheon als dem Ausdruck einer neuen Identitt relativer Totalitt zusammengefasst.605 Das Defizit des Pantheons und damit die Relativitt seiner Totalitt liegt darin begrndet, dass die besonderen Gçtter nur ber die abstrakte Entitt des Pantheons mit dem einen Gott vermittelt sind, ohne in ihrer und seiner Grundbestimmung diese Vermittlung als Bewegung an sich selbst zu vollziehen. Somit entspricht die rçmische Religion derjenigen noch nicht vollentwickelten Einzelheit in der absoluten Idee, in der Allgemeines und Besonderes zwar bereits jeweils Totalitt geworden sind, aber noch in ihrer voneinander getrennten Totalitt statisch verharren und sich somit noch nicht in die ihnen in Wahrheit zukommende Vermittlungsdynamik vollentwickelter Einzelheit berfhrt haben.606 So beherrschen die besonderen Gçtter einfach einen anderen Bereich als Jupiter. Denn whrend Jupiter den Expansionsdrang des Staates reprsentiert, stellen die besonderen Gçtter die vielen einzelnen Zwecke dar, mit denen der Mensch sich in seinem Alltagsleben abmht, so dass es etwa Jupiter pistor als den Gott des Backens gibt etc. Die dabei verwendeten Gçtter stammen oftmals aus der griechischen Mythologie und reprsentieren die vollstndige Verzweckung der vormals individuellen, heiteren Gottheiten.607 Dieser Gçtterimport ist fr das Pantheon prgend, werden doch bestndig die Gçtter der besiegten Fremdvçlker unter die Herrschaft Jupiters gebracht, abstrakt neben die anderen Gçtter des Pantheons eingereiht und je nach menschlichem Bedrfnis verwertet. Neuheit, Dynamik, ereignet sich im Pantheon somit nur als ußerliche Addition von Besonderem, als Ausdruck einer vom unersttlichen Sollen getriebenen, abstrakten quantitativen Steigerung ußerlicher Herrschaft ber die kleine und die große Welt. Die in der gyptischen Religion als Vorstellung erreichte innere Lebendigkeit Gottes 604 Siehe VL2, 584. 605 Zum Pantheon siehe VL2, 587 f. Den mit den Pantheon erreichten systematischen Fortschritt beschreibt sehr schçn Huber, Idealismus, 133 – 135. 606 Siehe unten, II.2.4.2.2. 607 Siehe VL2, 585 – 588.

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in den geistigen Religionen zu realisieren, bleibt hingegen dem Christentum vorbehalten. So ist es nur konsequent, wenn auch das Welt- und Menschenbild eine nur ungengende Synthese von Allgemeinem und Besonderen bietet. Zwar wird die auf der ungeordneten Besonderheit beruhenden Heiterkeit der Griechen dem Ernst des einen Zweckes des Staatsganzen ebenso unterworfen, wie die Fokussierung des Judentums auf die Familie durch die Etablierung des einen, umgreifenden Staates erweitert wird. Aber die dadurch erreichte neue Identitt stellt keineswegs bereits eine gltige Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem dar. Das zeigt sich zum einen dadurch, dass der realisierte Staat in sich noch nicht vernnftig ist. Daher beruht er allein auf ußerlicher Herrschaft und zieht seine Dynamik aus der noch nicht realisierten Herrschaft, also aus immer weitergehender Expansion.608 Zum anderen zeigt sich die mangelnde innere Vermittlung in der ungeklrten Beziehung zwischen dem Kaiser als dem Reprsentanten der staatlichen Zentralmacht und dem Individuum. Einerseits steht der Kaiser ber allem und auch ber dem Gesetz, und die Individuen existieren allein, um ihm zu dienen. Anschaulich wird dieser „kalte Patriotismus“609 in den vom Kaiser angeordneten Spielen, in denen sich Tausende in Strçmen von Blut gegenseitig umbringen und auf diese Art die Nichtigkeit des Einzelnen und eine hohle Dynamik ausagieren. Andererseits aber entwickeln die Rçmer einen hohen Begriff des Individuums, indem sie mit der Etablierung ihres Rechtssystems die rechtliche Person einfhren. Doch auch die rechtliche Person krankt wiederum an mangelnder Vermittlung, da sie einen nur ganz abstrakten Begriff der Person darstellt. Der Kult spiegelt das entwickelte Bild, da er einerseits eine in der Vergottung des Kaisers versinnbildlichte totale Unterwerfung unter den Staat fordert, andererseits aber fr jeden Zweck des Menschen einen neuen Gott entstehen lsst. Entsprechend ist „die Not bei den Rçmern die allgemeine Theogonie“.610 So ist deutlich, dass die rçmische Religion nur eine bergangsreligion ist. Damit ist sie vergleichbar mit dem aus der absoluten Idee bekannten Phnomen der noch nicht vollentwickelten Einzelheit. Zwar besitzt sie alle fr den Begriff wichtigen Momente als auf der neuen Stufe der Religion gesetzte, also das Allgemeine, das Besondere, eine beide in der Form der Einzelheit umfassende Einheit sowie die dafr nçtige 608 Siehe VL2, 582. 609 VL2, 589 f. 610 VL2, 588 f.

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Dynamik.611 Aber all diese Momente sind einander bloß ußerlich zugeordnet, im Modus des Sollens, nicht in dem innerer Vermittlung. Ist somit das Niveau der Begriffslogik bereits erreicht, so wird die wahre Vermitteltheit zugleich dramatisch verfehlt, so dass die rçmische Religion von Verzweiflung erfllt ist. Das Christentum leistet nun nichts als die wahre Vermittlung der hier bereits vollstndig versammelten Momente. Bezogen auf die absolute Idee, reprsentiert es somit den letzten, vierten Entwicklungsschritt vollentwickelter Einzelheit. „Diese hier auf geistlose Weise vorhandenen Momente nach ihrer Wahrheit vereint, bilden die Bestimmung des Geistes und der Religion des Geistes“, das Christentum.612 Mit Hinblick auf die drei „inneren Bildner“ der Religionsgeschichte formuliert: Im Christentum hat sich die Substanz soweit subjektiviert (erster „Bildner“), dass sie alle die im Verlauf ihrer anfnglichen Einheit, der sukzessiven Urteilung und der zunehmenden erneuten Vereinigung (zweiter „Bildner“) gesetzten einzelnen Momente in wahrer, innerer Vermittlung miteinander verbindet (dritter „Bildner“). Indem das Christentum alle gesetzten Momente des Begriffes der Religion vermittelt und diese vermittelte Einheit selbst als Vorstellungsinhalt hat, stellt es sowohl den Zielpunkt von VL1 wie den von VL2 dar. Oder, um fr diesen bergang Hegel das letzte Wort zu geben, indem sein letztes Wort aus seinem letzten Kolleg zu dem Thema zitiert wird: „Als die Zeit erfllet war, d. h. als in dem Geiste der Welt diese Verzweiflung hervorgebracht war, da sandte Gott seinen Sohn“.613 II.3.4. Das Christentum als die vollendete Religion II.3.4.1. Das organisatorische Zentrum des Christentums Im Christentum fhrt die Selbstwerdung des absoluten Geistes in der Religionsgeschichte den absoluten Geist ber die Religionsgeschichte hinaus. Denn im bisherigen Verlauf wurden jeweils nur einzelne Momente des Begriffes der Religion gesetzt oder es waren die gesetzten Momente nur ußerlich miteinander verbunden. Im Christentum hingegen sind alle Momente des Begriffs in ihrer wahren Totalitt und damit 611 Ohne die einzelnen Momente zu spezifizieren, erkennt auch Wagner, Der Gedanke, 218 f., dass die rçmische Religion bereits alle Momente des Begriffes unmittelbar versammelt hat. 612 VL2, 591. 613 VL2, 642.

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in ihrem Vermittlungszusammenhang gesetzt. Stellt das Christentum mit dieser Struktur das Ziel der Religionsgeschichte und damit das Ziel von VL2 dar, so realisiert es zugleich den Begriff der Religion und ist damit das Ziel von VL1. Mit der Realisierung des Begriffes der Religion aber ist die Religionsgeschichte in ihrem Ziel zugleich berschritten. Denn damit ist eine Religion erreicht, die unberbietbar ist und daher nicht mehr in den normalen Verlauf der Religionsgeschichte einzuordnen ist.614 Die Religionsgeschichte terminiert somit in einer Religion, die als ihr Telos nicht mehr Teil ihrer selbst ist. Deshalb beginnt Hegel und entsprechend auch die vorliegende Rekonstruktion mit dem Christentum einen von der Religionsgeschichte deutlich abgesetzten Abschnitt der Darlegung.615 Zur nheren Charakterisierung nennt Hegel das Christentum die „vollendete Religion“.616 Damit zielt er auf den endlichen Geist, der sich darin vollendet, dass er den Begriff der Religion zu seinem Vorstellungsinhalt hat. Die Objektivierung des Begriffes der Religion bedeutet fr den endlichen Geist, dass er den Begriff der Religion und damit die der Religion zugrunde liegende Vermittlungsbewegung zu seinem Objekt hat. Diese Vermittlungsbewegung hat er vor allem in Jesus Christus zu seinem Vorstellungsinhalt und auch in der Pfingstgemeinde sowie in seinem Gottesbild, der Trinitt.617 Der trinitarische Gott selbst ist nun auf eine Art charakterisiert, die zu einer zweiten, entsprechend aus der Perspektive des unendlichen Geistes erfolgenden Benennung der christlichen Religion fhrt. Denn es realisiert sich die beschriebene Vermittlungsbewegung als das Offenbaren Gottes. Daher ist das Christentum die „geoffenbarte“ und die „offenbare“ Religion,618 weil sie „von Gott“619 614 Siehe dazu auch die entsprechenden ußerungen bei Jaeschke, etwa Jaeschke, „Einleitung“ zu VL3, X-XIII, Jaeschke, Vernunft, 295 – 297 und Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 424 f. 615 Zu dem bergang von VL2 zu VL3 siehe auch VL3, 194 f. 616 Siehe als zentrale Aussage der jeweiligen Kollegs etwa VL3, 1. 99. 177. 279. 617 Hegel fasst sowohl die Gotteslehre wie auch die Christologie – genauer: die Zwei-Naturen-Lehre, siehe VL3, 4 f. 6. 107 – als Ausdruck dieser Begriffsbewegung und entspricht somit auch an diesem Punkt der Grundannahme der vorliegenden Arbeit, dass Gotteslehre und Christologie durch dieselben logischen Grundstrukturen geprgt sind. Fr das vorliegende Buch ist des Weiteren von Interesse, dass Hegel an erwhnten Stellen die Zwei-Naturen-Lehre als die noch passendere Ausdruckweise anzusehen scheint als die Trinitt. Daher werden wir im weiteren Verlauf dieses Abschnittes die Zwei-Naturen-Lehre als den eigentlichen Ausdruck des organisatorischen Zentrums des Christentums bezeichnen. 618 Whrend die enzyklopdische Darstellung das Christentum als die „geoffenbarte Religion“ tituliert (Enz., §564, 446 (20, 549)), bezeichnen sie die Vorlesungen

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

geoffenbart ist, dem es wesentlich ist, sich zu offenbaren. Whrend Gott in den vorchristlichen Religionen „noch etwas anderes [ist] als das, was er sich offenbart“,620 ist im Christentum Gottes Sein sein Offenbaren, so dass seine Offenbarung Selbstoffenbarung ist. Damit aber ist es dem vorgestellten Objekt des endlichen Geistes wesentlich, sich mit dem vorstellenden Subjekt zu vermitteln: Der Geist ist nur fr den Geist.621 Wegen der das Christentum in dieser und in allen anderen Hinsichten prgenden Vermittlungsbewegung ist das Christentum die Religion „der Versçhnung“622 und die „absolute Religion“.623 Welches ist nun das organisatorische Zentrum oder die Grundstruktur der absoluten Religion? Darauf kçnnen je nach Perspektive zwei Antworten gegeben werden, die sich in ihrem sachlichen Gehalt als identisch erweisen werden. Die erste Perspektive nimmt auf, was einleitend zu der Darlegung der Religionsgeschichte gesagt wurde: Die Entwicklung der Religionsgeschichte ist vorgebildet durch die Entwicklung der gesamten WL. Unter dieser Perspektive wird bereits aus der terminologischen Anspielung der absoluten Religion deutlich, dass das organisatorische Zentrum des Christentums von der Vermittlungsstruktur der absoluten Idee vorgebildet ist. So uneindeutig die Zuordnung der endlichen Religionen zu den einzelnen Kategorien der WL ist, so eindeutig ist die Zuordnung des Christentums zu der absoluten Idee. Hegel selbst zieht diese Verbindung mehrfach in expliziter Form.624 In der zweiten

619 620 621 622 623 624

primr als die Religion der „Offenbarung“ (VL3, 2) und „die offenbare“ Religion (VL3, 105, 177, 279). Mit den unterschiedlichen Bezeichnungen sind wohl sachliche Akzentverschiebungen mitgegeben, nicht aber wesentliche sachliche Differenzen, die eine weitreichende Erklrung des Unterschiedes nçtig machen wrde – was sich auch darin zeigt, dass sowohl die enzyklopdische Darstellung vom „Offenbaren“ Gottes reden kann als auch die Vorlesungen von der „geoffenbarten“ Religion wissen (VL3, 105). Die verschiedenen Akzente liegen darin, dass die „geoffenbarte“ Religion betont, dass sie von Gott geoffenbart ist. Sie nhert sich somit der Blickrichtung und Ausdrucksweise der Theologie an, whrend die „offenbare“ Religion Gottes Ttigkeit bedenkt und ausdrckt, dass diese nicht nur einmalig, sondern bestndig passiert. Daher ist letztere Bezeichnung vorzuziehen, siehe zu der Diskussion auch VL3, 105 und Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 425 – 429. Enz., §564, 446 (20, 549). VL3, 3. Hegel bringt diese Formulierung çfters und in den verschiedenen Kollegs, siehe etwa VL3, 3. 100. 106. 179 und Enz., §564, 446 (20, 549). VL3, 4. VL3, 100. Siehe fr die verschiedenen Kollegs etwa VL3, 5. 100. 195.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Perspektive kann die gesamte Religionsgeschichte als Entwicklung der absoluten Idee gefasst werden. Dann kann das Christentum mit der vollentwickelten Einzelheit als dem sich als Resultat aufhebenden Resultat der absoluten Idee gleichgesetzt werden. Beide Perspektiven sind darin miteinander vergleichbar, dass die absolute Idee als das Methodenkapitel der WL wie in einem Brennglas die gesamte Entwicklung der WL wiederholt.625 Entsprechend gilt fr den vorliegenden Zusammenhang festzuhalten, dass die Struktur, die dem Christentum zugrunde liegt, als die finale Struktur der WL wie der absoluten Idee die Struktur absoluter Vermittlung ist. Entsprechend charakterisiert auch Hegel selbst das organisatorische Zentrum des Christentums mit denselben Begriffen, die aus der absoluten Idee vertraut sind und die zur Erinnerung stichwortartig kurz erwhnt seien. Anders als bei den Rçmern stehen sich das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne samt ihrer Vermittlung und der dafr nçtigen Dynamik nicht mehr ußerlich gegenber. Sondern sie sind gerade sie selbst als Momente der „absoluten Subjektivitt“,626 die „absolute Ttigkeit“627 und daher „nur ihre Tat ist“.628 Diese Ttigkeit und „Lebendigkeit […] des Geistes ist nichts weiter als sich zu bestimmen […], sich in den Unterschied, Widerspruch zu setzen, aber zugleich diesen Widerspruch ewig aufzuheben“.629

Indem Allgemeines und Besonderes aus sich selbst heraus miteinander und daher in die Einzelheit vermittelt werden und also gerade in ihrem Anderen sie selbst sind, ist die umfassende Vermittlungsbewegung „nicht nur als Substanz, sondern als Subjekt“.630 Mit dem letzten Zitat ist darauf angespielt, dass sich auch im Christentum als dem Telos der Religionsgeschichte wiederum diejenigen Strukturmomente finden lassen, die in der Religionsgeschichte selbst leitend waren. Denn auch hier gilt die aus der Auslegung der Logik bekannte Beobachtung, dass das Resultat des Weges der Weg zum Resultat ist, aber als gesetzter. So vollzieht sich auch im Christentum ein Weg von den Momenten anfnglicher Substanzhaftigkeit hin zu der vollentwickelten Subjektivitt (erster „Bildner“), der sich als anfngliche 625 626 627 628 629 630

Siehe dazu auch II.2.1. VL3, 16, 108, 193. VL3, 196. VL3, 3. Siehe auch VL3, 6, 105. VL3, 196. VL3, 100.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Einheit, die folgende Urteilung und die Gewinnung neuer Einheit darstellt (zweiter „Bildner“). Wiederum ist der Widerspruch der Motor des Fortganges, der jeweils Momente des Weges einzeln setzt, ehe abschließend alle Momente als solche vermittelt sind (dritter „Bildner“). Die anfngliche, substanzhafte Einheit ist die der immanenten Trinitt, die sich in der Schçpfung, dem Fall und dem Kreuz urteilt oder besondert. In Jesus Christus und sodann in der Gemeinde vollzieht sich dann die Versçhnung als die neue Einheit, die in vollendeter Form als Philosophie vorliegen wird. Dieser Entwicklungsgang realisiert sich noch ein zweites Mal, gleichsam in den erste integriert, diesmal in dem Schicksal Jesu Christi. Denn auch dieses reicht von der anfnglichen Einheit seines Lebens ber die Urteilung am Kreuz bis hin zu der neuen Einheit der Auferstehung. Somit wird hiermit auf dasjenige zurckgegriffen, was eingangs unter II.1.2. als ein zentrales Strukturmoment von Hegels Religionsphilosophie eingefhrt wurde. Dort wurde expliziert, dass die materialen Ausfhrungen von Hegels Religionsphilosophie durch die dreifache, ineinander verschachtelte Entwicklung von anfnglicher Einheit, folgender Urteilung und vollendeter Einheit gekennzeichnet sind, die sich sowohl im Gesamt der Religionsgeschichte als auch innerhalb des Christentums und im Leben Jesu Christi vollzieht. Diese Entwicklung kann entweder als zyklischer Kreis von Kreisen oder als lineare, sukzessive Selbstwerdung des absoluten Geistes begriffen werden. Beide Zuordnungen sind mçglich; Zyklizitt und Linearitt kçnnen miteinander vermittelt werden. Denn das Resultat des Weges gleicht dem Weg zum Resultat, aber als gesetztes. Daher kann die Wiederholung als erneuter Weg zu einem erneuten Resultat gerade als der sich perpetuierende Weg im bereits erreichten Resultat gelesen werden.631 Wird nun mit der Entwicklung innerhalb des Christentums und der des Schicksals Jesu Christi der zweite und der dritte dieser drei Entwicklungsgnge erreicht, so ist damit eine Perspektive erçffnet, die das Folgende eng an die vorhergehende Entwicklung in der Religionsgeschichte anbindet. Diejenigen Strukturmomente, die das Christentum ber die Religionsgeschichte hinaustreiben, wirken auch hier weiter, da sie die absoluter Vermittlung sind. Dennoch ist es zugleich vonnçten, die Differenz zwischen der Religionsgeschichte als dem Weg zum Resultat und dem Christentum als dem Resultat des Weges zu betonen. Denn in dem Resultat des Weges sind Formen von Gesetztheit oder Vollentwickeltheit der Bewegung er631 Siehe II.1.2., II.3.1. und II.3.4.4.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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reicht, die dem Weg zum Resultat fehlen. So sind nun Begriff und Realitt vollstndig miteinander vermittelt, so dass eine neue Stufe von Reflexivitt erreicht ist. Bereits in der Auslegung der absoluten Idee wurde dargelegt, dass der letztlich erreichte, letztbegrndete Begriff „sich durch das Anderssein realisiert und durch Aufheben dieser Realitt mit sich zusammengegangen und seine absolute Realitt […] hergestellt hat“.632 Diese seinem logischen „Bildner“ entsprechende Vermittlung von Begriff und Realitt vollzieht sich im Christentum nun so, dass das Christentum seine eigene Grundstruktur als Vorstellungsinhalt hat, so dass das Christentum dadurch die Vollendung der VL1 wie der VL2 ist. Doch es kommen noch weitere Aspekte der Realisierung der absoluten Vermittlung dazu. So wird im Folgenden zuerst die realisierte Vermittlung als vollstndig vermittelte Dialektik von Setzen und Voraussetzen des endlichen und des unendlichen Geistes vorgestellt. Sodann wird dargelegt, wie sich dies in einer Perspektivenverschrnkung in Hegels Darstellung des Christentums auswirkt. Danach wird diejenige Vorstellung eigens vorgestellt, die die realisierte absolute Vermittlung in ausgezeichneter Weise prsentiert, also die Personeneinheit Jesu Christi in den zwei Naturen. Zugleich wird zu verdeutlichen sein, warum sich die Personeneinheit der zwei Naturen in vollendeter Form als Philosophie vollzieht. Die dem Christentum zugrunde liegende Bewegung absoluter Selbstvermittlung wurde eingangs der Darlegungen zur Religionsphilosophie unter II.3.2.1. bereits auf das dort erreichte, realphilosophische Niveau des absoluten Geistes transponiert. Wesentlich ist, dass der absolute Geist eine Vermittlung von endlichem und unendlichem Geist ist, der sein Dasein im Wissen hat, und zwar als ein Wissen um sein Dasein im Wissen. Entsprechend stellt sich diese Vermittlung vom endlichen Geist aus als ein Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen dar. Vom unendlichen Geist aus aber prsentiert sie sich als ein Sich-wissen des 632 WL3, 298 f. (12, 248), siehe dazu auch oben, II.2.5.3. Da die absolute Vermittlung die Vermittlung von Begriff und Realitt einschließt, erhellt, dass Hegel den ontologischen Gottesbeweis mit der absoluten Idee in Verbindung bringt. So ließe sich dafr argumentieren, dass erst der in der absoluten Idee vorgebildete trinitarische Gottesbegriff dem argumentum ontologicum entspricht (fr eine ausfhrlichere Kommentierung des Zusammenhanges von dem ontologischen Gottesbeweis mit der Trinittslehre siehe Trawny, Die Zeit, 31 – 40). Diese Verbindung erklrt auch, warum Hegel dem Christentum neben der absoluten Idee auch den ontologischen Gottesbeweis als „inneren Bildner“ zuordnet, siehe VL3, 5 – 12. 108 – 119. 279 f. sowie Jaeschke, Vernunft, 308 – 314.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

unendlichen Geistes in dem Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen. So richtig diese Beschreibung ist, so ist mit ihr noch nicht die gesamte Dynamik aller wesentlichen Hinsichten der Beziehung zwischen dem endlichen und dem unendlichen Geist dargelegt. Daher sollen einige Strukturmomente der in der absoluten Idee auf dem begriffslogischen Niveau von Allgemeinem und Besonderem dargelegten Vermittlung von unendlichem und endlichem Geist nun in der Terminologie von Setzen und Voraussetzen vorgefhrt werden.633 Entscheidend ist, dass auf dem erreichten Niveau des Christentums und in Entsprechung zu der absoluten Vermittlung seines „inneren Bildners“ eine vollstndige dialektische Vermittlung von Setzen und Voraussetzen sowohl in Hinsicht auf den endlichen wie auf den unendlichen Geist erreicht ist. Um mit dem unendlichen Geist zu beginnen: Der unendliche Geist ist als unendlicher dem endlichen Geist vorausgesetzt. Zugleich aber kommt es ihm gerade als unendlichem Geist zu, sich mit dem endlichen Geist zu vermitteln. Der christliche Vorstellungsgehalt sowohl fr die Voraussetzungshaftigkeit des unendlichen Geistes wie fr seinen ihm immanenten Drang zur Vermittlung ist die immanente Trinitt. Der unendliche Geist setzt den endlichen, oder, wie der christliche Vorstellungsgehalt sagt, er schafft Welt und Mensch. Jetzt entwickelt sich die Dialektik von Setzen und Voraussetzen. Denn der von dem unendlichen Geist als seiner Voraussetzung gesetzte endliche Geist ist gerade auch die Voraussetzung des unendlichen Geistes, da sich der unendliche Geist nur im Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen weiß. Oder, wie der christliche Vorstellungsgehalt sagt, in Pfingsten hat sich Gott der Geist auf die Gemeinde ergossen. Der unendliche Geist als die Voraussetzung des endlichen Geistes setzt mit dem endlichen somit seine eigene Voraussetzung. Um diese Vermittlung aus der Perspektive des endlichen Geistes zu beschreiben: Der endliche Geist ist die Voraussetzung des unendlichen, da er den unendlichen Geist setzt. Oder, wie Hegel betont, die Trinittslehre entsteht in der glubigen Gemeinde.634 Mçglich ist dies, weil die Vermittlung des endlichen mit dem unendlichen Geist dem endlichen Geist gerade als endlichem angemessen ist. Das wird in dem Vorstellungsgehalt der Gottesebenbildlichkeit symbolisiert. Zugleich aber setzt der endliche Geist und damit die Voraussetzung des unendlichen Geistes gerade den unendlichen Geist und damit seine eigene Voraus633 Diese Verschiebung in der Terminologie wird weiter unten in diesem Abschnitt begrndet. 634 Siehe VL3, 251 und Dierken, Gott, 196 – 201.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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setzung. Denn er setzt denjenigen Geist, den er in seinem Vorstellungsgehalt als seinen Schçpfer und Versçhner weiß. Der endliche und der unendliche Geist sind somit jeweils die Voraussetzung des Anderen, weil sie den jeweils Anderen setzen. Zugleich aber setzen sie mit dem Anderen gerade die Voraussetzung ihres eigenen Selbstseins. Beide sind nur im Anderen bei sich und sind gerade so der absolute Geist. Bereits aus dieser kurzen Skizze folgt eine Vielzahl von Konsequenzen. So steht Hegels Gottesbegriff jenseits der Alternative von „Projektion“ oder „realem An-sich-Sein“.635 Denn ist der endliche Geist die Voraussetzung des unendlichen, weil der unendliche sich nur im Wissen des endlichen vom unendlichen weiß, so ist der unendliche Geist immer auch „Projektion“, immer verbunden mit Bewusstseinsgehalten des endlichen Geistes. Zugleich aber ist der unendliche Geist ebenso die Voraussetzung des endlichen, da es wirklich der unendliche Geist ist, der sich im Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen weiß. Daher „projeziert“ der endliche Geist den „realen“ unendlichen, den der endliche Geist daher ganz sachangemessen als seinen Schçpfer und Versçhner weiß. Diese sachlogisch begrndete Vermittlung von „Projektion“ und „realem An-sich-Sein“ oder diese absolute Vermittlung von Setzen und Voraussetzen schlgt sich nun auch in Hegels Darstellungsform des Christentums nieder. Denn es tritt eine bemerkenswerte und gegenber den bisherigen Religionen neue Verschrnkung von Perspektiven auf, die alle behandelten loci betrifft. Es wurde bereits aufgezeigt, dass in allen Religionen der Religionsgeschichte das Gottesbild und das Menschenbild von dem jeweiligen organisatorischen Zentrum geprgt sind. In keiner vorchristlichen Religion aber erreicht das organisatorische Zentrum einen solchen Grad von Vermitteltheit, dass das Gottesbild nicht ohne das Menschenbild und umgekehrt darzustellen ist. Zwar weiß der Blick der Vernunft auf die Religion, dass sich auch in allen bisherigen Religionen der unendliche Geist nur im Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen weiß, da genau dies die Grundstruktur des absoluten Geistes ist. Oder die Vermittlung von gçttlicher und menschlicher Natur ist der Grundvollzug von Religion berhaupt. In den bisherigen Religionen aber herrscht eine derart große Differenz zwischen dem Begriff des absoluten Geistes und seiner begriffsgemßen Realisierung vor, dass eine getrennte 635 Siehe zu der Dialektik von „Projektion“ und „realem Ansich-Sein“ auch die Darstellung von Ringleben, Hegels Theorie, 117 – 123, und auch Jaeschke, Vernunft, 328 – 348.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Darstellung beider dem organisatorischen Zentrum der jeweiligen Religion und auch den eigenen Vorstellungsgehalten der Religion angemessener ist. Diejenigen anfnglichen Religionen der Religionsgeschichte hingegen, die das Gottes- und das Menschenbild zusammen sehen, tun dies derart unvermittelt, dass sie kaum den Begriff der Religion verdienen. Demgegenber weist im Christentum das organisatorische Zentrum einen solchen Grad an Vermittlung auf, dass das Gottes- und das Menschenbild in einer ihnen wesentlichen Beziehung stehen. Dem entspricht Hegel in seiner Darstellungsform. Denn er prsentiert alle Gehalte unter zwei Perspektiven: aus der des endlichen Geistes und aus der des unendlichen, oder aus der des „Projezierens“ und aus der des „realen Ansichs“. Die Perspektive des endlichen Geistes wird folgendermaßen eingebracht. Da alle theologischen und daher auch die theo-logischen Vorstellungen durch den endlichen Geist vermittelt sind, ist jeder locus mit einer vermçgenstechnischen Spezifizierung versehen. Entsprechend wird etwa die immanente Trinitt dem „abstrakten Denken“ als einer Vorstellungsform des endlichen Geistes zugeordnet.636 Diese Zuordnung ließe sich auch als „projezierende“ Perspektive beschreiben.637 Doch es wird der Vorstellungsinhalt zugleich aus der Perspektive des unendlichen Geistes prsentiert. Nach der „projezierenden“ Perspektive ist somit auch die des „realen An-sich“ einzufhren. Denn das vorstellende Bewusstsein „projeziert“ zugleich etwas, das in der Entwicklung der Idee selbst vorgebildet und daher vernnftig ist, da auch die „absolute ewige Idee aber erstens an und fr sich selbst ist“.638 Um diesen Aspekt auszudrcken, wird der immanenten Trinitt nicht nur die reflexionslogische „Voraussetzung“, sondern auch das begriffslogische „An sich“ bzw. die „Allgemeinheit“ als den ersten Schritt in der Entwicklungsgeschichte des unendlichen Geistes zugeordnet. Wie deutlich werden wird, werden im Christentum auch allen weiteren loci sowohl bestimmte Bewusstseins636 Siehe zu der genaueren Einteilung der Vorstellungsformen oben, II.3.2.3.2. 637 Daher ist Dierken, Glaube, 258 f. und bes. 266 zu widersprechen, der moniert, dass Hegel die wechselseitige Verwiesenheit von Trinitt und Gemeinde zwar denkt, dass „man in der Religionsphilosophie aber eine angemessene Explikationsform fr diesen Sachverhalt vermißt“. Allerdings ist Dierken darin Recht zu geben, dass Hegel seine Christentumsdarstellung nicht in symmetrischer Weise von dem unendlichen und dem endlichen Geist aus entwirft – der Aufbau der Gehalte vom endlichen Bewusstsein aus wird zwar etwa in obiger Form erwhnt, nicht aber in der nçtigen Breite entfaltet. 638 VL3, 198. Auf VL3, 196 – 199, besonders VL3, 198 f., erfolgt eine klare Darlegung der erçrterten Zusammenhnge.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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zustnde wie bestimmte logische Begriffe zugeordnet werden. So wird in der Form der Darstellung derjenigen Dialektik von Voraussetzen und Setzen entsprochen, die den endlichen und den unendlichen Geist miteinander vermittelt.639 Material gewendet: In der Darstellungsform wird somit der aus der Grundstruktur absoluter Vermittlung folgende Beobachtung entsprochen, dass im Christentum Theo-logie und Anthropologie oder gçttliche und menschliche Natur ineinander umschlagen. Diese in der absoluten Idee exegetisierte Struktur absoluter Vermittlung spiegelt sich nun auch in den Vorstellungsgehalten des Christentums selber wieder. Wie bereits dargelegt, stellt sich das Christentum den unendlichen Geist als „immanente Trinitt“ und dann als „Schçpfer“, „Versçhner“ und „Pfingstgeist“ und den endlichen Geist als „gottesebenbildlich“ und dann als „glubiges Glied der Gemeinde“ vor. Beide sind somit in der Vorstellung bereits in ihrem An-sich-Sein und spter in ihren Handlungen und ihrer gegenwrtigen Verfasstheit wesentlich aufeinander als auf ihr Anderes bezogen. Dieser Struktur wird nun aber nicht nur mit solchen Vorstellungsgehalten entsprochen, die diese Verwiesenheit jeweils nur aus der Perspektive entweder des unendlichen oder des endlichen Geistes ausdrcken. Vielmehr gibt es eine Vorstellung, die der Vermitteltheit des unendlichen und des endlichen Geistes deshalb in ausgezeichneter Weise entspricht, weil sie sie gleichsam aus beiden Perspektiven zugleich vorstellt. Sie ist das Thema dieser Arbeit, die Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi. Jeweils ungemischt und ungetrennt vermittelt sich die eine Natur mit der anderen und ist eben dadurch sie selbst, Jesus Christus als wahrer Mensch und wahrer Gott. Gerade der Menschlichkeit Jesu Christi entspricht seine Vermittlung mit der Gçttlichkeit, und gerade seiner Gçttlichkeit entspricht seine Verbindung mit der Menschlichkeit – seiner Gçttlichkeit wird nicht ohne seine Menschlichkeit und seiner Menschlichkeit nicht ohne seine Gçttlichkeit entsprochen. Die ZweiNaturen-Einheit ist somit diejenige Vorstellung, die aus der Sache heraus zu der Verschrnkung der Betrachtungsperspektiven zwingt. Das ist der erste Grund dafr, dass sie diejenige Vorstellung ist, in der sich das Christentum die Lebendigkeit seines organisatorischen Zentrums in ausgezeichneter Weise vorstellt. Der zweite Grund liegt in der der 639 Diese mit einer logischen Benennung verbundene doppelte Perspektive auf alle loci vertreten sowohl die VL als auch die Enz., siehe nur die entsprechenden Stellen zu der „immanenten Trinitt“ auf VL3, 16. 122. 201. 281 und Enz., §567, 447 f. (20, 551 f.).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Christologie eigenen Vermittlung von Begriff und Realitt und damit in einer zweiten Perspektivenverschrnkung. Das Christentum wurde verstanden als die vollendete Realisierung des Begriffs und damit als der Zusammenfall von VL1 und VL2. Zugleich gibt es mit der Christologie einen Gehalt, in dem dies nochmals eigens vorgestellt wird. Denn anders als in der immanenten Trinitt als derjenigen Realisierung des Begriffs, die nur im abstrakten Denken des Menschen stattfindet, realisiert sich der Begriff in Jesus Christus in der Realitt selbst. Begriff und Realitt, Allgemeines und Besonderes oder, in religiçser Vorstellung gesprochen, gçttliche und menschliche Natur vereinen sich hier in der Realitt. Und diese Vereinigung wird von Jesus Christus und der Gemeinde als solche selbst noch einmal gewusst. Die Realisierung des Begriffs findet ihre Realitt somit selbst als ein und in einem Wissen um die Realisierung des Begriffs. Mit dieser zweifachen Perspektivenverschrnkung ist erklrt, dass und wie die Vorstellung von der Einheit der zwei Naturen diejenige Vorstellung ist, in der das Christentum sich selbst in ausgezeichneter Weise entspricht. Doch gerade deswegen vollendet sich die Einheit der zwei Naturen nicht in der Christologie, sondern in der Ekklesiologie und letztlich in der Philosophie. Oder die dem organisatorischen Zentrum des Christentums vollstndig entsprechende Vorstellung von der Personeneinheit der zwei Naturen realisiert sich in Wahrheit im philosophischen Begriff. Das sei im Folgenden noch kurz einfhrend dargelegt. Fragt man, in welchem Verhltnis diese ausgezeichnete Vorstellung zu ihrem Status als Vorstellung steht, so kommt man zu einem paradoxen Ergebnis: Einerseits schafft sie die Vorstellung als Vorstellung, andererseits hebt sie die Vorstellung als Vorstellung gerade auf. Beides liegt in der Entwicklungsdynamik begrndet, die sich auch im Schicksal Jesu Christi findet. Wie eben angedeutet, kann dieses erneut als die Entwicklung von der Substanz zum Subjekt beschrieben werden. Die Bewegung der Personeneinheit der zwei Naturen beginnt mit der Geburt und kommt durch das gesamte Leben Jesu Christi und vor allem durch seinen Tod, die Auferstehung und Geistsendung zu sich. In dieser Bewegung werden die Bedingungen fr die Vorstellung als Vorstellung geschaffen. Denn indem Jesus Christus ans Kreuz geht, durchkreuzt er seine unmittelbare, substanzhafte Sinnlichkeit, die seine Jnger in ein Verhltnis der Anschauung gesetzt haben. So ermçglicht er die Entwicklung der Vorstellung von ihm. Zugleich aber hebt die das organisatorische Zentrum des Christentums vorstellende Vorstellung die Vorstellung als Vorstellung auf. Denn oben unter II.3.2.2. wurde doch gerade definiert, dass Vorstellungen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sowohl die Vorstellungs-

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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gehalte untereinander wie auch die Beziehung zwischen Vorgestelltem und Vorstellendem in ein verstandesmßiges Nach- und Auseinander zerlegen, sie einander also wie getrennte Gegenstnde zuordnet.640 Mit der Personeneinheit der zwei Naturen kulminieren die christlichen Vorstellungsinhalte aber in einer Vorstellung, die als der Widerspruch gegen das vorstellungsgemße Nach- und Auseinander der Vorstellungsgehalte aufzufassen ist. Zugleich wird auch das Auseinander von Vorgestelltem und Vorstellendem negiert. Denn das Kreuz fhrt zur Auferstehung und zur Geistsendung. Damit aber stellt sich die Vorstellung einen Gegenstand vor, der in seinem Tod seiner Gegenstndlichkeit widerspricht und sich in Auferstehung und Pfingsten mit dem Vorstellenden selbst verbindet. Das hat fr die Religion als Religion gravierende Auswirkungen. Denn indem die Vorstellung das Auseinander der Vorstellungsinhalte und von Vorgestelltem und Vorstellendem negiert, entledigt sich die Vorstellung ihrer Vorstellungshaftigkeit und hebt sich in den Begriff hinein auf. Entsprechend verbindet sich in der Gemeinde die Perspektive des vernnftigen, religionsphilosophischen Betrachters des Christentums mit dessen Binnenperspektive, so dass die Gemeinde der Philosophen entsteht.641 Hiermit ist die hçchste Form des absoluten Geistes erreicht: Denn in der Vorstellung stellt sich die Vermittlung von endlichem und unendlichem Geist vom endlichen Geist aus als ein Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen dar. Vom unendlichen Geist aus prsentiert sie sich als ein Sich-wissen des unendlichen Geistes in dem Wissen des endlichen Geistes vom unendlichen. In der Philosophie aber wird diese 640 Daher wurde in obigem Absatz das Verhltnis des endlichem zu dem unendlichen Geist unter den Kategorien von Setzen und Voraussetzen rekonstruiert: Diese Kategorien entstammen der Reflexionslogik und wrden daher in einer minutiçsen Auslegung das begriffslogische Niveau der absoluten Idee unterbieten, siehe Enz., §240, 195 (20, 230), und Schfer, Die Dialektik, 295 ff., sowie II.1.1. Als wesenslogische Kategorien aber sind sie dem Verstandesdenken und daher der Vorstellung kompatibel. Denn die in vielem verstandesmßige Vorstellung arbeitet mit den Termini des Setzens und Voraussetzens, ohne jedoch deren Dialektik ganz zu begreifen. Enz., §566, 447 (20, 551), beschreibt das Vorgehen der Vorstellung entsprechend so, dass sie „die unterschiedenen Momente des Begriffs zu besonderen Sphren oder Elementen absondert“ und damit „gegeneinander zu Voraussetzungen und aufeinander folgenden Erscheinungen“ macht, siehe auch die die Hufung der Terminologie der „Voraussetzung“ in Enz., §§567 – 570, 447 – 449 (20, 551 – 553). 641 Eine dem Zuschnitt des Projektes entsprechend nicht aus der Christologie, sondern aus der Ekklesiologie heraus entwickelte ausfhrliche Darlegung der Vermittlung von Anthropologie und Theo-logie bietet Dierken, Gott, 184 – 196.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Struktur nochmals reflexiv, so dass der endliche Geist nun selbst weiß, dass der unendliche Geist sich nur im endlichen weiß. Jetzt weiß der endliche Geist also, dass das Wissen des endlichen Geistes die Voraussetzung fr das Sich-wissen des unendlichen Geistes ist. Diese Aufhebung der Religion in die Philosophie ist fr Hegel die wahre Vermittlung von Anthropologie und Theo-logie. Sie vollendet die dem endlichen und unendlichen Geist wesentliche Dialektik von Setzen und Voraussetzen und ist somit die sachangemessene Konsequenz der Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi. Was unter II.3.2.3.2. vor allem in struktureller Hinsicht als Widerspruch zwischen Inhalt und Form dargelegt wurde, wurde nun also durch inhaltliche Ausfhrungen gedeckt und ergnzt: Gerade derjenige Vorstellungsgehalt des Christentums, der den Hçhepunkt aller Vorstellungsgehalte des Christentums und damit ebenso der Religionsgeschichte wie des Begriffs der Religion darstellt, fhrt zu der Aufhebung der Vorstellung in den Begriff. Gerade in demjenigen Vorstellungsgehalt, in dem sich VL1, VL2 und VL3 vollenden, negiert sich die Vorstellung als Vorstellung. Denn das organisatorische Zentrum des Christentums als die in der absoluten Idee dargelegten Struktur absoluter Vermittlung realisiert sich vollendet in der Philosophie. Die folgende, materiale Darstellung des Christentums wird die eben angesprochenen Aspekte weiter erklren. II.3.4.2. Die immanente Trinitt In Anlehnung an das Vorgehen in II.3.2. soll auch im Folgenden Hegels Darstellung des Christentums als eine Auslegung der Enz.-Texte prsentiert werden und dabei jeweils durch vielfltige Rckgriffe auf die VL ergnzt werden. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist ein zweifacher: Zum einen sind die enzyklopdischen Texte von großer begrifflicher Dignitt. Zum anderen bleibt die Auslegung durch die Rckbindung an diese Texte kontrollierbar. Der die immanente Trinitt charakterisierende enzyklopdische Text lautet wie folgt: „In dem Moment der Allgemeinheit, der Sphre des reinen Gedankens oder dem absoluten Element des Wesens ist es also der absolute Geist, welcher zuerst das Vorausgesetzte, jedoch nicht verschlossen Bleibende, sondern als substantielle Macht in der Reflexionsbestimmung der Kausalitt Schçpfer Himmels und der Erde ist, aber in dieser ewigen Sphre vielmehr nur sich selbst als seinen Sohn erzeugt, ebenso in ursprnglicher Identitt mit diesem Unterschiedenen bleibt, als diese Bestimmung, das von dem allgemeinen Wesen Unterschiedene zu sein, sich ewig aufhebt und durch diese Ver-

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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mittlung der sich aufhebenden Vermittlung die erste Substanz wesentlich als konkrete Einzelnheit und Subjektivitt – der Geist ist“.642

Verorten die ersten der angefhrten Bestimmungen die immanente Trinitt „in dem Moment der Allgemeinheit, der Sphre des reinen Gedankens“, so ist das unter Verweis auf den vorherigen Abschnitt II.3.4.1. zu explizieren. In ihm wurde der Status der immanenten Trinitt in Entsprechung zu der logischen Verfasstheit des organisatorischen Zentrums des Christentums als querstehend zu der Alternative purer „Projektion“ des vorstellenden Bewusstseins einerseits oder eines rein „realen An-sichs“ Gottes andererseits begriffen. So ist die immanente Trinitt einerseits als Vorstellung der glubigen Gemeinde zu verstehen. Sie entsteht, um Tod und Auferstehung Jesu Christi als Geschichte der Versçhnung und damit als gçttliche Geschichte erklren zu kçnnen.643 Damit Gott in dieser Geschichte prsent sein kann, muss ihm die in der Geschichte realisierte Bewegung des Anderswerden und der Identitt in dem Anderssein wesentlich selbst zukommen. Genau das wird als die immanente Trinitt vorgestellt,644 die deshalb in dem enzyklopdischen Text als das der weiteren Heilsgeschichte „Vorausgesetzte“ benannt wird. Da mit ihr etwas Ungegenstndliches vorgestellt wird, wird das zugeordnete, vorstellende Bewusstsein durch diejenige Unterkategorie der Vorstellung nher bestimmt, die als „Sphre des reinen Gedankens“ bezeichnet wird.645 Zugleich aber ist die immanente Trinitt in der der Vorstellung zukommenden Sphre des reinen Gedankens keine bloße „Projektion“ der glubigen Gemeinde. Denn in zweifacher Hinsicht kann ihre Wirklichkeit durch den Verweis auf die ihr zukommende logische Struktur als vernnftig gerechtfertigt werden. Reflexionslogisch kann sie als das „Vorausgesetzte“ des Endlichen begriffen werden, begriffslogisch als das „Moment der Allgemeinheit“ der Idee.646 Da die Vorstellung die 642 643 644 645

Enz., §567, 447 f. (20, 551 f.) Siehe VL3, 251. Siehe ebd. In den VL heißt sie entsprechend auch die Sphre des „Denkens“ oder des „abstrakten Denkens“, siehe etwa VL3, 197. 646 Siehe auch VL3, 198 f. Die Verschrnkung beider Perspektiven wird auch darin deutlich, dass Hegel die Sphre des reinen Gedankens so bezeichnen kann, dass sie Gott behandelt, wie er „noch sozusagen vor oder außer der Erschaffung der Welt ist“ (VL3, 199 f.). Mit diesem Zitat ist ebenso wie mit den „reinen Gedanken“ auf die berhmte, vorstellungshafte Beschreibung des Inhaltes der WL aus ihrer Einleitung angespielt – siehe WL1, 17 (11, 21), wo der Phnomenbereich der WL so beschrieben wird: „Die Logik ist sonach als das System der

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

vorgestellten Gegenstnde „zu besonderen Sphren oder Elementen“647 absondert, wird die Allgemeinheit der Idee „vor oder außer der Erschaffung der Welt“ vorgestellt. Trotz dieses (nur) vorstellungsmßigen Auseinanders der Sphren konvergieren Vorstellung und Begriff somit in der Existenz der immanenten Trinitt. Zudem konvergieren beide in einem wichtigen inhaltlichen Charakteristikum ihrer: darin nmlich, dass mit der immanenten Trinitt einerseits bereits Gott in seiner Vollstruktur als dreieiniger vorliegt, dass andererseits aber seine Differenzen noch nicht eigens gesetzt sind. Die Vorstellung schreibt der immanenten Trinitt die Vollstruktur Gottes deshalb zu, weil sie als Vorstellung ihren in unterschiedliche Sphren abgesonderten Inhalt in jeder der Sphren jeweils ganz hat.648 Dennoch differiert der Inhalt in der jeweiligen Sphre, und der immanenten Trinitt fehlt mit der Schçpfung noch die Gesetztheit des Unterschiedes.649 Mit dieser Zuordnung von Vollstruktur und noch nicht gesetzter Differenz entspricht die Vorstellung der absoluten Idee. Denn wie in der Auslegung der absoluten Idee expliziert wurde, kann die anfngliche Allgemeinheit unter zwei Perspektiven betrachtet werden.650 Soll sie den Beginn des Fortganges erklren, so wird sie allein als reine Unmittelbarkeit gelesen. Zugleich aber ist sie das Resultat eines langen Entwicklungsganges durch die Sein-, Wesens- und Begriffslogik hindurch, so dass sie die darin gesetzten Bestimmungen in sich aufhebt. So wie in der Vorstellung, so ist sie auch in der absoluten Idee die noch nicht vollstndig gesetzte Vollgestalt der Totalitt.651 Mit einem Vorlesungszitat

647 648 649 650 651

reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit selbst, wie sie ohne Hlle an [und] fr sich selbst ist; man kann sich deswegen ausdrcken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“. Dennoch wird die immanente Trinitt im selben Satz des Vorlesungszitats nicht als „absolute“, sondern als „ewige Idee“ bezeichnet, wodurch der im Durchlauf durch das Gesamtsystem im Vergleich zur WL vernderte Grad an Realisierung bezeichnet sein mag. Enz., §566, 447 (20, 551). Siehe VL3, 16 und Enz., §566, 447 (20, 551). Siehe etwa VL3, 21, wo es heißt, dass die Unterschiede nur „ein Spiel“ sind. Siehe dazu oben, II.2.2. In einer Hinsicht hat diesen Grad von Vermitteltheit bereits das „Allgemeine“ der subjektiven Begriffslogik erreicht, siehe WL3, 36 f. (12, 35 f.). Darin liegt auch die relative Berechtigung innerhalb der nicht sachangemessenen Zuordnung Wagners, Der Gedanke, 229 – 239. Wagner ist darin zu loben, dass er als der erste in der neueren Diskussion und bis heute als einer der wenigen begreift, dass zu einer sachangemessenen Auslegung des Christentums auf die WL zurckzugrei-

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

235

gesprochen, „enthlt dies Allgemeine die ganze Idee, aber enthlt sie auch nur, ist nur Idee an sich“.652 Sie ist das Allgemeine, das „dies ist, sich in sich zu unterscheiden, aber den Unterschied so in sich zu halten, daß er die Allgemeinheit nicht trbe“.653 Erst durch die Schçpfung und Versçhnung werden die Differenzmomente eigens gesetzt. Dieser Differenzsteigerung entsprechen die VL und vor allem die Enz. auch in terminologischer Hinsicht. So bezeichnen sie die Verhltnisse in der immanenten Trinitt nur als „Unterschied“, die in der Schçpfung aber als „Gegensatz“ und fhren in der Versçhnung den starken Begriff der „Negativitt“ ein.654 Obwohl somit die Differenz in der immanenten Trinitt noch nicht denjenigen Grad der Gesetztheit erreicht hat, den sie spter erlangen, ist die immanente Trinitt dennoch bereits als lebendiger Vermittlungszusammenhang mit den entsprechenden logischen Zuordnungen zu begreifen. Denn zum einen ist auch die Idee an sich bereits die ganze Idee. Zum anderen entsteht der Vorstellungsgehalt der immanenten Trinitt gerade, um die Lebendigkeit Gottes in seinem geschichtlichen Handeln fen ist. Er ist aber darin zu kritisieren, dass er dem Christentum die logischen Bestimmungen der subjektiven Begriffslogik zuordnet. Wie wir ausfhrlich begrndeten, ist das Christentum in Wahrheit mit der absoluten Idee zu parallelisieren – auch gegen Huber, Idealismus, 104 f., der Wagner in seiner Zuordnung folgt und dabei meint, Hegels eigene Aussagen einer Zuordnung der absoluten Idee zum Christentum korrigieren zu mssen. Huber zitiert zudem verkrzt, weil er nicht begreift, dass die immanente Trinitt der Idee der absoluten Idee im Stadium ihres Ansichs zuzuschreiben ist und dies in gewissen Hinsichten dem Allgemeinen der subjektiven Begriffslogik entspricht, siehe Huber, Idealismus, 104, letztes Zitat, welches im Original Hegels Vorgehen sehr schçn expliziert, siehe VL3, 198 f. Diese in gewisser Hinsicht vorliegende Parallelitt des Allgemeinen der subjektiven Begriffslogik mit der Idee an sich oder dem Allgemeinen in der absoluten Idee begrndet nun aber auch, dass die von Wagner vorgenommene Auslegung der logischen Hintergrnde der „immanenten Trinitt“ trotz der nicht sachangemessenen Zuordnung von subjektiver Begriffslogik zu der Trinittslehre durchaus von erhellender Kraft sind. 652 VL3, 201. 653 VL3, 124. 654 Siehe die entsprechenden Bezeichnungen in Enz., §§567 – 570, 447 – 449 (20, 551 – 553). Auch VL1, 201, ordnet Gottes interner Bewegung den Unterschied zu. Wiederum also entwickelt die Enz. den Durchlauf durch die Heilsgeschichte anhand der Entwicklung der Reflexionsbestimmungen und damit anhand wesenslogischer Kategorien, was eine erneute Rechtfertigung fr unseren Rckgriff auf die wesenslogischen Bestimmungen von Voraussetzung und Setzung zur Rekonstruktion der Verhltnisbestimmung des endlichen und unendlichen Geistes bedeutet.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Gott selbst wesentlich zuzuschreiben. Dementsprechend ordnet die VL die entscheidenden Charakteristika des organisatorischen Zentrums des Christentums und damit die zentralen Merkmale der absoluten Idee bereits der immanenten Trinitt zu, wenn es ber Gott heißt: „Er ist absolute Ttigkeit, Aktuositt, und seine Ttigkeit ist, sich in den Widerspruch zu setzen, aber diesen Widerspruch ewig aufzulçsen und zu versçhnen. […] Das ist dann der lebendige Gott“.655

Hier begegnet nicht nur die aus der Darlegung der absoluten Idee vertraute Zuordnung der logischen Kategorie des Widerspruchs zu dem ontologischen Phnomen der Bewegung, Ttigkeit oder Lebendigkeit. Sondern es taucht auch der fr das Gesamtsystem und jedes seiner Moment entscheidende Merkmal auf, dass dem Widerspruch als dem Motor ein positives Resultat zukommt.656 Diese Ttigkeit wird als Gott wesentlich und daher als Gottes Wesen verstanden: Gott konstituiert sich in seiner Lebendigkeit dadurch, sich in den Widerspruch zu setzen und den Widerspruch ebenso aufzulçsen. Das enzyklopdische Zitat beschreibt diesen Prozess des lebendigen Gottes noch genauer. Anders als das Credo sagt, beginnt Gott nicht sogleich als der „Schçpfer Himmels und der Erde“ mitsamt der darin gesetzten Differenzen, sondern erzeugt zuerst „vielmehr nur sich selbst“.657 Als Nherbestimmungen dieses Selbsterzeugungsprozesses erscheinen eine Vielzahl von termini technici und sehr verkrzten Andeutungen von Argumentationen,658 die in der Auslegung der absoluten Idee ausfhrlich 655 VL3, 196. Obwohl dieses Zitat nicht den Textpassagen ber die „immanente Trinitt“ entstammt, sprechen andere, weniger prgnante Zitate in diesen Textpassagen auch von dem Widerspruch und der Lebendigkeit in der immanenten Trinitt, siehe VL3, 17 f. 126. 203. 282. Dort stehen diese Zuordnungen meist im Zusammenhang der Frage nach den verschiedenen, einander sogar ausschließenden Prdikaten Gottes, die nicht nur unserer Vorstellung entstammen, sondern Gott selbst zuzuschreiben sind, auch wenn damit der Widerspruch in Gott konstatiert wird. 656 Siehe II.2.3.3.2. 657 Dass diese Stelle als Hegels Kommentar zum Credo zu lesen ist, betont Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 438. 658 Wir folgen Heede, Die gçttliche Idee, 270 – 276, in seiner sorgfltigen Analyse der Primr- und Sekundrliteratur dahingehend, dass sich die drei Schlsse der Religion aus Enz., §5571, 449 (20, 553), nicht auf den Gesamtverlauf der Heilsgeschichte Enz., §§567 – 570, 447 – 449 (20, 551 – 553), beziehen, sondern nur auf Christologie und Ekklesiologie, §§569 f., 448 f. (20, 552 f.). Daher werden die drei Schlsse in unserer Auslegung nicht bercksichtigt, und wir greifen daher auch nur sehr sporadisch auf solche Auslegungen zurck, die wie

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

237

aufgeschlsselt wurden und entsprechend durch Rckbezug auf die absolute Idee zu explizieren sind. Zu Beginn wird der absolute Geist als Substanz gefasst, als „substantielle Macht“, weil er zwar alle Wirklichkeit ist, ihm aber zur Subjektivitt die gesetzte Vermittlungsstruktur fehlt. Die abstrakte allgemeine Substanz als scheinbar Selbstndiges ist in Wahrheit das Widersprchliche, da es als Abstraktes und Unmittelbares nur in Negation gegen Anderes, Besonderes konstituiert ist und so selbst Besonderes ist. Somit hat sich die anfnglich unmittelbare Substanz besondert und setzt sich als anderes Moment. Oder, wie die Vorstellung sagt, der Vater „erzeugt sich selbst als seinen Sohn“. Gemß der Dialektik der Begriffslogik bezeichnet die Selbstsetzung in das andere Moment keinen seinslogischen bergang in ein Anderes oder kein reflexionslogisches Scheinen im Anderen, sondern das Bleiben „in ursprnglicher Identitt mit diesem Unterschiedenen“. Diese Identitt des ersten Momentes mit dem zweiten vollzieht sich nun auch aus der Perspektive des zweiten. Denn, wie aus der absoluten Idee bekannt, erkennt das zweite Moment seine Unmittelbarkeit als Schein, da sie „ihr eigenes Anderes“, aus dem sie entstand, als ihren Grund „in sich schließt“.659 Daher formuliert die Enz., dass sie „sich als diese Bestimmung, das von dem allgemeinen Wesen Unterschiedene zu sein, ewig aufhebt“. Damit ist das Allgemeine gerade als Allgemeines Besonderes und das Besondere gerade als Besonderes Allgemeines, so dass dasjenige Stadium der Begriffsentwicklung erreicht ist, in dem zwei Totalitten vorhanden sind. Der letzte Schritt besteht darin, eigens die Einheit oder Identitt dieser beiden Totalitten zu setzen. Dies ist als eigenes Moment innerhalb der dialektischen Entwicklung der immanenten Trinitt zu begreifen, durch das aller erst die vollentwickelte Einheit innerhalb der Trinitt erreicht wird. Denn indem die Identitt gesetzt wird, wird etwas wirklich Neues gesetzt, ein vorher noch nicht erreichtes Moment von Reflexivitt. Den beiden Totalitten kommt nunmehr im Bezug auf ihr Anderes eigens ihr Rckbezug auf sich zu. Erst so ist die Identitt der Momente wirklich gesichert.660 Erst in dieser Vermittlung, die wegen der darin Theunissen, Hegels Lehre, 252 – 290, die drei Schlsse auf die gesamte Heilsgeschichte beziehen und stark von diesem Schritt geprgt sind. 659 WL3, 296 (12, 245). 660 Daher ist all jenen Interpreten zu widersprechen, die annehmen, Hegel habe faktisch nur zwei Momente und sei daher in Wahrheit Binitarier, siehe etwa Splett, Trinittslehre, 145, und Oeing-Hanhoff, „Hegels Trinittslehre“, 392. Die bisherigen und auch die folgenden Ausfhrungen zeigen, dass auch die abschließende Einschtzung von Schulz, Sein, 342, verkrzt ist, der meint, dass

