Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 1 [Neue, unveränd. Aufl., Reprint 2021] 9783112395523, 9783112395516


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German Pages 372 [376] Year 1796

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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 1 [Neue, unveränd. Aufl., Reprint 2021]
 9783112395523, 9783112395516

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Gotthold Ephraim Lessings

sämmtliche Schriften.

Erster Theil.

gleit, unveränderte Auflage. Berlin, 1796.

3* der Dossischeu Buchhandlung.

Vorbericht. ?üon den Lesflngschen Schriften, welche in

den Jahren 1753 — 56 zu Berlin in sechDuodezbändrn an das Licht gekommen, war der größte Theil feit langer Zeit verdammt, der Vergessenheit -änjlich überlassen zu wer­ den. Verfasser und Verleger waren dar­ über einig geworden; und besonders glaub­ te jener, diesen Entschluß sowohl sich selbst als dem Publikum schuldig zu seyn. Das Publikum wächset täglich an Einsicht und Geschmack: aber viele Verfasser bleiben zu­ rück, und wehe dem, der es auch nicht ein­ mal fühlet, daß er zurück geblieben, und eitel genug ist, noch immer auf den Beyfall zu rechnen, den er vor zwanzig Jahren erhalten zu haben vermeynet. Nur der Nachdruck, welchen man besag­ ten Schriften öffentlich drohet/ hat dem Verfasser den Wunsch abgelockt, da- hämi­ sche

(I)

Die Sinngedichte an den Leser, wird nicht einen Rlopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? — Nein. Wir wollen weniger erhoben. Und fleißiger gelesen seyn.

(2)

Ebendieselben. Ä)ir Wichten gern dem Kritikus gefallen:

Nur nicht dem Kritikus vor allen. Warum? Dem Kritikus vor allen Wird auch kein Sinngedicht gefallen.

A 2

4

Sinngedichte. ■■■

■■■

(3) Auf den neuern Theil dieser Sinngedichte. ^Zn» jweymal neunte Zahr, mit stummer Ungeduld, Bewahrt', aufDesserung, sie mein verschwiegne« Pult. Wa« sie nun besser sind, da« lLßt sich leicht ermessen: Mein Pult bewahrte sie; ich hatte sie vergessen.

(4)

Der Stachelreim. Erast, der gern so neu als eigenthümlich spricht, Nennt einen Stachelreim sein leidig Sinnge, dicht. Die Reime hür' ich wohl; den Stachel fühl' ich nicht.

Sinngedichte.

5

(5) Nikander. Nikanbern glückte jüngst ein trefflich Epi, gramm,

So fein, so scharf, al« je von Kästnern eine« kam.

Nun schwitzt er Tag und Nacht, ein jweyteS ausjuhecken. Vergebens; wa« er mache, verdirbt.

So sticht ein Bienchen un«, und läßt den Stachel stecken, Und martert sich, und stirbt.

(6) An den Marull. Troß willst du, und auch artig seyn?

Marull, was artig ist, ist klein.

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6

Giirngedichte. MSL-

(?)

Merkur und Amor.

Merkur und Amor zogen

Auf Abentheuer durch da« Land. Einst wünscht sich jener Pfeil und Dogen; Und giebt für Amor« Pfeil und Dogen Zhm seinen vollen Deutel Pfand.

Mil so vertauschten Waffen zogen, Und zichn noch, beide durch da« Land.

Wenn jener Wucher sucht mit Pfeil und Dogen,

Entzündet dieser Herzen durch da« Pfand.

Sian-edichte. --

I

7



(8)

Thrax und Stax. Stax.

^hrax! eine taube Frau -u nehmen! O Thrax, das nenn' ich dumm.

Lhrax. Za freylich, Stax!

ich muß mich

schämen.

Doch sieh, ich hielt sie auch für stumm.

(9)

Der geizige Dichter. Du fragst, warum Semlr ein reicher Geiz,

hals ist? Semir, der Dichter? er, den Welt und Nach, welk liest? Weil, nach de« Schicksals ew'gem Schluß, Ein jeder Dichter darben muß.

A4

Sinngedichte.

8 ♦i— ■

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i

(io)

Auf Lacinhen. Sie hat viel We>t, die muntere Puclnbe,

Durch nicht« wird sie mehr roth gemocht.

Zweydeutigkeit und Schmutz und Schänd' und Sünde, Sprecht was ihr wollt: sie winkt euch ju,und lacht.

Erröthe wenigst.»«, Lucinbe, Daß nicht« dich mehr errithen macht!

di) Auf die Europa. 9lis Zev« Europen lieb gewann. Nahm er, die Schöne zu besiegen. Verschiedene Gestalten an,

Verschieden ihr verschieblich anzuliegen. Ai«

Sinngedichte. »■r-



»»

9 G

Als Gott zuerst erschien er Ihr; Dann als ein Mann, und endlich al« ein Thier. Umsonst legt er, al« Gott, den Himmel ihr zu Füßen: Stolz fliehet sie vor seinen Küssen. Umsonst fleht er, al« Mann, in schmeichelhaftem Ton: Verachtung war der Liebe Lohn. Zuletzt— mein schön Geschlecht, gesagt zu deinen Ehren! — Ließ sie — von wem? — vom Dullen sich bethirrn.

Sinngedichte.

IO

»—I

=4

'III

(ir)

Pompils Landgut.

Auf diesem Gute läßt Pomptl

Nun seine sechste Frau begraben. Wem trug jemals ein Gut so viel? Wer möchte so ein Gut nicht habm?

(13)

Widerruf des Vorigen.

Ach möchte so ein Gut nicht haben.

Denn sollt' ich auch die sechste braus begraben: Kinm'ich doch leicht —nicht wahr, Pompll? — Sechs gute Tage nur erlebet haben.

Sinngedichte.

(14)

An die Herren T und P. Äöelch Feuer muß tn eurem Busen (obern! Ihr habt den Muth, euch kühn herauszufodern.

Doch eure Klugheit hält dem Muthe das Ge,

wicht:

Ihr federt euch, und stellt euch nicht.

(15)

Die Ewigkeit gewisser Gedichte. Verse, wie sie Dassus schreibt. Werden unvergänglich bleiben: —

Weil dergleichen Zeug ju schreiben. Stets ein Stümper übrig bleibt.

Sinngedichte.

iS

-

f(12)

Auf das Jungfernstift zu * *. Denkt, wie gesund die Luft, wie rein Sie um dieß Junqfernsiift muß seyn!

Seit Menschen sich besinnen.

Starb keine Jungfer drinnen.

(1?)

An den Doktor Sp * *♦

Dein Söhnchen läßt dich nie den Namen

Vater hären:

Herr Doktor ruft e« dich.

Zch dankte dieser

Ehren! —

Die Mutter wollt' es wohl so früh nicht lügen

lehren?

Sinngedichte.

13

08)

Auf den Mnemon. 3lt Mnemon nicht ein seltner Mann!

Wie wett er sich zurück erinnern kann!

Di« an die ersten Kinderpoffen: Wie viel er Digel abgeschoffen.

Wie manches Mädchen er begossen; Di« an das Gängelband, bis an dle Ammen, brüst,

3(1, was er litt und that, ihm alle« noch bewußt.

Zwar alles glaub' ich nicht; ich glaub' indessen,

Die Zeit ist ihm noch unvergessen. Als feine Mutter Dorilis

Noch nicht nach seinem Vater hieß.

14

Sivllgedtchte.

(19)

Bavs Gast. So »ft Kodyll mich sieht zu Baven schmau­ sen gehen, Beneidet mick Kodyll

Der Thor!

Das Mahl bey Baven kömmt mit theuer gnug zu stehen:

Er liest mir seine Verse vor.

(20)

Auf den RufuS. Weiß ichs, was Rufus mag so viel Ge, lehrten schreiben?

Dieß weiß ich, daß sie ihm die Antwort schuldig bleiben.

Sinngedichte.

'S

(21)

Auf Dorinden. nicht Dorinde von Gesicht Ein Engel? — Ohne Zweifel. — Allein ihr plumper Fuß? — Der hindert nicht. Sie ist ein Engel von Gesicht, Von Huf ei» Teufel.

(22)

An das Bild der Gerechtigkeit, in dem Hause eine- Wucherers, nebst der Antwort. Gerechtigkeit! wie kömmst du hier zu stehen? Hat dich dein Hausherr schon gesehen? „Wie meynst du, Fremder, diese Frage? „ Er sieht und übersieht mich alle Tage.

Sinngedichte.

i6

»

♦,— (rz)

Auf einen adeligen Dummkopf. Da- nenn' ich einen Edelman»! Sein Ur — Ur — Ur — Ur — Aelterahn

War Sitte Einen Tag, als unser aller Ahn.