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

erreichten Identitt „Vermittlung der sich aufhebenden Vermittlung ist“, ist „konkrete Einzelheit und Subjektivitt“ erreicht – jene Struktur also, die dadurch sie selbst ist, dass sie im Anderen ganz bei sich ist. Anders gesagt: Im dritten Moment ist die gesetzte Vermittlung von Moment und Totalitt erreicht, weil das dritte Moment nichts als die Einheit der beiden anderen Momente und somit Totalitt ist. Diese gesetzte Vermittlung von Moment und Totalitt ist von beiden Seiten her zu bedenken. Zum einen ist jedes Moment Totalitt, und das dritte Moment in ausgezeichneter, da eigens gesetzter Weise. Deshalb nennt Hegel das dritte Moment auch „den Geist“. Es ist keine Unachtsamkeit Hegels, sondern Ausdruck seiner logischen „Bildner“, wenn diese Bezeichnung, in theologischer Terminologie gesprochen, sowohl den Heiligen Geist und somit die dritte Person der Trinitt als auch den Geist und somit den ganzen Gott unter sich subsumiert. Denn das dritte Moment ist doch gerade Totalitt. Ist hiermit die Vermittlung von Moment und Totalitt gesetzt, so folgt, dass auch die anderen Momente Totalitt sind. Dementsprechend werden auch diese als Geist bezeichnet – „das Dritte, der Geist, ist die Einzelheit als solche, aber wir mssen wissen, alle drei sind der Geist“.661 Auch wenn das Allgemeine anfnglich Substanz zu sein schien, so ist es nicht mit gewissen ketzerischen Traditionen als der „Abgrund“ oder als „der verschlossene Gott, der unerkennbare“662 anzusehen. Sondern „das Letzte ist das Erste“,663 so dass auch das Erste Totalitt ist.664 Wie in der absoluten Idee expliziert: Gerade wenn der Weg zum Resultat als ein Weg zunehmender Subjektivierung von Substanz anzusehen ist, so ist bereits vom Beginn des Weges an Subjektivitt vorhanden. Daher ist das Resultat des Weges dasselbe wie der Weg zum Resultat, aber als gesetztes. Jedes Moment ist Totalitt, oder jedes Moment ist Geist. Zugleich ist zu bedenken, dass die Totalitt nur in der und als die Vermittlungsbewegung der Momente ist. Die Totalisierung der Momente darf nicht als Erstarrung ihrer Vermittlungsdynamik vorgestellt werden, sondern immer nur als deren Ausdruck. Zwei Vorstellungsformen von Erstarrung sind eigens abzuwehren: Weder ist die Totalitt einem einzelnen Moment fest zuzuschreiben, auch nicht dem

661 662 663 664

Hegel „offenbar das christliche Dogma der Dreifaltigkeit auf eine gçttliche Dyas einer Geistmonas reduziert“. Zur Debatte um Hegels Bi- oder Trinitt siehe Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 88. VL3, 128. VL3, 129. VL3, 21. Siehe VL3, 129.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

239

dritten oder jeweils allen dreien.665 Noch ist die Totalitt andersherum eine eigens zu isolierende Ebene jenseits oder abgelçst von der Vermittlungsbewegung der Momente. Vielmehr ist der Geist nur in der, durch und als die Vermittlungsbewegung der Momente. Oder, mit dem Zitat aus der absoluten Idee gesprochen: Er ist nichts ruhendes, „sondern eben als diese Einheit die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Ttigkeit“.666 Die Monarchie des Vaters fhrt somit durch die Gewaltenteilung im Absoluten zur Monarchie des Geistes: zu derjenigen Monarchie also, die jede Form der Alleinherrschaft einer der Momente negiert, weil jedes Totalitt ist. Sosehr Hegel an der Klarheit dieser Strukturmomente interessiert ist, sowenig interessiert ihn die genauere theologische Diskussion um die Trinittslehre.667 Zwar entspricht er dem in der Religion erreichten Realisierungsgrad des Begriffs und nimmt entsprechend auf die religiçsen Vorstellungen Bezug, indem er die darin liegende Vernunft deutlich macht. So nimmt er die „naive, glckliche“ Formen der Vorstellung von Vater und Sohn und berhaupt die der drei Personen auf 668. Und er verweist darauf, dass sie einen begrifflichen Kern haben, da sich drei Momente als Geist nicht gegenseitig ausschließen mssen.669 Aber er 665 Diese Gefahr scheint zu bestehen, wenn Dierken, Gott, 207, schreibt, dass laut Hegel die Momente „als je [!] Einzelne die gçttliche Totalitt selbst sind“. Denkt man die immanente Trinitt als ein dreifaches Einzelnes, so lsst sich erklren, dass Dierken in Hegels immanenter Trinitt drei Personen zu finden glauben kann. Mehr noch: laut Dierken, Gott, 207, „insistiere“ Hegel selbst „auf der Dreifaltigkeit von gçttlichen Personen“. Es verwundert nicht, dass Dierken fr Hegels Insistieren keine Belegstellen anfhren kann. Das einzige dafr nachgeschobene Zitat ist das uns wohlvertraute, das ausfhrt, dass „alle drei der Geist sind“ (VL3, 21) – das aber meint nun gerade keine Personalisierung oder Einfrierung der Geistdynamik, sondern drckt diese gerade aus. 666 WL3, 299 (12, 248). 667 Siehe dazu auch Jaeschke, Vernunft, 300, der schreibt, dass man Hegels Religionsphilosophie als Philosophie lesen muss und sie, als Theologie gelesen, „eine mßig durchreflektierte Dogmatik sei – ein schwaches und zudem hufig verflschendes Echo einer großen Tradition“. Siehe auch Schulz, Sein, 352. 668 VL3, 17. 669 Hegel betrachtet die drei Personen mithin nur als Vorstellungsgehalt, zu der Diskussion darum siehe Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 89 – 91. Unser Ergebnis wird untersttzt von Huber, Idealismus, 93 – 103, der ausfhrlich und textnah den Versuch Wagners, Der Gedanke, 241 – 251, widerlegt, Hegels Trinitt als Dreipersçnlichkeit zu verstehen. Gegen Wagner argumentiert auch Jaeschke, „Absolute Idee“, 411 – 415, mit einem hnlichen Argument wie wir eben gegen Dierken. Zu der Dreipersçnlichkeit als bloßer Vorstellung siehe auch Jaeschke,

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

selbst ist nur daran interessiert, seine Geiststruktur in diesen Vorstellungen zu finden, nicht aber, seine Geiststruktur nochmals in ein Modell fr die Vorstellung und damit in theologische Terminologie zurck zu bersetzen. Dieses Moment seiner bildungspraktischen Aufgabe nimmt er nicht wahr. Auch wenn Hegel selbst nicht eigens begrndet, warum er die Rckbersetzung nicht leistet, kçnnen aus den bisherigen Ausfhrungen einige Grnde dafr erhoben werden. So besteht die Aufgabe der Religionsphilosophie primr darin, Vernunft in der Religion zu entdecken und erst sekundr darin, Vernunft in Religion hinein zu bersetzen.670 Zudem wre die Frage, ob die Vernunft in der Religion es zulassen wrde, hier von drei Personen zu sprechen. Denn immerhin ist erst das Moment der Allgemeinheit, der Idee an sich erreicht, in der die entsprechenden Unterschiede noch nicht gesetzt sind. Zudem ist Hegels mangelndes Interesse an intersubjektiven Strukturen im absoluten Geist berhaupt anzufhren, das von einer mangelnden logischen Grundlegung der Intersubjektivitt im absoluten Geist bedingt ist.671 Daher wird auch die Vollentwicklung der Trinitt von Hegel nicht als Intersubjektivitt gedacht.672 Will man Hegels Trinittslehre dennoch in theologischer Terminologie reformulieren, so wre sie am ehesten als ein Modalismus des Geistes zu fassen. So bleibt zweierlei festzuhalten: In methodischer Hinsicht benennt Hegel zwar in den religiçsen Vorstellungsgehalte verVernunft, 320 und Hçsle, Hegels System, 656. Wesentlich scheint es zwei Argumente dafr zu geben, dass Hegel die Dreipersçnlichkeit nur als Vorstellungsgehalt ansieht. Zum einen zeigt sich diese Zuordnung bereits an der Stellung ihrer Behandlung: eingangs zu den materialen Ausfhrungen zur immanenten Trinitt fhrt er jeweils ein Modell vor, das die Trinitt als Geist, als absolute Subjektivitt prsentiert, siehe VL3, 16. 125. 201. 281. In einem spteren Schritt kommt er dann zu dem Verstand und den Vorstellungen, in die sich dieser begriffliche Gehalt kleidet, und zu den damit verbundenen Problemen. Nach den Zahlen (wie kçnnen drei eins sein?) werden sodann, als Steigerung der Problemlage, die Personen angefhrt (wie kçnnen drei Personen eine Einheit bilden?), siehe VL3, 19 f., 125 – 131. 207 – 215. 281 f. Zweitens ist Hegel generell nicht interessiert an intersubjektiven Strukturen im absoluten Geist, sondern denkt diesen vielmehr aus der Perspektive von Wissen, von Subjekt-ObjektBezgen oder Begriffs-Realitt-Verhltnissen und daher als Geist. 670 Siehe dazu oben, II.3.2.3. 671 Siehe dazu generell Hçsle, Hegels System, 263 – 275. Seine berlegungen wendet Hçsle auf die Religionsphilosophie an in Hçsle, Hegels System, 646 – 662. Siehe auch Schulz, Sein, 351 f. und Jaeschke, „Absolute Idee“, 411 f. 672 Mit anderen Worten, aus der Perspektive der Vorstellung her gedacht: Es ist die Frage, ob Hegels Geiststruktur nicht eher die Personeneinheit der zwei Naturen denn die Dreipersçnlichkeit Gottes zu strukturieren in der Lage ist.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

241

nnftige Strukturen, ohne aber Rckbersetzungen dieser in jene vorzunehmen. In materialer Hinsicht denkt Hegel die immanente Trinitt entsprechend als triadischen Geist oder als Modalismus des Geistes, nicht aber als dreipersçnlich. II.3.4.3. Die Schçpfung und das Bçse Der triadische Selbstvermittlungsprozess entußert sich und schafft die Welt. Mit der Enz. gesprochen: „Im Moment der Besonderheit aber des Urteils ist dies konkrete ewige Wesen das Vorausgesetzte, und seine Bewegung ist die Erschaffung der Erscheinung, das Zerfallen des ewigen Moments der Vermittlung, des einigen Sohnes, in den selbstndigen Gegensatz, einerseits des Himmels und der Erde, der elementarischen und konkreten Natur, andererseits des Geistes als mit ihr im Verhltnis stehend, somit des endlichen Geistes, welcher als das Extrem der in sich seienden Negativitt sich zum Bçsen verselbstndigt, solches Extrem durch seine Beziehung auf eine gegenberstehende Natur und durch seine damit gesetzte eigene Natrlichkeit ist, in dieser als denkend zugleich auf das Ewige gerichtet, aber damit in ußerlicher Beziehung steht“.673

Der Text soll in zwei Abschnitten exegetisiert werden: in einem ersten, der die Schçpfung behandelt, und in einem zweiten, der sich mit dem Fall beschftigt. II.3.4.3.1. Die Schçpfung Der enzyklopdische Text beginnt sogleich mit dem „Moment der Besonderheit“, ohne den bergang aus dem vorherigen Paragraphen der immanenten Trinitt eigens zu motivieren. Die VL hingegen begrnden den bergang aus der doppelten Perspektive der Begriffsbewegung einerseits und der ihr zugeordneten Funktion des endlichen Geistes andererseits. Aus der Perspektive der Begriffsbewegung besteht das Defizit der immanenten Trinitt darin, dass die in ihr vorhandenen Unterschiede noch nicht eigens gesetzt sind: „Es ist dies Unterscheiden nur eine Bewegung, ein Spiel der Liebe mit sich selbst, wo es nicht zur Ernsthaftigkeit des Andersseins, der Trennung und Entzweiung kommt“.674 So wie der Fortgang des Begriffs in der absoluten Idee darin besteht, dass das Allgemeine das ihr eigene Andere eigens setzt, so setzt auch die immanente Trinitt ihr Anderes. Dieser Setzungsprozess ist als „absolute Freiheit“ und somit als dialektische Vermittlung von Freiheit und Notwen673 Enz., §568, 448 (20, 552). 674 VL3, 216 und siehe VL3, 218.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

digkeit zu charakterisieren.675 Denn er ist nicht abstrakt frei, da er der dem Begriff eigenen Entwicklungslogik folgt (und insofern notwendig ist). Zugleich aber ist er auch nicht abstrakt notwendig, da er gerade der dem Begriff eigenen Entwicklungslogik folgt (und insofern frei ist). Er ist absolut frei, indem er nur der eigenen Notwendigkeit folgt, oder er ist wahrhaft autonom. Wie die Enz. in Aufnahme von Vokabeln sagt, die aus der absoluten Idee vertraut sind: Es kommt zu dem „Urteil“, so dass das „Moment der Besonderheit“ erreicht ist. In dem erreichten realphilosophischen Stadium ußert sich die Urteilung als „Erschaffung der Erscheinung“, also der Welt, damit „das Unterschiedene das Anderssein sei als Seiendes“.676 Wie verhlt sich diese Urteilung zu derjenigen in der immanenten Trinitt: Fallen beide dergestalt in eins, dass Sohn und Welt dasselbe sind?677 Zweierlei ist zu bemerken. Einerseits wurde bereits bei der Erçrterung der immanenten Trinitt dargelegt, dass allein die religiçse Vorstellung die immanente Trinitt vor die Zeit setzt. Ein zeitlich vorgestelltes Auseinander beider Urteile ist durch den Begriff selbst nicht validiert. Andererseits sind beide Urteile nicht als abstrakt identisch anzusehen. Denn schon aus der absoluten Idee ist bekannt, dass der erreichte Grad der Andersheit des gesetzten Besonderen ein anderer ist als der Grad der Andersheit des Besonderen im Allgemeinen.678 Ist mit der Welt somit ein neuer Grad an Andersheit gegenber dem Sohn erreicht, so ist damit zugleich der Grund angegeben, warum es auch dem endlichen Geist angemessen ist, seinen Status als abstraktes Denken als denjenigen, in dem er die immanente Trinitt wusste, zu verlassen. Denn dabei war er nur so an der immanenten Trinitt beteiligt, dass er nicht eigens an ihr beteiligt war: Noch das Moment des Andersseins Gottes und das der Vermittlung Gottes mit seiner Andersheit war allein Gott selbst zugeschrieben.679 Durch die Thematisierung der Welt nun erlangt der endliche Geist die dem Denken des endlichen Subjektes zukommende Beteiligung an dem Gedachten. Sie entspricht nicht nur dem organisatorischen Zentrum des Christentums, das von einer wesentlichen Vermittlung von endlichem und unendlichem Geist weiß. Sondern sie 675 676 677 678 679

Siehe dazu VL3, 217 und Schulz, Sein, 374 f. VL3, 217. VL1, 325 prsentiert eine Formulierung, die dies nahe zu legen scheint. Siehe dazu VL3, 24 f. sowie Schulz, Sein, 373 f. und Jaeschke, Vernunft, 325. Siehe VL3, 131 f., wo es entsprechend heißt: „Wir kçnnen sagen, die absolute Idee, wie sie als Objekt bestimmt ist, an und fr sich seiend, ist fertig; so ist es jedoch nicht nach der subjektiven Seite“. Siehe dazu Dierken, Gott, 202 – 204.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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entspricht auch dem endlichen Subjekt selbst in besonderer Weise. Denn dieses wird im hiesigen Zusammenhang ausdrcklich als konkretes Subjekt vorgestellt, das an einem daseienden Stoff die fr ein konkretes Subjekt notwendige Gewissheit zu erlangen hat, ehe diese auf ihre Allgemeinstrukturen befragt werden.680 Erst nach dieser Selbstentfremdung wird aus dem anfnglich abstrakten Denken wirkliches Denken.681 Um also das wirklich beteiligte, endliche Subjekt zu wirklichem Denken zu fhren, ist auch fr das endliche Subjekt der bergang von der immanenten Trinitt zur Welt vonnçten. Die Beschftigung mit der Welt in ihrer Erscheinungshaftigkeit und ihrem welthaften Nach- und Auseinander der Inhalte vollzieht sich fr das endliche Subjekt nun in demjenigen Modus des Wissens, der diesem Nach- und Auseinander wesenhaft entspricht: im Modus der Vorstellung im engeren Sinne.682 Damit beginnt auch erst die wirkliche Religion, da diese doch gerade durch das Auseinander von Bewusstseinsverhltnissen konstituiert ist.683 Der Status der durch Urteilung erschaffenen Welt wird in der Enz. als „Erscheinung“ gefasst. Sie wird sogleich nher bestimmt als „Zerfallen des ewigen Momentes der Vermittlung, des einigen Sohnes, in den selbstndigen Gegensatz“. Die VL explizieren diesen Vorgang genauer: So kommt der Welt als gesetzter Andersheit einerseits unmittelbar Selbstndigkeit zu.684 Andererseits aber ist diese so zu begreifen wie die Unmittelbarkeit oder Einfachheit des gerade gesetzten Besonderen, das aus der absoluten Idee vertraut ist:685 Sie ist bloßer Schein, der realphilosophisch als bloße „Erscheinung“ zu werten ist, als „ein unmittelbar verschwindendes Moment; es ist nur das Leuchten eines Blitzes, der unmittelbar verschwunden ist“.686 Wiederum in Anlehnung an die absolute Idee kommt das Besondere gerade dadurch in seine Wahrheit, dass es seine eigene Konstitution in seine Selbstbeschreibung integriert und sich somit als Moment der Gesamtbewegung hin zu konkreter Einheit begreift.687 Material gesprochen, gibt es seine anfngliche Selbstbeschreibung als Unmittelbare auf und fasst sich als Vermitteltes und daher als 680 681 682 683 684 685 686 687

Siehe VL3, 216. VL3, 132. Siehe VL3, 24. 131. 215 und oben, II.3.2.3.2. Siehe dazu Schulz, Sein, 373. Siehe VL3, 24. Siehe WL3, 295 (12, 245) und oben, II.2.4.1.1. VL3, 25 f. und siehe VL3, 217. Dass diese Entwicklung nicht nur fr die logische Entwicklung gilt, sondern auch fr die entsprechende Realphilosophie, siehe VL3, 27. 217.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Vermittelndes. Diese interne Vermittlungsstruktur treibt sich dann fort in die verschiedenen Stufen der Beziehung der beiden Pole, ber die Gleichgltigkeit bis hin zum Gegensatz, in dem der jeweilige Pol tatschlich „das Andere eines Anderen“ ist.688 Da den Polen somit ihr Anderes zugleich auch selbst zukommt, erlangen sie dadurch einen neuen Grad an Selbstndigkeit.689 Darauf spielt die Enz. an, wenn sie das „Erschaffen der Erscheinung“ als das „Zerfallen in […] den selbstndigen Gegensatz“ beschreibt. Ist die Entwicklungslogik der Besonderheit aus der absoluten Idee bekannt, so vollzieht sich nun die Zunahme von Andersheit doch auf realphilosophische Art und damit anders als in der Logik selbst. Denn jetzt wird sie nicht durch die Weiterentwicklung des immergleichen Beziehungspaares erlangt, sondern durch aufeinander folgende Beziehungskonstellationen. Die erste durch das „Zerfallen“ erreichte Beziehungskonstellation ist die der Natur, „einerseits [die] des Himmels und der Erde, der elementarischen und konkreten Natur“. In ihm befinden sich die Entitten allein in einem „System des Nebeneinanders“690 und gemahnen somit an bloße Verschiedenheit.691 Zu wirklicher Andersheit kommt es erst durch die Entwicklung des Menschen, „des Geistes als mit ihr [der Natur] im Verhltnis stehend, somit des endlichen Geistes“. Erst hier ist die Form der Andersheit erreicht, die der Sphre des absoluten Geistes im Allgemeinen und die der Religion sowie darin nochmals die des Christentums im Besonderen entspricht. Denn erst hier weiß sie von ihrem Anderen als Anderen und somit auch von ihrer Andersheit. Erst hier also hat der Geist sein Dasein im Wissen als ein Wissen um sein Dasein im Wissen. Dabei weiß der endliche Geist um Andersheit in zwei Bezgen: gegenber der Natur als dem ersten Beziehungspaar und gegenber Gott als dem Urheber der Natur und ihm selbst.692 Diese Form von Andersheit realisiert sich aber als das Bçse. Denn es ist der endliche Geist, „welcher als das Extrem der in sich seienden Negativitt sich zum Bçsen verselbstndigt“. Dem Verhltnis von endlichem Geist, Andersheit und Bçsem ist genauer nachzugehen.

688 WL3, 296 (12, 245). 689 Diese Entwicklung wurde oben, II.2.3.3.1., anhand einer Exegese von WL2, 44 – 46 (11, 273 – 275) dargelegt. 690 VL3, 28. 691 Siehe WL2, 35 f. (11, 267 f.). 692 Siehe VL3, 218 und den bereits zitierten Text Enz., §568, 448 (20, 552).

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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II.3.4.3.2. Das Bçse In einem ersten Schritt sei die Struktur des Bçsen aufgehellt, ehe die Wirklichkeit des Bçsen dargelegt wird. Um eine erste Definition zu geben: „,Bçsesein‘ heißt abstrakt, mich vereinzeln, die Vereinzelung, die sich abtrennt vom Allgemeinen“.693 Die Logik des Besonderen wurde in dem vorhergehenden Abschnitt dahingehend in Erinnerung gerufen, dass das Besondere in anfnglicher Selbstndigkeit nur als ein Moment existiert, der wie ein Blitz vergeht. Es integriert mithin immer schon die Vermittlung mit dem Allgemeinen als seinem es konstituierenden Anderen in seine Selbstbeschreibung. Entsprechend des organisatorischen Zentrums des Christentums gewinnt das Besondere sich nur im Selbstverlust, ist selbstndig nur in der Vermittlung mit seinem ihm Entgegengesetzten. Das Bçse nun ist die Unterbrechung des Vermittlungszusammenhanges. Es ist Selbstgewinn ohne Selbstverlust, Selbstndigkeit ohne Vermittlung mit dem Entgegengesetzten.694 So scheint es dem anfnglichen Selbstndigen zu gleichen. Da dieses aber immer schon vergangen ist, erreicht das Bçse das anfngliche Selbstndige nur als Negation desjenigen Vermittlungszusammenhanges, in dem es sich immer schon befindet. Zur genaueren Explikation operiert die oben zitierte Stelle aus der Enz. mit der Differenz zwischen „Selbstndigkeit“ und „Verselbstndigung“: Statt des Vollzuges der ihm entsprechenden Selbstndigkeit in der Vermittlung mit seinem Anderen verselbstndigt sich das Bçse gegen das Andere. Es ist somit „die Vereinzelung [des Besonderen], die sich abtrennt vom Allgemeinen“. Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass das Bçse als abstrakte Negation des Allgemeinen von demjenigen abhngig ist, das es negiert. Daher ist das Bçse wesentlich parasitr. „Diese [verselbstndigte] Selbstndigkeit ist bestimmter der Irrtum, das als negativ anzusehen, und sich gegen das als negativ zu verhalten, was ihr eigenes Wesen ist. Sie ist so das negative Verhalten gegen sich selbst, welches, indem es sein eigenes Sein gewinnen will, dasselbe zerstçrt, und dies sein Tun ist nur die Manifestation der Nichtigkeit dieses Tuns“.695

Trotz dieser parasitren Nichtigkeit kann das Bçse durchaus in der WL verortet werden. In der Entwicklung der absoluten Idee wurde eine logische Konstellation erreicht, die anhand der Exegese des wesenslogischen 693 VL3, 138. 694 Siehe auch Theunissen, Hegels Lehre, 271. 695 WL1B, 177 (21, 160).

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Gegensatzes und des Widerspruches verdeutlicht wurde: Als vollentwickelte Stufe des Gegensatzes trat eine Entitt auf, die sich als „selbstndig“ bezeichnete.696 Ihre Selbstndigkeit rhrte daher, dass sie ihr gegenteiliges Anderes, durch dessen Negation sie selbst erst bestimmt ist, gerade in sich integriert hat. So ist sie in Wahrheit der Widerspruch.697 Aus dem selbstndigen Gegensatz wird nun dadurch ein verselbstndigter und damit das Bçse, dass er sich von seiner Wahrheit isoliert. Es ist also das entwickelte Selbstndige, das sich als anfngliches ausgibt, oder das widersprchliche Selbstndige, das sich als einfaches nimmt. Da diese Stelle der WL nur explizierte, was implizit in jeder Kategorie der WL abluft, kann der mit dem Bçsen mitgegebene Widerspruch nochmals anders formuliert und an den allgemeinsten logischen „Bildner“ angeschlossen werden, der jeder Stufe zugrunde liegt. Dieser ist der Widerspruch zwischen dem explizit Gesagten und dem implizit immer schon Mitgefhrten, der die Dynamik der Entwicklung garantiert. Das explizit Gesagte behauptet sich als Selbstndiges oder als einfache Identitt. Dabei ist die einfache Identitt immer nur Schein, weil sie in Wahrheit das sie konstituierende Andere immer implizit mit sich fhrt und so der Widerspruch ist. Das Bçse erklrt nun allein das explizit Gesagte zu der eigenen Identitt und ignoriert das implizit immer bereits Mitgegebene. Es nimmt allein den Schein der einfachen Identitt als Sein. Damit aber schafft es seinen eigenen Widerspruch, den abstrakten Widerspruch des Bçsen: Weil es den Schein einfacher Identitt als Sein nimmt, widerspricht es seiner wahrhaften Vermitteltheit und damit seiner wahren Widersprchlichkeit. Das Bçse ist somit derjenige Widerspruch, der dem in Wahrheit immer schon existierenden Widerspruch zugunsten der scheinbar einfachen Identitt widerspricht. Oder zum Bçsen wird der immer schon auftretende Widerspruch gerade dadurch, dass er vermieden wird. Erlçsung von dem Bçsen, so werden wir sehen, besteht in der genau umgekehrten Zuordnung von Identitt und Widerspruch: Sie vollzieht sich in der Identitt von explizit Gesagtem und implizit immer schon Mitgegebenen und besteht daher gerade in dem Vollzug des Widerspruchs selbst. Whrend das Bçse einfache Identitt ist und daher der abstrakte Widerspruch gegen den immer schon aufgetretenen Widerspruch, ist Erlçsung der Widerspruch gegen jede Form einfacher Identitt und daher in Identitt mit dem immer schon aufgetretenen Widerspruch. Jesus Christus ist gerade dadurch in Identitt mit seiner relational konstitu696 Siehe WL2, 45 (11, 274) und oben, II.2.3.3.1. 697 Siehe WL2, 50 f. (12, 279).

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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ierten Selbstndigkeit, dass er sich in den Tod als dem realphilosophischen Pendant des Widerspruchs begibt. Auch wenn in dieser ersten Bestimmung durch den Rckgriff auf die „inneren Bildner“ des Christentums wesentliche Aspekte der Logik des Bçsen aufgefhrt wurden, so mssen zu einem vollstndigen Verstndnis des Bçsen des weiteren noch realphilosophische Kategorien wie die des Willens und des Wissens herangezogen werden. Denn erst durch freies Tun und freie Erkenntnis wird das Bçse zum wirklich Bçsen. Diese Aspekte sollen anhand von Hegels Auslegung von Genesis 3 entwickelt werden. Ihrem Genus als vorstellungsgeprgten Mythos gemß, setzt die Genesiserzhlung begrifflich miteinander verbundene Sachverhalte in einzelne Zustnde auseinander.698 Wesentlich zeigt sich das schon darin, dass sie die Geschichte aller Menschen und damit die Geschichte des Menschen an sich als die Geschichte des ersten Menschen erzhlt.699 Auch in dieser Geschichte selbst werden miteinander verbundene Sachverhalte auf vorstellungsgeprgte Art und Weise auseinandergelegt. So wird die Grundbestimmung des Menschen ganz sachgemß als gut gefasst, aber vorstellungsgemß als ein anfnglicher, paradiesischer Zustand der folgenden Entwicklung vorangestellt. Das Gutsein des Menschen liegt darin begrndet, dass er als gottesebenbildlich gefasst wird, und das heißt, als Geist an sich.700 Als solcher ist der Mensch gut geschaffen, so dass Schçpfung und Snde nicht unmittelbar ineins fallen, sondern die Schçpfung mit einem paradiesischen ersten Zustand beginnt.701 Um zu begreifen, warum dieser paradiesische Zustand verlassen wurde, ist daran zu erinnern, dass das Paradies schon von seiner ursprnglichen Wortbedeutung im griechischen her einen Tiergarten bezeichnet.702 In ihm befindet sich der Mensch in tiergleicher, vorbewusster Einheit mit Gott, der Natur und sich selbst. Damit aber widerspricht er seiner Natur als Geist. Denn seiner Natur als Geist gemß ist der Mensch immer schon ber die Natur hinaus. Er hat das Paradies immer schon verlassen, und dieses Faktum stellt sich die vorstellungsgeprgte Genesiserzhlung als einen zweiten Zustand vor, als den Fall. In ihm verliert der Geist seine immer schon verlorene Unmittelbarkeit und gewinnt, was ihn als Geist auszeichnet: Freiheit von einer unmittelbaren Einheit, Freiheit zur Selbst698 699 700 701 702

Siehe VL3, 33. Siehe VL3, 36, 137, 225. Siehe VL3, 221, 33. Siehe so auch Theunissen, Hegels Lehre, 267 f. und Ringleben, Hegels Theorie, 72. Siehe VL3, 224.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

werdung in Bezugnahme und Distanz zu sich und anderen und damit Freiheit zu der Entwicklung hin zu derjenigen konkreten Einheit, die er als Geist eigentlich ist.703 Diese Freiheit ußert sich darin, dass dem Menschen ein freier Willen ebenso zukommt wie ein erwachtes Bewusstsein. So ist er zu freier Tat und zu der Erkenntnis von gut und bçse befhigt.704 Die gewonnene Erkenntnis hngt urschlich mit dem Verlassen der anfnglichen Einheit zusammen: Jetzt erst besitzt er die nçtige Distanz zu seiner Umgebung und zu sich selbst, um etwas als etwas erkennen zu kçnnen. Die freie Distanznahme ußert sich also als Fhigkeit zum Urteilen. Urteilen aber vollzieht sich als Bestimmen und damit dadurch, dass „omnis determinatio negatio est“. Entsprechend kann der Mensch das Gute als Gutes gerade nur so erkennen, dass er es als das Gegenteil des Bçsen begreift.705 Hier zeigt sich erstmals, dass der Fall ein gefhrliches Geschenk ist. Denn mit der Mçglichkeit zu freiem Tun und freier Erkenntnis geht zugleich die Mçglichkeit zu der Erkenntnis des Bçsen und zu bçsem Tun einher. Trotzdem ist der Fall positiv zu bewerten und keineswegs mit dem Bçsen selbst gleich zu setzen.706 Denn erst mit dem erlangten freien Willen und der gewonnenen Erkenntnisfhigkeit ist das Gute gut, der Mensch Mensch und der Geist er selbst.707 Mehr noch: Indem der Mensch mit der Fhigkeit der Erkenntnis seiner Geistnatur entspricht und sein Menschsein realisiert, realisiert er zugleich seine Gottgleichheit. Hegel betont, dass dieses Versprechen der Schlange an den Menschen von Gott in Genesis 3,22 ausdrcklich validiert wird: „Die Schlange hat also nicht gelogen; Gott besttigt, was sie sagte“.708 Teilweise wurde bereits angedeutet, dass sich die im Fall gewonnene Fhigkeit zu der Erkenntnis und zu dem Tun von gut und bçse in vernderten Beziehungen zu Gott, der Natur und dem Selbst ußern, die ihre eigenen Ambivalenzen in sich tragen. So erlangt der Mensch Gott gegenber zwar einerseits Gottgleichheit, hat andererseits aber das Gute als Gesolltes vor sich, da er nicht mehr unmittelbar eins mit Gott ist.709 Der Natur kann er einerseits gegenberstehen und ist ihr nicht mehr 703 704 705 706 707 708 709

Siehe Ringleben, Hegels Theorie, 54. Siehe VL3, 42. Siehe Ringleben, Hegels Theorie, 71. Gegen Schulz, Sein, 385, der den Sndenfall und das Bçse gleichsetzt. Siehe VL3, 39. VL3, 139, siehe auch VL3, 226. Siehe dazu Ringleben, Hegels Theorie, 55 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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unmittelbar verhaftet, ist deshalb aber andererseits zur Arbeit gençtigt.710 Sich selbst schließlich weiß er als frei, zugleich aber tritt die Mçglichkeit von Schuld auf. All diese Ambivalenzen gehçren zu dem freien Beziehungsgeschehen, in dem und als das der Geist erst Geist ist. Der Fall fhrt somit zwar zu dem instabilen und riskanten Zustand der Entzweiung der anfnglichen Einheit und zu gesteigerten Formen von Andersheit. Er ist an sich aber noch nicht das Bçse, sondern gerade Ausdruck der Verfasstheit des Geistes. Dass der Fall von der Vorstellung im Mythos dennoch bereits als bçse bezeichnet wird, ist zum einen darin begrndet, dass der anfnglich paradiesische Zustand als gut und daher der nachfolgende als bçse zu fassen ist,711 und zum anderen darin, dass der Fall kein Zustand ist, in dem zu verharren ist. Denn die auseinander gelegten Momente sind ganz in bereinstimmung mit der vielfach vorgestellten Begriffslogik als immer bereits im Gang auf konkrete Einheit hin zu verstehen.712 Auch wenn der geschaffene Mensch als Geist an sich ebenso als gut zu bewerten ist wie der Fall mit seinen Folgen der erwachten Erkenntnis und der freien Tat, so kann Hegel dennoch gegen viele seiner Zeitgenossen zugleich Vernunft in der Lehre von der Erbsnde erkennen.713 Er vertritt somit, dass alle Menschen von Natur aus bçse sind. Beide Bestimmungen folgen aus dem bisher Gesagten.714 Denn dem Geist als Geist kommt es gerade zu, seine anfngliche Natrlichkeit immer schon verlassen zu haben. „Das Ansich ist das Unmittelbare; weil aber das Ansich des Menschen der Geist ist, so ist der Mensch in seiner Unmittelbarkeit immer schon das Heraustreten aus dieser, der Abfall von ihr, von seinem Ansichsein“.715

Den Menschen als Geist an sich, in seiner Natur, gibt es somit nur dem Begriff nach, nicht aber in der Wirklichkeit.716 Genauer gesagt: Es gibt ihn durchaus in der Wirklichkeit. Aber der Mensch in seiner Natur ist gerade nicht mehr der natrliche Mensch anfnglicher Unmittelbarkeit. Vielmehr ist die wirkliche Natur des Menschen eine Natrlichkeit, die 710 711 712 713

Siehe VL3, 226 f. Siehe VL3, 42. Siehe VL3, 139. Hegel, VL3, 37, wendet sich vehement gegen die „kahle Ansicht der Pdagogik unserer Zeit“, die den Menschen allein als gut ansieht, siehe auch VL3, 221. 714 Siehe zum folgenden auch Ringleben, Hegels Theorie, 90 – 96. 715 VL3, 222. 716 Siehe VL3, 223 f.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

vom Menschen eigens gewollt ist: „Daß er natrlicher ist, ist sein Wille, sein Setzen“.717 Die wirkliche Natrlichkeit des Menschen ist seine willentlich gesetzte Herauslçsung aus dem Vermittlungszusammenhang, in dem er sich immer schon befindet. Es ist die gewollte Rckkehr zu einer Natur, die er als Geist immer schon verlassen hat.718 Seine wirkliche Natur ist somit gewollter Widerspruch gegen seine Geistnatur.719 Um die vorliegende Struktur zu beschreiben, kçnnen durchaus Formulierungen gebraucht werden, die bereits vorhin entwickelten wurden: Die wirkliche Natur ist die Negation derjenigen Beziehungen des Menschen, die ihn gerade erst konstituieren. Sie ist somit dasjenige verselbstndigte Selbstndige, das sich als anfngliches, natrliches ausgibt, oder derjenige abstrakte Widerspruch, der dem in Wahrheit immer schon existierenden Widerspruch zugunsten der scheinbar einfachen Identitt widerspricht. Wichtig ist, dass diese Strukturbeschreibungen ausdrcklich mit dem freien Willen und dem Wissen des Menschen verbunden werden. Das widersprchliche Selbstndige, das sich als natrliche Identitt nimmt, ist eben das gewollte und gewusste widersprchliche Selbstndige.720 Gerade erst in dieser Betonung wird aus der Struktur des Bçsen dasjenige, auf das die Lehre von der Erbsnde und Hegels Interpretation von ihr abzielt: das wirkliche Bçse des wirklichen, endlichen Geistes.721 Das wirkliche Bçse lsst sich in seinen Auswirkungen etwas nher beschreiben. Das Bçse zerrttet das mit dem immer schon geschehenen Fall gegebene fragile und ambivalente Beziehungsgefge des Geistes zu sich, der Natur und Gott, indem es das Andere, mit und gegen das es selbst erst es selbst ist, abstrakt negiert und sich damit selbst isoliert. Mit der eingangs zitierten Stelle aus der Enz. gesprochen, zeigt sich das Bçse des endlichen Geistes darin, dass der „selbstndige Gegensatz“ der guten Schçpfung sich „verselbstndigt als das Extrem der in sich seienden Negativitt“. Die „in sich seiende Negativitt“ ist ein fr das Bçse re717 VL3, 38. 718 Dies betont auch Hçsle, Hegels System, 523. 719 Hier ist somit entschieden Schulz, Sein, 384, zu widersprechen, der den Urzustand deshalb als bçse qualifiziert sieht, weil der Mensch darin „nur so dahin“ leben wrde. 720 Ringleben, Hegels Theorie, etwa 69 oder 75, gebraucht auch des çfteren Metaphern, die das Bçse als Verfestigung beschreiben, als „Stillstand“ oder „starres Sein fester Unterschiede“. 721 Das Bçse ist also bloß formelle Freiheit und insofern auf die ihm eigene Art selbstwidersprchlich: der Form nach Freiheit, dem Inhalt nach Natur, siehe VL3, 39 f.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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servierter logischer Ausdruck und meint die Verfestigung des sich ansonsten vollziehenden Negationsprozesses, in dem sich ein Moment als abstrakt Anderes isoliert.722 Die Isolierung zeigt sich darin, dass sein Wille sich allein auf Natrliches richtet, also bloße Selbstsucht und das blanke Verfolgen natrlicher Begierden und Zwecke gegen alle Formen von Allgemeinheit ist.723 Indem der endliche Geist seine Vermittlungsposition verneint und sich als Extrem in sich verkrmmt, stçrt er zugleich seine Beziehungen zu Gott und zur Natur. Die Natur scheint ihm nur noch feindlich gegenberzustehen, die Arbeit wird zur Qual. Auch das Verhltnis zu Gott ist ein ganz ußerliches, so dass er ihm allein im Gesetz gegenbertritt. Indem aber das Verhltnis zu Gott gestçrt ist, wird aus dem Bçsen Snde. Mit dem enzyklopdischen Text gesprochen: Der bçse endliche Geist ist ein solches Extrem in und „durch seine Beziehung auf eine gegenberstehende Natur und durch seine damit gesetzte, eigene Natrlichkeit, in dieser als denkend zugleich auf das Ewige gerichtet, aber damit in ußerlicher Beziehung steht“.

Um von der Phnomenologie des Bçsen zu dem Gesamtzusammenhang zurckzuleiten, bleibt zweierlei festzuhalten: Erstens ist die Natur des Menschen als Geist an sich ebenso gut wie die immer schon erreichte Erlangung von Erkenntnis und freiem Willen. Gerade so aber kommt es zu der Einsicht, dass die wirkliche Natur des Menschen bçse ist. Zweitens findet Hegel damit gegen die Mehrzahl der Aufklrungsphilosophen viel Vernunft in der Genesiserzhlung und der Erbsndenlehre. Wird sie spekulativ verstanden, so vermag sie den mit der Rede von der Natur des Menschen mitgegebenen Anspruch auf die Darlegung der Allgemeinstruktur von allem Bçsen tatschlich einzulçsen. Es bleibt die Frage, ob Hegel von der Notwendigkeit des Bçsen ausgeht.724 Der Fall wurde bestimmt als die Mçglichkeit des Bçsen. Da der Fall Ausdruck des Wesens des Geistes und somit immer schon geschehen ist, kann er als notwendig angesehen werden. Damit ist auch die Mçglichkeit des Bçsen als notwendig zu begreifen. Das jeweilig wirkliche Bçse nun wurde der wirklichen Natur des Menschen zugeschrieben und scheint daher ebenfalls notwendig zu sein, doch dieser Schein trgt. Denn 722 Siehe Theunissen, Hegels Lehre, 272. 723 Zu denjenigen Phnomenen, auf die die wirkliche Natur aus ist, siehe VL3, 38. 724 Da Hegel selbst sich dazu nur in Andeutungen ußert und der Sachverhalt zudem ußerst komplex ist, sind die folgenden Bemerkungen nur als skizzenhafte Beantwortung der Frage vorgebracht. Zu einer umfassenderen Antwort siehe Ringleben, Hegels Theorie, 123 – 134.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

da die wirkliche Natur des Menschen jeweils frei gewollt ist, ist das jeweils wirkliche Bçse in Wahrheit nur Ausdruck des freien Willens des Menschen und so gerade nicht notwendig. Das notwendigerweise mçgliche Bçse ist somit als wirkliches jeweils frei gewollt. Daher ist der Mensch fr das Bçse voll verantwortlich und damit schuldig.725 Ist nicht aber dennoch das Bçse fr die Gesamtentwicklung des Begriffes notwendig, so dass seine je einzelne Verwirklichung nur dem einzelnen Menschen anzulasten sein mag, das Bçse an sich aber dennoch verwirklicht werden muss? Realisiert sich nicht doch eine hçhere Notwendigkeit durch die menschliche Freiheit und Schuld hindurch?726 Hegel scheint das anzudeuten, wenn es heißt: „Wie fixiert oder vorbergehend dieser erste bçse Wille sei – ob Regung, ob Leben eines Menschen, eines Volkes –, geht uns nichts an; ein notwendiger, momentaner oder lngerer Durchgangspunkt“.727 Die angesprochene Notwendigkeit des Durchgangspunktes des Bçsen ergibt sich, wenn man auf die Realitt des wirklich Guten reflektiert. Denn das wirkliche Gute realisiert sich nur als Selbstunterscheidung von dem wirklich Bçsen.728 Ist das Bçse somit notwendige Voraussetzung des Guten? Diese Notwendigkeit ist aus zweierlei Grnden dialektisch aufzuheben. Zum ersten vollzieht sich das Gute als die dem Geist eigene Notwendigkeit, die somit als absolute Freiheit oder Autonomie zu verstehen ist.729 Zum zweiten wird im Entwicklungsgang des Geistes die Voraussetzungshaftigkeit des Bçsen in formaler wie in materialer Hinsicht negiert. In formaler Hinsicht geschieht, was in der Auslegung der absoluten Idee unter II.2.5.3. dargelegt wurde: Der Geist negiert im Laufe seiner Entwicklung seine eigenen Voraussetzungen als Voraussetzungen und damit auch den Status der Voraussetzungshaftigkeit des Bçsen. Dem entspricht in materialer Hinsicht, dass sich das wirklich Bçse gerade im Zusammenhang der Geistvermittlung als etwas in Wahrheit Parasitres und Nichtiges erweist, das bloß den Schein von Selbstndigkeit hat. Der Status des Bçsen als zuerst notwendig scheinender Voraussetzung des vollentwickelten Geistes wird 725 Hegel betont den Zusammenhang des fr den Menschen wesentlichen freien Willens mit seiner Schuld als dessen notwendiger Folge, so dass er sogar sagen kann, dass der Mensch „allein geehrt ist durch Schuld“, VL3, 39, siehe auch VL3, 223. 726 Siehe dazu auch Schulz, Sein, 388, der aber an diesem Punkt der berlegungen stehen bleibt. 727 VL3, 40. 728 Siehe Ringleben, Hegels Theorie, 130 f. 729 Siehe Ringleben, Hegels Theorie, 131.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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im Vollzug der Entwicklung des Geistes also gerade verneint. Denn dieser Vollzug ist ein autonomer, in dem zudem die Voraussetzungshaftigkeit des Bçsen in formaler wie in materialer Hinsicht negiert wird. Der Erweis der Nichtigkeit des Bçsen darf keinesfalls so verstanden werden, als ob Hegels Interpretation des Christentums das Bçse klein reden wolle. Ganz im Gegenteil weiß Hegel, dass das Bçse erst im Christentum in seiner umfassenden Kraft sichtbar wird. Whrend bei allen vorhergehenden Religionen nur ein Teil des Menschen oder eine seiner Handlungen als bçse bestimmt wird, ist erst im Christentum die Natur des Menschen oder der Mensch als Ganzer als bçse bestimmt.730 Begrndet liegt das in der parasitren Struktur des Bçsen, das die willentliche Negation desjenigen Vermittlungszusammenhanges ist, durch den es gerade erst konstituiert wird. Wie in der Rekonstruktion der Religionsgeschichte dargelegt, war in allen vorchristlichen Religionen der als organisatorisches Zentrum beschriebene Vermittlungszusammenhang noch nicht voll entwickelt. Entsprechend ist das dort auftretende Bçse als dessen Negation auch noch nicht voll entwickelt. Erst im Christentum liegt ein absoluter Vermittlungszusammenhang als organisatorisches Zentrum vor, der alle materialen Gestalten prgt. Erst hier also scheidet sich das Bçse willentlich von der Vollgestalt des Geistes ab und ist daher absolut Bçses.731 Damit geht nun ein großer Schmerz einher, denn das absolut Bçse ist ein frei gewolltes und gewusstes. Als freiwillige Selbstabschließung von dem absoluten Vermittlungszusammenhang weiß es somit um den Verlust desjenigen Guten, von dem es sich abschließt. Der große Schmerz weiß um den absoluten Gegensatz zwischen der unendlichen Forderung des Guten und seiner bçsen Natur oder um den absoluten Gegensatz zwischen Gott und Mensch.732 Daraus ergibt sich das Bedrfnis nach Versçhnung. In religiçser Sprache wird das als die Erfllung der Zeit gefasst. „Da aber die Zeit erfllet war, sandte Gott seinen Sohn.“733 II.3.4.4. Christologie Der endliche Geist ist dadurch bçse, dass er sich willentlich abschließt gegen alle Formen von Allgemeinheit, die ihn konstituieren. Er verselbstndigt sich, da er einen abstrakten, als unberwindbar angenommenen 730 731 732 733

Siehe VL3, 228 und VL3, 140. Siehe dazu auch Ringleben, Hegels Theorie, 79 – 84. Siehe VL3, 228 – 233. VL3, 233.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Gegensatz zwischen sich und Gott setzt. Zugleich leidet er an diesem abstrakten Gegensatz, so dass das Bedrfnis nach Versçhnung entsteht. „Die Versçhnung kann nur dadurch sein, daß fr dasselbe wird das Aufgehobensein der Trennung, daß fr dasselbe und fr die Vorstellung wird, daß das, was sich zu fliehen scheint – […] das Ich an sich, und die reine Wesenheit, Gott – daß dies vielmehr nichtig ist, […] und daß die Wahrheit, das Affirmative, Absolute, die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist. […] Dies drckt sich in der bestimmten Form aus, daß fr dasselbe werde der aufgelçste Widerspruch, die Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur“.734

Dem sich nach Versçhnung sehnenden endlichen Geist muss die Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur vor Augen gefhrt werden. Dazu muss sie allerdings selbst recht begriffen wird: „Gçttliche und menschliche Natur ist ein harter und schwerer Ausdruck; die Vorstellung, die man damit verbindet, ist zu vergessen; es ist die geistige Wesenheit“.735 Werden die gçttliche und die menschliche Natur Jesu Christi mit der verstandesgeprgten Vorstellung als zwei Substanzen angesehen, so ist ihre Einheit nicht denkbar und daher „zu vergessen“. Sinnvoll und zentral wird die Lehre von der Einheit der zwei Naturen erst, wenn durch die Religionsgeschichte hindurch und in Entsprechung zu der absoluten Idee die Substanz ebenso sehr Subjekt geworden ist, so dass es sich bei den beiden Naturen um „geistige Wesenheiten“ handelt.736 Setzt man diese Lesart an, so ist in der Christologie viel Vernunft zu entdecken. Denn als geistige Wesenheit ist sie gerade nicht als statisch anzusehen, sondern als ein dem Geist entsprechender Entwicklungsgang, und dieser Prozess ist das Schicksal Jesu Christi.737 „Der Gottmensch – er ist dies fr den Geist nur als der Prozeß des Geistes, sich dazu zu machen – hat sich zu manifestieren, daß er sei, reprsentiere einen Verlauf der Idee“.738

Der Verlauf der Idee reprsentiert sich in den bekannten Schritten einer anfnglichen Einheit, ihrer zunehmenden Trennung und der anschließenden Einheit, die schließlich als konkrete vorliegt. Zudem vollzieht 734 VL3, 143. 735 VL3, 143. 736 So richtig es somit ist, dass Jaeschke, Vernunft, 340, betont, dass Hegel sich gegen ein substantielles Verstndnis der Zwei-Naturen-Lehre wendet, so falsch ist es, wenn Jaeschke daraus folgert, dass Hegel die Zwei-Naturen Lehre deshalb ganz ablehnt. Siehe zu unserer Deutung auch Schulz, Sein, 404 f. 737 Siehe VL3, 58. 151. 738 VL3, 58.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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sich dieser Gang wiederum als der Gang einer sich vollendenden Subjektivierung letzter substanzhafter Zge. Diese Schrittfolge vollzieht sich nun wie folgt als das Schicksal Jesu Christi. Jesus Christus beginnt mit der Einheit der zwei Naturen in seinem Leben, begibt sich in das Extrem des Todes hinein und gelangt abschließend in Auferstehung und Himmelfahrt zu einer neuen Einheit, die sich als vollentwickelte Subjektivitt in der Philosophie vollendet. Schon das Leben Jesu Christi ist als Einheit der zwei Naturen anzusehen. Der Tod bringt sowohl die gçttliche wie auch die menschliche Natur in ihren extremsten Gegensatz. Einerseits entußert sich die gçttliche Natur in extremster Form, zum anderen wird die menschliche Natur und alle Natrlichkeit negiert. Damit ist der von dem bçsen natrlichen Geist angenommene, abstrakte und scheinbar unberwindliche Gegensatz zwischen Gott und Mensch ganz berwunden: Denn Gott ist selbst am Ort extremster Natrlichkeit oder des Bçsen, und diese Natrlichkeit wird als Natrlichkeit zugleich selbst negiert. So wird aus dem Tod der Tod des Todes. Es entsteht eine neue Einheit, die als Auferstehung und Himmelfahrt vorgestellt wird und sich in der Philosophie vollendet. Um diese Entwicklung denjenigen Strukturmomenten zuzuordnen, die unter II.1.2. als fr die Religionsphilosophie wesentlich angekndigt wurden, ist somit im Folgenden der dritte der dreifachen Entwicklung von anfnglicher Einheit, folgender Urteilung und vollendeter Einheit auszulegen. Sie vollzog sich bisher zuerst im Gesamt der Religionsgeschichte, dann innerhalb des Christentum und nun im Leben Jesu Christi und kann entweder als zyklischer Kreis von Kreisen oder als lineare, sukzessive Selbstwerdung des absoluten Geistes begriffen werden. Beide Zuordnungen sind mçglich oder Zyklizitt und Linearitt kçnnen miteinander vermittelt werden, weil das Resultat des Weges dem Weg zum Resultat gleicht, aber als gesetztes. Entsprechend kann die Wiederholung als erneuter Weg zu einem rneuten Resultat gerade als der sich perpetuierende Weg im bereits erreichten Resultat gelesen werden. Hier ist die letzte dieser Wiederholungen erreicht.739 Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi sind somit der Vollzug desjenigen Vermittlungszusammenhanges, der die Einheit der zwei Naturen als geistige Wesenheit ist. Um diesen sich prozessual realisierenden Zusammenfall von Begriff und Realitt mit theologischen Begriffen nher zu kennzeichnen, so ist in ihm die Vermittlung von der Person, seinen Naturen, seinem Schicksal, seiner Lehre und seinem Werk erreicht. Sie vollendet sich ber die Auferstehung in der Geistsendung, die zu739 Siehe II.1.2., II.3.2. und II.3.4.1.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

gleich die Etablierung wie die Aufhebung der Vorstellung als Vorstellung mit sich bringt. All das sei genauer ausgefhrt. II.3.4.4.1. Jesus Christus als die unmittelbare Einzelheit In den bisherigen materialen Ausfhrungen zum Christentum gelang die Zuordnung des enzyklopdischen Textes zu dem der Vorlesungen, ohne grçßere Probleme aufzuwerfen. Denn auch wenn der Text der VL den enzyklopdischen Text bisweilen nicht nur erluterte, sondern auch erweiterte, so gewhrte die beiden gemeinsame Grundstruktur dennoch ihre sachliche Vergleichbarkeit. In der Christologie nun tauchen erstmals gravierende strukturelle Differenzen auf. Denn die VL gehen bei allen den jeweiligen Kollegs untereinander zukommenden Unterschieden740 darin berein, die Christologie mit der Schçpfung gemeinsam unter der logischen Zuordnung des Besonderen darzulegen und den nchsten logischen Schritt der Einzelheit erst der Gemeinde zuzuschreiben. Die Enz. hingegen ordnet die Christologie bereits zu der Einzelheit zu und ver740 Alle drei ausfhrlichen Kollegs beginnen die VL3 mit einer ersten begrifflichen Definition. Dann aber unterteilt das Kolleg von 1821 die VL3 in einen ersten Teil A, in dem es den ontologischen Gottesbeweis abhandelt, dem ein zweiter Teil B folgt, in welchem innerhalb dreier Sphren die Vorstellungen von der immanenten Trinitt, die der Schçpfung der Natur und schließlich die der Schçpfung des endlichen Geistes, des Falls und der Versçhnung abgehandelt werden, ehe in einem dritten Teil C die Gemeinde verhandelt wird. Das Kolleg von 1824 beginnt ebenfalls mit einem Teil A, in dem der ontologische Gottesbeweis dargelegt wird, verndert das Dreier-Schema dann aber dergestalt, dass es unter einem zweiten Teil B als der konkreten Vorstellung drei Elemente auffhrt, in der zuerst die immanente Trinitt verhandelt wird. Sodann werden Schçpfung, Fall und Versçhnung in einem Element und nicht mehr, wie 1821, in zwei Sphren, verhandelt, ehe im dritten Element die Gemeinde dargelegt wird. Die Gemeinde wird somit nicht als dritter Teil C, sondern als drittes Element innerhalb des Teiles B behandelt. Diese zwar der Zweiteilung der VL2 entsprechende, ansonsten aber eigentmliche Architektur wird in dem Kolleg von 1827 dahingehend verndert, dass mit dem Wegfall des ontologischen Gottesbeweises am Anfang auch die Einteilung in Großteile A, B etc. fllt. So bernimmt das Kolleg von 1827 allein die drei Elemente des Kollegs von 1824, so dass in dem ersten Element die immanente Trinitt dargestellt und mit dem abstrakten Denken verbunden ist, in einem zweiten der Vorstellung im engeren Sinne Schçpfung, Welt und Jesus Christus vor Augen gefhrt werden, ehe drittens das Selbstbewusstsein der Gemeinde erçrtert wird. Damit ist auch das dritte Kolleg mit einem Problem behaftet: mit dem im Fließtext weiter zu erçrternden, dass Jesus Christus als die neue gottmenschliche Einheit allein unter die begriffslogische Besonderheit fllt.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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bindet sie somit im Aufbau sehr eng mit der Ekklesiologie. Beide Zuordnungen bringen ihre Probleme mit sich. So verwundert es bei den VL, dass Jesus Christus nicht strker vom Fall abgesetzt wird, obwohl er die Versçhnung und damit eine neue Einheit bringt.741 Bei dem enzyklopdischen Text hingegen stellt sich die Frage, wie derjenige Jesus Christus, der in der immanenten Trinitt fr das Moment des Besonderen und der Andersheit steht und als solcher in die noch grçßere Andersheit der Welt „zerfllt“, in der çkonomischen Trinitt fr das Moment der Einzelheit und der neuen Einheit stehen kann.742 Bedeutet diese nicht entwicklungsgeschichtlich auflçsbare Differenz743 zwischen der Enz. und den VL mitsamt der jeweils mitgegebenen Probleme nun, dass Hegel seine logischen Einteilungen gleichsam beliebig verschoben hat, so dass sie als bloße „spekulative Dekoration“ zu werten sind?744 Blickt man von den Differenzen der Großstrukturen weg und hin auf die jeweiligen inhaltlichen Aussagen, so ergibt sich eine wichtige Gemeinsamkeit: Sowohl die VL als auch die Enz. schreiben Jesus Christus die Bestimmung zu, unmittelbar Einzelnes zu sein.745 Aus der Sicht des endlichen Geistes ist Jesus Christus bereits die von dem bçsen endlichen 741 Siehe Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 95. 742 Siehe dazu Jaeschke, Vernunft, 325 – 328. 743 Hegel behielt die divergierenden Zuordnungen in allen berarbeitungsstufen der Enz. bei, also auch noch 1831, als er bereits das vierte Mal ein Kolleg mit einer anderen Einteilung gelesen hatte. 744 Jaeschke, Die Religionsphilosophies, 95. 745 Siehe dazu VL3, 49, 238 und Enz., §569, 448 (20, 552). So richtig und angemessen es ist, wenn versucht wird, die Figur der unmittelbaren Einzelheit in der WL zu verorten, so gnzlich sachunangemessen ist die Durchfhrung dessen bei Schulz, Sein, 345, bes. Anm. 224, und 392 f., wo er auf seine logischen Untersuchungen aufbaut. Denn Schulz meint, die hier vorliegende Figur mit dem wesenslogischen „Unterschied“ parallelisieren zu kçnnen. So weist er darauf hin, dass dem Unterschied auch Identitt zukommt. Diese sei realphilosophisch als der erste Schritt zur neuen Einheit oder als die unmittelbare Einzelheit Jesu Christi zu verstehen. Dieser Zuordnung ist zu widersprechen. Denn erstens ist das Bçse und die beginnende Versçhnung mit dem wesenslogischen Gegensatz und dem Widerspruch in Verbindung zu bringen, nicht mit dem Unterschied. Zum zweiten ist es keine erwhnenswerte Besonderheit, dass dem Unterschied auch Identitt zukommt, ist das doch nur die diesem Niveau entsprechende Darlegung der generellen Figur der Wesenslogik, die in jeder der in ihr verhandelten Entitten irgendwelche Form von Unmittelbarkeit als Identitt und irgendwelche Form von Negativitt verbinden. Besttigt wird die vorgebrachte Kritik zum dritten durch einen Blick in das Inhaltsverzeichnis der WL2, der erweist, dass die Identitt des Unterschiedes den Unterschied nicht in eine neue Form von Einheit fhrt, sondern in die Verschiedenheit.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Geist verlangte Einheit des gçttlichen und menschlichen Geistes als die berwindung des abstrakten Gegensatzes des Bçsen. Aus der Sicht der Begriffsentwicklung ist er bereits eine Form von Einzelheit, wenn auch eine noch weiter zu entwickelnde. Damit ist die erreichte gottmenschliche Einheit Jesu Christi etwas anderes als der Sohn der immanenten Trinitt. Es liegt somit keine unbegriffliche Verschiebung von dem die Besonderheit reprsentierenden Sohn in der immanenten Trinitt hin zu der çkonomischen Trinitt vor, in dem Jesus Christus fr die Einzelheit steht.746 Denn obwohl der Sohn oder das Moment des Besonderen auch in Jesus Christus vorhanden ist, ist der Sohn nur eines der vorhandenen Momente Jesu Christi, eben das sichtbare, empirisch wahrnehmbare. Dazu kommt aber noch das gçttliche Moment des Allgemeinen, das ebenso vorhanden ist, und die Einheit beider. Der Gottmensch Jesus Christus vereint die im Sohn vorgebildete empirisch wahrnehmbare Seite eines besonderen Menschen mit der gçttlichen und gleicht insofern dem Geist oder dem Gesamt der immanenten Trinitt, allerdings in eigens realisierter Form.747 Ist Jesus Christus somit bereits die Versçhnung oder 746 So weist Jaeschke, Vernunft, 326 f. selbst darauf hin, dass Jesus Christus in der immanenten Trinitt als Sohn, in der çkonomischen hingegen als Gottmensch bezeichnet wird. 747 Dass Jesus Christus gewissermaßen die gesamte realisierte Trinitt ist und das empirische Sohnesmoment nur eines der vorhandenen, betont auch Huber, Idealismus, 145 f. Aus dieser Beobachtung folgert erneut, was bereits unter II.3.4.1. expliziert wurde: dass die Christologie in noch ausgezeichneterem Maße als die Trinittslehre der dem organisatorischen Zentrum des Christentums entsprechende Vorstellungsgehalt ist. Denn der Zusammenfall von Begriff und Realitt, der das Christentum als die Vollendung von VL1 und VL2 kennzeichnet, vollzieht sich in dem mit ihrem Namensgeber verbundenen Vorstellungsgehalt nicht nur in der Realitt der immanenten Trinitt als der des abstrakten Denkens, sondern in der innerweltlichen Realitt selbst, siehe dazu VL3, 58, wo es heißt: „Die ewige Idee ist eben dies, die Bestimmung der Subjektivitt als Wirkliches, von bloßen Gedanken Unterschiedenes, unmittelbar erscheinen zu lassen und es somit zu sich werden zu machen – Verwirklichung, und erst als verwirklicht ist es Reich Gottes“. Oder, begriffslogisch formuliert: Kommt dem Christentum als Ganzem die begriffslogische Einzelheit zu, weil sie der Zusammenfall des Allgemeinen des Begriffs der VL1 mit der Realitt des Besonderen der VL2 ist, so ist die Christologie die Einzelheit der Einzelheit oder die vollentwickelte Einzelheit, weil sie den Zusammenfall von Begriff und Realitt eigens realisiert. Um jedes Missverstndnis auszuschließen: Diese Realisierung des Zusammenfalls von Begriff und Realitt erfolgt in einer Form, die ihrem Inhalt als dem Zusammenfall von Begriff und Realitt ebenso entspricht wie dem erreichten realphilosophischen Niveau des absoluten Geistes. Die Realisierung des Zusammenfalls von Begriff und Realitt vollzieht sich selbst nicht wiederum