(24)

An eine würdige Privatperson. ©lebt einst der Leichenstein von dem, was

du gewesen.

Dem Enkel, der dich schätzt, so viel er braucht, zu lesen. So sey die Summe dieß: „Er lebte schlecht und recht,

„Ohn' Amt und Gnadenqeld, und niemand« Herr noch Knecht.

Sinngedichte.

»7

(25)

Auf die Iris. Der Zrlt blühend volle Brust

Netzt uns, 0 D ", zu welcher Lust! Doch ihr erbärmliche« Gesichte,

O D ”, macht Reiz und Lust zu nichte. Sieh, Freund, so liegen Frost und Flammen,

Und Gift und Gegengift beysammen.

(26) Auf Frau Trix. ArauTrix besucht sehr oft den jungen Doktor Klette.

Argwohnet nicht«!

Zhr Mann liegt wirklich krank zu Bette.

18

Sinngedichte.



♦ (27)

Auf Lukrinö Grab. Äöelch tidtender Gestank hier, wo Lukrin

begrabe», Der unbarmherz'ge Filz! — Ich glaube gar, sie haben Des WuchrrrS Seele mit begraben.

(28)

Im Namen eines gewissen Poeten, dem der König von Preußen eine goldene Dose schenkte. Di. goldn.Dose, — denkt nut! denkt! — Die König Friedrich mir geschenkt. Die war — wa« da» bedeuten muß? — Statt voll Dukaten, voll Helleboru».

Sinngedichts.

(-9) Auf den falschen Ruf von Nlgrinr Tode.

E- sagte, sonder alle Gnade,

Die ganze Stadt Ntgrtnen todt. Was that die Stadt in dieser Noth?

Ein Zehntheil von der Stadt sprach: Schade!

Doch als man nach und nach erfuhr, deß das Geschrey Ein bloßes blindes Lärmen sey:

So holten, was zuvor da« eine Zehntheil sprach.

Die andern neune nach.

30

Sinagedichte.

«tCe* " (3°)

Auf den Gargil. Mr richtrisch scharfem Kiel burchackert seine Lieder Gargil. Ins neunte Zahr schreibt, löscht und schreibt er wieder. Sein Lied ist Lieb' und Wein. Kann man e« Ihm verdenken, Daß er der Nachwelt wlll vollkommne Possen schenken?

( zr )

D ie Flucht. „Ich sieh, um ifter noch zu streiten!,, Rief Fix, der Kern von tapfern Leuten. Da« hieß: (so übersetz' ich ihn) Zch flieh, um öfter noch zu flieh».

Sinngedichte.

21

(32) Die Wohlthaten. 26Lr' auch ein böser Mensch gleich einer

lecken Bütte, Die keine Wohlthat HLlt: dem ungeachtet schütte — Sind beide-, Bütt' und Mensch nicht allzu morsch und alt, — Nur deine Wohlthat ein. Wie leicht verquillt ein Spalt!

(33) An einen Geizigen. Ach dich beneiden? — Thori

Erspar',

ererb', erivirb, Hab'alle-! — Brauche nicht-, laß alle- hier, und stirb! D 3

ai

Siun-edichie.

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- i-ftt'iCP““

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(34)

Hinz und Kunz. Hinz.

28a« doch die Großen alle« essen?

Gar Vogelnester; ein«, zehn Thaler

werth. Run;. Wa«? Nester? Hab' ich doch gehört, Daß manche Land und Leute fressen. Hinz. Sann seyn! kann seyn, Gevalter«mann!

Dey Nestern fingen die denn an.

(35)

Auf eine lange Nase. O aller Nasen Nas'! Ich wollte schwirrn, Da« 0hr kann sie nicht schnauben hiren.

Siongedtchte. —

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(44) Antwort des Sabrn. Haß' mich, so viel du willst! doch müßt' ich gern, weswegen:

Denn nicht an deinem Haß, am Grund' ist mir

gelegen.

(45) A» einen Lügner. Du magst so ost, so fein, als dir nur mig< ltch, lügen: Mich sollst du dennoch nicht bekriegen.

Ein einjtgmal nur hast du mich betrogen:

Das kam daher, du hattest nicht gelogen.

Sinngedicht,

(46)

Auf Trill und Troll. Ob Trill mehr, oder Troll mehr zu benet,

den ist, Trill, der Dortndens Bild, Troll, der Dorln,

den küßt:

Das möcht' ich wohl entschiedm wissen, — Da beide sie gemalt nur küssen.

(47)

Entscheidung des Vorigen. Ich denke, Trill ist noch am besten dran: Weil ihn das Bild nicht wieder küssen kenn.



Sina-edichte. "» Ott

|

.

4|

(48)

An die **. Du fragst:

Wer giebt für meinen Sohn

Mir einen Namen an?

Für deinen Sohn, und wessen Sohn? — Du schweigest? — Nenn' ihn Pan.

( 49)

Auf Alandern. Aland», hör' ich,

ist auf mich gewaltig

wild; Er spöttelt, lästert, lügt und schilt.

Kennt mich der gute Mann? — Er kennt mich nicht, ich wette.

Doch was? als ob nicht auch sein Bruder an

der Kette Auf di« am heftigsten, die er nicht kennet, billt.

Sinngedichte.

31

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=*♦ (50)

Auf einen Brand zu * *. Ein Hurenhau< gerieth um Mitternacht in Brand. Schnell sprang,' zum Läschen oder Rttten, Ein Dutzend Mönche von den Betten.

Wo waren die? Sie waren------ bey der Hand.

Ein Hurenhaus gerieth in Brand.

(5i) An

Einen.

Du schmähst mich hinterrücks?

bas soll

mich wenig kränken.

Du lobst mich ins Gesicht? da« will ich dir

gedenken!



♦—

Sinngedichte.

"

...... —



»

(91) Auf einen gewissen Dichter.

^Zhn singen so viel mäß'ge Dichter, Zhn preisen so viel dunkle Richter, Zhn ahmt so mancher Stümper nach, Zhm nicht zum Ruhm, und sich zur Schmach, freund, dir die Wahrheit zu gestehen, Zch bin zu dumm es etnzusehen, Wie sich für wahr Verdienst ein solcher Beyfall schicket. Doch so viel seh' ich ein. Da« Singen, da« den Frosch im tiefen Schlamm entzücket. Da« Singen muß ein Quaken seyn.

Sinngedichte.

55

(S-)

An den Wesp. 9Tur Neue- liebest du? nur Neues willst bu machen? Du bist, mein guter Wesp, sehr neu in allen Sachen.

(93)

An den Teils. Balb willst bu, Trill, und bald willst bu

bich nicht beweiben: Bald dünkt dich- gut, bald nicht, ein Hagestolz zu bleiben. Zch soll dir rathen? Wohl! Thu, wa» dein Vater that: Bleib ftey; hetrathe nicht! — Da hast bu mel< neu Rath.

2)4

56

Sinngedichte

(94.) An ebendenselben. Du nennest meinen Rach ein schales Sinn, gedicht? Trill, einen andern Rath bekömmst du wahrlich

nicht. Zum Hängen und zum Freyen

Muß niemand Rath verleihen.

(95) An die Fuska. Sey nicht mit deinem rothen Haar

So äußerst/ Fuska, unzufrieden! Ward dir nicht schönes braunes Haar, So ward dir braune Haut beschieden.

Sinngedichte.

57

(96)

Auf den Tod des D. Mead. Al« Mead am Styx erschien, rief Pluto

voller Schrecken: Weh mir! nun kömmt er gar, die Todten zu

erwecken.

(97) Auf die schöne Tochter eine« schlechten Poeten. Der Vater reimt und suchet allen, Nicht wenig Kennern, zu gefallen.

Die Tochter.buhlt: 0! straft sie nicht! Das gute Kind will allen,

Wie ihres Vaters Reim, gefallen.

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58

Sinngedichte.

T-_ .

.„„j (98)

An ebendieselbe. Dein braunes Mädchen, Freund, ist schön: Das muß ihr auch der Neid gestehn. Sp schön, daß man es ganz vergißt. Daß sie ein wenig buhlrisch ist; So schön, daß man er gar vergißt. Daß ihr Papa ein Reimschmied ist.

(99) Auf den Sextus.

Die, der Ein Auge fehlt, die will sich Sextus wählen? Ein Auge fehlet ihr, ihm müssen beide, fehlen.

Sinngedichte.

59 ..............

(IOO) Kunz und Hinz. Run;. Ainz, weißt du, wer das Pulver hat erfunden? Der leid'ge böse Geist. Hinz. Wer hat dir, Kunz, das aufgebunden? Ein Pfaffe wars, der Berthold heißt. Run;. Sey drum! so ward mir doch nichts ausgrbunden. Denn steh! Pfaff' oder böser Geist Ist Maus wie Mutter, wie mans heißt.