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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die zu erreichende Einheit der zwei Naturen, so ist er sie eben nur unmittelbar oder an sich. In ihrem Ansich ist die Versçhnung einerseits bereits ein- fr allemal geschehen, andererseits muss sich dies „Allemal“ dann auch noch dergestalt realisieren, dass die Kirche und alle Menschen sie eigens vollziehen.748 als im direkten Sinn empirisch aufweisbare Realitt, sondern im Wissen. Empirisch aufweisbar im direkten Sinn ist nur das Sohnesmoment, der empirische Mensch Jesus von Nazareth. Seine gottmenschliche Einheit dagegen realisiert sich gemß ihrer geistigen Wesenheit als ein Wissen: als und im Selbstbewusstsein Jesus Christus, das von der Gemeinde gewusst wird. Daher schreiben sowohl die Vorlesungen als auch die Enz. Jesus Christus ein Wissen um seine Einheit mit dem Vater zu, siehe VL3, 56, 243, 285, Enz., §569, 446 (20, 552). Hiermit wiederholt sich die fr das Christentum charakteristische Zuordnung von „Projektion“ und „realem Ansich“: Die gottmenschliche Einheit ist nur im Wissen, in der „Projektion“, als solche aber ist sie wirkliche gottmenschliche Einheit, „reales Ansich“. 748 Jesus Christus ist bereits gottmenschliche Einheit oder realisiertes Einzelnes, aber immer im Bezug auf diejenigen, die er versçhnt. Das betrifft zum einen unser Wissen von Jesus Christus, das wir nur durch die Gemeinde haben. Auch von seinem Wissen um seine wirkliche Einheit wissen wir somit nur durch solche, die selbst ber dieses Wissen verfgen, theologisch gesprochen: durch die Glaubenden. Entsprechend schreibt Hegel in VL3, 246, Anm.: „Die Geschichte Christi ist auch von solchen erzhlt, ber die der Geist schon ausgegossen war“. Oder die einzige Form von im direkten Sinn empirischen Wissen ber die gottmenschliche Einheit Jesus Christus ist die empirische Existenz von Kirche. In der Kirche wird geglaubt, dass Jesus Christus die (von ihm geglaubte) Einheit mit dem Vater war. Zum anderen aber hat das Wissen der Kirche um Jesus Christus nicht nur eine epistemologische, sondern auch eine ontologische Dimension: Denn erst in dem Wissen der Gemeinde von Jesus Christus realisiert sich das „einmal ist allemal“ Jesu Christi endgltig, weil sich in ihr erst Jesus Christus ganz vollendet. Weil, wie wir sehen werden, Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen, kommt der einmalige Jesus Christus erst im allemal der Gemeinde ganz zu sich. Somit befindet sich unsere Auslegung in einem ambivalenten Verhltnis zu den Ausfhrungen Jaeschkes, Vernunft, 328 – 348. Einerseits arbeitet Jaeschke deutlich und berzeugend heraus, dass sich die Einheit von Begriff und Realitt oder die gottmenschliche Einheit in Jesus Christus nur als dialektische Vermittlung von „Projektion“ und „realem Ansich“ vollzieht. Daher ist es durchaus sachangemessen, wenn er dies mit der lutherischen Abendmahlslehre vergleicht, die oftmals auch von einem wirklichen „est“ ausgeht, das allein im Glauben vorhanden ist. Andererseits aber ist Jaeschkes Interpretation der Tatsache, dass Jesus Christus erst durch den Gemeindeglauben wirkliche gottmenschliche Einheit ist, entscheidend zu qualifizieren. Denn anders als dem Brot des Abendmahles wird Jesus Christus von Hegel gerade ein eigenes Wissen konzediert, ein eigenes Selbstbewusstsein, in dem er von seiner wirklichen Einheit weiß. Anders als das Brot ist er somit nicht von dem Gemeindeglauben abhngig – auch wenn wir nur durch das Wissen der Gemeinde von seinem Wissen wissen,

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Obwohl somit sowohl die VL als auch die Enz. Jesus Christus als unmittelbare Einzelheit fassen, bleibt zwischen ihnen die Differenz bestehen, dass die VL die unmittelbare Einzelheit dem Besonderen zuschlagen, die Enz. aber der Einzelheit selbst. Ihre Erklrung findet diese Differenz in den oben unter II.3.2.3.2. ausgefhrten Unterschieden zwischen den Vorlesungen und der Enz.. Die VL sind ihrer bildungspraktischen Aufgabe verpflichtet und beschreiben die Religion somit aus der Perspektive der Gemeinde. Aus dieser ist Jesus Christus eine vorgestellte Figur, die dem vorstellungsmßigen Vor- und Auseinander entsprechend in das Moment des Besonderen gehçrt. Die Enz. hingegen betont die begriffliche Struktur und ordnet Jesus Christus daher der Einzelheit zu.749 Der Auslegungsintention dieser Arbeit entsprechend, wird auch im Folgenden primr die Enz. exegetisiert. II.3.4.4.2. Leben und Lehre Jesu Christi Der enzyklopdische Text lautet wie folgt: „Im Moment der Einzelheit als solcher, nmlich der Subjektivitt und des Begriffes selbst, als des in seinen identischen Grund zurckgekehrten Gegensatzes der Allgemeinheit und Besonderheit, stellt sich 1) als Voraussetzung die allgemeine Substanz aus ihrer Abstraktion zum einzelnen Selbstbewußtsein verwirklicht, und dieses als unmittelbar identisch mit dem Wesen, jenen Sohn der ewigen Sphre in die Zeitlichkeit versetzt, in ihm das Bçse als an sich aufgehoben dar; aber ferner diese unmittelbare und damit sinnliche Existenz des absolut Konkreten auch in das Urteil setzend und in den Schmerz der Negativitt ersterbend, in welcher es als unendliche Subjektivitt identisch mit sich, aus derselben als absolute Rckkehr und allgemeine Einheit der allgemeine und einzelnen Wesenheit geworden ist, – die Idee des als ewigen, aber lebendigen und in der Welt gegenwrtigen Geistes“.

In dem vorherigen Paragraphen der Enz. hieß es, dass der zu dem Bçsen verselbstndigte endliche Geist als die willentliche und wissende Negation Gottes „zugleich auf das Ewige gerichtet“ ist, so dass es zu dem unendlichen Schmerz und damit zu dem Bedrfnis der Versçhnung kommt. Der bergang hin zur Christologie und Ekklesiologie wird nun aber nicht nur durch die Entwicklung des endlichen Geistes motiviert, sonund auch wenn sich sein Wissen im Gemeindewissen vollendet. Wre Jesus Christus auf die von Jaeschke angenommene Art ganz und gar von dem Gemeindeglauben abhngig, so wre es ganz unverstndlich, wieso er in dem von Hegel anvisierten starken Sinne die Voraussetzung fr unsere Versçhnung wre, oder warum ihm das ein- fr allemal doch schon zuzuschreiben ist. 749 Dass die enzyklopdische Fassung die begriffsgemßere ist, betont auch Hçsle, Hegels System, 655.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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dern auch durch die Logik der Entwicklung des absoluten Geistes mitsamt der dafr charakteristischen begriffslogischen Terminologie. Entsprechend beginnt der Paragraph damit, das Folgende als „Moment der Einzelheit als solcher“ zu benennen. In ihr ist der fr das Bçse charakteristische, abstrakte „Gegensatz der Allgemeinheit und Besonderheit“ berwunden, und zwar dergestalt, dass er „in seinen identischen Grund“ zurckkehrt. Wie bereits mehrfach im Gesamtverlauf der enzyklopdischen Auslegung des Christentums greift Hegel mit dem „identischen Grund“ also auch hier wiederum auf eine wesenslogische Kategorie zur nheren Charakterisierung des Christentums zurck. Sie verweist darauf, dass die Entwicklung in der Schçpfung vom Unterschied bis zum Gegensatz und dem bisher nur abstrakten Widerspruch des Bçsen in einer Figur mndet, die die Wahrheit des Widerspruchs ist und in der entsprechend der Widerspruch seine Identitt als Grund findet.750 Material ist sie als gottmenschliche Einheit zu fassen: „daß dieser Gegensatz nichtig ist und daß die Wahrheit, das Affirmative, Absolute, die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist“.751 Diese Wahrheit der Entwicklungsbewegung ist selbst wiederum eine Bewegung. Sie beginnt mit der Christologie, die in dem enzyklopdischen Text durch die „1)“ von der weiteren Entwicklung abgesetzt wird. Hegel vermag, in vielfacher Hinsicht Vernunft darin zu finden, dass sich die Versçhnung als gottmenschliche Einheit in Jesus Christus vollzieht und sich damit als „Voraussetzung“ fr alle Menschen in „sinnlicher Existenz“ in einem wirklichen „einzelnen Selbstbewußtsein“ realisiert. Um mit der „Voraussetzung“ zu beginnen, so ist es einsichtig, dass sich der bçse endliche Geist die ersehnte Versçhnung nicht selbst zu setzen vermag, sondern auf eine ihm externe Voraussetzung angewiesen ist. Denn versuchte er, sich die Versçhnung selbst zu setzen, so wiederholte er nur diejenige Grundbewegung, durch die er gerade zum Bçsen wird. Er versuchte, allein durch eigenes Setzen und somit ohne wahre Vermittlung mit seinem Anderen zur Selbsthabe zu gelangen. Damit vollzçge er erneut diejenige „Einseitigkeit“, wegen der er die Versçhnung aller erst bençtigt.752 Ist er somit auf eine ihm externe Voraussetzung angewiesen, so ist zugleich begrndet, dass diese in „sinnlicher Existenz“ auftreten muss. Denn verbliebe sie im Raum des nur Gedachten, so kçnnte sie keine wirkliche Gewissheit fr das bçse, natrliche Bewusstsein schaffen, das 750 Siehe II.2.4.3.1. 751 VL3, 143. 752 Siehe VL3, 144.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

selbst von seiner Sinnlichkeit bestimmt ist.753 Sie muss des Weiteren ein „einzelnes Selbstbewußtsein“ sein, also ein Mensch. Weder htte Gott wie bei den Indern Kuh noch wie bei den Griechen eine Statue werden kçnnen. Denn allein ein Mensch als geistiges, selbstbewusstes Wesen vermag zu realisieren, worauf abgezielt wird: dass der Mensch in Wahrheit Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur als „geistiger Wesenheit“ ist.754 Um dies zu zeigen, ist es auch notwendig, dass die Voraussetzung fr alle Menschen ein „einzelner“ Mensch ist, nicht etwa viele. Denn eine Vielzahl von Inkarnationen wrde die gottmenschliche Geisteinheit zu einer abstrahierbaren, bloß akzidentellen Qualitt an den vielen machen. Nur eine einzelne Inkarnation steht allen anderen Menschen gegenber und vermag so, „das Ansich des Menschen“ auszudrcken.755 Dass sie dies ausdrckt, liegt an ihrer Begriffsgemßheit, ist der Mensch doch genau diese Verbindung von Geist und Natur. Damit ist gerade in der Partikularitt Universalitt erreicht. Entsprechend konstatiert Hegel: „In Einem – Alle. […] Einmal ist allemal“.756 Sosehr sich die Menschheitsnatur gerade in der Fokussierung auf das eine Individuum zeigt und somit in ihm ber die Natur aller entschieden ist, sosehr muss sich dieses „Ansich des Menschen“ zugleich doch noch prozessual verwirklichen. Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi sind die prozessuale Realisierung des „Ansichs des Menschen“, und diese prozessuale Realisierung des „Ansichs“ ist zugleich der Prozess der Realisierung des Einmals als des Allemal. Whrend die Enz. das Leben Jesu Christi nur dadurch kennzeichnet, dass sich die „allgemeine Substanz aus ihrer Abstraktion zum einzelnen Selbstbewußtsein verwirklicht“, erçrtern die VL eigens einen besonderen Aspekt des die Idee verwirklichenden einzelnen Selbstbewusstsein: dessen Lehre. In der wirklichen Realisierung des Begriffs als dem Schicksal Jesu Christi ist dessen eigene Begriffsrealisierung als seine Lehre ein eigens zu bedenkendes Moment, da Lehre und Leben miteinander vermittelt sind. So gilt, dass es „die Darstellung der gçttlichen Idee an seinem Leben und Schicksal ist, was die Lehre integriert“.757 Sosehr somit einerseits gilt, dass die Lehre ausdrckt, wie sich die gçttliche Idee am Leben und Schicksal 753 754 755 756

Siehe VL3, 47. 145. 237 f. Siehe VL3, 48 f. VL3, 238, siehe auch VL3, 49. VL3, 49. Die Logik des Einmals, das Allemal ist, betont besonders Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 98 f., Jaeschke, Vernunft, 347 f., siehe aber auch Schulz, Sein, 400 – 403. 757 VL3, 50.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Jesus Christus darstellt, sosehr gilt andererseits „in Ansehung solcher Lehre […], daß das Leben des Lehrer ihr angemessen sei“.758 Daher kann sein gesamtes Leben und Schicksal als „Lehre als solche“ verstanden werden.759 Somit ist in der wirklichen Realisierung des Begriffs dessen eigene, explizit begriffliche mit seiner sonstigen Realitt aufs Engste vermittelt. Der Inhalt dieser Lehre entspricht zwar der sich realisierenden Idee, aber nicht in Gnze der spteren Kirchenlehre. Denn er legt zum einen nur einige anfngliche und allgemeine Zge dar. Zum anderen beinhaltet er einige spter zu negierenden Charakteristika einer revolutionren Frhphase.760 Der Hauptzug der Lehre Jesu Christi aber bleibt durch die Zeiten bestehen und ist inhaltlich als die Verkndigung des Reiches Gottes zu fassen. Sie besagt, dass der Mensch wesentlich der geistigen Welt angehçrt.761 Entgegen seiner bçsen gegenwrtigen Verfasstheit ist der Mensch nicht eigentlich ein selbstschtiges Naturwesen, sondern findet seine Heimat im Geist oder in der Verbindung mit Gott. Soll Jesu Lehre genauer charakterisiert werden, so ist zuerst festzuhalten, dass sie wegen der gegenwrtigen Verfasstheit des Menschen die Negation des Bestehenden fordert, das „Losreißen im negativen Sinne gegen alles Bestehende“.762 Herrschende Sitten werden ebenso durchkreuzt wie die Forderung erhoben wird, alles Eigentum und sogar die eigene Familie aufzugeben.763 Dafr tritt die Liebe als die Selbsthabe durch Selbstverlust in den Mittelpunkt. Sie soll alles Verhalten bestimmen und ist einziger 758 VL3, 57. 759 VL3, 58. 760 Dass die Lehre Christi gegenber der Kirchenlehre nur anfngliche, allgemeine Zge hat, expliziert VL3, 147 f. 240. Siehe auch VL3, 256 f., wo innerhalb des Abschnitts ber das Bestehen der Gemeinde nochmals eigens ber die allmhliche Entwicklung der Kirchenlehre reflektiert wird. VL3, 87, betont die Differenz zwischen der Frhphase einer Lehre und ihrer spteren Entwicklung: „Nur kurz andeuten, daß die anfngliche entsagende POLEMISCHE RICHTUNG gegen eine außer ihr vorhandene Weltlichkeit an sich hier wegfllt, nicht mehr gilt“. Die Begrndung dafr lautet: „,Gib Deine Sache den Armen‘ enthlt in sich selbst die Isolierung dieses Gebots; wenn jeder alles den Armen gibt, gibts bald keine Armen mehr“. Wie wir im Weiteren sehen werden, wird der Kern der Lehre als die Aufgabe der eigenen Natrlichkeit oder des selbstschtigen Willens aber weiterhin bestehen bleiben. 761 Siehe VL3, 50. 243. 762 VL3, 54. 763 Hegel zitiert recht breit die entsprechenden biblischen Passagen, siehe VL3, 54 f. 148 f. 242.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Inhalt und Zweck des Lebens.764 Um diesen Inhalt der Lehre nochmals eigens mit dem Reich Gottes zu verbinden und ihr damit zugleich das ihr zukommende Gewicht zu verleihen, reflektiert der Inhalt der Lehre schließlich ber seinen eigenen Status. Denn Jesus Christus lehrt, dass seine Lehre von demjenigen Lehrer vorgetragen wird, der das Reich Gottes deshalb lehren darf, weil das Reich Gottes gerade durch die besondere Verbindung Gottes mit ihm seine „eigentliche Bestimmung und Bestimmtheit“ erfhrt.765 Jesus Christus lehrt im Selbstbewusstsein und als Inhalt, dass durch ihn der Vater spricht, oder dass die gottmenschliche Einheit als geistige Wesenheit realisiert ist. Die begriffliche Realisierung der Realisierung des Begriffs weiß um ihre Realisierung des Begriffs und realisiert dies wiederum als Moment ihrer begrifflichen Realisierung. Erst mit diesem sich wissenden Inhalt des Wissens ist dem hier erreichten, entwickelten Status des absoluten Geistes in seinem Dasein im Wissen als ein Wissen um sein Dasein im Wissen entsprochen. II.3.4.4.3. Tod und Auferstehung Jesu Christi „Aber die Hauptsache ist, daß dieser Inhalt nicht durch die Lehre, sondern durch die sinnliche Anschauung vor die Vorstellung kommt“.766 Da dieser Inhalt die Einheit der zwei Naturen als geistige Wesenheiten und somit als Prozess ist, vollzieht er sich in der Schrittfolge der ursprnglichen Einheit des Lebens, ihrer Urteilung im Tod und einer neuen, schließlich vollentwickelten Einheit.767 Nach dem Leben sei daher nun der Tod Jesu Christi exegetisiert, der in dem eingangs zitierten Paragraphen der Enz. folgendermaßen beschrieben wird: „Aber ferner diese unmittelbare und damit sinnliche Existenz des absolut Konkreten sich in das Urteil setzend und in den Schmerz der Negativitt ersterbend“.

Gott widerspricht seiner unmittelbaren, anfnglichen gottmenschlichen Einheit, in der er das „absolut Konkrete“ an sich ist. Er setzt sich selbst ins Urteil, erstirbt also, und realisiert dadurch an sich den Schmerz der Negativitt. Um die damit verbundene Vernunft zu eruieren, sei in einer 764 765 766 767

Siehe VL3, 53 f. 149. 243. VL3, 56. Siehe auch VL3, 243. VL3, 150. Siehe VL3, 58 f., wo es heißt: „Diese Darstellung, Objektivitt der Anschauung der Geschichte des Geistes ist, daß der Geist an sich, der sich Anderes, natrlicher Wille und Dasein ist, dies sein Anderssein aufhebt und jetzt fr sich ist, in seiner Herrlichkeit – nmlich durch diese Geschichte Geist zu sein – hervorgeht“.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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ersten Hinsicht an eine Perspektive erinnert, mit der bereits oben unter II.3.4.3.1. operiert wurde: die der Entußerung. Mit der Weltschçpfung begann eine Entwicklung von realer Andersheit, die als Entußerung gefasst wurde. Sie verstrkte sich nach der Schaffung der natrlichen Welt mit der des endlichen Geistes noch. Der endliche Geist realisierte seine Andersheit nun als seine bçse Natur, so dass sich die Andersheit zu einer abstrakt widersprchlichen Entitt verselbstndigte, die sich in abstraktem Gegensatz zu dem sich Entußernden setzt. Darauf reagiert Gott nun dergestalt, dass er sich in diese Entußerung hinein entußert, oder dass er sich inkarniert. Dadurch realisiert er, „daß dieser Gegensatz nichtig ist und daß die Wahrheit, das Affirmative, Absolute, die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist“.768 Der Tod als das zweite Moment in der prozessualen Identitt der gottmenschlichen Einheit ist nun als der Hçhepunkt der Entußerung des Unendlichen in das Endliche als in seine Entußerung hinein zu begreifen. Der Tod ist „die hçchste Entußerung der gçttlichen Idee“,769 da er „die hçchste Spitze der Endlichkeit ist“.770 Damit ist zugleich eine neue Qualitt der Entußerung erreicht. Denn die Inkarnation war noch dergestalt „Entußerung des Allgemeinen, Gçttlichen, […] daß es noch ist in dieser Entußerung“.771 Der Tod hingegen ist „die hçchste Entußerung der gçttlichen Idee als Entußerung IHRER SELBST“.772 Gott erfhrt die Negativitt an sich selbst. In der hçchsten Spitze der Entußerung in die Entußerung hinein negiert sich der sich Entußernde vollstndig selbst. Dem entspricht die Art und Weise, durch die Jesus Christus stirbt. Denn er stirbt nicht eines natrlichen Todes, sondern er stirbt den „gesteigerten Tod“,773 den „TOD EINES MISSETTERS – den entehrendsten Tod, am Kreuze“.774 Indem Gott den „gesteigerten Tod“ des Missetters am Kreuz stirbt, hat er die Selbstnegation als die radikalst denkbare Entußerung auf die radikalst denkbare Art realisiert.

768 VL3, 143. 769 VL3, 60. 770 VL3, 59. Wir wiesen oben, II.3.4.2., bereits darauf hin, dass auch die Enz. durch die gestaffelte Terminologie von Unterschied, Gegensatz und Negation eine Zunahme der Differenz oder Entußerung von der immanenten Trinitt ber die Weltschçpfung bis zum Kreuz andeutet. 771 VL3, 59. 772 VL3, 60. 773 VL3, 247, Anm. 774 VL3, 64.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Die Konsequenz daraus lautet: „Gott ist gestorben, Gott selbst ist Tod“.775 Hegel verwendet dramatische Formulierungen, um die Zentralitt des Geschehens vor Augen zu fhren: Dass Gott tot ist, „ist eine ungeheure, frchterliche Vorstellung, die vor die Vorstellung den tiefsten Abgrund der Entzweiung bringt“.776 „Gott ist tot – dieses ist der frchterlichste Gedanke, daß alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist; der hçchste Schmerz, das Gefhl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufheben alles Hçheren ist damit verbunden“.777

Gilt es, die Vernunft in diesem Geschehen zu eruieren, so kann erneut auf die absolute Idee verwiesen werden. Der hier erreichte Punkt des Todes Gottes ist mit der aus der WL vertrauten Entwicklung zu parallelisieren, dass dem Allgemeinen als anfnglichem Unmittelbaren seine Negation wesentlich zukommt,778 so dass es scheint, als ob nur das Besondere vorhanden sei.779 Damit kann die Entwicklung auch mit der Entwicklung der immanenten Trinitt verglichen werden, da „diese Geschichte dieselbe Explikation der gçttlichen Natur ist, wie sie in der ersten Sphre vorhanden war, nur anfangend in der Unmittelbarkeit fr die Anschauung, und an der Einzelheit verlaufend. Die Abstraktion des Vaters wird in dem Sohn aufgegeben – dies ist dann der Tod“.780

Oder, um den Tod Gottes mit der Lehre des Gottmenschen in Verbindung zu bringen, so vollzieht die gçttliche Natur die Lehre von der Negation alles Bestehenden und damit die Aufgabe aller direkten Selbsthabe an sich selbst. Die gçttliche Natur widerspricht ihrer scheinbaren Selbstndigkeit. Bereits an anderen zentralen Stellen der Religionsgeschichte aber wurde expliziert, dass sich der Widerspruch realphilosophisch als der Tod verwirklicht,781 in der jetzigen Hinsicht als der Tod Gottes. Ist aber Gott gestorben, so scheint der Tod absolut zu sein, er scheint einen absoluten Triumph feiern zu kçnnen. Liest Hegel die Entwicklungsgeschichte Jesu Christi vor allem als Geschichte der allgemeinen Geistnatur und betont daher am Tod Jesu Christi vornehmlich den Tod Gottes oder den der gçttlichen Natur, so 775 776 777 778 779 780 781

VL3, 60. VL3, 60. VL3, 247, Anm. Siehe auch VL3, 150. Siehe II.2.4.1.1. VL3, 287. Siehe II.3.3.2.1.1.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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deutet er gleichwohl auch an, dass der Tod Jesu Christi zugleich das Ende des Endlichen, der menschlichen Natur ist. So ist „der Tod berhaupt ebenso als die hçchste Verendlichung ebenso das Aufheben der natrlichen Endlichkeit, des unmittelbaren Daseins“.782 Mit der Enz. gesprochen, ist es die „sinnliche Existenz“, die in den Schmerz der Negativitt erstirbt, oder, mit dem Kolleg von 1821 gesprochen: „Natrlicher Wille dahingegeben“.783 Um den Verlauf des Schicksals Jesu Christi nochmals mit dem Gesamtverlauf der absoluten Idee zu vergleichen, so ist der Tod nicht nur der Ort der Selbstaufgabe des Allgemeinen, sondern auch der Ort der Selbstaufgabe des Besonderen. Das Besondere erfhrt hier den Widerspruch gegen seine Selbstndigkeit. Das Schicksal Jesu Christi entspricht somit auch insofern seiner Lehre, als die Lehre des Gottmenschen an die Menschen von der Negation alles Bestehenden sich am Menschen Jesus selbst vollzieht. Der entscheidende nchste Schritt wird durch die Einsicht in die Grundstruktur des logischen „inneren Bildners“ des Christentums erlangt. Wurde bisher rekonstruiert, dass die anfngliche, unmittelbare Identitt des Geistes den ußersten Widerspruch realisiert und darin in seiner anfnglichen Identitt negiert wird, so dass der Widerspruch einen absoluten Triumph scheint feiern zu kçnnen, so ist nun an die wesentliche Einsicht zu erinnern, dass in dem Widerspruch Identitt ist. Wie in der Erçrterung der absoluten Idee ausfhrlich dargelegt, ist „das einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflçst“,784

sondern als „Wendungspunkt“785 hin zu einem positiven Resultat zu fassen ist. Entsprechend kann Hegel in den VL in Anlehnung sowohl an die Terminologie der Entußerung wie an einen in der absoluten Idee dargelegten technischen Terminus von dem Tod Jesu Christi schreiben: „Dies das Moment der gçttlichen, entwickelten Objektivitt, in welchem das Gçttliche ebensosehr zu SEINEM HCHSTEN Außersichsein kommt als es darin seinen Wendungspunkt hat, und eben beides – die hçchste Entfremdung, die Spitze der Entußerung – ist dies Moment der Rckkehr selbst“.786 782 783 784 785 786

VL3, 61. VL3, 64. WL1, 21 (11, 25) und II.2.3.3.2. WL3, 296 (12, 246) und II.2.4.3.1. VL3, 28.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Mehr noch, wie die absolute Idee zeigt: Der Widerspruch fhrt die anfngliche Identitt aller erst in ihre Wahrheit. Gerade so gewinnt sich der absolute Geist selbst. Oder, um den Verlauf der Prozesseinheit Jesu Christi mit der Entwicklung der gesamten absoluten Idee zu vergleichen: Nachdem sich im Tod das Allgemeine selbst aufgegeben hat und auch das Besondere, kommt es gerade durch den Selbstverlust zum neuen Selbstgewinn der gesetzten Einheit als Einzelheit. Diese logische Grundfigur bestimmt das Wesen des Geistes, der seinen Selbstgewinn gerade in und durch Selbstverlust erfhrt.787 Entsprechend kann Hegel zuerst den Tod Gottes proklamieren und dann schreiben: „Der Verlauf bleibt aber nicht hier stehen, sondern es tritt nun die Umkehrung ein; Gott nmlich erhlt sich in diesem Prozeß“.788 Damit ist der entscheidende Umschwung passiert: Schien es zuerst so, als feiere im Tod Gottes der Tod einen absoluten Triumph ber Gott, so wird in Wahrheit der Tod im Tode Gottes getçtet. Die Negation wird selbst negiert und damit zu einem Moment herabgesetzt. Der Tod ist nicht das absolute Ende des Ganges Gottes, sondern der Tod ist notwendiges Moment der vollstndigen Selbstwerdung des absoluten Geistes. Wird der Tod unter der Perspektive der sich im Selbstverlust selbst gewinnenden Geistnatur Gottes betrachtet, so kann er aus dieser Grundfigur heraus auf verschiedene Art vçllig neu prdiziert werden: Aus dem Tod als dem Ort des hçchsten Schmerzes wird der Ort der hçchsten Liebe; aus dem Tod der Tod des Todes; aus dem Sieg des Bçsen ber Gott die Versçhnung Gottes mit dem Bçsen. Genauer: Der Tod als Ort des Schmerzes wird zugleich der Ort der Liebe, weil Gott sich im Selbstverlust selbst gewinnt. In bereinstimmung mit der Lehre Jesu Christi realisiert sich an seinem Schicksal also nicht nur die Lehre von der Selbstaufgabe des Bestehenden, sondern auch die von der Liebe als dem Selbstgewinn im Selbstverlust. „Der Tod ist die Liebe selbst; es wird dadurch die absolute Liebe angeschaut; es ist eben die Identitt des Gçttlichen und Menschlichen, daß Gott in ihm, 787 Mit dem bereits mehrfach angefhrten Zitat aus der Vorrede der PhG, 26 (9, 27), gesprochen: „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und vor der Verwstung rein bewahrt, sondern das ihn ertrgt und in ihm sich erhlt, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“. Oder, mit VL3, 196, gesprochen: Der Geist ist Ttigkeit, und diese Ttigkeit und „Lebendigkeit […] des Geistes ist nichts weiter als sich zu bestimmen […], sich in den Unterschied, Widerspruch zu setzen aber zugleich diesen Widerspruch ewig aufzuheben“. 788 VL3, 247, Anm.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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im Endlichen bei sich selbst ist und dies Endliche im Tode selbst Bestimmung Gottes ist“.789

Ist der Tod Ort des Selbstgewinns Gottes im Selbstverlust, so hat sich der Tod zum Tod des Todes gewandelt. Denn er hat sich als ein Moment im Leben des Geistes erwiesen. In nochmals anderer Hinsicht wird deutlich, dass nun das Bçse besiegt ist. Um das in der Terminologie von Identitt und Widerspruch zu explizieren, so ist das Bçse die abstrakte Identitt oder der abstrakte Widerspruch gegen den immer schon geschehenen Widerspruch und somit das Gegenteil Gottes. Gott gelangt an diesen Ort seines Gegenteils, aber auf die seinem Gegenteil entgegensetzte Art. Denn er hlt nicht an der eigenen scheinbaren Selbstndigkeit oder Substantialitt fest, so dass er der Widerspruch gegen den immer schon geschehenen Widerspruch wre, sondern er gibt die anfngliche Selbstndigkeit auf und ist somit in Identitt mit dem auftretenden Widerspruch. Ist das Bçse aber durch Identitt mit dem auftretenden Widerspruch erreicht und somit in diese neue Prozesslogik integriert, so kommt dem Bçsen auch die neue Identitt zu, die aus dem Widerspruch erwchst, und ist so nicht mehr das Bçse.790 Die das Endliche bçse machende Verselbstndigung ist durch die dialektische Prozesslogik des Geistes von innen her berwunden, und wahre Versçhnung ist erreicht. Im Tod als der Urteilung der anfnglichen Einheit hat sich somit die wahre Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur ereignet. Fr sie hlt die christliche Vorstellung ein eigenes Bild bereit: das von Auferstehung, Himmelfahrt und Sitzen des Sohnes zur Rechten Gottes. Um mit einem lngeren, sehr przisen und die Entwicklung zusammenfassenden Zitat zu sprechen:

789 VL3, 150. 790 Oder, um die Logik der berwindung des Bçsen in der Terminologie von Moment und Absolutem auszusagen, so kann das Bçse gerade als die abstrakte Verabsolutierung des endlichen Momentes gegen Gott gefasst werden. Gott nun entußert seine abstrakte anfngliche Absolutheit in den Tod des Missetters als die hçchste Spitze der sich verselbstndigenden oder verabsolutierenden Endlichkeit hinein, hinein in den ußersten Ort des Bçsen. Er geht ganz in dieses sich verabsolutierende Moment ein, so dass dieses Moment das Absolute zu sein scheint. Dann aber erweist sich, dass sich das Absolute darin erhlt, so dass der Tod des Missetters nun zu einem Moment des Absoluten wird. Damit aber ist das Bçse besiegt, weil die das Bçse bçse machende Verabsolutierung des Endlichen re-momentanisiert wird und als Moment der Selbstwerdung Gottes seinen Platz in der Prozesslogik des Absoluten erhlt.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

„Fr die Anschauung ist ebenso vorhanden dieser TOD DES TODES, die berwindung des Grabes, Scheol, der Triumph ber das Negative – nicht Ausziehung der menschlichen Natur, wieder Ausziehen derselben, sondern sie vielmehr bewhrt, eben im Tod, in der hçchsten Liebe; oder Geist ist nur Geist als dies Negative des Negativen, welches das Negative also in sich enthlt, sondern Gott als versçhnter, als Liebe – diese Erhçhung der menschlichen Natur in Himmel, wo der Menschensohn sitzt zur Rechten des Vaters, die Identitt der gçttlichen und menschlichen Natur, die Ehre dieser aufs hçchste vor das geistige Auge tritt“.791

Der zum wirklichen Geist gewordene Geist ist die bewhrte Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur als die Einheit, die die Trennung und das Bçse versçhnend berwunden hat. Dieser wahre Geist ist in der Himmelfahrt und dem Sitzen zur Rechten der Vorstellung vor Augen getreten. Der Geist, so scheint es, hat seinen Prozess der Selbstwerdung vollendet. Um kurz zu bilanzieren, sei die Rekonstruktion Hegels erneut mit theologischen Termini in Verbindung gebracht. Wie in der immanenten Trinitt, so zeigt Hegel auch in der Christologie kein Interesse daran, die in den Vorstellungen erkannten begrifflichen Figuren nochmals eigens in theologische Termini zurckzubersetzen.792 Dennoch ist es nicht sachunangemessen, wenn auf die bereits eingangs gemachte Behauptung zurckgekommen wird, die formulierte, dass sich im Hegelschen Denken Person, Naturen, Lehre, Schicksal und Werk Jesu Christi als Aspekte der Selbstbewegung des Geistes miteinander vermittelt finden. Die Person Jesu Christi ist sie selbst als Geisteinheit der zwei Naturen. Da die beiden Naturen als geistige Wesenheiten zu fassen sind, sind sie prozessual zu verstehen und vollziehen sich in der Schrittfolge einer anfnglichen Einheit, der Urteilung und der bewhrten Rckkehr in eine konkrete Einheit. Die Personeneinheit der zwei Naturen als geistige Wesenheit vollzieht sich somit als Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi oder als sein Schicksal. Bereits die anfngliche Einheit der Inkarnation ist die erste berwindung des bçsen Gegensatzes von Endlichem und Unendlichem. Dem entspricht die Lehre des Inkarnierten, der von der Selbstaufgabe des Bestehenden spricht und davon, dass in dieser Selbstaufgabe in Liebe Selbstgewinn zu finden sei, die zur wahren Einheit des Geistes oder zum Reich Gottes fhrt. Der Lehrende inkarniert diese Lehre dergestalt, dass er sich bis in den Tod hinein selbst entußert, sich aber in bereinstimmung mit seiner Geistnatur zu bewhrter Einheit wiedergewinnt. So 791 VL3, 67 f. 792 Siehe II.3.4.2.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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vollendet er sein Werk, die Versçhnung, und fhrt die bewhrte Einheit als Himmelfahrt vor Augen. II.3.4.4.4. Ostern und Pfingsten an einem Tag: zur Vermittlung von Christologie und Ekklesiologie Dem bisher Dargelegten ermangelt noch eine entscheidende Perspektive. Denn es fehlt noch dasjenige, was in der Auslegung der absoluten Idee als der abschließende Schritt vollentwickelter Einzelheit bezeichnet wurde. So wurde bisher nur die eine Seite der Vollendung dargestellt, die Vollendung an dem einen, unmittelbaren Einzelnen. Nun ist zu zeigen, wie sich das „einmal ist allemal“ dieses einen Einzelnen so realisiert, dass dabei zugleich der bergang von der Christologie zu der Ekklesiologie vollzogen wird.793 Um diesen bergang zu begreifen, sei ein scheinbarer Umweg gegangen und das christologische Geschehen nochmals unter einer anderen Perspektive betrachtet: unter derjenigen, die besagt, dass die Substanz ebenso sehr Subjekt werden muss. Damit wird erneut auf das in II.1.2. dargelegte Strukturierungsmoment zurckgegriffen, das den Gesamtverlauf der Religionsgeschichte von der ersten Religion bis hin zu dem Christentum als den Verlauf sukzessiver Geistwerdung von der Substanz hin zum Subjekt liest, und ebenso die gesamte Vorstellungswelt des Christentums, von der immanenten Trinitt bis hin zu der Christologie. Nun vollzieht das Zentrum des Resultates dieses Weges seinen Weg ein letztes Mal oder ein- fr allemal nach. Das Schicksal Jesu Christi beginnt mit der Inkarnation als der Gewinnung sinnlicher Existenz, so dass die Geisteinheit der beiden Naturen hier in gegenstndlicher oder in substanzhafter Form vorhanden ist. Am Kreuz nun wird genau diese Gegenstndlichkeit durchkreuzt. Denn der Gott, der ans Kreuz geht und sich opfert, ist diese eine, die anderen ausschließende, gegenstndliche Person. Das ist in seiner grundstzlichen Dimension zu begreifen: Am Kreuz stirbt nicht nur diese eine, ausschließende Person, sondern es stirbt damit jener Gott, der als Ausschließender gedacht wird. Es stirbt der Gott des Verstandes oder der theologia naturalis, die Gott als einen von allen Menschen getrennten, ihnen abstrakt vorausgesetzten Gegenstand meint 793 Dass Hegel den bergang von der Christologie zur Ekklesiologie als den bergang von der ausschließenden zur allgemeinen Einzelheit und als Konsequenz des „einmal ist allemal“ begreift, legen dar VL3, 69 und Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 103.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

behandeln zu kçnnen.794 Es stirbt der Gott, der als Hçheres „da oben“ oder als Substanz „da unten“ und somit auf jeden Fall als dem Menschen entgegenstehender Gegenstand „damals“ oder „da drben“ gedacht wird. Indem Gott ans Kreuz geht, durchkreuzt er selbst seine Gegenstndlichkeit, so dass das Kreuz die Selbstaufhebung der substanzhaften Selbstndigkeit Gottes ist. Dieser Gott ist wirklich tot – und in Bezug darauf gilt das „einmal ist allemal“ in seiner grundstzlichsten Form. Denn dieser Gott steht nicht mehr auf. Vielmehr steht jener Gott auf, der wirklich im Anderen bei sich ist, der Liebe ist, weil er sich im Anderen findet. Der Gott, der aufersteht, ist Subjekt, nicht abstrakte Substanz, er ist Geist, nicht Gegenstand. Nun kommt es zu dem entscheidenden Schritt: Dem Geist kommt es als Geist zu, Dasein im Wissen zu haben. Das Wissen aber, in dem der Auferstandene sein Dasein hat, ist nicht mehr das Selbstbewusstsein des nunmehr gekreuzigten Jesus Christus, sondern das Wissen der Glubigen. Der große Umschwung, der aus dem Tod den Tod des Todes macht, ist im glubigen Bewusstsein zu verorten. Dass der Auferstandene in den Himmel fhrt, um dort die wahre Einheit der beiden Naturen zu verwirklichen, ist somit bloß verstellende Vorstellung. In Wahrheit verwirklicht der Auferstandene die Einheit der beiden Naturen nicht im Himmel, sondern auf Erden: als diejenige Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist, als die er der absolute Geist und durch die die Gemeinde Gemeinde ist. Der Tod Gottes am Kreuz bedeutet somit zweierlei: dass Gott sich seiner Substanzhaftigkeit entußert, und dass „der Mensch, das Endliche […] im Tode selbst als Moment Gottes gesetzt wird“.795 Damit fallen bei Hegel Ostern und Pfingsten auf einen Tag,796 da sich die Geistnatur als wirkliche Vermittlung der Entgegengesetzten im Wissen der Menschen realisiert. Mit einem wichtigen Zitat gesprochen: „Der Geist ist die unendliche Rckkehr in sich – unendliche Subjektivitt, nicht vorgestellte, sondern als die WIRKLICHE Gçttlichkeit, als die gegenwrtige, nicht das substantielle Ansich des Vaters, nicht des Sohnes und Christi, der das Wahre in dieser Gestalt, Gegenstndlichkeit ist, sondern das subjektiv Gegenwrtige und Wirkliche […]. Dies der Geist Gottes oder Gott als gegenwrtiger, wirklicher Geist, Gott in seiner Gemeinde wohnend“.797 794 Siehe zu dieser grundstzlichen Dimension auch Wagner, Der Gedanke, 273 – 278 und Dierken, Gott, 222 f. 795 VL3, 150. 796 So auch Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 103. 797 VL3, 76.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Der Geist ist also dadurch unendliche Subjektivitt oder er selbst, dass er nicht mehr als entfernter Gegenstand vorgestellt wird, sondern als wirkliche Gçttlichkeit im endlichen Bewusstsein der Gemeinde sein Dasein hat. Damit ist er etwas anderes als der Vater und der Sohn als Christus, die beide noch als substantielle Gegenstnde zu fassen waren, getrennt vom Glubigen. Auferstandener, wirklicher Geist ist der Geist dadurch und erst dadurch, dass er sich im endlichen Bewusstsein der Gemeinde vergegenwrtigt. Mit der Auferstehung in das endliche Bewusstsein hinein kommt es mithin zur doppelten Versçhnung: „Gott hat durch den Tod die Welt versçhnt und versçhnt ewig sich mit sich selbst“.798 Gott versçhnt die Welt mit sich, weil er die Selbstabtrennung des Endlichen vom Unendlichen endgltig berwunden hat und nunmehr bleibend im Anderen bei sich ist. Damit versçhnt er zugleich sich mit sich, weil er jetzt in seine Wahrheit als seine wahre Geistigkeit gekommen ist.799 Oder er versçhnt sich mit aller Welt und mit sich, da er alle Form abstrakter Substantialitt in seine Subjektivitt hinein vermittelt hat und somit wahrhaft absoluter Geist geworden ist. Deshalb kann jetzt (und erst jetzt) das Christentum als die „Religion des Geistes“ bezeichnet werden.800 Mit dieser Einsicht wird nun auch die wirkliche Realisierung des „einmal ist allemal“ sichtbar: Zu sich kommt die Einmaligkeit der Geisteinheit der zwei Naturen Jesu Christi erst im allemal der glubigen Gemeinde, in das hinein sie aufersteht. Erst im allemal der Gemeinde ist der einmalige Geist Geist, oder der historische Karfreitag ist erst im spekulativen zu sich gekommen. Erst hier ist die dem organisatorischen Zentrum des Christentums entsprechende Vermittlung von Voraussetzung und Setzung (oder von „realem Ansich“ und „Projektion“) ganz erreicht. Denn sosehr Leben und Tod Jesu Christi Voraussetzung fr das Entstehen der glubigen Gemeinde sind, sosehr ist die glubige Gemeinde Voraussetzung fr die Vollendung des Lebens und des Todes Jesu Christi in seiner Auferstehung als Geist.801 So sind Tod und Auferstehung Jesu Christi der Ort der 798 VL3, 150. 799 Dass der Geist erst im Selbstbewusstsein der Gemeinde wirklich er selbst ist, betont auch Jaeschke, Vernunft, 350 f. 800 VL3, 76, siehe dazu auch Schulz, Sein, 412. 801 Zur genaueren Analyse siehe etwa Dierken, Gott, 219 – 223. Wagner, Die Persçnlichkeit, 276, betont ganz sachangemessen, dass in dieser symmetrischen Voraussetzungs- und Anerkennungsstruktur, in der Gott den Menschen zur Auferstehung braucht, eine Differenz zum neutestamentlichen Zeugnis vorliegt: „Denn whrend nach den neutestamentlichen Zeugnissen die Auferstehung Jesu

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

realisierten Vermittlung von Christologie und Ekklesiologie. Mehr noch: Sie sind als die wahre Vermittlung von Theo-logie und Anthropologie zugleich die Vermittlung von Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie.802 Ehe die Ekklesiologie selbst eigens rekonstruiert wird, seien Tod und Auferstehung Jesu Christi nochmals im Hinblick auf die Frage nach Konstitution und Aufhebung der Vorstellung expliziert. Einerseits ist deutlich, dass die Vorstellung erst dann entstehen kann, wenn Jesus Christus als sinnliche Person stirbt. Denn die Vorstellung ist gerade dadurch definiert, dass sie die Form des Wissens ist, der die sinnliche Anschauung nicht mehr verfgbar ist. Somit markiert das Kreuz den Ort des berganges von der Anschauung zur Vorstellung.803 Zugleich aber entsteht der Inhalt einer Vorstellung, die die Vorstellung als Vorstellung negiert. Denn die Vorstellung ist durch das Auseinander von Vorstellendem und Vorgestellten einerseits sowie der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits definiert.804 Mit der mit Pfingsten zusammenfallenden Auferstehung aber wird ein Inhalt vorgestellt, der von der Einheit der zwei Naturen am Ort des Vorstellenden handelt und somit beide Dimensionen des vorstellungsgemßen Nacheinanders negiert. Tod und Auferstehung Jesu Christi sind somit zum einen der Ort der Entstehung der Vorstellung, zugleich aber bereits der Ort der Selbstaufhebung der Vorstellung in den Begriff.805 Die Einheit der zwei Naturen als wahrhaft geistiger Wesenheit entspricht dem organisatorischen Zentrum des Christentums ganz und gar und fhrt zugleich zur Selbstaufhebung des Christentums in die Philosophie. Die Gemeinde der Glubigen sucht ihre Selbstaufhebung anfangs dadurch zu vermeiden, dass sie durch sol-

802 803 804 805

die Besttigung Jesu durch Gott bedeutet, geht es nach Hegel bei der Auferstehung um die Besttigung Gottes durch das sich den versçhnenden Tod Gottes aneignende Selbstbewußtsein der christlichen Gemeinde“. Siehe dazu auch Dierken, Gott, 218. Siehe dazu VL3, 152 f. Siehe dazu oben, II.3.2.2. Neben der im Folgenden darzulegenden Aussagen vom Ende des Kollegs von 1821 und Enz. §571 (20, 553), sei auf VL3, 156, verwiesen, wo Hegel bereits zu Beginn der ekklesiologischen Ausfhrungen des Kollegs von 1824 die Perspektive des philosophischen Betrachters und die der Gemeinde identifiziert, wenn es heißt: „Wenn wir erstens die Gemeinde vergleichen mit dem Gehabten, so haben wir zuerst die ewige Idee im Element des Denkens betrachtet, zweitens im Element der Entußerung, in der Darstellung sinnlich ußerer, unmittelbarer Weise; wir haben dies so betrachtet, fr uns war es. Fragen wir nun ,wer sind wir?‘, so sind wir nichts anderes als die Gemeinde selbst, das subjektive Bewußtsein“.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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che Vorstellungen wie die der Himmelfahrt und des Sitzens zur Rechten ein Auseinander ihrer mit dem Auferstandenen fingiert. Doch gelangt sie sukzessive zu der Einsicht, dass diese Vorstellung bloß verstellend ist. Im Folgenden soll der bereits eben dargestellte Prozess sowie die daraus folgende Selbstaufhebung in die Philosophie eigens unter der Perspektive der Gemeinde dargelegt werden. II.3.4.5. Ekklesiologie Hegel bedenkt die wahre, sich im allemal der Gemeinde vollziehende Vermittlung des unendlichen und des endlichen Geistes nicht nur unter Bezugnahme auf die Entwicklung Jesu Christi, sondern auch unter Bezugnahme auf die Entwicklung der Gemeinde selbst.806 Das ist deshalb notwendig, weil die vollendete Wirklichkeit des absoluten Geistes nicht nur die Menschwerdung in Jesus Christus als Voraussetzung hat, sondern ebenso die ent- und bestehende Gemeinde, in die hinein Jesus Christus aufersteht. Denn es ist daran zu erinnern, was in der Explikation des organisatorischen Zentrums des Christentums unter II.3.4.1. ausgefhrt und eben unter II.3.4.4.4. bereits am Material erhrtet wurde: Der absolute Geist im Christentum ist dergestalt durch die absolute Vermittlung geprgt, dass sich der unendliche und der endliche Geist wechselseitig setzen und voraussetzen. Christologisch expliziert bedeutet das, dass der absolute Geist wahrhafter Geist erst in dem Gemeindebewusstsein wird. So wie Jesus Christus Voraussetzung ist fr die gelingende Selbstwerdung der endlichen Geister durch die Versçhnung, so sind die Menschen Voraussetzung fr die gelingende Selbstwerdung des unendlichen Geistes: Dieser wechselseitigen Voraussetzung bedarf es zu der vollendeten Selbstwerdung des absoluten Geistes. Denn erst indem sich das allemal in allen Menschen realisiert hat, ist der Geist als die Struktur des Im-Anderen-bei-sich-Seins als vollentwickelter realisiert. Um die sich vollentwickelnde gottmenschliche Einheit in Gnze zu verstehen, ist nach der Christologie daher nun die Entwicklung der Gemeinde eigens zu betrachten. Ihr ist Enz. §570 sowie die zugehçrigen Passagen in der VL gewidmet. Der enzyklopdische Text lautet:

806 Oder, um eine Formulierung Dierkens, Gott, 220, aufzunehmen: Nachdem bisher der „Aneignungsprozess als Moment der Geschichte Christi“ dargelegt wurde, ist nun die „Geschichte Christi als Moment des Aneignungsprozesses“ zu verstehen.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

„2) Diese objektive Totalitt ist die an sich seiende Voraussetzung fr die endliche Unmittelbarkeit des einzelnen Subjektes, fr dasselbe daher zunchst nur ein Anderes und Angeschautes, aber die Anschauung der an sich seienden Wahrheit, durch welches Zeugnis der Geist in ihm es wegen seiner unmittelbaren Natur zunchst sich fr sich als das Nichtige und Bçse bestimmt, und weiter nach dem Beispiel seiner Wahrheit, vermittelst des Glaubens an die darin an sich vollbrachte Einheit der allgemeinen und einzelnen Wesenheit, auch die Bewegung ist, seiner unmittelbaren Naturbestimmtheit und des eignen Willens sich zu entußern und mit jenem Beispiel und seinem Ansich in dem Schmerz der Negativitt sich zusammenzuschließen und so als vereint mit dem Wesen sich zu erkennen“.

Das „2)“ zu Beginn des Zitats verbindet §570 mit §569. Denn in §569 wurde die Großeinteilung des Alphas der immanenten Trinitt in §567, des Bettas der Schçpfung und des Bçsen in §568 und des Gammas der konkreten Einheit in §569 dadurch weiter differenziert wurde, dass dem Gamma eine „1)“ zugeordnet wurde, innerhalb derer Jesus Christus als die Voraussetzung der Versçhnung der Gemeinde beschrieben wurde. Zu Beginn von „2)“ als der Darlegung der Entwicklung der Gemeinde wird die Verbindung zu „1)“ hergestellt, indem Jesus Christus als die „objektive Totalitt“ benannt wird, die die „an sich seiende Voraussetzung“ fr die Entwicklung des jeweiligen Menschen benannt wird. Bereits in II.3.4.4.2. wurde dargelegt, dass der jeweilige bçse Mensch der Voraussetzung bedarf, um die Einheit mit dem unendlichen Geist zu erreichen. Denn der Versuch, diese Einheit selbst zu setzen, ist nur Ausdruck derjenigen Bewegung, die den Menschen gerade erst bçse macht. Diese Voraussetzung ist hier nun zuerst „an sich seiend“, so dass Jesus Christus „zunchst ein Anderes und Angeschautes“ ist, eine bloß empirische Erscheinung da drben oder damals. Das entscheidend Neue ist nun aus zweierlei Perspektiven zu beschreiben: Eben unter II.3.4.4.4. wurde beschrieben, wie Jesus Christus am Kreuz sich als empirische Erscheinung da drben selbst durchkreuzt. Nun gilt es zu betonen, dass dem eine Perspektivenvernderung auf der Seite der endlichen Menschen entspricht. Denn Jesus Christus wird jetzt als die „Anschauung der an sich seienden Wahrheit“ begriffen. Er ist also derjenige, der nicht einfach nur eine empirische Erscheinung ist, sondern derjenige, in dem sich die Idee vollgltig verwirklicht. Dies aber wird von der Gemeinde nur begriffen durch das „Zeugnis des Geistes in ihm“, indem sich also der Geist auf den jeweiligen Menschen senkt. So werden die Betrachter zu Glubigen und

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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es konstituiert sich die Gemeinde ebenso wie der vollentwickelte absolute Geist selbst.807 Nun kommt es zu folgender Figur: Obwohl die Gemeinde durch die Geistsendung des Auferstandenen und somit mit dem Glauben beginnt, bildet sich in ihr der Glaube dennoch erst sukzessive aus, und es kommt erst sukzessive zur vollstndigen Vereinigung mit dem Geist.808 Denn damit sich der unendliche Geist wirklich oder ein- fr allemal mit dem endlichen Geist des jeweiligen Menschen verbinden kann und so ganz er selbst wird, muss der jeweilige Mensch seine bçse Natur als den Selbstabschluss gegen das Allgemeine berwinden. Die systematische Notwendigkeit dafr liegt darin begrndet, dass der absolute Geist nur durch die Selbstaufgabe der abstrakten Selbstndigkeit des unendlichen und des endlichen Geistes konstituiert ist. Gab der unendliche Geist seine abstrakte Selbstndigkeit im „Gott ist tot“ des Kreuzes auf und gab auch die menschliche Natur Jesu ihre Selbstndigkeit dort auf, so muss dem nun die Selbstaufgabe der abstrakten Selbstndigkeit aller Menschen folgen. Erst so begreifen die Menschen wirklich, dass in der Voraussetzung Jesus Christus die an sich seiende Wahrheit realisiert ist, und erst so kann sich der unendliche Geist wirklich mit dem endlichen zum absoluten verbinden.809 807 Auch die VL betonen, dass die Gemeinde entsteht, wo der Geist ber die Menschen ausgegossen wird und sie in Jesus die Verwirklichung der Idee sehen kçnnen, siehe VL3, 251 – 256. In dem von Hegel mit dem „Entstehen der Gemeinde“ bezeichneten jeweils ersten Abschnitt seiner Darlegung der Ekklesiologie in den Vorlesungen (siehe VL3, 78 – 85, 155 – 163 und 253 – 256) setzt er sich zudem jeweils lange mit der Frage auseinander, ob andere Beglaubigungen als die Einsicht in die Verwirklichung der Idee erhellen kçnnten, dass Jesus der Christus sei, so dass sich an ihm entsprechend eine Gemeinde konstituiert. Weder die Wunder noch eine entsprechende Exegese sind in der Lage, dieselbe Gewissheit zu schaffen, da beide durch natrliche Erklrungen ihrer absoluten Gltigkeit beraubt werden und die historisch-kritische Exegese zudem per se nie die Gçttlichkeit Jesu aufweisen kann, da sie allein auf ußere Umstnde ausgeht, siehe dazu auch Jaeschke, Vernunft, 353 f. Hier fhrt Hegel somit material vor, was er bereits in VL1 erluterte und wir unter II.3.2.3.2. darlegten: Der einzige Weg, um die Religion berhaupt und entsprechend auch das Christentum zu rechtfertigen, besteht darin, die ihm immanente Begriffsstruktur aufzuweisen. 808 Zu dieser paradoxen Struktur siehe auch Jaeschke, Vernunft, 351. 809 Siehe dazu auch Wagner, Die Persçnlichkeit, 279. Anders gesagt: Das Schicksal Jesu Christi und die bestehende Gemeinde, so sagten wir, sind wechselseitige Voraussetzung fr die Konstitution des vollendeten absoluten Geistes. Sie sind aber nur dann und gerade dadurch wechselseitige Voraussetzung, dass sie jeweils die Aufgabe der abstrakten Selbstndigkeit Gottes und der Menschen vollziehen.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Die Selbstaufgabe des Menschen als die Selbstaufgabe seiner bçsen Natur beschreibt der enzyklopdische Text im Folgenden genauer. Der erste Schritt besteht in der vollstndigen Erkenntnis der eigenen Boshaftgkeit: Wusste der Mensch um seine Boshaftigkeit bereits in seiner Verzweiflung, die ihn in den Schmerz und das Verlangen nach Versçhnung trieb,810 so erlangt er die vollstndige Erkenntnis des Bçsen erst, indem in seinem Gewissen, „in ihm“, der Geist Zeugnis gibt von der an sich seienden Wahrheit.811 Daraufhin gibt er die bçse Verselbstndigung des natrlichen Willens auf. Es ereignet sich eine Form des paulinischen Mitsterbens mit Christus, die den Menschen fr die wahre Vermittlung mit dem unendlichen Geist çffnet.812 Der Mensch „entußert sich seiner unmittelbaren Naturbestimmtheit und des eignen Willens und schließt sich mit jenem Beispiel und seinem Ansich in dem Schmerz der Negativitt zusammen“.