(101)

Au f den B a v. Ein schlechter Dichter Dav? ein schlechter

Dichter? nein! Denn der muß wenigstens ein guter Reimer seyn.

Sinngedichte,

6o t

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( 102)

Auf Dorinden. (Sagt nicht, die ihr Dorinden kennt.

Daß sie aus Eitelkeit nur in die Kirchen rennt; Daß sie nicht betet, und nicht höret. Und andre nur im Beten störet. Siechat, (mein eignes Ohr ist Zeuge; Denn (ihre Schönheit geht allmählig auf die Neige) Sie bat mit ernstlichen Geberden: „Laß unser Angesicht, Herr, nicht zu Schanden werden!,,

(103)

Auf die Galathee. Die gute Galathee! Man sagt, sie schwärz'

ihr Haar; Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.

Sinngedichte.

6l

(104)

Auf die Hütte des Irus. Vorbey verwegner Dieb! denn unter diesem

Dache,

Zn jedem Winkel hier, hält Armuth treue Wache.

(105)

Auf einen gewissen Leichenredner. O Redner! dein Gesicht zieht jämmerliche Falten, Indem Dein Maul erbärmlich spricht. Eh du mir sollst die Leichenrede halten,

Wahrhaftig, lieber sterb' ich nicht!

62

Sinngedichte.

(io 6)

Das schlimmste Thier. Wie heißt das schlimmste Thier mit Namen ? So fragt' ein König einen weisen Mann. Der Weise sprach: von wilden heißte Tyrann, Und Schmeichler von den zahmen. (107)

Auf die MagdaliS. Die alte reiche Magdalis Wünscht mich zum Manne, wie ich höre. Reich wäre sie genug, das ist gewiß; Allein so alt! — Za, wenn sie älter wäre!

*

Ce* *•*■wen. Nur daß bey diesem der Pedant fich unzählig öfter hören läßt, als der feine Mann von Erfahrung; und daß der Pedant mit al, (er Gewalt noch oben drein witzig seyn will. Zch halte den, in allem Ernste, für einen star, fen Kops, der ein ganze« Buch des Owen In einem Zuge lesen kann, ohne drehend und schwindlicht zu werden. Zch werde er unfehl, bar, und habe immer dieses für die einzige Ursache gehalten, weil eine so große Menge bloß allgemeiner Begriffe, die unter sich keine Verbindung haben, in so kurzer Zett auf ein» ander folgen: die Einbildung möchte jeden gern. In eben der Geschwindigkeit, in ein indlviduel, le«

über das Epigramm.

113

♦les Bild verwandeln, und erliegt endlich unter der vergebnen Bemühung. Hingegen ist das Mvralisiren gerade zu, des Martial« Sache gar nicht. Ob schon di« meisten seiner Gegenstände sittliche Gegen, genstänbe sind: so wüßte ich doch von allen la, teinischen Dichtern keinen, «u< dem sich wenl, gere Sitten spräche wörtlich au-ziehen ließen, als au« ihm. Er har nur wenig Sinngedich« te von brr Art, wie da« angeführte an den Dectanu«, welch« sich mit einer allgemeinen Moral schlissen; seine Moral ist ganz in Hand, lung verwebt, imd er moraiisiret mehr durch Beyspiele, als durch Worte. Vollends von der Art, wie bas dreyzehnte seine« twilften Buchs ist. Ad Aue tum.

Genus* Au£le, lucri di vires habentdram, Odisse quam donafle vilius constac;

welches nicht« al« eine feine Deckerkung ent» Hilt, mit gänzlicher Verschweigung des Dor, fall«, von dem er sie abgezogen, oder der sich daraus erklären lassen: von dieser Art, sage ich, wüßte ich, außer dem gegenwärtigen, nicht