Die bestehende Gemeinde hat diese Entußerung als Taufe etabliert.813 Somit aber ist mithilfe der Voraussetzung des Schicksals Jesu Christi die eigene bçse Natur berwunden als dasjenige am jeweiligen Menschen, was die Vermittlung mit dem unendlichen Geist verhindert. Daher kommt es nun zur wirklichen, vollendeten Vereinigung des endlichen mit dem unendlichen Geistes im Selbstbewusstsein der Gemeinde, die bereits am Ende von II.3.4.4.4. in teils proleptischer Form beschrieben wurde. Nach der Darlegung der Entwicklung des Schicksals Jesu Christi unter „1)“ und nach der Darlegung der Entwicklung der Gemeinde unter „2)“ konstatiert der enzyklopdische Text entsprechend unter „3)“, dass das „Wesen“ als der unendliche Geist „3) durch diese Vermittlung sich als inwohnend im Selbstbewußtsein bewirkt und die wirkliche Gegenwrtigkeit des an und fr sich seienden Geistes als des allgemeinen ist“. 810 Siehe oben, II.3.4.3.2. 811 Hegel fhrt diese berlegungen nicht weiter, aber er scheint hier ein Vertreter der theologischen Einsicht zu sein, dass die vollstndige Gesetzeserkenntnis erst vom Evangelium her mçglich ist. 812 Siehe dazu auch Theunissen, Hegels Lehre, 284 f. 813 Hegel spricht in den VL mehrfach von der Notwendigkeit, dass der eigene, natrliche Willen des Menschen absterbe, damit die Verbindung mit dem unendlichen Geist ermçglicht werde, siehe VL3, 73, 154, 260; siehe auch Dierken, Gott, 222. In dem Kolleg von 1824 VL3, 164 f., identifiziert Hegel diesen Vorgang ausdrcklich mit einem Akt der „bestehenden Gemeinde“ als dem zweiten der drei Entwicklungsschritte der Gemeinde, nmlich mit der Taufe.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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Nachdem auch die endlichen Geister ihre abstrakte Selbstndigkeit aufgeben, kann der unendliche Geist im Selbstbewusstsein der Gemeinde wohnen. Er ist in diesem Vermittlungsprozess allemal als der er selbst gewordene absolute Geist wirklich gegenwrtig. So ist er der an und fr sich seiende Geist: Indem er im Anderen bei sich ist, ist er erst wahrhaft er selbst. Die VL fhren aus, dass diese Gegenwrtigkeit des absoluten Geistes in der bestehenden Gemeinde in ausgezeichneter Weise im Abendmahl erfahren wird. „Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur an sich; hier Genuß, ist Gewißheit derselben. Geist erfllt seine Gemeinde; dies zum sinnlichen Bewußtsein, daß jeder, dieser, einzelne Subjektivitt, Glied der Gemeinde, d. h. Gott in ihm und er in Gott ist“.814 Hegel pldiert dabei fr das lutherische Verstndnis des Abendmahls, da dieses gegen die Verdinglichung der Katholiken und die Verflchtigung der Reformierten von der wirklichen Gegenwart des Geistes weiß, die aber allein im Geiste vorhanden ist.815 Whrend somit die Katholiken allein das „reale An-sich“ betonen und die Reformierten allein die „Projektion“, entsprechen die Lutheraner der geistgemßen Vermittlung von „Projektion“ und „realem Ansich“. Im Geist oder im Glauben des jeweiligen Menschen ist der unendliche Geist bei sich: So vollendet sich in der Vorstellung ein- fr allemal die Vermittlung der zwei Naturen als geistige Wesenheiten. II.3.4.6. Die weltgestaltende Seite der Religion und die Aufhebung in die Philosophie Zugleich aber ist deutlich, dass die Vollendung in der Vorstellung gerade nicht das Ende der Entwicklung des absoluten Geistes ist. Vielmehr berichtet Hegel von zwei Weiterentwicklungen, die sich aus der Vollendung des absoluten Geistes in der Sphre der Vorstellung ergeben. Einerseits ist von den Auswirkungen der erreichten Versçhnung auf das Weltliche als auf die Sphre des objektiven Geistes die Rede. Andererseits wird die Selbstaufhebung der Religion in die Philosophie dargestellt als die Weiterentwicklung in der Sphre des absoluten Geistes. Der systematische Status beider Weiterentwicklungen ist klar zu benennen. Bereits in den Auslegungen der Religionsgeschichte wurde ausgefhrt, dass die jeweilige Religion das Gesamt des Verhaltens zu Gott, Mensch und Welt 814 VL3, 88. 815 Siehe dazu VL3, 90 f., 166 f. Jaeschke, Vernunft, 338, weist aber ganz sachangemessen darauf hin, dass Hegel weder das lutherische Problem der manducatio impiorum noch die Bedeutung der Einsetzungsworte behandelt.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

bestimmt,816 so dass es durchaus Hegels Begriff von Religion angemessen ist, wenn die vollstndig realisierte Religion den Weltumgang und besonders die Sphre des objektiven Geistes neu ordnet. Begrndet liegt die Mçglichkeit der Religion zur Weltgestaltung darin, dass die Religion zu Beginn einer jeweiligen Epoche auftritt und diese entsprechend mitgestalten kann. Damit liegt eine entscheidende Differenz zur Philosophie vor, die jeweils erst am Ende einer Epoche auftritt: „Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dmmerung ihren Flug“.817 Entsprechend besteht die Aufgabe der Philosophie allein darin zu begreifen, was ist, nicht aber, Vorschlge zur Gestaltung der Wirklichkeit zu geben. Gerade damit aber entspricht sie der sich wissenden absoluten Vermittlung als absoluter Reflexion und somit ihrem in der absoluten Idee entwickelten „inneren Bildner“. Sie erweist sich gerade in ihrem Theoretizismus als die Wahrheit der Religion. Dieser Punkt ist eigens zu betonen: Auch wenn der Religion eine weltgestaltende Seite zukommt, kommt der absolute Geist doch gerade nicht in der Praxis zu sich. Die Selbstwerdung des absoluten Geistes am Ende der Religion fhrt nicht in die Sphre des objektiven Geistes oder in die Praxis zurck, sondern fhrt weiter in den absoluten Geist als in die Theorie hinein. Zwar gibt es anders lautende Stellen bei Hegel selbst,818 doch sind sie gerade nicht gedeckt durch das grundlegende Hegelsche Verstndnis dessen, was der Geist und was Philosophie ist. Denn der Geist ist in seiner Hçchstform als Subjektivitt gedacht, nicht als die 816 Siehe programmatisch II.3.3.2. 817 GPhR, 17. 818 So kann Hegel in VL3, 263, sagen, dass „es darum zu tun ist, daß diese Versçhnung auch in dem Weltlichen vollbracht sei“, da sie nicht nur in der Innerlichkeit des glubigen Menschen bleiben kçnne, so dass es neben der „ideellen“ auch die „reale“ Versçhnung geben msse, siehe VL3, 265. Hçsle, Hegels System, 436 – 442, fhrt eine Reihe von Stellen auf, die nicht nur von der Religion, sondern sogar von der Philosophie verlangen, dass sie praktisch werde, so dass sie sich etwa im Staat verwirkliche. Nun gibt es durchaus Argumente fr diese Weiterentwicklung: Zum einen kann Hegel ansonsten Epikureismus, ja sogar Nihilismus vorgeworfen werden (siehe Hçsle, Hegels System, 424 – 435, bes. 433 – 435, und unten, III.1.2.) Zum anderen kçnnte darauf verwiesen werden, dass Hegels Konzept von Philosophie als reiner Theoria selbstwidersprchlich ist, da Hegel dann seine eigene Philosophie htte verschweigen mssen (siehe dazu Hçsle, Hegels System, 447 f.) bzw. sie selbst, da sprachlich vermitteltes Denken immer praktisch ist, als negative Philosophie htte enden mssen, siehe dazu auch unten, III.1.2. Dem Hegelschen Grundansatz samt seiner Ausfhrung in vielen VL und vor allem in der Enz. aber widersprechen diese Stellen eindeutig.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

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intersubjektive Struktur einer Vermittlung des absoluten mit objektiven Geist. Vielmehr ist er diejenige Subjektivitt, die ihrem Status als hçchster Kategorie gerade dadurch entspricht, dass sie sich im Denken des Denkens vollendet. Nur so entspricht sie der aus der absoluten Idee vertrauten Grundstruktur sich wissender absoluter Vermittlung als absoluter Reflexion. Entsprechend ist die hçchste Entwicklungsstufe des absoluten Geistes nicht als die Weltgestaltung praktischer Vernunft, sondern als das Denken der Welt in der Einstellung theoretischer Vernunft, als Theoria, zu begreifen.819 Beide Weiterentwicklungen seien kurz dargestellt. 819 Die Klrung des Status der Weiterentwicklung des absoluten Geistes erfolgt deshalb in relativer Ausfhrlichkeit, weil in der Literatur darber oft Unklarheiten herrscht. So stellt etwa Huber, Idealismus, 157 – 163, beide Entwicklungen unkommentiert nebeneinander. Die ansonsten sehr interessante Arbeit von Hodgson, Hegel, 202 – 204, hingegen meint ebenso wie die von Lewis, Freedom, 203 f., dass die Philosophie die Religion sogar rechtfertigt, siehe dazu Wendte, „Rezension Hodgson“, und Wendte, „Rezension Lewis“. Ganz entgegen den von uns vorgetragenen Einsichten prsentiert sich auch das Ende der ansonsten so beeindruckenden Arbeit von Ringleben, Hegels Theorie, 227 – 224. Ohne Diskussion der anders lautenden Passagen in den VL und des in der Enz. sichtbaren Systemaufbaus als Ganzem konstatiert Ringleben, dass der berschritt der Religion in die weltliche Sittlichkeit die Vollendung der Selbstwerdung des absoluten Geistes bedeutet. Dazu prsentiert er ein Verstndnis von Philosophie, das zwar diesem Schritt, nicht aber dem Hegelschen Philosophiebegriff entspricht. So schreibt Ringleben, Hegels Theorie, 228 f., „Hegel denkt Geist wesentlich als Praxis. Seine Philosophie als totale Theorie der Freiheit muß den sog. Primat der praktischen Vernunft universal zur Geltung bringen. Indem solche Praxis die des Geistes ist, hat sie als geisthaft selber die Gestalt innerer Einheit von Theorie und Praxis. Ihr Theoriemoment ist ihr Sich-Selbst-Wissen als Praxis; Theorie der Praxis als Selbstauslegung dieser Praxis. […] Als dieses Moment von Selbstreflexion der Praxis, die der Geist ist, hat Philosophie ihr Sein. […] Sie artikuliert das Selbstbewußtsein sittlicher Praxis als hçchster, allumfassender Wirklichkeitsgestalt“. Auch wenn es, wie erwhnt, Stellen bei Hegel und auch Argumente dafr gibt, eine Vermittlung des absoluten Geistes mit dem objektiven zu proklamieren, so ist doch der Grundansatz und die Durchfhrung in den meisten Schriften Hegels und in der Enz. so zu verstehen, dass Philosophie gerade nicht den „Primat der praktischen Vernunft universal zur Geltung“ bringt, sondern sich im Denken des Denkens, in der theoria, als vollendet sieht. Denn der Geist ist nicht dergestalt „wesentlich als Praxis“ zu denken, dass er weltgestaltend ttig wre, sondern er ist dergestalt ttig, dass er die Selbstbewegung des sich denkenden Denkens ist. Entsprechend ist auch Hegels Philosophie nicht Moment einer uneinholbaren Praxis, sondern die vollendete Einholung der Praxis in das reine Denken. Seine Freiheit ist nicht die der Weltgestaltung, sondern die vollstndiger begrifflicher Selbstdurchsichtigkeit des sich denkenden Subjekts.

282

II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

Whrend das Kolleg von 1821 und der enzyklopdische Text allein die Selbstaufhebung der Religion in die Philosophie thematisieren, bedenkt vor allem das Kolleg von 1827 kurz die aus der erreichten Versçhnung folgende Weltgestaltung. Sie hat sich erst im Verlauf einer langen Geschichte durch defizitre Formen hindurch sukzessive entwickelt. In einem ersten Schritt in der Alten Kirche scheidet sich die erreichte Versçhnung von aller Weltlichkeit ab und bringt das Mçnchstum hervor. Entsprechend muss sich der Mçnch auch von der ihm eigenen Weltlichkeit absondern und zçlibatr leben.820 Das Mittelalter entspricht der erreichten Versçhnung deshalb eher, weil es keine abstrakte Negation der Weltlichkeit mehr vollzieht. Anstelle einer inneren wird aber nur eine ußere Beziehung zwischen Geist und Welt erreicht, die sich als Herrschaft realisiert. Die Kirche bt Macht aus ber das Weltliche und verliert so gerade ihre Geistigkeit.821 Erst in der Neuzeit bildet sich die erreichte Versçhnung auf die ihr und der Welt entsprechende Weise in die Welt ein. Denn in das Weltliche ist „das Prinzip der Freiheit eingedrungen“,822 das sich als die konkrete, gestaltete Freiheit der Sittlichkeit realisiert. Gerade nicht in kirchlicher Herrschaft, sondern in der freien Sittlichkeit mitsamt der fr sie unabdingbaren Institution des neuzeitlichen Staates findet die christliche Versçhnung die ihr entsprechende Form der Weltgestaltung.823 Ist die sittliche Weltgestaltung eine Auswirkung der erreichten Realisierung des absoluten Geistes in der Gemeinde, so ist sie aber nicht diejenige Gestalt des Geistes, in die sich der Geist aus der Religion hinaus aufhebt, oder wodurch er in seine Wahrheit gelangt. Denn der absolute Geist ist diejenige Form, in der der Geist sein Dasein im Wissen hat als ein Wissen um sein Dasein im Wissen. Entsprechend entwickelt er sich aus diesem Wissen heraus nicht zu einer Form von Gestaltung, sondern

820 821 822 823

Siehe VL3, 263. Siehe VL3, 263 f. VL3, 264. Eine ausfhrliche und sachangemessene Darlegung von Hegels Zuordnung von Religion, Kirche, Sittlichkeit und Staat, die auch verschiedene andere Schriften des reifen Hegels bercksichtigt, findet sich bei Dierken, Gott, 224 – 231. Dierken, Glaube, 298 – 301 nimmt viele dieser berlegungen auf und verbindet sie mit berlegungen zu dem Verhltnis von objektiven und absoluten Geist. Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, 458 – 472, hingegen bietet eine Darstellung von Hegels Entwicklung seiner Verhltnisbestimmung von Religion und Staat von 1795 bis 1831. Siehe auch Enz., §552 Anm., 432 – 439 (20, 530 – 541).

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

283

zu einer neuen, zu der absoluten Form des Wissens, zur Philosophie. Mit dem Kolleg von 1821 gesprochen: „Aber Philosophie partiell – Priesterstand isoliert – Heiligtum. Unbekmmert, wie es der Welt gehen mag; mit ihr nicht zusammengehen. Dieses Besitztum der Wahrheit. Wie sich gestalte, ist nicht unsere Sache“.824

Den bergang von der Religion in die Philosophie nun beschreibt die Enz. im §571 folgendermaßen: „Aus ihrem Auseinandertreten und zeitlichen und ußerlichen Aufeinanderfolgen nimmt sich die Entfaltung der Vermittlung in ihrem Resultat, dem Zusammenschließen des Geistes mit sich selbst, nicht nur zur Einfachheit des Glaubens und der Gefhlsandacht zusammen, sondern auch zum Denken, in dessen immanenter Einfachheit ebenso die Entfaltung ihre Ausbreitung hat, aber gewußt als ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen, einfachen und ewigen Geistes in sich selbst. In dieser Form der Wahrheit ist die Wahrheit der Gegenstand der Philosophie“.

Zur Explikation dieses Textes kann auf viele bereits entwickelte Strukturmomente zurckgegriffen werden. Die Vorstellung wurde definiert als diejenige Form des Wissens, in der es zu einem „Auseinandertreten und zeitlichen und ußerlichen Aufeinanderfolgen“ sowohl im Bezug auf die Vorstellungsinhalte untereinander wie im Verhltnis des Vorstellenden und des Vorgestellten zueinander kommt. Die Vorstellungsinhalte resultierten nun in derjenigen Vorstellung, die der lebendigen Selbstvermittlungsbewegung des organisatorischen Zentrums des Christentums vollstndig entspricht, in der Vorstellung der Einheit der zwei Naturen Jesu Christi als geistiger Wesenheit. Dieser Vorstellungsinhalt ist als dynamischer zu fassen und fhrt vom Leben ber den Tod bis zur Auferstehung Jesu Christi. Bedeuten Tod und Auferstehung die Durchkreuzung der unmittelbaren, sinnlichen Existenz Jesu Christi und somit den Beginn der Vorstellung, so fhren sie zugleich zur Aufhebung der Vorstellung. Denn am Kreuz wird mit der sinnlichen Existenz Jesu Christi die Gegenstndlichkeit Gottes berhaupt durchkreuzt und damit das Auseinander Gottes und des Menschen. Dem entspricht, dass Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen oder dass Jesus Christus in die Gemeinde hinein aufersteht, so dass es zum „Zusammenschließen des Geistes mit sich 824 VL3, 97. Auch wenn die anderen Kollegs etwa von der weltgestaltenden Kraft der Versçhnung reden, wissen sie bei aller unterschiedlichen Differenzierung dennoch alle davon, dass es einer Vermittlung von Religion und Philosophie bedarf, die auf dem Boden der Philosophie stattzufinden hat, siehe VL3, 174 – 176. 265 – 270, bes. 269. 289.

284

II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

selbst“ kommt. Damit aber ist das die Vorstellung als Vorstellung konstituierende Auseinander der Vorstellungsinhalte durch die ein- fr allemal realisierten Einheit der zwei Naturen ebenso berwunden wie das Auseinander von Vorgestelltem und Vorstellendem durch die „wirkliche Gegenwrtigkeit“ des unendlichen Geistes „inwohnend im Selbstbewußtsein“ des endlichen. Diesem in doppelter Hinsicht zu konstatierende „Zusammenschließen des Geistes mit sich selbst“ versucht die Vorstellung zuerst noch in der „Einfachheit des Glaubens und der Gefhlsandacht“ etwa im Abendmahl zu entsprechen. Der Wahrheit ihres Zusammenschlusses aber vermag sie nicht zu entsprechen: Dass der unendliche Geist ganz und gar in ihr, in ihrem Selbstbewusstsein wohnt, vermag sie nicht zu fassen, da es sie als Vorstellung gerade sprengt. Um das fr sie konstitutive „Auseinandertreten und zeitliche und ußerliche Aufeinanderfolgen“ zu retten, flchtet sie sich in verstellende Vorstellungsinhalte, zu denen die Vorlesungen etwa die Himmelfahrt oder die Idee einer noch ausstehenden Eschatologie zhlen.825 Der Blick der Vernunft auf die Religion aber erkennt, dass der Hçhepunkt der Vorstellungsinhalte und damit der Religionsgeschichte als Ganzer die Vorstellung in ihrer Struktur von innen her aufhebt. Die vollstndige Realisierung des Begriffs der Religion realisiert sich als Negation ihrer. Denn auf dem Hçhepunkt der Vorstellung hat sich das Verhltnis ihrer Form zu ihrem Inhalt zu einem vollstndigen Widerspruch entwickelt. Der Widerspruch negiert die Form der Vorstellung und zeitigt als positives Resultat die dem Inhalt entsprechende Form. Es ist eine Form, „in dessen immanenter Einfachheit ebenso die Entfaltung ihre Ausbreitung hat, aber gewußt als ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen, einfachen und ewigen Geistes in sich selbst. In dieser Form der Wahrheit aber ist die Wahrheit der Gegenstand der Philosophie“.826

825 Siehe VL3, 167. 826 Die Logik der Selbstaufhebung der Religion in die Philosophie beschreibt auch Dierken, Gott, 231 – 242 (obwohl die letzten Formulierungen auf 242 erstaunlicher Weise offen lassen, ob Hegel nicht doch von einem bleibenden Eigenrecht der Religion ausgeht), sowie Schulz, Sein, 414 – 419 (der eine harmonischere Verbindung der Einbildung des Geistes in die Welt und seiner Zurcknahme in den Philosophenstand vorschlgt als wir), Jaeschke, Die Religionsphilosophie, 104 – 109 (der allerdings berbetont, dass die Enz. die Beschreibung der christlichen Gemeinde ganz ausspart – auch wenn die Beobachtung richtig ist, dass die Enz. die Gemeinde nur kurz beschreibt, da die Philosophie die wahre Realitt der Gemeinde ist), Hçsle, Hegels System, 430 – 435 und 594 – 597.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

285

So und nur so realisiert die Religion ihren in der absoluten Idee entwickelten „inneren Bildner“ absoluter Vermittlung. Hegel will damit nicht sagen, dass die Religion durch ihre Aufhebung in die Philosophie dergestalt negiert werden wrde, dass sie ganz verschwnde. Hegel propagiert nicht eine solche Skularisierungsthese, die besagt, dass die reiche Phnomenalitt religiçsen Verhaltens in den modernen Gesellschaften bald gar nicht mehr feststellbar sei. Vielmehr spielt die Religion fr die große Masse der Leute sowie fr die Kinder etc. nach wie vor eine wichtige Rolle. Fr diese reprsentiert sie bleibend diejenige Form, in der der absolute Geist sich selbst hat. Doch als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes ist die Religion ein- fr allemal vergangen. Als diejenige Form, in der die absolute Idee sich absolut realisiert und die daher als die Wahrheit des sich selbst begreifenden Geistes angesehen werden kann, ist sie unwiederbringlich negiert. Wer als denkender Mensch und damit als Mensch, der in der Wahrheit des Menschseins ist,827 meint, seine Beziehung zum unendlichen Geist letztgltig in der Form der Religion gestalten zu kçnnen, befindet sich laut Hegel im Widerspruch zum absoluten Geist und damit zugleich im Widerspruch zu sich selbst. Als bergang in den letzten Teil des vorliegenden Buches sollen wichtige Entwicklungen unserer Auslegung Hegels zusammen geschaut werden. So erhellt, dass die eingangs vorgenommene Wahl der absoluten Idee als des zu der Religionsphilosophie gehçrigen „inneren Bildners“ nicht nur aus dem systemtheoretischen Grund gerechtfertigt ist, dass der Schlussfigur der WL die der Realphilosophie entspricht.828 Vielmehr hat sie sich auch durch die Erklrungskraft am Material selbst bewhrt. Denn die absolute Idee ist der durch den Widerspruch getriebene Entwicklungsgang einer Entitt mit substanzhaften Zgen hin zu ihrer Selbstwerdung als Subjektivitt. Sie vollzieht sich von einer anfnglichen Einheit ber die Urteilung hin zu neuer, schließlich vollendeter Einheit absoluter Vermittlung, in der das Resultat des Weges dem gesetzten Weg zum Resultat gleicht. Diese Entwicklungsbewegung findet sich in der Religionsphilosophie als Selbstwerdungsgeschichte des absoluten Geistes, 827 Gegen Dellbrgger, Gemeinschaft Gottes, 373 – 375, ist Hegels Anthropologie also nicht so verfasst, dass der denkende Mensch nur einen Teil seines Menschseins realisiert, so dass sein Tun und Wollen dem abstrakt gegenberstnden. Vielmehr ist der sich im Begriff bewegende Mensch der Mensch in seiner Wahrheit, da er dabei die anderen Momente seines Menschseins in sich aufhebt. 828 Siehe II.1.2.

286

II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

und zwar in einem dreifachen Gang. Der erste Gang umfasst die gesamte Religionsgeschichte. Er geht somit von der unmittelbaren Einheit Gottes mit den Menschen oder der zwei Naturen in den ersten, kaum den Namen der Religion verdienenden Naturreligionen ber die Urteilung des unendlichen mit dem endlichen Geist, die sich in den Religionen der geistigen Individualitt wie den Griechen mit ihrem auch in sich geurteilten Gçtterbildern ußert, bis hin zu den Rçmern und der vollentwickelten neuen Einheit absoluter Vermittlung im Christentum. Die Vollendung der Religionsgeschichte im Christentum bedeutet zugleich deren Ende. Denn die erreichte Vermittlung ußert sich dergestalt, dass das Christentum den Begriff der Religion in der Gestalt der Einheit der zwei Naturen zu ihrem Vorstellungsgehalt hat und daher die prinzipiell unberbietbare Form der Religion darstellt. Zeigt sich die erreichte Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist formal darin, dass allen den unendlichen Geist darstellenden Vorstellungsgehalten zugleich Bewusstseinsformen als Arten der Teilhabe des endlichen Geistes zugeordnet sind, so kommt es dabei zu einem erneuten Entwicklungsgang des absoluten Geistes. Die sich dabei vollziehende Selbstwerdung als Subjektivierung beginnt mit der immanenten Trinitt und fhrt sich ber die Urteilung in Schçpfung und Kreuz hin zu der neuen Einheit in der Gemeinde fort. Ihren zu ihrer Selbstaufhebung fhrenden Hçhepunkt in der Religion findet diese Subjektivierung des absoluten Geistes in dem dritten Entwicklungsgang, dem Schicksal Jesu Christi. Kann dieser letzte Entwicklungsgang entweder als zyklische Wiederholung der ersten beiden oder als lineare, sukzessive Subjektivierung letzter Reste von Substantialitt gelesen werden, so lassen sich beide Lesarten vermitteln. Denn die Wiederholung kann als erneuter Weg zu einem erneuten Resultat gerade als der sich perpetuierende Weg im bereits erreichten Resultat gelesen werden.829 Im Schicksal Jesu Christi nun und vor allem am Kreuz durchkreuzt Gott seine Gegenstndlichkeit und negiert somit letzte Reste von Substantialitt. Er steht auf als reine Subjektivitt absoluter Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist, als Geist in der Gemeinde wohnend. Entsprechend ist dieser Entwicklungsgang sowohl von Jesus Christus als auch von der Gemeinde aus zu rekonstruieren, da beide sich wechselseitig voraussetzen. In der Gemeinde hat sich die absolute Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist dergestalt vollendet, dass Setzen und Voraussetzen des einen durch den anderen und damit „Projektion“ und „Ansich“ des Geschehens symmetrisch ineinander 829 Siehe II.2.1.

II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee

287

verschrnkt sind.830 Damit hat sich eine Situation ergeben, die als die „absoluter Kontextualitt“831 beschrieben werden kann: Der absolute Geist ist gerade darin er selbst, dass er kein Außen mehr kennt, sondern sich alles durchklrt eingemeindet hat. Damit haben sich auch Beobachterund Teilnehmerperspektive miteinander vermittelt, und es hat sich eine charakteristische Vermittlung des Verhltnisses von Leser und Gelesenem ergeben. Im Leser vollzieht sich diejenige Bewegung des absoluten Geistes, ber die er gerade nachdenkt. So hat der absolute Geist die bildungspraktische, propdeutische Aufgabe der Hinfhrung des außenstehenden Bewusstseins an die Sache832 als Gang der Sache selbst vollzogen. Damit liegen solche Vorstellungsgehalte vor, die kein Außen mehr kennen und daher in ihrer materialen Vermittlung von Vorstellendem und Vorstellungsgehalt einerseits und der Inhalte untereinander andererseits der Vorstellung als Vorstellung widersprechen. Entsprechend kommt es zur Selbstaufhebung der Selbsthabe des absoluten Geistes als Religion in die Selbsthabe des absoluten Geistes als Philosophie, in der sich die gottmenschliche Einheit als die Einheit der zwei Naturen wahrhaft vollzieht. Somit hat sich die fr die vorliegende Arbeit zentrale Beobachtung aus dem Material entwickelt, die Aussagen zur zentralen Grundstruktur, zum Inhalt und zur Form miteinander kombiniert. Es verbinden sich also Aussagen zu der in der absoluten Idee zu analysierenden, den Inhalt zutiefst prgenden Grundstruktur absoluter Vermittlung mit Aussagen zur Einheit der zwei Naturen als dem durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung zutiefst geprgten Inhalt und Aussagen zu Religion und Philosophie als den Formen, in denen sich der Inhalt vollzieht. Gerade die der Einheit der zwei Naturen zugrunde liegende Struktur absoluter Vermittlung eines Selbst, das erst durch diese Vermittlung zu sich wird, fhrt mit unausweichlicher Konsequenz dazu, dass sich die wahre Einheit der zwei Naturen in der Form der Philosophie vollzieht. Oder, um es in Bezug auf den Forschungsberblick (I.2. und I.3.) zu formulieren: Das Novum der vorliegenden Arbeit besteht vielleicht weniger in der Wahl des Themas als in der des herangezogenen Materials, wurde doch erstmals die absolute Idee als logischer Hintergrund der Religionsphilosophie ausfhrlich herangezogen. Der so organisierte Rckgriff auf die WL erwies, dass der philosophischen gegenber 830 Siehe II.3.4.1. 831 Gamm, Idealismus, 109. 832 Siehe II.3.2.3.2.

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II. Hauptteil: Gottmenschliche Einheit bei Hegel

der religiçsen Lesart Recht zu geben ist. Das gilt es im Folgenden kritisch zu bedenken.

III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik III.1. Kritik an Hegel In dem abschließenden dritten Teil wird die Relevanz des soweit Entwickelten fr das gegenwrtige Denken expliziert. Das soll in zweifacher Hinsicht geschehen. Zum ersten wird Hegels Denken aus theologischer wie aus philosophischer Perspektive auf seine argumentative Validitt hin geprft (III.1.). Zum zweiten werden zwei zeitdiagnostische Perspektiven prsentiert (III.2.). Sie kritisieren den expliziten Umgang mit Hegel in der gegenwrtigen Theologie ebenso wie dasjenige Phnomen, das als impliziter Hegelianismus bezeichnet werden kann. Um die Motivationen einer Kritik an Hegel begreiflich zu machen, mag es hilfreich sein, auf die theologisch Eingangsfrage der vorliegenden Arbeit zurckzukommen, die in der Einleitung unter I.1. dargelegt wurde. Sie ist in der Beobachtung verortet, dass die im Konzil von Chalcedon festgelegte Zentralbestimmung von der Personeneinheit Jesu Christi in den zwei Naturen auch der gegenwrtigen Theologie zu denken gibt. Denn sie ist fr die christliche Theologie ebenso grundlegend wie ausfhrungsbedrftig. Grundlegend ist sie aus soteriologischen wie ontologischen Grnden: In soteriologischer Hinsicht ist einsichtig, dass nur Gott zu retten vermag. Zugleich aber muss der Mensch angenommen werden, um erlçst zu sein. Daher vermag allein eine Person in zwei Naturen zu erlçsen. In ontologischer Hinsicht erhellt, dass mit der so gefassten christologischen Definition Grundlegendes ber das Verhltnis Gottes zur Welt oder des Unendlichen zum Endlichen gesagt ist, das entsprechend fr eine Vielzahl anderer loci von großer Bedeutung ist. Ausfhrungsbedrftig ist die grundlegende chalcedonensische Zentralbestimmung nun deshalb, weil sie aus der Perspektive der systematischen Theologie nur die notwendigen Bedingungen fr eine notwendig und hinreichend ausgefhrte Explikation festlegt. Denn ihrem Genre als Konzilsbeschluss entsprechend bietet sie nicht die umfassende, denkerisch durchgeklrte, kohrente und somit konstruktive Konzeption, die vorzulegen Aufgabe systematischer Theologie bleibt. Exegetisiert diese Arbeit zur Entfaltung einer solchen konstruktiven Konzeption das Denken Hegels, so geschieht das nicht allein deshalb, weil Hegel in einem allgemeinen Sinn als ein frher Vorlufer der Renaissance trinitarischer

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

Theologie aufzufassen ist oder weil er selbst in seiner Religionsphilosophie die zwei Naturen bedenkt. Vielmehr kann sein gesamtes System als eine Auslegung Chalcedons gelesen werden. So ist in materialer Hinsicht die Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist das grundlegende Thema und das Telos seines gesamten Systems. Seine logischen Explikationen bemhen sich umfassend, dessen Denkbarkeit aufzuklren. Daher scheint kaum ein anderer Denker in dem Maße wie Hegel dafr prdestiniert zu sein, eine umfassend durchgeklrte Konzeption der Personeneinheit der zwei Naturen vorzulegen. Entsprechend wurde in dem vorliegenden Buch zuerst ausfhrlich die absolute Idee als der „innere Bildner“ oder die logische Struktur des Chalcedonense ausgelegt. Sodann wurde die Religionsphilosophie exegetisiert als diejenige Realphilosophie, in der sich die logische Struktur als die Einheit der zwei Naturen als geistiger Wesenheiten verwirklicht. Das Ergebnis der Auslegungen kann in der Zentralbeobachtung dieser Arbeit zusammengefasst werden, die Aussagen zu der zentralen Grundstruktur, zu dem Inhalt und zu der Form miteinander kombiniert. Sie verbindet somit Aussagen zu der in der absoluten Idee als dem Schlusskapitel der WL zu analysierenden, den Inhalt zutiefst prgenden Grundstruktur absoluter Vermittlung, durch die ein Selbst es Selbst wird, mit Aussagen zu der Einheit der zwei Naturen als dem durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung zutiefst geprgten Inhalt und Aussagen zu Religion und Philosophie als den Formen, in denen sich der Inhalt vollzieht. Die Beobachtung lautet, dass gerade die der Einheit der zwei Naturen zugrunde liegende Struktur absoluter Vermittlung mit unausweichlicher Konsequenz dazu fhrt, dass sich bei Hegel die wahre Einheit der zwei Naturen in der Form der Philosophie vollzieht. Nun gilt es zu bewerten, ob damit die Eingangsfrage dieser Arbeit angemessen beantwortet werden kann: Liegt mit dem Hegelschen Entwurf eine umfassende, denkerisch durchgeklrte, kohrente und konstruktive Konzeption der Personeneinheit der zwei Naturen vor, die theologisch zu befriedigen vermag? Im Folgenden gilt es, zweierlei zu unterscheiden. Aus theologischer Sicht ist die Frage vehement zu verneinen. Denn wie genauer auszufhren sein wird, stellt eine Einheit der zwei Naturen, die sich in Wahrheit als Philosophie vollzieht, aus theologischer Sicht eine Vermischung von opus Dei und opus hominum und damit eine Vermischung von Evangelium und Gesetz dar. Sie attackiert somit ein zentrales Theologumenon des Protestantismus.833 Ist Hegels 833 Zu einer ersten Einfhrung und zu weiterer Literatur zu der Verhltnisbestim-

III.1. Kritik an Hegel

291

Konzeption daher aus theologischer Sicht entschieden abzulehnen, so ist zugleich die begrenzte argumentative Valenz dieser Ablehnung zuzugeben. Denn eine Kritik, die allein von theologischer Seite anhebt und etwa auf die verspielte Differenz von Gesetz und Evangelium verweist, bleibt Hegels Ansatz ußerlich. Sie ist daher aus der Sicht idealistischer Rationalittsstandards denkerisch nicht ernst zu nehmen. Denn entwickelt Hegel ein letztbegrndetes System, so ist demgegenber der Verweis auf irgendwelche Aussagen irgendwelcher Schriften aus dem ersten oder sechzehnten Jahrhundert nicht von argumentativ durchschlagender Kraft. Mehr noch: Bisweilen antwortet Hegel auf eine solche Kritik, die ihn nur von einem dem Hegelschen Denken externen Standpunkt aus kritisiert, mit dem Hinweis, dass „ein trockenes Versichern aber gerade so viel gilt als ein anderes“.834 In dem vorliegenden Fall einer theologischen Hegelkritik aber ist nicht einmal das mit dem Zitat angedeutete Anspruchspatt erreicht, aus zwei Grnden. Wie ausfhrlich dargestellt wurde,835 meint Hegel zum einen, dass die Religion in ihrem Begriff und somit von der Philosophie aus erfasst werden muss, um geltungstheoretischen Ansprchen gengen zu kçnnen. Zum anderen hebt der Begriff in der Religion die Religion in die Philosophie als in ihre Wahrheit hinein auf. Wird Hegels Philosophie aus theologischer Perspektive attackiert, so attackiert somit zum einen eine Perspektive diejenige andere, aus der heraus sie aller erst gerechtfertigt wird. Zum anderen attackiert eine in ihrer Unwahrheit erwiesene und somit vergangene Stufe des absoluten Geistes diejenige hçhere Stufe, in der sie in ihrer Wahrheit ist. Dieses Vorgehen ist somit aus Hegels Sicht ein gnzlich unbegriffliches und daher unsinniges Unternehmen.836 Um mit einer Kritik an Hegel dem Hegelschen Begriff von Kritik zu entsprechen, ist Hegel somit allein von innen heraus anzugreifen, mit philosophischen Grnden und in der internen Widerlegung seiner eigenen Argumentation. Mit Hegel selbst gesprochen: Man muss „in die Kraft des Gegners eingehen und sich in den Umkreis seiner Strke mung von Gesetz und Evangelium als demjenigen, was vom Menschen zu tun ist und demjenigen, was Gott tut, siehe Schwçbel, „Gesetz“. Dessen und die oben angedeutete Position wird durch den berhmten Ausspruch von Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas, WA 40/I, 207, 17 f. gesttzt, der lautet: „Qui igitur bene novit discernere Evangelium a lege, is gratias agat Deo et sciat se esse Theologum [Wer das Evangelium recht vom Gesetz zu unterscheiden weiß, der danke Gott und darf wissen, dass er ein Theologe ist]“. 834 PhG, 60 (9, 55). 835 Siehe oben, II.3.2.3.2. 836 Siehe dazu auch Jaeschke, Vernunft, 297 – 303.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

stellen“.837 Entsprechend sei in zwei Schritten vorgegangen: In einem ersten wird die theologische Motivation einer philosophischen Hegelkritik offen gelegt, indem Hegels Konzeption aus theologischer Sicht kritisiert wird. Um aber nicht bei dieser positionellen Kritik stehen zu bleiben, werden in einem zweiten Schritt Perspektiven einer immanenten, philosophischen Kritik an Hegel prsentiert, die zumindest von ihrer Systemstelle her auch Hegel selbst als Kritik an sich akzeptiert msste. Betont die bisherige Darstellung allein die Differenzen zwischen der theologischen und der philosophischen Kritik, so wird diese Perspektive nicht das letzte Wort haben. Denn beide Kritiken greifen Hegel letztlich deshalb an, weil seinem Denken die Grundstruktur absoluter Vermittlung zugrunde liegt. Zugleich pldieren beide dafr, dass der Struktur absoluter Vermittlung ein der Vermittlung bleibend entzogenes Anderes voranzustellen ist, das die Vermittlung ermçglicht und sich in ihr vollzieht. Von da ausgehend, kommt es zu einer weitreichenden Neubestimmung des Selbstverstndnisses von Philosophie. Denn die philosophische Einsicht in das der Vermittlung bleibend entzogene Andere ihrer, das sie aller erst ermçglicht, bedeutet in geltungstheoretischer Hinsicht, dass die Vernunft sich in ihrer Reichweite begrenzt. Sie begreift, dass sie zwar, mit Hegel, auf Letztbegrndung zielen muss, aber, gegen Hegel, keine Letztbegrndung vollbringen kann. Gerade in dieser Selbstbegrenzung zeigt sich die Vernnftigkeit der Vernunft. Damit kommt es zugleich zu einer neuen Konvergenz der philosophischen mit der theologischen Kritik. Denn die Einsicht in die Unmçglichkeit, Letztbegrndung zu vollbringen, kann als die geltungstheoretische Fassung der rechten Zuordnung von Evangelium und Gesetz als opus Dei und opus hominum verstanden werden: Es ist nicht Aufgabe endlicher Vernunft, theoretische Letztbegrndung zu vollbringen. Denn diese ist ein opus Dei. Deshalb ist die Vernunft gerade darin vernnftig, in dem Abmessen ihrer Leistungsfhigkeit auf die bleibende Differenz von Evangelium und Gesetz zu insistieren. In der Trennung von opus Dei und opus hominum ist die Vernunft gerade bei sich. So validiert die philosophische Kritik mit diesen Zuordnungen die inhaltliche Nherbestimmung der theologischen Kritik. Mehr noch: Es wird zugleich der Phnomenbereich der Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes etabliert. Denn ist die Religion durch die Vorstellung geprgt als derjenigen Form der Selbsthabe des absoluten Geistes, die durch das zweifache Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits sowie der Vorstellungsinhalte 837 WL3, 10 (12, 15).

III.1. Kritik an Hegel

293

untereinander andererseits geprgt ist, so ergibt sich fr Hegel daraus der Widerspruch dieser Form zu der den Inhalt prgenden Grundstruktur absoluter Vermittlung. Dieser Widerspruch fhrt bei Hegel zu der Aufhebung der Religion in die Philosophie, in der die angestrebte Konvergenz von Form und Inhalt gegeben ist. Ist aber die den Inhalt prgende Grundstruktur ebenfalls von einem bleibenden Auseinander geprgt, so ist die Form der Vorstellung diesem Inhalt gerade in dem sie prgenden Auseinander gemß. Damit kommt es zur Etablierung der Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes. Die Selbstbegrenzung der Vernunft, die Ausdruck der Vernnftigkeit der Vernunft ist, resultiert also gerade darin, dass die Vernunft die Religion als in sich vernnftig anerkennt. Doch ehe weiter auf die berlegungen zu der Verhltnisbestimmung von theologischer zu philosophischer Kritik eingegangen wird, sei die jeweilige Kritik genauer vorgefhrt. III.1.1. Die theologische Kritik: zu Hegels Vermischung von Gesetz und Evangelium Die theologische Kritik an Hegel konzentriert sich auf das im Weiteren genauer zu analysierende, fehlende „Auseinander“ von Gott und Mensch. Dabei muss diese Kritik an Hegel gewahr sein, dass Hegel selbst ihrer immer schon gewahr war. Mehr noch: Er erklrt sie geradezu fr notwendig. Denn sie liegt in zwei Aspekten der Verfasstheit der Vorstellung begrndet, die oben ausfhrlich erçrtert wurde und an die hier nur kurz erinnert sei.838 So ist die Vorstellung als diejenige Form des Sich-Wissens des absoluten Geistes definiert, die durch das zweifache Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits und der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits gekennzeichnet ist. Damit geht einher, dass sie die spekulative Inhaltsidentitt bei Formdifferenz zwischen Religion und Philosophie nicht zu begreifen vermag. Denn gehen die Vorstellung und die Religionsphilosophie in der Beobachtung berein, dass sich der Inhalt bei der Aufhebung in die Philosophie verndert, so ist es fraglich, wie diese Vernderung zu bewerten ist. Aus der Sicht der Philosophie gelangt der Inhalt in der neuen Form und durch die Inhaltsvernderungen gerade in seine Wahrheit. Dieser Einschtzung zugrunde liegt ein spekulatives Verstndnis von Form und Inhalt, das besagt, dass dem Inhalt die Form zwar einerseits wesentlich ist, da der Inhalt selbst die Einheit von Inhalt 838 Siehe oben, II.3.2.2.

294

III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

und Form ist, um berhaupt bestimmt, also Inhalt, zu sei. Als Formeinheit von Inhalt und Form kommt dem Inhalt die Form somit wesentlich zu. Andererseits aber ist die Form als Form dem Inhalt nicht wesentlich. Die Vernderungen, die am Inhalt geschehen, wenn dieser in die Philosophie aufgehoben wird, sind nun allein der Form als Form geschuldet, die dem Inhalt als Formeinheit von Inhalt und Form nicht wesentlich sind – so der spekulative Blick der Philosophie. Daher bewertet die Philosophie die Aufhebung des religiçsen Inhaltes in die Philosophie so, dass der Inhalt dadurch in seine Wahrheit kommt. Entsprechend ist von der Inhaltsidentitt in beiden Formen zu sprechen. Die Vorstellung aber ist durch eine andere Verbindung von Inhalt und Form definiert. Denn sie schtzt auch diejenigen Prgungen des Inhaltes durch die Form als fr den Inhalt wesentlich ein, die der spekulative Blick allein der Form als Form zuschreibt und die er daher fr den Inhalt nicht als wesentlich ansieht. Die Vorstellung meint also, dass die Vernderungen des Inhaltes, die bei der Aufhebung des religiçsen Inhaltes in die Philosophie auftreten, den Inhalt nicht in seine Wahrheit fhren, sondern ihn gerade an wichtigen Punkten verflschen. Die Verflschungen bestehen darin, dass das fr die Vorstellung zentrale zweifache Auseinander negiert wird. Und tatschlich hlt sich die theologische Kritik an Hegel in dieser von Hegel selbst begriffenen Spur: Sie wirft Hegel die Aufgabe des ihr wesentlichen Auseinanders vor. Material gefllt, liest sich das wie folgt. Die durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung geprgte gottmenschliche Einheit vollzieht sich in Wahrheit als Philosophie und bringt die wesentliche Vermittlung von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits und der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits mit sich. Aus theologischer Sicht ist die gottmenschliche Einheit als Philosophie damit gerade als sachunangemessen zu bewerten und auf einem bleibenden Auseinander zu insistieren. Dieses kann betreffs der Vorstellungsinhalte untereinander etwa in zeitlicher Hinsicht expliziert werden. Whrend die gottmenschliche Einheit als Philosophie sich als vollstndig realisierte Eschatologie versteht, betont die christliche Theologie, dass es noch einen futurischen Aspekt an der Eschatologie gibt.839 Dies Auseinander mag auch rumlich ausgedrckt werden. Whrend die gottmenschliche Einheit als Philosophie meint, dass Gott allein als philosophische Gemeinde existiert, betont die christliche Theologie, dass Jesus 839 Hegel sieht durchaus, dass diese Dimension der religiçsen Vorstellung wesentlich ist, siehe VL3, 121 f.

III.1. Kritik an Hegel

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Christus gen Himmel gefahren und so auch entzogen ist.840 Doch das eingeforderte Auseinander betrifft nicht nur das Verhltnis der Vorstellungsinhalte untereinander, sondern auch das Verhltnis von Vorstellendem und Vorgestelltem. Whrend die gottmenschliche Einheit als Philosophie den begriffenen Gott allein im und als Wissen des endlichen Geistes von Gott fasst, so werden zentrale Vollzge christlicher Religion zumindest in protestantischer Lesart ohne ein Auseinander in dieser Hinsicht gerade verpasst. Wesentlich das Gebet in seinen verschiedenen Formen inner- und außerhalb des Gottesdienstes ist davon geprgt, dass der Mensch in einer coram-Relation steht. Denn das Gebet des Glubigen richtet sich nicht an unser Wissen Gottes als genitivus subjectivus und genitivus objectivus ineins, sondern an unseren Vater im Himmel.841 Die gravierendste Kritik allerdings wird erst deutlich, wenn eigens in den Blick genommen wird, dass sich in dieser Struktur absoluter Vermittlung die sukzessive Selbstwerdung einer Entitt vollzieht, die sich als absolute Vermittlung von Setzen und Voraussetzen des endlichen und unendlichen Geistes vollendet. In dieser Perspektive wird deutlich, dass Hegel auf theologisch unannehmbare Weise opus Dei und opus hominum oder Evangelium und Gesetz vermischt. Realphilosophisch gewendet, wurde in der Auslegung der Religionsgeschichte und des Christentums aufgezeigt, dass sich die eben angedeutete Struktur sukzessiver Selbstwerdung vollzieht als die sukzessive Geistwerdung Gottes. Sie entwickelt sich von den ersten Naturreligionen bis zu den Rçmern842 und dann nochmals im Christentum. Ist bereits die immanente Trinitt Geist, so ist sie doch sie selbst nur als Spiel. Sie setzt daher die Welt und damit reale Andersheit, durch die sie in der Versçhnung weiter Subjekt oder Geist wird.843 Diese Selbst- als Subjekt- oder Geistwerdung vollendet sich am Kreuz. Dort durchkreuzt Gott seine Gegenstndlichkeit und ist dann als Geist der Gemeinde ganz er selbst, so dass er sich entsprechend als Philosophie vollzieht. In theologischer Terminologie: Erst in dieser vollendeten Selbstwerdung des absoluten Geistes vollendet sich die Gottheit Gottes. In der Einleitung zum Christentum wurde festgehalten,844 dass es dabei zu der absoluten Vermittlung von Setzen und Vor840 Dass Hegel von der Himmelfahrt als religiçser Vorstellung weiß, diese aber gerade als verstellende Vorstellung einschtzt, wurde erçrterten unter II.3.4.4.4. 841 Siehe dazu ausfhrlich Dierken, Gott, 243 – 246. 842 Siehe dazu II.3.3.1. 843 Siehe II.3.4.4.4. 844 Siehe dazu II.3.4.1.

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aussetzen zwischen endlichem und unendlichem Geist kommt. Als Gemeinde und Philosophie gibt es gerade kein Auseinander von Setzen und Voraussetzen mehr, sondern endlicher und unendlicher Geist setzen den jeweils anderen und haben ihn zugleich als eigene Voraussetzung. Sie sind nur durch den jeweils Anderen sie selbst. So wie der Mensch Gott braucht, um er selbst zu sein, so braucht auch Gott den Menschen, um er selbst als Geist zu werden und dann in der Philosophie als Geist zu sein – nur so ist der absolute Geist wahrhaft er selbst. Aus theologischer Sicht zeitigt diese vollstndige Selbstvermittlung verheerende Konsequenzen fr das Selbstsein des Menschen wie fr das Gottes und damit fr die Menschlichkeit des Menschen wie fr die Gottheit Gottes. Die Menschlichkeit des Menschen ist bedroht, da der Mensch fr Gott nicht um seiner selbst willen und als Mensch interessant ist. Vielmehr braucht Gott den Menschen zu seiner Selbstwerdung und verbraucht ihn damit.845 Denn der Mensch ist nicht mehr Selbstzweck, sondern er ist Mittel zum Zweck der Selbstwerdung und des Selbstseins Gottes. Zugleich ist damit die Gottheit Gottes bedroht. Denn Gott begibt sich dergestalt in die Hnde der Menschen, dass er gegenber den Menschen nicht der immer auch Freie, Souverne ist.846 Gott dependiert von den Handlungen der Menschen auf sachunangemessene Art, da er nur durch die Vermittlung mit den Menschen er selbst wird und er selbst ist. Er ist nicht mehr der seiner Offenbarung und Immanenz gegenber immer auch freie Gott, der damit immer Neues anfangen kann. So ist der Mensch als das Mittel zum Zweck der Selbstwerdung Gottes zugleich die Bedingung der Mçglichkeit von Gottes Selbstwerdung und Gottes Selbstsein als vollendetem absolutem Geist. Damit aber sind opus Dei und opus hominum oder Evangelium und Gesetz vermischt und damit die Identitt des Protestantismus in einem zentralen Theologumenon aufs Hçchste bedroht. Denn sicherlich ist es Aufgabe Gottes und kommt es dem opus Dei zu, in Schçpfung, Versçhnung und Vollendung Bedingung der Mçglichkeit fr das wahre Selbstsein des Menschen zu sein und damit seine Menschlichkeit zu garantieren. Aber es ist nicht Aufgabe des 845 Siehe dazu Jngel, Gott, 124 f. 846 Diesen Vorwurf, der darauf abzielt, dass das Hegelsche Verstndnis Gottes seine Gottheit ruiniert, weil er Gott vom Menschen abhngig macht, ist auch denjenigen Theologien zu machen, die in der Gegenwart mit einem solcherart hegelianisch geprgten Gottesverstndnis operieren. So wendet etwa Krçtke, „Gottes Autoritt“, 189, vçllig zu Recht gegen die solcherart hegelianisch geprgte Theologie Falk Wagners ein, dass sie „den ,Gottesgedanken‘ aufhebt, weil ein vom Menschen abhngiger Gott gar nicht mehr Gott zu heißen verdiente“.

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Menschen und es kommt dem opus hominum nicht zu, Bedingung der Mçglichkeit fr das wahre Selbstsein Gottes als absoluter Geist oder fr die Gottheit Gottes zu sein. Vielmehr ist das Selbstsein des absoluten Geistes und damit die Gottheit Gottes allein durch Gott selbst zu sichern. Es ist dagegen prziser Ausdruck der Sndigkeit des Menschen, Aufgaben Gottes bernehmen zu wollen. Und die Sndigkeit wird auf die Spitze getrieben, wenn der sndige Mensch Voraussetzung der Gottheit Gottes sein soll.847 Dependierte die Gottheit Gottes von dem sndigen Menschen, so feiert die Snde auf eine Weise Urstand, dass nur ein „Gnade uns Gott“ zu rufen wre, htte dieser mit seiner Gottheit nicht zugleich seine Fhigkeit zur Gnade gerade in die Hnde der in ihrer Sndhaftigkeit ebenso zur Gnade unfhigen wie der Gnade bedrftigen Menschen gelegt. Dependierte die Gottheit Gottes von dem sndigen Menschen, so wre die Weltgeschichte dergestalt das Weltgericht, dass sie die auf unaufhebbare Dauer gestellte Hçlle wre. Gibt es an diesem Punkt kein Auseinander, keine strikte, undialektische Trennung von Setzen und Voraussetzen des opus Dei und des opus hominum, dann ist die rechte Zuordnung beider auf fr die christliche Theologie ruinçse Art und Weise verfehlt. So besttigt sich in der materialen Verfehlung der rechten Zuordnung von opus Dei und opus hominum gerade ihr formaler Status als zentrales Theologumenon des Protestantismus. Hegels Verspielen des rechten Auseinanders von Gesetz und Evangelium ist keine Abirrung eines ansonsten interessanten Systems. Vielmehr ist sie die eiserne, unabweisbare Konsequenz der Hegelschen Grundstruktur, die sich ganz folgerichtig als die gottmenschliche Einheit 847 Wie unter II.3.4.4.2. expliziert, fasst Hegel die in Jesus Christus ein- fr allemal geschehene Versçhnung durchaus als Voraussetzung der Versçhnung der restlichen Menschheit. Auch argumentiert er ganz sachangemessen fr die Voraussetzungshaftigkeit dieses Geschehens, indem er betont, dass der Versuch der Selbsterlçsung nur denjenigen Fehler wiederholt, durch den der Mensch aller erst Bçse und damit der Versçhnung bedrftig wird. Denn in der Selbsterlçsung wird wahres Selbstsein ohne die Vermittlung mit dem Anderen seiner zu erlangen versucht. Aus theologischer Sicht verspielt Hegel diese sachangemessene Einsicht aber sogleich wieder, da laut Hegel nicht nur das Selbstsein des endlichen, sondern auch das Selbstsein des unendlichen Geistes allein durch die Vermittlung mit dem Anderen seiner erlangt wird, so dass Gott erst in der Gemeinde der Philosophen wahrhaft Geist wird und damit diese auch Voraussetzung seiner ist. Dass Hegel hier eine Symmetrie von wechselseitigem Setzen und Voraussetzen annimmt, liegt an seiner Grundstruktur absoluter Vermittlung und ist seinem Denken somit zutiefst eingeschrieben. Das aber genau macht Hegels Denken aus theologischer Sicht unannehmbar.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

als Philosophie vollendet. Wer mit absoluter Vermittlung operiert, verspielt die Differenz von Gesetz und Evangelium. Damit ist zu der philosophischen Kritik bergeleitet, will diese doch die Grundstruktur absoluter Vermittlung auf ihre Rationalitt hin prfen. III.1.2. Perspektiven einer philosophischen Kritik Die intellektuelle Redlichkeit gebietet es, vor der Durchfhrung einer philosophischen Kritik an Hegel mit einem retardierenden Moment zu beginnen, das auf die Problematik einer solchen Kritik hinweist. So sehr aus der Perspektive idealistischer Rationalitt allein eine interne Kritik an Hegel von argumentativer Valenz ist, so schwierig ist diese gerade bei Hegel zu vollziehen. Denn bereits das Vorgehen in der vorliegenden Arbeit, das in vielem stark abkrzenden Charakter hat, verweist auf einen grundlegenden Zug der Hegelscher Begrndungsstrategie, die die Kritik an ihm stark erschwert: Um die Realphilosophie zu rekonstruieren, wurde auf ein bestimmtes Kapitel der Logik zurckgegriffen, das, um angemessen rekonstruiert zu werden, zum Rckgriff auf ein anderes Logik-Kapitel zwang, etc. Trotz der durchaus sachangemessenen Auszeichnung einer Grundstruktur ist Hegel letztlich in Gnze zu rekonstruieren, ehe er kritisiert wird.848 Das aber verunmçglicht eine interne Kritik an Hegel beinahe, nicht nur wegen der schieren Quantitt der Aufgabe, sondern auch wegen ihrer qualitativen Hçhe. So gibt es ernstzunehmende Hegel-Forscher, die meinen, dass man nicht mehr zu widersprechen vermag, wenn man sich einmal innerhalb des Systems bewegt. Denn der holistische Verweiskosmos der sich gegenseitig sttzenden Begrndungen ist so berzeugend aufgebaut, dass alle Einsprche als Entwicklungsschritte des Systems in dieses integriert wurden und somit letztlich in der absoluten Vermittlung aufgehoben sind. Jede Kritik an Hegel luft somit Gefahr, sogleich als unterkomplex desavouiert zu werden, weil sie eine Vielzahl nuancierter Argumentationen innerhalb des Verweiskosmos des Gesamtsystems ignoriert. So hat mit Schndelbach einer der besten gegenwrtigen HegelKenner mehrfach darauf hingewiesen, dass man kaum mehr mit Argumenten aus dem Hegelschen System heraus kommt, so man sich einmal 848 Siehe zu der Einschtzung Hegels als Holisten etwa Henrich, „Deduktion“, 20, und die Selbstcharakterisierung Hegels in der PhG, 18 (9, 22), die besagt, dass „das Wahre nur als System wirklich“ ist.