poch

1*4

Aamekkttngetr

♦= noch drey bey ihm auftufittben. Und auch bey den wenigen scheinet es, daß er den veranlas­ senden Vorfall mehr aus gewissen Bedenkliche keilen mit Fleiß verschweigen wollen, als daß er gar keinen dabey im Sinne gehabt. Anktu» mochte den Reichen wohl kennen, der so listig eine Ursache vom Zaune gebrochen, sich über ihn, oder über den Dichter zu erzürnen, em sich irgend ein kleines Geschenk zu ersparen, das er ihnen sonst machen müssen. Wenig, stens hat Martial dergleichen bloße sittliche Bemerkungen doch immer an eine gewisse Per, son gerichtet, welche anscheinende Kleinigkeit Loga« und wernike nicht HLtten übersehen oder vernachlässigen sollen. Denn es ist gewiß, daß sie die Rede um ein großes mehr belebt» und wenn wir schon die angerebete Person, und die Ursache, warum nur diese, und keine andere angrredet worden, weder kennen noch wissen: so seht uns doch die bloße Anrede gr, schwinder in Bewegung, unter unserm eignen Zirkel umzuschauen, ob da sich nicht jemand finde, ob da sich nicht etwas zugetragen, war, «ms der Gxdanke des Dichters anzuwenden sey. Wenn

über das Epigramm.

115

-Jt Wenn nun aber bloße allgemeine Sitten, sprüch«/ sie mögen nun mit der Einfalt eines vermeinten Lato, oder mit der Spitzfindigkeit eines Landin», oder mit dem Scharffinne et, ne« wernike vorgekragen seyn, die Wirkung nicht haben, die sie allein zu dem Namen der Sinngedichte berechtigen könnte; wenn als» ein Verinuv und pibrak, ober wie sonst die ehr, lichrn Minner heißen, die schöne erbauliche Disticha geschrieben haben, aus dem Register der Eptgrammartsten wegfallen: so werden dl« jentgen noch weniger darin aufjunehmen seyn, welche andere scientifische Wahrheiten in die engen Schranken de» Epigramms zu bttngen versucht haben. Ihre Verse mögen gute Hüls», mittel de» Gedächtnisse» abgeben; aber Sinn, gedtchre find sie gewiß nicht, wenn ihnen schon nach der Erklärung de» Batteup diese Denen, nung nur schwer abzustreiten seyn dürfte. Dem» sind z. E. die medicinischen Vorschriften der Schule von Salerno nicht eine» sehr interes, sanken Inhalt«? und könnten sie nicht gar wohl mit eben so vieler Präcision und Zier, lichkelt vorgrtragen seyn, al« sie es mit wrnl, H 2 ger

Anmerkungen.

116 »—

,

|

ger sind? Und dennoch, wenn sie auch Lukrez selbst abgefaßt hitte, würden sie nicht- al- ein Deysplel mehr seyn, daß die Erklärung deDatteux viel ju weltläuftlg ist, und gerade bar vornehmste Kennzeichen darin fehlet, wel, che- da- Sinngedicht von allen andern kleinen Gedichten unterscheidet. 2. Dle zweyte Aftergattung br- Epigramm­ war die, welche Erwartung erregt, ohne einen Ausschluß darüber zu gewähren. Dergleichen sind vornehmlich alle kleine Gedichte, die nicht« al« ein bloße- seltsame- Faktum enthalten, ohne im geringsten anzuzeigen, au- welchem Gesichtspunkte wir dasselbe betrachten sollen; dle un« also weiter nicht- lehren, al« daß rin, mal etwa« geschehen ist, was eben nicht alle Tage zu geschehen pflegt. Derjenigen kleinen Stücke gar nicht einmal hier zu gedenken, dle, wir die Rayser des Ausonius, die ganze Geschichte, den ganzen Charakter eines Man­ nes In wenige Züge zusammenfassen, und de, ren unter den Titeln, Icones, Heroes u. s. m. so unzählige geschrieben worden. Denn diese Mächte man schon deswegen nicht für Slnnge, dichte

über das Epigramm. t - 1

117 j

dichte wollen gelten lassen, well ihnen die Ein, heit fehlet, die nicht In der Einheit der nehm» lichen Person, sondern in der Einheit der nehm, lichen Handlung bestehen muß, wenn sie der Einheit drS Gegenstandes in der eigentlichen Aufschrift entsprechen soll. Aber auch alsdann, wenn da- Gedicht nur eine einjige völlig zuge, rundete Handlung enthält, ist «- noch kein Sinngedicht, Falls man uns nicht etwas dar, aus schlleßen, oder durch irgend eine feine De, merkung in das Innere derselben tiefer ein, dringen läßt. Wenn j. E. Martial sich begnügt hätte, die bekannte Geschichte des Mucius Skavola in folgende vier Verse zu fassen •): Dum peteret regem decepta satellite dextra, Injecit sactia fe peritura focii. Sed tarn fxva pius miracula non lulle hoftia, Et raptum flammi« jufTit abire virum.

würden wir wohl sagen können, daß er eln Sinngedicht auf diese Geschichte gemacht ha, be? Kaum wäre e« noch «Ins, wmn er bloß hinzugesetzt hätte: H 3 Urere •) L'-K 1. q*. .1*.

n8



Anmerkungen IM

Urere quim potuit contemto Muciue igne, Hane spectara manum Porfena non potuit.