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in ihm befindet.849 Allerdings lsst diese Einsicht Schndelbach keineswegs zu einem Hegelianer werden. Vielmehr vertritt er die These, dass absoluter Idealismus und Dezisionismus zusammen fallen, da es keine Argumente dafr gibt, den Standpunkt des absoluten Wissens einzunehmen. Denn besteht die propdeutische Aufgabe der PhG darin, zu dem absoluten Wissen hinzufhren, so nimmt sie dieses bei ihrer Hinfhrung bereits in Anspruch und verfehlt dadurch ihre Aufgabe. Auch die beiden von Hegel immer wieder vor allem gegen Kant vorgebrachten Argumente fr die Perspektive des absoluten Wissens berzeugen nicht. Denn das eine besagt, dass eine Grenze zu denken sie zu berschreiten heißt. Doch setzt dieses Argument bereits diejenige Einheit von Denken und Erkennen voraus, die es gerade erst beweisen will.850 Das andere lautet, dass die der Erkenntnis vorgngige Erkenntniskritik selbst eine Form von Erkenntnis ist. Daher soll man sogleich mit dem Erkennen selbst, nicht aber mit einer ihr vorgngigen Erkenntniskritik beginnen. Demgegenber „sei zumindest angemerkt, daß der Zirkel des Erkennens dann ausfllt, wenn man zeigen kann, daß die erkenntniskritische Untersuchung nicht von demselben Typus des Erkennens ist wie das erkenntniskritisch untersuchte Erkennen; dies ist m. E. bei Kant auch der Fall“.851

Ist der Einstieg in Hegels System daher von dezisionistischer Art, so gilt dasselbe fr den Ausstieg: „Bei Hegel geht die vollstndige Begrndung des Wissens in objektiver Hinsicht in reine Dezision ber, was das subjektive Anfangen betrifft […]; darum kann man wohl auch nur durch pure Dezision wieder aus Hegels System heraustreten“.852

Eine Perspektive, die absoluten Idealismus und Dezisionismus zusammenfallen sieht, ist sicherlich interessant und kann als letzter Ausweg herangezogen werden, wenn die anderen Kritiken nicht zu berzeugen vermçgen. Dennoch soll im Folgenden nicht nur deswegen aus Hegel herausgetreten werden, weil das so gewollt wird. Vielmehr gibt es bei aller angedeuteten Schwierigkeit doch auch Ansatzpunkte einer Kritik, die das System aus systemimmanenter Perspektive angreifen.853 849 850 851 852 853

Siehe dazu Schndelbach, Hegel, 161, und ders., „Philosophie“, 60. Siehe dazu Schndelbach, „Philosophie“, 71 f. Schndelbach, „Philosophie“, 41. Schndelbach, „Philosophie“, 60. Es sei nochmals eigens auf die Formulierung des „Ansatzpunktes“ einer Kritik hingewiesen. Sollte mit dem Verweis auf den Hegelschen Verweiskosmos ange-

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Kann die Schndelbach-Kritik als die Aufforderung begriffen werden, von Hegel zurck zu Kant zu gehen, so wollen die folgenden Kritiken von Hegel zu Schelling fortschreiten.854 Denn von Schelling lsst sich zweierlei lernen: Zum einen gibt es vornehmlich zwei Punkte, an denen Hegel zu attackieren ist, der Anfang der Bewegung und ihr Ende. Zum anderen gibt es vornehmlich zwei sachliche Vorwrfe, die Hegel zu machen sind: So ist die Praxis nicht vollstndig in die Theorie einholbar. Und ein Selbst, das sich in der Struktur absoluter Vermittlung aller erst bilden soll und dieser Vermittlung somit nicht bereits vorgngig ist, vermag keinem gehaltvollen Begriff von Selbst zu entsprechen. In all dem meint Schelling, dass die gemachten Vorwrfe letztlich auf Hegels Grundstruktur absoluter Vermittlung zurckzufhren sind. Denn die darin enthaltenen Elemente von Unmittelbarkeit werden dabei nicht angemessen als solche behandelt. Material und strukturell zielt eine philosophische Kritik an Hegel somit auf dasselbe ab wie die theologische. Entsprechend gleicht auch Schellings Alternative eben derjenigen alternativen Grundstruktur, die im Anschluss an die philosophische Kritik als das rationale Gegenmodell zu Hegel kurz prsentieren werden soll855 und die sich bereits aus der theologischen Kritik nahe legt.856 Vorher aber seien die von Schelling deutet werden, dass eine treffende und umfassende Kritik ein Projekt bençtigt, das zumindest ebenso umfangreich ist wie das vorliegende in Gnze, so verstehen sich die folgenden Ausfhrungen weniger als durchgefhrte Kritiken denn als Hinweise auf Kritikmçglichkeiten. 854 Siehe dazu etwa die explizite Hegel-Kritik Schellings, die in den Mnchner Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie zu finden und bei Boenke, Schelling, 353 – 369 eigens aufgefhrt ist. Eine Rekonstruktion der Auseinandersetzung Schellings mit Hegel bietet Frank, Der unendliche Mangel, 151 – 186 und 205 – 254 sowie Schulz, Die Vollendung, 102 – 112. Wie leicht ersichtlich ist, befindet sich unsere Arbeit in großer inhaltlicher Nhe zu Schulz: Mit Schulz meinen wir, dass sich das Anliegen Hegels in einer zu Hegel alternativen Grundstruktur vollendet, die der Schellings gleicht. 855 Zu dem Gegenvorschlag des spten Schelling siehe die Rekonstruktion von Krger, „Verborgene Verborgenheit“. 856 Wie Halfwassen, Hegel, ausfhrlich und berzeugend gezeigt hat, finden sich zentrale Motive der alternativen Grundstruktur nicht erst bei Schelling, sondern bereits im Neuplatonismus und besonders bei Plotin. Halfwassen, Hegel, 381 und 469 weist selbst auf die hnlichkeiten der Grundstruktur Schellings zu der Plotins hin, sieht aber Plotin als Schelling berlegen an, da Schelling „in Klarheit und Konsequenz in der Explikation der Transzendenz des Absoluten und des Transzendenzbezugs des Denkens deutlich hinter dem Neuplatonismus Plotins zurckbleibt“. Entsprechend stellt Halfwassen ausfhrlich die Grundstruktur Plotinschen Denkens dar, siehe Halfwassen, Hegel, 231 – 243, 257 – 273, 328 – 365, und vergleicht diese dann mit Hegels Plotin-Rezeption und Hegels eigenem

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herstammenden Kritiken kurz genauer erlutert, allerdings ohne expliziten Rekurs auf Schelling. Vielmehr sollen sie dergestalt in dem gegenwrtigen Diskurs verortet werden, dass sie durch Rckgriff auf Formulierungen zeitgençssischer Denker expliziert werden. III.1.2.1. Zur unaufhebbaren Vorgngigkeit der Praxis vor der Theorie Die erste Kritik widmet sich Hegels Zuordnung von Theorie und Praxis und versucht, Hegel von seinem Ende her zu widerlegen. Diese Strategie ist gerade darin Hegel gemß, dass sie ihn an seinem strksten Punkt trifft. Denn besteht der Selbstanspruch des Hegelschen Systems darin, sich erst im Vollzug vollstndig durchzuklren, so geht eine Kritik, die Hegel vom Ende her angreift, tatschlich in die Kraft des Gegners ein und stellt sich in den Umkreis seiner Strke. Um diese Kritik zu begreifen, sei derjenige Entwicklungsgang kurz skizziert, der sich nach der Aufhebung der Religion in die Philosophie in dieser selbst vollzieht. Es ergibt sich ein dreifacher Schluss der Philosophie, der darin endet, dass der Begriff als Idee der Philosophie zu letzter Durchklrung gelangt und sich als „die ewig an und fr sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist bettigt, erzeugt und genießt“.857 Dieser durchgeklrte Vollzug wird durch das abschließende Aristoteles-Zitat aus der Metaphysik XII, 7 als Denken des Denkens gefasst, welches der Gott ist. Eine mçgliche Kritik bestnde in einem Wort darin, dass Hegels Theorie gemß der GrundDenken. So ußerst aufschlussreich die sehr hochstufige Arbeit Halfwassens in ihrem Vergleich des Hegelschen mit dem neuplatonischen Denken ist, so wre dennoch eine kritische Bemerkung anzufgen. Denn anders als wir geht Halfwassen von einem schiedlich-friedlichen Nebeneinander der Anstze Hegels und Plotins aus. Dazu weist auf Halfwassen, Hegel, 307 – 320 in einem ersten Schritt berzeugend nach, dass der in der WL vorgenommene Hegelsche Versuch, Plotins Grundstruktur aufzuheben, Plotin gar nicht trifft, da er Plotins Konzept der absoluten Transzendenz des Einen verfehlt, siehe dazu auch Halfwassen, „Hegels Auseinandersetzung“. Die zumindest aus der Sicht Hegels daraus zu ziehende Konsequenz, dass Hegel damit als gescheitert anzusehen ist, zieht Halfwassen aber nicht. Vielmehr bestimmt er beide Anstze auf Halfwassen, Hegel, 468 f., als „Vollendungsgestalten der Metaphysik“, die „zwei im Ansatz verschiedene Paradigmen von Einheitsmetaphysik sind, die – gerade weil sie Vollendungsgestalten von Metaphysik und damit auf ihre je eigene Weise unberholbar sind – grundlegende systematische Alternativen bilden“. Dass von Halfwassen bei der Zuordnung letztbegrndender Einheitsmetaphysiken das Theorem divergierender Paradigmen als grundlegender (und, so scheint es, inkommensurabler) Alternativen bemht wird, scheint aus der Sicht des verhandelten Stoffes zumindest fragwrdig zu sein. 857 Enz., §577, 463 (20, 571).

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struktur absoluter Vermittlung in dem reinen Denken des Denkens endet, so aber ihr eigenes Praktischwerden nicht erklren kann und sich dadurch gerade auch als Theorie ruiniert. Genauer: Im Anschluss an berlegungen Hçsles kann das Ende der Enz. in bereinstimmung mit der eben vorgefhrten Skizze als „die reine Theoria des sich aus der Welt zurckziehenden Denkens“ gefasst werden.858 Nun ist dieser Position zum einen vorzuwerfen, dass sie unmoralisch, zum anderen, dass sie selbstwidersprchlich ist. Hegels Position kann als unmoralisch angesehen werden, denn „ein vornehmer intellektueller Genuß, der sich keiner Verantwortung um die Welt bewußt ist, ist das, worin die Hegelsche Philosophie gipfelt, ja notwendig gipfeln muß“.859

Das gemessen am Standard interner Kritik allein durchschlagende Argument liegt allerdings in dem Selbstwiderspruch von Hegels Position. Er 858 Hçsle, Hegels System, 433. 859 Hçsle, Hegels System, 433. Eine Kritik an Hegel, die mit der Kritik Hçsles darin bereinkommt, Hegel gleichfalls Amoralitt und Theoretizismus vorzuwerfen, trgt Habermas, Zwçlf Vorlesungen, 34 – 58, vor. Ist Hegel darin zu loben, dass er als erster nicht nur die Phnomene der Moderne beschreibt, sondern diese in der ihm eigentmlichen Zusammenbindung von Modernittsbewusstsein, Zeitkritik und Rationalittsdebatte zu heilen versucht, so muss er zuletzt an dieser Aufgabe scheitern. Das liegt in dem bei ihm angesetzten Paradigma begrndet. Denn indem Hegel nicht die in den Jugendschriften zugrunde liegende Volksreligion als ein Modell kommunikativer Vernunft weiterentwickelt, sondern die (absolute) Subjektivitt als Paradigma ansetzt, folgt daraus in gesellschaftspolitischer Hinsicht die Unterjochung des freien Individuums unter den im Monarchen sich hypostasierenden Staat. Fast schlimmer noch, geht damit die Bestreitung der Legitimitt jeglicher Kritik am Bestehenden einher, da das Wirkliche als begrifflich durchgeklrtes als vernnftig anzusehen ist und sich der Philosoph entsprechend aus der Gestaltung der Welt zurckzuziehen hat. So ist die Philosophie in ihrem Theoretizismus amoralisch. Wie Habermas, Zwçlf Vorlesungen, 56, resmiert: „Die Philosophie kann die Welt nicht darber, wie sie sein soll, belehren; in ihren Begriffen reflektiert sich allein die Wirklichkeit, wie sie ist. Kritisch richtet sie sich nicht mehr gegen die Wirklichkeit, sondern gegen die trben Abstraktionen, die sich zwischen das subjektive Bewußtsein und die objektiv gestaltete Vernunft schieben. Nachdem der Geist in der Moderne ,einen Ruck getan‘ hat, nachdem er auch noch aus den Aporien der Moderne einen Ausweg gefunden, nicht nur in die Wirklichkeit eingetreten, sondern in ihr objektiv geworden ist, sieht Hegel die Philosophie von der Aufgabe entlastet, die faule Existenz des gesellschaftlichen und politischen Lebens mit ihrem Begriff zu konfrontieren. Dieser Entschrfung der Kritik entspricht die Entwertung der Aktualitt, von der sich die Diener der Philosophie abwenden. Die auf den Begriff gebrachte Moderne erlaubt den stoischen Rckzug aus ihr“.

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kann wie folgt formuliert werden: Da Mitteilung ein praktischer Akt ist, drfte eine Philosophie, die inhaltlich mit der reinen Theorie endet, gar nicht mitgeteilt werden. Wre Hegel konsequent, htte er seine Philosophie verschweigen mssen. Indem er den Inhalt seiner Philosophie bcher-schreibend mitteilt und damit berhaupt erst einem sinnvollen Begriff von Philosophie entspricht, widerspricht er gerade dem Inhalt seiner Philosophie.860 ber Hçsle hinaus kçnnte noch festgehalten wer860 Siehe dazu Hçsle, Hegels System, 447 f. Eine ruinçse konzeptionelle Schwche im Philosophiebegriff Hegels, die letztlich wiederum in dem problematischen Anspruch einer letztbegrndeten Theorie wurzelt, die ihr eigenes Praktischwerden nicht in sich zu integrieren vermag, kann auch dann festgestellt werden, wenn der Philosophiebegriff Hegels nicht von seiner finalen Entwicklungsstufe am Ende des dritten Schlusses der Philosophie her gefasst wird, sondern wenn der Philosophiebegriff im Zusammenspiel seiner drei Schlsse betrachtet wird. Die Differenz zur Argumentation Hçsles vom Philosophiebegriff Hegels als reiner Theoria liegt dann darin, dass der Philosophiebegriff der drei Schlsse praktische Vollzge in seiner eigenen Selbstbeschreibung aufweist. Aber auch hier gelingt es nicht, die eigene Praxis mit dem Selbstanspruch letztbegrndeter Theorie zu vermitteln, so dass auch die folgende Kritik als ein Pldoyer fr das unaufhebbare Pr der Praxis zu begreifen ist. Mit Kruck, Hegels Religionsphilosophie, 139 f., kçnnen die drei Schlsse einander dergestalt zugeordnet werden: „Kann die Philosophie den Status einer ersten und universalen Wissenschaft nur einnehmen, wenn sie nicht von anderem abhngt, sondern selbst – ber die Mediatisierung der Kunst und der Religion hinaus – die Totalitt des zu Begreifenden reflektiert (1. Schluß – §575 Enzyklopdie), so bedeutet dies aber zugleich, daß das Ziel der Freiheit des Begriffs durch die Notwendigkeit des linearen Ganges der Wissenschaft der Enzyklopdie nur erreicht werden kann, indem das subjektive Erkennen selbst als ,geistige Reflexion‘ die vorausgesetzten Inhalte penetriert und so zum Resultat seiner eigenen absoluten Allgemeinheit gelangt (2. Schluß – §576 Enzyklopdie). Die damit etablierte monologische Autarkie der Vernunft (Logik), die als conclusio aus dem Prozeß des Begreifens resultiert, kann allerdings nur ihren Rang als erster Wissenschaft entsprechen, wenn sie sich im Duktus des Wissens der Wissenschaft selbst verifiziert (3. Schluß – §577 Enzyklopdie)“. Doch damit ergibt sich ein grundlegendes Problem: „Denn die Philosophie kann die ihr eigene Aufgabe einer ersten Wissenschaft nur partiell einlçsen, da sie selbst (zum einen) als Prinzipienwissenschaft mit der Dominanz der von ihr angeeigneten Inhalte (zum anderen) nur in einem unendlichen Regreß vermittelt werden kann. Das Problem einer universalen Metawissenschaft zeitigt nmlich bei Hegel das Paradox, daß die Philosophie in einem die Vermittlung des Kompendiums des Wissens (1. Schluß) und somit die objektive ,Verallgemeinerung‘ des subjektiven Erkennens hervorbringen soll (2. Schluß), das seinerseits in der Anwendung auf die Realitt erst rektifiziert werden kann. Damit gert die Philosophie aber in die ausweglose Situation, daß die ber das subjektive Erkennen gewonnene Evidenz der bewhrten Allgemeinheit selbst nur im Diskurs der enzyklopdischen Wissenschaft ausweisbar ist, wodurch sich der

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den, dass auch in dem Fall, dass Hegel beim Verschweigen stehen geblieben wre und er keine Bcher geschrieben htte, ein Selbstwiderspruch vorliegen wrde. Denn eine Philosophie, die absolutes Wissen und damit die vollstndige Selbstdurchsichtigkeit der Vernunft als die Letztbegrndung des Allgemeinsten vor dem Allgemeinen propagiert, aber im Schweigen endet, wrde mit dieser Konsequenz gerade die Undurchfhrbarkeit des eigenen Ansatzes erweisen. Fr das uneinholbare Voraus der Praxis kann auch anders argumentiert werden. Im Anschluss an Utz lsst sich erwgen, ob Hegels absoluter Idee nicht selbst ein Moment von berschießender Praxis als ursprnglichem Anfangen inhrent ist, das Hegel als solches nicht begriffen hat. Zwar widerspricht dieses seinem Selbstanspruch, ermçglicht aber in Wahrheit gerade erst seine Theorie. Anders als die vorherige, auf das Ende des Hegelschen Systems zielende Kritik nimmt die nun folgende besonders das jeweilige Anfangsmoment des Hegelschen Denkens in Betracht. Sie beginnt mit der Beobachtung, dass Hegel den Entwicklungsgang der absoluten Idee als einen notwendigen fasst oder als den innerer Folgerichtigkeit. Dazu mssen zwei Bedingungen erfllt sein: Das Resultat muss vom Anfang unterschieden und es muss dem Anfang berlegen sein. berlegen ist das Resultat dem Anfang in der Hinsicht, dass das Resultat des Weges in einer Hinsicht den Weg zum Resultat in sich aufhebt. Denn das vollentwickelte Einzelne ist doch gerade die Einheit von Allgemeinem und Besonderem oder die Identitt von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Vermittelt sind beide Bestimmungen in ihre Wahrheit gekommen, so dass diese den vorher scheinbar Selbstndigen berlegen ist. Zugleich aber muss das Resultat des Weges auch unterschieden sein von dem Anfang und dem Weg zum Resultat, um ein Entwicklungsgang mit innerer Folgerichtigkeit zu sein. Der geforderte Unterschied liegt selbstredend formal bereits darin vor, dass beide Bestimmungen als die dem Resultat vorausgehenden Bestimmungen von dem Resultat unterschieden sind. Doch der Unterschied muss auch inhaltlich zu fassen sein.861 Er besteht darin, dass die beiden Bestimmungen Zirkel der begrndungstheoretischen Reflexion – die Philosophie betreffend – ins Unendliche perpetuiert“. 861 Utz, Notwendigkeit, 182, argumentiert wie folgt fr die Notwendigkeit einer inhaltlichen Bestimmung des Unterschiedenen: „Tritt nmlich etwas an die Stelle eines anderen, das jenes nicht ausschließt, d. h. auch zusammen mit ihm bestehen kçnnte, dann ist der bergang von einem zum anderen zufllig, sie kçnnten auch einfach zueinander hinzutreten“ – damit aber wre die innere Folgerichtigkeit und damit die Motivation fr die gesamte berlegung aufgegeben.

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in ihrer Zuordnung zueinander am Anfang und auf dem Weg zum Resultat von ihrer Zuordnung zueinander im Resultat des Weges divergieren. Denn whrend sie im Resultat in ihrer Einheit gefasst werden, liegen sie im Weg zum Resultat in ihrer Gegenstzlichkeit vor. Hegels Methode arbeitet somit faktisch mit zwei verschienen Zuordnungen von Unmittelbarkeit und Vermittlung. In der einen Zuordnung fasst er beide in ihrer Identitt und damit als Identitt von Unmittelbarkeit und Vermittlung. In der anderen fasst er beide in ihrer Gegenstzlichkeit und damit als Unterschiedenheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Die eine Zuordnung als die Identitt beider vollzieht sich als Aufhebung. Die andere Zuordnung als die Gegenstzlichkeit beider vollzieht sich als das, was mit Hegel die Urteilung des Anfanges genannt werden kann. Mit Utz ist diese Urteilung als „Aufbruch“ zu bestimmen und dreifach zu charakterisieren, denn „in der Nichtidentitt von Identitt und Nichtidentitt setzt der Gang ein, er bricht auf (1.); in ihr wird die Einheit der Aufgehobenheit (des vorigen Ganges – bzw. die reine Unmittelbarkeit) aufgebrochen, zerbrochen (2.); und in ihr tritt neue Bestimmung zutage, es bricht etwas hervor (3.)“.862

Utz ordnet die Phase des Aufbruchs in die Gesamtentwicklung ein. Entsprechend wird der Aufbruch dem Gang von der ersten Unmittelbarkeit zur ersten Negation und dieser selbst zugeordnet, und die Aufhebung der zweiten Negation und ihrer Einheit als vollentwickelter Einzelheit.863 Wie gleich gezeigt wird, ist die Aufhebung dem Aufbruch nicht berlegen. Damit aber ist Hegels Projekt gescheitert. Das entscheidende Argument fr diese Folgerung lautet wie folgt: Zwar hebt das Resultat die Unmittelbarkeit und die Vermittlung in sich auf und ist ihnen darin berlegen. Die Gegenstzlichkeit der Bestimmungen und damit dasjenige, worin das Resultat von dem ihm Vorgehenden unterschieden ist, hebt es aber gerade nicht auf, sondern negiert es bloß abstrakt.864 Das wird auch deutlich aus der in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Auslegung der absoluten Idee. Dort wurde auf 862 Utz, Notwendigkeit, 183. 863 Wird mit den in dem vorliegenden Buch vorgenommenen berlegungen jedoch bereits jeder einzelne Schritt innerhalb dieses Entwicklungsganges rekonstruiert als durch den immanenten Widerspruch getrieben, so ließen sich Aufbruch und Aufhebung bereits den entsprechenden Momenten jeden einzelnen Schrittes zuordnen. Wesentlich bleibt allein, dass der Aufbruch das auf den verschiedenen Schritten der Entwicklung auftretende, eben nher charakterisierte Moment des Anfangens bezeichnet. 864 Siehe Utz, „Absolute Methode“, 206.

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das Zugrundegehen der widersprchlichen Bestimmungen rekurriert, das der Gang in ihren Grund ist.865 Zugrunde geht oder abstrakt negiert wird das „Gesetztsein“ der Selbstndigen gegeneinander, „dies ist es, was in Wahrheit […] zugrunde geht“.866 Die Gegenstzlichkeit oder das Gesetztsein der Bestimmungen gegeneinander wird somit gerade nicht aufgehoben. Dasjenige, was das Resultat als das von ihm Unterschiedene fordert, um Entwicklungsgang mit innerer Folgerichtigkeit zu sein und was als der Aufbruch gefasst werden kann, wird also bloß abstrakt negiert. Daraus folgert die zentrale Einsicht, dass die Aufhebung dem Aufbruch nicht berlegen ist867 und somit beide als Korrelate zu fassen sind.868 Das zeitigt gravierende Konsequenzen fr die Aufhebung wie fr den Aufbruch. Zugleich ist Hegels Anspruch zu korrigieren, einen Entwicklungsgang mit innerer Folgerichtigkeit entwickelt zu haben. Entsprechend ist auch seine Verhltnisbestimmung von Theorie und Praxis neu zu fassen. So ist die Aufhebung als widersprchlich in dem in dem vorliegenden Buch explizierten Sinne zu fassen. Sie ist darin widersprchlich, dass sie Selbstndigkeit behauptet und das sie konstituierende Andere, das ihr immer schon zukommt, gerade nicht in ihre Selbstbeschreibung integriert.869 „Sie stellt sich dar als die berhebung einer Bestimmung ber die Bestimmungskorrelation, in der sie sich selbst bestimmt; […]. Der Widerspruch, der die Notwendigkeit des Fortgehens berhaupt garantierte, als sein Herz gewissermaßen, sein Innerstes, sein Inhalt, reproduziert sich im Formganzen des Fortganges selbst: die ,Identitt von Identitt und Nichtidentitt‘ erweist sich als Widerspruch in sich, sie besteht in nichts als eben dem Widerspruch, der ihr als die Notwendigkeit zur Aufhebung zugrunde liegt. So scheitert der Methodengang an seiner eigenen unbedingten Notwendigkeit: denn der Widerspruch darf zwar im Gang als bergangspunkt vorkommen, aber er darf natrlich nicht bestehen bleiben, darin liegt ja seine Notwendigkeit“.870

865 866 867 868 869 870

Siehe dazu II.2.4.3.1. WL2, 53 (11, 281). Siehe dazu Utz, „Absolute Methode“, 206. Siehe Utz, Notwendigkeit, 183. Siehe dazu II.2.3.3.1. Utz, Notwendigkeit, 184, Anm. 7, betont zu Recht, was auch wir in unserer Darstellung darlegten: Selbstredend ist der Widerspruch im Resultat aufbewahrt, und das Resultat vollzieht sich als Bewegung weiterhin durch diesen. Aber das Resultat wre nicht Resultat, wenn es allein der unaufgelçste Widerspruch wre, der als solcher doch gerade unwahr ist und entsprechend nur als sich auflçsender sein Dasein hat.

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Selbst wenn diese recht globale Aussage ber die Aufhebung noch im Einzelnen beweispflichtig wre, bleibt doch aus der Perspektive des Aufbruchs festzuhalten, dass die ihn kennzeichnende Gegenstzlichkeit von der Aufhebung nicht aufgehoben, sondern allein abstrakt negiert wird. Damit bleibt der Aufbruch in seiner Ursprnglichkeit erhalten. Das aber sprengt die strenge Notwendigkeit des Entwicklungsganges oder seine Charakterisierung als eines Entwicklungsganges mit innerer Folgerichtigkeit. Zwar bleibt es dabei, dass auf den Aufbruch die Aufhebung folgt.871 Aber in der Aufhebung liegt zugleich die Mçglichkeit des Aufbruches als eines von ihr nicht aufgehobenen, ursprnglichen Momentes: „und diesmal ist die Mçglichkeit (des Aufbruchs) der Aufhebung genauso gefhrlich, wie die Notwendigkeit (der Aufhebung) es dem Aufbruch ist, denn als Mçglichkeit ist der Aufbruch aus der Aufhebung nicht ableitbar und absehbar“.872

Der Aufbruch als das von der Aufhebung geforderte, von ihr aber nicht aufgehobene Korrelat ist somit als etwas zu bestimmen, das sich nicht in die innere Folgerichtigkeit der Entwicklungsbewegung einordnen lsst, diese aber zugleich aller erst ermçglicht. Nochmals mit Utz gesprochen: „Dies Anfang-Nehmen wird nun also zum Unableitbaren und Uneinholbaren, zum Unhintergehbaren des dialektischen Ganges selbst. Das Eintreten der dialektischen Bewegung ist nicht in die Mçglichkeit und Notwendigkeit von Dialektik einholbar, weil es je ihre Wirklichkeit ausmacht“.873 871 Siehe dazu auch Utz, Notwendigkeit, 184. 872 Utz, „Absolute Methode“, 206. 873 Utz, „Absolute Methode“, 206 f. Eine alternative Vorgehensweise, die ebenfalls darauf abzielt aufzuweisen, dass das Anfang-Nehmen Hegelschen Denkens nicht aus dem dialektischen Gang selbst erklrbar ist, liegt in all denjenigen Kritiken vor, die sich direkt auf den Anfang der WL selbst konzentrieren. In einem Wort zielt die dabei vorgetragene Kritik darauf, dass das anfngliche Sein um seiner Anfnglichkeit willen als unbestimmte Unmittelbarkeit gefasst wird, durch diese Bestimmung aber gerade verunmçglicht wird, dass das anfngliche Sein der Beginn von Bewegung ist. Mit Schulz, Sein, 254, gesprochen: „Ohne irgendeinen Mehrwert im Sein anzunehmen, bleibt unklar, woher die Kraft zur Fortbestimmung des vçllig Unbestimmten stammt, wie die Operation der Negation in Gang kommt, wie aus Nicht-Denken als Unbestimmtheit, Unvermitteltheit bestimmendes Denken ersteht und warum Sein in seiner Unbestimmtheit nicht Anzeige vçlliger ,Denkverendung‘ oder eines Absurden ist“. Daraus folgert Schulz, Sein, 262: „Sozusagen (methodisch) in die Unbestimmtheit zurckzuspringen, um abzuwarten, was mit dieser unvermittelten Unbestimmtheit passiert, wie dadurch allmhlich Denken ersteht (oder auch nicht), ist unmçglich. Die Bestimmtheit des Denkens kann nicht verlassen werden – auch nicht in

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III.1.2.2. Die Leere des Selbsts absoluter Vermittlung Die ersten beiden Kritiken zielten somit auf das Hegelsche Verhltnis von Theorie und Praxis. Sie besagten, dass der von Hegel angezielte Theoretizismus selbstwidersprchlich ist und sich wohl sogar in Hegels Struktur ein Moment aufzeigen lsst, das die unaufhebbare Vorgngigkeit der Praxis vor der Theorie reprsentiert. Die nchste Kritik nun zielt auf Hegels Begriff des sich im Verlauf ergebenden Selbsts oder der Subjektivitt. Diese Kritik konzentriert sich wiederum auf das Ende der Entwicklung und versucht, den dabei erreichten Begriff von Subjektivitt oder von Selbst als leer, als unbestimmt zu erweisen. Die Leere ergibt sich letztlich aus der Genese und der Verfasstheit des Resultates als absoluter Vermittlung. Zum besseren Verstndnis der nun folgenden Kritik sei kurz an die wesentlichen Bestimmungen der absoluten Vermittlung erinnert. Das Resultat des Weges, so wurde konstatiert, ist nichts als der Weg zum Resultat, aber als gesetzter.874 Besteht der Weg zu dem Resultat darin, die Selbstndigkeit der Entitten als selbstwidersprchlich und somit als Schein zu erweisen, so resultiert der Weg in der vollstndigen Dynamisierung und Momentanisierung der scheinbar Selbstndigen. Dadurch ergibt sich zudem die Subjektivierung der anfangs unmittelbaren Entitt mit substanzhaften Zgen. Zuletzt liegt somit die vollentwickelte Subjektivitt vor, die nichts als die absolute Vermittlung ihrer mit ihrem Anderen ist, das sie selbst ist. Dynamischer Selbstgewinn durch Selbstverlust oder Selbstkonstitution durch Selbstausdifferenzierung ist kein vorbergehendes Moment absoluter Subjektivitt, sondern die einzige Form ihres Selbstseins. Damit sichert Hegel die Absolutheit der Subjektivitt, so denn Absolutheit darin besteht, absolute Vermittlung Entgegengesetzter zu sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob damit ein irgendwie gehaltvoller Begriff seinem Anfang. Die Bestimmtheit ist aller Anfang“. Doch diese den Anfang markierende Bestimmtheit meint nun gerade nicht, dass am Anfang doch das Denken sei. Vielmehr muss das Denken gerade wegen seiner unaufgebbaren Bestimmtheit als von etwas bestimmt gefasst werden, und dieses ist die Seinspositivitt als der Inbegriff der Bestimmtheit des Denkens. Nochmals Schulz, Sein, 266: „Das Unbedingt-Bestimmende der Bestimmtheit des Denkens ist als das erfllte Sein zu verstehen; aber, im Unterschied zu Hegel, als von Unbestimmtheit unberhrte Positivitt. Wre das Unbedingte nicht von dieser Positivitt, projezierte man das Problem der Iteration auf das Unbedingte; es wre selbst die Iteration der Unbestimmtheit-Bestimmtheit-Bestimmtwerden-Problematik“. 874 Siehe dazu oben, II.2.5.2.

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von Selbst erreicht ist. Denn es liegt, mit Cramer gesprochen, allein die „leere Selbstproduktion einer baren Beziehung auf sich [vor], die nichts bezieht außer den Gedanken dieser leeren Selbstbeziehung selbst.“875 So aber verliert der Begriff des Selbst jeden angebbaren Sinn. Derselbe Kritikpunkt ist im Hinblick auf die realphilosophische Verwirklichung der Grundstruktur absoluter Vermittlung vorzutragen. So kann im Anschluss an Dalferth das Zusammenfallen des Weges zum Resultat mit dem reflexiven Resultat des Weges unter Rckgriff auf eine semiotische Perspektive so beschrieben werden, dass Hegel „fr das Ineinanderfallen von Denken und Gedachtem, Vollzug und Inhalt pldiert. Semiotisch gesprochen wird damit die Pragmatik des Gott Denkens in die Semantik des Gottesgedankens zu integrieren gesucht“.876

Dabei bleibt wiederum fraglich, ob Hegel einen irgendwie gehaltvollen Gottesbegriff erreicht. Denn ist Gott der Vollzug seines Gedachtwerdens, so ist er gerade darin inhaltlich ganz unbestimmt. „Gott als Totalitt allen Bestimmens zu denken, ist nur eine andere Weise, seine totale Unbestimmtheit zu denken: Der inhaltlichen Leere des ganz unbestimmten Gottesbegriffs im ersten Fall entspricht das inhaltliche Dunkel des totalen Gottesbegriffs im zweiten“.877

Zusammenfassend reformuliert und damit zurckgebunden an eine aus der Gesamtauslegung bekannte Perspektive: Der Ansatz des Selbstgewinns durch Selbstverlust oder der Selbstkonstitution durch Selbstausdifferenzierung fhrt zu keinem inhaltlich gefllten Selbstbegriff. Denn um sich im dialektischen Zusammenspiel des Eigenen mit dem Anderen als derselbe identifizieren und damit einen gefllten Selbstbegriff erreichen zu kçnnen, ist dafr doch immer bereits die Wirklichkeit desjenigen Selbsts vorauszusetzen, das vorgeblich erst konstituiert werden soll. Hegel sucht den anfnglichen Misserfolg des Selbstgewinnes im Selbstverlust 875 Cramer, „Zur formalen Struktur“, 163. Er fhrt fort: „Unter dieser Bedingung wre berhaupt nicht einzusehen, wie der Gedanke des Selbst oder des zu sich kommenden Bewußtseins von dem leeren Gedanken eines solchen unterschieden werden kann, das ein solches ist, in Beziehung auf das gilt, daß seine Beziehung auf sich die Beziehung auf ein solches ist, in Beziehung auf das gilt, daß seine Beziehung auf sich die Beziehung auf ein solches ist, daß… etc. Der mit ,Reflexion‘ gemeinte inhaltliche Sinn der Selbstbeziehung eines etwas auf sich ginge in der unendlichen Iteration eines bloßen Formalismus unter, in dem weder diese Beziehung noch das Selbst einen angebbaren Sinn behlt“. 876 Dalferth, Die Wirklichkeit, 455. 877 AaO., 456.

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durch Differenzsteigerung zu kompensieren. Realphilosophisch gesprochen und auf die Religionsphilosophie bezogen, entstehen immer ausgeprgtere Formen von Andersheit. So werden die Differenzen in der Schçpfung gegenber der der immanenten Trinitt gesteigert, und die große Negation des Kreuzes steigert sie noch einmal. Doch damit bleibt Hegel dem grundlegenden Problem verhaftet: Die sukzessive Indienstnahme je gesteigerter Formen von Andersheit zur Selbstwerdung ge- und verbraucht die Anderen zwar. Sie erreicht aber nie einen gefllten Begriff des Selbsts, sondern offenbart nur immer deutlicher die Aussichtslosigkeit des Unternehmens. Das bisher Gesagte erfordert weitere Explikationen. Ansonsten kçnnte der Eindruck entstehen, dass die eben vorgebrachte Kritik an Hegel nur die Unkenntnis entscheidender Strukturmerkmale Hegels exponiert und damit durch den einfachen Verweis auf diese abzuwehren sei. Denn es kçnnte gegenber der bisherigen Charakterisierung der Subjektivitt bei Hegel auf die von Hegel auch notierte Unmittelbarkeit und durchgehende Selbigkeit der Subjektivitt verwiesen werden und damit auf jenes Strukturmoment, das aller erst einen gehaltvollen Begriff von Selbst zu erlangen ermçglicht. Dieser Verweis ließe sich auf drei Arten reformulieren, die selbst wiederum als aufeinander aufbauend gefasst werden kçnnen. Erstens kann betont werden, dass Hegel durchaus kein Anhnger des Reflexionsmodells von Subjektivitt ist. Dazu kann zweitens ebenso die Differenz von Wesens- und Begriffslogik hervorgehoben werden wie drittens die am Ende der absoluten Idee eigens gesetzte Unmittelbarkeit. Genauer: Die eben vorgetragene Kritik bestand darin, dass Hegels Begriff des Selbst leer bleiben muss, weil es als ein Selbst gefasst wird, das nur in der Vermittlung mit dem Anderen seiner es selbst ist. Damit fehlt ihm die Wirklichkeit der vorgngigen Sichselbstgleichheit, die einen gehaltvollen Begriff von Selbst aller erst ermçglicht. Dem kann erstens entgegengehalten werden, dass dadurch der Eindruck erweckt wird, dass Hegel „Fichtes ursprngliche Einsicht“ bersehen hat.878 Diese besteht in einem Wort darin, dass die Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins nicht zu leisten vermag, was sie zu leisten vorgibt. Die Reflexionstheorie rekonstruiert die Konstitution des Phnomens Selbstbewusstsein dadurch, dass sie meint, dass ein Ich sich selbst zum Objekt macht, sich darin als sich selbst erkennt und so das Selbstbewusstsein konstituiert wird. Sie meint also, dass sich ein Selbst in der Vermittlungsbewegung konstituiert. Die Reflexionstheorie scheitert aber daran, 878 Siehe dazu Henrich, Fichte.

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dass das Ich, um sich als sich selbst im Objekt erkennen zu kçnnen, immer schon von sich wissen muss. So kommt es zu einer unendlichen Iteration. Zwar vollzieht sich Selbstbewusstsein in der Form, in der die Reflexionstheorie dieses beschreibt. Es wird dadurch aber nicht konstituiert, da es sich dafr doch immer schon voraussetzt, so Fichtes Einsicht. Hegel meint nun keineswegs, dass das Selbst und das Selbstbewusstsein anhand des von Fichte so bezeichneten Reflexionsmodells zu rekonstruieren seien.879 Zwar arbeitet auch Hegel mit dem gegenseitigen Verweis von Selbst- und Fremdbezug, sieht diese aber in der ursprnglichen Selbstbeziehung des Ich gegrndet.880 Zum Beweis dieser Behauptung kann zu dem zweiten Argument bergeleitet werden, das auch dann in Anschlag gebracht werden kann, wenn der Rekurs auf das Reflexionsmodell des Selbsts unterblieben wre. Es verweist darauf, dass die von Hegel in Anschlag ursprngliche Selbstbeziehung doch gerade das Charakteristikum der Begriffslogik ist, die damit im Gegensatz zur Wesenslogik steht. Die Wesenslogik ist dadurch gekennzeichnet, dass bei ihren Kategorien das eine Relat allein durch seine Beziehung zu dem ihm Entgegengesetzten bestimmt ist. Die Kategorien der Begriffslogik hingegen verbinden diese Form der Dialektik mit der der Seinslogik, die durch das Selbstsein der Entitten gekennzeichnet ist. Wie unter II.1.1. dargelegt, sind die Kategorien der Begriffslogik entsprechend dergestalt im Bezug auf ihr Anderes gekennzeichnet, dass sie ihr Anderes positiv gesetzt in ihrer eigenen Bestimmung enthalten. So kommt es zu einer positiven Bestndigkeit und Selbstbezglichkeit in dem Entgegengesetzten.881 Um diese Beobachtung weiter zu verstrken, kann zu dem dritten der oben angedeuteten Argumente weitergegangen werden: Die Selbstbezglichkeit der Begriffslogik wird am Ende der absoluten Idee als ihrem Methodenkapitel nochmals eigens explizit gemacht, und zwar in ihrer reinsten Form, als Unmittelbarkeit. Denn wie unter II.2.5. dargelegt, kommt es am Ende der absoluten Idee bei der vollentwickelten Einzelheit zu der „Herstellung der ersten Unmittelbarkeit“.882 Nun kann der Gang der absoluten Idee nicht nur als Entwicklungsgang der zu sich werdenden Subjektivitt begriffen werden, sondern ineins damit als das sukzessive 879 Siehe dazu Cramer, „Zur formalen Struktur“, 164 – 167, und grundlegend Dsing, Das Problem. 880 Siehe Iber, „In Zirkeln“, 59. 881 Siehe aaO., 65, und, auf eine andere Art auf dasselbe abzielend, etwa auch Koch, „Sein“, 25 – 30. 882 WL3, 297.

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Setzen ihrer Voraussetzungen.883 Unter dieser Perspektive setzt somit auch Hegel am Ende eigens, dass die letzte Voraussetzung von Subjektivitt Unmittelbarkeit ist.884 Damit aber wren die bisher angefhrten Kritiken an Hegel als haltlos erwiesen. Werfen diese ihm die Leere des Selbsts vor, die darin begrndet ist, dass sich das Selbst im Selbstverlust nie konstituieren kann, so ist Hegel in Wahrheit schon immer gegen dieses Argument gefeit. Denn auch er lsst das Selbst von der Unmittelbarkeit als seiner letzten Voraussetzung dependieren. Dennoch ist die eingangs vorgebrachte Kritik an Hegel im Recht. Im Rckgriff auf das unter II.2.5.3. Entwickelte gibt es dafr ein formales und ein materiales Argument, wobei, der erreichten logischen Hçhe entsprechend, beide miteinander vermittelt sind. In formaler Hinsicht kann darauf verwiesen werden, dass das Setzen der Voraussetzung ganz am Ende der absoluten Idee gerade nicht das Eingestndnis der Voraussetzungshaftigkeit aller Vernunft oder Subjektivitt ist. Vielmehr werden dadurch letzte Aspekte von Voraussetzungshaftigkeit aufgehoben. Auch in materialer Hinsicht ist es fraglich, ob die gesetzte Unmittelbarkeit im geforderten Sinne als Unmittelbarkeit zu fassen ist. Denn die von Hegel eingefhrte Unmittelbarkeit bricht nicht mit seiner absoluten Vermittlung. Im Gegenteil ist sie vielmehr vollendeter Ausdruck absoluter Vermittlung, da sie sich genau als diese vollzieht.885 Denn in Hegels dialektischem Denken ist wahre Unmittelbarkeit genau so zu fassen, dass sie im Anderen jeweils sich selbst erkennt. Sie ist Selbstbeziehung gerade als Einheit von Selbst- und Fremdbeziehung.886 Die Unmittelbarkeit der vollendeten Einzelheit wird somit nicht nur durch die Vermittlungsbewegung gesetzt, sondern gerade auch als diese.887 Damit aber verspielt Hegel, was er gewonnen hat: die Einsicht, dass ein gefllter Begriff des Selbsts von Unmittelbarkeit dependiert. Diese Unmittelbarkeit vertrgt keine von der Dialektik getriebene Selbstaufhebung ihres Status als for883 Siehe dazu oben II.2.5.3. 884 Siehe dazu auch Cramer, „Zur formalen Struktur“, 165 – 167. 885 Fordert Cramer, aaO., 166, dass eine Argumentation, die Hegel an seinem entscheidenden Punkt zu attackieren sucht, „dartun muß, daß Hegels Konstruktion der absoluten Voraussetzung nicht zu halten ist“, und gesteht Cramer zugleich ein, dass er diese Argumentation in dem angegebenen Aufsatz nicht leistet, weil er allein formale berlegungen anstellt, so wre die obige Bemerkung der Versuch, die geforderte materiale Begrndung zu liefern. 886 Siehe dazu auch Iber, „In Zirkeln“, 60. 887 Somit ist sie gerade derjenige Vermittlungsvollzug, der begrndungstheoretisch als Letztbegrndung zu fassen ist, siehe II.2.5.3.

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male Voraussetzung und keine materiale Fllung als absolute Vermittlung, weil damit das zu behebende Problem nur nochmals perpetuiert, nicht aber gelçst wird.888 888 Damit wenden wir uns gegen die von Gerhard Gamm vorgelegte Lesart Hegels, die wir fr ebenso interessant und originell wie, im Letzten, fr nicht ganz zutreffend halten. Gamm, Idealismus, 104, versteht obiges Phnomen gleichermaßen als die Verwirklichung der eigenen Intention Hegels und als die wahre Pointe seiner Philosophie und meint entsprechend, dass es Hegel um die „Positivierung eines Unbestimmbaren“ geht, da Hegel, so Gamm, „Postkantischer Idealismus“, 158, begriffen hat, dass das zu Begreifende „sich der Kategorisierung bereits im Augenblick seiner Bestimmung entzieht“. Gerade so aber ist Hegel der radikalste der Idealisten und darin an gegenwrtige Anthropologie, die Postmoderne und die sprachanalytische Philosophie anschlussfhig. Genauer: Sieht Gamm den Deutschen Idealismus als ein spekulatives Umkreisen der Freiheitsfrage, so ußert sich dies methodisch als Reflexion und also darin, dass keine Annahme unbesehen bernommen wird, sondern sich alles Wissen reflexiv rechtfertigen muss. Hegel, so die beraus originelle Lesart Gamms, Idealismus, 26 f., ist dabei der konsequentere Schellingianer, so dass sich der Deutsche Idealismus in Hegel vollendet. Denn whrend der spte Schelling den Angriff auf sichere Grnde als eine Differenz in den Grund selbst einschreibt, berbietet Hegel ihn, indem er diese Differenz als dialektische Reflexion zur Methode erklrt. Wird somit alles Vorgegebene als nur scheinbar Externes internalisiert oder kommt es so zu einer „absoluten Kontextualitt“, so Gamm, aaO., 109, dann bedeutet das keineswegs die vollstndige Durchsichtigkeit dieses absoluten Kontextes. Im Gegenteil werden mit den jeweiligen Kontexten je neue Intransparenzen heraufgefhrt, und es kommt zu der Einsicht, dass jede Kategorisierung immer auch ein Scheitern ist. Jedes Bestimmen ruht auf Unbestimmbarkeiten auf. Nun weiß zwar auch Gamm, aaO., 120, um einen Begriff des Absoluten bei Hegel, der einen Moment von Durchklrung in der Form von Sinn in die absolute Kontextualisierung bringt: „Das Wahre ist das Ganze, aber so, daß das, was verstanden wird, in dem Moment, da es verstanden bzw. von anderen geteilt wird, ungeteilt prsent ist. Das Absolute (in Form des Ganzen) ist die Prsenz des (geteilten) Sinns in der Unterstellung, daß ein Sprechakt oder ein Text verstanden wird“. Aber dieser Begriff des Absoluten als Prsenz von Sinn negiert nicht die grundlegende Einsicht Hegels, die besagt, dass alles Bestehende reflexiv zu negieren ist und in dieser Negation genau ein solches Positives gewonnen wird, das seine Unausdeutbarkeit behlt. Mit dieser Einsicht ist Hegel, so Gamm, nun in vielfacher Weise anschlussfhig. Denn es entspricht dem die anthropologische Einsicht, dass „niemand weiß, was ein Mensch ist“, so Gamm, aaO., 102. Zugleich, so Gamm, ebd., ist Hegel damit an die Postmoderne angeschlossen, kommen doch beide gegenber der Moderne zu der Einsicht: „Wir sind mittendrin“. Schließlich, so Gamm, „Postkantischer Idealismus“, 153 – 177, kommt Hegel auf diese Art auch mit den neuesten Einsichten der sprachanalytischen Philosophie berein, die in der Gestalt der bersetzungsunbestimmtheit bei Quine und der Vorgngigkeit der Praxis bei Davidson Unbestimmtheit als unaufhebbare Startbedingung jeden Bestimmens ansehen. Liest Gamm somit das

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Festzuhalten bleibt, dass hiermit ein kritischer Punkt erreicht ist, ein Punkt der Entscheidung: An der Frage, wie die abschließende Unmittelbarkeit zu begreifen ist, entscheidet sich Wesentliches fr die Validitt Hegelschen Denkens und entsprechend fr die Validitt einer philosophischen Hegel-Kritik.889 Legt Hegel hier ein berzeugendes Konzept vor, so werden wesentliche Kritiken an ihm gegenstandslos. Nach meiner berzeugung aber mssen die entsprechenden Kritiken dennoch auf Hegel angewendet werden, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen seines Begriffes von Unmittelbarkeit. Somit ist die Hegelsche Grundstruktur absoluter Vermittlung nicht nur aus theologischen, sondern auch aus philosophischen Grnden nicht haltbar.890 Und zugleich lsst sich die im Fließtext monierte Sich-Entziehen einer kategorial bezeichenbaren Bestimmung von Identitt als die Erfllung der Intention Hegels und als seine wahre Strke, so gert er m. E. damit in die Gefahr, den von Hegel angestrebten Begriff der gesetzten Unmittelbarkeit zu verpassen, der doch gerade einen vollstndig durchsichtigen Begriff von Identitt verspricht. So sehr Gamm den Abbau von vorgegebenen Entitten durch Hegels reflexive Dialektik ganz sachangemessen und mit einer Flle pointierter Beobachtungen beschreibt, so sehr unterschtzt er die Intention erneuten Aufbaus bei Hegel, die gerade auf die vollstndige berfhrung von Unbestimmtheit in Bestimmtheit zielt. Aus postmoderner Sicht ist Hegel nicht der Vollender Schellings, sondern sein grçßter Widerpart. 889 So auch Cramer, „Zur formalen Struktur“, 166 f. 890 Damit wird an einem Punkt eine Anfrage an die ansonsten ausgesprochen beeindruckende Hegel-Deutung von Dierken gestellt, die besagt, dass gerade die konsequente Selbstanwendung der Hegelschen Grundstruktur zu der Freilassung der Praxis als dem freien Anderen der Theorie fhrt. Dierken zielt mithin auf dasselbe wie wir, auf die Selbstbeschrnkung der Absolutheit der Theorie zugunsten der Praxis, meint aber anders als wir, dass es zu dem Erreichen dieses Zieles keiner Korrektur der Hegelschen Grundstruktur bedarf, sondern allein ihrer konsequenten Anwendung. Im Einzelnen: Stellen die Grundzge der folgenden berlegungen bereits das Ende von Dierkens Dissertation Gott, 254 – 256 dar, so sind sie in seiner Habilitation wie folgt weiter ausgearbeitet. Dierken, Glaube, 295 – 307, kommt zuerst zu derjenigen Zuordnung von Religion und Philosophie, die besagt, dass die Philosophie zwar auch zu der Vermittlung von Religion und Sittlichkeit und damit zu der auch auftretenden Vermittlung von objektivem und absolutem Geist beitrgt, dass die Philosophie aber wesentlich die Aufhebung der Religion und somit die hçhergestellte Stufe im absoluten Geist darstellt. Kommt es dabei zuerst zu einer Korrelation von Philosophie und Religion, in der die Philosophie, so Dierken, aaO., 303, die „Methodologie ihres realphilosophischen Verfahrens“ ist, so kommt es zuletzt zu einer totalen Kongruenz beider Seiten, in der die Philosophie die ungetrbte Einheit von Begriff und Vollzug ist. Ist, mit den meisten Stellen, diese unmittelbare Einheit als unmittelbare und ontologische zu nehmen, so droht laut Dierken, aaO., 305, folgende Gefahr: „Nach dieser ontologischen Sicht der Hegelschen Philosophie wre ihr Grundgedanke, der Duo-Monismus, an ihrer letzten und hçchsten Stelle

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außer Kraft gesetzt – und damit insgesamt dem Undurchfhrbarkeitsverdacht preisgegeben“. Dagegen steht Mehreres: Zum einen bedeutet die in der dritten Auflage der Enz. in §577 vorgenommene Differenzierung von absolutem Geist und Idee die Selbsttranszendierung des Systems am Ort seiner Erfllung, die zugleich der Duplizitt des Geistes gerecht zu werden erlaubt. Zum anderen, so Dierken, aaO., 306, spricht gegen die unmittelbare Einheit, dass „diese Einheit nach Hegels eigener Grundeinsicht nur an etwas aussagbar ist, was nicht selbst von dieser Einheit ist“. Wohl in bereinstimmung mit dem Schlussparagraphen der letzten Enz.-Ausgabe und sicherlich in bereinstimmung mit seiner eigenen Grundeinsicht, muss Hegel daher zu einer Inversion der bisherigen Entwicklungsrichtung des Systems gelangen, die letztlich zu einer Freisetzung der Praxis fhrt. Um Dierken, aaO., 306 f., dazu selbst zu Wort kommen zu lassen: „Verhlt sich somit der Geist zur Idee wie zuvor die Idee zum Geist, so erscheint es nicht abwegig, – einer Flle anderslautender ußerungen Hegels zum Trotz – das Wissen der Philosophie um die Idee, das durch die unmittelbare Einheit von Bestimmtheit und Vollzug ausgezeichnet ist, so auf das durch die Duplizitt beider Faktoren charakterisierte religiçse ,Selbstbewußtsein des absoluten Geistes‘ zu beziehen, daß es sich in seinem Anderssein selbst entspricht – und vice versa. Damit ist der Scheitelpunkt des Hegelschen philosophischen Denkens des Absoluten erreicht, das in der Idee als seiner Wahrheit und im Geist als seiner Wirklichkeit gehalten ist: Es ist das Denken eines duo-monistisch verfaßten Absoluten, dessen Absolutheit allein in der zwiefach gegenlufigen Relativitt von gleichrangig bestimmten und selbstndig vollzogenen Relationen besteht. […] Dieser Duo-Monismus lßt sich angesichts der Duplizitt seiner Strukturmomente in der philosophischen Theorie gerade nur einseitig explizieren. Denn nur dadurch, daß seine andere Seite freigelassen wird, erweist sich, daß die ihrer Verfaßtheit nach theoretische Philosophie der praktischen Selbstunterstellung unter das in ihr geltungstheoretisch gedachte Absolute fhig ist. Hierdurch ist sie zugleich imstande, sich in der Selbstapplikation ihres Begriffs des Absoluten zu dessen praktisch gettigter Wirklichkeit hin zu berschreiten, um dieser zu ihrer eigenen Wahrheit zu verhelfen. Eben hierfr bedrfte es schließlich einer ,praktischen Theorie‘ des Absoluten“. So interessant und hochstufig diese berlegungen auch sind, so sind sie an zwei Punkten zu kritisieren. Von untergeordnetem Rang ist die Kritik der Lesart von Enz., §577, 463 (20, 577). In aller Krze ist es zumindest fraglich, ob die in der Tat von dem Begriff der Philosophie abgesetzte Idee der Philosophie nicht viel eher die letztgltig durchklrte Unmittelbarkeit darstellt als die Transzendierung der Geschlossenheit der Unmittelbarkeit und ihres Systems. Wesentlicher ist die folgende, zweite Frage: Ist die von Dierken bereits mit seiner Exegese von §577 anvisierte Freilassung der Praxis als der anderen Seite der Theorie durch diese Theoriegestalt als der Grundstruktur Hegels konsequent? Oder ist es nicht doch konsequent, dass eine Philosophie, die durch die Hegelsche Grundstruktur geprgt ist, in der unmittelbaren Einheit reiner Theorie endet? Unstrittig ist, dass Hegels Systemgang darin seiner Grundstruktur entspricht, dass zuerst alles der Theorie Andere in die Theorie integriert wird. Mit Rekurs auf unsere Auslegung der absoluten Idee lsst sich sagen: Ist dies vollbracht, so liegt darin die realphilosophische Bewhrung jener

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angefhrte Hegel-Kritik an diesem kritischen Punkte dorthin zurckfhren, wo sie begann – zu Schelling. Mit Schelling lsst sich sagen, dass Hegel auf dem Wege dahin war, das Wesentliche richtig zu erkennen, ohne daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen:891 Denn anders als den spten Schelling veranlasste die erkannte Unmittelbarkeit Hegel gerade nicht zu einer Neuordnung des Systems und zu dem Entwurf einer alternativen Grundstruktur.892 Zu einer solchen zu Hegel alternativen Grundstruktur sollen nun noch einige Bemerkungen erfolgen. hergestellten ersten Unmittelbarkeit vor, die die absolute Idee vollendet. Unstrittig ist des weiteren, dass, so Hegel hierbei stehen bleibt, sich die duo-monistische Verfasstheit seiner Philosophie selbst negiert. Meint Dierken nun, dass es gerade der duo-monistischen Verfasstheit der Theorie entspricht, ihr Anderes aus der erreichten unmittelbaren Einheit „freizulassen“, so stellt sich die Frage, wie dies denkbar sein soll. Denn damit es wirklich ein Freilassen ist, muss es sich doch als eine Selbstnegation der Theorie vollziehen, und diese Selbstnegation muss jedenfalls einen anderen Charakter haben als denjenigen autonomen Gang des dialektischen Zusammenfalles von Freiheit und Notwendigkeit, der den Systemverlauf bisher prgte. Ansonsten verbliebe die „andere Seite“ nur wieder so innerhalb der Theorie, dass von einer Freilassung nicht die Rede sein kann, oder es perpetuierte sich die bestehende Unmittelbarkeit (als sich vollziehende absolute Vermittlung) bloß weiter. Braucht es zu der nun geforderten Selbstnegation der Theorie somit eines nicht-dialektischen Aspektes von Freiheit oder von Andersheit, so ist dieser strukturell auszuweisen und somit in die bestehende Struktur einzuschreiben: Damit aber ist eine zu Hegel alternative, in obigem Fließtext sogleich anzudeutende Grundstruktur gefordert. Hegel ist darin konsequenter Hegelianer, dass er zu Recht vorfhrt, wie eine Grundstruktur absoluter Vermittlung in reiner Theorie endet. Die Freilassung des Anderen ihrer und damit die Sicherung ihrer selbst als duo-monistischer Struktur ist nur durch ein solches Strukturmoment zu sichern, dass gerade nicht in der duo-monistischen Vermittlung auf-, sondern ihr in bleibender Entzogenheit vorangeht. Zu einer hnlich gelagerten Kritik an Dierken siehe auch Kruck, Hegels Religionsphilosophie, 138, Anm. 27. 891 Siehe dazu Boenke, Schelling, 362 – 366. Auch Frank, Der unendliche Mangel, bes. 248, meint, dass sich der spte Hegel der Einsicht angenhert hat, dass das Gesetz der Dialektik nicht selbst dialektisch sein drfe, oder dass er an der Schwelle zu dem gestanden htte, was mit Schelling als der bergang von negativer zu positiver Philosophie bezeichnet werden kçnnte. Diese Anstze htte Schelling durchaus begrßt und Hegel allein vorgeworfen, mit diesen Anstzen allzu zaghaft und letztlich, das Gesamt des Systems betreffend, nicht konsequent genug umgegangen zu sein. 892 Mit Rckgriff auf Schulz, Die Vollendung, 65, lsst sich festhalten, dass Schelling das Phnomen des Unmittelbaren oder Unbedingten in der Selbstvermittlung der Vernunft, das im Folgenden auch die „reine Ttigkeit“ genannt wird, von der Vernunft selbst abhebt und hiermit den entscheidenden Bruch zu Hegel vollzieht: „Es geht immer nur um die Vernunft und ihre Selbsterkennen, aber dieses

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III.1.3. Bemerkungen zu einer zu Hegel alternativen Grundstruktur Sind die skizzierten Ansatzpunkte mçglicher Kritik an Hegel trotz ihres immer zugegebenen Charakters, nur Ansatzpunkte zu sein, doch sachgemß, so kommt die philosophische Kritik an Hegel zu demselben Ergebnis wie die theologische. Um es mit einigen aus der vorliegenden Auslegung bekannten Formeln zu sagen: Absolute Vermittlung dependiert von Unmittelbarkeit, die der absoluten Vermittlung bleibend auch vorausgesetzt und als solche eigens auszuweisen ist. Oder die Subjektivierung der Substanz als die Selbstausdifferenzierung anfnglicher Unmittelbarkeit kann nicht dergestalt gelesen werden, dass erst in der Selbstausdifferenzierung oder Subjektivierung Selbstkonstitution anhebt. Vielmehr dependiert das Selbst der vollentwickelten Subjektivitt von einer Substanz, die ihr bleibend auch vorausgesetzt und als solche auszuweisen ist. Zusammenfassend: Dialektik ist gerade darin dialektisch, nicht nur Dialektik zu sein, sondern wesentlich von dem ihr vorgngigen Anderen zu dependieren, ohne das sie nicht sie selbst wre. Es ist folglich eine zu Hegel alternative Grundstruktur gefordert, die in formaler, epistemologischer, materialer und funktionaler Hinsicht grob skizziert werden kann.893 Die Struktur der Vermittlung, in der sich ein ist nur mçglich durch Abhebung in ihr selbst, in der sie sich unterscheidet und das Unterschiedenen nicht mehr selbst zurckholen kann […]; die reine Ttigkeit, die die Vernunft von sich unterscheiden mußte, weil sie sie, nach ihr fragend, als nicht durch das Denken bedingt erkannte, ist nun als das Absolute erkannt, das begrndungslos in sich selbst gegen die Vernunft steht, und doch ihr Inhalt: sie selbst außer sich ist“. Hegel hingegen operiert gerade nicht mit der Differenz zwischen Denken und seiner Unmittelbarkeit als seiner reinen Ttigkeit, aaO., 64: „Hegel selbst wre nie und nimmer auf die Idee gekommen, die Ttigkeit des Denkens von diesem selbst abzulçsen. Aber eben das ist nur dann mçglich, wenn diese Ttigkeit vollkommen fraglos in der Einheit mit dem Denken sich vollzieht, wenn diese Ttigkeit identisch mit dem Denken ist – das war Hegels Meinung, die Schelling nicht annehmen zu kçnnen glaubte, weil, seiner Ansicht nach, an dem entscheidenden Punkt des Hegelschen Systems, an dessen Ende, wo es sich nun htte zeigen mssen, inwiefern das Denken die Ttigkeit ist, die unbedingt ist, der Erweis ausfllt“. 893 Im Folgenden zeigt sich wiederum die Nhe unserer alternativen Grundstruktur zu dem Denken Schellings in der Interpretation von Schulz, siehe zusammenfassend Schulz, Die Vollendung, 321 – 333. Neben dem Bezug auf Schelling sei noch auf Wolfgang Cramer verwiesen, der in seinem Entwurf einer Theorie des Absoluten auch entschieden fr eine unaufklrbare Voraussetzung als die Bedingung der Mçglichkeit von Bestimmbarkeit argumentiert, siehe Cramer, Gottesbeweise, bes. 84 – 92, und dazu auch Wagner, „Wolfgang Cramers Theorie“, 181 – 218, bes. 205 – 212.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

Selbst in Beziehung auf ein Anderes vollzieht, ist keine suisuffiziente Struktur und somit nicht als absolute Vermittlung zu fassen, sondern dependiert von einer Voraussetzung, der Unmittelbarkeit. In formaler Hinsicht ist von entscheidender Bedeutung, dass dem Vermittlungsgefge eine Unmittelbarkeit vorausgeht, die ihrem vermittelten Vollzug bleibend vorgngig ist, so dass sie ihrem Vollzug auch bleibend entzogen ist und nicht in diesen aufgehoben werden kann.894 Damit ist die vorgngige Unmittelbarkeit als solche transkategorial. In epistemologischer Hinsicht ist damit gesagt, dass die Unmittelbarkeit in begrifflicher Hinsicht prinzipiell unbestimmbar ist. Denn jede begriffliche Bestimmung vollzieht sich als Urteilung oder Vermittlung, um etwas als etwas bestimmen zu kçnnen. Da die Voraussetzung der Vermittlung aber gerade unvermittelt ist, so ist sie in begrifflicher Hinsicht prinzipiell unbestimmbar. Daher kann auf sie nur durch absolute Metaphern, durch Eigennamen oder durch „transzendierende Negationen“ verwiesen werden.895 Das Vermittlungsgefge selbst hingegen bewegt sich im kategorialen Rahmen vermittelten Seins und ist also durch begriffliche Rede analysierbar. Kann die materiale Nherbestimmung der vorgngigen Unbestimmtheit nur nicht-begrifflich erfolgen, so kann sie im Anschluss an Schelling durch die absolute Metapher der „absoluten Freiheit“ nher gefasst werden, oder, im Anschluss an biblische Rede, als „Licht, zu dem niemand kommen kann“ (1.Tim. 6,16), oder, in transzendierender Negation des Seins der Vermittlung, als Wesenseinheit als solche.896 Damit ist zugleich gesagt, dass die Unmittelbarkeit als solche eben nicht „ist“, sondern „west“. Als Wesen west sie als absolute Wirklichkeit, die der Vermittlung nicht bedarf, um sie selbst zu sein. Zugleich aber „ist“ sie nur als vermittelter Vollzug,897 und diese dialektische Vermittlung des Selbsts und 894 Zu dieser Einsicht Schellings siehe Krger, „Verborgene Verborgenheit“, 134 – 142. Damit steht Schelling in einer langen theologischen Tradition, die bei Johannes von Damaskus, De Fide orthodoxa, I,5 einen ihrer wirkungsmchtigsten Anfnge hat. Siehe dazu auch Mhling/Wendte, Entzogenheit in Gott. 895 Siehe dazu Halfwassen, „Hegels Auseinandersetzung“, 43. 896 Von der Vermittlung aus gesehen ist die Unmittelbarkeit somit entzogen. Da „Entzogenheit“ aber ein Term ist, der eine Beziehung qualifiziert, ist die Unmittelbarkeit an sich selbst betrachtet nicht als entzogen zu bestimmen. 897 Entsprechend kann Schelling, Urfassung, 80, sagen: „Der vollkommene Geist darf nicht als Viertes außer den 3 besonders gedacht werden. Er ist nicht außer den drei Gestalten, und sie sind nichts anders, als der Geist selbst. So wie wir die 3 Gestalten in ihrer Verkettung denken, so denken wir den vollkommenen Geist, und wie wir den vollkommenen Geist denken, denken wir die 3 Gestalten. Er ist

III.1. Kritik an Hegel

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seines Anderen vollzieht sich auf an Hegel gemahnende Weise. In ihrer materialen Un/Bestimmbarkeit kann die Unmittelbarkeit zugleich in ihrer Funktion nher bestimmt werden. Denn sie ist Bedingung der Mçglichkeit der Identitt und Einheit des Selbsts und des Anderen und derjenigen Vermittlung, in der sie sind. Es gilt somit zweierlei zu unterscheiden: Das Selbst der Vermittlung und sein Anderes vollzieht sich als diese, hat aber seinen Ursprung nicht darin oder wird dadurch nicht individuiert. Seinen Ursprung oder seine Individuation findet das Selbst der Vermittlung vielmehr in der Voraussetzung der Vermittlung. Relationslogisch reformuliert: Es ist eine Vollzugrelation und eine Ursprungsrelation des Selbsts der Vermittlung zu unterscheiden. Whrend die Vollzugsrelation des Selbsts eben die Vermittlung ist, die als solche teils asymmetrisch, teils partimsymmetrisch und teils (und auf zweiter Stufe ganz) symmetrisch ist, ist die Ursprungsrelation des Selbsts streng asymmetrisch und geht somit von einem Punkt ursprungslosen Ursprungs aus. Wohlgemerkt: In funktionaler Hinsicht ist dieser Punkt ursprunglosen Ursprungs oder die der Vermittlung vorgngige Unmittelbarkeit Grund von przise dieser dann folgenden, dialektischen Vermittlungsbewegung.898 Modaltheoretisch reformuliert: Dass sich etwas entwickelt oder dass berhaupt etwas ist und nicht nichts, ist der absoluten Freiheit der absoluten Wirklichkeit des Ursprungs geschuldet. Dass aber, wenn etwas ist, genau diese dialektische Vermittlungsbewegung ist, die ist, ist selbst wiederum nicht absoluter Freiheit anheim gegeben, sondern ist mit Notwendigkeit gegeben. Dem absolut freien „Dass“ ist genau dieses „Was“ als reale Mçglichkeit eingeschrieben, da genau diese der Vernunft und damit der Verfasstheit des Absoluten und der Welt entspricht. Vernunft ruht auf dunklem Grund – es ist aber Vernunft, die auf dunklem Grunde ruht. Wird das Gesagte in Worten aus der theologischen Tradition und damit theo-logisch reformuliert, so wird zugleich deutlich, dass die anin jeder von diesen Gestalten der ganze Geist, und doch in keiner von ihnen fr sich, sondern er ist notwendig Allheit.“ 898 Um diese formale Bestimmung in absolutheitstheoretischer Terminologie zu reformulieren: Das angezielte Unmittelbare zielt nicht auf die Etablierung eines solchen geschichtsenthobenen Absoluten, wie es das absolut berseiende Eine der neuplatonisch-plotinischen Tradition darstellt, siehe dazu Halfwassen, Plotin. Vielmehr ist damit im Anschluss etwa an Schelling jener Grund im Absoluten bezeichnet, der ein intern vermitteltes Absolutes gerade erst ermçglicht. Als intern vermitteltes aber ist das Absolute durch diejenigen Strukturen geprgt, die es ihm ermçglichen, sich auch in die Geschichte hinein zu vermitteln.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

gestrebte vorgngige Unmittelbarkeit personalen Charakter hat, da absolute Freiheit Personen zuzuschreiben ist. Entsprechend wird in der theologischen Tradition damit Gott der Vater unter folgender Perspektive bezeichnet: Die vorgngige Unmittelbarkeit ist als Wesenseinheit Gottes zu bestimmen. Letztere vollzieht sich als das perichoretische Leben der Trinitt, kommt dem Vater aber in ausgezeichneter Weise zu. Damit kann der Vater als Wesenseinheit als solche als „absolute Persçnlichkeit“ bezeichnet werden.899 Als solcher ist er in absoluter Freiheit ursprungsloser Ursprung, fons et origo, der anderen beiden Personen der Trinitt und des trinitarischen, perichoretischen Vollzuges der Wesenseinheit Gottes, der als Liebe zu bestimmen ist. Die solcherart streng gefasste taxis der Trinitt ist Bedingung der Mçglichkeit der Denkbarkeit von Gott und Welt. III.1.4. Die zu Hegel alternative Grundstruktur und die Ausgangsfrage des Buches Zweierlei ist an der so skizzierten, zu Hegel alternativen Grundstruktur nun noch eigens nher darzulegen. Zum einen ist die Differenz zu der Hegelschen Grundstruktur dadurch zu explizieren, dass in dreifacher Hinsicht erlutert wird, wie sich die der Vermittlung bleibend entzogene Voraussetzung ihrer auswirkt. Dies soll in Hinsicht auf die in der theologischen Kritik vorgebrachten Aspekte, in Hinsicht auf das Selbstverstndnis der Philosophie und in Hinsicht auf die Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes erfolgen. Nach der Differenz ist zum anderen aber auch die Nhe der alternativen Grundstruktur zu dem Denken Hegels zu betonen. Denn es wird sich zeigen, dass sich erst durch besagte Voraussetzung wahrhafte Vermittlung vollziehen kann und damit Hegels Intentionen (in gewisser Hinsicht) erfllbar sind. Diese Behauptung soll ihre kurze Bewhrung in dem Aufweis finden, dass der Hegelsche Philosophiebegriff ebenso wie die Personeneinheit der zwei Naturen aller erst durch die alternative Grundstruktur zu sich gelangen. Beginnend mit der ersten Aufgabe, ist nochmals zu betonen, dass der Vermittlung eine Voraussetzung bleibend vorgngig ist und hiermit eine wesentliche Differenz zu der Hegelschen Grundstruktur absoluter Vermittlung vorliegt. Diese Differenz in der Grundstruktur ermçglicht es, theologische Vorstellungsinhalte neu zu bewerten, die von Hegel am 899 Siehe zu diesem Ausdruck neben Schelling, Urfassung, 156 auch Krger, „Verborgene Verborgenheit“, 146.

III.1. Kritik an Hegel

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Christentum kritisiert wurden und die entsprechend als theologische Kritik an Hegel vorzubringen waren. So sind die Vorstellungsinhalte des Auseinanders, die in rumlicher Perspektive als Himmelfahrt und in zeitlicher Perspektive als futurische Eschatologie vorliegen, als nicht nur verstellende Vorstellung zu disqualifizieren. Ebenfalls wird das Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem im Gebet wieder als vernnftig begreifbar. Wesentlicher aber noch ist, dass sich das sich in der absoluten Vermittlung vollziehende Selbst gerade nicht in dieser konstituiert. Realphilosophisch gewendet bedeutet das, dass sich das Selbst des absoluten Geistes oder Gott in seiner Gottheit nicht im Zusammenspiel Gottes mit den Menschen konstituiert. Vielmehr ist Gott in seiner Gottheit schon vor der Vermittlung mit seinem Anderen er selbst. Damit ist der Mensch nicht mehr Mittel zum Zweck und Bedingung der Mçglichkeit der Selbstwerdung des absoluten Geistes. Entsprechend liegt nun nicht mehr die aus theologischer Perspektive anzumahnende Vermischung von Evangelium und Gesetz als Vermischung von opus Dei und opus hominum vor. Darber hinaus kommt es so zu zwei bereits in der theologischen Kritik an Hegel angedeuteten Neuerungen: Erstens geht mit der alternativen Grundstruktur eine weit reichende Neubestimmung des Selbstverstndnisses von Philosophie einher, die dann, zweitens, zu der Etablierung der Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes fhrt. Die philosophische Einsicht in das der Vermittlung bleibend entzogene Andere ihrer, das sie aller erst ermçglicht, kann als Aufnahme derjenigen philosophischen Kritik gelesen werden, die besagt, dass die Praxis der Theorie bleibend vorgngig ist. Das aber bedeutet in geltungstheoretischer Hinsicht, dass die Vernunft sich selbst in ihrer Reichweite begrenzt. Sie begreift, dass sie, die als Vernunft zu Recht die Frage nach der Letztbegrndung stellt, gerade keine Letztbegrndung vollbringen kann. Gerade in dieser von ihr selbst an ihr selbst vorgenommenen und damit ihr selbst gemßen Selbstbegrenzung ist die Vernunft vernnftig.900 Entsprechend organisiert sich die Philosophie so, wie das etwa beim spten Schelling zu betrachten ist: Sie unterteilt sich in eine negative und eine positive Philosophie. Vollzieht die negative Philosophie die Selbstprfung der reinen theoretischen Vernunft, so erkennt sie dabei zugleich, dass sie ihre eigene Faktizitt nicht begrifflich einholen kann. Dieses ihr Scheitern als Letztbegrndung fhrt zum freien, nie absolut vermittelbaren bergang in die positive Philosophie. In ihr sucht sie in der 900 Siehe dazu auch Schulz, Die Vollendung, 52 – 61, zusammenfassend auch 83 f.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

Weltwirklichkeit ihre eigenen, in der negativen Philosophie festgeschriebenen Mçglichkeiten wiederzufinden. Mit dieser Reorganisation der Philosophie kommt es zu einer neuen Konvergenz der philosophischen mit der theologischen Kritik. Denn die beschriebene Selbstbegrenzung der Vernunft kann in theologischer Terminologie als die geltungstheoretische Fassung der rechten Zuordnung von opus Dei und opus hominum verstanden werden und damit als die Selbstzurcknahme intellektueller Werkgerechtigkeit: Es ist nicht Aufgabe endlicher Vernunft, theoretische Letztbegrndung zu vollenden. Damit wird zugleich die inhaltliche Nherbestimmung der theologischen Kritik aus philosophischer Perspektive validiert. Zum zweiten wird durch die philosophische Kritik zugleich der Phnomenbereich der Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes etabliert. Denn die Religion ist durch die Vorstellung geprgt als diejenige Form der Selbsthabe des absoluten Geistes, die durch das zweifache Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits sowie der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits geprgt ist. Damit entspricht die Religion gerade der alternativen Grundstruktur, der das Auseinander von Unmittelbarkeit und Vermittlung wesentlich ist. So stehen die Form der Religion und die ihren Inhalt wesentlich prgende Grundstruktur nicht mehr in demjenigen Widerspruch zueinander, der bei Hegels Grundstruktur absoluter Vermittlung auftrat und zu der nur konsequenten Aufhebung der Religion in die Philosophie fhrte. Wird die alternative Grundstruktur zugrunde gelegt, so entspricht die Form der Religion der ihren Inhalt wesentlich prgenden Grundstruktur. Entsprechend kommt es zur Enthierarchisierung von Religion und Philosophie und zur Etablierung der Religion als Vollendungsgestalt des absoluten Geistes. Begreift die Philosophie die Voraussetzungshaftigkeit allen Begreifens und damit die Perspektivitt aller Vernunft, so begreift sie ineins die unaufhebbare Begriffsgemßheit der Religion als Religion. Oder, umgekehrt gewendet und theologisch reformuliert: Die Philosophie begreift, dass jedes Begreifen von Offenbarung abhngig ist und sie selbst somit in dieser Hinsicht nicht prinzipiell von religiçser Rationalitt differiert.901

901 Siehe dazu Herms, „Offenbarung“. Das bedeutet keinesfalls den Ausfall der, mit Schelling gesprochen, negativen Philosophie, oder, theologisch reformuliert, das Ende natrlicher Theologie. Diese kann aber die Faktizitt der Wirklichkeit nicht vollstndig einholen, und dieser Aspekt ist oben mit dem Begriff der „Offenbarung“ bezeichnet.

III.1. Kritik an Hegel

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Ist somit die Differenz zur Hegelschen Grundstruktur absoluter Vermittlung in einigen ihrer Konsequenzen dargelegt, so geht es nun um die Nhe beider. Diese Nhe kann sich nicht wiederum auf die Grundstruktur absoluter Vermittlung mitsamt ihrer geltungstheoretischen Dimension sich vollbringender Letztbegrndung und ihrer realphilosophischen Konsequenz der Aufhebung der Religion in die Philosophie beziehen. Diese Grundstruktur ist zu negieren, und wenn sie die wichtigste Intention Hegels darstellt, so kann sie nicht wieder aufgenommen werden. Zugleich aber soll angedeutet werden, dass aller erst die zu Hegel alternative Grundstruktur anderen zentralen Intentionen Hegels und dem Ausgangsproblem der vorliegenden Arbeit gerecht zu werden vermag.902 Denn das Insistieren auf die der Vermittlung vorgngigen und ihr bleibend entzogenen Voraussetzung ihrer, die als Unmittelbarkeit zu fassen ist, zielt gerade nicht auf die Re-Etablierung einer neuen Theorie von Unmittelbarkeit oder auf einen neuen Dualismus, sondern versteht sich als die Bedingung der Mçglichkeit von Vermittlung. Oder das Insistieren auf einer Substanz, die dem Subjekt bleibend vorgngig bleibt, zielt nicht auf die einfache Rckkehr zu einer Substanzontologie, sondern ist die wahre Bedingung der Mçglichkeit dieses Subjekts und damit einer relationalen Ontologie. Das sei in Bezug auf zwei Perspektiven etwas genauer dargelegt, in Bezug auf das Selbstverstndnis von Philosophie und in Bezug auf die Grundfrage der Arbeit, die Einheit der zwei Naturen Jesu Christi.903 Die Selbstzurcknahme des Anspruchs der Philosophie, Letztbegrndung vollenden zu kçnnen, meint keineswegs die Selbstunterwerfung der Vernunft unter ihr heteronome Ansprche. Vielmehr ist sie gerade Bedingung der Mçglichkeit der Philosophie als eines selbstkritischen Unternehmens. In bereinstimmung mit Hegel erhebt die Philosophie zu Recht den Anspruch, nichts unbenommen aufnehmen zu drfen, sondern sich gerade als Philosophie dadurch zu bestimmen, selbstkritisch zu sein.904 Das bedeutet nicht nur, dass sie sich kritisch zu 902 Um nochmals auf Schulz zurckzukommen: Die alternative Grundstruktur ist tatschlich als Vollendung des Deutschen Idealismus zu begreifen. 903 In Bezug auf die Trinittslehre wird diese Gedankenfigur in der Debatte um den impliziten Hegelianismus unten unter III.2.2., genauer ausgefhrt. 904 Siehe etwa Enz., §1, 33 (20, 39). Das Vorgehen Hegels als das Aufdecken der Widersprchlichkeit scheinbar Selbstndiger kann als die methodische Entsprechung dieses Verstndnisses von Philosophie verstanden werden: Hegels gesamte Philosophie oder sein gesamtes System ist gerade die kritische Prfung von sich als wahr ausgebender Positionen.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

berprfen habe, so dass ihre theoretischen Implikationen aufzuklren sind. Sondern es bedeutet zudem, dass Philosophie und Kritik zusammenfallen und Philosophie sich so selbst begrnden muss.905 Die Philosophie entspricht diesem Anspruch nun aber gerade nicht dadurch, dass sie voraussetzungslos als absolute Vermittlung oder als absolute Reflexion zu fassen ist. Denn es wurde vorgefhrt, dass das Selbst, das sich allein in absoluter Vermittlung konstituiert, ein leeres ist.906 Entsprechend gilt auch fr die Begriffe von Kritik und von Reflexion, dass sie nur sie selbst sind als Kritik von etwas und als Reflexion von etwas, was prinzipiell nicht Kritik und Reflexion ist und als ihre bleibende Voraussetzung anzuerkennen ist.907 Gerade durch diese Anerkennung wird der Anspruch nach philosophischer Selbstbegrndung erfllt. Denn ist diese Voraussetzung Bedingung der Mçglichkeit des Selbsts, das sich in der Vermittlung vollzieht, so wird so berhaupt erst ein verstndlicher Begriff des fr die Selbstbegrndung wesentlichen Selbsts (und von Reflexion) angebbar. Zugleich fllt der Bezug auf diese unaufhebbare Voraussetzung in diejenige philosophische Theorie selbst, die sich selbst begrnden will. Mit Cramer lsst sich daher schlussfolgern: „Auch die Exposition der Struktur ihres Selbsts, die beinhaltet, daß dieses sich im Blick auf eine Faktizitt auszulegen hat, die nicht in verschwindende Momente ihres Selbst auflçsbar ist, kann nur in ihr Selbst fallen. Dann aber ist auch diejenige Philosophie, die den Gedanken ihrer selbst auf etwas anweist, was sie nicht selbst ist und darin zu theoretischem Verstndnis bringt, was sie selbst ist, gerade im Hinweis auf diese Voraussetzung mit Notwendigkeit Selbstbegrndung. […] Sich so zu verstehen, ist das, was ihre Selbstbegrndung allein sinnvoll genannt werden kann“.908 905 Siehe dazu Cramer, „Zur formalen Struktur“, 147. 906 Siehe dazu oben, III.1.2., und Cramer, „Zur formalen Struktur“, 169. 907 Cramer, „Zur formalen Struktur“, 161, schreibt ganz sachangemessen: „Gerade der Gedanke der absoluten Reflexion Hegels ist nicht in der Lage, auch nur anzugeben, was die Struktur der Reflexion ist. Die absolute Reflexion verkennt den Charakter der Reflexion, nur in Beziehung auf eine Voraussetzung, die ihrerseits nicht die Struktur von Reflexion besitzt, die Beziehung sein zu kçnnen, die sie ist. Ihr muß notwendig ein Zubeziehendes vorangehen, das nicht erst durch die Beziehung selbst gesetzt ist, das folglich auch nicht als Moment ihrer in sie aufgelçst werden kann“. 908 Cramer, „Zur formalen Struktur“, 171 f. Es sei darauf verwiesen, dass diese berlegungen keineswegs mit dem Hinweis desavouiert werden kçnnen, dass die dem Selbst vorgngige Voraussetzung, die von dem Selbst als solche begriffen wird, eben deshalb nicht mehr als die dem Selbst vorgngige Voraussetzung zu fassen sei. Im Anschluss an die Position des internen Realismus ist dagegen zu betonen, dass, nur weil alles sprachlich vermittelt ist, noch nicht alles, was ist,

III.1. Kritik an Hegel

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Eine idealistisch-theoretizistische Philosophie sich vollbringender Letztbegrndung findet ihre Wahrheit in dem Real-Idealismus des internen Realismus.909 Entsprechendes gilt nun auch fr die Ausgangsfrage dieser Arbeit als der Frage nach der Einheit der zwei Naturen Jesu Christi. Die in der alternativen Grundstruktur wurzelnde Konstitution des Selbsts des absoluten Geistes oder der Gottheit Gottes vorgngig zur Vermittlung Gottes und des Menschen meint gerade nicht die Trennung der Einheit der zwei Naturen, sondern ermçglicht aller erst ihre wahrhafte Vermittlung im Sinne der chalcedonensischen Zentralbestimmung. Das lsst sich im Hinblick auf die ontologische wie die soteriologische Dimension der chalcedonensischen Zentralbestimmung explizieren. Wird zuerst die ontologische Dimension bedacht, so sei an die eben angefhrten Ausfhrungen erinnert, die betonen, dass die der Vermittlung vorausgehende Unmittelbarkeit gerade die Bedingung der Mçglichkeit eines angebbaren Sinnes der Vermittlung eines Selbsts ist. Entsprechend gilt, dass erst die alternative Grundstruktur berhaupt zu erklren vermag, dass es zur Personeneinheit der zwei Naturen kommen kann. Letztere wre dann so zu denken, dass Gott nicht nur in der und als die gçttliche Natur er selbst ist, sondern dieser Vermittlung in der Person des Vaters bleibend auch entzogen ist und sie gerade so als die Vermittlung der gçttlichen Natur mit der menschlichen ermçglicht. Zudem ist daran zu erinnern, dass die christologischen Zentralbestimmungen zentrale Aussagen ber das Wirklichkeitsverstndnis berhaupt treffen. So wurde bereits in der Sprache ist, sondern dass durchaus innerhalb der Sprache zwischen Sprache und Wirklichkeit unterschieden werden kann. Oder, mit Cramer, „Zur formalen Struktur“, 161 f., gesprochen, der den Einwand so fasst: „Die Einschrnkung des Anspruchs absoluter Reflexion […] muß Mittel benutzen, die durch die Reflexion selbst bereit gestellt werden. […] Diese sogenannte absolute Voraussetzung kann dann aber keine absolute sei, wenn sie einzig durch das Mittel der auf sich selbst reflektierenden Reflexion als Voraussetzung bestimmt werden kann. Das Medium ihrer Bestimmung widerspricht dem, was ihre Bestimmung sein soll“. Gegen diesen Einwand bemerkt Cramer, ebd., 161: „Diese berlegung […] ist ganz und gar unsinnig. Glte sie nmlich, wre die Bedingung vernnftiger Rede aufgehoben. Denn jede Rede ber etwas ist dadurch Rede, daß sie etwas und nicht die Rede selbst meint. […] Wre jeder inhaltlich bestimmte Gedanke […] durch den Hinweis zu schikanieren, daß er eben doch Gedanke sei und nicht der Inhalt, den er denkt, dann stnde der objektiven Bedeutung der Gedanken das Gedachtsein der Gedanken grundstzlich als negative Instanz gegenber. Die Mçglichkeit der Erkenntnis durch Gedanken wre prinzipiell geleugnet – und es gibt keine andere Erkenntnis als durch Gedanken“. 909 Siehe zu diesen Einteilungen Sollberger, Metaphysik, 76 – 80.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

Einleitung dargelegt, dass die innerhalb der Christologie vorgenommene Bestimmung von der Einheit der zwei Naturen, die scheinbar nur einen Unterpunkt von einem dogmatischen locus unter vielen klrt, in Wahrheit Grundstzliches ber das Verhltnis Gottes zur Welt aussagt. So ist etwa in ekklesiologischer Hinsicht zu bedenken, dass, ganz in Aufnahme von Einsichten Hegels, Gott als Geist tatschlich als Gemeinde prsent ist und er damit Anteil gibt an der ein- fr allemal geschehenen Wirklichkeit der Versçhnung in Jesus Christus. Allerdings ist ganz im Gegensatz zu den Einsichten Hegels zu betonen, dass Gott weder erst durch die Gemeinde ganz er selbst wird, noch dass er nur als Gemeinde ist. Vielmehr ist Gott in seiner Gottheit immer schon er selbst, und er ist in seiner Gottheit zugleich das Gegenber der Gemeinde, das dadurch das Kirchesein der Gemeinde ermçglicht. Damit ist zu der soteriologischen Dimension der chalcedonensischen Zentralbestimmung bergeleitet. Die besagte, dass zum Gelingen des Heilsereignisses zum einen der Mensch an der Erlçsung beteiligt sein muss. Zum anderen aber ist es angesichts der Sndenverstrickung aller Menschen den Menschen unmçglich, die Erlçsung selbst zu vollbringen, so dass festzuhalten ist, dass nur Gott erlçsen kann. Letzteres aber ist nur gesichert, wenn Gott tatschlich zur Erlçsung fhig ist – und dazu darf er in seinem Selbstsein oder in seiner Gottheit und in der Durchsetzung seines Erlçsungswerkes nicht von dem der Erlçsung bedrftigen Menschen abhngig sein. Das aber garantiert erst die alternative Grundstruktur, da doch diese allein die Trennung des opus Dei vom opus hominum in den besagten beiden Hinsichten garantiert. So ist erst eine von der alternativen Grundstruktur geprgte Explikation der chalcedonensischen Zentralbestimmung in der Lage, ihrer soteriologischen Intention gerecht zu werden und damit dem zu entsprechen, weshalb sie aller erst entstand und worin sie ihre bleibende sachliche Berechtigung besitzt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann die alternative Grundstruktur nicht weiter ausgefaltet werden. Vielmehr soll zum Abschluss der Arbeit ihrem Schwerpunkt darin entsprochen werden, dass sie sich wiederum Hegel zuwendet, nun aber in gegenwartshermeneutischer Absicht. Denn es wird dadurch ein Bogen geschlagen zwischen dem in dem vorliegenden Buch Verhandelten und der gegenwrtigen Debattenlage in der deutschsprachigen Theologie, dass die explizite Verwendung Hegels heute ebenso kritisch bedacht wird wie der implizite Hegelianismus in der gegenwrtigen Theologie.

III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven

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III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven III.2.1. Zu der expliziten Verwendung Hegels Die erste zeitdiagnostische Perspektive betont, dass allein derjenige Umgang mit Hegel Hegel-gemß ist, der ihn als Ganzes akzeptiert oder ihn als Ganzes ablehnt. Sie ist schnell erklrt, da sie an die Zentralbeobachtung dieser Arbeit anknpft. Ohne die materiale Fllung zu beachten, vermittelt die Zentralbeobachtung dieser Arbeit Aussagen zu der zentralen Grundstruktur, zum Inhalt und zur Form miteinander, die von der Grundstruktur bis ins Detail geprgt sind. Allein so wird dem dichten Verweisungszusammenhang Hegelschen Denkens Rechnung getragen. Es drfte im Gesamtverlauf des Buches deutlich geworden sein, dass sich dieses einheitliche Geprgtsein sowohl in der Logik wie in der Realphilosophie zeigt. In Bezug auf die innere Folgerichtigkeit des Hegelschen System gilt somit in der Tat, was Schndelbach stark zu machen sucht: Ist man einmal in einer Hinsicht in das System hineingelangt, so befindet man sich sogleich in dem ganzen System, das sich mit eiserner Konsequenz entfaltet. Daher widerspricht es dem Duktus Hegelschen Denkens, den Versuch zu unternehmen, Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie voneinander zu trennen und somit einzelne Momente logischer oder realphilosophischer Art aus dem Gesamt der Entwicklung herauszulçsen, um sie fr die eigene Theorie zu bernehmen, andere aber nicht.910 Will man einzelne Momente Hegels bernehmen und lehnt ihn zugleich als Ganzes ab, so kann muss man diese einzelnen Momente eigens aus einem ganz anders aufgebauten Ganzen her entwickeln, als das bei Hegel der Fall ist. In diesem Sinne gilt, dass allein derjenige Umgang mit Hegel Hegel-gemß ist, der ihn als Ganzes akzeptiert oder ihn als Ganzes ablehnt.911 910 Siehe Croce, Lebendiges. 911 Sollte mit obigen Bestimmungen der abwegige Eindruck entstehen, dass eine Hegel-Kritik unmçglich sei, so kçnnte obige Rede in zweifachem Sinne przisiert werden: Erstens deuteten wir selbst an, dass es durchaus mçglich ist, Hegel zu kritisieren – allerdings geht eine solche Kritik an Hegel aufs Ganze und fordert ein ganz anders gebautes System. Das soll, zweitens, wiederum nicht den Eindruck erwecken, als sei Hegels System nicht in Details revidierbar: So arbeitete Hegel bekanntlich selbst bis zu seinem Lebensende an Verbesserungen der WL und der Enz. Nur versuchen diese Kritiken, solche Aspekte in Logik und Realphilosophie, die der Grundstruktur widersprechen, dieser gemß zu machen. Kritik an Hegel kann somit aufs Ganze zielen oder Details an Hegel als nicht

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

III.2.1.1. Jngels selektiver Gebrauch Hegels Eine Spielart faktischer Trennung von Lebendigem und Totem bei Hegel soll anhand eines in der gegenwrtigen deutschsprachigen Theologie zu Recht besonders prominenten Textes aufgezeigt werden: So soll die Auseinandersetzung Jngels mit Hegel in Jngels opus magnum Gott als Geheimnis der Welt kurz rekonstruiert und kommentiert werden.912 Mit dem Untertitel gesprochen, arbeitet Jngel an der „Begrndung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus“. Jngel sieht den neuzeitlichen Atheismus und den Theismus auf einer gemeinsamen Voraussetzung aufruhen. Beide kommen darin berein, das Wesen Gottes als abstrakte Allmacht zu bestimmen. Da der so gefasste Gott die menschliche Freiheit bedroht, erklrt der Mensch ihn zu Recht fr tot: Der Atheismus ist die sachangemessene Antwort auf den Theismus. Die theologisch sachangemessene Antwort auf die sachangemessene Antwort des Atheismus auf den Theismus besteht darin, die Sachangemessenheit des Theismus zu bestreiten, indem das Wahrheitsmoment des Atheismus in den Gottesbegriff integriert wird. Dazu ist Gottes Allmacht als die der Liebe zu fassen, die sich in der Ohnmacht des Kreuzes zeigt, so dass der Gottesbegriff staurologisch qualifiziert wird. Zur weiteren Erhellung dieser Gedanken greift Jngel nun nicht nur deshalb auf Hegel zurck, weil Hegel der erste im neuzeitlichen Diskurs ist, der die Rede vom Tode Gottes an prominenter Stelle verwendet.913 Vielmehr stellt auch Hegel diese Rede in den von Jngel propagierten, zweifachen Kontext und entwickelt ihn somit in der Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Atheismus, um ihn dann theo-logisch in die Bestimmung des Gottesbegriffes hinein zu verfolgen. Weil der Tod Jesu Christi der Tod Gottes ist, Gott aber sich im Tode erhalten kann, wandelt sich der Tod zum Tod des Todes: Der Tod wird zum Moment im Leben des dreieinigen Gottes. Diese Einsichten sind laut Jngel nun in zweifacher Hinsicht theologisch relevant: nicht nur deshalb, weil Hegel selbst beansprucht, mit ihnen die eigentliche Wahrheit der Theologie zu denHegel-gemß aufzuweisen suchen. Eine Kritik hingegen, die Momente an Hegel aus Hegel herauslçst, um sie als lebendige zu bernehmen, ohne zu begreifen, dass die anderen Momente Hegels, die als tot kritisiert werden, aus derselben Grundstruktur stammen und somit vom Lebendigen nicht einfach zu trennen sind, verpasst das Denken Hegels. 912 Ohne in irgend ein Detail zu gehen, verurteilt auch Wagner, „Wolfgang Cramers Theorie“, 182, dass Jngel Hegel wie einen „Steinbruch“ und damit auf Hegel ganz unangemessene Art und Weise benutzt. 913 Siehe dazu Jngel, Gott, 83.

III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven

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ken,914 sondern wesentlich deshalb, weil damit bis heute gltige Einsichten vertreten werden: „Die von Hegel vorgetragene Philosophie der Religion stellt auf jeden Fall einen theologiegeschichtlichen Hçhepunkt erster Ordnung dar, insofern hier theologia crucis und Trinittslehre einander gegenseitig fordern und begrnden. Wir haben es – unbeschadet aller geltend zu machenden theologischen Kritik – auf jeden Fall mit einer gewaltigen theologischen Leistung zu tun, nmlich mit philosophisch durchdachter Theologie des Gekreuzigten als Lehre vom dreieinigen Gott. […] Man wird Kritik gegen Hegels gewaltige Leistung erst dann anmelden drfen, wenn man wahrgenommen hat, wie sehr der Philosoph […] Theologie als theologia crucis zur Geltung gebracht hat“.915

Damit also bestimmt Jngel dasjenige an Hegel, was als lebendig einzuschtzen und dementsprechend zu bernehmen ist. Dann erfolgt der nchste, vom ersten deutlich abgesetzte Schritt, der das Tote an Hegel bestimmt, welches entsprechend nicht zu bernehmen ist: „Hat man dies wahrgenommen und gewrdigt, dann wird allerdings die kritische Rckfrage unabweisbar, ob Hegels neuer Versuch einer am Kreuzestod Jesu Christi orientierten Gotteslehre nicht doch zugleich die Restitution der alten Lehre ist, daß Gott Mensch wurde, damit der Mensch vergottet, damit er […] ganz und gar Geist wrde. Daß Gott in Jesus Christus Mensch wurde, um Gott und Mensch fr immer definitiv zu unterscheiden – dieser fundamentale soteriologische Aspekt wird von Hegel gerade nicht zur Geltung gebracht, sondern in sein Gegenteil verkehrt“.916

Daher ist in Rekurs auf Schelling die Konsequenz zu ziehen, dass es „so unangemessen nicht ist, die Hegel-Rezeption, wenn auch nicht ,vorzeitig‘ und schon gar nicht ,plçtzlich und ohne Begrndung‘, wohl aber rechtzeitig abzubrechen“.917

Die so vorgenommene Trennung von Lebendigem und Totem bei Hegel bersieht, dass das Tote derselben Grundstruktur entspringt wie das als gewaltige Leistung gerhmte Lebendige.918 Beides entstammt der zu914 915 916 917 918

Siehe dazu aaO., 118. AaO., 124. AaO., 124. AaO., 125, Anm. 185. Es wre eine Lesart denkbar, die Jngel anders zu lesen versucht und damit erreichen wrde, dass unsere Kritik an ihm obsolet werden wrde. So kçnnte darauf hingewiesen werden, dass Jngel selbst sagt, dass, „hat man dies wahrgenommen und gewrdigt, dann allerdings die kritische Rckfrage unabweisbar wird, ob Hegels neuer Versuch einer am Kreuzestod Jesu Christi orientierten

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

grunde liegenden Grundstruktur absoluter Vermittlung mit unabweisbarer Konsequenz und damit dergestalt absolut vermittelt, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist.919 Ist ein Moment als Totes qualifiziert, so ist das Ganze als verrottet anzusehen. Will man daher dasjenige an Hegel, was als gewaltige theologische Leistung einzuschtzen ist, fr die eigene Theologie bernehmen, ist die Hegel-Rezeption nicht an einem bestimmten Punkte abzubrechen. Vielmehr ist es auf einem ganz anderen Boden eigens zu entwickeln. Es ist eine als lebendig zu qualifizierende, alternative Grundstruktur zu entwerfen, die es erlaubt, das Ganze und damit auch dieses Moment als Lebendiges zu prsentieren. Damit ist zur zweiten zeitdiagnostischen Perspektive bergeleitet. Sie widmet sich der Frage, ob in der gegenwrtigen deutschsprachigen Theologie mit einer an Hegel gemahnenden Grundstruktur operiert wird. Ist ein impliziter Hegelianismus zu konstatieren, der dann entsprechend zu kritisieren ist? Oder wird eine zu Hegel alternative Grundstruktur in Anschlag gebracht? Zur Beantwortung dieser Frage ist zuerst zu klren, was der Vorwurf des impliziten Hegelianismus genauer besagt. III.2.2. Gegen den impliziten Hegelianismus in der gegenwrtigen Theologie Der implizite Hegelianismus ist durch drei Nherbestimmungen charakterisiert, die entsprechend zuerst benannt und sodann kurz erlutert werden sollen. Zum ersten ist der implizite Hegelianismus mit der imGotteslehre nicht doch zugleich [Hervorhebung M.W.] die Restitution der alten Lehre ist, daß Gott Mensch wurde, damit der Mensch vergottet wrde“. Wird dieses „zugleich“ so stark gelesen, dass die Aussagen Jngels, die von einem Auseinander von Lebendigem und Totem bei Hegel zu sprechen scheinen, von diesem „zugleich“ dergestalt dominiert werden, dass von dem „zugleich“ her die vorher dann nur scheinbar auftretende Differenzierung in Lebendiges und Totes bei Hegel revidiert wird zugunsten einer Ablehnung auch der gewaltigen theologischen Leistung Hegels aufgrund der Grundstruktur, aus der sie erwchst, so wrde Jngel in diesem „zugleich“ der inneren Konsequenz Hegelschen Denkens entsprechen, und unsere exemplarische Kritik an ihm wrde entfallen. Allerdings scheinen uns die angefhrten, anderen Bemerkungen Jngels zum Thema eine so starke Lesart des „zugleichs“, wie sie nçtig wre, um unsere Kritik an ihm obsolet werden zu lassen, nicht zu erlauben. 919 Material gesprochen: Die dem neuzeitlichen Atheismus sachangemessen begegnende, staurologisch konzentrierte Trinittslehre Hegels ist prziser Ausdruck dessen, dass der Mensch bei Hegel „vergottet“ und „ganz und gar Geist“ wird.

III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven

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pliziten Verwendung der Hegelschen Grundstruktur verbunden. Zum zweiten soll die Frage nach der Verwendung der Hegelschen Grundstruktur in der gegenwrtigen Theologie anhand der Trinittslehren der zu analysierenden Theologen verhandelt werden. Zum dritten ist in all dem material auf die Frage nach der Verhltnisbestimmung von der Konstitutions- zur symmetrischen Vollzugsrelation in der Trinitt abgezielt. Um das Angedeutete genauer zu explizieren, so seien zum ersten diejenigen Theologien, die von der Hegelschen Grundstruktur absoluter Vermittlung geprgt sind, mit dem Begriff des impliziten Hegelianismus charakterisiert. Ein impliziter ist dieser Hegelianismus deshalb, weil sich keine der im Folgenden im Fokus stehenden, gegenwrtigen Theologie als explizit hegelianisch bezeichnet, es aber einige in dem bisher dargelegten und noch genauer auszufhrenden Sinne dennoch sind. Dass, zweitens, die Frage, ob die entsprechende Theologie als implizit hegelianisch einzuschtzen ist oder nicht, gerade anhand der Trinittslehre entschieden werden soll, ergibt sich aus dem besonderen Status der Trinittslehre innerhalb der Theologie. Denn dieser korrespondiert mit dem Status der Grundstruktur, auf die mit der Rede vom impliziten Hegelianismus abgezielt wird. Beide kçnnen als Rahmentheorie, Integral und innerer „Bildner“ der gesamten Theologie bezeichnet werden.920 Zum dritten kann in materialer Hinsicht nher bestimmt werden, dass die Rede vom impliziten Hegelianismus auf diejenige Debatte abzielt, die verhandelt, ob sich die Gottheit Gottes und die Personen der Trinitt durch symmetrische Vollzugsrelationen konstituieren oder aber durch eine asymmetrische Ursprungsrelation, die vom Vater ausgeht.921 In 920 Die Trinitt ist, mit Schwçbel, „Gott“, 29, im Anschluss an Rahner gesagt, „als ,Ursprungsmysterium‘ des Christentums, das in der Offenbarung gegeben ist, der Schlssel zum Verstndnis aller Heilswirklichkeit und damit der ganzen Dogmatik“.Damit entspricht der Status der Trinittslehre in funktionaler Hinsicht dem Status dessen, was in der Hegel-Auslegung als Grundstruktur isoliert wurde: Auch wenn die gegenwrtigen Theologien keine „inneren Bildner“ ihrer Realphilosophien darlegen, bernimmt doch die Trinittslehre in realphilosophischer Geflltheit diese Funktion in der Theologie. 921 Die Bestimmung zielt somit nicht auf das, was sich auf den ersten Blick nahe legt. Da sich Hegels Trinittslehre auch aufgrund ihrer Prgung durch die Grundstruktur absoluter Vermittlung material als die eine, absolute Subjektivitt in drei Momenten vollzieht, liegt es nahe, die Rede von dem impliziten Hegelianismus mit derjenigen Debatte zu verbinden, die darum kreist, ob die Trinitt als absolutes Subjekt in drei Momenten bzw. Seinsweisen zu entwerfen ist oder aber als drei extensionsdistinkte Personen, die gerade in dieser Bestimmtheit der eine Gott sind. Unzweifelhaft ist diese Frage von erheblicher Relevanz und wird

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

dieser Debatte werden somit dieselben Sachverhalte verhandelt, die in der Auseinandersetzung der Hegelschen Grundstruktur mit der zu Hegel alternativen diskutiert wurden. Auf diese Fragestellungen also zielt die Rede von dem impliziten Hegelianismus: Sind die entsprechenden Theologien darin implizit hegelianisch, dass sie ihre Trinittslehre dergestalt konstruieren, dass diese in bereinstimmung mit der Grundstruktur Hegels die Gottheit Gottes und die Personen der Trinitt als in und durch absolute, symmetrische Vermittlung konstituiert sehen? Im Folgenden sollen dazu zwei Fallbeispiele untersucht werden. Gemeinsam ist den Beispielen, dass sie aus den Hauptwerken ußerst prominenter Theologen der Gegenwart stammen und damit wohl auch stellvertretend fr nicht unwesentliche Teile gegenwrtiger deutschsprachiger Theologie stehen. Dies gilt umso mehr, als mit Jrgen Moltmann der eine Protestant und mit Gisbert Greshake der andere Katholik ist. Herausgesucht wurden beide auch deshalb, weil sie exemplarisch die beiden in der zu verhandelnden Sache einander genau entgegen gesetzte Positionen vertreten. So trennt Moltmann die Konstitutions- von der Relationsebene, fasst erstere als asymmetrisch und verfhrt somit in bereinstimmung mit der zu Hegel alternativen Grundstruktur. Dagegen sucht Greshake eine solche Trennung gerade zu berwinden und ist inbis in die jngste Gegenwart hinein und immer wieder gerade auch mit Bezug auf Hegel lebendig diskutiert, siehe dazu etwa Moltmann, Trinitt, 28 – 31 und Greshake, Der dreieine Gott, 136 – 141. Ohne Bezug auf Hegel (aber unter Bercksichtigung des stark hegelianisch geprgten Vermittlungstheologen Liebners) legt Mhling-Schlapkohl, Gott, eine umfassende historische und systematische Studie vor, die besonders die Debatte darum, ob die Personen der Trinitt als extensionsdistinkt zu fassen sind oder nicht, zu ihrem Organisationsprinzip erhebt – siehe dort auch entsprechende weitere Literatur. Dennoch soll diese Frage hier nicht weiter verfolgt werden, und zwar aus genau dem Grund, dass sie gegenwrtig immer wieder gerade auch mit Bezug auf Hegel lebendig diskutiert wird. Denn im Folgenden wird darauf abgezielt, eine Debatte, die gegenwrtig wohl auch gefhrt wird, aber weniger lebendig ist und die zudem in keiner Weise auf das Denken Hegels bezogen wird, gerade dadurch in den Vordergrund zu rcken, dass sie mit dem Denken Hegels in Beziehung gebracht wird. Es geht mit dieser Fokussierung somit zugleich die Behauptung einher, dass die Debatte darum, ob die Personen der Trinitt extensionsdistinkt sind oder nicht, nicht ineins die Debatte entscheidet, ob der Trinitt eine asymmetrische Ursprungsrelation zuzuschreiben ist oder nicht. So meinen wir etwa, dass die Personen der Trinitt wohl als extensionsdistinkt zu fassen sind, die Gottheit Gottes und die Personen der Trinitt aber zugleich durch eine asymmetrische Ursprungsrelation konstituiert werden. Zu der notwendigen Unterscheidung (nicht: Trennung) beider Fragen siehe auch Mhling-Schlapkohl, Gott, 305 – 324. Moltmann, Trinitt, 11.

III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven

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sofern als impliziter Hegelianer zu begreifen. Zugleich zeigt sich, dass er seine hegelianische Grundstruktur selbst zu korrigieren gezwungen ist, so dass der Versuch der Durchfhrung Hegelschen Denkens erneut dessen Unmçglichkeit besttigt. III.2.2.1. Moltmanns Unterscheidung von Konstitutions- und Relationsebene Beginnend mit dem genauer zu untersuchenden Band Trinitt und Reich Gottes, legt der spte Moltmann umfassend Rechenschaft ber sein Denken ab in „systematischen Beitrgen zur Theologie“, die „in einer bestimmten systematischen Folge die Zusammenhnge wichtiger Begriffe und Lehren der christlichen Theologie“922 behandeln. Dementsprechend widmet sich der erste Beitrag der Gotteslehre. Folgt Moltmann dem ordo cognoscendi und rekonstruiert somit zuerst einige christologische Zentralbestnde der çkonomischen Trinitt, so fragt er von daher in die immanente Trinitt zurck. Wesentlich ist, dass in Aufbau und materialer Durchfhrung des Textes Konstitutions- und Vollzugsebene deutlich voneinander unterschieden werden. Mit Moltmann gesprochen: „Man muß unterscheiden zwischen der Konstitution der Trinitt und dem inneren Leben der Trinitt“.923 Whrend sich die Konstitution der Trinitt streng asymmetrisch vom Vater her aufbaut, vollzieht sich das innere Leben symmetrisch in der perichoretischen Vermittlung der drei Personen. Die Konstitution der Trinitt erfolgt allein vom Vater her, dem entsprechend allein und von Anfang an die Monarchie zuzuschreiben ist.924 So lautet die entscheidende Passage, die den Vater in Bezug auf die Konstitutionsebene charakterisiert, wie folgt: „Der Sohn und der Geist gehen in Ewigkeit aus dem Vater hervor, der Vater aber geht aus keiner anderen gçttlichen Person hervor. Darum – so sagt die Lehre von den trinitarischen Prozessionen – kann er selbst nicht aus einer Relation konstituiert sein. Der Vater muß durch sich selbst konstituiert sein. Darum wird er – der Ursprung des Sohnes und des Geistes – der ,schlechthin und absolut Ursprunglose‘, principium sine principio, genannt. Er ist der ursprunglose Ursprung der gçttlichen Person des Sohnes sowie des Geistes. Will man Gott nicht sabellianisch im Dunkel verschwinden lassen, dann muß man den ewigen Ursprung der Trinitt im Vater sehen. Das aber bedeutet, daß Gott der Vater doppelt bestimmt werden muß: erstens ist er 922 AaO., 11. 923 AaO., 199. 924 Siehe dazu aaO., 182.

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III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik

der ursprunglose Ursprung der Gottheit; zweitens ist er der Vater des Sohnes und der Hervorbringer des Geistes“.925

Entsprechend werden Sohn und Geist in der Konstitutionsrelation nher bestimmt: Der Sohn ist nicht eine zweite Quelle der Gottheit, vielmehr „empfngt der Sohn in Ewigkeit Gottheit und Personsein vom Vater“.926 Ebenso hat der Geist als seine einzige Quelle den Vater. Zugleich ist mehr ber die Trinitt zu sagen als dies, denn die Ursprungsrelationen sind nicht die einzigen fr die Trinitt charakteristischen Relationen. Vielmehr gibt es ein „inneres Leben“ der auf die eben beschriebene Weise konstituierten Trinitt,927 das in zweierlei Hinsichten zu betrachten ist: in der des perichoretischen Kreislaufs der Personen, und in der der wechselseitigen Manifestation der Herrlichkeit. Die Personen der Trinitt existieren in perichoretischer Verbindung und somit als Personen in Vermittlung: „In dem dreieinigen Gott findet ein ewiger Lebensprozeß durch den Austausch der Energien statt. Der Vater existiert im Sohn, der Sohn in dem Vater und beide im Geist, so wie der Geist in beiden existiert. Sie leben so ineinander und wohnen so einander ein kraft der ewigen Liebe, daß sie eins sind“.928

In diesem perichoretischen Lebensprozess kommt es zudem zu einer weiteren Dimension, der wechselseitigen Darstellung von Gottes Herrlichkeit, die in besonderem Maße dem Geist zukommt. Wird abschließend die Frage nach der Einheit der Trinitt gestellt, so kann das Gesagte anhand dieses Zentralbegriffes dergestalt zusammengefasst werden, dass 925 Ebd. 926 AaO., 183. Ganz folgerichtig widmet Moltmann aaO., 194 – 203, dem rechten Verstndnis des filioque eine ausfhrliche Auseinandersetzung. 927 Bekanntlich steht Moltmann gerade wegen der Unterscheidung von Konstituitions- und Relationsebene in der Kritik, siehe dazu etwa auch Greshake, Der dreieine Gott, 168 – 171. Es kommt nun alles darauf an, wie beide einander zuzuordnen sind: Ist, mit Pannenberg, Systematische Theologie, 171, die Monarchie des Vaters bei Moltmann als in „Konkurrenz“ zum Leben der Trinitt zu verstehen, so wre Moltmanns Lçsung in der Tat abzulehnen. Ist die Monarchie des Vaters als Ursprung der Konstitutionsebene aber gerade das, was mit dem Ausdruck der „Konstitution“ nahe gelegt wird: nmlich Bedingung der Mçglichkeit der Vollzugsebene, so ist Moltmanns Lçsung als sachangemessen zu verteidigen. Zuzugeben ist, dass diese von uns angesetzte Lesart Moltmanns noch eindeutiger am Text verifiziert werden kçnnte, wenn Moltmann, anstatt begrifflich eine Konstitutions- von einer Relationsebene zu unterscheiden, gesagt htte, dass in dem Relationsgefge Trinitt asymmetrische Ursprungs- von symmetrischen Vollzugsrelationen zu unterscheiden sind. 928 Moltmann, Trinitt, 191.

III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven

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von der Einheit der Trinitt dreifach oder trinitarisch differenziert gesprochen werden muss.929 „Die Einheit der Trinitt wird vom Vater konstituiert, um den Sohn herum konzentriert und durch den Heiligen Geist erleuchtet“.930 Damit entspricht Moltmanns Trinittslehre in ihren wesentlichen Bestimmungen gerade der zu Hegel alternativen Grundstruktur, unterscheidet er doch mit ihr eine Konstitutions- von einer Vollzugsebene. Entsprechend setzt er der Vermittlung der drei Personen eine Voraussetzung voraus, die als der Vater bestimmt ist und funktional Bedingung der Mçglichkeit sowohl der Einheit und Gottheit Gottes wie der anderen beiden Personen ist. Durch den Vater ermçglicht, vollzieht sich das 929 Im Hinblick auf Formulierungen Schellings wre zu erwgen, ob es nicht einen inneren Zusammenhang gibt zwischen Moltmanns Differenzierung zwischen einer Konstitutions- und einer als Liebe bestimmten Relationsebene einerseits sowie seiner Betonung der Trinittslehre als Freiheitslehre andererseits, siehe zu der Zuordnung von Trinitts- und Freiheitslehre v. a. Moltmann, Trinitt, 207 – 239. Denn, wie Krger, „Schelling“, herausgearbeitet hat, betont Schelling, dass die asymmetrische Ursprungsrelation es erlaubt, Gott als Freiheit zu qualifizieren, welche Bedingung der Mçglichkeit fr die perichoretische Vollzugsrelation ist, die als Liebe gefasst werden kann: Gottes Freiheit ist somit Bedingung der Mçglichkeit seiner Liebe. Allerdings besteht eine grundlegende Differenz zwischen Schelling und Moltmann darin, dass fr Schelling mit der Freiheit Gottes nicht nur die Freiheit zu der Schçpfung, sondern auch eine mçgliche Freiheit von der Schçpfung einhergeht, siehe dazu Schelling, Urfassung, 70 – 88. Letztere aber wird von Moltmann gerade verspielt, siehe dazu Moltmann, Trinitt, 119 – 129 und die an diesem Punkt zu Recht scharfe Kritik Mhling-Schlapkohls, Gott, 178 – 187. Moltmann ist in seiner feldkonstitutiven Zuordnung von Gott und Welt nicht nur von der Sache her vehement zu widersprechen. Vielmehr ist ihm eben auch Inkonsequenz vorzuwerfen, da doch die Tatsache, dass die Gottheit Gottes durch die Monarchie des Vaters in Freiheit immer schon garantiert ist, gerade die Mçglichkeit erçffnet, die Welt als fr Gott nicht-notwendige zu entwerfen. 930 Moltmann, Trinitt, 194. Von dieser Zentralaussage her lassen sich auch andere Aussagen verstehen, die, allein an ihrem Ort fr sich genommen, durchaus missverstndlich sind, da sie dem eigenen Ansatz widersprechen, so wie etwa diejenige, die bei Moltmann, Trinitt, 168, besagt: „Der Begriff der Einheit Gottes kann trinitarisch also nicht in die Homogenitt der einen gçttlichen Substanz, auch nicht in die Selbigkeit des absoluten Subjektes und erst recht nicht in eine der drei Personen der Trinitt gesetzt werden: er muß in der Perichorese der gçttlichen Personen wahrgenommen werden“. berhaupt ist zuzugeben, dass unsere Lesart Moltmann so konsistent wie mçglich zu lesen versucht. Eine dazu alternative Lesart, die seine Brche betont und dementsprechend kritisch ist, bietet etwa Mhling-Schlapkohl, Gott, 178 – 187. Dort wird auch die weitere Literatur zu Moltmann aufgefhrt.