Denn auch das ist noch nicht vielmehr als Ge­ schichte; und wodurch es ein völlige« Sinnge­ dicht wirb, find lediglich die endlichen letzten Zeilen: Major decepte fama eft, et gloria dextre: Si non erraffet, fecerat illa minua.

Denn nun erst wissen wir, warum der Dich­ ter unsere Aufmerksamkeit mit jener Begeben, heit beschäftigen wollen; und das Vergnügen über eine so feine Betrachtung, „daß ost' der „Irrthum uns geschwinder und sichrer unsere „Absicht erreichen hilft, als der wohlüberlegte, „kühnste Anschlag,,, verbunden mit dem Ver­ gnügen, welches der einzelne Fall gewähret, macht das gefammle Vergnügen des Sinn­ gedicht«. Ohnstreitlg hingegen müssen wir uns nur mit der Hälfte dieses Vergnügen« bey einigen Stücken der griechischen Anthologie, und hey noch mehrern verlchiedner neuern Dich» ter behelfen, die sich eingebildet, baß sie nur da« erste bas beste abgeschmackte Hifitrchen zu, sam


unttr sehen, noch weniger da« für unreife Früchte seiner poetischen Kindheit erklirrn, womit wir ihn in Litern Zähren so ernstlich beschLftigel finden. Der Lluinktus pollius Valerianus, von dem Martial sagt, daß er den gänzlichen Un­ tergang dieser verworfnen Kleinigkeiten noch hindere, war also derjenige, welcher sie zum Verkauf abschrleb, oder für seine Rechnung ab­ schreiben ließ: ihr Verleger, mit einem Wor, tt. Und auch hieraus ist es schon klar, daß von den Epigrammen nicht die Rede seyn kann; denn der Buchhändler, welcher diese ver­ kaufte, hieß Atrektu«. Warum ich aber der verlornen Zugendgedichte unsers Martials so geflissentlich hier ge­ denke, ist eigentlich dieses die Ursache: weil ich einen Einfall über sie habe, von dem mich wundert, daß ihn nicht schon mehrere gehabt haben. Zch glaube nehmllch, baß sie nicht so ganz untergegangen, sondern verschiedene der­ selben noch übrig sind, und nur verkannt werden. Der alte Scholiast des Zuveaai führt eine Stelle

Martial t

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21S ■

-i

Stelle au« dem Martial an, die sich seht bey ihm nirgend« findet. Allerding« haben wir so, nach den Marktal nicht ganz: aber darum auch seine Epigrammen nicht gant, wie Skri, »er argwohnet *)1 Warum könnte diese Stelle nicht eben in den Zugendgedtchten ge, standen haben, von denen wir gar nicht« übrig zu seyn glauben? Doch wenn gerade nur die, ft davon übrig wäre: so wäre e« freylich so vlei al« gar nicht«. Da« Mehrere, worauf ich ziele, sind diese, nigen acht Epigrammen, mit welchen Junius feine Ausgabe des Martial vermehrte. Er fand sie in einer Handschrift der bodlejanischen Bibliothek; und ohne Zweifel, daß sie in die, ser Handschrift an eben den Orten etngeschal, tet waren, an welchen sie in feiner Ausgabe Vorkommen Er giebt nur wenig spätere Herausgeber de« Martial, die sich diese Ein, schiebsel so völlig gefallen lassen. Am unge, O 4 stüuu *) Animai. ia Spedac. p. 3f. 9) Nehmlich IV, 7t, VII, 103*

loo, 101. XU, 7p. 701, 101.