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Vermittlungsgeschehen der drei Personen als perichoretischer Lebensprozess, in dem sich zugleich die Herrlichkeit Gottes manifestiert. Indem Moltmann der zu Hegel alternativen Grundstruktur folgt, ist ihm gerade kein impliziter Hegelianismus vorzuwerfen. Das ndert sich bei dem nchsten Fallbeispiel, bei der Theologie Gisbert Greshakes: Vom Selbstanspruch her wrde er sich gerade als Hegelianer bezeichnen, in der tatschlichen Durchfhrung aber erweist er nur die Undurchfhrbarkeit Hegelschen Denkens. III.2.2.2. Gibt es einen impliziten Hegelianismus? Das Beispiel Gisbert Greshakes Die theologiegeschichtliche Situation war mindestens bis in die 1970er Jahre ber viele Jahrzehnte weithin davon geprgt war, die Trinittslehre als eine fr das Praktische ganz irrelevante und in der Theorie kaum denkerisch aufklrbare, also in ihrer Sonderbarkeit zu negierende Sonderlehre anzusehen.931 Demgegenber betont Greshake, dass die Trinittslehre die realphilosophisch gefllte Grundstruktur des Verstndnisses der gesamten Wirklichkeit ist.932 Ein dieser Einsicht entsprechend umfassendes Projekt startet er mit seinem vieldiskutierten,933 schnell in mehreren Auflagen erschienenen Hauptwerk Der dreieine Gott. In dem ersten als dem hier allein zu bearbeitenden Teil rekonstruiert er in systematischer Absicht die Geschichte der Trinittslehre und prsentiert sodann einen ebenso radikalen (wie problematischen) eigenen Ansatz, der ihn als impliziten Hegelianer ausweist. So ist er nicht nur darin impliziter Hegelianer, dass er, wie er selbst sagt, in einem allgemeinen Sinne „dialektisch“ denkt,934 sondern wesentlich darin, dass seine als Trinitt realphilosophisch vorhandene Grundstruktur der absoluter Vermittlung entspricht. Sein fr diese Grundstruktur verwendeter Zentralbegriff ist der der Communio, den er wie folgt definiert: „Kurz gesagt: Communio ist jene Grçße, in der das ,Ganze‘ und dessen ,Teile‘ gleichursprnglich gegeben sind, insofern das Ganze (Einheit) in den 931 Siehe dazu Greshake, Der dreieine Gott, 15 – 22. 932 So schreibt Greshake, aaO., 23: „Der Glaube an den dreifaltigen Gott ist nicht ein Teilstck des christlichen Glaubens, sondern dessen Herzmitte und der Fluchtpunkt all seiner Einzelmomente, das Ganze in seiner aufzugliedernden Vielfalt oder kurz – wie Jçrg Baur bemerkt ,die Summe des Evangeliums‘“. 933 Eine Auseinandersetzung Greshakes mit vielen seiner Kritiker findet sich in dem dafr neu geschriebenen Nachwort der vierten Auflage seines Buches. 934 Greshake, Der dreieine Gott, 200.

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differenzierten, strikt aufeinander bezogenen Teilen ist und die Teile (Differenzen) sich zu einem Ganzen zusammenfgen“.935

Auf die Trinitt bezogen bedeutet das: „Es gibt nicht ein gçttliches Wesen, das unabhngig vom Relationsgefge der gçttlichen Personen auch nur gedacht werden kçnnte, und es gibt keine gçttliche Person, die unabhngig von dem sie mit den brigen Personen verbindenden Beziehungsnetzwerk sein kçnnte. Vielmehr ist das eine gçttliche Wesen die Vermittlung: ewiges, sich konstituierendes Miteinander dreier Personen im Voneinanderher und Aufeinanderhin – in einem untrennbaren Zusammen von Selbsteinigung durch Selbstunterscheidung von den anderen sowie von Einigung durch Verbindung mit ihnen“.936

Dementsprechend ist die Ontologie als dynamische zu fassen, „Sein als Geschehen der Selbstmitteilung“.937 Die trinitarische Einheit ist ganz folgerichtig durch drei Charakteristika nher bestimmt: Sie ist eine Einheit, die Differenzen „ursprnglich einbegreift“, oder, realphilosophisch gesprochen, Personen und Wesen Gottes sind ein Geschehen „gleichursprnglicher reziproker Vermittlung“, so dass Vielheit „keine Minderung von Einheit ist, sondern deren Vollzugsform“.938 Zweitens sind Einheit und Vielheit nicht nur als gleichursprnglich anzusetzen, sondern zudem noch als sich gegenseitig steigernd: „Es geht hier […] um ein dynamisches Gespanntsein im Sinne von: Je grçßer die Identitt, desto grçßer auch die Nichtidentitt“ und umgekehrt.939 Das beinhaltet drittens ein perichoretisches Verstndnis dessen, was eine Person ist: Personen haben ihren Selbststand gerade in und durch ihre Relationen.940 Dabei sind diese Relationen eigens zu charakterisieren: „Jede der Personen ist ekstatisch auf die anderen hin und zwar korrelativ, indem sie zugleich gibt und empfngt“, so dass es sich um eine „korrelative Reziprozitt“ handelt941 Somit sind mit jeder Person die anderen und so die gçttliche Einheit mitgegeben.942 Angesichts einer so entworfenen Position ist es nur konsequent, wenn sich Greshake ausdrcklich gegen die traditionelle und von Moltmann wieder aufgenommene Konstitutionsebene der Trinitt wendet, die durch 935 936 937 938 939 940 941 942

AaO., 176. AaO., 183. AaO., 186. Alle Zitate auf aaO., 196 f. AaO., 199. AaO., 175. AaO., 185 und ebd., Anm. 496. Siehe aaO., 199.

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asymmetrische Relationen oder die Annahme einer der Vermittlung vorgngigen Voraussetzung geprgt ist, die Bedingung der Mçglichkeit des Selbsts und der Einheit der Vermittlung sowie Bedingung der Mçglichkeit der Charakteristika der Momente der Vermittlung ist.943 Denn laut Greshake bewegen sich diese asymmetrischen Konstitutionsrelationen noch in jenem Horizont abendlndischen Denkens, der in Bezug auf Genese und Geltung von der Vorgngigkeit des Einen vor den Vielen ausgeht. Er ist von einer solchen Theologie gerade zu berwinden, die sich von der Trinittslehre her entwirft und daher das CommunioDenken vertritt: Die Substanz muss Intersubjektivitt werden. Gegen ein Denken, das die (etwa mit der çstliche Tradition im Vater zu verankernden) Einheit als ein zeitliches oder „ontologisches oder logisches prius/prior“944 vor der Vielheit setzt, ist von der gleichursprnglichen Vermittlung beider als Communio auszugehen. Sonst drohen zweierlei Gefahren: zum einen die bekannten subordinatianistischen bzw. modalistischen, so dass sich „ein schwer durchschaubares Paradox zeigt, wie nmlich beides zu bercksichtigen ist: die Ordnung der Hervorgnge und die Gleichrangigkeit der Personen“.945

Zum zweiten wird ansonsten bersehen, dass in der çkonomischen Trinitt eine Vielzahl von Beziehungen sichtbar werden, die negiert werden, wenn die Trinitt allein anhand der vom Vater ausgehenden Konstitution entworfen wird.946 In seinem bisher skizzierten eigenen Entwurf sowie dem sich daraus ergebenden, expliziten Ausschluss alternativer Optionen erweist sich Greshake somit als impliziter Hegelianer. Doch Greshake geht noch einen entscheidenden Schritt ber das bisher Dargestellte hinaus. Oder, wie aus seiner Sicht zu sagen sein wird, er fllt nolens, volens einen entscheidenden Schritt hinter das bisher Erreichte zurck. Denn gilt es, zu genauerer Bestimmung der Einheit Gottes und der Personen vorzudringen, so gelangt Greshake zu denjenigen Bestimmungen, die in der Tradition 943 Siehe dazu aaO., 192 – 196, aber auch schon 187. Ausdrcklich gegen Moltmann wendet sich Greshake auf aaO., 170 f. 944 AaO., 193. 945 AaO., 192. 946 Siehe dazu aaO., 203 – 207. Es sei nur kurz daran erinnert, dass Moltmann die anderen aus dem Neuen Testament zu erhebenden Beziehungen der drei Personen zueinander, die nicht in der Konstitutionsebene ausgedrckt werden, durch die Relationsebene aussagt.

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mit Bezug auf die Konstitutionsfrage verhandelt werden. Der Vater wird bestimmt als „Ur-Gabe. […] Indem der Vater in der Rhythmik der Liebe das abgrndige, unfaßbare Geheimnis des Gabe-Seins als sein Spezifikum vollzieht, ist er derjenige, welcher der ganzen Communio Grund und Halt gibt, sie als eine zusammenhlt und trgt, so daß die beiden anderen Personen in ihm ihre Mitte erblicken“.947

Der Sohn ist „in der Rhythmik der Liebe ,Dasein als Empfang‘“, und der Geist „ist in der Rhythmik der Liebe auf der einen Seite reines Empfangen, insofern er sich die Gabe des Vaters und – auf andere Weise – die des Sohnes ,gefallen lßt‘ und sich liebend zurckwendet in Dank und Verherrlichung. Auf der anderen Seite wird der Geist seit Augustin verstanden als das Band der Liebe zwischen Vater und Sohn“.

Zugleich aber soll diese Zuordnung und besonders die Bestimmungen des Vaters ausdrcklich „nicht heißen, daß er sozusagen das ontologische Prinzip eines genetischen Prozesses ist oder auch nur als solcher gedacht werden kçnnte“. Wie diese beiden Aussagen zusammen zu denken sind, ist unverstndlich, und zwar aus prinzipiellen Erwgungen. Denn entweder man folgt der Anweisung, dass die gemachten Aussagen „nicht als das ontologische Prinzip eines genetischen Prozesses“ zu verstehen sind, fasst die Grundstruktur damit als Vermittlungsbewegung symmetrischer Relationen, handelt sich aber damit das Problem ein, dass die Bestimmung der Einheit in diesem Vollzug und die Bestimmung der Relate unverstndlich wird. Oder man nimmt die Aussage ernst, dass der Vater „das abgrndige, unfaßbare Geheimnis des Gabe-Seins als sein Spezifikum vollzieht, so dass er derjenige ist, welcher der ganzen Communio Grund und Halt gibt, sie als eine zusammenhlt und trgt, so daß die beiden anderen Personen in ihm ihre Mitte erblicken“.

Dann operiert man mit asymmetrischen Beziehungen, welche die Bestimmung der Einheit in der Vermittlung und die Bestimmung der Relate ermçglichen. Damit aber ist man bei nichts anderem als dem, was traditioneller Weise durch die asymmetrischen Ursprungsrelationen bezeichnet wird.948 947 AaO., 207 f. 948 Eine nicht unhnliche Kritik ließe sich in Bezug auf den impliziten (und in Teilen expliziten) Hegelianismus der Trinittslehre von Wolfhart Pannenberg vorbringen. So pldiert Pannenberg hnlich wie Greshake fr den Abbau der auf traditionelle Weise organisierten Konstitutionsebene der Trinitt, die in asym-

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metrischer Weise in der Monarchie des Vaters ihren Ausgang nimmt. Denn diese fhre zur Subordination des Sohnes und des Geistes unter den Vater, so Pannenberg, Systematische Theologie, 304 u. ç. (auf aaO., 353 wendet sich Pannenberg ganz folgerichtig ausdrcklich gegen Moltmann und seine Trennung von Konstitutions- und Vollzugsebene der Trinitt). Statt dessen konstituiert sich die Trinitt so, wie sie sich vollzieht: durch wechselseitige Selbstunterscheidung, siehe aaO., 335 – 347. Die Personen konstituieren sich demnach, indem sie je in spezifischer Differenz zu den beiden anderen Personen stehen; in der Terminologie unseres Buches: Es vollzieht sich die Selbstkonstitution durch Selbstausdifferenzierung. Dem entsprechend ist auch das Wesen Gottes gefasst. Wird es in materialer Hinsicht als Liebe definiert, die „die Personen ber sich selbst hinaushebt und sie dadurch in ihrem Selbstsein konstituiert“ (aaO., 461), so ist das Wesen als Liebe nicht von dem Vollzug der drei Personen unterschieden, sondern hat sein Dasein gerade in den Personen und vollzieht sich als die Relationen der Personen, siehe aaO., 388. Damit sind das Wesen und die Personen sowie die Personen untereinander absolut miteinander vermittelt, oder sie sind organisiert durch die Struktur wahrhafter Unendlichkeit, siehe Pannenberg, „Der eine Gott“, wo Pannenberg diese Struktur anhand einer Exegese Hegels entwickelt. Der Geist selbst ist dadurch charakterisiert, diese Vermittlung zu symbolisieren, da er zugleich die dritte Person und das Kraftfeld der Gottheit Gottes ist, siehe Pannenberg, Systematische Theologie, 415 und 463. Wie in Hegels Trinittslehre, so vereinen sich also auch bei Pannenberg im Geist die dritte Person und das Wesen Gottes, da der Geist die Wahrheit dieser Trinittslehre symbolisiert: dass Moment und Totalitt miteinander vermittelt sind. Herrscht somit die Monarchie des Geistes, so zeigt sich das Problem von Pannenbergs Entwurf, wenn es um die Identitt der verschiedenen Personen geht. Denn um die Identitt des Vaters zu garantieren und dabei anschlussfhig an die biblische Exegese zu bleiben, wird dem Vater nun doch die Monarchie zugesprochen. Zwar wird diese dahingehend qualifiziert, dass sie, nachdem sie vom Vater ausgeht, dann dem Sohn bergeben und im Geist vollendet wird, so dass sie nicht die Voraussetzung, sondern das Ergebnis des Zusammenwirkens der drei Personen ist, siehe aaO., 353. Dennoch wird der Vater dadurch qualifiziert, dass er dem Sohn die Herrschaft bertrgt und der Geist von ihm ausgeht und er durch den Vater handelt, siehe aaO., 335 – 344 und 463. Hier stellt sich die Frage, wie das mit dem vorher entwickelten Geistbegriff zusammen gehen soll. Ist dieser als die Person definiert, die mit dem Wesen als der kreativen Macht der Liebe absolut vermittelt ist, so ist unverstndlich, wie sie wiederum vom Vater ausgehen soll. Wie kann die kreative Macht der Liebe, die ihr Dasein im Vater hat und damit dem Vater aller erst sein Selbst gibt, zugleich vom Vater ausgehen (siehe zu dieser Frage auch ausfhrlich Min, „Pannenberg’s Hegelian Trinitarianism“, 263 f.)? So zeigt sich an dieser materialen Aporie wiederum, was das Beweisziel des vorliegenden Buches als Ganzen ist: In der Sprache der Vorstellung gesprochen, gibt es zwei alternative Grundfiguren, die sich trinittstheologisch als Monarchie des Vaters oder als die des Geistes realisieren. Vollzieht sich letztere als der Anspruch, die Asymmetrien der ersten vollstndig abzubauen, so ist sie mit unlçsbaren Schwierigkeiten behaftet, wenn sie zugleich einen angebbaren und nicht selbstwidersprchlichen

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Was das aber heißen soll: dass der Vater „das abgrndige, unfaßbare Geheimnis des Gabe-Seins als sein Spezifikum vollzieht, und so derjenige ist, welcher der ganzen Communio Grund und Halt gibt, sie als eine zusammenhlt und trgt, so daß die beiden anderen Personen in ihm ihre Mitte erblicken, was – nochmals! – nicht heißt, daß er sozusagen das ontologische Prinzip eines genetischen Prozesses ist“

– wie also beide Aussagen zusammen zu bringen sind, ist schlichtweg unverstndlich.949 Bzw.: Es liegt hiermit ein Widerspruch vor. Widersprche aber haben nur als sich auflçsende ihr Dasein. Und ganz unabhngig davon, ob man als das positive Resultat dieses Widerspruches tatschlich im Einzelnen dem Vorschlag Moltmanns folgen will oder nicht, festzuhalten bleibt in bergreifender Perspektive, dass sich auch hier wiederum zeigt, was das Beweisziel der vorliegenden Arbeit als Ganzer ist: In formaler Hinsicht in bereinstimmung mit dem Hegelschen Rationalittsstandard interner Kritik zeigt sich material, dass der Versuch der Durchfhrung Hegelschen Denkens gerade der Erweis von dessen Unmçglichkeit ist.

Sinn von Identitt sichern will, der ihren Momenten und ihr als Ganzer zukommen soll. 949 Siehe dazu auch die Kritik und Antikritik in Greshake, Der dreieine Gott, 573 – 578.

Zusammenfassung Das Folgende bietet einen berblick ber die gesamte Arbeit. Zur besseren Orientierung entspricht die Einteilung der Zusammenfassung den Einteilungen der Gesamtdarstellung. I. Einleitung: Verortungen der Arbeit In dem vorliegenden Buch wird eine zentrale These verteidigt und diese in zwei Kontexte hinein expliziert. Die zentrale These betrifft Hegel und beruht auf einer ausfhrlichen Auslegung seiner WL sowie seiner Religionsphilosophie. Sie kombiniert Beobachtungen zu Hegels logischer Grundstruktur, zu den von ihm angesetzten Formen und zu dem dabei verhandelten Inhalt. Sie lautet, dass sich bei Hegel wegen der logischen Grundstruktur absoluter Vermittlung die wahre Einheit Gottes und des Menschen nicht in der Form der Religion, sondern in der Form der Philosophie vollzieht. Die Relevanz dieser These wird deutlich, wenn sie mit dem ersten der beiden Kontexte in Verbindung gebracht wird: den christologischen Bestimmungen des Konzils von Chalcedon. Diese besagen, dass Jesus Christus zugleich als wahrer Gott und wahrer Mensch zu fassen ist, und alle großen christlichen Kirchen stimmen dem zu. Zugleich deuten die chalcedonensischen Bestimmungen nicht an, wie sie denn genauer denkerisch zu erfassen sind. Um dafr einen konstruktiven Vorschlag vorzulegen, wird Hegel herangezogen und im Hauptteil ausfhrlich exegetisiert (II.). Denn Hegels gesamtes System kann als der Versuch gelesen werden, die logischen Hintergrnde und die materiale Durchfhrung gottmenschlicher Einheit mçglichst przise aufzuklren. Fhrt Hegels Ansatz allerdings zu dem Resultat, dass sich die gottmenschliche Einheit in Wahrheit als Philosophie vollzieht, so stellt sich die Frage, ob dem zuzustimmen ist: Liegt die Wahrheit der christlichen Praxis in der philosophischen theoria? Damit ist zu dem zweiten in dem vorliegenden Buch verhandelten Kontext bergeleitet, zur gegenwrtigen Debatte um Hegel (III.). Diese ist in sich nochmals zweigeteilt. So kommen zuerst wichtige theologische und vor allem zentrale philosophische Einwnde gegen Hegel zu Wort. Abschließend wird die Hegel-

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Kritik zu einer Hermeneutik einiger Aspekte der gegenwrtigen Systematischen Theologie genutzt. Dabei werden ebenso Anmerkungen zu den in der gegenwrtigen Theologie vorhandenen expliziten Rekurse auf Hegel gemacht wie zu demjenigen weit verbreiteten Phnomen, das als „impliziter Hegelianismus“ bezeichnet werden kann. Mit der angedeuteten These positioniert sich die vorliegende Arbeit zum einen in der heranzuziehenden Primrliteratur, da die religionsphilosophischen Vorlesungen teilweise andere Ausgnge der Religion kennen als die Aufhebung in die Philosophie. Zum anderen ist die These in der gegenwrtigen Sekundrliteratur umstritten. Um die eigene Arbeit entsprechend zu verorten und um eine Handreichung fr die weitere Forschung zu geben, wird ein Forschungsberblick ber diejenige deutschsprachige Forschung zur Religionsphilosophie des reifen Hegels dargeboten, die in monographischer Form in den letzten vierzig Jahren erschien. Dabei wird die Forschung zum ersten in eine solche eingeteilt, die Hegel in „religiçser“ Lesart begreift. Diese meint, dass Hegel geltungstheoretisch vom Christentum dependiert und/oder keine Aufhebung der Religion in die Philosophie propagiert. Dem steht die „philosophische“ Lesart gegenber, die jeweils alternativ optiert. Zum zweiten wird innerhalb der jeweiligen Lesarten nochmals eine solche unterschieden, die den logischen Hintergrund der Religionsphilosophie durch eine breite Auslegung von Teilen der WL eigens ausleuchtet, und eine solche, die darauf verzichtet. Die vorliegende Arbeit ist innerhalb der philosophischen Lesart mit ausgewiesenem logischen Hintergrund einzuordnen und meint, dass allein diese Hegel angemessen ist. Denn dass der logische Hintergrund eigens heranzuziehen ist, wird auch von denen, die darauf verzichten, nicht bestritten, beruht ihr Verzicht doch meist auf pragmatischen Erwgungen. Wird aber der logische Hintergrund herangezogen, so greift meine Zentralthese, dass gerade seinetwegen die philosophische Lesart zu verteidigen ist. Im Vergleich zu den anderen Arbeiten, die die philosophische Lesart vertreten und mit ausgewiesenem logischem Hintergrund arbeiten, ist das vorliegende Buch dabei in folgender Hinsicht innovativ. Whrend bereits eine Vielzahl von Ausschnitten aus der WL zur Aufhellung des logischen Hintergrundes der Religionsphilosophie herangezogen wurden, wurde bisher noch nicht in ausfhrlicher Form auf die absolute Idee als das Schlusskapitel der WL zurckgegriffen. Damit zieht die Arbeit nicht nur die einzig angemessene logische Struktur heran, sondern integriert zugleich die Strukturen der anderen Arbeiten. Denn

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die absolute Idee als das Schlusskapitel der WL hebt alle anderen logischen Strukturen der WL in sich auf. II. Gottmenschliche Einheit bei Hegel II.1. Perspektiven auf Hegels Gesamtsystem Das Gesamtsystem Hegels behandelt wesentlich ein Thema. Es ist dies die absolute Idee als die sich als das Absolute erkennende Vernunft. Diese wird in ihren Selbstmodifikationen in Logik, Natur und Geist als den drei Teilen des Systems dargestellt. Wenn die wesentlichen Nherbestimmungen des jeweiligen traditionellen Verstndnisses der Disziplinen mitbedacht werden, so kann die Logik als eine transzendentalphilosophische Onto-Theo-Logik gefasst werden. Sie realisiert sich sodann als Natur und schließlich als Geist. Der Geist terminiert in dem absoluten Geist. Er ist derjenige Geist, der nicht nur mit dem subjektiven und dem objektiven Geist sein Dasein im Wissen hat, sondern der gerade reflexiv sein Dasein im Wissen als sein Wissen um sein Dasein im Wissen hat. Wird in der eben angefhrten Perspektive das Gesamtsystem als ein großer Kreisgang von der Logik ber die Natur zum Geist rekonstruiert, so ist in einer zweiten Perspektive zentral, dass die Logik die logischen Strukturen der Realphilosophie entwickelt. Dabei sind Logik und Realphilosophie einander so zugeordnet, dass das Ende der Logik das Ende der Realphilosophie fundiert. Daher ist in dem vorliegenden Buch die absolute Idee auszulegen. Denn sie stellt das Schlusskapitel der WL dar und bildet somit den logischen Hintergrund fr die Religion, welche ein Moment des absoluten Geistes als des Schlusskapitels der Realphilosophie ist. So wird im Folgenden zuerst die absolute Idee ausgelegt (II.2.) und dann Hegels Religionsphilosophie in ihrer Prgung durch die absolute Idee (II.3.). II.2. Die absolute Idee als der logische „Bildner“ der Religionsphilosophie II.2.1. und II.2.2. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der absoluten Idee und der Anfang der Bewegung: Wesentlich an der absoluten Idee ist, dass sie eine Subjektivierung der anfnglich durch substanzhafte Zge gekennzeichnete Entitt erreicht. Sie vollzieht sich in einem Vierschritt, der von dem anfnglichen Allgemeinen zur Urteilung der ersten Negation als dem Setzen des Besonderen fhrt. Daraus ergibt sich die zweite Negation, ehe die neue Unmittelbarkeit als vollentwickelte oder

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allgemeine Einzelheit erreicht wird. Dabei fungiert der Widerspruch durchgehend als Motor der dialektischen Bewegung. Bei der Darlegung des Anfangs der Bewegung ist in methodischer Hinsicht zu bedenken, dass der Anfang um seiner Anfnglichkeit willen nicht abgeleitet, sondern bloß aufgegriffen werden kann. Denn sonst wre die Ableitung des Anfanges der Anfang. In materialer Hinsicht ist der Anfang entsprechend als unbestimmte, einfache Unmittelbarkeit zu bestimmen, die als rudimentre Subjektivitt mit wesentlich substanzhaften Zgen zu fassen ist. II.2.3. Die erste Negation: Aus der Unmittelbarkeit des Anfanges heraus kommt es zum Fortgang als der ersten Negation. Um ihn angemessen zu begreifen, ist der Widerspruch genauer zu rekonstruieren, da er immanenter Grund jeden Fortganges im Hegelschen System ist. Dazu wird der Widerspruch dort aufgesucht, wo er selbst ausfhrlich expliziert wird: in der Wesenslogik. In ihr wird er als die Selbstaufhebung derjenigen Entitt gefasst, die sich als Selbstndige ausgibt. Die Selbstaufhebung liegt darin begrndet, dass das Selbstndige sein Anderes ein- und ausschließt. Schließt es sein Anderes ein, da es nur so Selbstndiges ist, so schließt es gerade als Selbstndiges sein Anderes zugleich auch aus. Damit schließt es aber dasjenige aus, wodurch es selbstndig ist, und ist so der Widerspruch. Weitergehende Betrachtungen zum Widerspruch ergeben, dass Hegel die traditionelle Definition des Widerspruchs bernimmt. Gegen die Tradition meint er aber, dass der Widerspruch zu ontologisieren ist, weil er das Wesen aller selbstndigen Entitten ausmacht. Dennoch vertritt Hegel mit der Tradition die Position, dass der Widerspruch nur als sich auflçsender sein Dasein hat. Daher entspricht der logischen Kategorie des Widerspruches die ontologische Bestimmung der Bewegung. Indem Hegel den Widerspruch begreift, greift er dessen axiomatischen Status an und nhert sich seinem Ziel eines letztbegrndeten Systems. Als begriffener aber wird der Widerspruch gerade in Geltung gesetzt. Allerdings betont Hegel gegen die Tradition, dass der Widerspruch nicht ins Nichts fhrt, sondern in die bestimmte Negation mit einem positiven Resultat. Dieses erscheint wiederum als Selbstndiges, so dass erneut der Widerspruch auftritt etc. Damit wird die fr die Tradition revolutionre Funktion des Widerspruchs im System Hegels ersichtlich: Der Widerspruch wird nicht als das Undenkbare bestimmt und daher aus dem System ferngehalten, sondern er wird erkannt als das Wesen aller Entitten und baut so das System auf. Beginnt der Systemaufbau mit der ersten Negation, so ist diese so zu begreifen, dass das anfngliche Unbestimmte gerade als Unbestimmtes bestimmt ist gegen das Bestimmte. Daher schließt es das Bestimmte

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zugleich ein und aus und ist so der Widerspruch. Dieser bringt das positive Resultat mit sich, dass aus dem Unbestimmten das Bestimmte oder aus dem Allgemeinen das Besondere wird. In dieser Bewegung vollzieht sich zum einen Dialektik und damit die Methode Hegels, weil Dialektik genau diese ebenso synthetische wie analytische Bewegung ist. Zum anderen wird in dieser Bewegung die durch die gleiche Struktur gekennzeichnete Subjektivitt als das Prinzip Hegels sie selbst. Somit fallen bei Hegel Methode und Prinzip zusammen. Zugleich aber tritt die Notwendigkeit einer zweiten Negation auf. Denn die geurteilten Entitten sind bloß verschieden und so einander gleichgltig. Damit aber kann das Besondere sich wiederum als dasjenige Selbstndige ausgeben kann, das in Wahrheit der Widerspruch ist. II.2.4. Die zweite Negation: Entwickelte die erste Negation die Urteilung der anfnglichen Allgemeinheit durch das Setzen des Besonderen, so fhrt die zweite Negation hin zu der neuen Einheit als dem Ziel der gesamten Entwicklung. Allerdings wird die neue Einheit wie immer bei Hegel durch die Verschrfung von Differenzen gewonnen. Dafr wird die Verhltnisbestimmung von Allgemeinem und Besonderem neu gefasst. Wurde diese am Ende der ersten Negation als Verschiedenheit bestimmt, die dem Besonderen erlaubte, sich als Selbstndiges zu deklarieren, so stellt sich nun heraus, dass Allgemeines und Besonderes in Wahrheit nicht nur als Gegensatz, sondern sogar als Widerspruch zu fassen sind. Damit ist die erste Form neuer Einheit erreicht. Denn indem die jeweilige Entitt die andere nicht nur aus-, sondern auch einschließt, stellt sie eine Form von Totalitt dar. Der Widerspruch aber ist nur der Wendungspunkt hin zur vollentwickelten Einheit, da er nur als sich auflçsender sein Dasein hat. Um die Konstitution der vollentwickelten Einheit zu begreifen, wird erneut die entsprechende wesenslogische Passage exegetisiert. Dabei wird deutlich, dass die widersprchlichen Entitten ein negatives und ein positives Resultat zeitigen. Die Gesetztheit der jeweiligen Entitten geht zugrunde. Darin aber entsteht eine neue, positive Identitt. Denn indem die Entitten mit dem Anderen ihrer zusammengehen, gehen sie mit sich zusammen, weil sie doch dasjenige Andere ihrer sind, das sie jeweils werden. Dem Grund als der Nachfolgekategorie des Widerspruchs in der Wesenslogik entspricht die vollentwickelte Einheit in der absoluten Idee in zwei Hinsichten. Sie ist keine abstrakte Identitt, sondern der Selbstvermittlungszusammenhang derjenigen Momente, aus denen sie erwchst. Dabei ist Selbstkonstitution durch Selbstausdifferenzierung nicht nur der Weg hin zur neuen Identitt, sondern auch im

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Resultat des Weges bleibend die einzige Art ihrer Selbsthabe. Das Resultat des Weges ist der Weg zum Resultat, aber als gesetztes. II.2.5. Die vollentwickelte Einzelheit: Bevor die vollentwickelte Einzelheit abschließend charakterisiert wird, sind die bisher verwendeten Einteilungsschemata zu explizieren. Zum ersten operiert Hegel mit einem schlusslogischen Einteilungsschema. Es betont die Dynamik der Entwicklung und lsst auf die erste Prmisse „das Allgemeine ist das Besondere“ die zweite Prmisse „das Besondere ist das Einzelne“ und die Konklusion „das Einzelne ist das Allgemeine“ folgen. Zum zweiten arbeitet Hegel mit einer quadruplizitre Einteilung. Sie unterteilt den Verlauf in die Stationen von Unmittelbarkeit, erster und zweiter Negation sowie der neuen Unmittelbarkeit. Die Dynamik der schlusslogischen Einteilung ist mit der quadruplizitren Bezeichnung der Stationen zu vermitteln. So ist dem ersten Anfang die erste Unmittelbarkeit zuzuordnen. Der ersten Negation kommt die erste Prmisse und der zweiten die zweite. Schließlich stellt sich die neue Unmittelbarkeit als vollendete Einzelheit dar, die entsprechend mit der Konklusion zu fassen ist. Als neue Unmittelbarkeit ist die vollentwickelte Einheit in subjektivitts- wie in begrndungstheoretischer Hinsicht zu betrachten. Als gesetzte Subjektivitt ist sie dadurch charakterisiert, dass sie, indem sie sich mit dem Anderen ihrer vermittelt, sich gerade mit sich vermittelt und bleibend nur in diesem Vermittlungszusammenhang sie selbst ist. Ist damit absolute Vermittlung erreicht, so ist sie gerade darin unmittelbar. Mit dieser Unmittelbarkeit ist in begrndungstheoretischer Perspektive eine letztbegrndete Struktur erreicht. Begann der Entwicklungsgang mit der anfnglichen Unmittelbarkeit und somit relativ voraussetzungsfrei, so ist die Unmittelbarkeit selbst dennoch als Voraussetzung zu begreifen. Denn sie wurde um der Anfnglichkeit des Anfanges willen nur abstrakt aufgerafft, nicht aber eigens gesetzt. Indem sie aber am Ende der Bewegung eigens gesetzt wird, verliert sie ihren Status der Voraussetzungshaftigkeit, so dass sich eine letztbegrndete Struktur herstellt. Der Frage der Letztbegrndung, die bisher fr den Bereich der Logik entwickelt wurde, wird in der Realphilosophie dadurch entsprochen, dass der Begriff sich in der Realitt zu finden vermag und somit die genetisch vorgngige Realitt geltungstheoretisch einholt. Hiermit kndigt sich bereits an, was sich in der Realphilosophie des nheren erweisen wird: Wegen der Struktur absoluter Vermittlung, die sich in der Letztbegrndung vollendet, ist der absolute Geist in der Theorie der Philosophie, nicht in der Praxis der Religion, ganz bei sich.

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II.3. Hegels Religionsphilosophie, geprgt von der absoluten Idee II.3.1. und II.3.2. Ein kurzer berblick ber den Gesamtverlauf der Religionsphilosophie und der Begriff von Hegels Religionsphilosophie: Wurde bisher die absolute Idee als der logische Hintergrund der Religion ausgelegt, so wird nun mit Hilfe der dabei gemachten Beobachtungen die Religionsphilosophie selbst exegetisiert. Ehe aber die Religionsgeschichte und das Christentum dargestellt werden, sind einige einleitende Bemerkungen zu machen, die Teile von VL1 bzw. den entsprechenden Enz.paragraphen auslegen. Zuerst erfolgt eine Nherbestimmung des absoluten Geistes, da einer ihrer Teilbereiche die Religion ist. Der absolute Geist erweist sich dadurch als von der absoluten Idee geprgt, dass er wie diese die Selbstvermittlungsbewegung seiner Momente ist, als welche er gerade seine Identitt hat. Diese Momente sind der unendliche und der endliche Geist. Damit ist deutlich, dass das Grundthema des absoluten Geistes und dann im Besonderen das der Religion die Vermittlung der gçttlichen mit der menschlichen Natur ist. Der absolute Geist ist dadurch geprgt, dass er sein Dasein im Wissen hat, in dem Wissen des endlichen Geistes, und zwar in reflexiver Form als das Wissen um sein Dasein im Wissen. In der Religion hat der absolute Geist sein Wissen in der Form der Vorstellung. Sie ist durch ein zweifaches Auseinander gekennzeichnet: durch das Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits und durch das Auseinander der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits. In Bezug darauf kann die Aufgabe der Religionsphilosophie expliziert werden. Denn sie hat den Begriff und also die in der absoluten Idee dargelegte Grundstruktur absoluter Vermittlung in dem Auseinander der Vorstellungen zu eruieren und so zu begreifen, was ist. Sie erfllt dabei drei weitere Funktionen. In den VL erfllt sie erstens eine bildungspraktische oder propdeutische Funktion, indem sie das vorstellende Bewusstsein der Zuhçrerschaft zum philosophischen Begreifen der Vorstellungsgehalte animiert. Die zweite Funktion ist der dritten gegenlufig, aber zutiefst mit ihr verbunden. Begreift die Religionsphilosophie, was ist, so rechtfertigt sie die Religion zum einen. Denn in dem Maße, in dem der Begriff und damit die Vernunft in der Religion entdeckt wird, gilt die Religion vor der Vernunft als gerechtfertigt. Zum anderen aber und zugleich fhrt der Begriff in der Religion zur Aufhebung der Religion in die Philosophie. Denn am Ende der Religionsgeschichte im Christentum und dann besonders in dem Pfingstgeist als der gottmenschlichen Einheit in der Gemeinde liegt ein Vorstellungsinhalt vor, der gerade kein Auseinander von Vorgestelltem und Vorstellendem ei-

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nerseits und der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits mehr kennt. Damit aber widerspricht dieser Vorstellungsinhalt seiner Form als Vorstellung. Er fhrt daher zur Aufhebung in den Begriff als derjenigen Form, die dem Inhalt absoluter Vermittlung entspricht. II.3.3. Die Religionsgeschichte: Somit ist das zu bearbeitende Feld skizziert und die Aufgabe der Religionsphilosophie in ihr. Daher kann nun die materiale Arbeit der Religionsphilosophie rekonstruiert werden: In jeder Religion vollzieht sich die Vermittlung des endlichen mit dem unendlichen Geist zum absoluten oder eine Form gottmenschlicher Einheit. Dennoch liegt der absolute Geist nicht bereits am Anfang in vollentwickelter Form vor. Vielmehr ist er dadurch von seinem logischen Hintergrund, der absoluten Idee, geprgt, dass er erst zu sich wird, wobei der Weg zum Resultat dem Resultat selbst wesentlich ist. Da die Religionsgeschichte die Geschichte der Selbstwerdung des absoluten Geistes ist, ist diese eigens auszulegen. Bei allen zwischen den Kollegs vorliegenden Vernderungen in materieller und struktureller Hinsicht kçnnen doch drei aus der absoluten Idee vertraute Strukturmomente eruiert werden, die in allen Kollegs die Religionsgeschichte prgen. So vollzieht sich erstens eine zunehmende Subjektivierung von eingangs substanzhaften Religionen. Sie verluft zweitens dergestalt, dass auf eine anfngliche Einheit eine Urteilung folgt, die sodann zu neuer Einheit strebt, welche zuletzt als vollentwickelte im Christentum erreicht ist. Drittens geschieht der Fortgang als das Setzen jeweils neuer Momente, ehe die vollentwickelte Einheit gerade dadurch sie selbst ist, dass sie die absolute Vermittlung aller Momente vollzieht und somit vollentwickelte Subjektivitt ist. Dabei wird ein jeweils neues Moment deshalb gesetzt, weil sich das alte als widersprchlich darstellt, so dass der Widerspruch auch hier Motor der Entwicklung ist. Das jeweils neu gesetzte Moment prgt eine Religion als Ganze, also in ihrem Gottes- wie in ihrem Menschen- und Weltbild und den entsprechenden kultischen Vollzgen. Auf diese Art entwickelt sich die Religionsgeschichte von den Naturreligionen ber die Religion Chinas, des Buddhismus, der Religion der Inder, der persischen Lichtreligion und der gyptens zu der Subjektivierung der Substanz, die sich als Urteilung des unendlichen vom endlichen Geist ußert. So kommt es zu den Religionen der geistigen Individualitt, die als das Griechentum, das Judentum und die rçmische Religion geschichtliche Gestalt gewinnen. Die dabei erreichte Einheit liegt im Christentum als vollendete vor. II.3.4. Das Christentum II.3.4.1. Die Selbstwerdung des absoluten Geistes in der Religionsgeschichte fhrt den absoluten Geist ber die

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Religionsgeschichte hinaus. Denn whrend im bisherigen Verlauf jeweils nur einzelne Momente des Begriffes der Religion gesetzt wurden, werden im Christentum alle Momente des Begriffs in ihrer wahren Totalitt und damit in ihrem absoluten Vermittlungszusammenhang gesetzt. Stellt das Christentum mit dieser Struktur das Ziel der Religionsgeschichte dar, so realisiert es zugleich den Begriff der Religion und ist darin unberbietbar. Zugleich aber lassen sich auch im Christentum wiederum Strukturmomente der Religionsgeschichte finden in Anlehnung an die Beobachtung aus der absoluten Idee, dass das Resultat des Weges der Weg zum Resultat ist, aber als gesetzter. So verluft auch hier der Weg von den Momenten anfnglicher Substanzhaftigkeit zur vollentwickelten Subjektivitt. Er stellt sich als anfngliche Einheit dar (die immanente Trinitt), auf die die Urteilung folgt (Schçpfung und Fall sowie Leben und Tod Jesu Christi), die sich in neuer Einheit vollendet (Auferstehung, Gemeinde). Wiederum ist der Widerspruch der Motor des Fortganges, der jeweils Momente des Weges einzeln setzt, ehe abschließend alle Momente als solche vermittelt sind. Zugleich aber differiert das Christentum von der Religionsgeschichte darin, dass der erreichten absoluten Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist in formaler wie in materialer Hinsicht Rechnung getragen wird. So werden in formaler Hinsicht die Inhalte von immanenter Trinitt, Schçpfung mit Fall und Erlçsung jeweils nicht nur als Entwicklung des unendlichen Geistes durch Begriffsbestimmungen prsentiert. Sondern es wird ihnen zugleich auch eine der drei Unterformen der Vorstellungsform als der Entwicklung des endlichen Geistes zugeordnet. In materialer Hinsicht hat das Christentum dabei seinen Begriff als Vorstellungsinhalt. Damit realisiert sich der Begriff in der Vorstellung von der Einheit der zwei Naturen Jesu Christi sowie der gottmenschlichen Einheit als Gemeinde. II.3.4.2. Auch wenn der immanenten Trinitt noch die gesetzte Andersheit fehlt, ist sie bereits in sich eine Selbstvermittlungsbewegung. Sie subjektiviert sich von der substantiellen Macht des Vaters ber dessen Setzung des Sohnes bis zur gesetzten Einheit beider als Geist. Vom Resultat der Entwicklung aus wird deutlich, dass bereits Vater und Sohn in Wahrheit Geist sind, so dass die Trinitt gerade die in sich vollstndig durchgeklrte Vermittlungsbewegung ist. Sie ist dabei nicht als Dreipersonalitt, sondern als triadischer Geist zu fassen. II.3.4.3. Gott schafft in absoluter Freiheit als der Vermittlung von Freiheit und Notwendigkeit. Dabei werden in Entsprechung zur Entwicklung der absoluten Idee die Differenzen oder das Besondere, das in der Trinitt nur wie im Spiel vorhanden ist, eigens gesetzt. Das Besondere

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der Schçpfung tritt sogleich in den selbstndigen Gegensatzpaaren von je wechselseitig konstitutiver Andersheit auf. Ist deren erste das von Himmel und Erde, so taucht sodann das von Natur und endlichem Geist auf. Dabei verselbstndigt sich der endliche Geist abstrakt gegen die Natur und vor allem gegen Gott, so dass das Bçse in die Welt tritt. Der bçse endliche Geist schafft seinen eigenen, abstrakten Widerspruch: Weil er den Schein anfnglicher, einfacher Identitt als Sein nimmt, widerspricht er seiner wahrhaften Vermitteltheit und damit seiner wahren Widersprchlichkeit, in der er immer schon ist. Zum Bçsen wird der immer schon auftretende Widerspruch also gerade dadurch, dass er zu vermeiden gesucht wird. Diese Struktur expliziert Hegel anhand einer Exegese von Genesis 3. Da der Mensch Geist ist, ist er ursprnglich gut. Zugleich ist er als Geist immer schon ber die anfngliche Unmittelbarkeit hinaus, so dass es zum Fall kommt. Dieser ist zwar darin ambivalent, dass er die Mçglichkeit zum Wissen und Tun des Guten wie des Bçsen mit sich bringt. Er ist aber darin wesentlich gut, dass in diesen Mçglichkeiten das Menschsein des Menschen beschlossen ist. Ist der Mensch als Geist somit von Natur aus gut, so ist zugleich an der Erbsndenlehre festzuhalten, da der Mensch in seiner tatschlichen Natur schlecht ist. Denn die tatschliche Natrlichkeit des Menschen ist seine willentlich gesetzte Herauslçsung aus dem Vermittlungszusammenhang, in dem er sich immer schon befindet. Dennoch ist das Bçse nicht notwendig. Zwar ist der Fall als die Mçglichkeit des Bçsen notwendig, aber die Tatschlichkeit des Bçsen ist je vom Menschen frei gewollt. Auch ist das Bçse nicht als notwendige Voraussetzung fr die Gesamtentwicklung des Geistes zu fassen. Denn obwohl es zum wirklich Bçsen kommen muss, damit es zum wirklich Guten kommen kann, hebt die Entwicklung des Geistes ihre eigenen Voraussetzungen auf und klassifiziert zudem das wirklich Bçse als Nichtiges. Zugleich ist das Bçse erst im Christentum als vollentwickeltes da. Denn das Bçse dependiert von demjenigen Vermittlungszusammenhang, den es negiert. Daher ist es erst aufgrund der nun erreichten absoluten Vermittlung in seiner ganzen Schrecklichkeit vorhanden. Daher kann erst das Christentum den Menschen als vollstndig bçse qualifizieren. Da der Mensch das Bçse jeweils will und somit davon weiß und sich schuldig fhlt, sehnt er sich nach Versçhnung. Entsprechend ist die Zeit erfllt, so dass Gott seinen Sohn sendet. II.3.4.4. Das Bçse als die Verweigerung der Vermittlung wird durch die Versçhnung als die sich vollziehende Vermittlung berwunden. Daher kann die Vermittlung als die Einheit der gçttlichen und der menschlichen Natur gefasst und somit jene als christologische Zentralbestimmung an-

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gesehen werden. Dazu ist allerdings in dem mehrfach entwickelten Verstndnis Hegels Substanz als Subjekt zu verstehen und entsprechend die beiden Naturen als geistige Wesenheiten. Als geistige vollziehen sie sich prozessual, reprsentieren so den Verlauf der absoluten Idee und realisieren sich als anfngliche Einheit des Lebens, als Urteilung des Todes und als neue Einheit von Auferstehung und Geistsendung, die als vollentwickelte in der Philosophie kulminiert. Es bedarf des Lebens Jesu Christi als tatschlicher, sinnlicher Voraussetzung der Versçhnung anderer, da der bçse endliche Geist, der sich selbst zu versçhnen suchte, mit dieser gewollten Unvermitteltheit gerade das eigene Bçse perpetuieren wrde. Es darf zudem nur einen einzigen Versçhner geben, da bei einer Vielzahl das Versçhner-Sein eine ablçsbare Qualitt und damit nicht mehr wesentlich wre. Versçhnung muss sich somit ein- fr allemal vollziehen, wobei sich das allemal durch Tod und Geistausgießung vollenden wird. Vorher aber ist die Lehre Jesu zu betrachten, die dialektisch mit seinem Schicksal vermittelt ist. Denn so wie das Schicksal der Lehre angemessen ist, so drckt die Lehre wesentliche Momente des Schicksals aus. Der Lehre zentral ist die Botschaft vom Gottesreich, die darauf abzielt, dass der Mensch geistig ist. Bedeutet das einerseits wegen der Verderbtheit der tatschlichen Natur die Negation von Bestehendem oder von abstrakter Identitt, so bedeutet es andererseits, Liebe zu leben in Vermittlungszusammenhngen. Entspricht nun das Schicksal der Lehre, so vollzieht sich die Negation des Bestehenden, und Jesus Christus stirbt. Somit erfhrt Gott in radikalster Weise den Widerspruch: Gott ist tot, der Tod feiert einen absoluten Triumph. Da aber der Widerspruch jeweils ein positives Resultat zeitigt, ist das Kreuz in Wahrheit der Ort des Todes des Todes, der Ort hçchster Liebe und der wahren Einheit der gçttlichen und menschlichen Natur. Die Vorstellung kennt ein eigenes Bild fr diese neue Einheit, das von Auferstehung, Himmelfahrt und Sitzen zur Rechten Gottes. II.3.4.5. Doch in Wahrheit ist das Bild von der Himmelfahrt bloß verstellende Vorstellung. Denn bei Hegel fallen Ostern und Pfingsten auf einen Tag, da der Auferstandene sich als Pfingstgeist realisiert. Dadurch erst kommt es zur Subjektivierung letzter substanzhafter Zge. Waren diese damit gegeben, dass Jesus Christus als Mensch in sinnlicher Form vorhanden ist, so durchkreuzt er am Kreuz diese Gegenstndlichkeit. Am Kreuz durchkreuzt Gott seine substanzhafte Selbstndigkeit und wird zu volldurchklrter Subjektivitt und erst damit ganz zum Geist, der im Anderen bei sich ist. Dieser Andere ist der endliche Geist, so dass Gott als Gemeinde existiert. In dieser Selbstwerdung des Geistes vollendet sich die

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wahre Einheit der zwei Naturen als geistiger Wesenheiten. Es ergibt sich damit die paradoxe Situation, dass der Ort der Entstehung der Vorstellung zugleich der ihrer Aufhebung ist. Denn war Jesus Christus vorher nur in sinnlicher Anschauung vorhanden, so entsteht durch den Pfingstgeist aller erst die Vorstellung von ihm. Zugleich ist der Pfingstgeist in der Gemeinde derjenige Vorstellungsinhalt, der seiner Form als Vorstellung widerspricht. Denn er ist gerade die Vermittlung des der Vorstellung wesentlichen Auseinanders von Vorstellendem und Vorgestelltem einerseits und der Vorstellungsinhalte untereinander andererseits. Doch bevor die sich hieraus ergebende Aufhebung der Religion analysiert wird, sei kurz die Ekklesiologie skizziert. Sie ist deswegen vonnçten, da sie die vollstndige Selbstwerdung des absoluten Geistes in der Gemeinde aus der Perspektive des endlichen Gemeindegeistes nachzeichnet. So wie Jesus Christus seine substanzhafte Abgeschlossenheit am Kreuz durchkreuzt, so muss auch jedes Gemeindeglied seine bçse Abgeschlossenheit gegen Gott aufgeben. Mithilfe des Geistes erkennt es, dass Jesus Christus nicht nur eine historische Gestalt damals war, sondern derjenige, der ihm das Aufgeben des eigenen, bçsen Willens ermçglicht. Dieses Aufgeben und der Zusammenschluss mit Jesus Christus hat die Kirche als Taufe etabliert, und die volle Vermittlung des unendlichen mit dem endlichen Geist als gottmenschliche Einheit wird als Abendmahl vollzogen. Zugleich aber besteht auch im Abendmahl der auf dieser Stufe der Entwicklung vorhandene Widerspruch zwischen dem Vorstellungsinhalt und der Form der Vorstellung, der ber die Religion hinaustreibt. II.3.4.6. Hegel kennt zwei Ausgnge der Religion, die Sittlichkeit und die Philosophie. Beide einander korrekt zuzuordnen, ist von großer Wichtigkeit. So prgt die Religion durchaus die Sittlichkeit. Entsprechend referiert Hegel, inwiefern dem vom Christentum geprgte Geist nicht das Mçnchstum der Alten Kirche oder die Kirchenherrschaft des Mittelalters, sondern erst die sich im neuzeitlichen Staat vollendende freie Sittlichkeit entspricht. Zugleich aber vollendet sich der absolute Geist der Religion nicht in dem objektiven Geist als Sittlichkeit, also in einer systemtheoretisch niedrigeren Stufe. Vielmehr hebt er sich in die Philosophie auf als diejenige Form des absoluten Geistes, die dem Inhalt und der den Inhalt prgenden Struktur absoluter Vermittlung entspricht. Somit hat sich meine fr diese Arbeit zentrale Beobachtung aus dem Material entwickelt, und es haben sich Aussagen zu der zentralen Grundstruktur, zu dem Inhalt und zu der Form miteinander kombiniert. Gerade die der Einheit der zwei Naturen zugrunde liegende Struktur absoluter Vermittlung eines Selbst, das erst durch diese Vermittlung zu

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sich wird, fhrt mit unausweichlicher Konsequenz dazu, dass sich die wahre Einheit der zwei Naturen in der Form der Philosophie vollzieht. III. Abschluss: Kritik und Zeitdiagnostik III.1. Kritik an Hegel Die vorgelegte Darstellung Hegels soll nun mit gegenwrtigem Denken in Verbindung gebracht werden. Dazu wird Hegel zuerst kritisiert, ehe sich zwei zeitdiagnostische Perspektiven zu dem expliziten Umgang mit Hegel einerseits und dem impliziten Hegelianismus in gegenwrtiger Theologie andererseits anschließen. Die Kritik an Hegel wird aus theologischer wie aus philosophischer Perspektive vorgebracht. Zuzugeben ist dabei, dass eine theologische Kritik an Hegel aus der Sicht idealistischer Rationalittsstandards denkerisch kaum ernst zu nehmen ist. Denn sie trgt nicht nur keine immanente Kritik vor, sondern kritisiert sogar aus der Perspektive einer als Wahrheit vergangenen Stufe des absoluten Geistes dessen Vollendungsform. Dennoch sei mit ihr begonnen, da sie die philosophische Kritik mit motiviert und letztlich mit dieser konvergiert. III.1.1. Die theologische Kritik: Hegel negiert das fr die Religion zentrale Auseinander von Vorstellendem und Vorgestelltem. Damit wird das Gebet undenkbar. Zudem negiert Hegel das Auseinander der Vorstellungsinhalte. Damit werden zentrale Theologumena wie die futurische Eschatologie und die Himmelfahrt Jesu Christi attackiert. Entscheidender noch ist, dass mit der Propagierung absoluter Vermittlung die Trennung von Evangelium und Gesetz als die Trennung von opus Dei und opus hominum verletzt wird. Denn bei Hegel wird das Selbst des absoluten Geistes und damit, in theologischer Terminologie, die Gottheit Gottes, erst durch die Religionsgeschichte und das Christentum hindurch zu sich. Damit aber ist der Mensch zugleich Mittel zum Zweck der Selbstwerdung des absoluten Geistes und Bedingung der Mçglichkeit der Gottheit Gottes. Dass aber der in seiner Sndhaftigkeit der Gnade ebenso verzweifelt bedrftige wie zur Gnade gnzlich unfhige Mensch dialektische Bedingung der Mçglichkeit derjenigen Gottheit Gottes sein soll, die allein aus ihrer unbedingten Souvernitt heraus dem Menschen gndig zu sein vermag, stellt eine gravierende Verletzung eines zentralen Theologumenons protestantischer Theologie dar. Dabei ist die gemachte Beobachtung als eiserne Konsequenz der Hegelschen Grundstruktur fest-

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zuhalten: Wer mit der Grundstruktur absoluter Vermittlung operiert, verspielt die Trennung von Evangelium und Gesetz. III.1.2. Perspektiven einer philosophischen Kritik: Die philosophische Kritik an Hegel ist aus Hegelscher Perspektive deshalb ernst zu nehmen, weil sie den Standard immanenter Kritik zu erfllen anzielt. Seit der Hegel-Kritik Schellings konzentriert sich die Kritik erstens auf die Zuordnung von Theorie und Praxis und zweitens auf die Frage der Sachhaltigkeit des sich im Vollzug entwickelnden Selbsts. Erstens kann mit Hçsle Hegels System an ihrem Ende und damit in ihrer strksten, da vollentwickelten Entwicklungsstufe angegriffen werden. Dazu ist darauf zu verweisen, dass der vollendete Philosophiebegriff sich als reine theoria vollzieht. Er beansprucht somit, die Praxis vollstndig in sich aufgehoben zu haben. Diese Position aber ist selbstwidersprchlich. Denn da Mitteilung ein praktischer Akt ist, widerspricht Hegel, indem er seine Philosophie bcherschreibend mitteilt, gerade dem Inhalt seiner Philosophie. Der Kritikpunkt der Unaufhebbarkeit der Praxis lsst sich auch im Hinblick auf die Verfasstheit des Anfangs Hegelschen Denkens vorbringen. Denn mit Utz lsst sich darauf verweisen, dass sich das Ende der Entwicklungsbewegung von ihrem Anfang in zweierlei Hinsicht unterscheiden lassen muss: Sie muss ihm in derselben Hinsicht berlegen wie von ihm verschieden sein. Das aber ist nicht gegeben. Denn die Verschiedenheit des Anfangs gegenber dem Ende besteht darin, dass die beiden Entwicklungsmomente im Anfang einander entgegengesetzt sind, so dass es gerade dadurch zum Aufbruch des Anfangs kommt. Diese Entgegensetzung der Momente selbst aber wird am Ende der Entwicklung als der Aufhebung der beiden Momente nur negiert, nicht aufgehoben. Damit ist die Aufhebung dem Aufbruch nicht berlegen. Denn als nur negierter bewahrt der Aufbruch seine Ursprnglichkeit und kann somit jederzeit unkontrollierbar hervorbrechen. Die Praxis ist nicht vollstndig in die Theorie aufhebbar, sondern dieser bleibend vorgngig. Der zweite Hauptkritikpunkt versucht, die vollstndige Leere des von Hegel entwickelten Begriffs des Selbsts zu entlarven. Er setzt dabei wiederum am Ende seines Denkens an. Zentral ist, dass das Resultat des Weges nichts ist als der reflexiv gesetzte Weg zum Resultat und damit nichts als die Selbstvermittlungsbewegung der dynamisierten Momente. Diese Struktur mit dem Begriff der Subjektivitt zu benennen, bedeutet mit Cramer, dass dem Begriff der Subjektivitt oder des Selbsts kein angebbarer Sinn mehr zuzuschreiben ist. Oder, realphilosophisch gewendet und im Anschluss an Dalferth formuliert, so ist ein Gott, der darin absolutes Subjekt ist, dass die Bestimmtheit des Gottesgedankens

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mit unserem Vollzug dessen zusammen fllt, in Wahrheit ein prinzipiell unbestimmbarer Gott. Somit widerspricht er dem Selbstanspruch Hegels. Gegenber der so vorgebrachten Kritik an Hegel kann als Antikritik darauf verwiesen werden, dass sich Hegel durchaus bewusst ist, dass ein sinnvoller Begriff des Selbst Unmittelbarkeit zur Voraussetzung hat. Deshalb setzt er diese Unmittelbarkeit am Ende der absoluten Idee auch eigens. Dennoch ist die Kritik an Hegel im Recht. Denn Hegels Begriff von Unmittelbarkeit ist in formaler Hinsicht als die Aufhebung jeder Voraussetzung und, dem entsprechend, in materialer Hinsicht gerade wiederum als absolute Vermittlung zu fassen. III.1.3. Bemerkungen zu einer zu Hegel alternativen Grundstruktur: So gilt es, eine alternative Grundstruktur zu entwickeln, die gerade nicht die absoluter Vermittlung ist. Vielmehr hat sie der entscheidenden Einsicht Rechnung zu tragen, dass Dialektik gerade darin dialektisch ist, nicht nur Dialektik zu sein, sondern wesentlich von dem ihr vorgngigen Anderen zu dependieren, ohne das sie nicht sie selbst wre. Entsprechend ist die alternative Grundstruktur durch eine Voraussetzung charakterisiert. Diese geht in formaler Hinsicht der Vermittlung bleibend voraus und ist als solche eigens auszuweisen. In funktionaler Hinsicht ist sie als die Bedingung der Mçglichkeit der Vermittlung zu fassen, weil sie die Einheit und Identitt des Selbsts und seines Anderen im Vermittlungszusammenhang garantiert. Aus den bisherigen berlegungen resultiert, dass die Voraussetzung in epistemologischer Hinsicht prinzipiell unbestimmbar ist und so nur als Eigenname, in transzendierender Negation oder in absoluten Metaphern zu beschreiben ist. Material kann sie daher hilfsweise als „Unmittelbarkeit“ gefasst werden, die „west“ und also nicht in demselben Sinne „ist“ wie der von ihr ermçglichte Vermittlungszusammenhang, in welchem sie sich zugleich auch vollzieht. Theologisch reformuliert, ist damit Gott der Vater bezeichnet, dem als „absolute Persçnlichkeit“ die Wesenseinheit Gottes als solcher in ausgezeichneter Weise zukommt und der damit fons et origo der anderen Personen der Trinitt und des perichoretischen trinitarischen Lebens ist. Diese alternative Grundstruktur ist zum einen in ihrer Differenz zu Hegelschen Denken zu betonen, und zwar gerade durch Verweis auf die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen. Denn es wird durch sie nicht nur die theologische Kritik an Hegel material validiert, da das Auseinander der neuen Grundstruktur das Gebet ebenso rehabilitiert wie eine futurische Eschatologie und, vor allem, die Trennung von opus Dei und opus hominum. Sondern es verndert sich darber hinaus das Selbstverstndnis von Philosophie. Denn zielt diese mit Hegel zu Recht auf Letztbegrn-

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dung, so bedeutet die Selbsteinsicht der Vernunft in die uneinholbare Voraussetzung gegen Hegel, dass der Anspruch aufgegeben wird, Letztbegrndung vollenden zu kçnnen. Dies stellt die geltungstheoretische Fassung der Trennung von opus Dei und opus hominum dar. Am wichtigsten aber ist, dass die alternative Grundstruktur die Etablierung der Religion als Vollendungsform des absoluten Geistes bedeutet. Denn sie entspricht dem Auseinander von Religion doch gerade. Damit erweist sich eine selbstkritische philosophische Vernunft darin als vernnftig, dass sie die Religion als in ihrer Unaufhebbarkeit vernnftige akzeptiert. Bei aller Differenz zu Hegel bedeutet die alternative Grundstruktur zugleich aber nicht die Aufgabe der Ansprche Hegels, sondern ihre wahre Erfllung, in zweifacher Hinsicht. Ist mit Hegel der Philosophiebegriff als Selbstkritik und Selbstbegrndung nher zu bestimmen, so bedeutet die der philosophischen Reflexion unaufhebbare Voraussetzung die Erfllung dieser Ansprche. Denn nur durch diese Voraussetzung wird mit einem angebbaren Selbst der Selbstkritik und Selbstbegrndung operiert. Zuletzt ist auch erst so die chalcedonensische Zentralbestimmung von der Personeneinheit der zwei Naturen Jesu Christi und damit die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit konzeptionell abzusichern. Dies gilt fr ihre ontologische Dimension, da erst die alternative Grundstruktur die Vermittlung eines Selbsts im angebbaren Sinn ermçglicht. Dies gilt verstrkt fr die soteriologische Dimension. Denn diese verlangt neben der menschlichen wesentlich die gçttliche Natur, da allein Gott zu retten vermag. Da aber erst durch die alternative Grundstruktur die Gottheit Gottes gesichert ist, so ist erst eine von der alternativen Grundstruktur geprgte Explikation der chalcedonensischen Zentralbestimmung in der Lage, ihrer soteriologischen Intention gerecht zu werden und damit dem zu entsprechen, weshalb sie aller erst entstand. III.2. Zeitdiagnostische Perspektiven Abschließend werden zwei zeitdiagnostische Perspektiven eingespielt, die sich mit dem expliziten Umgang mit Hegel ebenso beschftigen wie mit der Frage nach einem impliziten Hegelianismus in der gegenwrtigen Theologie. III.2.1. Zu der expliziten Verwendung Hegels: Es ist nicht sachangemessen, bei Hegel Lebendiges von Totem zu unterscheiden und einige Momente an Hegel zu bernehmen, andere aber nicht. Denn wie das vorliegende Buch exemplarisch zeigt, sind sowohl in Bezug auf die Logik wie in Bezug auf die durch die Logik geprgte Realphilosophie die je-

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weiligen Momente in Struktur, Inhalt und Form wesentlich miteinander und mit dem sie prgenden Ganzen vermittelt. Daher ist allein derjenige Umgang mit Hegel Hegel-gemß, der ihn als Ganzes akzeptiert oder ihn als Ganzes ablehnt. Will man einzelne Momente Hegels bernehmen, lehnt ihn als Ganzes aber ab, so muss man diese einzelnen Momente aus einem ganz anders aufgebauten Ganzen her entwickeln, als das bei Hegel der Fall ist. Das dazu alternative und daher zu kritisierende Vorgehen kann exemplarisch vorgefhrt werden anhand von Eberhard Jngels Umgang mit Hegel in seinem Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt. Am ausfhrlichsten in den Berliner Vorlesungen, so Jngel, vollbringe Hegel die gewaltige theologische Leistung, eine trinitarisch geprgte Theologie des Gekreuzigten zu entwickeln. Dennoch sei die Hegel-Rezeption an einem spteren Punkte abzubrechen, da Hegels Religionsphilosophie eben auch das Brauchen und Verbrauchen des Menschen durch Gott mit sich bringe, so Jngel. Dass das zu bernehmende und das zu Kritisierende beides gleichermaßen konsequent aus der einen Grundstruktur absoluter Vermittlung folgt und man daher, so man Momente an Hegel bernehmen will, eine zu Hegel alternative Grundstruktur ansetzen muss, wird von Jngel nicht scharf genug benannt. III.2.2. Grundstruktur und Trinittslehre: Die zweite zeitdiagnostische Perspektive fragt sich, ob in der gegenwrtigen Theologie mit der Hegelschen Grundstruktur absoluter Vermittlung gearbeitet wird, so dass der jeweiligen Theologie impliziter Hegeliansimus vorgeworfen werden kann. Die Rede vom impliziten Hegelianismus meint, dass eine Theologie die Grundstruktur absoluter Vermittlung in realphilosophischer Geflltheit verwendet. Diese Frage wird anhand der Trinittslehren untersucht, da diese als Rahmentheorie der jeweiligen Theologien die Grundstruktur der jeweiligen Theologie am deutlichsten prsentieren. Dazu werden exemplarisch die Entwrfe Jrgen Moltmanns und Gisbert Greshakes miteinander verglichen. Wird Moltmanns Trinittslehre anhand des fr den spten Moltmann maßgeblichen Buches Trinitt und Reich Gottes analysiert, so zeigt sich in dessen Rekonstruktion der immanenten Trinitt eine deutliche Trennung von einer asymmetrischen Konstitutions- von einer symmetrischen Relationsebene. Auf der Konstitutionsebene wird analysiert, dass der Vater allein als ursprungsloser Ursprung sowohl Quelle der Gottheit Gottes wie Quelle der beiden anderen Personen als des Sohnes und des Geistes ist. Zugleich ist eine Relationsebene in Gott zu analysieren, in der die drei Personen in perichoretischer Vermittlung um den Sohn zentriert leben und sich zugleich die um den Geist zentrierte Herrlichkeit Gottes manifestiert. Entspricht

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Moltmann damit gerade der zu Hegel alternativen Grundstruktur, so verfllt er genau deshalb der scharfen Kritik Greshakes. Greshake entwirft in seinem Hauptwerk Der dreieine Gott die Trinittslehre anhand des Zentralbegriffs der Communio. Er entspricht Hegels Grundstruktur absoluter Vermittlung darin, dass Identitt und Differenz als gleichursprnglich angesetzt werden, sich beide gegenseitig steigern und die Identitt die Vollzugsform der Differenten ist. Zudem entstehen die Differenten durch korrelativ reziproke Relationen, so dass mit einem Differenten jeweils die anderen und das Ganze mitgegeben ist. Dann aber kommt es zu einer berraschenden Wendung. Denn zur Bestimmung der Identitten der Personen werden all jene asymmetrischen Bestimmungen restituiert, die Greshake Moltmann vorwirft. Dass Greshake diese Bestimmungen nicht als Aussagen ber genetische Prozesse verstanden mçchten will, entspricht seinem Ansatz, ist aber deshalb nicht weniger unverstndlich. So bleibt in bergreifender Perspektive festzuhalten, dass sich auch hier wiederum zeigt, was das Beweisziel des vorliegenden Buches als Ganzem ist: In formaler Hinsicht in bereinstimmung mit dem Hegelschen Rationalittsstandard impliziter Kritik zeigt sich material, dass der Versuch der Durchfhrung Hegelschen Denkens gerade der Erweis von dessen Unmçglichkeit ist.

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Personenregister Anton, Karl-Heinz 15, 29–31, 53 Aristoteles 89, 301 Balthasar, Hans Urs von 49, 51 Baur, Jçrg 336 Boenk, Michaela 300, 316 Bubner, Rdiger 56, 115, 135 Coldehoff, Hilde 17f. Cornehl, Peter 13 Cramer, Konrad 148, 309, 311f., 314, 317, 324f., 328, 355 Croce, Benedetto 10, 327 Dalferth, Ingolf U. 309, 355 De Vos, Ludovicus 103, 140 Dellbrgger, Gnther 15, 20–22, 52, 285 Dierken, Jçrg 15, 42f., 53, 70, 128, 162, 168, 170, 182, 185, 226, 228, 239, 273–275, 278, 282, 284, 295, 314–316 Dffel, Gudrun von 13 Duns, Scotus 49–51 Dsing, Klaus 103, 105, 135f., 140, 145, 311 Fichte, Johann Gottlieb 25–27, 56, 310f. Frank, Manfred 102, 300, 316 Frey, Christopher 13 Fulda, Hans Friedrich 55, 57, 62–64, 70f., 79, 95, 108, 110, 113, 116, 135–138, 140, 160, 176, 185f. Gadamer, Hans-Georg 79, 83 Gamm, Gerhard 64f., 68, 177, 287, 313f. Goethe, Johann Wolfgang von 20, 39

Graf, Friedrich Wilhelm 14, 171, 183 Gregor von Nazianz 3 Greshake, Gisbert 12, 332, 334, 336–339, 341, 358f. Grillmeier, Alois 3 Guzzoni, Ute 70, 74, 101, 146–148 Habermas, Jrgen 302 Halfwassen, Jens 13, 300f., 318f. Hauschild, Wolf-Dieter 2 Heede, Reinhard 12, 15, 47–49, 171f., 193, 195, 236 Henrich, Dieter 79f., 102, 115, 298, 310 Herms, Eilert 322 Hçsle, Vittorio 55, 57f., 62, 65–67, 79, 90f., 94, 97, 100, 115, 131, 147–149, 172, 240, 250, 260, 280, 284, 302f., 355 Huber, Herbert 12, 15, 38f., 156, 190, 192f., 204, 207, 218, 235, 239, 258, 281 Iber, Christian 80, 84, 93–96, 99f., 107, 119, 121–125, 127, 129f., 143, 202, 210, 311f. Jaeschke, Walter 6, 12–15, 40–42, 63, 156, 160f., 166, 168–171, 183–191, 221f., 225, 227, 236, 238–240, 242, 254, 257–260, 262, 271–273, 277, 279, 282, 284, 291 Jçrns, Klaus-Peter 4 Jngel, Eberhard 11, 49, 51, 296, 328–330, 358 Kant, Immanuel 32f., 40, 44, 49f., 91, 93, 100, 103f., 125, 171, 299f.

369

Personenregister

Keyserlingk, Alexander von 15, 31f., 52f., 127 Kierkegaard, Sçren 37 Kimmerle, Heinz 63, 80, 151 Koch, Anton Friedrich 56, 149f., 311 Krohn, Wolfgang 56, 135 Krçtke, Wolf 296 Kruck, Gnter 15, 43–45, 175, 303, 316 Krger, Malte D. 300, 318, 320, 335 Kng, Hans 14, 23–25, 52 Leuze, Reinhard 15, 35f., 190, 200, 206, 208, 213f., 217 Lçwith, Karl 172 Luther, Martin 291 Majetschak, Stefan 13 Min, Anselm K. 340 Moltmann, Jrgen 12, 332–338, 340f., 358f. Mhling, Markus 11, 318, 332, 335 Nuzzo, Angelica

61, 64

Oeing-Hanhoff, Ludger

Schfer, Rainer 14, 60f., 71, 74f., 79f., 82–84, 86, 101, 103, 105, 107, 111, 114, 118–120, 133, 135, 138, 141, 144, 147, 185, 191 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 11, 20, 22, 32–34, 45, 300f., 313f., 316–322, 329, 335, 355 Schick, Friedrike 56f., 92 Schmidt, Erik 15, 28f. Schndelbach, Herbert 63, 151, 298–300, 327 Schulz, Michael 15, 49–51, 53, 56f., 65f., 176, 237, 239f., 242f., 248, 250, 252, 254, 257, 262, 273, 284, 300, 307f., 316f., 321, 323 Schwçbel, Christoph 2, 4f., 291, 331 Sollberger, Daniel 325 Splett, Jçrg 12–14, 22f., 52, 237 Theunissen, Michael 14, 45–48, 53, 160, 165, 183f., 245, 247, 251, 278 Trawny, Peter 15, 32–35, 53, 147, 225 Utz, Konrad

237

Pannenberg, Wolfhart 49, 51, 334, 339f. Peperzak, Adriaan T. 161 Pçggeler, Otto 185 Rahner, Karl 49, 51, 331 Ringleben, Joachim 15, 36, 38, 167, 182, 185, 191, 194, 247–253, 281

55, 304–307, 355

Wagner, Falk 14f., 25–27, 52f., 171, 173–176, 180f., 183, 185, 187, 189, 220, 234f., 239, 272f., 277, 296, 317, 328 Wandschneider, Dieter 83, 91, 139 Wendte, Martin 11, 281, 318 Wieland, Wolfgang 90 Wladika, Michael 91 Wolff, Michael 89, 93, 97, 121f. Yerkes, James 13, 15, 18–20, 52, 173

Sachregister Abendmahl 259, 279, 284, 353 Absolute 1, 6–11, 13–15, 18–20, 26–30, 32, 34–37, 39, 43–47, 50–59, 61–71, 73, 75–83, 86–88, 91, 93–95, 97, 100–103, 105–107, 112, 116–121, 123, 126–174, 177–179, 181–183, 185–187, 190–199, 202f., 205, 210f., 213, 215, 217–220, 222–229, 231f., 234–245, 252–255, 258, 260f., 264–269, 271–273, 275, 277, 279–283, 285–287, 290–302, 304–325, 330–332, 335f., 342–344, 346–359 gypter 188, 193, 195, 205f., 209, 216 Allgemeine 5, 7f., 18f., 24, 26f., 30, 33f., 36, 39, 53, 56, 61, 63, 71–73, 75–80, 86, 88f., 100–103, 107–109, 112, 117, 119, 121, 123, 130, 133–137, 139, 141–144, 153, 156, 159–164, 191, 193, 197, 199, 201, 203f., 207, 210–213, 217–219, 223, 226, 230, 232, 234f., 237f., 241f., 244f., 258, 260, 262f., 265–268, 271, 276–278, 283f., 289, 304, 336, 344–347 – anfngliche 48, 50f., 67f., 72, 75–78, 81, 83, 86–88, 94, 100–102, 106–110, 115, 117, 121, 130, 132, 139, 143f., 146, 149, 151, 158, 160f., 167, 193, 204, 206, 208, 210, 220, 223f., 228, 234, 243, 245–250, 254f., 263f., 266–270, 285, 307, 309, 317, 344–347, 349–352 Anakoluth 74, 82 analytisch 71f., 83, 98, 102f., 105, 144, 147, 346 Andacht 31, 178, 180

Andere 2f., 5f., 11, 13–15, 22f., 25–27, 29f., 32, 34–37, 39–42, 44f., 49, 51–53, 58–62, 65, 67, 69, 71–76, 78–93, 96, 98, 101–103, 106–108, 110–114, 116f., 119–128, 130–134, 137–140, 143, 145, 147f., 150–154, 156, 161, 163, 168, 170–172, 174–177, 182–185, 187–189, 192, 196, 201–204, 208, 210, 214–219, 222f., 227, 229, 232, 235–238, 240–242, 244–246, 248–251, 255, 257–259, 261–264, 266, 269, 271–277, 279f., 282f., 285f., 289–292, 294, 296–300, 302–306, 308–321, 323, 326–328, 330, 332f., 335, 337–341, 343–348, 352, 356–359 – an sich selbst 265 – seiner selbst 71, 87f., 94, 101, 110f., 115, 180, 205, 296 Anfnglichkeit 71, 74, 76, 83, 89, 149, 307, 345, 347 – des Anfangs 31, 50, 71, 74–78, 81, 83, 88, 139, 149, 345, 355 Anschauung 17, 63, 164–166, 230, 264, 266, 270, 274, 276, 353 an sich 41, 44, 47, 57, 62, 70f., 76f., 80, 93, 97, 108, 110f., 113, 125, 137, 142, 158, 203, 213, 218, 228, 235, 240, 247, 249, 251f., 254, 259f., 263f., 266, 276–279, 292, 318 Anthropologie 22, 28, 62, 192, 229, 231f., 274, 285, 313 an und fr sich 70, 76f., 105, 164f., 228, 242, 278f., 301 Atheismusstreit 26

Sachregister

Auferstehung 27, 67, 224, 230f., 233, 255, 262, 264, 269f., 273f., 283, 350, 352 Axiom 96 axiomatisch 95–97, 99, 345 Begriffslogik 26–29, 33f., 59–61, 65–67, 81, 117, 132, 138, 142, 203, 220, 234f., 237, 249, 310f. Begrndung 29, 34, 40, 74, 91, 100, 130, 143, 148, 161, 185, 187, 205, 263, 298f., 312, 328f. Besondere 1, 8, 26f., 30, 33–36, 39, 52f., 61, 66f., 72f., 77, 80, 88, 100–102, 107, 109, 117–119, 121, 123, 130, 134, 136f., 141–143, 153, 156, 163f., 183, 193, 198, 202–205, 207, 210–214, 217–219, 223, 226, 230f., 234, 237, 242–245, 256–258, 260, 262, 264, 266–268, 304, 331, 334, 344, 346–348, 350 Bestimmtheit 27, 46, 50, 58, 62, 75, 77f., 81–84, 86, 103, 125, 131, 140, 214, 264, 307f., 314f., 331, 355 Bewahren 101 Bewusstsein 18, 21f., 27, 44, 46f., 57, 71, 106, 158, 163–169, 171, 173, 176–182, 198, 201, 228, 233, 248, 261, 272f., 287, 348 Bildern 165, 167–169 Bildner 63f., 67f., 73, 76, 120, 142, 148, 155f., 158f., 164, 169, 181, 188–191, 194, 203, 220, 223–225, 238, 246, 290, 331, 344 – inneren Bildner 63, 155, 158, 167, 188–194, 203, 220, 225f., 247, 267, 280, 285, 331 Bildungspraxis 171, 173 Binitt 12 Bçse 38, 179, 206f., 241, 244–253, 255, 257f., 260f., 263, 265, 268–270, 276–278, 297, 351–353 Brahm 204f.

371

Brahmane 204 Buddhismus 187, 194–196, 202–204, 349 Chalcedonense 2f., 5–7, 10, 290 Chinese 188, 195, 200f., 205f. Christologie 2–8, 10f., 13, 19, 23–27, 29, 38, 41, 52, 54, 155, 173, 221, 230f., 236, 253f., 256, 258, 260f., 270f., 274f., 326 Christus 1–7, 18, 25, 27, 39, 41, 47, 157, 172, 192, 221, 224, 229f., 246, 255–261, 263–265, 272–278, 283, 286, 295, 297, 326, 329, 342, 352 Dao 201f. Dasein 26, 62, 86, 95f., 99, 118, 123, 162, 164, 172, 202, 225, 244, 264, 267, 272f., 282, 306, 339–341, 344–346, 348 Denkbarkeit 2, 4, 26, 69, 290, 320 Differenz 33, 37, 41, 49f., 61, 64f., 69, 73, 75f., 79, 91, 93, 97, 108, 115f., 122, 135–137, 141, 144–146, 169, 173, 183, 187, 190, 195, 198–200, 222, 224, 227, 234–236, 245, 256f., 260, 263, 265, 273, 280, 291f., 298, 303, 310, 313, 317, 320, 323, 335, 337, 346, 350, 356f., 359 Ding 57, 71f., 93–95, 104f., 118, 167, 198, 207, 214, 327 Dreipersçnlichkeit 23, 43, 239f. Dualismus 4, 206f., 323 Einheit 3f., 7–11, 17, 22f., 26, 31, 33, 37f., 52, 55, 62, 64, 67f., 73, 75, 77, 82, 84, 90f., 98, 100, 103, 105f., 108, 114–121, 123, 125–134, 136, 138f., 141–143, 146, 148, 150, 155, 157–159, 161f., 168, 175, 178–180, 183, 186, 190–198, 200f., 204, 206, 210, 213–215, 217, 219f., 224, 229f., 237–240, 243, 247–249, 254–262, 264f., 268–272, 274–276, 279, 281, 283–287,

372

Sachregister

290, 293–295, 297, 299, 304f., 312, 314–317, 319, 323, 325f., 334–339, 342, 344, 346–354, 356 – gottmenschliche 4, 7–11, 55, 155, 157, 192, 256, 258f., 261f., 264f., 275, 287, 294f., 297, 342, 344, 348–350, 353 – vollentwickelte 10, 58, 67, 70f., 73, 98, 108, 115f., 118–121, 126–133, 137, 140–146, 148, 150, 154, 157f., 179, 181, 194–196, 217–220, 223, 237, 246, 252, 255, 264, 271, 275, 277, 286, 304f., 308, 311, 317, 344, 346f., 349–352, 355 Einzelheit 26f., 56, 65, 71, 73, 75, 117f., 126, 129, 134, 140–143, 145, 154, 192, 217–220, 223, 238, 256–258, 260f., 266, 268, 271, 305, 311f., 345, 347 – unmittelbare 28, 74f., 77, 91, 95, 101, 106–109, 117, 119, 130, 134, 137f., 140, 146, 150f., 165, 170, 178f., 188, 190f., 197f., 200–203, 214–216, 230, 237, 243, 247, 249, 256f., 260, 264, 266f., 271, 274, 276, 278, 283, 286, 308, 314–316, 319 Einzelne 26f., 30, 33–35, 39, 48f., 53, 57, 59, 61, 63, 65, 71, 82, 92, 98, 109, 114, 117, 119, 133–137, 139–142, 146f., 164, 178, 189, 192–198, 200, 206, 212, 218–220, 222f., 238f., 247, 252, 257, 259–262, 271, 276, 279, 304f., 307, 314, 327, 341, 347, 350, 358 Ekklesiologie 3, 26, 29, 42, 230, 236, 257, 260, 271, 274f., 277, 353 Element 21, 61, 63f., 134f., 142, 154f., 164, 231f., 234, 256, 274, 300 – des Logischen 98, 155, 267, 343 – des Reellen 61, 64, 155, 164 Endlichkeit 161, 265, 267

entgegengesetzt 46, 59–61, 81, 108, 112, 114, 116, 125f., 133, 148, 206, 208, 245, 272, 308, 311, 355 Entitt 58, 69, 71f., 74, 82f., 86, 89–94, 97–100, 109f., 113, 116–121, 123, 125, 129, 132–135, 137, 144, 147–150, 190f., 193, 202, 206, 212, 214, 216–218, 244, 246, 257, 265, 285, 295, 308, 311, 314, 344–346 Entwicklungsdialektik 59, 61, 65f. Entwicklungsgang 58f., 70, 108, 144, 193, 224, 234, 252, 254, 285f., 301, 304–307, 311, 347 Entzweiung 26f., 37, 188, 191, 193, 196f., 200, 202f., 206, 210f., 241, 249, 266 Erhebung 4, 15, 18, 31f., 127, 180, 199 Erkennen 23, 37, 44, 91, 96, 100f., 104, 130, 145f., 152f., 167–169, 188, 196, 209, 248f., 276, 299, 303, 311, 316 Erlçsung 3, 246, 297, 326, 350 Erschaffung 28f., 57, 203, 214, 233f., 241f. Eschatologie 25, 46f., 167, 284, 294, 321, 354, 356 – futurische 25, 47, 167, 294, 321, 354, 356 – prsentische 167 Eskimo 198f. Etwas 2, 11, 28, 60, 70, 72, 74, 76, 80, 89, 95, 97, 99f., 103, 107, 109, 111, 114, 120, 122, 125f., 133, 142, 146, 166, 170f., 176, 183f., 191, 197, 202, 222, 228, 233, 237, 248, 250, 252, 258, 273, 304f., 307–309, 315, 318f., 323–325 Evangelium 278, 290–293, 295–298, 321, 354f. Extrem 46, 115, 131, 136, 177, 241, 244, 250f., 255 Fall

2, 34, 36–38, 72, 75f., 114, 118, 128, 138f., 147, 162, 183,

Sachregister

189, 193, 202, 224, 241f., 247–251, 256f., 259, 272, 283, 291, 299, 304, 309, 324, 327, 329, 346, 350–352, 358 Forschung 9, 12–14, 16, 22, 27, 32, 36, 39, 42, 48, 52, 72, 79, 343 Forschungsberblick 9, 12, 14, 16, 52, 54, 287, 343 Fortgang 44, 59, 61, 63, 65, 71f., 77f., 86, 88f., 97f., 100, 102f., 106, 132, 144, 150, 157, 181, 224, 234, 241, 267, 306, 345, 349f. Freiheit 30, 38, 42, 45, 50, 67, 201, 205, 210, 212, 241, 247f., 250, 252, 281f., 303, 316, 318–320, 328, 335, 350 Fremdbezug 120, 142f., 311 fr sich 24, 39, 76, 84, 122, 137, 139, 142, 148, 234, 264, 276, 319, 335 Ganze 1, 6–8, 10f., 17, 22, 33, 35, 37, 42, 46, 59, 61, 70, 81, 85, 92, 99, 102, 128, 133, 137, 146, 175, 192f., 203f., 209, 211, 215, 235, 238, 253, 258, 281, 284, 306, 313, 319, 327, 330f., 336f., 339–341, 349, 351, 358f. Gefhl 31, 179, 266 Gegensatz 4, 31, 67, 80–84, 87, 89, 106, 110f., 113–115, 121, 124f., 127–129, 132, 141f., 178, 235, 241, 243f., 246, 250, 253–255, 257f., 260f., 265, 270, 311, 326, 346 Gegenstand 6, 15, 28, 44, 57, 71, 78, 103, 105, 125, 166, 168, 174, 180, 184, 197, 231, 271–273, 283f. Gegenwart 1, 33, 47, 167, 176–178, 197, 279, 296, 332 Geist 1, 7, 10f., 15, 18, 22, 29, 33, 35f., 38f., 42–47, 55, 57, 62–66, 68, 72, 144f., 148, 155–172, 174, 176–183, 186f., 190, 192, 194, 196–200, 202, 205–207, 209–211, 213, 216, 220–222,

373

224–229, 231–235, 237–242, 244, 247–265, 268, 270, 272f., 275–287, 290–293, 295–297, 301f., 314f., 318–322, 325f., 329f., 333–335, 339f., 344, 347–354, 357f. – absoluter 10, 42-45, 59-63, 149158, 172-174, 212, 221, 225, 251, 255-259, 276-278, 281, 321, 325f., 330, 345 – endlicher 37, 292, 296, 322 – objektiver 62, 82, 299 – subjektiver 62 – unendlicher 82, 164, 226, 296 Geltung 38, 48, 64, 96f., 99, 107, 152, 171–173, 183, 281, 329, 338, 345 geltungstheoretisch 8, 15, 19f., 23, 57, 64, 152f., 172, 291f., 315, 321–323, 343, 347, 357 Gemeinde 9, 16, 26f., 33, 35, 39, 41, 47, 157f., 161, 166, 168, 172, 182, 224, 226, 228–231, 233, 256, 259f., 263, 272–279, 282–284, 286, 294–296, 326, 348, 350, 352f. Genese 81, 109, 111, 117, 120, 152, 171–173, 180, 308, 338 Gesetz 2, 59, 85, 97, 205, 215f., 219, 251, 290–293, 295–298, 316, 321, 354f. Gesetztsein 81, 84f., 87, 115, 121f., 125–129, 131, 146, 306 Gewissen 10, 14, 171, 185, 235, 238, 278 Gewissheit 57, 178f., 243, 261, 277 Glaube 4, 28, 41, 53, 70, 128, 162, 168, 178f., 228, 239, 259, 277, 279, 282, 314, 336 Gleichgltigkeit 6, 72, 107, 110, 113, 138, 244 Gnade 24f., 207, 297, 354 Gottes 3, 7, 10–12, 15f., 20, 22–30, 33, 39, 41, 43, 45, 49–51, 57, 65, 177, 190–192, 196, 198, 202, 208, 212, 214–216, 218, 221f., 228, 233–236, 240, 242, 258, 260, 263f., 266, 268–270, 272,

374

Sachregister

274, 277, 283, 285f., 289, 295–297, 320f., 325f., 328, 331–338, 340, 342, 349, 352, 354, 356–358 Gottesbeweis 32–34, 42–44, 147f., 180, 188, 225, 256, 317 – kosmologischer 148 – ontologischer 2f., 7, 19, 50, 289 Gotteserkenntnis 28 Gotteslehre 3, 5, 42, 49, 213, 221, 329f., 333 Griechen 35, 47, 195f., 206, 209, 212, 216f., 219, 262, 286 Grundfigur 31f., 43, 81, 268, 340 Hamartiologie 28 Hegelianismus 1, 11f., 289, 326, 330–332, 336, 343, 354, 357f. – impliziter 1, 289, 330f., 333, 336, 338, 343, 358f. Hermeneutik 1, 343 Himmelfahrt 255, 269–271, 275, 284, 295, 321, 352, 354 Hintergrund 1, 8, 20, 24, 27, 29, 31, 33–35, 46f., 53, 130, 133, 287, 343f., 348f. – logischer 13, 23, 27, 47, 53, 235, 251, 287, 327, 342 Idealismus 12, 15, 38f., 57, 64f., 68, 177, 190, 204, 207, 210, 235, 239, 258, 281, 287, 299, 313, 323, 325 Idee 8f., 12–15, 20, 27f., 34, 39, 41, 47f., 51–55, 58, 61–63, 66–68, 70f., 73, 75f., 79–81, 83, 86–88, 93–95, 97, 100f., 103, 105–107, 112, 116–121, 123, 126–136, 138–147, 150–159, 161–164, 167f., 171f., 174, 185–187, 190–193, 195, 199, 203, 210f., 213, 215, 217–220, 222f., 225f., 228f., 231–245, 252, 254, 258, 260, 262f., 265–268, 271, 274, 276f., 280f., 284f., 287, 290, 301, 304f., 310–312, 315–317, 343f., 346, 348–350, 352, 356

ideell 48, 57, 210, 280 Identitt 30, 37, 53, 59, 61, 80, 87f., 91, 93–95, 97–99, 104, 120–123, 126–133, 137, 140–143, 145f., 154, 159–161, 163f., 169, 191, 199, 210, 217–219, 232f., 237f., 246, 250, 257, 261, 265, 267–270, 296, 304–306, 314, 319, 337, 340f., 346, 348, 351f., 356, 359 Inder 188, 194–196, 202, 204–207, 262, 349 Individualitt 26, 48, 142, 157, 188, 210, 286, 349 Individuum 7, 21, 200–203, 219, 262, 302 Inkarnation 18, 39, 44, 262, 265, 270f. Internstruktur 81, 84, 132 Islam 36 Jesus Christus 3, 158, 168, 192, 230, 256–260, 264, 275f., 353 Juden 47, 188, 195f., 206, 216 Judentum 157, 189, 210f., 213–217, 219, 349 Jupiter 218 Karfreitag 273 Katholizismus 20f. Kohrenz 2, 10 Konklusion 134, 137, 141, 347 Konstitutionsrelation 334, 338 Konzil 1f., 5, 289, 342 – von Chalcedon 1f., 5, 155, 289, 342 Korrelation 44, 314 Kreis 6, 34, 63, 66–68, 150f., 158, 224, 255 Kreisgang 63, 65, 151, 344 Kreuz 1, 27, 47, 67, 158, 224, 230f., 265, 271f., 274, 276f., 283, 286, 295, 310, 328, 352f. Kult 17f., 20–22, 32, 163, 179f., 197f., 201, 203, 205, 207, 209, 212f., 215, 219 Kunst 21, 30, 40, 44, 63, 67, 164–166, 209, 303

Sachregister

Lamaismus 194, 202 Lesart 7, 15–18, 20, 22f., 25, 32, 35, 38, 41, 43, 45, 47, 52–54, 111, 170, 188, 254, 286, 288, 295, 313, 315, 329f., 334f., 343 Leseart – philosophische 1, 4, 6f., 10f., 13, 15f., 21, 24f., 34f., 37f., 40–45, 48–50, 52–54, 147, 160, 164, 173, 176–181, 184, 197, 202, 230, 274, 287, 289, 291–294, 298, 300, 314f., 317, 321f., 324, 331, 342f., 348, 354f., 357 – religiçse 11, 15–18, 20–23, 25, 31f., 35, 42, 52, 158, 164, 169, 173f., 176–183, 230, 239f., 242, 253, 285, 288, 294f., 315, 322, 343 Letztbegrndung 8, 11, 90, 133, 147f., 150, 154, 172, 292, 304, 321–323, 325, 347, 357 linear 65–68, 150, 158, 224, 255, 286, 303 Linearitt 68, 158, 224, 255 Mangel 50, 102, 125, 194, 205, 300, 316 Mensch 1, 3f., 7, 10f., 17, 20–22, 27, 37, 42–47, 162f., 172, 179f., 190–192, 196–198, 200–205, 207–209, 212f., 215f., 218f., 226, 229f., 244, 247–253, 255, 258f., 261–263, 267, 271–273, 275–279, 283, 285f., 289, 291, 293, 295–297, 313, 321, 325f., 328–330, 342, 349, 351f., 354, 358 – wahrer 1, 143, 209, 220, 229, 342 Metaphysik 4, 24, 40, 50, 57, 65, 80, 84, 89, 93, 95f., 100, 107, 121–125, 127, 129, 148, 171, 183f., 301 Methode 8, 13, 28f., 51, 58f., 75, 78–80, 90, 96f., 102, 105, 130, 146f., 151, 153f., 203, 305, 307, 313, 346 Modalismus 23, 240f. Moderne 19, 285, 302, 313

375

Mçglichkeit 10, 27, 37, 97, 137–139, 200, 248f., 251, 280, 296f., 307, 317, 319–325, 334f., 338, 351, 354, 356 Monarchie 239, 333–335, 340 – des Geistes 33, 43, 45, 62, 64, 116, 160–162, 164f., 177–179, 186f., 193, 197, 199, 203, 207, 209, 211, 220, 223, 239–241, 244, 249–254, 264, 267–270, 273, 276, 279, 281–284, 315, 333f., 340, 351–353, 358 – des Vaters 239, 266, 270, 272, 325, 334f., 339f., 350 Mçnchstum 282, 353 Monotheismus 213f. Natur 1–3, 29, 55, 57, 61–64, 75, 77, 79, 90, 120, 134, 148, 151, 153, 156–158, 165, 196–198, 200f., 206, 209–212, 215, 221, 225, 227, 229f., 234, 241, 244, 247–256, 262, 265–267, 269–272, 276–279, 289f., 325, 344, 348, 351f., 357 – gçttliche 1, 7, 12, 15, 21, 37, 47, 61, 156–158, 171, 192f., 198, 213, 227, 229f., 233, 236, 238f., 254f., 258, 262, 265–270, 279, 325, 333, 335, 337, 348, 351f., 357 – menschliche 1, 6f., 40, 48, 156–158, 164, 168, 192, 198, 203, 205, 218, 227, 229f., 252, 254f., 258f., 262, 267–270, 277, 279, 325, 328, 348, 351f., 357 – zwei 2f., 10, 13–16, 22f., 25, 29, 32, 34, 36f., 41, 59, 62, 66, 70, 73, 76, 81, 84, 90–92, 98, 106, 114f., 117, 120, 124, 128f., 132, 134, 137, 142, 159, 168, 179, 184f., 188, 191, 195, 206, 213, 217, 221f., 225, 228f., 234, 237f., 240f., 244, 254, 256, 279, 289–293, 300f., 304f., 315, 321, 323, 332, 340, 342, 346, 353f., 357

376

Sachregister

Naturreligion 48, 67, 148, 157, 187, 190, 192, 195–197, 208f., 214, 286, 295, 349 Negation 8, 10, 27, 33–35, 38, 50f., 53, 71–73, 75, 77f., 80, 82f., 86, 88, 97–102, 105–110, 112, 115, 117–119, 121, 126–129, 131, 134, 136, 138, 141, 145, 147, 150f., 155, 160, 175f., 184, 199, 202–205, 208, 237, 245f., 250, 253, 260, 263, 265–268, 282, 284, 305, 307, 310, 313, 318, 344–347, 352, 356 – abstrakte 22, 42, 45f., 53, 59, 77f., 83, 86, 98f., 104, 129–132, 137, 144f., 152, 154, 169, 172, 181f., 199–201, 203f., 210–219, 228, 230, 233, 237, 242f., 245f., 250, 253–256, 258, 261, 265, 267, 269, 272f., 277, 279, 282, 328, 346, 351f. – bestimmte 4, 26, 35, 49f., 52, 65, 67, 78, 97–102, 107f., 111, 117, 122, 138, 140, 154, 161, 175, 184, 201, 204, 211, 218, 228f., 245, 254, 298, 315, 330, 333, 335, 345f. – erste 1, 6, 8f., 12, 14f., 17f., 20, 22f., 25f., 28–31, 34–37, 39f., 42–45, 48–50, 52, 55, 59f., 62f., 66f., 70–73, 77, 80, 82–87, 89, 91–94, 96, 98–103, 105–118, 120, 124, 126–130, 132–138, 140f., 144, 146–151, 153f., 157–162, 178f., 184f., 188, 190–203, 205–207, 210f., 215f., 220, 222–224, 228f., 233f., 237f., 241, 244f., 247, 252, 256f., 265–267, 269–271, 277f., 282, 286, 289–292, 295, 301–303, 305, 308f., 311, 316, 320, 327–331, 333, 336, 340, 342–347, 351 – zweite 1, 6, 8f., 14, 17f., 22, 26, 28–31, 35–37, 39f., 42f., 45, 47–50, 53, 62f., 66f., 70–72, 80, 82–85, 91f., 95f., 98f., 105–115, 117–120, 123, 128f., 134–138,

140, 144, 157f., 161, 169, 176, 180, 184, 188, 191–196, 203f., 206, 208, 210, 216f., 220–222, 224, 229f., 237, 241, 247, 252, 256f., 265, 278, 289, 292, 305, 309, 311, 315, 319, 322, 330f., 334, 338, 342–344, 346–348, 355, 358 Nichts 31, 36, 50f., 56, 59f., 72, 75, 82f., 93f., 97f., 101, 104, 115, 117, 122, 136, 146, 148, 150, 153, 161, 173, 177, 179, 187, 192, 202f., 210f., 217, 220, 223, 238f., 252, 267f., 274, 306, 308f., 318f., 323, 339, 345, 355 Notwendigkeit 25, 29, 32, 37f., 41, 55f., 58, 83, 99, 106f., 123, 139, 155, 167, 173, 184f., 212f., 215f., 242, 251f., 277f., 303–307, 316, 319, 324, 346, 350 Null 98, 104, 125, 267 Offenbarung 23, 33, 51, 209f., 222, 296, 322, 331 Ontologie 5f., 24, 49f., 55, 57–59, 69, 95, 184, 323, 337 Ontotheologie 15 Onto-Theo-Logik 55, 58, 344 Opfer 205, 207 opus Dei 10, 290, 292, 295–297, 321f., 326, 354, 356f. opus hominum 10, 290, 292, 295–297, 321f., 326, 354, 356f. ordo cognoscendi 76, 333 ordo essendi 76 Osiris 208f. Ostern 259, 271f., 283, 352 Pallas Athene 212 Pantheon 38f., 218 Paradox 44, 182, 230, 277, 303, 338, 353 Perser 195, 205–207, 216 Personeneinheit 4f., 11, 52, 69, 73, 225, 229–232, 240, 270, 289f., 320, 325, 357

Sachregister

– der zwei Naturen 3–5, 7f., 52, 69, 73, 133, 142, 159, 225, 229–232, 240, 254f., 259, 264, 270, 273f., 279, 283f., 286f., 290, 320, 323, 325f., 350, 353f., 357 – Jesu Christi 5, 67–69, 73, 133, 142, 158, 165f., 224f., 229f., 232f., 254f., 257–260, 262–264, 266–268, 270f., 273–275, 277f., 283, 286, 289, 323, 325, 328f., 350, 352, 354, 357 Persçnlichkeit 16, 25–28, 30, 142, 239, 273, 277, 320, 356 Pfingsten 226, 231, 259, 271f., 274, 283, 352 Pfingstgemeinde 177, 181, 221 Philosophie 6–19, 21–25, 27–30, 32–36, 38–40, 42–52, 63f., 67, 103, 105, 133, 147, 151f., 154–160, 163f., 166, 168, 171, 173–177, 180–184, 192, 210, 224f., 230–232, 239, 255, 274f., 279–285, 287, 290–296, 298–304, 313–316, 320–325, 327, 329, 342f., 347f., 352–356 – praktische 18f., 38, 40, 44, 281, 303, 315, 336, 355 – theoretische 18f., 38, 40, 44, 197, 281, 292, 315, 321f., 324 Pneumatologie 44 Polytheismus 204, 213 Position 20, 25, 32, 37, 45, 51, 53, 66, 69, 73, 94f., 117, 119, 148, 178, 291, 302, 323f., 332, 337, 345, 355 positive Resultat 98f., 109, 120f., 123–131, 145, 175, 208f., 236, 267, 284, 341, 345f., 352 Positivitt 50, 109, 119, 184, 308 Prmisse 102, 134–137, 140, 347 Praxis 21, 38, 46f., 280f., 300f., 303f., 306, 308, 313–315, 321, 342, 347, 355 Prinzip 26, 36, 39, 52, 78, 80, 83, 105, 138, 142, 147, 154, 175, 196, 200, 211, 215, 282, 339, 341, 346 Propdeutik 22, 57, 176, 182

377

Protestantismus 10, 20f., 290, 296f. Prozessualitt 148, 159f., 162, 164, 180, 187, 208 Realismus 57, 325 Realphilosophie 29, 48–51, 53, 61, 63–67, 93, 95, 104, 133, 138, 144f., 147, 151–154, 171f., 186, 243, 285, 290, 298, 327, 331, 344, 347, 357 Realwissenschaften 61 Rechtfertigungslehre 10 Reelle 48 Reflexion 13, 29, 45, 56, 64f., 67, 73f., 77–79, 82, 84f., 90, 92f., 104, 122, 125, 127–129, 147, 154, 280f., 303f., 309, 313, 324f., 357 – ußerliche 64, 77f., 104f., 153, 180, 217–219, 241, 251, 283f. – immanente 11, 22–24, 26–29, 33, 46, 50f., 56, 58, 67, 73f., 76–79, 92, 157f., 160, 162, 181f., 206, 224, 226, 228–230, 232–237, 239–243, 256–258, 266, 270f., 276f., 283f., 286, 292, 295, 310, 333, 345, 350, 354f., 358 – in sich 1, 8, 20, 39f., 46, 53, 60–62, 77, 82, 84f., 91, 95, 98, 101, 106–112, 114, 116–118, 123, 125–127, 129–132, 134, 136f., 140, 144, 150f., 159f., 162f., 170, 176–179, 181, 186, 193, 196, 203, 208, 213f., 217, 219, 234f., 237, 241, 244, 246, 248, 250f., 263, 270, 272, 283–286, 293, 303–306, 317, 342, 344, 350, 355 – negierende 85, 101, 109, 263, 336 Reflexionsbestimmung 80, 85f., 88f., 96, 122, 124, 128, 166, 232, 235 Reflexionsdialektik 59f. Relat 69, 113f., 116f., 124–126, 132, 311, 315, 334, 339 Relation 69, 72, 106, 124–128, 295, 333f., 337–340, 359

378

Sachregister

Relationalitt 69, 72, 110, 161 – dynamische 5f., 69, 72, 133f., 161, 283, 308, 337 Religion 6, 8–11, 13–22, 27–30, 35f., 38–44, 46–49, 51f., 63, 65, 67, 152, 154–160, 162, 164–174, 176f., 179–190, 192–222, 227f., 231f., 236, 239f., 243f., 253, 260, 271, 273, 277, 279f., 282–287, 290–293, 295, 301, 303, 314, 316, 320–323, 329, 342–344, 347–350, 353f., 357 – gyptische 39, 193, 207–209, 218 – chinesische 35, 187, 199–201 – des bergangs 206 – geoffenbarte 63, 160–162, 171, 185f., 221f., 282 – germanische 39, 207 – griechische 33, 35, 157, 211f., 218, 247 – indische 203–205, 214 – offenbare 185, 221f. – persische 207, 349 – rçmische 35, 39, 157, 192, 195, 215, 217–220, 349 – vollendete 49, 59, 61, 154, 157f., 165, 187, 194f., 197, 211, 217, 220f., 224f., 230, 255, 275, 277f., 281, 285, 295f., 312, 347, 349, 355 Religionsgeographie 41, 189 Religionsgeschichte 8, 17, 22, 26, 30, 36, 39–41, 43, 46, 48f., 67f., 157f., 169f., 177f., 185–199, 201, 203f., 206–208, 210, 212, 214f., 220–224, 227f., 232, 253–255, 266, 271, 279, 284, 286, 295, 348–350, 354 Religionsphilosophie 1, 5f., 8f., 12–15, 17f., 20f., 23, 25–27, 29, 31f., 34, 36, 38–49, 51–55, 58, 62–65, 67f., 76, 148, 152, 155–157, 159, 167–173, 175f., 183f., 192, 224f., 228, 238–240, 255, 257, 272, 284f., 287, 290, 293, 303, 310, 342–344, 348f., 358

Resultat 38, 68, 73, 76, 87f., 91, 97f., 101–106, 119–121, 123–127, 132–134, 142–147, 149f., 154, 157f., 170, 184, 187, 197, 211, 214, 223f., 234, 238, 255, 271, 283, 285f., 304–306, 308f., 342, 347, 349f., 355 – des Weges 68, 71, 73, 145–148, 150, 158, 223f., 238, 255, 285, 304f., 308f., 347, 350, 355 Rçmer 193, 195f., 210, 217–219, 223, 286, 295 Schein 47, 59f., 72, 83, 91, 115, 118, 123, 132f., 136, 139, 146, 148, 160, 162, 167, 174f., 179, 183f., 187, 201, 237, 243, 246, 251f., 308, 330, 351 Schluss 46, 56, 61, 90, 102, 112, 125, 134–137, 141, 301, 303 Schlusslehre 46f., 53, 56, 135–137 Schçnheit 188, 209, 212 Schçpfung 28, 33, 35, 46, 51, 67, 158, 181f., 224, 234f., 241, 247, 250, 256, 261, 276, 286, 296, 310, 335, 350f. Sein 1–8, 10–12, 15, 17–29, 31–37, 39, 41–44, 46–52, 54–57, 59f., 62–83, 85–88, 90–99, 101–104, 106f., 109–119, 121–123, 126–129, 131–137, 140f., 144–155, 157, 159–166, 168–172, 174–188, 191f., 194–202, 204–211, 213–216, 218–222, 224–255, 257, 259–282, 284–286, 289–297, 301–304, 306–319, 321, 323–327, 329, 333–342, 344–346, 348–356, 358f. – reines 34, 74f., 82f., 339 Seinslogik 29, 31, 59–61, 65, 79, 110f., 131, 138, 204, 311 Selbst 1–3, 5, 7f., 10f., 14–20, 24, 27f., 31–40, 42, 44–46, 51, 55f., 58–63, 65f., 68–75, 77–81, 84–88, 90–97, 99–113, 115–122, 124–130, 132–138, 140–151, 153–157, 159, 162, 164–169,

Sachregister

172, 175, 177f., 182f., 185f., 189f., 193, 195, 198, 202, 204–208, 212–214, 218, 220–223, 228–234, 236–251, 254f., 258–270, 272–277, 279–281, 283–285, 287, 290–297, 299–301, 303–313, 315–319, 321f., 324–329, 333, 336, 338, 340, 345–349, 352–357 selbstndig 81f., 84–86, 89, 91–95, 97–100, 112, 120–129, 131, 135, 148f., 167, 174, 177, 205, 237, 241, 243–246, 250, 304, 306, 308, 315, 323, 345f., 351 Selbstndigkeit 82, 85f., 88f., 93f., 109, 123–126, 128f., 132, 143, 146, 148f., 166f., 204f., 243–247, 252, 266f., 269, 272, 277, 279, 306, 308, 352 Selbstausdifferenzierung 7, 68, 308f., 317, 340, 346 Selbstbegrenzung 11, 292f., 321f. – der Vernunft 11, 58, 105, 153, 156, 174, 181f., 194, 227, 284, 292f., 303f., 316, 319, 322f., 348, 357 Selbstbewusstsein 16, 26f., 42f., 75, 162, 164, 182, 200, 256, 259, 262, 264, 272f., 278f., 284, 310f. Selbstbezug 44, 75, 120, 142f. Selbstkonstitution 7, 43, 63, 76, 308f., 317, 340, 346 Selbstwiderspruch 58, 148, 302, 304 Setzen 61, 87f., 97, 103, 108, 121, 125, 148, 160, 164, 173, 183, 194, 199, 217, 223, 225–227, 229, 231f., 236f., 248, 250, 261, 268, 275f., 286, 295–297, 312, 344, 346, 349 Sittlichkeit 9, 38, 40, 62, 212, 215f., 281f., 314, 353 Skeptizismus 119, 150 soteriologisch 2–4, 289, 325f., 329, 357 Spekulation 43

379

Staat 18, 51, 207, 218f., 280, 282, 302, 353 Statik 118, 123, 139, 161 Subjektivierung 72, 95, 100, 145, 157f., 190–192, 194, 196, 199, 205f., 208, 210f., 238, 255, 286, 308, 317, 344, 349, 352 Snde 36–38, 247, 251, 297 Sndenlehre 36, 38 Synthese 49, 57, 134, 219 synthetisch 71f., 98, 100, 102f., 105, 144, 147, 346 Tetradik 62 theologia naturalis 44, 169f., 176, 271 Theologumenon 10, 290, 296f., 354 theoria 155, 280f., 302f., 342, 355 Tod 9, 116, 165, 199f., 202, 208f., 216, 230f., 233, 247, 255, 262, 264–270, 272–274, 283, 328, 350, 352 Transzendentalphilosophie 55f., 58 Triade 48 Triadik 62 Trinitt 5, 11f., 22f., 26–29, 32–34, 38f., 44, 46, 49, 51, 66f., 76f., 156–158, 162, 173, 181f., 201, 221, 224, 226, 228–230, 232–243, 256–258, 265f., 270f., 276, 286, 295, 310, 320, 331–340, 350, 356, 358 – çkonomische 257f., 333, 338 Trinittslehre 5f., 11–14, 22, 32, 34, 38, 43, 49f., 225f., 235, 237, 239f., 323, 329–332, 335f., 338–340, 358f. Triplizitt 137f., 144 bergangsdialektik 60, 66, 191 Unaufhebbarkeit 21, 355, 357 Unbestimmtheit 50, 77f., 83, 94, 203, 307–309, 313, 318 Unendlichkeit 13, 31f., 53, 340 – Konkrete 7f., 13, 31, 53, 63, 76, 106, 119, 131, 133, 141f., 144, 160, 178, 196, 201, 203, 205,

380

Sachregister

209, 213–215, 233, 238, 241, 243f., 248f., 254, 256, 260, 264, 270, 276, 282 Unerkennbarkeit 50 Unschuld 36f. Unterschied 19, 30, 37, 59, 77, 79f., 91, 94, 105–108, 116f., 122, 130f., 134, 138, 141f., 168, 174, 179, 185, 192, 195, 204, 210, 222f., 234f., 240f., 256f., 260f., 265, 268, 304f., 309, 325, 333, 343 Ursprungsrelation 319, 331f., 334f., 339 Urteil 48, 56f., 62, 90–92, 102f., 119, 132, 134–137, 139, 143, 159, 162f., 241f., 248, 260, 264 Urteilung 67f., 72f., 78, 135, 158, 162–164, 179, 186, 194, 196, 206, 211, 214, 220, 224, 242f., 255, 264, 269f., 285f., 305, 318, 344, 346, 349f., 352

302, 312, 316f., 319, 321f., 344, 348, 357 Verschiedenheit 77, 80, 82, 106–109, 113f., 138, 244, 346, 355 Versçhnung 17, 21, 29, 33, 37f., 46f., 51, 178, 181f., 191, 222, 224, 233, 235, 253f., 256–261, 268f., 271, 273, 275f., 278–280, 282f., 295–297, 326, 351f. Verstand 30, 33, 49, 56f., 83, 91, 93, 105, 110, 112, 131, 157, 160, 167, 175, 185, 192, 195, 214, 230, 236, 240, 251, 253, 263, 271, 292, 313, 322, 339, 359 Vollzugsrelation 319, 331, 334f. von Kreisen 63, 66, 158, 224, 255 Vorlesung 6, 8f., 13f., 17f., 20–24, 32, 39–42, 44, 47–49, 51, 156, 176, 178f., 183, 189, 195, 221f., 256, 260, 284, 300, 302, 343, 358 – Berliner 20, 24, 40, 42, 358

Vergangenheit 33, 46f., 177, 197 Vermittlung 1, 7–11, 27, 29–32, 42–44, 47f., 53, 61, 68f., 73–75, 77, 81f., 89, 91, 95, 117, 119f., 130, 132–134, 136f., 140, 142f., 146, 150f., 154, 156–159, 162–165, 168, 173f., 177–179, 181f., 187, 191–193, 195, 199, 204–207, 210–215, 217–220, 223–233, 237f., 241–243, 245, 255, 259, 261, 271–275, 278–281, 283, 285–287, 290, 292–298, 300, 302–305, 308–310, 312–314, 316–325, 330–340, 342, 347–351, 353–359 Vermittlungsbewegung 71, 73, 106, 118, 129, 143f., 146f., 154, 163f., 169, 221–223, 238f., 310, 312, 319, 339, 350 Vernunft 38, 40f., 44, 55, 125, 156, 168–171, 174f., 184–188, 190f., 221, 225, 227, 239f., 242, 249, 251, 254, 257–259, 261f., 264, 266, 273, 279, 281, 291–293,

Weg 1, 5f., 13, 17, 24, 26, 43, 49, 67–73, 76f., 79, 86, 88, 99, 106, 108, 110, 126, 130, 133, 143, 145–150, 157f., 168, 172, 178–180, 186f., 192, 196, 198, 222–225, 237f., 255, 257, 261, 263, 271, 276f., 285f., 298, 304f., 308, 314, 316, 324, 334, 342, 346f., 349f., 352, 355 – zum Resultat 68, 73, 145–147, 150, 157f., 187, 223–225, 238, 255, 285, 303–305, 308f., 347, 349f., 355 Weltgericht 297 Weltgeschichte 25, 46, 189, 297 Wendungspunkt 95, 108, 116, 118, 267, 346 Werden 1–7, 9–17, 19f., 22–32, 34, 37–41, 47, 49–70, 72–85, 87–89, 91–93, 96–106, 108–121, 123f., 128–131, 133–135, 137–139, 142, 144–148, 152–167, 170–173, 175, 178f., 181f., 184–202, 206–209, 211–214, 216–218, 221–224, 226,

Sachregister

228–230, 232–236, 238, 240f., 243, 245–247, 250–256, 258f., 262f., 266, 268f., 271, 273, 275–277, 280, 283, 285–287, 289–292, 294–296, 298–335, 337–339, 342–346, 348–350, 352, 354–359 Wesen 2, 28f., 55, 57–60, 63, 65, 67, 93, 99, 104, 126, 132f., 163, 186–188, 191, 205f., 211, 213, 232, 234–237, 241, 245, 251, 260, 262, 268, 276, 278, 310, 318, 328, 337, 340, 345 Wesenslogik 29, 59–61, 65f., 80f., 87, 96, 106, 111–113, 117, 120, 129–132, 142, 206, 210f., 257, 311, 345f. Widerspruch 28f., 36, 50f., 72, 79–81, 85–100, 103–110, 112–126, 128–132, 134, 138f., 141f., 145, 150, 157, 175, 181, 193, 199, 204f., 207f., 215, 223f., 231f., 236, 246f., 250,

381

254, 257, 261, 266–269, 284f., 293, 305f., 322, 341, 345f., 349–353 Widersprchlichkeit 72, 81, 85–89, 93, 95f., 99, 124–126, 128, 246, 323, 351 – des Widerspruches 72, 80, 86, 88f., 93, 95–99, 101, 106, 108, 112, 114–120, 126, 130f., 140f., 145, 194, 199, 208f., 246, 345 Wissenschaft 31, 42, 45, 55–57, 59, 61, 63, 65, 103, 140, 151, 175, 184, 303 Wunder 214, 277 Zauberer 192, 200 Zauberreligion 190, 196f., 199f. Zeitdiagnostik 289, 354 Zirkel 45, 299, 304, 311f. Zugrundegehen 124, 306 Zukunft 13, 33f., 46 zyklisch 33, 65–68, 224, 255, 286 Zyklizitt 68, 158, 224, 255