216

Martial

stümsten aber stieß fit Skriver wieder au«; und kaum, daß er ihnen noch ganz am Schlüs­ se seiner Ausgabe den Platz vergönnte, ne aliquis ex fungino genere ea defilieret. Es ist eine Lust, ihn schimpfen zu hören: Tarn fatua, tarn ftulta in elegantiflimo opere, ceu pannum in purpura, quis ferat? Irato prorfus Deo Mufisque averfis nata. Procut du­ bio ab infulfis monachis et fcribis deliramenta fixe profecta sunt. Nunquam medius fidiua naüim habeat oportet, qui ista talia non primo ftatim odore deprehendat. Aliter catuli olent, aliter fues. Wer giebt auf solche kritische Trümpfe nicht gern zu? Wer lößt nicht lieber ein wenig Unrecht über Dinge, die kein Gefühl haben, ergehen, al« daß er sich durch ihre Dertheidt, gung den Vorwurf eine« elenden Geschmack« zuziehen wollte? Aber mag doch mir gesche, hen, wa« da will: ich kann mich unmöglich enthalten, über die feint Nase de« Skriver eine Anmerkung zu machen. Ich glaube e«, daß sie Schweine und Hunde recht gut zu um terscheiden wußte; ich gebe e« ihr zu, daß alle die

Martial

ai7

die Fehler, von welchen sie in den streitigen Epigrammen Wind hatte, wirklich darin lie­ gen ; kurz, ich habe für die Nase, al« Nase, alle Hochachtung. Aber wer hieß denn ihrem Eigenthümer, mit einer Nase mehr empfinden zu wollen, as» man mit einer Nase empfinden kann? Wer hieß Skrivern, mit der sinnli­ chen Empfindung sogleich ein Urtheil verbin, den, und beide hernach mit einander vermen, gen? Er hat Recht, daß die armen Dinger, denen er den Namen de« Martial durchaus nicht lassen will, gar nicht sehr witzig sind, daß sie auch nicht immer in einer so guten Sprache geschrieben sind, al« man von Schrift­ stellern der damalige» Zelt noch wohl erwar, ten konnte, und bey dem Martial wirklich fin­ det: aber folgt daran«, daß sie darum Mar­ tial auch nicht gemacht hat? Kann ein Ver, fasser in seiner Jugend, in seiner Kindheit, nicht« gemacht haben, wa« den Werken seine« reifen Alter«, weder an Gedanken noch Au«, druck, durchau« nicht Lhnlich fleht? So lange man noch unter sich selbst ist, ist man um so viel mehr auch unter seiner Zeit. Sie muß, ten

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Martial.

ten ja wohl, die Zuqendpossen de« Marttal, -weder vlel gute Sprache, noch viel guten Witz haben: sonst wüßte ich gar nicht, warum er sich ihrer sollte geschämt Haden? Verhält sich diese« aber so: warum sollte e« nicht nr-gtich seyn, daß ein Liebhaber einige derselben, die ihm noch am besten gefallen, in sein Exemplar der Epigrammen eingetragen hätte? Warum sollte e« nicht glaublich seyn, daß eben daher Ein Manuskript Zusätze haben ttnnte, die man in allen übrigen vermißt? Gewiß ist e« doch wohl, baß da« ausdrückliche Zeugniß eine« Manuskript« immer glaubwürdiger in solchen Dingen ist, al« der kahle Machtspruch eine« Kcltiku«, der sich auf nicht« al« auf seine Nm se beruft. Damit ich jedoch nicht scheinen mige, al, le« auf meine eigene Htrner »u nehmen: so will ich anführen, daß e« vor und nach Skri. vern auch gar nicht an Gelehrten gefehlt hat, welche weit glimpflicher von den Vermeh, rungrn de« Zuniu« geurtheilet haben. S» nennt Ramires de Prado da« eine Epi, gramm: Jn

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Martial.

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In V&rntn. Ad coenam nuper Varus cum forte vocavit, Ornatus dives, parvula cocna fuit. Auro,’ non dapibus oneratur menfa, minUlri Apponunt oculis plurima, pauca gul®. Tune ego, non oculos, fed ventrem pafeere veni: Aut appone dapes, Vare, vel aufer opes.

elegans et poeta dignum. sagt von einem andern: De

Und Barth •)

Milo ne.

Milo domi non est: peregre Milone profecto Arva vacant: uxor non minus indc parit. Cur fit ager fterilis, cur uxor lectitet, edam : Gtuo fodiatur ager non habet, uxor habet,

ob er es schon selbst für kein Werk des Mar, ttal erkennet, erudita tarnen hujus Epigrammatis fententia e(h Nam lege puto cautum fuifTe &c. Wenigstens, wo ist das Mönchmt, ßtge in diesen zwey Proben? Und was ha, ben sie, das schlechterdings nicht aus der Feder eines jungen Römers könnte geflossen seyn, welcher noch keine Verse machen kann, son, dem •) Adverb lib. XXIII. e»,.